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Einleitung „Jeder über 30 weiß, dass man, soweit es Inhalte betrifft, in etwa fünf Jahren die überwiegende Mehrheit ...
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Einleitung „Jeder über 30 weiß, dass man, soweit es Inhalte betrifft, in etwa fünf Jahren die überwiegende Mehrheit dessen, was im Studium gelernt wurde, vergisst. Aber, so wird argumentiert, die Fähigkeiten überdauern. Sie mögen schwierig zu messen und ihre Effekte nur schwer nachzuweisen sein. Aber sie sind der Kern dessen, was man aus dem Studium mitnimmt (...). Aber die Evidenz, dass das Hochschulstudium per se wirklich diese Fähigkeiten produziert, ist ziemlich dünn. Während wir wissen, das die Leute in den vier Jahren, in denen sie im Studium sind, diese Fähigkeiten erwerben, sind wir uns dagegen überhaupt nicht im Klaren darüber, ob es die Erfahrung der Lehre im Studium ist, die sie produziert“ (Abbott 2002, 5f).
Als Studentin oder Student stellen Sie sich eben darauf ein, Lernen zur Hauptbeschäftigung Ihrer nächsten Jahre zu machen. Abbotts Ausführungen sind wenig ermutigend, wenn Sie Wissenserwerb ins Zentrum Ihres Studiums ansehen. Viele der (guten) Bücher über Lernstrategien (Frick&Mosimann 1997; Konrad&Traub 1999a; Metzger 1995; Müller 1996; Rost 2008; Schräder-Naef 1994; Steiner 2003) tun dies, es geht meist um Wissenserwerb, wissenschaftliches Arbeiten und Prüfungserfolg. Die Berechtigung wissensorientierter Lernstrategien soll hier nicht angezweifelt werden, berufliche Handlungskompetenz ist ohne fundiertes Wissen nicht zu haben. Nur selten sind aber Hilfen zu finden, wie Studierende in Praktika, studienbegleitender Praxis oder Berufseinmündung ihr Lernen auf berufliche Fähigkeiten und berufliches Handeln ausrichten können. Hierzu Lernstrategien aufzuzeigen ist ein erster Grund für dieses Buch. Die Literatur zu Lernstrategien fokussiert weiter überwiegend auf kognitives Lernen. Lernprozesse zu Einstellungen, Haltungen, Motivlagen und interaktionsbezogenen Kompetenzen werden in Lernstrategiebüchern kaum berücksichtigt. Diese Kompetenzen stellen für pädagogische und soziale Berufe Schlüsselfaktoren für den späteren beruflichen Erfolg dar und sollen hier gefördert werden. Der berufsqualifizierende Charakter und die Berufsbefähigung der Absolventen sind seit der Bologna-Reform etablierte Richtziele aller Curricula von Fachhochschulen und Universitäten. Die reformierten Studiengänge der Pädagogik und Sozialen Arbeit sind darauf angelegt, die Berufsfähigkeit der Bachelor-Absolventen zu erreichen, den Bezug zur professionellen Praxis in Schule und Sozialer Arbeit zu sichern, die Kooperation von Hochschule und Praxis zu entwickeln und mit handlungsorientierten Lehr- und Lernansätzen die beruflichen Kompetenzen von Studierenden auszubilden (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2005, 6f). Es gibt viele Bemühungen um handlungsorientiertes Lehren (Bender et al. 2004; Dörig 2003; Falk et al. 2006; Gudjons 2001; Wahl 2005a). Es wurde aber bislang eher selten daran gedacht, die Lernstrategien von Studierenden in diese Richtung anzuleiten. Es ist wesentlich, ob kompetenzorientierte Lehrangebote mit passenden und wirksamen Lernstrategien angenommen werden, oder ob Studierende weiter mit alten schulischen Lernstrategien arbeiten. Personennahes, bedeutsames Lernen löst auch Verunsicherungen aus, die bedrohlich sein können. Damit Sie herausfordernde Lernerfahrungen nicht abwehren oder vermeiden, sondern als Anreiz zur Veränderung sehen, benötigen Sie die Sicherheit und
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Herausforderung durch die Lernumgebung, aber auch Lernstrategien, die die notwendige Irritation in Bildungsprozessen bewältigbar machen. Ein weiterer Grund für dieses Buch ist die mit den Bologna-Vorgaben veränderte Struktur der Studiengänge. Kooperative Lernformen, eLearning, Praktika und Trainingsformen haben eine starke Aufwertung erfahren. Sie sollen die Ausbildung beruflicher Kompetenzen bei einer hohen Selbststeuerung und Individualisierung von Studienprozessen ermöglichen. Sie müssen sich in dieser Studienstruktur orientieren können und dieses Buch will Sie dabei begleiten. Ein letzter Grund für dieses Buch liegt in den veränderten Anforderungen der Praxis pädagogischer und sozialer Berufe. Die beruflichen Anforderungen, Probleme und Aufgaben werden komplexer und wandeln sich rasch. Der tief greifende gesellschaftliche Wandel der letzten 20 Jahre trug dazu ebenso bei wie die stetigen Reformen im Bildungs- und Sozialbereich. Das Buch möchte Sie bei einem persönlich bedeutsamen und handlungsnahen Lernen unterstützen. Durch die hier vorgestellten Lernstrategien sollten Sie sich auf den Weg zu beruflicher Handlungskompetenz machen können. In diese Richtung zu lernen ist kein triviales Unterfangen – dazu drei Perspektiven: Studierende pädagogischer und sozialer Studiengänge haben nach Erfahrung des Autors gelegentlich ein besonderes Verhältnis zum Lernen. Die folgenden Thesen regen vielleicht an, das eigene Verhältnis zum Lernen kritisch zu reflektieren:
Wenn Sie Soziale Arbeit studieren, wünschen Sie sich vielleicht den Beruf als ganzheitliche und intuitive Arbeit und sind theorie- und wissenskritischer als Studierende anderer Studienrichtungen. Als Studierende des Lehramts machen Sie die Schule zum Beruf, setzen selbst erfahrene Lernstrategien vielleicht weiter fort und nehmen sie letztlich in die eigene Lehrtätigkeit mit. Als Studierende beider Fächer sind Sie aufgefordert, persönlich bedeutsam zu lernen. Lernen zu personennahen Themen löst in der Regel nicht nur begeisterte Veränderungsbereitschaft aus, sondern auch Angst, Ambivalenz und Abwehr. Und vielleicht bringen Sie aus Ihrer schulischen Laufbahn wenig hilfreiche Lernstrategien für ein an einem Beruf orientiertes Studium mit.
Studiengänge schaffen ein strukturelles Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Die Sozialwissenschaften entledigten sich der Forderung nach Praxisorientierung im Studium verbreitet mit dem Argument, ein wissenschaftliches Studium könne gar nicht für eine Praxis qualifizieren (Schulze-Krüdener&Homfeldt 2002a, 89). Dewe spricht in diesem Zusammenhang von einer strukturellen und nicht überbrückbaren Theorie-Praxis-Differenz. (Dewe et al. 1992a, 78). Die Verantwortung für berufliche Kompetenzen wurde den Hochschulen nun durch die Bologna-Reform wieder auferlegt, dem Bachelor- und Masterstudium sind berufsqualifizierende Studienziele vorgeschrieben. Die Praxis des Studiums kann hier allerdings weit hinter den Ansprüchen an die Lehre zurückbleiben. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass sich mittlerweile im Studium der Sozialen Arbeit und Pädagogik viele praxisnahe Studienelemente finden lassen: Supervisi-
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onen, Fallwerkstätten, Praktika und Projektarbeiten sind ebenso wie Skills Trainings oder Lehrversuche didaktische Formen, die Handlungsorientierung zunehmend unterstützen. Hochschule und berufliches Arbeitsfeld schließen nicht nahtlos aneinander an, von einer engen oder gar eindeutigen Koppelung von hochschulischen und praxisbezogenen Kompetenzen kann nicht ausgegangen werden.
Die Komplexität von sozialen und bildungsbezogenen Problemen hat durch Individualisierungs-, Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse zugenommen, auf pädagogische und soziale Institutionen wirken sich diese gesellschaftlichen Veränderungen unmittelbar aus. Es gibt eine Vielzahl an Arbeitsfeldern, Adressatengruppen und Methoden in der Sozialen Arbeit, auch in der Schule werden die Aufgaben komplexer und breiter. Soziales Handeln generell unterliegt einem strukturellen Technologiedefizit (Luhmann& Schorr 1979), das hohe Anforderungen an das methodenbezogene Lernen stellt. Personenbezogene und kommunikative Handlungsformen erfordern soziales und personennahes Lernen, zu dem die Hochschulen nicht immer über die nötigen Ressourcen verfügen. Strukturelle Dilemmata im Berufsfeld der Sozialen Arbeit, z.B. zwischen Hilfe und Kontrolle, Eingriff oder Zurückhaltung sind nicht strukturell auflösbar (Müller 1993a, 97f), ähnliches ließe sich für Dilemmata zwischen Bildungs- und Erziehungsauftrag oder Fach- und Schülerorientierung in der Schulpädagogik sagen. Berufliche Problemsituationen benötigen generell ein hohes Maß an fallbezogenem Denken. Allgemeine Arbeitsregeln müssen immer fallspezifisch vermittelt und angewandt werden.
Unter diesen Voraussetzungen sind handlungssteuernde Strukturen von Studierenden nur mit einigem Planungs-, Trainings- und Reflexionsaufwand zu verändern. Handlungsorientiertes Lernen im Studium erfordert vielfältige Transformationsleistungen vom wissenschaftlichen Wissen bis zum kompetenten beruflichen Handeln. Dieses Buch möchte dazu beitragen, dass Sie neue Lernformen im Studium, die berufliche Handlungskompetenz anvisieren, besser bewältigen. Zum Aufbau des Buches Das Kapitel 2 stellt ein Basismodell beruflichen Handelns und beruflicher Handlungskompetenz vor, an dem sich Studierende für ihr Lernen im Studium orientieren können. Es wird in Grundlagen der psychologischen Handlungstheorie eingeführt und das Verhältnis von Wissen und Handeln beschrieben. Einige Modelle und Ergebnisse der Expertiseforschung werden vorgestellt. Das Kapitel 3 beschreibt lernpsychologische Grundlagen des handlungsorientierten Lernens. Es wird ein erweiterter Lernbegriff, erweiterte Lernformen und einige neurowissenschaftliche Grundlagen des Lernens und Handelns vorgestellt. Das Kapitel 4 gibt eine kurze Übersicht über die gemäßigt-konstruktivistische Lernumgebung, auf der dieses Buches basiert.
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Im Kapitel 5 wird der erste Hauptschritt des handlungsorientierten Lernens detailliert beschrieben. Die eigene Lern- und Bildungsbiographie wird als Ressource für das Lernen vorgestellt. Es wird aufgezeigt, wie Sie Vorwissen aktivieren, Ihre mitgebrachten Subjektiven Theorien und Handlungsmuster bearbeitbar machen und Änderungsmotivation für neues Lernen und Handeln aufbauen. Das Kapitel 6 beschreibt den Erwerb von Wissen, Problemlösestrategien und handlungssteuernden Strukturen. Es gibt Hilfen zum Wissenserwerb, zur Verarbeitung fachlicher Informationen und zum Speichern und Strukturieren von Wissen. Weiter behandelt es Problemlösen als Lern- und Handlungsform und gibt Hilfen für gutes Problemlösen. Das Kapitel 7 gibt Hilfen zum Absolvieren von Prüfungen. Dabei wird im Besonderen auf kompetenzorientierte Prüfungsformen wie das Portfolio, fallbezogene Prüfungen oder Simulationen eingegangen. Das Kapitel 8 leitet dazu an, neues berufliches Handeln in Gang zu bringen. Im Zentrum stehen dabei verschiedene Trainingsformen zum sozialen Handeln im Beruf. Das Kapitel 9 gibt Hilfen zu Lernstrategien in Praktikum oder studienbegleitender Praxisausbildung. Wie das Praktikum oder die studienbegleitende Praxis systematisch einem professionellen beruflichen Handeln dienen können und wie Lernende die Ausbildung in der Praxis für sich strukturieren können, wird beschrieben. Das Kapitel 10 beschreibt ein breites Spektrum von lernwegflankierenden Maßnahmen beim Lernen, die schulisches und handlungsorientiertes Lernen unterstützen. Nach dem kurzen Schlusswort findet sich die verwendete Literatur. Hinweise zur eLearning-Plattform zum Buch Zu diesem Buch existiert eine Lernplattform, die Ihnen Material zur aktiven Aneignung handlungsorientierter Lernstrategien bietet. Sie erfahren und nutzen die in diesem Buch vorgestellten Verfahren direkt für Ihr Lernen. Viele Lernwerkstätten erfordern die Arbeit in einem Tandem, einige eine Kleingruppe, um die Aufgaben zu bearbeiten. Vielleicht gewinnen Sie Mitstudierende, die gemeinsam mit Ihnen neue Lernformen ausprobieren. Wenn Sie dieses Buch im Rahmen eines Lernstrategiemoduls besuchen, ist Tandem- oder Lerngruppenarbeit vermutlich ein fester Bestandteil des Moduls. Nutzen Sie das Arbeiten mit anderen Studierenden, Sie werden mehr Erfolg und Freude durch gemeinsame Lernarbeit haben. Auf die jeweilige Lernwerkstatt wird am Ende jedes Kapitels, zu dem eine Werkstatt existiert, hingewiesen. Im Anhang finden Sie eine Übersicht aller Lernwerkstätten auf der Plattform. Dort finden Sie Dokumentvorlagen, Aufgaben, Arbeitsblätter, Tests und Checklisten, die Sie darin unterstützen, handlungsorientiertes Lernen zu erfahren und zu üben. Die Lernplattform versteht sich als Open-Source-Quelle, sie wird laufend überarbeitet. Die Lernwerkstätten sind analog zu den Kapiteln des Buches durchnummeriert. Zugang zur Lernplattform erhalten Sie über das Online-Plus-Angebot des VS Verlags http://www.vs-verlag.de/onlineplus oder http://www.handlungsorientiert-lernen.ch
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Redaktionelle Hinweise Bücher bestehen aus Büchern, die aus Büchern bestehen ... kein Autor, besonders, wenn er für Studium und Ausbildung schreibt, generiert das Gros des mitgeteilten Wissens selbst. Der Textproduktion für die Lehre liegt eher eine Strategie des „knowledge telling“ (Eigler 2006, 189f) zu Grunde. Sie ist eher selten originäre Wissensproduktion. Dieses Buch adaptiert die gemäßigt-konstruktivistische Lernumgebung (Wahl 2005a) für das Studium sozialer und pädagogischer Berufe und für die Perspektive von Studierenden. Es ordnet dazu relevante Themenaspekte anderer Autoren unter dieses Rahmenkonzept. Das Buch benutzt, wo möglich und sinnvoll, gendergerechte Formen, will aber Genus und Sexus nicht verwechseln (Rost 2008, 217). Deshalb wird die männliche Form für beide Geschlechter verwendet. Wo spezifisch Männer oder Frauen gemeint sind, ist dies deutlich gemacht. Dank Vielen Menschen ist zu danken für Unterstützung, Anregung und Kritik: Ich danke meiner Frau Barbara für ihre Geduld und Unterstützung. Danke den Studierenden für ihr Engagement im Modul und die kritischen Rückmeldungen zu Buch und Lernumgebung. Danke an Leo Gürtler für die kritische Sichtung der 2. Auflage und Monika Mülhausen für ihre kompetente Begleitung seitens des VS Verlags. Danke schließlich an Diethelm Wahl, der mit seiner Forschungs- und Lehrarbeit die Grundlagen und Konzepte vorgelegt hat, die dieses Buch in vieler Hinsicht inspiriert haben.
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Abbildung 1: Hauptschritte, Lernaktivitäten und lernflankierende Maßnahmen beim handlungsorientierten Lernen
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Das Ziel dieses Buchs ist es, Sie mit einem Lernen vertraut zu machen, das Ihrem späteren beruflichen Handeln dient. Dazu sollten Sie verstehen, was Handeln bedeutet und wie Sie berufliche Handlungskompetenz erwerben können. Zur Grundlegung dieses Verständnisses dient das folgende Kapitel. Die Funktion jeder gesellschaftlichen Arbeit, ist es, Leistungen im Rahmen von (beruflichen und nichtberuflichen) Aufgabenstellungen zu erbringen: Arbeit bedeutet die Erzeugung gesellschaftlich bedeutsamer Werte, Produkte oder Dienstleistungen. Gemeint ist hier auch Nichterwerbsarbeit wie ehrenamtliche oder Familienarbeit – auch die Erziehung von Kindern oder die Tätigkeit in einer karitativen Organisation ist gesellschaftliche Arbeit. Arbeit erfordert zielorientierte und systematische Tätigkeit, also Handeln. Erwerbsarbeit benötigt keine Ausbildung, unterstellt aber Bezahlung. Berufliche Arbeit ist ein weiterer Ausschnitt gesellschaftlicher Arbeit. Berufe basieren auf definiertem Wissen und Können, auf Kompetenzen, die in Schulen oder Ausbildungen vermittelt werden, deren Abschlüsse geregelt sind und deren Ausübung durch Berufsgemeinschaften oder Verbände kontrolliert werden. Professionen stellen einen noch engeren Ausschnitt aus dem Spektrum gesellschaftlicher Arbeit dar. Ihnen ist die exklusive Bearbeitung gesellschaftlich besonders bedeutsamer Zentralprobleme (Krankheit, uneindämmbare Konflikte, Endlichkeit und Tod) vorbehalten (Luhmann 1975). In den älteren Professionsmodellen werden der hoher Status, das exklusives Expertenwissen, die berufliche Ethik, die Exklusivität der Problembearbeitung und die professionelle Autonomie innerhalb der beruflichen Gemeinschaft hervorgehoben. Die Tätigkeit der Mitglieder von Professionen ist 1. wissenschaftlich fundiert, sie findet 2. in gesellschaftlich relevanten, ethisch normierten Feldern zu gesellschaftlichen Kernproblemen statt und ihre Angehörigen verfügen 3. über ein Mandat zur Lösung dieser als zentral erachteten gesellschaftlichen Probleme, das auch einen Eingriff in die Lebenspraxis von Individuen beinhaltet (Böllert&Gogolin 2002, 367). Soweit das klassische, merkmalstheoretische Professionsmodell, das vor allem auf Ärzte, Juristen und Theologen seine Anwendung fand. Die Professionalisierung pädagogischer und sozialer Berufe im Sinne des klassischen Professionsmodells war stets umstritten (Combe&Helsper 1996), da viele der Merkmale von Professionen (Autonomie, Exklusivität der Problembearbeitung u.a.) nicht auf Pädagogen und Sozialarbeiter zutreffen. Für diese Domänen scheint ein anderer Professionsbegriff angemessen, er führt unmittelbar zum hier vertretenen Verständnis von ziel- und verständigungsorientiertem sozialem Handeln als Kern der beruflichen Tätigkeit. Dem herkömmlichen Professionsmodell mit seinem expertenhaft-zweckrationalen Handeln wird ein diskursiv-reflexives Professionsverständnis gegenübergestellt (Dewe&Otto 2001; Dewe&Otto 2002). Fachkräfte pädagogischer und sozialer Berufe eröffnen und unterstützen Lebensbewältigungs- und Bildungsoptionen, ermöglichen Partizipation und Zugang zu sozialen und bildungsbezogenen Ressourcen und fördern Lebens- und Bildungschancen ihrer Adressa-
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
ten. Sie tun dies zielorientiert und wissensbasiert, vernetzt mit anderen Berufsgruppen und im Dialog mit ihren Adressaten. Dazu benötigen sie eine reflexive Professionalität, die wissenschaftliches, Professionsund Handlungswissen verbindet und auch lebenspraktische und sozialkulturelle Dimensionen einbezieht. Diese reflexive Professionalität wurde primär für die Sozialpädagogik entwickelt, ist aber unschwer auf Lehrberufe anzuwenden, mindestens soweit sie deren Begleitungs-, Erziehungs- und Unterstützungsfunktion betrifft. Dieses berufliche Handeln verlangt die Verbindung von ziel- und verständigungsorientiertem Handeln, von Theorie und Praxis, von Anwendung wissenschaftlichen Wissens und einem Verständnis von fallorientiertem Arbeiten (Böllert&Gogolin 2002, 373). Wenn Sie einen sozialen oder pädagogischen Beruf ergreifen, lassen Sie sich auf ein Feld komplexer Handlungsprobleme ein: Sie arbeiten in Berufsfeldern, die ganzheitlich, umfassend, komplex und hochgradig interaktionsbasiert sind (Wahl 1991). Das berufliche Handeln in der Sozialen Arbeit oder Pädagogik unterscheidet sich erheblich vom Handeln in technischen, handwerklichen oder administrativ-wirtschaftlichen Berufen. Sozialpädagogen und Lehrer handeln auch technisch, administrativ und ökonomisch. Sie handeln aber im Kern ihres Selbstverständnisses sozial, d.h. mit Menschen, die ihnen als autonome Gegenüber mit eigenem Willen und eigener Weltsicht begegnen und mit denen sie, wenn möglich kooperativ, Ziele für die Verbesserung von Lebenssituationen, für Bildung oder soziale Integration erreichen wollen. Sie tun dies nicht als Laien oder freiwillige Helfer, sondern als angestellte und mit eine professionellen Auftrag versehene Fachkräfte. Die Professionalisierung der sozialen und pädagogischen Berufe ist seit ihrem Beginn ein Ziel der entsprechenden Ausbildungen, auch wenn der Professionsstatus als noch umstritten oder wieder gefährdet gesehen wird (Böllert&Gogolin 2002). Mit den Anforderungen an eine individualisierte Lebensbewältigung und mit der Zunahme der gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung und sozialer Integration haben soziale und pädagogische Berufe aber eine gesamtgesellschaftliche Aufwertung erfahren, auch wenn der Ruf von Lehrern oder Sozialarbeitern medial gelegentlich sehr kritisch inszeniert wird. Der gesellschaftliche Auftrag, das Funktionsniveau sozialer und pädagogischer Institutionen und die hochschulischen Ausbildungsniveaus sprechen für eine Professionalisierung pädagogischer und sozialer Berufe (Böllert&Gogolin 2002). Von professionellem Handeln wird gefordert, dass es rational und reflektiert stattfindet (Sidler 2004, 61). Die Rationalität des sozialen und pädagogischen Handelns setzt voraus, dass Fachkräfte Probleme der Praxis wissensbasiert, zielorientiert, geplant und methodenorientiert angehen. Gleichzeitig hat pädagogisches Handeln aber immer die soziale Dimension. „Menschliches Handeln ist schon konzeptuell eine soziale Aktivität, denn es wird durch die sozialen Umstände, durch Regeln und Normen beeinflusst (...) und es hat in aller Regel Folgen für die handelnde Person und für Andere“ (Greve 2002, 301). Dies trifft auf das Handeln in pädagogischen und sozialen Berufen umso mehr zu, als es soziales Handeln mit Adressaten mit dem Ziel von Verständigung, Entwicklung, Lernen und Bildung ist.
Die Sicht der psychologischen Handlungstheorie
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2.1 Die Sicht der psychologischen Handlungstheorie Menschen handeln keineswegs immer zielorientiert, rational und wirksam. Sie schreiben z.B. eine schriftliche Arbeit und zögern sie bis zuletzt hinaus. Sie möchten im Studium mehr Sport treiben, Ihre Zeit besser einteilen oder besser mit anderen kooperieren und tun vielleicht das Gegenteil. In sozialen Situationen wie einer Unterrichtsprobe oder einem Klientengespräch sind Sie Bedingungen ausgesetzt, die unübersichtlich und komplex sind. Sie folgen hier vielleicht eher Ahnungen oder Spontanreaktionen, als zu handeln. Dennoch gehen wir vom Menschen als einem potentiell handlungsfähigen Wesen aus. Wir stellen uns den Menschen als handlungsfähiges Subjekt vor. Groeben hat dieses Menschenbild als epistemisches Subjektmodell formuliert (Groeben et al. 1988). Es behauptet eine Parallelität zwischen Wissenschaftlern und Alltagsmenschen. Auch der um Erkenntnis bemühte Alltagsmensch versucht, sich von seiner Umwelt unabhängig zu machen, indem er sie mit Hilfe selbst konstruierter Kategorien beschreibt, erklärt und mit Bedeutung versieht. Er stellt Fragen, entwirft Hypothesen, gewinnt Erkenntnisse und bildet sich Vorstellungen, die zu seinen Orientierungsgrundlagen werden. In seinem Planen und Handeln hat er Wahlmöglichkeiten, weshalb er für seine Entscheidungen und Handlungen Verantwortung trägt. Über seine internen Prozesse, Sinn- und Bedeutungsstrukturen kann er Auskunft geben und sich verständigen. Die Kernbegriffe dieses Menschenbildes sind Rationalität, Reflexivität, Kommunikationsfähigkeit, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sowie Verantwortung für das eigene Handeln (Groeben et al. 1988, 16). Ein solches Menschenbild weist eine doppelter Passung zu gegenwärtigen Tendenzen in der Pädagogik und Sozialen Arbeit auf: Von Sozialpädagogen und Lehrern wird diese Form reflexiv-rationalen, verantwortlichen und kommunikationsbezogenen Handelns als professioneller Anspruch gesetzt. Aber auch den Adressaten von Pädagogik und Sozialer Arbeit werden Ressourcen und Kompetenzen zugeschrieben: Klienten wie Schüler werden als heute eher als „aktive und autonome Nutzer“ denn als defizitäre Mängelwesen oder Edukanden angesehen. Die psychologische Erklärung menschlicher Handlungen muss vier grundlegende Fragen beantworten (Greve 2002, 303f): 1. 2. 3. 4.
Wie fassen Menschen Absichten oder Ziele, wie entscheiden sie sich für eine Handlung? Wie realisieren sie diese Absichten? Wie steuern und regulieren sie die Ausführung von Handlungen und schließlich Wie können sie kontrollieren, was sie wollen und was sie tun?
Diese Fragen werden anhand der folgenden Basismodelle der psychologischen Handlungstheorie zu klären versucht. Lesen Sie die folgenden Kapitel mit einem selbstreflexiven Blick und überlegen sie, wo Sie sich und Ihr Alltagshandeln erkennen und es verändern könnten oder sollten. 2.1.1 Der Handlungsbegriff Ein Handlungsbegriff, der dem oben beschriebenen Menschenbild entspricht, muss Handlungen als „absichtsvolle und sinnvolle Verhaltensweisen beschreiben; sie werden konstruktiv geplant und als Mittel zur Erreichung von (selbstgewählten) Zielen eingesetzt (...).
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Handlungen sind auf Resultate gerichtet und folgen Motiven und Interessen“ (Groeben et al. 1988, 12). Sie sind nur auf der Grundlage eines Erfahrungs- und Wissenssystems und auf einer Fähigkeit zur symbolischen Restrukturierung von Handlungen denkbar (Groeben et al. 1988, 12). Aus diesem Handlungsbegriff lassen sich einige Merkmale von Handlungen ableiten und gegen Verhalten als allgemeinste Form menschlicher Aktivität abgrenzen (Edelmann 2000, 199).
Merkmale einer Handlung Merkmale von Verhalten Innensteuerung durch ein Subjekt Außensteuerung durch Reiz Entscheidung zwischen Handlungsalternativen Automatisierte Reaktion subjektiver Sinn des Handelns Verhaltensgewohnheit Zielgerichtetheit (Intentionalität) Reizgerichtetheit (Kontingenz) Bewusstheit Nicht-Bewusstheit flexibles Handlungskonzept automatisiertes Muster (auch rechtliche) Verantwortlichkeit Unwillkürlichkeit Wissenserwerb Mustererwerb Tabelle 1: Merkmale von Handeln und Verhalten (Edelmann 2000, 197) Im Alltag ist ein erheblicher Teil menschlicher Aktivitäten als automatisiertes Verhalten zu klassifizieren, das schnell, gewohnheitsmäßig und zuverlässig erfolgt, die begrenzte Energie und Aufmerksamkeit des Individuums weniger absorbiert und allenfalls schnell gegen Gefahren schützt. Handeln hingegen erfordert Bewusstheit und Zielgerichtetheit, es benötigt höhere Verarbeitungskapazitäten des psychischen Systems. Dafür werden beim Handeln unbekannte und neue oder Probleme überhaupt erst bewältigbar. Dabei folgt Handeln bestimmten Strukturen und Prozessverläufen. 2.1.2 Modelle zur Erklärung menschlichen Handelns Das Basismodell der Handlungstheorie ist das Modell der vollständigen Handlung von Volpert (Gudjons 2001, 46ff; Volpert 2003). Es stellt die Basis für alle weiteren Modelle der Handlungstheorie dar. Gudjons fasst die Teilschritte einer vollständigen Handlung in drei Hauptschritte Antizipation, Realisation und Handlungskontrolle zusammen. Diese Schritte werden weiter differenziert. Als Schema kann (zielorientiertes) Handeln folgendermaßen dargestellt werden. Dabei ist der Ablauf nicht als linear zu verstehen, die Schritte können sich wiederholen, wenn Störungen einer Handlungsepisode erfolgen oder Korrekturen notwendig werden.
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Abbildung 2: Modell der vollständigen Handlung (Gudjons 2001, 46) Die Frage nach der Klärung von Absichten und handlungsrelevanten Intentionen war die zweite Frage, die Handlungstheorie klären muss – nicht immer sind ja Absichten einfach in Handeln umsetzbar: Es ist im Gegenteil, wie Ihrer Alltagserfahrung sicher sehr gut vertraut ist, häufig nicht einfach, Absichten in Handlungen umzusetzen. Was die Schaffung und Umsetzung von Absichten, Zielen und Motiven beim Handeln fördert oder behindert, beschreiben Motivationstheorien wie die Erwartungs-Wert-Theorie, die im Folgenden kurz vorgestellt wird (ausführlicher zur Änderungsmotivation vgl. Kap. 5.7). Motivation und bedeutsame Absichten zu einer Handlung entstehen danach durch zwei Hauptquellen, durch Überzeugungen und Bewertungen (Greve 2002, 306). Überzeugungen („beliefs“) bestehen aus Erwartungen zum Handeln, aus sozialen Wahrnehmungen (z.B. zu Konsequenzen) und aus persönlichen Kontrollüberzeugungen zum Handeln. „Desires“, also Wünsche, Bedürfnisse, Werte und normative Vorstellungen prägen Ihre Handlungsziele ebenfalls direkt. Beide Komponenten fließen über konkrete Handlungsintentionen in Ihr Handeln ein. Greve visualisiert das Erwartungs-Wert-Modell folgendermaßen (Greve 2002, 306).
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Abbildung 3: Erwartungs-Wert-theoretische Handlungserklärung (Greve 2002, 306) Die dritte zentrale Frage muss die Realisierung von Absichten beim Handeln verständlich machen. Das Rubikon-Modell von Heckhausen (Heckhausen 2006, 6ff), eines der bekanntesten Modelle der Motivationspsychologie, klärt diese Frage. Heckhausen beschreibt in seinem Modell der Handlungsphasen den Zusammenhang von Motivation und Volition (bewussten Willensentscheidungen) und verdeutlicht dabei den Zusammenhang zwischen Intentionen und tatsächlichem Handeln. Das Rubikon-Modell beschreibt, wie sich aus den Bedingungen von Situation und Person im Prozess des Abwägens und Planens Motive herausbilden und ins Handeln Eingang finden. Es betont dabei besonders die Rolle bewusster willentlicher Entscheidungen („Gang über den Rubikon“). Menschliches Handeln wird auch hier, wie beim Modell der vollständigen Handlung, in Phasen eingeteilt. In der Phase des Abwägens werden Ziele, Motive, Bedürfnisse und Erwartungen in Bezug auf das eigene Handeln kalkuliert (lohnt sich der Aufwand? Komme ich zu den Ergebnissen vielleicht auch ohne Anstrengung, welche Bedeutung hat das Ergebnis einer Anstrengung, wie bedeutsam sind die Folgen, die daraus entstehen?). Dann wird eine bewusste oder unbewusste Entscheidung gefällt. Heckhausen benutzt die Metapher des Gangs über den „Rubikon“. Ist eine Entscheidung getroffen, wird eine Handlung geplant und ausgeführt. Im Anschluss findet eine Bewertung und Folgenabschätzung des eigenen Handelns statt.
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Abbildung 4: Handlungsphasen und Rubikon-Modell der Motivation (Heckhausen 2006, 7) Wenn nun eine Handlung in Gang kommt, wird die Ausführung gesteuert und die Handlung korrigiert, falls sie am Ziel vorbeizugehen droht. Das vierte bedeutsame Modell der hierarchisch-sequentiellen Handlungsregulation beschreibt diese Steuerung der Handlungsausführung (Cranach&Bangerter 2000, 239f; Greve 2002, 309f). Die Regulation des Handelns findet nach diesem Modell auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen statt, Cranach unterscheidet eine intellektuelle, perzeptiv-begriffliche und automatisierte Regulationsebene. Wenn Sie Ihre Lernstrategien verändern wollen, benötigen Sie ein intellektuelles Verständnis davon, was dies bedeutet. Sie sind dabei, sich dies durch Lesen und Verstehen anzueignen. Weiter entwickeln Sie ein begrifflich-wahrnehmungsorientiertes Bild davon, wo Sie in einem Veränderungsprozess gerade stehen. Sie nehmen z.B. wahr, dass Sie Ihr Vorwissen aktivieren oder ein altes Handlungsmuster zu durchbrechen versuchen. Und schließlich gibt es eine automatisierte Ebene der Handlungssteuerung, die bewusstseinsfähig, aber nicht bewusstseinspflichtig ist und auf der Sie mit Schemata reagieren, z.B. indem Sie beim Lernen automatisch auf Ihre Konzentration achten und bei Müdigkeit eine Pause einlegen. Auf diese Weise steuern und korrigieren Sie während einer Handlung Ihre Aktivitäten. Die Hierarchie der Handlungsregulation wird dabei so vorgestellt, dass die wichtigsten handlungsleitenden Ziele die untergeordneten Teilziele und die Abfolge der Handlungsschritte dominieren. Bei erfolgreichem zielorientiertem Handeln ordnen Sie Ihr Handeln nach der Wichtigkeit und dem systematischen Ort einer Handlung. Das immer wieder beschriebene Bespiel ist die Zubereitung einer Mahlzeit, die verschiedenste Teilhandlungen in einem optimalen Ablauf organisiert. Hierarchisch höhere Teilschritte unterbrechen niedrigere, danach kehrt der Handelnde wieder zurück und setzt das Begonnene fort. Handlungsleitend sind dabei die höchsten Ziele („Ein Essen geben“).
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In allen Teilsequenzen ist dabei der Steuerungsmechanismus der TOTE-Einheit („TestOperate-Test-Exit“) wirksam (Galanter et al. 1973). Dabei wird in einem IST-SOLLVergleich geprüft, ob eine Teilhandlung zu dem erwünschten Ergebnis geführt hat („Test“). Wenn nein, wird korrigierend gehandelt („Operate“), danach wird wieder geprüft („Test“). Wenn dann das Ergebnis erreicht wird, wird zum nächsten Schritt übergegangen („Exit“). Wenn Sie z.B. beim Lesen schwieriger Texte diese Art Handlungsregulation zum Textverständnis nicht betreiben, werden Sie wichtige Passagen unverstanden überlesen. Wenn Sie Teigwaren kochen und zwar prüfen, ob diese al dente sind, aber darauf nicht reagieren (weil die Sauce überkocht), werden Sie anschließend Nudelbrei servieren müssen. Im Folgenden also die Anleitung zur handlungstheoretisch korrekten Zubereitung einer Mahlzeit.
Abbildung 5: Modell der hierarchisch-sequentiellen Handlungsregulation mit integrierter TOTE-Einheit (Greve 2002, 3110) Handlungen basieren auf Wissen und Können, Emotionen und Motiven, Normen und Werten von Handelnden. Diese konkretisieren sich in einem zielbezogenen Handlungskonzept. Das Ziel wirkt wieder zurück auf die handlungssteuernden Komponenten. „Handeln ist also gesteuert, zielorientiert und es ist zirkulär, d.h. die Zielerreichung wird abgeglichen mit den handlungssteuernden Komponenten und fließt wieder in diese ein. Cranach hat drei der maßgeblichen Modelle der menschlichen Handlungssteuerung (Cranach&Bangerter 2000, 238ff) in einem Gesamtmodell integriert. Er verwendet dabei die drei Regulationsebenen der hierarchischen Handlungsregulation, die Willens-, Motivations- und Entscheidungsprozesse des Rubikonmodells und die sequentielle Handlungsregulation.
In der Phase vor der Zielentscheidung werden Handlungstendenzen ausgewählt, Sachverhalte, Erwartungen und Wertvorstellungen aktiviert (z.B. ein Regelverstoß eines Klienten oder Schülers bewertet, die Notwendigkeit einer Reaktion überlegt, verschiedene Maßnahmen ins Auge gefasst). In der präaktionalen Phase vor dem Entschluss zur Ausführung wird eine Handlungstendenz ausgewählt (z.B. eine angemessene Sanktion ausgewählt).
Handlungsregulation – Steuerung menschlichen Handelns
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Die aktionale Phase ist die Handlungsausführung, wobei konkurrierende Tendenzen unterdrückt werden (z.B. die Sanktion wird erteilt, eventuell auftauchende Zweifel werden beruhigt). Die postaktionale Phase nach dem Handeln bewertet die Handlung nach Ziel und Erfolg (z.B. der Erfolg der Sanktion nach den Reaktionen des Schülers beurteilt). Auch wenn Handeln in den genannten Phasen verläuft, finden während des Handelns permanente Vergleiche zwischen Ist und Soll statt (z.B. auf der begrifflichwahrnehmenden Ebene mit der Frage, ob hier wirklich ein Regelverstoß vorliegt) und es wird sofort korrigiert (z.B. durch Ignorieren oder Humor, falls das Verhalten nicht als Verstoß bewertet wird).
Abbildung 6: Integration des Rubikon-Modells und des Modells der hierarchischsequentiellen Handlungsregulation (Cranach&Bangerter 2000, 240) 2.2 Handlungsregulation – Steuerung menschlichen Handelns Im Folgenden wird nun detaillierter auf handlungssteuernde Komponenten menschlichen Handelns eingegangen. Dies soll klären, von welchen personenbezogenen Faktoren menschliches Handeln beeinflusst wird, welchen Strukturen es unterliegt und welche Prozesse dabei ablaufen. Aufgrund der Kenntnis der Wirkungsweise menschlichen Handelns können dann später Lernprozesse beschrieben werden, die Handeln lehrbar machen und die von Dozierenden instruiert und begleitet und von Studierenden aktiv und selbstgesteuert praktiziert werden können.
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
2.2.1 Wissen Naive Handlungstheorien stellen sich die Beziehung zwischen Wissen und Handeln vereinfachend vor, meist als Anwendung von Wissen als einem Werkzeug. Gleichzeitig erleben wir Wissen und Handeln häufig als Spannungsfeld. Wenn Wissen allein und direkt handlungsleitend wäre, würden wir kaum stark rauchen, fett essen, uns wenig bewegen, schnell Auto fahren, viel arbeiten und andere bekanntermaßen lebensverkürzende Dinge tun (Mandl&Gerstenmaier 2000, 14). Die naive Handlungstheorie entspricht nicht den komplexen Prozessen, die Wissen und Handeln verbinden. Wissen ist notwendig für das Handeln, aber nicht hinreichend. Es gibt noch viele andere Voraussetzungen für gelingendes Handeln. Zum anderen ist Wissen auch ein Resultat von Handeln, es entsteht durch Handlungen. Wie Wissen das Handeln steuert, kann folgendermaßen vorgestellt werden (Cranach& Bangerter 2000, 235ff):
Wissen existiert in verschiedenen Formen im menschlichen Bewusstsein. Als deklaratives Wissen ist es Faktenwissen, das Grundinformationen zum Handeln liefert und erinnert werden kann. (z.B. Gesprächsinterventionen kennen). Als prozedurales Wissen ist es Methodenwissen („Können“), das komplexe Handlungen ermöglicht und steuert, ohne einzelne Bestandteile bewusst zu kontrollieren. Dieses Wissen ist häufig vorbewusst, aber erinnerbar (z.B. ein Beratungsgespräch führen). Als episodisches Wissen ist es Geschichtenwissen, Erfahrungen aus früheren Ereignissen, eigenen und fremden Handlungen (z.B. alle Fallgeschichten von Beratungen, Betreuungen, Klientengeschichten oder die eigene Erfahrung von Unterricht als Schüler). Neuweg führt weiter den Begriff des impliziten Wissens ein, das als „unbewusstes“ (nicht verbalisierbares) oder „unterbewusstes“ (unter der Bewusstseinsschwelle liegendes, aber verbalisierbares) Wissen vor allem intuitiv-improvisierendes Handeln steuert (Neuweg 2005, 210). Wissen ist, wenn uns nicht externe Wissensspeicher helfen, über Gedächtnis repräsentiert. Alles relevante Wissen wird im Gedächtnis gespeichert. Dies muss nicht immer bewusst sein. Es sollte aber erinnerbar sein, wenn z.B. Routinen nicht funktionieren und Handlungsmuster verändert werden müssen. Wissen kann über Abwehr- und Verdrängungsmechanismen unbewusst werden, diese prägen Handeln stark, da sie nicht der willentlichen Kontrolle unterliegen. Wissen ist als Wissenssystem komplex und hierarchisch organisiert und im Gedächtnis in unterschiedlicher Form als Abstraktion (Begriff, Relation), als Bild (räumliche oder lineare Ordnung) oder als Tätigkeit (Handlung oder Fertigkeit) repräsentiert (Edelmann 2000, 157) Dabei werden ganze Handlungsstrategien als Einheiten erinnert und stehen so verdichtet zur Verfügung. Wissen und Handeln sind mehrstufig organisiert. Handeln findet immer in sozialen Kontexten statt und der soziale Kontext prägt das Handeln. Das individuelle Wissen wird dabei durch „individuelle soziale Repräsentationen“ aktiviert und modifiziert. Was in einer Schulklasse legitimes Handeln für einen Lehrer ist, kann bei einem Sozialpädagogen in einer offenen Gruppensituation wenig adäquat wirken (z.B. sich melden müssen im Gespräch).
Wissen wird über mehrstufige Transformationsprozesse in Handlungsschemata und -strategien überführt. Dabei werden umfangreiche und verstreute, alte und neue Wissensbestände
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gebündelt und so verdichtet, dass sie in Handlungssituationen quasi en bloc abgerufen werden können (Wahl et al. 1995, 63). Diese Bündelung und Verdichtung von Wissen hat den Vorteil, dass große Mengen an Wissen und komplexe Wissens- und Handlungsmuster schnell und zuverlässig zur Verfügung stehen. Die Umformung von Wissen für Handlungssituationen geschieht nun, stark vereinfacht ausgedrückt, in einer Logik von Situationen und Reaktionen. Wissen wird als Abbild einer zu bewältigenden Situation und ihr angemessener Handlungsreaktionen geordnet. Es wird organisiert in der Form typischer Problemstellungen, für die typische Problemlösungen bereitgehalten werden. Wahl nennt diese Situations-Reaktions-Konstellationen Subjektive Theorien kurzer Reichweite (Wahl 1991, 69). Diese Situations-/Handlungsprototypen sind sehr stabil und benötigen erheblichen Aufwand, um sie zu verändern. Für viele Situationen („Provokation“) haben Menschen nur einen Handlungsprototyp zur Verfügung („Verstummen“, „Zurückprovozieren“), in Untersuchungen wurden nie mehr als sechs verschiedene Handlungsprototypen für einen Situationsprototyp gefunden (Wahl 1991, 69).
Abbildung 7: Situations- und Reaktionsprototypen im menschlichen Handeln unter Druck (Wahl 1991, 69) Dieses enkapsulierte, in Situationstypen „verkapselte“ Wissen steht in Bezug zu dem umfangreichen Fakten-, Methoden- und Erfahrungswissen, das für eine Handlung nicht relevant ist oder nicht zur Verfügung steht. Dafür wählt Wahl das Bild eines Eisbergs auf dem Kopf. Der Teil des Wissens, der für das Handeln zur Verfügung steht, ist relativ klein und komprimiert, das umfangreiche Theorie- und Erfahrungswissen kann in der Situation nicht genutzt werden. Es liegt quasi „Land unter“ (Wahl et al. 1995, 64ff). Handlungssteuernd sind im Moment des Handelns nur diejenigen Wissensbestände, die ins momentane Wahrnehmen, Denken und Fühlen der handelnden Person „hineinragen“.
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Abbildung 8: Wissensnutzung in Handlungssituationen – „Eisberg-auf-dem-Kopf“Modell (Wahl et al. 1995, 65) Wenn ein Berufsanfänger z.B. Misstrauen bei einem Gegenüber wahrnimmt und im Gespräch darauf reagieren muss, würde ihn das ganze Wissen der Kommunikationspsychologie eher lähmen als handlungsfähig machen. Er kann aber vielleicht im Handlungsfluss einige wenige Informationen wie „Misstrauen als ernste Störung im Beratungsprozess“ realisieren und von seinem Anliegen abweichen, denn „Störungen haben Vorrang“. Im Beispiel wird deutlich, wie bereits elementares Wissen zur Gesprächsführung die Informationsverarbeitung von Handelnden fordert. Umso wichtiger ist im sozialen Handeln die Einrichtung von guten Routinen zur Entlastung der Handlungssteuerung, damit man z.B. bei Störungen den Ausstieg zur Metakommunikation bewältigt. Damit Wissen im Handeln wirkt, muss es hoch verdichtet und gebündelt werden, damit es im sozialen und kommunikativen Handeln (unter Druck) auch tatsächlich genutzt werden kann. Es muss weiter in Form von typischen Problemsituationen und Problemlösungen gespeichert werden, damit es dann als Situationsauffassung und Handlungsauffassung, Handlungsschema oder -strategie zur Verfügung steht. Diese Schlussfolgerungen haben für handlungsorientiertes Lernen weit reichende Konsequenzen: Schulisches Lernen im traditionellen Sinne kann Handeln, wie es oben beschrieben ist, nicht verändern. Wie handlungsorientiertes Lernen diese Verdichtung, Bündelung und Strukturierung von Wissen auf die Logik von Handlungsproblemen hin leisten kann, wird näher in den Kapiteln 6 und 8 vorgestellt. 2.2.2 Regeln Regeln und Normen sind als Handlungsvorschriften direkt handlungsleitend. „Ist die Situation unklar oder mehrdeutig, wird die Norm in Zweifel gezogen oder gibt es mehrere kon-
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fligierende Normen, kann es freilich kompliziert werden“ (Cranach&Bangerter 2000, 236). Dann müssen weitergehende Strategien zur Entscheidung angewandt werden, z.B. der Rückgriff auf eigene Werthaltungen. Im Kontext der Sozialen Arbeit wie der Pädagogik sind Spannungen zwischen verschiedenen Normen oder Regeln häufig. Regeln und Normen sind im hochschulischen Kontext nicht einfach zu erlernen, weil sie den Anwendungsbereich und damit berufliche Praxis erfordern. Dennoch sind aus wissenschaftlichem Wissen Handlungsregeln ableitbar, wie dies z.B. Burkhard Müller für die multiperspektivische Fallarbeit macht. Er gibt eine Vielzahl von Regeln für das sozialpädagogische Fallverstehen an, die Wissen zur Bearbeitung von Klientenfällen verdichten und so das Handeln direkt anleiten (Müller 1993a). 2.2.3 Werthaltungen Werthaltungen sind Vorstellungen allgemein wünschbarer Sachverhalte, sie üben vor allem Einfluss auf die Ziele einer Person aus. Sie wirken ebenfalls direkt handlungsleitend. Wenn Handlungsziele schlecht eruierbar, widersprüchlich oder nicht aus einer Zielhierarchie ableitbar sind, wird direkt auf Werthaltungen referiert (Cranach&Bangerter 2000, 237). Je unklarer z.B. die Konzepte einer pädagogischen Institution sind, desto mehr wird man geneigt sein, direkt aus dem eigenen pädagogischen Wertesystem heraus zu handeln. 2.2.4 Selbstkonzept und Identität Das Selbstkonzept des Handelnden ist bei der Gestaltung von Handlungen ebenfalls wirksam. Personale und soziale Identität ermöglichen als einheitsstiftendes Prinzip erst die Bildung kohärenter und komplexer Handlungssysteme (Cranach&Bangerter 2000, 237). Dies wird vor allem für die psychosozialen Berufe gelten, die einen hohen Anteil an sozialem Handeln aufweisen und dementsprechend psychosoziale Handlungskompetenzen voraussetzen. Identität und Selbstkonzept sind vor allem in der Absichtsbildung und Motivierung, sowie in der Handlungsregulation bedeutsam, weil selbstkonzeptwidrige Bedingungen Motivation erschweren und bedrohliche Erfahrungen abgewehrt werden. 2.2.5 Emotionen Die psychologische Handlungstheorie hat den Einfluss von Emotionen auf Handlungen lange vernachlässigt (Mitmansgruber 2003), auch Cranach nennt sie nicht als handlungssteuernde Komponente (Cranach&Bangerter 2000, 238). Ihr Einfluss auf das menschliche Handeln kann jedoch nicht unterschätzt werden. Emotionen sind als subjektive bedürfnisrelevante Bewertungszustände unseres Bewusstseins zu verstehen, die wichtige erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse signalisieren und bewerten (Scheele 1990). Die Komponenten einer Emotion (Affekt, kognitive Bewertung, physiologische Veränderung und Handlungstendenz) sind direkt und indirekt handlungssteuernd: Emotionen lösen affektive Erfahrungen einer bestimmten Erregungsintensität und -qualität (Lust/Unlust) aus. Sie rufen kognitive Prozesse wie emotional bedingte Wahrnehmungseffekte oder Bewertungen hervor und setzen ausgedehnte physiologische Anpassungen an die emotionsauslösende Situation in Gang. Schließlich können sie zu Verhalten führen, welches dann oft expressiv, zielgerichtet und adaptiv ist (Merten 2003, 13).
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Emotionen steuern und bewerten im psychischen System eine Vielzahl von Prozessen. In der Informationsaufnahme bewerten sie, ob eine Erfahrung bedeutsam/unbedeutend oder angenehm/unangenehm ist. In der Handlungsplanung aktivieren sie Handlungsbereitschaft und geben den Handlungen Vorrang, denen sie Dringlichkeit verleihen. Sie unterdrücken dabei konkurrierende Handlungstendenzen, (Merten 2003, 14), was besonders für Handeln unter Druck von hoher Bedeutung ist. Vor und während der Handlungsausführung werden die Handlungs-Ergebnis-Erwartungen und die tatsächliche Annäherung an oder Abweichung von gewünschten Handlungsergebnissen bewertet und durch diskrepanzvergrößernde oder verringernde Feedback-Loops ins Handeln integriert (Mitmansgruber 2003, 107ff). Bei der Suche nach angenehmen Zuständen wird die Diskrepanz verringert, bei unangenehmen vergrößert. In der Handlungsausführung schließlich verleihen sie Handlungen Ausdruck und Mitteilungscharakter und in der Reflexion und Kontrolle des Handelns bewerten sie durch angenehme oder unangenehme Gefühle (Merten 2003, 15). Die Rolle von Emotionen beim Handeln ist nach diesen neueren Erkenntnissen überragend. Emotionen sind auch ein Grund, warum Handlungsmuster nicht einfach zu verändern sind. Sie sind entwicklungsgeschichtlich älter und neurobiologisch schneller als Kognitionen, lebensgeschichtlich tief verankert und mit biographischen Erfahrungen verbunden. Emotionen auf einem mittleren Intensitätsniveau, das Aufmerksamkeit und Kognition nicht beeinträchtig, unterstützt Handeln. Gefühle können aber auch stark blockieren: Starke positive und negative Gefühle lassen uns irrational und wenig zielorientiert handeln („Affekthandeln“). Bei der Optimierung wirksamen Handelns geht es dann darum, starke emotionale Erregung so zu beeinflussen, dass sie nicht handlungsblockierend oder destruktiv wirkt. Dies kann durch Anti-Stress-Training, Cooling-down von Emotionen, Stressimpfung oder andere Formen von Emotionsregulation, wie sie unten geschildert werden, erreicht werden. Der kompetente und reflektierte Umgang mit eigenen Emotionen im beruflichen Handeln in sozialen und pädagogischen Berufen gilt als Kernkompetenz, da berufliches Handeln sich ausgeprägt mit Emotionen beschäftigt. Freude, Glück, Angst, Ärger oder Trauer bei Klienten, Schülern wie auch Berufstätigen sind zentrale Momente in der Arbeit. Wie sie in Lernprozessen positiv beeinflusst werden können, wird im Kap. 10.4. näher ausgeführt, wie sie im Handeln beeinflusst werden können, beschreiben die Kapitel 5 und 10.9. 2.2.6 Skripte Skripte (engl. „scripts“) sind Drehbücher unseres Handelns für soziale und andere Routinehandlungen (Cranach&Bangerter 2000, 236). Sie steuern das Handeln direkt, automatisiert und ohne bewusste Kontrolle. Die Kontaktaufnahme mit einer Klientin am Beginn eines Beratungsgesprächs oder die Begrüßung einer Klasse durch den Lehrer sind in Skripten organisiert. Die ihnen zugrunde liegenden Situations-Reaktionsprototypen als Handlungsbausteine eines Skripts sind so effizient, dass es schwierig ist, gegen sie zu handeln (z.B. auf die Standardfrage, wie es einem geht, mit „Danke, schlecht“). Sich erwartungswidrig zu verhalten, ist benötigt Aufmerksamkeit, Antizipation und Handlungsbereitschaft. Skripte haben die Funktion, unsere Aufmerksamkeit für wichtige kognitive und emotionale Prozesse zu entlasten und unser Handeln schnell und reagibel zu machen. Die Folge davon ist allerdings, dass viele dieser Prozesse nicht bewusst verlaufen, eventuell sogar gestört werden, wenn sie bewusstseinspflichtig werden. Eine häufig benutzte Analogie dazu
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ist die des Tausendfüsslers, der solange koordiniert läuft, wie er sich seiner tausend Füße nicht bewusst wird. Ähnlich geht es uns bei vielen instrumentellen und sozialen Handlungen, die so hoch automatisiert sind, dass es schwer fällt, sich bewusst zu machen, was da genau verläuft, oder es präzise zu beeinflussen. Häufig werden uns Skripte erst bewusst, wenn etwas im Handeln nicht mehr funktioniert: Im motorischen Bereich ist dies z.B. erlebbar, wenn wir uns an einer Hand verletzen und alle Dinge, die wir sonst zweihändig tun, mit einer Hand erledigen müssen, oder im sozialen Bereich, wenn wir ins Ausland fahren und „normale“ soziale Rituale (Begrüßungen, Kontakt- und Beziehungsmuster) nicht mehr so funktionieren, wie wir dies gewohnt sind. Es gehört zu den schwierigeren Aufgaben von Ausbildung und Training besonders im Bereich des Sozialverhaltens, solche Skripte zu verändern, ein Trainingsmethode stellt z.B. das Spontanrollenspiel „Szene-Stopp-Reaktion“ dar, in dem Sie Skripte unmittelbar erleben und danach gezielt verändern können (vgl. Kap. 5.6.3). 2.2.7 Erfahrung Erfahrung besitzt eine überragende Rolle im beruflichen Handeln, fehlende Berufserfahrung wird z.B. von jungen Berufstätigen als bedeutender Stressfaktor erlebt (Padlina et al. 1999, 193). Das Wissen und Können von Experten (vgl. Kap. 2.5) ist hochgradig erfahrungsgesteuert (Gruber 1999a). Erfahrung wird in diesem Buch als eigene Wissensform, als episodisches Wissen verstanden. Sie kann als Informationsverarbeitung in subjektiv bedeutsamen, mit der eigenen Person verknüpften und selbst erlebten Episoden verstanden werden (Gruber 1999a, 12f). Information ist dabei nicht nur kognitive, sondern auch emotionale, motivationale und handlungsbezogene Information. Erfahrung entsteht zuerst durch das persönliche Erleben. ‚Erfahrung haben’ geschieht ‚durch Erfahrungen machen’. Dem Erleben folgen die reflexive Verarbeitung des Erlebten und seine Repräsentation im Gedächtnis und Bewusstsein. So entsteht bewusstes, repräsentationsfähiges Erfahrungswissen. Erfahrung nimmt die Besonderheiten von Arbeitsfeldern, Institutionen und in ihnen benutzten Wissensbeständen und Handlungsroutinen auf. Sie ist hochgradig kontext- und zeitbezogen (Dewe 1990, 84) und darum nur schwer verallgemeinerbar. Dafür bewährt sich in konkreten Interaktionssituationen und wird diesen durch den Kontextbezug gerecht. Eine besondere Rolle in der Erfahrungsbildung spielen erfahrungswidrige Situationen. Erfahrungskonforme Situationen werden nahtlos in das bestehende Erfahrungsrepertoire integriert. Erfahrungswidrige Situationen hingegen irritieren und geben, wenn aus ihnen gelernt werden kann, die Grundlage für neue bedeutsame Muster. Lernen und Wissensbildung sind ohne Erfahrung nicht möglich. Bereits der allgemeine Begriff des Lernens als Verhaltensänderung durch Erfahrung (Edelmann 2000, 277; Häcker&Stapf 2004, 546) betont deren zentrale Rolle. Auch im Bereich der Kompetenzforschung besteht Einigkeit, dass Handlungskompetenz ohne Erfahrung in echten Praxissituationen nicht erworben werden kann. Das Potenzial eines Vollzeitstudiums zur Ausbildung von Handlungskompetenz wird dabei z.T. eher pessimistisch eingeschätzt. „Der Anspruch, während der Ausbildung professionelle Handlungskompetenz in einem umfassenden und prägenden Sinn zu vermitteln, ist überzogen und irreführend und zwar unabhängig ob an der Universität oder an den Fachhochschulen. (...). Der Anspruch professionelle Handlungskompetenz im Aus-
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bildungssystem zu erzeugen, ist im Grunde vergleichbar mit dem Ansinnen, Wildwasserkajak im Schwimmbad zu lehren“ (Sommerfeld 2000, 226). Simulationen stellen dementsprechend nur eine Vorstufe des Kompetenzerwerbs dar (vgl. Kap. 8). Wie greift nun Erfahrung in das menschliche Handeln ein? Erfahrungswissen (Gruber 1999a, 47ff) organisiert sich entlang von erlebten Situationen, die in Prototypen generalisiert werden. Dies können Situations-Handlungs-Prototypen („unmotivierte Beratungsklienten“), thematische Prototypen („Burnout“) oder personenbezogene Prototypen sein („schwierige Schüler“). Ihnen vergleichbar sind auch die sog. handlungsleitende psychische Abbilder (HAB), flexibel-stabile Mustervorlagen für Handlungssituationen und -formen (Gruber 1999a, 86). Dies sind relativ überdauernde stabile Wissensformationen über einen handlungsbezogenen Wirklichkeitsbereich, die in der Handlungsausführung entstehen und eine Tendenz zur Umsetzung einschließen. Sie müssen nicht bewusst sein, sind vielleicht sogar schwierig zu explizieren. Sie umfassen Fakten wie auch Prozesse und leiten das Handeln direkt an. Wenn Sie in einem Schulpraktikum eine erfolgreiche Lehrerin beobachten, wie diese eine Gruppenarbeit arrangiert oder ein Lehrgespräch moderiert, oder wenn Sie selbst öfters Konfliktsituation deeskalieren konnten, bekommen Sie ein Bild, wie Sie aus wiederholtem Erleben, Reflektieren und Weiterentwickeln solcher Episoden handlungsleitende psychische Abbilder entwickeln, die Ihnen helfen, ganze Handlungssequenzen zu strukturieren. Auf diese Weise wird ein ökonomischer Zugriff auf individuell Erlebtes und auf Handlungsmuster möglich. Die Überflutung mit zahllosen Einzelereignissen wird vermieden und die mit Erfahrungen verbundenen Emotionen erleichtern einen schnellen Abruf. Wäre es richtig, dass ‚alles fließt’, wären wir permanent dieser Überflutung von Einzelereignissen ausgesetzt. Es zeigt aber „schon eine oberflächliche Betrachtung des Menschen, dass im Strome seiner Handlungen Wiederholungen vorkommen. Zwar steigt man nie zweimal in den gleichen Fluss – indessen: Die Badeszenen gleichen sich“ (Aebli 1994, 83). 2.3 Handlungsformen in Beruf und Alltag In der Sicht der psychologischen Handlungstheorie werden Zielorientierung und Rationalität beim Handeln stark betont. Zielorientiertes Handeln stellt jedoch gerade im pädagogischen und sozialen Berufsfeld nur eine unter vielen Handlungsformen dar (Cranach& Bangerter 2000, 242f). Instrumentelles Handeln ist jedes Handeln mit Objekten, mit dem Ziel der Beeinflussung von uns umgebenden Gegenständen. Soziales Handeln meint das Handeln mit Subjekten, also im weitesten Sinne Kommunikation und Interaktion mit Menschen oder soziales Systemen. Unterschieden werden weiterhin zielgerichtetes Handeln, dass einen konkreten und erwünschten Endzustand anvisiert und als Gegensatz dazu prozessorientiertes Handeln, das sich selbst und den Prozess zum Sinn und kein Ziel außerhalb hat. Spielen, Tanzen, Musikhören u.a. zählen zu den prozessorientierten Handlungen. Bedeutungsorientierte Handlungen wie Heirat, Trauerzeremonien oder Geburtsrituale schaffen soziale Bedeutungen. Emotional-intuitives Handeln findet spontan und ohne bewusste Energetisierung statt (z.B. Gesten und Körperkontakte in der Interaktion) und Affekthandlungen als durch starke Gefühle ausgelöste Handlungen dienen der Emotionsregulation und schalten eine bewusste Kontrolle vorübergehend, teilweise oder vollständig aus.
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Handeln in sozialen und pädagogischen Berufen ist im Kern soziales Handeln. Die Klassifikation von Max Weber zu vier Grundformen sozialen Handelns wird hier bedeutsam (Weber&Winckelmann 1995, 44ff).
Zweckrationales Handeln ist zielgerichtetes Handeln, es wägt Ziele und Mittel, Nebenwirkungen und Hauptwirkungen gegeneinander ab und entscheidet aufgrund dieser Erwägungen. Berufliches Handeln wird in der Regel als zielgerichtetes Handeln verstanden. Typische Beispiele zielgerichteten Handelns sind Unterrichts- oder Hilfeplanungen. Berufliches Handeln in der Sozialen Arbeit und Pädagogik sind immer unter der Perspektive zielgerichteten Handelns zu verstehen. Das Musizieren oder Spielen hat ein pädagogisches Ziel, es geschieht in der Regel nicht nur um seiner selbst willen. Andererseits ist eine rein handlungstheoretische Auffassung z.B. der Pädagogik verkürzend (Treptow 2001, 766). Wertrationales Handeln geschieht ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen im Dienst einer Überzeugung, Auffassung von Pflicht, Würde oder religiösen Weisung, es ist ein Handeln nach Geboten. Wenn sich Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession versteht (Staub-Bernasconi 2003) oder Pädagogik sich den Bildungschancen verpflichtet, können sie ihre Ziele nur unter Einbezug von zentralen Werten erreichen. Jedes Handeln im sozialen und pädagogischen Feld ist deshalb werthaltig. Das Verhältnis von zielgerichtetem und wertrationalem Handeln ist komplex. Ausschließlich wertrationales Handeln („ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen ...“) wird in der Regel unprofessionell sein, denn es birgt etliche Risiken. Wenn z.B. aufgrund einer institutionellen Wertorientierung ein veraltetes Strafverständnis durchgesetzt wird, das Ängste erzeugt und pädagogische Ziele blockiert, wird wertrationales Handeln kontraproduktiv. Wirkungen und Nebenwirkungen wertrationalen Handelns müssen also bedacht werden. Zentralwerte der Professionen wie menschenwürdiges Leben, Bildungsgerechtigkeit etc. können als oberste handlungsleitende Ziele aufgefasst werden. Sie sind aber abstrakt, häufig dilemmatisch und erzeugen Unsicherheiten, die mit wertrationalem Handeln allein nicht lösbar sind. Affektuelles Handeln geschieht an der Grenze und oft jenseits von sinnhaftem Handeln als emotionales und impulsives Reagieren auf einen außeralltäglichen und ungewohnten Reiz. Menschen reagieren im Affekt aufgrund heftiger positiver oder negativer Gefühle, rationales Denken und Planen wird in diesen Extremsituationen außer Kraft gesetzt. Starke Emotionen im Handeln sind als Notfallreaktionen in der Handlungssteuerung zu sehen (Wahl 1991, 35ff). Sie steuern Handeln nur sehr grob, z.B. als Kampf-, Flucht-, Vermeidungs- oder Annäherungsreaktionen. „Damit von Handeln (...) gesprochen wird, müssen Kognitionen, Emotionen und Aktionen eine bestimmte Mindestintegration aufweisen“ (Groeben et al. 1986, 63; Wahl 2002, 233). Dies ist bei Affekthandlungen gerade nicht der Fall – Emotionen, Kognitionen und Aktion fallen auseinander. Handeln wird zum „Tun“ oder „Verhalten“(Aebli 1994, 18f). Affekthandlungen sind im beruflichen Kontext zu vermeiden. Heftige Trauer, Ärger oder Zorn, Antipathie oder Zuneigung sind gerade in Problem- und Extremsituationen sozialen Berufen nicht selten. Sie sollten aber reflexiv bewältigt und nicht einfach ausagiert werden.
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Traditionelles Handeln ist ein gewohnheitsmäßiges reaktives Handeln aufgrund von überkommenen Regeln oder Gewohnheiten (Weber&Winckelmann 1995, 44ff). Es kann jenseits von sinnhaftem Handeln liegen, wenn Traditionen ihren Sinn durch Veränderungen in Gesellschaft und Lebenswelt verloren haben. Traditionelles Handeln kann dann destruktiv werden, wenn berufliche Routinen, administrative Vorgaben oder persönliche Verhaltensgewohnheiten sinnhaftes und zielorientiertes Handeln behindern. Andererseits kommt berufliches Handeln ohne Traditionen und Routinen nicht aus: Die Komplexität und strukturelle Ungewissheit pädagogischer und sozialer Problemsituationen erfordert geradezu die Ausbildung von Routinen, um Sicherheit und Komplexitätsreduktion zu bewirken. Prozess- und bedeutungsorientiertes Handeln sind in der Sozialen Arbeit und Pädagogik häufig: Trauer- oder Übergangsrituale, Feste oder Spiel sind symbolisch-bedeutungsorientierte und prozesshafte Handlungen. Sie stehen allerdings im Dienst der beruflichen Ziele und hier ergibt sich ein Authentizitätsdilemma: Von beruflichen Beziehungen mit Klienten oder Schülern wird einerseits erwartet, dass sie „echte und kongruente“ Beziehungen sind. Andererseits dienen sie den Zielen der Interventionen im jeweiligen Arbeitsfeld. Beziehungen und die dazu gehörenden Prozesse, Symbole, Bedeutungen sind nicht zweckrational herstellbar. Andererseits ist unbestreitbar, dass sie berufliche, zeitlich begrenzte und unter einem professionellen Ziel stehende Beziehungen sind (Dörr 1996).
Neuweg führt das intuitiv-improvisierende Handeln (Neuweg 2005, 208f), ein das er für pädagogisches Handeln als besonders relevant herausstreicht. Das Handeln erfahrener Experten wird als intuitiv beschrieben – sie erfassen Situationen blitzschnell und spezifisch, erkennen komplexe Muster in Situationen und nehmen Dinge wahr, die sich nur schwach andeuten. Sie können den intuitiven Zugriff häufig nur schlecht explizieren, weil sie die Bedeutungsmuster in einer Handlungssituation „sehen“ und nicht erst systematisch beobachten, analysieren oder reflektieren müssen. Intuitiv-improvisierendes Handeln zeichnet sich durch sensibles Sich-Einlassen und flexibel-dynamisches Reagieren auf situative und wechselnde Umstände einer Situation aus (Neuweg 2005, 208f). Es plant weder alles voraus, noch wird es über unflexible Routinen geleitet. Das Wissen im intuitiv-improvisierenden Handeln ist implizites Wissen, schlecht verbalisierbar, aber dennoch handlungssteuernd. Das Resultat langer Berufserfahrung und vertieften Wissens und Könnens ist die Beherrschung eines solch intuitiv-improvisierenden Handelns. Die Intentionalität menschlicher Handlungen vollzieht sich bei diesem Handeln als eine Art ‚Monitoring, als eine den Handlungsprozess im Ereignisstrom begleitende Kontrolle. Dann ist es sinnvoll, „Reflexivität in der ständigen Steuerung des Handelns verankert zu sehen (Giddens 1995, 53). Für das prozessorientierte und interaktive Handeln in pädagogischen und sozialen Berufen ist diese prozessbegleitende Handlungssteuerung von hoher Bedeutung. Wahl unterscheidet als Handlungsformen das Planungshandeln und Interaktionshandeln. Er betont dabei die Rolle von Komplexität und Zeitdruck (Wahl et al. 1995, 91ff). Soziales, kommunikativ-interaktives Handeln ist in der Regel Handeln unter Druck, denn soziale und pädagogische Problemsituationen sind
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komplex, d.h. auf verschiedenen Ebenen zu verstehen und zu behandeln, interdependent, d.h. abhängig von Interaktionspartnern, anderen Personen und dem Umfeld, teilweise intransparent, d.h. nur begrenzt einsehbar und verstehbar und ungewissheitsbelastet, polytelisch, d.h. von vielen widersprüchlichen Zielen geprägt, eigendynamisch, d.h. durch das Tempo der Interaktion und unvorhergesehene Ereignisse geprägt, mit autonomen Interaktionspartnern mit eigenen Wahrnehmungen, Sichtweisen, Theorien und Werthaltungen (Wahl 1991, 10).
Diese Merkmale des „Handelns unter Druck“ führen im pädagogischen und sozialarbeiterischen Handeln strukturell und häufig zu unvorhergesehenen Situationen und einem hohen Erwartungsdruck an Bewertungen und Entscheidungen. Entscheidungszeiten im Handeln unter Druck sind immer knapp und die Informationsfülle überfordert eine systematische Problemlösung und Entscheidung in der Situation selbst. Daher ist berufliches Interaktionshandeln sicher die am schwersten zu lernende Handlungsform. Es ist trivial, zu bemerken, dass die obigen Gegenüberstellungen idealtypische Unterscheidungen sind. Mischformen zwischen den Extrempolen sind möglich und vermutlich die Regel. Ebenso lässt sich häufig eine Handlung gleichzeitig nach mehreren Typen klassifizieren. Kriterium Funktion
Ausführungsart Handlungsrationalität
Polarität der Handlungstypen Zielgerichtetes vs. prozessorientiert symbolisches Handeln Mentales vs. motorisches Handeln
Autoren Cranach 2000
Cranach 2000
Zweckrationales vs. Weber 1995 affektuelles Handeln Cranach 2000 Zeit- und Planungshandeln (ohne Druck) vs. Wahl 1991 Komplexitätsdruck Interaktionshandeln (unter Druck) Dörner Wertorientierung Wertrationales vs. Weber 1995 zweckrationales Handeln Wissensrepräsentation Planvoll-bewusstes vs. Neuweg 2000 intuitiv-improvisierendes Handeln Zieldurchsetzung Instrumentelles / strategisches vs. Habermas 1981 verständigungsorientiertkonsensuales Handeln Tabelle 2: Unterscheidung von Handlungstypen nach Merkmalen
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Handlungsformen zu kennen, ist für das handlungsorientierte Lernen deshalb bedeutsam, weil Lernende dann die Besonderheiten des Handlungstyps berücksichtigen und adäquate Handlungstypen für eine Situation wählen können und weil die Lernstrategien sich für verschiedene Handlungstypen unterscheiden. Wenn Sie lernen wollen, in stark emotional besetzten Situationen zu handeln, z.B. in der Arbeit mit gewaltbereiten Klienten oder verhaltensauffälligen Schülern, ist die Kenntnis von Handlungstypen und ihren Merkmalen Voraussetzung für wirkungsvolle Lernprozesse. Die Kenntnis der Handlungstypen erleichtert auch die Selbstreflexion, wenn es um geglücktes (konstruktives, sinnhaftes) oder misslungenes (affektives, wirkungsloses, destruktives) Handeln geht. 2.4 Der weite Weg vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln 2.4.1 Traditioneller Unterricht: Das Problem des „trägen Wissens“ Die Untersuchungen zu den Wirkungen traditioneller Lehrformen auf das Handeln von Lernenden sind ernüchternd. Schulisches Lernen scheint Handeln kaum zu verändern. Selbst einfachere Dinge wie die Nutzung schulischen Wissens sind nicht selbstverständlich, wie die PISA-Studie eindrücklich belegt. Schüler lernen für schulische Prüfungen und bestehen diese auch. Werden ihnen aber Aufgaben gestellt, die eine Wissensanwendung in Problemlöseaufgaben fordern, so versagt ein nicht geringer Teil, weil die Nutzung und der Transfer des Gelernten nicht beherrscht werden. Dies fand unter dem Stichwort des „trägen Wissens“ (Gruber&Renkl 2000, 155ff; Gruber et al. 2000, 139f) Beachtung. Studierende der Medizin besitzen z.B. erhebliches Theoriewissen, sind aber nicht in der Lage, dieses Wissen in einem computerunterstützten Diagnostik-Lernprogramm für die Erstellung einer Krankheitsdiagnose zu nutzen (Gruber et al. 2000, 142) und Schüler rechnen den Dreisatz in einer Prüfung auf umständliche Art, obwohl ihnen effizientere Rechenwege vermittelt wurden. Wie lässt sich das erklären? Traditionelle Lernumgebungen an der Hochschule und Universität erzeugen in der Regel „träges Wissen“ (Gruber et al. 2000, 139ff). Dies ist schulisches, fächerorientiertes und wenig auf Problemstellungen bezogenes Wissen, mit dem zwar schulische Prüfungen gut gemeistert werden, aber echte und komplexe Probleme nur mangelhaft gelöst werden können. Viele Untersuchungen belegen, dass schulischer Frontalunterricht, fehlender Praxisbezug, fehlende Beispiele, geringe Übungsmöglichkeiten oder an reinem Faktenwissen orientierte Prüfungen die Trägheit des Wissens erhöhen. Es gibt klare Hinweise, dass Studierende erhebliche Schwierigkeiten haben, ihr Wissen auf komplexe berufliche Problemstellungen anzuwenden. Studierende verarbeiten diese Frustration häufig als allgemeine Nutzlosigkeit von Theorie und werden gelegentlich von Praktikern noch darin unterstützt. Die fehlende Wissensanwendung in Anwendungskontexten wird auf folgende Defizite zurückgeführt (Gruber&Renkl 2000, 163ff):
Bei metakognitiven Defiziten greifen Studierende auf ungenügende Gedächtnisstrategien zurück oder sie wissen nicht, wo und wann dieses Wissen von hoher Bedeutung ist, z.B. wissen Studierende nicht, wie sie Wissen in Fallsituationen beschreibend und erklärend einsetzen können. Bei motivationalen Defiziten ist das Interesse am Wissen gering, es wird schlechter gelernt und steht bei Bedarf nicht zur Verfügung.
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Emotionale Defizite zeigen sich im Selbstkonzept der Fähigkeiten, was sich im Interesse und der Wissensnutzung negativ bemerkbar macht, Studierende glauben, sie könnten etwas ohnehin nicht. Kosten-Nutzen-Erwägungen tragen zur Nicht-Nutzung von Wissen bei, weil es weniger aufwendig ist, so weiter zu handeln wie bisher. Wenn der Aufwand für Wissensnutzung oder Verhaltensänderung zu groß ist, wird darauf verzichtet, Studierende begnügen sich vorschnell. Defizite in epistemologischen Grundüberzeugungen: Wenn Studierende die Auffassung haben, vor allem Talent sei wichtig, wird Wissen träge bleiben, weil es ja nicht zum Erfolg beiträgt. Parallel wird weiter auf der Basis des mitgebrachten Alltagswissens gehandelt, das keine Bezüge auf das Gelernte nimmt. Strukturdefizite im Verständniswissen entstehen durch Auswendiglernen und wenig tiefenorientierte Verarbeitung von Wissen. Mit reinem Faktenwissen ist in vielen beruflichen Situationen nichts anzufangen, Studierende lernen aber z.B. oberflächenorientiert, weil Prüfungen das belohnen. Defizite in der Wissenskompilierung, d.h. in der Feinabstimmung auf Anwendungsbedingungen, führen dazu, dass Faktenwissen zwar vorhanden sind, aber nicht in Fähigkeiten transformiert wird, z.B. kennen Studierende Kommunikationstechniken, benutzen sie aber nicht. Kompartmentalisierung von Wissen (Gruber 1999a, 137), d.h. Wissensspeicherung in isolierten Einzelblöcken führt dazu, dass neues und altes, korrektes und unkorrektes Wissen unabhängig voneinander gespeichert wird. Beispielsweise reproduzieren Studierende Wissen in Prüfungen korrekt, in Anwendungssituationen wird aber auf Laienwissen zurückgegriffen. Defizite in der Situierung von Wissen, d.h. in der Kombination von Wissen mit situativen Bedingungen, führen dazu, dass das Wissen in einer Situation unangemessen benutzt wird. So beherrschen Studierende z.B. Kommunikationstechniken, benutzen sie aber mit Kindern nicht situationsangepasst.
Die Ausführungen in den weitergehenden Kapiteln soll Sie nun befähigen, die Probleme trägen Wissens zu erkennen und wirksamen Lernarrangements wie unten vorgestellt zu arbeiten. Sie sollten auch vom Studium einfordern, dass Kompetenzen und nicht ein träges und zum Vergessen verurteiltes Wissen gefördert werden. Was dies für die Gestaltung Ihres Lernens bedeutet, wird ab dem Kapitel 5 detailliert instruiert. 2.4.2 Könnerschaft und Expertise als Ziel beruflicher Entwicklung Könnerschaft in einem Beruf zu erreichen, wird in der Literatur als aufwendiger und lang andauernder Prozess beschrieben. Expertise, d.h. die Fähigkeit, durch Praxiserfahrung und Lernen in einem Fachgebiet besonders gute Leistungen zu erbringen, braucht viel Zeit und intensive Auseinandersetzung mit dem Wissen eines Fachbereiches. Man rechnet mit bis zu 10’000 Stunden der intensiven Beschäftigung mit einem Fachgebiet, bis man die höchste Stufe der Expertise erreicht hat (Spitzer 2002, 272; Steiner 2003, 137). Die Expertiseforschung klärt durch Experten-Novizen-Vergleiche, was „Meister in ihrem Fach“ ausmacht
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
und wie sie Expertise erwerben (Gruber&Ziegler 1996). Im Folgenden werden einige Ergebnisse der Expertiseforschung vorgestellt (Gruber 1999a, 22f). Expertise entwickelt sich mit Erfahrung in einer Domäne: Berufserfahrung in einem Feld ist unabdingbar für die Ausbildung besonderer Leistungen. Es ist hilfreich, Berufserfahrung bereits im Studium zu sammeln. 2. Expertise ist hochgradig domänenspezifisch: Wer zum Experten in einer Domäne geworden ist, besitzt nicht zwangsläufig Expertise in anderen Domänen. Dies entlastet vor allzu hohen Selbstansprüchen und hilft zur Einsicht, dass Weiterbildung unabdingbar ist. 3. Expertise wird durch anspruchsvolle Aufgabenanforderungen und günstige Arbeitssituationen beeinflusst. Diese unterstützen die Entwicklung von Expertise. Die Wahl von Arbeits- und Praktikumsplätzen mit guten Rahmenbedingungen und Arbeitsmöglichkeiten ist eine entscheidende Weichenstellung für die Entwicklung von Expertise. 4. Experten erkennen und erinnern große, tief elaborierte bedeutungsvolle Muster (sog. Chunks). Sie leiten logisch ab und abstrahieren Prinzipien. Die Mustererkennung geht häufig so schnell, dass der Anschein von Intuition erweckt wird. Für das Lernen im Studium bedeutet dies, das eigene Wissen gut organisieren und zu vernetzen. 5. Experten haben schnellen Zugriff auf gespeicherte Muster und dadurch eine schnelle Problemwahrnehmung. Die Anforderungen an Gedächtnissuche und Verarbeitungskapazität sinken. Sicheres und verfügbares Wissen hilft, schnell wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. Es gilt, gerade im Bereich des sozialen Handelns, vom Erinnern, Nachdenken und Problemlösen zu gekonnten Handlungsmustern zu gelangen. 6. Der schnelle Zugriff beruht auf dem hohen Wissen von Experten. Über sicheres Wissen zu verfügen heisst auch, schulisches Lernen ernst zu nehmen. 7. Experten haben ihr Wissen besser organisiert als Novizen: inhaltlich, zugänglich, funktional und effizient. Für Ihr Lernen bedeutet dass, Ihr Wissen durch Visualisierung, Vernetzung und Verdichtung zu stärken und zu strukturieren. 8. Problemrepräsentation, -interpretation und -verständnis sind bei Experten besser als bei Novizen: Berufliche Probleme differenziert wahrnehmen und verstehen zu können, benötigt viel Übung. Dies ist nur an echten Problemstellungen möglich. Fallorientiertes Lernen an echten Handlungsproblemen wird dazu dringend empfohlen. 9. Expertise beruht auf episodischem und prozeduralem Wissen. Episodisches Wissen ist verarbeitetes und erinnerbares Erlebnis, ‚Geschichtenwissen’. Prozeduralisiertes Wissen sind methodische Fertigkeiten und Fähigkeiten. Sie erfordern Erfahrungs- und Anwendungsmöglichkeiten, die Sie sich im Studium schaffen sollten. 10. Experten besitzen Handlungsschemata, die wichtig für das Problemlösen sind und sicher und situationsspezifisch beherrscht werden. Auch sie benötigen Übung. 11. Experten sind trotz hoher spezifischer Domänenintelligenz nicht notwendig generell intelligenter. Ihre hohe berufliche Leistung wird auf die lange und intensive Auseinandersetzung mit der Domäne zurückgeführt. Expertise ist also lernbar. 1.
