Der Sturm beutelte d ie ›Isabella von Kastilien‹ . Doch diese Nacht hielt noch mehr Überraschungen für Philip Hasard Ki...
28 downloads
541 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Der Sturm beutelte d ie ›Isabella von Kastilien‹ . Doch diese Nacht hielt noch mehr Überraschungen für Philip Hasard Killigrew bereit. Capitan Romero Valdez, sein Gefangener, war trotz seiner Verwundung und trotz des Sturmes in einem Dinghi g efloh en. Und als Hasard sah, daß Valdez ein Geheimfach in der Kapitänskammer aufgebrochen und irgend etwas mitgenom men hatte, da wuß te er, daß es für den spanischen Capitan etwas Wichtigeres gab als den Tod. Aber auch der Seewolf war zäh. Er wußte, daß die spanische Flotte ihn verfolgte. Trotzdem befahl er seiner Mannschaft: »Sucht den Bastard!«
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe d er Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewö lfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begann en 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter d em Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Roscoe Craig
Jagd durch die Biskaya
Seewölfe Band 15
DIE AUTHENTIS CHEN ERLEBN ISS E,
KAPERFAHRT EN UND S EES CHLACHT EN
DES PHILIP HAS ARD KILLIGREW
1.
Capitan Romero Valdez lauschte auf die vertrauten Geräusche, die ihn u mgaben. Er hörte das Ächzen des Rumpfes, das Knarren der Blöck e und Taljen und über sich das Pfeifen der Wanten vom Besanmast, an denen der steife Ostwind herumsägte. Unruhig gin g er in d er schmalen Kammer sein es Ersten Offiziers auf und ab. Er spürte die Demütigung, auf seinem eigenen Schiff Gef an gener zu sein, fast körperlich. Seit drei Jahren fuhr er die ›Isabella von Kastilien‹. Vier Fahrten in die Neue Welt hatte er mit diesem Schiff bereits hinter sich, und nie war es ir gendeinem Feind gelungen, auch nur einen Fuß auf die Decksplanken der ›Isabella‹ zu setzen. So sicher wie mit Romero Va ldez - das gehörte jetzt der Vergan genheit an. Dieser Sp ruch würde so schnell vergessen sein, wie er vor einem Jahr aufgetaucht war, als er als einziges Schiff einer Flotte den Freibeutern von Hispanola hatte entkommen können. Er dachte an die wertvolle Ladung des Schiffes, die er n ach Sevilla hatte bringen sollen. Dreißig Tonnen Silber. Ein Vermögen, das dieser schwarzhaarige Teufel von einem Engländer der sp anischen Krone geraubt hatte und nach England brachte. Am Zittern der Planken unter seinen Füßen merkte Vald ez, daß die Galeone mit vollem Zeug segelte. Er trat an das kleine rechteckige Fenster, das zur Heckgaler ie hinausführte, und warf einen Blick auf den nachtschwarzen Himmel. Nur ab und zu blitzte ein Stern am Firmament auf, dann wurde er von drohend geballten Wolkenf eldern wieder verschlun gen. Die See zeigte weiße Schaumköpfe. Es schien, als hole der Wettergott zum nächsten, härteren Schlag aus. Capitan Romero Valdez ballte die Hände zu Fäusten und trommelte in stiller Verzweiflun g gegen die Holzwand. Nicht
so sehr das Schicksal, das ihn in England erwartete, setzte ihm zu - nein, diese Erniedrigun g würde er durchstehen wie ein M ann. Die Schmach, die der Engländer der sp anischen Flotte im Hafen von Cadiz angetan hatte, schmerzte ihn viel mehr. Valdez hatte in den vierundzwanzig Stunden, die seit der Kaperung seines Sch iffes ver gangen waren, die Hoffnung aufgegeben, daß eines der in Cadiz vor Anker gegangenen Schiff e die Verfo lgung der ›Isabella‹ aufgenommen hatte. Zu stark blies der günstige Ostwind. Und wie sollten die spanischen Schiff e herausfinden, welchen Kurs der Engländer geno mmen hatte? War er hinaus nach Osten in den Atlantik gesegelt, um. später nach Norden zu drehen, und die en glischen Häfen von Südwesten anzusteuern? Oder hielt er nordöstlich auf Kap Sao Vicente zu? Romero Valdez wußte, daß es fast unmö glich war, b ei diesem Wetter ein Schiff zu verfolgen und zu finden, auch wenn es schwerfällig war wie die ›Isabella von Kastilien‹, in deren Frachträumen dreißig Tonnen Silber verstaut waren. Der Capitan dachte an seine Leute, die sich von den verfluchten Engländern hatten überrumpeln lassen. Beschämt gestand er sich ein, daß sein Verhalten nicht gerad e dazu beigetragen hatte, seine M änner zum Widerstand zu treiben. Aber wer hatte schon damit gerechnet, daß es den Engländern gelingen könnte, ein Schiff der spanischen Krone aus einem spanischen Hafen zu entführen, der von schweren Kriegsschiff en ab ger iegelt war? Vald ez p reßte die Lip p en aufeinander. Seine r echte Hand griff an d ie linke Hüfte, aber sein Degen war nicht da. Der Engländer hatte ihn ihm abgenommen. Er besaß keine Waffe mehr. Nicht einmal ein kleines M esser, mit dem er den Riegel der Tür hätte öffnen können. Der Capitan schüttelte den Kopf. Der Weg durch die Tür war ihm sowieso versperrt. Er hatte den riesigen Neger gesehen, der vor der Tür wachte. Valdez wandte sich wieder zum
Fenster. Seine Unruhe wuchs. Er mußte etwas unternehmen. Er durfte dieses Schiff nicht unbehelligt nach England segeln lassen, denn es hatte etwas viel Wertvolleres an Bord als die dreißig Tonnen Silber. Und das durfte um keinen Preis der Welt in die Hände der Engländer fallen. Romero Valdez hob die Hände und drückte gegen den Rahmen des kleinen Fensters, aber es gab nicht nach. Wütend stieß er nach dem Glas, das klirrend brach und nach draußen auf die Heck galer ie fiel. Erschrocken hielt Valdez inne. Er lauschte zur Tür. Sein schwarzer Wächter hatte anscheinend etwas gehört. Schritte stampften über die Decksp lanken, und die gutturale Stimme des Negers klang auf. Ein anderer M ann antwortete. Wahrscheinlich der Rudergänger, der am Kolderstock stand. Vald ez wartete, bis wieder Ruhe herrschte. Der k alte Seewind pfiff durch das Fenster. Der Capitan zog fröstelnd die Schultern hoch. Dann griff er abermals zum Fensterrahmen, und diesmal schaffte er es, ihn mit einem Ruck herauszureißen. Der Riegel, den einer der Engländer von draußen vor das Fenster genagelt hatte, polterte auf die Planken der Heck galer ie. In diesem Augenblick brüllte jemand Bef ehle über das M itteldeck. Valdez verstand nur Wortfetzen. Für ihn war nur wichtig, daß n iemand etwas von seinem Ausbruch bemerkte. Er stellte ein en Stuhl unter das Fenster und stieg hinauf. M ühsam zwängte er sein en Oberkörp er durch die kleine Öffnung. Er blickte nach oben. Der Engländer hatte tatsächlich alle Segel gesetzt, als wolle er dem Teufel ein Ohr absegeln. Der Wind nahm Sturmstärke an. Jaulend fuhr er durch die Takelage und füllte die Segel. Das Schiff p flügte mit Backstagswind und Steuerbordhalsen durch die schaumgekrönte See, die vor dem Bu g herzulaufen schien. Cap itan Valdez schob sich ganz durch die schmale Fensteröffnung. Keuchend lehnte er sich gegen die Holzverkleidun g des
Achterkastells. Der Wind riß an seiner Kleidung. Die Kälte drang ih m bis auf die Haut, aber er bemerkte es nicht. Die Gedanken schossen durch seinen Kop f. Wenn es ihm gelan g, seine Leute aus dem Frachtraum zu befreien, konnten sie die p aar Engländer, die das Schiff in ihre Gewalt gebracht hatten, mit Leichtigkeit ausschalten. Aber der Weg zum Quarterdeck war weit. Niemand wußte das besser als Cap tain Valdez. M it ein paar Schritten war der Spanier am Heck. Unter der Galerie gurgelte das Wasser. Ein Dinghi, das mit einer Schleppleine an Backbord der Heckgalerie festgemacht war, tanzte hinter dem Schiff auf den Wellen. Valdez wunderte sich, daß der En gländer das Boot noch nicht an Bord geholt hatte, denn schließlich befand er sich auf der Flucht, und ein nachgeschlepptes Boot war so etwas wie eine Bremse, auch wenn es bei d ieser Windstärke kaum ins Gewicht fiel. Aus den Fenstern der Kapitänskammer fiel kein Licht. Entweder schlief der schwarzhaar ige En gländer, od er er befand sich auf dem Achterdeck, um rechtzeitig Segel wegnehmen zu lassen, wenn der Sturm stärker wurde. Valdez preßte sein Gesicht gegen die buntbemalten Scheib en, ab er er konnte im Innern der Kammer nichts erkennen. Er schlich zurück und tastete nach dem vorstehenden Oberdecksbalken. Ächzend zog er sich in d ie Höhe. Er brauchte kein e An gst zu haben, daß ihn jemand hörte, denn der Wind or gelte dröhnend durch die Takelage und sang ein Lied, das der Teufel selbst komponiert hatte. M it M ühe schaffte er es, sich über das Schanzkleid zu ziehen. Der Wind hatte das Band, mit dem sein e Haare im Nacken zusammengehalten wurden, gelöst. Feuchte Strähnen hin gen Vald ez ins Gesicht, so daß er nichts sehen konnte. Er suchte mit den Fußspitzen Halt an der Wand des Achterkastells, und als er eine Ritze gefunden hatte, strich er sich schnell die Haare
aus dem Gesicht. Valdez wurde blaß, als er d en großen schlanken M ann auf dem Achterdeck sah. Die braungebrannten, kräftigen Hände hatte der junge Engländer um das Balustradengeländer gekrallt. Sein von Wetter und Sonne gegerbtes Gesicht war auf den Großmast gerichtet, der sich unter dem Anprall des Windes nach Lee bo g. Valdez sah seinen Degen an der Hüfte des jungen En gländers, In dem breiten Gürtel steckte eine Pistole. Der Kopf des Capitan ruckte herum, als er das Knattern der Fock hörte, die zu lose gefahren wurde, Der Befehl des En gländers folgte auf d er Stelle. »Holt die verdammte Fock dicht!« brüllte er, um den Sturmwind zu übertönen. Valdez sah, wie ein paar M anner über das Deck liefen und den Befehl sofort ausführten Die Fock stand gleich darauf wieder voll. Der Capitan hatte genug gesehen. Er wollte sich lan gsam auf die Heck galer ie zurück gleiten lassen, aber seine Fin ger waren klamm geworden. Seine Fußsp itze rutschte von der Plankenritze ab. Krachend landete Vald ez auf der Heckgalerie. Sein Kop f schlug gegen die Relin g. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen, und ein Gefühl der Übelkeit breitete sich in seinem M agen aus. Er hörte ein e Stimme und stampfende Schritte auf dem Achterkastell. Benommen rapp elte er sich hoch, kroch auf allen vieren u m d ie Ecke der Heck galerie und p reßte sich en g an d ie Außenwand der Kapitänskammer. Sekundenlang wagte er nicht zu atmen. Er spürte formlich, wie sich der En gländer über das Schanzkleid beugte und zur seitlichen Heck galerie hinunter starrte. Ewigk eiten schienen zu vergeh en, ehe wieder Schritte zu hören waren. Valdez atmete hastig. Er zitterte am ganzen Körp er.
Er horchte in sich hinein, ab er es war keine Angst, die er spürte. Er wußte, daß ihm nicht viel passieren würde, wenn ihn der En gländ er bei einem Befreiun gsversuch ertap pte. Er zitterte vor Kälte - und davor, daß dem Engländer die Kassette in die Hand fiel, die Spaniens M acht bedeutete. M inutenlang ho ckte er bewegungslos da, bevor er sich zu einem Entschluß durchrang. Er schob sich langsam zum Fenster der Kapitänskammer hoch, zögerte nur kurz und schlug es mit der Faust ein. Er preßte die Lippen aufeinander, als er den stechenden Sch merz im Handballen spürte. Etwas Warmes lief in d en Ärmel seiner Jack e. Er achtete nicht darauf. Er steckte die Hand durch die Öffnung im Fenster und schob den Riegel hoch. Der achterliche Wind riß ih m das Fenster aus der Hand. M it lautem Knall flog es gegen die Innenwand. Valdez fluchte unterdrückt. Er zögerte nicht länger, schwang sich hoch und schob sich durch das schmale Fenster. Als er in der Kammer war, schloß er das Fenster und schob den Riegel wieder vor. Der Cap itan brauchte kein Licht, um sich in sein er Kammer zurechtzufinden. Er umrundete den schweren Schreibtisch, auf dem Karten lagen, und ging auf seine Koje zu. Seine Hände tasteten die getäfelte Wand ab. Er fand den geheimen M echanismus sofort. Eine kleine Klapp e sp rang auf. Valdez wollte mit der rechten Hand hineingreifen, aber plötzlich wurde ihm schwindlig. Er stützte sich an der Wand ab. Er hielt seine rechte Hand vor die Au gen und sah, daß die Wunde am Handballen fin gerlan g war. Unaufhörlich pulste das Blut heraus. Der Ärmel der Jack e hatte sich bereits damit vollgesogen. Valdez taumelte zur anderen Seite der Kajüte. Er öffnete einen Schrank und riß die Sachen, die vor der Kiste mit Arzneien standen, einfach heraus und warf sie zu Boden. Hastig wickelte er sich einen Verband um die rechte Hand. Er
wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Jeden Augenb lick konnten die Engländer entdecken, d aß er aus der Offizierskammer geflohen war. M it den Zähnen zurrte er den Verband fest. Er lief zurück zu dem Geheimfach. M it der Linken holte er die lederne Kassette hervor und preßte sie an seine Brust. Nein - sie durfte niemals in die Hände der Engländer gelangen. Er hastete zur Tür, die zur Heckgalerie hinausführte. Als er sie aufriß, wirbelte ein Windstoß die Karten auf dem Schreibtisch hoch und verteilte sie in der ganzen Kammer. Capitan Romero Valdez kümmerte sich nicht darum. Er hob die linke Hand, u m die Lederkassette ins M eer zu werfen. Im letzten M oment zögerte er. Das Dinghi fiel ihm ein, das im Schlepp der Galeone auf den Wellen tanzte. Ein verwegener Gedanke zuckte durch sein Hirn. Wie weit waren sie von der Küste entfernt? Wenn der Wind sich nicht gedr eht hatte, während er in der Kammer ein gesperrt war, wehte er immer noch von Ost. Das Schiff lief auf nordwestlichem Kurs. Wahrschein lich war der Engländer auf Kap Sao Vicente zugesteuert. Also war die portugiesische Küste nicht allzu fern! Cap itan Vald ez zog die Tür der Kapitänskammer entschlossen hinter sich zu. Er stop fte die kleine Lederkassette unter seine Jacke und lief zur Backbordseite der Heck galerie, wo die Vorleine des Dinghis festgezurrt war. Der Sp anier über legte nicht mehr lange. Er schwan g sich über die Galeriereling und packte die Vorleine mit beid en Händen. Ein stechender Sch merz zuckte durch seinen rechten Arm. Aber es gab kein Zurück mehr für ihn. Seine Füße verlor en den Halt, und dann hing er zwischen Himmel und Wasser. Er ließ sich hinab gleiten, bis seine B eine ins eiskalte Wasser des Atlantiks tauchten. Seine Pump hosen sogen sich rasch voll Wasser und zogen ihn schwer nach unten. Angst packte den Cap itan. Und diese Angst verlieh ihm neue Kräfte. Obwohl die
Wellen über ihm zusammenschlugen, ließ er die Vorleine nicht los. Stück für Stück hangelte er sich weiter, bis er mit der Linken nach dem Bootsrand greifen konnte. Eine Weile konnte er den Kopf über Wasser halten. Er sog gierig die Luft in seine Lungen. Er spürte den Druck der Lederkassette auf seiner Brust, und das gab ihm neu e Kraft. Er achtete n icht auf seine Wunde, in d er das Salzwasser brannte. Noch einmal holte er tief Luft, dann p ackte er die Bordwand mit beid en Händen und zog sich hoch. Eine Welle unterlief das Boot am Heck und hob es hoch. Für einen M oment sah es so aus, als würde das Din gh i umschlagen, doch dann wurde es von einer weiteren Welle wieder aufgerichtet. Capitan Valdez hing mit dem Oberkörper über der Bordwand und stürzte der Länge nach in die Plicht. M it der Hüfte prallte er auf die vordere Ducht und schrie auf. Erschrocken preßte er die Lipp en zusammen. Regun gslos blieb er auf den Bodenbrettern des Dinghis liegen. Er konnte nur hoffen, daß der Wind den Schrei nicht bis zu den Engländern getragen hatte. Es dauerte M inuten, bis er sich so weit gefangen hatte, daß er damit beginnen konnte, die Vorleine von dem Boot zu lösen. Er blickte nach vorn und versuchte die r abenschwarze Nacht mit seinen Au gen zu durchdrin gen. Aber durch d ie Sch leier der gischtenden Wellen konnte er nur die hellen Flecken der Segel erkennen. M it klammen Fingern löste der Sp anier die Vorleine des Dinghis. Endlich hatte er es geschafft. Innerhalb von Sekunden war die ›Isabella von Kastilien‹ von der Nacht und den hochgehenden Wellen verschlungen. Cap itan Romero Vald ez war allein. Allein auf einer tanzenden Nußschale irgendwo im Atlantik vor der p ortugiesischen Küste. Vielleicht würde er niemals wieder Land sehen. Vielleicht verschluckte ihn der Sturm, der noch an Stärke zuzunehmen schien.
Der Sp anier hob trotzig das Kinn und spuckte gegen den scharfen Ostwind. Dies war nicht der erste Sturm, mit dem er fertig werden mußte. Er würde es schaffen - und wenn nicht, dann hatte er Spanien immer noch vor einem großen Sch aden bewahrt. Er p reßte die lederne Kassette enger an sich und schloß sorgfältig die oberen Knöpfe seiner Jacke. Dann nahm er die Riemen von den Duchten, schob sie in die Runzeln und b egann gegen den Wind zu pullen. Schon nach kurzer Zeit hatte Capitan Valdez jegliches Gefühl für Zeit verloren. M it stoischem Gleich mut zog er die Riemen durch das auf gep eitschte Wasser. Er merkte nicht, daß der Sturm langsam n achließ, und als die ersten grauen Streifen an der östlichen Kimm aufzogen, dr ehte er sich nicht einmal um. Seine Augen waren vo m Salzwasser entzündet. Seine Hände spürte er nicht mehr. Der Verband an der rechten Hand war durch und durch rot vom Blut, das er in den ersten Stunden noch verloren hatte. 2. Philip Hasard Killigrew kr allte d ie rechte Hand in d ie Steuerbordreling der Poop und stand breitbeinig auf den vibrierenden Planken des Achterkastells. Seine eisblauen Augen blitzten. Zwei weiße Zahnreihen leuchteten zwischen den leicht geöffneten Lip pen. Hasard war in seinem Element. Das Orgeln des steifen Ostwindes war für seine Ohren M usik. Er war froh, daß der Sturm so schnell nachgelassen hatte. Er blickte aufs Hauptdeck hinunter, wo Ben Brighton und drei andere M änner die Fock wieder setzten. Nach seinen Berechnungen mußten sie Kap Sao Vicente bereits hinter sich gelassen haben, und niemand von den lausigen Sp aniern, d enen
sie die ›Isabella‹ aus dem Hafen von Cadiz gekap ert hatten, würde sie jemals wieder einholen. Das Herz lachte Hasard im Leibe, als er an die dreißig Tonnen Silber im Laderaum des Schiffes dachte. M it diesem Geld konnte man neue Schiffe bauen und den Sp aniern noch mehr Verluste beibringen. Hasard hob den Kopf. Der Wind hatte auf Südost gedreht. Er wollte gerade einen Befehl hinunter aufs Hauptdeck brüllen, da sah er, daß Ben Brighton schon von sich aus die Rahen so braßte, daß sie auf ihrem Nordwestkurs blieben. Die ›Isabella‹ lag jetzt platt vorm Wind, der schwerfällige Rump f tauchte seine Nase in tief e Wellentäler, und Gischtschleier wehten über die Back und das Vorkastell. Philip Hasard Killigrew beobachtete Ben Brighton. Der Bootsmann der »M arygold« enttäuschte ihn nicht. Er war wirklich so gut, wie Hasard v ermutet hatte. Hasard konnte sich auf Brightons seemännische Fähigkeiten voll verlassen. Das einzige, was ihn an dem M ann störte, war seine unerschütterliche Ruhe. Aber bisher hatte er auch reagiert, wenn es hart auf hart ging und eine blitzschnelle Entscheidung verlangt wurde. Der Seewolf zog die Lipp en von den Zähnen. Ben Br ighton war schon in Ordnung. Alles in allem hatte er gute Seeleute an Bord. Vielleicht mit Ausnahme des Kutschers, der ebenfalls in Ply mouth gepreßt worden war und behauptete, nichts mehr zu hassen als Schiffe und die See. Dabei hatte er sich d ennoch bereits Seebeine wachsen lassen. Hasard grinste. Der arme Kerl würde seinen Lord wohl nicht so schnell Wiedersehen, sicher war sein Job inzwischen schon von einem anderen M ann besetzt. Neben Ben Brighton stand Donegal Dan iel O’Fly nn und schlug das Geitau der Fock um die Nagelb ank, Die Augen des schlaksigen Jungen leuchteten. Für ihn war d iese Prise das größte Abenteuer, das er bisher erlebt hatte.
Die langen blonden Haare hingen ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, und als Brighton etwas zu ihm sagte, brüllte er sein »Aye, a ye, Sir« so laut übers Deck, daß Hasard es gegen den Wind auf der Poop hörte. Hasard trat noch ein paar Schritte nach vorn und blickte aufs Quarterdeck hinab. »Ferris!« rief er hinunter. Der rothaarige R iese, d er sich an der Laf ette der kleinen Kanone an Steuerbord d es Quarterdecks zu schaffen machte, drehte den Kopf. »Ja?« »Übernimm die Wach e, Ferris«, sagte Hasard. »Ich werde mich ein p aar Stunden aufs Ohr legen. Ich glaube, daß der Wind seine Stärke jetzt beibehält.« »Ay e, ay e«, sagte Ferris Tucker. Er kletterte auf die Poop, während Hasard im Niedergang v erschwand und auf die Kapitänskammer zusteuerte. Vor der Offizierskammer hockte Batuti auf dem Boden. Der riesige Neger sp rang auf d ie Beine. »Alles in Ordnung, B atuti?« fragte Hasard. »Ay e, aye, Sir!« Der schwarze Herkules aus Gambia grinste über beide Ohren. Hasard trat an die, verriegelte Tür der Offizierskammer und schob den Balken aus der Halterung. »M al sehen, ob unser hoher Gast noch einen Wunsch hat«, sagte er, »Sch ließ lich müssen wir ihm dankbar sein, daß er die wertvolle Ladung für uns von Westindien h ierhergeholt hat.« Philip Hasard Killigrew stieß die Tür auf. In der Kammer war es dunkel. M it der Linken griff Hasard nach hinten und Batuti reichte ihm d ie Öllamp e. Hasard sah das herausgebrochene Fenster und wußte sofort, was los war. Abrupt drehte er sich um. Er knallte dem Schwarzen die Laterne vor die Brust und rief im Laufen: »Hol alle M änner an Deck! Der Sp anier ist aus sein er Kammer angebrochen!«
Wie der Blitz fegte Hasard auf das Oberdeck, raste über das Quarterdeck und nahm den Niedergan g zum Hauptdeck mit zwei mächtigen Sätzen. M ittschiffs am Nieder gan g zum Frachtraum hockte ein M ann, der sofort aufsprang, als er Hasard erkannte. »Alles in Ordnung?« fragte Hasard keuchend. Der M ann nickte erstaunt. »Klar«, sagte er. »Der Capitan ist ausgebrochen«, sagte Hasard schnell, damit der M ann seine Befürchtungen verstand. Die Augen des Seemannes wurden groß. Hastig drehte er sich um und verschwand im Niedergang. Hasard folgte ihm. Zu zweit überzeugten sie sich, daß die gefan gen en Sp anier schliefen. Ein paar von ihnen richteten sich auf. Sie waren vom Lärm, der jetzt an Deck herrschte, geweckt worden. Hasard hastete wieder auf Deck. Ben Brighton und Dan O’Flynn standen am Nied ergan g und blickten ihm fragend entgegen. O’Fly nn hielt einen Degen, den er einem Spanier abgenommen hatte, in der rechten Faust. »Hast du den Capitan gefunden?« fragte Ben Brighton in seiner ruhigen Art. Hasard schüttelte den Kopf. »Er hat nicht versucht, seine M änner zu befreien«, sagte er nachdenklich. »Noch nicht. Vielleicht tut er es noch. Laß die Wachen am Nied er gan g v erstärken, Ben. Und dann geh mit allen M ännern auf die Such e nach dem Gefan gen en. Wer weiß, was er im Schilde führt. Zwei M änner bewachen die Pulverkammer, damit er nicht das ganze Sch iff in die Luft jagt.« »Pff«, machte Dan O’Flynn. »Diese feige sp anische Ratte wird es niemals wagen, sich selbst in die Hölle zu sprengen.« Hasard blickte den Jungen, der sich p rügeln und fluchen konnte wie ein Alter, von der Seite her an. O’Flynn hatte beide Fäuste in die Hüften gestemmt, als ob er fr agen wolle, wo denn
die hundert Spanier blieben, die von ihm Prügel hab en wollten. Ben Brighton sagte: »Aye, aye.« Er teilte die M änner ein und befahl ihnen, das ganze Schiff von oberst zu unterst zu kehren. Drei M änner stellte er an den Niedergan g zum Frachtraum, um jed en aufkeimenden Widerstand der Sp anier sofort zu unterbinden. Die drei Wachen erhielten M usketen, die sie drohend in d en Lader aum richteten. Die Sp anier v erkrochen sich än gstlich in einer Ecke des Laderaums, in dem es bereits zu stinken begann. Hasard enterte den Nied er gan g zum Quarterdeck ho ch und stieß fast mit dem großen Neger zusammen, der seine gestreifte Wollmütze, die er einem Sp anier ab genommen hatte, verlegen zwischen den Händen drehte. Er hatte ein schuldbewußtes Gesicht. »Ich habe nichts gehört, Sir«, sagte er zerknirscht. »Cap itan war leise wie ein Klab autermann. Er war auch in Kapitänskammer und hat Fenster gebrochen. Alles durchein ander. Hat es kap uttgemacht.« Hasard legte die Hand auf die Schu lter des Schwarzen, um ihm zu zeigen, daß er ih m nichts vorwerfe. »Komm mit«, sagte er. »Das will ich mir ansehen. Vielleicht hat er sich irgendwo in der Kammer verkrochen.« Batuti hatte die Tür der Kap itänskammer offen gelassen. Sie schlug klap pernd gegen die Wand. Hasard zündete die beiden Lampen auf dem Schr eibtisch an. Ein Windstoß fuhr durch das zerschlagene Fenster und blies die eine Lampe wieder aus, Hasard entzündete sie erneut. Der Schwarze hob unterdessen die Karten vom Boden auf und legte sie auf den Schreibtisch. M it dem Finger wies er auf den Schrank, aus dem der Capitan wahllos alles heraus gerissen hatte, um an die Kiste mit der M edizin und dem Verbandszeug heranzukommen. »Alles kap utt«, sagte Batuti. Hasard schüttelte den Kop f. Er fragte sich, was der Cap itan
hier gesucht hatte, Vielleicht hatte er etwas für ihn p ersönlich Wertvolles in dem Schrank versteckt gehabt und wollte nicht, daß es den Engländern in die Hände fiel. Er sah die Blutspuren auf dem Boden und folgte ihnen mit den Augen. Neben der Koje war ein dunkler Fleck auf dem Boden. Dort mußte der Cap itan, der sich wahrscheinlich an der zersp litterten Fensterscheibe verletzt hatte, eine Weile gestanden hab en. Hasard gin g zur Koje h inüber. Sein B lick fiel auf die getäfelte Wand neben der Koje. Eine der Platten warf einen län geren Schatten als die anderen. Im ersten M oment glaubte Hasard, daß er sich getäuscht hätte, aber als er nach der Holzvertäfelung griff, merkte er, daß die Platte sich bewegen ließ. Überrascht trat er einen Schritt näher. »Bring eine Lamp e her, Batuti«, sagte er erregt. Er wartete, bis der Schwarze die Lamp e so hielt, daß der Lichtschein in die Öffnung fiel. Das klein e Geheimfach war leer. An der Kante des Fachs entdeckte Hasard Blutspuren. Cap itan Romero Valdez war in die Kap itänskammer ein gedrun gen, u m dieses Fach zu leer en. Das war Hasard plötzlich sonnenklar. Aber was war so wertvoll, daß der Spanier ein solches R isiko ein gin g? Er mußte do ch wissen, daß er keine Ch ance h atte, an Bord des Schiff es unentdeckt zu bleiben. Schritte waren drauß en auf dem Gang zu hören. Ben Br ighton und O’Flynn erschienen in der Tür der Kap itänskammer. »Wir haben das ganze Schiff durchsucht«, sagte Brighton. »Gefunden haben wir ihn n icht.« »Sucht noch einmal«, sagte Hasard brummig. »Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« Der Bootsmann gab den Befehl an O’Fly nn weiter, und der Junge lief zurück aufs Quarterdeck, wo der Schiffszimmermann Ferris Tucker immer noch in aller
Seelenruhe seine Wache schob. Bis jetzt hatte ihm Hasard noch keinen anderen Befehl gegeben, und solan ge er diesen nicht erhielt, würde er auf seinem Posten bleib en. Hasard überlegte indessen. Wenn Batuti nicht geschlafen hatte, war es dem Capitan kaum möglich gewesen, seine oder die Kap itänskammer ungesehen zu verlassen. Und selbst, wenn das der Fall war, hätten er oder Ferris Tucker, die sich auf dem Quarterdeck und der Poop aufhielten, den M ann entdecken müssen. Hasard drehte sich ärgerlich herum, als ein Windstoß in die Kammer fuhr und die Karten wiederum vo m Schreibtisch wirbelten. »Was ist …« sagte er und stockte, als er Brighton auf die Heckgalerie hinaustreten sah. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Das Dinghi! Sie hatten die ganze Zeit von Cadiz her das Dinghi nach geschlep pt, mit dem Ferris Tucker und Batuti zur ›Isabella‹ gepullt waren, nachdem sie ihren Auftrag, d ie beiden Galeonen auf Rammkurs gegen die zwei spanischen Kriegs galeonen zu bringen, ausgeführt hatten. Ben Brighton, der auf der Heck galerie verschwunden war, tauchte wieder auf. Hasard kniff die Augen zusammen. Wenn er jetzt etwas sagt, haue ich ihm eine rein, dachte er. Aber Brighton nickte nur, denn er hatte die stumme Frage Hasards verstanden. »Verdammter M ist«, sagte Hasard. Der Bootsmann blickte ihn an und zuckte mit den Schultern. »Er mußte wissen, was er tut«, sagte er ruhig. »Er wird viel Glück brauchen, wenn er mit dem Boot nicht absaufen will. Vielleicht hat er gedacht, daß wir direkt auf Kap Sao Vicente zugehalten haben.« Der Seewolf erwiderte nichts. Er dachte angestren gt nach. Es gef iel ihm nicht, d aß ih m der wichtigste Gefan gene dieses
Schiff es entflohen war - auch wenn er es wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen mußte. Einem Killigrew entfloh kein Feind! Der alte John hätte ihm eine R ahe um die Ohren geschlagen, wenn ihm das auf dem Schiff des Alten passiert wäre. Und dann war da noch dieses kleine Geh eimfach. Valdez hatte den Inhalt für so wichtig erachtet, daß er sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt hatte, Ben Brighton war dem Blick Hasards gefolgt. Jetzt sah auch er das kleine Fach, das hervorr agend getarnt war. Er trat an die Koje heran und blickte hinein. »Vald ez hat es ausgeräu mt, nicht wahr?« sagte er. Hasard nickte. »Ja«, sagte er. »Und ich will u m jeden Preis wissen, was so wertvoll ist, daß ein spanischer Kapitän sein Leben dafür aufs Sp iel setzt.« Ben Brighton drehte sich erschrocken h erum. »Soll d as heißen …« »Ja, Ben«, sagte d er Seewolf hart »Das soll heißen, daß ich die Absicht habe, den ehrenwerten Cap itan Romero Valdez aus der See zu fischen - mitsamt dem Zeug, das er aus diesem Geheimfach heraus geho lt hat.« »Aber …« sagte Brighton, und das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschr ieben. »Denk doch an unser e Ladung! Vielleicht sind die Spanier hinter uns her. Außerdem wissen wir nicht, wann Valdez abgehau en ist und welche Richtun g er eingeschlagen hat! Bei dem Inhalt des Faches kann es sich doch nur um etwas Persönliches von Valdez handeln. Vielleicht wertvollen Familienschmu ck oder etwas, was er von Westindien mitgebracht hat und sich unter den Nagel reißen wollte. Auf keinen Fall k ann es auch nur in etwa den Wert unserer Prise ausmach en!« Hasard hatte den Bootsmann aussprechen lassen, aber dann sagte er mit einer Stimme, die keinen Widersp ruch duldete:
»Klar zum Halsen, Ben!« Ben Brighton starrte seinen Kapitän einen kurzen M oment an. Doch dann strafften sich seine Schultern, und er sagte laut und klar: »Aye, aye!« 3. Philip Hasard Killigr ew stand auf d em Quarterdeck und beobachtete seine Crew, der ein paar harte Stunden bevorstanden. Bis auf den M ann am Kolderstock und dem Kutscher, der am Niedergang zum Frachtraum ho ckte und die spanischen Gefangenen bewachte, hielt Ben Brighton alle M ann in Trab. Dan O’Flynn kroch vorn auf dem Bugspriet herum und holte zusammen mit dem vierschrötigen Blacky die Blinde ein. Hinter ihm auf dem Quarterdeck fierten Smoky , der ehemalige Decksälteste der »M ary gold« und ein weiterer M ann das Lateinersegel am B esanmast weg. »Klar zum Halsen!« brüllte Ben Brighton gegen den heulenden Wind an. Die M änner rannten über das Deck. Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt, das Großsegel und Großmarssegel aufgegeit. »Ruder Backbord!« Hasard hörte, wie der M ann am Kolderstock sein »Aye, aye!« rief. Die ›Isabella‹ schwang nach Backbord und schien einen gewaltigen Wasserber g vor sich herzuschieb en. Sie drehte mit dem Heck durch den Wind. Groß- und Großmarssegel standen bereits wieder. Hinter Hasard wurde das Lateinersegel knatternd vorgeheißt, bis es am Wind stand. Die Galeone segelte jetzt mit Backbordhalsen so ho ch am Wind wie möglich.
