Effiziente Vielfalt
Mathias Hüttenrauch · Markus Baum
Effiziente Vielfalt Die dritte Revolution in der Automobilindustrie
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Dr. Mathias Hüttenrauch Markus Baum
[email protected] ISBN 978-3-540-72115-4
e-ISBN 978-3-540-72116-1
DOI 10.1007/978-3-540-72116-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.com
Vorwort
Zu behaupten, dass eine der bedeutendsten Industrien vor einem tief greifenden Umbruch – gar einer Revolution – steht, ist mutig. Die Idee des Wandels hin zu einer noch effizienteren Industrie, die die Belange der Endkunden wie nie zuvor in den Vordergrund stellt, war ursprünglich nicht der Ausgangspunkt unserer Arbeit, sondern vielmehr ihr Ergebnis. Unsere Intention lag darin, die Komplexität der Automobilindustrie prägnant darzustellen. Als Mitglieder dieser Industrie werden wir tagtäglich mit Neuigkeiten konfrontiert. Was bisher fehlte, war ein umfassendes Werk, das die vielen Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfasst. Diesem ursprünglichen Gedanken folgte unser Buch zunächst. Es versteht sich weder als rein publizistisches Werk noch als automobiles Lehrbuch. Wir möchten sowohl Menschen erreichen, die ein grundsätzliches Interesse an dem Thema Automobil haben, als auch Personen, die sich intensiver – sei es in der Wissenschaft oder in der Praxis – mit der Automobilindustrie auseinandersetzen. Zudem möchten wir auch Managern anderer Industrien, die mit dem Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt konfrontiert werden, Anregungen bieten. Während unserer Arbeit an diesem Buch zeichnete sich mehr und mehr ab, dass wir uns nicht auf eine bloße Beschreibung des Istzustandes beschränken konnten, sondern einer neuen Revolution in der Automobilindustrie auf der Spur waren. Uns wurde klar, dass die eingefahrenen Methoden und Ansätze früherer Revolutionen nicht mehr ausreichen würden, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Wir möchten an dieser Stelle nicht zu viel vorwegnehmen, doch steht für uns fest, dass die Automobilindustrie in naher Zukunft in vielen Grundzügen nicht mehr mit dem vergleichbar sein wird, was wir heute kennen. Neue Geschäftsmodelle werden die bestehenden ersetzen, die Rollen werden neu verteilt werden und andere Formen der Zusammenarbeit werden die Industrie prägen. Diejenigen, die diese Zusammenhänge jetzt erkennen und schnell agieren, werden die Ausfahrt in eine erfolgreiche Zukunft finden. Ein passives Abwarten, gemischt mit dem Prinzip Hoffnung, führt zwangsläufig auf die Verliererstraße … Wir wünschen Ihnen möglichst effiziente Erkenntnisse und vielfältiges Interesse beim Lesen.
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Vorwort
Danksagung Die Umsetzung dieses Buches geht weit über unsere Teamarbeit hinaus. In über zwei Jahren der Entstehung haben wir von vielen Menschen Unterstützung erfahren, für die wir uns an dieser Stelle bedanken möchten. Unser Dank geht zunächst an den Springer-Verlag und hier besonders Herrn Dr. Werner A. Müller für die entgegengebrachte Vertrauensleistung sowie Herrn Markus Richter, der in vielerlei Hinsicht unser Buch geschärft hat. Einen besonderen Dank möchten wir Herrn Kalmbach von Roland Berger Strategy Consultants für seine wertvollen Hinweise und die anregenden Diskussionen zu den Inhalten dieses Buches aussprechen. Der größte Dank gilt selbstverständlich unseren Familien. Sie haben uns in der Entstehung dieses Buches beiseite gestanden und so manche Zeit auf uns verzichten müssen. Herzlichen Dank! Markus Baum Mathias Hüttenrauch
Oktober 2007
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ................................................................................. 1
2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie........ 5 2.1 Erste Revolution in der Automobilindustrie ................................ 6 2.1.1 Grundlagen ........................................................................ 6 2.1.2 Verschiebungen in der Wertschöpfungskette .................... 9 2.1.3 Auswirkungen und Grenzen ............................................ 11 2.2 Zweite Revolution in der Automobilindustrie ........................... 14 2.2.1 Grundlagen ...................................................................... 14 2.2.2 Verschiebungen in der Wertschöpfungskette .................. 19 2.2.3 Auswirkungen und Grenzen ............................................ 28
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Die Treiber der dritten Revolution ....................................... 33 3.1 Veränderungen im politischen Umfeld (political) ..................... 33 3.1.1 Emerging Markets ........................................................... 33 3.1.2 Globale Erwärmung......................................................... 41 3.1.3 Konflikt der Religionen – Terrorismus ........................... 44 3.2 Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic) ............... 45 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Allgemeine ökonomische Treiber – Rohstoffpreise ........ 45 Allgemeine ökonomische Treiber – Fahrzeugpreise ....... 47 Ökonomische Treiber – Automobilhersteller .................. 48 Ökonomische Treiber – Lieferanten................................ 53
3.3 Ein neues soziales Umfeld (social) ............................................ 56 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5
Einführung....................................................................... 56 Übergreifende soziale Trends.......................................... 57 Mein Auto als Lebensbereich .......................................... 64 Mein Auto als Arbeitsbereich.......................................... 72 Zusammenfassung ........................................................... 76
3.4 Exkurs: Low Cost Car................................................................ 77
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.5 Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology) ............................................................................... 80 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5
Einführung....................................................................... 80 Nanotechnologie.............................................................. 80 Bionik .............................................................................. 82 Informationstechnologie.................................................. 84 Technologieanwendungen ............................................... 88
3.6 Neue Herausforderungen der Automobilindustrie..................... 94 4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt ....................... 99 4.1 Effizienz..................................................................................... 99 4.2 Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung.................... 104 4.2.1 Effizienzpotenziale innerhalb der Herstellerunternehmen................................................... 104 4.2.2 Effizienzpotenziale zwischen Automobilherstellern ..... 107 4.2.3 Effizienzpotenziale zwischen Automobilhersteller und Zulieferer ................................................................ 111 4.3 Die fünf Varianten der Vielfalt ................................................ 113 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
5
Definition....................................................................... 113 Der Konsument als Ausgangspunkt .............................. 114 Umsetzung in der Automobilindustrie........................... 117 Zusammenfassung ......................................................... 125
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung ................... 127 5.1 Einführung ............................................................................... 127 5.2 Was ist Modularisierung? ........................................................ 129 5.3 Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern ............................................................... 133 5.3.1 Grundlagen des Modulbaukastens................................. 133 5.3.2 Entwicklungsprozess ..................................................... 137 5.3.3 Organisatorische Veränderungen .................................. 141 5.4 Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten................. 146 5.4.1 Einführung..................................................................... 146 5.4.2 Markenaufladung........................................................... 148 5.4.3 Neue Kompetenzen........................................................ 159 5.5 Weitere Möglichkeiten der Vielfalt („sechste Art“) ................ 164
Inhaltsverzeichnis
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Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten – die neue Wertschöpfung ............................. 171 6.1 Einleitung................................................................................. 171 6.2 Chassis ..................................................................................... 174 6.3 Motor ....................................................................................... 176 6.4 Powertrain................................................................................ 177 6.5 Body (Struktur) ........................................................................ 179 6.6 Body (Exterieur) ...................................................................... 180 6.7 Interieur.................................................................................... 181 6.8 Elektrik und Elektronik............................................................ 184
7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten – die neuen Beziehungen ............................... 191 7.1 Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt............................... 191 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4
Commodity-Modell ....................................................... 191 Brand-Booster-Modell................................................... 195 Integrator-Modell .......................................................... 199 Assembler-Modell ......................................................... 202
7.2 Neues Rollenverständnis.......................................................... 207 7.2.1 Schritte des Wandels ..................................................... 207 7.2.2 Künftige Schwerpunkte der OEMs................................ 215 7.2.3 Kompetenzverschiebungen in den unterschiedlichen Phasen der Geschäftsbeziehung..................................... 218 7.2.4 Keiretsu.......................................................................... 223 7.3 Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen ............................. 227 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 8
Einführung der Value Proposition ................................. 227 Die Annäherungstheorie ................................................ 231 „Harte“ Wege zum Erfolg ............................................. 233 „Softe“ Wege zum Erfolg.............................................. 242
Zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie.............................................................. 271
Literaturverzeichnis ................................................................... 285 Über die Autoren ........................................................................ 289
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1. OEM-Positionierung in der ersten Revolution der Automobilindustrie .................................................................... 13 Abb. 2. Ermittlung der optimalen Bestellmenge .................................... 15 Abb. 3. Elemente des Lean Management ............................................... 21 Abb. 4. OEM-Positionierung in der zweiten Revolution der Automobilindustrie .................................................................... 29 Abb. 5. Marktpotenzial der Nicht-Triade im Vergleich zur Triade (B&D-Forecast 2006) ................................................................ 34 Abb. 6. Größte PKW-Märkte weltweit (B&D-Forecast 2006)............... 36 Abb. 7. Unterschiedlichkeiten zwischen China und Indien.................... 37 Abb. 8. Wachstum 2006 in verschiedenen Ländern (Behravesh 2005) .......................................................................................... 38 Abb. 9. Weltweite Verlagerung der automobilen Wertschöpfung (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003) ..................................................................... 40 Abb. 10. Globale Temperaturveränderungen (Stern 2006) ...................... 42 Abb. 11. Unterschiedliche Emissionsstandards in einzelnen Ländern (Verband der Automobilindustrie 2006) ..................... 43 Abb. 12. Zeitlicher Konsolidierungsüberblick in der Automobilindustrie (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)................................................... 48 Abb. 13. Zusammensetzung der größten OEMs....................................... 49 Abb. 14. Herausforderungen für die OEMs bei der Markenpolitik .......... 51 Abb. 15. Top 20 globale Lieferanten (Automobil Produktion 2007)........ 53 Abb. 16. Konsumententrends in der Automobilindustrie ......................... 56 Abb. 17. Alterspyramide Deutschland (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2006)..................................................................... 59 Abb. 18. Entwicklung der Einwohnerzahlen klassischer Metropolen (Un-Habitat 2006) ................................................. 61
XII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 19. Voranschreitende Urbanisierung (Mertins 2003) ...................... 62 Abb. 20. Profit pro Fahrzeug in Nordamerika (Harbour Report 2005) .......................................................................................... 63 Abb. 21. Entwicklung der Medizin (Zukunftsinstitut 2006)..................... 65 Abb. 22. Kauftrichter (Stern 2006) ........................................................... 69 Abb. 23. Rationale und emotionale Fahrzeugpositionierungen................ 70 Abb. 24. Beispiele für Einfachheit im Konsumgüterbereich.................... 85 Abb. 25. Entwicklungen in der Antriebstechnologie (Verband der Automobilindustrie 2006).......................................................... 88 Abb. 26. Regenerativer Wasserstoffkreislauf.......................................... 90 Abb. 27. Zusammenführung technologischer Trends (Rohrer 1994) ....... 93 Abb. 28. Trade-off der Automobilindustrie.............................................. 95 Abb. 29. Notwendigkeit der Neugestaltung der Beziehung von Zulieferern und OEMs (Wildemann 2005) ................................ 97 Abb. 30. Effizienzkriterien hinsichtlich der Koordination (Frese 2000) ........................................................................................ 100 Abb. 31. Motivationseffizienz im Überblick (Frese 2000)..................... 101 Abb. 32. Lock-in-Zyklus (Shapiro u. Varian 1999) ............................... 103 Abb. 33. Balance zwischen Regionalität und Globalität ........................ 106 Abb. 34. Entwicklungspartnerschaften zwischen OEMs........................ 108 Abb. 35. Kostenszenario einer Plattformerweiterung............................. 110 Abb. 36. Best of Benchmark eines Spiegels........................................... 112 Abb. 37. Erhöhung der Vielfalt außerhalb der Automobilindustrie (Cax u. Alm 1999).................................................................... 114 Abb. 38. Konsumentenwandel................................................................ 115 Abb. 39. Sinus-Milieus® in Deutschland (Sinus Sociovision 2007)...... 116 Abb. 40. Markenaufladend versus weniger markenaufladend................ 118 Abb. 41. Modelle der Marke Mercedes-Benz im historischen Vergleich.................................................................................. 119 Abb. 42. Derivate des VW Golf ............................................................. 120 Abb. 43. Anzahl neuer Modelle im Zeitablauf (B&D-Forecast 2006) ........................................................................................ 121 Abb. 44. Variantenreichtum Automobilindustrie (Pil u. Holweg 2004) ........................................................................................ 122 Abb. 45. Definitorische Abgrenzungen .................................................. 131
Abbildungsverzeichnis
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Abb. 46. Modulbaukasten am Beispiel Lego.......................................... 132 Abb. 47. Modulstrategie versus Plattformstrategie ................................ 134 Abb. 48. Modulbaukasten....................................................................... 136 Abb. 49. Entwicklungsprozess beim OEM............................................. 137 Abb. 50. Festlegung des Modulinhaltes ................................................. 138 Abb. 51. Markenaufladbarkeit unterschiedlicher Module ...................... 140 Abb. 52. Modulmanagement in der OEM-Organisation ........................ 143 Abb. 53. Einfluss verschiedener OEM-Einheiten im Entwicklungsprozess ............................................................... 145 Abb. 54. OEM-Positionierung in der dritten Revolution der Automobilindustrie .................................................................. 146 Abb. 55. Gesamtmarkenpositionierung im Wettbewerbsumfeld............ 151 Abb. 56. Fahrzeugpositionierung BMW ................................................ 152 Abb. 57. Milieuspezifische Konsumentengruppen am Beispiel BMW ....................................................................................... 154 Abb. 58. Positionierung des Modulbaukastens....................................... 156 Abb. 59. Relativer Nutzen des Modulbaukastens................................... 158 Abb. 60. Empfehlung des Lieferanten .................................................... 159 Abb. 61. Marketingkompetenzen von Lieferanten ................................. 160 Abb. 62. Erweiterte Vielfalt in der dritten Revolution der Automobilindustrie .................................................................. 165 Abb. 63. Beispiele angenehmer Individualisierung................................ 167 Abb. 64. Wertschöpfungsanteile auf einzelnen Stufen (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003) ........................................................................................ 172 Abb. 65. Absoluter Wertschöpfungszuwachs der Lieferanten (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003) ................................................................... 173 Abb. 66. Wertschöpfungsanteile OEMs / Zulieferer 2015 versus 2002 (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003) ................................................................... 174 Abb. 67. Struktur der Geschäftsbeziehung des CommodityModells .................................................................................... 193 Abb. 68. Positionierung des Commodity-Modells in der Effizienten Vielfalt ................................................................... 194
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Abb. 69. Struktur der Geschäftsbeziehung des Brand-BoosterModells .................................................................................... 197 Abb. 70. Positionierung des Brand-Booster-Modells in der Effizienten Vielfalt .................................................................. 198 Abb. 71. Struktur der Geschäftsbeziehung des Integrator-Modells........ 200 Abb. 72. Positionierung des Integrator-Modells in der Effizienten Vielfalt ..................................................................................... 201 Abb. 73. Struktur der Geschäftsbeziehung des Assembler-Modells ...... 203 Abb. 74. Positionierung des Assembler-Modells in der Effizienten Vielfalt ..................................................................................... 206 Abb. 75. Ausgewählte Hybridallianzen.................................................. 210 Abb. 76. Marktstruktur der Effizienten Vielfalt ..................................... 214 Abb. 77. Phasen der Geschäftsbeziehung............................................... 219 Abb. 78. Geschäftsbeziehung im Überblick ........................................... 222 Abb. 79. Business Profitability (Huete 2002)......................................... 228 Abb. 80. Value Proposition (Huete 2002) .............................................. 229 Abb. 81. Emotionale Faktoren auf Produktebene................................... 230 Abb. 82. Softe Faktoren im Überblick.................................................... 245 Abb. 83. Klassische CRM-IT-Bausteine (Schröder et al. 2002)............. 255 Abb. 84. Unterschiedliche Unternehmenskulturen im Überblick........... 258 Abb. 85. Beziehungskonstellationen der Effizienten Vielfalt unter dem Gesichtspunkt der Soft Factors ........................................ 261 Abb. 86. Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Risiko ................ 266
1 Einleitung
Nach der ersten und zweiten Revolution in der Automobilindustrie steht die Industrie derzeit am Beginn eines dritten Wandels. Für Zulieferer und Automobilhersteller wird es immer schwieriger, profitabel am Markt zu agieren, obwohl die Märkte global wachsen. Neue Herausforderungen wie das Thema „Low Cost Car“ oder umweltfreundliche Technologien erhöhen den Druck auf Automobilunternehmen. Bis zu einem gewissen Grad konnte die Industrie diesem Wandel standhalten, für die Zukunft sind jedoch wieder einschneidende Veränderungen erforderlich. Diese Veränderungen sind insbesondere in der Entwicklung neuer Produkte zu sehen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den beiden vorangegangenen Revolutionen – die ihren Schwerpunkt klar in der Produktion hatten. Effizienzpotenziale müssen aufgedeckt und genutzt werden. Da diese nachhaltig und branchenweit ihre Wirkung entfalten sollten, wird die gesamte Industrie starke Veränderungen durchmachen. Die Effizienzprobleme der Industrie sind jedoch nur die halbe Wahrheit. Darüber hinaus sehen sich Unternehmen einer veränderten Konsumentenbasis gegenübergestellt. Diese ist im Vergleich zu früher aufgeklärter und setzt ihr „Mitspracherecht“ stärker um. Eine Innovation verkauft sich nicht mehr „automatisch“ – vielmehr müssen Unternehmen ihre Produkte noch stärker an die Bedürfnisse der Konsumenten anpassen. Der Einfluss der Konsumenten ist so groß geworden, dass er über den Erfolg oder Misserfolg einer Innovation entscheidet und damit ihren logischen Ausgangspunkt darstellt. Nicht mehr nur die technische Raffinesse macht eine effiziente Innovation aus, sondern die Anpassungsfähigkeit an die individuellen Wünsche und Einstellungen der Nutzer. Die Aufgabe der Industrie besteht darin, die vermeintlichen Gegensätze von Effizienz und individueller Vielfalt durch völlig neue Ansätze besser in Einklang miteinander zu bringen. Die Lösung des Problems wird die Automobilindustrie in ihrer Produktentwicklung und im Miteinander der Unternehmen revolutionieren. Die Industrie muss den Wandel erkennen und sich entsprechend anpassen. Dazu sind neue Ansätze gefordert, die eine Antwort auf Herausforderungen wie „Low Cost“, „Industrieprofitabilität“, „Individualisierung“ und „Globalisierung“ bieten.
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1
Einleitung
Um alle entscheidenden Treiber strukturiert darzustellen, müssen wir uns zunächst die bisherige Entwicklung bis heute bewusst machen (Kapitel 2). Durch die historische Betrachtung der ersten und zweiten Revolution in der Automobilindustrie zeigen wir deren Grenzen auf und das sich daraus ergebene Handlungspotenzial für heute. Auf der Basis dieses Verständnisses werfen wir einen Blick in die Zukunft (Kapitel 3) und analysieren die entscheidenden Treiber der Automobilindustrie. Damit ist der Ursprung der dritten Revolution klar umrissen: Eine Vielzahl von Herausforderungen an die Industrie muss gleichzeitig erfüllt werden. Es zeigt sich, dass es letztlich darum geht, dem Automobilkäufer Produkte anzubieten, die ein hohes Maß an Individualität bieten und gleichzeitig die Wertschöpfungskette bedeutend effizienter durchlaufen als heute. Dies führt unausweichlich zu der Forderung, den Konflikt zwischen steigender Vielfalt und angestrebter Standardisierung effizienter zu lösen. Dementsprechend bezeichnen wir die dritte Revolution in der Automobilindustrie als „Effiziente Vielfalt“. Im vierten Kapitel beschreiben wir, was der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt bedeutet. Dabei zeigen wir, dass im Gegensatz zu den ersten beiden Revolutionen das Kernproblem der Effizienten Vielfalt in der Entwicklung und nicht in der Produktion liegt. Wir stellen unterschiedliche Arten der Vielfalt vor, die Automobile haben können. In der Modularisierung von Produkten (Kapitel 5) sowohl bei Lieferanten als auch bei OEMs sehen wir einen wichtigen Ansatz, mit dem Unternehmen den Konflikt aus Effizienz und Vielfalt lösen können. Er führt zu organisatorischen Veränderungen, neuen, wichtigen Kompetenzen und weiteren Arten der Vielfalt bei Automobilen. Unser Modularisierungskonzept ist nicht leicht in der Praxis umzusetzen, da es ein völlig neues Geflecht von Geschäftsbeziehungen voraussetzt. Der Ursprung dieses neuen Beziehungsgeflechts liegt in quantitativen Wertschöpfungsverschiebungen (Kapitel 6), die sich bei den Kernmodulen von Automobilen ergeben. Die Optimierung der Gesamtwertschöpfungskette als Einheit erfordert qualitative Veränderungen (Kapitel 7), die ein revolutionär neues Verhalten in der gesamten Industrie zur Folge haben. Es entstehen neue Geschäftsmodelle wie das Integrator-Modell oder das Brand-Booster-Modell, die es so bisher noch nicht gegeben hat. Neben diesen Geschäftsmodellen ist ein neues Rollenverständnis in der Zusammenarbeit zwischen OEMs und Lieferanten unausweichlich. Insbesondere die OEMs sind zum Handeln aufgefordert und müssen ihre neuen Aufgaben als Chance sehen und
Einleitung
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nicht als Beschneidung ihrer Kompetenzen. Wir unterscheiden „harte“ und „softe“ Wege, Erfolg in der Geschäftsbeziehung zu erreichen. Abschließend formulieren wir zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie (Kapitel 8). Bei unseren Ausführungen werden wir auf viele Praxisbeispiele zurückgreifen. Diese müssen nicht immer mit den Vorstellungen der angesprochenen OEMs oder Lieferanten übereinstimmen, sondern sie zeigen unsere Sicht der Dinge. Sie basieren auf unseren Erfahrungen und Kenntnissen.
2 Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
Die Automobilindustrie befindet sich stets im Wandel. Wettbewerb und besondere Konsumentenansprüche führen zu stetigen Effizienz- und Effektivitätsverbesserungen. Unter Effizienz versteht man das Verhältnis zwischen dem erzielten Ergebnis und den eingesetzten Mitteln. Es geht also darum, die Dinge richtig zu machen. Bei Effektivität hingegen geht es darum, die richtigen Dinge zu machen. Dieser einfache, aber auswirkungsstarke Zusammenhang prägt viele Industrien. In der Automobilindustrie hat er in der Vergangenheit zu revolutionären Veränderungen geführt. Dies ist einzigartig in der Wirtschaft. So hat es in der erst gut 100 Jahre alten Automobilindustrie bereits zwei Revolutionen gegeben und die dritte ist voll im Gange. In diesem Kapitel werden wir uns mit den historischen Revolutionen ausführlicher beschäftigen, um wichtige Hintergründe der aktuellen dritten Revolution zu beleuchten. Dabei waren es nicht die Unternehmen selbst, sondern die sich verändernden Umfeldbedingungen, die die jeweilige Revolution ausgelöst haben. So betrachtet sind die Maßnahmen von Ford und Toyota die proaktive Antwort auf ein sich veränderndes Umfeld. Um diese Umfeldbedingungen differenziert betrachten und unabhängig von den Wunschvorstellungen der Unternehmen analysieren zu können, bedienen wir uns der PEST-Methode. In der PEST-Analyse werden die vier wichtigsten Umfeldcluster – politische Rahmenbedingungen (Political), ökonomische Gegebenheiten (Economic), soziale Konsumententrends (Social) sowie Technologietrends (Technological) – und ihre Wechselwirkungen in der jeweiligen Zeitperiode herangezogen. Die PEST-Methode verwenden wir sowohl historisch für die ersten beiden Revolutionen als auch für die gegenwärtige, dritte Revolution, um stringent und wiederkehrend auf die jeweiligen Marktbedingungen, also die „Treiber von außen“, hinzuweisen. Durch die Auseinandersetzung mit den ersten beiden Revolutionen lernen wir die entscheidenden Treiber kennen und verstehen, warum es zum
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2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
Wandel kam. Darüber hinaus sehen wir ihre Grenzen und erkennen, warum die Industrie mit ihren bestehenden Strukturen die aktuellen Herausforderungen nicht meistern kann. Wie bei den ersten beiden Revolutionen steigt der Anpassungsdruck, der dann zu grundlegenden Veränderungen, nämlich zur dritten Revolution, führen wird.
2.1
Erste Revolution in der Automobilindustrie
2.1.1
Grundlagen
Die erste Revolution in der Automobilindustrie geht auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück und hier auf die Firma Ford. Ihr Gründer Henry Ford I. führte im Jahre 1913 die Massenproduktion in der Automobilindustrie ein. Seine Erfindung des Fließbandes führte dazu, dass Automobile nicht mehr in Manufakturen zu kleinen Stückzahlen und hohen Kosten produziert wurden, sondern zu großen Stückzahlen in Fabriken. Das Automobil wurde für jedermann zugänglich. Politisches Umfeld (political) Die Industrie befand sich in einer politisch volatilen Situation. Der erste und der später folgende zweite Weltkrieg waren auf tragische Weise starke Treiber der Massenproduktion. Aus militärischer Perspektive gab es eine starke Nachfrage nach Automobilen. Ford hatte aufgrund der damaligen Arbeitsmarktsituation einen guten Zugang zum Arbeitskräftepotenzial. Die Politik der damaligen Zeit bot Unternehmen stärker denn je die Möglichkeit, sich zu etablieren und zu wachsen. Sie war der Anstoß für das enorme Wachstum, dem die globale und insbesondere die amerikanische Wirtschaft ausgesetzt waren. Bereits ein Jahr nach Einführung der Fließbandfertigung wurden über 100.000 Fahrzeuge produziert, nur wenige Jahre später liefen bei Ford bereits mehrere Millionen Einheiten vom Band. Ökonomisches Umfeld (economic) Eng mit der politischen Situation verknüpft waren die ökonomischen Randbedingungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Eine anfangs hohe Arbeitslosigkeit, gepaart mit einer durch den Markt und die Politik motivierten hohen Nachfrage, löste starke ökonomische Reaktionen aus.
2.1
Erste Revolution in der Automobilindustrie
7
Heute wie damals lassen sich Produkte in Kategorien einordnen. Aus ökonomischer Sicht waren Automobile zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich als Luxusgüter einzustufen. Als in dieser Hinsicht vergleichbares aktuelles Produkt könnte man Motoryachten nennen, die in der heutigen Zeit ebenfalls einen außerordentlichen Luxus darstellen. Man nahm an, dass Automobile nur von Chauffeuren bewegt werden könnten, was zu Fehleinschätzungen über die Zukunft des Automobils führte. Ein legendäres Szenario vor der ersten Revolution ging davon aus, dass der Markt für Automobile nicht über eine Million wachsen würde – schlichtweg aufgrund der mangelnden Anzahl von Chauffeuren. Selbst nach dem Erwerb des Fahrzeugs zeigten sich hohe Kosten: Neben dem Chauffeurgehalt fielen eine Fülle von Steuern für Benzin und für das Automobil selbst an sowie so genannte Chausseegelder, die Vorläufer von Autobahngebühren. Die fixen und variablen Kosten der Automobile zu Beginn der ersten Revolution schlossen über neunzig Prozent aller Menschen vom Konsum eines eigenen Automobils aus. Dieser Zusammenhang wurde durch Ford erkannt und revolutioniert. Vor der Fließbandfertigung kostete ein Mercedes je nach Motorstärke und Karosserieform ohne Extras wie beispielsweise Beleuchtung zwischen 12.500 und 16.700 Mark (Haubner 2001). Bereits die Preisuntergrenze würde heute einem Eurowert von knapp 100.000 € entsprechen (eine detaillierte Umrechnung findet sich beim Statistischen Bundesamt). Nur wenige Spitzenverdiener konnten derartige Summen aufbringen. Soziales Umfeld (social) Ford machte sich die negativen Rahmenbedingungen zunutze. Er erkannte das enorme Potenzial für die Automobilindustrie. Im Gegensatz zu Yachten, die voraussichtlich selbst bei einer Stückpreisreduktion von 90 Prozent keinen Nachfrageanstieg erfahren würden (aufgrund der nicht vorhandenen Alltagsrelevanz), war das Potenzial für die Nachfrage nach Mobilität unermesslich. Die Formel, dass auf jeden Bürger ein Auto kommt, geht heute nahezu auf. In den USA liegt ein Motorisierungsgrad von ca. 80 Prozent vor. Fords einziges Auto, das Model T, kostete unter 300 Dollar und war dementsprechend um ein Vielfaches preiswerter als ein Mercedes. Der Anstieg der Nachfrage wurde stark durch diesen massiven Preisverfall motiviert. Andererseits waren selbst knapp 300 Dollar zum damaligen Zeitpunkt noch eine hohe Summe. Die Nachfrage explodierte dennoch, da Ford durch
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Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
seine Massenproduktion einerseits eine Fülle von Arbeitskräften benötigte, welche andererseits im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern deutlich besser verdienten. Somit schuf Ford hoch bezahlte, dauerhafte Arbeitsplätze für tausende von Menschen und unterstützte damit den Nachfrageanstieg nach seinen eigenen Produkten. Dieser Nachfrageanstieg war ebenfalls revolutionär, zumal ihn Ford mit den eigenen Arbeitskräften erreichte. Technologisches Umfeld (technology) Was waren die technologischen Treiber der ersten Revolution? Aus technologischer Perspektive waren Automobile bis zum Zeitpunkt der ersten Revolution kundenindividuell und in Handarbeit geschaffene Produkte. Ein Automobil war vergleichbar mit einem Maßanzug, der entsprechend den Maßen und Bedürfnissen des Auftraggebers gefertigt wurde. Selbstverständlich gab es bereits einen gewissen Grad der Standardisierung (wie er auch beim Maßanzug durch die Stoffe gewährleistet ist), da Reifen oder Chassis grundsätzlich nur wenig Spielraum für Individualität boten. Dennoch war das Automobil vor der ersten Revolution reine Handarbeit und von höchster Individualität gekennzeichnet. Verbesserungen in der handwerklichen Produktion waren kaum zu erreichen. Man versuchte durch eine Reduktion der Individualität die Komplexität zu reduzieren. Die Fahrzeuge wurden immer ähnlicher und der Branche drohte trotz ihres geringen Alters ein frühzeitiger Reifezustand. Diese Tatsache beruhte darauf, dass es innerhalb der Produktion zu wenig einheitliche Verfahren gab, die zu einer Stückkostensenkung hätten führen können. Mit jedem neu produzierten Fahrzeug entstanden den Herstellern prinzipiell die gleichen Kosten. Skaleneffekte waren, da es beispielsweise kein einheitliches Messsystem gab und die Werkzeugmaschinen keinen gehärteten Stahl bearbeiten konnten, faktisch nicht vorhanden. Diese massiven Effizienzverluste in der damaligen Automobilindustrie bildeten die Basis der ersten Revolution. Ford erfand das Rad grundsätzlich nicht neu, sondern griff auf Bewährtes zurück. Eine hoch standardisierte Produktion war aus anderen Industrien bereits bekannt. Massenproduktion gab es bei der Herstellung von Fahrrädern oder Nähmaschinen. Wie sich die automobile Wertschöpfung gestaltete und welche Auswirkungen die Einführung des Fließbandes hatte, wird im Folgenden beleuchtet. Sie bedeutete, dass die Fahrzeuge als standardisierte Produkte an Fertigungsstraßen hergestellt und die Produktion eines Automobils in fest definierte Teilprozesse und Arbeitsschritte zerlegt wurde. Auf Fließbändern
2.1
Erste Revolution in der Automobilindustrie
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transportierte man die Fahrzeuge von einer zur nächsten Station. Durch den Einsatz des Fließbandes revolutionierte Henry Ford die Automobilindustrie. Damals – wie heute – waren die Kosten eines Automobils stark durch seine Herstellung determiniert. Henry Ford revolutionierte die Automobilindustrie, indem er durch die innovative Massenfertigung die Produktionskosten massiv senken konnte. Verstärkt wurde dieser Kostensenkungseffekt dadurch, dass das produzierte Fahrzeug, das bekannte Model T, nur in einer Farbe, nämlich in Schwarz, zu beziehen war. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Qualität: Ford stellte an sich selbst und an alle an der Wertschöpfung beteiligten Einheiten sehr hohe Anforderungen. Toleranzgrenzen wurden sehr eng gehalten, so dass die Fahrzeuge letztlich auf einem vergleichbar hohen Niveau das Band verließen. Die Automatisierung erlaubte im Vergleich zur bisherigen Handarbeit höhere Präzision und ein insgesamt gesteigertes Qualitätsniveau. 2.1.2
Verschiebungen in der Wertschöpfungskette
Automobile Wertschöpfung Die neue Weise des Fahrzeugbaus definierte sich durch eine vollständige und passgenaue Austauschbarkeit der Bauteile und die Einfachheit ihres Zusammenbaus. Gemeinsam bewirkten diese Neuerungen eine Massenmotorisierung innerhalb kurzer Zeit, da einerseits der Fahrzeugpreis vergleichbar gering war und andererseits Wartezeiten, wie sie in der handwerklichen Produktion notwendig waren, der Vergangenheit angehörten. Bis zum Jahr 1908 verbesserte Ford sein System dahingehend, dass er eine sehr umfassende Austauschbarkeit der Teile realisierte. Die Teile wurden standardisiert und durch bessere Produktionsmethoden austauschfähig. Ford ließ seine Mitarbeiter an einer Stelle der Produktion verweilen und sich ständig wiederholende Arbeitsschritte ausführen. Die benötigten Teile wurden dabei direkt an die Stelle geliefert, an der sie benötigt wurden. Im Jahr 1913 erkannte Ford eine weitere Schwachstelle in der Produktion darin, dass sich die Mitarbeiter bei der Fertigung gegenseitig behinderten. Dieser Umstand war der Ausgangspunkt für die Idee des Fließbandes, die schlagartig zu einer Zeitersparnis in der Automobilproduktion von 88 Prozent führte (Womack et al. 1992). Automobilhersteller Die Wertschöpfungsverschiebungen waren, verglichen mit dem Zustand vor der ersten Revolution, relativ gering. Vorher und auch während bzw. nach der ersten Revolution fiel nahezu die gesamte Wertschöpfung auf die
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Hersteller selbst ab. Im „Fordismus“ wurde diese Situation dadurch extensiviert, dass Ressourcen in einer völlig neuen Dimension benötigt wurden. Ford hielt es für effizient, einen möglichst hohen Teil der gesamten automobilen Wertschöpfung auf sein Unternehmen zu vereinen. Dieser Umstand ist auch dadurch zu erklären, dass die benötigten Teile mit entsprechenden Qualitätsniveaus nur von Ford selbst und nicht von Lieferanten hergestellt werden konnten. Lieferanten waren zum damaligen Zeitpunkt nicht professionell genug, um den Anforderungen zu genügen. Die eben angesprochene Passgenauigkeit war ein Novum in der Automobilindustrie. Toleranzwerte wurden drastisch reduziert, damit der Prozess der Produktion völlig neuartig gestaltet werden konnte. Von der kundenindividuellen Maßanfertigung wurde das Automobil zum höchst standardisierten Produkt; selbst die Farbe war nicht wählbar. Ford schaffte es, eine Massenmotorisierung anzustoßen und das Automobil vom Luxusgut zum Gebrauchsgut zu machen. Wartezeiten und unbezahlbare Preise gehörten der Vergangenheit an. Auch die Qualität der Fahrzeuge war vergleichsweise höher als zuvor, da weniger Toleranzen akzeptiert wurden und die Teile auf einem standardisiert hohen Niveau hergestellt und verbunden wurden. Ohne Ford wäre die Automobilindustrie nicht das, was sie heute ist. Er legte die Grundlage für eine individuelle Mobilität der gesamten Bevölkerung der Vereinigten Staaten. Lieferanten Lieferanten gemäß unserem heutigen Verständnis spielten eine untergeordnete Rolle. Henry Ford betrieb die Strategie der vertikalen Integration in sehr professioneller Weise. Sämtliche Fertigungs- und Absatzstufen wurden von Ford bedient. Selbst die für die Wertschöpfung benötigten Rohstoffe wie beispielsweise Sojabohnen wurden von Ford bereitgestellt. Auch Traktoren, Wälder, Kautschukplantagen, Erzgruben, Schiffe oder Flugzeuge wurden selbst betrieben (Womack et al. 1992). Klassisches produzierendes Gewerbe existierte nahezu nicht. Für Ford gab es keine Alternative zur Strategie der vertikalen Integration, so dass es ihm letztlich gelang, die externe Zulieferung auszuschalten. Zulieferer waren Ford technisch in jeder Hinsicht unterlegen. Die angesprochenen benötigten Toleranzgrößen bei großen Volumen bedeuteten für die damaligen Betriebe eine schier unmögliche Aufgabe, weshalb Ford alles selbst in die Hand nahm. Existierende Kompetenzen wurden von Ford aufgekauft und in den eigenen Produktionsprozess integriert. Zentralisation galt als Erfolg versprechend.
2.1
Erste Revolution in der Automobilindustrie
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Geschäftsbeziehungen Da es fast keine Lieferanten gab, gab es auch keine entsprechenden Geschäftsbeziehungen. Die noch existierenden Lieferanten empfingen zu erledigende Aufgaben ohne einen Spielraum für eigene Ideen. Proaktivität von Lieferanten war eher eine geschäftsschädigende Strategie. Wurden sie nicht von Ford integriert, so hatten sie ihre Aufgaben ohne Eigeninitiative zu verrichten. Der OEM legte alle Wertschöpfungsentscheidungen fest. Damalige Geschäftsbeziehungen stellten eine auf beiden Seiten ungeliebte Pflichtaufgabe dar. Ford war auf die Wertschöpfungsstufen, die er nicht vertikal integrierte, angewiesen und benötigte sie für den flüssigen Ablauf seiner Produktion. Die übrig gebliebenen Lieferanten waren ihrerseits auf die Aufträge von Ford angewiesen und mussten sie um des eigenen Überlebens willen widerspruchslos ausführen. Dass diese Konstellation schnell an ihre Grenzen stoßen würde, war vorprogrammiert. Nur Ford selbst wollte dies lange Zeit nicht wahrhaben – ein Grund, warum sein System in der von ihm initiierten, starren Form letztlich scheitern sollte. 2.1.3
Auswirkungen und Grenzen
Letztlich gilt es bei dieser Revolution Positives von Negativem zu unterscheiden. Beginnen wir mit den positiven Seiten der ersten Revolution: Wie bereits gesagt, führten Fords Neuerungen zu einer Massenmotorisierung. Nach den USA setzte sich der Trend ebenfalls auf anderen Kontinenten durch. Auch andere Unternehmen wie beispielsweise Citroën passten ihre Produktion an und es kam zu einem weltweit neuen Standard der Motorisierung. Dieser positive Aspekt ist von herausragender Bedeutung. Ohne Ford würde der heutige hohe Motorisierungsgrad von teilweise 80 Prozent in manchen Industrienationen nicht bestehen. Natürlich wäre vielleicht auch eine andere Person auf Fords Ideen gekommen und die Auswirkungen hätten sich lediglich zeitlich verschoben, doch es waren Fords intensive Bemühungen, sein starker Wille und letztlich sein besonderer Charakter, die dazu führten, dass die erforderlichen Veränderungen in der Praxis umgesetzt wurden. Darüber hinaus schaffte Ford eine deutliche Steigerung von Wohlstand und Beschäftigung. Durch die Massenproduktion hatte Ford einen enormen Bedarf an Arbeitskräften. Zehntausende Arbeitsplätze wurden alleine bei Ford durch die neue Produktionsweise geschaffen. Da Fords Fahrzeuge einer großen Nachfrage ausgesetzt waren und die Produktion entsprechend ständig ausgelastet war, konnte er ebenfalls hohe Löhne und Gehälter
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Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
zahlen. Beides in Verbindung führte zu mehr Wohlstand seiner Mitarbeiter und natürlich auch zu mehr Beschäftigung. Die hohen Löhne und Gehälter wurden von Ford auch aus einem anderen Grund gezahlt. Bisher waren die Fertigung von Automobilen sowie die Vielzahl aller existierenden Arbeiten in der Industrie durch eine hohe Abwechslung gekennzeichnet. Bei Ford verblieben die Mitarbeiter an einer Prozessstufe und führten immer wieder die gleiche Tätigkeit aus. Aufgrund der Aufgabe selbst (intrinsisch) konnte keine Motivation erzeugt und aufrechterhalten werden. Im Klartext waren die Mitarbeiter gelangweilt und nicht motiviert, ihre oftmals eintönige Tätigkeit auszuführen. Den einzigen Ausweg an dieser Stelle sah Ford in einer sehr hohen Entlohnung. Seine Mitarbeiter wurden deutlich über dem in der Gesamtindustrie herrschenden Durchschnitt an Löhnen und Gehältern bezahlt. Die Motivation der Mitarbeiter wurde somit ausschließlich durch Geld, also extrinsisch, erzeugt. Rein extrinsische Motivation lässt sich jedoch nicht langfristig aufrechterhalten. Diese Konzeption geht auf die Grundgedanken von Taylor zurück, welche bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wirkungsvoll blieben. Taylor hat durch seine Denkweisen die Massenproduktion geprägt und mit dem Scientific Management oder Taylorismus eine der ersten wesentlichen betriebswirtschaftlichen Strömungen ausgelöst. Der Grundgedanke seiner Theorie war ein maschinelles Verständnis von sämtlichen Prozessen, menschliche Arbeit inbegriffen. Er war davon überzeugt, dass die Mitarbeiter grundsätzlich nicht ihre volle Leistung zeigen. Um ihren Output zu steigern, brach er die Arbeitsschritte auf sehr simple Tätigkeiten herunter. Vonseiten des Managements bekam der Arbeiter die Anweisung, was zu tun war. Die Arbeitsteilung wurde sehr intensiv betrieben, verknüpft mit einer starken Überwachung durch das Management. Motivation wurde dabei durch leistungsbezogene Bezahlung erreicht, beispielsweise Akkordarbeit oder Prämienlöhne. In dem oben erwähnten Motivationsproblem ist ein wesentlicher Nachteil der ersten Revolution der Automobilindustrie zu sehen. Die Mitarbeiter wurden durch ihre starre Tätigkeit kaum motiviert. Langfristig war die hohe Entlohnung nicht ausreichend. Mitarbeiter wurden austauschbar, da sie für ihre Tätigkeit keine besonderen Qualifikationen mitbringen mussten. Dies führte dazu, dass Fords Mitarbeiter vermehrt versuchten, die eigene Arbeitszeit zu reduzieren. Dadurch, dass die Aufgaben in sehr einfachen Schritten zu erledigen waren, wurden die Mitarbeiter von Ford zu leicht austauschbaren Ressourcen. Damit stieg der Druck des Arbeitsmarkts auf die bestehenden Mitarbeiter. Wirkliche Motivation wurde dabei nicht erreicht.
2.1
Erste Revolution in der Automobilindustrie
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Fahrzeugvielfalt
3. Revolution
1. Revolution 2. Revolution
???
