LUDWIG RENN
Herniu und Armin Illustrationen von Kurt Zimmermann
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LUDWIG RENN
Herniu und Armin Illustrationen von Kurt Zimmermann
DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN Alle Rechte vorbehalten • Printed in the German Democratic Republic Lizenz-Nr. 304-270/359/64-(70) Karte genehmigt durch Mdl der DDR, Nr. 4355/6 Satz und Druck: Karl-Marx-Werk Pößnedt V 15/3Ü 6. Auflage ES9D4
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& Corrected by Mimir
Der Kopf des Varus DIE NACHT DER OPFER
N
zum Herzog gewählt worden war, gingen die Führer der Stämme, Priester und Gefolgschaften auseinander. Herniu fühlte einen starken Hunger und war von den erregenden Erlebnissen des Tages wirr und müde. Als er durch den angrenzenden Wald ging, traf er vor einem Feuer hockend Sigimunt, der vor sich hin starrte, wohl wegen der kläglichen Rolle, die er an diesem Tage gespielt hatte. Neben ihm saß der ehemalige Legionär Fabius in seinem rostigen Untergewand und betrachtete teilnahmslos einen langbärtigen Priester, der die Gedärme eines Pferdes verbrannte und dazu heilige Sprüche murmelte. Wie sollte er auch davon beeindruckt sein, da es bei den römischen Opfern genauso stank und er bei seinem überleglichen Wesen wenig von den Opfern hielt. Über demselben Feuer drehten andere Priester ein abgehäutetes Pferd am Spieß. Herniu setzte sich zu Boden und griff müde nach einem Stück Fleisch, das ihm ein Priester, auf ein Messer gespießt, hinhielt. Er biß von dem saftigen Fleisch Stück für Stück ab. Das ermunterte ihn etwas. Er sah sich um und bemerkte, daß sich in der Nähe eine Menge Krieger ansammelten, die sich nur als schwarze Schatten vom Feuer abhoben. Die Dämmerung war weit fortgeschritten und im Walde fast zur Nacht geworden. Da Fabius und Sigimunt kauend hinübergingen, schloß er sich ihnen an. Zwar war er der längste von ihnen, aber mußte sich doch auf die Zehen stellen, um über die vor ihm stehenden Menschen zu blicken. Vor einem unbehauenen Stein, der als Altar diente, standen Priester und vor ihnen zwei schwarzhaarige Männer, nach ihren Gewändern römische Offiziere, doch ohne ihre Panzer. Sie schienen sich in den Tagen der Schlacht nicht rasiert zu haben, und auf Backen und Kinn wuchsen ihnen dunkle Stoppeln. „Was gibt es hier?“ fragte Fabius auf lateinisch. Herniu erschrak und legte mit drohendem Blick den Finger an den Mund. Menschenopfer waren für Germanen heilige Handlungen zum Wohle ihrer Stämme und Götter. Finge Fabius bei seiner Weichherzigkeit etwa zu weinen an, weil man hier seine Landsleute töten wollte, so würden die germanischen Krieger vielleicht wütend werden, und dann konnte niemand mehr Fabius retten. Daher sagte Herniu schroff auf Cheruskisch zu Sigimunt: „Kommt fort!“ Sigimunt verstand, was vorging, und zog den Römer wortlos mit sich. An einem schwach brennenden Feuer hockten ein paar Alte. Zuerst nahm Herniu an, sie brieten sich etwas. Dann ACHDEM ARMIN
erst erkannte er, daß sie an einer Framenspitze einen Menschenkopf über dem Feuer drehten. Was das bedeutete, war den drei Ankömmlingen unverständlich. Fabius sah entsetzt zu, denn er hatte gehört, barbarische Völker äßen feierlich ihre Vorfahren, damit deren Kraft auf sie überginge. Er wunderte sich nur, daß die Alten den Kopf hoch über das Feuer hielten. So wurde er nur gedörrt und eignete sich dann nicht mehr zum Essen. Die Alten hüteten sich auch, das krause, dunkle Haar des Mannes zu versengen. Aber war das nicht ein Römerkopf? Leise fragte Herniu: „Ist das ein Opfer?“ „Kein Opfer, mein Sohn. Wir trocknen den Kopf des Varus, um ihn zu erhalten. Vorher haben wir das Hirn herausgenommen, denn das läßt sich nicht bewahren.“ Da Herniu von den ägyptischen Sklaven ähnliches über die Behandlung der Leichen, besonders der Könige, erfahren hatte, fragte er: „Wozu tut ihr das?“ „Armin hat uns gesagt: Der Kopf eines Senators hat einen großen Wert. Die berühmten römischen Familien setzen ihre Angehörigen in Erbbegräbnissen bei, und wenn einer im Ausland gestorben ist, sendet man wenigstens den Kopf nach Rom. Armin will den hier gegen etwas eintauschen.“ Die drei jungen Leute sahen noch eine Weile dem langsamen Rösten zu. Dann übermannte sie die Müdigkeit. SCHWUR AUF FREIHEIT, THING UND SCHWERT „Herniu!“ rief eine Stimme, und jemand rüttelte ihn. Es war Ursilo, der Läufer, der sich über ihn beugte: „Du sollst zu Armin kommen!“ Der Tag war trüb und leicht neblig. Herniu ergriff die neben ihm liegende Frame und den vom Regen der letzten Tage schweren Schild. Männer, die ihm begegneten, hatten verschmierte Gesichter und schwarze Hände, denn hier gab es keinen Fluß oder Teich, in dem sie nach ihrer Sitte baden konnten. Braun vertrocknetes Blut bedeckte die Arme oder Beine vieler. Man wußte nicht, ob von der Schlacht, von der Bereitung des Siegesmahls oder ob sie beim Opfern der Gefangenen geholfen hatten. Herniu kam an den Altären vorbei, in deren Glut noch Reste von Eingeweiden schwelten und entsetzlich stanken. An der Buche, vor der am vergangenen Tage die Götterbilder über die Legionsadler hinweggetragen wurden, sah er die Anführer und Ältesten stehen. Armin berichtete gerade, daß ihn die Priester ermahnt hätten, zwischen Weser und Rhein nicht nur die römischen Richter zu verjagen, sondern auch die alten Rechte des Things wiederherzustellen. „Ich habe euch, Anführer und Fürsten, hergerufen“, sagte er, „denn es kann dagegen Widerstand geben. Ihr wißt, daß Marobod unsere Volksversammlung haßt, weil er ein Römling ist und sich ein Reich von Sklaven erträumt, wie es Augustus beherrscht. Auch bei uns gibt es Römlinge, die glauben, nur mit der Sklaverei können wir mächtig werden.“ Bei diesen Worten blickte er den Fürsten der Chatten an, dem diese Anrede unangenehm zu sein schien. Er faßte sich aber rasch und sagte lachend: „Daß wir nur auf die römische Weise mächtig werden können, ist vielleicht richtig, aber zuerst müssen wir die letzten Römer aus unserem Lande werfen.“ Dröhnend fuhr der Riese Raganhar dazwischen: „Recht gesprochen, Chatte! Mag mein Bruder Segest noch so sehr für die Römer sein und gegen das Thing! Übrigens, er liebt sie auch nicht. Er liebt nur seine eigene Macht!“ Armin fragte: „Wir sind also einig, daß wir überall das Thing wiederherstellen? „ Man schlug mit den Framen an die Schilde. Armins Vater Sigimär nickte seiner Schwester Ruwala zu. Sie faßte Tursinhilda am Arm, die darauf mit dem roten Götterbild Frijas vortrat. Ruwala streckte die Hand vor: „Dieser Apfel, der Apfel der Göttin, war unser heimliches Zeichen, bevor wir siegten. Nun hat der Apfel offen seinen Namen. Er heißt: Freiheit und Thing.“ Der Priester Tius trat vor: „Das reicht nicht! Seht hier das Schwert des Gottes! Können wir frei bleiben, wenn wir uns nur im Thing versammeln? Würden nicht die Römer unser Thing auseinanderjagen? Daher fordere ich euch auf zu schwören: Freiheit, Thing und Schwert!“ Freiheit, Thing und Schwert!“ dröhnte der Riese Raganhar, und alle sprachen es ihm nach, worauf sie mit Frame und Schild rasselten. Armin fuhr fort: „Auch das Schwert allein bringt nicht den Sieg. Die stärkste Macht in Germanien ist noch immer der Markomannenherzog Marobod. Ihn für uns zu gewinnen, fordern unsere Brüder vom swebischen Bunde, die
Semnonen, Langobarden und Hermunduren. Daher werde ich ihm unsere wertvollste Beute senden, den Kopf des Varus. Der blinde Asni wird die Gesandtschaft zu Marobods Burg nach Bojuheim anführen. Damit er aber nicht nur als Cherusker sprechen kann, sondern im Namen aller zwölf verbündeten Stämme, werden mit ihm ein Priester der Chatten und einer der Marsen ziehen. Seine alten Begleiter, Herniu und Olfo, kennen die Wege nach Bojuheim. Nimm den Kopf, Herniu!“ Ein alter Priester hielt Herniu einen Ledersack hin: „Wahre, was er birgt, und wache! Neunmal wand den Riemen Wuotan, Tiu wand ihn. Welke des Hand, der wider Recht das Band entwindet!“ Herniu ergriff mit Scheu den prallen Beutel. „Ihr reitet sofort!“ befahl Armin. „Mein Pferd ist müde“, erwiderte Herniu zögernd. „Ich kann dir kein anderes geben. Alle guten Pferde brauchen wir zur Verfolgung der römischen Reiterei. Sie hat gestern, zusammen mit Flüchtlingen vom Troß des Varus, Aliso erreicht. Dieses befestigte römische Lager an der Lippe müssen wir erobern. Laßt euch von meiner Mutter ausgeruhte Pferde geben! Sie soll euch auch mit guter Kleidung ausstatten, daß unsere Gesandtschaft nicht ärmlich vor Marobod erscheint. Kleidet euch aber germanisch! Der Herzog soll auch daran erkennen, daß wir die alte Sitte mit ihrer Freiheit ehren.“ WIEDER DURCH DEN TEUTOBURGER WALD Die Reittiere der fünfzehn Stämme hatten sich über den ganzen Talgrund und die Wiesenhänge verstreut und grasten. Sie gingen nur an die Stelle nicht heran, wo am Tage zuvor die Legionen gegen den Ansturm der Germanen gekämpft hatten und nun die Toten in fast abgezirkeltem Rechteck lagen. Germanische Krieger stiegen über die Toten, um zersplitterte Schilde oder Speere gegen bessere auszutauschen oder sich Kleidungsstücke zu holen; denn
viele hatten während der Kämpfe ihre Umhänge und alles andere abgeworfen, um nicht behindert zu sein. Jetzt aber war Herbst, und in dem flachen, sumpfigen Lande, durch das sie ziehen mußten, war es neblig und kühl. Während Herniu und Olfo ihre Pferde und den Esel des Blinden suchten, bliesen die Urhörner zum Sammeln der Stämme, denn sie sollten nach Aliso marschieren. Als die beiden jungen Männer mit den Tieren zu Asni kamen, fanden sie bei ihm zwei mächtige Gestalten, den chattischen und den marsischen Priester, beide mit langen weißen Bärten. Da die Priester ohne Pferde waren, ließen Herniu und Olfo sie reiten und zogen mit weitausholenden Schritten vor den Tieren die Straße der Quellen zurück. Rasch ging es am Feld der Endschlacht vorbei, und sie kamen in den Wald. Auch er war nicht unberührt. Wo es Kämpfe gegeben hatte, lagen am Wegrand Tote und zerbrochene Waffen. Tiere, die an den Leichen gefressen hatten, verschwanden im Dickicht. An einer Stelle liefen auf der Straße schwarze Vögel emsig hin und her, Raben, die vor den Reitern aufflogen und sich auf den Ästen der hohen Bäume krächzend niederließen. Nun schritten sie ohne Aufenthalt weiter und erlebten die Schlacht noch einmal in umgekehrter Folge. Anfangs empfand Herniu eine ihn ganz erfüllende Freude über die Größe des Sieges, dann aber begann ihn der stets gleiche und doch stets verschiedene Tod zu bedrängen. Schon waren sie an die höchste Stelle der Straße gekommen, als der Hügel auftauchte, auf dem Herniu zuerst mit Armin wieder zusammengetroffen war: Dort hatten vor nur drei Tagen wie Standbilder Ruwala mit dem Apfel, Tursinhilda mit dem geschnitzten Abbild der Frija und der Priester mit dem Schwerte Tius gestanden. Nicht weit davon war er, gefolgt von Sigimunt und Fabius, aus dem römischen Heer geflohen. Ob er die Leiche des fluchbeladenen Steuerpächters Gnaeus Lobilla sehen würde und Auerolf, der ihn erstochen hatte? Man hatte die Leichen von der Straße auf die Seite geworfen. Da blieb sein Blick auf dem Gesicht eines Toten mit blondem Bart haften. Wirklich, es war Auerolf, der umgekommen war, weil er sich vor der Flucht an einem verhaßten Sklavenaufseher hatte rächen wollen. Und wie er umgekommen war! In ihrer Wut schienen die Römer den schon Toten wieder und wieder durchstochen zu haben. Herniu wandte sich ab. Er mochte nicht mehr sehen, ob er den geldgierigen Lobilla ebenfalls hier finden würde oder ob ihn die Römer am ersten Tage der Schlacht nach ihrer Sitte noch verbrennen konnten. An der nächsten Krümmung des Weges lagen alle Spuren der Dreitageschlacht hinter ihnen, und nur die tiefen Furchen der Wagen zeigten, daß hier ein ganzes römisches Heer durchgezogen war, das es nun nicht mehr gab. ERSTE NACHRICHT Nachmittags brach die Sonne durch den grauen Wolkenhimmel, aber sie wärmte nicht genug, um die Nässe der letzten Tage aufzulecken. Daher würde die Nacht kühl werden. Herniu dachte nach, ob er nicht auf dem Hinmarsch eine Siedlung gesehen hätte. Auch Olfo blickte aus, um einen Seitenweg zu einer Siedlung zu entdecken. Dabei erspähte er fern in der Ebene das ehemalige Römerlager. Beim Näherkommen sah man, daß sich dort Menschen bewegten. Im Licht der untergehenden Sonne erkannten sie an der
Farbe und Form der Umhänge, daß die Unbekannten Germanen waren, die wahrscheinlich im Lager nach Liegengelassenem suchten. Die drüben fingen an, sich zu bewegen und zu winken. Dann rief einer herüber: „Aus der Schlacht?“ „Ja, Sieg!“ rief der Marse zurück. Nun löste sich die Gruppe, und die Kinder kamen den Reitern entgegengerannt. „Großer Sieg?“ fragte einer. „Ja, gewaltiger Sieg!“ Der Marse schlug mit der Frame so an seinen Schild, daß sein müdes Pferd erschrak und einige schnellere Schritte machte. Die Germanen umringten die Gesandten und fragten so viel durcheinander, daß der Blinde beschwichtigend die Hand hob: „Zügelt die Zungen! Führt zum Mahl die Menschen! Führt die Pferde zum Futter! Dann singt euch der Sänger!“ Eine Frau wandte sich an die Kinder: „Lauft ins Dorf und kündigt die Gäste an! Zeigt, wer von euch am schnellsten dort ist!“ „Ich!“ schrie der größte der Jungen und schlug sich mit der Hand an die nackte Brust, daß es klatschte. Und fort schoß die ganze Schar. Die Kleinsten freilich blieben trotz aller Bemühungen ihrer kurzen dicken Beine bald zurück. „Was trägst du da?“ fragte eine Frau und deutete auf Hernius Ledersack: „Habt ihr noch so viel Fleisch und Käse?“ Der Blinde antwortete für Herniu: „Nicht neigt, der geschworen, den Mund der Neugier. Nur dem gebührt die Antwort, dem die Gabe gehört.“ Kurz vor den Hütten der Siedlung kam ihnen der Junge entgegengestürzt. Außer Atem schrie er: „Mutter, ich war zuerst da! Was denkst du, wie die andern hinterherhingen!“ - Die Alten sammelten sich inzwischen, um die Gäste zu begrüßen. Nach guter Sitte aß man schweigend und ließ den Gästen Zeit, sich vom langen Ritte auszuruhen. So wurde es Nacht, bevor sich das Dorf am Thingbaum versammelte. Dem Blinden stellte man ein Bänkchen hin und hängte ihm ein warmes Fell um. Als sich alle versammelt hatten, sprach der Dorfälteste die bei den Cheruskern übliche Aufforderung an den Sänger: „Dem weisen Wissenden gehört das Wort.“ Asni begann: „Das Urhorn gellte Unheil, rief zum Kriege die kernigen Kämpfer, rief zu den Waffen in Wald und Weide. Tiu schwang das schneidende Schwert. Die Frame gab Wuotan zum Flug in die Feindschar. Sprach Armin, der Götter Hand, des Heerbanns Herzog: ,Taub trafen wir Rom bei unserer Trauer, stumm stand es unserem Schmerz, roh raubte es des Thinges Recht’.“ So sang der Blinde, bis er zu den Worten kam: „Es rufen die Römer im Römerland Rache. Was wartet ihr noch, bis neue Waffen sie schmieden und schleifen die Schneiden?“ Die Bewaffneten schlugen an ihre Schilde, aber niemand dachte an Aufbruch. Nur einige Jünglinge erhoben sich, um in das Festfeuer neue Scheite zu werfen. Der Dorfälteste reichte dem Blinden ein Horn mit Met, das dann kreiste. Da niemand etwas laut sagte, fragte er: „Sind es viele Römer, die umgekommen sind, und hattet ihr selbst Verluste?“
Der marsische Priester antwortete. Nun aber folgte Frage auf Frage, und dabei merkte Herniu, daß der Priester nicht viel gesehen hatte. Deshalb sagte er zu ihm: „Erlaubst du, daß ich antworte?“ „Tue das, mein Sohn!“ Herniu erzählte nun vom Abschiedsmahl bei Varus und wie der Cheruskerfürst Segest den Römer vor Armin gewarnt hatte. „Die Verräter!“ schrie einer. „Man müßte ihn zu den Römern hinüberjagen!“ Als es wieder ruhig geworden war, berichtete Herniu von den neuen Warnungen durch den Führer der römischen Reiterei, Vala Numonius, der schließlich mit seiner ganzen Truppe den Varus mitten in der Schlacht verlassen hatte. Das war selbst Asni noch unbekannt. Da Herniu sah, mit welcher Wißbegier man ihm zuhörte, wuchs seine Begeisterung. Er vergaß dabei sogar, wie unmöglich es war, daß ein so junger Mann in einer Volksversammlung sprach. Erst als er zu dem großen Gemetzel und der Opferung an den Altären der Götter kam, wurde ihm das Ungehörige bewußt, und er wandte sich an den alten Marsen: „Hier endet, was die Jugend sah.“ Ganz unerwartet brach ein Sturm der Begeisterung aus. Man schrie und schlug lange gegen die Schilde, bis sich der blinde Sänger erhob, um sich zu seinem Schlafplatz führen zu lassen. Schon mußte es nach Mitternacht sein, und die Herbstnacht war empfindlich kalt. „Vater“, sagte Herniu mit einem Schuldgefühl, „ich hatte vergessen, wo ich war.“ „Du tatest, was du mußtest. So wie heute werden wir jede Nacht berichten müssen, weil es überall die erste Nachricht über die Schlacht sein wird.“ EIN REITERGEFECHT Am Morgen, als die Gesandtschaft vom Schlachtfeld abgerückt war, hatte Armin mit den Anführern der Stämme Kriegsrat gehalten. Dabei erbot sich Alabolt, ein Neffe des Riesen Raganhar, in kühnen Worten, die gesamte Reiterei der Germanen rasch nach Aliso zu führen und, wenn es möglich wäre, Vala Numonius und seine Reiterei zu vernichten. Armin versprach sich wenig von der Führung durch einen so jungen Mann wie Alabolt. Es war ihm aber erwünscht, daß einer aus der Familie seines gefährlichsten Gegners, des Überfürsten Segest, mit Schwung gegen die Römer zu kämpfen verlangte. Da sich nun die übrigen Germanenführer alle für den jungen Alabolt aussprachen, stimmte auch er dieser Wahl zu. Es verging einige Zeit, bis die Reiter der fünfzehn Stämme zusammenkamen. Am stärksten waren die Abteilungen der Cherusker und der Semnonen, während einige Stämme nur wenige Reiter hatten. Welcher Stamm sollte an der Spitze marschieren? Alabolt bestimmte die Cheruskische Reiterei, und hinter ihr sollten die übrigen niedergermanischen elf Stämme folgen. Das verdroß die Semnonen, Langobarden und Hermunduren, die so an das Ende verwiesen wurden, obwohl sie sich zum Reiterkampf für besonders befähigt hielten, weil sie als Sweben bei ihrem Herzog Marobod die römische Kampfweise gelernt hatte. Gegen Abend erreichten sie die breit dahinfließende Lippe und sahen jenseits die Festung Aliso mit ihren geraden Wällen. Außerhalb auf den Wiesen trieben Leute in weißen Gewändern, sicher Römer, Vieh der Festung zu. „Denen nehmen wir das Vieh weg!“ rief Alabolt und sprengte zur Lippe hinunter, gefolgt von den vordersten Reitern. Da die hinteren mit diesem plötzlichen Galopp nicht gerechnet hatten, zogen sie sich schon während des Hindurchplätscherns durch den Fluß weit auseinander. Ohne sich umzublicken, raste Alabolt auf die Römer zu, die auseinanderstoben. Vor den heranstürmenden Germanen wandten sich die Rinder nach der anderen Seite, und die ganze Herde rannte von der Festung fort. Nun verfolgten die Cherusker die einzelnen Römer, und sie stießen jeden nieder, den ihre Framen erreichten. über dieser Verfolgung hatte Alabolt nicht bemerkt, daß aus dem Tor von Aliso die römische Reiterei herausquoll, zu breiten Formationen aufmarschierte und gegen die weit auseinandergezogene Kolonne der Germanen von der Seite antrabte. Ein Teil der verbündeten Stämme folgte weiter den Cheruskern, ein anderer schloß sich zusammen, um, freilich ohne gemeinsame Führung, den Römern zu begegnen. Die Sweben kamen als letzte durch die Furt und bildeten breite Fronten hintereinander. Dort hatte Wolfhart, der Anführer der Semnonen, die Führung übernommen. Er konnte aber nicht mehr rechtzeitig den Vorausgeeilten helfen, von denen die Cherusker mit Alabolt an der Spitze nun den Römern entgegengaloppierten. Er sah aber, daß sie zu wenige waren, um etwas auszurichten. Alabolt stach mit hoch erhobener Frame auf die Römer ein. Dann verschwand er in dem unübersehbaren Getümmel von Rossen und Kriegern. Männer stürzten, Pferde rasten davon. Auch die Römer waren in Unordnung geraten, und in ihre Flanke wollte Wolfhart nun mit den swebischen Reitern fallen.
Römische Tuben schmetterten Signale. Vala Numonius hatte wohl die Gefahr bemerkt, die ihm von den schwächeren, aber geschlossen ansprengenden Sweben drohte. Er schwenkte ab, konnte jedoch nicht verhindern, daß ein, wenn auch kleiner Teil seiner Reiterei von den Germanen niedergemacht wurde, die erst vom Kampfe abließen, als sie schon der Festung nahe waren. Nun erst kümmerte sich Wolfhart darum, was aus Alabolt geworden war. Man suchte unter den Toten und fand ihn auch, von mehreren Spießen durchbohrt. Während die Cherusker einen Scheiterhaufen zum Verbrennen der Leichen errichteten, versammelte Wolfhart alle Anführer der Reiterei um sich und stellte die Frage, wer der Nachfolger Alabolts werden sollte. „Wolfhart! Wolfhart!“ schrien alle, weil sie gesehen hatten, mit welcher Sicherheit und Überlegung er die Sweben geführt und die Römer zum Rückzug gezwungen hatte. Er nahm seine Wahl ohne Erregung an und sagte: „Ich weiß, alle sind müde, aber bis zum Eintreffen Armins mit dem Fußvolk der fünfzehn verbündeten Stämme sind nur wir es, die verhindern können, daß die Römer aus Aliso abziehen. Armin kann frühestens morgen abend hier eintreffen.“ Dann legte er die Hauptmacht vor das Westtor, aus dem die Römer ausbrechen mußten, wenn sie nicht mit ihren vielen Kampfunfähigen einen großen Umweg machen wollten. Denn sie hatten Verwundete, Frauen, Kinder, Spaßmacher und viel solches Volk bei sich. Vor die anderen Tore stellte er schwächere Abteilungen, die erfolgreich verhinderten, daß die Römer Lebensmittel in die Festung brachten, denn ihr Vieh waren sie schon beim Herannahen der germanischen Reiterei losgeworden.
AUF DER REISE Am nächsten Tage erreichte die Gesandtschaft, die Armin zu Marobod geschickt hatte, Sigimärs Siedlung auf dem Hügel über der Weser. Armins Mutter ging ihnen besorgt entgegen: „Kommt ihr als Adler oder als krächzende Raben?“ „Als Adler des Sieges mit Schwert und Apfel!“ erwiderte der alte Marse. Das Gesicht der Frau wurde froh: „Kommt dahinüber und setzt euch! Man wird für euch sorgen.“ Rasch schritt sie davon, damit die Gäste gut bewirtet würden. Alles ließ sie herantragen, was sie Gutes hatte, denn ihr Herz war voll Freude. Da sie aber auch hören wollte, wie die Germanen gesiegt hatten, rief sie die Frauen, um der Gesandtschaft Umhänge, Hosen und Schuhe nähen zu lassen. Auch die Unfreien kamen und lagerten sich in einem Bogen um die Gäste, die noch aßen. Kaum hatten sie geendet, als Armins Mutter sagte: „Hier ist roter Wollstoff, um die Tiere eurer Stämme auf die Umhänge zu nähen. Wir Cherusker sind vom Pferde. Das können Asni, Herniu und Olfo tragen. Wie aber steht es mit euch, Väter?“ „Wir Chatten“, erwiderte der eine der beiden Priester, „kämpften unter dem Bären, die Marsen unter dem Hirsch. Da wir aber als Bund des Apfels siegten und Tiu unser Gott ist, sollten über den Tieren Apfel und Schwert zu sehen sein.“ „Wir werden auch Äpfel und Schwerter aufnähen. Aber nicht nur zur Arbeit kamen die Frauen und Männer, sie warten auch auf dein Wort, Sänger.“ „Das Wort sollt ihr haben, aber auch lernen sollt ihr das Lied. Deshalb singe ich es euch Satz für Satz vor, damit ihr es nachsingt: „Das Urhorn gellte Unheil.“ Im Chor wiederholten sie: „Das Urhorn gellte Unheil.“ „Schwang da Tiu das schneidende Schwert.“ So sangen sie abwechselnd bis in die Nacht. Unverlierbar wurde ihnen das Lied. Herniu freilich war unruhig. Er hatte begriffen, wie wichtig es war, daß die Gesandtschaft schnell reiste, und dazu brauchten sie ausgeruhte Pferde. Während des Singens aber konnte er mit niemandem darüber sprechen. Als er endlich die Möglichkeit hatte, mit den jungen Männern zu reden - denn die älteren waren mit Armin ins Feld gezogen - waren sie müde, und Herniu wurde ungeduldig, weil sie nicht recht darauf hörten, was er ihnen sagte. Erst am Morgen konnte er erreichen, daß sie gute Pferde bekamen, und das auch nur, weil Armins Mutter sich mit fester Ruhe der Sache annahm. Asnis Esel war von den weiten Wegen so ermüdet, daß der Blinde ihn zurücklassen mußte und dafür ein ruhiges Pferd bekam. An diesem Tage ritten sie lange, bis zu der Siedlung, in der Swidun, der Schwache, wohnte, denn Asni wollte, daß der junge Sänger das Lied vom Teutoburger Walde lernte und es im ganzen Lande östlich der Weser sänge. Da Herniu den Schwachen gern mochte, war er freudig überrascht, als er ihnen ohne Hilfe entgegenkam. Vielleicht war es auch das Bewußtsein, nicht mehr ein unbrauchbarer Mensch zu sein, was ihm die Kraft gab, sich straffer zu halten als früher. Als er gar erfuhr, was Asni mit ihm vorhatte, lachte er in heller Freude. Nach diesem guten Anfang wurde der Aufenthalt in dieser Siedlung für die Reisenden beschwerlich. Da sie nicht angekündigt waren, mußte nun erst einmal Essen bereitet werden, und dadurch verzögerte sich die dörfliche Zusammenkunft. Herniu verhandelte lange und erregt um Reitpferde für den nächsten Tag und kam nicht zum Essen, bevor man ihn zu seinem Schlachtbericht rief. Danach legte er sich sehr müde neben das Feuer und schlief ein, während die Dörfler mit einem Tanz begannen. In Reihen hatten sie sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt und wogten mit stets gleichen Schritten vor und zurück. Am Morgen waren nicht nur die jungen Leute müde, sondern allen wurde der lange Ritt schwer. Sie beachteten kaum die Berge, an denen sie entlangzogen. Nur Swidun blickte sich aufmerksam um, denn noch nie war er im bergigen Lande gewesen. Er hatte gelernt, sich auf dem Pferde zu halten, wenn er hinaufgeschoben wurde. Nach dem anfänglichen Trab ritten sie Schritt und ließen die Pferde lang. „So können wir nicht weiterziehen“, sagte der alte Marse, „überall wird man von uns verlangen, daß wir von der Schlacht berichten, und überall wird man nach unserem Bericht die Nacht durch tanzen. Aber du, Asni, mußt auch einmal schlafen. Kann Swidun schon das Lied?“
„Ich kann es“, erwiderte der Schwache mit seiner tönenden Stimme, und der Stolz, daß er das Lied nach dem einen Mal des Hörens konnte, war ihm anzumerken. „Heute und jede zweite Nacht singe ich statt des blinden Vaters.“ Plötzlich sagte der sonst meist stumme Olfo: „Auch Herniu kann nicht jeden Abend berichten und sich außerdem um die Pferde kümmern. Dafür sorge ich jetzt.“ Herniu war von dem entschiedenen Ton seines Freundes überrascht. Von dieser Seite kannte er ihn nicht. Noch mehr wunderte er sich, als Olfo am Abend mit den jungen Männern wegen der Pferde verhandelte. Er hatte eine breite, freundliche Art, mit der er mehr erreichte als der leicht erregbare, oft ungeduldige Herniu. Besonders merkwürdig war es, daß Olfo in dieser Nacht bestimmte, wer schlafen sollte, und sie zu ihrem Lager brachte. Der alte Marse gehorchte widerspruchslos dem jungen Olfo, weil sein gutherziges Wesen jeden entwaffnete. So brachte Olfo auch Herniu nach dem Schlachtbericht zum Lager in eine der Winterhütten. Der Morgen war herbstlich feucht, über den Wiesen lagerte Nebel, und im Walde roch es nach faulendem Holz und Pilzen. Für den Blinden und Swidun waren die Pferde da, die zum Paßgang erzogen waren, so daß sie ruhig und dabei schnell liefen. Eine so große Zahl Bewaffneter begleitete heute die Gesandtschaft, daß in einer Siedlung die Leute voll Furcht in den Wald flohen, weil sie glaubten, da käme ein fremder Stamm auf einem Raubzug. Die größte Überraschung erlebten die Reisenden, als sie sich abends müde und naß einem Dorfe näherten und ihnen die gesamte Bevölkerung zur Begrüßung entgegenströmte. Nur Olfo wunderte sich nicht, denn er hatte, wie es Armin gewöhnlich auf seinen schnellen Reisen tat, noch in der Nacht zwei Burschen vorausgeschickt und sagen lassen, bei der Gesandtschaft befände sich ein Sänger, der von einem großen Sieg der Germanen berichten würde. Fröhlich und laut führte man die Gäste in die größte Hütte, in der es würzig nach Gebratenem roch. Frauen nahmen ihnen die feuchten Umhänge ab und hängten ihnen am Feuer gewärmte um. Nach dem Essen aber zeigte es sich, daß die Dorfbewohner sich im Freien nicht versammeln konnten, denn es war eine kühle Herbstnacht. Daher mußten sich sehr viele Menschen in die Hütte zwängen. Noch am besten hatten es die Kinder, die sich in die engen Winkel unter das schräge Dach legten. Die Ältesten saßen auf Bänken, die übrigen aber, Frauen wie Männer, standen dicht gedrängt, um Swidun, den Schwachen, zu hören, der mit gekreuzten Beinen auf einem Tische saß und Asnis neustes Lied sang. Als dann Herniu zu seiner Rede kam, stieg er auf den Tisch, um von überall gesehen zu werden, stieß aber mit dem Kopf an den Firstbalken der Hütte und mußte leicht gebückt sprechen. Außerdem hatte sich ein schwüler Dunst gebildet, der oben erstickend war, so daß er nach den ersten Worten seinen schön benähten Umhang fallen ließ. Er gab sich besonders Mühe, denn der Blinde hatte ihm gesagt: „Morgen erreichen wir das Gebiet der swebischen Hermunduren. Sage schon heute etwas davon, wie tapfer ihre Krieger kämpften, damit die Boten, die nach deinem Bericht aufbrechen, schon vor unserer Ankunft davon sprechen. Wir müssen die Stämme der Sweben noch stärker an uns binden.“ Der folgende Tag brachte schlechteres Wetter. Es regnete langsam und unaufhörlich, so daß der magere Swidun vor Kälte mit den Zähnen klapperte, als sie spät das ziemlich große Dorf der Hermunduren erreichten. Auch da fand die Versammlung in einer geräumigen Hütte statt und wurde zu einer stürmischen Verbrüderung zwischen den niedergermanischen Cheruskern und den anderssprechenden Hermunduren, deren Väter und Brüder mit Armin kämpften. Der Blinde hatte aber auch besondere Verse für sie gedichtet, die er wiederholte, damit sie im Gedächtnis hafteten. Herniu hörte gespannt zu, denn er verstand, daß es sich darum handelte, alle Germanenstämme zum Kampf gegen die Römer - und vielleicht für immer - zu vereinigen. Dieser Gedanke, so bekannt er ihm durch sein Zusammensein mit Asni war, ergriff ihn doch heute mit Gewalt, wie eine Bedrängung. Als er nun von seinen Erlebnissen während der Schlacht berichtete, kehrte auch er das hervor, was er von den swebischen Stämmen gesehen hatte. Dabei geriet er in solche Begeisterung, daß er nicht wußte, ob die Hitze, die er nach seinem Schlachtbericht verspürte, von den vielen Menschen oder von dem Überschwang seiner Gefühle kam. Nach einem Augenblick des Schweigens brach der Lärm los. Man klatschte, trampelte und schrie: „Hoo-a!“ als ob es zum Kampfe ginge. Der Erfolg dieses Abends war so groß, daß am nächsten Tage alle Männer der Siedlung, die ein Pferd hatten, mit der Gesandtschaft aufbrachen, obwohl es immer noch regnete. So wurde der Weg durch das Hügelland der Hermunduren zu einem Zug voll Begeisterung. Noch nie in diesen Jahren waren in entlegene Dörfer solche Nachrichten und solche Sänger gekommen.
DURCH DEN URWALD Nach den vielen Regentagen erreichten die Reisenden bei strahlendem Wetter das menschenleere Sauengebirge und stiegen in einem der gewundenen Täler langsam gegen den Kamm auf. Zu beiden Seiten des Pfades prangten Buchen in ihrem herbstroten Laub, dazwischen dunkelgrüne Tannen, deren Stämme fest und kerzengerade im braunen Waldboden wurzelten. Die hermundurischen Begleiter waren stumm, denn dieses Waldgebirge galt bei ihnen als verzaubert. Irgendwo auf einer Wiese im dichtesten Walde sollte die Hexe Wulfgardis in einer sonderbaren Hütte wohnen, sonderbar, denn die Hütte stand auf drei Beinen und konnte sich in den Schatten stellen, wenn es zu warm war, oder umgekehrt in die Sonne, wenn die uralte Hexe über Gliederschmerzen klagte. Ob diese Hexe böse oder gut war, darüber gingen die Meinungen auseinander. Die einen sagten, sie liefe in Neumondnächten als Wolf durch den Wald mit glühenden Augen und feuerrot aus dem Maule hängender Zunge und ließe Mensch wie Tier durch ihr schreckliches Aussehen erstarren. Andere behaupteten, sie verzaubere nur die Markomannen, wenn sie sich in den Wald drängten, so daß sie nicht mehr herausfänden und elend drin umkämen. Wenn das stimmte, so war Wulfgardis wohl gar eine Hermundurin und gehörte zu der Sippe des Wolfs, wie sich aus ihrem Namen ergab. Dann müßte sie auch Leuten aus der Sippe des Wolfs wohlgesinnt sein. Aus diesem Grunde hatten die Hermunduren beschlossen, einer von der Sippe des Wolfs sollte vorausreiten. Dieser schon ältliche Mann war für seinen Mut im Kampfe bekannt. Er fürchtete sich aber vor Zauber und lugte während des Rittes ängstlich nach vorn und den Seiten. Er sah jedoch nur viele Wildspuren und gegen Abend ein Rudel Elche mit mächtigen Schaufelgeweihen, das den Weg kreuzte. Da die Elche von rechts kamen, erklärte der marsische Priester das für ein gutes Zeichen, das man beachten sollte. Er riet dazu, hier zu übernachten. Die Männer saßen ab, banden den Pferden die Vorderbeine zusammen und trugen Holz und Tannenzapfen herbei, so daß bald das Feuer lustig prasselte. Denn die Nachtgeister können das nicht hören und bleiben daher fern. Als sie das mitgebrachte Fleisch und Brot verzehrt hatten, rief Asni alle zusammen: „Morgen beginnt für uns eine Zeit, in der wir uns jedes Wort überlegen müssen. Bisher waren wir unter Freunden, nun wird das anders.“ Er fürchtete, daß Marobod durch seine Späher, die er überall unterhielt, bald erfahren würde, wie herzlich die Hermunduren ihn empfangen hatten. Das würde den Fürsten sicherlich mißtrauisch stimmen. Keinesfalls sollten die Markomannen, und vor allem Marobod, wissen, daß der blinde Asni ein Sänger war und daß er mit seinen Liedern die germanischen Stämme immer wieder zum Kampf gegen Rom, den gemeinsamen Feind, aufrief. Deshalb wollte er auch Swidun nicht weiter mitnehmen, denn man würde fragen, wozu dieser junge kampfunfähige Mensch mit der Gesandtschaft reiste. Asni bat die Hermunduren, Swidun mit zurückzunehmen und ihn zu ehren, wie man sonst ältere Sänger in germanischen Landen ehrt. Zu seinen eigenen Begleitern aber sagte er: „Sprecht in Bojuheim nicht von der Schlacht, aus der wir kommen! Wir sind so schnell gereist, daß uns die Nachricht von unserem Siege kaum überholt haben kann. Marobod soll davon zuerst aus unserem Munde hören.“ AN DER OGRA In der Kühle des klaren Morgens verabschiedeten sich die Hermunduren und Swidun, um nun mit weniger Grauen durch den Wald der Hexe zurückzukehren. Herniu aber war enttäuscht, daß er der Hexe Wulfgardis nicht begegnet war und auch ihr dreibeiniges Haus nirgends hatte entdecken können. Bald erreichten die Gesandten den Gebirgskamm, von dem aus sie über das im Sonnenschein liegende Land und weithin zu den Waldbergen des lieblichen Mittelgebirges blickten. Herniu erschien dieses Land heute noch schöner als vor drei Jahren bei seinem ersten Zug. Die Blätter fingen schon an zu fallen und den Boden mit rötlichem Laub zu bedecken, in dem die Hufe der Pferde raschelten. Nun ging es steil abwärts durch den lichtdurchfluteten Wald. Unten trafen sie einen Mann mit kahlgeschorenem Kopf, der Holz schlug, überrascht richtete er sich auf, warf einen Blick zu den Reitern in ihren bunten Umhängen hinüber und wollte sich im Gebüsch verstecken. Der alte Marse aber rief: „Bleib, Markomanne! Wir kommen als Freunde!“ Erstaunt hielt der Mann inne: „Wenig verstehe markoman.“ Darüber wunderten sich die Reisenden. Der Blinde begriff zuerst: „Du bist wohl ein Bojer?“ Heftig nickte der Mann: „Bojer, unfrei!“
Asni wandte sich an die beiden Priester, die mit ihm zogen: „Er gehört zu dem keltischen Volk, das in Bojuheim herrschte, bevor die Markomannen ihnen die Freiheit nahmen.“ Wieder wandte er sich an den Bojer: „Wir sind keine Markomannen, sind von der Weser und vom Rhein.“ „Rhein weit.“ „Ja, weit. Was machen die Markomannen?“ „Markoman böse. Uns alles nehmen.“ „Hast du von einer großen Schlacht gehört?“ „Weiß nicht. Viele germanische Krieger fort.“ „Wohin fort?“ „In Sumpfland, Nebel.“ Er deutete nach Norden. „Du meinst die Hermunduren?“ fragte der Marse. „Hermundur, Semnon, Langobard.“ „Dank für deine Auskunft, Bojer! Können wir nicht die Ogra überschreiten?“ „Furt, aber markoman!“ Leise berieten sich die Reisenden und änderten die Richtung. Aufmerksam hatte sie der Bojer betrachtet und rief ihnen nach: „Dort nicht markoman.“ Olfo blickte scharf aus und fand eine Stelle, wo die Pferde gefahrlos durch den breiten, seichten Fluß waten konnten. Jenseits ging es steil im hohen Wald aufwärts. Sie wußten nun, daß hier von der großen Schlacht noch nichts bekannt war, und wollten noch am selben Tage möglichst weit kommen. Nach einer Rast zu Mittag setzten sie sich wieder zu Pferde und ritten weiter nach Süden der Sonne entgegen. Einige Stunden später kamen sie zu einer Wiese, auf der viel Vieh weidete. Vier Hunde jagten ihnen entgegen und versuchten sie nach Wolfsart einzukreisen. Ein Mann, der in der Sonne gelegen hatte, schwang sich aufs Pferd und galoppierte ihnen entgegen. Kurz vor den Ankommenden hielt er jäh an: „Wer seid ihr?“ „Eine Gesandtschaft von der Weser.“ „Ist das dort, wo die Sonne nie scheint?“ „Ja, Freund, wir kommen aus Sumpf und Nebel“, erwiderte Asni, der von seiner früheren Reise nach Bojuheim wußte, wie man hier über Niedergermanien sprach. „Wächst dort Gras für das Vieh?“ „Wie sollten wir sonst Pferde haben?“ „Wahr sprichst du.“ Der Mann änderte seinen Ton. „Ich kann euch nicht ins Dorf bringen, weil ich unfrei bin, und die Unfreiheit lastet schwer.“ Er wandte unwillig den Kopf ab. In der Siedlung betrachtete man sie mißtrauisch und wurde erst freundlich, als sie in ihrem niedergermanischen Dialekt zu sprechen begannen. Nach dem Mahl kamen die Ältesten in die Hütte zu Asni, und einer sagte: „Wir wissen, daß unsere Nachbarn, die Hermunduren, aber auch die Semnonen und Langobarden, mit großen Kriegerscharen in das Land des Nebels gezogen sind. Und das, obwohl sie, wie wir, zum Bund der swebischen Stämme gehören. Begegneten sie euch?“ „Wir trafen sie an der Weser.“ „Haben sie euer Land überfallen?“ „Nein, sie kamen als Freunde und wollten gemeinsam mit uns gegen die Römer kämpfen.“ „Gegen die Römer also? Wozu aber zieht ihr in fürstlichen Gewändern in unser Land?“ „Wir sind Gesandte der Freundschaft zu Marobod.“ „Freundschaft?“ fragte der Alte erstaunt und fuhr nach einigem Nachdenken fort: „Marobod hat keine Freunde.“ „Ist er nicht euer Herzog?“ fragte der Marse. „Das schon, aber habt nicht auch ihr die Sitte, daß ein Herzog nur zu einem Feldzug gewählt wird? Im Frieden hatten wir nie einen, sondern da bestimmte das Thing. Jetzt aber unter Marobod hat sich das geändert. Sind wir denn Römer, daß er alles tun kann, Gutes und Böses, Gerechtes und Ungerechtes? Habt ihr auch einen Herzog?“ „Für den Feldzug gegen die Römer wählten wir Armin.“ „Dann seht zu, daß er nicht auch im Frieden euer Herzog bleibt!“ So sprachen sie weiter, von beiden Seiten vorsichtig. Asni aber erkannte, daß nicht nur die unfreien Bojer, sondern auch die freien Markomannen nur ungern Marobods Herrschaft ertrugen.
OLFOS SPÄSSE Inzwischen hatte Olfo außerhalb der Hütte begonnen mit den jungen Männern zu sprechen, um die müden Pferde gegen frische zu tauschen und Boten vorauszusenden. Herniu stand dabei und fragte sich, wie er es anfangen würde, sich mit den Dörflern zu befreunden. Die jungen Markomannen hatten noch nie einen Niedergermanen gehört, und Olfo hatte dazu, eine so langsame Art, das an sich schon breite Sugambrisch zu sprechen, daß die jungen Leute einander anstießen und sich über den ungeschlachten Olfo lustig machten. Sie betasteten auch seine Muskeln, wie ein Kenner Pferdebeine betastete. Dieses Benehmen ärgerte Herniu. „Muskeln hast du“, sagte einer, „aber mancher kann mit den dicksten Armen nicht einmal einen Säugling hochheben.“ Sie lachten. Olfo ließ sich dadurch nicht stören und lachte mit: „Hier steht eine Bank. Zwei von euch mögen sich draufsetzen, und ich werde sie heben.“ „Das kann ich auch“, sagte ein starker Markomanne. „Dann hebe ich eben drei“, erwiderte Olfo gemächlich. Sofort setzte sich ein dritter auf die Bank. Freilich waren das junge, nicht sehr schwere Menschen, denn die älteren hielten es für unter ihrer Würde, als Gewichte zu dienen. Olfo ging halb in die Knie, griff unter die Bank und hob alle drei in die Höhe. Dann jedoch ließ er die Bank kippen, so daß sie zum Gelächter der anderen mit strampelnden Beinen herunterfielen. Er wollte aber noch mehr zeigen: „Stellt euch mal zu fünft hintereinander!“ Ehe sie es sich versahen, hatte er sie mit einem mächtigen Ruck über den Haufen geworfen. „Das gilt nicht!“ rief einer. „Geh erst einmal gegen zwei unserer Stärksten und gib ihnen Zeit, sich fest hinzustellen!“ Olfo legte seine Sachen ab, band sich die Schuhe los, um die Füße fest in den Boden stemmen zu können. Einen Augenblick schien es sogar, als würde er fortgepreßt werden - seine Beinmuskeln traten stark heraus - aber plötzlich mußten die anderen weichen. Damit hatte er die Bewunderung der Jugend errungen. Während in der Hütte die Alten ernsthaft sprachen, war man hier fröhlich und beschloß, am nächsten Morgen in großer Zahl mit den Fremden zu ziehen. Das alles betrachtete Herniu mit Bewunderung und wurde sich nun erst bewußt, daß er bisher von Olfos geistigen Fähigkeiten nicht viel gehalten, sondern ihn nur wegen seiner Schlichtheit und Gutherzigkeit sehr gern gemocht hatte. In den folgenden Tagen legte die Gesandtschaft eine weite Strecke zurück, weil Olfo alles so gut vorbereitet hatte. Abend für Abend mußte er jetzt Proben seiner Kraft zum besten geben. So legte er sich eines Nachmittags nach einem Ringkampf, nackt wie er war, auf den Rücken und verlangte von den Kindern, die zusahen, sie sollten sich quer auf seinen Bauch setzen. Die Kleinen fürchteten sich aber vor dem starken Menschen mit der fremden Sprache und den wilden Haaren, die nicht, wie bei den Markomannen, gekämmt und auf dem Kopf zusammengebunden waren. Ihre älteren Brüder mußten sie erst nebeneinander wie Vögelchen auf Olfos Bauch setzen. Sie warteten, was nun kommen würde. Plötzlich begann er seinen Bauch in Wellen zu bewegen, so daß die Kleinen in komischer Weise hin und her schwankten und gegeneinanderpurzelten. Sofort legten sich auch andere hin und versuchten das Kunststück, das Olfo vor Jahren während der langen Stunden des Viehhütens von anderen Jungen gelernt hatte. DIE ÜBERGABE DES KOPFES Es war ein warmer Herbsttag, als sie zu Mittag die Burg Marobods vor sich sahen. Sie lag auf einem hohen Steinhügel, um den sich auf drei Seiten ein klares Flüßchen wand. Auf der Mauer aus übereinanderliegenden Baumstämmen stand ein Krieger und stieß ins Urhorn. Rasch kamen andere auf die Wallkrone und blickten den Heranreitenden entgegen. Wie es der Anstand forderte, ritten die Gesandten langsam auf die Burg zu, die drei Niedergermanen voran, mit fliegenden Haaren und in ihren langen, mit Tieren benähten Umhängen. So hatte der Burgherr Zeit, um sich zum Empfang der Gäste vorzubereiten. Aus der Burg kamen ihnen drei Reiter entgegengesprengt, hielten an, und der Bläser stieß ins Hörn. Auch die Gesandten hielten. Herniu ritt mit Olfo vor, der zum Gegengruß blies. „Wer seid ihr?“ fragte ein Höfling, den Herniu als denselben erkannte, der sie vor Jahren zur Heeresschau
Marobods geführt hatte. „Hinter uns“, erwiderte Herniu, „befinden sich ein Cheruskischer, ein marsischer und chattischer Priester als Gesandte der zwölf Stämme zwischen Weser und Rhein und ihres Herzogs Armin.“ „Ich werde das Herzog Marobod melden.“ Bald kehrte er wieder zurück: „Herzog Marobod bittet die Gesandtschaft in den Burghof. - Wer aber seid ihr, Sweben, die mit der Gesandtschaft kommen.“ „Wir sind Markomannen und haben die Gesandtschaft aus freiem Stück begleitet.“ Unfreundlich antwortete der Höfling: „Man wird euch bewirten, wie es die Sitte gebietet.“ Was ist daran Schlechtes, wenn Markomannen Marobods Gäste begleiten? dachte Herniu. Nach dem Eintritt ins Tor kam den Gesandten ein noch sehr junger Mann in leichtem römischem Gewand entgegen. Er grüßte auf römische Art und bat die Gesandtschaft in die Gasthütte, in der sie denselben Sklaven trafen, der sie vor drei Jahren bedient hatte. Während man sie aber damals mit leichter Mißachtung behandelte, geschah heute alles mit betonter Aufmerksamkeit. Wußten sie etwa schon von Armins großem Sieg? Der Höfling hatte sich entfernt, erschien aber nach kurzer Zeit wieder und bat die Gesandten zum Herzog. Sein Haus stand in der Mitte des Hofs, umgeben von niedrigen Hütten. Es war dem halb römischen Holzbau im Heerlager ähnlich. Marobod saß, einen Blätterkranz auf dem Kopf, in dem mäßig erleuchteten Raum am anderen Ende vor dem Steinherd. Höflinge standen auf beiden Seiten neben ihm. Die drei Gesandten gingen auf Marobod zu, Asni in der Mitte, während Herniu mit dem Ledersack hinter dem Blinden folgte. Der Höfling deutete auf sie: „Vor dir stehen ein Cherusker, ein Marse und ein Chatte als Gesandte der zwölf Stämme und ihres Herzogs Armin.“ Marobod hob hochmütig den Kopf: „Mich verwundert, daß sie einen Herzog wählen konnten, da sie zu einer römischen Provinz gehören.“ Asni trat einen Schritt vor: „In der Tat hatten unsere Stämme die Freiheit verloren. Inzwischen aber haben wir Publius Quintilius Varus besiegt, und Armin sendet uns, dir diesen Sieg zu künden.“ Marobod blickte den Blinden starr an. Augenscheinlich hatte ihn die Nachricht noch nicht erreicht. „ Besiegt? Es gibt verschiedene Arten von Siegen.“ Lächelnd erwiderte Asni: „Ja, große und kleine. Es war ein Sieg, bei dem drei Legionen eingekreist und alle Römer unseren Göttern geopfert wurden. Aus der Beute sendet dir Armin das wertvollste Stück, er will dir damit zeigen, wie sehr er deine Freundschaft, Herzog der Markomannen, wünscht.“ Herniu trat vor und streckte Marobod den Ledersack hin, aus dem es schlecht roch.
„In diesem Beutel“, sagte Asni, „steckt das Große.“ „Neunmal wand den Riemen Wuotan, Tiu ihn wand. Welke des Hand, der wider Recht das Band entwindet.“ Der Herzog deutete mit seinem geschnitzten Stock auf einen Höfling, der den Sack übernahm, „öffne ihn!“ Der Höfling erwiderte: „Herzog, darauf liegt ein schwerer Fluch. Nur du darfst den Sack öffnen.“ Widerwillig legte Marobod den Stock neben sich. Er schien bei seiner römischen Erziehung solche
Beschwörungen für Unsinn zu halten. Als er den Riemen gelöst hatte, bog er angewidert den Kopf zur Seite, denn Gestank entströmte dem Beutel. Trotzdem mußte er hineingreifen und zog an den Haaren einen schwarzen, fast vertrockneten Menschenkopf hervor. Feierlich sprach Asni: „Es ist Varus.“ „Nehmt das stinkende Stück weg!“ sagte Marobod. Diese Worte empörten den alten Marsen: „Es ist ein Gastgeschenk!“ „Ich weiß es als das zu schätzen, Priester, aber liebe doch den Geruch nicht.“ Etwas lauter fuhr er fort: „Man wird euch zu meiner Tafel bitten.“ Stolz nickte er und entließ so die Gesandtschaft.
IN MAROBODS SCHATZKELLER Zur Abendmahlzeit wurden die drei Priester und Herniu als Führer des Blinden wieder abgeholt und in dieselbe mächtige Hütte geleitet, in der sie empfangen worden waren. Nun hingen Öllämpchen an den Stützen des Daches. Rechts standen Frauen hinter einer langen Tafel aufgereiht. Sie trugen mit bunten Wollfaden bestickte Hemden und darüber weiße Umhänge. Links waren hinter einem anderen Tisch die Höflinge ebenso aufgestellt und traten etwas zurück, um die Gesandtschaft durchzulassen. Kaum hatten sie ihren Platz an einem Sondertisch erreicht, als sich alle der Tür zuwandten. Marobod trat in römischer Toga ein, auf dem Kopf den Blätterkranz. Hinter ihm folgten rechts nacheinander vier Frauen, römisch frisiert, in purpurnen Togen, die Frauen Marobods, links seine ältesten Söhne in ähnlichen Gewändern. Sie alle zogen durch die Mitte, die Herzoginnen und die Herzogssöhne zu gesonderten Tischen, Marobod zu seinem, der quer dastand. Mißtrauisch blickte er nach den Seiten, ohne den römischen Gruß der Anwesenden zu erwidern. Nur der Gesandtschaft schenkte er ein lässiges Erheben der Arme. Hinter der Herzogsfamilie kamen mit Schild, Frame und Helm sechs stattliche Krieger, die sich im Rücken Marobods in einer Linie aufstellten. Er gab mit der linken Hand ein Zeichen für die Frauen, mit der rechten eins für die Männer, sich zu setzen. Herniu hatte das Gefühl, daß er sich bei seiner Jugend in dieser hohen Gesellschaft nicht an einen Tisch setzen dürfte. Er blieb also hinter Asni stehen und bediente ihn. Ein Blick hinüber zu den Frauen zeigte ihm, daß sein Verhalten als richtig empfunden wurde. Nun trat durch die Tür ein dicker Höfling, gefolgt von Männern, die auf Holzschüsseln Speisen trugen. Er stellte sich straff vor den Herzog. Marobod deutete auf ein Stück Fleisch, worauf der Dicke einen Dolch aus dem Gürtel zog, ein kleines Stück abschnitt und es verzehrte. Ebenso wurde ihm
befohlen, aus einer Glasschale zu nippen, die er dann Marobod reichte. Der erhob sich, wendete sich zu dem lodernden Herdfeuer und schwappte Wein hinein, es war eine Nachahmung römischer Trankopfer. Hierauf drehte er sich wieder zu den Gästen um, nahm einen Schluck und setzte sich. Rasch trugen nun die Sklaven Speisen und Schalen mit Wein zu den Tischen. Zugleich trat ein junger Mensch in einem leicht bestickten Gewand hinter Marobod und begann die Flöte in lang ausgezogenen Läufen zu blasen. Damit wurde das Schmatzen der Gäste übertönt, das anzeigen sollte, wie gut es ihnen schmeckte. Da dem ersten Gericht ein zweites folgte, gerieten die Gesandten in Verlegenheit, denn nach ihren einfacheren Sitten hatten sie sich schon am Wildschwein reichlich satt gegessen, so daß sie nur aus Höflichkeit vom Huhn und Reh noch etwas in sich hineinstopften. So dauerte das Mahl lange. Schließlich erhob sich Marobod und sagte zu den Gesandten: „Ich möchte euch meine Schätze zeigen.“ Die Priester und Herniu folgten ihm; und ihnen schlössen sich die Herzogssöhne an. Außerhalb des Empfangsbaus standen sechs Krieger mit Fackeln, die sie begleiteten, bis sie zu zwei Posten mit Schild und Frame kamen, die Marobod den Eintritt freigaben. Zwischen Steinwänden führten Stufen abwärts. Zwei der Fackelträger leuchteten dem Herzog sorgsam hinab zu einer schweren Holztür, die der älteste Sohn unter großem Kraftaufwand mit einem riesigen Schlüssel öffnete. Das alles war römisch, denn die Germanen kannten nur Holzriegel und auch keine in den Fels gehauenen Keller. Jetzt standen sie in einem Gang, an dessen erweitertem Ende etwas funkelte. Der zweite Sohn hatte zu Hernius Überraschung den Lederbeutel mit dem Kopf des Varus in der Hand und überreichte ihn seinem Vater, der damit vorwärts schritt und ihn in eine breite Metallschale legte. Darauf nahm er vom Boden einen silbernen Napf, den er Asni gab. Herniu mußte die Hand des Blinden dem Gefäß entgegenführen. „Als Gegengabe“, sagte Marobod, „sende ich Arminius diese Arbeit. Er wird sie sicher zu schätzen wissen, da er unter den Römern gelebt hat. Sie ist aus feinstem Silber getrieben und soll den Schatz des Herzogs bereichern.“ Herniu blickte Marobod an, um zu sehen, ob er das zum Hohn sagte, denn weder Armin noch sein Vater besaßen mehr als dieses oder jenes Stück aus Silber. Sie hielten die Gegenstände auch nicht verschlossen, da die Cherusker Edelmetalle wenig schätzten und niemand stahl. „Blickt euch um! Nehmt auch Gegenstände auf! Der Schatz stammt von meinem Vorfahren Ariowist, der ihn von den Römern erbeutete.“ Gefäße von Gold und Silber, Glas und Bergkristall standen ungeordnet auf dem Boden und glitzerten im unruhigen Licht der Fackeln. Asni ließ sich von Herniu einiges reichen und fuhr tastend darüber, während der Marse und der Chatte verständnislos auf den Schatz blickten. Da sie nichts anrührten, hob Marobod eine Goldschale hoch, in der bunte Steinchen lagen: „Ihr scheint das Beste zu übersehen, diese Saphire und Rubine. Schaut euch den geschnittenen Onyx aus Ägypten an! Es ist die einzige Edelsteinsammlung in Germanien.“ Marobod blickte die Gesandten stolz an, es machte aber auf keinen viel Eindruck. UNANGENEHME ÜBERRASCHUNG Am folgenden Morgen ließ der Blinde den Höfling zu sich bitten und sagte zu ihm: „Gestern habe ich den Herzog nur über unseren Sieg im Teutoburger Wald unterrichtet und ihm das Haupt des Varus überreicht. Kann ich ihm heute die Botschaft Armins ausrichten?“ „Der Herzog ist auf die Jagd gezogen“, antwortete der Höfling und beobachtete die Wirkung dieser Worte. In der Tat waren sie eine aufreizende Lüge, denn jeder wußte, daß Marobod nie jagen ging und diese Beschäftigung der freien Germanen verachtete. Während die beiden alten Priester deutlich ihre Bestürzung zeigten, hatte sich Asni in der Gewalt und antwortete: „Dann wird es wohl morgen möglich sein, den Herzog zu sehen?“ Abweisend antwortete der Höfling: „Ich kann nicht angeben, wann unser Herr zurück ist. Aber alles, was die Burg an guter Küche und Annehmlichkeiten bietet, steht zu eurer Verfügung. Der Herzog besitzt auch eine Sammlung lateinischer Schriftrollen.“ Das war eine ausgesuchte Unverschämtheit, denn es war nicht anzunehmen, daß einer der Gesandten lateinisch konnte. Herniu verzog leicht den Mund. Den Höfling ärgerte das, und er sagte: „Soll ich dir Rollen schicken?“ „Ich wäre dir dafür dankbar“, erwiderte Herniu, „dann kann ich meinem Vater Asni daraus vorlesen.“
Der Höfling warf Herniu einen bösen Blick zu und sandte jedenfalls keine Schriftrollen, weil er Hernius Worte als eine schlagfertige Gegenbosheit betrachtete. Nach diesem Besuch saßen die Gesandten stumm und mißmutig da, denn gern hätten sie sich über den Sinn des angeblichen Jagdzuges ausgesprochen. Der in der Ecke hockende und auf jedes Wort horchende Sklave aber machte eine freie Unterhaltung unmöglich. Schließlich brach Asni das Schweigen und sagte nachdrücklich: „Der Bete biete Trotz dem Bösen, er halte hell sein Ohr zu hören!“ Herniu verstand, daß ihn der Blinde wegen seiner Erwiderung tadelte, ihn gleichzeitig jedoch aufforderte, herumzuhorchen. Deshalb sagte er: „Erlaube, Vater, daß ich mit Olfo ins Freie gehe! Wir sind keine Römer und auch nicht gewöhnt, den ganzen Tag in Häusern zuzubringen.“ „Wir kommen mit euch“, fügte der Marse hinzu. Der Rundgang zwischen den Hütten der Burg war bald beendet, und sie stiegen auf den Wall. Steil unter ihnen lag das gewundene Tal mit dem Flüßchen, an dessen Ufer sich die Hütten der Unfreien befanden. Auf diesen Wall stiegen sie erneut am Nachmittag, in der Hoffnung, Marobod mit seinem Hofstaat zurückkommen zu sehen. Er kam jedoch nicht, ebenso am zweiten und dritten Tag. Gegen Abend dieses Tages wollte Asni von Herniu hinausgeführt werden und verlangte zu erfahren, was man vom Wall aus sähe. Als sie hinaufstiegen, fragte er: „Hast du etwas erfahren?“ „Die Krieger lassen sich auf kein Gespräch ein.“ „Was denkst du, Herniu, bedeutet die Abwesenheit Marobods?“ „Er will erst von seinen Spähern wissen, ob unser Sieg -“ „Das natürlich. Und daran erkennst du seine Schwäche.“ „Das verstehe ich nicht, Vater.“ „Hast du nicht bemerkt, wie offen neulich der unfreie Bojer gegen die Markomannen sprach? Und auch der alte Markomanne sagte am selben Tage, Marobod hätte keinen Freund. Weil er die Freundschaft seines eigenen Stammes verloren hat, schließt er sich in seiner Burg ein. Hat das Armin nötig? Und selbst in seiner Burg glaubt Marobod sich von Menschen umgeben, die ihm nach dem Leben trachten. Deshalb läßt er von seinem Hausmeister das Fleisch kosten, bevor er es ißt.“ „Und so jemand sollte ein wertvoller Verbündeter für uns sein?“ „Wie kurzsichtig du bist, Herniu! Du kennst die Betrügereien römischer Advokaten, aber verstehst nicht, worum es bei unserer Gesandtschaft geht! Du läßt dich sogar hinreißen, diesem Höfling auf seine Frechheiten zu erwidern. Das braucht Marobod, um sein Spiel zu treiben!“ Betroffen erwiderte Herniu: „Was liegt uns an ihm?“ „Als ob es um den Mann ginge! Hast du vergessen, daß drei Stämme seines Reichs mit uns gegen Rom kämpfen? Merktest du nicht, daß er das zuließ? Damit wollte er den Römern Schwierigkeiten bereiten, ohne daß man ihm eine böse Absicht nachweisen konnte. Dabei hat er aber einige Fehler gemacht. Was ist es denn, wonach sich die Stämme des Swebenbundes sehnen? Fort von Marobods Gewaltherrschaft. Armin bietet ihnen das. Herrscht unser Fürst nicht über die zwölf Stämme ohne Gewalt? Und besteht nicht für Marobod die Gefahr, daß sich die swebischen Semnonen, Langobarden und Hermunduren ebenfalls uns anschließen? Du scheinst auch nicht zu verstehen, daß die Übersendung des Varuskopfes weit mehr ist als ein Geschenk. Haben nicht die drei Stämme des Markomannenreiches den Kopf mit erbeutet? Da ihn Marobod annahm, bekannte er sich als Mitsieger gegen Rom! Ja, daß er ihn seinem Schatz einverleibte, können ihm die Römer sehr übelnehmen, und sie sind ihm an der Donau näher und gefährlicher als uns Cheruskern. Dadurch kann er eines Tages ein Bündnis mit uns brauchen. Siehst du nun, wie unüberlegt deine Worte waren?“ Herniu war über diesen Tadel des von ihm hochverehrten Asni so bestürzt, daß er zwei Tage in sich gekehrt schwieg. Er mußte sich eingestehen, daß der Blinde viel weiter sah als er selbst mit all seiner Schlauheit. ZWEITER EMPFANG BEI MAROBOD Endlich nach einer Woche traf Marobod wieder ein und lud die Gesandtschaft zu Eberköpfen und Bärenlebern, die angeblich auf der Jagd erbeutet worden waren. Das geschah wieder am Abend und wieder so steif wie das erste
Mal. Auch der Flötenspieler trillerte hinter seinem Herrn. Beim Hinausgehen blieb Marobod vor Asni stehen: „Morgen werde ich euch empfangen.“ Nach dem in der Gasthütte eingenommenen Frühstück holte der Höfling die Gesandten ab. Diesmal saßen neben dem Herzog etwas tiefer seine Söhne, während auf der anderen Seite die Höflinge und hinter ihm die bewaffnete Wache standen. Die drei Gesandten näherten sich Marobod und hoben die Hand zum Gruß. Er senkte als Gegengruß seinen Stab. „Herzog der Markomannen!“ begann Asni. „Du hast bereits Armins Geschenk, das Haupt des römischen Feldherrn Varus, empfangen und deinem Schatz einverleibt.“ Mit unbewegtem Gesicht erwiderte Marobod: „Vergiß es! Ich nahm den Kopf heraus und habe ihn dem Kaiser Augustus geschickt. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, ließ ich ihm dabei mitteilen: „Es ist wahr, daß einzelne Krieger meines Reichs ohne meine Erlaubnis gegen die Römer gekämpft haben, ich gab ihnen jedoch strengen Befehl, sich von Arminius zu trennen. Andernfalls würde ich mit meiner ganzen Heeresmacht in ihre Länder einfallen.“ Es entstand eine Pause, weil sich Asni erst fassen mußte. Er richtete sich steif auf und fragte: „Soll ich Herzog Armin melden, daß der Herzog der Markomannen das Geschenk der verbündeten zwölf Stämme Niedergermaniens so wenig achtet, daß er es weiterverschenkte?“ „Ich habe meine Achtung dadurch erwiesen, daß ich dir als Gegengabe meine schönste Silberschale überreichte.“ Asni suchte seine Entrüstung niederzukämpfen und sagte dann fast ruhig: „Herzog Armin ist sich bewußt, daß die beiden großen Bereiche der Macht in Germanien, deine und seine, aneinanderstoßen. Er wünscht Frieden mit dir.“ „Dasselbe wünsche ich, habe aber keinen Anteil an Herzog Armins Kampf gegen den Kaiser Augustus. Der hat schon vor Jahren dem Frieden einen Altar errichtet, und genau wie Augustus verehre ich den Frieden.“ „Auch die zwölf Stämme würden nicht kämpfen, wenn Augustus ihnen nicht Varus mit seinen Legionen ins Land geschickt hätte. Ich erinnere dich auch daran, Herzog, daß Augustus, trotz seines Friedensaltars, grundlos gegen dich einen Feldzug machte und daß dein Reich nur durch den Aufstand der Pannonier gerettet wurde. Jetzt wiederum dankst du dem Sieg der zwölf Stämme, daß Augustus, den du als Friedenskaiser so sehr lobst, dich nicht erneut überfallen kann. Daher, so erscheint es Armin, müßte dir daran liegen, dich mit ihm -“ Marobod unterbrach den Blinden mit scharfer Stimme: „Mich bindet ein Freundschaftsvertrag an Rom, und wie ich dir schon sagte, würde ich meine ganze Macht gegen die Semnonen, Langobarden und Hermunduren werfen, wenn sie ihre Krieger nicht von Arminius zurückrufen. Denn sie sind als swebische Stämme mir Untertan.“ „Ich nehme an“, erwiderte Asni, „daß Armin sagen wird: ,Der Markomannenherzog zerreißt unsere Heeresmacht mitten im Kampfe. Eines solchen Freundes Freundschaft nennt man Feindschaft.’“ „Ach?“ rief Marobod höhnisch, „wollt ihr auch mit mir kämpfen? Hat Armin so viele Krieger, daß er gegen zwei Mächte gleichzeitig siegen will? Oder welchen Sinn soll es sonst haben, mich als Feind zu bezeichnen?“ Er hob den Kopf noch höher und sagte eisig: „Pferde für eure Rückkehr stehen bereit.“ Darauf senkte er die Spitze seines Stabes gegen die Gesandten, zum Zeichen ihrer Entlassung. Vor der Tür fanden sie ihre Pferde und eine berittene Abteilung markomannischer Krieger bereit. Asni hatte sich schon gefragt, ob seine letzte Mahnung nicht zu grob gewesen wäre. Nun aber war es klar, daß Marobod von vornherein ein schroffes Ende der Besprechung gewollt hatte.