Ben Brighton trieb die M änner an, Ruhe fanden sie nicht. Er knüppelte die schwerbeladene ›Isabella‹ auf dem Kurs zurück, den sie gekommen waren - wie Hasard es befohlen hatte. Der Südostwind, der sie so r asch aus der Gefahrenzone getragen hatte, war jetzt ihr größter Feind, und Ben Brighton zeigte sein em Kapitän, daß er es wie kein zweiter verstand, Höhe zu schinden. Die ersten grauen Streifen tauchten an der Kimm auf. Hasard biß sich auf d ie Unterlipp e. Er hoffte, daß seine Entscheidung richtig gewesen war, denn eins war sicher: Wenn ihm d iese Prise mit den dreißig Tonnen Silber durch die Lap pen ging, war er für Francis Drake ein für allemal gestorben. »Dan O’Fly nn in den Hauptmars!« rief er aufs Hauptdeck. Ben Brighton gab den Befehl weiter. Hasard sah, wie der Junge mit affenartiger Geschwindigkeit die Wanten des Hauptmastes enterte. Hasard hatte Dan O’Flynns hervorstechendste Fähigkeit schon erkannt. Der Junge hatte Augen wie ein Adler, und wenn irgendeiner von ihnen das winzige Dinghi in den Wellen entdecken konnte, dann war es O’Flynn. Ben Brighton brüllte wieder seine Bef ehle. Die ›Isabella‹ ging no ch höher an den Wind. Die gr auen Streifen über der Kimm färbten sich lan gsam rot. Die schweren Wolk en der Nacht waren nach Westen verschwunden. Die See wurde ruhiger, obwohl der Wind immer noch heftig blies. »Wie lange wollen wir noch kreuzen, Hasard?« Die Stimme Ben Brightons, der unter ihm auf dem Haup tdeck stand, riß Hasard aus seinen Gedanken. Er blickte zu dem Bootsmann hinunter. Er las M ißbilligun g in Brightons Augen, und Trotz stieg in ihm hoch. »Bis ich den Befehl zum Halsen gebe, Bootsmann!« Sein e Stimme k lan g sch ärfer, als er es beabsichtigt hatte.
Er sah, wie Ben Brightons Gesicht zu einer M aske erstarrte. Der Bootsmann drehte sich um und jagte seine M änner zur nächsten Wende an die Brassen. Hasard war sich darüber im klaren, daß er mit der scharfen Erwiderung nur seine eigene Unsicherheit hatte verbergen wollen. Er begann an der Richtigk eit seiner Entscheidun g zu zweifeln. War d er Cap itan wirklich so wichtig? Was war, wenn statt des Dinghis plötzlich die M asten von ein paar spanischen Kriegs galeonen an der Kimm auftauchten? Hasard wußte, daß er sich keine Schwächen er lauben durfte, wenn er den Resp ekt und Gehorsam seiner Crew erhalten wollte. Er war sich darüber im klaren, daß Brighton und eine ganze M enge anderer Leute ihn für viel zu jung und unerfahren hielten, um das Kommando über ein Schiff zu übernehmen. Er würde es ihnen beweisen, daß er dazu fähig war. Unnachgiebigk eit gehörte dazu, Sturheit vielleicht - auf jeden Fall aber Härte. Hasard war entschlossen, sich durchzusetzen. Er war Seemann aus Leidenschaft, und er fühlte sich d azu geboren, Verantwortung zu übernehmen. Er wußte, daß Entscheidungen schnell und entschlossen getroffen werden mußten, wenn sie Erfolg zeigen sollten. Trotzdem zögerte er noch, den Befehl zum Halsen zu geben. Sie konnten nicht mehr weit von der Küste entfernt sein, und immer no ch hatte O’Fly nn das Dinghi nicht entdeckt. Vielleicht war es schon mitsamt dem Capitan abgesoffen. Hasard krallte die Hände ins Holz der R elin g. Sein e Lip p en öffneten sich, um den Befehl an Ben Brighton zu geben, zu halsen und wieder auf nordwestlichen Kurs zu gehen. Da stieg der helle Schrei O’Flynns in den jungen, windumtosten M orgen. »Das Dinghi! Genau vor aus!« Hasard schob die Unterlipp e vor. Er verkniff sich ein Grinsen, als Ben Brighton zu ihm aufblickte, einen Ausdruck auf dem
Gesicht, als ob er sagen wolle: So ein Schwein kann auch nur dieser großkotzige, verdammte Seewolf haben.
Nach ein p aar M inuten hatte auch Hasard das Din ghi im Blickfeld sein es Kiekers. Romero Valdez pullte wie ein Irrer, obwohl er nicht den Hauch einer Chance hatte, der ›Isabella‹ zu entkommen. Hasard zog die Stirn in Falten. Er hatte zwar erreicht, was er sich vorgenommen hatte, aber etwas anderes bereitete ihm Sor gen. Der Wind hatte plötzlich nachgelassen. Die ›Isabella‹ war merklich langsamer geworden. Die schwere Silberladung begann sich auszuwirken. Die Stimme von Dan O’Flynn riß Hasard aus seinen Gedanken. »Wir haben ihn!« schrie der Junge. Hasard sah, wie Capitan Valdez auf der Ducht des Dinghis zusammensackte und sich erschöpft mit den Armen am Dollbord abstützte. Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck. Die Galeon e drehte bei, die Segel killten. Romero Valdez richtete sich p lötzlich auf. Hasard sah, wie sich die Augen des Capitans weit öffneten. Er schien gelähmt zu sein vom Anblick der heranrauschenden ›Isabella‹. Doch dann gab er sich einen Ruck. Er riß sein Wams auf und zerrte ein kleines Paket hervor. Hasard konnte nicht erkennen, was es war. Eines jedoch wußte er: Dieses kleine Paket war der Grund, warum er das Risiko auf sich genommen hatte, auf Gegenkurs zu gehen und den Capitan zu verfolgen. Hasard sah, wie der Cap itan weit ausholte, um das Paket ins M eer zu schleudern, dessen Oberfläche nun nur noch von einer
sanften Brise gekräuselt wurde. »Batuti!« Der große Neger erfaßte sofort, was Hasard von ihm erwartete. Aus dem Stand jagte er los. Er benutzte die Lafette der Quarterdeckskanone als Sp rungbrett, war mit einem Satz auf dem Schanzkleid und sp rang kop füber in die glatte See. Der helle Schr ei Dan O’Flynns ließ Hasards Kop f herumrucken. Der Junge turnte auf der Großrah wie ein Gaukler zur Nock und stieß sich dort ab, ohne auch nur den Bruchteil ein er Sekunde zu zögern. M it ausgebreiteten Armen segelte er auf das Wasser zu, von dem Philip Hasard Killigrew nur zu gut wußte, daß es hart wie ein Brett sein konnte, wenn man aus groß er Höhe unglücklich aufschlu g. Aber Dan O’Flynn riß die Arme nach vorn, steckte den Kopf dazwischen und tauchte in die Wasseroberfläch e, geschmeidig wie ein Delphin. Hasard beobachtete den Sch atten Dans unter Wasser. Der Junge schoß auf die Stelle zu, auf der das kleine Paket aufs Wasser geklatscht war und nun langsam zu sinken begann. Batuti schwamm wie ein Verrückter. Das Wasser sp ritzte um ihn herum hoch auf. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, daß O’Flynn von der Großrah gejumpt war. Dann tauchte der Blondschopf des Jungen auf. Sein rechter Arm stieß triumphierend in die Luft. Die Hand hielt das kleine Paket, für das der sp anische Capitan sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Romero Valdez hatte die Aktionen der Engländer bewegungslos verfolgt, aber jetzt reagierte er wild. Das Dinghi trieb an Dan O’Flynn heran. Valdez hob den schweren Riemen und schlug mit voller Wucht zu. Der Junge erkannte die Gefahr erst im letzten Augenblick. Er versuchte sich herumzuwerfen, doch es gelang ihm nicht mehr ganz. Der Riemen traf seine linke Schulter und rutschte ab.
Wasser sp ritzte hoch auf, Valdez brüllte sp anische Flüche. Wieder hob er den Riemen, um ihn abermals auf Dan O’Flynn niedersausen zu lassen. Hasard befahl Ferris Tucker hastig, eine M uskete herzuschaffen. Ehe es dem Capitan gelang, Daniel O’Flynn zu erschlagen, wollte Hasard lieb er den Spanier töten. Valdez schlug abermals zu. Doch diesmal klatschte der Riemen f ast einen Yard von Dan entfernt aufs Wasser. Der Capitan torkelte. Er hatte den Halt verloren. Seine Arme ruderten wild durch die Luft. Der Riemen kippte über Bord und schwamm in Sekundenschnelle davon. Vald ez krachte mit dem Rück en gegen d ie Ducht. Er schüttelte benommen den Kop f und wollte sich aufrichten, als das Dinghi wieder zu schwanken begann und die Steuerbordseite sich der Wasseroberfläche zuneigte. Dem Gesicht des Capitan war das Entsetzen anzusehen, als der schwarze Wollkop f Batutis über dem Dollbord auftauchte. Ehe Valdez reagieren konnte, hatte sich der Schwarze ins Dinghi gezogen, den Cap itan am Wams gepackt und ihm eine kräftige Ohrfeige verp aßt, die ihn beinahe üb er Bord befördert hätte. Batuti konnte ihn gerade noch an den Pumphosen packen und zurückzerren. Prustend tauchte Dan O’Fly nn am Heck des Dinghis auf. Seine Finger hatten sich in die Lederkassette gekrallt. M it dem rechten Arm versuchte er, sich hochzuziehen. Der linke Arm hing an seinem Körper hinunter. Valdez schrie auf, als er die Lederkassette in der Hand O’Flynns entdeckte. Die Wut verlieh ihm ungeheure Kräfte. Er stieß Batuti die Faust ins Gesicht, daß der Neger zurücktaumelte, über d ie Ducht stolperte und sich krachend auf die Bodenbretter setzte. Aber er hatte es noch geschafft, im Fallen mit dem rechten Fuß nach Vald ez zu treten und ihn ebenfalls zu Fall zu bringen. Vald ez war wie eine Katze wieder auf den Beinen. Er bückte
sich und riß den Steuerbordriemen hoch. Um den fluchenden Neger, der sich hinter ihm hochrap pelte, kümmerte er sich nicht. Sein Augenmerk war einzig und allein auf den blonden Jungen ger ichtet, der am Heck des Dinghis hing und die kostbare Kassette in den Fingern hielt, die den Engländern um keinen Preis der Welt in die Hände fallen durfte. Valdez stieß mit dem Riemen zu. Er spürte einen heftigen Schlag gegen sein en link en Arm. Sekund enbruchteile sp äter hörte er den dumpfen Knall, und dann setzte ein fürchterlicher Schmerz ein. Valdez schrie. Er wollte die Lipp en auf einanderpressen, aber es ging nicht. Der Schmerz schien seinen Arm in zwei Stücke zu zerreißen. Er blickte an sich hinunter und sah, wie Blut den zerfetzten Ärmel seines Wams tränkte. Valdez sackte auf die Knie. Sein Schreien gin g in ein Wimmern über. Er nahm nicht wahr, wie Batuti den benommenen Dan O’Flynn ins Dinghi zog. Aus verschwommenen Augen blickte Valdez zum Achterkastell der ›Isabella‹ hoch, auf dem d er schwarzhaarige Engländer mit einer rauchend en M uskete im Arm stand. Knarrend bewegte sich das Ruder, und die ›Isabella‹, deren Segel inzwischen von der Besatzung aufgegeit worden waren, drehte ihren Bug lan gsam auf das Din ghi zu. Batuti hatte sich aufger ichtet und hielt dem vierschrötigen Blacky, der bäuchlin gs auf der Back gräting lag, den Riemen entgegen. Blacky packte ihn und zog das Dinghi hinter die Back der Galeone. Vom Vorkastell flo gen Taue hinunter ins Boot. Batuti fing sie auf. Das erste wickelte er Dan O’Flynn um den Bauch. Der Junge konnten seinen link en Arm immer noch nicht bewegen. M it lauten Rufen hievten die M änner O’Flynn an Bord. Als zweiter war Valdez an der Reihe. Der Cap itan schien aus einem Trancezustand zu erwachen, als Batuti ihm das Tau um die Taille schlin gen wollte. Er drehte sich abrup t um und
wollte dem Schwarzen abermals seine Faust ins Gesicht setzen. Diesmal war Batuti auf der Hut. Er verp aßte dem Sp anier eine Kopfnuß, daß er in die Knie ging. Danach konnte Batuti ihm in aller Ruh e das Tau umbinden. Das dritte Tau befestigte der Neger am Dinghi. Er schob den Riemen in die Halterung am Dollbord und wollte dann am Tau zum Vorkastell hochklettern. Die helle Stimme von Dan O’Flynn ließ ihn zusammenzucken: »Zwei Galeer en Steuerbord voraus!«
Philip Hasard Killigr ew hatte von der Poop aus beobachtet, wie Dan und der Capitan an Bord geholt worden waren. Noch vor dem Warnruf des Blondschop fes hatte er die beiden schlanken Schiff e entdeckt, die mit gleichmäßigem Riemensch lag auf sie zuruderten. Hasard fand keine Zeit mehr, den schwachen Wind zu verfluchen, der d em schwerfälligen Schiff wenig Bewegungsfreiheit verschaffen konnte. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti über das Schanzkleid d es Hauptdecks kletterte. Ben Brighton hastete den Niedergang zum Quarterdeck hoch und blickte Hasard fragend an. »Sie halten seewärts an uns vorbei«, rief der Bootsmann. »Sie wollen uns den Weg auf See hin aus abschneiden.« Hasard nickte. Er hatte es bereits bemerkt. Er wußte, das Ben Brighton von ihm den Befehl erwartete, sämtliche verfü gbaren Segel zu setzen, um mit dem bißchen Ostwind, der nicht einmal die k leinsten Wellen br achte, auf See zu entwischen. »Alle M ann an die Kanonen, Ben«, sagte Hasard kalt. »Ich
möchte, daß sie innerhalb von einer Viertelstunde feuerbereit sind« Ben Brightons Unterkiefer klappte nach unten. Der Bootsmann blickte demonstrativ zu den aufgegeiten Segeln hoch, Hasard wußte genau, was dieser Blick besagen sollte. Er drehte sich abrupt um und ging daran, die M uskete nachzuladen, die er auf Valdez ab gefeuert hatte, Dan O’Flynn hatte Ben Brighton die kleine Lederkassette zugeworfen, und d er Bootsmann reichte sie an Hasard weiter. Die eisblauen Au gen d es jun gen Killigr ew schien en den Bootsmann zu durchbohren. »Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit, Bootsmann«, sagte er scharf. »Aye, aye, Sir!« Ben Brighton stieß die Worte durch zusammen gepreßte Zähne hervor. Er drehte sich um und krallte die Hände um die Balustrade des Quarterdecks. »Klarschiff zum Gefech t!« brüllte er. M it kurzen Handbewegun gen und knap pen Befehlen teilte er die Leute ein. Ferris Tucker und zwei weitere M änner luden die Geschütze auf dem Quarterdeck. Der M ann, der den bewußtlosen Valdez in die Offizierskammer gesp errt hatte und nun wieder am Nied ergan g auftauchte, wurde der M annschaft an Steuerbord zugeteilt. Ben Brighton jagte auch noch die beiden M änner, die Ferris Tucker auf dem Quarterdeck halfen, hinunter aufs Hauptdeck. Als er sah, daß alle M änner wußten, was sie zu tun hatten, p ackte er mit an und lud die beiden Kanonen des Quarterdecks. Hasard Killigrew h atte die Led erkassette in die Kapitänskammer gebracht und ins Geheimf ach gesteckt. Gleich dar auf stand er wieder auf d em Quarterdeck. Die beid en Galeeren war en nur noch ein p aar Kabellän gen entfernt. Hasard hatte solche großen geruderten Schiffe noch nie gesehen. Er hatte immer gedacht, daß sie plump aussehen
müßten. Jetzt war er überrascht, wie elegant sich diese schlanken Schiffe bewegen konnten. Die auf und ab schwingend en Riemen sahen aus wie die Flügel ein es großen Seevo gels. Die Galeeren standen jetzt im Nordosten der Galeone. Hasard sah, wie an B ackbord der beiden Schiffe die Riemen im Wasser blieben. M it wenigen Ruderschlägen an Steuerbord wurden die Galeeren gedreht. M it der Galeone hätte Hasard für das gleiche M anöver sicher die dop pelte Zeit benötigt. Ben Brighton tauchte neben ihm auf. »Alle Kanonen bereit zum Feuern!« Hasard nickte gelassen, obwohl er sich darüber im klaren war, welch ausgezeichnete Leistung der Bootsmann mit seinen M ännern vollbracht hatte. Hasard hatte auf den Sch iffen des alten Killigr ew gelernt, mit dem Lob zu geizen. »Teil die Leute ein, Ben«, sagte er. »Ich brau che sechs M änner für die Segel. Sechs M änner müssen genü gen, u m die Geschütze auf dem Haup tdeck abzufeuern. Du und Ferr is, ihr bedient die Kanonen auf dem Quarterdeck.« »Das schaffe ich allein«, sagte der Schiffszimmermann Ferris Tucker. Der rothaarige Riese b lickte Hasard her ausfordernd an. »In Ordnung, Ferris«, sagte Hasard. »Ben, laß alles Zeug setzen, was du an die Rahen kriegst.« »Sollen wir das Dinghi noch an Bord nehmen ?« fragte der Bootsmann. Hasard schüttelte den Kopf. »Kapp das Tau«, sagte er. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Ben Brighton nickte und jagte sechs M änner an die Schoten und Brassen der Rahen. Hasard beobachtete die beiden Galeer en, die sich immer weiter voneinand er entfernten. Zuerst war er sich nicht darüber im klar en, was sie damit bezweckten, aber als ein e der Galeeren an Backbord schräg auf sie zugepullt wurde, wußte
er, daß die Galeere die ›Isabella‹ an ihr er schwächsten Stelle, am Heck, rammen wollte. Gleichzeitig entgin g die Galeere damit dem Schußfeld der Kanonen. Hasard preßte die Lippen aufeinander. Die Segel hingen schlaff von den R ahen. Nur das Großmarssegel bauschte sich etwas in der schwachen Brise. Die schwerfällige Galeone nahm kaum Fahrt auf. Die Galeere achteraus näherte sich ziemlich schnell. Hasard blickte in die drohenden M ündungen der schweren Kanonen, die neben einand er am Bu g d er Galeere auf gebaut waren. Verdammt, wo blieb der Wind, der sie aus dieser hoffnungslosen Situation befreite? Hasard hörte die heiseren Ruf e seiner M änner. Er sp ürte die Furcht, die in ihnen steckte, und er konnte es ihnen nicht verdenken. Immer näher schob sich die Galeere von achtern heran. Sie hatte eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als die zweite, die sich von vorn näherte. Hasard hörte den dumpfen Trommelschlag, mit dem das Temp o der Riemenschläge angegeben wurde. Die sanfte Brise trieb einen fürchterlichen Gestank über das Deck der ›Isabella‹. Hasard zog die Nase kraus. Er hatte davon gehört, daß die Rudersklaven ihre Notdurft auf ihren Bänken verrichten mußten. Er bedauerte die ar men Kerle, die an gekettet schwerste Arbeit verrichten mußten, bis sie vor Erschöpfung starben oder beim Kampf getötet wurden. Hasard haßte alle Arten von Sklaverei. Er wußte, daß auf den Galeeren viele M örder und Verbrecher waren, aber selbst diesen M ännern mochte er ein solches Schicksal nicht gönnen. Dann war ein schneller Tod immer noch besser. Auf der Galeere, d ie sich von achtern n äherte, wurden d ie Groß- und Fockrah heruntergelassen und weit nach vorn gestreckt. Auf dem breiten Steg zwischen den Ruderbänken stand eine Sch ar von M ännern. In den Klingen ihrer Degen
brachen sich die Strahlen der morgendlichen Sonne. Hasard war sich darüber im klaren, daß sie ver loren waren, wenn es den M ännern von der Galeer e gelan g, über das Achterkastell der Galeone zu entern. Er rief d em Ruder gänger einen Befehl zu. Die Galeone drehte sich unmerklich. Hasard merkte, wie die Erregung ihn packte. Die Galeere war nur noch eine Schiffslänge vom Heck der Galeone entfernt. Gleich würden die Spitzen der Rahen die Heckgalerie streifen. Jn diesem Augenblick handelte Hasard. »Hartruder!« brüllte er. »Steuerbordgeschütze feuerbereit!« Innerhalb von Sekunden änderte sich die Situation. Die M änner auf der Galeere, d ie den Sieg schon in der Tasche zu haben glaubten, mußten mitansehen, wie die Galeone p lötzlich abdrehte. Der spitze Bug der Galeere schoß am Heck der ›Isabella‹ vorbei. Eh e d ie Rud erer ihre R iemen einziehen konnten, wurden sie von der Steuerbordseite der Galeone zertrümmert. Holzsplitter flogen durch die Luft. Hasard beugte sich üb er das Schanzkleid d er Quarterdecks. Er sah, wie die Ruderer auf der Galeere von den wild herumschwenkenden Riemen von den Bänken gefegt wurden. Die M änner brüllten. Einem Ruderer wurde von einem sp litternden Riemen der Arm vom Körp er getrennt. Blut spritzte über die anderen M änner. Hasard wußte, daß diese Leute für den Angriff auf die ›Isabella‹ nicht verantwortlich waren, doch er konnte keine Rücksicht auf sie n ehmen, wenn er d as Schiff und seine M änner heil nach England brin gen wollte. »Feuer!« brüllte er. Die drei Kanonen an Steuerbord d es Hauptdecks sp uckten ihre tödlichen Ladungen auf das Deck der Galeere, das dem Feuer völlig ungeschützt preisgegeben war. Innerhalb von Sekunden war auf der Galeere die Hölle los. Verwundete M änner wälzten sich in ihrem Blut. Die Ruderer
schrien vor Verzweiflun g. Sie zerrten an ihren Ketten, mit denen sie an den Ruderbänken gefesselt waren. Doch es war hoffnungslos. Hasard wandte den Blick von dem Inferno ab. Er sah, wie seine M änner die sechs Kanonen an Steuerbord hastig nachluden. Ferris Tucker hatte nicht gefeuert. Die Galeere war zu dicht an der ›Isabella‹ gewesen, so daß die Kugel seiner Kanone wirkungslos über sie hinweggestrichen wär e. Dafür hatte Ferris Tucker mit seinen Bärenkr äften die Lafette geschwenkt. Hasard verfolgte die Laufrichtung d er Kanone und erkannte, daß der Schiffszimmermann die andere Galeere im Visier h atte. »Eine Flasche vo m Wein des Cap itans, wenn du triffst, Ferris«, sagte Hasard. »Das ist ein Wort, Hasard!« Ferris Tucker riß die Wo llmütze von seinem rothaarigen Schäd el und visierte noch einmal, bevor er die Lunte an das Zündloch hielt. M it ohrenbetäubendem Krachen entlud sich d as Geschütz. Die Lafette rump elte auf den kleinen, massiven Holzrädern über die Planken des Quarterdecks. Die Brooktaue zerrten in den Ver ankerun gen im Schanzkleid. Eine Pulverdampfwolke hüllte Hasard und Ferris Tucker ein. Hasard trat ein p aar Schritte zur Seite. Als er die Galeere wiedersah, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Die Kugel aus Ferris Tuckers Kanone hatte den Bug der Galeere in ein Chaos verwandelt. Die M änner auf dem Hauptdeck brüllten vor Begeisterung Hasard schaute sich nach Ferris Tucker um. Der rothaar ige Riese tat, als sei dieser Schuß das Selbstverständlichste auf der Welt. Nur an d em Zucken der Au genbr auen erkannte Hasard, wie sehr sich der Zimmermann über den erfolgr eich en Schuß freute. »Wenn ich mir die Bemerkun g erlauben darf«, sagte Ferris
Tucker heiser, »ich h abe für zwei Flaschen geschossen.« »Genehmigt, Mann.« Hasard wollte noch etwas sagen, als es in der Takelage der ›Isabella‹ leise zu singen begann. Das Großsegel und die Fock füllten sich mit dem steifer werdenden Wind, und die ›Isabella‹ legte sich sanft nach Backbord, als Ben Brighton die Segel trimmen ließ. »Kurs Nordwest, Ben!« rief Hasard. »Auf nach Old England!« 4. Die beiden schwer beschäd igten Galeeren blieben schnell hinter der ›Isabella‹ zurück, und nach einer Stunde waren nicht einmal mehr ihre M astsp itzen zu sehen. Philip Hasard Killigrew hatte den Weinvorrat des Cap itans, den er wieder in die Offizierskammer hatte sperren lassen, geplündert und jedem seiner M änner eine Flasche zugeteilt. Sie hatten schließlich nicht weniger Verdienst an dem Sieg über die beiden Galeeren als Ferris Tucker. Der rothaarige Riese war der Held d es Gefechts, und immer wieder mußte er d en M ännern erzählen, wie es ih m gelun gen war, für sich und d ie M annschaft dem Teufelsbraten von Killigrew den Wein aus den Rip p en zu leiern. Daß Hasard die Flaschen für die M annschaft von sich aus spendiert hatte, brauchte Tucker den anderen ja nicht gerade unter die Nase zu bind en. Und so erhielt der rothaarige Riese noch so manchen Schluck gratis, nachd em er sein e beiden Flaschen als erster aus getrunken hatte.
Hasard hatte sich in die Kap itänskammer zurückgezogen. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag d ie led erne Kassette, die ihn beinahe das Schiff und d as Leben seiner M änner gekostet hätte. Hasard Killigrew wußte nicht, was er in dieser geh eimn isvollen Kassette finden würde. Er glaubte irgendwie nicht an die Vermutung Ben Brightons, daß es sich u m den persönlichen Schatz Capitan Romero Valdez’ handelte. Für ein paar Schmuckstücke ging kein M ann ein Risiko ein, wie Vald ez es getan hatte. Hasard hob den Deckel der schweinsledernen Kassette an. Er sah grau es Leinen. Er zog es heraus. Nichts mehr. Keine Smaragde, Diamanten oder Rubin e. Nur ein Stück zusammen gef altetes Leinen. Hasard wischte die Kassette mit einer wütenden Handbewegung vom Tisch. Hatte er sich von Capitan Valdez zum Narren halten lassen? Hatte er das Schiff und seine M annschaft aufs Spiel gesetzt, nur um dieses lächerliche Stück Leinen in den Händen zu halten? Nein, es mußte noch etwas anderes in der Kassette sein. Hasard bückte sich und hob die Lederkassette wieder auf. Er untersuchte sie sorgfältig, doch sie hatte weder ein en dop pelten Boden noch war etwas in vernähten Seitentaschen zu finden. Hasard warf die Kassette gegen d ie Wand. Er beruhigte sich nur langsam. Dann besann er sich auf das Stück Leinen und faltete es auseinander. Es war nicht nur ein Stück. M ehrere kleinere Leinenstücke fielen ih m entgegen. Er wußte sofort, daß es sich um Seekarten handelte, als er die feinen Lin ien und mit spitzer Feder geschriebenen Namen sah. Er schob die klein eren Karten beiseite und glättete die große auf dem Schreibtisch. Er k annte sich in den Gewässern an der europäischen Westküste aus, und er war überzeugt, daß er auf Anhieb erkannte, welchen Küstenabschnitt die Karte zeigte. Er hatte sich getäuscht.