Der weite Weg vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln
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Es wird sich erst noch weisen müssen, ob die verdichteten, verschulten Bachelorstudiengänge geeignet sind, das Ziel der beruflichen Expertise zu unterstützen. Sie haben in jedem Fall einen langen Weg vor sich, bis Sie hohe berufliche Leistungen vollbringen. Dabei werden Sie typische Stadien der Expertise durchlaufen. Sie zu kennen, ist hilfreich für eine realistische Selbsteinschätzung und schützt vor allzu hohen Selbst- und Fremderwartungen. Im Folgenden werden die Stadien der Expertise nach Dreyfuss (Thomann 2002, 30ff) vorgestellt und anhand des eines Beispiels, des kommunikativen Umgangs mit Krisen von Klienten in der Sozialen Arbeit erläutern. Novizen „verfügen über gelernte kontextfreie Regeln, die zwar rational begründet werden können, jedoch nicht adaptiert sind. Das kann in Störungssituationen zu Chaos oder Rigidität in ihrem Verhalten führen“ (Thomann 2002, 31). So kennen Berufsanfänger zwar viele Arbeitsregeln zu gelingenden klientenzentrierten Gesprächen und nutzen sie in Normalsituationen auch. Sie führen einfache Gespräche in der Regel konstruktiv und erfolgreich, haben aber ihre Arbeitsregeln und Kommunikationsmuster noch nicht auf Gespräche unter Unfreiwilligkeit, in schweren Krisen oder mit Menschen mit Behinderung adaptiert, was dann dort zu Störungen des Gesprächs führen kann. Fortgeschrittene Anfänger orientieren sich „vermehrt anhand von praktischen Handlungserfahrungen; Erinnerungen an ähnliche Fälle und dadurch ermöglichter Transfer führen zu zunehmender Beweglichkeit“ (Thomann 2002, 31). Mit zunehmender Erfahrung kennen und erkennen Studierende z.B. Merkmale von Krisen von Klienten, sie erinnern sich an mit Klienten durchstandene Krisen, differenzieren verschiedene Stadien und Schweregrade von Krisen. Sie passen ihr Wissen, die Muster der Gesprächsführung und ihre Interaktionsmuster an die Situation in Krisengesprächen an (strukturierte Gesprächsführung, stützende Interventionen, keine Konfliktbearbeitung) und werden so kompetenter in ihren Reaktionen. Kompetente Praktiker verfügen durch „eine Analyse des Ausbildungsgeschehens und durch weiteres Lernen (...) über flexible Handlungspläne und mehr Sicherheit“ (Thomann 2002, 31). Durch eine Vielzahl erlebter Situationen, durch kollegiale Beratung und Weiterbildung wie auch durch weitere Wissensbildung entsteht Überblick über mögliche Formen, Ausgänge, Unterstützungsformen in Krisen und gewisse Routinen stellen sich im Umgang mit Krisen ein. Die eigene Emotionalität wird gelassener, die Übersicht und Umsicht im Handeln größer, die Wirkung der Interventionen zielorientierter und differenzierter. Gewandte Praktiker zeigen „durch (Erfahrungs-)Wissen geschickte Situationsverarbeitung. Die bewusste Reflexion tritt hinter dem intuitiven Vorgehen zurück. Die ‚Feinwahrnehmung’ von Situationen ist geschärft“ (Thomann 2002, 31). Sozialpädagogen erkennen in diesem Stadium z.B. bereits Frühzeichen von Krisen, die von anderen Teammitgliedern noch kaum wahrgenommen werden. Sie verfügen über Prognosefähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten, um schon früh, differenziert und wirksam zu intervenieren. Sie nehmen feine Unterschiede in der Entwicklung einer Krise wahr und reagieren auf Nuancen angemessen und sicher. Meister oder Experten „agieren und reagieren schnell, angemessen und routiniert auf eine Vielfalt von unterschiedlichen und schwierigen Situationen. Sofortiges Erkennen ersetzt planvolles Entscheiden, ‚es funktioniert einfach’ “(Thomann 2002, 32). In diesem
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Stadium sehen Sie Anzeichen von Krisen sicher und mühelos und wissen schnell und zuverlässig, wie Sie handeln müssen. Expertise ist nicht in kurzer Zeit zu erwerben. Mit Theoriewissen aber flexibel, situativ, fallorientiert und reflektiert umzugehen, muss bereits in Studium und Ausbildung unterstützt werden. Durch fall- und anwendungsorientierte Aufgabenstellungen, Übungen und Vernetzung der heterogenen Wissensbestände aus dem Studium sowie unter Einbezug des Praxiswissens kann Expertise im Studium mindestens schon vorbereitet werden und durch studienbegleitende Tätigkeit, im Praktikum, Projekten oder in ehrenamtlichen Tätigkeiten können Sie sich auf den Weg zur Könnerschaft bereits vor Ihrem ersten Arbeitstag nach dem Studium machen. 2.5 Berufliche Handlungskompetenz als Studienziel Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen sind seit ihrer Gründung auf Praxis- und Berufsorientierung ausgerichtet – auf Berufsbilder ausgerichtete Studiengänge, Studienverläufe mit ausgedehnten Praktika und intensive Kooperation mit Arbeitsorganisationen unterstreichen diese Praxisorientierung. Sie kontrastieren gegenüber den Universitäten, die die lange wissenschaftliche Ausbildung gegenüber der Berufsbefähigung favorisierten. Mit der Bolognareform wird nun für Fachhochschulen und Universitäten die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen zu einem der Kernziele des Studiums: Beide Stufen des Studiums – die Bachelor- und die Master-Stufe – sind auf Berufsbefähigung ausgerichtet (Bundesministerium für Bildung und Forschung 1999; Konferenz Fachhochschulen Schweiz KFH 2003, 3). Im Rahmen des Bologna-Prozesses findet an vielen Hochschulen neben anderen Veränderungen auch ein Wechsel in der curricularen Systematik statt: Vielerorts wird vom System wissenschaftlicher Disziplinen (und Bezugsdisziplinen) auf ein berufsbezogenes System thematischer Module umgestellt. Dabei sollten sich die Curricula entlang der Strukturen beruflichen Handelns und nicht entlang der Systematik des wissenschaftlichen Fachs strukturieren. Wie weit dies bereits umgesetzt ist, ist zurzeit noch nicht beurteilbar. Auch wenn die Kompetenzorientierung an den Hochschulen nicht überall gleich weit gediehen ist – Ihr Studium sollte Sie auf Ihre berufliche Tätigkeit vorbereiten. Der Richtungswechsel ist mit Bologna und der Einführung der gestuften Studiengänge aber wohl kaum umkehrbar und im Zuge der Reformen werden Sie in Ihrer Berufsvorbereitung vielleicht auch zunehmend durch Ihre Hochschule unterstützt. Kompetenzorientierung ist immer noch ein von Kontroversen bestimmtes Feld: In Studiengängen wird sie teils nur vage umgesetzt oder unzureichend konzipiert. Die Kompetenzorientierung in vielen Bildungsprogrammen leidet an wenig präzisen Begrifflichkeiten und Operationalisierungsversuchen, einem inflationären Begriffsgebrauch und beliebigen Modellbildungen. Ein kritischer Blick auf das Kompetenzmodell Ihres Studiengangs ist erlaubt, denn „überall kompetenzelt es verdächtig. (...) Abgesehen von der Fragwürdigkeit, überhaupt menschliches Vermögen in Kompetenzen bzw. Schlüsselqualifikationen aufzuspalten, sind die offerierten Kompetenzen oder auch Kompetenzfelder zum einen begrifflich derart schlampig und diffus konstruiert, dass sie gar nicht erst als lehr- und lernbar, geschweige denn als überprüfbar, messbar oder beurteilbar erscheinen“ (Drescher&Miller 1995, 195). In der Kompetenzdiskussion hat sich in den letzten 15 Jahren aber doch einiges getan. Der Mainstream der Kompetenzdiskussion fokussiert auf die Handlungsfähigkeit im
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Schnittfeld von Wissen, Fähigkeiten und Handeln (Vonken 2005, 36), was der Position dieses Buchs weitgehend entspricht. 2.5.1 Der Begriff beruflicher Handlungskompetenz Wenn das Ziel der Studiengänge in Pädagogik und Sozialer Arbeit berufliche Handlungskompetenz mit einem Schwerpunkt im sozialen Handeln ist, wie ist diese dann zu verstehen? Der Begriff der beruflichen Handlungskompetenz wird als Metaziel des Studiums verstanden. Dabei könnten eine allgemeine und eine spezifische, funktional-berufliche Handlungskompetenz unterschieden werden. Allgemeine Handlungskompetenz wird definiert als die Summe aller dem Menschen zur Verfügung stehenden Handlungsschemata und -konzepte und die Fähigkeit zu erfolgreichem Handeln (Edelmann 2000, 205, 208). Edelmann betont dabei die
zweckmäßige Nutzung des handlungsleitenden Wissens (deklaratives oder Faktenwissen, prozedurales oder Methodenwissen, episodisches oder Erfahrungswissen), Entwicklung einzelner Handlungskonzepte, die sich zu Handlungsschemata und schließlich zu komplexen Handlungsstrategien verdichten und Fähigkeit, zweckmäßige, flexibel-stabile und übertragbare Handlungspläne zu erstellen.
Um eine kognitive Engführung des Begriffs der Handlungskompetenz zu vermeiden, müssen weitere Aspekte ergänzt werden, besonders, wenn es um soziales Handeln geht. Kompetentes Handeln beinhaltet notwendig auch
die Integration von Emotionen in das eigene Handeln, das Handeln auf der Basis von Normen und Werten, den Einbezug von Motivation, sowie volitionale Aspekte, also Willensentscheidungen der Handelnden.
Kompetenz ist ein heterogener und kontrovers diskutierter Begriff. „Nicht alles ist Kompetenz und Kompetenz ist nicht alles“ (Erpenbeck&Rosenstiel 2003, XXX). Hier wird auf die von Weinert für ein OECD-Gutachten 1999 zusammengestellte und in Deutschland meistgebräuchliche Variante des Kompetenzbegriffs zurückgegriffen. Danach sind Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, 27f). Das Kompetenzkonzept sollte nur für die Bewältigung von selbstorganisiertes Handeln erfordernden und komplexen Anforderungen benutzt werden. Die psychologische Struktur einer Kompetenz leitet sich dabei aus der Aufgabe und den Anforderungen zu ihrer Bewältigung ab (Erpenbeck&Rosenstiel 2003, XXXI). Hof betont diese Dimension der Situationsabhängigkeit von Kompetenzen. Sie definiert Kompetenz als „situationsbezogene Relation zwischen Person und Umwelt“ (Hof 2001) und bezieht damit die Rolle der (hier interessierenden beruflichen) Umwelt struktu-
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rell mit ein. Kompetenz kann nach ihr immer nur in Relation zu den Herausforderungen der Umwelt in konkreten Handlungszusammenhängen (Situationen) beschrieben werden. Der Begriff der Kompetenz „stellt eine Beziehung her zwischen den aus dem individuellen Gesamtbestand der jeweils als erforderlich angesehenen und ausgewählten Kenntnissen, den Fähigkeiten und Fertigkeiten und den Motiven und Interessen auf der einen Seite und den Möglichkeiten, Anforderungen und Restriktionen der Umwelt auf der anderen Seite (Hof 2001, 153). Ein so angelegter Kompetenzbegriff hat Folgen für das Lernen. Wenn die berufliche Umgebung und die in ihr auftauchenden konkreten Handlungssituationen mit ihren Aufforderungsgehalten (Affordances) und Restriktionen (Constraints) (Greeno 1994) für den Erwerb von Handlungskompetenz notwendig sind, kann Kompetenzentwicklung nur unter Einbezug der Praxis erfolgen und die Praxis sollte mehr Aufforderungsgehalte als Restriktionen anbieten. Eine spezifische berufliche Handlungskompetenz kann sich weiter nicht in der Erarbeitung allgemeiner Handlungsfähigkeit erschöpfen. Berufsübergreifende Schlüsselkompetenzen, die eine solche allgemeine Handlungsfähigkeit herstellen sollen, haben vielleicht einen späteren Verfallszeitpunkt. Berufliche Handlungskompetenz zeigt sich aber nur durch erfolgreiches Handeln zu spezifischen beruflichen Problemstellungen. Zum Kompetenzbegriff nun noch einige wichtige Begriffsklärungen und Unterscheidungen (Erpenbeck&Rosenstiel 2003, XXVIII): Kompetenz wird als eine Disposition verstanden, d.h. sie ist ein Potential. Sie sind z.B. in der Lage, einen Konflikt zwischen Klienten oder Schülern kompetent zu schlichten. Sie tun dies aber nicht zwangsläufig, z.B. weil sie eine Intervention unnötig finden oder auf die Eigenverantwortung der Schüler hoffen. Falls Sie doch intervenieren, wird das gezeigte kompetente Handeln Performanz genannt. Allein diese ist z.B. bei kompetenzorientierten Prüfungen messbar oder im beruflichen Alltag sichtbar. Kompetenzen sind aus diesem Grund nur in ihrer Anwendung zu messen und zu prüfen. Je nach Kompetenzbereich erfordert dies großen Aufwand für Prüfungen. Weniger komplexe Anforderungen, die mit Routinen bewältigt werden können, sollten als Fertigkeiten oder Skills bezeichnet werden, auch wenn die Grenzen zwischen den Bereichen unscharf sind. Qualifikation wiederum bezeichnet die formale Berechtigung und inhaltliche Befähigung zu einer beruflichen Tätigkeit. Sie ist ein Positionsbegriff. Qualifikationen beziehen sich auf klar zu umreißende Komplexe von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten und auf konvergente (also eindeutig zu lösende) Handlungsanforderungen. Schlüsselkompetenzen schließlich sind Kompetenzen, mit denen Sie ein sehr großes Spektrum unterschiedlicher aber wichtiger Anforderungen in Alltag, Beruf oder sozialem Leben bewältigen können, die aber nicht berufsspezifisch sind: Sie sind z.B. allgemein gut in der Lage, mit vielen verschiedenen Menschen zu kooperieren. Für ein interdisziplinäres psychiatrisches Behandlungsteam benötigen Sie jedoch zusätzliche Kompetenzen. Der Kompetenzbegriff hat weit reichende Folgen für das Lernen im Studium. Kompetenzen erfordern ein Lernen von den beruflichen Anforderungen und Aufgaben her und sie benötigen notwendig authentisches praktisches Handeln. Sie sind als Disposition in der Regel nur sehr eingeschränkt mit Tests und Prüfungen messbar und sie sind hochgradig selbstgesteuert, d.h. auch individuell. Durch ihre Nähe zu handlungs- und personenbezogenen Anteilen (Motiven, Einstellungen etc.) sind sie nur in komplexen Lernarrangements veränderbar. Berufliche Handlungskompetenz als Ziel eines Studiums setzt Lernarrange-
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ments voraus, wie sie in der Folge als gemäßigt-konstruktivistische Lernumgebung vorgestellt werden. Es ist keineswegs sicher, dass Sie im Studium auf brauchbare Studienbedingungen für Ihren Kompetenzerwerb treffen. Möglicherweise müssen Sie sich selbst entsprechende Übungs-, Reflexions- und Erfahrungsgelegenheiten schaffen, weil die hochschulischen Lernumgebungen sie nicht oder nicht ausreichend für Sie bereithalten. 2.5.2 Modelle beruflicher Handlungskompetenz In der beruflichen Bildung ist ein mittlerweile recht bekanntes Modell der Handlungskompetenz in etlichen Variationen rezipiert worden (Bernien 1997; Kauffeld et al. 2003, 267f). Übergreifende Handlungskompetenz wird hier als die Summe von Fach-, Methoden-, Selbst- und sozialer Kompetenz gesehen. Wahlweise werden Fach- und Methodenkompetenz zusammengefasst (Trautwein 2004) oder eine zusätzliche Aktivitäts- oder Handlungskompetenz hinzugenommen (Heyse&Erpenbeck 2004). Häufig werden anschließend berufliche oder studienbezogene Kompetenzen unter die vier Teilbereiche subsumiert und weiter zergliedert.
Abbildung 9: Modell beruflicher Handlungskompetenz nach dem Kasseler KompetenzRaster (Kauffeld et al. 2003, 268) Das Modell wird in vielen Studiengängen benutzt, es wird aber für ein handlungsorientiertes Lernen als unterkomplex beurteilt und es birgt einige Probleme in sich. Das Modell suggeriert, dass die vier Teilkompetenzen jeweils eigenständige, abgrenzbare Kompetenzbereiche seien, was eine irrtümliche Vorstellung ist. Weiter führt die Zergliederung in die vier Kompetenzbereich zu ausufernden oder beliebig zusammengestellten Kompetenzlisten, zu Atomisierung und Zuordnungsproblemen von Kompetenzen. Genauer betrachtet sind die vier Teilkompetenzen eher Kompetenzaspekte (Kauffeld et al. 2003, 262) (Bernien 1997, 32) und die eigentlichen Kompetenzen müssten quer zu diesem Modell entlang beruflicher Aufgaben systematisiert werden, denn Kompetenzen, die sich am Handeln orientieren,
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enthalten in der Regel alle vier Aspekte. Weiter kommt das Modell an die Grenzen seiner Erklärungskraft, wenn die bedeutsame Rolle von beruflicher Erfahrung und personalen Faktoren wie Werten, Einstellungen, Motiven und Emotionen beim Handeln erklärt werden soll. Das Modell bildet Transformationsprozesse vom Wissen zum Handeln eher statisch ab und vernachlässigt die Bedeutung strategischer, zweckmäßig-flexibler Handlungspläne und metakognitiver Aspekte, die im strategischen Teil des Handelns angesiedelt werden. Neben den Kompetenzanteilen wie oben geschildert wird in jüngerer Zeit auf die Rolle der Umwelt zur Entwicklung und Realisierung von Kompetenzen verwiesen (Hof 2002). Kompetenzen zeigen sich erst im Kontext einer Umgebung und den dortigen Handlungssituationen. Verhaltenserwartungen und Ressourcen stellen dabei Aufforderungsgehalte und Restriktionen dar, die das Zeigen einer Kompetenz fördern oder beeinträchtigen.
Abbildung 10: Kompetenz als Relation von Person und Umwelt (Hof 2002, 153) Wenn Sie als Praktikantin z.B. auf die Erwartung treffen, aus der Hochschule neue und innovative Ideen und Konzepte in ein Team oder Lehrerkollegium einzubringen, wird dies als Anreiz und Aufforderung wirken. Wenn neue Ideen als Bedrohung beruflicher Routinen empfunden werden, erleben Sie Restriktionen in Lern- und Handlungsprozessen. Ebenso werden die Rahmenbedingungen, die sich Ihnen in der Praxis stellen, als Restriktion oder Anreiz wirken, wenn Sie im Rahmen praktischer Studienphasen z.B. nur hospitieren oder selbständig handeln dürfen. Und schließlich wirkt die Art der Handlungssituationen. Ob Sie mit motivierten und freiwilligen oder unmotivierten und unfreiwilligen Klienten oder Schülern arbeiten, stellt Sie vor andere Lernsituationen und ermöglicht oder verhindert bestimmte Handlungsvollzüge und damit auch Lernprozesse. Im Folgenden wird aus den erarbeiteten Grundlagen ein eigenes Modell beruflicher Handlungskompetenz zusammengestellt, das die verschiedenen Aspekte integriert. Wissen stellt die überragende Basis beruflich kompetenten Handeln dar, (Gruber 1999a, 46). Dabei wird allerdings mit einem erheblich erweiterten Wissensbegriff gearbeitet. Unter Wissen werden auch methodische Fertigkeiten und situatives Wissen subsumiert. Diese Differenzierung des Wissensbegriffs wird im Modell in den drei Wissensformen des deklarativen,
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prozeduralen und episodischen Wissens übernommen. Der vierte Pfeiler, das strategische Wissen, beinhaltet allgemeine Handlungs- und Problemlösestrategien. Selbstkonzepte, Normen, Werte und Einstellungen, Emotionen und Motive sind, wie oben beschrieben, direkt handlungssteuernd und sollten eine Passung zu den Wissenskomponenten aufweisen. Sie sind nicht über schulisch-kognitive Lernprozesse vermittelbar. Deshalb werden diese Faktoren „quer“ dazu als Plattform visualisiert. Auch die persönlichkeitsnahen Faktoren besitzen aber einen Wissensanteil – Wissen über Selbstkonzepte, über Werte, über Emotion und Motivation. Er kann als die Schnittmenge von Pfeilern und Plattform im Modell vorgestellt werden. Die Rolle der Umwelt, d.h. der Arbeits- oder Praktikumsumgebung, wird nach Hof eingeführt.
Abbildung 11: Modell der beruflichen Handlungskompetenz nach Cranach und Hof (Cranach 2000, 235ff; Hof 2002, 85, Ergänzungen, ww) Im oben stehenden Modell werden die genannten Aspekte von Wissen, Können, Erfahrung, Handlungsplänen, personalen und situationalen Faktoren in ein Modell integriert, das bedeutsame, aber bislang vernachlässigte Elemente kompetenten beruflichen Handelns für Lernprozesse sichtbar macht. Die Bedeutung der Praxis, die eigene Erfahrung und das persönlichkeitsnahe Lernen werden so adäquater berücksichtigt. Auch dieses Modell ist nur
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eine Heuristik und keine empirisch basierte Modellbildung. Aber es ist doch systemtheoretisch, wissenspsychologisch und handlungstheoretisch gestützt (Cranach&Bangerter 2000, 235ff; Hof 2001). Wenn Sie an konkrete Lernprojekte oder Handlungsprobleme in Studium und Praxis gehen, benutzen Sie dieses Modell. Sie können sich damit Kompetenzen, Handlungsprobleme und die Umgebung, in der Sie lernen, vergegenwärtigen. Mit einer Analyse von Handlungssituationen und beruflicher Umwelt, sowie der Antizipation der Kompetenzen, die Sie zur Bewältigung benötigen, werden Sie Ihren Kompetenzerwerb effektiver gestalten können. 2.5.3 Konsequenzen für kompetenzorientiertes Lernen Im Gegensatz zu der Zeit vor den 1980er Jahren, in denen besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften ein Studium primär auf eine wissenschaftliche Tätigkeit vorbereitete, sind heute vor allem außeruniversitäre Tätigkeiten das Ziel des Studiums. Diesen veränderten Ansprüchen wurden die Hochschulen möglicherweise lange nicht oder nur zum Teil gerecht (Gräsel 1997, 201). Mit der Kompetenzdebatte der 1990er-Jahre und der Einführung der Bolognastudiengänge ist nun vieles in Bewegung geraten, auch wenn nicht sicher ist, ob Sie einen bereits konsequent kompetenzorientierten Studiengang vorfinden. Was kompetenzorientierte Studiengänge an Rahmenbedingungen und Anforderungen setzen und was die Konsequenzen für Ihr Lernen im Studium sind, dazu einige grundlegende Anmerkungen. Folgende Merkmale zeichnen Ihren Studiengang aus, wenn dieser kompetenzorientiert und berufsqualifizierend strukturiert ist. Kompetenzorientierte Curricula weisen eine handlungsfeldorientierte Struktur der Wissensorganisation auf. Sie orientieren sich konsequent am Handlungsbereich des Berufs und die Wissensorganisation erfolgt von einem Kernprofil beruflicher Aufgaben her (Engelke et al. 2005, 2f). Dies hat eine curriculare Systematik zur Folge, die Wissen auf dem Hintergrund von Handlungsproblemen strukturiert (Hof 2002, 881). Sowohl der disziplinäre Gegenstand des Fachs wie auch sog. Bezugswissenschaften wie Psychologie, Philosophie oder Soziologie werden nicht nach der Ordnung der wissenschaftlichen Disziplin, sondern unter der Systematik der pädagogischen oder sozialarbeiterischen Aufgaben und Handlungsfelder strukturiert. Sie sollten in diesen Studiengängen keine Fächer wie Psychologie oder Pädagogik mehr erkennen. Eine Folge dieser Systematik ist, dass Dozierende und Studierende gefordert sind, die Zuordnung des vermittelten Wissens zur fachdisziplinären Systematik zu rekonstruieren. Auf die Darstellung idealtypischer Curricula wird hier verzichtet, da sich diese von Hochschule zu Hochschule vermutlich doch stark unterscheiden werden. Kompetenzorientierte Curricula orientieren sich an einem Kompetenzprofil. Mit dem Wandel zum kompetenzbezogenen Studium stellen Handlungsziele statt Lernzielen den Ausgangspunkt der Bildungsarbeit dar (Hof 2002, 81). Dabei wird aus den beruflichen Aufgaben und Anforderungen heraus ein Kompetenzprofil für den Studiengang entwickelt. Für das Hauptfachstudium Soziale Arbeit nennt die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit z.B. folgende Kernkompetenzen (Engelke et al. 2005, 3f, Kürzungen ww):
Kompetenz zur Analyse sozialer Probleme, zur Bestimmung der wirksamsten Handlungsmethoden und zur Konzeptualisierung von „Policies“ zu deren Bearbeitung,
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Kompetenz, die Integration/Inklusion von marginalisierten, sozial ausgeschlossenen, schutzlosen, sozialen Risiken ausgesetzten Individuen/Gruppen zu ermöglichen, Kompetenz, auf mehreren sozialen Ebenen (Individuum, Familie, Organisation, Gemeinwesen) zu arbeiten und Menschen zu befähigen, ihr Wohlbefinden und ihre Handlungskompetenzen zu verbessern, Kompetenz, auf diesen Ebenen strukturelle Verbesserungen der Dienstleistungen und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzustreben und zu erreichen, Kompetenz, in Struktur- und Kulturkonflikten nach den Regeln der Fairness und des Respekts zu vermitteln bzw. Grenzen zu setzen, Kompetenz, besonders schutzlose Individuen und Gruppen als Anwalt zu vertreten, Kompetenz, AdressatInnen Sozialer Arbeit zu ermutigen und zu befähigen, sich auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu engagieren, Kompetenz, Gerechtigkeits- und Menschenrechtsnormen zu verdeutlichen und umzusetzen, Kompetenz, an öffentlichen Diskursen über soziale Probleme aktiv teilzunehmen, Kompetenz, nach wissenschaftlichen Regeln zu forschen.
Die besondere Problematik von Kompetenzprofilen für die Sozialen Arbeit liegt dabei darin, dass Sozialarbeiter und Sozialpädagogen ein sehr breites und vielfältiges Praxisfeld vorfinden, das sich nur unscharf zu anderen helfenden Berufen und freiwilliger sozialer Hilfe abgrenzt (Mayrhofer&Raab-Steiner 2007, 97). Jedes Curriculum balanciert daher zwischen Profilbreite und -schärfe und entscheidet sich für ein generalistisches oder spezialisiertes Studienprofil (Mayrhofer&Raab-Steiner 2007, 104ff). Kompetenzprofile stellen ein zentrales Steuerungselement für das Profil des Studiengangs, für Kompetenzerwerb und Leistungsnachweise dar. Auch der Lehrerberuf hat in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Ausweitung von Aufgaben und Anforderungen erfahren. Mit dem Wandel von kognitivistischen zu konstruktivistischen Lehr-Lernmodellen wandelt sich die Rolle des Lehrers vom Experten für ein Unterrichtsfach zum Architekten von Lernumgebungen und Lernwegbegleiter, Coach und Berater von Schülern. Die Verschiebung von Erziehungsaufgaben in die Schulen als Folge des gesellschaftlichen Wandels, die Förderung von Schlüsselkompetenzen und die gewachsene kulturelle und soziale Heterogenität in Schulen verlangen auch von Lehrern vermehrt psychosoziale Kompetenzen wie Diagnostik, Begleitung oder Beratung, verstärkte Zusammenarbeit mit Angehörigen und oder in schulinternen Projekten und Arbeitsgruppen. Auch der Lehrerberuf wird so aufgabenheterogener und anforderungsreicher. Diese erweiterten Kompetenzen fließen neben der Fachkompetenz für die gewählten Unterrichtsfächer und der Lehrkompetenz zunehmend in das Lehramtsstudium ein. Das in letzter Zeit häufig konstatierte Professionsideal im Lehrerberufs führt dazu, dass die wissensbasierte Problemlösung von Bildungs- und Erziehungsproblemen und ein Berufsethos professionellen Lehrerhandelns als bedeutsam erkannt werden. Ethisch orientiertes und professionell reflexives Handeln erhalten so eine gewachsene Bedeutung (Steuerungsgruppe Lehramt an der Universität Wien 2008). Als Beispiel eines Profils von Kernkompetenzen für den Lehrerberuf wird unten das Kompetenzprofil der Universität Wien aufgeführt,
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das sechs Kernkompetenzen für alle dortigen Lehramtsstudiengänge fordert (Steuerungsgruppe Lehramt an der Universität Wien 2008, 2f, Kürzungen ww): Fachbezogene Sachkompetenz: Wissen, Fertigkeiten und Strategien der jeweiligen Lehrfachdisziplin, Fachbezogene Analyse- und Problemlösungskompetenz: Fähigkeit, relevante Problemlagen systematisch zu erschließen, zu entwickeln und zu lösen, Fachdidaktische Reflexions- und Vermittlungskompetenz: Fähigkeit, Unterrichtsgegenstand und Unterricht theoriebezogen, anschlussfähig und systematisch zu gestalten, Systematische Erkundungs-, Planungs- und Evaluationsfähigkeit des Unterrichtshandelns: Fähigkeit, Schul- und Unterrichtspraxis aktiv zu gestalten und Qualität von Unterricht zu sichern, Kommunikations-, Diagnose-, Differenzierungs- und Integrationsfähigkeit: Fähigkeit, sich fachlich auszutauschen, schulpartnerschaftlich zusammenzuarbeiten und heterogene Schülergruppen differenzierend und integrierend zu moderieren und zu beraten und einen optimalen Unterrichtsertrag zu sichern. Professionsethos und (Selbst-)Reflexion: Haltung, die eigene professionelle Verantwortung und Professionalisierung als berufsbegleitenden Prozess wahrzunehmen. Die klare Orientierung an zielorientiertem, wissenschaftsbasiertem, professionellem Handeln wird bei beiden Profilen deutlich. Die Orientierung auf soziales Handeln mit Adressaten verweist auf die gestiegene Bedeutung dieser Handlungsform, die auch im Zentrum dieses Buches steht. Die genannten Kompetenzprofile sind nur eine erste Annäherung. Das Kompetenzprofil Ihres Studiengangs gibt Ihnen eine präzisere Leitlinie durch Ihren Studiengang. Kompetenzorientierte Curricula verlangen weiter eine Neugestaltung der hochschulischen Lernumgebung. Dabei werden Sie vermehrt auf neue didaktische Bausteine stoßen. Kompetenzorientiertes Studieren verlangt eine konsequent konstruktivistische Perspektive und ein aktives, persönlich bedeutsames Aneignen von Wissen. Um Kompetenzerwerb zu ermöglichen, sind weiter die Ausweitung und verbesserte Integration praxisbezogener Elemente ins Studium nötig. Sie stoßen auf mehr und kleinere Praxiseinsätze auch neben den großen meist halbjährigen Praktika (Hospitationen, Beobachtungsaufträge, Kurzeinsätze). Um den Praxistransfer vorzubereiten, werden im Studium mehr Simulationen, Übungen und Trainingsformen Platz finden und ein fall-, problem- oder projektorientiertes Vorgehen in Lehrveranstaltungen beginnt sich durchzusetzen. Viele Studiengänge nach Bologna differenzieren den studentischen Workload, also die geleistete Lernzeit in drei Formen studentischen Lernens: Neben den Kontaktlektionen wird begleitetes und freies Selbststudium verlangt und arrangiert (Landwehr 2006). Die Lehrveranstaltungskonzepte weisen dabei im günstigsten Fall die Anteile von begleitetem Selbststudium und Selbststudium aus. Sie werden im Rahmen des begleiteten Selbststudiums vermehrt kooperativ lernen. Die Gruppenarrangements sind von den Dozierenden konzeptionell zu gestalten und zu begleiten. Die Strukturierung der Gruppenarbeiten, klare und sinnvolle Arbeitsaufträge, sowie Feedback und Coaching spielen dabei eine Schlüsselrolle. Ein neueres Element kompetenzorientierter Lernumgebungen sind Integrations/Reflexions- oder berufliche Handlungskompetenzmodule, oft verbunden mit dem bereits erwähnten Portfolio. Sie sollen Einzelkompetenzen in eine übergreifende Handlungskom-
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petenz einbinden, die professionelle Reflexion unterstützen und die Ausbildung eines persönlichen Kompetenz- und Studienprofils und beruflichen Habitus anbahnen. Kompetenzorientierte Curricula benutzen neue Formen von Prüfungen und Leistungsnachweisen: Leistungsnachweise verlangen zunehmend seltener die reine Reproduktion von Faktenwissen. Sie werden ersetzt durch anwendungsorientierte Prüfungen, in denen Wissensnutzung statt Reproduktion verlangt wird und in denen Kompetenzen gezeigt werden müssen. Beispiele für solche Leistungsnachweise sind Mikrolehrsequenzen vor Mitstudierenden oder im Sozialbereich Mikroberatungssequenzen, Rollenspiele zu Problemsituationen, Fallbearbeitungen und ähnliche Prüfungsformen (vgl. Kap. 7). Diese Prüfungen sollen die Transformation von disziplinärem Wissen zu professionellem Handeln unterstützen, indem sie Kompetenzen auch prüfen. Der Wille zur Prüfungsperformanz wird dabei gezielt für den Kompetenzerwerb genutzt. Prüfungen zu bestehen, ist als Motiv besonders dann nicht zu unterschätzen, wenn der berufliche Alltag wie im Vollzeitstudium noch weit entfernt ist. Kompetenzorientierte Curricula stellen schließlich veränderte Anforderungen an studentische Lernstrategien, dies ist das Kernmotiv dieses Buches. Sie werden in Ihrem Studium mit veränderten Anforderungen an Ihre Lernstrategien und ihr Selbstmanagement konfrontiert sein. Individuelle Kompetenzziele und Schwerpunktsetzungen werden möglicherweise sehr früh im Studium von Ihnen verlangt. Das erweiterte kooperative Lernen unterstützt und fordert gezielte Zusammenarbeit in Gruppen. Die Veränderung von Handlungsmustern wird zum Ziel, was an öffentlichen Schulen vermutlich noch kaum gelehrt wird. Und schließlich werden informelle und beiläufige Lernprozesse zunehmend wichtiger. Sie tragen vielleicht mehr zum Berufserfolg bei als das formelle schulische Lernen (Hess et al. 2004, 117) und erfahren eine Aufwertung. Dass Ziel dieses Buchs ist es, eine optimale Passung zwischen den oben genannten Anforderungen kompetenzorientierter Studiengänge und Ihren persönlichen Lernstrategien zu erreichen. Die folgenden Kapitel werden Sie detailliert in Lernstrategien einführen, mit denen Sie die neuen und z.T. unerwarteten Anforderungen dieser Studiengänge erfolgreich bewältigten können.
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 2.1 Handlungstheorie und Handlungssteuerung: Arbeit mit einer Fallsituation LWS 2.2 Handlungskompetenz: Reflexion notwendiger Kompetenzen zu einer Fallsituation LWS 2.3 Selbstorientierung in einem kompetenzorientierten Studiengang
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Grundlagen handlungsorientierten Lernens
3.1 Lernbegriff und Lernformen im handlungsorientierten Lernen Das folgenreichste Missverständnis über das Lernen ist vermutlich, dass Lernen vor allem die Akkumulation von Wissen bedeutet. Viele der gängigen Lernstrategiebücher unterstützen diesen pädagogischen und schulisch enggeführten Lernbegriff. Ein unter der Perspektive kompetenten Handelns gefasster Lernbegriff ist jedoch sehr viel breiter und handlungsorientiertes Lernen erfordert einen Lernbegriff, wie er z.B. in konstruktivistischen Theorien benutzt wird (Edelmann 2000; Krapp&Weidenmann 2001, 613ff). Bereits in der allgemeinen psychologischen Definition wird Lernen als Veränderung in Erleben, Verhalten oder Entwicklung durch Erfahrung definiert. In der älteren Lernpsychologie wurde dabei der Verhaltensaspekt (‚dauerhafte Verhaltensänderung durch wiederholte Erfahrung’) betont. Neuere Ansätze betonen die kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozesse beim Lernen und verlagern die Aufmerksamkeit. Vier Merkmale des Lernen werden betont (Krapp&Weidenmann 2001, 127):
Lernen ist ein komplexer Konstruktionsprozess und kein einfacher Speichervorgang. Gelerntes wird permanent adaptiert. Wissensbestände oder Fähigkeiten werden erweitert oder Gelerntes neu konstruiert. Damit rückt auch die Einzigartigkeit des Wissens von Individuen ins Zentrum des Lernens. Lernen ist eine aktive Leistung des Individuums, keine passive Rezeption und kein Resultat äußerer Instruktion. Der Lernprozess liegt immer in den Händen der lernenden Person. Schulische Prozesse können Lernen unterstützen, aber nicht erzeugen. Damit werden die Prozesse von Motivation und Interesse für das Lernen wichtig. Lernen ist ebenso ein intentionaler (absichtsvoller) wie ein inzidentieller (beiläufiger) Prozess – es findet in formellen Lernkontexten wie im Alltag statt. Der Mensch erwirbt im Lauf seines Lebens wohl den größten Teil seines Wissens und seiner Fähigkeiten durch beiläufiges Lernen. Damit werden Alltag und Praxis zu bedeutsamen Lernorten. Lernen ist ein Prozess der Ausbildung von Kompetenzen – Wissenserwerb wird damit nur zu einem Aspekt im Lernprozess. Die Ausbildung von Qualifikationen und Kompetenzen sind weitere Aspekte. Lernen hat Autonomie und Handlungsfähigkeit zum Ziel, dies reicht vom Beherrschen technischer Prozeduren bis zu sozialen Verhaltensmustern. Damit verschiebt sich der Fokus des Lernens vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln (Wahl 2005a).
Dieser erweiterte Lernbegriff verändert auch das Verständnis von Lernformen. Edelmann unterscheidet die vier unten vorgestellten grundlegenden Lernformen (Edelmann 2000, 279). Sie werden hier um das soziale Lernen ergänzt, das für den Erwerb sozialer Handlungsmuster besonders bedeutsam ist. Es wird hier von Lernprozessen des Handelns und
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Problemlösens noch unterschieden. Das Studium in sozialen und pädagogischen Berufen muss soziale Einstellungen und soziale Handlungsmuster fördern, die vorzugsweise über soziales Lernen erwerbbar sind und andere Lernumgebungen benötigen als z.B. Handeln und Problemlösen in technischen Berufen. Weiter wird das erfahrungsfördernde signifikante Lernen nach Rogers eingeführt (Zimring 1994). Für ein handlungsorientiertes Lernen lassen sich also 6 Lernformen unterscheiden:
Reiz-Reaktions-Lernen betrifft den Aufbau von Verbindungen zwischen Reizen und Reaktionen. Lernen ist dabei ein passiver Prozess der Gewöhnung. Instrumentelles Lernen meint den Aufbau von Verbindungen zwischen Verhalten und ihm folgenden Konsequenzen. Diese ersten beiden Formen des Lernens werden durch Theorien des Behaviorismus erklärt. Reaktionen auf Reize stehen im Mittelpunkt, Lernen ist hier ein von außen gesteuerter Prozess der Verhaltensverstärkung oder -abschwächung. Begriffsbildung und Wissenserwerb meinen den Erwerb und Aufbau von Verbindungen zwischen kognitiven Strukturen. Diese Lernform wird durch die kognitive Psychologie beschrieben und erklärt. Der Aufbau und die Anpassung von Begriffen, Schemata und kognitiven Netzwerken stehen im Zentrum. Lernen ist ein aktiver und von innen gesteuerter Prozess und Lernen ist aktive Informationsverarbeitung. Handeln lernen und Problemlösen meint den Aufbau von Verbindungen zwischen Wissen und Aktivitäten. Die kognitive Psychologie und die psychologische Handlungstheorie beschreiben diese Lernform. Beim Problemlösen müssen unerwünschte Zustände und Barrieren in Richtung einer Problemlösung überwunden werden. Beim Handeln wird ein Soll-Zustand durch Aktivität gezielt zu erreichen versucht. Lernen ist dabei ein Prozess des Neu- und Umlernens von Handlungs- und Problemlösemustern (Edelmann 2000, 279). Soziales Lernen beschreibt den Aufbau komplexer sozialer Einstellungen, Motivationslagen und Handlungsmuster. Lernen erfolgt hier im sozialen Kontakt mit Vorbildern, an deren Modell gelernt wird. Soziales Lernen ist Lernen durch Selbstverstärkung und das Erleben der eigenen Wirksamkeit (Häcker&Stapf 2004, 876). Selbstbedeutsames, signifikantes Lernen (vgl. Kap. 5.1) ist die Lernform, die Rogers’ Selbstaktualisierungstendenz und dem Bedürfnis nach persönlichem Wachstum entspricht. Dies ist ein auf das eigene Selbst bezogenes Lernen, das selbstmotiviert ist und einen hohen Bezug zu bedeutsamen personalen Anteilen, der eigenen Biographie oder persönlichen Erfahrungen aufweist (Zimring 1994).
In den folgenden Kapiteln werden die für das Studium bedeutsamsten Lernformen „Begriffsbildung und Wissenserwerb“, „Handeln lernen und Problemlösen“, „Soziales Lernen“ und „selbstbedeutsames, signifikantes Lernen“ vertieft und mit Empfehlungen zu wirksamem Lernen angereichert. 3.2 Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht Es wurde oben bereits ausgeführt, dass Lernen ohne Gedächtnis nicht denkbar ist: Das Gehirn ist Basis und biologischer Träger des menschlichen Lernens. Das Wissen über Ge-
Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht
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hirn und Gedächtnis ist wichtig für das schulische Lernen und den Erwerb von Wissen, da erst die Kenntnisse darüber wirksames Lernen nachhaltig machen. Die wissenschaftliche Forschung hat in den letzten 20 Jahren unser Wissen über menschliches Denken, Handeln und Fühlen grundlegend verändert. Mit dem Gedächtnis hat sich die Psychologie seit ihrer Entstehung befasst, die neuere Hirnforschung hat aber nun besonders zu einer Klärung der Strukturen menschlichen Handelns wesentliches beitragen können. Mittlerweile weiß die Psychologie genauer, wie Handlungen gesteuert werden und wie Emotion, Kognition, Motive, Erfahrung etc. dabei ineinander wirken. Hier wird kein Konzept eines „gehirn-gerechten“ Lernens (Birkenbihl 1992) vertreten. Aber für ein handlungsorientiertes Lernen ist es orientierend, eine Vorstellung zu haben, welche Rolle beim Handeln Gehirn und Gedächtnis und andere neurobiologische Prozesse spielen. Daher hier einige Ausführungen über neurowissenschaftliche Erkenntnisse zum Lernen mit Schlussfolgerungen für das handlungsorientierte Lernen. 3.2.1 Das Gehirn als Basis und Speicher aller Lernprozesse Um eine ungefähre Orientierung zu ermöglichen, werden im Folgenden die wichtigen Teile des menschlichen Gehirns dargestellt und in ihren Funktionen grob erläutert. Lernen ist ein biologischer Vorgang, der sich vor allem im Gehirn abspielt. Kein Gedanke und kein Gefühl existieren für sich allein. Sie sind immer von biologischen Vorgängen in unserem Körper begleitet. In den ersten Monaten des Lebens eines Kindes wachsen im Gehirn die Nervenfasern (Neuronen) zu einem festen Grundgerüst zusammen. Aufgrund der Erbmasse und von Reizen der Außenwelt erhält das Gehirn eines jeden Menschen seine individuelle anatomische Verdrahtung. Zwischen den Hirnzellen entsteht so ein Grundmuster von Verknüpfungen, in dem später alles Erlebte gespeichert und gegebenenfalls wieder willentlich abgerufen werden kann. Die im Gehirn ankommenden Impulse werden zwar in bestimmten Hirnregionen aufgenommen, aber dann sofort weitergeleitet. Durch vielfache Verknüpfungen werden sie im ganzen Gehirn verstreut gespeichert. Etwas 500 Billionen Schaltstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen ermöglichen das gezielte Denken und Erinnern. In den über die ganze Großhirnrinde verteilten Arealen werden Wahrnehmungen verarbeitet und erinnert (Frick&Mosimann 1997, 25). Es werden während des ganzen menschlichen Lebens durch Lernprozesse neue synaptische Verbindungen aufgebaut und dadurch die Ergebnisse von Lernen gespeichert. Dieser Prozess endet nicht mit der Kindheit, sondern findet bis ins hohe Alter statt.
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Abbildung 12: Schnitt durch eine menschliche Großhirnrinde bei Geburt, im Alter von drei und 15 Monaten und im Alter von drei Jahren (Frick&Mosimann 1997, 25) Im Folgenden werden übersichtsartig die Funktionen der einzelnen Hirnregionen beschrieben und ihre Funktionen für das menschliche Lernen und Handeln kurz umschrieben. Lernen findet auf vielen Ebenen statt, es ist bewusst und unbewusst, beteiligt die meisten Hirnareale und aktiviert viele Bereiche des psychischen Geschehens. Lernen ist nicht ausschließlich eine Aktivität des Großhirns.
Abbildung 13: Das menschliche Gehirn, seine Bereiche und Funktionen (Edelmann 2000, 3; Häcker&Stapf 2004, 347ff; Spiegel Special 2003, 3ff)
Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht
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Der Mensch verfügt über zwei Gehirnhälften, die spezialisiert arbeiten. Sie stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander und ergänzen sich in ihren Fähigkeiten. Der „Balken“ verbindet beide Gehirnhälften und stellt die Kommunikation zwischen diesen sicher. Der Mensch verfügt nicht über zwei Gehirne und man sollte nicht von Rechtshemisphärikern und Linkshemisphärikern sprechen. Bei einem normalen Gehirn ist es unmöglich, nur die eine Hälfte zu entwickeln und die andere sehr weitgehend zu vernachlässigen. Trotzdem gibt es gewisse Anhaltspunkte, dass sich Menschen im Ausmaß der Aktivierung der beiden Hirnhemisphären unterscheiden. Manche Menschen neigen eher dazu, rechtshemisphärisch-analytisch oder linkshemisphärisch intuitiv zu erkennen und entsprechend zu handeln (Edelmann 2000, 13).
Abbildung 14: Übersicht der Funktionen der beiden Hirnhemisphären (Frick&Mosimann 1997, 46) Die neuere Hirnforschung hat zu den neurobiologischen Prozessen beim menschlichen Handeln einiges klären können, das beim Lernen hilfreich sein kann. Auch wenn in den Neurowissenschaften noch vieles ungeklärt ist und mittlerweile etliche „Neuromythen“ (Schulte 2000; Schulte 2004) existieren, kann Ihnen ein kurzer Exkurs zum Gehirn und seinen Funktionen beim Handeln einige Hilfen zum Selbstverständnis Ihres Handelns geben. Wenn wir handeln, findet dies in einem komplexen Ineinandergreifen kognitiver, emotionaler, motivationaler und motorischer Prozesse statt. Der neuropsychologische Verarbeitungsprozess bei einer Handlung ist idealtypisch so vorstellbar (Traufetter 2006).
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Abbildung 15: „Der Bauch im Kopf – wie das Gehirn intuitiv entscheidet“ (Traufetter 2006) In einer Situation, in der wir handeln müssen, verarbeiten wir Informationen zu dieser Situation. Wir nehmen sie mit den Sinnen, z.B. über Augen (1) und primäre Sehrinde im Gehirn auf. Weiter nehmen wir wahr, was um uns herum geschieht (2). Noch lange bevor wir bewusst nachdenken über das, was um uns herum geschieht, wird diese Wahrnehmung mit Erinnerungen angereichert (3). Es wird angenommen, dass in der Wahrnehmung ein großer Teil erinnerungsbasiert wahrgenommen wird („Man sieht, was man weiß“). Die bereits gespeicherter Erfahrungen, Erlebnisse und Wissensbestände definieren unser hochindividuelles Vorverständnis einer Situation. Neue oder nicht einzuordnende Erfahrungen können aufgrund dieser erinnerten Inhalte verstanden oder missverstanden werden. Sie erzeugen in jedem Falle durch den Neuigkeitswert der Information eine Diskrepanz, die bewusst verarbeitet werden muss. Im nächsten Schritt (4) geschieht eine emotionale Bewertung dieser mit Erinnerungen und Gedächtnisspuren angereicherten Wahrnehmung – für das Handeln sind Emotionen als verdichtete Informationen über positive oder negative Erfahrungen oder Befindlichkeiten zu bewerten. Sie geben der mit Erinnerungen angereicherten Information eine Qualität (Kap. 2.3.5, Emotionen und Handeln). Dabei wird auch das neuronale Belohnungssystem aktiviert: Es signalisiert unangenehme oder angenehme Zustände und hohe oder geringe Wichtigkeit einer Situation. Erst danach (5) setzt die bewusste Informationsverarbeitung ein. Sie ist erheblich langsamer als Erinnerung und emotional-motivationale Bewertung. Durch bewusstes Denken wird nun eine bereits emotional gefärbte Wahrnehmung einer Situationseinschätzung unterzogen, Ziele und Pläne entworfen, Entscheidungen getroffen und dann gehandelt (6). Schon in dieser kurzen Darstellung der neurowissenschaftlichen Sicht des Handelns wird die Rolle von Erfahrungen, Motiven, Belohnungssystemen und Emotionen für unser Lernen und Handeln sichtbar. Für das Lernen kann im Anschluss an diese Erkenntnisse gefolgert werden,
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erfahrungswidrige neue Inhalte deutlich wahrzunehmen, da sie alte Muster irritieren, Emotionen einzubeziehen, da sie Erlebtes mit Bedeutung versehen und bewerten, Erfahrungen zu reflektieren und zu nutzen, da sie das Erkennen steuern, Handlungsmuster zu deautomatisieren, um ihre Dominanz im Handeln zu reduzieren, das internale Belohnungssystem durch positive Anreize zu stärken und neue Handlungsmuster zu automatisieren, um sie gegen alte Gewohnheiten zu stärken.
Einige dieser Prozesse sind bewusstseinsfähig, aber nicht bewusstseinspflichtig. Kein Handlungsprozess funktioniert aber ohne Gedächtnis, auch wenn die Inhalte beim Handeln nicht bewusst erinnert werden. Zur Gedächtnisforschung liegen etliche neue Erkenntnisse vor, die ein neues Bild des menschlichen Gedächtnisses schaffen. Dieses Bild kann Ihre Vorstellung vom Lernen erheblich verändern, darum im Folgenden einige Ausführungen dazu. 3.2.2 Das menschliche Gedächtnis Das Gedächtnis ist der gesamte Prozess des Verarbeitens, Speicherns und Abrufens von Informationen. Es dient (vor allem) der Speicherung von Erfahrungen oder Lerninhalten und ist Teil des Großhirns. Die verbreitetsten Modelle menschlichen Gedächtnisses unterscheiden drei Phasen der Speicherung von Erfahrungen und Lerninhalten (Konrad&Wagner 1999b, 24f). Die wichtigste, Studierenden meist unbekannte Neuerung in der Gedächtnisforschung ist, dass es ein Kurzzeitgedächtnis wie in der Alltagspsychologie vorgestellt nicht gibt. Das kurzfristige Lernen mit dem Kurzzeitgedächtnis, wie Studierende das häufig formulieren, ist eine irrtümliche Vorstellung. Zunächst kommen die Informationen aus den Sinnesorganen in den sensorischen (UltraKurzzeit)-Speicher. Wird die Information nicht wiederholt, so geht ein visueller Reiz bereits nach 0,5 Sekunden und ein akustischer nach 1-2 Sekunden verloren. Wenn wir den Namen einer unbekannten Person vergessen haben, kaum nachdem sie sich vorgestellt hat, findet genau dies statt. Die Information wurde nicht im sensorischen Speicher aufgenommen. Erst im Kurzzeitspeicher können ankommende Informationen durch Wiederholen erhalten bleiben. Allerdings verfügt der Kurzzeitspeicher nur über eine geringe Kapazität. Neu eintreffende Informationen können hier bereits vorhandene Wissensbestände verdrängen. Die maximale Kapazität dieses Arbeitsspeichers ist auf 7-10 gleichzeitige Informationseinheiten begrenzt. Die Vorstellung vom Kurzzeitspeicher hat sich mit der neueren Hirnforschung grundlegend geändert: Er entspricht nicht mehr der weit verbreiteten Vorstellung von einem Kurzzeitgedächtnis. Der Kurzzeitspeicher ist nur ein Zwischen- oder Arbeitsspeicher für das Langzeitgedächtnis und durch seine begrenzte Kapazität das Nadelöhr der Informationsaufnahme und des Lernens. Beim Übergang ins Langzeitgedächtnis werden beim Lernen die Einzelinformationen gebündelt und zu bedeutungstragenden Einheiten umkodiert. Dabei wird eine dauerhafte chemische Verbindung im Gehirn aufgebaut. Es entstehen so genannte neuronale Spuren. Alles, was vorübergehend oder dauerhaft erinnert wird, ist im Langzeitgedächtnis gespeichert. Das gilt auch für die auf Prüfungen schnell und oberflächlich gelernten Inhalte. Sie speichern sich in flüchtigen neuronalen Spuren ab, die später von anderen Gedächtnisspuren überlagert werden oder zu instabil und nicht dauerhaft sind. Da das Bewusstsein Eindrücke andauernd speichert, verändern sich unsere Hirnstrukturen und Gedächtnisinhalte fortwährend.
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Die folgende Graphik gibt eine Übersicht über den Prozess der Verarbeitung und Speicherung von Informationen im Gedächtnis und die entsprechenden Speichersysteme.
Abbildung 16: Speichersysteme und Verarbeitung von Information im menschlichen Gedächtnis (Wahl 2001b) Wie ist nun das Wissen in unserem Gehirn organisiert? Das Gehirn unterteilt sich mindestens in vier verschiedene Speichersysteme, die alle dem Langzeitgedächtnis zuzurechnen sind. Im Folgenden sollen diese vorgestellt und auf ihre Bedeutung für das Lernen hin beleuchtet werden (Konrad&Wagner 1999b, 26f; Markowitsch 1997). Priming: Dieses System speichert Sinneseindrücke, die ähnlich erlebte Situationen in Erinnerung rufen. Ein Geruch erinnert z.B. an schon erlebte Situationen. Das Priming ist vermutlich das älteste Gedächtnissystem der menschlichen Evolution, da es bei der Nahrungs- und Partnersuche behilflich war. Wissenssystem: Hier befinden sich Allgemeinwissen und eher gefühlsneutrale Fakten. Man spricht üblicherweise vom Wissensspeicher und unterscheidet zwischen wörtlich gelernten Daten im deklarativen Wissensspeicher (Liedtexte, Jahreszahlen, Wörter) und zwischen Bedeutungswissen im semantischen Wissensspeicher. Das Bedeutungswissen beinhaltet Symbole oder Theorien. Diese Wissenseinheiten sind hierarchisch geordnet und vielfach untereinander vernetzt. Prozedurales Gedächtnis: Im prozeduralen Gedächtnis werden Muster von Bewegungs- und Handlungsabläufen gespeichert, um sie später automatisch abspielen zu können (Radfahren, Autofahren, Trinken). Es handelt sich bei diesem Handlungswissen z.B. um Pläne oder Handlungsmuster, aber auch um ausführungsbezogene, motorische Fähigkeiten (z.B. das richtige Bedienen eines Computers). Das prozedurale Gedächtnis ist in weiten Teilen implizit, d.h. unbewusst. Sie erinnern sich nicht an Wissensdetails, beherrschen aber einen motorischen Ablauf besser (oder nur), wenn Sie nicht bewusst nachdenken. Bei sportlichen Leistungen oder beim Autofahren kann Bewusstheit leistungsmindernd oder gefährlich sein, wenn das Bewusstsein auf sonst automatisierte Prozesse gelenkt wird.
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Lernen aus neurowissenschaftlicher Sicht
Episodisches Gedächtnis: Persönliche Erlebnisse werden hier assoziativ nach persönlicher Relevanz geordnet aufbewahrt. Gemeint sind hier Erinnerungen, die einen bestimmten Tag, ein bestimmtes Erlebnis oder eine bestimmte Situation betreffen. Metawissensspeicher: Der Metawissensspeicher ist ein übergeordneter Speicher, der über die vorhandene Gedächtnisleistung Aussagen treffen und an Muster erinnern kann. Indem wir unser Metawissen abrufen, sind wir in der Lage, unser Tun zu bewerten und seine Erfolgschancen abzuschätzen. Warum ist es wichtig, von diesen verschiedenen Speichersystemen zu wissen? Wenn Gedächtnisinhalte in unterschiedlichen Speichersystemen mit je eigenen Strukturen abgelegt werden, lässt sich die Dynamik der Speichersysteme für das Lernen nutzen und das Lernen erleichtern. Die folgende Tabelle nennt das Speichersystem und macht die Konsequenzen für Lernprozesse und besseres Lernen deutlich:
Speichersystem
Konsequenzen für Unterricht und Lernen
Episodisches Gedächtnis Speicher für persönliche Erlebnisse und Erfahrungen
Spaß am Lernen fördern interessante Unterrichtsgestaltung Lernen mit selbst Erlebtem, mit Geschichten, Emotionen verbinden Identifikation und aktive Aneignung Strukturierung bei der Wissensvermittlung: Gliederungen, Mindmaps, Cluster-Strukturen
Deklaratives Gedächtnis Allgemein- und Faktenwissen; Deklarativer Speicher für Begriffe; semantischer Speicher für Bedeutungen Prozedurales Gedächtnis Speicher für komplexe Handlungs- und Bewegungsabläufe: Autofahren, Kind wickeln
Handelndes Lernen, üben und trainieren Lernprozesse an Handlungen binden Lernen in Gruppen Lernen im beruflichen Alltag
Priming Teil des Gehirns, der Sinneseindrücke zu ähnlich erlebten Situationen im Verborgenen Informationen aufnimmt: Farben, Töne, Bilder, Gerüche
Mehrkanaliges Lernen: Darbieten von Informationen akustisch, visuell, durch Anekdoten, Rollenspiele Lerninhalte mit Bildern, Farben, Tönen anreichern und ankern, Advance-Organizer
Metawissensspeicher Übergeordneter Speicher, der über Gedächtnis aussagen trifft und an Muster erinnert
Selbstreflexion ins Lernen integrieren Metakognition üben und praktizieren Lernen bewusst beobachten und steuern
Tabelle 3:
Schulische Relevanz der Speichersysteme (Konrad&Wagner 1999b, 27, Ergänzungen ww)
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Berufliches Handeln und Handlungskompetenz
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 3.1 Lernbegriff und Lernformen: Austausch zu einer persönlich bedeutsameren Lernerfahrung LWS 3.2 LWS Gehirn, Handeln und Gedächtnis: Rollenspiel und Reflexion
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Handlungsorientiertes Lernen – eine Übersicht
Wie bereits im Kapitel 2 angedeutet wurde, ist menschliches Handeln komplex gesteuert und stabil organisiert. Wenn Sie ihr berufliches oder persönliches Handeln verändern wollen, bedeutet dies aufwändige Lernarbeit. Dies gilt besonders, wenn es sich um soziales Handeln und Problemlösen handelt. Was macht diese Veränderungsarbeit zu einem so komplexen Unternehmen?
Soziales Handeln ist „Handeln unter Druck“ (Wahl 1991, 10) (vgl. Kap.3.2.2). Damit wir handlungsfähig bleiben, sind soziale Handlungsmuster weitgehend automatisiert und bleiben uns selbst verborgen (Wahl 2005a, 21). Sie sind stabil in kleinen „Drehbüchern“ organisiert (Cranach&Bangerter 2000, 236) (vgl. Kap. 2.2.6, 5.3). Unser soziales Handeln haben wir seit der Kindheit aufgebaut und stabilisiert. Besonders erziehungsbezogene Handlungsmuster sind außerordentlich stabil. Unter dem Zeitdruck der Kommunikation greifen wir in kritischen Situationen eher auf bewährte Muster zurück. Neues Handeln kann unter Druck nicht entwickelt und nur durch vorangegangenes Training ausgeführt werden. Faktenwissen reicht nicht aus, um Handlungsmuster zu verändern (vgl. Kap. 2.3.1).
Vor allem im milliardenschweren Trainingsbusiness und der Ratgeberliteratur wird häufig spielend-leichte Verhaltensänderung suggeriert. Diesen leichtfertigen Heilsversprechen wird hier widersprochen. Soziales Handeln ist veränderbar, aber es benötigt einigen Aufwand, in komplexen Situationen unter sozialem Handlungsdruck neues Handeln zu etablieren. Die Konzeption der gemäßigt-konstruktivistischen Lernumgebung (Wahl 1991; Wahl 2001a; Wahl 2005a; Wahl et al. 1995) verfügt über dieses Potential. Sie besteht aus einer sandwichartigen Ausbildungsarchitektur, die theoretische und praktische Elemente konsequent integriert. Zwei grundlegende Lernstrategien werden dabei verfolgt. Eine beschreibt die zentralen Lernaktivitäten und die zweite stellt lernwegflankierende Maßnahmen bereit. Die Lernumgebung wird als Sandwich-Lernumgebung bezeichnet, weil sie mit dem Wechsel zwischen theoretischen und praktischen Ausbildungsphasen und im schulischen Unterricht selbst mit dem Wechsel von Instruktion und Aneignung arbeitet. Die günstigsten Bedingungen für ein handlungsorientiertes Lernen liegen in einem praxisintegrierten Studium, das Theorie und Praxis konsequent verknüpft. Dies ist an einigen deutschen und Schweizer Hochschulen möglich, aus vielerlei Gründen aber leider eher die Ausnahme als die Regel. An den pädagogischen Hochschulen in Deutschland und der Schweiz werden zunehmend Anstrengungen unternommen, diese Integration von theorie- und praxisbezogenen Studienanteilen durch kleinere und größere Praxisphasen konsequenter zu verbinden. Das erste Strukturelement eines an Handlungskompetenz orientierten Lernens besteht aus einem Dreierschritt von Bearbeitbar machen alter Handlungsmuster durch Problematisieren, Konfrontieren, Bewusstmachen und den Aufbau von Veränderungsmotivation, dem
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Handlungsorientiertes Lernen – eine Übersicht
Erwerb neuen Wissens und neuer Problemlösungen durch aktiv aneignendes und kooperatives Lernen an Wissensbeständen, Methoden und Problemlöseverfahren (zweiter Teilschritt) und dem In-Gang-setzen neuer Handlungsmuster durch Vorsatzbildung, Modelllernen, Übung und Transfer. Es setzt als ersten Schritt auf Differenzerfahrung, Konfrontation und Zumutung und betont damit die Notwendigkeit des Auftauens („unfreezing“) stabiler Handlungsmuster. Dies ist Voraussetzung einer Phase der Veränderung („changing“) und der Restabilisierung neu erworbenen Handelns („refreezing“)(Geißler&Hege 1992, 138ff). Das zweite Strukturelement besteht aus lernwegflankierenden Maßnahmen: Der Lernprozess wird innerhalb und außerhalb des Unterrichts sozial und personal gestützt, um neues Handeln in Gang zu bringen, zu festigen und gegen alte Handlungstendenzen oder äußere Widrigkeiten zu schützen. Die Lernenden tun dies individuell mit Selbstinstruktionen, Vorsatzbildungen, Stopp-Codes und stressreduzierenden Maßnahmen und sichern sie durch soziale Unterstützung in Gruppen oder Praxistandems.
Abbildung 17: Die Architektur der gemässigt-konstruktivistischen Lernumgebung als kleines und großes Sandwich (Wahl 2005a, 103ff)
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 4.1 Umgang mit Krisen von Klienten/Schülern – handlungsorientiertes Lernen planen
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Bei sich beginnen
Ein beliebtes Missverständnis zum Lernen, das wurde bereits erwähnt, besteht in der Auffassung, Lernen sei vor allem Wissensvermehrung. Lernen von Erwachsenen und bereits auch von Kindern ist jedoch immer auch Umlernen. Wenn Lerninhalte auf bereits Gelerntes stoßen, bestehen vier Möglichkeiten: Das Gelernte wird vergessen, der ungünstigste Fall. Es kann aber auch unabhängig vom bestehenden Wissen erworben gespeichert werden, dabei bilden sich Wissensinseln, die schlecht nutzbar sind (Gruber&Renkl 2000, 166). Drittens passt sich neues Wissen in bestehende Wissens-, Erlebens-, Deutungs- oder Handlungsstrukturen ein, Piaget nennt dies Assimilation, oder das neue Wissen widerspricht bestehenden Denk- und Handlungsstrukturen und diese müssen revidiert werden, was Piaget Akkomodation nennt. In jedem Fall aber trifft neues Wissen bei Erwachsenen auf bereits bestehende, persönlich bedeutsame Wissensstrukturen. Neben objektiv wissenschaftlichem Wissen existiert Wissen auch in Form von Subjektiven Theorien, die persönliches Handeln leiten. Lernen ist in diesem Fall immer Umlernen. Lernen wird so ein persönlich bedeutsames Erweitern, Anpassen und auch Revidieren von Wissensbeständen, Einstellungen, Fähigkeiten und Erfahrungen. Es wird Ihnen empfohlen, Lerninhalte auf dem Hintergrund Ihrer Biographie und Lerngeschichte zu interpretieren und mit ihnen zu verbinden. Rogers nennt dies signifikantes Lernen (Zimring 1994) und beschreibt es als dessen einzig nachhaltige und wirksame Form. Sie sind dies vermutlich alles andere als gewohnt. In Schule und Ausbildungen wird der persönliche Bezug häufig weder geschaffen noch gefördert. Oft stört er und nicht für alle Schulfächer er einfach herstellbar. Für ein kompetenzorientiertes und an neuem beruflichem Handeln interessiertes Lernen hingegen ist der persönliche Bezug unabdingbar, denn Ihr Handeln ist persönlich tief verankert und nur durch persönliche Auseinandersetzung veränderbar. Eine hilfreiche Einteilung von Lernmodi beschreibt Schlee, wenn er von kumulativem, evolutionärem und revolutionärem Lernen spricht (Schlee 2004, 43f):
Im kumulativen Modus des Lernens verändert sich Wissen durch Hinzufügen und Differenzierung. Begriffe werden neu gelernt und Erkenntnisse hinzugewonnen. Ihr Fachwortschatz wächst ebenso wie Ihr Reservoir an Theorien. Hier wird Lernen als ein Mehr, als eine Zunahme verstanden, der Kenntniszuwachs geschieht durch Aufnahme und Verarbeitung von Information. Der evolutionäre Modus des Lernens (Schlee 2004, 43f) wird so verstanden, dass sich analog zur Evolution bessere und stärkere Wissensbestände und Erklärungsmodelle durchsetzen, weil sie mehr Beschreibungs- und Erklärungskraft haben. Im Laufe eines Studiums und der darauf folgenden Berufslaufbahn werden Sie immer wieder neue Theorien kennen lernen, die alte als überholt erscheinen lassen. Ein zweiter Aspekt evolutionären Lernens könnte die Differenzierung von Wissens- und Handlungsstrukturen sein, die angepasster und adaptionsfähiger werden. Das Erlernen von Handlungs-
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fähigkeiten könnte als evolutionärer, sich langsam entwickelnder Prozess verstanden werden. Auch beim Handeln setzen sich neue gegen alte Handlungstendenzen nur langsam durch. Alte konkurrieren lange mit neuen Mustern und bis Sie neues Handeln wirklich inkorporiert haben, verstreicht einige Lernzeit und Anstrengung. Lernen wird hier nach Schlee als ein Anders und Besser verstanden. Die stärksten von konkurrierenden Wissensbeständen oder Handlungsmustern setzen sich durch. Schlee bezieht diese Lernform auf den Wandel in Sichtweisen und Einstellungen. Er könnte auch als Wandel von Wissensnetzen oder Handlungsmustern gesehen werden. Lernen in diesem Modus geschieht als Reflexion, Einstellungsänderung und Übung. Der revolutionäre Modus des Lernens (Schlee 2004, 43f) wird als radikale Veränderung aller Grundannahmen beschrieben, wie sie z.B. tief greifende Krisen auslösen. In diesem Modus sind altes und neues Wissen in keiner Weise verträglich und widersprechen sich radikal. Eine neue Lernerfahrung hebt dabei in grundlegender und tief greifender Form altes Wissen auf. Dies kann auch eine existentielle, glückliche oder traumatische Erfahrung sein, die ein ganzes Weltbild verändert. Neues Wissen und neue Erfahrung werden hierbei als völlig-neu-und-übergreifend erlebt und alles Gelernte ordnet sich neu. Lernen nach dem revolutionären Modell geschieht in Selbsterfahrung, Beratung und Psychotherapie, wir erfahren dort vielleicht einen tief greifenden Wandel in Grundüberzeugungen. Solche revolutionären Veränderungen können auch durch Ausbildungskrisen oder traumatische Erfahrungen, umgekehrt auch durch positive Gipfelerfahrungen ausgelöst werden. Durch einen großen Erfolg in einer Präsentation realisieren Sie völlig wider Erwarten und gegen Ihr Selbstkonzept, wie positiv Sie als Rednerin aufgenommen werden. Vielleicht löst sich Ihre Publikumsangst in Lehrveranstaltungen durch diese eine radikale Erfahrung auf.
Die letzten beiden Modi des Lernens sind ohne persönliche Bedeutung der Lernerfahrung nicht denkbar. Sie stellen die tief greifenden und nachhaltigen Lernformen dar, die dieses Buch Ihnen nahe legen möchte. Lernen ist ohne die Kumulation von Wissen nicht möglich, aber ohne Evolution von Einstellungen und Kompetenzen bleibt es beliebig. Ohne Krisen oder tief greifende Neuorientierung wird Ihrer beruflichen Identität und Ihrem Handeln die Tiefe und Habitualisierung fehlen (Schweppe 2001). Rogers bringt dies auf den Begriff des persönlich signifikanten Lernens und er formuliert zehn Prinzipien zu dieser Art von Lernen (Zimring 1994, 5, Übersetzung ww): 1. 2.
3. 4.
Menschen haben ein natürliches Potential zum Lernen. Signifikantes Lernen findet statt, wenn der Lerngegenstand von Studierenden als bedeutsam für eigene Ziele erlebt wird. Wenn jemand solche Ziele hat und der Lerngegenstand als relevant zum Erreichen dieser Ziele betrachtet wird, geht der Lernprozess sehr zügig vonstatten. Lernprozesse, die Veränderungen in Selbstwahrnehmung und Selbstkonzept erfordern, werden als bedrohlich erlebt und abgewehrt. Das Selbst bedrohende Lernprozesse werden besser angenommen und verarbeitet, wenn die Bedrohung minimiert wird.
Bei sich beginnen
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5.
Wenn die Bedrohung des Selbstkönnens gering ist, kann Erfahrung differenziert aufgenommen werden und Lernprozesse vorankommen. 6. Signifikantes Lernen geschieht häufig dann, wenn Studierende selbst handeln können. 7. Lernen wird erleichtert, wenn Studierende in Lernprozessen Verantwortung übernehmen können. 8. Selbstinitiiertes Lernen, das die ganze Person involviert, schafft die durchdringendsten und nachhaltigsten Lernerfahrungen. 9. Unabhängigkeit, Kreativität und Selbstvertrauen werden dann gefördert, wenn Selbstkritik und Selbstevaluation erstrangig und die Fremdbeurteilung zweitrangig ist. 10. Das sozial nützlichste Lernen in der modernen Welt ist, Lernen zu lernen: als andauernde Offenheit, Veränderungsprozesse zu erfahren und in das eigene Selbst zu integrieren. Umlernen, Erfahrungsbildung, persönlich signifikantes Lernen und schließlich die Integration von Lernprozessen in das eigene Selbstbild ist im Lernen für soziale und pädagogische Berufe auch deshalb unabdingbar, weil private Werte und Einstellungen soziales und pädagogisches Handeln beeinflussen. Damit diese Prozesse gelingen, beginnt das handlungsorientierte Lernen bei der eigenen Person. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen:
Persönlich bedeutsames Lernen und die eigene Biographie als Lernressource: Es ist nicht bei allen Lerninhalten gleich einfach, einen persönlichen Bezug herzustellen. In pädagogischen und sozialen Studiengängen sind diese Bezüge zur eigenen Biographie, zu schulischen, persönlichen oder sozialen Ereignissen häufig einfach möglich. Es wird immer leichter fallen, zu lernen, wenn persönliche Erfahrungen, Ziele und Absichten, das Selbstbild und die Selbstwahrnehmung in Lerngegenstände einfließen. Lernen wird damit auch einfach lebendiger. Der kompetente Umgang mit sich als Person und mit eigenen Motiven, Emotionen und Einstellungen ist eine zentrale berufliche Kompetenz für sozial und pädagogisch Tätige. Das Studium sollte einen reflexiven Umgang mit der eigenen Persönlichkeit fördern. Lernprozesse werden durch die Arbeit an der Persönlichkeit tiefer und nachhaltiger werden. Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion sind hierfür unabdingbare Bestandteile von Lernprozessen. Selbstmanagement: Für das Lernen in sozialen und pädagogischen Studiengängen ist Selbstmanagement unverzichtbar. Eigenes Handeln wirksam verändern zu können und die eigene Person zu führen sind Grundanforderungen aller Professionen. Dies beginnt bei sich selbst. Prozesse des Umlernens: Selbst (junge!) Erwachsene bringen in Lernprozesse bereits Gelerntes mit. Lebenslanges Lernen ist „eine schwierige Kunst, jedenfalls eine ganz andere, als die, die man auf die Kleinen verwendet. Die lernen leicht, weil immer nur dazu. Der Erwachsene muss mit fast jedem neuen Lernen früher Gelerntes verlernen oder doch verändern“ (Hentig 1996, 151f).
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Verknüpfung mit Vorkenntnissen: Neues und bestehendes Wissen müssen verknüpft und vernetzt werden, wenn eine Kompartmentalisierung von Wissen vermieden werden soll. Aauch dies setzt an der eigenen Person an (Gruber 1999a, 137). Aufbau von Veränderungsmotivation: Der schwierigste Schritt beim Verändern persönlicher Muster liegt vermutlich darin, Veränderungen tatsächlich in Gang zu bringen. Veränderungsanliegen werden oft aufgegeben, da die Motive nicht klar sind, Erfolge sich nicht schnell genug einstellen oder Rückschläge entmutigen. Motivation aufzubauen ist aber möglich.
5.1 Der biographische Bezug als Ressource Studierende der Sozialen Arbeit und Pädagogik bringen Wissen und Erfahrung zu StudienThemen auf verschiedensten Ebenen mit ins Studium. Hierzu gehören u.a. Medienwissen, Wissensbestände und Erfahrungen aus Schule, Ausbildung oder Arbeit, aus Praktika oder Freiwilligenarbeit. Auch biographische Erfahrungen sind für das Studium der Sozialen Arbeit und Pädagogik relevant. Der Trend von der Normalbiographie zur Wahlbiographie mit vielen Möglichkeiten der Lebensgestaltung, aber auch mit häufigeren Lebenskrisen prägt die Vorerfahrungen von Studierenden. Erfahrungen wie Ausbildungsabbruch, Elternschaft, Arbeitslosigkeit oder Migration machen einen Unterschied in den Zugängen zu pädagogischen, soziologischen und psychologischen Themen. Ob jemand spirituell oder politisch motiviert ist, schafft unterschiedliche Einstellungen und ob jemand mit bewältigten persönlichen Krisen oder mit einer problemlos und glatt verlaufenen Biographie ins Studium einsteigt, verändert das Bild von sozialen oder Bildungsproblemen. Mit diesem Vorwissen, diesen Vorerfahrungen und Bildern von sozialen Themen und mit der eigenen Erziehungs-, Bildungs- und Sozialisationsgeschichte im Studium bewusst zu arbeiten, ist direkt bedeutsam für spätere berufliche Kompetenz. Studentische Selbsterfahrung ist zwar eher aus der Mode gekommen. Biographische Erfahrungen werden aber im Studium sichtbar und wirken sich aus und eine gewisse „biographische Irritation“ sollte erfolgen, wenn Studierende tief sitzende persönliche Muster nachhaltig verändern wollen (Schweppe 2001, 229f). In einem weiten Sinn soll die Erziehungs- und Bildungsbiographie nun vorgestellt werden. Sie wird verstanden als die Summe aller guten wie schwierigen Ereignisse, Erfahrungen und Handlungen, welche bezogen auf Bildung und Lernen unser Leben geprägt haben, bevor Menschen sich für eine Ausbildung entscheiden (Thomann 2002, 24). Sie ist die subjektive Bildungsgeschichte, die unser Denken, Fühlen und Handeln im gewählten Studium prägt. Sie stellt einen Spiegel unserer prägenden Erfahrungen und Berufsmotive dar. Ihre Reflexion erschließt Lernenden den persönlichen Zugang zum Studium, zu Haltungen und Ressourcen in Studium und Beruf.
Der biographische Bezug als Ressource
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Abbildung 18: Bildungsgeschichte im Kontext (Thomann 2002, 24) Zwei Fragebereiche zur eigenen Biographie scheinen sinnvoll: Erfahrungen zu Bildungsund zu sozialen Erfahrungen. Einige Leitfragen zu Ihrer eigenen Lernbiographie und deren Auswirkungen auf die eigenen Lernstrategien sollen Sie zur Reflexion anregen (Thomann 2002, 25):
Bildungserfahrungen: Was sind für mich prägende Erfahrungen, Menschen und Institutionen, von denen ich gelernt habe? Berufliche Erfahrungen: Welche beruflichen Vorerfahrungen bringe ich mit? Lernstrategien und Stile: Welche Lernstile, Strategien und Techniken bringe ich in das Studium mit? Was liegt mir? Wo in der Lernarbeit habe ich meine liebe Mühe? Kritische Lebensereignisse: Welche Bildungs-/Lernkrisen habe ich schon gemeistert? Woran bin ich vielleicht schon gescheitert? Was habe ich daraus gelernt? Personale Ressourcen: Wo sehe ich persönlich Ressourcen, die ich nutzen kann? Soziale Ressourcen: Welche Menschen unterstützen mich in der Ausbildung? Zukünftige Entwicklung: Wo sehe ich Risiken und Chancen für das Studium? Soziales Umfeld: Wie bin ich bislang mit Lehrenden und Mitstudierenden umgegangen? Wie habe ich mein soziales Netz in Schule und Ausbildung gepflegt? Muss ich hier etwas verändern?
Bezüglich der Sozialen Arbeit sind Vorkenntnisse und Erfahrungen ein weites Feld. Interessant sind die eigene Sozialisationsgeschichte, soziale Themen im Alltag oder spezifische Vorkenntnisse und Erfahrungen zur Sozialen Arbeit. Wer die Reflexion über die eigenen Sozialisationsbedingungen leisten will, könnte dies z.B. anhand des Modells von Hurrelmann tun und sich daran die eigene Sozialisation, wichtige Erfahrungen und daraus resultierendes Wissen bewusst machen.
