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Theodor W. Adorno Gesammelte Schriften Herausgegeben von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz
Band ι
Theodor W. Adorno Philosophische Frühschriften
Suhrkamp
Zweite Auflage 1990 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1973 Alle Rechte vorbehalten Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Printed in Germany CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften / Theodor W. Adorno. — Frankfurt am Main: Suhrkamp. NE: Adorno, Theodor W.: [Sammlung] Bd. 1. Philosophische Frühsdiriften / [hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitw. von Gretel Adorno . . . ] . — 2. Aufl. — 1990 ISBN 3-J18-J7216-4 Gewebe ISBN 3-518-Î7826-X (Gesamtw.)
Inhalt
Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie Inhalt 9
7
Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre Inhalt 83
79
Vorträge und Thesen I. Die Aktualität der Philosophie II. Die Idee der Naturgeschichte III. Thesen über die Sprache des Philosophen
325 34 j 366
Anhang Résumé der Dissertation
375
Editorische Nachbemerkung
379
Die Transzendenz des Dinglichen und Noematisdien in Husserls Phänomenologie
Inhalt
Vorwort
n
A. Das Problem: Widersprudi in Husserls Dingtheorie
13
B. Die Transzendenz des Dinglichen und Noematisdien in Husserls Phänomenologie
19
I. Husserls Dingtheorie a. Darstellung b. Kritik II. Die Transzendenz des Noema a. Darstellung b. Kritik III. Das Ding und die Rechtsprechung der Vernunft« a. Darstellung b. Kritik
19 19 25 36 36 43 j6 56 64
C. Zusammenfassende Sdilußbetraditung
73
Literatur
77
Vorwort Vom Standpunkt einer reinen Immanenzphilosophie aus soll in dieser Arbeit Husserls Theorie des Dinges an sich, so wie sie in den »Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie« entwickelt ist, geprüft werden; der Rekurs auf das »unmittelbar Gegebene« ist der positive Ausgangsgrund aller hier gebotenen Kritik. Wenngleich die Wirkung, die heute in weiten Kreisen die Phänomenologie übt, solchem Ausgang entgegenzusein scheint, zeugen doch Husserls frühere Arbeiten, zumal die »Logischen Untersuchungen«, dafür, daß Husserl die Phänomenologie, die er ursprünglich als »deskriptive Psychologie« bezeichnete, selbst einmal in verwandtem Sinne verstanden wissen wollte, wie sie hier verstanden und den Ausführungen der »Ideen« als kritisches Gegenbild kontrastiert wird. In den »Ideen« durchkreuzen sich Gedankengänge der verschiedensten Struktur und Herkunft; Kantische und Platonische, Aristotelische und positivistische Motive verflechten sich. Da jedoch unserer Betrachtung jede historische Absicht völlig fernliegt, ist nicht einmal der Versuch gemacht, all dies zu sondern. Es wird vielmehr eine bestimmte Problemgruppe herausgenommen und in bewußter Einseitigkeit kritisch erörtert. Das kritische Maß aber der Erörterung ist jener Begriff der deskriptiven Psychologie oder Phänomenologie, der den »Zusammenhang des unmittelbar Gegebenen als letzte Voraussetzung der transzendentalen Methode« auffaßt. Dieser Begriff der transzendentalen Phänomenologie ist von Hans Cornelius - bereits in ausgesprochenem Gegensatz zu Husserl - in der »Transcendentalen Systematik« expliziert worden. An die »Transcendentale Systematik« und ihre Terminologie knüpfen wir an und sehen unsere Aufgabe recht eigentlich darin, den Gegensatz zwischen den dort vorgetragenen Erkenntnissen und Husserls »Ideen« - soweit es sich um die Theorie des Dinges an sich handelt -
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Philosophische Frühschriften
deutlich zu machen. Auch wo nicht ausdrücklich zitiert ist, besteht zwischen unserer Untersuchung und der »Transcendentalen Systematik« ein ohne weiteres ersichtlicher Zusammenhang. Die Einseitigkeit und Begrenztheit unserer Problemstellung bringt es mit sich, daß auf Husserls Begriff der »Wesensschau«, der vielen als der Zentralbegriff der Phänomenologie gilt, und damit auf den ganzen Streit um die Abstraktionstheorie nicht eingegangen wird, selbst wo Husserls Dingtheorie mit dem Begriff der »Wesensschau« verquickt ist. Nur wo es sich darum handelt, zu zeigen, daß die psychologischen Bedingungen der Abstraktion sinnausweisende Bedeutung für den Dingbegriff haben, wie etwa beim Begriff der Identität des Dinges, mußten in Kürze abstraktionstheoretische Erwägungen in den Gang der Hauptbetrachtung hineingezogen werden. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hans Cornelius sei auch an dieser Stelle für seine freundliche Förderung aufrichtig gedankt.