Verfolgung EIN STREIT
N
der römischen Festung Aliso lag eine Gastwirtschaft, in der früher Germanen abgestiegen waren, die mit den Römern handelten und nachts nicht in der Festung bleiben durften. Hier hatte Armin Quartier genommen. An diesem Abend befanden sich bei ihm die Anführer der Aliso belagernden Stämme, die dicht gedrängt in dem nach Süden offenen Schankraum saßen, Öllämpchen schwankten leicht im nächtlichen Luftzug. Sigimär erhob sich mühsam, denn seine Gelenke schmerzten: „Mein Bruder Ingwiomär hat diese Versammlung gefordert. Er spreche!“ Der sehnige, braungebrannte Ingwiomär stand rasch auf: „Ich habe die Versammlung deshalb gefordert, weil ich mit der Führung unseres Heeres unzufrieden bin. Wir gehen dem Winter entgegen und werden bald nicht mehr kämpfen können. Schon haben wir Wigimot mit den Kriegern der Sugambrer gegen den Rhein vorausgeschickt. Weshalb geht es aber hier nicht weiter? Gestern nacht fingen wir einen Römer ab; er versuchte durch unsere Linie zu schleichen. Er wollte aus der Festung nicht nur wegen des Hungers, der schlimm ist, sondern auch, weil eine Seuche wütet. Menschen liegen im Fieber und sterben nach wenigen Tagen. Warum greifen wir nicht an? Weshalb nicht gleich morgen früh? Wo ist der kriegerische Geist unserer Väter geblieben!“ Man nahm diese stürmische Rede ziemlich kühl auf, und der Führer der Angriwarier sagte: „Ich finde nur eins an den Worten Ingwiomärs richtig: Unser Plan war, den Aufstand gegen Rom auch jenseits des Rheins zu entzünden, und jetzt könnten wir mit unseren Hauptkräften weitergehen und hier nur eine schwache Belagerungstruppe zurücklassen.“ Armin nickte dem Sprecher zu, wendete den Kopf aber schnell nach der offenen Seite des Raums. Dort tauchten zwei Männer mit hochgebundenem Haar auf, einer in schwarzem Lederumhang. „Waltomir!“ rief der Anführer der Langobarden. „Weshalb hast du den weiten Weg her gemacht?“ „Aus demselben traurigen Grund wie mein Freund, der Semnone. Marobod hat Eilboten zu den swebischen Stämmen geschickt: Unsere Krieger sollen sofort nach Hause zurückkehren. Andernfalls würde er mit seiner ganzen Heeresmacht in unsere Länder einfallen und unser Eigentum an Vieh und anderem Gut nicht schonen.“ Der zweite Bote fügte hinzu: „ Welfo, Wolfrits Sohn, dein Vater verlangt von dir, daß du sofort mit allen Semnonen abrückst.“ Geschrei drang in den Raum. „Ursilo!“ sagte Armin unruhig zu dem hinter ihm stehenden Läufer: „Sieh nach, was es da gibt, und wenn es nötig ist, sage ihnen: Der Herzog gebietet Frieden zwischen den Stämmen!“ Noch während dieser Anweisung brach in der Versammlung der Unmut gegen Marobods Verrat aus. „Mäßigt euch!“ rief der Hermundure Liutiprant. „Habt ihr vergessen, daß Marobod trotz allem der Herzog der swebischen Stämme ist?“ „Ein schöner Herzog!“ entgegnete einer verächtlich. Sigimär versuchte die Männer zu beruhigen. Inzwischen kam Ursilo erregt zurück: „Große Gefahr! Ein Bote Marobods ist zu den Langobarden gekommen und hat ihnen befohlen, sofort abzurücken. Sie wollen aber weiter mit den zwölf Stämmen kämpfen. Jetzt haben sie ihn umringt, und es kann zum Schlimmsten kommen!“ Armin sprang auf und faßte den Führer der Langobarden, der sich mit anderen stritt, heftig am Arm: „Komm, wir müssen verhindern, daß Marobods Bote erschlagen wird!“ Die beiden rannten in die schwarze Nacht hinaus. Währenddessen schrien die Zurückgebliebenen im Schankraum so aufeinander ein, daß Sigimär sich nicht verständlich machen konnte. Plötzlich trat Schweigen ein, denn der lange Ingwiomär und der kleinwüchsige, feste Welfo standen einander in höchster Wut gegenüber. Welfo sagte in die Stille hinein: „Ingwiomär, Hariomärs Sohn, ich erkläre dir noch einmal, daß es meine Pflicht ist abzurücken, wenn mein Vater es fordert!“ „Mitten in den Kämpfen, das ist Verrat!“ ICHT WEIT VON EINEM TOR
„Nimm das zurück, Ingwiomär!“ „Bei Tiu, es ist Verrat!“ Jäh zog Welfo sein langes Schwert. „Wahnsinniger!“ Sigimär stürzte sich trotz seiner Schmerzen auf Ingwiomär, um zu verhindern, daß auch er das Schwert zückte. „Welfo ist unser Bruder! Der mutigste Mann in Germanien!“ Es war zu spät: Welfo hatte Ingwiomär schon an der Schulter verwundet. Da dieser auch zum Schlag ausholte, griff ihm Sigimär in das Schwert. Blut spritzte von seiner Hand dem Bruder ins Gesicht. Das erst brachte diesen zur Besinnung, so daß er einen Schritt zurückwich. Alle starrten die zwei an. Rasch trat Armin ein: „Die Römer sind durchgebrochen! Auf zur Verfolgung!“ Nun vergaß Ingwiomär, daß er Welfo tödlich beleidigt und seinen Bruder verwundet hatte. Mit anderen Stammesfürsten stürzte er hinaus, so daß nur Sigimär, Armin und die Führer der swebischen Stämme im Schankraum blieben. Da Welfo noch immer starr vor Wut dastand, breitete Sigimär seine Arme aus, um Welfo begütigend zu umarmen: „Welfo, sieh meinem Bruder seine Unbesonnenheit nach! Ich verehre dich, ebenso wie mein Sohn Armin!“ Welfo schob Sigimärs Arme zurück: „Es muß dir genügen, daß ich meinen Bruder Wulfegar bei euch lasse. Die Beleidigung aber ist ungesühnt!“ Sigimär hatte noch die Arme erhoben. Da öffnete Armin erschrocken den Mund, so daß Welfo auch auf Sigimärs blutende Hand blickte: „Bewege die Finger!“ „Es geht nicht, Welfo“, und mit einem verzweifelten Lächeln fügte er hinzu, „die Sehnen sind zerschnitten. - Wenn diese Hand nur deine Freundschaft gerettet hat, Welfo!“ Bewegt antwortete der Semnonenführer: „Dein Herz ist groß, Sigimär! Ich - ja, ich werde die Beleidigung um deiner für mich verstümmelten Hand willen zu vergessen suchen.“ Er umarmte und küßte Sigimär, wobei er sich auf die Fußspitzen stellen mußte. „Ist das ein Bund?“ fragte Armin leise. „Das ist ein Bund!“ Welfo blickte sich nach den Führern der Langobarden und Hermunduren um: „Laßt das Blut dieser Hand eure Hände benetzen! Es ist das Blut eines Helden! Heute ziehen wir ab, aber meine swebischen Brüder denken wie ich.“ Er senkte seine Stimme zum Flüstern: „Das unter uns! über Jahr und Tag werden wir uns mit euren zwölf Stämmen für immer vereinen.“ Eilig trat Ursilo auf sie zu: „Armin, man verlangt nach dir!“ Armin wandte sich an die Sweben: „Wir scheiden als Freunde. Diese Minuten waren wichtiger als die Verfolgung der Römer.“ Den Vater bat er, zu dem alten Priester der Angriwarier zu gehen. Der konnte vielleicht die Hand noch retten. PHILODOROS, DER FLÖTENSPIELER Mittags kam die von Marobod zurückkehrende Gesandtschaft an die Werra und ritt flußabwärts, bis sie nach Dunkelwerden die Stelle erreichte, wo die beiden Ströme sich vereinigen. Da auf diesem Ufer kein Boot lag, riefen sie abwechselnd über den Fluß. Als sie endlich das leise Rauschen der durch das Wasser gezogenen Stake hörten, rief der Marse dem Fährmann entgegen: „Sitzt ihr auf den Ohren?“ „Man erzählte uns eben in der langen Hütte, daß die Römer aus Aliso entkommen sind.“ „Erzähle!“ „Laßt uns das drüben sagen! Ich muß in dieser dunklen Nacht sehr aufpassen.“ Herniu setzte sich hinten in den Kahn, die Halfter zweier Pferde in der Hand, die hinter ihm durch den Fluß schwammen. Eine Angst umklammerte sein Herz. Armin, der genug Krieger hatte, um im Teutoburger Wald drei Legionen zu vernichten, sollte nicht fähig gewesen sein, die wenigen Truppen in Aliso festzuhalten? Im Dorfe fragte Herniu sofort, wie das geschehen war. Die Leute wußten aber nur, daß Welfo und der ungestüme Ingwiomär zusammengestoßen waren. Das beunruhigte Herniu noch mehr. Am Morgen saßen sie in der Hütte, tranken Milch und aßen Brot, als ein junger Mensch hereinpolterte: „Eine große Menge Krieger zieht heran!“ Alle drängten sich durch die schmale Tür ins Freie. Auf dem Talweg näherte sich eine unabsehbare Kolonne, an
deren Spitze Männer mit hochgebundenem Haar ritten, Sweben. Herniu erkannte den Anführer der Hermunduren. „Wohin zieht ihr?“ rief der alte Marse. Mißmutig antwortete der Hermundure: „Ihr kommt ja von Marobod und müßt wissen, womit er uns droht.“ Bedrückt und schweigend ritten Armins Gesandte in den trüben Morgen hinein. Nachmittags gerieten sie in immer dichteren Nebel und befanden sich unversehens auf der Römerstraße, an der zwei Tote lagen, die vor Verwesung schon schwarz waren. Ihr Geruch begleitete sie ein Stück, bis ein Feuerschein ihre Aufmerksamkeit nach vorn lenkte. Zugleich hörten sie Lärm, und dann tauchten Wälle auf, Aliso. Einige Baracken standen in Flammen, von anderen rissen Germanen Holz ab und luden es auf Karren. „Kann man hier übernachten?“ fragte der Marse. „Hütten gibt es in Menge, aber nichts zu essen. Ihr reitet besser durch die Lippe. Dort liegt ein großes Dorf.“ Da Herniu die Lage des Dorfes kannte und die Lippe hier seicht war, fanden sie trotz des Nebels bald die ersten Hütten, und Olfo rief zu einer Tür hinein: „Höh, Gäste!“ Er hörte ein Rumoren, und aus der Hütte strömten bärtige Männer in römischen Kleidern, die sie sich wohl aus der verlassenen Festung geholt hatten. Man nahm Asni und seinen Begleitern bereitwillig die Pferde ab und führte die Gesandten hinein. Kaum saßen sie dicht gedrängt beieinander, vernahmen sie von draußen so seltsame Töne, daß Schweigen eintrat. Eine Flöte spielte in langen Läufen, und diese den germanischen Ohren ungewohnte Musik näherte sich der Hütte. Ein Mann kam herein: „Wir haben im Walde einen römischen Jüngling gefunden. Sein Verstand scheint wirr zu sein, er trillert nur auf seiner Pfeife. Soll ich ihn hereinbringen?“ „Ein Römer?“ erwiderte der Marse mißbilligend. „Kein Römer!“ sagte Herniu. „Erlaube mir zu erklären, wer das sein muß: ein griechischer Sklave, den sich der Statthalter Varus zu seinem Vergnügen hielt, wie man bei uns manchmal junge Bären auf dem Dorfe hat.“ „Was meint ihr, Priester?“ fragte der Blinde, „soll man ihn schonen? Armin hat einen gelehrten Griechen bei sich, ebenfalls einen Sklaven.“ „Ist er gegen die Römer wie wir?“ fragte der marsische Priester. „Herniu mag ihn fragen. Führt ihn herein!“ Das Flötenspiel hatte keinen Augenblick ausgesetzt. Nun trat der Spieler herein, aber Herniu erkannte ihn kaum wieder. Sein für diese Nebelnacht viel zu dünnes kurzes Gewand hing naß, schmutzig und zerrissen herunter. Das Gesicht war eingefallen. Die Augen voll Angst auf die Germanen gerichtet, schien er zu meinen, nur durch die Kunst seines Spiels könnte er sein Leben retten. Auf lateinisch sagte Herniu zu ihm: „Hör auf!“ Der Grieche setzte die Flöte ab und starrte entsetzt auf Herniu, der begriff, daß man diesem halben Kind erst einmal die Angst nehmen mußte. In ruhigem Tone sagte er: „Du stehst vor Priestern, denen man erzählt hat, daß du wahnsinnig bist. Verrückte aber läßt man hier tun, was sie wollen. Die Priester wollen nur wissen, ob du gegen die Römer bist.“ „Ich bin Sklave“, erwiderte der Jüngling demütig. „Das, Philodoros, wissen die Priester.“ Neues Entsetzen faßte ihn, daß der Germane sogar wußte, wie er hieß. „Ich bin kein Römer!“ schrie er. „Ich bin unschuldig!“ „Beruhige dich! Sage nur, daß du gegen die Römer bist!“ Philodoros öffnete hilflos den Mund. Dann endlich ging ein Schein des Verständnisses über sein Gesicht. „Die Römer haben meine Schwester entführt.“ Schluchzend wiederholte er noch einmal: „Entführt!“ Nach der Übersetzung dieser Worte meinte der Marse: „Daß dieser Mensch harmlos ist, sieht man ja. Er soll sich neben dich setzen, Herniu!“ Man machte dem Flötenspieler Platz. Darin erblickte er nur eine neue Gefahr: „Ich bin Sklave!“ hauchte er. „Ach, Philodoros, das kümmert hier niemanden. Setz dich und iß!“ „Viele Tage habe ich nichts gegessen.“ Verschüchtert schob er sich neben Herniu und nahm das Stück Fleisch, das der ihm gab. „Iß langsam!“ Immer wieder mußte Herniu den halb Verhungerten ermahnen, nichts hinunterzuschlingen. „Du wirst sonst krank. Heute abend nur wenig, morgen mehr!“
RITT DURCH DIE NACHT Nach dem Streit zwischen Ingwiomär und Welfo hatte es im Lager der Germanen eine heillose Unordnung gegeben. Sie rannten und schrien durcheinander. Von allen Seiten fragte man nach Armin. Er aber faßte Ursilo, den Läufer, am Arm und sagte leise: „Ich habe für dich einen Auftrag und weiß, daß er schwer ist. Die Römer sind zwar durchgebrochen, aber noch nicht gerettet, dazu vom Hunger geschwächt. Sie werden eine starke Reiterabteilung nach Vetera vorausschicken, damit die Römer ihnen zu Hilfe und mit Lebensmitteln entgegenkommen. Das letzte der drei Übernachtungslager zwischen hier und dem Rhein hat aber Wigimot mit seinen Sugambrern überfallen und schon besetzt. Zu ihm reitest du mit noch zwei Mann, und dazu müßt ihr die Römer überholen. Wigimot soll erstens verhindern, daß römische Boten nach Vetera durchkommen, zweitens die Masse der Durchgebrochenen aufhalten, bis ich in zwei bis drei Tagen mit dem Heer heran bin. Verstanden?“ Scheinbar ruhig bejahte das Ursilo. Wie aber sollte er bei dieser Dunkelheit zwei Mann heraussuchen, die findig genug wären und auch die Körperkräfte hätten, so einen Gewaltritt auszuhalten? Gerade flammten Fackeln auf und erleichterten ihm das Finden, so daß er bald mit den beiden abreiten konnte. Rasch blieb der Lärm hinter ihnen, aber sie sahen zunächst nichts als undurchdringliches Dunkel. Die Hufe klapperten erschreckend laut auf der festen Straße. Zu spät fiel Ursilo ein, daß er sie hätte mit Stroh umwickeln sollen, hier gab es keins. Wenn die Römer einen Hinterhalt gelegt hatten, wäre es eine Kleinigkeit, die drei Reiter niederzustechen. Aber die durchgebrochenen Römer mußten vorwärts hasten. Ihr Vorsprung mochte etwa zwei Stunden betragen. Jetzt war es nach Mitternacht, also mußte Ursilo noch vor Tagesanbruch das Ende der römischen Kolonne erreichen. „Schritt!“ befahl Ursilo und sagte dann leise: „Jetzt reiten wir scharf drauflos, erst später vorsichtig. Wenn einer angegriffen wird, kümmern sich die anderen nicht um ihn, sondern reiten weiter, damit wenigstens einer Wigimot den Befehl bringen kann!“ Keiner antwortete. Ursilos Worte waren zu unheimlich. Wieder trabten sie. Plötzlich hielt einer sein Pferd an. Vor ihnen schien ein Gebäude zu liegen, wohl eine der kleinen Raststätten für durchziehende Kaufleute. Ursilo flüsterte: „Die Pferde von der Straße! Einer hält sie, der andere kommt mit, Frame vor!“ Vorsichtig gingen sie auf das Haus zu. Ein Geräusch ließ sie stehenbleiben. Was war das? Wie ein schmerzliches Gähnen. Da es wieder still wurde, schlichen sie weiter. Wieder ein Geräusch. Als ob sich einer erbräche. Bei Betrunkenen pflegte das aber anders zu klingen. Stöhnen aus anderer Richtung. Befanden sich etwa Verwundete hier? Ein schwacher Lichtschein fiel aus dem Schankraum auf die Straße, auf der ein umgefallener Schemel lag. Ursilo schob sich an einer Holzwand entlang und blickte in den Raum: wüste Unordnung. Auf einer Schilfmatte lag ein Mensch und atmete schwer. Er stank widerlich, wohl davon, was der Mann - übrigens ein römischer Legionär - ausgebrochen hatte. Trotz seines Ekels trat Ursilo ein und blickte in die Nebenräume. Man schien Körbe und Kisten nach Eßbarem durchwühlt zu haben. Hinter dem Schanktisch stieß er an etwas Weiches. Dort lag unter einem Tuch ein Mensch, wahrscheinlich tot. Ursilo erschrak sehr und gab den anderen ein Zeichen: Zurück! Schon bevor sie die Pferde erreicht hatten, dachte er: Nicht wieder durchsuchen. Das hält uns nur auf. Weiter trabten sie durch die Nacht. Auf einmal brach ein Pferd im Galopp zur Seite aus. Ursilo erkannte am Straßenrand einen hockenden Menschen - noch einen! Er trieb sein Pferd vorwärts. Noch mehr Menschen hockten am Boden, aber keiner erhob sich. Ein kurzes Stück nur ließ Ursilo sein Pferde galoppieren. Dann zügelte er es und wartete, bis die beiden anderen ihn eingeholt hatten. „Erschöpfte oder Kranke. Bald kommen wir zum ersten der drei Übernachtungslager. Daher müssen wir über die Lippe. Wenn nur nicht die Römer drin sind, um Lebensmittel beizutreiben.“ Vorsichtig, im Schritt, näherten sie sich dem nahe vermuteten Fluß. Bald beugte Ursilos Pferd den Kopf tief. Es roch wohl Wasser. Gleich darauf patschte es in den Fluß und hielt, um zu saufen.
Jenseits näherten sie sich einem Gebüsch. Ursilo sagte: „Wenn Römer im Lager wären, würden wir sie jetzt schon hören. Also weiter!“ „Halt!“ rief da eine Stimme, und Männer mit erhobenen Framen traten aus den Büschen. „Wer seid ihr?“ Obwohl sehr erschrocken, antwortete Ursilo doch fest: „Boten vom Apfel.“ „Wer pflückt ihn?“ „Thing und Schwert.“ „Gut. - Wißt ihr, was in Aliso geschehen ist? Nach Mitternacht sind die Römer die Straße entlanggezogen.“ Ursilo berichtete über den Durchbruch. „Das also ist es? Wigimot, der Sugambrer, sagte uns, wir sollten unser Vieh forttreiben und alle Lebensmittel wegtragen, damit die Römer nichts fänden, wenn sie vorbeikämen.“ „Könnt ihr uns einen Mann geben, der uns an diesem Lippeufer unbemerkt an den Römern vorbeiführt? Noch heute müssen wir Wigimot erreichen.“ Nach kurzem überlegen antwortete der Mann: „Bis zu Wigimot - das ist nicht weit vorm Rhein - kann man zur Not an einem Tage reiten, aber halten das eure Pferde noch aus? Ich selbst werde euch zu einer abseits von der Straße liegenden Siedlung führen. Vielleicht finden wir dort Wechselpferde.“ WER KOMMT EHER? Grau stieg der Morgen herauf. An einem Waldstück hielten die vier Reiter, um nach der Straße jenseits der Lippe zu spähen. Zwischen den beiden abgeholzten Streifen zog sie sich weithin sichtbar entlang. Auf der Seite nach dem Rhein zu war nichts zu sehen, aber auf der anderen blitzte etwas im Morgendunst kurz auf, eine Waffe? Dort bewegte sich auch etwas. Der Führer fragte: „Kann Armins Reiterei schon heran sein?“ „Nein, nicht einmal das Fußvolk der fliehenden Römer.“ „Dann ist es wahrscheinlich ihre Vorhut.“ „Oder“, meinte Ursilo, „eine Reiterabteilung, die vom Rhein Hilfe holen soll. Wir müssen eilen, damit Wigimot von ihnen nicht überrascht wird!“ Für längere Zeit konnten die vier nicht sehen, wie weit die Römer schon gelangt waren. Die Pferde wurden immer müder. „Wie weit ist es noch zur Siedlung, wo wir frische Pferde bekommen können?“ fragte Ursilo. „Ein bis zwei Stunden.“ Endlich erreichten sie eine Blöße, und Ursilo sah mit Schrecken, daß die römischen Reiter schon mit ihnen in gleicher Höhe trabten. Glücklicherweise aber erblickten sie die versprochene Siedlung vor sich. Auch hier wurden sie durch Posten aufgehalten. Nach kurzer Erklärung sagte einer der Posten: „Pferde? Hier sind keine. Auf Wigimots Anweisung sind sie fortgeschickt und zu weit. Wir können sie nicht so schnell holen.“ „Aber wir müssen vorwärts!“ entgegnete Ursilo heftig. Die Männer überlegten. „Man sieht es euren Tieren an, daß sie am Ende ihrer Kräfte sind. Doch ich habe einen Gedanken. Ein Pferd ist noch hier. Auf dem reite ich zu einem Dorf, das ganz verborgen im Walde liegt. Dort muß es Pferde geben. Ich finde euch schon.“ Ursilo machte sich große Sorge, ob er Wigimot noch rechtzeitig erreichen würde, dazu kam die Anstrengung durch das rücksichtslose Antreiben des Pferdes und ein solcher Durst, daß er glaubte, nicht mehr schlucken zu können. Nun sah er auch noch, daß die Römer sie inzwischen weit überholt hatten. Allerdings bewegten sich die Legionäre nur im Schritt. Auch sie mußten ja müde sein, nur waren sie früher aufgebrochen als Ursilo mit seinen beiden Boten. Wo blieben die Wechselpferde? Nach längerem Reiten auf einem engen Waldpfad öffnete sich das Gelände. Von einem Hügel aus hatten sie eine weite Rundsicht und sahen die Straße von einem zum anderen Horizont, aber darauf nirgends einen Menschen. Verzweifelt stieß Ursilo hervor: „Nun haben uns die Römer endgültig überholt!“ „Wahrscheinlicher ist mir, daß sie den Auftrag hatten, heute bis zum zweiten Übernachtungslager zu reiten, und
das liegt hinter uns, gerade in der Mitte zwischen Aliso und dem Rhein.“ Ihr Begleiter unterbrach seine Rede: „Blickt mal nach links! Dort stehen Pferde! Das muß unser Wechsel sein.“ Die Boten fühlten ihre Glieder kaum noch, als sie auf die frischen Pferde mehr krochen als stiegen. Ursilo war zu müde, um es zu sagen, dachte aber: Die Römer können sich keine Wechselpferde beschaffen. Nun werden wir bestimmt vor ihnen ankommen. Ein leichter Wind hatte sich erhoben und trieb die Wolken auf die Reiter zu. Herbstrotes Laub leuchtete im hellen Sonnenschein auf. Ursilo glaubte, daß es gegen Mittag ging. Dann aber wurde er teilnahmslos, sackte im Reiten zusammen und schlief wohl gar ein bißchen, vielleicht nur für Augenblicke. Das war keine Erquickung, sondern eine Qual, denn er wollte sich nicht gehen lassen. In einem Augenblick des Halbwachens stellte er fest, daß nun die Sonne schon wieder zu sinken begann. Endlich sah er schräg gegen das Licht die Kämme von Wällen und das Lagertor, auf das zu zwei germanische Reiter mit Schild und Frame sprengten. Kurz nach ihnen erreichten die Boten das Tor, und Ursilo sagte: „Freiheit, Thing und Schwert.“ „Das ist zwar nicht unsere heutige Losung“, erwiderte der Wachhabende, „aber ich kenne dich. Reite in die Mitte des Lagers!“ Vor dem ehemaligen Hause des Lagerkommandanten, einem niedrigen Holzbau, stand Wigimot und hörte eben die beiden Krieger an, die berichteten, daß zu Mittag eine starke Abteilung römischer Reiter das Mittellager zwischen Aliso und Vetera eingenommen hätte. „Unsere Sugambrer“, sagte Wigimot, „sind stark genug, die Römer eine Zeitlang aufzuhalten, wenn ihnen Armin nur schnell genug folgt. - Aber was ist mit dir, Ursilo? Du siehst nicht gut aus.“ „Wir sind von Aliso bis hierher geritten, ohne uns auszuruhen oder zu essen.“ „Ach, das ist es! Kommt ins Haus! Eßt und schlaft!“ Nachdem Ursilo seine Botschaft ausgerichtet hatte, sank er wie tot auf ein Lager aus trockenem Laub, über das ein Fell gelegt war, und schlief eine Nacht und den ganzen darauffolgenden Tag. DIE VERFOLGER In der Nacht vorher hatten Armins Reiter gegen Morgen immer häufiger Römer getroffen, die mit der Hauptmacht nicht mehr Schritt halten konnten. Armin war bei den ersten abgestiegen und hatte sie auf lateinisch ausgefragt. Einer antwortete mühsam: „Ich bin krank.“ Mehr war aus dem völlig Erschöpften nicht herauszuholen. Eine Frau kam auf den Knien mit ihrem kleinen Kind zu Armin gekrochen und faßte den Saum seines Gewandes: „Töte uns nicht, wir sind Sklaven!“ „Was tatest du im Heere des Varus?“ „Zusammen mit anderen Sklavinnen drehte ich in der Festung Aliso die Kornmühle. Die übrigen sind wohl alle tot, verhungert. Als es bei uns knapp wurde, bekamen wir zuerst nichts mehr, aber arbeiten mußten wir doch, Stunde um Stunde Mehl mahlen. Sie haben uns gepeitscht, und einige blieben trotzdem liegen und sind dort vor unseren Augen gestorben.“ Da Armin sie nicht unterbrach, schöpfte sie Hoffnung: „Meine Brüste sind versiegt. Das Kind stirbt, wenn -“ Sie blickte verzagt zu ihm empor, konnte aber in der Dunkelheit den Ausdruck seines Gesichtes nicht erkennen. „Ich will für dich mahlen, Herr, aber gib zu essen!“ „Du wirst zu essen bekommen, Frau, aber sage mir vorher, wie es in Aliso war!“ „Bei allen Göttern! Was ist da viel zu erzählen?“ „Sage mir, wer die Römer anführt!“ „Caeditius. Das ist keiner von den Vornehmen. Er war gewöhnlicher Legionär, aber alle fügen sich ihm. Er läßt auch jeden niederstechen, der nicht sofort gehorcht.“ „Und Vala Numonius, der Führer der römischen Reiterei?“ „Der ist auch hart, aber Caeditius fügt er sich. Er soll gesagt haben: Wenn dieser gewöhnliche Mann statt des unfähigen Varus das Heer geführt hätte, lebten wir alle noch.“ „Wie steht es mit den Pferden?“ „Die schlechtesten haben sie geschlachtet und gegessen, aber uns nichts davon gegeben. - Bekomme ich wirklich zu essen? Oder gar Milch für das Kind?“
Armin rief einen älteren Mann seiner Gefolgschaft und bestimmte ihn, für die Frau und ihr Kind zu sorgen. Gegen Morgen entdeckten die Verfolger, daß sich auf der Straße vor ihnen etwas bewegte, Reiterei? Armin befahl dem Anführer seiner Truppe: „Angriff auf die Nachhut der Römer!“ Kaum galoppierten die Germanen an, als sich die Römer wendeten. Es gab ein Knäuel von Männern und Pferden, aber nur für Augenblicke, denn zu beiden Seiten der Straße sprengten Germanen vor und fielen den Römern in die Seite, so daß sie flohen. Wenig weiter aber stießen die Verfolger auf einen Block Fußvolk, der ihnen Speere entgegenschleuderte, aber dabei wahrscheinlich mehr die Pferde der eigenen Truppen als Germanen traf. Beide Seiten kamen so in Unordnung, daß der germanische Reiterführer seine Krieger zurückrief und sammelte. Armin ritt an ihn heran: „Laß die Straße von den Toten, vor allem aber von den gefallenen Pferden räumen, damit das Fußvolk nicht aufgehalten wird! Sobald du deine Reiter wieder fest zusammen hast, trabst du rechts der Straße vor.“ Er befahl ihm auch, sich diesmal um die feindliche Reiterei möglichst wenig zu kümmern, dafür aber das Fußvolk der römischen Nachhut von der rechten, vom Schild ungedeckten Seite anzufallen. Wenn die Römer nur lange genug aufgehalten werden konnten, hatten die germanischen Fußkrieger Zeit, heranzukommen. DIE VERFOLGTEN Caeditius und Vala Numonius ritten nebeneinander. Ringsum hörten sie Hufgeklapper, von den Menschen aber sahen sie nichts als Schatten. Vor einer Stunde hatte ein Bote der Nachhut gemeldet, germanische Reiter hätten sie angegriffen. Caeditius hatte darauf nur gesagt: „Schnell ist uns Arminius nachgekommen. Die Germanen haben wenig Gepäck.“ Nun trabte wieder ein Melder heran: „Die germanische Reiterei fällt uns zum dritten Mal von der Seite an, von hinten sogar schon das Fußvolk. Unser Führer bittet dringend um Hilfe!“ „Bei der unordentlichen Art“, sagte Numonius, „in der germanische Reiter anzugreifen pflegen, könnte ich sie mit unserer Reiterei in einem einzigen Stoß zerstreuen.“ „Das könntest du“, erwiderte Caeditius, „aber es ist gerade die Kunst der Germanen, sich zu zerstreuen und doch wieder anzugreifen.“ Empört fragte Numonius: „Ich soll keine Hilfe bringen?“ „Nein, du würdest wohl schon zu spät kommen. Wir müssen die Nachhut opfern, dann können wir noch im Laufe des bald beginnenden Tages das Lager in der Mitte zwischen Aliso und Vetera erreichen. Es ist das einzige, das etwas stärker befestigt ist.“ „Aber wie sollen die ausgehungerten Legionäre noch so weit marschieren?“ „Willst du, Vala Numonius, noch die letzten vom Heere des Varus zugrunde gehen lassen? Wer nicht mehr kann, muß zurückbleiben! Oder hast du nicht auch deine Reiterei aus der Schlacht fortgeführt und den Varus geopfert, um
wenigstens etwas zu retten?“ Numonius antwortete nicht. Zu schwer lastete sein Disziplinbruch auf ihm. Man würde bestimmt in Rom seinen Fall untersuchen, und ob er Richter träfe, die einen schon halb gefallenen Mann Recht gäben? Dazu war er auch zu reich, und die Kaiserin Livia sollte ein Auge auf seine Strandvilla in Bajae geworfen haben, das hatte man ihm erst vor kurzem berichtet. Hinter sich hörten sie Geschrei, konnten aber nichts erkennen. „Vala Numonius!“ sagte Caeditius plötzlich. „Unsere Nachhut scheint in voller Flucht zu sein. Jetzt greifen die Germanen an! Dann haben wir bis zum Morgen Ruhe. Der Tag aber und das freie Feld sind unsere Verbündeten, wie Finsternis und Wald ihre sind.“ BEI INGWIOMÄR Die ehemalige Gesandtschaft Asnis brach am Morgen aus dem Dorfe bei Aliso auf, in dem sie die Nacht verbracht hatte. Herniu schob den Flötenspieler Philodoros auf sein Pferd. Dabei fühlte er erst, wie schwach und abgemagert der Grieche war. „Halte dich an der Mähne fest!“ sagte er ermunternd, da er die Angst des Jünglings vorm Reiten bemerkte. Nun ging alles gut, auch das Reiten durch die Lippe. Nur die vielen Toten, die an der Straße lagen, vor allem dort, wo der größte Teil der römischen Nachhut niedergemacht worden war, schreckten den Flötenspieler. Er starrte wie gebannt auf die Gefallenen, aber das alte, stumpfe Pferde trug ihn mit wippendem Kopf an allem vorüber. Sie befanden sich jetzt auf der Straße, auf der nur kurze Zeit zuvor Armin die Römer verfolgt hatte. Abends sahen sie in der Ferne ein befestigtes Lager. Rauch stieg auf. Es konnte kein Zweifel daran sein, daß die Germanen es besetzt hatten. Am Tor begrüßten germanische Krieger den allen bekannten Blinden. „Ist Armin hier?“ „Nein, er ist weiter gegen den Rhein gezogen.“
Asni war unschlüssig, ob er hierbleiben sollte, denn jedes Fleckchen schien belegt zu sein. Als er jedoch die Mitte des Lagers erreichte, rief ihn der lange Ingwiomär an, der aus dem ehemaligen Kommandantenhaus auf ihn
zuschwankte: „Na, wie ist es euch bei Marobod, dem Schuft, ergangen? Kommt herein!“ Asni mochte Ingwiomär nicht, hielt es aber für geraten, dem Angetrunkenen nicht zu widersprechen. Im Empfangsraum des Hauses saß Ingwiomärs Gefolgschaft dicht zusammen, einige grölend, andere nur noch lallend. „Unser Siegesmahl!“ sagte Ingwiomär und deutete auf die Betrunkenen. Einer stürzte sich auf den Blinden und riß ihm vor Begeisterung oder auch, weil er das Gleichgewicht verlor, den mit Tieren benähten Umhang von der Schulter. Ingwiomär geriet darüber in Wut und schrie seinen Krieger an: „Weg hier!“ Dazu machte er eine weitausholende Bewegung, als wollte er alle von der Bank fegen. Sie zogen sich eilig zurück, denn Ingwiomär kam es nicht darauf an, gelegentlich jemanden totzuschlagen. Er hatte Philodoros bemerkt, der unter dem Blick des wilden Mannes vor Angst zu schlottern begann. „Wer ist das?“ „Der griechische Flötenspieler des Varus“, erwiderte der alte Marsenpriester mit Würde. „Wir wollen ihn Armin als Geschenk bringen.“ „Einen Flötenspieler!“ grölte Ingwiomär. „So etwas liebt mein Neffe! Zu seinem griechischen Lehrer noch das! Vom Sturm auf dieses Lager wollte mich seine Katzenpfote zurückhalten! Ich aber“, er schlug sich triumphierend an die Brust, „habe gestürmt! Und hier sind wir, die Sieger!“ Die Gesandten setzten sich, und keiner antwortete. Sollte Armin wirklich keine Entschlossenheit gezeigt haben? Es erschreckte Herniu, mit welcher Verachtung der große Krieger von Armin sprach. Entgegen den Regeln der Höflichkeit erhob sich Asni nach dem Essen sogleich und sagte streng: „Herniu! führe mich zu meinem Lager!“ Erst als sie die Schlafbaracke erreichten, fragte Herniu: „Vater, habe ich dein Mißfallen erregt?“ „Nein, ein anderer, nämlich Ingwiomär, sollte hören, daß ich scharf sprechen kann, er, der auf einem gefährlichen Wege ist. Denke an diesen Abend, aber schweige darüber!“ BEI ARMIN Schon zu Mittag des folgenden Tages erreichte Asni mit Herniu und den beiden Priestern das letzte Lager vor der Rheinbrücke, wo sie endlich Armin trafen. Obwohl das Lager kleiner war als das Ingwiomärs und in der Umgebung viel mehr Kriegerscharen lagen, herrschte hier eine besondere Ordnung. Während Asni empört berichtete, daß Marobod den Kopf des Varus dem Kaiser geschenkt hatte, trat Sigimär herein, die dick umwickelte Hand vor die Brust gebunden. Er sah sehr blaß aus. Armins Blick ruhte indessen auf Philodoros, den diese Aufmerksamkeit des augenscheinlich wichtigen, rasierten Mannes ängstigte. „Ist das nicht der Flötenspieler des Varus?“ Die Angst des Griechen nahm noch zu, als er das Wort Varus hörte. „Wir bringen ihn dir“, antwortete der marsische Priester. „Vielleicht kannst du ihn gebrauchen.“ „Ich mag ihn nicht! Wißt ihr, was mir mein Onkel Ingwiomär wieder eingebrockt hat? Dieser Narr hat das Römerlager gestürmt, bevor ich es ganz eingeschlossen hatte. Ich wollte Vala Numonius und den tüchtigen Caeditius, außerdem den ganzen Rest des Römerheeres als lebende Pfänder haben. Nun ist Numonius tot und Caeditius entschlüpft. Schlimmer noch ist, daß die Cheruskischen Krieger diesen unüberlegten Ingwiomär vergöttern. Und ich soll einen Flötenspieler annehmen, damit mich mein Onkel als verrömerten Weichling verhöhnt?“ Sigimär legte Armin die gesunde Hand auf die Schulter: „Mäßige dich! Mein Bruder ist tapfer!“ Wild fuhr Armin herum: „Meinem Vater die Hand zu zerschneiden, soll das auch tapfer sein?“ „Trotzdem, Sohn!“ erwiderte Sigimär und versuchte zu lächeln, griff sich aber plötzlich an den Kopf und mußte sich setzen. Besorgt half ihm Armin. „Dir zuliebe, Vater, will ich schweigen - solange ich kann! - Wenn ich nur wüßte“, damit wandte er sich an Asni und die beiden Priester, „was die Römer jenseits des Rheins tun! Für einen Feldzug hinüber ist es zu spät, außer wenn die Germanenstämme drüben und die Gallier zum Aufstand gegen Rom bereit sind. Früher hatten wir dort Herniu. Leider habe ich nicht rechtzeitig daran gedacht, daß wir ihn auch künftig drüben brauchen. Sage mir, Herniu, gibt es Römer, die wissen, daß du aus dem Heere des Varus zu uns geflohen bist?“ „Ich muß das erst genau durchdenken.“ „Gut. Jetzt laß mich mit den Gesandten allein! Den Flötenspieler nimm mit! Für diese Art Volk habe ich nichts
übrig. Das spielt und schmeichelt und hat keinen Charakter.“ Philodoros ließ sich gern von Herniu hinausziehen und fragte leise: „Wer war der schlanke Mann ohne Bart, der mich kannte?“ „Arminius.“ Der Flötenspieler öffnete den Mund vor Staunen: „Und er kennt dich, Hernius?“ „Ein bißchen.“ Sollte er nicht gleich den griechischen Jüngling aushorchen? Vertraulich sagte er: „Weißt du, daß ich der Sohn eines Römers und einer Cheruskerin bin? Wegen meiner Mutter hat mich Arminius auch geschont, als ich in seine Hände fiel.“ „Ach, du warst bei den Legionen?“ Nun wußte Herniu, daß nicht einmal der Flötenspieler etwas von seiner Flucht erfahren hatte. Wer sonst aber konnte ihn kennen? Die Advokaten aus der Begleitung des Varus waren wohl alle in der Schlacht umgekommen. In den Raum trat ein älterer Mann aus der Gefolgschaft Sigimärs. Das erinnerte Herniu an die Worte Armins: Meinem Vater die Hand zu zerschneiden, soll das auch tapfer sein? „Was ist mit Sigimärs Hand?“ fragte er daher jetzt. Der Gefolgsmann blickte ihn düster an und erzählte leise, wie Ingwiomär den Semnonenführer Welfo beleidigt und wie Sigimär das Schlimmste verhindert hatte. „Aber“, sagte der Mann seufzend, „Sigimär wird nie wieder die Frame schwingen können. Es mit der linken Hand zu lernen, dazu ist er zu alt.“ Herniu setzte sich und blieb da lange hocken. Zuerst ergriff ihn eine jähe Wut gegen Ingwiomär. Dann aber erinnerte er sich an die Worte des Blinden: Denke an diesen Abend, aber schweige darüber! Der weise Asni sah schweren Streit in der Zukunft voraus. Und Sigimär? Wie groß! Verwundet und wohl im Wundfieber, hatte er für Ingwiomär gesprochen. So sollte ein treuer Mensch sein. Wie einfach wäre es für mich, Armin zu sagen, daß man mich in Vetera kennt, denn - gefährlich ist es! Aber ich mag nicht feige sein! Meine Vergangenheit als Spaßmacher der lumpigsten Legionäre war gemein, aber ich will ein Mensch werden wie Sigimär! Gegen Abend ließ ihn Armin rufen. „Wie steht es?“ Herniu erzählte, mit welcher nicht ganz neuen Lügengeschichte er den Flötenspieler ausgehorcht hatte. „Nicht übel!“ sagte Armin lachend. „Früher hattest du doch behauptet, dein Vater wäre römischer Kaufmann gewesen. Wie wäre es, wenn auch du Kaufmann würdest? Lucius Hernius! Dann kannst du mir jederzeit Nachrichten bringen und sagen, du befindest dich auf einer Handelsreise.“ Da Herniu verwirrt zu Boden blickte, fragte er: „Was sind deine Bedenken?“ „Ein Kaufmann ohne Geld, was ist das?“ „Denkst du, Herniu, ich könnte dich nicht mit allem ausstatten, was zu einem römischen Händler gehört? Bei der Erstürmung des Lagers hier ist uns eine reiche Beute in die Hand gefallen, darunter ein Wagen mit sehr guten Fellen. Nimm ihn! Sklaven kannst du dir aussuchen, aber möglichst solche, die nicht zuviel Latein und gar kein Germanisch verstehen. Sie brauchen nicht alles zu erfahren, worüber du verhandelst. - Und den Flötenspieler schenke ich dir obendrein. Du kannst ihn in Vetera sicher gut verkaufen.“
Herniu und Sigimunt SKLAVENBESITZER
H
Vorschlägen Armins beschäftigt und teilte dem Flötenspieler wie nebenhin mit, daß er ihn soeben von Armin erworben hätte. Der junge Mensch sank in die Knie und begann zu schluchzen. „Was ist mit dir, Philodoros? Fürchtest du dich, weil ich jetzt dein Herr bin? Hat man dich im Hause des Varus geschlagen?“ „Vorher, als sie mich abrichteten ...“ „Wozu richteten sie dich ab?“ „Zum Flötenspielen und zum Tanzen.“ „Bei mir soll es dir nicht schlecht gehen.“ Der junge Mensch blickte seinen nur um wenig älteren Herrn mit tränenerfüllten Augen verständnislos an. Herniu aber schätzte sehr gefühlsmäßige Menschen wenig. Tatfrohe liebte er. Am nächsten Morgen sah er sich unter den gefangenen Sklaven um und fragte sie auf lateinisch, aus welchen Ländern sie stammten. Erschrocken blickten sie den so herrenmäßig auftretenden Jüngling im Umhang mit den Pferdeköpfen an. Ein kräftiger, wenn auch durch Hunger abgemagerter Mann antwortete mürrisch: „Ich stamme aus Dakien.“ „Von der Donau also?“ „Etwas entfernter, aus den weiten Ebenen.“ „Hast du eine Frau?“ Der Daker erwiderte: „Ich war Sklave!“ „Wie heißt du?“ „Die Römer nannten mich Milo.“ „Willst du heiraten?“ Herniu wußte, daß die Daker an ihren alten Gebräuchen festhielten, und die waren denen der Germanen ähnlich. Mit ihnen würde er umzugehen wissen. „Ich meine“, fügte er erklärend hinzu, „ob es hier auch Dakerinnen gibt und du eine heiraten willst. Dann würde ich euch beide aus der Gefangenschaft kaufen.“ „Herr“, erwiderte Milo, „ich würde gern, aber da müßte man auch die Frau fragen.“ „Gut, du hast Freiheit genug, um dich zu besprechen. Sind mehr Daker unter den Gefangenen?“ „Einige!“ „Verstehen sie etwas von Pferden?“ „Wir wachsen in unserem Lande zusammen mit den Pferden auf.“ „Sprich mit ihnen und sage, auch sie können sich Frauen suchen! Zu Mittag komme ich wieder.“ Milo blickte Herniu erstaunt nach. Er traute nach seinen bitteren Erfahrungen in der Sklaverei einem menschlich sprechenden Herrn nicht. Herniu hatte übrigens alles mit Berechnung gesagt, denn er kannte von seinem Leben im Hinterhof des Steuerpächters eins der für Sklaven quälendsten Probleme: Viele Herrn achteten ihre Ehen oder Liebesverhältnisse nicht, rissen sie auseinander oder nahmen ihnen die Kinder weg und verkauften sie. Wenn man Ehepaare aber zusammenließ, liefen sie ihrem Herrn kaum fort. ERNIU WAR MIT DEN
ZU DER FÄHRE Um als römischer Händler gelten zu können, mußte sich Herniu wie sie kleiden und den benähten Umhang ablegen, in dem er wie ein Fürstensohn ausgesehen hatte. Seine germanischen Hosen konnte er behalten, und die waren gut. Unter den römischen Oberkleidern aber, die in die Hände der Krieger gefallen waren, fand sich nur eine leidliche, dafür aber sehr schmutzige Tunika. Freilich sah er darin, verglichen mit seinen Sklaven, noch herrlich aus. Männer wie Frauen folgten in zerrissenen Gewändern dem Wagen mit den Fellen. Philodoros hatte zwar sein Unterkleid - mehr besaß er nicht - sorgsam in der Lippe gewaschen, aber zum Flicken hatte er kein Baumwollgarn gefunden. Herniu ritt dem Wagen voraus, denn er allein kannte die Wege am Rhein. Zu der Rheinbrücke bei Vetera wäre es nicht weit gewesen, aber dort hätte er sich von den römischen Wachen ausfragen lassen müssen, woher er käme, und
seine Richtung konnte ihnen verdächtig sein. Deshalb bog er von der festen Straße nach einer Gegend ab, in der es kaum Kämpfe gegeben hatte. Der Wagen schwankte und klapperte auf dem schlechten Weg. Dazu waren seine Sklaven und auch die Pferde von der langen Hungerzeit so geschwächt, daß sie mehrmals rasten mußten. Er fühlte sich unsicher, weil er nicht wußte, wie er sich, besonders bei seinem geringen Alter, als römischer Händler anstellen sollte. Auch kannte er die Fellpreise nicht. Gegen Abend sahen sie auf einem flachen Hügel Hütten und daneben auf Stangen aufgehängte Fischernetze. Jenseits floß dunkel der sehr breite Rhein. Waren die Fischer hier römisch gesinnt? Herniu wollte einen möglichst unkriegerischen Eindruck machen und wandte sich zu Philodoros um: „Ihr seid müde. Wenn du uns unter Flötenspiel voranschreitest, wird alles schneller gehen.“ Philodoros blickte an sich herunter: „In den zerrissenen Kleidern soll ich spielen?“ „In Vetera kaufe ich dir ein neues Gewand.“ „Wir gehen nach Vetera?“ entfuhr es dem Jüngling.
Herniu war verblüfft. Er wußte selbst in unbekannten Gegenden durch Anzeichen, wohin der Weg führte. Die Ahnungslosigkeit des Flötenspielers aber gefiel ihm. Der würde wohl auch vieles andere nicht verstehen, was Herniu bei seiner Doppelrolle tun mußte. Freundlich erwiderte er: „Ja, nach Vetera gehen wir. Jetzt spiele!“ Philodoros zog die Doppelflöte aus dem Gürtel, rannte vor Hernius Pferd und begann tänzelnd zu blasen, als ob noch Varus hinter ihm herschritte. Von den Hütten kamen Kinder gelaufen und betrachteten verwundert den Zug Zerlumpter. Ein Fischer fragte: „Was seid ihr denn für Leute?“ „Ein Händler, der in Großgermanien Waren eingetauscht hat.“ Ungläubig erwiderte der Mann: „Du kommst doch aus der Richtung, in der die großen Kämpfe stattfanden!“ „Ja, und wenn ihr uns über den Fluß setzt, erzähle ich euch, was ich weiß.“ „Wer uns erzählt, soll bei uns auch zur Nacht bleiben. Gern gibt man das Beste dem Gast.“ Dieses Angebot paßte Herniu, denn er würde öfters mit Sklaven nach Germanien ziehen. Bisher hatten sie nur die Gefangenschaft kennengelernt und sollten nun die Gastfreundschaft der Germanen erleben, die nicht danach fragten, ob einer ein römischer Sklave oder ein angesehener Kaufmann war. Dann würden sie auch gern erneut in dieses Land ziehen. Es lag ihm aber auch an der Freundschaft der Fischer, denn wer konnte wissen, ob er nicht einmal ihre Hilfe brauchte? Deshalb berichtete er nach dem Mahl vor der ganzen Siedlung sehr genau von den großen Schlachten. Da sich aber die Fischer wunderten, daß er so viel wußte, sagte er bescheiden: „Das alles hat man mir erzählt, und so etwas merkt man sich.“ DAS ERSTE GESCHÄFT Ohne besonders beachtet zu werden, zog Herniu in die Budenstadt vor den Wällen von Vetera ein. In dieser halb germanischen, halb römischen Siedlung waren weder die Menschen noch die Häuser elegant. Er ließ vor einem Gasthaus halten und verhandelte mit dem Besitzer über den Preis für einen längeren Aufenthalt. Gerade hatten sie sich geeinigt, als er hinter sich den erstaunten Ruf hörte: „Hernius, du hier?“
Erschrocken wandte er sich um. Ein Legionär nickte ihm zu: „Du warst doch Sekretär bei dem Steuerpächter, und ich dachte, euch alle hätten die Barbaren erschlagen.“ „Du vergißt“, erwiderte Herniu lächelnd, „daß ich Germanisch kann, und da habe ich mich herausgeschwindelt.“ „Trinkst du einen Becher Wein mit?“ Er hakte sich bei Herniu ein. „Bin ich froh, daß ich die Ruhr hatte, als die Legionen auszogen! Was hier für eine Aufregung war! Die Behörden wollten den Untergang der Legionen geheimhalten, aber gleichzeitig schickten sie die Frauen und Kinder der großen Herren eilig nach Italien. Erst als Nonius Asprenas mit zwei Legionen von Moguntiacum herüberkam, fühlten wir uns wieder einigermaßen sicher. Kaiser Augustus soll in seinem Palast tagelang unrasiert herumgegangen sein und nur geklagt haben: ,Varus, gib die Legionen wieder!’ Claudia Pulchra - du weißt, das war die Frau des Varus, sie ist die Nichte des Kaisers - kam in Trauerkleidern vor das Haus der Kaiserin Livia. Die aber ließ sie abweisen.“ So schwatzte der Legionär, während Herniu nach einem Vorwand suchte forzukommen, denn daß hier zwei Legionen standen, mußte Armin recht bald erfahren. Bei seiner Rückkehr zum Gasthaus sah er einen Römer auf den verlegen dastehenden Philodoros einreden. „Dort kommt ja der Herr!“ rief der Flötenspieler und zog sich eilig zurück. Der Mann musterte Hernius Gewand: „Dich hatte ich mir nicht so jung vorgestellt. Ich habe deinem Sklaven vorgeschlagen, mir die Felle als Ganzes zu verkaufen. Du mußt wissen, daß nur ich Felle von hier nach Italien befördere, nur ich!“ Herniu kannte von seiner Tätigkeit beim Steuerpächter diese Gauner, die ein alleiniges Handelsrecht in Anspruch nahmen und zu jedem Verbrechen bereit waren, um ihr angemaßtes Recht durchzusetzen. Im Augenblick kam ihm aber der Kerl gelegen, denn er wollte rasch verkaufen und Armin die Ankunft der zwei Legionen melden. Trotzdem feilschte er zäh um den Preis. Als sie sich geeinigt hatten, fragte er obenhin: „Hast du mir auch Ware anzubieten, die ich in Germanien verkaufen kann?“ Nun wurde der Kaufmann lebhaft und schlug vor, in dauernder Geschäftsverbindung zu bleiben. „Weshalb nicht?“ erwiderte Herniu. „Es hängt davon ab, ob du mir gute Waren lieferst. Außerdem möchte ich die Rheinbrücke trotz des Kriegszustandes benutzen.“ „Ich verschaffe dir die Genehmigung vom Festungskommandanten. Morgen bekommst du auch Waren.“ Herniu sah dem Manne die Gier nach dem guten Geschäft an. Deshalb sagte er plötzlich: „Aber zuerst eine Anzahlung!“ Philodoros beobachtete aus einiger Entfernung, wie sein Herr mit ruhigem Lächeln dem Kaufmann die Hand hinhielt, bis der einige schwere Münzen hineinfallen ließ. Nun trat Herniu zu dem Flötenspieler: „Komm mit!“ Philodoros glaubte, etwas dumm gemacht zu haben, und folgte besorgt Herniu zu einem offenen Laden, an dessen Holzwänden Kleider hingen. Mißtrauisch betrachtete der Ladenbesitzer die so schlecht gekleideten jungen Menschen. Mit sicherer Bewegung legte aber Herniu ein Silberstück auf den Tisch und schmunzelte, wie schnell sich der Händler auf einmal bewegen konnte und eine feine weiße Tunika brachte. „Probiere sie an, Philodoros!“ „Für mich?“ fragte der Jüngling und zog, als Herniu nickte, schnell das Gewand an. Selbstgefällig tänzelte er durch den Laden. Nun kaufte Herniu auch für sich und die Daker Kleider. Am Tage darauf erschien zur festgelegten Stunde der römische Händler mit mehreren Sklaven, die Warenpacken trugen. Er fand Herniu mit seinen Sklaven wirkungsvoll vor dem Wagen aufgestellt. „Entschuldige“, sagte Herniu in dem Ton der Überlegenheit, den er dem Steuerpächter abgelauscht hatte, „daß ich dich gestern so schäbig empfing, aber ich kam gerade von einer beschwerlichen Reise. - Wie ich sehe, hast du mir eine Warenliste mitgebracht.“ „Nein, es ist ein Vertrag - aber du kannst wohl nicht lesen?“ „Zuerst möchte ich deine Waren zählen.“ Aus der Falte seines Gewandes nahm er Wachstäfelchen und Griffel, um dem Römer zu zeigen, daß hier ein, trotz seiner Jugend, erfahrener Geschäftsmann stand. Der Römer steckte auch seinen Vertrag weg, als Herniu nun das Rechenbrett hervorzog, die Knöpfe auf Drähten emsig hin und her schob und sich die Endsummen notierte. Um wenigstens noch etwas über den Preis hinauszuschinden, versuchte der Händler, das Bestechungsgeld draufzuschlagen, mit dem er die Erlaubnis zur Benutzung der Brücke erkauft hatte. Obwohl sich Herniu klar war, daß der Römer zuviel angab, zeigte er sich großzügig, zumal er mit dem Geschäft sehr zufrieden war und schneller, als er gehofft hatte, zu Armin reisen konnte.
ÜBER DIE BRÜCKE Herniu brach schon am nächsten Tage mit seinem Wagen voll Waren wieder auf. Als Begleiter nahm er den zierlichen Philodoros und den kräftigen Milo mit. An der Brücke wendete der Wachhabende den Papyrosstreifen mit der Erlaubnis hin und her. Etwas schien daran nicht zu stimmen. Da inzwischen Legionärsabteilungen hinübermarschieren wollten, mußte Herniu warten. Er hatte aber nicht umsonst in den Legionen gelebt und begann den wachfreien Mannschaften Witze zu erzählen. Zwischendurch fluchte er und fragte: „Kann das noch lange dauern? Ein anständiger Wachhabender trinkt doch gern mal einen.“ Dazu machte er die Bewegung des Münzenvorzählens.
Die Legionäre lachten. „Ganz billig macht der es nicht!“ „Und für wieviel läßt er uns durch?“ Da die Legionäre nicht gleich antworteten, fuhr Herniu fort: „Das hier ist für euch, wenn ihr den harten Wachhabenden ein wenig erweicht. Mag er doch einen Preis nennen! Es bleibt unter uns!“ Einer der Soldaten stieß einen anderen an: „Du, Balbo, hast das beste Mundwerk.“ Balbo mußte einige Gänge zwischen Herniu und dem Wachhabenden machen, bis die drei Reisenden mit ihrem Wagen über die Brücke und auf der festen Straße nach Osten ziehen konnten. Sie waren aber so lange aufgehalten worden, daß sie erst gegen Mitternacht vor dem von Armin besetzten römischen Übernachtungslager eintrafen. Herniu weckte Olfo, der ein Öllämpchen nahm und ihn zur Schlafnische leuchtete, in der Armin lag. Er erwachte sofort. Nach Hernius Bericht sagte er: „Daß uns zwei Legionen in Vetera gegenüberstehen, bestärkt mich in meiner Überzeugung, daß Ingwiomärs Forderung gefährlich ist. Keinesfalls können wir sofort über den Rhein vorstoßen, und gerade jetzt nicht, wo uns die swebischen Stämme auf Marobods Befehl verlassen haben. -Übrigens gibt mir das eine starke Waffe gegen ihn in die Hand.“ Da ihn Herniu fragend anblickte, fuhr Armin fort: „Ich werde die Sänger aller Stämme, die mit uns kämpften auch die der Sweben - zu einem Wettstreit einladen. Dabei wird Asni ein Lied singen, das die Tapferkeit der Stämme preist und die Verräter anklagt. Die Sänger werden es weithin bis jenseits der Elbe und ins Hügelland der Hermunduren tragen. Jeder dürfte die Worte verstehen, auch wenn der Name Marobod nicht genannt wird.“ Armin bemerkte nun erst Hernius Gewand und sagte lachend: „Du gehst ja umher wie ein junger Advokat. Kaufe dir auch ein Haus! - Jetzt aber suche dir drüben einen Schlafplatz!“ Herniu konnte nicht gleich einschlafen, denn Armins Anweisung, ein Haus in Vetera zu kaufen, überwältigte ihn. War er in seinem Alter überhaupt fähig, einem Haus römischen Zuschnitts vorzustehen?
EIN GERMANISCHER HANDELSVERTRAG Bei Morgengrauen erhoben sich die Krieger und rannten zur Lippe, in der sie sprudelnd badeten. Der Daker Milo tat gern mit, denn genauso machten sie es in seiner fernen Heimat. Der zarte Flötenspieler aber fürchtete sich vor den bärtigen, lauten Männern wie auch vor dem schon recht kühlen Wasser. Man stellte sich um ihn herum und lachte ihn aus. Da er aber kein Wort Germanisch verstand, fürchtete er sich noch mehr. Fröhlich schwatzend kehrten sie ins Lager zurück. Dort freilich gab es nur wenig zu essen. Die Vorräte waren aufgebraucht, und daher nahmen die Krieger mit Begeisterung den Beschluß auf, sie sollten für den Winter in ihre Siedlungen zurückkehren. Nun wollten sie ihren Angehörigen von ihren Taten erzählen und würden für eine Zeit die großen Leute sein. Armin rief Herniu und machte ihn mit einem einarmigen Manne bekannt, der ein listiges und zugleich gutmütiges Gesicht hatte. „Ich habe Einarm beauftragt, für dich, Herniu, Felle einzutauschen. Er übernimmt auch die Waren zum Vertrieb, die du aus Vetera mitbringst. Das geschieht deshalb, damit du nicht durch lange Reisen bei unseren Stämmen aufgehalten wirst und hauptsächlich mein Auge und Ohr bei den Römern sein kannst. Besprecht miteinander, wie ihr den Handel abwickeln wollt!“ Von Einarm erfuhr Herniu, daß noch viele Felle aus der römischen Beute bereitlagen, die gleich aufgeladen werden konnten. „Wieviel sind es?“ fragte Herniu. Einarm geriet in Verlegenheit, denn wie die meisten Germanen konnte er an den Fingern bis zehn zählen, im Sommer, wenn er keine Schuhe trug, zur Not auch an den Zehen bis zwanzig. Wie aber sollte Herniu so seine Ware an Einarm übergeben und mit ihm abrechnen? Wie sollte er außerdem für seine Waren die Preise festsetzen, da man in Innergermanien Geld so gut wie nicht kannte und meist nicht annahm. Man tauschte gegen eine Kuh, ein Honigfäßchen oder was sonst dem Wert etwa entsprach. Nach einigem Überlegen beschlossen sie, Einarm sollte die ihm übergebenen Messer, Nadeln, Baumwollstoffe, Garnknäuel so gut wie möglich eintauschen und Herniu das Erstandene übergeben. Der wollte sich Listen davon machen und war von vornherein überzeugt, daß er dabei gut führe, die Germanen waren weder gierig noch gewinnsüchtig. Die Geschäftsreisen würden Einarm nur ein paar Gastgeschenke geringen Werts kosten, denn überall freute man sich über jeden, der in die einsamen Siedlungen Nachrichten brachte, und betrachtete ihn als Gast. Das war aber eine ganz unrömische Weise, Handel zu treiben. UNERWARTETE WENDUNG Auf der Rückreise geriet Herniu in dichten Nebel. So überquerte er die nicht mehr sehr streng bewachte Rheinbrücke und kam vor das Gasthaus. Beim Absteigen vom Pferde stand er unversehens vor dem römischen Händler und sagte: „Da bringe ich dir eine neue Ladung Felle, gute, kann ich dir sagen!“ Der Römer schien bestürzt: „In ein paar Tagen suche ich dich auf.“ Schon war er im Nebel verschwunden. Belustigt dachte Herniu: Wahrscheinlich hat er die erste Ladung noch nicht verkauft. Wenn er aber knapp an Geld ist, komme ich vielleicht aus der Verbindung mit diesem Gauner heraus. Am Morgen ging er zu dem Kleiderhändler: „Weißt du, ob es hier leerstehende Häuser gibt?“ „Ja, mein Hernius, gleich dort drüben. Der Besitzer war einer der Steuerpächter. Er ist in den Kämpfen umgekommen.“ Herniu traf dort eine Frau, die für eine Witwe recht munter war und ihm das geräumige Haus römischer Bauart zeigte. Während der Verhandlung besann sie sich, daß sie zu trauern hätte, worauf Herniu sofort einging und scheinbar mitleidig fragte: „Du bist wohl in rechte Not geraten?“ Da vergaß sie ihre Trauer wieder, denn beim Eingeständnis ihrer Not hätte sie einen geringeren Preis erzielt. Weil Herniu aber noch nicht genug verdient hatte, mietete er vorläufig das Haus und sicherte sich nur das Vorkaufsrecht. Nun vergingen einige Tage mit der Einrichtung des Hauses. Dann aber begann er sich zu wundern, daß der Fellhändler nicht kam, und sandte Milo zu ihm. Schon nach kurzer Zeit kehrte der Daker zurück: „Der Kaufmann ist fort und hat alles, auch seine Sklaven, verkauft.“ Das war rätselhaft. Weshalb gab der Mann ein gut begonnenes Geschäft auf? Noch saß Herniu unschlüssig in seinem Empfangsraum, als der Türhüter den Besuch eines Römers meldete.