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Abbildung 19: Strukturmodell familialer Sozialisationsbedingungen nach Hurrelmann (Hurrelmann 1998, 137) Zu diesem Modell der Sozialisationsbedingungen können (unter vielen anderen) folgende Fragen zu Vorkenntnissen und Erfahrungen zur Sozialen Arbeit hilfreich sein:
Was sind biographische Erfahrungen, die für mein Studium der Sozialen Arbeit oder Pädagogik prägend waren? Die eigene Erziehungserfahrung, behinderte Geschwister, ein Heimaufenthalt, schulische Krisen, Armut oder Scheidungserfahrungen könnten hier von Bedeutung sein. Was sind Kenntnisse, Einstellungen und Wissen zu mir bedeutsamen sozialen oder pädagogischen Themen, die ich schon besitze? Sie könnten schon viel wissen über soziale Gerechtigkeit, Normalität und Abweichung, Persönlichkeit und deren Störung, Bildungschancen, Lerntheorien u.v.m. Was sind spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten für die Soziale Arbeit, die ich bereits mitbringe? Frühere Ausbildungen, Praktika oder Freiwilligenarbeit könnten Ihnen hier Erfahrungen liefern.
Sich diese Fragen zu stellen und mit den eigenen Vorkenntnissen und Erfahrungen zu verknüpfen, erschließt Ihre Ressourcen und macht Ihr Lernen nachhaltiger. Es vernetzt wissenschaftliches Wissen mit Ihrer Lern- und Lebenserfahrung. Durch die Erfahrung von Diskrepanzen zwischen Erfahrung und Wissen werden vielleicht auch Reflexionsprozesse angeregt, die Stereotypen oder Vorurteile hinterfragbar und revidierbar machen. Die
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Selbstanwendung von praktischem und theoretischem Wissen ist in der Pädagogik und Sozialen Arbeit (im Gegensatz zu anderen Studienrichtungen) häufig möglich und meist ertragreich. Sie verankert Wissen in der eigenen Erfahrung, bereichert die Reflexion und Persönlichkeitsentwicklung und bahnt die Wissensanwendung des Gelernten an. Berufliches und besonders soziales Handeln im Beruf zu lernen, erfordert die Veränderung von subjektivem, alltäglichem und lebensgeschichtlich erworbenem Wissen. Um diese Arbeit an allgemeinen Vorkenntnissen und lebensgeschichtlichem, subjektivem Wissen geht es in den nächsten Kapiteln. 5.2 Vorwissen aktivieren Eine der bestgesicherten Ergebnisse der pädagogischen Psychologie ist die Erkenntnis, dass gutes Vorwissen zu einem Themengebiet die überragende Voraussetzung für hohen Lernerfolg ist (Krause & Stark 2006, 39). Dies ist Studierenden selten bekannt. Fragt man, was Lernerfolg mehr beeinflusst – Motivation, Intelligenz oder Vorkenntnisse – so schätzen sie Motivation, Intelligenz und zuletzt Vorkenntnisse als bedeutsam ein. Daher ist es von zentraler Bedeutung, welche Vorkenntnisse Studierende zu Themen des Studiums besitzen und wie gut sie sie aktivieren können. Die Qualität der Vorkenntnisse ist bedingt durch die Voraussetzungen, die Sie mit ins Studium bringen. Vorpraktika, eine gute schulische Vorbildung, persönliche Arbeitserfahrungen oder vorgängige Ausbildungen stellen wichtige Ressourcen dar. Sie sind durch das Studium kaum zu beeinflussen, da sie aus biographischen Kontexten stammen. Wie gut sie aber genutzt werden, ob Fehlkonzepte erkannt und revidiert werden und wie gut altes und neues Wissen zusammenwachsen, ist hingegen durch Lernstrategien beeinflussbar. Im Folgenden wird auf die Aktivierung von Vorwissen beim Lernen eingegangen (Krause&Stark 2006). Die Aktivierung des eigenen Vorwissens wird hier als Ergänzung zu den biographischen Erfahrungen, Subjektiven Theorien und Einstellungen verstanden, die bereits beschrieben wurden. Als Vorwissen bezeichnen Krause & Stark dasjenige Wissen, das vor eine Lernaufgabe oder Lernaktivität zur Verfügung steht, Wissen wird dabei sehr breit verstanden (Krause&Stark 2006, 39). Es wird in mehreren Dimensionen kategorisiert, diese liefern Hinweise darauf, wie Wissen strukturiert ist und wie es nutzbar gemacht werden kann (Krause&Stark 2006, 40ff):
Inhalt des Vorwissens: Hier ist hier besonders wichtig, wie gut verarbeitet die Vorkenntnisse sind. Vor allem auf tiefenorientiertes, verstandenes Wissen kann gut zurückgegriffen werden, anders als auf Oberflächenwissen. Auswendiggelerntes ist selten hilfreich. Bewusstheit des Vorwissens: Nicht jedes Vorwissen ist gleich bewusst und kann gleich gut expliziert werden. Es gibt Wissensarten und -bereiche, die eher schlecht explizierbar sind. Bewegungsformen im Leistungssport, die Regeln der Muttersprache oder Handlungen, die hochautomatisiert sind, können oft nur schwer expliziert werden. Umso wichtiger kann es sein, sich in schlecht explizierbaren Wissensbereichen um die Aktivierung eigener Vorkenntnisse zu bemühen.
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Die Repräsentation des Vorwissens kann unterschiedlich erfolgen. Vor allem Faktenwissen und methodisches Können existieren in unterschiedlicher Form. Ersteres liegt häufig als Begriff, Begriffsnetzwerk oder semantische Struktur mit einer inneren Logik vor, wohingegen letzteres häufig als Produktionsregeln, Verlaufsskripte oder Handlungsregeln anzutreffen ist. Strukturiertheit der Vorkenntnisse bedeutet, dass Vorkenntnisse unterschiedlich gut vernetzt und geordnet sein können. Experten verfügen über tiefgehendes, hierarchisch gut geordnetes und vernetztes Wissen. Nicht selten ist Wissen aber kompartmentalisiert (Mandl et al. 1993), was ein Problem darstellt, da isoliertes Wissen selten genutzt wird. Die Wissenschaftlichkeit von Vorkenntnissen ist bei Studienanfängern nicht die Regel. Meist finden sich Alltagstheorien, auch Klischees oder Fehlkonzepte (“misconcepts“), die den Erwerb wissenschaftlichen Wissens hemmen oder Wissen später überlagern. Hier ist es besonders wichtig, sich solcher Fehlkonzepte bewusst zu werden und sie zu revidieren. Der Umfang des Vorwissens bezieht sich auf die Größe der Wissensbasis. Je umfangreicher das Vorwissen ist, umso größer ist die Verarbeitungsgeschwindigkeit, weil viele Anknüpfungspunkte zum eigenen Wissen Informationen leichter verarbeitbar machen. Deshalb folgen Menschen mit großem Vorwissen einem dichten Vortrag mühelos und sich erinnern sich gut, während andere bereits nach kurzer Zeit unter einem „Overload“ an Informationen leiden und nur wenig behalten. Die Handlungsrelevanz des eigenen Wissens schließlich meint den Grad, in dem vorhandene Vorkenntnisse beim Handeln oder Problemlösen genutzt werden können. Faktenwissen ist häufig träges Wissen (Gruber et al. 2000, 139), auf das nicht zurückgegriffen wird, wenn es praktisch werden sollte. Damit Vorkenntnisse angewendet werden können, müssen sie in Anwendungsregeln übersetzt werden. Es muss konditionales Wissen vorhanden sein, d.h. Wissen, mit dem entschieden werden kann, ob das Wissen auf ein Problem oder eine Situation zutrifft.
Die Aktivierung von Vorwissen hat für wirksames Lernen mehrere wichtige Funktionen, die ein bedeutungsvolles und nachhaltiges Lernen unterstützen. Zuerst fördert es die Vermeidung oder Korrektur von Fehlkonzepten, mit denen Studierende häufig in Lernprozesse eintreten. Dies ist besonders wichtig, weil beim Handeln häufig wieder auf Fehlkonzepte zurückgegriffen wird. Weiter steuert Vorwissen die Aufmerksamkeit. Um auch auf fremde und neuartige Wissensbestände aufmerksam zu sein, ist es hilfreich, Bekanntes und Neues wahrzunehmen und zu trennen. Und schließlich steigert Vorwissen die Verarbeitungsgeschwindigkeit und kommt so der Gedächtnisleistung zugute. Mit aktiviertem Vorwissen bleiben Ihnen also Inhalte besser präsent. Alte neuronale Gedächtnisspuren werden gestärkt und neue geknüpft, so dass der Abruf von Lerninhalten leichter fällt und schneller geht. Wie lässt sich nun das eigene Vorwissen systematisch aktivieren? Folgende Techniken können Ihnen helfen, Vorkenntnisse zu aktivieren (Krause&Stark 2006, 43ff):
Brainstormings, bei denen in freier Assoziation spontan Ideen und vorhandenes Wissen zu einem Lerngegenstand geäußert werden,
Vorwissen aktivieren
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Mappingverfahren, bei denen Wissensstrukturen graphisch dargestellt werden (z.B. Mindmaps), Erfahrungsberichte, in denen neben persönlichen Erfahrungen auf Wissenselemente, Subjektive Theorien und auch Fehlkonzepte expliziert werden, die so dem Bewusstsein zugänglich werden, Fragen, Hypothesen oder Beispiele, die vorhandenes Wissen sichtbar machen, Advance-Organizer, die durch Dozierende bereitgestellt werden und die fehlendes Vorwissen besonders schwächerer Studierender kompensieren, Fragen durch Lehrende, die Bezug zu vorangegangenen Lektionen oder anderen Wissensbereichen schaffen, Beispiele und Falldarstellungen, die an die Erfahrungen von Lernenden anknüpfen, wissenschaftliches und Alltagswissen verknüpfen und das Vorwissen in einen neuen Zusammenhang stellen, Analogien, die über Vergleiche ähnliches Wissen aktivieren und vernetzen helfen.
Wenn Sie in einem Modul über kein oder wenig Vorwissen verfügen, sollten Sie sich aktiv Vorkenntnisse schaffen. Befragen Sie Mitstudierende höherer Semester, bitten Sie Dozierende, nicht einfach Fakten zu vermitteln, sondern Strukturierungshilfen wie Maps oder Advance Organizer abzugeben und immer wieder vernetzende Hinweise zu machen. Weiter können Sie wählen, welche Veranstaltungen sie besuchen. Es macht wenig Sinn, sich mit Modulen zu quälen, die am Studienende einen angemessenen Schwierigkeitsgrad, am Anfang aber eine Überforderung darstellen. Die Wahl des richtigen Schwierigkeitsgrads von Lerninhalten kann also auch mit der Analyse der eigenen Vorkenntnisse beginnen („Bin ich in dieser Veranstaltung am richtigen Ort?“). Hier können ältere Studierende, Mentoren oder Tutoratsgruppen sehr hilfreich sein. 5.3 Subjektive Theorien als persönlicher Ausgangspunkt In einigen Untersuchungen zur Professionalität in der Sozialen Arbeit wird der Umgang von Fachkräften mit der eigenen Fachlichkeit erheblich kritisiert. Thole stellt fest, die Mehrheit der Absolventen fühle sich durch ein Studium in biographischen Vorerfahrungen und vorberuflichen Interpretationsmustern so wenig verunsichert, dass sie weder neue Modelle oder Wissensbestände nutzen, noch altes Wissen innovativ anreichern (Thole& Küster-Schapfl 1997). Ackermann bemängelt, dass ein überwiegender Teil untersuchter Sozialarbeiter keine eigene Fachlichkeit ausbildet, diffuse Handlungsorientierungen pflegt, dass keine Identität der Sozialen Arbeit im Handeln festgestellt werden könne und Alltagsdeutungen und frühere Berufserfahrungen häufig die einzigen relevanten Problemlösestrategien seien (Ackermann&Seeck 1999). Schweppe und Spiegel kritisieren, dass professionelle Haltung, die in der Disziplin hoch geachtet wird, von Praktikern häufig gering geschätzt wird. Das dominierende Muster der Fachlichkeit von Sozialpädagogen rekurriere auf biographische Erfahrungen, Idealvorstellungen vom Beruf, aktuelle Erfahrungen und Deutungsmuster (Schweppe 2001, 274; Spiegel 2002, 599). Dies zeigt Schweppe exemplarisch an einem Interviewbeitrag einer Studentin einer deutschen Fachhochschule im sechsten Semester der Sozialpädagogik:
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„Pädagogik kommt für mich viel aus 'm Bauch raus und was ich nachher für meinen Beruf vom Studium anwenden kann, weiß ich nich, ob das die Masse is’. (...) Pädagogik hat doch nich’ so viel mit Professionalisierung zu tun (...) Wissen was man braucht, is’ Lebenserfahrung (...) Da gehört einfach Berufserfahrung dazu und es gehört en’ Händchen dafür, mit Menschen zu arbeiten. Ich denke nich’, dass jeder Pädagoge sein kann, weil manche Leute ham einfach kein Gespür für Probleme anderer Leute“ (Schweppe 2001, 278). Es ist gut sichtbar, wie die Studierende auch nach sechs Semestern überwiegend mit naiven Verhaltenstheorien und Alltagswissen argumentiert. Sie benutzt einen alltagssprachlichen Intuitionsbegriff („aus dem Bauch raus“), wehrt eine professionalisierte Pädagogik ab („nich’ so damit zu tun“),und argumentiert mit Persönlichkeit und einem Begabungsbegriff („Gespür“). Besonders bei alltagsnahen Berufen wie der Sozialpädagogik bringen Studierende immer schon Subjektive Theorien über Phänomene des Feldes mit ins Studium. Diese treten dem wissenschaftlichen Wissen gegenüber und werden im günstigeren Fall revidiert und in ein neues Verständnis integriert, im ungünstigsten Fall nicht gelernt, missverstanden oder bleiben neben den Alltagstheorien stehen werden (Gruber 1999a, 137). Neues Wissen wird dann im Alltag nicht genutzt, weil Lernende durch die fehlende Synchronisierung von Erfahrung und Wissen in alter Gewohnheit auf ihre Alltagsvorstellungen zurückgreifen. Möglicherweise wird in schulischen Prüfungen Wissen sogar sachgerecht reproduziert, aber in Anwendungssituationen bleibt es ungenutzt. Um dies zu verhindern, soll bereits beim Lernen von Kindern auf bestehende Theorien eingegangen, Vorwissen aktiviert und neues mit altem Wissen verbunden werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen (Kap. 3.1), dass Lernen ein aktiver, Wissen konstruierender und individueller Prozess ist. Es ist wissenschaftlich evident, dass die Wissensstrukturen bei Lernenden hochgradig individuell sind (Krapp&Weidenmann 2001, 127). Naives Wissen, Vorerfahrungen, Alltagstheorien und Subjektive Theorien sind Ausgangspunkt und Interpretationsfolie für wissenschaftliches Wissen. Sie müssen miteinander in Kontakt kommen, sich aneinander reiben und zu veränderten Subjektiven Theorien verdichten, wenn sie im Alltagshandeln wirksam werden sollen. 5.3.1 Subjektive Theorien – Einführung Groeben, Schlee, Scheele und Wahl (Groeben et al. 1986; Groeben et al. 1988; Scheele& Groeben 1988) haben den Begriff der Subjektiven Theorien in die pädagogisch-psychologische Diskussion eingeführt. Sie gehen davon aus, dass Alltagsmenschen sich Subjektive Theorien bilden wie Wissenschaftler wissenschaftliche Theorien. Diese Theorien dienen wie wissenschaftliche Theorien der Beschreibung, Erklärung und Prognose sowie dem Handeln im Alltag. Es gibt mittlerweile eine große Zahl von Untersuchungen zu Subjektiven Theorien wie Subjektive Krankheitstheorien von anorexiekranken Frauen (Rettenwander 2005) oder chronisch kranken Kindern (Wiehe 2005), Subjektive Theorien von Schülern über Humor (Gürtler 2005), Subjektive Theorien von Pflegekräften über ihr Handeln (Schwarz-Govaers 2005) oder Subjektive Beratungstheorien von Psychologen (Vicini 1993). Wahl unterscheidet drei Ebenen von Subjektiven Theorien, die großer, mittlerer und kurzer Reichweite. Sie werden im Folgenden kurz skizziert (Wahl 2005a, 19ff). Subjektive
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Theorien großer und mittlerer Reichweite sind semantische Netzwerke unterschiedlicher Größe. Sie beinhalten
Konstrukte (Kernbegriffe und deren Inhalte (z.B. über gestörte und gelingende Kommunikation), Hypothesen (Annahmen über Ursachen von Störungen der Kommunikation), und eine Argumentationsstruktur (Annahmen über Zusammenhänge und Handlungsregeln).
Subjektive Theorien kurzer Reichweite sind Strukturverdichtungen dieser Netzwerke für schnelles Handeln unter Druck. Sie bestehen aus Situations-Reaktions-Prototypen, die im sozialen Handeln eine schnelle Orientierung und Reaktion ermöglichen. Gehalt und Bedeutung Subjektiver Theorien für das soziale Handeln, wie es oben erläutert wurde, visualisiert Wahl wie folgt (Wahl 2005a, 21).
Abbildung 20: Subjektive Theorien großer, mittlerer und geringer Reichweite (Wahl 2005a, 21) 5.3.2 Subjektive Theorien kurzer Reichweite und das SOAP-Modell Damit wir im sozialen und kommunikativen Handeln überhaupt reaktionsfähig sind, reagieren wir mit diesen bewährten Handlungsmustern, die sich biographisch über viele Jahre herausbilden und hochgradig stabil sind. Das erworbene Wissen (über Aggression, Kommunikation, usw.) wird hier in Handlungsmuster verdichtet, die zwar wissenschaftliches Wissen noch enthalten können, aber die Form von Situations-Reaktionsmustern oder Regeln annehmen. Wir orientieren uns nach dem SOAP-Modell (Wahl 2005a, 26) blitzschnell
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an Mustern, die wir kennen (Situationsorientierung SO). Wir fassen eine Situation als Trauer auf und reagieren mit einer sekundenschnellen Aktionsplanung (AP), durch Vermeiden und Themenwechsel, vielleicht durch Ursachenfragen oder durch aktives Zuhören. Kanning schreibt zur automatisierten Handlungssteuerung: Wir folgen spezifischen Hinweisreizen, z.B. auf nonverbales Verhalten (Hand geben als Begrüßungsritual, Faust als Drohgebärde) und benutzen Verhaltensroutinen (wie Begrüßungsrituale). Wir folgen eigenen Zielen (höflich bleiben) und verarbeiten all dies heuristisch und schnell statt elaboriert (Kanning 2005, 32f). Die Handlungssteuerung verläuft weitgehend automatisiert. Es ist nicht einfach, sich in sozialen Situationen erwartungswidrig oder gegen gelernte Muster zu verhalten. Um dies zu bewältigen, müssen Handlungsabläufe entroutinisiert werden und über eine elaborierte Handlungssteuerung und Training verändert werden. In einem Beratungsgespräch z.B. rechnen wir mit der Äußerung starker Gefühle von Klienten. Trauer, Ärger, Angst, Wut und Ambivalenz sind häufig vorkommende Ereignisse in der psychosozialen Beratung. Wir lernen, diese Situationen zu erkennen und entsprechende Hinweisreize wahrzunehmen. (Situationstyp: „starke Gefühle“). Wir lernen weiter, darauf hilfreich zu reagieren, indem wir sie nicht vermeiden, sondern aktiv zuhören, fragen und die vielleicht indirekt geäußerten Gefühle direkt ansprechen, Diskrepanzen spiegeln und so personzentriert kommunizieren. Folgende Graphik verdeutlicht die Handlungsabläufe unter Berücksichtigung des Modells der Subjektiven Theorien kurzer Reichweite und dem Modell der Handlungsplanung nach dem SOAP-Modell.
Abbildung 21: Sekundenschnelle Orientierung nach dem SOAP-Modell (Wahl 2005a, 26) 5.3.3 Lernen mit Subjektiven Theorien Damit die älteren und stabileren Subjektiven Theorien sich verändern können, müssen sie bewusst und bearbeitbar gemacht werden (Wahl 2005a, 41f). Dieser Prozess, auch als Irri-
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tation oder in therapeutischen Kontexten als Verstörung bezeichnet (Kriz 2001, 276) benötigt eine bewusste Lernanstrengung. Sie muss am Anfang von Lernprozessen stehen. Subjektive Theorien kurzer Reichweite (Situations-Reaktionsprototypen) sind nicht direkt beeinflussbar (Wahl 2005a, 21), da sie verdichtet, stabilisiert und hochautomatisiert sind. Sie müssen über den Umweg der Konfrontation, Reflexion, Bewusstmachung bearbeitbar gemacht werden. Die genannte Irritation alter Wissens-, Denk- und Handlungsmuster ist ein Prozess, der zu kognitiven und emotionalen Dissonanzen führen kann. Es entstehen, wie Schlee für die Lernmodi „Evolution“ und „Revolution“ beschreibt (Schlee 2004, 43f), Konflikte zwischen Altem und Neuem. Möglicherweise hat dies eine erhebliche Verunsicherung oder Abwehr zur Folge. Dies kennen viele Studierende, die sich im Studium mit psychischer Krankheit, Normalität und Abweichung konfrontiert sehen und die eigene Biographie hinterfragen oder die mit Familientheorien konfrontiert werden und die eigene familiäre Erziehungsgeschichte in neuem Licht sehen. Schweppe fordert diese Art biographische Irritation als Voraussetzung nachhaltigen Lernens für das Studium der Sozialen Arbeit (Schweppe 2001, 285), sie gesteht aber auch ein, dass dies nicht immer ohne Schmerz und Verunsicherung möglich ist. Auch Wahl geht auf mögliche Verunsicherung und Frustration ein, die durch den ersten Lernschritt und die entsprechenden Lerntechniken entstehen können (Wahl 2005a, 42f). Sie sei durch den wichtigen sozialen Support in Lerntandems und KOPING-Gruppen aufzufangen. Gerade wegen dieser verunsichernden Irritation alter Muster ist sozialer Support als flankierender Schutzschild im System des handlungsorientierten Lernens gedacht (vgl. Kap. 10.8). Mit den im Folgenden genannten Maßnahmen können die in der Handlungsplanung (SOAP-Modell) ablaufenden Prozesse und die damit verbundenen Subjektiven Theorien bearbeitbar und mehr oder weniger konfrontativ irritiert werden. Selbstreflexion beinhaltet die geringsten Risiken. Feedback in Supervision, Lerngruppen und durch Klienten hingegen kann stark verunsichernd wirken und sollte durch Lehrende begleitet und achtsam und sorgfältig eingesetzt werden. Im Folgenden werden die Strategien kurz beschrieben. 1.
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Selbstbeobachtung (Wahl 2005a, 51f): Selbstbeobachtung benötigt Handlungssituationen im eigenen Alltag, in Simulationen von Praxissituationen (Kap. 8.3 Rollenspiel) oder in der Praxis. Während Studierende handeln, richten sie einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf ihre Gedanken, Gefühle und Aktionen und nehmen diese, soweit dies das konkrete Handeln zulässt, wahr. Spontanes Handeln wird dadurch verlangsamt, eventuell sogar gestört oder gestoppt. „Selbstbeobachtungen können wie eine Handlungs-Unterbrechungs-Strategie wirken und werden bei bestimmten verhaltenspsychologischen Therapieformen auch in diesem Sinne eingesetzt“ (Wahl 2005a, 51). Der Gewinn ist ein Einblick in die zeitgleich ablaufenden Gedanken und Gefühle, was einen hohen Lerneffekt auf bestehende Handlungsmuster verursacht. Selbstbeobachtung kann aus der Innensicht- oder Außensichtperspektive erfolgen. Aus der Innensicht fokussiert der Handelnde auf bestimmte Teile seines Handeln, wie das innere Geschehen, innere Dialoge oder Emotionen, oder auf bestimmt Handlungsstrategien im Laufe einer Handlungssequenz. Was in der pädagogischen Psychologie mit Metakognition gemeint ist, trifft diesen Sachverhalt (vgl. Kap. 10.5). Selbstbeobachtung aus der Außensicht benötigt technische Hilfsmittel wie Videokameras, Aufzeichnungsgeräte
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oder Visualisierungshilfen, die einen Problemlöseprozess von außen nachvollziehbar machen. In Kommunikations- und Sozialkompetenztrainings ist die Arbeit mit Videofeedback heute Standard. Es bietet genau diese Möglichkeit, sich beim Handeln von außen zu beobachten. Dies ist eine eher konfrontative Technik, die von manchen Studierenden gescheut wird, weil die Diskrepanzen zwischen Innen- und Außensicht doch erheblich sein können. Die Lerneffekte im kommunikativen Handeln sind groß, z.B. wenn Studierende im Gesprächstraining feststellen, dass sie nervös mit dem Kugelschreiber spielen, praktisch keinen Blickkontakt halten oder sehr monoton sprechen. Selbstreflexion nimmt im ersten Lernschritt eine Schlüsselrolle ein (Wahl 2005a, 44ff). Sie wird verstanden als „eine Art geistiger, mentaler Selbstbetrachtung der eigenen Gedanken, inneren Gefühle, Phantasien, Erfahrungen aus der Vergangenheit und Erwartungen an die Zukunft“ (Dauber 2006a, 13). Professionelle Selbstreflexion (vgl. Kap. 5.4) dient der Aufklärung eigener unbewusst übertragener Beziehungsmuster, sie bezieht gesellschaftliche Kontexte mit ein und zielt auf Veränderung unseres Handelns. Reflexion und Selbstreflexion wird häufig als Prozess im Nachhinein verstanden. Hier wird sie als Möglichkeit verstanden, vor dem eigentlichen Handeln Wissensund Handlungsmuster bearbeitbar zu machen. Perspektivenwechsel ist eine bewährte Technik in Kommunikationstrainings, Beratung und therapeutischer Arbeit (Wahl 2005a, 56f). Im Psychodrama wird er als Rollentausch bezeichnet (Ameln et al. 2004, 65f). Perspektivenwechsel oder Rollentausch wirken, weil sie die Perspektive von Interaktionspartnern unmittelbar erlebbar machen und die Wirkungen hilfreichen oder ungünstigen Handelns direkt deutlich machen. Die einfachste Form ist der gedankliche Perspektivenwechsel, in dem Studierende sich in Interaktionspartner einfühlen und versuchen, deren Situation und Erleben gedanklich und emotional nachzuvollziehen. Übende Studierende können aber auch als dieser Adressat in einem Interview von anderen angesprochen werden und aus dieser Rolle heraus sprechen. Dies sollte dann mit einem Stuhlwechsel erfolgen. Der oder die übende Studierende wird dabei bewusst mit dem Namen und in der Rolle interviewt. Der Perspektivenwechsel erfolgt auch, wenn Studierende z.B. in Rollenspielen Klientenrollen spielen und erleben, wie ihre Mitstudierenden sie als angehende Fachkräfte behandeln. Das Feedback aus Klientenrollen heraus liefert Lernenden häufig wertvolle Hinweise auf ihr Handeln, aber auch die Klienten spielenden Studierenden können an eigenen Gefühlen das Befinden in der Rolle erleben. Pädagogischer Doppeldecker (Wahl 2005a, 62f) als eine Methode, Präsenzlektionen zu gestalten, ist in Lehrberufen einfach zu arrangieren. Studierende erleben das, was sie als berufliche Aufgabe lernen sollen, nämlich Unterricht. Im Kontext der Sozialen Arbeit ist dies erheblich schwieriger zu inszenieren, weil Unterrichtssetting und Arbeitsfelder nicht identisch sind. Es gibt einzelne Felder, in denen der pädagogische Doppeldecker hilfreich ist. Soziale Arbeit mit Gruppen kann als Unterricht so arrangiert werden, dass das Erleben von Gruppenarbeit gefördert wird, Studierende sich als Gruppenteilnehmer erleben, während sie lernen, mit Gruppen zu agieren. Projektarbeit kann als Projektunterricht erteilt werden und im Unterricht zur Prävention können Studierende als Adressaten der Prävention angesprochen werden. Diese Form der Sen-
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sibilisierung Subjektiver Theorien hat einen Selbsterfahrungsaspekt, der mit der Verwissenschaftlichung der Ausbildung leider wenig Platz mehr im Studium hat. Szene-Stopp-Reaktion (Wahl 2001a, 164; Wahl 2005a, 224) konfrontiert Studierende mit einer Szene, in der sie unvorbereitet handeln müssen und lässt die Szene nach kurzer Zeit stoppen und über begleitende Gedanken, Gefühle, Feedbacks der Mitspielenden und Beobachtungen von außen reflektieren. Dabei können Subjektive Theorien deutlich gemacht werden, die sonst vielleicht unbewusst bleiben und automatisiert ablaufen (vgl. Kap. 5.63). Feedback (Antons&Volmerg 2000, 108ff; Schwäbisch&Siems 1998): Rückmeldungen durch Mitstudierende, Dozierende und Praxisausbildner, Supervisoren oder Betroffene sind seit langem ein bewährtes Mittel in der Ausbildung in Berufen des Sozial- und Bildungswesens. Feedback gibt Menschen die Möglichkeit, Selbst- und Fremdbild miteinander zu vergleichen, um dadurch zu erfahren, wie sie mit ihrem Verhalten auf andere wirken. Das Ziel von Feedback ist, dass die Beteiligten sich ihrer Verhaltensweisen bewusst werden, einschätzen lernen, wie ihr Verhalten auf andere wirkt und sehen, was sie bei anderen auslösen (vgl. Kap. 5.6.1). Feedback ist eines der lernwirksamsten Instrumente im Bereich sozialen Handelns.
5.4 Selbstbeobachtung und Selbstreflexion Professionelle Reflexion ist ein konstitutives Merkmal aller sozialen und pädagogischen Berufe. Sie gilt unumstritten als eines der zentralen Merkmale von Professionalität in pädagogischen und sozialen Berufen (Dauber 2006, 21; Zwiebel 2006, 41). „Reflexion ist ein Prozess, in dem wir erkennen, wie wir erkennen, das heisst eine Handlung, bei der wir auf uns selbst zurückgreifen“ (Bentele&Metzger 1998, 135). Wir können uns durch Reflexion von Erlebnissen wie auch vom eigenen Erleben distanzieren, Erlebtes, Gegenstände oder uns selbst zum Gegenstand der Betrachtung machen und so zu wesentlichen neuen Einsichten kommen, um unser Handeln zu verändern. Erst Reflexion macht Erlebnisse zu Erfahrungen. Erst durch die bewusste (Informations-)Verarbeitung in der Reflexion werden berufliche Erlebnisse erfahrungs- und handlungswirksam (Gruber 1999a, 10). Reflexion im pädagogischen und sozialen Beruf ist immer auch Selbstreflexion, da im sozialen Handeln die eigene Person als beteiligte, betroffene und agierende Person immer eine Rolle spielt. Bentele definiert Reflexion im Bereich der Heil- und Sozialpädagogik folgendermaßen: „Als Reflexion begreifen wir also einen Prozess, in dem ein bestimmtes Ereignis im Nachhinein gedanklich bearbeitet wird. In der Heil- und Sozialpädagogik ist die Reflexionsphase fester Bestandteil des täglichen Arbeitsablaufes. Art und Inhalt der Reflexion hängen bei dem/der einzelnen stark mit deren/dessen Erinnerung zusammen und sind durch die Filter der eigenen Wahrnehmung, Beobachtung und Einstellungen geprägt. Natürlich ist es nicht möglich, das Ereignis, über das reflektiert wird, noch einmal vollständig in der Erinnerung erstehen zu lassen. Die Beteiligten wählen die wesentlichen Momente aus, lassen etwas weg, dichten etwas Neues hinzu und nehmen dadurch eine Gewichtung vor. Es entsteht Spielraum für Interpretationen. Da es bei einer Reflexion immer auch um die eigenen Anteile geht, ist die zeitliche Distanz zum erlebten Ereignis durchaus hilfreich, da ja die eigenen Handlungen gleichfalls zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden
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müssen. Bei der Reflexion geht es also darum, zurückliegende Ereignisse und Handlungszusammenhänge nach bestimmten Kriterien zu ordnen und zu bewerten. Damit werden für zukünftige Situationen neue Erkenntnisse gewonnen. Der zirkuläre Prozess kommt dann richtig zum Tragen, wenn die Filter bzw. die Auswahlmechanismen und die eigenen Einstellungen selbst kritisch hinterfragt werden. Warum man gerade auf einen bestimmten Sachverhalt so viel Wert legt, einen anderen dagegen völlig vernachlässigt, sind letztendlich Fragen, die auf die Interessen der handelnden Personen gerichtet sind. Wer sehr selbstbewusst ist, wird vielleicht weniger Energien aufbringen müssen, um missglückte Handlungen in gelungene Handlungen umzuinterpretieren“ (Bentele&Metzger 1998, 135f). Reflexion findet aber auch während des Handelns statt, da Handeln permanent auch auswertet, korrigiert und kontrolliert. Ausführliches Reflektieren ohne Handlungsdruck braucht jedoch Zeit und findet in der Regel nach Handlungsepisoden statt. Den Anlass liefern subjektiv bedeutsame Ereignisse, wie ein Misslingen oder besonderes Gelingen einer Handlung oder besonders überraschende Wendungen im Handeln. Bentele visualisiert diesen Aspekt der Zeitlichkeit und des Reflexionsanlasses wie folgt:
Abbildung 22: Modell von Reflexionsanlass und Reflexion (Bentele&Metzger 1998) 5.4.1 Gegenstände der Reflexion Reflexion, also das bewusste Wahrnehmen und Verarbeiten von bedeutsamen Ereignissen im Beruf, kann verschiedene Schwerpunkte haben. Selbstreflexion, d.h. auf sich selbst zu reflektieren bedeutet, „sich bewusst zu machen, mit welchen Mustern wir zu uns, zu unseren Mitmenschen, zur gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt in Beziehung treten“ (Dauber 2006a, 18). Dauber nennt drei Hauptperspektiven professioneller pädagogischer Selbstreflexion (Dauber 2006a, 24ff):
Die individuumszentrierte ICH-Perspektive, in der die eigene Person und die unbewusst übertragenen Beziehungsmuster aus unserer biographischen Vergangenheit zum Reflexionsgegenstand werden. Die sachlich-thematische ES-Perspektive, in der ein Reflexionsgegenstand aus der Sicht des Wissens der Sozialen Arbeit oder ihrer Kontextwissenschaften beleuchtet werden (rechtliche, gesellschaftlich-kulturelle, politische...). Damit kann ein „objektivierender“ gesellschaftlicher Kontext erhellt werden.
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Die beziehungsorientierte WIR-Perspektive, in der die Beziehungsdynamik zwischen zwei oder mehreren Personen der Reflexion unterworfen wird und die Verbundenheit oder Getrenntheit zum Thema werden.
5.4.2 Hilfen zur Reflexion Mittlerweile gibt es ein großes Spektrum von Reflexionshilfen. Supervisionen und Intervisionen, kollegiale Beratungen und Teamgespräche, wie auch Evaluationen, Tagebücher oder Journale dienen wesentlich der Reflexion. In Gesprächen und schriftlichen Reflexionen kann das pädagogische oder sozialarbeiterische Handeln kritisch hinterfragt werden. Unterschiedliche Sichtweisen derselben Situation eröffnen eine Differenz, die durch Vergleich und Objektivierung fruchtbar gemacht werden kann. Für die Reflexion können auch audiovisuelle Medien als Reflexionshilfen herangezogen werden. Damit können auch in der Einzelarbeit blinde Flecken und Wahrnehmungsfilter überwunden werden. Während der Ausbildungszeit sollten Sie sich darin üben, Reflexionen schriftlich zu erstellen. Dabei können einzelne Handlungssituationen ins Blickfeld rücken, länger anhaltende schwierige Situationen oder Themen, die Sie allgemein beschäftigen. Der Aufbau einer schriftlichen Reflexion könnte folgendermaßen aussehen (Bentele&Metzger 1998):
Auswahl der wichtigsten Aussagen zu einem Thema oder Ereignis, Reflexion dieser Auswahl, d.h. die Schaffung von Zusammenhängen, Hypothesen, Interpretationen von Ereignissen, Personen und Umständen, Bewertung der Situation: Wie war die Ausgangssituation? Welche Konsequenzen zogen bestimmte Handlungsformen nach sich? Warum wird etwas als positiv, warum als negativ bewertet? Alternative Handlungsmöglichkeiten: Wann hätte es Handlungsalternativen gegeben, warum wären sie günstiger/ungünstiger gewesen? Schlussfolgerungen: Welche neuen Erkenntnisse ergeben sich aus der Analyse der Situation bzw. aus deren Zusammenhängen? Zukunftsperspektiven: Welche Handlungsmuster/-formen haben sich bewährt bzw. nicht bewährt und wie könnten die Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft aussehen?
Eine unter vielen Möglichkeiten, Reflexionen zu strukturieren, ist die SOFT-Analyse (Schiersmann&Thiel 2009, 100ff), die in der Personal- und Organisationsentwicklung weit verbreitet ist. Sie ist eine Reflexionshilfe zur Bestandesaufnahme und Zielentwicklung, die sich systematisch mit positiven/negativen und gegenwarts-/zukunftsbezogenen Aspekten eines Gegenstands befasst. Sie kann daher andere eher vergangenheitsorientierte Reflexionshilfen ergänzen. „SOFT“ ist eine englische Abkürzung und kürzt die folgenden Begriffe ab:
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Zukunft
Gegenwart
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Positiv Satisfactions: Was mache ich / was läuft gut?
Negativ Faults: Welche Unzulänglichkeiten / Fehler unterlaufen mir?
Opportunities: An welche Chancen und Herausforderungen denke ich in der Zukunft?
Threats: Welche Gefährdungen entstehen, wenn ich nichts verändere?
Tabelle 4:
SOFT-Analyse (Schiersmann&Thiel 2009, 100)
5.5 Das Lerntagebuch als Lernmedium Lerntagebücher sind regelmässig geführte, strukturierte, beschreibend-reflektierende und an Verbesserung des eigenen Denkens und Handelns interessierte Selbstreflexionen. Sie haben hochschulische Lerninhalte oder das eigene Erleben und Handeln in Studium, Praktikum und Beruf zum Thema. Sie erfüllen für die Veränderung professionellen Handelns eine breite Palette von Funktionen. Diese machen sich nach Ansicht des Autors vor allem in den praktischen Teilen der Ausbildung bemerkbar. Dort stellen authentische Arbeitserfahrungen die Basis der Reflexion dar und verleihen der Tagebucharbeit das nötige Gewicht.
Zum Einstieg in Lernprozesse kann ein Lerntagebuch alte Handlungsmuster durch Selbstbeobachtung und Reflexion bewusst und bearbeitbar werden lassen. Es kann den Bezug zu persönlichen Erlebnissen oder Erfahrungen schaffen, eigenes Vorwissen aktivieren oder Subjektive Theorien zu beruflichen Themen explizierbar machen. Der geschützte Raum, den das Tagebuch darstellt, erlaubt einen persönlich bedeutsamen und offenen Zugang zu auch heiklen Themen im Studium. Irritationen, Unsicherheiten und Fehler, die im Anfängerstadium häufig und normal sind, lassen sich in einem geschützten Rahmen wie dem Lerntagebuch vermutlich leichter verbalisieren als im sozialen Raum. Die Verschriftlichung von Erlebnissen, Problemen oder Ereignissen ermöglicht eine innere Distanzierung zum Erlebten und schafft im Schreiben einen inneren Dialog, der neue Sichtweisen von Problemen oder Erlebnissen ermöglicht. Die Auseinandersetzung und Verarbeitung von Informationen und Erlebtem wird so gefördert. Gleichzeitig lässt das Lerntagebuch Raum und Zeit, Bezüge zu theoretischen Wissensbeständen zu schaffen. Die Distanz zum Handeln im Alltag ermöglicht Zeit und Raum zur Reflexion und Arbeit an neuen Varianten des eigenen Handelns. Darüber hinaus schaffen sich Studierende eine systematische Dokumentation von Erfahrungen, die als Basis für Fallbeschreibungen, Portfolios oder Lernberichte dienen und die in Qualifikationselementen weiter benutzt werden kann.
Das Lerntagebuch als Lernmedium
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Lerntagebücher unterstützen den Weg zu beruflicher Expertise besonders in sozialen und pädagogischen Berufen, weil sie persönliche bedeutsame Geschichten, Ereignisse und Erlebnisse systematisch reflektierbar und für die eigene berufliche Kompetenz auswertbar machen. Wie im Kapitel 2.2.7 zum Thema „episodisches Wissen“ bereits erwähnt, organisiert sich unser Gedächtnis in hohem Maß an bedeutsamen Erfahrungen, wie sie typischerweise in Tagebüchern beschrieben werden. In mehreren Schritten wird in der Erfahrungsverarbeitung berufliches Basiswissen an selbst erlebten Fällen in narrative Strukturen umgewandelt, sog. „patient scripts“ (Gruber 1999a, 64). Experten erinnern Fachwissen nicht nur leichter über narrative Strukturen, sondern sie orientieren sich in kritischen Situationen auch an Erfahrungen. Lerntagebücher können helfen, den Umgang mit diesen narrativen Strukturen zu aktivieren und zu intensivieren. Die subjektive Bedeutsamkeit von erlebten Geschichten ist dabei ein wesentlicher Faktor der Lernwirksamkeit, sie wird durch das Lerntagebuch verstärkt und gefestigt. Doch auch in hochschulischen Lehrveranstaltungen kann das Lerntagebuch sinnvoll sein, „um die persönliche Auseinandersetzung von Studierenden mit Lehrinhalten und Lehrzielen zu dokumentieren und zu reflektieren. Diese Methode ist vor allem für solche Lehrveranstaltungen geeignet, in denen es darum geht, eigene Erfahrungen und Einstellungen zu aktualisieren und sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen“ (Stangl 2005). Das Studium sozialer und pädagogischer Berufe enthält eine große Zahl von persönlich bedeutsamen Lerninhalten und Lernformen, von Veranstaltungen zur Persönlichkeitspsychologie bis zu Kommunikationstrainings. Das Tagebuch kann hier besonders wertvoll werden, denn es mindert in selbsterfahrungsorientierten Seminaren den Druck der Selbstoffenbarung und die Risiken von ‚Seelen-Striptease’ oder formelhaften Selbstbekenntnissen. „Die Teilnehmenden sollen immer kontrollieren können, was sie preisgeben wollen. Das Tagebuch ist eine gute Hilfe, zunächst einen klaren Kopf zu bekommen und dann auszuwählen, über was man sprechen möchte. Gerade wenn man den Teilnehmerinnen die Sicherheit der Privatsphäre garantiert und die Selbstkontrolle auch methodisch unterstützt, wagen es diese, sich stärker zu öffnen“ (Stangl 2005). Stangl nennt als Zweck des Lerntagebuchs im hochschulischen Kontext die Zusammenfassung von Wissen durch aktive Wiederholung, die innere Auseinandersetzung (bewusste Zustimmung oder Ablehnung) und die Herstellung von persönlichen Beziehungen zum Thema, sowie die Eruierung neuer Lösungs- oder Handlungsvorschläge. Zur Anregungen der Lerntagebucharbeit nennt er folgende Fragen:
Was habe ich Neues gelernt, was ist mir aufgefallen? Wie ist meine inhaltliche Kompetenz in Bezug auf die Inhalte? Wie schätze ich meine personalen und sozialen Kompetenzen ein? Woran werde ich inhaltlich noch weiterarbeiten: wann? wo? wie? Was möchte ich in den nächsten Tagen einmal anwenden? Was will ich noch nachholen, was noch klären?
Lerntagebücher können als Tages- oder Wocheneinträge gestaltet werden, sie müssen nicht starr und ritualisiert einer zeitlichen oder inhaltlichen Ordnung folgen, methodisch können
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Bei sich beginnen
sie vielfältig gestaltet werden, durch Zeichnungen oder Skizzen bereichert, mit MappingStrukturen ergänzt oder mit Bildern versehen werden: Eine Tages- oder Wochenbilanz in einem Seminar könnte z.B. mit angefangenen Halbsätzen gestaltet werden. Sie könnte für verschiedene Zwecke abgewandelt werden:
Mir war heute (diese Woche) sehr hilfreich, dass ... Es wäre heute (diese Woche) wichtig gewesen, wenn ... Ich empfand Langeweile, als ... Für mich war besonders interessant, dass ... Ich fühlte mich abgehängt, weil ... Ich war froh, dass ...
In diesem Buch wird das Lerntagebuch Studierenden für zwei Zwecke nahe gelegt, die dessen eigentliche Stärke zum Tragen bringen. Dies sind die Überprüfung der eigenen Lernstrategien und Praxisausbildung oder Praktikum. Aus folgenden Gründen wird dies empfohlen: Effektive Lernstrategien stellen einen Schlüsselfaktor für den Studienerfolg besonders am Anfang des Studiums dar und ungünstige Lernstrategien machen sich häufig erst spät durch Prüfungs- und Praktikumsmisserfolge bemerkbar. Daher lohnt es sich, zu Beginn des Studiums eigene Lernstrategien einer bewussten Reflexion und Neuorientierung zu unterziehen. Das Lerntagebuch kann helfen, die eigenen Lernmethoden zu erweitern. Es ist ein Mittel, die eigenen Lernwerkzeuge zu optimieren. Studierende berichten trotz anfänglicher Skepsis häufig von beeindruckenden Erfahrungen und einer bedeutsamen Neuorientierung, wenn sie im ersten Semester mit einem Lerntagebuch ihre Lernstrategien wahrnehmen, reflektieren und daran arbeiten. Dabei stehen weniger die Inhalte des Studiums im Zentrum, als das eigene Lernen, die Erfahrungen damit, die Erfolge, Misserfolge und die zugrunde liegenden Lernstrategien. Studierende berichten z.B. häufig von Veränderungen in der Tiefenorientierung des Lernens, in der Planung ihres Lernens, dem Umgang mit Zeit, mit kooperativem Lernen in Gruppen und im Umgang mit komplexen neuen Ausbildungsformen. Das eigene Lernen könnte z.B. anhand folgender Fragen im Lerntagebuch reflektiert und verändert werden:
Was waren heute/diese Woche wichtige Lernerfahrungen/Ereignisse – zu Lerninhalten? – mit mir als Lernerin, Lerner (personale Kompetenzen und Lernstrategien)? – zwischen mir und meinem Lernumfeld (Mitstudierende, Lehrende, Lernformen)? Welche Lernstrategien habe ich genutzt? Wie bewerte ich meinen Lernprozess heute/diese Woche? – Was gelang mir gut, was möchte ich verstärken/beibehalten? – Wo fühlte ich mich im Lernen unsicher, was will ich dazu noch klären? Was in meinem Lernen will ich (nächste Woche?) verändern? Wer könnte mich darin unterstützen?
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Irritation Subjektiver Theorien durch Interaktion
In den praktischen Teilen des Studiums (studienbegleitende Arbeitspraxis, Praxisausbildung, Praktikum) ist das Lerntagebuch hilfreich, den Erwerb von beruflicher Handlungskompetenz zu unterstützen. Dabei verändert sich der Fokus des Tagebuchs vom Lernen auf das berufliche Handeln und die Ereignisse und Erfahrungen, das Erleben und Handeln im beruflichen Alltag. Beruflicher Alltag ist komplex, voll von Ereignissen, Erlebnissen und Anlässen für Reflexion. Ohne zu fokussieren, wird ein Tagebuch im Praktikum potentiell eine endlose Angelegenheit. Deshalb müssen Tagebucheinträge auf Schlüsselthemen, zu erwerbende Kompetenzen, wichtige Ereignisse des Tages oder der Woche oder auf Klientenfälle fokussieren. Die Lernziele und Lernfelder in der Praxisausbildung können hierzu Strukturierungshilfe geben. Folgende Fragen können Lerntagebucheinträge strukturieren helfen:
Welchen Fall oder welche Episode aus meinem Praxisalltag möchte ich herausgreifen? Auf welche Lernziele oder Lernfelder bezieht sich das und was bedeutet es für die Erreichung meiner Lernziele? Was sind meine wichtigsten Erfahrungen in der Episode / dem Fall? Was an theoretischem Wissen hilft mir, das Ereignis / den Fall zu beschreiben und verstehen? Wie bewerte ich mein Handeln in der Situation? Was habe ich gut gemacht, was sollte ich verändern? Welche Fragen sind offen geblieben oder stellen sich neu – was mache ich damit?
5.6 Irritation Subjektiver Theorien durch Interaktion Selbstbeobachtung und Selbstreflexion wurden oben als eher sanfte, selbstregulative Techniken zum Bearbeitbarmachen Subjektiver Theorien beschrieben. Konfrontativer werden diese irritiert, wenn sich Lernende sozialer Interaktion aussetzen und sich in einer Gruppe reflektieren oder Bewertung und Feedback durch andere erhalten. Rogers betont, dass die Erschütterung und Irritation von Selbstbildern bei Individuen sehr bedrohlich sein kann und deshalb häufig Ablehnung, Abwehr oder Vermeidung erfahren – ein Grund, warum Studierende in sozialen Lernsituationen häufig sehr zurückhaltend sind, wenn sie sich exponieren sollen. Die folgenden interaktionsorientierten Techniken erfordern daher ein geschütztes und respektvolles Lernklima, um keine Vermeidungstendenzen oder Abwehr zu erzeugen. 5.6.1 Feedback Feedback ist ein seit den Anfängen der ersten Verhaltenstrainings weit verbreitetes Lerninstrument (Schwäbisch&Siems 1998), die Effekte werden auf die Erweiterung der Selbstwahrnehmung und die Korrektur blinder Flecken zurückgeführt, die anschaulich am JohariFenster aufgezeigt werden. Benannt nach den amerikanischen Psychologen Joe Luft und Harry Ingham ist das vierteilige „Johari-Fenster“ eine grafische Darstellung der Kommunikationssituation innerhalb einer Gruppe (Wellhöfer 2001, 48f). Es differenziert die Interaktionen zwischen Gruppenmitgliedern nach dem Bewusstseins- bzw. Bekanntheitsgrad von Motivationen, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Das Modell ermöglicht so Korrekturen in der Subjektivität menschlicher Wahrnehmung durch die Rückmeldungen von anderen Gruppenmitgliedern. Diese Korrekturen (gerade im Bereich der blinden Flecken) können zu angemessenerer Wahrnehmung führen, indem gemeinsam Wahrnehmung korrigiert und relativiert wird.
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Bei sich beginnen
A Öffentliche Person Bereich „freien Handelns“ Mir und anderen bekannt
B Blinder Fleck Bereich des „Blinden Flecks“ Nur Anderen bekannt
Anderen bekannt
C Private Person Bereich des „Verbergens“ Nur mir bekannt
D Unbekannte Aspekte Bereich des „Unbewussten“ Mir und anderen unbekannt
Anderen nicht bekannt
Dem Selbst bekannt
Tabelle 5: a.
b.
c.
d.
Dem Selbst unbekannt
Johari-Fenster (Wellhöfer 2001, 48f)
Im ersten Quadranten befindet sich der Bereich der „öffentlichen Persönlichkeit“, des freien Handelns. Er umfasst alle Aspekte einer Person, die sowohl ihr selbst als auch der Gruppe bekannt sind. Beispielsweise findet ein Gruppenmitglied Problemlösungen, indem es sich in ausführlichen Gesprächen anderen mitteilt. Im zweiten Quadranten ist der „blinde Fleck“ der Person. D.h. dort sind die Eigenschaften, die alle anderen wissen, nur die Person selbst nicht. Ein typisches Beispiel ist übertriebenes Geltungsbedürfnis, das selbst nicht bewusst wahrgenommen wird. Die Eigenschaften dieses Bereiches können zur Isolation des Individuums innerhalb der Gruppe führen. Im dritten Quadranten befindet sich der Bereich des Verbergens und Vermeidens. Dort sind die Geheimnisse des einzelnen vor der Gruppe angesiedelt. Angelegenheiten des Privatlebens oder religiöse Überzeugungen sind Beispiele hierfür. Im vierten Quadranten ist der Bereich der unbekannten Aktivität. Weder die Gruppe noch das Mitglied selbst sind sich der dortigen Eigenschaften bewusst. Beispielsweise kann eine unterschwellige Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz dazu führen, dass ein Teammitglied zwar alle Aufgaben zuverlässig erfüllt, aber keine rechte Motivation entfaltet und damit auch die gesamte Gruppe beeinflusst.
Feedback-Situationen sind oft heikel, da niemand leichten Herzens in seinem Selbstbild korrigiert oder auf unangenehme Seiten der eigenen Person aufmerksam gemacht wird. Daher ist es wichtig, dass Feedback-Gebende und Feedback-Nehmende bestimmte Regeln einhalten. Feedback im Lernen in Gruppen, beim Lernen mit Subjektiven Theorien und persönlichen Handlungsmustern ist eine persönlich sensible Form der Konfrontation, sie sollte mit Bedacht und gut angeleitet eingesetzt werden. Um Feedback konstruktiv einzusetzen, sind seit langem die sog. Feedbackregeln im Gebrauch. Sie werden im Folgenden wiedergegeben (Schwäbisch&Siems 1998).
Irritation Subjektiver Theorien durch Interaktion
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Wenn ich jemandem ein Feedback gebe, ist es... beschreibend, nicht wertend
Ich beschreibe ein Verhalten in einer bestimmten Situation und die Wirkung auf mich. Ich stelle weder die Person in Frage noch interpretiere ich ihr Verhalten.
konkret, nicht allgemein
Ich beschreibe ein konkretes Verhalten in einer Situation und äußere mich nicht allgemein über die (ganze) Person.
verstärkend und positiv, nicht nur negativ ehrlich und brauchbar
Ich betone in meinem Feedback beobachtete Stärken. Dann kann auch negative Kritik besser angenommen werden.
persönlich und subjektiv
Ich mache deutlich, dass es sich um meine persönliche Wahrnehmung handelt.
Alles, was ich sage, ist wahr. Aber ich sage nicht alles, was wahr ist. Ich spreche nichts Unabänderliches an. Das Feedback soll für die Empfängerin brauchbar sein und Perspektiven eröffnen.
Wenn ich ein Feedback erhalte, sollte ich... zuhören
Ich höre mir das Feedback an. Es ist die persönliche Wahrnehmung und Meinung meines Gegenübers. Deshalb muss ich mich nicht verteidigen oder rechtfertigen.
nachfragen und mich vergewissern
Ich frage nach, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Ich versuche zu verstehen, was das Gegenüber mir mitteilen will.
kritisch prüfen
Tabelle 6:
Es liegt an mir, das für mich Bedeutsame auszuwählen. Ich prüfe das Feedback kritisch und überlege mir, ob und was ich daraus lernen kann oder will. Feedbackregeln (Antons&Volmerg 2000, 108ff)
5.6.2 Perspektivenwechsel Das Erleben von Adressatenperspektiven im Studium besitzt ein großes Potential vor allem für Veränderungen an Einstellungen und Haltungen von Studierenden. Wenn Sie guten oder schlechten Unterricht erleben, oder in der Klientenrolle erleben, wie kompetente ressourcenorientierte Beratung Ihre inneren Stärken aktiviert, werden Sie bereit sein, manches Vorurteil oder manche tief sitzende Einstellung zu verändern und Sie werden motivierter sein, methodisch kompetenter zu werden. Die Rückmeldung aus einer echten Erfahrungen heraus wirkt auf eine andere Weise als persönliches Feedback oder fachliche Beurteilung.
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Theaterpädagoginnen und Schauspieler im Beratungs- und Kommunikationstraining machen die Erfahrung, dass das Rollenfeedback aus der Klientenperspektive (Ameln et al. 2004, 84) wichtige, sonst nicht eruierbare Aspekte hervorbringt, die deutlich von einem gewöhnlichen Feedback oder ihrer Sicht als Kommunikationsfachleute abweichen. Der Lernende macht vielleicht einige technische Fehler in einem Gespräch, die von außen auffallen. Aus der Sicht der Klientin wirkt aber vor allem die einfühlsame Haltung, die die technischen Fehler in den Hintergrund treten lässt. Perspektivenwechsel bringen also eigene Wertigkeiten, die persönliche Grundannahmen und Handlungsmuster sanft, aber sehr wirksam konfrontieren. Das Ziel von Perspektivenwechseln ist das Erleben der Sichtweise von Interaktionspartnern und daraus die Arbeit an Haltungen und Einstellungen. Aus dem Selbst-Erleben der Perspektive des Interaktionspartners heraus erhält das Feedback eine andere Gewichtung und Wertigkeit. Verständnis und Empathie für die Sichtweise der Anderen entsteht, und häufig ergeben sich dabei bedeutende Informationen für Beratungs- oder Lernprozesse (Mutzeck 2008, 91f). Perspektivenwechsel können in Einzelarbeit erfolgen, indem Sie sich intensiv gedanklich und emotional in die Sichtweise eines Klienten oder Schülers hineinversetzen, sie sind günstiger in Tandems oder Kleingruppen durchzuführen, wo Ihre Partner Sie durch Arrangements, Befragungstechniken und Auswertung darin unterstützen können. Für Perspektivenwechsel ist es hilfreich (Mutzeck 2008, 92),
konkrete Interaktionssituationen zu benutzen (an denen Probleme, Haltungen, Einstellungen oder Fertigkeiten erlebbar und trainierbar werden), den Perspektivenwechsel auch physisch zu vollziehen (Stuhl oder Position wechseln), als Interaktionspartner angesprochen zu werden und in der Ich-Form zu antworten, von einem Tandem- oder Lerngruppenpartner konkret befragt zu werden und am Ende der Sequenz die Rolle deutlich wieder zu verlassen und die gemachten Erfahrungen und Schlussfolgerungen zu verbalisieren.
5.6.3 Szene-Stopp-Reaktion Die Rollenspieltechnik „Szene-Stopp-Reaktion“ ist ebenfalls geeignet, solche Irritationen auszulösen, da Lernende einer Interaktionssituation direkt und ohne Vorbereitung ausgesetzt werden und spontan reagieren müssen. Dabei greifen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ihre vorhandenen handlungsleitenden Muster, auf Subjektive Theorien und Einstellungen zurück. Das Erleben eines Interaktionspartners kann in diesen Kurzrollenspielen direkt einfließen. Da die gespielten Sequenzen eher kurz sind, bleibt in der Regel ein starker, prägnanter Eindruck auf das eigene Handeln zurück. Die Auswertung muss dabei beide Perspektiven berücksichtigen, die Innensicht des Lernenden und die Innensicht des Interaktionspartners, der sein Erleben dem gegenüberstellt. Die Konfrontation der zwei Sichten ist geeignet, Handlungsmuster zu irritieren. Genauere Anweisungen zur Arbeit mit der Technik werden im Kapitel zum Rollenspiel gegeben (vgl. Kap. 8.3.4). 5.7 Änderungsmotivation aufbauen Sie haben sich selbst und vermutlich einigen anderen Menschen bereits mehrmals Rechenschaft über Ihre Studienmotivation abgelegt. Diese allgemeine Studienmotivation ist hier
Änderungsmotivation aufbauen
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nicht Gegenstand, ebenso nicht die Aufrechterhaltung der Motivation in Lehrveranstaltungen (vgl. Kap. 10.3). Für die Arbeit an Lern- und Handlungsstrategien ist eine besondere Form von Motivation bedeutsam. Veränderungsmotivation ist von zentraler Bedeutung, wenn Sie an sich als Person, an Ihrem hochschulischen Lernen oder beruflichen Handeln arbeiten wollen. Gewünschte Veränderungen beim Lernen und Handeln wirklich in Gang zu setzen, fällt leichter, wenn Sie einiges über das Funktionieren von Veränderungsbereitschaft wissen und persönlich bedeutsame Veränderungsmotive aktivieren können. Sie werden gezielter auf Ihnen bedeutsame Veränderungswünsche fokussieren und sich weniger mit Veränderungsbedarf quälen. Gerade wenn Sie doch zu wenig Veränderungswünsche oder -bedarf haben, weil das Vorhaben nicht wichtig genug ist oder Ihr bisheriges Handeln anscheinend gut genug funktioniert, ist dies wichtig, weil es ein weit verbreiteter Mythos ist, dass Menschen grundsätzlich an Veränderung interessiert sind. Besonders, wenn es um rational einsichtige und prinzipiell sinnvolle Veränderungen geht, wie sich gesund zu ernähren, mit Genussmitteln angemessen umzugehen, den Müll zu trennen und mäßig zu fernsehen oder im Studium rechtzeitig mit dem Lernen zu beginnen und nicht in letzter Minute mit Prüfungsvorbereitungen zu beginnen, klaffen rationale Einsichten und Veränderungsmotivation gelegentlich weit auseinander. Die Diskrepanz zwischen großem Veränderungsbedarf und ebenso großen Schwierigkeiten, wirksam an sich zu arbeiten, dürfte vielen Menschen bekannt sein. Warum leiden Menschen so häufig an Diskrepanzen zwischen Wissen und Handeln, Wollen und Realisieren? Und warum fällt es uns so schwer, notwendige und sinnvolle Verhaltensänderung anzugehen? Der Weg von der ersten Ahnung eines Veränderungswunsches bis zum Beginn wirksamer Veränderungsprozesse ist alles andere als trivial – andernfalls würden nicht z.B. 70 % aller Studierenden unerwünschtes Aufschiebeverhalten an den Tag legen (Universität Tübingen: Institut für klinische Psychologie 2008). In der Schweiz leidet eine halbe Million Menschen unter nicht-trivialem Stress und Überforderung, ohne daran ernsthaft etwas ändern zu wollen (Padlina et al. 1999, 193f). Eine Erfahrung von manchen Studierenden ist, dass sie nach der Lektüre dieses Buches zwar einerseits präzisere Vorstellungen und Wissen darüber haben, wie ein wirksames und kompetenzorientiertes Lernen aussieht, andererseits die entsprechende Veränderung aber noch nicht in Gang bringen. Schließlich brechen sie die Arbeit an Veränderungsanliegen ab, meist mit vermehrt schlechtem Gewissen, weil die Diskrepanz zwischen Wissen und Können gewachsen ist und weil sie es „nicht geschafft haben“. Diese Kluft zwischen Wissen und Handeln kann vielleicht nicht geschlossen, aber mindestens verringert und überbrückbar gemacht werden. Die Erkenntnis, dass nicht automatisch eine voll entwickelte Änderungsmotivation vorhanden ist, dass sie aber aufgebaut werden kann, wirkt häufig entlastend. Im Folgenden wird erläutert, wie Sie Änderungsmotivation für persönliche Veränderungswünsche oder -notwendigkeiten aufbauen können. Dazu werden erst grundlegende Sachverhalte zur Änderungsmotivation dargestellt. Anschließend werden Möglichkeiten zum Aufbau von Änderungsmotivation beschrieben.
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Bei sich beginnen
5.7.1 Änderungsmotivation zu neuem Handeln Motivation treibt menschliches Handeln an. Sie gibt ihm Energie und Richtung und steuert es für die Erreichung eines Bedürfniszustandes oder Zieles (Kanfer et al. 2006, 56). Mit der Erreichung von Zielen und der Erfüllung von Bedürfnissen wird ein psychischer Gleichgewichtszustand erreicht, der sich als Balance von Anforderungen und Leistungen, Bedürfnissen und Befriedigung, Zielen und Zielerreichung darstellt. Sie haben in Ihrer Schullaufbahn z.B. durch die Anpassung und Veränderung ein stabiles Gefüge von Lernstrategien ausgebildet, mit dem Sie bisherige Ausbildungen absolvieren konnten. Diese Lernstrategien sind so lange im Gleichgewicht, wie sie damit Ihre Ziele erreichen. Man redet bei Bedürfnisoder Zielerreichung von einer dynamischen Homöostase, da lebenden Organismen sehr selten eine vollständige und stabile Erreichung von Zielen und Erfüllung von Bedürfnissen zuteil wird. Jeder Organismus ist sensibel für die Störung des erreichten Gleichgewichts und bedacht, es wieder herzustellen (Kanfer et al. 2006, 56). So kann sich die Situation des Organismus ändern. Der Eintritt in ein Studium stellt neue Anforderungen an Ihr Lernen im Studium, denen Ihre bisherigen schulischen Lernstrategien nicht mehr genügen. Oder Sie treten ein Praktikum oder Ihre erste Stelle an und das im Studium gelernte Wissen und Können reicht nicht zur Bewältigung Ihrer beruflichen Aufgaben. Sie könnten aber auch neue Ziele und Bedürfnisse entwickeln, wenn Sie z.B. praxiserfahrene Kollegen, Praxisausbildner oder Mitstudierende beobachten und aufgrund attraktiver Vorbilder Veränderungswünsche entwickeln. Oder Sie sind neugierig und haben intrinsische, selbst gewählte Entwicklungswünsche, die Sie mit einem Studium verbinden. Dabei entwickeln Sie Änderungsmotivation. Diese ist dann vorhanden, wenn Sie
Bereitschaft besitzen, eigenes Verhalten zu verändern, subjektiv gute Gründe für Veränderungen eines momentanen Zustands haben und sich die Fähigkeit zur Umsetzung attribuieren (Kanfer et al. 2006, 59).
Veränderungen in Lebensbedingungen, schulischen oder beruflichen Anforderungen oder persönlichen Entwicklungswünschen und Zielen haben eine Störung des psychischen Gleichgewichts zur Folge. Drei Komponenten der Änderungsmotivation sind dabei in dieser Störung des Gleichgewichts wirksam (Kanfer et al. 2006, 59): Ein (negativer) Ausgangs- oder Problemzustand (P), als unbefriedigtes Bedürfnis oder belastetes Gleichgewicht empfunden, weiter ein momentan nicht realisierter (positiver) Ziel- oder Endzustand (Z), in dem das bestehende Ungleichgewicht aufgehoben oder das Bedürfnis befriedigt ist und schließlich die Existenz oder das Fehlen potenzieller Mittel und Wege, mittels derer der Zustand (P) in Richtung Zustand (Z) verändert werden kann. Wenn Sie bislang vergeblich versucht haben, sich zu bestimmten Veränderungen in persönlichem Handeln – auch Lernen wäre solches – zu motivieren, lag dies vielleicht an einem veralteten Verständnis von Veränderungsmotivation. Gängige Alltagstheorien zu Veränderung sind die Annahme, wenn jemand nur genug Willen zeigt und sich genügend anstrengt, dann jede Veränderung gelingt. Wem dies nicht gelingt, wird als willensschwach oder haltlos verurteilt oder schreibt sich dies selbst zu (Kanfer et al. 2006, 57). Dieses Moral- und Schuld-Modell nicht gelingender Veränderung ist ebenso ungünstig wie das Defizitmodell der Motivation, nach dem nur genug Leidensdruck zu einem ungünstigen Verhal-
Änderungsmotivation aufbauen
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ten vorliegen müsse, um Veränderung in Gang zu setzen (Kanfer et al. 2006, 59f). Die damit verbundene Negativ-Motivation zielt vor allem auf die Beendigung eines negativen Zustands und weniger auf die Erreichung eines Zustands von positiver Zielerreichung und Bedürfnisbefriedigung. Nach Kanfer können durchaus beide Motivationsarten (positive „Zug“- und negative „Druck“-Motivation) effektiv sein. Die eigenen Defizite bei Arbeitsstrategien zu sehen und abbauen zu wollen, weil man z.B. Prüfungen nicht bestanden, Arbeiten nicht abgegeben oder im Praktikum zu wenig erfolgreich war, kann motivierend wirken. Kanfer gibt aber der Positiv-Motivierung deutlich den Vorzug (a.a.o., S. 59), da sie einige Probleme der Negativ-Motivation vermeidet. Z.B. werden Sie Veränderungsvorhaben nicht vorzeitig abbrechen, nur weil die ersten Symptome oder der größte Leidensdruck gelindert ist. Weiter verschonen Sie sich vor aversiven Begleiterscheinungen wie Schuldgefühlen, schlechtem Gewissen, Leidensdruck oder Abneigungsgefühlen, eher wenn Sie auf positive Anreize fokussieren. Negativ-Motivierung Positiv-Motivierung Antrieb PUSH Druck Anreiz PULL Zug Beendigung eines momentanen oder Streben nach individuell hochgeschätzten Vermeidung eines zukünftigen Zielen und Werten negativen Zustands Risiko aversiver Begleiterscheinungen: Chancen der Aufrechterhaltung der MotivaVorschnelle Beendigung bei Symptomtion: linderung Erhaltung der Motivation bei ersten Veränderungen Schuldgefühle und Leidensdruck Selbstwirksamkeitsempfinden Abneigungsgefühle gegen das VerändePositive Gefühle, Flow und Erfolgserlebnisse rungsvorhaben Tabelle 7: Zwei prinzipielle Arten von Motivierung (Kanfer et al. 2006, 59f) Klienten in Beratung und Psychotherapie, bei denen motivationale Voraussetzungen in idealer Form schon vorliegen, sind nach Kanfer ziemlich selten (Kanfer et al. 2006, 60). Ebenso selten ist vermutlich eine ebensolche Veränderungsbereitschaft bei Studierenden, weil bedeutsame Veränderungswünsche in der Regel einigen persönlichen, zeitlichen oder energetischen Aufwand erfordern oder bisherige Handlungsstrategien erfolgreich waren. Vielleicht erleben und beklagen Sie zwar einen unbefriedigenden Ausgangszustand, haben aber nur wenige oder diffuse Vorstellungen von Ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen oder gar Lösungswegen. Vielleicht sind Sie auch mit einem bestehenden Zustand subjektiv zufrieden. Ihre Umwelt, Ihre Lernergebnisse oder Ihre Arbeitserfolge zeigen aber ein anderes Bild und schaffen unangenehme Diskrepanzen zu Ihrem Erleben. Nicht bestandene Prüfungen, Diskrepanzen zu Leistungen anderer Studierender, Misserfolge in Praktika, Arbeitsgruppen oder bei Bewerbungen könnten solche Diskrepanzen auslösen. Eine grundsätzliche Unmotiviertheit gibt es nach Kanfer nicht. Klienten sind „immer motiviert – die entscheidende Frage ist zunächst: motiviert wofür?“ (Kanfer et al. 2006, 171). Motivation ist nichts Statisches, wie es z.B. das Persönlichkeitsmodell unterstellt, sondern sehr dynamisch und von vielen Einflussfaktoren abhängig. Sie ist immer ein Produkt von Person und
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Situation (Heckhausen 2006, 3). Folgende Modelle zur Motivation sind hilfreich zum Verständnis und der Arbeit an Ihrer Änderungsmotivation: Das Modell Heckhausens (Heckhausen 2006, 5) zur Motivation als Produkt von Person und Situation entlastet von allzu personenbezogenen Zuschreibungen. Es gibt den Blick auch auf Hürden oder Anreize in der Umgebung frei und es öffnet für die Perspektive des Handelns und der Motivation im Handeln. Motivation entsteht nach diesem Modell aus Bedürfnissen und Zielen der Person ebenso wie aus Gelegenheiten und Anreizen der Umgebung. Als dritte Dimension wirken die Erwartungen auf Situation, eigenes Handeln, das Ergebnis oder dessen Folgen motivierend oder demotivierend. Anliegen zur Veränderung in persönlichen Lern- und Handlungsstrategien wirken dann als Änderungsmotive,
wenn Ihnen als Person dieses Anliegen ein Bedürfnis, Motiv oder Ziel ist und wenn es Ihnen als solches bewusst ist, wenn Ihre Umgebung (Dozierende, Mitstudierende, Praxisfeld oder Hochschule) Ihnen Anreize und Gelegenheiten zu Übung gibt, wenn Ihre Handlungs-Ergebnis-Erwartungen hoch sind, d.h. Prüfungsergebnisse von Ihrem Lernen oder Handeln abhängen (und nicht von Glück, Schicksal, willkürlichen Prüfern oder ähnlich Unkontrollierbarem), wenn die Situations-Ergebnis-Erwartungen tief sind, d.h. Ihre Studiensituation allein nicht schon zu den gewünschten Ergebnissen führt (egal, ob Sie sich anstrengen oder nicht, das Studium bestehen ohnehin alle und eine Arbeitsstelle finden auch alle), die Ergebnis-Folgen-Erwartungen für Sie persönlich bedeutsam und gewichtig sind, d.h. wenn es von Ihrem Kompetenzerwerb im Studium abhängt, ob Sie eine Ihnen passende, herausfordernde und gute Arbeitsstelle finden.
Sie können einige dieser Faktoren nicht beeinflussen (wie z.B. Rahmenbedingungen im Studium). An anderen können Sie aber Ihre Änderungsmotivation schärfen. Sie können persönliche Ziele klären, in der Studiensituation Anreize und Gelegenheiten aktiv aufsuchen (durch Fächerwahl, Gestaltung der Studienbedingungen, Wahl von interessierenden Inhalten) oder Bewusstsein über die Folgen Ihres studentischen Lernens oder beruflichen Handelns und den Nutzen Ihrer Handlungen entwickeln.
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Abbildung 23: Überblicksmodell zu Determinanten motivierten Handelns – (Heckhausen 2006, 5) Diese Faktoren der Änderungsmotivation fließen in Ihre Absichtsbildung und Handlungsplanung mit ein. Schließlich treffen Sie einen bewussten, häufiger auch unbewussten Entscheid, beim Alten zu bleiben oder Veränderung zu suchen – Sie springen über den „Rubikon“ (vgl. Kap. 2.1.2). Bis zu diesem Sprung hat sich Ihre Motivation deutlich gewandelt. Welchen Prozess sie durchläuft und wie Sie es schaffen, Änderungsmotivation weiterzuentwickeln und Veränderungsentscheide zu treffen, beschreibt das transtheoretische Modell von Keller, Prochaska und Velicer (Keller et al. 1999). 5.7.2 Stufen der Änderungsmotivation Es wurde bereits beschrieben, dass Menschen häufig nicht mit fertig entwickelter Motivation persönliche Veränderungsprojekte in Angriff nehmen. Viele Menschen verharren im Gegenteil trotz Veränderungsbedarf stabil in unbefriedigend empfundenen Zuständen. Das transtheoretische Modell macht verständlich, warum Menschen nicht immer und zu allen Zeiten gleich veränderungsbereit sind, es beschreibt, wie ein stufenförmiger Weg zu wirksamer Veränderung aussehen kann und es gibt Hilfen zur Aktivierung von Änderungsmotivation. Es hat sich in der Gesundheitspsychologie und Suchtkrankenhilfe, wo es häufig um dringend notwendige Veränderung gesundheitlichen Risikoverhaltens geht, bewährt. Die wichtigste Erkenntnis von Keller et al. ist, dass Sie je nach Stadium Ihrer Motivationslage stufenspezifische Strategien und Hilfen benötigen, die Motivation und Verhaltensänderung voranbringen (Keller 1999, 18). Das Modell beschreibt einen Verlauf von fünf, wahlweise sechs empirisch nachweisbaren Phasen der Veränderungsmotivation („stages of change“), ausgehend von einem absichtslosen und nicht veränderungsbereiten Zu-
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stand bis zur stabilen Aufrechterhaltung von neuem Handeln. Es benennt eine Vielfalt von motivierenden Strategien, die Verhaltensänderung unterstützen. Das Modell wird von den Autoren als Spiralmodell visualisiert, um den Eindruck zu vermeiden, Veränderung laufe linear und als Einbahnstrasse (Keller et al. 1999, 24; Prochaska et al. 1997).
Abbildung 24: Spiralmodell der Verhaltensänderung (Keller et al. 1999, Die Stufen der Veränderungsmotivation werden in konkreten Zeiträumen operationalisiert und zur Diagnose erfasst. Die Bereitschaft zur Veränderung kann auch anhand dieser Zeiträume selbst eingeschätzt werden. Folgender Algorithmus zeigt die Veränderungsmotivation bei nicht-trivialem Stress Überforderung auf. Er wurde für eine groß angelegte Untersuchung der Schweizer Bevölkerung benutzt und kann Ihnen zur Selbsteinschätzung der Änderungsmotivation in einem persönlichen Veränderungsvorhaben dienen (Padlina et al. 1999).
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Abbildung 25: Frageschema zu Veränderungsabsichten bei Überforderung (Padlina et al. 1999, 191) Im Folgenden werden die Charakteristika der Stufen der Änderungsmotivation vorgestellt und anschließend Vorgehensweisen zur stufenweisen Stärkung derselben präsentiert. Wenn Sie diesen Teil lesen, halten Sie sich vielleicht einen Verhaltensbereich vor Augen, an dem Sie im Studium arbeiten möchten. Schätzen Sie den Stand Ihrer Veränderungsmotivation ein und überlegen Sie sich, welche Maßnahmen Sie möglicherweise in Ihrer Änderungsmotivation unterstützen könnten. 1. Die Stufe der Absichtslosigkeit Menschen im Stadium der Absichtslosigkeit haben keine Absichten zur Veränderung ihres Verhaltens in absehbarer Zeit (Keller et al. 1999, 20). Drei Ursachenbereiche können dafür verantwortlich sein. Fehlende Absicht zur Verhaltensänderung kann verursacht sein durch
einen zufrieden stellenden Zustand, ohne derzeitigen Bedarf für Veränderung, Mangel an Informationen zu den ungünstigen Konsequenzen ihres Verhaltens, Mangel an Problembewusstsein bzgl. der ungünstigen Konsequenzen ihres Verhaltens, Resignation aufgrund mehrerer erfolgloser Änderungsversuche.