Er suchte nach vertrauten Namen, aber er fand n icht einen. Er sprach die ihm unbek annten spanischen Namen halblaut vor sich hin. Eine innere Erregun g packte ihn mit der Wucht eines Orkans. Seine Finger, die die Karte hielten, begann en zu zittern. Ja, das war es! Die ›Isabella von Kastilien‹ war aus dem sp anischen Eldorado gekommen, gemeinsam mit der Flotte, mit der Hasard und seine M änner gezwungenermaßen nach Cadiz gesegelt waren. Philip Hasard Killigrew hielt nichts anderes in den Händen als die Seek arten der Neuen Welt, aus der die Sp anier ihren ungeh euren Reichtum bezogen! Das Zittern seiner Hände hörte nicht auf. Zu groß war der Schock, d er Hasard getroffen hatte. Seit den Zeiten Christop her Columbus galten d ie Seewege n ach d er Neuen Welt als das bestgehütete Geheimnis der Alten Welt. Spaniens Casa wollte um jeden Preis verhindern, daß die anderen europäischen Seefahrtsnationen den Weg ins Eldorado fanden und Spaniens M acht und Reichtum beschnitten. Hasard kannte die Bulle des Papstes Alexander von 1493 gen au. Der oberste Kirchenfürst hatte der spanischen Krone alles Land, das mehr als hundert M eilen westlich der Azoren lag und von den Sp aniern entdeckt und erobert wurde, zugesichert. Und die Casa hatte seitdem das ihre getan, um zu verhindern, daß andere Nationen den Weg in die Neu e Welt fanden. Nur die größten und sichersten Schiff e führten Seek arten mit sich, und die spanischen Kap itäne waren angehalten, Bordbücher und Karten sofort zu vernichten, wenn Gefahr bestand, daß ein Schiff von Korsaren gekapert wurde. Fasziniert betrachtete Hasard immer wieder die einzelnen Karten. Vor ihm eröffnete sich in diesem Au genblick tatsächlich ein e ›Neu e Welt‹. Er sah zum erstenmal die Formen
der westindischen Inseln, von denen er bisher nur gehört hatte. Eine Karte v erzeichnete den Seeweg an der Ostküste des neuen Kontinents, bis hinunter zur Südspitze, die M agalhaes umsegelt und so den Weg von Osten in den Pazifik gefunden hatte. Die nächste Karte zeigte die Umrisse, Buchten und Häfen der Westküste. Hasard versuchte, die in Sp anisch ab gefaßten Bemerkun gen am Rand d er Karten zu übersetzen, aber seine Kenntnisse der sp anischen Sp rache reichten dazu nicht aus. Er überlegte, ob er Ben Brighton hinzuziehen sollte, der des Sp anischen mächtig war, aber dann schüttelte er den Kop f. Je weniger M änner wußten, was die Kassette enthielt, desto besser. Hasard entschloß sich in diesem M oment, den Leuten zu erzählen, die Kassette hätte Juwelen des Cap itan enthalten. Er würde ihnen ein Prisen geld versprechen. Lan gsam faltete Hasard die leinenen Karten wieder zusammen. Seine Erregun g flaute nur allmäh lich ab. Er war sich darüber im klaren, daß er der erste En gländer war, der den Schlüssel zur Neuen Welt in den Händen h ielt - vielleicht außer ein paar Freibeutern in Westindien, von denen in der Alten Welt gemunk elt wurde. Aber soviel Hasard gehört hatte, waren die nur auf die fette Beute der sp anischen Sch atzschiffe aus und nicht darauf erpicht, ihre Nasen in unbekannte M eere zu tunken und neues Land zu entdecken. Hasard war entschlossen, niemandem als Francis Drake persönlich etwas von diesen Seekarten zu sagen. Von seinem Alten hatte Hasard genu g über die gelackten Lords gehört, die sich anmaßten, als einzige b efähigt zu sein, etwas für Englands Ruhm und Ehre zu tun. Nein, ihnen wollte er den Triump h nicht gönnen, mit den Karten bei Hof zu erscheinen, nur um persönliche Vorteile herauszuschinden. Francis Drake war genau der M ann, der dieses Geschenk des Himmels richtig einsetzen konnte. Hasard kannte keinen
besseren Seefahrer als ihn. Und als einzigen Lohn für die Beschaffung der Karten erhoffte sich Hasard, daß er d abei sein durfte, wenn Francis Drake die Segel setzte, um in die Neue Welt aufzubrechen. Hasard erhob sich und gin g zur Koje hinüber, vor der die schweinslederne Kassette lag. Er hob sie auf und legte die Karten wieder hinein. Dann stopfte er die Kassette unter die M atratze seiner Koje und verließ die Kammer. Auf dem Gang stand Batuti. M it dem Rücken hatte er sich gegen die Tür der Offizierskammer gelehnt, in der Capitan Vald ez gef an gen geh alten wurde. »Hol den Bootsmann und O’Flynn her«, sagte Hasard. »Ich möchte euch drei sprechen.« »Ay e, aye«, sagte der Neger und lief los. Hasard Killigrew konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der große M ann aus Gambia war erst seit kurzem an Bord seines Schiffes, aber er bewegte sich darauf, als hätte er ber eits zwanzig Jahre Dienst auf einer britischen Kriegsgaleon e hinter sich. Hasard warf noch einen Blick auf die Kammertür, hinter der Cap itan Valdez hockte. Er glaubte nicht, daß Valdez jetzt noch an Flucht dachte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Wahrscheinlich verflu chte er sich jetzt, daß er die Kassette in der Nacht, als er geflohen war, nicht einfach über Bord geworfen hatte. Hasard ging in seine Kammer zurück. Gleich darauf tauchten Ben Brighton, D an O’Flynn und Batuti auf. Hasard kam sofort zur Sache. »Es geht um die Kassette von Valdez«, sagte er. »Die M annschaft wird wissen wollen, was für Valdez so wichtig war, daß er sein Leben dafür riskierte. Es war sein Familienschmuck. Ich glaube, er ist ziemlich kostbar. Ihr könnt den M ännern sagen, d aß sie ein gutes Prisengeld erwarten können.«
Daniel O’Fly nn und Batuti grinsten. Ben Brighton blieb ernst. Ihm schien diese Erklärung nicht ganz geheuer zu sein. Hasard sah es ihm an. Er nickte Batuti zu und sagte: »Ferris Tucker soll das Fenster der Offizierskammer von der Galerie aus verschalken, und Blacky soll ein Tau herrichten, mit dem wir Vald ez so an seine Koje fesseln können, daß er sich selbst mit einem Enterbeil n icht befreien kann.« Batuti brüllte sein »Aye, aye!« und verschwand mit dem Blondschopf Dan O’Flynn. Ben Brighton wollte sich ebenfalls abwenden. »Bleib hier, Ben«, sagte Hasard leise und wartete, bis sich der Bootsmann umgedreht hatte. In Brightohs Gesicht sp ielte kein M uskel, es war völlig ausdruckslos. Hasards Achtung vor dem Bootsmann wurde noch größer. Er wußte, daß er Brighton nichts zu erklären brauchte. Der Bootsmann würde zwar seine Zweifel über den Inhalt der Kassette hegen, aber er würde niemandem gegenüber seine Zweifel laut äußern. Hasard fühlte sich irgendwie verpflichtet, diesem M ann die Wahrheit zu sagen. »In der Kassette war nicht der Familienschmu ck der Vald ez, und auch kein Gold oder sonstige Edelsteine«, sagte er leise. »Du hast nicht einen M oment daran geglaubt, nicht wahr?« Ben Brightons Gesicht blieb ausdruckslos. »Nein«, sagte er aufrichtig. »Ich dachte mir, daß es etwa viel Kostbareres sein müsse als Schmuck, wenn ein spanischer Cap itan sein Leben dafür aufs Spiel setzt.« »Du hast recht, Ben«, sagte Hasard und legte dem Bootsmann die Hand auf die Schulter. »Wenn ich es richtig einschätze, ist der Inhalt der Kassette um ein b eträchtliches Wertvoller als die Silberladung in den Frachträumen der ›Isabella‹. Es ist von einer solchen Bed eutung, daß ich nur Kap itän Drake persönlich über den Inhalt informieren möchte.« »Das verstehe ich«, erwiderte Brighton, und Hasard spürte, daß es keine leer en Worte waren.
»Ich möchte dich bitten, Ben, der M annschaft gegenüber bei der Schmuckversion zu bleiben. Achte bitte darauf, daß niemand in die Nähe des Capitans kommt - außer Batuti. Ihn werde ich noch persönlich instruieren.« Sie sp rachen noch ein e ganze Weile miteinand er und stimmten den Kurs ab, den sie nehmen wollten. Hasard befahl, daß sich die M änner nach der knochenbrechenden Arbeit in der Nacht und dem Kampf gegen die beid en Galeeren am M orgen abwechselnd ausruhen sollten. Noch waren sie nicht in England. Auf der Fahrt an Portugals Küste vorbei und dann durch die Biskaja konnte noch so manches passieren. M it sechzehn M ann war die Galeone zwar gut zu segeln, aber bei einem Gefecht mit einem gleichstarken Gegner war d ie ›Isabella‹ hoffnungslos unterbemannt. Als Ben Brighton die Kapitänskammer verlassen hatte, haute sich Hasard ebenfalls in die Koje. Er wußte, daß das Schiff bei Brighton in guten Händen war. Hasard konnte lange nicht einschlafen. I mmer wieder schweiften seine Gedanken zu den Karten, die er vorhin ein gesehen hatte. Farbenp rächtige Bilder von fremd en Küsten tauchten vor seinem geistigen Auge auf, dunkelhäutige M enschen, die mit schwerem Goldschmuck behängt waren. Es schwirrten viele Gerüchte von d er Neuen Welt bei den Seefahrern der westlichen Nationen herum. Hasard hatte mehr als einmal den Geschichten von graubärtigen Seefahrern gelauscht, und schon als Halbwüchsiger hatte er die Sehnsucht verspürt, eines Tages in diese Neue Welt zu segeln und Länder zu entdecken, die vor ihm noch nie der Fuß eines weißen M annes betreten hatte.
Hasard hatte sechs Stunden geschlafen, und dennoch füh lte er sich wie ger ädert. Er brauchte eine ganze Weile, bis er zu sich fand. Er rief Batuti, der auf dem Gan g vor der Offizierskammer wachte und überhaup t keinen Schlaf zu brauchen schien, zu sich herein. Der Schwarze grinste Hasard strahlend an. Von jed em anderen d er M annschaft hätte sich Hasard das Grinsen verbeten, aber er wußte, daß Batuti nur ein halber M ensch war, wenn er nicht grinsen und seine prächtigen Zahnreihen dabei zeigen konnte. Hasard hatte schon vor Tagen beschlossen, das impertinente Grinsen des schwarzen M annes aus Gambia einfach zu ignorieren. »Hol mir einen Eimer Wasser, Batuti«, sagte er und schüttelte den Kop f, um die Benommenheit loszuwerden. »Und ruf den Bootsmann zu mir. Ich will noch mal mit dem Cap itan sprechen.« »Ay e, aye!« brüllte der Schwarze. Hasard zuckte regelr echt zusammen. »Hier drinnen wird nicht gebrüllt, du schwarzer Höllenhund«, sagte er scharf. »Ay e, aye, Sir, nicht brüllen«, sagte Batuti gr insend, und seine Stimme war nur unbed eutend leiser als beim erstenmal. Hasard hob drohend den Stiefel, den er gerade anziehen wollte. »Hau ab, bevor ich d ich kielholen lasse!« Wie der Blitz sauste der Schwarze aus der Kammer und kehrte wenig später mit einem Ledereimer voll Wasser zurück. »Stell ihn hierher auf den Tisch«, sagte Hasard. »Hast du dem Bootsmann Bescheid gesagt?« »Ay e …« begann Batuti zu brüllen, aber er verstummte sofort, als Hasard den Ledereimer hob und Anstalten traf, den Inhalt über den Schwarzen zu leeren. »Hast du dich inzwischen auch mal aufs Ohr gelegt?« fragte Hasard.
Batuti schüttelte grinsend den Kopf. »Ich brauche nix Schlaf. I ch immer gut wach.« »Du legst dich jetzt hin«, sagte Hasard scharf. »Das ist ein Befehl, du Rabe. Wenn ich dich in den nächsten Stunden auch nur mit einem offenen Auge erwische, lasse ich dich an der Rahnock aufknüpfen, verstanden?« Batuti klappte erschrocken beide Augenlider zu. Er drehte sich um und tastete sich mit vorgestreckten Armen aus der Kapitänskammer. Ben Brighton, der gerade erschien, blickte dem Schwarzen erstaunt nach. Dann betrat er Hasards Kammer. »Du wolltest mich sp rechen?« Hasard nickte. »Wie geht es dem Cap itan?« fragte er. »Kann ich mit ihm reden?« »Ich habe seinen Arm verbinden lassen«, sagte der Bootsmann. »Die Kugel hat sein Ellbogengelenk zerschmettert. Er wird einen steifen Arm b ehalten.« Hasard zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid für ihn«, sagte er. »Aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich konnte ich es nicht zulassen, daß er den Jungen mit dem Riemen erschlägt.« »Er kann froh sein, daß er überhaupt noch lebt«, sagte Ben Brighton. »Wenn ich bedenk e, daß wir durch ihn fast das Schiff wieder verloren hätten, könnte ich ihm jetzt noch eine Kugel durch den Schädel jagen,« »Was hättest du denn an seiner Stelle getan?« fragte Hasard lächelnd. Brighton blickte seinen jun gen Kap itän überrascht an. Doch dann nickte er. »Du hast recht«, sagte er. »Dieser Vald ez hat sich als mutiger M ann erwiesen. Er hat es verdient, daß wir ihn wie einen Ehrenmann behandeln.« Hasard steckte den Kopf in den Ledereimer und kam prustend
wieder hoch. Das kalte M eerwasser brachte ihn vollends wieder zu sich. Er trocknete sich mit einem Leinentuch ab und setzte sich dann auf die Koje, um seine Stiefel anzuziehen. »Es gefällt mir nicht, daß wir den Capitan und seine Besatzung immer noch an Bord hab en«, sagte er. »Bei einem weiteren Zusammenstoß brauchen wir alle Leute. Dann kann niemand mehr auf die Gefan genen achten. Wenn die Sp anier entschlossen sind, ist es ein leichtes für sie, aus dem Lagerraum auszubrechen und uns zu überwältigen.« »Ich habe auch schon daran gedacht, die Spanier loszuwerden«, sagte Ben Brighton. »Aber es ist ziemlich gefährlich, nahe an die p ortugiesische Küste heranzusegeln.« »Es wäre Selbstmord«, sagte Hasard kopfschüttelnd. »Es muß einen anderen Weg geben.« Er erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Vor der Offizierskammer stand jetzt Dan O’Flynn, der junge Blondschopf, den Hasard in Plymouth kennengelernt hatte, als er ein en für chterlich en Kamp f gegen die Preß gan g der ›Marygold‹ aus gefochten hatte. Der Junge war Hasard, ohne zu zögern, zu Hilfe geeilt, denn er hatte den Killigr ew aus Arwenack, das auch seine Heimat war, erkannt. Sein Einsatz hatte allerdings nicht viel genützt. Sie waren beide auf die ›Marygold‹ verschlep pt worden. »Öffne die Tür, Junge«, sagte Ben Brighton. In Daniel O’Fly nns Augen blitzte es ärgerlich auf. Hasard beobachtete amüsiert, wie wütend der Blondschop f auf die Anrede ›Junge‹ reagierte. Aber er beherrschte sich. Er schien gen au zu wissen, was es ihm einbrin gen konnte, wenn er sich in Gegenwart des Kapitäns mit dem Bootsmann anlegte. Ben Brighton beachtete den Jungen nicht weiter, aber Hasard glaubte den Bootsmann gut genug zu kennen, um zu wissen, daß auch ihm die Reaktion Dans nicht entgangen war. Brighton schloß die Tür, nachdem Hasard und er die Kammer betreten hatten.
Romero Valdez hockte zusammengesunken auf seiner Koje. Er blickte auf, als er bemerkte, daß jemand seine Kammer betreten hatte. In seinen dunklen Augen war das Feuer des Widerstandes erloschen. Er hatte hoch gespielt, und er hatte verloren. »Was wollen Sie?« fragte er h eiser, und Brighton übersetzte es für Hasard. »Sag ihm, d aß ich kein Interesse daran habe, ihn und seine M annschaft mit nach England zu nehmen«, antwortete Hasard ruhig. »Bei der ersten Gelegenheit werde ich ihn an Land setzen lassen. Frag ihn, ob er eine M öglichkeit sieht, ohne daß wir dabei in Gefahr geraten, daß Schiff zu verlieren.« Ben Brighton übersetzte, und als der Spanier antwortete, hörte Hasard das Wort Berlenga heraus. Er nickte Brighton kurz zu, daß er verstanden hätte. Die Berlengas waren eine öde Inselgruppe etwa dreiundvierzig Seemeilen nördlich von Kap da Roca, das sie im Augenblick ansteuerten. Allerdin gs waren die Berlenga-Inseln nicht ungefährlich. Die Küste war mit gefährlichen Klip pen bestückt, an denen ein Schiff bei auflandigem Wind im Handumdrehen zerschmettert werden konnte. Capitan Romero Valdez’ Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Schmerzes, als er sich von sein er Koje erhob und Hasard anblickte. Sein verletzter rechter Arm hing in einer Schlinge. »Haben Sie es entdeckt?« fragte er heiser. Hasard spielte den Erstaunten, als Brighton ihm die Frage übersetzte. Er zuckte mit den Schultern und antwortete: »Sag ihm, daß ich nicht weiß, was er meint.« Während der Bootsmann dem Spanier auf seine Frage antwortete, öffnete Hasard die Tür der Offizierskammer und winkte Daniel O’Flynn herein. »Schneide dem Capitan die Fußfesseln dur ch«, sagte er, und an Ben Brighton gewandt: »Erklär ihm, daß ich jeden weiteren
Flucht- oder Befreiungsversuch mit unnachgiebiger Härte ahnden werde.« Er wartete, bis Ben Brighton seine Worte übersetzt hatte und trat dann mit dem Bootsmann auf den Gang hinaus. Auf dem Quarterdeck ließ sich Hasard d ie steife Brise aus Südost um die Ohren wehen. Die ›Isabella‹ lag prall vor dem Wind und segelte mit Steuerbordhalsen n ach Nordnordwest. Ben Brighton hatte alle Leinwand, die nur möglich war, gesetzt. Am Großsegel und der Fock waren jeweils zwei Bonnets angereiht, am Lateinersegel des Besans eines. Die Blinde unter dem Bugspriet schien das Sch iff förmlich n ach vorn durch die Wellen zu ziehen. Die schwerfällige Galeon e p flügte durch die höh er werdende See. Sie lag gut im Wasser. Die schwere Ladun g war jetzt von Vorteil. Hasard schüttelte den Kopf, als er an den M orgen dachte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Es wollte ihm nicht in den Sinn, wieso heute morgen auf ein mal fast Windstille geh errscht hatte. Wenn der Wind hinterher umgesch lagen wäre und ihnen ins Gesicht geblasen hätte, wäre es etwas anderes gewesen. Aber er blies jetzt weiterhin aus Südost wie schon in der Nacht vorher. Die Stimme Ben Brightons riß ihn aus seinen Gedanken, »Wasser auf die Leinwand?« fragte der Bootsmann. Hasard zog die linke Augenbraue hoch und musterte Brighton mißtrauisch. Der Bootsmann sch ien ihm sonst nicht der Ty p zu sein, der ein Schiff bis zur Grenze seines Leistungsvermögens vorwärtsknüppelte. Wollte sich Brighton über ihn lustig machen ? Hasard verneinte diese Frage sofort. Ben Brighton war ein Seemann durch und durch. Ihm bereitete diese scharfe Fahrt wahrscheinlich eb ensoviel Sp aß wie dem Seewolf. Hasard glaubte es in den Augen des sonst so unerschütterlichen Bootsmanns zu erkennen. Sie hatten einen Glanz, den Hasard heute zum erstenmal in ihnen entdeckte.
»Kein Wasser, Ben«, sagte Hasard. Er mußte brüllen, denn der scharfe Südost riß ihm d ie Worte von den Lippen. »Die M änner sollen sich den Tag und die Nacht über no ch ausruhen. M orgen will ich die Geschütze überp rüfen und Probeschießen, damit wir für alle Fälle gerüstet sind.« »Ay e, aye«, sagte Ben Brighton. Als über ihnen das Großmarssegel knatterte, brüllte der Bootsmann den Rudergän ger an. Der M ann korrigierte hastig den Kurs um einen Strich, und das M arssegel stand wieder voll. Hasard hatte sich auf die Poop zurückgezogen. Er mußte über das enttäuschte Gesicht Ben Brightons lächeln, als er ihm den Wunsch abgeschlagen hatte, die Segel zu nässen. Das Wasser hätte die Leinwand noch luftundurchlässiger werd en lassen, und der Druck des Windes auf die Segel hätte sich dadurch noch verstärkt. Gewiß, sie hätten noch schnellere Fahrt gemacht, und Hasard war wie alle anderen M itglieder der M annschaft daran interessiert, so schnell wie möglich in den Heimathafen Plymouth einzulauf en, aber er mußte mit den Kräften seiner M änner haushalten. Zuviel konnte auf der Fahrt nach Hause noch passieren. 5. In der Nacht hatten sie ihren Kurs auf Nord geändert. Der steife Wind wehte immer noch aus südöstlicher Richtung. Sie segelten mit vollem Zeug unter Backstagswind. Hasard war aufgeblieben und hatte Ben Brighton unter Deck geschickt, damit auch der Bootsmann eine M ütze voll Schlaf nehmen konnte. Der vierschrötige Blacky schob Wach e am Nieder gan g zum Lagerraum, wo die gef angenen Spanier unter gebracht waren. Ab und zu holte er etwas unter seiner Segeltuchjacke hervor und setzte es an den M und. Hasard vermutete, daß er
sich etwas von dem Wein für die kühle Nacht aufgehoben hatte. Vor der Offizierskammer, in der sich der Capitan befand, war niemand mehr. Hasard hatte die Tür abschließen lassen. Das Fenster zur Heckgalerie hatte Ferris Tucker so verschalkt, daß Vald ez nicht einmal mit einer Axt hindurchgekommen wäre. Außerdem glaubte Hasard nicht, daß Vald ez noch einmal den M ut fand, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Der M ann war zerbrochen. Die Gewißheit, daß er einen steifen Arm behalten würde, der seine Karr iere als Seeoffizier d er sp anischen M arine beendete, setzte ihm sicher schwer zu. Im ersten M orgengr auen ließ Hasard Ben Brighton wecken. Der Bootsmann tauchte wenig sp äter mit wehender Jacke und offenem Hemd neben dem Seewolf auf. Sein Gesicht war schuldbewußt. »Ich habe geschlafen wie ein e Ratte. Ich …« Hasard winkte ab. »Du hast den Schlaf dringend gebraucht, Ben«, sagte er. »Du hättest dir auch noch die Zeit nehmen können, deine Hose zuzubinden und das Hemd am Kragen zu schließen.« »Entschuldigung …« Brighton wurde tatsächlich noch rot. Aber Hasard wußte, daß es weniger seine Verlegenheit als seiner Wut zuzuschreiben war, daß er sich von einem grünen Jungen so etwas sagen lassen mußte. »Ich werde mich jetzt hinlegen, Ben«, sagte Hasard, ohne sich weiter um den Bootsmann zu kümmern, der hastig an seinem Gürtel herumfummelte. »Wenn die Sonne zwei Strich über der Kimm steht, weck mich bitte. Ich möchte dann alle M ann an Deck sehen. Bereite die M änner darauf vor, daß es heute was zu schwitzen gibt.« »Ay e, ay e«, brummelte Ben Brighton hinter Hasard her, der unter der Poop in dem Gang verschwand, der zu seiner Kammer führte. Fluchend riß er an dem Band, das vorn seine Hose zuhalten sollte und sich verheddert hatte, bis er die
Geduld verlor und es einfach mit einem M esser auftrennte. Er war wütend bis in die Zehenspitzen. Schon lange hatte ihn keiner mehr so auf die M astsp itze gebracht wie dieser jun ge Teufel, der das unversch ämte Glück hatte, von Francis Drake bemerkt worden zu sein. Lan gsam beruhigte sich Ben Brighton, und bald konnte er schon wieder gr insen. Es mußte wahrlich ein erhebender Anblick für den jungen Killigr ew gewesen sein, wie der altged iente Bootsmann Ben Brighton mit halb heruntergelassener Hose vor ihm stand.
Es war ein Tag wie Hasard ihn liebte. Der Wind blies nach wie vor kräftig gen au aus der Richtung, die er sich wünschte. Weiß e, zu mächtigen Ber gen getürmte Wolken jagten unter ein em strahlend en Himmel d ahin. Die See ging hoch, und manchmal h atte Hasard das Gefühl, daß die Wellen seinem Schiff davon liefen. An Bord der ›Isabella‹ hatten sich alle M änner aufgereiht. Nur einer von ihnen stand unter dem Quarterdeck am Kolderstock und hielt die Galeone auf Kurs. Ben Brighton brüllte seine M eldung, daß alle M änner angetreten seien, gegen den Wind. Hasard deutete mit einer Handbewegung an, daß er verstanden hatte. Er ging zur Balustrade des Quarterdecks vor und blickte aufs Haup tdeck hinunter, wo die M änner entlang der auf gedeckten Gräting standen, durch die Hasard verschwommen die Gestalten der gefangenen Sp anier im Dunkeln sehen konnte. »Ferris!« rief Hasard dem Sch iffszimmermann zu.
»Kontrolliere mit allen M ann die Laf etten!« »Ay e, ay e!« Dann jagte Ferris Tuckers mächtiges Or gan d ie M änner über das Deck der ›Isabella‹. Hasard rief Ben Brighton zu sich. »Hast du die Pulvervorräte geprüft, Ben?« fragte.er. Ben Brighton nickte. »Die Spanier sind unbehelligt aus der Neuen Welt zurückgekehrt«, antwortete er. »Die zweiunddreißig Pulverfässer sind unberührt - bis auf das eine, das wir angebrochen haben, als die Galeeren uns angriffen.« Der Seewolf dachte an den Kamp f vom vorigen M orgen. Da hatten sie ruhige See gehabt. Die M änner hatten die Kanonen von außenbords mit der Ladeschaufel laden können. Bei schwerem Seegang und in Eile würde das kau m möglich sein. Außerdem hatten sie die Kanonen nur einmal abzufeuern brauchen, um die Gegner kamp funfähig zu schießen. So p roblemlos würde ein weiterer Kamp f sicher nicht ablaufen. »Wir brauchen Kartuschen, Ben«, sagte Hasard und winkte Ferris Tucker aufs Quarterdeck. »Ich will so viele Kartuschen haben, daß wir mindestens zehn volle Breitseiten abfeuern können.« »Ay e, aye«, sagte Ben Brighton. »Ich werde erst einmal welche für zwei Breitseiten herstellen lassen. M it den anderen können sich die M änner beschäftigen, wenn sie mit dem Probeschießen fertig sind.« »Wissen die M änner, was ihnen bevorsteht?« fragte Hasard. »Sie freuen sich schon darauf«, erwiderte Ben Brighton, ohne eine M iene zu verziehen. »O’Flynn meinte, er hätte vom vielen Herumsitzen schon Beulen am Hintern.« »Wie geht es seinem Arm?« »Vermutlich hat er noch Schmerzen«, sagte der Bootsmann. »Er hat eine schwere Prellung an der Schulter. Sie ist blau unterlaufen. Er wollte aber unb edin gt beim Probeschießen dabeisein.«
»In Ordnung, Ben.« Der Bootsmann holte sich vier M änner und verschwand mit ihnen unter Deck. Zwei von ihnen begannen Kugeln an Deck zu schleppen. Die M änner an Deck hatten neben d en einzelnen Geschützen Tauringe gelegt, in die sie die schweren Kugeln placierten. So konnten sie nicht über Deck rollen. Handsp ake, Ladeschaufel, Ansetzer und Wischer lagen bereit. Der Seewolf h atte seine Augen üb erall. Die M änner arbeiteten schnell und geschickt. Sie schienen zu wissen, daß diese Übung nicht abgehalten wurde, um sie zu schikanieren. Es ging um ihr Prisengeld.. Denn wenn sie es erhalten sollten, mußten sie jederzeit bereit sein, dafür zu kämpfen. Die meisten von ihnen waren lange genug zur See gef ahren, um zu wissen, wie wichtig es war, ein e ein gesp ielte M annschaft zu sein, wenn es hart auf hart ging. Ferris Tucker erstattete M eldung. »Alle Laf etten und Brooks in Ordnung.« »Danke, Ferris«, sagte Hasard nachdenklich. Dann blickte er den rothaarigen Riesen an, »Die Sp anier haben immer außenbords geladen, Ferris. Sie konnten es sich leisten, ein paar M änner dabei zu verlieren. Wir sind zu wenige. Jeder Verlust würde uns schwer treffen. Was meinst du? Wieviel Zeitverlust müssen wir in Kauf nehmen, wenn wir die Kanonen zum Laden einho len?« »Wir können sowieso nicht alle Kanonen auf einmal wieder laden«, sagte Ferris Tucker. »Ich habe während der Nacht schon darüber nachgedacht. Ich habe stärkere Taljen an die Lafetten angebracht. Wir müssen die Geschütze nach dem Feuern sofort einziehen und schwenken, damit die M änner noch Platz genug haben, sich auf Deck zu bewegen. Ich habe alles mit den M ännern schon durchgesp rochen.« »Wir werden sehen, ob es klapp t«, sagte Hasard knapp. Damit war Ferris Tucker wieder entlassen. Er eilte hinunter aufs Hauptdeck, und Hasard sah, wie er eindringlich auf die
M änner einsprach. Der Seewolf gr inste leicht. Er konnte sich denken, was Tucker den Leuten dort unten erzählte. Wahrscheinlich wollten sie es dem grünen Jun gen von der Poop zeigen, was ein richtiger M ann zu leisten imstande war. Hasard war es gleichgültig, als welchem Grunde sie Leistungen vollbrachten. Wichtig war nur, daß sie Plymouth erreichten, um den unbezahlbar en Schatz, den sie den Spaniern entrissen hatten, Francis Drake zu überreichen. Nach ein er Weile erschien Ben Br ighton wieder an Deck. Der Kutscher und Smoky schleppten die Kartuschen zu den einzelnen Geschützen. Hasard rief Ben Brighton zu sich. »Du übernimmst während der Übung das Schiff«, sagte Hasard und fuhr fort, ohne den überraschten Gesichtsausdruck jdes Bootsmanns zu beachten: »Ich werde hinunter zur Geschützmannschaft gehen. Suche vier Leute aus, die das Schiff so trimmen, wie ich es für das Schießen brauch e. In einem Ernstfall werden wir es eb enso halten, verstanden?« »Ay e, aye«, sagte Ben Brighton. Kopfschüttelnd blickte er dem jun gen Killigrew n ach, als er aufs Haup tdeck hinunterstieg. Wo h atte es so etwas schon einmal gegeb en? Der Kapitän eines Schiffes begab sich freiwillig während eines Kamp fes aufs Hauptdeck, um mit seinen M ännern Seite an Seite zu kämp fen? Ben Brighton konnte nicht umhin, den M ut des jungen Killigrew zu bewundern. Er war plötzlich dem Schicksal dankbar, daß es ihn mit diesem Jungen, der seinem Kriegsnamen Seewolf alle Ehre machte, zusammen gebracht hatte. Ben Brighton dachte an die vielen jungen Lords, die er in den letzten Jahren kennen gelernt hatte und die sich einbildeten, allein auf grund ihrer Herkunft befähigt zu sein, eine Führerrolle zu übern ehmen. Keiner von ihnen hatte je nur ein Wort mit einem M annschaftsmitglied gesp rochen. Die meisten
hatten sich hauptsächlich in ihrer Kammer aufgehalten, vornehmlich, wenn es draußen gefährlich wurde. Dieser Killigrew steckte sie alle in die Tasche, und Ben Brighton war weitsichtig genug, um zu erkennen, daß in dem Seewolf ein Seef ahrer heranwuchs, der sich eines Tages einen Namen mach en würde, der sich durchaus mit dem Ruf Francis Drakes messen konnte. Der Bootsmann schüttelte die Gedanken ab. Er rief vier M änner zu sich und teilte sie ein. Er ließ die Blinde unter dem Bugspriet einholen und sämtliche Bonnets loswerfen, damit die Geschützmannschaften nicht behindert wurden und die Handhabung der Segel einfacher war.
