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LE 3
III.
Rechtsschutz im Rahmen der EU
69
Rechtsschutz durch den EuGH
Der EuGH ist zuständig für Klagen wegen Verletzung der Gründungsverträge durch die Mitgliedstaaten, zur Nichtigerklärung von Rechtsakten von Gemeinschaftsorganen, ebenso für Klagen wegen Untätigkeit der Gemeinschaftsorgane bzw der Mitgliedstaaten, für Schadenersatzklagen gegen die Gemeinschaftsorgane und für Zuständigkeiten des EuGH: bestimmte Rechtsmittelverfahren. Darüber hinaus verfasst der - Vorabentscheidungsverfahren - Direktklagen: Vertragsverletzungs-, EuGH Rechtsgutachten über völkerrechtliche Abkommen der Nichtigkeits-, Untätigkeits-, Gemeinschaft und ist für die Durchführung des in der Praxis Schadenersatzklagen sehr bedeutsamen Vorabentscheidungsverfahrens zuständig. - Rechtsmittel gegen
A.
Vorabentscheidungsverfahren
Entscheidungen des EuG - Gutachten
Grundsätzlich haben sämtliche Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten EU-Recht vollständig anzuwenden. Dabei legen sie aber mitunter unterschiedliche Auslegungsmaßstäbe an. Um eine wirksame und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, wurde das Verfahren nach Das Vorabentscheidungsverfahren dient Art 234 EGV eingeführt. Dieses Vorabentscheidungsverfahren der unterschiedslosen und wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist die in der Praxis wichtigste Verfahrensart (knapp die Hälfte aller EuGH-Verfahren sind Vorabentscheidungsverfahren) und weist dem EuGH ein (mehr oder weniger letztinstanzliches) Monopol der Gemeinschaftsrechtsauslegung zu. Aufgrund der engen Kooperation nationaler Gerichte mit dem EuGH ist das Vorabentscheidungsverfahren ein entscheidendes Instrument zur Wahrung der Rechtssicherheit und Verbesserung des Rechtsschutzes. Hat ein nationales Gericht in einer Rechtssache, für deren Ausgang Gemeinschaftsrecht relevant ist, Zweifel über dessen Auslegung (betrifft: Verträge, Sekundärrecht, Satzungen) oder Gültigkeit (betrifft: Sekundärrecht, gemessen am Primärrecht), so legt es dem Gerichtshof die entsprechenden Fragen zur Vorabentscheidung vor (Vorabentscheidungs- oder Vorlageverfahren). Unter Bei Zweifeln über Auslegung: „Gericht“ versteht der EuGH jede Behörde, die bestimmte - Nationale „Gerichte“ dürfen vorlegen Kriterien erfüllt, insbesondere auf einer gesetzlichen Grundlage - Nationale letztinstanzliche „Gerichte“ müssen immer vorlegen beruht, eine ständige Einrichtung ist, nach Rechtsnormen entscheidet, unabhängig ist, ein kontradiktorisches Verfahren Bei Zweifeln über Gültigkeit durchführt und eine rechtsprechende Tätigkeit ausübt. In - Nationale Gerichte müssen immer vorlegen Österreich fallen jedenfalls die ordentlichen Gerichte (Bezirksgerichte, Landesgerichte, Oberlandesgerichte, OGH) und die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VwGH, VfGH), aber auch bestimmte weisungsfreie Verwaltungsbehörden (zB die UVS, das Bundesvergabeamt und die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag nach Art 133 Z 4 B-VG) unter diesen autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriff „Gericht“, der nicht mit dem des „Tribunals“ der EMRK verwechselt werden darf. Bsp: Beim Bundesvergabeamt handelt es sich um eine Verwaltungsbehörde, die als staatlicher Spruchkörper auf gesetzlicher Grundlage ständig damit betraut ist, Rechtssachen unabhängig zu entscheiden, und daher um ein Gericht im Sinne des Art 234 EGV. Bei Zweifeln betreffend die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht muss jedes Gericht vorlegen. Bei Zweifel über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts kann jedes „Gericht“ iSd Art 234
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EGV vorlegen, letztinstanzliche Gerichte müssen vorlegen. Als letztinstanzliches Gericht wird jedes „Gericht“ (in obigem Sinn) verstanden, dessen Entscheidung im jeweiligen Einzelfall nicht mehr durch ein Rechtsmittel bekämpfbar ist. In Österreich sind daher die Höchstgerichte (OGH, VfGH, VwGH) immer auch letztinstanzliche Gerichte. Da eine verfassungsgerichtliche Beschwerde kein Rechtsmittel iSd Art 234 Abs 3 ist, sind Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag als letztinstanzliche Gerichte zu betrachten; auch die Vergabekontrolleinrichtungen der Länder oder der Bundeskommunikationssenat sind jedenfalls vorlageverpflichtet. Die UVS hingegen sind wegen der Anrufungsmöglichkeit des VwGH bloß vorlageberechtigt. Bsp: Das OLG Wien hat als zweite Instanz in einem Verfahren, in welchem das Monopol auf Pflichtveröffentlichungen einer Tageszeitung im Bundeseigentum Gegenstand der Auseinandersetzung ist, Bedenken über die Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenbegriffs (Art 86 EGV); das OLG kann hier, muss aber nicht dem EuGH vorlegen. Aufgrund der Revision gegen das Urteil des OLG hat in der Folge der OGH zu entscheiden; das OLG Wien hat die Frage dem EuGH nicht vorgelegt. Zweifelt auch der OGH an der Auslegung der EG-Vorschrift, so muss dieser als letzte Instanz den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen. Die Vorlagepflicht entfällt hingegen, wenn: •
die Beantwortung der gemeinschaftsrechtlichen Frage nach Auffassung des Gerichts keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann
•
die Frage bereits in einem gleich gelagerten Fall Gegenstand einer Vorlage gewesen ist
•
eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt, durch die die betreffende Rechtssache gelöst ist
•
bei korrekter Anwendung des Gemeinschaftsrechts die Beantwortung der Frage keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel lässt und kein Gericht an dieser Auslegung zweifeln würde (Doktrin des „acte clair“) Bsp: Weil es „gesicherte Judikatur des EuGH“ gibt, die es „offenkundig mache“, dass eine Sonderabgabe auf Erdöl nicht der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie widerspricht, leitet der VfGH kein Vorabentscheidungsverfahren ein.
Neben Art 234 EGV als wichtigster Rechtsgrundlage für das Vorabentscheidungsverfahren sehen auch andere europarechtliche Bestimmungen ein derartiges Entfall der Vorlagepflicht: - Beantwortung nicht Verfahren vor, allerdings mit Besonderheiten: Gem Art 68 EGV entscheidungsrelevant sind im Bereich des freien Personenverkehrs, des Asylrechts und - Frage bereits entschieden der Einwanderung lediglich letztinstanzliche Gerichte berechtigt - Gesicherte Rechtsprechung vorhanden und verpflichtet, um Vorabentscheidung zu ersuchen. Für die - Beantwortung für jedes Gericht polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen unzweifelhaft (3. Säule) besteht nach Art 35 EUV eine Vorlagemöglichkeit, sofern der betreffende Mitgliedstaat (so zB Österreich, Deutschland) eine entsprechende Unterwerfungserklärung abgegeben hat. Durch das Vorabentscheidungsverfahren entsteht oftmals erst Klarheit über vage oder mehrdeutige Vertragsbestimmungen und Sekundärrecht. Bei Auslegungsfragen ist das Urteil des EuGH nur für den konkreten Rechtsstreit (inter partes) bindend. Die Mitgliedstaaten sind darüber hinaus aber verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht einheitlich und gleichmäßig
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anzuwenden, wozu auch gehört, dass nationales Recht ganz allgemein in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH gebracht wird. Bei Gültigkeitsfragen wird der Rechtsakt durch den EuGH gegebenenfalls mit umfassender Wirkung für ungültig erklärt. Bsp: Hat der UVS Tirol Bedenken, ob im Falle der Berufung gegen die Erklärung eines bestimmten Landstriches zu einem Umweltschutzgebiet gemeinschaftsrechtliche Vorschriften anzuwenden oder auch nur bei der Auslegung der nationalen Rechtsnormen zu beachten sind, so kann er den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorlegen. Das Vorabentscheidungsverfahren weist gegenüber den Verfahren der Direktklagen einige Besonderheiten auf. Das nationale Gericht setzt das bei ihm anhängige Verfahren aus und unterbreitet dem EuGH Fragen zur Gültigkeit oder zur Auslegung, deren Beantwortung für die Entscheidung des nationalen Gerichts entscheidungserheblich ist. Bsp einer Vorlagefrage: „Ist Art … der Verordnung … gültig?“ Die Vereinbarkeit innerstaatlichen Rechts mit EG-Recht ist kein zulässiger Verfahrensgegenstand, ebenso wenig wie die Auslegung nationalen Rechts; tatsächlich kann ein nationales Gericht aber die Vorlagefrage so geschickt formulieren, dass es darauf hinausläuft; manchmal formuliert der EuGH ungeschickt gestellte Fragen der Gerichte entsprechend um. Bsp einer Vorlagefrage: „Ist Art … EGV dahingehend auszulegen, dass er der Anwendung der nationalen Regelung … entgegensteht, die vorsieht, dass …?“ Der Kanzler stellt das Vorlageersuchen den an den nationalen Ausgangsverfahren beteiligten Parteien, allen Mitgliedstaaten, der Kommission sowie - wenn betroffen - Rat, EP oder EZB zu. Die Beteiligten, die sich schriftlich äußern, können ihren Standpunkt auch in der mündlichen Verhandlung vortragen. Bei Vorabentscheidungsverfahren ist die Sprache des vorlegenden Gerichts Verfahrenssprache. Das weitere Verfahren verläuft wie oben (siehe II.B.1.) dargestellt. Bei der Erwägung Ihrer Beschwerde teilt der VfGH Ihre Zweifel, die Bestimmung im Energieabgabenvergütungsgesetz könnte – weil sie Produktionsbetriebe gegenüber Dienstleistungsbetrieben begünstigt, aber der Kommission nicht notifiziert und von dieser daher auch nicht genehmigt wurde – unter das gemeinschaftsrechtliche Beihilfenverbot fallen. Da der VfGH als letztinstanzliches Gericht bei Zweifeln über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht gem Art 234 Abs 3 EGV zur Vorlage an den EuGH verpflichtet ist, legt er die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH stellt fest, dass es sich – angesichts des Fehlens von Gründen, die eine Beihilfe ausnahmsweise von vornherein rechtfertigen können (vgl EÖR I, LE 8) – bei den Bestimmungen des Energieabgabenvergütungsgesetzes um eine verbotene staatliche Beihilfe iSd Art 87 EGV handelt, weil die (teilweise) Vergütung von Energieabgaben nur für Unternehmen vorgesehen ist, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht. Über die allfällige Genehmigungsfähigkeit dieser Beihilfenmaßnahme mit dem gemeinsamen Markt habe ausschließlich die Kommission vorbehaltlich einer nachprüfenden Kontrolle durch den Gerichtshof zu entscheiden. An diese eine verbotene Beihilfe iSd Art 87 EGV feststellende Vorabentscheidung des EuGH ist der VfGH bei seiner weiteren Prüfung Ihrer Bescheidbeschwerde in der Folge gebunden. (Zum Ausgang dieses Verfahrens siehe unten im Anschluss an IV.D.)
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B.
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Direktklagen
Neben den Vorlageverfahren ist der EuGH insbesondere zuständig für die Klagen wegen Verletzung eines der Gründungsverträge durch die Direktklagen: Mitgliedstaaten, auf Nichtigerklärung von Rechtsakten von Vertragsverletzungsklagen Nichtigkeitsklagen Gemeinschaftsorganen, ebenso für Klagen wegen Untätigkeit der Untätigkeitsklagen Gemeinschaftsorgane und für Schadenersatzklagen gegen die Schadenersatzklagen Gemeinschaftsorgane. Dabei handelt es sich um sog Direktklagen, weil sie den Klagsparteien einen unmittelbaren Zugang zum EuGH ermöglichen.
1.
Vertragsverletzungsverfahren
Die Europäische Kommission hat als „Hüterin der Verträge“ dafür Sorge zu tragen, dass das Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß angewendet wird. Zu diesem Zweck steht ihr die Vertragsverletzungsklage zur Verfügung, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet (Art 226 ff EGV). Die Mitgliedstaaten selbst sind ebenfalls zur Erhebung einer Vertragsverletzungsklage gegen einen anderen Mitgliedstaat berechtigt, überlassen es aber vielfach der Kommission, gegen diesen vorzugehen. Natürlichen oder juristischen Personen steht das Vertragsverletzungsverfahren nicht offen. Sie können aber bei der Kommission mittels Beschwerde ein derartiges Verfahren anregen. Die Kommission erlangt in der Praxis überwiegend auf diesem Wege Kenntnis von Verstößen der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht, da die Zahl solcher Beschwerden recht hoch ist. Das Verfahren ist als objektives Rechtsschutzverfahren konzipiert und dient der Gewährleistung der allgemeinen Gemeinschaftskonformität mitgliedstaatlichen Handelns, dh der Gerichtshof überprüft, ob die Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind und stellt fest, ob und in welchem Ausmaß ein Mitgliedstaat gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat. Als Verstöße kommen alle staatlichen Handlungsformen in Betracht, neben der Gesetzgebung auch das Verwaltungshandeln. Eine Verletzung liegt auch dann vor, wenn ein Mitgliedstaat es unterlässt, alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu treffen, die sich aus gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen ergeben. Meist besteht die Vertragsverletzung in der nicht fristgerechten oder nicht ordnungsgemäßen Umsetzung einer RL. Bsp: Ein EU-Mitgliedstaat wendet das europäische Vergaberecht in fehlerhafter Art und Weise an (Tun), schreibt also beispielsweise ein öffentliches Bauvorhaben, das deutlich über dem Schwellenwert liegt, nicht europaweit aus. Ein EU-Mitgliedstaat setzt eine RL nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß in nationales Recht um (Unterlassen). Dies sind in der Praxis die häufigsten Fälle der Vertragsverletzung. Es ist idR zunächst unerheblich, welcher staatlichen Gewalt (Gesetzgebung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit) oder welcher staatlichen Ebene (Bund, Land, Gemeinde) das vertragsverletzende Organ angehört. Der eigentlichen Vertragsverletzungsklage geht in der Regel ein administratives Vorverfahren voraus. Oft werden Streitigkeiten bereits informell im Vorfeld zwischen Kommission und Mitgliedstaat beseitigt. Sonst rügt die Kommission in einem Mahnschreiben das EGrechtswidrige Verhalten, indem sie die Verfahrenseinleitung ankündigt. Falls nötig folgt eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung zur Abgabe einer
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Stellungnahme beziehungsweise zur Beendigung der Vertragsverletzung. Danach kann die Kommission Klage beim EuGH einreichen. Gegebenenfalls stellt der EuGH mit Wirkung „inter partes“ fest, dass der Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung des Gemeinschaftsrechts verstoßen hat. Dabei handelt es sich um ein vollstreckbares Feststellungsurteil, das den rechtswidrigen Zustand nicht beseitigt und auch keine bestimmte Handlungspflicht beinhaltet. Der betroffene Mitgliedstaat muss allerdings in eigener Verantwortung unverzüglich jene Maßnahmen ergreifen, die sich aus dem EuGHUrteil ergeben, um den EG-rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Ansonsten drohen hohe Geldstrafen, die vom EuGH auf Antrag der Kommission verhängt werden können (dazu unten F.)
2.
Nichtigkeitsklage
Mit der Nichtigkeitsklage können alle rechtsverbindlichen Handlungen von Gemeinschaftsorganen oder EZB auf ihre Rechtmäßigkeit am Prüfung der Rechtmäßigkeit von Maßstab des höherrangigen Rechts geprüft werden (Art 230 f Handlungen der Gemeinschaftsorgane EGV). Klagebefugt sind neben den Mitgliedstaaten die Kommission, Rat, EP und EZB, die damit jeden Hoheitsakt der EG unabhängig von seiner Rechtsnatur oder Form anfechten können, wenn er dazu bestimmt ist, Rechtswirkungen zu erzeugen. Ausgenommen sind daher die nicht verbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen. Die Nichtigkeitsklage ist das wichtigste Instrument zur Rechtmäßigkeitskontrolle des Gemeinschaftshandelns. Maßstab sind nicht nur die im Vertrag ausdrücklich genannten Kriterien, sondern auch allgemeine Rechtsgrundsätze, zu denen (vgl Art 6 Abs 2 EUV) auch die Grundrechte gehören, wie sie sich aus der EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben. Insofern besteht auch eine Überschneidung zwischen dem Rechtsschutz innerhalb der EU und jenem nach der EMRK (siehe unten V.B.). Die Nichtigkeitsklage kann nur bei Vorliegen eines der vier Nichtigkeitsgründe erhoben werden, die in Art 230 Abs 2 EGV abschließend aufgezählt sind: •
Unzuständigkeit;
•
Verletzung wesentlicher Formvorschriften;
•
Verletzung des EGV oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder
•
Ermessensmissbrauch.
Ein Ermessensmissbrauch liegt laut EuGH dann vor, wenn mit dem Erlass einer Maßnahme absichtlich ein rechtswidriges Ziel verfolgt wird oder aus einem schwerwiegenden, einer Verkennung des gesetzlichen Zwecks gleichkommenden Mangel an Voraussicht oder Umsicht andere Ziele als diejenigen verfolgt werden, zu deren Erreichung die im Vertrag vorgesehenen Befugnisse verliehen sind. Bsp: Der Rat „erlässt“ – ohne das EP in den Rechtsetzungsprozess eingebunden zu haben – eine „Verordnung über umweltpolitische Ermessensmissbrauch, wenn Maßnahmen zum Binnengewässerschutz“. bewusst ein rechtswidriges Ziel Für die Erhebung der Nichtigkeitsklage gilt eine Frist von zwei Monaten ab Bekanntmachung bzw Mitteilung. Erklärt der EuGH
-
verfolgt wird schwerwiegender Mangel an Voraussicht und Umsicht vorliegt
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die angefochtene Handlung für nichtig, dann tritt generell und rückwirkend jene Rechtslage ein, die bestünde, wenn die angefochtene Handlung niemals gesetzt worden wäre. Im Gegensatz zum feststellenden Urteil der Vertragsverletzungsklage handelt es sich hier also um ein rechtsgestaltendes Urteil.
3.
Untätigkeitsklage
Mitgliedstaaten bzw Gemeinschaftsorgane oder EZB können gegen die pflichtwidrige Untätigkeit eines anderen Gemeinschaftsorgans (Rat, Kommission Klage gegen pflichtwidrige Untätigkeit oder EP) oder EZB gem Art 232 EGV) Klage vor dem EuGH von Gemeinschaftsorganen erheben. Beim folgenden Untätigkeitsurteil handelt es sich um ein Feststellungsurteil; es beseitigt noch nicht den vertragswidrigen Zustand, präzisiert aber Maßnahmen, die das verurteilte EU-Organ zu ergreifen hat, um die Vertragswidrigkeit abzustellen. Bsp: Unterlassen der Rat und das EP, die zur Liberalisierung des Versicherungsmarktes im Vertrag vorgesehenen RL zu erlassen, so kann die Europäische Kommission durch eine Untätigkeitsklage eine Überprüfung durch den EuGH erwirken. Der EuGH prüft dann, ob Rat und EP hätten handeln müssen, dh verpflichtet waren, einen Beschluss zu fassen.
4.
Schadenersatzklage
EU-Bedienstete verursachen in Ausübung ihrer Amtstätigkeit einen Schaden
Haben Bedienstete der EU-Organe in Ausübung ihrer Amtstätigkeit einen Schaden verursacht, so klärt der EuGH in diesem Verfahren nach Art 235 iVm 288 Abs 2 EGV, ob die Gemeinschaft dafür aufkommen muss.
Der Schadenersatzanspruch richtet sich nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten. Insbesondere muss der Kläger einen Schaden Schadenersatzanspruch richtet sich erlitten haben, das Verhalten des Organs muss rechtswidrig nach den Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten gewesen sein bzw bei weitem Ermessen müssen seine Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten worden sein und zwischen dem Schaden und dem rechtswidrigen Verhalten muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen. Ein Verschulden im Sinne einer persönlichen Vorwerfbarkeit wird hingegen nicht ausdrücklich gefordert.
C.
Gutachtensverfahren
Im Rahmen des Gutachtensverfahrens gem Art 300 EGV soll die Vereinbarkeit eines geplanten völkerrechtlichen Abkommens zwischen der EG und Drittstaaten bzw internationalen Organisationen mit dem EGV geprüft werden. In den rechtsverbindlichen Gutachten des EuGH werden häufig wichtige Fragen der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten zum Abschluss internationaler Abkommen geklärt. Bsp: In seinem Gutachten 2/94 (Slg 1996 I-01759) befand der EuGH, dass es nach geltendem Gemeinschaftsrecht keine ausreichende Kompetenzgrundlage für den Beitritts der EG zur EMRK gäbe und dieser nur im Wege einer Vertragsänderung vorgenommen werden könnte. Ist das Gutachten ablehnend, so bestehen drei Möglichkeiten für die EG-Organe: •
Verzicht auf den Abschluss des Abkommens;
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Rechtsschutz im Rahmen der EU
•
Neuverhandlungen des Abkommens oder
•
Änderung des Primärrechts gem Art 48 EUV.
D.
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Rechtsmittelverfahren
Gegen Urteile des Europäischen Gerichts erster Instanz (siehe unten IV.) kann beim EuGH ein Rechtsmittel eingelegt werden. Dieser Instanzenzug ist Instanzenzug ist auf Rechtsfragen allerdings auf Rechtsfragen beschränkt, sodass die beschränkt Feststellungen über den Sachverhalt nicht überprüft werden. Rechtsmittel sind innerhalb von zwei Monaten beim EuGH einzubringen und haben in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Soweit Gerichtliche Kammern entscheiden (derzeit über dienstrechtliche Streitigkeiten der EU-Bediensteten), kann dagegen ein ebenfalls auf (bestimmte) Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gericht erster Instanz eingelegt werden, sodass insgesamt ein dreigliedriger Rechtsschutz besteht.
E.
Einstweiliger Rechtsschutz
Wie nationale Rechtsordnungen kennt auch das europäische Rechtsschutzsystem den einstweiligen Rechtsschutz, um die Rechte der Parteien bis zur endgültigen Entscheidung zu wahren. Es bestehen prinzipiell drei mögliche Formen: •
Aussetzung der Durchführung angefochtener Handlungen;
•
Aussetzung der Zwangsvollstreckung Kommission und des Gerichtshofes;
•
Erlass (sonstiger) einstweiliger Anordnungen.
von
Entscheidungen
des
Rates,
der
Ein Antrag auf einstweilige Anordnung ist nur dann zu bewilligen, wenn die Entscheidung zur Vermeidung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens unter Abwägung der dem Antragsteller drohenden Schäden gegen die Interessen des Antragsgegners dringend erforderlich ist.
F.
Urteilsdurchsetzung gegenüber Mitgliedstaaten
Die Urteile des EuGH bilden, sofern sie sich nicht gegen Mitgliedstaaten richten, Vollstreckungstitel. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates. Insofern verbleibt die Zwangsgewalt bei den Mitgliedstaaten. Im Falle von durch den EuGH festgestellten Verstößen eines Mitgliedstaates bedarf es zwar keiner Vollstreckung, der betreffende Staat ist allerdings dazu angehalten, gemeinschaftsrechtswidrige nationale Vorschriften nicht weiter anzuwenden bzw das Urteil innerstaatlich durchzusetzen. Faktisch wird Gemeinschaftsrecht nicht immer ausreichend respektiert. Im Falle von Streitigkeiten wird zwar die überwiegende Mehrheit der Fälle schon vor einer Klage gütlich zwischen Europäischer Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat beigelegt. Nicht selten reagieren Mitgliedstaaten jedoch unzureichend auf EuGH-Verurteilungen, die bloß feststellend sind. Neben einer „Zweitverurteilung“ durch den EuGH und „Abmahnung“ durch die Europäische Kommission sieht Art 228 Abs 2 EGV die Verurteilung eines Mitgliedstaates zur Zahlung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes vor.
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Das diesbezügliche Verfahren ist dabei dem Vertragsverletzungsverfahren nachgebildet. Hat ein Mitgliedstaat nicht sämtliche sich aus dem Vertragsverletzungsurteil ergebenden Maßnahmen ergriffen, stellt die Kommission dem betroffenen Staat ein Mahnschreiben zu, gibt in der Folge eine begründete Stellungnahme ab und setzt eine weitere Frist zur Abstellung des vertragswidrigen Verhaltens. Bleibt der Staat untätig, kann die Kommission den Klagsweg beschreiten und teilt dabei die ihrer Meinung nach angemessene Höhe des zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgeldes mit, wobei Schwere und Dauer des Verstoßes berücksichtigt werden. Über die Klage entscheidet schließlich der EuGH, dem dabei ein erheblicher Entscheidungsspielraum eingeräumt ist. Bsp: Der EuGH verurteilt Spanien für jedes Jahr der Nichtanwendung seines früheren Urteils, wonach Spanien verpflichtet ist, sich gemäß den Bestimmungen einer Richtlinie von der guten Qualität seiner Badegewässer zu überzeugen, zur Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von 624.150 Euro.
G.
Exkurs: Staatshaftung
Der EuGH hat, in Ergänzung der vertraglich ausdrücklich vorgesehenen Rechtsschutzinstrumente, eine „Staatshaftung“ genannte Haftung der Mitgliedstaaten für fehlerhaften Vollzug von Gemeinschaftsrecht anerkannt. Es Staatshaftung für fehlerhaften Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch Organe handelt sich hierbei um gemeinschaftsrechtliches „Richterrecht“, der Mitgliedstaaten (Gesetzgeber, also die Fortbildung des gemeinschaftsrechtlichen Verwaltung, Gerichte) Rechtsschutzes. Ob der EuGH dabei seine diesbezügliche Befugnis überschritten hat oder nicht, war und ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Ein Anspruch auf Staatshaftung besteht nach dieser Judikatur für Verletzungen von Gemeinschaftsrecht durch staatliche Organe aller drei Staatsgewalten (Legislative, Exekutive, Judikative); denkbar ist daher neben einer Haftung für Verstöße durch den staatlichen Gesetzgeber (legislatives Unrecht) eine Haftung für Verstöße der Verwaltung (exekutives Unrecht) und für den fehlerhaften Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch die Gerichtsbarkeit (judikatives Unrecht). Um erfolgreich Staatshaftung vor einem innerstaatlichen Gericht geltend machen zu können, müssen jedenfalls folgende Voraussetzungen erfüllt sein: •
Vorliegen eines Schadens
•
Ein „hinreichend qualifizierter“ Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht; sofern der Mitgliedstaat über ein weites Ermessen verfügt, ist diese Bedingung nur erfüllt, wenn die Grenzen dieses Ermessens "offenkundig und erheblich" überschritten wurden
•
Die verletzte EG-Norm verleiht dem Einzelnen subjektive Rechte
•
Der Verstoß war unmittelbar kausal für den eingetretenen Schaden
Die Durchsetzung des Staatshaftungsanspruches erfolgt vor den innerstaatlichen Gerichten. In Österreich ist für die Amtshaftung für „in Vollziehung der Gesetze“ verursachte Schäden (gem Art 23 B-VG und Amtshaftungsgesetz) der Hoheitsverwaltung und Gerichtsbarkeit die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig. Das gilt grundsätzlich auch für die Höchstgerichte (OGH, VwGH und VfGH). Bsp: Der VwGH legt dem EuGH eine Frage zur Vereinbarkeit von EG-Recht mit einer österreichischen Regelung über Dienstalterszulagen vor. Nach Entscheidung des EuGH in einem ähnlich gelagerten Fall zieht er sein Ersuchen zurück und entscheidet
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aufgrund fehlerhafter Lektüre dieses EuGH-Urteils den gegenständlichen Fall gegen das Begehren des Antragsstellers. Dieser begehrt daraufhin vor dem zuständigen LG für Zivilrechtssachen Wien Haftungsklage gegen die Republik Österreich und verlangt Ersatz des durch das gemeinschaftsrechtswidrige Urteil des VwGH entstandenen Schadens (vgl Fall Köbler, EuGH Rs C-224/01, Slg 2003 I-10239). Insbesondere besteht eine Haftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch den staatlichen Gesetzgeber, zB die nicht ordnungsgemäße Umsetzung einer Richtlinie. Bsp: Der Kläger begehrt vor dem VfGH Schadenersatz aus Staatshaftung wegen ungenügender Umsetzung der Datenschutz-Richtlinie (RL 2002/58/EG) durch § 107 TKG über das Versenden von unerbetenen E-Mail-Nachrichten („Spamming“). Der VfGH bejaht seine Zuständigkeit, über die Staatshaftung wegen legislativen Unrechts zu entscheiden, weist die Klage aber letztlich ab, weil dem Kläger der Beweis eines Schadens nicht gelingt (siehe VfSlg 17.810/2006).
IV.
Rechtsschutz durch das EuG
Durch den Vertrag von Nizza, der am 1. 2. 2003 in Kraft getreten ist, wurde das EuG ein selbständiges Gericht und seine Kompetenzen wurden EuG ist dem EuGH gleichgeordnet erweitert. Das EuG ist dem Gerichtshof nicht mehr beigeordnet, sondern sichert im Rahmen seiner Zuständigkeiten „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EGV“. Damit rückt das EuG in die Nähe eines eigenen Gemeinschaftsorgans.
A.
Direkte Klagen
Im ersten Rechtszug ist das EuG zuständig für alle direkten Klagen von Einzelpersonen gegen ein Organ der Gemeinschaft. Ausgenommen davon sind nur Klagen,
Das EuG ist zuständig für Direktklagen natürlicher und juristischer Personen
•
die einer gerichtlichen Kammer übertragen werden, oder
•
die gemäß der Satzung des Gerichtshofs dem EuGH vorbehalten sind. Für Direktklagen der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaftsorgane und der Europäischen Zentralbank bleibt somit weiterhin der EuGH zuständig (siehe oben III.)
Aufgrund seiner umfassenden Zuständigkeit wird das EuG manchmal als Europäisches Verwaltungsgericht bezeichnet. Die wichtigsten Gruppen von Klagen sind:
1.
Nichtigkeitsklagen
Natürliche oder juristische Personen können individuelle Gemeinschaftsrechtsakte, die einen Eingriff in ihre Rechte darstellen und ihre Interessen beeinträchtigen, gem Art 230 Abs 4 EGV anfechten. Die Nichtigkeitsklagen stellen die am häufigsten eingebrachten Klagen dar. In einem stattgebenden Urteil wird der angefochtene Rechtsakt ersatzlos aufgehoben. Besondere Bedeutung kommt dem EuG dabei im Wettbewerbsrecht zu. Das EuG hat (nach der VO 1/2003/EG des Rates) bei Klagen gegen Entscheidungen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld
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festsetzt, die Befugnis zur umfassenden Kontrolle der Ermessensentscheidung, dh es kann die Höhe der Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen. Bsp: Erklärt die Europäische Kommission Kartelle für rechtswidrig und verhängt eine Geldstrafe in der Höhe von 25% des Jahresumsatzes, so kann diese Entscheidung mit Nichtigkeitsklage angefochten werden.
2.
Untätigkeitsklagen
Natürliche oder juristische Personen haben die Möglichkeit, vor dem EuG Klage einzubringen, wenn das zuständige Gemeinschaftsorgan (meist EP, Rat oder Kommission) es entgegen einer bestehenden Handlungspflicht rechtswidrig unterlassen hat, eine Entscheidung zu treffen, zB einen Beschluss zu fassen, und der Kläger davon unmittelbar und individuell betroffen ist. In einem stattgebenden Urteil ergeht die Feststellung, dass eine rechtswidrige Untätigkeit des betreffenden Organs vorliegt. Gegenstand der Untätigkeitsklage ist die Unterlassung jeglicher Äußerung. Bsp: Die Kommission hat auf Antrag eines Konkurrenzunternehmens ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot eingeleitet. Die Aufforderung des Konkurrenzunternehmens, die Kommission möge eine Entscheidung in der Angelegenheit treffen, bleibt unbeantwortet. Das Konkurrenzunternehmen, das inzwischen unzumutbar lange durch das bestehende Kartell beeinträchtigt ist, kann Untätigkeitsklage erheben. Die Kommission reagiert nicht auf eine von einem Unternehmen gegen eine Beihilfe eingereichte Beschwerde. Das Unternehmen fordert die Kommission schriftlich auf, tätig zu werden, und erhält daraufhin eine Stellungnahme, dass keine Beihilfe iSd Art 87 EGV vorliege und das Hauptprüfverfahren daher nicht eingeleitet werde. In diesem Fall steht dem Unternehmen die Untätigkeitsklage nicht mehr zu, es kann allenfalls mit der Nichtigkeitsklage vorgehen.
3.
Schadenersatzklagen aus außervertraglicher Haftung
Natürliche oder juristische Personen können die Gemeinschaften auf Schadenersatz im Bereich außervertraglicher Haftung klagen. Wenn ihnen in Ausübung einer hoheitlichen oder nicht hoheitlichen Amtstätigkeit von Gemeinschaftsorganen ein Schaden entstanden ist, ist ein Ersatz gem Art 288 Abs 2 iVm Art 235 EGV zuzuerkennen. Bsp: Entsteht einem Unternehmen ein Schaden durch eine rechtswidrige kartellrechtliche Anordnung der Kommission, so kann dieses Unternehmen eine Schadenersatzklage gegen die Kommission einbringen.
4.
Klagen aufgrund einer Schiedsklausel
Das EuG kann auch aufgrund einer Schiedsklausel in einem von der Gemeinschaft oder für ihre Rechnung abgeschlossenen (öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen) Vertrag zuständig werden. Natürliche und juristische Personen haben die Möglichkeit, auf dieser Grundlage gem Art 238 EGV Klage zu erheben. Bsp: Einem britischen Unternehmen wurde im Rahmen einer Auftragsvergabe für die Lieferung von Nahrungsmitteln für ein Entwicklungsprojekt der Kommission der Zuschlag erteilt. Die Kommission weigert sich nun, den vereinbarten Preis zu bezahlen. Da sich die beiden Partner im Vertrag auf die Zuständigkeit des EuG geeinigt haben,
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kann das britische Unternehmen nun aufgrund Art 238 EGV beim EuG Klage auf Zahlung des vereinbarten Preises erheben.
5.
Klagen der Mitgliedstaaten
Grundsätzlich sind Klagen eines Mitgliedstaates gegen eine Handlung oder unterlassene Beschlussfassung eines Gemeinschaftsorgans dem EuGH vorbehalten. Gegen Handlungen oder wegen unterlassener Beschlussfassung des Rates allerdings kann das Gericht erster Instanz auch seitens der Mitgliedstaaten in folgenden, in der Satzung des Gerichtshofs bestimmten, Fällen angerufen werden:
B.
•
Entscheidungen des Rates, dass eine von einem Staat gewährte oder geplante Beihilfe (in Abweichung von Art 87 und den nach Art 89 EGV erlassenen VO) als mit dem gemeinsamen Markt vereinbar gilt
•
Rechtsakte des Rates aufgrund einer Verordnung des Rates über handelspolitische Schutzmaßnahmen (gem Art 133 EGV)
•
Handlungen des Rates, mit denen er Durchführungsbefugnisse (gem Art 202 Abs 3 EGV) ausübt, beispielsweise die Übertragung zur Durchführung seiner Vorschriften an die Kommission
Zuständigkeit in Vorabentscheidungsverfahren
Bis zum Vertrag von Nizza waren Vorabentscheidungen gem Art 234 EGV ausdrücklich dem EuGH vorbehalten. Nun besteht die Möglichkeit, Vorabentscheidungsverfahren „in besonderen Sachgebieten“, die der Rat der Europäischen Union in der Satzung des Gerichtshofs einstimmig festlegen kann, an das EuG zu übertragen. Dies ist bisher nicht erfolgt.
C.
Zuständigkeit des Gerichtes für den öffentlichen Dienst (EuGöD)
Mit der Gründung dieser Gerichtlichen Kammer des EuG wurde der bisher vom EuG ausgeübte Zuständigkeitsbereich der Dienstrechtsklagen an das dem EuG beigeordnete Gericht übertragen. Zur Zeit beträgt der Anteil dieser Bediensteten-Streitfälle ca 30% der insgesamt eingebrachten Klagen. Das EuGöD entscheidet im ersten Rechtszug in Streitsachen des Dienst- und Personalrechts zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten gem Art 236 EGV. Das EuG wird in diesen Angelegenheiten somit gar nicht oder allenfalls im zweiten Rechtsweg befasst und dadurch deutlich entlastet. Bsp: Ein Beamter der Kommission erhält ein geringeres Gehalt als ihm nach den Besoldungsrichtlinien des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaft zustünde; er kann beim EuGöD auf Auszahlung des ihm zustehenden Bezugs klagen.
D.
EuG als Berufungsgericht
Das EuG ist als Berufungsgericht für Entscheidungen der gerichtlichen Kammern zuständig, die aufgrund des Vertrages von Nizza eingeführt werden Berufungsgericht für Entscheidungen können. Das EuG kann jedenfalls über Rechtsfragen, und wenn der gerichtlichen Kammern der Beschluss des Rates über die Kammernbildung dies vorsieht, überdies auch über Sachfragen entscheiden.
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Rechtsmittel gegen Entscheidungen der einzigen derzeit bestehenden Kammer, des EUGöD, können innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung der Entscheidung eingebracht werden. Derartige Rechtsmittelentscheidungen des EuG unterliegen nur dann der Überprüfung durch den EuGH, wenn die Gefahr besteht, dass die Einheit des Gemeinschaftsrechts berührt wird (siehe oben III.D.). Ist dies nicht der Fall, entscheidet das EuG in letzter Instanz. Damit Sie sehen, dass in der Praxis nicht immer alles so einfach ist wie in unserem Skriptum, noch einige kurze Bemerkungen zum Eingangsfall, der einem realen Fall nachgebildet ist: •
Nach der Entscheidung des EuGH, dass ein Verstoß gegen das Beihilfenverbot vorliegt, wäre es denkbar gewesen, die diskriminierende Ausnahmebestimmung für Dienstleistungsunternehmen im Energieabgabengesetz unangewendet zu lassen. In weiterer Folge hätten auch Sie Anspruch auf eine Rückzahlung.
•
Tatsächlich kam es aber zu einer – in der Praxis äußerst seltenen – rückwirkenden Genehmigung der Beihilfe durch die Europäische Kommission, womit eine Nichtanwendung der betreffenden Bestimmung nicht mehr in Betracht kam.
•
Der VfGH untersuchte den Fall nun im Hinblick auf das verfassungsgesetzliche Gleichheitsgebot, wobei der Beihilfenaspekt für die Rechtmäßigkeitskontrolle nicht mehr in Betracht zu ziehen war. Im Zuge dieser Gleichheitsprüfung kam der Gerichtshof zu der Ansicht, dass die Ausnahmebestimmung sachlich gerechtfertigt ist.
•
In Bezug auf „Ihre“ Beschwerde hat das zur Folge, dass Sie leer ausgehen, wenngleich zumindest die gemeinschaftsrechtlichen Bedenken zutreffend waren. Das negative Ergebnis fällt in die Kategorie „Prozessrisiko“. So etwas kann bei unpräzisen Regelungen vorkommen – aber es war ein guter Versuch.
•
Nachlesen können Sie den „Originalfall“ in folgenden Entscheidungen: VfGH 10. 3. 1999, B 2251/97; EuGH 8. 11. 2001 Rs C-143/99 (Adria-Wien Pipeline) Slg 2001 I-8365; VfSlg 16.771/2002
V.
Exkurs: Zum Verhältnis von EuGH und EGMR
In Art 6 Abs 2 EUV verpflichtet sich die Europäische Union, die Grundrechte, wie sie in der am 4. 11. 1950 unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet sind, zu achten. Nach Gesamte EU ist zur Achtung der der herrschenden Lehre ist nach dieser Bestimmung der Grundrechte verpflichtet Grundrechtsschutz der EMRK einschließlich der in den einzelnen Zusatzprotokollen zur EMRK festgelegten Menschenrechte und Grundfreiheiten Bestandteil des Gemeinschaftsrechts geworden, nicht jedoch der formelle, also die Zuständigkeit des EGMR regelnde Teil. Durch Art 53 der Grundrechtscharta (GRC) – die jedoch bis zum Inkrafttreten des Reformvertrags von Lissabon nur eine Rechtserkenntnisquelle Art 53 Grundrechtscharta: darstellt – soll ein Mindestschutzniveau sichergestellt werden, Mindestschutzniveau indem durch keine Bestimmung der GRC das Schutzniveau der EMRK unterschritten werden soll. Insofern können die Entscheidungen des EGMR präjudizielle Wirkung im Gemeinschaftsrecht haben.
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Damit kann es zu Problemen kommen, wenn der EuGH zwischen Grundrechten abwägen muss und es schon Entscheidungen des EGMR gibt, deren Schutzniveau nicht unterschritten werden darf. Bsp: Eine auf Transplantationschirurgie spezialisierte Klinik sieht sich mit den gesetzlichen Verboten der Organentnahme konfrontiert, die mit dem Schutz des Rechts auf Leben (Art 2 EMRK) und auf die Achtung des Privatlebens (Art 8 EMRK) gerechtfertigt werden. Die Ärzte der Klinik hingegen berufen sich auf das (nur) in Art 16 GRC verankerte Recht der Berufsausübungsfreiheit. Ein weiterer Aspekt ist, dass der EGMR mitunter gemeinschaftsrechtliche Zusammenhänge selbständig beurteilt und zu anderen Ergebnissen kommen könnte als der EuGH. In einem solchen Fall könnte es für den im konkreten Fall betroffenen Mitgliedstaat zu einem Widerspruch kommen, der nach der jetzigen Rechtslage nicht lösbar scheint. Es würde der Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts mit dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot der Beachtung der EMRK als Mindeststandard kollidieren. Bislang ist das ein theoretisches Szenario, weil sowohl der EuGH als auch der EGMR bemüht sind, solche Konflikte zu vermeiden.
VI. Weiterführende Literatur Erlbacher/Schima, Neuerungen in den Verfahrensordnungen von EuG und EuGH, Ecolex 2001, 165; Keiler/Bezemek, leg cit (2008); Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht3 (2007); Schima, Das neue Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2. Auflage, 2004 Streinz, Europarecht8 (2008);
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VII. Wiederholungsfragen
Welche Gründe sprechen für eine obligatorische Gerichtsbarkeit in den Gemeinschaften? Wie viele Richter umfasst der EuGH? Wie viele Richter umfasst das EuG? Was sind Generalanwälte und was sind ihre Aufgaben? Was ist die Rolle des EuGH im Integrationsprozess? Für welche Klagen ist der EuGH zuständig? Was prüft der EuGH bei einer Vertragsverletzungsklage? Welche Sanktionen kann die Gemeinschaft ergreifen, wenn eine Vertragsverletzung durch den EuGH festgestellt wurde? Welche Nichtigkeitsgründe gibt es im Verfahren vor dem EuGH? Nach welchen Kriterien prüft der EuGH, ob ein Ermessensmissbrauch vorliegt, wann liegt ein solcher vor? Wer kann wegen Nichtigkeit von Gemeinschaftsrechtakten geklagt werden? Nach welchen Kriterien richtet sich ein eventueller Schadenersatzanspruch im Zusammenhang mit einer gemeinschaftsrechtlichen Schadenersatzklage? Was ist das Besondere am Rechtsmittelverfahren von dem EuGH? Welche nationalen Einrichtungen sind zur Vorlage nach Art 234 EGV berechtigt? Unter welchen Voraussetzungen darf eine nationale Einrichtung nach Art 234 EGV vorlegen? Was prüft der EuGH im Rahmen des Gutachtensverfahrens? Was kann die Europäische Kommission gegen die Nichtumsetzung von Urteilen des EuGH tun? Was versteht man unter legislativem Unrecht und unter welchen Voraussetzungen lassen sich daraus Schadenersatzansprüche ableiten? Wann sind fehlerhafte höchstgerichtliche Urteile haftungsauslösend? Skizzieren Sie den grundsätzlichen Verfahrensablauf vor dem EuGH! Welche Besonderheiten gibt es im Vorabentscheidungsverfahren? Wo werden Urteile des EuGH veröffentlicht? Wer trägt die Verfahrenskosten für Verfahren vor dem EuGH? Wie setzt sich das EuG zusammen? Wie ist die Zuständigkeitsverteilung zwischen EuG und EuGH konzipiert? Nennen Sie die wesentlichen Unterschiede im Verfahrensablauf zwischen EuGH und EuG? Welche Aufgaben hat das Gericht für den öffentlichen Dienst? Wann wird das EuG als Berufungsgericht tätig? Was wissen Sie über das Verhältnis von EGMR und EuGH?
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Produktrecht
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Lektion 4
PRODUKTRECHT
Röhrigs Rohrleitungen Ihrem Unternehmen „Röhrig – Rohr- und Anlagentechnik GmbH“ mit Sitz in Rohrbach/NÖ geht es nicht sehr gut. Sie suchen nun nach neuen Herausforderungen, zumal Sie sich auf den Bau von umweltfreundlichen Rohrleitungssystemen, die chlorfrei und ohne PVCVerwendung hergestellt werden, spezialisiert haben und hoffen auf einen Auftrag aus dem Ausland. Ihr Freund macht Sie auf folgende Bekanntmachung einer öffentlichen Ausschreibung im Amtsblatt der EU aufmerksam: Im Stadtbezirk Lehenagh in Irland sollen das Trinkwassernetz erneuert, vor allem die alten Asbestrohre beseitigt und das Netz teilweise ausgebaut werden. Eine in diesem Auftrag enthaltene Klausel enthält allerdings folgenden Absatz: „Es ist eine Bescheinigung darüber vorzulegen, dass die Rohre gemäß dem Irish Standard Mark Licensing Scheme des Institute for Industrial Research and Standards der irischen Norm 188:1975 entsprechen (also insbesondere nicht gesundheitsgefährdend sind).“ Da die in Ihrem Unternehmen hergestellten Rohre sowieso der Norm ISO 160:1980 der Internationalen Normungsorganisation entsprechen, messen Sie der Klausel in der Ausschreibung keine Bedeutung zu. Außerdem arbeiten Sie mit umweltfreundlichen Rohren, die langlebiger sind als die derzeit am Markt angebotenen Rohre. Für den Austausch der alten Asbestrohre wurde das Bestlining-Verfahren entwickelt, das Grabungsarbeiten beim Austausch der Asbestrohre überflüssig macht und eine Gesundheitsgefährdung der Arbeiter nicht entstehen lässt. Sofort bewerben Sie sich für diesen Auftrag. Nach Ende der Bewerbungsfrist erhalten Sie die Mitteilung, dass es sich für Sie erübrige, an einem Gespräch zur Vorbereitung teilzunehmen, da der Nachweis nicht erbracht werden könne, dass Ihr Unternehmen vom irischen Institut im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der irischen Norm 188:1975 zugelassen sei. Sie sind darüber empört, dass Ihre Rohre, die doch der ISO 160:1980 entsprechen, der Norm 188:1975 auch gleichwertig sind und überdies chlorund PVC-frei hergestellt werden, nicht zugelassen wurden. Sie entdecken Ihren juristischen Spürsinn, da Sie vermuten, dass eine solche Vorgangsweise auch das Gemeinschaftsrecht verletzt. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Was versteht man unter Produktrecht und was schützt es? Welche Vorgaben kommen von Seiten der Europäischen Union? Welche Instrumente zur Durchsetzung des Produktrechts gibt es?
Was sind technische Normen und wie entstehen sie?
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Produktrecht
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Inhalt: I. A. B. C. D. II. A. B. C. III. A. 1. 2. B. 1. 2. IV. A. 1. 2. B. 1. 2. 3. V. A. B. 1. 2. C. 1. 2. D. 1. 2. E. VI. VII. VIII.
Allgemeines zum Produktrecht .................................................................................. 85 Was versteht man unter Produktrecht? ......................................................................... 85 Was ist ein Produkt? ...................................................................................................... 85 Die Regelungsadressaten des Produktrechts ............................................................... 86 Die Regelungsziele des Produktrechts .......................................................................... 86 Produktecht im europäischen Binnenmarkt ............................................................. 87 Angleichung nationaler Produktstandards ..................................................................... 87 Gegenseitige Anerkennung nationaler Produktstandards ............................................. 88 Der „new approach“ ....................................................................................................... 89 Materielles Produktrecht ............................................................................................. 91 Lebensmittelrecht .......................................................................................................... 91 Das Lebenmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz.......................................... 91 Lebensmittelrechtliche Standards ................................................................................. 92 Das Produktsicherheitsgesetz 2004 (PSG) ................................................................... 94 Der Anwendungsbereich des PSG ................................................................................ 94 Das Regelungsziel des PSG ......................................................................................... 95 Die Instrumente zur Durchsetzung des Produktrechts............................................ 96 Vormarktkontrolle .......................................................................................................... 96 Zulassungs- und Anmeldepflichten ............................................................................... 96 Systeme der Zertifizierung / Selbstzertifizierung ........................................................... 97 Nachmarktkontrolle ........................................................................................................ 97 Informationspflichten ..................................................................................................... 97 Behördliche Marktüberwachung .................................................................................... 98 Rückrufpflichten ............................................................................................................. 98 Normung ....................................................................................................................... 99 Was versteht man unter Normung? ............................................................................... 99 Was sind Normen? ........................................................................................................ 99 Die verschiedenen Arten von Normen ........................................................................... 99 Die Funktion von Normen .............................................................................................. 99 Nationale Normung ...................................................................................................... 100 Die Tätigkeit des Österreichischen Normungsinstitutes .............................................. 100 ÖNORMEN und ON-Regeln ........................................................................................ 100 Europäische Normung ................................................................................................. 101 CEN und CENELEC .................................................................................................... 101 Verfahren der Europäischen Normung ........................................................................ 101 Internationale Organisation der Normung ................................................................... 102 Weiterführende Literatur ........................................................................................... 103 Links ........................................................................................................................... 103 Wiederholungsfragen ................................................................................................ 104
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Produktrecht
I.
Allgemeines zum Produktrecht
A.
Was versteht man unter Produktrecht?
85
Unter Produktrecht versteht man die Rechtsvorschriften, die ein Unternehmer beim Inverkehrbringen seines Erzeugnisses zu beachten hat und die ihm besondere Pflichten, unter anderem hinsichtlich der Sicherheit, des Verbraucherschutzes Produktrecht umfasst sämtliche und des Umweltschutzes, auferlegen. Es handelt sich also um Regelungen, die an das Produkt Rechtsvorschriften, die mit ihren Regelungen am Produkt – an der Ware selbst – anknüpfen. Solche Regelungen finden sich in einer Fülle von Bereichen, weshalb zum Produktrecht so unterschiedliche Rechtsgebiete wie das Lebensmittel- oder das Chemikalienrecht sowie der gesamte Bereich des technischen Sicherheitsrechts zählen. Letzterer umfasst all jene produktrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit von Produkten durch die Vorgabe bestimmter technischer Anforderungen (Ziegel müssen etwa einer bestimmten Belastung standhalten können ohne zu zerbröseln) zu gewährleisten versuchen. Bsp: Dem technischen Sicherheitsrecht zugeordnet werden vor allem die Regelungen des Produktsicherheitsgesetzes, des Elektrotechnikgesetzes (BGBl Nr 106/1993 idF BGBl I Nr 136/2001), des Bauproduktegesetzes des Bundes (BGBl I Nr 55/1997 idF BGBl I Nr 136/2001) und der entsprechenden Ländergesetze, aber auch die Bereiche der Normung und der Akkreditierung.
B.
Was ist ein Produkt?
Eine Definition für den Begriff „Produkt“ findet sich im österreichischen Produktsicherheitsgesetz (PSG), von dem später noch die Rede sein wird. Dort gilt jede bewegliche Sache einschließlich Energie, die für Verbraucher/innen bestimmt ist oder Produkt : von diesen benutzt werden könnte, als Produkt, wenn sie im - jede bewegliche körperliche Sache, einschließlich Energie Rahmen einer zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeit – dazu - für Verbraucher bestimmt gehören auch Dienstleistungen – hervorgebracht wird. Auch - im Rahmen einer zu Erwerbszwecken ausgeübten Sachen, die Teil einer anderen beweglichen Sache sind oder Tätigkeit hervorgebracht die mit einer unbeweglichen Sache verbunden wurden (Bsp: ein Fenster – eine an sich bewegliche Sache – wird eingemauert und damit Teil einer unbeweglichen Sache) können eine bewegliche Sache iSd Produktbegriffes des PSG darstellen. Bei Ihren Rohren handelt es sich um körperliche Sachen, die im Rahmen Ihres Gewerbebetriebes hergestellt wurden und letztendlich für die Benutzung durch die Verbraucher gedacht sind (da sie über die Rohre ihr Trinkwasser beziehen), also um Produkte im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes.
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Produktrecht
C.
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Die Regelungsziele des Produktrechts
Der zentrale Regelungszweck produktrechtlicher Vorschriften liegt in der Gewährleistung von Produktsicherheit. Sie bildet die Grundlage für die Umsetzung der Regelungsziele des Produktrechts: - Verbraucherschutz beiden zentralen Regelungsziele des Produktrechts: den Verbrau- Umweltschutz cher- und den Umweltschutz. Der Verbraucherschutz selbst ist unter zwei Aspekten von Bedeutung: Zum einen dient er dem generellen Schutz des Lebens und der Gesundheit der Verbraucher, zum anderen bestehen spezifisch konsumentenschutzrechtliche Vorschriften, die Verbraucherschutz: - Lebens- und Gesundheitsschutz eine Täuschung des Konsumenten über den wahren Inhalt oder - Schutz vor Täuschung die wahre Beschaffenheit der Ware verhindern wollen. Man spricht deshalb auch von der Sicherung der Wahl- und Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Das Regelungsziel des Umweltschutzes wiederum kommt in Vorschriften über die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei Herstellung, Inbetriebnahme und Entsorgung von Produkten zum Tragen.
D.
Die Regelungsadressaten des Produktrechts
Das Produktrecht richtet sich in aller Regel an diejenigen, die Produkte in Verkehr bringen. Solche „Inverkehrbringer“ sind: •
Hersteller von Produkten, in manchen Fällen auch der
•
Importeur oder der
•
Händler.
Je veränderlicher die Ware bzw das Produkt ist, desto eher richten sich die Regelungen an diejenigen Unternehmer, die am Ende der Absatzkette stehen. Das Lebensmittelrecht beispielsweise ist aus diesem Grund in weitaus höherem Ausmaß Händlerrecht als das bei den Herstellern ansetzende technische Sicherheitsrecht (vgl zB die VO über tiefgefrorene Lebensmittel BGBl 201/1994 etc). Obwohl der Verbraucher das primäre Schutzobjekt der Produktregulierung darstellt, stattet das Produktrecht ihn selbst zunächst nicht mit einem individuellen Recht aus. In erster Linie werden Rechtsverhältnisse zwischen der Produktaufsichtsbehörde Lebensmittelrecht = Händlerrecht Technisches Sicherheitsrecht = und dem Inverkehrbringer des Produkts begründet. Die VerbrauHerstellerrecht cherinteressen fließen jedoch zum Teil mittelbar über Verbraucherverbände, wie etwa den Verein für Konsumenteninformation, ein. Die vom Produktrecht geschützten Verbraucherinteressen werden auch als so genannte diffuse Interessen bezeichnet. Diffus meint in diesem Zusammenhang, dass es sich nicht um Interessen handelt, die ausschließlich einer individuellen Person zugerechnet werden können, sondern um solche, die potentiell jeden Bürger betreffen. Derartige Allgemeininteressen sind oft auf staatliche oder kollektive Interessenvertretung angewiesen, da ein individueller und einklagbarer Rechtsanspruch in aller Regel erst im Schadensfall über das zivilrechtliche Haftungsrecht (vgl das österreichische Produkthaftungsgesetz) entsteht. Besonders wichtig ist daher eine Berücksichtigung solcher diffuser Interessen, wenn es um den Schutz vor irreversiblen Schäden geht. Das ist etwa im Arzneimittel- oder Lebensmittelrecht der Fall. Bsp: Bedeutend für die Entstehung des europäischen Arzneimittelrechts war die so genannte Contergan-Katastrophe: 1957 brachte die Pharmafirma Grünenthal das Be-
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Produktrecht
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ruhigungsmittel „Contergan forte“ mit dem Wirkstoff Thalidomid auf den Markt. Die vor allem in Deutschland weit verbreitete Einnahme dieses Beruhigungsmittels durch Schwangere gegen die in den ersten Monaten typische morgendliche Schwangerschaftsübelkeit, hatte verheerende Nebenwirkungen. In den Jahren 1958 bis 1961 wurden aufgrund der Anwendung des Arzneimittels weltweit ca 10.000 missgebildete Kinder geboren, wobei allein in Deutschland ca 4.000 Kinder betroffen waren. Der tatsächliche Skandal war jedoch, dass Contergan trotz der plötzlich gehäuften Fälle von missgebildeten Neugeborenen und der zahlreichen Warnungen aus der Wissenschaft erst im November 1961 aus dem Handel genommen wurde und so wertvolle Zeit verging, in der ahnungslose schwangere Frauen das Arzneimittel weiterhin einnahmen. Der Fall Contergan zeigt bis heute, rund vierzig Jahre nach der Katastrophe, wie bedeutend die Gewährleistung von Qualität und vor allem Sicherheit der Arzneimittel ist. Die aus diesen Gründen notwendige präventive Gefahrenabwehr ermöglichen heute so genannte Vormarktkontrollen (Kontrollen, die vor der Marktzulassung stattfinden müssen – siehe dazu unten).
II.
Produktecht im europäischen Binnenmarkt
A.
Angleichung nationaler Produktstandards
Ein zentrales Regelungsziel des Produktrechts ist, wie bereits erwähnt, der Verbraucherschutz, der – dem Subsidiaritätsprinzip des Art 5 EGV gemäß – grundsätzlich Sache der Mit-
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Produktrecht
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gliedstaaten ist. Auf nationaler Ebene erlassene produktrechtliche Vorschriften können allerdings zu unterschiedlichen Standards führen, infolge derer Unternehmer beim Import gezwungen würden, ihre im Herkunftsmitgliedstaat rechtmäßig in Freier Warenverkehr = Abbau von Verkehr gebrachten Produkte an die Vorschriften des BestimHandelshemmnissen jeglicher Art mungsmitgliedstaats anzupassen. Insofern stellen produktrechtliche Vorschriften Handelshemmnisse dar, die geeignet sind, derartige Importe zu behindern und dadurch den freien Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt zu beeinträchtigen. Die EG begann ab den 60er Jahren, diese Handelshemmnisse durch eine Angleichung der nationalen Vorschriften abzubauen, indem sie auf der Grundlage von Art 95 EGV Harmonisierungsrichtlinien für jede einzelne Produktkategorie erließ (sog vertikale Harmonisierung). Bsp: 1976 wurde etwa eine Richtlinie über die Angleichung der Gesetze der Mitgliedstaaten bezüglich kosmetischer Mittel („Kosmetikrichtlinie" – RL 1976/768/EG) erlassen. Zur Produktkategorie der Kosmetika gehören nicht nur Make-ups und Parfüme, sondern auch Produkte für persönliche Hygiene, wie zum Beispiel Zahn- und Körperpflegeprodukte.
B.
Gegenseitige Anerkennung nationaler Produktstandards
Auf diese Weise kam die Gemeinschaft ihrem Ziel der Verwirklichung eines freien Warenverkehrs für alle Produkte im gemeinsamen Binnenmarkt jedoch nur sehr langsam näher, schließlich war für jede Kategorie von Produkten der Erlass einer eigenen Richtlinie notwendig. Dies änderte sich jedoch mit der Entscheidung des EuGH im Fall Cassis de Dijon (vgl EÖR I, LE 7), in dem der Gerichtshof aus Art 28 EGV das Prinzip der gegenseitigen Ankerkennung ableitete. Damit galt in jenen Produktkategorien, für die (noch) keine Harmonisierungsvorschriften ergangen waren, dass ein Mitgliedstaat einer dieser Kategorie angehörigen Ware, die in einem anderen Mitgliedstaat bereits rechtmäßig in Verkehr gebracht worden war, den Marktzugang gewähren musste. Die Anwendung spezieller nationaler Produktvorschriften ist seither nur mehr dann gerechtfertigt, wenn dies notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen wie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handels oder dem Verbraucherschutz (sog „Cassis-Schutzgüter“ – vgl EÖR I, LE 7) gerecht zu werden. Bsp: Im Mars-Fall (Rs C-470/93) hatte sich der EuGH mit dieser Frage zu beschäftigen: Ein Unternehmen führte Eiskrem-Riegel der Marke Mars, Snickers, Bounty und Milky Way aus Frankreich nach Deutschland ein. Aus Anlass einer kurzzeitigen europaweiten Werbekampagne wurden in Frankreich die Eiskrem-Riegel mengenmäßig um 10% vergrößert und mit einer Verpackung versehen, auf der ein besonderer farbiger Aufdruck mit der Bezeichnung „+ 10%“ angebracht war, der allerdings mehr als 10% ihrer Fläche einnahm. Auch diese – in Frankreich rechtmäßig hergestellten und verpackten – Eiskrem-Riegel wurden vom Unternehmen zum Verkauf in Deutschland angeboten. Nun meinte der auf Unterlassung klagende deutsche Kläger, dass durch diese optische Ausgestaltung der Eindruck erweckt werde, das Volumen des Produktes sei in größerem Umfang als 10% erhöht worden, was einen Verstoß gegen das deutsche Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb darstelle, da man so zur Irreführung der Verbraucher beitrage. Dem EuGH wurde im Zuge des Falls die Vorfrage gestellt, ob ein Verbot eines solchen „+ 10% Aufdrucks“ eine Maßnahme gleicher Wirkung iSd Art 28 EGV darstelle und ob eine solche gegebenenfalls aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden könnte. Der Gerichtshof verneinte dies mit der Begründung: „Von
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verständigen Verbrauchern kann erwartet werden, dass sie wissen, dass zwischen der Größe von Werbeaufdrucken, die auf eine Erhöhung der Menge des Erzeugnisses hinweisen, und dem Ausmaß dieser Erhöhung nicht notwendig ein Zusammenhang besteht.“ Der Stadtbezirk Lehenagh in Irland ist eine öffentliche Körperschaft, deren Handeln der irischen Regierung zurechenbar ist. Die Klausel in der europäischen Ausschreibung, dass in jedem Fall eine vom irischen Institut ausgestellte Bescheinigung vorzulegen ist, dass die Rohre der irischen Norm 188:1975 entsprechen, ist nicht notwendig, um zwingenden Erfordernissen, bspw dem Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt, gerecht zu werden, da es sich bei Ihren Produkten ja um gesundheitsschonende und umweltschonende Rohre handelt, die der irischen Norm in jedem Fall gleichwertig sind. Art 28 EGV zielt darauf ab, alle Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu beseitigen, die die Einfuhrströme im innergemeinschaftlichen Handel behindern. Es ist einerlei, ob solche Maßnahmen unmittelbar den Verkehr der eingeführten Waren treffen oder mittelbar das Inverkehrbringen von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten behindern. Zu prüfen ist daher auch unter dem Aspekt der Diskriminierung, ob die Aufnahme der Klausel in die Bekanntmachung der Ausschreibung und die Verdingungsunterlagen geeignet war, die Einfuhr von Rohren nach Irland zu behindern. Die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch die Judikatur des EuGH brachte es jedoch mit sich, dass niedrigere Produktstandards einen Standortvorteil im europäischen Binnenmarkt darstellen. So entsteht ein gewisser Problem der gemeinsamen Druck für die nationalen Gesetzgeber, ihre Produktanforderun- Anerkennung: Gefahr der Nivellierung der Produktanforderungen nach unten gen nach unten zu nivellieren. Letztendlich besteht damit die Gefahr, sich europaweit am kleinsten gemeinsamen Nenner anstatt an hohen einheitlichen Schutzstandards zu orientieren. Insbesondere in so wichtigen Bereichen wie dem Gesundheits- und dem Umweltschutz ist daher trotz des Prinzips der gemeinsamen Anerkennung eine Harmonisierung – und zwar auf entsprechendem Schutzniveau (vgl Art 95 Abs 3 EGV) – unumgänglich. Vor diesem Hintergrund wurde ein neues Konzept der Rechtsangleichung entwickelt: der so genannte „new approach“.
C.