Sogleich trat ein gut angezogener junger Mann ein, der die Einrichtung prüfend überblickte, bevor er sagte: „Erlaube mir, mich bei dir einzuführen. Ich bin Advokat und gehöre zu einer Handelsgesellschaft, an der auch mächtige Geldgeber beteiligt sind.“ Er legte eine Pause ein, um zu beobachten, ob das auf Herniu einen genügenden Eindruck machte. Der aber verzog keine Miene. „Wir glauben mit Recht, annehmen zu können“, fuhr der Advokat fort, „daß du gute Beziehungen in Germanien besitzt. -Ja - und der Händler, mit dem du Handel triebst - ein unbedeutender Mann - hat es vorgezogen abzureisen.“ Oho! dachte Herniu. Womit mögt ihr ihm da gedroht haben? „Infolge seiner Abreise bist du, mein Hernius, frei, mit unserer Gesellschaft einen Vertrag abzuschließen. Ich habe ihn schon aufgesetzt.“ Herniu nahm die Schriftrolle, las sie und sagte kühl: „Du erwartest wohl nicht, daß ich das unterschreibe?“ „Woran nimmst du Anstoß?“ fragte der Römer und schien wütend werden zu wollen, weil so ein Barbarenjüngling nicht froh war, überhaupt einen Vertrag zu bekommen. „Verträge dieser Art“, antwortete Herniu, „sehen so aus“: Und er sagte Punkt für Punkt einen Vertrag auf, wie ihn der Steuerpächter oft diktiert hatte. Mit gerunzelter Stirn nahm der Advokat die Rolle zurück: „Ich sehe, da muß ich etwas ändern. Vorläufig schicke ich dir Celsus, unseren Geschäftsführer. Besprich dich mit ihm!“ „Falls ich dazu Lust habe!“ fiel Herniu ein, verzog aber dabei sein Gesicht zu einem liebenswürdigen Lächeln. Dann fügte er eine Redensart hinzu, die er ebenfalls von dem Steuerpächter hatte: „Geschäfte sollen beiden Parteien Vorteile bringen.“ „Natürlich“, entgegnete der Advokat und verabschiedete sich mit sichtlichem Unbehagen. Herniu ging wütend in seinem Empfangsraum auf und ab: So einen Vertrag bietet mir die Betrügerbande an! Ihr seid ja viel gefährlicher als der kleine Händler, den ihr um sein Geschäft gebracht habt! Einige Stunden später meldete der Pförtner den Kaufmann Celsus an. Herniu klatschte in die Hände und rief dem herbeistürmenden Philodoros zu: „Bring Wein!“ Kaum trat Celsus ein, als Herniu begriff, daß er es mit einem ganz anderen Menschen zu tun hatte als bei dem Advokaten. Der Mann war mager und hatte Kummerfalten um Nase und Stirn. Nüchtern sagte er: „Mein Hernius, du sollst eine Ladung Felle haben. Kann ich sie sehen?“ Herniu gefiel der sachliche Ton, und er entgegnete höflich: „Nimm zuerst einen Willkommenstrunk!“ Celsus ergriff die ihm von Philodoros gereichte Weinschale: „Mein Hernius, wie kannst du so schnell Felle beziehen und andere Waren absetzen?“ Auf diese Frage war Herniu nicht vorbereitet. Wie konnte er aber etwas anderes erwidern als die Wahrheit? „Mein Celsus, ich bin Zwischenhändler.“ „Das war auch unsere Vermutung. Einer deiner Sklaven hat verraten, daß du mit Arminius in Verbindung stehst.“ Da Herniu vor Bestürzung nicht antwortete, sagte Celsus in leicht boshaftem Ton: „Der Herzog der Cherusker scheint ein ganz guter Geschäftsmann zu sein, wahrscheinlich so ähnlich wie die hohen Beamten Roms. Auch sie verschmähen ein Handelseinkommen nicht, wenn es nur nicht öffentlich bekannt wird.“ Um dieses für ihn so gefährliche Gespräch abzubrechen, führte Herniu seinen Gast schleunigst zu dem Laden, den er als Lager und zum Einzelverkauf gemietet hatte. Während Celsus die Felle befühlte, stellte sich ein Mensch vor den Laden, der mit gemeinem Lächeln zusah. Was wollte der Kerl? Celsus wandte sich zu ihm: „Habe die Güte, mich in meinem Hause aufzusuchen!“ „Ich bin in Eile. Zahle mir die Steuer lieber hier!“ Nun wußte Herniu, daß es ein Steuereintreiber sein mußte, der gleich auf dem Markt die Verkaufssteuer einzog. Celsus wollte ihn wahrscheinlich in seinem Hause bestechen. Der aber dachte, er bekäme vor einem Zeugen mehr. Abliefern würde er auch dieses Geld kaum. Die Behörden klagten immer, daß so wenig Steuern eingingen. Die Einnehmer der Marktsteuer aber bauten sich nach wenigen Jahren erstaunlich schöne Häuser. Da der Mann nicht fortging, sagte Celsus schroff: „Kennst du den Legaten Caecina?“ „Wer wird den stellvertretenden Befehlshaber am Rhein nicht kennen?“ „Sprich mit ihm über die Abgabe!“ „Aber, mein Celsus! Wie kann ich zu einem so mächtigen Manne vordringen?“ „Das ist es! Entweder wir sprechen in meinem Hause, oder du unterhältst dich mit dem Legaten. Er ist aber oft nicht liebenswürdig.“
Mit erzwungener Freundlichkeit zog sich der Steuerbeamte zurück, Celsus aber flüsterte Herniu zu: „Über diese Unterhaltung sprichst du besser nicht!“ „Sein unbesorgt! Niemand wird von mir den Namen hören, den du eben nanntest!“ Nun ging die Verhandlung über den Ankauf der gesamten Ladung in ruhigem Tone vor sich, und Herniu machte dabei ein gutes Geschäft. Erst nach der Rückkehr in sein Haus konnte Herniu ruhig nachdenken. Zwar wußte Celsus von seiner Verbindung mit Armin, aber hatte das nicht früher oder später sowieso herauskommen müssen? Und auf der römischen Seite des Geschäfts saß als Geldgeber - und wohl als Hauptverdiener - der Legat Caecina. Es war für Herniu günstig, daß Caecina annahm, er triebe mit Armin Handel. Denn dann würde der Legat kaum vermuten, daß Armin neben dem Handel noch andere Absichten verfolgte, und Herniu würde ungeschoren bleiben. Außerdem mußte Caecina bestrebt sein, diese Art von Geschäftsbeziehung vor der Öffentlichkeit streng geheimzuhalten. Gefährlich war die Lage für Herniu trotzdem. INGWIOMÄR UND SIGIMUNT Herniu traf bei feuchtkühlem Wetter in der einfachen Siedlung an der Weser ein, in deren Mitte sich ein sonderbarer Holzbau steil und fremd erhob. Hatte sich Armin hier ein römisches Haus bauen lassen? Und so etwas Kümmerliches! Um die Ecke einer Hütte kam klein und krumm der alte Lehrer Artemios in einem Pelzumhang. Er erkannte aber mit seinen kurzsichtigen Augen seinen alten Schüler Herniu nicht, so daß der ihm entgegentrat und ihn ehrfürchtig begrüßte. „Weißt du schon, Vater Artemios, daß ich mir einen griechischen Flötenspieler mit Namen Philodoros gekauft habe?“ „Schicke ihn mir, Hermion! Wie schön das schon klingt, Philodoros! Mit ihm werde ich wieder einmal griechisch sprechen statt des trockenen Lateins oder gar eurer germanischen Barbarensprache. Aber ich friere und will in mein Haus.“ Der sonderbare Bau war für ihn gebaut worden, weil er in seinem Eigensinn nicht in einer der für das Nebelklima geeigneteren Germanenhütten wohnen wollte, die allerdings von außen fast nur ein großes Dach zeigten. Herniu holte Philodoros und schob den erschrockenen Sklaven in den Eingang des steilwandigen Lehrerhauses. Währenddessen sah er Ursilo eilig mit dem blinden Asni in Sigimärs Hütte verschwinden. Sie schienen erregt zu sein. Aus der Hütte drang Ingwiomärs knarrende Stimme: „Dein Vetter Alabolt ist an der Spitze der Reiter für unsere Sache gefallen, aber wozu bist du nütze?“ Neugierig folgte Herniu dem Blinden und Ursilo. Als er sich durch die niedrige Tür bückte, erblickte er Ingwiomär, der vor dem wutbleichen Sigimunt stand. Der ehemalige Legionär Fabius, der wahrscheinlich nur den bösen Tonfall verstanden hatte, hielt seinen Freund am Gewand fest, damit der sich nicht auf den höhnisch lachenden Ingwiomär stürzte. Entschlossen trat Ursilo vor den berühmten Krieger: „Ingwiomär, ich habe noch einen Wunsch bei dir frei!“ „Ich hätte dir die Erfüllung eines Wunsches zugesagt?“ „Ja, bei meiner Schildbelehnung vor einigen Jahren, als ich schneller lief als Sigimunt.“ Armins Vater hob seine dick verbundene Hand: „Das stimmt, Bruder.“ Unwillig antwortete Ingwiomär: „Nenne deinen Wunsch, Ursilo!“ „Geh Sigimunt aus dem Wege! Er wird sicher das gleiche tun.“ Ingwiomär hätte lieber ein paar Rinder gegeben als ein solches Versprechen. Nun blickte er wütend zu Boden. „Ich muß freilich deinen Wunsch erfüllen, schon damit du, angerömerter Sigimunt, siehst, was bei uns alte Sitte ist!“ Damit verließ er hoch erhobenen Kopfes die Hütte. Armin nickte Ursilo freundlich zu und wandte sich dann an Sigimunt: „Wie soll das weitergehen?“ „Du weißt, Armin, wie der Streit begann. Ich bin überzeugt, daß wir Germanen neben dem mächtigen Rom nicht so weiterleben können, wie wir es taten, mit Kriegen zwischen den Stämmen, mit Jagd und geringem Ackerbau.“ „Soweit hast du auch Recht“, erwiderte Armin. „Aber Marobod und dein Vater Segest wollen alles zu schnell verändern. Sage mir nur: Wie hätte ich die Stämme geeint in den Teutoburger Wald führen können als mit Hilfe ihrer Priester und des Things, der den Zusammenschluß frei forderte? Wer bei uns das Thing abschafft, geht zugrunde.“
„Das meine ich auch, und deshalb will ich mit meinem Vater sprechen.“ Armin hob die Augenbrauen: „Deine Schwester Tursinhilda würde das kaum tun und bleibt bei meiner Tante Ruwala.“ „Was soll sie auch anderes machen, solange mein Vater sie mit Saxobert verheiraten will?“ „Du unterschätzt Tursinhilda!“ erwiderte Armin angeregt. „Hier hat sie gesessen und uns auseinandergesetzt, was ich nicht anders ausdrücken würde. Feurig war sie!“ Sigimunt bemerkte nicht den Ausdruck der Bewunderung in Armins Gesicht und sagte bedrückt: „Kann ich hierbleiben und Ingwiomär aus dem Wege gehen? Trotz aller Wertschätzung für dich, Armin, muß ich fort. An wen aber soll ich mich wenden, wenn nicht an meinen Vater?“ „Ich kann dich nicht aufhalten, bezweifle aber, daß du bei ihm bleiben kannst. Wenn du hierher zurückkehren willst, bist du willkommen.“ PHILODOROS, EIN BETRUG Stumm hatte Herniu dieser heftigen Auseinandersetzung zwischen Ingwiomär und Sigimunt beigewohnt. Er machte sich sorgenvolle Gedanken und konnte sich nicht vorstellen, wie es Sigimunt gelingen sollte, seinen halsstarrigen Vater Segest vom falschen Wege abzubringen. Da fiel ihm ein, daß sich Philodoros sicherlich noch bei dem alten Artemios befand, und eilig ging er zu dem steilwandigen Lehrerhaus. Der Grieche saß hinter einem Bronzebecken mit glühenden Holzkohlen und blickte böse auf: „Was für ein Scheusal hast du mir da gebracht!“ Bestürzt erwiderte Herniu: „Er ist allerdings durch den Hunger im belagerten Aliso heruntergekommen, aber ich habe ihn schon leidlich wieder herangefüttert.“ „Ach, Hermion! Du sprichst vom Futterzustand, als ob er ein Schwein wäre! Er ist ein Betrug! Heißt weder Philodoros, noch ist er ein Grieche. Nur seine Großmutter soll eine Griechin gewesen sein. Gleich, als ich ihn anredete, wurde es mir klar. Ein Sklavenhändler ließ ihn im Flötenspiel unterrichten, weil er hübsch und zierlich ist, und gab ihn als Griechen aus, um einen höheren Preis für ihn zu erzielen. Dazu will ich dir eins sagen, Hermion: Er ist dumm! Ich habe ihn hinausgeworfen.“ „Oh, Vater Artemios!“ rief Herniu erschrocken und stürzte aus dem Hause. Philodoros hockte in der Hütte Einarms hinter einem Warenballen und schluchzte. Als er Herniu sah, fiel er vor ihm auf die Knie: „Verstoß mich nicht, Herr!“
„Weshalb soll ich dich verstoßen? Weil dich Artemios einen Betrug nennt? Mir ist es gleichgültig, ob du ein echter oder unechter Grieche bist.“ Philodoros öffnete staunend den Mund, und da wurde es auch Herniu klar, daß dieser Mensch wirklich sehr dumm war. Er wollte tänzeln und trillern und sich selbst gefallen. Was aber den Lehrer Artemios ärgerte, nützte Herniu. Er wischte dem Flötenspieler mit einem Zipfel seines Gewandes die Tränen ab und sagte: „Du bleibst bei mir.“ AUF DER SEGESTESBURG Sigimunt und Fabius, beide germanisch gekleidet, ritten den Hügel empor, auf dem Segests Burg stand. Hunde kamen ihnen bellend entgegen. Sonst war nur ein größeres Mädchen zu sehen, das mit leichten Schritten eilig verschwand. War das nicht Ursa, die Schwester Ursilos, ebenso schlank wie er, aber viel jünger? Was tat sie hier? Ihre ganze Familie war für ihre Feindschaft gegenüber Segest, dem Überfürsten, bekannt. Paßte etwa sie hier auf, wie Herniu in Vetera? Sowenig Sigimunt mit seinem Vater einverstanden war, ärgerte ihn doch, das Mädchen hier zu sehen. Gleich darauf trat Sigimunts Mutter mit besorgtem Gesicht aus dem halb römischen Haus, das sich der tote Steuerpächter gebaut hatte: „Segest ist auf der Jagd“, sagte sie, und Sigimunt wunderte sich, daß sie ihren Mann wie einen Fremden nannte. „Was willst du hier?“ „Mit dem Vater über unsere Zukunft sprechen.“ Erstaunt blickte sie ihn an: „Komm herein! Sieh das!“ Sie deutete mißbilligend auf die Säulenhalle um den Eingangsraum. „Atrium nennt das Segest. Kalt ist es hier in diesen Herbsttagen! Aber sage mir: Hast du dich von Armin getrennt?“ „Ja, Mutter.“ „Da habe ich wenigstens eins von meinen Kindern zurück. Wie einsam das war! Alle deine Oheime und Vettern befanden sich bei Armin. Denkst du aber, du kannst hier leben wie früher? Dein Vater hat begonnen, sehr zu trinken. Damit und auf der Jagd vertreibt er sich die Zeit.“ Sie horchte auf. „Mir scheint, sie kommen. Ich muß mich um das Essen bekümmern. Wenn es nicht bald aufgetragen wird, trinkt er schon vorher, und dann kann es schlimm werden.“ Sie verschwand im Gang zu den hinteren Räumen, während Sigimunt in den Hof trat, um zu verhindern, daß es Streit zwischen seinem Vater und dem bei den Pferden wartenden Fabius gäbe. Segest stieg gerade mit abgewandtem Gesicht vom Pferde, während Saxobert höhnisch Sigimunt anstierte. Auch nach dem Absitzen vermied es Segest, in die Richtung seines Sohnes zu blicken, so daß der erregt auf ihn zutrat: „Ich kam, Vater, um mit dir zu sprechen!“ „Jetzt ist nicht die Stunde dazu, aber ich lade die Abgesandten meines Gegners zur Abendtafel ein.“ Damit ließ er den betretenen Sigimunt stehen. Während des Essens war ein Gespräch auch deshalb unmöglich, weil Segest, wie Marobod, an einem Tischchen für sich quervor aß. An seine Seite hatte sich der Sigimunt besonders verhaßte Saxobert gesetzt, der gleich nach dem Mahl ruckartig aufstand und so der Gefolgschaft das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gab. Nur Sigimunts Mutter blieb zurück. Segest wandte sich an sie: „Hier wollen Männer miteinander sprechen.“ Ruhig entgegnete sie: „Wenn vom Schicksal meiner Kinder die Rede ist, wirst du mich wohl dulden müssen.“ Statt einer Antwort fragte er Sigimunt: „Weshalb schickt dich dein Herzog Armin?“ „Ich selbst entschloß mich zu kommen. In den Monaten nach der großen Schlacht habe ich mit Priestern fast aller germanischen Stämme gesprochen. Sie sind gegen dich, Vater.“ „Du willst mich wohl retten? Besser, du rettetest Armin! Ich will dir mal ein Licht anzünden.“ Er tippte sich an die Stirn. „Der von euch umgebrachte Steuerpächter Lobilla hat mir einmal erzählt, daß früher die Römer, wie noch heute wir, in Stämmen lebten. Dann hat der Adel Roms mit harter Hand die Stämme zusammengeschlossen. Ohne das geht es auch bei uns nicht. Armin macht den lächerlichen Versuch, friedlich die Einheit zu erreichen. Sein Großvater Hariomär war aber ganz anderer Meinung. Als Räuber fing er an, überfiel seine Nachbarn und hatte bald so viel Vieh und Unfreie zusammengebracht, daß er eine große Gefolgschaft unterhalten konnte. Er war wie sein jüngerer Sohn Ingwiomär tapfer, grausam und bedenkenlos. Nur so kann man die Germanen dauernd zusammenhalten.“ „Willst du selbst also in dieser Art in Niedergermanien herrschen? Aber woher nimmst du die Macht dazu?“
„Welches Bedenken! Man verbündet sich mit jedem, der sich bietet, wie es Marobod tat.“ „Er aber wurde zum Verräter am Aufstand der Pannonier und Dalmatiner und lieferte sie der Rache der Römer aus.“ „Das tat er. Der Weg zur Macht ist erbarmungslos.“ „Und auch du bist zum Eidbruch bereit, Vater?“ Wild entgegnete Segest: „Was gebrauchst du für Worte! Wahr ist allerdings, daß es ohne Betrug und Untreue nicht geht. Übrigens würde ich Tursinhilda an Armin geben - sie scheint ihn ja recht zu schätzen - wenn er nur nicht die Dummheit begangen hätte, die drei Legionen den Göttern zu opfern, das heißt, sie totzuschlagen. Gegen das mächtige Rom können wir nicht leben, und zu Verhandlungen mit dem Kaiser hat sich Armin den Weg versperrt. Daher geht es nur über uns, über mich und über dich als meinen Erben. Verstehst du das endlich?“ Sigimunts Mutter sah die verstörte Miene ihres Sohnes und sagte: „Weil du, Segest, die Treue mißachtest, hast du deine Familie zerstört.“ „Was soll das Weibergeschwätz, wo es um die Führung des Volkes geht! Glaubt ihr, meine Brüder werden immer bei Armin bleiben, wenn er durch seinen Kampf gegen Rom weiter zum Untergang der Cherusker wirkt? Du, Sigimunt, bist nicht dumm und kannst Lateinisch. Raffe dich auf, werde ein Mann und hart, damit unsere Familie wieder wird, was sie war!“ „Ich kann nicht.“ „Wenn dich ein Schwur bindet, zerreiß ihn, wie es ein Römer tun würde!“ „Nicht alle Römer sind, wie du denkst, Vater.“ „Natürlich gibt es auch kleine Geister wie deinen lächerlichen Fabius. Wie kannst du als Fürstensohn dich an einen Diener binden?“ „Vater!“ schrie Sigimunt heftig, „das durftest gerade du nicht sagen! Willst du nicht deine Tochter an Saxobert geben, einem Mann, der für Geld mordete?“ Segest sprang auf, faßte sich aber und sagte kalt: „Mir scheint, du hast es nötig, an die frische Luft zu gehen, um darüber nachzudenken, was dabei herauskommt, wenn man seinen Vater nicht achtet.“ „Mann!“ schrie Sigimunts Mutter, „bedenke, was du tust!“ Segest aber winkte heftig mit der Hand: „Hinaus!“ Auf dem Burghof teilte Sigimunt mit verschlossenem Gesicht Fabius mit: „Wir reiten!“ „Wohin?“ „Fort von hier!“ Das sagte er so abweisend, daß Fabius erst wieder fragte, als sein Freund unterhalb der Burg nach Westen abbog. „Wir reiten nach Vetera. Mit Herniu haben wir ja Freundschaft geschworen.“ Erregt antwortete Fabius: „Ich war Legionär und bin während der Schlacht zu den Germanen übergelaufen. Weißt du nicht, daß darauf der Tod steht?“ Sigimunt hielt sein Pferd an: „Ich möchte nicht zu Armin zurück.“ „Du bist so stolz wie ein vornehmer Römer! Wir Kleinen - auch du besitzt nicht einen einzigen Sklaven - dürfen das nicht sein. Du steigst nicht, wenn du dich auf die Fußspitzen hebst.“ Sie hörten ein Rascheln neben sich im Gebüsch, und Sigimunt erhob die Frame. „Stoße nicht!“ sagte eine Mädchenstimme. „Ich bin Ursilos Schwester Ursa. Deine Mutter läßt dir sagen: übereile nichts und berate dich mit Armin! Nur er kann dir helfen.“ Inzwischen war sie hervorgetreten. Sigimunt betrachtete das braungebrannte Kind mit den dünnen Armen und zu großen Händen. Sie war also eine Vertraute der Mutter? Zögernd sagte er: „Ich reite zu Armin.“ EINE ENTSCHEIDUNG Sigimunt gestand Armin in großer Verlegenheit, wie schlecht das Gespräch mit Segest ausgegangen war und daß er beabsichtige, nach Vetera zu ziehen. Da Armin schwieg, fügte Sigimunt hinzu: „Fürchtest du etwa, daß ich einmal gegen dich, gegen den Bund des Apfels kämpfen könnte? Ich schwöre dir, das nie zu tun!“ Armin blickte Sigimunt befremdet an: „Du hast dich weiter festgelegt, als ich erwartete, aber deinen Schwur nehme ich an. Was nun werden soll, muß ich mir überlegen.“ Noch am selben Tage sprach Armin mit Herniu: „Du kennst Sigimunt besser als ich. Mir kam dieser plötzliche
Schwur wenig ernst vor.“ „Er wird ihn halten, besonders weil der Umgang mit dem grundehrlichen Fabius ihn in seiner Treue bestärken wird.“ „Gegen uns will er nicht kämpfen, aber auch nicht mit uns, das hast du in der Schlacht gesehen. Ich muß ihn nach Vetera ziehen lassen, und ich hoffe, du kannst diesen wankelmütigen Menschen festhalten. Wie aber machen wir es mit dem fahnenflüchtigen Fabius?“ „Das ist einfach, wenn man ihn dazu bewegen kann zu lügen. Wir behaupten, ich hätte ihn aus der Gefangenschaft freigekauft, weil er der Lateinlehrer Sigimunts war, der ein Römerfreund ist.“ „Gut, besprich das mit ihnen! Laß in deinem Hause Sigimunt die Hauptrolle spielen! Verbreite, daß er ein Fürstensohn ist! Und laß mich dir bei dieser Gelegenheit eins sagen: Für deine Jahre ist viel in deine Hand gelegt. Sei vorsichtig und zeige es niemandem! Sonst bringst du dich in große Gefahr, Herniu!“ Fabius ging nur zögernd darauf ein, nach Vetera zu reiten. Sigimunt mußte ihm erst klarmachen, daß kaum jemand leben konnte, der seine Flucht in den Wald beobachtet hatte. Außerdem versprachen Sigimunt und Herniu, niemandem zu verraten, daß Fabius überhaupt in den Legionen gedient hatte. Die Löhnungslisten der vernichteten Legionen, so hofften sie, waren während der Schlacht verbrannt. HERNIUS HAUS Tatsächlich kümmerte sich niemand in Vetera um den bescheidenen, als Lateinlehrer Sigimunts auftretenden Fabius. Schon konnte Herniu vom Gewinn seines Handels das bisher nur gemietete Haus kaufen. Gegen Abend ging er oft in die Schenken, in denen die Legionäre tranken und würfelten. Das Aushorchen war aber für ihn schwieriger als früher, weil viele wußten, daß er ein erfolgreicher Kaufmann war, und von ihm eine oder mehrere Runden Wein erwarteten, so daß er oft reichlich angetrunken nach Hause kam. Wenn er wenigstens viel erfahren hätte! Meist mußte er sich jedoch gestehen, daß er sich erniedrigte, ohne etwas erreicht zu haben. Noch unzufriedener mit sich war Sigimunt. Früher hatte er gejagt oder sich mit der Gefolgschaft seines Vaters in den Waffen geübt. Nun saß er untätig als Gast eines gewöhnlichen Freien seines Alters, der ein Gefolgsmann Armins war. Da half ihm unbewußt der gutmütige Fabius. In einer seiner gefühlvollen Stunden sagte er: „Wie überlegen sind uns die großen römischen Herrn! Sie haben etwas gelernt und sprechen über Philosophie und Redekunst wie wir über Pferde und Waffen. Zeit hätten wir genug, aber keinen Lehrer.“ Sigimunt blickte interessiert auf: „Das ist wahr, aber -“ Er beendete den Satz nicht, und Fabius erfuhr erst nach längerem Fragen das Bedenken seines Freundes: Nur Herniu konnte einen Lehrer bezahlen.
Erst als Fabius vorschlug, er wollte Herniu den Wunsch nach einem Lehrer als seinen eigenen vortragen, willigte Sigimunt ein. Fabius ging also in den Hinterhof, in dem Herniu mit Wachstäfelchen und Rechenbrett saß. Eben hatte er festgestellt, daß die ganz unrömische Tauscherei Einarms in Germanien einen erstaunlich hohen Profit ergab. Auf die Bitte des Fabius erwiderte er zögernd: „Allerdings sitzt der alte Artemios untätig an der Weser und freut sich über jeden, dem er etwas von seiner Gelehrsamkeit mitteilen kann. Ob aber Armin ihn herläßt?“ Bei seinem nächsten Besuch an der Weser stellte Herniu in der Tat fest, daß Armin zögerte, den alten Artemios herzugeben: „Ich möchte Sigimunt nicht noch weiter zu den Römern führen. Freilich ist der alte Grieche so römerfeindlich wie nur möglich.“ „Wie aber soll ich die Bitte Sigimunts zurückweisen?“ „Das allerdings darfst du bei seinem eigensinnigen Charakter nicht. Also nimm den Alten mit!“ Herniu ließ von Milo im Wagen ein riesiges Nest aus weichen Fellen bereiten, in dem Artemios so sanft gewiegt wurde, daß er ausnahmsweise nicht schimpfte. Der einzige in Vetera, der sich vor dem knurrigen, aber im Grunde nicht bösen Griechen fürchtete, war Philodoros. Um den Alten milde zu stimmen, bediente er ihn so aufmerksam, daß der ihn nicht mehr einen Betrug nannte und zu Herniu sagte: „An deinem Flötenspieler sieht man, daß schon wenige Tropfen griechischen Bluts genügen, um aus einem Barbaren einen Menschen zu machen. Ein eitler Dummkopf bleibt er aber doch.“ Die beiden Schüler suchten bei ihrem Lehrer sehr Verschiedenes. Sigimunt war nach einer umfassenden Bildung gierig, nach der Geschichte Griechenlands und Roms, den Göttererzählungen, den Ansichten der verschiedenen Philosophenschulen. Fabius dagegen suchte immer nur nach Bestätigungen des Satzes: Alle Menschen sind gleich. Artemios wiederholte ebenso regelmäßig: „Oh, du Römer! Das ist Lehre der griechischen Stoiker.“ Manchmal sagte er auch boshaft: „Wann hätte das Volk der Römer eine eigene Philosophie hervorgebracht? Wie könnten diese Plünderer und Verderber das auch? Sie plappern nur nach, was unsere Philosophen gelehrt haben, und selbst das hohle Schwatzen, die Redekunst, lernten sie von uns!“ Fabius war zu friedlich, um sich gegen solche Ausfälle zu wehren. Er verteidigte nur seine Lieblingslehre. Mit ihr aber war Sigimunt nicht einverstanden: „Du, Fabius, erklärst nicht nur die Menschen für gleich, sondern möchtest die Sklaverei abschaffen. Geht denn das?“ „Ich weiß“, antwortete Fabius bekümmert, „daß ich als kleiner Mensch nicht viel tun kann. Sollten aber nicht alle die Freiheit aller erstreben?“ „Wer wird die großen römischen Herren zwingen, auf ihre Sklaven zu verzichten? Und versuche einmal, meinen alten Vater Segest zu überreden, er solle seine Unfreien freilassen!“ Herniu hatte für diese Diskussionen nichts übrig und bereitete etwas Praktisches vor. „Mein Sigimunt“, sagte er eines Tages, „ich möchte Celsus und meine anderen Geschäftsfreunde zu einem guten Abendessen einladen. Bitte hilf mir, die Gäste zu begrüßen und zu unterhalten.“ Diesen Abend ließ er sich etwas kosten, mietete weitere Diener und beschaffte dem Flötenspieler ein besticktes Gewand, worüber der Jüngling vor Glück strahlte. Würden aber mehr als Celsus und vielleicht noch ein oder der andere kommen? Selbst in dem abgelegenen Provinzstädtchen Vetera waren die Römer zu hochmütig, um in der Budenstadt ein halb germanisches Haus zu besuchen. Er täuschte sich jedoch, denn Celsus hatte unter seinen Bekannten verbreitet, er hätte in dem Barbarenhaus einen Streit über griechische Philosophie mit angehört, und man vergäbe sich nichts, wenn man diese Leute besuchte. So kam es, daß Celsus mit einem Schwärm junger Römer erschien. Herniu hielt sich zurück und ließ, wie es ihm Armin angeraten hatte, Sigimunt die Hauptrolle spielen. Der aber war unsicher und zeigte gerade deshalb eine so übertriebene Würde, daß die Römer, an einen leichteren Ton gewöhnt, heimlich über ihn lachten. Das Essen und der Wein waren gut, und in schon recht heiterer Stimmung fragte Celsus: „Mein Sigimundus, du bist wohl der eigentliche Besitzer dieses kaufmännischen Unternehmens?“ Mit mühsam unterdrückter Empörung hob Sigimunt die Augenbrauen: „Ich bin kein Kaufmann!“ „Wovon lebst du dann?“ Sigimunt fand diese Frage geschmacklos, sie brachte ihn außerdem in Verlegenheit. Konnte er denn sagen, daß er auf Kosten Hernius lebte? Steif antwortete er: „Mein Vater ist Fürst.“
Fabius fügte hinzu: „Sein Vater Segestes ist der zweitmächtigste Mann unter den Cheruskern und ein Freund der Römer!“ Nun erinnerte sich Celsus, schon so etwas gehört zu haben, und wurde sehr höflich. Mit einem Menschen, der einmal mächtig werden konnte, wollte er es als vorsichtiger Kaufmann nicht verderben. Nach diesem ersten Zusammentreffen wurden Sigimunt mit Herniu und Fabius öfters in römische Häuser eingeladen. Das kam auch daher, daß Hernius Einnahmen aus dem Fellhandel für bedeutend galten, und die Art Römer, die hier wohnten, verehrten den Reichen auch dann, wenn sie ihn sonst einen Barbaren nannten. Auch Sigimunt wurde mit Achtung behandelt, während man Fabius nicht für voll nahm. Er sprach immer von seinem Ideal der Menschengleichheit, und das langweilte die jungen Römer, die zum Geldverdienen an den Rhein gekommen waren. Auch Herniu hatte anfangs diesen gutmütigen und unpraktischen Menschen wenig geachtet. Auf die Dauer aber gefiel ihm dessen Bescheidenheit und unbedingte Ehrlichkeit. Ihm konnte er sein Haus anvertrauen, wenn er auf Reisen ging. Ja, er teilte ihm mancherlei Geschäftliches mit, damit Fabius unbewußt Sigimunt überzeugte, daß Hernius ganzer Eifer auf das Verdienen gerichtet wäre. Ob das freilich der viel klügere Sigimunt glaubte, erschien Herniu nicht sicher, und das beunruhigte ihn.
Um die Thronfolge TIBERIUS UND LIVIA
D
IE WINTERTAGE waren
in Rom recht kalt, und ein unangenehmer Wind strich durch die schmalen Gassen. Sie waren dadurch noch mehr eingeengt, daß man überall baute. Denn Augustus wollte aus der Stadt der Ziegelmauern eine marmorverkleidete machen, die sich mit Athen, Alexandria oder dem kleinasiatischen Pergamon vergleichen könnte. Tiberius, sein Adoptivsohn, ärgerte sich über die Bauerei. Wozu tat der Alte das in dieser Hast? Nichts als Eitelkeit! Mir könnte er die Vollendung überlassen. Die Marmorplatten werden in den kalten Nächten von den Mauern frieren und abfallen. Er saß steif in seinem Tragstuhl, den vier starke Sklaven auf den Schultern trugen. Wegen der herumliegenden Steine und der Wasserkübel konnten sie nicht ruhig ausschreiten. Nun mußten sie gar vor einem Bretterstapel stehenbleiben. Die vor dem Tragstuhl gehenden Liktoren mit den Rutenbündeln und dem Henkerbeil über der Schulter schimpften. Ein Bauaufseher trieb die Maurersklaven mit der Peitsche an, die Hindernisse rasch wegzuräumen. Der zukünftige Kaiser betrachtete das mit Verachtung, denn er haßte Unordnung. Ob sein Stiefvater Augustus tatsächlich dieses durch die Willkürherrschaft des Senats verkommene Rom in eine wunderbare Ordnung gebracht hatte? Unter ihm, Tiberius, sollte das anders werden! Vor sich sah er nun das Haus seiner Mutter Livia. Stattlich, das mußte man sagen! Nicht mehr eine einfache Tür in einer gewöhnlichen Mauer, sondern ein von Säulen flankiertes Portal. Zwei Pförtner halfen, den Tragstuhl sanft auf den Boden zu setzen. Sie traten zurück, denn niemand durfte unaufgefordert die Hand eines so hohen Gastes berühren. Dann ging einer halblinks vor Tiberius durch den säulenumstandenen Vorhof in den Empfangssaal mit den erst kürzlich von griechischen Meistern vollendeten Wandmalereien. Die neue Technik des Glättens der Stuckwände mit Bügeleisen schuf eine gute Wirkung. Junge Sklaven setzten zwei Sessel in die Mitte des Raumes. Darauf erschien Livia, gefolgt von ihrer Begleiterin. Mit feinem Lächeln erwiderte sie den Gruß ihres Sohnes. „Meine Cassia“, sagte sie zu ihrer Hofdame, „sorge dafür, daß wir allein bleiben!“ Inzwischen betrachtete Tiberius das in Wellen gebrannte Haar seiner Mutter, ober die Mitte der sechzig und noch so ein gutes Aussehen! „Wie ich höre“, begann sie, „gehst du mit deinem Neffen Germanicus zum Rhein, und der Kaiser will dort die Truppen sehr vermehren.“ „Auf acht Legionen, Mutter, genug, um den Barbarenherzog Arminius gründlich zu schlagen.“ „Ich verstehe wenig von militärischen Dingen, aber das gefällt mir nicht.“ „Weshalb?“ fragte Tiberius erstaunt. „Der Kaiser ist in letzter Zeit stark gealtert. Es wird ihm schwer zu gehen, und sein Gedächtnis läßt nach. Mein Sohn, du weißt, welche Mühe es mich gekostet hat, dir die Thronfolge zu sichern.“ Er hütete sich zu lächeln, fand aber ihre Worte in komischer Weise beschönigend. Mit Verleumdung, Gift und Dolch hatte sie die leiblichen Nachkommen des Augustus fortgeschafft. Wie schwach er ihr gegenüber war! „Was“, fragte er, „hat das Altern des Kaisers mit der Rache für die niedergemetzelten Legionen im Teutoburger Wald zu tun? Anderthalb Jahre sind seitdem schon verstrichen.“ „Rache? Für dich, Tiberius, ist es wichtiger, bereit zu sein, wenn ich dich rufe. Führe auch möglichst jetzt keine Kriege! Du weißt, wie wirksam es war, daß wir Augustus als den großen Friedensbringer hinstellten und den Altar des Friedens errichteten. Du, der kommende Kaiser, solltest als Friedenserhalter gelten.“ „Und wenn mir Augustus befiehlt zu kämpfen?“ „Weshalb gleich einen Krieg? Das sieht schlecht aus. Gibt es keinen Germanen, der bereit wäre, die geeinten Germanenstämme auseinanderzubringen? Haben wir kein Geld, keine Ehrentitel? Bei Arminius ist es uns mißglückt, vergeblich haben wir ihn zum Ritter gemacht - andere sind weniger
charakterstark. Falls dir übrigens Augustus befiehlt, Krieg zu führen, so vertraue darauf, daß ich ihm das ausrede.“ „Du meinst also, Mutter, ich soll dem Arminius drohen und nicht losschlagen, bis -“ Er unterdrückte das Wort: Bis Augustus stirbt. „Ja, drohe, häufe Kriegsmaterial auf! Du weißt, daß es die Ritter mit ihren Handelsgesellschaften sind, die zum Kriege treiben. Sie wollen nur an den Vorbereitungen verdienen. Mögen sie das, aber ob und wann du losschlägst, das bestimmen nicht sie, sondern wir. Verstehen wir uns darin?“ Er nickte. „Noch eins wollte ich dir sagen, Tiberius. Traue deinem Neffen Germanicus nicht zu sehr! Vermutlich arbeitet er nicht absichtlich gegen dich, aber er hat bestechend angenehme Umgangsformen, während du zu deutlich deine Verachtung für jedermann zeigst. Das wäre keine Gefahr für dich, wenn nicht seine Frau, diese Agrippina, da wäre, die auf ihre Ehetreue stolz ist. Mit leichtfertigen Frauen, wie sie heute in Rom Mode sind, wird man fertig, mit Agrippina nur schwer. Sie vergißt uns auch nicht, wie ihre Brüder umgekommen sind!“ Die Kaiserin hob warnend dieAugenbrauen. Auf dem Rückweg nach seinem Hause dachte Tiberius über dieses Gespräch nach. Noch ein Bruder der Agrippina lebte, der sogenannte Postumus, und der hatte einen besseren Anspruch auf den Thron als er, Tiberius. Aber, dachte er wütend, mag Treu und Glauben bei den kleinen Leuten erhalten bleiben, für Herrscher dienen sie nicht. Meine Mutter wird die beiden schon aus dem Wege schaffen wie die anderen Nachkommen des Augustus. Oder - wenn erst ich auf dem Thron sitze, dürfte es mir nicht schwerfallen. SIGIMUNTS ZWEIFEL Nun wohnte Sigimunt schon zwei Jahre in Vetera. Er hatte sich zu einem eleganten Mann entwickelt, der stets gut rasiert war und nach Narden und anderen Wohlgerüchen duftete, mit denen er sich von Philodoros nach der Sitte der römischen Herren einreihen ließ. Auch Herniu war gepflegt und spielte in Gesellschaft den lächelnden Nichtstuer. Auf seinen Reisen zur Weser aber gab er sich als biederer, abgehärteter Germane, wobei ihm seine kräftige Gestalt zustatten kam. Nur bei einer Beschäftigung verstellte er sich nicht, wenn er saß und rechnete. Als Sigimunt ihn einmal dabei störte, zog er sich vor Hernius sachlicher Unzugänglichkeit erstaunt zurück. Er achtete seine Tüchtigkeit, aber empfand sie doch wie eine Feindschaft. Noch deutlicher wurde ihm bewußt, daß er eigentlich nur ein Schmarotzer war, der von dem Erwerb eines anderen lebte, und dazu von einem Erwerb, den er verachtete. Diese Kluft zwischen ihnen wuchs. Dabei spielte auch ein anderes Erlebnis eine Rolle. Der etwas plumpe und derbe Milo hatte eine schön
bemalte Vase fallen lassen. Sigimunt sah die Scherben und schlug auf den Sklaven ein. Da ergriff Fabius lächelnd Milos Hand und hielt sie dem wütenden Sigimunt entgegen: „Diese Hand hat es schwerer als deine.“ Vor Betroffenheit konnte Sigimunt nicht antworten, und daran schloß sich ein heftiges Gespräch. „Sklaven sind keine Menschen!“ erklärte Sigimunt schroff. Fabius blickte ihn freundlich an: „Bin ich ein Freier?“ „Natürlich.“ „Als ich Legionär war, mußte ich schanzen wie ein Sklave, und als du mich kennenlerntest, hatte ich meine Gesinnung verkauft. Oder ist es nicht ein Verkauf der Gesinnung, wenn man Leibwächter eines Mannes wird, den man für einen Übeltäter hält? Zwischen Freiheit und Unfreiheit gibt es keine klaren Grenzen.“ „Damit widersprichst du Artemios, der uns lehrt, daß Plato wie Aristoteles die Sklaven verachteten.“ „Das lehrt er uns, aber er lehnte es ab, als ihm Arminius die Freilassung anbot. Er tat das, um den großzügigen Armin zu zwingen, ihn bis zu seinem Tode zu erhalten. Wenn er wirklich aus innerster Überzeugung glaubte, daß er als Sklave ein Vieh wäre, hätte er nicht so handeln können.“ Sigimunt war erschrocken: Also handelte Artemios um eines gewöhnlichen Vorteils willen und verkündete dabei die höchsten Ideale der Menschheit? Konnte das wirklich so sein? Es fiel Sigimunt schwer, sich zu gestehen, daß Fabius recht hatte. Damit wurde ihm all das fragwürdig, woran er sich in diesen Jahren klammerte, das Lernen, die Philosophie. Tagelang ging Sigimunt umher, fast ohne zu sprechen. Woher nahm aber Herniu seine Seelenruhe? Würde der ihn überhaupt verstehen, wenn er ihn danach fragte? Wie alle seine Gedanken, so verschloß er auch das in sich und bat Herniu nur, ihn bei seiner nächsten Reise mit an die Weser zu nehmen. Auf den erstaunten Blick des Freundes fügte er hinzu: „Ich möchte meine Schwester Tursinhilda besuchen, aber - nicht bei Armin vorsprechen.“ SIGIMUNT UND TURSINHILDA Das Zusammentreffen mit seiner Schwester begann für Sigimunt recht peinlich. Sie sagte ihm mit Falten auf der Stirn: „Du riechst ja wie ein Dutzend blühender Büsche!“ „Weshalb soll ich nicht das Schöne im Leben mitnehmen?“ antwortete er gemacht leichtfertig, sah aber, daß diese Redensart sie nicht beeindruckte. „Was tust du eigentlich in Vetera, Sigimunt?“ „Ich lerne.“ „Um zu lernen, auf römische Weise zu essen und sich mit Salben einzureiben, braucht man nicht Jahre. Oder lernst du bei deinem Freund Herniu rechnen? Das soll er allerdings so gut können, daß selbst Armin es bewundert.“ „Hast du denn mit Armin über uns gesprochen?“ „Wenn er zum heiligen Hain hierher kommt, sprechen wir über alles“, erwiderte sie in einer Verwirrung, die ihn
verwunderte. „Schwester!“ sagte er, unfähig, seine Erregung länger zu meistern. „Wir beide leben fern von unserem Elternhaus, was soll nur werden?“ „Ja, wenn du deshalb kommst? Mir ist alles an dir unverständlich. Als unsere Mutter mich hier besuchte, erzählte sie von deinem Streit mit Vater. Wenn du dich nicht mit ihm verträgst, wie kannst du dich da allem entziehen? Und nun verkehrst du mit Römern! Armin sagte uns, mit welchem Hohn ihre großen Herrn von Leuten sprechen, die so altmodisch sind, Wort zu halten.“ „Ich verkehre nicht mit so frechen Verächtern.“ „Da betrügst du dich wohl. Herniu hat Armin berichtet, daß in eurem Hause Advokaten aus und ein gehen, die nur eins kennen, Geld zu verdienen. Allein an sich denken sie. Herniu soll allerdings mit einem anständigen Kaufmann seinen Namen habe ich vergessen -“ „Celsus heißt er.“ „Ja, der soll anständig sein, aber hinter ihm steht der Legat Caecina, von dessen grausamen Sklavenjagden und seiner schamlosen Bereicherung uns Armin erzählte.“ „Davon hat mir Herniu nie etwas gesagt.“ „Gibt es denn kein Vertrauen zwischen euch?“ „Nein, das fehlt, und deshalb, Tursinhilda, komme ich doch zu dir! Seit Jahren ist es das erste Mal, daß ich zu jemandem offen spreche! Mit Fabius kann ich es nicht, er ist zu gütig.“ Tursinhilda hatte vor Staunen über diesen Ausbruch der Verzweiflung den Mund geöffnet. Nun legte sie ihm die Hand auf den Arm: „Jetzt beginne ich zu begreifen, aber darin kann ich dir nicht raten. Sprechen wir mit Ruwala!“ Und sie gingen gemeinsam zur Priesterin der Frija. BEI DER PRIESTERIN Ruwala saß in einem hausgewebten Umhang neben dem Eingang ihrer Hütte. Das graue Haar hing ihr halb ins Gesicht. „Sieh einmal, Tursinhilda“, sagte sie, „wieviel er von seinem Vater hat! Und doch ist er ganz anders. Also sprich, Sigimunt! Bei euch stimmt wohl einiges nicht?“ Er begann zögernd, aber wurde freier, weil Ruwala so aufmerksam zuhörte und mehrmals nickte. „Du hast einen Kummer“, sagte sie nachdenklich, „den es bei den um uns wohnenden Germanen nicht gibt. Sie leben im Verband ihrer Sippe. Du hast diese Bindung verloren und den Halt, den sie jedem gibt, wenn er nicht wegen schwerer Verbrechen ausgestoßen wurde. Du zweifelst an allem und weißt wohl nicht, daß man nur glücklich und auch gut sein kann, wenn man für andere lebt, nämlich für die, zu denen man gehört. Das ist auch der Fehler deines Vaters Segest. Ihm ist kaum mehr zu helfen, für dich aber gibt es einen Ausweg.“ „Welchen?“ „Kehre zu uns zurück! Das freilich genügt bei dir noch nicht, denn dir fehlt eine Tätigkeit, an die du dein Herz hängen kannst. Hilf im Kampfe gegen Rom! Du hast etwas gelernt, nun wende es an! Heute Abend wird uns Swidun, der Schwache, Asnis neues Lied singen.“ „Davon habe ich gehört“, erwiderte Sigimunt mit heruntergezogenen Mundwinkeln. „Die Stämme werden zur Kampfbereitschaft aufgefordert - im Namen Twistos, der dabei der Herr der tausend Tode genannt wird.“ „Was soll dieser verächtliche Ton!“ rief Tursinhilda. „Inzwischen habe ich die griechischen und römischen Götter kennengelernt. Sie kämpfen nicht im Nebelland gegen Riesen und waten bis zu den Knöcheln im Blut, sondern thronen in ewiger Schönheit und Jugend. Kein Wunder, daß die Römer und Griechen uns Barbaren nennen!“ Erschrocken starrten ihn die Frauen an. Ruwala wollte aber ihre Bemühung um ihn nicht aufgeben: „Ich verstehe etwas von deiner Empörung, denn Asnis Lied hat heftige Worte gegen die Verräter.“ „Nicht das stößt mich ab, Ruwala. Auch ich weiß, daß mein Vater Segest bei seiner kleinen Gefolgschaft nicht an Stelle Armins der Herrscher über Germanien werden kann. Und weil er nicht die nötige Macht hat, muß er den Stämmen als Verräter gelten.“ „Wenn dich das nicht verletzt, weshalb sprichst du dann verächtlich von unserem Ahn Twisto?“
„Ich sagte euch, es sind höhere Götter, die von den Völkern des Südens verehrt werden. Bei ihnen gibt es große Gedanken, die wir nur von ihnen übernehmen können.“ „Meinst du, wir sollen ihre Götter übernehmen und dafür unsere Freiheit hingeben?“ „Das ist unvermeidlich.“ Ruwala erhob sich: „Wenn du freilich nicht an unseren Kampf und unsere Götter glaubst, kannst du nicht mit uns kämpfen.“ Sigimunt sprang auf: „Stoßt auch ihr mich zurück? Versteht ihr nicht, daß ihr die einzigen seid, die ich achte?“ „Eine Achtung ohne Taten ist zerbrechlich.“ „Ich schwöre euch, nie wird meine Hand oder mein Wort -“ „Schwöre nicht, Sigimunt! Die Göttin, die dem Bund des Apfels ihre Weihe gab, traut nicht dem, der ihre göttlichen Brüder verachtet.“ Sigimunt blickte starr den beiden Frauen nach. Obwohl sie ihn zurückgestoßen hatten, wollte er sie nie verraten! Düsterer, als er gekommen war, kehrte er nach Vetera zurück. Niemand erfuhr von seiner neuen Enttäuschung. Er sagte weder Fabius noch Herniu, daß er den - wie er sich gestand - wohlmeinenden Rat Ruwalas in eigensinnigem Schweigen abgelehnt hatte. Die Einigung der Stämme Germaniens ohne Unterdrückung der Freiheit durch den Stamm der Cherusker erschien ihm unmöglich. Deshalb konnte er Armin nicht zustimmen. Der Ehrgeiz seines Vaters aber war bei dessen geringer Gefolgschaft sinnlos. Was also? Sigimunt stand allein, und das mit noch nicht zwanzig Jahren. EIN BESUCHER AUS ROM An der Straße von der Römerstadt zur Rheinbrücke wurden Tribünen errichtet. In den Nächten schallte das Sägen und Nageln der bei Fackellicht arbeitenden Sklaven herüber. Tiberius und Germanicus sollten nach Vetera kommen, um von hier aus mit großem Gepränge nach Germanien zu ziehen, wo sie den Geburtstag des Kaisers Augustus feiern wollten, der am 23. September 74 Jahre alt wurde. Die Feier jenseits des Rheins sollte die Macht und den Glanz Roms zeigen und gleichzeitig eine Drohung gegen die Germanen sein. Da die Quartiere in der befestigten, engen Römerstadt für die vielen hohen Herrn, die als Begleitung der beiden Prinzen erwartet wurden, nicht ausreichten, kündigte man Herniu den Besuch eines vornehmen Römers an. Er fürchtete, es würde einer der trockenen, steifnackigen Leute sein. Es bedeutete jedoch für ihn als Halbbarbaren eine große Ehre. Wie überrascht war er, als der Römer ein ganz junger Mann mit offenem, natürlichem Wesen war! Sein Name Quintus Cassius sagte freilich Herniu nichts. Fabius riß aber die Augen auf, denn welcher Römer kannte nicht diese berühmte Senatorenfamilie. Ein Cassius gehörte zur nächsten Umgebung des Augustus, und seine Frau sollte eine Vertraute der Livia sein. Quintus begrüßte alle im Hause auf das freundschaftlichste und zeigte sich besonders entzückt, einen Griechen zu treffen. Sofort begann er mit Artemios ein Gespräch in dessen Sprache. Da die anderen verlegen daneben standen, wandte er sich auf lateinisch an sie: „Entschuldigt, meine Freunde, aber mein Vater war Prokonsul in Griechenland, später in Ägypten, so daß ich mich in diesen Ländern fast mehr zu Hause fühle als in Rom.“ Die Worte machten auch Herniu klar, daß es sich hier um einen Mann aus einer der ersten römischen Familien handelte, der wohl nur wegen seiner Jugend bei ihm einquartiert war. Während man sonst in seinem Hause nach Art der Germanen und ärmeren Römer sitzend aß, hatte er heute um den Tisch nach griechischer Sitte Liegebänke stellen lassen. Vor dem Eintritt in den Speiseraum fragte er: „Mein Quintus, liebst du das Flötenspiel?“ „Es erinnert mich an die warmen Nächte in Athen. Weshalb fragst du?“ Herniu nickte zum Gang hinüber, an dem die Schlafnischen lagen. Von dorther kam nun Philodoros, Flöte blasend, hereingetänzelt. „Alles andere hätte ich erwartet!“ sagte Quintus, durch so viel Aufmerksamkeit geschmeichelt. Nachdem er eine Weile zugehört hatte, fügte er hinzu: „Ihr besitzt ja hier alles, was diese Stadt gewährt, habt ihr auch Frauen?“
„Bei uns“, antwortete Sigimunt in seiner steifen Art, „heiratet man erst mit dreißig Jahren.“ „Und das haltet ihr ein?“ „Es wäre eine große Schande für unseren Stamm, wenn wir es nicht täten.“ „Das ist ja erstaunlich. Wenn ich an die Schamlosigkeit bei uns denke! Da fällt mir ein: Wie steht ihr zum Recht? Ich meine, gelten bei euch Verträge?“ Herniu erwiderte: „Drüben bei den Cheruskern schließt niemand auf römische Art Verträge ab, schon weil man nicht schreiben und lesen kann. Ein gegebenes Wort genügt.“ „Du handelst mit den Cheruskern, mein Hernius? Hast du schon einmal Arminius gesehen?“ Da Herniu mit der Antwort zögerte, erwiderte Sigimunt für ihn: „Wir alle kennen ihn, und der alte Grieche, mit dem du sprachst, war sein Lehrer. Mit ihm las er die lateinischen Dichter.“ Augenscheinlich wollte Sigimunt dem Römer klarmachen, daß er es nicht mit primitiven Barbaren zu tun hätte. Herniu aber dachte ärgerlich: Wozu muß Quintus wissen, daß wir so eng mit Armin bekannt sind? „Wie interessant!“ rief der Römer aus. „Germanicus, zu dessen Gefolge ich gehöre, hat mir erzählt, was für ein bedeutender Feldherr Arminius ist. Er soll aber unter den Cheruskern einen Gegner haben, Segestes. Kennt ihr ihn auch?“ Nun geriet Sigimunt in Verlegenheit, und Herniu war boshaft genug zu sagen: „Segestes ist sein Vater.“ „Das muß ich Germanicus erzählen!“ rief Quintus, und da die anderen, jeder aus einem anderen Grunde, schwiegen, fuhr er fort: „Ihr müßt wissen, er ist nicht so hochmütig wie sein Onkel Tiberius. Aber ich vergaß euch zu fragen, ob ihr schon Plätze habt, denn ihr wollt euch doch sicher den Auszug der Truppen ansehen? Nein? Dann werde ich dafür sorgen, daß man euch Platzanweisungen sendet.“ Sie saßen noch bis tief in die Nacht beisammen, Quintus entzückt über den griechischen Wein, den ihm Philodoros elegant in gläserner Schale reichte. Er fragte nach den Formen der Jagd in dem ihm geheimnisvoll erscheinenden Lande und wie die gewaltigen Tiere aussähen, die Elche und Auerochsen. Auch die germanischen Götterfeste interessierten ihn, die noch ernst und würdig gefeiert wurden. Wehmütig sagte er: „Weder in Rom noch in Griechenland gehen die meisten aus anderen Gründen zu den Opfern, als um sich sehen zu lassen. Ich habe schon lange nach einem Ort gesucht, wo man noch wirklich glaubt.“ DER TRUPPENAUSZUG Die drei ungleichen jungen Männer, Herniu, Sigimunt und Fabius, ließen sich mit syrischem Balsam einreihen und begaben sich römisch gekleidet zu den Tribünen. Ihnen folgte Philodoros, der einen Korb mit Weißbrot, Fleisch und Süßigkeiten sowie eine Kanne Wein trug. Der Platzanweiser begegnete ihnen wenig achtungsvoll. Als ihm aber Sigimunt die irdenen Marken zeigte, begleitete er sie ausnehmend höflich zu Plätzen, fast unmittelbar neben denen der höchsten Behörden. Mit Unbehagen bemerkte Herniu, wie die ihm bekannten Advokaten ihnen erstaunt nachblickten und die Köpfe zusammensteckten. Sicher sagten sie: Den jungen Sigimundus ehrt man recht auffällig. Mit dem hat man wohl etwas vor? Die Tribünen waren mit grünen Kränzen und Teppichen geschmückt. Nach einigem Warten kamen Tubabläser zu Pferde angerückt, hinter ihnen Reiterei mit Panzer, Helm, Schild und Speer, Abteilung auf Abteilung. Nun war die Straße leer, und die Zuschauer sahen bunte Aufbauten sich leicht schwankend langsam nähern. Vor ihnen schritten gerade ausgerichtet Bläser, denen Herren in wallenden Gewändern folgten, voraus einige reichlich dicke, die sich, jeder auf seine Weise, schwer bewegten. Bei ihnen befand sich auch Quintus Cassius, der freundschaftlich zu den Germanen hinübernickte. Diese Herren aus Senatorenfamilien dienten als Ehrung eines von sechs Schimmeln gezogenen Wagens, auf dem über einem mit Kränzen behängten Gestell der weiße Marmorkopf des Augustus stand. Er schien nach Germanien hinüberzublicken. Auf einem weiteren Wagen standen nebeneinander Tiberius und Germanicus, beide groß und wohlgestaltet. Eine starke Familienähnlichkeit fiel auf, obwohl der bedeutend ältere Tiberius den Mund verächtlich heruntergezogen hatte und die als Gruß hochgestreckten Arme der Zuschauer nicht zu sehen schien, während sich Germanicus frei und mit freundlichem Ausdruck umblickte. Auf dem dritten Wagen saß eine mit vielen Ringellocken frisierte junge Frau, Agrippina, die Enkelin des Augustus und Gattin des Germanicus. Sie nickte bald nach rechts, bald nach links, zeigte sich aber lange nicht so freundlich wie ihr Mann. Kein Wunder! dachte Herniu. Ihre Mutter ist auf Betreiben der Livia aus Rom verbannt, zwei ihrer Brüder in
Livias Auftrag ermordet worden. Jemand, der so am Abgrund lebt, kann wohl schwerlich froh sein. Die Wagen hielten jenseits der Tribünen. Man half den Mitgliedern der Kaiserfamilie herab, und sie ließen sich auf der für sie bestimmten, von Liktoren bewachten Tribüne nieder. Kaum war das geschehen, als die erste Legion heranrückte und der Vorbeimarsch der ganzen Armee begann. Sicher sollte ihre Ordnung und Masse die Grenzbevölkerung beeindrucken. Aber als nach einer Stunde noch immer Kolonne auf Kolonne vorbeizog, begannen die Zuschauer auf den Tribünen, sich von ihren Sklaven Wein und Speisen reichen zu lassen. Ab und zu blickte Herniu auf die noch immer vorübermarschierenden Truppen. Je höher die Sonne stieg, desto müder und verschwitzter sahen die Legionäre aus. Wer weiß, wie lange sie schon in Reih und Glied gestanden hatten, bevor ihr Vorbeimarsch begann! Endlich war der zu Ende, und man wurde auf den Tribünen wieder aufmerksam, denn nun erwartete man die Spaßmacher, die bei jedem großen Aufzug üblich waren. Dort erschien schon einer und schlug die Straße entlang Rad. Ein gänzlich lahmer Mann mit weißgeschminktem Gesicht führte ein uraltes Pferd, auf dessen Rücken eine Frau trippelte und nach beiden Seiten Kußhände warf. Ihr Mund war knallrot gemalt, aber so, daß er recht klein erschien. Hinter dieser Begrüßerin galoppierten Pferde heran, auf deren Rücken fast nackte Männer Arme und Beine in die Luft warfen, Handstand machten, durch hinübergeworfene Reifen sprangen. Ganz am Schluß aller dieser Tänzer, Gymnastiker und Springer stand auf einem mächtigen Schimmel ein mit tiefen Gesichtsfalten geschminkter Mann und schwankte nach vorn und den Seiten, wobei er die Augen schrecklich verdrehte. Vor den Tribünen konnte er sich nicht mehr halten, fiel auf den Pferderücken und zuckte mit Armen und Beinen wie ein auf den Flügeldecken liegender Käfer. Schließlich bekam er die Mähne zu fassen und hielt sich daran mit allen Anzeichen der Angst fest. Trotzdem glitt er zu Boden, vor die Hufe seines Schimmels, der sie hoch über ihn weghob, als ob er sich vor dem Betrunkenen ekelte. Weinend schrie er ihm nach: „Schöne Cornelis, willst du mir untreu werden?“ Die Zuschauer wälzten sich vor Lachen, denn die schöne Cornelia war die in Rom wegen ihrer Zierlichkeit gefeiertste Frau. Da sich der plumpe Schimmel nicht um die Rufe kümmerte, blickte ihm der Betrunkene dumm nach. Plötzlich aber schnellte er auf, hüpfte mit leichten Schritten dem Pferde nach und sprang elegant auf den Rücken des Tieres. Da richtete er sich straff auf und verbeugte sich mit schafsdämlichem Gesicht und schielenden Augen steif nach allen Seiten. Auf diese Weise ahmte er einen Senator nach, der als besonders dumm und hochmütig bekannt war. DAS MISSGLÜCKTE FEST Nach einer Woche kehrte das Gefolge des Thronerben ohne Aufsehen nach Vetera zurück. Auf höfliche Fragen, wie es gewesen wäre, antwortete Quintus ausweichend. Er hatte gehofft, etwas vom Leben eines unverdorbenen Volkes zu sehen, das noch gläubig und bieder wäre. Als aber die Römer hinkamen, fanden sie die Siedlungen leer. Nahe dem Platz, auf dem die großartige Geburtstagsfeier stattfinden sollte, waren in die Rinde einer mächtigen Buche merkwürdige Zeichen eingeritzt. Tiberius ließ einen Ubier, seinen Übersetzer, rufen, der aber gestehen mußte: „Ich bin nicht in die Geheimnisse der Priester eingeweiht. Eins nur weiß ich: Das da ist ein Todeszeichen.“ Als Drusus, der Bruder des Tiberius, auf dem Rückmarsch aus Germanien vom Pferde stürzte und daran starb, waren Unheil verheißende Zeichen vorausgegangen. Ob Tiberius glaubte, die Einritzungen wären ein gefährlicher Zauber, sagte er nicht. Jedenfalls schien er sehr verstimmt, überdies war kein Germane zu sehen, und die Römer hatten gehofft, das Volk würde der großen Schaustellung zuströmen. Kurz entschlossen befahl Caecina einer Reiterabteilung, in aller Eile Germanen vom Rhein zu holen. Tiberius würde sie bestimmt nicht fragen, ob sie aus der Gegend hier stammten. Vermutlich hatten die Legionäre ihren Auftrag zwar rasch, aber mit der bei ihnen üblichen Brutalität ausgeführt. Denn der klägliche Haufen übermüdeter und schmutziger Menschen mit den schreienden oder erschöpft schlafenden Kindern entsprach nicht den Vorstellungen des Tiberius, der die Feier mit solchen Kosten vorbereitet hatte. Wütend befahl er, das Lumpengesindel zu entfernen. So kam es, daß die Feier ohne Zuschauer stattfand und Tiberius seiner Enttäuschung dadurch Luft machte, daß er das schlechte Aussehen der ebenfalls übermüdeten Truppen scharf kritisierte. Einen Offizier, dessen Einheit beim Vorbeimarsch an der Büste des Augustus in Unordnung geriet, ließ er nur wenige Schritte vom Festfeld durch seinen Liktoren enthaupten. Das Gefolge der beiden Caesaren war durch alles das so betroffen, daß es den nun auftretenden Spaßmachern mit unfreundlichen Gesichtern zusah. Das wieder versetzte die Artisten in Angst. Sie fürchteten, der unberechenbare
Tiberius könnte unversehens auch ihren Kopf rollen lassen. Quintus als wohlerzogener Mann bemühte sich, seinen germanischen Gastgebern das Maß seiner Enttäuschung nicht zu zeigen, aber eine wirkliche Heiterkeit kam nicht wieder auf, bis er bald darauf mit Germanicus abreiste. Nun trat Herniu mit Milo eine neue Fahrt zur Weser an. Hier überfielen ihn Olfo und Ursilo mit der Frage: „Wie war es bei der Geburtstagsfeier des Kaisers?“ Auf Hernius Auskunft wollten sie sich vor Lachen ausschütten. Nun erfuhr er, daß der Mißerfolg der Feier kein Zufall gewesen war, sondern daß Armin den blinden Sänger zu den Stämmen nahe dem Rhein geschickt hatte. Die Priester hatten daraufhin das Thing einberufen, auf dem man überall beschloß, den Tag des sogenannten Friedenskaisers nicht zu besuchen. LIVIA UND AUGUSTUS Im folgenden Jahre schickte Tiberius den Legaten Caecina mit einigen Legionen über den Rhein, wo sie Dörfer überfielen und jede Art von Greueln verübten. Vielleicht hatte er gehofft, daß sich beim Plündern die Stimmung in den Legionen heben würde. Da aber nach diesem kurzen Feldzug, auf dem es wenig Beute gab, das Schanzen von Befestigungen und der Bau von Wachthäusern weiterging, schimpften die Legionäre in den Schenken weiter: „Wir müssen wie Sklaven arbeiten und werden auch ebenso angetrieben.“ Unterbrochen wurden diese Klagen durch die Abreise des Tiberius. In aller Eile begab er sich mit nur geringer Begleitung nach Rom und überließ Germanicus den Befehl über die acht Legionen am Rhein. Nun sprach man darüber, war sich aber sofort einig, was es bedeutete. Der Kaiser war sehr gealtert. Bei feierlichen Gelegenheiten konnte er nicht mehr lange stehen, so daß ihn ein Freigelassener möglichst unauffällig stützen mußte. Tiberius wollte beim Tode des Kaisers in Rom sein, da er wußte, wie wenig man ihm die Macht gönnte. Augustus hatte sich Decken umlegen lassen, weil er in der letzten Zeit leicht fror. Unfreundlich betrachtete er den vor ihm stehenden Gnaeus Cassius: „Deine Frau also läßt mir durch dich sagen, daß Livia mich sprechen möchte. Ich bin noch nicht so alt, daß ich nicht merkte, wie du die Fäden in der Hand hältst, du bei mir, deine Frau bei der Kaiserin und dein Sohn Quintus bei Germanicus. Es fehlt dir nur ein Bruder, den du zu Tiberius stecken könntest was allerdings für ihn kein Genuß wäre! Nun also, die Kaiserin soll kommen!“ Livia trat mit einer für ihr Alter erstaunlichen Anmut in das Gemach. Augustus erhob sich zur Begrüßung. Dann entließ er Cassius und sie Cassia. „Was führt dich zu mir?“ Er betrachtete ihre sorgsam hergerichteten Fingernägel. „Es dürfte dir, Augustus, bekannt sein, daß Tiberius -“ „Allerdings, daß er nach Rom kam, ohne von mir gerufen zu sein!“ Livia lächelte. „War es nicht angebracht, daß er kam, bei deinem neulichen Schwächeanfall?“ „Angebracht oder nicht, glaubst du, es wäre mir angenehm, diesen Menschen zu sehen, der niemanden liebt und den alle hassen?“ „Wir sind nicht irgendwelche kleinen Leute, denen es erlaubt ist, nur nach dem Angenehmen zu fragen. Gerade durch seine Art taugt er dazu, dein Nachfolger zu werden. Oder hast du vergessen, weshalb du selbst die Macht ergriffest und weshalb dir die einsichtigen Senatoren dabei halfen?“ „Erspare mir die Erzählung über die Mißwirtschaft, die das Römische Reich in solche Gefahr brachte! Von allen Speichelleckern muß ich das hören.“ „Und doch muß ich dich daran erinnern, daß nur eine Diktatur -die erbliche Diktatur - Ordnung schaffen konnte. Ich weiß, du liebst Germanicus mehr als Tiberius. Der junge Mann ist auch liebenswürdig, klug, tapfer, alles, was du willst. Nur fehlt ihm eins, was Tiberius hat: die Rücksichtslosigkeit.“ „Ja“, erwiderte Augustus, „die Hemmungslosigkeit, die vor keinem Leben, keiner Würde haltmacht. Ich wundre mich nur, daß du dich nicht vor deinem eigenen Sohn fürchtest.“ „Wozu solche Worte, Augustus? Du hast dich entschieden, ihn zu deinem Nachfolger zu machen.“ „Da es entschieden ist“, erwiderte er heftig, „weshalb sprichst du mir davon?“ „Weil ich wünschte, es herrschte mehr Eintracht zwischen euch.“ „Ich stehe Tiberius nicht einmal im Wege, wenn es ihm ein - mir unbegreifliches - Vergnügen macht, Menschen vor seinen Augen zu Tode quälen zu lassen. Jedoch zu meinem persönlichen Umgang gehört ein solcher Mensch nicht! Nach meinem Tode - auf den zu warten er ja gekommen ist - kann er Rom in der Weise regieren, wie es ihm recht erscheint. Wenn er aber Frieden mit mir haben will, soll er meine Gegenwart meiden!“
Augustus fing vor Erregung an heftig zu husten, so daß Livia in die Hände klatschte und dem herbeieilenden Cassius befahl, den Arzt zu rufen. Dann kehrte sie elegant schreitend in ihr Haus zurück, in dem Tiberius sie erwartete. „Es ist nicht einfach“, sagte sie, „aber du kannst in Rom bleiben, nur will er dich nicht sehen. Übrigens auf deine Vergnügungen -du weißt, was ich meine - wirst du in meinem Hause verzichten müssen.“ SIGIMUNTS ABREISE Wieder war ein Jahr vergangen. Herniu wurde zur Eingangstür gerufen. Auf der Straße hielt eine Abteilung römischer Reiter, deren Anführer fragte: „Kann ich Sigimundus, Sohn des Segestes, sprechen?“ Herniu führte ihn in den Empfangsraum und ging zur Kammer des Artemios, aus der er das laute Lesen eines lateinischen Textes hörte. Auch Sigimunt schien über das Erscheinen der Reiter erstaunt zu sein. In höflicher Weise überreichte ihm der Anführer zwei gegeneinander gebundene Wachstäfelchen. Nach dem Lesen übergab Sigimunt sie wortlos an Herniu. Sie enthielten eine Einladung des Quintus Cassius an Sigimunt, ihn in Moguntiacum zu besuchen. „Wenn du, mein Sigimundus“, sagte der Reiterführer, „bereit bist, bald zu reisen, sind wir beauftragt, dich zu deiner Sicherheit zu begleiten.“ „Morgen reise ich und nehme eure Begleitung an“, erwiderte Sigimunt, ohne zu zögern. Das erregte Hernius Mißtrauen. War dieser Einladung etwa eine Verabredung vorausgegangen? Konnte Quintus auch eine ganze Abteilung schicken, wenn er der Zusage Sigimunts nicht gewiß war? Überdies war Quintus kein Anführer von Truppen, und daher konnten die Reiter nur auf Befehl eines anderen kommen. Der Legat Caecina war das gewiß nicht, da er für seine Verachtung der Barbaren bekannt war, dagegen konnte es Germanicus sein. Wenn er Sigimunt wie einen großen Herrn abholen ließ, was hatte er da mit ihm vor? Nachdem der Reiterführer gegangen war, sagte Herniu in zwanglosem Ton: „Sollte denn die große Straße nach Moguntiacum plötzlich so unsicher sein, daß man dir eine solche Begleitung schickt?“ „Vielleicht doch“, erwiderte Sigimunt frostig. „Ich bitte dich, Freund, teile mir mit, wenn etwas mit dir geschehen sollte.“ „Was sollte geschehen? Bei Quintus fühle ich mich sicher.“ „Schon mancher Germanenfürst ist nach Rom eingeladen worden. Bitte, laß mich nicht im Unklaren!“ Sigimunt konnte diese Bitte kaum abschlagen, nachdem er jahrelang bei Herniu als Gast gelebt hatte. Trotzdem zögerte er mit der Zusage, und das überzeugte Herniu endgültig davon, daß eine feste Verabredung vorlag. Am folgenden Morgen verließ Sigimunt Vetera zusammen mit Fabius.