Sie h atten eine Breitseite an Steuerbord ab gef euert, und jetzt kam es auf die Zeit an, die sie brauchten, die zweite Breitseite abzugeben und gleichzeitig die ab gefeuerten Geschütze wieder zu laden. Philip Hasard Killigr ew stand mitten im Pulverqu alm, d er das ganze Hauptdeck einhüllte. Er brüllte Ben Brighton einen kurzen Befehl zu, und die M änner, die die Segel bedienten, arbeiteten wie die Irren. Brighton ließ das Sch iff halsen, damit sie die Backbordgeschütze an den imaginären Feind brin gen konnten. Hasard hörte die angstvollen Schreie aus dem Lagerraum. Er grinste. Die Sp anier dachten wohl, die ›Isabella‹ sei in ein Gefecht verwickelt. Neben ihm löste Blacky das mächtige Brooktau einer Kanone, um sie schwenken zu können. In diesem Augenblick krängte die ›Isabella‹.
Das Geschütz begann zu rutschen. Blacky schrie auf und stieß den Kutscher zur Seite, der hinter der Laf ette gestanden hatte. Der dünne M ann wurde auf den Rücken geschleudert. Nur ein paar Zoll an seinem Kop f vorbei rollte eines der massiven Lafettenräder. Der Seewolf erfaßte die Situation mit einem Blick. Wenn die schwere Kanone ihre Richtung beibehielt, mußte sie im nächsten Augenblick dur ch die Grätin g krach en, unter der die gefangenen Sp anier im Frachtraum saßen. Das Geschütz würde nicht nur ein p aar Spanier töten. Es würde mit sein em Gewicht bis zur Bilge durchschlagen und mit aller Wahrscheinlichkeit ein großes Loch in den Rumpf reißen. Hasard p ackte den Richtkeil, d er zu seinen Füßen lag, und warf sich nach vorn. M it einem kräftigen Stoß hieb er den Keil unter das linke Hinterrad der Lafette. Einen M oment lang sah es aus, als würde die Lafette umstürzen. Die Beschläge der Sch ildzapfen schienen sich zu biegen. Hasard betete, daß sie h ielten. Blacky und zwei weitere M änner stürzten herbei und packten das lose Brooktau. Sie zerrten mit aller Kraft daran, und sie schafften es, die Lafette wieder auf alle vier Räder zu bringen, Die Galeone h atte die Halse beend et. »Der Seewolf sp rang auf und schrie die M änner an, die atemlos zugeschaut hatten. »An die Backbordgeschütze! Bei drei wird gefeuert! Eins zwei - drei! Feuer!« Die ›Isabella‹ bebte unter den Kräften, die frei wurden, als die schweren Geschütze ihr Eisen aus dem Rohr fauchten. Wieder hü llten Pulverdamp fschwaden das Hauptdeck ein. Hasard p ackte mit an, um die losger issene Kanone an die Stückpforte heranzubringen. Bei den anderen Kanonen waren die M änner bereits dabei, die Läufe mit der Handspake und dem Rohrwischer von glimmenden Pulverund Kartuschenresten zu reinigen. Dan O’Fly nn schob ein paar
Yards von Hasard entfernt einen mit Seewasser getränkten Schwamm in das Rohr und stieß ihn hinein, um es zu säubern und abzukühlen. Ein anderer M ann kratzte mit dem Zündlochbohrer den Zündkanal aus. Während O’Fly nn zum nächsten Geschütz hastete, um das Rohr zu reinigen, führte ein M ann die halbzylindrische Ladeschaufel, die mit Pulver gefü llt war, in das saubere Rohr, bis sie den Seelenboden berührte. Dann drehte er die Schaufel vorsichtig, um das Pulver in die Kammer des Stückes zu entleeren. Er zog die Ladeschaufel dar auf fast bis zur Mündung wieder heraus und führte sie dann erneut ein, um die losen Körner aufzunehmen, die beim ersten Einführen v erlorengegan gen waren. Hasard wurde sich in diesem Augenblick klar, daß sie sich diesen Ladevorgang mit nur sechzehn M ann Besatzung, von denen einige noch das Schiff manövrier en mußten, nicht leisten konnten, wenn es zu einem Gefecht kam. Wenn sie ihr Probeschießen beendet hatten würde er alle v erfü gbaren M änner daran setzen, Kartuschen aus Segeltuch herzustellen, um das Pulver schneller in die Kammer zu bringen. Für die schweren Geschütze mußte der M ann die Ladeschaufel dr eimal einführen, um die Kammer mit Pulver zu füllen. Ein dritter M ann begann danach, Werg und altes Tauwerk mit dem Ansetzer auf das Pulver zu rammen. Ferris Tucker hatte seinen Daumen in den Zündkanal gesteckt, damit das grobe Pulver nicht hineingepreßt wurde und ihn verstop fte. Ein M ann hob eine Kugel aus dem Grummet und schob sie in die M ündung. Langsam ließ er sie ins Rohr rollen. Der M ann mit dem Ansetzer stop fte abermals Dämmaterial nach und rammte es mit kräftigen Stößen fest. Dabei stand er seitlich vom Rohr. Zu oft schon war es passiert, daß im Kamp feseifer eine Kanone ein mal zu früh losging und der M ann, der sie
gerade lud, in alle Winde geblasen wurde. »Schneller, ihr Lahmärsch e!« brüllte der Schiffszimmer mann und jagte die Leute zur nächsten Kanone, während er selbst aus einem Pulverhorn, das er an einem Seil um den Hals hän gen hatte, das feine, »scharfe« Pulver in den Zündkanal füllte. Kaum war er damit fertig, brüllte O’Flynn rechts von ihm: »Geschütz klar!« Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Hasard lachte das Herz im Leibe, als er die M änner beobachtete. Ferris Tucker hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Sie waren aufein ander ein gesp ielt, als h ätten sie schon zehn Jahre lan g auf einem Batteriedeck zusammengearbeitet. Ben Brighton hatte bereits wieder gehalst, und er war mit dem M anöver noch nicht ganz fertig, da brüllte Ferris Tucker: »Steuerbord bereit zur Breitseite!« Hasard wartete ab, bis die Galeone am Wind lag, dann schrie er: »Feu er!« Die Geschütze brüllten auf. Der Seewolf kniff die Augen zusammen, um durch die Pulverdampfschwaden den Einschlag der Eisenkugeln erkennen zu können. Dann sah er die Wasserfontänen in kurzen Abstanden nacheinander hochspritzen. Hasard beglückwünschte sich dazu, daß er einen M ann wie Ferris Tucker an Bord hatte. Der M ann war nicht nur ein ausgezeichneter Schiffszimmer mann - er war der geborene Stückmeister. Wenn Hasard n icht alles täuschte, lagen die Einschläge der Kugeln in der Entfernun g kaum zehn Yards auseinander. Das Sch iff, das diese Ladung hätte schlucken müssen, wäre in zwei Teile ger issen worden. Ben Brighton fuhr die nächste Halse. Die Backbordgeschütze waren bereits wieder gereinigt. Das Laden begann. Hasard winkte Ferris Tucker zu. Das Gesicht des rothaarigen Riesen glühte vor Eifer.
»Genug, Ferris!« rief Hasard hinüber. »Das war schon sehr gut. Wenn d ie M änner sich im Gefecht noch steigern, brau chen wir uns vor niemandem zu fürchten.« »Ay e, ay e!« brüllte Ferris Tucker. Er wandte sich an d ie M änner, die die Geschütze bedient hatten und nun in ihrer Arbeit innehielten. Ihre Gesichter waren geschwärzt vom Pulverrauch, Schweiß rann ihn en in Bächen von der Stirn, Dan O’Flynns Hemd war zerrissen. Der riesige blutunterlaufene Fleck auf seiner linken Schu lter war deutlich zu sehen. Er mußte noch höllische Schmerzen haben, ab er in diesem Augenblick dachte er nicht daran. Neben ihm stand Batuti, der große Gambia-Neger. In seinem Gesicht waren die schneeweißen Zähne und die leicht geröteten Augäp fel zu sehen, die er wild rollte. Der vierschrötige Blacky hatte sich auf seinen Ansetzer gestützt. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen. Smoky , der frühere Decksälteste der ›Marygold‹, hatte eine blutende Schmarre quer über der linken Wan ge. Er hatte es noch nicht bemerkt. Selbst der schmächtige Kutscher, dem nichts mehr zuwider war als harte Arbeit, hatte sich als ganzer M ann bewiesen. Als er das erstemal die Ladeschaufel mit dem Pulver in das Rohr eingeführt hatte, hatten seine Hände noch gezittert - dann hatte er schnell und sicher gearbeitet wie alle and eren. Niemand wunderte sich jetzt mehr darüber als der Kutscher selbst »Habt ihr gehört, ihr lahmen Enten?« schrie Ferris Tucker. »Dem Kapitän hat eure Arbeit gefallen, obwohl ihr langsam wie Schnecken gewesen seid. Das nächstemal werdet ihr euch ein bißch en beeilen, sonst ziehe ich euch die Hammelbeine lang, verstanden?« »Aye, aye, S ir!« donnerte es aus einem Dutzend Kehlen über das Deck der ›Isabella‹. An dem Niedergan g zum Quarterdeck dr ehte sich Hasard um. »Laß das Deck säubern, Ferris«, sagte er. »Wenn die M änner
damit fertig sind, erhält jeder noch eine Flasche Wein aus dem Vorrat von Capitan Valdez.« Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die M änner ließen ihren Seewolf hochleben, daß die eingeschüchterten und ängstlich nach ob en zur Gräting starrenden Sp anier d enken mußten, das Häuflein Engländer hätte mit der ›Isabella‹ ganz allein die spanische Flotte versenkt. Ferris Tucker ließ als erstes die Geschütze festzurren, damit ihnen nicht noch so ein M ißgeschick widerfuhr wie vorhin. Er brauchte die Leute nicht anzufeuern. Jeder war dar auf erpicht, so schnell wie möglich fertig zu werden, um eine Flasche Wein in Emp fang n ehmen zu können.
Nach kurzer Zeit blitzte das Deck, als hätte es das Übungsschießen nie gegeben. Ben Brighton, der das Kommando der Galeone wieder an Hasard abgegeben hatte, teilte den Wein aus. Die Blind e war wieder gesetzt und die Bonnets wieder angereiht. Die Galeone h ielt den Kurs Nord und segelte mit Backstagswind und Steuerbordh alsen auf Kap da Roca zu. Der Seewolf stand auf der Poop und lehnte an der Reling. Der Wind spielte mit seinem schwarzen Haar. Er genoß die brausende Fahrt, und er dachte, daß dies einer der schönsten Tage seines Lebens sei. Er war erst kurz über zwanzig Jahre alt, und er befehligte ein Schiff. Und vor ein paar Stunden hatte Ferris Tucker ihn zum erstenmal und in Gegenwart der ganzen M annschaft Kapitän genannt. Es war ein großartiges Gefühl. Hasard hatte von diesem M oment ein Leben lang geträumt, und selbst der alte Killigrew hatte ihm diesen Traum nicht mit der Peitsche austreiben können.
Im Gegenteil. Vielleicht hatte die Peitsche seinen Willen, eines Tages ein Schiff zu führen, nur noch bestärkt. Hasard wußte seit diesem Tag, daß er M änner führen konnte, ohne die Peitsche zu schwingen. Heute hatten ihm erfahrene M änner nicht nur gehorcht, sondern seine Befeh le mit Begeisterung ausgeführt. Hasard war Ferris Tucker und Ben Brighton dankbar, daß sie ihm die Chan ce gegeben hatten, sich zu bewähren, und er schwor sich, daß er es den beiden M ännern niemals vergessen würde. Hasard war sich darüber im klaren, d aß er nur eine Prise unter Befehl hatte und nicht ein Schiff Ihrer M ajestät Elisabeth I. Viel Wasser würde noch die Themse hinunterfließen, ehe die Admiralität ihm das Kommando über ein Schiff geben würde. Doch Hasard war entschlossen, mit allen M itteln darum zu kämpfen. Und zwar, ohne den Namen seines Vaters in die Waagschale zu werfen, wie es viele jun ge Adelige taten. Nein, alles konnte Hasard vertragen, nur nicht, ein Verd ienst wegen seiner guten Beziehungen zu erhalten. Er war jung und hatte einen klaren Verstand, eine harte Ausbildung und kräftige Fäuste. Damit mußte er es schaffen. Vielleicht war da noch etwas, das viel mehr wert war als alles andere. Er besaß die Sy mpathie Francis Drakes. Er wußte, daß Drake nur die Leistungen achtete, und es machte ihn stolz, daß Drake gerad e ih m, dem jun gen Killigrew, die Aufgabe übertragen hatte, eine Prise in den Hafen von Plymouth zu bringen. Hasard dachte mit Schaudern daran, was gescheh en wäre, wenn er in Cadiz mit seinen M ännern den Spaniern in die Hände gefallen wäre. Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Das Glück ist mit dem Tüchtigen. Ohne Glück konnte ein M ann keine Siege errin gen, und wenn er noch so klug und stark war. Hasard hatte in seinen jungen Jahren schon viele Kapitäne
kennen gelernt. Die meisten von ihnen wurden von ihren M annschaften gehaßt und gefürchtet. Die Angst trieb sie zu außergewöhnlichen Leistungen. Hasard verachtete die M änner, die andere mit der Peitsche beherrschten. Auf seinem Schiff wollte er freie M änner haben, die einen Bef ehl ausführten, weil sie seinen Sinn verstanden oder den M ann, der sie gab, akzeptierten - und nicht, weil sie sich vor Strafe oder dem Tod fürchteten. Hasard wußte, daß auf einem Schiff, das mitten auf dem M eer auf sich allein gestellt war, nur ein M ann befehlen konnte. Er würde es auch entschlossen tun. Er konnte nur hoffen, daß er dabei nie so weit gehen würde, daß er sich vor sich selbst schämen müßte. Auf dem Quarterdeck erschien Batuti, der den Capitan bewacht hatte. Der Schwarze schüttelte den kantigen Wollschädel und schlug sich mit der flachen Hand gegen das linke Ohr. Wahrscheinlich hatte er die Nachwirkungen des donnernden Geschützlärms noch nicht überwunden. Batuti grinste breit, als er den Seewolf auf der Poop entdeckte. »Hast du deinen Wein schon aus getrunken?« fragte Hasard ihn. Der Schwarze entblößte seine strahlenden Zahnreihen. »Ay e, aye!« brüllte er. »Ein Schlu ck - Wein ist alle. Flasche viel zu klein für M ann wie Batuti.« »Warte ab, bis wir in Plymouth sind«, erwiderte Hasard grinsend, »dann werden dir die ander en zeigen, was ein englischer Seemann vertragen kann.« Batuti nickte. »Kleines O’Fly nn hat schon erzählt. Batuti wird saufen - wie ein Ochse.« Hasard hätte beinahe lauthals gelacht. Die M änner erzählten dem gutmütigen Schwarzen wahrscheinlich reine
Schau ermärchen, wie es im alten England in den Hafenstädten zuging. Hasard nah m sich vor, ein Auge auf Batuti zu halten, wenn sie daheim war en. Der Schwarze war das ideale Opfer für eine raffinierte Preß gang. Der Schrei einer M öwe lenkte Hasards Aufmerksamkeit zum Himmel, an dem sich unverändert hohe weiße Wolkenberge türmten. Er blickte nach Osten und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, aber er konnte über der Kimm kein Land entdecken. Nach seinen Berechnun gen mußten sie zehn M eilen von der p ortugiesischen Küste entfernt sein. Es war gut möglich, daß sie von einem feindlichen Schiff entdeckt wurden. Einige Franzosen, die sich sonst in der Biskaya mit ihren schnellen Schiffen herumtrieben, waren auch schon an dieser Küste gesichtet worden. Für sie wäre eine einzelne Galeone eine willkommene Beute. Hasard schickte Batuti in den M ars. Sie konnten nicht vorsichtig genug sein. Nicht nur die Ladung von dreißig Tonnen Silber stand auf dem Spiel, sondern etwas viel Wichtigeres. Hasard mußte die kostbaren Seekarten von der Neuen Welt um jeden Preis zu Francis Drake brin gen, denn sie konnten den Beginn einer großen Ep oche der englischen Flotte einleiten. Davon war Philip Hasard Killigrew fest überzeugt. 6. Drei Tage war es nun schon her, seit sie mit der ›Isabella‹ den Ring der spanischen Kriegsgaleonen durchbro chen h atten und aus dem Hafen von Cadiz geflohen waren. Sie hätten es wohl nicht geschafft, wenn ihnen der Wettergott nicht gnädig gewesen wäre. Der steife Südost hatte ihnen die Spanier vom Halse geschafft, die ihnen sicher gefolgt waren. Kap da Roca lag hinter ihnen. Als Batuti Land gesichtet hatte, war Hasard auf Nordwestkurs gegan gen, um die Ber lenga
Inseln anzusteuern, wo er endlich die gef an genen Sp anier absetzen würde, die eine beständige Gefahr für seine kleine M annschaft bildeten. Der Seewolf hatte darauf geachtet, daß die Gefangenen von seinen M ännern anständig behandelt wurden und genügend zu essen und trinken erhielten, denn n ichts war gefährlicher als eine M eute verzweifelter Gefangener, die ihre einzige Rettung in einem Aufstand sahen. Die Sp anier wußten, daß sie nicht mit nach England geschleppt, sondern auf den Berlengas aus gesetzt werden sollten. Hasard hoffte, daß sie seine Großmut anerkennen und sich dementsp rechend verhalten würden. Ein Problem bereitete Hasard noch Sorgen. Sie hatten nur noch ein kleines Beiboot an Deck, das sie wahrscheinlich den Spaniern überlassen mußten. Jetzt fehlte ihnen das Dinghi, das sie nicht mehr h atten an Bord holen können, weil sie von den beiden Galeeren an gegriff en worden waren. Es widerstrebte Hasard, sich der letzten Rettungsmöglichkeit zu entledigen. Aber er wußte nur zu gut, daß ihnen das Boot auch nichts mehr nützte, wenn die Sp anier sich endlich ihres Stolzes und M utes besannen und einen Ausfall wagten, Hasard blickte zum Großmars hoch. Batuti hockte dort. Er hatte sich mit einem Tamp en gesichert. Hasard hatte sich entschlossen, ab jetzt immer ein en M ann im M ars zu lassen, denn vor der portugiesisch en Küste herrschte ein reger Schiffsverkehr. An Deck waren nur Smoky und ein anderer M ann zu sehen, die sich an Steuerbord herumlümmelten, Hasard hätte sie ebenfalls unter Deck schicken können, um den anderen M ännern beim Herstellen von Kartuschen zu helfen, denn der steife Wind blies mit einer fast schon unglaublichen Gleichmäßigkeit, so daß die Segel nur selten getrimmt werden mußten. Doch Hasard ging auf Nummer Sicher, zu oft schon hatte er in seinen jungen Jahr en erleben müssen, wie schnell ein Wind
umschlagen konnte. Er dachte mit einem zufrieden en Grinsen an das Probeschießen vom M orgen, viel besser war en selbst die Leute des alten Killigrew nicht aufeinander ein gespielt - und die hatte der rothaarige Satan monatelan g mit der Peitsche gedr illt. Am Nachmittag hatte er sich dann mit Ferris Tucker die vier Drehbassen vorgenommen, von denen zwei auf d er Back und zwei weitere auf dem Achterdeck standen. Hasard liebte die kleinen Dinger, die gehacktes Eisen verschossen, nicht sonderlich, aber sie waren im Nahkampf unentbehrlich. Die Sp anier hatten sich um ihre Kanonen in den letzten Wochen nicht viel gekü mmert. Die Sicherheit des Flottenverbandes, in d essen Schutz sie über den Atlantik gesegelt waren, hatte sie sorglos werden lassen. Ferris Tucker und d er Kutscher, der ih m zur Hand ging, brauchten eine ganze Weile, um die Drehbassen wieder auf Vordermann zu bringen. Hasard haßte nichts mehr als Schlamperei. Ein Schiff mußte auf jede nur erdenk lich e Situation vorbereitet sein. Hasard wollte sich niemals so überrumpeln und sein Schiff stehlen lassen, wie es Cap itan Romero Valdez mit der ›Isabella‹ geschehen war. »Land voraus!« Der mächtige Baß des Gambia-Negers aus dem M ars riß den Seewolf aus sein en Ged anken. Hasard gin g n ach Steuerbord hinüber und schaute nach vorn, doch die Blinde nahm ihm die Sicht. »Heda!« brüllte er Smoky zu, der zum M ars hochblickte, wo Batuti aufgeregt mit den Armen herumfuchtelte. »Hol den Bootsmann an Deck!« Der breitschultrige M ann hob die rechte Hand, zum Zeichen, daß er Hasard verstanden hatte, und ging langsam auf den Niedergan g zu, der unter Deck zu den Pulverkammern führte. Hasards scharfe Stimme peitschte übers Deck.
»Ein bißch en schneller, Smoky, verstanden?« Hasard sah, wie Smoky zusammenzuckte. Der vierschrötige M ann blickte erschrocken zum Quarterdeck hoch, und dann hastete er vorwärts, daß er bein ahe über die Kante der Decksgräting gestolpert wäre. Hasard war wütend. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Der M ann mußte wissen, daß ein Befehl so schnell wie möglich aus geführt werden mußte. Diese Nachlässigk eit hätte er sich auf der ›Marygold‹ von Francis Drake nicht erlauben dürfen. Die Hände des Seewolfs zitterten. Er mußte sich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen und den M ann am Ankersp ill festbinden und auspeitschen zu lassen. Ben Brighton erschien an Deck und stieg sofort die Stufen zum Quarterdeck hoch. Sein Blick war fragend auf Hasard ger ichtet. Wahrschein lich sah er, daß Hasard sich bemühte, nicht die Fassung zu verlieren. Hasard wies auf Smoky, der mit knallrotem Kopf neben dem Nieder gan g stehen geblieben war. »Jag Smoky in den M ars, Ben«, sagte er kalt. »Und laß ihn nicht eher wieder herunter, bis ich den ausdrücklichen Befehl dazugebe!« »Ay e, aye«, sagte der Bootsmann. Er schien zu wissen, daß es unklug war, jetzt eine Frage zu stellen. »Smoky, in den Großmars!« brüllte er. »Du löst Batuti ab!« Der M ann reagierte diesmal, als seien ein p aar Freibeuter mit dem Entermesser hinter ihm her. Er enterte die Wanten, bevor Hasard zweimal durchgeatmet hatte. Er half Batuti, den Tamp en zu lösen, mit dem sich der Schwarze gesichert hatte, und übernahm dann seinen Platz. Batuti schwang sich in die Wanten und hangelte sich innenbords an den Webeleinen hinunter an Deck, wo er grinsend auf weitere Befehle wartete. »Batuti hat Land gesichtet«, sagte Hasard zu Ben Brighton. Der Seewolf hatte sich wieder gefan gen. Seine Wut war
verraucht, aber er würde diesen Zwischenfall nicht ver gessen. Das Verhalten des früheren Decksältesten hatte ihm zu denken gegeben. Er hatte geglaubt, mit einer M annschaft auf einer kameradschaftlichen Basis zusammenarbeiten zu können, aber er hatte nicht in Betracht gezo gen, daß es immer wieder M anner gab, d ie Anständigkeit mit Gutmütigkeit und Schwäch e verwechselten. Hasard wußte, daß er nicht alle über einen Kamm scheren durfte, aber Smoky hatte ihm mit seinem Verhalten bewiesen, daß es besser war, wenn man der M annschaft immer und immer wied er klarmachte, wer der Kap itän war. Er würde es dem Decksältesten einbleuen, daß er an nichts anderes mehr denken konnte. Hier an Bord war Hasard der Herr gott, dessen Wort oberstes Gesetz war! Ben Brighton war zur Steuerbordreling hinübergegangen und betrachtete den schmalen schwarzen Streifen über d er Kimm. »Die Berlengas«, sagte er. »Ich hätte nicht geglaubt, daß wir sie heute noch bei Tageslicht erreichen.« »Bereite die Spanier darauf vor, daß sie noch vor Einbruch der Dunkelheit an Land gesetzt werden«, sagte Hasard. »Die M annschaft soll sich vollzählig versammeln. Die M änner werden mit M usketen und Pistolen bewaffnet. Erklär den Spaniern, daß meine M änner den Befehl hab en, bei der geringsten verdächtigen Bewegung zu schießen. Es liegt ganz an ihnen, ob sie das Land heil erreichen.« »Wir sollten die Insel westwärts umsegeln«, sagte Ben Brighton. »Bei Legerwall können wir nicht nah genug heran, und die Spanier werden uns Schwierigkeiten bereiten, wenn wir sie zu weit draußen absetzen, Sch ließ lich f inden nur ein paar von ihnen in dem Boot Platz. Die anderen müssen sich außenbords an Tamp en festhalten.« »Wir verlieren Zeit, wenn wir vom Kurs abgehen«, sagte Hasard nachdenklich, »Wie lautet dein Befehl?« fr agte Ben Brighton mit
unbeweglichem Gesicht. Der Seewolf wollte schon wieder wütend werden. Er preßte die Lippen aufeinander und schluckte eine harte Antwort hinunter. »Ich sehe M astsp itzen! Steuerbord achteraus!« brüllte Smoky aus dem Großmars. Hasard und Ben Brighton drehten sich erschrocken um. Hasard nahm seinen Kieker ans Auge, aber er konnte nichts entdecken. »Es werden immer mehr!« brüllte Smoky . »Die ganze Kimm sieht wie gen agelt aus!« »Dreh auf West, Ben!« Hasard stieß die Worte zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. Er beobachtete das Gesicht des Bootsmanns, und er nahm sich vor, Brighton das geringste Grinsen heimzuzahlen. Doch B en Brighton hatte sich voll in der Gewalt Er brüllte seine Befehle übers Deck. Die M änner warfen die Brassen los, die Rahen schwenkten herum, und wenig später segelte die Galeone mit Backbordhalsen auf westlichem Kurs. Hasard hatte die M astsp itzen jetzt im Blickf eld des Kiekers. Sie wurden zusehends kleiner und verschwanden dann hinter der Kimm. Er hoffte, daß sie von den anderen Schiff en nicht entdeckt worden waren. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als Ben Brightons Vorschlag auszuführen und die Insel, auf der sie die Spanier aussetzen wollten, westwärts zu umsegeln. Hasard wußte, daß Brighton sich zwischen den Ber len gas auskannte. Francis Drake hatte das Inselgebiet schon mehr als einmal benutzt, um sich vor einer sp anischen Übermacht in Sicherheit zu bringen. Nach einer halben Stunde hatten sie die Südspitze der kahlen Insel erreicht. Ben Brighton brachte die Galeone wieder auf Nordkurs. Er befahl Smoky, die Küste genau abzusuchen. Er
wollte die Sp anier mö glichst in ein er klein en Bucht an Land setzen, in der die Brandung nicht so stark war.
Die Insel war ziemlich lan g. Die Vegetation war sp ärlich. Der rauhe Wind, der fast stetig blies, hatte einen Großteil des felsigen Bodens kahl gefegt. Hasard beneidete die Spanier nicht um ihren unfreiwilligen Aufenthalt, den sie auf dieser Insel vor s ich hatten. Aber er war überzeugt davon, daß sie nicht allzu lange hier ausharren mußten. Die Seestraßen zwischen d en Ber len gas und der portugiesischen Küste waren stark befahren, und wenn die ausgesetzten Sp anier ein Feu er anzündeten, würde es nicht lange dauern, bis ein Schiff auftauchte. Nach einer weiteren Stunde konnten sie bereits das Ende der Insel erkennen. Ben Br ighton dachte schon, daß ihm nichts weiter übrigb leib en würde, die Sp anier an der scharf gratigen Felsenküste auszusetzen, als Smoky aus dem M ars brüllte: »Hinter dem langen Felsen, der ins M eer ragt, ist eine kleine Bucht mit einem schmalen Sandstrand!« Ben Brighton und Hasard gerieten in Bewegun g. »Laß zuerst Proviant und Wasser in das Boot laden«, sagte Hasard zu Brighton. »Wir lassen die M änner erst raus, wenn wir das Boot abgefiert haben.« Ben Brighton nickte. Er gab die Befehle an Blacky, Batuti und Dan O’Flynn weiter. Blacky meckerte lauthals, daß den stinkenden Spaniern auch noch guter Fraß n achgeworfen werde. Aber er achtete darauf, daß seine Worte nicht bis aufs Quarterdeck zu hören waren. Hasard holte den Capitan aus der Offizierskammer.
Romero Valdez war blaß. Sein e Wan gen waren ein gefallen. Sein e Augen glänzten seltsam, und Hasard vermutete, daß er Fieber hatte. Er trug jedoch den Kopf aufrecht und sagte kein Wort. Die Lippen hatte er zu einem schmalen Strich zusammen gep reßt. Draußen auf dem Quarterdeck rief Hasard Ben Brighton zu sich. »Sag ihm, daß er an Bord bleiben kann. Er ist krank. Ich verspreche ihm, daß er England sofort nach seiner Genesung als freier M ann verlassen kann.« Ben Brighton übersetzte Hasards Worte. Romero Valdez blickte den Seewolf mit seinen dunklen, glänzenden Augen an. »Gracias, senor«, sagte er mit heiserer Stimme, »aber mein Platz ist bei meinen M ännern.« Hasard zuckte mit den Schultern. Er wußte, daß es keinen Zweck hatte, den Sp anier umzustimmen, und er versuchte es deshalb gar nicht erst. Er befahl, das Boot mit dem Proviant und der Wassertonne an Steuerbord abzufieren, und wartete, bis der flach e Rump f aufs Wasser klatschte. Ben Brighton hatte Blacky und Batuti dazu ausersehen, die Gefangenen in Grupp en aus dem Lagerraum zu lassen und an Deck zu bringen. Die anderen M änner bildeten ein e Gasse bis zur Stelle an Steuerbord, wo das Boot abgefiert worden war. Sie hielten alle M usketen in den Händen. Ein p aar von ihnen hatten außerdem Pistolen im Hosenbund stecken. Ben Brighton und Hasard waren mit dem Capitan aufs Hauptdeck hinuntergestiegen. Hasard hielt in der rechten Hand den Degen, den er Valdez abgenommen hatte. Sie brachten d en Capitan an Steuerbord, wo ihn die Leute sofort sehen konnten, wenn sie das Deck betraten. Brighton erklärte dem Capitan noch einmal eindringlich, daß es besser für sie sei, keinen Widerstand zu leisten. Die M änner hatten Befehl, sofort zu schießen.