Toyota
Ford
Wertschöpfungstiefe
Fahrzeugvielfalt
Abb. 1. OEM-Positionierung in der ersten Revolution der Automobilindustrie
Darüber hinaus war die Produktion unter Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten nicht optimiert. Es gab ein hohes Ausmaß an Verschwendung an vielen Stellen der Prozesskette, die insbesondere durch die starke vertikale Integration zustande kam. Es bildeten sich „Ineffizienzpolster“ an jeder Stelle der automobilen Wertschöpfung, die Anlass für Verbesserungen waren. Das „fordistische“ Modell kam sehr rasch an seine Grenzen und letztlich musste es zu einem grundlegend neuen Konzept kommen, nämlich der zweiten Revolution in der Automobilindustrie. Die Übersicht in Abbildung 1 zeigt zusammenfassend, wie die Automobilhersteller in der ersten Revolution positioniert waren. Ein sehr großer Anteil der Wertschöpfung wurde vom OEM eigenständig übernommen. Parallel dazu war die Anzahl der Fahrzeugvarianten sehr gering. Der „Ford-Fall“ stellt dabei das Extrembeispiel mit nur einem Fahrzeug und vollständiger Integration dar.
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Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
2.2.1
Grundlagen
Ähnlich wie die erste Revolution auf den Unternehmer und das Unternehmen Ford zurückgeht, geht die zweite Revolution auf E. Toyoda und T. Ohno von der Firma Toyota zurück. Sie revolutionierten die Automobilindustrie durch „Lean Management“. Der Begriff Lean Management wurde durch eine weltweite Studie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Jahre 1990 geprägt (Womack et al. 1992). In der japanischen Automobilindustrie war das Konzept zu diesem Zeitpunkt bereits „in Produktion“, die Forscher des MIT analysierten lediglich den Ist-Zustand. Politisches Umfeld (political) Waren die politischen Treiber in der ersten Revolution relativ schwach, so markierten sie in der zweiten Revolution die Ausgangslage für alle Effizienzverbesserungen. Ähnlich wie in Deutschland spielen Gewerkschaften in Japan eine starke Rolle. In der Regel führt dies durchweg zu Effizienzund Effektivitätsverlusten, jedoch sollten in diesem Fall stärkere Arbeitnehmerrechte erstmalig der Anstoß einer wirtschaftlichen Revolution sein. Aufgrund des verlorenen Krieges waren Ressourcen in Japan sehr knapp. Das Land stand vor einem Neubeginn. Bei aller Knappheit waren jedoch humane Ressourcen ausreichend vorhanden. Aufgrund des damaligen Drucks der Gewerkschaften erhielten alle Mitarbeiter von Toyota nach dem zweiten Weltkrieg lebenslange Beschäftigungsgarantien sowie eine betriebszugehörigkeits- und unternehmensgewinnbezogene Bezahlung. Betriebswirtschaftlich hatte dieser Umstand zur Folge, dass die Mitarbeiter für Toyota „zu Fixkosten degradiert“ wurden. Fixkosten mit einer Abschreibungsdauer von 40 Jahren sind aus der Unternehmensperspektive prinzipiell ungünstig. Dadurch wurde Toyota gezwungen, das Potenzial seiner Mitarbeiter besser auszunutzen und neue Wege der Mitarbeiterführung zu gehen. Es ging darum, die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters über die Gesamtzugehörigkeitsdauer hinweg permanent zu verbessern. Aus der Not heraus wurde die Idee der ständigen Verbesserung geboren, die Philosophie des Kaizen. Der Begriff setzt sich aus den beiden japanischen Wörtern „Kai“ und „Zen“ zusammen. „Kai“ bedeutet „Veränderung“ und „Zen“ bedeutet „zum Besseren“. Es handelt sich um eine kontinuierliche, unendliche Verbesserung in allen Bereichen unter Einbeziehung aller Mitarbeiter des Unternehmens und um eine Optimierung des Ressourceneinsatzes.
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
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Ökonomisches Umfeld (economic) Aus ökonomischen Gesichtspunkten war der wichtigste Treiber der Versuch, Bestände zu minimieren. Die Ermittlung der optimalen Ressourcenallokation ist ein Standard in der Betriebswirtschaftslehre (Wöhe u. Döring 1996). Der Unternehmer muss die zwei entgegengesetzten Kostenfaktoren Lagerhaltung und Logistik ausbalancieren. Einerseits kostet Lagerhaltung Geld. Je größer die gelagerte Menge, desto größer sind die benötigten Läger und es müssen entsprechend kostenintensive Einrichtungen aufgebaut werden. Wenn wie bei Ford die Läger in der Nähe der Produktion angesiedelt sind, kann jedoch die Produktion direkt aus dem Lager bedient werden und die Logistikkosten sind gering. Das andere Extrem besteht darin, dass das Lager völlig abgebaut wird und die benötigten Teile vom Produzenten zum richtigen Zeitpunkt an die Produktion geliefert werden. Die Logistikkosten sind in diesem Fall sehr hoch. Grafisch lassen sich beide Effekte mit zwei Kurven beschrieben. Diese schneiden sich in einem Punkt, während eine Kurve steigt und die andere fällt. Der Schnittpunkt stellt die für das jeweilige Unternehmen optimale Größe des Lagers dar. Kosten Logistikkosten Lagerkosten
Optimale Bestellmenge
Abb. 2. Ermittlung der optimalen Bestellmenge
Menge
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Im Gegensatz zu den USA war in Japan Raum ein knappes Gut und die Lagerhaltungskosten überproportional hoch. Dementsprechend befand sich der Schnittpunkt beider Kurven sehr weit im Bereich der geringen Lagerhaltung. Grundstückspreise, zur Verfügung stehender Raum und seine Unterhaltung waren derart kostenintensiv, dass die optimale Lagergröße nahezu null war. Es galt die Bestandsführungskosten für Läger zu minimieren. Toyotas leitender Produktionsingenieur Taiichi Ohno erkannte, dass dies dadurch zu erreichen war, dass kleinere Losgrößen gewählt wurden. Hierbei ergaben sich bedeutend geringere Stückkosten als bei größeren Losgrößen. Fehler wurden schneller entdeckt und sofort behoben (Womack et al. 1992). Die Bildung der so genannten Triademärkte, zu denen Nordamerika, Europa und Japan zählen, wurde durch diese Unterschiedlichkeiten in den Kostenszenarien stark beeinflusst. Die neue Erkenntnis entsprach dem völligen Gegenteil von Fords Vorstellungen, nach denen Vorprodukte stets in Unmengen vorhanden sein mussten und eine Qualitätskontrolle am Ende des Fließbandes Fehler aufspürte. Bei Ford war die ständig laufende Produktion das Maß der Dinge. Stopps waren nicht denkbar und die Läger mussten so voll sein, dass an keiner Stelle jemals ein Engpass entstand. Die Teile „warteten“ sehr lange auf ihren Einsatz. Durch Lean Production wird der dadurch entstehende Kostenanteil stark reduziert. Fehler werden sogar als positiv angesehen, da sie ein wesentliches Potenzial für Verbesserungen darstellen. Eine zukünftige Fehlervermeidung bedeutet eine steigende Effizienz. Wir haben es somit in der zweiten Revolution der Automobilindustrie mit einem „fehlerfreudigen“ System zu tun. Die tatsächliche Ursache jedes Fehlers wird identifiziert und abgestellt, wodurch eine nachhaltige Verbesserung erzielt wird. Soziales Umfeld (social) Die sozialen Treiber der zweiten Revolution gehen mit den politischen Treibern einher. Letztere waren der Ausgangspunkt der Revolution und führten – wie oben dargestellt – dazu, dass Toyota seinen Beschäftigten eine lebenslange Beschäftigungsgarantie geben musste. Werfen wir einen Blick auf die automobile Nachfrage vor der zweiten Revolution. Grundsätzlich war die Industrie in der damaligen Zeit einer sehr starken Nachfrage ausgesetzt. Nach dem zweiten Weltkrieg kam es in der Weltwirtschaft bis zum Zeitpunkt der Ölkrise zu einem stetigen Wirtschaftswachstum. Dies wirkte sich positiv auf die Nachfrage nach Automobilen aus, in Europa ebenso wie in den USA und in Japan. Trotz der hohen Nachfrage hatten die Konsumenten ein Problem: Unzufriedenheit.
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
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Die Qualität der Automobile bewegte sich auf einem relativ niedrigen Niveau. Motorlebensdauern waren gering und Ölverluste waren an der Tagesordnung, genauso wie die Notwendigkeit, selbst zum Werkzeug zu greifen und Reparaturen am Fahrzeug vornehmen zu müssen. Die Fahrzeuge erhielten immer höhere Motorleistungen, während andere Fahrwerkskomponenten relativ gesehen keinen entsprechenden Fortschritt erfuhren. Reifen, Bremsen und Fahrwerke waren dem Leistungszuwachs nicht gewachsen. Auch die Innenraumqualität befand sich auf einem niedrigen Niveau. Schlechte Verarbeitung, hohe Spaltmaße, Undichtigkeiten oder Klappergeräusche waren normal. Obwohl die Konsumenten der damaligen Zeit keine besseren Fahrzeugqualitäten gewohnt waren, erkannte Toyota diesen Unmut. Die Schwachstelle wurde zum Anlass genommen, um den Markenfokus neu auszurichten. Bis heute ist der Kern der Marke Toyota der Faktor Qualität. Seit Beginn der zweiten Revolution wurde dieser Markenkern im Unternehmen konsequent umgesetzt. Obwohl zunächst in der Industrie belächelt, wurde Toyota so zum erfolgreichsten Massenhersteller der Welt. Alle Fahrzeuge haben ein Qualitätsniveau, das in der jeweiligen Klasse „Benchmark“ ist. Durch Ford wurde das Automobil vom kundenindividuellen Produkt zu einem standardisierten. Angesichts des wachsenden Wohlstandes nach dem zweiten Weltkrieg war genau diese Entwicklung ein Grund zur Unzufriedenheit bei den Konsumenten. Anfangs gaben sie sich damit zufrieden, dass ihr Grundbedürfnis nach Mobilität befriedigt wurde. Der Wunsch nach mehr Vielfalt im automobilen Angebot und nach der Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit durch das Automobil besser zum Ausdruck zu bringen, wuchs nachhaltig. Menschen fingen an, sich in ihren Wertvorstellungen deutlicher voneinander abzugrenzen. Der Wunsch nach Differenzierung wuchs und konnte durch das damals zur Verfügung stehende automobile Angebot nicht abgebildet werden. Parallel dazu herrschte Unzufriedenheit über die Wartezeiten auf Neufahrzeuge. Erst durch Toyota wurde die Auftragsfertigung eingeführt. Dies bedeutet, dass der Kunde sein Fahrzeug individuell zusammenstellen kann und seine Order dann an den OEM gibt. Erst durch den Kaufvertrag wird die Produktion des Fahrzeugs ausgelöst. Zuvor wurden Automobile auf Vorrat produziert und die Konsumenten konnten primär auf die existierenden Fahrzeuge und vordefinierte Varianten zurückgreifen. Individualität war dagegen mit langen Wartezeiten verbunden. Zwar waren die Qualitätsniveaus und die Unzufriedenheit wichtige Treiber der zweiten Revolution, dennoch waren ihre treibenden Kräfte
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geringer als die politischen und ökonomischen. Die Unzufriedenheit mit der Industrie wurde durch die in der zweiten Revolution erreichten höheren Qualitätsniveaus, die schnellere Verfügbarkeit und das schnellere Time to Market bedeutend reduziert. Dennoch waren der Zwang zur Reduktion von Räumen und Lägern sowie die Notwendigkeit, Effizienz und Effektivität der Mitarbeiter und der Produktion zu verbessern, der entscheidendere Treiber. Technologisches Umfeld (technology) Technologische Treiber nahmen in der zweiten Revolution eher eine untergeordnete Rolle ein. Eine treibende Kraft und ein Anstoß der Revolution bestand allerdings in der wachsenden Bedeutung von Lieferanten. Die Anzahl der Lieferanten und ihrer Innovationen nahm bereits vor der Revolution ständig zu. Die OEMs richteten vermehrt ein Auge auf die damit zur Verfügung gestellten Produkte und auf die Dienstleistungen der Unternehmen. Die Fahrzeuge wurden aus technischer Sicht immer anspruchsvoller und umfassender und die OEMs verloren stetig an Eigenwertschöpfung. Aus technologischer Sicht stieg in der zweiten Revolution die zu bewältigende Komplexität. Um diese Komplexität in den Griff zu bekommen, wurden Plattformen etabliert. OEMs definieren Plattformen unterschiedlich, allgemein kann man sie als Bodengruppen bezeichnen. Sie bestimmen die grundsätzlichen Dimensionen der darauf basierenden Fahrzeuge bezüglich Radstand, Länge und Breite. Plattformen sind zunächst unabhängig vom Außendesign des Fahrzeugs. Es geht darum, die Dinge, die der Kunde nicht wahrnimmt, stark zu standardisieren und eine Differenzierung beim Design zu erreichen. Die Plattform enthält in der Regel die Aggregate, Achsen, Lenkung, Schaltung, Bremsen, Tanks, Abgasanlage, Reifen, Vorder- und Hinterwagen und die Hauptfahrzeugelektronik. Insgesamt ist ein Großteil der gesamten Wertschöpfung des Automobils auf der Plattform zusammengefasst. Mehrere Fahrzeuge auch unterschiedlicher Marken innerhalb eines Konzerns können auf eine Plattform gesetzt werden. So greifen beispielsweise VW Golf, Audi TT, Skoda Octavia, Seat León, Audi A3 und VW New Beetle auf die gleiche Plattform zurück. Sie ermöglicht ein sehr hohes Maß an Differenzierung bei gleichzeitiger Standardisierung. Im Rahmen der zweiten Revolution waren die Effizienzverbesserungen durch die Einführung von Plattformen ausreichend, um profitabel am Markt zu bestehen und die Globalisierung des eigenen Geschäfts voranzutreiben.
2.2
2.2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
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Verschiebungen in der Wertschöpfungskette
Automobile Wertschöpfung Lean Management wurde in Asien schon lange praktiziert, bevor seine Bedeutung in anderen Regionen erkannt wurde. Es kam zu einer regelrechten Überflutung mit Veröffentlichungen zu diesem Thema. Lean Management genoss einen „Hype“ in Wissenschaft und Praxis. Dabei hat sich bis heute keine einheitliche Sichtweise durchgesetzt, die Lean Management umfassend darstellt und abgrenzt. Diese Lücke ist dadurch zu erklären, dass Lean Management als Summe verschiedener einzelner Methoden, Strategien, Grundsätze und Prozesse zu verstehen ist. Toyota führte alle diese Methoden im eigenen Unternehmen ein. Der entscheidende Nutzen des Konzeptes, der auch die Schwierigkeit bei der Umsetzung beinhaltet, ist das Ineinandergreifen der Einzelkomponenten. Die Gesamtsumme ist mehr wert als die bloße Summierung der Einzelteile. Hier sollte sich später der Erfolg von Toyota zeigen. Das Unternehmen setzte alle Konzepte konsequent um und erlangte dadurch den größten wirtschaftlichen Erfolg aller Automobilkonzerne. Nachahmer gab es viele, doch zeichneten sich insbesondere OEMs anderer Wirtschaftsräume dadurch aus, dass sie sich lediglich halbherzig auf Einzelmethoden fixierten. Diese sind relativ leicht umzusetzen, doch sie führen nicht zum Erfolg. Nur eine langfristige Orientierung und die systematische Verbindung aller Teilmethoden ist Erfolg versprechend. Es geht darum, die gesamte Wertschöpfungskette zu verschlanken und an jeder Prozessstufe Verbesserungen durchzuführen. Das Ineinandergreifen und die Integration aller Einzelelemente führen zum Ziel. Dies kann nur gelingen, wenn ein gewisser „Mindset“ vorhanden ist. Die Methoden müssen in „Fleisch und Blut“ übergehen. Nicht nur das Topmanagement, sondern alle Mitarbeiter des Unternehmens müssen überzeugt sein und die Aufgaben gemeinsam angehen. Die japanische Mentalität war und ist dabei eine starke Unterstützung. Wir haben es also weniger mit einer klassischen Methode zu tun als mit einer Philosophie und einem ganzheitlichen Verständnis. Die bisherige automobile Wertschöpfung wurde in der zweiten Revolution völlig erneuert. Toyota löste sich vom Leitgedanken der vertikalen Integration und schaffte es von Anfang an, durch ein effektives und effizientes Lieferantenmanagement die Profitabilität aller in die Wertschöpfung einbezogenen Partner zu maximieren. Wie wir gesehen haben, bezogen sich die Treiber der zweiten Revolution zunächst auf die Produktion von Toyota. Dennoch wurden bei Toyotas Umsetzung alle wichtigen Faktoren des Unternehmens und alle relevanten
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vor- bzw. nachgelagerten Bereiche der Wertschöpfungskette integriert. Darauf beruht der wesentliche Erfolg der asiatischen OEMs. Die ausschließliche Fixierung auf die eigenen Wertschöpfungsstufen führt zu einem wesentlich unbedeutenderen Ergebnis als die Betrachtung der gesamten Kette als Einheit. Nur wenn diese als Einheit aufgefasst wird und alle relevanten Stufen von allen teilhabenden Parteien gemeinsam verbessert werden, kann die Effizienz revolutionär gesteigert werden. Als Zeichen des gegenseitigen Commitments und der langfristigen Ausrichtung der Geschäftsbeziehungen sind im Toyota-Netzwerk oftmals auch kapitalseitige Verflechtungen in so genannten Keiretsu zu finden. So wurde etwa der Lieferant Denso von Toyota ausgegliedert, doch eine wechselseitige Kapitalverbindung blieb bestehen. Diese Wechselseitigkeit ist entscheidend. Es geht nicht um eine Überwachung der Kleinen durch den Großen, sondern um ein Zeichen der Loyalität und die Schaffung von Sicherheit für den langfristigen gemeinsamen Erfolg. Lieferanten werden als gleichwertige Partner angesehen. Diese Einstellung stellt einen krassen Unterschied zu europäischen und amerikanischen Geschäftsbeziehungen dar, die letztlich in eine Sackgasse münden. Unabhängig davon, ob Unternehmenskonglomerate erfolgreich sind oder nicht, wächst die automobile Wertschöpfung durch kapitalseitige Verflechtungen der Keiretsu zusammen. Ob die Effizienzvorteile, die dadurch entstehen können, in der dritten Revolution ausreichen werden, wird sich zeigen. Automobilhersteller Wie wir bereits gesehen haben, lag der Schwerpunkt der zweiten Revolution in der Vernetzung von verschiedenen Einzelmethoden. In Abbildung 3 haben wir die wesentlichen Einzelmethoden aufgegriffen, die wir im Folgenden kurz erläutern. Da wir mit dem vorliegenden Werk nicht den Fokus auf die zweite Revolution richten, geben wir nur einen kurzen Überblick über die relevanten Teilbausteine. Kaizen ist dabei der Überbegriff aller Methoden und entsprechender Teilziele. Kaizen bedeutet kontinuierliche Verbesserung. Alle Aufgaben werden ständig hinterfragt und es wird nie davon ausgegangen, dass ein Status zum aktuellen Zeitpunkt optimal ist. Prozesse können immer weiter verbessert werden, ein Optimum existiert zu keinem Zeitpunkt. Diese Grundhaltung widersprach zu Beginn der zweiten Revolution nicht nur den hergebrachten Denkweisen in der Automobilindustrie, sondern auch den vorherrschenden betriebswirtschaftlichen Strömungen. In der Betriebswirtschaftslehre wird gerne mit Optima oder Gleichgewichten
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Zweite Revolution in der Automobilindustrie
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Kaizen Gruppenarbeit
Simultaneous Engineering
Just in Time
Poka Yoke
Quality Circle
Management by View
Kanban
Jidoka Kaizen-Methoden Kaizen-Teilziele
Verbesserte Lieferantenbeziehung
Fehlerfreie Produktion
Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette
Keine Verschwendung
Time to Market
Kundenorientierung
Produktivitätssteigerung
Abb. 3. Elemente des Lean Management
gearbeitet. Zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt stellt ein neuer Prozess beispielsweise in der Produktion oder in der Lagerhaltung ein Optimum dar. Diese damalige betriebswirtschaftliche Grundhaltung wurde durch Lean Management schlichtweg ausgehebelt. Danach ist eine Gegebenheit zum aktuellen Zeitpunkt niemals optimal. Die zuvor vorherrschende betriebswirtschaftliche Denkweise prägte das unternehmerische Handeln stark. Verbesserungen wurden vor der zweiten Revolution gerne „auf einen Schlag“ eingeführt. Alte Prozesse wurden als suboptimal identifiziert und durch einen völlig neuen Ansatz ersetzt, der in den meisten Fällen zu einer Heilung führen sollte. Ebenso galt dies für den technischen Fortschritt des Automobils. Massive Innovationen wurden in manchen Fällen unabhängig vom Kundennutzen sehr plötzlich eingeführt. Diese Dominanz der Technik wurde durch Kaizen aus einer völlig neuen Perspektive betrachtet. Es geht darum, das bestehende Produkt zunächst als gutes Produkt aufzufassen, jedoch nicht als optimales. Die Verbesse-
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rungen werden schrittweise vollzogen. Unter Umständen ist diese weniger schlagartige Weiterentwicklung eines Produktes für den Konsumenten kaum spürbar. Dennoch wird versucht, die stetigen und nie endenden Verbesserungen für den Autokäufer merklich zu machen. Kleinere, aber dafür kontinuierliche Innovationen stehen im Vordergrund. Dies bedeutet, dass ein aktuell bestehender Prozess intern niemals als optimal betrachtet wird. Die ständige Verbesserung aller Prozesse wird zum Fundament von Unternehmensprozessen. Schauen wir uns kurz die wesentlichen Methoden von Kaizen an: Kanban kann man als „Supermarktprinzip“ auffassen. Wird im Supermarkt ein Teil aus dem Regal entnommen, rückt automatisch von hinten ein neues nach. Ein kleiner Puffer ist im Regal vorhanden und Lücken werden erst dann vom Personal gefüllt, wenn sie entstehen! Der klassische Produktionsprozess, wie Ford ihn verfocht, wurde dadurch prinzipiell umgekehrt. Bei Ford mussten die Werkstücke an einer gewissen Produktionsstufe auf ihre Bearbeitung warten. Es entstand ein Stau. Bei Lean Management geht der Anreiz zur Produktion von der nachgelagerten Produktionsstufe aus. Fordert die nachgelagerte Stufe ein Teil von der vorgelagerten, wird dieses geliefert und zwar erst dann. Teile stauen sich nicht an und müssen auch nicht warten, sondern werden erst dann eingesetzt, wenn sie gebraucht werden. Die nachgelagerte Prozessstufe entnimmt sich ihr benötigtes Teil aus dem kleinen Puffer. An dem Behälter wird ein Zettel hinterlegt, der für die vorgelagerte Stufe den Auftrag zur Produktion bedeutet. Der Laufzettel ist der Namensgeber der Methode, er wird als Kanban bezeichnet. Weil die Teile abgeholt werden, wird das Prinzip auch „Holprinzip“ genannt. Die Läger werden deutlich reduziert, da Teile sich nicht anstauen, sondern erst dann angefordert werden, wenn sie benötigt werden. Gleichzeitig wurde ein weiterer wichtiger Punkt erreicht. Den Mitarbeitern wurde im Vergleich zum System von Ford eine bedeutend höhere Verantwortung zugeschoben. Einzelne Personen waren nun für die Sicherung des Materialflusses verantwortlich. Dies führte natürlich zu einem höheren Risiko für die Mitarbeiter, aber gleichzeitig zu einem erheblichen Motivationsanstieg. Da sie lebenslang an das Unternehmen gebunden waren, war der Risikoanstieg überschaubar. Die Motivation wurde durch die zugeschriebenen Verantwortlichkeiten erheblich verbessert. Die „Nestfertigung“ ist dabei eine Möglichkeit, den Mitarbeitern die notwendige Eigenverantwortung zu übertragen. Ausgewählte Ausrüstungen sind nestförmig gruppiert. Die Nester fertigen zum Beispiel ein System, welches fertig aus dem Nest weiter in die Hauptproduktion übertragen wird. Die Nester
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arbeiten eigenverantwortlich an ihrem Produkt und tragen einen nachvollziehbaren Teil zum Gesamtprodukt bei. Die Motivation aufseiten der Mitarbeiter ist sehr hoch, da sie wechselnde Aufgaben übernehmen. In der Regel beginnen sie mit einfachen Tätigkeiten und können sich innerhalb des Nestes weiterentwickeln. Sehr eng verknüpft mit Kanban ist Just in Time. Dies bedeutet, dass die Teile exakt zu dem Zeitpunkt an die fordernde Stelle geliefert werden, zu dem sie benötigt werden. Ein kleiner Zwischenpuffer bleibt dabei freilich erhalten. Noch höhere Anforderungen sind bei Just in Sequence gegeben. Die Produktion zwischen Zulieferer und OEM muss dabei sequenzgenau abgestimmt werden. Die Produkte des Lieferanten erhalten taktgenau Einzug in die OEM-Produktion. Just in Time dient maßgeblich dazu, die Lagerhaltung zu reduzieren. Die optimale Bestellmenge sinkt bei hohen Zins- und Lagerhaltungskosten, wie sie in Japan gegeben waren. Beide Kostenarten waren dort so hoch, dass eine extreme Ausprägung der Lagerhaltung optimal war, nämlich das „Nulllager“. Das Optimum lag darin, die Teile erst zu dem Zeitpunkt zu beschaffen, zu dem sie benötigt wurden. In der Wertschöpfungskette ergaben sich erhebliche Änderungen insbesondere in der Logistik. Lieferanten, OEMs und Logistikdienstleister hatten es nun mit völlig neuen Anforderungen zu tun, die es in der Industrie in dieser Form bisher noch nicht gegeben hatte. Durch die eingeführten Maßnahmen wurde die Betrachtung der Wertschöpfungskette als Ganzes im Vergleich zur ersten Revolution bedeutsamer. Toyota war nicht mehr im Stande, alle Stufen auf sich selbst abzubilden und zu optimieren. Dies war auch nicht gewollt, da es mit Tier-1-Lieferanten und Logistikdienstleistern Unternehmen gab, die manche Aufgaben effektiver und effizienter abarbeiten konnten. Die Rolle der Zulieferer änderte sich drastisch, doch dazu an späterer Stelle mehr. Bei der Massenproduktion von Ford ging man davon aus, dass ein Produktionsprozess zu einem gewissen Zeitpunkt optimal sei. Stichprobenweise gab es bei einigen Fahrzeugen nach der Fertigstellung Qualitätskontrollen. Erst hier wurde getestet, ob das Fahrzeug fehlerhaft war oder nicht. Ein Stopp des Bandes war dagegen nicht denkbar. Gemäß der japanischen Denkweise ist dieses Vorgehen eine Verschwendung. Wird im Nachhinein ein Fehler entdeckt, so ist die Fehlerbeseitigung sehr teuer. Einerseits müssen sehr viele Teile entfernt werden, um die Ursache zu beheben. Andererseits kann sich der Fehler in der gesamten Produktion eingeschlichen haben. Jidoka bedeutet, dass eine Aufgabe dann unterbrochen wird, wenn ein Fehler erkannt wird. Ganz im Sinne der Effizienz
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werden alle Aufgaben richtig, also ohne Fehler, bearbeitet. Entdeckt ein Mitarbeiter am Fließband einen Fehler, kann er durch eine Reißleine die gesamte Produktion stoppen. Die Mitarbeiter (ji) treten, wenn die Arbeit oder ein Prozess (do) fehlerhaft ist, in Aktion (ka) (Dennis 2002). Die Produktion wird also niemals als optimal angesehen, auch die Fehlerimmanenz von Menschen wird berücksichtigt. Jidoka akzeptiert beide vermeintlichen Schwachstellen und macht daraus Stärken der Produktion. Durch Jidoka wird die gesamte Produktion in kleinen Schritten optimiert. Fehler werden erkannt und nach ihren Ursachen gesucht. Erst wenn die tatsächliche Wurzel eines Fehlers erkannt ist, erfolgt die Verbesserung und Übertragung auf alle nachfolgenden Fahrzeuge. Die Gesamtqualität der Fahrzeuge wird damit im Zeitverlauf immer besser. Zudem werden Kosten gespart, da es mittlerweile als gesichert gelten kann, dass eine direkte Fehlerbehebung weitaus günstiger ist als eine „Nachbehandlung“. Aufgrund einer genauen Hinterfragung des Fehlers wird seine Wurzel erkannt und bekämpft. Hier liegt eine revolutionäre Änderung in der Denkstruktur. Fehler sind nicht negativ, sondern positiv, da sie Raum für Verbesserungen bieten. Fehler sind die Basis für eine ständige Verbesserung der Gesamtwertschöpfung. Neben der Optimierung des Prozesses selbst ist bei Jidoka noch ein weiterer Punkt zu berücksichtigen. Die Motivation der Mitarbeiter erreichte in der zweiten Revolution ein bisher nie dagewesenes Niveau. Dabei ist es sehr wichtig, zwischen intrinsischer Motivation auf der einen Seite und extrinsischer Motivation auf der anderen Seite zu unterscheiden. Das „fordistische System“ war durch ein relativ hohes Ausmaß an extrinsischer Motivation gekennzeichnet. Die Mitarbeiter wurden durch Geld – also von außen – motiviert. Diese Motivation stellt sich zunächst einmal als positiv dar, doch verlässt sie in der Regel den Mitarbeiter genauso schnell, wie sie gekommen ist. Dies zeigte sich auch bei Ford, wo die Mitarbeiter letztlich auch zum Zusammenbruch des Systems führten. Die Monotonie der Tätigkeit konnte durch die finanziellen Anreize nicht kompensiert werden. Die Mitarbeiter sehnten sich nach Eigenverantwortung und einer interessanteren Tätigkeit. Beides wurde in der zweiten Revolution gewährleistet. Mitarbeiter bekamen die Möglichkeit, in den Produktionsprozess einzugreifen. Jeder einzelne konnte die gesamte Produktion stoppen, wenn Fehler entdeckt wurden, sei es selbstoder fremdverschuldet. Der Ansporn bzw. die Motivation, Fehler zu vermeiden, stieg entsprechend an, da der Stopp der Produktion die Augen auf eine Person richtete. Die Mitarbeiter wurden motiviert, ihre Arbeit möglichst fehlerfrei zu verrichten.
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Darüber hinaus gibt es im japanischen Management einen wesentlichen Unterschied in der Entscheidungsfindung. Entscheidungen werden nur in Ausnahmefällen von Einzelpersonen getroffen. Gruppenarbeit wird im japanischen Management sehr geschätzt. Die Entscheidungen werden nicht „von oben“ vorgeschrieben, sondern entstehen aus der Gruppe heraus „von unten“. Die Gruppe als Ganzes kommt zu einer Entscheidung, die auf den Einflüssen aller beteiligten Mitglieder beruht. Die Gruppe als Ganzes ist relativ machtvoll im Sinne einer umfassenden Entscheidungskompetenz, da eine sehr geringe Delegation vorliegt. Die Entscheidungsfindung „von unten nach oben“ wirkt sich ausgesprochen motivierend aus. Im Gegensatz zu westlichen Denkweisen ist die Gruppenarbeit eine in Asien tief verwurzelte Tradition. Es hat sich eine „Lean-Kultur“ entwickelt, in der die Gruppenarbeit eine wesentliche Rolle spielt. Hierbei geht es um flache Hierarchien, die durch Teamarbeit untermauert werden. Das Topmanagement ist tatsächlich greifbar. Abschottungen in eigenen Etagen sind verpönt. Gemeinsamkeit und Miteinander stehen im Vordergrund. Die Büros von Führungsverantwortlichen haben weniger Wände, die Schreibtische aller Mitarbeiter sind identisch und verschiedenste Managementlevels sind räumlich nebeneinander angeordnet. Im Unterschied zu westlichen Denkstrukturen handelt es sich bei diesen asiatischen Strukturen um eine „Kultur“, die „gelebt“ wird. Amerikanische und europäische OEMs können diesem Anspruch nur schwer gerecht werden, was sich darin zeigt, dass bei der Einführung von Gruppenarbeit dennoch hierarchische Strukturen völlig unterschiedlich umgesetzt wurden. Effizienz wird jedoch nur bei einer überzeugten Durchführung des Programms erreicht. Hier ist ein Hemmnis für das gesamte Konzept in Europa und den USA zu sehen, da Lean Management ohne dessen intrinsische Umsetzung nur suboptimal verwirklicht wird. Ein weiterer Baustein ist Poka Yoka. Ungewollte Fehler (poka) werden zu vermeiden (yoke) versucht. Dieses Element kann auch mit Narrensicherheit beschrieben werden. Fehler können dadurch vermieden werden, dass die Prozesse möglichst einfach gestaltet werden. Auch hier steht wieder der Gedanke im Vordergrund, Fehler direkt zu beheben und sie an der Wurzel zu bekämpfen. Dementsprechend müssen die Prozesse möglichst nachvollziehbar gestaltet werden. Dennoch können sich auch in simple Prozesse Fehler „einschleichen“. In diesem Fall muss das Problem an der Wurzel bekämpft und der Prozess so geändert werden, dass der Fehler nie mehr auftritt. Der Prozess unterliegt insofern einer ständigen Verbesserung.
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2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
Lieferanten Welche Besonderheiten ergeben sich auf der Lieferantenseite im Rahmen der zweiten automobilen Revolution? Prinzipiell gelten alle dargestellten Methoden der OEMs auch auf der Lieferantenseite. Dies ist dadurch zu erklären, dass in der zweiten Revolution ein völlig neuer Denkansatz verfolgt wurde. Die Wertschöpfung wurde als Einheit betrachtet, zu der verschiedene Parteien einen Teil beitragen. Gleichzeitig wurden die Aufgaben der Lieferanten anspruchsvoller. Sie bekamen einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung zugeschrieben und übernahmen ein hohes Maß an Verantwortung. Je höher die Verantwortung, desto höher war auch der Druck, der auf den Lieferanten lastete. Damit sind wir an einem wichtigen Punkt angekommen, der klar herausgestellt werden muss. Irrigerweise wird oftmals angenommen, dass ein Fokus auf die Kosten den höchsten vorstellbaren Druck verursacht. In asiatischen OEM-Tier-1-Geschäftsbeziehungen spielen Kosten jedoch eine geringere Rolle. Lieferanten haben eine höhere Entscheidungskompetenz und von daher lastet auf ihnen ein weitaus größerer Druck. Die vermeintlich „freundschaftlichere“ Geschäftsbeziehung ist diejenige, die einem höheren Druck ausgesetzt ist. Lieferanten unterliegen ebenso wie der OEM selbst dem Zwang einer permanenten Verbesserung. Sie haben eine höhere Verantwortung und der OEM fordert mehr von ihnen. Geschäftsbeziehungen Die Veränderungen in den Geschäftsbeziehungen waren radikal. Wie bereits angedeutet, führte die zweite Revolution in der Automobilindustrie zu einer völlig neuen Positionierung von Lieferanten. Es entstanden neue Netzwerke in der Industrie mit dem Ziel der Optimierung der Gesamtwertschöpfung. Dies wurde durch die zunehmend globale Ausrichtung der Lieferanten ermöglicht. Der Wertschöpfungsprozess wurde als Einheit betrachtet, zu dem jeder Partner entsprechend seiner jeweiligen Positionierung einen Teil beiträgt. Dabei müssen Lieferanten besonders klar positioniert sein und mit einem überschneidungsfreien Portfolio aufwarten, das die Vorteilhaftigkeit des Unternehmens eindeutig darstellt. Da zunächst nicht die individuelle, sondern die gesamte Wertschöpfung betrachtet wird, erfolgt prinzipiell eine Optimierung des Gesamtsystems. Die Zulieferernetzwerke und deren jeweilige Wertschöpfungskette sind entsprechend stark involviert! Der individuelle Gewinn oder Verlust jedes
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
27
Partners steht dabei zunächst nicht im Vordergrund. Als wichtige Prämisse gilt: Jedes Unternehmen der Wertschöpfungskette muss einen Gewinn erzielen. Verluste werden nicht akzeptiert. Die Aktivitäten aller Partner werden aufeinander abgestimmt, um die Gesamtarbeit zu perfektionieren und letztlich Kundenzufriedenheit zu erzeugen. Preisreduktionen während des laufenden Geschäftes passen dagegen nicht in das Konzept asiatischer Geschäftsbeziehungen. Neben veränderten Rahmenbedingungen in den Geschäftsbeziehungen gilt es, einen weiteren wichtigen Punkt zu betrachten. Wir haben ihn bereits angesprochen und möchten ihn noch einmal aufgreifen: Kapitalverflechtungen zwischen den verschiedensten Unternehmen sind in Japan sehr üblich. Es existieren wechselseitige Abhängigkeiten höchsten Grades aufgrund der vorliegenden Kapitalstrukturierung. Diese Strömungen finden sich auch in anderen Ländern, jedoch deutlich weniger stark ausgeprägt. So sind beispielsweise heute noch die Unternehmen GM und Delphi sowie Visteon und Ford aus ihrer Historie intensiv miteinander verknüpft. Diese Verbindungen haben jedoch einen anderen Hintergrund. Delphi und Visteon waren bis zum Zeitpunkt der Abspaltung ein Teil des jeweiligen OEM. Zuvor waren sie so genannte Teiledivisionen des OEM. Auch zwischen Magneti Marelli und Fiat besteht eine starke Unternehmensverknüpfung. Dabei ist immer eine finanzielle Verbindung von einer strukturellen zu unterscheiden. Der wesentliche Unterschied liegt wiederum darin, dass das Netzwerk in Japan „gelebt“ wird. Man versteht sich als Einheit, die es zu optimieren gilt. Lieferantenwechsel werden selten als Option betrachtet. Das Gesamtnetzwerk muss optimiert werden und unterliegt dem Zwang einer ständigen Verbesserung. Kränkelt ein Mitglied in der Kette, ergeben sich Negativauswirkungen auf das Gesamtnetzwerk. Loyalität ist in diesem Zusammenhang von hoher Bedeutung. Liegt die Schwäche eines Mitgliedes vor, so hat dies nicht die unmittelbare Kündigung des Vertrags zur Folge. Man versucht die Schwäche eines Mitgliedes abzubauen und dem Partner einen gewissen Zeitraum zu gewähren, seine Probleme zu lösen. In diesem Zeitraum bekommt er Unterstützung von den anderen Netzwerkmitgliedern, insbesondere von Seiten des OEM. Loyalität spielt in japanischen OEM-Tier-1-Geschäftsbeziehungen eine maßgebliche Rolle. Nur sie gewährleistet die Möglichkeit einer ständigen Verbesserung bei allen teilnehmenden Wertschöpfungspartnern. In westlichen Geschäftsbeziehungen hingegen wird im Prinzip bei jeder Produktvergabe erneut verhandelt. Loyalität und positive Erfahrungen in der Geschäftsbeziehung, die auch bei zukünftigen Neuvergaben einbezogen
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2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
werden, sind ein Grund für die heutige Überlegenheit von Toyota. Nur wenn keine Lösungen gefunden werden, die zu einer entsprechenden Verbesserung führen, steht der Austausch des jeweiligen Gliedes in der Kette an. Dieser Schritt wird in japanischen OEM-Tier-1-Geschäftsbeziehungen in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt vollzogen, was umgekehrt nicht bedeutet, dass der kurzfristige Druck auf die wertschöpfenden Unternehmen gering wäre. Die Last der Lieferanten ist enorm, da sie dem Zwang einer ständigen Verbesserung ausgesetzt sind. Wenn Kaizen nicht mehr sichergestellt ist, steht ein Abbruch der Beziehung bevor. Die zweite Revolution in der Automobilindustrie führte in ihrem Ursprungsland zu massiven Veränderungen in der Geschäftsbeziehung zwischen OEM und Tier-1-Lieferanten. Sind die Grundpfeiler der zweiten Revolution mental bei allen an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen verankert, ergibt sich eine enorme – sowohl intrinsische als auch extrinsische – Motivation, das Gesamtnetzwerk (und nicht nur die eigene Position) ständig zu verbessern. Alle an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen werden dazu motiviert, ein überdurchschnittliches Maß an Leistung zu bringen, um alle Partner nach vorne zu treiben. 2.2.3
Auswirkungen und Grenzen
Die Struktur der gesamten automobilen Wertschöpfung wurde durch Toyota revolutioniert. Generell sind Wertschöpfungsveränderungen das Hauptargument dafür, dass sich die gesamte Industrie revolutioniert. Abbildung 4 zeigt die OEM-Positionierung bezüglich des Wertschöpfungsanteils und der Variantenvielfalt in der zweiten Revolution der Automobilindustrie. Ein Großteil der Wertschöpfung wurde auf Lieferanten übertragen. Dadurch ergaben sich völlig neue Ansätze im Lieferantenbeziehungsmanagement. Zuvor war dieser Begriff ein Fremdwort und nun wurde er Realität. Lieferanten und OEM arbeiteten Hand in Hand mit einer gemeinsamen Zielsetzung: der Optimierung und ständigen Verbesserung der gesamten automobilen Wertschöpfung. Die Rolle einer verlängerten Werkbank konnten Lieferanten nun in vielen Fällen ablegen. Auch in der ersten Revolution wurde die Wertschöpfung als Ganzes betrachtet und optimiert. Die damalige Überzeugung bestand jedoch darin, dass eine Optimierung in den meisten Fällen mit Insourcingaktivitäten einhergehe. Zum Zeitpunkt der ersten Revolution war dies auch durchaus realitätsnah, da die Leistungsfähigkeit von Lieferanten nicht ausreichend war. In der zweiten Revolution gab man diese Denkweise auf und akzeptierte Lieferanten als wertschöpfende Partner. Diese Akzeptanz konnte natürlich
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
29
Fahrzeugvielfalt
3. Revolution
1. Revolution 2. Revolution
???