Die letzten drei Gruppen von Betroffenen blenden tendenziell Information zum Risikoverhalten aus und vermeiden eine bewusste Auseinandersetzung mit dem zu verändernden Verhaltensbereich. Sie würden als unmotiviert trotz eines bestehenden Veränderungsbedarfs bezeichnet. Externer Druck führt bei allen vier Gründen zu Reaktanz, einer Art Trotzreaktion, die die Veränderungsbereitschaft zusätzlich senkt. Die Stufe der Absichtslosigkeit
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ist die stabilste aller Stufen, ohne aktive Intervention ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sich Menschen in die nächste Stufe bewegen (Keller et al. 1999, 20). Wenn Sie also keinen Veränderungsbedarf bei einem persönlichen Verhaltensbereich wie Lernen, Sozialverhalten in Gruppen oder Umgang mit Stress und Belastungen im Studium sehen, sind Sie vielleicht erfolgreich und bewältigen die Anforderungen des Verhaltensbereiches gut. Vielleicht sind Sie aber auch nicht informiert über die Auswirkungen Ihres Verhaltens, wenig problembewusst oder vielleicht auch demoralisiert angesichts vieler vergeblicher Versuche, etwas zu verändern. 2. Die Stufe der Absichtsbildung Menschen im Stadium der Absichtsbildung setzen sich mit ihrem Verhalten auseinander, ohne dass dies direkt zu Maßnahmen führen würde. Sie sind sich bewusst, dass sie ein problematisches Verhalten zeigen, stehen Veränderung aber ambivalent gegenüber. Oft stehen Vor- und Nachteile von Veränderung für sie in einer Ambivalenzbalance, was veränderndes Handeln erschwert. Gleichzeitig könnten sie sich vorstellen, in absehbarer Zeit ihr Verhalten zu verändern. Diese Personen werden mit „ich-weiss-schon-wohin-ich-willaber-noch-nicht-jetzt“ charakterisiert (Keller et al. 1999, 21). Auch diese Phase ist sehr stabil: Menschen können ohne echte Veränderung lange in ihr verharren (z.B. mit schlechtem Gewissen weiter rauchen), ohne zu beginnen, ihr Verhalten zu verändern. Wenn Sie also überlegen, ob es sich lohnt, kurzfristiges Prüfungslernen durch nachhaltigere Prüfungsvorbereitung zu ersetzen, oder wenn Sie mit Ihrem sozialen Verhalten in Lerngruppen unzufrieden sind, aber noch nicht wissen, ob und wie Sie dies verändern möchten, befinden Sie sich in dieser Phase. 3. Die Stufe der Vorbereitung Menschen in der Stufe der Vorbereitung haben entscheidende Fortschritte gemacht. Dies zeigt sich an der festen Absicht der Verhaltensänderung und daran, dass sie bereits erste Schritte unternommen haben. Handlungsabsichten und erste verändernde Handlungen sind wichtig. Im Zentrum steht aber die klare Entscheidung für und Selbstverpflichtung auf eine Verhaltensänderung („commitment“). Menschen in dieser Phase haben den „Rubikon“ der Veränderungsentscheidung getan. Sie haben bereits konkrete Handlungspläne, haben Informationen gesammelt und erste Schritte unternommen, ohne dass dies schon zum Zielverhalten geführt hätte. Es ist dabei unwesentlich, ob das Zielverhalten bereits erreicht wurde oder ob Veränderung in Fehlversuchen endete. Wichtig ist der Entschluss. Die Stufe der Vorbereitung ist wenig stabil, da eine Durchgangsstufe. Sie ist aber wichtig, da hier die bedeutsamen emotionalen, kognitiven und motivationalen Vorbereitungen für eine tatsächliche Verhaltensänderung getroffen und in Vorsätzen, Intentionen und einer Neubewertung des Zielverhaltens gefestigt werden. Menschen in dieser Stufe sind typischerweise für Hilfs- und Veränderungsangebote ansprechbar (Keller et al. 1999, 21f) 4. Die Handlungsstufe Menschen versuchen auf dieser Stufe nun aktiv, problematisches Verhalten abzubauen. Sie verändern ihr eigenes Erleben („Neubewertung“) und kontrollieren ihre Umgebung („Reduktion von ungünstigen Reizen“). Dies ist nur durch ein hohes Engagement und durch
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Entschlossenheit („commitment“) möglich. Menschen erreichen das Zielverhalten bereits und sie konnten es schon über gewisse Zeiträume beibehalten. Die Handlungsstufe ist die aktivste der Stufen im Prozess der Verhaltensänderung und deshalb auch die anfälligste, was das Risiko eventueller Rückfälle in alte Verhaltensmuster betrifft (Keller et al. 1999, 22). Andererseits erfahren Menschen in dieser Phase auch am häufigsten positive Reaktionen von anderen. Die offen beobachtbaren Verhaltensweisen begünstigen Verstärkung und Ermutigung durch andere. Wenn Sie also bereits erste Versuche unternommen haben, in einem für Sie bedeutsamen Verhaltensbereich etwas zu verändern oder wenn Sie sich schon Ziele gesetzt oder eine Veränderungsentscheidung getroffen haben, befinden Sie sich auf der Handlungsstufe. 5. Die Stufen der Aufrechterhaltung und Stabilisierung Die Stufe der Aufrechterhaltung wird dann zugeschrieben, wenn Menschen das erwünschte Zielverhalten seit mehr als sechs Monaten beibehalten konnten (Keller et al. 1999, 22). Je nach Verhaltensbereich kann das Stadium der Aufrechterhaltung sogar den Rest der Lebensspanne umfassen, für einfacher zu ändernde oder weniger komplexe Verhaltensweisen könnten die Zeiträume zur Stabilisierung kürzer ausfallen. Die Stufe der Aufrechterhaltung wird wie die Handlungsphase als aktive Phase verstanden, in der das Zielverhalten konsolidiert wird und aktive Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe eingeübt werden. Eine sechste Stufe („Stabilisierungsstufe“) wird nach Keller gekennzeichnet durch hundertprozentige Zuversicht, das Zielverhalten beizubehalten und durch nullprozentige Versuchung für einen Rückfall (Keller et al. 1999, 22f). Ob dies realistisch ist, ist fraglich. Es wird Verhaltensbereiche geben, die keine Stabilisierungsstufe zulassen, wo also lebenslang eine Versuchung gegeben ist, die eine aktive Auseinandersetzung mit dieser Versuchungssituation und dem eigenen Verhalten erforderlich macht (Aufschiebeverhalten scheint ein solches sehr hartnäckiges Phänomen bei Betroffenen zu sein). Rückfälle – ein integraler Bestandteil von Veränderungsprozessen Das lineare Durchlaufen aller Stufen ist eher die Ausnahme als die Regel, obwohl die Stufen in logischer Reihenfolge aufeinander aufgebaut sind. Ein Zurückfallen auf eine frühere Stufe wird allgemein als Rückfall definiert. Heute betrachtet man Rückfälle als integralen Bestandteil von Veränderungsprozessen. Im Wissen darum sind Sie vielleicht weniger schnell entmutigt, wenn persönliche Veränderung nicht sofort und ohne Rückschläge gelingt. Viele Menschen fallen jedoch auf die Stufe der Absichtslosigkeit zurück und resignieren mit ihren Wünschen nach Veränderung. Der größere Teil fällt jedoch auf die Stufe der Absichtsbildung oder Vorbereitung zurück und bereitet einen neuen Veränderungsversuch vor. Untersuchungen belegen dabei, dass diese Wiederholungen die Erfolgsaussichten steigern. Bei Rückschlägen müssen Sie weder in eine Endlosschlaufe geraten, noch wieder bei Null beginnen. Eine konstruktive Misserfolgsbewältigung vergangener Versuche kann dabei zur Auswahl günstigerer Veränderungsstrategien und somit zu einem Fortschreiten innerhalb des Veränderungsprozesses führen.
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5.7.3 Strategien zur Änderungsmotivation Neben den Stufen der Verhaltensänderung bietet das Transtheoretische Modell veränderungsfördernde Strategien zur Verhaltensänderung an. Die Strategien können in kognitive und verhaltensorientierte Strategien unterteilt werden und lassen sich in vielen Therapieschulen wieder finden: So lehnt sich das Wecken von Problembewusstsein an die psychoanalytischen Schulen an, der Einsatz von Belohnungssystemen findet sich in der Verhaltenstherapie, das Nutzen helfender Beziehungen ist in der humanistischen und systemischen Psychologie vorfindbar. Dieses schulenübergreifende Verständnis von veränderungsrelevanten Strategien führte zum Begriff „Transtheoretisches Modell“. Die Integration von Stufen und Strategien wirksamer Verhaltensänderung erlaubt nun ein stufen- und verhaltensspezifisches gezieltes Fördern des Fortschritts von Stufe zu Stufe. Der Einsatz stufenspezifischer Interventionsstrategien benötigt allerdings die Überprüfung an dem jeweiligen Verhaltensbereich. Hier können die Interventionsstrategien geringfügig variieren. Sie wirken alle in Richtung des Aufbaus und Erhalts von Änderungsmotivation. Folgende Strategien können Ihnen helfen, Ihre Änderungsmotivation aufzubauen und zu stärken. Sie werden hier in ihrer Passung zu den Stadien der Veränderungsmotivation vorgestellt.
Abbildung 26: Stufen der Verhaltensänderung und motivierende Teilstrategien (Keller 1999, 27) 5.7.3.1 Resignation oder Gleichgültigkeit abbauen und irritieren Vielleicht sehen Sie zu einem Veränderungsanliegen selbst keinen Bedarf, werden aber durch andere darauf hingewiesen. Vielleicht haben Sie mindestens eine diffuse Empfindung, dass Sie etwas verändern sollten, sind aber von gescheiterten Versuchen, dies zu
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verändern, entmutigt. Dann können die folgenden Motivierungsstrategien hilfreich sein, aus einer stabilen Absichtslosigkeit herauszufinden (Keller et al. 1999, 26f):
Steigern Sie Ihr Problembewusstsein: Dies verlangt von Ihnen, das Problemverhalten, seine Ursachen und Folgen, sowie mögliche Veränderungswege bewusster wahrzunehmen. Beobachten Sie sich selbst und suchen Sie sich Rückmeldungen von anderen Menschen zu Ihrem Problemverhalten. Reflektieren Sie Diskrepanzen, unter denen Sie leiden und versuchen Sie, die Attraktivität des alten Zustands zu verringern (Kanfer et al. 2006, 173). Sprechen Sie mit anderen über andere Sichtweisen zu Ihrem Verhalten und suchen Sie Informationen zu den Konsequenzen des Problemverhaltens, um das Ungleichgewicht zwischen Problem- und Wunschzustand zu vergrößern. Unterstützen Sie Zweifel: Dies kann besonders dann hilfreich sein, wenn Sie (allzu) sicher sind, dass bei Ihnen doch alles in Ordnung ist oder wenn Sie den Eindruck haben, Sie könnten diese Veränderung ohnehin nicht schaffen. An vermeintlich positiven oder resignativen Gewissheiten systematisch zu zweifeln, wird einen ersten Schritt der Öffnung gegenüber Veränderung bedeuten. Hilfreich sind dabei in jedem Fall Menschen, die Sie wohlwollend (nicht: wohlmeinend) in Ihren Zweifeln ermutigen. Nehmen Sie förderliche Umweltbedingungen wahr, die eine Veränderung Ihres Problemverhaltens erleichtern. Hierunter fällt das aktive Wahrnehmen sich verändernder sozialer Normen oder Bedingungen, sowie das Wahrnehmen von Strukturen oder Personen, die Ihr Zielverhalten unterstützen.
5.7.3.2 Absichtsbildung: Bedeutsam werden lassen und abwägen
Suchen Sie Ihr emotionales Erleben: Betroffenheit und emotionaler Bezug zum Problemverhalten vermitteln Tiefe und persönliche Bedeutung einer Verhaltensänderung bis hin zum positiven Zielverhalten. Wenn Sie im Gespräch mit anderen oder im Selbsterleben des Problemverhaltens Ihre Emotionen beobachten und die Betroffenheit wahrnehmen, werden Veränderungswünsche tiefer und bedeutsamer werden. Verstören Sie Ihr Ambivalenzgleichgewicht: Zu Veränderungswünschen gehört auch, dass widerstrebende Tendenzen in Ihnen gegeneinander streiten („zwei Seelen in einer Brust“). Eine stabile Ambivalenzbalance können Sie durch eine Kosten-NutzenRechnung auf Veränderung hin irritieren. Dies wäre die Fortsetzung der Strategie „Zweifel unterstützen“. Sie könnten sich so Vor- und Nachteile des Beibehaltens oder Veränderns eines Verhaltensbereiches bewusst machen (Körkel& Drinkmann 2002, 28).
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Abbildung 27: Waage-Modell: Abwägen zwischen Nutzen und Kosten einer Veränderung beziehungsweise Nichtveränderung(Körkel&Drinkmann 2002, 28)
Bewerten Sie Ihr Selbstbild und Problemverhalten neu: Aus der bewussten Problemwahrnehmung heraus können Sie die emotionalen und kognitiven Konsequenzen des Problem- und Zielverhaltens für die eigene Person klären. Passt das Problemverhalten eigentlich zu Ihrem Selbstbild oder weicht es erheblich davon ab. Die Analyse der persönlichen Wertvorstellungen und die Orientierung an attraktiven Vorbildern, Vorstellungs- und Imaginationsübungen, in denen ein alternatives Rollenbild eingeübt wird, gehören hierzu. Dies ermutigt und unterstützt Sie darin, kongruenter im Sinne Ihres Selbstbildes und Ihrer Wertvorstellungen zu handeln. Vielleicht stellen Sie aber auch erhebliche Diskrepanzen zwischen Ihrem Idealselbst („so wäre ich gern“) und dem Problemverhalten fest und es ist nötig, Ihr Realselbst („so bin ich“) kritisch zu überprüfen. Dies kann ein schmerzhafter Prozess der Selbsterkenntnis sein, achten Sie dabei darauf, dass Sie sich nicht selbst entwerten, sondern Ihre Änderungszuversicht unterstützen. Bewerten Sie Ihre persönliche Umwelt neu: Wie in der Selbstbewertung können Sie auch die Bedeutung des Problem- bzw. Zielverhaltens für die persönliche Umwelt neu bewerten. Sie könnten die eigene Modellfunktion für die persönliche Umwelt problematisieren und durch Empathie, durch Befragen Ihrer Umwelt oder durch bewusste Perspektivenwechsel die Sichtweisen Ihrer Umwelt zum Problemverhalten erfahren. Das Führen von Tagebüchern oder Protokollen sowie das Fördern der Kommunikation mit Personen des unmittelbaren Umfeldes über das Problem- und Zielverhalten könnten zu einer Neubewertung Ihres Problemverhaltens führen. Beantworten Sie die Grundfrage Verändern oder Akzeptieren? (Kanfer et al. 2006, 190f): Bevor Sie zu einer Entscheidung und aktiven Veränderung gelangen, ist es hilfreich, die Frage nach aktiver oder passiver Bewältigung einer Problemsituation zu stellen. Es steht jedem Menschen offen, eine Situation oder ein Problemverhalten auch hinzunehmen. Vielleicht ist eine momentane Veränderung aufgrund äußerer oder innerer Umstände zurzeit nicht möglich oder nicht sinnvoll. Sie schützen sich damit vor
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Veränderungsvorhaben, bei denen Sie zu wenig Nutzen erkennen können. Veränderung ohne wirkliche dahinter liegende Bedürfnisse, Lippenbekenntnisse, Druck von außen oder geringer Veränderungsbedarf bei hohem inneren Druck lassen Veränderungsvorhaben häufig scheitern. Sie könnten anschließend daran arbeiten, wie Sie mit dem alten Problemverhalten emotional besser umgehen können, so dass Sie weniger von Schuldgefühlen oder inneren Konflikten geplagt werden. Vielleicht lässt Sie diese Frage auch wichtige von weniger wichtigen Bedürfnissen unterscheiden und Sie initiieren Veränderungsanliegen, die Ihnen sowohl wichtig wie auch veränderbar erscheinen und mehr Erfolg versprechen. 5.7.3.3 Commitment und soziale Unterstützung als Vorbereitung Wenn Sie bis zu diesem Punkt gelangt sind, können Sie auf eine willentliche und bewusste Entscheidung zur Veränderung setzen. Sie entspricht dem „Gang über den Rubikon“, den Julius Cäsar mit dem berühmten Satz „Alea jacta est“ („der Würfel ist gefallen“) antrat. Damit wird signalisiert, dass es kein Zurück hinter die Veränderungsentscheidung mehr gibt. Folgende motivierende Strategien sind dabei hilfreich (Keller et al. 1999, 26f):
Gehen Sie eine Selbstverpflichtung („commitment“) ein und lassen Sie sich mit ihr auf einen Veränderungsprozess ein, auch wenn Sie zu dessen Ausgang keine definitive Sicherheit oder erschöpfenden Informationen haben. Strategien zur Förderung der Selbstverpflichtung sind das öffentliche Bekunden der Änderungsabsichten und das Binden an bestimmte Ankerpunkte („Neujahrsvorsatz“). Förderlich für die Entwicklung von Selbstverpflichtung ist im Übrigen auch das Vorhandensein von mehreren Handlungsalternativen, aus denen Sie auswählen können: Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten motivieren und reduzieren Reaktanzphänomene. Nutzen Sie hilfreiche Beziehungen, d.h. bitten Sie um soziale Unterstützung. Dazu benötigen Sie die Fähigkeit, Hilfe auch annehmen zu können und Unterstützung in vertrauensvollen Beziehungen zu erfahren. Hilfreich zur Unterstützung dieses Prozesses sind das Einrichten regelmäßiger Kontakte, das aktive Einbinden von Freunden, Studienkollegen und anderen Personen in Ihrem Umfeld in Ihr Veränderungsvorhaben.
5.7.3.4 Handeln, Stabilisieren, gegen Rückfälle sichern Wenn Sie nun ins Handeln kommen, wird Ihre erarbeitete Änderungsmotivation bereits wirksam. In der Systematik des Lernens vom Wissen zum Handeln (Wahl 2005a, 251ff) betreffen die weiteren Schritte die dritte Phase des handlungsorientierten Lernens. Zum InGang-Setzen neuen Handelns und den dazugehörenden lernwegflankierenden Maßnahmen finden Sie vertieftes Wissen im Kapitel 8. Weitere Instruktionen werden dort gegeben. Da neues Handeln aber noch anfällig ist für alte Muster, für Zweifel oder Rückschläge, werden auch für die letzten Phasen der Verhaltensänderung nach Keller die bei ihm beschriebenen Stützstrategien dargestellt.
Verstärken Sie sich selbst: Setzen Sie bewusste Belohnungen für Schritte, die in die erwünschte Richtung führen, ein. Dabei kann es sich sowohl um materielle Verstärker
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handeln als auch um immaterielle, z.B. kognitive Verstärker („ins Kino gehen“ vs. „sich selbst im inneren Dialog bewusst loben“). Wichtig ist dabei, dass Sie Ihre Verstärker angemessen einsetzen. Beobachten Sie auch die Wirkung Ihrer Verstärker. Wirken diese motivierend oder sättigend und hemmend für weitere Veränderung? Falls letzteres der Fall ist, passen Sie Ihre Selbstverstärkung an. Gegenkonditionierung beinhaltet das Ersetzen ungünstiger Verhaltensweisen durch günstiges Verhalten im Sinne einer Problemlösung (neues Verhalten in kleinen Schritten aufbauen). Es beschreibt auch das Einsetzen von positiven Strategien, um negative Konsequenzen auszubalancieren (z.B. Entspannungstechniken, Umdeutung). Kontrolle der Umwelt („stimulus control“) umfasst das Entfernen von Auslösern für das Problemverhalten (z.B. das Arbeiten in einer Bibliothek, um sich weniger abzulenken) und das Bereitstellen von verhaltenserleichternden Anreizen für alternatives und erwünschtes Verhalten. Zu diesem Prozess kann auch das vorübergehende Meiden von sozialen Orten, bestimmten Reizen oder Personen gehören. Das aktive Umgestalten der eigenen Umwelt kann diesen Prozess ebenfalls fördern. Dies kann ein Umzug in eine andere Wohnung sein, die Umgestaltung Ihres Arbeitsplatzes oder die Platzierung von diskreten Hinweisreizen auf Ihre Vorsätze. Strategien gegen Rückfälle oder Rückschläge: Wenn Sie wissen, dass Rückschläge bei neuem Handeln eher die Regel als die Ausnahme sind, stellen Sie sich eher darauf ein und bewerten sie weniger dramatisch. Rückfälle sind „Vor-Fälle“, sie bringen Sie weiter. Bei Rückschlägen tauchen häufig selbstentwertende, demoralisierende oder resignative Gedanken auf (Kanfer et al. 2006, 168). Hilfreich ist bei Rückschlägen, negativdestruktive Gedanken zu stoppen (vgl. Kap. 10.9), das Erreichte wertzuschätzen und die Veränderungszuversicht zu erhalten. Bei Rückschlägen gilt es, den Teufelskreis von Misserfolg, belasteter und bedrückter Stimmung und negativer Informationsverarbeitung und Erinnerung zu stoppen. Belastende Gedanken und Gefühle sind bei Rückschlägen gelegentlich nicht einfach zu ignorieren, aber Sie können Ihre Aufmerksamkeit auf die positiven Seiten richten und das Erreichte fokussieren. Sie könnten weiter einen Rückschlag im Kontext Ihrer Veränderungsarbeit auch konstruktiv umdeuten: „Was kann mir der Rückschlag sagen?“ „Was funktioniert noch nicht so gut?“ „Was kann ich noch besser machen?“. So können Rückschläge auch eine positive Konnotation bekommen und Hinweise zur Optimierung begonnener Veränderungsvorhaben liefern. Misserfolge sollten nicht zur Entmutigung führen. Sie konstruktiv zu verarbeiten, ist ein Schlüsselkriterium besonders für fortgeschrittene Veränderungsvorhaben.
In diesem Buch stehen nicht psychotherapeutische Probleme im Fokus. Das Ziel des Buchs sind handlungsorientierte und kompetenzfördernde Lernstrategien von Studierenden, die ihr Studium in der Regel bewältigen können. Wenn Sie beim Lesen dieses Kapitels den Eindruck bekommen, dass ein Verhaltensbereich so große Belastungen oder so starken Problemdruck bei Ihnen verursacht, dass Sie in Ihrem Alltag erheblich eingeschränkt sind, dann ist es möglicherweise sinnvoller, professionelle Hilfe zu suchen. Wann es für eine Person angemessen ist, professionelle Hilfe zu suchen, ist letztlich sehr subjektiv. Anhaltspunkte für die Indikation einer Beratung oder psychotherapeutischen Begleitung könnten vorliegen, wenn ein Problemverhalten
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Ihrem Alter und Geschlecht nicht entspricht, nicht nur punktuell und kurzfristig, sondern längerfristig und überdauernd auftritt, mehrere Symptome zeigt und mehrere Verhaltensbereiche trifft, wichtige Entwicklungsbereiche von Ihnen als Studierende betrifft, sich in unterschiedlichen Lebenswelten und Situationen zeigt, erheblichen subjektiven Leidens- und Problemdruck auslöst oder maßgebliche Verluste der Lebensqualität oder des Studienerfolgs zur Folge hat.
Wenn mehrere dieser Kriterien auf ein Problemverhalten zutreffen, könnte es angezeigt sein, dieses in professioneller Hilfe abklären zu lassen und allenfalls mit psychotherapeutischer Begleitung zu bearbeiten. Große und Ihren Studienerfolg schwer beeinträchtigende Prüfungsangst oder schwerwiegendere Lern- und Arbeitsstörungen oder Ausbildungskrisen könnten solche Fälle sein. Abschließend werden mit den fünf grundlegenden Motivationsfragen von Kanfer (Kanfer et al. 2006, 188) eine Argumentationshilfe für und allenfalls auch gegen ein persönliches Veränderungsvorhaben gegeben. Sie könnten vor Beginn durchgearbeitet werden und als Entscheidungshilfe und Grundlage für alle weiteren Schritte dienen: 1. Wie wird mein Leben sein, wenn ich mich verändere?
Welche Effekte ergeben sich für mein Leben, Lernen, Arbeiten?
Passt die Veränderung zu meiner Person und meinem Lebensstil?
Was ist mein Bild von der Situation, wenn ich mich verändert habe?
2. Wie werde ich besser dastehen, falls ich mich ändere?
Anders ist nicht besser: Was sind die positiven Seiten einer Veränderung, was ist mein Spektrum an subjektivem Gewinn?
Wiegt das die allfälligen Nachteile einer Veränderung auf?
3. Kann ich es schaffen?
Verfüge ich über die nötigen Informationen und das nötige Wissen?
Verfüge ich über die notwendigen Veränderungsstrategien?
Was sagt mein Gefühl zu meinen Erfolgsaussichten?
4. Was muss ich für eine Veränderung investieren? („Lohnt es sich?“)
Ist das Vorhaben realistisch (Zeit, Energie und Mittel)?
5. Kann ich auf die Unterstützung von mir wichtigen Menschen (meiner Institution) bauen?
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Wissen und Problemlösestrategien Bei sich erwerben beginnen
Kann ich auf Menschen in meiner Umgebung zurückgreifen, die mich unterstützen, Studienkollegen, Familie, Freunde, Dozierende?
Unterstützt meine Ausbildungsinstitution diese Veränderung, ist sie ihr gleichgültig oder widerspricht die Veränderung sogar den Ausbildungszielen der Institution?
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 5.1 Die Lernbiographie als Ressource LWS 5.2 Vorwissen aktivieren LWS 5.3 Lernen mit Subjektiven Theorien LWS 5.4 Selbstreflexion als Basis persönlich bedeutsamen Lernens LWS 5.5 Die Arbeit mit dem Lerntagebuch LWS 5.6 Irritation durch Interaktion LWS 5.7 Änderungsmotivation aufbauen
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Wissen und Problemlösestrategien erwerben
Wissen steuert wesentlich unser berufliches wie privates Handeln (vgl. Kap.2.3.1). Ein umfangreiches und differenziertes Fachwissen sowohl über Sachverhalte und Gesetzmäßigkeiten als auch über Methoden zur Bewältigung arbeitsfeldspezifischer Aufgaben und Problemstellungen stellt die bedeutendste Basis allen kompetenten beruflichen Handelns dar (Rothe&Schindler 1996, 35). Dieses Wissen wird aber nur dann für das berufliche Handeln hilfreich und handlungsleitend, wenn es folgende Merkmale aufweist:
Im hierarchischen Status sollte es tief verarbeitet statt oberflächlich gelernt sein, in der Organisation vernetzt statt in Wissensinseln isoliert sein, im Abruf schnell und routiniert verfügbar statt träge oder angestrengt deklarativ sein, in der Repräsentation handlungsangemessen (z.B. als flexibles Skript) statt als starres Schema vorliegen, im Allgemeinheitsgrad kompiliert, d.h. nach Situationen, Kriterien, Kategorien und Regeln differenziert statt pauschal generalisierend sein (Gruber 1999a, 58).
Diese allgemeinen Wissensmerkmale sind universell, sie treffen auf Wissen im privaten Bereich wie auch in beruflichen Domänen zu, in denen professionelles wie auch Alltagswissen eine Rolle spielt. Für die Soziale Arbeit wird in vielen Untersuchungen kritisiert, dass Wissen als Kernressource beruflichen Handelns zu wenig genutzt wird und Fachkräfte auf primär alltagsweltlich-biographisches Wissen rekurrieren (Ackermann&Seeck 1999; Thole& KüsterSchapfl 1997). Wie Wissen wirksam erworben, gespeichert und so organisiert werden kann, dass es im beruflichen Handeln nutzbar wird, damit beschäftigt sich das nächste Kapitel. 6.1 Wissensformen in Studium und Ausbildung Im Kapitel über die Steuerung menschlichen Handelns wurde bereits auf die verschiedenen handlungsrelevanten Wissensformen hingewiesen. Gruber unterscheidet die untenstehenden Wissensformen, über die Experten in einer beruflichen Domäne verfügen (Gruber 1999b, 98ff). 6.1.1 Deklaratives Wissen – Fakten Konzeptuelles oder deklaratives Wissen („know what“) ist das Wissen über Fakten, Begriffe und Sachverhalte in einem beruflichen Feld oder den zugrunde liegenden Fächern. Diese Wissensform ist die bekannteste und wird als generalisierte Vorstellung über „Wissen überhaupt“ von den meisten Studienanfängern ins Studium mitgebracht. Die erschwerte Nutzbarkeit reinen Faktenwissens („träges Wissen“) führt Studierende häufig zur Annahme, Wissen sei generell für Handeln nicht sehr wichtig.
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Wissen und Problemlösestrategien erwerben
6.1.2 Prozedurales Wissen – Fähigkeiten und Fertigkeiten Prozedurales Wissen („know how“) ist Wissen über Handlungen, die in einer Domäne gangbar sind (Gruber 1999b, 98f). Damit Faktenwissen in Handlungssituationen angewandt werden kann, muss es prozeduralisiert werden. Aus Faktenwissen werden dabei Wenndann-Regeln produziert, mit denen sehr schnell auf bestimmte Situationen reagiert werden kann, ohne groß überlegen zu müssen. Diese Wenn-dann-Relationen zeigen sich als einfache bis hochkomplexe Arbeitsregeln: „Wenn Klienten sich im Beratungsgespräch unklar ausdrücken, dann höre ich aktiv zu. Wenn sie mich im Kreis herumführen, strukturiere ich aktiv“. „Wenn das Risiko sexueller Gewalt in einer Familie vorhanden ist, dann hat die Sicherheit der Kinder höchste Priorität und es sollte schnell und eingreifend interveniert werden“, usw. Diese Umformung von Faktenwissen in Handlungssituationen ist der zentrale Schritt in der Nutzbarmachung von Wissen für soziales Handeln. Im Prozess des Erwerbs von Fähigkeiten und Fertigkeiten werden drei Stufen unterschieden, die Sie kennen sollten, um Ihren Lernprozess beim handlungsorientierten Lernen besser zu verstehen. Die Prozesse verstehen sich als idealtypisch getrennt, sie laufen in Wirklichkeit mit fließenden Übergängen und teils zeitgleich ab (Gruber 1999b, 99): 1.
2.
3.
Deklarative Stufe: Hier wird das für Fähigkeiten wichtige Faktenwissen gelernt. So werden bspw. zur Kommunikation Fachbegriffe und Theorien erworben. „Was heisst Kommunikation, welche Ebenen, Modelle, Techniken gibt es?“. Kompilierung: Nun werden Produktionsregeln erstellt und als Situations-Handlungsprototypen erworben (Wahl 2005a, 35). Diese werden automatisiert, so dass sie beim Handeln zuverlässig und schnell abgerufen werden können. „Was heisst hilfreich fragen? Wann tue ich das? Wie tue ich es? Wann ist aktiv zuhören sinnvoll?“. Tuning: Die erworbenen Muster werden nun optimiert, erfolgreiche gestärkt und erfolglose getilgt und insgesamt die Verarbeitungs- und Reaktionsgeschwindigkeit erhöht. Es werden z.B. Nuancen von Fragetechniken erarbeitet, die Situationen besser verstanden, unter denen auch geschlossene Fragen sinnvoll sind und die Fragetechnik wird mühelos und automatisiert.
6.1.3 Episodisches Wissen – Erfahrung Situationales oder episodisches Wissen ist in allen Berufen, die mit Menschen zu tun haben, eine der zentralen Wissensformen, sie wird aber in Kompetenz- oder Wissensmodellen der beruflichen Bildung bislang wenig systematisch berücksichtigt, auch wenn häufig betont wird, dass Erfahrung für Handlungskompetenz unerlässlich ist. Erlebnisse und Erfahrungen werden nach Gruber als „Skripte“, d.h. als bedeutungshaltige, tiefenverarbeitete, emotional gefärbte Muster mit starken Bildern, häufig in Verbindung mit konkreten Personen (als „patient scripts“) oder mit Krankheits- oder Störungsbildern (als „illness scripts“) gespeichert. Sie werden sehr viel besser erinnert als die eigentlichen Theorieelemente zu den entsprechenden Adressatengruppen oder Störungsbildern. Für das Handeln ärztlicher Experten wurde nachgewiesen, dass diese in hohem Maß ihr Wissen über Patienten über solche Geschichten organisieren (Gruber 1999a, 64f). Episodisches Wissen wird durch Erfahrung im Berufsfeld ausgebildet.
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Wissensformen in Studium und Ausbildung
6.1.4 Strategisches Wissen Strategisches Wissen ist eine Voraussetzung von Metakognition und Reflexion. Es umfasst allgemeine Handlungspläne und mentale Modelle und bezieht sich auf das Handeln selbst. Metakognition als Selbstbeobachtung des eigenen Denkens ermöglicht die Steuerung und Optimierung des eigenen Handelns (Gruber 1999a, 57). Zur Reflexion und Selbstreflexion in sozialen und pädagogischen Berufen ist strategisches Wissen eine bedeutsame Voraussetzung. Um z.B. die Wirkung einer kommunikativen Handlung einschätzen zu können, müssen Sie ein inneres Modell haben, wie in dieser Situation regelhaft und kompetent gehandelt wird. Um zu bemerken, ob eine Interaktion mit einem Klienten oder Schüler die gewünschte Wirkung hatte, müssen Sie eine Einschätzung davon haben, wie ein Prozess verlaufen sollte. Die Arbeitspsychologie spricht hier von „operativen Abbildsystemen“ (OAS) oder handlungsleitenden psychischen Abbildern (HABs), die Hintergrundmodelle zum Vergleich mit aktuell ablaufendem Handeln liefern (Hacker 1998, 186ff; Ulich 1998, 370). Wenn Sie also ein Erstgespräch mit einer Klientin führen oder eine Gruppenarbeit instruieren, ist das strategische Wissen, wie diese idealtypisch verlaufen sollten und welche Bedingungen sie beeinflussen, unerlässlich. Sie erkennen erst damit, ob das Erstgespräch zielführend verläuft oder die Gruppenarbeit erfolgreich vorankommt. Wissensarten situational /
deklarativ
prozedural
strategisch
episodisch
Wissens-
Fakten, Begriffe,
Wissen über Hand-
optimale Strukturie-
typische Situationen
Prinzipien der Domä-
lungen, Fähigkeiten
rung eig. Problemlö-
und zu beachtende
ne
und Fertigkeiten
severhaltens
Informationen
merkmale hierarchi-
oberflächlich
tief verarbeitet
scher Status innere
isoliert
vernetzt
Struktur Automati-
„angestrengt“ deklarativ
kompiliert1-routinisiert
sierungsgrad Modalität
bildlich
propositional-analytisch
Allgemein-
generell
domänenspezifisch
heitsgrad
Tabelle 8:
Klassifikation von Wissensarten (Gruber 1999a, 57)
Aus dem oben dargestellten „Wissen über das Wissen“, über seine Formen und Merkmale, sind weit reichende Konsequenzen für das Lernen ableitbar. Sie werden nun in der Systematik des handlungsorientierten Lernens nach Wahl vorgestellt. Auf die Vorbedingung der Irritation und Verknüpfung von altem mit neuem Wissen wurde bereits hingewiesen. Wie 1
an Kriterien orientiert und in Situationen und Kategorien differenziert (Antonym: pauschal, undifferenziert)
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Wissen und Problemlösestrategien erwerben
neues Wissen erfolgreich erworben, organisiert, gespeichert und erinnert werden kann, wie dieses Wissen genutzt werden kann und wie Sie zu besseren Problemlösehandeln kommen, dazu werden im nächsten Teil praktische Hilfen gegeben. 6.2 Lerninhalte wirksam verarbeiten Wirksame Informationsverarbeitung ist die Grundlage für den Aufbau eines guten deklarativen Wissens und im weiteren auch die Basis für komplexere Problemlösefähigkeiten, wie sie in Pädagogik und Sozialer Arbeit verlangt werden. Folgende Strategien sind hilfreich für wirksame Informationsverarbeitung (Friedrich&Ballstaedt 1997, 16f). Neues Wissen mit Vorwissen verknüpfen: Altes Wissen kann blind machen, wenn es starre Schemata liefert, in die neues Wissen nicht integriert werden kann. In der Regel ist es aber umgekehrt: Die lernerleichternde Wirkung des Vorwissens wird als „Matthäus-Effekt“ bezeichnet (Matthäus 5,12 „Wer hat, dem wird gegeben“). Wer bereits über Vorwissen verfügt, lernt deutlich leichter. Sie sollten sich deshalb z.B. strukturiert und habituell bei der Lektüre fragen, was Sie schon über das Thema wissen. Neues Wissen elaborieren: Nach dem ersten Schritt der Verknüpfung mit altem Wissen wird der Stoff verständnisorientiert bearbeitet. Wissenserwerb geschieht am besten durch Verstehen und durch intensive geistige Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Zu Lernendes wird hinterfragt, einer Argumentation ausgesetzt und in Verbindung zu anderen Inhalten gesetzt. So wird versucht, ein Verständnis des Lernmaterials zu erreichen. Erst Verstehen ermöglicht zuverlässigen Abruf und Anwendung. Auswendig gelerntes Faktenwissen geht schnell wieder verloren und kann nicht sinngemäß genutzt werden, was gerade bei den Inhalten der Sozialen Arbeit und Pädagogik essentiell ist. Es wird hier nur wenige Inhalte geben, die primär auswendig gelernt werden müssen, wie dies z.B. in der Medizin bei der Anatomie der Fall ist. Tiefenorientiertes Lernen ist gefordert, es ist erfolgreicher und nachhaltiger. Neues Wissen auf das Wesentliche reduzieren: Unser Gehirn kann die Flut an Informationen, die beim Lernen auf uns einströmen kaum bewältigen. Vor allem das Kurzzeitgedächtnis stellt einen eigentlichen Flaschenhals für unsere Verarbeitungskapazität dar. Gute Lernende konzentrieren einen guten Teil ihrer Aktivitäten auf informationsverdichtende Aktivitäten, indem sie unterstreichen, Stichworte hervorheben, Wesentliches in eigenen Worten zusammenfassen, Mindmaps mit Kerninhalten anlegen oder Spickzettel schreiben (die sie, wenn gut gemacht, häufig nicht mehr benötigen). Neues Wissen geistig organisieren: Wissen ist keine Anhäufung von Begriffen, es ist im besten Fall gut organisiert. Begriffe sind miteinander vernetzt und stark hierarchisiert. Das Erkennen und Nachvollziehen von Verknüpfungen, Netzwerken und Hierarchien von Begriffen bereitet Anfängern häufig Schwierigkeiten. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, erkennt nicht, welche die wirklich wichtigen Begriffe sind und wie sie zueinander in Beziehung stehen. Hier sind Visualisierungstechniken sehr hilfreich, wie sie unten noch vorgestellt werden. Im Folgenden wird vorgestellt, wie diese Lernarbeit anhand beim Lesen von Fachliteratur aussehen kann und wie diese Schritte bei der Lektüre verwirklicht werden können. Dafür werden zwei Lesemethoden vorgeschlagen.
Lerninhalte wirksam verarbeiten
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6.2.1 Effektives und effizientes Lesen Um Überblick über Stoff zu bekommen und ihn mit Vorwissen und -annahmen, Interessen und Subjektiven Theorien zu verknüpfen, um sich zu fragen und irritieren zu lassen, ist die Methode von Steiner „Ein Buch in einer Stunde“ hilfreich. Es ist nach eigener Erfahrung des Autors erstaunlich, wie viel an Vorwissen, Neugier und Fragen sich in kurzer Zeit erschließt. Auch ordnen sich nach dem gründlichen Lesen die Inhalte sehr viel besser, wenn man mit dieser Methode Bücher vorbearbeitet. Die Methode ersetzt nicht das gründliche Lesen, aber sie schafft Voraussetzungen für eine interessierte, fragende und tiefenorientierte Verarbeitung. Zusätzlich verschafft Ihnen dies noch den Genuss, sich in kürzester Zeit einen Überblick verschafft zu haben, oder im schlechteren Fall einen Ausblick auf triste 200 Seiten, wenn das Buch unangenehm, schwierig oder uninteressant ist, weshalb man es dann ohne großen Zeitverlust zur Seite legen kann, falls Sie es nicht als Pflichtlektüre lesen müssen. In diesem Fall ist immerhin klar, dass die Lektüre harte Arbeit wird. Steiner beschreibt folgende Schritte zu dieser Lesetechnik (Steiner 2003, 75f):
„Ein Buch in einer Stunde“ 1. Überblick über das Buch (10 Min.)
Lesen Sie den Umschlag, den Klappentext und das Vorwort: 5 Min.
Lesen Sie das Inhaltsverzeichnis: 2 Min.
Schnuppern Sie etwas im Text: 3 Min.
Achten Sie darauf, ob es Einführungen oder Zusammenfassungen gibt und wie die Kapitel eingeteilt sind.
2. Überblick über die Kapitel schaffen – „Erkundungsaufabe für den Geist“ (40 Min.)
Teilen Sie die verbleibende Zeit auf die Kapitel auf, z.B. 7 Kapitel à 6 Min. = 40 Min.
Lesen Sie die Kapitel in der geplanten Zeit an: Kapitelüberschriften, erste und zweite Sätze und überfliegen Sie dann nur noch Stichworte, achten Sie darauf, ob Schlüsselbegriffe kursiv oder fett markiert sind.
Halten Sie wichtigsten Stichworte nach Kapiteln in Cluster oder Mindmap grob fest.
3. Beurteilung des Buches (8 Min.)
Beurteilen Sie den Inhalt: Ist er schwierig, einfach, klar, diffus, gut oder schlecht gegliedert? Geht es um ein Fachbuch, Lehrbuch, einen Grundlagen- oder Übersichtstext, ist es Einführungs-, vertiefende, Primär- oder Sekundärliteratur?
Beurteilen Sie die Form: Ist sie übersichtlich oder unübersichtlich, muss ganz gelesen werden oder sind einzelne Kapitel lesbar, gibt es Grafiken, Bilder, Übersichten?
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Beurteilen Sie den Aufbau: Wie ist die Gliederung, der Kapitelaufbau, gibt es ein Stichwortverzeichnis und Anmerkungen, wie sieht das Literaturverzeichnis aus?
Explizieren Sie Ihren persönlichen Bezug: regt es Sie an, hilft es zu Klarheit, weckt es Interesse, hilft es Ihnen in Ihren Anliegen oder Fragen?
Bücher sind in einer Stunde nicht gelesen. Die Methode dient lediglich dazu, Vorwissen zu aktivieren, die Leser neugierig zu machen und eine erste Struktur für die vertiefte Lektüre zu bilden. Danach muss, wenn Inhalte wirklich verstanden werden wollen, ein Buch vertieft verarbeitet werden. Es gibt verschiedene Techniken, Fachliteratur tiefenorientiert und nachhaltig zu verarbeiten. Sie basieren im Wesentlichen darauf, dass Texte systematisch, d.h. mit Übersicht, Fragen an den Text, vertieftem Lesen, Beantwortung der Fragen und allfälligen weiteren Schritten verarbeitet werden (Rost 2008, 182ff). Hier wird die ÜFLFÜMethode beschrieben (Konrad&Wagner 1999b). Sie ist nach den fünf Schritten Überfliegen, Fragen stellen, Lesen, Fragen beantworten und Überprüfen benannt. Im Folgenden werden die fünf Schritte der Lesetechnik vorgestellt. Die Schritte 1 und 2 könnten auch durch die Methode „Ein Buch in einer Stunde“ geleistet werden.
Die ÜFLFÜ-Methode 1. Überfliegen Ziel: Sie finden heraus, worum es in diesem Text allgemein geht. Weg: Lesen Sie den Text grob, unterstreichen Sie (nicht zuviel), was als wichtig auffällt oder man auf Anhieb nicht versteht (Fragezeichen am Rand). Machen Sie keine detaillierten Notizen, gewinnen Sie erst den Überblick. Skizzieren Sie nach dem Lesen die Absicht des Autors mit ein paar Sätzen. 2. Fragen stellen Ziel: Sie stellen einen eigenen Bezug zum Text her und wecken Ihre Neugier. So ermöglichen Sie ein zielorientiertes Lesen. Fragen: Was beabsichtigt der Autor zu sagen? Worum geht es im Groben? Wie ist der Text gegliedert? Welche Fragen interessieren mich? Was weiß ich schon über das Thema? 2. Lesen Ziel: Sie finden Aussagen (Thesen) und Begründungen (Argumente) und den Aufbau des Textes heraus. Weg: Lesen Sie beim zweiten Mal jeden Abschnitt gründlich. Unterstreichen Sie zentrale Thesen und markieren Sie sie am Rand mit „T". Unterstreichen Sie Argumente mit „A" und Fragen mit „F“. Schlagen Sie Fremdwörter nach. Sehen Sie die Anmerkungen an und klären Sie offene Fragen. Fragen: Was sind die zentralen Behauptungen des Autors? Wie begründet er sie? Was habe ich noch nicht verstanden? Wie benutzt der Autor andere Literatur (Anmerkungen)
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3. Festhalten Ziel: Sie notieren Inhalte des Buches mit Thesen und Argumenten. Weg: Erstellen Sie ein Exzerpt oder eine inhaltliche Zusammenfassung des Textes mit den wichtigsten Thesen und Argumenten oder Inhalten, die Sie für die weitere Bearbeitung benötigen. 4. Überprüfen Ziel: Sie ordnen Sie den Text in den theoretischen Kontext ein und beurteilen die Zugehörigkeit zu Fach, Schule etc. Sie ordnen den Text in den eigenen Praxis- und Kenntniszusammenhang ein und beantworten Ihre Fragen. Weg: Notieren Sie, welche Fragen der Autor löst und welche nicht. Untersuchen Sie den Anspruch des Autors auf Lösung des Problems. Vergleichen Sie mit der eigenen Praxis und eigenen Kenntnissen. Überprüfen Sie Ihre Fragen. Fragen: Zu welcher „Theorieschule“ gehört der Autor? Welche ähnlichen Theorien kenne ich? Was habe ich für Praxiserfahrungen? Bin ich mit dem Autor einverstanden? Wo regt sich bei mir Widerspruch? Was konnte ich aus dem Text neu lernen? Sind meine Fragen beantwortet? Nach dem Lesen eventuell: Aufbereitung für Lernveranstaltung / schriftliche Arbeit Ziel: Weg:
Fragen:
Sie teilen die eigenen Erkenntnisse sinnvoll mit. Sie bauen Ihre eigenen Erkenntnisse sinnvoll in eine Arbeit ein. Schreiben Sie für einen Vortrag die Gliederung des Textes zur Orientierung der Zuhörer auf und notieren Sie Stichworte, wenn möglich reden Sie frei. Markieren Sie Zitate, geben Sie Seitenzahlen an und stecken Sie Zettel in Aufsatzseiten. Für schriftliche Arbeiten überlegen Sie, wozu Sie den Text brauche (Fakten, Begründung einer These, Beantwortung eines Problems) Was will ich mitteilen (Fakten, Diskussionsbeitrag, Provokation)? Wie will ich es mitteilen (Vortrag, Folie, Text, Erarbeitung in Kleingruppe)? Wozu dient mir der Text in der Arbeit? (Begründung einer These, Darstellung von Fakten, Beispiel geben, Erläuterung). Steht er im richtigen Zusammenhang in der Arbeit?
6.2.2 Frontalunterricht aktiv nutzen Frontalunterricht gibt es seit ca. 4000 Jahren. Er ist die häufigste aller Sozialformen im Unterricht. Mit ihm werden in Deutschland drei Viertel oder mehr des gesamten Unterrichts bestritten. Frontalunterricht ist – soweit die Definition – „ein zumeist thematisch orientierter und sprachlich vermittelter Unterricht, in dem der Lernverband gemeinsam unterrichtet wird und in dem der Lehrer die Arbeits-, Interaktions- und Kommunikationsprozesse steuert und kontrolliert“ (Gage&Berliner 1996, 398). Im Folgenden wird Frontalunterricht kurz beschrieben, anschließend wird eine Kritik geleistet, die Ihnen Argumentationshilfen im Diskurs mit Dozierenden leisten soll, die überwiegend frontal unterrichten,
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uns schließlich werden Überlebensstrategien angeboten, falls Sie Frontalunterricht „überleben“ müssen. Im Frontalunterricht übernehmen Dozierende die wesentlichen Steuerungs-, Kontrollund Bewertungsaufgaben, die Kommunikation zwischen ihnen und den Studierenden steht im Vordergrund. Studierende sitzen den Großteil des Unterrichts passiv mit dem Blick nach vorne und hören zu, wie dies bei Vorlesungen üblich ist. Die sachlichen und kognitiven Aspekte des Unterrichts überwiegen und das Durcharbeiten von Stoffmengen ist die Hauptaktivität im Unterricht (IQSH Landesseminar für Sonderpädagogik Schleswig-Holstein 2005). Die Gegner betrachten Frontalunterricht oder Vorlesung als Anachronismen. Seit der Erfindung des Buchdrucks seien sie überflüssig, da man gedrucktes und nicht mehr von Hand abgeschriebenes Wissen ja selbst lesen könne. Das Vorlesungssystem sei absurd und unzeitgemäß. Vorlesungen seien langweilig, schlecht organisiert, irrelevant und redundant. Die Zuhörer seien passiv und die Lehre gehe an ihren Voraussetzungen und Interessen vorbei (Gage&Berliner 1996, 398). Vorlesungen und längerer Frontalunterricht liefern lernpsychologisch gesehen deprimierende Ergebnisse (Müller 1996):
Die Behaltensleistungen sind ohne weiteres Lernen minimal (5-20 % des Gehörten), die Aufmerksamkeitskurve ist über 90’ kaum ohne Auszeiten aufrechtzuerhalten, Studierende verstehen nicht oder falsch und haben nicht den Mut oder die Gelegenheit, zu fragen Studierende verharren in passiver Informationsaufnahme und sind nur wenig aktiv, im Frontalunterricht und Vorlesung ist nur deklaratives Wissen lernbar, komplexere Wissensformen sind in dieser Form nicht lernbar.
Andere Forschungsergebnisse kommen zum paradoxen Ergebnis, dass Schüler an Faktenwissen im Frontalunterricht etwa gleich viel wie in Diskussion oder Unterrichtsgespräch lernen. Dies wird mit dem sog. Ausgleichseffekt erklärt, nach dem Schüler durch individuelle Vorbereitung die Unzulänglichkeiten des Unterrichts ausgleichen und sich so vorbereiten, dass sie ähnliche Ergebnisse erzielen (Gage&Berliner 1996, 401). Es ist allerdings anzunehmen, dass Frontalunterricht starken Lernumgebungen in Nachhaltigkeit, Komplexität und Handlungsorientierung von erlerntem Wissen weit unterlegen sind: Frontalunterricht produziert breites Übersichtswissen. Häufig bleibt dieses Wissen aber träge und kann beim beruflichen Handeln nicht genutzt werden kann (Gruber et al. 2000; Wahl 2005a, 210). Wissen aus Vorlesungen überwindet das Trägheitsmoment weder von Kognitionen oder Emotionen in Richtung auf neues Handeln, noch verändert es die Trägheit habitualisierter Verhaltensmuster. Gudjons argumentiert gegen den Frontalunterricht und andere Unterrichtsformen, wie Vorlesungen, die seiner Meinung nach für die Vermittlung komplexerer Lernziele und Unterrichtsinhalte ungeeignet sind (Gudjons 2000, 14ff). Frontalunterricht ist seiner Auffassung nach
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Lehren ohne Lernen: mit dem Denkfehler, der das Lehren des Lehrers mit Lernen der Schüler gleichsetzt. 2. Lehren ohne soziale Ziele, das die sozialen Ziele des Unterrichts, Kooperation und Kommunikation vernachlässigt. 3. Autoritatives Lehren, das die Bindung an die Autorität der Lehrkraft verstärkt und Schüler abhängig und auf die Person der Lehrkraft fixiert macht. 4. Lernen im Gleichschritt, das der Individualität der Lernenden, ihrem Lerntempo und ihrer Auffassungsgabe nicht gerecht wird. 5. Fremdbelehrtes Lernen, in dem Schüler rezeptiv und passiv lernen, Selbsttätigkeit und Eigenständigkeit auf der Strecke bleiben und Unterricht zur Fremdbelehrung, zum „Beibringen“ wird. 6. Billiges Lehren, die billigste Form des Unterrichts, gespeist vom Ökonomie-Denken, dass viele gleichzeitig belehrt werden müssen. 7. Sicherheitsorientiertes Lehren, das vor allem das Sicherheitsbedürfnis von Lehrenden befriedigt. Alles überschauen und kontrollieren zu können, vermeidet Lehrerängste. 8. Lehrerspaß statt Schülerspaß, der vor allem Lehrenden dient. Die Lehrkraft fühlt sich kompetent, kann ihr methodisches Geschick ausspielen, sich selbst darstellen. 9. Lernen mit Stoff- und Zeitdruck, der vor allem Stoff vermitteln will und dabei übersieht, dass Wissenserwerb auch Phasen der eigenständigen Verarbeitung, Ruhe, Entspannung und vertiefenden Aneignung benötigt. 10. Disziplinierendes Lernen, das lediglich eine sehr formale und äußere Unterrichtsdisziplin sichert und Lernende dazu verleitet, sich ruhig, z.T. gegen ihre tatsächlichen Bedürfnisse und u.U. gegen sich selbst zu verhalten. 1.
Wann kann nun Frontalunterricht sinnvoll sein? Zahlreiche Autoren kommen zum Schluss, die Vortragsmethode sei dann sinnvoll, wenn das Hauptziel in der Stoffvermittlung besteht und dieser nicht anderweitig zur Verfügung steht oder die Stofferarbeitung durch die Lernenden allein zu viel Zeit beanspruchen oder fehlerhaft verlaufen würde. Vorträge seien nicht geeignet, wenn andere Ziele als die der Informationsvermittlung angestrebt würden, wenn das Behalten über längeren Zeitraum erwünscht ist, der Stoff komplex, abstrakt oder detailreich ist, wenn die Beteiligung der Lernenden ein wesentliche Voraussetzung für das Erreichen der Unterrichtsziele ist oder kognitive Lernziele höherer Ordnung erreicht werden sollen (Gage&Berliner 1996, 399f). Auch in Studiengängen, die sich eine konstruktivistische und aktivierende Didaktik in ihre Konzepte schreiben, werden Vorlesungen und Frontalunterricht zur Wissensvermittlung benutzt. Es finden sich vermutlich an allen Hochschulen Dozierende, die ihren Unterricht nach wie vor frontal gestalten. Sie sollten sich im Studium darauf einstellen, Frontalunterricht zu überleben und wenn möglich davon zu profitieren. Wie können Sie nun Frontalunterricht z.B. in Vorlesungen konstruktiv nutzen und ihr Lernen darin produktiv gestalten? Bewältigungsstrategien unterscheiden sich darin, ob sie das eigene Verhaltens, die eigenen Einstellungen, oder die Umgebung betreffen, die folgenden Empfehlungen von Steiner und Müller werden nach diesen Dimensionen geordnet (Müller 1993, 10; Steiner 2003, 84ff):
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Personale Strategien – verändern Sie Ihr Verhalten und Ihre Einstellung:
Geben Sie sich eine Herausforderung durch anwendungsbezogene, kritische Fragen. Schaffen Sie sich Vorwissen durch Vorbereitung anhand der Literatur. Schreiben Sie mit, auch wenn es Skripten gibt, das hält den Geist wach. Widerstehen Sie der Versuchung, sich unterhalten zu lassen. Vorlesungen brauchen ebenso Aktivität wie das Lesen. Vermeiden Sie den passiven Fernsehmodus. Es ist schwierig, bei hohen Lektionenzahlen oder an langen Tagen für alles aufmerksam zu sein: Konzentrieren Sie sich selektiv, versuchen Sie, die wichtigen Dinge aktiv herauszufiltern und zu speichern. Lassen Sie andere, Ihnen weniger wichtig scheinende Gedanken und Notizen beiseite.
Umgebungsorientierte Strategien – gestalten Sie Raum, Zeit und Umgebung, reden Sie mit Beteiligten:
Wenn Sie zu weit hinten oder neben unruhigen Mitstudierenden sitzen, setzen Sie sich so, dass Sie weniger abgelenkt werden. Belegen Sie Ihre Unterrichtstage so, dass Sie das Vorlesungspensum vertragen. Gehen Sie ausgeschlafen in anstrengende Unterrichtstage. Bei Schlafmangel durch die gestrige Party oder Nachtarbeit werden viele gut gemeinte Strategien nicht helfen. Versuchen Sie am Anfang von Lehrveranstaltungen einen Kontrakt mit Ihren Dozierenden zu den gegenseitigen Erwartungen zu formulieren. Geben Sie Dozierenden Feedback, äußern Sie Wünsche zur Vorlesung, wenn diese der Lerngruppe nur ungenügend entspricht – auch wenn dies Mut erfordert. Haben Sie den Mut, zu fragen. Wer fragt, aktiviert sich und lernt mehr. Bitten Sie Dozierende um einen Ausblick oder eine kurze Zusammenfassung. Erbitten Sie die Möglichkeit kurzer, drei- bis fünfminütiger Pausen zur Aneignung von Inhalten, zur Klärung oder Formulierung von Fragen (Murmelrunde, Bienenkorb) Nutzen Sie den Kontakt mit Mitstudierenden zur Klärung, Vor- und Nachbereitung.
6.2.3 Wissen organisieren mit Visualisierungstechniken Visualisierende Techniken sind mittlerweile bekannt und in vielen Lernumgebungen eingeführt. Das Mindmap ist die bekanntest Form, es gibt noch weitere wie Formen wie Cluster, Advance Organizer, Concept Maps und Abrufpläne. Sie helfen, Wissen zu vernetzen und zu hierarchisieren und verbessern das Tiefenverstehen wie auch die Gedächtnisleistungen. Im Folgenden wird auf Abrufpläne, Organizer, Netzwerk- und Strukturlegetechniken eingegangen. Abrufpläne sind Flussdiagramme, wo Begriffe in einen Zusammenhang gebracht werden. Zum Lernen können sie zugedeckt oder mit der Zeit gelöscht werden, bis der Abrufplan selbstständig frei rekonstruiert werden kann (Friedrich&Ballstaedt 1997, 20). Advance Organizer und Concept Maps sind Flussdiagramme, die als Merkhilfe eine Metapher oder ein Bild enthalten. Sie enthalten sinnvollerweise zwischen 30 und 40 Begriffe zu einem Thema, die dann in Zusammenhängen angeordnet werden. Die einzelnen Begriffe werden untereinander in Beziehung gesetzt und visualisiert um Merk- und Verständnisfähigkeit zu verbessern und die Inhalte bildhaft anzureichern. Advance Organizer zeigen
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komplexe Zusammenhänge auf. Wenn sie im Unterricht verwendet werden, erklären sie stoffliche Zusammenhänge im Voraus und geben Überblick, ohne dass schon alle Details des Stoffgebiets bekannt sind (“in advance“). Selbst gefertigt würde man eher von concept maps reden. Es gibt für concept mapping ähnlich wie für mindmapping Computerprogramme, mit denen die Visualisierung und Zeichnung von Zusammenhängen erleichtert wird. Folgendermaßen fertigen Sie einen Organizer oder eine Concept Map an.
sammeln Sie 30-40 wichtige Begriffe zum Stoffgebiet, wählen Sie ca. 7 Kernbegriffe. Suchen Sie ein passendes und einprägsames Bild oder eine Metapher für das Gesamtthema (Sumpf, Burg, Berg, Kluft, Haus, Strasse ...). erstellen Sie einen Ablauf unter den Hauptbegriffen (Abfolge, Netzwerk) und bezeichnen Sie die Beziehungen zwischen den Begriffen mit Operatoren („wird definiert als“, „hat zur Folge“, „besteht aus“, „hängt zusammen mit“, usw.). Ordnen Sie das Ganze auf einem DIN A3-Blatt an. Zeichnen Sie Begriffe und Verbindungen auf und visualisieren Sie allenfalls die einzelnen Begriffe.
Netzwerk und Strukturlegetechnik sind weitere Methoden der Visualisierung von Wissen. Besonders geeignet für die Arbeit in Lerngruppen sind verschiedene Strukturlegetechniken, mit denen Sie Begriffe hierarchisieren und in einen Zusammenhang bringen. Mit der Methode Netzwerk und Strukturlegetechnik werden Begriffe und die Beziehungen zwischen diesen Begriffen durch Legen visualisiert: Durch die gemeinsame Arbeit an einem Netzwerk werden die Zusammenhänge verbalisiert, wenn in der Diskussion das Legen von Begriffen an einen bestimmten Ort im Netzwerk begründet wird. Die Methode Netzwerk kann allein, zu zweit oder in Kleingruppen genutzt werden. In Partner- oder Gruppenarbeit sind fünf Schritte zu durchlaufen (Wahl 2005a, 181f): 1.
2. 3. 4. 5.
Netzwerkkarten vorbereiten: Zuerst müssen die Begriffskarten vorbereitet werden. Sie sollten eher klein, gut lesbar und auf dickerem Papier geschrieben sein, um sie bewegen zu können. Die Begriffsmenge sollte zwischen 20 und 30 betragen. Begriffe zuordnen: In der Gruppe können nun wie bei Kartenspielen die Begriffskarten verdeckt verteilt und die zuzuordnenden Begriffe in Einzelarbeit geklärt werden. Tauschen: In Gruppen können einem unbekannte Begriffe getauscht oder in die Mitte gelegt werden, wenn die Zeit für die Aneignung durch Nachlesen zu kurz ist. Vorbereiten: Anhand der Lernunterlagen können sich die Lernenden nun der Inhalte zu den Begriffen vergewissern und sie sich aufbereiten. Vernetzen: Gemeinsam oder allein werden nun die Begriffe in eine Netzwerkstruktur gelegt. Sie kann hierarchisch, eine Baumstruktur, clusterartig oder sternförmig sein. Mit dem zentralen Begriff wird begonnen, danach werden dazugehörende Begriffe dazugelegt. Eventuell werden die Begriffe auf ein Blatt Papier oder ein Flipchartblatt gelegt und später geklebt. Die Beziehungen zwischen den Begriffen werden durch Linien, Pfeile und Korrelationen verdeutlicht. Dabei werden laut die Begriffe erläutert und die Beziehungen zu den Begriffen verdeutlicht. Es empfiehlt sich, die Begriffsmenge zwischen 20 und 30 zu halten, weniger sind uninteressant für die Arbeit, bei
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mehr als 30 Begriffen wird die Visualisierung unübersichtlich (Wahl 2005a, 178). Besonders wirksam ist die Netzwerkarbeit, weil durch visuelle und akustische Vernetzung, das Legen und Verbalisieren, der Stoff im Sinne des Tiefenlernens (vgl. Kap. 10.1.2) durchgearbeitet wird. 6.2.4 Gedächtnisstrategien – Repetition Repetieren (Müller 1993, 27f): Die Chance, dass Lernende starke Erlebnisse und Emotionen für das Erinnern nutzen können, ist relativ gering. Schwache Lerneindrücke, wie bei vielen Lerninhalten typisch, müssen über wiederholtes Repetieren verstärkt werden, um sich im Langzeitgedächtnis einzuprägen. Wissen, das nicht verstanden ist, prägt sich noch schwächer ins Gedächtnis ein, Begriffenes bleibt lange präsent. Je größer das Aha-Erlebnis beim Lernen, desto besser der Gedächtniseindruck. Aus diesem Grund wird, wenn immer möglich, für verständnisorientiertes Tiefenlernen plädiert. Es ist eine Selbsttäuschung, zu meinen, was man einmal gelernt hat, sei dauerhaft verfügbar. Dennoch geht nicht alles verloren, Verstandenes lässt sich später in kurzer Zeit wieder zurückgewinnen.
Behalten 100%
50%
1.Tag
2.Tag
3.Tag
4.Tag
5.Tag
6.Tag
Zeit
Gut Behaltenes gut Erklärtes Begriffener, monotoner Text Flüchtig Gelesenes
Abbildung 28: Behaltenskurve ohne Repetitionen (Müller 1993, 27).
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Abbildung 29: Behaltenskurve bei Repetitionen (Müller 1993, 28). Müller gibt folgende Tipps, wie einem Inhalte besser bleiben können (Müller 1993, 28):
Bemühung um Verständnis der Vorgänge, so dass Fragen an Texte gestellt werden. Ein Thema in 45 Min. erarbeiten, anschließend in freien Sätzen wiederholen. Kurz vor dem Schlafen frei repetieren, Fragen mit in den Schlaf nehmen und am nächsten Morgen beantworten (nur, wenn man keine Schlafstörungen entwickelt). Am folgenden Tag während 10 – 15 Minuten gründliche und freie Repetition machen. Was man noch nicht kann, mit Farben kennzeichnen. Bei weiteren Repetitionen nur noch das nicht gekonnte wiederholen, so geht es schneller. Gekonntes repetieren ist Zeitverschwendung. Bei weiteren Repetitionen andere Farben nutzen und nur noch das repetieren, Nur frei repetiertes Wissen ist aktives Wissen. Machen Sie beim Repetieren ganze Sätze. Zwingen Sie sich zu Gesamtrepetitionen, so wissen Sie, was Sie noch wissen.
6.2.5 Gedächtnisstrategien – Mnemotechniken Wenn einfaches Repetieren zu wenig wirksam ist, können Mnemotechniken hilfreich sein, um Wissensinhalte dauerhaft zu speichern. Bereits griechische Redner haben Gedächtnistechniken benutzt, um ihre Reden auswendig vortragen zu können. Auch im Studium können diese Techniken nützlich sein, um Informationen einzuprägen und Abläufe oder Reihenfolgen von Gedanken, Wörtern Begriffen, Zahlen zu merken. Eselsbrücken Ein wenig wertschätzendes Stichwort für eine erprobte Technik – beim Lernen von Begriffen und Systemen, die auswendig gelernt werden müssen, sind Eselsbrücken hilfreich. Schon Generationen von Medizinstudierenden haben die Namen der 206 Knochen des Menschen auf diese Art gelernt. Sie muss also helfen: Eselsbrücken werden nicht von alleine wirken, Sie werden sich die Begriffe aktiv einprägen müssen. Aber Ihr Lernen von größeren Mengen von Begriffen wird durch Eselsbrücken nachhaltig unterstützt. Bei den gewählten Begriffen oder Sätzen kommt es weniger auf Sinn als auf Bildgehalt und Einprägsamkeit an.
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Sie nehmen eine begrenzte Anzahl wichtiger Begriffe und setzen sie in eine Reihe. Die Anfangsbuchstaben oder -silben werden nun zu einem (sinnvollen, sinnlosen, witzigen, bildstarken) Wort oder Satz verbunden. Diesen prägen Sie sich ein und verbinden ihn mit den entsprechenden Inhalten. Ziele beispielsweise werden SMART (engl. für „intelligent, schlau“) formuliert, also Spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Die zehn Hauptgruppen der Störungsbilder psychischer Krankheiten (Dilling&World Health Organization 2008) könnten beispielsweise in folgender Eselsbrücke verarbeitet werden:
Abbildung 30: Eselsbrücke zu den Hauptkrankheitsgruppe des ICD-10 In Bildern denken Das Hauptinstrument der meisten Gedächtnistechniken ist die Assoziation, das Verknüpfen verschiedener Vorstellungen, um damit lebhafte Bilder hervorzurufen. Die Gedächtnisleistung steigt, wenn gezielt beide Hirnhemisphären aktiviert werden. Beim Umsetzen verbaler Informationen in lebhafte Bilder wird die rechte Hirnhälfte, die unter anderem für die Verarbeitung räumlicher und visueller Eindrücke verantwortlich ist, aktiviert und unterstützt den Speicher- und Erinnerungsvorgang: Grundlegend für eine gute Erinnerungsfähigkeit sind starke Eindrücke. Je lebhafter und humorvoller ein Bild ist, desto leichter können wir es speichern und wieder erinnern. Die Fünf-Fächer-Lernkartei Für das Lernen von Begriffen oder Wörtern sind Lernkarteien ein bewährtes und seit Jahren angewandtes Mittel. Im Folgenden wird die sog. Fünf-Fächer-Lernkartei vorgestellt, die ein effizientes Lernen von Begriffen garantiert, weil sie sicherstellt, das nicht gelernte Begriffe wiederholt werden und bereits gelernt nicht unnötig weitergelernt werden. Das Prinzip funktioniert nach der Nachhaltigkeit des Lernerfolgs. Wenn Karteninhalte gelernt wurden, werden sie in weitere Fächer der Lernkartei so weiter verschoben, dass die Wiederholungen die Speicherung sichern. Die Abstände der Wiederholungen vergrößern sich dabei, bis zum Schluss die Inhalte dauerhaft im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Das System der Fünf-Fächer-Lernkartei gibt es auch als Computerprogramm http://www.phase6.de/
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Abbildung 31: Fünf-Fächer-Lernkartei und Vorgehensweise beim Lernen Quelle: http://www.phase6.de Abrufpläne In Abrufplänen werden komplexere Inhalte zu einem Themengebiet in einem Flussdiagramm oder Begriffsnetz organisiert (z.B. Armut, Entstehung psychischer Behinderung, Kognitive Entwicklung u.a.). Die Inhalte der Abrufpläne werden beim Lernen zunehmend ausgeblendet („Fading out“). Dies kann durch Abdecken oder Kopieren reduzierter Versionen geschehen. Am Schluss sollte die selbständige, freie Reproduktion des Plans stehen. Wichtig dabei ist es, das Ordnungssystem zu verstehen und reproduzieren zu können. Als Abrufhilfen können nicht nur Mindmaps, Flussdiagramme, Advance Organizer dienen, sondern auch Gliederungen, Begriffhierarchien, Skizzen und Inhaltsverzeichnisse. Gute Behaltensleistungen sind ein Nebenprodukt guter Informationsverarbeitung. Schlechtes Erinnern hat also weniger mit der begrenzten Kapazität des Gedächtnisses zu tun als mit ungünstigen Verarbeitungs- und Abrufstrategien (Friedrich&Ballstaedt 1997, 20). Der Abruf von Wissen muss geübt und erarbeitet werden. Besonders in Situationen mit Prüfungscharakter oder auch in der beruflichen Praxis, ist ein routinierter Wissensabruf wichtig. Wenn es um den Abruf größerer Stoffmengen geht, liegt es nahe, für das Lernen sog. Abrufpläne zu benutzen (Friedrich& Ballstaedt 1997, 20). Abrufpläne nutzen komplexere Darstellungen von Begriffen und ihren Zusammenhängen, wie sie z.B. Advance Organizer, Mindmaps oder andere Visualisierungstechniken darstellen. Anhand eines Begriffsnetzes oder Flussdiagramms rekonstruieren Lernende die wichtigsten Aussagen eines Textes, indem die Begriffe und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen mündlich oder
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schriftlich verbalisiert werden. Das Map funktioniert dann als Abrufplan, wenn man anhand seiner visualisierten Struktur nach den Informationen sucht. Da die meisten Prüfungs- und viele berufliche Handlungssituationen das Nachschauen auf dem Map nicht erlauben, muss auch mit Abrufplänen gelernt werden, das Wissen frei wiederzugeben. Die Zuverlässigkeit der Wiedergabe steigt dabei mit der besseren Verankerung des Ordnungssystems der Visualisierung im Gedächtnis. Das Wissen wird im Map nach strukturellen Gesichtspunkten organisiert und als Bild und nicht nur als Text gespeichert. Um sich der freien Wiedergabe allmählich anzunähern, können nun Begriffe, Konzepte, Beziehungen und Symbole langsam aus dem Bild „getilgt“ werden, bis sie frei reproduzierbar sind. Der freien Wiedergabe ist man schon sehr nah, wenn man den ursprünglichen Text aufgrund eines fast leeren Blattes (das z.B. nur noch die Verbindungslinien enthält) rekonstruieren kann. Auf diese Weise lassen sich auch Gliederungen, Inhaltsverzeichnisse, Begriffshierarchien oder -bäume, tabellarische Übersichten, Skizzen und andere Komprimierungen des Lernstoffs als Kristallisationskerne benutzen, um den Abruf des Gelernten zu üben. Im Folgenden als Beispiel für eine Visualisierung als Abrufplan das Strukturmodell der Sozialisationsbedingungen von Hurrelmann (Hurrelmann 1998, 105). Wie dargestellt könnten die Begriffe aus dem Text zum Abruftraining schrittweise abgedeckt werden, bis das Modell frei abgerufen werden kann.
Abbildung 32: Strukturmodell der Sozialisationsbedingungen (Hurrelmann 1998, 105)
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Die Hauptbegriffe könnten als Gedächtnisstütze stehen bleiben und in einem zweiten Schritt abgedeckt werden. Am Ende des Lernprozesses bleibt nur die visuelle Struktur des Modells übrig, die Inhalte werden frei abgerufen.
Abbildung 33: Strukturmodell der Sozialisationsbedingungen. ohne Text als Abrufhilfe (Hurrelmann 1998, 105) 6.3 Problemlösestrategien Problemlösen ist in allen wissensbasierten Berufen der Kern der beruflichen Tätigkeit. Im Studium wird auf berufliches Problemlösen durch die Arbeit an Problemsituationen und Fallgeschichten vorbereitet, an denen die Lösung von Klientenproblemen geübt und Strategien dazu erworben werden. Dabei werden verschiedene Problemverständnisse zu Grunde gelegt. Im Folgenden wird von einem kognitiven Problembegriff ausgegangen, da dieser als Basis allgemeiner Problemlösestrategien ein breiteres Verständnis von systematischem Handeln und Problemlösen zulässt. Systemische Problemlösestrategien erscheinen demgegenüber hier zu spezifisch und zu nahe an psychotherapeutischen Handeln. 6.3.1 Problembegriff und Problemmerkmale Was ist nun im Verständnis der kognitiven Psychologie ein „Problem“? „Ein Problem ist dann gegeben, wenn ein Individuum ein bestimmtes Ziel erreichen will, jedoch nicht weiß, wie es zu diesem Ziel gelangen kann, also nicht auf wohlbekannte spezifische Operationen zurückzugreifen vermag. Das Individuum sieht sich einem Hindernis, einer Barriere, einer Schwierigkeit gegenüber, für deren Überwindung die ihm zurzeit verfügbaren Mittel und Maßnahmen nicht ausreichen“ (Lüer 1973, 10). Das Antonym zu einem „Problem“ ist die
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„Aufgabe“, wo aufgrund von Erfahrung, Wissen und Fertigkeiten Lösungen mit Routinehandlungen möglich sind. Dörner definiert ein Problem wie folgt: „Ein Individuum steht einem Problem gegenüber, wenn es sich in einem inneren oder äußeren Zustand befindet, den es aus irgendwelchen Gründen für unerwünscht hält, aber im Moment nicht über die Mittel verfügt, um den unerwünschten Zustand in den wünschenswerten Zielzustand zu überführen.“ (Dörner 1987, 10). Ein Problem ist also gekennzeichnet durch drei Komponenten:
ein unerwünschter Anfangszustand ein erwünschter Endzustand eine kognitive, soziale, emotionale oder andere Barriere, die die Transformation des Anfangs- in den Zielzustand verhindert.
Edelmann bezeichnet das Problemlösen als Sonderfall des planvollen Handelns. Er grenzt planvolles, zielorientiertes Handeln und Problemlösen voneinander ab und visualisiert die Unterschiede zwischen beiden Formen menschlichen Handelns wie in der folgenden Graphik dargestellt (Edelmann 2000, 209). Bei einer Aufgabe kennen wir die Wissensgrundlagen, verfügen über die Regeln und die Lösung der Aufgabe besteht in der zielorientierten Anwendung von Wissen und Regeln. Beim Problem sind nicht alle Merkmale des Problems, des dazugehörenden Wissens, der Regeln der Problemlösung, der Ziele und der Lösung selbst bekannt.
Abbildung 34: Aufgaben und Probleme und ihre Merkmale (Edelmann 2000, 209). In der kognitiven Psychologie werden Probleme nach der Art der Barriere, dem Grad ihrer Komplexität und dem Grad ihrer Definiertheit unterschieden. Gut und schlecht definierte Probleme: Ein gut definiertes Problem ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Ausgangszustand und Endzustand gut beschreiben lassen und die Hürde überwunden werden muss (z.B. eine Übergangsfinanzierung oder Wochenendplatz für einen Klienten muss gefunden werden). Bei schlecht definierten Problemen ist anfangs weder der Ausgangszustand noch der Zielzustand klar. Das ist bei den meisten sozialarbeiterischen Fallsituationen so (z.B. eine unklare Gefährdungsmeldung bei der Jugendbehörde, die Anmeldung eines Ehepartners zur Familienberatung). Einfache und komplexe Probleme: Einfache Probleme beschränken sich auf eine Dimension der Problembearbeitung (z.B. ein Finanzierungsproblem). Komplexe beinhalten eine Vielzahl von Dimensionen, wie sie in der Sozialen Arbeit häufig sind (z.B. zu einer psychischen Erkrankung einer Mutter kommen Probleme mit Geld, den Kindern, ein Migrationskontext und sprachliche Schwierigkeiten).
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Leicht und schwer zu überwindende Barrieren: Je größer die Barriere ist, desto schwieriger ist es zu lösen. Reicht es bei einfachen kognitiven Problemen wie Umlegeaufgaben mit Streichhölzern die entsprechenden heuristischen Strukturen zu kennen und einfache Regeln anzuwenden, so ist die Lösung eines sozialarbeiterischen Problems wie einer Schuldenberatung mit sozialen, finanziellen, psychischen und familiären Barrieren ungleich komplexer. Fachkräfte der Sozialen Arbeit beschäftigen sich in der Regel mit komplexen sozialen und personalen Problemen. Gesellschaftliche und personal-soziale Probleme von Menschen sind in der Regel komplex. Die Kontexte und zu die in ihnen zu bearbeitenden Probleme für Fachkräfte der Sozialen Arbeit sind meist
schlecht definiert, eigendynamisch, vernetzt und teilintransparent, die Ziele und die Mittel zu ihrer Lösung sind häufig nicht oder nur teilweise bekannt oder stehen nur begrenzt zur Verfügung die Problemlösung ist abhängig von der Kooperation der Klienten die Problemlösung ist abhängig von gesellschaftlichen Faktoren, die Fachkräfte nicht beeinflussen können (Arbeitslosigkeit, Stigmatisierung, rechtliche und andere Regelungen).
Verglichen mit technischen Problemen erhöht dies die Barrieren und erschwert Problemlösungen erheblich (Dörner 2007, 58). Umso mehr müssten Angehörige sozialer und pädagogischer Berufe gute Problemlöser sein. Was gutes Problemlösen heisst und wie dies gelernt werden kann, wird im Folgenden dargestellt. 6.3.2 Gutes und schlechtes Problemlösen 6.3.1.1 Fehlerquellen beim Problemlösen Um Probleme beim Lernen wie beim Handeln in der Sozialen Arbeit zu vermeiden, ist es günstig, um potentielle Fehler beim Problemlösen zu wissen. Im Folgenden werden einige Mechanismen fehlerhaften Problemlösens vor allem beim komplexen Problemlösen vorgestellt (Dörner 2007; Heiner et al. 1998, 112f). Nach Heiner sind die häufigsten Fehler von Problemlösern in der Sozialen Arbeit
die mangelhafte Berücksichtigung von Alternativen. Bei komplexen Problemen gibt es häufig zu wenige oder zu viele Alternativen zur Problemlösung, so dass entweder Ratlosigkeit herrscht oder Überflutung mit Informationen. Dies führt häufig zu Entscheidungen ohne wirkliche Kriterien. die Neigung, Bekanntes zu bevorzugen. Schlechte Problemlöser neigen dazu, Aufgaben und Probleme zu verwechseln. Sie wenden einfach bekannte Regeln, Wissensbestände und Verfahren an, ungeachtet der Tatsache, dass diese in der Regel nicht ausreichen. Angenehme Informationen werden z.B. gründlicher verarbeitet als unangenehme, bekannte besser als Diskrepanz erzeugende. So entstehen Fehltransfers und verkürzte Problemlösungen.
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Wissen und Problemlösestrategien erwerben
Unerwünschte Entwicklungen wie Nebenwirkungen oder Worst-Case-Ereignisse werden unterschätzt oder nicht antizipiert und so Entscheidungen vereinfacht. Langzeitwirkungen werden nicht berücksichtigt, sondern nur aktuelle Probleme analysiert. Verfrühte oder vorschnelle Lösungen werden akzeptiert und bessere Lösungen gar nicht in Betracht gezogen. Bei Schwierigkeiten versuchen schlechte Problemlöser „mehr vom Gleichen“. Sie intensivieren derzeit erfolglose, aber früher erfolgreiche Strategien, was im gegenwärtigen Fall zu Verschlechterung der Situation führt. Fehlentwicklungen werden nicht korrigiert, sondern übersehen. Die Notwendigkeit der Revision von Entscheidungen ist schlechten Problemlösern häufig nicht bewusst. Langzeitwirkungen werden häufig nicht einbezogen, sondern im „Hier-und-Jetzt“ gedacht. Entwicklungstrends und Zeitgestalten werden nicht berücksichtigt. Soziale Faktoren wie Gruppendruck, Gruppendenken, Entscheidungsfallen und gesteigerte Risikofreudigkeit führen zu Fehlentscheidungen und falschen Strategien.
Dörner beschreibt in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ (Dörner 2007) Mechanismen bei schlechten Problemlösungen, die im Folgenden summarisch wiedergegeben werden. Lernende und Sozialarbeitende mögen sich (hoffentlich nicht zu sehr!) wieder erkennen (Dörner 2007, 154ff):
Verabsolutierung von Einzelaspekten. Viele Menschen entscheiden „überwertig“, d.h. sie lassen ein einzelnes Motiv den ganzen Problemlöseprozess dominieren. Fehlplanungen und Fehlhandeln ist die Folge. Informationsverweigerung oder Informationsflut. In komplexen Situationen ist vollständige Information eine Illusion. Schlechte Problemlöser suchen entweder zu viel und zu lange nach Informationen oder sie flüchten in einen Aktionismus ohne wirkliche Strategien zu verfolgen. Aktionismus: Statt systematische Strategien zu verfolgen, wird „einfach gemacht“, mit der Folge, dass sich Unsicherheit und Risiken erhöhen. Irrationaldrift und Intuitionsaktionismus. Dörner beschreibt dies drastisch mit den folgenden Worten: „Weg mit dem ganzen Plunder der Rationalität, Schluss mit Informationssammeln, Nachdenken und Abwägen! Gefühl ist alles! Man muss sich ganz von seinen Intuitionen leiten lassen (was im Wesentlichen heisst, dass man nicht weiß, wovon man da eigentlich geleitet wird (Dörner 2005, 154). Horizontalfluchten. Schlechte Problemlöser ziehen sich auf eine bekannte Ecke des Problemgebiets zurück und beackern dort ihr vertrautes Gärtchen, wie der Betrunkene, der seinen verlorenen Schlüssel unter der Laterne sucht und auf die Frage, ob er den Schlüssel hier verloren habe, mit „Nein, aber hier ist’s immerhin hell“ antwortet. Vertikalfluchten. Schlechte Problemlöser neigen dazu, sich ein fügsames Abbild der Realität zu machen, in dem sich Pläne und Strategien aushecken lassen, wo aber der Kontakt mit der Realität sorgfältig vermieden wird. Ein drastisches Beispiel geben Hitler und Goebbels am Ende des zweiten Weltkriegs, als sie nicht mehr vorhandene Divisionen im Bunker „herumschoben“.