Α . Das Problem: Widerspruch in Husserls Dingtheorie Als transzendentaler Idealismus will Husserls Phänomenologie verstanden werden. Bewußtsein gilt ihr als »Seinssphäre absoluter Ursprünge*1; Bewußtsein »urteilt über Wirklichkeit, fragt nach ihr, vermutet, bezweifelt sie, entscheidet den Zweifel und vollzieht dabei Rechtsprechungen der Vernunfl«2; im »Wesenszusammenhang des transzendentalen Bewußtseins« müsse sich »das Wesen dieses Rechtes« - der rechtsprechenden Vernunft - »und korrelativ das Wesen der >Wirklichkeit< . . . zur Klarheit bringen lassen«3; »prinzipiell stehen«, heißt es weiterhin, »in der logischen Sphäre, in derjenigen der Aussage >Wahrhaft-< oder >wirklkb-seim und >vernünftig ausweisbar-seim in Korrelation**. Es ist hier nicht zu fragen, womit sich die erkenntnistheoretische Legitimität des »Wesenszusammenhanges des transzendentalen Bewußtseins«, womit sich das »Wesen des Rechtes der rechtsprechenden Vernunft« ausweise; auch nicht, ob der Begriff der »logischen Sphäre« einen einsichtigen und eindeutigen Sinn umschließe. Wohl aber soll geprüft werden, ob Husserl seine erkenntnistheoretischen Analysen tatsächlich im Rahmen einer rein auf das Bewußtsein als den Rechtsgrund der Erkenntnis gerichteten Phänomenologie vollzieht, ob seine Philosophie dem Anspruch des transzendentalen Idealismus genügt. Diese Frage wird mittelbar gefordert vom Gedankengang der »Ideen zu einer reinen Phänomenologie« selbst: tritt doch in Husserls erkenntnistheoretischem Hauptwerke ein fundamentaler Widerspruch zutage, der nicht anders sich erklärt als durch Beantwortung eben jener Frage. Ihn gilt es zunächst herauszustellen. Alle Erkenntnis ist für Husserl fundiert in »originär gebender 1 ÎA 107. [Die Auflösung der in den Nachweisen benutzten Siglen findet sich im Literaturverzeichnis, «*. S. 77. D. Hrsg.] 2 Id. 281. 3 Id. 281. 4 Id. 282.
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Philosophische Frühschriften
Anschauung«: »das unmittelbare >SehenIntuition< originär, (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfaa) hinzunehmen, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sigeben wir die Thesis< - der »natürlichen Einstellung«7, d.1 h. das »natürliche Weltbild«8 - »niât preis*, aber wir setzen sie »gleichsam >außer Aktion*, wir schalten sie ausklammern sie eintheorienfreienmetaphysikfreien< Wissenschaft durch Rückgang aller Begründung auf die unmittelbaren Vorfindlichkeiten«10, sondern es gelte »die ganze, in der natürlichen Einstellung gesetzte, in der Erfahrung wirklich vorgefundene Welt, vollkommen >theorien5 Id. 36. 6 Id. 43 f. 9 Id. $4 f., vgl. Id. 55 f.