Der „new approach“
Der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber beschränkt sich im Rahmen der Rechtsangleichung nach dem „new approach“ darauf, in Richtlinien mittels unbestimmter Rechtsbegriffe und generalklauselartiger Formulierungen die grundlegenden Anforde„new approach“: rungen im Hinblick auf Sicherheit, Umweltgerechtigkeit und Richtlinien regeln grundlegende Konsumentenschutz festzulegen. Diesen Anforderungen hat ein Anforderungen (Sicherheit, Umwelt, Produkt zu entsprechen, um im Gebiet der Gemeinschaft in Verbraucher), eigentliche Regelungstätigkeit erledigen private Verkehr gebracht werden zu dürfen. Die weitere Konkretisierung Normungseinrichtungen überlässt die Richtlinie den „europäischen Normen“, also privaten technischen Normen, die vom Europäischen Normungsinstitut im Zusammenwirken mit den nationalen Normungseinrichtungen ausgearbeitet werden (siehe dazu die Ausführungen unter V.). Die Richtlinien der neuen Konzeption enthalten also nur Regeln darüber, wie der einzelne Hersteller die Konformität seines Produkts mit den grundlegenden Sicherheits-, Konsumen-
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tenschutz- und Umweltanforderungen nachweisen kann. Der Hersteller, der nachweist oder bloß erklärt (die Art des Nachweises ist in den einzelnen Richtlinien unterschiedlich ausgestaltet), dass sein Produkt mit den Anforderungen der einschlägigen europäischen Produktnormen übereinstimmt, welche die in der Richtlinie festgelegten grundlegenden Anforderungen konkretisieren, kann wegen dieser Übereinstimmung eine Vermutung für sich in Anspruch nehmen, dass sein Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Umweltanforderungen entspricht. Wesentlich ist, dass dieses System den technischen Normen keinen absolut zwingenden Charakter zuweist. Der Hersteller kann die Übereinstimmung mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen zum einen dadurch nachweisen, dass sein Produkt den einschlägigen technischen Normen, auf die die Richtlinie verweist, entspricht. Er wird das in der Regel auch so tun, weil er damit die oben erwähnte „Konformitätsvermutung" für sich und sein Produkt in Anspruch nehmen kann. Er hat aber zweitens auch immer die Möglichkeit, auf andere Weise in einem Einzelverfahren in einem Mitgliedstaat nachzuweisen, dass sein Produkt den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Richtlinie entspricht (nur trägt er in diesem Fall die Beweislast, dass seine alternativen Nachweismethoden und -kriterien denjenigen technischen Normen, auf die in der Richtlinie verwiesen wird, gleichwertig sind und daher auch die Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Richtlinie belegen können). Dieses Zertifizierungs- und Prüfsystem sieht für die jeweiligen Richtlinien wahlweise verschiedene sog „Module“ (Varianten) vor, wie der Hersteller - abgestimmt auf die Entstehungsphasen des Produkts – die Konformität seines Produkts mit einer europäischen Norm nachweisen kann. Bsp: Interne Fertigungskontrolle, Baumusterprüfung, Konformität mit der Bauart, Qualitätssicherung, Produktion, Qualitätssicherung Produkt, Prüfung der Produkte, Einzelprüfung, umfassende Qualitätssicherung. Aus diesem Baukastensystem wählt der Gemeinschaftsgesetzgeber in der Richtlinie diejenigen Module aus, die ihm für die konkret geregelten Produkte geeignet erscheinen. Hat ein Hersteller die Konformitätsbewertung erfolgreich durchgeführt, so ist er berechtigt, auf seinen Produkten das so genannte „CE-Zeichen“ anzubringen. Dieses fungiert als „Warenpass“, der den Überwachungsbehörden der Mitgliedstaaten anzeigt, dass der Hersteller den Konformitätsnachweis erbracht hat, womit das Produkt in der EU CE-Zeichen am Produkt gilt als „Warenpass“: Das Produkt darf ungehindert zirkulieren darf. Die staatlichen Behörden haben alungehindert im Binnenmarkt zirkulieren. lerdings die Möglichkeit, den „Gegenbeweis“ zu erbringen, dass das Produkt trotz „CE-Zeichens“ die in der einschlägigen RL festgelegten grundlegenden Anforderungen nicht erfüllt. Außerdem haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, gemäß Art 95 Abs 4 oder Abs 5 EGV die Beibehaltung bzw Neueinführung strengerer nationaler Bestimmungen bei der Kommission zu beantragen (sog Schutzverstärkungsklauseln). Diesem System der Zertifizierung bzw Selbstzertifizierung folgt ein Großteil des Produktrechts. Die innerstaatliche österreichische Umsetzung verstärkt oft die Pflichten für den Hersteller noch durch eigene Verwaltungsstrafbestimmungen (vgl § 366 Abs 1 Z 5 GewO), die den Missbrauch von Selbstzertifizierungssystemen verhindern sollen.
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III.
Produktrecht
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Materielles Produktrecht
Wie schon eingangs erläutert spricht man dann von Produktrecht, wenn es sich um Rechtsvorschriften handelt, die zugunsten von Verbraucher- und Umweltschutz bestimmte Anforderungen für Produkte festlegen. Da je nach Produkt meist unterschiedliche Regelungen notwendig sind, ist der Großteil des Produktrechts in Form sektorspezifischer Vorschriften wie etwa dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) oder dem Arzneimittelgesetz erlassen worden (sog vertikales Produktrecht). materielles Produktrecht: Das Produktsicherheitsgesetz (PSG) hingegen richtet sich - vertikal grundsätzlich an alle Produkte (sog horizontales Produktrecht) - horizontal und wirkt damit gewissermaßen als eine Art Auffangnetz, wo eine spezielle Produktregulierung nicht oder nur unzureichend besteht oder wo wegen der Neuartigkeit des Produkts spezielle Regelungen noch nicht erarbeitet worden sind. Da es in diesem Rahmen unmöglich ist, einen umfassenden Blick auf alle materiellen Produktrechtsvorschriften zu werfen, wird im Folgenden exemplarisch auf zwei besonders bedeutende Regelungsbereiche – das Lebensmittel- und das Produktsicherheitsrecht – eingegangen.
A.
Lebensmittelrecht
Das Lebensmittelrecht ist durch zahlreiche gemeinschaftsrechtliche Vorgaben geprägt, die in den letzten Jahren vorwiegend in der Form unmittelbar anwendbarer Verordnungen erlassen wurden. Dabei spielt die im Jahr 2002 gegründete Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA – European Food Safety Authority, http://www.efsa.europa.eu) eine wichtige Rolle. Ihre auf eigene Initiative oder im Auftrag der Kommission, des Europäischen Parlaments oder eines Mitgliedstaats erstellten wissenschaftlichen Gutachten zu Fragen der Lebensmittelsicherheit bilden die Grundlage des entsprechenden Sekundärrechts. Bsp: Die wichtigsten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben finden sich in der so genannten „Basisverordnung“ – VO (EG) Nr 178/2002 – sowie in den drei Lebensmittelhygieneverordnungen. Die VO (EG) Nr 852/2004 enthält allgemeine Regelungen, die VO (EG) Nr 853/2004 Regelungen über Lebensmittel tierischen Ursprungs und die VO (EG) Nr 854/2004 Regelungen über die behördliche Überwachung.
1.
Das Lebenmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz
Im Zentrum des österreichischen Lebensmittelsrechts steht das Lebenmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG, BGBl I Nr 13/2006 idF BGBl I Nr 112/2007), das neben den Vorschriften für Lebensmittel auch eigene Regelungen für kosmetische Mittel und Gebrauchsgegenstände enthält. Als Lebensmittel gelten alle Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen „aufgenommen“ zu werden (vgl § 3 Z 1 LMSVG). Dazu gehören beispielsweise auch Kaugummi sowie alle Getränke und ebenso Stoffe, die dem Lebensmittel bei seiner Erzeugung zugesetzt werden, nicht aber Arzneimittel, für die mit dem Arzneimittelgesetz ein ganz eigenes Regelungsregime besteht. Die Abgrenzung zwischen Lebens- und Arzneimittel kann jedoch im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Bsp: Besonders schwierig ist etwa die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Letztere fallen zwar in den Anwendungsbereich des LMSVG, ähneln in ihrer Darreichung – meist in Form von Kapseln oder Tabletten – sowie in ihrer
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Dosierung jedoch eher den Arzneimitteln als gewöhnlichen Lebensmitteln. Zur Lösung solcher und ähnlicher Abgrenzungsfragen wurde beim Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend (BMGFJ) ein so genannter Abgrenzungsbeirat eingerichtet (vgl § 49a Arzneimittelgesetz). Er klärt in wissenschaftlichen Gutachten, ob es sich bei einem fraglichen Produkt um ein Arzneimittel handelt oder nicht (sondern zB um ein Lebensmittel oder Medizinprodukt). Das Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz stellt seinem Charakter nach ein so genanntes Rahmengesetz dar, dessen Vorgaben sich zumeist in weiten Generalklauseln erschöpfen. Die detaillierten lebensmittelrechtlichen Vorschriften finden sich daher in von der Verwaltung erlassenen Verordnungen. Auch im Falle von gemeinschaftlichem Sekundärrecht, das einer Umsetzung bzw Ergänzung durch nationales Recht bedarf, wird der Verordnungsweg beschritten. All das hat zu einer Vielzahl von Durchführungsverordnungen geführt. Bsp: So etwa die Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel (BGBl Nr 201/1994); die Konservierungsmittelverordnung (BGBl Nr 491/1994); die Schokoladeverordnung (BGBl II Nr 628/2003) oder die Verordnung über den Zusatz von Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungs- und Geliermittel zu Lebensmitteln (BGBl Nr 725/1994), um nur einige zu nennen.
2.
Lebensmittelrechtliche Standards
Lebensmittelrecht dient vor allem dem Verbraucherschutz. Zum einen enthält es Qualitätsanforderungen für Lebensmittel, die darauf abzielen, die Gesundheit der Verbraucher zu schützen. Zum anderen verpflichtet es die Unternehmer zu einer bestimmten Kennzeichnung der Lebensmittel, um den Verbraucher vor Täuschung zu schützen (vgl § 2 Abs 1 LMSVG). a.
Anforderungen an die Qualität von Lebensmitteln
Ganz allgemeine Anforderungen an die Qualität von Lebensmitteln finden sich in den Bestimmungen des LMSVG. Danach dürfen Lebensmittel dann nicht in Verkehr gebracht werden, wenn sie gesundheitsschädlich oder – zB aufgrund von Fäulnis oder Verderb – für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind (§ 5 Abs 1 Z 1 LMSVG). Dasselbe gilt auch, wenn es sich um minderwertige Lebensmittel handelt (§ 5 Abs 1 Z 2 LMSVG). Die allgemeinen Anforderungen des LMSVG werden durch zahlreiche Durchführungsverordnungen für einzelne Lebensmittelkategorien konkretisiert. Bsp: Die Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel zB legt in ihrem § 4 fest, dass die Temperatur von Tiefkühlwaren gleich bleibend auf -18°C oder niedriger gehalten werden muss und beim Versand oder Vertrieb in Tiefkühltruhen höchstens ein kurzzeitiger Anstieg um 3°C zulässig ist. Tiefkühlwaren, die aufgetaut und wieder eingefroren wurden, sind zwar weder gesundheitsschädlich noch für den menschlichen Verzehr grundsätzlich ungeeignet, sie stellen aber minderwertige Lebensmittel iSd § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG dar und dürfen dementsprechend nicht in Verkehr gebracht werden. Zentrale Qualitätsanforderungen finden sich mittlerweile im europäischen Sekundärrecht. Insbesondere die Hygienevorgaben, die früher auf nationaler Ebene in der MilchhygieneVO oder der FischhygieneVO geregelt waren, sind durch die unmittelbar anwendbaren Lebensmittelhygieneverordnungen – die VO (EG) Nr 852, 853 und 854/2004 – nunmehr auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene verankert.
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b.
Produktrecht
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Anforderungen an die Kennzeichnung von Lebensmitteln
Ein Großteil des Lebensmittelrechts ist Lebensmittelkennzeichnungsrecht. Auf nationaler Ebene verbietet schon das LMSVG das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit irreführenden Angaben, um Verbraucher vor Täuschung zu schützen (§ 5 Abs 2 und 3 LMSVG). Bsp: Als irreführende Angaben gelten zB unzutreffende Angaben über die empfohlene Aufbrauchfrist (VwGH 29. 6. 1998, 94/10/0132), aber auch die Bezeichnung von Würsten als „Frankfurter“ trotz zu geringer Länge (VwGH 9. 11. 1992, 91/10/0105). Genauer ausgeführt wird das Verbot der irreführenden Angaben in den Regelungen über die Kennzeichnung von verpackten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln der so genannten Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV) und der Zusatzstoffkennzeichnungsverordnung sowie in einzelnen produktspezifischen Verordnungen, die ebenfalls Kennzeichnungsvorschriften enthalten können. Bsp: So stellt etwa die Bezeichnung eines Tafelwassers als natürliches Mineralwasser einen Fall des § 5 Abs 1 Z 3 LMSVG dar, da diese Verkehrsbezeichnung gemäß den Bestimmungen (insbes § 10) der Mineralwasser und QuellwasserVO (BGBl II 1999/309 idF BGBl II 2004/500) Wasser vorbehalten ist, das ua seinen natürlichen Ursprung in einem unterirdischen Wasservorkommen hat und gegenüber sonstigem Wasser eine bestimmte Eigenart aufweist, die auf seinen Gehalt an Mineralstoffen, Spurenelementen oder sonstigen Bestandteilen zurückzuführen ist (vgl § 2 der VO). Besondere Bedeutung haben Kennzeichnungsvorschriften mit der Etablierung des europäischen Binnenmarkts erlangt. Denn selbst zum Schutz der Verbraucher vor Täuschung zwingend erforderliche Beschränkungen des freien Warenverkehrs sind nach der Judikatur des EuGH nur dann gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig sind. Produktverbote sollen vermieden und Als unverhältnismäßig qualifiziert der Gerichtshof absolute Ver- durch Information ersetzt werden kehrsverbote dann, wenn einer Täuschung des Verbrauchers auch durch eine entsprechende Kennzeichnung, anhand der die Merkmale des Erzeugnisses für den Verbraucher ersichtlich werden, vorgebeugt werden kann. Produktverbote sollen also vermieden werden, zugunsten von Verbraucherinformation in den Hintergrund treten und durch Gebote zur entsprechenden Kennzeichnung ersetzt werden. Bsp: In dem Fall Obstessig H Gilli (EuGH 26. 6. 1980, Rs 788/79) ging es um ein Strafverfahren wegen Betruges gegen zwei italienische Kaufleute, welche deutschen Obstessig importierten, der nicht aus der Essigsäuregärung des Weines stammende Essigsäure enthielt. Ein italienisches Gesetz verbot es, im Bereich der Ernährung Erzeugnisse, die anderen als Weinessig enthielten, unmittelbar oder mittelbar zu verwenden. Italien berief sich dabei auf den Schutz der Verbraucher vor Täuschung, damit diese nicht unter der Bezeichnung „Essig“ Obst- anstatt des erwarteten Weinessigs kaufen würden, und auf gesundheitsschutzpolitische Überlegungen. Der EuGH wies diese Argumentation zurück und erklärte das absolute Verkehrsverbot für unverhältnismäßig, da ein hinreichend deutliches Etikett die Verwechslungsgefahr gebannt hätte (vgl dazu die gemeinschaftsrechtliche Ettikettierungsrichtlinie 2000/13/EG). Die Mitgliedstaaten haben aber auch beim Erlass der entsprechenden Etikettierungsvorschriften nicht völlig freie Hand. Kennzeichnungsgebote müssen ebenso wie andere Maßnahmen gleicher Wirkung iSd Art 28 EGV verhältnismäßig, also insbesondere erforderlich und angemessen sein.
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Bei der Frage nach der Erforderlichkeit von speziellen Kennzeichnungsvorschriften für ein Lebensmittel ist laut EuGH darauf abzustellen, ob ein Verbraucherleitbild des EuGH: schnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchein durchschnittlicher informierter, aufmerksamer und verständiger schnittsverbraucher ohne sie Gefahr laufen würde, über die BeDurchschnittsverbraucher (mündiger schaffenheit des Lebensmittels getäuscht zu werden. Mit diesem europäischer Verbraucher) Leitbild eines mündigen europäischen Verbrauchers legt der Gerichtshof die Latte für die Erforderlichkeit von nationalen Kennzeichnungen, die einen Importeur zur Anpassung seiner Waren zwingen, sehr hoch. Das führt in der Regel dazu, dass sich die Mitgliedstaaten in EuGH-Verfahren zu diesen Fragen selten mit ihrer Argumentation durchsetzen. Bsp: Nach deutscher Rechtslage durften nur solche Getränke als Bier bezeichnet werden, die nach dem sog Reinheitsgebot (Inhaltsstoffe dürfen nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser sein) gebraut worden waren. Die Kommission klagte Deutschland daraufhin vor dem EuGH (EuGH 12. 3. 1987, Rs 178/84 „Reinheitsgebot“) mit der Begründung, diese Regelung würde den Import von Bier aus anderen Mitgliedstaaten, das als Grundstoff Mais oder Reis anstatt Gerste enthält, behindern. Nach Meinung der deutschen Regierung war dies jedoch erforderlich, um den deutschen Verbraucher, der aufgrund des Reinheitsgebots eine ganz bestimmte Vorstellung von Bier habe, vor Irreführung durch ähnliche, aber aus anderen Zutaten hergestellte Erzeugnisse zu schützen. Der EuGH folgte der Argumentation Deutschlands nicht, sondern hielt fest, dass dieses Ziel auch mit einer den freien Warenverkehr weniger stark beeinträchtigenden Regelung, nämlich der Verpflichtung zu einer angemessenen Etikettierung, hätte erreicht werden können. Eine solche Kennzeichnung ermögliche es dem Verbraucher, seine Wahl unter Kenntnis der für die Erzeugung des Importbieres verwendeten Grundstoffe zu treffen. Aber auch Etikettierungsvorschriften qualifizierte der EuGH als unverhältnismäßig, wenn sie weiter gehende Verpflichtungen enthielten als notwendig, wie etwa den Unternehmer zu verpflichten, allein die Sprache des Sprachgebiets zu verwenden oder ihm die Möglichkeit zu nehmen, die Information für die Verbraucher durch alternative Maßnahmen wie Piktogramme zu gewährleisten (vgl EuGH 18. 6. 1991, Rs C-369/89 „Piageme“ und EuGH 3. 6. 1999, Rs C-33/97 „Colim“).
B.
Das Produktsicherheitsgesetz 2004 (PSG)
In Umsetzung der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit (ProduktsicherheitsRL) wurde 2004 ein neues Produktsicherheitsgesetz (PSG) erlassen (BGBl I Nr 16/2005), dessen allgemeines Ziel es ist, Leben und Gesundheit von Menschen vor Gefährdung durch gefährliche Produkte zu schützen.
PSG: Schutz vor gefährlichen Produkten, Umsetzung der ProduktsicherheitsRL, Auffangregelung
1.
Der Anwendungsbereich des PSG
Beim PSG handelt es sich um horizontales Produktrecht. Sein Anwendungsbereich umfasst grundsätzlich jede bewegliche Sache, die für Verbraucher/innen bestimmt ist oder von diesen benutzt werden könnte. Das PSG gilt damit auch für Produkte, die im Rahmen einer Dienstleistung für den Verbraucher bestimmt sind oder vom Verbraucher selbst genutzt werden können.
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Bsp: Unter diese Kategorie der dienstleistungsbezogenen Produkte fällt etwa ein Fön, den der Frisör dem Kunden zum selber Fönen bereitstellt. Nicht in den Anwendungsbereich des PSG fallen allerdings Antiquitäten und Produkte, die vor ihrer Verwendung instand gesetzt und wiederaufbereitet werden müssen (gemeint sind Gebrauchtwaren aller Art), sofern der Inverkehrbringer der von ihm belieferten Person nachweislich mitteilt, dass es sich um derartige Waren handelt. Als horizontales Produktrecht gilt das PSG allerdings nur dann, wenn keine sektorspezifischen Verwaltungsvorschriften bestehen, die speziellere Sicherheitsanforderungen für das entsprechende Produkt enthalten. Das PSG ist also nur subsidiär, das heißt nur insoweit anzuwenden, als bestimmte Aspekte, Risiken oder Risikogarantien von jenen Vorschriften nicht berücksichtigt werden. Man schreibt dem PSG deshalb auch den Charakter eines „Auffangnetzes“ zu.
2.
Das Regelungsziel des PSG
Sein grundlegendes Ziel der Abwehr der von Produkten ausgehenden Gefahren verfolgt das PSG dadurch, dass es die Inverkehrbringer für die Gewährleistung der Produktsicherheit verantwortlich macht (sog wirtschaftliche Selbstregulierung, siehe dazu auch IV.A.2.). Hersteller und Importeure dürfen gemäß § 6 Abs 1 PSG nur sichere Produkte auf den Markt bringen. Gegenüber Händlern werden geringere Anforderungen festgelegt, da sie in der Regel die Sicherheitseigenschaften von Produkten nicht beeinflussen können. „Blind“ vertrauen dürfen sie den Informationen ihrer Lieferanten aber ebenso wenig. Produkte, von deren Gefährlichkeit die Händler wissen bzw bei Erfüllung der üblichen Sorgfaltspflichten wissen müssen, dürfen nach § 7 Abs 3 PSG 2004 daher auch von ihnen nicht angeboten werden. Zur Kontrolle der Einhaltung dieser Verpflichtung durch die Inverkehrbringer sieht das PSG 2004 besondere Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen durch eigene Produktsicherheitsaufsichtsorgane vor. Als „sicher“ gilt ein Produkt iSd PSG dann, wenn es den einschlägigen technischen Normen (vgl Pkt „Normung“) entspricht. Dann wird die Übereinstimmung mit den Sicherheitsanforderungen des Gesetzes zu Gunsten des Herstellers vermutet, so lange sie nicht widerlegt worden ist. Von dieser Konformitätsvermutung können allerdings nur Produkte profitieren, die jenen Normen entsprechen, die im Rahmen der Produktsicherheitsrichtlinie (2001/95/EG) bereits von der Kommission anerkannt und im EG-Amtsblatt verlautbart wurden.
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IV.
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Die Instrumente zur Durchsetzung des Produktrechts
Das Produktrecht bedient sich zur Durchsetzung seiner Regelungsziele verschiedener Instrumente, die man danach unterscheiden kann, ob sie vor dem Inverkehrbringen eines Produktes (sog Vormarktkontrolle) oder erst dann zum Einsatz kommen, wenn das Produkt bereits am Markt ist (sog Nachmarktkontrolle).
A.
Vormarktkontrolle
1.
Zulassungs- und Anmeldepflichten
Die Zulassungspflicht ist das strengste Instrument des Produktrechts, da es im Prinzip ein Produktverbot mit Erlaubnisvorbehalt darstellt. Im europäischen Binnenmarkt sind derartige Maßnahmen nur aufgrund zwingender Erfordernisse wie dem Zulassungspflichten nur bei erhöhter Schutz der Gesundheit der Verbraucher gerechtfertigt. Als verGefahrengeneigtheit hältnismäßig gelten Zulassungspflichten nur bei entsprechend hoher Gefahrengeneigtheit eines Produkts, wie dies etwa bei Arzneimitteln der Fall sein kann. Das Arzneimittelgesetz (BGBl Nr 185/1983 idF BGBl I Nr 115/2008) macht daher Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Mittels zur Bedingung für seine Zulassung (vgl § 7 ff ArzneimittelG). Es ist größtenteils gemeinschaftsrechtlich harmonisiert. So wurden unter anderem die Voraussetzungen vereinheitlicht, unter denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Zulassungen für Arzneimittel zu erteilen. Die Zulassung kann demnach nur dann versagt werden, wenn es nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und den praktischen Erfahrungen nicht als gesichert gilt, dass die Arzneimittel bei bestimmungsge-
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mäßem Gebrauch keine schädliche Wirkungen haben, die über ein vertretbares Maß hinausgehen. Neben diesen dezentralen Zulassungsverfahren in den Mitgliedstaaten, wurde auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ein zentrales Zulassungsverfahren für alle mit Hilfe biotechnologischer oder sonstiger hochtechnologischer Verfahren hergestellten Arzneimittel eingeführt. Für die wissenschaftliche Beurteilung von Anträgen auf Erteilung der europäischen Zulassung ist die 1993 gegründete (vgl VO (EG) 2309/93, nunmehr abgelöst durch die VO (EG) 726/2004) Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA – European Medicines Agency, http://www.emea.europa.eu) zuständig. Für den Fall, dass von einem Arzneimittel eine Gefahr ausgeht, die zu gering ist, um eine Zulassungspflicht zu rechtfertigen, sieht das Arzneimittelrecht, Anmeldepflichten bei geringer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechend, regelmäßig Gefahrengeneigtheit nur eine Anmeldepflicht vor. So müssen zB homöopathische Arzneimittel nicht zugelassen, sondern nur beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen registriert werden (vgl § 11 ArzneimittelG).
2.
Systeme der Zertifizierung / Selbstzertifizierung
Aufgrund der zunehmenden Komplexität der wirtschaftlichen Prozesse und der rasch fortschreitenden Technisierung und Spezialisierung im Bereich des Produktrechts stehen sowohl Gesetzgebung als auch Verwaltung mehr und mehr vor unbewältigbaren Anforderungen. Die Verwaltungsbehörden wären überfordert, müssten sie überall dort, wo das Produktrecht Vorgaben macht, selbständig Prüfungen vornehmen. Aber nicht nur Tendenz zur Selbstzertifizierung durch aufgrund der Kapazitätsgrenzen staatlicher Verwaltung ist es den Hersteller (wirtschaftliche Selbstregulierung) wichtig, Alternativen zu entwickeln. Zulassungs- und Anmeldepflichten sind auch aufgrund der Intensität ihres Eingriffs in die Autonomie der Produzenten und Inverkehrbringer Instrumente, die sparsam eingesetzt werden sollten. In weiten Bereichen hat sich daher im Produktrecht das aus dem Gemeinschaftsrecht stammende System der Zertifizierung bzw Selbstzertifizierung durchgesetzt, das auf dem Grundgedanken der wirtschaftlichen Selbstregulierung beruht. Danach hat der Hersteller den Nachweis zu erbringen, dass sein Produkt in Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen hergestellt wurde. Dies wird dann vermutet, wenn es den einschlägigen technischen Normen entspricht (vgl unten V.). Erbringt der Hersteller den Nachweis der Konformität oder kann er die Konformitätsvermutung geltend machen, hat er einen Anspruch auf Zertifizierung bzw ist berechtigt, sein Produkt selbst zu zertifizieren – etwa indem er das sog „CE-Zeichen“ anbringt.
B.
Nachmarktkontrolle
1.
Informationspflichten
Sind Produkte einmal in Verkehr gebracht worden sind die Hersteller und Händler zur Produktbeobachtung verpflichtet, um gegebenenfalls auf auftauchende Gefahren reagieren zu können (zB durch sog Rückholaktionen, vgl 3.). Unter Umständen werden auch sonstige Dritter (zB Ärzte, Tierärzte, Apotheken etc) verpflichtet, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit von Zwischenfällen mit oder Gefährdungen durch bestimmte Produkte Kenntnis erlangen, diese bei der zuständigen Behörde zu melden.
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2.
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Behördliche Marktüberwachung
Die zahlreichen Verpflichtungen der Inverkehrbringer wären freilich ohne entsprechende behördliche Kontrollen ihrer Einhaltung wirkungslos. Die einzelnen materiellen Produktrechtsvorschriften sehen daher eine Marktüberwachung - Produktbeobachtung durch die zuständige Behörde vor, die dazu mit bestimmten Be- Meldepflichten fugnissen ausgestattet wird. Diese ermöglichen ihr, auch ohne Anlassfall, mit anderen Worten präventiv, tätig zu werden (sog aktive Marktüberwachung). Bsp: Ihm Rahmen des Vollzuges des PSG sind die Produktsicherheitsaufsichtsorgane der Länder (mittelbare Bundesverwaltung) ermächtigt, überall dort, wo Produkte in Verkehr gebracht werden, Nachschau zu halten, jedes Produkt auf dessen Sicherheitseigenschaften zu überprüfen, dabei Produktmuster zu entnehmen und vom Inverkehrbringer alle erforderlichen Informationen zu verlangen (vgl § 14 PSG). Stellt das Aufsichtsorgan fest, dass bei Benützung oder Lagerung eines Produktes eine Gefahr für Leben oder Gesundheit droht, kann es außerdem vorläufige Maßnahmen setzen und etwa die Anbringung von Warnhinweisen oder ein vorläufiges Verbot des Inverkehrbringens verfügen (vgl § 15 PSG).
3.
Rückrufpflichten
Ein besonderes Problem stellt sich dann, wenn festgestellt wird, dass ein bereits im Verkehr befindliches Massenprodukt fehlerhaft ist. Die klassische verwaltungspolizeiliche Beschlagnahme hilft hier nicht weiter, in aller Regel wird den Behörden jeNachmarktkontrolle bei fehlerhaften doch auch die Information darüber fehlen, wo sich derartige ProProdukten durch Rückrufaktionen dukte befinden. Die ProduktsicherheitsRL und (in deren Umsetzung) das PSG setzen deshalb auch hier bei den Inverkehrbringern an und haben sog „Rückrufaktionen“ eingeführt, die Hersteller und Importeure dazu zwingen, ihre Produkte erforderlichenfalls vom Markt zu nehmen. Das Verfahren wurde durch das sog RAPEX-System (Rapid Alert System) ergänzt, das mit Hilfe von Eilmeldungen einen rascheren Informationsaustausch zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission und EU-weite Rückrufaktionen innert 20 Tagen ermöglicht. Bsp: Als exemplarisch für eine umfassende Rückholaktion gilt der Fall des im Oktober 1997 bei einem Test in Schweden auf sein Dach gekippten Fahrzeugs vom Typ Mercedes A-Klasse. Dieses Ereignis, das heute als (nicht bestandener) "Elch-Test" bezeichnet wird, hielt das betroffene Unternehmen – die Daimler-Benz AG – viele Monate lang in Atem. Die Firmenleitung beschloss, Auslieferungsstopps bzw Rückholaktionen einzuleiten und trat mittels Presseerklärungen, Interviews mit dem Vorstandsvorsitzenden, Internet-News und Briefen an Mitarbeiter und Kunden an die Öffentlichkeit. Über diese Maßnahmen wurden insgesamt ca 45 Millionen Menschen in Deutschland erreicht. Zusätzlich wurde bekannt gegeben, dass die Fahrzeuge serienmäßig und kostenlos mit einem ESP (Elektronischen Stabilitäts-Programm) ausgestattet werden. Rückholaktionen – wenn auch selten mit vergleichbarem medialen Echo – kommen in der Automobilbranche häufig vor. So rief auch der VW-Importeur Porsche Austria in Österreich zuletzt insgesamt 3.476 Fahrzeuge der Baureihen Jetta und Golf Variant mit TDI-Motoren aus den Modelljahren 2007 und 2008 in die Werkstätten zurück. Der Grund: Bei den betroffenen Fahrzeugen bestand die Möglichkeit einer nicht ordnungsgemäß verschraubten Masseleitung der Zusatzheizung, die in weiterer Folge zu einer thermischen
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Überlastung der Zusatzheizung führen und im Extremfall einen Fahrzeugbrand hätte auslösen können.
V.
Normung
A.
Was versteht man unter Normung?
Der Gesetzgeber stößt, will er für jedes Produkt detaillierte inhaltliche Vorschriften schaffen, bald an seine Grenzen. Der staatlichen Rechtsetzung fehlen hier sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht die notwendigen Kapazitäten. Vor Im Normungsbereich übernehmen allem in technischen Bereichen beschränkt er sich daher immer private Institutionen die inhaltlichen häufiger auf die Erlassung allgemein gehaltener Vorschriften Regelungen, der Staat übernimmt die verfahrensrechtlichen Regelungen und überlässt es privaten Institutionen, die detaillierten Standards für ein Produkt zu formulieren (sog Normung). Der Staat gibt, meistens in der Form von Verfahrensvorschriften, für diese Normsetzungstätigkeit allerdings einen Rahmen vor und trägt die Verantwortung für dessen Einhaltung. Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von regulierter Selbstregulierung (regulated self-regulation).
B.
Was sind Normen?
Da die Normsetzungstätigkeit im privaten Bereich erfolgt, bedürNormen haben Empfehlungscharakter, sie fen Normen, um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, stets der müssen erst verbindlich erklärt werden Verbindlicherklärung durch den Gesetzgeber bzw der Aufnahme (Gesetz oder Vertrag) bzw durch Handelsbrauch oder Verkehrssitte in ein Vertragswerk. Normen können aber auch durch Handels- rechtsverbindlich werden. brauch (§ 346 UGB), Verkehrssitte (§ 863 ABGB) oder dann Davon sind Rechtsnormen als Soll-Sätze rechtsverbindlich werden, wenn sie zur Interpretation unbe- zu unterscheiden, denn sie sind rechtsverbindlich! stimmter Gesetzesbegriffe (sog Technikklauseln) herangezogen werden. Normen haben also grundsätzlich Empfehlungscharakter und sind streng von den Rechtsnormen, bei denen es sich um „Soll-Sätze“ handelt, zu trennen (vgl zu den Rechtsnormen EÖR I, LE 9).
1.
Die verschiedenen Arten von Normen
Normen kann man einteilen in solche mit technischem Inhalt (Deklarations-, Dienstleistungs-, Liefer-, Maß-, Planungs-, Produkt-, Prüf-, Qualitäts-, Sicher- - Technische Normen heitsnormen usw), in Verfahrensnormen (vgl ÖNORM A 2050 - Verfahrensnormen über das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge), in Nor- - Normen mit typisierten Vertragsinhalten men mit typisierten Vertragsinhalten (Bauvertragsnorm ÖNORM - „Mischnormen“ B 2110/2000) und in so genannte „Mischnormen“ (Normen im Bereich des Umweltschutzes oder der Terminologie). Gerade im technischen Normenbereich wird klar, dass Normung keineswegs „Sache der Technik allein“ ist, sondern in allen Lebensbereichen wirkt und dem Zusammenleben der Menschen auf allen Gebieten dienen kann.
2.
Die Funktion von Normen
Normen tragen mit der Vereinheitlichung von Terminologie zu einer besseren Verständigung zwischen unterschiedlichen Herstellern bei, erleichtern so Austausch und Transfer von Technologien und führen damit letztendlich zu Synergieeffekten, die helfen. Entwicklungsund Produktionskosten einzusparen. Auf der anderen Seite schaffen sie damit auch einen
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wirtschaftspolitisch wichtigen Anreiz zur Spezialisierung auf die Entwicklung oder Erzeugung von Teilprodukten. Eine besondere Funktion kommt den Normen auf der europäischen Ebene zu, wo sie eine entscheidende Rolle bei der Realisierung eines funktionierenden Binnenmarktes spielen. Der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber beschränkt sich im Rahmen der Harmonisierung nach dem „new approach“ nämlich darauf, lediglich die grundlegenden Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit, Umweltgerechtigkeit und Konsumentenschutz sekundärrechtlich festzulegen. Die weitere Konkretisierung erfolgt erst durch private technische Normen, die vom Europäischen Normungsinstitut im Zusammenwirken mit den nationalen Normungseinrichtungen ausgearbeitet und im Anschluss vom Gemeinschaftsgesetzgeber für verbindlich erklärt werden.
C.
Nationale Normung
1.
Die Tätigkeit des Österreichischen Normungsinstitutes
Das Österreichische Normungsinstitut (ON) ist ein privater Verein und aufgrund des Normengesetzes 1971 berechtigt, so genannte ÖNORMEN zu erarbeiten. In fachlicher Hinsicht steht das ON unter der Aufsicht des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), welcher die erteilte Befugnis zur ausschließlichen Normierungstätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder widerrufen kann. Bei der Tätigkeit des ON ON erarbeitet ÖNORMEN und ONhandelt es sich weder um eine auch nur in einem weiten Sinne Regeln – europäisches Pendant: CEN staatliche Tätigkeit noch um eine Hilfstätigkeit für den Staat, sondern um eine autonome Tätigkeit im gesellschaftlichen Bereich, für die der Gesetzgeber einen rechtlichen Rahmen vorgibt (sog regulierte Selbstregulierung). Die Aufgaben des Österreichischen Normungsinstitutes umfassen die Organisation und Durchführung der Normungsarbeit, die Anpassung der ÖNORMEN an den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technik sowie an wirtschaftliche Gegebenheiten, die Verfahren zur Übernahme europäischer und internationaler Normen, die Kooperation mit anderen Normenorganisationen sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Am Normungsprozess, für den das Konsensprinzip gilt (Einstimmigkeit erforderlich), beteiligt das ON interessierte und betroffene Kreise, etwa Standes- oder Interessenvertretungen der Erzeuger wie der Konsumenten, staatliche Stellen oder Vertreter der Wissenschaft. Einigen sich die Beteiligten auf einen Normentwurf, muss dieser in einem Einspruchsverfahren einer breiten Öffentlichkeit zur Einsichtnahme zugänglich gemacht werden. Dieses Verfahren dient vor allem dazu, sicherzustellen, dass eine neu zu schaffende Norm trotz ihrer Unverbindlichkeit von der breiten Öffentlichkeit getragen wird und tatsächlich Anwendung und Akzeptanz findet.
2.
ÖNORMEN und ON-Regeln
ÖNORMEN sind ein Produkt des Österreichischen Normungsinstitutes (ON). Eine ÖNORM hat nach der Geschäftsordnung des ON unter Bindung an die Richtlinienvorgaben des Vorstandes so abgefasst zu werden, dass ihr Ziel und Zweck sowie der Kreis der Normadressaten eindeutig erkennbar sind. Die Formulierung sollte so gewählt sein, dass die Norm durch Gesetz oder VO verbindlich erklärt werden kann. Das Zwischenergebnis einer auszuarbeitenden ÖNORM kann auch als sog „Vornorm“ veröffentlicht werden, für deren Verabschiedung eine ¾-Mehrheit ausreichend ist und deren Laufzeit fünf Jahre nicht übersteigen darf. In den Vorbemerkungen ist auf die Eigenschaft als Vornorm hinzuweisen.
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Derzeit gibt es 19.974 ÖNORMEN (Stand: Dezember 2007), von denen allerdings ein Großteil im Rahmen der europäischen Normung entstanden und übernommen worden ist. Neue Normen werden im Newsletter „CONNEX“ sowie im Amtsblatt zur Wiener Zeitung veröffentlicht (der Inhalt der Norm kann kostenlos beim ON eingesehen bzw käuflich erworben werden). Das ON bietet eine weitere Spezifikation mit vereinfachtem Erzeugungsverfahren – die ONRegel – an (Teilnahme von nur mindestens zwei der interessierten Verkehrskreise, Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst, Entfall des zwingenden Einspruchverfahrens). Die ON-Regel greift in Bereichen mit hoher Innovationsdichte, also dort, wo ein ausreichender Konsens nicht in der geforderten Geschwindigkeit erzielt werden kann. Die ONRegel kann später zu einer ÖNORM unter Einhaltung des Verfahrens weiterentwickelt werden. Zur Ausarbeitung elektrotechnischer Regelungen und Normen ist der Österreichische Verein für Elektrotechnik (ÖVE) beauftragt (vgl das ElektrotechnikG).
D.
Europäische Normung
1.
CEN und CENELEC
Das Europäische Normungsinstitut, CEN (Comité Européen de Normalisation), ist ein privater Verein nach belgischem Recht, dessen Mitglieder die Normungsorganisationen der Mitgliedstaaten und EFTA-Länder sind (für Österreich das ON). Das CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électro- CENELEC: privater Verein, zuständig für technique) ist ein privater belgischer Verein, dessen Ziel es ist, Normsetzungstätigkeit im elektrotechnischen Bereich (nur die von den zuständigen nationalen Organisationen veröffent- subsidiär, dh wenn keine internationalen lichten nationalen elektrotechnischen Normen zu harmonisieren Normen vorhanden sind). und Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Elektrotechnik zu beseitigen (zB die NiederspannungsRL). Mitglieder sind die jeweiligen elektrotechnischen Komitees (für Österreich die einzelnen Fachgesellschaften des ÖVE). Das CENELEC nimmt erst dann selbst Normungstätigkeiten auf, wenn keine geeigneten internationalen Normen zur Verfügung stehen. Auf dem Gebiet der Telekommunikation wurde 1988 das ETSI (European Telecommunications Standards Institute) zur technischen Normung auf dem Gebiet der Telekommunikation in Form eines nicht gewinnorientierten Vereins nach französischem Recht gegründet. Seine Aufgabe besteht in der Schaffung von technischen Normen für den europäischen Markt für Telekommunikationsdienstleistungen.
2.
Verfahren der Europäischen Normung
Im Mittelpunkt dieses Verfahrens stehen zwei Gremien, die gemeinsam europäische Produktnormen erarbeiten. Auf europäischer Ebene im Rahmen des CEN ist ein so genanntes Technisches Komitee, das jeweils für bestimmte Produkte oder auch nur ein bestimmtes Produkt zuständig ist, eingerichtet. Auf mitgliedstaatlicher Ebene CEN: privater Verein, besteht ein nationales Pendant, das sog Spiegelgremium; in Normsetzungstätigkeit auf europäischer Österreich ist das ein entsprechender Fachnormenausschuss Ebene, Mitglieder sind die nationalen Normungsorganisationen im ON. Während die Entscheidungen dieser beiden Einrichtungen parallel laufen, folgt die Zusammensetzung und Organisation von Technischem Komitee und Fachnormenausschuss zwei grundsätzlich unterschiedlichen Konzepten:
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•
Auf mitgliedstaatlicher Ebene herrscht im Rahmen des ON (§ 2 NormenG) der Grundsatz der interessenpluralen Zusammensetzung. Alle interessierten und betroffenen Kreise sollen vertreten sein: Produzenten, Konsumenten, staatliche Stellen und Wissenschaft.
•
Auf europäischer Ebene herrscht das Prinzip der „territorialen Repräsentation“. Das Technische Komitee setzt sich aus den Delegierten der jeweiligen nationalen Normungsinstitute zusammen, die hier einen einheitlichen mitgliedstaatlichen Standpunkt zu vertreten haben.
Im Technischen Komitee wird auf europäischer Ebene zunächst ein erster Entwurf für eine bestimmte Norm erarbeitet. Dieser wird dann in den jeweiligen mitgliedstaatlichen Spiegelausschüssen beraten und im Spiegelgremium (zuständiger Fachnormenausschuss in Österreich) eine Stellungnahme zum Entwurf erstellt. Eine wesentliche Grundlage einer solchen Stellungnahme ist das Ergebnis des sog öffentlichen Auflageverfahrens (Einspruchsverfahrens). Der Entwurf wird veröffentlicht, sodass alle interessierten Verkehrskreise zwischen sechs und acht Wochen Zeit haben, selbst eine Stellungnahme zum Normungsentwurf abzugeben, der dann in die Ausarbeitung der mitgliedstaatlichen Stellungnahme einfließt. Nach Ausarbeitung der Stellungnahme haben dann vom Fachnormenausschuss gewählte Delegierte (nicht mehr als drei) das österreichische Normungsinstitut im Technischen Komitee bei der Erarbeitung des Schlussentwurfes zu vertreten. Ist der Schlussentwurf erstellt, so geht er zurück an die Spiegelgremien. Am Schluss des Verfahrens steht das sog „formal vote“, eine formelle Abstimmung in der Generalversammlung aller CEN-Mitglieder. Bei dieser Abstimmung sind die Stimmen der einzelnen nationalen Normungsorganisationen gewichtet. Angenommen ist eine europäische Norm, wenn eine qualifizierte Mehrheit dem Schlussentwurf zustimmt; in aller Regel bedeutet das 71% der Stimmen.
E.
Internationale Organisation der Normung
Internationale Normen sind der Öffentlichkeit zugänglich und richten sich als bloße Empfehlungen mit unverbindlichem Charakter an die Mitgliedstaaten. Sie werden von einer internationalen Normungsorganisation erzeugt, deren Mitgliedstaaten die Normen freiwillig anwenden. Die Internationale Normungsorganisation (International Organization for Standardization ISO) hat derzeit 157 Mitglieder (Stand: August 2008), die sich aus Internationale Normen haben den staatlichen Normungsorganisationen (Mitgliedstaaten der EU Empfehlungscharakter: Die Akzeptanz erfolgt durch freiwillige Anwendung der werden nicht durch CEN/CENELEC vertreten!) rekrutieren und Mitgliedstaaten der jeweiligen repräsentieren damit etwa 95% der gesamten Weltproduktion. Ziel Organisation. der ISO ist die Erarbeitung von ISO-Standards, welche zu einer möglichst weltweiten Vereinheitlichung möglichst vieler Normen für sämtliche Industriesparten führen sollen. Die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) ist die älteste internationale Normungsorganisation und Schwesterorganisation der ISO. Sie soll ein einheitliches Normenwerk auf dem Gebiet der Elektrotechnik schaffen. Die Normsetzung der International Telecommunication Union (ITU) erfolgt im Bereich des Telekommunikationswesens, der Radiokommunikation und im Bereich der Entwicklung des Telekommunikationssektors auf weltweiter Ebene.
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Produktrecht
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Im konkreten Fall wurden keine gleichwertigen Rohre von der irischen Regierung akzeptiert, die irische Regierung hat sich außerdem geweigert, zu prüfen, ob die Anforderungen in einem Fall erfüllt sind, in dem der Hersteller der Materialien nicht vom irischen Normungsinstitut im Rahmen der irischen Norm 188:1975 zugelassen worden war. Hätte sie die Klausel mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ versehen, hätte sie die Erfüllung der technischen Voraussetzungen kontrollieren können, ohne den Auftrag von vornherein denjenigen Bietern vorzubehalten, die irische Materialien zu verwenden beabsichtigten, was eigentlich bedeutet, dass nur irische Hersteller diese Voraussetzungen erfüllen. Die Klausel in der Ausschreibung ist unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung gemeinschaftsrechtswidrig und daher nicht anwendbar.
VI. Weiterführende Literatur Holoubek, Technisches Sicherheitsrecht, in: Holoubek/Potacs (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Auflage, 2007 Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht: Eine problemorientierte Einführung in das europäische Wirtschaftsrecht, 4. Auflage, 2003
VII. Links Freier Warenverkehr http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/goods/index_de.htm Gegenseitige Anerkennung http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/goods/mutrec_de.htm New Approach http://ec.europa.eu/enterprise/newapproach/index_en.htm Neues Binnenmarktpaket für Waren http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/internal_market_package/index_de.htm Normung http://www.iso.org http://www.iec.ch http://www.itu.int http://www.on-norm.at http://www.ove.at http://www.cenelec.org http://www.cenorm.be/
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Produktrecht
LE 4
VIII. Wiederholungsfragen
Was ist ein Produkt? Was versteht man unter Produktrecht? Welche Regelungsziele hat das Produktrecht? Was umfasst das Lebensmittelrecht im weiteren Sinn? Nennen Sie Beispiele nationaler Regelungen, die die Absatzchancen importierter Waren behindern können! Wer kann Regelungsadressat des Produktrechts sein? Was versteht man unter „diffusen Interessen“? Erklären Sie die Unterscheidung zwischen vertikalem und horizontalem Produktrecht! Wovon geht der EuGH aus, wenn er vom „mündigen Verbraucher“ spricht? Was versteht man unter Harmonisierung nach dem „new approach“? Wie funktioniert die so genannte Konformitätsvermutung? Nennen Sie Instrumente der Vormarktkontrolle! Sind (technische) Normen rechtsverbindlich? Welche Arten von Normen kennen Sie? Warum kommt den Normen auf europäischer Ebene eine besondere Funktion zu? Wen beteiligt das Österreichische Normungsinstitut an seiner Normsetzungstätigkeit? Wie unterscheiden sich ÖNORMEN von ON-Regeln? Wie sieht die Organisation der Normung auf europäischer Ebene aus? Erklären Sie kurz das Verfahren der europäischen Normung! Welche Unterschiede gibt es zur nationalen Normung?
Nennen
Sie
Beispiele
für
internationale
Organisationen
der
Normung!
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
105
Lektion 5
NATIONALES BUDGETRECHT IM RAHMEN DER WWU
Deutschland in der Krise Der aus Berlin stammende Ralf Schrödinger, der an der Wirtschaftsuniversität Wien BWL studiert, ist politisch ausgesprochen interessiert und beobachtet schon längere Zeit die Haushaltspolitik seines Landes. Eines Tages stellt er verwundert fest, dass der österreichische Finanzminister für sog Defizitsünder den Ausschluss von der Mitbestimmung in der Gemeinschaft fordert. Ralf weiß zwar, dass die Europäische Kommission Deutschland bereits in einem „blauen Brief“ im Jahr 2002 aufgefordert hat, das übermäßige öffentliche Defizit zu verringern und die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts – das deutsche Defizit näherte sich bereits der Obergrenze von 3% des Bruttoinlandsproduktes – einzuhalten. Er fragt sich aber, ob derartige Sanktionen gegen eine mögliche Defizitüberschreitung im Gemeinschaftsrecht überhaupt vorgesehen sind bzw ob nicht viel eher ein abgestuftes Verfahren sinnvoller wäre, als sogleich die Suspendierung von Mitbestimmungsrechten zu fordern. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Was hat die Budgetpolitik mit der Wirtschaftspolitik eines Landes zu tun? Wie wirkt sich die europäische Wirtschafts- und Währungsunion auf Österreichs Budgetpolitik aus? Wie kommt das österreichische Budget zustande? Wie sieht die europäische Wirtschafts- und Währungsunion konkret aus? Was versteht man unter den Konvergenzkriterien und dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt?
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Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Inhalt: I.
Budget- und Finanzverfassungsrecht in Österreich vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Währungsunion der EU ............................................................... 107 A. Österreichisches Haushaltsrecht und Wirtschaftspolitik .............................................. 107 1. Staatszielbestimmungen ............................................................................................. 107 2. Wirtschaftspolitische Aufgaben des Staates................................................................ 107 B. Österreichisches Haushaltsrecht im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ......................................................................................................................... 108 C. Das österreichische Budgetrecht ................................................................................. 109 1. Allgemeines ................................................................................................................. 109 2. Grundbegriffe des Budgetrechts .................................................................................. 111 a. Das Bundesfinanzrahmengesetz (BFRG) ................................................................... 111 b. Das Bundesfinanzgesetz (BFG) .................................................................................. 112 c. Die verfassungsrechtlichen Gebarungsgrundsätze ..................................................... 112 d. Abweichungen und Nachtragsbudget .......................................................................... 113 e. Budgetprovisorien ........................................................................................................ 114 f. Die Verrechnung und Rechnungslegung ..................................................................... 115 g. Der Bundesrechnungsabschluss und die Kontrolle ..................................................... 115 3. Die Grundsätze der Budgeterstellung ......................................................................... 115 a. Grundsatz der Einjährigkeit ......................................................................................... 115 b. Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit ................................................................... 116 c. Grundsatz des Bruttobudgets ...................................................................................... 116 d. Grundsatz der Budgetwahrheit .................................................................................... 116 4. Hauhaltsrechtsreform 2008 ......................................................................................... 116 D. Finanzverfassung ........................................................................................................ 116 1. Die österreichische Finanzverfassung ......................................................................... 116 2. Die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften.......................................... 119 II. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) .................................. 119 A. Die Grundlagen ........................................................................................................... 119 1. Die ökonomischen Vorteile der WWU ......................................................................... 119 2. Die drei Stufen der WWU ............................................................................................ 120 3. Die Konvergenzkriterien: Eintrittsvoraussetzung in die dritte Stufe der WWU und wirtschaftspolitische Rahmenbedingung ..................................................................... 120 B. Der rechtliche Rahmen der WWU ............................................................................... 122 1. Die Wirtschaftsunion .................................................................................................... 122 a. Die wichtigsten Themenfelder der wirtschaftspolitischen Koordinierung ..................... 123 b. Dauerhafte Konvergenz durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und das Verfahren nach Art 104 EGV (Überwachung der Haushaltsdisziplin) ......................... 123 c. Die Währungsunion ..................................................................................................... 126 2. Institutionen der WWU ................................................................................................. 127 a. Der ECOFIN-Rat ......................................................................................................... 127 b. ESZB und EZB ............................................................................................................ 128 III. Die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben in österreichisches Recht...... 128 IV. Weiterführende Literatur ........................................................................................... 129 V. Wiederholungsfragen ................................................................................................ 130
LE 5
I.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
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Budget- und Finanzverfassungsrecht in Österreich vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Währungsunion der EU
A.
Österreichisches Haushaltsrecht und Wirtschaftspolitik
1.
Staatszielbestimmungen
Nach den Staatszielbestimmungen (zu Staatszielbestimmungen siehe EÖR I, LE 4) des Art 13 Abs 2 B-VG haben Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und nachhaltig geordnete Haushalte anzustreben. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zielt auf Haushaltsrechtliche die Schaffung eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums, von Staatszielbestimmungen: Preisstabilität, einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozia- - Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht len Marktwirtschaft, von Vollbeschäftigung und sozialem Fort- - Nachhaltig geordnete Haushalte schritt sowie eines hohen Maßes an Umweltschutz und der Ver- - „gender budgeting“ besserung der Umweltqualität ab. Nachhaltig geordnete Haushalte kommen mittel- bis langfristig ohne erhebliche Gegensteuerungsmaßnahmen aus, sodass etwa eine unangemessen hohe öffentliche Verschuldung und anhaltende öffentliche Defizite unzulässig wären. Gemäß Art 13 Abs 3 B-VG haben Bund, Länder und Gemeinden bei der Haushaltsführung die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern anzustreben. Diese Staatszielbestimmung verpflichtet die Gebietskörperschaften, durch geeignete Maßnahmen die Auswirkungen des Verwaltungshandelns und der Budgetpolitik vor allem hinsichtlich der Mittelverteilung auf die Geschlechter zu analysieren, um eine mögliche Ungleichbehandlung bei der Budgeterstellung berücksichtigen und korrigieren zu können („gender budgeting“).
2. Wirtschaftspolitische Aufgaben des Staates In einem Wirtschaftssystem der freien Marktwirtschaft hat der Staat die Aufgabe, für eine optimale Verteilung wirtschaftlicher Faktoren zu sorgen (Allokationsfunktion), denn ohne Intervention könnte der Marktmechanismus zu gesellschaftlich unerwünschten Ergebnissen führen.
Disziplinierung der nationalen Budgetpolitiken durch: - Konvergenzkriterien - Stabilitäts- und Wachstumspakt
Bsp: Einrichtung von Schulen, Straßenbau, Errichtung von Krankenhäusern, Einhebung von Steuern und Gebühren als Lenkungsinstrument für Produktion und Verbrauch, staatliche Risikoübernahmen etc. Wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung, die sich aus dem Marktprozess ergibt, nicht den gesellschaftspolitischen Vorstellungen entspricht, kann der Staat durch eine Reihe von Instrumenten auch Umverteilungseffekte bewirken (Verteilungsfunktion). Bsp: Einführung von progressiven Steuern, öffentliche Transferleistungen zur Absicherung gegen soziale Risken (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Invalidität), Festlegung von Mindestlöhnen etc. Die Stabilisierungsfunktion beinhaltet unter anderem die (kurz- wie auch längerfristige) Sicherstellung der Vollbeschäftigung. Ein entsprechender stabilisierungspolitischer Einsatz des öffentlichen Sektors wird vor allem dann für ökonomisch sinnvoll oder zumindest diskutabel erachtet, wenn es zu Konjunktureinbrüchen kommt.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
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Bsp: Erhöhung der Staatsausgaben zur Erhöhung der Beschäftigung, direkte und indirekte öffentliche Subventionen, Senkung von Steuern zur Stärkung der Kaufkraft etc. All diese verschiedenen Funktionen werden letztlich durch eine entsprechende Lenkung der Staatseinnahmen und -ausgaben verfolgt, sodass das HaushaltsFunktionen des Staates: recht eines Staates – wie schon die unter 1. angesprochenen - Allokationsfunktion - Verteilungsfunktion Staatszielbestimmungen andeuten – eng mit der Wirtschaftspolitik - Stabilisierungsfunktion eines Staates zusammenhängt. Die Bedeutung des Budgets für das Staatswesen an sich kommt insbesondere in der Bezeichnung „Etat“ zum Ausdruck, die den Haushalt mit dem gesamten Staatswesen identifiziert. Auch Deutschland nimmt seine Staatsfunktionen wahr: Die Ankurbelung der nationalen Wirtschaft, die Senkung der Arbeitslosenzahlen und die Unterstützungsleistungen an die Hochwassergeschädigten sind typische Staatsaufgaben, die starke wirtschaftspolitische Komponenten aufweisen.
B. Österreichisches Haushaltsrecht im Rahmen der Wirtschaftsund Währungsunion (WWU) Die Vorschrift des Art 13 Abs 2 B-VG (gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht und nachhaltig geordnete öffentliche Haushalte) steht unter dem Einfluss der im Beschränkung der österreichischen EUV verankerten Zielsetzung der Realisierung einer WirtschaftsHaushaltspolitik durch die WWU und Währungsunion (WWU). Der EUV sieht vor, dass die nationale Budgetpolitik Restriktionen zu unterwerfen ist und hat somit die Rahmenbedingungen der Budgetpolitik wesentlich verändert. Die von der Europäischen Union geforderten Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt (siehe näher II.B.) stellen ein System von Anreizen für die Mitgliedstaaten dar, bspw Produktionsaspekte auf den privaten Sektor zu verlagern („Schlanker Staat“: Ausgliederungen und deren Grenzen) und die Ressourcen effizienter einzusetzen, um so ihre Budgetdefizite möglichst niedrig und die europäische Gemeinschaftswährung möglichst stark zu halten. Durch den Österreichischen Stabilitätspakt und den österreichischen Konsultationsmechanismus (siehe dazu III.) wurden die europarechtlichen Vorgaben in nationales Recht umgesetzt. Die WWU soll maßgeblich zur Verwirklichung der in Art 2 EGV genannten Zielsetzungen beitragen. Zu diesen zählen unter anderem: •
dynamisches, nicht-inflationäres Wachstum; Zunahme bzw Sicherung der Beschäftigung;
•
sozialer Schutz;
•
Erhaltung und Schutz der Umwelt;
•
Gewinn an Handlungsfähigkeit im internationalen Rahmen und mehr ökonomische Resistenz gegen externe Schocks;
•
Für die Euro-Zone: gemeinsame Geld- und Wechselkurspolitik.
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Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
C.
Das österreichische Budgetrecht
1.
Allgemeines
109
Mit dem Begriff „Budget“ wird eine Gegenüberstellung von geschätzten Einnahmen und geplanten Ausgaben eines Haushaltes für eine Wirtschaftsperiode bezeichnet. Die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben ergibt den Budgetsaldo. Sind die Ausgaben höher als die Einnahmen, so ergibt sich ein Budgetdefizit, im umgekehrten Fall ein Budgetüberschuss. Die Kompetenz zur Entscheidung über die Verwendung staatlicher Mittel bezeichnet man als Budgethoheit bzw als subjektives Budgetrecht. Es gehört zu den zentralen Befugnissen eines demokratisch legitimierten Parlaments, die grundsätzlichen Bestimmungen darüber zu treffen, welche Mittel wofür verwendet werden und auf diese Weise Budget = Gegenüberstellung von die Vollziehung (somit insbesondere die Regierung und die ein- geschätzten Einnahmen und geplanten zelnen Minister) an den Willen der Volksvertretung zu binden. Ausgaben eines Haushaltes für ein Wirtschaftsjahr Für den Bundesbereich legt Art 51 B-VG dementsprechend ausdrücklich die Budgethoheit des Nationalrats fest und bestimmt, dass sie in Form des Bundesfinanzrahmengesetzes (BFRG) und des Bundesfinanzgesetzes (BFG), also durch Gesetzesbeschluss, auszuüben ist (zu diesen Gesetzen siehe unten 2.). Für den Landesbereich trifft das B-VG keine Regelungen, die Landesverfassungen weisen die Budgethoheit jedoch entsprechend dem jeweiligen Landtag zu. Wie die Landtage ihre Budgethoheit in concreto wahrzunehmen haben, ist in den Landesverfassungen unterschiedlich geregelt. Das BFRG und das BFG sind Bundesgesetze mit zwei Besonderheiten: Zum einen kommen dem Bundesrat bei ihrer Erlassung keinerlei Mitwirkungsrechte zu. Zum anderen enthalten sie ausschließlich entsprechende Ermächtigungen für die obersBudgethoheit des Nationalrats ten Organe des Bundes und die ihnen unterstellten Einrichtun- durch BFRG und BFG: gen. BFRG und BFG wenden sich also nur an die staatliche - Keine Mitwirkung des Bundesrats Verwaltung, nicht an die einzelnen Rechtsunterworfenen. Sie - Selbstbindender Charakter - Bepackungsverbot haben bloß „selbstbindenden“ Charakter (weil das staatliche Organ Nationalrat über dieses Gesetz nur staatliche Organe, also letztlich der Staat sich selbst bindet). Die Rechtsunterworfenen können aus BFRG und BFG weder Rechte ableiten noch verpflichtet werden. Bsp: Ein Bauunternehmen erhält vom Bund einen öffentlichen Auftrag über die Errichtung einer Donaubrücke. Nach Fertigstellung legt der Bauunternehmer vereinbarungsgemäß Rechnung. Im Außenverhältnis ist nunmehr der Bund aufgrund des zivilrechtlichen Vertrages mit dem Bauunternehmer zur Zahlung verpflichtet, unabhängig davon, ob „im Innenverhältnis“ im einschlägigen Budgetansatz noch Geld vorhanden ist. Der Bauunternehmer kann seine Forderung gegenüber dem Bund gerichtlich durchsetzen. BFRG und BFG dürfen vor allem deshalb keine Regelungen enthalten, die sich an die Rechtsunterworfenen richten, weil andernfalls der Nationalrat im BFG etwas im Alleingang beschließen könnte, wofür verfassungsrechtlich ein anderes Gesetzgebungsverfahren, nämlich jenes unter Mitwirkung des Bundesrats, vorgesehen ist (zum Gesetzgebungsverfahren und dem überwiegend suspensiven Charakter des Einspruchs des Bundesrats siehe EÖR I, LE 4). Man spricht insofern vom „Bepackungsverbot“ des BFRG und BFG (mit außenwirksamen, materiellen Regelungen). Für die obersten Verwaltungsorgane, insbesondere die Bundesregierung und die einzelnen Bundesminister, bedeutet die Budgethoheit des Nationalrats, dass sie ausgabenwirksame Maßnahmen nur setzen dürfen, wenn dafür der Art und der Höhe nach eine spezielle bun-
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LE 5
desgesetzliche Ermächtigung besteht. Das BFG enthält sog „Budgetansätze“, die im Hinblick auf jeden Vollzugsbereich eines obersten Verwaltungsorgans nach Sachmaterien („Ansätzen“) gegliedert festlegen, wie viel Geldmittel (Budget) das jeweils zuständige oberste Organ (und sein Geschäftsapparat, also zB das Bundesministerium) für einen bestimmten Bereich im kommenden Haushaltsjahr ausgeben dürfen. Diese bundesfinanzgesetzliche Determinierung des Verwaltungshandelns ist ein wesentliches Element der demokratischen Steuerung und Legitimation der Verwaltung. Beachte: Hoheitliches Verwaltungshandeln bedarf daher unter zwei Gesichtspunkten einer gesetzlichen Grundlage: Jedes ausgabenwirksame Verwaltungshandeln – hoheitliches ebenso wie privatwirtschaftliches (zur Unterscheidung EÖR I, LE 4) – muss sich auf eine bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung stützen können. Hoheitliches Verwaltungshandeln bedarf auf Grund der Vorgaben von Art 18 B-VG (Legalitätsprinzip, siehe EÖR I, LE 4) darüber hinaus auch einer materiellen, außenwirksamen gesetzlichen Grundlage. Insoweit spricht man daher auch von der „doppelten rechtlichen Bedingtheit“ des hoheitlichen Verwaltungshandelns. Zwar beschließt der Nationalrat das BFRG und das BFG, die Budgeterstellung an sich ist allerdings in der Regel Sache der Verwaltung, also wiederum der obersten Verwaltungsorgane für ihren jeweiligen Vollzugsbereich. Politisch gesehen ist die Festlegung des jeweiligen Budgets für die Folgejahre eine ganz entscheidende Sache für die Verteilung der zur Verfügung stehenden Geldmittel und oft das Ergebnis grundlegender sachpolitischer Entscheidungen und Weichenstellungen. Ob etwa das „Wissenschaftsbudget“, also die diesbezüglichen bundesfinanzgesetzlichen Ansätze im Vollzugsbereich des zuständigen Bundesministers erhöht und das „Verteidigungsbudget“ oder das „Landwirtschaftsbudget“ gekürzt werden, sind politische Programmentscheidungen.