MILO Nun wartete Herniu auf eine Nachricht aus Moguntiacum. Da es ihn aber auch trieb, Armin die Abreise Sigimunts mitzuteilen, übergab er die Verwaltung seines Hauses dieses Mal dem Flötenspieler, weil Fabius nicht mehr da war. Wenn Philodoros auch dümmlich und versponnen nur der Pflege seines Körpers lebte, stahl er doch nicht wie die meisten Sklaven. Er trank auch nicht und ging nie freiwillig aus dem Hause. Da er aber sehr ängstlich war und sich vor Einbrechern fürchtete, ließ Herniu den kräftigen Milo bei ihm. Auf dem Hügel über der Weser traf Herniu niemanden von Armins Familie und begann sofort mit Einarm die Geschäfte zu besprechen. Da kam überraschend auf schweißnassem Pferde Milo an. Erschrocken fragte Herniu: „Was ist geschehen?“ „Fabius hat für dich diese Schreibtäfelchen gebracht.“ Listig lachend fuhr er fort: „Der kleine Philodoros wollte ihm großartig im Vorderhaus auftafeln lassen, aber ich kenne doch meinen Fabius und lockte ihn in den Hinterhof. ,Wir sind zwar Sklaven’, sagte ich ihm, ,aber du warst immer freundlich zu uns, und da möchten wir dich unter uns haben.’“ Inzwischen hatte Herniu die Täfelchen auseinandergeklappt und las: Dir, mein Hernius, einen Gruß. Als ich von dir schied, versprach ich dir mitzuteilen, wenn etwas mit mir geschähe. Noch weiß ich nichts Genaues, aber so viel ist sicher, daß ich nicht zu dir zurückkehre. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dir für deine Gastfreundschaft danken. Ich habe nicht vergessen, daß wir uns vor Jahren Freundschaft schworen. Nie werde ich etwas unternehmen, was dir schaden könnte. Lebe wohl. Dein Sigimundus. Milo betrachtete Hernius Gesichtsausdruck. „Er teilt dir wohl mit, was er vorhat?“ „Nicht in klarer Weise.“ „Da weiß ich vielleicht mehr. Obwohl es dem Flötenspieler nicht paßte, bediente ich Fabius beim Essen, blieb dann bei ihm stehen und hatte nach zwei Stunden alles heraus. Die Römer haben Sigimunt vorgeschlagen, daß er Priester am Altar des Augustus in Ubierstadt werden soll, und das hat er angenommen.“ Da Herniu ein finsteres Gesicht machte, sagte Milo: „Ich glaubte, das wäre dir so wichtig, daß ich sofort herritt.“ „Woher wußtest du, daß mir das gerade wichtig war?“ „Ich bin nicht dumm, Herr. Einiges beobachte ich, anderes erfahre ich, das dritte denke ich mir dazu.“ „Was erfährst du denn?“ „Da hat mir der Leibsklave des Quintus vertraut, daß dessen Vater und Mutter im kaiserlichen Haushalt einflußreiche Personen sind. Ich weiß auch, daß du kein Halbrömer bist und wo sich Armin gerade befindet. Mit einem Unfreien hier am Fuße des Hügels habe ich mich befreundet, und er sagte mir, daß Armin oft nach Ruwalaheim hinüberreitet, um Sigimunts Schwester Tursinhilda zu sehen.“ Herniu war überrascht. Man vermied es im allgemeinen, Sklaven zuviel wissen zu lassen. Überleglich fragte er: „Du sparst sehr, Milo, und ich vermute, du tust es, um dich loszukaufen. Wenn dir das gelänge, würdest du wohl in deine Heimat Dakien zurückkehren?“ „Ich habe schon genug, um mich loszukaufen. Für meine Frau und Kinder reicht es aber noch nicht. In meine Heimat will ich nicht zurück, denn der dakische Fürst, der mich in die Sklaverei verkaufte - er verdient sehr viel mit seinem Menschenhandel -würde mich kaum als Freien anerkennen. Am liebsten möchte ich bleiben, wo ich bin, und das solltest du nicht bereuen, Herr, denn ich bin neugierig von Natur und könnte dich manchmal beraten.“ „Laß mich jetzt allein, aber halte dich in der Nähe!“ Schon war Herniu halb entschlossen, Milo freizulassen, und als er es überdachte, fand er darin nur Vorteile. „Milo!“ rief er nach einer Weile und erhob sich von seinem Sitz. Der Daker kam eilig herbei und sagte ganz gegen alle guten Sitten, denn ein Sklave durfte nur sprechen, wenn er gefragt wurde: „Ich vergaß, dir etwas zu sagen, Herr. Wenn du nicht nur mich, sondern mir auch Frau und Kinder freiließest, würde ich dir ihren Preis treulich abdienen.“ „An deinen Ersparnissen liegt mir nicht, sondern ich sehe, daß du einen aufrechten Charakter hast. Schwörst du mir Freundschaft als freier Mann? Dann erkläre ich dich und deine Familie frei, ohne Geld und ohne Bedingung.“ Er streckte dem Daker die Hand hin. „Ich schwöre dir Freundschaft!“ erwiderte Milo, vor Erregung stotternd.
„Aber“, fuhr Herniu, der seine Rührung nicht zeigen wollte, sachlich fort, „nach römischem Recht ist diese Freilassung noch nicht gültig, sondern nur ein Versprechen. Sobald wir nach Vetera kommen, werde ich dich und deine Familie öffentlich freisprechen lassen.“ DER UBIER Nach zwei Tagen kam Armin zurück. Er sprang leicht vom Pferde und half seiner schweren Mutter von ihrem Maultier, während sich Sigimär allein vom Pferde gleiten ließ, wobei er seine verstümmelte Hand unter dem Umhang verbarg. Er wollte sich und anderen nicht eingestehen, daß er nicht mehr kämpfen, ja, nicht einmal mehr jagen konnte. Auch zeigte er seinen Kummer deshalb nicht, damit das Gespräch nicht auf den Schuldigen des Unglücks, seinen Bruder Ingwiomär, käme. Er betrachtete es als eine seiner Aufgaben, die Familie in Frieden zusammenzuhalten, und seinem eigensinnigen Bruder, keinen Anlaß zu geben, gegen Armins führende Stellung unter den germanischen Stämmen vorzugehen. Herniu berichtete Armin, der Vorsicht halber auf lateinisch, über Sigimunt. „Ich verstehe aber nicht, was er als Priester des Augustus in Ubierstadt tun soll.“ „Die Römer sind bei allen Völkern von Gallien bis in den Orient verhaßt. Deshalb versuchen sie den Unterworfenen einzureden, jetzt würde es besser. Ein Friedenskaiser, der ein Gott ist, hätte in Rom die Regierung übernommen. Nun braucht man für die Provinzen Ober- und Niedergermaniens einen germanischen Priester dieses Gottes und setzt ihn zu dem wichtigsten der dortigen Stämme, den Ubiern.“ „Aber das ist doch Verrat von Sigimunt!“ „Ja, Herniu, und gleichzeitig versichert Sigimunt dir - aber nicht uns - die Treue zu halten. Wie er mit seinen verschiedenen Schwüren auf die Dauer zurechtkommen will, verstehe ich nicht. Bei seinem Vater geht auch etwas vor sich. Durch Ursilos Schwester Ursa, die du wohl nicht kennst? - sie scheint ein gewandtes Mädchen zu sein wissen wir, daß bei Segest öfters ein Ubier erscheint. Vermutlich kommt er von den Römern, vielleicht von Germanicus, und soll wohl etwas gegen uns anzetteln. Nun höre, Herniu: Du darfst nicht mit Sigimunt brechen, auch wenn er noch so große Dummheiten macht und du dich über ihn ärgerst. Man darf ihm keinen Vorwand liefern, einen Eid zu brechen. Sende mir übrigens den alten Artemios zurück! Ich brauche ihn als Lehrer für jemanden.“ Erstaunt blickte Herniu den merkwürdig lächelnden Armin an. Ursilo war ja der hellste Kopf unter den jüngeren Kriegern in Armins Gefolgschaft, aber wozu mußte er lateinisch lernen? Herniu fragte nicht, wen Armin meinte, denn der wollte es augenscheinlich nicht sagen. ARMIN IN RUWALAHEIM Man wunderte sich, daß Armin eines Tages entgegen seiner Gewohnheit, schnell zu reisen, mit einem rumpelnden Planwagen ankam, und noch mehr, als Ursilo und Olfo aus Pelzen und Stroh einem schwarzäugigen kleinen Glatzkopf heraushalfen. Der krumme Alte schimpfte in einer fremden Sprache, seltsam mit germanischen Wörtern gemischt. Tursinhilda, die davon erfuhr, wurde so neugierig, daß sie Ruwala bat, mit ihr den Gast anzusehen. Die Oberpriesterin, stets zu Späßen aufgelegt, kam mit. Vor der Gasthütte traten ihnen Armin und der Fremde entgegen. „Wen bringst du uns da, Neffe?“ fragte Ruwala. „Ein Geschenk für Tursinhilda“, erwiderte Armin. „Für mich? Diesen Alten?“ Artemios hatte das verstanden und antwortete: „Alter kann sein klüger.“ Beschämt sagte Tursinhilda: „Man ehrt bei uns die Alten, aber als Geschenk, wie dich Armin bezeichnet, mag ich dich nicht.“ Armin gefiel diese Antwort: „Er will nicht geschenkt sein, sondern dir etwas schenken.“ „Was soll das sein? Sprich offen!“ „Willst du, Tursinhilda, hinter deinem Bruder zurückstehen? Freilich ist er Priester des Augustus in Ubierstadt geworden.“ Erschrocken erwiderte sie: „Priester für einen fremden Gott?“ Auch Ruwala erschrak sehr. „Weshalb“, fragte sie bestürzt, „soll sie lateinisch lernen und sich vielleicht ebenso von uns entfremden wie ihr Bruder?“ „Sie steht zur Sache der Germanen. Da sie aber einmal heiraten wird - und bestimmt einen Fürsten aus den Stämmen, die von Rom bedroht sind - wäre es gut, wenn sie Rom kennt, seine guten und schlechten Seiten. Will sie lernen?“ „Laß mir Zeit, ich werde es mir überlegen!“ Plötzlich aber errötete sie. „Ja, ich will lernen.“ Ruwala blickte sie an
und lächelte. Später am Tage hatte sie eine Aussprache mit Armin: „Als du heute sagtest, Tursinhilda würde bestimmt einen Fürsten aus unseren Stämmen heiraten, dachte ich sofort an dich und glaube, daß auch sie das als Frage auffaßte. Bald wirst du ja dreißig und heiratsfähig. Weißt du jedoch, welchen heftigen Charakter sie hat? Sie duldet keine Einengung?“ „Ich will sie haben.“ „Ihre Mutter hat mir über Ursa und Ursilo mitteilen lassen, daß Segest plante, sie mit Gewalt von hier zu holen. Darauf ließ ich ihm sagen, daß die Göttin das nicht dulden würde. Auch du, Armin, sollst die Göttin fürchten!“ „Ich habe verstanden.“ AUFSTAND DER LEGIONEN Herniu hatte Celsus seinen Freigelassenen Milo vorgestellt, fand aber zu seiner Überraschung bei dem römischen Kaufmann nur eine kühle Begrüßung des allerdings hartblickenden Dakers. Gleichzeitig schloß sich jedoch der ältliche Celsus gegenüber Herniu immer mehr auf und teilte ihm seine Sorgen mit. Er hatte bemerkt, daß der nunmehr recht männlich gewordene Herniu Vertraulichkeiten in römischen Kreisen nicht weitererzählte. Celsus war seine Frau gestorben, und sein Sohn hatte in leichtfertiger Gesellschaft bedeutende Schulden gemacht, die er, der Vater, bezahlen mußte. „Als ich jung war“, sagte er, „tobten die Bürgerkriege, und unter der Alleinherrschaft des Augustus ist eine gewisse Ordnung eingetreten. Was aber wird geschehen, wenn Tiberius den Thron besteigt, der nicht die Ausgeglichenheit des Augustus besitzt und dazu verbrecherische Neigungen hat wie seine Mutter Livia? Das Land ist nicht so ruhig, wie du wohl denkst.“ Er sprach dann von den Legionären, die mehr Sold und eine bessere Behandlung durch die Offiziere forderten. Den ausgedienten Legionären war Land versprochen worden. Wo wollte man es hernehmen, wenn sie es durchaus in Italien haben wollten? Denn dort war fast aller Boden in den Händen der großen Herren. Wenn die Regierung versuchte, sie zu enteignen, gäbe es bestimmt eine gefährliche Unruhe, und darauf warteten die Sklaven und auch viele ärmere Freie, die um jeden Preis emporkommen wollten. Herniu sah ein, daß die Lage verwickelt war, doch ihn freute es. Bei hochsommerlichem Wetter saß Herniu an einem Tischchen und rechnete, als sein dakischer Pferdeknecht angestürzt kam: „Die Legionäre kämpfen in der Römerstadt! Man hat begonnen Läden zu plündern.“ „Schließt die Türen!“ Herniu rannte zu seiner Schlafnische. Philodoros mußte ihm sein abgetragenes Gewand bringen. Er schlotterte vor Angst. „Wir sind reich, werden sie uns erschlagen?“ Obwohl er sehr erregt war, gelang es Herniu doch zu lachen. „Wenn du die Flöte bläst und vor ihnen tanzt, halten sie dich für verrückt.“ Milo trat vor die Tür. „Du darfst nicht auf die Straße, Herniu!“ Verwundert über diesen energischen Ton fragte Herniu: „Weshalb nicht?“ „Traue nicht den Legionären!“ Sie hörten den Wachhund wütend bellen und erregte Worte. Eilig gingen Herniu und Milo nach vorn, während sich Philodoros unter Hernius Schlafstatt verkroch. Der Türhüter wollte einen Mann mit zerrissener Tunika und blutender Nase nicht einlassen. Es war ein bekannter Advokat. Herniu entschuldigte sich wegen der Unhöflichkeit, mit der man den - allerdings von Herniu wenig geschätzten - Mann zurückgewiesen hatte. „Ich danke dir, mein Hernius. Kann ich mich setzen?“ Er atmete heftig vor überstandener Angst. „Wie es in der Römerstadt zugeht!“ „Wir wissen nicht, was geschehen ist.“ „Augustus ist gestorben. Sie haben es verheimlichen wollen, aber im Nu war es herum. Nun haben sich die Legionen erhoben. Sie wollen nicht den grausamen Tiberius als Kaiser, sondern Germanicus. Außerdem fordern sie eine kürzere Dienstzeit und mehr Geld. Wenn man nur wüßte, was geschieht! Vielleicht plündern sie schon mein Haus?“ Milo sagte: „Mich hält niemand für einen Herrn. Soll ich zu deinem Hause gehen und mit den Sklaven sprechen?“ „Nein, nein! Sieh mein Gewand! Vor einer Woche hatte ich einen Sklaven auspeitschen lassen, und nun hat er
sich gerächt. Geh nicht in mein Haus!“ Herniu bemerkte, wie Milos Miene steinern wurde. So verachtete er den Römer, der zuerst Menschen peitschen ließ und nun hier als Jammergestalt saß. AM STADTTOR Heimlich verließ Milo das Haus durch den Sklavenausgang, blickte sich um und horchte. Aus der Römerstadt drang Lärm, aber hier ließ sich niemand sehen. Daher traute er sich weiter. Das mächtige Tor der Römerstadt stand offen. Daran hing an den Händen angenagelt ein römischer Offizier. „Freund“, bat er, „zieh die Nägel heraus! Ich gebe dir mein halbes Vermögen.“ Sicher hatten ihn die Legionäre für besondere Schandtaten aufgehängt. Milo antwortete nicht. Da schrie ihm der Gekreuzigte nach und machte immer größere Versprechungen. Auf der inneren Torseite lagen Tote, darunter ein Kind. Der sonst harte Milo wandte den Blick ab. Eine große Menschenmasse war vor einem stattlichen Hause versammelt, von dessen flachem Dach ein Mann mit heftigen Armbewegungen sprach. Aus einer Nebenstraße kam eine Abteilung Legionäre, in ihrer Mitte Gefangene, nach ihren zerrissenen, aber feinen Gewändern zu schließen, Offiziere und Beamte. Einen erkannte Milo, es war ein Richter. Während er noch zögerte, ob er weitergehen sollte, brach man in der Versammlung in Rufe aus: „Es lebe Germanicus! Nieder mit den Blutsaugern!“ Ob man die bestechlichen Richter, die Steuereintreiber oder Kaufleute damit meinte? Jedenfalls waren die Legionäre so erregt, daß jeden Augenblick Schlimmes geschehen konnte. Eilig kehrte Milo um. Vom Tor rief ihn der angenagelte Offizier in winselndem Ton an, wahrscheinlich litt er große Schmerzen. Wie aber sollte ihn Milo ohne Hilfe herunternehmen? Und wenn er es täte und Legionäre dazukämen, könnte es ihn das Leben kosten. Als ob er taub wäre, schritt er daher weiter. DER NEUE KAISER Tiberius stand vor zwei Senatoren: „Du gehst nach Pannonien, du an den Rhein! Ich dulde es nicht, daß der Aufstand der Legionen, der wichtigsten und zahlreichsten unseres Reichs, mit milder Hand beigelegt wird, wie es mein Neffe Germanicus in seiner Unerfahrenheit vorhat. Vielmehr muß es nach der Art des Legaten Caecina geschehen. Bei Truppen, die Offiziere umbrachten, ist jeder zehnte Mann zu töten, gleichgültig, ob er eine persönliche Schuld trägt oder nicht. In Häusern, wo Sklaven ihre Herren ermordeten, sind sämtliche Sklaven zuerst zu foltern und dann hinzurichten, das öffentlich! Das Volk soll wissen, wer seine Herren sind, darf aber nicht erfahren, daß die Befehle von mir, vom Kaiser, gegeben wurden. Das darf es nicht erfahren!“ Hämisch sagte er: „Eure Ländereien sind groß und ließen sich unter viele ausgediente Legionäre verteilen! - Ihr dürft also nicht sagen, wer die strengen Befehle gab, dafür sollt ihr aber den Legionären verkünden, daß ich, der Kaiser, Boden für sie bereithalte, wenn sie ihre Jahre abgedient haben.“ Mit steinernen Gesichtern, die weder Zorn noch Bestürzung verrieten, standen die beiden Senatoren vor Tiberius. Da trat ein Freigelassener des Kaisers ein: „Deine Mutter wünscht dich zu sprechen.“ Tiberius entließ die Senatoren mit kurzem Gruß und ging der Livia in die Säulenhalle entgegen. Sie schickte die ihr folgende Cassia weg und nahm die Hand des Kaisers. „Was führt meine Mutter zu mir? Wohlwollen gegenüber den Aufständischen ?“ „Nein, ich weiß, daß der Aufstand eine Dummheit kleiner Leute war. Sie sehen nicht, daß unser Untergang auch ihrer wäre. Mich führt die Sorge um Gnaeus Cassius her.“ „Weißt du, Mutter, welchen Auftrag er seinem Sohn Quintus für Germanicus sandte, als Augustus in den letzten Zügen lag?“ „Ich weiß, daß er lieber Germanicus als dich auf dem Thron gesehen hätte.“ „Also nur, weil seine Frau Cassia deine Begleiterin ist, willst du dem verräterischen Gnaeus helfen?“ „Höre dir einmal an, was eine Frau mit langer Erfahrung sagt: Es ist nicht klug, Leute zu wechseln, die wir lange um uns hatten. Cassia diente mir treu, ihr Mann dem Augustus.“ „Soll ich gar ihn, der mich haßt, in meinen Dienst nehmen?“
„Es könnte dir nützen. Ein zweites Mal sendet er keine solche Botschaft, und er muß dich fürchten.“ „Ich weiß allerdings, wie man einen Menschen in Angstschweiß bringt, auch ohne ihn anzurühren.“ „Von deinen Künsten habe ich gehört“, erwiderte sie kühl. „Was willst du übrigens tun, um die Legionen nach dem Strafgericht wieder ganz in die Hand zu bekommen?“ „Ich kaufe sie. Jeder Legionär bekommt 75 Denare in Silber. Außerdem hat Germanicus einen recht ausgesprochenen Ehrgeiz. Soll er in Germanien einen kleinen Raubkrieg führen! Dabei vergessen die Legionäre vieles.“ BEIM BÄCKER Sogar an dem Tage, als der Legat Caecina mit starken Kräften in Vetera einrückte, wagte sich der Advokat noch nicht aus dem Hause und belästigte Herniu mit Reden darüber, wie er seine Sklaven züchtigen wollte. In diesen Tagen hatte sich Milo sehr bewährt. Eine Horde Aufständischer war vor Hernius Stall gezogen, um seine Pferde zu beschlagnahmen. Da hatte sich Milo groß und breit in die Stalltür gestellt: Diese Pferde gehören Quintus Cassius, einem Freunde des Germanicus. Für den seid ihr doch, und könnt ihr da seinen Freunden Pferde wegnehmen?“ Tatsächlich waren die Legionäre weitergezogen. Heute begleitete Milo zu ihrem Schutz eine der Sklavinnen zum Bäcker, fand aber den Laden geschlossen, ebenso die Hintertür. Erst auf längeres Klopfen und Nennung seines Namens ließ der Bäcker die beiden ein. Drin standen die Sklaven untätig an den Drehmühlen, um die sie sonst unermüdlich gehen mußten. „Was ist denn in euch gefahren“, fuhr Milo sie derb an.
„Du hast gut lachen“, erwiderte der Bäcker, „wohnst im Hause eines Herrn, der außerdem einen Advokaten bei sich versteckt hat. Das ist heute nützlich.“ „Gestern noch freutest du dich, daß der Legat Caecina heranrückte.“ „Ja, gestern. Wir kleinen Leute hofften, er würde mit dem Wüten und Plündern Schluß machen, aber viel schlimmer ist es geworden. Jeder, der ärmlich gekleidet ist, gilt als verdächtig. Wenn es gar in einem Hause zwischen Sklaven und ihrem Herrn Zank gegeben hat, werden sie unter Foltern befragt. Wenn man ihnen aber die Knochen bricht, können wir nicht mehr arbeiten, und ich bin geliefert.“ Er fing an zu weinen. „Hat es denn hier Streit gegeben?“ Der Bäcker deutete auf einen seiner Mühlendreher: „Der da -aber ich will ja alles vergessen! Wirklich, Gladius, ich weiß nichts mehr! Und ihr alle wißt auch nichts! Aber wenn trotzdem jemand davon spricht? Verstehst du meine
Angst, Milo? Wenn sie mir die Sklaven unbrauchbar machen, habe ich kein Geld, neue zu kaufen.“ „Endlos kann das Wüten Caecinas nicht dauern, und bis dahin verstecke ich deinen Gladius in unserem Stall.“ „Würde Hernius damit einverstanden sein?“ „Sicher verlangt er nur, daß unsere Pferdeknechte dichthalten, und das tun sie. Alle sind vom selben Stamm wie ich.“ „Was denkt ihr darüber?“ fragte der Bäcker seine Sklaven. Sie nickten. „Auch von uns spricht keiner“, erwiderte ein Alter. „Wir werden uns doch nicht selber an die Folter liefern.“ „Die Götter mögen dich beschützen, mein Milo!“ sagte der Bäcker mit einem Seufzer. „Aber seid auf der Straße vorsichtig! Die Ritzen der Läden haben Augen. - Du kommst wegen Brot? Ich gebe dir, was ich habe.“ Einen schweren Korb Brot lud sich Gladius auf. Aus Dankbarkeit, daß er vor einer schrecklichen Strafe bewahrt wurde, hätte er eine noch viel schwerere Last geschleppt, ohne zu murren. BEWACHUNG Bei Milos Rückkehr stürzte ihm seine Frau entgegen: „Endlich kommst du! Ich habe solche Angst ausgestanden! Man erzählt sich Schreckliches über die Grausamkeit der neuen Legionäre.“ Mit Staunen sah Milo, daß Philodoros in großer Eile ein Gewand plättete. „Was machst denn du? Jetzt die Eitelkeit?“ „Es ist für den Advokaten.“ Milo verstand das immer noch nicht und begleitete den Flötenspieler in den Empfangsraum. Dort befanden sich Herniu und der Kaufmann Celsus. „Unter keinen Umständen, mein Hernius“, sagte Celsus, „darfst du den Schutz ablehnen. Freue dich lieber, daß der Legat ihn dir gewährt!“ Herniu freute sich aber nicht. Caecina konnte allerdings die drei Legionäre, die er zu Hernius Haus schicken wollte, als Wache angeboten haben, um den Pelzhandel, an dem er mit verdiente, vor der Plünderung durch seine Truppen zu schützen. Sie konnten aber auch dazu dienen, Herniu zu überwachen, damit er Armin keine Nachrichten sandte. Denn die Römer mußten befürchten, daß Armin die schweren Unruhen am Rhein ausnützen würde, um anzugreifen. Als die drei Legionäre eintrafen, nahm sich der Advokat sie vor: „Ihr befindet euch hier in einem ehrenwerten Hause, in dem man eure Ankunft mit Freuden begrüßt hat. Also sorgt dafür, daß kein Lumpenpack hereinkommt!“ Gegen Abend kam die Nachricht, daß die letzten Widerstandsnester der Aufständischen vernichtet wären. Freilich sollten die Straßen voller Leichen liegen und aus dem Gefängnis neben der Präfektur die Schreie der Gefolterten weithin gellen. Der Advokat erhob sich: „Jetzt werde ich in meinem Hause Ordnung schaffen, mit fester Hand, wie es der Augenblick erfordert! Kann Milo mich nach Hause begleiten? Er sieht gefährlich aus wie ein Gladiator.“ Herniu ging in den Hinterhof und flüsterte Milo zu: „Verbirg dich und komm erst wieder zum Vorschein, wenn ich dich rufe!“ Milo sprach grinsend zu den Sklaven auf dakisch, worauf er in einem der engen Sklavenräume verschwand. Herniu schlenderte wieder in den Empfangsraum und sagte dem Advokaten, Milo wäre nicht da. So mußte der Römer jetzt allein auf die Straße gehen, übrigens war er erstaunlich ängstlich nach der Prahlerei mit seiner festen Hand. „Ein Feigling“, bemerkte Herniu zu Celsus. „Und wie die meisten, sehr gefährlich! - Aber nun zu dem wahren Grund meines Besuchs. Ich weiß, du hattest eine Reise zur Weser vor. Jetzt kannst du es nicht, das hat mir der Legat Caecina ausdrücklich sagen lassen, und ich weiß weshalb. Weil er die Legionen von ihren Forderungen ablenken will, wird Germanicus in aller Eile einen Feldzug über den Rhein unternehmen.“ Da Celsus nach dieser Eröffnung Herniu genau betrachtete, zwang sich der zu heiterer Ruhe: „Etwas spät im Jahre! Die Legionen werden in den nebligen Herbstnächten sehr frieren.“ Nachdem ihn Celsus verlassen hatte, ging Herniu in den Hinterhof und erklärte Milo, weshalb er ihn verschwinden ließ. „Da bin ich dir dankbar. Mit anzusehen, wie dieser gemeine Kerl von Advokat jetzt mit seinen Sklaven verfährt, hätte mich angewidert. Ich hatte übrigens unseren Dakern gesagt, daß ich eine ansteckende Seuche hätte. Als sie
dann an dem Raum vorbeikamen, in dem ich völlig eingepackt lag, flüsterten sie: „Liegst du noch immer im Sterben?“ Ein Pferdeknecht kam von der Hintertür: „Herr, sie lassen mich nicht hinaus, aber ich muß die Pferde füttern. Sie sagen auch, niemand darf aus der Stadt, damit weder aufständische Legionäre noch Sklaven fliehen können.“ „Da werden die Lebensmittel bald knapp werden“, sagte Milo. „Eine Anzahl der Aufständischen ist übrigens ausgebrochen. Sie fangen jeden Boten ab, wenn er nicht mit starker Begleitung reitet. Die Straßen sind auch durch andere Räuberbanden unsicher, die sich während der Unruhen gebildet haben.“ Das waren böse Nachrichten für Herniu. Er konnte Armin den Anschlag der Römer auf keine Weise mitteilen. TAFANA Ein Krieger sprang vom Pferde und stürzte in Armins Hütte: „Die Römer metzeln in Tafana die im heiligen Hain Versammelten nieder!“ „Wie sollen wir schnell Hilfe bringen?“ schrie Sigimär. Der Blinde sagte ruhig: „Das habe ich befürchtet. Die Stämme nahe dem Rhein setzten allen meinen Warnungen die Behauptung entgegen, Rom wäre friedlich geworden. Nun trifft es sie unvorbereitet.“ Armin hatte sich erhoben: „Ich lasse noch heute die Abteilungen meiner Gefolgschaft gegen die Rheinbrücke aufbrechen.“ „Weshalb dorthin?“ fragte Sigimär. „Weil ich es den Römern schwermachen will, nach ihren Winterquartieren zurückzukehren. Wir können schneller marschieren als sie mit ihren Panzern und dem Gepäck.“ Wie es Armin vermutet hatte, entflammte der römische Überfall auf das große Heiligtum von Tafana die Germanen aller Stämme zu furchtbarer Wut, so daß ihm in erstaunlich kurzer Zeit Kriegermassen zuströmten. Er hatte aber nicht genug Zeit, sie zu einem Heere zusammenzuschließen, denn schon zogen sich die Legionen zu ihrer Heerstraße zurück. Daher befahl er, die einzelnen Haufen sollten die Römer überall dort angreifen, wo sich eine gute Gelegenheit bieten würde. Weder hat jemand erfahren, an wie vielen Stellen germanische Stoßblocks unter weithallendem Kriegsruf aus den dichten Wäldern hervorbrachen, noch erfuhr man, wieviel Römer erschlagen wurden. Denn die Germanen konnten nicht so weit zählen, und die Römer gaben ihre Verluste nicht bekannt. Caecina war sich des fragwürdigen Erfolgs dieses Vorstoßes bewußt und sagte in einer seiner berühmt knappen, aber deutlichen Ansprache vor seinen Unterführern mit vor Bosheit verzerrtem Gesicht: „Laßt überall ansagen: Die Angriffe von Armins Banden haben viel weniger Legionären das Leben gekostet als das Blutbad, das ich unter den aufständischen Truppen angerichtet habe! Daraus sollen diese Narren die Lehre ziehen, daß ein Kampf mit den Barbaren weniger kostet, als wenn sie sich gegen ihren Kaiser und ihre eigenen Landsleute erheben. - Im Übrigen gibt es drei Tage erhöhte Weinrationen, und Verbrechen, die während dieser Zeit im Suff begangen werden, sind straffrei.“ Mit einem raschen Hochrecken des Arms entließ er die Offiziere.
Armin und Tursinhilda SIGIMÄRS TOD
I
M WINTER wurde Sigimär krank und lag mit gerötetem Gesicht, schnell atmend in seiner Hütte.
Armin wollte einen Arzt aus Moguntiacum holen lassen, aber die vom heiligen Hain der Frija gerufene Ruwala sagte: „Die Römer verehren Götter, die uns feind sind. Wie kann einer ihrer Ärzte uns helfen?“ Gegen Sonnenuntergang desselben Tages wurde es mit Sigimär schlimm, und seine Frau ließ alle Familienmitglieder und die Edlen an sein Lager rufen. Sie kniete auf seiner einen Seite und hielt ihm den Kopf, während Ruwala ihr Ohr an seinen Mund geneigt hatte. Er stieß schwache Laute hervor, ohne daß es klar war, ob er sich bei Bewußtsein befand. Man bewegte sich nicht, bis Ruwala aufstand. Ihr Gesicht erschien im Dämmerlicht der Hütte sehr alt, jedoch klang ihre Stimme deutlich: „Sigimär, der Edelste unter den Cheruskern, hat seine Seele ausgehaucht. Nur mühevoll hat er seinen letzten Willen kundgetan. Nicht jedes Ohr konnte ihn verstehen, aber die Göttin gab mir den Sinn. Sigimär ermahnt euch: Haltet fest am Bunde des Apfels! Dir, Ingwiomär, seinem tapferen Bruder, sagte er: Erkenne in Armin den, der mehr kann als kämpfen! Dich aber, Armin, seinen Sohn, ermahnte er: Achte deinen Onkel, wie es ihm gebührt! Ich, die Priesterin der Frija, soll über dieses Vermächtnis wachen.“ Nach kurzem Schweigen sprach Segests Bruder, der Riese Raganhar, mit seiner polternden Stimme: „Du nanntest Sigimär, Sohn des Hariomär, der nun tot ist, den Edelsten unter den Cheruskern. Ist nicht unsere Familie, die Segests und seiner Brüder, ebenso edel und dazu älter? Soll Armin, weil er der Sohn des Edelsten ist, allein das Volk der Cherusker führen?“ Heftig setzte Ingwiomär hinzu: „Ebensowenig kann ich anerkennen, daß ich nur zum Kämpfen tauge und Armin mehr sein soll. Wir Germanen kennen keine Herzöge und Könige, die uns zu anderen Zeiten als im Kriege anführen!“ Ruwala antwortete ebenso laut: „Dein sterbender Bruder ehrte deine Tapferkeit. Welchen Einfluß hast du aber unter den übrigen elf Stämmen des Bundes? Armin besitzt ihn, dir fehlt er. Und wann verstandest du, mit den Priestern oder gar mit fremden Völkern zu verhandeln?“ „Verhandeln?“ rief Ingwiomär höhnisch. „Unser beider Vater, Ruwala, zwang seine Gegner. Allzu große Schlauheit ist mir verdächtig!“ Armin streckte seinem Onkel die Hand hin: „Laß uns zusammenstehen, wie ich mit meinem Vater zusammenstand!“ „Wie du mit deinem Vater zusammenstandest? Daß ich nicht lache! Was du ihm eingeredet hast, tat er. Dazu bekommst du mich nicht!“ Ruwala blickte ihren Bruder kühl an und wandte sich dann betont Armin zu: „Was können wir unserem Verbündeten und Freund, dem Riesen Raganhar, sagen?“ „Ich zögere nicht, seine Familie als ebenso edel und als älter anzuerkennen. Damit es aber keinen Rangstreit mehr zwischen uns gibt, schlage ich vor, unsere Familien zusammenwachsen zu lassen. Ich habe das dreißigste Jahr erreicht und freie um Segests Tochter Tursinhilda.“ „Sie ist von meinem Bruder dem Saxobert versprochen“, erwiderte der Riese. Ruwala sagte: „Und wer ist Saxobert? Ein Gefolgsmann, der sich mit Armin nicht vergleichen kann. Aber selbst wenn er Herzog wäre, durfte nach dem Recht der Göttin, die über die Ehe wacht, der Vater nicht die Tochter versprechen. Es ist römisch, daß der Vater über die Kinder verfügt. Bei uns muß man auch die Mutter fragen und vor allem das Mädchen selbst. Darum, Raganhar, gilt dein Einwand nicht, und ich bitte dich, im Namen der Eintracht, vermittle bei Segest!“ Zögernd antwortete der Riese: „Zu dem Starrkopf ist es ein schwerer Weg, aber ich gehe ihn.“ Ingwiomär sagte schnarrend: „Zu diesemFreundschaftsgesäusel und der Festsetzung der Geschenke braucht ihr mich wohl nicht. Wollt ihr mein Schwert, könnt ihr mich rufen.“ Damit schritt er feindselig aus der Hütte. Kopfschüttelnd blickte ihm Ruwala nach.
RAGANHARS BERICHT Armins Mutter saß in einem römischen Sessel und begrüßte ihren eben eingetretenen Sohn mit müder Handbewegung. „Ich habe die Nacht schwer geträumt. Als ich aufwachte, war aber die Erinnerung fort. Hoffentlich war es kein böses Vorzeichen! - In diesen Tagen sind meine Beine noch dicker geworden, und es macht mir Mühe zu gehen. Daher habe ich viel gesessen und nachgedacht. Wie einfach war früher das Leben! Auch als sie deinen Vater zum Herzog wählten, lebten wir nicht anders als vorher. Du aber herrschst jetzt, selbst wenn es keinen Krieg gibt, fast wie ein Herzog über die zwölf Stämme. Gesandte von Völkern, die nicht zu ihnen gehören, wohnen hier. Muß ich mir da nicht wie eine alte Bärin vorkommen, die sich aus den großen Wäldern in ein Dorf verirrt hat und erstaunt alles anriecht?“ „Ja, Mutter, so und schlimmer war mir zumute, als mich der Vater als jungen Burschen zu den Römern schickte. Alles machte ich falsch, und man lachte über mich. Deshalb habe ich auch meinen Lehrer Artemios zu Tursinhilda gebracht.“ „Ich weiß, diese Frau kann dir niemand ausreden, und doch ist mir bange. Die Schwierigkeiten mit ihrer Familie sind zu groß.“ Sie blickte nachdenklich zu Boden, hob aber wieder den Kopf, denn draußen rief eine Stimme: „Ist Armin hier?“ Gleich darauf trat der Riese Raganhar herein und klopfte sich den Schnee ab. „Alles war vergebens. Segest hat so gebrüllt, daß die Stützen seines protzigen Hauses fast geknickt wären. Er rief zwei seiner Leute, sie sollten nach Ruwalaheim reiten und Tursinhilda bitten, zu einer Besprechung nach der Segestesburg zu kommen. Denkt euch, der Wüterich läßt seine Tochter bitten!“ Er schüttelte sich vor zornigem Lachen. Armin war aufgesprungen und wollte hinaus. „Wohin?“ fragte Raganhar. „Höre mich doch zu Ende! Segest forderte, ich sollte seinem Bündnis beitreten. Was das für ein Bündnis wäre, wollte ich wissen. Nun mußte er mit der Sprache heraus, er wäre mit den Römern übereingekommen, sie sollten das Land der zwölf Stämme zum römischen Schutzgebiet erklären und ihn, Segest, als König der Cherusker anerkennen. Ich fragte ihn, ob das hieße, daß er für den Kaiser die Steuern eintreiben wollte und er ihm dafür eine starke Legionärswache gäbe, die ihn gegen sein Volk schützte. Diese Frage machte ihn sehr böse, und dabei erfuhr ich, daß Sigimunt es abgelehnt hat, zu seinem Vater zurückzukehren. Er will weiter in Ubierstadt wohnen und edle Gedanken spinnen. Das hat Segest sehr aufgebracht,
so daß er Saxobert als den Erben seiner Herrschaft bestimmen will. Dazu muß aber er Tursinhilda heiraten. Er braucht also sie zuerst. Wenn er ihr Großartiges über ihre Stellung als Königin erzählt hat, soll etwas zur Spaltung der zwölf Stämme angezettelt werden.“ „Das wird ihm nicht gelingen!“ Armin war wütend. Erschrocken sagte seine Mutter: „Keine Gewalttat! Wenn du Segest erschlägst, wird Tursinhilda dich nicht -“ Weiter kam sie nicht, denn schon war er draußen, und sie hörte ihn nach seinem Freund Wigimot und nach Ursilo und Olfo rufen. Der Ritt ging im scharfen Trab nach Osten. Noch hatte Armin seinen Begleitern mit keinem Wort erklärt, weshalb er so eilig und bei dem schneidenden Wind aufbrach. Es mochte eine Stunde vergangen sein, als er sein Pferd zum Schritt brachte. „Was ich euch sage, ist nur für eure Ohren, nicht für eure Zunge. Wir reiten noch heute zur sogenannten Ziegensiedlung, in der ich mit Ursilo bleibe, denn ich möchte nicht, daß man in Ruwalaheim von meiner Nähe erfährt. Wigimot und Olfo reiten noch bis dorthin und können sagen, daß sie sich auf einer Reise zur Elbe befinden, um Pferde von meinen dortigen Herden zu holen. In Wirklichkeit sollt ihr etwas anderes. Segest hat zwei Mann nach Ruwalaheim gesandt. Ich muß sofort benachrichtigt werden, falls Tursinhilda mit ihnen aufbricht. Sie würden wohl nicht weit von hier vorbeikommen.“ Wigimot fragte: „Du willst die Boten erschlagen?“ „Fragt jetzt nicht! Kein Schatten eines Verdachts darf auf meine Muhme Ruwala fallen. Fluchwürdig wäre eine Gewalttat am heiligen Hain.“ BEI DER PRIESTERIN Ein eisiger Wind fuhr in die Hütte Ruwalas, als Tursinhilda eintrat, und ließ das an einem Balken aufgehängte Öllämpchen hin und her schwanken. „Du hast mich rufen lassen, Ruwala?“ „Setz dich! Ich mache mir Vorwürfe, daß ich dir nicht früher etwas Wichtiges mitteilte. Armin hat deinen Onkel Raganhar zu Segest geschickt und um dich angehalten.“ „Weshalb fragte er nicht mich? Ich erkenne nicht das Recht der Väter an, ihre Kinder zu verheiraten!“ „Kind, du sprichst, als ob du die Tochter eines unbedeutenden Mannes wärst. Eine Ehe zwischen dir und Armin führt eine Verbindung der wichtigsten Familien Niedergermaniens herbei, und deshalb hat dein Vater mitzusprechen.“ „Ich bin also für Armin eine Kuh, die besonders viel Milch gibt? So gewinnt er mich nicht!“ „Aber Tursinhilda! Glaubst du denn, Armin wäre nur wegen der Sprüche der Göttin so oft hierhergekommen? Ich fürchte sogar, daß er mit seiner römischen Bildung nicht recht an die Weissagungen glaubt.“ Sie lächelte. „Ich habe immer angenommen, daß er deinetwegen kam.“ Erregt blickte Tursinhilda nach dem Flämmchen der Öllampe. „Nun wieder die Boten meines Vaters!“ „Ich habe sie auszufragen versucht. Sie weichen aber einer klaren Antwort aus. Ich fürchte, dein Vater will dich nach der Segestesburg locken und dich daran hindern, daß du dich, ohne ihn zu fragen, mit Armin verbindest. Du liebst doch Armin?“ „Weshalb hat er mich nur nicht gefragt, bevor er zu meinem Vater schickte? Nun ist es zu spät! Ich habe den Boten zugesagt, daß ich mit ihnen gehen werde.“ „Den Boten gegenüber fühlst du dich verpflichtet? Hättest du es deinem Vater versprochen, dann allerdings.“ „Ein halbes Worthalten, einen Betrug, wie ihn die römischen Herren lieben, gibt es für mich nicht!“ „Gut, Mädchen, aber was tun wir? Dein Vater ist nicht von der Art, dich sanft anzufassen, wenn er dich erst in seiner Burg hat. Oder willst du die Frau Saxoberts werden?“ „Das nie! Auch ich habe einen Willen!“ „Traue dir nicht zuviel zu! Dein Vater hat vom römischen Wesen leider nur die Unbedenklichkeit angenommen, und Saxobert ist sogar ein richtiger Verbrecher. Aber ich habe einen Gedanken: Morgen schicke ich zu Armin. Wenn dein Vater und Saxobert mit Gewalt drohen, kann Armin dich hier schützen, damit das Heiligtum unverletzt bleibt. Deine Mutter steht übrigens auf deiner Seite. Selbst wenn du in der Segestesburg wärest, könnte sie Armin durch die schlaue und gewandte Ursa benachrichtigen, was geschieht. Du verstehst, daß ich als Priesterin der Frija nichts unmittelbar für dich tun kann. Verzögere also deine Reise! Morgen wollen wir der Göttin eine Taube als Opfer bringen und sie bitten, das Unglück in Glück zu wenden.“
WÖLFE Armin wartete schon den zweiten Tag mit Ursilo in einer Hütte der Ziegensiedlung. War Wigimot und Olfo etwas zugestoßen? Zwar war Olfo sehr stark, aber Wigimot schwächlich und hatte sich nicht von Jugend auf in den Waffen geübt. Wenn es also zum Kampf zwischen ihnen und den Boten Segests gekommen wäre, konnte er schlecht ausgegangen sein. Wie sollte außerdem Armin seinem Gastgeber, einem ziemlich armen Mann, erklären, weshalb er, der berühmteste Held Germaniens, so lange in der abgelegenen Siedlung zubrachte? Wieder sank die Sonne, und Armin trat noch einmal ins Freie. Noch immer wehte der Wind schneidend kalt von Osten. In der Ferne heulten Wölfe. Kein Mensch war im Freien. Wer setzte sich auch unnötig diesem unbarmherzigen Frost aus? Armins Herz bewegten Zweifel. War es richtig, daß er, der tatsächliche Herrscher über Nordwestgermanien, sich in ein solches Abenteuer einließ? Aber auf Tursinhilda verzichten? Ein grausamer Schmerz packte ihn. Er kehrte zurück in die dumpfe Wärme der Hütte. Ursilo unterhielt sich mit dem Hüttenbesitzer und seiner Frau, während die Kinder gespannt lauschten. Armin legte sich wortlos auf sein Lager. In der großen Schlacht war er keinen Augenblick so unruhig gewesen wie heute. Zwischendurch hörte er Ursilos Geschichten von den großen Treibjagden des toten Sigimär zu. Am Morgen aß er wortlos den Brei aus der gemeinsamen Schüssel und trank kuhwarme Milch, die ihm die Frau in einem mit Harz abgedichteten Holznapf hingestellt hatte. „Sie ist von unserem besten Tier.“ Er nickte ihr zu und bemühte sich, freundlich zu sein. Vielleicht merkte sie bei der spärlichen Beleuchtung nicht, wie schwer es ihm wurde. Um die Zeit herumzubringen, fragte er nach dem Frühstück den Mann, wie es ihnen ginge. „Schon das sechste Jahr hat es keinen Krieg mehr gegeben. Da ist alles gut gediehen, auch die Kinder, außer dem Jungen da. Er hat -“ Armin horchte auf. Pferde galoppierten heran. Er und Ursilo ergriffen Schild und Frame. Draußen sprang jemand in den knirschenden Schnee. Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen. „Armin!“ „Ja, Wigimot?“ „Sie sind unterwegs, haben aber einen Vorsprung.“ „Holt unsere Pferde!“ Dann wandte sich Armin ruhiger an den Hüttenbesitzer: „Wenn du einmal meine Hilfe brauchst, denke an mich!“ „Soll ich euch begleiten? Ich kenne auch im tiefen Schnee jeden Pfad.“ „Ja, komm mit!“ Kurze Zeit darauf galoppierten die fünf Männer davon. Die kalte Luft biß ihnen ins Gesicht, und sie nahmen die Zügel bald in die eine, bald in die andere Hand, um die freie in der Achselhöhle zu wärmen. Die Sonne, die zuerst hinter ihnen gestanden hatte, schien sie nun von der Seite an. Armin zügelte sein Pferd. Nicht weit vor ihnen bewegten sich drei Reiter in germanischen Umhängen. Der mittelste mit dem langen, vom Winde herumgewirbelten Haar mußte Tursinhilda sein. „Wenn es zum Kampf kommt“, flüsterte Armin, „nehmen Ursilo und Olfo den Jüngeren auf sich, die anderen beiden den Älteren, ich Tursinhilda, die kaum kämpfen wird.“ Die drei Reiter hatten die Verfolgenden noch nicht bemerkt und verschwanden im Walde. Im Schnee gab es mancherlei Wildspuren, ganz kleine von Wieseln und Mardern, größere von Hasen und Rehen und die deutlichen Abdrücke der gespaltenen Hufe von Hirschen und einem Elch. Olfo deutete zur Seite. „Wölfe! Ihre Spuren sind frisch und laufen in unserer Richtung.“ Armin trieb sein Pferd an. „Tursinhilda hat nur zwei Begleiter!“ In gestrecktem Galopp brausten sie vorwärts und sahen nach kurzem die Reiter und die dicht hinter ihnen über den Schnee fegenden grauen Wölfe.
Tursinhilda stieß nach einem. Er wich aber vor der Framenspitze zur Seite, während ein anderer ein Pferd anzuspringen versuchte, das mit den Hufen nach hinten ausfeuerte. „Hoo-a!“ schrie Armin und schwang die Frame über dem Kopf. Vor den heranbrausenden Reitern stoben die Wölfe auseinander. „He ihr!“ rief Armin. „Nennt ihr das Segests Tochter schützen? Fort mit euch! Jetzt begleite ich sie!“ „Zuerst“, erwiderte der Ältere und hielt sein Pferd an, „müßtest du mit mir kämpfen!“ „Du Narr! Wir würden dich verwunden, und dann zerreißen dich die Wölfe!“ Während dieser Worte hatte der Jüngere Tursinhildas Pferd am Zaum ergriffen und sprengte mit ihm fort. Armin und Wigimot jagten ihnen nach. Der Ältere erhob die Frame, um sie Armin in den Rücken zu werfen. Olfo kam ihm zuvor und stieß ihm in den Wurfarm. „Ergib dich!“ Der Mann versuchte den Arm zu heben, aber die Frame fiel ihm aus der Hand. „Vorsicht, die Wölfe!“ schrie Ursilo. Wirklich kamen mit leisen Tritten und vorgestreckten Köpfen von allen Seiten Wölfe heran. Ein Pferd schlug aus und wirbelte einen in die Luft, daß er heulend in den Schnee fiel. Die anderen bissen ihn tot und stritten sich knurrend um seine Leiche. Inzwischen hatte Armin den jüngeren Krieger überholt, seinen Schildrand ergriffen und mit solcher Kraft an sich gerissen, daß der Mann in den Schnee fiel, wobei er Tursinhildas Zaum fahren ließ und auch die Frame verlor. Wigimot sprang vom Pferde. Der andere aber schnellte empor und stürzte sich mit vorgehaltenem Schild auf Wigimot, der ihm jedoch weit ausholend mit der Frame auf die Schulter schlug. Der Mann ließ den Schild sinken und begann auf eine Wigimot zunächst unverständliche Weise zu zittern. Ihm war das Schlüsselbein des Schildarms gebrochen. Die Nachfolgenden erreichten die beiden rechtzeitig, um die wieder heranschleichenden Wölfe zu zerstreuen. Olfo sprang ebenfalls zu Boden, betastete den blutenden Arm des älteren Mannes und rief den übrigen zu: „Haltet mir die Wölfe fern!“ Dann wickelte er seinen Umhang dem anderen fest um den Arm. „Damit er dir bei der Kälte nicht abfriert!“ Mißtrauisch und erstaunt fragte der Mann: „Und du? Halb nackt.“ „Ich bin es gewöhnt.“ Ursilo und Wigimot hatten ihre Framen nach den Wölfen geworfen, sie aber nicht getroffen. „Lauf und heb die Framen auf!“ sagte Wigimot. „Wenn dich ein Wolf anspringt, erledige ich ihn ganz sicher.“ Er nahm die noch daliegende Frame des jüngeren Mannes und folgte Ursilo. Der warf mit dem rasch vorgehaltenen Schild einen Wolf in den Schnee, wo ihn Wigimot erstach. Schon kamen wieder zwei Tiere, der Mann aus der Ziegensiedlung aber tötete eines. Während dieser Zeit hatten Tursinhilda und Armin, beide zu Pferde und die Frame in der Hand, einander angeblickt. Leise sagte Armin auf lateinisch, damit es die anderen nicht verstehen konnten: „Ich habe dich geraubt. Und du?“ „Ich erkenne es an“, erwiderte sie, und da ergoß sich dunkle Röte über ihr Gesicht. Sie war so verwirrt, daß auch er nicht gleich sprechen konnte und nur sagte: „Dann wir zwei.“ Sie nickte und blickte sich verlegen nach den übrigen um. „Armin, laß die beiden Gefangenen frei!“ „Ich lasse sie jetzt nicht fort! Zwar greifen keine Wölfe mehr an, aber allein könnten sich die beiden wegen ihrer Verletzung nicht wehren. Ich weiß in einiger Entfernung eine Siedlung. Dort werden wir sie den Frauen zur Pflege
übergeben. Wir können auch nicht Olfo den ganzen Tag ohne Umhang reiten lassen.“ „Er soll sich das Fell umnehmen, auf dem ich sitze.“ Sie konnten nicht schnell reiten, denn vor allem hatte der Mann mit dem gebrochenen Schlüsselbein bei stärkerer Bewegung arge Schmerzen. Während sie so durch Wald und über verschneite Felder ritten, umzog sich der Himmel. Es wurde merklich wärmer und begann zu schneien. Immer dichter fielen die Flocken, verhüllten die Bäume in der Ferne und überdeckten die scharfen Kanten des in den Schnee getretenen Pfads mit weißen Wülsten. Bald würden die Wölfe nur schwer die Spuren der Reiter wittern. Armin ließ die Verletzten und auch seinen Gastgeber aus der Ziegensiedlung in dem Dörfchen. Dann ritten sie in das dichte Schneegestöber hinein. DER EMPFANG DES BRAUTPAARS Schnee legte sich auf die Mähnen der Pferde und die Umhänge der Reiter. Plötzlich versank Tursinhildas Brauner mit den Vorderbeinen in ein Loch unter der Schneedecke, so daß sie fast über den Hals des Pferdes gestürzt wäre. Armin sprang ab und wollte das Tier herausziehen, glitt aber selbst hinab. Sie mußten dem Pferde einen Umhang unterlegen, auf den es treten konnte, aber auch dann noch machte es Mühe, bis es wieder auf festem Boden stand. Nun hatte der Wind aufgehört, und dichtes Flockengestöber verhüllte jede Aussicht. Was sollten sie tun? Wege waren nicht mehr zu erkennen. Noch während sie berieten, glaubte Olfo einen Hund bellen zu hören. Ja, ein zweiter und dritter fielen ein. Sie wandten sich in die Richtung des Gebells, und bald tauchten auch die Hunde auf und begleiteten sie mit lautem Gekläff zu den Hütten. Aus einer trat ein Mädchen, hinter ihm die völlig nackten kleinen Geschwister. Sie fürchteten sich zuerst vor den Reitern, verloren aber bald jede Scheu und sprangen vor Freude über die Abwechslung im Schnee herum. Das war den Reisenden ein Beweis, daß es drinnen schön warm sein mußte. „Hier ist auch ein Sänger“, sagte das Mädchen. „Er ist blind.“ „Armin!“ rief Tursinhilda erfreut, „das wird Asni sein. Laß ihn heute abend für uns singen!“ Nun kamen auch Erwachsene heraus. „Armin!“ sagte einer. „Ich erkenne dich doch! Recht tust du daran, zu uns zu kommen! Und ist das nicht Tursinhilda, die in der Schlacht das Frijabildnis trug? Kommt herein! Unsere Hütte ist eure Hütte, unsere Speise eure Speise, unser Trank euer Trank.“ In der Hütte saß zwischen brennenden Kienfackeln Asni. „Du hast Segests Tochter für dich gewonnen?“
„Ich wollte sie heute noch zu meiner Mutter bringen, aber das Wetter läßt es nicht zu. So müssen wir uns hier vereinen. Zeugen seid uns zweien, so fordert es die Zucht! Und du, Asni, singe uns!“ „Mein Sang ruft zu Kampf und Sieg, nicht taugt er für Frieden und Freude.“ „Wolltest du nicht hier singen? Tue das für uns!“ „Nicht das! Es wäre ein schlimmes Vorzeichen!“ Armin lächelte. „Die Römer,unter denen ich leben mußte, fürchteten sich, wenn ihnen Katzen über den Weg liefen, vor der bösen Bedeutung fliegender Vögel, beim Blitzen. Mir bedeutet das wenig, und dir, Tursinhilda?“ „Ruwala hat mich gelehrt, daß die Götter nicht blinden Zufall walten lassen. Auch ich bitte dich, Asni, singe uns!“ Die Fröhlichkeit der Menschen stieg noch, als sie erfuhren, daß Armin bei ihnen Hochzeit halten wollte. Die Frauen nahmen den Gästen die Kleider ab, wuschen sie und rieben sie trocken, worauf sie ihnen am Feuer gewärmte Sachen umhängten. „Hier ist Milch, am Morgen gemolken!“ Man reichte dem Paar einen kleinen Holzzuber, aus dem erst sie, dann er trinken mußte. Nur Asni blieb in der allgemeinen Heiterkeit stumm und in sich gekehrt. Zwei alte Frauen traten vor Tursinhilda. „Wir räumen für euch eine Hütte. Als Lager bekommt ihr vorjähriges Heu, das noch weich ist, von dem werdet ihr aber nicht mit Kopfweh aufwachen. Jetzt geht in die große Sommerhütte! Dort brennt schon ein gutes Feuer. In unsrer Winterhütte wäre es ja zu eng und warm für die vielen, die den Sänger hören wollen.“ DAS BRAUTLIED In der geräumigen Hütte setzte man Asni vor das Feuer, das unter dem Loch im Dache loderte und in das die Schneeflocken fielen. Es ließ seinen Schatten an den Schrägen des Schilfdachs zucken. Als es still geworden war, begann er: „Twistos Enkel, Ingo, Irmin und Isk, kehrten die Kräfte zum Kampf, Bruder blind gegen Bruder. Der Helden Hiebe hallten wie der Schmiede Hämmer. Vom Schmerz der Wunden schrien die Streiter. Da dröhnte es durch die Wolken dumpf. Es wälzte sich über den Wald eine Wolke. Mit drohender Stirn zwischen den Reitern stand wie eine Tanne Twisto, der Herr des Lebens und des Todes. Wirr wichen die Wackeren. ,Was rauft ihr roh um falschen Ruhm, wenn Riesen auf Rossen die Schwester euch raubten?’ Ingo schrie vor Ingrimm: ,Wenn der Brüder brüllende Wut bricht, sie als Haupt und Herrn auf den Schild mich heben, endet Ärger und Streit deiner Enkel!’ ,Vermeßne Rede führst du frech! Weigerst, in Wehr zu befreien das Weib?’ Sprach da Isk und schwang das Schwert: ,Nie vor einem König kriechen meines Stammes Krieger!
Irmin, folgen wir fliehendem Feind, daß unsere Rache die Riesen reut!’ Wie der Sturm brausend bricht die Bäume, rannten sie rasend zu suchen die Räuber, Weit wuchs Irmins Arm im Wettlauf, riß rauh die Jungfrau vom Rappen, führte sie freundlich zum eigenen Volk. Gram glomm im Herzen der Riesen, ward Groll. Im Nachen nahten sie nachts, trugen die scheltende Schwester vom Stroh, flohn mit der Jungfrau flatternden Haars. Wieder wuchs wie Wetter die Wolke Twistos, des Herren der tausend Tode, rief Ingo, Irmin und Isk: ,Enkel, endet den Ärger! Ingo, brich auf mit den Brüdern!’ Dröhnend drangen die drei reißend und rächend ins Land der Riesen, brüllten watend im Blut.
Eine Heckenhexe hatte die Schwester als Vogel gebannt auf fernen Felsen, glatt war sein Gipfel wie Glas. Klagte da Ingo, der kühnste Kämpfer: ,Wo war meine Weisheit? Für eine Königskrone kämpfte ich. Schwer trag ich Schuld, die mich straft. Fort ist mein Frieden, nun fluch ich mir, dem Müden, für zu spätes Maß.’“ Ursilo war erstaunt über diesen Schluß. Was bedeutete die Selbstverfluchung für zu spätes Maß? Beim Abseitsstehen Ingos und seinem Streben nach der Königsmacht hatte er an Marobod und Segest gedacht, und in der Tat ließ Segest in seinem Streben nach Macht jedes kluge Maß vermissen. Asnis Lied war eine Warnung, gleichzeitig aber enthielt es das Schicksal einer geraubten Frau. Ursilo blickte zu Tursinhilda hinüber. Gerade reichte ihr eine alte Frau ein Methorn, während Armin von einem Alten einen Trank erhielt. Tursinhildas Hand zitterte, und sie erschien trotz ihres langen Ritts in Wind und Schnee blaß. Aber, dachte Ursilo, jedem Germanen ist klar, daß Asnis Gesang mahnen soll, im Kampf gegen die Räuber, die Römer, zusammenzustehen, bevor es zu spät ist. Trotzdem konnte auch er eine Angst vor etwas Drohendem nicht überwinden, und jetzt verstand er, weshalb Asni zuerst abgelehnt hatte, dieses Lied zu singen. Nun trat der Alte zu Armin und führte ihn an der Hand durch die Schar der Zurückgetretenen. Ihm folgte die Greisin mit Tursinhilda. Draußen fiel noch immer der Schnee. Vor Tursinhilda stellten sich drei kleine Mädchen, vor Armin drei Jungen, der jüngste als erster. Feierlich setzte die Alte der Braut einen Mistelkranz auf den Kopf, wobei sie freundlich den üblichen Spruch sagte: „Mistel zeugt gegen Zauber und Zorn. - Nun, Kinder, geht los!“ Die Kleinen gingen mit großen Schritten vorwärts und sangen dazu schrill: „Mah, mah, mah, mah! Minne macht kein Mahl, ja! Hoh, hoh, hoh, hoh! Hochzeit will für Kinder Honig!“ „Ihr sollt Honig haben!“ rief Armin. Tursinhilda schlössen sich alle Frauen an, die Männer Armin. An der Brauthütte gab es wegen des schmalen Eingangs einen Aufenthalt. Asni überschritt als Priester die Schwelle. Ihm folgte Tursinhilda, darauf Armin und nun immer abwechselnd Frau und Mann. Am Ende der Hütte war das Heulager bereitet. Die beiden Alten deckten darauf ein braunes Bärenfell. Dann sprachen sie gemeinsam: „Legt zum Lager euch längs!“ Das Brautpaar löste sich die Schuhe, und sie legten sich nebeneinander auf das Fell. Nun faßten die beiden Alten Armins Umhang an beiden Rändern und sagten: „Das Brautbett bringt den festen Bund, wenn dich und dich der Umhang deckt.“ Der Blinde fügte das Wort hinzu: „Zum Fechten, nicht zum Fest nur folgt die Frau. Stark steh der Stamm!“ EIN ANGEBOT Vom Raub Tursinhildas erfuhr Herniu in einer Schenke. „Wie so ein Barbar das macht!“ rief ein Legionär aus. „So was möchte ich auch mal versuchen!“ „Hast du einen kurzen Verstand! Sie war Priesterin bei einer Göttin, und willst du in Rom eine Priesterin der Vesta rauben? Weißt du nicht, daß du dafür zu Tode geknutet wirst?“ Herniu suchte den Kaufmann Celsus auf, um zu erfahren, wie man in seinen Kreisen den Frauenraub aufnähme. Zu
seiner peinlichen Überraschung traf er aber dort den Advokaten, der zur Zeit des Varus der Stellvertreter Lobillas und an der Steuerpacht beteiligt gewesen war. Mit schleimiger Freundlichkeit sagte der Mann: „Mein Hernius, was ist aus dir geworden! Damals ein kleiner Jüngling, jetzt ein stattlicher Mann, und, wie ich höre, mit dem Glück begabt, das leider nur wenigen beschieden ist. Ich war immer mit Leuten verbunden, die von Mißgeschick verfolgt wurden. Zuerst mit Lobilla, den die Germanen erschlugen. In Afrika ist dann mein Teilhaber verschwunden, niemand weiß, wie und wohin. Mit dir, Glückspilz, möchte ich mich gern verbinden.“ Celsus zwinkerte Herniu warnend zu. Der aber fragte, scheinbar ohne es zu bemerken: „Was soll das für ein Geschäft sein?“ „Ein absolut sicheres! Germanicus ist wütend, weil Arminius ihm seinen schönsten Anschlag zerhauen und die, wie man sagt, sehr schöne Erbtochter des Fürsten Segestes geraubt und geheiratet hat. Er denkt nicht daran, ruhig mit seinen acht Legionen am Rhein stehenzubleiben, sondern will Germanien bis zur Elbe erobern und dort Segestes als König einsetzen. In diesem großen Gebiet habe ich mir schon die Steuerpacht gesichert und brauche nur noch jemanden, der Germanisch kann - und natürlich auch Geld hat. Du kennst sogar Segestes, sein Sohn hat ja lange bei dir gelebt.“ „Germanicus will also in die gefährlichen Wälder ziehen?“ „Aber nicht wie Varus darin umkommen. Er will rheinabwärts eine Flotte bauen lassen und damit mühelos die Legionen durch die Nordsee und die Ems aufwärts ins Herz des Cheruskerlandes bringen. Sein Sieg ist bei der römischen Technik sicher.“ „Hm, mir scheint, es gibt ein Geschäft, das viel schneller Geld einbringt: den Schiffsbau.“ „Ich werde mich hüten! Mag der Legat Caecina daran ein Vermögen verdienen! - Aber sprich nicht davon! Ich habe nichts gesagt!“ Er blickte sich mißtrauisch um, ob auch niemand lauschte. Seine Unvorsichtigkeit, das Geheimnis über den Hauptverdiener am Schiffsbau ausgeplaudert zu haben, machte ihn so unruhig, daß er bald danach aufbrach. Celsus wartete, bis der Schritt des Advokaten verhallt war, und sagte eindringlich: „Laß dich mit diesem Menschen auf nichts ein! Seitdem er wieder hier am Rhein aufgetaucht ist, hat man sich an einiges erinnert. Als vor der Schlacht im Teutoburger Wald auf den Steuerpächter Lobilla ein Mordanschlag verübt wurde, wußte man nicht, wer dahinter stand. Nun hat sich herausgestellt, daß es dieser Advokat war, der dir heute so freundlich kam. Außerdem ist seine überstürzte Abreise aus Afrika verdächtig. Wenn seine Teilhaber alle vom Mißgeschick verfolgt wurden, so ist wohl immer er selbst ihr Unglück gewesen.“ DER GEGENSCHLAG Dem rauhen Winter folgten ein milder Frühling und ein ausnehmend heißer und trockener Sommer. Armin hatte Tursinhilda zu seiner Mutter gebracht, die beiden Frauen führten gemeinsam den Haushalt, und sie verstanden sich gut. Erneut hatte Armin den Riesen Raganhar, den Oheim seiner Gemahlin, zu Segest geschickt und seinem Schwiegervater die Versöhnung und Geschenke angeboten. Der Überfürst ließ sich aber auf nichts ein. Statt dessen erschien bei ihm noch häufiger als zuvor der verdächtige Ubier und pflegte einen oder zwei Tage später nach Moguntiacum, der Residenz des Germanicus, zurückzukehren. Zugleich berichtete Herniu von langen Sklavenzügen, von ausgemergelten Männern, die unter Peitschenhieben durch Vetera nach Norden getrieben wurden und vor allem aus Schiffsbauern und Ruderern bestehen sollten. Armin sandte wiederholt Ursilo und Olfo als Späher in die Nähe der Rheininsel, auf der man die Schiffe baute, um zu erfahren, wann sie fertig sein würden. Er ließ auch schon die Getreidevorräte nach den weiten Waldgebieten östlich der oberen Weser in Sicherheit bringen. Danach wurde das Vieh nach derselben Gegend getrieben. Asni ritt von Siedlung zu Siedlung. Er sang nicht nur seine Lieder von den Kämpfen der Götter und Riesen, sondern sprach eindringlich mit den Priestern und Ältesten, sie sollten rechtzeitig die Gebrechlichen und Kinder in die Wälder schicken. Nur bei den Chatten am Main blieb man sorglos und sagte: „Flavus, der Bruder Armins, hat die Tochter unseres Fürsten geheiratet. Und werden die Römer ausgerechnet uns angreifen, da er, im Gegensatz zu Armin, ihnen treu ergeben ist?“ Armin selbst ritt mit seinem Freunde, dem Sugambrer Wigimot, bei den über das Land verteilten Gruppen seiner
Gefolgschaft umher und ließ sich vorführen, wie sie den Gebrauch der Waffen und den Massenangriff gelernt hätten. So verging ein Teil des Sommers. Noch stand der große Angriff nicht unmittelbar bevor, denn die Späher meldeten, es würde noch mindestens einen Monat dauern, bis die Schiffe fertig wären. Während einer seiner Besichtigungen kam aus einem nahen Wald ein Verwundeter angekeucht und gab mit der Hand erregte Zeichen. Armin schickte Ursilo zu ihm. Gleich darauf kehrte der bleich wieder. „Tursinhilda ist von Saxobert fortgeschleppt worden, wahrscheinlich zur Segestesburg.“ Armin war tödlich erschrocken, bemühte sich aber, das nicht zu zeigen. Nur an seinem starren Blick konnte man erkennen, wie aufgewühlt er war und wie angespannt er nachdachte. So beendete er zuerst die Besichtigung und brach dann in aller Eile zu der Segestesburg auf. Dort wollte er sich mit den übrigen Abteilungen seiner Gefolgschaft vereinigen, um sich seine Gemahlin wiederzuholen. Da er erst am Nachmittag aufgebrochen war - seine Krieger mußten sich mit Lebensmitteln versehen - ließ er sie bis in die Nacht hinein marschieren, um am selben Tage noch recht weit zu kommen. Er hatte sich am Lagerfeuer ausgestreckt und war, von Kummer überwältigt, auch gleich eingeschlafen. Da traf ein Bote vom Main ein und verlangte, ihn sofort zu sprechen. Was er zu berichten hatte, war nicht erfreulich, überraschend waren die Römer ins Land eingefallen, und der Chattenfürst und die Priester baten nun die Cherusker, ihnen schnell zu Hilfe zu kommen. Nach kurzer Überlegung antwortete Armin: „Es würde Tage dauern, bis ich zu euch käme, und mit so wenigen Kriegern ganze Legionen aufzuhalten, ist unmöglich. Bald wird Germanicus alle seine Kräfte gegen uns einsetzen, und dazu muß er seine Truppen von euch fortziehen. Wartet nur noch ein wenig.“ Er wendete sich an Wigimot und sagte auf lateinisch: „Dieses Mal haben sie mich überrascht! Wer konnte auch wissen, daß sie so etwas aushecken: mich gegen Segest schicken und unterdessen meine Bundesgenossen, die Chatten, überfallen!“ Er wendete sich ab, um weiterzuschlafen, der Gram und die Sorge um Tursinhilda ließen ihn aber jetzt keine Ruhe mehr finden. IN DER BURG Segest empfing seine Tochter mit den Worten: „Da siehst du, was beim Ungehorsam der Kinder herauskommt!“ Überraschend gefaßt antwortete sie: „Ich trage ein Kind, wenn es ein Junge wird, deinen Enkel. Daß es Armins Kind ist, kannst du nicht mehr ändern. Sende mich also zu ihm zurück!“ „Du wagst, mir Forderungen zu stellen?“ „Es ist die einzige Möglichkeit, dich und deine Familie zu retten. Oder wie willst du das Volk und die Priester sonst versöhnen? Sie stehen auf Armins Seite.“ „Die Römer fragen nicht -“ Er wurde dadurch unterbrochen, daß seine Frau und Sigimunt rasch eintraten. „Vater!“ sagte Sigimunt. „Welch unbedachte Tat! Nie hat es einen beliebteren Mann in unserem Stamme gegeben als Armin, nie eine Frau, die mehr bewundert wurde als Tursinhilda. Ihren Raub verzeihen dir die Cherusker nie! „Nichts als Verzeihen hast du im Kopf!“ „Mann!“ sagte Segests Frau beschwörend, „siehst du noch immer nicht, daß du allein stehst? Schicke Tursinhilda zu Armin zurück! Dann würde er bestimmt einwilligen, daß du, sein Schwiegervater, zusammen mit ihm über die zwölf Stämme herrschst.“ „Ist das eine Familie!“ brüllte Segest und wandte sich an den neben ihm stehenden Saxobert: „Stell Krieger vor diese Tür! Wer heraus will, wird niedergestochen! Mögen sie hungern, bis sie begreifen, wer der Familienvater ist!“ Später befahl er mit gemachtem Lachen: „Richtet die Abendmahlzeit an! Wir werden so laut tafeln, daß der eingesperrten Familie das Wasser im Munde zusammenläuft!“ Während des Essens polterte aber nur er, trank dröhnend auf die Gesundheit des Germanicus und zerschmetterte die römische Glasschale am Boden. Den übrigen erschien seine Lustigkeit unheimlich. „Weshalb sprichst du nicht?“ herrschte er Saxobert an. „Ich müßte die Posten nachsehen.“ Segest, der schon vor dem Essen getrunken hatte, blickte sich um. Die Plätze neben ihm waren für seine Frau und seine Kinder leergelassen.