Toyota
Ford
Wertschöpfungstiefe
Fahrzeugvielfalt
Abb. 4. OEM-Positionierung in der zweiten Revolution der Automobilindustrie
nur dadurch gefestigt werden, dass Lieferanten ihrerseits einen mächtigen Innovations- und Qualitätssprung machten und sich durch ihre Spezialisierung einen technischen Vorsprung gegenüber dem OEM erarbeiteten. Diese Veränderungen in der Beziehung zwischen OEM und Lieferanten führten zu erheblichen Effizienz- und Effektivitätsverbesserungen. Neben Veränderungen in der Geschäftsbeziehung muss mit den Produktionsmaßnahmen ein weiterer Ursprung der zweiten Revolution berücksichtigt werden. Die Produktion wurde völlig verändert. Eine Fülle von Prozessen und Maßnahmen führten in ihrer integrativen Anwendung zu sehr hoher Effizienz. Die Durchlaufzeit der Fahrzeuge wurde massiv reduziert und die Qualität erreichte ein bisher noch nicht dagewesenes Niveau. Gleichzeitig wurde den Konsumenten ein gewisser Freiraum durch „built to order“ eingeräumt. Erst wenn der Kunde ein Fahrzeug durch seinen Kaufvertrag in Auftrag gab, begann das Werk zu produzieren. Dies war nur durch geringere Durchlaufzeiten und eine allgemein gestiegene Effektivität und Effizienz möglich. Der Kunde musste nicht mehr wie zuvor mit dem vorlieb nehmen, was beim Händler auf dem Hof stand, sondern er war
30
2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
nun im Stande, sich sein Auto selbst zusammenzustellen. Die Option eines individuellen Fahrzeugs wurde dadurch ermöglicht. Einer der wesentlichen Stärken in Toyotas Produktionssystem lag in der Mitarbeitermotivation. Diese war im Gegensatz zum fordistischen Ansatz nicht von außen durch Geld erzeugt (extrinsisch), sondern durch die Tätigkeit an sich (intrinsisch). Diese intrinsische Motivation hat den erheblichen Vorteil gegenüber der extrinsischen, dass sie einerseits kostengünstiger ist und andererseits einen langfristigen Charakter hat. Den Mitarbeitern wurden Handlungsspielräume zugestanden und Entscheidungskompetenzen eingeräumt. Managemententscheidungen wurden auf niedrigere Levels übertragen und oftmals in Teamstrukturen erarbeitet. Durch die Möglichkeit jedes Arbeiters, die gesamte Fahrzeugproduktion eigenhändig zu stoppen, wurde intrinsische Motivation in mehrfacher Hinsicht erzeugt. Einerseits wollte sich nun kaum jemand einen Fehler erlauben, da die Suche nach Fehlern an der Wurzel bei einem „Linestop“ automatisch die Augen aller auf eine Person richten würde. Andererseits wurde dadurch den Mitarbeitern auf der vermeintlich untersten Stufe ein erhebliches Maß an Entscheidungskompetenz eingeräumt, die zuvor nur Werksleiter besaßen. Beides führte zu einer bis dahin beispiellosen Motivation und Loyalität der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen. Die ursprünglich teure und ineffektive Ressource Mitarbeiter im Sinne von langfristig gebundenem Kapital wurde somit in eine höchst effiziente Ressource umgewandelt (Maximumprinzip)! Doch warum führte die zweite Revolution einerseits zu nie dagewesener Effizienz, während andererseits im Jahr 2007 amerikanische und europäische OEMs und Tier-1-Supplier so viele Mitarbeiter entlassen mussten wie nie zuvor? Hier werden die Grenzen der zweiten Revolution sichtbar, die in zweierlei Hinsicht betrachtet werden müssen. Einerseits geht es hier um die mangelhafte Umsetzung und andererseits um die Grenzen der Revolution selbst. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Umsetzungsfehler. Die Grundgedanken des Produktionssystems von Toyota hat heute jeder OEM in seiner Fertigung umgesetzt. Reißleinen gibt es vielerorts. Natürlich gibt es auch heute noch massive Unterschiede im reinen Produktionsprozess zwischen Toyota und seinen Konkurrenten, doch Toyotas Vorsprung ist nicht mehr so groß wie noch vor wenigen Jahren. Andererseits führt nur das Ineinandergreifen aller Teilmethoden zu einem überproportionalen Erfolg. Einzelmethoden können auch positive Auswirkungen haben, sind jedoch mit dem Ursprungsgedanken nicht zu vereinen. Eine Fülle von Methoden, Prozessen, Strukturen und Herangehensweisen, die teilweise tief in der
2.2
Zweite Revolution in der Automobilindustrie
31
japanischen Kultur verwurzelt sind, führen erst in ihrer intelligenten Verknüpfung zu dem Erfolg, den Toyota durch die zweite Revolution erzielt hat. In der Industrie gibt es viele Nachahmer, die sich weitestgehend nur auf Einzelmethoden fokussiert haben und aus diesem Grund niemals einen vergleichbaren Erfolg generieren können. Oftmals hat man den Eindruck, als würden einzelne Methoden bei anderen OEMs sporadisch herangezogen und umgesetzt, um sich bei den eigenen Aktionären zu rechtfertigen. Was tatsächlich dahinter steckt, wird oftmals nicht verstanden. Schauen wir uns nun die Grenzen der Revolution selbst an: Ähnlich wie bei der ersten Revolution haben wir es mit einem erhöhten Koordinationsaufwand seitens der OEMs zu tun. Dieser Punkt war letztlich einer der Hauptschwächen der ersten Revolution. Ford war ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr im Stande, den hohen Umfang der Wertschöpfung zu koordinieren. Einem ähnlichen Problem ist auch Toyota ausgesetzt. Vordergründig herrscht ein partnerschaftliches Beziehungsgeflecht zwischen OEMs und Zulieferern. Aber Toyota stellt außerordentlich hohe Ansprüche an seine Partner. In der Regel dauert es mehrere Jahre intensiver Vorarbeit seitens des Lieferanten, um Teil des „Toyota-Systems“ zu werden. Die hohen Vorgaben seitens Toyota kommen einer Kontrolle der Wertschöpfung gleich. Faktisch wird der Hauptteil der gesamten automobilen Wertschöpfung – schätzungsweise 80 Prozent – durch Toyota kontrolliert. Bisher wird dieser Zusammenhang in der Industrie nicht als negativer Aspekt gesehen. Vergessen wird im derzeitigen „Toyota-Hype“ jedoch die Tatsache, dass sich das fordistische System durch die umfassende Kontrolle der Wertschöpfung selbst zerstört hat. Einer ähnlichen Gefahr ist auch das „Toyota-System“ ausgesetzt. Der Koordinationsaufwand hat ein unglaublich hohes Ausmaß eingenommen. Ob Toyota dieser Aufgabe gewachsen ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Das Problem liegt darin, dass Effizienz verloren geht. Die Aufgaben werden nicht optimal abgearbeitet und die Stärken der einzelnen Partner nicht vollständig ausgeschöpft. Natürlich haben wir es bereits mit einer sehr hohen Effizienz in der Wertschöpfung zu tun, es liegt jedoch auch noch ein großes Potenzial brach. Die Leistungsfähigkeiten der Partner werden nicht voll ausgeschöpft, da ihnen ein zu geringer Raum an Handlungskompetenz zugestanden wird. Wir werden im folgenden Kapitel sehen, dass diese Situation angesichts der aktuellen Trends und Treiber nicht haltbar sein wird. Mit einer wachsenden Bedeutung der Lieferanten, die mit einer weiter steigenden Kompetenz einhergeht, werden sich an dieser Stelle revolutionäre Auswirkungen ergeben, die sich in aktuellen Entwicklungen bereits ankündigen. Der An-
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2
Historische Entwicklungen in der Automobilindustrie
satz der zweiten automobilen Revolution kann in seiner am besten umgesetzten Form, wie sie bei Toyota vorliegt, unter Effizienzgesichtspunkten den heutigen, nicht jedoch den zukünftigen Entwicklungen standhalten. Problematisch ist auch der starke Fokus auf Plattformen. Nahezu die Hälfe des Wertes aller Automobile, die auf einer Plattform basieren, ist identisch. Die Konsumenten haben diesen Zusammenhang, der als Stärke des Konzepts kommuniziert wurde, realisiert und stellen sich im Umkehrschluss folgende Frage: Warum zahle ich für einen VW Golf bedeutend mehr als für einen Seat Léon, obwohl es sich eigentlich um das gleiche Auto handelt? Oftmals entscheiden sich die Konsumenten für die preiswerteren Alternativen und die Nachfrage wird entsprechend auf Fahrzeuge mit einem geringeren Deckungsbeitrag gelenkt. Die Gefahr und die Grenzen einer Variantenvielfalt, die auf Plattformen basiert, liegen dementsprechend in der Kannibalisierung der eigenen Modellpalette. In der zweiten Revolution haben sich bei den erfolgreichen Herstellern die Lieferantenbeziehungen deutlich intensiviert. Die Anzahl der Lieferanten auf erster Ebene (Tier-1) hat sich bei gleichzeitiger Erhöhung der Lieferantenverantwortung reduziert. Dennoch hat die Vernetzung gerade im Produktentstehungsprozess noch nicht ihre volle Effizienz erreicht. Sie gilt es in einer dritten Revolution weiter zu steigern und zu optimieren. Das folgende Kapitel zeigt, wie sich die Welt seit der zweiten Revolution weiterentwickelt hat. Die Veränderungen können mit den Methoden und Prozessen der ersten beiden Revolutionen nicht mehr effizient bewältigt werden. Heutige Markttreiber erfordern einerseits neue Herangehensweisen wie beispielsweise Modularisierungskonzepte und andererseits neue Denkweisen bei Geschäftsbeziehungen, die auf denen der zweiten Revolution basieren.
3 Die Treiber der dritten Revolution
Während der Vorbereitungen für dieses Buch und beim „Aufschnappen“ der neuesten automobilen Trends stellte sich für uns immer wieder die Frage, ob diese tatsächlich in eine neue automobile Revolution münden oder nicht. Dieser Frage werden wir uns nach der Vorstellung der wesentlichen Trends widmen und feststellen, dass eine weitere Revolution in der Automobilindustrie unausweichlich ist. Es wird zu massiven Veränderungen der existierenden Strukturen kommen, die eine Revolution darstellen.
3.1 Veränderungen im politischen Umfeld (political) Allgemein befindet sich die Welt im Jahr 2007 in einer relativ stabilen, jedoch herausfordernden politischen Lage. In den Bereichen „Emerging Markets“, „Global Warming“ und „Terrorismus“ sehen wir drei wesentliche Spannungsfelder. 3.1.1
Emerging Markets
Werfen wir einen Blick auf das Marktpotenzial der Emerging Markets im Automobilsektor. In Abbildung 5 sind alle wesentlichen neuen Märkte im Vergleich zu den klassischen Automobilmärkten abgebildet. Neben der Einwohnerzahl kann das Marktpotenzial für Automobile vor allem durch die so genannte Pkw-Dichte beschrieben werden. Die Zahl gibt an, wie viele Pkws im betrachteten Land pro 1000 Einwohner existieren. In der so genannten „Nicht-Triade“ ist die Pkw-Dichte deutlich geringer als in der Triade. Mit steigendem Wirtschaftswachstum wird deren Konsumentenpotenzial von über vier Milliarden Einwohnern besser abgeschöpft werden. Es ist davon auszugehen, dass im Zeitraum von 2005 bis 2020 in der „Nicht-Triade“ eine Steigerung der Nachfrage nach Automobilen um 100 Prozent stattfinden wird. Im gleichen Zeitraum wird die Nachfrage in der Triade lediglich um acht Prozent wachsen. Bei der Auseinandersetzung mit neuen Märkten wird oftmals der Fehler begangen, dass viele Länder zusammengefasst werden. Es ist wesentlich
34
3
Die Treiber der dritten Revolution
Triade
NichtTriade Pkw-Dichte (Pkw/1000 Einwohner)
Einwohner (in Mio.)
Pkw-Dichte (Pkw/1000 Einwohner)
Einwohner (in Mio.)
EU-15
501
381
Russland
152
145
USA + Kanada
690
319
Ukraine
112
48
Japan
520
127
Polen
285
39
577
827
Rumänien
145
22
Afrika
18
823
Argentinien
144
38
Brasilien
97
176
Kuba
46
40
Mexiko
128
101
China
5
1.285
Indien
7
1.045
Indonesien
16
208
Pakistan
5
145
Vietnam
6
80
27
4.195
Abb. 5. Marktpotenzial der Nicht-Triade im Vergleich zur Triade (B&D-Forecast 2006)
empfehlenswerter, die einzelnen Länder sehr differenziert zu betrachten und jeweilige Stärken und Schwächen sowie Bedrohungen und Chancen gegeneinander abzuwägen. EU Osteuropa Der Bezeichnung „Osteuropa“ geht zurück auf den Kalten Krieg. Zu dieser Zeit wurden mit „Osteuropa“ alle kommunistischen Länder Europas bezeichnet. Im Jahr 2004 wurde die Europäische Union nach Osten hin stark erweitert. Dies war ein sehr bedeutender Schritt für diese Länder, nachdem die Sowjetunion und damit auch der Kommunismus in Europa im Jahr 1995 zusammengebrochen waren. Beide Ereignisse haben die Wirtschaft nachhaltig geprägt und sie werden auch in Zukunft starke Auswirkungen auf die Entwicklung der Automobilindustrie haben.
3.1
Veränderungen im politischen Umfeld (political)
35
Osteuropa hat sich von einem reinen Sourcingmarkt zu einem Sourcingund Konsumentenmarkt entwickelt. Diese Zusammenhänge wollen wir etwas ausführlicher betrachten. Das Interesse an Osteuropa lag anfangs vor allem an der dort vorherrschenden Kostenstruktur, die eine sehr hohe Attraktivität für Investitionen darstellte. Im Jahr 2003 lag die durchschnittliche Arbeitszeit in der Slowakei, Polen und Tschechien um mindestens 30 Prozent über dem deutschen Wert. Ähnliche Unterschiede gab es bei den Lohnkosten. Diese waren im Jahr 2003 in Deutschland um das mindestens Fünffache höher als in den genannten osteuropäischen Ländern (OECD 2004). Infolge dessen kam es bis heute zu hohen Investitionen in diesen osteuropäischen Ländern. Die wirtschaftliche Entwicklung Osteuropas ist durch seine hohe Attraktivität als Sourcingmarkt deutlich fortgeschritten. Ähnlich wie in der ersten Revolution der Automobilindustrie ergeben sich auch in Osteuropa positive Effekte auf die Nachfrage. Mehr Beschäftigung führt in der Regel zu einem erhöhten Wohlstand und einer steigenden Nachfrage. In Osteuropa entsteht neben dem Sourcingmarkt ein Konsumentenmarkt, denn die Kaufkraft und das Potenzial sind enorm. Derzeit leben dort über 400 Millionen potenzielle Konsumenten. Der Wunsch nach kostengünstiger Mobilität muss von der Automobilindustrie mit anderen Geschäftsmodellen als bisher erfüllt werden. Osteuropa ist allerdings nicht homogen. Diese Heterogenität gilt in vielen Fällen auch innerhalb des jeweiligen Landes selbst. In Russland vereinen beispielsweise die zehn wirtschaftlich stärksten Regionen nahezu 60 Prozent der gesamten Nachfrage auf sich. Moskau als größte dieser zehn Regionen repräsentiert ca. 33 Prozent der gesamten Nachfrage Russlands. Ähnlich wie Westeuropa muss auch Osteuropa länderspezifisch analysiert werden, wenn man die Nachfrage und die Investitionsattraktivität ermitteln möchte. China / Indien Auch die beiden Länder China und Indien müssen differenziert betrachtet werden. In beiden Märkten zeichnet sich ein überaus großes Marktpotenzial ab. Dies gilt umso mehr, wenn man die Prognosen hinsichtlich der Anzahl der verkauften Pkws betrachtet. Im Jahr 2010 werden sowohl Indien als auch China zu den zehn größten Automobilmärkten der Welt gehören. Tritt dieser Zustand ein, so ist das Marktpotenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft, wie unsere Darstellung der Fahrzeugdichten beider Länder zeigt. Derzeit besitzen 5 von 100
36
3
Die Treiber der dritten Revolution 2000
2005
2006 (Prognose) 2010 (Prognose)
1
USA
17.403
16.995
16.780
16.935
2
Japan
4.260
4.748
4.725
4.884
3
Deutschland
3.379
3.342
3.400
3.450
4
China
613
3.132
3.758
4.565
5
UK
2.222
2.440
2.396
2.432
6
Italien
2.428
2.217
2.323
2.393
7
Frankreich
2.134
2.069
2.079
2.195
8
Kanada
1.545
1.583
1.588
1.591
9
Spanien
1.377
1.529
1.516
1.570
10
Russland
945
1.450
1.653
2.206
11
Brasilien
1.188
1.369
1.410
1.504
12
Mexiko
876
1.122
1.178
1.218
13
Indien
709
1.107
1.239
1.717
Abb. 6. Größte PKW-Märkte weltweit (B&D-Forecast 2006)
Chinesen und 7 von 100 Indern ein Automobil. Selbst eine Verdoppelung der Autoverkäufe im jeweiligen Land ließe noch große Potenziale offen. China und Indien haben ähnliche Marktpotenziale, jedoch eine völlig unterschiedliche Struktur der lokalen Automobilindustrie. China ist im Vergleich zu Indien ein sehr fragmentierter Automobilmarkt. Volkswagen, GM und Honda haben den größten Marktanteil und vereinen 33 Prozent des Gesamtvolumens auf sich. Im Jahr 2003 war dieser Anteil noch um 22 Prozent höher. Die außerordentliche Attraktivität des Marktes hat in der jüngeren Vergangenheit dazu geführt, dass sich viele neue Marktteilnehmer in China positionieren. Neben den typisch chinesischen OEMs wie Chery, Geely oder Brilliance versuchen derzeit auch alle anderen OEMs China zu erobern. Eine solche Euphorie ist auf dem indischen Markt noch nicht zu verzeichnen. Mit Mahindra, Maruti Suzuki, Tata Motors und Hyundai dominieren vier Unternehmen den Markt. Zusammen beherrschen sie über 90 Prozent des Gesamtmarktes. Es ist davon auszugehen, dass sich der indische Automobilmarkt in Zukunft stärker fragmentieren wird. Neue Marken werden platziert werden und die Marktanteile der etablierten Unternehmen reduzieren.
3.1 Merkmale
Veränderungen im politischen Umfeld (political) China
Indien
OEM-Marktstruktur
Viele kleine Anbieter
Wenige große Anbieter
OEM-Profitabilität
4 – 6%
9 – 11 %
Lokale Wertschöpfung
60 %
80 %
Exportvolumen (‘000)
40
160
„kapitalistischer Kommunismus“
Demokratie
5 – 10 %
85 %
Diesel-Penetration
< 1%
30 %
Durchschnittsstundenlohn
$ 0,75
$ 0,43
gering, aber wachsend
hoch
Regierung Finanzierte Fahrzeuge
Ausbildungsgrad
37
Abb. 7. Unterschiedlichkeiten zwischen China und Indien
Abbildung 7 fasst wichtige Unterschiede zwischen China und Indien zusammen. Trotz dieser Unterschiede sind die Potenziale beider Märkte sehr groß. Diese ungenutzten Potenziale haben starke Auswirkungen auf die Automobilindustrie. Es werden sich Verlagerungen ergeben, die andere Geschäftsmodelle erfordern als bisher. Das Zusammenspiel zwischen Globalität und Regionalität muss gemanaged werden. Nicht alle Unternehmen werden dieser Herausforderung gerecht werden können. Konsequenzen Unterschiedliche Wachstumsraten in verschiedenen Wirtschaftsräumen haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Automobilindustrie. Abbildung 8 Übersicht zeigt die Wachstumsraten ausgewählter Länder in 2006. Es wird deutlich, dass die ehemals wachstumsstärksten Nationen stark zurückfallen und neue Spieler nach vorne drängen. Betrachtet man darüber hinaus zusätzlich die Wachstumsraten der vergangen Jahre und die Prognosen für die kommenden, so verschärft sich dieser Trend. Es zeigt sich eine anhaltende Stagnation in Amerika und in den meisten europäischen Ländern. Asien, aber auch Russland und Osteuropa verzeichnen hingegen die höchsten Zuwachsraten auf lange Sicht. Die Starken bleiben stark, aber Wirtschaftsgrößen stoßen zum ehemals elitären Kreis hinzu und setzen zum Überholen an. Diese „neuen Märkte“ sind für Investoren derzeit die erste Adresse. Bei relativer politischer Stabilität sind die Rahmenbedingungen höchst interessant für Investitionen. Die Zunahme der Standorte
38
3
Die Treiber der dritten Revolution
Abb. 8. Wachstum 2006 in verschiedenen Ländern (Behravesh 2005)
verlagert sich vermehrt auf Mittel- / Osteuropa und Asien. Westeuropa und Amerika kann man mit Diesellokomotiven vergleichen, die Fahrt aufgenommen haben und sie auf relativ hohem Niveau halten. Für neue Rekorde wird dies jedoch nicht mehr ausreichen. Ein Wandel ist erforderlich, um diese Herausforderungen zu meistern. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Lohnkosten, um die Unterschiede deutlicher zu machen, und betrachten zunächst einmal die Arbeitskosten pro Stunde in Deutschland und Osteuropa! Im Jahr 2003 lag dieser Wert für Westdeutschland bei 27,09 Euro, während die Tschechische Republik als teuerstes osteuropäisches Land auf einen Stundensatz von 5,29 Euro kam (Behravesh 2005). In Osteuropa können Unternehmen somit fünf Personen zu gleichen Kosten einstellen wie in Deutschland einen Mitarbeiter. Diese Gegebenheit schlägt insbesondere bei mitarbeiterintensiven Produktionseinrichtungen, wie sie in der Automobilproduktion vorherrschen, zu Buche. Die Konzerne müssen entsprechende Konsequenzen ziehen. Bei dem Neubau von Fabriken verliert der Wirtschaftsstandort Westeuropa immer mehr an Attraktivität. Der Unterschied der Lohnkosten wird noch dramatischer, wenn man Indien oder China betrachtet. Kann ein Unternehmen für zehn Prozent der aktuellen Lohnkosten an einem anderen Standort produzieren, gehen die Argumente für den angestammten Produktionsplatz aus. Hier wird die dritte Revolution ansetzen und in den Köpfen der automobilen Entscheidungsträger zu einem veränderten Denken führen. Die Herausforderung des gerade beschriebenen Trends liegt derzeit hauptsächlich
3.1
Veränderungen im politischen Umfeld (political)
39
bei den Lieferanten. Verlagern die OEMs ihre Produktionskapazitäten, so fordern sie weiterhin ihre benötigten Komponenten, Module und Systeme zu gleichen oder sogar niedrigeren Preisen ein. Allein durch Produktivitätsverbesserungen können Lieferanten dieser Anforderung nicht gerecht werden und auch der Wettbewerb untereinander erfordert es, dem OEM bei der Produktion zu folgen. Lieferanten haben nicht nur einen Kunden, den sie dabei beachten müssen. Betrachten wir die größten Player, so haben diese nahezu jeden OEM als Kunden. Jedem von ihnen zu folgen und eine eigene fokussierte Fabrik neben der OEMProduktion zu errichten, ist wirtschaftlich schwer denkbar. Aufgrund seines aktuell noch sehr hohen Wertschöpfungsanteils und seiner damit verbundenen starken Position hat der OEM einen grundsätzlichen Effizienzvorteil. Lieferanten dagegen müssen oftmals hohe Anfangsinvestitionen tätigen und teilweise für einzelne kundenspezifische Programme Produktionseinrichtungen an einem neuen Standort aufbauen. Ob der Lohnkostenvorteil zu einem positiven Gesamtnutzen für die Lieferanten führt, ist zunächst noch offen. Die Effizienzfrage muss für den Einzelfall geklärt werden und kann nicht durchweg positiv beantwortet werden, wie es beim OEM zurzeit die Regel ist. Die Gesamtwertschöpfung steht demnach in einem zwiespältigen Licht. Ob ein – auch volkswirtschaftlich – positiver Nutzen entsteht, ist nicht leicht vorherzusagen. Was bleibt, ist eine massive Herausforderung für die Lieferanten, der nicht alle Marktteilnehmer standhalten werden! Sie wird vielmehr eine Konsolidierung aufseiten der Lieferanten zur Folge haben. Die Arbeitskosten sind nicht nur von Land zu Land verschieden, sondern entwickeln sich auch innerhalb eines Landes unterschiedlich. Je höher die globale Diversifikation eines Unternehmens mit lokalen Produktionsstandorten ist, desto geringer sind die Währungsrisiken. Schwache Währungen an einer Produktionsstätte werden in der Regel durch eine starke Währung an einer anderen Produktionsstätte ausgeglichen! Selbst Euro, Yen und Dollar unterliegen großen Wechselkursschwankungen. Die globale Ausrichtung von Unternehmen kann auch als Möglichkeit der Risikoreduktion gesehen werden. Unternehmen, die diese Schritte nicht mitgehen können, haben weitere Nachteile durch das höhere Währungsrisiko, dem sie ausgesetzt sind. Die politischen Rahmenbedingungen der Globalisierung führen dazu, dass eine Verlagerung von Kapazitäten in andere Wirtschaftsbereiche stattfinden wird. Diese beziehen sich zum Großteil auf Fertigung, Sourcing und Engineering. Wie diese Verlagerung in der Automobilindustrie konkret aussieht, verdeutlicht die folgende Abbildung 9.
40
3
Die Treiber der dritten Revolution
Abb. 9. Weltweite Verlagerung der automobilen Wertschöpfung (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)
Asien und vor allen Osteuropa sind die zukünftigen Wachstumsmotoren der Automobilindustrie. Die NAFTA bleibt relativ stabil und verliert dadurch zunehmend an Bedeutung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die dritte Revolution in Asien stattfindet. Insbesondere amerikanische Unternehmen müssen veränderte Geschäftsmodelle entwickeln, die eine verbesserte Profitabilität ermöglichen. Effiziente Vielfalt stellt eine Antwort auf die Probleme in den alten Märkten dar. Neben der absoluten Verlagerung ist auch die Verteilung zwischen OEM und Lieferanten sehr wichtig. Unschwer zu erkennen ist, dass der Großteil der Wertschöpfung auf Lieferanten übergehen wird. An späterer Stelle werden wir uns mit diesen Verschiebungen näher auseinandersetzen. Bis heute hält die Verlagerung von Kapazitäten nach China und Osteuropa an. Das Sourcing in Niedriglohnländern steht auf der Tagesordnung vieler Unternehmen. Hierbei stellt sich die Frage, wodurch sich Hochlohnstandorte wie beispielsweise Deutschland weiterhin qualifizieren können. Insbesondere die deutsche Automobilindustrie entgegnet dem Trend mit einer vermeintlich hohen Entwicklungskraft. Diese ist als letzter Ast
3.1
Veränderungen im politischen Umfeld (political)
41
auf dem reißenden Fluss der Veränderungen zu sehen, an dem man sich festklammert. In vielen Fällen haben Hochlohnländer noch einen Wettbewerbsvorteil bei Innovationen und im Engineering. „Engineered in Europe“ bürgt derzeit noch für Kompetenz, Präzision und Perfektion. Doch auch dieses vermeintliche Juwel ist matt geworden. Auch das Engineering wird in Osteuropa und China zunehmen. Der einzige Ausweg aus dieser Misere liegt in dem konsequenten Ausbau der Innovationskraft in den technisch fortschrittlichen Hochlohnländern. Eine echte „Bildungspolitik“ ist hier dringend gefordert. Doch der Druck seitens der neuen Märkte bleibt in jedem Fall groß. In Osteuropa herrscht eine starke Nachfrage nach Akademikern in wirtschaftlich-technischen Bereichen. Die Arbeitnehmer sind überaus motiviert, ihre Leistung im Unternehmen einzusetzen. Bei der gesamten Diskussion um „Emerging Markets“ wird derzeit davon ausgegangen, dass die neuen Märkte in der Zukunft stark aufschließen werden. Aus der Sicht etablierter Anbieter der Triade stellen die Kostenvorteile dieser Märkte nach wie vor den größten Anreiz dar. Westliche Anbieter sind auf der Suche nach „Low Cost“. In diesem Zusammenhang sind Partnerschaften mit regionalen Unternehmen empfehlenswert. Dabei erhalten westliche Anbieter die von ihnen gewünschten geringen Kosten, auf der anderen Seite geben sie jedoch Know-how an die lokalen Partnerunternehmen ab. Diese Partner erhalten dadurch Zugang zu Innovationen. Es stellt sich die Frage, welcher der Partner einen größeren Nutzen durch dieses Geschäft generiert. Das Beispiel Transrapid zeigt deutlich, welche Gefahren hier lauern. Durch den Verkauf der Technologie an China und den dortigen ersten Einsatz erlangten chinesische Unternehmen relativ schnell Wissen, das deutsche Unternehmen in mehreren Dekaden aufgebaut hatten. Darüber hinaus konnten sie durch die Serienapplikation sogar einen Wettbewerbsvorsprung generieren. Würde ein Transrapid heute in Deutschland zum Einsatz kommen, wäre es empfehlenswert, dafür chinesisches Praxiswissen „einzukaufen“. Es geht also nicht nur um ein Aufholen der neuen Märkte, sondern unter Umständen sogar um ihr Überholen der westlichen Märkte. 3.1.2
Globale Erwärmung
Die globale Erwärmung hat inzwischen Ausmaße erreicht, die erhebliche Konsequenzen für die Automobilindustrie nach sich ziehen.
42
3
Die Treiber der dritten Revolution
Temperaturveränderung in °C +1,0 +0,8 +0,6 +0,4 +0,2 0 -0,2 -0,4
Jahr 1860
1880
1900
1920
1940
1960
1980
2000
Abb. 10. Globale Temperaturveränderungen (Stern 2006)
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Temperaturveränderungen der letzten Jahrzehnte: Im Zeitraum von 1860 bis 1900 herrschte sowohl beim CO2-Gehalt in der Atmosphäre als auch bei der Bodentemperatur eine gewisse Stabilität. Durch die zunehmende Industrialisierung geriet diese relative Konstanz aus dem Gleichgewicht. Von 1900 bis heute sind beide Werte deutlich angestiegen. Insbesondere bei der Temperaturzunahme zeigt sich seit dem Jahr 1980 ein überproportionaler Anstieg. Die Auswirkungen auf die Umwelt und letztlich auf die gesamte Weltbevölkerung wollen wir an dieser Stelle nicht weiter thematisieren. Fest steht, dass der Temperatur- und CO2-Anstieg in dem Ausmaß der vergangen 20 Jahre nicht weiter weitergehen darf. Die Automobilindustrie und die Politik haben auf den Wandel reagiert und sind freiwillige Selbstverpflichtungen eingegangen bzw. haben gesetzliche Standards etabliert. Die Gesetzesvorlagen der einzelnen Länder werden zunehmend komplex und herausfordernd für die Automobilindustrie. Euro V, Partikelfilter, das Kyoto-Protokoll oder kalifornische Umweltauflagen sind nur einige wenige Beispiele. Diese Trends führen dazu, dass die Industrie als Ganzes und insbesondere die Lieferanten zu neuen Technologien gezwungen werden. Ob dies gut oder schlecht ist, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Wichtig ist, dass technologische Fortschritte durch politische Intervention vorangetrieben werden. Die Anforderungen an die Industrie scheinen in den meisten Fällen zunächst kaum erreichbar. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Aufgaben
3.1
Veränderungen im politischen Umfeld (political)
43
Japan US Federal Standards
Indien China
Tier 1
2020
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
10-15 Mode
10-15 + New Mode Tier 2
US CAFE “Green” Staaten EU
2004
2003
2002
2001
2000
1999
dennoch bewerkstelligt werden und dass nur durch politische Intervention Innovationen gefördert werden, die vielleicht im Blick auf Markt nicht optimal sind, dafür jedoch andere Nutzen mit sich bringen. Euro 5 führt letztlich zu einer Umweltentlastung, ebenso wie eine Besteuerung von alten (umweltschädlichen) Wohnmobilen nach Schadstoffausstoß. Der soziale Nutzen von Fußgängerschutzbestimmungen ist ebenso nicht von der Hand zu weisen. Werfen wir einen Blick auf die Auswirkungen politischer Intervention, so zeigen sich beispielsweise bei der Emissionsminderung erhebliche Erfolge, wobei nicht der gesamte Umfang der Verbesserungen auf politische Maßnahmen zurückzuführen ist. Die CO-Emissionen im deutschen Straßenverkehr werden im Zeitraum von 1990 bis 2020 um circa 90 Prozent sinken. Im gleichen Zeitraum sinken die NOx-Emissionen um circa 73 Prozent (Verband der Automobilindustrie 2006). Bei der Reduktion von HC-, NOx-, CO- und Partikel-Emissionen gibt es in Deutschland durchweg beachtliche Fortschritte. Diese Verbesserungen müssen auch in anderen Ländern in der Automobilindustrie und in anderen Industrien umgesetzt werden, um nachhaltig im Blick auf künftige Generationen zu wirtschaften. Betrachtet man die einzelnen Euro-Abgasnormen, so zeigt sich, dass bei Diesel-Pkw eine Reduzierung der Abgasemissionen von über 90 % stattgefunden hat (Verband der Automobilindustrie 2006). Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung in der Zukunft auch über die Euro-5-Norm hinaus fortsetzen wird und dass die Automobil- und speziell die Zuliefererindustrie durch gesetzliche Rahmenbedingungen zu immer neuen Innovationen „gezwungen“ wird.
Lev II Euro 3
Euro 4 Leg. Delay
Euro 5
Euro 6
Euro 3 Euro 3
Abb. 11. Unterschiedliche Emissionsstandards in einzelnen Ländern (Verband der Automobilindustrie 2006)
44
3
Die Treiber der dritten Revolution
Die Unternehmen der Automobilindustrie stehen in diesem Zusammenhang vor der Herausforderung, verschiedene Lösungen für unterschiedliche gesetzliche Anforderungen zu finden. Letztlich handelt es sich dabei um kostenintensive Anpassungen einzelner Innovationen an unterschiedliche Märkte und um damit verbundene Effizienzverluste. Betrachten wir lediglich die existierenden Emissionsstandards, so zeigen sich deutliche Unterschiede in den einzelnen Ländern (vgl. Abb. 11). Zumindest bei den Emissionsstandards scheint sich allerdings eine Harmonisierung einzustellen. In Zukunft werden drei unterschiedliche Standards existieren, wobei der Euro-Standard die Hauptrolle spielt. Nichtsdestotrotz müssen sich OEMs und Lieferanten neben den jeweiligen Standards an sich auf unterschiedliche „Ausbaustufen“ ausrichten. Viele Lieferanten werden diese kostenintensive Anpassung hinsichtlich Innovation und Globalisierung nicht mitmachen können und einem Konsolidierungsprozess zum Opfer fallen. Modulspezifisch wird sich die Anzahl der wettbewerbsfähigen Marktteilnehmer drastisch verringern. 3.1.3
Konflikt der Religionen – Terrorismus
Der Konflikt der Religionen und der damit in Verbindung stehende Terrorismus ist eine der wesentlichen politischen Herausforderungen, die die Gegenwart bestimmen und auch die Zukunft prägen werden. Vor dem 11. September 2001 hatte Terrorismus eine bedeutend geringere mediale und faktische Präsenz als danach. Auch vor dem Anschlag auf das World Trade Center gab es vielfältige terroristische Bewegungen in der Welt. Der wesentliche Unterschied zu heute lag darin, dass es sich eher um lokal begrenzte Konflikte handelte. Terrorismus hatte in den letzten Jahrzehnten wesentlich geringere Auswirkungen auf die internationale Politik und das Konsumentenverhalten als heute und in Zukunft. Inzwischen ist Terrorismus zu einer weltumspannenden, realen Bedrohung geworden, die Einfluss auf jede Nation nimmt. Betrachten wir die politische Relevanz: Nahezu in allen Regionen stellt der Terrorismus das derzeit größte Sicherheitsrisiko dar. Insbesondere westliche Länder verändern ihre politischen Strategien: Aufrüstung, Investitionen in die nationale Sicherheit und die Thematisierung in der Bevölkerung sowie ihre Sensibilisierung sind Reaktionen auf das gestiegene Risiko. Neben den Auswirkungen auf das politische Handeln ist insbesondere für die Automobilindustrie entscheidend, dass Terrorismus einen Einfluss auf das Konsumentenverhalten hat. Politisch motiviert hat das Sicherheitsdenken in den Köpfen der Menschen zugenommen. Safety, aber vor allem Security erlangt dadurch einen neuen Stellenwert.
3.2
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
45
Die Konsumenten haben erkannt, dass Terrorismus eine reale Bedrohung für jedermann ist. Eine Sicherheit vor Anschlägen kann nicht mehr geboten werden. Diese Realität ist im Bewusstsein der Konsumenten präsent und beeinflusst ihr Handeln. Die Beeinflussung zeigt sich beispielsweise in der Tourismusindustrie in Verlagerungen hinsichtlich der bevorzugten Urlaubsziele. Zudem investieren Konsumenten und Unternehmen verstärkt in Sicherheitstechnologien. Die plötzliche Realität des Terrorismus hat für viele Konsumenten einen Anstoß gegeben, ein sichereres Leben zu führen. Wir sehen den Terrorismus als Auslöser für ein ganzheitliches Sicherheitsdenken von Konsumenten, das weit über die reine Bedrohung durch terroristische Aktivitäten hinausgeht. Viele Unternehmen haben auf diese Entwicklung reagiert und ihr Produktportfolio verändert. Darüber hinaus ist ein Trend zur stärkeren Sicherheitsfokussierung von Marken zu beobachten. Vermehrt positionieren OEMs ihre Markenwerte im Blick auf Sicherheitsaspekte. Ein aktuelles Beispiel einer solchen Security-Innovation findet man bei Volvo: Das Unternehmen bietet eine Option zur Innenraumüberwachung an. Aus mehreren Metern Entfernung von ihrem Auto können Konsumenten anhand einer Kontrollleuchte am Schlüssel erkennen, ob sich eine fremde Person in ihrem Fahrzeug befindet oder nicht.
3.2 Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic) Aus ökonomischer Sicht werfen wir zunächst einen Blick auf allgemeine Kerntreiber der Automobilindustrie. Neben diesen Entwicklungen stellt sich die Frage, welche individuellen Aspekte auf der OEM- und Lieferantenseite die Zukunftsentwicklungen beeinflussen werden. 3.2.1
Allgemeine ökonomische Treiber – Rohstoffpreise
Aus ökonomischer Perspektive ist es stets von Interesse, einen Blick auf die Preisentwicklung zu richten. Hierbei sind im automobilen Bereich vor allem die Entwicklung der Verkaufspreise und der Rohstoffpreise interessant. Betrachten wir zunächst die Veränderung der Rohstoffkosten in den vergangen Jahren: Im Zeitraum von 1998 bis 2004 stieg der Rohölpreis um 170 Prozent. Im gleichen Zeitabschnitt verteuerten sich Polypropylen um circa 28 Prozent, Primäraluminium um circa 7 und Eisen sowie Stahl um circa 38
46
3
Die Treiber der dritten Revolution
Prozent (Bureau of Labor Statistics 2004). Die Erhöhung von 7 Prozent bei Primäraluminium entspricht hierbei weitestgehend der Inflation. Bei anderen – für die Automobilindustrie wichtigen – Ressourcen hat sich in den vergangenen Jahren ein massiver Anstieg der Preise ergeben. Die Verteuerung von Rohöl um 170 Prozent bringt dies eindrucksvoll zum Ausdruck. Allerdings muss eine gewisse Verzerrung der Gegebenheiten beachtet werden, die sich daraus ergibt, dass wir einen Betrachtungszeitraum von nur sieben Jahren gewählt haben. Bei einer langfristigeren Betrachtung finden sich bei einigen Rohstoffen sinusförmige Kurvenverläufe. Es liegt also keine permanente Steigerung der Rohstoffkosten vor. Für begrenzte Ressourcen wie Öl kann jedoch von weiter steigenden Preisen ausgegangen werden. Doch warum ist dies ein Trend, der nun plötzlich eine dritte Revolution in der Automobilindustrie anstoßen soll, obwohl es sich eigentlich um längst bekannte Entwicklungen handelt? Die Preissteigerungen haben natürlich Auswirkungen auf die gesamte Industrie. Betrachten wir die Wertschöpfung als Ganzes, so entsteht zunächst einmal eine starke Belastung. Welches Glied in der Kette trägt die Belastung? Im Rahmen der zweiten Revolution und der bisher dargestellten Trends der dritten Revolution sind dies zunächst die Konsumenten auf der einen Seite, aber vor allem die Lieferanten auf der anderen Seite. Steigende Rohstoffkosten sind dementsprechend ein massiver Anstoß zu einer Konsolidierung des Lieferantenmarktes. Genau hier liegt die Begründung für die These, dass der Trend plötzlich einen größeren Wandel in Gang setzt! Während der zweiten Revolution war die Industrie ebenfalls steigenden Rohstoffkosten ausgesetzt. Diese haben sich jedoch viel weniger bemerkbar gemacht. In der Gesamtwertschöpfung wurden bisher nicht gekannte Effizienzfortschritte erreicht, die jegliche Rohstoffkostensteigerungen überkompensiert haben. Der Einfluss auf eine mögliche Konsolidierung der Lieferantenbranche war daher gering. Im Kontext der dritten Revolution bleibt die Last zunächst auch aufseiten der Lieferanten bestehen. Sie sind in der Praxis diejenigen, die einen Großteil der höheren Kosten auf sich nehmen. Ihre Belastung wird steigen und bei einigen Unternehmen zur Insolvenz führen, da die Vorteile in der Wertschöpfung die Belastungen nicht mehr überkompensieren. Unterstützt wird dieser Trend durch wirtschaftlich starke Unternehmen auf der Rohstoffseite.
3.2
3.2.2
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
47
Allgemeine ökonomische Treiber – Fahrzeugpreise
Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Entwicklungen unterstützt, ist die sinkende Zahlungsbereitschaft von Konsumenten. Autofahrer sind immer höheren Belastungen durch politische Intervention ausgesetzt. Die Kosten für Mobilität steigen allgemein drastisch, beispielsweise durch Steuererhöhungen bzw. den Wegfall von Steuervergünstigungen oder durch gestiegene Kraftstoffkosten. Erhöhte Belastungen ergeben sich für Konsumenten in vielerlei Hinsicht: Mineralölsteuer, Ökosteuer oder die Umstellung auf den Euro haben in bestimmten Bereichen zu Kostenexplosionen geführt. Ähnliche Entwicklungen sind derzeit auch in anderen Wirtschaftsregionen wie beispielsweise in den USA zu beobachten. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass Konsumenten an anderen Stellen Einsparungen vornehmen und zwar oftmals beim Autokauf. Der Kunde ist im Vergleich zu früher weniger bereit, für Automobile Geld auszugeben. Es wird gespart. Dies zeigt sich auch darin, dass der Gebrauchtwagenmarkt eine Renaissance erfährt. Der Markt hat reagiert und die Verkaufspreise für Automobile sinken kontinuierlich. Davon abzugrenzen ist der Premiummarkt. Premiumfahrzeuge zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie bei ähnlicher Leistungsfähigkeit wie Nicht-PremiumWettbewerber einen Preisaufschlag kosten. Ein geringer Prozentsatz der Konsumenten zahlt diesen Aufpreis, doch auch hier ist eine zunehmende Kostensensibilität zu erkennen. Die Neupreise für Automobile sind im Zeitraum von 1997 bis 2003 um 4,3 Prozent gesunken (Bureau of Labor Statistics 2004). Von 2003 bis heute hat sich dieser Trend weiter fortgesetzt. Zu beachten ist dabei, dass der Markt bei gleichzeitigem Sinken der Preise auf der anderen Seite neue Innovationen hervorgebracht hat, dass andere Kosten wie diejenigen für Rohstoffe oder auch für die Lebenshaltung gestiegen sind und so die Kosteneffizienz belasten. Der gesamtvolkswirtschaftliche Kostenindikator steigt und gleichzeitig sinken die Kosten für Automobile. Die Situation der Lieferanten wird zunächst durch eine Vielzahl von Einflüssen negativ beeinflusst. Das Blatt wird sich später wenden und eine neue Struktur der Wertschöpfungskette ergeben, die für die verbleibenden Lieferanten positiv ist. Doch zunächst sind die Lieferanten einer Konsolidierungsgefahr ausgesetzt. Die verbleibenden Unternehmen werden sich in einem revolutionär neuen Umfeld bewegen. Die folgende Grafik bietet einen Überblick über den Konsolidierungsprozess im Zeitablauf, sowohl auf der Lieferanten- als auch auf der Automobilherstellerseite.
48
3
Die Treiber der dritten Revolution
Anzahl selbstständiger Unternehmen 40.000
8.000 Lieferanten 5.000 500
OEMs
50 0
1900
1950
2000
2015 Jahr
Abb. 12. Zeitlicher Konsolidierungsüberblick in der Automobilindustrie (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)
Es ist deutlich zu erkennen, dass die Anzahl unabhängiger Lieferantenunternehmen im Laufe der Zeit große Veränderungen durchgemacht hat. Wie wir schon gesehen haben, gab es zur Zeit der ersten Revolution kaum eigenständige Lieferanten. Insourcing und Eigenproduktion des Großteils der Wertschöpfung war aufgrund einer untergeordneten Kompetenz der Lieferanten optimal. Später und insbesondere im Rahmen der zweiten Revolution entwickelte sich ein wissenschaftlicher und praktischer Hype des Outsourcens. Viele Lieferantenunternehmen wurden gegründet und auch bedient. Aus Effizienzgesichtspunkten konnte die Gesamtwertschöpfungskette in dieser Struktur jedoch keinen Bestand haben. Es kam zur Konsolidierung auf der Lieferantenseite. Mega-Tier-1 erhielten eine größere Einflussnahme, die jedoch noch keinen tief greifenden Industriewandel nach sich ziehen konnte. 3.2.3
Ökonomische Treiber – Automobilhersteller
Betrachten wir die Konsolidierung auf der OEM-Seite, um ein Gesamtbild der wesentlichen Player zu gewinnen.