Valdez nickte nur. Sein Körper zitterte. Ein Schüttelfrost hatte ihn gep ackt. Hasard gab Ferris Tucker, der am Niedergang stand, ein Zeichen. Der Sch iffszimmermann beu gte sich hinunter und r ief Blacky und Batuti etwas zu. Sie hörten dump fes Stimmengemurmel. Es dauerte eine Weile, bis d er erste Sp anier seinen Kop f an Deck streckte. Er schaute sich mit angstgeweiteten Augen erst einmal um, ehe er ganz erschien. Sein Blick war auf Cap itan Vald ez ger ichtet. Valdez nickte kurz, und der Spanier marschierte dur ch die Gasse der waffenstarrenden Engländer auf das Steuerbordschanzkleid zu, über dem eine Jakobsleiter hing. Er schwang sich hinüber und kletterte ins Boot hinunter, das auf den Wellen schaukelte und ab und zu gegen den Rumpf der Galeone stieß. Die nächsten Sp anier folgten. Hasard wunderte sich, daß sie ihr Schiff ohne jeden Widerstand verließen, aber vielleicht hatten ihnen die geladenen M usketen genug Angst eingejagt, um einen gep lanten Angr iff sofort wieder zu vergessen. Hasard hörte die laute Stimme B atutis aus dem Lagerrau m. Er hoffte, daß der Schwarze sich an seinen B efehl, die Spanier nicht zu reizen, hielt. Er konnte die Wut Batutis auf die Spanier gut verstehen, denn schließlich hatten sie ihn als Sklaven aus sein er Heimat verschleppt. Doch wenn Batuti sich jetzt nicht beherrschte, konnte es eine Katastrop he geben. Er flüsterte Ben Brighton zu, daß er zwei M änner an die Drehbassen auf der Back beordern solle. Der Bootsmann nickte und schickte Dan O’Flynn und den Kutscher auf die Back. Die beiden begannen sofort damit, die Drehbassen zu laden und auf den Nieder gang zu richten. Plötzlich ertönte ein wildes Geschrei aus dem Lagerr aum. Hasard vernahm ein lautes Klatschen, dann folgte ein Röcheln,
und Blacky brüllte: »Ihr verdammten Hunde!«
Blacky hatte bei den ersten zwanzig Sp aniern d arauf geachtet, daß immer genü gend Abstand zwischen ihnen war, als sie aus dem Laderaum kletterten. Als alles reibungslos verlief, wurde er nachlässig. Er beobachtete grinsend d en schwarzen Batuti, der jedem Spanier einen Tritt in den Hintern verpaßte, bevor er die Stiege des Niedergangs hinaufkletterte. Blacky lachte dröhn end, als einer der Spanier dabei ausrutschte und mit dem Gesicht auf die unterste Stufe des Nieder gan gs krachte. Er trat auf den Sp anier zu, der sich gerade wieder aufrap pelte und Blut spuckte, packte ihn am Kragen und am Hosenboden und beförderte ihn mit einem wilden Schwung h inauf an Deck. Im selben M oment spürte Blacky einen dump fen Schmerz im Nacken. Er drehte sich u m und sah einen Sp anier, der zum zweitenmal ausholte, um ihm die Faust in den Nacken zu schlagen. Ein anderer warf sich zur Seite und versuchte, Batuti von den Beinen zu reißen. »Ihr verdammten Hunde!« brüllte Blacky . Seine Faust wirbelte durch die Luft. Er traf den Spanier, der sich zurückwerfen wollte, an die Stirn und schleuderte ihn zu Boden. Wie die Ameisen krochen die Spanier plötzlich aus dem Laderaum. Blacky schrie und griff sie mit beiden Fäusten an, Er schaffte es, ein paar von ihnen zurückzuwerfen, aber es wurden immer mehr. Drei Sp anier h in gen Batuti am Hals. Der Gambia-Neger schlug wild um sich und konnte sich befreien, doch er schaffte
es nicht, die Spanier ganz auszuschalten. Am Nieder gan g erschien p lötzlich ein Gesicht, Batuti erkannte Ferris Tucker, der eine Pistole in der rechten Hand hielt. Die Waffe brüllte auf und hüllte die Stiege in Pulverdampf. Die Kugel klatschte dicht neben einem Spanier in die Planken des Zwischendecks. Plötzlich war es still. Es war, als hielten die Gefan gen en, die sich noch im Laderaum befand en, vor Schreck den Atem an. Blacky glaubte schon, der Schuß hätte die Spanier eingeschüchtert, doch p lötzlich ertönte ein Schrei aus fast zwanzig Kehlen. Die Spanier schienen zu glauben, daß sie zusammengeschossen werden sollten. Sie warfen sich mit Todesverachtung auf die beiden bärenstarken M änner, die sich auf dem Zwischendeck aufhielten. Batuti und Blacky hatten alle Hände voll zu tun, um nicht zu Boden geschlagen zu werden. Batuti kämp fte wie ein B erserker. Er blutete aus der Nase, aber er schien es nicht zu bemerken. Er schnap pte zwei Sp anier und ließ ihre Köpfe zusammenkrachen, so daß sie bewußtlos niederstürzten. Blacky verteidigte die große Luke des Laderaums geschickt mit den Füßen. Eine ganze Zeit konnte er so verhindern, daß noch mehr Sp anier aufs Zwischendeck kletterten. Er bemerkte ebenso wenig wie Batuti, daß sich der Niedergan g verdunk elte und ihnen dr ei M änner zu Hilfe eilten. Ben Brighton erreichte als erster das Zwischendeck, hinter ihm erschien der k lein e, stämmige Pete Ballie, der Fäuste wie Ankerklüsen hatte. Ben Brighton schrie ein p aar Worte auf Spanisch, doch er konnte sich erst verständlich machen, nachd em er seine Pistole abgefeuert hatte. Er erklärte den Sp aniern, wie gerin g ihre Chan cen seien.
Wenn sie auch nur d en Kop f aus dem Nieder gan g steckten, würden die Drehbassen auf der B ack ihr heiß es Eisen ausspucken und sie in Fetzen schießen. »Eure anderen Leute sitzen schon im Boot!« schrie Ben Brighton. » Sie können euch nicht mehr h elfen. Wenn ihr den Widerstand nicht aufgebt, werden wir absegeln und euch mit nach England nehmen!« Der Widerstand der Spanier brach zusammen wie ein Feuer, das keine Nahrun g mehr fand. Ben Brighton schickte die Spanier, die auf dem Zwischendeck mit Blacky und Batuti gek ämp ft hatten, nach oben. Dann erst befahl er den anderen im Laderau m, einzeln das Zwischendeck zu betreten. M it grimmigen Blicken musterte er Batuti und Blacky , die schuldbewußt ihre Köpfe senkten. Der Schwarze wischte sich mit dem Ärmel seiner Segeltuchjacke das Blut aus dem Gesicht und murmelte etwas in einer Sprache, die Ben Brighton nicht verstand. Blacky hustete, als der Pulverdampf seine Schleimhäute reizte. Er wäre gern dieser stickigen Luft entronnen, aber er wagte es n icht, Ben Brighton zu fragen, ob er an Deck gehen könne. Pete Ballie grinste. Der kleine, stämmige M ann hätte gern an diesem Spaß teilgehabt, aber leider hatte der Bootsmann die Situation ohne einen Kamp f bereinigen können. Dann kletterten die letzten drei Spanier nach oben an Deck. Ben Brighton schickte Batuti, Blacky und Pete Ballie hinter ihnen her. Er selbst verließ als letzter das Zwischendeck. Er sah gerade noch, wie der letzte Sp anier sich über das Schanzkleid schwang und sich an der Jakobsleiter hinunter ins Wasser ließ. Das kleine Boot hatte bereits abgelegt. Etwa zwanzig M ann hatten darin Platz gefunden. Vom Heck hin gen einige Taue außenbords, an denen sich die restlichen Sp anier festhalten mußten. Die Bootsgasten begann en zu pullen. Nur mühsam konnten sie das schwerbeladene Boot mit der daranhängenden
M enschentraube in Richtung Bucht in Bewegung setzen. Hasard begann aufzuatmen, als sich das Boot von der Galeone entfernte. Er war froh, die Bedrohun g, die die gefangenen Sp anier gebildet hatten, endlich los zu sein. Als das Boot die Bucht ohne Zwischenfall erreicht hatte, gab Hasard den Bef ehl, die Segel wieder zu setzen. Ben Brighton jagte die M änner in die M asten. Blacky und Batuti taten sich mit ihrem Eif er besonders hervor. Sie war en froh, daß der Zwischenfall am Nieder gang kein Nachspiel nach sich gezogen hatte.
Die ›Isabella‹ ließ die lange Insel hinter sich. Smoky, der immer noch im Großmars saß, meld ete, daß von den M astspitzen nichts mehr zu sehen sei. Hasard zog sich in die Kap itänskammer zurück, nachdem er Ferris Tucker den Auftrag erteilt hatte, das Schiff noch einmal von oben bis unten durchsuchen zu lassen, ob sich nicht noch ein Spanier an Bord befand, den sie übersehen hatten. Er wollte es nicht noch einmal er leben, daß seine M änner überwältigt wurden, nur weil er zu nachlässig gewesen war. Hasard holte die schweinslederne Kassette unter der M atratze seiner Koje hervor und drehte sie in den Händen. Er konnte es immer noch kaum fassen, welches Glück er gehabt hatte. Jeder vernünftige M ensch hätte darauf verzichtet, den spanischen Kapitän, der sich mit einer Nußschale hinaus aufs rauh e M eer gewagt hatte, zu verfolgen. Er hatte es dem Gesicht Ben Brightons angesehen, daß er seine, Hasards Entscheidung, zu halsen und den C ap itan zu verfolgen, für die Tat eines Wahnsinnigen hielt. Aber sein Gefühl h atte ihn nicht getrogen. Jetzt hielt er den größten Schatz in Händen, den je ein
englischer Seemann den Spaniern entrissen hatte. Hasard holte die Karten aus der Kassette und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Fast zärtlich fuhren seine Finger über die Küstenlinien einem ihm unbekannten Landes, das so viele Schätze barg, daß Spaniens Schiffe pausenlos unterwegs waren, um sie über das große Wasser in d ie Heimat zu bringen. Hasard prägte sich die Karten und die spanischen Namen, die ihm noch nichts sagten, ein. Er hatte noch Zeit genug, bis sie Ply mouth erreichten. Bis dahin würden diese Seekarten unauslöschlich in seinem Gehirn eingeprägt sein, so daß er sie jederzeit würde nachzeichnen können. 7. Drei weitere Tage vergingen, bis sie Kap Finisterre passierten. Der Wind hatte auf Süd gedreht und trieb die ›Isabella‹, die mit ihrer schweren Ladun g gut in der schweren See lag, vor sich her. Hasard hatte das Großsegel auf geien lassen, denn der Wind hatte sich weiter verstärkt. Er wußte, daß ihm und seiner M annschaft noch einiges bevorstand, denn es hieß, wer Kap Finisterre bei starkem Wind umsegelt, auf den wartet in der Biskay a Sturm. Die siebzehn M änner an Bord der ›Isabella‹ waren unruhig, obwohl sie durch den starken achterlichen Wind genug zu tun hatten, die Galeone auf Kurs zu halten. Seit sie die Spanier an Land gesetzt hatten, war nichts Außergewöhnliches mehr passiert. Hasard hielt sich die meiste Zeit auf dem Quarterdeck auf. Irgend etwas kribbelte unter seiner Haut, ab er er wußte nicht, wie er dieses Zeichen deuten sollte. Er spürte, daß bald etwas geschehen würde, und es stimmte ihn langsam verrückt, daß er nicht wußte, was.
Er atmete fast auf, als er plötzlich Gebrüll hörte, das vom Zwischendeck herauf scholl. Er hörte die dunkle rauhe Stimme des Schiffszihimermanns. Ein Klatschen folgte, das sich nach einem Sch lag anhörte. Ben Brighton, der sich in die Kammer zurückgezogen hatte, in der sie den spanischen Capitan gefangen geh alten hatten, erschien auf dem Quarterdeck. Er wollte zum Hauptdeck hinuntereilen, aber der Seewolf hielt ihn zurück. »Übernimm du das Schiff, Ben«, sagte er. »Ich werde mich selbst darum kümmern.« M it zwei Sätzen sp rang er d ie Stiege vom Quarterdeck zum Hauptdeck hinunter und lief zum Nieder gang. Er hörte sofort, woher der Lär m ertönte. Er wandte sich auf dem Zwischendeck nach achtern, wo die Kombüse lag. Ferris Tucker schrie sich die Kehle h eiser, aber d ie beiden M änner, die sich am Boden wälzten, hörten nicht auf ihn. Hasard erkannte sofort, wer sich da prügelte. Es waren Blacky und Batuti. Batuti hockte auf Blackys Brust, und seine Rechte klatschte immer wieder in B lacky s Gesicht. »Du nie wieder kleines O’Flynn verhauen!« brü llte er. »Sonst ich schneiden dir Ohren ab und kochen davon Suppe!« Blacky röhrte. Sein Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Die Adern an seiner Schläf e waren vor Anstrengun g geschwollen, aber er schaffte es nicht, d en mächtigen Neger von sich herunterzuwälzen. Hasards Blick fiel auf die beiden M änner an der Kombüsentür. Der Kutscher, der für die Besatzung kochte, krampfte die Hände zu Fäusten zusammen. Sein Blick wieselte zwischen den Kämpfenden und dem grinsenden Daniel O’Flynn, der an der Kombüsenwand lehnte, hin und her. Hasard kannte das Bürschchen inzwischen gut genug, um sofort zu wissen, was vorgefallen war. Wahrscheinlich hatte der Kutscher ihn wieder einmal dabei erwischt, wie er sich
etwas aus der Kombüse geklaut hatte. »Schluß jetzt!« sagte Hasard scharf. Batuti zuckte zusammen. Obwohl Hasards Stimme län gst nicht so laut war wie die von Ferris Tucker, hatte sie eine bedeutend stärkere Wirkun g. Der Herkules sprang auf. Hasard beobachtete fasziniert, wie der Ausdruck im Gesicht des Schwarzen sich von einer Sekunde zur anderen änderte. Eben noch war es vor Wut verzerrt gewesen - jetzt stand bereits wieder das breite Grinsen darin, mit dem er Einf ältigkeit vortäuschen wollte. Aber Hasard hatte den Schwarzen län gst durchschaut, Der Kerl hatte es faustdick hinter den Ohren, und fast vermutete Hasard, daß Batuti sogar sein gebrochen es En glisch nur vortäuschte. Er traute ihm lan gsam alles zu. »Blacky sagen, er stärker als ich«, radebrechte Batuti »Ich ihm zeigen, wie schwarzer Bastard kämpfen kann!« Blacky hatte sich inzwischen erhoben und rieb sich die geschwollene linke Wange. Auch er grinste jetzt. »Diesmal hast du noch Glück gehabt, Wollkopf«, sagte er knurrend, »Das nächste M al stamp fe ich dich durch die Decksplanken!« »Warum du nicht gleich versuchen?« fragte Batuti angriffslustig und hob beide Fäuste. M it einer kurzen Handbewegun g beendete Hasard das Streitgespräch. »Gebt Ruhe, M änner!«, sagte er ernst. »Wir brauchen unsere ganzen Kräfte für die Fahrt nach Ply mouth, Die See wird immer rauher, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir unterwegs noch kämp fen müssen, um unser e Prise zu verteidigen.« Er wandte sich an den Schiffszimmermann: »Ferris, beschäftige die Kerls, d amit sie auf andere Gedanken kommen. M einetwegen laß sie noch mehr Kartuschen herstellen.« Ferris Tucker schüttelte den Kopf.
»Wir haben alles Segeltuch auf gebrau cht, das ich entbehren konnte. Außerdem hab en wir keine B ehälter mehr, wo wir weitere Kartuschen unterbringen können.« »Dann denk dir etwas anderes aus«, sagte Hasard »Auf keinen Fall will ich Krach unter der M annschaft.« Er drehte sich um und ging breitbeinig auf den Nieder gang zu. Er wußte genau, daß Batuti und Blacky ihm etwas vorgeschwindelt hatten, aber er sah keinen Grund, von ihnen zu verlangen, ihm d ie Wahrheit zu sagen. Er lächelte, als er den Niedergan g hinaufstieg. O’Flynn und der Kutscher waren schlaue Burschen. Sie hatten sich die richtigen Freunde angelacht, die ihre Streitereien auskämp ften. Der Schwarze schien einen Narren an Donegal Daniel O’Fly nn gefressen zu haben, obwohl das Schandmaul O’Flynns den Herkules keinesfalls in Ruhe ließ. Blacky dagegen hatte sich als Beschützer des schmächtigen Kutschers aufgesp ielt, seit dem Zwischenfall mit der losger issenen Kanone. Wahrscheinlich war Blacky der M einung, der arme Kutscher sei ohne ihn völlig aufgeschmissen. Dabei konnte der kleine M ann ganz gut auf sich selbst aufpassen, davon war Hasard überzeugt. Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an, als er wieder aufs Quarterdeck kletterte. Hasard zuckte nur mit den Schultern. »Sie h aben Lan geweile«, sagte er. »Blacky und Batuti haben sich geprügelt, weil d er Kutscher und O’Flynn sich in die Haare geraten sind. Wahrscheinlich hat das Bürschchen mal wieder ein p aar getrocknete Früchte geklaut.« Ben Brighton hob den Kopf und betrachtete besorgt die drohenden Wolkenfelder, die immer dunkler wurden und mit hoher Geschwindigkeit nach Norden brausten. »Es ist vielleicht besser, wenn wir die Fock auch noch einholen«, sagte er. Hasard schüttelte den Kopf
»Laß sie solan ge stehen wie mö glich«, erwiderte er. »Ich habe ein ungutes Gefühl, daß noch etwas geschieht, und dann möchte ich so nah an d er en glischen Küste sein, wie es geht.« Ben Brighton wies mit der rechten Hand nach oben in den Großmars. »Soll ich Smoky runterkommen lasse?« fragte er. »Ich glaube, du hast ihn jetzt lange genug da oben hängen lassen.« Hasard blickte zum Großmars hinauf, wo Smoky zusammengekauert hockte. Seit drei Tagen hatte Hasard den früheren Decksältesten der ›Marygold‹ für jeweils sechs Stunden in den M ars geschickt, um ihm klarzumachen, daß Diszip lin ger ade auf einem Schiff, das nur mit kleiner M annschaft gesegelt werden mußte, von größter Wichtigkeit war. Hasards Zorn auf Smoky war immer noch n icht ganz verraucht, aber er sah ein, daß er jetzt nachgeben mußte, wenn er sich die Achtung Ben Brightons und der M annschaft erhalten wollte. »Gut«, sagte er. »Laß ihn runter. Aber ich möchte, daß der M ars besetzt bleibt. Die M änner können sich jede Stunde abwechseln.« »Ay e, aye«, antwortete Ben Brighton mit unbewegtem Gesicht. Dann brüllte er seine Befehle über Deck. Smoky kletterte mit steifen Gliedern die Wanten herunter. Seine klammen Finger krallten sich um die geteerten Taue, und zweimal rutschte er von den Webleinen ab, konnte sich aber jedesmal noch rechtzeitig fangen. Daniel O’Fly nn nahm seinen Platz im Großmars ein. Die anderen M änner kümmerten sich um den verfrorenen Smoky, der aussah, als hätte er seine Lektion gelernt. Hasard begab sich in sein e Kammer, u m sich für ein p aar Stunden hinzulegen. Solange die ›Isabella‹ unbehelligt von feindlichen Schiff en durch die schwere See d er Biskay a lief, mußte er jede Gelegenheit nutzen, seinem Körper Ruhe zu gönnen.
Hasard betete im stillen, daß sie nichts mehr aufhalten würde. Zu wichtig war seine M ission geworden. Er mußte die ›Isabella‹ um jeden Preis nach Plymouth bringen. Er legte sich auf seine Koje und betrachtete die von der niedrigen Deck e herabbaumelnd e Öllampe, die mit den Bewegungen der Galeone hin und her schwan g. Das Knarren der M asten, Rahen und Blöck e, die vom Sturmwind einer maximalen Belastung aus gesetzt wurden, verfolgte ihn bis in den Schlaf. Die Galeone lief jetzt auf nordwestlichem Kurs - quer durch die mörderisch e Biskay a auf Brest zu, Hasard wußte, wenn sie erst einmal d iesen Turn geschafft hatten, waren sie aus dem Gröbsten heraus. Im Kanal war die Chan ce, einem englischen Schiff zu begegnen, größer, als auf einen feindlichen Franzosen oder Holländer zu treffen.
Hasard hörte die laute Stimme im Halbschlaf und ruckte hoch. Sein Kopf knallte gegen d ie Decke. Fluchend schwang er die Beine aus der Koje und fuhr in seine Stiefel. Die Tür zur Kap itänskammer wurde aufger issen, ohne daß vorher angeklop ft worden war, Hasard hatte keine Zeit, über Batutis M angel an Takt nachzudenken Der Schwarze brüllte seine M eldung heraus, ehe Hasard ihn fragen konnte, was, zum Teufel, denn los sei, »O’Flynn hat M asten gesehen! Voraus in Nord! Ganze Kimm voll wie Rücken von Stachelschwein!« Hasard warf sich seine Jacke aus dunklem Segeltuch über und raste aus der Kammer. Batuti folgte ihm p olternd. Ein
Windstoß riß Hasard das Schott zum Quarterdeck aus der Hand. Es knallte gegen die Bretterwand der Poop und schwang sofort wieder zurück. Der Seewolf trat einen Schritt zur Seite. Hinter sich hörte er den überraschten Schrei Batutis, ein dump fes Poltern und dann eine wütende Stimme. Hasard kümmerte sich nicht darum. Er mußte sich gegen den Wind legen, um nicht gegen die Nagelbank getrieben zu werden, wo Ben Brighton sich festgeklammert hatte. »O’Flynn glaubt, daß es sich um vier oder fünf Sch iffe handelt!« schrie der Bootsmann, um sich im brausenden Sturm verständlich zu machen. »Klein e Karavellen mit Lateinerbesegelun g! Wahrscheinlich Dreimaster! Höchstens fünf Seemeilen vor uns!« »Welch en Kurs halten sie?« brüllte Hasard zum M ast hinauf. »Den gleichen wie wir!« gab O’Flynn schreiend zurück. »Nordost! Ich glaube, sie haben uns nicht gesehen! Sie sind schneller als wir! Ich kann k aum noch ihre M astspitzen erkennen!« »Focksegel einholen!« brüllte Hasard seinen Befehl aufs Deck, wo die M änner abwartend standen. Ferris Tucker jagte vier M änner auf die Fockrah e. Schwere Br echer gingen über die Back und das Vorkastell, und hochspritzende Gischt trieb wie ein Schleier über das ganze Schiff. Hasard sah, wie die vier M änner mit sicherer Hand das Focksegel einholten. Er wußte aus eigener Erfahrung, welche Knochenarbeit es bei diesem Wetter war, auf den Rahen herumzuturnen. Die Fahrt der Galeone v erlan gsamte sich nur unwesentlich. Nur die beiden M arssegel standen jetzt noch an den M asten, und sie genügten vollauf, die schwerfällige Galeone weiter nordwärts zu treiben. »Sie haben uns nicht entdeckt!« schrie Donegal O’Flynn jubelnd aus d em M ars. »Sie hauen ab! Sie haben die Hosen
voll, weil der Wind ein bißchen bläst!« Hasard sah die Erleichterung auf den Gesichtern seiner M änner, und er begann ebenfalls zu grinsen, obwohl er nicht daran glaubte, daß die Karavellen die 200-Tonnen-Galeone übersehen hatten. Er konnte nur hoffen, daß es sich um unbewaffnete Kauffahrteischiffe gehandelt hatte. Aber darauf wollte er sich nicht verlassen. Er blickte Ben Brighton an und sah, daß auch der Bootsmann den Optimismus der M annschaft nicht teilte. Das harte Wasser herrschte nicht erst seit heute, und wer sich jetzt mitten in der Biskay a aufhielt, war ganz sicher kein h armloser Seefahrer. Die Bauart der Schiff e, die O’Flynn gesehen hatte, erweckte in Hasard die schlimmsten Befürchtungen. Er h atte solche kleinen, aber un gemein wendigen und schnellen Karavellen zur Genüge kennengelernt, als er noch auf den Schiffen des alten Killigrew gesegelt war. Es waren die bevorzugten Schiffstypen der bretonischen und normannischen Freibeuter, der Beh errscher der Biskaya. Ben Brighton hegte die gleichen Befürchtungen wie der Seewolf. Seine nächsten Worte bewiesen es. »Wenn es Freibeuter waren, d ann frage ich mich, warum sie uns nicht sofort angegr iffen haben.« »Wahrschein lich ist ihnen d ie See zu schwer«, sagte Hasard nachdenklich. »Oder aber sie haben etwas anderes mit uns vor. Wir sollten vorsichtshalber unseren Kurs ändern. Dreh die alte Tante nach Norden, Ben. Vielleicht können wir ihnen so ein Schnippchen schlagen.« Ben Brighton nickte. Er rief einen B efehl durch die große Luke auf dem Quarterdeck, unter der Pete Ballie am Kolbenstock stand und das Ruder bewegte. Nach einer Stunde Fahrt bat Ben Brighton, auch das Großmarssegel einholen zu dürfen, und Hasard stimmte zu. Es hatte keinen Sinn, die Segel zu riskieren, die sie vielleicht noch einmal brauchten, um einem feindlichen Schiff zu entwischen.
Die ›Isabella‹ kam dem Seewolf wie ein behäbiger Elefant vor, der sich unbeirrbar seinen Weg durch eine feindliche Umwelt bahnte. Die Brecher, die mit ungeheur er Wucht über das Deck rasten, hatten die Blinderahe zerschlagen, und Ferris Tucker war unter Deck bereits dabei, eine neue fertigzustellen. Hasards Nervosität war verflogen. Jetzt, da er jeden Augenblick mit einem Zwischenfall rechnete, war er die Ruhe selbst. Er hatte Ben Brighton befohlen, die M änner zu beschäftigen, und hatte ihm eingetrichtert, sie darauf vorzubereiten, daß sie innerhalb von Sekunden kamp fbereit an Deck zu sein hatten, wenn der Befehl dazu erfolgte. Batuti hockte jetzt in dem sturmumtosten M ars. Er hatte sich wieder mit einem Tau gesich ert. Die lächerlichen Bemerkun gen der anderen hatten ihn nicht gestört. Hasard atmete fast auf, als er Batuti röhrendes Organ vernahm. »Voraus! Voraus!« brüllte der riesige Gambia-Neger, der sich aufgerichtet und am M ast festgeklammert hatte. »Verdammt noch mal, was siehst du voraus?« schrie der Seewolf. Er hielt das Sp ektiv ans rechte Auge und suchte damit die Wellenberge ab, die vor ihnen herliefen. Aber er konnte nichts erkennen. »Weiß ich n icht genau!« brü llte Batuti. »Schwimmt was auf dem Wasser!« Hasards scharfe Stimme peitschte übers Deck. »Dan O’Flynn in den M ars!« Wenn einer von ihnen erkennen konnte, was der Gegenstand war, den Batuti entdeckt hatte, dann war es Donegal Daniel O’Flynn, der die schärfsten Augen von ihnen hatte. Der Junge aus Falmouth kletterte wie ein Affe die Wanten hinauf. Er klammerte sich neben Batuti an den M ast und ließ sieh von dem Schwarzen die Richtung weisen. Es dauerte einen Augenb lick, bis Dan den Gegenstand mit den Augen erf aßt hatte. Er wartete ab, bis er auf einem
Wellenkamm erschien, und er erkannte sofort, um was es sich handelte. »Ein Boot!« schrie er hinunter. »Ein paar M änner sitzen darin und pullen! Sie müssen ihr Schiff ver loren haben!« »Wie weit sind sie entfernt?« »Keine Seemeile!« r ief O’Flynn. »Etwa zwei Strich Steuerbord!« Hasard nickte Brighton zu, und der Bootsmann gab den Befehl an den Rudergän ger Pete Ballie weiter. Nach ein p aar M inuten konnten sie alle das Boot sehen, das wie ein Korken auf den Wellen tanzte. Die M änner darin waren jetzt deutlich zu sehen. Es waren acht, und sie kämp ften einen heroischen Kamp f gegen die auf gewühlte See, d ie sie zu verschlin gen drohte. Der Seewolf zö gerte mit seiner Entscheidun g nicht eine Sekunde. »Alle M ann klar!« rief er. »Wir holen sie an Bord! Seht zu, daß ihr das Boot an Bord hieven könnt, dann haben wir wenigstens ein neues.« Hasard war der Ansicht, daß die M änner nur von einer der fünf Karavellen stammen konnten, die sie am M orgen gesichtet hatten. Er wunderte sich ein bißchen, daß d ie M änner ihr Schiff verloren hatten, denn er kannte keine seetüchtigeren Schiffe als die schlanken Karavellen mit den Latein ersegeln. Aber vielleicht hatte ein besonders starker Brecher das Schiff leck geschlagen. Doch wieso waren dann in dem Beiboot, das mehr als zwanzig M ann fassen konnte, nur acht M änner? Hasard hatte keine Zeit mehr, über diese Dinge nachzudenken. Das wichtigste war erst einmal, die M änner an Bord zu holen. In der Nußschale hatten sie kaum eine Chance, die nächste Stunde zu überleben, denn die See wurde immer rupp iger. Ben Brighton jagte drei M ann in den Großmast, um das Großmarssegel für den Augenb lick der Bergung zu setzen,
damit die Galeone manövrierfähiger wurde. Hasard war aufs Hauptdeck hinuntergegangen und half den M ännern, die Taue b ereitzulegen, die sie den Schiffbrüchigen zuwerfen wollten. Ben Brightons klare Stimme hallte über das Deck. Die ›Isabella‹ bäumte sich auf und durchstieß mit ihrem stumpfen Bug die mächtige Welle, die sie zu überrollen drohte. Das Beiboot schien auf die Galeone zuzufliegen. Gischtumsp rüht tanzte es sekundenlang auf einer Wellenkrone, bis es wie von schweren Gewichten plötzlich nach unten in ein Wellental gezo gen wurde. Nur der Geistesgegenwart Ben Brightons war es zu verdanken, daß das Boot nicht an der Bordwand der Galeone zerschellte Sie hörten die M änner in dem Boot vor Entsetzen brüllen, und dann flo gen die Taue auf das Boot zu. Zwei der Schiffsbrüchigen hatten Glück. Sie packten jeder ein Tau. Einer von ihnen wurde sofort über Bord gerissen Er wurde von der See verschluckt. Blacky , der das Seil hielt, zog daran wie ein Irrer, am Widerstand spürte er, daß der M ann nicht los gelassen hatte. Smoky und ein anderer M ann sprangen hinzu. Gemeinsam holten sie das Tau Hand über Hand ein. Sie sahen, wie das bärtige Gesicht des Schiffbrüch igen auftauchte, der mit einer Welle auf die ›Isabella‹ zu geschwemmt wurde. »Los!« schrie Blacky, und die drei M änner, die das Tau hielten, rannten über das Deck n ach Backbord. Hasard sah, wie der bärtige M ann gegen die Bordwand der ›Isabella‹ krachte. Das mußte das Ende für ihn sein. Doch der Bärtige schien die Kraft eines Bären zu besitzen, oder aber die Todesangst verlieh ihm un geahnte Kräfte. Er ließ das Tau nicht los, und nachdem Blacky und Smoky noch einmal kräftig zogen, konnten ihn die anderen M änner der ›Isabella‹ p acken und über das Schanzkleid an Bord zerren. Der zweite M ann in dem Boot hielt immer noch das Tauende
in der Hand, das Batuti durch seine Hand gleiten ließ, wenn sich das Boot von der Galeone entfernte, Hasard sah die aufgerissenen Augen des M annes, Einen M oment sah es so aus, als wolle er ebenso wie sein Kamerad ins Wasser sp ringen, doch er fand nicht den M ut dazu. Der Kutscher und der h agere Gary Andrews, dessen Wunde auf der Brust allmählich verh eilte, kümmerten sich um den geborgenen Schiffbrüchigen, der ein paar französische Worte hervorsprudelte. Hasard schnauzte Gary Andrews an, er solle sich gefälligst unter Deck scheren und sich in seine Koje legen, Jetzt, da die Entzündung der riesigen Schnittwunde, die er sich bei dem Überfall der Spanier auf der »Santa Barbara« zugezogen hatte, im Abklin gen war, war es unklug, das Risiko einzugehen, daß die Wunde wieder aufbr ach. Andrews verschwand brummend im Niedergang. Der Franzose erholte sich ziemlich schnell. Anscheinend hatte er sich beim Aufp rall auf die Bordwand nicht verletzt. Er erhob sich, schüttelte seinen bärtigen Kopf und stützte sich am Schanzkleid ab. Ben Brighton schrie vom Quarterdeck. »Aufpassen M änner, jetzt haben wir es!« Die Galeone krän gte stark nach Steuerbord. Das Boot jagte auf einem Wellenk amm h eran. Arme packten zu. Tampen flogen ins Boot, das knirschend die Bordwand der Galeone berührte. M it einem Schlag wurden drei M änner über das Schanzkleid gezerrt. Ein vierter rutschte beim Sp rung vo m Dollbord aus. Sein rechtes Bein geriet außenbords. In diesem Augenblick schwappte eine Welle das Boot wieder gegen die Galeone. Der Franzose schrie markerschütternd auf. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Die Augen quollen hervor. Hasard preßte die Zähne aufeinander, als das Boot von einer
Woge von der Galeone weggerissen wurde. Das Bein des Franzosen, der sich schreiend an einen Tamp en geklammert hatte, war nur noch ein blutiger Stumpf. Das Dollbord hatte seinen Unterschenkel an der Bordwand der Galeone abgequetscht. Blacky riß den M ann zu sich heran und packte ihn bei den Schultern. Der Franzose hatte vor Schmerzen den Verstand verloren. Er schlu g wie ein Berserker um sich. Blacky zögerte nicht. Er machte kurzen Prozeß. Seine Faust traf das Kinn des Franzosen und schickte ihn auf die Decksplanken. Seine geretteten Kameraden kümmerten sich um ihn. Einer von ihnen band seinen Schal ab und schlu g ihn um das verstümmelte Bein, um es abzuschnüren. Der Kutscher und O’Flynn halfen den Franzosen, den Verletzten unter Deck zu bringen. Drei M änner hatten den Sprung aus dem Boot nicht geschafft. Sie schrien sich die Kehle wund, als sie sahen, daß sich die Galeone immer weiter von ihnen entfernte. Aber Ben Brighton hatte das einzig Richtige getan. Wäre er an dem Boot drangeblieben, hätten die nun folgend en Brecher, die die ›Isabella‹ von Steuerbord überschütteten, das Boot unweigerlich an der Bordwand zerschmettert. Der Bootsmann brauchte fast zehn M inuten, bis er die Galeone wieder in eine günstige Position manövriert hatte. Die M änner im Boot saßen an den Riemen und pullten. Ben Brighton schrie sie an, das Boot tanzen zu lassen, doch seine Stimme gin g im h eulend en Sturm unter. Hasard sah die Katastrop he voraus. Eine r iesige Welle jagte von Steuerbord heran. Hasard wirbelte herum und wollte Ben Brighton einen Befehl zurufen, doch der Bootsmann hatte bereits reagiert. Die Galeone legte sich herum und streckte den Bug dem Wellen gan g entgegen. Ben Brighton hatte nichts anderes tun können, wenn er die ›Isabella‹ nicht in Gefahr bringen wollte.