Die Festlegung des Budgets hat daher für die jeweilige Bundesregierung einen besonderen Stellenwert, weil auf diesem Weg wesentliche sachpolitische Zielsetzungen vereinbart werden. Insbesondere in Koalitionsregierungen ist hier von Bedeutung, dass der Entwurf des BFRG sowie der sog „Bundesvoranschlag“ (siehe dazu unten 2.) aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in der Bundesregierung der Zustimmung all ihrer Mitglieder bedürfen. Wegen der politischen Bedeutung des Budgets enthält die Bundesverfassung für dessen Erstellung bereits selbst durchaus detaillierte Regelungen, die im Bundeshaushaltsgesetz (BHG) näher konkretisiert sind. „Budgetverfassungsrecht“ und BHG regeln dabei das Verfahren zur Erstellung des Budgets sowie inhaltliche Budgetgrundsätze (dazu unten 3.). Ein besonderes Kennzeichen des Verfahrens der Budgeterstellung ist die starke Stellung des BMF in diesem Prozess: Das BHG bindet die einzelnen Bundesminister sehr oft an „Einvernehmensregelungen“ mit dem BMF bzw räumt dem BMF über Verordnungsermächtigungen weitgehende Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf den Vollzugsbereich anderer Bundesminister ein. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Finanzminister typischerweise jenes Mitglied der Bundesregierung ist, dessen politischer Erfolg am engsten mit Budgetdisziplin und Einhaltung der haushaltsverfassungsgesetzlichen und europarechtlichen Vorgaben verknüpft ist (demgegenüber sind die übrigen Ressortminister notwendigerweise daran interessiert, für ihren jeweiligen Vollzugsbereich möglichst viele Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt zu bekommen, um ihre jeweiligen politischen Programme umsetzen zu können).
Um auch im Rahmen des Budgetvollzugs eine adäquate (insbesondere demokratische) Kontrolle durch den Nationalrat zu gewährleisten, sieht die Bundesverfassung einen eigenen
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Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
111
„Budgetausschuss“ des Nationalrats vor und bindet über diesen den Nationalrat in vielfältiger Weise in die Vollziehung des Budgets mit ein.
2.
Grundbegriffe des Budgetrechts
a.
Das Bundesfinanzrahmengesetz (BFRG)
Die Bundesregierung hat dem Nationalrat jährlich bis spätestens 30. April einen Entwurf des BFRG vorzulegen, in dem für die folgenden vier Finanzjahre Obergrenzen für die Ausgaben des Bundes sowie Grundzüge des Personalplans vorgeschlagen werden (das Finanzjahr entspricht derzeit dem Kalenderjahr). Der Nationalrat als Träger der Budgethoheit beschließt diesen Finanzrahmen in einem BFRG. Wenn keine Änderungen der Obergrenzen vorgesehen sind, wird freilich allein das vierte – entfernteste – Finanzjahr Gegenstand der jährlichen Beschlussfassung durch den Nationalrat, die Obergrenzen für die drei näheren Finanzjahre ergeben sich dann aus den bereits bestehenden BFRG. Indem der Finanzrahmen alljährlich um ein Finanzjahr nach vorne verschoben wird, besteht stets eine ausgabenseitige Perspektive des Bundeshaushalts über die vier folgenden Finanzjahre. Die Obergrenzen werden einerseits für fünf sog Rubriken, andererseits für sog Untergliederungen dieser Rubriken festgelegt. Bsp: Rubrik 3: Bildung, Forschung, Kunst und Kultur; Untergliederungen: Unterricht; Wissenschaft und Forschung; Kunst und Kultur; Wirtschaft (Forschung); Verkehr, Innovation und Technologie (Forschung). Die für die Rubriken festgelegten Obergrenzen sind insgesamt verbindlich, das heißt sie dürfen bei der Haushaltsführung (va Erstellung und Beschlussfassung des BFG, siehe b.) der folgenden vier Finanzjahre grundsätzlich nicht überschritten werden. Demgegenüber sind die für die Untergliederungen festgelegten Obergrenzen nur für das unmittelbar folgende Finanzjahr verbindlich, für die drei restlichen Finanzjahre haben sie bloß indikative Bedeutung (nur im Fall eines Doppelbudgets, siehe b., erstreckt sich ihre Verbindlichkeit auf zwei Jahre). Die Verbindlichkeit der Obergrenzen bezieht sich freilich nur auf die Erstellung und den Vollzug des BFG, das BFRG selbst kann durch Gesetzesbeschluss des Nationalrats jederzeit geändert werden. Die Obergrenzen sind in der Regel betragsmäßig fix festgelegt, doch können einzelne, insbesondere konjunktursensible, Ausgaben variabel gehalten werden, um gegebenenfalls auf konjunkturelle Entwicklungen budgetpolitisch entsprechend reagieren zu können (maW: um in guten Zeiten sparen und in schlechten investieren zu können). In welchen Bereichen variable Obergrenzen festgelegt werden können, bestimmt der Bundesminister für Finanzen durch VO. Zusammen mit dem Entwurf des BFRG hat die Bundesregierung dem Nationalrat einen unverbindlichen Strategiebericht vorzulegen, der die Voraussetzungen und Annahmen darstellt, aus denen sich die konkreten Zahlen des Entwurfes ergeben. Insbesondere hat er einen Überblick über die wirtschaftliche Lage und deren voraussichtliche Entwicklung, budget- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen, Erläuterungen zur Entwicklung der Einnahmen und jene Annahmen, die bei den variablen Ausgabengrenzen zugrunde gelegt werden, zu enthalten. Durch den Finanzrahmen werden die Bundesausgaben in groben Zügen stets für einen Zeitraum von vier Jahren im Voraus determiniert, während die schon etwas detailliertere Begrenzung durch Untergliederungen nur für das folgende Finanzjahr verbindlich erfolgt. Durch das BFRG wird somit bloß der Rahmen für die Ausgaben vorgegeben, im Detail wird das Budget durch BFG erstellt.
112
b.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
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Das Bundesfinanzgesetz (BFG)
Die Bundesregierung hat dem Nationalrat spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres den Entwurf eines Bundesfinanzgesetzes, den sog Bundesvoranschlag, für das folgende Finanzjahr vorzulegen. Der Bundesvoranschlag ist die wiederum in Rubriken und Untergliederungen sowie weitere Untergruppen gegliederte vorausschauende Gegenüberstellung von geschätzten Einnahmen und voraussichtlich zu leistenden Ausgaben des Bundes für das betreffende Finanzjahr. Der Zusammenstellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben ist der Personalplan (Aufstellung der zur Verfügung stehenden Planstellen) anzuschließen. Aufgrund der parlamentarischen Budgethoheit bedarf auch der Bundesvoranschlag der Genehmigung des Nationalrats in Form eines Bundesgesetzes (jährliche Bundesfinanzgesetze). Die im BFG vorgesehenen Ausgaben sowie die vorgesehenen Planstellen dürfen die im BFRG bestimmten Obergrenzen an Ausgaben und Personalkapazität nicht überschreiten. Wie bereits angesprochen, benötigt jedes ausgabenwirksame Handeln der Verwaltung eine entsprechende bundesfinanzgesetzliche Grundlage: Nur aufgrund des BFG und nur soweit im BFG vorgesehen, dürfen die obersten Organe und die ihnen unterstellten Einrichtungen und Behörden ausgabenwirksame Maßnahmen treffen. Bsp: Den Ansätzen des BFG 2008 (BGBl I Nr 23/2007 idF BGBl I Nr 95/2007) zufolge stehen beispielsweise dem Bundesministerium für Justiz 14,214 Millionen Euro und dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 27,944 Millionen Euro für Personalausgaben zur Verfügung. Ausnahmsweise (etwa aus Anlass einer österreichischen EU-Präsidentschaft) kann ein sog Doppelbudget beschlossen werden, das heißt, dass der Nationalrat aufgrund eines entsprechenden Bundesvoranschlags ein BFG für das folgende und das nächstfolgende Finanzjahr zugleich beschließt. Sind am Ende eines Finanzjahres die Ausgaben einer Untergliederung geringer als veranschlagt, können die nicht verbrauchten Mittel in späteren Finanzjahren vom haushaltsleitenden Organ (va den Bundesministern) auch für andere Zwecke ausgegeben werden, als sie ursprünglich budgetiert waren. c.
Die verfassungsrechtlichen Gebarungsgrundsätze
Unter dem Begriff der Gebarung versteht man die Gesamtheit aller in einem bestimmten Zeitraum getroffenen vermögensändernden Maßnahmen („jedes Verhalten, das finanzielle Auswirkungen hat“; VfSlg 7.944/1976). Es wird zwischen Ausgaben- und Einnahmengebarung einerseits und Vermögens- und Schuldengebarung andererseits unterschieden. Die Bundesverfassung verpflichtet grundsätzlich alles staatliche Handeln zur Einhaltung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Diese so genannten „verfassungsrechtlichen Gebarungsgrundsätze“ dürfen dabei nicht isoliert betrachtet werden – ein bestimmtes Verwaltungshandeln lässt sich nicht ausschließlich unter Sparsamkeitsgesichtspunkten beurteilen – sondern müssen in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden. Diese Grundsätze statuieren in ihrem Zusammenwirken ein umfassendes verfassungsrechtliches Effizienzgebot (Auftrag zur möglichst optimalen Verwendung öffentlicher Mittel). Für die Haushaltsführung des Bundes ist dieses verfassungsrechtliche Effizienzprinzip in Art 51a BVG ausdrücklich verankert, es ergibt sich aber ganz allgemein implizit auch aus der Vorschrift des Art 126b Abs 5 B-VG, der zufolge sich die Rechnungshofkontrolle insbesondere auf die
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Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit erstreckt (diese Prüfungsmaßstäbe für den Rechnungshof bedeuten gleichzeitig, dass insbesondere das Verwaltungshandeln diesen Maßstäben entsprechen muss). Nach der Rechtsprechung des VfGH bindet das verfassungsrechtliche Effizienzgebot grundsätzlich auch den Gesetzgeber. Allerdings haben die zuständigen Organe hier bei der Beurteilung einen weiten Spielraum. Eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch den VfGH greift daher nur dort, wo ganz evidente Verstöße gegen das Effizienzprinzip vorliegen. Anders ist dies bei der Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof: Seine Wirtschaftlichkeitskontrolle ist deutlich weiterreichend und schließt eine Einzelbeurteilung ein, ob diesen Grundsätzen aus der Sicht des Rechnungshofs entsprochen worden ist. Bsp: Der Bundesgesetzgeber richtet zur Vollziehung wesentlicher Angelegenheiten des Energierechts einen ausgegliederten Rechtsträger (Energie Control GmbH) und eine eigene unabhängige Bundesbehörde (Energie Control Kommission) ein. Es hängt von einer Reihe sachpolitischer Erwägungen ab, ob man den Aufwand für eine eigene Behördenstruktur für erforderlich erachtet oder meint, die Vollziehung könnte auch im Rahmen der Ministerialverwaltung vorgenommen werden. Jedenfalls gibt es aber sehr gute Argumente, die für eine solche Konstruktion sprechen. Der VfGH kann daher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dem Gesetzgeber hier nicht entgegentreten (im konkreten Fall sind auch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für diese Konstruktion ausschlaggebend; vgl VfSlg 14.473/1996 in Bezug auf die Austro Control GmbH). Der Rechnungshof überprüft im Detail, ob das Vollzugshandeln der genannten Einrichtungen den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit entspricht. d.
Abweichungen und Nachtragsbudget
Es liegt auf der Hand, dass das im Vorhinein für das kommende Budgetjahr beschlossene BFG im Laufe des Jahres mitunter Adaptierungen bedarf, um Budgetüberschreitungsgesetz auf Entwicklungen reagieren zu können, die erst im Verlauf des bzw BFG-Novelle Jahres erkennbar werden. Aufgrund der Budgethoheit des Nationalrats bedürfen Ausgaben, die im BFG ihrer Art nach nicht vorgesehen sind (außerplanmäßige Ausgaben) oder die eine Überschreitung von Ausgabenansätzen des BFG erfordern (überplanmäßige Ausgaben), grundsätzlich wiederum der Zustimmung des Nationalrats. Ein solches „Nachtragsbudget“ wird als gesetzliche Ergänzung zum BFG beschlossen (sog Budgetüberschreitungsgesetz bzw BFG-Nov). Bsp: Wegen einer Naturkatastrophe kommt es zu einer weltweiten Hilfsaktion, die von internationalen Organisationen, insbesondere der UNO koordiniert wird. Auch Österreich beteiligt sich daran. Die Bundesregierung beschließt ein „Hilfspaket“ (Ergänzung zum Bundesvoranschlag), der Nationalrat muss dieses „Hilfspaket“ genehmigen (Ergänzung zum BFG). Gemäß der Bundesverfassung kann der Nationalrat die Überschreitung auch schon im Voraus genehmigen, indem er im BFG den Bundesminister für Finanzen ermächtigt, einer Überschreitung der im BFG vorgesehenen Ausgaben zuzustimmen. Dies ist jedoch nur im Hinblick auf solche Überschreitungen zulässig, die sachlich an Bedingungen geknüpft und ziffernmäßig bestimmt oder bestimmbar sind. Bestimmten Budgetüberschreitungen darf der Bundesminister für Finanzen auch verfassungsunmittelbar, das heißt ohne Ermächtigung des Nationalrats, zustimmen (zB Ausgaben aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung). In Aus-
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nahmefällen (Gefahr im Verzug, Verteidigungsfall) dürfen außer- und überplanmäßige Ausgaben auch aufgrund einer VO der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem zuständigen Ausschuss des Nationalrats geleistet werden. Bei Gefahr im Verzug dürfen dabei überplanmäßige Ausgaben in der Höhe von 1‰, außerplanmäßige Ausgaben in der Höhe von 2‰ der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme geleistet werden; im Verteidigungsfall dürfen außer- oder überplanmäßigen Ausgaben höchstens 10% der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme betragen. Die durch das BFRG festgelegten Ausgabenobergrenzen dürfen grundsätzlich weder durch das BFG noch durch ein gesetzliches Nachtragsbudget überschritten werden. Überschreitungen der im Finanzrahmen vorgesehenen Untergliederungen sind allerdings unter denselben Bedingungen zulässig wie Überschreitungen des BFG (VO der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug und Verteidigungsfall, Zustimmung des BMF aufgrund eines BFG bzw verfassungsunmittelbar). Überschreitungen der im Finanzrahmen vorgesehenen Rubriken sind hingegen nur aufgrund einer zulässigen VO der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug bzw eines Verteidigungsfalls gerechtfertigt. e.
Budgetprovisorien
Wie bereits angesprochen, ist das „Budget“ politisch sensibel, weil es wesentliche Festlegungen für das politische Programm der Bundesregierung für die nächsten Jahre enthält. Es kann daher der Fall eintreten, dass die Bundesregierung nicht oder nicht rechtzeitig in der Lage ist, dem Nationalrat den Entwurf eines BFRG oder einen Bundesvoranschlag vorzulegen (Bsp: Eine Koalition scheitert an der Frage, wie gemeinschaftsrechtlich notwendige Budgetsanierungsmaßnahmen umgesetzt werden sollen, und strebt Neuwahlen an). Auch in einem solchen Fall kann natürlich die Verwaltung mit Ablauf des Finanzjahres ihre Tätigkeit nicht einfach einstellen (weil keine bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung besteht), Ausgaben müssen weiterhin getätigt werden. Damit auch in einem solchen Fall zum einen der staatliche Apparat weiter funktioniert, zum anderen die Budgethoheit des Nationalrats gewahrt bleibt, kennt die Bundesverfassung eigene Vorschriften für solche politischen Krisensituationen. Werden BFRG oder BFG durch den Nationalrat nicht rechtzeitig erlassen, kommt es zu sog „Budgetprovisorien“. Im Einzelnen ist dabei je nach Konstellation zu unterscheiden: •
Hat die Bundesregierung dem Nationalrat nicht rechtzeitig den Entwurf des BFRG oder des BFG vorgelegt, können entsprechende Entwürfe auch durch Antrag von Mitgliedern des Nationalrats eingebracht werden (Initiativanträge). Legt die Bundesregierung ihren Entwurf später vor, kann der Nationalrat beschließen, seinen Beratungen diesen Entwurf (und nicht den Initiativantrag) zugrunde zu legen.
•
Hat der Nationalrat (unabhängig davon, ob rechtzeitig ein Entwurf eingebracht wurde oder nicht) in einem Finanzjahr kein BFRG beschlossen, so gelten die Obergrenzen des letzten Finanzjahres, für welches Obergrenzen festgelegt wurden, weiter.
•
Gesetzliches Budgetprovisorium: Hat der Nationalrat (unabhängig davon, ob rechtzeitig ein Entwurf eingebracht wurde oder nicht) für ein Finanzjahr kein BFG beschlossen, so kann der Nationalrat aus eigener Initiative eine „vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz“ treffen, die das „eigentliche“ BFG bis zu dessen In-Kraft-Treten vertritt.
•
Automatisches Budgetprovisorium: Kommt auch die „vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz“ vor Ablauf des Finanzjahres nicht zustande, so tritt bis zur Erlassung eines BFG ein automatisches Budgetprovisorium ein, das heißt:
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Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
o
die Einnahmen sind nach der jeweiligen Rechtslage aufzubringen;
o
die Ausgaben sind nach den Ansätzen des letzten BFG gedeckt.
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Bsp: Das Finanzjahr 2003 hat mit einem automatischen Budgetprovisorium begonnen. Die Bundesregierung hat in der Ministerratssitzung vom 28. 1. 2003 ein gesetzliches Budgetprovisorium als Regierungsvorlage beschlossen und dem Nationalrat zur parlamentarischen Behandlung und Beschlussfassung zugeleitet. Der Nationalrat beschloss das gesetzliche Budgetprovisorium 2003 am 26. 3. 2003. Die Bundesregierung hat in der Ministerratssitzung am 6. Mai die Budgetentwürfe für die Jahre 2003 und 2004 beschlossen und diese wurden dem Nationalrat zur endgültigen Beschlussfassung vorgelegt und erst Anfang Juni 2003 beschlossen. f.
Die Verrechnung und Rechnungslegung
Verrechnung und Rechnungslegung stellen die Kontrolleinrichtungen des Haushaltsrechtes dar. Alle Wirtschaftstatsachen werden in ihren wesentlichen Momenten festgehalten (Verrechnung) und dem Rechnungshof zum Zwecke der Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses vorgelegt (Rechnungslegung). g.
Der Bundesrechnungsabschluss und die Kontrolle
Nach Ablauf eines Finanzjahres haben die Ressorts ihre Einnahmen- und Ausgabengebarung in Teilrechnungsabschlüssen zusammenzustellen und dem Rechnungshof vorzulegen. Der Rechnungshof hat den Bundesrechnungsabschluss zu verRechnungshof prüft Einnahmen- und fassen und ihn dem Nationalrat bis zum 30. September des fol- Ausgabengebarung der Ressorts und genden Finanzjahres vorzulegen. Der positive Abschluss der verfasst den Bundesrechnungsabschluss jährlichen finanziellen Kontrolle findet seinen Ausdruck in der Genehmigung des vom Rechnungshof verfassten Bundesrechnungsabschlusses durch den Nationalrat. Die Genehmigung bewirkt die „politische Entlastung der Bundesregierung“. Der Nationalrat hat daher auch die Möglichkeit, die Genehmigung und damit der Bundesregierung die Entlastung zu versagen. Der Rechnungsabschluss bildet die Grundlage für die endgültige Budgetkontrolle des Nationalrates. Die Genehmigung erfolgt in Gesetzesform, der Bundesrat hat – ebenso wie bei der Erlassung von BFRG und BFG – kein Einspruchsrecht (Art 42 Abs 5 B-VG).
3.
Die Grundsätze der Budgeterstellung
a.
Grundsatz der Einjährigkeit
Das Budget als detaillierte Gegenüberstellung von geschätzten Einnahmen und geplanten Ausgaben wird nur für jeweils ein Jahr beschlossen (Ausnahme: Das Budget wird grundsätzlich nur für Doppelbudget). Durch den Finanzrahmen wird jedoch die obere ein Jahr beschlossen – BFG. Ausgabengrenze über vier Jahre im Voraus festgelegt. Diese Nur die Ausgaben werden im Voraus auf vier Jahre nach oben begrenzt – BFRG. mehrjährige Ausrichtung auf der Ausgabenseite ist nicht nur von Bedeutung, weil sie zur Budgetdisziplin der obersten Verwaltungsorgane beiträgt, sondern auch weil wichtige Bereiche der Staatstätigkeit mittel- und langfristiger Planung bedürfen. Um auf der anderen Seite trotz der mehrjährigen Perspektive mit einer entsprechenden Budgetpolitik kurzfristig auf Auf- und Abschwünge der Konjunktur reagieren zu können, ist der Finanzrahmen nicht durchwegs starr, sondern in den für die Konjunktur erheblichen Bereichen variabel.
116
b.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit
Dem Nationalrat ist ein Voranschlag (Einheit) aller Einnahmen und Ausgaben des Bundes (Vollständigkeit) vorzulegen. Dieser „Staatsvoranschlag“ soll somit der einzige sein und ein Gesamtbild des Bundeshaushaltes vermitteln. Durch so genannte außerbudgetäre Sonderfinanzierungen (selbständige Budgets ausgegliederter Rechtsträger, die dem staatlichen Budget nicht unmittelbar zuzurechnen sind) wird dieser Grundsatz der Budgeteinheit in seiner Zielsetzung teilweise wieder unterlaufen, man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Flucht aus dem Budget“. c.
Grundsatz des Bruttobudgets
Einnahmen und Ausgaben sind in der vollen Höhe und voneinander getrennt (somit brutto) zu veranschlagen (eine Nettobudgetierung ist nur bei Bundesbetrieben und Sondervermögen des Bundes zulässig). d.
Grundsatz der Budgetwahrheit
Die Einnahmen und Ausgaben sind sowohl der Art (qualitative Spezialität) als auch der Höhe nach (quantitative Spezialität) möglichst genau zu veranschlagen. Der Art nach müssen jedenfalls Personal- und Sachaufwendungen unterscheidbar sein. Die Voranschlagsbeträge sind zu errechnen oder, wenn dies nicht möglich ist, zu schätzen.
4.
Hauhaltsrechtsreform 2008
Die zweite Etappe der Haushaltsrechtsreform 2008 (BGBl I Nr 1/2008, BGBl I Nr 20/2008) – die erste Etappe umfasste insbesondere die Einführung von mehrjährigen Budgetrahmen und trat mit 1. 1. 2009 in Kraft – tritt mit 1. 1. 2013 in Kraft. Das zentrale Element der ab 2013 wirkenden Reform liegt darin, dass künftig die mit den veranschlagten Mitteln zu erbringenden Wirkungen und Leistungen in das Budget zu integrieren sind (dies gilt freilich nur für das Bundesbudget, die Länder haben sich erfolgreich gegen die Übernahme der Reform gewehrt). Bisher teilt das Budget den einzelnen Budgetbereichen Mittel zu, ohne darüber Auskunft zu geben, was damit tatsächlich bewirkt werden soll. Dementsprechend werden in Zukunft die unter c. beschriebenen verfassungsrechtlichen Gebarungsgrundsätze (künftig im Begriff der Effizienz gebündelt) durch das Prinzip der Wirkungsorientierung ergänzt. Ein bereits bestehendes Element der Wirkungsorientierung stellt das schon angesprochene „gender budgeting“ dar, durch das die Auswirkungen der Mittelverteilung auf die Geschlechter bei der Haushaltsführung zu berücksichtigen sind (siehe oben I.A.1.). Durch die Wirkungsorientierung wird der Öffentlichkeit ermöglicht, nachzuvollziehen, welche Ergebnisse mit dem Einsatz von Budgetmitteln erzielt werden sollen und tatsächlich erzielt werden.
D. 1.
Finanzverfassung Die österreichische Finanzverfassung
Der Staat benötigt, eine Binsenweisheit, für die Erfüllung seiner Aufgaben Geld. Dieses erhält er ganz wesentlich über die Einhebung von Steuern (man spricht vom „Steuerstaat“, womit gemeint ist, dass die Einhebung von Abgaben auch die eindeutig primäre Finanzierungsquelle des demokratischen Verfassungsstaates ist und andere Formen der Einnahmenerzielung, etwa erwerbswirtschaftliche Unternehmenstätigkeit, eine ganz untergeordnete Rolle spielen und primär anderen Zielen als der Mittelbeschaffung dienen). Die Frage, wie und in welcher Höhe der Staat seine Besteuerungsrechte wahrnimmt, ist aber auch eine eminent wirt-
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
117
schaftspolitische, die Steuergesetzgebung ein zentrales wirtschaftspolitisches Instrument. In einem Bundesstaat ist damit die Regelung der Zuständigkeit zur Steuergesetzgebung von wesentlicher Bedeutung für das Verhältnis von Bund und Ländern. Dabei sind grundsätzlich zwei Aspekte voneinander getrennt zu betrachten: Zum Ersten, wer zur Gesetzgebung und Vollziehung welcher Gebiete des Abgabenwesens (Einkommenssteuer, Umsatzsteuer, Körperschaftssteuer etc) zuständig ist, und zum Zweiten, wie die Steuereinnahmen auf die Gebietskörperschaften verteilt werden. Im ersten Fall spricht man von „Regelungshoheit“, im zweiten von „Ertragshoheit“. Beides kann, muss aber nicht zusammenfallen und ist insbesondere für die ertragsstarken Steuern (EStG, UStG, KStG etc) im F-VG und im FAG auch differenziert geregelt. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens – die so genannte Finanzverfassung – ist im Finanz-Verfassungsgesetz (F-VG) geregelt. Dieses legt fest, in welchen Fällen der Bund und in welchen Fällen die Länder zur Gesetzgebung und Vollziehung im Bereich der „Abgaben“ zuständig sind. Die Kompetenzverteilung des F-VG definiert also nur Abgaben und nicht bestimmte Fälle, in denen der Staat aus bestimmten Gründen von den Rechtsunterworfenen Geldleistungen erhält. Unter Abgaben sind •
Geldleistungen, die
•
Gebietskörperschaften
•
kraft Hoheitsaktes
•
zur Deckung ihres Finanzbedarfs erheben,
zu verstehen. Daher fallen insbesondere privatrechtliche Entgelte (sie werden gerade nicht hoheitlich festgelegt und hoheitlich eingehoben), Geldstrafen (sie werden nicht zur Deckung des Finanzbedarfs, sondern als Sanktion verhängt) oder Leistungen, die nicht unmittelbar an eine Gebietskörperschaft erbracht werden (zB die Rundfunkgebühren, die die GIS für den ORF einhebt), nicht unter den Abgabenbegriff und daher auch nicht unter die spezielle Zuständigkeitsverteilung des F-VG. Im Einzelnen kann man Abgaben in Steuern (Abgaben ohne spezifische Gegenleistung), Gebühren (Abgaben mit spezifischer Gegenleistung, beispielsweise „Einverleibungsgebühr“ bei Eintragungen ins Grundbuch) und Beiträge (Leistungen, die einer bestimmten Personengruppe kraft ihres Interesses an der Errichtung/Erhaltung einer öffentlichen Einrichtung auferlegt werden, bspw sog Anliegerbeiträge für Straßen- oder Gehsteigerrichtung) einteilen. Hinsichtlich der Abgaben geht das F-VG folgendermaßen vor: Es verteilt nicht die Zuständigkeit für einzelne Steuergesetze an die Gebietskörperschaften (zB Einkommenssteuer: Bund), sondern es legt „nur“ bestimmte „Abgabentypen“ fest: Im Wesentlichen werden ausschließliche Bundesabgaben, gemischte Bundesabgaben, Landesabgaben und Gemeindeabgaben unterschieden. Für die Bundesabgaben liegt die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung beim Bund, für die Landes- und Gemeindeabgaben liegt die Zuständigkeit zur Gesetzgebung beim Land, zur Vollziehung teils beim Land, teils bei den Gemeinden. Die Ertragshoheit weicht davon ab: Sie kommt nur bei den sog ausschließlichen Bundesabgaben allein dem Bund zu, bei den gemischten Bundesabgaben werden die Steuererträge zwischen dem Bund und den Ländern oder, häufiger, zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden geteilt. Vergleichbares gilt für die Landes- und Gemeindeabgaben.
118
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Welche konkreten Steuern und Gebühren nun welchem „Abgabentyp“ zuzuordnen sind (ob also zB die Umsatzsteuer eine gemischte Bundesabgabe oder eine ausschließliche Bundesabgabe ist), regelt nicht das F-VG selbst. Die Zuteilung einer konkreten Abgabe zu einem der im F-VG bestimmten Abgabentypen fällt nach dem F-VG in die Zuständigkeit des einfachen Bundesgesetzgebers; man spricht daher davon, dass diesem insofern die KompetenzKompetenz zukommt. Diese Kompetenz-Kompetenz nimmt der Bundesgesetzgeber im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes (zuletzt FAG 2008 BGBl I Nr 103/2007) jeweils befristet (in der Regel für fünf Jahre) wahr. Freilich erlässt der Bundesgesetzgeber dieses FAG nicht „im Alleingang“; der Beschlussfassung über das FAG gehen umfangreiche Finanzausgleichsverhandlungen zwischen den Gebietskörperschaften voraus. Da das F-VG für die im FAG vorgenommene Verteilung der Besteuerung nur sehr allgemeine Vorgaben enthält (der Bundesgesetzgeber hat sich gemäß § 4 F-VG bei der Verteilung der Besteuerungsrechte an der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu orientieren und auf die Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaften Rücksicht zu nehmen), misst der VfGH bei der Beurteilung des FAG am Maßstab des F-VG dem Prozess der Finanzausgleichsverhandlungen wesentliche Bedeutung zu. Die genannte Vorschrift zwingt zwar nicht dazu, jede überdurchschnittliche finanzielle Last, die Partner des Finanzausgleichs trifft, im FAG zu berücksichtigen. Eine finanzielle Berücksichtigung hat jedoch zu erfolgen, wenn bestimmte Finanzausgleichspartner auf Grund der positiven Rechtsordnung mit besonderen Agenden betraut und deshalb typischerweise mit höheren Kosten belastet sind (VfSlg 10.633/1985).
Soweit sich die Gebietskörperschaften auf eine bestimmte Verteilung im Verhandlungsweg einigen, hat dieses Ergebnis auch im Lichte der finanzverfassungsrechtlichen Kriterien nach Auffassung des VfGH eine Vermutung der Angemessenheit für sich (VfSlg 12.505/1990). Nach den Finanzausgleichsgesetzen ist es typischerweise so, dass die ertragsstarken Steuern (insbesondere Umsatzsteuer, Einkommenssteuer) gemeinschaftliche Bundesabgaben darstellen. Die Spielräume zwischen den einzelnen Finanzausgleichsperioden (also den einzelnen Finanzausgleichsgesetzen) bestehen auch weniger in der Zuordnung der einzelnen gewichtigen Steuern, denn in der Frage, nach welchem konkreten Schlüssel die wesentlichen Steuern zwischen den Gebietskörperschaften verteilt werden. Insgesamt lässt sich freilich sagen, dass die österreichische Finanzverfassung dem Bund – schon weil ihm für den überwiegenden Teil der Steuern die Regelungshoheit zukommt (was freilich auch im Hinblick auf Art 4 B-VG vorgezeichnet ist, siehe zum Gebot der Wirtschaftsgebietseinheit EÖR I, LE 4) – eine dominierende Stellung einräumt. Bei der Vollziehung der Steuergesetze des Bundes ist hervorzuheben, dass diese im Wege der unmittelbaren Bundesverwaltung über eigene Behörden, insbesondere die erstinstanzlichen Finanzämter erfolgt (zur Verwaltungsorganisation EÖR I, LE 4). Den Ländern kommt insoweit abgabenrechtliche Bewegungsfreiheit zu, als sie in Bereichen finanzverfassungsrechtlichen Spielraum haben, in denen bestimmte Abgaben im FAG nicht zugewiesen werden. Insoweit besteht ein „Abgabenfindungsrecht“ Abgabenfindungsrecht der Länder der Länder. Lässt also das FAG bestimmte Sachbereiche unbesteuert, können die Länder entsprechende Landesabgaben gesetzlich einführen (sie dürfen dies freilich nur dort, wo das FAG nicht schon gleichartige Abgaben enthält, womit aufgrund der Regelungsdichte des FAG dieser Spielraum in der Praxis gering ist). Weiters dürfen die Länder nur Tatbestände besteuern, die ein hinreichendes Naheverhältnis zu ihrem Wirkungsbereich aufweisen. Beispiele für Landesabgaben sind etwa die sog „U-Bahnsteuer“ oder die „Hundesteuer“ in Wien.
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
119
Die Landesgesetzgebung oder auch die Bundesgesetzgebung können die Gemeinde dazu ermächtigen, bestimmte Abgaben aufgrund eines Beschlusses zu erheben.
2.
Die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften
Art 269 EGV begründet die Kompetenz der EG, Einnahmen zu erheben, um die Ausgaben zu finanzieren, die sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschließt. Eine Kreditfinanzierung der Ausgaben der Gemeinschaft ist grundsätzlich ausgeschlossen. EU-Haushalt: Den größten Teil der Einnahmen machen Eigenmittel aus, wo- Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament bei der Haushalt vollständig aus Eigenmitteln zu finanzieren ist (Art 269 EGV). Zu den Eigenmitteln zählen Erträge aus Agrarabschöpfungen, Zöllen, Mehrwertsteuer-Eigenmitteln und Bruttosozialprodukt-Eigenmitteln. Diese wiederum werden hauptsächlich dazu verwendet, die Gemeinsame Agrarpolitik, die strukturellen Maßnahmen, die Politiken innerhalb der EU (insbesondere Forschung, Umwelt, Bildung, Verbraucherschutz), die Kooperation mit Drittländern und die Verwaltungsausgaben zu finanzieren. Der EU-Haushalt wird jährlich gemeinsam vom Rat und vom Europäischen Parlament aufgestellt. Die Zahlungen aus dem EU-Haushalt unterliegen der Kontrolle des Europäischen Rechnungshofes. Die sog finanzielle Vorausschau, das ist die mittelfristige Finanzplanung der EU (862,4 Mrd Euro für den Zeitraum 2007-2013), legen der Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission für einen Mehrjahreszeitraum fest, um ein verlässliches Haushaltsverfahren unter Beachtung strenger Haushaltsdisziplin sowie eine Deckung unvorhergesehener und auch durch Umschichtungen nicht finanzierbarer Ausgaben zu gewährleisten. Für dieses im Primärrecht bislang nicht vorgesehene System würde der Vertrag von Lissabon eine Rechtsgrundlage schaffen (vgl Art 312 AEUV). Die demnach mindestens fünf Haushaltsjahre umfassende Vorausschau wäre durch eine VO des Rates mit Zustimmung des EP aufzustellen.
II.
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)
A.
Die Grundlagen
1.
Die ökonomischen Vorteile der WWU
Trotz partiellen Souveränitätsverzichts – die Geldpolitik liegt in den Händen der Europäischen Zentralbank – und dem damit verbunden Verlust des Wechselkurses als makroökonomischem Steuerungsinstrument war die überwiegende Mehrheit der Ökonomen schon vor Einführung der gemeinsamen Währung davon überzeugt, dass die Vorteile der WWU überwiegen: Durch sinkende Transaktions- Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb und Informationskosten, Beseitigung der nominellen Wechselkursvariabilität, Verbesserung der Preistransparenz, vergrößerte Absatzmärkte und verstärkten Wettbewerb kommt es zu steigender Effizienz, die Produkte werden günstiger und vielfältiger. Zentrales Argument der Europäischen Kommission zur Einführung einer gemeinsamen Währung war die Vollendung des Binnenmarktes („one market, one currency“).
120
2.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Die drei Stufen der WWU
Die WWU beruht auf einem dreistufigen Plan, der auf einen Bericht des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors zurückgeht. Während die ersten beiden Stufen, die in den Jahren 1990 bzw 1994 begannen, bloß vorbereitenden Charakter hatten, bedeutete der Beginn der dritten Stufe am 1. 1. 1999 den effektiven Start der Wirtschafts- und Währungsunion: In wirtschaftspolitischer Hinsicht bringt sie eine verstärkte Koordinierung der Politiken, die mit einer stärkeren multilateralen Überwachung einhergeht, und die Verpflichtung der teilnehmenden Staaten des Euro-Währungsgebietes, ein übermäßiges öffentliches Defizit zu vermeiden. In währungspolitischer Hinsicht werden der Euro als einheitliche Währung der teilnehmenden Mitgliedsländer und eine einheitliche Währungspolitik unter der Führung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) eingeführt, das sich aus der EZB und den nationalen Zentralbanken zusammensetzt. Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien waren die Länder, mit denen die dritte Stufe der WWU am 1. 1. 1999 begann. Griechenland wurde am 1. 1. 2001 als zwölftes Mitglied aufgenommen. Das Vereinigte Königreich und Dänemark, die sich je in einem 3. Stufe: „opting-out“ Vereinigtes Protokoll zum Maastricht Vertrag ein „opting out“ vorbehalten hatKönigreich, Dänemark, Schweden ten, sowie Schweden nahmen auf eigenen Wunsch nicht teil. Für die neuen EU-Mitgliedstaaten gilt hingegen keine Sonderregelung. Diese sind grundsätzlich – freilich nur, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen – verpflichtet, an der dritten Stufe der WWU teilzunehmen und damit insbesondere den Euro einzuführen (siehe zum Verfahren unten B.2.). Seit 1. 1. 2007 nimmt Slowenien und seit 1. 1. 2008 nehmen Malta und Zypern an der dritten Stufe der WWU teil, die Slowakei folgt am 1. 1. 2009. Für die restlichen neuen EU-Mitgliedstaaten ist der Eintritt in die dritte Stufe noch in Vorbereitung, der Großteil nimmt aber bereits am so genannten Wechselkursmechanismus II (Mechanismus, um negative Auswirkungen der Währungsschwankungen auf den Binnenhandel zu verhindern; siehe unten B.2.) teil.
3. Die Konvergenzkriterien: Eintrittsvoraussetzung in die dritte Stufe der WWU und wirtschaftspolitische Rahmenbedingung Die dauerhafte Erfüllung der sog Konvergenzkriterien war nicht nur für die Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der WWU von Bedeutung, sondern ist auch für zukünftige Auswahlentscheidungen maßgeblich: Neben der Gewährleistung der Unabhängigkeit der nationalen Notenbank ist die Teilnahme eines Mitgliedstaates an der Endstufe der WWU damit an beDie Teilnahme an der 3. Stufe der WWU ist an bestimmte ökonomische stimmte ökonomische Voraussetzungen geknüpft, da ohne ein Voraussetzungen geknüpft. Mindestmaß an Homogenität der wirtschaftlichen Lage der beteiligten Staaten die Gefahr negativer Effekte für die gemeinsame Währung besteht. Dieser Homogenität bedarf es auch künftig für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die dritte Stufe. Da die Haushaltspolitik weiterhin in den Händen der Mitgliedstaaten verblieben ist, nicht aber die Geldpolitik für die Euro-Länder, war die Festschreibung der Konvergenzkriterien notwendig, um die (preis-)stabilitätsorientierte Geldpolitik nicht zu konterkarieren.
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
121
Als Maßstab gelten folgende Kriterien: •
relative Preisstabilität: Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate jener – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.
•
Fehlen eines übermäßigen Defizits: Verlangt ist eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand: Keine jährliche Neuverschuldung von mehr als 3% des BIP, keine Gesamtverschuldung von mehr als 60% des BIP.
•
Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) seit mindestens 2 Jahren ohne Abwertung gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaates.
•
langfristige Nominalzinssätze: Verlangt wird ein durchschnittlicher langfristiger Nominalzinssatz, der nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in jenen – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.
Die Konvergenz muss nicht nur beim Eintritt in die WWU vorliegen, sondern wegen des Zusammenhangs zwischen der Stärke einer Volkswirtschaft und der Stabilität der Währung dauerhaft sein. Die Sicherung der dauerhaften Konvergenz soll durch folgende Instrumente sichergestellt werden: •
Überprüfung und Gesamtbewertung der wirtschaftlichen Entwicklung in jedem Mitgliedstaat und in der Gemeinschaft durch den Rat auf Einhaltung der von diesem beschlossenen Empfehlungen zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik;
•
Kreditaufnahmeverbot für die öffentliche Hand bei der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten;
•
Begrenzung der zulässigen öffentlichen Verschuldung der Mitgliedstaaten;
•
Ausschluss der Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten sowie der gegenseitigen Haftung der Mitgliedstaaten für solche Verbindlichkeiten.
Da Deutschland von Beginn an der dritten Stufe der Wirtschafts- und der Währungsunion teilnahm, musste es 1999 und auch danach die Konvergenzkriterien erfüllen. In Bezug auf die Wirtschaftsunion bedeutet das für Deutschland, dass es kein übermäßiges Defizit aufweisen darf: Keine Neuverschuldung über 3% des BIP, keine Gesamtverschuldung über 60% des BIP. Der Sicherung dauerhafter Konvergenz, insbesondere hinsichtlich des Schuldenkriteriums, soll auch der sog Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) – zwei Verordnungen aus dem Jahre 1997 – dienen. Der SWP ergänzt und präzisiert das in Art 104 EGV festgelegte Defizitvermeidungsverfahren (siehe dazu näher unten B.1.b.) und wurde Sicherung dauerhafter Konvergenz im Jahre 2005 reformiert. So wird zwar weiterhin an den beiden durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt Defizit-Referenzwerten (3% Neuverschuldung bzw 60% Gesamtverschuldung) festgehalten, gleichzeitig aber wird die Liste der Gründe, aufgrund derer diese Werte ausnahmsweise und vorübergehend überschritten werden dürfen, erweitert – weshalb von mancher Seite von einer „Aufweichung“ des SWP gesprochen wird.
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Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
B.
Der rechtliche Rahmen der WWU
1.
Die Wirtschaftsunion
LE 5
Ein Vergleich zwischen den Bestimmungen der Wirtschaftsunion und der Währungsunion lässt schon auf den ersten Blick einen grundlegenden Unterschied Wirtschaftsunion: Subsidiaritätsprinzip erkennen: Während die Wirtschaftspolitik grundsätzlich in nationaler Hand verbleibt, aber als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und zu
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
123
koordinieren ist, wurde die Währungspolitik vergemeinschaftet. Für WWU-Mitglieder ist sie jetzt eine ausschließliche EG-Kompetenz. Diese Asymmetrie der WWU erklärt sich aus einer von den Mitgliedstaaten überwiegend vertretenen Grundposition, die die Währungsunion als einen Impuls Währungsunion: ausschließliche sieht, der zu koordinierten Wirtschaftsprozessen in den Mit- Gemeinschaftskompetenz gliedstaaten führen werde (sog Vehikeltheorie). Es soll soviel nationale Souveränität und vor allem soviel zwischenstaatlicher Systemwettbewerb wie möglich erhalten bleiben, um die wirtschaftliche Effizienz in der Euro-Zone zu erhöhen. a.
b.
Die wichtigsten Themenfelder der wirtschaftspolitischen Koordinierung •
Makroökonomischer Policy-Mix (Abstimmung der Geldpolitik, Lohn- und LohnkostenEntwicklung, Fiskalpolitik, Schuldenabbau, Vorsorge für die alternde Bevölkerung) mit dem Ziel, langfristiges und inflationsfreies Wachstum zu sichern;
•
Strukturreformen: Wettbewerb der nationalen Politiken ist notwendig, um Wettbewerbsdruck zu erzeugen, unterstützt wird dies durch Reform der Arbeitsmärkte und Sozialsysteme, Qualifizierung, Liberalisierung der Märkte, Privatisierung;
•
Steuerpolitik: Vermeidung unfairen Wettbewerbs, Wahrung der Standortinteressen, Vermeidung übermäßiger Belastungen der Wirtschaft;
•
Umweltpolitik: Wahrung gemeinsamer ökologischer Ziele, aber Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Dauerhafte Konvergenz durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und das Verfahren nach Art 104 EGV (Überwachung der Haushaltsdisziplin)
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll die dauerhafte Begrenzung öffentlicher Defizite der EU-Staaten sicherstellen. Aufgrund des Paktes wurden im Jahre 1997 zwei Verordnungen erlassen, worin einerseits das sog Frühwarnsystem, andererseits die Sanktionsmechanismen in Präzisierung des Art 104 EGV geregelt werden (VO 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, VO 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, geändert durch die VO 1055 und 1056/2005). Die VO 1466/97 erlegt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, - Neuverschuldung nicht größer als 3% des BIP einen nahezu ausgeglichenen Haushalt oder einen Überschuss - Gesamtverschuldung nicht größer aufweisenden Haushalt aufzuweisen. Die Kommission und der als 60% des BIP Rat können im Rahmen eines dem Sanktionsverfahren „vorgelagerten“ Frühwarnsystems Empfehlungen beschließen, die allenfalls auch veröffentlicht werden können. Allerdings erlaubt der Vertrag im Rahmen des Frühwarnsystems nicht die Verhängung der bei einer Überschreitung des 3%-Kriteriums möglichen Sanktionen. Die Europäische Kommission überwacht die Einhaltung der Konvergenzkriterien und wird aufgrund des sog Frühwarnsystems nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt tätig, wenn sie der Meinung ist, dass in einem Mitgliedstaat – so wie Deutschland – die Verletzung des 3%-Kriteriums droht. Der „Blaue Brief“ an Deutschland ist Teil dieses Frühwarnsystems, um Deutschland darauf aufmerksam zu machen, dass es in gefährliche Nähe des 3%- bzw 60%-Kriteriums kommt und Maßnahmen setzen sollte, diese Kriterien nicht zu überschreiten und das Defizit zu senken. Da die Wirtschaftsunion nicht vergemeinschaftet wurde, ist es Sache der Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Defizitsenkung zu setzen. Dieser
124
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Blaue Brief ist eine bloße Empfehlung, damit kann die Kommission noch keine Sanktionen verhängen. Deutschland steht aber weiterhin unter strenger Überwachung der Kommission. Jeder EU-Staat verpflichtet sich, jährlich ein Programm zu erstellen, das die mittelfristige Haushaltssituation darlegt. Die Euro-Staaten (an der WährungsEuro-Länder: jährliches Stabilitätsprogramm union teilnehmende Staaten) legen ein sog Stabilitätsprogramm andere: jährliches vor, die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten (und auch die neu Konvergenzprogramm beigetretenen Mitgliedsstaaten) ein sog Konvergenzprogramm. Da Deutschland Mitglied der dritten Stufe ist und auch an der Währungsunion teilnimmt, legt es jährlich ein Stabilitätsprogramm vor, das die Lage der Finanzen darstellt. Gemäß dem Verfahren nach Art 104 EGV überwacht und bewertet der Rat auf Grundlage von Berichten der Kommission und der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten. Die VO 1467/97 in der Die Europäische Kommission Fassung der VO 1056/2005 enthält genauere Fristen und eine überwacht die Haushaltsdisziplin. Stufenleiter der im Rahmen des „Defizitverfahrens“ zu ergreifenden Maßnahmen. Die Referenzwerte 3% Neuverschuldung bzw 60% Gesamtverschuldung dürfen allerdings ausnahmsweise und vorübergehend überschritten werden, wenn dies etwa auf ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, oder auf einen schwerwiegenden Wirtschaftsabschwung zurückzuführen ist. Letzteres ist seit der Reform des SWP anzunehmen, wenn sich die Überschreitung des Referenzwerts aus einer negativen jährlichen Wachstumsrate des BIP-Volumens oder einem Produktionsrückstand über einen längeren Zeitraum mit einem am Potenzial gemessen äußerst geringen jährlichen Wachstum des BIP-Volumens ergibt. Wenn ein öffentliches Defizit eines Mitgliedstaates den Referenzwert von 3% bzw 60% des BIP überschreitet bzw die Gefahr eines übermäßigen Defizits besteht, dann muss bzw kann im zweiten Fall die Europäische Kommission einen Bericht an den Rat verfassen. Die Abfassung dieses Berichtes stellt den ersten Schritt zur Einleitung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit nach Art 104 EGV dar. Seit der Reform des SWP hat die Kommission allerdings dabei Entwicklungen bei der mittelfristigen Wirtschaftslage und die Entwicklungen bei der mittelfristigen Haushaltslage (insbesondere Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung in Zeiten günstiger Konjunktur, Finanzierbarkeit der Schuldenlast, öffentliche Investitionen und die Lage der öffentlichen Finanzen insgesamt) in angemessener Weise zu berücksichtigen. So sollen nach dem reformierten SWP auch haushaltspolitische Anstrengungen mit einkalkuliert werden, die darauf abzielen, Finanzbeiträge aufzustocken oder auf einem hohen Niveau zu halten, die der Stärkung der internationalen Solidarität und der Verwirklichung von Zielen der europäischen Politik dienen, insbesondere dem Prozess der Einigung Europas, falls er sich nachteilig auf Wachstum und Staatshaushalt in einem Mitgliedstaat auswirkt. Wenn der Rat feststellt, dass die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates nicht mit den Grundzügen vereinbar ist, oder das Funktionieren der WWU zu gefährden droht, kann er auf Empfehlung der Kommission eine Empfehlung an den Mitgliedstaat richten und diese in weiterer Folge auch veröffentlichen. Ein Mitgliedstaat kann daher nur mit Mitteln des „soft law“ zur Koordinierung bewegt werden.
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
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Verbindliche Entscheidungen über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen können nach dem Vertrag von Nizza nur bei besonderen Schwierigkeiten vom Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden (sog Notstandsklausel). Als weiteren Schritt richtet die Europäische Kommission nun eine Stellungnahme und Empfehlung an den Rat und dieser trifft eine Entscheidung, ob ein übermäßiges Defizit Deutschlands besteht. Sollte dies der Fall sein, so richtet der Rat (in diesem Fall der ECOFIN-Rat, da Deutschland Mitglied der Währungsunion ist) gleichzeitig auf der Grundlage einer Empfehlung der Kommission eine Empfehlung an Deutschland mit dem Ziel, dieser Lage innerhalb einer Frist von vier Monaten abzuhelfen. Ein Euro-Staat, der ein übermäßiges Defizit aufweist, wird vom ECOFIN-Rat (Rat der Wirtschafts- und Finanzminister) aufgefordert, innerhalb von vier Monaten geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die sich innerhalb eines Jahres bemerkbar machen sollen. Wenn der betreffende Staat keine Maßnahmen zur Defizitverringerung Über einen Euro-Staat können als letzte ergreift, dann wird der Fall öffentlich bekannt gemacht. Falls der Konsequenz Geldbußen verhängt werden. Mitgliedstaat den Empfehlungen des Rates nicht folgt, setzt ihn der Rat über Empfehlung der Kommission in Verzug (2/3-Mehrheit im Rat). Frühestens zehn Monate nach Feststellung des übermäßigen Defizits können Bußgelder über den Euro-Staat verhängt werden (bis zu 0,5% des BIP). Ein Bußgeld muss mit mindestens 2/3-Mehrheit der an der WWU teilnehmenden Staaten angeordnet werden – das betroffene Land hat kein Stimmrecht. In der Praxis führte das im Vertrag und im SWP vorgesehene Defizitverfahren bislang nicht zur Verhängung von Sanktionen. So hat der Rat das Defizitverfahren etwa im Falle Deutschlands und Frankreichs ausgesetzt, obwohl die Kommission die Empfehlung abgegeben hatte, das Defizitverfahren voranzutreiben.
126
c.
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Die Währungsunion
Parallel zur Einführung einer koordinierten Wirtschaftspolitik trägt der EGV den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft die Vereinheitlichung der Währungspolitik auf.
LE 5
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Geboten ist die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung einer einheitlichen Währung sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geldund Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preis- Preisstabilität durch: stabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemei- - gemeinsame Währung (Euro) - einheitliche Geld- und ne Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unter Beachtung des Wechselkurspolitik Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen. Der Name der neuen einheitlichen Währung wurde vom Europäischen Rat mit „Euro“ festgelegt. Die skizzierten Bestimmungen sind erst in der dritten Stufe der WWU voll verbindlich. Vorher gelten sie nur teilweise in einem abgestuften System. Nichtmitglieder der dritten Stufe werden auch „Outs“ oder „Pre-ins“ genannt. Das sind zunächst jene, welche die bereits erörterten notwendigen Voraussetzungen (Konvergenzkriterien) für die Nichtteilnehmer der 3. Stufe: Mitgliedschaft (noch) nicht erfüllen. Die Staaten mit Ausnahme- „Pre-Ins“ oder „Outs“ regelung nehmen an der gemeinsamen Währung nicht teil, es ist aber laufend zu überprüfen, ob sie aufgenommen werden können (auf Antrag bzw von Amts wegen). Bsp: Dieses Verfahren wurde bei Griechenland durchgeführt, das gemäß Beschluss des Rats vom Juni 2000 seit 1. 1. 2001 an der dritten Stufe teilnimmt. Für die „Outs“ gelten bspw folgende Regeln nicht, ihr Stimmrecht im Europäischen Rat ruht hinsichtlich dieser Angelegenheiten: Die Möglichkeit, dass wegen eines übermäßigen öffentlichen Defizits gegen sie Sanktionsmaßnahmen (Inverzugsetzung bis zur Verhängung von Geldbußen) ergriffen werden, die zentralen Zielsetzungen (zB Preisstabilität) und Funktionsmechanismen (zB Festlegung der Geldpolitik, Durchführung von Devisengeschäften), das Notenbankmonopol etc. Um die Gefahr von Handelsverzerrungen durch starke Schwankungen der nominalen und realen Wechselkurse zu begegnen, hat der Europäische Rat eine Vorgabe für die Schaffung eines Wechselkursmechanismus, derzeit Wechselkursmecha- Wechselkurspolitik gegenüber nismus II (WKM II), der das EWS abgelöst hat, geschaffen. Wei- Drittstaaten als externe Komponente der Währungsunion ters ist der Konnex zwischen der externen Komponente (Wechselkurspolitik gegenüber Drittstaaten) und der internen Komponente (Preisstabilität) der WWU zu beachten.
2.
Institutionen der WWU
a.
Der ECOFIN-Rat
Zur Klärung von Fragen betreffend die Wirtschafts- und Fiskalpolitik findet einmal monatlich ein Treffen der EU-Finanzminister, der so genannte ECOFIN-Rat, statt. Vor den Ratstagungen werden informelle Treffen der Finanzminister jener MitgliedKlärung von Fragen betreffend die staaten abgehalten, die an der gemeinsamen Währung teilneh- Wirtschafts- und Fiskalpolitik men („Euro-Gruppe“). Die Arbeiten des ECOFIN-Rates sowie der Euro-Gruppe werden vom Ausschuss der Ständigen Vertreter, vom Wirtschafts- und Finanzausschuss, dem Wirtschaftspolitischen Ausschuss sowie von diversen Ratsarbeitsgruppen vorbereitet.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
128
b.
LE 5
ESZB und EZB
ESZB: System der Europäischen Zentralbanken EZB: Europäische Zentralbank
In Zusammenhang mit der Schaffung einer einheitlichen Währung wurden ein System der Zentralbanken (ESZB) und eine Europäische Zentralbank (EZB) geschaffen. Die grundlegenden Aufgaben des ESZB bestehen darin,
•
die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen – und zwar unter Beachtung des vorrangigen Ziels der Preisstabilität;
•
Devisengeschäfte durchzuführen (Wechselkurspolitik);
•
die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten;
•
das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.
Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt hat ua •
das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinschaft zu genehmigen (zur Ausgabe berechtigt sind die EZB und die nationalen Zentralbanken);
•
das Genehmigungsrecht für die Ausgabe von Münzen durch die Mitgliedstaaten;
•
das Recht der Festlegung der Geldpolitik;
•
beschränkte Rechtsetzungsgewalt, dh das Recht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Verordnungen und Entscheidungen zu erlassen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben (für die EZB, die nationalen Zentralbanken und ihre einzelnen Organe gilt strikte Weisungsfreiheit!).
III. Die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben in österreichisches Recht Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des geltenden Haushaltsrechts des Bundes finden sich in den Art 51 bis 51c und Art 42 Abs 5 B-VG. Überlagert wird das nationale Recht von den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten. Die innerstaatliche Umsetzung erfolgte mit einer Vereinbarung Österreich trat in die 3. Stufe der WWU am 1. 1. 1999 ein über den Österreichischen Stabilitätspakt. Nach der am 1. 1. 1995 für Österreich begonnenen zweiten Stufe haben die Mitgliedstaaten übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Für den Eintritt in die dritte Stufe am 1. 1. 1999 musste Österreich die europäischen Konvergenzkriterien erfüllen: Ein hoher Grad an Preisstabilität, kein übermäßiges Haushaltsdefizit, eine Absenkung des Staatsschuldenstandes, Währungsstabilität und niedrige Zinssätze. Die verstärkte Zusammenarbeit der öffentlichen Haushalte in Österreich erfolgt durch den •
Konsultationsmechanismus: Gesetzes- und Verordnungsentwürfe des Bundes und der Länder werden den jeweils gegenbeteiligten Gebietskörperschaften mit einer Darstellung der finanziellen Auswirkungen zur Stellungnahme übermittelt. Der Bund, ein Land und der Gemeindebund können sodann Verhandlungen in einem Konsultationsgremium verlangen, das Empfehlungen über die Kostentragung abgeben kann. Ansonsten hat jene Gebietskörperschaft, deren Organe das Gesetz bzw die VO beschlossen haben, die Kosten ihrer Vollziehung zu tragen (in der mittelbaren Bundes-
LE 5
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
129
verwaltung hat der Bund nur dann die Kosten zu ersetzen, wenn die VO des Landeshauptmannes aufgrund einer Weisung erlassen wurde). •
IV.
Österreichischen Stabilitätspakt: Dieser zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgeschlossene Pakt zielt darauf ab, den primärrechtlich vorgegebenen Konvergenzkriterien in Bezug auf Höhe und Entwicklung des Staatsschuldenstandes und des Budgetdefizits zu entsprechen.
Weiterführende Literatur
Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Auflage, 2007 Streinz, Europarecht, 8. Auflage, 2008 Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, 10. Auflage, 2007
130
V.
Nationales Budgetrecht im Rahmen der WWU
LE 5
Wiederholungsfragen
Begründen Sie, wieso die Wirtschaftspolitik mit der Haushaltspolitik eines Landes zusammenhängt!
Nennen Sie die Aufgaben des Staates im Zusammenhang mit dem Haushaltsrecht!
Was versteht man unter Budget?
Was versteht man unter dem Bundesvoranschlag, was unter dem Bundesfinanzgesetz?
Was ist der Bundesrechnungsabschluss? Von wem wird er verfasst?
Nennen Sie die Grundsätze der Budgeterstellung!
Was ist der Unterschied zwischen der Wirtschaftsunion und der Währungsunion?
Welche ökonomischen Vorteile bringt die WWU?
Erläutern Sie die Konvergenzkriterien, wieso sind sie notwendig?
Wodurch wird dauerhafte Konvergenz gesichert?
Wie läuft das Verfahren nach Art 104 EGV ab?
Wie ist die Währungsunion aufgebaut? Welche Institutionen wurden geschaffen?
Was versteht man unter „Outs“ oder „Pre-Ins“?
Was ist der österreichische Konsultationsmechanismus, was der österreichische Stabilitätspakt?
Was ist im F-VG geregelt?
Was versteht man im Zusammenhang mit der österreichischen Finanzverfassung unter Kompetenz-Kompetenz und Ertragshoheit?
Definieren Sie Abgaben!
Wie sieht die Finanzverfassung der EU aus?
Was ist die finanzielle Vorausschau?
Welche Eigenmittel stehen der EU zur Verfügung?
LE 6
Welthandelsrecht
131
Lektion 6
WELTHANDELSRECHT
Going Bananas Sie besitzen das Unternehmen „Going Bananas“ mit Sitz in Deutschland, das Handel mit Bananen aus Ecuador betreibt. Da die EU-Bürger gerne Bananen essen, läuft Ihr Geschäft sehr gut, bis die so genannte Bananenverordnung für die EG erlassen wird. Diese Verordnung sieht eine Unterscheidung in Bananen aus der EG, aus den AKP-Staaten und Bananen aus Drittstaaten vor. Weiters legt diese Verordnung unterschiedliche Zolltarife und Verfahren für die drei Arten von Bananen fest: EG- und AKP-Bananen sind vollständig vom Zoll befreit; Drittlandsbananen unterliegen demgegenüber einem Zoll von 75 Euro pro Tonne, sowie ab einer bestimmten Gesamteinfuhrmenge einem prohibitiv hohen Zusatzzoll und einem ungleich komplizierteren Verfahren der Zollabwicklung. Durch diese Regelungen kommen auf Sie empfindliche Mehrkosten zu, die Sie wiederum über den Preis der Bananen weitergeben müssen, um zu überleben. Dadurch verlieren Sie viele Großabnehmer und somit wichtige Marktanteile. Außerdem können Sie die langfristigen Abnehmerverpflichtungen gegenüber Ihren Lieferanten in Ecuador nicht erfüllen. Die betreffende Verordnung sieht weiters vor, dass Unternehmen, die bis zur Erlassung der Verordnung EG- und AKP-Bananen importiert haben, ein verhältnismäßig höheres Kontingent an Bananen einführen dürfen als Unternehmen, die Drittlandsbananen importieren. Nachdem Sie auch bei weitem mehr importieren könnten, als das Kontingent für Drittlandsbananen zulässt, bietet Ihnen ein Konkurrent, der das Kontingent für EG- und AKPBananen nicht ausschöpfen kann, Teile seines Kontingents zum Kauf an. Würden Sie dieses Angebot annehmen, könnten Sie wahrscheinlich Ihre verlorenen Marktanteile wieder zurückgewinnen, müssten dafür aber tief in die Tasche greifen. Als Sie diese Misere einem befreundeten Rechtsanwalt schildern, meint dieser, dass ein solches Vorgehen im Rahmen der WTO seiner Meinung nach nicht rechtens sei und dass er sich umhören werde, was Sie für Schritte setzen könnten. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Was ist die WTO und wie ist sie aufgebaut? Welche WTO-Rechtsvorschriften gibt es? Wie können Sie WTO-Recht durchsetzen? Wie verhält sich WTO-Recht zum Gemeinschaftsrecht?
Welthandelsrecht
132
LE 6
Inhalt: I. II. III. A. 1. 2. 3. B. C. IV. A. B. C. 1. 2. 3. 4. 5. 6. D. 1. 2. 3. E. 1. 2. V. A. B. VI. A. B. VII. A. B. 1. 2. 3. 4. VIII. A. B. IX. X.
Was ist die WTO? ...................................................................................................... 133 Aufgaben und Ziele der WTO ................................................................................... 134 Organe, Entscheidungsfindung und Mitgliedschaft in der WTO (ÜWTO) ............ 134 Organe ......................................................................................................................... 134 Ministerkonferenz ........................................................................................................ 134 Allgemeiner Rat ........................................................................................................... 134 Sekretariat ................................................................................................................... 135 Entscheidungen ........................................................................................................... 136 Aufnahme neuer Mitglieder, Austritt ............................................................................ 136 General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) ................................................... 137 Die Idee des freien Welthandels .................................................................................. 137 Ziele des GATT ........................................................................................................... 137 Instrumente zur Erreichung der Ziele .......................................................................... 137 Meistbegünstigungsklausel ......................................................................................... 138 Zollzugeständnisse ...................................................................................................... 138 Inländergleichbehandlung ........................................................................................... 139 Klassifikation von Waren ............................................................................................. 140 Berechnung des Warenwerts ...................................................................................... 140 Herkunftsregeln ........................................................................................................... 141 Schutzinstrumente der Handelspolitik ......................................................................... 141 Antisubventionsrecht ................................................................................................... 142 Antidumpingrecht ......................................................................................................... 143 Einfuhrschutzmaßnahmen ........................................................................................... 143 Ausnahmen ................................................................................................................. 144 Schutzklauseln ............................................................................................................ 144 Zollunionen und Freihandelszonen ............................................................................. 144 General Agreement on Trade in Services (GATS) .................................................. 145 Regelung des Handels mit Dienstleistungen ............................................................... 145 Inhalt des Abkommens ................................................................................................ 146 Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) .. 146 Der Schutz des geistigen Eigentums ........................................................................... 146 Inhalt des TRIPS ......................................................................................................... 147 Das Streitbeilegungsverfahren (DSU) ..................................................................... 147 Entwicklung ................................................................................................................. 147 Verfahrensablauf ......................................................................................................... 149 Vorverfahren ................................................................................................................ 150 Verfahren ..................................................................................................................... 150 Berufungsverfahren ..................................................................................................... 150 Inhalt und Umsetzung der Empfehlungen und Entscheidungen ................................. 150 WTO und EG .............................................................................................................. 151 Kompetenzverteilung zwischen der EG und ihren Mitgliedern .................................... 151 Unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts...................................................................... 152 Weiterführende Literatur ........................................................................................... 153 Wiederholungsfragen ................................................................................................ 154
LE 6
I.