Seine Gefolgschaft starrte vor sich auf den Tisch. Später in der Nacht saß er allein im Festraum seines römischen Hauses und trank, während Saxobert und die anderen Krieger von der Wallkrone in die Nacht spähten. Nach den Geräuschen, vor allem dem Pferdegetrappel, waren unten am Flüßchen beträchtliche Mengen von Kriegern angekommen, sicher Armin. Saxobert hatte reichlich Lebensmittel in die Burg bringen lassen, und Armins Mannen konnten nicht ohne längere Vorbereitung die Burg stürmen, aber lange ging sie nicht zu halten. Die Gefangennahme Tursinhildas war mit den Römern nicht besprochen worden. Niemand hatte ja vermutet, daß sie zu ihrem Mann reiten würde, und das mit so geringer Begleitung. Vielmehr hatte Saxobert eine günstige Gelegenheit ausgenutzt, und nach dem Raub zeigte sich Segest damit einverstanden. Was aber sollte man nur machen? Saxobert ging in das römische Haus. „He, Schwiegersohn“, lallte Segest. Diese Anrede ärgerte Saxobert, denn da er nun wußte, daß Tursinhilda ein Kind trug, durfte er sie nicht mehr heiraten. Mit mühsam unterdrücktem Abscheu gegen den betrunkenen Segest sagte er: „Armin ist vor der Burg. Wir müssen zu den Römern schicken, bevor er uns ganz eingeschlossen hat.“ „Also schicke!“ „So geht das nicht! Es muß eine würdige Gesandtschaft sein, und zum mindesten einer sollte lateinisch können. Der einzige, den wir dazu haben, ist dein Sohn Sigimunt.“ „Das Weichtier, die Schnecke, die nicht einmal ein Haus hat!“ „Willst du hier wie ein Hirsch bei der Treibjagd erstochen werden, Segest? Deinen Rachedurst hast du gestillt, nimm Vernunft an!“ „Allerdings, meine Rache war süß! Hole den lateinisch flötenden Sohn!“ „Ich hole ihn nicht! Niemand ist ihm so verhaßt wie ich. Wenn du ihn gewinnen willst, mußt du selbst gehen.“ Segest lachte, daß ihm die Tränen kamen. „Ich vor dem schönen Sohn - noch schöner tun?“ Ungeduldig sagte Saxobert: „Die Nacht verstreicht, und morgen wird vielleicht schon niemand mehr aus der Burg können!“ Segest schien die Worte nicht gleich zu verstehen. Dann aber schwankte er zu dem Raum, in den er seine Frau und seine Kinder gesperrt hatte. „Zur Seite!“ herrschte er die Posten an. Innen war es dunkel, und es machte ihn unsicher, weil er nicht sehen konnte, ob Sigimunt seine Erklärungen überhaupt anhörte. Als er zu sprechen aufhörte, sagte Sigimunt: „Zuerst beschimpfst du mich, und nun kommst du bitten. Das ist deine Sache. Was du jedoch von mir forderst, ist, die Römer meinem Schwager Armin auf den Hals zu hetzen. Ich habe ihm geschworen, nie gegen ihn zu kämpfen.“ „Lebst du nicht davon, daß du Priester des Augustus bist, und auf einmal willst du gegen den Kaiser sein?“ Da Sigimunt nicht antwortete, fuhr Segest in weinerlichem Tone fort: „Und deinen Vater willst du von Armins Horden erschlagen lassen?“ Tursinhilda sagte aus der Dunkelheit: „Geh nicht zu Germanicus, Sigimunt!“ „Schweig, Tochter!“ erwiderte die Mutter. „Der Sohn muß dem Vater mehr gehorchen als Fremden. Auch ich habe gehört, daß Armins Krieger heraufriefen und Segests Auslieferung verlangten, um den Verräter zu spießen!“ „Das will Armin nicht“, antwortete Tursinhilda. „Kann er seine Krieger zurückhalten, wenn sie in Wut sind?“ fragte die Mutter. Wieder begann Segest zu sprechen, und weil ihm niemand antwortete, ergriff ihn ein solches Gefühl der Hilflosigkeit, daß er sich an das Türgewände lehnte und schluchzte. „Du entwürdigst dich, Vater“, sagte Sigimunt kalt. „Mich hast du in die Lage gebracht, einer Seite untreu zu werden. Du wirst kaum erwarten, daß ich dich dafür liebe. Da es aber um das Leben meines Vaters geht, muß ich Germanicus um Hilfe bitten!“ „Verräter!“ sagte Tursinhilda, nicht laut, aber so, daß alle erschraken.
GERMANICUS TRIFFT EIN In Eilmärschen kam Germanicus aus dem Chattenland nach der Segestesburg, voraus seine Panzerreiter. Er war Armin an Zahl so überlegen, daß der kampflos die Belagerung aufgeben mußte. Seine Freunde versuchten, ihn von seinem Schmerz abzulenken. Seine Frau hatte er wohl für immer verloren. Er hörte die Reden oder hörte sie nicht. Nur wenn er seiner Gefolgschaft Befehle zu geben hatte, sprach er, und dann war es ruhig und sachlich. Mit großem Gefolge ritt Germanicus den Burgberg hinauf und wurde am Tor von Segest und seiner Frau empfangen, die ihm Brot und Salz reichte. Segest hielt ihm auf Cheruskisch eine Rede. Er dankte für die Befreiung und sprach auch über den Ungehorsam Tursinhildas gegenüber ihrem Vater, und daß ihre Strafe dafür gerecht wäre. Sigimunt mußte das übersetzen und empfand besonders die letzten Worte seines bei dieser Gelegenheit nüchternen Vaters als tiefe Schande. „Hier, mein Germanicus, steht die Frau deines Gegners Arminius. Sie sei deine Gefangene!“ Gelangweilt blickte Germanicus auf das in Holz gezimmerte römische Haus. Er fand es eine barbarische Nachahmung durch einen kleinen Gaufürsten. Das Geschenk, Tursinhilda, nahm er an, aber mit einem peinlichen Gefühl, da es die Tochter seines Gastgebers war. Sie erschien ihm in ihrer abweisenden Haltung das einzig Beachtliche hier. Sobald Sigimunt die Übersetzung beendet hatte, trat er zurück, um nicht mehr neben seinem Vater stehen zu müssen, und sagte zu Quintus Cassius mit zu Boden gerichtetem Blick: „Mein Quintus, ich muß dich um etwas bitten. Könntest du dem Caesar Germanicus nahelegen, meinen Vater in seine Gefolgschaft aufzunehmen?“ „Will er nicht hierbleiben?“ „Die Krieger seines Stammes würden ihn erschlagen.“ „So ist das?“ und in teilnehmendem Tone fügte er hinzu: „Da ist es also aus mit eurer Macht?“ Dieses Mitleid kränkte Sigimunt mehr als alles andre, so daß er nur mit abgewandtem Gesicht nickte und dann stumm beiseite ging. Es war nicht nur das Ende der Macht seiner Familie, was ihn so tief demütigte, auch nicht die schändliche Auslieferung seiner Schwester. Er selbst, Sigimunt, hatte zwischen den großen Gegnern auf ehrliche Weise leben wollen, hatte aber nun - sein Volk und den von ihm bewunderten Armin trotz seines Schwures verraten!
Germanicus in Wald und Watten VORBEREITUNGEN ZUM KAMPF
D
IE SCHENKEN der
Legionäre waren voller Geschwätz über die Gefangennahme Tursinhildas. Einige erzählten, mit ihr wäre eine Menge edler Frauen über den Rhein geführt worden. Herniu hörte mit Widerwillen diese Reden, denn er, der sonst nicht besonders gefühlvoll war, empfand das Leid Armins, als wäre es sein eigenes. Eilig brach er zur Weser auf, denn bald mußte die Flotte der Römer fertig sein und ihr Herbstfeldzug beginnen. Er konnte dann nicht mehr in Germanien umherziehen. Was aber würde überhaupt geschehen? Wohl hatte er die große Schlacht im Teutoburger Wald von Anfang bis Ende miterlebt - das waren drei Legionen unter einem mäßigen Führer gewesen - aber nun waren es acht, die mit allem ausgerüstet und zu Kampf und Sieg entschlossen waren, dazu unter Germanicus und dem brutalen Caecina, der vierzig Jahre Kriegserfahrung besaß. Dieser Krieg mußte wohl ganz anders vor sich gehen, aber wie, das wußte er nicht. An der Weser fand er fast keine Bekannten. Armins Mutter war fort, wie man sagte, an der Elbe. Die unfreien Hirten hatten die Herden weggetrieben und waren mit Frauen und Kindern abgezogen. In ihren Hütten lagen Krieger fremder Stämme, die Armin aufgenommen hatte, weil die Römer sie unmittelbar bedrohten. Armin war mit Besprechungen und Anordnungen so beschäftigt, daß Herniu ihn nur kurz sehen und fragen konnte, wie er sich verhalten sollte. „Merke dir eins“, antwortete Armin. „Wenn im Kriege alles verloren scheint, darf man sich nicht von Verzweiflung übermannen lassen, sondern muß das Nächstliegende in Ruhe tun. Im Winter sehen wir uns wieder.“ Herniu blickte Armin erstaunt an, der schon wieder mit anderen sprach. Kein Wort von der Möglichkeit einer Niederlage! War er seiner Sache so sicher? QUINTUS ERNEUT IN VETERA Kaum war Herniu zum Rhein zurückgekehrt, als der Legat Caecina auch in Vetera eintraf und wenige Tage später Germanicus. Gerade wollte sich Herniu zu Tische setzen, da wurde es am Hauseingang laut. Beunruhigt ging er zur Tür und fand, daß fünf Sklaven mit Gepäck Einlaß begehrten. „Was wollt ihr hier?“ „Unser Herr, Quintus Cassius, schickt uns, wir sollen ihn ankündigen, in einer halben Stunde wird er hier sein.“ „Er ist mir willkommen.“ Fünf Diener? Das war reichlich viel für einen so jungen Mann. Quintus trat mit der Ungezwungenheit eines großen Herrn ein. „Ich grüße dich, mein Hernius. Gerade komme ich von Ubierstadt, wo ich Sigimundus und seinen Vater Segestes sah. Als ich ihn fragte, ob ich dich von ihm grüßen sollte, schien ihm das peinlich zu sein. Hat es etwas zwischen euch gegeben?“ Diese Frage verwirrte Herniu, er faßte sich aber schnell. „Zwischen uns gab es keine Verstimmung, aber manche verurteilen sein Verhalten.“ Quintus erwiderte: „Auch zwischen ihm und seinem Vater scheint es Spannungen zu geben. Er kann seinem Alten nicht verzeihen, daß er seine Tochter dem Germanicus schenkte, übrigens hat sie in diesen Tagen einen Sohn bekommen. Es wird Arminius schwer treffen, seinen Erben in römischer Gefangenschaft zu wissen.“ „Das Essen ist angerichtet“, meldete ein Sklave. Herniu war über die Nachricht von der Geburt eines Sohnes in der Gefangenschaft so von neuem Leid gepackt, daß er, um nur abzulenken, mit freilich stockender Stimme sagte: „Ich vermutete schon deine Ankunft und habe dir ein ganz germanisches Essen zugedacht, eine fette Gans und dazu Rheinwein.“ „Oh, ich kenne ihn! Wie merkwürdig, daß unsere italienischen Weinstöcke, erst seit wenigen Jahren an den Steilhängen des Rheins gepflanzt, Trauben von so feinem Duft tragen!“ Sie legten sich an die Tafel. Das Flötenspiel des sich wiegenden und trippelnden Philodoros enthob Herniu der Verpflichtung, seinem Gast Liebenswürdigkeiten zu sagen, den er in diesem Augenblick nur hassen konnte.
Er gehörte ja auch zu den Römern, die Tursinhilda und Armins Sohn in Gefangenschaft hielten. Wer würde einmal Armins Nachfolger sein, die Cherusker im Streit anführen und die Einheit der zwölf Stämme bewahren? Die Zukunft sah düster aus, jetzt, wo Armins Sohn in der Hand der Feinde war. „Ist es weit“, fragte Quintus, „zu dem Platz, wo die Flotte gebaut wird?“ Herniu fuhr aus seinen schmerzlichen Gedanken auf. „Zu Pferde einige Stunden. Aber Besuche sind dort unerwünscht.“ Quintus lachte. „Unerwünscht? Ich, der mit Germanicus zur Weser ziehen wird, werde wohl die Genehmigung zur Besichtigung des Schiffsbaus erhalten. Sowieso muß ich noch heute Germanicus meine Aufwartung machen.“ Abends kehrte Quintus zurück. „Ich bekam sofort die Erlaubnis zum Besuch, aber die hiesigen Behörden zögerten mit der Ausfertigung. Kannst du mir das erklären?“ Vorsichtig antwortete Herniu: „Wir können in diesem Hause nichts sagen, ohne daß deine oder meine Sklaven davon erfahren.“ „Ja, wir sind die Gefangenen unseres Reichtums. Manchmal beneide ich die Sklaven, die nicht durch Rücksichten und eine so strenge Sitte eingeengt sind.“ Herniu war verblüfft über die Ahnungslosigkeit dieses jungen Herrn. Nun, beim Schiffsbau wird er sehen, wie es mit der beneidenswerten Freiheit der Sklaven aussieht. BEI DEN SCHIFFEN Die beiden trabten durch den sonnigen Morgen rheinabwärts, gefolgt von Hernius dakischem Pferdeknecht. Auf den Feldern wurde mit Sicheln das Getreide gehauen und gebündelt. Der leichte Wind trug ihnen Geräusche zu. Auf beiden Ufern lagen Holzstapel, um die sich viele Menschen bewegten. Eine hochbeladene Fähre wurde gerade hinübergerudert. Je näher sie kamen, desto mehr nahm der Arbeitslärm zu. Eine Gruppe völlig nackter Sklaven schleppte Balken zu einer zweiten Fähre. Zwischen den Arbeitenden gingen Aufseher mit Knuten umher und fluchten in einem Gemisch von Lateinisch und anderen Sprachen. Der Riemen einer Peitsche sauste auf einen Rücken, daß eine lange Strieme rot aufquoll. Quintus beobachtete das mit finsterem Blick. Dann aber ermunterte er sich. „Sieh, mein Hernius, wie dort ein Schiff herüberkommt und wie gleichmäßig die Ruder eintauchen! Du hörst dazu ein Klopfen.“ Dann erzählte er ihm, was für Herniu keineswegs eine Neuigkeit war, daß unter dem Deck ein Mann säße, der mit einem Hammer auf ein tönendes Brett schlug, damit die Ruderer im Takt blieben. Dieses Klopfen hatte er Tag und Nacht gehört, wenn sein Vater mit ihm vom griechischen Festland nach einer der Inseln fuhr. Das Wetter war meist herrlich gewesen - denn bei schlechtem fuhren sie nicht - und das Meer tiefblau. Dann fühlte er sich glücklich. „Und nun“, so schloß Quintus, „erinnert mich das gleichmäßige Klopfen an die schönen Tage im Süden.“ An den Fähren fragte er einen Mann in gutem Gewand: „Welches Schiff können wir zum Übersetzen benützen? Ich habe hier die Erlaubnis dazu.“ Unfreundlich antwortete der Mann: „Ja, aber wozu willst du hinüber?“ „Ich bezweifle“, erwiderte Quintus, „daß der Caesar Germanicus wünscht, daß ich von dir darüber befragt werde.“ „Wahrscheinlich ist es so, aber ich habe von hoher Stelle den Befehl, niemanden auf die Bauinsel zu lassen.“ „Die höchste Stelle, Germanicus, ist es, wie du siehst, nicht. Sein Stellvertreter, der Legat Caecina, kann es wohl auch nicht sein.“ Der Mann blickte beunruhigt zu Boden. „Nicht ich habe es verboten.“ „Sondern wer?“ Da der andere schwieg, fuhr Quintus leise, aber eindringlich fort: „Also doch Caecina!“ „Ich bitte dich, wer du auch bist, bringe mich nicht in Unannehmlichkeiten! Dich will ich auch hinüberlassen, aber den da nicht!“ Er deutete auf Herniu. „Die Erlaubnis ist auch für ihn ausgestellt!“ „Mein Quintus!“ bat Herniu, „laß mich hier! Ich mag nicht gern hinüber.“ Nach kurzem Schwanken kämpfte Quintus seinen Ärger nieder und fuhr allein mit dem Oberaufseher über den Strom. Herniu unterdessen entfernte sich mit dem Reitknecht von der Fährstelle, um nicht gefragt zu werden, was er hier täte.
Wie ahnungslos war der Senatorensohn! Ihn erinnerte das Taktklopfen für die Ruderer an schöne Stunden! Man hatte ihn wohl als Kind verhindert, unter das Deck zu sehen, wo nackt oder in Lumpen die Rudersklaven saßen. Einmal hatte Herniu einer Wettfahrt zwischen zwei Schiffen beigewohnt. Auf jedem stand aufgeregt ein Offizier, denn sie hatten um hohe Summen gewettet. Am Ufer schrien Legionäre und freuten sich, als das Klopfen immer rascher wurde. Die Antreiber unter Deck schlugen auf die Ruderer ein. Als dann das eine Schiff verloren hatte, forderte sein Offizier vom Gewinner eine sofortige zweite Wettfahrt um eine noch höhere Summe. Obwohl das ein Wahnsinn war, konnte es der andere nach den üblichen Ehrenregeln dem Verlierer nicht abschlagen. Nun gewann tatsächlich der andere, aber hinterher zeigte sich, mit welchen Opfern das bezahlt war. Man löste mehrere Sklaven aus ihren Ketten und rollte sie ins Wasser. Vielleicht hatten sie von der übermäßigen Anstrengung einen Herzschlag bekommen. Auch Olfos Vater Ehinolf war wegen seiner Stärke als Rudersklave verkauft worden. In trüben Stunden hatte Olfo das wiederholt, was alle sagten: Ein Rudersklave hält es höchstens zwei Jahre aus. Hat denn der Senatorensohn von dem allen nie gehört? Quintus kam von der Insel völlig verändert zurück und blieb noch beim Abendbrot in sich gekehrt. „Soll ich dich allein lassen?“ fragte Herniu. „Bitte, bleib! Ich hatte gehofft, das Flötenspiel deines Sklaven würde mich vergessen machen, was ich sah. Vor meinen Augen haben sie einen Mann zu Tode geprügelt, und als ich eingreifen wollte, drängten mich die Aufseher mit bösen Blicken fort. Beschämend war es für mich. Nur eins verstehe ich nicht: Müßte nicht der Legat Caecina, statt den Besuch dieser Arbeitsstätte zu verbieten, im Gegenteil ihn erlauben, damit solche Scheußlichkeiten seltener werden -denn das sind doch sicher nur Ausnahmen. Aber gewiß weiß der Legat nichts davon.“ Herniu blickte sich um, ob jemand lauschte, und sagte leise: „Nach dem Tode des Augustus hat Caecina, entgegen dem Wunsch des Germanicus, den Aufstand der Legionen mit solcher Grausamkeit niedergeschlagen, daß ich ihm noch mehr dieser Art zutraue, übrigens sagte man - ich weiß nicht, ob du das hören willst?“ „Ich hinterbringe niemandem deine Worte.“ „Man sagt, daß der Kaiser selbst für Caecinas Wüten und gegen die Milde des Germanicus war.“ „Ja, beim Aufstand verstehe ich das, aber hier beim Schiffsbau?“ Es reizte Herniu, trotz der Gefahr, noch mehr zu sagen: „Ein Advokat, der mich zu einem großen Geschäft gewinnen wollte, verriet mir, daß der Hauptverdiener am Bau der Schiffe Caecina ist. Deshalb erschrak ich, als du heute zu dem Oberaufseher so scharf über ihn sprachst. Ich erschrak auch deshalb, weil ich bei gewissen Gesprächen nicht gern Zeuge bin. In meiner früheren Stellung - ich war Sekretär bei einem Obersteuerpächter - sind mehrere Personen meiner Umgebung ermordet worden. Ich rettete mich dadurch, daß ich schweigen kann - und auch nicht so raffgierig bin wie einige, die ohne Arbeit in wenigen Jahren reich werden wollen.“ „Sage mal, Hernius, was war das für ein großes Geschäft, für das dich der Advokat gewinnen wollte?“ „Er plante, zusammen mit mir nach dem von ihm erwarteten Siege des Germanicus die Steuer im ganzen Land zwischen Rhein und Elbe zu pachten.“ „Allerdings ein riesiges Geschäft! Nach einigen Jahren könntest du römischer Bürger, ja Ritter werden und in Rom ein großes Haus führen.“ „Und würde doch nie ein echter Römer sein. Mit Geld kann man nicht alles erwerben.“ „So also denkst du? Wie aber stellst du dir bei solchen Ansichten deine Zukunft vor?“ Diese Frage war gefährlich. Herniu mußte sie abbiegen. „Du weißt, daß ich Halbgermane bin. In sieben Jahren, wenn ich dreißig werde, kann ich mir nach germanischer Sitte eine Frau suchen.“ „Also eine Germanin? Du könntest bei deinem Vermögen auch eine Römerin haben.“ „Die Germaninnen sind einfach, und das liebe ich.“ „Bist du denn einfach, mein Hernius?“ „Gerade weil ich viel Gemeinheit, ja Verbrechen gesehen habe, liebe ich das Einfache.“ „Da berührst du einen Punkt, der mich quält. Als ob ich mich nicht schon umgesehen hätte, wie ich das finden könnte, was du einfach nennst! Man könnte es auch als ehrlich oder edel bezeichnen. Ich entstamme einer der ältesten und reichsten Familien Roms, und das bringt mich in Not. Ich will mich nicht mit Blut besudeln, wie -“ Er brach ab. Meinte er den Legaten Caecina oder den Kaiser Tiberius oder wen sonst?
DIE SCHWIERIGKEITEN DES QUINTUS Sie hatten gerade ihr Frühstück beendet, als Quintus nach der Tür horchte und rasch aufstand. „Entschuldige! Den Mann, der da kommt, möchte ich allein sprechen.“ Herniu zog sich nach dem Hinterhof zurück, aber sah noch, daß der Eintretende ein älterer Mann von festen Zügen war. Unter seiner lang herabfallenden Toga blickte ein Stück des breiten Purpurstreifens hervor, den nur Senatoren tragen durften. Das war wohl ein großer Herr aus der Gefolgschaft des Germanicus. Weshalb aber besuchte er den jungen Quintus in einem Hause der Budenvorstadt? Bald gingen die beiden zusammen aus und ließen Herniu in Spannung zurück. Erst abends kehrte Quintus blaß und angegriffen heim und ging sofort in seine Schlafnische, wo er seinem Kammersklaven klatschte und sich entkleiden ließ. In den nächsten Tagen blieb er stumm, hielt sich im Hause auf und las mit griechischen Buchstaben beschriebene Papyrosrollen. Herniu erfuhr, daß drei Legionen nach dem Ankerplatz der Flotte marschiert waren. Am nächsten Morgen sollte Germanicus mit der letzten folgen. Es mußte noch recht früh sein, als Herniu vom Schmettern römischer Tuben aufwachte. Da wunderte es ihn, daß sich noch niemand im Hause regte. Er erhob sich und ging zu dem noch schlafenden Kammersklaven seines Gastes. „Man bläst zum Abmarsch. Müßt ihr nicht packen?“ „Wir haben keinen Befehl dazu, Herr.“ Sonderbar! Quintus wollte doch mit Germanicus aufbrechen. Erst nachdem Herniu von Philodoros rasiert und gesalbt worden war, erschien Quintus mit verschlossener Miene. Schließlich, als nach dem Frühstück die bedienenden Sklaven verschwunden waren, sagte er leise: „Mein Hernius, du mußt mich für unhöflich halten, weil ich dir nicht erzählt habe, daß ich hierbleibe. Vor wenigen Tagen kam ein Freund meines Vaters und brachte mir die strenge Anweisung, nicht mit ins Feld zu rücken. Wie du dir denken kannst, wollte ich mich nicht fügen, und wir trugen Germanicus die Sache vor. Er entschied wie mein Vater.“ Verwundert fragte Herniu: „Weshalb sollst du nicht ins Feld?“ „Man nennt das Schutz der alten Familien. Schon Augustus hat angeordnet, daß letzte Söhne von Senatorenfamilien dem Tod im Felde nicht ausgesetzt werden sollen, damit die Familien erhalten bleiben. So werde ich - nur damit ich erbe - zu einem Menschen erniedrigt, der sein Leben nicht einsetzen darf. Haben die Römer und Griechen ihrer großen Zeit so gelebt? Ich darf wetten, saufen, ja Verbrechen verüben - natürlich so, daß es nicht zu bekannt wird - aber eins darf ich nicht, etwas Nützliches tun!“ Er hatte in immer größerer Erregung gesprochen und senkte nun die Stimme. „Dazu kommt noch etwas: Bei Hofe gibt es zwei Parteien, die des Kaisers Tiberius und die des Thronfolgers Germanicus. Was die Kaiserinmutter Livia dabei für eine Rolle spielt, kann man schwer sagen. Nun standen mein Vater und ich auf der Seite des Germanicus, und bei dem Aufstand der Legionäre hat mein Vater das leider gezeigt. Obwohl Tiberius es wußte, nahm er ihn als ersten Kammerherrn und zwingt ihn - nein, ich kann das nicht im einzelnen erzählen, es ist zu schändlich! Kurz, der Kaiser stiftet ihn zu allem Niedrigen an. Wie die Ehe meiner Eltern dabei aussieht, kannst du dir denken. Wenn er aber nicht mittäte, würde man ihn als altmodischen Greis verlachen. Und schlimmer noch: Es käme die Rache des Kaisers über ihn, weil er Germanicus mehr schätzt. Diese schreckliche Last bestimmt auch mein Leben. Ich darf nichts tun, was meinen Vater in noch größere Gefahr bringen könnte. Ist das aber für einen jungen Mann erträglich?“ In diesem Ausbruch der Leidenschaft eröffnete sich Herniu eine ihm unbekannte Welt. Er bedauerte Quintus und mißtraute ihm doch. Die schlimme Lage, in der sich der Römer befand, konnte ihn zu gefährlichen Handlungen zwingen. Daher begann Herniu, in möglichst harmlosem Ton zu erzählen, wie bedenkenlos die Germanen ihr Leben aufs Spiel setzten. Von da ging er dazu über, wie er, der ja römisch erzogen war, als noch junger Mensch auf die Treibjagd mitgenommen und von einem Eber verwundet wurde. So lenkte er das Gespräch von den Schwierigkeiten des reichen Erben ab, ohne selbst eine Meinung dazu zu äußern. Es gelang ihm sogar, Quintus mit seinen Schilderungen zu beeindrucken. AGRIPPINAS BEFÜRCHTUNGEN Der Germane wie der Römer warteten auf Nachrichten über die Kämpfe an der Ems und Weser. Ihre unruhige Untätigkeit wurde erst unterbrochen, als Agrippina, die Frau des Germanicus, einen Boten sandte und Quintus sofort
zu sich bitten ließ. Er blieb bis in die Nacht fort, was Herniu um so mehr auffiel, als es ungehörig war, daß sich ein unverheirateter Mann so lange bei einer hochstehenden Frau aufhielt. Da Herniu die Neugier plagte, legte er sich nicht schlafen, sondern wartete auf Quintus. „Große Kämpfe“, sagte der bei seiner Heimkehr, „gab es zunächst nicht.“ Dann erzählte er weiter, daß bei Rhina an der Ems die Legionen von den Schiffen gestiegen wären und sich mit denen, die in Fußmärschen dorthin gekommen waren, vereinigt hätten. Danach rückten sie zu der Stelle im Teutoburger Wald, wo vor sechs Jahren Varus mit den drei Legionen unterging. Man fand die Knochen der Toten unbeerdigt, aber niemand konnte wissen, wer Römer oder Germane gewesen war. Jedenfalls hielt Germanicus dort eine feierliche Rede, ließ alle zusammen begraben und die zerbrochenen Waffen zu einem großen Siegesmal aufrichten. Wie über alle seine Handlungen, berichtete er dem Kaiser auch darüber. Tiberius hatte darauf einen sehr ärgerlichen Brief geschrieben: Ein Feldherr hat, wie ein Priester, die heiligen Bräuche zu wahren. Er darf sich nicht durch die Beerdigung von Toten beschmutzen und dabei auch noch Zeit verlieren, die Arminius sicher ausnutzen wird. - Dieser schwere Tadel und die Warnung zur Vorsicht erreichten Germanicus erst, als schon ein Unglück geschehen war. Die römische Reiterei und die Hilfstruppen hatten sich zu weit vorgewagt und wurden überraschend von der gesamten germanischen Macht angegriffen. Nur dadurch konnten sie vor der völligen Vernichtung gerettet werden, daß Germanicus in größter Eile alles heranzog und gegen Arminius einsetzte. Seine Verluste mußten schwer gewesen sein, denn er zog sich auf seine Flotte an der Ems zurück. Agrippina hatte das alles dem Quintus erzählt. Herniu blickte zu Boden, um nicht zu verraten, wie ihm das Herz vor Stolz und Freude hüpfte. „Du kannst dir denken“, fuhr Quintus fort, „wie bedrückt Agrippina ist. Sie meint, der Ton des kaiserlichen Schreibens zeigte schon vor den Kämpfen eine Abneigung gegen ihren Mann. Wie wird das erst, wenn Tiberius erfährt, daß dort, wo sich der wenig fähige Varus jahrelang mit drei Legionen gehalten hat, es Germanicus mit acht nicht kann? Es wird schwer sein, diesen Feldzug in Rom als siegreich darzustellen.“ PANIK AN DER EMS Ursilo und Olfo bogen vorsichtig das Schilf auseinander und tasteten sich so weit in den Fluß vor, daß sie die im Sonnenschein glitzernde Wasserfläche vor sich sahen, ohne selbst gesehen zu werden. Kleine schwarze Tauchhühner mit weißer Blesse über dem Schnabel schwammen eilig davon. Einige schnellten hoch und stürzten dann kopfüber ins Wasser, um weiter entfernt aufzutauchen. Am anderen Ufer lagen bewegungslos Schiffe, hinter denen an der ansteigenden Böschung Menschen hin und her gingen. Es war ein friedliches Bild. „Dort“, flüsterte Ursilo, „stehen ganze Reihen von Öfen. Da backen sie für die Legionen.“ Die Späher beobachteten, wie Bäckersklaven auf Brettern ganze Reihen von Broten zu Planwagen trugen. Man schrie und rannte plötzlich hin und her, aber das begriffen die beiden nicht. Die Unruhe nahm zu. Scharen von Menschen drängten sich auf die Schiffe. Ruder begannen sich zu bewegen, doch ohne Ordnung. Mit angehaltenem Atem starrten Armins Späher hinüber. Ein Schiff fuhr rückwärts in den Fluß hinaus. Auf ein anderes stürmte eine solche Menge, daß es sich zur Seite neigte. Nun versuchten Legionäre - wo kamen nur die vielen auf einmal her? - ein Schiff ins Wasser zu schieben. Währenddessen aber klommen Scharen hinauf, so daß die Schiebenden nichts erreichten. Reiter sprengten heran. „Hoo-a!“ schrie es aus vielen Kehlen. „Hoo-a!“ aus anderer Richtung. Das mußten Wigimots Krieger sein, aber zu sehen waren sie nicht. Zwei Schiffe hatten sich vom Ufer gelöst. Ihre Ruder bewegten sich jetzt im Takt. Sie trieben aber schräg aufeinander zu, so daß die zwischen ihnen eingeklemmten langen Ruder zerbrachen. Tuben schmetterten. Noch immer nahm die Unordnung zu. In Auflösung kamen Massen von Soldaten an, vielleicht die vordersten einer Legion. Sie stürmten Schiffe, preßten Menschen über den Bordrand, daß sie ins
Wasser stürzten, wobei sie Schilde und Speere verloren. Eine kurze Zeit schien etwas Ordnng eingetreten zu sein, dann aber ertönten wieder rauh die Schlachtrufe der Germanen. BEI DER TOILETTE Agrippina saß vor ihrer Schlafnische, die Füße auf einem Kissen ausgestreckt, deren Nägel von einer knienden Sklavin gefeilt und poliert wurden. Eine andere brannte ihr das Haar in Locken. Eilig trat ihre schon fertig frisierte Begleiterin ein, in der Hand zusammengeschnürte Wachstäfelchen. „Eben kommt ein Eilbote. Darf ich die Schnuren lösen?“ „Tue das! Und ihr“, Agrippina wandte sich an die Sklavinnen, „haltet euch draußen bereit, später könnt ihr eure Arbeit fortsetzen!“ Sie ergriff die erste Tafel. „Ah, mein Germanicus, endlich!“ Ihr Lächeln schwand. Mit düsterem Blick zog sie die Oberlippe zwischen die Zähne und griff nach der zweiten Tafel. Nach dem Lesen forderte sie einen Griffel und strich damit sorgsam das Wachs glatt, so daß niemand mehr den Brief lesen konnte. Ohne ihre Freundin anzublicken, sagte sie: „Vergiß, wie du mich eben sahst, und erzähle in der gewissen Art, in der man Geheimnisse ausplaudert, du hättest mich beim Lesen der Eilbotschaft lachen sehen! Ich werde heute Gäste einladen und dabei erwähnen, daß alles gut geht, daß ich aber Einzelheiten nicht verraten kann. Du verstehst, meine Liebe? Hilf mir dabei!“ Die Begleiterin hob die Augenbrauen. Steht es schlecht? IM SCHLAMM Die Gegend hieß Baumberge, weil in der völlig flachen, meist sumpfigen Niederung die unbedeutenden Waldhügel fast wie Berge erschienen. Armin betrachtete, wie von seinen Kriegern unten am Hang die letzten Knüppel des Weges aus dem Morast gezogen und weggetragen wurden. Die Römer nannten diesen Weg Lange Brücken. Sie hatten ihn vor Jahren angelegt, um darauf Truppen zwischen der unteren Ems und dem Unterrhein durch das Sumpfland bewegen zu können. Hier wollte Armin den Legaten Caecina mit seinen vier Legionen aufhalten, die von Rhina kamen. Er begnügte sich aber nicht damit, die zum Teil schon morschen Knüppel herauszureißen, sondern ließ einen Quergraben ausheben, an dem die germanischen Krieger ohne Hosen arbeiteten und schon über die Knie im Wasser standen. Ein Zug germanischer Reiter mühte sich, auf dem ehemaligen Bohlenweg vorwärts zu kommen. Vorn ritt Wigimot, der heute schlecht auf dem Pferde saß und besonders mager und klein erschien. Als sie Armin erreichten, sprang einer der Krieger zu Boden und hob den zitternden Wigimot vom Pferde. Besorgt fragte Armin: „Bist du krank?“ „Erschöpft.“ Da aber Wigimot kaum stehen konnte, sagte Armin: „Setz dich und berichte mir kurz, was du erreicht hast!“ Mühsam sagte der Kranke: „Ich ließ die marschierenden Römer angreifen - aus dem Walde heraus - durch viele kleine Gruppen. - Ich wollte etwas Unruhe schaffen. Vielleicht wegen der Breite unseres Angriffs - brach bei ihnen großer Schrecken aus. Die Wagenbegleiter hieben Stränge durch - schwangen sich auf die Pferde - um sich zu retten. In das Fußvolk galoppierten sie hinein. Die glaubten, wir wären gleich dahinter - warfen ihr Gepäck weg, um kämpfen zu können. - Ich, um sie noch mehr in Verwirrung zu bringen - zog die Abteilungen weiter vor - immer angreifen und gleich wieder zurück. Unversehens kamen wir zu den Schiffen - dort in die Unbewaffneten hinein! Transportsklaven, Bäcker, Zahlmeister. Ich hörte sie brüllen: Germanicus ist tot! Sie stürmten die Schiffe. - Dann kam Germanicus - einige Ruderschiffe waren schon fort. Er ließ eins gewaltsam räumen -ging mit seinen Leuten an Bord.“ „Und Caecina?“ fragte Armin. „Ist auf dem Wege hierher - mit vier Legionen. Wir hatten einen Mann gefangen - er sagte, halbe Zenturien sind weg - wahrscheinlich mit den Schiffen fort - wo sie gar nicht hingehören. Die Schiffe sind schrecklich voll.“ Nachmittags tauchten die ersten römischen Reiter auf. Die meisten waren abgesessen, um ihre Pferde leichter zu
machen, deren Hufe auch so noch einsanken und nur glucksend wieder herausgezogen werden konnten. So kamen sie gleitend und patschend bis zu dem tiefen Graben, in dem schwarzes Wasser stand. Der Führer der vordersten Legion und der gleich darauf eintreffende Legat Caecina blickten sich prüfend um. Rechts befand sich Sumpf mit offenen Wasserlachen und dem verdächtig tiefgrünen Gras, links die kleine Erhebung. „Ich sehe noch niemanden“, sagte Caecina, „aber wozu haben die Barbaren diesen Graben ausgehoben, wenn sie nicht dort im Walde stehen? Ihr bleibt vorn fest zusammen! Haltet euch gefechtsbereit! Ich schicke Arbeiterabteilungen in den Wald zum Baumfällen. Wenn wir den Knüppeldamm nicht wieder herstellen, bekommen wir die Wagen nicht durch.“ Es dauerte eine beträchtliche Zeit, bis das Zuschütten des Grabens begann. Zum Schutz der Arbeitenden rückte eine Linie von sechs Gliedern Tiefe langsam seitlich hinauf. Kaum waren sie aber einige Schritte vorwärts gekommen, als Germanen mit nacktem Oberkörper aus dem Walde rannten und ihre schweren, langen Framen gegen die Legionäre fliegen ließen. Die Römer hatten auf dem schon zerstampften, schlammigen Boden wenig Halt und konnten daher nicht gut werfen. Nun hörten sie Kampfschreie auch von hinten, vermutlich von dort, wo die Holzfäller arbeiteten. Auf dem Schlammweg gab es ein großes Durcheinander. Da schleppten sich Verwundete, dort wurden andere verbunden. Zwischen ihnen drängten sich Legionäre, die Balken trugen. Während einige Abteilungen kämpften und von den Offizieren vorwärts getrieben wurden, gingen die Arbeiten, in jeder Weise behindert, nur langsam voran. Immerhin konnten die Römer den Graben füllen und im letzten Abendlicht ein Lager schanzen. Als es völlig dunkel geworden war, entstand Unruhe. Zunächst war niemandem klar, warum das neue Lager immer feuchter wurde. Hatten etwa die Germanen einen Bach angestaut und ließen sein Wasser ins Römerlager fließen? Legionäre, die sich schon zur Ruhe gelegt hatten, mußten erneut schanzen. Sie besaßen auch wenig Feuerholz, während im Walde die Germanen mächtige Feuer unterhielten, das Fleisch gefallener Pferde brieten und bis in die Nacht lärmten und sangen. ARMINS DURCHSTOSS Am Morgen war Wigimot so schwach und fiebrig, daß ihn Armin warm eingepackt unter einen Baum sitzen ließ, während seine Gefolgschaft in dichten rechteckigen Haufen antrat, um jeden Augenblick zum Angriff bereit zu sein. Caecina ließ eine Legion in fester Ordnung nach einer kleinen Ebene jenseits des ärgsten Morastes abrücken. Ihr folgten dicht darauf die Verwundeten und Wagen. Zu ihrem Seitenschutz bewegte sich eine zweite Legion vor Armins Heerhaufen entlang, die dritte auf der anderen Seite. Nach rückwärts schloß die vierte das große Viereck ab. Die schwache Stelle dieser sonst festen Ordnung war die sich vor der Front Armins seitwärts ziehende Legion. In sie fuhr auch bald ein Hagel von Framen, so daß sie anhielt. Hier war die Überlegenheit der Germanen so groß, daß die römische Linie wankte. Verwundete rannten zurück, andere schlössen sich ihnen an. Die Offiziere schrien, aber konnten die Linie nicht halten. Armin, zu Fuß und nur in Hose, hob die Frame. Mit anfangs unheimlicher Langsamkeit gingen die geschulten Krieger Schritt für Schritt vorwärts, wurden schneller, rannten und brachen in die fliehende Legion ein. Bei den Wagen entstand ein unübersehbarer Wirrwarr. Einige Kutscher trieben ihre Pferde vorwärts, andere ließen die Wagen stehen und flohen. Schon waren Armins Krieger unter ihnen, stachen auf die Pferde ein, stürzten Wagen um, drängten sich quer in die Kolonne und erschienen unerwartet in der Flanke der Legion, die den Troß auf der anderen Seite begleitete. Mit fiebernden Augen sah Wigimot dort ebenfalls die größte Unordnung entstehen. Vielleicht hatten gleichzeitig auch aus anderer Richtung Germanen angegriffen, denn er hörte in unbestimmter Entfernung Angriffsgeschrei. Der Legat Caecina, der mit der Vorhut geritten war, hatte sein Pferd herumgerissen und wollte Ordnung schaffen. Eine Frame traf aber sein Pferd, daß es stürzte. Was nun geschah, konnte Wigimot im Wogen des Kampfes nicht erkennen. Er sah weder Armin noch den Legaten. Römer flohen vor den durchgebrochenen Germanen zur Vorhut. Da ertönte neues Sturmgeschrei. Die germanischen Stoßblocks brachen zum zweiten Mal durch die Mitte der Römer und in die Kette der durcheinander stehenden Wagen ein. Dort befand sich auch Armin. Er kämpfte in einem dieser Kriegerhaufen mit. Bald darauf erschien er schmutzbespritzt, mit blitzenden Augen vor Wigimot. „Wir haben die Römer so in Verwirrung gebracht, daß sie heute nicht mehr weit kommen. Morgen ist aber Caecina schon den dritten Tag im Walde!“
AUFREGUNG EINER NACHT Gegen Abend gelang es den Legionären, auf einem ziemlich trockenen Fleck ein Lager zu bauen. Den größten Teil der Wagen hatte der Legat Caecina im Stich lassen müssen, schon weil sie keine Bespannung mehr hatten. Seine Soldaten waren erschöpft, hungerten und hatten jede Hoffnung auf einen Ausweg verloren. Sie sagten untereinander: „So war es auch, als Varus zugrunde ging-“ Nach Dunkelwerden brach unter ihnen eine Panik aus, weil vor allem die jungen Legionäre glaubten, alles wäre verloren. Schon ballten sich Gruppen an einem Lagerausgang zusammen, die ohne Waffen die Germanen um Schonung ihres Lebens bitten wollten. Sie redeten erregt auf einen der ihren ein, der etwas Germanisch konnte, er sollte ihre Bitte den Germanen übersetzen. Da hinkte Caecina heran, denn er hatte sich beim Sturz ein Bein unter dem Pferde gequetscht. Im rötlichen Licht eines Feuers erschien sein Gesicht wie das eines bösen Geistes. Mit strenger Geste befahl er seinen sehr aufgeregten Offizieren stehenzubleiben, während er sich zum Staunen der Legionäre in den Lagereingang legte und mit seinem Körper den Weg versperrte. „Ihr könnt“, sagte er ruhig, „über mich wegsteigen.“ Da sich niemand rührte, fing er an, auf einen Ellbogen gestützt, fast gemütlich von alten Schlachten zu erzählen. Dabei steigerte er aber die Kraft seiner Stimme und rief schließlich: „Wollt ihr Feiglinge sein oder Römer?“ Auf diese Weise hatte er erreicht, daß die Legionäre ihm zunächst ruhig zuhörten, und nun gelang es ihm, die Ordnung völlig wiederherzustellen. Das geschah, während im nahen Walde die Germanen fröhlich herumschrien. Auch sie verglichen die Lage mit der vor dem Untergang der drei Legionen des Varus. Ihre Anführer saßen in einem Kreise, und Armin erklärte seinen Plan: „Die Römer müssen aus ihrem Lager abziehen, in dem sie nicht einmal sauberes Wasser haben. Wenn sie dann auf dem Marsche sind, werden wir sie erneut angreifen, denn der Weg ist schmal. Deshalb ziehen sie sich weit auseinander, während wir an jeder günstigen Stelle mit tief gegliederten Haufen angreifen können.“ Schon während dieser Ausführungen wurde er mehrmals von Zwischenrufen unterbrochen. Nun sprach Ingwiomär: „Ich fordere den Angriff auf das römische Lager bei Tagesanbruch! Habt ihr nicht gesehen, daß sie schon nicht mehr an ihren Sieg glauben? Wozu also zögern?“ „Du“, rief Armin erregt, „hast bei der Verfolgung der Reste des Varusheeres das Lager vorzeitig angegriffen und dadurch verhindert, daß alle vernichtet wurden! Ich warne vor dem Angriff auf das Lager! Die Römer sind diesmal gut geführt!“ „Angriff bei Tagesanbruch!“ rief einer der Anführer. „Beschließen!“ schrie ein anderer. Man rasselte mit Framen und Schilden. Armin war überstimmt, aber er nahm es nicht so hin, sondern sprang auf. „Versteht ihr denn noch gar nichts von römischer Kriegskunst? Ich fordere eine klare Abstimmung. Die Anführer, die für den wahnsinnigen Angriff bei Tagesanbruch sind, sollen ihre Frame hochheben.“ Mit zusammengebissenen Zähnen mußte er sehen, daß fast alle die Frame hoben. SCHWERE NIEDERLAGE Im Morgengrauen stellten sich die Germanen zum Angriff bereit. Aus ihren festgefügten Vierecken ragten die Framen wie Wälder von Stangen, ober ihnen wieder sah man in jedem der Haufen ein geschnitztes, bunt bemaltes Feldzeichen. Hinter diesen dichten Haufen hatten sich Ruwala mit dem Bildnis der Frija und der Priester Tius mit dem heiligen Schwert aufgestellt. Wigimot lag in Pelze gehüllt da, mit jagendem Puls und trüben Augen. So sah er, wie die Germanen die mächtigen Reisigbündel in den Graben vor dem römischen Lager warfen und darüber gegen den Wall stürmten, überall wurde gekämpft, am heftigsten in der Nähe des Tores, das der Angriffsseite am nächsten lag. Dort wogten die Kämpfer vor und zurück. Inzwischen hatte sich eine feste Kolonne von Legionären aus einem anderen Tor herausgekämpft, bog um die Lagerecke und schwenkte gegen Flanke und Rücken der dort streitenden Krieger ein. Die kurzen römischen Waffen waren im Gedränge beweglicher als die zu langen Framen der Germanen. Abteilung auf Abteilung rückte die Legion heran, schwenkte und schloß immer mehr Germanenhaufen ein. Und nun begann ein unbeschreibliches Metzeln.