3.2
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
49
Abb. 13. Zusammensetzung der größten OEMs
Bei den OEMs wird die automobile Wertschöpfung heute von etwas mehr als zehn Konzernen bestimmt. Der Markt ist hier also schon enger als auf der Lieferantenseite mit ca. 40 bis 50 wesentlichen Herstellern. Die größte Zahl an Unternehmen gab es in den 20er Jahren. Viele Unternehmen stiegen auf den Zug der Industrialisierung und Motorisierung auf und partizipierten. Auch damals waren es, wie heute zu Beginn der dritten Revolution, die hohen Anforderungen, die zu einer Konsolidierung
50
3
Die Treiber der dritten Revolution
des Marktes führten. Nicht alle Unternehmen konnten die hohen Anfangsinvestitionen bewältigen, vor allem bezüglich der Produktionseinrichtungen. Daraufhin kam es bis zum heutigen Zeitpunkt zu einer kontinuierlichen Reduktion der Zahl von Unternehmen am Markt. Der Markt wird allerdings auch durch neue Player bereichert, insbesondere aus dem chinesischen Raum. Diese sind zwar zum heutigen Zeitpunkt nicht wettbewerbsfähig, was jedoch keine Rolle spielt. Aufgrund des unglaublichen Eifers von Chinesen und ihrer anerkannten Führerschaft im schnellen Lernen werden ihre Produkte besser und schließlich wettbewerbsfähig werden. Viele chinesische Anbieter sind auf der Suche nach westlichen Technologiepartnern, die ihnen bei dem Markteintritt in Europa und in den USA behilflich sein werden. Setzen sich die derzeitigen Entwicklungen fort, so ist davon auszugehen, dass Unternehmen wie Landwind bis zum Jahr 2011 Fahrzeuge präsentieren werden, die auch in den Triade-Märkten wettbewerbsfähig sind. Die sinkende Zahl von Unternehmen auf der OEM-Seite beruht hauptsächlich auf Konzernverflechtungen. Was demgegenüber nicht stattfindet, ist eine Reduktion der Markenvielfalt in der Automobilindustrie. Sicherlich stehen viele Marken auf dem Prüfstand, dafür kommen jedoch auch neue hinzu. Der bisherige Konsolidierungsprozess ist letztlich mit einer Ausdehnung der Markenvielfalt einhergegangen. Bei neuen Marken handelt es sich einerseits um völlig neue Marktteilnehmer. Ganz im Sinne von Porters „five forces“ haben wir es in der jüngeren Vergangenheit mit einer hohen Zahl an „potential entrants“ zu tun gehabt, die ihr Potenzial ausschöpfen wollen. Koreanische Hersteller oder die eben erwähnten chinesischen OEMs sind Beispiele dafür. Andere Marken erleben eine Renaissance und leben wieder auf. Meist handelt es sich um Marken, deren Glanzzeit in der Vergangenheit liegt. Ihr Image und ihre Bekanntheit werden genutzt und mithilfe massiver Marketingbudgets mit einer modernen Interpretation versehen. Maybach oder Mini sind hierfür Beispiele. Ein solches Wiederaufblühen ist in naher Zukunft sicher auch für weitere Marken denkbar. Grundsätzlich haben die OEMs erkannt, dass eine Vielfalt klar abgegrenzter Markenportfolios dem Verlangen der Konsumenten entgegenkommt. Einige OEMs wie GM haben hier noch massive Probleme, da einzelne Marken nicht authentisch sind. Daewoo wird plötzlich zum „Chevy“. Viel weiter können Marken eigentlich nicht auseinander liegen, aber vielleicht hat die Strategie Erfolg. Worin besteht der Unterschied zwischen Buick, Dodge und Chevrolet? Doch es sind nicht nur amerikanische OEMs, die hier Schwierigkeiten haben. Seat, Lancia und Smart sind
3.2
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
51
weitere Marken anderer Konzerne, die klarer positioniert werden müssen. Diese Beispiele zeigen, dass die OEMs derzeit die Identität ihrer einzelnen Marken noch nicht richtig im Griff haben. Diese Aufgabe ist Tagesordnungspunkt Nummer eins und wird Tag für Tag wichtiger. Die jeweilige Marke des OEM wird in Zukunft eine noch wesentlich bedeutendere Rolle spielen, als sie es ohnehin bereits tut. Das Wichtige ist hierbei eine klare Differenzierung gegenüber Wettbewerbern. Eine Marke muss eine eindeutige Botschaft vermitteln, um langfristig am Markt Bestand zu haben. Eine verwässerte Marke wird in Zukunft nicht mehr das Vertrauen der Kunden erlangen können. Eine klare Abgrenzung und Markenbotschaft für den Endverbraucher wird ein Garant für den Erfolg sein und betriebswirtschaftlich für langfristige Profitabilität sorgen. Abbildung 14 macht die Positionierungsproblematik deutlich, der die Marken ausgesetzt sind. Premium-Marken drängen vermehrt in niedrigere Fahrzeugsegmente. Wurde Premium zeitweise mit bestimmten Fahrzeugklassen verbunden und von ihnen definiert, so haben es einige OEMs geschafft, den Begriff „Premium“ von der Größe oder dem Fahrzeugsegment zu abzukoppeln.
Abb. 14. Herausforderungen für die OEMs bei der Markenpolitik
52
3
Die Treiber der dritten Revolution
Premium is not size! Premium definiert sich heute vielmehr über einen Mehrwert, der einen Preisaufschlag erlaubt. Sind Konsumenten dazu bereit, für eine Marke mehr zu zahlen als das, was sie mit ihren bloßen Produktleistungen verkörpert, spricht man von „Premium“. Dies kann sogar dazu führen, dass ein Premium-Fahrzeug einen etwas höheren Preis hat als ein Nicht-Premium-Auto, jedoch gemessen an den rational nachvollziehbaren Kriterien das deutlich schlechtere Fahrzeug ist. Der daraus resultierende Druck wird weiterhin steigen. Die Premiumhersteller dehnen ihre Produktpaletten konsequent aus. Mini wird in Zukunft weitere Derivate anbieten, BMW wird mit Kombi, Coupé und Cabrio mindestens drei weitere Varianten des 1er zeigen und auch bei der AKlasse von Mercedes sind weitere Varianten denkbar. Auch Volvo hat sich mit dem C 30 entschieden, in den Markt für kleine Premiumfahrzeuge vorzustoßen Von der anderen Seite drängen asiatische und osteuropäische Marken. Japanische Marken sind bereits eine feste Größe im Markt, jedoch gewinnen sie insbesondere in Europa zunehmend an Boden und Marktanteilen, da ihre Produktleistung immer besser wird. Die Qualität japanischer OEMs ist bisher unerreicht. Der Fokus der Markterschließung liegt dagegen insbesondere auf den koreanischen OEMs. Hyundai / Kia verzeichnen Wachstumsraten im zweistelligen Bereich. Dies liegt daran, dass es sich hierbei nicht nur um preiswerte Automobile handelt, sondern dass die Unternehmen auch bei Qualität und Design ihre Hausaufgaben gemacht haben. Beim Fahrzeugaußendesign haben sie mittlerweile aufgeschlossen und entwickeln derzeit als konsequenten nächsten Schritt eine eigene Designlinie. Toyota als japanischer OEM hat diesen Prozess bereits abgeschlossen. Neben koreanischen und japanischen OEMs drängen chinesische OEMs in den Markt. Die wesentlichen Aspekte dieser Entwicklung hatten wir bereits erläutert. Auch wenn einige diese Marktteilnehmer heute noch belächeln, wird sich dies wie schon zuvor bei Japanern und Koreanern ändern. Sie werden sich als feste Größe im Markt etablieren und zunächst einen erheblichen Druck auf koreanische OEMs ausüben. Dacia als osteuropäische Marke wird bereits als Erfolgsstory gefeiert. Probleme haben vor allem solche OEMs, die von beiden Seiten unter Druck stehen und in unserer Grafik in der Mitte stecken. Für diese Unternehmen wird eine klare Markenpositionierung wichtiger denn je! Manche der gezeigten Marken sind hier auf dem richtigen Weg, andere nicht.
3.2
3.2.4
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
53
Ökonomische Treiber – Lieferanten
Schauen wir uns nun die Situation auf der Lieferantenseite an: Die Wende, die zur Revolution führt, liegt darin, dass vor allem die größten der Lieferanten an Aufgaben, Umsatz und Einfluss gewinnen werden. Dieser Zuwachs hat ein solches Ausmaß, dass sie eine völlig neue Rolle in der Gesamtwertschöpfung erhalten und sich dadurch auf der anderen Seite neue Aufgaben und eine neue Rolle des OEM ergeben werden. Die Revolution wird durch wachsenden Einfluss der führenden Lieferanten bestimmt. Dieser Einfluss ergibt sich aus ihrer Innovationskraft und den Produkteinflüssen, die sie insgesamt mit ihrem Portfolio abdecken können. Werfen wir daher einen Blick auf die 20 größten Lieferanten. Welche von ihnen werden die Motoren der dritten Revolution sein? Position 2006
Firma
Umsatz 2006 in Mrd. USD ($)
1
Bosch
32,76
2
Denso
27,85
3
Delphi
25,02
4
Magna
22,81
5
Bridgestone
22,00
6
Johnson Controls
21,76
7
Michelin
19,02
8
Goodyear
18,93
9
Aisin Seiki
18,41
10
Lear
17,09
11
Visteon
16,47
12
Continental
16,28
13
Faurecia
13,67
14
ThyssenKrupp
13,61
15
Siemens (VDO + Osram)
12,87
16
TRW Automotive
12,64
17
Valeo
12,37
18
ZF Group
11,85
19
Yazaki
9,02
20
ArvinMeritor
8,90
Abb. 15. Top 20 globale Lieferanten (Automobil Produktion 2007)
54
3
Die Treiber der dritten Revolution
Man kann sagen, dass die Top 20 der weltweit agierenden Lieferanten auf der Tier-1-Ebene nahezu alle Bereiche abdecken. Wir gehen davon aus, dass sich die kommende Revolution von der Tier-1-Ebene her entwickeln wird. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir darauf ausführlich eingehen. Die dargestellten Unternehmen teilen bereits heute den Tier-1-Markt nahezu vollständig unter sich auf. Eine weitere Konsolidierung wird die Situation zuspitzen und den Markt verdichten. Neben diesen großen Unternehmen müssen auch andere Firmen, die sich durch ein besonderes Maß an Innovationskraft auszeichnen, berücksichtigt werden. Diese ist im Konsolidierungsprozess wichtiger als die reine Unternehmensgröße. Produktinnovationsführerschaft ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Eine Innovationsführerschaft ist stets mit massivem Investment verknüpft, weshalb es auf der anderen Seite viele Unternehmen gibt, die diesem Trend nicht folgen. Unter ihnen finden sich „fast follower“ oder einfach nur „follower“, die durch ihre Prozesseffizienz eine Innovation bzw. ein Produkt zu bisher nicht da gewesenen Kosten produzieren und zu entsprechend günstigen Preisen verkaufen können. Zu diesem Zeitpunkt verlassen die Innovatoren in der Regel bereits das Spielfeld, da sie ihren Monopolgewinn schon abgeschöpft haben. Innovationen entwickeln sich von Schrittmacherleistungen weiter in Richtung des Standards. Der Lebenszyklus von Innovationen spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich kann man drei Arten der Innovation unterscheiden. Wie auf einer Treppe fallen Innovationen von der Schrittmacher- zur Schlüsselleistung herab, um letztlich „unten“ beim Standard anzukommen. Eine Schrittmacherleistung ist eine herausragende Innovation, die Auswirkungen auf die gesamte Industrie hat. Die Investitionen des Anbieters in diese Technologie sind in der Regel sehr groß, ebenso wie seine Returns. Der Innovator hat es geschafft, eine Invention (Erfindung) zu vermarkten und schöpft dabei Monopolgewinne ab. Kein anderes Unternehmen ist im Stande, ihm kurzfristig Paroli zu bieten. Ein wirksames Patentmanagement ist auf dieser Ebene von hoher Relevanz. Die folgende typische Stufe der Innovation ist die der Schlüsselleistung. Noch immer können sich Anbieter mit dem Produkt am Markt profilieren. Die Gewinne sind im Vergleich zur Schrittmacherleistung allerdings bedeutend geringer. Bezeichnend für diese Phase ist in der Regel der umfassende Einsatz von Marketinginstrumenten. Fast Follower versuchen sich mithilfe des Produkts im Markt zu differenzieren. Der letzte Schritt im Stufenmodell der Innovation ist der Übergang zum Standard. Das Produkt stellt zu diesem Zeitpunkt streng genommen keine
3.2
Erneuerungen im ökonomischen Umfeld (economic)
55
Innovation mehr da. Unternehmen, die in dieser Phase auftreten, müssen sich insbesondere durch Prozessinnovationen im Wettbewerb auszeichnen, da die ohnehin geringe Zahlungsbereitschaft der Konsumenten im Verlauf der genannten Phasen abnimmt. Zur Verdeutlichung des Lebenszyklus von Innovationen betrachten wir den Airbag und die Benzindirekteinspritzung: Die Marktdurchdringung des Airbags dauerte ca. 20 Jahre. Nachdem das Produkt bei Mercedes-Benz erstmals in die Serienproduktion eingeführt wurde, war es zunächst ein aufpreispflichtiges Extra in der Oberklasse. In den neunziger Jahren entdeckten andere Hersteller wie Ford die Technologie für sich und versuchten sie als Qualifizierungsmerkmal in ihren Fahrzeugen einzusetzen. Bei der Markteinführung des Ford Mondeo wurde der serienmäßige Doppelairbag als wesentliche Innovation hervorgehoben. Ab dem Jahr 2000 stellte der Airbag keine Besonderheit mehr dar. Jedes in Deutschland zugelassene Fahrzeug hat mehrere an Bord. Bei der Benzindirekteinspritzung sieht die Situation anders aus: Das erste Fahrzeug mit dieser Technologie war ein Gutbrod. Kurz darauf folgte der Mercedes-Benz 300 SL als populärerer Innovationsträger. Nach einigem Auf und Ab führten erst Mitsubishi und anschließend VW die Technologie in einem Großteil ihrer Fahrzeugflotten ein. Der Übergang von der Schrittmacher- zur Schlüsselleistung dauerte hier ca. 45 Jahre. Als Commodity kann die Innovation selbst heute noch nicht eingestuft werden, da viele Hersteller das Prinzip beim Ottomotor noch nicht einsetzen. Innovationen unterliegen dabei immer einem Risiko. Nicht alle Produkte werden zu Standards in der Automobilindustrie. Die hohen Anfangsinvestitionen einer Schrittmacherleistung müssen daher überkompensiert werden. Manche Innovationen wie bestimmte integrierte Fahrzeugbedienkonzepte haben sich als wenig erfolgreich erwiesen. Auch überdimensionierte Spracherkennung muss eher als Flop bezeichnet werden. Andere Innovationen wie Einparkhilfen, Stabilitätsprogramme oder beheizte Sitze waren hingegen außerordentlich erfolgreich. In Zukunft wird die Herausforderung des Innovationsmanagements darin liegen, Innovationen erfolgswahrscheinlicher zu machen. Wenn kein direkter Mehrwert für Konsumenten erkennbar ist, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit kritisch. Man kann also auf der Lieferantenseite ähnlich wie auf der OEM-Seite zwei gegensätzliche Entwicklungen festhalten: Einerseits etablieren sich Lieferanten, die sich durch Innovationsführerschaft auszeichnen. Auf der anderen Seite finden wir Unternehmen, die eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur bei Standards bzw. Schlüsselleistungen haben. Auch hier gibt es ähnlich wie auf der OEM-Seite Unternehmen, die keine klare Positio-
56
3
Die Treiber der dritten Revolution
nierung haben. Diese wird jedoch notwendig werden, um sich am Markt differenzieren zu können. Die Konsolidierungsgefahr für Lieferanten ohne langfristige Produktstrategie ist sehr groß. Fest steht, dass sich nach der Phase des Wachstums und der Konsolidierung eine weitere Phase ergeben wird, bei der die Spezialisierung und Fokussierung der Unternehmen im Vordergrund steht. Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen werden sich unterschiedliche Geschäftsmodelle im Wettbewerb ergeben.
3.3 Ein neues soziales Umfeld (social) 3.3.1
Einführung
Für uns ist es entscheidend, dem Leser einen Überblick über die wesentlichen sozialen Trends zu bieten und ihre Auswirkungen auf die Industrie zu skizzieren. Wir versuchen dabei die Trends zu bündeln, sie also gewissen Kategorien zuzuordnen. Der Konsument steht dabei im Mittelpunkt unserer Betrachtung. In Abbildung 16 ist eine Trendübersicht dargestellt. Übergreifende soziale Trends
Mein Auto als Lebensbereich
Mein Auto als Arbeitsbereich
Mobilität
Harmonie und Gesundheit
Wissen
Demographie
Freizeit
Arbeitszeit
Urbane Lebensräume
Emotionen
Karriere
Preissensibilität
Nervenkitzel
Hybride Konsumenten
Auto als Ausdruck der Persönlichkeit
Individualisierung
Abb. 16. Konsumententrends in der Automobilindustrie
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
57
Bei allen bisherigen Trendanalysen der Industrie wird meist von verschiedenen Einzeltrends ausgegangen. Die jeweiligen einzelnen Trends stehen nebeneinander, in den meisten Fällen mit gleicher Bedeutsamkeit. Alle wirken sich in gleichem Maße auf die Gesellschaft aus und führen zu Veränderungen. Grundsätzlich folgen wir diesem Gedanken, passen ihn jedoch der Automobilindustrie an. Für die Zukunft der Automobilindustrie halten wir drei unterschiedliche Arten von Konsumententrends für entscheidend: Familie, Arbeit und übergreifende soziale Trends (vgl. Abb. 16). Diese Einteilung macht sie für die Marktakteure auf OEM- und Lieferantenseite leichter greifbar. Sie können sich dadurch mit ihren Produkten, Services und Dienstleistungen besser an den Trends ausrichten. Konsumenten lassen sich heute nicht mehr ausschließlich einzelnen Trends zuordnen, sondern zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch alle Trends gleichzeitig beeinflusst werden. Daraus ergibt sich ein im Tagesverlauf häufiger wechselndes Verhalten. Dieses Phänomen kennzeichnen wir im Folgenden mit dem Begriff des hybriden Konsumenten. 3.3.2
Übergreifende soziale Trends
Mobilität Eine für die Automobilindustrie wesentliche Gegebenheit ist das Bedürfnis nach Mobilität. Dieser Trend existiert bereits seit langem und wir gehen davon aus, dass sich der heute bereits erreichte Ausbau von Mobilität in Zukunft noch weiter fortsetzen wird. Es ist davon auszugehen, dass weder die Kosten für Mobilität, noch der Mobilitätsgrad allgemein sinken werden. Die Anzahl der Personenkilometer wird in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen. Eines ist ganz klar: Die individuelle Mobilität wird sich trotz des bereits heute hohen Niveaus in den kommenden Jahren weiterhin verbessern. Dies gilt nicht nur für die Industrienationen, sondern auch für Entwicklungsländer, wobei es einige Zeit in Anspruch nehmen wird, bis sie dort auch den Durchschnittsbürger erreicht hat (World Business Council 2004). Mobilität ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor in modernen Gesellschaften. Menschen wechseln häufiger ihre Arbeitsstätte und nehmen längere Wege zur Arbeit auf sich als früher. Letztlich verbringen sie mehr Zeit im Automobil, sei es im beruflichen oder im privaten Umfeld. Im privaten Bereich erfreuen sich Reisen mit dem Auto einer immer größeren Zustimmung. Insgesamt steigt die Verkehrsdichte.
58
3
Die Treiber der dritten Revolution
Wir hatten aufgezeigt, dass politische Regelungen und Ressourcenprobleme zu kontinuierlich steigenden Mobilitätskosten für die Konsumenten geführt haben. Um dies zu kompensieren, gewinnen beispielsweise bei der Wahl des Urlaubsziels inländische Ziele an Beliebtheit und damit das Automobil als entsprechendes Transportmittel. Mobilität ist nicht mehr aus unserer Gesellschaft wegzudenken und wir gehen davon aus, dass die Kosten in Zukunft drastisch steigen werden. Dies wird kaum hemmende Auswirkungen auf den automobilen Bereich haben, da Mobilität als zwingender Faktor einzuschätzen ist. Andere Segmente werden die hier steigenden Kosten durch einen Minderkonsum kompensieren müssen. Das Mobilitätsverhalten von Konsumenten wird sich in Zukunft allerdings deutlich von der heutigen Situation unterscheiden. Hierbei muss sich das Automobil behaupten, da vielschichtige Umweltaspekte der individuellen Massenmobilität entgegenstehen. Es wird neue Möglichkeiten im Massentransport geben, die um ein Vielfaches effizienter sind als heutige Lösungen. Der Verkehrsfluss an sich wird durch neue Kommunikationstechnologien und eine Vernetzung der Fahrzeuge miteinander neue Dimensionen erlangen. Insgesamt wird die Anzahl der Fahrzeuge trotz zunehmender Effizienz im Massentransport steigen, ganz einfach wegen der zunehmenden Industrialisierung, die den Motorisierungsgrad steigen lässt, auch dort, wo er sich bereits heute auf einem hohen Niveau bewegt. Gleichzeitig wird Mobilität immer kostenintensiver werden, was zu einem bewussteren Umgang mit ihr führen wird. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden bedachter als heute eingesetzt werden, was positive Auswirkungen auf die Mobilitätseffizienz – wenn man es so nennen möchte – haben wird. Mobilität steht über allen Dingen. Sie ist der Motor und die treibende Kraft der gesamten Industrie. Wir fassen sie daher als Ausgangspunkt der Trendanalyse auf, da sich ohne den Treiber der Mobilität wesentlich geringere Auswirkungen der anderen Trends ergeben würden. Wichtig für OEMs und für Lieferanten ist, dass das Auto zunehmend mehr Aufgaben erfüllen muss. Mit zunehmender Mobilität ergeben sich sowohl hinsichtlich der privaten als auch der beruflichen Bedürfnisse neue Funktionen. Dementsprechend haben wir eine Strukturierung der Trends gemäß diesen beiden wesentlichen Lebensbereichen vorgenommen. Diese Zuordnung erlaubt sowohl Lieferanten als auch OEMs, sich besser auf die Einstellungen und Entwicklungen von Konsumenten auszurichten. Letztlich sind es die Innovationen der Unternehmen, die die Trends aufgreifen und durch Technologie interpretieren. Auch aus diesem Grund sind Tech-
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
59
nologietrends auf einer anderen Ebene angesiedelt als Lebens- und Arbeitsbereichsentwicklungen. Demografie Betrachtet man die Veränderungen der Alterspyramide, so muss man zwischen verschiedenen Wirtschaftsregionen unterscheiden. Vor allem zwischen Industrienationen, Nicht-Industrienationen und Nationen mit einem starken wirtschaftlichen Wachstum gibt es diametrale Gegensätze. In Nicht-Industrienationen erreichen teilweise 40 Prozent der Neugeborenen nicht das 18. Lebensjahr und nur sehr wenige Menschen werden über 60 Jahre alt. Werfen wir demgegenüber einen Blick auf Alterspyramiden in Deutschland, die in ähnlicher Form für weitere Industrienationen gelten (Statistisches Bundesamt 2006): Bereits 1999 konnte nicht mehr von einer Pyramide gesprochen werden, im Gegensatz zur Prognose für das Jahr 2050. Dort zeichnet sich langsam wieder eine Pyramidenform ab, allerdings auf den Kopf gestellt. Die Menschen leben einerseits immer länger und andererseits sinkt die Geburtenrate. Die Automobilindustrie wird auf diesen Trend reagieren und entsprechende Technologien bereitstellen. Das Bedürfnis von Senioren, auch im hohen Alter selbst das Steuer in die Hand zu nehmen, wird im Vergleich deutlich steigen. Zwar werden weitere Fortschritte in der Medizin dafür Jahre 100
1910
1999
2050 (Prognose)
80
60
40
20 0 2,5
1
0
1
2,5 2,5
1
0
Linke Seite der Pyramide:
Männer
Rechte Seite der Pyramide:
Frauen
1
2,5
2,5
1
0
1
2,5
Prozent
Abb. 17. Alterspyramide Deutschland (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2006)
60
3
Die Treiber der dritten Revolution
sorgen, dass ein 70jähriger im Jahr 2050 eine bedeutend bessere körperliche Verfassung haben wird als ein 60jähriger heute, doch werden Reaktionszeit, Verständnis von Technologien, Umsichtigkeit, Progressivität oder das allgemeine Einschätzen von Situationen auch in der Zukunft bei älteren Menschen schlechter sein als bei jungen. Diese Thematik kann man unter dem Stichwort „Silberne Revolution“ zusammenfassen. Die Menschen werden älter und sind auch im hohen Alter noch sehr aktiv. Verbunden mit der Einkommensstruktur und der für den Konsum zur Verfügung stehenden Zeit stellen sie eine bedeutende Konsumentengruppe dar, die derzeit zu wenig beachtet wird. Autos und Technologien müssen sich dieser Situation anpassen. Einfachheit und intuitive Bedienung sind hierbei von essenzieller Bedeutung. In Kombination mit dem von uns dargestellten Technologietrend der Vernetzung verschärft sich die Situation natürlich. Vernetzung ist grundsätzlich mit einer erhöhten Komplexität verbunden und nicht mit Einfachheit. Die Kunst und Herausforderung wird darin liegen, hoch komplexe Zusammenhänge in einem für den Konsumenten unsichtbaren Bereich abzustimmen und die Schnittstelle zum Nutzer völlig neu zu gestalten. Fest steht, dass Innenraumlösungen in ihrer heutigen Form nicht mehr Bestand haben werden. Vor allem für Lieferanten tun sich aufgrund der Veränderungen der Alterstruktur und des Drangs zu Einfachheit und Vernetzung neue Chancen auf. Urbane Lebensräume Das Wachstum von Städten war in den vergangenen Jahren sehr stark ausgeprägt. Dieses Wachstum und der damit verbundene Trend der Urbanisierung wird sich in Zukunft weiter fortsetzen. Klassische Metropolen wie Tokio oder New York werden weiterhin steigende Einwohnerzahlen verzeichnen, jedoch wird das Wachstum hier voraussichtlich niedriger ausfallen als früher. Urbanisierung spielt sich nicht mehr vornehmlich in klassischen Metropolen ab, sondern in neuen Städten und Besiedlungsgebieten. Diese Verlagerung bedeutet einen erneuten Zuwachs der urbanen Bevölkerung. Im Jahr 2007 werden erstmals mehr Menschen in urbaner als in ländlicher Umgebung leben. Mit ca. 95 Prozent wird nahezu das gesamte wirtschaftliche Wachstum in Städten stattfinden, die in Entwicklungsgebieten liegen. Neben so genannten Megastädten werden Menschen in diesen Regionen vor allem in kleine Städte mit weniger als einer Million Einwohnern abwan-
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
61
Millionen
30 25 20 15 10 5 0
2015 Prognose
1960
1975
2000
Tokyo
11
19,8
26,4
27,2
Mexico City
4
10,7
18,1
20,4
13,5
15,9
16,7
17,9
New York
Abb. 18. Entwicklung der Einwohnerzahlen klassischer Metropolen (Un-Habitat 2006)
dern. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der urbanen Bevölkerung in Städten mit weniger als 500.000 Einwohnern. Obwohl die Hauptwanderung der Bevölkerung in urbanen Ballungsgebieten stattfinden wird, erlangen neue Megastädte zunehmende Relevanz. Als Beispiel dafür gilt Shanghai. Im Jahr 1990 lebten im Kernteil der Stadt ca. 7,6 Millionen Menschen im Vergleich zu 9,2 Millionen nur 15 Jahre später. Bezieht man die Außenbezirke der Stadt mit ein, summiert sich die Einwohnerzahl auf ca. 18,1 Millionen. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Wachstum hat der neu geschaffene Stadtbezirk Pudong geleistet. Hier findet sich ein Technologie- und Finanzzentrum der Stadt. Innerhalb nur weniger Jahre wurde durch die Stadterweiterung die Einwohnerzahl um mehrere Millionen Menschen erhöht. Weitere Superlative des Stadtteils sind der Oriental Pearl Tower als Asiens höchster Fernsehturm sowie das Shanghai World Financial Center, welches mit 492 Metern Höhe einer der höchsten Wolkenkratzer der Erde ist. Neben diesem Wolkenkratzer existieren derzeit knapp 1000 weitere Hochhäuser und mehr als 100 befinden sich noch im Bau. Abbildung 19 macht die voranschreitende Urbanisierung in unterschiedlichen Regionen deutlich. In Asien werden im Jahr 2010 mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in Städten leben. „Flächenstädte“ spielen
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Die Treiber der dritten Revolution
Urbanisierungsgrad in Prozent 100 80 60 40 20 0
1950 68 Westeuropa Nordamerika 64 43 Südamerika 27 Westasien 15 Afrika
1960 72 70 51 35 19
1970 77 74 60 44 23
1980 79 74 68 52 27
1990 81 75 75 63 32
2000 83 77 80 70 38
2010 84 80 83 75 44
Abb. 19. Voranschreitende Urbanisierung (Mertins 2003)
dabei eine größere Rolle als klassische Metropolen. Ländliche Regionen werden sich in Stadtregionen wandeln und es werden sich vermehrt weitläufige Ballungszentren bilden. Automobile müssen diesem Trend mit flexiblen Lösungen begegnen. Hierbei sind folgende Aspekte entscheidend: Insbesondere bei Megacities mit mehreren Millionen Einwohnern sind Verkehrsprobleme kritisch. Moderne Technologien müssen den Verkehr in Zukunft besser managen. Die vorhandene Verkehrsinfrastruktur muss optimiert werden, um Störungen wie Staus zu vermeiden. Das Fahrzeugangebot trifft in einem begrenzten Raum auf eine Vielzahl von Individuen. Automobilsegmente werden sich in diesen Bereichen so verschieben, dass die stadtspezifischen Anforderungen erfüllt werden. Andererseits ist vor allem der Drang nach Individualität in Städten wichtig für die Konsumenten und muss durch automobile Technologie befriedigt werden.
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
63
Preissensibilität Der Trend einer steigenden Preissensibilität zieht sich durch verschiedenste Industrien und Branchen. Produkte werden nur noch in Ausnahmefällen auf der Basis ihrer unverbindlichen Preisempfehlung gekauft; Schnäppchenjäger sind auf dem Vormarsch, völlig unabhängig davon, ob es um Computer, Mode, Urlaub oder Autos geht. Beim Automobil steigen zudem die laufenden Belastungen ständig weiter an. Steuern, Versicherung, Kraftstoffe und hohe Wertverluste sind Momente, die den übergeordneten Drang zu umfassender Mobilität stark beeinträchtigen. Weitere Belastungen werden kaum noch akzeptiert, so dass sich eine zurückhaltende Einstellung gegenüber der für Innovationen üblichen überproportionalen Entlohnung etabliert hat. Innovationen werden immer weniger durch Konsumenten vergütet. Aus technologischer Sicht ist es in Zukunft immer weniger möglich, Monopolpreise zu erzielen, da die Konsumenten weniger bereit sind, für Innovationen zu zahlen. Dieser Trend ist darüber hinaus zunehmend unabhängig vom zur Verfügung stehenden Einkommen. Konsumenten sind kritischer als früher. Innovationen müssen sich im Volumensegment mehr auf rationale und emotionale Mehrwerte des Konsumenten richten. Für die Automobilindustrie bedeutet diese Herausforderung, dass bereits in der Entwicklung die jeweilige Marke berücksichtigt werden muss. Wenn weitere Preissteigerungen nicht mehr möglich sind, so muss die Inputvariable diesen Verlust kompensieren. Die Fahrzeugentwicklung ist dementsprechend bedeutsam. Nissan Toyota
$ 1.603 $ 1.488 $ 1.250
GM
$ 620
DCX Ford
$ 186
Honda
2002
2003
2004
2005
1Q
-$ 2.311
Abb. 20. Profit pro Fahrzeug in Nordamerika (Harbour Report 2005)
64
3
Die Treiber der dritten Revolution
3.3.3
Mein Auto als Lebensbereich
In Zukunft ist das Automobil nicht mehr nur ein reines Fortbewegungsmittel oder Arbeitsgerät. Es ist zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit geworden. Grundsätzlich liegt es auf der Hand, dass Menschen die eigene Persönlichkeit vor allem im privaten Bereich zum Ausdruck bringen; im Beruf sind oftmals andere Verhaltensweisen erforderlich. Wie auch immer die Verteilung von privater und beruflicher Sphäre ausfällt – das Automobil dient nicht nur als Transportmittel im klassischen Sinne, sondern auch der Darstellung der eigenen Persönlichkeit. Es stellt eine Erweiterung des Lebensbereiches und des Arbeitsbereiches dar. Es verlässt den Status des reinen Mittels zum Zweck und wird auf ein höheres Niveau gehoben. Das Auto wird schließlich zu einem verlängerten Selbst des Fahrers. Im Folgenden betrachten wir konkret, was von der breiten Masse gefordert wird und durch die Automobilindustrie erfüllt werden muss. Harmonie und Gesundheit Der Einklang von Körper und Natur steht im Mittelpunkt der aktuellen Lifestyletrends. Die Zeiten des reinen Bodybuildings sind vorbei; heute und in Zukunft spielt Sanftheit eine entscheidende Rolle. Yoga, FengShui, Massagen und allgemeine Wellness sowie schonende Sportarten liegen im Trend. Unter dem Begriff der „Entschleunigung“ entsteht ein Gegenpol zur „rasenden Gesellschaft“. Menschen entdecken sich selbst und ihren Körper und lernen behutsam mit ihm umzugehen. Im Lebensmittelbereich gewinnen Naturprodukte zunehmend an Relevanz. Die Stiftung Ökotest ist ein wichtiger neuer Messindikator geworden. Auch mit sich selbst geht man behutsamer und bewusster um. Zunehmend wird ein erheblicher Anteil der privaten Ausgaben diesen Aspekten gewidmet. Freizeitaktivitäten ändern sich, man versucht zunehmend, ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist zu erreichen. Produkte, die diesen Anforderungen gerecht werden, werden konsumiert: natürliche Mineralwasser, Müsli, Materialoberflächen mit natürlichen Elementen, Einrichtungsgegenstände aus Naturmaterialien wie Stein und Holz, Lebensmittel aus ökologischem Anbau, sanfte Farbtöne, indirekte Lichtquellen, zurückhaltende Geräuschkulissen, runde oder organische Formen und Produkte, die das Wohlfühlen allgemein verbessern. Hier tut sich ein komplett neues Betätigungsfeld für die Automobilindustrie auf. Neben einer direkten Umsetzung durch umweltschonende Technologien wie beispielsweise den Partikelfilter ergeben sich neue Vor-
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
65
bilder. Industrien und Unternehmen wie beispielsweise Küchen-, Bad- oder sonstige Einrichtungshersteller, Lebensmittelproduzenten, Fitnessunternehmen, Kenner asiatischer Lebensformen und Verhaltensweisen, Köche oder Spas bieten völlig neue Impulse für die Automobile der Zukunft. In enger Verbindung mit dem Streben nach Harmonie steht auch der Wunsch nach seelischer Ausgeglichenheit und Sicherheit. Zum Bedürfnis nach Harmonie und Wohlbefinden zählen wir im Weiteren den Trend zu schonenden und umweltfreundlichen Fahrzeugeigenschaften. Gesundheit steht zunehmend im Vordergrund des Konsumenteninteresses. In allen Industrienationen ist ein steigender Anteil der Aufwendungen für Gesundheit zu verzeichnen. Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt dabei nicht mehr auf der Heilung von Krankheiten, sondern auf Prophylaxe. Gesundheitliche Vorbeugung gewinnt insbesondere in denjenigen Bereichen an Bedeutung, in denen der medizinische Fortschritt vielerlei unterschiedliche Heilungsmöglichkeiten bereitstellt. Ärzte werden in Zukunft mehr Beratungsaufgaben übernehmen als heute. Abbildung 21 macht den Unterschied zwischen „neuer“ und „alter“ Medizin deutlich. Autokonzepte müssen sich diesem Trend anpassen, beispielsweise durch den Einsatz von umweltfreundlichen und gesundheitsschonenden Materialien. Auch Innovationen können an diesen Trend anknüpfen. Ideen dafür sind beispielsweise Module zur Reinigung der Luft oder der Einsatz hypoallergener Materialien.
Alte Medizin
Neue Medizin
Institutionsorientiert
Patienten- / Kundenorientiert
Schulmedizin
Komplementär- / FUSION-Medizin
More Care
Managed Care
Versorgungsmedizin
Erlebnismedizin
Krankheitsbilder
Gesundheitspotenziale
Symptom-Medizin
Lebensstil-Medizin
Abb. 21. Entwicklung der Medizin (Zukunftsinstitut 2006)
66
3
Die Treiber der dritten Revolution
Freizeit Eng mit diesen Aspekten verknüpft ist der Trend „Freizeit“. In Industrienationen haben Menschen relativ viel Freizeit zur Verfügung. Auch wenn sich die Arbeitszeit immer weiter ausdehnt, so ist freie Zeit in der Regel an Wochentagen abends und darüber hinaus am gesamten Wochenende vorhanden. Der wesentliche Punkt dabei ist nicht der absolute Umfang der Freizeit, sondern eine gewisse egozentrische Grundhaltung im Umgang mit ihr. Viele Konsumenten unterscheiden insofern nochmals zwischen „Eigen-“ und „Familienzeit“. Freizeit im Sinne von Lebenszeit ist heute wichtiger denn je. Mit zunehmender Industrialisierung steigt unweigerlich auch die Kaufkraft. Dieser Tatsache wird jedoch nicht mit einer Steigung der Sparquote begegnet, sondern mit einer erhöhten Ausgabenrate. Menschen messen der Freizeit eine größere Relevanz zu als bisher. Das Leben wird nicht mehr ausschließlich über die Arbeit definiert, sondern als wertvolle, begrenzte Zeit aufgefasst. Dies wirkt sich natürlich auch auf die Arbeit an sich aus, primär jedoch auf die zur freien Verfügung stehende Zeit. Diese Zeit wird bewusster gelebt. In diesem Zusammenhang hatten wir bereits auf das „Wellness“-Phänomen aufmerksam gemacht. Die Freizeitgestaltung wird intensiviert durch unterschiedlichste Aktivitäten. Mehr und mehr müssen Autos diesen Anforderungen der Konsumenten gerecht werden. Freizeitaktivitäten unterschiedlicher Art fanden bisher nur begrenzt Unterstützung durch Automobile. In jüngster Vergangenheit wird durch den erhöhten Trend zu MPVs, SUVs, Kombis und raumfunktionalen Fahrzeugkonzepten ein erster Schritt in diese Richtung getan. Was noch fehlt, ist eine Steigerung der Variabilität und Flexibilität im automobilen Innenraum in einem bisher noch nicht da gewesenen Umfang. Hier eröffnet sich ein Spielfeld für Lieferanten, da diese insbesondere im Autoinnenraum die maßgeblichen Experten sind. Montags der Großeinkauf, dienstags Squash, donnerstags Saxophonunterricht, freitags Indoorski, samstags Mountainbiking in den Bergen und sonntags der Familienausflug mit sechs Personen – Automobile müssen sich all diesen unterschiedlichen Bedürfnissen anpassen. Sitzvariabilität, hohe Zuladungen, Klappboxen, Gepäckarretiermöglichkeiten, Navigation, Allradantrieb, Luxus, Komfort, Sportlichkeit, Langstreckentauglichkeit, Langlebigkeit, Unempfindlichkeit und natürlich Umweltfreundlichkeit sowie Sparsamkeit im Verbrauch sollen alle gleichermaßen erfüllt werden.