Welthandelsrecht
133
Was ist die WTO?
Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) ist eine Internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit. Sie zählt mittlerweile 153 Mitgliedstaaten (Stand: 23. 7. 2008), welche gemeinsam über 97% des Welthandels abwickeln. Ein wesentliches Ziel der WTO ist es, durch den Abbau von Handelshemmnissen zu einer optimalen Ressourcennutzung sowie weltweit zur Steigerung des WTO = World Trade Organization (InterLebensstandards beizutragen. Das WTO-Recht, das in den nationale Organisation) letzten Jahren durch die starke mediale Präsenz von Globalisierungsgegnern verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt ist, ist Teil des Wirtschaftsvölkerrechts und beruht auf multilateralen Übereinkommen zwischen Staaten. Seit es grenzüberschreitenden Handel gibt, gibt es Bestrebungen, diesen auch grenzüberschreitend zu regeln. Vor dem Zweiten Weltkrieg handelte es sich hierbei allerdings immer nur um regionale Bemühungen wie beispielsweise die Hanse, so genannte Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge im 17. und 18. Jahrhundert, und die Internationale Konferenz über Zollformalitäten 1923. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ergriffen Großbritannien und die USA die Initiative zur - 153 Mitgliedstaaten Errichtung eines umfassenden Weltwirtschaftssystems. 1944 - 97% des Welthandels kam es zur Gründung des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung („Weltbank“). 1947 wurden die Verhandlungen über ein allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) abgeschlossen, das zwar schon vorläufig angewendet wurde, aber erst zusammen mit der Charta der zu gründenden Internationalen Handelsorganisation (International Trade Organization, ITO) in Kraft treten sollte. Die Gründung der ITO scheiterte allerdings in der Folge an der Verweigerung der Ratifikation durch den amerikanischen Kongress, und das GATT wurde (weiterhin) vorläufig angewendet. Im Rahmen von so genannten „Runden“ (zB Kennedy-Runde 1964-67; Tokio-Runde 1973-79; Uruguay-Runde 1986-94) wurde über Zollsenkungen und später über nichttarifäre Handelshemmnisse verhandelt. Bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurden zwar immer wieder Versuche unternommen, das GATT auf eine dauerhafte institutionelle Grundlage zu stellen, diese Versuche blieben aber zunächst erfolglos. Erst im Rahmen der Uruguay-Runde (1986-94) gelang ein fundamentaler Reformschritt: Nach jahrelangen Verhandlungen wurde 1994 durch das „Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation“ (ÜWTO) von den Vertragsparteien des bisherigen GATT die Welthandelsorganisation (WTO) formell gegründet. Dieses für Uruguay-Handelsrunde alle Beitrittswerber einheitliche „Dachübereinkommen“ umfasst ÜWTO: zudem multilaterale und plurilaterale Verträge. Davon zwingend - GATT - GATS zu unterzeichnen sind alle multilateralen Verträge, insbesondere - TRIPS die Regelungen über den Handel mit Waren (General - DSU Agreement on Tariffs and Trade, GATT), über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS), über den Schutz des Geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) und über die Streitschlichtung (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, DSU). Das bisherige GATT 1947 wurde als GATT 1994 textlich unverändert in das Gesamtpaket integriert, aber durch ergänzende Verträge präzisiert.
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LE 6
Auf Grundlage der genannten Abkommen wurden und werden seither im Rahmen der WTO weitere Liberalisierungsschritte verhandelt (zum Prozess der Entscheidungsfindung siehe III.B.). So sollte die seit 2001 laufende Doha-Runde nach anfänglichen Plänen bis Ende 2005 zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Zuletzt wurden die Gespräche jedoch Ende Juli 2008 erfolglos abgebrochen (bzw unterbrochen). Grund des wiederholten (vorläufigen) Scheiterns waren Unstimmigkeiten insbesondere über den Umgang mit Agrarbeihilfen.
II.
Aufgaben und Ziele der WTO
Die WTO hat als Internationale Organisation die Umsetzung und Durchführung der in der Uruguay-Runde erarbeiteten Übereinkommen sowie die Ziele: Erreichung der darin festgelegten Ziele zur Aufgabe. Diese - optimale Ressourcennutzung - Steigerung des Lebensstandards Zielsetzungen sind allesamt getragen von der Überzeugung, durch - nachhaltigere Entwicklung den Abbau von Handelshemmnissen zu einer optimalen Ressourcennutzung beizutragen und somit eine Steigerung des Lebensstandards wie auch eine nachhaltigere Entwicklung zu bewirken. Außerdem bietet die WTO Rahmen und Plattform für Verhandlungen im Hinblick auf eine weitere Intensivierung der multilateralen Handelsbeziehungen. Einen entscheidenden Fortschritt hinsichtlich Durchsetzbarkeit und Rechtsicherheit bewirkte die Vereinbarung über die Streitbeilegung (DSU). Im Unterschied zum GATT 1947 besitzt die WTO (Völker-)Rechtspersönlichkeit, welche es ihr erleichtert, die notwendigen Beziehungen zu anderen Internationalen Organisationen im Bereich des Welthandels (zB Weltbank; UNCTAD) zu unterhalten.
III. Organe, Entscheidungsfindung und Mitgliedschaft in der WTO (ÜWTO) A.
Organe
1.
Ministerkonferenz
Die Ministerkonferenz ist das Hauptorgan der WTO. Sie setzt sich aus Vertretern der einzelnen Mitgliedstaaten auf Regierungsebene zusammen und tagt zumindest alle zwei Jahre. Im Rahmen der Ministerkonferenz können in allen Angelegenheiten Entscheidungen getroffen werden, die die multilateralen Abkommen (siehe I.) betreffen. In der Zeit zwischen den Zusammenkünften der Ministerkonferenz werden deren Aufgaben vom Allgemeinen Rat wahrgenommen.
2.
Allgemeiner Rat
Der Allgemeine Rat besteht aus jeweils einem Vertreter jedes Mitgliedstaates – üblicherweise aus den jeweiligen Botschaftern in Genf oder auch aus gesandten Delegationen der Mitgliedstaaten. Er tagt in der Regel einmal im Monat. Neben der Besorgung der Aufgaben der Ministerkonferenz tritt der Allgemeine Rat als Streitbeilegungsorgan (Dispute Settlement Body) und als handelspolitische Kontrollbehörde (Trade Policy Review Body) zusammen. Der diesbezügliche handelspolitische Kontrollmechanismus besteht aus – rechtlich
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Welthandelsrecht
135
unverbindlichen – regelmäßigen Überprüfungen der von den einzelnen Mitgliedstaaten angewandten Handelsinstrumente. Für die Überwachung der Durchführung der einzelnen Abkommen besteht daneben jeweils ein eigener Rat für Waren (GATT-Rat), Dienstleistungen (GATS-Rat) und Geistiges Eigentum (TRIPS-Rat).
Organe der WTO: - Ministerkonferenz - Allgemeiner Rat - Sekretariat
Die Räte für Waren und Dienstleistungen haben überdies Unterausschüsse zur Bewältigung der Detailverhandlungen (zB Committee on Agriculture; Committee on Market Access) sowie Arbeitsgruppen (zB Working Group on the Relationship between Trade and Investment). Daneben wurde durch die so genannte „Doha-Deklaration“ das Trade Negotiation Committee gegründet, das zur Behandlung einzelner Verhandlungsthemen an den Allgemeinen Rat berichtet.
3.
Sekretariat
Die Verwaltung der WTO wird vom Sekretariat besorgt, dessen Sitz in Genf ist. Das Sekretariat der WTO verfügt über mehr als 600 Mitarbeiter; über 70 Nationalitäten sind vertreten. Die meisten Mitarbeiter stammen aus rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen mit Schwerpunkten im internationalen Wirtschaftsrecht. Das Sekretariat, das keine inhaltliche Entscheidungsbefugnis besitzt, wird von einem Generaldirektor mit vierjähriger Amtsperiode geleitet (seit 1. 9. 2005 vom Franzosen Pascal Lamy). Hauptaufgaben des Sekretariats sind die organisatorische Unterstützung der einzelnen Organe, die Vorbereitung der Verhandlungen, die technische und organisatorische Unterstützung von Entwicklungsländern, die umfassende Dokumentation des Welthandels sowie die Öffentlichkeitsarbeit für die WTO. Daneben ist das Sekretariat auch erste Anlaufstelle für zukünftige Mitgliedstaaten der WTO und unterstützt die Panels und den Appellate Body im Streitbeilegungsverfahren (dazu unten VII.). Das Budget der WTO, das ebenfalls vom Sekretariat verwaltet wird, beträgt für das Jahr 2008 rund 113 Millionen Euro. Der größte Teil des WTO-Budgets wird durch Beiträge der Mitglieder finanziert, deren Höhe sich nach dem jeweiligen Anteil am Welthandel richtet.
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B.
LE 6
Entscheidungen
Entscheidungen in den Gremien der WTO werden grundsätzlich nach dem Konsensverfahren getroffen. Hierbei gilt der Konsens als hergestellt, wenn nicht eines der bei der jeweiligen Sitzung vertretenen Mitglieder dem allgemeinen Konsens förmlich widerspricht. Kann kein Konsens erreicht werden, besteht in gewissen Bereichen die Möglichkeit einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip (eine Stimme pro Land). Diese Bereiche betreffen die Auslegung von multilateralen Abkommen (Drei-Viertel-Erfordernis), die Aufhebung von Verpflichtungen der Ministerkonferenz (Drei-Viertel-Erfordernis), die Abänderung von Bestimmungen in Abkommen (Zwei-Drittel-Erfordernis) und die Entscheidung, einen neuen Mitgliedsstaat aufzunehmen (Zwei-Drittel-Erfordernis). In der Praxis wird allerdings am Konsensprinzip festgehalten, um so eine möglichst harmonische Entwicklung zu gewährleisten. Eine wesentliche Ausnahme im Interesse der Effizienz und Verrechtlichung bildet das Streitbeilegungsverfahren, wo das Konsensprinzip zugunsten des reverse consensusPrinzips durchbrochen bzw umgekehrt ist (dazu unten VII.).
C.
Aufnahme neuer Mitglieder, Austritt
Das ÜWTO enthält neben Bestimmungen über den Austritt, die Änderung und die Suspendierung der Verträge gegenüber einzelnen Mitgliedern auch Vorschriften über die Aufnahme neuer Mitglieder. Hierbei wird eine Unterscheidung zwischen den ursprünglichen Mitgliedern (GATT 1947) und den späteren Mitgliedern getroffen. Die ursprünglichen Mitglieder konnten durch einseitige Ratifikation beitreten, während alle anderen Länder eines Beitrittsabkommens bedürfen. Diese Unterscheidung gründet in den von den ursprünglichen
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Welthandelsrecht
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Mitgliedstaaten schon zu Zeiten des alten GATT getätigten Zugeständnissen, die mit neuen Mitgliedern erst „nachträglich“ ausverhandelt werden müssen. Die Aufnahme erfolgt de iure durch einen Beitrittsvertrag, über den mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen ist. De facto werden allerdings Vorverhandlungen in so genannten Working Parties geführt, was auch den teilweise bilateralen Charakter von Beitrittsverhandlungen erklärt (vergleiche zB die über Jahrzehnte hinweg dauernden Verhandlungen mit China, die erst 2002 in dessen Beitritt mündeten).
IV.
General Agreement on Tariffs and Trade (GATT)
A.
Die Idee des freien Welthandels
Grundlage des GATT ist die politische Vision eines möglichst freien Welthandels. Die ökonomische Begründung dieser Idee fußt auf der „Theorie der Grundidee: Allseitige komparativen Kostenvorteile“ (David Ricardo, 1817). Nach Wohlstandssteigerung durch dieser Theorie führt grenzüberschreitender Handel in allen beteiligten Ländern zu Wohlstandssteigerungen, wenn sich die Handel treibenden Länder jeweils auf jene Produkte spezialisieren, die sie in Relation zu anderen (selbsterzeugten) Produkten am günstigsten (= zu den geringsten Opportunitätskosten) herstellen können.
B.
Ziele des GATT
Auf Grundlage der Idee des freien Welthandels ist es ein Hauptanliegen des GATT, den Welthandel weitgehend zu liberalisieren und Handelshemmnisse, die in sehr vielfältiger Form zwischen Ländern auftreten können, abzubauen. Staaten neigen immer wieder – aus verschiedenen Motiven – dazu, den Handel zu behindern. Dies kann durch Zölle und Einoder Ausfuhrkontingente genauso geschehen wie durch die Gewährung staatlicher Beihilfen, Einhebung diskriminierender innerstaatlicher Steuern oder auch durch Festlegung von technischen Standards. Diese Handelshemmnisse sollen reduziert und im Idealfall abgeschafft werden, um einen möglichst unverzerrten internationalen Wettbewerb zu gewährleisten.
C.
Instrumente zur Erreichung der Ziele
Die Ziele des GATT werden durch die Abschaffung von nichttarifären Handelshemmnissen (mengenmäßige Beschränkungen) bzw Umwandlung dieser in Abschaffung oder Umwandlung von tarifäre Hemmnisse verfolgt. Die tarifären Hemmnisse wiederum nichttarifären Handelshemmnissen werden zum Gegenstand von Verhandlungen über Zollsenkungen gemacht. Die Vorteile dieser „Tarifisierung“ liegen auf der Hand: Die Auswirkungen von tarifären Handelshemmnissen auf den Wettbewerbsnachteil von importierten Produkten sind eindeutig feststellbar. Außerdem wird der Wettbewerb – sofern der Zoll nicht prohibitiv (und damit eine versteckte Mengenbeschränkung gegeben) ist – zwar verzerrt, aber nicht gänzlich verhindert. Wenn das einem höheren Zoll unterworfene und am Markt somit teurere Produkt wettbewerbsfähiger gemacht wird, kann diese Diskrepanz ausgeglichen werden. Bei Mengenbeschränkungen wird der Wettbewerb hingegen unterlaufen.
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LE 6
Bei mengenmäßigen Beschränkungen ist weiters ein Lizenzsystem erforderlich, welches nur sehr schwer nicht diskriminierend ausgestaltet werden kann und zudem korruptionsanfälliger ist. Viele nichttarifäre Handelshemmnisse wie beispielsweise technische Beschränkungen sind zumeist nicht einfach zu erkennen. Aus den genannten Gründen beinhaltet Art XI GATT ein generelles Verbot solcher mengenmäßiger Beschränkungen von Importen und Exporten. Lediglich Zölle, Steuern und andere bei Grenzübertritt erhobene Gebühren sind nach dem GATT gestattet. Darüber hinaus kennt das GATT noch drei wesentliche Instrumente zur Erreichung der oben angeführten Ziele, nämlich die so genannte „Meistbegünstigungsklausel“, die Aufnahme von Zollzugeständnissen in den Vertrag sowie die „Inländergleichbehandlung“. Daneben existieren noch einige weitere Regelungen, um verbliebene „Lücken“ und Möglichkeiten der versteckten Diskriminierung zu beseitigen. Aus Vorteile tarifärer Beschränkungen der Art und Weise der Bewertung von Handelsgütern wie auch gegenüber Quoten: - Auswirkungen eindeutig feststellbar aus der Klassifizierung für Zollzwecke ergeben sich Möglichkeiten - Lizenzsystem entbehrlich der Ungleichbehandlung von Handelspartnern. Die Idee des freien - Erhöhte Transparenz Welthandels kann also nur dann umgesetzt werden, wenn neben die Bestimmungen des GATT auch noch möglichst transparente Verwaltungsabläufe in den einzelnen Mitgliedsstaaten treten.
1.
Meistbegünstigungsklausel
Nach Art I GATT, der zentralen Vorschrift des Vertrages, ist jedes WTO-Mitglied verpflichtet, jedem anderen Mitglied die gleichen Vorteile für gleichartige Meistbegünstigungsgebot: Waren („like products“) in Bezug auf Zölle und Gebühren zu Gleiche Vorteile wie dem Bestgestellten gewähren, die es dem ihm gegenüber am besten gestellten Land gewährt (auch wenn dieses nicht WTO-Mitglied ist). Dieses allgemeine Meistbegünstigungsgebot umfasst sämtliche Vorrechte, Begünstigungen und Immunitäten bezüglich der Ein- bzw Ausfuhr einer bestimmten Ware. Bsp: In Australien existiert ein einheitlicher, relativ hoher Importzoll für Rotwein. Macht Australien nun gegenüber Südafrika Zugeständnisse und ermöglicht so den Import von südafrikanischem Rotwein zu einem niedrigeren als dem allgemeinen Zoll, so muss es diese Vergünstigungen auch unverzüglich und bedingungslos für Rotwein aus anderen Mitgliedstaaten der WTO gewähren. Durch die aus den unterschiedlichen Zolltarifen resultierende Ungleichbehandlung der einzelnen Bananen produzierenden Länder aus dem Eingangsbeispiel wird Art I GATT verletzt. Nach dem Gebot der Meistbegünstigung müssten die Zollvorteile, die die EU den AKP-Staaten gewährt, auch Ecuador und allen anderen Mitgliedstaaten der WTO gewährt werden. Sollte dies nicht geschehen, kann dieser Verstoß gegen das WTO-Recht von den betroffenen Mitgliedstaaten in einem Streitbeilegungsverfahren geltend gemacht werden.
2.
Zollzugeständnisse
Art II GATT bestimmt, dass die in den Anhängen zum GATT 1947 enthaltenen Zollzugeständnisse der einzelnen Mitglieder zum WTOZollzugeständnisse werden Vertragsinhalt werden. Dadurch werden bindende und vor allem Vertragsinhalt (von allen anderen WTO-Mitgliedern) rechtlich durchsetzbare Zollobergrenzen für bestimmte Produkte festgelegt. Da die Zolltarife aus den verschiedensten Gründen für unterschiedliche Produkte und Produktgruppen variieren können, sind diese
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Welthandelsrecht
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Listen mitunter sehr umfangreich. Die Zolltariflisten für die USA sind beispielsweise rund 750 Seiten stark. Sofern ein WTO-Mitgliedstaat Zölle einhebt, die unterhalb der nach Art II GATT geltenden Zollbindungen liegen, kommt wiederum – über Art II GATT hinausgehend – das Meistbegünstigungsgebot nach Art I GATT zum Tragen. Bsp: In den Listen der USA findet sich ein spezielles Medikament, für welches ein gewisser Zoll vorgesehen ist. Die allgemeinen Zölle für dieses in der Liste enthaltene Medikament dürfen nach Art II GATT diese niedergeschriebenen Zölle nicht übersteigen. Darüber hinaus gilt dies nach Art I GATT für alle Mitgliedstaaten der WTO (Meistbegünstigungsgebot).
3.
Inländergleichbehandlung
Nach Art III GATT verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Binnensteuern und andere Belastungen, die für heimische und importierte Waren gelten, nicht in einer Weise anzuwenden, die die heimische Erzeugung schützt. Gleiches gilt Keine Besserbehandlung von auch für Gesetze, Vorschriften und Erfordernisse, die das inländischen Gütern Angebot, den Einkauf, den Transport, die Verteilung oder Verwendung von Waren betreffen. Es soll also im Rahmen des GATT nicht nur der Grenzübertritt nichtdiskriminierend ausgestaltet werden, sondern auch eine Gleichbehandlung der ausländischen Waren mit den inländischen erreicht werden. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war der Bananenimport in Deutschland völlig liberalisiert (kein Zoll, keine Quote), in Frankreich hingegen Gegenstand einer zugunsten der ehemaligen Kolonien äußerst protektionistischen Handelspolitik. Dementsprechend gab es auch unterschiedliche nationale Importregelungen für Bananen, was zur so genannten EG-Bananenverordnung (Nr 404/93) führte, die die verschiedenen nationalen Regelungen in Bezug auf den Handel mit Bananen mit Drittländern durch eine gemeinschaftsweite ersetzt hat. Nach dieser Verordnung wird unterschieden zwischen • der traditionellen AKP-Banane (gewisse Anzahl an Bananen aus den Ländern Afrikas, des karibischen Raumes und des Pazifischen Ozeans); • der nichttraditionellen AKP-Banane (Importe, die über die für traditionelle AKP-Bananen festgelegten Mengen hinausgehen); • und der Drittlandsbanane (Importe aus Nicht-EG-Mitgliedern bzw AKP-Staaten). Während die traditionellen AKP-Bananen vollständig vom Zoll befreit sind, unterliegen die nichttraditionellen AKP- und die Drittlandsbananen einem Zoll von 75 Euro pro Tonne. Bananen unterliegen daher in der EG unterschiedlichen Zolltarifen, was sich auch auf den Preis der verschiedenen Bananen auswirkt. Unternehmer, die Bananen aus Drittländern importieren, sind gegenüber Unternehmern, die AKP-Bananen einführen, schlechter gestellt. Darüber hinaus ist das Verfahren für die Einfuhr von traditionellen AKP-Bananen wesentlich simpler als das für den Import von nichttraditionellen AKP- und Drittlandsbananen, wo noch weitere Unterteilungen vorgenommen wurden. Unternehmen, die vor der Bananenverordnung nichttraditionelle AKP- und Drittlandsbananen importiert hatten, wurde innerhalb des zahlenmäßig festgesetzten Kontingents die Einfuhr von 66,5 Prozent der erlaubten Menge zugestanden (Kategorie A), Unternehmen, die bis zu diesem
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140
LE 6
Zeitpunkt EG- und traditionelle AKP-Bananen eingeführt hatten, durften 30 Prozent importieren (Kategorie B). Damit wurde den Unternehmen der Kategorie B bewusst ein deutlich höherer Marktanteil eingeräumt, als ihnen historisch zugekommen war. Sie nutzten diese 30 Prozent daher nicht aus und versuchten, ihre Kontingente an die Unternehmen der Gruppe A zu verkaufen, wodurch diese im Wettbewerb wieder schlechter gestellt waren. Ganz allgemein hatte die EG mit diesen Zollregelungen eine dem WTO-Recht widersprechende Vorschrift geschaffen. Die skizzierte Einteilung der Bananen und die daraus resultierende Ungleichbehandlung der verschiedenen Bananenimportunternehmen verstößt gegen die Meistbegünstigungsklausel des GATT, einen der Kernpunkte des Abkommens, wie auch das ständige Berufungsgremium der WTO festgestellt hat. Die ungleiche Behandlung der Händler wiederum verstößt gegen das GATS. Bis ins Jahr 2001 nahm die EG die Verhängung von Sanktionsmaßnahmen (Strafzölle) insbesondere durch die USA in Kauf, anstatt eine WTO-konforme Rechtslage herzustellen. Die dann erzielte Einigung ist zweistufig: a) bis 2006 erteilte die WTO einen waiver für das (reformierte) Quotensystem, welches weiterhin die AKP-Staaten bevorzugt; der Verstoß gegen das GATS wurde beseitigt; b) ab 2006 werden die Quoten zugunsten eines „tariff only“-Systems beseitigt; eine Bevorzugung der AKP-Staaten innerhalb des neuen Systems bleibt zulässig. Auch dafür wurde ein waiver beschlossen.
4.
Klassifikation von Waren
Bei der Berechnung von Zöllen wird zumeist ein gewisser Prozentsatz des Wertes einer Ware als Zoll eingehoben. Die Höhe dieses Prozentsatzes richtet sich dabei nach der Einordnung im jeweiligen Zolltarif. Eine nationale Zollbehörde hat also in einem solchen Verfahren zweimal die Möglichkeit, diskriminierende Entscheidungen zu treffen. Einerseits muss eine Ware dem jeweiligen Zolltarif zugeordnet werden, andererseits muss der zollrelevante Wert dieser Ware bestimmt werden. Bezüglich der Klassifikation von Waren ist 1987 das so genannte Harmonized Commodity Description and Coding System in Kraft getreten, das Waren nach Harmonized Commodity Description and einem sechs Ziffern umfassenden Code klassifiziert. Dieses Coding System System wird von rund 80 Staaten angewendet. Die Unschärfe liegt allerdings in der Ermächtigung an die einzelnen Länder, eine vierstellige Unterdifferenzierung vorzunehmen, die wiederum zu Diskriminierungen bei der tarifären Einordnung von Gütern führen kann. Bsp: Spanien spaltete die Klassifizierung für Kaffee nach dieser Ermächtigung noch einmal auf fünf Sorten auf. Zwei davon waren zollfrei, auf die drei anderen wurde ein Zoll von 7% erhoben. Brasilien konnte dieses Vorgehen Spaniens erfolgreich anfechten, da seine Kaffeeexporte hauptsächlich aus den drei Sorten bestanden, die in Spanien mit einem Zoll belegt waren. Bei gleichen bzw gleichartigen Waren („like products“) ist eine solche Differenzierung grundsätzlich verboten (Art I GATT).
5.
Berechnung des Warenwerts
Neben der Diskriminierung aufgrund der Klassifikation von Waren kann es auch zu Ungleichbehandlungen bei der Bestimmung des Wertes der Güter Regelungen über die Wertermittlung für kommen. Je nachdem, ob zur Berechnung des Wertes der so Zollzwecke genannte „c.i.f.-Wert“ (cost, insurance, freight) herangezogen wird, der schon sämtliche Transportkosten enthält, oder der so genannte „f.o.b.-Wert“ (free on
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Welthandelsrecht
141
board), in dem diese Kosten nicht enthalten sind, erhält man einen anderen zollrelevanten Wert. Um dieser Problematik vorzubeugen, enthält das GATT in Art VII und in einem dazu abgeschlossenen Zusatzabkommen über die Durchführung Regeln über die Wertermittlung für Zollzwecke.
6.
Herkunftsregeln
Da es von der Meistbegünstigungsklausel Ausnahmen gibt (zB Zollunionen und Freihandelszonen), aber auch für die Anwendung von Schutzmaßnahmen (zB Antidumpingrecht) ist es von Relevanz, zu wissen, welches Land als Herkunftsland einer Ware gilt. Es ist also zB zu unterscheiden zwischen zollfreien Waren, die aus einem anderen Land innerhalb einer Freihandelszone oder Zollunion importiert werden, Waren, die aus Nicht-WTO-Mitgliedstaaten eingeführt werden, und solchen, auf die die allgemeinen Regelungen über die Meistbegünstigung anzuwenden sind. Die Beurteilung des Herkunftslandes erscheint in Zeiten der fortschreitenden Globalisierung immer schwieriger, da beispielsweise Rohmaterialien in ein anderes Land verschifft, dort halbfertige Erzeugnisse produziert werden, die Endfertigung eines bestimmten Produktes aber erst in einem dritten Land stattfindet. Um zu bestimmen, welches dieser Länder als Ursprungsland anzusehen ist – was für die Einhebung des Zolles ausschlaggebend ist – bedarf es also gewisser Regeln. Als Herkunftsland gilt regelmäßig jenes Land, in dem die letzte wesentliche Veränderung des Produkts vorgenommen wurde. Dabei kann entweder auf eine Herkunftsland ist jenes Land, in dem die Änderung der Einreihung im Zolltarif, auf einen möglichst letzte wesentliche Veränderung oder Wertsteigerung stattgefunden hat. konkret beschriebenen Verarbeitungsvorgang oder aber darauf abgestellt werden, wo ein bestimmter Prozentsatz an Wertsteigerung stattgefunden hat. Das WTO-Recht definiert im Agreement on Rules of Origin keine einheitlichen Ursprungsregeln, sondern sieht nur Mindestanforderungen in Bezug auf Klarheit und Bestimmtheit nationaler Vorschriften vor und stellt Regeln für Transparenz und Gleichbehandlung auf. Die Harmonisierung der Ursprungsregeln ist langfristig angestrebt. Bsp: Kommen nur wenige Einzelteile für einen Fernseher aus China, die meisten und wichtigsten Bestandteile jedoch aus den USA selbst, wo überdies die Endfertigung (das Zusammenbauen) des Geräts vorgenommen wird, gelten die USA als Ursprungsland. Kommt der Fernseher schon fertig zusammengebaut aus China in die USA und wird in den Vereinigten Staaten nur noch das für die Standards des jeweiligen Absatzmarktes passende Stromkabel und Netzgerät eingebaut, gilt China als Ursprungsland. Wird aus Südafrika ein Rohdiamant nach Brasilien importiert und dort erst geschliffen, so gilt Brasilien als Ursprungsland. Wird der Diamant bereits in Südafrika geschliffen und in Brasilien nur noch in eine Plastikschachtel verpackt, gilt Südafrika als Ursprungsland. Wird der Rohdiamant zwar in Südafrika bereits geschliffen, nach dem Import nach Brasilien aber noch in Gold eingefasst und mit einer kleinen Öse für die Montage an einer Halskette versehen, so findet eine entscheidende Wertsteigerung im Importland statt und Brasilien gilt als Ursprungsland.
D.
Schutzinstrumente der Handelspolitik
Neben den eben erläuterten Bestimmungen des GATT existieren auch noch die so genannten handelspolitischen Schutzinstrumente, die es den einzelnen WTO-Mitgliedstaaten erlauben, die jeweils heimische Wirtschaft vor bestimmten Folgen geöffneter Märkte zu
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LE 6
schützen. Die im GATT vorgesehenen Schutzinstrumente sind das Antisubventions- und das Antidumpingrecht sowie die Anwendung von Einfuhrschutzmaßnahmen.
1.
Antisubventionsrecht
Gewährt ein Staat einzelnen Wirtschaftsteilnehmern Subventionen, so kann es einerseits in dem betreffenden Staat selbst zu Wettbewerbsverzerrungen im relevanten Wirtschaftszweig kommen, andererseits aber auch zu einem verzerrten Wettbewerb in einem Importland, da das subventionierte Unternehmen seine Produkte zu einem (um den Betrag der erhaltenen Subventionen) geringeren Preis anbieten kann. Mitgliedstaaten, Ausgleichszölle auf subventionierte deren Märkte von subventionierten Importen betroffen sind, Waren können jedoch so genannte Ausgleichszölle nach Art VI GATT einheben. Solche Ausgleichszölle dürfen bis zu einem Ausmaß verhängt werden, das notwendig ist, um die durch die Beihilfe bewirkte Wettbewerbsverzerrung auszugleichen. Dazu muss allerdings in einem öffentlichen Verfahren der Beweis erbracht werden, dass durch die Subventionen einem Wirtschaftszweig des Importlandes ein bedeutender Schaden entsteht oder zu entstehen droht (vgl dazu auch LE 7, IV.B.4.b.) Bsp: Korea gewährt der Automobilindustrie Subventionen, unter anderem um Arbeitsplätze zu schaffen. Aufgrund dieser Subventionen sind koreanische Autohersteller in der Lage, sehr kostengünstig zu produzieren, was sich wiederum auf die Preise der Fahrzeuge auswirkt. Diese Fahrzeuge sind in den Importländern im Verhältnis zu heimischen Kraftfahrzeugen unverhältnismäßig billig, wodurch die gesamte Autobranche in den betreffenden Ländern in Absatzschwierigkeiten gerät. Um dies zu verhindern, werden in den betroffenen Importländern Ausgleichszölle auf derartig subventionierte Kraftfahrzeuge eingehoben. Zu Subventionen einzelner Produkte kommt es mitunter, da Art III GATT die Zahlungen von Subventionen vom Gebot der Inländergleichbehandlung ausnimmt. Zur genaueren Regelung des Antisubventionsrechts ist das Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen abgeschlossen worden. Dieses unterscheidet zwischen verbotenen und anfechtbaren Subventionen. Die ursprünglich bestehende Kategorie nichtanfechtbarer Subventionen ist Ende 1999 ausgelaufen. - Verbotene Subventionen Verboten sind nach dieser Einteilung Subventionen, die rechtlich - Anfechtbare Subventionen oder faktisch an den Export von Waren oder an den Gebrauch von inländischen anstelle von importierten Produkten knüpfen. Unter anfechtbaren Beihilfen werden solche verstanden, die die Industrie eines anderen WTO-Mitglieds schädigen, Vorteile aus dem GATT schmälern oder zunichte machen oder die Interessen anderer Mitgliedstaaten bedeutend schädigen. Dem Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen sind Anhaltspunkte zu entnehmen, wann eine solche bedeutende Schädigung vorliegen kann. Sowohl für verbotene als auch für anfechtbare Subventionen ist nach dem Abkommen ein Konsultationsverfahren vorgesehen. Bei Scheitern dieses Verfahrens kann ein Streitbeilegungsverfahren eingeleitet werden. Für die Überwachung der Durchführung des Subventionsabkommens ist ein eigener Ausschuss eingesetzt, der von einer Expertenkommission unterstützt wird. Bestimmte Ausnahmen vom Recht auf Antisubventionszölle bestehen in Bereichen der Landund Forstwirtschaft wie auch der Fischerei im Rahmen von Preisstabilisierungssystemen für Produkte, die naturgemäß überdurchschnittlichen Preisschwankungen unterliegen.
LE 6
2.
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Antidumpingrecht
Siehe dazu EÖR II, LE 5.
3.
Einfuhrschutzmaßnahmen
Im Gegensatz zu Antisubventions- und Antidumpingzöllen, die sich gegen (vermeintlich) unfaire Handelspraktiken richten, bieten Einfuhrschutzmaßnahmen eine Möglichkeit zum Schutz der heimischen Wirtschaft auch ohne diese Voraussetzungen. Dies kann für einen Staat besonders dann von Interesse sein, wenn stark Möglichkeit der schlichten Protektion gestiegene Importe eine bestimmte Sparte der inländischen der heimischen Wirtschaft in Ausnahmefällen Wirtschaft existenzgefährdend bedrohen. Einfuhrschutzmaßnahmen – das sind nach einem abgestuften System entweder Überwachungsmaßnahmen oder mengenmäßige Beschränkungen – sind in der Praxis verhältnismäßig selten, da sie verglichen mit dem Antisubventions- und Antidumpingrecht wesentlich höhere Anforderungen an die Schädigung heimischer Wirtschaftszweige stellen und den betroffenen Staaten eine Kompensation angeboten werden muss. Wie die anderen Schutzmaßnahmen sind auch Einfuhrbeschränkungen sowohl im GATT selbst als auch ausführlich in einem Zusatzabkommen (Abkommen über Schutzmaßnahmen) geregelt. Nach diesem Abkommen können Einfuhrschutzmaßnahmen grundsätzlich ergriffen werden, wenn ein Produkt aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen in so großer Stückzahl importiert wird, dass dem korrespondierenden Voraussetzung: inländischen Wirtschaftszweig eine ernsthafte Schädigung Ernsthafte Schädigung eines zugefügt wird oder zugefügt zu werden droht. Die Eröffnung der Wirtschaftszweiges droht bzw wird zugefügt Untersuchungen, ob ein derartiger Umstand vorliegt, muss öffentlich bekannt gegeben werden und auch zugänglich sein. Schutzmaßnahmen sollen grundsätzlich nicht diskriminierend ausgestaltet sein und üblicherweise nicht länger als vier Jahre aufrechterhalten werden. Sofern Maßnahmen länger als drei Jahre aufrechterhalten werden, ist dem betroffenen Staat eine Kompensation zu gewähren. Bsp: Die USA beschränken aus protektionistischen Gründen Stahlimporte in rechtswidriger Art und Weise, wodurch die Stahlunternehmen in einigen Ländern Südamerikas einen wichtigen Absatzmarkt verlieren. Ihre Überproduktion versuchen diese Staaten nun nach Europa zu exportieren. Damit sich der Stahl in Europa auch verkaufen lässt, versuchen die südamerikanischen Unternehmen mit günstigen Preisen auf dem europäischen Markt zu verhindern, dass sie auf ihrem Stahl „sitzenbleiben“. Europäische Stahlunternehmen sehen sich aufgrund dieser Entwicklungen mit massivem Preisdruck und in weiterer Folge mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Die EU kann in einem solchen Fall Einfuhrschutzmaßnahmen gegen die Importe aus Südamerika ergreifen, und zwar unabhängig von einem Vorgehen in der WTO gegen die USA wegen der rechtswidrigen Importbeschränkung für südamerikanischen Stahl, die sich auch auf den europäischen Markt auswirkt. Zur Überwachung der Schutzmaßnahmen ist ein Ausschuss eingerichtet, dem geplante Maßnahmen zusammen mit Beweisen über die Notwendigkeit bekannt zu geben sind.
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E.
Ausnahmen
1.
Schutzklauseln
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Neben den Instrumenten zur Erreichung der Ziele der WTO lässt Art XX GATT einige allgemeine Ausnahmen von den Grundprinzipien der WTO zu. Zu Ausnahmen zum Schutz von Leben, Gesundheit, Tieren, Pflanzen und diesen Ausnahmen zählen unter anderem Maßnahmen, die zum erschöpflichen Naturressourcen Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zum Schutz erschöpflicher Naturressourcen erlassen werden sowie Maßnahmen zum Schutz nationaler Schätze von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert. Solche Ausnahmeregelungen sind zulässig, soweit sie für die Zielerreichung notwendig sind und wenn sie keine willkürliche oder nicht zu rechtfertigende Diskriminierung und auch keine versteckte Behinderung des internationalen Handels beinhalten. Diese Formulierung bietet primär den einzelnen WTO-Mitgliedern, aber auch den Streitbeilegungsorganen, einen gewissen Spielraum bei der Gestaltung und Kontrolle solcher Bestimmungen.
2.
Zollunionen und Freihandelszonen
Zollunionen und Freihandelszonen, die den Voraussetzungen des Art XXIV GATT entsprechen, bilden Ausnahmen vom GATT, konkret von einem der Kernprinzipien, nämlich jenem der Meistbegünstigung. Hier beinhaltet das GATT selbst eine rechtliche Grundlage für diesen „Verstoß“ gegen das WTO-Recht. Zulässig sind Zollunionen und Freihandelszonen vor allem unter der Voraussetzung, dass sie im Großen und Ganzen keine restriktiveren Außenhandelsregime bilden, als sie in den jeweiligen Staaten zuvor bestanden haben, und dass sie annähernd den gesamten Handel umfassen. Eine in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage ist, inwieweit durch Art XXIV GATT auch Abweichungen von anderen Vorschriften des GATT, wie beispielsweise vom Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, gerechtfertigt werden können. Zur Untersuchung dieser Fragen und zur Kontrolle der bestehenden regionalen Handelszusammenschlüsse wurde 1996 ein eigener Ausschuss eingesetzt. Dieser hat die Aufgabe, regionale Handelsabkommen auf ihre Vereinbarkeit mit dem GATT zu überprüfen. Bisher ist – wegen Meinungsverschiedenheiten über die richtige Auslegung der relevanten materiellrechtlichen Bestimmungen des WTO-Rechts und über das Verhältnis zwischen dem genannten Ausschuss und dem WTO-Streitschlichtungssystem – keine Überprüfung formell abgeschlossen worden. Wenn also eine Zollunion auch ohne eine bestimmte Maßnahme oder mit einer weniger GATT-widrigen Maßnahme errichtet werden kann, muss auf diese zurückgegriffen werden.
1.
Freihandelszonen
Nach Art XXIV GATT spricht man von einer Freihandelszone, wenn sich mehrere Zollgebiete zusammenschließen, die untereinander alle Zölle und Handelsbeschränkungen für nahezu den gesamten Handel abgeschafft haben. Da aber die Freihandelszonen: - Binnenbeschränkungen abgeschafft Drittlandspolitik in den Händen der Mitgliedstaaten verbleibt, - Drittlandspolitik weiterhin autonom können nur jene Waren in den Genuss der Zollbefreiung kommen, deren Herkunft aus der Freihandelszone nachgewiesen wird (dazu oben IV.C.6). Andernfalls könnte es zu Umgehungen durch den Erstimport in das Land mit dem niedrigsten Außenzoll und der darauf folgenden Inanspruchnahme der Zollfreiheit innerhalb der Zone kommen.
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2.
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Zollunionen
Eine Zollunion im Sinne des Art XXIV GATT liegt dann vor, wenn die zu einer Freihandelszone zusammengeschlossenen Zollgebiete darüber Zollunionen: hinaus ein gemeinsames Außenhandelsregime bilden, also - Binnenbeschränkungen abgeschafft - Gemeinsame Außenzollpolitik einheitliche Zölle und Verfahren anwenden. Dadurch, dass es einen einheitlichen Außenzoll gibt, können die Waren innerhalb der Zollunion frei zirkulieren. Regelungen über den Ursprungsnachweis sind für den Warenverkehr innerhalb der Zone deshalb nicht erforderlich.
V.
General Agreement on Trade in Services (GATS)
A.
Regelung des Handels mit Dienstleistungen
Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist der Handel mit Dienstleistungen der wachstumsstärkste Bereich des Welthandels. Dienstleistungen machen heute bereits rund 25% des Welthandels aus, in den Industrienationen liegt ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt deutlich über 50%. Dass es bis zur Uruguay-Runde keinen GATS kennt 4 Modi rechtlichen Rahmen für grenzüberschreitende Dienstleistungen der Dienstleistungserbringung gab, ist wegen der Vielzahl der Regelungsprobleme nicht verwunderlich. Typisch für den Bereich der Dienstleistungen ist, dass zumeist nicht eine Dienstleistung an sich die Grenze überschreitet, sondern dass sich entweder der Dienstleistungserbringer in das Land des Dienstleistungsnehmers begibt, oder umgekehrt. Konkret kennt das GATS vier so genannte Modi, nämlich Dienstleistungen, die •
aus dem Gebiet eines Mitglieds stammen und im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden, so genannte cross border-Dienstleistungen (Bsp: Dienstleistung wird grenzüberschreitend im Land des Dienstleistungsempfängers erbracht, der Dienstleistungserbringer verbleibt in seinem Land – Auskunft eines Steuerberaters im Korrespondenzweg) – MODUS 1;
•
im Gebiet eines Mitglieds gegenüber dem Dienstleistungsempfänger eines anderen Mitglieds erbracht werden (Bsp: Dienstleistungsempfänger begibt sich zum Dienstleistungsnehmer – Österreichischer Staatsbürger lässt sich aus Kostengründen sein Gebiss in Ungarn reparieren) – MODUS 2;
•
von einem Erbringer einer Dienstleistung eines Mitglieds im Wege geschäftlicher Anwesenheit im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden (Bsp: Dienstleistungserbringer übt eine Tätigkeit im Land des Dienstleistungsempfängers unter Betreiben einer Niederlassung aus – Österreichisches Bauunternehmen gründet eine Niederlassung in Bern, um ein Hotel zu renovieren) – MODUS 3;
•
von einem Erbringer einer Dienstleistung eines Mitglieds durch die Anwesenheit einer natürlichen Person eines Mitglieds im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden (Bsp: Dienstleistungserbringer begibt sich zum Dienstleistungsempfänger – Österreichisches Bauunternehmen renoviert ein Hotel in Bern, ohne dafür eine Niederlassung zu gründen) – MODUS 4.
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B.
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Inhalt des Abkommens
Das GATS gilt für alle Dienstleistungen außer solchen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden. Im Rahmen des GATS wird zwischen zwei Arten Gebundene und ungebundene Dienstleistungen von Dienstleistungen unterschieden, nämlich Dienstleistungen in den Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten bereits Zugeständnisse gemacht haben und Dienstleistungen in ungebundenen Bereichen. Liberalisierungszugeständnisse erfolgen dadurch, dass ein Staat alle Dienstleistungen, die er den Regelungen des GATS unterwerfen möchte, in Listen zusammenfasst. In diesen Listen werden auch die Bedingungen vermerkt, zu denen der betreffende Ungebundene Dienstleistungen: Staat Dienstleistungen dem GATS unterwirft. Die Hauptpflichten Meistbegünstigungsgebot des GATS, nämlich Marktzugang und Inländergleichbehandlung, gelten nur für diejenigen Sektoren, die ein Land konkret in die (positiven) Verpflichtungslisten aufgenommen hat. Dies aber nur insoweit, als dafür keine Beschränkungen gemacht worden sind. Diese Listen stellen den Kernbereich des GATS dar. Alle dort gebundenen Bereiche sind darüber hinaus auch noch dem Verbot der mengenmäßigen Beschränkung unterworfen. Sofern für eine Dienstleistung der Terminus „ungebunden“ (unbound) in die Liste eingetragen wird, bedeutet dies, dass ein Mitglied keinerlei Verpflichtungen bei Gebundene Dienstleistungen: Meistbegünstigungsgrundsatz Marktzugang oder Inländergleichbehandlung eingehen will. Für die + Inländergleichbehandlungsgebot ungebundenen Dienstleistungsbereiche gilt im Wesentlichen nur + Marktzugangsrecht der allgemeine Meistbegünstigungsgrundsatz, der ebenfalls in den länderweisen Listen eingeschränkt werden kann (Art II GATS). Art VI GATS verlangt überdies, dass Regelungen, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen, derart ausgestaltet sein müssen, dass sie keine unnötigen Handelshindernisse darstellen, und dass auf transparente und objektive Kriterien abgestellt werden muss. Dies betrifft vor allem Qualifikations- und Genehmigungserfordernisse.
VI. Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) A.
Der Schutz des geistigen Eigentums
Der Schutz des geistigen Eigentums hat in mehrerlei Hinsicht positive Effekte: Zum einen kann der Inhaber über die Vermarktung seines geistigen Eigentums verfügen und so die Früchte seiner eigenen Innovation – etwa durch Lizenzverträge – ernten (ex postSichtweise). Zum anderen wird durch einen solchen Schutz eine positive Anreizstruktur für die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in den Mitgliedstaaten geschaffen (ex anteSichtweise). Neben diesen positiven Aspekten kann es aber auch für Länder, deren Wettbewerbsvorteile im Nachahmen von Produkten liegen, ein Nachteil sein, über ein solches Schutzsystem zu verfügen. Nachgeahmte Produkte sind in aller Regel günstiger und damit wettbewerbsfähiger als die „Kopiervorlagen“, da insbesondere die Entwicklungskosten wegfallen. Aus solchen und ähnlichen Gründen bestanden weltweit unterschiedliche Schutzsysteme verschiedener Intensitätsstufen, die auch den Wettbewerb nicht unwesentlich beeinträchtigten. Auch die Ausnahme des Art XX (d) GATT begünstigt diesen Effekt: Sie
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gestattet für Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums Ausnahmen von den allgemeinen Grundsätzen des GATT. Bis zum Abschluss der Uruguay-Runde war der internationale Schutz des geistigen Eigentums auf eine Vielzahl von Abkommen unterschiedlicher Liberalisierungsintensität verteilt, wobei viele Länder, in denen Produktpiraterie vorkommt, naturgemäß nicht Mitglieder dieser Abkommen waren. Um im Rahmen der WTO das Ziel einer möglichst weit reichenden Harmonisierung des Schutzes des geistigen Eigentums zu erreichen, wurden die Vorteile des GATT und des GATS mit der Anknüpfungspunkt ist die Herkunft des Schutzrechtsinhabers Verpflichtung verbunden, dem multilateralen TRIPS beizutreten. Diese „Paketlösung“ empfinden heute vor allem einige weniger entwickelte Länder als Nachteil.
B.
Inhalt des TRIPS
Das TRIPS fußt auf einem weiten Begriff des geistigen Eigentums und inkorporiert drei bedeutende Abkommen: die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums von 1883, die Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst von 1886 und das Rom-Abkommen zum Schutz der ausübenden Künstler, der Tonträgerhersteller und der Sendeunternehmen von 1960. Dadurch sind die Bereiche des Urheber- und Patentrechts wie auch des Marken- und Musterschutzes vom TRIPS mitumfasst. Darüber hinaus sind auch „neue“ Rechte an Gegenständen bzw Produkten wie beispielsweise an Software erfasst. Ausgangspunkt für die Anwendbarkeit des TRIPS ist nicht wie beim GATT das Ursprungsprinzip, also die Herkunft der Ware, sondern die Herkunft des Schutzrechtsinhabers. Damit das TRIPS anwendbar ist, muss der Schutzrechtsinhaber aus einem Mitgliedstaat der WTO stammen. Der rechtliche Schutz richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem er geltend gemacht wird. Neben allgemeinen Vorschriften wie Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung enthält das TRIPS Mindeststandards unter anderem in den Bereichen Urheber-, Marken-, Muster- und Patentrecht, denen die jeweiligen nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten genügen müssen. Darüber hinaus stellt das TRIPS Anforderungen an effektive Durchsetzungsmechanismen für Immaterialgüterrechte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Die nationalen Vorschriften, die das TRIPS betreffen, sind nach Art 63 TRIPS transparent zu gestalten und auch zu veröffentlichen. Das TRIPS enthält insofern also eine Mindestharmonisierung des Schutzrechts für geistiges Eigentum.
VII. Das Streitbeilegungsverfahren (DSU) A.
Entwicklung
Unter dem GATT 1947 war die verbindliche Beilegung einer Streitigkeit vom Konsens aller Vertragsparteien abhängig. Es gab zwar die Möglichkeit, ein so genanntes Panel (ein regelmäßig aus drei Mitgliedern bestehendes Gremium) über die Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme befinden zu lassen, verbindlich wurde eine solche Entscheidung aber nur bei nachfolgender Annahme auch durch den unterlegenen Staat. De facto führte dies regelmäßig zu Blockaden der Annahme von Streitbeilegungen. In der WTO gibt es ein eigenes Streitbeilegungsorgan (Dispute Settlement Body, DSB), das personell mit dem Rat der WTO ident ist.
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Neben der drastischen Verkürzung der Fristen, die ein solches Beschwerdeverfahren in weniger als zwölf Monaten ermöglichen, ist die gravierendste Dispute Settlement Body (DSB) Neuerung der Uruguay-Runde die Umkehrung des personell mit dem Rat ident Konsensprinzips. Während früher die Einsetzung von Panels und die Annahme von Berichten der Einstimmigkeit aller Vertragsparteien bedurften, gelten Streitentscheidungen in der WTO als verbindlich, sofern der DSB nicht einstimmig Gegenteiliges entscheidet (reverse consensus). Ferner wurde ein Rechtsmittelverfahren eingerichtet: Die Entscheidung eines Panels kann vor einem ständigen, gerichtsähnlichen Organ, dem Appellate Body, angefochten werden. Dessen Entscheidungen werden nach denselben Grundsätzen verbindlich wie jene der Panels. Sofern der DSB nicht anders entscheidet – wofür die Zustimmung der obsiegenden Partei erforderlich ist – ist die Entscheidung verbindlich. Die folgenden Unterabschnitte skizzieren den Verfahrensablauf. Die im Einzelnen komplexen Regelungen und Fristen sind in der Graphik auf der nächsten Seite überblicksartig dargestellt. Die Graphik bietet zudem einen Einstieg in die reverse consensus englische Terminologie. Näheres zum Verfahrensablauf ist insbesondere auf der Homepage der WTO zu finden (abrufbar unter www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_e.htm).
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B.
Verfahrensablauf
1.
Vorverfahren
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Bevor es zum eigentlichen Streitbeilegungsverfahren kommt, bei dem ein „unparteiischer Dritter“ Entscheidungen trifft, müssen die Streitteile versuchen, sich auf diplomatischem Weg zu einigen (Art 4 DSU). Dieses Konsultationsverfahren bietet den Versuch einer gütlichen Einigung (zB Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zu einem Ausgleich zu gelangen, Vergleich) der für beide Seiten zufriedenstellend ist. Scheitert dieses Konsultationsverfahren, so haben die streitenden Staaten noch die Möglichkeit, sich auf anderem Wege zu einigen, beispielsweise durch einen Vergleich (Art 5 DSU). Kommt es auch hierbei zu keiner Einigung, so kann die beschwerdeführende Partei innerhalb von 60 Tagen die Einsetzung eines Panels durch den DSB beantragen. Der DSB kann dies nach dem reverse consensus-Prinzip nur einstimmig verhindern.
2.
Verfahren
Wird die Einsetzung eines Panels beantragt, so nominieren die Parteien aus den Listen, die das WTO-Sekretariat führt, drei (in Ausnahmefällen fünf) hochqualifizierte und unabhängige WTO-Experten, die die Streitigkeiten zu überprüfen und dem DSB innerhalb von sechs Monaten einen Bericht vorzulegen haben (Art 7, 8 und 12 DSU). Dieser Bericht soll Empfehlungen und Entscheidungsvorschläge enthalten. Der DSB nimmt diesen Bericht innerhalb von weiteren 60 Tagen an, sofern nicht durch Konsens entschieden wird, den Bericht nicht anzunehmen, oder eine der Parteien ein Rechtsmittel einlegt (Art 16 DSU).
3.
Berufungsverfahren
Wird von einer Partei die Möglichkeit der Berufung ergriffen, so überprüft ein ständiges Berufungsgremium (Appellate Body) die in dem Bericht des Standing Appellate Body Panels enthaltenen Rechts- und Auslegungsfragen und legt seinerseits dem DSB binnen 60 Tagen einen Bericht vor, der von diesem als angenommen angesehen wird, wenn nicht durch Konsens Gegenteiliges beschlossen wird (Art 17.5 DSU). Der Appellate Body besteht aus insgesamt sieben angesehenen Fachleuten, die sich durch ausgewiesene Sachkenntnis auf den Gebieten des Rechts, des internationalen Handels und der WTO-Agenden allgemein auszeichnen (Art 17.3 DSU). Der Appellate Body entscheidet als Kollegialorgan, welches sich jeweils aus drei der sieben Experten zusammensetzt (Rotationsprinzip; Art 17.1 DSU).
4.
Inhalt und Umsetzung der Empfehlungen und Entscheidungen
Inhalt der Streitbeilegungsberichte sind Empfehlungen an die betreffenden WTO-Mitglieder, die angefochtenen Handelspraktiken mit den WTO-Bestimmungen in Einklang zu bringen. Der jeweils unterliegende Mitgliedstaat hat dem DSB mitzuteilen, Überwachung der Empfehlungen an in welcher Form er den Empfehlungen zu entsprechen gedenkt. Mitgliedstaaten durch den DSB Die Überwachung der Umsetzung der Empfehlungen und Entscheidungen obliegt dem DSB (Art 21 DSU). Entspricht der unterlegene Staat dieser Pflicht nicht, sind Sanktionsmaßnahmen möglich, etwa die Suspendierung von Zugeständnissen durch den obsiegenden Staat. Diese Maßnahmen sind aber nur vorübergehend und nach Genehmigung durch den DSB zu verhängen. Diese Genehmigung unterliegt ebenfalls dem reverse consensus-Prinzip.
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Grundsätzlich dürfen sie nur im betreffenden Sektor, also innerhalb eines Abkommens, verhängt werden, wobei als ultima ratio die Anwendung solcher Auch kompensatorische Maßnahmen Maßnahmen auch Verpflichtungen aus anderen Abkommen sind möglich. betreffen kann (cross retaliation, Art 22.3 DSU). So wurde Ecuador erlaubt, als Sanktionsmaßnahme gegen den fortgesetzten Verstoß gegen WTO-Recht der Bananenmarktordnung unter anderem Urheberrechte an Tonträgern auszusetzen, also beispielsweise „CD-Raubkopien“ für den eigenen Markt zu gestatten. Im Großen und Ganzen kann dieses Streitbeilegungssystem als effektiv bezeichnet werden. Bis Mitte August 2008 hat es (seit 1995) beinahe 400 Fälle gegeben, in denen eine Streitschlichtung unter Inanspruchnahme des Streitbeilegungssystems versucht wurde bzw wird. In (nur) circa 130 Fällen kam es allerdings tatsächlich zu einem Panel-Verfahren; andere Fälle wurden vorher beigelegt, nicht weiter verfolgt oder befinden sich nach wie vor in der Konsultationsphase. In einigen Aufsehen erregenden Fällen (zB Bananenstreit; Hormonstreit) haben es die Streitparteien allerdings über Jahre hinweg vorgezogen, Sanktionsmaßnahmen (Strafzölle) hinzunehmen, anstatt die Rechtswidrigkeit zu beseitigen. Bisweilen wird solches Verhalten mit der – rechtlich kaum haltbaren, aber etwa auch vom EuGH gebilligten – Behauptung gerechtfertigt, das WTO-Recht eröffne die Alternative, entweder die Regeln der Abkommen zu beachten oder Kompensationen zu zahlen bzw Sanktionen in Kauf zu nehmen.
VII. WTO und EG Die EG nimmt in gewisser Weise eine Sonderstellung in der WTO ein, die in ihrer Besonderheit als supranationale Organisation begründet ist (allgemeiner zum Außenwirtschaftsrecht der EG siehe LE 5). Konkret stellen sich zwei Fragen: Wie sind die Kompetenzen im Hinblick auf die WTO zwischen der EG und ihren Mitgliedern verteilt? Kommt den Bestimmungen des Welthandelsrechts unmittelbare Gemeinschaftsrecht zu, und, wenn ja, in welchem Ausmaß?
A.
Wirkung
im
Kompetenzverteilung zwischen der EG und ihren Mitgliedern
Ursprünglich waren, da der GATT-Vertrag rund zehn Jahre vor den Römer Verträgen unterzeichnet wurde, lediglich die einzelnen Mitglieder der EWG auch Mitglieder des GATT 1947. Die EWG-Mitgliedstaaten haben auf der Grundlage des GATT eine Zollunion gegründet, was nach Art XXIV GATT zulässig war (siehe IV.E.2.b). Darüber hinaus haben die einzelnen Mitgliedstaaten der EWG die ausschließliche Außenhandelskompetenz für Waren übertragen, die auch den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen zur Regelung der Handelsbeziehungen beinhaltet (vgl Art 133 EGV). Dies veranlasste den EuGH zu der Folgerung, dass die EWG in die Position der Mitgliedstaaten des GATT gerückt und somit auch an die Vorschriften des GATT gebunden sei. Aus formaler Sicht des GATT betrachtet fehlte der EWG (später der EG) allerdings der Mitgliedstatus. In Hinblick auf das GATT 1947 war jedoch die Kompetenzverteilung zwischen der EWG (EG) und ihren Mitgliedstaaten hinreichend klar.
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Welthandelsrecht
LE 6
Im Zusammenhang mit dem Abschluss der Uruguay-Runde wurde der EuGH in Anbetracht der Ausweitung des Regelungsgegenstands auf Dienstleistungen und geistiges Eigentum durch GATS und TRIPS von der Europäischen Kommission mit der Erstellung eines Gutachtens zur Klärung der Kompetenzfrage befasst. In dem ausführlichen Gutachten kam der EuGH zu dem Schluss, dass man Regelungen über den Handel mit Dienstleistungen grundsätzlich nicht unter Art 133 EGV subsumieren könne; es sei vielmehr nach der Art und Weise der Dienstleistungserbringung zu unterscheiden. Konkret fällt nur der Modus 1, also cross border-Dienstleistungen, unter Art 133 EGV. Bezüglich des TRIPS hat der EuGH festgestellt, dass es sich – abgesehen von einigen geringen Ausnahmen – um keine vorrangig auf die Regulierung des internationalen Handels gerichteten Regelungen handelt und schloss daher die Anwendung von Art 133 EGV aus (vgl dazu auch LE 5, II.A.1). Bsp: Dienstleistungen, die grenzüberschreitend erbracht werden, ohne dass damit der Grenzübertritt von Dienstleistungserbringer oder -empfänger oder eine entsprechende dauerhafte geschäftliche Niederlassung in einem anderen Staat verbunden ist, fallen unter die Gemeinsame Handelspolitik nach Art 133 EGV (sog Korrespondenzdienstleistungen). Aktive und passive Dienstleistungen fallen damit ebenso wie die Errichtung von Niederlassungen nicht unter die ausschließliche Kompetenz gemäß Art 133 EGV, obwohl all das auch Gegenstand des GATS ist. Wegen dieser geteilten Kompetenzlage wurden sowohl die Gemeinschaft als auch die einzelnen Mitgliedstaaten Mitglieder der WTO. Daraus folgt, dass die Verantwortung für die Umsetzung und Einhaltung der WTO-Pflichten geteilt ist: Hinsichtlich des Warenverkehrs liegt sie bei der EG, hinsichtlich Dienstleistungen und geistigem Eigentum bei den Mitgliedstaaten. Ferner sind bei Beschlüssen innerhalb der WTO je nach Sachzusammenhang entweder die EG oder die Mitgliedstaaten stimmberechtigt, wobei gegebenenfalls die EG die Zahl der Stimmen der Mitgliedstaaten führt. In der Praxis führt dies zu großen Schwierigkeiten (siehe zur Kompetenzverteilung auch LE 5, II.A.1). Deshalb wurde mit dem Vertrag von Nizza Art 133 EGV auch auf die Bereiche Handel mit Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums ausgeweitet. Allerdings wurde diesbezüglich nur eine konkurrierende, keine ausschließliche Kompetenz geschaffen. Zahlreiche Ausnahmen machen diese Regelung zudem sehr kompliziert.
B.
Unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts
Die Frage, ob dem WTO-Recht (früher dem GATT 1947) unmittelbare Wirkung im Gemeinschaftsrecht zukommt, wird seit über 30 Jahren heftig diskutiert. Vorwiegend geht es darum, ob Gemeinschaftsrechtsakte wegen Unvereinbarkeit mit dem WTO-Recht rechtswidrig sein können, und ob sich der Einzelne oder aber auch Mitgliedstaaten vor nationalen Gerichten oder dem EuGH darauf berufen können. Der EuGH verneint beide Fragen in ständiger Rechtsprechung. Im Ergebnis bedeutet dies, dass WTO-Recht in der EU gerichtlich nicht durchsetzbar ist. Anders ist das nur, sofern der „Gemeinschaftsgesetzgeber“ durch die Erlassung von Sekundärrecht (Richtlinien oder Verordnungen) eine WTO-konforme Rechtslage geschaffen hat, beziehungsweise soweit bestehendes Gemeinschaftsrecht einer WTO-konformen Auslegung zugänglich ist. Ein Druck zur Rechtsanpassung geht allerdings vom Streitbeilegungsverfahren aus. Dieses kann derzeit aber nur von den Mitgliedstaaten der WTO, nicht von einzelnen Personen angestrengt werden.
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Im Zuge diverser „Bananen-Streitigkeiten“ war auch der EuGH mit der Frage konfrontiert, ob das GATT und das GATS in der EG unmittelbare Wirkung besitzen. Er entschied aber, dass die Abkommen zwar Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, nicht aber unmittelbar anwendbar seien. Somit obliegt innerhalb der EU die WTO-konforme Ausgestaltung des europäischen Sekundärrechts ausschließlich den Legislativorganen, somit insbesondere dem Rat der Europäischen Union (gemeinsam mit dem Europäischen Parlament). Auf WTO-Ebene kann nur ein betroffener Mitgliedstaat der WTO – im Eingangsbeispiel wäre das Ecuador – rechtlich gegen diese Maßnahme vorgehen, nicht aber eine individuell betroffene Person. Hätte der EuGH entschieden, dass das WTO-Recht innerhalb der EG unmittelbare Wirkung besitzt (vergleichbar etwa mit der ausnahmsweisen unmittelbaren Anwendbarkeit von nicht rechtzeitig bzw ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinien), so hätten Sie sich als Bananenimporteur aus dem Eingangsfall auf das WTO-Recht berufen können. Möglicherweise hätten Sie aus der WTO-Rechtswidrigkeit der Bananenverordnung sogar einen Schadenersatzanspruch gegenüber der EG (wegen der verlorenen Marktanteile) erlangt. Die Geltendmachung eines solchen Schadenersatzanspruchs hätte freilich den Nachweis erfordert, dass die Schädigung Ihres Unternehmens eine unmittelbare Folge der rechtswidrigen Verordnung gewesen wäre.