Ingwiomär wurde blutüberströmt aus dem Getümmel geleitet. Ruwalas Herz erfüllte Bitterkeit. Auch sie hatte gestern ihrem Bruder mehr geglaubt als dem zum Abwarten mahnenden Armin. Nun sah sie die schreckliche Folge und begriff, weshalb ihr Neffe am Abend zuvor so erregt gesprochen hatte. Wenn sie ihn nur sehen könnte! Vielleicht war er in diesem entsetzlichen Schlachten schon umgekommen. Was aber sollte dann geschehen? Ohne Armin mußte der Bund des Apfels auseinanderfallen und alles Land bis zur Elbe römische Provinz werden! War es nicht überhaupt ein schlimmes Vorzeichen, daß sie heute nicht wie früher mit dem Apfel in der Hand der Schlacht beiwohnte, sondern an Stelle der geraubten Tursinhilda das Bildnis der Göttin hielt? Düstre Gedanken erfüllten sie. Was mochte aus Armins Gemahlin geworden sein, wie ertrug sie die Gefangenschaft, und wie geriet der kleine Sohn? Wigimot hatte mit großer Mühe den Kopf erhoben, starrte hinüber und sank kraftlos zurück. Ruwala bemerkte die Bewegung, aber sie durfte sich während der Schlacht nicht rühren, nicht sprechen, nur starr nach vorn blicken, um das Kriegsglück nicht zu gefährden. Da sah sie Armin. Er kämpfte und schien unverwundet zu sein. Wie aber sollte er das gegen seinen Willen geschehene Unglück abwenden? Erst am Abend endete die Schlächterei, als die Römer unter Tubengeschmetter in ihr Lager wieder einrückten. Überall lösten sich die Kämpfer voneinander und ließen am Wall viele Tote zurück. Hier und da erhoben sich noch Verwundete, die zu ihrer Truppe zurückkrochen. Nun durfte Ruwala endlich das Frijabildnis an einen Baum lehnen und sich zu Wigimot niederbeugen. Seine Hand war kalt. UM INGWIOMÄR Sie saßen an einem mächtigen Feuer, rings schwarze Nacht, Asni und Armin, der düster in die Flammen starrte. Heute sang und schrie niemand, denn die Niederlage war entsetzlich, noch entsetzlicher, als Armin gefürchtet hatte. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Ich weiß, Armin“, sagte Ruwala, „daß du heute deinen besten Freund, den treuen Wigimot, verloren hast. Ich weiß auch, daß wir alle eine Schuld tragen an dem, was heute geschah. Trotzdem möchte ich dich fragen: Warst du schon am Schmerzenslager Ingwiomärs?“ Armin ballte die Hand und schwieg. „Beim Tode deines Vaters Sigimär habe ich es übernommen, für Frieden zwischen dir und deinem Oheim zu sorgen.“ „Bedenkst du auch, Ruwala: Kein Römer hätte mehr Germanien betreten, wenn wir die vier Legionen Caecinas ebenso vernichtet hätten wie die drei des Varus? Der heutige Tag hat uns tausende unserer besten Krieger gekostet durch Ingwiomärs stürmische Unfähigkeit. Nun müssen wir wahrscheinlich noch ein Jahr um unsere Freiheit kämpfen, vielleicht auch viele Jahre. Bedenke das! Soll ich diesem ehrgeizigen Mann noch die Hand dafür reichen, daß er solch unermeßlichen Schaden angerichtet hat? Im Gegenteil, man sollte ihn mit Schimpf und Schande verjagen!“ Asni mischte sich ein: „Auch meine Forderung ist, daß er nie wieder mit uns kämpfen darf. Er ist zu gefährlich!“ „Ihr beide“, sagte Ruwala, „seht eins nicht. Es war nicht nur Ingwiomärs Fehler, sondern der fast aller unserer Anführer. Stoße sie nicht vor den Kopf, denn du brauchst sie wieder. Deshalb überwinde dich, gehe zu Ingwiomär, besuche ihn in seinen Schmerzen! Es ist nicht seinetwegen, sondern unser aller wegen. Gerade jetzt muß in unseren Reihen alles getan werden, um die Einheit zu erhalten. Vergiß den Bund des Apfels nicht und unsern Schwur. Die Priester werden deine Handlung gut aufnehmen. Im Thing allerdings soll man die Wahrheit sagen, und Ingwiomär und seine Freunde sollen dich nicht wieder im Kriegsrat überstimmen! Das ist es, was nicht nur du, auch ich, Asni und andere erreichen müssen.“ Armin erhob sich, um Ingwiomär aufzusuchen. EIN BEDENKLICHER BEFEHL Auf den hochwandigen Vierzigruderer des Feldherrn stiegen die Legionsführer. Germanicus empfing sie in seiner umgänglichen Art vor dem Deckaufbau, der ihm als Kabine diente. „Ich habe euch rufen lassen, weil mich die friesischen Lotsen vor einer Gefahr gewarnt haben.“ Dann schilderte er,
wie an der Einladestelle viel zuviel Legionäre in heilloser Panik auf die Schiffe gestürmt wären, Truppen, die mit dem Legaten Caecina hätten zum Rhein zurückmarschieren sollen. Dadurch wurden die Schiffe zum Teil übermäßig belastet. Nun waren diese Tage des Jahres aber oft stürmisch. Dazu gab es in der Emsmündung heimtückische Sandbänke, die nur wenig unter dem Wasserspiegel lagen. Daher konnte die Überlastung gefährlich werden, und es blieb nichts anderes übrig, als einen Teil der Truppen wieder aussteigen zu lassen. Germanicus fuhr fort: „Ihr werdet wohl sagen: Mögen das Caecinas Leute sein! Können wir aber gerade diese Legionäre den Landweg nehmen lassen? Das bringt sicherlich Gefahren mit sich, und gerade seine Legionäre haben wenig Disziplin gezeigt.“ Es handelte sich bei ihnen fast durchweg um erst kürzlich ausgehobene, wenig erfahrene Mannschaften. Deshalb bestimmte Germanicus, daß eine besonders gute Truppe die Schiffe verließ, die zweite und vierzehnte Legion, die dazu seinem Freund Publius Vitellius unterstellt war. Da infolge der Ebbe die meisten Schiffe festlagen, sollten die beiden Legionen die Zeit vor der Wiederkehr der Flut ausnützen, um an Land zu gehen. Es verstand sich, daß sie zum Fußmarsch auch die Fuhrwerke ihres Trosses brauchten. Publius Vitellius sollte durch die Länder der befreundeten Friesen und Batawer zum Rhein marschieren. STURMFLUT IM WATTENMEER Den Blick aufs graue Meer gerichtet, stand der Friese Wikhart, neben ihm der schlanke Ursilo und der breite Olfo. Wikhart war hier an der Mündung der Ems geboren und hatte bis vor zwei Jahren das Leben eines Fischers geführt. Dann aber war er mit seinen Nachbarn in Streit geraten. Er handelte sich darum, daß die Friesen von ihrem Bündnis mit den Römern mancherlei Vorteile hatten. Durch die Schiffstransporte verdienten sie recht gut. Wikhart ließ sich aber durch diese Vorteile nicht darüber täuschen, daß Rom über kurz oder lang auch ihr Land so knechten würde wie alle andern unterworfenen oder befreundeten Länder. Sein Streit wurde so scharf, daß er als Römerfeind fliehen mußte. Wohin konnte er gehen als zu den Cheruskern, die diese Art von Flüchtlingen gern aufnahmen? Armin empfing ihn gut und teilte ihn Wigimot zu. Bald bildete sich eine Freundschaft zwischen dem schwächlichen, aber klugen Sugambrer und dem zähen und energischen Friesen. Nach dem Angriff von Wigimots Freischaren, der die Panik der Legionen am Schiffshalteplatz ausgelöst hatte, erbot sich der Friese, die Ausfahrt der Flotte ins Meer auf heimlichen Wegen zu begleiten. Er vermutete, daß bei dem schwierigen Fahrwasser in der Emsmündung mit ihren veränderlichen Schlammbänken nicht alles glatt gehen würde. Seit diesem Morgen stand ein feuchtkühler Wind von der See her und ließ die Umhänge der Späher flattern. Daß die Schiffe bei der Ebbe im Schlick festsaßen, war für Wikhart nichts Außergewöhnliches. Weshalb aber stiegen nun Massen von Legionären aus? Hier gab es doch keinen Feind, gegen den sie kämpfen konnten. Noch mehr verwunderte es ihn, als die Römer Pferde ausluden und Bohlen vom Deck bis zur Schlammbank legten, auf denen sie an Tauen vorsichtig Wagen herunterließen. Das dauerte ziemlich lange, so lange, daß sich die Ebbe ihrem Ende näherte. Sein Staunen nahm noch zu, als er sah, wohin die Legionäre marschierten. „In dieser Richtung?“ sagte er halblaut. „Haben sie denn keinen friesischen Führer mit? Außerdem nimmt der Wind zu, und da kann die Flut sehr schnell kommen. Seht mal, ihr beiden Landratten, wie dort die Wolken jagen! Das gibt Sturm.“ Plötzlich rief er aus: „Welcher Gott hat sie verwirrt! Aber wer kann auch die Wege kennen, der nicht hier gewohnt hat? Es ist immer gefährlich, in den Watten bei steigender Flut herumzuwandern. Dort seht ihr es schon!“ Er zeigte auf die Fläche hinaus, wo die Spitze des Fußvolks stehengeblieben war und einige Reiter nach einem gangbaren Weg zu suchen schienen. Schon umspülten dünne weiße Kämme die Kolonne der Legionen, die nun kehrtmachte und eilig zurückzumarschieren begann. Aber wohin? „Kommt!“ sagte Wikhart. „Wir müssen durch die Senke dort und uns selbst erst mal retten. Heute gibt es eine Sturmflut. Da wird alles hier überspült.“ Bald erreichten sie einen schmalen Kanal, in dem das Wasser rasch dahinströmte. „Ein Priel!“ sagte Wikhart. „Wenn das Wasser sinkt, fließt es darin ins Meer hinaus, jetzt fließt es in umgekehrter Richtung. Zieht Hosen und Umhang aus und schlingt sie euch um den Hals! Hebt den Schild hoch, daß er nicht naß wird! Mit dem stumpfen Ende der Frame tastet euch hindurch, damit euch die Strömung nicht umreißt!“ Olfo vertraute auf seine Kräfte und trat sofort ins Wasser, rutschte aber ab und wurde ein Stück von der
Strömung mitgenommen, wobei die um seinen Hals geschlungenen Kleidungsstücke naß wurden. Nun erst stemmte er die Frame fest in den Boden und gewann das andere Ufer. „Weiter!“ rief Wikhart. „Dort drüben sind wir erst in Sicherheit.“ Sie schritten eilig voran. Der Wind wehte immer schärfer um ihre nackten und nassen Körper. Erst auf der kleinen Erhöhung blickten sie wieder auf die Watten hinaus. „Bei Tiu!“ entfuhr es Ursilo. „Den Pferden reicht ja das Wasser schon fast bis zum Bauch!“ „Die Legionäre können auch nicht mit Panzer, Helm, Schild und Speer schwimmen“, fügte Wikhart hinzu. „Seht, wie die Wellen immer höher werden! Alles Schwere müssen sie ins Wasser werfen, wenn sie ihr Leben retten wollen.“ Bald war nichts mehr deutlich zu erkennen. Ballen trieben vor dem Winde fort, das Gepäck, das die Legionäre vorher an einem Speer über der Schulter getragen hatten. Die Späher rieben sich die Glieder, um sie trocken zu bekommen und sich anziehen zu können. Danach sagte Wikhart zu seinen Begleitern: „Wenn ihr auch auf diesem kahlen Fleck hier friert, müssen wir doch dableiben. Denn wir wollen sehen, was da draußen weiter geschieht. Holt aber etwas aus dem Ledersack! Nach dem Essen wird uns wärmer werden. Die Römer drüben haben sicher schon nichts mehr zu beißen, und wenn die Flut weiter steigt, erreicht das Wasser auch die Legionäre dort auf dem kleinen Hügel. Selbst wenn es sie nicht fortschwemmt, ist es furchtbar, Stunden über Stunden im Wasser zu stehen. Schließlich erlahmen die Kräfte und danach auch der Wille zum Widerstand.“ „Aber weshalb“, fragte Ursilo, „helfen die Schiffe den Legionären nicht? Dort draußen sieht man sie doch auf den Wellen tanzen.“ „Sie werden mit sich selbst zu tun haben. Es wäre unverantwortlich, im Sturm die Schiffe zu den schon halb im Wasser Stehenden zu bugsieren und auf Schlammbänken kentern zu lassen. Jetzt ist es zur Rettung zu spät. Aber die Sonne wird bald untergehen, graben wir hier lieber mit den Händen eine Wanne in den Sand, breit und lang genug für uns drei!“ Sie mußten eilig buddeln, denn der Sturm drohte, ihr Loch rasch wieder zuzuwehen. Dicht legten sie sich zusammen auf einen Umhang und deckten sich mit den beiden anderen zu. Nun hörten sie den Wind über sich wegziehen und das leise Singen des treibenden Sandes, der sich als immer schwerere Schicht über sie breitete, während gleichzeitig das Tageslicht verging. Am Morgen bot sich den Spähern ein trostloses Bild. Auf dem grauen trüben Wasser trieben keine Ballen mehr, und von den vielen Menschen, Wagen und Pferden war nichts mehr da. Nur auf dem höher gelegenen Fleck weit
draußen stand noch eine größere Gruppe Menschen, die sich am Tage zuvor dahin gerettet hatten. Später kamen bei abflauendem Winde die Schiffe heran und nahmen den Rest der zwei Legionen wieder auf. ANGST IN VETERA Herniu wurde von Milo geweckt. „Der Kaufmann Celsus wünscht dich dringend zu sprechen.“ „So früh am Morgen?“ Herniu kleidete sich rasch an und fand Celsus mit fahlem Gesicht im Empfangsraum. „Mein Hernius, es ist ein Händler von der Rheinmündung gekommen. Schreckliches ist geschehen. Zwei der Legionen des Germanicus sind im Meer untergegangen. Wie das geschehen konnte, wissen wir nicht. Vier weitere Legionen unter dem Kommando Caecinas wurden vor Tagen von der ganzen Macht des Arminius schwer bedrängt. Seitdem fehlt jede Nachricht von ihnen. Falls sie, wie seinerzeit Varus, vernichtet sind, werden die Germanen diesmal über den Rhein vorstoßen. Hier befindet sich nichts als eine schwache Wachtruppe. Wenn es zum Schlimmsten kommt, nimmst du mich dann in dein Haus auf und schützt mich? Wenn nur nicht Quintus bei dir wohnte! Kannst du ihn nicht loswerden? So ein Senatorensohn gefährdet doch uns alle!“ „Gern nehme ich dich auf, mein Celsus.“ Herniu klatschte in die Hände und befahl, Frühstück zu bringen, auch Quintus zu wecken. Gleich darauf erschien erregt der Kammersklave des Römers. „Mein Herr ist eilig fortgerufen worden. Der Festungskommandant will die Rheinbrücke abreißen lassen, damit die Germanen hier nicht einfallen.“ Ununterbrochen kamen neue Nachrichten. Römische Frauen reisten Hals über Kopf ab. Agrippina hatte sich an die Rheinbrücke tragen lassen und sagte drohend zu dem Festungskommandanten: „Falls Caecinas Legionen doch zurückkehren, trägst du die Schuld, wenn sie drüben von den Germanen niedergemacht werden, weil sie nicht über den Strom zurück können!“ Darauf befahl der Festungskommandant, die Brücke noch nicht abzureißen. Er zog aber alle verfügbaren Truppen an dieser Stelle zusammen. Auch die Schreiber, die zum Teil fett geworden waren, mußten sich mit Schild und Speeren schleppen und schwitzten vor Angst, denn über die Grausamkeit der Germanen und ihre Tapferkeit wurden entsetzliche Dinge erzählt. Was sollte man auch noch tun, wenn Germanicus mit acht Legionen nicht standhalten konnte? RÜCKKEHR DER LEGIONEN Zwei Tage später sprengte eine Reiterabteilung über die Brücke. Kurz darauf ließ der Festungskommandant auf allen Plätzen der Stadt verkünden: „Großer Sieg des Legaten Caecina über Arminius. Morgen rücken seine vier Legionen in die Stadt ein.“ Herniu war lähmend erschrocken. Erst als er neben Quintus den Einzug sah, wurde ihm wohler. Abgerissen und ausgehungert humpelten die Legionäre mehr, als daß sie marschierten. Hinter ihnen kamen ohne Ordnung Massen von Verwundeten, die einander stützten, in durchbluteten Verbänden, viele halb nackt. Am Schluß fuhren einige mit Schwerverwundeten überladene Wagen. Herniu wunderte sich über einen so kleinen Troß und blickte Quintus fragend an. Der Römer hatte ein betretenes Gesicht. An diesem Tage wurden die Legionäre in ihren Baracken festgehalten. Das machte die Stadtbevölkerung mißtrauisch. Viele Frauen drängten sich vor den Hütten, weil sie ihre Männer beim Vorbeimarsch nicht gesehen hatten, und verlangten Auskunft über sie. Von den Vorgesetzten ließ sich aber niemand sprechen. Erst am folgenden Tage besuchten die Legionäre ihre Freunde oder saßen in den Schenken und erzählten, daß auch sie wie Varus vernichtet worden wären, wenn die Germanen sie nicht voreilig in ihrem festen Lager angegriffen hätten. Ihre sonstige Ruhmredigkeit war wie weggeblasen. Das lag auch daran, daß sie allenthalben von Menschen angesprochen wurden, die schon den Tod eines Verwandten oder Bekannten befürchteten, die aber glaubten, sie müßten noch daran zweifeln, denn sie wollten sich das Schicksal günstig stimmen. Am selben Tage fuhr ein Schnellsegler vor dem frischen Winde den Rhein herauf und legte bei der Brücke an. Den aussteigenden Legionären war jedoch streng verboten, mehr zu sagen, als daß Germanicus wohlauf wäre und die Flotte in den nächsten Tagen einträfe. Diesen Abend kam Quintus bedrückt zum Nachtmahl und erzählte danach flüsternd von dem fast völligen
Untergang der im Wattenmeer ausgeladenen Legionen. „Ihr Rest hat weder Waffen noch Kleider, so daß Germanicus sie zunächst auf der Schiffsbauinsel halten will, damit die Städter nicht sehen, wie diese Meerfahrt ausgegangen ist. Die Feinde des Germanicus haben aber schon einiges über die entsetzlichen Verluste dieses Feldzuges ausgeplaudert. Sie stellen dabei die Frage: Wie konnte Germanicus so leichtfertig den Befehl zum Aussteigen zweier Legionen geben? Er hatte doch Friesen bei sich, und die müssen ihn gewarnt haben!“
Die Griechischen Briefe ERSATZSCHWIERIGKEITEN
G
ERMANICUS BEMÜHTE SICH,
bei den Legionen den schlechten Ausgang seines Feldzuges durch Leutseligkeit vergessen zu machen. Eins der Mittel dazu waren seine Besuche bei den Verwundeten. Quintus erzählte Herniu, wie es dabei zuging. Als der Thronfolger einmal etwas vor der Zeit ankam, sah er, wie die Abfallkübel, aus denen es entsetzlich stank, noch hinausgetragen wurden. Die Verwundeten allerdings lagen schon mit frischen Verbänden in einer Reihe auf Rohrmatten am Boden. An den Baracken mit den schwersten Fällen wurden Germanicus und seine Begleiter vorbeigeführt. In den Eingängen standen die Leichtverwundeten so dicht, daß man auch nicht einmal hineinblicken konnte. Der führende Arzt hielt eine Liste in der Hand und wies auf die Verwundeten, die ausgezeichnet werden sollten. Ihnen reichte Germanicus einen Metallkranz, den er aus einem bereitgehaltenen Kästchen nahm. Andere fragte er, wo sie verwundet worden wären und woher sie stammten. Auf ihre Antworten waren die Legionäre augenscheinlich vorbereitet worden, denn sie platzten die Worte heraus, und zwar so, daß jedesmal im Satz die Anrede „mein Caesar“ vorkam. Solange er bei den Kranken und Verwundeten war, zeigte er ein freundliches Gesicht. Seine heitere Miene aber schwand, sobald er das Lazarett verließ, denn er hatte Sorgen. Während er in seinen Berichten an den Kaiser stets das Wort Sieg einflocht, rechnete ihm Tiberius in seinen Antworten unerbittlich die Verluste vor. „Du zwingst mich, aus Italien, Gallien und Spanien Legionäre, Pferde, Waffen und Vorräte aller Art an den Rhein zu bringen, um eure sehr geschwächte Kampfkraft wiederherzustellen. Auch die Hilfsmittel des Reichs haben ihre Grenzen.“ Germanicus beriet sich mit Caecina. „Der Kaiser zögert, mir die Erlaubnis zu einem Feldzug im kommenden Jahre zu geben.“ Mit halb zugekniffenen Augen antwortete der Legat: „Ich könnte mir denken, mein Caesar, daß der Kaiser meint, dein militärischer Ehrgeiz wäre auch an einem schwächeren Gegner als Arminius zu befriedigen.“ Heftig erwiderte Germanicus: „Dieser Barbarenherzog kann aber besiegt werden! Weshalb gingen übrigens die zwei Legionen im Meer zugrunde? Weil wir nicht genügend Schiffe hatten. Wir brauchen tausend, und ich werde sie bauen lassen!“ „Woher willst du die Besatzungen nehmen, vor allem die Rudersklaven? So viele Verbrecher mit starken Muskeln gibt es gar nicht. Und wer bezahlt das alles? Der Kaiser tut es nicht.“ Germanicus berachtete seinen Stellvertreter mißtrauisch. Woher kannte er die Absichten des Tiberius so genau? Hatte er geheime Anweisungen? Hochmütig sagte er: „Ich werde die Mehrkosten aus eigenem Vermögen bezahlen. Wirst du, wie in diesem Jahre, die Arbeiten übernehmen?“ „Wenn du es befiehlst, mein Caesar?“ „Ich wünsche es, und ich gebe dir die Vollmacht, den wohl unvermeidlichen Druck auszuüben, um die Rudersklaven zusammenzubekommen.“ DIE BOTEN Quintus bat Herniu, noch fünf Sklaven in seinem Haus unterzubringen. „Mein Vater hat sie mir aus Rom gesandt.“ Wozu noch einmal fünf Diener? dachte Herniu. „Es wird nur etwas eng werden“, erwiderte er. „Besonders, mein Hernius, möchte ich dir meinen griechischen Sekretär vorstellen.“ Quintus berührte die Schulter eines schlanken, jungen Mannes, der Herniu fast höhnisch anlächelte. Noch am selben Tage diktierte Quintus auf griechisch einen Brief. Nach dem Schreiben schnürte der Sekretär die Täfelchen zusammen und ließ Wachs auf den Knoten tropfen; darauf drückte Quintus sein Siegel. Auch am folgenden Tage wurde ein solcher Brief abgefaßt. Herniu fühlte sich durch die zur Schau getragene Verachtung des Griechen verletzt und wollte eine Zeitlang von seinem Hause fernbleiben. „Morgen reisen wir“, sagte er zu Milo. Der blickte ihn sonderbar an. „Willst du dir nicht vorher die Pferde ansehen?“
Erschrocken fragte Herniu: „Was ist mit ihnen?“ „Komm und sieh selbst!“ Milo führte Herniu zu einem fremden Stall und ließ ihn hineinblicken. Darin standen vier Pferde von einer hochbeinigen Rasse. „Sie gehören Quintus“, flüsterte er und zog Herniu nun zu seinem eigenen Stall. „Nur hier können wir unbelauscht sprechen. Weißt du, Herniu, daß die neuen Sklaven keine Diener sind, wie man uns weismachen will? Jeden Tag verschwindet einer und kommt ein neuer. Die Kerle sind anmaßend, verlangen von uns bedient zu werden und halten sich ganz getrennt, übrigens auch von den Haussklaven des Quintus. Das müssen Boten sein.“ Auf dem Rückweg zu seinem Haus überlegte Herniu: Der Vater Cassius hat also seinem Sohn einen eigenen Botendienst eingerichtet, statt die Briefe durch die gewöhnlichen Kuriere zu senden. Außerdem sind sie in einer uns unverständlichen Sprache abgefaßt. Das kann nichts Harmloses sein. BEI ARMINS MUTTER Herniu traf Armin an der Weser nicht an. Aber in ihrer Winterhütte saß in einem römischen Lehnstuhl Armins Mutter, die Beine mit einem Fell bedeckt. Mit ihrem fast zahnlosen Mund sagte sie: „Ach Herniu, du bist ja ganz naß vom Nebel! Irmintrud, trockne ihn ab und bringe ihm einen gewärmten Umhang! - Du bist recht stattlich geworden, während es mit mir immer weiter bergab geht. Setze dich und höre die Klagen einer bekümmerten Mutter an! Welches Unglück hat der Ehrgeiz über uns gebracht! Segest lieferte seine eigene Tochter den Römern aus, als ob sie eine Mißratene wäre, und was trug es ihm ein? Daß er bei seinem Sohn Sigimunt in Ubierstadt leben muß, ohne jede Macht, nur bedient von einem Sklaven, der genauso knurrig ist wie er.“ Das wußte sie von Ursa, der Schwester Ursilos, die ihr darüber berichtet hatte. Weiter erzählte sie, daß in Segests Burg Sigigast, einer seiner Neffen, eingezogen war, ein mißmutiger Mensch, der sich mit Jagd und Würfelspiel schlecht genug unterhielt. Das Unglück dieser Familie konnte sie aber nicht trösten. Wiederholt hatte sie Armin gesagt, er sollte sich eine zweite Frau nehmen, denn wie konnte er Tursinhilda zurückgewinnen? Aber jede Andeutung davon machte ihn böse. Sie war ja auch die Frau für ihn, voll Feuer, dazu anmutig und klug. Nun war sein Herz verdüstert. Auf der Jagd, so sagte man, dachte er an anderes, und hätte er nicht den starken und treuen Olfo um sich gehabt, wer weiß, was ihm schon geschehen wäre! Stundenlang sprach er leise mit Asni. Kein Mensch wußte, worüber. Nun war er schon längere Zeit fort, und er sagte nicht einmal seiner Mutter, wohin er ging. Das Herz tat ihr weh, wenn sie seine Rastlosigkeit sah. Anders als früher, war er oft heftig und ungerecht, nicht nur gegen seinen Onkel Ingwiomär. Der freilich wurde auch immer unausstehlicher. Noch waren seine Wunden nicht richtig geheilt, und schon wollte er alles mögliche tun. Vor seiner ganzen Gefolgschaft sprach er abfällig über Armin und wollte nicht einsehen, daß er selbst die schwere Niederlage in den Baumbergen und auch seine Verwundung verschuldet hatte. Die Priester standen gegen ihn und auf Armins Seite, aber konnte sich nicht auch das einmal ändern? Gerade wenn Armin große Erfolge hatte und sein Einfluß noch mehr wuchs, konnten doch seine Feinde behaupten, er strebe nach einer Macht wie Marobod und der an seinem unsinnigen Ehrgeiz gescheiterte Segest! Das waren große Sorgen, die Armins Mutter das Herz bedrückten und über die sie freimütig mit Herniu sprach. Denn sie wußte, daß er ihrem Sohn mit Leib und Seele ergeben war. IN VETERA UND AN DER WESER Bei seiner Rückkehr zum Rhein fand Herniu Philodoros in freudiger Stimmung, denn Quintus wollte mit allen seinen Sklaven aufbrechen. Vor allem der griechische Sekretär hatte den hilflosen Flötenspieler wegen seiner Dümmlichkeit bei jeder Gelegenheit verspottet. Auch Herniu war es lieb, daß Quintus nach dem Hauptquartier des Germanicus zurückkehrte, denn die Geheimnisse des Senatorensohns und seiner Boten mißfielen ihm. Er erinnerte sich zu gut, wie seinerzeit bei dem Steuerpächter dem Geheimtun stets Scheußlichkeiten gefolgt waren, und die wollte er nicht in seinem Hause erleben. An Stelle des umgänglichen Germanicus war nun der schroffe Caecina die Hauptperson in Vetera und machte bald von sich reden, nicht nur wegen seiner Härte gegenüber den Legionären. Man erzählte sich, mit welchen Gewaltmitteln er sich Sklaven für seinen Schiffsbau auf der Rheininsel verschaffte, die er dann auf das grausamste antreiben ließ. Der oberste der Antreiber sollte ihm gesagt haben: „Bei dieser Behandlung sind die Menschen in einem Jahre tot!“
„Dann haben sie sich auch bezahlt gemacht, denn unterdessen sind die Schiffe fertig.“ Der Kleiderhändler gegenüber Hernius Haus raunte ihm zu: „Ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß Caecina selbst dieses schamlose Wort verbeiten läßt, damit wir alle genügend Angst vor ihm haben.“ Wiederholt reiste Herniu zur Weser, traf aber Armin kein einziges Mal. Auch den Blinden und die Gesandten der swebischen Stämme fand er weder im Frühling, noch als es auf den Sommer ging. Auch Milo wunderte sich darüber. „Armin kann doch nicht Monat für Monat nur seine Gefolgschaft besichtigen!“ „Forsche nicht danach, Milo! Wenn sie uns etwas nicht sagen wollen, wird das seinen Grund haben.“ DIE FLÜCHTLINGE Wieder einmal war der Friese Wikhart mit Ursilo auf einem weiten Spähgang, dieses Mal, um zu erfahren, wie weit die Römer mit dem Bau der tausend Schiffe wären. Dazu hatten sie einen älteren Brukterer mitgenommen, der die Moore und Wälder des vielgeteilten Unterrheins kannte. „Dort drüben liegt die Insel“, flüsterte der Brukterer. „Hört ihr den Baulärm? Bis in die Nacht müßt ihr euch hier verbergen, während ich in die Fischersiedlung gehe.“ „Nimm mich mit!“ sagte Wikhart. „Der Fischer schließt sich am leichtesten dem Fischer auf. Ich werde ihnen erzählen, wie im vorigen Jahr die zwei Legionen im Wattenmeer ertranken. Das wird sie fesseln, und dabei erfahren wir, wie sie zu den Römern stehen. Morgen in aller Frühe kann ich auch mit ihnen fischen gehen und dabei nahe an die Insel heranrudern. Ursilo versteht vom Schiffsbau nichts und erwartet uns hier!“ Ursilo blickte sich um. Ein Feuer durfte er sich für die Nacht nicht machen. Er fand aber in einer Bodenvertiefung eine dicke Schicht vom Wind zusammengewehten vorjährigen Laubes. Dahinein verkroch er sich und lag darin weich und warm. Ein Geräusch weckte ihn. Es mußte nach Mitternacht sein, denn der Mond stand nicht mehr am Himmel. Zwischen den Bäumen schimmerten auf der Insel Lichter. Man arbeitete bei Fackelschein. Was aber war das für ein Plätschern? Ruderschläge? Eher schwimmende Menschen. Ursilo rührte sich nicht. Selbst bei Tage hätte man ihn hier im Laube kaum entdeckt. Mehrere Menschen wateten ans Ufer, sammelten sich wenige Schritte von ihm entfernt und flüsterten miteinander in einer fremden Sprache. Dann sagte einer in einem Tonfall wie Olfo, also wohl ein Sugambrer: „Ob der ertrunken ist? Wir können uns aber seinetwegen nicht aufhalten.“ Wieder flüsterten sie. „Nur bei Armin“, gab der Sugambrer zurück, „finden wir Aufnahme.“ „Aber wer zeigt uns den Weg zu ihm?“ Nun war Ursilo alles klar, und er sagte aus seinem Blätterversteck heraus: „Wollt ihr mit ihm auch kämpfen?“ Augenscheinlich erschrocken, schwiegen sie, bis der Sugambrer antwortete: „Was sollen wir sonst als kämpfen? Nach deiner Sprache bist du ein Cherusker.“
„Ja, seid ihr vom Schiffsbau entkommen?“ „Erschlagen haben wir unsere Wächter und müssen schnell weiter.“ Aus Vorsicht fragte Ursilo noch: „Sind Römer unter euch?“ „Nur Germanen und Pannonier.“ „Gut, ich führe euch.“ Diese entlaufenen Schiffsbauer mußten Armin am genauesten sagen können, wie weit die Arbeiten gediehen waren. Zum Staunen der Flüchtlinge begann es im Laub zu rascheln, und vor ihnen stand - soviel war zu erkennen - ein hochgewachsener Mann mit Schild und Frame. „Du scheinst auch nicht zu deinem Vergnügen hier gesteckt zu haben“, sagte der Sugambrer. „Wartet noch einen Augenblick!“ Ursilo säbelte sich vom Kopf eine Haarsträhne ab, die er um einen Pfeil wickelte. Den legte er dort, wo er sich von Wikhart und dem Brukterer getrennt hatte, mit der Spitze nach Osten nieder. Davor zog er mit der Frame quer zwei Rinnen. Der Sugambrer hatte sich tief niedergebeugt. „Ihr seid also mehrere, und du zeigst ihnen an, daß du über zwei Flüsse nach Osten gehst. Das können nur die Ems und die Weser sein.“ Ohne darauf zu antworten, sagte Ursilo: „Nun aber fort!“ Er hatte so viel erkennen können, daß die Männer nackt waren und in den Händen Werkzeuge trugen. Rasch schritt er den Wildpfad entlang, den sie durch den Wald gekommen waren. Nach einer Weile sagte der Sugambrer: „Geh langsamer! Wir haben einen Verwundeten mit.“ „Wir müssen noch vor Tagesanbruch über eine breite Lichtung. Jenseits können wir uns Zeit nehmen.“ So hasteten sie weiter und traten aus dem Walde, als es anfing ein wenig heller zu werden. „Sputet euch, hier ist es gefährlich!“ Bald kreuzten sie einen ausgefahrenen Weg. Da hörten sie Pferdehufe, die im Trab näher kamen. „Verschwinden!“ flüsterte Ursilo. Er warf sich hinter den Rand eines Wasserlochs. Die anderen waren wohl im Schleichen und Spähen nicht so geübt und wurden beim Suchen von Deckungen etwas zu laut. Dann aber war im Morgendunst von ihnen nichts mehr zu sehen. Nur das Hufgeklapper hörte man. Ursilo schätzte die Näherkommenden auf etwa zehn Reiter. Er wartete, bis sie vorüber getrabt waren und sich nichts mehr hören ließ. Nun richtete er sich auf und röhrte wie ein Hirsch. Dabei rechnete er damit, daß die Legionäre nicht wußten, daß die Hirsche erst im Spätherbst röhren. Den entlaufenen Sklaven schien es aber sofort klar, was das Schreien bedeutete, denn sie tauchten im fahlen Dämmerlicht auf. Nun sah Ursilo, daß der Sugambrer ein breiter, ungewöhnlich muskelstarker Mann mit grauem Haar und Bart war, der im Gürtel um die nackten Hüften ein römisches Schwert und eine Axt trug. „Jetzt ist die Gefahr ziemlich vorbei“, sagte Ursilo. „Sobald uns der Wald drüben aufnimmt, essen wir auf, was ich bei mir trage. Wenn ihr noch genügend Kräfte habt, erreichen wir vor Abend eine Siedlung der Brukterer, bei denen man mich kennt und euch gastlich aufnehmen wird.“ „Du gefällst mir“, sprach der Sugambrer anerkennend, „für dein Alter kannst du etwas.“ DER GLADIATOR Armin zog ein bedenkliches Gesicht, als Wikhart allein zu ihm zurückkehrte und den Pfeil mit der darumgewickelten Locke zeigte. Was konnte geschehen sein, daß der zuverlässige Ursilo vorzeitig aufgebrochen und noch nicht eingetroffen war? Abends ertönten Rufe, und die Zusammengelaufenen sahen eine sonderbare Schar teils blonder, teils schwarzbärtiger Männer unter Ursilos Führung den Hügel heraufkommen. Am Ende stützten zwei einen Hinkenden. Nach Ursilos Bericht sagte Armin zu den Bausklaven: „Willkommen, ihr Tapferen! Das Mahl ist bereit. Jetzt eßt und dann erzählt, was euch herführt!“ Er nahm den grauhaarigen Sugambrer an der Hand und ließ ihn neben sich sitzen. Die Gäste bewiesen einen mächtigen Appetit. Einige waren auch recht abgemagert. Sie tranken reichlich Met. „Nun, Sugambrer, wie steht es mit dem Schiffsbau?“ „Das kann ich dir genau sagen, denn ich war Zimmermann.“ Er deutete auf seine Axt. „Im vorigen Jahre hatte sich
gezeigt, daß viele Schiffe zum Transport der Pferde und Wagen wenig taugten. Deshalb baut man dieses Jahr auch breitbäuchige Segelschiffe, die freilich tieferes Wasser brauchen. Für die Ballisten - das sind hölzerne Wurfgeschütze - richten sie breite, flache Kähne her, die dicht ans Ufer fahren und von denen man die schweren Maschinen auf ihren Rollen ans Land schieben kann.“ „Das ist mir neu“, erwiderte Armin. „Bisher verwendeten die Römer Ballisten zur Belagerung, jedenfalls nicht auf einem Feldzug in unserem fast wegelosen Land. Hast du auch die Geschosse gesehen?“ „Es sind Balben mit Eisenspitzen, die wie Pfeile verschossen werden. Außerdem haben die Römer Steinkugeln, die sie mit mächtigen Wurfarmen schleudern.“ „Hörst du das, Wikhart?“ sagte Armin. „Mit den schweren Geräten können die Legionen nicht schnell marschieren. Wir lassen sie in unser Land, aber den Rückweg wollen wir ihnen schwermachen, wie wir das immer taten!“ Olfo hatte den Sugambrer angestarrt und sagte in seiner langsamen Art: „Es ist viele Jahre her, und ich war noch ein Kind, als die Römer meinen Vater als Rudersklaven fortschleppten. Er hieß Ehinolf.“ Der Sugambrer fuhr herum. „Und mein Sohn hieß Olfo!“ Olfo stand auf. Er legte seine große Hand auf die seines Vaters, während ihm Tränen in die Augen traten. Auch Ehinolf war erschüttert und wischte dem Sohn die Tränen von den Backen. „So also siehst du aus?“ „Aber wie bist du von den Ruderern fortgekommen, Vater?“ „Wenn ich Ruderer gewesen wäre, lebte ich nicht mehr. Ein Händler kaufte mich als Gladiator. Du weißt, die Römer lassen zu ihrem Vergnügen Männer auf Leben und Tod kämpfen. Wenn ich in Capua oder Rom im Zirkus auftrat, mußte ich ein unerbittliches Vieh sein, um weiterzuleben. Denn wer nicht wirklich und gut kämpft, den lassen sie einfach totmachen. Lieb war mir das nicht.“ Schlicht sagte Olfo: „Ich habe in großen Schlachten gekämpft.“ Armin mischte sich ein: „Er kämpfte stets an meiner Seite und hat mich mehrmals herausgehauen.“ Der schwere Mann tastete plump nach dem Kopf seines Sohnes. „Armin, laß mich auf deiner anderen Seite stehen! Unter Peitschenhieben haben sie mir das Fechten beigebracht. Ich nehme es mit jedem Legionär auf.“ „So sei es!“ antwortete Armin. „Aber sage uns noch, wie du unter die Schiffsbauer gekommen bist!“ „Als mein Haar grau wurde, erließ Augustus gerade die Verordnung, daß nur zweimal im Jahr Gladiatorenkämpfe stattfinden sollten. Da wollte der Unternehmer uns Alte loswerden, denn die Zuschauer werden viel erregter, wenn die Kämpfer jung und hübsch sind. Gleichzeitig suchte der Legat Caecina nach Handwerkern für seinen Schiffsbau, und mich nahm der Aufkäufer wegen meiner Kräfte. Ich gab mir auch anfangs Mühe, die Zimmerarbeit zu erlernen, weil ich gedacht hatte, da würde mein Leben besser werden. Aber was glaubt ihr, wie wir gehetzt und geschlagen wurden! Es ist jedoch gefährlich, ehemaligen Gladiatoren Äxte in die Hand zu geben. Wir sagten uns, entweder verrecken wir, oder wir schlagen unsere Antreiber tot. Nun weißt du alles.“ „Und weshalb kamt ihr hierher, Ehinolf?“ „Zuerst wollten die Pannonier in ihre Heimat zurück. Wir sagten ihnen aber: Euer Land ist jetzt römische Provinz, man wird euch wieder einfangen. Bei Armin jedoch können wir gegen die Römer kämpfen und uns für das Unrecht rächen. Vielleicht schenkt uns Armin auch Frauen.“ „Aber Ehinolf! Hast du unsere Sitten so weit vergessen, daß du dir einbildest, ich verschenkte Frauen? Wer in meiner Gefolgschaft kämpft, ist einer von uns und kann sich eine Frau suchen. Ich will euch übrigens noch eins sagen: Im vorigen Jahr hat sich gezeigt, daß unsere Waffen im Kampfgewühl zu lang sind. Daher habe ich die römischen Spieße und Schwerter von den Schlachtfeldern auflesen lassen. Helft mir, meine Gefolgschaft im Gebrauch dieser Waffen auszubilden!“ Diesen Vorschlag nahmen die ehemaligen Gladiatoren gern an. UNTER VERDACHT Schon war es Sommer. Auf seiner neuen Reise zur Weser fand Herniu nur den Einarm vor, sonst niemanden von Armins Gefolgschaft. Wenn ihn das schon verwunderte, so noch mehr Einarms Worte: „Beeile dich aufzuladen und biege auf dem Rückweg weit nach Norden aus!“ Nach einer beschwerlichen Reise auf schlechten Wegen ließ sich Herniu auf einer Wagenfähre über den Rhein
setzen und zog nun gemächlich nach Vetera. Bei der Ankunft vor seinem Hause stürzten die Sklaven heraus, die Kinder voran, und überschütteten Milo mit dakischen Worten. Herniu war ärgerlich, daß ihm niemand sagte, was sie so sehr erregte. Noch bevor er es erfuhr, trat Celsus hastig ein. „Ich hatte große Sorge um dich!“ „Weshalb?“ „Hast du unterwegs nichts gesehen?“ „Ich zog diesmal weit nördlich, um Otterfelle einzukaufen. Aber sage doch endlich, mein Celsus: Was regt euch alle so auf?“ „Arminius hat überraschend längs der gesamten Straße an der Lippe die römischen Kastelle und die Festung Aliso angegriffen, und jetzt belagert er sie. Germanicus ist mit mehreren Legionen auf dem Wege hierher, um über den Rhein zu gehen und die Straße zu retten. Er soll sehr besorgt sein, weil der unerwartete Angriff seine Pläne durcheinanderbringt.“ Am nächsten Tage erschien Quintus wieder mit seinen Haussklaven, den verdächtigen Boten und dem unangenehmen griechischen Sekretär. Diesmal zeigte er sich kalt und unfreundlich. Herniu tat, als bemerkte er das nicht, ließ Felle bringen und schenkte dem Gast das schönste. Das versetzte den reichen Quintus in Verlegenheit, denn er fühlte sich Herniu auch ohne das wegen dessen Gastfreundschaft für verpflichtet. Milo lockte Herniu in den Pferdestall und eröffnete ihm, die Haussklaven hätten allerhand erzählt. „Auf seiner Reise verbrachte Quintus eine Nacht bei Sigimunt in Ubierstadt. Dabei sprach man auch über dich, Herniu, und der ehemalige Legionär Fabius sagte etwas, woraus Quintus schloß, daß du in Vetera das Auge und Ohr Armins bist. Daraufhin hat er seine Haussklaven gewarnt, sie sollten bei dir recht vorsichtig sein.“ Milo lachte. „So etwas Sklaven zu sagen! Sie tun doch gern das Gegenteil, und er tadelte sie auch noch, weil sie wegen der anmaßenden Boten und des hochmütigen Sekretärs besonders aufgebracht waren. Gerade deswegen haben sie sich nun uns gegenüber Luft gemacht. Aber Unverstand her und hin, du wirst vorsichtig sein müssen, Herniu.“ In dieser Nacht wälzte sich Herniu auf seinem Lager. Er hatte ein trockenes Gefühl im Munde, und dagegen nützte auch Trinken nichts. Was sollte er tun? Er konnte fliehen, aber würde Armin damit einverstanden sein? Konnte er vielleicht den Verdacht von sich abwälzen? Dazu mußte er jedes Wort, das er Quintus sagen wollte, genau überlegen. Er sprach sich innerlich die Sätze vor und auch die möglichen Erwiderungen. So dachte er angestrengt bis zur Dämmerung. Da wußte er, wie er es anfangen würde. Der Druck und die Trockenheit im Halse wichen, so daß er fest und ruhig bis in den späten Morgen hinein schlief. Die nächsten Tage brachten Vetera große Unruhe, denn sechs Legionen zogen durch die Stadt und über die Rheinbrücke nach der bedrängten Straße. Als dieser Trubel vorüber war, diktierte Quintus einen langen Brief und erschien am Abend heiterer. „Mein Quintus“, sagte Herniu, „erlaube, daß ich mit dir etwas Persönliches bespreche!“ Auf das interessierte Nicken des Gastes begann Herniu ihm den wohlüberlegten Schwindel vorzutragen: „Ich sagte dir einmal, daß ich die germanische Einfachheit liebe, aber inzwischen ist mir klargeworden, daß ich keine germanische Frau heiraten kann. Neulich sah ich eine als Herrin eines römisch geführten Haushalts. Man mußte sich für sie und ihren Mann schämen, und sie fühlte sich auch unglücklich. Mit einer germanischen Frau müßte ich mich in einer kleinen Siedlung niederlassen. Wie aber sollte ich von dort aus meinen Handel betreiben?“ Herniu hatte das so bieder vorgebracht, daß ihm Quintus glaubte. „Du fühlst dich in Germanien wie in Vetera einsam. Weißt du nicht, daß jeder einsam wird, der mehr Einkünfte hat, als er braucht?“ „Ich bin aber erst einsam geworden, als ich erkannte, daß ich mehr Römer als Germane bin.“ „Schade! Mir hatte gerade gefallen, daß du anders empfindest als wir.“ Dieses Gespräch sollte nur dazu dienen, Quintus später mehr über Hernius zunehmende Römerfreundschaft vorzuspiegeln. Dazu aber kam es nicht, denn Quintus ließ sich tagelang von niemandem als seinem Kammersklaven sehen und behauptete, sich nicht wohl zu fühlen. EINE ERSTAUNLICHE MITTEILUNG Zu Herniu kam ein Sklave des Kaufmanns Celsus. „Mein Herr bittet dich zu einer Besprechung wegen des künftigen Pelzhandels zu sich.“
War da ein Unglück geschehen? Mußte sich Celsus vom Handel zurückziehen? Der Kaufmann empfing ihn lächelnd. „Wundre dich nicht, daß ich dich mit einer so merkwürdigen Begründung einlud! Ich wollte verhindern, daß Quintus dich begleitet. Sage mal, seit wieviel Tagen hat er keinen Boten mehr fortgeschickt?“ Was steckte hinter dieser Frage? Schon mehrmals war in Herniu der Verdacht aufgestiegen, daß Celsus im Auftrage des Legaten Caecina handelte. Hatte Herniu aber hier etwas zu verbergen? „Ich glaube, seit drei Tagen.“ „Aha! Laß mich leise sprechen! Weißt du, daß der Kaiser seinen Neffen Germanicus durch Quintus überwachen läßt? Und Quintus scheint sich einzubilden, niemand merkte etwas davon. Ich habe nun von einem Gespräch erfahren, das Quintus mit Germanicus in Anwesenheit Caecinas hatte. Er warnte vor dir, mein Hernius. Caecina griff aber sofort ein und erklärte, während der Kämpfe des letzten Jahres hättest du dich kaum aus dem Hause bewegt und Boten weder empfangen noch abgeschickt. So war das Vorspiel. In der nächsten Nacht fingen Legionäre einen Boten des Quintus ab und überbrachten Germanicus ein Briefpaket. Darin soll allerhand gestanden haben, aber Germanicus ließ sich Quintus gegenüber nichts anmerken. Ich denke, auch du solltest so tun, als wüßtest du nichts.“ „Ich verstehe einiges nicht ganz“, erwiderte Herniu mit absichtlich übertriebenem Staunen, um noch mehr zu erfahren. „Ja, ja! Es wird besser sein, wenn ich dir den Hintergrund aufdecke. Wenn es nämlich Germanicus gelingt, Arminius völlig zu schlagen, so würde alles Land bis zur Weser oder bis zur Elbe römisch. Dann kämen die raffgierigen Steuerpächter, und mit unserem Fellhandel wäre es ziemlich vorbei.“ „Wenn du, mein Celsus, erlaubst, daß ich die Dinge beim Namen nenne, so liegt Caecina mehr an seinem Geschäftsgewinn als am Feldherrenruhm des Germanicus?“ „Da siehst du richtig. Caecina liebt den leutseligen Germanicus überhaupt nicht, du verstehst wohl, weshalb. Außerdem ist er an die sechzig Jahre alt und will sich vom beschwerlichen Kriegsdienst zurückziehen. In diesem Jahre verdient er wieder ein Vermögen am Bau der tausend Schiffe, und nun möchte er künftig von der Beteiligung an verschiedenen Handelsunternehmen ein müheloses Einkommen haben. - Er hat mir einmal ein offenes Wort gesagt: ,Wenn der junge Hernius dem Arminius Nachrichten zuträgt, ist mir das recht. Dadurch wird der Krieg verlängert, und es gibt weiter billige Gefangene, die man als teure Sklaven verkaufen kann, um so teurer, als Tiberius sonst keine Kriege führt.’ Das ist es, weshalb er für dich gesprochen hat. Vergiß aber nicht, mein Hernius, daß die Gnade eines solchen Mannes sehr leicht wanken kann, überdies wissen wir nicht, wie Germanicus denkt.“ DAS PFERD DES TOTEN Herniu wunderte sich nicht so sehr, daß ihn Quintus verdächtigt hatte, als darüber, daß er, Herniu, der sich gar nicht so wichtig vorkam, bis zur Spitze der römischen Verwaltung bekannt war. Das brachte ihm eine neue schlaflose Nacht, ohne daß er einen Ausweg aus dieser Gefahr sah. Gegen Abend des folgenden Tages teilte ihm Milo flüsternd mit: „Die Boten des Quintus haben ihre Unnahbarkeit aufgegeben, denn es ist etwas geschehen, was sie mit Angst erfüllt. Heute sahen sie auf der Straße das Pferd des Boten, der kürzlich fortgeritten ist. Ein fremder Sklave führte es. Sie fragten ihn, woher er es hätte, und da erfuhren sie, daß sein Herr es von einem Legionär gekauft hat. Nun raten sie hin und her, wo der Bote ist. Quintus können sie nicht fragen, weil er sich krank stellt.“ „Milo“, erwiderte Herniu leise, „sage allen meinen Dakern, sie sollen niemandem davon erzählen! Schlimmes ist geschehen, und ihr wißt, daß man Sklaven bei jeder Vernehmung foltert, weil sonst die Aussage nicht gilt. Sie sollen von nichts wissen!“ Milo blickte Herniu mit aufgerissenen Augen an. „So ernst ist es? Ich sage es den Dakern sofort.“ Beim Ausgehen glaubte Herniu zu bemerken, daß ihn mehrere Leute seltsam anstarrten. Der Kleiderhändler kam aus seinem Laden. „Mein Hernius, beehre mich mit deinem Besuch! Ich muß dich etwas fragen.“ Im Laden fuhr er flüsternd fort: „Ist schon etwas über den Mord geklärt?“ „Du sprichst in Rätseln.“ „Weißt du nicht, daß Fischer die Leiche eines der Sklaven des Quintus Cassius aus dem Rhein gezogen haben? Sie zeigt schwere Wunden am Kopf. Wer hatte ein Interesse daran, einen so unbedeutenden Menschen
umzubringen?“ „Das erste, was ich höre. Unangenehm für Quintus!“ Um nicht weiter ausgefragt zu werden, ging Herniu in sein Haus zurück. Der Anstifter zu diesem Mord war wohl Caecina, und das machte das Mitwissen besonders gefährlich. Als er das Haus betrat, sagte der Pförtner: „Im Hinterhof ist ein Gerichtsbeamter mit Liktoren, die ein Verbrechen aufklären sollen.“ Herniu fand seinen Empfangsraum leer, setzte sich hin und horchte. Er konnte aber nichts von den Verhandlungen verstehen. Nach einiger Zeit führte man den griechischen Sekretär und einen der Boten in Ketten fort. Mit ruhigen Bewegungen, aber sehr blaß, betrat Quintus bald danach den Empfangsraum: „Mein Hernius, es tut mir leid, daß ich dir eine solche Unruhe ins Haus bringe. Jemand hat einen meiner Sklaven ermordet, und der Verdacht ist auf die beiden gefallen, die man abführt. Das Schlimmste daran ist“, er senkte die Stimme, „daß mich besondere Umstände hindern, den sicher Unschuldigen zu helfen.“ Oh, Herniu wußte, was das für Umstände waren: die bei dem Ermordeten gefundenen griechischen Briefe, die Caecina wohl Germanicus in die Hand gespielt hatte. Quintus setzte sich, stand auf und setzte sich wieder. Schließlich erhob er sich rasch und schritt nach seiner Schlafnische. Es dauerte nicht lange, bis er wiederkam, in der Hand eine silberne Schale. Er versuchte zu lächeln und unbekümmert zu erscheinen. „Schon lange bin ich in deiner Schuld und bitte dich, diese Schale, eine gute griechische Arbeit, anzunehmen.“ Nach dieser in ihrer Höflichkeit formvollendeten Szene wußte keiner von beiden etwas zu sagen. Herniu stellte sich vor, daß die Verhafteten vielleicht schon gefoltert wurden, und ihn grauste. QUINTUS IN NOT An diesem Abend kam Quintus sehr niedergeschlagen nach Hause und setzte sich ruhelos in den Empfangsraum. In der Zwischenzeit hatte Milo allerhand erfahren und berichtete es in seinem harten Latein Herniu und Quintus: Vor den auf der Lippestraße vorrückenden Legionen hatte sich Armin überall im letzten Augenblick zurückgezogen. Eine Verfolgung gelang den Römern nicht, weil ein Dauerregen bald alle Seitenwege für die Wagen ungangbar machte. So marschierte Germanicus nur mit Mühe zum Schlachtfeld im Teutoburger Wald. Den im vorigen Jahr errichteten Altar für seinen Vater Drusus fand er zerstört. Er ließ ihn sogleich wiederherstellen und nach der Einsegnungsfeier umwandeln. Nun schanzten die Legionäre in dem noch anhaltenden Regen, um die Befestigungen an der Lippestraße zu verstärken. Alles das hörte sich Quintus an, ohne den Kopf zu heben. Diese Unaufmerksamkeit benutzte Milo und gab Herniu mit den Augen ein Zeichen, worauf der sich erhob und zu seiner Schlafnische ging. Dort sagte Milo leise: „Quintus hat dir wohl etwas verschwiegen. Bei der Festnahme des griechischen Sekretärs
fand man ein Wachstäfelchen mit noch nicht gelöschter Schrift, für das der Gerichtsbeamte großes Interesse zeigte.“ Um der Spannung in seinem Hause zu entgehen, besuchte Herniu den Kaufmann Celsus, und auch der hatte etwas erfahren: „Der verhaftete Sekretär soll unter der Folter einiges gestanden haben, was Quintus sehr belastet. Es genügt wohl, um den Cassier hier unmöglich zu machen. Agrippina hat es schon abgelehnt, ihn zu empfangen.“ „Was denkst du, mein Celsus, wird mit dem Sekretär geschehen? Er hat doch nur getan, was ihm befohlen war, und das ging wohl von Tiberius selbst aus.“ Erschrocken erwiderte Celsus: „Nenne den Namen des Mächtigen nicht wieder! Umschreibe ihn irgendwie! Wir alle sind von Spitzeln umgeben, und niemand nimmt an, daß man von dem Großen anderes als Schlechtes sagt. Eben weil er vielleicht dahintersteckt, ist die Gefahr für den Sekretär so groß. Damit das Volk vom Hintermann nichts erfährt, wird man den Griechen sicherlich im Gefängnis umbringen.“ Nach dem Abendessen saßen Herniu und Quintus einsilbig zusammen, bis sich der Römer aufrichtete. „Noch bevor Germanicus von seinem wenig erfolgreichen Vorstoß zurückkehrt, muß ich abreisen. Bei den Verbindungen meines Vaters könnte ich an den Hof des Kaisers gehen, aber vielleicht ist es meine halb griechische Erziehung, daß ich die Greuel nicht ertragen kann. Was aber soll ich tun? Bin ich ein Kind, dem es erlaubt ist, nur zu spielen? Soll ich lustig sein ohne Sinn? Der Erwachsene braucht Verantwortung, aber bei uns arbeiten nur die Sklaven, für die Reichen gilt die Arbeit als gemein. Weißt du, Herniu, daß Rom dadurch verfault? Und ich? Tag und Nacht denke ich darüber nach, wie ich es machen könnte, um nicht mit zu verfaulen. Das kann nur einer ertragen, der zu dumm ist, um seine Lage zu verstehen. So jung ich auch bin, ich führe mein Leben mit Überdruß!“ Mehr aus Höflichkeit antwortete Herniu: „Gibt es da keinen Ausweg?“ „Für dich ja. Es hat keinen Zweck, mir etwas vorzuspielen, so gut du das auch verstehst! Früher bin ich auf dich hereingefallen -du vielleicht auch auf mich! Obwohl ich dich hassen müßte, sehe ich jetzt, wo ich dich ganz begreife, daß du rein vor mir stehst. Und ich, der ich mich bemühte, gut zu sein - glaube mir das, darin war ich ehrlich - fand mich als Verräter. Weshalb aber? Weil ich zwanzigtausend Sklaven erben werde und den Entschluß nicht aufbringe, diesen Reichtum aufzugeben. Nun bin ich vom Glück ausgestoßen und muß mich selbst verachten!“ Er sprang auf, stürzte wie geistesabwesend eine Schale Wein hinunter und schritt nach seiner Schlafnische mit den Bewegungen völliger Verzweiflung.
Der schwere Herbst ALLERHAND VORBEREITUNGEN
M
IT DER ABREISE des Quintus zog im Hause äußerlich Frieden ein, und es drohte für Herniu keine unmittelbare
Gefahr mehr. Trotzdem blieb er in Unruhe. Sollte er doch einmal fliehen müssen, wäre Milo fähig, seinen Handel weiterzuführen? Zu Verhandlungen mit Celsus mußte Milo schreiben und auf römische Weise rechnen können. Herniu bewegte Milo deshalb, mit Wachstäfelchen und dem Rechenbrett die Bestände aufzunehmen. Da gab es römische Stahlmesser, Beile, Bronzewerkzeuge, Nähnadeln, Garn, Heilmittel gegen die Krätze oder Auszehrung. Milo sah auch den Vorteil des Aufschreibens ein, aber es wurde seiner Hand, die ans Beladen der Wagen und Anschirren der Pferde gewöhnt war, schwer, mit dem feinen römischen Griffel Linien in das Wachs zu ritzen. Anfangs drückte er beim Schreiben so auf, daß nachher das Löschen der Schrift durch Glattstreichen mit dem flachen Ende des Griffels unnötige Mühe machte. Doch besserte sich das später. Inzwischen wurde es in der Stadt laut. Truppen zogen durch. Den Rhein herab schwammen breite Kähne mit Mehlsäcken, Rauchfleisch und anderen Lebensmitteln, die an der Bauinsel auf die Schiffe umgeladen werden sollten. Gruppen nackter oder in Lumpen gekleideter Treidelsklaven schleppten die leeren Kähne an Seilen den Strom wieder aufwärts. Sie lehnten sich in die Gurte und wurden mit denselben Rufen angetrieben wie das Vieh beim Pflügen und mit denselben angespitzten Stöcken gestochen, so daß manche an ihrem Hinterteil Blut und Narben zeigten. Herniu vermied es, sich diese Quälerei anzusehen, und ging nur zum Rhein, als die weiter rheinaufwärts gebauten Ballisten vorüberschwammen, Balkengestelle auf Rollen, deren beide Arme in gedrehten Bündeln gespannter Seile steckten. Mit den Armen konnten sie große und schwere Pfeile schleudern. Hinter diesen Maschinen standen auf den Transportkähnen die Winden, mit denen man die Arme zum Schluß zurückziehen mußte. Die Menschen neben Herniu sprachen bewundernd von diesen Maschinen, denen Arminius bestimmt nichts entgegensetzen könnte. Der praktisch denkende Herniu aber fragte sich, wogegen diese Schießgeräte eingesetzt werden sollten. Ende Oktober waren alle Legionen abmarschiert, und vielleicht schwamm Germanicus mit seiner Flotte schon auf der Nordsee. Für Wochen war mit keinen wichtigen Nachrichten zu rechnen.
VOR DER SCHLACHT Germanicus marschierte mit seinen acht Legionen und vielen Hilfstruppen aus Gallien und den Niederlanden die Weser aufwärts. Er hielt sie dicht zusammen und ließ sie durch lange Wagenkolonnen mit Brot und allem Bedarf versorgen. Der Stab des Germanicus sah auf der anderen Seite der Weser Armins Scharen ziehen. Ein noch junger Senator wandte sich an Stertinius, den Führer der römischen Reiterei: „Diese Barbarenhaufen müßte man doch in einem kurzen Vorstoß zerschmettern können!“ Stertinius erwiderte, lächelnd über so viel Unerfahrenheit: „Mein Lucius, was du da drüben siehst, ist nicht alles. Denn der Barbarenherzog Arminius zieht sein Heer erst dann zusammen, wenn er sich uns zur Schlacht stellen will.“ „Aber wo wird das sein? Wir können uns doch nicht zu weit von unseren Verpflegungsschiffen entfernen.“ „Sobald wir über die Weser gehen, muß er kämpfen. Sonst kommen wir zu tief in sein Land hinein.“ „Und wann gehen wir über die Weser?“ „Es gibt auch Kriegsgeheimnisse, mein Lucius.“ Schon in den frühesten Morgenstunden rumpelte der Brückentroß nach vorn. Schwere Pferde zogen die Wagen mit den zugeschnittenen Balken, die dann am Ufer mit Tauen zu Böcken zusammengebunden und ins Wasser gesetzt wurden. Gleichzeitig lud man Bohlen als Brückenbelag ab. Zum Schutz der Brückenbauer mußte die Kavallerie durch den Fluß gehen. Dazu hatte Stertinius eine Furt erkunden lassen. Beim römischen Heer befand sich aber auch die berühmte batawische Reiterei, die von den Inseln der vielverzweigten Rheinmündung stammte und daher, Mann wie Roß, vorzüglich schwimmen konnte. Ihr Führer erbot sich, an einer besonders schwierigen Stelle die Weser zu durchschwimmen, an der Armin augenscheinlich keinen Angriff erwartete. Von einem Hügel aus beobachtete Germanicus, wie beide Teile seiner Reiterei, voneinander ziemlich weit entfernt, durch die Weser gingen. Stertinius tat das mit den römischen Reitern zwar langsam, aber nach allen Regeln vorsichtiger Kriegskunst. Die Batawer jedoch durchschwammen kühn den dort reißenden Fluß. Wider Erwarten sprengten ihnen Reiter Armins entgegen, die allerdings nicht lange standhielten. Sofort nahmen die Batawer die Verfolgung auf und näherten sich rasch einem größeren Waldstück. Von da her brachen plötzlich Armins zurückgehaltene Reiterei und auch Fußvolk hervor und kreisten die Verfolger ein. Germanicus sandte zwei Meldereiter zu Stertinius, er sollte den Batawern sofort Hilfe bringen. Als seine Reiter dort eintrafen, gelang es ihnen erst nach schwerem Kampf, den Rest der Batawer herauszuhauen. Ihr Führer war gefallen. Nach diesem für Germanicus schlimmen Anfang ging der Brückenbau ungestört vor sich, und am nächsten Morgen stand seine gesamte Heeresmacht auf dem anderen Weserufer. Armin hatte die Anführer der Stämme um sich versammelt und gab ihnen die letzte Anweisung zur Schlacht: „Blickt euch diese in drei Treffen hintereinander aufmarschierte römische Front an! Wie ich euch schon sagte, stellen wir uns hier nur scheinbar zur Schlacht. Sobald ein ernster Kampf beginnt, zieht ihr euch rasch in den Wald zurück. Nur wenn sich, wie gestern, Teile des römischen Heeres zu weit in ein unübersichtliches Gelände wagen, greifen wir sie an.“ Ingwiomär saß steif auf seinem hohen Pferde und hörte sich Armins Worte mit einer Miene an, die zu sagen schien: Was verstehst du, junger Mann, vom Kampf! Mißtrauisch sah ihm Armin nach, als er fortsprengte. BERATUNG BEI MAROBOD Der Markomannenherzog hatte sich an seine Empfangshalle einen Hof bauen lassen, der von einem überdeckten Gang mit Holzsäulen umgeben war. Dort pflegte er seine geheimen Besprechungen abzuhalten. Sein Berater, der grauhaarige, rasierte Morhart, meldete auf lateinisch: „Draußen steht der Hermundure, von dem ich dir berichtete. Er hatte es, aus Feindschaft gegen den Hermundurenfürsten Wibiliu, übernommen, am Feldzug Armins als angeblicher Freund teilzunehmen. Nun hat er über eine große Schlacht zu berichten.“ „Laß ihn herein!“
Der eintretende bärtige Mann hob auf römische Weise den Arm. Ohne seinen mündlichen Gruß abzuwarten, fragte Marobod sogleich: „Wie endete die Schlacht?“ „Armin erlitt eine schwere Niederlage. Trotz seiner Ermahnung, sich nicht in ernste Kämpfe einzulassen, griff sein Onkel Ingwiomär die Römer an. Nun ließen sich auch die übrigen nicht halten, stürzten vor und vernichteten das erste Treffen der Römer. Danach aber befanden sie sich den vier Legionen des zweiten Treffens gegenüber, während sich das dritte teilte und die zwölf Stämme von beiden Seiten angriff. Armin mußte sich nach hinten durchkämpfen und wurde dabei verwundet. Neben ihm fiel Liutiprant, der, wie du weißt, seinem Bruder, dem Hermundurenfürsten Wibiliu, dauernd in den Ohren lag, von dir, Marobod, abzufallen und mit seinem Volk zu Armin überzugehen.“ Mit schadenfrohem Lächeln sagte Marobod: „Da wird sich Armin endlich beugen und vielleicht seinen bösen Schwiegervater Segest als König der Cherusker anerkennen müssen. Hat er um Frieden gebeten?“ „Nein, Germanicus ist abgerückt.“ „Weshalb?“ „Bis zum Abend dieser Schlacht wußten wir nicht - aber Armin wußte es - daß die Semnonen unter Welfo, Wolfrits Sohn, und die Langobarden im Anmarsch waren.“ Marobod erblaßte und geriet in Wut. „Stämme meines Reichs haben es erneut gewagt, Armin zu Hilfe zu ziehen?“ „Sie kamen zur Schlacht zu spät, trafen aber auf Nachschubkolonnen der Legionen, hieben die Schutzabteilungen nieder und erbeuteten eine große Zahl Pferde und auch das Gepäck vieler Offiziere. Deshalb soll sich Germanicus entschlossen haben, erst einmal diesen unerwarteten Gegner abzuwehren. Ob aber die swebischen Stämme unter dem erfahrenen Führer Welfo so lange gewartet haben, bis die Legionen herankamen, bezweifle ich.“ Marobod sagte: „Hier endet wohl dein Bericht. Warte draußen!“ Als sie allein waren, fuhr Marobod auf lateinisch fort: „Ich weiß nicht, Morhart, ob ich mich freuen soll. Rom ist gefährlich und scheint zurückzugehen. Armin ist gefährlich und hat eine schwere Niederlage erlitten.“ „Die Lage ist ernst“, erwiderte Morhart. „Ich berichtete dir schon, daß Armin im beginnenden Sommer für lange Zeit verschwunden war. Nur erfuhr ich, daß er an der Elbe den alten Wolfrit, Welfos Vater, getroffen hat. Bei dieser in verdächtiger Weise geheimgehaltenen Zusammenkunft waren ein Langobarde, ferner der in der eben gemeldeten Schlacht gefallene Hermundure Liutiprant und ein gotischer Priester anwesend.“ „Etwa gar“, erwiderte Marobod höhnisch, „ein Abgesandter Katwaldas? Als ich ihn vor Jahren aus Bojuheim vertrieb und seine kurzlebige Herrschaft zerstörte, zeigte er wenig Kampfkraft.“ „Weil er sich keine Bundesgenossen geschaffen hatte. Aber wenn er im Bund mit den zwölf Stämmen steht? Auch er zieht zu Armin. Bedenke, Herzog, welches Bündnis sich da bildet und daß es auch dich bedroht!“ „Am liebsten würde ich die Semnonen und Langobarden noch in diesem Jahr für ihren Ungehorsam strafen, aber es ist dazu zu spät.“ „Willst du das Bündnis sprengen, das dich bedroht, so mußt du dich mit Rom zusammenschließen. Biete dem Kaiser an, daß du im nächsten Jahr zugleich mit Germanicus gegen Armin ziehen willst! Ihr zusammen seid unüberwindlich, und das würde auch die Semnonen und Langobarden zum Gehorsam zurückbringen.“ „Aber Rom stünde dann auch im Norden meines Reichs, nicht nur im Süden und Westen, und meine Politik besteht darin, keinen meiner Gegner zu mächtig werden zu lassen. Armin kommt jetzt erst auf seine volle Stärke. Warten wir ab, was er tut, und dann werden wir weiter sehen.“ BEI DER ABENDMAHLZEIT In den Nächten sahen die Römer die Lagerfeuer der Germanen oder wenigstens den roten Widerschein an den niedrig hängenden Wolken. Wenn sie aber bei Tage in dieser Richtung vorstießen, fanden sie nur Aschenhaufen und die Knochen der Mahlzeiten. Germanicus saß mißmutig mit seinen Unterführern vor dem großen Zelt beim Abendessen. Sklaven reichten auf silbernen Schüsseln Weißbrot und Schinken. Alles, auch der Wein, war auserlesen gut. Etwas abseits richteten andere Sklaven neue Speisen her, fuhren mit Lappen noch einmal über das Silber und sprachen leise miteinander, denn Boten warteten auf das Ende der Mahlzeit, da während des Essens nicht von dienstlichen Angelegenheiten gesprochen werden durfte. Nachdem Germanicus mit dem üblichen Trunk auf die Gesundheit des Kaisers den Tischzwang beendet hatte, erhob sich Caecina, um die Boten anzuhören. Es waren Nachrichten über kleinere Gefechte der Nachschubkolonnen
mit Räuberbanden, wie die Römer verächtlich die hervorbrechenden germanischen Kriegerabteilungen nannten. Eine Nachricht jedoch hörte er sich mit größerer Aufmerksamkeit an und überbrachte sie sogleich Germanicus: „Starke germanische Kräfte arbeiten nahe der Weser an einem mächtigen Hindernis. Die Stelle nennen sie Angriwarierwall, denn den Wall haben die Angriwarier vor Jahrzehnten errichtet, um die räuberischen Überfälle der Cherusker abzuwehren. Jetzt schanzen beide Stämme zusammen, erhöhen den Wall und haben sein Tor völlig verschlossen. Es dürfte klar sein, daß sich Arminius dort erneut zum Kampfe stellen will.“ „Und dort werde ich ihn schlagen!“ erwiderte Germanicus lebhaft. „Endlich ist es so weit!“ „Bedenkst du auch, daß der Durchbruch durch die Enge schwer sein wird und daß du damit nur den freien Rückzug erkämpfst? Deine Feinde werden diese Tatsache hervorkehren und es nur einen Rückzugssieg nennen.“ „Wäre es nicht schlimmer, kampflos zu den Schiffen zurückzukehren? Leider ist ja die Flotte zu spät fertig geworden, so daß wir zu sehr in den Herbst kämen, wenn wir noch weit ausholende Bewegungen machten.“ „Ob du am Angriwarierwall kämpfen willst, entscheidest du, mein Caesar“, erwiderte Caecina und zog sich zurück. Der spottlustige Reiterführer Stertinius trat zu dem wütenden Caecina. „Alle Achtung, mein Freund, vor deinem Mut. Du hast ja ziemlich offen bekannt, wie wenig dir an einem Siege liegt! Du fürchtest wohl, daß dir die Felle wegschwimmen?“ Diese Anspielung auf seinen Fellhandel ärgerte Caecina, und er erwiderte betont: „Es gibt auch einen Kaiser, und er liebt die germanischen Wälder nicht!“ „Das begreife ich, offen gestanden, nicht ganz, mein Caecina.“ „Die Bäume wachsen hier sehr hoch!“ Das faßte Stertinius als einen reichlich deutlichen Hohn auf den Ehrgeiz des Germanicus auf, da fuhr Caecina auch schon noch deutlicher fort: „Mit einem hohen Baum meine ich nicht dich, mein Freund Stertinius!“ Der Reiterführer hielt es für besser, diesen Hohn nicht zu beantworten, und dachte: Aha, es war nicht nur Quintus Cassius mit seinen Boten, durch den der Kaiser den Germanicus überwachen ließ. Auch du scheinst so ein Amt zu haben. Ob der Kaiser aber so weit geht, einen Mißerfolg dieses Feldzugs zu wünschen? VOR DEM ANGRIWARIERWALL Armin saß zu Pferde ohne Schild und Frame, die er wegen seiner Wunde noch nicht wieder tragen konnte. Er betrachtete zusammen mit Welfo, Wolfrits Sohn, den Wall, der sich, von gewaltigen Balkenlagen gehalten, bis zum Flusse zog, über die Bohlenbrustwehr sahen die Köpfe der Bogenschützen. „Armin, du willst also dein Heer im Winkel zum Wall aufstellen. Weshalb willst du überhaupt hier eine Schlacht schlagen?“ „Ich stelle dir die Gegenfrage, Welfo: Wird es Marobod im nächsten Jahre zulassen, daß ihr, Semnonen und Langobarden, mit uns kämpft?“ „Richtig, im nächsten Sommer hättest du weniger Krieger. Könntest du aber nicht, wie im vorigen Jahr, Caecina angreifen, wenn er sich von Germanicus getrennt hat?“ „Nach unseren Nachrichten hat er nichts unternommen, um den für ihn so gefährlichen Weg über die sogenannten Langen Brücken wieder zu benutzen. Er wird also weiter nördlich den weiteren, aber besseren Weg ziehen.“ „Auch das verstehe ich, und doch scheint mir unsere Stellung mit dem Sumpf im Rücken gefährlich.“ „Sie ist es. Darf ich aber Germanicus die Schwäche zeigen, daß er ohne schwere Schlacht abziehen kann? Und würden unsere Stämme das verstehen? Im Liede, das von dir, Welfo, und deinem Freunde Wodal handelt, preist man dich wegen eines Kampfes, der kaum eine Hoffnung auf Sieg hatte. Manchmal muß man zuschlagen, auch wenn man eine Niederlage befürchtet.“ Das war einleuchtend, und niemand begriff es besser als Welfo. DAS BALLISTENSCHIESSEN Von der Wallkrone sahen die dicht stehenden Pfeilschützen, wie die Römer seit dem frühen Morgen aus ihrem rechteckigen Lager die schweren Wurfgeschütze durch das Nordtor zogen und vor den Wall brachten, aber zu weit entfernt, um sie durch Pfeilschüsse zu erreichen. Aus einem anderen Tor marschierten geschlossene Truppen und
stellten sich zum Schutz der Maschinen zwischen sie und die Schlachtordnung der Germanen. Es dauerte Stunden, bis die Ballisten aufgestellt waren und der erste Bolzen von Halbmannslänge gegen den Wall flog. Er prallte neben dem versperrten Tor gegen die Balken und fiel zu Boden. Man wendete die Maschine ein wenig und packte Steine vorn darunter, damit sie höher schießen konnte. Nun sandten auch andere Geschütze ihre Bolzen, ohne eine gefährliche Stelle zu treffen. Einer der Bolzen sauste über die Köpfe weg hinter den Wall, wo Pferde standen, die scheuten und auseinanderstoben.
Der nächste Bolzen aber traf die starke Schulterwehr über dem Tor. Die Absicht der Römer war wohl, von dort die Bogenschützen zu vertreiben. Immer mehr Bolzen sausten mit ihren breiten Eisenspitzen gegen die Schulterwehr, während die gegen Armin aufmarschierten Legionen noch immer stillstanden und dem Schauspiel zusahen. Erst nach einiger Zeit gelang es einem der Riesenpfeile, die Schulterwehr an einer Stelle auseinanderzuschießen, so daß die Germanen dort zur Seite wichen. Die Römer arbeiteten schwer an den Winden, um die Wurfarme der Ballisten zurückzuziehen und die Geschosse aufzulegen. Sie wurden von den Offizieren angeschrien, schneller zu arbeiten, denn nun erst mußten die Riesenschleudern gegen das Tor gebracht werden. Der Erfolg dieses Tages hing davon ab, daß man vor Anbruch der Nacht den Wall erstürmte. Den Schleudermaschinen voraus rannten Legionäre mit übermannshohen Schilden, die sie als Schutzwand für die Schleuderbedienung gebrauchten. Hinter diese künstliche Wand zog man mühsam die einarmigen Schleudern und trug die schweren Steinkugeln herbei. Die ersten, die von germanischen Pfeilen getroffen wurden, waren die Kugelschlepper. Aber auch auf der Wallkrone richteten die Bolzen Unheil an. Einen Bogenschützen riß einer über die Krone, so daß er jenseits in die Tiefe stürzte. Tuben schmetterten. Die Legionen begannen sich gegen Armins Schlachtfront vorzubewegen. Dort hob man die Schilde, schrie in sie hinein und stürmte den Römern entgegen. Von beiden Seiten surrten die geworfenen Speere. Darauf trafen die Kämpfenden hart aufeinander. Körper prallte an Körper, und jeder versuchte, in der Pressung mit dem hochgereckten rechten Arm in den Gegner hineinzustechen. Weiter entfernt, brausten die Reiter aufeinander los, so daß auch dort bald jede Ordnung verlorenging und ein wahlloses Metzeln begann. IM ZELT Armin erwachte nur langsam und hörte streitende Stimmen. Er lag in einem römischen Zelt, in dem ein Öllämpchen brannte. „Ich“, sagte Welfo scharf, „soll mich dir fügen, der du schon dreimal durch unbedachtes Vorstürmen gut stehende
Schlachten in Niederlagen verwandelt hast?“ Heftig erwiderte Ingwiomär: „Du bist ein Fremder unter uns, Welfo, ich aber bin der Onkel des Herzogs!“ „Hüte dich, daß du nicht zum zweiten Mal Bundesgenossen beleidigst!“ Armin versuchte, den Kopf zu ihnen zu wenden. Es bereitete ihm aber solchen Schmerz, daß er nur leise fragte: „Was ist geschehen?“ Welfo antwortete: „Als du durch die neue Verwundung das Bewußtsein verlorst, übernahm ich die Leitung der Schlacht, weil ich mich neben dir befand. Jetzt haben sich die Römer nach Erstürmung des Walls ein Lager dahinter geschanzt und werden wohl morgen abziehen. Der Streit zwischen uns geht darum, daß wir Sweben uns weigern, Germanicus zu verfolgen, weil unsere Verluste zu schwer sind. Und eine Verfolgung würde bedeuten, unsere Verwundeten ohne Hilfe umkommen zu lassen.“ „Wir erlitten also eine Niederlage?“ „Ja, Armin, eine schwere. Aber Germanicus kann seinen Sieg nicht ausnutzen und uns in die Wälder verfolgen. Außerdem trafen endlich die Goten ein. Sie erstürmten das von den Römern noch nicht völlig geräumte gestrige Lager und machten eine große Beute. Du, Armin, befindest dich in einem der eroberten Zelte.“ Ingwiomär fuhr mit den Worten dazwischen: „Neffe, was soll jetzt das Geschwätz? Wir müssen handeln, die Römer verfolgen!“ Armin erwiderte: „Ich glaube an Welfos Erfahrung und bestimme, daß unser Heer als Ganzes die Legionen nicht verfolgt. Es steht jedoch allen Stämmen frei, den Römern im kleinen Krieg Verluste beizubringen.“ „So?“ sagte Ingwiomär wütend. „Ich habe in deinen Augen keine Erfahrung? Künftig wirst du auf mich verzichten müssen. Längst habe ich es satt, unter dir, Römling, zu kämpfen!“ Der starke Ehinolf, der seit seiner Befreiung stets bei Armin war und dessen Anwesenheit dieser erst jetzt bemerkte, sagte drohend: „Du, Ingwiomär, beschimpfst Armin, der mit Verstand die Römer bekämpft. Dich zerfrißt der Ehrgeiz!“ „Das geht dir nicht gut aus, Ehinolf! Komm vor das Zelt!“ Ehinolf lachte. „Mit mir, einem alten Gladiatoren, willst du dich im Einzelkampf messen? Ich will dich nicht kalt umbringen, und deshalb verweigere ich den Kampf.“ „Da sieh, welches Gezücht du dir herangezogen hast, Armin!“ schrie Ingwiomär. „Ich verlasse dich mit meinen Kriegern noch heute!“ Damit stampfte er hinaus in die Nacht. „Welfo“, bat Armin, „suche Asni! Die Priester müssen verhindern, daß mehr Krieger abrücken als die Gefolgschaft meines Oheims.“ Welfo wollte sofort hinauseilen, doch sagte er zuvor lachend: „Diese Hitzköpfe tun immer das Dümmste. Glaubst du wirklich, Armin, daß Ingwiomär nach einer solchen Schlacht und jetzt im Dunkeln viele Krieger dazu bringen wird, wegen eines persönlichen Streits abzurücken?“ „Ach, Armin!“ fügte Ehinolfs gutmütige Stimme hinzu. „Ich freue mich, daß Ingwiomär mit dir gebrochen hat. Er war stets eine Gefahr. - Aber sieh dir an, wie sie mein Söhnchen Olfo zugerichtet haben! Er war es, der dich aus dem Getümmel trug, als du ohne Bewußtsein dalagst. Schwer war das für ihn, und ich versuchte, die andrängenden Legionäre von euch beiden fernzuhalten. Aber ich konnte nicht verhindern, daß ihm einer den Mund aufschlitzte. Nun muß ich ihn füttern wie ein kleines Kind, den großen Klotz! Schöner wird er nicht werden, aber ich denke, die Frauen sehen nicht so sehr auf das Maul als auf seine starken Glieder. Meinen Sohn, der heute nicht sprechen kann, habe ich mir gerade so gewünscht, wie er ist, unerschrocken und tapfer. -Doch was ist mit dir, Armin?“ „Laß ihn in Ruhe“, sagte Welfo, „kein Wunder, daß er eine neue Ohnmacht bekommt, wenn sein Onkel hier vor ihm herumschreit! Wenn nur nicht so viel noch draußen ohne Pflege lägen!“ SEENOT Bei der Abfahrt der Flotte ereignete sich allerlei Unliebsames. Die friesischen Lotsen hatten sich einen Krug unverdünnten Weins verschafft und sich so betrunken, daß sie die wüstesten Reden führten. Zwar verstanden die meisten Legionäre wenig Germanisch, aber ein Übersetzer hinterbrachte Germanicus, die Friesen hätten gesagt, Rom siegte in Germanien anfangs immer, hinterher aber ginge es schlecht aus. Sie wüßten schon, wie Armin den Legionen ein Bein stellen würde.