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
67
Emotionen Spiritualität, Authentizität, Klarheit, Experimentierfreude und Rituale spielen im Rahmen der Freizeitgestaltung eine große Rolle. All diese Aspekte drücken sich in einer bisher nicht vorhandenen emotionalen Grundhaltung gegenüber dem Automobil aus. Automobile Emotionen erleben ein Revival. Automobile waren schon immer einer gewissen Emotionalität ausgesetzt. Dabei wurde in der jüngsten Vergangenheit eher die Rationalität vernachlässigt. Genau an dieser Stelle tat sich eine Wettbewerbslücke auf, die Toyota nutzte. Die Wettbewerbsdifferenzierung von Toyota beruhte auf Qualitätsaspekten. Viele andere OEMs hatten diesen Gesichtspunkt zurückgestellt und sich zu sehr auf die emotionale Seite des Automobils verlassen. Nachdem ein Grundstein in Sachen Qualität bei Toyota gelegt war, erfolgt nun eine technologische Differenzierung und somit eine stärkere Emotionalisierung von Marken, wie die Einführung des Prius zeigt. Die Emotionalisierung von Automobilen steht momentan erst am Anfang und erfüllt noch nicht die Bedürfnisse des Marktes. Rituale sind ein Beispiel hierfür: Automobile sind im Jahr 2007 noch nicht im Stande, auf Aspekte wie Rituale einzugehen. Auch hier ist der Blick über den Tellerrand sinnvoll und zeigt, dass nicht immer die Automobilindustrie eine Vorreiterrolle spielt. Rituale sind im Marketing gut anwendbar, beispielsweise in der Badindustrie. Hier wird nicht nur ein Produkt verkauft, sondern eine Emotion! Das Badezimmer wird als Oase der Entspannung und als Ort eines umfassenden Wellnesserlebnisses aufgeladen. Es geht nicht mehr darum, lediglich ein Entspannungsbad zu nehmen. Der Aufenthalt im Bad wird zu einem umfassenden, wiederkehrenden Erlebnis ritualisiert – Musik, Kerzen, der Sekt davor, das Buch währenddessen, der Tee im Bademantel auf der Couch danach. Dem Vorstellungsvermögen sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist, dass die Hersteller ihre Marken auf bisher nicht einbezogene Bereiche ausdehnen. Badaccessoires oder Massageeineinheiten, die direkt mit dem Produkt in Verbindung stehen, werden in das Portfolio aufgenommen. Darüber hinaus wäre es auch vorstellbar, einen Wellnesshotelführer zu etablieren, Wellnesswochen anzubieten, Reisen zu verlosen sowie Lichtdesign, Kerzen, Tee, Sekt oder Bücher zu vertreiben. Das Ritual des Badens bietet den Unternehmen vielerlei Möglichkeiten, ihre Kreativität walten und den Profit steigen zu lassen. Die Automobilindustrie hat diese Optionen noch nicht voll erkannt, doch es ist davon auszugehen, dass sich OEMs und Lieferanten durch derartige
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3
Die Treiber der dritten Revolution
Aktivitäten im Wettbewerb differenzieren werden. Raumkonzepte und flexible Sitze sind noch längst nicht alles! Grundsätzlich stellt das „Brand Stretching“ für Automobilmarken in Zukunft eine wichtige Handlungsoption dar. Der Trend zur Emotionalisierung hat natürlich auch viel mit steigendem Wohlstand zu tun. Doch auch unabhängig davon besteht bei den Konsumenten eine ausgeprägte emotionale Grundhaltung. Intuition, Gefühle und Begeisterung sind Elemente, die eine steigende Unterstützung erfordern. Auch Entscheidungen werden zunehmend emotionalisiert. Emotionales Verhalten hat sämtliche Lebensbereiche ergriffen! Sei es das bewusste Feiern von Festen, das Aufleben von bisher unbekannten Festen und Ritualen (Halloween), das Ausleben von Gefühlsstimmungen, das Sammeln von Erfahrungen, das Ausprobieren von Neuem und Unbekanten oder sei es die steigende Begeisterung für Massensportarten oder das bewusste Erleben von Besonderem: Andersartigkeit steht auf dem Wunschzettel ganz oben. Bezogen auf das Automobil ist Mainstream „out“ und Differenzierung „in“. Bezogen auf das Design kann dies sogar soweit gehen, dass Automodelle nur aufgrund ihrer Andersartigkeit gekauft werden, auch wenn sie vielleicht gar nicht einmal gefallen. Dieses vermeintliche Paradoxon zeigt sich immer mehr in der Automobilindustrie und bei sonstigen Kaufentscheidungen von Konsumenten. In der Zukunft müssen OEMs sich dabei stärker mit den einzelnen Personen im Fahrzeug auseinandersetzen. Emotionen sind nicht nur für den Fahrer, sondern auch für die Mitfahrer wichtig. Die Industrie reagiert derzeit mit einer Emotionalisierung von Marken und Designexperimenten. Selbst Marken wie VW, die bisher eher durch Rationalität glänzten, versuchen eine emotionale Aufladung umzusetzen. Mazda, Nissan, Opel oder Kia sind weitere rationale Marken, die eine Emotionalisierung bereits durchgeführt haben oder dies gerade tun. Selbstverständlich wird sich auch bei diesem Trend eine Differenzierung zeigen. Aus rein ökonomischen Gesichtspunkten macht es wenig Sinn, wenn sich alle Marktteilnehmer auf ähnliche Konsumentenstrukturen fokussieren und ähnliche Markenwerte vertreiben. Nicht jede Marke kann sportlich und dynamisch sein. Einige OEMs springen derzeit auf den fahrenden Zug auf und emotionalisieren massiv, wobei die Rationalität in vielen Fällen auf der Strecke bleibt. Rationalität ist nicht schlechter als Emotionalität, sondern eine gleichwertige Positionierungsstrategie von Automobilmarken. Nur wenige Konsumenten sind daran interessiert, im Alltag hoch emotionalisierte Fahrzeuge zu fahren, die sich durch einen schlechten Wiederverkaufswert, Unpraktikabilität oder geringe Zuverlässigkeit auszeichnen. Diese Fahr-
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
69
Markenbekanntheit
Stufe 1: Bekanntheit: Die Marke muss ins Bewusstsein des Verbrauchers dringen
Markensympathie
Stufe 2: Image / Sympathie: Der Verbraucher soll eine positive Einstellung zur Marke entwickeln
Qualität
Kaufbereitschaft
Besitz / Verwendung
Stufe 3: Qualität
Stufe 4: Kaufbereitschaft
Stufe 5: Besitz / Verwendung
Abb. 22. Kauftrichter (Stern 2006)
zeuge werden von Konsumenten zwar bestaunt, jedoch nicht unbedingt gekauft. Das Beispiel Alfa Romeo zeigt, dass die meisten Konsumenten eine positive Einstellung gegenüber den Fahrzeugen und der Marke als solcher haben, jedoch die Kaufschwelle eine recht hohe ist. Der „Kauftrichter“ ist oben sehr breit und unten verhältnismäßig schmal (vgl. Abb. 22). Da es für die OEMs immer schwieriger wird, sich aus eigener Kraft vom Wettbewerb abzuheben, werden sie nach neuen Strategien suchen müssen, um ihre Marktanteile zu halten bzw. auszubauen. In solchen Fällen sind insbesondere die Leistungsfähigkeiten der Lieferanten gefragt. Für sie bietet sich eine Fülle von Möglichkeiten, ihren Kunden bei der Differenzierung und Positionierung im Wettbewerb zu helfen. Emotionalität wird derzeit primär durch das Außendesign und einzelne Schlüsseltechnologien erzeugt. Der Innenraum von Automobilen bleibt dabei oftmals auf der Strecke. Hoch emotionale Automobile wie BMW zeichnen sich hier durch völlige Nüchternheit aus, die nicht zum Kern der Marke passt. Hier können vor allem Tier-1-Lieferanten proaktiv werden und ihren Kunden Lösungsmöglichkeiten vorstellen. Von ihrer Seite ist ein hohes Potenzial für eine weitere Differenzierung und Emotionalisierung gegeben, das bisher nur stiefmütterlich behandelt wird. Da es die Lieferanten sind, die sich in Zukunft auf diesem Gebiet als Experten ausweisen werden, ist ihr Engagement gefragt. Der Druck wird sich auf der Lieferantenseite auch in der Konzeptphase durch die vermehrte Nutzung von Konzeptwettbewerben erhöhen. Die Industrie löst die Herausforderung des hybriden Konsumenten und der Differenzierung in rational versus emotional derzeit mit einer steigenden Modellvielfalt. Bei der Fahrzeugpositionierung sind Verbrauch, Leis-
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3
Die Treiber der dritten Revolution
Abb. 23. Rationale und emotionale Fahrzeugpositionierungen
tung sowie Interieur- und Exterieurdesign die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale. Abbildung 23 zeigt eine von uns exemplarisch dargestellte Einordnung auf einer entsprechenden Skala. Nervenkitzel Sensation und Nervenkitzel markieren einen wichtigen Konsumtrend. Wir hatten bereits anhand des hybriden Konsumenten gezeigt, dass über den Tagesverlauf hinweg Aktivitäten unterschiedlichster Art stattfinden. Bei diesen Aktivitäten wird Nervenkitzel ein immer wichtigeres Element. Extremsportarten bzw. extreme Erlebnisse wie Fallschirmspringen, Rafting, Canyoning, Freeclimbing, Surfen, Jetski, Kampfsport, Motorsport oder Downhill-Mountainbiking sind Beispiele dafür. Ebenso wichtig wie der „Kick“ an sich ist der Sicherheitsgedanke, der mit ihm unmittelbar verknüpft ist. Konsumenten genießen es, den „Thrill“ zu erleben, und gehen gleichzeitig von einem hohen Maß an Sicherheit aus. Es herrscht eine allgemeine Erwartungshaltung, dass keine Fehler passieren und keinerlei ernsthafte Gefahr besteht. Dieser Trend ist besonders in Industrienationen zu finden, da die genannten Aktivitäten oftmals mit hohen Kosten verbunden sind. Darüber hinaus hängt er damit zusammen, dass Menschen in diesen Ländern im Arbeitsalltag weniger körperliche Aktivitäten ausführen und auch sonst wenig Nervenkitzel, sondern eher Langeweile haben. Gehen wir wieder einen Schritt weiter und schauen uns die entsprechenden Produkte und ihre Charakteristika an, so zeigt sich folgende Grundtendenz: Geschwindigkeit ist ein bedeutsamer Faktor. Der Konsum wird schnelllebiger und Konsumenten bevorzugen jegliche Verknüpfung von
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Ein neues soziales Umfeld (social)
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Produkten mit Geschwindigkeit. Multimedia oder Spielkonsolen entsprechen diesem Wunsch auf ideale Weise und sind gleichzeitig gute Beispiele für den erwähnten Trend zum „sicheren Thrill“. Im Blick auf Autos stehen ganz klar Kraft, Geschwindigkeit und Dynamik der Fahreigenschaften im Vordergrund. Eine hohe Leistungsfähigkeit des Motors und Formen, die Action, Fun oder Sport verkörpern, sind gefragt. Gleichzeitig muss das Fahrzeug Robustheit und Sicherheit vermitteln und die Möglichkeit bieten, über das Normalmaß hinaus Grenzen auszuloten. Das Fahrzeug ist dabei immer Herr der Lage und die Grenze wird nicht durch die Technologie, sondern durch den Fahrer bestimmt. Genau hierin ist der enorme Erfolg von SUVs begründet. Diese Fahrzeuge müssen robust aussehen und über Allradantrieb verfügen, obwohl sie fast nie in entsprechendem Gelände gefahren werden. Vernetzung und Einfachheit Eine umfassende Vernetzung von einzelnen Technologien, Produkten und Anwendungen im automobilen Innenraum kann zu einem überproportionalen Nutzen führen. Telefonieren alleine stellt beispielsweise bereits einen Nutzen dar, doch eine deutliche Erhöhung des Nutzens wird dadurch erreicht, dass das Telefon mit einem Head-up-Display verknüpft wird und wesentliche Schlüsselwörter des Gesprächs für den Nutzer einblendet. Über das Internet kann dann nach Synonymen oder Begriffserklärungen gesucht werden oder – noch interessanter: Es können vollautomatisiert relevante Informationen zusammengetragen werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Eine umfassende Vernetzung verschiedenster Systeme, Module oder Komponenten befindet sich derzeit im Aufbruch. Industriestandards und der Kampf um sie sind dabei ein wichtiger Gesichtspunkt. Nicht nur die Vernetzung im Fahrzeug stellt einen wichtigen technologischen Trend dar, sondern auch die Vernetzung zwischen Automobilen. Verschiedene Konsortien arbeiten daran, entsprechende Vorstellungen umzusetzen. Vernetzung baut dabei v.a. auf den beiden Prinzipien Einfachheit und Sicherheit auf. Die Kommunikation zwischen Fahrzeugen bietet eine Fülle von Vorteilen. Beispiele dafür sind eine bessere Straßenauslastung durch vernetztes Verkehrsmanagement, Warnungen vor Gefahrensituationen oder aktive Eingriffe der Elektronik in die Fahrzeugsteuerung. Steigende Motorisierung, steigende Bevölkerungszahlen, Knappheit von Straßen sowie wachsende Komfort- und Sicherheitsansprüche unterstützen den Technologietrend der Vernetzung.
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Die Fahrzeuge werden in Zukunft miteinander „kommunizieren“ können: Vorausfahrende Fahrzeuge melden Stau- oder Straßenzustandsinformationen an den nachfolgenden Verkehr weiter. Dadurch können Unfälle und Staus nachhaltig reduziert werden. Die Anwendungsmöglichkeiten einer solchen Kommunikation sind sehr vielfältig und gehen über die „Car 2 Car“-Kommunikation hinaus. Denkbar sind beispielsweise auch eine „Car 2 Home“- oder eine „Car 2 Service“Kommunikation. „Car 2 Home“ kann bedeuten, dass Prozesse im Haus bei der Ankunft automatisiert eingeschaltet werden oder Innenraumüberwachungen des Hauses an Fahrzeuge weitergeleitet werden. „Car 2 Service“ bietet ebenfalls große Potenziale. Hotel- und Flugbuchungen oder Restauranthinweise können ausgetauscht werden. Die Kunst in der Vernetzung liegt darin, die Schnittstelle zum Verbraucher so zu gestalten, dass eine intuitive Bedienung möglich ist. Einfachheit ist hier der entscheidende Schlüssel. In den 80er und 90er Jahren kamen viele Produkte mit einer hohen Anzahl von Funktionen auf den Markt. Fernbedienungen von Videorecordern oder Hifi-Systemen sind Beispiele dafür. Mit zunehmenden Innovationen stehen viele Unternehmen vor der Aufgabe, ihre Produkte für Konsumenten leichter zugänglich und besser bedienbar zu gestalten. Der Drang zur Einfachheit stellt dabei eine Reaktion des Konsumenten auf die hohe Produktkomplexität dar. Auch die Automobilindustrie steht vor der großen Herausforderung, eine steigende Anzahl technologischer Funktionen benutzerfreundlich bereitzustellen. Dabei muss der Wert der Innovation für Konsumenten nachvollziehbar sein. In der Zukunft werden neue Bedienkonzepte notwendig werden, die sich individuell an die Konsumenten anpassen lassen und jedem eine möglichst intuitive Bedienung ermöglichen. 3.3.4
Mein Auto als Arbeitsbereich
Wir haben gesehen, welche Relevanz die Anforderungen von Konsumenten an ihr Auto als Freizeitobjekt für künftige Entwicklungen haben werden. Obwohl die Freizeit immer wichtiger wird, ist auch die Arbeitszeit nicht zu vernachlässigen. Arbeit ist eines der kostbarsten Güter in der modernen Gesellschaft, auch in Industrienationen. Sie dient einerseits dazu, neben den Grundbedürfnissen die Freizeit und Selbstverwirklichung im gesamten privaten Bereich zu finanzieren, und andererseits stellt sie selbst einen Raum zur Selbstverwirklichung dar. Insofern ist der Arbeitsbereich enorm wichtig und darf nicht unterschätzt werden. Das Automobil dient heute schon für einen kleinen Teil der Käufer als wertvolle Unterstützung dieses Bereichs und wird dies in Zukunft noch deutlich stärker tun.
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
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Wissen Wissen spielt grundsätzlich eine sehr wichtige Rolle, da es immer mehr zum differenzierenden Faktor in der Arbeitswelt wird. Wissen unterstützende Produkte werden in Zukunft immer mehr Erfolg haben. Das Automobil bietet hier eine Plattform, auf der vielerlei Dinge vorstellbar werden. Konsumenten wollen die Zeit im Auto möglichst effektiv nutzen, sich unter Umständen schon während der Fahrt auf Besprechungen vorbereiten, eine Sprache lernen, Konferenzen führen oder selbst kreative Ideen generieren. Welche Möglichkeiten sind z. B. für ein „Mind mapping“ im Auto vorstellbar, vielleicht virtuelle dreidimensionale Projektionen per Head-upDisplay? Was bietet uns das Thema Konnektivität, um Wissen aufzubauen bzw. abzurufen? Können Automobile selbst lernen und Gelerntes weiterleiten? Denkbar wären beispielsweise teilintelligente Systeme wie Internetsuchmaschinen, die – verteilt über den Tag – eine Online-Recherche durchführen und dem Fahrer abends eine Präsentation per Head-up-Display vorführen. Auch auf dem Sektor der Bedienung von Automobilen, also der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (HMI), muss sich noch sehr viel tun. Die Bedienung muss so effizient gestaltbar sein, dass das intuitive Verhalten jedes Benutzers zur richtigen Information oder Entscheidung führt. Dazu sind abermals Technologien denkbar, die sich dem Verhalten ihres Benutzers anpassen oder auf sich darauf abstimmen lassen. Moderne Getriebeautomaten gehen einen ersten Schritt in diese Richtung. Auch darüber hinaus gibt es schon viele Technologien, die sich die Verhaltensmuster der Nutzer merken und sich entsprechend anpassen, wie z. B. die T9-Eingabe von SMS. Eine Revolution im Bedienkonzept von Automobilen wird notwendig sein, um den Fahrer von Aufgaben zu entlasten und ihm so die Möglichkeit zu bieten, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Der Themenkomplex Wissen hat daher Bezüge zu sehr vielen verschiedenen Applikationen und bietet für OEMs und Lieferanten ein außerordentlich großes Entwicklungspotenzial. Da wir es im automobilen Innenraum stärker mit den Kompetenzen der Lieferanten als mit denen der OEMs zu tun haben, müssen erstere ihre aktuellen Fähigkeiten und Kernkompetenzen kritisch hinterfragen. In der Zukunft wird es einen massiven Druck vonseiten anderer Industrien geben, die in der Automobilzuliefererindustrie Fuß fassen werden. Serviceunternehmen, Hotelketten, Software- und Elektronikkonzerne, Chemie- und Pharmaunternehmen sowie Medienkonzerne sind Beispiele solcher Unter-
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Die Treiber der dritten Revolution
nehmen, die hier eine Rolle spielen. Welche Marktzusammensetzung sich in der dritten Revolution ergeben wird, werden wir ausführlich diskutieren. Fest steht jedenfalls, dass sich die heutigen Mega-Tier-1 Supplier neu ausrichten müssen, neue Kompetenzen hinzugewinnen müssen und es im Sinne von Porters Five Forces (Branchenstrukturanalyse der fünf Kräfte „Kunden“, „Zulieferer“, „Ersatzprodukte“, „potenzielle Mitbewerber“ und „Rivalität der bestehenden Wettbewerber“) mit vielen potenziellen Konkurrenten zu tun haben werden. Generell muss die Wissensgesellschaft als sozialer Trend in Zukunft viel stärker durch Automobile unterstützt werden, als dies bisher der Fall ist. Arbeitszeit Nicht nur die Freizeit, sondern auch die Arbeitszeit wird zunehmend bewusster geplant. Die Beschäftigten stellen heute viel höhere Ansprüche an ihre Arbeitsaufgaben als früher. Arbeit ist zwar ein Mittel zum Zweck, aber sie soll auch gefallen. Unattraktive Arbeitplätze werden in Zukunft immer weniger Chancen auf Besetzung haben. Hier spielen wiederum Aspekte wie Langeweile und Nervenkitzel sowie ein allgemein verbreiteter Drang zu Veränderungen eine wichtige Rolle. Nach 1000 Tagen wechselt man in der Regel seine Stelle und eine Veränderung steht an. Die traditionelle Konstellation, dass Menschen ihr Leben lang in einem Unternehmen eine einzige Tätigkeit ausüben, ist heute eher die Ausnahme. Wir gehen davon aus, dass die Wechselmentalität und die mangelnde Kontinuität der Beschäftigung in der Zukunft eine große Herausforderung für die Unternehmen darstellen werden. Unternehmenskultur und die Identifikation mit dem Unternehmen gewinnen als Aufgaben an Bedeutung, da ein langfristiger, strategischer Unternehmenserfolg durch eine hohe Fluktuation negativ beeinflusst wird. Unter diesem Gesichtspunkt können Motorsportaktivitäten helfen. Arbeitzeit und Freizeit sollten zusammengezogen werden und beispielsweise in Bezug auf „Nervenkitzel“ in Verbindung gebracht werden. Grundsätzlich ist – wie wir gesehen haben – ein Trend zum Nervenkitzel zu erkennen. Allgemein gesagt gilt dies sowohl für die Freizeit als auch für die Arbeitszeit! In beiden Bereichen ist tendenziell von einem Drang zu aufregenden, spannenden Tätigkeiten auszugehen. Wie die Verteilung letztlich in der Praxis aussieht, ist individuell unterschiedlich. Manche stehen während ihrer Arbeitstätigkeit bereits ständig unter Strom und brauchen privat keine weitere Aufladung. Denkbar ist hier eher die Entspannung gemäß dem Trend zur Harmonie. Andere haben dagegen kaum Abwechslung bei ihrer Arbeit und suchen diese verstärkt im privaten Bereich.
3.3
Ein neues soziales Umfeld (social)
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Karriere Karriereziele gehören allgemein und essenziell zur Grundhaltung vieler Beschäftigten und gewinnen aktuell deutlich an Relevanz. Bei vielen jungen Menschen ist darüber hinaus eine Verschiebung der Prioritäten hin zur Arbeit zu erkennen. Arbeit geht vor Freizeit, selbst am Wochenende wird gearbeitet. Die Visionen der jungen, karriereorientierten Menschen sind dabei oftmals lediglich Wunschvorstellungen. In diesen Visionen gibt es wahrscheinlich heute so viele Vorstände und Geschäftsführer wie nie zuvor. Die Realität wird diesen Wünschen nicht gerecht werden können und Enttäuschungen bzw. Desillusionierung mit sich bringen. Bei der Balance zwischen Arbeitszeit und Freizeit wird der Partner oft mit einbezogen. Auch er oder sie arbeitet intensiv. Männer und Frauen sind wesentlich karrierebewusster geworden, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall gewesen ist. Wie zeigt sich diese Entwicklung in der Praxis? Ein Beispiel hierfür ist die Vermeidung von finanziellen Bindungen. Insbesondere selbst genutzte Immobilien sind risikoreich und schränken die eigene Flexibilität massiv ein. Aus der Perspektive von schnellen Wechseln, Hire & Fire, Arbeit im Ausland und ständiger Suche nach Neuem und Besserem ist eine Hypothekenschuld von 300.000 Euro einer der größten Steine auf dem Weg zur Erreichung des Ziels. Darüber hinaus macht eine solche Verschuldung den Beschäftigten von seinem Arbeitsplatz und Arbeitgeber abhängig. Diese Abhängigkeit steht im Konflikt zu den meisten sozialen Trends, die sich stark auf Flexibilität, Unabhängigkeit und Personalität richten. Diese Zusammenhänge werden in Zukunft vermehrt auch in der so genannten Mittelschicht auftreten. Diese Personengruppe wird tendenziell höhere finanzielle Belastungen und weniger Handlungsspielräume haben. Was bedeutet dieser Trend für Automobile? Karriere, Arbeitszeit und vor allem Wissen sind entscheidende Aspekte von morgen, die den Konsumenten wichtig sind. Auch hier muss man sich von allem bisher Gekannten lösen und das Auto in einem anderen Licht sehen. Es muss sich auf seinen Fahrer einstellen und sich seinen individuellen Bedürfnissen anpassen. Vor allem sind massive Fortschritte bei Kommunikationstechnologien erforderlich. Wie kann das Automobil die Förderung der eigenen Karriere unterstützen? Die Antwort darauf ist einfach: Alle von uns aufgezeigten Aspekte, die der Karriere dienlich sind, können unterstützt werden. Das Automobil kann durch die Erschließung von Informationsquellen einen Vorsprung gegenüber anderen bieten. Weiterbildungsmaßnahmen auf dem Weg zur
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Die Treiber der dritten Revolution
Arbeit und zurück könnten sich revolutionär entwickeln. E-Learning im Automobil hat ein großes Potenzial. Idealerweise beginnt die Arbeit beim Betreten des Autos. Das Fahrerlebnis wird immer mehr in den Hintergrund treten und die Arbeit bzw. Freizeit in den Vordergrund. Navigation, PDAs, Computerintegration, intelligente Systeme, Internet oder neue Formen der E-Mail-Beantwortung beispielsweise durch Voicemail sind nur einige wenige Dinge, die stark in den automobilen Innenraum drängen werden. Dabei ist nicht nur der Fahrerarbeitsplatz zu beachten. Die dargestellten Trends beziehen sich auf das Automobil als Ganzes. 3.3.5
Zusammenfassung
Der Konsument wird – nicht nur für Marktforschungsabteilungen – immer komplexer und immer schwieriger zu verstehen. Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Einkommen und Konsum oder Wertorientierungen und Produktvorlieben, wie sie früher im Blickpunkt standen, werden heute immer weniger relevant. Konsumenten sind neugierig und probieren auch Dinge aus, die nicht zu ihrem vermeintlichen Profil passen. Hätte man früher von einer multiplen Persönlichkeit gesprochen, so zeigt sich heute genau in diesem Punkt ein Trend. Konsumenten ändern ihr (Konsum-) Verhalten unter Umständen tageszeitbedingt: x Tagsüber im Anzug, nachmittags Jogging und abends Heimwerken, x Morgens Blaumann, nachmittags Geige und abends Casino, x Morgens Malerkittel, nachmittags Fußball, abends Sauna, x Morgens Landwirt, nachmittags Geschäftsmann, abends Kletterhalle, x Morgens Fließband, nachmittags Yoga, abends Golf. Es existieren viele Beispiele dieser Art. Das Interessante dabei sind die unterschiedlichen Aktivitäten einer einzigen Person, selbst an einem Tag. Automobile der Zukunft müssen diesem Trend gerecht werden. Konsumenten sind neugieriger als früher. Freizeit ist ihr Eigentum und sie nutzen sie höchst vielfältig. Alles wird probiert, man kann nur gewinnen. Das „Chamäleonauto“ kann hier als Stichwort festgehalten werden. Früher war ein einziges Produkt ausreichend, um übergreifend Konsumenten zu werben. Automobilhersteller hatten eine Handvoll Fahrzeuge im Angebot. Heute und vor allem in der Zukunft reicht dies nicht mehr aus, um unternehmerischen Erfolg am Markt zu haben. Unternehmen müs-
3.4
Exkurs: Low Cost Car
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sen sich auf die individuellen Eigenschaften einer weitaus differenzierten Kundenbasis einstellen und spezifische Produktlösungen vorstellen, sei es als OEM oder als Lieferant. Dadurch dass – wie wir gesehen haben – Konsumenten das Automobil zunehmend als Ausdruck ihrer selbst nutzen, wird eine Neuausrichtung des Produkts notwendig. Jeder Mensch hat eine eigene Persönlichkeit und somit müsste im Extremfall jeder Konsument eine individuelle Produktlösung erhalten. Individualisierung und Vielfalt sind notwendig, um auch in Zukunft die Gunst der Konsumenten zu erhalten. Früher war dies mit wesentlich weniger und einfacheren Methoden, Prozessen, Innovationen und letztlich Produkten realisierbar. Dem gestiegenen Druck können die Unternehmen mit den heutigen Methoden und Prozessen nicht standhalten. Es werden völlig neue Maßnahmen bei allen an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen notwendig, um ein heute noch undenkbares Maß an Effizienz für das Gesamtsystem zu erzielen.
3.4 Exkurs: Low Cost Car Betrachtet man den globalen Konsumentenmarkt, so wird sehr schnell deutlich, dass die Automobilindustrie derzeit ein großes Potenzial verschenkt. Automobile müssen nicht immer Premium sein, ein entsprechendes Management erlaubt auch in unteren Fahrzeugsegmenten profitable Geschäftsmodelle. Bereits heute machen kleinere Fahrzeuge den Großteil des Fahrzeuggesamtvolumens aus. Dabei hat die Industrie – unabhängig vom Segment der Fahrzeuge – die Gruppe sehr günstiger Automobile vernachlässigt. Es ist erstaunlich, dass die Industrie erst jetzt das Potenzial von Fahrzeugen mit einem Preis von unter 5000 € erkannt hat. Andere Industrien sind hier einen Schritt voraus. Bei vielen Produkten existieren klassische Niedrigpreisversionen wie beispielsweise bei Fernsehern, Kleidung, Uhren oder Möbeln. Das brach liegende Potenzial ist sehr groß, da eine Massenmotorisierung ähnlich wie bei Henry Ford ansteht bzw. ein breiter Aufstieg vom Zweioder Dreirad zum Auto zu erwarten ist. Experten gehen davon aus, dass die Anzahl von Low Cost Cars (Fahrzeugen mit einem Verkaufspreis von weniger als 10.000 $ in den USA und weniger als 10.000 € in Europa) bis 2012 um fast vier Millionen zunehmen wird (Roland Berger Strategy Consultants 2006). Weltweit liegt dann in diesem Segment ein Volumen von über 15 Millionen Fahrzeugen vor. Für das Jahr 2012 sind die wesentlichen Märkte für Low Cost Cars Europa (5,8 Mio.), China (2,6 Mio.), Indien (1,5 Mio.) und Brasilien (1,5 Mio.) (Roland Berger Strategy Consultants 2006).
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Die Treiber der dritten Revolution
Viele OEMs arbeiten derzeit an einer Strategie für Low Cost Cars. Dabei bieten sich insbesondere für neue Spieler aus den Zielmärkten der Fahrzeuge große Chancen. Sie kennen den jeweiligen Markt und die damit verbundenen Bedürfnisse besser und können ihre Aktivitäten zielgerichteter einsetzen. OEMs mit Aussicht auf Erfolg sind etwa Chery, Maruti, Geely, Xiali und Tata, da bei ihnen eine konsequente Ausrichtung des Geschäftsmodells wahrscheinlich ist. Wir sehen im Geschäftsmodell des Low Cost Cars einen deutlichen Unterschied zu den „normalen“ Geschäftsmodellen der Automobilindustrie. Unser Konzept der Effizienten Vielfalt bezieht sich daher nicht auf dieses Segment. Effizienz ist zweifelsohne von höchster Bedeutung, wenn ein Unternehmen Low Cost Cars am Markt platzieren möchte. Vielfalt auf der anderen Seite wird jedoch in manchen Fällen kontraproduktiv sein. Wir sehen hier andere Anforderungen für die Industrie als im Bereich der Effizienten Vielfalt. Unternehmen werden nur dann Erfolg haben, wenn sie sich konsequent dem Low-Cost-Gedanken widmen und alle entsprechenden Maßnahmen umsetzen. Ähnlich wie bei der zweiten Revolution in der Automobilindustrie wird auch hier nur eine ganzheitliche Umsetzung erfolgreich sein. Vor allem Unternehmen wie Volkswagen oder PSA werden es schwer haben, in diesem Segment wettbewerbsfähige und profitable Fahrzeuge zu platzieren. Ein abgespeckter VW Fox ist vielleicht ein Low Cost Car, doch ein erfolgreicher Ansatz müsste anders aussehen. Folgende Erfolgsfaktoren sehen wir im Low-Cost-Modell. x Produktion in „Low Labour Cost“-Ländern x Hohe Standardisierung (keine Vielfalt!) x Lagerhaltung x Lokale Abdeckung der Wertschöpfung x Lokales Management x Lokale Marken (Dacia) Für Low Cost Cars ist ein völlig eigenes Produktionskonzept notwendig. Betrachtet man die Produktionsstandorte, so wird deutlich, dass nur in „Low Labour Cost“-Ländern wie in manchen Ländern Osteuropas, China oder Indien produziert werden kann. Im Vergleich zur Effizienten Vielfalt sind Standardisierung und Lagerhaltung sinnvoll. Wenn man so möchte, erfordert das Geschäftsmodell des Low Cost Cars zwei Rückwärtsschritte in den automobilen Revolutionen. Ähnlich wie bei Ford’s Massenproduktion
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Exkurs: Low Cost Car
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sind Läger in diesem Bereich effizient. Eine höhere Standardisierung der Module und Komponenten führt dazu, dass die Teile grundsätzlich länger vorgehalten werden können. Sie müssen nicht mehr sequenzgenau abgerufen werden wie in Produktionen, bei denen ein Fahrzeug auf einer Linie beispielsweise mit fünf verschiedenen Achsmodulen ausgestattet wird. In diesem Fall wären fünf kleine Läger notwendig im Gegensatz zu einem größeren bei Low-Cost-Fahrzeugen, die nur mit einem Achsmodul ausgestattet sind. Zudem ermöglicht die Infrastruktur in den erwähnten Ländern keine sequenzgenaue Anlieferung per Lkw und die absoluten Lagerhaltungskosten sind vergleichsweise gering. Das gesamte Konzept muss wertschöpfungsspezifisch vollständig durch die oben genannten Märkte abgedeckt sein. Das Management darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Es sollte ebenso lokal sein, um den individuellen Marktanforderungen gerecht zu werden. Europäische OEMs stehen hierbei von einer großen Herausforderung. Dadurch, dass ein VW Fox in Brasilien gebaut wird, wird er noch nicht zum Low Cost Car. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn das gleiche Auto mit gewissen Upgrades auch in Westeuropa verkauft wird. Low Cost Cars müssen lokal entwickelt, produziert und vertrieben werden. In diesem Zusammenhang haben bestehende OEMs die Herausforderung der Markendehnung zu bewältigen. Wir halten es für falsch, dass OEMs wie Volkswagen, Opel, Citroën oder Toyota im Rahmen einer Markendehnung ein „echtes“ Low Cost Car umsetzen. Die Etablierung einer eigenständigen Marke halten wir an dieser Stelle für effizienter, da nicht nur positive Imageeffekte seitens der höherwertigen Fahrzeuge der gleichen Marke zu erwarten sind, sondern auch negative Rückwirkungen. OEMs wie Toyota und Daimler haben mit der erfolgreichen Einführung von Scion und Smart Marken in bisher unerschlossenen Segmenten etabliert. Diesen Ansatz halten wir im Vergleich zum „Abspecken“ von Fahrzeugen oder zur Einführung neuer Modelle am unteren Ende der Skala einer bestehenden Marke für viel versprechend. Wir möchten uns im Rahmen dieses Buches nicht intensiv mit der Thematik des Low Cost Cars auseinandersetzen.1 Effiziente Vielfalt in unserem Sinn ist nicht mit den Geschäftsmodellen in Einklang zu bringen, die diesem Konzept zugrunde liegen. Völlig andere Ansätze sind notwendig, um mit Low Cost Cars Erfolg zu haben. Effiziente Vielfalt wird vielmehr den „Nicht-Low-Cost-Bereich“ bestimmen, der auch in Zukunft sicherlich mehr als 70 Prozent der gesamten Automobilindustrie ausmachen wird. 1
Eine detaillierte Auseinandersetzung zum Thema Low Cost Car findet sich bei Roland Berger Strategy Consultants 2006.
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Die Treiber der dritten Revolution
3.5 Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology) 3.5.1
Einführung
Technologische Innovationen sind der Motor der gesamten Automobilindustrie. Dabei muss zunächst zwischen Produkt- und Prozessinnovationen unterschieden werden. Letztere beziehen sich vornehmlich auf betriebsinterne, organisatorische Veränderungen sowie auf Optimierungen der Wertschöpfungskette. Unsere Auseinandersetzung mit Innovationen hat einen technologieorientierten Fokus. Wir richten das Augenmerk auf entscheidende und grundlegende technologische Trends. Aufgrund der immer neuen Herausforderungen technischer Entwicklungen erfolgt stets eine entsprechende Differenzierung am Markt. In unserem Fall tragen die technologischen Veränderungen mit zum massiven Wandel der Wertschöpfungskette und letztlich zu revolutionär neuen Strukturen und Beziehungsgeflechten bei. Um den Umfang dieses Buches nicht zu sprengen, konzentrieren wir uns auf drei Teilbereiche, von denen wir starke Impulse für Innovationen in der Automobilwirtschaft annehmen: Nanotechnologie, Biotechnologie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie. Im Anschluss daran gehen wir auf einige wichtige zukünftige Anwendungen ein, die eine Alternative zu heutigen technischen Lösungen darstellen könnten. 3.5.2
Nanotechnologie
Nanotechnologien werden in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen erforscht. Die wichtigsten dabei sind die Chemie und Physik. Grundsätzlich handelt es sich um die Erforschung von Materialstrukturen im „NanoGrößenbereich“, wobei ein Nanometer einem Milliardstel Meter entspricht. Obwohl die ersten Auseinandersetzungen mit Nanotechnologie auf Richard Feynman im Jahr 1959 zurückgehen, erlebt sie erst seit den 90er Jahren ein stärkeres mediales und wissenschaftliches Interesse. Wie bei allen Wissenschaften und Forschungsbereichen gibt es auch hier eine Fülle unterschiedlicher Definitionen. Entscheidend bei der Nanotechnologie ist, dass die Oberflächen von Materialien bis hinunter auf winzige Details betrachtet oder Materialien mit entsprechend feinen Strukturen hergestellt werden. Durch eine Modifikation dieser Strukturen können die Eigenschaften eines Materials stark verändert werden. Die Nanotechnologie weist Verbindungen zu vielen unterschiedlichen Fachbereichen auf. Anwendungen ergeben sich beispielsweise in der Me-
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Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
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dizin, der Physik oder der Chemie. Momentan steht dieses Fachgebiet noch am Beginn seiner Möglichkeiten. Wie schon bei vielen wissenschaftlichen Entwicklungen zuvor werden die Möglichkeiten anfänglich überbewertet. Nanotechnologie polarisiert und ihre Auswirkungen werden meist entweder sehr positiv oder sehr negativ gesehen. Positiv sind die Potenziale zu betrachten, die sich beispielsweise für die Lebensmittelindustrie ergeben. Farben und Geschmack eines Produktes können individuell verändert werden. Völlig neue Konzepte sind in diesem Zusammenhang denkbar. Oberflächen mit Nanostrukturen ermöglichen auch neue Anwendungen bei Bekleidung. Populärstes Beispiel ist dabei der Lotusblüteneffekt. Wasser perlt an Lotusblüten ab und bleibt nicht haften. Diese Eigenschaft führt dazu, dass sämtliche Schmutzpartikel gemeinsam mit dem Wasser von der Pflanze abgewaschen werden. Durch Regen wird die Pflanze entsprechend gereinigt. Erst durch die nanotechnische Erforschung der Oberflächenstruktur von Lotusblüten konnte der Perleffekt der Pflanze auf andere Materialien übertragen werden. Deren Oberflächen werden im Nanobereich beeinflusst und haben anschließend ähnliche Eigenschaften wie die Lotusblüte. Übertragen auf Kleidungsstücke bedeutet dies, dass beispielsweise Rotweinspritzer von den Fasern abperlen und auch alle anderen Schmutzpartikel einfach mit Wasser entfernt werden können. Flecken können nicht mehr entstehen. Die besondere Oberflächenstruktur der „Nanokleidung“ lässt es nicht zu, dass Schmutzpartikel auf ihr hängen bleiben. Der gleiche Effekt wird derzeit auch bei Autolacken eingesetzt. Nanotechnisch entwickelte Oberflächen von Lacken imitieren den Lotusblüteneffekt. Autos mit Nanobeschichtung reinigen sich durch Regen „von selbst“. Die Einsatzmöglichkeiten der Nanotechnologie erscheinen zunächst unbegrenzt. Es liegt auf der Hand, dass auf diese Weise Schmutz in vielen Bereichen der Vergangenheit angehören könnte: Kleidung, Autos, Waschbecken, Toiletten, Hauswände oder Glasfronten bleiben ständig sauber. Sie müssen zur Reinigung nur in Verbindung mit Wasser gebracht werden. Alle Dinge, die dem Regen ausgesetzt sind, reinigen sich dementsprechend von selbst. Dieser Reinigungseffekt wird von einem übergeordneten Vorteil überlagert: Die Perleigenschaft kann bei unterschiedlichsten Materialien erreicht werden. Durch die Erzeugung entsprechender Nanostrukturen kann die „Sauberkeitseigenschaft“ auf vielerlei Materialien übertragen werden. Die Veränderung feinster Strukturen führt zu neuen Materialeigenschaften. Aus der Fülle von Möglichkeiten ergeben sich viele Potenziale für Unternehmen. Einige Wirtschaftsbereiche (Reinigungsmittelhersteller, Wasch-
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Die Treiber der dritten Revolution
straßen, Reinigungspersonalfirmen, Lebensmittelhersteller) müssen sich im Wettbewerb neu positionieren, damit sich die Chancen, die sich durch die Nanotechnologie eröffnen, nicht in eine Bedrohung umkehren. Die Nanotechnologie bietet auch ein großes Potenzial für die Medizin. Nanopartikel könnten Krankheiten zerstören und das Leben verlängern. Nach extremen Auffassungen könnte sogar der Alterungsprozess reduziert werden. Die Szenarien, die sich daraus ergeben, sind bekannt – nicht nur aus diesem Grund hat Nanotechnik auch im Science-Fiction Bereich viele Anhänger. Neben den bekannten und potenziellen Vorteilen sind auch Nachteile und Probleme zu berücksichtigen: Veränderungen von Materialen als erster Schritt hin zu Manipulationen von biologischen Strukturen sind stark umstritten. Genmanipulation und lebensverlängernde Maßnahmen sind stets kritisch in der Diskussion. Darüber hinaus entstehen neue Möglichkeiten bei biologischen Waffentechnologien. Chancen für die Automobilindustrie ergeben sich an vielen Stellen. Einerseits kann der Selbstreinigungseffekt auf den Innenraum übertragen werden, andererseits bietet eine erhöhte Sauberkeit auch einen Sicherheitsvorteil, wenn beispielsweise Regen an Frontscheiben besser abperlt. Neben diesem konkreten Einsatzgebiet muss der übergeordnete „Veränderungsgesichtspunkt“ betrachtet werden. Insbesondere Nanoelektronik bietet ein großes Potenzial. Elektronisch veränderbare Elemente machen ein hohes Maß an Individualisierung möglich. Derzeit erscheint dies noch als Zukunftsmusik. Per Knopfdruck sich verändernde Farben im Interieur oder Außendesign wären dabei nur der erste Schritt. Gesamte Strukturen oder Formen eines Automobils könnten im Extremfall per Knopfdruck modifiziert werden. Die Frage, ob sich ein Käufer für einen Roadster, SUV, MPV oder eine Limousine entscheidet, würde sich in diesem Szenario nicht mehr stellen. Er muss lediglich den Aufpreis für die Nanotechnologie bezahlen und kann anschließend per Knopfdruck wählen. Auch bei Farben sowie Innenraumdüften oder -designs gäbe es die Option der Vielfalt. Farben könnten beispielsweise auf die Außentemperatur abgestimmt werden. Bei warmen Temperaturen würde die Außenfarbe heller werden. 3.5.3
Bionik
Die Natur ist außerordentlich komplex und hält intelligente Problemlösungen bereit. Mit dem Versuch, diese Erkenntnisse auf andere Bereiche zu übertragen, beschäftigt sich die Bionik. Optimale Anpassungen in der Natur werden auf technische Lösungen übertragen. Die Nutzung dieses Konzepts
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Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
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erstreckt sich dabei auf vielfältige Anwendungsgebiete wie Medizin, Landwirtschaft, Automobilindustrie oder Pharmazie. Dabei wollen wir zwei verschiedene Ansätze voneinander unterscheiden, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben. Einerseits geht es grundsätzlich darum, die Natur zu imitieren. In der Natur existieren vielfältigste Herausforderungen, denen die einzelnen Lebewesen ausgesetzt sind. Um diesen Gefahren und Herausforderungen zu begegnen, entwickelte sich im Lauf der Evolution eine Vielzahl von Lösungen. Diese lösen das jeweilige Problem in der Regel sehr effizient. Menschen und technische Geräte sind in der Natur oftmals ähnlichen Problemen ausgesetzt. Auch sie müssen sich vor dem Wetter schützen oder beispielsweise Landungen durchführen. Erkenntnisse darüber, wie die Natur derartige Aufgaben löst, wurden bereits an vielen Stellen auf die Technik übertragen. Die nach oben gebogenen Flügel des Adlers verhelfen ihm zu einem sehr effizienten und leisen Flug. Diese Struktur machten sich Ingenieure im Flugzeugbau zunutze. Durch die Konstruktion von Winglets am äußeren Rand des Flügels konnten Verwirbelungen nachhaltig reduziert werden. Gleichzeitig wurden der Verbrauch und die Lautstärke reduziert. Auch vom Fell des Eisbären haben Ingenieure bereits gelernt. Eisbären stehen vor der Schwierigkeit, Wärme aufzunehmen trotz niedriger Temperaturen. Die hohlen Haare des Fells leiten jeden Sonnenstrahl auf die schwarze Haut. Schwarz ermöglicht bekanntlich die beste Wärmeabsorption, ebenso dienen die Hohlräume der Haare der Isolation mittels der eingeschlossenen Luft und letztlich ihrer Erwärmung. Transparente Isolationen von Häusern greifen diesen Aspekt auf. Der oben beschriebene Lotusblüteneffekt kann ebenfalls als bionisch bezeichnet werden, da ebenfalls eine Optimierung in der Natur das Vorbild für eine technische Lösung war. Für die Automobilindustrie besteht ein sehr großes Potenzial, die effizienten Lösungen der Natur in Technologien zu „übersetzen“. Oftmals ergeben sich große Vorteile, derzeit vornehmlich im Bereich des Luftwiderstands. Diese begrenzte Anwendung wird in Zukunft ausgedehnt werden. Die Art, wie sich Katzen von einem Aufprall schützen, wie sie Bäume ersteigen und bei Nacht sehen, sowie der Selbstschutz eines Igels oder einer Schildkröte bei Gefahr sind nur einige wenige Phänomene, deren Erforschung positive Auswirkungen auf automobile Innovationen haben könnte. Mercedes-Benz konnte beispielsweise durch die Analyse der Bewegungen von Geparden technische Innovationen im Traktionsbereich anstoßen.