VIII. Weiterführende Literatur Breuss/Griller/Vranes, The Banana Dispute, 2003 Griller (Hrsg), External Economic Relations and Foreign Policy in the EU, 2002 Griller (Hrsg), International Economic Governance and Non-Economic Concerns, 2003 Griller, Europarechtliche Grundfragen der Mitgliedschaft in der WTO, in Köck/Lengauer/Ress (Hrsg), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung, Festschrift für Peter Fischer, 2004, S 53 Griller/Hummer, Die EU nach Nizza Ergebnisse und Perspektiven, 2002 Herrmann, Grundzüge der Welthandelsordnung, ZEuS 2001, S 453 Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, 2. Auflage 2007 Hilf/Schorkopf (Hrsg), WTO-Recht, Textsammlung, 2. Auflage 2003 Lowenfeld, International Economic Law, 2. Auflage 2008 Müller-Graff, Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 2000 Reinisch, Das WTO-Streitbeilegungssystem, ecolex 2000, S 836 Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, 2002
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XI. Wiederholungsfragen
Was ist das Ziel der WTO? Wann wurde die WTO gegründet? Wofür steht die Abkürzung GATT? Wofür steht die Abkürzung GATS? Wofür steht die Abkürzung TRIPS? Welche Organe besitzt die WTO und welche Kompetenzen haben diese? Wie werden im Rahmen der WTO Entscheidungen getroffen? Skizzieren Sie den Unterschied zwischen einer Zollunion und einer Freihandelszone! Worin liegt die Besonderheit im Verhältnis WTO – EG? Was sind die Ziele des GATT und durch welche Maßnahmen versucht man sie zu erreichen? Was versteht man unter dem Kontingentierungsverbot? Was versteht man unter Meistbegünstigung? Welche Regeln des Diskriminierungsschutzes kennen Sie? Wofür braucht man Herkunftsregeln? Welche Ausnahmebestimmungen sieht Art XX GATT vor? Was gestattet das Antisubventionsrecht? Was gestattet das Antidumpingrecht? Worin besteht der Unterschied zwischen gebundenen und ungebundenen Dienstleistungsbereichen? Welche Ausnahmen sind im Rahmen des GATS vorgesehen? Warum ist der Schutz des geistigen Eigentums wichtig? Wann ist das TRIPS anwendbar? Was ist in Art 9 bis 40 TRIPS geregelt? Was besagt das Prinzip des reverse consensus? Wie setzt sich der DSB zusammen? Erläutern Sie das Vorverfahren nach dem DSU! Welche Aufgabe haben die Panels? Wie läuft das Berufungsverfahren ab? Wer überwacht die Umsetzung der Empfehlungen und Entscheidungen? Welche Maßnahmen können die Empfehlungen und Entscheidungen enthalten?
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Außenwirtschaftsrecht der EU
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Lektion 7
AUSSENWIRTSCHAFTSRECHT DER EU
Fahrräder & Co Die Spielwaren- und Kinderfahrradkette „Mortalli- & Mausimarkt“ mit Sitz in Italien hat vier Niederlassungen in der Europäischen Union (Österreich, Frankreich, Deutschland und Schweden) und eine weitere in der Türkei. Das Geschäft mit den Kinderfahrrädern, die selbst erzeugt werden, läuft hervorragend, denn das neue Modell „Rosa Mausi“ hat den europäischen Markt erobert und verkauft sich fast von selbst. Auch die anderen europäischen Fahrradhersteller können über ihre Umsätze nicht klagen. Nach wenigen Monaten hat sich ein Anbieter von Kinder- und Erwachsenenfahrrädern sowie Spielwaren aus China in der Europäischen Union und in der Türkei etabliert, der seine Ware in ähnlicher Aufmachung um einiges billiger anbietet. Dies ist dem Eigentümer der „Mortalli- & Mausimarkt“-Kette, Luigi Mortalli, ein Dorn im Auge, da seine Umsätze in allen europäischen Ländern, nicht jedoch in der Türkei rückläufig sind. Die europäischen Fahrradhersteller beklagen ebenfalls die missliche Lage und fühlen sich durch diese Billigfahrräder in ihrer Existenz bedroht. Von einem guten Freund bekommt Luigi Mortalli die Information, dass die Preise der Fahrräder bzw der Fertigungsteile in China weder durch niedrigere Kosten noch durch höhere Produktivität so niedrig gehalten werden. Dies bestätigt sich auch dadurch, dass die Ausfuhrpreise aus China in die Türkei, wo sich ebenfalls eine Niederlassung Mortallis befindet, nicht so niedrig sind wie jene in die Europäische Union. Nach Beratung der europäischen Fahrradhersteller steht fest, dass dagegen – am besten auf europäischer Ebene – schnell etwas unternommen werden muss, da manche Fahrradhersteller schon ihr Produktionsvolumen erheblich einschränken mussten und eine weitere Schädigung droht. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Was versteht man unter Außenwirtschaftsrecht? Welche Kompetenzen haben die Europäischen Gemeinschaften im Außenwirtschaftsrecht? Was ist die Gemeinsame Handelspolitik und welche handelspolitischen Instrumente gibt es? Welche wirtschaftlichen Aspekte hat die GASP?
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Inhalt: I. A. B. C. II. A. 1. 2. B. III. IV. A. B. 1. 2. a. b. 3. 4. a. b. c. 5. C. 1. 2. 3. a. b. V. VI. VII. VIII.
Einleitung ................................................................................................................... 157 Begriff des Außenwirtschaftsrechts ............................................................................. 157 Die EU in der Weltwirtschaft – GHP und GASP .......................................................... 157 (Völker-)Rechtssubjektivität der EG und EU?.............................................................. 158 Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EG .................. 158 Ausschließliche Kompetenzen der EG ........................................................................ 159 Explizite ausschließliche Kompetenzen ...................................................................... 159 Implizite ausschließliche Kompetenzen ....................................................................... 160 Konkurrierende Kompetenzen ..................................................................................... 160 Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ...................................... 161 Die Gemeinsame Handelspolitik (GHP) ................................................................... 162 Autonome und konventionelle Maßnahmen ................................................................ 162 Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik ............................................................ 163 Das Zollrecht ............................................................................................................... 163 Mengenmäßige Beschränkungen (Quoten)................................................................. 164 Einfuhrbeschränkungen ............................................................................................... 164 Ausfuhrbeschränkungen .............................................................................................. 165 Mengengleiche (Import-)Beschränkungen .................................................................. 165 Handelspolitische Schutz- und Abwehrmaßnahmen ................................................... 166 Antidumpingrecht ......................................................................................................... 166 Antisubventionsrecht ................................................................................................... 168 Trade Barriers Regulation ........................................................................................... 169 Ausfuhrbeihilfen ........................................................................................................... 170 Verfahrensregeln für den Abschluss von Abkommen.................................................. 170 Verfahren ..................................................................................................................... 170 Wirkung von Verträgen ................................................................................................ 171 Arten von Verträgen .................................................................................................... 171 Handelsabkommen nach Art 133 EGV ........................................................................ 171 Assoziierungsabkommen nach Art 310 EGV .............................................................. 171 Binnenmarkt und Drittstaaten am Beispiel von Finanzdienstleistungen ............. 172 Weiterführende Literatur ........................................................................................... 173 Links ........................................................................................................................... 173 Wiederholungsfragen ................................................................................................ 174
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I. A.
Außenwirtschaftsrecht der EU
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Einleitung Begriff des Außenwirtschaftsrechts
Wirtschaftsrecht kann als der für wirtschaftliche Tätigkeiten besonders bedeutsame Teil der Rechtsordnung definiert werden. Einen Ausschnitt daraus bildet das Außenwirtschaftsrecht. Es regelt die wirtschaftlichen Beziehungen der EU/EG zu Drittländern. Hierbei sind die grenzüberschreitenden Beziehungen in Hinblick auf den Waren-, Außenwirtschaftsrecht der EU: regelt Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr besonders wirtschaftliche Beziehungen der EU/EG bedeutsam. Davon abgesehen lässt sich dieses Rechtsgebiet zu Drittländern nach der allgemeinen Einteilung des Wirtschaftsrechts in Ordnungs-, Lenkungs-, Aufsichtsrecht (vgl näher EÖR I, LE 9) oder nach spezifischen sachlichen Problembereichen (zB: tarifäre Beschränkungen, nicht-tarifäre = mengenmäßige bzw mengengleiche Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Wettbewerbsregeln – Kartelle, Subventionen, Dumping) gliedern. In einem weiteren Sinn kann man auch jenen Teil des Wirtschaftsrechts zum Außenwirtschaftsrecht zählen, der grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Vorgänge regelt. Bezogen auf die Mitgliedstaaten handelt es sich auch hier um Außenwirtschaftsrecht. Wir ziehen es jedoch vor, in diesem Fall von Binnenmarktrecht zu sprechen.
B.
Die EU in der Weltwirtschaft – GHP und GASP
Gegenstand der Gemeinsamen Handelspolitik (GHP) als einer der Politikbereiche der EG ist der Handel mit Drittstaaten. Die Handelspolitik ist ein komplexer Bereich der Wirtschaftspolitik, in dem es um Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität geht (vgl Art 2 EGV). Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten der EU wurde bereits in der Stammfassung des EGV (heute Titel IX des EGV) als Zollunion geregelt, in der GHP: Handel mit Drittstaaten einerseits Waren frei zirkulieren können, und andererseits ein (Bestandteil der 1. Säule der EU – gemeinsamer Außenzoll auf Einfuhren aus Drittländern erhoben supranational) wird. Durch die starke Zunahme des internationalen Handels seit Gründung der EU wurde die GHP zu einem der wichtigsten Politikbereiche der EG. Die EU ist heute weltweit die größte Handelsgemeinschaft. Auf sie entfällt in etwa ein Fünftel des gesamten Welthandels – mehr als auf ihre wichtigsten Partner bzw Konkurrenten, die USA und Asien. Der Handel findet vor allem zwischen der EU und den USA, der Schweiz, China und Japan statt. Die Exportzahlen halten sich die Waage mit den Importzahlen aus diesen Ländern. Importe aus Drittländern sind zum größten Teil Nahrungsmittel, Rohstoffe, Energie, chemische Erzeugnisse, Maschinen und Fahrzeuge. Mit einem Anteil von etwa 60% am gesamten Handelsvolumen der EU ist allerdings der Binnenhandel (also der Handel der Mitgliedstaaten der EU untereinander) immer noch wichtiger als der Außenhandel mit Drittstaaten. Die Handelspolitik umfasst mehr als den Warenverkehr (Öffnung von Märkten und deren Regulierung, Abbau von Zollschranken). Im weiten Sinne verfolgt sie das Ziel, die wirtschaftlichen und politischen Interessen der EU in der Welt zu fördern, und betrifft auch Dienstleistungen, Investitionen und den Schutz des geistigen Eigentums. Ebenso haben Umweltschutzbestimmungen und Gesundheitsnormen eine handelspolitische Komponente.
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Außenwirtschaftsrecht der EU
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Mit der „Vergemeinschaftung“ der Handelspolitik sollte die EG in die Lage versetzt werden, sowohl einheitlich auf dem Weltmarkt aufzutreten als auch innerHandelspolitik umfasst nicht nur den halb der Gemeinschaft diese Politik umzusetzen. Dabei bezweckt klassischen Warenverkehr und den Abbau von Zollschranken, sondern auch die GHP nicht ein protektionistisches Absichern des BinnenmarkDienstleistungen, Investitionen und den tes nach außen – im Sinne der von Drittstaaten häufig befürchteSchutz des geistigen Eigentums ten „Festung Europa“ (Stichwort: Zollunion, Binnenmarkt und Währungsunion) –, sondern ein grundsätzlich liberales Verhalten auf dem Weltmarkt (Art 131 EGV). Bsp: Zollpräferenzen für Entwicklungsländer (General System of Preferences, dazu mehr später), Entwicklungszusammenarbeit. Gegenstand der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EG (GASP) ist die internationale Zusammenarbeit mit Drittländern, humanitäre Hilfe und Beziehungen der EU zu internationalen Organisationen. Die GASP ist die intergouvernementale 2. Säule der EU (vgl EÖR I, LE 5). Politische und wirtschaftliche Aspekte lassen sich nur Ergänzung der GHP durch die GASP: 2. schwer trennen, daher gibt es immer wieder Überschneidungen Säule der EU - intergouvernemental und Konflikte zwischen der supranationalen GHP und der intergouvernementalen GASP. Diese mangelnde Einheitlichkeit und Koordinierung des Auftretens der EU in der Weltpolitik steht insofern nicht im Einklang mit der großen wirtschaftlichen Bedeutung der EU in der Welt und wird vielerorts heftig kritisiert.
C.
(Völker-)Rechtssubjektivität der EG und EU?
Die Frage nach der Rechtspersönlichkeit der EU stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Fähigkeit, völkerrechtliche Abkommen zu schließen oder internationalen Organisationen beizutreten. Wie bereits in EÖR I, LE 5, II, dargestellt, besteht die Europäische Union aus der supranationalen ersten Säule (EG, EAG) und den beiden intergouvernementalen Säulen GASP und PJZ. Die Rechtspersönlichkeit der Gemeinschaften der ersten Säule stand schon immer außer Streit; für die EG wird sie ausdrücklich in Art 281f EGV normiert. Die Rechtspersönlichkeit der EU war lange Zeit umstritten. Vor allem war kontrovers, ob die EG, EU: Rechtspersönlichkeit im EUV vorgesehene Vertragsabschlussbefugnis (Art 24 EUV) der EU die Möglichkeit eröffnet, selbst internationale Verträge abzuschließen, oder ob solche Verträge nur von den Mitgliedstaaten abgeschlossen werden dürfen. Inzwischen ist die Rechtspersönlichkeit auch der EU anerkannt und sie ist bereits mehreren internationalen Abkommen beigetreten. Der Vertrag von Lissabon würde die Rechtspersönlichkeit der EU ausdrücklich festschreiben.
II.
Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EG
Die Gemeinschaft hat keine generelle Befugnis zum Erlass von Maßnahmen, sondern Einzelbefugnisse mit unterschiedlichem Umfang (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, vgl dazu EÖR I, LE 5 V.). Sie darf also nur dann handeln, wenn ihr von den Mitgliedstaaten Zuständigkeiten übertragen wurden. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten ist gerade auf dem Gebiet des Außenwirtschaftsrechts komplex und umstritten.
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Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen •
ausschließlichen Kompetenzen der EG (=> nur die EG darf handeln);
•
konkurrierenden Kompetenzen (=> die Mitgliedstaaten dürfen handeln, solange die EG nicht handelt);
•
expliziten Kompetenzen (=> die Zuständigkeiten sind im EGV festgeschrieben);
•
impliziten Kompetenzen (=> diese ergeben sich nicht ausdrücklich aus dem EGV, sind aber durch sorgfältige Interpretation erschließbar);
•
internen Kompetenzen der EG (=> Befugnis zum Erlass von Rechtsakten im Verhältnis der EG zu den Mitgliedstaaten) und
•
externen Kompetenzen der EG (=> Befugnis zum Abschluss von internationalen Verträgen und zur Erlassung einseitiger Maßnahmen gegenüber Dritten).
Im Folgenden geht es nur um die Grundzüge der Kompetenzverteilung:
A.
Ausschließliche Kompetenzen der EG
Die Gemeinschaft besitzt ausschließliche Kompetenzen, wenn ihr die Mitgliedstaaten diese so übertragen haben, dass sie gar nicht mehr tätig werden dürfen, bzw. nur noch nach Maßgabe EG-rechtlicher Vorschriften. Dabei ist es irrelevant, ob die Gemeinschaft die ihr obliegende Zuständigkeit auch tatsächlich ausgeübt hat.
1.
Explizite ausschließliche Kompetenzen
Explizite ausschließliche Kompetenzen sind solche, die der EGV ausdrücklich der EG zur ausschließlichen Wahrnehmung überträgt. Die in der Praxis Explizite ausschließliche Kompetenz: bedeutsamste ausschließliche (interne und externe) Kompetenz Alleinzuständigkeit der EG kraft Art 133 EGV ist die GHP (Art 133 EGV). Außenwirtschaftlich bedeutsame explizite ausschließliche Gemeinschaftskompetenzen bestehen weiters auf dem Gebiet der Währungsunion (siehe LE 5) sowie der Fischereipolitik. Die GHP gibt der EG insbesondere die Kompetenz für •
die Festsetzung von Zöllen;
•
mengenmäßige Beschränkungen;
•
Antidumpingmaßnahmen;
•
Antisubventionsmaßnahmen;
•
Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken;
•
Exportförderung;
•
Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen.
Der EGV gibt der EG somit zwar eine ausschließliche externe Kompetenz für den Abschluss von Handelsabkommen, der genaue Umfang dieser Kompetenz ist jedoch problematisch. Das bedeutendste Handelsabkommen ist das WTO-Abkommen. Grundsätzlich wäre somit die EG zuständig für Verhandlung und Abschluss dieses Abkommens. Aus dem EGV hat sich jedoch lange Zeit nicht klar ergeben, ob alle im Rahmen der WTO geregelten Sachbereiche auch von der GHP erfasst sind. Erst der EuGH präzisierte in einem Gutachten, welche Rechtsgebiete in den Anwendungsbereich des Art 133 EGV und damit in die Gemeinschaftskompetenz fallen. Der EuGH bejahte dies vor allem für den Warenhandel und die grenzüber-
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Außenwirtschaftsrecht der EU
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schreitende Erbringung von Dienstleistungen (Bsp: Abschluss und Abwicklung eines Kreditvertrages, eines Versicherungsvertrages oder einer anwaltlichen Beratungsleistung im Korrespondenzweg, vgl dazu EÖR I, LE 7 VI; EÖR II, LE 9). Abkommen über alle anderen Bereiche wie den sog. aktiven und passiven Dienstleistungsverkehr (Bsp: Kreditaufnahme im Ausland) konnten bzw. mussten weiterhin von den Mitgliedstaaten geschlossen werden. Da die WTO-Abkommen alle diese Bereiche regeln, wurden sie von der EG und den Mitgliedstaaten gemeinsam abgeschlossen („gemischtes Abkommen“) (siehe auch EÖR II, LE 9, VIII.A.). In der Zwischenzeit wurde durch den Vertrag von Nizza in Art 133 EGV eine konkurrierende Zuständigkeit für Dienstleistungen und geistiges Eigentum eingefügt (siehe unten B.). Auch diese Kompetenz deckt allerdings immer noch nicht das gesamte Gebiet des WTO-Rechts ab. Dies würde sich durch den Lissabon Vertrag zu Gunsten der EG verändern.
2.
Implizite ausschließliche Kompetenzen
Implizite ausschließliche Kompetenzen sind ausschließliche Zuständigkeiten der Gemeinschaft, die nicht ausdrücklich im Vertrag festgelegt sind. Sie können nach der Rechtsprechung des EuGH auf der Grundlage von internen Rechtsangleichungskompetenzen wie zB in den Politikbereichen •
Dienstleistungen (Art 52 EGV);
•
Verkehr (Art 71);
•
allgemeine Rechtsangleichung (Art 95 EGV) und
•
Umweltschutz (Art 175 EGV)
entstehen. Erlässt die Gemeinschaft auf Basis einer dieser Rechtsgrundlagen eine Richtlinie oder Verordnung, dürfen die Mitgliedstaaten keine Pflichten durch den Implizite (nicht ausdrücklich im Vertrag Abschluss internationaler Verträge mehr eingehen, die diese Gefestgelegte) ausschließliche Gemeinschaftskompetenzen gibt es Gemeinschaftsrechtsnormen beeinträchtigen oder in ihrer insbesondere soweit Sekundärrecht der weite ändern würden. Eine ausschließliche externe EG besteht schaftskompetenz entsteht somit, sofern und soweit auf einem Gebiet bereits EG-Sekundärrecht erlassen wurde (vgl als Bsp EÖR II, LE 12, III.B.2.). Nur ganz ausnahmsweise verschafft eine noch nicht ausgenützte, interne Kompetenz der Gemeinschaft zugleich eine ausschließliche externe Zuständigkeit. Dies ist dann der Fall, wenn der mit einer internen Kompetenz verbundene Regelungszweck nur unter Einbeziehung von Drittländern erreicht werden kann. Die Beteiligung der Gemeinschaft an einer völkerrechtlichen Vereinbarung muss daher notwendig sein, um eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen. Auch in diesem Fall ist die Zuständigkeit der EG für den Abschluss internationaler Verträge ausschließlich. Bsp: Die Vermeidung der Wasserverschmutzung auf Meeren oder in internationalen Flüssen; Sanierungsmaßnahmen für die Binnenschifffahrt auf einem Fluss wie dem Rhein unter Beteiligung der Schweiz.
B.
Konkurrierende Kompetenzen
Der häufigste Fall sind konkurrierende/ergänzende Kompetenzen. Bei diesen dürfen die Mitgliedstaaten so lange auf einem Gebiet selbstständig agieren, bis die EG Sekundärrecht er-
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Außenwirtschaftsrecht der EU
lässt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten nicht mehr dig tätig werden, sondern müssen das Gemeinschaftsrecht durchführen. Die Gemeinschaft muss bei der Setzung von Rechtsakten allerdings das Subsidiaritätsprinzip (Art 5 EGV) beachten (vgl EÖR I, LE 5, V).
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Konkurrierende oder ergänzende externe Gemeinschaftskompetenzen im Bereich Umwelt, Verkehr, Forschung, Entwicklungszusammenarbeit, Zusammenarbeit mit Drittländern
Es besteht eine Reihe von Rechtsgrundlagen, die explizite konkurrierende bzw ergänzende Kompetenzen der Gemeinschaft zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge vorsehen, bspw •
Umwelt (Art 174 Abs 4 EGV);
•
Forschung und technologische Entwicklung (Art 170 EGV);
•
Entwicklungszusammenarbeit (Art 181 EGV) sowie
•
wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittländern (Art 181a EGV).
Durch den Vertrag von Nizza wurde in Art 133 Abs 5-7 EGV eine konkurrierende Kompetenz für den Abschluss von Abkommen auf dem Gebiet der •
Dienstleistungen und des
•
geistigen Eigentums
geschaffen. Im Einzelnen ist diese Neuregelung sehr komplex und unübersichtlich. Durch die vielen Rückausnahmen ist ein einheitliches Auftreten der EG in der WTO beim Abschluss neuer Abkommen immer noch nicht sichergestellt. Der Europäische Verfassungsvertrag hätte die Kompetenzverteilung zwischen EG und den Mitgliedstaaten im Bereich des WTO-Rechts wesentlich vereinfacht.
III.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Wie bereits erwähnt wurde, lassen sich die GASP (2. Säule der EU) und die GHP (1. Säule der EU) oft nicht präzise voneinander trennen. Handelspoliti- Handelspolitische Maßnahmen im sche Maßnahmen, vor allem mengenmäßige oder wertmäßige Rahmen der GHP haben bisweilen auch Beschränkungen von Exporten oder Importen, verfolgen biswei- außen- und sicherheitspolitischen Charakter len auch außen- oder sicherheitspolitische Motive: Sie können von Sanktionsmaßnahmen über die Verhinderung der Verbreitung gefährlicher Kampfstoffe bis zur Reaktion auf handelspolitische Beschränkungen durch Drittstaaten reichen. Einerseits bestehen Zuständigkeiten in der ersten Säule (EG), andererseits auch solche in der zweiten Säule (GASP). Grundsätzlich besteht ein Vorrang der ersten Säule, und zwar im doppelten Sinn: Die Zuständigkeit zB zur Beschränkung des Handels mit KriegsmateriGrundsätzlich besteht Vorrang der 1. al im Rahmen der GHP wird nicht dadurch beschränkt oder ge- Säule (GHP), der Verhängung von schmälert, dass dies zugleich ein außenpolitisch heikles Feld Handelsembargos muss aber eine Beschlussfassung in der GASP ist. Außerdem müssen Maßnahmen der GASP kohärent mit vorangehen jenen der EG sein und den gemeinschaftlichen Besitzstand („acquis communautaire“) respektieren (Art 3 und 47 EUV). Im Falle von Wirtschaftssanktionen (Embargos) gilt jedoch explizit das umgekehrte Verhältnis. Diese dürfen durch die EG nur nach vorheriger Beschlussfassung in der GASP verhängt werden (Art 301 und 60 EGV). In dringenden Fällen bei „Vorliegen schwerwiegender politi-
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scher Umstände“ können Mitgliedstaaten ausnahmsweise auch einseitig Maßnahmen erlassen. Bsp: Strittig war dies hinsichtlich einer britischen Maßnahme im Zuge eines Handelsembargos gegen Serbien und Montenegro, das sich auf Resolutionen des UNSicherheitsrates stützte (Centro-Com, 1992 und 1993). Diese UN-Resolutionen wurden durch eine EG-Verordnung umgesetzt. In der VO war unter anderem eine Ausnahme vom Embargo für die Ausfuhr von ausschließlich für medizinische Zwecke bestimmten Erzeugnissen und für Lebensmittel vorgesehen. Um unter die Ausnahme zu fallen, war eine Ausfuhrgenehmigung von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates erforderlich. Zunächst gestattete die Bank of England die Bezahlung solcher Lieferungen auch dann, wenn sie von anderen Mitgliedstaaten (hier: Italien) genehmigt und von dort aus durchgeführt wurden. Auf Grund von Berichten über Umgehungen der geltenden Regelungen wurden Belastungen serbischer und montenegrinischer Konten bei britischen Banken zur Bezahlung von erlaubten Medikamenten- und Lebensmittellieferungen jedoch nur noch dann gestattet, wenn die Waren auch aus dem Vereinigten Königreich ausgeführt wurden. Gegen das Argument der Unabhängigkeit der nationalen Außenund Sicherheitspolitik, welches Großbritannien zur Verteidigung dieser Beschränkung geltend machte, wandte der EuGH ein, die Mitgliedstaaten müssten die ihnen vorbehaltenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben. „... So können sie nationale Maßnahmen, die die Verhinderung oder Beschränkung der Ausfuhr bestimmter Güter bewirken, dem Bereich der gemeinsamen Handelspolitik nicht mit der Begründung entziehen, dass mit ihnen außen- oder sicherheitspolitische Zwecke verfolgt würden ...“ (Rs C-124/95, CentroCom, Slg 1997, I-80, Rz 26).
IV.
Die Gemeinsame Handelspolitik (GHP)
A.
Autonome und konventionelle Maßnahmen
Wie erwähnt ist die in der Praxis bedeutsamste Außenkompetenz der Gemeinschaft die GHP (Art 131-134 EGV). Ihre einheitliche Gestaltung stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des Binnenmarktes dar. Als autonomes Außenwirtschaftsrecht im Rahmen der GHP bezeichnet man einseitige Maßnahmen der Gemeinschaft, die auf Grundlage und mittels (interner) gemeinschaftsrechtlicher Regelungen gesetzt werden, dh diese handelspolitischen MaßAutonomes Außenwirtschaftsrecht: einseitig erlassene handelspolitische nahmen werden von der Gemeinschaft durch VO, RL oder EntMaßnahmen aufgrund interner scheidung getroffen. Der Rat der Europäischen Union kann so auf gemeinschaftsrechtlicher Regelungen Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit Handelsmaßnahmen wie Ein- und Ausfuhrregelungen, Antidumpingregelungen etc beschließen. Die EG muss allerdings bei ihren einseitigen (Schutz- oder Subventions-) Maßnahmen auch vertragliche Bindungen, vor allem in der WTO, beachten. Die GHP wird auch völkerrechtlich durch Verträge mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen gestaltet, sog „vertragliche“ oder Konventionelle Maßnahmen: mittels völkerrechtlichem Vertrag gesetzte konventionelle Maßnahmen der EG. Die Gemeinschaftszuständighandelspolitische Maßnahmen der EG keit wird in Art 133 EGV begründet, das nähere Verfahren des Vertragsabschlusses durch Art 300 EGV als lex generalis bestimmt (dazu näher unten).
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Bsp: Verpflichtung der EG zur Einhebung eines vertraglichen Zollsatzes aufgrund des GATT, des EWR oder der Europa-Abkommen.
B.
Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik
Als Instrumente der GHP finden sich das Zollrecht, mengenmäßige Beschränkungen, mengengleiche Beschränkungen und handelspolitische Schutz- und Abwehrmaßnahmen. Daneben gibt es noch Ausfuhrbeihilfen und Schutzklauseln zugunsten der Mitgliedstaaten.
1.
Das Zollrecht
Der Gemeinsame Außenzoll als wichtigstes Instrument der Gemeinsamen Handelspolitik bewirkt einen einheitlichen Schutz aller Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern durch die Belastung von Drittlandswaren mit Zöllen. Da auf die Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten kein Zoll erhoben wird (die EU ist eine Zollunion!), werden Importe aus Mitgliedstaaten damit automatisch günstiger behandelt als Importe aus Drittländern. Gemeinsamer Zolltarif (GZT) ist das Der Zollkodex der Gemeinschaft, der im Jahr 2008 reformiert wichtigste Instrument der GHP wurde (VO 450/2008), enthält unter anderem die Bestimmungen über das Zollgebiet, die Warenursprungsregeln, den Zollwert und das Zollverfahren. Der Gemeinsame Zolltarif (GZT) legt die einzelnen Zölle für die verschiedenen Produktklassen fest. Hierbei ist die sog Kombinierte Nomenklatur (KN; VO 2658/87) anwendbar, die aus vier Spalten (Code-Nummer, Warenbezeichnung, autonome bzw. vertragliche Zollsätze) besteht. Schrittweise wurden alle Waren in die KN „eingereiht“. Bsp (Sektor Geflügelfleisch): „"Brust" im Sinne der Unterpositionen 0207 39 21, 0207 39 41, 0207 39 71, 0207 39 73, 0702 41 41, 0207 42 41, 0207 43 51 und 0207 43 53: Teile von Gefluegel, bestehend aus Brustbein und beidseitigen Rippen, einschließlich anhaftendem Muskelfleisch; (…)“ (VO 3330/94). Zu den wichtigsten Bestimmungen in der europäischen Zollunion zählen die Warenursprungsregeln. Diese legen fest, in welchem Staat eine Ware vollständig gewonnen oder hergestellt wurde. Sie dienen in der EG der Prüfung, welcher Zollsatz angewendet wird, ob bestimmte Importquoten ausgeschöpft wurden, oder ob Antidumpingmaßnahmen anwendbar sind (vgl die ähnlichen Herkunftsregeln im WTO-Recht, EÖR II, LE 9). Für den Warenverkehr innerhalb der EG sind die Ursprungsregelungen nicht von Bedeutung, da in einer Zollunion mit freiem Warenverkehr unterschiedliche Beschränkungen nach dem Ursprungsland von vornherein unzulässig sind. Anders ist dies in den Drittlandsbeziehungen. In diesen kann es länderweise unterschiedliche Regelungen geben, abhängig von den jeweils bestehenden vertraglichen oder einseitigen Beschränkungen in der Einfuhr. Somit behalten die Ursprungsregelungen auch für das EG-Zollrecht ihre Bedeutung. Die verschiedenen Zolltarife der Gemeinschaft sind überwiegend im Rahmen des GATT „gebunden“ und können somit nur aufgrund multilateraler Neuverhandlungen im Rahmen der WTO geändert werden. Die Gemeinschaft hat außerdem ein sog Allgemeines Präferenzsystem (General System of Preferences, GSP) erlassen, durch das Entwicklungsländern einseitige Zollbegünstigungen eingeräumt werden. Diese Bevorzugung von bestimmten Entwicklungsländern ist nur auf Grund einer Ausnahmebestimmung vom Meistbegünstigungsprinzip im GATT-Recht zulässig, der sog Enabling-Clause. Bsp: Die EU differenziert innerhalb ihres Präferenzsystems für Entwicklungsländer zB danach, ob diese bestimmte Menschenrechtsstandards (etwa Verbot der Zwangsarbeit)
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beachten oder nicht. Einige Entwicklungsländer wurden aus dem Grund begünstigt, weil sie den Anbau von Drogen in ihrem Land bekämpfen. Indien, das nicht zu den präferierten Ländern zählt, fühlte sich dadurch benachteiligt. In Durchbrechung des Meistbegünstigungsgrundsatzes besagt die Enabling Clause des GATT zwar, dass Differenzierungen einzelner Staaten mittels Erlassung von Zoll-Präferenzsystemen zulässig sind, nicht aber, dass innerhalb der Präferenzsysteme weitere Differenzierungen und einseitige Begünstigungen erfolgen dürfen. Der Appellate Body der WTO entschied daher im April 2004, dass das EG-System insofern rechtswidrig ist, als die Rechtsgrundlagen für die Aufnahme von Staaten in die Liste der Begünstigten nicht hinreichend präzise sind und der Prozess der Auswahl von begünstigten Ländern nicht transparent genug ist. Außerdem erlaubt die „Enabling Clause“ nur Differenzierungen im Interesse der Entwicklungsländer, eine Bedingung, die bei der Bekämpfung des Drogenanbaus strittig ist, weil das Hauptinteresse – so wird argumentiert – hier auf der Seite der EU liegt. Das neue Präferenzsystem der EU trat am 1. 1. 2006 in Kraft (VO 980/2005) und hob die bisher bestehenden Bevorzugungen wegen der Bekämpfung des Drogenhandels auf. Es enthält aber weiterhin Begünstigungen, die an die Einhaltung bestimmter Standards beim Schutz der Menschenrechte geknüpft sind.
2. Mengenmäßige Beschränkungen (Quoten) Mengenmäßige Beschränkungen in der GHP, so genannte Quoten, können Importe und Exporte betreffen. In der Vergangenheit verhängte die Gemeinschaft Mengenmäßige Beschränkungen: - Einfuhrbeschränkungen auf Grundlage von Art 133 EGV zahlreiche mengenmäßige Im- Ausfuhrbeschränkungen portbeschränkungen gegenüber Drittstaaten, auch gegenüber WTO-Mitgliedstaaten. Das GATT verbietet in Art XI Abs 1 mengenmäßige Beschränkungen; diese Vorschrift ist allerdings Gegenstand zahlreicher Ausnahmen (siehe EÖR II, LE 9, WTO). a. Einfuhrbeschränkungen Im Bereich der gewerblich-industriellen Produkte wurden Anfang 1994 Einfuhrbeschränkungen im normalen Handelsverkehr völlig abgeschafft (vgl VO 3285/94, Embargomaßnahmen sind aber noch möglich). - Überwachungsmaßnahmen für max 1 Jahr - vorläufige Schutzmaßnahmen für max 200 Tage - Schutzmaßnahmen für max 8 Jahre
Verhängt werden können einerseits Überwachungsmaßnahmen, wenn Einfuhrtrends bei einer Ware mit Ursprung in einem Drittland die Produktion in der EU zu schädigen drohen und die Interessen der Gemeinschaft dies erfordern. Die Geltungsdauer einer Überwachungsmaßnahme ist auf ein Jahr beschränkt.
Bsp: Verlangen von Einfuhrdokumenten, Ursprungsnachweis für gemeinschaftlich überwachte Waren. Weiters können Schutzmaßnahmen ergriffen werden, wenn Waren in derart erhöhten Mengen und/oder unter derartigen Bedingungen in die Gemeinschaft eingeführt werden, dass EU-Produzenten eine bedeutende Schädigung entsteht oder zu entstehen droht. Diese Maßnahmen unterliegen einem Überprüfungsverfahren und dürfen in keinem Fall länger als acht Jahre angewendet werden. Daneben gibt es noch vorläufige Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens 200 Tagen, die in kritischen Situationen eingeführt werden können.
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Bsp: Verkürzung der Gültigkeitsdauer von Einfuhrdokumenten, Einführung eines Systems von Einfuhrgenehmigungen, das auch die Festsetzung eines Importkontingents umfassen kann. b.
Ausfuhrbeschränkungen
Ausfuhren aus der Gemeinschaft unterliegen grundsätzlich keinen mengenmäßigen Beschränkungen (VO 2603/69, Ausnahmen bestehen aufgrund von Art 133 EGV und von Spezialbestimmungen). Ausfuhrbeschränkungen können grundsätzlich nur durch die Gemeinschaftsorgane getroffen werden. Sie dienen dazu, einer durch einen Mangel lebenswichtiger Güter bedingten Krisenlage vor- - Ausfuhrgrundverordnung - Radioaktive Abfälle zubeugen oder entgegenzuwirken oder die Erfüllung von durch - Kulturgüter die Gemeinschaft eingegangenen internationalen Verpflichtun- - gefährliche Chemikalien gen, insbesondere auf dem Gebiet des Handels mit Grundstof- - „Foltergüter“ - Dual-Use-Güter fen, zu ermöglichen. Zuständig ist grundsätzlich der Rat der EG. - Embargomaßnahmen In Ausnahmefällen können Mitgliedstaaten selbst vorläufige Beschränkungen einführen. Gemeinschaftsrechtliche Ausfuhrbeschränkungen gibt es für Abfälle (insbesondere radioaktive Abfälle), gefährliche Chemikalien, für Waren, die zum Zwecke der Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder anderweitige unmenschliche Behandlung geeignet sind, sowie für nationale Kulturgüter. Die VO 1334/2000 legt für Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können (Dual-Use-Güter), einschließlich für Software und Technologien eine Ausfuhrkontrolle fest. Die Ausfuhr jener Güter, die in der Liste des Anhanges I der VO aufgezählt sind, ist genehmigungspflichtig (sog Negativliste). Diese Genehmigung gilt in der gesamten Gemeinschaft. Bsp: Bedienungseinrichtungen, besonders konstruiert oder hergerichtet zum Be- und Entladen von Kernbrennstoff in einem Kernreaktor; Strahlenschutzfenster hoher Dichte einer bestimmten Fläche und Dichte; diverse Materialien (Uran, Plutonium) etc. Davon abgesehen räumt die VO den Mitgliedstaaten großen Spielraum ein, länderspezifische Beschränkungen einzuführen bzw beizubehalten, und ist damit ein Beispiel für eine „Vereinheitlichung“ (Art 133 EGV ermächtigt zur Schaffung einer „Gemeinsamen“ Handelspolitik!), die den Namen nicht ganz verdient. Exportbeschränkungen können auch auf Art 301 EGV (betreffend EmbargoSofortmaßnahmen) und Art 60 EGV (betreffend Embargo-Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Zahlungsverkehrs) beruhen und gemeinsame Aktionen der GASP umsetzen. Meistens dienen sie gleichzeitig der Umsetzung von Embargomaßnahmen der Vereinten Nationen, das heißt diese werden in einem ersten Schritt als GASP-Maßnahme und in einem zweiten Schritt als EG-Maßnahme umgesetzt.
3.
Mengengleiche (Import-)Beschränkungen
Die EG-Rechtslage zur Beseitigung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen gegenüber Drittländern ist noch etwas komplexer als jene für innergemeinschaftliche MglW (vgl EÖR I, LE 7). Die Warenverkehrsfreiheit des Art 28 EGV findet auch auf Waren aus Drittländern Anwendung, die sich in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden. Dadurch sind die Mitgliedstaaten daran gehindert, Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Freihandel zu errichten, die sich im Speziellen gegen Waren richten, die ihren Ursprung in Drittländern haben und
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sich in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden. (Auf Waren mit Drittlandsursprung, die noch nie in einem Mitgliedstaat vermarktet wurden, findet Art 28 EGV keine Anwendung). Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen gegen bereits in Verkehr gebrachte Waren müssen daher nach den Gründen des Art 30 EGV bzw der Cassis-de-Dijon-Doktrin gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Solche MglW werden auch durch die gemeinschaftlichen Vorschriften für Einfuhren nicht verboten, allerdings bestehen Beschränkungen des mitgliedstaatlichen Handlungsspielraumes auf Grund internationaler Abkommen der Gemeinschaft. Bsp: EWR, WTO-Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung), autonome Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft. Waren aus Drittländern profitieren auch von sekundärrechtlichen Harmonisierungsvorschriften, die zB auf Grundlage des Art 95 EGV (Kompetenz zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt) gesetzt wurden. Harmonisierungsrichtlinien unterscheiden nicht nach dem Ursprung der Waren und führen zu einheitlichen Standards auch für die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten, vorausgesetzt die RL legen nicht nur Mindestanforderungen fest.
Waren aus Drittländern, die sich in einem Mitgliedstaat in freiem Verkehr befinden, profitieren von den Binnenmarktregelungen und sekundärrechtlichen Harmonisierungsvorschriften
Bsp: Eine EG-RL regelt das In-Verkehr-Bringen von gentechnisch veränderten Organismen. Auch Drittlandsprodukte, die diesen Bedingungen entsprechen, kommen in den Genuss der Warenverkehrsfreiheit. Für bestimmte Güter, die landwirtschaftlichen Marktordnungen unterliegen, untersagen Gemeinschaftsakte bisweilen ausdrücklich mitgliedstaatliche Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen. Bsp: Marktordnung für Bananen.
4.
Handelspolitische Schutz- und Abwehrmaßnahmen
a.
Antidumpingrecht
Beim Dumping werden Waren im Importland unter dem im Herkunftsland im normalen Geschäftsverkehr verlangten Preis verkauft. Dies kann unter gewissen Umständen für ein Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll sein, so beispielsweise beim Versuch des Markteintritts oder Abverkaufs von Überproduktion. Den wirtschaftlichen Vorteilen des dumpenden Unternehmens stehen aber wirtschaftliche Nachteile der übrigen Unternehmen am Markt gegenüber. Bsp: Um den Markteinstieg in Europa zu schaffen, bietet ein japanischer Elektrokonzern Fernseher an, die weniger als die Hälfte von vergleichbaren Geräten in Europa kosten. Dies ist zwar für das japanische Unternehmen mit Verlusten verbunden, da dieser Dumpingpreis die Produktionskosten nicht deckt. Langfristig wird sich dadurch aber die Marke des Konzerns auf dem europäischen Markt etablieren können, und diese Verluste auf dem Fernsehsektor können beispielsweise im HiFi-Sektor kompensiert werden, oder nachdem die europäischen Konkurrenten vom Markt verdrängt wurden. Dumping berechtigt sowohl nach WTO-Recht als auch nach zu dessen Umsetzung ergangenem EG-Recht zu handelspolitischen Gegenmaßnahmen, wenn bestimmte zusätzliche Voraussetzungen gegeben sind:
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Art VI GATT räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Maßnahmen gegen gedumpte Importe zu ergreifen, wenn diese Importe einem inländischen Abwehrmaßnahmen, wenn einem Wirtschaftszweig eine bedeutende Schädigung zufügen oder Wirtschaftszweig ein bedeutender Schaden zugefügt wird oder droht zumindest zuzufügen drohen. In einem solchen Fall dürfen die WTO-Mitglieder einen Antidumpingzoll bis zur Höhe der Dumpingspanne (also der Differenz des Ausfuhrpreises zum normalen Preis im Herkunftsland) einheben. Dadurch sollen die unfairen Wettbewerbsvorteile des dumpenden Unternehmens egalisiert werden. Die Voraussetzungen für die Verhängung von Antidumpingzöllen gemäß der Antidumping-VO (VO 384/96, die das Antidumping-Abkommen der WTO in EG-Recht umsetzt) sind ähnlich: Einem Wirtschaftszweig der Gemeinschaft muss infolge des Dumpings ein Schaden entstanden sein oder zu entstehen drohen, es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Dumping und Schaden bestehen sowie ein politisches und/oder wirtschaftliches Interesse der Gemeinschaft am Eingreifen gegeben sein. Es gibt vorläufige und endgültige EG-Antidumpingzölle. Der endgültige Antidumpingzoll wird vom Rat auf der Grundlage eines nach Konsultation im Bera- Antidumpingzoll: tenden Ausschuss von der Kommission unterbreiteten Vor- - gedumpte Ware - Schadenseintritt bzw. Drohung schlages mit einfacher Mehrheit beschlossen. Eine Antidum- eines Schadens eines pingmaßnahme bleibt nur solange und in dem Umfang in Kraft, Wirtschaftszweiges der EG wie dies notwendig ist, um das schädigende Dumping unwirk- - ursächlicher Zusammenhang zwischen Dumping und Schaden sam zu machen (vgl dazu auch EÖR II, LE 9). Im Allgemeinen - politisches und/oder tritt die Antidumpingmaßnahme fünf Jahre nach ihrer Einführung wirtschaftliches Interesse der außer Kraft. Eine Verlängerung ist jedoch im Rahmen eines Gemeinschaft am Eingreifen Überprüfungsverfahrens möglich. Im eingangs besprochenen Fall der Billigfahrräder könnte es sich um eine gedumpte Ausfuhr aus China handeln. Die als Voraussetzung für Gegenmaßnahmen erforderliche Schädigung ist bei einigen Fahrradherstellern schon eingetreten, da sie ihr Produktionsvolumen einschränken mussten und weniger Fahrräder verkaufen konnten. Die Gruppe der Fahrradhersteller kann daher den Antrag an die Europäische Kommission stellen, ein Antidumpingverfahren gegen China einzuleiten. Die Europäische Kommission kann, falls sie zur Ansicht gelangt, dass es sich um gedumpte Fahrräder handelt, einen vorläufigen Antidumping-Zoll auf Importe von Fahrradteilen aus China verhängen und so die europäischen Fahrradhersteller vor weiteren Schädigungen schützen. Für die Einführung endgültiger Antidumpingzölle (dh für fünf Jahre) ist eine Verordnung des Rates der EG notwendig.
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b.
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Antisubventionsrecht
Subvention = jede Begünstigung, die einen Geldwert hat
Eine Subvention ist eine spezifische geldwerte Begünstigung eines Unternehmens, eines Wirtschaftszweiges oder einer Gruppe von Unternehmen durch die Regierung des Ursprungs- oder des
Ausfuhrlandes. In der WTO sind nur Ausfuhrsubventionen generell verboten. Andere Subventionen können unter ähnlichen Voraussetzungen wie die Einfuhr gedumpter Produkte bekämpft werden. Ein Sonderfall ist die Landwirtschaft, für die es im Rahmen der WTO ein eigenes Abkommen gibt. Hier sind Ausfuhrsubventionen nicht pauschal verboten, sondern nach bestimmten Regeln zu reduzieren. Sowohl Ausfuhrsubventionen als auch andere Subventionen im Bereich der Landwirtschaft können jedoch bekämpft werden, wenn sie zu einer Schädigung der Wirtschaft eines anderen WTO-Mitgliedsstaates führen.
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Auch hier gleicht das EG-Recht dem WTO-Recht. Die Antisubventions-VO 2026/97 erlaubt die Verhängung eines Ausgleichszolles gegen staatlich tionierte Einfuhren aus Drittstaaten, sofern durch die Subvention Ausgleichszoll: - Subvention ein Wirtschaftszweig in der EG aktuell oder potentiell geschädigt - Schädigung bzw drohende Schädigung eines wird, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schaden und Wirtschaftszweiges in der EG Subvention besteht und die Interessen der EG ein Einschreiten - ursächlicher Zusammenhang erfordern. Schaden/Subventionsgewährung Bsp: für grundsätzlich (Achtung: Sonderfall Landwirtschaft!) verbotene Ausfuhrsubventionen (Anhang I der VO 2026/97): • • •
•
•
- politisches Interesse der EG
Gewährung direkter staatlicher Subventionen an Unternehmen oder Wirtschaftszweige nach Maßgabe ihrer Exportleistung; Devisenbelassungsverfahren oder ähnliche Praktiken, die der Gewährung einer Ausfuhrprämie gleichkommen; inländische Transport- und Frachtgebühren auf den Auslandsversand, die vom Staat zu Bedingungen festgesetzt oder vorgeschrieben werden, die günstiger sind als für den Inlandsversand; vollständige oder teilweise Freistellung, vollständiger oder teilweiser Erlass oder Stundung, die spezifisch ausfuhrbezogen ist, von direkten Steuern oder Sozialabgaben, die von gewerblichen Unternehmen gezahlt werden oder zu zahlen sind; Gewährung von Ausfuhrkrediten durch den Staat (oder von ihm kontrollierten und/oder ihm unterstellten Sondereinrichtungen) zu Sätzen, die unter jenen liegen, die er selbst zahlen muss, um sich die dafür aufgewandten Mittel zu verschaffen (oder zahlen müsste, wenn er internationale Kapitalmärkte in Anspruch nähme, um Gelder derselben Fälligkeit und zu denselben Kreditbedingungen und in derselben Währung wie der Ausfuhrkredit zu erhalten) oder staatliche Übernahme aller oder eines Teils der Kosten, die den Exporteuren oder den Finanzinstituten aus der Beschaffung von Krediten entstehen, soweit sie dazu dienen, hinsichtlich der Ausfuhrkreditbedingungen einen wesentlichen Vorteil zu erlangen. Bsp: Einleitung von Antisubventionsverfahren bei Importen von bespielbaren CDs aus Indien und synthetischen Polyesterfasern aus Indonesien.
c.
Trade Barriers Regulation
Durch die Trade Barriers Regulation (VO 3286/94) soll in Anknüpfung an Regelungen der USA ein Behelf gegen unerlaubte Handelspraktiken von Dritt- Mittel gegen unerlaubte staaten geschaffen werden, die nicht dem Antidumping- oder Handelspraktiken von Drittländern, die Antisubventionsrecht unterliegen. Dadurch soll die Durchset- nicht dem Antidumping- oder Antisubventionsrecht unterliegen zung handelspolitischer Rechte der Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten sichergestellt werden. Zu beachten sind dabei wieder bestehende internationale Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, vor allem im Rahmen der WTO. Auf Antrag eines europäischen Unternehmens (stellvertretend für einen Wirtschaftszweig) können geeignete Maßnahmen verhängt werden, wenn eine bedeutende Schädigung eines Wirtschaftszweiges verursacht wird und die Interessen der Gemeinschaft ein Eingreifen erfordern. Maßnahmen nach der Trade Barriers Regulation werden vom Rat gemäß Art 133 EGV mit qualifizierter Mehrheit erlassen und können zB Strafzölle oder andere Einfuhrabgaben sein.
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Bsp: Die Türkei diskriminiert ausländische pharmazeutische Produkte hinsichtlich Verkaufs- und Marketingregeln sowie Zulassungsbestimmungen.
5.
Ausfuhrbeihilfen
Wie oben (siehe oben 4.b.) ausgeführt, ist bei Subventionen generell die WTO-Konformität zu beachten. Im Beihilfenrecht geht es hingegen um die Rechtmäßigkeit der Subvention im Binnenmarkt. Die Gewährung von Beihilfen an Unternehmen in der EU ist im Rahmen des europäischen Wettbewerbsrechts geregelt (Verbot staatlicher Beihilfen, vgl EÖR I, LE 8, VI.). Im Kontext der GHP sind vor allem Ausfuhrförderungen zu beurteilen. Exportsubventionen können auch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Beachte dazu Art 87 ff EGV!
Obwohl Exportsubventionen primär die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen beim Export erhöhen sollen, wirken sie indirekt auch auf die Stellung des ausführenden Unternehmens im Binnenmarkt: Jede Verbesserung der Absatzmöglichkeiten auf Drittlandsmärkten führt auch zu einer potentiellen Stärkung des Unternehmens gegenüber Konkurrenten auf dem EG-Binnenmarkt und damit zu einer Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund wird die Anwendbarkeit des Art 87 ff EGV (vgl EÖR I, LE 8) auf Ausfuhrbeihilfen vom EuGH bejaht. Für die umfangreichen Agrarexportsubventionen gelten die speziellen Vorschriften des Art 32 ff EGV.
C.
Verfahrensregeln für den Abschluss von Abkommen
1.
Verfahren
Allgemeine Rechtsgrundlage für den Abschluss von Abkommen in der ersten Säule ist Art 300 EGV als lex generalis. Sonderregeln sehen die Art 133 EGV (Handelsabkommen) und Art 310 EGV (Assoziierungsabkommen) vor (siehe unten 3.a. und 3.b.). Grundsätzlich gilt folgender Ablauf: •
Die Kommission legt dem Rat Empfehlungen vor.
•
Der Rat ermächtigt die Kommission zur Einleitung von Verhandlungen.
•
Die Kommission führt die Verhandlungen nach Maßgabe von Richtlinien des Rates.
•
Die Entscheidung über den Abschluss des Abkommens trifft der Rat mit qualifizierter Mehrheit.
Das Europäische Parlament (EP) hat (abgesehen vom Sonderfall GHP) ein (einfaches) Anhörungsrecht vor Vertragsabschluss durch den Rat. Das EP muss Art 300 EGV – lex generalis für alle eine Stellungnahme innerhalb einer vom Rat entsprechend der Verfahren, für die keine Sonderregelungen bestehen Dringlichkeit festgelegten Frist abgeben. Der Rat kann den Beschluss jedoch auch bei Unterbleiben der Stellungnahme fassen. Ein Zustimmungsrecht hat das EP nur in folgenden Fällen: •
Assoziierungsabkommen;
•
Abkommen, die durch Einführung von Zusammenarbeitsverfahren einen besonderen institutionellen Rahmen schaffen;
•
Abkommen mit erheblichen finanziellen Folgen für die EG und Abkommen, die eine Änderung eines nach dem Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rechtsakts bedingen.
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Art 300 EGV wird grundsätzlich auch auf Handelsabkommen (also in der GHP) angewendet, allerdings gibt es auf dem Gebiet der GHP einige Abweichungen von den allgemeinen Verfahrensregeln:
2.
•
Die Kommission muss im Einvernehmen mit dem sog 133er-Ausschuss, einem aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Komitee, agieren;
•
Das Europäische Parlament ist nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden. In der Praxis wird es trotzdem auch bei Handelsabkommen informiert, und zwar auf der Grundlage einer – rechtlich wohl nicht bindenden – Erklärung des Rates.
Wirkung von Verträgen
Nach Art 300 Abs 7 EGV sind die von der EG abgeschlossenen Verträge für die EG-Organe und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Die abgeschlossenen Verträge werden (in Form einer VO oder des Beschlusses, durch den der Vertrag abgeschlossen wurde) im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Ein rechtsgültig zustande gekommenes Abkommen bildet einen „integrierenden Bestandteil der GemeinDie von der EG abgeschlossenen schaftsrechtsordnung“. Daraus folgt, dass auch Vertragsbe- Verträge sind für die EG-Organe und für stimmungen im Hinblick auf eine Direktwirkung die gleichen die Mitgliedstaaten verbindlich! Wirkungen entfalten können wie das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht, dh dass Einzelpersonen sich auf eine Norm eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen der EG und einem Drittstaat bzw einer internationalen Organisation vor einem innerstaatlichen Gericht berufen können. Auch Nichtigkeitsklagen, Vertragsverletzungsklagen und Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EGV betreffend ein von der EG abgeschlossenes internationales Abkommens sind möglich (vgl dazu EÖR I, LE 5 sowie EÖR II, LE 5). Eine wichtige Ausnahme besteht nach der Judikatur des EuGH allerdings für das WTORecht: Dieses ist in der EG nicht gerichtlich durchsetzbar. Bsp: Das EG-Portugal-Freihandelsabkommen oder das Assoziierungsabkommen mit der Türkei kann durch begünstigte Private vor nationalen Gerichten durchgesetzt oder vor dem EuG bekämpft werden. Hingegen können Bananenimporteure, die durch die EG-Bananenmarktordnung geschädigt wurden, innerhalb der Gemeinschaft das verletzte WTO-Recht nicht gerichtlich durchsetzen.
3.
Arten von Verträgen
a.
Handelsabkommen nach Art 133 EGV
Die Abkommen im Rahmen der GHP sind Zoll- und Handelsabkommen mit Drittstaaten. Bsp: EWG-EFTA-Freihandelsabkommen 1972; Zollpräferenzen mit dem EWR (Norwegen, Island, Liechtenstein). b.
Assoziierungsabkommen nach Art 310 EGV
Die zweite wichtige Kategorie von EG-Verträgen sind Assoziierungsabkommen. Diese gehen über die Regelung von Handelssachen hinaus und regeln zB auch Fragen der Entwicklungshilfe, der industriellen Kooperation, der Freizügigkeit von Arbeitnehmern etc. Eine Assoziierung im Sinne des Art 310 EGV be-
Assoziierungsabkommen regeln zB auch Fragen der Entwicklungshilfe, der industriellen Kooperation, der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und des Investitionsschutzes.
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deutet eine dauerhafte völkerrechtliche Verbindung eines oder mehrerer Drittländer mit der EG, die einer Mitgliedschaft sehr nahe kommen kann. Assoziierungsabkommen können als Vorstufe für einen Beitritt („Beitrittsassoziierung“) oder als Ersatz für einen solchen dienen („Freihandelsassoziierung“), oder der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Staaten der „Dritten Welt“ dienen („Entwicklungsassoziierung“). Bsp: Abkommen von Cotonou mit den AKP-Staaten (Staaten des afrikanischen, karibischen und pazifischen Raumes), Assoziierungsabkommen mit der Türkei, sog. EuropaAbkommen mit den ehemaligen Beitrittskandidaten in Mittel- und Osteuropa, Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Ländern des westlichen Balkan (abgeschlossen mit Kroatien und Montenegro, Serbien, Bosnien & Herzegowina). Daneben gibt es noch Assoziierungsabkommen der Gemeinschaft nach Art 182 EGV mit ehemaligen Kolonien von Mitgliedstaaten der EU.
V.
Binnenmarkt und Drittstaaten am Beispiel von Finanzdienstleistungen
Wie bereits einleitend ausgeführt wurde, umfasst das Außenwirtschaftsrecht der EU nicht nur die Gemeinsame Handelspolitik mit dem traditionellen Kern des Warenverkehrs (siehe dazu auch oben: Zuständigkeitsverteilung der EG und der Mitgliedstaaten), sondern beispielsweise auch die Liberalisierung von Dienstleistungen. Das folgende Kapitel soll deren Wichtigkeit am Beispiel von Finanzdienstleistungen aufzeigen und zugleich die „außenwirtschaftliche Relevanz“ des Binnenmarktrechts illustrieren. Dabei zeigt sich ein im Einzelnen sehr kompliziertes Zusammenspiel von „interner“ und „externer“ Regulierung, insbesondere für die über den klassischen Bereich des Warenverkehrs weit hinaus gehenden Teile der Außenwirtschaftspolitik. Eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz ist im Finanzdienstleistungsbereich noch nicht gegeben. Im Einzelnen ist die Rechtslage hier sehr komplex Liberalisierung von Finanzdienstleistungen: und es müssen Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen (glo- Dienstleistungs- und bal, gemeinschaftsrechtlich und national) beachtet werden. Niederlassungsfreiheit, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Primärrecht) - Richtlinien (Sekundärrecht) - korrespondierend dazu: 5. Protokoll zum GATS – abweichende Verpflichtungserklärungen der einzelnen Mitgliedstaaten der EU möglich
Im innergemeinschaftlichen Raum herrschen die Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit, die durch die Erlassung von Sekundärrecht ergänzt wurden. So regelt auf dem Finanzdienstleistungssektor vor allem die Richtlinie 2000/12/EG die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten. Davon sowie von der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit und dem dazu erlassenen Sekundärrecht profitieren auch Kreditinstitute aus Drittländern: Die gemeinschaftlichen Mindestzulassungsbedingungen, das Prinzip der laufenden Beaufsichtigung durch den Sitzstaat des Kreditinstituts (sog Herkunftslandkontrolle) und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Zulassung (sog Single-licence Single-licence Prinzip und Prinzip) gelten auch für Drittlandsbanken, sobald diese in der EG Herkunftslandkontrolle „Fuß gefasst“ haben. Dafür gelten im Detail unterschiedliche Regelungen im Rahmen der WTO (dazu gleich unten). Umgekehrt können die Mitgliedstaaten der Kommission Schwierigkeiten mitteilen, auf die ihre Kreditinstitute bei der Niederlassung oder der Ausübung von Bankgeschäften in einem Drittland stoßen. Stellt die Kommission fest, dass das Drittland Kreditinstituten der Gemeinschaft
LE 7
Außenwirtschaftsrecht der EU
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keinen effektiven Marktzugang gestattet, der demjenigen vergleichbar ist, den die Gemeinschaft den Kreditinstituten dieses Drittlandes gewährt, so kann die Kommission vom Rat ein Verhandlungsmandat erhalten mit dem Ziel diese Ungleichbehandlung zu beseitigen (der Rat entscheidet dies mit qualifizierter Mehrheit). Korrespondierend dazu regelt das 5. Protokoll zum GATS (als dessen Präzisierung) den Bereich der weltweiten Finanzdienstleistungserbringung (dazu EÖR II, LE 9). Wie gerade gezeigt, gibt es in Bezug auf Niederlassungen von Drittlandsunternehmen bei Marktzugang und bei der Inländerbehandlung kaum Beschränkungen durch das EG-Recht: Für Tochterunternehmen gilt mit dem Single-licence Prinzip volle Inländergleichbehandlung im Sinne des WTO-Rechts (dh ein Tochterunternehmen, das einmal den Bestimmungen eines EUMitgliedstaates entspricht, darf sich auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten niederlassen), für Zweigniederlassungen im Gastland beschränkt sich die volle Geschäftstätigkeit auf das Gastland (quasi Inländergleichbehandlung). Im Rahmen des WTO-Rechts richten sich Marktzugangsrechte und Behandlung im Aufnahmestaat hingegen einzig nach den Liberalisierungszusagen in der GATS-Verpflichtungsliste des betreffenden Landes. Die EU-Mitgliedstaaten führen eine „gemeinsame“ Verpflichtungsliste zu diesem Protokoll. Einzelne Mitgliedstaaten haben teilweise voneinander abweichende Zugeständnisse (bei Marktzugang und Inländerbehandlung) gemacht. Auch Österreich hat sich derzeit noch einige spezifische Beschränkungen ausbedungen (bezüglich Pensionskassen, offenen Investmentfonds, Wertpapierhandel und Handel mit ausländischen Devisen und Valuten, vgl BGBl III 61/1999). Das neueste Angebot der EU in den laufenden GATS-Verhandlungen sieht für Österreich jedoch keine Sonderregelungen bei Banken und anderen Finanzdienstleistungserbringern vor.
VI. Weiterführende Literatur Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 7. Auflage 2006 Griller/Klamert, Außenwirtschaftsrecht der EU, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Handbuch des öffentlichen Wirtschaftsrechts II, 2. Auflage 2007 Hermann (Hrsg), Die Außenwirtschaftspolitik Verfassungsvertrag, 2006
der
Europäischen
Union
nach
dem
Herrmann/Michl, Grundzüge des europäischen Außenwirtschaftsrechts, ZEuS 2008, 81-141
VII. Links http://europa.eu.int/comm/trade/
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Außenwirtschaftsrecht der EU
LE 7
VIII. Wiederholungsfragen
Was versteht man unter Außenwirtschaftsrecht, wie kann man es unterteilen? Was bedeutet GHP, was GASP und wodurch unterscheiden sich diese? Haben die EG und die EU Rechtspersönlichkeit? Nennen Sie Beispiele für ausschließliche Kompetenzen der EG! Welche konkurrierenden Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten gibt es, Beispiele? Welche außenwirtschaftlichen Aspekte hat die GASP? Was versteht man unter konventionellen und autonomen Maßnahmen im Rahmen der GHP? Nennen Sie die Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik! Was regelt der Gemeinsame Zolltarif? Welche mengenmäßigen Beschränkungen kann man unterscheiden? Was sind Dual-Use Güter? Was versteht man unter mengengleichen (Import)Beschränkungen? Was ist Dumping? Erläutern Sie kurz das Antidumpingverfahren! Was sind Subventionen? Erläutern Sie die Trade Barriers Regulation! Wie läuft das Verfahren zum Abschluss von Abkommen ab, inwiefern ist das Europäische Parlament eingebunden? Welche Arten von Abkommen gibt es und welche Wirkung haben sie? Gibt es im Außenwirtschaftsrecht eine gerichtliche Kontrolle durch den EuGH? Welche Regelungen müssen bei Niederlassung bzw Dienstleistungen von Drittstaatunternehmen im Bereich der Finanzdienstleistungen beachtet werden?
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Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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Lektion 8
INVESTITIONSSCHUTZ UND RISIKOABSICHERUNG
Stranded Cars Sie sind Vorstandsmitglied und Aktionär des österreichischen Autoteileherstellers „Stranded Cars AG“. Um die Ertragsstruktur Ihres Unternehmens zu verbessern, beschließt der Vorstand, in eine Produktionsanlage im Entwicklungsland Xenia, das WTO-Mitglied ist und mit Österreich ein Investitionsabkommen abgeschlossen hat, zu investieren. Ihr Rechtsbeistand rät Ihnen, zusätzliche privat und staatlicherseits angebotene Versicherungsmöglichkeiten für dieses Projekt zu prüfen. Xenia ist nicht zuletzt wegen des zu erwartenden Technologietransfers sehr an dem Projekt interessiert, stellt allerdings mit Hinweis auf „im Automobilsektor international übliche Praktiken“ die Bedingungen, dass notwendige Rohstoffe zu 80 Prozent aus Xenia stammen müssen, dass außer dem Management nur lokales Personal beschäftigt und die mit der Produktion direkt verbundene Forschung und Entwicklung in Xenia durchgeführt wird. Nach dem Beginn Ihres Investitionsvorhabens müssen Sie feststellen, dass Konkurrenzunternehmen aus Tertia ohne ähnliche Auflagen investieren dürfen. Nachdem die Produktionsanlage aufgebaut ist, legt Xenia per Gesetz wesentlich höhere Umweltstandards fest, die für Ihr Unternehmen mit beträchtlichen unerwarteten Investitionskosten verbunden sind. In der Folge beschließt Xenia, wesentliche staatliche Aufträge nur mehr an Konkurrenzunternehmen aus Tertia zu vergeben. Die Regierung wird vom Militär abgesetzt, als es zu zivilen Unruhen wegen ihres Wirtschaftskurses kommt. Bei diesen werden Teile der Lagerbestände von „Stranded Cars“ beschädigt, andere gehen verloren. Schließlich wird Ihr Unternehmen – im Gegensatz zu anderen in der Branche tätigen Konkurrenten – aufgrund seiner wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung unter staatliches „Management“ gestellt; „Stranded Cars“ verliert jeden rechtlichen und praktischen Einfluss. Aufgrund diplomatischer Proteste wird eine an der Wirtschaftskraft Xenias bemessene Entschädigung in Aussicht gestellt. Als schließlich Teile der verloren geglaubten Lagerbestände in verschiedene europäische Länder gelangen, versucht Ihr Unternehmen unter Berufung auf sein Eigentum, auf gerichtlichem Weg wieder in deren Besitz zu kommen. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Durch welche rechtlichen Mechanismen sind internationale Investitionen geschützt? Wie ergänzen sich diese Mechanismen? Welche Schutzlücken bestehen? Welche Rechte können private Investoren selbst geltend machen?
Wie sehen insbesondere internationale Streitbeilegungsmechanismen für grenzüberschreitende Investoren aus? Welche künftigen rechtlichen Entwicklungen sind mittelfristig zu erwarten?
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LE 8
Inhalt: I. II. A. B. C. D. E. 1. 2. III. A. B. 1. 2. 3. 4. C. 1. 2. 3. a. b. c. d. e. IV. V. A. 1. 2. B. VI. A. B. C. VII. A. B. VIII. A. B. 1.
Einleitung ................................................................................................................... 178 Entwicklung des Investitionsschutzes im allgemeinen Völkerrecht (Gewohnheitsrecht) ................................................................................................... 178 Allgemeines ................................................................................................................. 178 Hull-Formel vs Calvo-Doktrin....................................................................................... 179 Verstaatlichungswellen nach dem Zweiten Weltkrieg ................................................. 179 Pragmatismus bzw Rückbesinnung auf allgemeines Völkerrecht ............................... 180 Investitionsschutz im geltenden allgemeinen Völkerrecht ........................................... 180 Zulassung ausländischer Investitionen durch den Aufnahmestaat ............................. 180 Behandlung ausländischer Investitionen ..................................................................... 181 Investitionsschutz durch Völkervertragsrecht ....................................................... 181 Verträge zwischen Investoren und Staaten ................................................................. 182 Multilaterale Instrumente ............................................................................................. 182 Gründe für das Scheitern des Multilateral Agreement on Investment (MAI) ............... 182 Recht der Welthandelsorganisation ............................................................................ 183 Die Diskussion um ein spezielles WTO-Investitionsabkommen .................................. 185 Europäischer Energiecharta-Vertrag ........................................................................... 186 Bilaterale Investitions(schutz)abkommen (BIA) ........................................................... 186 Einleitung ..................................................................................................................... 186 Der Inhalt von BIA ....................................................................................................... 187 Definitionen ................................................................................................................. 187 Zulassung von ausländischen Investitionen ................................................................ 188 Behandlung von ausländischen Investitionen nach Zulassung ................................... 188 Enteignung und Entschädigung .................................................................................. 189 Der freie Kapitaltransfer .............................................................................................. 189 Die Streitbeilegungsregeln in BIA ................................................................................ 190 Nicht-rechtsverbindliche investitionsbezogene Instrumente ............................... 191 Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ................................................................ 191 Investitionsstreitigkeiten zwischen Investor und Aufnahmestaat................................. 191 Die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit ............................................................................... 192 Andere internationale Schiedsgerichte ........................................................................ 192 Investitionsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten ...................................................... 193 Investitionsschutz im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts (EGV) 195 Einleitung ..................................................................................................................... 195 Der freie Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit des EGV aus investitionsrechtlicher Perspektive .............................................................................. 195 Vergleich zwischen EG-Recht und dem investitionsrechtlichen allgemeinen Völker- und Völkervertragsrecht ..................................................................................................... 196 Versicherungsmöglichkeiten für Auslandsinvestitionen ...................................... 197 Multilateral Investment Guarantee Agency.................................................................. 197 Nationale Versicherungseinrichtungen ........................................................................ 198 Exkurs: Risikoabsicherung im Warenverkehr ........................................................ 198 Nationale Exportförderungs- und Risikoabsicherungssysteme ................................... 198 Internationale Regelungen .......................................................................................... 199 WTO-Recht ................................................................................................................. 199
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2. 3. IX. X. XI.
Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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Das OECD-Arrangement und sein Verhältnis zum WTO-Recht ................................. 200 Gemeinschaftsrecht .................................................................................................... 201 Weiterführende Literatur .......................................................................................... 202 Links ........................................................................................................................... 203 Wiederholungsfragen ............................................................................................... 204
Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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I.
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Einleitung
Das internationale Investitionsrecht ist das Ergebnis einer wechselvollen Entwicklung, die vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute durch zahlreiche Interessengegensätze geprägt worden ist. Daher ist die für die internationale Investitionstätigkeit und die damit verbundene Risikoabsicherung geltende Rechtslage durch ein relativ komplexes Zusammenspiel des allgemeinen Völkerrechts, bilateraler und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und des nationalen Rechts, vor allem des internationalen Privatrechts, gekennzeichnet. Begrifflich sind Auslandsinvestitionen insbesondere zu unterscheiden in Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Während in beiden Fällen Vermögenswerte aus dem kapitalexportierenden Staat zum Zwecke der Nutzung in einem Auslandsinvestitionen Unternehmen in das Gastland verbracht werden, erwirbt der - Direktinvestitionen Investor bei Portfolioinvestitionen keine wesentlichen - Portfolioinvestitionen Stimmrechtsanteile am betreffenden Unternehmen. Eigentum und Kontrollmöglichkeit fallen also anders als bei Direktinvestitionen, bei denen der Investor direkten Einfluss auf Leitung und Geschäftstätigkeit ausübt, auseinander. Die Unterscheidung ist relevant, da von ihr regelmäßig die Anwendbarkeit der verschiedenen Schutzmechanismen abhängt, die das Völkergewohnheitsrecht (das sind diejenigen Verhaltensregeln, die von den Völkerrechtssubjekten in ihrem gegenseitigen Verkehr in der Überzeugung beachtet werden, dass ihre Schutzmechanismen Einhaltung rechtlich geboten ist), völkerrechtliche Verträge und - Allgemeines Völkerrecht (Völkergewohnheitsrecht) nationale und internationale Versicherungssysteme bereitstellen. - Völkerrechtliche Verträge (bilateral, Es wird davon ausgegangen, dass völkergewohnheitsrechtlich multilateral) nur Direktinvestitionen geschützt sind, wohingegen in - Nationales Recht - Versicherungen internationalen Verträgen eine Tendenz zu einem erweiterten Anwendungsbereich erkennbar ist, die in jüngeren bilateralen Investitionsabkommen (BIA, englisch: Bilateral Investment Treaties = BITs) bis zum Schutz sämtlicher vermögenswerter Rechtspositionen reichen kann.
II. A.
Entwicklung des Investitionsschutzes im allgemeinen Völkerrecht (Gewohnheitsrecht) Allgemeines
Die Grundregeln des internationalen Investitionsrechts sind im Zusammenhang mit staatlichen Enteignungen entwickelt worden. Auch wenn Enteignungen im eigentlichen Sinn mittlerweile wesentlich seltener vorkommen, so bleiben diese Grundregeln doch auch für die heute bedeutsameren so genannten indirekten Enteignungen bzw enteignungsgleichen Maßnahmen – nach österreichischer Terminologie: materielle Enteignungen – relevant. Darunter sind vor allem staatliche Beschränkungen zu verstehen, die das Eigentum formal unangetastet lassen, seinen wirtschaftlichen Wert aber beeinträchtigen. Bsp: Der Gaststaat stellt ausländische Unternehmen unter staatliche Administration (jüngste Beispiele, die in diese Richtung gehen: Venezuela stellte ausländisch geführte Öl-Projekte im Mai 2007 unter staatliche Kontrolle; ähnliche Überlegungen wurden Anfang 2008 in Bolivien bezüglich ausländisch kontrollierter Energieunternehmen angestellt). Das Gastland erhöht die Gebühren für die Benützung notwendiger
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Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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Infrastruktur in diskriminierender und/oder unverhältnismäßiger Weise. In jüngster Zeit wird insbesondere im Recht der North American Free Trade Association (NAFTA) erörtert, ob Umweltschutzvorschriften usw als indirekte Enteignungen („creeping expropriation“) verstanden werden können, die dann an relevanten internationalen Vorschriften zu messen wären. Im Ausgangsfall ist ebenfalls von einer indirekten Enteignung auszugehen, da das Unternehmen zwar formal nicht enteignet, aber per Dekret unter die Verwaltung durch staatliche Administratoren gestellt wird wodurch das Mutterunternehmen jeden Einfluss verliert.
B.
Hull-Formel vs Calvo-Doktrin
Bis zum Ersten Weltkrieg war es in der Staatengemeinschaft unumstritten, dass ein Staat für Enteignungen eine adäquate Entschädigung leisten muss. Dabei wurde nicht weiter hinterfragt, ob diese Regel einen allgemeinen Rechtsgrundsatz oder ein besonderes Prinzip des Völkerrechts darstellte, oder ob sie aus einer Pflicht der Gleichbehandlung von Ausländern und Inländern folgte. Dieser Grundkonsens wurde durch die der Russischen Revolution 1917 folgende entschädigungslose Enteignung von Ausländern in Frage gestellt, sowie durch die mexikanische Revolution, nach der Mexiko vertrat, dass eine Entschädigung nicht unverzüglich und nicht unbedingt in adäquater Höhe geleistet Calvo-Doktrin werden müsse, sondern von der staatlichen Leistungsfähigkeit - Gleichbehandlung mit Inländern abhänge. Weitere lateinamerikanische Staaten beriefen sich in - Kein völkerrechtlicher Mindeststandard den Jahren darauf auf die Calvo-Doktrin (benannt nach dem argentinischen Rechtsgelehrten Carlos Calvo), derzufolge Ausländer im Gastland nur Gleichbehandlung mit inländischen Staatsbürgern und kein diplomatischer Schutz durch den Heimatstaat bzw internationale Schiedsgerichte zustehe. Die Vereinigten Staaten waren hingegen der Auffassung, dass der enteignende Staat zu einer unverzüglichen, adäquaten (dem Wert nach angemessen) Hull-Formel und effektiven (in konvertibler Währung) Entschädigung - Völkerrechtlicher Mindeststandard verpflichtet sei (so genannte Hull-Formel, benannt nach dem - Unverzügliche, adäquate und effektive Entschädigung amerikanischen Außenminister Cordell Hull), und brachten damit die in der westlichen Staatengemeinschaft überwiegende Ansicht zum Ausdruck, nach der diese Regel einen völkerrechtlich bindenden Mindeststandard darstelle.
C.
Verstaatlichungswellen nach dem Zweiten Weltkrieg
Dieser Standpunkt – und damit die Anerkennung allgemein verbindlicher völkerrechtlicher Standards – wurde nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings weiter unterminiert, als es in den osteuropäischen Ländern, in den unabhängig gewordenen Kolonien, Lateinamerika und China zu mehreren Verstaatlichungswellen kam, und nach 1970 Enteignungen ausländischer Unternehmen auch in der arabischen Welt erfolgten. Nachdem die Entwicklungsländer in den Vereinten Nationen die zahlenmäßige Mehrheit erlangt hatten, versuchten sie in der Generalversammlung, mittels Resolutionen auf die Völkerrechtslage weiteren Einfluss zu nehmen. So verkündete 1974 die Charter of Economic Rights and Duties of States, jeder Staat habe das Recht:
180
•
Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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„to nationalize, expropriate or transfer ownership of foreign property in which case appropriate compen-
sation should be paid by the State adopting such measures, taking into account its relevant laws and regulations and all circumstances that the State considers relevant. In any case where the question of compensation gives rise to a controversy, it shall be settled under the domestic law of the nationalizing state and by its tribunals...“ (G.A. Res. 3281, UN Doc. A/9631).
Fast alle kapitalexportierenden Staaten stimmten gegen die Charta bzw enthielten sich der Stimme, sodass sie wie andere vorausgegangene Resolutionen nicht als Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung angesehen werden kann. Dennoch führten diese – unter dem Titel „Neue Internationale Wirtschaftsordnung“ geführte – Diskussion und die weiteren skizzierten Entwicklungen zu erheblicher Rechtsunsicherheit und – als Reaktion darauf – zum Abschluss einer großen Anzahl vornehmlich bilateraler Investitionsschutzabkommen.
D.
Pragmatismus Völkerrecht
bzw
Rückbesinnung
auf
allgemeines
In den letzten zwei Jahrzehnten änderte sich das „Investitionsklima“ wesentlich: Die Entwicklungsländer erkannten, dass die Enteignung ausländischer Investoren der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung abträglich ist; in den angesprochenen bilateralen Verträgen bekannten sie sich regelmäßig zu jenen Mindeststandards, welche die westlichen Industriestaaten als allgemeines Völkerrecht betrachteten. Dazu Teilweise Trendumkehr in den 1980er kamen der Zerfall der UdSSR und die damit einhergehende und 1990er Jahren – weiterhin Verringerung ideologischer Gegensätze in den letzten fünfzehn Interessengegensätze Jahren. Die grundlegenden inhaltlichen Vorgaben des internationalen Investitionsrechts sind daher heute wesentlich weniger umstritten als noch vor relativ kurzer Zeit. Dennoch bleiben seine multilaterale Verankerung in Verträgen und seine Weiterentwicklung aufgrund zahlreicher Interessengegensätze weiterhin äußerst schwierig.
E.
Investitionsschutz im geltenden allgemeinen Völkerrecht
1.
Zulassung ausländischer Investitionen durch den Aufnahmestaat
Allgemein anerkannt ist, dass Staaten aufgrund von Völkergewohnheitsrecht die Zulassung ausländischer Investitionen frei gestalten können. Bsp: Mitunter schreiben Staaten vor, dass Investitionen nur in der Form von joint ventures mit heimischen Unternehmen oder Staatsunternehmen getätigt werden dürfen. Andere Marktzugangsbedingungen können etwa quantitative Beschränkungen für den Erwerb von Unternehmensanteilen sein, oder die Voraussetzung, dass der Kapitalbedarf einer Investition durch ausländische Mittel zu decken ist. Ebenso werden oft bestimmte Exportquoten als Voraussetzung für die Zulassung ausländischer Investitionen aufgestellt, mitunter das Erfordernis, dass Forschung und Entwicklung im Inland abgewickelt werden oder inländisches Personal beschäftigt wird. Diese grundsätzliche Freiheit können die Staaten allerdings vertraglich beschränken. Im Ausgangsfall liegen solche staatlichen investitionsbezogenen Maßnahmen vor, die auch als local content requirements bzw local employment and research requirements bezeichnet werden. Ihre international-rechtliche Zulässigkeit ist nach den konkret
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anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen (insbesondere BIA, WTO-Recht, MIGAKonvention, usw) zu beurteilen.
2.
Behandlung ausländischer Investitionen
Aufgrund des Völkerrechts ist der Aufenthaltsstaat zum Schutz der auf seinem Gebiet zugelassenen Ausländer und ihres Eigentums verpflichtet. Dieser Schutz wird grundsätzlich durch nationales Recht gewährt. Darüber hinaus kommt der so genannte völkerrechtliche („fremdenrechtliche“) Mindeststandard zum Tragen, wenn die Gleichbehandlung Schutzniveau nicht genügen würde.
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen: öffentlicher Zweck, nicht diskriminierend, Entschädigung: HullFormel
mit Inländern diesem
Zwar ist völkerrechtlich anerkannt, dass ein Staat befugt ist, Enteignungen vorzunehmen, wenn ein Bezug zu seiner Gebietshoheit oder Personalhoheit besteht, dh wenn die zu enteignenden Werte auf seinem Gebiet belegen sind oder eine Staatsangehörigkeitsbeziehung vorliegt. Der fremdenrechtliche Mindeststandard gebietet aber, dass die Enteignung einem öffentlichen Zweck dienen muss, nicht diskriminierend und gegen unverzügliche, adäquate und effektive (dh konvertible und frei transferierbare) Entschädigung zu erfolgen hat, und von einem internationalen Schiedsgericht überprüft werden kann. Verletzt ein Staat diese Pflicht, ist er nach den Regeln der internationalen Staatenverantwortlichkeit zu Schadensausgleich verpflichtet, was eine umfassende Wiedergutmachung bzw finanzielle Entschädigung einschließlich des entgangenen Gewinns bedingt. Zum Teil ist die Reichweite dieses Mindeststandards weiterhin ungeklärt. Vereinzelte Autoren argumentieren auch heute noch, dass der gewohnheitsrechtliche Mindeststandard nicht mehr umfasse, als eine Entschädigung („some compensation“) und die Nachprüfbarkeit durch ein internationales Gericht. Umstritten ist insbesondere, ob auch bloße vertragliche Ansprüche völkergewohnheitsrechtlich geschützt sind. Allerdings kann mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Portfolioinvestitionen im Gegensatz zu Direktinvestitionen nicht geschützt sind, wenn sie nicht ausnahmsweise vertraglich abgesichert sind. Mit der fast einhelligen internationalen Streitschlichtungspraxis und der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum ist davon auszugehen, dass die enteignungsgleichen Maßnahmen Xenias völkerrechtswidrig sind, da eine Entschädigung nicht unverzüglich geleistet wird und diese auch nicht angemessen wäre: Zwar wird von Schiedsgerichten regelmäßig akzeptiert, dass Entschädigungen in Raten (ggf gegen entsprechende Verzinsung) geleistet werden. Die Angemessenheit bestimmt sich jedoch nach dem Marktwert des enteigneten Unternehmens und kann nicht schlicht nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des enteignenden Staates bemessen werden.
III.
Investitionsschutz durch Völkervertragsrecht
Aufgrund der dargestellten Unzulänglichkeiten des Völkergewohnheitsrechts sind zahlreiche völkerrechtliche Verträge abgeschlossen worden. Zu den heute rund 2600 bilateralen Investitionsabkommen treten in den letzten Jahren verstärkt regionale (zB NAFTA) und
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sektorale multilaterale Verträge (zB Energiechartavertrag) sowie Bestrebungen, ein umfassendes multilaterales Investitionsabkommen im Rahmen der WTO auszuverhandeln.
A.
Verträge zwischen Investoren und Staaten
Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vorab zwischen Unternehmen und Gaststaaten geschlossene Investitionsschutzverträge, deren Rechtsnatur und -wirkung strittig ist. Mit so genannten „Stabilisierungsklauseln“ wird in solchen Verträgen vereinbart, dass der Gaststaat die nach seinem nationalen Recht bestehenden Ansprüche des Investors nicht einseitig abändern darf. Mit zusätzlichen „Internationalisierungsklauseln“ soll der Vertrag dem Völkerrecht unterstellt werden. Im Anschluss an eine Entscheidung eines internationalen Schiedsgerichts, das mit der Verstaatlichung der libyschen Ölindustrie befasst war, hat sich die Ansicht durchzusetzen begonnen, dass solche Vereinbarungen völkerrechtlicher Natur sind. Als verlässlichster völkerrechtlicher Schutz werden jedoch weiterhin bilaterale oder multilaterale (dh auf Staatenebene abgeschlossene) Verträge angesehen.
B.
Multilaterale Instrumente
1.
Gründe für das Scheitern des Multilateral Agreement on Investment (MAI)
Im Rahmen der WTO fanden in den 1990er-Jahren Verhandlungen über ein multilaterales Investitionsabkommen (MAI) statt, das vorerst zwischen den tendenziell eher gleichgesinnten OECD-Staaten abgeschlossen und in weiterer MAI: Folge auf Entwicklungsländer ausgedehnt werden sollte. - Orientierung an der NAFTA - Inhaltlich umfassender Überlegt wurde auch die spätere Einfügung des MAI in das multilateraler Investitionsschutz WTO-Vertragswerk. Der MAI-Entwurf war inhaltlich ähnlich - Investor-state dispute settlement angelegt wie das NAFTA-Abkommen, das sich seinerseits an - Gescheitert 1998 dem Modellvertrag orientierte, den die USA ihren BITs zugrundelegen. Es enthielt Bestimmungen über den Marktzugang, Inländerbehandlung und Meistbegünstigung. Eine Reihe von Investitionsmaßnahmen, die nach geltendem WTORecht nicht verboten sind, sollte explizit erfasst werden. Der Entwurf umfasste des Weiteren Regeln über die Streitschlichtung zwischen Staaten wie auch zwischen Investoren und Staaten (so genannte „gemischte Schiedsgerichtsbarkeit“). Die Verhandlungen wurden im Oktober 1998 abgebrochen. Die Gründe für das Scheitern des Projekts spiegeln wesentliche Aspekte der Problematik des internationalen Investitionsschutzes in seiner ganzen Bandbreite wider: •
So bestand Uneinigkeit über den Anwendungsbereich des Abkommens (Direktinvestitionen versus Portfolioinvestitionen, Schutz geistigen Eigentums, vertragliche Ansprüche von Investoren, usw).
•
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Dynamisierung der Streitschlichtung im Rahmen der NAFTA fürchteten auch die Industriestaaten, die mittlerweile selbst bedeutende Kapitalimporteure geworden waren, um ihren nationalen Gestaltungsspielraum (Beispiel: Investitionsschutz versus Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz usw). Insbesondere waren Frankreich und Kanada um den Schutz des Kultursektors besorgt.
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2.
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•
Strittig war weiters das Verhältnis von regionaler Wirtschaftsintegration und NichtDiskriminierungsvorschriften zugunsten ausländischer Investoren.
•
Dazu kamen der Druck durch NGOs und die öffentliche Meinung, sowie der Umstand, dass die Verhandlungen ob ihrer politischen Sensibilität ursprünglich geheim stattgefunden hatten, und nicht zuletzt der Eindruck der Asienkrise.
Recht der Welthandelsorganisation
Obwohl im Rahmen der WTO bislang kein spezielles Investitionsschutzübereinkommen abgeschlossen worden ist, sind zahlreiche Bestimmungen des WTO-Vertragswerks relevant für Auslandsinvestitionen. So ist der Anwendungsbereich des GATT eröffnet, wenn sich investitionsbezogene staatliche Maßnahmen auf den internationalen Warenhandel auswirken. Daraus kann sich eine indirekte Kontrolle staatlicher Investitionsmaßnahmen ergeben: So wurde schon im Rahmen des GATT 1947 klargestellt, dass derartige Maßnahmen Art III:4 des (heute wortgleichen) GATT verletzen können. Bsp: Kanada, das traditionell besorgt um den US-amerikanischen Einfluss auf seine Wirtschaft ist, erließ ein Gesetz, demzufolge ausländische Investitionen nur zugelassen wurden, wenn sie „of significant benefit to Canada“ waren. Insbesondere wurde das Investitionsvorhaben darauf geprüft, in welchem Maße kanadische Waren und Dienstleistungen verwendet würden und wie groß der daraus resultierende Exportanteil wäre. Neben solchen schon erwähnten „local content requirements“ sind auch derartige „export performance requirements“ häufig vorkommende Typen staatlicher Investitionsmaßnahmen. Das kanadische Gesetz erlaubte es Investoren, einen business plan vorzulegen, in dem die Wirkungen des Investitionsprojekts dargestellt werden konnten. Dieser Plan wurde allerdings verbindlich, wenn die kanadischen Behörden die Investition genehmigten. Aus diesem Grund entschied ein GATT-Panel, dass diese vorgeblichen „Verträge“ mit der Regierung staatliche Maßnahmen darstellten und am GATT gemessen werden können. Die Regelung wurde als Verstoß gegen Art III:4 qualifiziert, weil der Wettbewerb zugunsten kanadischer Güter verzerrt wurde (panel report, Canada - Administration of the Foreign Investment Review Act, 7 February 1984, 30 B.I.S.D. 157); freilich waren solche reports damals, anders als heute, nicht verbindlich. Aus dieser Entscheidung folgte, dass auch weitere Bestimmungen des GATT wie insbesondere Art XI auf solche handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen anwendbar sein können. In der Uruguay-Runde wurde das WTO-TRIMs-Übereinkommen ausverhandelt, das nach seiner Präambel negative Auswirkungen von handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen (trade related investment measures – TRIMs) auf den GATT: Welthandel verhindern soll. In einem Annex des - Einschlägig für TRIMs Übereinkommens werden in einer „Illustrative List“ Maßnahmen aufgezählt, die als GATT-widrig gelten. In seiner zentralen TRIMs Übereinkommen - Bestätigt GATT Bestimmung (Art 2) wiederholt das Übereinkommen freilich nur, - Bleibt hinter diesem zurück dass TRIMs mit Art III und XI des GATT vereinbar sein müssen, - Stellt kein umfassendes Investitionsabkommen dar und bleibt somit hinter dem Anwendungsbereich des letzteren zurück. Das TRIMs-Übereinkommen erweist sich überdies –
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vom Investitionsstandpunkt aus betrachtet – als unvollständig, da es nur auf Investitionsmaßnahmen anwendbar ist, die den Warenhandel betreffen, aber keine speziellen Regeln zum Schutz von Direktinvestitionen aufstellt. Dieser geringe Regelungsgehalt ist einmal mehr auf die Interessengegensätze zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern zurückzuführen. Eine klare investitionsrechtliche Komponente hat das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS, das mit Modus 3 („commercial presence“) Direktinvestitionen erfasst. Natürliche und juristische GATS: Personen sind geschützt, wenn sie einem WTO-Mitglied nach - Teilweiser Schutz für ausländische den Regeln des GATS zugerechnet werden können. Bei Investoren - Problem: länderspezifische natürlichen Personen ist grundsätzlich die Staatsangehörigkeit Verpflichtungen ausschlaggebend. Juristische Personen werden dem Mitglied zugerechnet, nach dessen Recht sie gegründet oder anderweitig errichtet worden sind (Art XXVIII). Wenn eine Einrichtung im Falle kommerzieller Präsenz nicht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist (zB eine Zweigstelle oder Repräsentanz), dann wird ihr Herkunftsland auf der Grundlage der Herkunft der Personen bestimmt, in deren Eigentum das Unternehmen steht (mindestens 50 %) bzw die das Unternehmen rechtlich kontrollieren. Art XVI (market access) verbietet sechs abschließend aufgezählte Marktzugangsbeschränkungen: neben verschiedenen Formen von mengenmäßigen Beschränkungen auch Beschränkungen auf bestimmte rechtliche Unternehmensformen und quantitative Restriktionen bei der Beteiligung ausländischen Kapitals. Qualitative Mindesterfordernisse (zB Mindestkapitalanforderungen) fallen hingegen unter Art XVII (national treatment). Die Reichweite des GATS variiert jedoch aufgrund des im WTO-Kapitel dargestellten Positivund Negativlistenansatzes von WTO-Mitglied zu WTO-Mitglied und schafft somit keine einheitliche Verpflichtungsstruktur. Von Bedeutung ist weiters Art III:2 des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement – GPA), der insbesondere vorschreibt, dass inländische Lieferanten nicht aufgrund ausländischer Gesellschaftsanteile diskriminiert werden dürfen. Auch die weiteren WTOWTO-Recht und Investitionsschutz Übereinkommen haben zumindest mittelbare Relevanz für - Konzentration auf Handel Auslandsinvestitionen. Neben dem Übereinkommen über - daher lückenhaft - nur diplomatischer Schutz Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, das bei positiven Investitionsanreizen zum Tragen kommen kann, ist das TRIPS zu nennen, das durch die Verbesserung des Schutzes geistigen Eigentums den mit Auslandsinvestitionen verbundenen Technologietransfer erleichtert. Insgesamt bietet das WTO-Vertragswerk aufgrund seiner Fokussierung auf den internationalen Handel bisher nur einen unsystematischen und lückenhaften Schutz für Auslandsinvestitionen, der den wechselseitigen Verbindungen zwischen internationaler Handels- und Investitionstätigkeit aus wirtschaftlicher Sicht unzureichend Rechnung trägt. Ein weiteres strukturelles Problem besteht darin, dass Unternehmen WTO-rechtlich auf den diplomatischen Schutz durch ihr Herkunftsland angewiesen bleiben und das Investitionsland anders als bei BIA nicht direkt belangen können. Im Ausgangsfall liegt ein Verstoß gegen Art III:4 des GATT vor, weil durch das local content requirement inländische Waren durch staatliche Maßnahmen bevorzugt werden. Ebenso ist Art I des GATT (Meistbegünstigungsklausel) verletzt, soweit es zu einer mittelbaren Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen für Waren aus anderen WTO-
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Mitgliedern kommt. Darüber hinaus ist Art 2 des TRIMs-Übereinkommens verletzt. Die Umweltgesetze Xenias sind vor allem auf ihre handelsverzerrende Wirkung nach Art I und III und die Möglichkeit ihrer Rechtfertigung nach Art XX des GATT zu prüfen. Die diskriminierende Beschaffungspolitik verstößt gegen Art III:2 GPA. Da das GPA jedoch ein plurilaterales Abkommen (vgl Graphik „Grundstruktur der WTO-Abkommen“ S 145) darstellt, das lediglich für jene WTO-Mitglieder (EU und ihre Mitglieder sowie zwölf weiter Staaten) gilt, die es ratifiziert haben, ist ein Verstoß Xenias gegen GPA-Regelungen, unerheblich. Ob Bestimmungen des GATS verletzt sind, hängt davon ab, ob Xenia länderspezifische Verpflichtungen hinsichtlich Marktzugang und Inländerbehandlung im Automobilsektor eingegangen ist, und welchen weiteren Beschränkungen sie in der länderspezifischen Liste Xenias unterworfen worden sind. Das geltende WTO-Recht enthält keine Bestimmungen über Enteignungen.
3.
Die Diskussion um ein spezielles WTO-Investitionsabkommen
Aufgrund der genannten Unzulänglichkeiten wurde im Rahmen der WTO nach dem Ministertreffen von Singapur (1996) eine Working Group eingerichtet, die – zur Vorbereitung förmlicher Verhandlungen über ein besonderes WTO-Investitionsabkommen – die Wechselbeziehungen von Handel und Investitionen untersuchen sollte. Als besondere Problemkreise haben sich die folgenden erwiesen: •
Definition von „investment“ und damit einhergehender Anwendungsbereich des künftigen Abkommens (Direktinvestitionen versus Portfolioinvestitionen, Schutz sonstiger Rechte). Derzeit wird nur der Schutz langfristiger Investitionen erwogen.
•
Marktzugangsrechte für Investoren (derartige „pre-establishment rights“ wurden bisher fast nur in neueren amerikanischen und kanadischen BIA vereinbart)
•
das Verhältnis zwischen Meistbegünstigungsklausel und BIA (Stichwort: Werden die bilateral vereinbarten Investitionsregeln multilateralisiert?)
•
Regeln über Enteignungen
•
Bestimmungen zum Schutz von Entwicklungsländern
•
das Verhältnis zwischen nationalem Umweltschutz und Investitionsschutz (im Rahmen der NAFTA wurden beispielsweise nationale Umweltschutzvorschriften von ausländischen Investoren als Beschränkungen ihrer Investitionstätigkeit angegriffen)
•
allgemeine Schutz- und Zahlungsbilanzbestimmungen
•
Streitbeilegung
•
Pflichtenkatalog für Investoren
Es wird erwartet, dass sich ein künftiges WTO-Investitionsabkommen am flexiblen Modell des GATS orientieren wird. Vor allem im Zusammenhang mit Marktzugangsrechten wird eine dem GATS vergleichbare Positiv- oder Negativlistenlösung Künftiges Investitionsübereinkommen: diskutiert, mittels derer jedes WTO-Mitglied sektorenspezifische - Geringe Erfolgsaussichten für weit Verpflichtungen eingehen könnte. Gemäß der anlässlich des reichenden Schutz - GATS-Ansatz als Modell WTO-Ministertreffens in Doha verabschiedeten Deklaration sollen nur Konsultations- und Streitbeilegungsverfahren zwischen Mitgliedern (keine „gemischte Schiedsgerichtsbarkeit“) in Betracht kommen.
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Die Aussichten für den Abschluss eines speziellen Investitionsübereinkommens im Rahmen der WTO wurden zuletzt jedoch aufgrund der mannigfaltigen Interessengegensätze als wenig aussichtsreich erachtet; im August 2004 hat der WTO General Council entschieden, dass konkrete Verhandlungen über ein WTO-Investitionsübereinkommen bis auf weiteres nicht aufgenommen werden.
4.
Europäischer Energiecharta-Vertrag
Zu erwähnen ist schließlich als multilaterales Instrument auf europäischer Ebene der 1994 abgeschlossene Energiecharta-Vertrag, der ein Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte umfasst und seit April 1998 in Kraft steht. Der EnergiechartaVertrag wurde nach dem Zerfall der UdSSR von den OECD-Mitgliedern, der EG, den Nachfolgestaaten der UdSSR und weiteren MOEL ausgehandelt und enthält Bestimmungen über die Förderung und den Schutz von Investitionen, insbesondere Inländerbehandlungsund Meistbegünstigungsbestimmungen, und Vorschriften über Enteignungen (Gebot unverzüglicher, angemessener und effektiver Entschädigung zum vollen Marktwert). Darüber hinaus ist eine Streitschlichtung zwischen Staaten und Investoren nach ICSID-Regeln (s unten) vorgesehen.
C.
Bilaterale Investitions(schutz)abkommen (BIA)
1.
Einleitung
Bilaterale Investitions(schutz)abkommen (BIA) – wobei in der Praxis meist der englische Terminus „Bilateral Investment Treaty“ (BIT) gebräuchlich ist – dienen der Förderung und Absicherung von gegenseitigen Investitionen zwischen zwei BIA: Vertragsstaaten und zeichnen sich durch eine besondere Wichtigstes Instrument des internationalen Investitionsschutzes Homogenität in Regelungsinhalten und -techniken aus. Die historischen Wurzeln von BIA lassen sich auf die ebenfalls bilateralen Verträge über Freundschaft, Handel und Schifffahrt aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts zurückführen. Der erste bilaterale Investitionsvertrag im gegenständlichen Sinn wurde 1959 zwischen Deutschland und Pakistan abgeschlossen. In den darauf folgenden Jahren erfreute sich dieser völkerrechtliche Vertragstypus einer immer größeren internationalen Beliebtheit, insbesondere in Zeiten der Rechtsunsicherheit in Investitionsfragen im allgemeinen Völkerrecht, ausgelöst durch die zuvor beschriebenen Erscheinungen der „Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung“ Mitte der 70er Jahre. Die Anzahl der BIA steigt kontinuierlich an und lag Ende 2006 bei über 2600 BIA; es ist von einer weiteren Zunahme in den kommenden Jahren auszugehen. Waren BIA ursprünglich ein Instrument zur Förderung und Absicherung von Investitionen zwischen traditionell kapitalexportierenden Ländern („Industrieländer“) und kapitalimportierenden Ländern („Entwicklungsländern“), so finden sie heute ebenfalls weite Verbreitung zwischen „Entwicklungs-“ bzw „Schwellenländern“ untereinander. Auch wenn in den letzten Jahren verstärkt regionale und sektorale Instrumente zur Förderung und Absicherung von ausländischen Investitionen auf internationaler Ebene geschaffen wurden, sind bis dato die BIA weiterhin das bedeutendste Instrument zur internationalen Verrechtlichung transnationaler Investitionen. Allerdings ist auf eine aktuelle Entwicklung hinzuweisen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einen Druck zum Abschluss von Abkommen durch die EG anstelle der
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Mitgliedstaaten einleiten könnte. Denn der Abschluss von bilateralen Investitionsschutzabkommen mit Dritten unterliegt europarechtlichen Beschränkungen. Derzeit sind Verfahren beim EuGH anhängig, in denen unter Berufung auf das europarechtliche Loyalitätsgebot von der Kommission und von Generalanwalt weit reichende Änderungen in solchen Investitionsschutzabkommen gefordert werden (Rs C-205/06 und C-249/06). In der Literatur wird ferner vertreten, dass wesentliche Teile von BIA mit einer ausschließlichen EG-Zuständigkeit kollidieren.
2.
Der Inhalt von BIA
Obwohl kein weltweites Modell-BIA existiert, sind diese Verträge, wie bereits erwähnt, auffallend standardisiert, sowohl bezüglich der Inhalte, die einer Regelung unterworfen werden, als auch bezüglich der Art und Weise, wie diese Regelungen getroffen werden. Diese Tatsache erlaubt eine einheitliche Darstellung von BIA in den folgenden Absätzen. BIA beinhalten zu aller erst eine (nicht rechtsverbindliche) Präambel, in der der Wille der vertragsschließenden Parteien zum Ausdruck kommt, das jeweilige BIA zu besseren wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten beitragen BIA: zu lassen und dadurch insbesondere den gegenseitigen Förderung, Schutz, Streitbeilegung Kapitalfluss durch Privatpersonen und Unternehmen der Staaten zu fördern. Außerdem werden in Präambeln neuerer BIA auch Belange wie die Einhaltung internationaler Arbeits-, Umweltstandards etc verankert. Die darauf folgenden rechtlich bindenden Bestimmungen gliedern sich in zwei Teile: Die erste Gruppe umfasst sämtliche materiellen Bestimmungen, angefangen mit den für das Abkommen geltenden Definitionen, gefolgt von Regelungen bezüglich der Zulassung ausländischer Investitionen, der Behandlung ausländischer Investitionen nach Zulassung, Normen, die den Fall einer Enteignung und die damit zusammenhängenden Fragen der Entschädigung betreffen, und abschließend Bestimmungen bezüglich der freien Transferierbarkeit von Kapitalerträgen oder anderen mit der Investition zusammenhängenden Kapitalflüssen. Die zweite, formelle Regelungsinhalte umfassende Gruppe, bestimmt die zulässigen Verfahren und Verfahrensabläufe der Streitbeilegung. Hier sei vor allem auf die Möglichkeit der gemischten Schiedsgerichtsbarkeit, also der Anrufung von Streitbeilegung nicht bloß durch die Vertragsstaaten selbst, sondern auch durch einen privatrechtlich organisierten Investor vorab hingewiesen. Diese ist einer der Hauptgründe für die Erfolgsgeschichte von BIA.
3.
Definitionen
Regelmäßig als Art 1 werden in BIA Begriffsbestimmungen vorgenommen, die von besonderer Bedeutung für das jeweilige Abkommen sind, legen sie doch den sachlichen (Definition von „Investition“) als auch personellen (Definition von „Investor“) Anwendungsbereich fest. Zu unterscheiden ist bei der Eingrenzung des Begriffs „Investition“ einerseits, ob bloß ausländische Direktinvestitionen oder auch Portfolioinvestitionen umfasst sind. Die meisten der jüngeren BIA, so auch die der Republik Österreich, inkludieren beide Investitionsformen in den Anwendungsbereich.
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Andererseits wird durch die Definition von „Investition“ geklärt, welche Eigentumsarten durch den Vertrag geschützt werden sollen. Waren früher bloß körperliche Eigentumsrechte (bspw Fabrik, Grundstück etc) vom Begriff „Investition“ umfasst, so sind dies heute beispielsweise auch Beteiligungsrechte (Aktien etc), Kredit- und Darlehensrechte, Forderungsrechte (bspw aus Bürgschaften), vertraglich zugesicherte Rechte wie zum Beispiel Lizenzrechte sowie sämtliche Ausprägungen von geistigem Eigentum (Marken-, Muster-, Patentrechte etc). Unter die Definition von „Investor“ fallen zum einen alle natürlichen Personen, die die Staatsangehörigkeit einer der beiden Vertragsstaaten besitzen und zum anderen alle juristischen Personen, die entweder nach dem Recht eines der Vertragsstaaten gegründet worden sind oder dort ihren Sitz unterhalten. Gerade hier gibt es aber in der Praxis eine Vielzahl von abweichenden und vor allem detaillierteren Bestimmungen. a.
Zulassung von ausländischen Investitionen
Die in den BIA für die Zulassung von ausländischen Investitionen einschlägigen Artikel, also für die Behandlung von noch nicht realisierten Investitionen, folgen zwei grundverschiedenen Konzepten: Die seit dem letzten Jahrzehnt von den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan abgeschlossenen BIA sehen ein Recht auf Zulassung der ausländischen Investition vor. Viele andere Staaten, unter anderem Südkorea, wollen diesem Trend folgen. Wird dieses Recht auf Zulassung mit dem Grundsatz der Inländerbehandlung verknüpft, so darf eine Zulassung nur unter den Bedingungen eingeschränkt werden, unter denen auch Angehörige des Aufnahmemitgliedstaates an einer Investition gehindert werden können (bspw Umweltstandards). Wird das Zulassungsrecht hingegen mit einer Meistbegünstigungsklausel verknüpft, so dürfen Beschränkungen der Zulassung von Investitionen aus einem Vertragsstaat nicht einschränkender sein, als sie es gegenüber aus anderen Staaten stammenden ausländischen Investoren sind. BIA der meisten anderen Staaten, speziell die der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sehen kein Recht auf Zulassung vor. In den relevanten Artikeln ist nur die Rede davon, dass eine eventuelle Genehmigung von ausländischen Investitionen der freien Beurteilung des Aufnahmemitgliedstaates, also seiner innerstaatlichen Rechtsordnung, unterliegt. In der Praxis der grenzüberschreitenden Investoren (multinationale Konzerne etc) sind Zulassungsrechte in BIA von enormer wirtschaftlicher Bedeutung, sichern sie doch einen Wettbewerbsvorteil (ungehinderter Zutritt zu neuen Märkten) gegenüber Konkurrenten aus anderen Herkunftsstaaten, deren BIA solche Rechte nicht vorsehen. Dem internationalen Trend folgend will deshalb ein Großteil der Mitgliedsstaaten der EU eine Übernahme von Inländerbehandlung und/oder Meistbegünstigungsklausel bereits im Marktzutrittsstadium in ihren (neuen) BIA oder anderen internationalen Investitionsverträgen verankern. Dies scheitert jedoch bis heute daran, dass diesbezüglich von einer EUKompetenz ausgegangen werden muss. b.
Behandlung von ausländischen Investitionen nach Zulassung
Im Gegensatz zur Zulassungsphase sind die Bestimmungen in BIA bezüglich der Behandlung von ausländischen Investitionen nach Zulassung wieder weitgehend standardisiert.
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Nahezu alle gültigen BIA sehen als zentrale Bestimmungen – neben der Verpflichtung des Aufnahmestaates, vollen Schutz und Sicherheit für Investor und Investment zu gewähren – die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigungsklausel durch den Aufnahmestaat vor. Was also bei US- und anderen BIA bereits für das Verhalten des Aufnahmestaates gegenüber dem bloß investitionswilligen Investor gilt, kommt bei allen anderen BIA für die Frage der Zulässigkeit staatlichen Handelns gegenüber dem tatsächlichen Investor und der bereits getätigten Investition zum Tragen. Die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigungsklausel werden jedoch bei fast allen BIA der EU-Mitgliedstaaten durch einen „REIO“-Artikel (= Regional Economic Integration Organisation) eingeschränkt. Dieser sieht vor, dass Vorteile, die Inländerbehandlung bzw anderen ausländischen oder inländischen Investoren und Meistbegünstigungsklausel Investitionen aufgrund der Mitgliedschaft in einer regionalen wirtschaftlichen Integrationsorganisation (bspw Europäische Union) gewährt werden, nicht auch Investoren und Investitionen aus Vertragsstaaten, die einer solchen Organisation nicht angehören, zugute kommen müssen. Dadurch erhalten sich Mitgliedsstaaten solcher Integrationsformen die Möglichkeit, weiterhin gegenseitige Vorteile in Bezug auf die Behandlung von Investoren und Investitionen gewähren zu können, ohne diese bloß durch den Abschluss von BIA auf Drittländer ausdehnen zu müssen. c.
Enteignung und Entschädigung
Unter dem Begriff „Enteignung“ sind in BIA in aller Regel sowohl direkte Enteignungen (Entzug jeglicher Rechte an der Investition) als auch indirekte Enteignungsformen (staatliche Zwangsverwaltung, unverhältnismäßige nachträgliche Auflagen etc) umfasst. Diese sind jedoch grundsätzlich nur erlaubt, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen, die Enteignung nicht diskriminierend ist, dem Investor ein rechtsstaatliches Verfahren zur Bekämpfung der Enteignung offen steht und Entschädigung geleistet wird. In Anlehnung an die aus der völkergewohnheitsrechtlichen Debatte bekannte Hull-Formel muss diese Entschädigung unverzüglich (so schnell als möglich), adäquat (dem wirtschaftlichen Wert der Investition angemessen), effektiv (also in frei konvertierbaren Währungen) und unter Einbeziehung eventueller Zinsverluste erfolgen. d.
Der freie Kapitaltransfer
Die Bestimmungen bezüglich des freien Kapitaltransfers in BIA sind von wesentlicher Bedeutung für ausländische Investoren, da sie ihnen ermöglichen, sämtliche, mit der bereits getätigten Investition zusammenhängende, Kapitalflüsse nach ihren (wirtschaftlichen) Überlegungen zu gestalten. Darunter fallen einerseits Kapitaltransfers in den Aufnahmestaat, wie beispielsweise weitere Investitionen in das bereits vorhandene Investment, und andererseits vor allem Kapitaltransfers aus dem Aufnahmestaat heraus. Als Beispiele für die zweite Kategorie können Zahlungen, die dem Investor aus einer Entschädigung für eine Enteignung zustehen, Gewinne aus dem Investment sowie Erlöse aus dem Verkauf oder der Beendigung des Investments, genannt werden. Alle genannten Kapitaltransfers müssen ohne Verzögerung und in jeder beliebigen Währung möglich sein.
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e.
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Die Streitbeilegungsregeln in BIA
Als zweite Regelungsgruppe innerhalb von BIA sind Streitbeilegungsmechanismen vorgesehen. Diese betreffen sowohl Streitigkeiten zwischen Investoren (also natürliche oder juristische Personen eines Vertragsstaates im Sinne der Definition im jeweiligen BIA) und einem Vertragsstaat, als auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den zwei Vertragsstaaten selbst. Bei der ersten und in der Praxis besonders bedeutenden Gruppe von Streitigkeiten muss unterschieden werden, ob beide oder zumindest einer der Vertragsstaaten Mitglieder des Übereinkommens vom 18. 3. 1965 zur Beilegung von Investitionsstreit: Investitionsstreitigkeiten – mit dem das International Center for „State to State“ oder „Investor to State“ the Settlement of Investment Disputes (ICSID) gegründet wurde – sind. Falls ja, so sehen die meisten BIA eine verbindliche Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen des ICSID zwischen Investor und Vertragsstaat vor, dessen Schiedssprüche direkt in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung vollstreckbar sind (Details siehe unten). Ist keiner der beiden Vertragsstaaten Mitglied des ICSID, so sind in der überwiegenden Zahl dieselben Regelungen vorgesehen wie im Falle von Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten, nämlich die Verweisung an ein Schiedsgericht, das von den Parteien zu bestellen ist. Im Ergebnis sind diese Schiedsgerichte gleich wie diejenigen unter ICSID, jedoch beschränkt sich die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit auf Investor-Vertragsstaat-Streitigkeiten und darüber hinaus sind unterschiedliche Schiedsverfahrensrechte zu beachten (Details siehe unten). Mit Blick auf unseren Ausgangsfall – es besteht laut Angabe ein BIA – ist die Produktionsanlage von „Stranded Cars AG“ auf jeden Fall vom persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des österreichischen BIA umfasst. Die Bedingungen, die Xenia für die Zulassung der „Stranded Cars AG“-Investition aufstellt (Rohstoffe, Management, Forschung und Entwicklung), sind – da es sich um die Phase des Marktzutrittes handelt – nicht vom österreichischen BIA umfasst und daher zulässig. Nachdem die Produktionsanlage errichtet worden ist, also bereits nach Marktzutritt, legt Xenia gesetzlich höhere Umweltstandards fest. Dies stellt jedoch keinen Verstoß gegen das BIA dar, da es sich dabei ja laut Sachverhalt (per Gesetz, also für alle gültig) nicht um eine im Vergleich zu nationalen Firmen („Inländerbehandlung“) oder ausländischen Mitbewerbern („Meistbegünstigungsklausel“) diskriminierende Maßnahme handelt. Die staatliche Auftragsvergabepraxis hingegen verstößt aufgrund ihrer diskriminierenden Natur sehr wohl gegen die Verpflichtung der Inländerbehandlung des BIA. Die darauf folgende Beschädigung und Unauffindbarkeit von Lagerbeständen könnte, abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles, gegen die Verpflichtung des Aufnahmestaates für vollen Schutz und Sicherheit zu sorgen, verstoßen. Die Unterstellung des Unternehmens unter staatliches Management stellt nach herrschender Ansicht eine indirekte Enteignung dar, da der „Stranded Cars AG“ ja formell nicht das Eigentumsrecht an der Produktionsanlage entzogen wird. Diese – in ihren Rechtswirkungen gleich wie eine direkte Enteignung zu behandelnde Enteignungsform – ist diskriminierend und dient offensichtlich auch keinem öffentlichen Zweck im Sinne der ständigen Schiedsspruchpraxis. Sie ist daher als rechtswidrig einzustufen und muss eine
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Entschädigung nach den Bedingungen des BIA nach sich ziehen. Diese sind im gegebenen Sachverhalt nicht erfüllt, da die Entschädigung weder adäquat (muss sich nach dem wirtschaftlichen Wert des Unternehmens und nicht nach der Leistungsfähigkeit des Aufnahmestaates bemessen) noch unverzüglich (sie wird bloß in Aussicht gestellt) geleistet wird. Die „Stranded Cars AG“ wird nun eine Beseitigung der Rechtswidrigkeiten anstreben (siehe unten).
IV. Nicht-rechtsverbindliche investitionsbezogene Instrumente Neben den bereits dargestellten zwei Säulen im internationalen Recht, dem allgemeinen Völkerrecht und dem Völkervertragsrecht, gibt es eine dritte Säule, die bei transnationalen Investitionstätigkeiten von Bedeutung ist. Diese ist eine große, schwer zu überschauende Ansammlung von internationalen Erklärungen, Deklarationen, Richtlinien etc, deren gemeinsame Definitionsmerkmale die Nicht-Rechtsverbindlichkeit, also die NichtEinklagbarkeit, und der sachliche Bezug zu grenzüberschreitenden Investitionstätigkeiten sind. Trotz ihrer Unverbindlichkeit können sie in rechtliche Beurteilungen indirekt Eingang finden, beispielsweise wenn es darum geht, ob allgemein anerkannte Sorgfaltsmaßstäbe eingehalten wurden. Als konkretes Beispiel können die „OECD Guidelines for Multinational Enterprises“ aus 1976 genannt werden. Sie sehen Prinzipien und Regelungen für das Verhalten von international tätigen Konzernen vor allem in den Bereichen Arbeits-, Menschen-, Umwelt-, Wettbewerbsund Steuerrecht vor. Weitere Beispiele für diese Art von internationalem „soft-law“ im Investitionsbereich sind die bereits erwähnte „Charter of Economic Rights and Duties of States“ (1974) im Rahmen der Vereinten Nationen, die „Guidelines for the Treatment of Foreign Direct Investment“ (1992) im Rahmen der Weltbank und diverse Erklärungen im Rahmen der „United Nations Conference on Trade and Development“ (UNCTAD).
V.
Beilegung von Investitionsstreitigkeiten
A.
Investitionsstreitigkeiten Aufnahmestaat
zwischen
Investor
und
Kommt es im Rahmen von Investitionstätigkeiten zu Streitigkeiten zwischen dem Investor und dem Aufnahmestaat, die nicht durch Verhandlungen beigelegt werden können, so stehen dem Investor zumindest drei Wege offen. Neben den Möglichkeiten, sich an die Gerichte des Aufnahmestaates zu wenden (Nachteile: diese sind an die innerstaatlichen Gesetze gebunden; objektive und unabhängige Gerichtsbarkeit ist nicht in allen Staaten gewährleistet) oder seinen Herkunftsstaat um diplomatischen Schutz zu bitten (Nachteile: es besteht kein Rechtsanspruch darauf; dieser Weg kann erst nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges beschritten werden), ist in nahezu allen Fällen die internationale Schiedsgerichtsbarkeit der für den Investor günstigste Weg. Zu dieser Variante kann es jedoch nur kommen, wenn es zuvor zu entsprechenden Unterwerfungserklärungen sowohl seitens des Aufnahmestaates als auch des Investors kommt (zB Art 25 Abs 1 ICSID-Übereinkommen), was regelmäßig bereits durch die
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jeweiligen BIA seitens der Vertragsstaaten geschieht (vgl oben III.B.3.e.) Die Zustimmung des Investors wird durch Klagseinbringung angenommen. Im Rahmen der BIA wird entweder eine Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit des ICSID verankert oder eine andere Form der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Ist im Rahmen des ICSID ein Investor an der Streitigkeit beteiligt (gemischte Schiedsgerichtsbarkeit; Art 1 Abs 2 ICSIDÜbereinkommen) genügt es – seit der Unterzeichnung des „Additional Facility“Zusatzabkommens (1978) – wenn entweder der Herkunfts- oder der Aufnahmestaat das ICSID-Übereinkommen unterzeichnet haben.
1.
Die ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit
Als Voraussetzung zur Zulässigkeit für ein Schiedsverfahren gemäß dem ICSIDÜbereinkommen muss nicht – anders als beispielsweise bei diplomatischem Schutz – zuerst der lokale (gerichtliche) Instanzenzug im Aufnahmestaat vom Investor ausgeschöpft werden. Der Investor kann direkt die Einberufung eines Schiedsgerichtes verlangen. Ist ein Fall zur Schiedsgerichtsbarkeit zugelassen worden, so ist ICSID selbst kein Schiedsgericht, stellt aber einen institutionellen Rahmen (Verwaltungsrat und Sekretariat) und ein detailliertes Verfahrensrecht zur Verfügung, das unter anderem die Aufstellung eines entsprechenden Schiedsgerichtes regelt. Eine rechtliche Besonderheit dieses ICSID-Verfahrensrecht ist die Möglichkeit der Aufhebung eines Schiedsspruches wegen eines Nichtigkeitsgrundes. Solche Gründe stellen die fehlerhafte Zusammensetzung des Schiedsgerichts, die offensichtliche Überschreitung der schiedsrichterlichen Befugnisse, die Korruption eines Mitglieds des Schiedsgerichtes, die erhebliche Abweichung von einer grundlegenden Verfahrensregel und die fehlende Angabe der tragenden Gründe des Schiedsspruchs (Art 52 Abs 1 ICSID-Übereinkommen) dar. Ein ICSID-Schiedsspruch ist rechtlich bindend und kann in allen Vertragsstaaten wie ein rechtskräftiges innerstaatliches Urteil vollstreckt werden, ohne dass es dagegen eine Einspruchsmöglichkeit seitens des betroffenen Staates gäbe. Neben dieser weiteren rechtlichen Besonderheit bringt die enge Verbindung von ICSID zur Weltbank den in der Praxis entscheidenden Vorteil in Bezug auf die Durchsetzung von Schiedssprüchen im Vergleich zu andern internationalen Schiedsgerichten. Staaten hüten sich in aller Regel vor einer rechtswidrigen Nicht-Umsetzung von ICSID-Schiedssprüchen, müssten sie doch andernfalls höchstwahrscheinlich in Zukunft auf Kredite etc der Weltbank verzichten. Besonders seit den 90er Jahren erfreut sich das ICSID-Schiedsverfahren, dessen Übereinkommen von mehr als 150 Staaten ratifiziert wurde und zur Grundlage der Investitionsstreitbeilegung von beispielsweise NAFTA, des Energiechartervertrages und des Mercosur-Investitionskapitels wurde, hoher Beliebtheit. Dies betrifft sowohl die große Zahl an anhängigen (126, Juli 2008) bzw. bereits abgeschlossenen Verfahren (142, Juli 2008) als auch die noch viel höhere Zahl an während des Verfahrens – unter dem Eindruck eines drohenden Schiedsspruches – einvernehmlich gelösten Streitigkeiten.
2.
Andere internationale Schiedsgerichte
Ist im jeweiligen BIA kein ICSID-Verfahren vereinbart oder besteht eine Wahlmöglichkeit, so kann es zu Schiedsverfahren kommen, die sich nach den Schiedsregeln der Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL), der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) oder den eigenen Regeln eines Ad-hoc-Schiedsgerichtes,
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beispielsweise eingerichtet durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, richten. Die Durchsetzung von Schiedssprüchen erfolgt hier auf Grundlage der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche aus dem Jahr 1958. Diese Konvention sieht jedoch sieben verschiedene Gründe (ua den „ordre public“) für die Ablehnung der Vollstreckbarkeitserklärung eines Schiedsspruches durch den im Schiedsverfahren unterlegenen Staat vor, was in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann. Auch ist in diesen Fällen regelmäßig keine Möglichkeit zur Geltendmachung grober Verfahrensmängel (Nichtigkeitsgründe) vorgesehen. Zur Beseitigung der im Ausgangsfall festgestellten Vertragsverletzungen kann die „Stranded Cars AG“ – neben der Möglichkeit, sich an die innerstaatlichen Gerichte Xenias zu wenden bzw. um diplomatischen Schutz bei der Republik Österreich anzusuchen – die Überweisung der Streitigkeit an ein im Rahmen von ICSID zu konstituierendes Schiedsgericht anstreben. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen dafür sind gegeben: Xenia hat durch das BIA mit der Republik Österreich (Modell-Abkommen) seine Unterwerfungserklärung unter die internationale Schiedsgerichtsbarkeit abgegeben; durch die „Additional Facility“ reicht es, wenn ein Staat Mitglied des ICSID-Übereinkommens ist (Österreich); der Investor gibt seine Unterwerfungserklärung konkludent durch Klagseinbringung bei ICSID ab; und der innerstaatliche Instanzenzug Xenias muss zuvor nicht ausgeschöpft worden sein.
B.
Investitionsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten
Nationale Gerichte kapitalexportierender Industriestaaten mussten bisher vor allem Fälle von ausländischen Enteignungen beurteilen. Der Umstand, dass eine Enteignung völkerrechtskonform erfolgt ist (dazu oben), besagt nicht, dass nationale Gerichte eines anderen Staates völkerrechtlich verpflichtet sind, die fremdstaatliche Enteignung anzuerkennen. Es stellen sich mit anderen Worten die Fragen, •
ob eine völkerrechtskonforme Enteignung aufgrund von Völkerrecht anzuerkennen ist,
•
und ob umgekehrt einer völkerrechtswidrigen Enteignung die Anerkennung versagt werden muss.
Beide Fragen sind im Schrifttum strittig, sodass nicht von einer allgemein anerkannten völkerrechtlichen Regel ausgegangen werden kann. Ob eine solche Pflicht aus zwischenstaatlichen Verträgen folgt, ist im Einzelfall durch Auslegung zu klären. Das österreichische IPRG enthält keine spezielle Regel über die Anerkennung ausländischer Enteignungen. In Rechtsprechung und Lehre haben sich aber die folgenden Leitlinien herausgebildet: •
Die extraterritorialen Wirkungen einer entschädigungslosen Enteignung („Konfiskation“), die ein anderer Staat vornimmt, werden von österreichischen Gerichten nicht anerkannt (so genanntes Territorialitätsprinzip). Das heißt, dass der enteignende Fremdstaat nicht auf Vermögensgüter zugreifen kann, die im Zeitpunkt der Enteignung in Österreich belegen sind.
•
Wird hingegen hinsichtlich solcher Vermögensgüter eine angemessene Entschädigung geleistet, so ist es umstritten, ob die ausländische Enteignung anzuerkennen ist. Der OGH hat dies befürwortet.
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•
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Beschränkt sich der enteignende oder konfiszierende Staat auf Unternehmen und Vermögen, die zum Zeitpunkt der Enteignung auf seinem eigenen Territorium belegen sind, so wird die Enteignung grundsätzlich anerkannt. Besteht allerdings ein hinreichender Bezug zu Österreich, dann steht die Anerkennung unter dem Vorbehalt des österreichischen ordre public (§ 6 IPRG), in den insbesondere auch verfassungsrechtliche Vorgaben eingehen und der entschädigungslose und diskriminierende Enteignungen nicht zulässt. Bsp: Im Staat S werden die Eigentümer eines Unternehmens, die Staatsbürger von S sind, offenkundig deswegen entschädigungslos enteignet, weil sie einer nationalen Minderheit angehören. Diese Enteignung ist völkerrechtswidrig; das Völkerrecht stellt es den Staaten jedoch frei, ob sie eine solche Enteignung anerkennen (die Praxis nationaler Gerichte ist im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich). Als in weiterer Folge Produkte aus diesem Unternehmen nach Österreich gelangen, klagen die ehemaligen Eigentümer auf Herausgabe dieser Waren. Da hier kein hinreichender Inlandsbezug gegeben ist (die Enteigneten sind keine österreichischen Staatsangehörigen; das Unternehmen befindet sich im Staat S), wird vom OGH die Anerkennung der fremdstaatlichen Enteignung nicht abgelehnt (vgl OGH SZ 38/226, der sich auch auf die Territorialhoheit des enteignenden Staates und die Störung des Handelsverkehrs beruft. Dieser Fall hat eine Parallele in dem im internationalen Schrifttum häufig diskutierten „chilenischen Kupferstreit“, bei dem die ehemaligen amerikanischen Eigentümer einer chilenischen Mine nach ihrer Enteignung in Chile in Deutschland auf die Herausgabe des nach Deutschland gelangten Kupfers klagten). Umgekehrt läge der Fall, wenn die in S Enteigneten österreichische Staatsangehörige wären: Eine diskrimierende und/oder entschädigungslose Enteignung dürfte aufgrund des ordre-public-Vorbehaltes nicht anerkannt werden.
Im Ausgangsfall müssten österreichische Gerichte daher die Anerkennung der Enteignung aufgrund des Inlandsbezuges zu Österreich verweigern, wenn die in Xenia völkerrechtswidrig enteignete österreichische AG im Rechtsweg versucht, in den Besitz der nach Österreich gelangten Lagerbestände zu gelangen. Ob ähnliche Klagen in anderen Ländern erfolgreich sind, hängt davon ab, ob die dortigen Gerichte völkerrechtswidrige Enteignungen und enteignungsgleiche Maßnahmen anerkennen. Dabei können auch außenpolitische Erwägungen eine Rolle spielen. Da nationale Gerichte der meisten Staaten die Enteignung von Gegenständen nicht anerkennen, wenn sich diese nicht im enteignenden Staat befinden, versuchen enteignende Staaten mitunter eine indirekte Enteignung: Dabei bleibt das Unternehmen formal unangetastet, allerdings werden die Anteile der Gesellschafter enteignet. Im nächsten Schritt versucht der Staat im Gewande der Gesellschaft, auf das Vermögen der Gesellschaft in anderen Staaten zuzugreifen. In Deutschland wurde hierfür die umstrittene Theorie der „Spaltgesellschaft“ entwickelt, nach der das im Inland belegene Vermögen der im Ausland enteigneten Gesellschaft, einer fingierten neuen „Spaltgesellschaft“, gehört. Die österreichische Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt, sondern geht vom Entstehen einer schlichten Rechtsgemeinschaft der ehemaligen Anteilseigentümer in der Höhe ihrer quotenmäßigen Beteiligung an der Gesellschaft aus (vgl § 825 ABGB), ohne dass eine inländische Gesellschaft fingiert wird.
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Im neueren Schrifttum wird betont, dass in solchen Fällen eine konkurrierende Regelungszuständigkeit zweier oder mehrerer Staaten besteht, die eine Interessenabwägung erfordert (Herdegen).
VI. Investitionsschutz im Rahmen Gemeinschaftsrechts (EGV) A.
des
Europäischen
Einleitung
Durchsucht man die Stichwortverzeichnisse aller relevanten Lehrbücher des Europarechts nach den Begriffen „Investitionsschutz“ oder „Investitionsförderung“, wird man erfolglos bleiben. In Wahrheit aber bietet der EGV, der ein völkerrechtlicher Vertrag ist und dessen Inhalte daher auch in diesem Zusammenhang Erwähnung finden sollten, Instrumentarien zum Schutz und folglich zur Förderung von Investitionen eines Investors aus einem EUMitgliedstaat in einem anderen EU-Mitgliedstaat, deren Reichweite stark über alle anderen in völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen rechtlichen Mechanismen hinausgeht. Die Begründung dafür, dass dennoch kein Stichwortverzeichnis einen Hinweis darauf enthält, liegt in der Tatsache, dass die Bestimmungen zum Investitionsschutz im EGV unter anderen Bezeichnungen geführt werden. Allgemein gesprochen ist es das gesamte primäre und sekundäre EG-Binnenmarktrecht, das als einschlägig zu bezeichnen ist, insbesondere seine Kapitel über den Freien Kapitalverkehr (Art 56-60 EGV) und die Niederlassungsfreiheit (Art 43-48 EGV). Die Regeln betreffend den Wettbewerb (Art 81-89 EGV), die in Randbereichen auch einschlägig sind, sollen hier nicht vertieft werden.
B.
Der freie Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit des EGV aus investitionsrechtlicher Perspektive
Bei der Abgrenzung, welche der beiden primärrechtlichen Kapitel des EGV – Kapitalverkehrs- oder Niederlassungsfreiheit – mit Blick auf den Investitionsschutz der mitgliedstaatlichen Investitionspraktiken zur Anwendung gelangt, ist zunächst wieder auf die Unterscheidung von Portfolio- und Direktinvestitionen im völkerrechtlichen Sinne abzustellen. Direktinvestitionen sind in erster Linie durch die Niederlassungsfreiheit und nur subsidiär durch die Kapitalverkehrsfreiheit erfasst. Portfolioinvestitionen hingegen sind alleine durch die Kapitalverkehrsfreiheit gedeckt. Da im Gemeinschaftsrecht beide Freiheiten den gleichen Grundstrukturen und Prinzipien folgen, kann die Unterscheidung zwischen Portfolio- und Direktinvestitionen bei dem in diesem Kapitel zu ziehendem Vergleich zwischen den Investitionsmechanismen im Völkerrecht und dem EG-Recht, beiseite gelassen werden. Beide Freiheiten sind nach ständiger europarechtlicher Rechtsprechung nicht als bloße Diskriminierungsverbote sondern als Beschränkungsverbote zu verstehen. Dies gilt sowohl für die „Marktzutrittsphase“, also beispielsweise für die Realisierung der Niederlassung oder des grenzüberschreitenden Kapitaltransfers, als auch für die Behandlung nach deren tatsächlichen Umsetzung. Daraus folgt, dass jede mitgliedstaatliche Beschränkung dieser Freiheiten, die geeignet ist, den freien Kapitalverkehr oder die Niederlassungsfreiheit „zu unterbinden oder zu behindern“, eine unzulässige Beschränkung darstellt und nur in wenigen Ausnahmefällen (Art 45 und 46 EGV bzw „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses“) durch einen anerkannten Rechtfertigungsgrund erlaubt ist. Folglich
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sind auch alle mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die unterschiedslos auf inländische und EUausländische Investitionen gleich anwendbar sind, unter den dargestellten Bedingungen verboten. Bsp: Ein polnisches Unternehmen möchte in Österreich eine Niederlassung gründen. Von Seiten der zuständigen österreichischen Behörden wird jedoch eingewandt, dass dies aufgrund mangelnden wirtschaftlichen Bedarfes in dem betroffenen Sektor (Bedarfsprüfung) derzeit nicht möglich sei. Diese Bestimmung trifft inländische wie ausländische Unternehmen gleich, diskriminiert also das polnische Unternehmen nicht, wirkt sich aber dennoch auf die Niederlassungsfreiheit beschränkend aus. Da ein Beschränkungsverbot iSd EGV besteht, ist das österreichische Verwaltungshandeln daher grundsätzlich unzulässig, nämlich wenn es nicht gelingt, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Bezug auf ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel darzutun (vgl Skriptum EÖR I, LE 7, II.B. und V.).
C.
Vergleich zwischen EG-Recht und dem investitionsrechtlichen allgemeinen Völker- und Völkervertragsrecht
Aus der bisher dargestellten europarechtlichen Situation ergibt sich, dass der EGV – im Gegensatz zu den meisten völkerrechtlichen Instrumentarien – auch die Phase der Zulassung von Investitionen regelt. Mitgliedstaatlichen Investoren, sei es dass sie eine Unternehmensniederlassung gründen wollen, sei es dass sie bloß ausländische Wertpapiere an den dortigen Kapitalmärkten erwerben wollen, können nicht rechtswirksam durch staatliche Auflagen oder Verbote daran gehindert werden (außer bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes – siehe oben). In der Frage der einmal erfolgten Investition ist der Aufnahmestaat nicht bloß zur Inländergleichbehandlung bzw Meistbegünstigung verpflichtet, er darf auch kein hoheitliches Handeln setzen, das die Ausübung der Freiheit im oben dargestellten Sinn beschränken könnte. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Enteignungen zu betrachten. Die Rückführung von Kapitalströmen aus der getätigten Investition ist sowohl bei Portfolioals auch Direktinvestitionen vom Anwendungsbereich des freien Kapitalverkehrs umfasst, der auch die Zahlungsverkehrsfreiheit mit umfasst. Die Durchsetzung dieser Investitionsgarantien des EGV durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bzw. das Europäische Gericht erster Instanz (EuG), insbesondere durch das Vorabentscheidungsverfahren iSd Art 234 EGV, steht einer Streitbeilegung mit völkerrechtlichen Instrumentarien (Schiedsgerichte etc) bezüglich der Effektivität um nichts nach. Zusätzlich können sowohl die Europäische Kommission als auch der Herkunftsstaat des Investors vor allem das Vertragsverletzungsverfahren nach Art 226 EGV zur Durchsetzung von Investorenrechten einsetzen. Bsp: Da keine Ungleichbehandlung im Falle des zuvor genannten polnischen Unternehmens vorliegt (im Vergleich zu Inländern oder meistbegünstigten DrittstaatenInvestoren), könnte es durch keinen bekannten internationalen Investitionsvertrag (bilateral oder multilateral) eine Zulassung der geplanten Investition rechtlich durchsetzen. Das auf Grundlage der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit erlassene einschlägige Sekundärrecht konkretisiert diese Freiheiten sektorenabhängig mehr oder weniger weit und trägt daher einen weiteren entscheidenden Beitrag zum Schutz und zur Förderung von
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zwischenmitgliedsstaatlichen Investitionen bei. Aus Platzgründen kann es aber im vorliegenden Kapitel nur bei einem Verweis bleiben. Im Übrigen ist bezüglich weiterer Details des Europarechts aus investitionsrechtlicher Perspektive auf LE 7 im Skriptum EÖR I zu verweisen.
VII. Versicherungsmöglichkeiten für Auslandsinvestitionen Zusätzliche Schutzmechanismen für Auslandsinvestitionen bieten neben privaten Versicherungsunternehmen insbesondere die Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA) und die Österreichische Kontrollbank.
A.
Multilateral Investment Guarantee Agency
Die von der Weltbank forcierte MIGA-Konvention trat 1987 in Kraft. MIGA fungiert in erster Linie als internationale Garantieeinrichtung, bietet allerdings auch technische Hilfestellung und Rechtsberatung, um eine Streitschlichtung zwischen Investoren und Gaststaaten zu fördern, und soll den Abschluss von (bilateralen und multilateralen) Investitionsabkommen erleichtern. Die Agentur hat heute mehr als 170 Mitgliedstaaten. Nach der MIGA-Konvention können sich Investoren aus Mitgliedstaaten gegen folgende Risiken absichern: •
Inkonvertibilität der Währung des Aufnahmestaates
•
Enteignung
•
Vertragsbruch durch den Gaststaat
•
bewaffnete Konflikte und zivile Unruhen
•
politisch motivierte Sabotage und Terrorismus
Versicherbar sind neue Investitionen, die Erweiterung, Modernisierung, Restrukturierung und Privatisierung bestehender Investitionen und unter Umständen Kredite. MIGA-Garantien werden nur gewährt, wenn das Gastland hinreichende rechtliche Investitionsbedingungen nicht nur für das versicherte Projekt, sondern für Auslandsinvestitionen an sich bietet. Dies soll das allgemeine Investitionsklima verbessern. Von allgemeiner Bedeutung ist ferner das von Art 11(a)(ii) der MIGA-Konvention ausgehende Signal, das klarstellt, dass eine gesetzliche Maßnahme oder ein Verwaltungsakt, die das Eigentum eines versicherten Investors oder dessen Nutzung beschränken, nicht erfasst sind, wenn solche Akte nicht diskriminierend und allgemein anwendbar sind. Bsp: Steuerrechtliche, arbeitsrechtliche und Umweltschutzmaßnahmen. Dies deckt sich mit der neueren Streitschlichtungspraxis in der NAFTA, in der die USA im Leitfall Methanex argumentierten, dass allgemeine Maßnahmen zum Umweltschutz nicht als (rechtfertigungsbedürftige) Enteignungen oder enteignungsgleiche Maßnahmen angesehen werden dürfen.
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B.
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Nationale Versicherungseinrichtungen
Zwar steht für Auslandsinvestitionen grundsätzlich die Absicherung durch private Versicherungen zur Verfügung. In den meisten westlichen Staaten wurden jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung von Auslandsinvestitionen nationale Versicherungssysteme eingerichtet. Zu nennen sind in Österreich insbesondere die Österreichische Kontrollbank (ÖKB), die politische Risken absichert, und die Austria Wirtschaftsservice GmbH (AWS), die wirtschaftliche Risken abdeckt. Die ÖKB übernimmt als Bevollmächtigte des Bundes Haftungen in Form von Beteiligungsgarantien. Im Zentrum steht die so genannte Garantie G4, welche der Absicherung politischer Risken im Zusammenhang mit Firmengründungen oder dem Erwerb von Beteiligungen im Ausland (einschließlich Minderheitsbeteiligungen) dient. Unter politischen Risken sind in diesem Rahmen das Risiko der gänzlichen oder teilweisen Entziehung von Beteiligungsrechten und Ansprüchen aus beteiligungsähnlichen Darlehen zu verstehen (zB Verstaatlichung oder Enteignung), sowie das Risiko einer wesentlichen Zerstörung von Vermögenswerten, die eine Weiterführung des ausländischen Unternehmens ohne Verlust unmöglich macht; und das Risiko der Beschränkung des freien Transfers und der freien Verfügung über Dividenden und Beteiligungserträge, Kapitaltilgungen und Zinszahlungen aus beteiligungsähnlichen Darlehen und Erlöse aus dem Verkauf von Beteiligungsrechten. Daneben bestehen weitere die Garantie G4 ergänzende Mechanismen zB zum Schutz in ausländischen Lagern gehaltener Güter, im Ausland eingesetzter Maschinen und Anlagen. Voraussetzung für eine ÖKB-Garantie ist jeweils ein zu erwartender positiver Leistungsbilanzeffekt, nicht jedoch das Bestehen eines BIA zwischen Österreich und dem Investitions-Zielland.
VIII. Exkurs: Risikoabsicherung im Warenverkehr Hat sich das Kapitel bisher mit ausländischen Investitionen und der Absicherung diesbezüglicher Risiken beschäftigt, so befasst sich dieser abschließende Exkurs mit der Risikoabsicherung im Warenverkehr als einem weiteren Aspekt der internationalen Geschäftstätigkeit. Der Zweck der nachfolgenden Ausführungen ist lediglich, auf die relevanten Fragen und die wichtigsten Probleme hinzuweisen. Eine Vermittlung von Detailkenntnissen ist nicht beabsichtigt.
A.
Nationale Exportförderungs- und Risikoabsicherungssysteme
Alle Industriestaaten und eine Reihe weiterer Länder haben aus volkswirtschaftlichen Überlegungen staatliche Exportförderungs- und Exportrisiko-Absicherungssysteme geschaffen. Im Zentrum stehen dabei Exportkredite, deren staatliche Förderung und Exportkreditversicherungen. Unter Exportkreditversicherung (mitunter auch als Exportkreditgarantie oder Exportgarantie bezeichnet) ist die Absicherung diverser mit der Gewährung von Exportkrediten verbundener Risiken zu verstehen. Sie kann von staatlicher Seite, aber auch von privaten Unternehmen angeboten werden. Mit dem internationalen Regelwerk, das in der Folge besprochen wird und das die Bedingungen für staatliche Garantien an Marktbedingungen anzunähern versucht, kommt privaten Versicherern auf diesem Gebiet zunehmende Bedeutung zu. In Österreich übernimmt der Bund nach dem Ausfuhrförderungsgesetz (BGBl Nr 215/1981, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 32/2008) Haftungen, die von der ÖKB als Bevollmächtigte
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Investitionsschutz und Risikoabsicherung
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des Bundes banktechnisch abgewickelt werden. Unter den solcherart gewährten „Exportgarantien“ sind Ausfallshaftungen zur Absicherung des Risikos der Nichterfüllung der Verpflichtungen eines ausländischen Vertragspartners aus einem Exportgeschäft zu verstehen. Erfasst sind wirtschaftliche Risiken (Zahlungsverzug sowie Zahlungsunfähigkeit des ausländischen Vertragspartners bzw Sicherheitengebers) und politische Risiken (Aufruhr, Revolution, Krieg, Konvertierungs- und Transferbeschränkungen sowie Zahlungsmoratorien) einschließlich der Nichtzahlung eines öffentlichen Vertragspartners bzw Sicherheitengebers. Dafür sind in Abhängigkeit von Länderrisiko, Risikodauer, Bonität des Vertragspartners und des versicherten Betrags Prämien (Garantieentgelte) zu leisten. Die ÖKB bietet – wie international üblich – Garantien für Exportkredite (Lieferanten- und Bestellerkredite) und für eine Reihe damit im Zusammenhang stehender Risiken, sowie Bürgschaftszusagen für Wechsel, die zur Finanzierung von Exportgeschäften dienen, an.
B. Internationale Regelungen Nationale Exportförderungen und Exportkreditversicherungen können Subventionen im Sinne internationaler Regelwerke darstellen, die der Gefahr eines internationalen Exportsubventions-Wettlaufs vorbeugen sollen.
1.
Wichtigste Regelungswerke: - WTO-Recht - OECD-Consensus - Gemeinschaftsrecht
WTO-Recht
An erster Stelle ist das WTO-Subventionsübereinkommen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures – SCM) zu nennen. Außer Betracht bleibt für die Zwecke dieses Exkurses das WTO-Landwirtschaftsübereinkommen (Agreement on Agriculture), auf das hier nur verwiesen sei; es enthält spezielle Regelungen für Exportsubventionen im Landwirtschaftsbereich. Nach dem SCM-Übereinkommen liegt eine Subvention vor, wenn – vereinfacht ausgedrückt – staatlicherseits eine finanzielle Beihilfe an Unternehmen (oder eine Form der Einkommens- oder Preisstützung iSd Art XVI GATT) geleistet und den Unternehmen dadurch ein Vorteil gewährt wird. Unter finanzieller Beihilfe ist ein direkter sowie ein potentieller direkter Transfer von Geldern (zB Kreditbürgschaften) ebenso zu verstehen wie der staatliche Verzicht auf normalerweise zu entrichtende Abgaben, das Zur-VerfügungStellen von Waren und Dienstleistungen und staatliche WTO- Subventionsabkommen: per-seZahlungen an einen Fördermechanismus (Art 1.1 SCMVerbot von Exportsubventionen in Übereinkommen). Exportsubventionen sind nach dem SCMBeispielliste + Anfechtungsmöglichkeit Übereinkommen per se verboten, dh unabhängig davon, ob sie nur bestimmten Unternehmen oder Wirtschaftszweigen („spezifisch“) gewährt werden. Das Übereinkommen enthält eine – nicht abschließende – Beispielliste von staatlichen Exportförderungsmaßnahmen, die WTO-rechtlich als Exportsubventionen gelten. Unter dem Titel „Risikoabsicherung“ sind dabei vor allem lit j und lit k des Anhangs I anzuführen. Diese Bestimmungen erfassen: •
Programme für Ausfuhrkreditbürgschaften oder -versicherungen, Versicherungsoder Wirtschaftsprogrammen zum Schutz vor Preissteigerungen bei der Ausfuhr, Programme zur Abdeckung von Währungsrisiken zu Prämiensätzen, „die nicht ausreichen, um langfristig die Betriebskosten und -verluste der Programme zu decken“ (lit j)
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•
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Ausfuhrkredite zu Sätzen, die unter jenen liegen, die der Staat (oder ihm unterstellte Sondereinrichtungen) selbst zahlen muss, um sich die nötigen Mittel zu verschaffen, sowie die Übernahme von Kreditbeschaffungskosten (lit k).
Von dieser Beispielliste nicht erfasste staatliche Maßnahmen sind nicht per se verboten. Sie können allerdings „anfechtbare Subventionen“ im Sinne des SCM-Übereinkommens darstellen. Eine erfolgreiche Anfechtung einer solchen Subvention durch andere WTOMitglieder setzt voraus, dass diese „spezifisch“ ist (s oben) und nachteilige Auswirkungen auf die Interessen dieser WTO-Mitglieder zeitigt. Eine nachteilige Auswirkung liegt gemäß Art 5 des SCM-Übereinkommens vor, wenn es zu einer Schädigung eines inländischen Wirtschaftszweiges eines anderen WTO-Mitglieds kommt; wenn eine Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen aus dem GATT erfolgt; oder wenn die Interessen eines anderen WTO-Mitglieds ernsthaft geschädigt werden. Nachteilig betroffene WTO-Mitglieder können Exportsubventionen im Sinne der Beispielliste ebenso wie anfechtbare Subventionen zum Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens machen und, wenn das beklagte und verurteilte Mitglied diese nicht abstellt, zur Einhebung von Strafzöllen ermächtigt werden (Art 4, 7 und 9 SCM-Übereinkommen). Alternativ und kumulativ kann das betroffene Mitglied aber auch ohne im WTO-Streitverfahren gewährte Autorisierung Ausgleichsmaßnahmen (Ausgleichszölle) ergreifen; hierfür stellt das SCMÜbereinkommen strikte Voraussetzungen auf, deren Einhaltung auf Klage des hiervon betroffenen WTO-Mitglieds wiederum im WTO-Streitbeilegungsverfahren überprüft werden kann.
2.
Das OECD-Arrangement und sein Verhältnis zum WTO-Recht
Internationale Vorgaben für Exportförderungen werden weiters in der OECD erarbeitet. Von zentraler Bedeutung ist das „OECD Arrangement on Officially Supported Export Credits“, das idR kurz als OECD-Arrangement oder OECD-Consensus bezeichnet wird. Dieser Consensus stellt ein an sich unverbindliches „gentlemen’s agreement“ dar, das aber in der EG durch eine Entscheidung des Rates für verbindlich erklärt worden ist (Entscheidung 2001/76/EG). Er findet Anwendung auf öffentliche Unterstützungen für den Export von Waren und/oder Dienstleistungen sowie für Finanzleasing mit einer Laufzeit von mindestens zwei Jahren, unabhängig davon, ob die Exportkredite durch „Direktkredite/finanzierung, Refinanzierung, Zinszuschüsse, Garantie oder Versicherung öffentlich unterstützt werden“ (Kap I Punkt 5 des Consensus).
OECD-Consensus: - Gentlemen´s agreement - im EG verbindlich
Von besonderer praktischer Bedeutung – und keineswegs konfliktfrei – ist das Zusammenspiel von WTOSubventionsübereinkommen und OECD-Consensus. Ist ein WTO-Mitglied Vertragspartei des Consensus oder einer Nachfolgeregelung desselben, oder wendet es in der Praxis die Zinssatzbestimmungen des Consensus an, so gilt aufgrund des SCM-Übereinkommens eine bei Ausfuhrkrediten angewandte Praxis, die mit den betreffenden Bestimmungen des Consensus im Einklang steht, nicht als verbotene Subvention (lit k Absatz 2 der oben genannten SCM-Beispielliste in Anh I). Zu beachten ist jedoch, dass diese Ausnahmebestimmung, die auch als „safe haven“ bezeichnet wird, sich nur auf lit k (Ausfuhrkredite), nicht aber auf lit j (Ausfuhrkreditversicherungen usw, s oben) bezieht. Diese Ausnahme wurde in der WTOStreitschlichtungspraxis restriktiv interpretiert: So rechtfertige der OECD-Consensus staatliche Förderungsmaßnahmen in WTO-rechtlicher Sicht nur insoweit, als ein WTO-
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Mitglied die Zinssatzbestimmungen des Consensus anwende („export credit practices in the form of direct credits/financing, refinancing, and interest rate Verhältnis zum WTO-Recht: nur support at fixed interest rates with repayment terms of two eingeschränkte Rechtfertigung („safe years or more“). Andere Ausfuhrkreditmaßnahmen, die im haven“) OECD-Consensus geregelt und somit von diesem teilweise erlaubt werden, seien nicht von dieser WTO-rechtlichen Ausnahme erfasst (WTO panel report, Canada – Civilian Aircraft, WT/DS70/RW, 9 May 2000, para 5.80; vgl auch WTO panel report, Canada – Export Credits and Loan Guarantees for Regional Aircraft, WT/DS222/R, 28 January 2002, paras 7.158 ff). Dies gilt auch für staatliche Exportgarantien und Kreditversicherungen, die somit den allgemeinen Vorschriften des SCMÜbereinkommens und lit j der Beispielliste entsprechen müssen. Das heißt, dass Exportgarantie- und Exportkreditversicherungssysteme zum Schutz vor Preissteigerungen oder Programme zur Abdeckung von Währungsrisiken dann WTO-rechtlich verboten sind, wenn die Prämiensätze gemäß lit j „nicht ausreichen, um die Betriebskosten und -verluste bei der Ausführung der betreffenden Programme auf lange Sicht zu decken“. Zu beachten ist, dass der Consensus in der Zwischenzeit novelliert worden ist (OECD Dokument TAD/PG(2007)28/Final; in Kraft seit 1. 1. 2008). Er ist zwar gemeinschaftsrechtlich noch nicht umgesetzt worden, hat aber aufgrund des oben skizzierten Verweises im SCM-Übereinkommen WTO-rechtliche Relevanz. An der restriktiven WTO-Rechtsprechung dürfte diese Neufassung aber wenig ändern, da der „safe haven“ auch in der aktuellen Version eng erscheint (official financing support for fixed rate loans).
3.
Gemeinschaftsrecht
Grundsätzlich liegt die Ausgestaltung und Gewährung von Exportförderungen im Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten. Den mitgliedsstaatlichen Handlungsbefugnissen sind jedoch gemeinschaftsrechtliche Grenzen gesetzt, EGV und Exportförderung: einerseits durch Bestimmungen des Beihilfenrechts (Art 87 ff - Beihilfenrecht (Art 87ff EGV) EGV), andererseits durch die Gemeinsame Handelspolitik - GHP (Art 131ff EGV) (Art 131 ff EGV). Hierbei muss zwischen EG-internen und drittlandsbezogenen Exportförderungen unterschieden werden. Für Ausfuhren in andere EUMitgliedsstaaten sind Beihilfen aus staatlichen Mitteln jeglicher Art, sofern sie nicht zu Marktbedingungen erfolgen, untersagt. Dies ergibt sich aus dem Beihilfenverbot des Art 87 EGV. Beihilfen zu Marktbedingungen sind solche, die auch von privaten Marktteilnehmern angeboten werden oder für die potentiell ein privater Markt besteht, wenn ein angemessenes wirtschaftliches Austauschverhältnis vorhanden wäre. Anders stellt sich die Situation bei Exportförderungsmaßnahmen bezüglich Drittstaaten dar. Hier ist ein gewisser Grad an staatlicher Unterstützung zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen unter den oben dargestellten Rahmenbedingungen (A.–C.) sogar erwünscht. Dabei liegt der Schwerpunkt des gemeinschaftsrechtlichen Regelungsanliegens unter Art 132 EGV in der Harmonisierung der Ausfuhrförderungssysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten, um für alle Unternehmen innerhalb des Binnenmarktes gleiche Ausgangspositionen für den Drittlandsexport zu schaffen. Exportförderungsmaßnahmen bezüglich Drittstaaten unterliegen aber dennoch parallel den Regelungen des Beihilfenrechts (Art 87 EGV), so weit nämlich eine mittelbare Auswirkung
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auf den innergemeinschaftlichen Handel nicht ausgeschlossen werden kann und durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige der Wettbewerb verfälscht wird oder verfälscht zu werden droht. Unternehmen, die im Drittstaatenexport günstigere Bedingungen durch nationale Ausfuhrförderungssysteme vorfinden, könnten diesen Wettbewerbsvorteil nämlich gegenüber Konkurrenzunternehmen im Binnenmarkt geltend machen. Als praktisch bedeutendste sekundärrechtliche Bestimmung für die Regelung der Exportförderung bezüglich Drittstaaten ist auf die RL 98/29/EG zur Harmonisierung der wichtigsten Bestimmungen über die Exportkreditversicherung zur Deckung mittel- und langfristiger Geschäfte hinzuweisen. Zusammenfassend gesehen sind daher für Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Exportförderungen neben den WTO- und OECD-rechtlichen (wobei letztere erst durch Umsetzung in das Gemeinschaftsrecht ihre Rechtsverbindlichkeit erhalten) Bestimmungen das EG-Beihilfenrecht und die EG-Harmonisierungsbestimmungen bezüglich Exportförderung, va RL 98/29/EG, von Bedeutung.
IX. Weiterführende Literatur Ambrosch-Keppeler, Die Anerkennung fremdstaatlicher Entscheidungen, 1991. Carreau/Juillard, Droit international économique, 1998. Dolzer/Stevens, Bilateral Investment Treaties, 1995. Efler, Internationale Investitionsabkommen, 2007. Griller, Das Beihilfenrecht der WTO, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht, Beihilfenrecht, 2004, 179-223. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Auflage, 2003. Igler/Schekulin, Von Doha nach Cancún: Die Aussichten für WTO-Investitionsregeln, in: Außenwirtschaftsjahrbuch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, 2003. Jackson, Legal problems of international economic relations, 2002. Lowenfeld, International Economic Law, 2002. Reed/Paulsson/Blackaby, Guide to ICSID Arbitration, 2004. Reinisch, Ein multilaterales Investitionsabkommen im Rahmen der Köck/Lengauer/Ress, Europarecht im Zeitalter der Globalisierung, 2004.
WTO?,
in:
Sornarajah, The International Law on Foreign Direct Investment, 2004. UNCTAD, International Investment Instruments: A Compendium, Volume I-VI, 2001. UNCTAD, Recent developments in international investment agreements (2006 – July 2007), 2007. Weber, Beihilfen in der Außenwirtschaft, in Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht, Beihilfenrecht, 2004, 277-296. Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, 2003.
LE 8
X.
Investitionsschutz und Risikoabsicherung
Links
www.wto.org www.unctad.org www.worldbank.org/icsid www.miga.org www.encharter.org www.oecd.org www.uncitral.org www.iccwbo.org www.oekb.at www.aswg.at
203
204
Investitionsschutz und Risikoabsicherung
LE 8
XI. Wiederholungsfragen
Worin besteht die rechtliche Bedeutung der Unterscheidung zwischen verschiedenen Investitionsformen (Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen usw)?
Welche rechtlichen Instrumente spielen im Bereich ausländischer Investitionen zusammen?
Was ist unter indirekten Enteignungen („creeping expropriation“) zu verstehen? Welche Probleme wirft ein so weiter Enteignungsbegriff auf?
Welche allgemeinen (völkergewohnheitsrechtlichen) Standards bestehen einerseits für die Zulassung ausländischer Investitionen, andererseits für den Schutz des Eigentums ausländischer Investoren?
Welche Bedeutung haben Verträge zwischen Investoren und Staaten?
In welchem Maße werden Investoren durch das Recht der WTO (GATT, GATS usw) geschützt? Welche Lücken bestehen?
Welche wesentlichen Hürden bestehen für den Abschluss künftiger multilateraler Investitionsabkommen? Inwiefern kann das GATS als Modell dienen?
Welche wesentlichen Regelungen beinhalten BIA?
Wie sind Investitionen in BIA regelmäßig definiert? Welche Unterschiede gibt es?
Wofür benötigen BIA eine Bestimmung über den freien Kapitalverkehr, wenn sich derartige Verträge im Ganzen doch mit Kapitalströmen befassen?
Wie ist die Streitbeilegung in BIA im Detail geregelt?
Nennen Sie Beispiele für nicht-rechtsverbindliche Investitionsinstrumente im internationalen Kontext und definieren sie deren Bedeutung!
Durch welche Bestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsvertrages werden innergemeinschaftliche, grenzüberschreitende Investitionen gefördert bzw geschützt?
Ziehen Sie einen Vergleich zwischen internationalem und im Europäischen Gemeinschaftsvertrag enthaltenem Investitionsrecht!
Welche Verfahrensregeln haben die größte Bedeutung in der Praxis der Investor-StaatStreitbeilegung errungen?
Nennen Sie deren Charakteristika!
Wann anerkennen inländische Gerichte ausländische Enteignungen? Welche Leitlinien kennzeichnen die österreichische Rechtslage?
Wie können Auslandsinvestitionen durch Versicherungen bzw Garantien abgesichert werden?
Wie werden Exporte staatlich gefördert? Was ist unter Exportkreditversicherungen bzw – garantien zu verstehen?
Welche diesbezüglichen Regeln stellt das WTO-Recht auf? Was ist und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der „OECD-Consensus“?
LE 9
Globalisierung rechtlich betrachtet
205
Lektion 9
GLOBALISIERUNG RECHTLICH BETRACHTET
GM Sojabohnen aus Brasilien Sie sind ein aufstrebender brasilianischer Produzent genetisch modifizierter (GM) Sojabohnen, welche hauptsächlich als Futtermittel verwendet werden. Gentechnik macht die Bohnen resistent gegen Schädlinge und erhöht dadurch Ihre Produktivität. Sie wollen Ihre Sojabohnen nach Europa exportieren und haben bereits 1999 einen Antrag auf Marktzulassung gemäß der EG-VO 1829/2003 über genetisch modifizierte Nahrungs- und Futtermittel gestellt. Auf wiederholte Nachfrage wird Ihnen mitgeteilt, dass das Zulassungsverfahren nicht abgeschlossen sei, da weitere wissenschaftliche Untersuchungen und Tests hinsichtlich potentieller Gefahren für die Umwelt durch die Freilassung der in Ihrem Produkt enthaltenen Gene durchgeführt werden müssen. Sie erfahren, dass in der EU zwischen 1998 und 2004 aus politischen Gründen ein Moratorium für die Zulassung von GM Organismen (GMOs) herrschte, wodurch de facto alle Importe von GM Produkten verboten waren. Es wird Ihnen weiters mitgeteilt, dass in einigen EU-Mitgliedstaaten wie Österreich, Frankreich, Deutschland, Griechenland und Italien weiterhin Importverbote bestehen, selbst für bereits von der EU zugelassene GMOs. Vertreter der EU versichern Ihnen, dass das Moratorium beendet sei und dass bereits 30 GMOs bzw GM Produkte in der EU zugelassen wurden. Sie werden jedoch auch darauf hingewiesen, dass das Zulassungsverfahren noch länger dauern könnte, da es auf Grund des Moratoriums einen Rückstau an Zulassungsanträgen gebe. Sie empfinden das als sehr ungerecht und als neuerlichen Beweis für den Protektionismus der Europäischen Union im Agrarsektor. Sie hören, dass auch amerikanische Produzenten von GMOs, an sich Ihre Konkurrenten, rechtliche Schritte erwägen. Sie suchen einen auf internationales Recht spezialisierten Anwalt in Rio de Janeiro auf und bitten diesen um eine Einschätzung Ihrer Situation. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind: Welche Auswirkungen hat die Globalisierung? Was sind dabei die Interessen von Industrienationen und Entwicklungsländern? Gibt es „globale“ Werte und wie verhalten sich diese zur Handelsliberalisierung? Beschränkt Globalisierung die Handlungsfähigkeit von Staaten wie Österreich? Ist die Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten praktikabel in einer globalisierten Welt? Was sind die rechtlichen Grundlagen für das politische Handeln der EU auf internationaler Ebene?
Globalisierung rechtlich betrachtet
206
LE 9
Inhalt: I. A. B. 1. 2. C. 1. 2. II. A. B. 1. 2. 3. C. D. 1. 2. 3. III. A. B. 1. 2. C. D. IV. A. B. C. V. A. B. C. VI. VII.
Was ist Globalisierung?............................................................................................ 207 Versuch einer Definition .............................................................................................. 207 Ursachen und Wirkungen der Globalisierung .............................................................. 208 Messbares ................................................................................................................... 208 Nicht-quantifizierbare Phänomene .............................................................................. 208 Folgen – Ist Globalisierung gut oder schlecht? ........................................................... 209 Positive Auswirkungen ................................................................................................ 209 Negative Auswirkungen ............................................................................................... 210 Globalisierung der Werte .......................................................................................... 211 Einführung ................................................................................................................... 211 Menschenrechte .......................................................................................................... 212 Internationale Abkommen ........................................................................................... 212 Human Rights Clauses in internationalen Verträgen der EG ...................................... 213 Handelssanktionen als politisches Instrument............................................................. 213 Umweltschutz .............................................................................................................. 214 Strafrecht ..................................................................................................................... 215 Extraterritoriale und internationale/universelle Gerichtsbarkeit ................................... 215 Kriegsverbrechertribunale ........................................................................................... 217 Der Internationale Strafgerichtshof .............................................................................. 218 Globalisierung des Handels ..................................................................................... 219 Einführung ................................................................................................................... 219 Dienstleistungsliberalisierung ...................................................................................... 220 Europäische Union ...................................................................................................... 220 WTO ............................................................................................................................ 221 Nord-Süd-Konflikte ...................................................................................................... 221 Internet: Ein rechtsfreier Raum? ................................................................................. 223 Globalisierung und Souveränität ............................................................................. 224 Was ist Souveränität? ................................................................................................. 224 Hat Österreich noch wirtschaftspolitische Regulierungsmacht?.................................. 225 Der Konflikt um Kompetenzen in der EU ..................................................................... 228 Die EU als „Global Player“ ....................................................................................... 230 „One Voice“ in der Weltpolitik ...................................................................................... 230 Die EU bzw EG in internationalen Organisationen ...................................................... 231 Sind Europäer von der Venus? ................................................................................... 232 Weiterführende Literatur........................................................................................... 234 Wiederholungsfragen................................................................................................ 235
LE 9
Globalisierung rechtlich betrachtet
I.
Was ist Globalisierung?
A.
Versuch einer Definition
207
Über die Bedeutung des Begriffs der Globalisierung besteht bisher kein Konsens. Zu Vieles und zu Unterschiedliches wird damit im Sprachgebrauch assoziGlobalisierung = Prozess der globalen iert. Ganz allgemein kann Globalisierung als der Prozess der Vernetzung zunehmenden weltweiten Vernetzung, primär in der Wirtschaft, aber auch in der Politik, der Kultur und genauso im Recht verstanden werden. Nach anderen plakativen, aber wenig aussagekräftigen Bezeichnungen bedeutet Globalisierung eine Verdichtung von Raum und Zeit (time-space compression, Harvey), eine Nivellierung des globalen Spielfeldes (levelling of the global playing field, flat world, Friedman) und kaleidoskopische komparative Wettbewerbsvorteile (kaleidoscope comparative advantage, Bhagwati). Provokant wird auch behauptet, Globalisierung sei ein Überbegriff für all jene gesellschaftlichen Entwicklungen, die Gegner der freien Marktwirtschaft ablehnen. Als Argument gegen die These der Unvermeidlichkeit und Unaufhaltsamkeit der Globalisierung lassen sich unter anderem die Abschottungspolitik von Ländern wie Nord-Korea, Bhutan und bedingt auch China (Kontrolle über Kapitalverkehr, Zivilgesellschaft) anführen. Ebenso strittig ist, wann der Prozess der Globalisierung eingesetzt hat. Die Datierung auf das Jahr 1989 kann sich auf zwei folgenreiche Ereignisse berufen: Der Kommunismus verlor seinen Anspruch auf Weltgeltung und an der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN, Berners-Lee) in Genf wurde das World Wide Web erfunden. Das Verständnis von Globalisierung als Prozess spricht jedoch gegen die Annahme konkreter Anfangsdaten. Vielmehr ist von einer graduell zunehmenden globalen Interkonnektivität und Interdependenz auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen auszugehen, welche teilweise schon sehr lange existiert. Der Welthandel war bereits zu Zeiten Marco Polos stark vernetzt und man kann behaupten, dass in diesem Bereich die Globalisierung im 19. Jahrhundert einen nicht wieder erreichten Höhepunkt hatte. Kritisch angemerkt wird dazu weiters, dass 8% der Weltbevölkerung (USA, Japan, EU) 49% des globalen BNP erwirtschaften und der nicht entwickelte Teil der Welt von diesem Aspekt der Globalisierung überwiegend ausgeschlossen erscheint. Der Warenhandel wird fast ausschließlich innerhalb und zwischen den vier größten regionalen Integrationsgemeinschaften (EU, NAFTA, ASEAN und MERCOSUR) abgewickelt, davon fast ein Viertel allein innerhalb der EU. 49 Entwicklungsländer haben insgesamt nur einen Welthandelsanteil von 0,5%. Unumstritten ist jedoch, dass vor allem Bewohner von Industrienationen von der Globalisierung heute weit mehr als nur im Bereich des Handels betroffen sind. Bsp: Wir sehen Filme aus Bollywood, fahren koreanische Autos, benutzen chinesische Laptops, ein Franzose ist CEO in Japan, afrikanische Schulkinder tragen Trikots von Manchester United etc. Deshalb ist der Prozess der Globalisierung zugleich ein guter Ansatzpunkt, um das Zusammenspiel von allgemeinem Völkerrecht, Wirtschaftsvölkerrecht, Europarecht, und nationalem Recht anzusprechen und dabei (hoffentlich) wichtige Einzelergebnisse der Kapitel von EÖR I und EÖR II in ihrer inhaltlichen und organisatorischen Dimension zusammenzuführen.
Globalisierung rechtlich betrachtet
208
B.
Ursachen und Wirkungen der Globalisierung
1.
Messbares
LE 9
Der Grad der Globalisierung lässt sich in vielen Bereichen nur schwer quantifizieren. Am Besten lässt sich der Prozess an Hand der Entwicklung der Weltwirtschaft in Zahlen darstellen, wobei hier der Vergleichzeitraum zumeist auf die letzten sechzig Jahre beschränkt ist. Die Meinungen divergieren, in welchem Ausmaß diese Zahlen die Ursache oder, zumindest zum Teil, eher die Folgen der Globalisierung widerspiegeln. Zu verzeichnen ist einerseits ein markanter Anstieg des Warenhandels von real 6,1% im Jahresdurchschnitt im Vergleich zur Produktion (3,9%) sowie eine überproportionale Steigerung der direkten Auslandsinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI). Das FDI-Volumen stieg zwischen 1970 und 1998 von 21 auf 227 Milliarden US$ und hat sich in den 90er Jahren verfünffacht. Diese Entwicklung der Handels- und Kapitalströme in den letzten Jahrzehnten zeigt sich auch gemessen am Welt-Bruttoinlandsprodukt mit einer Steigerung der WeltExporte von Gütern und Dienstleistungen seit 1970 von 11,5 auf 27,1% und einem Anstieg der weltweiten FDIs von 4,8 auf 23,6% seit 1980. Zurückzuführen ist beides maßgeblich auf die Liberalisierung des Welthandels einschließlich der Kapitalmärkte. Durchschnittliche Zölle von 40% des Einkaufspreises im Jahr 1950 wurden im Rahmen der WTO auf 6% im Jahr 1984 reduziert. Inzwischen werden mehr als 63.000 transnationale Unternehmen gezählt. Ende der 90er Jahre wurden auf den Weltdevisenbörsen täglich 1200 Milliarden US$ gehandelt, wovon 95% zwischen Banken erfolgt. Ein weiterer Indikator ist die Verhundertfachung der Luftfracht seit 1950 sowie die Verzehnfachung der Zahl der Telefonanschlüsse sowie, nicht zuletzt, die Verzehnfachung der Zahl der Internetanschlüsse zwischen 1984 und 1996.
2.
Nicht-quantifizierbare Phänomene
Neben dem über viele Verhandlungsrunden im Rahmen der WTO und vor deren Gründung 1994 auf Basis des GATT bewirkten Abbau der Handelsbarrieren zwischen den Industrieländern (siehe LE 6) nach dem Protektionismus der Zwischenkriegszeit (Rückgang des internationalen Handels um 90%) und dem (für Europa) wirtschaftlichen Desaster des 2. Weltkrieges war es vor allem der Niedergang des Kommunismus, welcher die Globalisierung zu einem wahrhaft globalen Prozess machte. Kapitalismus und Marktwirtschaft, in verschiedenen Ausformungen, wurden das dominierende Wirtschaftssystem. Der Kommunismus als wirtschaftliches Gegenmodell war faktisch bereits lange vor 1990 diskreditiert. Das Gesellschaftssystem der Demokratie, das mit wirtschaftlichem Erfolg Ursachen = , technologische Fortschritte, wirtschaftliche Integration, zwar nicht notwendigerweise (siehe die Militärdiktatur Süd-Korea Anstieg des Warenhandels und des zu Zeiten des Aufschwungs in den 60er Jahren; China) aber doch Kapitalverkehrs in der Regel einhergeht, gewann somit ebenfalls die Oberhand. Dies veranlasste zur These, dass damit das Ende der ideologischen Entwicklung der Menschheit erreicht sei (end of history, Fukuyama). Gegner der Globalisierung richten ihre Kritik, mangels anderer greifbarer Ziele, einerseits gegen Staaten wie die USA, die als Förderer und/oder Profiteure des Prozesses angesehen werden, aber vor allem gegen jene internationale Organisationen, die Elemente des Prozesses regeln oder überwachen. Oft wird dabei der Vorwurf der Intransparenz der Motive und Entscheidungsprozesse erhoben. Die Hauptziele dieser Institutionenkritik sind die WTO und der Internationale Währungsfonds (IMF, gegründet 1945), welche als Bollwerke des Neoka-
LE 9
Globalisierung rechtlich betrachtet
209
pitalismus US-amerikanischer Prägung gesehen werden. Unzweifelhaft spielen beide Einrichtungen eine wichtige Rolle, indem sie im Falle der WTO die Öffnung der Märkte vorantreiben und im Falle des IMF die Vergabe von Krediten an Staaten an die Implementierung innerstaatlicher demokratischer, marktwirtschaftlicher Strukturen binden. Während die WTO als Organisation keine erkennbare Ideologie verfolgt (wenn man nicht bereits Freihandel als solche ansieht), war der IMF in der Vergangenheit in Anwendung des so genannten „Washington-Konsensus“ (Haushaltskonsolidierung durch strikte Sparmaßnahmen, hohe Zinssätze, Handelsliberalisierung, Kapitalmarktliberalisierung und Forcierung von Privatisierungen) deutlicher ideologisch gesteuert (Stiglitz). Es ist jedoch schwer zu sagen, ob Institutionen wie die WTO und der IMF die Globalisierung (mit)verursacht haben, oder ob ihre Bedeutung nicht lediglich ein Reflex der zunehmenden Bedeutung jener Prozesse ist, für die sie zuständig sind.
C.
Folgen – Ist Globalisierung gut oder schlecht?
1.
Positive Auswirkungen
Nach der herrschenden Wirtschaftstheorie schafft freier Handel unter Beteiligung möglichst vieler Staaten Wohlstandsgewinne. Produktionsfaktoren werden unter Ausnützung komparativer Wettbewerbsvorteile effizient eingesetzt, wodurch billigere Importe teurere heimische Produkte ersetzen, wodurch wiederum das verfügbare Einkommen und die Nachfrage gefördert werden. Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Globalisierung (des Handels) ist die höhere Vielfalt an verfügbaren Waren und Dienstleistungen. Das Argument des vermehrten Angebots an Konsumwaren gilt allgemein und auch für Entwicklungsländer, wenn Handelsliberalisierung man nicht einigen Produkten weniger Werthaftigkeit oder eine => Wohlfahrtsgewinne => Warenvielfalt verdrängende Wirkung gegenüber lokalen Waren zuspricht. Bsp: In Kuba kann neben traditionellen nationalen Getränken auch Coca-Cola gekauft werden. Es ist jedoch so teuer, dass ein kubanisches Unternehmen tuKola produziert, welches ähnlich wie Coca Cola schmeckt, aber wesentlich billiger ist. Kubaner haben somit eine erhöhte Auswahl, welche offensichtlich auch nachgefragt wird. Kritischer wäre der Fall zu sehen, wenn Coca Cola gezielt nationale Getränke verdrängen wollte oder müsste, um einen Absatzmarkt zu schaffen. Mineralwasserproduzenten, überwiegend französischen Unternehmen wie Perrier und Evian, wird vorgeworfen, dass sie genau dies bezüglich Trinkwassers versuchen. Neben einer größeren Auswahl führt Globalisierung zu einer qualitativen Verbesserung von Waren und Dienstleistungen. Erhöhter Wettbewerbsdruck durch Importe zwingt Unternehmen zu Investitionen in Forschung und Entwicklung und Produktivitätssteigerungen. Die Entwicklung von GM Produkten ist sehr forschungsintensiv und Unternehmen wie der Marktführer Monsanto (US) nehmen für sich in Anspruch, durch den Einsatz von Bio- und Gentechnologie Saatgut, Futter- und Nahrungsmittel in vielfältiger Weise zu verbessern (erhöhte Schädlingsresistenz, mehr Nährwert, höhere Erträge). Auch die Auswahl für Konsumenten wird dadurch erhöht. Gerade in Europa ist hier Vielfalt jedoch unerwünscht und GM Produkte werden von Konsumenten mehrheitlich abgelehnt. Die Auslagerung der Produktion multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländer wird oftmals kritisiert als Ausnützung des Lohndifferentials und von niedrigen oder kaum vorhan-
210
Globalisierung rechtlich betrachtet
LE 9
denen Arbeitsstandards (Kinderarbeit, mangelnde Arbeitsplatzsicherheit, kein Umweltschutz). Im Regelfall exportieren multinationale Unternehmen jedoch ein relativ höheres Niveau ökologischer und sozialer Standards. So sind westliche Unternehmen die begehrtesten Arbeitgeber in Ländern wie Vietnam, da sie im Durchschnitt das Doppelte der ortsüblichen Löhne zahlen und in Relation zu einheimischen Fabriken gute Arbeitsbedingungen bieten.
2.
Negative Auswirkungen
Kritiker argumentieren, dass die globale wirtschaftliche Integration bei Marktunvollkommenheiten (unvollständige Information der Marktteilnehmer, Staatsinterventionen, mangelhafte Institutionen und Rechtssysteme) nicht notwendigerweise die positiven Ergebnisse bringt, die in Standard-Lehrbüchern dargelegt sind. Solche unvollständigen und ineffizienten Märkte bestehen jedoch gerade in Entwicklungsländern. Ein weiteres Argument ist, dass Globalisierung des Handels zwar den Wohlstand insgesamt erhöht, damit jedoch noch nichts über dessen Verteilung gesagt ist. Nach einigen Statistiken hat sich der Abstand zwischen dem reichsten Teil und dem ärmsten Teil der Weltbevölkerung in den letzten Jahrzehnten verdoppelt. Die Welt wird also reicher, dieser Reichtum ist jedoch immer ungerechter verteilt. Die effizientere Allokation von Produktionsmitteln hat sehr reale Auswirkungen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Herstellung von arbeitsintensiven und rohstoffabhängigen Waren wandert in Länder mit einem niedrigen Lohnniveau und relativem Reichtum an Rohstoffen. So verlagern sich die Textilindustrie und die Stahlindustrie von Europa und den USA nach China und Indien. Auch wenn dies insgesamt zu Effizienz- und Wohlstandsgewinnen führt, verlieren Textil- und Stahlarbeiter in Europa und den USA ihre Arbeit oder müssen drastische Lohnkürzungen hinnehmen. Diese Entwicklung ist jedoch auch zu einem nicht quantifizierbaren Teil auf Produktivitätssteigerungen durch Technologisierung zurückzuführen. Bsp: 1980 beschäftigte die amerikanische Stahlindustrie 500.000 Personen, 2003 ist die Zahl auf 165.000 gesunken. Giganten wie Bethlehem Steel mussten Konkurs anmelden oder wurden von Mitbewerbern übernommen. Das indische Unternehmen Mittal Steel ist bereits einer der führenden Stahlproduzenten der Welt. Jedoch: Auf Grund technischer Entwicklungen produzieren heute 3500 Arbeiter dieselbe Menge Stahl wie früher 30.000. Auf Grund der Verbreitung der Informationstechnologie und anderer Wettbewerbsfaktoren betrifft die Abwanderung nun auch vermehrt den Dienstleistungssektor. Bsp: Sowohl Indien als auch Irland profitieren von gut ausgebildeten und englischsprachigen Arbeitskräften. Diese Entwicklung bedingt die wirtschaftliche und gesellschaftliche Marginalisierung von vor allem Arbeitnehmern in Niedriglohnsektoren in Industrieländern. Falls dem politisch nicht begegnet wird (Umschulung, Aufgabe von nicht wettbewerbsfähigen Industrien), birgt es Potential für soziale Unruhe und die Gefahr des Wiederauflebens von Protektionismus.
LE 9
Globalisierung rechtlich betrachtet
II.
Globalisierung der Werte
A.
Einführung
211
Ein Aspekt der Globalisierung ist der universale Geltungsanspruch von Wertvorstellungen wie Rechtsstaatlichkeit (rule of law), Demokratie, Menschenrechte oder auch des politischen Islams. Das Potential für Konflikte zwischen diesen Wertvorstellungen und den Kulturkreisen, die sie propagieren, veranlasste zu der These des unvermeidlichen Kampfes der Kulturen (clash of civilisations, Huntington). Während sich dies fallweise zu bewahrheiten scheint (Karikaturenstreit im Jahr 2006), setzt sich auf anderen Gebieten jedoch mehr und mehr die Ansicht durch, dass es universal gleich geltende Werte und Standards gibt, deren Beachtung und Durchsetzung Aufgabe der Gesamtheit der Staaten sein muss. Der Prozess der Vernetzung und Verdichtung, welcher die Essenz der Globalisierung ausmacht, bewirkt in diesem Zusammenhang, dass sowohl die Problemwahrnehmung internationalisiert wird, als auch Ansätze zu deren Lösung. Auf dem Gebiet der Menschenrechte gibt es schon seit langem Instrumente mit universalem Geltungsanspruch, im Umweltschutz stellt dies hingegen eine neuere Entwicklung dar. Schließlich sind auch im Bereich des Strafrechts verstärkt Tendenzen zur internationalen und extraterritorialen Verfolgung der schwerwiegendsten Verbrechen zu beobachten. Freilich gibt es auch hier Kritik, unter anderem dahingehend, dass nationalstaatliche demokratische Entscheidungsstrukturen durch internationale Mechanismen überlagert werden, die keine gleichwertige Legitimationsbasis aufweisen.
212
Globalisierung rechtlich betrachtet
B.
Menschenrechte
1.
Internationale Abkommen
LE 9
Am 10. 12. 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die UN-Generalversammlung als unmittelbare Reaktion auf die Gräuel des Zweiten Weltkrieges verabschiedet. 1966 wurden der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) verabschiedet. Beide Abkommen traten 1976 in Kraft. Im Unterschied zur AEMR, welche nicht bindend ist und auch keine DurchsetzungsmechaUN-Menschenrechtsausschuss nismen vorsieht, haben die beiden Pakte die Bindungswirkung UN-Menschenrechtsrat internationaler Abkommen. Die Einhaltung der IPBPR wird vom UN-Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee) überwacht, welcher abschließende Beobachtungen (concluding observations) und Empfehlungen (recommendations) an die Regierungen der Vertragsparteien richten kann. Für Angehörige von Vertragsparteien des 1. Zusatzprotokolls zum IPBPR besteht zusätzlich die Möglichkeit einer Individualbeschwerde. Der UN-Menschenrechtsausschuss ist nicht zu verwechseln mit der 1946 eingerichteten UN-Menschenrechtskommission (Commission on Human Rights) bzw mit dem durch eine Resolution der UN-Generalversammlung vom 3. 4. 2006 gegründeten UNMenschenrechtsrat (UN Human Rights Council), welcher die UNMenschenrechtskommission ersetzt. Der UN-Menschenrechtsrat ist ein politisches Gremium und kann selbst keine Durchsetzungsmaßnahmen erlassen. Die praktische Wirksamkeit der UN-Organe zum Schutz der Menschenrechte wurde in der Vergangenheit durch die Tatsache stark beeinträchtigt, dass ihnen auch jene Regime angehörten, deren Handeln ihr Tätigwerden veranlassen sollte. Dieses Problem konnte auch die neueste Reform nicht gänzlich beheben (China, Russland und Kuba sind Mitglieder des neuen UNMenschenrechtsrates). Auf europäischer Ebene wurden im Rahmen des Europarates mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im internationalen Vergleich sehr effektive Instrumente zum Schutz der Menschenrechte geschaffen. Seit 1998 besteht neben der Staatenbeschwerde auch die Möglichkeit einer Individualbeschwerde direkt an den EGMR. Auch im Falle des Europarates ist jedoch das Problem noch ungelöst, wie das Bestreben um Einbindung möglichst vieler europäischer Staaten mit der konsequenten Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen in Einklang gebracht werden kann. Bsp: So wurde Russland trotz verbreiteter Kritik an systematischen Übergriffen in Tschetschenien 1996 Mitglied des Europarates und Vertragspartei der EMRK. Auch das In-Kraft-Treten des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK, das den EGMR durch Schaffung einer Einzelrichterzuständigkeit und den Ausbau der Dreier-Ausschüsse handlungsfähiger machen würde, wurde durch die Verweigerung der Ratifikation durch das russische Parlament blockiert. Innerhalb der EU ist der Schutz der Menschenrechte in Art 6 Abs 2 EUV verankert, in seiner Substanz richterrechtlich, nämlich durch den EuGH, ausgestaltet. Die EU selbst bzw die EG sind jedoch nicht Vertragspartei der EMRK. Es wird kritisiert, dass die EU zwar in ihren Beziehungen mit Drittstaaten oft sehr hohe Standards einfordert (siehe unten), die nicht in gleicher Weise auf ihrem eigenen Territorium gelten. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union würde Grundrechte auf europäischer Ebene erstmals umfassend kodifizieren.
LE 9
Globalisierung rechtlich betrachtet
213
Der Vertrag von Lissabon würde die bislang unverbindliche Charta in den Rang des Primärrechts heben.
2.
Human Rights Clauses in internationalen Verträgen der EG
Die Mitgliedstaaten der EG haben realisiert, dass Menschenrechtsstandards am effektivsten durch ihre Verknüpfung mit Handelsprivilegien verbreitet werden können. Die Einhaltung von Menschenrechten und Grundsätzen guten Regierens (good governance) werden zur Bedingung gemacht für die Gewährung von Marktzugang. Die Notwendigkeit, einen Mindeststandard an Menschenrechten vorzuschreiben, wurde erstmals 1977 erkannt, als die EG handelspolitisch nicht auf die Übergriffe durch Ugandas Diktator Idi Amin reagieren konnte. Dadurch wird jedoch eine stark politische Komponente mit der rein wirtschaftlichen Agenda und dem sehr technischen Verfahren der WTO vermengt. Ihren Ursprung haben Menschenrechtsklauseln in den Beziehungen der EG mit den AKPStaaten (afrikanische, karibische und pazifische ehemalige Kolonien von EUMitgliedstaaten), denen in einer Folge von internationalen Verträgen Handelsprivilegien gewährt wurden. Der Cotonou-Vertrag enthält nunmehr eine umfassende Verpflichtung der AKP-Staaten zur Achtung der Menschenrechte, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie good governance. „Die Vertragsparteien nehmen auf ihre internationalen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte Bezug. Sie bekräftigen, wie sehr sie der Würde des Menschen und den Menschenrechten verpflichtet sind, auf deren Wahrung der einzelne und die Völker einen legitimen Anspruch haben. Die Menschenrechte haben universellen Charakter, sind unteilbar und stehen untereinander in engem Zusammenhang. Die Vertragsparteien verpflichten sich, sämtliche Grundfreiheiten und Menschenrechte zu fördern und zu schützen, und zwar sowohl die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen als auch die bürgerlichen und politischen Rechte. In diesem Zusammenhang bestätigen die Vertragsparteien erneut die Gleichstellung von Mann und Frau.“ (Art 9, 2000/483/EG, Partnerschaftsabkommen zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. 6. 2000, ABl L 317, 15. 12. 2000).
Derartige Klauseln, die ausdrücklich als "wesentliche Bestandteile" dieser Abkommen bezeichnet werden, erlauben es den Vertragspartnern, das Abkommen im Fall schwerer Verletzungen zu suspendieren. Die EU stellt jedoch auch den Abschluss anderer internationaler Abkommen unter die Bedingung der Achtung der Menschenrechte durch den Vertragspartner. Dies war bereits eines der Kriterien für die Anerkennung der Nachfolgestaaten von Ex-Jugoslawien. Das Allgemeine Präferenzsystem (GSP) der EG gewährt Entwicklungsländern im Rahmen der WTO weitgehende und die anderen WTO-Mitgliedstaaten diskriminierende Handelsprivilegien und verlangt im Gegenzug etwa ein Verbot der Zwangsarbeit (siehe 6). Schließlich war die Einhaltung der Menschenrechte (einschließlich des Minderheitenschutzes) gemeinsam mit Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit eines der in den Europa-Abkommen festgeschriebenen so genannten Kopenhagen-Kriterien für den EU-Beitritt der zwölf neuen Mitgliedstaaten im Mai 2004 bzw Jänner 2007, und ist dies nach wie vor in den Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Staaten des westlichen Balkans.
3.
Handelssanktionen als politisches Instrument
Wirtschaftssanktionen wie etwa Embargos sind diskriminierende Beschränkungen des Handels aus politischen Gründen. Derzeit sind Wirtschaftssanktionen gegen 18 Staaten in Kraft.
Globalisierung rechtlich betrachtet
214
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Die Handelsbeschränkungen reichen von Waffenembargos (China, Bosnien und Herzegowina, Usbekistan) bis zu dem Einfrieren von Finanztransaktionen und Reisebeschränkungen (Myanmar, Simbabwe, Kongo, Zaire, Sudan, Liberia). Auf Grund der Kompetenzaufteilung in der EU bedarf es zur Erlassung von Wirtschaftssanktionen sowohl eines Beschlusses des Rates im Rahmen der GASP (2. Säule) sowie im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik (1. Säule) (siehe LE 6). Dieses Verfahren ist weder sehr praktikabel noch erleichtert es die oftmals gebotene schnelle Reaktion auf eine Änderung politischer Umstände. Es reflektiert jedoch die Zwischenstellung von Wirtschaftssanktionen im Spannungsverhältnis von Freihandel und Menschenrechten. Auffallend ist, dass sich die Embargos der EU vornehmlich gegen wirtschaftlich unbedeutende Staaten richten, wohingegen vor allem Russland trotz der ebenfalls kritisierten Menschenrechtssituation nicht betroffen ist. Bsp: Das Waffenembargo gegen die VR China wurde als Reaktion auf das Massaker am Tiananmen-Platz verhängt (Erklärung des Europäischen Rates vom 27. 6. 1989). Auf Grund der zunehmenden Bedeutung Chinas als Wirtschaftsmacht hat der Verzicht auf Handelsvorteile durch Aufrechterhaltung des Embargos einen immer höheren ökonomischen Preis. Im Jahr 2005 wurde von Seiten vor allem Deutschlands und Frankreichs dann auch überlegt, das Embargo aufzuheben. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament forderten jedoch die Beibehaltung des Embargos.
C.
Umweltschutz
Im Umweltschutzbereich gibt es eine Vielzahl von multilateralen Abkommen (Multilateral Environment Agreements, MEAs) wie das Montrealer Protokoll über Substanzen, die die Ozonschicht schädigen aus dem Jahr 1987, das Washingtoner Artenschutzabkommen aus 1973, die Biodiversitäts-Konvention aus 1992 und vor allem das Kyoto-Protokoll. Letzteres ist ein 1997 beschlossenes und im Februar 2005 durch den Beitritt Russlands in Kraft getretenes Zusatzprotokoll zur UN-Klima-Rahmenkonvention. Es normiert verbindliche, aber nach der Wirtschaftskraft der Vertragsparteien differenzierende Vorgaben für die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen, welche als Auslöser der globalen Erwärmung gelten, um durchschnittlich 6 bis 8%. Die Geltung des Kyoto-Protokolls als wohl bisher ambitioniertestes internationales Umweltschutzvorhaben war von Anfang an durch mehrere Faktoren beeinträchtigt. Die USA als der weltweit mit Abstand größte Produzent von Treibhausgasen haben das Protokoll (unter Clinton) zwar unterzeichnet, jedoch aufgrund der angeblichen Wirtschaftsfeindlichkeit nicht ratifiziert. Ungewiss ist auch, inwieweit sich die USA für die Folgezeit ab 2012 konkreten Verpflichtungen unterwerfen. Weiters besteht ein grundsätzlicher Konflikt um die Angemessenheit des Mitteleinsatzes, da nach kritischen Stimmen auch die volle Erreichung der KyotoZiele die globale Erwärmung lediglich um einige Jahre verzögern würde und die Mittel daher effizienter zum Kampf gegen den Hunger oder Seuchen eingesetzt werden sollten. Rechtlich und politisch stellt sich bei allen MEAs die Frage der Kollision mit dem Welthandelsrecht bzw im Speziellen das Problem des Normkonflikts im Völkerrecht. In vielen Fällen treffen internationale Abkommen selbst Regelungen hinsichtlich des Rangverhältnisses zu anderen internationalen Normen. Schwierigkeiten bereiten Fälle, in denen zwei Abkommen mit überschneidendem Anwendungsbereich jeweils Vorrang beanspruchen. Neben Regeln wie lex posterior (die spätere Regelung geht vor) und lex specialis (die speziellere Regelung geht vor) wird entscheidend auf den Willen der Vertragsparteien abgestellt. Im Rahmen der
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Rechtsprechung des WTO-Schiedsgerichts werden jedoch nur in Ausnahmefällen internationale Verträge außerhalb des WTO-Rechts angewendet. Kritiker behaupten, dass es fahrlässig sei, einer Organisation, die ausschließlich der Handelsliberalisierung verpflichtet ist, den Schutz der Umwelt anzuvertrauen und verlangen übergeordnete Instanzen, welche diese Interessen gleichrangig wahrnehmen sollen. Gegen diesen Vorwurf wird einerseits vorgebracht, dass in SchiedsverKonflikt zwischen WTO-Recht und fahren in der WTO die Berufung auf Umweltschutzerwägungen Umweltschutzabkommen bereits erfolgreich war, im Rahmen der WTO aus diesem Grund das Committee on Trade and Environment eingerichtet wurde, und, grundsätzlich, dass Wirtschaftswachstum und Wohlstandsgewinne das beste Mittel gegen Umweltzerstörung seien (nachhaltige Entwicklung, sustainable development, Brundtland-Report 1987). Bsp: Die USA hatten Garnelenimporte aus Ländern verboten, die ihren Fischern nicht den Gebrauch von Netzen mit Fluchtvorrichtungen für Schildkröten vorschreiben. Der Appellate Body entschied (in zweiter Instanz), dass der Schutz der gefährdeten Tiere durchaus Handelsbeschränkungen gemäß Art XX(g) (Maßnahmen zum Schutz erschöpfbarer natürlicher Ressourcen) legitimiere, solange diese keine willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung bewirken. Das Mindesterfordernis sei die Bereitschaft der USA, über Beschränkungen zu verhandeln, anstatt sie unilateral festzusetzen (USA — Verbot des Imports bestimmter Shrimps und Shrimp-Produkte, 21. 11. 2001). In einem anderen Fall wurde ein Importverbot Frankreichs für eine bestimmte Art von Asbest für vereinbar mit der Ausnahmebestimmung des Art XX(b) (Maßnahmen, die für den Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Personen und Tieren oder die Erhaltung des Pflanzenwuchses erforderlich sind) erachtet (EG — Maßnahmen betreffend Asbest und Asbesthaltige Produkte, 5. 4. 2001). Das Cartagena Protokoll über biologische Sicherheit (Cartagena Protocol on Biosafety, 2000, in Kraft seit 2003) ist ein Teil des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt aus 1992. 130 Staaten sind Vertragsparteien, mit Ausnahme der USA, Kanadas und Argentiniens. Gemäß dem Protokoll haben die Vertragsparteien das Recht, den Import von GMOs zu untersagen, wenn es keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise für die Sicherheit der Produkte gibt. Im Protokoll ist dessen Gleichrangigkeit mit anderen internationalen Verträgen normiert (gegenseitige Ergänzung, keine rechtliche Unterordnung). Im Lichte des Protokolls scheint das Vorgehen der EU sowie von ua Österreich somit rechtmäßig, worauf sich auch die EU beruft. Wichtige Produzentenländer von GMOs sind jedoch nicht Vertragspartei und darum nicht durch das Abkommen gebunden. Auch wenn sie Vertragsparteien wären, wäre fraglich, ob das Protokoll bei einem Streit vor der WTO berücksichtigt werden würde bzw berücksichtigt werden dürfte.
D.
Strafrecht
1.