Bei dem Versuch, die Lotsen auszufragen, was sie über Armins Pläne wüßten, antworteten sie, selbst auf das stärkste Rütteln, nur mit einem Grunzen. Jedenfalls wollte Germanicus nicht länger mit der Abfahrt zögern, und zunächst ging auch ohne die Hilfe der Lotsen alles gut, weil das Wasser in der Flußmündung gerade sank und die Strömung die Schiffe dem Meere zu mitnahm. Sie waren aber in eines der seichten Fahrwasser geraten, und bald saßen die Schiffe mit größerem Tiefgang fest. Das zwang Germanicus, die nächste Flut abzuwarten. Während dieser Stunden wurden die Friesen wieder einigermaßen vernehmungsfähig. Sie leugneten, irgend etwas zu wissen. Vielleicht waren ihre Reden wirklich nur Prahlereien gewesen. Weil die Legionäre sie aber so grob angefaßt hatten, verweigerten sie nun weitere Lotsendienste. Die in diesen schwierigen Gewässern unerfahrenen Römer mußten verhandeln und verloren so weitere Zeit. Erst nach der Einigung sahen die Lotsen nach dem Himmel. „Das gibt Sturm“, sagten sie warnend. „Wenn euch euer Leben lieb ist, fahren wir wieder zu dem geschützten Ankerplatz stromaufwärts.“ Germanicus, dem man das mitteilte, sagte unwillig: „Dieses friesische Gesindel ist sicher heimlich mit Arminius im Bunde, und am Ankerplatz wird uns eine Überraschung erwarten, wie wir sie von den Germanen kennen. Wir fahren ins Meer!“ Erneut warnten die Lotsen. Einer fiel sogar vor einem Offizier auf die Knie und beschwor ihn, nicht den Wahnsinn zu begehen, mit zum Teil wenig seetüchtigen Schiffen in einen Sturm hinauszufahren. Germanicus mißtraute aber den Friesen so ernstlich, daß er bei seinem Befehl blieb. Die Lotsen faßten kopfschüttelnd die Steuerruder. Beim Vorüberfahren nahe dem Ufer sprang einer ins Wasser. Man schrie nach Bogenschützen. Weil aber die Bögen wegen der starken Luftfeuchtigkeit entspannt waren, dauerte es bis zum Abschießen des Pfeiles so lange, daß der Mann unterdessen außer Reichweite war. Nun ließ Germanicus neben jeden Lotsen zwei bewaffnete Legionäre stellen. Diese Wächter konnten bald ihren Dienst nur noch schwer versehen, denn beim Schwanken der Schiffe im zunehmenden Winde mußten sich die Legionäre bald hier, bald dort festhalten, wobei die Waffen sie behinderten. Andere wurden seekrank, hingen über die Bordwand und spien in die aufgewühlte See. Auf einem der flachen Transportkähne war eine der Ballisten nicht fest genug vertäut und rollte mit ihrem ganzen Gewicht hin und her. Alle Mann mußten zugreifen, um sie wieder festzumachen. Bei einem besonders starken Schwanken durchbrach sie einen Teil der Wand, so daß Wasser eindrang. Nun rollte die Maschine zwar zurück, aber bei der nächsten Neigung durchstieß sie vollends die Schiffswand und stürzte ins Meer. Dadurch wurde der Kahn wenigstens leichter, aber er füllte sich auch weiter mit Wasser. Auf anderen Schiffen wartete man nicht erst solche Katastrophen ab, sondern kippte auf Befehl der Offiziere die schwersten Lasten in die Wellen. Ihnen folgten leichtere, selbst Waffen und Gepäck. Auf dem Schiff des Germanicus bat der Lotse um starke Männer, die ihm helfen mußten, das breite Steuerruder zu halten. Nur mit Mühe gelang das. Bei einem besonders heftigen Wogenanprall stürzten die Männer plötzlich hin. Sie hielten nur noch das obere Ende des Steuerruders in den Händen, das untere war abgebrochen. Nun trieb das Schiff des Feldherrn steuerlos, wohin Wind und Wellen mochten. So kam die Nacht heran. Was für eine Nacht! Nur das nächste war zu erkennen. Germanicus lag seekrank in seiner Kabine. Wo sich die übrige Flotte befand, wußte er nicht, und es war sinnlos geworden, irgend etwas zu befehlen. Als endlich der Morgen grau heraufzog, schien der Sturm noch zugenommen zu haben. In der Ferne sahen sie ab und zu etwas aus Wellentälern auftauchen, Gepäckstücke oder Schiffstrümmer. Der Lotse kam zu Germanicus gestürzt und überfiel ihn mit einer Flut von germanischen Worten. Der Übersetzer hockte mit grünem Gesicht vor dem Feldherrn, denn wer konnte auf dem schwankenden Schiff stehen? In seinem Elend übersetzte er schlecht. Klar wurde nur, das Schiff trieb auf eine Insel zu. Zu retten war es nicht. Der Friese schrie: „Zieht alles aus, was schwer ist und euch beim Schwimmen behindert, und versucht, auf die Insel zu gelangen!“ In der Unordnung dachte man nicht rechtzeitig daran, die Rudersklaven unter Deck von ihren Ketten zu befreien. Ein Legionär war auf die Knie gesunken, hatte die Hände erhoben und versprach dem Gott Mithra ein -. Mitten in seinem Gelübde warf ihn ein heftiger Stoß auf die Seite. Das Schiff war auf Grund gelaufen.
VORLÄUFIGE RETTUNG Germanicus und ein Teil der Besatzung waren von dem hart hin- und hergeworfenen Schiff ins Wasser gesprungen. Niemand dachte mehr an die Ruderer, denn alle kämpften um ihr Leben. Die Wellen rissen sie um, rollten über sie weg. Immer wenn sie sich aufrichteten und versuchten, Luft zu schnappen, wurden sie erneut eingetaucht und bekamen Salzwasser in Nase und Mund. Germanicus wurde von jemandem gestützt, aber wer das war, konnte er in seiner Hilflosigkeit nicht feststellen. Die andrängenden Wassermassen warfen ihn in immer neuen Stößen vorwärts, bis es seichter wurde und er sich für Augenblicke umsehen konnte. Der Mann neben ihm war der Legat Publius Vitellius, den er im vorigen Jahr mit zwei Legionen ins Wattenmeer geschickt und der sich mit knapper Not gerettet hatte. Noch immer zogen Wellen ihnen die Beine weg, hoben sie hoch, aber trieben sie doch dem Strande rasch näher, auf dem sie fast besinnungslos ankamen. Schaumfetzen wehten an ihnen vorbei. Als sie stehenblieben, um wieder richtig atmen zu können, begannen sie vor Erschöpfung und umpeitscht von ihren durchnäßten Unterkleidern zu zittern. Also weiter! Hinter einer Düne sanken sie nieder. Vom Dünenkamm zog unaufhörlich eine dünne Sandfahne und zwang sie, die Augen zu schließen. So fiel es ihnen schwer festzustellen, wer sich sonst gerettet hatte. Es konnten nicht viele sein, jedenfalls keiner der Rudersklaven.
Jemand wickelte Germanicus ein freilich völlig nasses Tuch um den Kopf, das ihm Augen und Nase vor dem Sand schützte. Allmählich erholte er sich so weit, daß er seine Lage überdenken konnte. „Mein Vitellius“, sprach er verzweifelt durch sein Tuch, „hier bleibt mir nichts weiter übrig, als mich zur Sühne für den Untergang der Flotte ins Meer zu stürzen!“ „Was sagst du?“ schrie Vitellius zurück, denn der Sturm trieb den Schall ab. Die Wiederholung des Sühneangebots gelang Germanicus nicht. Er schämte sich der großen Heldenworte hier, wo er einfach erbärmlich fror. So sagte er nur trocken, er wollte sich ins Meer stürzen. Vitellius schrie: „Die Insel ist flach! - Du findest keinen Felsen, dich hinabzustürzen. - Es würde auch niemand zusehen.“ Bitter schwieg Germanicus. Nicht einmal ein glorreicher Untergang blieb ihm. HERNIUS SCHRECKEN Als Herniu die Nachricht von Armins Niederlage bei Idistawiso erfuhr, war er nicht sehr bekümmert gewesen. Der Feldzug gegen eine solche Übermacht konnte nicht anders beginnen. Als aber die Nachricht von der furchtbaren Metzelei unter den Germanen am Angriwarierwall kam und er hörte, daß Armin schwer verwundet und Ingwiomär mit seiner Gefolgschaft abgerückt war, erschrak er so, daß ihn die Daker und Philodoros mehrmals ermahnen mußten, überhaupt etwas zu essen. Was nun? dachte er immer wieder und murmelte es vor sich hin, wenn niemand in seiner Nähe war. Milo hielt es trotzdem für nötig, etwas zu melden, was Herniu noch weiter bekümmern mußte: „Die vier Legionen Caecinas sind zu Lande, diesmal unbehelligt und im besten Zustande zurückgekehrt. Sie sitzen in den Schenken und
prahlen mit ihren zwei Siegen über Armin.“ Wenige Stunden später änderte sich alles. Milo stürzte herein und rief: „Herniu, welche Nachricht! Fast die gesamte Flotte, tausend Schiffe, ist untergegangen. Von Germanicus fehlt jede Nachricht.“ Herniu hob den Kopf, Licht kam in seine Augen: „Sage deinen Dakern - das heißt nicht jetzt! Die Römer sollen unsere Freude nicht bemerken, aber später, da feiern wir ein Fest! Denkt euch selbst aus, weshalb! Für einen eurer Götter vielleicht. Spart nicht, ich zahle alles!“ AUF DER INSEL Am Morgen hob Germanicus den Kopf. Er lag eng zwischen zwei Herren seines Gefolges. Der Sturm pfiff mit unverminderter Kraft. Weshalb konnte er die Augen nicht öffnen? Er tastete nach den Lidern und fand sie fest zusammengeklebt. Vorsichtig löste er die Körner ab, die sich am Rande gebildet hatten, blinzelte, aber mußte die Augen vor dem prickelnden Sand sofort wieder schließen. Außer dem Hunger quälte ihn brennender Durst, denn auf der Insel gab es keinen Brunnen. Seine Selbstmordgedanken waren dem Trieb gewichen zu überleben. Wie wollte er die belohnen, die ihn von hier retteten! Ein paar Krüge mit Wein und auch einer mit Trinkwasser waren ausgetrunken. Er hatte darauf bestanden, daß dieses wertvolle Gut gleichmäßig verteilt und sparsam ausgegeben würde, aber trotzdem hatte er mehr erhalten als die anderen. Den Sklaven hatte man nichts gegeben. Nun lagen einige im Fieber mit raschem Pulsschlag im Sand. Plötzlich richtete sich einer auf und schrie: „Dort ist ja Wasser!“ Mehrere sprangen auf und blickten in die angegebene Richtung. Aber da war nichts. Längst hatten sie die Insel abgesucht und nichts gefunden als Sanddünen und ein paar harte Halme, die beim Kauen nicht einmal das Gefühl von Feuchtigkeit gaben. Immer mehr von den Schiffbrüchigen begannen zu phantasieren. Sie sahen auf einmal Apfelsinenhaine, wo über bemooste Steine Bäche rieselten, in Wirklichkeit aber gab es nichts hier als Sand, und kein Schiff oder Boot konnte zur Rettung herankommen, solange der Sturm anhielt. FLUCHT AUS VETERA Eilig trat der Kaufmann Celsus bei Herniu ein. „Mach dich fertig! Gefahr! - Aber zuerst mußt du wissen, was geschehen ist. Germanicus ist gerettet, doch in welchem Zustand! Sein Gesicht soll dick geschwollen sein, die Augen sind entzündet. Vor allem befindet er sich in sehr gereizter Stimmung. Das kommt mit von den Forderungen der Friesen, die ihn und andere Schiffbrüchige von den Inseln auflasen. Obwohl die Römer halb verhungert und verdurstet waren, zögerten die Friesen damit, sie zum Lande zu rudern, bevor ihnen nicht einiges versprochen wäre. Es handelte sich dabei nicht um das, was die Schiffbrüchigen bei sich trugen, denn sie hatten nichts mehr, sondern um das Recht auf das gesamte angeschwemmte Strandgut, Gepäck, Kleider, Schiffsteile. Germanicus mußte ihnen das feierlich zusichern und ihnen noch dazu eine Summe für jeden Geretteten versprechen. Dieses Versprechen wurde ihm zwar abgepreßt, er muß es aber einlösen, weil er die friesischen Lotsen für das nächste Jahr wieder braucht. Denn er will mit einer neuen Flotte und neu ausgehobenen Legionen die Germanen endgültig besiegen. Obwohl das den Kaiser unglaubliche Gelder kosten würde, ist er von einer wütenden Entschlossenheit und droht, jeden zu vernichten, der ihn daran zu hindern suche. In dieser wilden Stimmung hat er von Geschäftemachern gesprochen, die ihre Hand schützend über germanische Spione halten. Damit muß er Caecina und dich gemeint haben. Nun weißt du, weshalb du sofort verschwinden mußt.“ Noch in dieser Nacht ritt Herniu auf seinem guten Hengst nach einer abgelegenen Fähre. Er setzte über den Rhein, froh, Germanicus entkommen zu sein, aber auch bange, wie er den schwer verwundeten Armin treffen würde.
Marobod gegen Armin AUF LIVIAS EMPFANG
D
ER EINZIGE MENSCH,
den Tiberius achtete, war seine Mutter Livia. So erschien er auch pünktlich zu dem ersten Empfang, den sie in diesem Herbst in ihrem Haus auf dem palatinischen Hügel gab. Nach der wenig persönlichen Begrüßung ihrer Gäste schritt sie mit ihm in den anliegenden Saal, in dem hinter Tischen mit kaltem Fleisch, Gepäck und Süßigkeiten Sklaven zum Bedienen bereit standen. Der Haushofmeister trat mit zwei Weinschalen auf Livia und den Kaiser zu und reichte sie ihnen. Livia kehrte ihren Gästen den Rücken zu, so daß sie verstehen mußten, jetzt durften sie nicht herantreten. „Mir hat Germanicus geschrieben“, sagte sie zu Tiberius. „Er schreibt reichlich viel Briefe!“ „Diesmal bittet er mich, meinen Einfluß bei dir geltend zu machen, daß du den Feldzug gegen Arminius im kommenden Jahre genehmigst.“ „Der junge Mann versteht zwar zu siegen, aber dabei jedes Mal mehrere Legionen mit ihrer Ausrüstung zu verspielen. Caecina schrieb mir, er könnte es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, an Feldzügen teilzunehmen, die er als Niederlagen betrachtet, und bittet um seine Entlassung wegen fortgeschrittenen Alters.“ Livia lächelte. „Wenn Caecina von Gewissen spricht, steckt stets etwas anderes dahinter. Ich habe Angaben darüber, wie er sich an den von ihm verurteilten Feldzügen bereicherte.“ „Mir ist das bekannt. Weshalb aber sprichst du für einen neuen Feldzug, Mutter? Er würde uns zuviel kosten.“ „Ich spreche nicht dafür, im Gegenteil. Wenn du aber den Feldzug ablehnst, solltest du Germanicus vom Rhein abberufen, denn er ist auf gefährliche Weise in seine Kriegspläne vernarrt.“ „Ich liebe ihn nicht in Rom.“ „Kennst du nur grobe Methoden, Tiberius? Wenn ich jemanden besonders wenig mag, so bin ich unerträglich liebenswürdig zu ihm. Das hält keiner auf die Dauer aus. Er wird mißtrauisch, und man beneidet ihn. Daher kann man ihn dann leicht beiseite schieben.“ „Wie meinst du das im Falle des Germanicus?“ „Du gewährst ihm einen üppigen Triumphzug, übrigens hat er unter der Beute wirklich ein Glanzstück, die Frau seines Gegners Arminius. Gerade weil er sie nicht selbst erobert hat, gönne ihm, sie am Volke Roms vorbeizuführen! Lobe ihn überschwenglich wegen seiner Siege und locke so den Widerspruch hervor! Dann gibst du ihm den Auftrag, Provinzen zu verwalten.“ Das war wirklich eine geschickte Weise, einen unliebsamen Menschen aus dem Wege zu schaffen, und der Kaiser sah den Vorteil ein. ARMINS KRANKENLAGER Man hatte Armin vorsichtig in einem Bärenfell zu seiner Siedlung an der Weser getragen, aber unterwegs war ein schwerer Regenguß auf ihn niedergegangen, so daß er nicht nur mit Schmerzen, sondern dazu schwerkrank in seiner Hütte lag und wirre Reden führte. Seine Tante Ruwala war mit ihm vom Schlachtfeld am Angriwarierwall gekommen. Zu ihrer Hilfe holte sie Ehinolf, der sich in den Schlachten als Kämpfer von schrecklicher Wildheit gezeigt hatte, aber hier Armin so sanft umbettete, wie man es dem plumpen Menschen kaum zugetraut hätte. Herniu fand bei seiner Ankunft nach der Flucht aus Vetera Armins Gefolgschaft in gedrückter Stimmung. Viele, zu viele waren gefallen oder verwundet. Mit Olfo konnte er nicht sprechen, denn sein aufgeschlitzter Mund hatte sich entzündet, und er lag im Fieber. Der alte Grieche Artemios ließ Herniu in sein Häuschen rufen, in dem er dick eingepackt und krumm saß. Aus zahnlosem Munde sagte er: „Mein Hermion, sieh die Gichtknoten an meinen Händen! Schlimmer ist es mit den Füßen. Jeder Schritt schmerzt mich. - Wie geht es Arminius? Man erfährt nichts Klares über seinen Zustand. Gestern waren die vom Schiffsbau geflohenen Sklaven bei mir. Sie fürchten, im Falle von Armins Tod wird niemand mehr dasein, der die große Gefolgschaft erhalten kann. Was denkst du darüber? Du bist doch der einzige, der durch
seinen Handel ein sicheres Einkommen hat.“ Kopfschüttelnd fügte er hinzu: „Als mir - das ist wohl schon zehn Jahre her - Arminius dich zur Erziehung übergab, hielt ich dich für einen ziemlich verlumpten Jungen. Du sprachst damals ein sehr gemeines Latein. Aber wie hast du dich entwickelt!“ Herniu war überrascht. Noch nie war ihm der Gedanke gekommen, daß er als der gelten könnte, der das sicherste Einkornmen hätte. „Leider muß ich dir sagen, Vater Artemios, daß ich eben aus Vetera fliehen mußte, und ob mein Teilhaber Milo das Geschäft retten kann, weiß ich nicht.“ Nach einer Woche war Armin fieberfrei. Er fühlte sich aber schwach, und seine Wunden waren noch offen, so daß Ruwala niemanden zu ihm ließ. Daher jedoch glaubten viele, es ginge ihm schlecht. Erregt saßen sie zusammen und berieten. Dann gingen die Führer von Armins Gefolgschaft zu Asni. Als ihr Sprecher sagte Wikhart: „Vater, wenn Armin gesund wird, muß er für Lebenszeit zum Herzog gewählt werden, denn Rom wird uns immer wieder bedrohen.“ Der Blinde antwortete: „Bedenkt, daß wir einen, der in Friedenszeiten Herzog ist, einen König nennen. Es ist aber altes Recht, keinen König bei uns zu dulden.“ „Wie willst du sonst die zwölf Stämme zusammenhalten? Und wer soll sie in römischer Kriegskunst schulen? In diesem Jahre verloren wir zwei große Schlachten, weil ein Teil unserer Anführer, vor allem Ingwiomär, Armin nicht gehorchte und weil nur wir von Armins Gefolgschaft wie Legionäre kämpfen konnten.“ „Das ist richtig, und doch geht es nicht durch die Wahl Armins zum Herzog auf Lebenszeit. Seht ihr nicht, daß sich die Feinde Armins vermehren? Ingwiomär ist mit seiner Gefolgschaft und seinen Viehherden zu Marobod gezogen. Sie alle behaupten, Armin wäre machtgierig. Vermehrt nicht weiter seine Feinde! Was ihr aber tun dürft und sollt, das ist, davon zu sprechen, wie wichtig es ist, zusammenzubleiben und sich besser zum Kampfe vorzubereiten.“ HERNIUS NEUER AUFTRAG In diesen Tagen traf Welfo, Wolfrits Sohn, ein, und ihn ließ Ruwala sofort zu Armin hinein. Noch nicht eine Stunde später kam Milo fröhlich an der Spitze mehrerer Wagen von Vetera an. Während Herniu mit ihm sprach, rief ihn der starke Ehinolf zu Armin. Vor einem lodernden Feuer saß, neben Welfo, Armin, von einem weiten und langen Fell bedeckt. „Höre dir an, Herniu, in welche ernste Lage die Semnonen gekommen sind! Welfos Vater Wolfrit ist in seinem Ungehorsam gegen Marobod so weit gegangen, daß er nicht mehr zurückkann. Nun will er dem Markomannenherzog offen den Tribut verweigern. Das bedeutet Krieg, und die Semnonen haben es um uns verdient, daß wir ihnen helfen. Wie aber soll ich Hilfe gewähren, wenn Germanicus uns im kommenden Jahre wieder den Krieg ins Land trägt? Sage uns, wie es in Vetera steht!“ „Germanicus drohte allen mit Vernichtung, die gegen seinen neuen Feldzug sind, auch dem Legaten Caecina. Man warnte mich rechtzeitig, und ich konnte noch fliehen.“ „Schlimm! Wie sollen wir da Welfo helfen?“ „So sah es“, fuhr Herniu fort, „noch vor zwei Wochen aus. Eben aber kam mein Teilhaber Milo und berichtete, daß der Kaiser, der schon immer gegen den verlustreichen Krieg in Germanien war, einen neuen Feldzug verboten und Germanicus vom Rhein abberufen hat. Die großen Herren und die Geschäftemacher reisen ab, und ich kann, wie man mir sagt, nach Vetera zurückkehren.“ Armin zog mühsam eine Hand unter dem Fell hervor und reichte sie Welfo. „Mein Bruder, ich werde an deiner Seite kämpfen!“ „Ich habe noch um etwas zu bitten“, sagte Welfo. „In unserem flachen Havelland gibt es kein Eisen. Wir haben schon aus römischen Beutewaffen Framenspitzen geschmiedet, aber es reicht nicht für einen großen Krieg. Wenn Herniu uns schmiedbares Eisen lieferte, würden wir ihm Felle, Honig und, wenn er will, auch Bernstein senden.“ „Bernstein ist bei den Römern sehr gesucht, und dafür kann man sicher Schmiedeeisen eintauschen.“ Und so wurde man sich bald über den zukünftigen Handel einig. EIN UNGEMÜTLICHES FRÜHSTÜCK Sigimunt hatte schon vor Jahren das römische Bürgerrecht erhalten, um Priester des Augustus werden zu können, und durfte daher im befestigten, römischen Teil von Ubierstadt wohnen. Er mußte sich auch tragen wie ein Priester
und erschien schon zum Frühstück in der faltenreichen, bis zu den Schuhen herabfallenden Toga. Mit der Förmlichkeit, die er sich durch sein Amt angewöhnt hatte, geleitete er seinen Vater zum Platz des geehrten Gastes. Dem Alten paßte vieles in diesem Hause nicht, so auch, daß nicht er, sondern sein Sohn den Platz des Hausherrn in der Mitte innehatte, weil nur das der Priesterwürde entsprach. Ihn ärgerte auch Fabius, der ihm in den Speiseraum folgte. Jeden Tag wurde der Mann kümmerlicher, denn er predigte nicht nur Menschengleichheit und Güte, sondern wollte sie auch in seiner Lebensführung beweisen. Darum aß er wenig und trank fast nie Wein, ja, hielt bei sich selbst Üppigkeit für ein Verbrechen. Gereizt fragte Segest seinen Sohn: „Wo bleibt meine Frau?“ In ruhigem Ton antwortete Sigimunt: „Das werde ich dir später sagen. Jetzt muß ich dich bitten, ohne mich dein Frühstück einzunehmen, denn am heutigen Neujahrstag darf ich vor dem Opfer für den göttlichen Augustus keine Speisen anrühren und mich auch nicht mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigen.“ Nun bemerkte Segest erst die auffallende Blässe seines Sohnes. Er begriff, daß er dessen heilige Pflichten nicht verletzen durfte, da er und seine Frau von ihm lebten. Was für ein unerträgliches Haus! Keine Jagd, kein Ausritt, nicht einmal ein Gespräch mit seinesgleichen! Nur mit seinem Leibsklaven, einem zur Unterwürfigkeit erzogenen Ubier, hätte er sprechen können, wollte das aber nicht. Er verstand kein Latein und bemühte sich nicht, es zu lernen. Dazu ringsum diese Gemessenheit! Weshalb erschien nur seine Frau immer noch nicht? Er blickte zu Fabius hinüber und fand ihn bedrückt an einem Stück trockenen Weißbrots kauen. In der vergangenen Nacht hatte Fabius ein leidenschaftliches Gespräch zwischen Sigimunt und seiner Mutter mit angehört, allerdings ohne etwas zu verstehen. Auch ihm war die Blässe seines Freundes aufgefallen, und er überlegte, ob er ihm zuliebe zur Huldigung des abwesenden Kaisers gehen sollte. Wie aber konnte man einen Menschen als Gott verehren? Ihn stieß auch ab, wenn er Sigimunt steif dastehen sah, einen Zipfel seines bauschigen Gewands über den Kopf gezogen, um das Haar zu bedecken. Dann murmelte er mit halb geschlossenen Augen die endlosen Gebete, in denen jedes Wort einer längst veralteten Sprache in einer bestimmten Reihenfolge aufgesagt werden mußte, nicht nur die Titel und vielen Namen des Augustus und seines Nachfolgers Tiberius. Jede Bewegung war vorgeschrieben. Die Vertreter der Behörden, die von Amts wegen dem Festakt beiwohnen mußten - das Volk kümmerte sich wenig um das Gemurmel - traten von einem Fuß auf den anderen. Die Jüngeren, die sich im Hintergrund hielten, flüsterten einander Skandalgeschichten zu, kicherten und zogen nur dann ernstere Gesichter, wenn sich einer ihrer Vorgesetzten mißbilligend umblickte. Alle diese Leute glaubten gewiß wenig an die Wichtigkeit des langweiligen Formelkrams, Fabius aber brachte es selbst heute nicht über sich, die Feier zu besuchen, die ihm so zuwider war. ZWISCHEN VATER UND SOHN Am frühen Nachmittag kehrte Sigimunt halb erfroren vom Festakt zurück. Segest, obwohl ungeduldig, ließ ihn erst essen und etwas Wein trinken. Nun hob Sigimunt den Kopf. „Deine Frau, meine Mutter, hat Ubierstadt verlassen und mir aufgetragen, dir mitzuteilen, daß sie sich von dir trennt.“ Segest starrte den Sohn an und fragte dumpf: „Warum?“ „Sie hat erfahren, daß Tursinhilda beim Triumphzug des Germanicus durch das Spalier des spottlustigen römischen Volkes als Gefangene geführt werden soll. Der Ubier, der früher zwischen Germanicus und dir auf der Segestesburg Botschaften hin und her trug, gestand ihr gestern, daß du darum gebeten hast, mit deiner Familie als Zuschauer dem Triumphzug beizuwohnen. In dieser Nacht erklärte sie mir: Sie wird nicht durch ihre Gegenwart die Tochter verurteilen, und sie will auch nicht an der Seite dessen stehen, der seine Familie in diese Schmach gestürzt hat.“ „Wie du das sagtest“, erwiderte Segest, „klang es, als ob du die Ansicht deiner Mutter teiltest?“ „So ist es. Ich werde am Triumphzug als Priester des Augustus teilnehmen, was meine Pflicht ist, aber nicht neben dir und als dein Sohn.“ Segest beugte sich vor. „Du willst mir also deine Verachtung aussprechen?“ „Ich werde dir die Achtung bezeigen, zu der ich als Sohn verpflichtet bin.“ Erregt fuhren Segests Hände auf seinem römischen Gewand hin und her. Mehrmals setzte er zum Sprechen an:
„Etwas - das Entscheidende - scheint der Ubier nicht verraten zu haben. Obwohl es ein Geheimnis ist, sollst du es wissen. Marobod hat mir sagen lassen, daß der machtgierige Armin nun ihn bedroht. Er wird zu Kaiser Tiberius eine Gesandtschaft schicken und ihm ein Bündnis zum Krieg gegen Armin anbieten. Dabei wird auch Ingwiomär gegen seinen Neffen kämpfen und hat zugestimmt, daß ich als Verbündeter Roms König der Cherusker werde. Du, Sigimunt, bist mein Erbe!“ „Wenn das dein Plan ist, Vater, will ich dir noch sagen, daß deine Frau zu Ruwala geht und gegen dich stehen wird.“ „Und du?“ „Ich bin Priester des Friedenskaisers Augustus und kann nicht gegen das Römische Reich sein. Aber für dich? Falls du König der Cherusker wirst, suche dir einen anderen Sohn! Ich werde nie ein Herrscher sein wollen, den fremde Truppen vor seinem Volk schützen müssen.“ Segest sank in seinen Stuhl zurück. Sollte er diesen Sohn verlassen? Aber konnte er den Römern gestehen, daß ihn Frau und Sohn verachteten? Er mußte bleiben und sich vor Sigimunt demütigen. Seine Hände zitterten. Aber Tiberius mußte doch das Angebot Marobods annehmen! Wie wollte sonst der Kaiser mit Armin fertig werden? Und nach dem Siege würde er weiter sehen. Nur nicht aufgeben! HERNIU WIEDER IN VETERA Seit die Römer hohen Ranges abgereist waren, lag das Geschäft in der Budenstadt darnieder. Daher strömten die Leute auf die Straße, als eine Anzahl Wagen von der Brücke her einzog. An ihrer Spitze ritt Herniu, den viele Geschäftsleute grüßten. Sie wunderten sich über die Menge seiner Gefährte mit den struppigen Pferdchen davor. Noch größer war das Staunen in seinem Hause, daß er so schnell wiederkam. Denn unter den Sklaven hatte sich herumgesprochen, daß Germanicus ihn als Spion festnehmen wollte. Daher fürchteten sie sich vor den grausamen Vernehmungen. Sein Wiedererscheinen bewies ihnen, daß diese Gefahr vorbei war. Philodoros holte seine Flöte hervor und tänzelte blasend in den Hinterhof, wo er dem alten, halb tauben Schreiber ein Stückchen spielte. Darauf zog er weiter zur Küche und blies jeder einzelnen von den dakischen Sklavinnen etwas vor. Sie lachten darüber, besonders weil sie fanden, daß es Philodoros nicht mehr stand, wie ein Kind zu hüpfen. Denn er begann spitz und jedenfalls nicht mehr jugendlich auszusehen. Noch während Herniu und Milo mit dem Entladen der Wagen beschäftigt waren, erschien der Kaufmann Celsus. Bis zu ihm war die Nachricht gedrungen, der reiche Pelzhändler käme aus fernen Ländern und wäre noch reicher geworden. „Ich grüße dich, mein Hernius. Welche neuen Waren bringst du da? Was ist in diesem Fäßchen?“ „Komm ins Haus, mein Celsus! Gleich werde ich es dir zeigen.“
Er ließ Weißbrot bringen, es mit Butter bestreichen und tauchte einen Holzlöffel in den grünlichen Honig eines der Fäßchen. Zäh lief der Saft in langem Faden aufs Brot. „Versuche das! Diesen Honig gibt es nur, wo viele Linden stehen. Der ganze Duft ihrer Blüten ist darin. Biete diese besonders feine Ware dem kaiserlichen Hof an, und bald werden alle Senatoren und Ritter in Rom danach verlangen. Diesen Leuten, die alles besitzen wollen, was gerade Mode ist, setzt du dann einen höheren Preis an. Unter uns gesagt: Wozu muß deine Handelsgesellschaft daran verdienen? Mach das als Privatgeschäft selbst, vielleicht unter einem anderen Namen!“ Lachend erwiderte Celsus: „Du verstehst ja das Geschäft!“ Herniu beugte sich zu ihm und flüsterte: „Ich habe noch eine Überraschung, Bernstein!“ „Davon habe ich gehört, aber ihn nie gesehen. Er wurde bisher über die Donau nach Italien gebracht. Ist das nur ein zufälliges Geschäft?“ „Das hängt von dir ab. Ich habe meinen Handel weit nach dem Osten ausgedehnt, wo der Bernstein gefunden wird. Es ist ein flaches Land, in dem es kein Eisen gibt, um Spitzen für die Jagdwaffen zu schmieden. Wenn du mir gutes Schmiedeeisen besorgst, könntest du mehr Bernstein bekommen.“ „Das läßt sich beschaffen.“ DIE ANTWORT DES KAISERS Marobod war krank gewesen und ließ sich jetzt in seiner windgeschützten Säulenhalle von der Vorfrühlingssonne bescheinen. Sein Geheimsekretär Morhart sagte auf lateinisch: „Die Gesandtschaft, die wir zum Kaiser nach Rom geschickt haben, ist zurückgekehrt.“ „Endlich! Hat sie das Bündnis erreicht?“ „Leider nicht. Sie wurde gut untergebracht, aber dann begannen Schwierigkeiten. Unsere Leute konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man sie absichtlich hinhielt. Schließlich empfing sie Sejanus. Das ist einer der gefährlichsten Männer Roms, der Befehlshaber der kaiserlichen Garde, und er besitzt das Vertrauen des Tiberius. Er ließ sich deinen Bündnisvorschlag erklären und versprach, dem Kaiser darüber zu berichten. Nun mußten die Gesandten wieder warten, und auf Nachfragen antwortete man ihnen in der kaiserlichen Kanzlei, es gäbe gerade dringendere Angelegenheiten. Das bezog sich auf das Gesetz über die Majestätsverbrechen. Früher wurde nach diesem Gesetz verurteilt, wer die Majestät des römischen Volkes verletzt hatte. Nun aber soll dadurch auch die Ehre des Kaisers geschützt werden. Das klingt harmlos, aber jeder kann gegen jedermann eine Anzeige vorbringen und wird dazu noch für die schmutzigste Angeberei bezahlt. In Rom zittern alle, die Reichsten und Vornehmsten am meisten, denn, wie viele meinen, soll das Gesetz auch dazu dienen, das Vermögen reicher Leute einzuziehen. Tiberius glaubt bei seiner Menschenverachtung und seinem finsteren Mißtrauen selbst die unwahrscheinlichsten Verleumdungen, und Sejanus bestärkt ihn darin. - Als endlich unsere Gesandtschaft zum Empfang beim Kaiser befohlen wurde, merkte sie am Benehmen der Personen im Palast, daß er in schlechtester Stimmung sein mußte. Stehend empfing er sie, wartete die Begrüßung nicht ab und sagte: ,Maroboduus bittet um Hilfe für seinen Krieg gegen Arminius. Sagt ihm: Ich werde mich so neutral verhalten, wie er es tat, als Arminius die drei Legionen des Varus vernichtete.’ Von diesem Augenblick an wurden die Gesandten von keinem Sekretär des Kaisers mehr empfangen.“ Marobod hatte Morhart während dieses Berichts angestarrt und fragte mit erzwungener Ruhe: „Was weißt du von Arminius?“ „Er verstärkt seine Gefolgschaft weiter. Außerdem liefert er den Semnonen und Langobarden Eisen, das er bei den Römern einkaufen läßt. Alle Schmiede dieser beiden Stämme hämmern an Framenspitzen, und man sagt offen, daß es zum Kriege gegen dich kommen wird.“ „Also zwei Stämme meines Reichs müssen wir als abgefallen betrachten. Desto fester halten wir die Hermunduren. Der unzuverlässige Wibiliu wird uns die gesamte Kriegerschaft seines Stammes zum Feldzug gegen Armin stellen!“ „Mein Herzog, auch vom Osten droht Gefahr. Der Gote Katwakla hat ebenfalls von Armin Schmiedeeisen erbeten. Schon ist eine Wagenkolonne durch das Land der Semnonen unterwegs, um es abzuholen. „Katwalda hat wenig hinter sich. Zur Schlacht am Angriwarierwall kam er absichtlich zu spät und hat sich nur an der Plünderung des Römerlagers beteiligt.“
Morhart erwiderte: „Gerade das dürfte noch mehr Goten auf seine Seite ziehen. Die Massen strömen stets dem Starken zu, und stark wird allen das Bündnis gegen uns erscheinen, wenn bekannt wird, daß uns der Kaiser nicht hilft.“ Marobod überlegte: „Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, daß sich die weit auseinander wohnenden Cherusker, Semnonen, Langobarden und Goten vereinigen. Daher werden wir recht früh im Jahre durch das Land der Hermunduren gegen unseren gefährlichsten Gegner, Armin, ziehen. Ingwiomär mit seiner erprobten Gefolgschaft ist auf unserer Seite und kennt Weg und Steg im Lande der Cherusker.“ ZWEI VERDÄCHTIGE GÄSTE Bei strömendem Regen erreichten zwei Reiter mit Schild und Frame die Siedlung und fragten an einer Hütte: „Ist es noch weit zur Segestesburg?“ Ursa, die bei ihrem Vater in der Nachbarhütte wohnte, hatte mit ihren scharfen Ohren die Worte gehört. Waren das Ausländer, daß sie das Germanische so merkwürdig sprachen? Sie stürzte ins Freie und schlug die Hände zusammen. „Seid ihr aber naß! So könnt ihr doch nicht auf die Burg! Dort ist man ja so fein!“ Sie war in Wirklichkeit nicht der Meinung, daß Sigigast, der noch unverheiratete Neffe Segests, fein wäre. Hier aber witterte sie etwas. Was wollten diese fremden Krieger auf der Segestesburg. Man müßte sie ausfragen. „Tretet bei uns ein!“ sagte sie, „und trocknet erst eure Sachen. Wir haben auch frischen Bärenschinken angeschnitten.“ Nun kam ihr Vater heraus und wiederholte die Einladung. Ihm war gleich klar, was seine Tochter wollte. Während er die Pferde fortführte und Ursa den Männern die Kleider abnahm und die beiden trockenrieb, schwatzte sie: „Hier war einmal ein Ubier, der sprach so ähnlich wie ihr. Kommt auch ihr vom Rhein?“ „Nein“, erwiderte der Ältere zögernd, „am Rhein war ich noch nie.“ „Ach, dann seid ihr wohl Dalmatiner?“ Ursa hatte keine Vorstellung, was das für ein Volk war. Sie hatte es nur einmal nennen hören. Da es nach germanischem Gastrecht als ungehörig galt zu verschweigen, wer man war, sagte der Mann: „Wir sind Markomannen.“ „Ach, das sind die, die von den Bojern unterdrückt werden?“ Sie mußte selbst über den Unsinn lachen, den sie da sagte. Der Krieger setzte dem Mädchen ernsthaft auseinander, wie die Markomannen, einer der stärksten germanischen Stämme, den Gotenfürsten Katwalda aus Bojuheim vertrieben und die Bojer unterworfen hatten. Ursa fragte ihren eben in die Hütte zurückkehrenden Vater: „Darf ich morgen die beiden Markomannen zur Segestesburg führen?“ „Ja, Kind.“ Erklärend setzte er hinzu: „Sie kennt jeden Baum und Stein auf dem Wege, denn sie ist mit der Schwester Sigigasts befreundet.“ Am nächsten Morgen erzählte sie auf dem Wege zur Burg den Männern eifrig eine Geschichte, wie kürzlich bei der Geburt eines Kalbes eine uralte Frau mit glühenden Augen erschienen wäre. „Seitdem hat das Kalb fünf Beine, und die Greisin ist davongeflogen, hoch, hoch in die Wolken. Eine Frau hat sie aber wiedergesehen. Da saß sie mit ihren glühenden Augen auf einem Baum.“ „Das war wohl ein Uhu?“ „Nein, sie sagen, die Greisin hätte nur die Gestalt einer Eule angenommen“, erwiderte Ursa. Sie bemerkte, daß die Krieger über sie lächelten. Das gerade wollte sie und schwätzte weiter über Kälber, Weiber und Nachtspuk. Ebenso dümmlich stellte sie sich auf der Burg und ging einfach mit den Markomannen zu Sigigast in das römische Haus hinein. Dort sah es keineswegs großartig aus, denn Sigigast kannte die römische Lebensweise kaum, und die germanische paßte nicht in diese Räume. Ursa zog sich in dem ihr gut bekannten Hause in eine dunkle Schlafnische zurück, in der, wie im ganzen Gebäude, das Holz zusammengetrocknet war und wo es gute Ritzen zum Horchen gab.
EILIGE VORBEREITUNGEN Noch war Herniu bei seinen Wagen beschäftigt, mit denen er von Vetera gekommen war, als Olfo plötzlich auftauchte und ihm mit seinem schiefen Munde sagte: „Komm sofort zu Armin! Hier ist große Aufregung.“ Um Armin wimmelte es von Kriegern, und bald verstand Herniu, daß es Boten zu den verbündeten Stämmen waren, denen die Weisung mitgegeben wurde, die Kriegerschaften sofort zu sammeln und in Marsch zu setzen. Nach der Verabschiedung dieser Boten winkte Armin Herniu heran. „Laß alles andere liegen! Du sollst etwas Neues tun. Du mußt nämlich etwas wissen: Vor einigen Tagen bat man mich um Hilfe. Segests Neffe, Sigigast, hielt Ursa auf seiner Burg fest. Noch bevor wir wußten, was da geschehen war, machten sich Priester mit einer großen Zahl meiner Gefolgschaft dorthin auf. Sigigast wagte keinen Widerstand und ließ Ursa, wenn auch recht zerschunden, heraus. Sie hatte ein Gespräch zweier Boten Marobods mit Sigigast belauscht. Dabei war sie erwischt und eingesperrt worden - ein prächtiges Mädel!“ Von ihr wußte Armin, daß Marobod einen Überfall plante, bevor Armin zum Kriege bereit war. Wenn, wie Marobod hoffte, er gesiegt hätte, wollte er sich eilig gegen die Semnonen und Langobarden wenden. Da sich aber inzwischen die zwölf Stämme in seinem Rücken sammeln konnten, hatte er mit Sigigast, dem Riesen Raganhar, überhaupt der Familie Segests, vereinbart, daß sie Segest sofort zum König ausrufen und jeden Widerstand der Stämme unterdrücken sollten. Dieser Plan hatte allerdings eine Schwäche: Wenn der erste Schlag nicht mit einem klaren Siege Marobods endete, konnte das spätere nicht ausgeführt werden. Auf der anderen Seite hatte Marobod ein vorzügliches, fast römisch geschultes Heer. Da Armin nicht wußte, ob er sein Heer schnell genug zusammenbekommen konnte, mußte er vielleicht längere Zeit in einer Gegend hin und her ziehen, um Marobod hinzuhalten. Er konnte aber große Massen von Kriegern nur dann längere Zeit zusammenhalten, wenn er Viehherden zum Schlachten und Vorräte auf Wagen mit sich führte. Deshalb sagte er nun: „Einarm und du, Herniu, sollen das Vieh zusammentreiben und für Wagen und Vorräte sorgen. Verstehst du die Wichtigkeit?“ „Ich verstehe sie, aber wo liegen deine Vorräte?“ „Danach frage Einarm! Ich weiß, wie schwierig eure Aufgabe bei unseren Verhältnissen ist, kann mich aber darum nicht kümmern. Außer dir habe ich niemanden, der römische Organisation kennt.“ Dieser Auftrag paßte Herniu nicht. Seine Altersgenossen hatten sich im Kriege auszeichnen dürfen, und er sollte ein höherer Viehhirt sein? Aber es war notwendig, und er ging zu Einarm. Der sagte mit unglücklichem Gesicht: „Wie soll man das machen? Wir können das Vieh aus den weiter entfernten Siedlungen überhaupt nicht herbeitreiben, denn damit würden wir zuviel Zeit verlieren. Wenn wir aber alles aus der Nähe holen, müssen die Menschen hier später hungern.“ „Der Krieg wird nicht endlos dauern“, erwiderte Herniu, „und das Wetter noch lange genug warm bleiben, um denen, die wir hier zu stark beraubt haben, von weiterher ihre Verluste zu ersetzen.“ „Das klingt ganz schön, Herniu, aber wer überzeugt die anderen, daß sie noch nach dem Ende des Krieges Vieh, Käse und Rauchfleisch abgeben sollen?“ Herniu überlegte: „Dazu brauchen wir die Priester. Weißt du, Einarm, wie die Römer so etwas machen? Sie rufen eine Versammlung der Ortsältesten ein und lassen durch sie alles zusammenbringen. Der Blinde wird uns dabei schon helfen, und die Ältesten wissen, was sie abgeben können. Man muß es ihnen nur mit Geduld erklären.“ „Das kann ich aber nicht, Herniu. Mach du das allein mit Asni! Ich übernehme dann das Treiben der Herden.“ DIE REDEN DER HERZÖGE Die Nacht war lau und windstill. Tausend Sterne standen am Himmel. Sie erschienen aber blaß durch die vielen Feuer auf der weiten Ebene. Drüben brannten in breiter Front die der Markomannen und Hermunduren, hier die der Cherusker, Semnonen und Langobarden. „Es wird zur größten Schlacht kommen, die es je zwischen Germanen gegeben hat“, sagte Welfo. „Und auf beiden Seiten wird auf römische Art gekämpft werden.“ Armin antwortete nicht, denn gerade hatte er erfahren, daß in diesen Tagen - vielleicht während der Schlacht seine Frau Tursinhilda mit seinem kleinen Sohn vor dem menschenverachtenden Kaiser als Beutestücke vorübergehen mußten. „Legen wir uns schlafen!“ sagte er. „Der morgige Tag wird schwer. Die Markomannen kämpfen um ihre
Vorherrschaft in Süd- und Ostgermanien, mein Onkel Ingwiomär darum, wieder etwas zu werden.“ Schon als die Sonne über dem Wald aufstieg, standen einander die Heere gegenüber, Schild an Schild, überragt vom Walde der langen Framen und der Feldzeichen. Von beiden Seiten sprengten die Herzöge vor. Armin auf einem Schimmel ließ seine Frame über dem Kopfe wirbeln. Marobod, kein so geübter Reiter und auch älter, galoppierte auf einem mächtigen Falben mit heller Mähne herbei. Armin überließ ihm das erste Wort und hörte, hoch aufgereckt, die Rede an, die man schlecht verstand, weil Marobod nicht daran gewöhnt war, zu den Kriegern zu sprechen. Deutlicher zu verstehen war er erst, als er rief: „Ich wurde, wie ihr wißt, vor Jahren vom Thronerben Roms, Tiberius, angegriffen und habe die Ehre Germaniens unversehrt erhalten!“ Weiter ließ ihn Armin nicht kommen: „Dieser Marobod da rühmt sich seiner Taten vor vielen Jahren Er verschweigt, daß ihn Tiberius nicht zermalmte, weil Marobod sich feig in dichten Wäldern verbarg und weil er die von ihm aufgestachelten Pannonier und Dalmatiner schändlich verriet! Wir aber kämpften gegen Rom dort, wo es am stärksten war, und zwangen es zurückzuweichen. Heute kämpfen wir gegen den Feigling Marobod, für Thing und Freiheit!“
Schon hob Armin die Frame und riß sie herunter als Zeichen zum Angriff. Dadurch zwang er Marobod, zur Seite auszuweichen. Armin blickte sich im schnellen Ritt noch einmal höhnisch nach ihm um und ließ wieder die Frame triumphierend über seinem Kopfe kreisen. DIE SCHLACHT ZWISCHEN DEN GERMANEN Auf beiden Seiten hob man die Schilde und rief den Schlachtruf hinein. Auf Marobods linkem Flügel stürmte Ingwiomär als einer der ersten in seiner ganzen Wildheit gegen die Semnonen. An ihm vorbei drangen seine Krieger vor. Inzwischen setzte Armin seine Reiterei zur Unterstützung seiner Gefolgschaft auf dem anderen Flügel gegen die Flanke der markomannischen Schlachtfront ein. Schon nach Minuten gab es dort kein Halten mehr, und seine Fußkrieger vollendeten, was der Reiterangriff begonnen hatte. Er blickte sich um und versuchte, den Führer seiner Reiterei zu erspähen, um ihm zu befehlen, nun hinter der Front auf die andere Seite hinüberzutraben, wo er den Semnonen helfen sollte. Die Reiter waren aber weiter im Vordringen. Niemand konnte sie jetzt aus dem Kampfe ziehen. Er galoppierte mit seinen Begleitern zurück, denn er wollte sehen, wie die Schlacht sonst stünde. In der Mitte hielten die Fronten. Dort gab es die atemberaubende Pressung, in der die vordersten Krieger Brust an Brust vorwärts gedrängt wurden und die hochgereckten Arme mit den Framen kaum mehr bewegen konnten. Auf dem rechten Flügel dagegen wichen die Semnonen zurück. Marobod, der im persönlichen Kampfe nicht geübt war, beobachtete hinter der Front, wie sein rechter Flügel eingedrückt wurde, während sein linker vorging. Von dort trugen Krieger, nach ihrer Haartracht Cherusker, einen, wie es schien, Toten heran -Ingwiomär! „Er atmet noch“, sagte jemand. „Geht ihr weiter vor?“ „Ingwiomärs Stellvertreter ist tot, er verwundet, wie du siehst, wir müssen zurück und uns neu ordnen.“ Marobod wandte sich an seinen Berater Morhart und sagte auf lateinisch: „Arminius hat nie in der ersten Schlacht gesiegt, auch heute nicht, aber es ist ihm beinahe geglückt. Hinterher hat er aber stets sein Ziel erreicht. Mein Kriegsplan, schnell zu siegen, ist mißlungen. Wenn wir nicht morgen oder übermorgen entscheidend geschlagen werden wollen, müssen wir abrücken.“ DER ÜBERTRITT Endlich gelang es Armin, seine Reiterei zu sammeln. Ein Semnone sprengte heran. „Welfo ist schwer verwundet, aber in Sicherheit gebracht. Bei uns steht es schlecht, und wir bitten dich um Hilfe.“ Von der anderen Seite kam der Gote Katwalda mit mehreren Begleitern. Er trug sich halb römisch und hatte über dem Panzer einen purpurnen Umhang. „Armin“, rief er schon von weitem, „Marobod zieht sich auf der ganzen Linie zurück! Wir müssen ihn verfolgen, ihn stürzen!“ Armins Gesichtsausdruck wurde kalt. „Du meinst wohl, Katwalda, daß du Bojuheim mit unserer Hilfe für dich erobern willst?“ „Es ist mein Land! Er hat es mir geraubt!“ „Wir“, antwortete Armin und betonte jedes Wort, „kämpften gegen Marobod, weil er uns angriff. Wenn wir ihn in sein Land verfolgten, würden wir uns ins Unrecht setzen und außerdem für längere Zeit unsere gefährlichste Grenze entblößen, die am Rhein gegen Rom. Ich lehne die Verfolgung Marobods ab!“ Böse starrte Katwalda Armin an. Da dieser seinem Blick standhielt, riß er sein Pferd herum und galoppierte davon. „Armin“, sagte Ursilo erregt, „sieh das!“ Was war dort geschehen? Armins vorher geordnete Front wogte durcheinander. Noch war aber Marobod nahe, und da mußte man auf der Hut sein! Armin wollte vorreiten, aber nun sah er, daß sich aus der Menschenmenge drei Reiter lösten und auf ihn zusprengten. Den mittelsten erkannte er als den Anführer der Hermunduren.
Jäh hielten die drei vor Armin. „Wir Hermunduren haben nur gezwungen gegen euch gekämpft. Der Fürst Wibiliu gab mir aber die geheime Weisung mit, zu euch überzutreten, sobald es möglich wäre. Hier sind wir, Armin!“ Armin umarmte den Krieger bewegt, dann sagte er: „Willkommen, Hermunduren! Morgen feiern wir das große Fest der Verbrüderung. Heute jedoch müssen wir für die Verwundeten sorgen. Welfo, Wolfrits Sohn, bezahlte diesen Tag mit großen Schmerzen.“
Die große Macht DES KAISERS SPÄSSE
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IBERIUS HERRSCHTE den vor ihm knienden Sklaven an: „Weshalb ist der Vorkoster nicht da?“
„Gnaeus Cassius hat ihn gestern gezwungen, mit ihm zu trinken. Nun können wir den Mann nicht wecken.“ „Dann trinke du!“ Zitternd, weil er eine Tücke fürchtete, hob der Sklave die Glasschale und nahm einen Schluck. „Mehr!“ befahl Tiberius lauernd. „Drei Schalen voll! Wenn du dann nicht umfällst, ist kein Gift im Wein.“ Noch während der Sklave trank, schrie ihn Tiberius an: „Hinaus!“ denn er sah den Befehlshaber der Garde eintreten. „Nun, mein Sejanus?“ sagte er gnädiger. „Du siehst frisch aus, mich aber schmerzt der Kopf. Gestern haben wir reichlich getrunken. Gnaeus Cassius mußte vor mir auf allen vieren laufen und aus Schüsseln Wein lecken, die ich in die vier Ecken des Raums gestellt hatte. Zum Vieh habe ich ihn gemacht, den Herrn Senator, der mich nicht leiden kann! Er war so betrunken, daß er dann mit dem Vorkoster weitergesoffen hat, ohne zu merken, daß der keine Gesellschaft für ihn ist. Schon hat er nicht mehr die Kraft sich zu wehren. An ihm studiere ich, bis zu welchem Grad der Erniedrigung ein stolzer Herr zu bringen ist. - Aber du kommst wohl in Geschäften?“ „Ja, mein Kaiser. Es gibt Beschwerden von Kaufleuten und überhaupt von der Bevölkerung in den Kolonien über die willkürlichen Geldforderungen deiner hohen Beamten.“ „Ich kenne das, und du weißt, daß ich in diesen Fällen stets zugunsten der Kolonialbevölkerung entscheide. Dort muß Gerechtigkeit und Ordnung herrschen, hier aber in Rom soll man vor meiner Ungerechtigkeit zittern! Wie steht es mit Anzeigen?“
„Es sind einige da, aber schon eine oberflächliche Prüfung ergibt, daß sie falsch sind.“ „Ob falsch oder richtig, wenn ich sie nur verwenden kann, um Personen zu vernichten, die meiner Herrschaft widerstreben! Laß mir eine Liste der Angeklagten zukommen, damit ich entscheide, gegen wen ein Verfahren wegen Majestätsverbrechen einzuleiten ist. Natürlich interessieren mich nur die großen Herren. Mit den Kleinen kannst du machen, was du willst. Und zahle jedem, der Anzeigen bringt!“ „Ich kann dir einen Mächtigen nennen, den Gnaeus Calpurnius Piso. Er sagt, sein Geschlecht der Calpurnier wäre viel älter als das ordinäre des Kaisers.“ Tiberius lachte. „Ja, das ist echt Piso! Ich war mit ihm zusammen Konsul. Was er sich da an Hochmut geleistet
hat! Aber gegen ihn jetzt kein Verfahren! Ich brauche gerade einen so Adelsstolzen. Es handelt sich nämlich um Germanicus, meinen geliebten Neffen, Adoptivsohn und Thronfolger. Dieser junge Mann ist beim Volke allzu beliebt. Solche Tugendbolde dulde ich nicht in Rom und werde ihn nach dem Orient schicken. Die Provinzen von Kleinasien bis Ägypten werden ihm unterstellt.“ „Ist das nicht gefährlich, mein Kaiser? Erinnere dich an Marcus Antonius, der sich zum Kriege gegen Augustus auf die orientalischen Provinzen stützte!“ „Eben deshalb brauche ich den eigensinnigen und hochmütigen Calpurnius Piso. Er soll der Stellvertreter des Germanicus sein und wird sich bestimmt nicht mit ihm vertragen. Du kannst ihn wissen lassen, daß ich jede seiner Handlungen, die er sich gegen Germanicus ausdenkt, decken werde. Das kann einen Spaß geben, der boshafte Starrkopf Piso und der liebenswürdige Germanicus, den wir bei seinem Triumphzug bis in die Wolken gelobt haben! Wer aber aus den Wolken stürzt, fällt unangenehm.“ MAROBODS GIFT Zwei Jahre herrschte nun Frieden, und das Leben war wieder gemächlich geworden. Marobod hatte für seine Gäste eine große Treibjagd veranstaltet, aber war selbst nicht mit hinausgezogen, denn in diesen Tagen schmerzte ihn jede Bewegung. „Hast du mehr erfahren?“ fragte er seinen Berater auf lateinisch. „Tursinhilda ist vor längerer Zeit nach Ravenna gebracht worden“, erwiderte Morhart. „Das soll Tiberius deshalb angeordnet haben, weil Armin angeblich versucht, sie zu rauben und an die Weser zu bringen. Ravenna ist der Hafen der adriatischen Flotte. In einer solchen Seefestung, die außerdem vom Lande durch Sümpfe abgeschnitten ist, glaubt er sie sicher zu haben.“ „Ich verstehe nicht, wie Armin, der doch für seine wohlüberlegten Handlungen bekannt ist, einen so abenteuerlichen Plan schmieden kann.“ „Mein Herzog, schon vor Jahren berichtete ich dir, daß er in Vetera einen Menschen seines Vertrauens sitzen hatte. Er heißt Herniu. Früher erschien er mir als ein kleiner Spion, der den halbrömischen Händler spielte. Es muß aber mehr an ihm dran sein, denn jetzt organisiert er auf römische Weise die Versorgung von Armins zahlreicher Gefolgschaft, mit der Armin ja sein weites Reich zusammenhält. Außerdem hat Armin durch ihn einen großen Teil des Handels zwischen Niedergermanien und den römischen Provinzen am Rhein an sich gebracht. Diese sehr einträglichen Verbindungen sollen sogar bis nach Rom reichen. Daher konnte er auch diesen Winter erneut dem unruhigen Katwalda Schmiedeeisen liefern.“ „Das heißt“, erwiderte Marobod aufgebracht, „Armin will meinen Sturz!“ Morhart schüttelte den Kopf. „Er pflegt mit Verachtung von Katwalda zu sprechen und traut ihm wenig kriegerische Fähigkeiten zu.“ „Aber Eisen für Warfen gegen mich liefert er! Man muß Armin vernichten, ehe es zu spät ist! Was sagen unsere Cheruskischen Gäste?“ „Einer will immer den anderen zum Kampf stoßen. Ingwiomär ist prahlerisch und liegt mir in den Ohren, dich, Herzog, zum neuen Krieg gegen Armin anzustacheln.“ „Ich werde mich hüten, das zu tun. Du aber, Morhart, sage ihm nicht nein! Sage ihm auch nicht ja! Wir brauchen vielleicht Ingwiomär noch, obwohl ihm jede Vernunft fehlt. Und die anderen?“ „Alle führenden Mitglieder der Familie Segests sind da, außer Sigimunt. Der steht abseits und spielt Priester des Augustus.“ „Ein ungewöhnlicher Narr!“ „Segest ist selten nüchtern. Sein Bruder, der Riese Raganhar, poltert, aber wagt nichts zu tun. Noch trauriger ist es mit dem Neffen der beiden, Sigigast. Auf seiner Segestesburg getraut er sich nicht einmal, ein lautes Wort zu sprechen. Du weißt ja von der dortigen Aufpasserin Ursa, die vor zwei Jahren unsere Boten belauschte und Armin deinen Plan verriet. Wenn man Sigigast von Ursa sprechen hört, muß sie das ungeheuerlichste Geschöpf von ganz Germanien sein. Andere aber nennen sie ein lustiges und hübsches Mädchen, das aber Sigigast, der sie gern haben würde, wegen seiner Dummheit verachtet.“ „Mir scheint“, sagte Marobod mißmutig, „es war überflüssig, diese lauten und immerfort betrunkenen Cherusker hierher einzuladen. Es bleibt uns nur einer, der Chattenfürst Adgandestrius, der mit Armin verschwägert ist. Er scheint
auch gescheiter zu sein als unsere Gäste und wohnt in genügender Entfernung von Armins gefährlicher Gefolgschaft. Wir werden sehen, was sich mit ihm machen läßt. - Übrigens fällt mir etwas ein. Unsere Cheruskischen Gäste haben nicht viel eigene Gedanken. Daher wollen wir ihnen einen einträufeln. Mögen sie überall herumerzählen, daß Armin nach der Königsherrschaft strebt. Schon beherrscht er mit seinen Beamten - daß es nur Herniu ist, und der entspricht wenig den römischen Beamten, brauchen wir nicht zu sagen! - also mit seinen Beamten beherrscht er den innergermanischen Handel und schafft sich eine Gefolgschaft, die der Prätorianergarde des Kaisers in Rom verdächtig ähnlich sieht. Paßt auf, eines Tages läßt er den Umhang fallen und steht als König da!“ MITTSOMMERTAG BEI DEN SILINGEN Wikhart, Lirsilo und Olfo schritten durch Weidengebüsch und über Kieselgeröll am Ufer der Elbe entlang. Armin hatte sie ausgeschickt, um im Lande Bojuheim zu erfahren, ob die Nachrichten, die er von dort erhalten hatte, der Wahrheit entsprächen. Zu beiden Seiten des ihnen dunkel entgegenströmenden Flusses stiegen aus dichtem Wald graue Felsenwände fast senkrecht hoch. Eine Gruppe Krieger kam ihnen entgegen. „Woher kommt ihr?“ fragte einer. „Aus dem Lande der Cherusker.“ Staunend fragte der Anführer weiter: „Wohin geht ihr?“ „Nach Bojuheim jenseits des Gebirges.“ „Das tut ihr besser nicht. Außerdem ist heute Mittsommertag, und wir tanzen dort oben.“ Er zeigte nach einem besonders steilen Felsen. „Kommt mit!“ Lachend erwiderte Wikhart: „Wir sind keine Vögel!“ „Kommt nur!“ Wikhart hatte bemerkt, daß die Krieger so ähnlich sprachen wie die Goten, die mit Wagen zur Weser gekommen waren und bei Herniu Felle, Käse und mächtige Bärenschinken gegen Eisen eintauschten. Hier aber lebten die Silingen, die zusammen mit den Asdingen zum Verband der Wandalen gehörten. Bald bogen sie in ein Tälchen, in dem sie steil aufwärts bis vor eine Mauer zerklüfteter Felsen stiegen. Nur ein Spalt war da, der zu schmal erschien, um einen Menschen durchzulassen. Der Anführer sah, wie die Cherusker stockten, und zeigte ihnen, daß man den Schild in den schmalen Weg vorstrecken und sich dann durch die Enge schieben konnte. Jenseits befand sich eine düstere Schlucht zwischen bemoosten Wänden, von denen Wasser tropfte. Die drei Niedergermanen kamen sich in der feucht und sonderbar riechenden Kluft wie in einem verzauberten Land vor, in dem hinter jedem Felsbrocken ein Geheimnis lauerte. Plötzlich standen sie oben im Walde und sahen auf einem Felsen mit flacher Kuppe Krieger, die Holz zu einem Stoß schichteten. Unter mancherlei Vorbereitungen verstrich die Zeit. Wie vor Opfern an der Weser hatten die alten Männer zweierlei Holz und Feuerschwamm zum Entzünden des Feuers mitgebracht. Denn zum Opfer durfte kein Brand von einem Herde herbeigetragen werden. Als sich die Sonne rot zum Untergange neigte, wurde den drei Spähern immer wunderlicher zumute. In den Abgründen war schon schwarze Nacht. Ein Alter begann mit einem Stäbchen aus Buchenholz in der Vertiefung eines anderen Holzes zu quirlen. Neben ihm hockte ein zweiter und hielt den Feuerschwamm in die Nähe, um ihn zum Glimmen zu bringen, sobald die erste kleine Flamme entstand. Ein dritter blickte nach der Sonne. Als sie rot hinter den Felsen versank, sagte er feierlich: „Zündet mit Zunder den trockenen Zweig! Aus Holze komme der heiße Hauch, im Lande zu lodern und leuchten!“ Auch auf anderen Felsen nah und fern flammte es auf, während rings Berge und Wälder in Dunkelheit versanken. Die Krieger stellten sich um das Feuer und schlugen neunmal langsam mit der Frame gegen den Schild. Darauf begann der Tanz. Ab und zu riefen sie in den Schild hinein: „Höh!“ Mit Unterbrechungen tanzten sie so ernst und eintönig, bis es heller wurde und schließlich die Sonne aus dem Morgendunst emporstieg. Erschöpft schliefen sie ein. Die mittägliche Hitze weckte sie auf, und sie zogen durch die kühlfeuchten Schluchten zu ihren Hütten hinunter.