Das Boot wurde von den wirbelnden Wassern förmlich in die Luft geschleudert. Es drehte sich um die eigene Achse. Einer der M änner verlor den Halt. Hasard sah, wie er über Bord gefegt wurde und augenblicklich verschwand. Dann raste das Boot auf die Galeone zu. Hasard hatte einen Tamp en gep ackt und lief am Schanzkleid entlan g, bis er die Aufbauten des Vorkastells erreichte. Er verkrallte die linke Hand am Brooktau einer Kanone, und als die Welle über der B ack zusammensch lu g, warf er den Tamp en dem heranrasenden Boot entgegen. Es war die Hölle! Im letzten M oment sah Hasard noch, wie einer d er beiden Franzosen im Boot nach dem Tamp en griff. Wasser rauschte über Hasard hinweg und wollte ihn ins tosende M eer ziehen. Er spürte, wie seine Füße von den Decksp lanken abhoben. Sein linker Arm war taub. Er hatte das Gefühl, er wäre ihm ausgerissen. Er hörte ein fürchterliches Krachen und Sp littern Etwas Scharfes fuhr ihm ins Gesicht, und dann riß ihn der Tampen, den er in der rechten Hand hielt, zu Boden. Er konnte sich nicht mehr am Brooktau halten. Plötzlich fühlte er sich leicht wie ein Vo gel. Aber es war nur einer kurzer Augenblick. Es folgte ein stechend er Schmerz im linken Knie, und dann schien ihm der Himmel auf den Kopf zu fallen. Ein Reigen von schillernden Sternen zog an seinen weit aufgerissenen Au gen vorbei. Er hörte weit entfernt Stimmen, die immer deutlich er wurden, Ein paar kräftige Arme griffen unter seine Achseln und zerrten ihn über die Decksplanken. Plötzlich war sein Blick wieder klar. Er sah den Blutfleck an der Kanone, von d er man ihn wegzog, und er wußte sofort, daß es sein eigenes Blut war. Er mußte mit dem Kopf dagegen gesch lagen sein. Hasard versuchte, mit den Füßen Halt auf dem Deck zu finden, doch die kräftigen Arme, die ihn gep ackt hatten, zerrten
ihn weiter. »Verdammt noch mal!« brüllte er, »Laßt mich endlich los!« Er krachte auf sein Hinterteil und rollte gegen die Lafette der Kanone, als die Galeon e nach Steuerbord krängte. Ein Blitz zuckte durch seinen Schäd el. Er verbr eitete einen heißen Schmerz, doch Hasard blieb bei Besinnung. Taumelnd erhob er sich und blickte sich u m. Batuti stand neben ihm, die Augen weit aufgerissen. Er sagte etwas, das Hasard nicht verstand. Zu Hasards Füßen lag ein M ann in einem gestreiften Hemd und einem roten Schal. Er keuchte und spuckte M eerwasser aus, das er geschluckt hatte. »Der andere?« schrie Hasard. Batuti zuckte die Schultern, und Hasard wußte Bescheid. Die Franzosen hatten bei der Ber gun g einen hohen Tribut zahlen müssen. Zwei ihrer Leute waren tot, und einer hatte ein Bein verloren. Das Boot hatten sie auch nicht retten können. Der gewaltige Brecher hatte es an d er Bordwand der ›Isabella‹ zu Kleinholz verarbeitet. »Sir, du bluten!« brüllte Batuti. »Kop f kaputt!« Hasard faßte an d ie Stelle, mit der er gegen die Kanone gep rallt war. Er sp ürte die warme, klebrige Flüssigkeit. Ein M esser schien ihm in die Kopfhaut zu schneiden. Er taumelte über das Deck und ließ sich von Batuti zum Quarterdeck hinaufhelfen. Ben Brighton eilte auf ihn zu, aber Hasard winkte ab. »Geh wieder auf Kurs Nordost«, schrie er. »Ferris Tucker soll sich um die Franzosen kümmern! Seid vorsichtig! Ich will mir nur meine Wunden anseh en, dann bin ich wieder da!« Ben Brighton nickte. Er gin g mit breiten Schritten zur Nagelbank zurück und gab den Befehl, das Großmarssegel wieder einzuholen. Als er die Franzosen unten auf dem Hauptdeck beieinander stehen sah, schlich sich sein e Hand
langsam unter die Segeltuchjacke, wo er eine Pistole im Hosenbund stecken hatte. 8. Die Schädeldeck e war noch ganz. Es war nur eine schmerzhafte Platzwunde, die Hasard am Hinterkopf davongetragen hatte. Ein Splitter hatte ihm die linke Wan ge aufgerissen, aber die Wund e blutete schon nicht mehr. Sor gen bereitete Hasard sein Knie. Es schwoll immer mehr an, und er konnte es kaum noch bewegen. Er fluchte still in sich hinein. M it allem hatte er auf d ieser Höllenfahrt gerechn et, aber nicht damit, schiffbrüchige Franzosen an Bord n ehmen zu müssen. Es fehlte nur noch, daß sie von ihm verlangten, er solle sie in einem französischen Hafen an Land setzen. Batuti hatte die Kop fwunde versorgt. Der helle Verb and sah aus wie der Turban eines M uselmans. Trotz der Schmerzen im Knie stand Hasard auf. Er befahl Batuti, zu jedem der M änner zu gehen und ihnen einzutrichtern, daß sie wachsam sein sollten. Sie durften kein Risiko eingehen und mußten die Franzosen im Auge behalten. Batuti verschwand, und wenig sp äter betrat Ben Brighton die Kapitänskammer. »Hast du schon mit den Franzosen gesprochen?« fragte Hasard. Brighton schüttelte den Kopf. »Die fünf armen Teufel stehen auf einem Haufen an Deck herum und warten wahrschein lich darauf, daß wir uns um sie kümmern«, sagte er. Er warf einen besor gten Blick auf Hasards Verband, aber der Seewolf winkte ab. »Halb so schlimm«, sagte er. »Nur mein Knie tut mir höllisch weh. Ich werde kalte Umschläge drumwickeln müssen, damit die Schwellung abklingt. Sag mir lieber, was du von den
Franzosen hältst.« »Wir sollten sie fragen, wie sie mit ihrem Boot mitten in die Biskaya kommen«, sagte Ben Brighton. Hasard nickte, »Hol sie her«, sagte er. Aber sag Ferris Bescheid, er soll unsere M änner bewaffnen.« »Ay e, aye«, sagte Ben Brighton und lief auf den Gan g hinaus, der zum Quarterdeck führte. Hasard setzte sich hinter den Schreibtisch und fluchte leise. Selbst wenn es sich nur um harmlose Seeleute handeln sollte, die ihr Sch iff verloren hatten - sie bildeten eine Gefahr für sie, wenn sie von einem französischen Schiff angegriffen werden sollten. Eine Gefahr, wie die Spanier für sie dar gestellt hatten. Ein Unterschied bestand allerdings: Die Franzosen konnte er nirgends mehr loswerden. Er mußte sie mit nach England nehmen oder üb er Bord werfen. Er hörte die Schr itte im Gang und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, als die fünf Franzosen die Kapitänskammer betraten und sich vor dem Schreibtisch aufbauten. Hinter ihnen erschienen B en Brighton, Ferris Tucker, Batuti und Blacky. Sie alle h atten entschlossene Gesichter aufgesetzt. Wahrscheinlich wollten sie die Franzosen damit von vornherein einschüchtern, damit sie gar nicht erst den Versuch wagten, etwas zu unternehmen, was den Engländern nicht gefiel. »Sp richt einer von Ihnen Englisch, M essieurs?« fragte Hasard, auf den die fünf Franzosen ziemlich ger issen wirkten. Es waren durchweg kräftige Burschen, und ihre Gesichter konnte man ohne weiteres verschlagen nenn en. Einer der M änner trat vor. »Ich spreche etwas Englisch, Capitain«, sagte er mit dem singenden Tonfall d es Franzosen. »M eine Kameraden und ich möchten uns aufrichtig dafür bedanken, daß Sie unter Einsatz Ihres eigenen Lebens das unsere gerettet haben. Das gilt
besonders für mich. Ich war bei den letzten drei, von denen nur ich überleben konnte, dank Ihres mutigen Eingreifens.« Hasard nickte kurz und musterte die M änner mit unverhohlener Neu gier. Sie trugen ausnahmslos Bärte, in denen noch Tropfen von M eerwasser hingen. »Sie haben Ihr Schiff verloren ?« fragte Hasard. Der Franzose mit dem gestreiften Hemd und dem roten Halstuch nickte. »Oui, M onsieur«, sagte er. »Der verd ammte Sturm hat uns den Vormast abgerissen, der uns das ganze Vorschiff zertrümmert hat. Ein Brecher hat ein Stück des M astes von außenbords durch die Bordwand geschossen. Das Schiff lief voll Wasser und sank sofort. Nur acht M änner schafften es, in das Boot zu sp ringen. Die anderen hat die See verschlungen.« Hasard blickte den M ann an. Er fragte sich, warum er eigentlich an den Franzosen zweifelte. Die Erklärun g, die er abgegeben hatte, klang plausibel. Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, daß M änner bei dieser schweren See das Risiko auf sich nahmen, mit einer Nußschale in der Hölle der Biskay a herumzuschwimmen, um an Bord einer Galeone zu gelangen, die sie kapern wollten. »Was hatten Sie für ein Schiff, und wohin gin g Ihre Reise?« fragte Hasard. »Wir waren mit einer Ladung Rotwein von Porto nach Nantes unterwegs«, antwortete der Franzose, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Unser Schiff hieß › Fortune‹ und war eine 120-Tonnen-Karavelle.« Hasard lehnte sich in seinem Sessel zurück. »M eine Herren«, sagte er fest, »vielleicht haben Sie es schon bemerkt. Sie befind en sich auf einem ehemaligen sp anischen Schiff, das wir gekapert haben. Wir könn en auf keinen Fall die französische Küste anlaufen, um Sie abzusetzen. Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als mit uns nach England zu fahren. Ich verspreche Ihnen, daß Sie in meinem Heimatland
wie Sch iffbrüchige und nicht wie Gefangene beh andelt werden. Da wir damit rechnen müssen, daß wir d en Kurs feindlicher Schiff e kreuzen, bitte ich Sie um Ihr Verständnis, daß Sie sich unter Deck aufhalten müssen und nur mit meiner p ersönlicher Erlaubnis das Deck betreten dürfen. I ch werde meinen M ännern Anweisung geb en, auf jeden von Ihnen ohne Warnung zu schießen, der sich ohn e mein e Erlaubnis an Deck aufhält.« Die Franzosen p reßten die Lippen zusammen und blickten Hasard grimmig an. Hasard hatte erwartet, in den Gesichtern der Franzosen einen Ausdruck ihres verletzten Stolzes zu entdecken, aber alles, was er zu sehen glaubte, war Enttäuschung und Wut. Er zuckte mit den Schultern. »M ir bleibt keine and ere Wahl, M essieurs«, sagte er. »Denn wir sind ein Kriegsschiff Ihrer M ajestät Elisabeth I.« Damit waren die Franzosen entlassen. M it grimmigen Gesichtern schoben sie sich an den bewaffneten Englandern vorbei aus der Kap itänskammer und folgten widerstandslos dem Schiffszimmermann Ferris Tucker in den Laderaum unterhalb der Kombüse. Während sich Ben Brighton auf das Quarterdeck begab, ließ sich Hasard von B atuti kalte Umschlage um sein geschwollenes Knie legen. Sie lind erten den Schmerz, und Hasard vermeinte zu spüren, wie die Schwellun g zurück gin g.
Der Zwischenfall geschah, als Hasard schon nicht mehr damit rechnete. Sie befand en sich auf der Höhe von La Rochelle, und sein Knie war schon fast wieder in Ordnun g. Die Schwellung war zurückgegangen, nur ab und zu zog noch ein stechender
Schmerz durch den Unterschenkel, wenn er das Bein zu heftig aufsetzte. Der Sturm hatte sich ausgetobt und an Stärke verloren. Ben Brighton hatte das Focksegel setzen lassen, und die ›Isabella‹ stieß mit schäumender Bugwelle auf nordöstlichem Kurs auf Brest zu. Hasard stand neben Ben Brighton auf dem Quarterdeck, als der Schuß im Bau ch des Schiffes krachte. Die zwölf M änner, die sich neben Hasard und Ben Br ighton an Peck befanden, erstarrten vor Schreck. Bewegungslos blickten sie zum Niedergang. Doch von den drei M ännern der Besatzung, die sich unter Deck bef anden, tauchte niemand auf. Blacky hatte die Franzosen beobachten sollen, der Kutscher war in der Kombüse gewesen, und Gary Andrews lag auf seinem Lager. Drei Sekunden verstrichen, dann brüllte Hasard seine Befehle über Deck, wahrend er die Stiege zum M itteldeck mit zwei Sätzen hinuntersprang. Ein heiß er Schmerz zuckte durch sein Knie, aber er ignorierte ihn, »Ferris! Batuti!« rief Hasard und zerrte die Pistole aus dem Hosenbund. Er nahm sie in die Linke und fin g das Entermesser auf, das ihm Smoky zuwarf. »Die anderen bleiben an Deck und schnappen sich jeden, der seinen Kopf durch die Luke steckt!« Er sprang als erster und rutschte die Stufen des Niederganges hinunter. Er rannte nach achtern auf die Kombüse zu. Hinter sich hörte er Poltern und wußte, daß Ferris Tucker, Batuti und O’Flynn ihm gefolgt waren. Dann sah er im schummerigen Licht des Zwischendecks das gestreifte Hemd und das rote Halstuch des Franzosen, den er aus dem M eer gefischt hatte. Der M ann schlug auf den breitschultrigen Blacky ein, der mit der rechten Hand, in der er eine rauchende Pistole hielt, herumfuchtelte und mit der linken einen anderen Franzosen im Genick gepackt hatte. Vor der Kombüse stand der Kutscher. Er war leichenblaß.
Seine Augen quollen hervor, und sein M und war wie zu einem stummen Schrei aufgerissen. Hasard konnte die Angst, die der schmächtige M ann ausstand, begreifen, d enn der Franzose hinter ihm hatte ein breites M esser in der Hand, dessen Schneide in den faltigen Hals des Kutschers drückte. »Aufhören, verdammt!« brüllte Hasard wütend. Er hieb dem Franzosen mit dem roten Halstuch die flache Seite des Entermessers ins Kreuz. Der Franzose wirbelte herum. Er hatte die linke Faust zur Abwehr erhoben. Seine r echte Hand zuckte zur rechten Seite seiner weiten Segeltuchhose hinunter, die an dieser Stelle ziemlich aus gebeu lt war. Doch im letzten Augenblick hielt er inne. Die blitzenden Augen in dem wutverzerrten Gesicht sogen sich an der Sp itze des Entermessers fest, die genau auf sein bärtiges Gesicht zeigte. Hinter Hasard fegten Batuti, Ferris Tucker und Dan O’Fly nn vorbei. Das Bürschchen hielt eine Pike in beiden Händen und richtete sie gegen einen Franzosen, der eine Pistole in der Hand hielt. »Laß sie fallen!« zischte Dan den Franzosen an, und obwohl der kein En glisch verstand, begriff er do ch sofort, was gemeint war. M it einem dump fen Laut p olterte die Pistole auf die Zwischendecksplanken. Ferris Tucker hatte seine Pistole auf den Kopf des M annes ger ichtet, der den Kutscher mit seinem M esser im Schwitzkasten hatte. »Wenn du französischer Bastard deinen Zahnstocher nicht sofort fallen läßt, dann blase ich dir deinen Pickel vom Hals!« röhrte der Schiffszimmermann. Hinter dem Rücken des Franzosen schob sich die M ündung einer M uskete aus dem Schatten eines Decksbalken hervor. »Und ich p uste euch direkt in die Hölle, ihr Schneckenfresser!« rief die h eisere Stimme Gary Andrews«.
Die Köpfe der Franzosen ruckten herum. Sie sahen deutlich die Lunte am Schloß der M uskete aufglimmen. Das Auftauchen eines weiteren M annes in ihrem Rücken gab den Franzosen den Rest. Widerstandslos ließen sie es zu, daß Batuti ihnen die Waff en abnahm, die sie bei sich trugen. Hasard ließ den M ann mit dem roten Halstuch nicht aus den Augen. Er wartete ab, b is die Franzosen entwaffnet waren, dann winkte er den M ann mit dem Entermesser zu sich heran. M it der Sp itze wies er auf die rechte Seite der weiten Segeltuchhose. »Was hast du da?« fragte Hasard scharf. Das Gesicht des Franzosen lief rot an. »M erde«, murmelte er wütend und spuckte aus, was ihm einen Tritt Batutis einbrachte, der erst am M orgen dieses Deck gesäub ert hatte. Der Franzose wollte sich auf den Neger stürzen, aber Hasards Entermesser hielt ihn davon ab. »Los, raus damit!« Hasard verlor langsam die Geduld. Der Franzose griff lan gsam in die weite Tasche seiner Hose und zog an zwei Fingern eine län gliche Pistole heraus. Hasard griff danach und h ielt sie hoch, um sie genauer betrachten zu können. So ein Ding hatte er noch nie geseh en. Es hatte zwei Radschlösser hintereinander. Hasard steckte die Pistole ein, Er würde sie sich sp äter ansehen, Erst einmal wollte er wissen, was hier unten vorgefallen war. Er wandte sich an Blacky, der immer noch den einen Franzosen im Gen ick gepackt hatte. »Was war hier los, Blacky ?« Warum sind d ie Franzosen auf euch los gegan gen?« Blacky stieß den Franzosen von sich, der schon ganz grün im Gesicht war. »Der Kerl hat hier unten her umgeschnüffelt«, sagte er brummend. »Ich habe ihn erwischt, als er drüben die Ladeluke aufbrechen wollte. Ich hab ihn hierhergebracht und wollte ihn gerade wieder hinunterschmeiß en, da sind die anderen auf
mich los gegangen. Ich hab die Pistole abgefeuert, aber da sind sie erst richtig wild geworden.« Die Franzosen redeten gestikulierend durcheinander, Hasard war froh, daß er nur wenig von dem verstand, was sie sagten. Sich er waren n icht viele Worte darunter, d ie man in Gegenwart einer Lady hatte aussprechen dürfen. Eine Bewegung des M annes mit dem roten Halstuch ließ die Franzosen verstummen. Der M ann baute sich vor Hasard auf und sagte: »M onsieur, es ist erniedrigend für uns, hier eingesperrt zu sein wie eine Ladung Sk laven. Wir sind Seeleute und müssen atmen. M eine M änner werden verrückt oder krank, wenn Sie sie länger hier unten einp ferchen, Wir fragen uns, womit wir Ihr M ißtrauen verdient haben? Sie hab en unser Leben ger ettet, und wir sind Ihnen dankbar dafür. Wir haben auch Verständnis dafür, daß Sie uns nicht in unserer Heimat an Land setzen können. Ich möchte Sie nochmals bitten, uns nicht wie Tiere, sondern wie M enschen zu behandeln.« Hasard kannte genügend Franzosen, um zu wissen, daß sie es verstanden, viele schön e Worte zu reden, die sie nicht meinten, Doch er wollte weitere Schwierigk eiten vermeiden. »Gut, M onsieur«, sagte er zu dem Franzosen. »Sie können sich an Deck vor der Back aufhalten. Aber eins muß Ihnen k lar sein: Wenn wir ein feindliches Schiff sichten, werde ich Sie hier unten einsp erren, bis wir wieder allein auf See sind.« »Das verstehen wir, M onsieur«, erwiderte der Franzose. Er blickte Hasard aus seinen dunklen Au gen an. »Geb en Sie mir meine Pistole zurück?« Hasard grinste. »Ich dachte, Sie wollten sie mir schenken, weil ich Ihnen das Leben rettete.« Der Franzose p reßte die Lipp en aufeinander. Seine Au gen schossen Blitze, aber er sagte n ichts. Wortlos drehte er sich um und marschierte an Blacky vorbei zum Niedergang.
Hasard hielt ihn am Arm zurück. »Lassen Sie mich vor gehen, Monsieur«, sagte er läch elnd. »Sonst schießen Ihnen meine M änner den Kopf ab.« 9. Hasard ließ die Franzosen, die sich unterhalb der Back aufhielten, n icht aus d en Au gen. Sie h atten sogar ihren verwundeten Kameraden an Deck geholt, der von Fieberschauern geschüttelt wurde. Hasard hatte den Franzosen angeboten, den M ann in einer Kammer auf dem Achterdeck unterzubringen, aber sie hatten abgelehnt. Hasard wunderte sich nicht, daß sich das Verhalten der Franzosen grundlegend geändert hatte. Wahrscheinlich hätte er in ihrer Situation nicht anders empfunden. Sie warfen den Engländern böse Blicke zu, wenn sie sich in ihrer Nähe befanden. Der Himmel hatte auf gek lart. Die Sonne brach durch die Wolkenbänke, und ihre Strahlen wurden von dem bewegten, dunkelgrünen Wasser reflektiert. Hasard mußte die Au gen zusammenkneifen, wenn er über das M eer blickte. Inzwischen hatten sie wieder alle v erfü gbaren Segel gesetzt, nur auf die Bonnets hatte Hasard verzichtet, um sie nicht erst einholen zu müssen, wenn ein Feind auftauchte und sie sich zum Kamp f stellen mußten. Hasards Hand tastete über den schlanken Griff der Pistole, die er dem Franzosen abgenommen hatte. Es war eine hervorragend gepflegte Waffe, die aus Leipzig stammte und dort von einem Büchsenmacher im Jahr e 1568 hergestellt worden war. Das bewiesen zwei Inschriften, die auf der M essingp latte unterhalb des ersten Schlosses ein graviert waren. Die beid en Kugeln mit ihren Treibladun gen wurden
nacheinander in den Lauf geführt, nur durch einen Dämmpfropfen getrennt. Hasard hatte befürchtet, daß die zweite Ladung gleich mit hochgehen würde, wenn er die erste zündete, aber er hatte sich getäuscht, als er ein Probeschießen auf der Heck galerie ver anstaltet hatte. M it dieser doppelten Radschloßpistole konnte er tatsächlich zweimal hintereinander schießen. Donegal Daniel O’Flynn lungerte am Nieder gan g des M itteldecks herum. Er hielt immer noch seine Enterp ike in der Hand, deren Stiel er verkürzt hatte, damit sie handlicher war. Hasard sah, wie seine Augen immer wieder mißtrauisch über die Franzosen hinweghuschten. Im Vormars saß Smoky . Hasard beneid ete ihn nicht. Das spiegelnde Wasser schmerzte in den Au gen, wenn man länger darauf blickte, und es war ungeheuer schwierig, überhaupt etwas zu sehen. Hasard hatte sich gerade entschlossen, Smoky von Dan O’Flynn ablösen zu lassen und einen weiteren M ann in den Großmars zu schicken, als Smoky losbrüllte, als hätten ihm ein paar Piraten ihr Entermesser in d en Bauch gerammt. Seine Stimme üb erschlu g sich för mlich. »Mastspitzen voraus! Verdammt, das sind vier - nein, fünf Karavellen!« Hasard lief zur Steuerbordreling. Er erschrak, wie dicht die Karavellen schon heran waren. Sie hatten auf die ›Isabella‹ gelauert. Kein Fetzen Segel hin g an den lan gen Gaffeln des großen Vormastes und des kleineren Groß- und Besan mastes. »Ruder hart Backbord!« rief Hasard. Er hörte das »Ay e, ay e, Sir!« von Pete Ballie. Die Galeone schwan g h erum, um auf den anderen Bug zu gehen. Ben Brighton jagte die M änner hoch. Die Rahen wurden rundgebraßt, Blacky holte die Großsegelschoten an Steuerbord dicht. Hasards Blick war nur einen kurzen M oment zur Back
gehuscht. Er sah die Sch atten, die sich zu bewegen begannen, und sein Alarmschrei hallte über die Decks. »Die Franzosen! Dan, paß auf!« Die fünf Franzosen griffen geschlossen an. Sie brüllten ihren Kampfruf, den Hasard nur allzugut kannte. Oft genu g hatte er Seite an Seite mit seinem Alten und seinen Brüd ern gegen bretonische Freibeuter gekämpft. Daniel O’Flynn war bei Hasards Schr ei zusammengezuckt. Instinktiv hatte er die Enterp ike herumgerissen. Der Franzose, der ein Holz, das er aus einer Nagelbank h eraus gerissen hatte, über dem Kopf schwang, lief genau in die Spitze der Pike hinein. Sie bohrte sich unter seinen Ripp en tief in den Leib. Dan warf sich zur Seite. Er ließ die Pike nicht los. Sie k am frei und riß das Hemd des Franzosen in Fetzen. Der M ann hatte den M und weit geöffnet, ab er nur ein Würgen drang über seine Lippen. Ein Blutstrahl schoß aus der Wunde in seinem Bau ch und färbte sein Hemd und seine Hose in Sekundenschnelle rot. Er hatte das Holz fallen lassen und krampfte nun beid e Hände auf die Wunde. Stolpernd torkelte er ein p aar Schritte nach vorn, dann schlug er mit dem Gesicht aufs Deck. Daniel O’Flynn riß seine Pike herum, aber aus weit aufgerissenen Au gen sah er, daß er dem heranschwingenden Holz nicht mehr ausweichen konnte. Gleich mußte es gegen seinen Sch ädel krachen und ihn zerschmettern. Er schloß die Augen. Von irgendwoher hörte er einen sch arfen Knall, und dann riß ihn die Stimme des Seewolfs aus sein er Erstarrung. Er öffnete die Au gen. Er sah, wie der Franzose, der ihn angegriffen hatte, der Länge nach auf die Decksplanken schlug. Sein Gesicht sah fürchterlich aus. Ein e Ku gel h atte ihm den Unterkiefer weggerissen. Nur zwei Yards von Dan O’Flynn entfernt stand Ferris Tucker und wehrte mit dem Entermesser einen Schlag ab, den einer der Franzosen auf seinen Kopf geführt hatte. Ein weiterer
wollte den Zimmermann von hinten angreifen. Dan stieß die Enterpike vor. Sie geriet zwischen die Beine des Franzosen. Der M ann stolp erte und klatschte auf die Decksplanken. Dan sah, wie Hasard heranhastete. Ein Schuß aus seiner langen Pistole streckte den Franzosen nieder, der Batuti mit einem Entermesser nied erstechen wollte. Woher der Ker l die Waffe hatte, war Hasard ein Rätsel. Der Franzose, den O’Fly nn mit seiner Enterp ike zu Fall gebracht hatte, griff n ach der Pistole, die Ferris Tucker bei dem Handgemen ge aus dem Gürtel gerutscht war. Hasard stieß einen Warnschrei aus. Er selbst konnte nicht mehr schießen. Er hatte beide Kugeln aus seiner Waffe abgefeuert. Er sah voller Entsetzen, wie der Franzose Ferris Tuckers breiten Rücken anvisierte. Hasard hob die Hand mit dem Entermesser und ließ es durch die Luft sausen. Er h atte keine Zeit gehabt, zu zielen. Er hoffte nur, daß die Waffe den M ann so traf, daß er die Pistole verriß und Tucker nicht verwunden konnte. Das Entermesser erwischte den Franzosen am Hals. Durch die Wucht, mit der Hasard das M esser auf die Reise geschickt hatte, wurde dem bretonischen Freibeuter der halbe Kopf vom Rumpf getrennt. Der M ann war schon tot, als er gegen Tuckers Beine fiel. Ferris Tucker bückte sich, packte den Toten und beförderte ihn mit einem wilden Schr ei über Bord. Dort, wo er ins Wasser klatschte, bildete sich ein roter Fleck. Hasard blickte sich hastig um, Er achtete nicht auf das Brüllen seiner Leute. Er sah nur vier Franzosen, von den keiner mehr lebte. Der Verwundete hockte noch unter der Back, die Augen weit auf ger issen. Wo war der Franzose mit dem roten Halstuch? Hasard hörte den Schrei Smokys aus dem Vormars, Der stiernackige M ann hangelte sich innenbords an den Wanten
hinab. Und dann hörte Hasard die kurzen, dumpfen Schläge. Er sprang auf eine Kanone und konnte die Back überblicken Dort war der Freibeuter und hackte mit ein em blitzenden Entermesser auf die Wanten des Vor mastes ein, Hasard schrie vor Zorn auf. Von d er Kanone war er mit einem Satz auf dem Sch anzkleid und warf sich nach vorn. Seine Hände krallten sich in die Reling der Back. M it einem einzigen Schwung zog er sich hoch. Er hörte den Schrei Dan O’Fly nns. Die Enterpike flog auf ihn zu, Hasard fin g sie mit der rechten Hand auf. Der Franzose hatte sich nicht beirren lassen. Zwei der fünf Wanten, die aus armdicken geteerten Tauen bestanden, hatte er bereits durchtrennt, Wenn er d ie restlichen drei auch noch schaffte, würde der Vormast bei den vollen Segeln, die er zu tragen hatte, abknicken wie ein Zahnstocher. Hasard schwang sich vollends über d ie Reling, »Bretone!« schrie er. Der Franzose wirbelte herum. Das breite Entermesser reflektierte blitzend die Sonnenstrahlen, die durch d ie Takelage auf die Back fielen. Im Unterbewußtsein vernahm Hasard, wie Ben Brighton Befehle über Deck brüllte. Dann klang Ferris Tuckers Baß auf. »Klar zum Gefecht, Jungs! Jeder an seinen Platz!« Hasard drehte sich nicht um. Sein B lick war starr auf den bretonischen Freibeuter gerichtet, den er unter Einsatz seines Lebens dem wütenden M eer entrissen hatte. Hasard wußte, daß er diesen M ann töten mußte, wenn er nicht selbst getötet werden wollte. Er kannte die Grausamkeit und den M ut der bretonischen Freibeuter, die lieber starben, als sich einem Feind zu ergeben. Der Bretone griff mit einem wild en Schrei an. Der Ausfall erfolgte überraschend, aber Hasard konnte noch rechtzeitig ausweichen. Das Entermesser zischte haarscharf an seiner
linken Schulter vorbei. Blitzschnell stieß Hasard mit der Pike zu. Der Bretone hatte diesen Stoß erwartet, und dennoch konnte er ihm nicht mehr ganz entgehen. Die blutverschmierte Pike ritzte ihm den rechten Oberarm auf. Der Bretone brüllte vor Wut. Ohne auf seine Deckung zu achten, stürmte er auf Hasard los, das Entermesser zum tödlichen Hieb erhob en. Der Seewolf glitt geschmeidig einen Schritt zur Seite. Das Entermesser sauste mit einem scharfen Laut herab und fuhr krachend in den Fockmast, in dem es zitternd stecken blieb. Der Bretone ließ d as Entermesser los und wirbelte herum. Zu spät erkannte er, daß Hasard inzwischen die Enterp ike auf ihn gerichtet hatte. Hasard brauchte sich nicht einmal zu bewegen. M it voller Wucht lief der Bretone in die blutige Pike hinein. Ein dumpfer Schrei entran g sich seiner Brust. Seine Augen quollen hervor. Er krallte die Hände um d en Schaft der Enterp ike, aber er schaffte es nicht mehr, sie aus sein em Körp er zu ziehen. Hasard ließ die Pike los, als d er Bretone tot auf d ie Decksplanken der Back fiel. Smoky , der noch in den Wanten des Fockmastes hing und den mörderischen Kamp f atemlos verfo lgt hatte, ließ einen jubelnden Schrei los, der Hasard wieder zur Besinnung brachte. Ein Blick nach Steuerbord ließ ihn mit aller Deutlichkeit erkennen, wie groß d ie Gefahr war, d ie dort auf die ›Isabella‹ lauerte. Er bückte sich und hob den toten Bretonen hoch. Er war wütend, daß er am Ende do ch noch auf die Freibeuter hereingefallen war. Er schleppte ihn nach Steuerbord und warf ihn im hohen Bogen über Bord, so daß die Bretonen auf den Karavellen sehen konnten, daß ihr Höllenkommando fehlgeschlagen war. Die M änner auf dem M itteldeck sahen, wie Hasard den Toten
über die Reling beförd erte. Sie taten es ihm nach. Die drei toten Freibeuter flogen über d as Schanzkleid, und bevor Hasard eingreif en konnte, hatte einer der M änner auch den brüllenden M ann, der bei der Ber gun g sein halbes Bein verloren hatte, gepackte und schleuderte ihn über Bord. »Bist du verrückt geworden?« brüllte Hasard den M ann an, der jetzt erst wieder zu Besinnung kam und erschrocken zusammenzuckte. Einen M oment lang war die Besatzung verwirrt. Hasard sah, daß er ihre Gedanken wieder auf den Feind lenken mußte. Sie durften d en schnellen Karavellen mit den Lateinersegeln nicht den Hau ch eines Vorteils lassen, wenn sie diesen Kampf lebend überstehen wollten. »An die Geschütze, M änner!« rief er. »Jetzt zeigt mal, was Ferris Tucker euch beigebr acht hat! Wenn wir es nicht schaffen, die Bretonen in Fetzen zu schießen, werden sie uns massakrieren!« M it einem Satz schwang er sich über die Reling und federte geschmeidig auf den Planken des M itteldecks auf. Die Stückpforten waren längst hochgeklapp t, die Geschütze ausgefahren und feuerb ereit. B en Brighton wartete auf Hasards Befehl, daß er das Schiff übern ehmen solle. Hasard gab ihm das verabredete Zeich en. »Wir müssen unbedingt die Luvstellung behalten!« rief er zum Quarterdeck hoch. Er sah, daß Ferris Tucker die Kanonen an Steuerbord feuerbereit hatte, aber noch waren die Karavellen für einen einigermaßen erfolgversprechenden Schuß zu weit entfernt. Sie segelten jetzt auf Parallelkurs neben der Galeon e her. Sie waren schneller, da sie höh er am Wind segeln konnten. Hasard fluchte vor sich hin. Sollte er warten, bis sie ihm in Lee davongelauf en waren und ihn d ann von der Luvseite angriffen? Nein, er mußte selbst die Initiative ergreifen, bevor die Bretonen alle Vorteile auf ihrer Seite hatten.