7 Id. f 2 f. 10 Id. S7.
8 E. L d. Ph. 17 ff.
Dingliches und Noematisches in Husserls Phänomenologie
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frei< genommen, wie sie wirklich erfahrene, sich im Zusammenhange der Erfahrungen klar ausweisende ist, . . . uns jetzt nichts«11. Indessen ist diese Abgrenzung nicht mit Schärfe durchgeführt und kann es nicht sein. Keine wie immer positivistisdi geartete Erkenntnistheorie würde sich auf »positivistisch oder andersbegründete Theorien und Wissenschaften» die sich auf diese Welt beziehen«12, stützen, da sie ja deren Erkenntnisanspruch der Kritik unterwirft; andererseits aber ist nicht gesagt, was Husserl dem »Rückgang aller Begründung auf die unmittelbaren Vorfindlkhkeiten« (d. h. doch wohl die Erlebnisse) entgegenstellen will, da er doch selbst immer und immer wieder die originär gebende Anschauung als Rechtsquelle der Erkenntnis anerkennt - es sei denn, daß seine Polemik gegen den Rückgang der Begründung auf die unmittelbaren Vorfindlidikeiten in Wahrheit gegen die naturalistische Auffassung sich richtet, die »Sachen« und »Natursachen« identifiziert13, gegen die Auffassung also, die den »unmittelbaren Vorfindlichkeiten« bereits eine äußere Naturwirklichkeit zugrunde legt. Jedenfalls ist Husserls Frage: »Was kann denn übrig bleiben, wenn die ganze Welt, eingerechnet uns selbst mit allem cogitare« - d. h. das naturalistische Ich - »ausgeschaltet ist?*1*, durchaus in den Grenzen einer Analyse der »unmittelbaren Vorfindlichkeiten« zu beantworten, und Husserls Antwort: »Anstatt die zum naturkonstituierenden Bewußtsein gehörigen Akte mit ihren transzendenten Thesen in naiver Weise zu vollziehen und uns durch die in ihnen liegenden Motivationen zu immer neuen transzendenten Thesen bestimmen zu lassen - setzen wir all diese Thesen »außer Aktion«, wir machen sie nicht mit; unseren erfassenden und theoretisch forschenden Blick richten wir auf das reine Bewußtsein in seinem absoluten Eigensein*1*, das als »das gesuchte >phänomenologische Residuum«16 übrig bleiben soll - , diese Antwort ist eine Konsequenz des Rüdeganges auf das unmittelbar Gegebene und ist auch in Husserls Untersuchung wesentlich durch eine Analyse des Bewußtseinszusammenhanges gefunden. Aber Husserls Phänomenologie ist nicht durchaus im Sinne die11 Id. S7. 14 Id. J7.
12 Id. 57. 15 Id. 94.
13 Vgl. Id. 35. 16 Id. 94.
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Philosophische FriihsAriften
ser Antwort ausgeführt. Den Denkmotiven nämlich, die die originär gebende Anschauung als Rechtsgrund der Erkenntnis ansetzen, die die Gewinnung der »reinen Bewußtseinssphäre« als Deskription des Zusammenhanges der Gegebenheiten verstehen, widerstreiten Denkmotive ganz anderer Art. Dinge, heißt es einmal, seien »prinzipielle Transzendenzen«17; in der Transzendenz des Dinges bekunde »sich eben die prinzipielle Unterschiedenheit der Seinsweisen, die kardinalste, die es überhaupt gibt, die zwischen Bewußtsein und Realität«1*; weiter in extremer Zuspitzung:-»DinglicheExistenz ist nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte, sondern in gewisser Art immer zufällige«19, und: »Der Thesis der Welt, die eine >zufällige< ist, steht . . . gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine >notwendige kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein.«20 Schließlich: »Zwischen Bewußtsein und Realität gähnt ein wahrer Abgrund des Sinnes. Hier ein sich abschattendes, nie absolut zu gebendes, bloß zufälliges und relatives Sein; dort ein notwendiges und absolutes Sein, prinzipiell nicht durch Abschattung und Erscheinung zu geben.«21 Der Widerspruch zwischen solchen Gedankengängen und den vorher wiedergegebenen liegt offen zutage. Einerseits soll »der echte Begriff der Transzendenz des Dinglichen, der das Maß aller vernünftigen Aussagen über Transzendenz ist, . . . doch selbst nirgendwoher zu schöpfen« sein, »es sei denn aus dem eigenen Wesensgehalte, der Wahrnehmung, bzw. der bestimmt gearteten Zusammenhänge, die wir ausweisende Erfahrung nennen«22. Andererseits sollen Dinge »prinzipielle Transzendenzen«23 sein. - Es sei das »immanente Sein« - d. h. das »Sein des Bewußtseins selbst«1* — »zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, daß es prinzipiell nutta >re< indiget ad existendum« und »die Welt der transzendenten yres< durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht auf logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen«25; dem entgegen jedoch sei es das Wesen jeder cogitatio 17 Id.76. 20 Id.86. 23 Id.76.