Problemlösestrategien
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Ballistisches Verhalten in Hypothesen. Schlechte Problemlöser erstellen einmal eine Hypothese und projizieren sie dann in die Zukunft. Die Realität ist damit bekannt und im Weiteren wird mit dieser Einzelhypothese gearbeitet. Thematisches Vagabundieren und Adhocismus. Schlechte Problemlöser wechseln häufig Themen, beginnen und beenden Analysen nicht und lassen sich nur zu gern ablenken, um vor Hürden nicht frustriert zu werden. Isolierende Behandlung von Teilproblemen. Aus der selektiven Bearbeitung ergibt sich eine einseitige Problembehandlung. Ein Nebenproblem wird beseitigt, das Hauptproblem verschärft.
Die Fehler in der Problemlösung ließen sich fortführen. Diese nicht abschließende Liste soll Sie aufmerksam machen auf eigenes Fehlhandeln in Problemsituationen und sensibilisieren für die Notwendigkeit einer systematischen und wirksamen Problemlösungsarbeit. Sie werden im Beruf nicht nur auf Ihre persönlichen Problemlösestrategien achten müssen, sondern diese vielleicht auch unter widrigen organisationalen Bedingungen durchhalten müssen, denn: „Die sicherste Methode, kreative Problemlösungen zu verhindern, besteht in einer bürokratisch-administrativen Organisation der Arbeit, in der strikten Erfolgsorientierung an konventionellen Problemlösungen und in der honorierten Vermeidung von Misserfolgen“ (Weinert 1991, 34ff). 6.3.2.2 Gutes Problemlösen Was sind nun die Merkmale guter Problemlöser (damit ja auch erfolgreicher Lerner in komplexen und handlungsnahen Lern- und Prüfungssituationen)? Erfolgreiche Problemlöser suchen gezielt Systemwissen zu gewinnen, um eine gute Grundlage für Hypothesen und Zukunftsprognosen zu haben. Sie beobachten die Auswirkung früherer Eingriffe, bevor sie neue Eingriffe vornehmen und reflektieren bisher getroffene Entscheidungen und Strategien kritisch (Knoblich 2002). Gutes Problemlösen kann auf dem Wege konvergenten (logischen) Denkens und auf dem Weg divergenten (kreativen) Denkens geschehen. Logisches Denken benötigt eher die oben genannten Qualitäten, kreative Problemlösung hat andere personale Grundlagen: Kreative Persönlichkeiten
erkennen und identifizieren Probleme, erkennen dabei Widersprüche und Unverträglichkeiten (und halten sie aus), Gewohnheiten und herkömmliche Denkmuster stellen sie in Frage, sind überdurchschnittlich frustrationstolerant, d.h. sie ertragen innere Spannung und nehmen Misserfolge hin, ohne sich entmutigen zu lassen, produzieren eine Vielzahl von Einfällen zum angepeilten Problem, sind bereit zur Veränderung von Wissen und Erfahrung, Meinungen und Einstellungen, besitzen sichere Urteilskraft und Bewertungsfähigkeit in der Problem- und Lösungserkennung, greifen auf ein breites und gründliches Wissen zurück, dies auf der Basis einer starken Motivation, die den Wissensaufbau trägt und
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Wissen und Problemlösestrategien erwerben
machen gefundene Lösungen kommunizierbar, übersetzen sie also in eine Sprache (Worte, Bilder, Symbole) was sie für Gruppen erst akzeptierbar macht (Edelmann 2000, 271f).
6.3.3.3 Ein allgemeiner Problemlöseprozess Probleme in der Sozialen Arbeit und Pädagogik sind wie oben beschrieben häufig komplex und warten mit größeren Barrieren zu ihrer Lösung auf. Daher ist es besonders wichtig, bestimmten Strategien zu folgen. Ein für das Lernen und Arbeiten grundlegender Problemlöseprozess und die dazugehörenden Teilstrategien werden im Folgenden beschrieben. Ein allgemeiner Problemlöseprozess beinhaltet nach Edelmann vier Schritte, die Klärung des Problemraums, die Situationsanalyse, die Konstitution eines Suchraums und die Lösung und Evaluation (Edelmann 2000, 223f):
Abbildung 35: Problemlöseprozess als stufenweise Umstrukturierung (Edelmann 2000, 223) Problemraum: Im Problemraum werden die Merkmale des Problems bewusst repräsentiert und strukturiert („es geht nicht, etwas ist nicht so wie es sein sollte“). Durch Selektion, Interpretation und Anwendung des problemspezifischen Wissens wird das Problem beschrieben und bewusst gemacht und in den Kontext des Problemraums gesetzt. Zur Klärung des Problemraums gehört auch die Wissensgenerierung: Falls das bestehende Wissen zum Problembereich nicht ausreicht, muss neues Wissen erarbeitet werden. Situationsanalyse: Bei der Situationsanalyse wird ein schlecht definiertes Problem so umstrukturiert, dass es zu einem gut definierten Problem wird. Das Zerlegen in Teilprobleme, Aufdecken von intransparenten Variablen, Klären von Zusammenhängen und Abhängigkeiten, Klärung von Zielen und Zielkonflikten und die kontrollierte Reduktion von Komplexität sind die dafür nötigen Arbeitsleistungen. Im Mittelpunkt steht die Analyse des Zieles („was ist hier gesucht und was nicht?“) und die Konfliktanalyse („warum geht es nicht, worin besteht die Barriere?“). Der Problemraum, das Ziel und die Barriere werden so mit einem hohen Grad an Bewusstheit exploriert. Suchraum: Der Suchraum entsteht aus der Verbindung von Merkmalen der Problemsituation mit Handlungsmöglichkeiten des Problemlösers. Der nun strukturierte Problemraum
Problemlösestrategien
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wird durchsucht nach Möglichkeiten der Veränderung („wie könnte es funktionieren?“). Dabei kommen Denkstrategien zum Einsatz mit dem Ziel der Erstellung von mehreren Handlungsmöglichkeiten, um die Barriere zu überwinden. Eine Problemtransformation in Richtung Lösung kann erfolgen durch
Umstrukturieren, (d.h. Präzisieren des Problems). Dadurch stellt sich die Lösung von alleine ein. Die präziseste Fassung des Problems ist schon seine Lösung, eine Kette von Entscheidungen, die den Lösungsweg angibt, kreative Verfahren, während derer ggf. nach einer Entspannungsphase eine Inspiration und in ihr die Lösung auftaucht, Systemdenken, durch das im Idealfall eine Ähnlichkeit mit anderen gelösten Problemen erkannt und ein erfolgreicher Transfer einer Lösung gemacht wird, Versuch und Irrtum, bei dem die Lösung mehr zufällig gefunden wird (oder auch nicht, wie häufig, wenn man Computerprobleme behandelt, von denen man zu wenig versteht).
Lösung und Evaluation: Wird eine Lösung gefunden („so ist es richtig“), so kann sie ausgewertet werden. Sie wird nach Art der getätigten Schritte oder Maßnahmen evaluiert und kann später bei ähnlichen Problemen als Vorlage dienen (Transfer). Heiner (Heiner et al. 1998, 115ff) beschreibt vier wichtige heuristische Strategien, die hilfreich sind, um komplexe und diffuse Probleme in der Sozialen Arbeit zu bewältigen. Sie werden im Folgenden wiedergegeben. Sie lassen sich im Rahmen des Problemlöseprozesses in den Schritten des Problemraums und Suchraums einsetzen.
Bei der Umstrukturierung der Teile im Verhältnis zum Ganzen werden neue Bezüge von Problemteilen zum Kontext oder zu anderen Teilen gemacht, Problemanteile werden neu gewichtet („wichtig-unwichtig“), weggelassen oder neu gruppiert. Bei der Erweiterung des Suchraums durch Analogien soll die Fixierung auf bestehende Sichtweisen durch Analogieschlüsse, Transfer von Erfahrungen, durch Metaphern und Bilder aufgebrochen werden. Sie ermöglichen evtl. den Zugang zu tiefer liegenden Gemeinsamkeiten von Teilen des Problems oder Strukturen im Problemraum. Analogien können auch in die Irre führen, sie lockern aber immerhin festgefahrene Problemlöseversuche. Der Wechsel der Suchrichtung in eine Rückwärtsrichtung kann helfen, Unklarheiten von Ist- und Soll-Zustand durch das Hin- und Herspringen zwischen Anfang und Ende der gedachten Strecke zu beseitigen. Dabei sollten die Beschreibungen von Problem und Sollzustand immer präziser werden und so zur Klärung beitragen. Die Variation des Auflösungsgrades bedeutet schließlich, dass man nach einem zunächst groben Überblick über das gesamte Problemfeld einzelne Aspekte untersucht und diese immer wieder in den Kontext des Gesamtproblems stellt. So untersucht man Details, die lösungsrelevant sein können, ohne sich in Details zu verlieren oder mit Irrelevantem zu beschäftigen. Vom Abstrakten zum Konkreten, vom Ganzen zum Detail kann so der Problem- oder Lösungsraum geklärt werden.
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz Wissen und Problemlösungen erwerben
Es würde hier zu weit führen, die Strategien an Beispielen zu erläutern. Studierende sollten aber z.B. in Fallwerkstätten, beim problemorientierten Lernen oder im Praktikum versuchen, mit diesen Denkfiguren zu arbeiten und sie zu nutzen. 6.4 Problemorientiertes und fallbasiertes Lernen 6.4.1 Lernen mit Fallgeschichten Ein erster Schritt vom (deklarativen) Faktenwissen zum Handeln in der beruflichen Arbeit ist die Arbeit mit Fallgeschichten und -situationen. Hier kann schulisches Wissen zur professionellen Interpretation von Problemstellungen genutzt und im Zusammenhang mit konkreten Fallgeschichten überprüft werden. Dies sollte systematisch geschehen. So wird neben dem reinen Fachwissen auch die angemessene Nutzung dieses Wissens in konkreten beruflichen Situationen mitgelernt. Bekannt ist dies als situiertes oder auch problemorientiertes Lernen. Die Verbindung von Fachwissen mit Fällen kann auf zwei Ebenen geschehen:
Fallsituationen zur Illustration von Wissen: Lehrende sollten Fachwissen systematisch anhand von einfachen und kleineren Fallbeispielen erläutern. Studierende sollten im Unterricht nach Beispielen aus der Berufspraxis der Sozialen Arbeit oder Pädagogik fragen und im eigenen Lernen möglichst viele Bezüge zu Fallgeschichten, Episoden und Erlebnissen in der praktischen Arbeit machen. Der Fall hat hier eine Illustrationsfunktion. Er konkretisiert das erarbeitete Wissen. Fallsituationen zur Erarbeitung von Wissen und Problemlösungen: Fallsituationen stellen in der Sozialen Arbeit in der Regel die Ausgangslage für berufliches Handeln dar. Dies kann genutzt werden, um neues Wissen zu erarbeiten, um Wissen für Handlungskontexte zu transformieren und um Problemlösungen für Fälle zu erarbeiten.
Einige grundlegende Fragen zur Arbeit mit Fallsituationen sind:
„Was benötige ich an Wissen, Können, Einstellungen, Kompetenzen, um diese Fallsituation psychologisch, pädagogisch, soziologisch, rechtlich, ethisch und professionell zu verstehen?“ „Wie stellt sich der Fall aus der Sicht von Bezugsdisziplinen und aus der Sicht Sozialer Arbeit oder Pädagogik dar? Muss ich zusätzliches Wissen erarbeiten, um die Situation angemessen verstehen und lösen zu können? Welche Handlungsstrategien aus der Sozialen Arbeit oder Pädagogik helfen mir, in dieser Situation professionell zu handeln?
6.4.2 Problemorientiertes Lernen (PBL) Das problemorientierte Lernen (Weber 2004; Zumbach 2003) ist ein didaktischer Ansatz, in dem echte Handlungsprobleme zum Wissenserwerb und zum Training beruflicher Problemlösungen genutzt werden. Problemorientiert Lernen heisst explorativ und selbstgesteuert lernen. Studierende erarbeiten in problembasierten Lernumgebungen ihr gesamtes Wissen anhand von echten beruflichen Problemen, die didaktisch aufbereitet wurden. Diese Form des Lernens wird als wirksam angesehen, weil sie realistische Anforderungen an Studierende stellt, weil sie Problemlösung auf der Basis gelernten Wissens in den Mittelpunkt von
Problemorientiertes und fallbasiertes Lernen
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Lernprozessen stellt und weil die Wissensbildung im Kontext von echten Problemen erfolgt. Das problemorientierte Lernen steht im Lernprozess an der Schnittstelle von Wissenserwerb und Problemlösen. Experten greifen bei komplexen, diffusen Problemen und bei Problemen, zu denen Wissen schlecht formalisierbar ist, häufig auf Fälle als Wissensbasis zurück. „Da war doch mal diese Klientin oder diese Unterrichtssituation“, wäre eine typische Startfrage zum „Case based Reasoning“ (Zumbach 2003, 38). In sozialen und pädagogischen Arbeitsfeldern sind komplexe, schlecht definierte und fallbasierte Probleme die Regel. Deshalb kann problemorientiertes Lernen dazu beitragen, eine angemessene und fallbasierte Repräsentation und Organisation von Problemen, Wissensbeständen und Problemlösestrategien zu schaffen. Dies benötigt allerdings eine komplett strukturierte Lernumgebung, auf deren Darstellung hier verzichtet wird. Im Rahmen des handlungsorientierten Lernens wie in diesem Buch vorgestellt dient das problemorientierte Lernen der Erarbeitung von Problemlösekompetenz, nicht primär dem Wissenserwerb, der in problembasierten Lernumgebungen aufwendig ist und Studierenden häufig zu wenig Orientierung und Instruktion gibt (Reinmann-Rothmeier&Mandl 1998, 484f). Der Prozess problemorientierten Lernens ist hoch strukturiert, damit er effizient ist und zu Lernfortschritten führt. Zumbach beschreibt das Basismodell problembasierten Lernens als Abfolge von Problempräsentation, Problemdiskussion, individueller Lernphase und Abschlussdiskussion.
Abbildung 36: Der Prozess problemorientierten Lernens (Zumbach 2003, 22) Problemorientiertes Lernen ist eine Form kooperativen Lernens, in dem individuelle und kollektive Phasen wechseln. Die kollektive Diskussion von Problemen wird mit der individuellen Beteiligung an der Lösung durch Recherche und Wissensbildung kombiniert. Damit werden die beim kooperativen Lernen bekannten Schwierigkeiten des Trittbrettfahrens oder Gruppendenkens reduziert. Für problemorientierte Lerngruppen können auch die im
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz Wissen und Problemlösungen erwerben
Kap. 10.8 beschriebenen Regeln benutzt werden, die die beschriebenen Schwierigkeiten verhindern helfen. Im Folgenden wird die so genannte Sieben-Sprung-Methode des PBL vorgestellt. Sie ist die bekannteste Vorgehensweise im PBL und leicht auch im selbstgesteuerten Lernen verwendbar. Schritt 1:
Kläre undeutliche Termini und Begriffe. (Prüfe, welche Begriffe der Problemstellung unbekannt sind oder versuche, bekannte Begriffe zu definieren.)
Schritt 2:
Definiere das Problem. (Versuche, in der Gruppe eine erste Problemdefinition zu erstellen. Beantworte also die Fragen: Was ist das Problem? Was geschieht hier eigentlich? – aber auch: Was verstehen wir nicht?)
Schritt 3:
Analysiere das Problem. (Analysiere das Problem innerhalb der Gruppe. Achte darauf, was die einzelnen Teilnehmenden über das Problem zu wissen glauben. Man braucht sich hierbei nicht auf faktische Informationen zu beschränken, sondern wird dazu angeregt, auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes eine Reihe von Hypothesen zu formulieren. In dieser Phase ist es wichtig, zuerst einmal so viele Ideen wie möglich vorzubringen, bevor man sich kritisch mit den verschiedenen Beiträgen auseinandersetzt, z.B. mit Brainstorming).
Schritt 4:
Inventarisiere systematisch die verschiedenen Erklärungen, die sich aus Schritt 3 ergeben haben. (Jetzt wird Punkt für Punkt zu Papier gebracht, welche Problemaspekte in der vorhergehenden Phase vorgebracht wurden.)
Schritt 5:
Formuliere Lernziele. (Nicht allen Fragen und Vermutungen der vorhergehenden Phase kann gleichermaßen viel Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Es gilt, gemeinsam festzustellen, welche Aspekte des Problems beim weiteren Studium Priorität haben sollen. Über die weitere Arbeitseinteilung müssen Vereinbarungen getroffen werden.)
Schritt 6:
Verschaffe dir zusätzliche Informationen außerhalb der Gruppe. (Außerhalb der Gruppe werden zusätzliche Informationen gesammelt. Relevante Informationen werden gesucht/verwendet oder es können Experten befragt werden.)
Schritt 7:
Synthetisiere und überprüfe die neuen Informationen. (Die Ergebnisse jedes Einzelnen werden vorgetragen und es wird versucht, gemeinsam zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Falls noch viele oder wichtige Fragen offen sind oder sich neue Fragen ergeben haben, kann die Gruppe den Prozess ab Schritt 2 vertieft wiederholen.
Tabelle 9:
Sieben-Sprung-Methode des Problembasierten Lernens (Huizing 2001)
Die Kritik am problembasierten Lernen ist, dass es für den Wissenserwerb zeitaufwendig und damit bei größeren Stoffmengen unökonomisch ist. Weiter sei die erhoffte Entwick-
Problemorientiertes und fallbasiertes Lernen
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lung einer allgemeinen Problemlösefähigkeit, die diesen Zeitaufwand aufwiegen soll, nicht eindeutig gesichert und nicht empirisch nachgewiesen. Die Hauptkritik gilt jedoch der Fragen der Instruktion von Wissen und der nötigen Orientierungshilfen für Lernende, da diese ungeklärt bleiben (Reinmann-Rothmeier&Mandl 1998, 484f). Studierenden wird deshalb empfohlen, wenn sie problemorientiert lernen (wollen oder sollen), sich der nötigen Instruktion und Begleitung ihres Lernens zu versichern und sich Feedback und Korrekturen auf Ergebnisse des Lernens wie Fallbearbeitungen durch Dozierende oder erfahrene Tutoren zu holen. Andernfalls drohen Verunsicherung, Frustration und Orientierungslosigkeit zu den Ergebnissen von Fallbearbeitungen. 6.4.3 Erfolgreiches Problemlösen in Studium und Beruf Wissensbasierte Berufe sind im Kern ihrer Aufgaben mit Problemen und deren Lösung beschäftigt. Dies setzt rationale, wissensbasierte und reflektierte Strategien voraus. Beim Lernen wie beim Handeln kann Problemlösen effektiver gemacht werden, wenn Sie in Zukunft bei Problemlöseaufgaben folgende Anregungen beachten: Beobachten Sie Fehler in Ihren Problemlösestrategien, zu denen Sie vielleicht neigen. Unterlaufen Ihnen kopfloses Versuch-und-Irrtums-Verhalten, Irrationalitätsdrift oder Intuitionsaktionismus, verkürzte Problemanalysen oder vorschnelle Lösungen? Lernen Sie sich kennen und arbeiten Sie an Fehlern in der Problemlösung. Arbeiten Sie bei problemorientierten Aufgabenstellungen wie oben beschrieben mit einem systematischen Problemlösemodell. Machen Sie sich Merkmale des Problems bewusst und leisten Sie eine fundierte, aber nicht endlose Problemanalyse. Da Probleme in der Sozialen Arbeit wie der Pädagogik in der Regel komplex und schlecht definiert sind, nutzen Sie andererseits auch Heuristiken zur Problemklärung, bis Sie routiniert in deren Anwendung sind. Wechseln Sie zwischen systematischen und heuristischen Problemlösestrategien. Nutzen Sie Ihr erworbenes Wissen und bilden Sie neues Wissen im Studium aus. Professionen wie soziale oder pädagogische Berufe können ohne bereichsspezifisches Wissen keine Probleme lösen. Schulen Sie Ihre Frustrationstoleranz, damit Sie die Spannung von hartnäckigen Problemen aushalten können und nicht entmutigt werden. Hilfen können positive innere Dialoge oder Selbstinstruktionen sein. Üben Sie sich darin, Widersprüche, Unverträglichkeiten und Diskrepanzen in Problemsituationen zu erkennen und nicht zu nivellieren, hinterfragen Sie herkömmliche Denkmuster und Gewohnheiten, sie lassen Sie kreativer werden und vielleicht entscheidende Dinge in Problemsituationen wahrnehmen. Lassen Sie sich auch durch seltsame Assoziationen, Gefühle und Beobachtungen nicht irritieren, nehmen Sie diese als Arbeitshypothesen. Heiner nennt einige Strategien, unter denen Fehler in der Problembearbeitung weniger wahrscheinlich sind oder korrigierbar bleiben (Heiner et al. 1998, 119). Gute Problemlösung gelingt nach ihrer Auffassung eher, wenn Sie
in Netzen statt in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten denken, Prozesse und nicht nur Zustände reflektieren, Analogieschlüsse aufgrund abstrakterer Schemata anstatt nur konkreter Einzelerfahrungen machen, zeitliche Entwicklungen nicht einfach linear extrapolieren,
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz Wissen und Problemlösungen erwerben
verschiedene Abstraktionsniveaus und Suchrichtungen sukzessiv oder abwechselnd durchlaufen, einige Mühe auf die soziale Gestaltung der Problemlösesituation verwenden und Alternativen sorgfältig und gemeinsam bewerten.
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 6.1 Träges und flinkes Wissen LWS 6.1 Texte zusammenfassen – exzerpieren – kritisch beurteilen LWS 6.2.2 Wirksam lesen LWS 6.2.2 Frontalunterricht überleben LWS 6.2.3 Wissen organisieren LWS 6.2.4 Gedächtnistechniken LWS 6.3 Systematisch Probleme lösen LWS 6.4 Problemorientiert Lernen
7
Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
Prüfungen sind vermutlich für alle Studierenden wichtige Meilensteine in ihrem Lernprozess. Sie werden häufig als unangenehm, angstbesetzt und stressauslösend erlebt, können aber auch eine Chance darstellen, sich und anderen das eigene Wissen und Können zu zeigen. In jedem Fall sind sie eine wichtige Rückmeldung über Ihren Leistungsstand und falls Sie mehr als Beurteilung Ihrer Leistung mehr nur eine dürre Note bekommen, können Sie vielleicht auch Rückschlüsse auf Ihre Lernstrategien ziehen. Prüfungen können, wenn sie interessant, herausfordernd und an Ihren Fähigkeiten (und nicht an Ihren Defiziten) orientiert gestaltet werden, ein echter Schritt zur beruflichen Handlungskompetenz sein. Sie können sogar eine freudvolle und kreative Herausforderung darstellen. Die Prüfungskultur in den neuen modularisierten Studiengängen nach der Bolognareform hat sich verändert. Statt der großen Vordiplom- und Diplomprüfungen sind nun in der Regel die Module Ihres Studiums zu prüfen. So kommt eine Fülle von zwar kleineren, aber deutlich heterogeneren Prüfungen auf sie zu. Dabei soll nicht nur Fachwissen, sondern auch methodische Fähigkeiten, personale und soziale Kompetenzen oder fachübergreifende Schlüsselkompetenzen für den Beruf geprüft werden. Neben den üblichen wissenschaftlichen Arbeiten und den schriftlichen oder mündlichen Prüfungen hat sich eine Vielzahl von neuen Prüfungsformen etabliert, die neue Anforderungen an Ihre Vorbereitungs- und Prüfungsstrategien stellen. Vielleicht mussten Sie für die Aufnahme in Studium ein Assessment durchlaufen, das Ihre Eingangsfähigkeiten für das Studium in einer Gruppe von Mitstudierenden prüfte. Das Lern- oder Kompetenzportfolio beginnt sich in der Prüfungskultur in kompetenzorientierten Studiengängen zu etablieren. Simulationen prüfen Ihre Methodenbeherrschung und Journale oder Berichte Ihre Reflexionsfähigkeit. Vielleicht sieht Ihr Studiengang theorie-praxisübergreifende Leistungsnachweise wie Standortgespräche oder Praxisprojekte vor, wo Praxisausbildner und Hochschullehrer gemeinsam beurteilen. Einige bedeutsame Veränderungen in der Prüfungskultur an Hochschulen lassen sich auf dem Hintergrund des Kompetenzparadigmas besser verstehen. Kompetenzen werden als personale Verhaltensbereitschaften zur erfolgreichen, selbstständigen Bewältigung komplexer beruflicher Situationen, als „Selbstorganisationsdispositionen“ (Erpenbeck& Rosenstiel 2003)gesehen. Mit diesem Verständnis verändern sich auch die Prüfungsformen, mit denen Kompetenzen gemessen werden müssen.
Kompetenzen entwickeln sich langsam und prozessorientiert. Neu finden sich deshalb neben den klassischen summativen, leistungsorientierten Prüfungsformen auch formative, prozessorientierte Prüfungselemente wie Selbstbeobachtungen, Selbstreflexionen, Lernjournale oder Berichte. Kompetenzen unterstellen ein hohes Maß an Selbstregulation und kollegiale Organisation beruflichen Handelns. Für die Prüfungsformen ist es deshalb wünschenswert, dass
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
neben die Fremdbeurteilung durch Dozierende auch Selbstbeurteilungen und Beurteilungen durch Peers treten. Kompetenzen sind Verhaltensbereitschaften und als solche nur schwer prüfbar. Sichtbar werden sie in der Performanz im Handeln. Neben die Beurteilung Ihres Wissens in Prüfungen tritt notwendig die Beobachtung Ihres Verhaltens in Praktika oder anwendungsorientierten Aufgabenstellungen zur Beratung, Gesprächsführung, Unterricht, Hilfe- oder Unterrichtsplanung. Kompetenzen sind komplexe Konstrukte, es ist meist nicht sinnvoll, partialisierte Teilleistungen zu prüfen. Prüfungen und ihre Anforderungen werden damit komplexer als reine Wissensprüfungen. Sie werden offener wie z.B. in Open-book-Prüfungen, an Stelle der Richtigkeit fachlichen Wissens treten die Angemessenheit der Wissensverwendung und Ihre Begründungen dazu. Schließlich mischen sich häufiger die Förderung und Beurteilung von Leistungen. Leistungsnachweise oder Prüfungen sollen direkt zu kompetenzorientiertem Lernen herausfordern, indem sie starke Lernprozesse herausfordern und honorieren.
Es sprengt den Rahmen dieses Buches, eine Vollständigkeit versuchende Übersicht über kompetenzorientierte Prüfungsformen zu geben. Der folgende heuristische Ordnungsversuch hilft Ihnen aber, den systematischen Ort von Prüfungen zwischen der Kompetenzsystematik des Studiengangs und den beruflichen Aufgaben und Anforderungen besser zu verstehen. Er wird hier beispielhaft für das Pädagogikstudium zusammengestellt und orientiert sich am hier benutzten Kompetenzmodell (vgl. Kap. 2.6.3) und dem Kompetenzprofil für Lehramtsberufe der Universität Wien (vgl. Kap. 2.6.4). Die Systematik orientiert sich am oben vorgestellten Kompetenzmodell (vgl. Kap. 2.6.3). Sie gewichtet die besondere Rolle der beruflichen Erfahrung im Studium und bezieht auch Prüfungsformen in der Praxisausbildung und übergreifende Leistungsnachweise wie das Portfolio mit ein.
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz Aufgabenbereiche der beruflichen Domäne
Lehrfach:
Fachdidaktik:
Unterrichtshandeln:
Kooperation,
Berufsethos,
Wissen,
Reflexions- und
Erkundung, Pla-
Kommunikation
Selbstreflexion und
Methoden,
Vermittlungs-
nung, Durchfüh-
mit Schülern,
Professionalisierung;
Analyse-,
kompetenz
rung, Evaluation
Lehrern, Eltern
Haltung und Verant-
u.a.
wortung
Problemlösekompetenz Kompetenzaspekte Einstellungen
Lehrfach-
Fachdidaktische
Microteaching/
Microtalk
Selbstbericht
Werte
bezogene
Reflexion:
Lehrversuch
Fallarbeit
Lernjournal
Wahrnehmungen
Reflexion:
Portfolio
Feedbackgespräch
Rollenspiel
Portfolio
Projekt
Projekt
Portfolio Motivation Interessen Antriebe Strategisches
Lernbericht, Lernjournal, Portfolio
Wissen Metakognition Reflexion Deklaratives
Schriftliche Prüfung, schriftliche Arbeit, mündliche Prüfung,
Wissen/
Showcases zum Lehrfach, Summaries zum Fachwissen, Unterrichtsbeispiele
fachliches Wissen
Prozedurales
Präsentation,
Unterrichts-
Wissen/
mündliche
planung
methodisches
Prüfung
Microteaching
Fallarbeit Assessment Simulation
Können Episodisches
Dokumentation
Wissen/
Lehrversuch
Erfahrungen
Lehrversuch
Beurteilungsgespräch, Praxisbericht
Tabelle 10: Kompetenzmodell, Aufgabenbereiche der beruflichen Domäne und exemplarische Prüfungsformen (in Anlehnung an Tippelt&Edelmann 2007, 140)
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
7.1 Portfolio – Integration und Reflexion von Kompetenzen 7.1.1 Definition, Formen und Ziele von Portfolios Portfolios sind ein zunehmend populäres didaktisches Instrument. Sie erfüllen mindestens drei Funktionen für Lern- und Qualifikationsprozesse im Studium. Sie führen die in modularisierten Studiengängen eher fragmentierten Studieninhalte und Wissensbestände wieder zusammen und sorgen für Verknüpfung des Gelernten (Integrationsaspekt). Weiter sichern sie die Selbstevaluation der Kompetenzentwicklung durch die Studierenden (Reflexionsaspekt) und drittens dokumentieren sie den Kompetenzerwerb von Studierenden, machen ihn so sichtbar und beurteilbar (Qualifikationsaspekt) (Müller-Fritschi&Forrer Kasteel 2009, 42). Portfolios begleiten kontinuierlich den Lernprozess im Studium. Sie können einen Ausgangspunkt für die Dokumentation des lebenslangen Lernens bilden und sind für die Planung der Berufslaufbahn, für Weiterbildungen und Bewerbungen verwendbar. Portfolios sind Sammlungen von Arbeitsergebnissen des Lernens. Das Wort kommt vom italienischen „portafoglio“ (Briefmappe, Aktenmappe, Portemonnaie). In Architektur-, Kunst- und gestalterischen Studiengängen sind Portfolios seit langem üblich und werden für Eingangsprüfungen oder zum Nachweis der Studienleistungen verwendet (Reich 2003). Sie sind in diesen Studiengängen visuell, sinnlich konkret und enthalten Produkte wie Konstruktionszeichnungen, graphische, Video- oder künstlerische Arbeiten. Diese stellen dort das direkte Produkt von Lernen und Arbeiten dar. In sozialen und pädagogischen Berufen, die Dienstleistungen für Menschen erbringen, ist das Ergebnis beruflichen Handelns nicht in gleicher Weise sinnlich-produktorientiert. Soziales Handeln lässt sich bestenfalls über Videos sinnlich fassbar machen und auch Videos sind nur eine mögliche (Außen-)sicht auf das berufliche Handeln. Sie müsste durch die Innensicht der Selbstauskunft der Handelnden ergänzt werden. Lern- und Arbeitsprodukte pädagogischen Handelns werden daher in sekundären Zeugnissen des Handelns als Reflexion und verbale Dokumentation pädagogischen Handelns sichtbar, wenn es sich nicht gerade um Hilfe- oder Unterrichtsplanungen, Konzept- oder wissenschaftliche Arbeiten handelt. Portfolios werden als Paper- oder ePortfolios geführt. Mittlerweile existiert eine Vielzahl von spezialisierten Portfolioprogrammen, die in bestehende Lernplattformsysteme von Hochschulen integrierbar sind. Das Portfolio kann im Rahmen des handlungsorientierten Lernens die Funktion eines lernwegbegleitenden Metainstruments einnehmen. Portfolios sind erst in Kombination mit handlungsorientiertem Lernen sinnvoll, denn Dokumentation, Selbsteinschätzung und Reflexion des Kompetenzerwerbs lässt sich sinnvoll nur auf der Basis von Handeln und Erfahrungen ermöglichenden Lernaktivitäten denken. Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Portfolioformen. Vier Nutzungsarten lassen sich erkennen:
Ein Beurteilungsportfolio dokumentiert die Zielerreichung zu einem Modul, ein Präsentationsportfolio zeigt, was Sie als Studierende können, das Entwicklungsportfolio dient der persönlichen Entwicklungsplanung und -reflexion und ein persönliches Lernportfolio gibt Platz für alles, was Sie beim Lernen zusammengetragen und zur Basis für die Dokumentation Ihres lebenslangen Lernens werden kann.
Portfolio – Integration und Reflexion von Kompetenzen
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In Portfolios kann eine Vielfalt von Dokumenten zusammengetragen werden. Referate, schriftliche Arbeiten, Poster Projekt- und Arbeitspläne, Unterrichtsvorbereitungen und -dokumentationen, Hilfeplanungen, Gesprächsprotokolle oder Beratungsdokumentationen, Leistungsnachweise, Videos von Lern- oder Trainingssituationen und anderes mehr können die Sammlung bereichern. Bereits hier soll die Empfehlung gegeben werden, die auch für Forschungsprojekte gilt. Daten zu sammeln ist wunderbar, aber Datenfriedhöfe anzulegen und zu verwalten ist sinnlos und nervenraubend. Prüfen Sie daher, welches Material für das Portfolio seitens der Hochschule gefordert und welches Ihnen für Ihre persönliche und langfristige Weiterverwertung notwendig zu sein scheint. Wie schon für das Thema Prüfungen soll auch an dieser Stelle betont werden, dass es „ein Leben nach der Prüfung“ gibt. Ein persönliches Lernportfolio kann zur Grundlage Ihres persönlichen Wissens- und Kompetenzmanagements im Beruf werden. Es kann Ihnen zum Wissensspeicher, zur Stütze der Berufsidentität und Planungsinstrument in Ihrer Berufslaufbahn werden. Ein persönliches Lernportfolio neben einem z.B. von der Hochschule verlangten Entwicklungsportfolio zu führen ist nicht so aufwändig, wenn Sie beide Anforderungen effizient zu verbinden suchen. 7.1.2 Teilprozesse und Vorgehen im Portfolioprozess Die Planung und Konzeption der Portfolioarbeit kann je nach Funktion im Studiengang sehr unterschiedlich sein. Portfolioarbeit ist aber immer mehr als nur Sammlung, Auswahl und Reflexion von Dokumenten (Müller-Fritschi&Forrer Kasteel 2009, 43). In der Portfolioarbeit ist eine soziale Komponente zwingend. Bereits die eigentliche Lernarbeit, die kompetenzbezogen erfolgen soll, erfordert kooperative Lernprozesse. Der Portfolioprozess selbst erfordert wiederum Feedback, kooperatives Lernen, Selbst- und Fremdbeurteilung und ähnliche soziale Aktivitäten. Folgende prototypische Hauptschritte können im Portfolioprozess unterschieden werden:
Die Konzeption des Portfolioprozesses erfolgt durch Ihre Hochschule. Diese wird Portfolios in einer definierten Form und bestimmten didaktischen Funktion benutzen (vgl. Portfolioformen). Die Planung der Portfolioarbeit hingegen sollte gemeinsam erfolgen. Der Prozess, die Arbeitsschritte, die Anforderungen und Bewertungskriterien sowie die technischen Mittel sollten ausführlich eingeführt werden. Die Portfolioarbeit wird z.B. in Eröffnungsworkshops von Dozierenden und Studierenden gemeinsam geplant. In dieser Eröffnungsphase werden auch Gruppen oder Tandems eingeteilt und die Fragen der Begleitung durch Dozierende geklärt. Der Kompetenzerwerb durch persönliche Lernarbeit wird in vielen Modellen der Portfolioarbeit nicht mehr explizit erwähnt. Auch Portfolioarbeit ist Lernarbeit, aber es sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Großteil des Kompetenzerwerbs in anderen Lernsettings erfolgen wird. Im Portfolio wird das persönliche Repertoire von Wissensbeständen, Kompetenzen, Erfahrungen und berufsbezogenen Einstellungen integriert, dokumentiert und reflektiert. Die Sammlung, Dokumentation und Selektion relevanter Dokumente kann bereits parallel zur Lernarbeit erfolgen. Die Dokumentation der entsprechenden Lernaktivitä-
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
ten und die Sammlung in einem möglichst einfachen und systematischen Ablagesystem sollte in der Regel hochschulgestützt und dem Stand der Technik entsprechend als ePortfolio erfolgen. Die dokumentengestützte Reflexion als Kern der Portfolioarbeit wird in der Regel schriftlich erfolgen. Auf der Basis der gesammelten und ausgewählten Dokumente werden Reflexionen erstellt, die schriftlich eingegeben werden und je nach Umfang der Begleitung in Standortgesprächen behandelt und protokolliert werden. Die Moderation des Prozesses durch Begleitungs- und Standortgespräche, Feedback per Mail oder Lernplattform, Workshops oder andere Formen von Kontaktlektionen hängt von der Konzeption des Begleitungsprozesses ab. Kooperative Elemente zwischen Studierenden und Dozierenden und in Tandems oder Gruppen sind zwingend, wenn Portfolioarbeit nicht auf die Dokumentenverwaltung reduziert werden soll. Die Beurteilung eines Portfolios beinhaltet Elemente der Selbst- und Fremdbeurteilung, sie kann auch Peer-Beurteilungen anderer Studierender enthalten. Die Letztbeurteilung und Benotung erfolgt vermutlich in der Regel durch Dozierende, sollte aber die Selbstbeurteilung und Voten Ihrer Peers berücksichtigen. Portfolios werden anders als schriftliche Prüfungen aufgrund formaler und prozessbezogener Kriterien beurteilt. Beurteilt werden z.B. der Themenbezug der Reflexion, die Tiefe der Auseinandersetzung, die Benutzung relevanten Fachwissens bei Argumentationen, die Begründung von Positionen, der Selbstbezug der Reflexionen sowie Beurteilungskriterien zur formalen Gestaltung des Portfolios (Umfang, Systematik, Rechtschreibung, Gestaltung). Da viele der Bewertungskriterien eine subjektive Komponente enthalten, ist es besonders wichtig für Ihren Erfolg, dass Sie die Ziele und Bewertungskriterien des Portfolios frühzeitig und genau zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen. Die Präsentation oder Veröffentlichung kann in Standortgesprächen, Präsenzveranstaltungen in Kleingruppen oder digital auf Plattformen erfolgen. Sie sollte aber in jedem Fall irgendeine Form von Kontakt zwischen Dozierenden und Studierenden beinhalten. In der Regel werden Sie Dokumente den Dozierenden schriftlich zur Kenntnis geben, anschließend vorstellen und in einem abschließenden Gespräch wird die Beurteilung und weitere Arbeit am Portfolio besprochen. Die weitere Benutzung Ihres Portfolios sollte Ihnen freigestellt sein. Sie sollten sich auf der Basis von Portfoliodokumenten bewerben können und Ihre Berufslaufbahn mit den Dokumenten planen können. Um sie für Laufbahnberatung, Bewerbungen und persönliche Entwicklungsplanung nutzen zu können, ist der Zugriff auf die Dokumente, falls diese elektronisch gespeichert sind, die Eigentumsrechte an den Dokumenten und die Verfügung und Sicherung der Daten von großer Bedeutung. Berücksichtigen Sie, dass Sie Dokumente aus Ihrem Portfolio vielleicht auch noch in zehn Jahren benutzen wollen, wenn Sie z.B. für eine weiterführende Aus- oder Weiterbildung bestimmte Kompetenzerwerbsprozesse nachweisen müssen.
Portfolio – Integration und Reflexion von Kompetenzen
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Abbildung 37: Portfolioprozess, Teilprozesse und Aufgaben der Beteiligten 7.1.3 Lern- und Arbeitsstrategien in der Portfolioarbeit Die folgenden Empfehlungen zu den Lern- und Arbeitsstrategien in der Portfolioarbeit können ohne den Kontext und die Funktion der Portfolioarbeit in einem Studiengang zu kennen nur eine erste Annäherung und allgemeine Empfehlungen sein. Sie werden an Ihrer Hochschule eine gründliche Einführung in die Portfolioarbeit erhalten. Lernstrategien in diesem Buch, die Ihnen in der Portfolioarbeit hilfreich sein werden, sind die Kapitel zur Selbstbeobachtung und Selbstreflexion (vgl. Kap. 5.4), zum Lerntagebuch (vgl. Kap. 5.5), zum Feedback (vgl. Kap. 5.6), zur Änderungsmotivation (vgl. Kap. 5.7) und zum Lernen in Gruppen (vgl. Kap. 10.8). Dort finden Sie vertiefte Anleitungen zu den Strategien, die auch in der Portfolioarbeit bedeutsam sind. Einige allgemeine Empfehlungen sollen im Folgenden doch gegeben werden:
Die Ziele, Anforderungen und Bewertungskriterien für Ihre Portfolioarbeit sollten Sie durch die Hochschule geklärt bekommen. Portfolios sind komplexe Lerninstrumente und die Verwirrung besonders bei Neueinführung solcher Tools ist groß, wenn Ziele, Werkzeuge, Lernformen und Arbeitsprozess sowie die Bewertungskriterien nicht genügend geklärt sind. Das Portfolio ist zudem meist ein Instrument, dass Sie das ganze Studium hindurch begleiten wird. Klarheit wird Sie mit Arbeitseffizienz belohnen. Portfolios sind persönliche Dokumente. Auch in Zeiten der Selbstpräsentation in Medien und Internet sind Vertraulichkeit und Personenschutz ein Thema. Beachten Sie den Veröffentlichungsstatus Ihrer Dokumente besonders bei persönlichen Bestandteilen, wie Feedbacks, Reflexionen oder Tagebucheinträgen. Versichern Sie sich, dass persönliche Notizen außerhalb sichtbarer Teile einer Plattform abgelegt werden oder für Außenstehende unsichtbar sind. Veröffentlichen Sie Dokumente gezielt und datenschutzbewusst.
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
Klären Sie die Eigentumsfragen an Dokumenten des Portfolios. Besonders bei verwertbaren Erzeugnissen wie Projektergebnissen, schriftlichen Arbeiten, Konzepten oder anderen Arbeitsprodukten ist die Frage des geistigen Eigentums zu klären. Klären Sie die Fragen der Kommunikation und tutoriellen Begleitung und insistieren Sie auf Feedback. Portfolios sind für Dozierende zeitaufwändige Aufträge und gutes Feedback ist an vielen Hochschulen und Universitäten ein rares Gut. Sammeln Sie Ihre Daten und Dokumente gezielt. Daten sammeln ist gut, Datenfriedhöfe vermeiden und nur bedeutsame Dokumente sammeln ist besser. Kombinieren oder trennen Sie Ihr persönliches Lernportfolio und Ihr hochschulisches Kompetenz- oder Entwicklungsportfolio bewusst und gezielt. Es kann von Vorteil sein, keine zwei Systeme zu führen, vielleicht möchten Sie aber bestimmte Dokumente in Ihrer Studien- und Berufsentwicklung persönlich behalten oder Sie verfolgen andere Ziele und ordnen Dokumente in einer anderen Ihnen angenehmeren Systematik. Verwenden Sie digitale Speichermedien und ordnen Sie die Dokumente systematisch. Legen Sie keine Megasysteme, in die ALLES eingespeichert wird. Das Portfolio ist nicht alles und nicht alles gehört ins Portfolio. Damit es nicht monoton wird, achten Sie auf die Vielfalt der Dokumentation und Dokumente. Wenn möglich, beziehen Sie Multimedia-Elemente wie Videos, Graphiken, Bilder mit ein, die Ihnen und anderen das Lesen, Ansehen und Arbeiten mit dem Portfolio attraktiver macht.
7.2 Wissensorientierte Fachprüfungen Wissensorientierte Fachprüfungen dienen meist in der Anfangsphase des Studiums zur Bildung des deklarativen Basiswissens. Im Verlauf des Studiums werden sie seltener und komplexere Prüfungsformen nehmen zu. Für Fachprüfungen sollen hier einige grundlegende Strategien vermittelt werden, die Ihnen beim Absolvieren von Prüfungen hilfreich sind. Auf große schriftliche Prüfungen wird empfohlen, sich wie ein Athlet auf einen größeren Wettkampf vorzubereiten. Müller unterscheidet vier Zeitphasen in der Prüfungsvorbereitung und gibt dazu folgende Empfehlungen, die Lernstress mindern und Lernerfolg erhöhen sollten (Müller 1993, 12ff): Aufbauphase – Zusammentragen, Grundlagen erarbeiten und Rückblicke machen. Diese Phase dauert ab dem Beginn des prüfungsrelevanten Unterrichts (Studium, Modul, Themenkreis) bis ca. 2-6 Wochen vor der Prüfung und bildet das Fundament für das Wissen, wie die Basiskondition das Fundament für den Marathon. In dieser Zeit ist es wichtig, den Stoff in seinen Grundzügen zu begreifen. Notizen machen, Fragen stellen und beantworten, das Wichtige heraussortieren, Wissen ordnen und verknüpfen – tiefenorientiertes Lernen ist hierbei hilfreich. In dieser Zeit liegt das Gewicht auf dem Verstehen: Arbeiten Sie 45 Minuten an einem Thema, repetieren Sie nur 5 Minuten, pausieren Sie 10 Minuten und arbeiten Sie weiter in diesem Rhythmus.
Wissensorientierte Fachprüfungen Anwendungsorientierte Fachprüfungen
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Vertiefungsphase – Vordenken, Grundlagen vertiefen, Details lernen und Rückblicke machen. Wie beim sportlichen Wettkampf werden in den letzten 2-6 Wochen Schnelligkeit und Technik trainiert. In dieser Phase werden keine Zusammenfassungen mehr gemacht. Der Stoff sollte zusammengetragen, geordnet und überschaubar, die Grundlagen verstanden sein. Jetzt beginnt das intensive Lernen, um Detailwissen zu festigen. Details verstehen und Repetieren steht jetzt im Vordergrund. Eine Lernstunde lässt sich sinnvollerweise so strukturieren: Bedenken Sie 5 Minuten lang, was Sie jetzt bearbeiten wollen. Lernen Sie dann ca. 40 Minuten die Stoffdetails, in denen Sie unsicher sind (verstehen und einprägen) und wiederholen Sie anschließend 5 Minuten frei den gelernten Stoff. Dann machen Sie 10 Minuten Pause und strukturieren die nächste Phase ähnlich. Erhöhen Sie gegen die Prüfung hin den Anteil der Repetition, nutzen Sie dazu allenfalls Abrufpläne, Karteikarten, Mapping-Strukturen, Eselsbrücken und andere Gedächtnishilfen. Prüfungsphase – Ausgeruht sein, Gelerntes frei wiederholen, kein neuer Stoff, Lernstopp am Prüfungsabend, nicht nervös machen lassen und nie eine Prüfung abbrechen. Jetzt heisst es vor allem ruhig bleiben, die Nerven behalten und nicht bis in alle Nacht lernen. An der Prüfung übermüdet zu sein, schränkt Ihre Leistungsfähigkeit nur ein. Gehen Sie ausgeruht an die Prüfung. Neuen Stoff zu lernen ist zwecklos. Sinnvoller ist es, Vergessenes aufzufrischen. Spätestens um 17 Uhr am Abend vor der Prüfung ist Schluss. Das zuletzt Erarbeitete soll sich setzen können. Tun Sie, was Ihnen gut tut und bemühen Sie sich um eine aufgeräumte innere Verfassung. Lassen Sie sich nicht von Mitstudierenden nervös machen, gegenseitiges Aufschaukeln in Klasse oder Lerngruppe ist wenig hilfreich. In der Prüfung selbst gelten folgende Empfehlungen:
Brechen Sie nie eine Prüfung ab. bei Blockaden nehmen Sie ein 5-Minuten-Timeout (falls Sie dürfen, machen Sie einen Gang auf das WC oder bewegen Sie sich kurz). Lesen Sie die Fragen gut durch und beantworten Sie, was Sie gut können (die Sicherheit beim Einstieg hilft). Falls Sie Notizen in eine Prüfung mitnehmen können, beschränken Sie sich auf wesentliche Hilfen und schleppen Sie keine Bibliotheken in den Prüfungssaal.
Erholungsphase – Vorplanen, Freizeit organisieren und nicht ins Loch fallen. Arbeiten Sie schon vor der Prüfung für die Zeit danach. Planen Sie wenn möglich Ferien, gönnen Sie sich etwas Gutes. Eine Gefahr ist, vor allem nach größeren Prüfungen, in ein Loch zu fallen: Organisieren Sie Ihre Freizeit und eine ganz andere Betätigung, die Ihnen Spaß macht. 7.3 Anwendungsorientierte Fachprüfungen Anwendungsorientierte schriftliche Prüfungen. Gibt es schriftliche Prüfungen, in denen Sie Fallbeispiele interpretieren oder Handlungsvorschläge für Interventionen in der Sozialarbeit oder Sozialpädagogik machen müssen, so sind drei Teilstrategien hilfreich. Um Fallbeispiele angemessen interpretieren zu können, hilft Ihnen die folgende Vorgehensweise:
Mündliche Prüfungen
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Versuchen Sie wahrzunehmen, welche Problematik in den Fallbeispielen „versteckt“ ist, falls dies nicht schon offen genannt wurde. Fallgeschichten oder Alltagsepisoden aus der Sozialen Arbeit oder Pädagogik sind meist auf Prüfungen hin konzipiert. Lesen Sie das Fallbeispiel mehrmals. Streichen Sie Schlüsselbegriffe an, beobachten Sie Ihre Assoziationen und schreiben Sie an den Rand des Textes wie im Brainstorming Ideen zur Falldeutung. Streichen Sie Irrelevantes später. Ordnen Sie das schulische Wissen, das Ihnen im Fall zu deuten oder zu handeln hilft, der Fallgeschichte zu. Hierzu benötigen Sie einen schnellen Zugriff auf gut verdichtetes Wissen. Wenn Sie wie in Open-Book-Prüfungen Unterlagen verwenden können, nehmen Sie nur hoch verdichtetes Wissen (Mindmaps, Concept Maps oder Zusammenfassungen) zu Hilfe. Sammeln Sie Ihre Gedanken zum Fall (Wissen, Methoden, persönliche Stellungnahme) kurz in einem Mindmap oder Notizen und schreiben Sie aus dieser Vorbereitung Ihre Gedanken heraus. Sie schreiben leichter aufgrund dieser Vorstrukturierung Ihrer Gedanken. Falls Fragen zur Prüfung gestellt sind, notieren Sie sie über Ihrem Notizbereich, überprüfen Sie am Schluss, ob die Fragen wirklich beantwortet sind. Vergessen Sie, falls dies erlaubt ist, eine kurze persönliche Stellungnahme nicht.
7.4 Mündliche Prüfungen Mündliche Prüfungen: Hier ist ausgeruht, wach und konzentriert sein noch wichtiger. Ihr Auftreten ist zentral. Versuchen Sie, sich zu geben wie sonst auch, weder überhöflich noch zu lässig zu sein. Unterdrücken Sie Nervosität nicht, Prüfer erleben den ganzen Tag nervöse Studierende und sind das gewohnt. Üben Sie sich frühzeitig in Präsentationen mit Mitstudierenden und holen Sie sich Feedback auf Ihre Präsentation von Mitstudierenden. Führen Sie Ihre Prüfer, wenn möglich, indem Sie auf Wissensgebiete lenken, die Sie gut beherrschen. Nicht selten sind Prüfer offen für ein initiatives und lenkungsorientiertes Vorgehen von Prüflingen. Wenn die mündliche Prüfung einen Präsentationsteil hat, nutzen Sie Material und Visualisierungstechniken wie Moderationskarten, Flipcharts, Tischkärtchen dazu. Verwenden Sie nur einfache und technisch leicht zu beherrschende Präsentationsmedien. Wenn Sie Klienten-, Schüler- oder Fallgeschichten aus der Praxis vorstellen, machen Sie das anschaulich, Photos und andere Materialien unterstützen dies und geben Ihnen Struktur und Sicherheit. Mündliche Prüfungen mit Videopräsentation: In den letzten Jahren werden vereinzelt auch Videodokumentationen von (eigenen oder fremden) Praxissituationen für Prüfungen oder prüfungsartige Präsentationen (einzeln oder in Gruppen) verlangt. Müssen Sie eigene Videoausschnitte für eine Prüfung präsentieren, wählen Sie diese gut aus. Halten Sie sie kurz und verwenden Sie eine Situation, in der Sie erfolgreich handeln und an der sich beispielhaft ein Wissensbestand, eine Methode oder Problemsituation erklären lassen. Je praxisnäher Prüfungen sind, um so weniger gibt es Richtig-Falsch-Antworten. An dessen Stelle rückt das Kriterium „angemessen oder unangemessen“ und hier können Sie mit Reflexion und Begründung viel selbst steuern. Achten Sie darauf, im Prüfungsgespräch eher wenig mit Alltagstheorien oder Praxiswissen zu argumentieren und bereiten Sie sorgfältig vor, was an Wissen zur Reflexion der Videosituation angemessen und erklärend ist. Falls Sie eine Situation wählen, in der nicht alles glückt, die aber etwas Besonderes deutlich machen
Handlungsorientierte Prüfungen
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soll, reflektieren Sie Ihr Handeln und die Situation im Gespräch und zeigen Sie offen die jeweiligen Problemfelder. Reflexion über schwierige Situationen oder misslungenes Handeln gehört zur Professionalität Sozialer Arbeit und Pädagogik und wird in Prüfungen in aller Regel akzeptiert. 7.5 Handlungsorientierte Prüfungen Gesprächsführungs-, Interaktionsübungen und Simulationen werden als Prüfungen im Bereich von Studienschwerpunkten oder Hauptfächern zunehmend wichtiger. Für ein Beratungsmodul wird vielleicht ein Erstgespräch mit einem von einem Schauspieler gemimten Klienten simuliert und mit der Videokamera übertragen, vielleicht müssen Sie ein Video einer Praxissituation (Beratung oder Unterricht) in einer mündlichen Prüfung präsentieren oder eine mündliche Prüfung zu Ihrer Projektarbeit wird als Gemeinderatssitzung gestaltet, an der Sie Ihr Projekt vorstellen müssen. Meist dienen typische Problemsituationen aus Beratungsgespräch, Projektpräsentation oder pädagogischer Alltagssituation als Vorlage. Sie verlangen die geforderten Kompetenzen live. Für handlungsorientiertes Lernen sind sie die schwierigste, aber wirksamste Form der Prüfung und wohl auch die, die am meisten motiviert, wirklich an seinen Handlungsstrategien zu arbeiten. Meist sind solche Prüfungen in zwei Teilen aufgebaut, einem Rollenspiel oder einer anwendungsorientierten Live-Demonstration, in dem Sie bestimmte Interaktions-, Beratungs- oder andere Methoden sozialen Handeln zeigen müssen und einen zweiten Abschnitt, in dem Sie über Ihr Handeln, Ihr Fachwissen und Ihre Handlungsstrategien, Ihre fachlich-persönliche Beurteilung und Reflexion zur Situation befragt werden. In der Vorbereitung sind zwei Strategien hilfreich. Die Verdichtung des Wissens zu Handlungsstrategien und die Planung des eigenen Handelns erleichtert Ihnen Handlungsstrategien durchzuhalten. Wer plant, wird vom Zufall begünstigt und nicht bestraft. Dies ist umso leichter, je mehr selbst erlebte oder praxisnahe Anteile die Prüfung hat. Wenn Sie z.B. ein eigenes Studienprojekt aus der Jugendarbeit vor einem „fiktiven Gemeinderat“ vorstellen müssen, sind Sie der Experte und können die Situation weitgehend steuern. In Beratungs- und pädagogischen Alltagssituationen, die Sie nicht selbst so erlebt haben, ist die Planung schwieriger, weil Sie nicht alle Details der Situation schon vorher kennen. Eine Konfliktsituation im Jugendheim zu bewältigen, erfordert andere Strategien, als die emotionale Problemschilderung einer Mutter an der Beratungsstelle zu klären. Auch solche Situationen sind aber vorbereitbar. Übungen im Unterricht und in Kleingruppen dienen der Klärung des Vorgehens, der Einübung von Techniken und dem Lernen durch Feedback. Meist sind Standardsituationen vorgegeben, für die eine begrenzte Vorbereitungszeit besteht. Wenn Sie die Situation kennen, aktualisieren Sie Ihre Strategien, bereiten Sie die Situation schriftlich vor und überlegen Sie sich mögliche Alternativszenarien. Üben Sie mit anderen Studierenden im Rahmen von KOPING-Gruppen oder Lerntandems. Simulieren Sie bereits vorher die Prüfung und nehmen Sie auch die Prüferperspektive ein, so dass Sie eine Vorstellung bekommen, was gefragt werden könnte und welche Themen nahe liegend sind. Beim Handeln in der Situation versuchen Sie, Ihre Strategien durchzuhalten. Wenn Ihnen ein erfolgreiches Handeln nicht so gelingt, wie Sie das wollten, ist auch das noch
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Prüfungen als Schritt zur Handlungskompetenz
kein Scheitern. Sie bekommen nach der Simulation in aller Regel Gelegenheit zur Reflexion und es wird wesentlich davon abhängen, wie die Sie eine eher missglückte Situation reflektieren.
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 7.1 Ein Portfolio anlegen LWS 7.2 Multiple-Choice-Prüfungen vorbereiten LWS 7.3 Anwendungsorientierte Fachprüfungen vorbereiten LWS 7.4 Mündliche Prüfungen simulieren LWS 7.5 Handlungsorientierte Prüfungen vorbereiten
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Neues Handeln in Gang bringen
Handlungsorientiertes Lernen beginnt damit, durch Selbstreflexion, Sensibilisierung und Abruf von Vorwissen, Subjektiven Theorien und Erfahrungen alte handlungsleitende Strukturen bearbeitbar zu machen. Durch neues Wissen, Verständnis und neue Problemlösungen werden diese bestehenden Wissens- und Handlungsstrukturen verändert. Mit theoretischen Kenntnissen und „gewussten“ neuen Problemlösungen ist neues Handeln aber in der Regel noch nicht realisierbar. Es benötigt einen dritten Hauptschritt, bis neues Handeln in komplexen beruflichen Situationen spontan und routiniert gelingt. Wenn alte Gewohnheiten und Routinen, schnelle Reaktionsmuster und tief verwurzelte persönliche Verhaltensweisen verändert werden wollen, muss neues Handeln gegen alte Muster regelrecht durchgesetzt werden. Für problemlösendes und Planungshandeln lässt sich dies einfach erreichen. Neue Vorgehensweisen zur Interventionsplanung in der Sozialen Arbeit oder Methoden der Unterrichtsvorbereitung lassen sich leichter aneignen und ausführen als neues soziales Handeln. Auch die Wissensnutzung im Bereich des Handelns ohne Druck (planen, dokumentieren, analysieren, konzeptionieren usw.) fällt leichter, weil Sie mit Hilfe von Literatur, Konzepten, Leitfäden oder anderen Gedächtnishilfen auf Ihr Wissen zurückgreifen können und weil sie Zeit und Möglichkeit haben, nachzudenken, was zu tun ist. Im Bereich des sozialen Handelns oder „Handelns unter Druck“ ist dies nicht möglich: soziales Handeln ist Handeln „uno actu“. Planen und Handeln fallen quasi in eins. Sie müssen schnell reagieren, die Situationen sind komplex, teilintransparent, mehrere Ziele müssen im Auge behalten werden. Dazu kommt, dass besonders im Bereich des kommunikativen Handelns unsere Handlungsmuster sehr stabil sind. Der dritte Schritt des handlungsorientierten Lernens soll also alte Handlungsmuster schwächen oder außer Kraft setzen und neues Handeln in Gang bringen (vgl. Kap. 5).
Abbildung 38: Dreierschritt des handlungsorientierten Lernens (Wahl 2005a; Wahl et al. 1995) Wahl beschreibt für den dritten Schritt der Einübung neuen Handelns ein Stufenmodell, das in fünf aufeinander folgenden Stufen mit zwei flankierenden Begleitmaßnahmen vom Wissenserwerb und reflexiven Problemlösungen zu einem kompetenten Praxishandeln führt (Wahl 2005a, 214).
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Neues Handeln in Gang bringen
Eingebettet in den Dreierschritt der gemässigt-konstruktivistischen Lernumgebung sieht das In-Gang-Bringen neuen Handelns folgendermaßen aus (Wahl 2005a, 221):
Abbildung 39: Fünf aufeinander aufbauende Stufen, um eine neue Handlung in Gang zu bringen (Wahl 2005a, 221) Begleitet wird dieser Fünferschritt durch zwei Stützstrategien, wie sie im Rahmen der gemässigt-konstruktivistischen Lernumgebung praktiziert werden. Auf der personalen Seite wird das neue Handeln durch innere Dialoge, Entspannungstechniken und Stoppbefehle flankiert (das Kapitel über lernflankierende Maßnahmen), auf der sozialen Seite durch kommunikative Praxisbewältigung in Tandems und Gruppen unterstützt. Die Simulation von Handlungssituationen und das hierin stattfindende Einüben kommunikativen Handelns ist hierbei eine Schlüsselstrategie. Simulationen schaffen Erfahrung und Übung, in selbst erlebten Episoden werden bewusst Informationen verarbeitet und reflektiert und es werden nicht nur Verhaltensweisen erworben, „sondern auch Situations-Verhaltens-Zugehörigkeiten, d.h. Hinweise darauf, wann, in welchen Situationen welche Verhaltensweisen angemessen sind“ (Drinkmann 2005, 135). 8.1 Neues Handeln beobachten – Lernen am Modell Wenn das nötige Wissen und die gewussten Problemlösungen zu einer zu erlernenden Handlung angeeignet wurden, geht es in einem nächsten Schritt darum, eine konkretes Bild
Neues Handeln beobachten – Lernen am Modell
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des neuen Handelns zu bekommen (Wahl 2005a, 214). Dies wird am wirksamsten über das Lernen am Modell erworben. Modelllernen – auch Beobachtungs- oder Imitationslernen genannt – kann Studierenden am einfachsten deutlich machen, wie denn z.B. gekonntes Moderations-, Konfliktlöseoder Deeskalationsverhalten mit Klienten oder Schülern aussehen könnte. Modelllernen hat einige Voraussetzungen (Edelmann 2000, 188). Die Lernenden müssen auf die relevanten Aspekte der zu erwerbenden Handlungsmuster aufmerksam sein, das Modell muss kompetent sein und von Studierenden auch als kompetent erlebt werden. Lehrende sollten auf die wesentlichen Ausschnitte beim Handeln aufmerksam machen, also ihre Gedanken beim Handeln explizieren und so Studierende auf die wichtigen Elemente leiten. Und schließlich sollten Studierende in weiteren Phasen (8.2-8.5) die Möglichkeit erhalten, neues Handeln auszuprobieren. Um konkrete Vorstellungen zu bekommen, wie neues Handeln aussehen kann, bieten sich nach Wahl verschiedene Möglichkeiten an (Wahl 2005a, 214ff):
Lehrende können in einem „pädagogischen Doppeldecker“ (Geißler 1985) gelingendes Handeln live im Unterricht vorführen. Dabei erleben Studierende als Klienten oder Beobachter z.B. die Wirkungen gelingenden Handelns in einer Situation (LiveDemonstrationen von Gesprächstechniken, Problemlösungen, Analysen, Gruppeninterventionen, o.ä.). Durch Erfahren, Beobachten und Reflektieren am eigenen Leib wird konkret und anschaulich, wie ein bestimmtes gelingendes Handeln aussehen kann. Studierende können Dozierende auch um solche Doppeldeckerübungen bitten, besonders, wenn es um kommunikatives Handeln geht. Die Lehrenden weisen am Beginn einer Doppeldeckerphase darauf, worauf es im Folgenden ankommt, zeigen das Handeln und unterbrechen ggf., um einzelne Aspekte deutlich zu machen. Sie schließen die Doppeldeckerphase mit einer metakommunikativen Reflexion ab. Der Kern des „Doppeldeckers“ ist, dass Studierende beobachten oder in einer Klientenrolle erleben, was sie später können sollen. Dozierende können in Praxisberichten oder authentischen Erfahrungsberichten neues Handeln an echten Problemsituationen beschreiben. Studierende können an Beispielen konkret erleben, wie ein Handlungsmuster aussieht und wirkt. Sie können nachfragen und sich so ein eigenes Bild gelingenden Handelns anhand von authentischen Fällen machen. Studierende sollten diese Möglichkeit aktiv nutzen und von Dozierenden eigene Erfahrungen an konkreten Beispielen erfragen. Vielleicht braucht es etwas Mut, aber das Beispiel und der Erfahrungsbericht sind hilfreich und lohnen die Anfangsüberwindung. Dozierende können durch Videoaufzeichnungen einen Einblick in gelingendes Handeln geben. Videoaufzeichnungen eignen sich deshalb besonders gut, weil Episoden wiederholt gezeigt werden können, weil sie unterbrochen werden können und Dozierende ihr Fachwissen und ihre Gedanken dazu explizieren können. Diese Form des Visierens von Videos hat nichts mit dem bei Studierenden so beliebten Videokonsum im Unterricht gemein: Videos werden hier zielgenau und reflexiv zur Instruktion neuen Handelns benutzt. Die Sequenzen sollten realitätsnah und nicht zu lange sein, da die Fülle an Informationen sonst nicht verarbeitet werden kann. Günstig für das Lernen
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Neues Handeln in Gang bringen
sind besonders gelingende Handlungsmuster, die Mitstudierende beim Handeln zeigen (die geringe Rollendistanz zu einem Modell wirkt günstig). Videoaufzeichnungen könnten auch in der selbständigen Lernarbeit genutzt werden. Im Leistungssport und im Sportstudium sind videogeleitete Instruktion und Videofeedback bereits seit langem eine Standardmethode. Für die Soziale Arbeit mit ihrem hohen Anteil an kommunikativem Handeln sollte Arbeit mit dem Video (Analyse, Instruktion, Feedback) ein fester Bestandteil der Ausbildung sein. Das Ziel dieser ersten Stufe ist, für neues Handeln eine konkrete und verbesserte Situationsorientierung und Aktionsplanung (vgl. SOAP-Modell, Kap. 5.3.2) zu bekommen und so ein Bild dessen, wie gelingendes Handeln in kommunikativen und problemlösenden Situationen aussehen kann. Was Studierende hier tun können: Dozierende um solche sozialen Modelle für gelingendes Handeln im Unterricht bitten und solche Modelle im schulischen Unterricht suchen. Im Praktikum und der studienbegleitenden Praxisausbildung wird das Handeln kompetenter Modelle häufig in Live-Situationen zu sehen sein. Wenn Studierende bei Beratungsgesprächen hospitieren, ihre Praxisausbildner im Alltag beobachten, so haben sie eine Vielzahl solcher Beobachtungsmöglichkeiten, die gelingendes Handeln demonstrieren. Hilfreich ist auch in der Praxisausbildung, dass Studierende die beobachteten Personen um mindestens nachträgliche Erläuterung ihres Handelns bitten, um so die relevanten Aspekte einer Handlungsepisode zu erfassen und zu verstehen. 8.2 Neues Handeln planen In einem zweiten Schritt empfiehlt Wahl, die neuen Handlungsmuster von den höchsten handlungsleitenden Zielen her zu planen (Wahl 2005a, 218ff). Neues Handeln soll nicht als einzelne Verhaltenstechnik („bottom up“) geübt und perfektioniert werden wie dies z.B. bei kommunikativen oder Gesprächsführungstechniken durchaus nahe läge, sondern sie soll von den hierarchisch höchsten Zielen oder Haltungen her beeinflusst werden („top down“). So wird gesichert, dass das neue Handeln stimmig in Handlungssituationen eingebettet und nicht sinnfremd gezeigt wird. Wer also lernen will, im Beratungsgespräch angemessen zuzuhören, zu konfrontieren oder zu fragen, sollte dies von den obersten handlungsleitenden Zielen her („dialogische Kommunikation, Wertschätzung und Einfühlung und Echtheit“) her nach unten zur einzelnen Technik („aktiv Zuhören“) üben. Es müssen also zuerst situationsübergreifende Ziele verändert werden, bevor auf das Üben von Techniken fokussiert wird. Damit wird vermieden, dass neues Handeln kontextfremd gezeigt wird oder sich unter Druck das alte Verhalten durchsetzt. Auch wenn Studierende dann in einer Beratungssituation vielleicht (noch) keine präzise zirkuläre Frage stellen können, wird doch ihre systemische Neugier und ihr Nicht-Wissen in die richtige Richtung weisen. Studierende können sich selbst für neue Handlungsweisen kleinere und größere Handlungspläne erstellen: Dies reicht von der Planung einer konkreten kommunikativen Episode bis zur Vorbereitung z.B. eines Teamtages. Wenn z.B. gezeigte Hilflosigkeit von Klienten im pädagogischen Alltag ein Thema ist, können von der handlungsleitenden Grundhaltung her („Unterstützung gewähren und Verantwortung fordern“) neue Verhaltensweisen geplant werden. Günstig an der Planung neuen Handelns ist auch, dass es nicht dem Handlungs-
Handlungen ausführen lernen – intelligentes Üben und Trainieren
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druck kommunikativen Handelns ausgesetzt ist, dass die emotionale Beteiligung geringer ist und Handlungsentwürfe flexibel und kreativ durchgespielt werden können, bis sich optimale Varianten herausgebildet haben (Wahl 2005a, 220). So lässt sich gedanklich durchspielen, wie z.B. auf eine Provokation reagiert werden kann, mit Grenzen setzen, ignorieren oder Humor. Die Varianten können mental durchgespielt und am besten scheinende Variante als Handlungsmuster gewählt werden. 8.3 Handlungen ausführen lernen – intelligentes Üben und Trainieren In einem nächsten Schritt muss nun gelernt werden, das neue Handeln – kommunikatives oder Problemlösehandeln – tatsächlich auszuführen. Dazu dienen nun Trainingselemente wie Rollenspiele oder andere Simulationen, in der geplant oder spontan auf eine kommunikative Situation reagiert werden muss. Im Folgenden wird die Arbeit mit diesen Lernformen erläutert. Besonders zum Rollenspiel wird eine ausführliche Anleitung gegeben, damit Studierende dies in der selbstgesteuerten Lernarbeit und später auch in ihrer beruflichen Praxis nutzen können. Die Grundlagen dazu beruhen auf der Anleitung zum Rollenspiel von Drinkmann (Drinkmann 2005). Rollenspiele, Psychodrama und Trainingsformen zu sozialer Kompetenz, Kommunikation oder Gesprächsführung sind hilfreich zur Ausbildung von methodischen Fähigkeiten. Sie sind unterschiedlich beliebt bei Studierenden. Oft ist die Scheu, sich zu exponieren, kritisiert zu werden oder etwas nicht zu können, groß. Besonders im Vollzeitstudium sind diese handlungsorientierten Lernformen aber eine wichtige Möglichkeit, um sich Grundfertigkeiten in Kommunikation, Beratung, Gesprächsführung, generell – zu allen sozialen Kompetenzen anzueignen. Im folgenden Kapitel wird die Arbeit mit handlungsnahen Simulationen als wesentlicher Teil eines handlungsnahen Lernens vorgestellt. Erst Selbsterfahrung und Übung im Rahmen von Skills Trainings, Sozialkompetenztrainings oder Unterricht schafft eine sichere Ausführung neuer Verhaltensweisen. In allen Ausbildungen zu Berufen, die mit Menschen arbeiten, sind verschiedenste Formen des Rollenspiels und anderer Simulationen Standard. Vom Verkaufs- oder Telefontraining über das ärztliche Gespräch bis zum Microteaching im Lehramtsstudium sind Rollenspiele handlungsnahe und wirksame Formen des Lernens. Hier wird das Rollenspiel als Teil einer handlungsorientierten Lernstrategie für Studierende verstanden, die es möglich macht, Kompetenzen zum sozialen Handeln in Pädagogik und Sozialer Arbeit zu erwerben. Sie haben für ihr eigenes Lernen wie auch für die Arbeit mit Klienten oder Schülern viele gute Gründe, mit Rollenspielen zu arbeiten. Das Rollenspiel ist in Beratung und Training wie auch in psychoedukativen Programmen an Schulen eine häufig gebrauchte Methode. Hier ist also ein echter „Pädagogischer Doppeldecker“ im Studium möglich, wo Studierende selbst erleben, wie sie später mit Klienten oder Schülern arbeiten. Rollenspielen werden in Pädagogik und Sozialer Arbeit in vielen Maßnahmen benutzt:
Trainings von Deeskalations- oder Konfliktverhalten wie Coolnesstrainings, Mediatoren- und Streitschlichterprogramme, Trainings mit psychisch kranken Klienten zum Wiedererwerb von Selbstvertrauen, sozialen Kompetenzen und Fertigkeiten für Alltagssituationen,
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Neues Handeln in Gang bringen
Eltern- und Paartrainings zum Erwerb günstigeren Erziehungsverhaltens, soziale Kompetenztrainings in Schulen und sozialen Einrichtungen, Training im Rahmen von psychosozialer Beratung, Supervisionen und fallbezogene Praxisberatungen, in denen ein konstruktiverer Umgang mit diesen Situationen erworben werden soll.
Für die Soziale Arbeit kann das Rollenspiel unschwer als berufliche Standardmethode bezeichnet werden: „Sozialpädagogen sollten den Nutzen rollenspiel-basierten Lernens in der Ausbildung kennen gelernt haben und in ihrer berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung sowie Supervision weiter erfahren. Denn der Einsatz von Rollenspielen in der Arbeit mit Klienten, sowohl in der Einzelfall- wie in der Gruppenarbeit, muss angesichts der berufstypischen Aufgaben in der Sozialen Arbeit zu ihrem professionellen Repertoire gehören“ (Drinkmann 2005, 129). Für Lehrpersonen haben Rollenspiele primär die Funktion des eigenen Lernens (Simulation von Unterricht durch Microteaching oder Interaktionssituationen im Unterricht).
Abbildung 40: Einsatzfelder für Rollenspieltechniken in der Sozialen Arbeit (Drinkmann 2005, 129) Rollenspiele sind häufig ambivalent besetzt. Kursleiter und Dozierende machen immer wieder die Erfahrung, dass Teilnehmer schwierig zu finden sind, Skepsis geäußert wird oder stummer Widerstand sich breitmacht, wenn es um Arbeit mit Rollenspielen geht. Gelegentlich dienen sie eher der allgemeinen Erheiterung, spielerischen Entlastung von langem Frontalunterricht oder der Abwechslung der Unterrichtsmethoden als einem ernsthaften Training. Das so häufig feststellbare „soziale Lachen“, Tendenzen zum Klamauk und Übertreiben in Rollenspielen geben Hinweise auf ambivalente Gefühle, subjektive Bedrohungen und Befürchtungen, die bei Studierenden mit dem Rollenspiel häufig verbunden sind. Angst, Skepsis und Abwehr gegenüber dem Rollenspiel kann Gründe bei Studierenden und der Lernumgebung haben wie z.B.
mangelndes Wissen über hilfreiche Funktion von Rollenspielen, z.B. gegenüber einem Training, das nur in Echtsituationen stattfindet,
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Missverständnisse über die Qualität der Als-ob-Realität in Rollenspielen, mit der Fehlannahme, diese sei zu wenig echt, ungünstige Lernerfahrungen mit Rollenspielen in früheren Ausbildungskontexten, Angst, im Rollenspiel ein unprofessionelles, hilfloses oder dem eigenen Selbstbild zuwiderlaufendes Verhalten zu zeigen, Befürchtungen, bloßgestellt oder kritisiert zu werden, Angst vor Spontanhandlungen, die kontraproduktiv, erfolglos oder peinlich scheinen, Widerwillen, sich selbst in Videoaufnahmen zu sehen, vor Plenumsgruppen zu spielen oder in anderer Form sich öffentlicher Betrachtung und Kritik auszusetzen oder Überforderung mit den Spielszenarien durch ungünstige Einbettung oder schlechte Vorbereitung.
Gerade weil das Rollenspiel ein sehr persönlichkeitsnahes nahes Medium des Lernens ist, scheint es für Studierende und Ausbildungsteilnehmer eine bedrohliche Komponente zu haben. Je persönlichkeitsnäher, biographischer und handlungsnäher Lernen ist, desto mehr muss auch mit Abwehr und Widerständen beim Lernen gerechnet werden. Blinde Flecken, erlebte kognitive und emotionale Dissonanzen, Feedback zu ungeliebten persönliche Seiten, die eigene Fremdheit von Stimme, Gestik und Mimik auf Videoaufnahmen. All dies scheint häufig nicht dazu beizutragen, dass in Rollenspielen entspannt, mit Humor und Neugier gelernt wird. Subjektive Bedrohung kann besonders in Situationen erlebt werden, in denen essentielle Teile des eigenen Selbstbildes bedroht sind, oder mit unangenehmen Seiten konfrontiert werden oder in denen starke Gefühle geweckt werden können. Wird im Üben mit Rollenspielen meine Selbstwirksamkeit bedroht, sehe ich mich im Rollenspiel, beim Feedback oder in einem Video hilflos, tollpatschig oder unprofessionell und bekomme ich dazu noch vernichtende Kritiken, werde ich kaum bereit und in der Lage sein, zu lernen. Damit das Rollenspiel zu einem problemreduzierenden und ressourcenverstärkenden, handlungsorientierten und wirksamen Medium wird, benötigt es also besonderer Voraussetzungen von Dozierenden, Studierenden und Lernumgebung. Im Allgemeinen sind ein positives Lernklima, körperliche Entspannung, die Aktivierung des körpereigenen Belohnungssystems und eine epistemische Neugier Voraussetzungen für ein wirksames und verstehensorientiertes Lernen. Wie kann nun in Unterricht und kooperativem Lernen durch das Rollenspiel „neues Handeln“ wirksam gefördert werden, wie können Lernfreude und epistemische Neugier, exploratives Verhalten und Verhaltensänderung gefördert werden und wie kann ein sinnvoller Einsatz des Rollenspiels in der Ausbildung aussehen? Dies soll nun geklärt werden. Weiter werden Hinweise gegeben, wie der Einsatz von Rollenspielen im selbstgesteuerten und kooperativen Lernen der Studierenden aussehen kann. Die besondere Problematik des Rollenspiels dabei ist, dass im selbstgesteuerten kooperativen Lernen die Lerngruppe sich in einer „Trainingssituation ohne Trainer“ befindet. Dies benötigt besondere Strukturen und Vorgehensweisen. 8.3.1 Theoretische Grundlagen zum Rollenspiel Um zu verstehen, warum Rollenspiele wirken und wie sie wirken, ist es hilfreich, einige theoretische Prinzipien zu kennen. Drinkmann nennt drei theoretische Bezüge, die das
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Rollenspiel als handlungsorientierte Lernform ausweisen und die Wirkung von Rollenspielen zu neuem Handeln beschreiben und erklären:
Der systematischen Verhaltensaufbau im Sinne der Verhaltensmodifikation nach Skinner. In Rollenspielen kann die Neuformung von Verhalten stufenweise erarbeitet werden. Durch die positive Verstärkung und Selbstverstärkung günstigen Verhaltens kann neues Handeln bekräftigt werden. Gleichzeitig werden durch den schrittweisen Aufbau neuen Verhaltens altes und ungünstiges Handeln gelöscht, oder mindestens soweit gehemmt, dass es in Handlungssituationen später nicht aktiviert wird. Weniger erwünschtes Handeln wird nicht beachtet und erwünschtes durch Verstärkung bekräftigt. Dabei sollen von Rollenspielleitern und Beobachtern Verstärkung zeitnah, gezielt und kontingent gegeben werden, bereits erste Ansätze neuen Handelns sollten verstärkt werden und Sättigungseffekte durch zu häufige Verstärkung sollten vermieden werden (Drinkmann 2005, 134). Für das Rollenspiel hat dies weit reichende Konsequenzen. Lernende sollten sich auf das erwünschte Zielverhalten („Wie konkret kann ich mein gutes Recht durchsetzen?“) konzentrieren statt anhaltend bei der Analyse problematischen Verhaltens stehen zu bleiben („warum kann ich mich so schlecht behaupten?“). Mitspieler sollten gezielte Verstärkung für neues Handeln geben, einerseits ihren Spielern Verstärkung zukommen lassen. Misslungene Handlungsversuche sollten keinesfalls aus Gründen einer falschen Schonhaltung oder eines falsch verstandenen Takts mit Komplimenten versehen werden. Es ist strittig, wie weit auf die Kritik misslungenen Verhaltens eingegangen werden sollte. Es sollte entweder taktvoll und nicht zu ausführlich kritisiert werden, kann aber auch ignoriert werden, wobei man auf die Kraft der Löschung vertraut (Drinkmann 2005, 134). Das Modelllernen komplexer sozialer Verhaltensweisen nach Bandura. Die Theorie des Modelllernens ist besonders geeignet, handlungsorientiertes Lernen im Rollenspiel zu erklären (Drinkmann 2005, 135). Im Lauf des menschlichen Lebens werden viele (und vor allem komplexe soziale) Verhaltensweisen durch Modelllernen gelernt. Gute Modelle wirken auf dreifache Art auf ihre Beobachter: Durch Imitation, Identifikation und Internalisierung. Wir imitieren erfolgreiche Verhaltensweisen, die uns Modelle zeigen und gelangen so leichter zu einer konkreten Handlungsausführung. Wir identifizieren uns mit attraktiven und erfolgreichen Modellen und schließlich internalisieren wir die Einstellungen und Motive von Modellen. Bandura unterscheidet zwei Phasen des Modelllernens, die Aufmerksamkeitsphase und die Reproduktionsphase. Damit Modelle wirksam werden, müssen sie für den Beobachter attraktiv sein, der Beobachter muss aufmerksam sein und das Verhalten beobachten, richtig verstehen und zu einem angemessenen Gedächtnisbild speichern. Im zweiten Schritt muss der Beobachter Anreize für die Reproduktion des Verhaltens besitzen und das Verhalten angemessen ausführen. Die Selbstregulationstheorie nach F. Kanfer (Drinkmann 2005, 134), die sich auf die kognitive Anteile beim Handeln bezieht. Hilflosigkeit oder Verlust der Selbstwirksamkeit sind unangenehme und in der Regel aversiv besetzte Erfahrungen. Menschen erleben es als positiv, sich selbst, ihr Handeln und ihre Umgebung wirksam beeinflussen zu können. Besonders die Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit hat sich in
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vielen Studien als ein wichtiger Faktor für Erfolge im therapeutisch-pädagogischen Bereich herausgestellt. Im Rollenspiel kann dies in Form von positiven Selbstinstruktionen geschehen, die in der Handlungsplanung für soziale Situationen unterstützend wirken können. Gleichzeitig sollten selbstdestruktive Erwartungen („schaffe ich ja ohnehin nicht...“) abgebaut werden. Rollenspieler und Leiter arbeiten also mit der unterstützenden Funktion dieser positiven Selbstinstruktionen („was sind meine Stärken, wenn ich jetzt die Situation angehe? Was hilft mir, besser zu handeln?“). 8.3.2 Ziele und Wirkfaktoren im Rollenspiel Anfangs wurde Skepsis und Bedenken von Studierenden thematisiert. Diesen stehen neben der Berufsrelevanz einige lernpsychologische Gründe gegenüber, für soziales Handeln mit Rollenspielen zu lernen. Drinkmann zeigt die Wirkmechanismen des Rollenspiels auf und vermittelt eine Vorstellung davon, wozu einem Rollenspiele verhelfen können (Drinkmann 2005, 136). Die Wirkmechanismen versteht er als geplantes Verhalten unter kontrollierten Bedingungen, er betont dabei die Bewusstmachung von Determinanten der Handlungssteuerung, die sonst unbewusst bleiben. Die Chancen des Rollenspiels liegen in
der Explikation von Zielen, um die Qualität und Ergebnis des Handelns zu kennen, der Klärung des Problemverständnisses und der eigenen Handlungsmotive, der Zerlegung einer sozialen Situation, die in Einzelteilen verständlicher wird, der Verlangsamung schnellen Handelns, um Verläufe und Reaktionen klarer zu sehen, der Möglichkeit, in kleinen Schritten Fortschritte zu machen, geringerem Risiko für Handlungsversuche durch eine geschützte Lernumgebung, der Explikation von Bewertungen, die einem sonst selten bewusst werden, durch Selbstbewertung, Feedback und Erweiterung der Perspektiven im Kreis der Spieler, der systematischen Auswertung durch Evaluation nach dem Spiel, der prinzipiellen Wiederholbarkeit des Rollenspiels zur Übung und Optimierung, der Möglichkeit, extreme Verhaltensvarianten auszuprobieren, ohne reale Nachteile, der Sensibilisierung der eigenen Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozesse, der Übernahme einer grundlegenden Selbstverantwortung zur gezielten Einflussnahme auf eigenes Fühlen, Denken und Handeln.