»Ben, wir müssen dichter ran!« schrie er. »Wir müssen ihnen unsere Zähne zeigen, solange wir sie noch in Lee haben!« Ein kurzer Ruf zu Pete Ballie am Kolderstock genü gte, um die Galeone wieder auf nordlichen Kurs zu bringen. Die vier M änner, die die Segel zu bedienen hatten, arbeiteten schnell und sicher. Nur kurz flatterten die Segel, d ann standen sie wieder voll. Hasard stützte die Hände aufs Schanzkleid und starrte an der Back vorbei nach Norden, wo die Karavellen wie Windhunde über das bewegte Wasser huschten. Er versuchte zu erkennen, wie stark die Bewaffnung der Freibeuterschiffe war, do ch er konnte auf die Entfernung nichts sehen. Wortlos schwang er sich in d ie Wanten des Großmastes und kletterte hinauf. Die Entfernung zu den Karavellen hatte sich ständig verringert. Hasard konnte die Unruhe erkennen, die plötzlich an Bord der Karavellen herrschte. Anscheinend wurden sich die Bretonen erst jetzt darüber klar, daß es ein Fehler gewesen war, so dicht zusammenzubleiben. Hasard erkannte auf der Backbordseite der ersten Karavelle drei Kanonen, die wesentlich kleiner waren als die Geschütze, die er an Bord der ›Isabella‹ hatte. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn er den Freibeutern kein Schnippchen schlagen konnte. Als die Entfernung nur noch knapp dreihundert Yards b etrug, verlor ein er der Freibeuterkapitäne die Nerven. Obwohl er die ›Isabella‹ nur im sp itzen Winkel sah, feuerte er eine ganze Breitseite ab. Hasard verharrte in den Wanten. Er atmete auf, als er sah, wie die Kugeln vor der ›Isabella‹ ins Wasser klatschten und hohe Fontänen in den auf geklarten Himmel stiegen. »Jetzt gilt es, M änner!« rief Hasard und wandte sich zum Quarterdeck. »Los, Ben, wir zeigen ihnen unsere Zähne!« Er sp rang aufs Deck und hastete zu Ferris Tucker, der ihm
eine Lunte reichte. »Je zwei Kanonen für eine Karavelle!« r ief Hasard den M ännern zu, und Ferris Tucker wies sie an, welches der Sch iffe sie mit ihren eisernen Geschenken bedenken sollten. Die Galeon e krän gte nach Steuerbord. Die M änner richteten ihre Kanonen, und als Ferris Tucker den Befehl zum Feuern gab, brüllten die Steuerbordk anonen fast geschlossen auf wie urweltliche Tiere. Ferris Tucker wartete den Erfolg der Breitseite nicht ab. Er scheuchte seine M änner an die Kanonen, ließ sie einholen, herumschwenken und ein e nach der anderen lad en, wie sie es vor Tagen exerziert hatten. Ben Brightons M änner hatten mit den Segeln alle Hände voll zu tun. Die Galeone fuhr eine Halse, d aß Hasard vor Schreck das Atmen vergessen hätte, wenn Zeit dazu gewesen wäre. Er stand bereits an Backbord und begann die Kanonen auszurichten. Sie wußten, welche Krän gun g die Galeone bei halbem Wind hatte, und als Ben Br ighton die ›Isabella‹ quer zu den Karavellen gelegt hatte, brauchten sie nur noch kurz zu korrigieren. Erst jetzt, als die Decksp lanken unter der zweiten Breitseite zitterten, sah Hasard, was die erste bei den Karavellen der bretonischen Freibeuter an ger ichtet hatte. Die letzte Karavelle, auf die er selbst und Batuti ihre Kanonen gerichtet hatten, war bereits abgefallen. Der Fockmast war in der M itte von einer Kugel getroffen worden. Die riesige Rah war mitsamt dem Segel aufs Deck gekracht. Der obere Teil des Fockmastes hing auß enbords. Die Karavelle war weit zurückgefallen. Wahrschein lich war sie sofort nach dem Treffer aus dem Ruder gelaufen. Ferris Tucker hatte der zweiten vorderen Karavelle eine Kugel in die Wasserlin ie geballert. Hasard konnte sich lebhaft vorstellen, daß dort jetzt Zustand herrschte, denn er wußte, was für Löcher die Ku geln ein er sp anischen Galeone in d ie
kraweelgeplankten Seiten einer l00-Tonnen-Karavelle reißen konnten. Die Besatzung hatte sicher alle Hände voll zu tun, das Leck zumindest notdürftig abzusichern. Die M änner der ›Isabella‹ brüllten vor Begeisterung, als sie sahen, welchen Erfolg ihre Breitseiten hatten, doch Ferris Tucker stauchte die M änner zusammen und trieb sie an, die Kanonen nachzuladen. Hasard war froh, daß sie sich die Zeit genommen hatten, Kartuschen herzustellen. Das zahlte sich jetzt aus. Die Steuerbordseite war b ereits wieder feuerb ereit. Ben Br ighton hatte die ›Isabella‹ jetzt auf Westkurs gebracht. Die Galeone lief wieder parallel zu den Karavellen. Sie sahen die klein en weißen Wölkch en auf Deckhöhe der dritten Karavelle. Hasard schrie: »Achtung!« Die M änner warfen sich hinter das Schanzkleid in Deckung, doch die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Die Bretonen hatten zu tief gehalten. Die Kugeln zischten weit von der Galeone bereits ins Wasser. Die Backbordbreitseite der ›Isabella‹ war nicht so erfolgreich gewesen. Wahrscheinlich hatten sie sich doch zu wenig Zeit zum Zielen genommen. Nur eine der Kugeln war durch das Großsegel einer Karavelle geflo gen. Der Abstand zu den bretonischen Freibeuterschiffen hatte sich ver größert, denn die Karavellen waren abgefallen. Nur die letzte Karavelle lag unbeweglich auf der See. Die Besatzung hatte es immer noch nicht geschafft, den zerschossenen Fockmast loszuwerden. Alle M änner erwarteten jetzt, daß Hasard sich aus dem Staub machen würde, aber d er Seewolf wußte genau, daß d ie Bretonen durch diese Nieder lage nur noch mehr angestachelt werden würden. Außerd em d achten sie bestimmt noch immer an ihre acht Kamer aden, die bei dem Kommando, die Engländer auf ihrem Schiff zu überru mpeln, ums Leben
geko mmen und den Fischen zum Fraß vorgeworfen worden waren. Nein, Hasard wußte, daß er jetzt und hier hart zuschlagen mußte, wenn er Ruhe vor den Bretonen hab en wollte. »Kurs auf die havarierte Karavelle, Ben!« rief Hasard mit klarer Stimme. »Ferr is, wenn Ben gehalst hat, will ich beide Breitseiten feuerbereit haben!« Nur Sekundenbruchteile starrten sich die M änner überrascht an. Dann machten sie sich an die Arbeit. Sie verrichteten sie mit größter Schnelligkeit und dennoch mit Sor gfalt, denn sie wußten, daß ihr Leben davon abhin g. 10. Durch das Spektiv konnte Hasard erkennen, daß auf Deck der Karavelle ein heilloses Durch einand er herrschte. M änner in gestreiften Hemden hackten wie die Irren auf Stagen und Wanten los, um end lich den ob eren Teil des Fock mastes loszuwerden, der außenbords hing und von den Wellen immer wieder gegen d ie Bordwand gesch leudert wurde. Der Wind trug die Stimmen h erüber. Der Kap itän der Karavelle brüllte seine Befehle vom Achterdeck. Die beiden hinteren Segel standen noch an den Rahen, aber solange sie den Fock mast nicht loswurden, war das Schiff manövrierunfähig. Hasard gab sich nicht der Illusion hin, daß die Karavelle jetzt wehrlos war. Sicher hatte der bretonische Freibeuterkapitän genü gend M änner abgestellt, die an den Kanonen lauerten, um den Engländern den Treffer heimzuzahlen. Ferris Tucker stand mit den M ännern feuerbereit auf dem M itteldeck. Sein Blick war auf Hasard gerichtet, der sich an der Relin g des Quarterdecks festhielt und unverwandt zur Karavelle hinüberstarrte. Hasard merkte, wie seine M änner unruhig wurden. Auch Ben
Brighton wartete auf den Befehl, zu halsen, um dem Feind endgü ltig den Rest zu geben. Die ›Isabella‹ war nur noch zweihundert Yards von der Karavelle entfernt. Jeden Augenblick konnten die Bretonen ihre Kanonen auf d ie Galeone richten. Hasard preßte die Lipp en zusammen. Er wollte diesmal ganze Arbeit leisten. Und dazu mußten sie noch dichter an den Gegner h eran. Immer deutlicher war das Geschrei von der Karavelle zu hören. Hasard sah, daß die Freibeuter es geschafft hatten, die Fockrahe, die mitten aufs Deck gekracht war, über Bord zu hieven. Gleich würden die M änner auch den abgeschossenen Fockmast von den Wanten und Stagen gelöst haben. Dann war das Schiff wieder manövrierfäh ig und eine große Gefahr für die ›Isabella‹. Denn selbst, wenn er nur noch die beiden Lateinersegel am Großmast und am Besan zur Verfügung hatte, war die leichte Karavelle wendiger als die schwerbeladene Galeone. »Geschütze klar?« rief Hasard zum M itteldeck hinunter. »Ay e, aye!« brüllte Ferris Tucker. Hasard gab Ben Brighton den Befehl zum Halsen. Sie lagen schräg achteraus der Karavelle, und wenn sie Glück hatten, brachten die Bretonen ihre Geschütze nicht schnell genug herum, um das Feuer d er Galeone zu erwidern. Hasard warf einen Blick nach Nordwesten, wohin die anderen Karavellen gesegelt waren. Er erschrak, als er sie so dicht sah. Er hatte im Eif er des bevorstehenden Gefechtes nicht erkannt, daß sie ihren Kurs um 180 Grad gedreht hatten und nun direkt auf die ›Isabella‹ zuhielten, Hasard wußte, daß er Ferris Tucker keine Befehle zu geben brauchte, wie er die einzelnen Geschütze einzusetzen hatte. Tucker war ein M ann mit Überblick, Hasard mußte alle Kraft aufwenden, um den Keil, mit dem er die Höhe der kleinen Kanone auf dem Quarterdeck einr ichtete,
zwischen den Stellbock und d ie Kanone zu schlagen. Dann hatte Ben Brighton die Galeone in die günstigste Position gebracht. Hasard hörte den Feuerbefeh l von Ferris Tucker, und gleich darauf wurde d ie ›Isabella‹ von den gewaltigen Detonationen erschüttert. Im Unterbewußtsem horte er das Rumpeln der Lafettenräder auf den Decksplanken, und er sp ürte förmlich den Ruck, der durchs Schiff ging, als die mächtigen Brooktaue sich strafften und an den von Ferris Tucker verstärkten Zurringen zerrten. In diesem M oment hielt Hasard den brennenden Holzsp an an das Zündungsloch seiner Kanone. Ben Brighton fuhr bereits eine Halse, aber das hatte Hasard einkalku liert. Pulverd amp f hüllte ihn ein, als das leichte Geschütz aufbrüllte. Hasard mußte die Augen schließen. Er unterdruckte einen Hustenreiz und lief ein paar Schritte zur Seite, um die Wirkung der Breitseite zu erk ennen. Er stimmte in das Geschr ei seiner M anner ein, als er sah, welche Verwüstung ihre Ku geln auf dem feindlichen Schiff verursacht hatten. Das Achterdeck war ein formloser Haufen von zersp litterten Planken. Der Besanmast, der nur noch von einem Want geh alten wurde, senkte sich langsam zur Seite, und noch bevor er niederkrachte, fauchte plötzlich eine Stichflamme in den Himmel. Eine Detonation folgte der and eren Die Pulvervorräte des Freibeuterschiff es flo gen in d ie Luft! Hasard sah, wie die überlebenden Bretonen über Bord sprangen, um von dem sinkenden Schiff nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden. Ein paar M änner versuchten noch, ein Boot an Backbord abzufieren, aber eine weitere Exp losion fegte sie vom Deck, als seien sie Daunenfedern. Die See um die zerschossene Karavelle schien zu kochen. Das Achterschiff versank im brodelnden Wasser. Das Knirschen des auseinanderbrechenden Schiffes übertönte die verzweifelten Schreie der Verwundeten, die sich nicht mehr
von Bord des sinkenden Schiffes retten konnten. Eine letzte, gewaltige Explosion riß die Karavelle endgültig in zwei Hälften. Das Achterschiff verschwand gurgelnd. Das Vorschiff legte sich auf d ie Seite. Die letzten M änner rutschten über die Planken der Bordwand ins Wasser. Wahrscheinlich waren es die, d ie n icht schwimmen konnten. Ein paar von ihnen hatten Glück. Sie konnten sich an der vorübertreibenden Fockrahe festkrallen. Ferris Tucker ließ den Zündlochbohrer, den er in der rechten Hand hielt, auf den Rücken eines der M änner sausen. »M aul halten!« brüllte er. »Wollt ihr wohl arbeiten, ihr faulen Säck e! Ihr brü llt noch hurra, wenn d ie Schneckenfresser euch die M asten über den Köp fen wegschießen!« Hasard lief zur Nagelbank, an der Ben Brighton stand und den M ännern an den Segeln Befehle zurief. Die ›Isabella‹ halste abermals und lief jetzt mit halbem Wind auf westlichem Kurs. Während Ferris Tucker nach Steuerbord hinüberlief, wo die Geschütze feuerbereit waren, begannen vier M ann der Besatzung, die abgeschossenen B ackbordkanonen zu laden. Dan O’Flynn und der Kutscher waren über das Schanzkleid gesprungen und saßen jetzt rittlings auf den Kanonen. Sie kratzten die Läufe aus, und als sie die mit M eerwasser getränkten Schwämme hin einstießen, um das Rohr abzukühlen, zischte weißer Dampf auf. Die beiden anderen M änner reichten ihnen die Kartuschen zu, und sie stießen sie mit dem Ansetzer in die Kammer. Alles sp ielte sich innerhalb von Sekund en ab. Das Bürschchen und der Kutscher hatten nicht einmal Zeit, sich umzudrehen und zu den bretonischen Karavellen hinüberzuschauen, die sich der ›Isabella‹ bereits bis auf dreihundert Yards gen ähert hatten. Hasard wußte, daß es jetzt ums Ganze ging. Er fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Weite zu suchen. Doch als zwei der vier Karavellen abdrehten,
um der Besatzung der versenkten Karavelle zu Hilfe zu eilen, wußte er, daß er richtig gehand elt hatte. Die Freibeuter dachten nicht daran, ihre schon sicher geglaubte Beute einfach davonschwimmen zu lassen. Wahrscheinlich hatten die vier Kapitäne der Freibeuterschiffe Hasard nur von dem manövrierunfäh igen Schiff weglocken wollen, um ihn dann n ach ein paar Seemeilen aus Luv angreifen zu können. Jetzt hatte die Galeone immer noch die günstigere Gefechtsposition inne. Durch das Sp ektiv sah Hasard die gestikulier ende Gestalt des Kapitäns auf dem Achterdeck der Karavelle. Er ahnte förmlich, was der Bretone vorhatte. »Ruder hart Steuerbord!« brüllte er. »Werft die Brassen und Schoten los!« Der Befehl erfolgte zu p lötzlich. Die M änner reagierten schnell, aber doch nicht schnell genug. Hasard zuckte zusammen, als er das häßliche Geräusch hörte, mit dem das Fockmarssegel r iß. Innerh alb von Sekunden knatterten Fetzen im Wind. Die Karavelle hatte sich blitzschnell gedr eht. Weiße Wölkchen stiegen über d em Schanzkleid auf. Hasard sah die Kugeln heranfauch en, und er wußte, daß die Bretonen diesmal besser gezielt hatten. Ein heftiger Schlag erschütterte die Galeone, und gleich darauf hörte Hasard ein Splittern und Bersten über sich. Die Topp stenge des Besanmastes raste wie ein riesiger Sp eer auf das Quarterdeck zu. »Ben, Vorsicht!« schrie Hasard und sp rang in Deckung der Steuerbordkanone. Die Sten ge krachte auf die Decksp lanken. Ein p aar Sp litter rasten durch die Öffnung, unter d er Pete Ballie am Kold erstock stand. Hasard sprang auf und lief zur M itte des Quarterdecks. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Ben Brighton unverletzt war. Hasard beugte sich über die Luke. »Alles in Ordnung, Pete?«
Pete zog sich fluchend einen Holzsplitter aus der Schulter. »Ay e, aye, Hasard«, rief er wütend. Der Seewolf grinste. Er kannte den Grund für die Wut des Rudergän gers nur zu gut. Er haßte es, hier unter dem Achterdeck am Kolderstock zu stehen, während seine Kameraden draußen den Pulverd ampf schmeckten und die verdammten Freib euter in die Hölle jagten. »Ruder hart Backbord!« Hasards Befehl wurde von Pete Ballie sofort ausgeführt, Plötzlich zeigte die ›Isabella‹ den beiden Karavellen die Breitseite. Es war ein gef ährlicher M oment. Jetzt kam es darauf an, wie der Kap itän der zweiten Karavelle reagierte. Die erste hatte ihre Kanonen bereits abgefeuert. So schnell konnten die M änner nicht drehen oder nachladen, um eine zweite Breitseite auf die Galeone loszulassen. »Feuer!« brüllte Ferris Tucker. Diesmal hatte Hasard mit der kleinen Steuerbordkanone auf dem Quarterdeck gleichzeitig mit den anderen geschossen. Die Decksplanken vibrierten unter Hasards Füßen. Während Ben Brighton die ›Isabella‹ wied er auf h alben Wind legte, lief Hasard zur Nagelbank vor. Er sah, wie die Kugeln der Galeone in die Takelage der beiden Karavellen einschlugen. Das Focksegel der einen wurde durchgeschlagen, und der Wind riß es sofort größer. Die zweite Karavelle feu erte jetzt, aber die Treffer in der eigenen Takelage hatten dem Schiff wahrschein lich eine andere Neigun g gegeb en. Die Kugeln lagen um etwa zwanzig Yards zu kurz. Vier Wasserfontänen stiegen kurz vor dem Rumpf der ›Isabella‹ hoch. Hasard wartete jeden Augenblick darauf, daß die Karavellen drehten, um die Backbordbreitseite ins Gefecht zu brin gen. Aber die Bretonen schienen die Nase voll zu haben. Sie fielen ab und segelten hinter d en anderen b eiden Schiffen her, die
dabei waren, ihre Kameraden aus dem Wasser zu fischen. »Sie kneifen den Schwanz ein!« schrie Donegal Daniel O’Flynn. Das Bürschchen stand außenbords auf der letzten Backbordkanone, die er gerade fertig geladen hatte. Sein rauch geschwärztes Gesicht zeigte den Ausdruck des Triumphes. Sein blondes Haar hing ihm in wirren Strähnen in die Stirn, und seine Au gen und seine Zähne blitzten in dem schwarzen Gesicht. Batuti und Blacky stimmten in das Triump hgeheul ein, und dann brüllten sie alle. Hasard stand schwer atmend neben Ben Brighton an der Nagelbank. Er ließ sein e M änner diesen Augenblick auskosten. Doch nach ein p aar M inuten machte er dem wilden Treib en auf dem M itteldeck ein End e. Zuerst kam das Schiff. Ihren Erfolg feiern konnten sie immer noch. »Klarschiff!« rief er hinunter. »Und holt das verdammte Fockmarssegel end lich ‘runter. Ich kann das Knattern nicht mehr hören!« »Ay e, aye, Sir!« rief Smoky und lief die Wanten des Fockmastes hinauf, als befind e er sich auf ein er ebenerd igen Straße. Ferris Tucker jagte die M änner durcheinander. Viel mußte getan werd en, u m das M itteldeck wied er in einen ansehnlichen Zustand zu versetzen. Zwei M änner gin gen an die Arbeit, die Wanten des Fockmastes zu sp leißen, Batuti und Dan O’Flynn kümmerten sich um den Besan und räumten die zersplitterten Reste der Topp stenge b eiseite. Der Rest kümmerte sich um d ie Geschütze, nur der Kutscher wurde in die Kombüse geschickt, damit das Essen fertig war, wenn die M änner ihre Arbeit beendet hatten. Hasard grinste Ben Brighton an. Sie hatten es einmal mehr geschafft. Hasard konnte sich über sein Glück wahrhaftig nicht beklagen.
»Wenn der Wind so bleibt, sind wir in zweieinhalb Tagen zu Hause«, sagte Ben Brighton. »Ich bin froh, wenn ich diese verdammte Prise end lich in Plymouth habe.« »Was soll uns jetzt noch passieren?« fragte Hasard grinsend und wollte sich abwenden, um zu seiner Kammer zu gehen. Der helle Schrei, der durch die Planken des M itteldecks ged ämp ft wurde, ließ sie alle zusammenzucken. Es war die Stimme d es Kutschers, aus der die Panik herauszuhören war. Und was er schrie, das ließ Hasard d ie Haare zu Berge stehen. Ein Leck unter der Wasserlinie, das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten! Hasard dachte an den dumpfen Schlag, der d ie ›Isabella‹ erschüttert hatte, kurz bevor eine and ere Ku gel die Besantoppstenge herunter geholt hatte. Verdammt, sie hatten alle geschlafen. Sie hatten den Sieg schon vor d en Au gen gesehen, und jetzt mußten sie sich vielleicht freiwillig dem Feind ergeben, wenn sie ihr Leben nicht verlier en wollten. 11. Ferris Tucker hatte das Loch in der Bordwand nur notdürftig stopfen können. Keuchend waren die M änner dabei, das M eerwasser außenbords zu p umpen. Die Ratten huschten über sämtliche Decks. Sie hatten die Bilge, die völlig üb erflutet war, verlassen und mußten sich einen neu en Platz suchen. Hasard schlug seine Faust krachend gegen einen Querbalken des Zwischendecks. Er konnte es einfach nicht fassen, daß das Glück sie im letzten M oment noch im Stich gelassen hatte. Es war nicht das Leck allein. Ferris Tucker war ein ausgezeichneter Zimmermann, und es bedeutete für ihn keine unüberwindliche Schwierigkeit, das Leck ganz abzudichten. Etwas anderes, viel Eklatanteres war hinzugekommen: das ein gedrun gen e M eerwasser hatte den gesamten
Trinkwasservorrat verdorben. Vom Proviant hatte der Kutscher genü gend retten können, aber das war gar nicht so wichtig. Ohne Essen konnten die M änner zur Not vierzehn Tage aushalten. M it dem Wasser war es etwas anderes. Wenn der Wind die Richtung beib ehielt und in den nächsten Tagen in der gleichen Stärke blies wie jetzt, könnten sie es in gut zwei Tagen bis Ply mouth schaffen. Aber es durfte nicht das geringste dazwischenkommen, dann waren sie alle geliefert. Sie wären wahrhaftig nicht das erste Schiff, das ein Sturm weit in den Atlantik hinaustrieb. Ferris Tucker zuckte mit den Schultern. Damit wollte er sagen, daß die Entscheidun g jetzt bei Hasard lag. »Sieh zu, Ferris, daß du das Loch so schnell wie möglich abdichtest«, sagte er verbissen und wandte sich um. Er stieg den Niedergan g hinauf und wandte sich zum Quarterdeck, wo Ben Brighton stand und ihn anschaute. In einem anderen M oment hätte sich Hasard über die fragenden Blicke gefreut, bewiesen sie do ch, daß sie ihm vertrauten und von ihm erwarteten, daß er sie aus dieser bösen Situation herausholte. Schweigend gin g er an Brighton vorbei und verschwand irn Gang, der zur Kap itänskammer führte. Dort setzte er sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf mit beiden Händen. Doch so angestrengt er auch nachdachte, es gab keinen Ausweg aus dieser Lage, der nicht mit großen Risiken verbunden war. Er richtete sich auf, überlegte einen M oment und zog dann entschlossen die Seekarte von der französischen Küste zu sich heran. Durch den Kampf mit den bretonischen Karavellen waren sie fast bis auf den vierten Längengr ad ab getrieben worden. Es war nicht mehr weit bis zur französischen Küste, aber gerade die Küste zwischen Quiberon und Brest wimmelte nur so von Schiffen. Und u m in der Nacht irgendeine der
kleinen Buchten anzulaufen, dazu kannte er d ie Küste nicht gut genu g. Die einzige M öglichkeit war vielleicht Belle Ile, eine große Insel südlich von Quiberon. Hasard hatte keine guten Erinnerungen an sie. Einmal hatte es sein Vater mit seiner »Glorious« gewagt, die Insel unter Tage anzulaufen. Die Fischer hatten sich n icht einmal von seinen Kanonen ins Bockshorn jagen lassen. Sie hatten ihn mit allen ihren kleinen Schiffen und Booten angegriffen, und ihm war nichts weiteres übriggeblieben, als das Weite zu suchen. Und die ›Isabella‹ hatte nicht einmal ein Boot an Bord. Hasard verfluchte sich abermals, daß er vor dem Kampf mit den beiden Galeeren nicht das Dinghi an Bord gehievt hatte. Sie mußten es trotzdem wagen. Hasard trat durch die Tür auf die Heckgalerie hinaus und blickte zur Sonne hoch. Wenn sie auf Nordwest drehten, würden sie die Insel in der Abenddämmerung erreichen.