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Die Treiber der dritten Revolution
Neben den Möglichkeiten, die Natur zu imitieren, besteht des Weiteren die Option, Natur und Technik direkt miteinander zu verknüpfen. In diesem Zusammenhang hat sich insbesondere mit der Bioelektronik ein Wissenschaftsbereich etabliert, der versucht, biologische und elektronische Komponenten technisch miteinander zu verknüpfen. Lösungen dieser Art gibt es bereits heute. Biologisch gesteuerte Prothesen stellen dafür ein populäres Beispiel dar. Wie sich bei der Analyse technischer Trends bereits mehrfach gezeigt hat, haben wir es auch hier mit einer Verknüpfung verschiedener Wissenschaftsbereiche zu tun. Biologie, Medizin und Ingenieurwissenschaften greifen ineinander, wenn beispielsweise Prothesen neuronal angesteuert werden. Für die Zukunft ist auch in diesem Bereich ein starkes Wachstum zu erwarten. Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologie kann durch Biotechnologie einen Quantensprung machen. Die menschliche DNA stellt ein Speichermedium höchster Kapazität dar. Gelingt es, einen DNA-Computer mit einer Menge von sechs Gramm DNA in einem Liter Flüssigkeit herzustellen, werden Speichergrößen und Rechnerleistungen erreicht, die heutige Leistungsfähigkeiten bei weitem überschreiten. Ein solcher Rechner hätte eine Speicherkapazität von über 3.000.000 Terabyte und würde eine Rechengeschwindigkeit erreichen, die um das Einmillionfache über den aktuellen Leistungen liegt. Die Anwendungsmöglichkeiten für die Automobilindustrie sind auch in diesem Wissenschaftsbereich sehr groß. Abgesehen von massiv gesteigerten Rechnerleistungen ist vor allem die Fahrzeugbedienung über eine neurale Steuerung denkbar. Obwohl die Forschung derzeit noch am Anfang steht, zeigen erste Umsetzungen wie z. B. die Erteilung simpler Befehle an einen Computer durch das menschliche Gehirn, dass hier ein großes Potenzial liegt und der Bereich sich nicht in Science Fiction erschöpft. 3.5.4
Informationstechnologie
Die Informationstechnik (IT) wird zukünftige Innovationen nachhaltig prägen. IT ist dabei ein Oberbegriff für Hardware sowie Informations- und Datenverarbeitung. In Zukunft wird auch diese Wissenschaft mit anderen Bereichen stärker in Verbindung stehen. Für IT gilt dies wie für keinen anderen Bereich sonst. Klassische Elektrotechnik, Mechanik und Informatik werden zunehmend miteinander verknüpft. Wir wollen zwei Elemente des informationstechnischen Bereichs vorstellen, von denen wir starke Impulse für die Automobilindustrie erwarten. Die Mensch-Computer-Interaktion betrachtet das Zusammenspiel zwischen Computern oder Technologien auf der einen Seite und dem Men-
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Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
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schen als Bediener auf der anderen Seite. Schwerpunkte dabei sind einerseits Erkenntnisse aus der Informatik, andererseits leisten abermals andere Wissenschaften Beiträge, wie etwa die Psychologie, Soziologie oder Kognitionswissenschaften. Insbesondere die Automobilindustrie hat den Nutzen dieses Forschungsbereichs für sich erkannt und ist auf der Suche nach Lösungen, um die Interaktion zwischen den Nutzern und dem Fahrzeug zu optimieren. Dabei hat sie derzeit noch keine befriedigende Lösung gefunden. Bei manchen Ansätzen werden möglichst viele direkt bedienbare Elemente dem Aktionsraum des Nutzers entnommen und durch eine zentrale Einheit gesteuert. Andererseits ist ein Trend zu erkennen, vermehrt Knöpfe für einzelne Funktionen im Armaturenbrett zu positionieren. In Verbindung mit dem von uns dargestellten Trend zur Einfachheit liegt hier eine große Herausforderung. Auf der einen Seite zeichnen sich Produktinnovationen durch immer mehr Funktionen aus. Fahrzeuge der Oberklasse haben heute eine höhere Rechnerkapazität als die ersten Flugzeuge des Typs Boeing 747. In den 90er Jahren wurde diese gestiegene Funktionalität als Stärke kommuniziert. Je mehr Knöpfe die Fernbedienung von Videorekordern hatte, desto innovativer schien das Produkt zu sein. Heute muss die Bedienung gleichzeitig möglichst selbsterklärend sein. Bei einer zunehmenden Anzahl von Funktionen ist dies keine leichte Aufgabe. Die Grundauslegung der Anwendung darf den Konsumenten nicht überlasten. Zu jeder Zeit sollte der Konsument die Möglichkeit haben, leichten Zugriff auf alle verfügbaren Informationen zu erhalten. Diese Herausforderung bezeichnen wir als „pull on demand“. Genau diejenigen Informationen, die situationsspezifisch gefordert werden, müssen zur Verfügung gestellt werden. Im Konsumgüterbereich ist der Trend zur Einfachheit der Bedienung und zu „pull on demand“ sehr stark verbreitet. Abbildung 24 zeigt einige Beispiele aus diesem Bereich.
Abb. 24. Beispiele für Einfachheit im Konsumgüterbereich
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Die Treiber der dritten Revolution
Für die Automobilindustrie erwarten wir starke Veränderungen durch Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Auch die bereits angesprochenen Aspekte der Bionik könnten neue Lösungen bereitstellen. Ausgangspunkt für Innovationen im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion ist die Auseinandersetzung mit dem Fahrerarbeitsplatz. Welche Aufgaben muss ein Fahrer in den verschiedenen Situationen bewältigen und welche Informationen sind in den jeweiligen Szenarien notwendig? Auf theoretischer Ebene nähert man sich durch entsprechende Analysen einer Optimallösung für die Interaktion des Fahrers mit dem Fahrzeug und seinem Umfeld. Wichtig bei der Klassifikation von Informationen ist ihre Hierarchisierung, beispielsweise nach „primär“ und „sekundär“. Diese Strukturierung erweist sich als sehr komplex, da die Aufgaben in einem Gesamtzusammenhang verankert werden müssen. Der Fahrer muss situationsbedingt Informationen zur Verfügung gestellt bekommen oder entlastet werden. Betrachten wir z. B. eine Gefahrensituation, so könnten bei einer latenten Gefahr Informationen über das vorausfahrende Fahrzeug bereitgestellt werden. Andere Interaktionsmöglichkeiten mit dem Fahrzeug sollten währenddessen aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen werden, was etwa eine vorübergehende Abschaltung des Telefons in Notsituationen bedeuten könnte. Die derzeitige Philosophie der OEMs ist sehr unterschiedlich, wenn es um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine geht. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass man sich momentan insbesondere darüber uneinig ist, welche und wie viele Befehle dem Benutzer direkt zugänglich sein sollten. Die Reduktion auf der einen Seite steht einer Vielzahl von direkten Befehlen auf der anderen Seite gegenüber. Mit einer parallel steigenden Anzahl an Funktionen und Befehlsmöglichkeiten steigt die Herausforderung. Grundsätzlich darf der Fahrer nicht überlastet werden. Es geht darum, dem Fahrer diejenigen Informationen zu bieten, die situationsspezifisch notwendig sind. Außerdem ist es empfehlenswert, solche Informationen in den Vordergrund zu stellen, die die Werte der Marke unterstützen. Motorleistungsdaten könnten beispielsweise bei sportlichen Marken per Head-up-Display angezeigt werden. Unabhängig von der markenspezifischen Ausgestaltung der Informationshierarchie und der gesamten situativen Unterstützung sollte dem Fahrer immer die Möglichkeit gegeben werden, manuell einzugreifen. Der Fahrer darf nicht zum Passagier werden. Er muss zumindest die Option haben, stets die alleinige Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen.
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Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
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Der zweite Aspekt, den wir ansprechen möchten, ist „Künstliche Intelligenz“, die oftmals mit dem englischen Begriff „Artificial Intelligence“ bezeichnet wird. Ziel der künstlichen Intelligenz ist es, dass Maschinen sich intelligent verhalten. Dabei ist Intelligenz in mehreren Stufen zu betrachten. Der erste Schritt hin zu intelligenten Maschinen ist die Fähigkeit zur Kombination verschiedener Einflussfaktoren oder Befehle zu einer Entscheidung. Ein Beispiel aus dem Automobilbereich ist ein Sicherheitssystem, das bei einem Unfall die Passagiere schützt. Das ESP leitet bestimmte Fahrzeugdaten an das zentrale Steuergerät weiter, welches dann „intelligent entscheidet“, beispielsweise das Schiebedach zu schließen. Diese Art der „schwachen künstlichen Intelligenz“ wird in Zukunft vermehrt Anwendung finden. Menschliches Verhalten wird dabei mittels Informatik und Mathematik simuliert. Ein weitergehender Ansatz zur künstlichen Intelligenz versucht über diese Simulation hinaus die Fähigkeit zu menschlichen Verhaltensweisen zu entwickeln. Kreativität, Nachdenken und Sensibilität sind Aspekte, die demnach von einer Maschine erfüllt werden sollen. Auch bei künstlicher Intelligenz zeichnet sich ein Zusammenwirken verschiedenster Disziplinen wie Medizin, Mathematik, Informatik, Psychologie oder Kognitionswissenschaften ab. Erfolg ergibt sich nicht allein durch eine einzelne Wissenschaft, sondern durch ein effektives Zusammenspiel. Zukünftige Innovationen werden sich durch ein sehr hohes Ausmaß an Interdisziplinarität bei ihrer Entwicklung auszeichnen. Hierbei ist ein organisatorischer Wandel sowohl auf OEM- als auch auf Lieferantenseite notwendig. Empfehlenswert ist die Etablierung von interdisziplinären Innovationsteams. Unter Effizienzgesichtspunkten ist es empfehlenswert, die Teams zu einem bestimmten Innovationsthema zusammenzustellen, um anschließend neue Teams „zu mischen“, die sich mit anderen Themen beschäftigen. Ziel muss es sein, die Innovationskraft möglichst flexibel auf die Marktbedürfnisse auszurichten und eine hohe Anpassungsfähigkeit zu erzielen. Die Anfänge von künstlicher Intelligenz haben bereits Einzug in die Gesellschaft gehalten. Fingerabdruckerkennung, Irislesegeräte, Leergutautomaten, Sprachsteuerung im Fahrzeug, Internetsuchmaschinen oder Fehlersuch- und -behebungsprogramme sind Beispiele praktischer Anwendungen. Automobile erkennen heute von selbst Fehler und stellen Diagnosen. Die Reparatur muss nach wie vor noch in der Werkstatt durchgeführt werden, doch wie bei modernen Computerprogrammen ist die Fehlerbehebung durch die Maschine selbst auch beim Automobil durchaus realistisch.
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Die Treiber der dritten Revolution
3.5.5
Technologieanwendungen
Neben einer Verbesserung der Effizienz von Motoren und der vermehrten Nutzung von alternativen und regenerativen Kraftstoffen stehen in Zukunft insbesondere Fortschritte bei alternativen Antrieben und Kraftstoffen im Fokus. Bei alternativen Kraftstoffen bleibt das Verbrennungsmotorprinzip erhalten im Gegensatz zu alternativen Antrieben, wo dies nicht immer der Fall ist. In beiden Fällen geht es darum, die stetig wachsende Mobilität nachhaltig zu sichern und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Alternativen sind sehr gefragt. Abbildung 25 bietet einen Überblick über zukünftige Antriebe und Kraftstoffe. Die vorrangigsten Ziele sind derzeit die Weiterentwicklung und Optimierung konventioneller Antriebsarten. Sowohl Otto- als auch Dieselmotoren müssen ihre Effizienz weiter steigern. Die Effizienz bemisst sich dabei vornehmlich aus dem Zusammenspiel zwischen Verbrauch und Wirkungsgrad. Nach wie vor stellen konventionelle Motoren die wichtigste Antriebsform dar. Ihre Effizienzsteigerung ist deshalb sehr entscheidend und macht sich deutlich bemerkbar. Wasserstoff Biomass to Liquid
Brennstoffzelle Wasserstoffmotoren
Ethanol Flex-Fuel-Antriebe Hybridantriebe Gas to Liquid
Gasfahrzeuge Effizienzsteigerung bei Motoren
Erdgas Leichtbau Optimierung konventioneller Kraftstoffe
Optimierung des Antriebsstrangs
Abb. 25. Entwicklungen in der Antriebstechnologie (Verband der Automobilindustrie 2006)
3.5
Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
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Neben diesen Optimierungsmöglichkeiten stellen alternative Kraftstoffe wichtige Optionen dar. Hierbei wird zunächst am klassischen Verbrennungsprinzip festgehalten, doch der Treibstoff ist ein anderer. Biokraftstoffe sind ein erster Schritt, um die Emission von Schadstoffen und CO2 zu reduzieren. Derzeit sind diese Kraftstoffe preislich noch nicht konkurrenzfähig. Eine globale Nutzung von Flächen auch in klimatisch attraktiveren Regionen wird die Wettbewerbsfähigkeit allerdings deutlich verbessern. Zusätzlich trägt eine Effizienzsteigerung bei der Kraftstoffproduktion aus Biomasse zu einer besseren Preispositionierung bei. Biodiesel und Ethanol bewegen sich bereits heute auf einem ähnlichen preislichen Niveau wie fossile Brennstoffe. Weitere Ansätze zur Herstellung von Biokraftstoffen sind BtL (Biomass-to-Liquid) und GtL (Gas-to-Liquid). Im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wird beispielsweise der CO2-Ausstoß um bis zu 90 Prozent reduziert. Nicht ganz so groß sind die Einsparungen bei Erdgas, doch mit 25 Prozent immer noch erheblich (Verband der Automobilindustrie 2006). Werfen wir schließlich einen Blick auf alternative Antriebe: Viel diskutiert wird derzeit der Hybridantrieb. „Hybrid“ bedeutet, dass zwei Antriebstechnologien in einen Fahrzeug miteinander verbunden werden. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, um welche beiden Antriebsarten es sich handelt. Derzeit wird bei allen Lösungen ein Elektromotor mit einem Ottomotor verknüpft. Ein nächster Schritt wird in der Kombination mit einem Dieselmotor liegen. Der Elektromotor nutzt die Bremsenergie des Fahrzeugs, um die Akkumulatoren aufzuladen. Ohne Hybridtechnologie wird die beim Bremsen freiwerdende kinetische Energie lediglich in Wärme umgesetzt und bleibt entsprechend ungenutzt. Honda und vor allem Toyota sind auf Gebiet der Hybridtechnologie die Vorreiter. Mittlerweile arbeiten nahezu alle OEMs und viele Lieferanten an dieser Technologie. Bei aller Euphorie im Blick auf den Hybridantrieb bleibt die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen weiterhin bestehen. Aus diesem Grund sehen wir den Hybridantrieb zwar als wichtige Technologie, jedoch nur während eines Übergangs zu regenerativen Antriebsarten. Flex-Fuel bedeutet, dass der im Fahrzeug vorhandene Verbrennungsmotor mit verschiedenen Kraftstoffen betrieben werden kann. Die populärsten Varianten sind derzeit Kombinationen aus Benzin / Diesel mit einem Gas- oder Bio-Ethanol-Antrieb. Auch diese Technologien stellen nur einen Zwischenschritt dar, da die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nicht gelöst wird. Zukunftsweisender, da vollständig regenerativ, sind Antriebe mit Wasserstoff. In Abbildung 26 ist der entsprechende Kreislauf dargestellt. Wasser-
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Kondensation
H2O
Elektrolyse Gasifizierung Verbrennung Brennstoffzelle
H2 Verdichtung Verflüssigung
Abb. 26. Regenerativer Wasserstoffkreislauf
stoff kann aus mehreren erneuerbaren Quellen gewonnen werden: Biogas, Windkraft, Solarenergie oder Wasserkraft sind dabei die wesentlichen Quellen. Bei der technischen Umsetzung des Wasserstoffantriebs konkurrieren aktuell zwei Möglichkeiten: Entweder wird Wasserstoff ähnlich wie Benzin- oder Dieselkraftstoff verbrannt oder in einer Brennstoffzelle genutzt. Grundsätzlich dient die Brennstoffzelle dazu, einen Brennstoff und ein Oxidationsmittel direkt in elektrische Energie umzuwandeln. Die am meisten verbreitete Anwendung ist dabei die Wasserstoff-SauerstoffBrennstoffzelle. Der Effizienzvorteil der Brennstoffzelle liegt darin, dass die Energiegewinnung direkt aus dem Energieträger Wasserstoff geschehen kann. Der Umweg über die Umwandlung kinetischer Energie ist nicht notwendig. Nicht nur Antriebe, sondern auch das Interieur von Automobilen erfährt einen starken Wandel. Verlieben sich Menschen in ein Auto, so geschieht dies meist über das Exterieur, doch ist dies nur eine Liebe auf den ersten Blick, während das Interieur die „Ehe“ bestimmt (Sielaff 2004).
3.5
Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
91
In der jüngsten Vergangenheit wurde der Bereich Interieur als Spielwiese entdeckt, auf der man sich austobt. Die Experimente schießen teilweise über das Ziel hinaus, aber bieten letztlich Frische und Andersartigkeit, wecken Neugierde und schaffen Individualität. Das Interieur wird zu einem wichtigen Ausdruck der gesamten Automobilmarke. Die vorgegebenen Einschränkungen sind im Innenraum wesentlich geringer als im Design des Exterieurs, wodurch ein neuer Erfolgsfaktor hinsichtlich der Kaufentscheidung und Zufriedenheit von Konsumenten sowie hinsichtlich der Differenzierungsmöglichkeiten von OEMs und Lieferanten entsteht. Dem Interieur kommt insgesamt eine besondere Rolle zu. Einerseits wird das Produkt „Gesamtinnenraum“ für OEMs immer wichtiger, da es zunehmend einen Einfluss auf ihren Erfolg oder Misserfolg hat. Auf der anderen Seite hat der Innenraum eine technologische Sonderstellung. Betrachtet man den Innenraum eines Automobils, so kommen dort viele Technologien zusammen: Getriebe, Radio, Navigation, klassische Anzeigesysteme, Headup-Displays, verschiedenste Sicherheitstechnologien, Sitzsysteme, Instrumententafeln, Klimatisierung, Multimedia und vieles mehr. Zurzeit existiert kein Unternehmen, welches über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, die notwendig sind, um einen modernen Innenraum „auf die Beine zu stellen“. In der Zukunft wird sich diese Situation von der Anforderungsseite her noch verschärfen. Auch hier ist die Vernetzung verschiedenster Elemente zu einem homogenen Gesamtbild ein wichtiger Erfolgsfaktor – die MenschMaschine-Interaktion hatten wir bereits angesprochen. Gepaart mit dieser Herausforderung ist der marktliche Drang zu Individualität. Der automobile Innenraum scheint dabei nahezu prädestiniert für den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit durch das Automobil zu sein. Betrachten wir Wohneinrichtungen von Konsumenten, so bietet sich uns ein ähnliches Bild. Die Wohnung oder das Haus spielt die Rolle einer verlängerten Persönlichkeit. Wir hatten schon an einigen Stellen auf mögliche Veränderungen von Autos durch den Individualitätsdrang hingewiesen. Das Automobil steht heute erst am Anfang einer ganzen Flut von Individualisierungsmöglichkeiten. Alle aktuellen Trends, ob Wellness, Lifestyle, Sicherheit oder die Tatsache, dass Menschen immer älter werden, haben maßgebliche Einflüsse auf den automobilen Innenraum. Die reine Funktionalität der Fortbewegung rückt mehr und mehr in den Hintergrund und das Auto wird zugleich zum Fitnessstudio, zur Weiterbildungseinrichtung, zur Oase der Entspannung und zur Konzerthalle. Elektrik und Elektronik bilden denjenigen Bereich im Automobil, der in der Vergangenheit die höchsten Wachstumsraten für sich verbuchen konnte
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3
Die Treiber der dritten Revolution
und auch in Zukunft stark wachsen wird. Elektronik verändert den Markt und vor allem die verbleibenden Hersteller. Die etablierten Player müssen sich neue Fähigkeiten aneignen und neue Player drängen in den Markt, da ihre Kompetenzen nun entscheidend für den Markterfolg sind. Der Gedanke der Vernetzung durch Elektronik ist auch für die Klassifizierung von Lieferantentypen relevant, die wir später vorstellen werden. In Zukunft muss man neben dem Produkt-Know-how eine Vernetzungskompetenz bieten. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass das Ganze mehr wert ist als die Summe der Einzelteile. Lieferanten müssen sich entscheiden, welchen Weg sie in Zukunft gehen wollen. Die Herausforderung besteht darin, die Elektronikarchitektur zu definieren, bevor eine konkrete Produktlösung wie beispielsweise eine Klimaanlage in die Überlegungen einbezogen wird: x Soll die Klimaanlage mit der Sitzheizung vernetzt werden? x Soll die Klimaanlage auf das Interieur Lighting abgestimmt werden? x Soll die Klimaanlage mit der Elektroeinheit des Hybridmotors verknüpft werden können, der drei Jahre nach SoP in Produktion geht? Die Schwierigkeit liegt in der Notwendigkeit, bereits heute den gesamten Fahrzeuglebenszyklus und unter Umständen noch einen Schritt darüber hinaus im Blick zu haben, wenn die Architektur auch auf andere Modelle der gleichen Plattform angewendet werden soll. Welche Technologien wird es in Zukunft geben und welche elektronischen Vernetzungen werden sie notwendig machen? Alle Möglichkeiten werden dann bereits heute in das System integriert, auch wenn das dazu passende Produkt vielleicht erst in fünf Jahren die Marktreife erlangt. Software wird zunehmend standardisiert und bedeutsam. Gelingt dieser Spagat, so sind die Möglichkeiten für den OEM und für Lieferanten vielversprechend. Selbst während des Produktlebenszyklus können Updates eingespeist werden und so neue Produkte auf Knopfdruck verfügbar werden. In Zukunft wird die Erarbeitung neuer elektronischer Architekturen vom Fahrzeuglebenszyklus abgekoppelt werden. Während der laufenden Produktion werden völlig überarbeitete Architekturen möglich sein, da die physischen Eingriffe in die Produktion sehr gering sind. Einfach ausgedrückt bleibt der Einbau der Elektronikeinheit gleich, nur der Inhalt ändert sich.
3.5
Herausforderungen im technologischen Umfeld (technology)
93
Diese Entkoppelung der Lebenszyklen hat auf der Konsumentenseite die Wirkung eines erhöhten „moralischen Verschleißes“ von Innovationen. Verkürzte Produktlebenszyklen bei Elektronikmodulen und die damit verbundenen Updates während des Fahrzeuglebenszyklus erzeugen bei manchen Konsumenten das Gefühl, eine veraltete Technologie zu besitzen. Für die Automobilindustrie ist dieser Zusammenhang wichtig, da er sich positiv auf die Nachfrage auswirkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt im Management von elektronischen Produkten sind Skaleneffekte. Ohne Skaleneffekte können elektronische Produkte für Automobile nicht wettbewerbsfähig sein. Hohe Stückzahlen sind erforderlich, um entsprechende Qualitätsvorgaben zu erreichen. Vollautomatisierte SMD-Linien (Surface Mounted Devices) weisen Qualitätsprobleme auf, wenn die Tools zu häufig gewechselt werden. Lerneffekte und ständig neue Einstellungen sind notwendig, um eine Nullfehlerquote zu erreichen. Elektronikproduzenten müssen daher immer große Stückzahlen umsetzen, um effizient zu produzieren. Die von uns dargestellten Technologietrends werden in Zukunft zusammengeführt. Im Gegensatz zu früher werden biologische, elektronische oder physikalische Anwendungen nicht mehr getrennt voneinander betrachtet. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft eine Integration von technologischen Neuerungen unterschiedlichster Art stattfinden wird. Anwendungsfelder der Nanotechnologie: • Feinmechanik/Optik/Analytik • Chemie/Materialien • Energie- /Umwelttechnik • Medizin/Life Sciences • Automobilbau • Elektronik/Informationstechnik
1 cm
Maschinenbau Elektrotechnik
MIKRO
1 μm
Biologie
Quantisierung MolekularBiologie Funktionales Moleküldesign
NANO
10 nm
0,1 nm
Elektronik Materialdesign
Zellbiologie
0,1 μm
1 nm
g un
Optik
10 μm
ier
0,1 mm
ris tu ia in
1 mm
Mechanik
M
MAKRO
Technische Physik
0,1 m
Kopplung von Mikro- und Nano-Bereich
Strukturgröße
Elektronikgeräte Photonikelemente Sensoren Biochips etc.
Komplex - Supramolekulare
Integrierte Nutzung von physikalischen Gesetzen, biologischen Prinzipien und chemischen Eigenschaften
Pico Wissenschaft
Chemie Chemie Chemie
1940
1960
1980
2000
2020
2040
2060
Jahr
Abb. 27. Zusammenführung technologischer Trends (Rohrer 1994)
94
3
Die Treiber der dritten Revolution
3.6 Neue Herausforderungen der Automobilindustrie Die Innovationskraft der Automobilbranche ist ungebremst und wird sich in Zukunft weiter fortsetzen. Unsere Auseinandersetzung mit der Entwicklung alternativer Antriebe und Kraftstoffe hat dies gezeigt. Produktinnovationen sind ein wichtiges Differenzierungsmerkmal, das vor allem für Lieferanten wichtig sein wird, um im künftigen Konsolidierungsprozess eine starke Ausgangssituation zu haben. Produktentstehungsprozess Die dargestellten Treiber werden nachhaltige Auswirkungen auf die Wertschöpfung in der Automobilindustrie haben. Wir haben gesehen, dass die damit verbundenen Herausforderungen nicht auf der Outputseite gelöst werden können. Die Zahlungsbereitschaft von Konsumenten ist deutlich gesunken, doch der von ihnen ausgehende Erwartungsdruck in Bezug auf Vielfalt und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit steigt. Die Anforderungen an die Produkte steigen, ohne dass die Zahlungsbereitschaft sich synchron entwickelt. Dies führt konsequenterweise dazu, dass alle vorgelagerten Wertschöpfungsstufen optimiert werden müssen. Effizienzsteigerungen in der Produktion sind dabei wichtig, reichen jedoch bei weitem nicht aus, um den Anforderungen gerecht zu werden. In dem Fall, dass die Produktionszeit eines Automobils von 60 auf 10 Stunden reduziert werden kann. Weitere Quantensprünge, wie wir sie aus der zweiten Revolution kennen, sind kaum noch zu erwarten oder nur mit hohen Investitionen zu erreichen, die den Return belasten. Bereits in sehr frühen Entwicklungsphasen muss diese Herausforderung berücksichtigt werden. Hier liegen zudem Effizienzpotenziale, die bisher ungenutzt sind, beispielsweise in einer effizienteren Zusammenarbeit der Marktteilnehmer. Die Wertschöpfungskette muss in der dritten Revolution ganzheitlich betrachtet werden und insbesondere hinsichtlich der frühen Phasen optimiert werden, da die geforderte Produktvielfalt völlig neue Ansätze in der Entwicklung erfordert. Die Produktion dient dabei lediglich der Umsetzung der Vielfalt. Die Wurzel der Vielfalt liegt demgegenüber im Produktentstehungsprozess. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur zweiten Revolution in der Automobilindustrie. Dort lag der Schwerpunkt aller Ansätze in der Produktion selbst.
3.6
Neue Herausforderungen der Automobilindustrie
95
Vielfalt
Produkt
Trade Off
Kosten
Region Effizienz
Abb. 28. Trade-off der Automobilindustrie
Trade-off der Automobilindustrie Die dargestellten Herausforderungen in den einzelnen Bereichen lassen sich auf drei wesentliche Aspekte reduzieren, die in Abbildung 28 dargestellt sind. Produktorientiert liegt die Herausforderung in der Erfüllung differenzierter Konsumentenbedürfnisse. Diese Aufgabe wird in Zukunft bedeutend schwerer sein, als sie es heute ist, da die Industrie hybriden Konsumenten mit geringerer Zahlungsbereitschaft gegenübersteht. Konsumenten fordern Individualisierung. Das Automobil ist zur Verlängerung der eigenen Identität geworden und muss diese zum Ausdruck bringen. Der heutige Stand der Individualisierung wird dem nicht gerecht. Natürlich haben Konsumenten beim Kauf eines Autos eine große Auswahlmöglichkeit an Optionen. Leider sind diese jedoch nach der Installation nicht mehr weiter anpassungsfähig, wodurch eine Individualisierung nach dem Kauf in der Regel nicht mehr möglich ist. Die Art und Weise, in der Vielfalt zur Verfügung steht, ist nicht „smart“ genug. Intelligente Lösungen sind gefragt, die dem Fahrer tagtäglich die Möglichkeit geben, sich selbst zu verwirklichen. Produkte müssen in Zukunft eine situationsspezifische Anpassungsfähigkeit mitbringen. Sie müssen einerseits individueller werden, als sie es
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3
Die Treiber der dritten Revolution
heute sind, und auf der anderen Seite deutlich flexibler. Aufbauend auf der Flexibilität, mit der Konsumenten ihre Bedürfnisse ändern, müssen Produkte zukünftig Optionen für eine schnelle und bequeme Anpassung bieten. Hinsichtlich des Produkts liegt die entscheidende Herausforderung dementsprechend in den Aspekten Vielfalt und Anpassungsfähigkeit. Die erhöhten Produktanforderungen gehen in der Regel mit steigenden Investitionen in Innovationen und letztlich erhöhten Kosten einher. Diese Ursache-Wirkungs-Beziehung muss in Zukunft entkoppelt werden. Die vom Markt geforderte Individualität kann mit dem heutigen Verhältnis von Kosten zu Innovationen nicht erreicht werden. In diesem Fall würden die Kosten nicht mehr vom Markt getragen werden, da die Outputvariable mit der Zahlungsbereitschaft wegbricht. Wir hatten angesprochen, dass Konsumenten immer weniger bereit sind, für Innovationen zu zahlen. Schließen wir für einen kurzen Moment Schrittmacherleistungen aus, so bricht insbesondere im mittleren Innovationssegment von Schlüsseltechnologien die Zahlungsbereitschaft weg. Innovationen werden jedoch erwartet und vom Markt gefordert. Sie sollen das Leben leichter und interessanter machen und der eigenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen. Vor allem sollen sie keinen oder nur einen geringen Aufpreis kosten. Ähnlich sieht der Zusammenhang beim dritten Aspekt Region aus. Auch hier sind Lieferanten und OEMs einem Kostenproblem ausgesetzt. Unsere Auseinandersetzung mit „Emerging Markets“ hat uns gezeigt, dass die Unternehmen auch an dieser Stelle eine hohe Flexibilität und Investitionsbereitschaft aufweisen müssen. Der Druck lastet dabei insbesondere auf den Lieferanten, da sich selbstverständlich nicht alle Kunden in denselben Regionen platzieren. Bündelungen sind unter diesen Gesichtspunkten sehr schwierig und es entsteht eine sehr hohe finanzielle Belastung. Die Folgen dieses regionalen Aspektes sind ein starker Kostendruck und der Zwang, neue, effizientere Lösungen bereitzustellen als bisher. Die dargestellten Herausforderungen der drei Dimensionen gilt es in Zukunft gleichzeitig zu erfüllen. Diese Dimensionen verdichten sich zu einem Trade-off zwischen Vielfalt und Effizienz. Im Kern liegt also die Problematik der Industrie in der Zukunft darin, eine – im Vergleich zu heute – gesteigerte Individualisierung anzubieten und diese gleichzeitig effizienter umzusetzen als bisher. Dementsprechend sehen wir in der Beherrschung des Widerspruchs zwischen der Effizienzsteigerung entlang der Wertschöpfungskette mit Schwerpunkt auf der Fahrzeugentwicklung und der Tendenz zu steigender Vielfalt im Markt die zentrale Herausforderung für die Automobilindustrie in der nächsten Dekade.
3.6
Neue Herausforderungen der Automobilindustrie
97
Daher ist die Effiziente Vielfalt der Ausgangspunkt für die dritte Revolution in der Automobilindustrie. Die Lösung des Widerspruchs wird entscheidend sein für den Unternehmenserfolg der Marktteilnehmer. Veränderte Geschäftsbeziehungen Die aktuelle Form der Beziehungen zwischen OEMs und Lieferanten wird den Trends nicht gerecht. Es sind neue Formen der Zusammenarbeit notwendig, die alle dargestellten Trends berücksichtigen. In der folgenden Grafik wurden die bestehenden Trends in die Kategorien Markt, Technologie und Wettbewerb eingeordnet. Diese Vorgehensweise ist anders als unsere, kommt jedoch zu der gleichen Erkenntnis. Markt
Technologie
Wettbewerb
Diversifizierung der Kundenerwartungen
Steigende Produktkomplexität
Erhöhter Kostendruck durch Überkapazitäten
Marktsegmentierung löst sich auf
Strukturwandel in der Technologie
Konzentration der Hersteller und Zulieferer
Kürzere Produkt- und Technologiezyklen
Vorfinanzierungsaufwand von F&E-Projekten steigt
Verlagerungstrend Reduzierung der Entwicklungstiefe
Notwendigkeit der Neugestaltung der Beziehung von Zulieferern und OEMs
Abb. 29. Notwendigkeit der Neugestaltung der Beziehung von Zulieferern und OEMs (Wildemann 2005)
Ausblick In den folgenden Kapiteln werden wir uns damit auseinandersetzen, wie die Herausforderung von der gesamten Industrie angegangen werden muss. Zunächst befassen wir uns mit der Aufgabe, Effizienz und Vielfalt parallel umzusetzen. Im Anschluss daran stellen wir mit der Modularisierung ein Kernelement zur Umsetzung von Effizienter Vielfalt vor. Auswirkungen und Kompetenzverschiebungen werden auf OEM- und auf Tier-1Seite betrachtet. Abschließend betrachten wir die neuen Beziehungszusammenhänge, die sich zwischen den an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen ergeben, aus quantitativer und aus qualitativer Sicht.
4 Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
4.1 Effizienz Es ist notwendig, dass wir ein klares Verständnis von Effizienz haben. Dies ist insbesondere wichtig, weil es sich hierbei um einen Begriff handelt, der an sich einfach erscheint und in der Praxis häufig benutzt wird. Wir werden zunächst eine etwas theoretische Auseinandersetzung mit dem Effizienzbegriff führen. Dabei greifen wir das Konzept von Frese auf, das einen großen Nutzen für die Praxis aufweist (Frese 2000). Bei der Frage nach der Effizienz von Unternehmen, einzelnen Prozessen oder ganzen Wertschöpfungsstrukturen geht es letztlich immer um den Versuch, die relative Vorteilhaftigkeit alternativer Strukturen zu bewerten. Dabei müssen Vorteilhaftigkeiten der Koordination und Vorteilhaftigkeiten der Motivation unterschieden werden, also eine Koordinationseffizienz und eine Motivationseffizienz Aus der Koordinationssicht entstehen Beeinträchtigungen der Effizienz durch Einflussfaktoren, die Autonomiekosten verursachen und entsprechenden Abstimmungsbedarf erzeugen. Autonomiekosten entstehen durch die Segmentierung und Strukturierung, also durch Interdependenzen, Trennung von Potenzialen und hierarchische Aufspaltung. Entsprechend diesen Einflussfaktoren lassen sich folgende Kriterien der Koordinationseffizienz unterscheiden (vgl. Abb. 31): x Markteffizienz, x Prozesseffizienz, x Ressourceneffizienz x und Delegationseffizienz. Hinsichtlich der Markteffizienz muss man sich die Frage stellen, wie gut die Chancen auf dem Absatz- und Beschaffungsmarkt genutzt werden. Es geht darum, die Beziehung zu Marktpartnern unter der Berücksichtigung von Marktinterdependenzen und Marktpotenzialen zu optimieren. Im Rahmen der dritten Revolution sehen wir an dieser Stelle das größte Poten-
100
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Autonomiekosten verursachende Einflussfaktoren
Effizienzkriterien
Marktinterdependenzen Ressourceninterdependenzen
Markteffizienz
Prozessinterdependenzen
Prozesseffizienz
Ressourcenpotenzial
Ressourceneffizienz
Marktpotenzial
Delegationseffizienz
Hierarchische Aufspaltung Abb. 30. Effizienzkriterien hinsichtlich der Koordination (Frese 2000)
zial zur Effizienzsteigerung. Die qualitative Neugestaltung der AnbieterAbnehmer-Beziehung wird starke Verbesserungen der Markteffizienz mit sich bringen. Für den OEM ergeben sich durch eine optimierte Geschäftsbeziehung Vorteile bei der Beschaffungsmarkteffizienz, für den Lieferanten durch eine verbesserte Absatzmarkteffizienz. Ein erfolgreicher Modellmix des OEM ist ein Zeichen hoher Markteffizienz. Die Ressourceneffizienz analysiert die Nutzung von Ressourcen in Form von Potenzialfaktoren (Maschinen, humane Faktoren, immaterielle Faktoren). Man stellt sich die Frage, wie Ressourcen in einem Unternehmen oder in einer Wertschöpfungskette unter Beachtung des Gesamtunternehmens- oder Wertschöpfungsziels genutzt werden. Der reine Leistungsprozess eines Unternehmens gegenüber seinem Kunden wird durch die Prozesseffizienz beschrieben. In der dritten Revolution geht es hierbei vor allem um die Optimierung der Gesamtwertschöpfungskette. Auch dieser Effizienzgedanke wird in unseren weiteren Überlegungen eine wichtige Bedeutung haben, wenn es um quantitative Veränderungen der OEM-Zulieferer-Beziehungen geht. Schließlich ist die Delegationseffizienz als letztes Kriterium der Koordinationseffizienz zu betrachten. Einerseits ist es sinnvoll, Aufgaben nicht zu delegieren, da übergeordnete Einheiten eine größere Problemumsicht als untergeordnete haben bzw. diese einholen können. Andererseits fallen auch auf niedrigeren Hierarchieebenen entscheidungsrelevante Informatio-
4.1
Effizienz
101
nen an, die unter Umständen aufbereitet und vertikal weitergeleitet werden müssen (Abstimmungskosten). Delegationseffizienz liegt entsprechend dann vor, wenn es gelingt, Entscheidungen so vorzunehmen, dass die Vorteile einer Nutzung der größeren Problemumsicht übergeordneter Einheiten die Nachteile der Verursachung von Informationsverarbeitungs- und Kommunikationskosten wettmachen. Neben der Koordinationseffizienz muss die Motivationseffizienz berücksichtigt werden. Im Kern geht es hierbei darum, dass die Mitarbeiter in ihrem Verhalten mit den Unternehmenszielen übereinstimmen. Jeder Mitarbeiter hat einen ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum. Diese Verhaltensspielräume sollten möglichst unternehmenszielkonform ausgefüllt werden. Dabei gilt es drei Kriterien der Motivationseffizienz zu unterscheiden: Eigenverantwortung
Überschaubarkeit
Marktdruck
Die Leistungsbereitschaft nimmt tendenziell mit der Ausweitung des Entscheidungsspielraumes zu
Möglichst klar definierte und abgeschlossene Aufgabenkomplexe, kleine Entscheidungseinheiten und räumliche Konzentration von Aktivitäten wirken motivierend
Durch den Vergleich von Aufgaben mit marktlichen Alternativen entsteht Motivation
Abb. 31. Motivationseffizienz im Überblick (Frese 2000)
x Der Kern von Eigenverantwortung besteht in einer vermehrten Delegation von Entscheidungen. Je größer die Verantwortung einzelner Personen ist, desto größer ist ihre Motivation. Dabei ist es wichtig, dass die Aufgabe als sinnvoll eingeschätzt wird und die Mitarbeiter eine Verantwortung für das Arbeitsergebnis empfinden. x Hinsichtlich der Überschaubarkeit ist davon auszugehen, dass die Bildung abgeschlossener Aufgabenkomplexe, die Realisierung kleiner Einheiten und die Möglichkeit der räumlichen Konzentration von Aktivitäten motivierend auf die Mitarbeiter wirkt. Überschneidungen sind frustrierend. x Der Marktdruck vermittelt den Mitarbeitern, dass es zu ihrer Aufgabe marktliche Alternativen gibt. Aus diesem Grund finden sich bei Beamten oftmals Motivationsprobleme, da diese Alternativen nicht bestehen. Durch die Einführung marktbezogener Informationen (beispiels-
102
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
weise durch Verrechnungspreise) in allen Bereichen des Unternehmens werden Vergleichsmöglichkeiten geschaffen. Dieser Vergleich mit dem „Benchmark“ führt dazu, dass Mitarbeiter das eigene Verhalten und eigene Strukturen auf Effizienz überprüfen, auch auf die Gefahr hin, dass der eigene Arbeitsplatz in Frage gestellt wird. Unter Berücksichtigung der dargestellten vier Effizienzkriterien können präzise Verbesserungen bei Strukturen, Systemen oder gesamten Wertschöpfungsketten erzielt werden. Die Abgrenzung der einzelnen Kriterien ist notwendig, um konkrete Lücken und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Der Effizienzbegriff alleine ist für unsere Überlegungen zu diffus und nicht konkret genug. In den folgenden Kapiteln werden wir uns intensiv mit Effizienz beschäftigen. Nachdem wir den Begriff der Effizienz relativ theoretisch dargestellt haben, möchten wir anhand eines Beispiels den Zusammenhang praktisch vorstellen: Effizienzsteigerungen sind in der jüngeren Vergangenheit oftmals mit der Durchsetzung von Standards in Verbindung gebracht worden. Insbesondere in der IT-Industrie haben Standards die Effizienz der Industrie gefördert und starke Auswirkungen auf die gesamte Branche nach sich gezogen. Bei einem Produktstandard handelt es sich um eine einheitliche Art und Weise der Entwicklung oder der Herstellung eines Produktes. Wichtig dabei ist, dass das Produkt in gleicher (standardisierter) Form wieder verwendet wird und damit Einzug in andere Bereiche oder Produkte halten kann. Ein populäres Beispiel eines Standards sind die Prozessoren der Firma Intel. Die Chips bieten eine offene Schnittstelle zu anderen Bauteilen im Computer. Intel hat durch diesen offenen Standard eine relativ schnelle Marktdurchdringung erreicht. Die Kompatibilität mit anderen Computerkomponenten förderte die schnelle Umsetzung des Standards. Innerhalb kürzester Zeit wurde eine große Zahl von Computern mit einem Intel-Chip ausgestattet. Ein offener Standard wie in unserem Beispiel führt im Vergleich zu einem kontrollierten Standard schneller zu einer Vereinheitlichung von Schnittstellen und Produkten. Bei relativ komplexen Produkten wie Chips führt die Standardisierung zu enormen Effizienzvorteilen. Eine größere Nachfrage führt zu höheren Volumina, die wiederum Skaleneffekte erzeugen. Wir haben bereits gesehen, dass insbesondere bei elektronischen Produkten Skaleneffekte eine sehr große Bedeutung haben. Die Produktions-
4.1
Effizienz
103
prozesse können bei höheren Stückzahlen bedeutend effizienter gestaltet werden. Standardisierte Schnittstellen zwischen Teilprodukten erleichtern den Koordinationsaufwand für das Gesamtprodukt. In der Entwicklung und bei der Herstellung des Produkts ergeben sich deutliche Vorteile. Neben diesen Effizienzvorteilen muss auch auf eine gewisse Abhängigkeit bei standardisierten Produkten hingewiesen werden. Hierbei wird deutlich, welchen Einfluss ein Standard auf das Konsumentenverhalten und eine ganze Industrie haben kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Power of Standards“. Diese entwickelt sich in einem so genannten „Lock-in-Zyklus“, der in Abbildung 32 grafisch dargestellt ist. Markenauswahl
Lock-in
Probelauf
Verschanzung
Abb. 32. Lock-in-Zyklus (Shapiro u. Varian 1999)
Zunächst wählt der Kunde ein Produkt aus und testet die Technologie. Im Lauf der Zeit entwickelt er Vorlieben für das Produkt und die Anbieterunternehmung. Im Rahmen dieser „Verschanzungsphase“ gewöhnt er sich an die Marke und tätigt weitere Investitionen in das Produkt, wodurch sich die Wechselkosten und seine Bindung entsprechend erhöhen. Diese Phase kulminiert im Lock-in genau dann, wenn die Kosten für die Umstellung der Technologie (Wechselkosten) für den Kunden zu hoch werden. Er wird nun bei der nächsten Marken- oder Anbieterauswahl aufgrund der hohen Wechselkosten stärker auf den bisherigen Anbieter fixiert sein als bei der ersten Markenauswahl. Ein Apple-Computer kann als Beispiel für das Lock-in-Phänomen herangezogen werden. Nachdem sich der Konsument den Rechner zugelegt und erste Präferenzen entwickelt hat, tätigt er weitere Investitionen mit dem Kauf eines Druckers, Scanners oder Lautsprechersystems. Mittlerweile
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4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
sind diese Systeme zwar technisch kompatibel zu anderen Computern, das Design ist es jedoch nicht. Bei der Anschaffung eines neuen Flachbildschirms wird sich der Konsument in Zukunft voraussichtlich wieder für ein Apple-Produkt entscheiden, da sonst Designinkonsistenzen entstehen. Ähnliche Beispiele gibt es bei Digitalkameras und MP3-Playern. Neben einer Technologieinkompatibilität wird eine Designinkompatibilität immer bedeutender bei der Erreichung eines Lock-ins. Die Beispiele haben uns vor Augen geführt, dass das Management von Standards nicht leicht ist. Oftmals konkurrieren mehrere Standards miteinander. Ein bekanntes Beispiel aus der Vergangenheit ist der Konkurrenzkampf bei der Durchsetzung eines Standards für Videorekorder. Von den beiden Systemen VHS und Betacam setzte sich ersteres im Markt durch. Bei der Marktdurchdringung spielte in diesem Fall die technische Leistungsfähigkeit des Systems keine Rolle. Betacam konnte sich trotz technischer Überlegenheit nicht etablieren, da dem Management um VHS ein entscheidender Schritt gelang: Das Konsortium erreichte, dass Videotheken mehrheitlich Filme im VHS-Format anboten. Dadurch stieg die Nachfrage nach VHS-Videorecordern und das System erlangte eine entsprechende Marktdurchdringung.