18 Id.77· 21 Id.93· 24 Id.9*·
19 Id.96. 22 Id.89. 25 Id.92·
Dinglidies und Noematisdies in Husserls Phänomenologie
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auch der Eindrücke, der Erlebnisteile der Klasse a im Sinne der »Transcendentalen Systematik«26 -, »Bewußtsein von etwas«27 zu sein. - Oder gar: »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den Bewußtsein und Bewußtseins-Ich nichts anginge*23, und dagegen der angeführte Satz: »Dingliche Existenz ist nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte.«29 Mit anderen Worten: Dem Bewußtsein, dessen Gegebenheiten für Husserl die alleinige Rechtsquelle der Erkenntnis sind, kontrastiert er von Anbeginn schon eine transzendente Welt, die zwar nur in ihrer Bezogenheit auf das Bewußtsein erkenntnistheoretisch legitimiert werden könne, deren Existenz aber nicht durch den Zusammenhang des Bewußtseins konstituiert werde. Wenn Husserl davon redet, daß »alles, was sich uns . . . in seiner leibhaften Wirklichkeit darbietet, einfach hinzunehmen sei*i0, so ist jene transzendente Welt bereits mitgesetzt. Die Setzung einer transzendenten Welt aber widerspricht der Voraussetzung des Bewußtseins als der »Seinssphäre absoluter Ursprünge«. Sie widerspricht dem Grundprinzip des transzendentalen Idealismus. Es wird die Aufgabe der folgenden Untersuchung sein, die Entstehung dieses Widerspruchs von der erkenntnistheoretischen Wurzel aus zu begreifen, den Widerspruch kritisch zu berichtigen und seine Konsequenzen innerhalb der systematischen Phänomenologie aufzuzeigen. In Anschluß an den Aufbau des ersten Bandes von Husserls »Ideen«, der seine Erkenntnistheorie zusammenfaßt, ergibt sich eine Dreigliederung des Stoffes: aus der »phänomenologischen Fundamentalbetrachtung«31 wird Husserls Dingtheorie kritisch herausgearbeitet. Im Rahmen von Husserls Ausführungen »zur Methodik und Problematik der reinen Phänomenologie«32 werden die Konsequenzen des Zentralwiderspruchs für die allgemeine Erkenntnistheorie diskutiert. Der Abschnitt über »Vernunft und Wirklichkeit«33 endlich bietet Anlaß, die teilweise Korrektur dieses Widerspruches in den »Ideen« zu behandeln und wichtige Konsequenzen, die sich dabei für den transzendentalen Idealismus ergeben, wenigstens 26 Vgl. Id. 50, Tr. S. 64. 29 Id. 86. 32 Id. 120-264.
27 Id. 64. 28 Id. 89. 30 Id. 43. 31 Id. 48-119. 33 Id. 265-323.
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Philosophische FrühsAriften
allgemein zu beleuchten. Die Dreigliederung beansprucht so wenig wie die Disposition der > Ideen« systematische Dignität. - Prinzipiell ausgeschlossen von der Untersuchung ist die Frage, ob der Ansatz dinglicher Transzendenzen bei Husserl in Beziehung steht zu dem Begriff der »Wesensschau«: diese Beziehung erforderte eigene, weitverzweigte Analysen. Hier wird Husserls Phänomenologie durchaus verstanden als eine Methode der »Feststellung idealgesetzlicher Zusammenhänge« 34 in einem der »transzendentalen Phänomenologie« aus der »Transcendentalen Systematik« von H . Cornelius streng entsprechenden Sinne. Soweit Husserl erkenntnistheoretische Betrachtungen tatsächlich vollzieht, sind auch sie auf »idealgesetzliche Zusammenhänge« gerichtet 34 ·.
34 Tr. S. 49.
34a Vgl. Id. j8.
Β. Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie I. HUSSERLS DINGTHEORIE
Husserl geht aus von dem »natürlichen Weltbild«: »Ich bin mir« der Welt »bewußt, das sagt vor allem: ich finde sie unmittelbar ansdiaulidi vor, ich erfahre sie. Durch Sehen, Tasten, Hören usw., in den verschiedenen Weisen sinnlicher Wahrnehmung sind körperliche Dinge . . . für midi einfach da, im wörtlichen oder bildlichen Sinne >vorhandenWirklichkeit . . . finde ich als daseiende vor und nehme sie, wie sie sich gibt, auch als daseiende hin. Alle Bezweîflung und Verwerfung von Gegebenheiten der natürlichen Welt ändert nichts an der Generalthesis der natürlichen Einstellung. >Die< Welt ist als Wirklichkeit immer da, sie ist höchstens'hier oder dort >anders< als ich vermeinte, das oder jenes ist aus ihr ... herauszustreichen, aus ihr, die . . . immer daseiende Welt ist.«56 In erkenntnistheoretischer Absicht nun wird diese Einstellung radikal geändert: »Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion, alles itod jedes, was sie . . . umspannt, setzen wir in Klammern: also' diese ganze natürliche Welt, die beständig >für uns davorhanden< ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige >WirklichkeitDingErscheinungsiveisen< gegeben, notwendig« sei »dabei ein Kern von ywirklich Dargestellten* auffassungsmäßig umgeben von einem Horizont uneigentlicher >Mitgegebenheit< und mehr oder minder vager Unbestimmtheit*71. »In dieser Weise in infinitum unvollkommen zu sein, gehört zum unau}hebbaren Wesen der Korrelation Ding und Dingwahrnehmung.*72 Während es im »Wesen der Gegebenheit durch Erscheinungen« beschlossen sein soll, »daß keine die Sache als > Absolutes« gibt«, liege es im »Wesen der immanenten Gegebenheit, eben ein Absolutes zu geben, das sich gar nicht in Seiten darstellen und abschatten«7* könne. Mit der Unmöglichkeit, daß eine »noch so vollkommene« Dingwahrnehmung »ein Absolutes gibt«, hänge »wesentlich zusammen, daß jede noch so weitreichende Erfahrung die Möglichkeit offen läßt, daß das Gegebene, trotz des beständigen Bewußtseins von seiner leibhaftigen Selbstgegenwart, nicht existiert«74. Das glaubt Husser! allgemein aussprechen zu dürfen in der Form: "Dingliche Existenz ist nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte, sondern in gewisser Art immer zufällige.*7* Was in der Dingwelt da sei, sei »prinzipiell nur präsumtive Wirklichkeit...; daß hingegen Ich selbst, für den sie da ist (unter Ausschluß dessen, was >von mir< der Dingwelt zurechnet), bzw. daß meine Erlebnisaktualität absolute Wirklichkeit ist, durch eine unbedingte, schlechthin unaufhebliche Setzung gegeben«76. »Der Thesis der Welt, die eine >zufällige< ist*, stehe also »gegenüber die Thesis meines reinen ld> und Ichlebens, die eine >notwendigeAn-sich^sein< nicht täuschen lassen. Der echte BegriflF der Transzendenz des Dinglichen, der das Maß aller vernünftigen Aussagen über Transzendenz ist, ist doch selbst nirgendwoher zu schöpfen, es sei denn aus dem eigenen Wesensgehalte der Wahrnehmung, bzw. der bestimmt gearteten Zusammenhänge, die wir ausweisende Erfahrung nennen.«80 »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den Bewußtsein und Bewußtseins-Ich nichts anginge.«*1 Dagegen werde »das Sein des Bewußtseins ... durch eine Vernichtung der Dingwelt zwar notwendig modifiziert, aber in seiner eigenen Existenz nicht berührt«*1. Es sei also »immanentes Sein ... zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, daß es prinzipiell nulla yre* indiget ad existendum; andererseits« aber »die Welt der transzendenten >res< durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht auf logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen«**. »Zwischen Bewußtsein und Realität gähnt ein wahrer Abgrund des Sinnes. Hier ein sich abschattendes, nie absolut zu gebendes, bloß zufälliges und relatives Sein; dort ein notwendiges und absolutes Sein, prinzipiell nicht durch Abschattung und Erscheinung zu geben.«84 Damit meint Husserl gerechtfertigt das »reine Bewußtsein in seinem absoluten Eigensein« als »>phänomenologisches Residuumre< indiget ad existendum. Andererseits ist die Welt der transzendenten >res< durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen.*™ Die »res« sind nicht transzendente Gegenstände, sondern konstituieren sich auf Grund der transzendentalen Bedingungen der Erfahrung; darum bedarf das Bewußtsein ebensosehr der »res« wie die »res« des Bewußtseins. Der »Abgrund« des Sinnes« zwischen »Bewußtsein« und »Realität« ist bloßer Trug. Nicht ein der »Wirklichkeit >kontrastiertes< reines Bewußtsein« ist das Forschungsgebiet der Phänomenologie: In der Deskription der Gesetze des Zusammenhanges unserer Erfahrung erfüllt sie ihre Aufgabe.
II. DIE TRANSZENDENZ DES NOEMA
Der Kontrast von »Bewußtsein« und »Realität« ist das zentrale Motiv von Husserls Erkenntnistheorie. Da Husserl die »res« auf das Bewußtsein notwendig bezogen glaubt, nicht aber das Bewußtsein auf die »res«, ist er gezwungen, im Bewußtsein selbst den Grund jenes »kardinalsten Unterschiedes der Seinsweisen« aufzusuchen, während doch eine im Bereiche des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges gehaltene Analyse gerade die Nichtigkeit jenes Unterschiedes aufweisen muß. Die Supposition dinglicher Transzendenz stellt Husserl vor das prinzipiell unlösbare Problem einer auf Transzendenzen gerichteten Erkenntnistheorie, ein Problem, das sich sogleich als Scheinproblem enthüllt, wenn man die Einsicht gewonnen hat, daß Dinge nichts anderes sind als Regeln für Erscheinungen. Eine Erkenntnistheorie aber, die nicht im Besitze jener Einsicht ist, gerät in stets weitergreifende Widersprüche; sie meint das naturalistische Ding an sich zu eliminieren und kann doch nicht zum Begriff des »immanenten Dinges an sich« - des Begriffs der erkannten Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen - durchdrin133 Id. 92.
Dingliches und Nocmatisches in Husserls Phänomenologie
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gen; sie muß zugestehen, daß Dinge nicht unmittelbar gegeben sind und wagt es doch nicht, die Dinge als mittelbar gegeben zu begreifen. Am Begriff des Noema und seiner Problematik wird deutlich, in welcher Extension Husserls verfehlte Dingtheorie seine Erkenntnislehre beherrscht. Es wurde oben darauf hingewiesen, daß für Husserl alles Bewußtsein »Bewußtsein von etwas« ist"4; und dies »Bewußtsein Von etwas« versteht Husserl nicht in dem Sinne, daß immer und überall Teilerlebnisse der Klasse a und der Klasse α unterschieden werden, sondern so vielmehr, daß alle Teikrlebnisse der Klasse α zugerechnet werden, mit anderen Worten, daß auch den Eindrucksbestandteilen symbolische Funktion zukommen soll, die dann nur als auf dingliche Transzendenzen gehend angenommen werden kann. Dies Verhältnis wird ausdrücklich als nicht naturalistisches bezeichnet, sondern soll im Rahmen der εποχή statthaben, soll auch für das reduzierte, von dinglichen Transzendenzen gereinigte Bewußtsein bestehen bleiben. Thema der Phänomenologie soll das »Bewußtsein von etwas« sein, so wie es nach Vollzug der εποχή dem Studium sich darbietet. »Die Ausschaltung bat ... den Charakter einer umwertenden Vorze'uhenändertmg, und mit dieser ordnet sich das Umgewertete wieder der phänomenologischen Sphäre ein. Bildlich gesprochen: Das Eingeklammerte ist nicht von der phänomenologischen Tafel weggewischt, sondern eben nur eingeklammert und dadurch mit einem Index versehen. Mit diesem aber ist es im Hauptthema der Forschung.«115 Damit ist bereits das widersinnige Postulat einer »Erkenntnistheorie von Transzendenzen« ausgesprochen; klar formuliert es Husserl in dem Satz: »Alles Transzendente, sofern es bewußtseinsmäßig zur Gegebenheit kommt, ist nicht nur nach Seiten des Bewußtseins von ihm, ζ. Β. den verschiedenen Bewußtseinsweisen, in denen es als dasselbe zur Gegebenheit kommt, Objekt phänomenologisdier Untersuchung, sondern auch, obschon damit wesentlich verflochten, als \da.s Gegebene und in den Gegebenheiten Hingenommene.«136 Derprimäre Inhalte< bezeichnet waren; 2. die Erlebnisse, bzw. Erlebnismomente, die das Spezifische der Intentionalität in sich tragen. Zu den ersteren gehören gewisse . . .
ysensuelle< Erlebnisse, >Empfindungsinhalte