8.3.3 Methodisches Vorgehen in der Rollenspielarbeit Das räumliche Arrangement Rollenspiele benötigen ein ungestörtes Umfeld. Wenn irgend möglich sollten sie in geschlossenen und ruhigen Räumen stattfinden statt aus Platzmangel in der Mensa, auf Hochschulgängen oder in Plenumsräumen. Drinkmann unterscheidet zwei Bereiche im Rollenspielraum, den Spielbereich, in dem die Übungen stattfinden und in dem sich Spieler und Spielleiter aufhalten und den Arbeitsbereich, in dem die Beobachter sitzen und sich auch ein Stuhlkreis für Vorbereitung und Reflexion befindet. Damit die Spieler sich zur Reflexion von der Rolle distanzieren können (De-Identifikation), ist es günstig, für die Reflexion den Spielbereich zu verlassen und in einen separaten Stuhlkreis oder den Arbeitsbereich zu gehen. Die gemeinsame Reflexion sollte dort stattfinden. Die Beobachter sollten sich im
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Raum verteilen, um verschiedene Perspektiven auf die Situation zu bekommen und sie sollten genügend Abstand halten, um die Spieler möglichst ungestört zu lassen. Videokameras oder sonstige Aufnahmegeräte sollten diskret platziert sein. Kameras besitzen in der Regel so gute Objektive, dass sie durchaus weit entfernt stehen können. Das Schlüsselproblem der Tonqualität bei Videoaufnahmen kann über externe Mikrophone gelöst werden, die diskret in der Nähe platziert werden. Es gibt außer den nötigsten Utensilien wie Tisch oder Stuhl keine weiteren Gegenstände. Auf aufwendige „Bühnenbilder“ wird verzichtet. Es ist aber zu beachten, dass Sitzoder Stehpositionen und die Raumnutzung möglichst realistisch simuliert werden. Der Einstieg in das Rollenspiel erfolgt sinnvollerweise mit einem Signal (z.B. Einmalklatschen), um einen Start zu setzen, ebenso Unterbrechungen oder das Ende (z.B. das Timeout-Signal aus dem Volleyball für Unterbrechungen und ein lautes Stoppsignal). Ein- und Ausstieg sollen bewusst deutlich gesetzt werden. Die Rollen im Rollenspiel In der Arbeit mit Rollenspielen gibt es verschiedene Rollen, die alle ein unterschiedliches Lernpotential beinhalten, sie werden hier für die selbständige Arbeit in Lerngruppen und für Rollenspiele im Unterricht ausgeführt, in geleiteten Trainings oder im Unterricht verändert sich nur die Funktion des Rollenspielleiters bzw. Trainers. Fachkraft oder Protagonist: Ausgehend von einem eigenen oder vorgegebenen Fallszenario ist zuerst die Rolle der Fachkraft oder des Protagonisten zu besetzen: Er entscheidet sich für ein Szenario, an dem er üben möchte und spielt die „Hauptrolle“ im Spiel. Der Protagonist arbeitet am eigenen Verhalten, er bringt sich als Person mit seinen Handlungsstrategien ein und arbeitet an seinem Handeln. Klient oder Adressat: Das Lernen in der Adressaten- oder Klientenrolle bei Rollenspielen hat eine eigene Dynamik und besonderes Potential für die Spielenden. Es ermöglicht ein Stück Selbsterfahrung als Klient. Spielende bekommen die Chance, Einfühlung in Adressaten zu entwickeln, indem sie selbst die Wirkungen günstigen und ungünstigen Verhaltens in Rollenspielen erleben und die entsprechenden Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen am eigenen Leib erfahren. Die Klientenrolle ermöglicht dieses Selbst-Erleben, das einem anders kaum möglich wäre, außer man begäbe sich „eingeschmuggelt“ als Klient in ein soziale Institution, wie dies Journalisten schon mit psychiatrischen Anstalten taten um dortige Missstände aufzudecken, als Ausbildungsmethode wäre das unethisch und ungeeignet. Die Kraft der Empfindungen („Ärger, Trauer, Wut, Freude, Erleichterung, Wohlwollen usw.) ist dabei häufig erstaunlich real und führt zu wirksamen Lernerfahrungen. Beobachter: Beobachter sind beim Rollenspiel von Handlungsdruck entlastet und nicht selbst involviert. Sie haben Zeit und Möglichkeit, im Rollenspiel genau hinzusehen und nicht teilnehmend zu beobachten. Sie können viele Dinge wahrnehmen, die den Spielenden in der Komplexität eines Rollenspiels entgehen. Die Beobachterrolle bietet Lernchancen durch bewusste Sensibilisierung für die Ereignisse, die im Rollenspiel geschehen. Die Beobachter sind besonders für die Auswertung und das Feedback verantwortlich. Sie können aber auch eigene Lernerfahrungen durch Vergleich mit eigenem Handeln machen. Rollenspielleiter: In Unterricht oder Training fungieren Dozierende als Trainer. Häufige Realität ist, dass Dozierende dabei allein arbeiten. Besser ist es, und dies ist für soziale
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Kompetenz- oder Kommunikationstrainings mit Klienten Standard, wenn Trainer zu zweit arbeiten, in der Regel mit einer Funktionsteilung als Trainer und Co-Trainer. Der Ablauf eines Rollenspiels Drinkmann beschreibt den idealtypischen Ablauf eines Rollenspiels wie unten dargestellt. Er weist allerdings darauf hin, dass es keine Standardabläufe gibt und deshalb viele Varianten dieser Grundform möglich sind, je nachdem, ob die Szenarien bekannt, unbekannt, real oder fiktiv sind. Eine „richtige“ Methode der Durchführung gibt es nicht (Drinkmann 2005, 144). Hier wurde in den Ablauf ein zwingender zweiter Durchgang eines Rollenspiels eingebaut, er wird allen Spielenden zur Verbesserung und Stabilisierung des neuen Handelns empfohlen. Auch wenn ein Rollenspiel für den Protagonisten gut gelungen ist, kann der zweite Durchgang das neue Handeln sichern und festigen. Die untenstehende Übersicht gibt eine Übersicht über den Ablauf einer Rollenspielsequenz. Im Anschluss werden die einzelnen Schritte detailliert erläutert. Selbstverständlich können Studierende einzelne Schritte abkürzen, weglassen oder modifizieren, wenn das ihren Übungsanliegen entspricht.
Abbildung 41: Prozessmodell einer Rollenspielsequenz (Drinkmann 2005, 145) Schritt 1: Benennung und Auswahl einer Spielsituation: Spielsituationen sollten in Zeit, Ort und Umständen so detailliert geklärt sein, dass die Spielenden eine Vorstellung von den Zeit, Ort, Umständen, der Rolle und ihrem Verhalten besitzen. Gleichzeitig sollten sie so offen sein, dass die Spielenden Interpretationsspielräume für spontanes Verhalten und eige-
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ne Interpretationen haben. Es gibt keine Vollständigkeit der Information. Gefüllt und interpretiert wird die Rolle immer durch die Mitspielenden. Das Fallszenario sollte dabei die zentralen Schwierigkeiten oder Interessen des Protagonisten berühren, es sollte im Rollenspiel darstellbar sein und die Situation sollte transferfähig in den Alltag der Spielenden sein, um dann in diesem Alltag weiter lernen zu können und einen Transfer auf reale Situationen leisten zu können (Drinkmann 2005, 149). Schritt 2: Übungsziele benennen: Rollenspiele sollten ein positives und präzises Verhaltensziel beinhalten, dass sich der Protagonist setzt. Es sollte konkret und positiv formuliert sein. „Eine Störung in der Kommunikation sofort und sicher ansprechen und dabei ruhig und freundlich bleiben“ könnte ein solches Ziel sein. Kriterien für hilfreiche Ziele von Rollenspielen sind
ausreichende Konkretheit und Operationalisiertheit, Orientierung an sozial kompetentem Verhalten (Ausschluss ängstlich-vermeidenden, aggressiv-zudringlichen u. manipulativen Verhaltens), Ausschluss von ethisch bedenklichem Verhalten, das andere verletzt oder gefährdet (hier müssen Spielleiter klare Grenzen setzen, Stimmigkeit der Ziele wie des Verhaltens zur spielenden Hauptperson und Realisierbarkeit mit vertretbarem Aufwand (Drinkmann 2005, 152).
Schritt 3: Mitspieler auswählen und Ablauf planen: Grundsätzlich ist es sinnvoll, dass der übende Hauptspieler sich seine Rollenspielpartner aussucht. Es sollte bei allen Teilnehmenden die Bereitschaft vorhanden sein, eine Rolle zu übernehmen. Die Auswahl durch den Spieler sollte so getroffen werden, dass die Spielpartner geeignet sind für die Rolle. Wenn möglich, sind Geschlecht und Alter realitätsnah und stimmig für die Person zu wählen. Nach der Auswahl werden die Mitspieler in die Rolle instruiert. Dies ist wichtig für ein realitätsnahes Spiel. Mitspielende können jedes Rollenspiel durch nicht abgesprochenes extremes Verhalten oder „Klamauk“ ruinieren und es dem Hauptspieler unmöglich machen, sich angemessen zu verhalten. Die Dosierung des Mitspielerverhaltens ist für das Gelingen des Trainingseffekts zentral. Schritt 4: Selbstinstruktion und Fokus setzen: Drinkmann unterscheidet in der Vorbereitung des Hauptspielers drei Phasen, die ihm helfen, sein Verhalten zu konkretisieren und durchzuhalten (Drinkmann 2005, 154f):
Vergegenwärtigung des Handlungsplans: „Wie will ich konkret reagieren, wenn...?“. Das Rollenspiel lebt von der Bewusstmachung sonst vorbewusst ablaufender Prozesse, hier bietet sich die Chance, die eigene Handlungssteuerung explizit zu machen. Erlaubt ist dabei auch, sich klar zu machen, welche Arbeitsprinzipien aus der Beratungspsychologie, Kommunikationspsychologie oder anderen Theoriebezügen einen hier leiten („Klar strukturieren, aktiv zuhören, Störungen thematisieren“). Schaffung eines Aufmerksamkeitsfokus: „Auf was will ich mich konzentrieren?“ In einem Rollenspiel können nicht alle Dinge gleichzeitig trainiert werden. Es ist hilfreich, sich auf einzelne Fertigkeiten zu beschränken und diese allein in den Fokus zu nehmen. Dabei dürfen durchaus andere Fertigkeiten vernachlässigt werden und misslingen.
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Positive Selbstverbalisationen: „Was kann ich mir innerlich Unterstützendes sagen?“ Konkrete Selbstinstruktionen sind hilfreich, weil sie Zuversicht und Selbstwirksamkeitserwartungen steigern („Ich muss hier eine Grenze setzen“). Selbstinstruktionen sind keine gebetsmühlenhafte Mantras, sondern konkrete Hilfen zum Beibehalten von konstruktivem Handeln.
Schritt 5: Spielen: Das Rollenspiel wird nun gestartet. Drinkmann gibt für die maximale Dauer von Rollenspielen fünf Minuten an. Dies ist sinnvoll für soziale Kompetenztrainings, es kann im Kontext von Studium und Ausbildung allerdings nötig sein, länger zu spielen, z.B. wenn es darum geht, einen Konfliktlöseprozess oder den zentralen Teil eines Beratungsgespräches von Anfang bis Ende durchzuspielen. Rollenspiele sollten unter folgenden Bedingungen durchgespielt werden: Wenn der Protagonist erfolgreich handelt, die Mitspieler in der Rolle bleiben und das Rollenspiel „auf Kurs“ ist. Es gibt aber auch Möglichkeiten der Intervention im Rollenspiel, die den Hauptspieler im Lernprozess unterstützt. Drinkmann nennt zwei Formen (Drinkmann 2005, 158):
explizite Unterbrechung, wenn das Spiel zu entgleisen droht. Dann kann eine kurze Korrektur, Reflexion oder Rückmeldung erfolgen, allenfalls eine Präzisierung des Verhaltens und anschließend am gleichen oder einem früheren Zeitpunkt wieder eingesetzt werden. eingestreute Hilfestellungen wie Einflüsterungen („Lauter reden“, „mehr Blickkontakt“) oder Unterstützung („Bleib jetzt standhaft“). Unterbrechungen mit einem reflecting team, das in einer Pause Hypothesen erstellt, sich berät und dem Protagonisten Deutungen und Ideen zur Verfügung stellt.
Nachbesprechung: Die Nachbesprechung findet in geleiteten Gruppen am besten in folgender Reihenfolge statt: Hauptspieler, Rollenspielleiter, Mitspieler, Beobachter. In selbstgeleiteten Übungsgruppen beginnt der Hauptspieler, danach die Mitspieler und am Schluss die Beobachter. Für die Rückmeldung gelten die allgemein bekannten Feedbackregeln, Feedback sollte auf das Verhalten bezogen sein, konkret und gut gelungenes Verhalten stärker gewichten. Wenn kritisches Feedback erfolgt, sollte es mit Veränderungsideen kombiniert sein, so dass Chancen auf neues Verhalten entstehen können (Drinkmann 2005, 160). Zweiter Durchgang: Danach sollte sich der zweite Spieldurchgang anschließen, in dem das angezielte Verhalten verbessert oder gesichert wird. Ziele und Verhalten werden nochmals präzisiert, Fokus und Selbstinstruktion wiederholt und das zweite Spiel mit anschließender Nachbesprechung durchgeführt. Abschluss: Beim Abschluss sollten zwei Dinge getan werden: Wenn negative oder heftige Gefühle bei den Spielern oder Beobachtern entstanden sind, sollten sie noch geklärt werden und alle Teilnehmer des Spiels sollten sich aus den Rollen entlassen und wieder distanzieren („De-Identifikation“). Weiterhin sollten die Hauptspieler für sich kurze Notizen machen, ihren Lernerfolg noch einmal resümieren und für ihren Alltag oder die berufliche Praxis Transfervorsätze und Merkhilfen formulieren, um so ihre veränderten inneren Regeln, veränderte Sichtweisen („Subjektive Theorien“) über sich, ihr Handeln oder Situation noch einmal zu verdeutlichen und festzuhalten.
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8.3.4 Rollenspielformen Rollenspiele können in vielfältigen Kontexten und Formen verwendet werden (Schaller 2001), werden hier aber primär als Trainingsform zum sozialen Handeln verstanden. Das große Potential von Rollenspielen liegt im Üben sozialen Handelns in spielerischem Kontext, entlastet von den Anforderungen und Risiken sozialer Echtsituationen. Rollenspiele können aber auch mit anderen Intentionen als dem Verhaltenstraining für Lernprozesse genutzt werden. Drinkmann stellt die folgenden Formen von Rollenspielen und ihre Funktionen vor:
Das diagnostische oder Rückwärtsrollenspiel: In ihm kann eine Diagnose problematischer kommunikativer Situationen und des Verhaltens in ihnen zur präziseren Beschreibung und der Klärung von Ursachen von Situation und Verhalten erfolgen. Dabei verhalten sich die Hauptfiguren wie in den vorgestellten Echtsituationen, ohne Veränderungsabsicht, die Rollenspiele werden anschließend in einer Situations- und Verhaltensdiagnose reflektiert und ausgewertet. Das Zielverhaltens-Rollenspiel: Es dient als soziales Life-Modell günstigen Verhaltens. Der Trainer beschreibt und zeigt im Rollenspiel seine Version eines positiven Zielverhaltens (Drinkmann 2005, 130). Während des Rollenspiels können in kurzen Unterbrechungen die handlungsleitenden Gedanken des Trainers verbalisiert werden („lautes Denken“) und im Anschluss reflektiert werden. Anschließend üben die Teilnehmer des Trainings oder der Lernveranstaltung ihre Versionen in interventionsorientierten Rollenspielen. Das interventionsorientierte oder „Vorwärtsrollenspiel“: Erprobung und Einübung neuen Handelns in kommunikativen Situationen durch wiederholtes Durchspielen, Beobachtung und Feedback oder Video-Feedback.
8.3.5 Variationen der Rollenspielarbeit Nicht immer müssen Rollenspiele in dieser Ausführlichkeit vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet werden. Es gibt viele Varianten von Rollenspielen, die auf einzelne zu lernende Fertigkeiten fokussieren und nicht den Umfang eines längeren Rollenspiels erreichen müssen. Für soziales Handeln in Pädagogik und Sozialer Arbeit sind Methoden wie SzeneStopp-Reaktion, Mikrotalk und Microacting besonders geeignet für das Training sozialen Handelns. „Szene-Stopp-Reaktion“ Die Methode „Szene-Stopp-Reaktion“ ist eine Variante des Rollenspiels, die besonders geeignet ist, spontanes Interaktionshandeln sichtbar und trainierbar zu machen (Wahl 2001a, 164). Dabei wird der Hauptperson keine längere Vorbereitungs- oder Reaktionszeit zugestanden als in Realsituationen. Die Spieler reagieren auf eine kurz beschriebene Situation und eine konkrete Interaktion sofort und spontan und setzen dann die sich entwickelnde Interaktion fort. Trainiert werden kann in dieser Variante des Rollenspiels besonders das spontane Reagieren auf Interaktionen von Gesprächspartnern. Die Methode wird von Wahl wie folgt beschrieben (Wahl 2005a, 224ff):
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Eine Fallsituation wird in einer kurzen mündlichen, schriftlichen, Video- oder vorgespielten Beschreibung oder Demonstration eingeführt. Das Ziel oder Thema der jeweiligen Interaktionen wird festgelegt. Alle vier Formen der Einführung werden abrupt an einem vorgegebenen kritischen Punkt abgebrochen und zwar mit einer Reaktion des Gesprächspartners (eines Klienten, nicht der trainierenden Hauptperson). Die Startinteraktion des Klienten wird konkret beschrieben (z.B. gezeigt auf Folie) und gespielt durch den Spielpartner der trainierenden Hauptperson. Sobald die Startinteraktion gesprochen ist, muss die trainierende Person ohne Pause, wie dies in Realsituationen der Fall ist, agieren. Als Partnerrollenspiel kann ein Teilnehmer einen Klienten spielen und einer die Hauptperson oder Fachkraft, die kommunikativ kompetent und zielorientiert auf die Situation reagieren soll. Das Gespräch läuft an und wird nach kurzer Zeit gestoppt: Die Reaktionen werden reflektiert, es wird dem Hauptspieler Feedback gegeben und das Verhalten wird in mehreren Zweitdurchläufen optimiert.
Microacting und Microtalk Die beiden Methoden leiten sich von der in der Lehrerausbildung verbreiten Methode des „Microteachings“ ab (Wahl 2005a, 226ff). Microteachings sind Unterrichtsversuche von 510 Min., in denen Studierende kurze Unterrichtssequenzen simulieren und dabei auf klar definierte zu lernende Fertigkeiten fokussieren. Microacting sind kurze Handlungssequenzen und Microtalks wären Gesprächssimulationen oder Ausschnitte aus Gesprächen. Je nachdem, ob mehr Aspekte der Kommunikation oder des motorischen Handelns im Vordergrund stehen, spricht man von Microtalk oder Microacting. Trainiert werden könnte(n) z.B.
angemessenes körperliches Eingreifen bei streitenden Kindern im Heim physische Unterstützung für Menschen mit Behinderungen Pflegehandlungen und körperliche Unterstützung im Altersbereich die Abnahme einer Urinprobe im Suchtbereich mit Beachtung der persönlichen Integrität Das Filzen neu eingetretener Patienten auf der Drogenentzugsstation unter Beachtung von Würde und Schamgefühl der Patienten Sicherheitsverhalten auf dem Sozialamt bei drohender Klientengewalt Arbeitsinstruktionen für einen Klienten in einer Behindertenwerkstatt alle kommunikativen Kurzepisoden, die schnelles Reagieren erfordern wie eine Provokation, eine falsche Vertraulichkeit, unangemessenes Geduzt-Werden, u.a.m.
Microactings werden wie folgt durchgeführt: Studierende planen zu einer Situation, Aufgabe oder Tätigkeit im pädagogischen oder sozialarbeiterischen Alltag ihr Handeln. Dabei nehmen sie Bezug zum gelernten Wissen, das selbst in Mikrosituationen komplex und umfangreich sein kann. Beim Filzen eines Patienten beim Eintritt in eine Drogenstation werden z.B. Wissen und Überlegungen aus den folgenden Bereichen aktiviert. Dazu gehören rechtliche Aspekte (Eingriffshandeln und Rechtsgrundlagen dazu), berufsethische Aspekte (Würde der Person,
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Berufskodex), psychologische Aspekte (Scham, Abwehr, Vermeidung), die soziale Komponente (Beziehung und Rolle beider Beteiligter), die kommunikative Seite (Kontaktaufnahme, Dialog versus Durchsetzung, metakommunikative Einbettung des Handelns), genderbezogene Aspekte (Geschlechtsspezifität, Aspekte der Sexualität) und sachlichen Aspekte (Sicherstellung der Wirksamkeit, technisches Vorgehen). Bereits an kleinsten Situationen kann so eine wirksame Verknüpfung von theoretischen und praktischen Fragestellungen erfolgen und in professionelle Handlungsmuster verdichtet werden. Die Adressaten dieser Vorbereitung sind peers, also Mitstudierende im Unterricht oder im selbständigen Lernen in Gruppen. Die vorbereitete Episode wird in Kleingruppen im Unterricht oder im selbständigen Lernen folgendermaßen durchgeführt (Wahl 2005a, 229f): 1.
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Metakommunikative Einführung in die Einheit (5 Min.): Die trainierende Person erläutert den Kontext, die Ziele und das Vorgehen zur gewählten Episode, die beobachtenden Gruppenmitglieder fragen nach, bis sie verstanden haben, worum es geht. Die nötigen Partner für das Microacting werden bestimmt und bereiten sich kurz vor. Micro-Acting-Einheit (max. 10 Min.): Die trainierende Person spielt die Handlungssequenz durch, ohne zu unterbrechen oder „aus der Sequenz zu fallen“. Es gibt kein Einfrieren der Situation wie im Psychodrama und keine Pausen, denn es soll ja die Handlungsausführung und der Entwurf oder die begleitenden Gedanken und Gefühle im Zentrum stehen. Feedbackphase (max. 15 Min.). Danach folgt ein ausführliches Feedback auf die Episode und das Handeln der trainierenden Person: a) Vergewisserungsphase: Zu Beginn vergewissern sich die Beobachter ihrer Wahrnehmung und diskutieren kurz zu zweit, was sie ansprechen möchten, die trainierende Person tut dies ebenfalls mit einem Gruppenmitglied, um nicht mit seinen Gedanken und Gefühlen allein zu sein. b) Stellungnahme trainierende Person: Die trainierende Person gibt ein kurzes Eingangsstatement ab zu ihrer Befindlichkeit, zu Planung und Handeln und zu auffälligen Ereignissen in der Episode c) Feedback Beobachter bzw. Interaktionspartner: Die Beobachter und Spielpartner geben Rückmeldungen und halten sich dabei an die Feedbackregeln (konkretes, Interpretationen vermeidendes, kritisch-konstruktives Feedback), die trainierende Person fragt nach, rechtfertigt sich aber nicht. d) Stellungnahme trainierende Person: Wenn gewünscht, kann die trainierende Person ein kurzes Statement abgeben. Transferorientiertes Schlusswort: Die moderierende Person (Dozierende oder Mitstudierende) fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Besprechung zusammen und gibt abschließende Anregungen für die trainierende Person. Diese kommentiert die Anregungen nicht, sondern überlegt sich in Ruhe, wie sie diese aufnehmen oder umsetzen will. Allenfalls kann sich eine zweite Handlungsphase anschließen, in der das zu zeigende Verhalten noch optimiert wird.
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8.3.6 Hemmungen überwinden Um erfolgreich mit Rollenspielen zu arbeiten, benötigt es ein Stück Mut, Zutrauen zu sich und die innere Erlaubnis, Fehler zu machen. Nicht allen Menschen fällt das leicht, besonders wenn Rollenspiele vor größeren Gruppen gezeigt werden und das Feedback in Plenumsveranstaltungen stattfindet. Einige Anregungen können vielleicht dienen, diese Hemmungen zu überwinden oder sich einen Rahmen für Rollenspiele zu suchen, in denen auch scheuere Gemüter diese Form nutzen können:
Versuchen Sie, Scheu und Widerstände durch bewusste Anfangserfolge zu überwinden und wählen Sie dafür Situationen mit Erfolgsaussicht und mittlerem Schwierigkeitsgrad Arbeiten Sie in kleinen Gruppen oder im Partnerrollenspiel mit einem Beobachter Üben Sie erst in Kleingruppen, demonstrieren Sie dann im Plenum optimierte Versionen, Statt von anderen mit der Videokamera gefilmt zu werden, nehmen Sie die Videokamera in Kleingruppen mit und filmen Sie selbst, nach der Visierung entscheiden Sie, ob und welche Abschnitte in der Lerngruppe gezeigt werden dürfen, Bereiten Sie Rollenspiele gut vor, setzen Sie die Ziele für das eigene Handeln nicht zu hoch, so dass Sie erfolgsorientiert arbeiten, Nehmen Sie sich das Recht, unperfekt zu sein. Es ist normal, nicht perfekt zu sein und es gibt immer viele Möglichkeiten, etwas gut zu machen, selten eine allein richtige. Nehmen Sie „Fehler“ als Lerngelegenheiten, die weiterhelfen. Spielen Sie in einer Gruppe mit vertrauten Studierenden, in der Sie sicher sind, dass das eigene Sich-Exponieren mit grundsätzlicher Wertschätzung aufgenommen wird. Bedanken Sie jedes Rollenspiel, sei es außerordentlich gut gelungen oder noch verbesserbar, mit einem Applaus. Geben und erbitten Sie Feedback zu Übungen von anderen Mitstudierenden (Schwäbisch&Siems 1998, 70ff). Gutes Feedback ist eine der wirksamsten sozialen Lernformen. Beachten Sie die Feedbackregeln. Balancieren Sie Konkretheit, Wertschätzung und kritische Anregungen, beziehen Sie eigene Empfindungen ins Feedback ein. Lenken Sie in Feedbackrunden den Fokus auf die Stärken, behandeln Sie Schwächen oder Fehler eher kurz und sicher kürzer als gelungene Aspekte. Thematisieren Sie in einer Anfangsrunde die eigenen Befürchtungen, nennen Sie eventuell auch Dinge nennen, die Sie nicht möchten (wie Unterbrechungen) oder Ihnen zu nahe gehen, (wie Feedback zum eigenen Körper oder Körpersprache). Suchen und pflegen Sie den Spaß im Rollenspiel. Übertreiben Sie gelegentlich Verhalten bewusst, streuen Sie Klamauk und Komik ein und sehen Sie zu, dass es auch etwas zu lachen gibt. Nichts ist so lernhemmend wie verbissene und todernste Versuche und Übungen. Aber: Widerstehen Sie der Versuchung des „Klamauks“ als Abwehrstrategie besonders in Klientenrollen, der Klient hat es einfach, er kann „aufdrehen“. Die „professionellen“ Partner sollen aber lernen können.
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8.3.7 Grundregeln der Trainingsarbeit Die Arbeit mit Rollenspielen hat das Potential zur Veränderung menschlichen Handelns. Sie birgt deshalb auch ein Risiko, auf das am Schluss hingewiesen werden wird. In vielen Büchern zum Rollenspiel werden Methoden aus dem Psychodrama entlehnt und in einem schulischen oder Trainingskontext benutzt. Methoden aus dem Psychodrama wie das „Doppeln“ und andere „tiefende“ Methoden können persönlich tiefer liegende psychische Probleme an die Oberfläche holen, die nur in Beratung oder Psychotherapie seriös bearbeitbar sind. Beruflich orientiertes Training und Lernen mit Rollenspielen im Studium sind nicht Selbsterfahrung und schon gar nicht Psychotherapie. Lehrende (und auch Lernende) sollten die Rollenspielarbeit klar auf die berufliche Rolle und das Lernen von kommunikativen Handlungsstrategien begrenzen und psychische Probleme und persönliche Widerstände respektieren und nicht deren „Aufdeckung“ forcieren. Das unreflektierte Offenlegen von alten psychischen Wunden, Traumata oder Tiefenschichten der Persönlichkeit im Rahmen beruflicher Trainings führt zu Abwehr und Widerstand. Wenn diese durchbrochen werden, kann es zur Reinszenierung von Traumata oder Aktualisierung kompensierter psychischer Störungen kommen. Zehn Regeln verdeutlichen die Grenze zwischen beraterisch orientiertem und psychotherapeutischem Handeln (Benien 2005, 238ff). Dozierende im Unterricht und Studierende im Selbsttraining sollten diese Regeln beachten. Studierende sollten sich ihrer bewusst sein und sich das Recht auf ein klares Stopp herausnehmen, falls Trainer diese Grenzen überschreiten.
Keine Interventionen in Lebenskrisen! Tiefe Lebenskrisen (Verlust eines Partners, schwere Krankheiten etc.) gehören nicht in Trainings, berufliche Krisen sind als Thema willkommen. Keine „gezielt aufdeckende Arbeit“ am Unbewussten: Trainings arbeiten mit dem bewussten Teil der Persönlichkeit, nicht mit verschütteten psychischen Inhalten oder verdrängten Erfahrungen. Keine Regressionsarbeit, um an tiefere Verletzungen zu kommen! Trainings arbeiten mit den erwachsenen Teilen der Persönlichkeit, sie sollten keine regressiven, archaischen Zustände oder Kontrollverlust des Ich provozieren. Erinnerungen werden angenommen, aber nicht bearbeitet. Keine Arbeit an traumatischen Schlüsselsituationen des Lebens! Traumata und Übergriffe auf die menschliche Integrität gehören nicht ins Training. Hier ist psychotherapeutische Hilfe gefragt. Kurzfristigkeit beachten! Trainings sind kurzfristige Maßnahmen, sie zielen nicht auf grundlegende Veränderung von Persönlichkeitsstrukturen, sondern auf soziale Fertigkeiten. Respektvolle Konfrontation! Die Konfrontation im Training sollte taktvoll und vorsichtig erfolgen. Widerstand gegen Deutungen und Empfehlungen sollte respektiert werden.
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Der Mensch in seiner Rolle! Das Training mit Rollenspielen im Kontext der Ausbildung ist Training an der beruflichen Rolle, also an den Verhaltenserwartungen, nicht an der Person an sich. Die Rolle in der Organisation! Organisationen stellen die Systemumwelt von beruflichen Situationen dar. Der Organisationskontext fließt also stärker ein als in psychotherapeutischem Arbeiten. Ressourcen- und Lösungsorientierung! Training betonen eher Ressourcen und Lösungen als Probleme und Defizite. Unausgeschöpfte Potentiale und konstruktives Verhalten stehen im Zentrum. Respekt vor Grenzen! Der Umgang mit Widerstand im Training ist respektvoll: Ein „Nein“ eines Spielers einer Deutung, Anweisung oder Kritik gegenüber ist ein „Nein“. Es wird respektiert.
Mit diesen Hilfen ist zu hoffen, dass Rollenspiele in Studium und Ausbildung lernwirksam sind und Spaß machen. Es sollten so neue Problemlösungen erarbeitet und geübt werden und Verhalten nachhaltig verändert werden können.
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 8.1 An Modellen lernen LWS 8.2 Neues Handeln planen LWS 8.3 Rollenspiele planen und durchführen
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Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
Praktika sind seit jeher ein unverzichtbarer Bestandteil sozialer und pädagogischer Studiengänge. Die Konzepte und Modellvorstellungen zu Praktika haben sich aber erheblich verändert. Eine einfache, direkte Nutzung wissenschaftlichen Wissens hat sich als irrige Vorstellung erwiesen (Lüders 1989). Wissenschaftliches Wissen leitet berufliches Handeln nicht direkt an, es hat für die Praxis „lediglich den Status eines Inbegriffs von Vorkenntnissen“ (Dewe 1990, 84). Weiter ist die Vorstellung eines einfachen „Theorie-PraxisTransfers“ nicht haltbar (Dewe et al. 1992b, 70ff). Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der Praxis zwar genutzt, aber in einem komplexen Prozess nach den Erfordernissen der Praxis adaptiert. Schließlich gilt ein Verständnis von Praxisanleitung, wo vor allem über das Üben und die Vorbildfunktion erfahrener Berufskollegen und Ausbildner gelernt wird, als überholt. Das Praktikum oder die studienbegleitende Praxisausbildung erfüllen für das Studium drei grundlegende Funktionen (Schrapper et al. 2000, 1). Sie vermitteln eine erfahrungsnahe Vorstellung von dem, worüber in Pädagogik und sozialer Arbeit nachgedacht wird (Orientierungsfunktion), sie integrieren Bausteine aus dem Studium (Integrationsfunktion) und sie ermöglichen den Erwerb von Professionswissen und Handlungskompetenz in spezifischen Anforderungskonstellationen der Praxis (Kompetenzerwerbsfunktion). Dabei gilt der Grundsatz eines arbeitsintegrierten Lernens (Sonntag&Stegmaier 2007, 15ff). Arbeitsintegriertes, lebenslanges Lernen ist eine zentrale Anforderung und Bestandteil jeder wissensbasierten beruflichen Tätigkeit. Hier wird der seit Jahren in der Schweiz übliche Begriff der Praxisausbildung benutzt (Abplanalp 2005). Er spiegelt ein Verständnis des Studiums, das die Gleichwertigkeit von hochschulischer und Praxisausbildung ernst nimmt und die Eigenständigkeit des Lernens in der Praxis betont. Berufliche Praxis ist für den Erwerb jeder beruflichen Handlungskompetenz unerlässlich, soweit besteht Konsens. „Ohne in die Studienplanung strukturell und inhaltlich integrierte Praktika kann ein Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft seine (...) vorgegebene berufsqualifizierende Ausbildungsleistung nicht erbringen“ (Schrapper et al. 2000, 2). Von einem Hochschulstudium nach Bologna darf berechtigt erwartet werden, dass es nicht nur wissenschaftliches Wissen und Reflexivität fördert (Dewe et al. 1992b, 80) sondern auch pädagogisches Können unterstützt. Die Schaffung handlungsleitender Orientierungen als Wegweiser und Wanderkarten für Studienanfänger soll den Weg zum fachlich gekonnten Handeln erleichtern. Dass der Autor die Auffassung vertritt, das praxisintegrierte (früher „berufsbegleitende“) Studium sei die dafür geeignetste, erfolgreichste und effizienteste Form des Studiums, sei hier nochmals wiederholt. Das Fachhochschulstudium nach Bologna ermöglicht in dieser Hinsicht aber zusätzliche neue Perspektiven für Studierende. Durch seine Flexibilisierung wird die Integration von Praktika, selbst organisierter Praxis oder berufliche Tätigkeit parallel zum Studium erleichtert.
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Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
Im Diskurs über Ausbildungs- und Studienformen in Lehramts- und Sozialberufen bleibt die Praxisausbildung insgesamt eigentümlich im Schatten. Es gibt nur wenig an Literatur zur Praxisausbildung, sie ist für die Soziale Arbeit teils veraltet (Bernler et al. 1995; Ellermann 2002; Rotenhan 1992) oder richtet sich nur an Praxisausbildner (Abplanalp 2005). Instruktionen für Studierende unter lernpsychologischen Gesichtspunkten sind also selten. Das folgende Kapitel gibt deshalb einige Empfehlungen für wirksames Lernen in der Praxisausbildung. 9.1 Basiswissen Praxisausbildung 9.1.1 Theorie und Praxis im wissenschaftlichen Diskurs Das Theorie-Praxis-Verhältnis und damit das Verhältnis von wissenschaftlichem zu Handlungswissen sind seit langem Gegenstand anhaltender Kontroversen in Pädagogik und Sozialwissenschaften. In der Phase der Bildungseuphorie der siebziger Jahre beherrschte die noch heute weit verbreitete Vorstellung eines Theorie-Praxis-Transfers die Diskussion. Man ging von einem technischen Transfer von Wissenschaft in die Praxis aus nach dem Motto „knowledge informs action“ (Dewe et al. 1992b, 71). Sozialwissenschaftliches Wissen sollte unmittelbar in die Praxis umgesetzt und angewandt werden. Die Probleme des Transfers wurden als „Transportproblem“ im Modell einer Sanduhr gedacht, wo das wissenschaftliche Wissen langsam in den Boden der Praxis herunterrieselt. Durch gute Didaktik und Kommunikation zwischen Theorie und Praxis sollte quasi die Engstelle der Sanduhr geweitet werden und ein größerer Fluss an wissenschaftlichem Wissen in die Praxis gewährleistet werden. Der Wissenschaft wurde dabei die größere Rationalität zugesprochen und die Praxis sollte durch Wissenschaft instruiert, belehrt und verbessert werden. Dieses einseitige Modell wurde als Bevormundung der Praxis kritisiert und in der Einseitigkeit und im Gefälle von Wissenschaft und Praxis verworfen. Zudem ergab die Wissensverwendungsforschung (Beck&Bonß 1989), dass sozialwissenschaftliches Wissen häufig nicht direkt „angewendet“ werden kann, sondern erst über vielfältige Übersetzungen und Transformationen seinen Weg ins praktische Handeln findet.
Abbildung 42: Theorie-Praxis-Transfer (Dewe et al. 1992b) Die Gegenposition zum einfachen Theorie-Praxis-Transfer beschreibt Dewe mit seinem Modell der Kontrastierung oder Relationierung von Theorie- und Praxiswissen. Er benutzt dabei das Bild eines „Übereinanderschiebens“ (Dewe et al. 1992b, 78) ohne Möglichkeit der wechselseitigen Auflösung. Sie können nach diesem Modell in theoretischen Begriffen oder Theoriewissen denken oder in Praxiswissen, die wechselseitige Etikettierung wird als eine Beobachtung des jeweils anderen Systems vorgestellt. Eine Synthese wird dabei aber nicht für möglich gehalten.
Basiswissen Praxisausbildung
165
Abbildung 43: Theorie-Praxis-Relationierung (Dewe et al. 1992b, 78) Im Gegensatz zu Dewes Position wird hier die von der psychologischen Handlungstheorie (Cranach&Bangerter 2000; Volpert 2000) und der Expertiseforschung (Rothe&Schindler 1996) unterstützte These vertreten, dass wissenschaftliches Wissen in verschiedener Hinsicht direkt und indirekt nutzbar ist und eine handlungsleitende Orientierung für berufliches Handeln darstellen kann. Dazu bedarf es allerdings spezifischer Verarbeitungsprozesse von wissenschaftlichem Wissen in Handlungswissen und berufliche Fähigkeiten. Wahl beschreibt mit seinem Modell des Lernens vom Wissen zum Handeln auch ein Verhältnis von Theorie und Praxis (Wahl 2005a, 9ff). Praxiswissen wird dabei als System von Subjektiven Theorien unterschiedlicher Reichweite aufgefasst, die durch die Aneignung und Adaption von wissenschaftlichem Wissen verändert werden können. Ein TheoriePraxis-Zyklus könnte nach Wahl wie folgt aussehen.
Abbildung 44: Theorie-Praxis-Bezug als Beziehung zwischen wissenschaftlichen und Subjektiven Theorien (Wahl 2005a, 9ff) 9.1.2 Transfer – vom Wissen über die Absicht zum Handeln Werden Studierende z.B. in Fallwerkstätten im Rahmen des Praktikums gefragt, welche theoretischen Perspektiven ihnen zur Beschreibung oder Erklärung eines Problems aus der Praxis einfallen oder welche praktischen Konsequenzen eine Theorie haben könnte, reagieren sie nach Erfahrung des Autors gelegentlich irritiert. Das Erkennen praxisbezogener Konsequenzen von Theorien und das theoriegeleitete Denken bei Handlungsproblemen
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Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
sind nicht einfach geläufig und bedürfen der Übung. Der Autor macht in der Begleitung von Praxisausbildungen gelegentlich die Erfahrung, dass Studierende im Praktikum kompartmentalisiert lernen. Ihr praxis- und theoriebezogenes Wissen existieren quasi unabhängig voneinander, dies entspräche dem Modell der Relationierung von Theorie und Praxis nach Dewe. Man bewegt sich in der einen oder anderen Sphäre und schaltet die Denkmuster und Wissensbezüge um, ohne sie zu verbinden. Hier die Sphäre des hochschulischen Wissens, dort das im Praktikum erworbene (Erfahrungs-)Wissen. Theoriewissen kann aber für berufliches Handeln mehr als nur träge sein:
Die Verdichtung und Vernetzung von Wissen in begrifflichen Netzwerken kann Wissen „flink“ und schnell zugänglich machen, die Integration von Wissen in Subjektive Theorien mittlerer und größerer Reichweite schafft handlungsleitendes Wissen, das Entwickeln neuer handlungsbezogener Problemlösungen in Kombination mit und im Anschluss an den Erwerb neuen Wissens antizipiert Handeln, die beschriebenen fünf Schritte des In-Gang-setzens neuer Handlungsmuster bringen Handeln in Gang und neue Problemlösungen und neuen Handelns werden durch die beschriebenen sozialen und personale Stützmaßnahmen flankiert.
Für Studierende im Praktikum scheint besonders die wechselseitige Nutzung von Problemen in der Praxis und hochschulischem Wissen ein Problem. Hier wird empfohlen, dass Studierende systematisch wechselseitige Verknüpfungen ihrem Denken und Reflektieren vorsehen, d.h. Theoriebestände aktiv als Filter der Wahrnehmung und Reflexion zu benutzen: „Man sieht, was man weiß. Umgekehrt könnten sie sich bei Praxisproblemen systematisch fragen, welches im hochschulischen Unterricht gelernte Wissen zur Klärung oder Lösung dieses Problems einen Beitrag bieten könnte. Methodische Fertigkeiten benötigen noch aufwändigere Transferverfahren als Wissensnutzung in Problemlösesituationen. Wie ein systematischer Transfer theoretischer Inhalte in Berufsalltag aussehen könnte, damit hat sich Mutzeck theoretisch und didaktisch beschäftigt (Mutzeck 1988; 2005). Der Transferprozess von Ausbildungsinhalten in den Berufsalltag wird als mehrstufiger Prozess modelliert. Mutzeck weist auf Transferhindernisse hin, er wählt die Metapher der „Giftpfeile“ für den Transferprozess. Transferhindernisse können auf mehreren Ebenen auftauchen. Selbstzweifel, unklare Ziele oder mangelnde Motivation können Sie als Person hindern, neues Handeln in Angriff zu nehmen. Es können aber auch institutionelle Strukturen, fehlende Ressourcen, mangelndes Interesse von Institution oder Kollegen oder widrige Arbeitsbedingungen Sie daran hindern, neues Handeln zu realisieren. Schließlich können besondere Bedingungen Ihrer Adressaten, Klienten oder Schüler, neues Handeln erschweren. Das Transfer unterstützende Verfahren soll neben der systematischen Transferanbahnung auch Schutzschilde gegen diese Transferhindernisse bereitstellen. Mutzeck gliedert den Transferprozess in 7 Schritte.
Basiswissen Praxisausbildung
1. 2. 3. 4.
5. 6. 7.
167
Handlungsabsicht: Sie klären zu einem Praxisproblem eine Handlungsabsicht und ein Ziel. Vorbereitung der Umsetzung: Sie erarbeiten Handlungsschritte für die Umsetzung. Hilfen und Ressourcen klären: Sie suchen nach theoretischem Wissen, materiellen, situativen und personalen Hilfen für dieses Problem. Vorbeugungs- und Abwehrmaßnahmen erarbeiten: Sie erstellen zur Unterstützung neuen Handelns im Problembereich Selbstinstruktionen, Stopp-Codes und Vorsatzbildungen. Arbeit im Kooperationsteam: Sie suchen Unterstützung in einem Kooperationsteam und erproben dort erste Schritte. Umsetzung im Praxisalltag: Sie handeln im beruflichen Alltag. Selbstreflexion allein und im Kooperationsteam: Sie werten ihre Ziele und Ihr Handeln in der Problemsituation aus.
Das Verfahren ist aufwendig und erfordert einiges an Engagement, was sich allerdings durch den Erfolg und die Schaffung angenehmerer Zustände zu beruflichen Problemsituationen schnell zu einer positiven Gesamtbilanz aufaddieren dürfte.
Abbildung 45: Arbeitsschritte im Transferprozess (Mutzeck 2005, 93) 9.1.3 Lernfeld- und Kompetenzorientierung im Praktikum Praktika, die dem Kompetenzerwerb dienen (und nicht als Vorpraktikum der Studienentscheidung), werden an den zu erwerbenden Fähigkeiten orientiert strukturiert. Um die Inhalte, Themen und zu erwerbenden Kompetenzen in einem Praktikum zu strukturieren, sind zwei Zugänge hilfreich. Das Lernfeldmodell fragt danach, was Sie in der Praxisinstitution lernen können. Sie orientieren sich an den dort vorfindbaren Themen, Aufgaben und Lernfeldern und schaffen sich systematisch Lernsituationen, in denen Sie die Aufgabenbewälti-
168
Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
gung üben. Der zweite Zugang ist kompetenzorientiert, Sie strukturieren dabei Ihre Praxisausbildung anhand des von der Hochschule vorgegebenen Kompetenzprofils und wählen sich bestimmte Kompetenzbereiche aus, die Ihnen für Ihre Berufseinmündung bedeutsam erscheinen. Die Zugänge lassen sich ohne Probleme auch kombinieren. Eine Lernfeldanalyse für ein sozialpädagogisches Praktikum könnte etwa folgendermaßen vorstrukturiert sein. Die Aufgaben von Sozialpädagogen werden dabei als Lernfelder abgebildet und in Lernsituationen konkretisiert. Lernfelder und -situationen können anschließend auf die Zeit der Praxisausbildung verteilt und bearbeitet werden. Lernfeld
Lernsituationen und Aufgaben
Fachwissen Konzept und Methoden
Direkte Klientenarbeit z.B. Alltagsarbeit Freizeitgestaltung, Bezugspersonenarbeit Einzelgespräche, Gestaltung der Lebenswelt Jahreszeitliche Projekte, Arbeit mit Familien/Gruppen Lager, Gruppengespräch Direkte Klientenarbeit Fallarbeit Hilfe-/Interventionsplanung Zusammenarbeit intern: Arbeit im Team Moderation Teamsitzung Zusammenarbeit in der OrDelegation in Arbeitsgruppen ganisation Zusammenarbeit extern involvierte Fachkräfte Arztgespräche Institutionen/Professionen Kooperation mit Zuweisern Arbeit mit Angehörigen Elterngespräche Organisation und Administration Finanzierung Beitragsverhandlungen Administration Klientenadministration Dokumentation Berichte schreiben Rechtliche und ethische Aspekte Rechtsbezogenes Handeln Rechts-/ethisch relevante Ent berufsethische Aspekte scheidungssituationen Die Rolle als Fachkraft Personale Einstellungen Supervisionen soziale / personale Kompepädagogischer Alltag tenzen Tabelle 11: Lernfeldanalyse im Praktikum (in Anlehnung an Dörig 2003, 645) Aus dieser Lernfeldanalyse können dann mögliche Lernziele oder Kompetenzen, die Studierende fokussieren können, formuliert werden können. Es stellt sich mit der Analyse eventuell heraus, dass Sie das nötige theoretische oder organisationsspezifische Praxiswissen zu Lernfeldern noch nicht oder nicht in der notwen-
Basiswissen Praxisausbildung Praxisausbildung planen
169
digen Tiefe mitbringen und sich erst noch erarbeiten müssen, was bei der Bandbreite der generalistisch angelegten Bolognastudiengänge eher die Regel als die Ausnahme sein wird. Das Ziel eines studienintegrierten Praktikums mit ca. 6 Monaten Dauer, wie sie in Studiengängen häufig gefordert sind, ist die Fähigkeit zur Berufseinmündung und eine grundlegende Berufsbefähigung. Eine Institution sollte am Ende eines Praktikums ihre Praktikanten als Mitarbeiter anstellen können, die Berufseinmündung sollte über das Praktikum angebahnt werden. Dies ist nach Erfahrung des Autors unter systematischer Ausbildungsarbeit in aller Regel möglich. Die Arbeit mit Kompetenzzielen, die dieses Richtziel differenzieren, stellt einen Schlüssel für den Erfolg des Praktikums dar. Über die Lernfeldanalyse und die Erarbeitung ausreichend präziser Kompetenzziele wird eine Basis für eine gute Praxisausbildung gelegt und auch eine präzise Beurteilung möglich. Es können drei Phasen der Formulierung von Kompetenzzielen unterschieden werden: Bei der Zielfindung während der Lernfeldanalyse werden Ziele gesammelt, die für die Institution und die Studierenden relevant sind. Diese werden in einem zweiten Schritt (Zielbildung) geordnet und hierarchisiert (das Richtziel ist Handlungskompetenz im Arbeitsfeld, daraus werden Grob- und allenfalls Feinziele differenziert und ausgewählt). Anschließend werden in einem dritten Schritt die Kompetenzziele formuliert, was nach Erfahrung häufig nicht ohne Schwierigkeiten erfolgt. Kompetenzziele werden als Fähigkeiten am Ende des Lernprozesses beschrieben. Dabei ist das verbreitete SMART-Modell hilfreich. Ziele werden nach den SMART-Kriterien formuliert (vgl. Kap. 6.2.5). Damit aus ihnen ein Lernprozess abgeleitet und am Ende überprüft werden kann, sollten Kompetenzziele folgende Bestandteile aufweisen, die Ausgangssituation oder Problemstellung (Ist-Zustand), die Formulierung der zu erreichenden Kompetenz, das geplante Vorgehen, Methoden, Schritte zur Kompetenz, sowie Indikatoren der Zielerreichung und Kriterien der Überprüfung. 9.2 Praxisausbildung planen Die didaktische Gestaltung von Praktika und studienbegleitender Praxis hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Von Institutionen werden Ausbildungskonzepte verlangt und die Hochschulen stellen umfangreiche Materialien zur Vorbereitung, Planung und Evaluation von Praxisausbildung zur Verfügung. Die Professionalisierung der Praxisausbildung spiegelt sich im gestiegenen Ausbildungsniveau der Praxisausbildner und in der Regel finden praxisbegleitende Veranstaltungen der Hochschulen statt, die die TheoriePraxis-Integration sichern. Dies hat auch veränderte Anforderungen an Sie als Studierende im theorie-praxis-integrierten Studium oder im Praktikum zur Folge. Eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Praxisausbildung liegt in einer sorgfältigen Planung des Praktikums von der Auswahl der Praxisinstitution bis zur Evaluation der in der Praxisausbildung gemachten Erfahrungen und erworbenen Kompetenzen. Ihre Praxisinstitution sollte mit Ihnen einen Ausbildungsplan erarbeiten, in dem Verlauf und Ziele in der Praxisausbildung festgelegt werden. Im Ausbildungsplan sollten formale Strukturen der Ausbildung festgehalten werden (Dauer des Praktikums, Arbeitszeiten etc.), die fachliche Ausrichtung der Institution beschrieben sein (gesetzliche Grundlagen, Adressatengruppen, Konzepte und Methoden) und schließlich die inhaltlichen Elemente der Aus-
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Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
bildung erkennbar werden (Lernfelder, Arbeitsschwerpunkte und Aufgaben, Lernziele). Weiter sollte die Form der Begleitung und deren Umfang festgelegt sein (Flock 2009). Dieser Ausbildungsplan wird Teil des Praxisausbildungsvertrags sein, den Sie mit der Institution abschließen Im Verlauf von Praktika oder der studienbegleitenden Praxisausbildung selbst lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden. Ihre Kenntnis sind hilfreich, um die Aufgaben von Studierenden und die Begleitung angemessen zu gestalten. Flock schlägt folgende Einteilung vor (Flock 2009, 17f, Anpassungen ww):
Vorbereitungsphase: Orientierung nach Arbeitsfeldern, zu erlernenden Kompetenzen und Lernbedürfnissen, Praxisstellensuche, Bewerbung und Vorbereitung in Hochschule und Institution; einführende Veranstaltungen an der Hochschule; Erarbeitung Ausbildungsplan der Praxisinstitution; Einführungs- und Orientierungsphase: Kennen lernen von Institution, Arbeitsplatz und Adressaten, Einführung und Informationen, Standortbestimmung und erste Auswertung: Konkretisierung der Kompetenzziele; Hospitation und Beobachtung im Arbeitsalltag; Erprobungsphase: Erste eigenständige Aufgaben unter Anleitung, angemessene Schwierigkeitsgestaltung und Herausforderung, partialisierte oder kleinere Aufgaben; angeleitete Arbeit; Vertiefungs- und Konsolidierungsphase: Vertiefung in spezifische Aufgaben; Bearbeitung eigener Projekte, zunehmende Selbstständigkeit und Verantwortung, komplexere und größere Aufgabenbereiche; Ablösungsphase: Abschließen von Projekten und Aufgaben, Ablösung von Klienten oder Adressaten; Abgabe und Delegation von Aufgaben; Selbstevaluation und Beurteilung; Berichte und Leistungsnachweise.
Sie finden im folgenden Kapitel ein Modell, das Ihre Tätigkeiten lerntheoretisch modelliert. So können Sie die Phasen in der Praxisausbildung und kompetenzbezogene Lernstrategien aufeinander abstimmen. Es würde den Rahmen sprengen, alle spezifischen Begleitungsformen (Ausbildungsgespräche, Supervision, kollegiale Beratung, Fallwerkstätten und begleitende Hochschulseminare) hier aufzuzählen. Ihre Hochschule sollte Ihnen dazu ausreichend Instruktion geben. Die folgenden Kapitel fokussieren deshalb auf den Kern kompetenzorientierter Lernstrategien und leiten daraus Empfehlungen für ein wirksames Lernen in der Praxisausbildung ab. 9.3 Lernstrategien in der Praxisausbildung Handlungsorientiertes Lernen verlangt Praxis als unverzichtbares Element des Studiums (Knecht 2005, 79). Im Kapitel 8 wurde bereits der Weg beschrieben, mit dem dies geschehen kann: Von den fünf Schritten zu neuem Handeln verlangen die letzten beiden zwingend eigene und echte Arbeitspraxis. Praxisausbildung soll vor allem den dritten und schwierigsten Schritt unterstützen – neues Handeln in Gang zu bringen und neuer Handlungsmuster zu etablieren, zu adaptieren und zu routinisieren. Der Fünferschritt zum In-Gang-setzen neuen Handelns, wie er im Kapitel 8 ausführlich beschrieben wurde, lässt sich auch in der
Lernstrategien in der Praxisausbildung
171
Praxisausbildung nutzen, auch wenn die ersten drei Schritte für die Hochschulkontext im Studium konzipiert sind (Wahl 2005a, 214).
Der erste Schritt, „konkrete Vorstellungen von neuem Handeln erhalten“ wird durch die Beobachtung und Berichte der Arbeitskollegen und Praxisausbildner real. Erfahrene Kollegen stellen Life-Modelle dar, sie können mit Lernenden ihre Gedanken und Strategien im Umgang mit Arbeitsproblemen explizieren. Beobachtung und Lernen am Modell finden hier eine intensivierte Anwendung. Der zweite Schritt „Verändertes Handeln entwerfen und ins Handlungsgesamt einbetten“ ist ein wesentlicher Arbeitsschritt in der Praxisausbildung: Wie im pädagogischen oder sozialarbeiterischen Alltag mit „Standardproblemen und -prozeduren“ (z.B. Erstgespräch), aber auch mit erwartbaren schwierigen Situationen (z.B. Regelverletzungen, Konflikten, mangelnder Kooperation) umgegangen werden kann, muss von Lernenden am Anfang vorgeplant werden. der dritte Schritt „Handlungen ausführen lernen“ durch Simulation könnte auch in der Praxisausbildung genutzt werden. Hier bräuchte es die Kooperation von Praxisausbildner und Studierenden oder die Kooperation mehrerer Studierender, die im Rollenspiel Problemsituationen durcharbeiten. Schritt vier und fünf stellen den Kern des Lernens in der Praxisausbildung dar. „Handlungen im Praxisfeld in ‚vorgeplantem Agieren’ erstmals zu erproben“ und mit der Zeit „Handlungen routiniert und spontan ausführen können“ sind die Kernziele der Praxisausbildung. In diesen beiden Schritten bilden sich die methodischen Fertigkeiten, die im Rahmen von Skills Training und Simulationen in der hochschulischen Ausbildung nur begrenzt lernbar sind.
Neben diesem Fünferschritt wurden die Stützstrategien für neues Handeln bereits erwähnt. Sie werden im Kap. 10 ausführlich vorgestellt und sind besonders in der Praxisausbildung hilfreich. Das Konzept der KOPING-Arbeit (vgl. Kap. 10.8.8) und die individuell lernwegflankierenden Maßnahmen für neues Handeln (Selbstinstruktion, sekundenschnelle Entspannung, die Arbeit mit Stopp-Codes, handlungsbegleitendes Sprechen, Kap. 10.11) wurden für das Lernen in der Praxis entwickelt und unterstützen neues Handeln auf dem Weg zur sicheren Ausführung. Eine etwas differenziertere Variante der fünf Schritte vom Wissen zum Handeln nach Wahl (2005a) ist das Modell der „Cognitive Apprenticeship“ (Collins et al. 1991). Es greift das Bild der Meisterlehre im Handwerk auf, erweitert es und überträgt es auf kognitive Problemlöseprozesse. Es gibt Ihnen zum einen eine Orientierung über Lernstrategien in der Praxisausbildung und die Aufgaben, die Ihr Praxisausbildner darin wahrnehmen wird, zum anderen zeigt es den Verselbstständigungsprozess, den Sie in einem Praktikum durchlaufen werden.
172
Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
Praxisausbildner
Studierende
1 Modeling zeigt, wie er exemplarische Probleme löst, beschreibt Vorgehen und relevante Schritte und demonstriert prototypische Lösungen
1 Hospitieren und Beobachten beobachtet, vollzieht Vorgehen und Schritte nach, verarbeitet prototypische Lösungen
2 Coaching unterstützt Problemlöseversuche, verweist auf Bedingungen, stellt Fragen, gibt Feedback und Vorschläge und ermutigt
2 Erfahrungen und erste Handlungsversuche übernimmt das Handeln, versucht selbst, Probleme zu lösen und nimmt Feedback und Vorschläge auf
3 Scaffolding gibt „Gerüst“ für Problemlösestrategien, korrigiert, gibt gezielte Instruktion und Rat
3 Handeln unter Anleitung/mit Strukturhilfen bewältigt Aufgaben mit direkter Unterstützung
4 Fading und Artikulation zieht sich langsam zurück und baut Hilfestellungen ab, verbalisiert aber Denkprozesse und Problemlösestrategien
4 Verselbstständigung und Artikulation kontrolliert und steuert Handlungen zunehmend selbst, artikuliert eigene Denk- und Problemlöseprozesse und Handlungsverläufe
5 Selbstbeobachtung, Reflexion, Evaluation 5 Reflexion unterstützt die Erfahrungsauswertung, reflektiert beobachtet sich selbst und reflektiert, bewertet und korrigiert sich selbst und überdenkt Handlungen 6 Exploration regt eigenständige Entwicklung an und animiert zu selbständiger Exploration
6 Eigenständigkeit und Transfer handelt, steuert und kontrolliert selbstverantwortlich, löst Probleme selbstständig, leistet Transfer
Tabelle 12: Funktionen und Tätigkeiten von Praxisausbildnern und Studierenden im Modell der Cognitive-Apprenticeship (Mandl&Friedrich 2006, 216f) 9.4 Empfehlungen für eine wirksame Praxisausbildung Für die Praxisausbildung bedeutsame Lernstrategien finden Sie an vielen Stellen im Buch. Viele Techniken lassen sich in der Praxisausbildung nutzen. Zur Beobachtung in der Hospitation oder im begleiteten Arbeitsalltag finden Sie Hilfen in Kap. 5.4, zum Feedback in Kap. 5.6.1 und Kap. 8.1. Wenn Sie erste Unterrichts-, Beratungs- oder pädagogische Alltagserfahrungen machen, beschäftigen Sie sich nochmals mit dem Erfahrungsbegriff (vgl. Kap. 2.2.7) und wie Sie Erfahrung in Lerntagebüchern dokumentieren und durch Reflexion auswerten können, beschreiben Kap. 5.4 und 5.5. Zu ersten Handlungsversuchen dienen Ihnen vielleicht die Hilfen, die unter dem Stichwort „geplantes Handeln“ (vgl. Kap. 8.2) gemacht werden. Und die Ausführungen im Kapitel 2 zur Handlungsregulation helfen Ihnen vielleicht, Ihr eigenes Handeln in der Praxis besser zu verstehen und gezielter zu regulieren. Im Folgenden einige abschließende Empfehlungen für die Praxisausbildung und die Hinweise zu den entsprechenden Kapiteln im Buch, wo diese vertieft werden können.
Analysieren Sie das Arbeitsfeld in Ihrem Praktikum und gliedern Sie es in Lernfelder auf. Eine systematische Analyse der beruflichen Aufgaben in diesem Feld hilft Ihnen, eine Überblick über die zu erwerbenden Kompetenzen zu erhalten und strukturiert Ihr
Empfehlungen für eine wirksame Praxisausbildung
173
Lernprogramm im Praktikum. Prüfen Sie die Kompetenzbereiche, die Ihnen von der Hochschule vorgegeben werden und gleichen Sie die beiden Bereiche ab (vgl. Kap. 9.1.2). Planen Sie Ihr Praktikum, Phasen, Themen, Lernfelder, Aktivitäten, Projekte. Es geht schnell vorbei als Sie denken (vgl. Kap. 10.2). Machen Sie sich Ihre persönlichen Ziele und die in den jeweiligen Praktikumsphasen im Vordergrund stehenden Prioritäten klar. Setzen Sie sich konkrete und handlungsbezogene Ziele; vereinbaren Sie sie mit den begleitenden Dozierenden und dem Praxisausbildner (Kap. 10.2.1). Nehmen Sie Fachwissen, Handlungsstrategien für das Praktikum und die Methodenkenntnisse, die Sie im Studium erworben haben, bewusst mit in die Praxisausbildung und nutzen Sie sie dort systematisch, auch auf das Risiko hin, anfangs gelegentlich „negativen Transfer“ zu machen, d.h. Wissen oder Können nicht situationsgerecht einzusetzen. Sie sind noch im Stadium des Novizen und hier sind Fehler normal (vgl. Kap. 2.6 Expertise und Könnerschaft; Kap. 9.1.2 Transfer). Benutzen, wiederholen und vertiefen Sie Ihr Wissen auch in der Praxisausbildung, besonders in den Bereichen, die Ihr Studium bislang nur Überblickswissen vermittelt hat. Arbeiten Sie auch systematisch am Professionswissen, das Ihnen das Hochschulstudium nicht vermitteln kann (Organisations-, Berufsgruppen- und Erfahrungswissen) (vgl. Kap. 6 Wissenserwerb). Nehmen Sie in der Praxisausbildung regelmäßige und geplante Gespräche in Anspruch und nutzen Sie die Begleitveranstaltungen der Hochschule (Supervisionen, Lerngruppen, Seminare). Beobachten Sie Kollegen und Praxisausbildner als soziale Modelle, lassen Sie sich selbst in der Praxissituation beobachten und bitten Sie um Feedback (vgl. Kap. 8.1 Lernen am Modell, Kap. 5.6.1 Feedback). Vereinbaren Sie (geplante und allenfalls begleitete) Übungsmöglichkeiten für komplexere Aufgaben, wie Beratungsgespräche, Angehörigenarbeit, Interventionsplanung, Bezugspersonenarbeit oder Fallverantwortung oder in pädagogischen Berufen, eigenen Unterricht, Arbeit in Projekten mit Schülern und andere Aufgaben. Bleiben Sie nicht beim Hospitieren, Zuschauen oder kleineren und partialisierten Aufgaben stehen (vgl. Kap. 8 Neues Handeln in Gang bringen). Beobachten Sie gezielt und reflektieren Sie systematisch, was Sie erleben. Gelegenheit geben Ihnen Fallwerkstätten, Ausbildungssupervisionen, oder kollegiale Beratung in KOPING-Gruppen oder Praxistandem. Führen Sie ein Lerntagebuch für Notizen, das Lerntagebuch gibt Ihnen einen direkten Gewinn – es erleichtert Ihnen das Schreiben von Praxisberichten oder Lernberichten erheblich (vgl. Kap. 10.9 Reflexion). Strukturieren Sie Ihre Praxisausbildung nach dem Ausbildungskonzept der Praxisstelle. So können Sie die verschiedenen Aufgaben und Bereiche der Praxisinstitution systematisch durcharbeiten. Arbeiten Sie mit den Strategien, die neues Handeln in Gang setzen: Wenn Sie keine Fallwerkstätten oder Intervisionen haben, suchen Sie sich Studierende für die Arbeit in
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Handlungsorientiert Lernen in der Praxisausbildung
einer KOPING-Gruppe und arbeiten Sie nach den Methoden, die dort beschrieben sind (vgl. Kap. 10.8.8 „Kooperative Praxisbewältigung in Gruppen“). Flankieren Sie Ihr Handeln in der Praxis mit Selbstinstruktionen, innerem Sprechen, Stoppcodes und Entspannungstechniken. Schaffen Sie sich so personale Schutzschilde (vgl. Kap. 10.11).
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 9.1 Transfer – von der Absicht zum Handeln LWS 9.2 Ein Praktikum planen LWS 9.3 Lernfelder analysieren und Kompetenzziele setzen LWS 9.4 Berufliches Handeln in der Praxisausbildung – ein persönliches Lernprojekt
10
Lernwegflankierende Maßnahmen
In den vorangehenden Kapiteln wurden die Hauptschritte des handlungsorientierten Lernens beschrieben. Von ihnen wurde eine Vielzahl Lernwegflankierender Maßnahmen unterschieden. Ein Teil dieser Strategien flankiert und stützt das in-Gang-bringen neuer Handlungsmuster im engeren Sinne (Mutzeck 2005, 93; Wahl 2005, 36). Ein Teil betrifft Strategien, die Ihre Lernstrategien generell unterstützen. Sie verbessern vieles, das für den Studienerfolg wichtig sind. Als allgemeine lernwegflankierende Maßnahmen gelten
die Arbeit an Lernstrategien wie Tiefenlernen, Ungewissheitstoleranz und Erfolgsorientierung, die Planung des Lernens, von Lernzeiten, Lernort, Lernzielen, die Arbeit an der Lernmotivation, die Ausbildung von Metakognition und Selbstkontrolle des Lernens, die Arbeit an der Konzentration, der Erhalt der körperlichen Vitalität im Studium, das Lernen in Gruppen und die Reflexion und Arbeit mit Lerntagebüchern.
Die für die Unterstützung neuen Handelns konzipierten lernwegflankierenden Maßnahmen sind
die kooperative Praxisbewältigung in Gruppen und Tandems (KOPING) die Arbeit mit Vorsatzbildungen und Erinnerungshilfen, die sekundenschnelle Entspannung und Selbstinstruktionen, handlungsbegleitendes Sprechen und Stoppcodes.
Alle Techniken werden im Folgenden detailliert vorgestellt. Bedienen Sie sich derjenigen allgemeinen lernwegflankierenden Maßnahmen, die Ihnen hilfreich erscheinen. Es wird allerdings empfohlen, sich die Stützstrategien für neues Handeln nach Wahl zu erarbeiten, da sie für den dritten und schwierigsten Teil des handlungsorientierten Lernens, das InGang-bringen neuen Handelns, von großer Bedeutung sind. 10.1 Lernstrategien optimieren 10.1.1 Mythos Lerntypen Die pädagogische Psychologie hat schon immer interessiert, ob sich Menschen in eine überschaubare Anzahl von Lerntypen einteilen lassen und ob diesen Lerntypen dann optimale Lernmethoden zugeordnet werden können (Creß 2006; Friedrich&Ballstaedt 1997, 6ff). Eine Vielzahl von Typologien wurde dazu entwickelt. Beliebt unter den Lerntypenmodellen ist die Einteilung nach der Aufnahme über die verschiedenen Sinneskanäle. Die verschiedenen Typen, ein auditiver, optisch-visueller, verbal-abstrakter und haptischer Typ
176
Lernwegflankierende Maßnahmen
sind jedoch empirisch nicht haltbar (Creß 2006, 365ff). Auch eine zweite Typologie, die Unterscheidung in „Visualisierer“ und „Verbalisierer“, also Menschen, die als Text oder Bild kodierte Information unterschiedlich gut verarbeiten, ist in empirischen Untersuchungen nicht genügend stabil zu unterscheiden. Sie rechtfertigt die Aufstellung von Lerntypen nicht. Eine weitere häufig verwendete Typologie ist das Lerntypenmodell nach Kolb (Huizing&Bakker 1991; Kolb 1985). Er stellt zwei Polaritäten von aktivem vs. passives und konkretem vs. abstraktes Lernen her und erarbeitet aus diesen ein Kreuz, das dann vier Lernstile konstituiert. Entdecker, Denker, Entscheider und Macher benötigen unterschiedliche Lernzugänge und -strategien und haben unterschiedliche Stärken und Schwächen im Lernen. Die Validität des Konstrukts konnte empirisch nicht erhärtet werden, die Typologie der Lernstile nach Kolb wurde in Frage gestellt (Creß 2006, 372). Ein Problem aller Typologien sind die einseitigen Zuschreibungen, denen sich Lernende durch Tests unterwerfen. Sie engen die Lernstrategien eher ein als zur Vielfalt anzuregen. Wichtig für das Lernen ist, dass immer besser mit mehreren Sinneskanälen und in einer Vielfalt rezeptiver und aktiver Lernformen gelernt wird. Visuell, über Bilder, auditiv durch Zuhören in Vortrag und Gespräch, verbal durch anschließendes Vertiefen mit einem Text, konstruktiv durch aktives Strukturieren von Inhalten und handelnd durch eigenes Tun zum Lerngegenstand. 10.1.2 Lernstrategien statt Lerntypen Je weniger man periphere Gesichtspunkte wie Sinnesmodalitäten oder Informationsart und je mehr man ichnahe Motive berücksichtigt, umso fruchtbarer sind die Versuche, Lerntypen zu unterscheiden. Folgende, eher Lernstrategien als Lerntypen zu nennenden Modelle, sind empirisch erhärtet und in der Unterrichtspraxis bewährt. Das Modell des Leistungsstrebens – Misserfolgsangst vs. Erfolgserwartung (Friedrich &Ballstaedt 1997, 6ff). Es ist aus verschiedenen Untersuchungen bekannt, dass Motivation die Art beeinflusst, wie jemand bevorzugt lernt. Dies wird als Erwartung von Erfolg oder Angst vor Misserfolg definiert.
Personen die mit ihrem Leistungsstreben gleichzeitig hohe Sachorientierung verbinden, lernen besser unter Bedingungen, die ihnen Entscheidungsspielräume zum Lernen geben wie die Wahl der Methoden, die Art der Lernerfolgskontrolle oder Abfolge der Inhalte. Personen, bei denen Leistungsstreben vorwiegend mit der Furcht vor Misserfolg verbunden ist, lernen besser, wenn der Unterricht klar strukturiert ist und alle wesentlichen Entscheidungen durch die Lehrenden getroffen werden.
Das Modell der Tiefen- und Oberflächenstrategien – Verstehen statt Auswendiglernen. In verschiedenen Untersuchungen fand man, dass sich Lernende konsistent danach unterscheiden lassen, wie sie an eine Lernaufgabe herangehen (Friedrich&Ballstaedt 1997, 6ff): 1.
Eine Gruppe bevorzugt dabei ein Vorgehen, das man im weitesten Sinne als Verstehensorientierung (deep approach) bezeichnen kann. Hier steht das Bemühen um ein ganzheitliches Verständnis des Lehrstoffs im Vordergrund, sowie das aktive Herstellen von Verbindungen zwischen den verschiedenen Komponenten der Lerninhalte.
177
Lernstrategien optimieren
2.
3. 4.
Eine zweite Gruppe bevorzugt ein Vorgehen, das man im weitesten Sinne als Neigung zum Auswendiglernen (Surface Approach) bezeichnen kann. Für diese Gruppe besteht das Ziel des Lernens nicht in erster Linie darin, ein Verständnis der jeweiligen Materie aufzubauen, sondern eher darin, den Stoff wiedergeben zu können. Eine dritte Gruppe schließlich wechselt je nach Situationseinschätzung zwischen beiden Stilen hin und her. Bei ihr steht ein gutes Prüfungsergebnis im Vordergrund. Steiner (2001) nennt eine vierte Gruppe, die erfahrungsorientiert lernt (elaborative approach). Die Lernenden personalisieren die Lerninhalte durch Bezug auf eigene Erfahrungen und konkretisieren durch sie praktische Anwendungen primär außerhalb des Studienkontextes.
Das Modell der Gewissheits- und Ungewissheitsorientierung – Ungewissheit ertragen und Neugier kultivieren. Lernende unterscheiden sich auch im Maß an Ungewissheit, dass sie im Lernen aushalten oder aufsuchen (Huber&Roth 1999, 24ff; Schmidt 2001a, 40ff). Lernen ist immer auch eine Konfrontation mit Unbekanntem, sei es die persönliche Veränderung im Studium, seien es offene Aufgabensituationen oder Lernarrangements. Komplexe Lernumgebungen mit hohen Anteilen an Eigenverantwortung erzeugen oft hohe Ungewissheit. Nicht alle Studierenden profitieren in gleicher Weise von diesen Lernarrangements. Gleichzeitig sind auch Lerninhalte mehr oder weniger der Ungewissheit ausgesetzt. Viele der Lerninhalte der Sozialen Arbeit oder Sozialpädagogik erzeugen ein persönliches Maß an Ungewissheit (z.B. könnte auch ich von einem der Krankheitsbilder, die ich gerade lerne, betroffen werden?) oder lassen Studierende in Ungewissheit, wenn es keine eindeutigen oder Richtig-Falsch-Antworten gibt. Unter Ungewissheitsbedingungen lernen zu können ist eine Schlüsselkompetenz im Studium Sozialer Arbeit. Im Folgenden werden die Persönlichkeitseigenschaften und Bewältigungsmuster von gewissheits- und ungewissheitsorientierten Studierenden gegenübergestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Werte zwischen den Orientierung fließend auf einem Kontinuum vorgestellt werden müssen. Es gibt Mischformen zwischen den Extremen.
Persönlichkeit kognitive Vorlieben
Leistungsvorlieben
Gewissheitsorientierte weniger offen für Erfahrung Abwehr bedrohlicher Aspekte Klarheit aufrechterhalten minimieren negative Informationen
suchen hohes oder niedriges Schwierigkeitsniveau damit Änderung unwahrscheinlich Handlungsorientierung Ergebnisorientierung Orientierung an Vergangenheit und Gegenwart
Ungewissheitsorientierte offen für Erfahrung Bedürfnis nach Wissen und Verstehen Klarheit über Situationen herstellen maximieren positive Informationen suchen mittleres Schwierigkeitsniveau Änderung wahrscheinlich Prozessorientierung Zukunftsorientierung
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Lernwegflankierende Maßnahmen
Informationsverarbeitung Anwendung einfacher Regeln Experten-/Mehrheitsmeinung In kritischen Situationen suchen eher Rat gehen zusätzlicher Ungewissheit aus dem Weg, besonders in für sie wichtigen Situation reagieren eher mit Verdrängung oder Fatalismus versuchen widersprüchliche Informationen nur soweit aufzunehmen, wie sie in ihr Wissen passen soziale Beeinflussung bevorzugen eher Expertenmeinung Als Lernende bevorzugen angeleitetes Lernen in klar strukturierten Situationen ziehen individuelles Lernen und kompetitives Lernen dem Gruppenlernen vor schließen sich eher einer vertrauenswürdig vertretenen Meinung an Beim Gruppenlernen vermeiden widersprüchliche Infos suchen sich durchzusetzen lehnen Kooperation ab mit Leuten, die sich stark von ihnen unterscheiden
systematische Analyse Suche nach zentralen Prinzipien suchen Probleme rational zu lösen stellen sich der Belastung und suchen durch systematisches Vorgehen die Situation zu bewältigen sind bereit, ihre kognitiven Strukturen infrage zu stellen und zu modifizieren
bevorzugen eher pro und contra bevorzugen offenes selbstreguliertes entdeckendes Lernen kooperieren gerne wollen durch systematische Informationsverarbeitung unterschiedliche Sichtweisen und Standpunkte verstehen suchen Wissen neu zu strukturieren suchen die Auseinandersetzung tolerieren die Kooperation mit Leuten, die sich stark von ihnen unterscheiden
Tabelle 13: Bewältigungsverhalten gewissheits-/ungewissheitsorientierter Personen (Schmidt 2001a, 42) Für das Lernen in Studium und Beruf haben diese Ausführungen folgende Konsequenzen:
Es gibt keine stabilen, eindeutigen Lerntypen: Wichtig ist, dass Sie Ihr Lernen der Aufgabe und den Lernerfordernissen entsprechend regulieren können. Mit hoher Erfolgserwartung sollten Sie selbstgesteuertes Lernen (allein oder in Gruppen) suchen und Lernspielräume nutzen. Mit Misserfolgserwartungen sollten Sie sich Orientierung im Lernen und klare Strukturen verschaffen, gleichzeitig aber mehr Autonomie, bewusst gepflegte Zuversicht und Selbststeuerung in Ihr Lernen integrieren. Grundsätzlich lernen Sie mit Verstehensorientierung am besten. Auswendiglernen kurz vor Prüfungen („Surface Approach“) ist keine nachhaltige Lernstrategie.