NACHRICHT AUS BOJUHEIM An diesem Tage war an eine Weiterreise nicht zu denken, und da der Abend warm und windstill war, versammelte man sich am Thingbaum, um von den Fremden Neuigkeiten zu erfahren. Weil Wikhart ein Fischer war, gab es großes Fragen. Er sagte: „An der Küste bei uns ist das Wasser so breit, daß man ein anderes Ufer nicht sehen kann. Zweimal zwischen Mitternacht und Mitternacht steigt es und fällt es.“ Die jungen Leute sperrten die Münder auf und fingen darauf an furchtbar zu lachen. Sie wußten doch, daß im Frühjahr das Wasser stieg und manchmal auch im Herbst. Aber täglich, welcher Unsinn! Wikhart wieder wollte nicht glauben, daß die Elbe hier im Winter fest zufror und daß die Menschen darüber gehen, ja reiten konnten. An diesem Abend ging man unzufrieden auseinander, da jeder glaubte, die anderen wollten ihm etwas aufbinden. Es lag aber Wikhart daran, in Freundschaft von den Leuten zu scheiden, weil sie wahrscheinlich denselben Weg zurück nehmen mußten. So sagte er Ursilo und Olfo, er wollte mit fischen gehen und die beiden sollten mit auf die Jagd ziehen. Am nächsten Tag schon konnten sie ihr Vorhaben ausführen. Der Anmarsch zum Einkreisen des Wildes war für die Niedergermanen mühsam, weil sie nicht an die Schluchten und steilen Waldhänge gewöhnt waren. Dann aber stellte sich heraus, daß hier das Wild vom Felsen gestürzt wurde, wie es die beiden von den großen Jagden des toten Sigimär kannten. Das brachte sie rasch der einheimischen Bevölkerung nahe, und sie begannen einander zu glauben. Nun fragten die Silingen auch, woher Olfo den aufgeschlitzten, schiefen Mund hatte. Die drei erzählten daraufhin von den Kämpfen gegen die Römer. Darüber hatte man hier wenig erfahren, und rasch verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Gegend, große Krieger wären eingekehrt. Von weither kamen Männer, ja ganze Familien mit Frauen und Kindern, um von den Schlachten im sumpfigen Nebellande zu hören. Endlich wollten nun die Späher weiterziehen, aber einige Alte sprachen rundheraus zu ihnen: „Ihr habt vieles erzählt, und wir erwogen, daß es die Wahrheit sein muß. Darum fragen wir uns: Weshalb ziehen Krieger, die in ihrem Lande geehrt sind, so weit in eine unbekannte Welt?“ Wikhart sah, daß er die Wahrheit sagen mußte: „Wir hörten, daß ein Gote mit Namen Katwalda gegen Marobod, den Herzog der Markomannen, ziehen will. Wir möchten wissen, was in Bojuheim geschieht, denn früher haben wir gegen Marobod gekämpft.“ Der Greis nickte den anderen Alten zu und sagte: „Die Markomannen, wenig weiter die Elbe aufwärts, sind uns feind wie wir ihnen. Nur eine sehr alte Frau darf ihre Dörfer betreten, weil sie einen großen Zauber besitzt und auch von ihnen hoch verehrt wird. Jetzt wurde sie hinübergebeten, um einem Kranken zu helfen. Wenn sie zurückkehrt, werden wir sie fragen, wie es mit Marobod steht und was in Bojuheim geschieht. Ihr Fremdlinge aus dem Nebelland, geht nicht zu dem uns feindlichen Volk, sondern bleibt hier als unsere Gäste!“ Täglich wurde das Verhältnis zwischen den Silingen und den drei Spähern herzlicher. Trotzdem erlaubte man ihnen nicht, die Zauberin zu sehen. Ein Mann erklärte ihnen: „Sie wohnt mit ihrer Katze in einer Felsenhöhle. Die Mädchen stellen ihr jeden Tag auf einem Stein Milch und Speisen hin. Sie müssen aber dabei ihr Gesicht abwenden. Nur unser ganz Alter darf zu ihr, und das auch nur mit verhülltem Gesicht. Sie soll leuchtende Wolfsaugen haben, die niemand ansehen kann, ohne verwandelt zu werden.“ So verging eine Woche und mehr. Dann erst erschien der Greis. Nachdem sich alle ehrerbietig um ihn niedergelassen hatten, sagte er: „Ihr Fremden, kehrt in euer Land zurück und sagt: Mit Marobods Herrschaft ist es aus. Katwalda rückte mit einer starken Macht in Bojuheim ein. Marobod hatte mehr und erfahrenere Krieger, so daß er glaubte, die Goten leicht besiegen zu können. Katwalda bestach aber einen markomannischen Führer und drang mit seiner Hilfe nachts in die Maroburg ein. Der Herzog wurde von treuen Anhängern gerettet, mußte aber seinen großen Schatz und selbst seine Frauen Katwalda überlassen. Der herrscht nun in Bojuheim.“
ASNIS WARNUNG In den drei Jahren, die Herniu über Armins Herden, Felder und Vorräte gesetzt war, hatte er sein Auftreten geändert, denn oft mußte er fest durchgreifen. Stets ritt er in Begleitung Bewaffneter, eingehüllt in einen schönen Umhang mit aufgenähten Pferdeköpfen. Armin sagte ihm bei einer Besprechung: „So stolz wie du trage ich mich nicht.“ „Der Sieger über Römer und Markomannen braucht das auch nicht. Ich aber bin nur durch dich etwas und muß doch befehlen wie du.“ Asni, der das Gespräch mit angehört hatte, hob den Kopf. Er war sehr gealtert und brütete oft vor sich hin. „Ich verstehe die neue Zeit nicht mehr. Ihr braucht mich auch nicht, denn nie konnte ich rechnen. Nie dachte ich voraus wie ihr, außer wenn uns ein Unheil drohte. Meine Lieder besangen die Götter und Helden und riefen zum Kampfe. Nun kommt mir kein Ton mehr aus der Kehle. Sie ist mir vor Furcht wie zugeschnürt.“ „Vor Furcht?“ fragte Armin erstaunt. „Du, Armin, hast Marobod besiegt, und als er Listen gegen dich ersann, wurde er von Katwalda gestürzt und floh zu den Römern. Ingwiomär kam dabei um. Da sich nun Katwalda aufblähte und versuchte zu herrschen wie Marobod, vertrieb ihn der Hermundure Wibiliu. Nun lebst du in Freundschaft mit allen Stämmen des swebischen Bundes, und man erkennt dich als den Mächtigsten an, von der Donau bis zu den nördlichen Meeren, vom Rhein bis zur Oder. Soll ich davon an Tius heiligem Baume singen, daß der Gott es hört und gegen dich ergrimmt? Aber nicht nur die Götter fürchte ich, auch die Menschen. Manche unter den Germanen, die dir während der Kriege blind anhingen, sagen jetzt laut, daß du in Wirklichkeit ein König bist. Es gibt auch andere, gefährlichere, die es leise sagen und hinzufügen: Nie haben Germanen einen König geduldet.“ „Wie soll ich mich anders verhalten?“ fragte Armin. „Erhebe ich mich über das Thing? Sauge ich die Stämme aus, wie Marobod es tat?“ „Es ängstigt mich eben, daß ich nicht weiß, wie du es anders machen solltest. Aber täusche dich nicht! Die Art, in der du durch Herniu Ordnung erzwingst, entfernt dich vom Herzen des Volkes. Es will unbekümmert leben und würde dich nicht anklagen, wenn es in einem schlechten Jahre hungern müßte. Aber dein Vieh zu zählen, das halten sie für gefährlich und glauben, dann wird es weniger Kälber und Fohlen geben.“ „Das weiß ich“, erwiderte Armin, „aber es ist Unsinn! Sollen wir nichts von den Römern lernen? Wer vorwärts strebt, eckt an, auch wenn er es nicht will. Vorwärts muß man aber streben.“ DER TOD DES GERMANICUS Vetera war voller Aufregungen und Gerüchte, weil Germanicus plötzlich gestorben war. Herniu suchte Celsus auf, um Näheres darüber zu erfahren. Er traf aber dort zu seinem Mißbehagen Marcus, den Sohn des Kaufmanns. Er war kaum älter als Herniu und hätte als schön gelten können, wenn er nicht einen schlaffen, gelangweilten Ausdruck gehabt hätte. Gönnerhaft lächelte er Herniu an. „Weshalb ziehst du nicht nach Rom bei deinem Vermögen?“ „Ich habe stets gehört, daß dort nur die alten Senatoren- und Ritterfamilien etwas gehen.“ „Das war füher so, aber seitdem Kaiser Tiberius das Gesetz über die Majestätsverbrechen gegen die alten Familien anwendet, gibt es neue Möglichkeiten. Ich selbst -“ Sein Vater unterbrach ihn: „Das erzählst du nicht!“ „Jeder verdient sein Geld nach seiner Fähigkeit, ich - was du nicht gerne hörst - durch Anzeigen.“ „Sage noch, durch falsche!“ erwiderte sein Vater erbost. „Natürlich durch falsche! Richtige können auch Dummköpfe machen, aber solche, die des Kaisers Rachedurst wecken, ohne unbedingt wahr zu sein - das ist eine Kunst!“ Da sich Celsus angewidert abwendete, fuhr Marcus in gelangweiltem Ton fort: „Ja, ich habe meinen Vater begaunert, aber mich jetzt wieder ehrlich gemacht - denn von einem steinreichen Mann habe ich viel Geld erhalten, damit ich eine Anzeige gegen ihn unterließ.“ „Davon nahmst du es?“ schrie Celsus. „Morgen zahle ich dir das unehrliche Geld zurück!“ Marcus blickte seinen Vater mit unverschämter Gemütlichkeit an.
„Allerdings erscheinst du mir manchmal altmodisch, aber bin ich es nicht selbst? Sonst hätte ich dir das Geld nicht wiedergegeben. Wie viele in Rom haben ihre nächsten Verwandten umgebracht, nur um -“ Mit Nachdruck sagte Celsus: „Du bist mein Erbe und kannst gut, ja sehr gut leben, wenn du mein eingeführtes Geschäft übernimmst.“ „Hier in der Provinzstadt, Waren zählen und Rechnungen durchsehen? Verstehst du nicht, Vater, daß einer, der sich als Mensch fühlt, das flutende Leben der Weltstadt braucht, wo die Leidenschaften glühen?“ „Und man so schnell alt wird wie du!“ Marcus blickte seinen Vater tückisch von unten her an. Der Hieb hatte gesessen. Herniu wollte das ihm unangenehme Gespräch unterbrechen. „Ich kam, denn ich möchte etwas über den Tod des Germanicus erfahren.“ „Allerdings“, sagte Marcus lachend, „fragt sich jeder, wie der gesunde und kräftige Germanicus so schnell wegsterben konnte. Da er nicht erdolcht wurde, könnte es Gift gewesen sein. Man spricht von Plancina, der Frau des hochnäsigen Calpurnius Piso. Sie, die Germanicus kaum liebte, beeilte sich, ihn zu seiner Rückkunft aus Ägypten mit feinem Gebäck zu beglückwünschen. Kurz darauf war er tot.“ Herniu blieb dieses Mal nicht lange bei Celsus. Der hielt ihn auch nicht auf, denn er schämte sich seines Sohnes. Welchen Blick hatte Marcus auf seinen Vater geworfen, als der ihn am einzigen Punkt getroffen hatte, wo er empfindlich war, an seiner Eitelkeit! Herniu dachte an Quintus Cassius, diesen Menschen, der sich gegen den Geist der Gewissenlosigkeit auflehnte, aber wegen seines Reichtums genötigt war, selbst Schlimmes zu tun. Was mochte aus ihm geworden sein?
Der letzte Frühling VERSCHWÖRUNG
W
IEDER WAREN zwei
friedliche Jahre vergangen. Segest saß in seinem bescheidenen Hause in Ubierstadt und brütete mit dem Eigensinn des Alters, wie er seinen Schwiegersohn Armin stürzen könnte. Sein Sohn Sigimunt hielt es für seine Pflicht als Priester des Augustus, dem Vater Sohnesliebe zu zeigen, und besuchte ihn ab und zu. Bei diesen Besuchen war Segest bemüht, nicht erkennen zu lassen, daß er schon wieder getrunken hatte, und Sigimunt vermied jedes Gespräch über Germanien, denn er wollte mit den Plänen seines Vaters nichts zu tun haben. Daher ging es bei diesen Besuchen sehr steif zu. Der ehemalige Legionär Fabius aber kam aus Mitleid öfter zu Segest, und dann sprach der Alte germanisch und Fabius in einem Kauderwelsch. Meist verstanden wohl beide einander nicht. Sigimunt wunderte sich allerdings, daß Fabius, der selbst allen Genüssen entsagte, im Trinken des Alten nichts zu finden schien. Eines Tages vernahm Fabius bei seinem Eintritt in Segests Haus laute Stimmen. „Nein, Adgandestrius!“ hörte er den Riesen Raganhar sagen. Das übrige verstand er nicht, und als er in den Empfangsraum trat, schwiegen plötzlich alle und schienen verlegen. Daher grüßte er nur auf römische Art und zog sich mit einer lateinischen Entschuldigung schnell zurück. Auf dem Rückweg zu Sigimunts Haus fragte sich Fabius verwundert: Das waren doch Fürsten, Raganhar, sein Neffe Sigigast von der Segestesburg und Adgandestrius. Das mußte der Schwager von Armins Bruder sein, wenn es nicht ein anderer gleichen Namens war. Weshalb aber waren alle in ganz gewöhnlichen Umhängen gekommen? Fabius ging zu Sigimunt hinein, der eine Schriftrolle las. „Ich traf bei deinem Vater eine Menge Leute.“ Ohne Interesse fragte Sigimunt: „Kanntest du jemanden?“ „Ja, es scheinen deine Verwandten und dazu der Chattenfürst Adgandestrius gewesen zu sein, aber niemand trug einen Umhang mit aufgenähten Tieren.“ Nun hob Sigimunt den Blick. „Genug! Ich mag davon nichts wissen! Und du schweigst über das, was du gesehen hast!“ Erstaunt über diesen schroffen Ton fragte Fabius: „Aber weshalb denn?“ „Weil ich mit den Plänen gegen Armin nichts zu tun habe! Die Leute, die du getroffen hast, sind vor Ehrgeiz zu allem fähig, wir aber wollen uns sauberhalten!“ Fabius verließ eingeschüchtert den Raum. Sigimunt scheint sich klar zu sein, daß seine und Armins Verwandte ein Verbrechen planen. Doch hören mag er nichts davon und auch nichts dagegen tun. Ach Sigimunt! Auch du bist nicht ehrlich! Aber bin ich es? Müßte ich nicht Armin benachrichtigen, daß etwas gegen ihn geplant wird? Auch ich habe Angst. DER FLÜCHTLING Zur Reise nach Vetera hatte Herniu seinen prächtigen Umhang mit den Pferdeköpfen abgelegt und ritt in einem leichten, römischen Gewände. Er sah die Wälder in allen Tönen des jungen Laubes, und doch war seine Freude nicht ohne Schatten. In den letzten Tagen hatte er bemerkt, wie fremd er seinen alten Freunden geworden war, dem bärenstarken, gutmütigen Olfo und dem klugen, lebhaften Ursilo. Sie führten ein Leben ohne Arbeit, wenn man nicht Jagd und Waffenübungen Arbeit nennen wollte. Herniu aber pflegte weit im Cheruskerlande umherzuziehen, immer bereit, etwas anzuordnen und festzustellen, wie die Ernte und der Viehbestand war oder ob man die Vorräte trocken und gegen Mäusefraß einigermaßen sicher gelagert hatte. Seine Freunde fühlten sich neben ihm überflüssig und er konnte mit ihnen nicht darüber sprechen, was ihn am meisten beschäftigte. Nun ging er dem dreißigsten Jahr entgegen. Was für eine Frau sollte er nehmen? Er war von der Sippe des Pferdes und durfte bei der Strafe des Ertränktwerdens im Sumpf keine von seiner Sippe heiraten, aber eine jede andere. Nicht hier lag die Schwierigkeit, sondern er führte das Leben eines Fürsten, und seine Frau müßte mehr verstehen als die paar Handgriffe eines germanischen Haushalts. Er begann zu begreifen, weshalb Armin alle Frauen abgelehnt hatte, die man ihm nach dem Verlust Tursinhildas vorschlug. Auch er, Herniu, wollte eine kluge, im Umgang
gewandte Frau gewinnen. Wo aber fand er sie? Er mußte sich gestehen, daß er in diesen Jahren bei seiner rastlosen Tätigkeit alle Menschen, ob Mann oder Frau, nur von seinem geschäftlichen Standpunkt aus und allzu kühl betrachtet hatte. Allerdings ließ auch die strenge germanische Sitte jede Annäherung vor der Zeit als unmöglich erscheinen. Wegen der Kühle um ihn sehnte er sich nach einem lieben Wesen. In solchen Gedanken ritt er über die hölzerne Rheinbrücke und in die Budenstadt hinein. Noch am Abend besprach er mit Milo und dem alten, schwerhörigen Schreiber mancherlei und sah Abrechnungen durch. Schon wollte er sich schlafen legen, als der Pförtner mit verlegenen Bewegungen hereineilte und flüsterte: „Herr, dort - er hat mich bei allen Göttern gebeten, nicht zu sagen, wer er ist!“ Was war das für eine unverständliche Rede? Hatte der Pförtner etwa getrunken? Herniu erwiderte ungeduldig: „Laß ihn ein, wer es auch sei!“ Schon erschien in schmutzigem Gewand ein Römer vor ihm. Herniu erschrak: War das nicht Quintus? Weshalb aber trat dieser unermeßlich reiche Mann so verwahrlost und bescheiden auf? Leise sagte Quintus: „Ich weiß nicht, mein Hernius, ob du meinen Anblick erträgst?“ „Weshalb sollte ich nicht?“ „Die letzten Jahre haben mich einiges gelehrt, und ich bereue, nicht ehrlich an dir gehandelt zu haben. Damals zeigte ich Germanicus an, was du tatest und -“ „Glaubst du wirklich, ich hätte davon nichts erfahren?“ erwiderte Herniu lachend. „Ich werde Philodoros rufen, daß er dich wäscht und dir ein neues Gewand anlegt.“ Quintus hob abwehrend die Hand. „Kannst du mir nicht ein germanisches Gewand reichen lassen? Ich werde verfolgt.“ „Dann sollten wir dir besser etwas geben, worin du, unverkennbarer Römer, nicht verkleidet aussiehst, etwa die Kleidung, in der römische Händler in Germanien reisen. Weshalb übrigens germanisch?“ „Ich flehe dich an, rette mich zu den Cheruskern!“ „Das kann ich nicht, ohne den Grund deiner Flucht zu kennen. Vorläufig bist du mein Gast.“ Er klatschte in die Hände und sagte dem erstaunten Philodoros: „Ein Zufall führt uns Gnaeus, einen weniger vom Glück begünstigten Halbbruder des Quintus Cassius, ins Haus. Versorge ihn und sage in der Küche, daß man dem späten Gast etwas zu essen bringt!“ Bald trat Quintus wieder in den Empfangsraum, ganz verändert und fast der selbstsichere Senatorensohn von früher. „Setze dich, mein Gnaeus, und sprechen wir nach dem Nachtmahl von den Geschäften, die du hier vorhast!“ Diese Lüge war weniger für Philodoros gesagt, als daß Herniu den Gast durch die Fixigkeit im Erfinden beeindrucken wollte, was ihm auch gelang. ERZÄHLUNG EINES ENTTÄUSCHTEN Nach dem Essen sagte Quintus, ohne den Germanen anzublicken: „Was ich dir erzählen werde, ist eine Reihe von Mißerfolgen, die dir leicht erscheinen können, mich aber tief schmerzen. Als ich vor fünf Jahren von hier fortging, war ich nur kurze Zeit bei meinem Vater in Rom. Alle im Hause zitterten vor ihm und erbleichten, wenn sie eine kleine Ungeschicklichkeit begangen hatten. Einen solchen Menschen hat der Kaiser aus ihm gemacht, denn früher kannte ich ihn nicht so. Ich suchte nach einem Vorwand, um aus diesem Hause des Schreckens fortzukommen. Daher erklärte ich, in Athen die Philosophen hören zu wollen, und reiste mit reichlichen Mitteln ab. Du weißt, daß Griechenland meine zweite Heimat ist. Aber was fand ich? Mich als reichen Römer umschmeichelte sofort eine Schar von Nichtstuern. Die wenigen aber, die ernstlich studierten, mieden mich. Sie lebten kümmerlich am Rande der Stadt, und ihre Philosophie war meist eine des Verzichts, ähnlich der des bescheidenen Fabius. Und“, Quintus blickte Herniu verzweifelt an, „trotzdem waren das die echteren Menschen, Menschen voll edler Empfindungen. Ihr stärkstes Gefühl jedoch war der Haß gegen Rom, und auch gegen mich als einen, dessen Familie am Niedergang Griechenlands mitschuldig war. Manchmal blickten sie zu mir herüber und flüsterten einander zu, in welcher Weise sich mein Vater als Statthalter Griechenlands bereichert hatte. So wurde mir der Aufenthalt in meinem geliebten Athen verleidet, und ich floh - anders kann ich es nicht bezeichnen - nach Syrien, weil ich gehört hatte, dort würde auf eine geheimnisvolle Art der Gott Attis verehrt und die noch geheimnisvollere Göttin Ischtar. Denn du mußt wissen,
daß der Dienst für unsere römischen großen Götter nichts an sich hat, was Menschen anziehen kann. Ich fuhr also nach Antiochia und fand eine große und schöne Stadt voll lebhaften Handels, in der ich bald sah, daß die meisten nur das Geld anbeteten. Und die Festtage? Man konnte Plätze mieten, um den Umzug anzusehen. Fruchtgetränke wurden mit furchtbarem Geschrei ausgerufen, Gottesbildnisse aus Brotteig oder gebranntem Ton angeboten, alles Geschäft. Im Zuge selbst schritten kalt blickende Priester, Frauen, die den Gott schreiend um ein Kind baten, Angst in den Augen. Denn wenn sie wieder keinen Erben brächten, würden sie vom Manne verstoßen oder mißhandelt werden. Zwischen ihnen sprangen bis zum Wahnsinn erregte Männer, in der Hand den scharf geschliffenen Dolch, mit dem sie sich selbst verwundeten, so daß ihre Kleider voller Blut waren. Angst trieb auch sie. Verglichen mit diesen erregten Leuten erschienen mir die armen athenischen Studenten noch erfreulich. Sie wenigstens sagten offen, wo die Schuld an allem Elend läge, an uns, an Rom. Schon wollte ich von Antiochia abreisen, als ein Onkel von mir eintraf, Gnaeus Calpurnius Piso. Er ist ein Vertrauter des Kaisers wie mein Vater, und doch wie anders! Kalt überlegend und nüchtern wird er niemanden ungerecht foltern lassen. Dafür trifft sein Zorn aber unfehlbar sein Opfer. Und das sollte in Syrien nach des Kaisers Wunsch Germanicus sein, dem die Verwaltung der orientalischen Provinzen übertragen war. Piso wußte, daß Germanicus zwar wohlmeinend, doch auch unbedacht war. Zunächst merkte ich nichts von dem tückischen Spiel, das mein Onkel Piso als Stellvertreter des Germanicus trieb. Ich ließ mich also von ihm zur Bearbeitung von Beschwerdeschriften in griechischer Sprache verwenden. So unangenehm mir sein kalter Hochmut war, glaubte ich doch, endlich einen gerechten Menschen gefunden zu haben. Ich bekam freilich nur die Fälle, an denen ich die Hinterhältigkeiten nicht bemerken konnte. Die ließ Piso durch einen anderen bearbeiten. Er beriet nämlich die Beschwerdeführer ganz gerissen und schickte sie dann zu dem gerecht denkenden Germanicus, damit er falsch entschiede.“ Herniu unterbrach ihn: „Das verstehe ich nicht, mein Quintus.“ „Ein Beispiel: Der Besitzer einer Speisewirtschaft war durch die ungeheuerlichen Forderungen eines Steuereinnehmers ruiniert worden. Der Fall erschien klar, und der Steuereinnehmer wagte nicht, sich ernstlich zu verteidigen, weil er auch sonst noch einiges zu verbergen hatte. Darauf ließ ihn Germanicus das Geld zurückzahlen und verurteilte ihn zur Rudersklaverei. Piso deckte nun aber später durch Mittelsmänner auf, daß der Besitzer der Speisewirtschaft die allerdings unrechtlichen Forderungen des Steuereinnehmers benutzt hatte, um seine Wirtschaft zu schließen und seine Schulden auf die einfachste und gemeinste Weise loszuwerden, weil er vorgab, völlig ruiniert zu sein. Tatsächlich aber hatte er sein Geld.rechtzeitig beiseite geschafft. Ganz Antiochia war empört, daß gerade diesem Betrüger die Steuer zurückgezahlt wurde. Germanicus hatte aber auch seine Leute, die ihm berichteten, daß es Piso war, der ihn einmal über das andere hereinlegte. Da nun der Kaiser selbst hinter meinem Onkel Piso stand, weiß man nicht, wie der versteckte Kampf zwischen dem Statthalter und seinem Stellvertreter geendet hätte, wenn nicht Germanicus, für alle unerwartet, gestorben wäre.“ „Ja, durch Plancina, Pisos Frau.“ „Auch du hast das gehört?“ erwiderte Quintus. „Und ich sage dir, es ist nicht wahr! Vielmehr setzte das Gefolge des Germanicus nach seinem Tode den Kampf gegen Piso fort und erzählte mit allen Einzelheiten, wie der angebliche Mord vor sich gegangen wäre. Dazu fingen sie einen Sklaven der Plancina, den sie zuvor der Mithilfe am Morde beschuldigt hatten. Den töteten sie, damit er nicht mehr beweisen konnte, daß er den vergifteten Kuchen gar nicht überbracht haben konnte. In Syrien und allen anderen Provinzen glaubte man die Geschichte, denn Pisos Frau war sehr unbeliebt. Alle hielten es außerdem für wahrscheinlich, daß der Kaiser, der auch seinen Stiefbruder Agrippa Postumus hatte umbringen lassen, Plancina zum Giftmord an seinem Adoptivsohn Germanicus angestachelt hätte. Die Erregung des Volkes war so groß und die Forderung der Freunde des Germanicus auf Rücktritt meines Onkels so heftig, daß wir alle, die bei ihm gearbeitet hatten, uns nicht mehr auf die Straße wagten. Die Verwaltung kam ins Stocken. Piso mußte zurücktreten und reiste nach Rom. Auch dort forderte das Volk seinen Tod als Mörder. Anfangs versuchte der Kaiser, ihn zu schützen, mußte aber nachgeben. Als Piso erfuhr, daß man ihn vor Gericht stellen und sicher verurteilen würde, nahm er sich das Leben. Ich war mit ihm nach Rom gekommen und galt als einer seiner engsten Mitarbeiter. Als die Lage auch für mich immer bedrohlicher wurde, reiste ich heimlich in den Kleidern eines kleinen Mannes ab.“ Quintus atmete heftig vor Erregung. „Nun weißt du, mein Hernius, weshalb ich gezwungen bin zu verschwinden, bis man mich vergessen hat - was, fürchte ich, durch noch greulichere Dinge geschehen wird. Willst du mich zu den
Germanen bringen?“ „Ich sehe, mein Quintus, daß dein Fall nur mit Rom, aber nichts mit den Cheruskern zu tun hat. Deshalb werde ich versuchen, dich zu ihnen in Sicherheit zu bringen. Bedenke aber, daß die Volksversammlung oder Arminius das verbieten kann!“ „Arminius? Ihm kann ich einen großen Dienst erweisen. Laß mich aber noch davon schweigen, welchen Anschlag man gegen ihn vorhat!“ QUINTUS BEI ARMIN Die letzten Worte des Römers ließen es Herniu geraten erscheinen, schon am nächsten Tage wieder aufzubrechen, zusammen mit dem ärmlich gekleideten Quintus und Philodoros. Denn er vermutete, die Römer planten einen neuen Feldzug gegen Armin. Philodoros achtete wie gewöhnlich wenig auf den Weg, während es Quintus beunruhigte, daß sich Herniu von der Rheinbrücke fortwandte, statt auf ihr den Rhein zu überqueren, und erst später die Richtung wieder änderte. Er war durch seine bösen Erfahrungen so mißtrauisch geworden, daß er fürchtete, in eine Falle geführt zu werden. Nach einigen Stunden näherten sie sich Fischerhütten, an denen Herniu vertraut mit den Leuten sprach. Bald darauf wurden sie über den rasch dahinfließenden, breiten Rhein gesetzt. „Weshalb“, fragte Quintus, „hast du diesen großen Umweg gemacht?“ „Du bist mein Gast, und es wäre für mich eine Schande, wenn dir etwas zustieße. An der Brücke hätte man dich erkennen können, und um bei niemandem Verdacht zu erregen, schlug ich zuerst eine andere Richtung ein. Nun bist du in Sicherheit.“ „Wirklich ganz in Sicherheit?“ „Früher gab es hier Räuberbanden. Das war eine Folge der häufigen Einfälle römischer Legionäre. Denn was sollten die Leute hier tun, wenn ihre Hütten von den Römern niedergebrannt wurden und ihr Vieh abgeschlachtet war? Jetzt verhindert Arminius mit seiner Gefolgschaft die Räuberzüge.“ „Du sprichst von einem Gefolge, hat Arminius denn Richter und Steuerbeamte?“ „Er hat keine. Was wir seine Gefolgschaft nennen, ist etwas, was ihr wohl sein Heer nennen würdet.“ „Wie kann er ohne Steuern ein Heer unterhalten?“ Herniu wollte dem Römer nicht sagen, daß er selbst die Mittel dazu beschaffte und auch verwaltete. Er legte sogar seinen stattlichen Umhang mit den Pferdeköpfen nicht an, damit Quintus ihn weiter für einen gewöhnlichen Händler hielte, denn er wußte ja noch nicht, wie Armin den Römer aufnehmen würde. Nicht allzu weit von der ehemaligen Burg Segests kehrte Herniu bei Ursilos Vater ein und sagte ihm: „Ich muß weiterreiten, denn ich suche Armin. Neulich hielt er sich nicht weit von hier in einer Siedlung seiner Gefolgschaft auf, und ich hoffe, daß ich ihn noch dort treffen werde. Dich bitte ich, diese beiden hier als deine Gäste zu behalten, bis ich Armin gefragt habe, was mit ihnen werden soll. Der eine kann ein wenig Germanisch.“ Armin hatte an diesem Tage mit seiner Gefolgschaft gejagt und beschloß ebenfalls, weil es nicht weit war und schon gegen Abend ging, die Nacht bei Ursilos Vater zuzubringen, den er sehr schätzte. So kam es, daß sich der Siedlung unerwartet eine große Jagdgesellschaft mit viel erlegtem Wild näherte. Quintus sah sie ankommen und an ihrer Spitze einen nur mit einer Hose bekleideten Germanen, der merkwürdigerweise rasiert war und zwischen zwei klobigen Männern einherschritt, einem grauhaarigen und einem jüngeren, dessen Gesicht, wohl durch eine Verwundung, schief geworden war. Der Rasierte, der um den Oberarm einen schweren Bronzering trug, fragte Quintus in gutem Latein: „Bist du ein Händler?“ Aus Vorsicht antwortete Quintus: „Das bin ich.“ Er hoffte, der andere würde ihn nicht fragen, was er anzubieten hätte. Ursilo verstand das Gespräch nicht. Aber beim Überbringen einer Botschaft nach Vetera hatte er den Römer in Hernius Haus einmal gesehen. Deshalb sagte er jetzt auf Cheruskisch: „Das ist ja Quintus Cassius!“ Der Rasierte blieb stehen und musterte den bei der Nennung seines Namens erschrockenen Römer. „Was tut der Sohn eines Vertrauten des Kaisers hier?“ In tiefer Verlegenheit antwortete Quintus: „Der Kaufmann Hernius hat mich hierhergebracht.“ „Ach, er? Und weshalb?“
„Stehe ich etwa vor Arminius?“ „Das tust du.“ „Dich wollte ich nicht hintergehen, sondern dich um Schutz bitten.“ „Ich kannte einen Bruder deines Vaters. Er hätte sich geschämt zu hören, daß ein Cassius einen Germanen um Schutz bittet.“ „Er ist tot“, erwiderte Quintus und fügte leise hinzu: „Seine Sklaven haben ihn ermordet.“ „Das geschieht meistens nicht ohne Schuld des Ermordeten. Ich kann dir übrigens hier keine Gastfreundschaft gewähren, sondern das kann nur der Besitzer dieser Hütte.“ „Aber du bist Herzog?“ „Ich war es im Kriege. Euer Kaiser bricht in fremde Häuser ein, hier aber herrscht ein anderes und ein strenges Recht. Jedoch“, sein Gesicht erheiterte sich, „Gastfreundschaft wird sehr selten verweigert. Dazu müßte schon Schlimmes geschehen sein. Nach dem Umtrunk magst du erzählen, weshalb du Schutz suchst.“ DER ANSCHLAG Man setzte sich im Freien nieder, und zu seiner Überraschung wurde Quintus von Armin aufgefordert, an seiner Seite Platz zu nehmen, während sich an die andere der Hausherr, Ursilos Vater, setzte. Sie tranken Met aus demselben Urhorn, das dann weitergereicht wurde. „Gefällt es dir, nun zu sprechen?“ fragte Armin. Quintus begann die Geschichte seiner Mißerfolge zu erzählen, wobei sein Gesicht eine solche Erregung zeigte, daß Armin vor diesem verzweifelten Menschen Achtung gewann. In der Zeit, als Armin in römischen Diensten stand, hatte er allerhand erlebt, woran er sich nun erinnerte. Er übersetzte die Worte des Senatorensohns seiner Gefolgschaft, die staunend zuhörte. Junge Leute, die Philosophie studierten, oder eine Handelsstadt, in der man nur nach dem Geschäftsgewinn fragte, waren den Kriegern und Jägern unbegreiflich. Ebensowenig verstanden sie, wie sich jemand danach sehnen konnte, eine Gesellschaft zu finden, an der man noch wirklich an die Götter glaubte. Keinem, weder Wikhart noch Ursilo, den geistig regsamsten unter ihnen, war je so ein Gedanke gekommen. Die Art aber, wie Piso dem Germanicus entgegenarbeitete, erfüllte sie mit Abscheu, ebenso wie das Verhalten des Kaisers gegen seinen Neffen Germanicus. Sie fanden in ihrer Welt nur etwas, das sich damit vergleichen ließ: die Auslieferung Tursinhildas an die Römer durch ihren Vater Segest. Die Erzählung erneuerte ihren Haß gegen die Verräter an ihrer Sache, gegen Segest und seine Familie, aber auch gegen Marobod und Katwalda, die freilich alle ihre Macht verloren hatten. Nachdem Quintus erklärt hatte, weshalb er um Schutz bat, sagte Armin auf Cheruskisch zu seiner Gefolgschaft: „Die Römer nennen uns Barbaren, das heißt Leute ohne Recht und Sitte. Daher befriedigt es mich, daß einer aus dem Kreise ihrer herrschenden Familien einsieht, hier ist er sicherer als in seinem Vaterlande. Mag er bei uns leben, solange er will.“ Darauf wandte er sich auf lateinisch an Quintus: „Ich werde dir Gastfreundschaft gewähren, sobald wir zu meiner Hütte kommen. Mein Lehrer Artemios ist kürzlich gestorben, und ich stelle dir sein zwar kleines, aber halb griechisch gebautes Haus zur Verfügung.“ Hastig antwortete Quintus: „Noch weißt du das nicht, was dich am meisten angeht! Vor wenigen Wochen fand in Rom eine Sitzung des Senats statt, auf der ein Brief des Chattenfürsten Adgandestrius verlesen wurde. In diesem erbot er sich, für eine angemessene Belohnung dich zu vergiften.“ „So?“ antwortete Armin. „Weißt du, wer Adgandestrius ist? Seine Schwester hat meinen Bruder Flavus geheiratet, der in römischen Diensten steht. - Was beschloß der Senat?“ „Man war empört und erklärte, es wäre des Senats unwürdig, einen Menschen für einen Mord zu bezahlen. Wenn Adgandestrius dich bekämpfen wollte, so sollte er es offen tun.“ Die Umsitzenden hatten bemerkt, daß sich Armins Gesicht verfinsterte. Erschrocken stand Ursilos Vater auf, trat hinter Quintus und legte ihm den Arm schützend um den Hals: „Was der Fremde auch gesagt haben mag, er ist mein Gast!“ „Welches Mißverständnis!“ erwiderte Armin und übersetzte die Worte des Römers. Ursilos Vater faßte sich zuerst: „Du, Armin, hast uns Frieden verschafft und unseren Stamm zum mächtigsten in Niedergermanien gemacht. Dich küsse ich zum Zeichen, daß auch ich alter Mann dich schützen will.“ Quintus hatte die Worte nicht verstanden, aber begriff, was sie bedeuteten, als sich alle diese halbnackten, bärtigen Männer zu Armin drängten und ihn küßten. Welches Verhältnis hatten sie zu diesem bedeutenden Herrscher,
dessen Größe man in Rom trotz aller Gegnerschaft anerkannte. Wie unmöglich wäre das in Rom gewesen, wo sich niemand dem Kaiser nähern durfte - oder auch nur wollte! URSA In dieser Nacht drängten sich die vielen Männer in den Hütten der kleinen Siedlung zusammen, um Platz zum Schlafen zu finden. Morgens rannten sie zum Baden in das Flüßchen. Noch bevor sie aufbrachen, langte Herniu mit dem Blinden an. Diesmal trug auch er nichts als eine Hose, Schild und Frame. Seine Brust war kräftig und sonnenverbrannt. Leicht sprang er vor Quintus vom Pferde, streckte Schild und Frame übermütig vor und rief: „So gerüstet hattest du mich nicht erwartet? Da du, wie ich sehe, mit meinen Freunden zusammenstehst, wird dich Armin wohl unter seinen Schutz genommen haben. Das freut mich.“ Quintus sah staunend, daß Herniu um den Oberarm einen ebenso schweren und schön gearbeiteten Bronzering trug wie Armin. War er denn ein Germanenfürst? Quintus kam aber nicht zum Fragen, denn Armin ließ gerade seine Gefolgschaft heimkehren, die erlegtes Wildbret trug, das mit den Beinen an Stangen gebunden war. Armin wollte noch mit Asni sprechen und befahl Olfo und Ursilo noch zurückzubleiben, außerdem Herniu mit seinen beiden Begleitern, Quintus und Philodoros. Nun teilte er dem Blinden den Mordplan mit. Asni sagte beunruhigt: „Das ist mir verdächtig! Sollte es nicht ein gemeinsamer Plan des Chatten mit Segest sein, weil deine Herrschaft ein Hindernis für ihre eigenen Pläne ist? Unsere stärkste Waffe dagegen wird die sein, die Mordabsicht bei allen Stämmen im Thing vorzubringen.“ Die jungen Männer hatten sich inzwischen zu den Kindern gestellt, die ihr Spiel mit einem jungen Bären trieben, der in der Siedlung aufwuchs. „Roll dich!“ riefen ihm die Kinder zu. Darauf zog er den Kopf zwischen die Vorderpfoten und rollte wie eine weiche, wollene Kugel vorwärts. Freilich forderte das Bärchen danach aufdringlich etwas zu fressen. Auch ein großes Mädchen sah zu. Herniu fiel ihr munteres Gesicht und ihre schlanke Gestalt auf. Noch trug sie nicht den Gürtel der Frauen. Er stieß Ursilo an. „Du stammst doch von hier. Wer ist das?“ „Meine Schwester Ursa.“ „Ach?“ erwiderte Herniu und schloß rasch den Mund. „Was wundert dich daran?“ fragte Ursilo belustigt. „Ja - ich habe viel von ihr gehört.“ „Was du in Vetera machtest, tat sie auf der Segestesburg. Der heutige Bewohner, ein unbegabter Neffe Segests, soll sie geradezu fürchten. Dabei ist sie gar nicht böse. Ich habe sie gern.“ Da Ursa merkte, daß man von ihr sprach, entfernte sie sich. „Ihr seid doch von der Sippe der Bären, Ursilo?“ „Ja, weshalb fragst du?“ „Ich bin vom Pferde. Im nächsten Jahre werde ich dreißig.“ „Im nächsten Jahre kannst du ja kommen“, entgegnete Ursilo und mußte lachen, weil Herniu so um seinen Wunsch herumredete. „Nein!“ entfuhr es Herniu. „Warum denn auf einmal nicht mehr?“ Herniu wurde, entgegen seiner sonstigen Art, rot. „So meinte ich das nicht - ich möchte gleich mit deinem Vater sprechen!“ Als sie an Armin und Asni vorüberkamen, sagte gerade der Blinde entschieden: „Nein, du solltest es nicht selber tun! Überlasse das uns und besonders den Priestern der Chatten! Sie müssen Adgandestrius und seiner Familie klarmachen, daß alle Freien in Germanien einen solchen Mordplan verurteilen und daß die Chatten in große Gefahr kämen, wenn sie sich von den übrigen Stämmen trennten.“ Ursilos Vater saß vor seiner Hütte und ließ sich von der Sonne bescheinen. Viele Jagden im Morgennebel und Nächte am Lagerfeuer hatten ihm das Reißen eingebracht. Freundlich hörte er Hernius stockende Bitte an und sagte dann: „Ruft Ursa her!“
Während Ursilo seine Schwester holen ging, fuhr er zu Herniu gewandt fort: „Ihre Mutter ist vor Jahren gestorben. Sie war eine schwächliche, aber tüchtige Frau, die mir das Leben schön gemacht hat. - Aber da kommt Ursa. Sage, Tochter, willst du noch ein Jahr warten und den da nehmen?“ Sie betrachtete Herniu aufmerksam. „Heute habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Einen Rasierten stellte ich mir ja nicht als meinen Mann vor, aber ich weiß, weshalb er so herumgehen muß. Wo wohnst du eigentlich?“ „Einmal da, einmal dort. So ruhig wie andere zu leben, lassen meine Pflichten nicht zu.“ Sie verlor ihren etwas spitzbübischen Ausdruck und blickte ihn gerade an. „Würdest du mich auch einmal mit nach Vetera nehmen?“ Herniu wurde von einem Glücksgefühl gefaßt. Sie lehnte ihn nicht ab! „Weshalb soll ich dich nicht mitnehmen? Nur bleibe ich nie lange dort, und die Reisen sind beschwerlich.“ „Ach, die Welt sehen!“ sagte sie recht aus Herzensgrund, fand das aber plötzlich albern und fügte hinzu: „Da müßte ich wohl noch einiges lernen? Ich kenne das Leben auf der Segestesburg, doch so wird es wohl bei den Römern nicht sein. Bei meinem Vater ist es jedenfalls hübscher.“
„Also“, fragte ihr Vater und zog sein schmerzendes Schultergelenk hoch, „was sagst du, Ursa?“ „In einem Jahr kann er mich holen.“ So sachlich kühl diese Wort klangen, zeigte ihre schnelle Abwendung ein ganz anderes Gefühl. Herniu wurde es plötzlich leicht zumute. Er blickte sich um und bemerkte, daß alle lächelten. Unter Germanen galten Liebeserklärungen als etwas Hübsches, aber auch als komisch. Aus dieser Verlegenheit befreite ihn Ursas Vater. „Weißt du, Herniu, noch bevor es so weit ist, daß du die Brautgeschenke bringst, könntest du mir gegen das Reißen ein paar warme Felle besorgen.“ „Die schönsten, Vater! Nur gedulde dich eine Woche, daß ich sie aus meinem Lager holen kann!“ Armin trat heran. „Ursilo und Olfo, wir reiten! Asni ist aber müde. Herniu mag mit ihm und den anderen morgen folgen.“ DER FUND IM WALDE Den Abend und die Nacht verbrachte Herniu in einem Zustand des Glücks. Alles erschien ihm fröhlich, das ganze Leben leicht. Daß Ursa das Abendessen - es gab saftige Rehkeule -von ihm entfernt unter den Frauen einnahm,
störte ihn nicht. Die Sitte wollte es, daß Versprochene einander besonders gleichgültig begegneten. Er allerdings mit seinem leicht angerömerten Benehmen konnte es nicht unterlassen, gelegentlich einen Blick zu ihr hinüberzuwerfen. Sie hatte das Gesicht fortgedreht und erzählte den anderen etwas, worüber sie sehr lachten. Witzig mußte Ursa sein! Beim Aufbruch am Morgen rief Herniu ihrem Vater noch einmal zu, bald bekäme er die Felle, und sprang auf sein Pferd. Er ritt diesmal, wie gewöhnlich, wenn er in Germanien war, in seinem Umhang mit den roten Pferdeköpfen, sonst aber mit nackter Brust. Asni neben ihm hatte sich eine von Herniu geschenkte Kappe aus weichen Eichhornfellen nach seiner Gewohnheit so tief über die blinden Augen gezogen, daß man darunter nur die Nase und den langen weißen Bart sah. Hinter ihnen folgten Quintus in Hosen und römischem Obergewand, sowie der schmale Flötenspieler in einem syrischen Rock mit besticktem Saum, den er sehr liebte. Wie schön war dieser Ritt durch das frische Grün des Waldes! Wie herrlich mußte das Leben mit seiner klugen Ursa werden! Sie hatte wirklich noch einiges zu lernen, um sich in Vetera nicht lächerlich zu machen. Aber war das so schwierig? Ihre Kinder sollten es nicht so schwer haben wie er, der als verlassenes Waisenkind für die Legionäre Späße erfinden mußte, deren er sich heute schämte. All die Verstellung, das Lügen, die Einsamkeit und oft die Angst sollten sie nicht nötig haben. Drüben von dem Hügel blickte altersgrau die Holzburg Segests herab, in der sein Neffe Sigigast hauste. Man sagte, er suchte eine Frau, aber niemand mochte den Sauertopf. Ein Hase hoppelte über den Weg. Das Gras an den Seiten war noch taunaß. Aber was war das dort? Ein Pferd lag auf der Seite, daneben eine zerbrochene Frame. Auch Quintus sah es. „Hier muß gekämpft worden sein!“ sagte er erregt. „Halte an, Vater Asni!“ rief Herniu und ließ sich vom Pferde gleiten, um die Spuren zu betrachten. Philodoros deutete entsetzt auf das Gras. „Blut!“ Ja, an den Halmen war Blut, aber kein frisches. Hier hatte man etwas in den Wald geschleift. Herniu drängte sich durch das Unterholz, ohne der stachligen Aste zu achten. Da! Zwei Menschen! Nein, etwas weiter entfernt lag ein dritter! Alle blutbedeckt und rührten sich nicht! „Olfo!“ schrie Herniu entsetzt, bückte sich und faßte die breite Hand des Freundes. Kalt! Tot! Der Leib war ihm aufgerissen. Tautropfen saßen auf den Hosen. Also war es gestern oder diese Nacht geschehen. Er richtete sich auf. Der neben Olfo war der schöne, schlanke Ursilo, nun schmutzig und entstellt. Herniu rannte zu dem dritten. Nein, das durfte nicht Armin sein! Er war es. An seinem nackten Arm trug er noch den schweren bronzenen Ring. Räuber hätten den mitgenommen. Das hatten keine Räuber getan, Mörder! Mörder! Herniu drängte sich durch das Geäst zum Wege hinaus und hörte sich wie einen Fremden sagen: „Vater Asni, sie haben Armin, Olfo und Ursilo erschlagen!“ Dieselben Worte wiederholte er auf lateinisch, aber es schien Quintus, als ob Herniu bei jedem Worte bleicher würde. „Ihr“, fuhr er mit derselben, ihm selbst entsetzlichen Sachlichkeit fort, „müßt mit anfassen.“ Der Flötenspieler zögerte, sich mit seinem schönen Rock durch das Gebüsch zu zwängen. Als er aber die Toten sah, erschrak er: Wie in der Schlacht im Teutoburger Wald! Furchtsam blickte er um sich, ob nicht hinter den Bäumen Krieger lauerten? Vor Angst und Entsetzen fing er an zu weinen. Quintus sagte ihm begütigend: „Hilf!“ Bei diesem schrecklichen Fund gelang es ihm, seinen Hochmut zu überwinden. Er faßte sogar den Sklaven brüderlich an der Hand und trug dann -er, der nicht oft in seinem Leben mit eigenen Händen etwas getragen hatte - die Toten mit aus dem Walde. Es grauste ihn davor, und sein Gewand war bald mit Blut bedeckt, und doch tat er es. Ungewöhnliche Gedanken bewegten ihn. Bis zu dieser Stunde hatte er zwar Herniu wegen seiner Tüchtigkeit geachtet, ihn jedoch menschlichem Leid gegenüber für wenig zugänglich gehalten. Nun sah er gerade an ihm eine Erschütterung, die sein Gesicht völlig veränderte. Stumm faßten sie Armin an Händen und Füßen, trugen ihn hinaus auf den Weg und legten ihn über Hernius Pferd, das dabei unruhig wurde und schnaubte. Als sie den Toten losließen, bewegten sich Arme und Beine leicht, als ob er
noch lebte. Das war für Quintus fürchterlicher als alles vorher. Als letzten holten sie den schweren Olfo mit dem schiefen Gesicht. Schon wollte Herniu seine Hände ergreifen, konnte es aber nicht und wandte sich ab. „Was ist dir?“ fragte Quintus. Leise und stockend antwortete Herniu: „Er war - mein Blutsbruder.“ Das letzte Wort war kaum zu hören. „Trotzdem“, erwiderte Quintus mitfühlend, „müssen wir ihn hinaustragen.“ Herniu nickte nur und griff zu. Weinen konnte er nicht, sein Gram war zu groß.
DER SCHWUR Der Wald öffnete sich zu einer Weide, auf der germanische Hütten standen. Vor ihnen drehte man an Spießen abgehäutetes Wild über dem Feuer. Quintus verstand nicht, was die Männer auf einmal schrien. Sie rannten herbei, blieben stehen und sahen regungslos auf die drei Pferde mit den darüber gelegten Toten. Jedes der drei wurde von einem geführt, das erste von Herniu, das nächste von dem Römer und das letzte vom Flötenspieler, alle drei blutig und schmutzig. Am Ende des kleinen Zuges ritt mit geneigtem Kopf der weißbärtige Asni. Durch die Menge drängte sich rücksichtslos ein älterer Mann, breit wie ein Bär, stieß Quintus zur Seite und öffnete entsetzt den Mund: „Olfo, mein Sohn!“ Der Römer war erschrocken und glaubte, etwas falsch gemacht zu haben, sah aber, wie zwei andere den Mann stützten. Sie deuteten stumm nach vorn auf Armin und führten ihn zur Seite. So zog man zu der größten Hütte, nahm die Toten von den Pferden und trug sie hinein. Quintus blieb mit Philodoros, der vor Angst zitterte, draußen stehen. Niemand kümmerte sich um die beiden, die nicht wußten, was sie tun sollten. Herniu trat mit dem Blinden aus der Hütte. Er trug Schild und Frame. Hinter ihnen bildeten die Krieger einen Zug, alle in Waffen. Zuerst hatte Quintus geglaubt, Herniu ginge nur als Führer des augenscheinlich hochverehrten Blinden an der Spitze des Zuges. Da aber er allein den Umhang mit den merkwürdigen Köpfen und außerdem einen so schweren Bronzering am Arm trug, kam ihm ein Verdacht, und leise fragte er Philodoros: „Was ist dein Herr hier unter den Cheruskern?“ Der Flötenspieler flüsterte zurück: „Ihm unterstehen alle Unfreien und die Herden, die Armin gehörten.“ Ach! dachte Quintus. Bei den Römern war der Nächste nach dem Statthalter zugleich der Stellvertreter des Feldherrn und Verwaltungsbeamter. Herniu schien alles zu verwalten, hatte außerdem seinen großen Handel, aber
war er Stellvertreter des Feldherrn? Kaum, obwohl er Waffen trug wie der. So wenig Quintus diese ganz anderen Verhältnisse verstand, wußte er nun doch, daß Herniu einer der mächtigsten Männer hier war. Das war für den Senatorensohn erschreckend, aber auch gut, denn mit ihm konnte er ja lateinisch sprechen. Herniu indessen führte Asni vor einen mächtigen Baum. Dort bildeten die Krieger einen weiten Kreis. „Was bedeutet das?“ fragte Quintus. „So halten sie ihre Versammlungen ab, die sie Thing nennen.“ Nun hörte Quintus den Blinden sprechen, und das war für ihn das Sonderbarste, was er je gehört hatte. Halb singend und mit merkwürdiger Betonung der Anfangslaute, klang das römischen Versammlungsrednern ganz unähnlich. Dort versuchte der Redner, mit allerhand Künsten Eindruck zu machen. Das hier war wohl auch eine Kunst, aber eine, die viel mehr an das Gemüt griff. Ihn schauerte vor dieser Feierlichkeit. Nach dem Blinden freilich sprach ein Krieger, und das in einer Art, die man begreifen mußte. Er reckte die Frame hoch in die Luft und schrie mit der größten Leidenschaft Sätze hinaus. „Verstehst du, was er sagt?“ fragte Quintus. „Ja, er spricht sehr einfach“, erwiderte Philodoros. „Dann übersetze mir!“ „Seine Verwandten haben Armin ermordet. Nahe von hier auf der Segestesburg sitzen sie. Unseren Armin klagten sie an, er strebte nach der Königsherrschaft. Sie taten es selbst, weil sie nach der Macht gierig sind. Tod ihnen! Rache!“ Noch während Philodoros die letzten Worte übersetzte, schlugen alle schauerlich die Framen gegen die Schilde. Nun trat ein Alter mit einem bronzenen Schwert in beiden Händen vor den Blinden und schritt langsam in den Kreis. Ihm folgten Herniu und Asni. Vor dem Eingang der Totenhütte hielt der Priester an, hob das Schwert dreimal und rief dreimal: „Ra - ehe!“ Jedesmal, wenn er das Schwert hob, riefen die Krieger in ihren Schild hinein: „Ra-ehe!“ Der Priester wendete sich und führte die Gefolgschaft dreimal um die Hütte, worauf der Blinde und Herniu zur Seite traten und die Krieger an sich vorbeiziehen ließen. Nun löste sich der Zug auf. Ein Teil sammelte sich, andere rannten nach ihren Pferden und brausten auf ihnen davon, alle gegen die Segestesburg. STUMMER SCHMERZ Die Siedlung war fast leer geworden. Quintus wollte mit Herniu sprechen, sah ihn aber neben dem Blinden sitzen mit einem solchen Ausdruck der Starre, daß er nicht wagte, ihn anzureden. In großer Unruhe ging er in der Siedlung umher, wo niemand sprach. So wurde es Mittag und Abend. Noch immer saßen vor der Totenhütte regungslos der Blinde und Herniu in seinem blutigen Umhang. Als sich die Sonne dieses besonders klaren Frühlingstages neigte, trat Philodoros ängstlich zu Herniu, tippte ihn an die Schulter und sagte leise: „Ich habe euch etwas zu essen bereitet.“ Herniu erhob sich und setzte sich mit dem Blinden und Quintus zum Mahl, aber rührte nichts an. Der Römer dachte: Vielleicht gibt es für ihn ein Fastengebot. Dann erst begriff er, daß Herniu in seinem tiefen Gram keinen Hunger spürte. Philodoros näherte sich Quintus mit allen Anzeichen der Furcht, wagte aber nicht, diesen großen Herrn anzureden. „Was hast du?“ „Dort brennt es!“ Sie sahen fern über dem Walde eine hohe Feuersäule. Tonlos sagte Herniu: „Sie nehmen Rache an den Mördern.“ Diese Worte gaben Quintus den Mut zu fragen: „Darf ich nun noch hierbleiben? Wir Römer waren des Armininus schlimmste Feinde, und ich -“ Er sprach nicht weiter, weil er keine Regung auf Hernius Gesicht sah und glaubte, der hörte ihn nicht. Herniu aber antwortete: „Du trägst das Blut des Größten auf deinem Gewand, den wir betrauern. Wer wird dich anzurühren wagen? Und das letzte Wort, das wir von Arminius hörten, gewährte dir Gastfreundschaft. Man wird dich wie ein heiliges Vermächtnis achten.“ Darauf versank er wieder in seine starre Stummheit.
In der Nacht war die Gefolgschaft zurückgekommen. Herniu badete am Morgen, aber ohne jede Fröhlichkeit. Nachdem er etwas gegessen hatte, saß er wieder regungslos neben dem Blinden. Das war aber nur noch eine äußere Starrheit, innerlich wühlten in ihm qualvoll Gedanken: Niemand ist mehr da, die Stämme Niedergermaniens zusammenzuhalten! Oder wer? Was soll nun aus dem Bund des Apfels werden und aus all dem Reichtum, den ich für Armin angesammelt habe? Seine Frau Tursinhilda sitzt in Ravenna als Halbgefangene und mit ihr der Erbe, der einzige Erbe! „Herniu!“ sagte Asni. Wie aus schwerem Traum schreckte Herniu auf. „Was verlangst du, Vater Asni?“ „Hast du Armins Mutter und die Priesterin Ruwala benachrichtigt?“ „Nein, Vater“, erwiderte Herniu mit einem schweren Gefühl versäumter Pflicht. Asni fuhr fort: „Laß einen Scheiterhaufen errichten! Er muß größer sein als alles, was wir je hatten, denn es ist der größte Held, der verbrannt wird. Rufe mir auch Wikhart her! Er besaß Armins Vertrauen und muß einen neuen Anführer der Gefolgschaft wählen lassen.“ Herniu erhob sich und sah zum ersten Male wieder den Sonnenschein. Daß er vergessen hatte, was ihm Armin vor den schwersten Kämpfen sagte: Wenn alles verloren scheint, darf man sich nicht von der Verzweiflung übermannen lassen, sondern muß das Nächstliegende tun.
ASNIS LIED Bevor Ruwala eintraf, hatte sie durch einen raschen Boten sagen lassen: Nicht ehe der neue Mond naht, fliege der Feuervogel! Am Tage darauf kam sie zu Pferde an. Um ihre scharf gewordenen Züge spielte langes graues Haar. Hinter ihr trugen Männer auf den Schultern eine Stange mit einem weiten Bärenfell, in dem blaß Armins Mutter lag. Niemand begrüßte die beiden in Worten, sondern man sammelte sich in gemessenem Abstand zu beiden Seiten. Wikhart, der neue Anführer der Gefolgschaft, half Armins Mutter aus dem Fell, und sie ging mühsam, von Ruwala gestützt, zur Totenhütte. Nichts geschah nun, bis die Sonne sank. Die Männer der Gefolgschaft, die schon hier gewesen waren, und viele andere, die sich erst später eingefunden hatten, stellten sich in geschlossener Ordnung wie zur Schlacht vor den Holzstoß, der sich vor dem heiligen Baume hoch in die Luft erhob. Oben lagen auf frischen Birkenreisern die drei Toten nebeneinander. Je zwei Krieger mit brennenden Fackeln traten neben die drei Priester. Asni in der Mitte, ohne Kappe, die leeren Augenhöhlen gegen den Scheiterhaufen erhoben. Ihm zur Seite standen Ruwala mit dem Holzbild der Frija und der Tiupriester mit dem heiligen Schwert.
Asni hob beide Hände und sang mit anschwellender Stimme langsam und feierlich: „Als Glück und Glanz ihn grüßten, war mein Mund vor Schauer und Schrecken stumm. Nun da Kummer krampft unsre Kehle, gönnte ein Gott mir die Gabe, zu singen und sagen von Siegen, zu zeugen vom Tode des Tapfersten, den der Verräter Framen fällten. Wo Germanen Götter grüßen, melde die Mär vom Mächtigen, sie melde von Mühen und rechtem Maß! Hebet nun, Flammen, zu Höhen den Helden!“ Die Fackelträger schritten auf den Scheiterhaufen zu. Es knisterte leise, als sie die Fackeln an das dünne, trockene Holz hielten. Die Flammen züngelten, wurden breiter und höher, ergriffen die mächtigen Scheite, stiegen im Inneren auf. Als die ersten Flammen oben aus dem Stoß herausschlugen, hob Wikhart seinen Schild, mit ihm alle anderen, und sie riefen ihren Schlachtruf hinein. Es klang aber wie eine schauerliche Klage.
WORTERKLÄRUNGEN Aliso lag an der Lippe, näherer Ort unbekannt Altar des Augustus in welchem Jahr Sigimunt dort Priester wurde, ist nicht überliefert in Ubierstadt Angriwarierwall manche suchen den Ort dieser zweiten Schlacht des Jahres 16 nicht an der Weser, sondern am Steinhuder Meer Atrium Hauptraum des altrömischen Hauses Ballisten Vorläufer der Geschütze. Die doppelarmigen Ballisten verschossen Pfeile von 88 cm Länge, höchste Schußweite 370 Meter. Die einarmigen Ballisten warfen zweipfündige Steinkugeln im Bogenschuß auf 84 Meter Bojuheim das heißt Land der Bojer, das heutige Böhmen Chatten heutige Hessen Cherusker heutige Niedersachsen Daker heutige Rumänen Feuerquirlen geschah mit einem Stäbchen aus Buchenholz auf einer Basis von Efeuholz. Zum Übertragen des erquirlten Feuers benutzte man zum Beispiel den an Buchen wachsenden Pilz Polyporus, aus dem der Feuerschwamm oder Zunder hergestellt wurde Gallien heutiges Frankreich Goten sie wohnten zur Zeit Armins größtenteils östlich der Weichsel im heutigen Polen. Ob Katwalda wirklich ein Gote oder vielmehr ein Markomanne war, ist umstritten Haufen auch mißverständlich Stoßkeil genannt, die viereckige dichte Formation der Framenträger, in der auch noch im deutschen Bauernkrieg (1525-1527) gekämpft wurde Hermunduren heutige Thüringer Kastell befestigtes römisches Militärlager; heute: Burg, Festung Langobarden heutige Lombarden, Oberitaliener Legat bezeichnete die Inhaber verschiedener Ämter. In diesem Buche bedeutet es den Stellvertreter des Feldherrn und Statthalters Markomannen heutige Bayern und Österreicher Mattium vielleicht das heutige Maden Moguntiacum das heutige Mainz Narde indisches Baldriangewächs, aus des sen Wurzel Nardenöl und -salbe hergestellt wurden Neujahr die Römer feierten das neue Jahr am 3. Januar und huldigten an diesem Tage dem Kaiser Ogra tschechisch Ohre, deutsch Eger Pannonier saßen an der mittleren Donau in Österreich und Ungarn Prätorianergarde Leibwache der römischen Kaiser, die sie überallhin begleitete Priel schmale Fahrrinne im Wattenmeer Prokonsul römischer Konsul, der nach Ablauf seiner Amtszeit Statth alter einer römischen Provinz wurde Rechenbrett es hatte verschie bbare Knöpfe und muß der heutigen russischen Rechenmaschine ähnlich gewesen sein. Wegen der unpraktischen römischen Ziffern war es zum Rechnen unentbehrlich Sauengebirge keltisch Sudeta, heutiges Erzgebirge Semnonen heutige Schwaben (?) Sippe Clan, in der älteren Literatur Gens genannt. Die Sippen- oder Gentilverfassung verbot die Ehe innerhalb der Sippe, die in der weiblichen Linie vererbt wurde. Die Sippen trugen meist die Namen von Tieren, z. B. Pferd, Wolf, Bär, Gans Stoiker Anhänger einer griechischen Philosophenschule, deren Lehren zum Teil in das Christentum übergingen. Sie traten für ein weises, vernünftiges und tugendhaftes Leben ein. Manche trieben ihre Ideale bis zum Verzicht auf alle Genüsse. Die Stoiker waren im allgemeinen gegen die Sklaverei Tafana berühmter heiliger Hain, Ort unbekannt Teutoburger Wald lateinisch Suva Teutoburgensis. Bis zum achtzehnten Jahrhundert nannte man dieses Hügelland Osning und nannte es dann um, weil man den Ort der Arminschlacht dort suchte. Von einigen wird die Richtigkeit bezweifelt Treidelsklaven mußten die Schiffe am Schlepptau vom Ufer aus auf dem Treidelweg stromauf ziehen Tuba tiefstes Blasinstrument aus Blech Ubierstadt lateinisch Ubiorum oppidum: im Jahre 51 u.Z. in Colonia Agrippina umbenannt, weil die jüngere Agrippina, Tochter der älteren Agrippina und des Germanicus, dort geboren war. Heutiges Köln Urhorn das Hörn eines Urs (Auerochsen) Vetera eigentlich Castra Vetera (Altes Lager), liegt bei Xanten. Dort sind umfangreiche Ausgrabungen der Römerstadt gemacht worden Wattenmeer Gebiet zwischen der deutschen Nordseeküste und den friesischen Inseln Zenturien im alten Rom eine Soldatenabteilung von 100 Mann
ZEITTAFEL 9 11 13 14 15
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Aliso von Armin eingeschlossen. Ausbruch unter Caeditius in einer finsteren Nacht. Armin schickt den Kopf des Varusan Marobod, der ihn aber nach Rom sendet 13. September, Streifzug des Tiberius und Germanicus über den Rhein und Feier des Geburtstags des Kaisers Tiberius geht nach Rom. Germanicus Oberbefehlshaber am Rhein 19. August, Augustus stirbt. Aufstand der Legionen am Rhein und in Pannonien. Tiberius wird Kaiser, läßt seinen Stiefbruder Agrippa Postumus ermorden. Mord- und Brandzug gegen Tafana Armin raubt Tursinhilda. Im Herbst Einäscherung von Mattium. Segest raubt Tursinhilda zurück, wird von Armin belagert. Sigimunt wird um Hilfe zu Germanicus geschickt, dem Segest seine Tochter übergibt. Germanicus zieht mit etwa 80000 Mann zum Schlachtfeld im Teutoburger Wald und begräbt die Toten. Auf dem Rückweg greift Armin Caecina mit seinen vier Legionen an. Schwere Niederlage, weil Ingwiomär im Kriegsrat den vorzeitigen Angriff auf das Römerlager durchsetzt. Untergang zweier Legionen im Wattenmeer Armin belagert Aliso, das von Germanicus entsetzt wird. Germanicus fährt mit tausend Schiffen die Weser (oder Ems?) aufwärts und schlägt Armin bei Idistawiso infolge der neuerlichen Disziplinlosigkeit Ingwiomärs. Armin verwundet. Neue Schlacht, in der Armin schwer verwundet wird. Untergang der Flotte des Germanicus in der Nordsee Abberufung und Triumphzug des Germanicus. Abfall der Semnonen und Langobarden von Marobod und Krieg mit unentschiedener Schlacht (in Sachsen?) zwischen ihm und Armin Katwalda stürzt Marobod, der zu den Römern flieht Germanicus stirbt. Wibilius stürzt Katwalda Armin wird von seinen Verwandten ermordet
INHALTSVERZEICHNIS DER KOPF DES VARUS Die Nacht der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Schwur auf Freiheit, Thing und Schwert . . . . . . 9 Wieder durch den Teutoburger Wald . . . . . . . . l1 Erste Nachricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Ein Reitergefecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Auf der Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Durch den Urwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 An der Ogra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Olfos Späße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Die Übergabe des Kopfes . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 In Marobods Schatzkeller . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Unangenehme Überraschung . . . . . . . . . . . . . . 42 Zweiter Empfang bei Marobod . . . . . . . . . . . . . . 45
VERFOLGUNG Ein Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philodoros, der Flötenspieler . . . . . . . . . . . . . . . Ritt durch die Nacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer kommt eher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verfolgten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Ingwiomär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Armin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 52 55 58 61 64 66 69
HERNIU UND SIGIMUNT Sklavenbesitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu der Fähre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das erste Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über die Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein germanischer Handelsvertrag . . . . . . . . . . . Unerwartete Wendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingwiomär und Sigimunt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philodoros, ein Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf der Segestesburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hernius Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72 74 77 80 83 84 89 91 93 98 99
UM DIE THRONFOLGE Tiberius und Livia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigimunts Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigimunt und Tursinhilda . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei der Priesterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Besucher aus Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Truppenauszug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das mißglückte Fest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Livia und Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigimunts Abreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Milo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ubier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin in Ruwalaheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufstand der Legionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der neue Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beim Bäcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tafana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 108 111 112 115 118 120 122 125 127 129 131 132 135 136 137 141 143
ARMIN UND TURSINHILDA Sigimärs Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raganhars Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei der Priesterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wölfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Empfang des Brautpaars . . . . . . . . . . . . . . . Das Brautlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gegenschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Burg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Germanicus trifft ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 148 150 l52 158 160 165 167 170 173
GERMANICUS IN WALD UND WATTEN Vorbereitungen zum Kampf . . . . . . . . . . . . . . . . Quintus erneut in Vetera . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei den Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schwierigkeiten des Quintus . . . . . . . . . . . . Agrippinas Befürchtungen . . . . . . . . . . . . . . . . Panik an der Ems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei der Toilette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Schlamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armins Durchstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufregung einer Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwere Niederlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Um Ingwiomär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein bedenklicher Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sturmflut im Wattenmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angst in Vetera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückkehr der Legionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 176 178 183 185 187 188 189 192 193 195 . 197 198 199 204 205
DIE GRIECHISCHEN BRIEFE Ersatzschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Boten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Armins Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In Vetera und an der Weser . . . . . . . . . . . . . . . . Die Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gladiator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unter Verdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine erstaunliche Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . Das Pferd des Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quintus in Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207 209 210 211 213 217 220 223 225 227
DER SCHWERE HERBST Allerhand Vorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Vor der Schlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Beratung bei Marobod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Bei der Abendmahlzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Vor dem Angriwarierwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Das Ballistenschießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Im Zelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Seenot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Vorläufige Rettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Hernius Schrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Auf der Insel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Flucht aus Vetera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
MAROBOD GEGEN ARMIN Auf Livias Empfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armins Krankenlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hernius neuer Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein ungemütliches Frühstück . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Vater und Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . Herniu wieder in Vetera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Antwort des Kaisers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei verdächtige Gäste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eilige Vorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reden der Herzöge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schlacht zwischen den Germanen . . . . . . . . Der Übertritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 257 259 260 262 264 266 268 270 273 276 277
DIE GROSSE MACHT Des Kaisers Späße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marobods Gift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittsommertag bei den Silingen . . . . . . . . . . . . Nachricht aus Bojuheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Asnis Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Tod des Germanicus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279 282 284 286 289 290
DER LETZTE FRÜHLING Verschwörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Der Flüchtling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Erzählung eines Enttäuschten . . . . . . . . . . . . . . . 297 Quintus bei Armin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Der Anschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Ursa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Der Fund im Walde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Der Schwur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Stummer Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Asnis Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
KARTE VON GERMANIEN . . . . . . . . . . . . . . . 322 WORTERKLÄRUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
ZEITTAFEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Ludwig Renn
TRINI - die Geschichte eines Indianerjungen Illustrationen von Kurt Zimmermann 344 Seiten, Halbleinen mit Schutzumschlag, 5,80 DM Für dieses Buch erhielt Ludwig Renn den Nationalpreis ,Buch des Monats' ,Schönstes Buch des Jahres' Erscheint in zehn Sprachen.
Eine packende Erzählung vom Kampf der Indianer. Aber hier erheben sich nicht „Rothäute“ gegen „Weißhäute“, sondern die unterdrückten Bauern gegen die Gutsbesitzer. „Für Land und Freiheit!“ - ist die Losung des tapferen Bauernführers Zapata. Trini, sein Onkel Jeronimo und seine Großmutter Ambrosia stehen ihm mutig und klug zur Seite, und der Leser wird in die dramatische Handlung unwiderstehlich einbezogen. Das Schicksal Trinis läßt ihn nicht mehr los.
DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN