Holger Penz Gemeindebezogene Gesundheitsförderung
Holger Penz
Gemeindebezogene Gesundheitsförderung Eine Fallstudie zu etablierten Konzepten in der landesweiten Umsetzung
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fachhochschule Kärnten
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Ingrid Walther VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16062-7
Vorwort
Dieses Buch ist der Abschluss eines mehrjährigen Projektes. Hintergrund bilden zwei parallele Entwicklungen, die in der vorliegenden Arbeit zu einer Vereinigung gefunden haben. Auf der einen Seite steht die Einführung eines flächendeckenden Programmes zur Gesundheitsförderung in ländlichen Gemeinden, auf der anderen Seite der Start des Studienganges „Gesundheits- und Pflegemanagement“ der Fachhochschule Kärnten am Standort Feldkirchen. Entsprechend der Zielsetzung, nicht nur als Bildungsinstitution zu fungieren, sondern sich auch in der angewandten Forschung zu etablieren, lag es nahe, die vorliegende Studie zu initiieren. Dabei wurde das Projekt sowohl vom Studiengang als insbesondere auch vom Amt der Kärntner Landesregierung von Beginn an unterstützt und auch finanziell gefördert. Es trafen sich einerseits die forschungspolitische Zielsetzung des Landes, innovative Studien zu fördern, und andererseits das Interesse des für Gesundheitsförderung zuständigen Teams, Feedback über die bisherige Arbeit und Empfehlungen für den weiteren Ausbau des Programms zu erhalten. Der März 2005 markierte den offiziellen Start des Forschungsprojektes. Die gewonnenen Erkenntnisse bringen hoffentlich interessante Einsichten und tragen dadurch zur langfristigen Weiterentwicklung des Programms „Gesunde Gemeinde“ bei. Mein Dank gilt insbesondere der umfangreichen Unterstützung durch das Gesunde-Gemeinde-Team beim Amt der Kärntner Landesregierung (heute: Verein Gesundheitsland), welches jederzeit für Anfragen und Anliegen zur Verfügung gestanden hat. Besonders hervorgehoben sei hier Franz Wutte, der dies alles ermöglicht hat. Dank gilt überdies Herbert Janig, der mich in der Umsetzung des Projekts stets gefördert hat und mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat, sowie Rudolf Forster, der insbesondere in der Anfangsphase des Projekts wertvolle Hinweise zur Durchführung geliefert hat. Wichtige Unterstützung kam auch von Olivia Kada, die stets mit vielen guten Ideen und großem Engagement und Einsatz zum erfolgreichen Gelingen des Projekts beigetragen hat. Vielen Dank dafür! Dank gebührt nicht zuletzt auch meiner Familie, die viel Verständnis für meinen „Rückzug in die Arbeit“ aufgebracht hat.
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Vorwort
Die Arbeit liegt auch als Dissertation an der Universität Klagenfurt vor, wurde für die Publikation aber an etlichen Stellen gekürzt. (Insbesondere der umfangreiche Tabellenteil hätte eine Publikation sonst verunmöglicht.) Sollte der eine oder die andere LeserIn Fragen zu weiteren Details haben, stehe ich gerne zur Korrespondenz zur Verfügung (aktuell am besten unter:
[email protected]). Juni 2008
Holger Penz
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 11 Einleitung............................................................................................................ 13 1 Theoretische Grundlagen .......................................................................... 15 1.1 Gesundheitsförderung...................................................................... 15 1.1.1 Strategien und Handlungsfelder der Gesundheitsförderung ....... 15 1.1.2 Ressourcen versus Kompetenzen – Zielsetzungen der Gesundheitsförderung ................................................................. 19 1.1.3 Der Settings-Ansatz in der Gesundheitsförderung...................... 25 1.1.4 Gemeinden als Settings für Gesundheitsförderung ..................... 27 1.2 Partizipation und Empowerment ..................................................... 33 1.2.1 Teilnehmen und Teilhaben.......................................................... 33 1.2.2 Empowerment als Prozess der Erlangung bzw. Gewährung von Partizipation ......................................................................... 39 1.2.3 Kernelement Power..................................................................... 43 1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens ....... 46 1.3.1 Das Health-Belief-Modell........................................................... 46 1.3.2 Theorien geplanten Handelns...................................................... 49 1.3.3 Sozialkognitive Theorie des Gesundheitshandelns ..................... 51 1.3.4 Health Action Process Approach ................................................ 53 1.3.5 Transtheoretisches Modell der stufenweisen Veränderung......... 56 1.3.6 Precaution Adoption Process Model........................................... 61 1.4 Community Capacity Building zur kollektiven Gesundheitsförderung...................................................................... 62 2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung ...... 74 3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich...... 79 3.1 Netzwerk Gesunde Städte................................................................ 79 3.2 Gemeindeprogramme in den Bundesländern................................... 80 3.3 Das Kärntner Programm „Gesunde Gemeinde“ .............................. 85 4 Fragestellung und Methodik...................................................................... 90 4.1 Fragestellung ................................................................................... 90 4.2 Eingesetzte Methoden...................................................................... 90 4.2.1 Erhebungsinstrument auf Ebene des Projektteams des Amtes der Kärntner Landesregierung ......................................... 92
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Inhalt 4.2.2
Auswertungsmethode auf Ebene des Projektteams des Amtes der Kärntner Landesregierung ......................................... 94 4.2.3 Entwicklung des Erhebungsinstrumentes und Festlegung des Samples auf Ebene der Gesunden Gemeinden ..................... 96 4.2.4 Auswertungsmethoden zur Arbeitskreisbefragung ................... 101 4.2.5 Entwicklung des Erhebungsinstrumentes und Festlegung des Samples auf Bevölkerungsebene ........................................ 102 4.2.6 Auswertungsmethoden zur Bevölkerungsbefragung................. 105 4.2.7 Analyse der zentralen Dokumentation über die Aktivitäten der Gesunden Gemeinden ......................................................... 105 4.2.8 Zusammenfassung..................................................................... 106 5 Ergebnisse zur Befragung des Teams auf Ebene des Landes Kärnten .... 107 5.1 Programmkonzept.......................................................................... 107 5.1.1 Projektorganisation ................................................................... 107 5.1.2 Zielsetzungen ............................................................................ 108 5.1.3 Zielerreichung........................................................................... 108 5.1.4 Zusatzangebote für Schulen, Kindergärten und Gastwirtschaften ....................................................................... 110 5.1.5 Kritik an der Eingliederung des Programms in eine Abteilung der Kärntner Landesregierung.................................. 111 5.1.6 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 112 5.2 Der Weg zur Gesunden Gemeinde ................................................ 113 5.2.1 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 116 5.3 Reflexion über die Abläufe in Gesunden Gemeinden.................... 117 5.3.1 Aspekte besonders zufrieden stellend arbeitender Gesunder Gemeinden ................................................................................ 117 5.3.2 Aspekte wenig zufrieden stellend arbeitender Gesunder Gemeinden ................................................................................ 119 5.3.3 Sonstige Aspekte bei der Arbeit in Gesunden Gemeinden ....... 120 5.3.4 Politische Intervention und parteipolitische Wechselwirkungen.................................................................... 122 5.3.5 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 123 5.4 Reflexion über ähnliche Programme in Kärnten............................ 126 5.4.1 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 127 5.5 Betreuungsleistung und Aufgaben des Landesteams..................... 128 5.5.1 Betreuung und Unterstützung der Gesunden Gemeinden ......... 128 5.5.2 Reflexion über die angebotene Betreuung ................................ 129 5.5.3 Sonstige Aufgaben des Landesteams ........................................ 130 5.5.4 Bewertung der verschiedenen Arbeitsbereiche ......................... 133 5.5.5 Aufgaben der Projektleitung ..................................................... 134
Inhalt
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5.5.6 Reflexion der Teamarbeit.......................................................... 135 5.5.7 Erfolg ........................................................................................ 136 5.5.8 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 138 5.6 Entwicklungsperspektiven und Zukunft des Programms............... 142 5.6.1 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 144 5.7 Theorie und Praxis der Gesundheitsförderung............................... 145 5.7.1 Weiterführende Interpretation und Diskussion ......................... 149 5.8 Fazit ............................................................................................... 151 6 Ergebnisse zur Bevölkerungsbefragung .................................................. 152 6.1 Detailergebnisse............................................................................. 152 6.1.1 Beschreibung des Samples........................................................ 152 6.1.2 Bekanntheit des Programms...................................................... 154 6.1.3 Bestehende Angebote und deren Inanspruchnahme.................. 156 6.1.4 Wünsche nach Angeboten......................................................... 162 6.1.5 Informationswege ..................................................................... 163 6.1.6 Einstellungen und Beteiligungsinteressen zur gemeindebezogenen Gesundheitsförderung.............................. 165 6.2 Zusammenfassung ......................................................................... 166 6.2.1 Bekanntheit des Programms...................................................... 166 6.2.2 Bestehende Angebote und deren Inanspruchnahme.................. 167 6.2.3 Wünsche nach Angeboten......................................................... 167 6.2.4 Informationswege ..................................................................... 168 6.2.5 Einstellungen und Beteiligungsinteressen zur gemeindebezogenen Gesundheitsförderung.............................. 168 7 Ergebnisse zur Arbeitskreisbefragung..................................................... 169 7.1 Detailergebnisse auf Individualniveau........................................... 169 7.1.1 TeilnehmerInnen an den Arbeitskreisen ................................... 169 7.1.2 Zusammensetzung der Arbeitskreise ........................................ 175 7.1.3 Arbeitsweise.............................................................................. 176 7.1.4 Aktivitäten ................................................................................ 179 7.1.5 Zielgruppen............................................................................... 180 7.1.6 Kriterien zur Maßnahmenumsetzung........................................ 181 7.1.7 Ressourcen der Arbeitskreise.................................................... 184 7.1.8 Zusammenarbeit mit der Betreuerin des Landes....................... 186 7.1.9 Subjektiver Erfolg..................................................................... 189 7.2 Bildung des Index für die Erfolgsbewertung ................................. 189 7.3 Detailergebnisse auf Aggregatdatenniveau.................................... 195 7.3.1 Zusammensetzung der Arbeitskreise ........................................ 195 7.3.2 Arbeitsweise.............................................................................. 199 7.3.3 Aktivitäten ................................................................................ 201
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Inhalt
7.3.4 Zielgruppen............................................................................... 204 7.3.5 Kriterien zur Maßnahmenumsetzung........................................ 207 7.3.6 Ressourcen der Arbeitskreise.................................................... 212 7.3.7 Zusammenarbeit mit der Betreuerin des Landes....................... 217 7.3.8 Subjektiver Erfolg..................................................................... 219 7.4 Analyse zusätzlicher Skalen auf Aggregatdatenniveau ................. 220 7.4.1 Skala „Entscheidungskompetenz“ ............................................ 220 7.4.2 Skala „absolvierte Schritte“ ...................................................... 221 7.4.3 Index zu den Kooperationspartnerschaften ............................... 223 7.4.4 Index „erhaltene Unterstützung“............................................... 224 7.4.5 Zielgruppenindex ...................................................................... 224 7.4.6 Index Zielgruppenkommunikation............................................ 225 7.4.7 Skala zur Bewertung der Zusammenarbeit ............................... 226 7.4.8 Bewertung der Arbeitskreisleitung ........................................... 228 7.4.9 Bewertung der Betreuerin ......................................................... 230 7.5 Zusammenfassung ......................................................................... 232 7.5.1 Feststellung des Gesamterfolges............................................... 232 7.5.2 TeilnehmerInnen an den Arbeitskreisen ................................... 232 7.5.3 Zusammensetzung der Arbeitskreise ........................................ 233 7.5.4 Arbeitsweise.............................................................................. 234 7.5.5 Aktivitäten ................................................................................ 235 7.5.6 Zielgruppen............................................................................... 236 7.5.7 Kriterien zur Maßnahmenumsetzung........................................ 236 7.5.8 Ressourcen der Arbeitskreise.................................................... 237 7.5.9 Zusammenarbeit mit der Betreuerin des Landes....................... 239 7.5.10 Subjektiver Erfolg..................................................................... 239 8 Zusätzliche Berechnungen ...................................................................... 241 9 Gesamtinterpretation ............................................................................... 244 10 Diskussion............................................................................................... 252 Literatur ............................................................................................................ 257
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mehrebenenmodell der Gesundheitsförderung........................... 18 Abbildung 2: Ressourcen- versus Risikoorientierung in Gesundheitsförderung und Prävention ....................................... 21 Abbildung 3: Die wichtigsten Determinanten der Gesundheit ......................... 22 Abbildung 4: Unterschiedliche Definitionen von „health promotion“ ............. 23 Abbildung 5: Arnsteins "Ladder of Citizen Participation" ............................... 34 Abbildung 6: Die zwölfstufige Leiter der Bürgerbeteiligung nach Trojan....... 37 Abbildung 7: Das Health Belief Modell........................................................... 47 Abbildung 8: Theory of Reasoned Action und Theory of Planned Behavior... 50 Abbildung 9: Health Action Process Approach................................................ 54 Abbildung 10: Veränderungsprozesse im Transtheoretischen Modell der stufenweisen Veränderung ......................................................... 59 Abbildung 11: Precaution Adoption Process Model .......................................... 61 Abbildung 12: Vier Kapitalformen des Community Capital .............................. 71 Abbildung 13: Outcome-Modell der Gesundheitsförderung .............................. 76 Abbildung 14: Qualitätskriterien im Steirischen Programm „Gesunde Gemeinde“.................................................................................. 84 Abbildung 15: Drei Ebenen im Aufbau des Projekts „Gesunde Gemeinde“...... 87 Abbildung 16: Erweiterte Darstellung der Projektebenen .................................. 89 Abbildung 17: Verteilung des Einkommens der privaten Haushalte................ 103 Abbildung 18: Bekanntheit von Anbietern im Bereich Gesundheit ................. 155 Abbildung 19: Den Befragten bekannte Angebote in der eigenen Gemeinde .. 157 Abbildung 20: Teilnahmefrequenz an Angeboten zu Sucht ............................. 159 Abbildung 21: Teilnahmefrequenz an Angeboten zu Konfliktbewältigung ..... 159 Abbildung 22: Teilnahmefrequenz an medizinischen Vorsorgeuntersuchungen.......................................................... 160 Abbildung 23: Teilnahmefrequenz an Angeboten zu Partnerschaft ................. 160 Abbildung 24: Gründe, ein bestehendes Angebot in der eigenen Gemeinde nicht in Anspruch zu nehmen.................................. 161 Abbildung 25: Gewünschte Angebote in der eigenen Gemeinde ..................... 163 Abbildung 26: Wege, über die sich die Befragten zu Angeboten und Veranstaltungen in der eigenen Gemeinde informieren ........... 164
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 27: Einstellung der Befragten zu Gesundheitsinitiativen auf Gemeindeebene ........................................................................ 166 Abbildung 28: Berufe der befragten Arbeitskreismitglieder ............................ 170 Abbildung 29: Funktionen der Arbeitskreismitglieder in der Gemeinde.......... 171 Abbildung 30: Funktionen der Arbeitskreismitglieder im Arbeitskreis ........... 172 Abbildung 31: Wege, auf denen die Befragten in den Arbeitskreis gekommen sind......................................................................... 173 Abbildung 32: Motive zur Mitarbeit im Arbeitskreis ....................................... 174 Abbildung 33: Darstellung des Zusammenhangs von Maßnahmenindex und Logobekanntheit ................................................................ 194 Abbildung 34: Darstellung des Zusammenhangs von Maßnahmenindex und Wissen um die Teilnahme der Gemeinde am Programm „Gesunde Gemeinde“ ............................................. 194 Abbildung 35: Kooperationspartnerschaften der Arbeitskreise........................ 195 Abbildung 36: Von den Arbeitskreisen absolvierte Schritte der Umsetzung des Programms „Gesunde Gemeinde“...................................... 202 Abbildung 37: Bisher vom Arbeitskreis durchgeführte Maßnahmen).............. 203 Abbildung 38: Zielgruppen in den einzelnen Gemeinden ................................ 205 Abbildung 39: Wege der Zielgruppenerreichung ............................................. 207 Abbildung 40: Gründe für die Weiterführung von Maßnahmen durch den Arbeitskreis .............................................................................. 210 Abbildung 41: Entscheidungskompetenzen der Arbeitskreise ......................... 212 Abbildung 42: Unterstützung der Arbeitskreise durch die Gemeinde .............. 215 Abbildung 43: Inanspruchnahme der Unterstützung durch die Betreuerin ...... 217 Abbildung 44: Verteilung des objektiven Ranges einer Gemeinde in Zusammenhang mit dem Anteil an PolitikerInnen im Arbeitskreis .............................................................................. 242 Abbildung 45: Mittlere Ränge der subjektiven Erfolgseinschätzung getrennt nach der Anzahl an speziellen Zielgruppen und dem Anteil an KooperationspartnerInnen im Arbeitskreis ....... 243
Einleitung
Die vorliegende Arbeit stellt das Endergebnis eines zweijährigen Forschungsprojektes dar. In die Untersuchung wurden die Kärntner Gemeindebevölkerung, die Arbeitskreise der Gesunden Gemeinden sowie das zentrale Team beim Amt der Kärntner Landesregierung (heute: Verein Gesundheitsland Kärnten) einbezogen, um eine umfassende Beantwortung der Fragestellung: „Was macht Gesunde Gemeinden erfolgreich?“ zu ermöglichen. Der Bericht ist in folgende Teile gegliedert: In Kapitel 1 werden zunächst die Hintergründe beleuchtet, die generell zur Entstehung und Umsetzung von gemeindebezogener Gesundheitsförderung geführt haben. Dies sind in erster Linie die Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung sowie die Auseinandersetzung mit dem Konzept des Empowerments. Darüber hinaus wird auf jene zwei Ebenen eingegangen, die es in der Gesundheitsförderung zu verbinden gilt und die das interdisziplinäre Interesse der Praxis widerspiegeln, nämlich das individuelle Gesundheitsverhalten und die Förderung kollektiver Strukturen zur Stärkung der Gesundheit. Kapitel 2 verweist in Zusammenhang mit der komplexen Materie auf die Notwendigkeit, verschiedenste Forschungsansätze zur Untersuchung gesundheitsförderlicher Aktivitäten miteinander zu verbinden. Kapitel 3 beschreibt die derzeit in Österreich vorherrschenden Ansätze zur Einbindung von Gemeinden und stellt das Kärntner Konzept der „Gesunden Gemeinde“ vor. In Kapitel 4 wird schließlich die Umsetzung der Untersuchung dargestellt. Ab Kapitel 5 werden die einzelnen Ergebnisse dargestellt. Zuerst erfolgt die ausführliche Darstellung der qualitativen Analyse zur Befragung des zentralen Projektteams des Landes Kärnten. Anschließend folgen in Kapitel 6 und 7 die quantitativen Analysen der Bevölkerungs- bzw. der Arbeitskreisbefragung. Diese werden jeweils sowohl in ihren statistischen Details als auch zusammengefasst in ihren Hauptaussagen dargestellt. Kapitel 8 ergänzt um einige wenige zusätzliche Analysen, die sich aus zusätzlichen Datenquellen speisen. Die beiden abschließenden Kapitel (Kapitel 9 und 10) dieser Arbeit bilden die Gesamtinterpretation der Ergebnisse – hier fließen die Resultate aller Befragungen ein – und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen. Aufgrund des Umfangs enthalten insbesondere die Kapitel zu den quantitativen Analysen zahlreiche Details. Für den/die an einem Gesamtüberblick in-
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Einleitung
teressierten Leser/interessierte Leserin sei somit zunächst die Lektüre der Kapitel zu Gesamtinterpretation und Diskussion bzw. zu den Zusammenfassungen der einzelnen Untersuchungsbereiche empfohlen. Wer an den exakten Resultaten interessiert ist, sei auf die entsprechenden Kapitel mit den Detailergebnissen verwiesen. Die vorliegende Arbeit gibt die zahlreichen Erfahrungen, welche in den letzten Jahren auf den verschiedenen Ebenen gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Kärnten gemacht wurden, wieder. Sie legt ausführlich dar, was die besonders erfolgreichen Gesunde-Gemeinde-Arbeitskreise hervorhebt, und klärt darüber auf, wie viel Interesse auf Bevölkerungsebene bereits ausgeschöpft und welches Beteiligungspotential noch vorhanden ist. In der Verknüpfung aller Ebenen zeigt der Bericht, welche Erfahrungen sich zusätzlich mit jenen des Projektteams decken. Dadurch gelingt es, wichtige Empfehlungen abzuleiten, auf denen künftige Gesundheitsförderungsprojekte aufbauen können. Auch wenn manche der Schlussfolgerungen und Empfehlungen nicht grundlegend neu erscheinen mögen, so weisen diese doch den Weg durch eine Unzahl an Möglichkeiten, die sich heute alle in der Gesundheitsförderung zur Umsetzung anbieten. Darüber hinaus haben die gemachten Empfehlungen jedenfalls den unbestreitbaren Vorteil, gänzlich auf empirischen Daten aus einem groß angelegten Gesamtprogramm zu basieren, was auf dieser Ebene nur selten der Fall ist. Die vorliegende Arbeit weist somit den Weg in eine hoffentlich weiterhin erfolgreiche Zukunft der gemeindebezogenen Gesundheitsförderung. Es bleibt mit Spannung zu erwarten, welchen Weg diese künftig nehmen wird, und in welchem Ausmaß diese Studie zur weiteren Gestaltung beitragen konnte.
1 Theoretische Grundlagen
1.1 Gesundheitsförderung 1.1.1 Strategien und Handlungsfelder der Gesundheitsförderung Fragen der Gesundheit und ihrer Erhaltung sind vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich seit Anbeginn mit diesem Thema, und ihre herausragendste Leistung ist die Ausformung moderner medizinischer Anwendungen. Damit einher geht eine zunehmende Ausdifferenzierung, und während anfangs Schamanen und Heiler für eine ganzheitliche Versorgung zuständig waren, gibt es heute für jedes Anliegen den passenden Spezialisten. Unter diesem Blickwinkel erscheint es somit fast unausweichlich, dass sich auch ein eigener wissenschaftlicher Bereich für das Thema „Gesundheitsförderung“ entwickelt hat. Als Höhepunkt der Entwicklung gilt gemeinhin die WHO-Konferenz von Ottawa 1986, in welcher die bis dahin stattgefundenen Entwicklungen auf dem Gebiet zusammengefasst wurden und welche in der berühmt gewordenen „Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung“ (WHO 1993) ihren Niederschlag gefunden hat. Aus der Charta entstammt auch jene Formulierung, welche die WHO heute als Definition für Gesundheitsförderung heranzieht: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“ (WHO 1998, S. 1) Mit diesen Worten schafft die Ottawa Charta die Grundlage für die breite Entfaltung des Konzepts in allen möglichen Bereichen unserer Gesellschaft, da sie auch die zur Umsetzung dieses Prozesses notwendigen Strategien und Handlungsfelder vorgibt. Die grundlegenden Strategien umfassen dabei die Aktivitäten „Interessen vertreten“ („advocacy“), „befähigen und ermöglichen“ („enabling“) sowie „vermitteln und vernetzen“ („mediating“). Damit wird zunächst eingefordert, dass Gesundheitsförderung in allen gesundheitlich relevanten Bereichen vertreten bzw. dass in diesen „anwaltschaftlich“ die Anliegen einer Gesundheit erhaltenden Perspektive eingebracht werden (advocacy). Weiters soll mit Blick auf umfassende Chancengleichheit jeder Mensch in die Lage versetzt werden, größtmögliche Gesundheit zu erreichen. Dies umfasst sowohl die Förderung individu-
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1 Theoretische Grundlagen
eller Kompetenzen, als auch die Schaffung entsprechender gesellschaftlicher Voraussetzungen (enabling). Schließlich geht es noch darum, über die gesellschaftlich ausdifferenzierten Grenzen der Zuständigkeit für Gesundheit hinweg – also jenen des Gesundheitssektors – zu umfassender und dauerhafter Kooperation aller AkteurInnen zu finden, um tatsächlich das Thema Gesundheit in allen Lebensbereichen berücksichtigen zu können (mediating). Insbesondere die Strategie des „enabling“ verweist auf die in der Gesundheitsförderung breit verankerte Tradition der Gesundheitserziehung zur individuellen Kompetenzförderung, aber auch auf den umfassender ausgelegten Ansatz des Empowerments (Kaba-Schönstein 2003, S. 74). Grossmann und Scala (2001, S. 44ff) schlagen in diesem Zusammenhang vier konkrete Rollen vor, die sich mit den drei Strategien der Ottawa Charta gut in Einklang bringen lassen: „Enabler“, „Change Facilitator“, „Advocate“ und „Expert“. Die Rolle „Enabler“ umfasst dabei die Aufgaben des Gesundheitstrainings und der Gesundheitsberatung. Hierunter fallen insbesondere traditionelle Gesundheitsberufe – etwa DiätologInnen, PhysiotherapeutInnen etc. –, welche durch Umorientierung in Richtung der Arbeit mit Gesunden statt mit Kranken nunmehr neue Aufgaben im Sinne der Gesundheitsförderung übernehmen können, insbesondere eben jene der Kompetenzförderung ihrer KlientInnen. „Change Facilitators“ hingegen übernehmen den Aufbau neuer Netzwerke und Kooperationen, sie vermitteln zwischen verschiedenen AkteurInnen und werden als OrganisationsentwicklerInnen im Bereich der Gesundheitsförderung aktiv. Diese Rolle ist bisher noch nicht professionalisiert und entspricht am ehesten jener eines Projektmanagers/einer Projektmanagerin. „Advocates“ sind Personen, die öffentlichkeitswirksam werden können und die Interessen des Themas Gesundheit, spezieller Bevölkerungsgruppen oder von beidem vertreten. Dazu gehören sowohl öffentliche Aufklärung und Nutzung von Massenmedien, als auch das Verständnis für politische Vorgänge und das Erzeugen politischen Drucks zur Durchsetzung dieser Interessen. Während die drei bisher genannten Rollen sich mehr oder weniger Deckungsgleich den Strategien der Ottawa Charta zuordnen lassen, führen Grossman & Scala (ibid.) als vierte Rolle noch jene des „Expert“ an, welche wissenschaftsbasiert die Beratung mit vorhandenem und die Erzeugung neuen Wissens im Bereich der Gesundheitsförderung umfasst. Diese vier Rollen lassen sich nun in unterschiedlichen Ausmaßen den jeweiligen Funktionen in der Gesundheitsförderung zuordnen, so müssen etwa ProjektkoordinatorInnen laut Vorschlag der beiden Autoren einen Großteil ihrer Arbeit als „Change Facilitator“ durchführen, benötigen zusätzlich aber auch teilweise die Rollen „Advocate“ und „Enabler“.
1.1 Gesundheitsförderung
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Neben den genannten Strategien gibt die Ottawa Charta zusätzlich fünf Handlungsfelder vor, in welchen diese Anwendung finden sollen. Die fünf Felder sind (vgl. WHO 1993):
Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik Gesundheitsförderliche Lebenswelten schaffen Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen unterstützen Persönliche Kompetenz entwickeln Die Gesundheitsdienste neu orientieren
Der erste Punkt spricht dabei konkret die Ausweitung des Themas Gesundheit über die traditionellen politischen Ressortgrenzen hinweg an. Dadurch sollen gesundheitliche Auswirkungen politischer Entscheidungen in allen Politikbereichen und auf allen politischen Ebenen künftig eine neue Rolle spielen und immer eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage darstellen. Übertragen von den politischen Rahmenbedingungen auf unseren Alltag bedeutet dies, dass – wie im zweiten Punkt angesprochen – auch unser tägliches Umfeld (also unsere natürliche, technische und soziale Umwelt) in einer Form gestaltet sein bzw. gestaltet werden soll, die unserer Gesundheit zuträglich statt abträglich ist. Die Unterstützung von Gemeinschaftsaktionen baut auf der Partizipation von BürgerInnen und der Schaffung von Transparenz sowie materieller Unterstützung auf, wobei die Bevölkerung als zentraler Handlungsträger von Gesundheitsförderung erachtet wird. Die Entwicklung persönlicher Kompetenzen im Gesundheitsbereich wird schließlich ebenfalls als Querschnittsaufgabe angesehen, wobei wiederum gerade auch jene Bereiche, die üblicherweise nicht für Bildungsaufgaben zuständig sind, angesprochen werden, um durch Informationsweitergabe und Trainingsmöglichkeiten in der Kompetenzförderung mitzuwirken. Im letzten Punkt wird schließlich noch einmal die besondere Verantwortung des Gesundheitssektors hervorgehoben, insbesondere auch über medizinisch-kurative Dienstleistungen hinaus auch für Gesundheitsförderung Verantwortung zu übernehmen. Die genannten Handlungsfelder werden gemeinhin auch als „Mehrebenenmodell der Gesundheitsförderung“ (Kaba-Schönstein 2003, S. 75) bezeichnet. Aufeinander aufbauend stellen die verschiedenen Ebenen jene des Individuums, jene von Gruppen, von Institutionen, des Gemeinwesens und der Politik dar. Der untersten Ebene, dem Individuum, lässt sich dabei das Handlungsfeld „persönliche Kompetenzen entwickeln“ zuordnen, den Gruppen die Unterstützung gemeinschaftsbezogener Aktionen, den Institutionen die Neuorientierung der Gesundheitsdienste, dem Gemeinwesen die Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten und der Politik die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik (vgl. Abbildung 1). Durch diese Systematik werden die Handlungs-
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1 Theoretische Grundlagen
felder in eine Ordnung gebracht, welche den gesellschaftlichen Aufbau unserer Welt wiedergibt. Allerdings erscheint an dieser strikten Aufbauordnung genau die Striktheit als problematisch, denn so praktisch die Vereinfachung erscheint, verschleiert sie doch, dass etwa die Schaffung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik auf allen politischen Ebenen stattfinden soll, und nicht nur auf der gesamtstaatlichen (was implizit durch die höchste Stufe repräsentiert wird). Darüber hinaus ist die Zuordnung der Unterstützung von Gemeinschaftsaktionen zur Gruppenebene irreführend: das englische Original der Ottawa Charta spricht von „community action“ und umschließt dabei auch Gemeinden, Städte etc., wäre also genauso gut der Ebene des Gemeinwesens zuordenbar. Im Gegenzug stellt die Zuordnung gesundheitsförderlicher Lebenswelten zum Gemeinwesen eine übermäßige Reduktion dieses Punktes auf soziale Zusammenhänge dar, während die Ottawa Charta explizit auch von der Veränderung der natürlichen und technischen Umwelt spricht. Abbildung 1:
Mehrebenenmodell der Gesundheitsförderung
Politik
Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik
Gemeinwesen
Gesundheitsförderliche Lebensweise
Institutionen
Gesundheitsdienste neu orientieren
Gruppen
Individuen
(Quelle: Kaba-Schönstein 2003, S. 75)
Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen unterstützen Persönliche Kompetenzen entwickeln
1.1 Gesundheitsförderung
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1.1.2 Ressourcen versus Kompetenzen – Zielsetzungen der Gesundheitsförderung Die Konzeption der Gesundheitsförderung durch die Ottawa Charta war einschneidend und wirkt heute noch auf die Diskussionen um das Thema. Die Charta wurde auch in den Folgekonferenzen der WHO immer wieder bestätigt, so auch auf der nach Ottawa bedeutendsten Konferenz in Jakarta (Kaba-Schönstein 2003, S. 77). Dennoch wird der Begriff „Gesundheitsförderung“ vielfältig gebraucht und auch dementsprechend unterschiedlich ausgelegt. Als wesentlichste Gemeinsamkeiten verschiedenster Sichtweisen lassen sich vor allem die beiden Elemente der Ressourcenorientierung und der Kompetenzförderung ausmachen, wobei diese beiden Begriffe durchaus als überlappend gesehen werden können. Der Blickwinkel der Ressourcenorientierung stammt vorwiegend aus der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Prävention, von welchem Gesundheitsförderung abgegrenzt werden soll. Demnach ist der schon seit sehr viel längerer Zeit bestehende Ansatz der Prävention ein Ansatz, der von seiner Ausrichtung her auf Gesundheitsrisiken fixiert ist. Dies zeigt sich dabei konsequent in allen Stufen der Prävention (vgl. Mayer 1995): So wendet sich die primäre Prävention der Vermeidung von Krankheitsursachen zu. Dies bedeutet, dass über die genaue Kenntnis der Ätiologie einzelner Krankheiten versucht wird, das Übel an der Wurzel zu packen und Krankheiten erst gar nicht entstehen zu lassen. Dazu gehören einerseits die klassischen Infektionskrankheiten und solche aufgrund von Mangelerscheinungen (welche z.B. durch Impfungen bzw. durch Nahrungsmittelzusätze bekämpft werden), andererseits das insbesondere mit chronischen Krankheiten verknüpfte Risikofaktorenkonzept, wo Ursachen nicht mehr eindeutig sondern aufgrund von (erhöhten) Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden und in der Folge die Verhinderung des Auftretens derartiger Risikofaktoren zu verhindern versucht wird. Im Grunde genommen handelt es sich bei der Primärprävention um Maßnahmen, die auf bestimmte Risikogruppen gerichtet sind, wobei jedoch oftmals die gesunde Gesamtbevölkerung betroffen ist (z.B. der Jodierung von Kochsalz). Etwas direkter auf Risikogruppen sind die Maßnahmen der Sekundärprävention ausgerichtet, da es sich hier um die Früherkennung bereits vorhandener, aber noch nicht vollständig zum Ausbruch gekommener Krankheiten handelt. Dieser – über Screeninguntersuchungen stattfindende – Ansatz richtet sich dabei an sehr genau definierte Gruppen, die einem erhöhten Risiko unterliegen, und umfasst die Identifizierung von im medizinischen Sinne eigentlich bereits erkrankten Personen. Tertiärprävention hingegen wendet sich ausschließlich an erkrankte Personen, wobei versucht wird, Spätfolgen möglichst zu vermeiden. In der Literatur
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1 Theoretische Grundlagen
wird meist dargestellt, dass es sich in der Praxis vorwiegend um kurativ eingebettete Maßnahmen der Rehabilitation handelt (Mayer 1995, S. 24; Waller 2002, S. 179). Dennoch gibt es auch hier über diese Maßnahmen hinausgehende Ansätze, wie etwa Diabetesschulungen, die versuchen, einen gesunden Lebensstil bei Typ-II-DiabetikerInnen zu erreichen, um die häufigsten Folgeschäden dieser Erkrankung zu vermeiden. Gesundheitsförderung ist hier am ehesten mit der primären Prävention vergleichbar (wobei sie vom Denkansatz auch auf den anderen Ebenen nicht ausgeschlossen scheint), nämlich jener der ursächlichen Verhinderung von Krankheiten. Konsequenterweise ordnen manche Autoren den Ansatz der Gesundheitsförderung auch dem Feld der primären Prävention zu (z.B. Mayer 1995; Rosenbrock & Kümpers 2006), während andere genau die umgekehrte Unterordnung von präventiven Ansätzen unter das Konzept der Gesundheitsförderung treffen (Laaser & Hurrelmann 2003). Allerdings ergibt sich als Gegensatz zur bisherigen Tradition der Prävention bei der Gesundheitsförderung eine wesentliche Neukonzeption. Aufbauend auf der Leitfrage der Salutogenese – welche danach fragt was Menschen gesund hält, anstatt danach zu fragen, was Menschen krank macht (Antonovsky 1997) – konzentriert man sich nunmehr darauf, die Bedingungen für Gesundheit ins Zentrum zu rücken. Dies ist verbunden mit dem Konzept der Gesundheitsressourcen, welche oft auch als sog. Schutzfaktoren nunmehr ins Zentrum des Interesses rücken. Waller (2002, S. 150ff) arbeitet diesen Unterschied heraus, indem er auf die historischen Entwicklungen Bezug nimmt und auf den sich daraus ergebenden Wandel hinweist. Demnach steht Gesundheitsförderung für einen generellen Perspektivenwechsel, der nicht mehr von bestehenden Krankheiten ausgeht und rückwärtsgewandt nach einzelnen, ursächlichen Auslösern fragt, sondern für eine neue Haltung, die an den generellen Lebensbedingungen der Menschen ansetzt, um diese optimal zu gestalten und die Kontrolle darüber in die Hand der Betroffenen selbst zu legen. Gesundheitsförderung geht damit auch einher mit der zunehmenden Individualisierung der Lebensführung, wo staatliche Regulierungsmechanismen in ihrer notwendigerweise allgemeinen Ausrichtung nur mehr unbefriedigende Gesamtlösungen bieten können (Hurrelmann 2003, S. 96f). Konsequenterweise wird seit Entstehung des Konzepts aber auch die Frage gestellt, ob Gesundheitsförderung denn überhaupt von Prävention unterscheidbar ist, oder ob es sich nur um einen neuen Modebegriff handelt. Zumindest im deutschsprachigen Raum scheint diese Frage aufgrund des Vorschlags von Waller, Gesundheitsförderung und Prävention als zwei unterschiedliche Strategien zu demselben Ziel (nämlich umfassender Gesundheit) zu betrachten, geklärt (vgl. Abbildung 2).
1.1 Gesundheitsförderung Abbildung 2:
21
Ressourcen- versus Risikoorientierung in Gesundheitsförderung und Prävention
(Quelle: Waller 2002, S. 155) Gesundheitsförderung bedeutet nun also die Auseinandersetzung mit vielfältigen Ressourcen, während sich Prävention auf Risiken konzentriert. Angesprochen werden diese beiden Konzepte – die sich eben als zwei Strategien zur Erlangung bzw. Beibehaltung optimaler Gesundheit verstehen lassen – auch unter dem Konzept der „Determinanten von Gesundheit“. Bekannt geworden ist dabei insbesondere der Vorschlag von Dahlgren & Whitehead (Dahlgren & Whitehead 1991, zit. n. WHO 1999, S. 82), wo auf vier Ebenen personale Faktoren, verhaltensbezogene Aspekte, konkrete und allgemeine Umweltfaktoren dargestellt werden (vgl. Abbildung 3). Die Unterscheidung in Risiko- und Ressourcenorientierung stammt somit vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, wo man besonders bemüht ist, Begriffe wie Krankheitsprävention, Gesundheitsförderung oder – oftmals gebraucht und mit besonderem Verwirrungspotential – Gesundheitsprävention auch sprachlich voneinander zu trennen. In der englischsprachigen Literatur hingegen findet sich diese Unterscheidung weniger. Hier bezieht man sich vorwiegend auf die Aspekte der Kompetenzförderung, welche mit dem Gesundheitsförderungsansatz verbunden sind. Eine Auflistung verschiedenster Definitionen von health promotion (vgl. Abbildung 4) zeigt, wie sich diese Schwerpunktsetzung als roter
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1 Theoretische Grundlagen
Abbildung 3:
Die wichtigsten Determinanten der Gesundheit
Allgemeine sozioökonomische und umweltbedingte Verhältnisse
Bildung Landwirtschaft u. Lebensmittelproduktion
Arbeitsumfeld
Arbeitslosigkeit
Wasser und Hygiene
Faktoren und Lebensweise
usw.
Wohnen 1
2
Gesundheitswesen
3
Alter, Geschlecht und erbliche Faktoren
4
(Quelle: Dahlgren & Whitehead 1991; zit. n. WHO 1999, S. 82) Faden durchzieht. Gleichzeitig sieht man, wie breit das Verständnis von Gesundheitsförderung ausgelegt werden kann. Aufgegriffen werden die Diskussionen um individuelle Kompetenzförderung vorwiegend im Rahmen von Empowerment bzw. als neue Ausrichtung althergebrachter Ansätze der Gesundheitserziehung durch das „health literacy“-Konzept („Gesundheitsalphabetisierung“). Gleichzeitig erfolgen in einem Großteil der Definitionen Bezugnahmen auf die Umweltbedingungen, innerhalb derer Gesundheitschancen realisiert werden müssen. Vor diesem Hintergrund scheint es auch wenig überraschend, dass – insbesondere in der amerikanischen Literatur – einigermaßen Sprachverwirrung herrscht, wenn von verschiedenen Konzepten im Zusammenhang mit Gesundheitsförderung die Rede ist. So verweisen etwa Glanz et al. darauf, dass zumindest in den USA die Begriffe „health promotion“ und „health education“ synonym verwendet werden, und dass selbst in anderen Kontexten – die Autoren verweisen etwa auf Australien – die Begriffe immer noch so eng miteinander verwandt sind, dass sie beinahe beliebig austauschbar sind (Glanz, Rimer & Lewis 2002). Gleiches gilt für alle weiteren Konzepte im Zusammenhang mit Gesundheitsförderung, wie Waller (2002, S. 153) darlegt. Neben der Abgren-
1.1 Gesundheitsförderung
23
zung vom Begriff der Prävention (siehe oben) geht es ihm auch um die Auseinandersetzung mit den anderen Begriffen in diesem Zusammenhang (GesundAbbildung 4:
Unterschiedliche Definitionen von „health promotion“
Source and date
Definition
Lalonde, 1974
A strategy “aimed at informing, influencing and assisting both individuals and organizations so that they will accept more responsibility and be more active in matters affecting mental and physical health”
US Dept. of “A combination of health education and related organizational, Health, Education political and economic programs designed to support changes in & Welfare, 1979 behavior and in the environment that will improve health” Green, 1980
“Any combination of health education and related organizational, political and economic interventions designed to facilitate behavioral and environmental changes that will improve health”
Green & Iverson, 1982
“Any combination of health education and related organizational, economic, and environmental supports for behavior conducive to health”
Perry & Jessor, 1985
“The implementation of efforts to foster improved health and wellbeing in all four domains of health [physical, social, psychological and personal]”
Nutbeam, 1985
“The process of enabling people to increase control over the determinants of health and thereby improve their health”
WHO, 1984, 1986; Epp, 1986
“The process of enabling people to increase control over, and to improve, their health”
Goodstadt et al., 1987
“The maintenance and enhancement of existing levels of health through the implementation of effective programs, services, and policies”
Kar, 1989
“The advancement of wellbeing and the avoidance of health risks by achieving optimal levels of the behavioral, societal, environmental and biomedical determinants of health”
O’Donnell, 1989
“The science and art of helping people choose their lifestyles to move toward a state of optimal health”
Labonté & Little, 1992
“Any activity or program designed to improve social and environmental living conditions such that people’s experience of wellbeing is increased”
(Quelle: Rootman, Goodstadt, Louise & Springett 2001, S. 10; ohne Hervorh.)
24
1 Theoretische Grundlagen
heitserziehung, Gesundheitsbildung, Gesundheitsberatung, Gesundheitsaufklärung usw.). Die Lösung dazu erscheint durchaus salomonisch: Gesundheitsförderung und Prävention werden wie schon erwähnt als die zwei unterschiedlichen Strategien gesehen (die ihren jeweiligen Fokus eben entweder auf Ressourcen oder auf Risiken lenken), während die anderen Ansätze als konkrete Methoden der Umsetzung verstanden werden (ibid., S. 155). Während also Risiko- und Ressourcenorientierung das gemeinsame Dach bilden, können beispielsweise die verschiedenen Ansätze der Gesundheitserziehung je nach dem charakterisiert werden, welche dieser Aspekte sie verfolgen, wodurch der oben vertretenen Austauschbarkeit der Begriffe eine theorieorientierte Unterscheidung gegenübergestellt wird. Damit wird Gesundheitsförderung aber gleichzeitig etwas in den Stand einer grundlegenden Philosophie gehoben und ein Stück weit der Praxis entrückt. Viele VertreterInnen der Gesundheitsförderung verstehen diese aber weniger als theoretischer Zugang denn vielmehr als eine praxisorientierte Intervention (Hurrelmann 2003, S. 95). Als Konsequenz aus Stufenmodell, Ressourcenorientierung und individualisierter Kompetenzförderung ergeben sich somit vielfältige Anforderungen, die sich an eine praxisorientierte Umsetzung von Gesundheitsförderung stellen. So werden Programme, die in diesen Rahmen fallen, immer (neben der in der Praxis nie ausklammerbaren Risikoorientierung) ihre Anknüpfungspunkte an positive, als Ressourcen betrachtbare Determinanten von Gesundheit darstellen müssen. Dazu muss einerseits klar werden, inwiefern Individuen eine Chance erhalten, ihre persönlichen Kompetenzen erweitern zu können und insbesondere, wie dadurch die Selbstbestimmung über bzw. der Einfluss auf die eigene Gesundheit gestärkt wird. Darüber hinaus muss andererseits dargelegt werden, wie überindividuelle Einflüsse gehandhabt werden können, um auch hier eine Stärkung von Gesundheitschancen zu bewirken. Daraus ergeben sich vielfältige Anforderungen, die sich nur langfristig und auch hier nur stufenweise erreichen lassen. Die Anforderungen müssen also aufgeweicht werden: Gesundheitsförderung als komplexe Intervention wird sich notwendigerweise immer aus zahlreichen Einzelaktivitäten zusammensetzen müssen, die zumeist auf nur einer der Ebenen angesiedelt werden können. Dennoch sind auch komplexe Gesamtmaßnahmen möglich, die als Ergänzung zu einzelnen Aktivitäten herangezogen werden können. Schlüssel für eine derartig umfassende Herangehensweise ist der im folgenden Kapitel vorgestellte Settings-Ansatz.
1.1 Gesundheitsförderung
25
1.1.3 Der Settings-Ansatz in der Gesundheitsförderung Um der Komplexität der Integration verschiedenster Herangehensweisen in der Gesundheitsförderung gerecht zu werden, wurde der sog. „Settings-Ansatz“ entwickelt. Definitionen zum Begriff selbst sind rar gesät, zumeist wird nur über Settings geschrieben. Auf sehr allgemeiner Ebene umschreibt die WHO den Begriff Setting als „Ort oder sozialer Kontext, in dem Menschen ihren Alltagsaktivitäten nachgehen, im Verlauf derer umweltbezogene, organisatorische und persönliche Faktoren zusammenwirken und Gesundheit und Wohlbefinden beeinflussen.“ (WHO 1998, S. 23) Eine nähere Konkretisierung bieten Grossmann & Scala (2001S. 65ff), die Settings als ein kontextgebundenes Aufeinandertreffen von Personen(-gruppen) und Umwelteinflüssen charakterisieren. Ihrer Beschreibung nach sind dabei nicht die einzelnen Individuen, sondern immer soziale Systeme in ihrer Gesamtheit anzusprechen. Dennoch stehen die Menschen dabei im Mittelpunkt: „Der Settings-Ansatz ist darauf gerichtet, die Einfluss-, Beteiligungs- und Wahlmöglichkeiten der Menschen zu erhöhen und Optionen für Verhaltensalternativen zu schaffen, indem auf gesundheitsrelevante Rahmenbedingungen Einfluss genommen wird. Der Ansatz vermeidet, die Verantwortung für die Gesundheit einseitig an die betroffenen Individuen zu delegieren.“ (ibid., S. 67) Konsequenterweise legen die beiden Autoren dar, dass man die betreffenden sozialen Systeme – also die Settings – genau definieren muss. Dies umfasst die genaue funktionale Abgrenzung des Systems, seine räumlichen bzw. physischen Grenzen und die Festlegung der involvierten AkteurInnen (womit Einzelpersonen bzw. Personengruppen genauso gemeint sind wie Organisationen und Institutionen). Das heißt, dass der Begriff Setting immer auf etwas Konkretes bezogen werden und somit jedes Setting für sich definiert werden muss: Es soll der Mensch in einer spezifischen Umwelt mit den spezifischen Einflüssen und Bedingungen erfasst werden. Damit ist die Festlegung des Settings einer gesundheitsförderlichen Maßnahme bereits selbst Teil der Intervention, weshalb die Abgrenzung im Verlauf der Maßnahme auch immer wieder überprüft werden muss (ibid., S. 70). Gleichzeitig warnen Grossmann und Scala davor, die Festlegung eines bestimmten Settings bereits als ausreichende Grundlage für eine Maßnahme zu sehen, da immer auch die Kombination mit einer bestimmten Problemstellung nötig ist (im Beispiel der Autoren etwa das Thema Ernährung im Setting Stadtviertel). Damit werden Settings der Schauplatz für zumeist langfristig angelegte Projekte, welche versuchen „durch systemisch angelegte Interventionen gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, eine settings-spezifische Gesundheitspolitik zu entwickeln und die Gesundheit in die bestehenden settings-
26
1 Theoretische Grundlagen
spezifischen Verfahren des Qualitätsmanagements, der Auditierung und Evaluierung zu integrieren, um nachweisen zu können, dass auch die Gesundheit zur besseren Erfüllung der originären Aufgaben des Settings beitragen kann.“ (Naidoo & Wills 2003, S. 260). Das bedeutet letztlich, dass Settings – soziale Systeme – erst lernen müssen, dass die ihnen funktional zugehörigen Aufgaben auch oder gerade dann erfüllt werden können, wenn auf die Gesundheit der diesem System angehörigen Individuen Rücksicht genommen bzw. diese explizit gefördert wird. Settings haben im Grunde genommen eine genauso lange Tradition wie das Konzept der Gesundheitsförderung selbst (vgl. Green, Poland & Rootman 2000, S. 11): Beginnend Ende der 1970er in den USA mit schulischen Gesundheitserziehungsprogrammen über das Klassenzimmer hinaus, über Nachbarschaftsinitiativen und arbeitsplatzbezogene Gesundheitsaktivitäten über die erstmalige Verbindung von Umwelt und Person in der Ottawa Charter bis hin zur expliziten Bestätigung der Wichtigkeit von Settings in der Jakarta Deklaration (WHO 1997). In einer kritischen Auseinandersetzung mit der bisher erst dürftigen theoretischen Bearbeitung des Konzeptes Setting führen Green et al. (2000, S. 24ff) zahlreiche direkte und indirekte Probleme des Konzepts an. Dazu gehört zunächst einmal, dass sich in der Praxis die Intervention in ein Setting vielfach als zu komplex darstellt, weshalb oftmals nur eher „altbackene“ Maßnahmen gesetzt werden können. Verstärkt wird dies oftmals durch wichtige Entscheidungsträger in den Settings, die umfassende Interventionen oftmals lieber eher verhindern, als dem empowermentbezogenen Anspruch, dass die Betroffenen selbst Einfluss nehmen können sollen, Rechnung zu tragen und somit auf eigene Macht zu verzichten. Damit ist auch schon die oftmals verdrängte Auseinandersetzung mit den Machtverhältnissen innerhalb von Settings angesprochen. Um den Erfolg von Interventionen sicherzustellen, ist es unumgänglich, mit den vorhandenen Machthabern zu koalieren und auch deren Interessen zu vertreten. Green et al. (ibid., S. 25) argumentieren nun, dass gerade damit schwierig zu erreichende Zielgruppen eher abgeschreckt denn ins Boot geholt werden können (etwa „rebellierende“ SchülerInnen, die nun in der gesundheitsfördernden Schule mitarbeiten sollen). Ausgeweitet auf die Praxis des Settings-Ansatzes bedeutet dies, dass zumeist Settings im Mittelpunkt stehen, die über gut etablierte Macht- und Entscheidungsstrukturen verfügen, während alternative Settings eher kaum in Betracht gezogen werden. Damit werden aber systematisch gerade jene Bereiche ausgeschlossen, die der Gesundheit abträgliche Verhaltensweisen fördern, die starken Veränderungen unterworfen sind, die nur geringe formale Strukturen
1.1 Gesundheitsförderung
27
besitzen und/oder die gängigen gesellschaftlichen Mainstreamvorstellungen besonders entgegenstehen (Subkulturen etc.). Mit dem letztgenannten Argument sind vorwiegend jene Bereiche angesprochen, die sich insbesondere auf Betreiben bzw. in Kooperation mit der WHO herausgebildet haben. So haben sich schon bald in Folge der Ottawa Charta vier für die WHO zentrale Settings herauskristallisiert, welche in mittlerweile gut etablierten Netzwerken als Pioniere der Gesundheitsförderung arbeiten. Diese sind das „Netzwerk Gesunde Städte“, das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Schulen“, das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Krankenhäuser“ sowie das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Betriebe“, welche jeweils aus einem internationalen sowie zahlreichen nationalen Netzwerken bestehen.
1.1.4 Gemeinden als Settings für Gesundheitsförderung Unter den zahlreichen möglichen Settings für Gesundheitsförderung nehmen insbesondere Gemeinden eine wichtige Stellung ein. Gerade hier gilt es zu beachten, dass dabei nicht lediglich die Veränderung eines politischadministrativen Verbandes bzw. Gebietes gemeint ist. Diese Sicht würde nur sehr oberflächlich beschreiben, welche Ideen bzw. Sichtweisen alle mit dem Begriff „Gemeinde“ verknüpft sind. Im Englischen zeigt sich der Umfang „gemeindebezogener“ Aktivitäten bereits dadurch, dass hier durchwegs vom Begriff „community“ gesprochen wird, welcher sich alternativ zu „Gemeinde“ meistens besser mit „Gemeinschaft“ übersetzten lässt und somit bereits auf Aspekte abseits politischer Grenzziehungen hinweist. In der Tat wird auch dieser zweite Aspekt insbesondere in anglikanischen Bearbeitungen zum Thema aufgegriffen, wobei als Ausgangspunkt Ferdinand Tönnies Unterscheidung von „Gemeinschaft und Gesellschaft“ herangezogen wird. Gleichzeitig wird dieser aber für seine romantisierende Bevorzugung von Gemeinschaft kritisiert, in der er das tägliche Miteinander, welches auf gemeinsamer Tradition, sich gegenseitig Kennens und tendenziell familiärer Atmosphäre gegenüber der individualisierten, formalisierten und kompetitiven „Gesellschaft“ in Städten als positiv hervorhebt (vgl. Bruhn 2005, S. 29ff). Während somit die geographische Verankerung zumindest im Sinne von Land vs. Stadt vollzogen ist, beginnt sich ab den 1970er Jahren – begründet auf den amerikanischen Studien in städtischen Milieus – die Sichtweise zu festigen, dass weniger geographische Abgrenzungen im Mittelpunkt des Gemeindebegriffs stehen sollten, sondern dass viel mehr auch der Netzwerkcharakter von persönlichen Beziehungen einbezogen werden muss. In diesem Sinn gibt es also auch innerhalb von Städten immer mehrere „communities“, die sich aber eben weniger räumlich als
28
1 Theoretische Grundlagen
vielmehr durch soziale Bindungen abgrenzen lassen (ibid.). Abgesehen von diesen beiden Aspekten Geographie und soziales Netz scheint es jedoch wenig Konsens darüber zu geben, was „community“ zu bedeuten hat. Berühmt geworden ist ein Review von Hillery aus 1955 (zit. n. Jewkes & Murcott 1996), wonach die in 94 untersuchten Studien verwendeten Definitionen von „community“ als einzige Gemeinsamkeit aufwiesen, dass sie sich auf Menschen bezogen. Nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit Gesundheitsförderung hat jedoch zu einer Reaktivierung des Begriffes der „community“ geführt. In der Praxis wird dabei zumeist ein Gebilde verstanden, dass aufgrund seiner Größe, der geographisch-räumlichen Abgeschlossenheit, des ihm eigenen Charakters eines sozialen Netzwerkes und der dort vorherrschenden Normen gegenüber anderen sozialen Aggregaten abgegrenzt werden soll (Tones & Tilford 2001, S. 395). Vorwiegend aufgrund moderner Kommunikationsmöglichkeiten und -gepflogenheiten scheinen insbesondere die über die räumliche Lokalisierbarkeit hinausgehenden Aspekte an Bedeutung zu gewinnen. Dies äußert sich insbesondere in der Frage danach, was die individuumsbezogene Verankerung des Begriffs ausmacht. Hier wird insbesondere der Begriff des „Gemeinschaftsgefühls“ („sense of community“) herangezogen, der sich in vier Aspekten äußert (McMillan & Chavis 1986, S. 396; Tones & Tilford 2001): a. b.
c.
d.
Dem Gefühl, dazu zu gehören (inkl. der damit verbundenen Abgrenzungen; „membership“); dem Gefühl der wechselseitigen Beeinflussbarkeit, also dass es für beide – einen selbst als auch die Gruppe – bedeutsam ist, dass man dazugehört („influence“); dem Gefühl von Bedürfnisbefriedigung durch die Zugehörigkeit (z.B. Status und Image oder der Zugang zu Ressourcen; „integration and fulfilment of needs“); dem Gefühl emotionaler Bindung aufgrund gemeinsamer Erfahrungshorizonte (raum- und/oder zeitbezogene gemeinsame Erlebnisse oder auch gemeinsame „Geschichte“; „shared emotional connection“).
In Anknüpfung an die Notwendigkeit, die Grenzziehung von Gemeinschaften anhand individualisierbarer Elemente zu vollziehen, lässt sich argumentieren, dass die Festlegung von „communities“ oftmals so schwierig ist, dass es sich bei den – in der Gesundheitsförderung fast immer durch ExpertInnen definierten – Gemeinschaften oftmals um eine rhetorische Verschleierung dessen handelt, was man eigentlich besser als Zielgruppen bezeichnen sollte (vgl. Guldan 1996, S. 693). Dazu passend machen Jewkes & Murcott (1996) darauf aufmerksam, dass die Identifikation von „communities“ durch ExpertInnen anstatt durch deren
1.1 Gesundheitsförderung
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(vermeintliche) Mitglieder in der Regel ohnehin fehlschlägt. In ihrer Untersuchung anhand von Interviews mit Projektverantwortlichen und den durch diese identifizierten Gemeinschaften stellte sich heraus, dass die jeweils zugeordneten Gemeindemitglieder meist ganz andere Bilder davon haben, zu welcher Gemeinschaft sie gehören, und dass die von den ExpertInnen identifizierten „communities“ oftmals gar nicht im gemeinten Sinn existierten. Auf stärker theoretisierender Ebene versucht Blackman, dies auch als Dynamik sich verändernder Gemeinsamkeiten zu fassen und Gemeinschaften als kontextbezogene, emergente Phänomene zu begreifen: „... these dimensions of geography, identity and behaviour come together not just as nodes in relational networks but as open dynamic systems with emergent properties. They have some organisational coherence as a result of processes of self-organisation, interaction and feedback.“ (Blackman 2006, S. 179) Es steckt somit wohl eine gehörige Portion Pragmatismus darin, dass im deutschsprachigen Raum immer eine politische Gemeinde angesprochen ist, wenn von gemeindebezogener Gesundheitsförderung die Rede ist. Diese Abgrenzung hilft jedoch, zumindest Hauptkomponenten innerhalb dieser Grenzziehung zu identifizieren und in die komplexe Dynamik des „Settings“ Gemeinde einzubeziehen. Als wesentliche Vorteile einer solchen Betrachtungsweise identifizieren Laaser & Hurrelmann (2003, S. 417f):
Es existieren verschiedenartige Organisationen, die einander ergänzende Angebote im Rahmen der Gesundheitsförderung bereitstellen können. In einer Gemeinde können unterschiedliche Maßnahmen gebündelt und somit wirksamer angeboten werden. Die in einer Gemeinde bestehenden Verflechtungen von Personen, Organisationen und Institutionen können direkt für die Gesundheitsförderung fruchtbar gemacht werden. Durch die Einbettung in lokale Gepflogenheiten und Wertorientierungen werden die Zielgruppen besser erreicht und Maßnahmen der Gesundheitsförderung werden von diesen bereitwilliger akzeptiert bzw. lässt sich eine hohe Bereitschaft zur aktiven Beteiligung zuwege bringen. Aufgrund des lokalen Bezugs lassen sich gesundheitsfördernde Maßnahmen und Angebote unmittelbar in die Lebenswelt der Betroffenen integrieren.
Die angesprochene Vielfalt der Ebenen und Komponenten innerhalb des Settings macht eine Übersicht von Trojan et al. deutlich. Diese identifizieren sechs Ebenen von Akteuren in einer Kommune. Dazu gehören als Gesamtsystem die politisch-administrativ abgegrenzte Gemeinde, als ihre Subsysteme verschiedene gesellschaftlich relevante Sektoren bzw. Politikbereiche (Ökonomie, Sozialwe-
30
1 Theoretische Grundlagen
sen, Erziehungswesen, Umwelt etc.), als intermediäre – also zwischen den BürgerInnen und dem politisch-administrativen System vermittelnde – Ebenen Kooperationsstrukturen wie Beiräte usw. in Richtung Subsysteme sowie sog. „Brückeneinrichtungen“, also Kontaktaktstellen etc., in Richtung BürgerInnen. Letztere wiederum finden sich in den beiden letzten Stufen der primären sozialen Ebene (BürgerInneninitiativen, Nachbarschaftsgruppen, Vereine etc) und der Ebene des Individuums (Trojan et al. 1999, S. 82). Die Umsetzung gemeindebezogener gesundheitsförderlicher Aktivitäten ist somit bisher vorwiegend für (Groß-)Städte aufgearbeitet worden, welche im schon erwähnten „Netzwerk Gesunde Städte“ zusammengekommen sind. Das dahinter stehende WHO-Projekt „Gesunde Städte“ nahm seinen Anfang 1987, als 11 Pionierstädte in Folge der Ottawa Charta die Idee des Settings-Ansatzes umzusetzen begannen. Seither wachsen die Zahlen teilnehmender Städte kontinuierlich, so dass das Netzwerk allein in Europa mittlerweile über 1300 Städte in 29 Ländern umfasst. Typisch dabei ist, dass der Vernetzungsgedanke jeweils auch nach unten hin übertragen wird, sodass mittlerweile auch nationale und teilweise sogar regionale Netzwerke Gesunder Städte bestehen (vgl. Lafond, Heritage, Farrington & Tsouros 2003, S. 8). Als Leitfaden für die Teilnahme am Gesunde Städte-Projekt existiert die sog. „Mailänder Erklärung“, welche die grundlegenden Zielsetzungen vorgibt. Gesunde Städte verfolgen demnach die Bereitstellung folgender Bedingungen (vgl. Tsouros 1997): 1.
Qualitativ hochwertige physische Umweltbedingungen (sauber, sicher, optimale Wohnbedingungen); 2. ein nachhaltig stabiles Ökosystem; 3. eine starke, unterstützende und nicht-ausbeuterische Gemeinschaft; 4. hohe Grade an Partizipation an und Steuerbarkeit von Entscheidungen, die Lebensführung, Gesundheit und Wohlbefinden betreffen, durch die Öffentlichkeit; 5. die Sicherstellung der Grundbedürfnisse aller BürgerInnen; 6. Zugang zu vielfältigen Erfahrungen und Ressourcen inkl. neuer Kontakte und Interaktionsmöglichkeiten; 7. diversifizierte, vitale und innovative Wirtschaftsbedingungen; 8. das Bewusstsein für die eigene städtische Vergangenheit und das kulturelle sowie biologische Erbe vergangener Generationen; 9. ein städtisches Selbstverständnis, das die genannten Bedingungen zulässt; 10. die optimale Versorgung mit für allen zugänglichen Gesundheitsdienstleistungen; 11. einen hohen Gesundheitsstatus (hohe positive Gesundheitsraten und niedrige Krankheitsraten).
1.1 Gesundheitsförderung
31
Zusammengefasst lässt sich die in dieser Liste angeführte Motivation wohl am besten darin ausdrücken, dass eine Gesunde Stadt eine ist, „in der Gesundheit und Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger bei Entscheidungsprozessen auf geeignete Weise mit abgewogen werden“ (Stender 2003, S. 133). Dementsprechend identifizieren Lafond et al. (2003, S. 9) vier wesentliche Elemente, die sich trotz der sehr stark von Veränderung geprägten europäischen Geschichte der letzten 20 Jahre als zentrale Konstanten innerhalb der europäischen Netzwerke herauskristallisiert haben. Erstens ist dies die Konzentration auf die Determinanten von Gesundheit, zweitens die Integration und Verbreitung bestehender globaler und europäischer Gesundheitsziele, drittens das Bestreben, Gesundheit auch in die sozialen und sonstigen politischen Agenden der teilnehmenden Städte zu bringen, und viertens die Verfolgung optimaler Steuerungsmechanismen und partnerschaftlicher Planung zur Erreichung von Gesundheitszielen. Das vorgestellte Konzept der Gesunden Städte kann durchaus als Hintergrund für die vorliegende Untersuchung herangezogen werden. Dennoch gibt es einige Unterschiede, die sich vor allem in den Dimensionen zugrunde gelegter Aktivitäten äußert. Als Beispiel dafür kann etwa der Vorschlag von Trojan & Legewie zur Beobachtung der Entwicklung Gesunder Städte herangezogen werden. Die dabei für das internationale Monitoring entwickelten Indikatoren zeigen deutlich, dass die Diskussionen des Netzwerks weit über die Möglichkeiten ländlicher Kommunen hinaus gehen (z.B. was die gesetzlichen Entscheidungsgrundlagen oder auch die infrastrukturelle und finanzielle Ausstattung von Landgemeinden betrifft, inklusive der Möglichkeit, die entsprechenden Datenerhebungen zu finanzieren): „3 »Gesundheitsindikatoren«: Mortalitätsrate (alle Todesursachen), Mortalitätsraten für einzelne spezifische Todesursachen, Rate untergewichtiger Kinder bei der Geburt. 7 Indikatoren für Gesundheitsdienste: Vorhandensein eines Gesundheitserziehungsprogramms, Rate vollständig durchgeimpfter Kinder, Einwohner pro praktischem Arzt, Einwohner pro Krankenschwester, Prozentanteil krankenversicherter Einwohner, Verfügbarkeit von fremdsprachigen Diensten für die Primärversorgung, Anzahl gesundheitsbezogener Themen im Stadtrat pro Jahr. 14 Umweltindikatoren: Luftverschmutzung, Wasserqualität, aus dem Abwasser entfernte Schadfaktoren, Qualitätsindex für Entsorgung von Haushaltsabfällen, Qualitätsindex für den Umgang mit Haushaltsabfällen, relativer Bodenanteil von Grünflächen in der Stadt, öffentlicher Zugang zu Grünflächen, Industriebrachen, Sport- und Freizeitmöglichkeiten, Fußgängerzonen, Radfahrmöglichkeiten in der Stadt, öffentlicher Personennahverkehr und seine Erreichbarkeit, Lebensraum.
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1 Theoretische Grundlagen 8 sozioökonomische Indikatoren: Bevölkerungsprozentsatz in Behausungen unter Standard-Niveau, geschätzte Anzahl Obdachloser, Arbeitslosenrate, Bevölkerungsanteil mit weniger als dem mittleren Pro-Kopf-Einkommen, Anteil von Kindertagesstätten-Plätzen für Vorschulkinder, Anzahl der Lebendgeburten bei verschiedenen Altersgruppen von Müttern, Abtreibungsrate im Verhältnis zur Gesamtzahl der Lebendgeburten sowie der Anteil Behinderter, die eine Beschäftigung haben.“ (Trojan & Legewie 2001, S. 176f)
Im Resümee zum Gesunde Städte Projekt sowie ähnlichen bzw. verwandten Stadtentwicklungsprojekten kommen Trojan & Legewie zu folgendem Schluss (ibid., S. 185): „Letztlich handelt es sich aber in allen Fällen um komplexe Misch-Strategien bzw. ineinander verschachtelte Ansätze. In allen Stadtprojekten gibt es echte Bemühungen um systematische Evaluation. … [Diese] befinden sich jedoch noch im Experimentierstadium.“ Auch ein Blick auf die TeilnehmerInnen am Netzwerk Gesunde Städte in Deutschland zeigt deutlich, dass Vorhaben, die sich auf Gemeinwesen beziehen, generell mit zahlreichen Problemlagen zu kämpfen haben. So ergeben sich in der praktischen Umsetzung vorwiegend materielle Schwierigkeiten (weniger als die Hälfte der Städte verfügte über eine eigenständige Büroinfrastruktur und nur ca. ein Fünftel über eigene Budgets), Mängel beim Vorhandensein von Konzepten, Zielvereinbarungen und Leitlinien, fehlende Integriertheit in lokale und überregionale Netzwerke sowie mangelhafte Dokumentation und Evaluation (vgl. Plümer & Trojan 2004). Ein expliziter Bezug auf die Besonderheiten der Gesundheitsförderung im ländlichen Raum ist auf theoretischer Ebene bisher noch kaum hergestellt worden (vgl. Rásky & Freidl 2001, S. 104f), sieht man von den oben beschriebenen sozialromantischen Verklärungen durch Tönnies ab. Einzig Freidl & Neuhold machen auf die Situation in – nicht zuletzt österreichischen – ländlichen Gemeinden aufmerksam: „Anders als in sozialen Settings – wie z.B. am Arbeitsplatz – ist das regionale Setting Gemeinde weniger ein- und abgrenzbar; anders als in einer urbanen Öffentlichkeit, die durch bestimmte Rollendarstellungen und durch stilisierte Kommunikationssituationen den Bereich zwischen Privatheit und Öffentlichkeit deutlich kennzeichnet, ist in der Gemeinde diese Grenze schwieriger auszumachen. Die Gemeinde als Ort gesundheitsförderlicher Interventionen wird damit zu einer komplizierten Mischung aus Öffentlichkeit und Nähe sowie aus Offenheit und Abwehr. Der direkte Anschluss an diese regionalen Lebenswelten ist also nicht nur »technisch« schwierig, sondern stellt auch konzeptionelle Herausforderungen.“ (Freidl & Neuhold 2002, S. 49f)
1.2 Partizipation und Empowerment
33
1.2 Partizipation und Empowerment 1.2.1 Teilnehmen und Teilhaben Nach der räumlichen Eingrenzung gilt es nun, eines der Kernelemente von Gesundheitsförderung zu betrachten: die Konzepte von Partizipation und Empowerment. Beide Begriffe sind indirekt in der oben genannten Definition laut Ottawa Charta enthalten, wenn darin auf „einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung […] zu ermöglichen“ abgezielt wird. Betrachtet man die beiden Begriffe Partizipation und Empowerment näher, so fällt auf, dass beide zwar viel gebraucht sind, aber kaum explizit definiert werden. Vielmehr dienen sie als Anknüpfungspunkte, an denen die Entfaltung vielfältiger Problematiken vollzogen wird. Der Begriff der Partizipation scheint sich im Allgemeinen mit der Bedeutung von „Beteiligung“ bzw. „Bürgerbeteiligung“ zu erschöpfen und wird im Regelfall auch so gebraucht. Bei näherer Betrachtung scheint es jedoch angebracht, von einem Sammelbegriff auszugehen, der in vielfältiger Weise gebraucht werden kann. Eine einfache Unterscheidung bietet die Differenzierung in „Teilnahme“ und „Teilhabe“, elaborierte Modelle unterscheiden jedoch zahlreiche Stufen, die durchaus auch als weitere Untergliederung bzw. Ergänzung der Dualität von Teilnahme und Teilhabe gesehen werden können. Die grundlegende Unterscheidung von teilnehmen und teilhaben bezieht sich laut Sachs-Pfeiffer (1989) im Wesentlichen auf die zugrunde gelegte Perspektive der Beteiligung. Teilnahme entspricht demnach vorwiegend der spezifischen Problemlösung unter Einbindung dazu benötigter, definierter Zielgruppen. Im Sinne bekannter Vorgehensweisen von staatlichen Behörden sind damit die Verfahren von Diskussion, Anhörung, Abstimmung, Delegation etc. gemeint, wo den von öffentlichen Projekten betroffenen BürgerInnen ein entsprechendes Mitwirkungsrecht eingeräumt wird. Teilnahme wird dabei etwas paternalistisch von Seiten der eigentlich Verantwortlichen gewährt und dient einer umfassenden Absicherung der letztlich getroffenen Entscheidungen. Sie ist in diesem Sinn also immer zeitlich begrenzt und anlassbezogen, ohne tatsächlich die Entscheidungsmacht langfristig zu teilen. Teilhabe stellt hingegen einen emanzipatorischen, systemischen Ansatz dar, wobei die langfristige Einbindung und das dauerhafte Engagement der Bevölkerung angestrebt wird (ibid.). Dies meint letztendlich, dass sich soziale Gruppen herausbilden, welche ihre eigenen Interessen wahrnehmen und sich in ihren Ressourcen synergetisch ergänzen. Als Beispiele werden lebensraumbezogene Interessensgruppen genannt, die etwa die Anliegen eines Stadtviertels systematisch vertreten und in politische Entscheidungsprozesse einbringen. Damit stellt
34
1 Theoretische Grundlagen
die vorgestellte Sicht von „Teilhabe“ auch einen Anknüpfungspunkt für die weiter unten diskutierte Zielvorstellung von Empowerment dar. Neben dieser grundlegenden Unterscheidung zwischen einmaligen und langfristigen Partizipationsmöglichkeiten differenzieren elaboriertere Betrachtungen weitere Formen von Partizipation. International verbreitet ist insbesondere Arnsteins „Ladder of citizen participation“ (Arnstein 1969), die auf acht Stufen diverse Möglichkeiten echter als auch seitens der Machthabenden vorgetäuschter Beteiligung vorstellt (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5:
Arnsteins "Ladder of Citizen Participation"
8
Citizen Control
7
Delegated Power
6
Partnership
5
Placation
4
Consultation
3
Informing
2
Therapy
1
Manipulation
Citizen Power
Tokenism
Nonparticipation
(Quelle: Arnstein 1969) Von unten nach oben betrachtet beginnt die Analyse mit der Stufe der Manipulation. Damit sind jene Formen von BürgerInnenbeteiligung gemeint, bei denen die Öffentlichkeit in Form von Beratergruppen usw. eingebunden wird, ohne tatsächlich an Ratschlägen interessiert zu sein. Vielmehr werden die eingerichteten Gruppen dazu missbraucht, die Interessen und Argumente der MachtinhaberInnen im Sinne von Public Relations zu verbreiten und so die beteiligten BürgerInnen zu Sprachrohren der Mächtigen umzufunktionieren. Dadurch wird der Schein gewahrt, dass BürgerInnenbeteiligung stattgefunden hat – schließlich finden die Treffen ja statt und werden auch besucht – obwohl in Wahrheit die
1.2 Partizipation und Empowerment
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eigentlichen Entscheidungen einer Maßnahme oder eines Programms nie diskutiert werden. Als zweite Stufe betrachtet Arnstein jene der Therapie, womit besonders deutlich wird, dass ihr Entwurf dem US-amerikanischen Kontext entstammt. Hier geht es darum, dass BürgerInnenbeteiligung auch in einer Form stattfinden kann, dass zwar Offenheit für die Anliegen signalisiert wird, die tatsächliche Problemlösung dann aber individualisiert therapiert wird. Damit ist gemeint, dass öffentliche Anlaufstellen geschaffen werden, die sich mit den Problemen der BürgerInnen beschäftigen, aber als Lösungsvorschläge letztlich immer nur Erziehungsmaßnahmen stattfinden, die den von den MachthaberInnen akzeptierten Normzustand wiederherstellen sollen. Als Beispiele bezieht sich Arnstein etwa auf Menschen, die, nachdem Fehler in Krankenhäusern passiert sind, in Selbsthilfegruppen geschickt werden, wo sie mit den tragischen neuen Umständen leben lernen sollen, anstatt dass den Fehlern tatsächlich nachgegangen wird; oder wo die Verelendung von Stadtteilen mit „Halte deine Umwelt sauber“Kampagnen zu maskieren versucht wird (und die Betroffenen zu Sauberkeit erzogen werden sollen), anstatt etwa in die Renovierung von Häusern zu investieren. Gemeinsam bilden die beiden genannten Stufen einen Bereich von expliziter Nichtpartizipation. Ihr Einsatz ist oftmals nur kurzfristig bzw. einmalig möglich und wird bei längeren Programmen früher oder später von den Betroffenen durchschaut werden. Effektivere Mechanismen zur Vortäuschung von Beteiligung finden sich auf den nächsten drei Stufen der Leiter, welche im Original als „Tokenism“ bezeichnet und am ehesten als „Scheinpartizipation“ übersetzt werden können. Dazu zählt zunächst einmal die Stufe der Information. Hierbei handelt es sich um durchaus ehrliche Informationsweitergabe über Alternativen, Rechte, Verantwortlichkeiten usw. im Rahmen von zu treffenden Entscheidungen, allerdings mit der Einschränkung auf einseitige Kommunikationswege. Arnstein spricht hier insbesondere alle schriftlichen Formen der Kommunikation an, zählt aber auch klassische Informationsveranstaltungen dazu, wenn dort nur oberflächliche Information zugänglich ist, Fragen kaum gestellt werden können oder nur irrelevante Antworten gegeben werden. Etwas umfassender ist hier schon die nächste Stufe der Konsultation, wo explizit nach den Meinungen der BürgerInnen gefragt wird. Solange dabei allerdings nicht sichergestellt wird, dass die Meinungen auch umfassend ausgetauscht und tatsächlich in Entscheidungen eingebunden werden können, bleibt auch dies nur eine vorgeschobene Form der Beteiligung. Dabei betrachtet Arnstein Konsultationsmechanismen als weit verbreitet und oftmals angewandt, vor allem in Form von Versammlungen oder Befragungen. Was diese Stufe allerdings als
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1 Theoretische Grundlagen
vorgeschobene Partizipation entlarvt, ist die Konzentration auf Quantitäten: wie viele BürgerInnen wurden gefragt, sind gekommen, haben Informationsmaterial erhalten usw. Dabei entsteht allerdings nur die Bestätigung, dass die BürgerInnen an „Partizipation partizipiert“ haben. Welche Meinungen tatsächlich vertreten werden, kann so kaum erfasst werden.1 Die sechste Stufe – „Placation“ – wird laut Wörterbuch mit „Beschwichtigung“ übersetzt, inhaltlich zutreffender ist jedoch der eher umgangssprachliche Begriff der „Beschäftigungstherapie“. Damit sind all jene Mechanismen angesprochen, in denen über verzweigte Konstruktionen zahlreiche Beiräte und Arbeitsgruppen geschaffen werden, die dann verschiedenste Anliegen diskutieren und bearbeiten können und somit das Engagement der zu beteiligenden BürgerInnen binden, ohne dabei tief greifende Entscheidungsrechte zu übertragen – Entscheidungen bleiben somit immer auf einen kleinen Teilbereich beschränkt, die Machthabenden unterliegen hingegen kaum Einschränkungen. Eine Alternative zu diesem System der Gremien ist es auch, BürgervertreterInnen in die tatsächlichen Entscheidungsgremien zu holen und somit zu beschwichtigen, bei den anstehenden Entscheidungen diese dann aber regelmäßig zu überstimmen. Die erste Stufe, bei der die Machthabenden tatsächlich auch Entscheidungsmacht abgeben, ist jene, bei der sie in Form einer Partnerschaft mit den BürgerInnen geteilt wird. Hierbei finden sich in verschiedensten Organisationsformen (Steuerungsgruppen, Leitungsgremien etc.) beide Gruppen ein und vereinbaren Regeln zur gemeinsamen Entscheidung und Konfliktlösung. Für die beteiligten BürgerInnen bedeutet dies, dass verbindliche Formen der eigenen Vertretung (Delegationsmechanismen, Verantwortlichkeit) gefunden werden müssen, und dass benötigte Ressourcen zur Entscheidungsfindung (Gremien zur Meinungsbildung, Beratung und Expertise bei schwierigen Inhalten bzw. Fragen) aufgestellt werden müssen, ohne dabei auf die Machthabenden angewiesen zu sein. Delegation als nächste Stufe bedeutet laut Arnstein, dass wichtige Entscheidungsbereiche komplett an die BürgerInnen übertragen (delegiert) werden. Einzelne Projekte, die den BürgerInnen zugute kommen sollen, werden dabei komplett ihrer Autorität untergeordnet, die bisherigen MachthaberInnen ziehen sich aus diesem Teilbereich zurück oder greifen nur mehr dort vermittelnd ein, wo Meinungsbildung oder Entscheidungsfindung durch die BürgerInnen nicht bewerkstelligt werden können. Die höchste Stufe bildet schließlich die Etablierung vollständiger Entscheidungskompetenz zu einem gesellschaftlichen Anliegen an die betroffenen Bür1 Etwa auch bei Befragungen: wenn die Antworten bzw. Alternativen schon vorgegeben werden, besteht kaum die Möglichkeit, dass eigene Interessen erfasst werden können. Auch Einzelbefragungen tragen kaum dazu bei, dass gemeinschaftliche Interessen artikuliert werden können.
1.2 Partizipation und Empowerment
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gerInnen. Damit geben die bisherigen Machthabenden – in der Regel also staatliche Verwaltungsinstitutionen – ihre Zuständigkeit völlig an die BürgerInnen ab und gewährleisten lediglich die Finanzierung der nötigen Strukturen für die Umsetzung der BürgerInnenanliegen. An Stelle der Verwaltung von Anliegen vor Ort durch staatliche Einrichtungen tritt somit die Selbstverwaltung durch Betroffene. Auch wenn die Analyse Arnsteins deutlich erkennbar vom USamerikanischen Hintergrund geprägt ist, so lassen sich zahlreiche Kernfragen verallgemeinern und auf einen allgemeinen Kontext übertragen. Wie zutreffend die Problematik auch heute noch ist, zeigen die Parallelen, die sich in der deutschsprachigen Übertragung der Partizipationsleiter durch Trojan (zit. n. Trojan & Legewie 2001, S. 324) ergeben. Trojan entwirft eine zwölfstufige Version, die eine etwas feinere Untergliederung erlaubt, sich in den Inhalten aber im Wesentlichen nicht von der Version Arnsteins unterscheidet (vgl. Abbildung 6). Die zwölfstufige Leiter der Bürgerbeteiligung nach Trojan
institutionalisierte Entscheidungsmacht institutionalisierte Kontrollmacht delegierte Durchführungsmacht partnerschaftliche Kooperation gemeinsame Verhandlungen Einrichtung von Beschwerdeinstanzen und (Konsumenten-) Schutzverbänden Anhörungen/Beirat Information Erziehung/Behandlung Beschwichtigung Manipulation Desinformation
zunehmende Beeinflussung des Bürgers durch die „Macht-Habenden“
zunehmende Einflusschancen für Bürger auf die „Macht-Habenden“
Abbildung 6:
(Quelle: Trojan & Legewie 2001, S. 324) Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint der große Wert, der auf die Lokalisierung der tatsächlichen Entscheidungskompetenz gelegt wird. So lange es sich um Bereiche des bloßen Informationsaustausches handelt, spricht Arnstein lediglich von Scheinpartizipation, und erst dort, wo tatsächlich auch Entscheidungen durch die BürgerInnen getroffen werden können, sieht sie echte Partizipation. Trojan relativiert hier etwas, indem er von zunehmenden „Einflusschancen“
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1 Theoretische Grundlagen
spricht, die tatsächliche Entscheidungskompetenz also weniger in den Vordergrund kehrt. Dennoch kann in Hinblick auf beide Konzeptionen gesagt werden, dass Partizipation immer auch die Ansiedelung von Entscheidungsmacht betrifft. Somit geht Teilnahme vor allem ab den Stufen von Partnerschaftlichkeit auch in Teilhabe über. Stark (2003b) zeichnet in diesem Zusammenhang ein eher kritisches Bild von aktuell tatsächlich existierenden BürgerInnenbeteiligungsmöglichkeiten, da er – zumindest für Deutschland – davon spricht, dass die öffentliche Verwaltung zumeist an „Akzeptanzförderung“ interessiert ist und eigentliche Teilhabe eher den Ausnahmefall darstellt. Besondere Wichtigkeit erlangen demnach in diesem Zusammenhang BürgerInneninitiativen und Selbsthilfegruppen, welche außerhalb traditioneller Entscheidungswege Mitspracherechte einfordern und gegenüber staatlichen Verwaltungen auch artikulieren können. Insgesamt sind laut Stark drei Aspekte von partizipativen Prozessen besonders hervorzukehren: Erstens ermöglichen Sie das systematische Aufgreifen von Visionen und Vorstellungen über die Zukunftsgestaltung durch die BürgerInnen selbst und stellen somit sicher, dass diese auch ernst genommen werden. Dadurch trägt Partizipation aber auch zur kreativen Entwicklung von Alternativen bei und ermöglicht den Blick über die eingeschränkte Sichtweise traditioneller Verwaltungsapparate hinaus. Zweitens dient Partizipation der Demokratisierung und somit der Einmischung in bisher rein dem Staat vorbehaltene Entscheidungsbereiche, welche der aktiven Mitgestaltung durch Betroffene geöffnet werden. Drittens kann Partizipation auch als Kontrollinstrument dienen, durch welches – insbesondere in Form öffentlichen Protests – EntscheidungsträgerInnen in Politik und Verwaltung zu einer ausreichenden Berücksichtigung von BürgerInneninteressen angehalten werden. Während also Partizipation – bzw. die auf den verschiedenen Stufen dargestellten Entscheidungskompetenzen – als konkretes Instrumentarium zur Neuverteilung von Machtverhältnissen verstanden werden kann, stellt sich die Frage, wie der Begriff des Empowerments ins Spiel kommt. Explizite Definitionen finden sich selten, gängig sind hingegen Formulierungen wie „Empowerment zielt darauf ab, dass Menschen die Fähigkeit entwickeln und verbessern, ihre soziale Lebenswelt und ihr Leben selbst zu gestalten und sich nicht gestalten zu lassen“ (Stark 2003a, S. 28), oder etwas konkreter auf den Bereich der Gesundheitsförderung bezogen ist Empowerment ein „Prozess, durch den Menschen eine größere Kontrolle über die Entscheidungen und Handlungen gewinnen, die ihre Gesundheit beeinflussen“ (WHO 1998, S. 6). Bezieht man die beiden Begriffe aufeinander, so kann man sagen, dass Empowerment das Vehikel darstellt, mittels dessen möglichst hohe Stufen der Partizipation erreicht werden sollen. Mit anderen Worten: „citizen control“ (Abbil-
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dung 5) ist die Zielsetzung, und Empowerment ist der Prozess, der Menschen persönlich sowie sozial bzw. institutionell (vgl. WHO 1998, S. 7) in die Lage versetzen soll, diese Stufe auch dauerhaft innehaben und ausfüllen zu können.
1.2.2 Empowerment als Prozess der Erlangung bzw. Gewährung von Partizipation Der angestrebte Prozess scheint dabei einem grundlegenden Ablauf zu folgen, welcher aus vier Phasen besteht. Diese sind vorwiegend als langfristige Entwicklung ohne strikte Abfolge zu verstehen und können als „Mobilisierung“, „Engagement und Förderung“, „Integration und Routine“ sowie „Überzeugung“ bezeichnet werden (Stark 2002, S. 58ff): Mobilisierung bedeutet dabei, dass ein expliziter Anstoß vorliegt, der einen Empowermentprozess in Gang setzt. Dies geschieht zumeist dadurch, dass bisherige Lebenszusammenhänge in einer Weise durchbrochen werden, die eine starke emotionale Betroffenheit auslöst. In ihre Lebenswelt gut eingebettete Personen werden dadurch in ihrer Alltagsroutine gestört und irritiert. Mobilisierung findet schließlich statt, wenn aus der so entstehenden Unsicherheit neue Möglichkeiten erkundet und eigene Fähigkeiten entdeckt werden. Zumeist handelt es sich dabei um das Ausloten neuer Entscheidungsspielräume, wobei gleichzeitig erkannt wird, dass bisherige Autoritäten durchaus in Frage gestellt werden können bzw. nicht notwendigerweise akzeptable Lösungsvorschläge parat haben müssen. Darüber hinaus werden in dieser Phase erste eigene Kompetenzen seitens der Betroffenen entdeckt, z. B. seine Meinung öffentlich darzulegen, wodurch wesentliche Voraussetzungen für den weiteren Prozess des Empowerments entstehen (ibid., S. 58). Sobald diese erste emotionale Aktiviertheit überwunden ist und die anfängliche Begeisterung oder Empörung zu schwinden beginnt, bedarf es der Entwicklung von Engagement und Förderung, um den Prozess zu stabilisieren. Zumeist bedarf es dazu des Vorhandenseins einer bestimmten Person oder auch Organisation, welche in der Rolle des Mentors dafür sorgt, dass die gerade erst entdeckten Fähigkeiten aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Insbesondere bedarf es der Förderung in Hinblick auf das Eintreten für die eigenen Interessen gegenüber den institutionalisierten Machthabenden. Hierbei gilt es, mit zunehmenden Rückschlägen fertig zu werden, aus Fehlern zu lernen, sich nicht entmutigen zu lassen und Erfolge zu erkennen, um so durch kontinuierliches Handeln immer weiter zu lernen. Wer die Funktion des Mentoring letztendlich übernimmt, scheint dabei unerheblich: sowohl bereits engagierte MitbürgerInnen, als auch
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1 Theoretische Grundlagen
Interessens- und Selbsthilfegruppen, als auch professionelle Organisationen können diese erfüllen (vgl. ibid., S. 59). Je länger die genannten Entwicklungen andauern, umso mehr stabilisiert sich die eigene Aktivität und die Eingebundenheit in öffentliche Entscheidungsprozesse. Es entsteht eine Phase der Integration und Routine, in welcher es selbstverständlich wird, sich einzumischen und mitzugestalten, und wo vorher unverständliche Zusammenhänge zunehmend durchschaut werden. Es festigen sich die eigenen Kompetenzen im Umgang mit den neuen PartnerInnen (z.B. Behörden, Öffentlichkeit), wodurch eine neue Alltäglichkeit entsteht. Gleichzeitig bedeutet diese Phase aber auch, dass sich für diejenigen, welche im Empowermentprozess bis hierher mitgegangen sind, neue Rollen gebildet haben und sich die vorherige Lebensgestaltung verändert hat. Dies führt zu zahlreichen neuen Ansprüchen und Erwartungen, mit welchen erst umzugehen gelernt werden muss, aber auch zu Konflikten sowohl mit den alten, in der ursprünglichen Lebenswelt verbliebenen Bezugspersonen (Familienangehörigen, FreundInnen), als auch möglicherweise den neuen PartnerInnen (etwa in Bezug auf Führungsansprüche usw.). Schließlich folgt die Phase der Überzeugung, wo die Kompetenzen zur Organisation und Konfliktaustragung voll entwickelt sind und den persönlichen Alltag integriert sind. Allerdings bedeutet diese Phase kein Ende, sondern sie drückt sich viel mehr in der wiederholten Ausübung partizipatorischer Fähigkeiten und deren Anwendung in vielfältigen Lebensbereichen aus. Das Eintreten für die eigenen Belange ist somit umfassend erlernt worden und wird mit der entsprechenden Sicherheit ausgeübt. Dabei wurde eine umfassende Überzeugung entwickelt, dass es möglich und auch erstrebenswert ist, sich aktiv in das öffentliche Leben einzubringen, seine Interessen zu vertreten und gemeinsam Veränderungen zu bewirken. Diese Überzeugung dient als langfristige Quelle für immer wieder stattfindende Teilhabe und ermöglicht die Unterstützung immer wieder neuer Empowermentprozesse anderer Personen (ibid, S. 60). Der Prozess des Empowerments bedarf demnach mindestens zweier Komponenten, welche zu einem erfolgreichen Gelingen beitragen müssen: eine ausreichende Störung der alltäglichen Routine als motivierende Grundlage und ausreichende Unterstützung von außen bei der Umsetzung dieser Motivation in langfristiges Engagement. Für den vorliegenden Kontext der Gesundheitsförderung schließt sich dabei zunächst die Frage an, wie gesundheitliche Motivationen zustande kommen: hierzu sei auf die zahlreichen Modelle des Gesundheitsverhaltens verwiesen, welche sich näher mit diesem Aspekt befassen (vgl. Kap. 1.3). Als zweite Frage ergibt sich, wie die nötige Unterstützung professionell bereitgestellt werden kann, und welche Formen der Unterstützung besonders fruchtbringend erscheinen. Hier sei einerseits auf die systematische Vernetzung
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und Integration von Interessenvertretungen verwiesen (vgl. Kap. 1.4), andererseits aber auch auf Vorschläge aus der gemeindepsychologischen Empowermentforschung. Lenz (2002) etwa bezieht sich in diesem Zusammenhang direkt auf das Stichwort der „Ressourcenaktivierung“, welche gezielt seitens professioneller Empowermentarbeit betrieben werden kann. Dazu gehören insbesondere die Entwicklung eines klientenorientierten Selbstverständnisses, gezielte Netzwerkförderung, der Einsatz von Moderation und Mediation sowie systemisches und narratives Denken. Mit der Entwicklung eines neuen professionellen Selbstverständnisses ist in erster Linie gemeint, dass Empowerment nur dann erreicht werden kann, wenn Personen in der Empowermentförderung bereit sind, darauf zu vertrauen, dass jeder Mensch zur Lösung seiner eigenen Probleme selbst fähig ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass von den ExpertInnen das eigene Fachwissen hintangestellt und Problemlösungen nicht mehr (vorschnell) angeboten werden. Es geht vielmehr darum, die eigene Kenntnis möglicher Lösungen zugunsten der Unterstützung vorhandener Potentiale der KlientInnen beiseite zu schieben. Empowermentarbeit bedeutet in diesem Sinn auch, den Blick weniger auf die Defizite der zu unterstützenden Personen zu richten, sondern vorhandene Stärken zu erkennen und zu fördern. Dies heißt zugleich, dass die Meinungen und der Eigensinn des Gegenübers akzeptiert und konstruktiv umgesetzt werden müssen: „Akzeptieren bedeutet dabei nicht, dass der Professionelle allem zuzustimmen hat, was der Betroffene wünscht und sich vorstellt. Akzeptieren bedeutet aber, seine Wünsche und Ziele […] nicht nur ernst zu nehmen, sondern sie gemeinsam auf ihre „Tauglichkeit“ […] hin zu prüfen […] und in einen partnerschaftlichen Aushandlungsprozess einzutreten“ (ibid., S. 36). Damit soll sichergestellt werden, dass jede im Empowermentprozess zu unterstützende Person ihre eigenen Erfahrungen – unter Umständen trotz besseren Wissens der Profis – machen darf, weil nur so eine persönliche Weiterentwicklung stattfinden kann. Die Förderung sozialer Netzwerke dient der Ergänzung im Aufbau von Ressourcen im Prozess des Empowerments. Auch hier versteht sich professionelle Unterstützung primär als Katalysator und nicht als Anbieterin fertiger Lösungen. Allgemein handelt es sich bei der Netzwerkförderung um jene Methoden, „die versuchen, eines oder mehrere Netzwerkmerkmale zu modifizieren; das heißt also die Eigenschaften der Beziehungen (z.B. die Reziprozität und Intensität), ihre Strukturen (z.B. die Größe und Dichte), die internen Kommunikationskanäle oder ihre Funktionen (z.B. die soziale Unterstützung)“ (ibid., S. 38). Als wichtigste Strategien dienen hierzu sowohl individuumszentrierte Ansätze, die bei der Entwicklung der persönlichen Kompetenzen auf bewusste Netzwerkorientierung, kommunikative Fähigkeiten, Aushandlungskompetenz und allgemein
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soziale Kompetenz abzielen. Auf einer zweiten Ebene finden sich schließlich direkt netzwerkbezogene Interventionen, die sowohl der Ausweitung bzw. Verknüpfung bereits bestehender Netzwerke (z.B. durch neue Kooperationsbeziehungen mit vorhandenen Institutionen), als auch der Initiierung neuer Netzwerke (z.B. durch breite Einladung zu spezifischen Themen) dienen. Eine besondere Funktion kann professionelle Empowermentarbeit in Form von Moderation und Mediation übernehmen. Hierbei geht es quasi um das Anknüpfen an der Schnittstelle des Erkämpfens neuer Partizipationsrechte seitens der Betroffenen mit dem Abgeben angestammter Entscheidungsrechte seitens der Machthabenden. Moderationstechniken kommen dabei vorwiegend in der Vernetzungsarbeit zum Einsatz, wenn bewusst Prozesse des gegenseitigen Kennenlernens und der Entwicklung von Kooperationsbeziehungen zwischen Individuen, Gruppen und Organisationen bzw. Institutionen begleitet werden. Mediation kommt als Aushandlungstechnik zum Einsatz, wenn tief greifende Konflikte geklärt und die gegnerischen Parteien zu einer gemeinsamen Lösung gebracht werden sollen. Auch bei diesen beiden Techniken steht im Vordergrund, dass professionelle Unterstützung immer nur in Form von Begleitung stattfindet, während die inhaltlich konstruktive Arbeit stets seitens der betroffenen Personen geleistet wird. Der Hintergrund der Gemeindepsychologie wird deutlich, wenn Lenz (ibid., S. 42ff) auf systemisches und narratives Denken verweist. Mit systemischem Denken spielt er darauf an, dass für komplexe Prozesse – wie eben jene des Empowerment – nicht einfach fertige Lösungen angewendet werden können, sondern dass diese unter den Prämissen sozialkonstruktivistischer Perspektiven (Thomas-Theorem, Symbolischer Interaktionismus) jedes Mal situationsspezifisch erarbeitet werden müssen. Dieses Erarbeiten findet dabei durch die Klienten selbst statt, während die professionelle Begleitung mit einer Haltung des „Nicht-Wissens“ arbeitet und vorwiegend über das aktive Fragenstellen (anstatt Antwortenliefern) zu einer Lösungsfindung beiträgt. Eine besondere Technik stellt in diesem Zusammenhang die Arbeit mit Geschichten dar, die es erlauben, dass Personen ihre eigene Situation abstrahieren und somit – etwa über das gezielte Verändern der handelnden Personen oder der Handlungsverläufe – neue Lösungsansätze entwickeln können. Hintergrund dieses narrativen Denkens ist dabei ebenfalls die Abkehr vom ExpertInnentum – in dem Situationen analytisch in ihre Bestandteile aufgesplittet und diese einzeln betrachtet werden – hin zu einer alltagsnahen Rekonstruktion von Zusammenhängen und Erklärungsmustern aus Sicht der Betroffenen.
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1.2.3 Kernelement Power In der Aufarbeitung der Literatur zu Gesundheitsförderung ist interessant, dass in Hinblick auf Empowerment nie eine Auseinandersetzung mit dem in diesem versteckten Wortstamm stattfindet: dem Begriff Power und somit dem Konzept der Macht, die es ja zu verändern gilt. Folgt man der Analyse Abels’ (2004), so lässt sich der Machtbegriff aus soziologischer Perspektive in mehrere Dimensionen aufteilen, die zu einer facettenreichen Definition beitragen. Ausgangspunkt bildet die berühmte Definition Max Webers, welcher auf aktive Willensdurchsetzung abzielt: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (Weber 1947, S. 28). Diese sehr umfassende Definition – welche von Weber schließlich herangezogen wird, um verschiedene Formen der Herrschaft zu erkunden – bedarf allerdings der Übertragung auf moderne Gesellschaften, und wir benötigen diese Übertragung auch, um sie für den Bereich gesundheitlichen Empowerments nutzbar zu machen. Mit der Unterscheidung von Macht und Gewalt durch Foucault gelangt man zu einer brauchbaren Einschränkung: Gewalt wäre somit Willensdurchsetzung, die aufgrund der Ausübung von Zwang mit körperlichen bzw. dinglichen Schäden droht bzw. diese verrichtet. Macht bedeutet hingegen, „das Feld möglichen Handelns der anderen zu strukturieren“ (Foucault 1987, S. 257, zit. n. Abels 2004, S. 274). Damit wird der Machtbegriff darauf eingeschränkt, dass er auf die Beeinflussung des Handelns anderer bezogen wird, und diese Beeinflussung erfolgt ohne die Ausübung körperlicher Gewalt. Dieser Machtbegriff ist für moderne westliche Gesellschaften somit auch für alltägliche Machtfragen brauchbar, da hier über das Gewaltmonopol des Staates die Durchsetzung körperlichen Zwanges ausgeschlossen ist. Machtausübung – die Durchsetzung der eigenen Interessen in einer Weise, dass andere Personen in ihren Handlungen diese Interessen wahren – erfolgt somit aufgrund anderer Prinzipien. Als wichtigster Mechanismus kann in diesem Zusammenhang gelten, dass eine Austauschbeziehung zwischen Machthabenden und Machtuntergebenen besteht. Diese Austauschbeziehung entsteht im Wesentlichen aus der Begründung der Mächtigen, warum diese die Macht besitzen, und der Bereitschaft der Untergebenen, diese Begründung zu akzeptieren. Als ultima ratio steht dahinter letztlich das Prinzip, dass die Herrschenden irgendeine Form der Problemlösung anbieten, welche den Beherrschten nützt. Dieses Prinzip lässt sich sowohl auf die Weberschen Unterscheidungen von charismatischer, traditionaler und legaler Herrschaft anwenden, als auch auf jene Form der Machtausübung, welche nach Abels als Autorität definiert wird, nämlich „einer fachlichen oder moralischen Überlegenheit, die weit über das Normalmaß hinausreicht“ (Abels 2004, S. 272). Dabei unterscheidet er moralische von funktionaler Autori-
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tät, wobei erste den intellektuellen bzw. moralischen Fähigkeiten von Einzelpersonen entspringt, zweite hingegen mit einer bestimmten gesellschaftlichen bzw. beruflichen Position verbunden ist. Neben dieser Begründung des Entstehens von Macht, gilt es noch zwischen individueller und struktureller Macht zu unterscheiden. Mit Hinweis auf Marx und Bourdieu begründet Abels, dass Machtausübung auch mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verbunden sein kann – sei es, weil man über Produktionsverhältnisse bestimmt, oder weil man über die Gruppenzugehörigkeit Privilegien genießt. Zu diesen Privilegien gehört auch das Prinzip, Macht durch Definitionsmacht bzw. als ideologische Macht auszuüben. Damit ist gemeint, dass bereits die Festlegung, welche Themen in der öffentlichen Kommunikation behandelt werden, schon als Machtausübung gesehen werden muss. In Ausweitung auf alltägliche Kommunikation bedeutet somit der allgemeine Vorgang der Sozialisation bereits die Ausübung und somit Durchsetzung des Willens der Mächtigen. Als letzter Aspekt, der sich aus den verschiedenen Aspekten der Willensdurchsetzung vor diesem Hintergrund ergibt, sei jener der persönlichen Kompetenz erwähnt: Abels zitiert Schelsky mit „Macht ist Machen-können“ (Schelsky 1941, S. 84, zit. n. Abels 2004, S. 266) und spielt damit auf Francis Bacons geflügeltes Wort von „Wissen ist Macht“ an. Dies bedeutet letztlich, dass gerade der Wissensvorsprung (in Bezug auf die oben genannte Problemlösungsfähigkeit) eine wesentliche Machtquelle darstellt. Abschließend sei noch jener Aspekt erwähnt, der in der bisherigen Darstellung noch zu kurz gekommen ist: dass Machtausübung nicht notwendigerweise im Sinne bzw. zugunsten der Machtunterworfenen erfolgt. (So wie es etwa in der oben angesprochenen ultima ratio angedeutet wird.) Dies begründet sich gerade in den Wissensunterschieden, in der Definitionsmacht, und nicht zuletzt in der Androhung von Gewalt – in ihrer subtilsten Form der „Bewirtschaftung der Ängste“ (Elias 1982, S. 57, zit. n. Abels 2004 S. 271). Vor diesem Hintergrund kann nun eine tiefere Aufklärung darüber erfolgen, welche Aspekte im Rahmen von Empowerment beachtet werden müssen:
Macht äußert sich in alltäglichen Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Institutionen, zwischen Menschen und Institutionen; Macht folgt dem Prinzip des Austausches, wobei Gefolgschaft im günstigen Fall durch das Vertrauen auf die Problemlösungskompetenz erreicht wird; Macht kann sowohl im Individuum liegen – aufgrund seines umfangreichen Wissens, seiner moralischen Integrität, seiner beruflichen oder gesellschaftliche Position – als auch bei Gruppen, Organisationen oder Institutionen; Macht ist mit der Bildung eines spezifischen Willens verknüpft.
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Umgelegt auf Empowerment im Gesundheitsbereich bedeutet dies:
Damit Personen für gesundheitliches Empowerment gewonnen werden können, müssen sie erst den Willen entwickeln, auch tatsächlich für ihre gesundheitlichen Belange einzutreten. Es muss dabei die Einsicht gewonnen werden, dass man selbst für die Durchsetzung dieses Willens verantwortlich ist. Um diesen Willen entwickeln und in der Folge Macht ausüben zu können, bedarf es der Aneignung von Wissen und Kompetenz, um dem Prinzip des „Machen-Könnens“ gerecht zu werden. Im Sinne der Gesundheitsförderung ergibt sich daraus die Forderung nach Förderung von individueller „health literacy“, also dem kritischen Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen durch Individuen, um diese Kompetenz erreichen zu können. Es bedarf einer kritischen Reflexion, welche Austauschbeziehungen welche Arten von Willensdurchsetzung ermöglichen. Das bedeutet letztlich die Infragestellung althergebrachter Autoritäten, deren Kompetenz angezweifelt wird. Umgelegt auf den Gesundheitsbereich bedeutet dies etwa die Frage, ob die traditionellen Gesundheitsdienste auch weiterhin zufrieden stellende Problemlösungen anbieten können und somit Gefolgschaft „verdienen“. Empowerment muss sowohl das Individuum als auch Gruppen, Organisationen und Institutionen umfassen, um tatsächlich alle Formen von Machtausübung bzw. Machtbesitz erreichen zu können. Im Sinne von gesundheitlichem Empowerment bedeutet dies neben der Förderung von gesundheitsbezogenem Wissen auch die Förderung von sozialen Kompetenzen und die Veränderung des Verhältnisses von Individuen und gesundheitsrelevanten Institutionen bzw. Organisationen zu- und untereinander.
Bei Empowermentprozessen handelt es sich somit immer um eine Wechselwirkung von individueller, persönlicher Entwicklung und der Veränderung des sozialen sowie institutionellen Umfeldes. Diesen Aspekt der gegenseitigen Verknüpfung greift insbesondere Wallerstein (1992) auf. In ihrem sehr einflussreichen Artikel legt sie dar, dass die oftmals in die Bereiche „psychologisches“ (individuelles) und „organisatorisches“ (gemeinschaftsbezogenes) Empowerment geteilten Bereiche zwangsläufig miteinander verknüpft sind. In Erweiterung der oben angeführten Definitionen zu Empowerment erscheint Wallersteins Definitionsvorschlag somit umfassender. Demnach ist Empowerment „a social-action process that promotes participation of people, organizations, and communities towards the goals of increased individual and community control, political efficacy, improved quality of community life, and social justice.“ (ibid., S. 198). Übersetzt man das Wort „control“ (zulässigerweise) mit „Macht“, so finden sich
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hier alle Elemente der bisherigen Diskussion wieder: Empowerment als Prozess der Einbindung von Individuen und Organisationen, um über das zentrale Element der Partizipation eine möglichst umfassende Willensdurchsetzung zu ermöglichen. In dieser Darstellung wird somit bewusst zwischen dem Prozess „Empowerment“ und dem Ziel „Willensdurchsetzung“ (Macht, „citizen control“) unterschieden, was eine wichtige und sinnvolle Unterscheidung darstellt. Dies ist – insbesondere in der englischsprachigen Literatur – nicht selbstverständlich. Umständliche Versuche, zwischen Empowerment als Prozess und Empowerment als Outcome zu unterscheiden (vgl. Laverack & Wallerstein 2001; Schulz, Israel, Zimmermann & Checkoway 1995) erscheinen einerseits verwirrend und andererseits verstellen sie den Blick darauf, dass das Ziel weniger „to be empowered“ sondern vielmehr „to be powerful“ lauten sollte!
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens Mit der Problematik, dass es keinen einheitlichen Konsens darüber gibt, was Gesundheitsförderung bedeutet, ist verbunden, dass keine einheitlich akzeptierten Modelle zu deren Erklärung ausgemacht werden können. In Hinblick auf die allgegenwärtige Forderung, dass Gesundheitsförderung immer mit einem interdisziplinären Zugang verbunden sein soll, wird in diesem Kapitel auf die wichtigsten (vorwiegend aus der Psychologie stammenden) Modellansätze des Gesundheitsverhaltens eingegangen. Diese beziehen sich auf die individuelle Ebene der Gesundheitsförderungsarbeit und bieten somit die Anknüpfungsmöglichkeit an Forderungen nach individuellem Empowerment.
1.3.1 Das Health-Belief-Modell Als Ausgangspunkt für die modellhafte Beschreibung von Gesundheitsverhalten gilt das „Health-Belief-Modell“ (HBM), welches Vorläufer zahlreicher heutiger Überlegungen zum Thema ist und sich deshalb nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Leider bleibt es – und dies ist der zentrale Kritikpunkt an diesem Ansatz – auf die Phase der Intentions- bzw. Willensbildung beschränkt, während die tatsächliche Ausführung einer Handlung ohne nähere Erklärung einfach angenommen wird (vgl. Schwarzer 1996, S. 53ff). In seinem Kern setzt sich das Health-Belief-Modell (Rosenstock 1966) aus den Komponenten von wahrgenommener Bedrohung und wahrgenommener Kosten-Nutzen-Bilanz als unmittelbare Einflüsse auf die Verhaltenswahrschein-
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens
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lichkeit zusammen. Damit wird auf zwei grundlegende Komponenten Bezug genommen, nämlich ob jemand prinzipiell bereit ist, eine Handlung zu setzen (aufgrund einer Bedrohung), und ob eine Handlung zur Verfügung steht, welche als ausreichend nützlich zur Bekämpfung dieser Gefahr betrachtet wird (Bilanz). Seine Komplexität erhält das Modell durch die Ausweitung auf mittelbare Faktoren, welche als Ausgangspunkt für den Modellverlauf dienen. Demnach erweitert sich das Modell um allgemeine und persönliche Gefährdung, zusätzliche Handlungsanreize, allgemeine personenbezogene Eigenschaften (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7:
Das Health Belief Modell
Persönliche Wahrnehmung
Wahrnehmung der persönlichen Anfälligkeit für sowie des Schweregrads einer Krankheit
Modifizierende Faktoren
Verhaltenswahrscheinlichkeit
Alter, Geschlecht, Ethnie Persönlichkeit Sozio-öokonomische Variablen Wissen
Wahrgenommener Nutzen minus wahrgenommene Barrieren einer Verhaltensänderung
Wahrgenommene Bedrohung durch eine Krankheit
Wahrscheinlichkeit der Verhaltensänderung
Handlungsanreize - Bildungsmaßnahmen - Symptome - Medienberichte
(Quelle: Janz, Champion & Strecher, 2002, S. 52) Als Ausgangspunkt dient die Einschätzung des allgemeinen Schweregrades einer Krankheit oder einer sonstigen gesundheitlich relevanten Begebenheit, welche quasi als Grundvoraussetzung die Aufmerksamkeit für ein mögliches Problem erregt. Mit der Einschätzung des Schweregrades sind in erster Linie persönliche Folgen verbunden, die sowohl körperliche Einschränkungen als auch soziale, berufliche und familiäre Wirkungen beinhalten können. Hinzu kommt als zweite Variable die subjektiv vorhandene persönliche Anfälligkeit (subjektive Verletzlichkeit oder Vulnerabilität) einer Person für diese Krankheit bzw. Begebenheit. Sie bezeichnet die Annahme, welches Risiko eine Person für sich selbst einschätzt, wobei Rosenstock explizit darauf verweist, dass das objektive Risiko dabei kaum eine Rolle zu spielen scheint. Bei entsprechend hoher Ausprägung beider Faktoren entsteht daraus laut Modellannahme eine hohe wahrgenommene
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Bedrohung, welche die psychische Grundlage für eine Handlungsbereitschaft darstellt. Die Bilanz von Nutzen und Kosten ergibt sich darüber hinaus gehend durch die Abwägung von bekannten Handlungsmöglichkeiten und den daraus zu erwartenden Vorteilen, welche den wahrgenommenen Barrieren (Kosten, Überwindung, Unannehmlichkeiten etc.) gegenübergestellt werden. Auch hier stehen wieder die individuellen Einschätzungen im Vordergrund. Rosenstock diskutiert in diesem Zusammenhang auch mögliche Konfliktlagen, die sich insbesondere dann ergeben, wenn sowohl hoher Nutzen als auch hohe Barrieren vorliegen und kommt zu dem Schluss, dass dies einer Handlungsausführung eher abträglich sein dürfte. Ein weiteres wichtiges Element im HBM sind die Handlungsanreize. Sie wirken quasi als letztendliche Auslöser, die eine Handlung in Gang setzen. Dabei können sie in gewisser Weise die anderen Variablen kompensieren, etwa wenn sich jemand nur gering bedroht fühlt, aber mit einem entsprechend hohen Handlungsanreiz konfrontiert wird (über Medien oder Bekannte, Familie etc.). Aber auch bei hoher Bedrohung und positiver Kosten-Nutzen-Bilanz dürften Handlungsanreize in zumindest geringem Ausmaß nötig sein, um tatsächliche Handlungen auszulösen. Da – mit Ausnahme der Handlungsanreize – beinahe alle Modellkomponenten auf die persönliche Wahrnehmung abzielen, werden im Modell als modifizierende Faktoren noch sonstige persönliche Variablen (z.B. Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, soziales Umfeld usw.) hinzugefügt, welche die jeweiligen Wahrnehmungen beeinflussen können. Empirische Untersuchungen zeigen widersprüchliche Ergebnisse auf. Während etwa Janz & Becker (1984) in ihrem Review das Gesamtmodell als haltbar aufweisen (mit besonders hohen Effekten von wahrgenommenen Barrieren sowie subjektiver Vulnerabilität bzgl. präventivem Gesundheitsverhalten), bezweifeln Harrison et al. (1992) die Aussagekraft des Health-Belief-Modells, da ihr Review auf nur schwache und eher inkonsistente Zusammenhänge hinweist. In einer späteren Erweiterung des Modells führen die Autoren noch die Variablen „Motivation zu Gesundheitsverhalten“ sowie „Selbstwirksamkeitserwartung“ ein (Rosenstock, Strecher & Becker 1988). Obwohl das Modell – insbesondere unter Berücksichtigung der Selbstwirksamkeitserwartung – auch heute noch in Verwendung ist, ist es dennoch als veraltet zu betrachten. Als nach wie vor gültige Kritikpunkte lassen sich nach Schwarzer (1996, S. 56) folgende Einwände machen:
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Die Überbewertung von Bedrohung als unmittelbarem Handlungsauslöser: diese ist zwar sicherlich relevant, aber auf einer viel früheren und indirekteren Stufe im Prozess der Intentionsbildung. Die unklare Rolle der Handlungsanreize, welche als modifizierender Faktor auf die Wahrnehmung einer Bedrohung zugeordnet sind, anstatt diese als unmittelbar handlungsrelevant zu sehen. Die Simplifizierung des Zusammenspiels von Vorteilen und Barrieren im Sinne einer Nutzen-Kosten-Bilanz, anstatt diese besser getrennt und ohne die unterstellte Subtrahierbarkeit zu betrachten. Die unterstellte Statik, wonach das Zusammenspiel der Modellkomponenten Gesundheitshandeln auslöst, wodurch aber das prozesshafte Wechselspiel von Intentionsbildung und Ausführung bzw. Aufrechterhaltung (Volition) einer Handlung vernachlässigt wird.
Trotz aller Einwände erfreut sich das Modell auch heute noch breiter Anwendung, gerade auch im angewandten Bereich der Gesundheitsförderung. Glanz & Rimer (2005, S. 14) leiten aus dem Modell etwa folgende Strategien ab, mit deren Hilfe die jeweiligen Variablen zugunsten einer intendierten Verhaltensausübung bei Zielgruppen beeinflusst werden können:
Subjektive Vulnerabilität: Definition von Risikogruppen und deren jeweiligem Risiko; Entwicklung maßgeschneiderter Informationen zum individuellen Risiko einer Person bzw. Verhaltensweise; Unterstützung von Zielpersonen bei der persönlichen Einschätzung des eigenen Risikos. Wahrgenommener Schweregrad: Darstellung der Folgen von Bedrohungen und Aufforderung zum Handeln. Wahrgenommener Nutzen: Darstellung wie, wo und wann Handlungen gesetzt werden können und welche positiven Folgen dies haben kann. Wahrgenommene Barrieren: Anbieten von Anreizen, Bestätigung und Unterstützung; Aufklärung über Fehlinformationen. Handlungsanreize: Zurverfügungstellen von „How-To“ Informationen, Bewusstsein fördern und Erinnerungssysteme einrichten.
1.3.2 Theorien geplanten Handelns Zwei weitere breit rezipierte Theorien sind die „Theory of Reasoned Action“ (Ajzen & Fishbein 1980) sowie deren Weiterentwicklung „Theory of Planned Behavior“ (Ajzen 1991). Wesentlicher Fokus dieser Modelle ist das Zustandekommen einer Handlungsintention, welche als wesentlicher Prädiktor für die
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1 Theoretische Grundlagen
Verhaltensausführung herangezogen wird (vgl. Schwarzer 1996, S. 1ff). Gesundheitshandeln wird dadurch nicht direkt vorausgesagt, sondern nur mehr mittelbar als Wille bzw. Wahrscheinlichkeit, die beabsichtigte Handlung tatsächlich umzusetzen. Im Rahmen der Theory of Reasoned Action werden als wesentlichste Einflüsse auf die Intention einer Person die Variablen „Einstellung“ sowie „subjektive Norm“ angeführt, in der Theory of Planned Behavior wird noch als zusätzlicher Faktor die „Kontrollierbarkeit“ eingeführt (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8:
Theory of Reasoned Action und Theory of Planned Behavior
Bewertung von Verhaltensergebnissen Einstellung Überzeugungsstärke normative Überzeugungen subjektive Norm
Intentionen
Verhalten
Bereitschaft zur Normenbefolgung Überzeugungen zu Ressourcen subjektive Steuerbarkeit Überzeugungen zu Gelegenheiten
Die Elemente unterhalb der strichlierten Linie stellen die Erweiterung der Theory of Reasoned Action auf die Theory of Planned Behavior dar.
(Quelle: in Anlehnung an Schwarzer 1996) Die Variable „Einstellung“ entspricht im Modell der Gefühlskomponente, also einer affektiven Bewertung verschiedener Verhaltensmöglichkeiten einer Person. Das Gefühl, wie sehr man einer Handlungsmöglichkeit zugeneigt ist, wird dabei von zwei Komponenten beeinflusst, nämlich der Bewertung von verschiedenen möglichen Ergebnissen der Handlung sowie der Überzeugungsstärke, dass dieses Ergebnis auch zutrifft. Als subjektive Norm gilt die Wahrnehmung darüber, welche Verhaltensweisen allgemein akzeptiert werden bzw. als abgelehnt gelten. Die dazugehörigen Einflüsse sind die wahrgenommenen Einschätzungen verschiedener Schlüsselpersonen (Familienmitglieder, FreundInnen etc.) zu diesen Verhaltensformen („normative Überzeugungen“) sowie die Bereitschaft zur Normenbefolgung, also die Bereitschaft das zu tun, was die Schlüsselpersonen für wünschenswert halten. Im Laufe der Zeit ist das Modell – auch in Hinblick auf die Erkenntnisse in Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeitstheorie (s.u.) – um die Variable der
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens
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Steuerbarkeit von Verhalten erweitert worden. Dies entspricht der Frage, ob man das in Überlegung befindliche Verhalten überhaupt ausüben kann oder nicht. Wie auch im restlichen Modell stehen im Hintergrund zwei zusätzliche Variablen, die Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Steuerbarkeit nehmen, nämlich Überzeugungen zu den vorhandenen Ressourcen für die Verhaltensausübung und Überzeugungen zum Vorhandensein von Gelegenheiten dazu. In seiner Gesamteinschätzung der beiden Theorien kommt Schwarzer (1996, S. 9ff, S. 61ff) zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Theory of Reasoned Action als umfassendes Modell nach wie vor sehr brauchbar ist. Als Schwäche steht dem Modell insbesondere entgegen, dass die propagierten Zusammenhänge – besonders die Einflussketten von Überzeugungen zu den Komponenten Einstellung und subjektive Norm – nicht durchgängig empirisch nachweisbar sind bzw. als direkte Einflüsse der Überzeugungen auf die Intention bessere empirische Modelle ergeben. Weiters gibt es Hinweise, dass anstelle der Steuerbarkeit die unmittelbare Verwendung des Konstrukts der Selbstwirksamkeit (sog. „Limburger Modell“) bessere Ergebnisse liefert als das Originalmodell. Der wesentliche Vorteil der Theory of Reasoned Action ist hingegen gerade jene umfassende Inkorporation verschiedener Ursprungstheorien, welche sich in ihrem Gesamtbild als gleich bedeutsam erweisen. Dies stellt einen wesentlichen Schritt in Richtung komplexerer Erklärungen der vielschichtigen Einflüsse auf Gesundheitsverhalten dar.
1.3.3 Sozialkognitive Theorie des Gesundheitshandelns Nach Bandura, der in Weiterentwicklung seiner Theorie Sozialen Lernens die Sozialkognitive Theorie entwickelte (Bandura 1986, zit. n. Schwarzer 1996), wird Gesundheitsverhalten von drei Hauptkomponenten beeinflusst, nämlich der Selbstwirksamkeit, den gesetzten Zielen sowie den Ergebniserwartungen. Als wesentlichste Komponente gilt in diesem Modell gemeinhin das Konzept der Selbstwirksamkeit, oft auch als Kompetenzerwartung bezeichnet. Die Selbstwirksamkeit beschreibt dabei die Erwartung einer Person, eine geplante Handlung – auch gegen Widerstände – tatsächlich umsetzen zu können. Sie ist damit die höchste Stufe in einer Kette von verschiedenen Erwartungshaltungen, beginnend mit dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung (Instrumentalitätserwartung) bezüglich eines wünschenswerten Ziels, gefolgt von der Konsequenzerwartung bezüglich der Beeinflussbarkeit der Ursache durch die eigene Person („locus of control“) und schließlich eben der Selbstwirksamkeitserwartung (vgl. Schwarzer 1996, S. 14f).
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1 Theoretische Grundlagen
Gemäß Bandura (1995) beruhen Motivation, affektive Zustände und Handlungen weniger in objektivierbaren Umständen als viel mehr in den persönlichen Überzeugungen einer Person, wobei sich diese Überzeugungen maßgeblich auf die schon angesprochenen Ursache-Wirkung-Mechanismen beziehen. Er entwirft seine Theorie dabei mit dem Anspruch, sowohl die Ursprünge der damit verbundenen Wirksamkeitserwartungen zu erklären, als auch deren Struktur und Funktionsweise, sowie die damit verbundenen Prozesse und Effekte zu erklären, und nennt sie deshalb „sozialkognitive Theorie“: „Perceived self-efficacy refers to beliefs in one’s capabilities to organize and execute the courses of action required to manage prospective situations. Efficacy beliefs influence how people think, feel, motivate themselvese, and act.“ (Bandura 1995, S. 2) Demnach entsteht Selbstwirksamkeit in einem Lernprozess, der Erwartungshaltungen (Kognitionen) über den zu erwartenden Ausgang einer Handlung erzeugt. Im Unterschied zum reinen operanten Konditionieren – also der Festigung von Verhaltensweisen durch erhaltene Belohnung oder Strafe – wird Verhalten viel mehr durch antizipierte positive bzw. negative Folgen beeinflusst. Damit erklärt sich auch, weshalb die eigene Wahrnehmung darüber, ob man ein Verhalten erfolgreich umsetzen kann oder nicht, zur wesentlichen Vorhersagekomponente der Verhaltensausführung herangezogen werden kann. Die mit einem Verhalten verbundenen Erwartungen entstammen nach Bandura vier Quellen, die uns Informationen über den zu erwartenden Ausgang liefern (vgl. Schwarzer 1996, S. 16f). Dazu gehört zuallererst und auch als am stärksten wirksam die direkte Erfahrung („mastery experiences“). Diese gibt Auskunft über die eingesetzten Anstrengungen und dem damit verbundenen Erlebnis der Handlungsergebnisse. Um die persönliche Selbstwirksamkeit zu stärken, kommt es dabei vorwiegend um ein ausgewogenes Verhältnis an herausfordernden Bewältigungsaufgaben und entsprechender positiver Problemlösungserfahrung an. Eine beständige Bewältigung lediglich leichter Herausforderungen ist demnach ebenso abträglich, wie ein ständiges Scheitern an zu großen Aufgaben. Etwas schwächer wirkt die mittelbare bzw. indirekte Erfahrung („vicarous experiences“). Sie entsteht über die Beobachtung anderer Personen, die als einem selbst ähnlich eingeschätzt werden. Dabei wird sozusagen modellhaft die zu bewältigende Aufgabe miterlebt und die entsprechende Lehre gezogen. Auch hier bleibt allerdings der grundlegende Mechanismus derselbe: Solange die Herausforderungen ausreichend hoch und deren Bewältigungen von ausreichenden Erfolgen begleitet werden, entsteht ein positiver Beitrag zur persönlichen Selbstwirksamkeit. Das Ausmaß des Einflusses hängt jedoch zusätzlich von dem Maß ab, in dem die beobachteten Personen als einem selbst ähnlich gesehen werden.
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens
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Die dritte Quelle der Entstehung ist „social persuasion“, also über Kommunikation vermittelte symbolische Erfahrung. Dies bezieht sich direkt auf die motivatorischen Fähigkeiten der eine Person umgebenden Mitmenschen, die mittels entsprechender Überzeugungskünste das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken können. Zusätzlich tragen auf die Selbstwirksamkeit förderlich wirkende Mitmenschen dadurch bei, indem diese Situationen so beeinflussen können, dass persönliche Erfolgserlebnisse erst möglich werden, indem sie zur Vermeidung von überfordernden Situationen beitragen, oder indem sie eine Neudefinition der Situationsbewertung – und somit auch des persönlichen Erfolges – ermöglichen. Die vierte Quelle für das Entstehen von (Miss-)Erfolgserwartungen einer Person sind schließlich ihre physiologischen und emotionalen Zustände. Hierbei handelt es sich sozusagen um die Bewertung der eigenen Stressreaktionen – Müdigkeit, Ängstlichkeit usw., welche erlebt und kognitiv als Anzeichen möglichen Scheiterns interpretiert werden können. Gerade hier entsteht eine starke Wechselwirkung aus persönlichem Befinden und erwarteter Selbstwirksamkeit, so dass sich eine scharfe Grenze kaum finden lässt – Angst kann sowohl zu niedriger Selbstwirksamkeit führen, als niedrige Selbstwirksamkeit auch leichter Angst auslösen kann. Die Theorie der Selbstwirksamkeitserwartung erweist sich nicht nur als konzeptuell sehr ausgereift, sie findet auch in der empirischen Forschung breite Anwendung und oftmalige Bestätigung. Insbesondere in den Gesundheitswissenschaften wird das Konzept gerne verwendet. Schwarzer & Fuchs (1995) sowie Schwarzer (1996, S. 24ff) stellen eine Reihe von Untersuchungen vor, welche die Bedeutsamkeit der Selbstwirksamkeitserwartung bestätigen. Das Konstrukt gilt heute als allgemein anerkannt und ist tief verankert, was sich nicht zuletzt etwa auch in der Inkorporation in andere Modelle des Gesundheitsverhaltens zeigt (vgl. Theory of Planned Behavior, Health Action Process Approach). Die Selbstwirksamkeitserwartung war ursprünglich als situationsspezifisches Konstrukt erdacht worden, allerdings wird sie mittlerweile auch als generalisierte, allgemeine Selbstwirksamkeit erhoben.
1.3.4 Health Action Process Approach Der Health Action Process Approach (HAPA) von Schwarzer (vgl. Sniehotta & Schwarzer 2003) zählt zu den sog. Volitionstheorien. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten intentionalen Ansätzen geht es dabei um die Frage, wie Volition, also der Wille zur Aufrechterhaltung einer Handlung, zustande kommt. Die Intention zur Ausführung einer Handlung wird dabei nach wie vor als wich-
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1 Theoretische Grundlagen
tig anerkannt, aber es wird die Frage gestellt, wovon es letztlich abhängt, dass die Ausführung auch tatsächlich stattfindet und auch aufrecht erhalten bleibt. Wichtig sind in diesem Zusammenhang der Vorsatz zur Ausführung einer Handlung, also die genaue Planung der Umsetzung (präaktionale Phase), als auch die wiederkehrende Bewertung der tatsächlichen Handlungsausführung (postaktionale Phase). Die aktionale Phase bildet in diesem Zusammenhang den Zeitraum der Ausführung und die damit verbundenen Aufrechterhaltungsanstrengungen. Das gesamte Modell setzt sich aus zahlreichen Variablen zusammen, welche die verschiedenen Phasen erklären wollen (vgl. Schwarzer & Fuchs 1995; Sniehotta & Schwarzer 2003). In der Intentionsphase erfolgt die Bildung einer Zielsetzung, welche durch die jeweilige individuelle Risikowahrnehmung, die Handlungs-Ergebnis-Erwartung sowie die Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst wird. Die Volitionsphase besteht aus der Planung, Initiative, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung einer Handlung, welche durch situative Barrieren und Gelegenheiten beeinflusst wird (vgl. Abbildung 9). Abbildung 9:
Health Action Process Approach
Selbstwirksamkeitserwartung
HandlungsErgebnisErwartung
Zielsetzung
Planung
Initiative
Aufrechterhaltung
Disengagement
Wiederherstellung
Handlung
Risikowahrnehmung
Situative Barrieren und Gelegenheiten
(Quelle: Sniehotta & Schwarzer 2003, S. 684) In der intentionalen Phase knüpft das Modell dabei an sich bedeutsam erweisende Variablen aus anderen Modellen an. So wird etwa in Anlehnung an das Health Belief Modell die Idee der Risikowahrnehmung übernommen, welche
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens
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letztlich aus der Kombination von subjektiv wahrgenommenem Schweregrad und der persönlichen Anfälligkeit entsteht. Wer also grundsätzlich ein gegebenes Risiko für schwerwiegend hält und sich auch als vulnerabel einschätzt, der zeigt wahrscheinlich eine erhöhte Risikoeinschätzung, welche als erste Voraussetzung für weiteres Gesundheitshandeln anzusehen ist. Die beiden weiteren Variablen – Handlungs-Ergebnis-Erwartung und Selbstwirksamkeitserwartung – lassen sich auf Banduras sozialkognitive Verhaltenstheorie zurückführen. Sie stellen dabei als wichtige Grundvoraussetzung jeglichen Handelns in Form der Handlungs-Ergebnis-Erwartung die Kenntnis über potentielle, effektive Handlungen dar (entsprechen also der Konsequenzerwartung) und in Form der Selbstwirksamkeitserwartung der Kompetenzerwartung der Einschätzung der persönlichen Fähigkeit zur Handlungsausführung. Gemeinsam resultieren diese drei Variablen in der Zielsetzung, mit der sich eine Person auf die Zielerreichung festlegt. Je stärker diese Zielbindung vorhanden ist, umso wahrscheinlicher ist die Ausführung der damit verbundenen Handlung. Mit erreichen dieser Festlegung ist auch gleichzeitig die intentionale Phase im Handlungsprozess abgeschlossen, wodurch das Modell sich an jenem Punkt befindet, an dem die älteren Verhaltensmodelle abbrechen. In der Folge wird nun eine volitionale Phase des Gesundheitshandelns postuliert, welche zunächst mit einer präaktionalen Phase beginnt. In dieser geht es um die Festlegung einzelner, genau spezifizierter Ausführungsabsichten. Das bedeutet, dass die genaueren Umstände (Orte, Zeitpunkte), unter denen die Handlung stattfindet, festlegt werden, ebenso wie die genauen Abläufe, die zur Umsetzung nötig sind. (Also etwa dass man z.B. gute Laufschuhe besorgen muss, eine geeignete Strecke auswählt und die geeigneten Zeitpunkte in der Tagesplanung festlegt). In der aktionalen Phase kommt es schließlich zur Umsetzung der Handlung (man geht tatsächlich laufen). Damit verbunden ist auch die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung dieser Handlung (bis zum Ende der Laufeinheit durchhalten; das nächste Mal tatsächlich wieder laufen gehen). Es geht dabei also darum, trotz eintretender Schwierigkeiten („Distraktoren“) die Handlung auch weiterhin auszuführen und nicht etwa zugunsten anderer Intentionen abzubrechen (Fähigkeit zu Belohnungsaufschub). Beeinflusst wird diese aktionale Phase laut Modell durch situative Barrieren und Gelegenheiten (z.B. das Wetter ist nicht geeignet, oder aber auch dass man sozialen Anschluss und somit Unterstützung findet). Als Prozess innerhalb der volitionalen Phase wird die aktionale Phase so oft durchlaufen, bis die Verhaltensweise habitualisiert und somit zur Gewohnheit geworden ist. Die postaktionale Phase umfasst als Bindeglied den Zeitraum der Bewertung der aktionalen Phase und die Entscheidung darüber, die Handlung zu einem
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1 Theoretische Grundlagen
späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen oder aber auch abzubrechen (Disengagement). Wichtiger als tatsächlicher Erfolg oder Misserfolg in der Handlungsumsetzung ist somit die Einschätzung dazu, etwa in Form von Ursachenzuschreibung. So können etwa sowohl die internale Erfolgszuschreibung und die externale Misserfolgszuschreibung der Volitionsstärke zuträglich sein, während umgekehrt eine Externalisierung von Erfolgen und eine Internalisierung von Misserfolgsursachen die Volition ungünstig beeinflussen. Da es sich beim HAPA um ein noch sehr neues Modell handelt, liegen noch keine umfangreicheren empirischen Studien dazu vor. Letztlich bleibt jedoch festzuhalten, dass das Modell zahlreiche bewährte Ansätze zu integrieren versucht und deshalb Beachtung verdient. Darüber hinaus kann es als Raster herangezogen werden, um gesundheitsförderliche Interventionen nach verschiedenen Phasen zu planen, um so auf mehr verschiedene Aspekte der Verhaltensbeeinflussung Rücksicht nehmen zu können, als dies die bisher erwähnten Modelle erlauben.
1.3.5 Transtheoretisches Modell der stufenweisen Veränderung Ebenso wie das HAPA versucht das Transtheoretische Modell (TTM, auch: Stages of Change Model; Prochaska & DiClemente 1983) nicht nur die Phase der Intentionsbildung zu beleuchten, sondern auch darüber hinaus die Phase der Handlungsausführung in relevante Abschnitte zu untergliedern. In diesem Sinne versteht es sich auch vorwiegend als Modell der Verhaltensveränderung, d.h. dem Übergang von einer dauerhaften Verhaltensweise zu einer anderen. Es stammt aus der Auseinandersetzung mit Suchtproblematiken und soll etwa die erfolgreiche Veränderung des Rauchens hin zum Nichtrauchen erklären. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass einmal langfristig ausgeführte, habituelle Verhaltensweisen nur mehr ein geringeres aktives Engagement benötigen als der Übergang dorthin. Konkret untergliedert sich das Modell in die Phasen von Precontemplation (Sorglosigkeit, Vorerwägung), Contemplation (Erwägung, Bewusstwerdung), Preparation (Vorbereitung, Zugeständnis), Action Stage (Handlung, Aktion), Maintenance Stage (Aufrechterhaltung) sowie Termination (Rückfall bzw. Ausgang). Das Modell postuliert diese Phasen als jeweils kognitiv und habituell unterschiedlich, so dass von Stufe zu Stufe jeweils verschiedene Veränderungen zu durchlaufen sind (vgl. Sniehotta & Schwarzer 2003, S. 679ff; Steinbach 2004, S. 130ff). Als grundlegende Ausgangssituation gilt die Vorerwägungsphase, innerhalb derer eine Person keinerlei Intention zur Verhaltensänderung besitzt bzw. wo
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eine entsprechende Risikowahrnehmung nicht vorhanden ist. In der Erwägungsphase beginnt die Auseinandersetzung mit dem momentanen Verhalten und die Bewusstwerdung von Vor- und Nachteilen führt letztlich zur Motivation, das Verhalten irgendwann einmal zu verändern. (Die Autoren des Modells sprechen von einem Zeitraum länger als sechs Monate entfernt.) In der Vorbereitungsphase schließlich fällt der definitive Entschluss zur Verhaltensänderung, man möchte innerhalb der nächsten 30 Tage diese auch umsetzen (ohne dies vorher schon einmal getan zu haben). Anschließend daran erfolgt die Umsetzungsphase, d.h. die Ausführung des neuen Verhaltens. Die Autoren des Modells postulieren, dass diese Phase über sechs Monate hinweg dauert. Sie mündet in die Aufrechterhaltungsphase des neuen Verhaltens über sechs Monate hinaus, wobei verschiedenste Strategien der Aufrechterhaltung des neuen Verhaltens erprobt und gefestigt werden. Es gibt letztlich zwei Möglichkeiten, den Prozess der Verhaltensänderung wieder zu verlassen (Termination): Entweder als erfolgreiche Aneignung und Inkorporation des neuen Verhaltens in den persönlichen Lebensstil, oder als Rückfall in die bisherige, frühere Verhaltensweise. Damit ist ein gewisser Drehtüreffekt verbunden, weil nun innerhalb der Abfolge von Erwägung – Vorbereitung – Umsetzung – Aufrechterhaltung auf jeder Stufe neu eingestiegen werden kann, um wiederholt eine Verhaltensänderung herbei zu führen. Als Anwendungsbereiche für die praktische Arbeit identifizieren Glanz & Rimer (2005, S. 15) folgende praktische Anknüpfungspunkte für jede Phase:
In der Vorerwägungsphase die Erhöhung von Bewusstsein und Änderungsdruck, z.B. durch personalisierte Information über Risiken und Vorteile; in der Erwägungsphase die Unterstützung durch generelle Motivation und dem Anregen zu detaillierterer Veränderungsplanung; in der Vorbereitungsphase die Unterstützung bei der konkreten Planerstellung und -umsetzung sowie die Hilfe in der Entwicklung von kleineren Etappenzielen; in der Aktionsphase die Unterstützung durch Feedback und bei diversen Problemlösungen sowie das Bereitstellen sozialer Unterstützung und Verstärkung; in der Aufrechterhaltungsphase die wiederholte Erinnerung sowie die Unterstützung bei der Findung von Handlungsalternativen und Copingstrategien.
Neben den Stufen postuliert das Modell verschiedene Mechanismen, die phasentypisch die jeweilige Zuordnung erklären sollen. Einerseits gibt es dazu das Konstrukt der „decisional balance“ (Entscheidungsbilanz), in welcher das Abwägen
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1 Theoretische Grundlagen
von Pros und Contras der Verhaltensänderung zum Ausdruck kommt. Gemäß Modell überwiegen in den frühen Phasen vorwiegend die negativen Aspekte, während man in den Phasen von Contemplation und Preparation über einen Ausgleich schließlich zu einem Überwiegen der Pros findet, welche sich in der Aktions- und Aufrechterhaltungsphase manifestieren. Dieses Konstrukt ist dabei gut geeignet, eine praktische Anleitung für Interventionen zu liefern, da sich Pro und Contra Argumente gut auf Verhaltensweisen anwenden lassen (vgl. Kobetz, Vatalaro, Moore & Earp 2005). Darüber hinaus postulieren die Autoren des Modells aber auch 10 Veränderungsprozesse („processes of change“), welche das Wechseln zwischen Stufen zusätzlich erklären sollen (vgl. Abbildung 10). Aufgrund empirischer Untersuchungen kommen sie zu dem Schluss, dass in der Precontemplator-Phase vor allem eine Nichtbeschäftigung mit Informationen über das zu verändernde Verhalten stattfindet, von den postulierten Strategien kommen kaum welche zum Einsatz. Erst mit dem Eintreten in das Stadium des Contemplators beginnt die aktive Informationsaufnahme im Sinne des „consciousness raising“ und der Neubewertung. In der Aktionsphase sind es vor allem die Elemente der aktiven Selbstüberzeugung (Durchhalteparolen etc.) und sozialen Unterstützung, die wirksam werden, welche im Übergang zur Aufrechterhaltungsphase schließlich das Ausweichen auf neue Verhaltensweisen und deren Kontrolle mit sich bringen (Prochaska & DiClemente 1983). In einer späteren Untersuchung bestätigen die Autoren ihre Annahmen, und leiten auch Schlussfolgerungen zu misslingender Verhaltensänderung ab. Demgemäß scheitern vor allem jene Personen, denen es nicht gelingt, eine Übereinstimmung von aktueller Phase und benötigten Veränderungsprozessen herzustellen. Die eine Variante dabei sind jene Fälle, die sich vorwiegend auf Informationsgewinnung, Bewusstseinsbildung und Neubewertung stützen, und zwar auch noch zu den Zeitpunkten, wo sie sich bereits in der Aktionsphase befinden. Die alternative Variante sind jene Personen, die zu schnell Aktionen setzen möchten und auf neue Verhaltensweisen und Verhaltenskontrolle setzen, ohne sich vorher ausreichend mit der eigenen Bewusstseinsbildung auseinandergesetzt zu haben (Prochaska et al. 1992). Wechselseitig aufeinander bezogen bedeutet dies somit, dass man weder ohne ausreichende Information noch ohne ausreichende Handlungsanleitung zu dauerhafter Verhaltensänderung gelangt. Allerdings bleiben die Veränderungsprozesse umstritten und werden auch als für die Praxis kaum fruchtbar kritisiert (Kobetz et al. 2005; Spencer, Adams, Malone, Roy & Yost 2006). Während das Modell also einerseits für seine praktische Einsetzbarkeit als Instrument zur Verhaltensveränderung gelobt wird (Steinbach 2004), wird es andererseits als empirisch und auch theoretisch überholt betrachtet (Sniehotta &
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Schwarzer 2003). Insbesondere die unklaren Übergänge von einer Phase zur anderen können weder ausreichend erklärt noch bestätigt werden. Nichtsdestoweniger bleibt den Autoren des Modells der Verdienst, prozessbezogene, dynamische Sichtweisen in die Auseinandersetzung mit der modellhaften Betrachtung von Gesundheitsverhalten eingebracht zu haben. Abbildung 10: Veränderungsprozesse im Transtheoretischen Modell der stufenweisen Veränderung Titles, Definitions, and Representative Interventions of the Processes of Change Process
Definitions: Interventions
Consciousness raising Selfreevaluation Self-liberation Counterconditioning Stimulus control Reinforcement management Helping tionships
rela-
Dramatic relief Environmental reevaluation Social liberation
Increasing information about self and problem: observations, confrontations, interpretations, bibliotherapy Assessing how one feels and thinks about oneself with respect to a problem: value clarification, imagery, corrective emotional experience Choosing and commitment to act or belief in ability to change: decision-making therapy, New Year`s resolutions, logotherapy techniques, commitment enhancing techniques Substituting alternatives for problem behaviors: relaxation, desensitization, assertion, positive self-statements Avoiding or countering stimuli that elicit problem behaviors: restructuring one`s environment (e.g., removing alcohol or fattening foods), avoiding high risk cues, fading techniques Rewarding ones’s self or being rewarded by others for making changes: contingency contracts, overt and covert reinforcement, self- reward Being open and trusting about problems with someone who cares: therapeutic alliance, social support, self-help groups Experiencing and expressing feelings about ones’s problems and solutions: psychodrama, grieving losses, role playing Assessing how one’s problem affects physical environment: empathy training, documentaries Increasing alternatives for nonproblem behaviors available in society: advocating for rights of repressed, empowering, policy interventions
(Quelle: Prochaska, DiClemente & Norcross 1992, S. 1108) In diesem Sinne bestätigen auch Spencer et al. (2006) diesen zwiespältigen Befund. In ihrem Review kommen sie zu dem Schluss, dass sich das TTM vorwiegend als Praxisinstrument einsetzen lässt, was mittlerweile für die Bereiche
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1 Theoretische Grundlagen
sportlicher Aktivitäten, Ernährungsverhalten, Rauchen, Sexualverhalten, Suchtverhalten und Krebsvorsorge bestätigt werden konnte. Unter näherer Betrachtung sportlicher Aktivitäten weisen Sie darauf hin, dass im Rahmen von Interventionen die Verwendung des TTM insbesondere als diagnostisches Instrument geeignet ist. Es dient dabei als Grundlage, um jeweils unterschiedliche Maßnahmen setzen zu können, je nach dem, in welcher Stufe sich die angesprochene Person gerade befindet. Das Modell hat sich dabei in einer Reihe von Untersuchungen als ausreichend stabil erwiesen. Insbesondere konnte gezeigt werden, dass jeweils stufenspezifische Interventionen deutlich bessere Erfolge zeigen, als dies bei stufenunspezifischen, allgemeinen Interventionen der Fall ist. In diesem Sinne eignet sich das Modell auch gut dazu, größere Zielgruppenumfänge auszumachen und mit jeweils spezifischen Interventionen zur Weiterentwicklung in eine nächste Stufe zu bewegen. Einschränkend sei allerdings erwähnt, dass diese Anwendbarkeit nur für Erwachsene, nicht jedoch für Kinder und Jugendliche nachgewiesen werden konnte. Zur Einstufung von Personen gemäß den Annahmen des TTM sind sowohl Assessmentinstrumente, die eine Zuordnung in die jeweilige Phase gemäß Modell ermöglichen, vorhanden, als auch solche zur Untersuchung der aktuellen Veränderungsprozesse und Entscheidungsbilanzen laut Modellannahmen. Diesbezüglich konnte etwa gezeigt werden, dass verschiedene sportbezogene Instrumente ausreichend zwischen den verschiedenen Stufen differenzieren können, und dass auch verschiedene Variablen zur Vorhersage der Zuordnung einer Person zu einer Stufe existieren. Besonders interessant scheint der Hinweis, dass insbesondere die Selbstwirksamkeit sowie die Theory of Planned Behavior sich als geeignete Modelle zur Vorhersage der TTM-Stufe eignen. Allerdings werden von Spencer et al. (ibid.) aber auch die schon erwähnten Einschränkungen des Gesamtmodells angesprochen. Insbesondere wird die Kritik aufgenommen, dass Querschnittstudien kaum geeignet scheinen, um Prozessmodelle und die damit verbundenen Veränderungen ausreichend evaluieren zu können. Sie verweisen dabei darauf, dass nachgewiesen werden müsste, dass eine derartige Theorie in der Lage sein müsste, (a) klar trennbare Stufen ohne Überschneidungen zu definieren, (b) klare Unterschiede zwischen den sich in verschiedenen Stufen befindlichen Personen festzustellen und (c) sicherstellen, dass eine einheitliche Reihenfolge des Durchlaufens der verschiedenen Stufen vorhanden ist. Aufgrund der erst spärlichen Anzahl an Studien mit entsprechendem Längsschnittdesign lässt sich dies für das TTM noch nicht eindeutig bestätigen. Allerdings finden sich Hinweise, dass durchaus verschiedene Stufen, die sequentiell durchlaufen werden, existieren. Andererseits scheint weniger klar, welche die genauen Faktoren sind, die eine Veränderung von einer Stufe zur nächsten veranlassen. Die im Modell postulierten Entscheidungsbilanzen werden
1.3 Modelle zur Darstellung individuellen Gesundheitsverhaltens
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dabei angezweifelt, weil fraglich scheint, ob sich die einmal vorhandenen Pros und Kontras im Laufe der Zeit überhaupt verändern – sie scheinen vielmehr über den Prozess der Durchlaufens verschiedener Stufen relativ stabil zu bleiben.
1.3.6 Precaution Adoption Process Model Das Precaution Adoption Process Model (PAPM; Weinstein, Rothman & Sutton 1998) zählt ebenfalls zu den neueren Ansätzen der prozessorientierten Betrachtung von Gesundheitsverhalten. Als Vorteil gegenüber dem TTM versucht es jedoch, rein intentionale und behaviorale Stufen einzusetzen, die zeitunabhängig von einander unterscheidbar sind und somit eindeutiger definiert werden können (Sniehotta & Schwarzer 2003, S. 682f). Für die praktische Anwendbarkeit erweist es sich als brauchbar, weil neben der bisher üblichen Stufe der Unkenntnis auch die Stufe der bewusst negativen Entscheidung unterschieden wird, was neue Ansätze für eventuelle Interventionsstrategien liefern kann (Glanz & Rimer 2005, S. 19). Dementsprechend unterscheidet das Modell folgende acht Stufen (siehe Abbildung 11): In der ersten Stufe befinden sich Personen, die sich einer gesundheitsrelevanten Gegebenheit gar nicht bewusst sind. Eine Person wechselt in Stufe zwei, wenn sie sich z.B. einer eventuellen Gefährdung bewusst wird bzw. erfährt, wie sie diese Gefährdung durch eigenes Verhalten beeinflussen kann. Phase drei umfasst schließlich die aktive Entscheidungsfindung, wie etwa das Abwägen möglicher Handlungsalternativen und die Planung möglichen Handelns. Sie mündet entweder in Stufe vier, also der bewussten Entscheidung gegen allfälliges Handeln zum momentanen Zeitpunkt, oder in Stufe fünf, also der expliziten Entscheidung für die Umsetzung einer Schutzhandlung. Phase sechs umfasst schließlich die Ausübung der Handlung und Phase sieben gegebenenfalls die Aufrechterhaltung. Die Einstufung von Personen in die verschiedenen Phasen Abbildung 11: Precaution Adoption Process Model Unkenntis
Nichtbetroffenheit
Entscheidungsfindung
Entscheidung zu handeln
Entscheidung nicht zu handeln
(Quelle: Weinstein & Sandman 2002, S. 125)
Handlungsausführung
Aufrechterhaltung
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1 Theoretische Grundlagen
erfolgt durch Befragung gemäß dieser Definitionen, d.h. der Frage ob man schon etwas davon gehört hat, darüber nachgedacht oder gar entschieden hat, sowie ob man die Handlung schon gesetzt hat (Weinstein, Rothman et al. 1998). Ähnlich wie im TTM interessiert auch beim PAPM insbesondere, ob unterschiedliche Stufen auch mit unterschiedlichen Verhaltensanreizen verbunden sind und somit durch maßgeschneiderte Interventionen beeinflussbar werden. In einer eigenen Studie dazu weisen die Autoren des Modells nach, dass dies sehr wohl der Fall ist. Auch wenn dabei nicht alle Stadien der Verhaltensveränderung untersucht wurden, gelingt zumindest der Beweis, dass es Unterschiede gibt zwischen Personen, die von der Phase der Entscheidungsfindung zur (positiven) Entscheidung gelangen sollen, und jenen, die von der Entscheidung zur Handlungsumsetzung gelangen sollen. In einem experimentellen Design ließ sich dabei zeigen, dass die erste Gruppe vorwiegend durch Aufklärung über Risiken (im vorliegenden Fall zu Radonexposition) zu einer Entscheidung zu bewegen war. Demgegenüber war die zweite Gruppe vorwiegend einer einfachen Handlungsanleitung und Handlungsinformation zugänglich, während die jeweils gegenteiligen Interventionen (Handlungsanleitung für die erste Gruppe, Risikoaufklärung für die zweite Gruppe) deutlich schlechtere Erfolge mit sich brachten (Weinstein, Lyon, Sandman & Cuite 1998). Auch hier lässt sich somit schlussfolgern, dass in früheren Phasen vorwiegend Information und Bewusstseinsbildung wichtig scheinen, während in späteren Phasen konkrete Handlungsanleitungen und Handlungsanreize von Bedeutung sind. Damit tragen phasenorientierte Modelle dazu bei, Interventionen gezielter planbar zu machen und lassen größere Erfolge erwarten. Zusammenfassend kann an dieser Stelle der Schluss gezogen werden, dass insbesondere die neueren Modelle zur Darstellung des Gesundheitsverhaltens für gesundheitsförderliche Interventionen fruchtbar scheinen. Sie besitzen im Kontext der vorliegenden Arbeit jedoch den Nachteil, sich fast nur auf individuenbezogene Gesichtspunkte des Verhaltens zu konzentrieren. Wie jedoch schon aus der Darstellung zum Begriff des Empowerments ersichtlich wurde (vgl. Kap. 1.2), umfasst Gesundheitsförderung immer auch überindividuelle (gemeinschaftsbezogene) Aspekte, deren Betrachtung im folgenden Kapitel aufgegriffen werden soll.
1.4 Community Capacity Building zur kollektiven Gesundheitsförderung Das Konzept von Community Capacity oder auch Capacity Building richtet sich direkt an die Gemeindeebene und eignet sich deshalb als Erklärungsmodell für Gesundheitsförderung in diesem Setting, da es in der Lage ist, die sowohl indivi-
1.4 Community Capacity Building zur kollektiven Gesundheitsförderung
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duellen als auch organisatorischen/gemeinschaftlichen Elemente des Empowermentkonzeptes mit dem Gemeindekonzept zu verbinden. Dadurch stellt es auch eine Ergänzung der im letzten Kapitel dargestellten Modelle individuellen Gesundheitsverhaltens dar. Die Wurzeln des Ansatzes reichen in die Gemeindepsychologie der 1970er zurück und wurden auch sehr stark im Zusammenhang mit internationalen Entwicklungsprojekten konzipiert, eine Übertragung in das Feld von Public Health und Gesundheitsförderung erfolgte insbesondere in den letzten Jahren (Crisp, Swerissen & Duckett 2000). Eine Definition, die diese Entwicklung aufgreift und die nahe Verwandtschaft zu Empowermentansätzen aufzeigt, liefert Schuftan (1996, S. 261): „Capacity building can be characterised as the approach to community development that raises people's knowledge, awareness and skills to use their own capacity and that from available support systems, to resolve the more underlying causes of maldevelopment; capacity building helps them better understand the decisionmaking process; to communicate more effectively at different levels; and to take decisions, eventually instilling in them a sense of confidence to manage their own destinies. Capacity building strengthens the Assessment-Analysis-Action process in the community and, therefore, leads to more sustainability.”
In dieser Definition zeigt sich der emanzipatorische Anspruch, der sich im Konzept von Community Capacity wiederfindet. Grundsätzlich geht es also zunächst einmal darum, dass die Mitglieder einer Gemeinde oder Gemeinschaft sowohl persönlich als auch durch die lokal bereits vorhandenen Organisationen und Prozesse darin gefördert werden, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen. Dabei geht die Idee von Community Capacity auch gleichzeitig in genau diesem Punkt über individuenzentrierte Ansätze von Empowerment hinaus: Indem die Verwendung und Stärkung der lokalen Systeme für Problemlösung und Interessenswahrnehmung gestärkt werden sollen, handelt es sich um eine Kapazitätsentwicklung der Gemeinde (bzw. Gemeinschaft, Nachbarschaft etc.) anstatt um rein individuelle Kompetenzförderung. Chaskin (2001, S. 292) identifiziert in diesem Zusammenhang vier grundlegende Elemente, welche sich als Gemeinsamkeit verschiedenster Definitionsversuche herauskristallisieren:
Vorhandene Ressourcen in einer Gemeinde (z.B. Fähigkeiten und Fertigkeiten der Gemeindemitglieder, gut verankerte Organisationen, Zugang zu finanziellen Mitteln); Beziehungsnetzwerke (sowohl formal-instrumentell als auch informell und emotional); Leadership;
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1 Theoretische Grundlagen Unterstützung von Prozessen der partizipativen Einbindung von Gemeindemitgliedern in gemeinschaftliche Aktionen.
In der praktischen Umsetzung von Capacity Building identifizieren Crisp et al. (2000) insgesamt vier Zugänge, die sich auf unterschiedliche Systembereiche beziehen. Dazu gehören zwei Ansätze, die innerhalb von Organisationen stattfinden können („top-down & bottom-up organizational“), als auch zwei übergeordnete Zugangsweisen: „Partnerships“ und „Community Organizing“. Diese beiden letzten Ansatzpunkte können dabei als wesentliche Kernelemente von Community Capacity betrachtet werden, wobei eine brauchbare analytische Unterscheidung im Zugang angeboten wird. Dabei bezieht sich der PartnershipAnsatz auf die Vernetzung von bereits bestehenden Organisationen und Personengruppen, während Community Organizing eher auf den Aufbau neuer, insbesondere gemeindepolitisch orientierter Strukturen abzielt. Capacity Building im Rahmen des Partnership-Ansatzes zielt demnach darauf ab, die bereits vorhandenen organisatorischen Ressourcen in einer Gemeinde – seien es formale Organisationen oder auch nur lose organisierte Personengruppen – über die Anknüpfung an das Thema Gesundheit miteinander zu vernetzen. Unter dem Anspruch, möglichst für alle Beteiligten vorteilhafte Beziehungen zu etablieren, soll dabei gleichzeitig eine kritische Masse zugunsten der Planung und Umsetzung von Gesundheitszielen bzw. -aktivitäten gewährleistet werden. Als vorteilhaft erweist sich dabei ein schrittweises Vorgehen, bei dem die Netzwerke langsam und sequentiell erweitert werden, anstatt gleich den Anspruch einer sofortigen, umfassenden Partnerschaft durchzusetzen. Dafür scheint es im Gegenzug sehr wohl möglich, Organisationen mit sehr unterschiedlichen Größen und Einflussbereichen miteinander zu vernetzen, um sich ergänzende Interessen zueinander finden zu lassen. Der Ansatz geht dabei im Grunde genommen davon aus, dass eine gewisse Kapazität bereits vorhanden ist, welche durch geschickte Um- bzw. Neuorientierung zugunsten gesundheitlicher Belange ausgebaut werden kann. Insbesondere die Einbindung öffentlichkeitswirksamer Organisationen und im politischen Leben stehender Personen bzw. Funktionen scheint hierbei Erfolg versprechend. Community Organizing spricht hingegen die Entwicklung neuartiger Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft an. Dieser – den Kern vieler Definitionen von Community Capacity betreffende – Ansatz stellt sich dabei als am vergleichsweise anspruchsvollsten dar. Zumeist handelt es sich dabei nicht einfach nur um die Entwicklung neuer Strukturen, sondern es handelt sich um die Entwicklung von Organisationsmöglichkeiten bzw. von Partizipationschancen für ansonsten benachteiligte und gerade deshalb nicht organisierte Personengruppen. Dabei wird der Anspruch verfolgt, zuvor passive Empfänger von Gesundheits-
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leistungen dazu zu bewegen, zu aktiven GestalterInnen ihres gesundheitlichen Umfeldes zu werden. Gerade dieser Prozess ist jedoch weit anspruchsvoller als die Vernetzung bereits bestehender Organisationsstrukturen. Während also zwar nahe gelegt wird, dass neue Organisationen entstehen können, muss realistischerweise auch hier davon ausgegangen werden, dass schon bestehende organisatorische Ressourcen als Grundvoraussetzung bereits bestehen müssen und der Ansatz somit eigentlich eine Erweiterung des Parntership-Konzeptes darstellt. Dennoch scheint die Unterscheidung gerechtfertigt, da mit der Neubildung von Organisationsformen für bisher unorganisierte Personengruppen die Frage nach der Kompetenzentwicklung bei den betroffenen Personen gestellt werden muss. Darin begründet sich die Forderung, dass neben aktiver Vernetzungstätigkeit vor allem Möglichkeiten zur Entfaltung bzw. Aneignung von Kompetenzen in den Bereichen Leadership, Entscheidungsfindung und Konfliktbewältigung sowie der Entwicklung von gemeinsamen Interessen und deren öffentlich-politischer Artikulation geschaffen werden müssen. Dieser umfassende Anspruch bedingt allerdings auch eine gewisse Nichtplanbarkeit der Ereignisse, welche durch die oftmals hohen Ansprüche und Erwartungen konterkariert wird, wodurch Enttäuschungen möglicherweise vorprogrammiert werden. Insbesondere hier birgt der Ansatz auch die Gefahr, dass durch das Zusammentreffen knapper Mittel mit hohen Ergebniserwartungen die angesprochenen Zielgruppen negative Erfahrungen aus Capacity Building Projekten ziehen und somit derartigen Ansätzen langfristig der Boden entzogen wird (ibid., S. 103). Es existieren also wie erwähnt zahlreiche Vorschläge dazu, was alles unter Community Capacity verstanden werden kann. Relativ nahe an die oben angeführten Schnittpunkte kommt ein praxisbezogener Entwurf, welcher hier beispielhaft angeführt werden soll und der folgende Dimensionen berücksichtigt: Leadership, Policy Making und Infrastruktur (Dressendorfer et al. 2005). Der Vorschlag bezieht sich dabei auf die Einführung eines Gesundheitsförderungsprogramms (im konkreten Fall zur Herzkreislaufthematik) als Top-downZugang. Damit ist gemeint, dass Gemeinden projektbezogen dazu bewegt werden sollen, ihre Kapazitäten zugunsten konkreter Inhalte weiter zu entwickeln, wobei in der Anfangsphase – gemeinsam mit dem Thema – konkrete Unterstützung von außen beigesteuert wird. Unter Leadership verstehen die AutorInnen dabei die Entwicklung von Führungsrollen für engagierte Einzelpersonen in einer Gemeinde, welche als Befürworter und kontinuierliche Ansprechpartner einer Sache bzw. eines Projektes auftreten. In der praktischen Umsetzung gehört dazu neben der Schaffung solcher Stellen auch das aktive Unterstützen dieser Personen in der Kommunikation mit bestehenden Organisationen und in der Öffentlichkeit, insbesondere zur Schaffung erster formaler Anknüpfungspunkte für längerfristigen Beziehungs-
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1 Theoretische Grundlagen
aufbau. Damit werden die Leadership-Rollen auch gleichzeitig zum Anknüpfungspunkt für die Vernetzung relevanter Organisationen innerhalb der Gemeinden, welche im Rahmen des Capacity Building künftig miteinander kooperieren sollen. Möglichkeiten der formellen Kommunikation bieten dabei insbesondere öffentliche oder auch projektbezogene Treffen, welche auch Partizipationschancen für nicht organisierte Personen bieten können. Öffentlichkeitswirksame Elemente von Leadership umfassen dabei aber auch das Gewinnen prominenter bzw. gemeindebezogen wichtiger Persönlichkeiten, welche für die projektbezogenen Anliegen eintreten. Im Rahmen des aktiven Capacity Building Prozesses umfasst der Bereich der Leadership-Entwicklung weiters die schrittweise Übertragung der durch Gesundheitsförderer/innen lokal gestarteten Projekte an die örtlichen Personen und Organisationen. Dadurch bleibt langfristig gesehen nicht nur der Aspekt von Leadership in der Gemeinde, sondern insbesondere auch der Aspekt von Ownership, wodurch das Anliegen, Gesundheitsförderung im Rahmen der eigenen Kapazitäten umzusetzen, dauerhaft verankert werden soll. Konkrete Fähigkeiten, welche im Bereich von künftigen „Führungspersonen“ im Zusammenhang mit Capacity Building anzustreben sind, sind das Formulieren gemeinsamer Anliegen als Grundlage für die Mobilisierung von Zielgruppen, das Einbinden von Organisationen und Einzelpersonen, das Erzeugen politischen Drucks gegenüber den politisch Verantwortlichen, mediale Präsenz, konstruktive Konfliktlösung sowie die Fähigkeit, zwischen kooperativen und konfrontativen Strategien zu wechseln (vgl. Freudenberg 2004, S. 481). Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Personen in Führungsrollen beim Capacity Building legitimiert werden und wen sie repräsentieren. Gerade hier zeigt sich, dass meist nur wenige BewohnerInnen angesprochen bzw. zur Mitwirkung bewegt werden können, und zumeist handelt es sich dabei ohnehin um diejenigen, welche bereits in zahlreiche nachbarschaftliche Aktivitäten involviert sind. Fraglich bleibt dabei, ob nicht gerade diese Form breiten Engagements bereits eine ausreichende Legitimität darstellt (Chaskin 2001, S. 317). Policy Making bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die bewusste Berücksichtigung politischer Prozesse im Gemeindeleben. Damit werden Aktivitäten in den öffentlichen Raum geholt und somit auch legitimiert. Erfolg versprechend scheint hierbei insbesondere die Einbindung von Schlüsselpersonen des Gesundheitsbereiches mit dem Ziel, diese zu Befürwortern der verfolgten Ziele zu machen. Über diesen Weg soll es schließlich gelingen, gesundheitsbezogene Aspekte – und insbesondere die konkreten Projektinhalte – öffentlich zu vertreten und so zu breit getragenen Policies zu entwickeln. Wie groß die Rolle von Community Leadern dabei ist, wurde bereits erwähnt. Dennoch erscheint es sinnvoll, diesen Punkt als eigenständig anzusehen, wenn man bedenkt, dass Capacity Building oftmals von außen an eine Gemeinde herangetragen wird. In
1.4 Community Capacity Building zur kollektiven Gesundheitsförderung
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diesem Sinne handelt es sich bei Policy Making auch um einen top-downZugang, mittels dessen von gesamtpolitischer Ebene auf die Gemeindepolitik eingewirkt werden kann (vgl. Dressendorfer et al. 2005). Damit verbunden ist die Herausforderung, die unterschiedlichen Interessenslagen in einer Gemeinde konsensfähig zu machen. Nahe liegende Interessensgegensätze finden sich etwa in der Frage von Kostenträgerschaft und Nutznießerschaft, BewohnerInneninteressen versus Interessen lokaler Wirtschaftsbetriebe, oder aber auch – oftmals weniger offensichtlich – zwischen Laien und Profis. Hier ist insbesondere mit dem Aufeinandertreffen kurzfristiger Zielsetzungen seitens lokaler BewohnerInnen mit den langfristigen Zielsetzungen von politischen oder Gesundheitsorganisationen, welche darüber hinaus oftmals auch viel umfassender und kostspieliger sind, zu rechnen (Chaskin 2001, S. 317). Die Dimension der Infrastruktur bezieht sich auf den Transfer von Wissen und Fähigkeiten der einzelnen Projektbeteiligten untereinander, mit dem Zweck, ihre Vernetzung untereinander zu verstärken. Dabei wird auch das Ziel verfolgt, dass die beteiligten Stakeholder zu dauerhaften VertreterInnen gesundheitsfördernder Anliegen in der Gemeinde werden. Neben diesen organisatorischen Aspekten bezieht sich der Punkt aber auch auf die gezielte Einwerbung von finanziellen Mitteln durch Sponsoring, Fördermittelakquirierung oder Spendensammlung (Dressendorfer et al. 2005, S. 35). Mit Hinweis auf diese Aspekte von Infrastruktur wird auch klar, warum bestehende Organisationen so wichtig für das Capacity Building sind: Sie sind in der Regel in der Lage, all diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören insbesondere die teilnehmenden Personen, mitgebrachte Partnerschaften, finanzielle und materielle Mittel sowie das in Organisationen vorhandene Wissen (Freudenberg 2004, S. 482). Die Vernetzung von Organisationen stellt dabei eine ebenso herausfordernde Tätigkeit dar wie die oben genannten. Sie verlangt von den Beteiligten, organisatorische Rollen zu klären und Veranwortlichkeiten festzulegen, den Ressourceneinsatz für alle Beteiligten zufrieden stellend zu verhandeln und Mechanismen der Anerkennung individueller Beiträge zu finden. Nicht zuletzt deshalb bietet sich die projektorientierte Stärkung von Community Capacity an, da auf diesem Weg die angesprochenen Elemente eindeutig definiert werden können. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Projekte im Capacity Building, dass zuallererst Organisationen angesprochen werden sollten, welche inhaltlich zu den Projektzielen beitragen können und auch über die entsprechenden Kapazitäten zum Ressourceneinsatz verfügen (Chaskin 2001, S. 315 f.). Wie man anhand dieser Darstellung sieht, bleiben auch im Rahmen von elaborierten Projekten die Beschreibungen für konkrete Umsetzungsmöglichkeiten von Capacity Building und die daraus abgeleiteten Empfehlungen oftmals abstrakt. Dies liegt unter anderem daran, dass nicht nur die Community Capacity,
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1 Theoretische Grundlagen
sondern auch die Fähigkeiten für die oben angesprochenen Tätigkeiten auf Seiten der Gesundheitsförderer selbst erst langfristig entwickelt werden müssen und sich kaum als Checkliste vermitteln lassen. Dennoch erscheint auch in diesem Versuch, praxisbezogene Hinweise zu entwickeln, die Grundstruktur klar: Öffentlichkeit schaffen und Unterstützung einfordern, individuelle Kompetenzen im Bereich Führung und organisatorischer Fähigkeiten entwickeln helfen sowie vorhandene Organisationen und Funktionsbereiche in einer Gemeinde miteinander vernetzen. Darüber hinaus ist mit dem Konzept von Community Capacity die Schwierigkeit verbunden, dass die Kapazität einer Gemeinde sowohl als Voraussetzung für die Förderung von Gesundheit angesehen werden kann, als auch – quasi im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe – als Ziel von Gesundheitsförderung selbst. Somit erscheint es sinnvoll, die Voraussetzungen von Capacity Building zu diskutieren und so den Rahmen der verschiedenen Sichtweisen abzustecken (siehe Norton, McLeroy, Burdine, Felix & Dorsey 2002, S. 198-203):
Am Beginn steht die Aufklärung über zugrunde gelegte Werthaltungen. Gerade in Hinblick auf die wissenschaftliche Theoretisierung des Konzepts von Community Capacity muss darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um ein basisdemokratisches Konzept handelt, wie aus dem Anspruch auf Selbststeuerung hervorgeht. Typische wertorientierte Leitlinien im Prozess des Capacity Building beinhalten somit die Vorstellung von Gleichheit, demokratischer Teilhabe, Zusammenarbeit, aktive Inklusion (in einem erweiterten Sinne davon, dass eine Gemeinschaft nicht nur ausmacht, wen sie einschließt, sondern auch, wen sie ausschließt) und soziale Verantwortung. Dahinter steht letztlich eine Sichtweise, welche eine hohe Autonomie auf lokaler Ebene propagiert. Bei der Analyse vorhandener Kapazitäten ist eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ebenen der Analyse notwendig. Insbesondere stellt sich hier die Frage der Integration von Ansätzen auf Individualebene und jenen auf kollektiver Ebene. Da in der obigen Auflistung beide Arten angesprochen sind, gilt es zu klären, wann und wie zwischen der Erfassung personenbezogener Konzepte wie etwa Selbstwirksamkeit (vgl. Kap. 1.3.3) und der Analyse organisations- oder gesellschaftsbezogener Aspekte (z.B. Sozialkapital) hin und her gesprungen werden kann und wie diese Ergebnisse integriert werden können. Dasselbe gilt nicht nur für die wissenschaftliche Bearbeitung sondern insbesondere auch für die praktische Arbeit mit Capacity Building: wo ansetzen und wie fördern? In der praktischen Umsetzung gilt es darüber hinaus, sich über die Prozesse von Konsensus und Konflikt genau klar zu werden. Hieran knüpft sich die
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Kritik, dass insbesondere aufgrund der schon angesprochenen Werthaltungen gerade im Rahmen der Gesundheitsförderung eine Tendenz zu übertriebener Konsensneigung besteht. Damit entstehen aber blinde Flecken für mögliche Veränderungsprozesse, und insbesondere in Hinblick auf die Forderung nach dem Abbau von Ungleichheit scheint diese Haltung unrealistisch: Ungleichheit heißt immer auch ungleiche Machtverhältnisse, und wann immer Macht geteilt oder gar abgegeben muss, stehen Konflikte mit den MachtinhaberInnen vor der Tür (vgl. Kap. 1.2). Für die Bewertung von Community Capacity bedeutet dies aber, dass Konflikte nicht unbedingt als negativ gesehen werden dürfen, sondern unter Umständen einen notwendigen Prozess innerhalb des Capacity Building darstellen. Weiters stellt sich die Frage, welche Abgrenzungen und Sichtweisen bezüglich des Verständnisses von Gemeinde bzw. Gemeinschaft berücksichtigt werden sollen. Hier geht es also darum, ob geographische oder politischadministrative Abgrenzungen herangezogen werden sollen (Ortschaften oder politische Gemeinden), oder ob relationale Aspekte von Netzwerken gemeint sind (vgl. Kap. 1.1.4). Traditionelle Abgrenzungen stellen dabei die erstgenannten dar, und in der Tat sind unsere Nachbarschaften und sozialen Einbettungen in lokale Netzwerke zentraler Bestandteil nicht nur unseres täglichen Lebens sonder eben auch von Community Capacity. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie nur einen Teil davon darstellen, was die Gemeinschaft von Personen ausmacht. In diesem Sinn sind insbesondere arbeitsplatzbezogene Vernetzungen als auch solche in Vereinen, religiösen Gemeinschaften oder sonstigen gesellschaftlich bedeutsamen Akteuren genauso ausschlaggebend für Community Capacity, ohne notwendigerweise an geographische Grenzen gebunden zu sein. Dies spielt insbesondere dort eine Rolle, wo die Identifikation von angesprochenen Personen mit den angesprochenen Gemeinschaften gefragt ist. Anders herum gesehen: wenn Capacity Building auf Gemeinschaftsebene funktionieren soll, muss auch sichergestellt sein, dass die in den Prozess involvierten Personen auch ausreichend mit dieser Gemeinschaft (Gemeinde) identifizieren.2 Schließlich berührt das Konzept die Kernelemente von Zusammensetzung und Stabilität von Gemeinden und ihrer Elemente. Während hohe Homogenität die Entwicklung gemeinsamer Positionen begünstigen dürfte, bieten heterogene Gemeinschaften unter Umständen den Vorteil, mehrere und unterschiedlichere Sichtweisen und somit auch langfristig innovativere Ansätze entwickeln zu können. Damit in Zusammenhang steht auch, wie stabil
2 Umgelegt auf das später vorgestellte Projekt der „Gesunden Gemeinden“ kann dies insbesondere dort zum Problem werden, wo hohe Pendlerzahlen und geringe Infrastruktur vorherrschen (sog. „Pendlergemeinden“ oder „Schlafgemeinden“).
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1 Theoretische Grundlagen die Prozesse und Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft sind bzw. sein sollen. Während nach Ansicht der zitierten AutorInnen Community Capacity klar auf die Existenz stabiler Strukturen zur Problembewältigung abzielt, stellt der Ansatz des Capacity Building klar dar, dass diese Strukturen oftmals erst aufgebaut werden müssen bzw. können (vgl. auch oben die Unterscheidung in „Partnership“ und „Community Organizing“). Damit stellt sich aber die Frage, ob über Interventionen in Gang gesetzte – und somit von außen herangetragene – Strukturen von Community Capacity auch langfristig stabil sein können. Mit anderen Worten: was passiert, wenn die Interventionen des Capacity Building aufhören (und insbesondere: keine finanziellen Mitteln von ProjektfördergeberInnen mehr fließen), bleiben die neu gebildeten Strukturen dann auch tatsächlich bestehen? Damit schließt sich andererseits aber auch der definitorische Kreis: Capacity Building ist dann erfolgreich, wenn die neu geschaffene Community Capacity auch über den Interventionszeitraum hinaus bestehen bleibt.
Eine spannende – mehr oder weniger der letztgenannten Problematik entsprechende –Weiterentwicklung von capacity zu capital präsentiert Hancock (2001) mit seinem Konzept des „Community Capital“, welches eine ineinandergreifende Ergänzung verschiedener Kapitalformen auf Gemeindeebene darstellt. Konkret handelt es sich dabei um vier Elemente: Humankapital („human capital“), Naturkapital („natural capital“, uneinheitlich auch „ecological capital“), Sozialkapital („social capital“) und Wirtschaftskapital („economic capital“; vgl. Abbildung 12). Unter Humankapital versteht Hancock das Vorhandensein engagierter, gereifter und gesunder Persönlichkeiten in einer Gemeinde, deren Entfaltung er als Ziel menschlicher Entwicklung versteht: „Human capital consists of healthy, well educated, skilled, innovative and creative people who are engaged in their communities and participate in governance.“ (ibid., S. 276) Naturkapital bezieht sich vorwiegend auf das Vorhandensein und die Nutzung natürlicher Ressourcen, sowohl der belebten als auch der unbelebten Natur. Es dient als Grundlage für die ökonomische und soziale Entwicklung unserer Gesellschaft und trägt somit wesentlich zu unserer Gesundheit bei. Sozialkapital ist für Hancock das Bindeglied gemeindebezogenen Zusammenhalts. Auf den Kern gebracht handelt es sich dabei im Wesentlichen um die sozialen Netzwerke innerhalb einer Gemeinschaft und die dadurch ermöglichten Partizipationschancen der darin vernetzten Individuen. In einem erweiterten Sinn sind damit aber auch umgekehrt die Partizipationschancen bzw. Mechanismen sozialen Ausgleichs zu sehen, welche durch eine Gesellschaft an ihre Individuen herangetragen wird. Damit ist also neben der selbständigen Vernetzung durch die
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Gesellschaftsmitglieder auch die aktive Herstellung von Chancengleichheit insbesondere im Zugang zu gesundheitsrelevanten Aspekten wie Sicherheit, Nahrung, Bildung, Einkommen usw. durch die Gesellschaft selbst Bestandteil von Sozialkapital, was eine neue Sichtweise gegenüber den weiter verbreiteten Konzepten von Sozialkapital darstellt.3 Abbildung 12: Vier Kapitalformen des Community Capital SOCIAL
ECOLOGICAL
HUMAN
ECOMOMIC
(Quelle: Hancock 2001, S. 277) Wirtschaftliches Kapital bezieht sich auf das Resultat marktwirtschaftlichen Handelns und stellt somit den grundlegenden Motor gesellschaftlicher Zielerreichung dar. Es bildet damit die Basis für die Befriedigung individueller und kollektiver Bedürfnisse und dient der Erreichung allgemeiner Prosperität. Mit Hinweis auf die Weltbank macht Hancock darauf aufmerksam, dass es nur in Zusammenhang mit der respektvollen Nutzung der anderen erwähnten Kapitalformen langfristig nutzbar gemacht werden kann und somit nur einen – unter Umständen sogar den geringeren – Teil unseres gesamten Wohlstandes ausmacht. Insbesondere durch die Berücksichtigung ökonomischen Kapitals weitet Hancock die traditionelle Sichtweise von Community Capacity aus, und er nennt diese Sichtweise eben Community Capital. Er postuliert, dass dieses erst aus dem Zusammenspiel der vier Formen entsteht, und er führt noch eine zusätzliche Hierarchie ein: Wie in Abbildung 12 angedeutet, ist Humankapital – also das 3
Damit ist insbesondere die auf der Sichtweise Putnams beruhende Konzeption angesprochen, wonach Sozialkapital primär ein Resultat funktionierender Netzwerkbildung über frei zugängliche Vereine und ähnliche gesellschaftliche Organisationsformen und das daraus entstehende soziale Vertrauen auf gesellschaftliche Ausgleichsprozesse darstellt (vgl. Kern 2004).
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1 Theoretische Grundlagen
Vorhandensein autonomer und kompetenter Individuen – nicht nur oberstes Ziel menschlichen Handelns, sondern seine Entstehung ist auch als Produkt aus den drei untergeordneten Kapitalformen zu verstehen. Um gesundheitsförderlich wirksam zu werden, appelliert er dabei an eine neue Herangehensweise der Kapitalakkumulation durch die Gemeinden des 21. Jahrhunderts, indem er fordert, dass diese nur dann erfolgreich sein können, wenn sie alle vier Kapitalformen gemeinsam zu stärken lernen. Damit argumentiert er bewusst in Richtung einer menschenorientierten Entwicklung im Gegensatz zu einer rein wirtschaftlich orientierten Entwicklungspolitik, versucht aber auch, die oftmalige Nichtbeachtung des Wirtschaftssektors gerade im Bereich des gesundheitsbezogenen Capacity Building aus dem Weg zu räumen. Es wird somit deutlich, dass die aktive Förderung von Community Capacity und somit der Prozess des Capacity Building keine triviale Angelegenheit darstellt. In einer Erwägung der Kernkompetenzen, über die Personen in diesem Feld verfügen müssen, finden sich Hinweise auf insbesondere folgende Fähigkeiten (Nelson, Poland, Murray & Maticka-Tyndale 2004):
In Zusammenhang mit den angesprochenen Werthaltungen müssen Personen im Capacity Building in der Lage sein, verdeckte Erwartungen und Einstellungen aufzeigen zu können. In Hinblick auf die eigene Werthaltung bedeutet dies das Verfolgen von Empowerment, Inklusion von und Respekt gegenüber Diversität, sowie soziale Gerechtigkeit. In diesem Sinn umfasst Gesundheitsförderung gerade im Rahmen von Community Capacity das aktive Eintreten für soziale Veränderungsprozesse zugunsten gesundheitlich benachteiligter Gruppen. Das Hinterfragen gängiger Prinzipien von Wissenschaftlichkeit. Hierzu gehört insbesondere die kritische Reflexion verschiedener Paradigmen wissenschaftlicher Forschung und dessen, was als akzeptierbare Erkenntnis und insbesondere als „Evidenz“ betrachtet wird. Dazu gehört auch die Frage, wie neues Wissen aufgezeigt und bisher Verborgenes ans Tageslicht gebracht werden kann. Gerade im Gesundheitsbereich bzw. im Feld des Capacity Building ist eine Auseinandersetzung mit dem Machtbegriff und den damit verbundenen Spielformen und Einsatzmöglichkeiten unumgänglich. Diese Auseinandersetzung bildet erst die notwendige Voraussetzung für das Erlangen von Empowerment und somit auch der Stärkung von Community Capacity. Zu dieser Auseinandersetzung gehört auch die Reflexion der eigenen Rolle als Gesundheitsförderer/in, insbesondere die Fragen darüber, wer welche Form von Definitionsmacht besitzt, wie Macht generell in unserer Gesellschaft verteilt ist und ob bzw. wie Forschung unter Umständen gesellschaftliche
1.4 Community Capacity Building zur kollektiven Gesundheitsförderung
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Machtverhältnisse reproduziert. Die benötigte Grundhaltung wäre somit, grundsätzlich auch auf Seite der Benachteiligten zu stehen und ihre Perspektiven bzw. die von ihnen erlebten Elemente der „Ohnmacht“ kennen zu lernen, bevor Empowermentprozesse in Gang gesetzt werden. Neben derartig analytischen Fähigkeiten bedarf es auch einer Reihe von Soft Skills, insbesondere kommunikativer Fähigkeiten, wie z.B. aktives Zuhören, Teamentwicklung, Perspektivenübernahme, Anwaltschaft usw. Dazu gehört aber auch eine realistische Grundhaltung, was die tatsächliche Veränderbarkeit von Machtverhältnissen betrifft. Eine weitere geforderte Fähigkeit ist, die angesprochenen Kompetenzen auch auf verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher Machtbereiche denken bzw. einsetzen zu können. Dazu gehört insbesondere das Verständnis für systemorientierte Sichtweisen, die den Einzelnen zumindest teilweise aus seiner Verantwortung nimmt und somit die grundlegende Sicht auf überindividuelle Ansätze – wie etwa das Capacity Building – erst ermöglicht. Was den Einsatz von wissenschaftlicher Forschung im Bereich der Gesundheitsförderung betrifft, gehört demnach auch die Grundhaltung von Aktionsforschung mit zu den Kernkompetenzen. Dies bedeutet, dass Forschungsergebnisse nicht als Nebenprodukt oder rein zum Zwecke der Evaluation entstehen, sondern in erster Linie der Weiterentwicklung des untersuchten Feldes selbst dienen. Dazu braucht es aber auch die entsprechenden Fähigkeiten, um Forschungsergebnisse breit und an viele Adressaten kommunizieren zu können und sie dabei in einer Form darzustellen, welche die Ergebnisse für die angesprochenen Personen bzw. Organisationen auch bestmöglich nutzbar macht. In Zusammenhang damit steht die Entwicklung des Verständnisses dafür, wie politische Prozesse funktionieren und Meinungen gebildet werden, wie diese Prozesse im Rahmen von Capacity Building aktiv angesprochen werden können, und wie es dabei gelingt, Eigentümerschaft (Ownership) auf Seiten der Betroffenen bzw. Zielgruppen herstellen zu können.
2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung
Einen eigenen Problembereich in der Gesundheitsförderung bildet die Komplexität des Feldes, welche die simple Anwendung einzelner Untersuchungsmethoden als unzureichend erscheinen lässt: Wie erwähnt, wird bei gesundheitsförderlichen Maßnahmen gefordert, sich nicht nur an Individuen zu wenden, sondern auf größere Gemeinschaften und den damit in Zusammenhang stehenden Settings ausgerichtet zu sein. Interventionen finden auch nicht passiv und von außen statt, sondern werden durch die Betroffenen mitentschieden und mitgestaltet. Darüber hinaus werden keine Einzelmaßnahmen gesetzt, sondern vielfältige und möglichst interdisziplinäre Maßnahmenbündel, welche ebenfalls verschiedene Beteiligungsformen durch die Zielgruppen beinhalten sollen. Wie in vielen Bereichen der Auseinandersetzung mit gesundheitlichen Interventionen gilt es zunächst einmal, das Feld mit der Sichtweise bzw. dem Selbstverständnis der medizinischen Wissenschaften abzuklären. Als so genannter „gold standard“ gilt dabei die experimentelle Doppelblindstudie, das sog. „randomized controlled trial“ (RCT). Ausgehend davon wird eine Hierarchie gebildet, an deren Spitze systematische Reviews von RCT stehen, gefolgt von einzelnen RCTs, quasi-experimentellen Studien, sonstige Kontrollgruppenstudien, Vorher-Nachher-Studien sowie Einzelfallstudien und Studien ohne Kontrollgruppen (vgl. Britton & Thorogood 2004). Bei einem RCT werden möglichst viele, nicht interessierende Elemente konstant gehalten, um idealerweise als einzige veränderbare Variablen die Intervention und den Outcome zu messen. Die Konstanthaltung der konfundierenden Variablen funktioniert dabei weitestgehend über Planung und statistischen Ausgleich, so dass teilnehmende Personen von vorneherein z.B. nach den Variablen Alter und Geschlecht ausgewählt werden, während sich alle nicht überblickbaren Variablen per Zufallsschwankungen (zufällige Gruppenzuordnung) ausgleichen sollen. Auch die Intervention selbst wird ausgewählten (eindeutig identifizierbaren) UntersuchungsteilnehmerInnen zugeordnet. Der überragende Vorteil eines derartigen Designs ist, dass daraus statistisch ideale Voraussetzungen erwachsen, um Veränderungen des Outcomes (zumindest mathematisch) einwandfrei als Effekt der Intervention nachweisen zu können.
2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung
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Wenn nun aber, wie oben beschrieben, die Interventionen der Gesundheitsförderung grundsätzlich als komplex (multifaktoriell, veränderbar, partizipativ etc.) betrachtet werden müssen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass solcherart gestaltete Vorhaben nicht mehr über reduzierbare, völlig kontrollierbare Forschungsdesigns untersucht werden können. Dadurch erscheint eine Übertragung der am biomedizinischen „Goldstandard“ orientierten randomisierten kontrollierten Studie auf die Gesundheitsförderung nicht angemessen (Tang, Ehsani & McQueen 2003). Zieht man hingegen explizit die Breite der bestehenden Initiativen in Betracht, ergeben sich umfangreiche Forderungen, die an die Produktion von Evidenz in und für die Gesundheitsförderung gestellt werden können. Dazu zählt etwa die Verwendung umfangreicher Quellen, welche die Perspektiven aller relevanten Stakeholder und ExpertInnen beinhaltet, womit sowohl interne als auch externe Informationsquellen gemeint sind. Adäquate Erhebungsmethoden dazu umfassen sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren und zielen auf die Erhebung subjektiver und objektiver Kriterien ab. Die Vorgehensweisen orientieren sich dabei am Verständnis und den Zielsetzungen von Gesundheitsförderung und akzeptieren Laienwissen und -perspektiven genauso wie ExpertInnenwissen und berücksichtigen neben den Outcomes auch die involvieren Prozesse und Aktivitäten (Kahan & Goodstadt 2005, S. 3) Es stellt sich somit die Frage, welche Variablen als Outcome von Interventionen der Gesundheitsförderung zu betrachten sind. Ziglio (1997) fordert in diesem Zusammenhang, dass Empowerment als zentrales Beurteilungskriterium herangezogen werden sollte, ob eine Intervention im Gesundheitsbereich überhaupt dem Themenbereich der Gesundheitsförderung zuzuordnen ist. Seine Empfehlung lautet weiters, als Evaluationskriterien Empowerment, Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeit, Akzeptanz, finanzielle Machbarkeit usw. für die Beurteilung heranzuziehen, wobei das eigentliche Ziel die Verbesserung populationsbezogener Gesundheit anstelle individueller Gesundheitszustände lautet. Derartige Überlegungen führen in ihrer Konsequenz zu einer hierarchischen Sichtweise gesundheitsbezogener Outcomes, die zwischen Gesundheit, Determinanten von Gesundheit und gesundheitsförderlichen Interventionen unterscheiden (Nutbeam 2000). Dabei wird Gesundheitsförderung explizit auf die Ebene der Interventionen eingeschränkt, während langfristige Veränderungen von (populationsbezogener) Gesundheit auf eine übergeordnete Ebene gehoben werden. Anders ausgedrückt werden gesundheitsbezogene Outcomes zu einem Fernziel, welche das Gesamtergebnis repräsentieren und sich in entsprechenden mortalitäts- bzw. morbiditäts- sowie lebensqualitätsbezogenenen Ergebnissen äußern (s. Abbildung 13). Intermediäre Ergebnisse finden sich insbesondere im Bereich der Determinanten von Gesundheit wieder. Nutbeam zufolge liegt hier der Fokus auf
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2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung
der positiven Entwicklung von Lebensstilen/Lebensweisen (verstanden als personenbezogene Aspekte), der gesundheitsförderlichen Ausprägung verschiedener Umwelten (verstanden als überindividuelle Faktoren) und auf der Qualität des Abbildung 13: Outcome-Modell der Gesundheitsförderung
Health and social outcomes
Intermediate health outcomes (modifiable determinants of health)
Health promotion outcomes (intervention impact measures)
Health promotion action
Social outcomes measures include: quality of life, functional independence, equity Health outcomes measures include: reduced morbidity, disability, avoidable mortality Healthy lifestyles measures include: tobacco use, food choices, physical activity, alcohol and illicit drug use
Effective health services measures include: provision of preventive services, access to and appropriateness of health services
Healthy environments measures include: safe physical environment, supportive economic and social conditions, good food supply, restricted access to tobacco, alcohol
Health literacy measures include: health-related, knowledge attitudes, motivation, behavioural intentions personal skills, self-efficacy
Social action and influences measures include: community participation, community empowerment, social norms, public opinion
Healthy public policy and organizational practice measures include: policy statements, legislation, regulation, resource allocation, organizational practices
Education examples include: patient education, school education, broadcast media and print media communication
Social mobilization examples include: community development, group facilitation, targeted mass communication
Advocacy examples include: lobbying, political organization and activism, overcoming bureaucratic inertia
(Quelle: Nutbeam 2000, S. 262)
2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung
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Gesundheitssystems. Diesen drei Faktoren wird dabei – ganz im Sinne von Determinanten – die Fähigkeit zugeschrieben, die Fernziele positiv zu beeinflussen. Als unterste Stufe stehen demnach jene Ziele, die einen positiven Einfluss auf die Determinanten haben. Nutbeam bezeichnet sie als „health promotion outcomes“ und bezieht das auf direkte, interventionsbezogene Maßnahmeneffekte. Er meint damit jene Elemente, die als einzige unmittelbar beeinflusst werden können, während die anderen beiden Stufen nur jeweils indirekt verändert werden können. Auf der interventionsbezogenen Outcome-Ebene stehen somit direkt individuelle Kompetenzen (z.B. Health Literacy), soziale Steuerungsmöglichkeiten sowie öffentliche (politische) Praxis in Bezug auf Gesundheit. Eine Möglichkeit, mehrere Ebenen (individuelle als auch strukturelle) mit vielfältigen Methoden zu untersuchen, bietet sich in Form von Triangulationsstudien, welche sowohl die Perspektiven der Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes als auch die verwendeten Untersuchungsmethoden in vielfältiger Weise miteinander verknüpfen (vgl. Flick 2004). Im Sinne von Perspektiventriangulation lässt sich dabei die Forderung berücksichtigen, dass der Untersuchungsgegenstand nicht nur vom Standpunkt einer Akteursgruppe aus betrachtet wird, sondern dass möglichst viele bzw. verschiedene Standpunkte einfließen. Dies bedeutet, dass bei Interventionen (insbesondere auf der Settingebene) nicht nur die unmittelbaren Zielgruppen berücksichtigt werden, sondern auch die in anderer Form involvierten AkteurInnen. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies etwa, dass sowohl die Gemeindebevölkerungen, als auch die aktiv mitwirkenden Arbeitskreismitglieder der Gesunden Gemeinden, als auch die zentral tätige Projektgruppe des Gesamtprogramms „Gesunde Gemeinde“ in die Erhebung einbezogen wurden (vgl. Kap. 3.3). Für die Methodentriangulation wurde insbesondere auf den Ansatz der Mixed Methods (Tashakkori & Teddlie 2003) zurückgegriffen, welcher eine Kombination quantitativer und qualitativer Erhebungs- und Auswertungsformen vorsieht. Dies bedeutet, dass nicht nur rein statistische Analysen in Betracht gezogen werden (wie es etwa bei der Methode der randomisierten kontrollierten Studie der Fall wäre), sondern dass auch qualitative Analysen zur Vervollständigung und Ausweitung der gewonnenen Erkenntnis über den Untersuchungsgegenstand herangezogen werden. Im vorliegenden Fall sind dies der sowohl der Einsatz von quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden (Fragebögen, Interviews, dokumentenanalytische Vorgehensweisen) als auch der Einsatz gegenstandsangemessener Auswertungsmethoden (qualitative Inhaltsanalyse, statistische Auswertung, Quantifizierung qualitativer Daten mit inhaltsanalytischen Methoden). Zusammenfassend sei noch darauf hingewiesen, dass Triangulation als Forschungskonzept über das reine Problem des Messens hinausgeht und vielmehr auf die Annäherung unterschiedlicher wissenschaftstheoretischer Standpunkte
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2 Evaluation langfristiger Interventionen in der Gesundheitsförderung
hinausläuft. Für die Forschungspraxis bedeutet dies, sowohl positivistische als auch phänomenologisch-konstruktivistische Positionen einzunehmen und in eine Zusammenschau der Ergebnisse fließen zu lassen. Erweitert man diese Perspektive noch um den Triangulationsaspekt der Durchführung von Forschungsarbeiten zum selben Gegenstand durch unterschiedliche Personen (investigator bzw. author triangulation), so wird Triangulation generell als geeigneter Ansatz des Nachweises von Kausalbeziehungen – in unserem Kontext also der Wirksamkeit gesundheitsfördernder Interventionen – gesehen (Kemm 2001).
3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich
3.1 Netzwerk Gesunde Städte Wien ist seit 1989 als einzige österreichische Stadt am internationalen WHONetzwerk Gesunde Städte direkt beteiligt (vgl. BMGF, 2006). Das nationale „Netzwerk Gesunde Städte Österreichs“ geht zurück auf eine Initiative der Stadt Linz auf einer deutschsprachigen Gesunde-Städte-Tagung in Wels 1989 (vgl. ACS, 1997, S. 6). Die Gründung erfolgte schließlich auf dem 42. Österreichischen Städtetag 1992 unter Teilnahme von 9 Städten, und bis 2002 waren bereits 31 Städte aktiv beteiligt (vgl. Dolezal 2002). Voraussetzungen für die Aufnahme in das Netzwerk sind eine formale Interessensbekundung (Antragstellung durch den Gemeinderat) und die darin zum Ausdruck kommende Akzeptanz der Ottawa Charta sowie der Zielsetzungen des Netzwerks. Darüber hinaus verpflichten sich die Städte zum aktiven Austausch von Erfahrungen und zur Teilnahme an den gemeinsamen Aktivitäten, i. d. R. gemeinsame Konferenzen und Sitzungen. Als Gegenleistung erhält die Stadt die Unterstützung durch das Koordinationsbüro des Vereins "Gesunde Städte Österreichs – Verein zur Förderung des Gesundheitsbewusstseins in österreichischen Städten", welche im Wesentlichen in der Kontaktpflege innerhalb und außerhalb des Netzwerks (auch mit anderen Gesundheitsförderungsinitiativen auf nationaler und internationaler Ebene), der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Unterstützung bei der Durchführung von Aktivitäten im Rahmen des Netzwerks besteht (vgl. Österreichischer Städtebund 2004). Die oben angeführten Zielsetzungen des Netzwerks werden in der zitierten Broschüre nicht explizit erwähnt, orientieren sich aber offensichtlich an der Beteiligung an dessen Hauptaktivitäten. Dazu gehört in erster Linie die Abhaltung sog. „Gesundheitskonferenzen“, womit die aktive und umfassende Beteiligung aller für die Gesundheitsförderung relevanten AkteurInnen (aus den Bereichen Medizin, Gesundheitsverwaltung, Krankenversicherung, bürgerschaftliche Initiativen usw.) an gemeinsamen Sitzungen mit dem Ziel umfassenden Informationsaustausches und künftiger Abstimmung von Aktivitäten gemeint ist. Weiters gehören die künftige Umsetzung von kommunaler Gesundheitsberichterstattung auf Basis von Bevölkerungsbefragungen, das Bekenntnis zur Frauengesundheits-
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3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich
förderung, die Beschäftigung mit dem Thema „Sucht & Drogen“ sowie die Förderung von Gesundheitsvorsorge i.S. der Förderung von Vorsorgeuntersuchungen zu den Zielsetzungen (vgl. Lüftenegger 2002).
3.2 Gemeindeprogramme in den Bundesländern In viel geringerem Maße in Netzwerken organisiert ist die restliche – nicht an (Groß-) Städten orientierte – Gesundheitsförderung in ländlichen Gemeinden bzw. (ländlichen) Kleinstädten. Nichtsdestoweniger finden aber auch hier umfassende Aktivitäten statt. So existieren in jedem österreichischen Bundesland Initiativen, welche die Gemeinden in gesundheitsfördernde Aktivitäten mit einbeziehen. Explizit auf die Gemeinden ausgerichtete Programme – „Gesunde Gemeinde“, „Gesundes Dorf“ – finden sich in den Bundesländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Steiermark. Dokumentationen zu diesen Initiativen sind derzeit nur sehr eingeschränkt über die jeweiligen Homepages der Initiativen zugänglich, nur vereinzelt gibt es auch wissenschaftliche Berichterstattung (Burgstaller 1997; Burgstaller & Berger 1998; Kàlnoky 1996; Kàlnoky, Neuhold & Reis-Klingspiel 1998; Kodelitsch 2003; Pfaffenberger & Pöschko 2006; Prehslauer 2001; Scharinger 1999). Die Grundzüge der Programme sind dabei jeweils mehr oder weniger gleich: Voraussetzung zur Teilnahme ist ein Gemeinderatsbeschluss, in dessen Folge ein eigenes Gremium (Ausschuss, Arbeitskreis) eingerichtet wird, welches für auf die Gemeinde bezogene gesundheitsförderliche Aktivitäten zuständig ist. Seitens des Bundeslandes gibt es – meist in Form eines eigenständigen Vereines – eine zentrale Stelle zur Unterstützung der Gemeindegremien. Unterschiede bezüglich der Gemeinden ergeben sich vor allem in den Vorschriften darüber, wer aller im Arbeitskreis vertreten sein soll (ob BürgermeisterInnen und GemeindeärztInnen teilnehmen müssen; eingeladen werden sollen aber prinzipiell auch alle Organisationen und GemeindebürgerInnen, welche an Gesundheitsthemen interessiert sind), und ob ein Budget seitens der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden muss (teilweise sind EUR 0,50 – 1,00 pro Gemeindebürger vorgeschrieben). Teilweise müssen die Gemeinden darüber hinaus Mitgliedsbeiträge an die zentralen Vereine abliefern bzw. deren Serviceleistungen finanzieren, teilweise bekommen die Gemeinden diese Dienstleistungen gratis bzw. erhalten Fördergelder durch das Bundesland (als Startförderung nach Vorlage eines ausgearbeiteten Arbeitsplans oder als Unkostenbeitrag oder als allgemeine Subventionsmöglichkeit). Die von den zentralen Organisationen der Bundesländer angebotenen Leistungen unterscheiden sich zumeist im Umfang des Angebots. Gemeinsam sind
3.2 Gemeindeprogramme in den Bundesländern
81
den meisten das Angebot der organisatorischen Unterstützung bei der Arbeitskreisbildung, bei der Ideenfindung bzw. Planung von Aktivitäten (tw. auch bei deren Umsetzung) und bei der Öffentlichkeitsarbeit. Oftmals kann Hilfe bei der Durchführung von Arbeitskreissitzungen (Moderation etc.) in Anspruch genommen werden, teilweise auch bei der Suche nach ReferentInnen für Vorträge oder nach Partnerorganisationen für Aktivitäten. Ebenso bieten fast alle Organisationen eine Berichterstattung in Form von Zeitungen oder Jahresberichten an. Zusätzlich werden meistens zentrale Vernetzungsmöglichkeiten der Gemeinden untereinander (gemeinsame Treffen/Tagungen, Austausch über Homepages) angeboten. Die Unterschiede bestehen dabei, wie bereits erwähnt, im Ausmaß, in dem diese Unterstützung in Anspruch genommen werden kann, und darüber hinaus auch noch, ob dafür bezahlt werden muss. Stärkere Unterschiede ergeben sich bei der Durchführung von Ist-Analysen im Rahmen der Maßnahmenplanung (tw. durch die Gemeinden durchzuführen, tw. durch die zentrale Organisation). Scharinger (1999, S. 20) konstatiert in seinem Evaluationsbericht zum zehnjährigen Bestehen der Gesunden Gemeinden Oberösterreich, dass bislang noch wenig österreichweite Vernetzung und damit Verbunden auch Entwicklung der gemeindebezogenen Gesundheitsförderung besteht.4 Gemeinsam mit einer Diplomarbeit (Kodelitsch 2003) und einem neueren Bericht (Pfaffenberger & Pöschko 2006) liegen bislang erst aus diesem Bundesland umfangreichere empirische Untersuchungen zum Gesamtkonzept „Gesunde Gemeinde“ vor. Die Studie Scharingers kommt dabei zu folgenden Kernaussagen:
Insgesamt gesehen stellt sich das Projekt als großer Erfolg heraus, da in wenigen Jahren über 100 oberösterreichische Gemeinden zur Teilnahme motiviert werden konnten und dort auch reges Interesse am Programm besteht. In den teilnehmenden Gemeinden konnten durchaus aktive Arbeitskreise ins Leben gerufen werden, an denen im Schnitt jeweils 9 Personen beteiligt sind. Die Hauptlast der Arbeit liegt jedoch bei den ArbeitskreisleiterInnen, die weniger als zentrale KoordinatorInnen, sondern viel mehr als treibende und auch arbeitende Kraft in der jeweiligen Gemeinde gesehen werden müssen. Was die weitere Beteiligung betrifft, konnten durch die abgehaltenen Maßnahmen ca. 27% der Gemeindebevölkerungen direkt erreicht werden. Der Hauptanteil der abgehaltenen Aktivitäten orientiert sich an der HerzKreislauf-Problematik. Entsprechend entfällt der überwiegende Anteil an
4 Mittlerweile besteht mit dem „aks austria – Forum österreichischer Gesundheitsarbeitskreise“ eine Plattform für die Vernetzung von bundeslandspezifischen Organisationen zur settingorientierten Gesundheitsförderung, welche jedoch auf NGOs/NPOs beschränkt ist.
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3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich Maßnahmen auf die Bereiche Ernährung (21%) und Bewegung (19%), gefolgt von Krebs (15%), Sucht (5%), gesundes Alter (4%), Pflege (3%) und Erste Hilfe (3%). Auch die zum damaligen Zeitpunkt weiter geplanten Aktivitäten folgen diesem Muster. Als Zielgruppen der Maßnahmen wurden die jeweilige allgemeine Gemeindebevölkerung (24%), Jugendliche (22%), SeniorInnen (21%), Frauen (15%), Kinder (9%) und Männer (5%) angesprochen. Das Vorhandensein eines zentralen Ansprechpartners (Gesamtprojektleitung in der Landessanitätsdirektion) stellt eine wertvolle Ressource für die beteiligten Gemeinden dar. Die Fülle von unterschiedlichsten Projektideen erschwert es den Beteiligten, den Überblick zu bewahren. Gleichzeitig erscheit es schwierig, sich von klassischen, lebensstilbezogenen und informationsvermittelnden Aktivitäten zu lösen und gezielt settingorientierte Maßnahmen zu initiieren. Zusätzlich erscheint es schwierig, einzelne Zielgruppen – insbesondere jene, die besonders dringend angesprochen werden sollten – auch tatsächlich zu erreichen. Die Evaluation der zahlreichen Aktivitäten wird dadurch erschwert, dass Dokumentation als zusätzliche und auch unnötige Belastung gesehen wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Aktivitäten im Rahmen des Projekts großteils ehrenamtlich und somit in der Freizeit der Beteiligten ablaufen, was das Belastungserleben durch Dokumentationsaufgaben zusätzlich vergrößert. Gemeinsam mit den oftmals nur mangelhaft ausformulierten Zielsetzungen einzelner Maßnahmen führt dies jedoch zu einer eingeschränkten Bewertbarkeit der Aktivitäten. Als wesentliche Schlüsselpersonen werden die BürgermeisterInnen und die GemeindeärztInnen identifiziert. Die BürgermeisterInnen erhalten dabei eine wichtige Gatekeeper-Funktion, die sich über die Initiierung der Teilnahme der Gemeinde (Gemeinderatsbeschluss) hinaus erstreckt und auch im weiteren Verlauf nicht vergessen werden darf. Gerade wenn also die Bevölkerung das Hauptaugenmerk darstellt, sollte doch immer auch wieder Kooperation und Zustimmung seitens der BürgermeisterInnen gesucht werden. Ähnliches gilt für die GemeindeärztInnen, die als zentrale KooperationspartnerInnen zur Verfügung stehen sollten, sich im ungünstigen Fall aber auch als GegnerInnen des Gesunde-Gemeinde-Ansatzes erweisen können. Hier gilt es insbesondere am Gegensatz von Laienkompetenz und professionellem Verständnis anzusetzen, um es den GemeindeärztInnen zu ermöglichen, neue Rollen in der Gesundheitsförderung entwickeln und einnehmen zu können.
3.2 Gemeindeprogramme in den Bundesländern
83
Zum fünfzehnjährigen Bestehen des oberösterreichischen Programms wurde erneut eine Evaluationsstudie vorgelegt, die viele dieser Ergebnisse bestätigt (Pfaffenberger & Pöschko 2006). Als Ergänzung lässt sich aus der Arbeit von Kodelitsch (2003) die Schlussfolgerung ziehen, dass ein aktives Zugehen der zentralen Betreuungsstellen (Landessanitätsdirektion, Regionalbetreuungsstellen) auf die teilnehmenden Gemeinden (respektive deren Arbeitskreise) unumgänglich scheint, da sonst der Kontakt abreißt (d.h. trotz weiterer Aktivität der Gemeinde keine Informationen seitens der Gemeinde weitergemeldet werden). Im Sinne der oftmals geforderten Vernetzung gesundheitsförderlicher Aktivitäten ist dies ein berücksichtigenswerter Hinweis darauf, dass gegenseitiger Austausch nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden darf. Die Steiermark ist mit seinem Projekt „Gesunde Gemeinde“ jenes Bundesland, welches als erstes diese Idee zur Umsetzung brachte (seit 1987). Auch die hier gemachten Erfahrungen passen in das schon beschriebene Bild. Gute Erfahrungen wurden dabei insbesondere mit folgenden Elementen gemacht (Kàlnoky 1996):
Es empfiehlt sich die Einrichtung eines eigenen „Gesundheitsbeirates“ als überparteiliches Gremium mit regelmäßigen, für alle Interessierten offenen Sitzungen. Die Beiräte sollten über eigene Budgets verfügen, zusätzlich sollten eigene (Halbtages-)Stellen geschaffen werden. Idealerweise werden verschiedenste Zielgruppen angesprochen und möglichst auch in den Beirat eingeladen, wobei in der Umsetzung der Themen auf eine möglichst breite Palette an Maßnahmen zurückgegriffen werden sollte. Eine Umsetzung gelingt nur, wenn vorhandene (potentielle) PartnerInnen eingebunden zur Mitarbeit überzeugt werden. Der mit diesem Ansatz verbundene Veränderungs- und Demokratisierungsprozess innerhalb der Gemeinde erweist sich als „ein mühsamer Prozess und bedarf einer koordinierten Steuerung“ (ibid., S. 197), welcher durch externe PartnerInnen – im vorliegenden Fall die zentral zuständige Projektgruppe auf Landesebene – begleitet werden muss.
Eine große Rolle spielt im steirischen Projekt auch die langfristige Qualitätssicherung, welche schon seit längerem systematisch betrieben wird und auf sowohl auf quantitativen Vergleichen (Bevölkerungsstichproben) als auch qualitativen Einschätzungen beruht (vgl. Abbildung 14). Aktuell wird dies gezielt auf großflächige, quantitative Surveys ausgeweitet, welche aufgrund der Erhebung eines
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3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich
breiten Spektrums gesundheitlicher Indikatoren zur mittel- und langfristigen Evaluierung der Projekterfolge dienen soll (vgl. Freidl & Neuhold 2002). Abbildung 14: Qualitätskriterien im Steirischen Programm „Gesunde Gemeinde“ QUALITÄTSKRITERIEN “GESUNDE GEMEINDE” Anger Beitritt 1987 Stand Februar 1997 VERANKERUNG VOR ORT DURCH Gesundheitsbeirat
Einzelperson
Integration in Verein oder Sozialausschuß
autonom verfügbares Budget, mindestens ATS 7,-/EW GESUNDHEITSFÖRDERNDE INFRASTRUKTUR BEWEGUNGSTREFFLEITER einer TURNLEITER einer TIME-OUT FOR KIDS-LEITER einer Gesundheitsbewußte Gaststätte Bauernmarkt
mehrere Bewegungstreffs Spielplatz
mehrere mehrere mehrere
keiner keiner keiner
Gesunde VS
Hauskrankenpflege
Kindergruppe
AKTIVITÄTEN in gesundheitsfördernden Themen- und Zielbereichen THEMENBEREICHE ZIELGRUPPENBEREICHE METHODEN Vortrag/Kurse/Aktionen/Seminare abgedeckt abgedeckt abgedeckt teilweise abgedeckt teilweise abgedeckt teilweise abgedeckt nicht abgedeckt nicht abgedeckt nicht abgedeckt BEFRAGUNG DOKUMENTATION Einstieg 1988 in der Gemeinde Wieder1997 Rückmeldungen/SKK holung keine ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Gesundheits- Regional- Gemeindezeitung, Pfarrblatt zeitung zeitung BEWERTUNG DURCH DAS PROJEKTTEAM sehr GEMEINDE ALLGEMEIN engagiert sehr PARTIZIPATION DER engagiert BEVÖLKERUNG
Flugblätter, Plakate
engagiert engagiert
weniger engagiert weniger engagiert
sehr intensiv weniger KOOPERATION DER MED. intensiv intensiv RELEV. PERSONEN sehr intensiv weniger KOOPERATIONEN DER intensiv intensiv BILDUNGSEINRICHT./VEREINE Grau markierte Felder zeigen erfüllte Kriterien an
(Quelle: Kàlnoky et al. 1998, S. 155)
nicht engagiert nicht engagiert keine keine
3.3 Das Kärntner Programm „Gesunde Gemeinde“
85
Bezogen auf Kärnten liegen bisher nur vereinzelte Erfahrungsberichte vor, die sich zum einen auf den modellhaft entstandenen Verein „Vitamin R“ sowie auf das Leitbildprojekt „PROGES“ beziehen. „Vitamin R“ (Vital miteinander in Radenthein) steht für ein 1995 ge startetes Projekt zur regionalen Gesundheitsförderung, wobei zwei Hauptzielsetzungen verfolgt werden: „1. Strukturentwicklung im Gesundheits- und Sozialbereich partizipativ zu fördern sowie 2. ressourcenorientierte Angebote für spezifische Zielgruppen zu entwickeln und laufend den regionalen Spezifika anzupassen“ (Burgstaller 1997, S. 198). Dabei werden als spezifische Angebote vorwiegend umfassende Beratungstätigkeiten in Sozialund Gesundheitsfragen sowie Kurse und Seminare angeboten. Zusätzlich wurde im Rahmen der Strukturentwicklung etwa ein Jugendarbeitskreis eingerichtet, wobei weitere Netzwerke (etwa von FachärztInnen) angedacht werden. Ein insbesondere unter dem Strukturaspekt entwickeltes Projekt nennt sich „FUN – Familienunterstützende Netzwerke“, indem vielfältige Ressourcen vernetzt und dauerhaft zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies reicht von der Öffnung freistehender Kindergartenräumlichkeiten und der Einrichtung einer Krabbelstube über Familienberatung bis hin zu Elternschulen (vgl. Burgstaller & Berger 1998). Vorbereitend zum nun bestehenden Programm „Gesunde Gemeinde“ wurde im Rahmen des von 1999 bis 2001 bestehenden, sehr umfassend angelegten Gesundheitsentwicklungsprojektes „PROGES“ mit seinen beiden Regionalstellen in Spittal/Drau und in Völkermarkt die Idee in einzelnen Gemeinden ausprobiert und in Anlehnung an die Projekte in der Steiermark und in Oberösterreich umgesetzt (vgl. Prehslauer 2001). Zusätzlich wurde versucht, regionsspezifisch die Gemeinden zu vernetzen und als eigenen Schwerpunkt im Rahmen von Regionalverbänden zu etablieren. Aus den so gesammelten Erfahrungen wurde schließlich ein Konzept für die kärntenweite Fortführung des Programms „Gesunde Gemeinde“ entwickelt, welches auch seit 2002 umgesetzt wird (vgl. Kap. 3.3).
3.3 Das Kärntner Programm „Gesunde Gemeinde“ Im Bundesland Kärnten wurde im Jahr 2002 das Programm „Gesunde Gemeinde“ 5 vom Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung 12, Unterabteilung 5 Um der Schwierigkeit zu begegnen, dass einmal über das Gesamtprogramm/Gesamtkonzept und einmal über die teilnehmenden Gemeinden berichtet wird, wurde in der Arbeit folgender Umgang gewählt: Immer, wenn vom Gesamtprogramm die Rede ist, wird „Gesunde Gemeinde“ in Anführungszeichen gesetzt, immer wenn es um teilnehmende Gemeinden geht, wird über Gesunde Gemeinden ohne Anführungszeichen berichtet.
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3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich
Projektmanagement Gesundheitsförderung, initiiert. Ziel ist, gesundheitsförderliche Maßnahmen in den ländlichen Regionen Kärntens umzusetzen. Für die Programmteilnahme sind gewisse Zugangsvoraussetzungen seitens der Gemeinden zu erfüllen, nämlich ein Gemeinderatsbeschluss, die Einrichtung eines Arbeitskreises sowie die Erarbeitung eines Maßnahmenplanes. Die Gemeinden werden in ihren Bemühungen durch das Land Kärnten in Form einer Projektstartfinanzierung, durch ein Projekthandbuch sowie eine Projekthomepage und durch das Projektteam des Landes unterstützt. Des Weiteren können die Gemeinden auf erprobte Konzepte des Landes z.B. zu den Bereichen Suchtprävention, DiabetesVorsorge, Stammtisch für pflegende Angehörige, Gesunde Küche sowie Ernährungsberatung zurückgreifen. Bis dato (Sommer 2008) konnten 76 Gemeinden von insgesamt 130 ländlichen Gemeinden in Kärnten für das Projekt gewonnen werden, wobei zum Zeitpunkt der Arbeitskreiserhebung für diese Arbeit (Frühjahr 2006) 56 teilnehmende Gemeinden zu verzeichnen waren. Das Programm folgt einer projektorientierten Vorgehensweise, die in Anlehnung an erfolgreiche Konzepte aus anderen Bundesländern übernommen wurde und auf eine mehrjährige Vorbereitung durch Pilotprojekte auf sowohl regionaler als auch landesweiter Ebene zurück geht (vgl. Burgstaller & Berger 1998; Prehslauer 2001). Innerhalb des Programms „Gesunde Gemeinde“ kann man drei Ebenen unterscheiden: das Amt der Kärntner Landesregierung inklusive dem Projektteam, die Arbeitskreise auf Gemeindebene und schließlich die Zielgruppen und Zielsettings (vgl. Abbildung 15). Die oberste Ebene im Gesamtprojekt Gesunde Gemeinde stellt jene des Landes Kärnten dar. Über die inhaltlich-funktionelle Zuordnung zum zuständigen Landesrat (Gesundheitsreferenten) erfolgt die Legitimation des Gesamtprojektes. Die Zuständigkeit liegt wie erwähnt beim Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung 12. Diese Abteilung vergibt den Auftrag der Projektbetreuung an ein eigenes (internes) Projektteam, welches durch freie Aufgabengestaltung die nötige Flexibilität für die Projektabwicklung erhält. Finanziert wird das Team jeweils für mehrere Jahre, wodurch eine mittelfristige Budgetierung ermöglicht wird. Die mittlere Ebene betrifft die Gesunden Gemeinden selbst. Genau gemeint ist hier der politisch-administrative Apparat innerhalb der Gemeinde, sprich BürgermeisterIn, Gemeinderat und auf dieser Ebene auch der Arbeitskreis. Zunächst einmal haben der Gemeinderat und der/die BürgermeisterIn die Gateopener-Funktion, was die Initiierung des Projektes betrifft: Auf Anfrage informiert das Landesteam den Gemeinderat über die Projektidee. Nachdem ein Teilnahmebeschluss seitens des Gemeinderates gefallen ist, wird das Landesteam informiert und ein Arbeitskreis in der Gemeinde eingerichtet.
3.3 Das Kärntner Programm „Gesunde Gemeinde“
87
Abbildung 15: Drei Ebenen im Aufbau des Projekts „Gesunde Gemeinde“
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(Quelle: eigene Darstellung) Von hier an liegt die Verantwortung für die Planung und Durchführung der Aktivitäten beim Arbeitskreis. Als TeilnehmerInnen hierfür kommen neben dem/der BürgermeisterIn und den Mitgliedern des Gemeinderats (insbesondere die Zuständigen für Gesundheit und/oder Soziales) vor allem VertreterInnen verschiedenster Interessens- und Zielgruppen in Frage. Dazu gehören neben Personen mit beruflicher Tätigkeit im Gesundheits- und Sozialbereich vor allem auch TeilnehmerInnen aus Wirtschaft, Vereinswesen, BürgerInneninitiativen usw., aber auch VertreterInnen aus dem öffentlichen Bereich wie z.B. Kammern, Kirchen, Exekutive. Mit dieser breiten Einladung zur Mitarbeit soll eine nachhaltige Verankerung des Projekts in der Gemeinde sichergestellt werden. Als Besonderheit sind aber in jedem Fall die Beteiligung von Gemeinderat und BürgermeisterIn zu betrachten: diese sind idealerweise möglichst umfassend in den Arbeitskreis zu
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3 Umsetzung gemeindebezogener Gesundheitsförderung in Österreich
integrieren, ihre Teilnahme daran ist an sich aber nicht obligatorisch. Unabhängig vom Ausmaß der Einbindung bleibt beiden aber jedenfalls eine Schlüsselrolle beibehalten, da sie vor allem bei der Budgetierung (und je nach Umfang der geplanten Aktivitäten auch bei der Umsetzung) von Maßnahmen eine wichtige Entscheidungsfunktion beibehalten. Diesbezüglich lautet die Empfehlung seitens der Projektverantwortlichen auch, dass die Gemeinde ein eigenes Budget für den Arbeitskreis zur Verfügung stellt, wodurch ein Spielraum für die Aktivitäten geschaffen werden soll. Darüber hinaus gewährt das Projektteam auch Unterstützung bei der Antragstellung für Subventionen für Einzelprojekte des Arbeitskreises an das Land Kärnten. Die dritte Ebene stellt schließlich jene der Zielgruppen und Zielsettings dar. In der Graphik sind zahlreiche Möglichkeiten angedeutet, angefangen von der allgemeinen Gemeindebevölkerung bis hin zu ausgewählten Risiko-/Interessensgruppen bzw. von der allgemeinen Infrastruktur bis hin zu ausgewählten Organisationen innerhalb der Gemeinde. Diese beispielhafte Aufzählung soll zugleich darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit des Arbeitskreises nicht nur als personenorientiert sondern auch als verhältnisorientiert (settingorientiert) zu verstehen ist. Die Verknüpfung der Ebenen erfolgt vor allem durch zwei Kommunikationswege: Der erste ist jener zwischen Landesteam und Arbeitskreis, symbolisiert durch den Doppelpfeil zwischen den entsprechenden Kästchen. Hier erfolgt die systematische Kommunikation zwischen der zuständigen Gebietsbetreuerin und dem/der ArbeitskreisleiterIn, wobei als Mindestanforderung ein jährliches Abstimmungsgespräch vorgesehen ist. Im Rahmen der Projektinitiierung und durch das Zur-Verfügung-Stellen von Modulen (spezielle Dienstleistungsangebote bzw. Projektmaßnahmen) ist jedoch von einer häufigeren Kommunikation auszugehen. Der zweite Kommunikationsweg verläuft etwas vielfältiger und auch uneinheitlicher. In Richtung der Zielgruppen (dargestellt durch den breiten Pfeil) ist es letztendlich jeder Gemeinde frei gestellt, ihren eigenen Bedürfnissen nach zu informieren: dies kann vom Bürgermeisterbrief über die Gemeindenachrichten bis hin zu eigenen Aussendungen des Arbeitskreises (oder von Projektgruppen) bis hin zu persönlicher Kommunikation (z.B. mit Vereinen) reichen. Genauso breit ist die Palette des Informationsrückflusses an den Arbeitskreis: diese reicht von persönlicher Kommunikation (etwa über die Verknüpfung durch die Arbeitskreisteilnahme eines Vertreters/einer Vertreterin einer Zielgruppe/-organisation) über gezielte Befragungen der GemeindebürgerInnen bis hin zu indirekter Kommunikation über BürgermeisterIn und Gemeinderäte. Diese letzte Feedbackschleife ist aus Gründen der Übersichtlichkeit in der oben stehenden Abbildung nicht mehr dargestellt, genauso wie die angedeutete
3.3 Das Kärntner Programm „Gesunde Gemeinde“
89
Verbindung von ArbeitskreisteilnehmerInnen und Zielgruppen. In diesem Sinne ist auch noch auf die politischen Interaktionen zwischen den Ebenen zu verweisen: Die GemeindebürgerInnen wählen den Gemeinderat und die BürgermeisterInnen, genauso den Landtag, und bedingen somit eine wichtige Kopplung der Ebenen. Auch zwischen den Gemeinden und dem Land bestehen zahlreiche politische Verbindungen (verbindende wie konfliktbeladene), welche den Kommunikationsweg Landesteam – Arbeitskreis potentiell ergänzen bzw. auch unterlaufen (vgl. die erweiterte Darstellung in Abbildung 16).
(Quelle: eigene Darstellung)
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Abbildung 16: Erweiterte Darstellung der Projektebenen
4 Fragestellung und Methodik
4.1 Fragestellung Das Programm „Gesunde Gemeinde“ wurde, abgesehen von der Dokumentation und Berichterstattung seitens des Landes Kärnten, noch nicht empirisch untersucht. Die komplexen Strukturen des Projektes sowie bisherige Untersuchungen sprechen für die Relevanz einer empirischen Aufarbeitung der Aktivitäten im Rahmen der „Gesunden Gemeinde“. Insbesondere für die künftige Weiterentwicklung soll Evidenz dafür geschaffen werden, welche Faktoren in der Arbeit der „Gesunden Gemeinden“ förderlich sind und wo möglicherweise Modifikationen nötig sind. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Kooperation in den Gemeinden und auf die Zusammenarbeit an den Schnittstellen „Land – Arbeitskreise“ bzw. „Arbeitskreise – GemeindebürgerInnen“ gelegt. Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Studie lautet daher: Welche Aspekte der Arbeit im Programm „Gesunde Gemeinde“ tragen zu dessen Erfolg bei? Ziel der Arbeit ist es somit, sowohl förderliche als auch hinderliche Faktoren der unterschiedlichen Herangehensweisen in den Gesunden Gemeinden zu identifizieren. Zur Exploration dieser Faktoren werden in einem Triangulationsdesign drei Ebenen der Arbeit in der gemeindebezogenen Gesundheitsförderung betrachtet und im Sinne der Mixed Methods (Tashakkori & Teddlie 2003) mittels qualitativer und quantitativer Methoden empirisch untersucht und miteinander vernetzt.
4.2 Eingesetzte Methoden Zur Entwicklung des methodischen Designs und der damit in Verbindung stehenden Erhebungsinstrumente wurde auf das oben beschriebene Modell zur Organisation und Struktur des Projektes „Gesunde Gemeinde“ zurückgegriffen. Demnach gilt es, drei Ebenen in die Untersuchung zu integrieren: Jene des Projektteams des Landes Kärnten, jene der Gemeinden und jene der Zielgruppen. Für die Untersuchung der Projektteamebene stellt sich die Problematik, dass über relativ wenige Auskunftspersonen in eine zuvor unbekannte Thematik ein-
4.2 Eingesetzte Methoden
91
getaucht werden soll: die konkreten Abläufe und Bedingungen eines Projektes, welches noch jung ist und das bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden ist. Vor diesem Hintergrund bietet sich ein methodischer Zugang an, der an den Sichtweisen der untersuchten Personen ansetzt und bei dem die möglichen Ergebnisse durch den Forscher nur zu einem geringen Grad vorstrukturiert sind, d.h. eine qualitative Vorgehensweise. Da es sich um einen sehr sachbezogenen Gegenstand handelt, kann man davon ausgehen, dass die zu untersuchenden Personen kompetent Auskunft geben können, weshalb als grundlegende Erhebungsmethode die persönliche Befragung gewählt wurde. Alternative Erhebungsmethoden können an dieser Stelle ebenso ausgeschlossen werden, da einerseits für eine ausreichende Beobachtung zu viele Interaktionen (Betreuerinnen, Gemeinden, Arbeitskreise etc.) stattfinden, andererseits für etwaige Inhalts- oder Sekundäranalysen kein bzw. zu wenig Datenmaterial vorliegt. Da in Vorgesprächen klar wurde, dass die Hauptverantwortung auf Ebene des Landes Kärnten beim Teamleiter liegt, welcher über seine Person auch die notwendige Vernetzung innerhalb der Abteilung (des Amtes der Kärntner Landesregierung) sowie zum Gesundheitsreferenten (also dem zuständigen Regierungsmitglied) herstellt, erscheint es ausreichend, die Erhebung auf dieser Ebene auf den Personenkreis des Projektteams zu beschränken. Auf Ebene der Gemeinden gilt es zu entscheiden, welche Gemeinden befragt werden sollen, und wer auf Gemeindeebene kompetente Auskunft geben kann. Gemäß dem Modell kämen als Untersuchungsobjekte die BürgermeisterInnen, der Gemeinderat und die Arbeitskreise in Frage. Damit stellt sich gleichzeitig die Frage, welche Gemeinden in die Untersuchung einbezogen werden sollen. Da als zentrale Fragestellung der Fokus auf förderliche und hinderliche Faktoren im Projekt „Gesunde Gemeinde“ gelegt wurde, fiel die Entscheidung auf eine Untersuchung ausschließlich am Projekt teilnehmender Gemeinden. Wie später in den Ergebnissen dargestellt ist, organisiert sich das Projekt zudem beinahe ausschließlich über die Kommunikation mit den Arbeitskreisen, weshalb nach der Auswertung der Untersuchung auf Ebene des Projektteams entschieden wurde, die Erhebung auf die Arbeitskreise zu beschränken. Um dabei mehrere Sichtweisen einfließen zu lassen, richtete sich die durchzuführende Befragung an alle Arbeitskreismitglieder in allen teilnehmenden Gesunden Gemeinden. Auf Ebene der Zielgruppen wurde schließlich ebenfalls die Festlegung getroffen, mittels Befragung vorzugehen. Da der Hauptschwerpunkt aller Aktivitäten an die jeweiligen Gemeindebevölkerungen gerichtet ist, wurde als zu wählende Grundgesamtheit die Bevölkerung der Kärntner Landgemeinden definiert (das sind alle Gemeinden Kärntens mit Ausnahme der Städte Villach und Klagenfurt). Auf dieser Ebene wurde darüber hinaus entschieden, sowohl in am
92
4 Fragestellung und Methodik
Projekt teilnehmenden als auch in nicht teilnehmenden Gemeinden zu erheben, um eine umfassende Analyse zu ermöglichen.
4.2.1 Erhebungsinstrument auf Ebene des Projektteams des Amtes der Kärntner Landesregierung Als Erhebungsinstrument auf Ebene des Projektteams wurde das sog. Leitfadeninterview herangezogen. Mit diesem Ansatz werden zwei Vorzüge vereint, die in der gegebenen Erhebungssituation beide zutreffen: offene Gesprächsführung bei starker Themenzentrierung (vgl. Mayring 2002, S. 67ff). Damit ist gemeint, dass sich der/die ForscherIn mit dem/der InterviewpartnerIn möglichst offen unterhält, wobei der Erzählung Raum gegeben wird, um sich von selbst zu entwickeln und eine freie Abfolge der Themen zu ermöglichen. Vorzug einer derartigen Vorgehensweise – so wie bei allen sog. qualitativen Forschungsmethoden – ist, dass inhaltlich tief greifende Ergebnisse erzielt werden können, die sich stark an den Meinungen und Erfahrungen der Befragten orientieren. Gleichzeitig greift der/die ForscherIn auf einen Leitfaden an spezifischen, themenorientierten Fragen zurück, der im Hintergrund bereitgehalten wird, um jene Fragen (Themen) in das Gespräch zu bringen, die im anderweitigen Verlauf noch nicht angeschnitten wurden bzw. nicht angeschnitten worden wären. Angebracht ist der Einsatz eines Leitfadens vor allem dann, wenn über die zu untersuchenden Inhalte bereits einiges bekannt ist und wo deshalb vorab Themen von zentralem Interesse entwickelt und vorbereitet werden können (vgl. ibid.). Genau dies ist bei der Untersuchung des Projekts „Gesunde Gemeinde“ der Fall: seitens der Gesundheitswissenschaften gibt es relativ genaue Vorstellungen darüber, was Gesundheitsförderung ist, so dass wichtige Begrifflichkeiten entsprechend berücksichtigt werden können; und seitens der praktischen Abwicklung des Projekts beim Land Kärnten existiert ein Projekthandbuch sowie eine Homepage, welche Auskunft über die prinzipielle Abwicklung (bzw. das Angebot) und somit wichtige Hinweise auf die Praxis des Projektteams liefern. Die Entwicklung des Leitfadens erfolgte in mehreren Stufen: a.
Zuerst wurde als Befragungsziel festgelegt: „Sammeln von Informationen darüber, wie das Gesamtprojekt aus Sicht des Projektteams läuft. Aufdecken von Erfolgsfaktoren und Stolpersteinen – in der eigenen Arbeit, in der Arbeit mit den Arbeitskreisen und Gemeinden. Überblick über die beliebtesten Themen und Aktivitäten. Entdecken des Zusammenhangs mit der Politik bzw. der Eingliederung in andere Themen der Gemeindearbeit. Entde-
4.2 Eingesetzte Methoden
b.
c.
93
cken des Zusammenhangs mit gesundheitswissenschaftlichen Hintergründen (Gesundheitsverständnis).“ Ausgehend von den bekannten Inhalten zum Projekt und seinem theoretischen Hintergrund erfolgte in Hinblick auf das Befragungsziel ein erstes Brainstorming über mögliche Gesprächsthemen. Die so entstandenen Themenblöcke wurden anschließend mittels Mindmapping-Technik weiter spezifiziert und auf Fragenebene heruntergebrochen. Anschließend wurden die Fragen angelistet und wo nötig noch ergänzt. Die so entstandenen Leitfäden wurden schließlich im Interview eingesetzt.
Aufgrund der speziellen Erhebungssituation konnten die Leitfäden vorab nicht getestet werden, da keine geeigneten InterviewpartnerInnen zur Verfügung standen – alle in Frage kommenden Personen sind identisch mit dem zu untersuchenden Feld. Ein Pretest könnte somit den Zugang zu umfassenden Ergebnissen gefährden. Diese Einschränkung wurde durch Rücksprachen und wiederholtes Überarbeiten der Leitfäden wett zu machen versucht, was auch gut gelang: Schon beim ersten Interview zeigte sich, dass der Leitfaden für die Betreuerinnen die Gesprächsthemen gut abdeckt – nur wenige Fragen mussten aktiv in das Gespräch eingebracht werden, der Großteil der Themen ergab sich während des Gesprächs von selbst bzw. durch nur leichtes lenken der Gesprächsrichtung. Generell erwies sich der Leitfaden in der Folge als sehr flexibel verwendbar, die einzelnen Themen ließen sich gut in alle Interviews einbringen. Der Feldzugang erfolgte über eine längere Vorbereitungsphase: Da das Forschungsprojekt auch zur Förderung durch das Land Kärnten eingereicht wurde, gab es schon in der Konzeptionierungsphase Kontakte mit dem Projektleiter, um ein Interesse an den Ergebnissen und die Bereitschaft für eine Kooperation im Rahmen des Projektes abzuklären. Nach Ausarbeitung der konkreten Vorgehensweisen erfolgte eine Einstiegspräsentation vor dem Projektteam, wo das Untersuchungskonzept, die angesteuerten Ziele und zu erwartende Ergebnisse dargelegt wurden. Als InterviewpartnerInnen wurden alle in die unmittelbare inhaltliche Betreuungsarbeit eingebundenen Projektteammitglieder ausgewählt: Dies sind der Projektleiter, die Betreuerin im Bereich Ernährung – Schulen – Kindergärten sowie jene fünf Gemeindebetreuerinnen, die dem Projekt bereits seit längerem angehören; jene zwei neuen Mitarbeiterinnen, welche zum Zeitpunkt der Erhebung gerade für ihren Arbeitsbeginn als Gemeindebetreuerinnen vorgesehen waren, wurden nicht in die Interviewgruppe aufgenommen. Die Durchführung der Interviews erfolgte im zweiten Quartal 2005.
94
4 Fragestellung und Methodik
4.2.2 Auswertungsmethode auf Ebene des Projektteams des Amtes der Kärntner Landesregierung Die Analyse der Interviews erfolgte nach der Methode der „zusammenfassenden Inhaltsanalyse“ nach Mayring (2003). Im Rahmen der Auswertung gilt es dabei, folgende Schritte zu durchlaufen:
Festlegung des Materials Analyse der Entstehungssituation Formale Charakterisierung des Materials Richtung der Analyse Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung Bestimmung der Analyseeinheit Analyse des Materials
Als zu verwendendes Material wurden sämtliche Interviewtranskripte sowie die angefertigten Gedächtnisprotokolle (s. übernächsten Absatz) festgelegt. Inhaltlich wurde das Material auf Aussagen, die sich mit den Arbeitsbereichen befassen, eingeschränkt. Allfällige Exkurse zu privaten Inhalten und sehr persönlichen Sichtweisen wurden ausgeschlossen. Die Entstehungssituation wurde bereits in der Darstellung des Feldzugangs und der Auswahl der InterviewpartnerInnen beschrieben (vgl. oben Kap. 4.2.1). Formal liegt das Material in folgender Form vor: Zu allen sechs Fällen existiert eine Transkription der im Schnitt 90-minütigen Tonbandaufzeichnungen. Die Transkription erfolgte – in Hinblick auf die weitere Auswertung, welche einen zusammenfassenden und keinen hermeneutisch-tiefenanalytischen Charakter hat – rein inhaltlich, d.h. dass Pausen, Betonungen sowie Wortwiederholungen und Füllworte usw. nicht übernommen wurden. Darüber hinaus existieren zu jedem Interview kurze Beschreibungen der Interviewsituation sowie Gedächtnisprotokolle zu Nachträgen und eventuellen Vereinbarungen im Rahmen von Vorund Nachgesprächen. Die Analyse ist – entsprechend der Forschungsfrage – auf die inhaltliche, manifeste Ebene der Gespräche ausgerichtet. Die Differenzierung der Fragestellung erfolgt analog der Befragungsziele, d.h. dass sowohl Faktoren des Erfolgs bzw. Misserfolgs in der Projektarbeit, als auch die Reflexion über die praktische Umsetzbarkeit theoretischer Konzepte ausgearbeitet werden sollen. Die Festlegung der Analyseeinheit erfolgte sehr pragmatisch im Zusammenhang mit dem Auswertungsziel: als Minimalkriterium „Kodiereinheit“ wurde als kleinster Bestandteil jede einzeln abgrenzbare Sinneinheit festgelegt (s.u. die Schritte der
4.2 Eingesetzte Methoden
95
Analyse), als Kontexteinheit wurde vorab das gesamte Textmaterial festgelegt, welches auch identisch mit der Auswertungseinheit ist. Die Analyse selbst erfolgte unter Verwendung der Software „MAXqda2“ in folgenden Schritten: 1.
2.
3.
4.
Paraphrasierung der Aussagen der InterviewpartnerInnen. Die Kodiereinheit war dabei jede zusammengehörige Sinneinheit, welche sich je nach angesprochenem Inhalt von einzelnen Worten (z.B. bei zusammenfassenden Aufzählungen von Aufgaben der Mitarbeiterinnen wie „… da sind Telefonate zu führen, für einzelne Bereiche Recherchen machen, Kontakte, Dokumentation, Arbeitsbehelfe erstellen“) bis hin zu längeren Absätzen, die sich um eine übergreifende Kernaussage drehen, erstrecken konnte. Die Paraphrasen wurden anschließend in thematisch zusammenhängende Blöcke geordnet, wobei die Arbeitsschritte Generalisierung und erste Reduktion parallel durchgeführt wurden. D.h. inhaltlich mehr oder weniger identische Aussagen wurden zusammengefasst auf ein gleichmäßiges Abstraktionsniveau gebracht bzw. parallel auf thematisch zusammenhängende Blöcke reduziert. Im nächsten Schritt erfolgte die Neuordnung der so entstandenen Elemente zu ersten Kategoriensystemen (zweite Reduktion), welche allerdings inhaltlich noch wenig integriert sind; d.h. dass hier einmal eher viele Kategorien entwickelt wurden, um diese anschließend noch einmal auf Konsistenz prüfen zu können. Parallel wurden diese Kategorien bereits zu einem beschreibenden Text verschriftlicht. Gleichzeitig wurden im Zuge der Neuordnung die erstellten Paraphrasen und Generalisierungen noch einmal auf ihre inhaltliche Stabilität (adäquate und stringente Darstellung) stichprobenartig bzw. in Verdachtsfällen überprüft und verifiziert. Im abschließenden Schritt wurden die Kategorien noch einmal nach inhaltlichen Gesichtspunkten neu geordnet und zusammengefasst, um so thematisch schlüssige Subkapitel entstehen zu lassen, welche eine übergreifende Beschreibung ermöglichen. Hierbei wurden auch noch einmal die bereits während der vorherigen Phasen entstandenen Memos überprüft und bei Bedarf eingearbeitet.
Bei der Darstellung der Ergebnisse wird Wert auf die Trennung von textnaher und weiterführender Interpretation gelegt. Die entsprechenden Kapitel (Kap. 5.15.7) wurden deshalb in folgende Struktur gebracht: unmittelbar die in den Interviews getätigten Aussagen zusammenfassende Interpretationen werden jeweils im ersten Teil eines thematischen Abschnitts dargestellt, und über das unmittelbar Gesagte hinausgehende Interpretationen (die sich z.B. erst aus dem Gesamt-
96
4 Fragestellung und Methodik
kontext ergeben oder die in Richtung weiterführender Diskussionen gehen) werden erst im Anschluss daran und abgegrenzt durch eine eigene Zwischenüberschrift dargestellt.
4.2.3 Entwicklung des Erhebungsinstrumentes und Festlegung des Samples auf Ebene der Gesunden Gemeinden Wie bereits erwähnt, wurde entschieden, die am Programm teilnehmenden Arbeitskreise zu befragen. Dies erfolgte mittels standardisiertem Fragebogen, welcher an die Arbeitskreismitglieder in den Gesunden Gemeinden ausgesendet wurde. Zur Entwicklung des Fragebogens wurde abermals das Modell zu Organisation und Ablauf der Gesunden Gemeinden zurückgegriffen, um die interessierenden Fragenkomplexe zu identifizieren. Darüber hinaus dienten die Ergebnisse aus den Leitfadeninterviews als wichtige Anhaltspunkte. Literaturrecherchen zu Fragebögen aus ähnlichen Projekten im deutschen Sprachraum brachten leider kein Ergebnis. Als übergeordnete, leitende Fragestellung galt auch hier das Ausfindigmachen von förderlichen und hinderlichen Faktoren im Arbeitskreis. Zu diesem Zweck wurden als operationalisierbare Befragungsziele weiters festgelegt:
Beschreibung der Zusammensetzung des Arbeitskreises; Beschreibung der Arbeitsweise (Vorgehensweisen) im Arbeitskreis; Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit im Arbeitskreis; Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit mit Gemeindeverwaltung und -politik; Aufdecken von Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Zielgruppen; Beschreibung der Wahrnehmung des eigenen Erfolges des Arbeitskreises; Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit mit dem Landesteam.
Zur Zusammensetzung des Arbeitskreises (Fragen 1-11 des Fragebogens) wurden als wesentliche Elemente festgelegt, dass Auskunft über den beruflichen Hintergrund sowie eventuelle Funktionen in der betreffenden Gemeinde abgefragt werden sollten. Zu den weiteren personenbezogenen Daten gehören Fragen, ob man in der Gemeinde auch wohnt bzw. arbeitet, sowie soziodemographische Angaben zu Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Haushaltszusammensetzung. Die Fragen zur beruflichen Eingebundenheit bzw. nach dem Wohnort
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zielen darüber hinaus darauf ab, die gemäß Modell angenommenen Integrationsmöglichkeiten der örtlichen Zielgruppeneinbindung näher zu beleuchten. Auf den Arbeitskreis bezogen wurden Angaben zur Dauer des Bestehens und der Teilnahme daran erhoben sowie die eigene Funktion. Eine direkte Bewertung der Zusammensetzung des Arbeitskreises wurde ebenso adressiert wie die Wahrnehmung einer eventuellen Fluktuation. Den persönlichen Hintergrund betreffend wurde darüber hinaus gefragt, wie die jeweilige Person Zugang zum Arbeitskreis gefunden hat und welche Motive für die Teilnahme bestehen. Insbesondere die Fluktuationsfrage sowie zahlreiche Hinweise zu den beiden letztgenannten Fragen konnten dabei aus den Ergebnissen der Leitfadenbefragung des Projektteams entwickelt werden. Die Beschreibung der Arbeitsweisen im Arbeitskreis (Fragen 12-21) orientiert sich vorwiegend an den Aspekten der Standardisierung von Abläufen und den Kompetenzen, über welche der Arbeitskreis verfügt. Dazu gehört zunächst die Häufigkeit von Sitzungen und die Zufriedenheit damit, des Weiteren aber auch bestehende Festlegungen zu standardisierten Tätigkeiten, wie Protokollführung usw., da aus den Leitfadeninterviews Hinweise auf sehr unterschiedliche Handhabung in den verschiedenen Gemeinden existieren. Hieraus abgeleitet sind auch Fragen zur inhaltlichen Ausrichtung (Koordination oder Arbeitstreffen), der Gliederung in Subarbeitskreise und der bereits absolvierten inhaltlich vorgegebenen Arbeitsschritte in der Anfangsphase eines Arbeitskreises. Unter zusätzlicher Einbeziehung des Organisationsmodells – insbesondere des Zusammenwirkens von politischer Gemeindestruktur und Arbeitskreis – wurden auch Kompetenzen zur endgültigen Entscheidung durch den Arbeitskreis erhoben. Der Themenbereich Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit im Arbeitskreis (Fragen 22 & 23) zielt insbesondere auf jene Kriterien ab, die in der idealtypischen Beschreibung gut bzw. schlecht funktionierender Arbeitskreise durch die Betreuerinnen des Projektteams auf Landesebene zur Sprache kamen. Im Zentrum standen dabei Fragen des Informationsaustausches, der Aufgeschlossenheit, von Akzeptanz und Konfliktfähigkeit, Motivation und Aufgabenzentriertheit. Ähnlich erfolgte auch die Bewertung der Zusammenarbeit mit der Arbeitskreisleitung; diese Fragen wurden dabei doppelt formuliert, und zwar einmal für die Bewertung durch ein Arbeitskreismitglied, und einmal für die Selbstbewertung durch die Arbeitskreisleitung. Dabei wurde auf Formulierungen zurückgegriffen, die in Anlehnung an den Fragebogen von Reschl-Rühling (2004, S. 439ff) entwickelt worden sind. Die Fragen zur Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit mit Gemeindeverwaltung und -politik (Fragen 24 & 25) wurden im Laufe der Operationalisierung um AkteurInnen des allgemeinen Gemeindealltags erweitert. Im Fokus stand dabei die Erfassung, ob diese jeweils mit dem Arbeitskreis zusam-
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menarbeiten bzw. in diesem vertreten sind. In Bezug auf die Gemeindeverwaltung wurde darüber hinaus erhoben, welche materiellen und offiziellen Unterstützungen bereitgestellt werden (etwa diverse Räumlichkeiten oder die Entsendung von GemeindevertreterInnen zu Veranstaltungen). Aufgrund der so entstandenen längeren Liste und der ansonsten notwendigen Komplexität der Fragestellung wurde letztlich nur mehr auf das jeweilige Vorhandensein der genannten Aspekte Bezug genommen. Ursprünglich geplante Zufriedenheitsbewertungen sowie das Abfragen zusätzlicher Unterstützungswünsche wurden wieder fallen gelassen. Im Bereich der Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Zielgruppen (Fragen 26-33) werden jene Bereiche angesprochen, die im vorgestellten Modell das Ansprechen der dritten Ebene betreffen und somit die eigentlichen und zentral außenwirksamen Maßnahmen des Arbeitskreises in Hinblick auf die Gemeindebevölkerung darstellen. Dazu gehören zunächst einmal die Frage nach definierten Zielgruppen, den Informationsstrategien und den bisher durchgeführten Projekten. Dabei wurden als Antwortmöglichkeiten vorwiegend jene Kategorien definiert, welche aufgrund des existierenden Handbuches „Gesunde Gemeinde“ und den Ergebnissen aus der Leitfadenbefragung nahe liegend waren. Ebenso wurde bei den bereits durchgeführten Maßnahmen verfahren, wobei hier als Leitgedanke die von den Gemeindebetreuerinnen wiederholt angesprochene „Nachhaltigkeit“ fungierte. Dementsprechend wurde zwischen einmaligen und langfristig angelegten Maßnahmen bzw. nach strukturellen Veränderungen unterschieden. Im Rahmen der Zielgruppenorientierung und im Sinne von Projektmanagement wurden in diesem Zusammenhang auch die Strategien zur Auswahl, Bewertung und Steuerung von Maßnahmen erhoben. Die vorgegebenen Auswahlkriterien orientierten sich dabei vorwiegend an den Aspekten von „Lebenserfahrung“ (Gemeindeleben, berufliche Kompetenzen), „top-down-Informationen“ (durch Informationskampagnen, durch das Projektteam des Landes, durch ExpertInnen, durch den Gemeinderat), und gezielter gemeindebezogener Analyse (durch den Arbeitskreis oder zielgruppenorientierte Erhebungen). Im Sinne des Vernetzungsgedankens des Gesamtprojektes wurde darüber hinaus auch das Item „Anregungen durch Maßnahmen in anderen Gemeinden“ aufgenommen. Ähnlich erfolgte die Itemformulierung im Bereich der Erfolgseinschätzung, indem subjektive Eigen- bzw. Fremdbewertungen (eigener Eindruck, Rückmeldung durch verschiedene Personen) sowie systematische Erhebungen zum Erfolg (Befragungen, Untersuchungen) berücksichtigt wurden. Die genannten Kriterien nehmen auf die Erfahrungen und auch Idealvorstellungen der Gemeindebetreuerinnen Bezug. Um zu berücksichtigen, dass Maßnahmenbewertungen nicht ausschließlich outcomeorientiert stattfinden, wurde der Fragebogen um mögliche Entschei-
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dungskriterien zur Weiterführung und zum Abbruch von Maßnahmen erweitert. Damit wird eine Ergänzung um input- und um prozessbezogene Kriterien erreicht (z.B. Kosten, Aufwand, Standardisierung usw.). Die Wahrnehmung des eigenen Erfolges des Arbeitskreises (Fragen 34-36) wurde durch drei Fragen zur allgemeinen Erfolgseinschätzungen (insgesamt, auf Zielgruppen bezogen, auf die Gemeinde bezogen) erhoben. Dies erlaubt Globalbeurteilungen des Gesamtprojektes durch die aktiv Ausführenden, welche als abhängige Variablen in der Analyse von Erfolgskriterien dienen können. Die allgemeinen Einschätzungsfragen wurden dabei bewusst ans Ende eines umfassenden Fragenkomplexes gestellt, um eine zusammenfassende Aussage erst nach bewusster Reflexion zahlreicher Einzelkriterien zu erheben, wodurch sich die Chance auf eine begründete Bewertung durch die befragte Person erhöht. Als Überleitung von diesem zum nächsten Themenbereich wurden die Bereiche der aktiven Vernetzung mit anderen Gemeinden aufgenommen (Fragen 37 & 38), da dies explizit durch das Projektteam auf Landesebene angestrebt wird. Dabei wird sowohl der Frage nach direktem Austausch als auch nach indirektem Austausch über die zur Verfügung gestellte „Gesunde Gemeinde“-Homepage nachgegangen. Der Themenbereich Beschreibung und Bewertung der Zusammenarbeit mit dem Landesteam (Fragen 39-41) bezieht sich auf die erste im Organisationsmodell vorgestellte Ebene. Damit dient dieser Fragenblock der Spiegelung der Sichtweisen: während in der Leitfadenbefragung eine Einschätzung der Zusammenarbeit mit den Gemeinden auf Seiten des Projektteams geliefert werden kann, erfolgt hier ein Feedback der Arbeitskreismitglieder an die Betreuerinnen. Dazu wurde als Filtermöglichkeit zunächst die Form des Kontaktes zur jeweiligen Betreuerin erhoben, und in weiterer Folge einzelne Aspekte der Zusammenarbeit. Diese wurden in Anlehnung an die Bewertung der Zusammenarbeit innerhalb des Arbeitskreises entwickelt, ergänzt um Hinweise zum Selbstverständnis der Betreuerinnen, welche aufgrund der Leitfadeninterviews festgestellt wurden (insbesondere zur eigenen Zurückhaltung bzw. Ermutigung der Arbeitskreise zur selbständigen Arbeit). Zusätzlich wurde die Inanspruchnahme verschiedener Unterstützungsangebote, welche die Betreuerinnen üblicherweise machen, erhoben. Ergänzt wurde der Fragebogen an dieser Stelle mit offen gehaltenen, direkten Fragen nach förderlichen bzw. hinderlichen Aspekten in der Arbeit im Projekt Gesunde Gemeinde (Fragen 42 & 43). Abschließend wurden Aspekte des zugrunde liegenden Verständnisses von Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung seitens der Arbeitskreismitglieder erhoben (Fragen 44-46), sowie schließlich noch Items zu den Rahmenbedingungen innerhalb der Gemeinde aufgenommen (Frage 47).
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Bei der Strukturierung der Antwortformate wurde allgemein festgelegt, dass Fragen nach konkreten Fakten im ja/nein-Format (bzw. im selben Sinn durch das Ankreuzen der Items von Mehrfachantworten) definiert werden, während Zufriedenheitsbewertungen und allgemeingültige Einschätzungen (z.B. bei der Maßnahmenbewertung) mit einer vierstufigen Likert-Skala erhoben werden. Letzteres dient dabei der Eindeutigkeit der Antworten, da über das Vermeiden einer Mittelkategorie („weder/noch“) eine positive bzw. negative Zuordnung erzwungen wird. Ausgenommen davon sind die übergeordneten Einschätzungsfragen zu den Gesamterfolgen des Arbeitskreises (Fragen 34-36), bei welchen eine zehnstufige Skala vorgegeben wurde. In einem ersten Fragebogenentwurf waren darüber hinaus Fragen zum eigenen Kennenlernen des Projektes, zu finanzieller Entschädigung, zur Einladungspolitik (Offenheit) des Arbeitskreises sowie eine detaillierte Auflistung zu den in Anspruch genommenen Modulen des Landes Kärnten enthalten, welche allerdings im Zuge der Kürzung auf eine zumutbare Fragebogenlänge wieder gestrichen wurden. Hauptkriterium für Streichungen waren Ähnlichkeit bzw. allzu hohe Detaillierung sowie vermutete geringere Relevanz im Vergleich zu den verbleibenden Fragebogeninhalten. Manche zuvor als eigene Fragen formulierte Themen konnten durch Integration an anderer Stelle ebenfalls gekürzt werden. Eine Frage nach finanzieller Entschädigung wurde aufgrund der Tatsache, dass das Projekt grundsätzlich auf Freiwilligenarbeit aufgebaut ist, wieder gestrichen. Vor der Versendung wurde der Fragebogen einem Pretest unterzogen. Dieser wurde mit zwei organisatorisch verantwortlichen Personen einer der teilnehmenden Gemeinden durchgeführt. Eine Person füllte den Fragebogen auch aktiv aus, das Ergebnis wurde anschließend auch in die Auswertung mit einbezogen. Die zweite Person besprach den Fragebogen, ohne ihn auszufüllen. Als wesentliche Hinweise konnten aus diesem Pretest die Fragen zu den Funktionen in Gemeinde und Arbeitskreis (Fragen 2 & 3), zu den Motiven zur Teilnahme (Frage 10) und zur Entscheidungsfindung im Arbeitskreis (Frage 18) angepasst werden. Insgesamt entstand somit ein Fragebogen mit 48 Fragen bzw. 322 einzelnen Items in einem Umfang von 11 Seiten. Die Ausfülldauer des Fragebogens liegt bei ca. 30 Minuten. Vor der Annahme, dass es sich bei den zu Befragenden um eher engagierte Personen handelt – schließlich nehmen sie freiwillig an den Arbeitskreisen teil – wurde dies für zumutbar erachtet. Angesichts des erreichten Rücklaufs von 31,7% (aus jeder angeschriebenen Gemeinde liegt somit mindestens ein Fragebogen vor) kann diese Einschätzung als zutreffend erachtet werden. Zur Sampleerstellung wurde an die Arbeitskreisleitungen aller 56 zum Erhebungszeitpunkt teilnehmenden Gemeinden ein Formular gesendet und gebeten, darin die Arbeitskreismitglieder, deren Postadressen sowie ihren Beruf bzw.
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ihre Funktion anzuführen und an den Autor zu übermitteln. Aus den Rückmeldungen ergab sich eine Ausgangsstichprobe von 492 Personen, welche Arbeitskreisen aus 39 Gesunden Gemeinden angehören. An diese Personen wurde schließlich der Fragebogen samt beigelegtem Rückkuvert postalisch zugesandt. Der Erhebungszeitraum erstreckte sich auf März und April 2006.
4.2.4 Auswertungsmethoden zur Arbeitskreisbefragung Generell wird zur Auswertung der Arbeitskreisbefragung auf standardisierte, kodifizierte Verfahren zurückgegriffen. Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgte im Statistikprogramm „SPSS“. Zum Einsatz kamen Signifikanztests zur Überprüfung von Gruppenunterschieden (²-Test, U-Test, t-Test, H-Test, Rangvarianzanalyse mit Datenalignement) und Korrelationsanalysen (Rangkorrelation rs nach Spearman, Korrelationskoeffizient r nach Pearson) zur Überprüfung von Zusammenhängen (vgl. Bortz 2005; vgl. Bortz, Lienert & Boehnke 2000). Dort, wo für ²-Tests die Voraussetzung, dass mindestens 80% der Erwartungswerte 5 betragen, verletzt wurde, wurde für Vierfeldertafeln auf Fishers exakten Test und bei sonstigen Kreuztabellen auf den Craddock-Flood-Test zurückgegriffen, im Falle geringer Gruppengrößen beim H-Test auf den dazugehörigen exakten Test (vgl. Bortz et al. 2000). Das Signifikanzniveau wurde auf 5% festgelegt. Sollten einzelne Tests eine Schranke von p 4511 € Gesamt
8 13 58 27 44 26 178
6,5% 5,9% 34,0% 16,7% 21,9% 14,9% 100,0%
n
%
30 41 57 31 9 1 169
16,8% 24,8% 34,0% 18,5% 5,5% 0,3% 100,0%
30,3%
Pflichtschule
35,8% Lehre 10,6% Fachschule 15,8% Höhere Schule 7,5% Hochschule, Uni 100,0% Vergleichsdaten Österreich2 10,0% 0-880 € 15,0% 881-1380 € 25,0% 1381-2150 € 25,0% 2151-3280 € 15,0% 3281-4510 € 10,0% > 4511 € 100,0%
Quelle: Statistik Austria 2005b, inkl. der dort getroffenen Kategorienzuteilung Quelle: Statistik Austria 2006
Tabelle 3: Alter & Geschlecht der Bevölkerungsstichprobe Alter
n 15 bis 29 Jahre 30 bis 44 Jahre 45 bis 59 Jahre 60 bis 74 Jahre 75 Jahre und älter Gesamt
Geschlecht männlich weiblich Gesamt 1 2
Quelle: Statistik Austria 2005a Bevölkerung ab 15 Jahren
%
16 53 54 47 8 178
9,0% 29,8% 30,3% 26,4% 4,5% 100,0%
n
%
69 110 179
38,7% 61,3% 100,0%
Vergleichsdaten Kärnten1 21,2% 27,4% 24,0% 17,4% 10,1% 100,0% Vergleichsdaten Kärnten1, 2 47,9% 52,1% 100%
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6 Ergebnisse zur Bevölkerungsbefragung
Vorbereitend zu den weiteren Analysen wurden die Daten auf Unterschiede in den demographischen Variablen bzgl. der Zugehörigkeit zum Programm „Gesunde Gemeinde“ geprüft. Untersucht wurden dabei jeweils die Nennungen zu Alter, Geschlecht, Beruf (Mehrfachantwort), Haushaltseinkommen, Haushaltszusammensetzung (Mehrfachantwort) und Bildungsgrad. Sowohl beim Alter (MGesGem=50,6 Jahre [SD=14,1]; MWkeine GesGem=49,8 Jahre [SD=16,1]; t[172]=-0,331; p>0,05) als auch bei den meisten anderen Variablen ergeben sich keine signifikanten Unterschiede. Sehr wohl zeigt sich hingegen ein signifikanter Geschlechtsunterschied, da aus am Programm teilnehmenden Gemeinden anteilsmäßig mehr Frauen geantwortet haben (70% vs. 53,7%; ²[1, n=174]=5,04; p0,05). Platz 1 wird signifikant häufiger als bekannt eingestuft als die Plätze 2 bis 6 (²[5, n=181]=27,77; p