Lernen planen
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10.2 Lernen planen Erfolgreiche Studierende tun im Wesentlichen vier Dinge (Friedrich&Ballstaedt 1997, 10ff). Sie planen ihr Lernen, verarbeiten Information tiefenorientiert, kontrollieren ihr Lernen (Lernwege und Lernziele) und erhalten ihre Lernmotivation aufrecht. Die Vorbereitung und Planung von Lernprozessen wird häufig unterschätzt, gerade wenn Studierende von der Schule her gewohnt sind, dass die Lernplanung in der Hand von Lehrern liegt. Für Studierende stellen sich Planungsfragen zu Zielen, Wegen und Zeiten des Lernens sowie zur Gestaltung der Lernumgebung bereits bei Studienbeginn mit der gewachsenen Autonomie, die das Studium verglichen mit der Schule gibt und fordert. Im Folgenden werden einige wichtige Planungshilfen und Prinzipien für die Lernplanung im Studium gegeben. 10.2.1 Lernziele setzen Sich Lernziele zu setzen, ist für viele Lernende ungewohnt. Es wird aber gerade durch den gestiegenen Anteil an selbständigem Lernen im Studium nach Bologna immer wichtiger. Auch in der Praxisausbildung wird die Arbeit mit Praxislernzielen häufig zwingend verlangt. Friedrich & Ballstaedt geben folgende Hinweise zur Arbeit mit Lernzielen (Friedrich&Ballstaedt 1997, 12ff). Lernziele in Zwischenziele unterteilen. Die Unterteilung eines Weges in Zwischenziele ist ein bewährtes Prinzip des Problemlösens. Ein komplexes Problem oder ein großer Berg von Aufgaben, den Studierende vor sich sehen, wird in Teilprobleme aufgegliedert, die dann leichter bearbeitbar sind. Zergliederung ist aber auch ein Motivationsprinzip. Nahziele sind leichter erreichbar und schaffen Erfolgserlebnisse. Die Kunst der kleinen Schritte hilft all den Studierenden, denen die Leuchtkraft des Diploms nicht für konstantes Arbeiten im Studium ausreicht. Folgende Fragen zu Lernzielen sind hilfreich für die Planung von Studienabschnitten oder Semestern:
Welche Inhalte sind zu bearbeiten? Welche Prüfungen gibt es (mündliche, schriftliche, Referat, Projekt, Praxisausbildung etc.)? Wie lassen sich die Inhalte in sinnvolle Blöcke untergliedern? Welche Arten von Veranstaltungen müssen besucht werden, in welcher Reihenfolge? Welche Bücher, Textsammlungen, Medienangebote muss ich selbstständig erarbeiten? Welche wichtigen Termine muss ich einhalten?
Ziele konkret formulieren. In einer realistischen Planung darf nicht nur die Tätigkeit „Lernen“ auftauchen, sondern eine konkrete Aufgabe wie z.B. „Theorien der emotionalen und sozialen Entwicklung lernen und eine Fallsituation damit interpretieren“. Pläne schriftlich fixieren. Schriftliche Planung entlastet unseren geistigen Arbeitsspeicher, ist verbindlich und besser kontrollierbar. Zudem werden Kollisionen mit anderen Terminen vermieden.
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Lernwegflankierende Maßnahmen
10.2.2 Alles zu seiner Zeit – Lernzeiten planen Das Ziel einer ernsthaften Zeitplanung ist, die für das Lernen benötigte Zeit sicherzustellen. Dies erfordert eine realistische Einschätzung sowohl der Zeit, die man überhaupt für Lernen aufbringen kann, als auch der erforderlichen Lernzeit. Lernzeiten realistisch planen. In Studium und Ausbildung gibt es viele konkurrierende Tätigkeiten ev. beruflicher, sicher privater Art, die Lernen einschränken. Eine Analyse des Zeitbudgets kann helfen, die verfügbare Zeit einzuschätzen und allfällige Einschränkungen anderer Tätigkeiten (Hobbys, Kontakte, andere Verpflichtungen) für intensive Lernzeiten oder auch generell eine Ausbildung anzupassen. Folgender Selbsteinschätzungs- und -kontrollbogen kann dazu hilfreich sein.
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Lernen planen
Tätigkeitsbereich
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
Total
Mittel
Beruf Arbeitsweg Familie Kursbesuch Fachlektüre andere Lerntätigkeit Haushalt Hobby Entspannung Freunde Sport, Bewegung Politik TV/Radio Essen Schlaf andere wichtige Tätigkeiten Tabelle 14: Selbstkontrollbogen zur Ermittlung persönlicher Zeitbudgets (Schräder-Naef 1994, 84) Wie kann man nun die tatsächlich nötige Zeit für ein Lernvorhaben bestimmen? Alle Anteile mit fixen Zeiten sind einfach zu bestimmen (32 Lektionen sind 32 Lektionen). Anders sieht es mit der Planung von Lektüre, Repetitionen, Prüfungsvorbereitungen, begleitetem und freiem Selbststudium aus. Ausbildungs- und Studienordnungen geben meist eher unrealistische Zeiten an, in denen Prüfungen vorbereitet, eine Arbeit geschrieben oder Texte verarbeitet sein sollten. Beim Lesen z.B. sind die Unterschiede im Tempo groß. Durchschnittlich rechnet man bei Personen bei der Bearbeitung von Studientexten die folgenden Lesezeiten: Zu leichten Stoffen werden ca. 15 Seiten pro Stunde Lesekapazität gerechnet, bei mittelschweren ca. 10 Seiten und bei schweren Lehrstoffen bewältigen Sie ca. 5-6 Seiten pro Stunde. Dies sind Bearbeitungszeiten, die auch die Klärung von Fragen und Verständnisproblemen und das Nachdenken über Textpassagen die Erstellung von Notizen beinhalten sollten.
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Lernwegflankierende Maßnahmen
Prioritäten setzen. Die Analyse von Zeitbudgets erbringt meist das Ergebnis, dass die zur Verfügung stehende Zeit knapp oder zu knapp bemessen ist. Prioritäten setzen hilft, Lernprojekte mit Aussicht in Angriff zu nehmen. Prioritäten setzen heisst, sich zu entscheiden, welchen Dingen man Vorrang geben will und welche man zurückstellt. Um zu diesen Entscheidungen zu kommen, können Fragen der folgenden Art hilfreich sein (Friedrich& Ballstaedt 1997, 13).
Entspricht meine faktische Zeitverwendung meinen tatsächlichen Zielen? Welche Tätigkeiten bzw. Bereiche nehmen unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch? Wo stecken in meinem Zeitbudget noch Zeitreserven? Muss ich andere, aktuell weniger wichtige Tätigkeiten möglicherweise zurückstellen?
Wichtige von dringenden Tätigkeiten unterscheiden. Die dringenden Sachen sind häufig nicht die wichtigsten. Eine ernsthafte Lernplanung sollte sicherstellen, dass die wichtigen Dinge nicht zu kurz kommen. Dies entspricht dem so genannten „Pareto-Prinzip“.
Wichtige und dringende Dinge haben absolute Priorität. Sie erledigen diese sofort. Wichtige, aber nicht dringende Dinge besitzen zweite Priorität. Sie betreffen die langfristige und nachhaltige Arbeit. Um sie sollten Sie sich am intensivsten kümmern. Dringende, aber nicht wichtige Dinge sind Details, die interessant sind, aber im Moment wenig nützlich. Sie können sie deshalb unterlassen. Nicht dringende und nicht wichtige Dinge sind Zeitfresser. Stoppen Sie sie sofort.
Nur 60 % der verfügbaren Zeit verplanen, denn Zeit ist immer Mangelware. Planen Sie 20 % für Unvorhergesehenes und 20 % für spontane Aktivitäten ein, damit Sie nicht in Zeitnöte kommen. Lernetappen verteilen: Durch die Lernforschung ist gut belegt, dass verteiltes Lernen wirkungsvoller ist als massiertes Lernen am Stück und ohne Pause. Verteilen Sie deshalb den Lernstoff lieber über die Woche als alles an einem Tag abzuarbeiten. Pausen einplanen. Pausen zwischen Lernphasen tragen dazu bei, die so genannten Ähnlichkeitshemmungen zu reduzieren (vgl. Kap. 10.7.1). Wenn zwei Aufgaben einander sehr ähnlich sind und geringem zeitlichem Abstand erledigt werden, verlieren evtl. beide an Relevanz und werden beide schwerer erinnert. Pausen sind umso nützlicher, je unähnlicher die Pausentätigkeit der vorhergehenden Lerntätigkeit ist. Wechselnde Arbeitsformen einplanen. Bemühen Sie sich darum, nicht nur lesen, sondern Stoff auch schriftlich und mündlich wiederzugeben, mit anderen Personen das Gelesene diskutieren oder Skizzen, Diagramme, Organizer und Mindmaps dazu anfertigen. Bei komplexeren Aufgaben könnten Sie Wissen mit Fallbeispielen kombinieren, anhand von Anekdoten aus dem Alltag diskutieren oder in Rollenspielen üben und reflektieren. Dies trägt dazu bei, dass das Wissen über mehrere Sinnesmodalitäten aufgenommen, im Gehirn in den verschiedenen Speichern abgelegt und so leichter erinnerbar wird. Wiederholungen einplanen. Je umfangreicher ein Lernstoff, desto wichtiger sind Wiederholungen und zwar möglichst bald nach dem ersten Lernen, weil gerade in der ersten Zeit relativ viel vergessen wird (vgl. Kap. 6.2.4).
Lernen planen Motivation im Lernprozess aufrechterhalten
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Schwankungen der Tageszeit berücksichtigen. Der Organismus unterliegt erheblichen Schwankungen in der Leistungsfähigkeit (Kap. 10.7.1). Es handelt sich dabei um Durchschnittswerte, von denen individuell erhebliche Abweichungen möglich sind. Die eigenen Spitzenzeiten herauszufinden und freizuhalten, ist vermutlich eine Herausforderung. „Heilige Stunden“ sind aber ein guter Weg, produktive Lernzeit auf produktive Tageszeiten zu legen. Diese können am Abend liegen, wenn Sie eher Nachtmensch sind, oder am frühen Morgen, wenn Sie zu den Frühaufstehern gehören. Die tageszeitlichen Orientierungen von Menschen haben mit den Tagesrhythmen zu tun. Sie sind biologisch festgelegt und kaum veränderbar. Orientieren Sie sich an Ihren Erfahrungswerten zu Ihren Wachzeiten. 10.2.3 Alles am richtigen Ort – die räumliche Lernumgebung Die räumliche Lernumgebung. Es gibt in der Ratgeberliteratur viele Hinweise zur optimalen Gestaltung des Arbeitsplatzes. Sie sollen hier nicht vertieft werden. Wichtig ist ein ruhiger, geschlossener Arbeitsplatz, an dem man seine Dinge liegen lassen kann und wo Hilfsmittel wie Fachliteratur, Nachschlagewerke, Lernkarteien, Ordner und der Computer erreichbar und installiert sind. Musik und Lernen. Musik wirkt sich allen gegenlautenden Beteuerungen zum Trotz ungünstig aus. Allen Untersuchungen der Arbeits- und Stressforschung zufolge ist kontinuierlicher Lärm ab 50 Dezibel beeinträchtigend für die geistige Leistungsfähigkeit (Friedrich&Ballstaedt 1997, 13). Einzig beim Superlearning wird ausschließlich leise Barockmusik in Verbindung mit Entspannungstechniken eingesetzt. Superlearning hat nach neueren Untersuchungen keine Wirkungen bei anspruchsvolleren Lerntätigkeiten. Es hilft primär beim Lernen von Vokabeln. Ein dem Autor mündlich berichteter Nebeneffekt war, dass einem ihm bekannten „Superlearner“ später beim Italienisch-Sprechen immer die Musik von Bach im Kopf mitlief. Gelernt wird hier also nicht nur Italienisch, sondern auch die Musik dazu – ein Effekt, wie er durch klassische Konditionierung erklärbar ist. Der eine Reiz wird mit dem anderen fest verbunden. Bei anspruchslosen Hintergrundtätigkeiten wie Texte abschreiben oder Materialien ordnen wird Musik nicht stören. Je komplexer Lernaufgabe aber ist und je bedeutungshaltiger die Geräusche (Gespräche, Hörspiele, Nachrichten, Liedtexte) sind, desto eher beeinträchtigt Musik. Dies gilt auch für Personen, die sich selbst als lärmresistent einschätzen und der Auffassung sind, sie lernten mit Musik besser als ohne sie. 10.3 Motivation im Lernprozess aufrechterhalten Dass Lernen eine ausschließlich freudvolle und lustbetonte Tätigkeit ist, ist ein Glücksfall, einem großen Interesse am Lerngegenstand oder guten Lernstrategien geschuldet. Durststrecken sind im Studium nicht selten. Ein lang ersehntes Ausbildungsende zeichnet sich nicht ab, eine Prüfung ist nicht bestanden, man kämpft mit Ängsten vor Prüfungen, schwierigem Stoff, Überforderung durch Komplexität oder zu dichtem Studienprogramm. Vielleicht läuft auch ein Praktikum nicht wunschgemäß oder eine Projektgruppe steckt fest etc. Im folgenden Kapitel geht es nicht um den grundlegenden Aufbau von Änderungsmotivation (vgl. Kap. 5.4), sondern um den Erhalt der Lernmotivation unter den Bedingungen des Studienalltags. Nicht immer gelingt es, Lernprozesse so zu gestalten, dass sie auch noch Freude machen oder von selbst anregend sind. Lernen auch ein Prozess, der anstrengend,
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Lernwegflankierende Maßnahmen
mühsam oder von Rückschlägen oder Misserfolgen gekennzeichnet sein kann. Es wird in jedem Studium Situationen, Aufgaben oder Veranstaltungen geben, in denen Studierende mit schwierigen Gefühlen umgehen müssen und die Motivation zur Ausbildung aufrechtzuerhalten, ist vermutlich jedem bekannt, der bereits eine solche absolviert hat. Wie eingangs im Modell der Steuerung menschlichen Handeln aufgezeigt, sind Emotionen und Motive elementare und untrennbare Bestandteile menschlichen Handelns und Lernens. Die eigene Motivation bewusst zu aufrechtzuerhalten und mit schwierigen Emotionslagen umzugehen, kann Freude und Zuversicht in Ausbildungskrisen oder bei Durststrecken wieder herstellen. Der bewusste Umgang mit Emotion und Motivation kann solche Krisen vielleicht sogar verhindern oder sie entschärfen. 10.3.1 Lernmotivation Der Begriff der Lernmotivation betrifft Beweggründe und Anreize zum Lernen. Er wird klarer, wenn man sich die Kernfragen der Motivationspsychologie vergegenwärtigt (Konrad&Traub 1999a, 16ff):
Aktivierung und Energetisierung: Warum wird ein Lernender aktiv? Wie kann der Antrieb, die „motivationale Kraft“ erklärt werden? Orientierung und Richtung: Woher kommt die Zielgerichtetheit? Wie sind die Ziele in der Person repräsentiert? Wie beeinflussen und steuern sie das Verhalten? Aufrechterhaltung und Ausdauer: Warum wird die Anstrengung des Lernens im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel durchgehalten? Wie erklären sich Konzentration, Arbeitseifer und Durchhaltevermögen?
Lernen ist kein rein rationaler Prozess. Letztlich kommen nur Personen auf die Idee, Lernund Denkstrategien spontan und selbstgesteuert auszuprobieren, die motiviert sind. Die häufigste Unterscheidung in der Motivationspsychologie ist die zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsisch ist eine Motivationslage, die selbstbestimmt, autonom, individuell und ohne Einfluss äußerer Faktoren auftaucht. Extrinsische Motivation liegt dann vor, wenn Aktivitäten allein instrumentellen Zwecken dienen oder von außen belohnt werden müssen, damit sie durchgeführt werden. Zu Beginn der Schulzeit sind Kinder häufig noch extrinsisch motiviert. Eltern, Lehrer und andere positive Bindungen wirken hier motivierend. Eine berufliche Ausbildung oder ein Studium ist auf intrinsische Motivation angewiesen, auch wenn es hier Elemente extrinsischer Motivation ebenfalls gibt. Der soziale Zusammenhang in der Studiengruppe oder Klasse, Beziehungen, Aussicht auf Verbesserung der beruflichen Position, u.a.m. können hier extrinsisch motivierend wirken. Menschen können nicht wirklich „fremdmotiviert“ werden, das ist eines der Ergebnisse der Motivationsforschung. Wenn Sie mit anhaltenden, ernsthaften und nicht anderweitig bedingten Motivationsproblemen kämpfen, überlegen Sie sich früh, ob dieses Studium das Richtige für Sie ist und nehmen Sie professionelle Hilfe in einer Studierendenberatung in Anspruch. Spitzer spricht davon, dass Menschen von Natur aus motiviert seien. Sie „können gar nicht anders, denn sie haben ein äußerst effektives (Belohnungs-)System hierfür im Gehirn eingebaut. Hätten wir dieses System nicht, dann hätten wir gar nicht überlebt. Dieses Sys-
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tem ist immer in Aktion, man kann es gar nicht abschalten, es wird vermutlich selbst im Schlaf noch aktiv sein. Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist daher etwa so sinnvoll, wie die Frage ‚wie erzeugt man Hunger?’ Die einzig vernünftige Antwort lautet: ‚Gar nicht, denn er stellt sich von alleine ein’“ (Spitzer 2002, 192). Gemäss Spitzer stellt sich eher die Frage, warum so viele Menschen demotiviert sind. Er gibt zur Antwort, dass unsere Gesellschaft systematisch demotiviert. Durch Medienberichte über Menschen, die reich werden, ohne je einen Finger gekrümmt zu haben oder durch Belohnungssysteme, die unter hundert nur eine Person belohnen und 99 leer ausgehen lassen. Ein Grund, warum Menschen demotiviert sind, ist, dass, uns über schulische Systeme der Spaß an uns heute seltsam anmutenden Dingen (wie z.B. Mathematik oder Geschichte) systematisch abgewöhnt wurde. Butterworth beschreibt einen Teufelskreis, der durch schulisches Lernen mit mechanischen, überfordernden oder anders frustrierenden Methoden Motivation systematisch zerstört. Er wird hier als Reflexionshilfe vorgestellt (Butterworth 1999, 256). Wenn Sie feststellen, dass Ihnen die Motivation im Studium im Laufe der Semester oder in einzelnen Fächern mit dem Lauf der Zeit abhanden kommt, prüfen Sie für sich, ob Sie in einem der Schritte des folgenden linken Teufelskreises feststecken.
Abbildung 46: Teufelskreis und virtuoser Kreis der Motivation (Butterworth 1999) Wenn Sie im linken Teufelskreis gefangen sind, versuchen Sie aus ihm auszubrechen und arbeiten Sie an einem Einstieg in den linken, virtuosen Kreislauf. Sie können das auf verschiedene Arten tun. Suchen Sie Aufgaben oder Bereiche, die Ihnen Befriedigung verschaffen, arbeiten Sie an einem konstruktiven Vermeidungsverhalten, arbeiten Sie an der Angst und versuchen Sie, an Teilbereichen wieder Freude zu bekommen. Bleiben Sie im Lernen aktiv und belohnen Sie sich dafür. Stimmen Sie Anforderungen und Können aufeinander ab, suchen Sie sich nicht Aufgaben, die zu schwer oder langweilend leicht sind. Mit diesen Strategien können Sie einen Einstieg in den virtuosen Kreis schaffen, der sich mit der Zeit stabilisiert und sich selbst aufrechterhält.
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Lernwegflankierende Maßnahmen
10.3.2 Motivation in Unterricht und selbstgesteuertem Lernen erhalten Wie sich Studierende in der selbstgesteuerten Lernarbeit motivieren können, beschreibt (Metzger 1995, 13f):
Angemessenes Anspruchsniveau setzen. Gute Ziele sind konkret, messbar und zeitbezogen, sie erlauben eine Zielerreichung zu beurteilen. Gute Ziele sind realistisch und suchen einen mittleren Anforderungsgrad. Zu hoch gesetzte Ziele frustrieren, zu niedrig gesetzte langweilen. Erfolgserlebnisse suchen. Erfolgserlebnisse motivieren zur Weiterarbeit. Wichtige Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein realistischer Ziele, die mit vernünftiger Anstrengung erreichbar sind. Tipps zu Erfolgserlebnissen wären, eine unangenehme zwischen zwei angenehme Aufgaben packen, sich bewusst belohnen, Erfolg genießen, Anstrengung beim Lernen würdigen und nicht den Zufall oder sich selbst entwerten, Gelerntes auch anwenden, damit man sieht, wie Kenntnisse wachsen. Eigenes Interesse wecken. In der Unterrichtspraxis wird gelegentlich allgemeine Motivation vorausgesetzt, damit ein spezifisches Interesse an einem Lerngegenstand entsteht. Dabei ließe sich die Beziehung auch umgekehrt denken. Durch konkrete Interessen an einem Lerngegenstand entsteht die Motivation, sich vertieft damit auseinander zu setzen. Sie können ihr Interesse zu einem Lernstoff selbst wecken, z.B., indem Sie sich fragen, was Sie schon wissen, denn Vorkenntnisse motivieren. Sie können Anwendungsmöglichkeiten für neuen Stoff suchen und diese ausprobieren. Bei uninteressantem Stoff können Sie sich nach jeder Einheit einen (doch noch) interessanten Punkt notieren. Sie können die eigene Neugier kultivieren, an diesem Stoff interessierte Mitstudierende befragen nach deren Interessen. Und Sie könnten gemeinsam nach etwas suchen, was den Stoff interessant macht. Positive Einstellung und positives Denken. Mit positiven Gedanken kann man sich gezielt für Arbeit motivieren. Sich der Unlust bewusst werden und aussprechen, kann eine erste Erleichterung verschaffen; die Haltung pflegen, dass in jedem Fach etwas Interessantes zu finden ist, Interessenwachstum bei sich selbst verfolgen, Aufgaben rechtzeitig erledigen; sich fordern, nicht zu schnell aufgeben, eigene Entschuldigungen nicht akzeptieren, das sind alles Dinge, die lernbar. Kooperativ lernen. Geteilte Mühe mit wenig attraktivem Lernstoff ist halbe Mühe. Wechselseitiges Lehren/Lernen (vgl. Kap. 10.8.6) hilft, mühsamen Lernstoff gemeinsam zu bewältigen. Auch Arbeitspakete oder Abschnitte einer schriftlichen Arbeit auf einen Termin zu vereinbaren und sich Feedback zu geben, ist selbstmotivierend.
Gage und Berliner nennen 15 Strategien, wie Schüler im Unterricht motiviert werden können. Sie sind für Lehrende formuliert und wurden hier für die Selbstmotivation von Studierenden umformuliert. Dreizehn für die studentische Perspektive übersetzbare Strategien werden im Folgenden wiedergegeben. Sie erfordern, wenn es um den Umgang mit Dozierenden geht, ein Stück Selbstvertrauen und Zivilcourage. Jedoch helfen sie langfristig zu motivierterem Lernen und besserem Lernerfolg. Die Strategien werden benannt und mit einigen Hinweisen und Regeln erläutert (Gage&Berliner 1996, 377ff).
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Suchen Sie nach guten Gründen, warum es sich lohnt, sich anzustrengen. Es ist sehr selten, dass Lehrende ihre Studierenden darauf hinweisen, dass die Arbeit an einer Aufgabe auch persönliche Genugtuung verschaffen kann. Nur etwa ein Drittel an Lehreranweisungen bei Aufgaben ist motivierend, im Gegenteil. Lehrende führen Aufgaben mit negativen Bemerkungen ein („Ich weiß, das wird Ihnen nicht gefallen“, oder „Das können Sie vielleicht noch nicht wirklich verstehen“). Sagen Sie sich, warum es gut ist, diese Aufgaben zu lösen oder diesen Unterricht zu besuchen. Suchen Sie nach Gründen, wozu Ihnen dieser Inhalt jetzt oder später helfen wird, warum er wichtig und interessant sein könnte, (und fragen Sie Ihre Dozierenden, warum sie dies sind). Sagen Sie sich präzis, welches Ziel Sie mit einer Aufgabe anstreben wollen. Gelegentlich sind die Ziele einer Aufgabe unklar. Dies führt dazu, dass unklar ist, was Sie tun müssen, um eine Aufgabe erfolgreich zu lösen. Wenn Sie nicht wissen, was von Ihnen erwartet wird, werden Ihre Leistungen schlechter sein und Ihre Motivation wird sinken. Im Unterricht: Fragen Sie Dozierende, wenn Aufgabenstellungen für Einzel- oder Gruppenarbeiten unklar sind. Versuchen Sie, sich Klarheit zu verschaffen, was das Ziel einer Aufgabe ist, oder setzen Sie sich selbst ein klares Ziel – vor allem im Bereich des selbständigen Lernens. Stellen Sie sich auch kurzfristige Arbeitsziele auf. Das Gefühl, etwas geschafft und selbst gesetzte Ziele erreicht zu haben, stärkt die Motivation selbst an Aufgaben, die zuerst als Plackerei erscheinen. Setzen Sie sich kurzfristige (und langfristige) Ziele und loben Sie sich für deren Erreichung. Schon das Abstreichen von kurzfristigen Pendenzen auf einer Arbeitsliste kann als Verstärkung wirken. Es ist die Genugtuung, wieder etwas geschafft zu haben. Loben Sie sich und andere für angemessene Leistungen, holen Sie sich Feedback für positive Leistungen von anderen. Lob, d.h. positive verbale Verstärkung für angemessene Leistungen ist ein wichtiger Motivator, es von Dozenten zu bekommen, wird angesichts überfüllter Hörsäle und Massenveranstaltungen eher schwieriger. Soziale Anerkennung und Selbstanerkennung führen nach vielen Untersuchungen zu Leistungsmotivation. Achten Sie allerdings darauf, dass Sie sich und andere angemessen loben. Gage und Berliner unterscheiden „gutes“ und „schlechtes“ Lob: Verteilen Sie es nicht mit der Gießkanne über jedes Verhalten, dass ein Mitstudierender zeigt, seien Sie auch bei sich selbst kritisch-angemessen mit Selbstlob (dann „stinkt“ es eben nicht!). Aber machen Sie angemessene Komplimente für Fähigkeiten und Leistungen von sich und anderen. Sorgen Sie für sich selbst, indem Sie sich Feedback von anderen (Dozierenden und Mitstudierenden) holen. (Sie dürfen auch Dozierende Komplimente für gute Lehre oder Begleitung machen – das motiviert auch sie und trägt bei zu einem Klima gegenseitiger Wertschätzung). Interpretieren Sie Noten und Testergebnisse mit Bedacht. Tests und Noten wirken trotz vieler kritischer Einwände, die dagegen erhoben wurden als Motivationsfaktoren. Noten stören jene intrinsisch motivierten Leistungen, die Studierende von sich aus erbringen würden. Gute Noten sind aber die Grundlage vielfältiger Formen sozialer Belohnung wie Diplomabschlüsse, Prestige, interessantere Arbeit oder Zugang zu weiterführenden Studiengängen. Betrachten Sie Noten als Information über Ihre Leistun-
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gen, Ihr Können und Ihren Lernzuwachs. Interpretieren Sie sie nicht als Beurteilung Ihrer Person, Strafe oder unverrückbaren Beweis Ihrer Fähigkeit oder Unfähigkeit. Nutzen und fördern Sie Ihre epistemische Neugier. Neue, interessante, überraschende, widersprüchliche, mehrdeutige und komplexe Themen wecken Neugier. Sie lassen eine Art kognitive Wachheit entstehen, die „epistemische“ (erkenntnissuchende) Neugier genannt wird. Sich über ein neues Thema Klarheit und Durchblick zu verschaffen, kann große Genugtuung und Lernfreude verschaffen. Durch folgende Strategien können Sie Ihre epistemische Neugier anstoßen: Suchen Sie Überraschungen und unerwartete Wendungen beim Lernen. Arbeiten Sie an Zweifeln oder Konflikten zwischen Unglauben und Glauben. Stellen Sie sich Verwirrung und Unsicherheit, denn sie sind Motoren des Lernens. Kultivieren Sie den Umgang mit Ratlosigkeit und Widersprüchen, nehmen Sie sie als Herausforderung. In all diesen Situationen, die durchaus unbequem sind, werden innere Konflikte erzeugt, die eine Herausforderung darstellen und motivieren können. Tun Sie hin und wieder etwas Unerwartetes. Achten Sie darauf, dass Ihre Lernstrategien nicht zu ermüdender Gewohnheit oder zu alltäglich und gewöhnlich werden. Wechseln Sie ab, sowohl in den Techniken (Lernkarten, Mindmaps, Memorieren) wie in den Sozialformen (allein, zu zweit, in Gruppen, mit vertrauten und unvertrauten Studierenden, tieferen und höheren Semestern. Lernen Sie so, dass Sie mehr Appetit bekommen. Für das Lernen gilt das Gleiche wie für das Essen. Sättigung ist gangspezifisch. Sie könnten nicht fünfmal die Vorspeise essen, aber auch wenn Sie satt vom Hauptgang sind, vertragen Sie noch ein Dessert. Also wechseln Sie ab, suchen Sie die Lerninhalte, die Ihnen Appetit machen, belohnen Sie sich frühzeitig und suchen Sie soziale Anerkennung von anderen für Ihr Gelerntes. Arbeiten Sie in der Anfangsphase mit leichteren Inhalten, die Ihnen Erfolg vermitteln. Nutzen Sie die Anwendung von früher Gelerntem: Sie gibt Ihnen das Gefühl, etwas Nützliches gelernt zu haben. Durch Anwendung wird Ihr Wissen gestärkt und bekräftigt. Sie unterstützen also auch bei sich selbst die Nutzung von Wissen. Unterricht ist nicht etwas, wo nur und dauernd Neues gelernt wird. Wo immer möglich, greifen Sie auf früher Erworbenes zurück, auch Dozierende wird dies freuen und Sie werden positive Rückmeldung bekommen. Lernen Sie spielerisch. Nutzen Sie die gleiche Energie, Begeisterung und Verbissenheit, mit der Sie früher „Space Invaders“ oder „Risiko“ gespielt haben, für spielerische Lernformen. Lassen Sie dabei auch kompetitive Elemente zu wie gegenseitige Kartenabfrage mit Punkten, Gewinnern und Siegesprämien oder Preisen. Reduzieren Sie unangenehme Konsequenzen auf ein Minimum und vermeiden Sie Dämpfer und Strafen für Ihre Motivation. Gage&Berliner nennen eine Vielzahl unangenehmer Konsequenzen beim Lernen, die Motivation dämpfen. Sie geben folgende Empfehlungen zu deren Vermeidung oder Reduktion (Gage&Berliner 1996, 386): – Vermeiden Sie Verlust der Selbstachtung, z.B. wenn Sie etwas nicht verstehen. – Reduzieren Sie physisches Unbehagen (langes Sitzen). – Vermeiden Sie schlechte Sicht und schlechte Akustik im Unterricht. – Reduzieren Sie Frustration infolge vorenthaltener Anerkennung.
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Ignorieren Sie Botschaften, dass Sie ‚etwas doch nicht verstehen werden’. Vermeiden Sie, mitten in interessanten Sachen aufhören zu müssen. Vermeiden Sie, etwas zu lernen, das für Sie zurzeit zu schwierig oder zu leicht ist. Lassen Sie nicht zu, dass Dozierende Bitten um Hilfe ignorieren. Wehren Sie sich gegen Tests, die unverständlich, überkomplex oder trivial sind. Lassen Sie nicht zu, zu spät oder nie zu erfahren, wie gut Ihre Leistungen sind. Vermeiden Sie dauerndes Beeilen, um mit schnelleren Studierenden mitzuhalten. Vermeiden Sie, zu konkurrieren, wenn ohnehin nur wenige Erfolg haben können. Vermeiden Sie, in Gruppen unmotivierter oder sehr viel schwächerer Studierender zu arbeiten. – Lassen Sie sich nicht zwingen, langweiligen und banalen Unterricht auszuhalten. – Vermeiden Sie wenn möglich das Lernen bei Dozierenden, die augenscheinlich kein Interesse an ihrem Stoff haben. – Lassen Sie sich nicht zwingen, sich in ungewollter, unangenehmer, demütigender Art verhalten müssen. Suchen Sie sich ein soziales Klima, das gute Leistungen nicht entwertet. Gute Leistungen im Studium sind unter Studierenden häufig sehr ambivalent besetzt. Leistungsstarke Schüler gelten als Streber und sind im deutschen Sprachraum, ganz im Gegensatz zum angloamerikanischen Kulturkreis eher unbeliebt. Viele Untersuchungen kommen dagegen zum Schluss, dass an Schulen, in denen es nicht verpönt ist, gute Leistungen zu bringen, diese auch besser sind. Achten Sie darauf, dass Leistung von Ihnen und anderen nicht entwertet oder tabuisiert wird. Respektieren und wertschätzen Sie gute Leistungen. Verweigern Sie Verstärkung für leistungshemmendes aber sozial vielleicht attraktives Verhalten wie eine coole laissez-faire-Arbeitshaltung, Bagatellisieren und Ironisieren oder notorisches Nörgeln am Studium. Bemühen Sie sich um Partizipation und Identifikation mit der Hochschule. Versuchen Sie, ihren Ausbildungsort aktiv mitzugestalten und eine Identifikation mit Ihrem Studium zu erlangen. Geben Sie Anregungen und Verbesserungsmöglichkeiten an Dozierende und Mitstudierende. Sorgen Sie so für Ihr Selbstwirksamkeitserleben und tragen Sie zu einer Lernkultur an der Hochschule bei. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Verbesserungen nicht gleich greifen. Nicht alles kann realisiert werden und von manchem werden erst nächste Studierendengenerationen profitieren, aber Sie tragen auch etwas zur Entwicklung Ihrer Ausbildungsstätte bei. Nehmen Sie Ihre Selbstverantwortung wahr und seien Sie Ihre eigene Chairperson auch im Lernen. Machen Sie nicht andere verantwortlich für eigene Lernprobleme. Bemühen Sie sich stattdessen, Versorgungs- und Konsumhaltungen im Unterricht abzulegen. Eine Ausbildung ist keine Lernshow, in der es primär um das Unterhalten werden geht. Sie ist kein Edutainment, auch wenn unterhaltsame Veranstaltungen angenehm sind. Lernen ist auch Anstrengung. Sie haben Ihr Studium frei gewählt – selbst wenn Sie sich nicht immer alle Lehrveranstaltungen aussuchen können.
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10.4 Emotionen im Lernprozess beeinflussen Emotionen spielen in unserem Leben eine, wenn nicht die zentrale Rolle. Damasio drückt dies in seinem Buchtitel in Umkehrung des Satzes von Descartes aus: „Ich fühle, also bin ich“ (Damasio 2001). Die Ergebnisse vieler Wissenschaftsrichtungen bestätigen, dass Emotionen für Lernen und Handeln essentiell sind. Sie beeinträchtigen es, wenn sie dauerhaft negativ sind durch geringe Lebenszufriedenheit, hohe Besorgtheit, Stress oder Angst und sie verschaffen uns Glückszustände oder Flow (Csikszentmihalyi 2005), wenn wir beim Lernen ganz im Moment aufgehen und präsent sind. Kaum jemand wird ernsthaft bestreiten, dass folgende Dinge unser Lernen direkt beflügeln oder beschweren. Freude über Erfolg oder Gelingen Ärger über Misslingen Stolz auf eine Leistung Scham über eine Blamage Entspanntheit durch Sicherheit Anspannung durch Unsicherheit Überraschung durch Interessantes Langeweile durch Uninteressantes Neugier auf Neues Angst vor Neuem oder Überforderndem Hoffnung auf Lernerfolg Resignation über Stagnation Zufriedenheit über Geschafftes Unzufriedenheit über Stress, Unerledigtes Glück / Flow in der inneren Präsenz Unglück über Demütigung, Misserfolg Zuversicht über eigene Kraft Besorgtheit über mangelnde Fähigkeiten Interesse / Zuneigung zu einem Fach Widerwillen / Abneigung gegen ein Fach „Versöhnt sein“ mit sich, Noten ... Schuldgefühl / Hadern mit sich, Noten... Tabelle 15: Beispiele für lernrelevante Emotionen und Gegenstände In welcher Weise beeinflussen nun Emotionen Ihr Lernen? Die Rolle der Emotionen beim Lernen ist die eines Motivators oder einer Barriere beim Lernen. Die Beteiligung von Emotionen verbessert das Lernen erheblich (vgl. Spitzer 2002, 160f). Negative Gefühle sind dabei zu vermeiden, sie stören und hemmen nachhaltiges Lernen. Negative Emotionen schränken unsere Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Gedächtnistätigkeit ein: Die Wahrnehmung engt sich ein, neurologisch für das Gedächtnis wichtige Funktionen z.B. im Hippocampus, der für die Speicherung von Ereignissen wichtig ist, werden eingeschränkt und die Amygdala, die Kampf- und Fluchtreaktionen auslöst, wird aktiviert. Die Aktivität der Großhirnrinde (elaborierte Verarbeitung) wird in Richtung einer oberflächlichen Informationsverarbeitung reduziert. Negative Ereignisse können zwar die Erinnerung massiv fördern (Schreckereignisse, zu denen man noch Jahre später alle Details weiß), aber dies sind Einzelfakten und das Lernen von Zusammenhängen und Verständnis wird durch Angst und Schrecken erschwert und behindert, vom Erwerb komplexer kognitiver oder körperlicher Fähigkeiten ganz abgesehen (Spitzer 2002, 158). Wer z.B. beim Klettern unter Angst leidet, wird sein Bewegungsrepertoire nicht ausschöpfen können, sich verkrampft bewegen und auch aus Fehlern nicht lernen können, geschweige denn neue Bewegungsmuster erwerben. Spitzer weist anhand verschiedener Untersuchungen nach, dass emotionale Erregung dazu führen kann, dass wir uns bestimmt Dinge besser merken (Spitzer 2002, 158). Emotional starke und viele Menschen verbindende Erlebnisse wie der Terroranschlag am 11. September 2001 in New York oder das Attentat auf J.F. Kennedy machten einen von vielen
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Effekten von Emotionen auf das Lernen deutlich. Die meisten Menschen, die diese Ereignisse erlebten, erinnern sich lebhaft daran, wo sie waren, wie sie davon erfuhren und erinnern meist auch noch viele Details. Nicht nur negative, auch positive Ereignisse wie das erste Verliebtsein, aus dem Alltag herausgehobene Episoden wie Reisen oder andere positive lebensgeschichtliche Erfahrungen fördern die Erinnerung von Ereignissen und Details. Spitzer nennt Untersuchungen, nach denen eine Geschichte, die emotional völlig neutral erzählt wird, sehr viel schlechter erinnert wird, als unter Beteiligung von Emotionen (Spitzer 2002, 158). Zwei gleichlange und gleich komplexe Geschichten (Der Weg eines Jungen in ein Krankenhaus und anschließende Behandlungsmaßnahmen) wird viel deutlicher erinnert, wenn der Junge in der Geschichte einen schweren Unfall hatte, als wenn er seinen Vater besuchen ging. In einem zweiten Versuch dämpfte man die Emotionen der Versuchspersonen mit einem Medikament und wiederholte den Versuch. Die medikamentöse Dämpfung der emotionalen Reaktionen in der bewegenden Geschichte hatte offensichtlich zu einer Reduktion der Gedächtnisleistung geführt (Spitzer 2002, 158f). Beim Lernen von Sprachen konnte Spitzer nachweisen, dass die Lernleistung besser ist, wenn Wörter in einem emotional positiven Kontext gelernt werden: Dies lässt sich mit modernen bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie bis in die aktivierten Gehirnregionen nachweisen: Bei negativen Emotionen wird die Amygdala („Mandelkern“) aktiviert, der Teil des Gehirn, der für eine Aktivierung von Kampf- und Fluchtreaktionen vorbereitet. Für positive Emotionen wurde der Hippocampus aktiviert, ein Teil des limbischen Systems, der zum Lernen von Ereignissen und Fakten unabdingbar ist. 10.4.1 Positive lernrelevante Emotionen stärken In der pädagogischen Psychologie wird viel über negative Emotionen und deren Vermeidung geschrieben. Vorzugsweise Stress und Prüfungsangst werden häufig thematisiert (Pekrun&Götz 2006). Positive lernrelevante Emotionen hat die Forschung bislang aber erheblich vernachlässigt (Pekrun 1998, 230ff). Im Folgenden soll also der Fokus auf positive Emotionen beim Lernen gerichtet werden und darauf, wie sie durch eigenes Handeln verstärkt oder erhalten werden können. Ein positives Lernklima ist eine der Voraussetzungen von Lernfreude. DeCharms konkretisiert dies als ein Lernklima von Origins (Urhebern, Verursachern) oder Pawns (Bauernfigur beim Schach), das Selbstwirksamkeit, Aktivierung und Beteiligung fördert oder hemmt (DeCharms 1979). Um ein Origin-Lernklima zu erleben, sollten Sie im Studium sich als Person akzeptiert fühlen und in Inhalten, Anforderungen und Abläufen transparenten Unterricht erleben. Sie sollten Nichtwissen einbringen können, Ihre Erwartungen äußern und Interessen nachgehen können und Ihre Lernwege selbst wählen können. Sie sollten persönlichen Lernzuwachs erleben und Feedback darauf erhalten, sich als Experten und als selbstwirksam erleben dürfen und schließlich soziale Unterstützung durch Mitstudierende und Dozierende erfahren dürfen (Wahl 2001c). Dozierende gestalten ihren Unterricht so, dass ein Origin-Lernklima entsteht oder verhindert wird. Prüfen Sie, ob und welche Kriterien für Ihren Unterricht zutreffen und geben Sie Dozierenden allenfalls Rückmeldungen zum Lernklima im Modul oder fordern Sie wichtige Dinge im Unterricht ein. Die Rahmenbedingungen des Studiums oder einzelne Studienteile wie Massenvorlesungen oder
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überfüllte Seminare können Sie vielleicht aber nicht ändern. Was können Sie selbst für positive Emotionen beim Lernen tun?
Selbstaufmerksamkeit und Introspektion ist die Basis aller persönlichen Arbeit an Emotionen. Nur wer aufmerksam auf Empfindungen, Emotionen und Gedanken ist, kann an sich arbeiten. Selbstaufmerksamkeit lenkt nach innen, steigert die Emotionsempfindung und ist Voraussetzung für Selbsterkenntnis (Schwarzer 2000, 68ff). Selbstwirksamkeit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Sie Lernfreude behalten. Versuchen Sie, diese auch in Lehrveranstaltungen herzustellen, die Ihnen diese nicht von selbst bieten. Selbstbekräftigung. Eigenlob hilft, wenn es auf realistischer Einschätzung beruht. Geben Sie sich selbst Anerkennung für überstandene Schwierigkeiten oder gute Leistungen, kultivieren Sie eine Haltung, die Ansporn und Zufriedenheit ausbalanciert. Zugehörigkeit und Beziehung. Einsamkeit macht unglücklich. Pflegen Sie Kontakt im Studium und sie werden Ihre Lernfreude erhöhen. Widersetzen sich der Erledigungsmentalität und dem bolognabedingten Punktesammeln durch eigene Schwerpunkte und Themen, die Sie interessieren, vor allem in den unteren Semestern, wo häufig viele Pflichtveranstaltungen gesetzt sind. Begegnen Sie Misserfolgen und Rückschlägen mit einer positiven Fehlerhaltung. Versuchen Sie, Selbstentwertungen durch Stoppcodes zu bremsen oder innere Plaggeister positiv umzudeuten. Origins und Pawns. Lassen Sie sich von Dozierenden nicht als Pawns behandeln, sondern insistieren Sie auf einem Umgang mit Ihnen als Individuum, als Origin. An vor allem großen Hochschulen herrscht eine erhebliche Anonymität, aber Sie müssen keine Nummer sein. Vermeiden Sie schweren und chronischen Stress. Er ist ungesund, neuropsychologisch blockierend und sehr schlecht für Lernleistungen (Spitzer 2002, 171). Lernen bei guter Laune funktioniert am besten (Spitzer 2002, 167). Allgemeine Lebensumstände: Tragen Sie Sorge für Ihr Wohlbefinden durch die Umstände des eigenen Lernens. Geldverdien-, Familien-, Konsum-, Zügel-, WG-, Freizeit-, Wohn- und Beziehungsstress sind abträglich, nicht nur für Ihr Lernen. So banal es klingt, aber äußere Faktoren prägen uns nachhaltig und wer es schafft, sich zuträgliche Lebensumstände einzurichten, wird mit mehr Freude studieren.
10.4.2 Lernen und Angst Seit langem ist bekannt, dass Angst gelernt ist. Es gibt vermutlich nur zwei biologisch verankerte Ängste, die vor dem Fallen und die vor lautem Knall. Sie lassen sich bereits bei Säuglingen als Reflexe nachweisen. Alle anderen Ängste sind gelernt – zum Teil sinnvolle Hinweise auf Gefahrensituationen, zum Teil nicht mehr adäquate Reste früherer Situationen, die uns bis heute prägen. Angst wird durch klassisches Konditionieren, das Koppeln von Angst auslösenden Reizen und Angst als bedingter Reaktion, sowie durch Verstärkung oder Bestrafung gelernt. Der unangenehme und Angst auslösende Reiz wird über das Zwischenhirn (Reizverarbeitung) und das limbische System (Anreicherung mit Emotionen) weitergeleitet, die
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Amygdala bereitet sog. „flight-and-fight“-Reaktionen in Bruchteilen von Sekunden vor (Blutdruck, Puls, Atmung, Muskelspannung steigen). Dies sorgt dafür, dass wir in Gefahrensituationen gewappnet sind. Spitzer beschreibt den zugrunde liegenden neurobiologischen Prozess des Lernens von Angst wie folgt: Die Information wird von der Netzhaut an einen Teil des Zwischenhirns weitergeleitet. Noch bevor die visuelle Information verarbeitet ist, geht eine Art schlechte Schwarz-Weiß-Kopie an die Amygdala weiter, die sofort für die Vorbereitung des Körpers für Flucht oder Abwehr sorgt: Puls, Blutdruck Muskelspannung werden gesteigert. Diese Reaktion des Mandelkerns läuft automatisch ab und sichert das Überleben des Organismus (Spitzer 2002, 162). Was für das Lernen der Angst vor gefährlichen Tieren gilt, gilt prinzipiell auch für Lernen. Lernprozesse, die unter Angst oder unter positiven Emotionen ablaufen, können neurobiologisch folgendermaßen vorgestellt werden: Unter negativen Emotionen setzt die Angst-Kampf-Flucht-Reaktion ein und behindert damit eine verstehens- und tiefenorientierte Informationsverarbeitung. Unter Entspannung oder positiven Emotionen werden die körpereigenen Belohnungssysteme aktiviert und ein tiefenorientierter, die bewusste Informationsverarbeitung aktivierender Lernprozess erst ermöglicht. Die untenstehende Graphik macht die dabei ablaufenden neurobiologischen Verläufe sichtbar.
Abbildung 47: Lernen unter Anspannung und unter Entspannung / positiven Emotionen In der pädagogischen Psychologie wurden vor allem Angst, Ärger und Scham als relevante Emotionen untersucht, weil sie nachhaltig Lernerfolg und -freude beeinträchtigen, andererseits aber auch beträchtliche Energien zur Bewältigung der angstauslösenden Situationen
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hervorrufen können (Krapp&Weidenmann 2001, 216). Da Prüfungsangst zu den beeinträchtigendsten Gefühlen im Studium gehört, sollte sie in jedem Fall ernst genommen werden. Im Folgenden wird deshalb auf das Problem eingegangen. Es werden Erklärungen zur Entstehung und Hilfen zu deren Bewältigung angeboten. 10.4.3 Prüfungsangst erkennen, verstehen und bewältigen Prüfungsangst beschreiben Pekrun & Götz folgendermaßen (Pekrun&Götz 2006, 248): Die affektive Komponente stellt sich als unlustvolles, nervöses Gefühl der affektiven Erregung dar, das physiologisch an Subsysteme des limbischen Systems gebunden ist. Die kognitive Komponente zeigt sich in gesteigerter Sorge um einen drohenden Misserfolg und seine möglichen Konsequenzen. Die physiologische Komponente zeigt sich als periphere physiologische Erregung mit Symptomen wie Schwitzen, erhöhter Herzfrequenz, Übelkeit u.a. und schließlich wirkt Prüfungsangst auch als motivationale Komponente, durch Flucht- und Vermeidungstendenzen. Prüfungsangst kann unterschiedliche Wirkungen haben:
In leichterer Form zu intensiverer Arbeit und Anstrengung kann sie motivieren und zu Prüfungserfolg beitragen. Dies geschieht auf der Basis extrinsischer Motivationslagen. In intensiver Form reduziert sie Lernfreude und intrinsische Motivation. Durch sorgenvolles Gedankenkreisen lenkt sie vom Lernen ab und in Prüfungen zieht sie die Aufmerksamkeit ab, was zu Fehlern und Leistungsminderung führt. Sie unterdrückt sicher andere positive Emotionen. Sie unterdrückt die Selbstregulation des Lernens und begünstigt Tendenzen, die Ziele und Strategien des Lernens Autoritätspersonen zu überlassen. Sie unterdrückt flexible und kreative Lern- und Arbeitsstrategien vor wie auch in Prüfungen. Gleichzeitig begünstigt sie wenig erfolgreiche, weil rigide, analytische und detailorientierte Strategien wie das Auswendiglernen und führt so zu einer oberflächlichen Stoffverarbeitung. Sie kann schließlich Wünsche nach Vermeidung von Misserfolg und in der Folge Vermeidungsverhalten hervorrufen (Pekrun&Götz 2006, 251).
Auch wenn leichtere Prüfungsangst positive Effekte wecken kann, für die Mehrheit der Lernenden wird von negativen Effekten von Prüfungsangst auf Lernprozesse, Prüfungsleistungen, Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit ausgegangen (Pekrun&Götz 2006, 248). Deshalb zunächst zur Entstehung von Prüfungsangst einige Erklärungen. Prüfungsangst entsteht durch Stress, dieser wird mit dem Stress-Coping-Konzept (Lazarus&Folkman 1984) erklärt. Studierende schätzen nach diesem Konzept in einer ersten subjektiven Bewertung („primary appraisal“) die Bedrohlichkeit einer Prüfung ein. „Welche Folgen hat das Ereignis und wie bedrohlich ist es für mich“. Sie prüfen dabei ihre vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten. „Welche konkreten Kenntnisse und Fertigkeiten habe ich?“ („secondary appraisal“). Die Bewertung der Situation und geeigneter Maßnahmen hängt dann noch von personalen und sozialen Ressourcen ab. „Wie gelassen, selbstvertrauend, zuversichtlich bin ich?“ und „welche Unterstützung von Kollegen, Familie, Partner habe ich?“. Die Wahrscheinlichkeit von Angst ist dann hoch, wenn eine Prüfung einen hohen Stellenwert hat, die Wahrscheinlichkeit des Versagens hoch ist und keine hinreichenden Handlungsmöglichkeiten zur Gefahrenabwehr wahrgenommen werden.
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Ungünstige Faktoren in der Entstehung von Prüfungsangst sind
ein schwaches Selbstkonzept der eigenen Fähigkeiten und ein hoher Kontrollmangel („eigentlich wäre ich schon lernstark, aber ich kann meinen Fähigkeiten nicht wirklich trauen“; „Ich kann die Dinge um die Prüfung nicht wirklich beeinflussen“), eine ausgeprägte Misserfolgserwartung („Diese Prüfung wird todsicher schief gehen“), eine subjektiv hohe Bewertung der Ergebnisse („Diese Prüfung entscheidet für mich endgültig, ob ich das Studium schaffe oder nicht“) (Krapp&Weidenmann 2001, 217).
Für die Entstehung von Prüfungsangst sind aber nicht allein die Lernenden verantwortlich. Auch die Bedingungen der Lernumgebung und des sozialen Umfelds von Lernenden können zu Prüfungsängsten beitragen. Drei Variablen tragen dazu bei (Pekrun&Götz 2006, 251f). Die Art der Instruktion und Lernumgebung kann Prüfungsängste fördern. Wenn in der Lernumgebung mangelnde Strukturen und zu hohe Schwierigkeiten gesetzt werden, steigen der erlebte Kontrollverlust, die Misserfolgserwartung und das Ungewissheitserleben. Das begünstigt mögliche Ängste. Wenn die Prüfungen selbst sehr bedeutsam, eher selten, wenig transparent und zu schwierig sind, tragen sie zur Entstehung von Ängsten bei. Und schließlich sind die Bedingungen des sozialen Umfelds angstmindernd oder -fördernd. Erwartungen durch Eltern, Partner und Peers, die (fehlenden) Rückmeldungen zu den Leistungen und die Konsequenzen (guter oder schlechter) Leistungen verändern Prüfungsangst. Hohe Leistungserwartungen von Angehörigen, wettbewerbsartige Strukturen in der Studierendengruppe, gegenseitige Affektansteckung in Gruppen, aber auch die drohenden Sanktionen nicht bestandener Prüfungen tragen zu gesteigerter Prüfungsangst bei. Alle diese Faktoren lassen sich in der folgenden Graphik veranschaulichen. Dort werden im Weiteren, bezogen auf die Entstehungsfaktoren, auch die Bewältigungsformen von Prüfungsangst verdeutlicht.
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Abbildung 48: Bedingungen, Wirkungen und Bewältigungsformen von Prüfungsangst (Pekrun&Götz 2006, 250, kleinere Veränderungen, ww) Die Bewältigung von Prüfungsangst auf der Basis des Stress-Coping-Konzeptes benötigt an die jeweiligen Ursachen angepasste Strategien. Es werden problem-, kognitions-, emotionsund umgebungsorientierte Strategien unterschieden. Problemorientierte Strategien verbessern die Vorbereitung und Bearbeitung von Prüfungen, sie stärken wirksames Lernen vor und Handeln in Prüfungen und wirken über das Prüfungswissen und die Arbeitsstrategien. Wer schlecht vorbereitet und ohne Plan in eine Prüfung geht, muss sich über Prüfungsangst nicht wundern. Wissen und wirksame Vorgehensweisen geben Sicherheit und Vertrauen, sie wirken auch auf die Angst. Müller gibt folgende Empfehlungen zu problemorientierten Strategien (Müller 1993, 32f):
Leute, die Prüfungsangst haben, sind in der Regel fleißig und ihr Scheitern hat oft ineffiziente Vorbereitung oder Übermüdung als Ursache. Bereiten Sie sich wie hier gezeigt auf Prüfungen vor und kommen Sie ausgeschlafen an Prüfungen. Suchen Sie Simulationen, in denen Sie Prüfungen üben können. Abfragen, Wissenswettkämpfe, öffentlich Fragen stellen, sich in harmlosen aber angstauslösenden Situationen exponieren. Sie werden daran wachsen und ihr Selbstvertrauen steigt. Nutzen Sie dabei Entspannungstechniken. Sobald Sie in eine unproduktive Lernhektik verfallen, unterbrechen Sie für ein bis zwei Minuten. Versuchen Sie sich zu entspannen (vgl. Kap. 10.11), zu sammeln und steigen Sie dann wieder ein.
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Kognitionsorientierte Strategien reduzieren sorgenvolles Gedankenkreisen und das Abziehen der Aufmerksamkeit beim Lernen und in der Prüfung. Umdeutungen zur Wichtigkeit einer Prüfung, zu den Konsequenzen eines Scheiterns, die bewusste Arbeit an Zuschreibungen (Pech oder Glück, Fähigkeit oder Schwierigkeit) sind hilfreich, um negative Gedanken zu bewältigen und einzudämmen. Konkrete Selbstinstruktionen wie im Kap. 10.11 beschrieben, können unterstützend wirken („Ich schaffe das“, „ich bin gut vorbereitet“). Weiter können Übungen zu Konzentration und Aufmerksamkeit das Denken stärken. Müller gibt für kognitive Strategien folgende Empfehlungen (Müller 1993, 32f):
Denken Sie daran, dass ein bisschen Prüfungsangst notwendig ist. Es ist wie das Lampenfieber von Schauspielern, die ohne es unter ihrem Leistungsniveau bleiben und dementsprechend vorher skeptisch werden, wenn es ihnen fehlt. Fragen Sie sich, ob ein Scheitern wirklich so schlimm ist. In der Regel können Sie Prüfungen und danach Module mindestens einmal wiederholen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie in Ihrem Leben bereits viele Prüfungen bestanden haben und, dass Sie alles getan haben, um gut vorbereitet zu sein.
Emotionsorientierte Strategien zielen auf eine direkte Veränderung des emotionalen Befindens. Dazu gehören alle Verhaltensweisen, die Stress und Anspannung reduzieren wie z.B. Entspannungstechniken, Freizeitgestaltung, Meditation und Sport. Durch Gespräche kann Prüfungsangst zugelassen und akzeptiert werden. Es können durch Humor, Musik und soziale Unterstützung angstinkompatible Emotionen geweckt und Angst eingedämmt werden. Und schließlich kann auch das konstruktive Vermeiden allenfalls ein hilfreiche Strategie sein. Wenn Sie Gespräche mit ähnlich ängstlichen Studierenden meiden, mindern Sie mindestens Ihre Affektansteckung. Gehen Sie mit Medikamenten besonders kritisch um. Schlafmittel z.B. reduzieren Ihren REM-Schlaf, der für Informationsverarbeitung und Lernleistungen wichtig ist. Ein Teil psychoaktiver Medikamente hat mittelfristig persönlichkeitsverändernde Wirkungen und viele Beruhigungsmittel haben ein hohes Suchtpotential. Müller favorisiert demgegenüber folgende Möglichkeiten (Müller 1993, 32f):
Wenn Sie Ihre Gedanken vor dem Schlaf nicht vom Lernen lösen können, beginnen Sie frühzeitig, an anderes zu denken. Lernen Sie abends weniger lange und nutzen Sie Entspannungstechniken zum Einschlafen. Stärken Sie Ihre physische Widerstandskraft durch alles, was hilft, Angst abzubauen: Sport, körperliche Betätigung, geregelter Rhythmus und definierte Freizeit. Reden Sie mit Menschen, die Sie schätzen, suchen Sie Unterstützung bei Freunden und in der Familie, bei Menschen, die Ihnen Sicherheit und Wohlbefinden geben.
Umgebungsorientierte Strategien versuchen, die soziale und Lernumgebung zu beeinflussen und so die Rahmenbedingungen für Angst zu verändern. Hierbei sind besonders die Angemessenheit der Schwierigkeiten, die Transparenz der Anforderungen und Inhalte und die Schaffung positiver Umgebungsbedingungen relevant (Müller 1993, 32):
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Reden Sie mit Menschen (Eltern, Dozierende, Kollegen, Partner), die Sie unter Erfolgsdruck setzen. Teilen Sie ihnen mit, dass sie Ihnen damit nur schaden. Vermeiden Sie den Umgang mit ihnen, wenn sie Druckversuche oder Panikmache nicht stoppen. Reden Sie mit den Dozierenden und sorgen Sie für sich und Ihre Mitstudierenden für Klarheit an Prüfungsanforderungen und Transparenz in den Abläufen. Setzen Sie gemeinsam gegen angstinduzierende Bedingungen in der Lernumgebung oder angstinduzierendes Verhalten von Lehrenden offen und deutlich zur Wehr.
Sollten diese Formen der Selbsthilfe nicht wirksam sein, sollten Sie über therapeutische Verfahren zur Behandlung Ihrer Prüfungsangst nachdenken und allenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die psychotherapeutischen Verfahren bei störender Angst sind gut untersucht und hochwirksam. Es stehen emotionsorientierte Therapiemethoden wie Angstinduktion, Biofeedbackverfahren, Entspannungstraining, systematische Desensibilisierung zur Verfügung. Weiter gibt es kognitive Verfahren wie Aufmerksamkeitstraining, kognitive Umdeutung, Arbeit an Denkstilen oder Skills Trainings, die auf Lern- und Prüfungsstrategien zielen. Die verhaltenstherapeutisch orientierten Methoden sind hier allgemein als gut wirksam anerkannt (Pekrun&Götz 2006, 256), weiter auch traumaorientierte Methoden, die allerdings entsprechend ausgebildete Therapeuten erfordern (Huber 2003). 10.5 Metakognition – eigenes Lernen steuern Metakognition ist das „Denken über das eigene Denken“, im Sinne einer begleitenden Kontrolle eigenen Lernens. Es meint Organisations- und Koordinationsprozesse im Lernen, ein Management des eigenen Lernens. Die Prozesse der Metakognition haben sich in der Forschung als immer wichtiger für erfolgreiches Lernen erwiesen (Konrad&Traub 1999a, 15f). Sie gelten als einer der Schlüsselfaktoren für wirksames Lernen. Zwei Formen von Metakognition werden unterschieden: Das Wissen über die eigene Person und die Lernaufgabe: Inwiefern kennt ein Lernender sich selbst, seine Stärken und Schwächen, seine lernbezogenen Gedanken, Emotionen und Motivationen? Die Kontrolle und Regulation des eigenen Lerngeschehens. Inwiefern nutzt ein Lernender Verfahren des Lernens, Denkens und Problemlösens bewusst? Indem das Individuum metakognitive Aktivitäten im Sinne der Überwachung, Kontrolle und Regulation von Kognitionen einsetzt, versucht es, sein Strategiewissen zu optimieren und Entscheidungen über das weitere Vorgehen und den Strategieeinsatz zu treffen. Letztendlich führt diese Komponente der Metakognition zur Initiierung, Kontrolle und Regulation von Lernstrategien. Richtet man den Blick auf das schulische Lernen, so fällt auf, dass dort das Wissen über Aufgaben dominiert. Demgegenüber belegen zahlreiche Untersuchungsergebnisse, dass in erster Linie das Wissen um die eigene Person und um eigene strategische Fertigkeiten einschließlich der dazugehörigen Überwachungs- und Kontrollmechanismen ausschlaggebend für einen kontinuierlichen Lernerfolg ist.
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Metzger schlägt zur Metakognition im Lernen folgende Maßnahmen vor, hier etwas abgekürzt dargestellt (Metzger 1995, 89ff): Die Kernfragen zur Metakognition sind: „Erreiche ich meine Lernziele?“ und: „Bin ich auf dem optimalen Weg?“
Das eigene Verstehen und Können kontrollieren heisst, gezielt auf Signale zu achten, die anzeigen, ob man etwas schon kann oder nicht. Folgende Signale für Verstehen bzw. Nichtverstehen helfen, dies wahrzunehmen: Ich erkenne/nicht, was wichtig ist. Ich erkenne/nicht, wohin der Autor mich führen will. Ich verstehe/nicht, warum ich eine Aufgabe überhaupt machen soll. Ich kann Stoff selbst formulieren/nur wörtlich wiederholen. Ich lese in regelmäßigem Tempo/mit häufigen Unterbrechungen und Wiederholungen. Meine Beiträge im Unterricht werden aufgenommen/übergangen.
Fragen zu Ursachen für fehlende Verständnis könnten folgende sein: Ist mir das unbekannt, vergessen, schon früher nicht begriffen? Widerspricht das meinen Gedanken/widerspricht sich der Autor? Könnte das ein Druckfehler sein? Bin ich unkonzentriert oder desinteressiert? Habe ich zu wenig notiert/gelesen/markiert oder Wichtiges überhört? Habe ich mich zu wenig bemüht, das Richtige zu erkennen? Habe ich zu wenig verarbeitet, geordnet, zusammengefasst?
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Den ganzen Lernprozess managen heisst die Lernsituation, Bedingungen, mich als Lernenden und die Lernaufgabe im Blick behalten: Lernaufgaben managen bedeutet, die Lernziele, den Umfang der Aufgabe, potentielle Schwierigkeiten, benötigte Zeit und die Art der Prüfung im Bewusstsein haben und daraus Lernen planen. Lernbedingungen managen heißt, das Lernmaterial, die Lehrkraft und Lehrmittel, andere zeitgleiche Aufgaben, Fremdunterstützung und sonstige Bedingungen bewusst zu nutzen. Sich als lernende Person zu managen meint, das eigene Vorwissen, persönliche Ziele, die eigene Leistung, den inneren Zustand und die eigene Motivation, Lerngewohnheiten und Lernstrategien im Bewusstsein zu haben.
10.6 Konzentration steigern und erhalten Eine der praktischen Folgen guter metakognitiver Fähigkeiten ist, sich besser konzentrieren zu können und zu registrieren, wenn man unkonzentriert ist. Nur mit guter Selbstwahrnehmung können Sie ihre Konzentrationsfähigkeiten verbessern. Sich konzentrieren zu können, ist eine der im Studium unverzichtbaren Fertigkeiten. Ohne hohe Konzentration sinken Gedächtnisleistungen, gelesene Texte sind vergeblich durchgearbeitet, wichtige Inhalte in Vorlesungen gehen verloren, Gesprächsthemen in Gruppenarbeiten oder wichtige Ideen beim Lesen oder Nachdenken bleiben flüchtig.
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10.6.1 Konzentrationsprobleme Konzentrationsprobleme beim Lernen und im Studium sind häufig, sie weisen jedoch häufig auf andere Probleme im Studium hin, die nur zum Teil direkt, d.h. über Konzentrationsoder Entspannungsübungen beeinflusst werden können. Die betroffenen Studierenden sind keineswegs unfähig, sich einer Aufgabe über längere Zeit intensiv zuzuwenden, aber
ihnen fehlt die Motivation, sie sind unterfordert und langweilen sich, sie haben falsche Vorstellungen über die menschliche Arbeitskraft und eine gute Tageseinteilung; sie vernachlässigen Pausen oder nutzen falsche Tageszeiten, sie sind müde, gestresst, in schlechtem gesundheitlichem Zustand oder krank, sie lassen sich ablenken, unterbrechen oder wollen zu viele Dinge gleichzeitig, wollen nichts verpassen; sie packen möglichst viel in den Tag, lernen noch während des Essens, hören Radio, lassen gleichzeitig den Computer laufen und überreizen sich, sie überfordern sich und ihre Belastbarkeit, werden dadurch gestresst und aggressiv oder resignieren. Unter Druck sinkt das Selbstwertgefühl, in bedrohtem Zustand ist Konzentration erschwert, sie leiden unter beruflichen, studienbezogenen oder privaten Sorgen. Konkrete Sorgen oder allgemein erhöhte „Besorgtheit“ erschweren dann die Konzentration (SchräderNaef 1994, 84f).
Schraeder-Näf trennt diese Störungen der Konzentration in zwei Formen, Störungen von außen und Störungen von innen (a.a.o., 85). Die ersteren sind reduzierbar und für das Lernen in der Regel weniger häufig und störend. Relevanter sind Störungen von innen in Form von abschweifenden Gedanken, Gefühlen und Empfindungen, die uns lähmen. 10.6.2 Konzentration, Aufmerksamkeit und Vigilanz Konzentration ist die Sammlung und Ausrichtung der eigenen Aufmerksamkeit auf eng umgrenzte Sachverhalte durch das Ich für das Erfassen und Gestalten von Aufgaben. Konzentration bedingt Spannung, Energie, Vitalität und Übung (Häcker&Stapf 2004, 509). Gute Konzentration kann ein großes Glücksgefühl bescheren: Von einer Tätigkeit ganz in Anspruch genommen zu sein, alles außen herum zu vergessen und in der Arbeit an einem Inhalt aufzugehen, kann als konzentrativer Glückszustand oder flow erlebt werden, wie ihn Mihaly Csikszentmihalyi bezeichnet hat (Steiner 2003, 68). In der Allgemeinen Psychologie wird Konzentration mit dem Fachbegriff der Vigilanz bezeichnet, was die Aspekte der Wachsamkeit und bewussten Wahrnehmung von Inhalten betont (Häcker& Stapf 2004, 1016). Vigilanz ist dauerhafte und bewusste Aufmerksamkeit mit der Fähigkeit, diese in äußerlich passivem Zustand zu erhalten, aber auch auf minimale Veränderungen des Beobachteten zu reagieren. Steiner nennt folgende Merkmale von Situationen, in denen wir uns mühelos konzentrieren können. Wir können sie uns für die Förderung der Konzentration zunutze machen (Steiner 2003, 70). Eine positive Einstellung, Neugier und eine dem Können angemessene Herausforderung erleichtern Konzentration. Die Bemühung um die volle ungeteilte Aufmerksamkeit, ein aktiver Geist und ein anvisiertes Ziel führen ebenfalls zu besserer Konzentration. Die Folgen sind Entdeckungen, Aha-Erlebnisse und ein gesteigertes Zeitgefühl.
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Schraeder-Näf unterscheidet zwei Formen von Konzentration, eine passive und eine aktive (Schräder-Naef 1994, 84). Die passive, nicht-leistungsbezogene Konzentration entspricht der Wachheit und Sammlung, die in Meditation oder autogenem Training erreicht werden („ich bin ganz entspannt im Hier und Jetzt, nehme einfach wahr, bin ganz da“), die aktive und leistungsbezogene Konzentration ist vergleichbar mit Zuständen, die Sportler im Spitzensport erreichen („Die Zuschauer lenken mich nicht ab, der Gegner lässt mich kalt, meine Technik ist perfekt, ich spiele mein Spiel“). 10.6.3 Konzentrationshilfen Bei dauernden und schweren Konzentrationsstörungen empfiehlt Schraeder-Näf das autogene Training als Methode zur langfristigen Verbesserung der Konzentration und weist darauf hin, dass mit der Verbesserung der passiven Konzentration auch die aktive und leistungsbezogene Konzentration gestärkt werden kann. Viele Fachleute weisen darauf hin, dass das autogene Training eine Methode darstellt, die das Körpersystem nachhaltig und wirksam beeinflusst. Bei Entspannungstechniken, die nicht sorgfältig unter Anleitung gelernt werden, kann es z.B. durch die wirksame und schnell wirkende Tiefenentspannung zu personalen Entgrenzungserlebnissen kommen, die Studierende nach Erfahrung des Autors auch schon als beängstigend erlebten. Es wird daher von vielen Fachleuten empfohlen, autogenes Training unter professioneller Anleitung zu lernen (Schräder-Naef 1994, 84). Dies ist der Vorteil der progressiven Muskelentspannung nach Jakobson oder von isometrischen Übungen, wie sie in diesem Buch vorgeschlagen werden. Selbst psychisch kranke Menschen können sie ausüben, da das bewusste Wechselspiel von Anspannung und Entspannung die Entspannung besser steuerbar bleibt (vgl. Kap. 10.7.2). Weiter wird die Arbeit an der passiven Konzentration durch Meditation oder Yoga empfohlen, die nicht auf Tiefenentspannung zielen, sondern auf entspannte Wachheit, Fokussierung und innere Präsenz. Myschker nennt eine Reihe von Untersuchungen, die positive Effekte von Vipassana-Meditation bei verhaltensauffälligen, psychisch kranken und behinderten Schülern nachweisen (Myschker 1999, 231ff). Er beschreibt pädagogische Konzepte, die mit diesen Techniken mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Auch hier bietet sich für Studierende der Sozialen Arbeit ein pädagogischer Doppeldecker zu Techniken an, die später in der Arbeit mit Klienten genutzt werden können. Wenn Ihre passive Konzentration grundsätzlich vorhanden ist, können Sie sich der aktiven Konzentration widmen. Im Folgenden werden nun einige Hilfen angeführt, die zur Förderung der aktiven Konzentration dienen können (Steiner 2006):
Sich selbst beobachten. Sorgen, Grübeln, Geräusche, Müdigkeit, Langeweile und flacher Atem, all dies, was uns ablenkt, wird nur bemerkt durch sorgfältige Selbstbeobachtung. Durch sie sind Konzentrationsstörungen leicht identifizierbar. Den Geist beschäftigt halten. Für gute Konzentration benötigt der Geist herausfordernde Vollbeschäftigung. So bleibt für Ablenkungen wenig Raum. Fordernde Nahziele setzen. Wie wäre es mit folgendem Nahziel: „Ich will dieses Kapitel zur Konzentration in fünf Minuten nochmals durchlesen und mir die wichtigsten Punkte einprägen, sodass ich sie morgen meinem Kollegen erzählen kann?“ Fordernde
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Nahziele spornen an und verschaffen Erfolgserlebnisse. Erfolgserlebnisse tragen zu weiterer Neugier und zum Flow-Erlebnis bei, das uns präsent hält. Konzentration organisieren. Aufmerksamkeit ist nur begrenzt möglich. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt bei den meisten Menschen nach ca. 20-35 Minuten passiven Zuhörens, der Geist nimmt sich eine Auszeit, ermüdet und startet nach dieser Zeit wieder neu. Pausen sind daher wichtige Konzentrationshilfen (vgl. Kap. 10.7.1). „Heilige Stunden“. Steiner zitiert Thomas Mann, der auf die Frage, wie er unter den Umständen von Krieg und Exil sich so auf sein Schreiben konzentrieren können, antwortete: „Wissen Sie, der Morgen ist mir heilig. Ich setze mich früh an den Schreibtisch. Es darf kein Telefon, keine Zeitung, keine Korrespondenz zu mir kommen. So schreibe ich bis Mittag völlig abgeschirmt an meinen Werken“ (Steiner 2003, 78f). Die Reservation bestimmter Tagesteile oder Stunden für die Arbeit sollte zur guten Gewohnheit werden, der Rhythmus erleichtert den Beginn und nimmt auch die Energie des Anfangens ab. Dies erfordert allerdings einige Konsequenz und ein hohes Commitment mit Ihren Lernprojekten und nicht jeder hat, wie Thomas Mann ein ganzes Team von Hausangestellten, das die heilige Stunde schützt, das Telefon abnimmt, die Kinder beruhigt und den Haushalt macht. Störungen eliminieren. Äußere Störungen wie Telefon, Geräusche visuelle Reize lassen sich relativ leicht eliminieren. Innere Störungen und Ablenkung sind weniger leicht abstellbar. Dinge, die einen ablenken, weil sie einen beschäftigen, können auf Zetteln notiert und am Abend wieder hervorgeholt werden. Sorgen, Ängste und Befürchtungen, andere starke Emotionen und Belastungen im Alltag hingegen sind auf diese Art nicht immer abschaltbar. Vielleicht gelingt es aber, ihnen einen Platz im Alltag nach dem Lernen zuzuweisen und sie so lange auf die Wartebank zu verweisen. Falls dies nicht gelingt, helfen vielleicht Gespräche mit Kolleginnen, Entspannungstechniken, positive Gedanken und Selbstinstruktionen. Abwechslung von Lerninhalten, Lernwegen und Lernorten. Niemand kann von einem Hauptgang oder einem Dessert die Menge des ganzen Menüs essen. Aber nach dem Hauptgang vermag man doch meist noch ein Dessert zu verspeisen. Sättigung beim Essen ist speisenspezifisch, ähnlich ist es beim Lernen: Die Sättigung mit einem Inhalt oder einer Lernform kann durch Wechsel von Inhalt, Ort, Lern- oder Sozialform überwunden werden (Hobmair 1995, 128). Für sich und andere lernen. Sich beim Lernen im Vermittlungsprozess zu sehen, ist konzentrations- und motivationsfördernd. Lernstoff wird so nicht einfach konsumiert und wir lassen uns nicht berieseln, sondern wir erleben uns als Lehrende, die für andere wichtig sind. Gemeinsames Lernen ist deshalb konzentrationsfördernd.
10.7 Beim Lernen vital bleiben – Lernen und Körper Menschen sitzen zu viel und bewegen sich zu wenig, die Erkenntnis ist so trivial wie bedenklich. Dies ist ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, der sich in Studium und Ausbildung in der Regel noch verstärkt. Studientage werden im Zug, in Veranstaltungen und der Mensa verlebt, Pausen bei Kaffee verbracht und das nötige Bewegungspensum bleibt auf der (Pendel-)Strecke, der Autor schreibt hier aus eigener leidvoller Erfahrung. Auch Erfah-
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rungsberichte von Studierenden zeigen immer wieder, dass, was ihnen gut tut wie Sport oder Yoga, im Studium aus Zeitdruck eingeschränkt wird. Dabei ist evident, dass körperliche Vitalität eine wesentliche Voraussetzung für geistige Leistungen ist. Sie können viel zur körperlichen Vitalität in ihrem Studium beitragen und Sie werden zufriedener und arbeitsfähiger sein, wenn Sie die untenstehenden Empfehlungen beachten. 10.7.1 Tagesrhythmen, Schlaf und Pausen Tagesrhythmen im Lernen (Müller 1996, 28). Die Effektivität von Lernen schwankt nach der Tageszeit erheblich. Die untenstehende Graphik zeigt eine Normkurve der Leistungsfähigkeit des Lernens. Die individuelle Leistungsbereitschaft kann natürlich variieren, sie wird aber nicht völlig konträr zu der hier angegebenen verlaufen. Wer nachts besonders gern unter ruhigen Bedingungen lernt, wird möglicherweise am nächsten Tag seine Leistungsbereitschaft massiv reduziert vorfinden.
Abbildung 49: Leistungskurve im Tagesverlauf (Müller 1996, 28) Schlaf (Müller 1993, 31). Schlaf ist so wichtig wie das Lernen. Man kann ihn auf zwei Arten betrachten. Einerseits als passiven Schlaf, wo sich während der Nachtruhe der Körper von den täglichen Strapazen erholt und andererseits als aktiven Schlaf, wo Erlebnisse und Eindrücke des Tages aktiv verarbeitet werden. An der Theorie, dass Schlaf ein aktiver Prozess ist, wird intensiv geforscht. Dennoch weiß man bereits heute, dass Gelerntes nachts verarbeitet wird. Wenn Lernende an einem Tag etwas nicht begreifen und am nächsten Tag das gleiche einleuchtet, ist dies das Geheimnis des aktiven Schlafs. Schlaf ist wichtig für die Bildung des Langzeitgedächtnisses. Während des Schlafes werden die chemischen Synapsenverbindungen erstellt, Informationen umgeschichtet und ins Langzeitgedächtnis gespeichert. Ein junger Mensch braucht etwa 8 Stunden Schlaf pro Nacht. Bei Schlafmangel werden im Hirn Endorphine freigesetzt, die die Merkfähigkeit hemmen. Dasselbe geschieht, wenn man zuviel lernt. Das heisst, Lernen auf Kosten des Schlafes ist kontraproduktiv. Abends ist es hilfreich, sich vor dem Einschlafen nochmals auf Gelerntes zu besinnen und auftretende Fragen und Lücken mit in den Schlaf zu nehmen.
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Pausen (Hobmair 1995, 118) und Konzentration sind so untrennbar miteinander verbunden wie Schlaf und Wachsein. Wer sich konzentriert, braucht Pausen. Geist und Körper müssen sich regenerieren können. Pausen gehören zu unserem ökonomischen Umgang mit Energie. Während der Pause kann man sich körperlich lockern, dem Gehirn durch frische Luft und tiefes Atmen wieder Sauerstoff zuführen, die Augen ausruhen, etwas essen oder sich bewegen. In passiver Informationsaufnahme kann man sich 25-30 Minuten voll konzentrieren, danach nimmt sich das Gehirn eine Auszeit. Durch Kurzpausen nach dieser Zeit wie z.B. durch eine kurze Trinkpause oder das Wechseln der Tätigkeit kann sich eine Lernsitzung so bis auf maximal 60 Min. verlängern lassen. Danach ist eine größere Pause angesagt. Bei ganzen Lerntagen sollten nach drei dieser Einheiten eine mindestens eineinhalbstündige Mittags- oder Abendpause gemacht werden, um dem Gehirn die nötige Auszeit zu ermöglichen und Lernhemmungen und Überlagerungen von Lernstoff zu verhindern. Grundsätzlich sind Pausen umso wirksamer, je mehr sich die Pausentätigkeit von der Lernarbeit unterscheidet. Es empfiehlt sich also eher, sich zu bewegen, als Mails zu checken oder ein Computerspiel zur Entspannung zu spielen. Pausen helfen auch durch die Erwartung ihres Genusses. Die sog. Pausen-ErwartungsWirkung steigert den Lerneffekt und die konzentrativen Energien durch die Erwartung der Pause (Hobmair 1995, 119). Hobmair nennt folgende Pausenformen. Sie sind je nach Arbeitsdauer zu nutzen. Pausentyp Unterbrechung
Dauer 1 Min.