4.2 Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung 4.2.1
Effizienzpotenziale innerhalb der Herstellerunternehmen
Entwicklungsorganisationen Wir möchten an dieser Stelle typische Strömungen in der aktuellen Fahrzeugentwicklung auf der OEM-Seite vorstellen. Dabei geht es uns nicht darum, Einzelheiten aufzuzeigen, sondern darum, eine Tendenz vorzustellen. Die Entwicklung von Automobilen innerhalb des OEM ist stark projektorientiert. Die Projekte entsprechen dabei in der Regel einzelnen Fahrzeugtypen und es gibt entsprechend viele „Fahrzeugverantwortliche“ in unterschiedlichen OEM-Entwicklungsabteilungen. Diese funktionale Orientierung wird in den meisten Fällen um eine weitere Perspektive ergänzt: Das Fahrzeug wird in Entwicklungsteilbereiche zerlegt, denen Entscheidungskompetenz zugesprochen wird. Produktbereichs- und Fahrzeugverantwortliche sind die entscheidenden Personen in dieser aktuell typischen Struktur einer OEM-Entwicklungsabteilung. Diese Matrixstruktur birgt verschiedene Probleme mit sich, die die Effizienz des gesamten Unter-
4.2
Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung
105
nehmens belasten. Die entstehenden Probleme können auch durch steigende Fahrzeugvolumina nicht mehr aufgefangen werden. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass der Profit pro Fahrzeug zumindest in Nordamerika sinkt (vgl. Abb. 20, S. 63). Manche Unternehmen verdienen fast kein Geld mehr pro verkaufter Einheit oder müssen sogar zuzahlen, wie etwa General Motors bei einigen Modellen. Eine Steigerung des Volumens hilft daher nicht weiter, die unternehmerischen Probleme zu lösen. Das Umsatzdenken vieler amerikanischer Unternehmen muss einem Profitdenken weichen. Die Projektorientierung ist in diesem Fall als „bottom up“-Ansatz kritisch, wenn auf übergeordneter Ebene keine Synergieeffekte erzielt werden. Der Fokus auf einzelne Schnittstellen ist immer der Gefahr ausgesetzt, dass fahrzeugübergreifende und produktübergreifende Synergien nicht ausreichend erkannt werden. Das System baut auf einem weitgehend festgelegten definierten Prozess auf, der in den meisten Fällen keine Flexibilität erlaubt. Die Organisation kann sich ändernden Marktansprüchen kaum anpassen und „smart“ reagieren. Das entscheidende Problem in vielen derzeitigen OEM-Entwicklungsbereichen ist eine mangelnde Vernetzung und Integration von Experten. Die produktorientierte Entwicklung wird in Zukunft immer weniger Erfolg versprechend sein, da übergeordnete Themen gegenüber einzelnen Produkten in den Vordergrund treten. Komfort, Sicherheit, Freude, Emotion oder Leidenschaft können solche produktunabhängigen Entwicklungsthemen sein. Die Marke des OEM ist hierbei entscheidend und muss in Zukunft die treibende Kraft der gesamten Fahrzeugentwicklung sein. Demgegenüber ist eine fahrzeugspezifische Strukturierung redundant, weil zumindest der Markenkern für alle Fahrzeuge erfüllt werden muss. Heutige Entwicklungsbereiche von OEMs bieten dementsprechend eine zu starke Produktfokussierung, die den Blick auf einen übergeordneten markenspezifischen Wert nicht zulässt. In der Praxis zeigt sich dies daran, dass einer Vielzahl von Innovationen kein Markterfolg gelingt. Insbesondere deutsche OEMs sind stolz auf ihre Ingenieurleistungen. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass ein strategisches Marketing als Filter und Richtungsgeber in der Praxis fehlt und die Technik ingenieurs- und nicht marktbezogen entwickelt wird. Die mangelnde Vernetzung marken- und konsumentenrelevanter Bereiche mit der Entwicklungsabteilung ist derzeit bei den meisten OEMs anzutreffen und führt zu starken Ineffizienzen. Neue Ressourcen wie Psychologen, Trendexperten, Marktforscher oder strategisches Marketing müssen besser in die Entwicklung integriert werden, als dies heute der Fall ist. Interdisziplinarität ist entscheidend und tritt an die Stelle eines starken
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4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Fokus auf Ingenieurleistungen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationen kann dadurch besser gesichert werden. Die bessere Integration führt zu einer höheren Markt- und Ressourceneffizienz. Regionalität versus Globalität Die meisten OEMs haben die Balance zwischen Regionalität und Globalität in der Entwicklung nicht effizient gelöst. Derzeit zeichnet sich in der Industrie ein starker Trend zur Globalisierung ab. Wir haben in unseren bisherigen Ausführungen gezeigt, dass dieser Trend sehr stark in Verbindung mit der Konsolidierung der Industrie steht. Die globale Unternehmensausrichtung darf jedoch nicht überbewertet werden. Derzeit werden bei vielen OEMs globale Entwicklungsbereiche etabliert. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um eine Poolung von Ingenieursressourcen. Die mangelnde Effizienz aufgrund fehlender Marktkenntnis haben wir bereits angesprochen. Darüber hinaus sehen wir einen Effizienzverlust bei der produktunabhängigen Globalisierung. Innovationen werden in der Regel unabhängig von einem bestimmten Produkt in global ausgerichteten Bereichen kreiert. Für manche Fahrzeugbereiche ist diese Vorgehensweise effizient, jedoch nicht für alle. Die folgende Abbildung 33 macht deutlich, dass eine Produktorientierung die Entscheidung für eine global oder regional ausgerichtete Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Die mangelnde funktionale Ausrichtung der Entwicklung führt zu Effizienzverlusten bei vielen OEMs. Stückkosten
Interieur Produktionskosten
Elektronik Produktionskosten Volumen
Abb. 33. Balance zwischen Regionalität und Globalität
4.2
Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung
107
OEMs bedienen eine Fülle von Märkten und haben somit ein globales Geschäft. In der Regel bringt eine globale Entwicklung im Vergleich zu einer regionalen erhebliche Kostenvorteile mit sich. Das Produkt wird an einer Stelle entwickelt und auf alle Märkte übertragen. Verschiedene Ausgestaltungen des Produkts können in die Entwicklung mit einbezogen werden, so dass für die regionalen Märkte keine Anpassungen mehr vorgenommen werden müssen. Eine rein regionale Entwicklung ist demgegenüber mit vergleichsweise höheren Kosten verbunden, da gewisse Aufgaben mehrfach gelöst werden. Betrachten wir beispielsweise vier Regionen, so werden mindestens 70 Prozent der finalen Produkteigenschaften identisch sein. Die Entwicklung dieser 70 Prozent würde effizienter gebündelt auf globaler Ebene erfolgen. Regionale Produktentwicklungen sind entsprechend stark mit „Ineffizienzrisiken“ belastet. Gegenüber dieser allgemeinen Kostenbetrachtung wird in der Praxis eine Produktorientierung vernachlässigt. Unter Berücksichtung von produktspezifischen Kosten kann sich das Szenario grundlegend ändern und die tendenziell globale Ausrichtung der Entwicklung wird in Frage gestellt. Elektronische Produkte zeichnen sich durch hohe Skaleneffekte aus, die angesichts des extrem schnelllebigen Marktes umso mehr gefordert sind Unabhängig von den absoluten Entwicklungskosten ergibt sich eine Profitabilität nur, wenn hohe Stückzahlen umgesetzt werden können. Bei Produkten für den Fahrzeuginnenraum ist dieses Verhältnis anders. Skaleneffekte haben hier einen deutlich geringeren Einfluss auf die Kostensituation. Lerneffekte oder Qualitätsverbesserungen bei höheren Stückzahlen existieren natürlich auch, jedoch ist ihre Wirkung bedeutend geringer im Vergleich zum Elektronikbereich. Für das Unternehmen bedeutet dies, dass bei stark standardisierten Produkten, die sich durch entsprechend hohe Skaleneffekte auszeichnen, eine globale Unternehmensausrichtung im Sinne einer Plattformstrategie angebracht ist, während für weniger standardisierte Produkte mit geringen Skaleneffekten auch eine regionale Positionierung in Frage kommen kann. 4.2.2
Effizienzpotenziale zwischen Automobilherstellern
Nachdem wir Effizienzpotenziale bei der Fahrzeugentwicklung innerhalb des OEM aufgezeigt haben, betrachten wir nun die Potenziale in einer Entwicklungszusammenarbeit zwischen zwei OEMs.
108
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Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Wertschöpfung hoch Merger
Fahrzeugpartnerschaften
Modulpartnerschaften gering Zeitbezug kurzfristig
langfristig
Abb. 34. Entwicklungspartnerschaften zwischen OEMs
Wir unterscheiden drei unterschiedliche Formen der Entwicklungspartnerschaft: Modulpartnerschaften, Fahrzeugpartnerschaften und Merger. Modulpartnerschaften beziehen sich auf einzelne Teilbereiche oder Produkte des Gesamtfahrzeugs. In der Regel ist der Zeithorizont solcher Partnerschaften eher kurz- als langfristig. Die gemeinsame Entwicklung einer Fahrzeugkomponente ist dann effizient, wenn eine außerordentliche Komplexität vorliegt. Die Investitionen in die Entwicklung solcher Produkte sind in den meisten Fällen sehr hoch. Für die effiziente Gestaltung der Partnerschaft sind folgende Kriterien von Bedeutung: x Das Produkt ist relativ weitgehend standardisiert und benötigt keine umfassenden, OEM-spezifischen Anpassungen. x Durch die Partnerschaft gelangen die zwischen den OEMs standardisierten Produkte in eine größere Anzahl von Fahrzeugen, wodurch Skaleneffekte erzielt werden. x Letztlich muss es sich um Produkte handeln, die umfangreiche Investitionen verlangen, so dass der Skaleneffekt einen großen Nutzen mit sich bringt. In der Praxis haben sich beispielsweise Produktpartnerschaften für Motoren als effizient erwiesen. Hierbei handelt es sich um ein sehr komplexes und kostenintensives Produkt in der Entwicklung, da die Laufzeiten sehr lang
4.2
Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung
109
sind und Motoren nicht für alle Marken wettbewerbsdifferenzierend sind. Im Rahmen einer Entwicklungspartnerschaft werden die Kompetenzen zweier OEMs zusammengeführt und ressourceneffizienter genutzt. Gleichzeitig erhöht sich die Stückzahl der Fahrzeuge, in denen der Motor eingesetzt wird. Die Partner müssen dabei sicherstellen, dass die Anpassungen an die unterschiedlichen Marken nicht zu aufwändig werden, da diese die Effizienz nachhaltig belasten. In der automobilen Praxis hat es in der Vergangenheit effiziente Partnerschaften gegeben. Bekannte Motorenentwicklungspartnerschaften sind Kooperationen zwischen PSA und Ford oder zwischen Fiat und Opel. Produktpartnerschaften in der Entwicklung haben eine kürzere zeitliche Perspektive als Fahrzeugpartnerschaften. Hierbei handelt es sich um Kooperationen bei der Entwicklung eines gesamten Fahrzeugs. Der zeitliche Horizont einer solchen Kooperation ist umfassender, da vor allem die Komplexität in der Entwicklung deutlich höher ist als bei einem einzelnen Produkt. Da das Gesamtfahrzeug partnerschaftlich entwickelt wird, ist der Wertschöpfungsumfang ebenfalls größer. Die Effizienzbedingungen sind bei Fahrzeugpartnerschaften ähnlich wie bei Produktpartnerschaften. Der maximale Effizienzvorteil im Vergleich zur Alleinentwicklung wird dann erreicht, wenn hohe Investitionen nachhaltig reduziert werden können. Das entwickelte Fahrzeug muss allerdings markenspezifisch angepasst werden. Diese Anpassung muss aus Effizienzgesichtspunkten so erfolgen, dass eine hohe Markenidentität auf der einen Seite mit einer hohen „Produktentwicklungsidentität“ auf der anderen Seite verbunden wird. „Produktentwicklungsidentität“ bedeutet, dass ein möglichst hoher Anteil der Wertschöpfung bei beiden Fahrzeugen identisch ist und die Entwicklungskosten entsprechend nur einmal anfallen. Im Gegensatz zur Produktpartnerschaft spielen bei Fahrzeugpartnerschaften unterschiedliche Kompetenzen eine große Rolle. Die beiden Partner müssen sich in ihren Fähigkeiten ergänzen. Eine Kooperation etwa zwischen Audi und BMW wäre derzeit nicht effizient, da kein ausreichendes Ergänzungspotenzial vorhanden ist. Unterschiedliche, sich ergänzende Wettbewerbsvorteile führen dazu, dass in der gesamten Entwicklung nur die jeweiligen Stärken der Partner eingesetzt werden. Ein Unternehmen übernimmt beispielsweise die Motorenentwicklung und das andere die Elektronikarchitektur. Bekannte Beispiele für die gemeinsame Fahrzeugentwicklung sind die Kooperationen zwischen Fiat und Suzuki oder zwischen Toyota und PSA.
110
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Als dritte Form der Entwicklungspartnerschaft ist der Merger zweier Unternehmen zu nennen. Aus der Entwicklungsperspektive geht es bei dem Zusammenschluss zweier Unternehmen vornehmlich um Effizienzsteigerungen durch die Nutzung einheitlicher Plattformen. Treibende Kraft dabei sind abermals die Skaleneffekte aufgrund höherer Fahrzeugstückzahlen. Im Vergleich zu den ersten beiden Kooperationsformen sehen wir hier keine Effizienzpotenziale, sondern vielmehr Effizienzrisiken. In der Praxis wird neben der Poolung von Volumen ein wichtiger Effekt vernachlässigt, der globale Plattformen hinsichtlich ihrer Effizienz stark belastet: Neben Skaleneffekten muss die gegenläufige „Cost of Distance“ berücksichtigt werden. Die Wechselwirkung zwischen Regionalität und Globalität wird im derzeitigen Globalisierungstrend oftmals vernachlässigt. Beim Zusammenschluss von Mercedes-Benz und Chrysler wurden diese Kosten falsch eingeschätzt. Insbesondere zwischen den USA und Europa sind die Costs of Distance sehr hoch. Umsatz- und Marktmachtziele waren bei dem Zusammenschluss nicht mit den rein betriebswirtschaftlichen Zielen zu vereinen, weswegen die Verbindung keinen Erfolg hatte. Die folgende Grafik macht den Zusammenhang deutlich. Abbildung 35 stellt ein Beispiel für einen Unternehmenszusammenschluss dar, der aus der Entwicklungsperspektive ineffizient ist: In der Ausgangssituation entwickelt das Unternehmen Fahrzeuge im hell dargestellten Kosten Merger empfehlenswert
Merger nicht empfehlenswert
Cost of distance
KMerger
KUntern. 1
K* Stückkosten VUntern. 1
V*
Volumenzuwachs auf einer Plattform durch Merger
Abb. 35. Kostenszenario einer Plattformerweiterung
VMerger
Volumen
4.2
Das Kernproblem liegt in der Produktentstehung
111
Bereich. Beim Zusammenschluss mit einem zweiten Unternehmen und der Entwicklung des Fahrzeugs auf einer gemeinsamen Plattform erfährt diese einen Volumenzuwachs. Die mit der Erhöhung der Stückzahl verbundenen Skaleneffekte können jedoch die „Cost of distance“ in unserem Beispiel nicht überkompensieren. Die Distanzkosten entstehen, weil die globale Entwicklung regional angepasst werden muss und ein enormer Abstimmungsbedarf zwischen den Regionen besteht. Unsere Darstellung der Balance zwischen Regionalität und Globalität ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Globale Entwicklungen ziehen Abstimmungskosten nach sich, die nicht in allen Fällen durch den Vorteil höherer Stückzahlen aufgefangen werden können. 4.2.3
Effizienzpotenziale zwischen Automobilhersteller und Zulieferer
Bereits in der zweiten Revolution der Automobilindustrie wurde vermehrt Wertschöpfung von der OEM- auf die Lieferantenseite übertragen. Lieferanten übernehmen schon heute mehr als die Hälfte der gesamten Fahrzeugwertschöpfung, da sie die Aufgaben effizienter lösen können als OEMs. Diese Entwicklungen haben in den letzten Jahren zu einer Effizienzsteigerung geführt, die bedeutend, aber nicht ausreichend ist. Gründe dafür sind ein mangelndes Vertrauen sowie die Angst vor Machtverlust auf der OEM-Seite. Betrachten wir die typische Entwicklung eines Fahrzeugcockpits: Der OEM lädt mehrere Lieferanten zu einem Wettbewerb in der Vorentwicklung ein. Alle Unternehmen investieren in die Entwicklung (ineffizienter Einsatz von Ressourcen) und stellen ihre Konzepte vor. Auf der Basis der unterschiedlichen Konzepte wählt der OEM einen Entwicklungspartner für das Fahrzeugcockpit aus. Dieser entwickelt dann gemeinsam mit dem OEM das endgültige Fahrzeugcockpit. Aus Effizienzgesichtspunkten ist bis hierhin, abgesehen von dem fragwürdigen Einsatz aller am Markt existierenden Cockpitentwicklungsressourcen, keinerlei Verschwendung entstanden. Ineffizient wird der Entwicklungsprozess im folgenden Schritt: Nach Abschluss der Entwicklung schreibt der OEM das Cockpit erneut aus. Neben den Entwicklungskonkurrenten werden weitere Lieferanten in die Preisverhandlungen integriert, die nur Teilbereiche des Cockpits fertigen können.
112
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Aus der OEM-Perspektive verliert die Partnerschaft mit dem Entwicklungslieferanten an diesem Punkt an Relevanz. Basierend auf den entwickelten Produktspezifikationen wird eine finale Ausschreibung durchgeführt. Der OEM muss in dieser Situation den Lieferanten für die Entwicklungsdienstleistung angemessen entlohnen. In der Praxis ist dies nicht immer der Fall, wodurch sich die Lage aus Effizienzgesichtspunkten noch verschärft. In manchen Fällen werden die einzelnen Produktpreise sowie der Preis des gesamten Cockpits gemäß einer „Best of Benchmark“-Analyse vorgegeben. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist in der folgenden Abbildung dargestellt. B
Abb. 36. Best of Benchmark eines Spiegels
Basierend auf den Benchmarkpreisen wird erneut eine Verhandlungsrunde eingeleitet. Aus Effizienzgesichtspunkten muss die Leistungsfähigkeit des Entwicklungspartners mit einem höheren Preis abgegolten werden. Das Unternehmen hat konkretes Know-how durch die Entwicklungstätigkeit erlangt, das die Mitwettbewerber nicht haben. Der Entwicklungspartner hat in der Regel deutliche Wettbewerbsvorteile, die entsprechend entlohnt werden müssen, damit die Gesamtwertschöpfung effizient ist. In der Praxis passiert normalerweise das Gegenteil, da der Entwicklungspartner sogar zu niedrigeren Preisen gezwungen wird. Neben diesem „Mentalitätsproblem“ führt ein weiterer Gesichtspunkt zu Ineffizienzen in der Entwicklung: OEMs haben kein ausreichendes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Lieferanten. Die Wertschöpfung wird zwar an externe Unternehmen abgegeben, aber gleichzeitig investieren die OEMs weiterhin in die Entwicklung eines identischen Produkts. Dieses Shadow Engineering dient der Aufrechterhaltung einer Beurteilungskom-
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
113
petenz. Die OEMs haben Angst, dass sie die Produkte der Lieferanten nicht mehr bewerten können und letztlich zu hohe Preise bezahlen. Die Investition in die Entwicklung wird dabei offenbar nicht berücksichtigt. Es gibt keinen wirtschaftlichen Grund dafür, dass OEMs künstlich eine Inhouseentwicklung aufrechterhalten für Produkte, die sie von externen Lieferanten beziehen und die nicht markenrelevant sind. Die Investitionen erhalten keinen Return und sind entsprechend ineffizient. Selbst wenn OEMs ohne Shadow Engineering einen höheren Preis bezahlen müssten, wäre diese Konstellation dennoch effizienter als kostenintensive Parallelentwicklungen und die damit verbundene Verschwendung von Ressourcen. Bei der Zusammenarbeit zwischen OEMs und Zulieferern wird das Ineffizienzproblem in der Entwicklung eindeutig durch den OEM verursacht. Auf der OEM-Seite zeichnet sich ein Mentalitätsproblem ab, welches eine marktliche Optimierung nicht erlaubt. Mangelndes Vertrauen leitet Kontrollmechanismen ein. Darüber hinaus werden Entwicklungsleistungen von Lieferanten nicht entlohnt. Die Leistungsorientierung in den ersten Phasen der Entwicklung weicht einer Preisfokussierung bei der Auftragsvergabe, welche die erbrachten Vorleistungen nicht mehr berücksichtigt. Effizienz muss in Zukunft auf die gesamte Automobilindustrie ausgedehnt werden. Die derzeitige Optimierung auf der OEM-Seite führt dazu, dass das Gesamtsystem Ineffizienzen beinhaltet. Im Rahmen der dritten Revolution der Automobilindustrie müssen sich die Geschäftsbeziehungen zwischen OEMs und Lieferanten deutlich ändern, da die Herausforderung der Vielfalt auf der Basis der eben dargestellten automobilen Entwicklungs(in)effizienz nicht gemeistert werden kann.
4.3 Die fünf Varianten der Vielfalt 4.3.1
Definition
Vielfalt als Antwort auf den Trend der Individualisierung ist nicht nur eine Herausforderung für die Automobilindustrie. In vielen Industrien hat sich in der Vergangenheit eine gestiegene Produktvielfalt entwickelt. Es spielt keine Rolle, welche Produkte man heranzieht. Schuhe, Mobiltelefone, Kosmetik, Pflegemittel, Uhren, Krawatten, Serviceangebote oder Möbel – in all diesen Bereichen gibt es unzählige Auswahlmöglichkeiten. Den Konsumenten steht eine außerordentlich breite Produktpalette zur Verfügung. Der Variantenreichtum erlaubt es ihnen, ein Produkt zu finden, das ihre Anforderungen optimal erfüllt.
114
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
4% p.a
5% p.a 31
16% p.a
14% p.a
285
15
36
5 8
1970
5 1998
Fahrradtypen
1970
1998
Bildschirmgrößen
1970
1 1998
Turnschuhmodelle
1970
1998
Kontaktlinsentypen
Abb. 37. Erhöhung der Vielfalt außerhalb der Automobilindustrie (Cax u. Alm 1999)
Wir verstehen Vielfalt wie folgt: Der Konsument hat die Möglichkeit, aus einer Auswahl an zur Verfügung stehenden Optionen ein Produkt zu wählen, das im Idealfall genau seinen Bedürfnissen entspricht. Beim Thema Vielfalt schließen wir die Entwicklung von „Low Cost Cars“ aus, deren Innovationskraft in einer kostengünstigen, aber begrenzten Auswahl liegt. Die Herausforderung der Vielfalt liegt nicht im Angebot, sondern in der Auswahl, wie das Beispiel des Internets deutlich macht: Eine schier unbegrenzte Anzahl an Internetseiten steht den Nutzern zur Verfügung. Hier ist die Vielfalt bereits effizient, da keine Kosten durch weitere Seiten entstehen. Weder Effizienz noch Vielfalt stellen in diesem Fall ein Problem dar, sondern lediglich das Management der Vielfalt. Der Anwender benötigt eine Unterstützung, um die Vielfalt zu überschauen. Internetsuchmaschinen sind hierbei ein wichtiges Werkzeug. 4.3.2
Der Konsument als Ausgangspunkt
Unsere Definition macht deutlich, dass der Konsument der Ausgangspunkt des Themas „Vielfalt“ ist. Im Vergleich zu den ersten beiden Revolutionen sind in der dritten Revolution nicht die Initiativen einzelner Unternehmen die Treiber der Revolution, sondern der Konsument. Dabei müssen klassische Methoden der Marktforschung, die sich stark auf demografische Aspekte konzentrieren, ergänzt werden. Früher ging man
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
115
Abb. 38. Konsumentenwandel
davon aus, dass vergleichbare demografische Merkmale zweier Konsumenten zu einem ähnlichen Wertesystem und Kaufverhalten der beiden Personen führen. Diese Sichtweise gilt heute nicht mehr und muss in Verbindung mit dem Individualisierungstrend überarbeitet werden. Abbildung 38 stellt diesen Zusammenhang dar. Heute und morgen müssen Unternehmen bei ihren Kunden trotz gleicher demografischer Merkmale unterschiedliche Werte und letztlich ein unterschiedliches Konsumverhalten berücksichtigen. Die Ansprüche der Konsumenten sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Unternehmen haben dann Erfolg, wenn sie Lösungen für die vielfältigen Wünsche bereitstellen können. Die Notwendigkeit, Vielfalt anzubieten, markiert den entscheidenden Unterschied zur Vergangenheit. Ein Beispiel für die Weiterentwicklung der Konsumentenforschung ist die Milieuforschung. Es erscheint sinnvoll, diese ergänzend zur klassischen Marktforschung hinzuzuziehen. Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen, die
116
Oberschicht / Obere Mittelschicht
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Sinus B1 Etablierte 10%
1
Sinus C12
Sinus A12 Sinus B12
Konservative 5%
Mittlere Mittelschicht
Moderne Performer 10%
Sinus B2
2
Bürgerliche Mitte 15%
Sinus AB2 Sinus A23 Traditionsverwurzelte 14%
Untere Mittelschicht / Unterschicht
Postmaterielle 10%
Sinus C2
DDRNostalgische 5%
Experimentalisten 8%
Sinus BC3 Sinus B3
3
Konsum-Materialisten 12%
Hedonisten 11%
© Sinus Sociovision 2007
Soziale Lage Grundorientierung
A
B
C
Traditionelle Werte
Modernisierung
Neuorientierung
Pflichterfüllung, Ordnung
Individualisierung, Selbstverwirklichung, Genuss
Multi-Optionalität, Experimentierfreude, Leben in Paradoxien
Abb. 39. Sinus-Milieus® in Deutschland (Sinus Sociovision 2007)
sich mit diesem Thema beschäftigen. Beispielhaft betrachten wir die so genannten Sinus-Milieus®. In der dargestellten Grafik werden Menschen entsprechend ihrer wertmäßigen Grundorientierung und ihrer sozialen Situation differenziert. Durch wiederkehrende Studien können in diesem Raster Milieus abgegrenzt werden, die untereinander möglichst heterogen sind. Personen innerhalb einer Gruppe zeichnen sich dagegen durch ein relativ homogenes Verhalten aus. Die Sinus-Milieus® umfassen Gruppierungen von Menschen, die eine ähnliche Lebensauffassung und -weise haben. Dabei fließen Wertorientierung und Einstellungen zu verschiedenen Bereichen wie Arbeit, Familie, Geld oder Konsum in die Abgrenzung mit ein. Die lebensweltlichen Bezugssysteme unterschiedlicher Menschen werden in Gruppen zusammengefasst. Von den Milieus werden Produktempfehlungen abgeleitet. Dieser Ansatz stellt eine wichtige Ergänzung zur demografischen Vorgehensweise dar. Werte und Einstellungen sind Elemente, die Kaufentscheidungen nachhaltig prägen können. OEMs können mit Hilfe der Milieus über die klassische Fahrzeugsegmentierung hinaus Lücken in ihrem Portfolio aufdecken und neue Autos platzieren. Die Milieuforschung ist eine wertvolle Unterstützung und ein wirksames Instrument bei der Aufgabe, Produkte und ganze Marken für verschiedene Konsumentengruppen zu positionieren.
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
117
Natürlich haben die Methoden der Milieuforschung auch Nachteile. Wir hatten den hybriden Konsumenten vorgestellt, der sich im Tagesverlauf unterschiedlich verhält. Dieses Phänomen ist auch mit der Milieuforschung schwer greifbar, da Menschen gewissermaßen tageszeitbedingt die Milieus wechseln. Die Milieus stoßen auch dann an ihre Grenzen, wenn sich starke Schwankungen des Konsumentenverhaltens innerhalb einer Gruppe ergeben. Betrachten wir etwa die Forderung nach einer CO2-Reduktion, so wird sie manchen Konsumenten der bürgerlichen Mitte völlig egal sein und die Kontinuität im Verhalten nicht beeinträchtigen, während andere Personen des gleichen Milieus ihr Kaufverhalten ändern, ihren VW verkaufen und sich ein Hybridfahrzeug von Toyota zulegen. Wir halten Milieus für ein wichtiges Instrument, doch sollten sie nicht die alleinige Grundlage von Innovationen oder Produktpositionierungen sein, sondern vielmehr als Gedankenanstoß und als Ergänzung klassischer Marktforschung herangezogen werden. 4.3.3
Umsetzung in der Automobilindustrie
Derzeit wird Vielfalt in der Automobilindustrie in Form von Marken, Fahrzeuglinien, Derivaten und Ausstattungsoptionen angeboten. Im Folgenden werden wir auf diese vier Umsetzungsmöglichkeiten einzeln eingehen. Erste Art der Vielfalt: Marken Wir haben bereits die Markenzusammensetzung der größten OEMs vorgestellt. Hierbei hat sich gezeigt, dass eine sinkende Zahl an Unternehmen einer gestiegenen Zahl automobiler Marken gegenübersteht. Unser Überblick zeigt eine Vielfalt von über 50 Marken mit unterschiedlichen Botschaften (vgl. Abb. 13, S. 49). Klare Markenbotschaften sind in der Vielfaltdiskussion eine zentrale Herausforderung. Vielfalt wird nur dann Erfolg haben, wenn sie für den Konsumenten tatsächlich unterschiedliche Optionen mit sich bringt. Die Trennschärfe der Marken muss zunächst innerhalb des eigenen Konzerns erreicht werden. Ebenso bedeutsam ist der Blick auf den Wettbewerb. Besetzen mehrere OEMs das gleiche „Markensegment“, verkörpern die Kerne ihrer Marken also ähnliche Werte, so ist eine Profilierung in diesem Markt schwierig. Viele OEMs neigen dazu, ihre Marken unklar zu definieren. „Partnerschaft“ ist ein Beispiel für ein solches unklares Markenattribut. In Zukunft sind derartige „Worthülsen“ nicht überlebensfähig. Konkrete und klare Attribute sind gefragt.
118
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Abb. 40. Markenaufladend versus weniger markenaufladend
Ein Beispiel für eine solche Segmentierung ist in Abbildung 40 dargestellt. Betrachten wir BMW und Volvo als Beispiel: Beide OEMs müssen klar unterscheiden, ob gewisse Attribute „aufladend“ sind für ihre Marke oder nicht. In der Praxis spricht man in diesem Zusammenhang auch von „brand boosting” für „markenaufladend“ und „commodity” für „nicht markenaufladend“. Für BMW sind Motoren oder eine Aktivlenkung eindeutig Elemente, die den Kern der Marke unterstützen. Andererseits sind Kopfstützen oder Außenspiegel weniger relevant, da sie nur schwer mit dem Markenkern in Verbindung gebracht werden können. Falls es gelingt, beispielsweise eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Kopfstützen und Dynamik herzustellen, besteht allerdings ein „Markenaufladungspotenzial“. Bei Volvo hingegen stellen Kopfstützen und Außenspiegel wichtige Elemente zur „Aufladung“ des Markenkerns dar. Unter Sicherheitsaspekten verfolgt Volvo beispielsweise die Philosophie, ausschließlich mit dem Sitz fix verbundene Kopfstützen einzubauen, da laut Studien die Verletzungsgefahr durch falsch eingestellte Kopfstützen sehr groß ist. Andererseits bietet beispielsweise ein „Blind-Spot“-System im Rückspiegel erhöhtes
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
119
Sicherheitspotenzial. Motorentechnologie oder Lenkungen sind dagegen für Volvo – im Gegensatz zu BMW – ein Disqualifier, also eine Notwendigkeit, jedoch kein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Diese Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Modul und Marke müssen OEMs in Zukunft stärker berücksichtigen. Um von Lieferanten markenprägende Produkte zu erhalten, ist diese Unterscheidung unumgänglich. Die derzeitige Vielfalt in der Industrie kann generell als schlecht gemanaged bezeichnet werden. Ausnahmen wie BMW oder Toyota zeigen, dass die Klarheit von Marken durch Produkte umgesetzt werden kann. In den meisten Fällen entzieht sich jedoch die Markenbotschaft dem Verständnis. Natürlich haben alle OEMs einen manifesten Markenkern, doch an dessen Umsetzung scheitern sie. Der Konsument muss anhand des Fahrzeugs die Kernbotschaften der Marke erleben. Bei mehr als der Hälfte der existierenden Marken sehen wir diese Konsequenz derzeit nicht. Die Markenvielfalt ist dementsprechend ineffizient. Zweite Art der Vielfalt: Modelle (Fahrzeuglinien) Unter einer Fahrzeuglinie verstehen wir ein Modell, das mehrere Karosserieformen haben kann. Beispiele dafür sind die E-Klasse von Mercedes-Benz oder der A6 von Audi. Im weiteren Verlauf verwenden wir die Begriffe Modell und Fahrzeuglinie synonym. Die existierenden Marken haben eine Vielzahl von Modellen im Angebot. Vor wenigen Jahren bot Mercedes-Benz mit der E- und S-Klasse, dem G1977
2007
Minifahrzeuge Kleinwagen
A
Untere Mittelklasse
CLK C C Coupé
Mittelklasse Ober-/Luxusklasse
B
E
S
Sportwagen/Cabrio
SL
SUV/Geländewagen
G
CL CLS S E R CLK G SLR SLK SL Cabrio Cabrio M
G GL GLK
Abb. 41. Modelle der Marke Mercedes-Benz im historischen Vergleich
120
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Modell und dem SL lediglich vier verschiedene Fahrzeuglinien an. Im Jahr 2007 platziert das Unternehmen dagegen 16 Modelle der Marke MercedesBenz am Markt. Unterschiedliche Karosserieformen innerhalb einer Fahrzeuglinie sind dabei nicht einmal berücksichtigt. MLK, SLK und CLS sind vollständig neue Fahrzeuglinien, die keinen Vorgänger haben. Dieser Anstieg der Modellvielfalt wird in Zukunft anhalten. Die Grenzen zwischen den klassischen Fahrzeugsegmenten verwischen zunehmend und es ergeben sich neue Modelle als Mischung klassischer Bereiche. Dritte Art der Vielfalt: Derivate Über die Vielfalt der Fahrzeuglinien hinaus ist in der Vergangenheit vor allem die Vielfalt der unterschiedlichen Derivate gestiegen. Unter einem Derivat verstehen wir unterschiedliche Karosserieformen einer Fahrzeuglinie. Bei unserem Beispiel der E-Klasse und des A6 stellen Kombi und Limousine zwei Derivate dar. Betrachten wir die unterschiedlichen Derivate des VW Golf, so wird die in den vergangen Jahren gestiegene Vielfalt klar deutlich. Bei seiner Einführung wurden mit dem 3- und 5-Türer lediglich zwei Derivate angeboten. Heute existierten Coupé / Cabriolet, Geländewagen und verschiedene raumfunktionale Derivate. In Abbildung 42 sind die Derivate des VW Golf aufgelistet. Es ist offensichtlich, dass heute bereits eine sehr hohe Derivatevielfalt vorliegt. In Zukunft wird der Trend zur Derivatevielfalt nicht einbrechen, Derivat Name Derivat
3-Türer Fließheck
4-Türer Limousine
5-Türer Fließheck
Kombi
Coupé
Cabrio
MPV
SUV
LCV
Golf EOS Tiguan Scirocco Golf Plus Jetta Touran Caddy existiert / geplant / realistisch
Abb. 42. Derivate des VW Golf
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
121
sondern sich vielmehr verstärken. Pro Derivat werden die verkauften Stückzahlen entsprechend sinken. Mit den heutigen Strukturen und Möglichkeiten können OEMs dieser Herausforderung nicht gerecht werden. Eine weitere Erhöhung der Vielfalt können sie wirtschaftlich nicht mehr vertreten. Vielfalt ist der richtige Weg, doch er muss mit einer gewissen Trennschärfe gegangen werden. Dieser Zusammenhang gilt nicht nur für Marken, sondern auch für Derivate. Inwiefern sich ein Golf Plus trennscharf von einem Golf 5-Türer, einem Variant und einem Touran unterscheidet, überlassen wir dem Markt. Es geht für die OEMs nicht darum, möglichst viele Fahrzeuge im Markt anzubieten, sondern mit ihren Produkten klare Botschaften zu verkörpern. Fahrzeuge, die dies nicht können, werden keinen Erfolg haben. In der folgenden Grafik ist zu sehen, mit welchem Anstieg der Vielfalt bei Modellen und Derivaten zu rechnen ist. Dabei werden hier beide Gruppen unter dem Begriff des Modells zusammengefasst. Auf der Stufe der Derivate ist der Trend zur Vielfalt noch nicht beendet, sondern lässt sich bei jedem einzelnen Derivat fortsetzen. 1100 +280 +50%
+270
830
+33%
720 550 450 280
320
215
1990
2000
2005
2015
Modelle weltweit Modelle Deutschland
Abb. 43. Anzahl neuer Modelle im Zeitablauf (B&D-Forecast 2006)
122
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
Vierte Art der Vielfalt: Ausstattungsoptionen Die einzelnen Derivate bieten eine Auswahl verschiedener Ausstattungsdetails an. Bei der Optionsvielfalt sind derzeit unterschiedliche Strategien bei den OEMs zu erkennen. Lexus bietet bei manchen Modellen beispielsweise nur vier Optionen an im Gegensatz zu seitenlangen Listen bei Marken wie Porsche, Ford oder Mini. Die Mehrheit der OEMs versucht an dieser Stelle die Profitabilität des Fahrzeugs zu verbessern und bietet entsprechend viele Auswahlmöglichkeiten an. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Ausstattungsoptionen und Derivate bei verschiedenen Fahrzeuglinien. Modell
Mercedes E-Class Mercedes C-Class BMW 3-Series Mini (BMW) VW Polo VW Golf Ford Focus GM Corsa GM Astra Renault Megane Ford Fiesta Toyota Corolla Renault Clio Peugeot 307 Fiat Punto Toyota Yaris Nissan Almera Peugeot 206 Nissan Micra
Karosserievarianten
Motoren
2 2 3 1 2 3 4 2 4 2 2 4 2 4 2 2 3 3 2
15 16 18 5 9 16 11 9 11 6 5 5 10 8 5 6 5 8 6
Farb- und Stoffkombinationen 285 312 280 418 195 221 64 77 83 52 57 24 57 70 51 30 30 70 30
Variationsmöglichkeiten
Optionen 70 59 45 44 27 26 19 17 14 14 13 6 9 9 8 8 5 5 4
3.347.807.348.000.000.000.000.000 1.131.454.740.000.000.000.000 64.081.043.660.000.000 50.977.207.350.000.000 52.612.300.800 1.999.813.504 366.901.933 36.690.436 27.088.176 3.451.968 1.190.784 162.752 81.588 41.590 39.364 34.320 3.036 1.739 676
Abb. 44. Variantenreichtum Automobilindustrie (Pil u. Holweg 2004)
Wir erwarten für die Zukunft eine weitere Zunahme der Optionsvielfalt. Für den OEM bringt diese Vielfalt ein entscheidendes Problem mit sich. Oft ist ein Fahrzeug, das die Fabrik in einer bestimmten Ausstattung verlässt, im Vorfeld so nicht getestet worden. Die OEMs haben nicht mehr die Möglichkeit, alle kritischen Varianten vorab zu testen, da die gestiegene Vielfalt dies nicht erlaubt. Dadurch ergeben sich in einigen Fällen Qualitätsprobleme, die abermals die Effizienz belasten. Andererseits wird diese Art von Vielfalt in Zukunft nicht mehr ausreichend sein, da sie ein zu geringes Maß an Flexibilität ermöglicht. Verschiedene Ausstattungsoptionen erlauben die individuelle Konfiguration eines Fahrzeugs, doch Anpassungen nach dem Kauf sind nicht mehr möglich. Unsere Auseinandersetzung mit den Anforderungen von Konsumen-
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
123
ten hat uns vor Augen geführt, dass Flexibilität in Zukunft tagtäglich gewährleistet sein muss. Automobile müssen sich den tageszeitbedingten Anforderungen der Fahrer und Passagiere anpassen können. Für die Zukunft ist dementsprechend davon auszugehen, dass neue Lösungen zur Umsetzung von Vielfalt bereitgestellt werden müssen. Die Produkte müssen sich in Zukunft im täglichen Gebrauch auf die Persönlichkeit, die Gefühlslage sowie die Vorlieben und Wünsche des Fahrers einstellen. Beispiele dafür sind Lichtoptionen im Innenraum, unterschiedliche Kühleinstellungen der Klimatisierung, Fahrwerkseinstellungen, wechselnde Farben im Exterieur oder reagierende Materialien. Der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt und wir sehen für die Zuliefererindustrie an dieser Stelle ein großes Zukunftspotenzial! Fünfte Art der Vielfalt – flexible Mobilität Die Industrie hat in der Vergangenheit immer wieder versucht „CrossoverFahrzeuge“ am Markt zu platzieren. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Modelle weitestgehend nicht erfolgreich gewesen. Geländewagen, Cabrio und Sportwagen sind nur sehr schwer miteinander zu verbinden. Alle Versuche, eine solche Synthese dennoch umzusetzen, haben eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit. Die von uns geforderte Klarheit der Marke gilt auch für das Modell an sich. Das Fahrzeug muss dem Konsumenten einen klar definierten Nutzen vermitteln. Um diese Klarheit in der Praxis umzusetzen, empfehlen wir eine Abkehr von „wilden Mischungen“. Wir halten es für wahrscheinlicher, dass Konsumenten zukünftig lieber zwei klar voneinander abgegrenzte Fahrzeuge finanzieren, als ein vermeintlich „alles könnendes Automobil“. In flexiblen Finanzierungskonzepten sehen wir eine Möglichkeit, diese Klarheit umzusetzen und gleichzeitig eine neue Art der Mobilität anzustoßen. Ohne erhöhte Flexibilität in der Fahrzeugfinanzierung wird diese neue Art der Mobilität nur sehr schwer zu erreichen sein. Die neue Mobilitätsvielfalt bedeutet, dass in Zukunft nicht mehr Fahrzeuge finanziert oder geleast werden, sondern eine konsumentenspezifische Mobilität als Ganzes. Der Konsument zahlt einen gewissen monatlichen Betrag und darf während der Leasingdauer seine Fahrzeuge wechseln. Im Sommer fährt man das Cabriolet und im Winter den SUV. Dabei sind auch unterschiedliche Zahlungsbereitschaften zu berücksichtigen. Für monatlich 400 Euro ist beispielsweise bei BMW die Flexibilität zwischen 3er, 1er Cabrio und X3 finanzierbar im Vergleich zu 600 Euro für die Auswahl zwischen 5er, X5 und 3er Cabrio. Um die Logistikkos-
124
4
Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
ten effizient zu gestalten, könnte der Anbieter jedem Konsumenten zwei Fahrzeugwechsel pro Jahr anbieten. Bei einer kurzen „Bestellzeit“ von vielleicht einer Woche hätte der Konsument die Möglichkeit, das Fahrzeug seinen derzeitigen Wünschen anzupassen. Dabei geht es nicht nur darum, dass SUVs im Winter und Cabrios im Sommer gefahren werden. Wir haben gesehen, dass Konsumenten heterogen und „probierfreudiger“ geworden sind. Manche Fahrzeuge würden sie sich niemals kaufen, jedoch gerne für einen gewissen Zeitraum testen. Außergewöhnliche Designs oder Nischen schrecken von einem Kauf ab, nicht jedoch von einem viermonatigen Test. Wir sehen diese Möglichkeit als große Chance, aber auch als Gefahr für die Automobilmarken. Konsumenten verbinden immer noch viele persönliche Aspekte mit ihrem Auto. Diese Verbindung wandelt sich allerdings zunehmend von einer Fahrzeugbindung („mein Golf“) zu einer Markenbindung („mein VW“). Für die OEMs bietet sich mit der vorgeschlagenen Mobilitätsvielfalt die Möglichkeit einer starken Markenbindung. Diese wird für heutige OEMs der wichtigste Erfolgsfaktor in der dritten Revolution sein. Die Gefahr für die Automobilmarken sehen wir darin, dass markenunabhängige Unternehmen dieses Mobilitätskonzept umsetzen. Unternehmen wie Europcar, Sixt oder Enterprise Rent-a-Car haben Zugriff auf alle Marken. Für sie stellt es kein Problem dar, das Mobilitätskonzept markenunabhängig zu betreiben, um somit dem Konsumenten eine noch viel größere Flexibilität zu gewährleisten. Für 500 Euro bekommt der Konsument hier u. U. die Flexibilität, zwischen allen Marken und Fahrzeugen in einem bestimmten Segment wählen zu können. OEMs müssen in Zukunft stärker als heute darauf achten, welche Aktivitäten im Markt ein Risiko für das eigene Markenmanagement darstellen können. Der Ansatz einer erweiterten Mobilität sowie das Erleben der Marke können jedoch noch weiter gefasst werden. Kooperationen des Handels mit anderen Branchen bemessen wir ein großes Zukunftspotenzial bei. Beispiele dieser Art könnten z. B. gemeinsame Angebote mit Reiseunternehmen sein. Der Kunde bucht eine Reise und erhält vor Ort das Fahrzeug seiner Marke. Auch markenspezifisch organisierte Adventurereisen müssen ausgedehnt und preiswerter im Vergleich zu heutigen Angeboten werden. Grundsätzlich steht das Erlebnis im Handel im Vordergrund. Die Marke muss durch Services und Dienstleistungen eine stärkere emotionale Bindung zum Konsumenten aufbauen. An dieser Stelle halten wir nicht nur die Mobilitätskonzepte nach Marken für wichtig, sondern auch eine Ausdehnung auf unterschiedliche
4.3
Die fünf Varianten der Vielfalt
125
Regionen. Wird das eigene Fahrzeug in der Urlaubszeit nicht genutzt, kann in der Urlaubsregion ein anderes Modell getestet werden. Diese Markenbindung in unterschiedlichen Regionen lässt sich auf viele Szenarien ausdehnen wie beispielsweise auf Geschäftsreisen. Wie wir bereits gezeigt haben, kommt es in Zukunft nicht mehr darauf an, dem Kunden ein Automobil zu verkaufen, sondern umfassende Mobilitätsdienstleistungen. Zudem ist auch bei Services und Dienstleistungen Modularität entscheidend. Modulare Zusammenstellungen unterschiedlichster Services bieten dem Konsumenten die Möglichkeit, ein für ihn individuell ideales Angebot zu erhalten. Reisen, Versicherungen, Werkstattservices, Waschstraßengutscheine oder Fahrzeugwechselmöglichkeiten sind Beispiele für solche modularen Services. Der Service im Schadensfall bietet weitere Potenziale. Hat ein Kunde einen Schaden mit seinem Fahrzeug, ist die Kooperation mit einer Autovermietung aus OEM-Sicht nicht empfehlenswert. Kundenbindung und Markentreue müssen entlang aller Stufen der Wertschöpfungskette aufrechterhalten bleiben. Der Kunde darf überhaupt nicht der Versuchung ausgesetzt sein, im Schadensfall ein markenfremdes Ersatzfahrzeug zu erhalten. Eine Vernetzung der Händler muss in solchen Fällen sicherstellen, dass dem Geschädigten ein Fahrzeug seiner bisherigen Marke zur Verfügung gestellt wird. Idealerweise handelt es sich dabei um ein höherwertiges Modell, um den Kunden zum Neukauf zu motivieren. Die geforderte Vielfalt bezieht sich vor allem auf Services und Dienstleistungen. Unternehmen, die diese Servicevielfalt umsetzen können, sind in den Bereichen Handel, Banken, Versicherungen, Autovermietungen, Reiseveranstalter oder Mobilitätsdienstleister zu finden. Die OEMs müssen definieren, mit welchen Mitteln sie die Bindung der Konsumenten zu ihrer Marke erhöhen wollen. Sechste Art der Vielfalt – flexible Module Im Rahmen der dritten Revolution in der Automobilindustrie sehen wir in flexibleren Produkten, die auch Updates während des Fahrzeuglebenszyklus ermöglichen, eine sechste Art der Vielfalt. Diese neue Vielfalt stellen wir in unseren Ausführungen zur Modularisierung vor (vgl. S. 164 ff.). 4.3.4
Zusammenfassung
Wenn sich OEMs stärker an den Konsumenten orientieren, müssen sie den bestehenden Pluralismus der Einstellungen, Merkmale und Wertvorstellungen aufgreifen und durch Automobile zum Ausdruck bringen. Wir
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Der Konflikt zwischen Effizienz und Vielfalt
haben gesehen, dass die Vielfalt in der Automobilindustrie derzeit auf unterschiedlichen Marken, Fahrzeuglinien, Derivaten und Ausstattungsoptionen beruht. Fahrzeuglinien und Derivate ergeben sich als Antwort auf aktuelle Konsumentenanforderungen. Sie werden sich in Zukunft durch eine höhere Flexibilität auszeichnen als bisher. Die Industrie muss sich darauf einstellen, die Lebenszyklen der Derivate zu verkürzen, und schneller auf Bedürfnisse reagieren. Sie muss Lösungen finden, um die Positionierung von neuen und die Streichung von weniger erfolgreichen Derivaten flexibler gestalten zu können als bisher. Dieser eher kurz- oder mittelfristige Zeithorizont ist bei Marken unangebracht. Hier ist Kontinuität wichtig, um die Glaubwürdigkeit und Konsistenz unter Beweis zu stellen. Klarheit steht hierbei vor Vielfalt, da Marken sonst verwässern und ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Kontinuität ist wichtig, um Konsumenten langfristig an eine Marke zu binden. Wir hatten bereits den Lock-in-Zyklus von Technologien vorgestellt. Dieser lässt sich auf das Markenmanagement übertragen. Es wird in Zukunft immer wichtiger werden, Konsumenten an die eigene Marke zu binden und einen Wechsel zu verhindern. Marken, Modelle und Derivate schaffen eine Grobdifferenzierung durch die Werte, die sie zum Ausdruck bringen. Beispielsweise haben sie einen Einfluss auf das Ansehen und den Status der Besitzer. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Individualisierung. Menschen, die einen Citroën C6 fahren, haben in der Regel eine andere Lebenseinstellung als Fahrer eines Audi A6. Darüber hinaus ist es sehr schwer, Aussagen über die Präferenzen der Konsumenten zu machen. Selbstverwirklichung kann zu einem gewissen Grad auch mithilfe der Marke erfolgen, jedoch sind die Möglichkeiten hier klar limitiert. Individuelle Vorlieben, Neigungen, Präferenzen, Einstellungen und Wünsche können nur sehr schwer mit Marken bedient werden und erfordern vielmehr individuelle Ausstattungsoptionen. Es zeigt sich, dass in diesen Punkten bereits eine gewisse Vielfalt vorhanden ist, die aber derzeit noch nicht effizient genug gestaltet wird. Die geforderte weitere Zunahme der Vielfalt kann unter diesen Bedingungen nicht sichergestellt werden. Revolutionäre Veränderungen sind notwendig, um eine weiter steigende Vielfalt effizienter zu managen. Dabei sehen wir in der Modularisierung von Produkten ein großes Potenzial, um den vermeintlichen Widerspruch zwischen Effizienz und Vielfalt zu bewältigen. Module stehen hierbei an erster Stelle, weil sie sehr weitgehende Personalisierungsmöglichkeiten bieten bei einer gleichzeitig hohen Effizienz in der Entwicklung.