In den späten Nachmittagsstunden war es Ferris Tucker endgü ltig gelun gen, das Eindringen des Wassers zu stopp en. Das Leck war absolut dicht, er hatte es von innen verkeilt. Die Sonne stand im Westen nur noch halb über der Kimm, und Dan O’Fly nn, der im Vormars saß, hatte bereits Land gesichtet. Hasard hatte das Großsegel aufgeien lassen, damit sie nicht noch während der Dämmerung zu nahe an die Insel herankamen. Nur wenige Wolk en waren am Himmel zu sehen. Hasard hoffte, daß es in der Nacht so blieb. Während der graue Streifen über der westlichen Kimm immer enger wurde und die schmale Sichel des zunehmenden M ondes das Wasser vor ihnen in ein milchiges Licht tauchte, schickte
Hasard einen M ann mit dem Lot nach vorn auf die Back gratin g. Sie mußten so dicht wie möglich an die Küste der Insel heran, damit Blacky , Smoky und Daniel O’Flynn, die Hasard sich für dieses Kommando ausgesucht hatte, nicht schon zu erschöpft waren, wenn sie das Ufer erreichten. Bald hob sich der dunkle Schatten des Landes vom Wasser ab. Die ersten leisen Rufe d es Lotgastes klan gen auf. Ben Brighton hatte bis auf das neue Fockmarssegel sämtliche Leinwand auf geien lassen. Leise schwap p ten die Wellen gegen die Bordwand der Galeone. Hasard stand mit den drei M annern an Backbord und blickte zur Insel hinüber. Weitab waren die Lichter eines Fischerdorfes zu erkennen. Die anderen M anner der Besatzung hatte die Wasserfässer an Deck geschafft und an jedes ein Tau gebunden, mit dem sie die Fässer zu Wasser lassen wollten »Genug, Ben!« rief Hasard leise, als er vom Lotgast hörte, daß die ›Isabella‹ nur noch ein p aar Handbreiten Wasser unter dem Kiel hatte. Ohne ein weiteres Wort schwan g er sich über das Schanzkleid und stieg an d er außenbords hängenden Jakobsleiter hinunter. Lautlos ließ er sich ins Wasser gleiten. Das Wasser war kälter, als er gedacht hatte. Wahrsch einlich lag es an dem Sturm der vergangenen Nacht, der das kalte Wasser des Atlantik in die Biskaya getrieben hatte. Hasard sah, wie Blacky, Smoky und Dan O’Flynn neben ihm im Wasser schwammen. Die Wasserfässer schwebten herunter. Eines schlu g dumpf gegen die Bordwand, und Ferris Tuckers dunkle Stimme mur melte einen Fluch. Hasard packte das erste Faß und löste es vom Tau. Er wartete, bis die ander en drei soweit waren, dann schwammen sie mit gleich mäßigen Zügen auf die Küste zu. Er achtete darauf, daß sie beieinander blieben. Ab und zu tastete seine Hand zu seiner Brust, wo er unter dem
Segeltuchhemd seine dop pelschüssige Pistole verborgen hatte, die er in geteertes Segeltuch eingewickelt hatte. Je näher sie der Küste kamen, desto wärmer wurde das Wasser. Die ›Isabella‹ war nur noch als dunkler Schatten zu erkennen. Ben Brighton hatte von Hasard den Befehl erhalten, keinen Anker zu werfen, um jederzeit die Flucht er greifen zu können. Beim ersten Anzeichen von Gefahr würden der Bootsmann die Galeone nach Süden steuern und ein p aar Kanonenschüsse zum Fischerdorf hinüberschicken, um die Aufmerksamkeit von den vier M ännern abzulenken. Sie waren fast eine halbe Stunde geschwommen, als Hasard an den weißen Streif en der brechenden Wellen erkannte, daß sie den Strand erreicht hatten. Er ließ seine Füße sinken und berührte Grund. Sie hatten nur die k leinen Fässer mitgenommen, aber die waren schwer genug. Am Strand ließen sie sich keuchend im Sand nieder und verschnauften ein paar M inuten. Hasard blickte sich um. Der Strand war an dieser Stelle sehr schmal. Ein p aar Yards weiter stiegen schon die dunklen Felsen in den Himmel, eh e ihnen den Weg aufs Land versperrten. »Los, M änner«, sagte Hasard leise. »Schnappt euch die Fässer. Wir werden heute nacht eine M enge Glück brauchen.« Hasard hörte ein p aar gemurmelte Worte, dann marschierte er den Strand entlang. Nach etwa hundert Yards sackte d ie felsige Küste ab, und die M änner konnten ohne große Anstrengung vom Strand aus hinaufsteigen. Das scharfe Gras, das im Sand wuchs, schnitt Blacky in die Füße. Er fluchte unterdrückt, war aber sofort wieder still, als Hasard leise zischte. Dann sahen sie es alle vier. Knapp hundert Yards vom Strand entfernt leuchtete ein kleiner Lichtpunkt durch die Nacht. Hasards Herz schlug ihm bis zum Hals.
Sollte d as Glück wieder zu ihnen zurückgekehrt sein? Er setzte sein Faß ab und gab den anderen ein Zeichen, daß sie zurückbleiben sollten. Er wollte das Gelände erst einmal erkunden. Lautlos verschwand er in der Nacht. Der Lichtschein stammte von einem kleinen Fenster einer Fischerhütte. Hasard hoffte, daß kein Hund um das Haus herumstrich, der ihn mit seinem Bellen verraten konnte. Hinter einer aus Steinen auf geschichteten M auer kauerte er sich nieder und blickte zu dem erleuchteten Fenster hinüber. An der Ecke des Hauses sah er, was er suchte. Eine große Regentonne! Hasard zögerte n icht län ger. Geduckt lief er d en Weg zurück. Er berichtete, was er entdeckt hatte und hob dann sein Faß hoch. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Sie hielten sich nicht an der niedr igen M auer auf, die den Hof des Fischerhauses umgab. Hasard steuerte auf die Regentonne zu, als Donegal Daniel O’Flynn plötzlich stehenblieb und einen leisen Pfiff ausstieß. »Da!« flüsterte er und wies auf ein dunkles Gebilde, das sich als Schatten von dem heller en Boden des Hofes abhob. »Eine Pump e!« Er wartete die Antwort der anderen nicht er ab. Schon stand sein Faß unter dem gebogenen Hahn der Pumpe. Er riß den Deckel ab, d en Ferris Tucker mit geteerter Leinwand umwickelt hatte, damit er festsaß und kein Wasser auslaufen konnte. Der eiserne Arm der Pump e kreischte durch die Stille der Nacht. Die vier M änner zuckten zusammen, als hätte ihnen jemand eine Peitsche über gezo gen. Hasard erfaßt die Situation sofort. Er stellte sein Faß zu Boden und zischte: »Komm, Blacky!« Der groß e M ann gehorchte blindlings. Er stellte sein Faß ebenfalls ab und lief hinter Hasard auf das Haus zu. Er erreichte es in dem Augenblick, als die Tür aufgerissen wurde
und ein M ann heraustrat. Bevor der M ann etwas sagen konnte, hatte Blacky ihm den muskelbepackten Arm um den Hals gelegt und preßte ihm die Luft ab. Der M ann begann zu würgen und um sich zu schlagen Es half ihm nichts. Blacky s Griff war wie ein Schraubstock, Hasard hatte inzwischen seine Pistole aus dem Tuch gewickelt und stürmte ins Haus, Sekunden später tauchte er wieder auf. »Der Mann ist allein!« rief er leise über den Hof. »Pumpt die Fässer voll!« Dan OTlynn und Srnoky begannen sofort mit der Arbeit. Das Kreischen des Pumpenschwengels schmerzte in den Ohren, Blacky hatte dem Fischer die Faust hinters Ohr gesehlagen Bewußtlos war der M ann zusammengebrochen. In der Hütte lagen genü gend Seile herum, Blacky verschnürte den Fischer damit wie ein Paket. Auf einen Knebel verzichtete er. Wenn durch das Kreischen der Pump e niemand herbeigelockt wurde, dann konnte ihnen auch das Schreien des Fischers nicht gefährlich werden. Die vier M änner, die seit dem M orgen nichts mehr getrunken hatten, schöp ften sich mit den Händen das köstliche kühle Wasser in den M und. Dann schlugen sie die mit Leinwand umwickelten Deck el fest auf die Fässer. Hasard wandte sich an Donegal Daniel Q’Flynn. »Wir beide werden nach einem Boot suchen«, sagte er. »Blacky und Smoky schaffen die Fässer hinunter an den Strand. Ihr wartet genau eine halbe Stunde auf uns Wenn wir bis dahin nicht zurück sind, schnappt ihr euch jeder ein Faß und schwimmt zur ›Isabella‹ hinüber. Ver geßt ab er nicht, das verabredete Lichtzeichen zu geben, damit Ben weiß, wo er euch zu erwarten hat.« »Ay e, aye«, sagte Blacky brummend, bückte sich, lud sich eines der schwer en Fässer auf den breiten Rück en und stampfte auf den Weg zu, der hinunter zum Strand führt.
Smoky folgte ihm, während Hasard und Dan O’Flynn einen Abstieg weiter östlich suchten. 12. Hasard fluchte leise. Er hatte im stillen damit ger echnet, daß sie in der Nähe des Hauses ein Boot am Strand finden würden. Aber höchstwahrscheinlich lag das Boot des Fischers, den sie überwältigt hatten, bei den anderen Booten in der kleinen Bucht, wo sie die Lichter des Dorfes sahen. Hasard und Donegan O’Fly nn liefen in einem stetigen Trab den Strand entlan g. Die Lichter wurden schnell größer. Hinter einem großen Felsen, der ihnen die Sicht versperrte, leuchtete Feuerschein auf. Und dann hörten sie p lötzlich Stimmen. Sie blieben stehen und lauschten. Ein glockenhelles Lachen ertönte. Andere Stimmen fielen ein. Ein Instrument wurde gezup ft, und M änner begannen zu singen. Verdammt, das hatte ihnen noch gefehlt! Wahrschein lich f eierten die jun gen Leute des Dorfes ein nächtliches Fest am Strand. Wie sollten sie an diesen M enschen ungesehen vorbeiko mmen ? Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln. Wenn sie erst über die Felsen k lettern mußten, um auf einem Umweg zum kleinen Haf en zu gelan gen, würden sie es niemals schaff en, in einer halben Stunde an der Stelle zurückzusein, an der sie Blacky und Smoky verlassen hatten. Dan O’Flynn hatte sich am Felsen hochgeschoben und blickte über ihn hinweg auf das lustige Treib en, das sich um ein großes Strandfeuer absp ielte. Hasard lag wenig später neben ih m. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich das Gesicht des blonden Jungen zu einem Grinsen verzogen hatte. »Sechs Franzmänner«, flüsterte er. »Die müßten wir
eigentlich schaffen. Dann schnappen wir uns die süßen Pupp en, packen sie in das Boot und pullen sie zur ›Isabella‹ hinaus.« Hasard hatte nicht auf die Worte O’Fly nns geachtet. Sein Blick war starr auf das klein e Boot gerichtet, das etwa dreißig Yards vom Strandfeu er entfernt an Land gezogen war und nur mit dem Heck leicht in der sanften Dünung schaukelte. Dieses Boot mußten sie haben! Die Frage war nur, wie sie es sich unter den Nagel reißen konnten, ohne daß die jungen Bretonen etwas davon bemerkten. Hasard rutschte am Felsen hinunter und zog Q’Flynn am Hosenbein, der sich von dem Anblick der jungen M ädchen nicht lösen konnte. Als er neben Hasard in den weichen Sand sprang, fragte er leise und mit leuchtenden Augen : »Wollen wir uns anschleichen oder mit Gebrüll auf sie los?« »Laß den Quatsch, Dan«, flüsterte Hasard und zog seine doppelschüssige Pistole hervor. »Paß auf! Du schwimmst hinaus und näherst dich dem Boot vom Wasser aus. Du ziehst es vom Strand, aber möglichst so, daß es niemand bemerkt. Ich werde hier am Felsen b leib en und sie in Schach halten, falls du entdeckt wirst. Dann ruderst du so schnell wie möglich hinüber zu Blacky und Smoky . Bis ihr die Wasserfässer ein geladen habt, bin ich bei euch, klar?« »Können wir nicht wenigstens eine von ihnen …« Hasard unterbrach den blonden Jungen grinsend : »Hast du’s überhaupt schon mal mit einer En gländer in versucht? Einem so unerfahrenen Burschen wie dir würde eine Bretonin glatt den Kop f abreißen!« O’Flynn murmelte einen Fluch, und ehe er sieh noch etwas von Hasard anhören mußte, verschwand er in der Dunkelheit. Hasard hörte nur ein leises Plätschern, als der Junge ins Wasser stieg. Dann kletterte er wieder d en Felsen hinaus und legte sich auf die Lauer. Er untersuchte die Pistole sorgfältig, ob sie nicht
doch naß geworden war. Dann erst schüttete er das Pulver auf die Pfannen, zielte auf die jun gen Leute am Feuer und beobachtete aus den Augen heraus das Boot. Es dauerte nur M inuten, bis Hasard die Bewegung am Heck des Bootes sah. Dan hob es etwas an, und Hasard meinte ein leises Knirschen im Sand zu hören, als der Junge es ein Stück weiter ins Wasser zog. Hasard hielt den Atem an. Seine Augen waren jetzt auf die jungen Franzosen gerichtet. Ein junger M ann und ein M ädchen tanzten nach einer lustigen M elodie. Die anderen saßen im Kreis um sie herum und klatschten in die Hände. Wieder dieses Knirschen. Hasard zuckte regelrecht zusammen. Aber noch hatten die jungen Leute nichts bemerkt. Jetzt schwamm das Boot auf den Wellen! Hasard sah, wie sich der Sch atten Dans über dem Heck des Bootes erhob. Geräuschlos glitt er hinein und schlängelte sich unter der Ducht hindurch nach vorn. Lautlos hob er einen der beid en Riemen und legte ihn in die Rundsel an Steuerbord. Dann nahm er den anderen Riemen auf. Er schafft es, dachte Hasard erleichtert. Sie merken nicht einmal, daß ihnen ihr Boot unter dem Hintern weggeklaut wird! Hasard hatte sich getäuscht. Als Dan den Backbordriemen in d ie Rundsel schob, geschah es. Einer der Bretonen hatte bemerkt, daß mit dem Boot etwas nicht stimmte. Er rief seinen Kamer aden etwas zu und lief auf das Boot zu, um es wieder an Land zu ziehen. In diesem Augenblick sprang Dan O’Flynn auf, packte den Steuerbordriemen und drehte das Boot mit ein p aar kräftigen Schlägen heru m. Hasard durfte nicht länger zögern. Die Füße des Bretonen hatten das Wasser schon fast erreicht, da schickte Hasard die erste Kugel aus sein er Pistole.
Dicht vor den Füßen des jungen Franzosen sp ritzte sie Sand hoch. Der Knall der Waffe stand klar in der kühlen Nachtluft. Der M ann blieb abrup t stehen und wirbelte herum. »Halt! Keine Bewegung!« brüllte Hasard, obwohl er wußte, daß die M änner seine Worte nicht verstanden. Aber er versprach sich von seinem Gebrüll ein e moralische Wirkung. Das Bürschchen hatte sich auf die Ducht gesetzt und p ullte jetzt, als wolle er sich mit dem kleinen Boot auf den Weg n ach England mach en. Hasard sah aus den Augenwink eln, wie er langsam in der Dunkelheit verschwand. Doch dann mußte sich Hasard wieder auf die Franzosen konzentrieren, die ihren Schr eck überwunden hatten. Die M ädchen hatten sich verschreckt aneinandergedrängt und blickten mit großen Augen auf den dunklen Felsen, hinter dem der M ann hocken mußte, der geschossen hatte. Die jungen M änner verständigten sich mit ein paar Worten. Hasard hatte den kurzen Überraschungsmoment genutzt, die erste Ladung seiner Pistole zu erneuern. Er hatte gerade wieder Pulver auf die Pfanne des ersten Radschlosses geschüttet, als die jungen M änner ihren ersten Schreck überwunden hatten und zu dritt auf den Felsen losstürmten, hinter dem sich der Feind verbarg. Hasard brüllte wieder. »Bleibt stehen, ihr verdammten Hornochsen! Sonst schluckt ihr heißes Blei!« Er sah, wie sich zwei der jungen M änner und die M ädchen abwandten und in Richtung Dorf davonliefen. Dort hatte man sicher den Schuß vernommen und sich bereits seinen Teil ged acht. Hasard wußte, wie mißtrauisch und an griffslustig die Fischer von der Belle Ile waren. Er zielte sorgfältig. Er wollte keinen d er jun gen M änner verwunden oder gar töten. Die Kugel, die dicht vor den Füßen des ersten M annes Sand hochsp ritzte, hielt die jungen Burschen nur kurz auf.
Wahrschein lich glaubten sie, er hätte seine einzige Kugel verschossen. Hasard jagte die zweite gleich hinterher. Er hatte nicht mehr gen au zielen können, denn in dem M oment, in dem er abdrückte, verlor sein linker Fuß den Halt am Felsen. Er rutschte ab. Hasard hörte im Fallen einen heiser en Schrei. Wahrsch einlich hatte die Kugel einen der M änner getroffen. Hasard hoffte, daß die Verwundung n icht zu schlimm war. Ihm blieb k eine Zeit mehr. Dan O’Fly nn war mit dem Boot sicher schon ein gutes Stück vorangekommen. Und wenn sie Blacky und Smoky erreichten, brauchten sie sich vor einer Auseinandersetzung mit den drei oder vier jungen Bretonen n icht mehr zu fürchten. M it langen Sätzen jagte Hasard am Strand entlan g. Das Laufen im weichen Sand strengte mächtig an. Er sp ürte, wie sich seine M uskeln in den Waden lan gsam verhärteten. Vor sich hörte er d ie laute Stimme Blacky s, der den Jun gen mit dem Boot entdeckt hatte, und als Hasard seine M änner erreichte, hatten sie bereits alle vier Fässer eingeladen. Die Bretonen waren verdammt schnell auf den Beinen. Ihre Schatten hoben sich vom hellen Strand deutlich ab. Wahrscheinlich hatten sie Blacky und Smoky, die bis zu den Knien im Wasser standen, nicht gesehen, sonst wären sie sicher stehengeblieben und h ätten Hasard nicht weiter verfolgt. So liefen sie genau in d ie Falle. Hasard blieb p lötzlich stehen und warf sich den drei Burschen entgegen. Eh e sie sich auf die veränd erte Situation einstellen konnten, krachte Hasards Faust bereits gegen das Kinn des ersten M annes. Der junge Bretone überschlu g sich f ast. Er landete mit dem Gesicht im Sand. B enommen richtete er sich wieder auf und sp uckte den Sand aus, den er im M und hatte, Den nächsten Franzosen mähte Hasard mit einem Rundschlag nieder.
Der Bursche heulte auf und hielt sich die Nase, aus der Blut schoß und auf sein Hemd spritzte. Der dritte hatte seine Chance genutzt. Er war Hasard von hinten an gesprungen und versuchte, ihm die Luft abzuschnüren. Da war Blacky heran. Er schnappte den Franzosen im Genick, zog ihn von Hasards Rücken und hielt ihn am aus gestreckten Arm von sich. »So was«, sagte er. »Einen M ann von hinten anspringen! Wo gibt’s denn so was?« M it der flachen Hand schlug er zu, daß der Kopf des jungen Burschen hin und her flo g. Der vierte M ann, der Hasard verfolgt hatte, war in einiger Entfernung stehen geblieben und traute sich n icht näher heran. Hasard war es nur recht. Sie hatten keine Zeit, sich hier am Strand mit den Franzosen herumzuprügelh. Sicher waren die Fischer im Dorf schon alamiert. Und sie hatten andere Sachen auf Lager als diese jungen Kerle, das wußte Hasard nur zu gut. »Laß ihn los. Blacky «, sagte er hastig, »rein ins Boot! Wir müssen so schnell wie mö glich von h ier verschwinden.« Er streute ein bißchen Pulver auf die Fackel, die Smoky ihm reichte, und schlug zwei Feuersteine aneinander. Zischend begann die Fackel zu brennen. Hasard schwenkte sie ein paarmal hin und her. Es war das verabredete Zeichen für Ben Brighton, von wo er die M änner zu erwarten hatte. Hasard scheuchte Blacky und Smoky ins Boot. Dan hatte für sie die Ducht geräu mt. Die beid en kräftigen M änner schnappten sich die R iemen, und nachdem Hasard sich übers Dollbord geschwungen hatte, legten sie los. Hasard reichte die Fackel dem Bürschchen Dan hinüber, der im Bug saß und ihn angrinste. Hasard war froh, daß das Unternehmen bisher so gut geklappt hatte. Jetzt hatten sie genü gend Wasser, um noch ein e ganze Woche auf See zu bleiben. Er hoffte, daß die Fischer von der Belle Ile den Zwischenfall
nicht so ernst nahmen und alles dransetzten, die Bootsdiebe zu erwischen.
Hasard atmete auf, als er die beiden Fackeln an Bord der ›Isabella‹ aufleu chten sah. Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen. Dicht neben dem Boot stieg eine kleine Wasserfontäne hoch Nur Sekundenbruchteile später hörte er den entfernten Knall einer M uskete. »Weg mit der Fackel!« fauchte er Dan O’Flynn an, der sie sofort ins Wasser warf, wo sie zischend erlosch. Blacky und Smoky legten sich no ch kräftiger in die Riemen. Sie hatten die dunklen Schatten auf dem glitzernden Wasser, die sich schnell näh erten, bereits entdeckt. Hasard drehte sich um. Was er sah, ließ seinen Atem stocken. Die verdammten Fischer hatten schnell reagiert. Sie hatten ein halbes Dutzend Boote bemannt und waren drauf und dran, ihnen den Weg zur ›Isabella‹ abzuschneiden. Wieder fau chte eine M usketenkugel her an, aber diesmal lag sie ein paar Yards hinter dem Boot. Hasard hörte das Brüllen der Fischer, die sich gegenseitig zuriefen, was sie entdeckt hatten. Sie mußten d ie Fackeln auf der ›Isabella‹ bereits gesehen haben, und Hasard hoffte nur, daß die Fischer sich an so ein großes Schiff nicht heranwagten. Sicher war er sich dessen nicht. Die Sturheit der Bretonen war auf allen M eeren bekannt. Blacky und Smoky lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Aber sie ließen in ihrem Temp o nicht einen M oment nach. Hasard lud seine Pistole nach. In der Dunkelheit war das
keine einf ache Sache, doch er schaffte es. Er lauschte wieder auf die Stimmen d er Fischer, die sich jetzt ruhiger verhielten, um ihre Positionen nicht zu verraten. Außer dem Plätschern, das die Riemen des kleinen Bootes verursachten, und dem Keuchen von Blacky und Smoky war nichts zu hören. Dan O’Flynn stieß p lötzlich einen überraschten Laut aus. Er wies mit dem rechten Arm auf ein en schmalen Schatten, der von Backbord heranschoß. Hasard zögerte nicht lange. Er hob die Pistole und zielte. Diesmal kannte er keine Rücksicht, denn es ging um ihr Leben Hasard kannte die Fischer von der Belle Ile gut genu g, um zu wissen, daß sie nicht mehr lange zu leben hatten, wenn sie den Fischern in die Hände fielen. Er zielte eine Handbr eit über den Schatten, der das Dollbord des Bootes sein mußte. Er jagte beide Ladungen nacheinander aus dem Lauf. Sie hörten die Schreie. Wasser sp ritzte auf, als die Riemen des Fischerbootes durchein ander gerieten. In Sekundenschnelle war der Schatten wieder verschwunden. Hasard duckte sich instinktiv, als Feuerblitze aufleuchteten Aber die Franzosen hatten mit ihren M usketen zu schlecht gezielt. Hasard sah nicht einmal, wo die Ku geln ins Wasser schlugen. Jetzt ertönten wieder laute Stimmen, und dann schrie einer der Franzosen: »Louis est mort!« Ein Schrei der Entrüstung und der Wut hallte über das Wasser. Wied er blitzten M ündungsfeuer auf, und an ihrer Richtung glaubte Hasard zu erkennen, daß die Fischer auf die ›Isabella‹ schossen. Hasard schätzte die Entfernung zur Galeone ab. Es waren höchstens noch hundert Yards. Er verfluchte die Sandbank, die vor der Bucht lag. Wegen ihr hatte sich die Galeone nicht dichter an die Küste heranwagen könn en. Das Wasser lief bereits wieder auf See hinaus. Die Ebb e hatte
ein gesetzt. Wenn Ben Brighton nicht höllisch auf der Hut war, saß er mit der ›Isabella‹ plötzlich auf Grund. Wieder tauchte ein Schatten in ihrer Nähe auf. Hasard hörte das Klatschen der Riemen. Nur noch fünfzig Yards zur ›Isabella‹, deren Schatten sich bereits wie eine mächtige Burg aus dem Wasser hob. Hasard hörte die Stimme von Ferris Tucker, und dann schien die Hölle aufzubrechen. Von der Back d er Galeone fauchte wie aus einem Höllenschlund eine lohende M ündungsflamme. Eisensplitter zischten durch die Luft und prasselten wenig später dicht vor dem Sch atten, den Hasard an Backbord erkannt hatte, ins Wasser. Ein p aar pochende, dumpfe Laute verrieten Hasard, daß einige Eisensplitter den Rump f des Bootes getroffen hatten. Die Fischer brüllten durcheinander. Hasard hörte den Zorn in ihren Stimmen. Hoffentlich begriffen sie, daß ihnen der M ann an Deck der Galeone nur einen Warnschuß vor den Bug gesetzt hatte. Hasard glaubte Ferris Tuckers Entschlossenheit gut genu g einschätzen zu können, um zu wissen, daß er beim nächsten M al keinen Pardon mehr geb en würde. Die Bordwand der Galeone tauchte vor ihnen auf. Taue flogen über das Schanzkleid des M itteldecks. Hasard und Dan O’Flynn packten zu. »Zuerst die Wasserfässer!« sagte Hasard zischend. Er erhob sich und sch lan g ein Tau um eins der Fässer. Dan nahm sich ebenfalls eins vor. »Hievt an!« rief Hasard leise. »Aber vorsichtig!« Die beiden Fässer verschwanden nach oben. Ben Brightons Stimme klan g vom Quarterdeck. Er gab Befehl, alle Segel zum Setzen bereitzuhalten. Die nächsten Taue flogen herab. Jetzt hatten sich Blacky und Smoky so weit erholt, daß sie mit anp acken konnten. »Befestigt das Boot!« sagte Hasard sch arf. »I ch will es unbedingt an Bord haben, klar?«
»Ay e, aye«, erwiderte Blacky keuchend. Die letzten beiden Fässer schwebten nach oben. Hasard packte die Jakobsleiter, kletterte hinauf und schwang sich über das Schanzkleid. »Alles klar, Ben!« rief er. »Wir können lossegeln!« Plötzlich herrschte lautes Treiben an Bord. Die M änner gaben sich keine M ühe mehr, leise zu sein. Ben Brighton brüllte seine Befehle über Deck, und Ferris Tucker verfluchte die halsstarrigen Bretonen, die es einf ach nicht ertragen konnten, eine Niederlage hinzunehmen. »Haut ab und legt euch auf die Mutter!« schrie er ihnen in einem ordin ären Französisch zu, daß ihm ein versoffener Holländer beigebracht hatte. Ein Wutschrei aus vielen Keh len war die Antwort. M usketenschüsse wurden abgefeu ert, und eine Kugel klatschte dicht neben Ferris Tucker in den Fockmast. Das war zuviel für den Schiffszimmermann. Er wirbelte die zweite Drehbasse herum und hielt den brennenden Span in seiner link en Hand an das Zündloch. Donnernd entlud sich das schlanke Geschütz. Ferris Tucker hatte diesmal etwas höher gehalten. Die Ladung Eisen zerriß den Bu g des Fischerbootes. Hasard, der aufs Quarterdeck gestiegen war, sah, wie das Boot sofort absackte. Die ›Isabella‹ drehte ihren Bug hinaus aufs M eer. Die Segel füllten sich mit dem sanften Wind, der von Land wehte, und die auslaufenden Wasser der Ebbe taten das Übrige, daß die Galeone schnell an Fahrt gewann. Hinter ihnen blieben die fluchenden und schreienden bretonischen Fischer zurück. Die anderen Boote hatten jetzt genu g damit zu tun, die M änner des sinkenden Bootes zu bergen. Fackeln leuchteten auf. Zuckend e Flammen wurden vom leicht gekräuselten Wasser reflektiert. Einer der Fischer feuerte noch seine M uskete auf die davoneilende Galeone ab, aber die
Kugel konnte keinen Schaden mehr anrichten. Die Entfernung war bereits zu groß. Immer kleiner wurden die Lichter, die hinter ihnen zurückblieben. Hasard legte Ben Brighton die Hand auf die Schulter. Es war ein e stumme Geste, ab er der Bootsmann verstand sie. Er hoffte gen au wie der Seewolf, d aß sie die nächsten drei Tage, d ie sie noch für ihre Fahrt nach Ply mouth benötigten, ohne Zwischenfälle zurücklegen konnten. Hasard zog sich in die Kapitänskammer zurück und legte sich auf seine Koje, nachdem er d ie nassen, klammen Sachen ausgezogen hatte. Er verschränkte die Hände unter dem Kop f, und ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er daran dachte, was für ein Gesicht Francis Drake machen würde, wenn er ihm die Seekarten von der Neuen Welt überreichte. Doch noch war es nicht soweit. Drei Tage auf See, und das in der Nähe der französischen Küste - sie brauchten schon eine M enge Glück, wenn sie ungeschoren Plymouth erreichen wollten. Hasard dachte an die vier Karavellen der bretonischen Freibeuter. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie sieh in ihre Heimathäfen zurückgezogen h atten, um ihre Wunden zu lecken. Vielleicht lauerten sie ir gendwo d a draußen vor der bretonischen Halbinsel, d ie weit in den Atlantik hinausragte …
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 16
Duell in der Piratenbucht von John Curtis Philip Hasard Killigrew betete aber der Himmel schickte ihm keinen Sturm. Er wußte, daß ihm vier schnelle bretonische Karavellen folgten. Sie waren eine tödliche Gefahr für die ›Isabella von Kastilien‹, die 30 Tonnen Silber für Englands Krone an Bord hatte. Und auf einer der Karavellen war »La Roche, der Hai«, der sich an Hasard rächen wollte. Doch auch der Seewolf hatte Zähne, und die zeigte er, als der Kampf auf Leben und Tod unausweichlich geworden war... PHILIP HASARD KILLIGREW wurde Seewolf genannt, denn er war der Härteste in der Seeraubersippe d er Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen d er Seewölfe. S ie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begann en 1576 an Bord der Marygold - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.