Abstand Nach Bedürfnis
Pausentätigkeit Zurücklehnen, Dehnen, Räkeln Minipause 5 Min. nach 30 Min. Freiübungen, AtemübunLernen gen, Aufstehen Kaffeepause 15-20 Min. Nach 2 Stunden Kaffee/Wasser trinken, bewegen Erholungspause 60-120 Min. nach 4 Std. Essen, Schlafen, Sport Tabelle 16: Pausentypen und Erholungsformen (Hobmair 1995, 119) 10.7.2 Erholung durch Sport und Entspannung Geistige Tätigkeiten wie Lernen beanspruchen Körper und Geist anders als körperliche Arbeit (Eichhorn 2002; Eichhorn 2007). Noch vor 60 Jahren arbeitete ein großer Teil westlicher Bevölkerungen in körperlich anstrengenden Berufen in Handwerk, Industrie und Landwirtschaft. Damals stand im beruflichen Leben der meisten Menschen die körperliche Belastung im Vordergrund. Nach der körperlicher Anstrengung dieser Tätigkeiten waren Menschen entspannt und müde. Fast jede erholende Tätigkeit – Baden, Nichtstun oder Lesen – führte zur Erholung. Mit dem Wandel zur Dienstleistungs-, Informations- und Wissensgesellschaft sind wir heute hauptsächlich geistiger und psychischer Beanspruchung ausgesetzt. Geistigpsychische Dauerbelastung wie z.B. beim Lernen versetzt unseren Organismus in einen physiologischen Anspannungszustand, den die Stressforschung genau beschrieben hat. Er belastet nicht nur das Herz-Kreislauf-System, wie beispielsweise mit einer Zunahme der
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Herzfrequenz, sondern führt zu einer Erhöhung körperlicher Anspannung, so dass sich die Muskeln verspannen. Im Organismus der Betroffenen lassen sich die typischen Stressindikatoren nachweisen: Wir fühlen uns übererregt, angespannt und kommen innerlich nicht zur Ruhe. Gerade für diesen Zustand ist typisch, dass sich Erholung besonders schlecht von selbst einstellt. Deshalb betont die Erholungsforschung, dass Menschen ein Repertoire an eigenaktiven Maßnahmen brauchen, damit sie sich erholen. Anders gesagt, reicht ein naives Erholungsverständnis und Erholungsverhalten nicht aus, den Belastungsprozessen moderner Lern- und Arbeitswelten erfolgreiche Gegensteuer zu geben. Dem können Sport und Entspannungstechniken abhelfen. Es gibt eine Vielzahl von Entspannungs- und kontemplativen Techniken wie Yoga, Meditationsverfahren, autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung, die aktiv und wirksam Stresssymptomen entgegenwirken, auf Körper und Psyche wirken und Erholungsprozesse fördern. Sport wirkt in ähnlicher Weise und verhilft zu einer aktiven Erholung. Was Ihnen hier gut tut, wissen Sie bereits oder werden es für sich herausfinden. Schwieriger ist vermutlich, sich aus der Vielzahl von Angeboten zu entscheiden und begonnene Verfahren dann konsequent und regelmässig zu praktizieren. Wenn man andererseits die positiven Wirkungen von aktiver Erholung einmal über längere Zeit erfahren hat, wird man ungern auf sie verzichten. Im Folgenden werden einige einfach zu erlernende und gut ins Lernen zu integrierende Techniken kurz dargestellt. Atemübungen Atmen ist die wichtigste biologische Funktion unseres Organismus. Richtig Atmen bedeutet grundsätzlich, bei geschlossenem Mund durch die Nase voll ein- und auszuatmen, um die Lungen bis in die Lungenspitzen mit einzubeziehen. Die bewusste Atmung gilt als grundlegendes Element in Entspannungs- und kontemplativen Verfahren wie Chi Gong, Yoga, Meditation oder autogenem Training. Die Atmung wirkt sich auf den gesamten Organismus aus. Sie kräftigt die Atemmuskulatur, steigert die Sauerstoffzufuhr, befreit den Körper von Giftstoffen, fördert die Verdauung, beruhigt das Nervensystem, regelt die Herztätigkeit und vertreibt Müdigkeit. Lernen und geistige Arbeit haben häufig flachen Atem zur Folge. Dieser ist nicht zu verwechseln mit der Ruheatmung in kontemplativen Verfahren, da er vermutlich eher zu einer leichten Unterversorgung mit Sauerstoff führt, die Ruheatmung in der Meditation führt zu entspannter Wachheit. Das Ziel von Atemübungen beim Lernen ist, die Gedanken ins Fließen zu bringen. „Fließt der Atem, so fließen die Gedanken, ruht der Atem, ruhen auch sie“ (Konrad&Wagner 1999b, 55). Wird die Atmung als Entspannungsübung eingesetzt, soll genau dies das Ziel sein. Zur Erhöhung von Konzentration und Lernfähigkeit wird hier als Beispiel eine einfache Atemübung angegeben, die selbst schon für Kinder geeignet ist (Konrad&Wagner 1999b, 54f, Anpassungen ww).
Schließen Sie die Augen. Konzentrieren Sie sich auf den Atem, ohne ihn zu beeinflussen. Suchen Sie sich eine Körperstelle aus, z.B. die Nasenspitze und beobachten Sie, wie Ihr Atem während des Atmens an der Nasenspitze kommt und geht.
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Stellen Sie sich ein Schiffchen auf Ihrem Bauch vor, es geht mit den Wellen Ihrer Atmung hoch und nieder (nur im Liegen sinnvoll). Lassen Sie dabei auftauchende Gedanken kommen und auch wieder gehen. Versuchen Sie nicht, sie mit Gewalt wegzuschieben, lassen Sie sie vorbeiziehen. Setzen Sie die Übung fort, solange sie Ihnen angenehm ist und bis Sie ein Gefühl der Wachheit und Vitalisierung bei sich bemerken. Steigen Sie langsam wieder aus der Ruhe aus und kommen Sie in die Realität zurück.
Progressive Muskelentspannung nach Jakobson Eine weitere Technik bewusster und aktiver Entspannung ist progressive Muskelentspannung nach Jacobson (Jacobson 1990). Zu ihr gibt es eine breite Palette an anleitender Literatur, z.T. angereichert mit CDs, in denen die Trainingseinheiten angeleitet werden (Hainbuch 2004; Hofmann 2003). Das Grundprinzip der progressiven Muskelentspannung ist der Wechsel von bewusster Anspannung und Entspannung der Muskeln mit anschließendem Nachklingen des Entspannungszustands in einer Koordination mit der Ein- und Ausatmung. Die Übungen finden im Sitzen, Stehen oder Liegen statt. Das Funktionsprinzip der PM ist, durch eine vorangehende und bewusste Erhöhung der Anspannung mit anschließender Entspannungsphase die Grundspannung im Körper zu reduzieren und eine vertiefte Entspannung zu erreichen. Je nach Trainingsprogramm wird dabei zusätzlich mit einem mentalen Ruhebild gearbeitet. In systematischer Weise werden alle Muskeln oder zusammengefasste Muskelgruppen angespannt und wieder entspannt. Die PM ist erheblich leichter zu erlernen als z.B. das autogene Training, da die Aktivität der Anspannung und Entspannung eine höhere Selbstkontrolle garantiert. Ein PM-Training beinhaltet ca. 14 Sitzungen. Ausgehend von einer Langentspannung von ca. 40 Minuten werden immer kürzere Entspannungszyklen bis zur Kurzentspannung in Alltagssituationen angeleitet (Hofmann 2003, 15).
Abbildung 50: Anspannung und Entspannung in der progressiven Muskelentspannung (Hofmann 2003, 11)
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Die Grundübung oder Langentspannung im Liegen geht folgendermaßen vonstatten (Hainbuch 2004, 31f; Hofmann 2003, 39ff): Sie legen sich auf eine bequeme Matte, die Arme nach unten leicht vom Körper abstehend. Uhr, Ringe, Brille, Gürtel und andere behindernde Gegenstände haben Sie entfernt. Sie liegen locker und möglichst gerade mit leicht auseinander fallenden Beinen. Den Kopf unterstützen Sie mit einem kleinen Kissen, einer Nackenrolle oder einem Handtuch. Eventuell legen Sie eine Handtuchrolle unter die Knie. Jede der folgenden Anspannungen von Körperteilen halten Sie gemeinsam mit dem Einatmen ca. 5 – 7 Sekunden lang. Sie lösen anschließend abrupt die Spannung und atmen mit der Entspannung langsam aus. Danach spüren Sie wenige Atemzüge lang die Entspannung in dem betreffenden Körperteil. So gehen Sie durch die ganze Grundübung (Hofmann 2003, 39ff). Folgender Ablauf wird bei der Grundübung im Liegen eingehalten. Wenn Sie eine Wiederholung einer Übung möchten, können Sie jede Übung zweimal durchführen Vergewissern Sie sich, je weiter Sie in der Entspannung voranschreiten der bereits entspannten Körperteile – gehen Sie nochmals mental durch die bereits entspannten Körperteile hindurch:
Hände, Arme, Schultern: Faust ballen rechts und links, Faust ballen plus Unterarm anwinkeln rechts und links, beide Handflächen auf die Unterlage drücken, beide Schultern gegen die Unterlage drücken, beide Schultern nach vorne ziehen. Füße und Beine: Beide Zehenspitzen zum Körper heranziehen, beide Zehenspitzen nach unten einkrallen, beide Fußspitzen vom Körper wegstrecken und Unterschenkel anspannen. Rücken, Bauch: Hohlkreuz machen (dabei auf Nacken, Unterschenkel und Arme stützen), Bauchdecke nach außen wölben. Kopf, Gesicht: Kopf nach vorne auf die Brust heben, Kopf auf die linke und auf die rechte Schulter heben, Zähne leicht aufeinander beißen, Mundwinkel auseinander ziehen, Spitzmund machen, Augenbrauen nach oben ziehen, Augenbrauen über Nasenwurzel runzeln, Augen zusammenkneifen, Augäpfel nach rechts und links, nach oben und unten drehen, Zunge an den Gaumen drücken. Ganzkörperentspannung: Nochmals entspannt durch den ganzen Körper gehen und Entspannung genießen. Zurückkommen in fünf Schritten: Hände bewegen, Hände und Arme bewegen, den ganzen Körper bewegen und räkeln, die Augen wieder öffnen, aufsitzen.
Wenn Sie diese Langentspannung soweit beherrschen, dass Sie eine zuverlässige Tiefenentspannung erreichen, können Sie die Übung mit einem Ruhebild und Ruhewort anreichern. Suchen Sie sich dazu einen Satz oder ein Wort, das Ihre Entspannung vertieft und ein Bild, eine Landschaft oder einen Ort, der für Sie Geborgenheit, Ruhe und Entspannung bedeutet. Wenn Sie die Langentspannung mit dem Ruhebild und Wort zur Tiefenentspannung führt, können Sie die Übung verkürzen und verdichten, Körperteile zusammennehmen, bis Sie schließlich bei einer Kurzform im Alltag angelangt sind. Im Folgenden wird die Minimalvariante im Sitzen vorgestellt (Hofmann 2003, 91f).
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Sie sitzen dabei möglichst bequem auf einem Stuhl, die Hände auf den Oberschenkeln, die Füße mit der ganzen Fußsohle am Boden. Sie schließen die Augen, gehen kurz durch Ihren Körper und versuchen wahrzunehmen, welche Ihrer Körperteile noch angespannt sind. Anschließend bereiten Sie sich mit einigen Atemzügen auf die Übung vor und beginnen wieder mit den Händen:
Hände, Arme, Schultern: Beide Fäuste plus Unterarme anspannen, beide Fäuste plus Unterarme plus Oberarme anspannen. Kopf, Gesicht: Gleichzeitig Gesicht, Stirn, Augenbrauen, Lippen und Unterkiefer anspannen, sowie Zunge an den Gaumen drücken. Nacken, Schultern, Bauch: Kopf auf die Brust herunterdrücken, Schulter nach oben ziehen, Bauchmuskeln anspannen. Füße und Beine: Beide Zehenspitzen zum Körper ziehen, beide Zehenspitzen nach unten einkrallen, beide Fußspitzen vom Körper wegstrecken, Unterschenkel anspannen. Beine: Fersen gegen den Boden pressen, Zehenspitzen gegen das Gesicht ziehen, Ober- und Unterschenkel fest anspannen. Ganzer Körper: Entspannen und die Atmung beobachten. Tief und ruhig durchatmen. 3-4 Sekunden Pause zwischen den Atemzügen machen. Eine Minute die Entspannung genießen. Zurückkommen in fünf Schritten: Hände bewegen, Hände und Arme bewegen, den ganzen Körper bewegen und räkeln, die Augen wieder öffnen, aufsitzen.
Für genauere Instruktionen können die beiden zitierten Bücher von Hainbuch (mit CD) oder Hofmann dienen, die detailliert und anschaulich die Grundübungen und weitere Entspannungsformen mit der PM anleiten. Die sitzende Form ist gut auch im öffentlichen oder halböffentlichen Raum möglich. Wenn Sie die Stücke auf einen MP3-Player überspielen, können Sie an fast jedem Ort diese Art von Entspannung genießen und gehen vielleicht erholt und ausgeruht in die nächste Lehrveranstaltung. Isometrische Übungen Ähnlich wie die progressive Muskelanspannung funktioniert das Grundprinzip isometrischer Übungen. Das Ziel isometrischer Übungen ist aber nicht die Tiefenentspannung, sondern die Reaktivierung eines guten Muskeltonus, die Aktivierung der Atmung und damit die Vitalität in Lehrveranstaltungen. Im Folgenden werden sechs isometrische Übungen beschrieben (Bartscherer 2002), die im Sitzen ausgeführt werden und daher auch für große Hörsäle geeignet sind, in denen Sie nicht aufstehen können. Die Übungen aktivieren Sie und schaffen bei langem Sitzen einen guten Muskeltonus. Sie verbessern die Atmung und erhöhen darüber die Konzentration. Beobachten Sie Ihre eigene Aufmerksamkeit und beachten Sie, wann Sie die Übungen unauffällig machen können. Lernen Sie die Übungen, bis Sie sie auswendig können (evtl. mit Aufnahme auf einen MP3-Player) und führen Sie sie beim Lernen oder in Veranstaltungen durch, wenn Sie für sich Bedarf sehen, d.h. angespannt, steif oder müde werden, eine flache Atmung oder sinkende Konzentration feststellen.
Beim Lernen vital bleiben – Lernen und Körper 1. Übung, Faust: Bilde mit der rechten Hand eine Faust und lege sie in die linke Handfläche. Drücke sie jetzt so fest du kannst gegeneinander. Atme ruhig weiter. Spanne deine Muskeln sechs Sekunden lang mit maximaler Kraft an. Danach loslassen und entspannen. Führe die Übung drei Mal durch, jedes Mal Arme und Hände ausschütteln und links-rechts wechselnd. Diese Übung kannst du auch stehend durchführen. Selbstinstruktion: rechte Hand zur Faust … in die linke Handfläche legen … fest gegeneinander drücken … ruhig weiter atmen … noch stärker drücken … noch drei … noch zwei … noch eine Sekunde … und entspannen! … Arme locker hängen lassen … ausschütteln … und noch einmal …. linke Hand zur Faust … in die rechte Handfläche legen … 2. Übung, Oberschenkel drücken: Sitzen. Deine Füße ruhen auf dem Boden. Lege deine Hände auf die Oberschenkel in der Nähe der Knie – nicht auf die Knie, damit man die Kniescheibe nicht rausdrückt – und drücke die Hände fest nach unten. Spanne deine Muskeln sechs Sekunden mit maximaler Kraft an. Gleichmäßig weiter atmen. Lasse danach sofort die Muskeln los und entspanne. – Wiederhole die Übung zwei Mal. Selbstinstruktion: Hände auf die Oberschenkel, nicht auf die Knie … fest nach unten drücken … noch fester … ruhig weiter atmen … noch drei … noch zwei … noch eine Sekunde … und entspannen! … Arme locker hängen lassen … Beine ausschütteln, Arme ausschütteln … und noch einmal …. 3. Übung, Handflächen pressen: Lege die Handflächen gegeneinander und presse die Hände vor der Brust zusammen, Ellbogen nach außen. Anspannung steigern, ruhig atmen, nach 10 Sekunden entspannen. Hände ausschütteln. Zweimal wiederholen. Diese Übung kannst du stehend vorführen. Selbstinstruktion: Handflächen gegeneinander … Hände zusammenpressen … noch stärker pressen … ruhig atmen … fester pressen … noch sechs … noch fünf … … noch eins … und entspannen! … Arme ausschütteln … und noch einmal … 4. Übung, Nacken drücken: Verschränke die Hände hinter dem Nacken, lege den Kopf leicht nach hinten, drücke die Hände nach vorne. Anspannung steigern, dabei ruhig weiteratmen, etwa 10 Sekunden lang. Dann entspannen. Hände und Arme ausschütteln. Zweimal wiederholen. Diese Übung kannst du stehend vorführen. Selbstinstruktion: Hände hinter dem Nacken verschränken… Kopf leicht nach hinten… Hände nach vorne drücken… stärker… noch stärker… ganz ruhig atmen… Spannung halten… noch fünf… noch eins… und entspannen!… Hände ausschütteln… und noch einmal. 5. Übung, Krallen: Verhake die Finger vor der Brust „krallenförmig", ziehe die Arme waagrecht auseinander. Anspannung steigern, dabei ruhig weiteratmen, etwa 10 Sekunden lang. Dann entspannen. Hände und Arme ausschütteln. Zweimal wiederholen, dabei die Richtung des Einhakens wechseln. Diese Übung kannst du stehend vorführen. Selbstinstruktion: Hände einhaken… auseinander ziehen… stärker… ganz ruhig atmen… noch stärker… Spannung halten… noch fünf … noch eins … und – entspannen! … Arme ausschütteln… und noch einmal… anders herum einhaken… auseinander ziehen … 6. Übung, Stuhl hochziehen: Sitzen. Fasse mit den Händen seitlich unter den Stuhl. Ziehe kräftig nach oben. Steigere die Zugkraft. Atme ruhig weiter. Etwa 10 Sekunden lang, dann entspannen. Hände und Arme ausschütteln. Zweimal wiederholen. Selbstinstruktion: Hände unter den Sitz… fest ziehen… noch fester… ruhig weiter atmen… noch sechs… noch fünf… noch eine Sekunde… und entspannen!… Arme ausschütteln… und noch einmal.
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10.7.3 Ernährung und Lernen – „Frühstücken macht klug“ Die Ernährungsgewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten markant und zum Schlechten geändert. Das Tempo des modernen Lebens, das Pendeln und Auswärtsessen und bei Studierenden auch allfälliger Geldmangel verführen zum schnellen, hastigen Essen von meist in Massen und industriell hergestellter Nahrung. Gesunde Ernährung kann auf verschiedene Weise geschehen und entspricht in hohem Maß individuellen Vorlieben und Gewohnheiten. Dennoch ein Tipp zur gesunden Ernährung beim Lernen. „Gute Ernährung hat deutliche Auswirkungen aufs Denken. Ein Viertel der Deutschen frühstückt heute nicht mehr. Ergebnis: Es fehlt an Glukose und Sauerstoff im Gehirn. Auch Durst mindert die kognitiven Leistungen. Wir haben mit dem Institut für Sporternährung Versuchspersonen in eine Sauna gesteckt und sie einen Liter ausschwitzen lassen. Im IQ-Test waren danach deutlich schlechter“ (Lehrl 2006, 163). Fazit: Frühstücken Sie nicht nur an Lerntagen gut. Trinken Sie genug Wasser und konsumieren Sie Kaffee und schwarzen Tee eher sparsam. Genießen Sie Früchte und Gemüse und bevorzugen Sie leicht verdauliche hochwertige Kohlenhydrate. Das Gehirn will genährt und bewässert sein! 10.7.4 Medikamente, Doping und leistungssteigernde Präparate Medikamente sind in den letzten Jahren zunehmend zum Problem in Ausbildungskontexten geworden: Schüler wie Studenten putschen sich für stressige Lernzeiten mit Weckmitteln („Uppers“) oder Medikamenten wie Ritalin auf und holen sich mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln („Downers“) wieder herunter, damit sie sich entspannen oder schlafen können. Leistungssteigernde Medikamente sind modern und spiegeln die Suchtaspekte einer Leistungsgesellschaft, die gelegentlich wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder nimmt. Diesen Tendenzen gegenüber wird hier ein entschieden kritischer Ansatz vertreten. Medikamente haben ihre Berechtigung, sind jedoch für gesunde Menschen unnötig und unter Umständen äußerst schädlich. Ein wenig Lampenfieber und Nervosität ist normal und fördert die „Kampfkraft“ bei Prüfungen und Examen. Falls Lernende vor Prüfungen schlecht geschlafen haben, sollten sie keine Angst haben, dies ist normal. Falls jemand wirklich glaubt, dass es ohne Tropfen nicht mehr geht, sollte er oder sie einen Arzt aufsuchen. Wenn Lernende unter extremen Prüfungsängsten leiden und Verfahren der Selbsthilfe nicht ausreichen, sollten sie, anstatt zu Medikamenten zu greifen, sich nicht scheuen, psychotherapeutische Hilfe zu konsultieren. Es gibt mittlerweile gezielte Verfahren der Kurztherapie, mit denen sich behandlungsbedürftige (Prüfungs-)Ängste behandeln lassen (vgl. Kap. 10.4.1). Zum Umgang mit Medikamenten und Suchtmitteln gibt Müller folgende Tipps (Müller 1993, 36):
Nehmen Sie nie unbekannte Medikamente, die Ihnen jemand empfiehlt, oder die im Internet angepriesen werden ein. Menschen reagieren verschieden auf gleiche Medikamente und beim Bezug von Medikamenten wissen Sie nicht, ob diesen Beimischungen beigegeben wurden oder Sie gar gefälschte Medikamente einnehmen. Schlaftabletten sind nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt, sie besitzen ein erhebliches Suchtpotential. Sie vermindern den REM-Schlaf (Traumschlaf) und dieser ist
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wichtig für die Bildung des Langzeitgedächtnisses sowie für die Verarbeitung der Tageserlebnisse. Die Folgen sind Konzentrations- und Gedächtnisschwächen, gerade das, was Sie in anstrengenden Lernperioden am wenigsten gebrauchen können. Benutzen Sie keine Weck- oder amphetaminartigen Medikamente. Bereits in kleinen Mengen und auch nur selten benutzt bewirken sie einen „Hangover“, der weitere Lerntage sehr erschwert. Zudem besitzen sie, wenn häufig benutzt, ein hohes Suchtpotential. Sie können Hirnblutungen, psychotische Zustände und weitere Krankheiten auslösen und wirken langfristig negativ persönlichkeitsverändernd. Cannabis und Alkohol: Es ist mittlerweile vielfach belegt, dass Cannabiskonsum Kurzzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit, Konzentration und Informationsverarbeitung beeinträchtigt. Der dem exzessivem Konsum folgende „Hangover“ tut sein Übriges. Abgesehen von sonstigen Gesundheitsschäden und der bestehenden Illegalität von Cannabis, meiden Sie Suchtmittel besser in intensiven Lernzeiten. Auch für Alkoholkonsum gilt im Übrigen, dass er den REM-Schlaf stört, süchtig macht, etc. Stärkend wirken Blütenpollen und natürliche Vitamin- und Aufbaupräparate. Auch pflanzliche oder alternativmedizinische Präparate sollten Sie kritisch hinterfragen und mit Vorsicht und nur unter ärztlicher Beratung verwenden. Johanniskraut z.B. wird zur Linderung leichter Depressionen eingesetzt. Es interagiert aber problematisch mit einer größeren Anzahl von anderen Medikamenten (Ernst&Singh 2009). Beliebte Mittel der Alternativmedizin wie Bachblütentropfen oder homöopathische Medikamente wurden in ernstzunehmenden doppelblinden und placebokontrollierten klinischen Studien als wirkungslos beurteilt (Ernst&Singh 2009). Wenn Sie daran glauben, wirken sie. Wenn nicht, bleiben sie wirkungslos und wenn Sie stattdessen auf eine nötige evidenzbasierte medizinische Behandlung verzichten, können Sie möglicherweise Ihrer Gesundheit schaden.
10.8 Konstruktives Lernen in Gruppen Lernen in Gruppen kann wirksam und hilfreich sein und zu den beglückenden Erfahrungen im Studium gehören. Wer sich in einer gut funktionierenden Gruppe auf eine Prüfung vorbereitet hat, oder in einem Studium über längere Zeit durch schwierige und schöne Phasen des Lernens begleitet hat, weiß, wie stark die entstandenen Beziehungen in solchen Gruppen sein können. Die gemeinsame Erfahrung, sich Schwieriges miteinander erarbeitet zu haben, verbindet Menschen. Die gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung prägt auch das eigene Lernen. Eine Studierende der Sozialen Arbeit formuliert den Beziehungsaspekt dieser Erfahrung so: „Es war unglaublich, wie viel Gruppenarbeiten und Präsentationen mit wie viel verschiedenen Studierenden wir erledigen mussten, aber das Eindrücklichste für mich ist, wie gut wir uns schon nach einem Semester kennen und wie viel wir miteinander geschafft haben“. Lernen in Gruppen kann aber auch wirkungslos und frustrierend sein oder ein Missverhältnis von Aufwand und Ertrag zeigen. Lerngruppen können erhebliche Frustration erzeugen, wenn sie schlecht vorbereitet und moderiert sind, der Gruppenprozess die Arbeit stört oder wenn einzelne Gruppenmitglieder dominieren oder passiv bleiben. Wenn Desinteresse vorherrscht oder wenn die zu lösenden Aufgaben unpassend, überfordernd oder
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unter hohem Zeitdruck zu erledigen sind, wird Gruppenarbeit ebenfalls unangenehm. Frustrierend können auch ungünstige Rahmenbedingungen sein. Zu viele Gruppen mit zu vielen Mitstudierenden, der Druck von Präsentation, fehlende Infrastruktur oder die Arbeit zwischen Tür und Angel sind ungünstig. In diesen Fällen wird Gruppenarbeit zur Plage. Das Arbeiten in Gruppen ist ein unverzichtbarer Standard moderner und an Erwachsenenlernen orientierter Studiengänge. Insofern kommt kein Studierender an ihm vorbei, auch wenn er lieber und effizienter alleine lernt. Das Bologna-Studium hat den Anteil des selbstgesteuert-kooperativen Lernens stark erhöht, das Lernen in Gruppen nimmt als begleitetes Selbststudium bis zu einem Drittel der gesamten Lernaktivitäten in Anspruch. Auch eLearning-basierte Lernumgebungen und Aktivitäten betonen das kooperative Lernen, sei es in Foren oder gemeinsamen Projekten, als Diskussions- oder Problemlösearbeit in realer und virtueller Lernumgebung. Daher lohnt es sich, zum Lernen in Gruppen einige Fähigkeiten zu erwerben, die die gemeinsame Arbeit erleichtern. 10.8.1 Probleme und Risiken Auf einige eher an der Oberfläche liegende Alltagsprobleme mit dem Lernen in Gruppen wurde oben bereits hingewiesen. Aus Sicht der Kleingruppen- und Lernpsychologie werden folgende Probleme von Gruppenarbeit genannt, die häufig zu Frustrationen mit Gruppen und reduzierter Lernwirksamkeit führen (Huber 1999, 12; Huber 2006, 264):
Zu große Gruppen lassen Studierende passiv werden. Das sog. social loafing („soziales Trittbrettfahren“) ist der zugrunde liegende Effekt. Leistungsgefälle und einseitiges Engagement kann bei den motivierten Gruppenmitgliedern, die sich besonders engagieren und den Lernprozess tragen, den sucker effect (Motivationsverlust der Leistungsträger einer Gruppe) auslösen. Das Gefühl, den größeren Teil der Lernarbeit allein zu leisten oder nicht der eigenen Leistungsfähigkeit entsprechend gefordert zu sein, demotiviert Mitglieder. Starke Leistungsunterschiede begünstigen den Gimpeleffekt (bei einer besonderen Gimpelart verstecken die besonders schönen Männchen ihre farbigen Schwanzfedern). Leistungsstärkere Mitglieder einer Gruppe nehmen sich zurück, weil sie die Gruppe nicht dominieren wollen, Rücksicht auf schwächere Mitglieder nehmen, oder weil diese Druck ausüben und Leistungsausreißer subtil sanktionieren. Gruppenkonflikte über Arbeitsstrategien, Rollen in der Gruppe, Vorbereitung, Inhalte oder persönliche Spannungen können Lernprozesse erheblich beeinträchtigen. Mangelnde Strukturierung von Lernen in Gruppen lässt das Lernen uneffektiv werden (fehlende Leitung oder Rollenverteilung, unklare Aufgaben und Ziele). Schlechte Vorbereitung der Teilnehmer auf die gemeinsame Lernarbeit macht die gemeinsame Lernarbeit ineffektiv und träge. Gruppenprozesse benötigen Aufmerksamkeit, die vom Lernen abgeht. Bis eine Gruppe die Entwicklungsphasen von Fremdheit, Machtkampf, Klärung und Harmonie bis zur Differenzierung von Rollen und Beziehungen durchlaufen hat und arbeitsfähig ist, benötigt die Gruppe Zeit und Prozessarbeit, die dem Lernen entzogen wird. Eine ungünstige Gruppendynamik kann auch zu negativen Effekten im Bereich der Persönlichkeit führen. Huber nennt hier Misserfolgserwartung und Selbstattribution
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von Inkompetenz, die durch Gruppen verstärkt werden können. Zu ergänzen ist das Ansteigen von Prüfungsängsten, wenn in einer Gruppe ein Klima von Besorgtheit und hohen Erwartungen bei gleichzeitiger Ängstlichkeit herrscht. Ein bekannter Gruppeneffekt ist deren geringere Kreativität. Verglichen mit einzeln arbeitenden Personen bringen Gruppen eine geringere Anzahl kreativer Ergebnisse. Dies ist für problemlöseorientierte Gruppen ernst zu nehmen, besonders auch, weil sich nicht immer die besten Ideen in Gruppen durchsetzen, sondern oft Gruppenmeinungen suboptimale Durchschnitte und Kompromisse erzeugen.
Die genannten Risiken des Lernens in Gruppen können durch entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen von Gruppen gut kompensiert werden, so dass das kooperative Lernen eine leistungssteigernde und angenehme Erfahrung wird. Dazu weiter unten didaktisch-methodische Empfehlungen. 10.8.2 Chancen und Gewinne Das Lernen in Einzelarbeit hat in der ersten Auseinandersetzung mit dem Wissensstoff, im Lesen, Notieren, Schreiben und Vorbereiten seine Berechtigung. Es ist auch dann sinnvoller, wenn Einzelpersonen kreativer sind als eine Gruppe, oder wenn divergierendes Denken gefragt ist (Schräder-Naef 1994, 72). In der Studienbegleitung ist hingegen besonders von Studierenden, die Prüfungen nicht bestanden haben, immer wieder die Aussage zu hören: „Ich habe zu viel allein gelernt und mich in ungünstige Strategien verrannt oder vielleicht zu einseitig gelernt. Ich hatte zu wenig Austausch mit anderen über die Prüfungsthemen und ich habe mein Wissen in der gemeinsamen Arbeit mit anderen zu wenig abgestimmt. So habe ich zum Teil falsch gelernt oder mich zu wenig überprüfen lassen“ (Aussage eines Studierenden der Sozialen Arbeit). Von welchen Vorteilen profitieren Studierende, wenn sie in Lerngruppen zusammenarbeiten? Schräder-Naef (1994, 68f) listet folgende auf:
Kontakt wirkt der Isolation im Studium entgegen. Nicht nur Fachthemen, sondern auch persönlicher Austausch sind hier möglich und wichtig. Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Mitstudierenden bewirkt ein Gefühl der Sicherheit und Wohlbefinden. Feedback ist besonders wichtig, wenn Prüfungen erst sehr spät Rückmeldungen über den eigenen Leistungsstand geben. Auch wenn leistungsvergleichende oder wettbewerbsorientierte Elemente in Gruppen gelegentlich ein Tabu sind, so sind doch erkennbare Unterschiede im Leistungsstand eine wichtige Rückmeldung über das eigene Wissen und Können. Den Erhalt der Motivation leisten Gruppen durch Geselligkeit, aber auch durch konstruktiven Gruppendruck. Was man für sich allein nicht tun würde, tut man für die Gruppe – Termine einhalten, unangenehmen Lernstoff angehen und Aufgaben nicht aufschieben. Prosoziales Verhalten für andere Gruppenmitglieder wirkt in der Regel förderlich auf die eigene Lernmotivation zurück.
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Eigenaktivität ist in Gruppen stärker möglich als im institutionellen Unterricht. Gruppen bieten mehr Freiräume für eigenes Denken, Handeln, Probieren, Fehlermachen und Verbessern. Gruppen können auch ein Schutzbündnis für eine positive Fehlerkultur sein. Vertiefung des Verständnisses. Es ist empirisch untersucht, dass in Gruppen Lernende ein vertiefteres Verständnis des Stoffs erwerben und bessere Leistungen erbringen als allein Lernende (Huber 2006, 263). Zu diesem größeren Lernerfolg tragen wesentlich Diskussionen, selbst gestellte Fragen, die Kenntnisnahme fremder Fertigkeiten und Fähigkeiten und der weitere Blick der Gruppe aufs Ganze eines Lerngebiets bei. Überblick über große Stoffgebiete. Gruppen behalten leichter als Einzelne den Überblick über große Stoffgebiete, wo Einzelne eher in Sackgassen geraten. Ausgleich verschiedener Lernstrategien. Einem selbst fremde Zugänge oder Strategien im Lernen können helfen, blinde Flecken zu überprüfen und Lücken zu füllen, wie auch, neue Zugänge zum Lernen zu entdecken. Erleichterung der Prüfungsvorbereitung und Reduktion von Prüfungsangst. Gemeinsam lassen sich über Simulationen und Abfragen Ergebnissen berichtigen. Besonders durch Simulationen können Ängste reduziert werden. Ein Risiko von Gruppen ist allerdings, dass Gruppen sich kollektiv von Prüfungsängsten auch anstecken lassen und hier nicht präventiv, sondern forcierend wirken. Hier bedarf es einer guten Abstimmung und Reflexion der Gruppe.
Im Studium sozialer und pädagogischer Berufe hat das Lernen und Arbeiten in Gruppen eine weitere wesentliche Funktion, die für andere Berufe in diesem Maß nicht gilt und die als Gewinn für Studierende angesehen werden kann. Die Arbeit mit Klientengruppen, Schülergruppen und Klassen und die Arbeit in sozialarbeiterischen oder Lehrerteams gehört zu den zwingend zu beherrschenden Kompetenzen von Fachkräften der Pädagogik und Sozialen Arbeit. Es gibt ein breites Spektrum von Anwendungen gruppenorientierter Methoden. Die Selbsterfahrung des Lernens in Gruppen kann Studierenden hier wesentliche Kompetenzen für die spätere Arbeit im Beruf vermitteln, die durch Module zur Sozialen Arbeit mit Gruppen oder Gruppenpädagogik nur zum Teil zu vermitteln ist, da diese meist eher theorieorientiert sind und nur selten gruppendynamische Selbsterfahrung und Methodentraining enthalten. Das selbstgesteuerte Lernen in Gruppen kann einen Teil dieser Funktionen erfüllen. Studierende der Sozialen Arbeit können die beiden Aspekte der Selbsterfahrung der Arbeit in Gruppen und des Methodentrainings mit ihrem Lernen, aber auch mit methodischen Elementen der Sozialen Arbeit verbinden, die praxis- und berufsrelevant sind. Lernen in Gruppen kann als ein pädagogischer Doppeldecker (Wahl 2001a, 263) aufgefasst werden, für den sich Vollzeitstudium nicht immer Gelegenheit bietet. In der Lehrerausbildung ist dieser pädagogische Doppeldecker, die Gleichzeitigkeit von Selbsterfahrung der späteren beruflichen Tätigkeit in der Adressatenrolle (Schüler) und hochschulischem Lernen unschwer zu inszenieren. Lehramtsstudierende lernen das Lehren und erleben, was sie später tun, im Unterricht bereits als Studierende. Für Studierende der Sozialen Arbeit ist dies ungleich schwerer zu arrangieren, es bräuchte ganz andere Arrangements, um dieses Selbsterleben der Adressatenrolle der zu erwerbenden Berufsarbeit zu inszenieren. Einfach möglich ist dies z.B. im Beratungsunterricht, wenn Studierende andere Studierende zu echten Problemen beraten. Möglich ist dies auch in der Arbeit und dem Lernen in Gruppen.
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Die Selbsterfahrung der Arbeit mit Gruppen sensibilisiert für Gruppenstrukturen und -prozesse, schafft gemeinsam erlebte und durchstandene Episoden und schafft so reale soziale Lernprozesse um die Aufgaben, die im Studium gestellt sind. Sich selbst zum Beispiel in einer Gruppe von Studierenden arbeitsfähig gemacht zu haben, die man nicht selbst ausgesucht hat, kann auf spätere Arbeitssituationen vorbereiten, wo neue Mitglieder in Teams mit nicht selbst gewählten Teammitgliedern arbeitsfähig werden müssen. Der Umgang mit Störungen in der Gruppe, das Ausbalancieren von Ansichten, Strategien und Interessen, das Ausbilden einer Gruppenkohäsion und eines Arbeitsbündnisses schafft Erfahrung, die anders nur schwer vermittelbar ist. Das Lernen in Gruppen als Methodentraining bietet vielfältige Gelegenheiten, Kompetenzen für die Soziale Arbeit und Pädagogik zu erwerben und Methoden zu trainieren, die später im Beruf unverzichtbar sind. Im Folgenden einige Beispiele zu Methoden oder Methodenbausteinen, die für das Lernen in Gruppen wie für die Arbeit wichtig sind und die das Lernen in Gruppen hilfreich strukturieren und gestalten:
Interessensklärung und Bildung von Arbeitsbündnissen, Planung und Durchführung von Projekten, Lerngebiete, „Rechercheaufträge“, Präsentationen für den Unterricht, Praxisprojekte und Forschungsarbeiten, Moderation und Leitung von Gruppensitzungen, Kollegiale Beratung oder Intervision zu fachlich-persönlichen oder Studienproblemen oder Beratung von Mitstudierenden nach unterschiedlichen Beratungsmodellen, Problemorientiertes Lernen und Arbeiten an Fällen, Erwerb sozialer und kommunikativer Kompetenzen wie Metakommunikation, Konfliktklärung, Durchsetzung, Einfühlung, u.a., Training mit Rollenspielen und Übungen zum sozialen Lernen, die später in der Arbeit mit Klienten und Schülern hilfreich sind, Coping-Methoden zu Belastungen, Stress und Bewältigung im Studium, die später für die Klientenarbeit als Modell dienen können.
Viele dieser Elemente können in selbstgesteuerten Lerngruppen besonders im Vollzeitstudium hilfreich sein, wo echte Praxiserfahrungen eingeschränkt möglich sind und eine echte Theorie-Praxis-Integration noch nicht möglich ist. 10.8.3 Grundbegriffe und wissenschaftliche Ergebnisse Huber macht darauf aufmerksam, dass wenn Lernen in Gruppen stattfindet, das nicht notwendig bedeutet, dass die Gruppenmitglieder beim Lernen kooperieren (Huber 2006, 261). Echte Kooperation muss also gestaltet werden. Huber unterscheidet zwei Formen des Lernens in Gruppen, kollaboratives Lernen, wo die Beteiligten gemeinsames Engagement für koordinierte Lernanstrengungen aufbringen (arbeitsgleiches Lernen) und im engeren Sinne kooperatives Lernen, wo Lernende Teile einer Aufgabe arbeitsteilig bearbeiten, um sich später darüber zu instruieren und auszutauschen. Viele Formen der Arbeit in Gruppen funktionieren arbeitsteilig (vgl. wechselseitiges Lehren-Lernen WELL, s.u.), auch in der selbstgesteuerten Gruppenarbeit. Einige Arbeitsformen dazu werden unten vorgestellt.
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Lernwegflankierende Maßnahmen
Eine zweite notwendige begriffliche Unterscheidung ist der soziale Ort der Gruppe in oder außerhalb des Unterrichts. Das Lernen in Gruppen innerhalb des Unterrichts („Gruppenarbeit“) wird über Kooperationsskripte (Gruppenaufträge mit definierten Rollen und Verläufen) stark lehrergesteuert. Selbstorganisierte Lerngruppen außerhalb des Unterrichts hingegen verfügen über hohe Lenkungsmöglichkeiten (Ertl&Mandl 2006, 273ff). Einige wissenschaftliche Ergebnisse zum Lernen in Gruppen zeigen, dass
hohe Lehrerkontrolle kooperatives Lernen erschwert. Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind notwendig für gelingendes Lernen in Gruppen (Huber 1997). bei Brainstorming und Kreativtechniken die Addition von Einzelleistungen bessere Ergebnisse als kollaborative Leistungen bringt (Huber 2006, 264). Es empfiehlt sich, für Aufgaben mit kreativem und Problemlösecharakter Einzelarbeit einzuschalten. Lernen mit Aufgabenstellungen ohne Spielräume für die Gruppe zur Reproduktion von vorgegebenen Lösungen führt (Huber 2006, 265). Ein Stück Verunsicherung beim Lernen sind die Kosten dieser Handlungsspielräume, der Gewinn aber der Erwerb eigenständiger Lösungsstrategien und Lösungen. die Belohnung von Gruppenleistungen eine ambivalente Sache ist. Kollektive Belohnung von Gruppenleistung führt zu sozialem Trittbrettfahren (Huber 2006, 265). Der Fokus im Gruppenlernen muss im individuellen Lernerfolg liegen. Individuelle und kollektive Verantwortung sind gut zu balancieren und der individuelle Lernzuwachs der Teilnehmer ist seitens der Lehrenden zu belohnen. ambivalenztolerante („ungewissheitsorientierte“) Lernende sich besser fühlen und bessere Leistungen in Gruppen erbringen als ambivalenzintolerante („gewissheitsorientierte“) Lernende (Huber 2006, 266). Individuelle Lernstrategien und die Abwechslung in kooperativen Lernformen können dies z.T. kompensieren. Beim Abwechseln von Einzel- und kooperativem Arbeiten im Rahmen von Sandwichlernumgebungen oder Gruppenlernen zeigten gewissheitsorientierte Lernende keine schlechteren Leistungen (Huber 2006, 268). kooperatives Lernen bessere Leistungen erzielt. Es führt in allen untersuchten Klassen zu mindestens gleich guten, meist (80 % der untersuchten Personen) zu besseren Lernleistungen, dies aber nur, wenn die Lernenden individuell für ihr Lernen verantwortlich blieben (Huber 2006, 268). Soziales Trittbrettfahren bleibt also ein ernsthaftes Problem des Lernens in Gruppen. strukturiertes Lernen in Gruppen mit Kooperationsskripten (Drehbücher oder Anweisungen mit Rollenfunktionen und Bearbeitungsverläufen) empirisch gesichert eine Lernform mit hoher Wirksamkeit und großem Lernerfolg ist. Dies gilt allerdings nur für die direkte Kooperation in Gruppen. Für die webbasierte Kooperation sind die Ergebnisse uneindeutig (Ertl&Mandl 2006, 279).
Zu selbstinitiierten und organisierten Lerngruppen außerhalb des schulischen Unterrichts gibt es kaum Forschungsergebnisse. Deren Wirksamkeit auf das individuelle Lernen wird von Huber aber ähnlich angenommen, wie die von Gruppenarbeiten im schulischen Unterricht (Huber 2006, 269). Die beschriebenen Risiken (s.o.) werden auch für selbstgesteuerte Lerngruppen angenommen. Die unten beschriebenen Hilfen können dazu beitragen, vor
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allem das selbstinitiierte und selbstgesteuerte Lernen in Gruppen effizienter zu machen. Im Folgenden werden Hilfen vor allem für die Arbeit mit selbst initiierten und organisierten Lerngruppen gegeben. Diese spielen in allen lernerzentrierten, konstruktivistisch orientierten und auf berufliches Handeln zielenden Studiengängen eine bedeutsame Rolle. Um das Potential des Lernens in Gruppen zu optimieren und die Risiken zu minimieren, gibt es einige bedeutende und wirksame Gestaltungshilfen, die im Folgenden vorgestellt werden. 10.8.4 Strukturierungsmöglichkeiten zum Lernen in Gruppen Mit den folgenden Prinzipien und Arbeitsregeln sind Strukturen und die Arbeitskultur in Lerngruppen so gestaltbar, dass sie wirksames und Lernen in einem konstruktiven Lernklima ermöglichen (Friedrich&Ballstaedt 1997, 92; Schlee&Goll 2001; Wahl 2005a, 251ff):
Die Arbeit planen und organisieren. Das Arbeitsprogramm sollte klar und konkret festgelegt werden und die Aufgaben von Sitzung zu Sitzung vereinbart werden. Schlee empfiehlt die Arbeit mit einer Standardtagesordnung. Nach dem Start mit einem Blitzlicht, einem Startritual oder animierenden Einstieg werden die Rollen geklärt. Es wird das Sitzungsprogramm erstellt, Themen und Aufgaben gesammelt und geordnet und dann die gemeinsame Lernarbeit begonnen. Ein von einem Mitglied geführter Themenspeicher auf einem Zettel oder Flipchart sorgt dafür, dass noch nicht behandelte, neue oder zu verschiebende Themen nicht verloren gehen. Metakommunikation bei Störungen und Konflikten wird als Mittel benutzt und kann von allen Beteiligten eingebracht werden. Am Ende der Sitzung wird kurz ausgewertet. Es werden die nächsten Treffen, Themen und bis dahin nötigen Arbeiten geklärt. Rituale und Hilfsmittel. Hilfsmittel wie Vorlagen für Sitzungsverläufe, Protokolle oder Rollenanweisungen z.B. zur Moderation strukturieren die Arbeit. Sie helfen, Strukturen nicht jedes Mal neu diskutieren zu müssen. Rituale wie Blitzlichter, animierende Einstiege, Entspannungs- oder Körperübungen nach langer geistiger Arbeit oder gemeinsame Essen nach der Arbeit stärken die Kohäsion und das Lernklima. Rollen in der Gruppenarbeit festlegen und rotieren lassen. Folgende Rollen sollten vergeben werden: Moderation oder Leitung, Feedback, Protokoll und Präsentation sollten verteilt werden. Bei Themenabweichung, Konflikten, Zeitüberschreitung sollte ein „Wadenbeißer“ bestimmt werden. Die Aufgaben und Rollen in der Lerngruppe sollten rotieren, so dass die Verantwortung für die inhaltliche Arbeit und den Gruppenprozess geteilt wird. In selbstinitiierten Gruppen sollten die Gruppengröße klein gehalten werden. Sie sollte zwischen 3 und 6 Personen liegen, größere Gruppen sind nur schwer koordinierbar und senken das Engagement der einzelnen Teilnehmer merklich, sie sind außerdem schwerer zu moderieren. Das Leistungsniveau eher homogen halten. In der Gruppe sollte das Anfangsleistungsgefälle nicht zu heterogen sein. Möglichst alle sollten einen Beitrag leisten können und keine Mitglieder die Gruppe dominieren. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass schwächere Gruppenmitglieder Unterstützung erfahren und sich verbessern können. Leistungsunterschiede werden bei Studierenden in helfenden Berufen häufig als Tabu
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Lernwegflankierende Maßnahmen
erlebt, dies ist eine Wahrnehmung des Autors über viele Jahre der Lehrtätigkeit. Zu einer offenen und metakommunikativ geklärten Zusammenarbeit in Gruppen gehört auch, Leistungsunterschiede zu akzeptieren und daran zu arbeiten, wenn sich daraus Störungen entwickeln. Verschiedene Arbeitsformen nutzen. Sowohl arbeitsteilig, als auch arbeitsgleich arbeiten, schafft Abwechslung und aktiviert die Mitglieder. Die Diskussion ist eine Standardmethode, vermutlich wird aber im Lernen in Gruppen eher zu viel diskutiert. Anregender ist gemeinsames Visualisieren und inszenierte Streitgespräche, Übungen und Fallanalysen, kollegiale Beratung und Prüfungssimulationen. Diese Methoden machen das Lernen in Gruppen abwechslungsreicher. Phasen gemeinsamer Arbeit mit individuellen Lernaktivitäten variieren. Die Abwechslung zwischen Einzel- und Gruppenaktivitäten erhöht den Anreiz, etwas beizutragen, schafft Raum für gewissheitsorientierte Lernende, erhöht die individuelle Verantwortung für das eigene Lernen und gibt Raum für individuelle Präferenzen. Wissensressourcen der Gruppe nutzen. Alle Lernenden haben ihre eigenen speziellen Interessen und Wissensgebiete. Diese sollten genutzt und eingebracht werden. Sie sollten von Gruppenmitgliedern auch eingefordert werden dürfen, wenn sich herausstellt, dass ein starkes Gefälle herrscht. Gegenseitige Herausforderung der Lernenden spornt an, motiviert und pflegt auch eine Kultur der Aktivität und Leistungsbereitschaft. Auf eine mittlere Gruppenkohäsion achten. Die Arbeit in Gruppen hat viele Funktionen. Neben Lernen sind auch sozialer Zusammenhalt und Unterstützung wichtige und legitime Funktionen jeder selbstgesteuerten Gruppenarbeit. Die Konzentration auf sozialen Kontakt und gemeinsames Erleben in der Gruppe kann aber kritische Auseinandersetzung und Aufgabenbezug verhindern. Gegensätze sind konstruktiv, wenn sie genutzt und im Diskurs ausgetragen werden. Sie tragen zur vertieften Verarbeitung der Inhalte bei und vermeiden die Fehler, die durch Gruppendenken und Entscheidungsfallen entstehen. Daraus entwickelt sich eine nächste Empfehlung: Leistungs- und Aufgabenorientierung thematisieren und vereinbaren. Mögliche Tabus zu Leistungsunterschieden und Leistungsansprüchen können zu einer Nivellierung der Leistung von Gruppen führen. Dies führt zur Frustration der Leistungsträger in einer Gruppe. Die eigene Leistungserwartung an die Gruppe und sich selbst sollte am Anfang des Lernens geklärt werden und darüber ein Arbeitsbündnis und Regeln der Zusammenarbeit gefunden werden. Weiter ist die metakommunikative Klärung immer wieder hilfreich, das getroffene Arbeitsbündnis zu erneuern. Regeln der Zusammenarbeit vereinbaren. Durch selbst gewählte Strukturen wird die individuelle Verantwortung erhöht und die Beziehungsebene wird durch Regeln entlastet. Regelmäßige kommunikative Klärung des gemeinsamen Lernens. Durch regelmäßige Metakommunikation können Störungen schnell geklärt und die Arbeitsfähigkeit erhalten werden. Im Anschluss an jede Sitzung wird eine kurze Runde empfohlen. Sie reflektiert, wie ergiebig die Sitzung war, was die Einzelnen beobachtet haben und welche Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit zu ziehen sind.
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10.8.5 Wechselseitiges Lehren und Lernen Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) oder reziprokes Lehren und Lernen (Huber& Haag 2004; Wahl 2005a, 154ff) hilft, durch die eigene Rolle als Experte für ein Thema anderen Studierenden Themen zu erklären und Gelerntes selbst besser zu verstehen. Wahl definiert wechselseitiges Lehren und Lernen als kooperative Lernform, „bei der Lernende für einen umschriebenen Teil der Inhalte zu Expertinnen und Experten werden und sich diese anschließend wechselseitig vermitteln“ (Wahl 2005a, 249). Ein Problem bei dieser Lernform ist die unterschiedlich tiefe Stoffverarbeitung zwischen den als Experte vorgestellten und den nur gehörten Stoffteilen. Um dieses Gefälle in der Verarbeitungstiefe des Lernstoffs auszugleichen, schließlich soll der ganze Stoff beherrscht werden, wird folgendes Vorgehen in drei Lernphasen empfohlen, um eine nachhaltige Verarbeitung aller Stoffteile sicherstellen: 1.
2.
3.
Aneignungsphase: Zu lernender Stoff oder zu verarbeitender Text wird in der Gruppe aufgeteilt und alle erarbeiten in Einzelarbeit ihren Teil des Lernmaterials. Sie erstellen dabei wenn möglich Visualisierungen (concept maps, Mindmaps oder Cluster), um den Stoff zu verdichten. Vermittlungsphase: In der darauf folgenden Vermittlungsphase stellen sich die Gruppenmitglieder gegenseitig ihre erarbeiteten Inhalte vor. Durch die reziproke ExpertenNovizen-Struktur nehmen alle Lernenden alle Rollen ein. Verarbeitungsphase: In der Verarbeitungsphase werden die nicht selbst erarbeiteten Teile nachbearbeitet und gesichert und damit die Nachhaltigkeit des Lernens gesteigert. Besonders dieser letzte Teil ist nicht zu vernachlässigen, da sonst nur Teile des Stoffes wirklich vertieft erarbeitet werden.
Wahl und Huber nennen eine Vielzahl von Methoden des reziproken Lernens im Unterricht. Sie können auch in der selbst initiierten Lernarbeit genutzt werden. Die vier wichtigsten werden im Folgenden genannt (vertiefende Hinweise Wahl 2005a; Huber 2004).
Lerntempoduett, -terzett und -quartett: Je nach aufzuteilender Stoffmenge wird die Stoffmenge durch zwei, drei oder vier geteilt und in der Aneignungsphase bearbeitet. In der Vermittlungsphase wird sie einem bis drei Mitlernenden vorgestellt und in der Verarbeitungsphase nachbearbeitet. Partner- oder Gruppeninterview: Die Lernenden erarbeiten sich den Stoff arbeitsteilig in der Aneignungsphase, in der Vermittlungsphase stellen die anderen Partner Fragen und die Experten beantworten sie. Die Wirkung selbst generierter Fragen ist besonders für Prüfungen interessant. Sie simulieren Prüfungsfragen und fördern so Prüfungserfolg wie auch das vertiefte problemlösende Lernen. Auch die Fragen stellenden Partner machen dabei einen Lernprozess durch, das Stellen von Fragen setzt bereits eine gewisse Kenntnis des Lernmaterials voraus. Partnerpuzzle: In Lernpartnerschaften oder Partnerarbeit wird ein Teilthema zu zweit erarbeitet (Aneignungsphase). In der anschließenden Vermittlungsphase werden die Partner so gemischt, dass alle Stoffteile in einem neuen Paar oder einer neuen Gruppe
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vertreten sind und es werden Fragen gestellt oder der Stoff vorgestellt. Anschließend findet die Sicherung des Wissens in der Verarbeitungsphase mit wieder gemischten Gruppen oder Paaren statt. 10.8.6 Kooperatives Problemlösen Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Problemlösen in Gruppen gewissen Beschränkungen unterliegt, die kreative Problemlösungen erschweren. Für eine effektive Problemlösung in Gruppen empfehlen sich daher andere Formen der Zusammenarbeit (Huber 2006, 268ff). Wichtig ist hier, die Kreativitätsnachteile und erschwerende gruppendynamische Phänomene auszugleichen. Huber schlägt folgendes Vorgehen vor: 1. 2. 3. 4.
Klärung der Problemsituation, Einigung auf Hypothesen, Ziele als erwünschter Endzustand, Kriterien für Entscheidungen und erwünschte Lösung, Informationssuche. Kleingruppen oder Tandembildung zur Bearbeitung von Teilaspekten. Organisieren und Abstimmen mit der Gesamtgruppe. Lösungsansätze erarbeiten und deren Präsentation im Gruppenplenum vorbereiten. Lösungsansätze vorstellen, diskutieren, zu einer Lösung kommen.
Das kreative Potential kann durch die Betonung kleinerer Sozialformen (Partner- oder Einzelarbeit) gestärkt werden. Aber auch die Einführung von Rollenvorgaben und Arbeitsschritten im Kooperationsskript kann kreative Problemlösungen unterstützen. So könnte z.B. die Rolle eines Nonkonformisten installiert werden. Eine oder mehrere Personen könnten Ideen, Deutungen und Bewertungen kritisch hinterfragen und sich bemühen, unkonventionelle Sichtweisen einzubringen. Im Verlauf eines Problemlöseprozesses könnten Perspektivenwechsel bewusst eingebaut werden, um neue Sichtweisen zu finden (Wie sieht das Problem aus der Sicht... einer Angehörigen, eines Klienten, eines unbeteiligten Passanten aus? Was würde ... dazu sagen?). Und weiter helfen alle Methoden, die kreativ-divergierendes Denken erzeugen, um Deutungen, Analysen, Lösungsansätze zu bereichern. 10.8.7 Kooperative Praxisbewältigung in Gruppen Wenn Wissensbildung, Erfahrungsaustausch und Prüfungsvorbereitung das Ziel einer Gruppe ist, reichen die obigen Modelle aus, um kooperatives Lernen wirksam und motivierend zu gestalten. Gemeinsame Planung des Lernens, methodische Strukturierung durch Rollen und Arbeitsverläufe, Aktivierung aller Gruppenmitglieder und regelmäßige Metakommunikation zur Lernarbeit genügen zur Gestaltung. Diese Bedingungen sind nicht mehr hinreichend, wenn als Ziel des kooperativen Lernens spezifische methodische Kompetenzen oder generell berufliche Handlungskompetenz und besonders das In-Gang-Setzen neuer Handlungsmuster, ins Zentrum rücken. Besonders das Erlernen sozialer Kompetenzen erfordert andere Lernprozesse und besondere personale und soziale Flankierung (Wahl 2005a, 248ff). Für das an beruflicher Handlungskompetenz interessierte Lernen in Gruppen wird hier das Konzept der KOPING-Gruppe (Schmidt 2001a; Wahl 2005a, 2248ff) vorgeschlagen. KOPING ist ein Kunstwort und bedeutet kommunikative Praxisbewältigung in Gruppen. Sie hat sich als wirksame Form handlungsorientierten Lernens in Gruppen erwiesen, stellt
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ein Modell kollegialer Praxisberatung und Problembearbeitung dar und erzeugt den für neues Handeln wichtigen sozialen Support (Schmidt 2001a). KOPING-Gruppen sind als Teil des Studiums oder in Modulen möglich. Sie lassen sich auch unabhängig von einer konkreten Einbindung ins Studium nutzen (Wahl 2005a, 251). Der Begriff „KOPING“ lehnt sich an das Coping-Modell von Lazarus an und soll (engl. „to cope“: bewältigen, fertig werden mit) die Bewältigung von Stress und Widrigkeiten assoziieren (Wahl 2005a, 250). Das Grundprinzip des Lernens in KOPING-Gruppen ist die soziale Unterstützung (Social Support) in Gruppen und Tandems auf dem Weg zu professionellerem beruflichen Handeln. Die KOPING-Gruppe wird im Dreierschritt des handlungsorientierten Lernens nach Wahl als sozialer Schutzschild gegen stabile alte Handlungsmuster, Stress und negative Emotionen, gegen konkurrierende Handlungstendenzen und für neue, noch unsichere und nicht voll beherrschte Handlungsmöglichkeiten aufgefasst. Die KOPING-Arbeit hat also erheblich weiterreichende Funktionen als selbst initiierte Lerngruppen zum Wissenserwerb oder der Prüfungsvorbereitung. Wahl unterstreicht die große Bedeutung sozialen Supports bei diesem Schritt des handlungsorientierten Lernens. Er nennt zwei Funktionen, die sozial-emotionale Stabilisierung der Lernenden und die konkrete Hilfe bei Problemlösungen (Wahl 2005a, 249). In einem Vollzeitstudium unterliegt die Arbeit mit KOPING-Gruppen einer Restriktion. KOPING-Arbeit unterstellt ja, dass es eine Praxis gibt, die die Lernenden als beruflich Handelnde zu bewältigen haben. In einem Studium ohne begleitende berufliche Praxis fehlen diese echten, zeitsynchronen und aktuellen Aufgaben und Erfahrungen, außer sie werden in freiwilliger oder nebenamtlicher Tätigkeit gewonnen. Das praxisbegleitende Studium in Sozialer Arbeit oder Pädagogik wäre nach Auffassung des Autors die strukturell günstigere Studienform. Sie vermittelt echte Lernprozesse zu beruflichem Handeln, während das Vollzeitstudium das In-Gang-Setzen neuer Handlungsmuster auf Praktika oder die Berufseinmündungsphase verschiebt. Die Empfehlung des Autors an Vollzeitstudierende ist daher, sich diese Praxis bereits innerhalb des Studiums durch nebenamtliches Engagement zu verschaffen. Dies ermöglicht, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie ein praxisintegrierte Studium, doch echte Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten. In den praxisbegleitenden Studiengängen ist der Wechsel von Studien- und Arbeitsphasen die Regel. Dies können Studientage, ganze Wochen oder längere Blöcke sein. Der Wechsel von theoretischem und praktischem Lernen und die Gleichzeitigkeit beruflicher Praxis und theoretischem Lernens haben sich für den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz als positiv erwiesen. Vollzeitstudiengänge erlauben keine so intensive Verschränkung von theoretischen und praktischen Ausbildungselementen. Die KOPING-Arbeit eignet sich deshalb besonders für das praxisbegleitende Studium oder für Studierende, die bereits selbstorganisiert und neben dem Studium einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Wie ist die KOPING-Arbeit nun strukturiert? Eine KOPING-Gruppe hat idealerweise sechs Mitglieder, die sich wiederum in drei Praxis-Tandems unterteilen. Gruppen und Tandems sollen von den Studierenden selbst gewählt sein. Symmetrie in den Beziehungen, Reziprokität in der Arbeitshaltung und Gleichberechtigung in der Lenkung der Gruppenarbeit sollen vorherrschen. Die Heterogenität der Gruppenmitglieder ist Vorteil – anders als für kooperatives Lernen, wo leistungshomogene Gruppen empfohlen werden. Die Gruppen
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arbeiten in regelmäßigen Sitzungen und im Wechsel mit den Praxis-Tandems. Die Sitzungen sind vorbereitet, in der Moderation wechseln sich die Mitglieder ab. Die Hauptfragestellung der gemeinsamen Arbeit ist, wie Handlungsprobleme des beruflichen Alltags mit neuen und professionellen Handlungsstrategien zu bewältigen sind. Die Organisation von KOPING-Gruppen erfolgt im Rahmen einer SandwichLernumgebung, wo Präsenz- und Praxisphasen abwechseln, wie unten visualisiert.
Abbildung 51: Organisation von KOPING-Arbeit mit KOPING-Gruppen und Tandems, angelegt zwischen Kontaktlektionen / Präsenzphasen des Unterrichts (Wahl 2005a, 251) KOPING-Gruppen bearbeiten vielfältige Problemstellungen aus Studium und Beruf.
Erfahrungsaustausch zu Fragen der Praxis und Schule, Berichte aus dem Praxistandem („Das haben wir geplant, besprochen“) Bitte um Hilfe der Gruppe zu Problemstellungen, Vorstellen von praktischer Arbeit / praktischen Erfahrungen zu einem Thema. Üben einzelner Fähigkeiten/Fertigkeiten in der Echtsituation der KOPING-Gruppe, vor allem Gruppenleitung und Moderation. Üben in Rollenspielen. Arbeit mit kollegialer Beratung.
Die Bearbeitung von konkreten beruflichen Handlungsproblemen mit kollegialer Beratung verläuft in der KOPING-Arbeit in der Regel über mehrere Sitzungen und in einem wohldefinierten Ineinandergreifen von Gruppen- und Tandemarbeit. Geht es um konkrete berufliche Handlungsprobleme, ist dieser stärker strukturierte Arbeitsprozess angezeigt (Wahl 2005a, 252ff), wenn man nachhaltige Veränderungen erreichen will. In der Regel werden Problem- und Lernschwerpunkte über mehrere Sitzungen hinweg bearbeitet. Wahl emp-
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fiehlt die Konzentration auf einen Problemschwerpunkt pro Teilnehmer, da zu viele Themen neues Handeln eher verwirren als voranbringen. Das Ungewöhnliche dieser Art kollegialer Beratung ist, dass, alle Teilnehmer gleichzeitig an ihren gewählten Problemstellungen arbeiten. Es besteht – anders als in anderen Verfahren der kollegialen Beratung – nicht der Anspruch, in einer Sitzung nur eine Problemsstellung zu bearbeiten und diese auch abzuschließen. Teile dieser Problemstellungen werden in der KOPING-Gruppe bearbeitet, andere Teile im Tandem und wieder andere allein. Mit diesem Vorgehen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Veränderung menschlichen Handelns längere Zeit beansprucht und häufig nicht mit einer kollegialen Beratung beendet ist. Der strukturierte Arbeitsprozess in den beiden Sozialformen sieht wie folgt aus (Wahl 2005a, 252). Wie unten zu sehen ist, finden die persönlich sensibleren Arbeitsschritte und die, für die der Akteur Entwicklungszeit braucht, im Tandem statt. Die Gruppe leistet die kognitiv-problemlösende Arbeit, die ein größeres Potential an Ideen (z.B. bei der Hypothesengenerierung) erfordert. Bei weiteren Sitzungen kann an passenden Stellen des Problemlöseprozesses wieder eingesetzt und weitergearbeitet werden, oder es werden Schritte (Perspektivenwechsel, Hypothesen, Zielbildung) wiederholt. KOPING-Gruppen erfordern ein erhebliches Maß an Engagement, Kontinuität und Offenheit, was für schulisch verordnete Veranstaltungen nicht immer vorausgesetzt werden kann. Die Erfahrungen vieler Studierender mit KOPING-Gruppen sind aber positiv, häufig werden die Gruppen auch über die Mindestanforderungen hinaus fortgesetzt, da die Effektivität der Zusammenarbeit und das gute Lern- und Arbeitsklima motivierend für kooperatives Lernen wirken.
In der KOPING-Gruppe 1. Problemauswahl a) Erste Problemskizze: „Woran arbeiten?“ b) Probleme ordnen: „Was in der Gruppe, was im Tandem bearbeiten?“ c) Reihenfolge: „Wer beginnt?“ 2. Problemrekonstruktion d) Beschreibung Problem: „Zuhören/nachfragen“ e) Wechsel zur Perspektive der Gruppe: „Was löst die Situation in uns aus?“ f) Wechsel zur Perspektive des Kontrahenten: „Ich (Kontrahent) verhalte mich so, weil...“ Diagnoseaufträge für das Tandem zur Rekonstruktion von Innen- und Außensichtweise: „Woran arbeiten wir im Tandem weiter?“
Im Praxis-Tandem
3. Diagnose a) Befragen im Tandem: Innen-/ Außenperspektive b) ev. Beobachten in der Praxis c) Abgleichen mit der Kontrahentenperspektive
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Lernwegflankierende Maßnahmen
4. Problemlösen a) Diagnoseergebnisse berichten b) Zusammenhänge erkennen, Hypothesen bilden c) Zukunftsbild beschreiben d) Lösungssuche e) Lösungsauswahl f) Realisierungsaufträge für Tandems 5. Handeln in Gang bringen a) Klare Vorstellung vom neuen Handeln schaffen b) Handeln planen und simulieren c) Umsetzung flankieren: Vorsätze und Stressimpfung d) Lösung erproben e) Effekte erfassen: Befragung und Beobachtung f) Ergebnisse der Erprobung diskutieren 6. Evaluation a) Umsetzungsergebnisse berichten b) Bearbeitung weiterführen oder abschließen
Tabelle 17: Methodisches Vorgehen bei der kommunikativen Praxisbewältigung in Gruppen (Wahl 2005a, 252) 10.9 Stressbewältigung beim Handeln Studierende sind nach Anfangsmisserfolgen zu neuem Handeln z.B. in Konflikt- oder Krisensituationen oder bei komplexen Problemen gelegentlich enttäuscht. Erfolge stellen sich zu wenig schnell ein. Neues Handeln ist noch fehlerbehaftet und es gelingt zu wenig flüssig. Neues Handeln kann auch angst- und unsicherheitsbelastet sein, Nervosität erhöhen und so weniger gut gelingen als gewohnte, alte und routinierte Handlungsmuster. So ist neues Handeln in vielerlei Hinsicht fragil, noch fehleranfällig und unsicher. Dabei entsteht ein von skeptischen Lernenden gelegentlich genanntes Lernrisiko. Lernende verwerfen neues Handeln und greifen auf alte Muster zurück oder versuchen nicht weiter, an ihrem Verhalten zu arbeiten, weil „es ja bislang nichts gebracht hat“. Diesen Teufelskreis aus Unsicherheit, anfänglichem Misslingen, Skepsis, Misserfolgsbewertung und Einstellung von Transferbemühungen zu neuem Handeln bezeichnet Mutzeck als Giftpfeile für einen Transferprozess von neuem Wissen zu neuem Handeln (Mutzeck 2005, 93). Diesen Störungen und Erschwernissen zu neuem Handeln setzt er lernwegflankierende Schutzschilde entgegen, wie sie hier vorgestellt werden. Um diese Störungen und Erschwernisse auf dem Weg zu neuen Handlungsmustern zu entschärfen, eignen sich die im Folgenden vorgestellten Techniken. Selbstinstruktion, Stressimpfung und sekundenschnelle Entspannung werden hier als lernwegflankierende Maßnahmen verstanden, die Resignation und vorschnelles Aufgeben im Lernprozess verhindern und neues Handeln unterstützen sollen. Sie stellen personale Schutzschilde für die anfänglich fragilen neuen Handlungsmuster dar. Um Resignation oder vorschnelles Aufgeben neuen Handelns zu vermeiden, wurden diese Techniken in der Ver-
Stressbewältigung beim Handeln
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haltenstherapie entwickelt. In der therapeutischen Arbeit haben sie sich bewährt und breite Anwendung gefunden (Meichenbaum 1995; Meichenbaum&Schattenburg 2003). Die Methoden wurden für die Arbeit in der beruflichen Weiterbildung adaptiert und werden seit langem in etlichen Studiengängen verwendet. Sie helfen alte und ungünstige Handlungstendenzen abzubauen und unterstützen in schwierigen Situationen neues Handeln. Durch Vorsatzbildung, Vorbereitung auf Stress im Handeln in schwierigen Situationen, durch Entspannung und durch positives inneres Sprechen werden schwierige Gefühle wie Angst, Ärger, Wut, Anspannung und Blockaden gelöst und überlegtes Handeln unterstützt (Schlottke&Wahl 1983). Die Techniken müssen gelernt und über längere Zeit geübt werden. Im Folgenden werden sie ausführlich dargestellt. 10.9.1 Stressimpfung und Vorsatzbildung Stressimpfung ist die gedankliche und emotionale Vorbereitung auf belastende Situationen (Meichenbaum 1995; Meichenbaum&Schattenburg 2003; Schlottke&Wahl 1983). Weil die Gefahr besteht, dass Kampf- oder Flucht-Reaktionen unser neues Handeln außer Kraft setzen, wird das eigene Handeln kleinschrittig gesteuert. Dies bedeutet, der Handelnde leitet sein eigenes Handeln durch inneres Sprechen, sog. Selbstinstruktionen an. Das Ziel der Stressimpfung ist der gekonnte Umgang mit den eigenen Emotionen in belastenden Situationen und die Einhaltung der eigenen vorher geplanten Lösungsstrategien. Wie geht man bei einer Stressimpfung vor?
Der erste Schritt ist eine gründliche Analyse des belastenden Geschehens. Was denke ich, was fühle ich, was sind meine typischen Reaktionsweisen? Der zweite Schritt ist eine Diskussion der Ziele. Was will ich erreichen, wie genau möchte ich handeln können? Der dritte Schritt ist eine Ausarbeitung der einzelnen Selbstanweisungen. Wie muss ich mich selbst mit Selbstinstruktionen steuern, damit ich auch das tun kann, was ich tun möchte? Die Selbstanweisungen beziehen sich dabei einerseits auf den Umgang mit den eigenen Emotionen und andererseits auf das Einhalten der ausgearbeiteten Lösungsstrategien. Selbstanweisungen werden für vier bzw. für sechs Zeitpunkte ausgearbeitet. Sie betreffen jeweils den Umgang mit den eigenen Emotionen und die Einhaltung der eigenen Handlungsstrategie, die natürlich vorausgeplant sein muss. Geplant wird für den Zeitraum lange bzw. direkt vor dem Eintritt in die belastende Situation, für den Eintritt in die belastende Situation, für die mögliche Phase des Überwältigtwerdens von der Situation, direkt bzw. lange nach dem Austritt aus der belastenden Situation.
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Abbildung 52: Beispiel für den Verlauf von Erregung und Maßnahmen der Stressimpfung 10.9.2 Selbstinstruktion – positives inneres Sprechen Um während einer schwierigen Situation konstruktiv und stabil zu bleiben, sind sog. Selbstinstruktionen hilfreich. Das positive innere Sprechen, das den Handelnden ermutigt und stabilisiert, hat sich als wichtige Stütze für neue Handlungsstrategien erwiesen. In schwierigen Situationen stellt es sich nicht von selbst ein und muss vorher geplant werden. Die Gefährdungen neuen Handelns in schwierigen Situationen können sehr unterschiedlich sein. Selbstunsicherheit und Verstummen benötigen andere Maßnahmen als schneller Ärger und impulsiv-aggressive Reaktionen oder die Flucht in Aktionismus, der gar keinen Plan mehr verfolgt. Fehlerquellen besonders beim kommunikativen Handeln wirken sich destruktiv aus, weil sie nur schwer revidierbar sind („gesagt ist gesagt“). Es hilft daher, durch innere Botschaften die eigenen Gefühle anzusprechen und zu beeinflussen und gleichzeitig die eigenen Handlungspläne zu stabilisieren. Wie können nun konkrete Selbstinstruktionen aussehen? Wahl gibt Beispiele für positive innere Botschaften, die im Verlauf einer schwierigen Situation hilfreich sein könnten. Zur Vorbereitung auf eine Stressbedingung
Was ist zu tun? Ich kann darüber nachdenken, was ich machen kann. Wo liegen meine Schwierigkeiten? Wie wird wohl der/die andere reagieren? Ich kann mir einen Plan aufstellen. Ich kann versuchen, mich zu beruhigen.
Wenn Sie auf die Stressbedingung stoßen
Ich entspanne mich, ich habe mich unter Kontrolle. Ich atme tief durch. So ist es gut. Ich denke nicht über Furcht nach; nur über das, was ich zu tun habe. Ich mache jeweils nur einen Schritt. Ich kann es schaffen. Ich tue jetzt den ersten Schritt, den ich vorbereitet habe.
Stressbewältigung beim Handeln
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In der Phase des Überwältigt-Werdens
Ich mache eine Pause, wenn sich die Furcht einstellt. Ich konzentriere mich auf das Jetzt: was habe ich zu tun? Ich versuche meine Furcht nicht völlig zu unterdrücken: nur so weit, dass ich damit zurechtkomme.
Nach der Belastungssituation
Es hat geklappt. Ich habe es geschafft. Es war gar nicht so schlimm, wie ich geglaubt habe. Jedes Mal wird es besser. Ich kann mit meinen Fortschritten zufrieden sein.
10.9.3 Sekundenschnelle Entspannung Wenn körperliche Reaktionen oder starke Emotionen günstiges Handeln blockieren, kann es sein, dass das innere Sprechen nicht mehr ausreicht. Dann ist die Arbeit mit Entspannungstechniken notwendig, um die inneren Empfindungen beherrschen zu lernen und einigermaßen ruhig und mindestens halbwegs entspannt bleiben zu können, auch wenn autonome Körperreaktionen (Blutdruck, Kreislauf, Atem, Stoffwechsel) auf eine Herausforderung mit Stresssymptomen reagieren. Dafür wurde von Schlottke und Wahl aus den Methoden der Bildimagination, der progressiven Muskelentspannung, der Selbstinstruktion und der Arbeit mit Atemtechniken die Methode der sekundenschnellen Entspannung entwickelt (Schlottke&Wahl 1983). Sekundenschnelle Entspannung beeinflusst körperliche Begleitsymptome in schwierigen Situationen wirksam. Sie benötigt aber einige Einübung, bis sie in Problemsituationen sicher zur Verfügung steht. Es muss von anfangs zwei bis dreimal ca. 20 Minuten pro Woche über etwa ein bis zwei Wochen ausgegangen werden. Wird die Methode beherrscht, kann auf die jeweils kürzeren Übungsformen reduziert werden. Das Ziel ist es, sich in herausfordernden beruflichen oder Alltagssituationen durch sekundenschnelle Entspannung ohne große Handlungsunterbrechung entspannen zu können und so handlungsfähig zu bleiben oder wieder zu werden. So kann neues Handeln durchgehalten werden und man verfällt weniger schnell in alte Handlungsmuster. Die Entspannungstechnik beinhaltet 4 Elemente: einen Stoppcode, d.h. ein Wort oder einen Satz, der Ihnen Mut macht, entspannt und Zuversicht gibt, ein inneres Ruhebild, das Sie positiv stimmt, entspannt und Luft gibt, tiefe, langsame, entspannte Bauchatmung und Körperentspannung, die Sie über Übungen bewusst herzustellen lernen. Der Übungsaufbau funktioniert ähnlich wie bei der progressiven Muskelentspannung: Der Übungsaufbau: Sie üben ca. 2 – 3x pro Woche in kürzer werdenden Übungseinheiten den Entspannungsablauf und konditionieren sich auf Bild, Stoppcode, Atmung und Entspannung.
Sie arbeiten mit ruhiger meditativer Musik und der Anleitung zur progressiven Muskelentspannung (s.o.), legen sich bequem auf den Boden (Decke oder Matte)
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Lernwegflankierende Maßnahmen
Sie gehen wie bei der progressiven Muskelentspannung durch alle Körperteile. Sie spannen bewusst an und lassen bewusst los, bis Sie ganz entspannt sind. während der Entspannungsphase sprechen Sie den Stoppcode und stellen sich das Ruhebild vor. Sie konditionieren dabei Ihren Körper auf Entspannung und Atmung, wenn Sie den Stoppcode in Zukunft im Alltag sagen oder denken werden. Sie achten während der Übung auf eine tiefe Bauchatmung.
Aufbau der Übungssequenzen über den Trainingsverlauf:
Sie üben ein bis zwei Wochen mit einer 20-Minuten Version Sie üben ein bis zwei Wochen in einer 5-Minuten Version Sie nehmen sich ein bis zwei Wochen im Alltag Zeit in schwierigen Situationen für eine kurze Handlungsunterbrechung. Sie nehmen sich vor einer zu erwartenden Situation wenn möglich eine bis zwei Minuten Zeit. Sie entspannen sich mit Atmung, Stoppcode, Ruhebild und Körperentspannung und reagieren erst danach auf die schwierige Situation. Im weiteren Verlauf kürzen Sie die Handlungsunterbrechung auf wenige Sekunden, in denen Sie sich mit Stoppcode, Bild, Atmung und Körperentspannung entspannen und dann reagieren. Sie üben weiter, bis Sie in einer belastenden Situation sekundenschnell Entspannung herstellen können und aus dieser Entspannung heraus reagieren.
Einmal gelernt, wird diese Technik Ihnen helfen, auch in schwierigen Situationen gelassener und „mit Kopf“ bei Ihren Vorsätzen zu bleiben und neues Handeln durchzuhalten.
Folgende Lernwerkstätten bieten Ihnen Aneignungs- und Anwendungsaufgaben zu diesem Kapitel: LWS 10.1 Lernstrategien hinterfragen und verändern LWS 10.2.1 Zeitplanung im Studium LWS 10.2.2 Lernziele setzen LWS 10.3 Motivation im Lernprozess erhalten LWS 10.4 Lernfreude und Flow kultivieren LWS 10.5 Metakognition entwickeln LWS 10.6 Konzentration fördern LWS 10.7 Vitalität beim Lernen erhalten LWS 10.8 In Gruppen lernen LWS 10.9 Stressbewältigung und Stressimpfung