Extraterritoriale und internationale/universelle Gerichtsbarkeit
Die Regel ist das Prinzip der territorialen Gerichtsbarkeit, wonach ein Staat das Recht zur Verfolgung strafbarer Handlungen hat, die auf seinem Staatsgebiet begangen wurden. Ausnahmen sind somit die folgenden Konstellationen:
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•
Verfolgung eines Staatsbürgers für Verbrechen, die er in einem anderen Staat begangen hat (extraterritoriale Gerichtsbarkeit). Hier kann danach unterschieden werden, ob das Verbrechen auch im Begehungsstaat selbst strafbar ist. (Die Ausdrucksweise "extraterritoriale" Gerichtsbarkeit ist eigentlich überschießend und ungenau: bestraft wird nicht im Ausland, sondern im Inland, aber für ein Verhalten im Ausland. Anders – und rechtlich viel problematischer – wäre es, den eigenen Staatsorganen den Auftrag zu erteilen, Strafverfolgung oder -vollziehung im Ausland zu betreiben; so geschehen im Fall Salman Rushdie durch die religiöse Gerichtsbarkeit im Iran.)
•
Verfolgung eines Ausländers für Verbrechen, die er in einem anderen Staat begangen hat (universelle Gerichtsbarkeit). Hier kann wiederum danach unterschieden werden, ob zB trotz des Fehlens der Staatsangehörigkeit ein anderer Anknüpfungspunkt mit dem verfolgenden Staat besteht. Ein solcher Link kann die Beeinträchtigung fundamentaler Interessen des Staates durch fremde Staatsbürger auf fremdem Territorium sein wie im Fall der Spionage oder die Staatsbürgerschaft des Opfers. Bsp: Spanien nimmt universelle Gerichtsbarkeit bei Völkermord in Anspruch. Der spanische Untersuchungsrichter Baltazar Garzon stellte einen internationalen Haftbefehl aus für Chiles ehemaligen Diktator Augusto Pinochet wegen der ihm vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen gegen spanische Staatsangehörige in Chile. 1998 wurde Pinochet auf Grund des Haftbefehls in London unter Hausarrest gestellt. Pinochets Berufung auf seine Immunität als Staatsoberhaupt wurde vom englischen House of Lords nicht gefolgt und die Auslieferung wegen Verletzung der UN-Folterkonvention, welche von England ratifiziert worden war, verfügt. Die Auslieferung erfolgte jedoch auf Grund des Gesundheitszustandes von Pinochet nicht und er wurde nach Chile überführt, wo er schließlich ebenfalls für verhandlungsunfähig befunden wurde.
Die theoretische Begründung für die Ausübung extraterritorialer oder universeller Gerichtsbarkeit ist, dass es Verbrechen wie Völkermord oder Folter gibt, die so schwerwiegend sind, dass ihre Verfolgung nicht dem Staat des Begehens überlassen extraterritoriale Gerichtsbarkeit = Tatort bleiben darf (der zu schwach oder unwillens ist, das Verbrechen im Ausland zu verfolgen) bzw die Verfolgung im generalpräventiven Interesse universelle Gerichtsbarkeit = Tatort im Ausland + Täter ist ein Ausländer der Weltgemeinschaft ist (crimes against humanity). Die Ursprünge dieses Konzeptes lassen sich (im weitesten Sinn) bis zur Verfolgung von Piraten als Feinde der menschliche Rasse (hosti humanis generis) zurückverfolgen. Die Kategorie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde durch die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale zur Ahndung der Verbrechen des Hitler-Regimes eingeführt (siehe unten). Extraterritoriale und universelle Gerichtsbarkeit kollidieren mit dem Grundsatz der durch die UN-Charta garantierten staatlichen Souveränität und werden deshalb von einigen Staaten wie vor allem den USA, China und Russland vehement abgelehnt. Alleine aus diesem Grund ist wohl nicht von dem Vorliegen von Völkergewohnheitsrecht auszugehen. Bsp: Belgien erließ 1993 ein Gesetz über universale Gerichtsbarkeit. Belgische Gerichte verurteilten vier ruandische Staatsangehörige im Zusammenhang mit dem Völkermord in Ruanda sowie Tschads Diktator Hissène Habré im September 2005. Strafanzeigen irakischer Opfer der Bombardierung von Bagdad 1991 gegen George Bush, Colin Powell und Dick Cheney sowie Strafanzeigen gegen Ariel Sharon und gegen Yasser Arafat wurden auf Grund internationalen politischen Drucks nicht verfolgt und der
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persönliche Geltungsbereich des Gesetzes schließlich auf Belgier und in Belgien ansässige Personen eingeschränkt.
2.
Kriegsverbrechertribunale
Im Unterschied zu universeller oder extraterritorialer Gerichtsbarkeit leitet sich die Zuständigkeit internationaler Gerichtshöfe zwar von den Zuständigkeiten jener Staaten ab, die sie einsetzen, die Gerichtsbarkeit selbst wird jedoch von der eingerichteten internationalen Organisation ausgeübt. Kriegsverbrechertribunale sind Ad-hoc-Gerichtshöfe, die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfolgung eines bestimmten Sachverhaltes eingerichtet werden. Die ersten Kriegsverbrechertribunale wurden in Nürnberg in den Jahren 1945 bis 1949 eingerichtet und bestanden aus zwei Verfahren gegen insgesamt 200 Kriegsverbrecher des Dritten Reiches. Im ersten der Verfahren, dem International Military Tribunal, wurden 24 der höchstrangigen Nazis abgeurteilt, im zweiten, den U.S. Nuremberg Military Tribunals, Nazis niedrigeren Ranges. Diese Form der gerichtlichen Aufarbeitung des Nazi-Regimes wurde von den USA, der USSR und dem UK in Konferenzen in Teheran, Yalta und Potsdam beschlossen. Die rechtliche Grundlage für die Verfahren war die Charta von London von 1945 sowie die Übertragung der Souveränitätsrechte durch Deutschland auf das Allied Control Council gemäß der Kapitulation Deutschlands. Die Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg waren der Nukleus für Bestrebungen zur Einrichtung eines ständigen internationalen Strafgerichts, welche erst 50 Jahre später mit dem Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC, siehe dazu unten) realisiert werden sollte, sowie für eine Vielzahl internationaler Instrumente wie der Konvention gegen Völkermord aus 1948, der AEMR 1948 und der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) wurde mit Resolution des UN-Sicherheitsrats 1993 als Unterbehörde des Internationalen Gerichtshofes (International Court of Justice, ICJ) geschaffen. Er ist zuständig für die Verfolgung von Verbrechen von natürlichen Personen, die seit 1991 auf dem Territorium von Ex-Jugoslawien begangen wurden. Verfolgt werden können •
schwere Verletzungen der Genfer Abkommen (Kriegsrecht, ius in bello),
•
Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges,
•
Völkermord und
•
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Chefankläger (derzeit Serge Brammertz) ist unabhängig. Der Gerichtshof setzt sich aus 16 von der UN-Generalversammlung gewählten Richtern zusammen. Seit 1994 wurden 161 Verdächtigte angeklagt, bisher sind 115 Verfahren erledigt. 56 Schuldsprüche stehen 10 Freisprüchen gegenüber, die restlichen Anklagen wurden zurückgezogen. Nach der Festnahme von Radovan Karadži im Juli 2008 sind noch zwei Angeklagte auf der Flucht. Der höchstrangige Angeklagte war Ex-Jugoslawiens ehemaliges Staatsoberhaupt Slobodan Miloševi. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) wurde im November 1994 zur Verfolgung des Völkermordes in Ruanda auf Grundlage mehrerer UN-Sicherheitsratsresolutionen eingerichtet. Die Berufungskammer
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des ICTY diente auch als Berufungsinstanz für den ICTR. Das ICTR hat 32 Verfahren abgeschlossen und 28 Personen verurteilt. Gegen weitere 38 Personen wird verhandelt, 13 Angeklagte sind noch flüchtig. Die Nachteile von Ad-hoc-Tribunalen sind ihre enormen Kosten und ihre mangelnde Verankerung im politischen und rechtlichen System der jeweiligen Staaten. Zuletzt werden vermehrt nationale Gerichte betraut, welche jedoch personell, prozedural und auch hinsichtlich der verfolgbaren Delikte internationalisiert werden (Bsp: Kosovo).
3. Der Internationale Strafgerichtshof Im Unterschied zu Tribunalen mit sachlich und zeitlich begrenztem Mandat ist der ICC eine permanente internationale Organisation zur Verfolgung von VölSachliche Zuständigkeit: kermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, KriegsverbreVölkermord Verbrechen gegen die Menschlichkeit chen und Verbrechen der Aggression. Sitz des 2002 gegründeten Kriegsverbrechen ICC ist Den Haag, seine Rechtsgrundlage ist das Rom-Statut von Verbrechen der Aggression 1998. Über das Verbrechen der Aggression übt der ICC seine Gerichtsbarkeit mangels gültiger Definition nicht aus. Streng genommen hat der ICC keine universelle Gerichtsbarkeit. Es ist nur zuständig für Staatsangehörige von Vertragsparteien und für auf dem Territorium eines Vertragsstaates begangene Verbrechen. Es gilt das Prinzip der Komplementarität, wonach der ICC erst tätig werden kann, wenn nationale Gerichte nicht fähig oder willens zur Verfolgung sind. Ein Fall kann vor den ICC gebracht werden durch eine Vertragspartei, den Sicherheitsrat oder die Verfolgungsbehörde (Office of the Prosecutor, derzeit Luis Moreno-Ocampo), welche ebenso wie im Fall des ICTY unabhängig ist (trigger jurisdiction). Diese Unabhängigkeit der Anklagebehörde sowie deren Recht, selbständig ein Verfahren einzuleiten, haben vor allem die USA bisher zu vehementen Gegnern des ICC gemacht. Vertragsparteien, die bisher Sachverhalte zur Verfolgung an den ICC herangetragen haben, sind Uganda, der Kongo und die Zentralafrikanische Republik. Der Sicherheitsrat hat den ICC am 31. 3. 2005 mit der Situation in Darfur im Sudan befasst. Moreno-Ocampo schließlich hat in den Fällen von Uganda, Kongo und Darfur von sich aus Ermittlungen eingeleitet. Im Falle von Darfur wurde erstmals gegen einen amtierenden Staatspräsidenten ein internationaler Haftbefehl erlassen.
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III. Globalisierung des Handels A.
Einführung
Unter Globalisierung des Handels sind der Prozess des Abbaus von Handelsschranken sowie die dadurch bedingte Internationalisierung von Produktion, Angebot und Nachfrage zu verstehen. Bsp: Ein multinationales Unternehmen hat heute seinen Firmensitz in Herzogenaurach (Deutschland), lässt in China und Vietnam produzieren (durch Gesellschaften im Alleineigentum oder Joint Ventures), hat virtuelle Kompetenzzentren in Hongkong und den USA, Tochterunternehmen in Australien und Österreich und vertreibt seine Waren über eigene Flagship-stores, Vertriebspartner und Lizenznehmer in der ganzen Welt. Das beschriebene Unternehmen ist Puma, es steht jedoch nur als Beispiel für unzählige Multinationals, auch genannt Transnational Corporations. Ihnen allen gemeinsam ist der Wunsch nach ungehindertem Handel ihrer Produkte, Schutz ihrer ausländischen Investitionen und ihrer Marken- und Patentrechte. Gewährleistet wird dies auf internationaler Ebene vornehmlich im Rahmen der WTO (siehe LE 6). Insofern besteht ein multilateraler Rahmen für internationale wirtschaftliche Aktivitäten, der jedenfalls prinzipiell auf der Basis der Gleichheit der Mitglieder beruht. Zunehmende Bedeutung erlangen darüber hinaus regionale und bilaterale Zoll- und vor allem Freihandelsabkommen (derzeit sind rund 200 so genannte Regional Trade Agreements bei der WTO notifiziert). Letztere werden hauptsächlich von Staaten forciert, die im bilatera-
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len Verhältnis ihre wirtschaftliche und politische Überlegenheit zur Durchsetzung ihrer teils protektionistischen Interessen (Arbeitsstandards, Umweltschutz) einsetzen können, was im Rahmen der WTO nicht in gleichem Maße möglich ist. Auch die EG, die selbst eine Zollunion ist, die sich darüber hinaus zu einem Gemeinsamen Markt (siehe EÖR I, LE 7) und einer Wirtschafts- und Währungsunion (siehe LE 4) entwickelt hat, macht davon Gebrauch. Das gilt etwa für das Bündel an Freihandelsabkommen, das mit den Mittelmeer-Anrainerstaaten abgeschlossen wurde, aber auch für das Cotonou-Abkommen mit den AKP-Staaten. In beiden Fällen nutzen die EG bzw die Mitgliedstaaten die wirtschaftliche Attraktivität des Freihandelsabkommens für die Partnerländer gleichzeitig zur Durchsetzung politischer Anliegen wie der Förderung von Menschenrechten und Demokratie.
B.
Dienstleistungsliberalisierung
Sowohl in der Europäischen Union als auch in der WTO wird derzeit versucht, den immer wichtigeren tertiären Sektor der Dienstleistungen zu liberalisieren. Unter der Annahme, dass die Öffnung von Märkten und der Abbau von Handelshemmnissen zu einer Vergrößerung des Wohlstands führt, kann der Dienstleistungssektor als inzwischen wichtigster Wirtschaftszweig der Industrienationen mit einem Anteil von über 60% des BIP sowie der Arbeitsplätze nicht ausgenommen bleiben.
1.
Europäische Union
In der Europäischen Union wurde Ende 2006 die bis Ende 2009 umzusetzende Dienstleistungs-RL verabschiedet, welche auf eine Vielzahl von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im wirtschaftlichen Sinn anwendbar ist. Rechtlich betrachtet bezieht sie sich sowohl auf die Dienstleistungs- als auch die Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt (siehe EÖR I, LE 7). Die Dienstleistungs-RL erklärt ua bestimmte mitgliedstaatliche Anforderungen bei der Erbringung von Dienstleistungen für unzulässig. Sie bringt nicht das im Vorfeld heftig umstrittene Herkunftslandprinzip anstelle des Systems des allgemeinen Beschränkungsverbots. Nach dem weitaus liberaleren Herkunftslandprinzip hätten Dienstleistungserbringer im gesamten Binnenmarkt unter Anwendung ihres Heimatrechts tätig werden können. Bsp: Die Anwendung des Herkunftslandprinzips hätte einerseits zur Folge, dass ein Dienstleistungserbringer, der in seinem Niederlassungsmitgliedstaat bereits eine Genehmigung hat, für einen anderen Mitgliedstaat keine neue Genehmigung benötigt. Bei voller Geltung würde es aber auch bedeuten, dass ein polnische Installateur ua nur dem Arbeits-, Sozialversicherungs- und Kollektivvertragsrecht Polens unterliegen würde, wodurch seine Dienstleistung in der Regel wesentlich wettbewerbsfähiger wäre als Angebote französischer Installateure. Die Entwicklung in der EU findet vor dem Hintergrund einer weltweiten Debatte über die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte statt. In vielen Industrienationen werden Sorgen wegen Sozial- und Lohndumpings durch Billiglohnländer laut. Die durch die letzten Erweiterungen der EU um zwölf Mitgliedstaaten bedingte Integration von Volkswirtschaften mit einem erheblichen Lohndifferential sowie einer migrationsbereiten Bevölkerung wird, nach Abwanderungen und Produktionsverlagerungen im sekundären Sektor des Handels mit Industrieprodukten, nunmehr auch als Bedrohung für den Dienstleistungssektor der alten Mitgliedstaaten angesehen.
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Aus diesen politischen Gründen bleibt in der Endfassung etwa das gesamte Arbeits- und Sozialrecht von den Regelungen der Dienstleistungs-RL ausgenommen. Die hauptsächliche Neuerung im Vergleich zur geltenden Rechtslage gemäß Art 43 und 49 EGV (Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit, siehe EÖR I, LE 5) liegt in der ex-ante Festschreibung der Unzulässigkeit bestimmter nationaler Beschränkungen. Damit erlangen Dienstleistungserbringer bereits vor Aufnahme ihrer Tätigkeit Rechtssicherheit über bestehende Beschränkungen, ohne Gerichtsentscheidungen des EuGH über die Zulässigkeit von Beschränkungen abwarten zu müssen.
2.
WTO
Auf internationaler Ebene wird der Abbau von Beschränkungen im Handel mit Dienstleistungen im Rahmen des General Agreement on Trade in Services (GATS) behandelt, welches bereits in seiner derzeit geltenden Fassung Gegenstand heftiger Kritik ist. Diese richtet sich hauptsächlich gegen die tatsächliche und vermeintliche Beschränkung des politischen Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten bei der Regulierung von Dienstleistungen. Entwickelte Länder befürchten das Ende von staatlichen Monopolen und Beihilfen, und damit von hohen Qualitätsstandards in sensiblen Sektoren wie Versorgungsdienstleistungen (Wasser, Energie), Bildung sowie im kulturellen Bereich. Entwicklungsländer wiederum fürchten die Verdrängung lokaler und regionaler Unternehmen durch Multinationals. Die in der WTO im Rahmen der Doha-Runde begonnenen Verhandlungen über eine Revision des GATS sind durch das Scheitern der Konferenz in Cancún zunächst ins Stocken geraten, werden aber inzwischen fortgesetzt. Im Spannungsfeld zwischen EG-Recht und WTO-Recht stellt sich hierbei die Frage nach der Kompetenzverteilung zur Führung von Verhandlungen im Rahmen des GATS. Bisher bestand eine konkurrierende Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge (wie dem GATS) im Bereich des Handels mit Dienstleistungen zwischen der EG und den Mitgliedstaaten (siehe LE 5). Nach der Rechtsprechung des EuGH (AETR), begründet eine gemeinschaftliche Regelung (wie zB eine Richtlinie) jedoch eine ausschließliche Kompetenz der EG auf dem dadurch geregelten Gebiet. Es ist daher fraglich, ob sich durch die Dienstleistungsrichtlinie die Zuständigkeiten zu Gunsten der EG verändert haben. Dies wäre dann wohl ein weiterer Anlass im Streit um Kompetenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten (siehe IV. unten).
C.
Nord-Süd-Konflikte
Dieser Begriff bezeichnet, stark vereinfachend, die Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Industrieländer auf der Nordhalbkugel der Erde befindet, wäh- Norden = plakativ für Industrienationen rend die Entwicklungsländer meist auf der Südhalbkugel zu fin- Interessen: freier Handel mit den sind. Weder von ihrer Wirtschafts- noch von ihrer Gesell- Industrieprodukten, Dienstleistungen, Schutz von Investitionen, Marken, schaftsstruktur betrachtet, haben Norden und Süden viel ge- Patenten meinsam. Während im Norden Demokratie und Marktwirtschaft herrschen, regieren im Süden Diktatur, Oligarchie oder Anarchie, und der freie Markt ist entweder nicht existent oder durch Korruption und mangelnde Staatsmacht geschwächt. Die historische Ursache für diesen Gegensatz wird oft in der Kolonialisierung und, wichtiger, der unordentlichen Dekolonialisierung, gesehen. Die Entwicklungsländer würden zu Rohstofflieferanten der Industrienationen reduziert, ohne die Chance auf Wachstum und Aufbau hö-
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herwertiger Sektoren zu erhalten. Dies bedinge eine Abhängigkeit des Südens von Importen industrieller Produkte aus dem Norden und von der Volatilität der Rohstoffmärkte. Es lässt sich schwer sagen, ob diese Situation vornehmlich auf die Politik der Industrienationen zurückzuführen ist oder auf selbstverschuldete Misswirtschaft in den Entwicklungsländern. Anerkannt ist jedoch, dass einige Bedingungen des internationalen Handels geeignet sind, diesen Zustand fortzuführen. Die Hauptkritik der EntwickSüden = plakativ für Entwicklungsländer lungsländer richtet sich in diesem Zusammenhang gegen das Interessen: freier Handel mit Rohstoffen, Agrarprodukten, Zugang zu Know-how Agrarmarktregime der EU, der USA und Japans. Dieses schützt und Medikamenten, Graduierung der den jeweiligen heimischen Markt gegen Importe, fördert die ÜWirtschaft vom 1. zum 2. Sektor berproduktion und drückt damit den Weltmarktpreis auf einem Gebiet, in dem der Süden eindeutige Wettbewerbsvorteile hat. Aus Sicht der Industrienationen schadet dies zwar den Konsumenten in der EU, den USA und Japan, die für Zucker, Butter oder Bananen einen weit überhöhten Preis zahlen, erhält aber im Gegenzug eine autarke Agrarwirtschaft und einen kultivierten ländlichen Raum. Nach Ansicht der Entwicklungsländer ist es überfällig, im Gegenzug für Zugeständnisse bei Industrieprodukten (GATT) und gewerblichen Schutzrechten (TRIPS) nun faire Handelsbedingungen im Agrarbereich zu erhalten. Die WTO-Konferenz von Cancún ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass Entwicklungsländer die Forderungen der Industrienationen nach Bekämpfung von Korruption, Einführung bzw Reform des öffentlichen Vergabewesens, des Wettbewerbsrechts sowie Regeln über Investitionsschutz (Singapore-Issues) als erneuten Versuch einer Ablenkungs- und Verzögerungstaktik des Nordens ablehnten. Das Hauptproblem des Südens bei der Lösung des Konfliktes im Rahmen der WTO ist, dass es auch innerhalb der Entwicklungsländer sehr unterschiedliche Interessen und wirtschaftliche Ausgangslagen gibt. Bsp: Brasilien ist von seiner Wirtschaftsstruktur nicht mit Bangladesch zu vergleichen, der AKP-Staat Tansania hat eine gänzlich andere Verhandlungsposition als Indien. Die 77 AKP-Staaten genießen derzeit Handelsprivilegien durch ihren Status als ehemalige Kolonien von EU-Mitgliedstaaten (siehe auch LE 6). Verstärktem Wettbewerb durch eine Liberalisierung des Handels zwischen der EG und viel weiter entwickelten Volkswirtschaften wie Brasilien würden sie kaum standhalten. US-amerikanische GM Sojabohnen und GM Sojamehl wurden während der letzten zehn Jahre zunehmend von kosteneffizienteren Produzenten aus Entwicklungsländern wie Brasilien und Argentinien verdrängt. Diese Länder sind interessiert an der Liberalisierung des Handels mit GMOs, da dies neue Absatzmärkte eröffnet und sie, wie bei fast allen Agrarprodukten, Wettbewerbsvorteile haben gegenüber Industrienationen wie der USA. Die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC) wie etwa afrikanische Staaten haben auch ein Interesse an GMOs, jedoch vor allem aus dem Grund dass sie Abhilfe schaffen könnten gegen die Unsicherheit von Missernten und Nahrungsmittelknappheit. Andererseits sind LDCs bei GMOs mangels Technologisierung nicht konkurrenzfähig und fürchten außerdem GM Produkte als Nahrungsmittelhilfslieferungen vom Norden zu erhalten, welche unkontrollierbare Auswirkungen auf ihr eigenes Saatgut haben könnten.
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D.
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Internet: Ein rechtsfreier Raum?
Es ist bemerkenswert, dass das Internet, seit seiner Kommerzialisierung und der Erfindung des World Wide Web eine immer bedeutendere Rolle in allen Bereichen des menschlichen Lebens einnimmt, die Existenz ganzer Wirtschaftszweige in Frage stellt, die Verbreitung von Information und Wissen revolutioniert, und dennoch in weiten Bereichen von privaten Einrichtungen kontrolliert wird. Die Kompetenz zur Verwaltung der Internet-Adressen (domains, .com, .org etc) und zur technischen Weiterentwicklung der Internetprotokolle liegt bei Internet-Organisationen, wie vor allem der Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Davon zu unterscheiden ist die Zuständigkeit zur Schlichtung im Falle eines Streites um eine InternetDomain. Dies ist weitgehend rechtlich geregelt mit Zuständigkeit der nationalen ordentlichen Gerichte oder einer von vier im Rahmen der Uniform Dispute Resolution Policy (UDRP) von der ICANN ermächtigten internationalen Schlichtungsstellen (ua bei der World Intellectual Property Organisation, WIPO). Als gemeinnütziger Verein untersteht die ICANN ausschließlich kalifornischem und USRecht. Der private und unabhängige Charakter der ICANN wirkt in zwei Richtungen: Dem Vorstand des Vereins dürfen keine Regierungsvertreter angehören, jedoch auch keine Vertreter internationaler Organisationen. Versuche der Einflussnahme und damit der Politisierung wurden bisher abgewehrt. Argumentiert wird mit dem bottom-up Charakter des Internets, welcher erst die zur Entwicklung des Internets notwendige unregulierte Entfaltung menschlicher Kreativität ermöglicht hat. Eine Arbeitsgruppe zu Internet Governance, eingerichtet im Rahmen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft 2003 (World Summit on the Information Society, WSIS), beschloss zwar die Errichtung eines Internet Governance Forum, ohne sich jedoch auf dessen konkrete (Überwachungs-)Befugnisse zu einigen. Ein weiteres Problem betrifft den Widerspruch zwischen der Grenzenlosigkeit des Ecommerce und dem Mangel an globalen Regeln für Transaktionen über das Internet. Entwickelte Rechtssysteme wie die EU und die USA haben zwar Gesetze erlassen, die viele Bereiche des Handels über das Internet, der Rechtewahrung im Internet sowie vom Internet ausgehende Gefahren regeln (siehe dazu LE 4). Globale Regeln, abgesehen von unverbindlichen Guidelines und Modellgesetzen, gibt es jedoch nicht, wodurch es bei Berührungen zwischen verschiedenen Rechtskreisen zu Konflikten auf Grund divergierender Standards kommen kann. So ist im Datenschutzrecht (nicht nur auf das Internet bezogen) das Schutzniveau zwischen der EU und den USA sehr unterschiedlich. Bsp: Nach den Terroranschlägen vom 11. 9. 2001 erließen die USA Vorschriften, die Fluggesellschaften bei Flügen in die, aus den oder über die USA verpflichten, amerikanischen Behörden elektronischen Zugriff auf Fluggastdatensätze zu gewähren. Nach Entscheidung der Europäischen Kommission wurde mit Beschluss des Rates der Abschluss eines Abkommens zwischen der EG und den USA über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung an das US Department for Homeland Security genehmigt. Kommission und Rat waren der Ansicht, dass das Schutzniveau bei der Übertragung der Fluggastdaten an die US Behörde ausreichend sei. Das Europäische Parlament beantragte beim EuGH die Nichtigerklärung beider Entscheidungen (siehe LE 8). In seiner Entscheidung vom 30. 5. 2006 erklärt der Gerichtshof die Kommissions-Entscheidung für nichtig, da eine solche staatliche Datenverarbeitung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener
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Daten und zum freien Datenverkehr (ABl L 281, S 31) falle. Er erklärt auch den Ratsbeschluss für nichtig, da die Kompetenz zur Harmonisierung im Binnenmarkt in Art 95 EG für Maßnahmen zur Terrorismus-Bekämpfung keine geeignete Rechtsgrundlage darstelle (EuGH 30. 5. 2006, verb Rs C-317/04 und C-318/04 „Europäisches Parlament und Rat/Kommission). Der EuGH hat es damit vermieden zu beurteilen, ob das Datenschutzniveau in den Vereinigten Staaten tatsächlich angemessen war, und hat die angefochtenen Rechtsakte aus formalen Gründen für nichtig erklärt.
IV.
Globalisierung und Souveränität
A.
Was ist Souveränität?
Der Begriff der Souveränität bezeichnet – nach einer sehr weit verbreiteten Auffassung, die Souveränität mit „Völkerrechtsunmittelbarkeit“ gleich setzt – einerseits, dass Staaten untereinander keiner überstaatlichen Macht, sondern bloß dem vom zwischenstaatlichen Konsens getragenen Völkerrecht untergeordnet sind (völkerrechtliche Souveränität), andererseits, dass der Staat auf seinem Territorium der höchste Herrschaftsverband ist, gegen dessen Anordnungen und Entscheidungen an keine höhere Stelle appelliert werden kann (innerstaatliche Souveränität). Souveränität kann somit allgemein als Österreich = Bundesstaat EU = Staatenbund mit Merkmalen eines die Negation jeder Unterordnung des Staates – abgesehen vom Bundesstaates Völkerrecht – verstanden werden und ist neben Staatsvolk und Staatsgebiet eines der drei Elemente der Definition des Staates. Beide Ausformungen werden durch die Globalisierung als Prozess zunehmender Interdependenz von Staaten, dem weitgehendem Transfer staatlicher Kompetenzen an supranationale und internationale Organisationen sowie der steigenden Bedeutung transnationaler Unternehmen und regierungsunabhängiger Organisationen berührt. Die Gründung eines Bundesstaates bedingt die Übertragung von Kompetenzen und damit der Souveränität der Gliedstaaten an den Bund. Im Bundesstaat hat nur der Bund die Kompetenz zur Zuweisung von Kompetenzen an sich selbst oder an die Gliedstaaten (Kompetenz-Kompetenz). In Staatenbünden hingegen verbleibt diese Entscheidung bei den einzelnen Staaten. Nach herrschender Auffassung ist die EU kein Staat, da die drei Elemente Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt fehlen. Es gebe stattdessen nur den Geltungsbereich des EGV (Art 299 EGV) und die „Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ (Art 189 EGV). Auch das Gewaltmonopol (Militär, Polizei; Landesverteidigung) bleibe dem Nationalstaat vorbehalten. Es fehle schließlich die Kompetenz-Kompetenz der EU, da die Mitgliedstaaten die „Herren der Verträge“ bleiben und selbst bestimmen, welche Zuständigkeiten der EG bzw der EU übertragen werden. Völkerrechtlich kann die EU jedoch durchaus als Verbindung von Elementen eines Staatenbundes mit jenen eines Bundesstaates verstanden werden. Bsp: Zur Frage der Kompetenz-Kompetenz äußert sich das deutsche Bundesverfassungsgericht ua mit den folgenden Worten: „Die Bundesrepublik Deutschland ist somit auch nach dem Inkrafttreten des Unions-Vertrags Mitglied in einem Staatenverbund, dessen Gemeinschaftsgewalt sich von den Mitgliedstaaten ableitet und im deutschen Hoheitsbereich nur kraft des deutschen Rechtsanwendungsbefehls verbindlich wirken kann. Deutschland ist einer der ‚Herren der Verträge’, die ihre Gebundenheit an den ‚auf unbegrenzte Zeit’ geschlossenen Unions-Vertrag … mit dem Willen zur langfristi-
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gen Mitgliedschaft begründet haben, diese Zugehörigkeit aber letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufheben könnten. Geltung und Anwendung von Europarecht in Deutschland hängen von dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes ab. Deutschland wahrt damit die Qualität eines souveränen Staates aus eigenem Recht und den Status der souveränen Gleichheit mit anderen Staaten iS des Art 2 Nr 1 der Satzung der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (…).“ (MaastrichtEntscheidung, BVerfGE 89, 155) Auch wenn man diesen, an der skizzierten herrschenden Terminologie orientierten Befund teilt, ist doch nicht zu leugnen, dass mindestens innerhalb der EU die Aussagekraft eines solchen Souveränitätsbegriffs erheblich reduziert ist. Je mehr Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten übertragen werden, desto weiter fallen „Souveränität“ im Rechtssinne und politische Gestaltungsmacht auseinander. Innerhalb der EU ist dieser Prozess besonders augenfällig. Er gewinnt aber überall dort an Bedeutung, wo zunehmend Hoheitsbefugnisse auf internationale Organisationen, wie etwa die UNO oder die WTO, übertragen werden. Daran knüpft sich zugleich die Kritik, mit dieser Übertragung sei eine mehr oder weniger schleichende Aushöhlung überkommener Verfassungsprinzipien verbunden. Während etwa nationale Politikentscheidungen in der Regel mittelbar demokratisch durch die Parlamente getragen sein müssen, entscheiden auf internationaler (europäischer) Ebene zwischenstaatliche Einrichtungen, die durch Vertreter der Exekutive dominiert sind, jedenfalls aber den direkten Vergleich mit traditionellen demokratischen Entscheidungsmechanismen nicht aushalten (siehe EÖR I, LE 5). Dies ist eine Begleiterscheinung der Globalisierung, die sowohl in der EU als auch weltweit heftig debattiert wird.
B.
Hat Österreich macht?
noch
wirtschaftspolitische
Regulierungs-
Wie jeder Staat, der sich internationalem Wettbewerb aussetzt und internationalem Wirtschaftsrecht unterwirft, ist Österreich zur Marktöffnung gezwungen: Bereiche staatlicher Leistungsverwaltung wie das Fernmeldewesen, die Post oder die Energieversorgung werden privatisiert, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, das Wirtschaftsrecht wird liberalisiert, um Unternehmensgründungen zu fördern und Ansiedelungskosten werden gesenkt, um Österreich als Wirtschaftsstandort zu sichern. Die enorme Mobilität des Finanzkapitals in der globalisierten Welt verschärft diesen Liberalisierungs- und Deregulierungsdruck zusätzlich durch die Gefahr des Kapitalabflusses aus einer Volkswirtschaft, die diese Bedingungen nicht erfüllt. Bsp: Als Beispiel für eine dadurch motivierte Regelung wird das ÜbernahmeG genannt. Dieses normiert die Verpflichtung zur Stellung eines Pflichtangebots für den Erwerb aller anderen Aktien im Fall des Erwerbs einer kontrollierenden Beteiligung. Ein Bieter, der keine kontrollierende Beteiligung hat oder erwerben will, kann ein freiwilliges Angebot für eine beliebige Zahl von Beteiligungspapieren stellen. Neben diesem durch die globale Wirtschaftsentwicklung bedingten Veränderungsdruck sind der Möglichkeit, wirtschaftspolitisch frei zu gestalten, vor allem durch Österreichs Mitgliedschaft in EU und WTO Grenzen gesetzt. Die Grundlage des durch die EG gewährleisteten marktwirtschaftlichen Systems sind das Recht auf Mobilität und Aufenthalt innerhalb der EU (Art 18 EGV) sowie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art 12 EGV). Dieses marktwirt-
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schaftliche System wird aber insbesondere auch durch die Freiheit des Kapitalverkehrs ganz entscheidend geprägt. Bsp: Die konkreten Auswirkungen dieser Gewährleistungen ergeben sich aus der fallweise sehr dynamischen Rechtsprechung des EuGH. Das im österreichischen Universitäts-Studiengesetz (BGBl I Nr 48/1997) normierte Erfordernis des Bestehens des Rechts zur unmittelbaren Zulassung zum Studium in jenem Staat, der die Urkunde zum Nachweis der allgemeinen Universitätsreife ausgestellt hat, stellt nach Meinung des EuGH eine versteckte Diskriminierung von, im konkreten Anlassfall, deutschen Abiturienten dar (EuGH 7. 7. 2005, Rs C-147/03). Mit dieser Entscheidung wurde die Regelungsautonomie Österreichs im (auch standortpolitisch wichtigen) Bereich der universitären Bildung stark eingeschränkt. Dies obwohl der EGV an sich die „strikte Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten“ für die Lehrinhalte und Gestaltung des Bildungssystems und für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung garantiert. Verstaatlichungen sind gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich nicht verboten, Privatisierungen nicht geboten. Sowohl staatliche als auch staatlich eingenegative Harmonisierung = Rechtsangleichung durch Verbote, räumte Handelsmonopole und Dienstleistungsmonopole sind jeEinschränkungen doch durch Art 31 und 86 EVG sehr eingeschränkt. Auch innerpositive Harmonisierung = staatliche Beschränkungen des Waren- und Kapitalverkehrs Rechtsangleichung durch Richtlinien, Verordnungen etc sind de facto obsolet geworden, da jederzeit der zwingend freie Umweg über einen Nachbarstaat genommen werden kann. Inländerdiskriminierung bleibt zwar weiterhin möglich (EÖR I, LE 7), nationale nachteiligere Regelungen im Vergleich zum Gemeinschaftsrecht müssen nach der Rechtsprechung des EuGH und mancher nationalen Verfassungsgerichte, jedenfalls des VfGH, jedoch sachlich gerechtfertigt sein. Gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsmethoden wie das Herkunftslandprinzip oder das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Standards führen ebenfalls zu einer zunehmenden Marginalisierung staatlicher Wirtschaftsregelungen. Gemäß Art 87 EGV dürfen staatliche Subventionen den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Neben diesen Beispielen für die negative Harmonisierung der nationalen Rechtssysteme setzt die EG in wichtigen Bereichen auch Maßnahmen positiver Harmonisierung. Gemäß der Gemeinschaftskompetenz „zur Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das Funktionieren des Marktes erforderlich ist“, erlässt die EG wirtschaftslenkende Richtlinien, die ua den nationalen Energie- oder Telekommunikationsmarkt öffnen. Durch die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion verzichtet Österreich auf eine eigenständige Geld- und Wechselkurspolitik (LE 4). Die Steuerung von Geldmenge und Geldwert liegt nun beim Europäischen System der Zentralbanken unter der Leitung der Europäischen Zentralbank. Die Stabilität des Euro erfordert zumindest teilweise die Konvergenz der Wirtschaftspolitik der Euro-Länder. Österreich muss somit einerseits seine Wirtschaftspolitik an wesentlichen Eckpunkten ausrichten: Vermeidung eines übermäßigen Defizits bei der Neuverschuldung (Stichwort 3% des BIP). Außerdem besteht ein starker Druck, sich darüber hinaus an den jährlich vom Rat beschlossenen „Grundzügen“ der Wirtschaftspolitik zu orientieren, und dies weit über die rechtsverbindlichen Defizitgrenzen hinaus. Bsp: Die Keynesianische Politik des deficit spending unter Bundeskanzler Kreisky wäre heute nicht mehr möglich, ohne gegen den Stabilitätspakt zu verstoßen. Am stärksten beschränkt ist die Souveränität Österreichs in den Bereichen, in denen eine ausschließliche Kompetenz der EG besteht, wie vor allem im Außenhandelsrecht (Zoll-
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recht, Abschluss von Handelsverträgen, Anti-Dumping-Maßnahmen, Embargomaßnahmen etc) (LE 5) und in der Landwirtschaft (Common Agricultural Policy, CAP). Wirtschaftspolitisch hat Österreich somit durch die EU-Mitgliedschaft sehr viel an Handlungsspielraum verloren. Insbesondere ist es in verschiedenster Weise und Intensität zur Marktöffnung verpflichtet. Dennoch verbleibt für bedeutende Bereiche der Wirtschaftspolitik eine autonome staatliche Entscheidungskompetenz, wie zB für die Steuerpolitik, Arbeitsmarktpolitik und Industriepolitik. Bsp: Österreich hat die Möglichkeit, eine proaktive Betriebsansiedelungspolitik vorzunehmen, ua durch einen relativ niedrigen Körperschaftssteuersatz. Es bestehen jedoch bereits starke Bestrebungen im Rahmen der EG zur Harmonisierung auch dieses Gebiets, da unterschiedliche Steuersysteme in den Mitgliedstaaten das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen. Ähnliches gilt, wenn auch nicht ganz so weit reichend, auf der WTO-Ebene. Durch die Mitgliedschaft Österreichs bzw der EG bei der WTO, besteht eine (schieds)gerichtlich durchsetzbare Verpflichtung zur Marktöffnung vor allem durch das GATT (Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung für erfasste Warengruppen) und das GATS für Dienstleistungssektoren. Im Rahmen des GATS gibt es zwar einen gewissen Automatismus zur immer weiteren Öffnung der Märkte der Vertragsparteien (de facto durch Verhandlungsdruck, de jure durch Art 19 GATS), letztendlich entscheidet jedoch jeder Staat, welche Dienstleistungen wie weit liberalisiert werden sollen (Positiv-Listen-Prinzip). Auch in der WTO ist die Zulässigkeit staatlicher Subventionen eingeschränkt. Bsp: Auf dem Gebiet der öffentlichen Wasserversorgung sind weder Österreich noch die EG Verpflichtungen zur Marktöffnung eingegangen. Verpflichtungen wurden nur angeboten für Dienstleistungen der Abwasserentsorgung. Umgekehrt hat aber die EG durchaus von anderen Staaten Zugang zum Markt für öffentliche Wasserversorgung gefordert. Teil der WTO-Pflichten bildet auch das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures – deshalb auch SPS-Abkommen genannt). Es erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, solche Maßnahmen zu erlassen, und auch das Schutzniveau weitgehend selbständig festzulegen. Dies muss aber auf „wissenschaftlichen Grundsätzen“ beruhen. Wenn es keine wissenschaftlich untermauerten Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Gesundheit oder der Umwelt gibt, sind Importverbote nicht erlaubt. Das ist nur ausnahmsweise und vorübergehend anders, nämlich wenn das einschlägige wissenschaftliche Beweismaterial (noch) nicht ausreicht. Diesfalls sind vorübergehende Beschränkungen erlaubt. Im Ausgangsfall ist genau dies strittig: ob nämlich ausreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung vorliegen, die ein (wenigstens vorübergehendes) Zulassungsverbot rechtfertigen können. Die EU macht auch geltend, dass souveränen Staaten das Recht zur autonomen Regulierung und Zulassung von Nahrungsmitteln für ihre Bürger bleiben müsse. Nach dem Willen der Bevölkerung in den meisten europäischen Staaten (des „Souveräns“) dürften GMOs und GM Produkte nur unter engen Grenzen oder gar nicht zugelassen werden. Hier unterliegt die Entscheidungsmacht der Mitgliedstaaten jedoch der Bindung durch WTO-Recht.
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C.
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Der Konflikt um Kompetenzen in der EU
Die Verteilung und effektive Wahrnehmung von Kompetenzen, somit von Handlungsmacht, zwischen den Organen der EG und EU und den Mitgliedstaaten wird durch die unklare Fassung von EGV und EUV erschwert, welche wiederum ein Ausfluss der Versuche der Souveränitätswahrung der Mitgliedstaaten in bestimmten Politikbereichen ist. So ist bereits die grundlegende Normierung der Ziele der EG in Art 3 EGV sehr unpräzise. Derzeit besteht ein im Detail nur schwer verständliches und weitgehend unpraktikables Nebeneinander verschiedenster Arten von Kompetenzen (ausschließlich, konkurrierend, implizit, explizit, parallel, intern, extern; siehe LE 5). Bsp: Frankreich fürchtet den Verlust seiner kulturellen Sonderstellung (exception culturelle), welche durch starken Protektionismus (Quoten für einheimische Filme etc) und staatliche Förderung für frankophone Kunst und Kultur gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund setzte Frankreich in Verhandlungen um die Neufassung des Art 133 EGV, welcher die Außenhandelskompetenz der EG und somit auch die Kompetenz zur Verhandlung im Rahmen der WTO normiert, komplizierte Ausnahmen von der konkurrierenden Zuständigkeit von EG und Mitgliedstaaten für Fragen des Handels mit Dienstleistungen durch. Diesem grundlegenden Konflikt wird mit mehreren Grundsätzen der Kompetenzzuweisung und -ausübung begegnet (siehe zum folgenden tws auch EÖR I, LE 5):
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Soweit die Verträge keine entsprechende Zuweisung enthalten, verbleibt die Handlungsfreiheit bei den Mitgliedstaaten (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung).
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Diese Freiheit steht jedoch unter der Verpflichtung, die Funktionsfähigkeit der Union nicht zu behindern und sich gegenüber der Union loyal zu verhalten (Art 10 EGV).
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Die Organe der EU sind verpflichtet, eine (nicht-ausschließliche) Zuständigkeit nur zu nutzen, wenn die Ziele der Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend und besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können (Subsidiaritätsprinzip). Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kann mit der Nichtigkeitsklage vor dem EuGH durchgesetzt werden (siehe LE 8).
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Maßnahmen der Gemeinschaft dürfen nicht über das für die Erreichung der Ziele des Vertrages erforderliche Maß hinausgehen (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
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Die Mitgliedstaaten müssen die gleichartige Geltung des Rechts der Union sicherstellen (Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung). Dies wird ua durch das Vorabentscheidungsverfahren und die Verpflichtung der gemeinschafts- und insbesondere richtlinienkonformen Auslegung gewährleistet. Hier sind vor allem nationale Organe gefordert, eine Überwachung und Durchsetzung durch europäische Organe ist nur schwer möglich.
•
Andererseits wurde 1993 das Konzept der verstärkten Zusammenarbeit in die Verträge eingeführt, welches stärker integrationswilligen Mitgliedstaaten (einer „Avantguarde“ von Staaten, die eher bereit ist, Handlungsmacht an die EU zu delegieren) die Möglichkeit gibt, auf bestimmten Politikbereichen voranzugehen. Bis jetzt wurde von dieser Möglichkeit noch nicht Gebrauch gemacht. Das Schengen-Abkommen ist ein solcher Fall.
Der grundlegende Konflikt zwischen der Tendenz zur Delegation von Zuständigkeiten an die EU aus Gründen der Zweckmäßigkeit und/oder politischen Erwägungen und dem Wunsch nach Wahrung staatlicher Souveränität manifestiert sich auch Supranationalität => und vor allem in der Frage der Mehrheitserfordernisse bei Ab- Mehrstimmigkeitsprinzip stimmungen im Rat. Einstimmigkeitsprinzip (= Vetorecht) oder Intergouvernementalität => Einstimmigkeitsprinzip = Mehrheitsprinzip ist einer der wesentlichen Unterschiede zwi- souveränitätswahrend schen Supranationalität (EG) und Intergouvernementalität (GASP, PJZS). In der Regel sieht der Vertrag Mehrheitsbeschlüsse vor, genauer: die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit. Wie diese qualifizierte Mehrheit zu ermitteln ist (Stimmgewichtung einzelner Mitgliedstaaten, Sperrminorität) war Gegenstand heftiger Kontroversen und Allianzenbildungen (Polen, Spanien) bei Verhandlung des Vertrages von Nizza und endete mit einem komplizierten „doppelten“ Mehrheitserfordernis (Mehrheit von sowohl Stimmen im Rat als auch Bevölkerungszahl). Derzeit haben GB, Italien und Frankreich gleich viele Stimmen (29) wie (das ungleich größere) Deutschland. Polen und Spanien haben mit jeweils 27 nur geringfügig weniger Stimmgewicht zugesprochen bekommen. Im GMO-Ausgangsfall äußert sich die – für Internationalisierung bzw Globalisierung charakteristische – Spannungslage wie folgt: vor der Mitgliedschaft in der EU waren die europäischen Länder weitgehend frei, die Zulassung solcher Organismen beziehungsweise Produkte zu regeln. Ab der Mitgliedschaft galten die allgemeinen Grenzen der Warenverkehrsfreiheit, die verhältnismäßige Beschränkungen erlauben (Art 30 EGV). Durch die Erlassung der auf die allgemeine Binnenmarktermächtigung (Art 95 EGV) gestützten Harmonisierung der Zulassungsregeln für GMO ist der Spielraum der Mitgliedstaaten weiter
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geschrumpft. Die Risikoabwägung erfolgt nunmehr auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien, entweder durch die Behörden der Mitgliedstaaten oder durch die Europäische Kommission. Sobald eine europaweite Zulassung erfolgt ist, ist die Einführung zusätzlicher mitgliedstaatlicher Schranken nur noch ganz ausnahmsweise erlaubt. Erforderlich sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse, und auch diese reichen nur, wenn sie zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt und für die Behebung eines spezifischen Problems eines Mitgliedstaats geltend gemacht werden (vgl genauer Art 95 Abs 4 bis 7 EGV). Dazu treten nunmehr die Beschränkungen innerhalb der WTO. Diese bleiben, wie bereits skizziert, hinter jenen in der EU zurück. Trotzdem ist strittig, ob sie die konkreten Beschränkungen verbieten, und auch, ob es zulässig ist, wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Schranken einführen.
V.
Die EU als „Global Player“
Gemäß Art 2 EUV ist eines der Ziele der Union „die Behauptung ihrer Identität auf internationaler Ebene, insbesondere durch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wozu nach Maßgabe von Art 17 auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“.
A.
„One Voice“ in der Weltpolitik
Im Jahr 1977 stellte Henry Kissinger frustriert die rhetorische Frage "You say Europe, but which number should I call?" Die Antwort darauf ist heute genauso schwierig wie sie damals war. Bsp: Bei einem Besuch in Brüssel durch Präsident George W. Bush im Februar 2005 fand sich dieser gegenüber den folgenden, um Beachtung buhlenden Vertretern der EU: dem Premierminister von Luxemburg als Ratsvorsitzenden, dem Premierminister von Belgien als Vertreter des Gastlandes, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, dem Hohen Vertreter für die GASP, der EU-Kommissarin für Außenbeziehungen sowie diversen Oberhäuptern und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Seit Langem gibt es Bestrebungen innerhalb der EU, die Kohärenz und Kontinuität in der Außenwirkung zu vergrößern. Grundlegend divergierende strategische Ausrichtungen der Mitgliedstaaten und der Unwille, Souveränität und Einfluss abzugeben, haben dies bisher verhindert. Bereits 1954 scheiterte der so genannte Pleven-Plan über die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsunion (European Defense Cooperation, EDC) gekoppelt mit einer politischen Kooperation (EPC) an der Ablehnung durch das französische Parlament. Der Eindruck, dass sich seither die Chancen für eine politische Union verschlechtert statt verbessert haben, wird durch die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten (und damals noch 10 Beitrittsländer) zur Legalität und Sinnhaftigkeit des (dritten) Irakkrieges und die negativen Voten die Europäische Verfassung betreffend nahe gelegt. Die schrittweise Verstärkung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, Common Foreign and Security Policy, CFSP) fand vorerst in den Verträgen von Amsterdam und Nizza ihren Höhepunkt. Auf Grund des Scheiterns der Bewältigung des Balkan-Konflikts durch die EU wurde im Rahmen der GASP vom Europäischen Rat 2000 in Nizza die Schaffung der Europäischen Sicherheits-
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und Verteidigungspolitik (European Security and Defense Policy, ESDP) beschlossen. Diese geht auf eine französisch-britische Initiative zurück (St. Malo) und soll die Handlungsfähigkeit der EU bei der Krisenintervention sicherstellen und der EU (im militärischen Bereich) außenpolitisches Gewicht geben. Die ESDP ist beschränkt auf humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich friedensschaffender Maßnahmen (sog „Petersberg-Aufgaben“), welche durch eine Rapid Reaction Force von 60.000 Soldaten ausgeführt werden sollen. Jeder Versuch weitergehender militärischer Kooperation und Integration wird von den USA als Aushöhlung oder Duplizierung der NATO vehement abgelehnt. Es gibt jedoch auf der industriellen und Know-how-Ebene einen hohen Grad der wirtschaftlichen Integration innerhalb der EU, nicht zuletzt durch Unternehmen wie Airbus und EADS. Die Ernennung eines Hohen Vertreters für die GASP (Javier Solana) sollte der Außenpolitik der EU größeres Gewicht verschaffen. Der Hohe Vertreter wird für fünf Jahre ernannt, ist zugleich Generalsekretär des Rates der EU und vertritt gemeinsam mit dem Präsidenten des Rates die Union außenpolitisch. Oft tritt zusätzlich die Kommission auf, man spricht diesfalls von der hohen Troika. Durch den Vertrag über eine Verfassung für Europa wäre der Posten des Hohen Vertreters mit jenem des EU-Außenkommissars zusammengelegt und der Posten des Außenminister der Union geschaffen worden ("kleiner Doppelhut"). Der Außenminister (Javier Solana) hätte gemeinsam mit dem neuen Präsidenten des Europäischen Rates die EU nach außen vertreten. Der Vertrag von Lissabon (Ratifikation stockt nach dem negativen irischen Referendum im Juni 2008) hält zwar am Titel des Hohen Vertreters für die GASP fest, verzichtet aber auf den EU-Außenkommissar. Der Gegenstand höchster wettstreitender diplomatischer Bemühungen ist derzeit die Frage der Mitgliedschaft im wohl mächtigsten politischen Gremium der Welt, dem UNSicherheitsrat. Dieser spiegelt immer noch die, inzwischen teilweise überholten, Machtverhältnisse nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder. Brasilien, Indien, Japan (zweitgrößter Beitragszahler) und Deutschland (drittgrößter Beitragszahler) unterstützen sich gegenseitig im Bemühen um einen ständigen Sitz. Großbritannien, Frankreich und Russland unterstützen die Position Deutschlands. Vorschläge für einen ständigen Sitz für die EU durch vor allem Italien und die Niederlande scheitern einerseits an der mangelnden Staatlichkeit der EU und am Widerstand von Großbritannien und Frankreich, die ihren ständigen Sitz damit aufgeben müssten. Diese Schwerfälligkeit der EU auf dem außenpolitischen Parkett kontrastiert mit den supranationalen Befugnissen der EG in der Außenwirtschaft (vgl dazu LE 5). Außenwirtschaftliche Maßnahmen können selbstverständlich auch zu politischen Zwecken eingesetzt werden, was in der Praxis auch geschieht (Handelsbeschränkungen wegen Menschenrechtsverletzungen, Suspendierung von Abkommen aus politischen Gründen, Zahlungen im Rahmen der Entwicklungspolitik unter der Bedingung der Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Mindeststandards, Zollpräferenzen für Entwicklungsländer unter den gleichen Bedingungen usw). Daraus ergibt sich nicht selten eine erhebliche Inkohärenz im Auftreten der EU, der EG, und der Mitgliedstaaten auf internationaler Ebene. Die "Säulenkonstruktion" der EU hat somit höchst praktische Auswirkungen auf ihre internationale Handlungsfähigkeit.
B.
Die EU bzw EG in internationalen Organisationen
Nach herrschender Meinung haben sowohl die EG (und EAG) als auch die EU Rechtspersönlichkeit im Völkerrecht. Beide können daher im Rahmen ihrer Zuständigkeiten internatio-
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nale Verträge abschließen und internationalen Organisationen beitreten. So ist die EG Mitglied in der Food and Agricultural Organisation (FAO), der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) und Gründungsmitglied der WTO. Die EG ist dort alleine zum Abschluss eines internationalen Vertrages zuständig, wo sie eine explizite oder implizite ausschließliche Außenkompetenz besitzt, wie für die Gemeinsame Handelspolitik gemäß Art 133 EGV oder dort, wo die EG bereits Sekundärrecht erlassen hat (siehe zur Dienstleistungsrichtlinie oben III.A, zu den Kompetenzen LE 5). Die Kompetenzverteilung für ein und dasselbe Abkommen kann demnach sehr zersplittert sein, ausschließliche Kompetenzen der EG können neben ausschließlichen Kompetenzen der Mitgliedstaaten oder neben konkurrierenden Kompetenzen stehen. Folglich kann ein internationaler Vertrag je nach Materie entweder nur von der EG, nur von den Mitgliedstaaten oder von sowohl der EG als auch den Mitgliedstaaten abgeschlossen werden. Im letzten Fall spricht man von einem gemischten Abkommen, wobei der wichtigste Präzedenzfall das WTO-Abkommen ist. Verpflichtend ist der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags als gemischtes Abkommen, wenn der Vertrag für EG und Mitgliedstaaten jeweils getrennte und spezifische Verpflichtungen normiert. Dies ist zB dann der Fall, wenn ein Abkommen aus zwei Teilen besteht und der eine Teil in die ausschließliche EG-Kompetenz und der andere Teil in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt. Bsp: Das WTO-Abkommen hat die Gemeinschaft nur hinsichtlich der in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden Bereiche abgeschlossen, während es die Mitgliedstaaten sowohl hinsichtlich ihrer eigenen Zuständigkeiten als auch hinsichtlich aller Bereiche der konkurrierenden Zuständigkeit abgeschlossen haben. Dies obwohl die EG wohl auch alleine, somit für alle durch den WTO-Vertrag abgedeckten Bereiche, Mitglied der WTO hätte werden können. In der Praxis führt diese Kompetenzzersplitterung zu einem sehr uneinheitlichen Auftreten der EG, welches ein Reflex interner Souveränitäts- und Machtkämpfe zwischen Mitgliedstaaten ist (siehe oben Kapitel IV.C.). So tritt in einigen Fällen die Kommission als Sprecherin für den gesamten Regelungsbereich eines gemischten Abkommens auf, wie bei Assoziierungsabkommen. In anderen Fällen agieren Delegationen zusammengesetzt aus Vertretern der Kommission und der Präsidentschaft der EU oder Vertretern der Kommission und der Mitgliedstaaten. Können an der Aushandlung eines Abkommens nur die Mitgliedstaaten teilnehmen, müssen diese treuhändisch die Interessen der EG wahrnehmen (zB im Fall der International Labour Organisation, ILO, in der die EG nicht Mitglied ist). Den Abschluss internationaler Abkommen im Bereich der 2. und 3. Säule regelt Art 24 EUV. Rechte und Pflichten aus solchen Abkommen treffen die Mitgliedstaaten und die EU.
C.
Sind Europäer von der Venus?
Seitdem das Projekt der Einigung Europas zusätzlich zur von Anfang an zentralen Vermeidung von Kriegen in Europa einige weitere spektakuläre Erfolge wie die Wirtschafts- und Währungsunion und die Wiedereingliederung Osteuropas vorweisen kann, wird versucht, dies zu bewerten und geschichtlich einzuordnen. Vor allem wird der Vergleich mit der anderen großen westlichen Supermacht, den USA, bemüht. Es wird (anerkennend) behauptet, die EU sei ein „post-modernes“ Gebilde, welches nicht mehr auf ein Gleichgewicht der Kräfte setze (kein Wettrüsten etc), nicht mehr von Souveränitätsängsten dominiert sei und auf Gewalt als Konfliktlösungsinstrument verzichtet habe.
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Die EU repräsentiere Sicherheit durch Transparenz und Transparenz durch gegenseitige Abhängigkeit (Cooper). Ähnlich wird argumentiert, die EU sei eine “quiet superpower”, die erfolgreich „soft power“ (im Unterschied zur militärischen Macht EU in Schlagworten: postmodern, supranational, soft power, quiet der USA) mittels Entwicklungshilfe, Erweiterung und Friedenssisuperpower, gentle giant cherung ausübe (Nye). Andererseits wird (weniger anerkenUSA in Schlagworten: nend) auf die historische Abhängigkeit des vereinten Europas Realpolitik, Machtpolitik, Militärmacht von der (militärischen) Stärke der USA verwiesen (gegen den Kommunismus, in Bosnien). Die USA hätten erst ermöglicht, dass Europa den Zustand des „Kant’schen Ewigen Friedens“ erreicht hat. Während sich Europa in Wohlstand, Sicherheit und seinen hehren Idealen sonne, kämpften die USA im Hobbes’schen Dschungel, um sie zu beschützen. Die USA sei somit vom Mars, während die Europäer von der Venus seien (Kagan). Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Dass die Postmodernität der EU dort ihre Grenzen hat, wo wichtige Interessen der Mitgliedstaaten berührt werden bzw wo es um die Aufgabe von Kernbereichen staatlicher Souveränität geht, wurde besprochen. Tatsächlich übt die EU eine sehr starke Attraktionskraft auf umliegende Staaten aus, wohl primär durch das Versprechen wirtschaftlichen Aufschwungs und Wohlstands, aber auch auf Grund ihrer Wesensmerkmale wie Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Es kann durchaus argumentiert werden, dass dadurch und durch finanzielle und institutionelle Unterstützung bedingte Transformationen von Staaten von dauerhafterer Wirkung sind als „nation-building“ wie in Afghanistan und Irak. Es ist allerdings auch ein Faktum, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg von wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung der USA abhängig und auch bisher nicht in der Lage war, in ihrem unmittelbaren Einflussgebiet, wenn erforderlich, politisch und militärisch entschieden zu handeln. (Auch) Auf wirtschaftlichem Gebiet, auf dem die Schlagkraft der EG und das Potenzial für ein einheitliches Auftreten im Vergleich zweifellos viel größer sind, sehen sich die EG und ihre Mitgliedstaaten den in diesem Kapitel angesprochenen Phänomenen der Globalisierung gegenüber. Bei aller Kritik an dieser Entwicklung lässt sich doch festhalten, dass vor allem im Rahmen der WTO Auseinandersetzungen über die Ebene der Machtpolitik hinaus in einen stärker rechtsstaatlich orientierten Prozess eingebunden werden. Dem muss sich dann freilich auch ein wirtschaftsmächtiger „Player“ wie die EG stellen. Im Mai 2003 haben die USA, unterstützt von Kanada und Argentinien, das Bewilligungsregime der EU für GM Produkte und die Beschränkungen einiger Mitgliedstaaten vor das WTO-Schiedsgericht gebracht (DS 291-293). Im November 2006 hat das Schiedsgericht entschieden, dass das Moratorium der EU zwischen 1999 und 2003 eine Verletzung bestehender Entscheidungspflichten darstellt, sowie bestehende Importverbote von Ländern wie Österreich mangels wissenschaftlicher Grundlage gegen WTO-Recht verstoßen. Importverbote von GMOs durch Staaten wie Österreich trotz Zulassung auf EU-Ebene sind jedenfalls nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig. Dabei sind allerdings die innerhalb der EG geltenden Regeln für nationale Alleingänge zu unterscheiden von jenen in der WTO. Die Grenzen für einen solchen Vorgang innerhalb der EG sind zweifellos enger als innerhalb der WTO. Globalisierung, so könnte man auch sagen, kennt unterschiedliche regionale Abstufungen.
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VI. Weiterführende Literatur Alston (Hrsg.), The European Union and Human Rights, Oxford, 1999 Beck, Was ist Globalisierung? 3. Auflage, 1999 Bhagwati/Dehejia, Free Trade and Wages of the Unskilled - Is Marx Striking Again? in Bhagwati/Kosters (Hrsg.), Trade and Wages: Leveling Wages Down?, Washington, 1994 Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 6. Auflage, Baden-Baden, 2005 Bogdandy, von, Globalization and Europe: How to Square Democracy, Globalization, and International Law, European Journal of International Law 15 (2004) 885 Breuss, Reale Außenwirtschaft und Europäische Integration, Frankfurt am Main, 2003 Cooper, The Breaking of Nations: Order and Chaos in the Twenty-First Century, New York, 2004 Friedman, Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts, Frankfurt am Main, 2006 Fukuyama, The End of History and the Last Man, 2. Auflage, New York, 2006 Griller/Weidel, External Economic Relations and Foreign Policy in the European Union, Wien/New York, 2002 Harvey, The Condition of Postmodernity: An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Cambridge, 1990 Hill/Smith (Hrsg.), International Relations and the European Union, Oxford, 2005 Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 2. Auflage, München, 2002. Kagan, Of Paradise and Power: America and Europe in the New World Order, New York, 2003 Köck/Lengauer/Ress (Hrsg.), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung, Wien, 2000 Kreijen (Hrsg.), State, Sovereignty, and International Governance, Oxford, 2002 Legrain, Open World. The Truth about Globalization, Chicago, 2004 Nye, Soft Power: The Means to Success in World Politics, Washington, 2004 B. Raschauer (Hrsg.), Österreichisches Wirtschaftsrecht, 2. Auflage, Wien, 2003 Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten, 2002, http://www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/index.html Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, 2003
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VII. Wiederholungsfragen
Was sind die treibenden Kräfte der Globalisierung? Welche positiven Auswirkungen hat die Globalisierung? Welche negativen Auswirkungen hat die Globalisierung? Welche Organe überwachen die Einhaltung der Menschenrechte auf Ebene der Vereinten Nationen, des Europarates und der Europäischen Union? Wie versucht die EG völkerrechtlich die Wahrung der Menschenrechte zu fördern? Wie ist das rechtliche Verhältnis zwischen Multilateral Environment Agreements wie dem Kyoto-Protokoll und dem WTO-Recht? Können in der WTO Umweltschutzmaßnahmen erfolgreich verteidigt werden? Was ist der Unterschied zwischen extraterritorialer und universeller Gerichtsbarkeit? Was sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Welche Handlungen verfolgt der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien? Welche anderen Kriegsverbrechertribunale gibt es und auf welcher Rechtsgrundlage? Hat der Internationale Strafgerichtshof universelle Gerichtsbarkeit? Was besagt das Prinzip der Komplementarität beim Internationalen Strafgerichtshof? Wozu dienen bilaterale Zoll- und Freihandelsabkommen aus politischer Sicht? Was besagt das Herkunftslandprinzip? Welche Auswirkung könnte die Dienstleistungs-RL auf die Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten haben? Wie sind Internet und E-commerce international geregelt? Was bedeutet Souveränität und welche Arten gibt es? Welchen externen Bindungen unterliegt die staatliche Regelungsmacht Österreichs? Nach welchen Prinzipien funktioniert die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten? Wie hängen Mehrheitserfordernisse für Abstimmungen im Rat der Europäischen Gemeinschaft mit Souveränität zusammen? Was sind GASP und ESDP? Warum ist es so schwierig für die EU, auf politischer Ebene geschlossen und koordiniert aufzutreten? Welche Probleme bringt die Kompetenzzersplitterung zwischen EG und Mitgliedstaaten beim Abschluss internationaler Abkommen? Warum wird behauptet, die EU sei „post-modern“?