5 Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
5.1 Einführung Modularisierung ist ein Kernelement der dritten Revolution in der Automobilindustrie. Bevor wir auf die einzelnen Ausgestaltungen auf OEMund auf Lieferantenseite eingehen, gilt es eine wesentliche Besonderheit und Unterscheidung im Blick auf die zweite Revolution festzuhalten. Die Steigerung von Effizienz galt auch in der zweiten Revolution als eine wichtige Herausforderung der Unternehmen. Fahrzeuge wurden zuvor meist unabhängig voneinander entwickelt. Innerhalb eines Konzerns gab es fahrzeugübergreifend nur sehr wenige Synergieeffekte. Die Effizienzsteigerungen in der Produktion konnten durch Toyotas revolutionäre Ansätze die Automobilindustrie grundlegend verändern. Auf der anderen Seite hielten immer mehr Plattformen Einzug in die Automobilindustrie. Aus anderen Industrien, insbesondere aus der Elektronikbranche, waren die Vorteile von Plattformen bereits bekannt. Für Automobile ergaben sich positive Effekte, die bisher unentdeckt geblieben waren. Die Anzahl an Fahrzeugvarianten konnte stark erhöht werden, während gleichzeitig die Kosten nur unterproportional stiegen. Zum heutigen Zeitpunkt ist die Plattformstrategie an ihre Grenzen hinsichtlich der Effizienzsteigerung gekommen. Gleichzeitig haben viele Unternehmen den Fehler begangen, die Plattformstrategie überzustrapazieren. Da eine Plattform über 40 Prozent der Wertschöpfung des gesamten Fahrzeugs auf sich vereint, führt sie bei den abgeleiteten Modellen zu einem hohen Maß an Gleichheit. Dadurch verlieren die Automobile an Prägnanz und Markenidentität. Dieser Verlust hat in vielen Fällen dazu geführt, dass die Konsumenten lediglich auf die günstigste zur Verfügung stehende Alternative zurückgriffen. Höhere Margen und Preise bei Fahrzeugen anderer Marken auf der gleichen Plattform konnten die OEMs unter diesen Umständen nur sehr schwer durchsetzen. Die Konsumenten ließen sich nicht beirren und erkannten, dass bei zwei technisch identischen Fahrzeugen unter Umständen große Preisunterschiede existieren.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Einige OEMs haben es in diesem Zusammenhang verpasst, ein Preispremium durch besondere Markenattribute und letztlich technische Differenzierungen zu etablieren. Dies war zudem auch nicht möglich, da über die Plattformen hinaus Unterscheidungsmerkmale nur sehr schwer realisierbar waren und der Markt für Konsumenten sehr transparent geworden war. Der Konsument bekommt in Zukunft eine neue Bedeutsamkeit. Gleichzeitig werden vor allem solche Innovationen und Technologien entscheidend, die Konsumenten mit ihren Sinnen erfahren können. Wichtig ist dabei, dass es um alle Dimensionen des Erfahrens geht, also auch Fühlen, Riechen oder Hören entscheidende Faktoren sein können. Unter diesem Gesichtspunkt nehmen die Produkte sehr unterschiedliche Positionen auf der Wichtigkeitsskala ein. Einige sind sehr gut erfahrbar, andere weniger. Sehen ist vielleicht für Produktinnovationen normalerweise wichtiger als Spüren, doch gibt es einige Automobilmarken, bei denen das Spüren eine ganz entscheidende Rolle spielt. Produkte wie automatisierte Schaltgetriebe haben für Marken wie beispielsweise Jaguar oder Mercedes-Benz eine hohe Priorität. Für die Konsumenten sind solche Produkte entsprechend weit oben auf der „Relevanzskala“ angeordnet und müssen unternehmensintern andere Prozesse durchlaufen als weniger „konsumentenrelevante“ Innovationen. Die Marke des OEM ist dabei – wie unser Beispiel zeigt – entscheidend. Die einzelnen Produkte müssen mit der Marke als Ganzer in Einklang stehen und sie verstärken, anstatt sie zu schwächen. Wir sprechen hier von Markenaufladung und stellen die Grundfrage, ob ein Produkt den Kern der Marke unterstützt oder nicht. Im Folgenden werden wir diese Unterscheidung als „Brand Building versus Commodity“ bezeichnen. Nicht jedes Produkt hat das gleiche Potenzial, einen Beitrag zur Unterstützung der Marke zu bieten. Schrauben können die Marke des Automobilherstellers weniger leicht fördern als eine Getriebeeinheit. Produkte mit geringer Relevanz für den Konsumenten eignen sich tendenziell weniger gut zur „Aufladung“ der Marke. Kann ein Konsument ein Produkt mit seinen Sinnen erleben, so ist das Potenzial für die „Markenaufladung“ größer. Commodityprodukte machen ein Marketing dabei nicht unmöglich, sondern stellen eine größere Herausforderung dar. Stahl als eher konventionelles Produkt für Marketingexperten kann erhebliche Auswirkungen auf die Marke von OEMs haben – durch Themen wie Sicherheit, Leichtbau oder Sportlichkeit. Die Herausforderung besteht in der Verknüpfung zwischen Produkt und Marke. Der Übergang zwischen den beiden Extremen „Commodity“ und „Brand Building“ ist zunächst als fließend anzusehen. Für das weitere Vorgehen wollen wir nur Szenarien für die beiden Extrempunkte skizzieren.
5.2
Was ist Modularisierung?
129
Die Marken werden sich in Zukunft immer stärker voneinander unterscheiden müssen und dies durch entsprechende Produkte zum Ausdruck bringen. Grauzonen verlieren somit in Zukunft zunehmend an Relevanz und weichen der Erfordernis von Klarheit und Ausdrucksstärke. Die Modularisierung von Produkten muss diese Abgrenzungen sowohl auf OEMals auch auf der Lieferantenseite aufgreifen.
5.2 Was ist Modularisierung? Zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Modularisierung ist es sinnvoll, eine begriffliche Basis zu schaffen. Aus diesem Grund möchten wir zunächst eine definitorische Abgrenzung vornehmen. Dabei steht für uns die Praxis ganz klar im Vordergrund. Was wird in der Praxis unter einem Modul verstanden und wie kann es von einer Komponente, einem System und einer Plattform abgegrenzt werden? Wissenschaft, Praxis und die verschiedenen Unternehmen haben hier keine einheitliche Meinung. Teilweise gibt es gravierende Unterschiede bei der Definition des Modulbegriffs. Wir wollen für die dritte Revolution in der Automobilindustrie eine Definition wählen, die insbesondere bei der späteren Betrachtung der neuen Beziehungsgeflechte nützlich sein wird. Unter einer Plattform verstehen wir eine technische Basis. Sie ist eine Einheit, die keinen Einfluss auf die Außenhaut eines Fahrzeugs hat. Sie definiert lediglich die grundlegenden Dimensionen des Fahrzeugs wie Länge, Breite und den Radstand. Früher waren diese Grunddimensionen einer Plattform nicht veränderbar. Aus diesem Grund legte die Plattform das Segment der Fahrzeuglinie fest. Heute besteht z. B. hinsichtlich des Radstands eine gewisse Flexibilität der Plattform, wodurch der starre Fokus auf einzelne Segmente gelockert wird. In der Praxis wird eine Vielzahl von wertschöpfenden Elementen auf der Plattform zusammengefasst. Am Beispiel Volkswagen hatten wir im Rahmen der Auseinandersetzung mit der zweiten Revolution gezeigt, dass Aggregate, Achsen, Lenkung, Schaltung, Bremsen, Tanks, Abgasanlage, Reifen, Vorder- und Hinterwagen und die Hauptfahrzeugelektronik auf der Plattform fest installiert sind. In der zweiten Revolution war in vielen Fällen über die Hälfte der gesamten Wertschöpfung auf der Plattform vereinigt. Ein System entsteht durch die funktionale Integration verschiedener Produkte. Es dient immer einer Funktion, also beispielsweise dem Bremsen oder Kühlen. Systeme sind relativ unflexibel, da sie nicht immer in mehreren Fahrzeuglinien eingesetzt werden. Sie beschränken sich in der
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Praxis meist auf einen einheitlichen Einsatz in verschiedenen Derivaten. Selbst dort sind in vielen Fällen Anpassungen notwendig. Für die Spezifikation der Grundauslegung werden Systeme in Zukunft sehr wichtig bleiben. Ein System wird allerdings immer in einzelne Module zerlegt werden, die in ihrem Zusammenspiel die Auslegungsspezifikationen erfüllen müssen. Eine Betrachtung von Systemen ist dementsprechend in der dritten Revolution nicht weiter notwendig, sondern vielmehr eine Betrachtung der in ihnen enthaltenen Module. Unsere Moduldefinition ist auf die An- und Herausforderungen der dritten Revolution abgestimmt und entspricht nicht der gängigen Industriedefinition. In der Automobilindustrie wurde ein Modul bisher als physische Verbindung von Einzelteilen zu einem Gesamtteil angesehen. Ein „Frontend-“ oder „Cockpitmodul“ sind Beispiele derartiger Module, bei denen es sich stets um die physische Verbindung von Elementen zu einem funktionalen Bauteil handelt. In unserem Verständnis spielt das „Assembly“ keine Rolle. Wir verstehen Module als die physische Einheit mehrerer Teile. Wichtig ist, dass ein Modul eine oder mehrere festgelegte Schnittstellen und Funktionen hat. Es handelt sich um ein wieder austauschbares Teil. Die Austauschbarkeit muss dadurch gesichert werden, dass das Modul bei seiner Integration entweder in einer bestimmten Lage oder in einer bestimmten Funktion eingesetzt wird. Module sind marken-, fahrzeuglinien- und derivateübergreifend. In der Praxis ist es empfehlenswert, Module in Gruppen zusammenzufassen. Diese Gruppierungen nennen wir Hauptmodule. Das Verständnis des Begriffs Komponente ist bei vielen Beteiligten in der Automobilindustrie gleich. Das Wort geht auf den lateinischen Begriff componendum zurück und bedeutet übersetzt „das Zusammenzusetzende“. Somit ist eine Komponente ein Teil, welches in einem übergeordneten anderen Teil verbaut wird. Als übergeordnet stufen wir Module, Systeme und Plattformen ein. In welchem dieser drei Elemente die Komponente verbaut wird, spielt keine Rolle. In unserem Verständnis kann es sich bei einer Komponente allerdings auch um ein komplexes Produkt wie beispielsweise einen Stoßdämpfer handeln. Abgesehen von einzelnen Kleinteilen wie beispielsweise Schrauben oder Dichtungen sind auch Komponenten bereits ein Modul. Für das weitere Vorgehen werden wir auf diese modernisierte Definition des Komponentenbegriffs im Sinne eines Moduls zurückgreifen. Gemäß unserer Definition unterscheiden wir zwischen Modulen, Systemen und Plattformen. Der Schwerpunkt der dritten Revolution liegt im Vergleich zur zweiten nicht mehr auf der Plattform-, sondern auf der Modul-
5.2
Was ist Modularisierung?
131
ebene. Entsprechend unserer übergeordneten Sichtweise konzentrieren wir uns auf die Hauptwertschöpfung des Fahrzeugs, weshalb eine spezifische Auseinandersetzung mit Komponenten vernachlässigt werden kann. Zudem ist Letzteres kaum relevant, da nach unserem Verständnis auch einzelne Komponenten als Module aufgefasst werden können. Systeme schließen wir ebenfalls aus, da sie keinen Einfluss auf Geschäftsbeziehungen, Effizienz und Wertschöpfung haben. Abbildung 45 bietet einen Überblick unserer definitorischen Abgrenzung und eine Abgrenzung zum sonst üblichen Verständnis. Unser Konzept kann am leichtesten mit dem Bau eines Legoautos verglichen werden. Abbildung 46 stellt diese Moduldenkweise am Beispiel Lego dar. Mit einem Modulbaukasten hat man die Möglichkeit, verschiedene Produkte zu schaffen. Eine Vielzahl von Produkten entsteht bei gleichzeitig hoher Effizienz. Wenn man mehrere Elemente zu einem neuen Produkt zusammenfasst, beispielsweise zu einem Antrieb, entsteht ein Modul. Im Modulbaukasten sind mehrere Antriebsmodule notwendig, um Effiziente Vielfalt zu gestalten. In unserem Beispiel hätte eine Legokiste mehrere
Klassisches Verständnis
Modifiziertes Verständnis
x Technische Basis
Plattform
x Bestimmung der Grunddimensionen x Kein Einfluss auf die Außenhaut
x Segmentübergreifend aufgrund höherer Flexibilität
x Segmentspezifisch
System
x Funktionale Integration verschiedener Produkte
Modul
x Physische Verbindung („Assembly“) von Einzelteilen zu einem Gesamtteil x Beispiel: Cockpitmodul
Komponente
x Teil, welches in einem übergeordneten anderen Teil verbaut wird
x Keine Unterscheidung
x Austauschbares Teil x Festgelegte Schnittstellen und Funktionen x Primär unabhängig von Marken, Fahrzeuglinien und Derivaten
x Sobald Komponenten mit anderen Komponenten verbaut werden, liegt ein Modul vor. x Die meisten Komponenten sind Module.
Abb. 45. Definitorische Abgrenzungen
132
5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Abb. 46. Modulbaukasten am Beispiel Lego
Schubladen. Die Schublade mit der Bezeichnung „Antrieb“ enthält dabei zwei Module. Sechs Module befinden sich in der Schublade mit der Aufschrift „Rahmen“. Letztlich besteht das Legoauto gänzlich aus einer Vielzahl von Modulen. Dabei sind die einzelnen Module ihrerseits aus verschiedenen „Untermodulen“ zusammengesetzt, die wir einfacherweise auch als Module bezeichnen. Im Extremfall erübrigt sich die Kategorie der Plattform, da wie in unserem Legobeispiel das Automobil nur aus Modulen besteht. In der Praxis wird auch in der dritten Revolution der Automobilindustrie dieser Extremfall nicht auftreten, sondern es werden sich vielmehr neue Formen von Plattformen ergeben. Diese werden vor allem flexibler werden, da sie ledig-
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
133
lich eine Modulbasis darstellen. Vergleichbar ist dies mit der Bodenplatte eines Legoautos, die sehr flexibel ist. Unterschiedliche Module können an den jeweils dafür vorgesehenen Stellen aufgenommen werden.
5.3 Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern 5.3.1
Grundlagen des Modulbaukastens
Wir haben in der PEST-Analyse der dritten Revolution gesehen, dass Innovationen einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellen. Innovatoren müssen ihre „Time to Market“ deutlich verbessern, schnell auf Konsumententrends reagieren und schnell innovieren, ohne dabei qualitative Aspekte außer Acht zu lassen. Die OEMs begegnen den Herausforderungen mit immer kürzeren Produktlebenszyklen bei gleichzeitig steigender Modellvielfalt. Das effiziente Management dieser Herausforderung hatten wir als das Hauptproblem der dritten Revolution herausgearbeitet. Bisher ist man der gestiegenen Derivatevielfalt bei immer kürzeren Fahrzeuglebenszyklen mit Plattformen begegnet. Das Plattformkonzept bietet die Möglichkeit, modellspezifisch hohe Synergien zu erreichen. Gleichzeitig können umfangreiche Differenzierungen im Design erzielt werden, was der Vergleich eines Audi TT mit einem VW Caddy deutlich zum Ausdruck bringt. Dennoch gibt es Grenzen. Für einen Konzern sind mehrere Plattformen notwendig, um die verschiedenen Modelle und Segmente abzudecken. In der Vergangenheit waren Plattformen sogar auf einzelne Segmente fokussiert. Diese klare Abgrenzung ist heute nicht mehr der Fall. Es können durchaus mehrere Segmente mit ein und derselben Plattform bedient werden, dennoch gibt es stets ein Kernsegment. Abweichungen davon sind, prozentual gegenüber dem Gesamtvolumen betrachtet, fast vernachlässigbar gering. Das Effizienzniveau, das durch Plattformen erreicht wird, kann somit ab einem gewissen Punkt nicht mehr gesteigert werden. Weitere Verbesserungen sind kaum möglich, da Synergien über Segmente hinweg nicht weiter umgesetzt werden können. Lediglich modellübergreifend werden Vorteile erreicht (horizontale Effizienz). Hier ist der wesentliche Effizienzvorteil einer konsequenten Modulstrategie zu sehen. Nehmen wir wieder unser Legobeispiel, um die Effizienzvorteile plastisch darzustellen: Mit einer gut gefüllten Legokiste kann man sowohl Sportwagen als auch Kleinwagen bauen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Ähnlich ist ein Modulbaukasten einzuschätzen: Auf der Basis eines Modulbaukastens kann ein Unternehmen flexibel agieren. Die einzelnen Module werden sowohl bei weitaus unterschiedlicheren Fahrzeuglinien (horizontale Effizienz) als auch bei bedeutend mehr Derivaten (vertikale Effizienz) übergreifend eingesetzt. Selbst unterschiedliche Marken können mit gleichen Modulen bedient werden, wobei hier die Unterscheidung zwischen markenprägenden und nicht markenprägenden Produkten berücksichtigt werden muss. Werden die Schnittstellen standardisiert, können hohe Qualitäten erreicht werden. Neben der Erhöhung der Flexibilität wird gleichzeitig eine Reduktion der Komplexität erreicht. Plattformen sind sehr komplex; sie vereinigen einen Hauptteil der Wertschöpfung auf sich. Module haben eine bedeutend geringere Komplexität und eine tendenziell geringere Fehleranfälligkeit. Dies ist dadurch zu erklären, dass das Modul als Einzelteil überschaubarer und leichter zu managen ist. Fehler auf Modulebene können leichter identifiziert werden als im Zusammenhang der Plattform. Die Besonderheit einer Modulbaustrategie wie in Abbildung 47 dargestellt liegt vor allem in ihrer Flexibilität. Eine Plattform vereint eine Vielzahl von Elementen und hat im Vergleich zu einzelnen Modulen eine wesentlich höhere Komplexität. Dabei darf jedoch die Schnittstellenproblematik nicht vernachlässigt werden. Einzelne Module müssen miteinander Modulstrategie
Plattformstrategie Fahrzeuge
Plattform 1
Plattform 2
Plattform 3
Horizontale Effizienz
1
1
2
1
Luxusklasse
2
3
4
2
Fahrzeuge
Segment
5
6
3
Modulbaukasten
1
2
Modul 1
Mittelklasse
1
2
4
3
5
6
Modul 2
Kleinwagen
1
2
3
Vertikale und horizontale Effizienz 1
Abb. 47. Modulstrategie versus Plattformstrategie
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
135
kommunizieren, um eine hohe Flexibilität untereinander zu ermöglichen. Dazu sind offene Schnittstellen notwendig. Module unterliegen im Vergleich zur Plattform einer kontinuierlichen Entwicklung. Hier liegt ein besonders entscheidender Vorteil von Modulen, da ihr Lebenszyklus vom Lebenszyklus des Fahrzeugs abgekoppelt werden kann. Innovationen können auf diese Weise bedeutend einfacher auch während der laufenden Produktion des Fahrzeugs eingeführt werden. Eine ständige Verbesserung kann in diesem Zusammenhang leichter realisiert werden. Die Entwicklung erfolgt weniger fahrzeugspezifisch als modulspezifisch. Neue Module können im Verlauf der Produktion in alle bestehenden Modelle integriert werden. Dadurch kann die Entwicklung insgesamt bedeutend effizienter gesteuert werden. In diesem Punkt ist Toyota bereits heute sehr weit fortgeschritten. Ein neues Toyota-Modell kann bis zu 70 Prozent der Module des Vorgängermodells enthalten. Es werden solche Module integriert, die sich in vorangegangenen Modellen etabliert haben und einen hohen qualitativen Standard erreicht haben. Gleichzeitig wird die Entwicklung des Gesamtfahrzeugs entzerrt und vielmehr als ständiger Verbesserungsprozess betrachtet. Das Konzept der ständigen Verbesserung wurde in der Theorie des Lean Managements zwar bereits auf Bereiche außerhalb der Produktion ausgedehnt, doch erst jetzt ist eine neue Welle erkennbar, die es auch auf die Entwicklung anwendet. Aufgrund der Modularisierung lässt sich insbesondere der Entwicklungsprozess effizienter gestalten. Bisher lag der Schwerpunkt in der Regel auf einem fest definierten Entwicklungszeitfenster. Anschließend wurden weitere „gates“ der Serienproduktion durchlaufen und zeitversetzt die „Entwicklungsgates“ wieder gestartet. Dieser Prozess hat Effizienzvor- aber auch -nachteile. Innerhalb des Entwicklungszeitfensters ist von einer hohen Effizienz auszugehen, da vermehrt humane und finanzielle Ressourcen freigegeben werden. Anschließend werden diese Ressourcen jedoch verlagert, da die wesentlichen Herausforderungen des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt in anderen Bereichen liegen. Sie verlagern sich auf den Anlauf der Produktion und auf Herausforderungen während der laufenden Produktion. Bezogen auf die Entwicklung von neuen Produkten entsteht hier eine Lücke. Eine effiziente Weiterentwicklung findet nicht statt. Auch wenn sich das ursprüngliche Entwicklungsteam in verringerter Größe mit Weiterentwicklungen auseinandersetzen soll, so liegt doch sein Schwerpunkt in der Praxis auf einem Problembehebungsmanagement. Heute ist es kaum zu vermeiden, dass der Fokus des Unternehmens sich phasenspezifisch stark verlagert. Innerhalb einer Phase liegt zwar eine hohe Effizienz vor, doch die Gesamtwertschöpfung wird außen vor gelassen. Bildlich ge-
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
sprochen fahren Unternehmen mit Vollgas von einer Ampel zur nächsten (hohe Effizienz in der jeweiligen Phase) anstatt mit konstanter Geschwindigkeit und weniger Energieaufwand (Blick auf die Gesamtwertschöpfung) durch die Stadt zu fahren und dadurch stressfreier (effizienter) am Ziel anzukommen. Die Modulstrategie schließt die Plattformstrategie nicht aus. In der dritten Revolution muss es gelingen, beide Strategien sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Die Herausforderung liegt darin, dass die Plattformen flexibler gestaltet werden müssen als bisher. Sie müssen mehr Schnittstellen zu Modulen bieten als bisher und mehr Flexibilität in den Grunddimensionen zulassen. Im Rahmen einer Effizienten Vielfalt sehen wir die Modulstrategie als Ergänzung einer flexibleren Plattformstrategie. Werfen wir einen Blick auf den Modulbaukasten der Entwicklung: Welche Kernmodule sind konkret zu erwarten? Wir gehen nicht davon aus, dass alle OEMs einen identischen „Modulbaukasten“ zusammenstellen werden. Gemeinsamkeiten werden jedoch notwendig sein, um die Gesamteffizienz der Industrie zu erhöhen. Automobile müssen von den Markteilnehmern systematisch „legotisiert“ werden. Diesen Schritt übernehmen in der dritten Revolution die OEMs zunächst selber. Erst zu späteren Zeitpunkten werden vermehrt Aufgabenbereiche und Modularisierungsstrategien auf Lieferanten übertragen. In der folgenden Abbildung ist eine Zusammenstellung eines beispielhaften „Modulbaukasten“ dargestellt.
Hauptmodule
Chassis • Vorderachse • Hinterachse • Bremse • Tank • Reifendruckkontrolle • Kraftstofffördereinheit
Powertrain • Motor • Steuergerät • Starter • Wasserkühler • Getriebe • Schaltbox
Exterieur
Interieur
Elektronik
• Schiebedach • Schließanlage • Außenspiegel • Verdeckmechanismus • Tür • Body & White
• Sitze • HVAC • Airbags • Rückspiegel • Instrumententafel • Konsole • Innentür
• Radio • Navigation • Sitzelektronik • Klimaelektronik • Frontbeleuchtung • Heckbeleuchtung
Module
Abb. 48. Modulbaukasten
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
137
Elektronikmodule stellen eine Besonderheit dar, da sie eine sehr weitgehende Vernetzung mit allen anderen Modulen und Fahrzeugbereichen aufweisen. Prinzipiell ist kein Modul der Zukunft frei von Elektronik, so dass sich an dieser Stelle die größten Unterschiedlichkeiten zwischen den OEMs ergeben werden. Manche Unternehmen sehen beispielsweise das ESP eher als Modul im Bereich Chassis, andere eher als Elektronikmodul. Für unsere Zusammenhänge spielt es keine Rolle, welchem Hauptmodul einzelne Module zugeordnet werden. Bedeutsam für uns ist, dass jeder OEM in Zukunft einen ähnlichen Modulbaukasten definieren und seine Organisation entsprechend anpassen wird. Viele Module werden von externen Partnern bezogen werden, weswegen wir die Hauptaufgabe der OEMs in naher Zukunft in der Schnittstellenkoordination sehen. Diese Problematik ist sehr komplex, wie der Blick auf die Architektur eines Innenraumes deutlich macht. Module müssen miteinander kommunizieren, aufeinander abgestimmt sein und gleichzeitig eine hohe Kompatibilität zu weiteren Modulen bieten. Das Management offener Schnittstellen ist entscheidend. 5.3.2
Entwicklungsprozess
Die Entwicklung von Modulen muss einem bestimmten Prozess folgen. Wichtige Elemente dieses Prozesses sind in der folgenden Abbildung grafisch dargestellt. Die Marktanalyse stellt eine der wesentlichen Neuerungen der dritten Revolution dar. Die Verbesserungen beziehen sich vor allem auf die Markt-
Strategie
Konzeptentwicklung
Markanalyse • Konsumentenverständnis • Effizientere Fahrzeugpositionierung
Serienentwicklung
Technologie • Nutzung virtueller Entwicklungstechnologien • Hard- und Softwaredefinition Marke • Analyse der Markenrelevanz und des Anpassungsbedarfs der Module
Finanzen • Sicherstellung von Kosteneffizienz
Abb. 49. Entwicklungsprozess beim OEM
Serienanlauf Serienanlaufprozess • Sicherstellung von Produkt- und Prozessqualität
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
effizienz. Die Entwicklung muss sich entsprechend dem Konzept der Effizienten Vielfalt stärker an Konsumenten ausrichten als bisher. Konsumenten müssen genauer verstanden werden und die Produkte müssen klarer für die jeweiligen Zielgruppen positioniert werden. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das Verhalten von Konsumenten sehr komplex ist und dass das Verständnis dafür sowohl auf der Lieferanten- als auch auf der OEM-Seite vertieft werden muss. In der Kategorie Technologie geht es vor allem darum, die Ressourcenund die Prozesseffizienz zu verbessern. Frühzeitig müssen vermehrt virtuelle Technologien im Produktentwicklungsprozess eingesetzt werden. Als Voraussetzung dafür dient ein Projektmanagement. Dadurch werden die freien Ressourcen besser genutzt und durch diese Potenzialoptimierung wird die Ressourceneffizienz verbessert. Über Bereichsgrenzen hinweg muss Transparenz geschaffen werden. Durch diese Entwicklung werden Kosten nachhaltig gesenkt und Potenziale besser ausgeschöpft als bisher. In dieser Phase muss der OEM die Auslegung seines Modulbaukastens definieren. In unserem Legobeispiel haben wir von mehreren Schubladen Modulwertschöpfung hoch
„3 Inhalte“
„6 Inhalte“
„13 Inhalte“
Blindleistung
Blindleistung
gering Modul 1 : Inhalt Modul 1
Modul 2 : Zusatzinhalt Modul 2
Abb. 50. Festlegung des Modulinhaltes
Modul 3
Abgrenzung der Module
: Zusatzinhalt Modul 3
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
139
gesprochen, die unterschiedliche Module enthalten. Die einzelnen Module müssen im nächsten Schritt voneinander abgegrenzt werden. Abbildung 50 soll verdeutlichen, unter welchen Voraussetzungen diese Abgrenzung stattfindet. Die Herausforderung der Modularisierung liegt darin, dass nicht zuviel „Blindleistung“ im Modul enthalten sein darf. Darunter verstehen wir Folgendes: Module haben den Effizienzvorteil, dass sie in verschiedenen Fahrzeugmodellen eingesetzt werden können. Nehmen wir als Beispiel ein Navigationssystem: In der Praxis muss es für dieses Modul Anpassungen an das jeweilige Zielfahrzeug geben. Gewisse Merkmale bleiben dem Topmodell vorbehalten und halten keinen Einzug in untere Fahrzeuglinien. Wird dennoch das gleiche Modul verbaut – um eventuell Skaleneffekte zu erzielen –, werden manche Funktionalitäten und Inhalte für die unteren Fahrzeugsegmente oft nicht gefordert. Die Blindleistung besteht darin, dass das Modul grundsätzlich dazu im Stande ist, mehr Leistung zu bieten, diese jedoch elektronisch nicht freigeschaltet ist. Wenn Leistungsfähigkeit in einem bestimmten Modell nicht für die Nutzung freigegeben wird, geht Effizienz verloren. Je höher der elektronische Anteil der Wertschöpfung des Produktes ist, desto eher muss die Herausforderung der Blindleistung betrachtet werden. Im Serienanlaufprozess müssen gemischte funktionale Teams die Probleme des Serienanlaufes lösen. Wir sehen diese Teams im Rahmen der dritten Revolution als einen Übergangsschritt. Derzeit sind sie notwendig, da es in den vorgelagerten Stufen der Entwicklung noch massive Effizienzverluste gibt und vor dem Serienanlauf ineffiziente Nachbesserungen durchgeführt werden müssen. Zu einem späteren Zeitpunkt der Revolution werden diese Teams voraussichtlich nicht mehr nötig sein oder eher eine „Feuerwehrrolle“ einnehmen. In Notfällen bilden sich dann rasch crossfunktionale Teams, die Probleme lösen und sich – wenn der Brand gelöscht ist – wieder auflösen. Eine fixe Institutionalisierung ist langfristig nicht effizient. Dagegen wird in der dritten Revolution das Markenmanagement auf der OEM-Seite langfristig von Bedeutung sein. Hier liegen die Kernkompetenzen und die künftigen Aufgaben heutiger OEMs. OEMs müssen an dieser Stelle definieren, welche der Module für sie markenprägend sind und welche nicht. Abbildung 51 stellt dar, wie ein solcher Prozess aussehen sollte. Der OEM muss eine Strategie entwickeln, welche Module seines Baukastens die eigene Marke unterstützen und welche nicht. In unserer Grafik haben wir diese „Markenaufladbarkeit“ auf einer 5-stufigen Skala bewertet.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung Modulbaukasten
„Modulschublade“
Markenwerte Modul
„Freude am Fahren“
„Aus Liebe zum Automobil“
Motor Antrieb
Getriebe Starter Schiebedach
Exterieur
Außenspiegel Tür Sitze
Interieur
HVAC Konsole
Markenaufladbarkeit
Abb. 51. Markenaufladbarkeit unterschiedlicher Module
Das Schiebedach unterstützt den Markenwert „Freude am Fahren“ in unserem Beispiel im Gegensatz zu „Aus Liebe zum Automobil“ relativ wenig, da es nicht direkt mit dem Fahren verknüpft ist. Ein großes Schiebedach vermittelt eher eine Wohlfühlatmosphäre, die mit Partnerschaft, Glück (Licht) und letztlich Liebe in Verbindung steht. Schließlich muss die Kontrolle der finanziellen Leistungsfähigkeit im Prozess institutionalisiert werden. Hierbei geht es darum, im gesamten Entwicklungsprozess Optimierungspotenziale aufzudecken. Auch an dieser Stelle ist zu sagen, dass wir es mit einer vorübergehenden organisatorischen Ausgestaltung zu tun haben. Hinsichtlich der Kostenoptimierung sehen wir aus verschiedenen Gründen langfristig nicht die Notwendigkeit, organisatorische Einheiten auf OEM-Seite zu schaffen, die Einsparpotenziale aufdecken sollen. Wir gehen davon aus, dass nur die OEMs am Markt Bestand haben können, die die höchste Gesamteffizienz aufweisen. Die Kostenstruktur der Unternehmen ist in diesem Zusammenhang enthalten. Die Potenziale der weiteren Kostenreduktion werden dementsprechend gering sein und es ist nicht effizient, auf OEM-Seite spezialisierte Einheiten dafür zu schaffen. Als Übergangslösung ist eine solche Institutionalisierung sowohl auf OEM- als auch auf der Tier-1-Seite allerdings notwendig. Mit-
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
141
telfristig werden entsprechende Teams auf der Lieferantenseite länger Bestand haben, da dort in Zukunft vermehrt Wertschöpfung – auch in der Entwicklung – generiert wird. Unsere Ausführungen zur Markenaufladbarkeit müssen in die Finanzkalkulation einbezogen werden. Bei der Vorstellung des „Best of Benchmark“ hatten wir bereits angedeutet, dass in Zukunft Wissen aus Vorentwicklungsverträgen mit höheren Preisen abgegolten werden muss. Stellen Lieferanten markenprägende Produkte für den OEM her, liegt eine ganz andere Konstellation vor als bei den „Commodities“. Je höher die Markenaufladbarkeit eines Produktes ist, desto höher ist der Preis dafür, da das Management mit der zunehmenden Markenunterstützung ebenfalls komplexer wird. Unsere Analyse des Modulmanagements auf der Lieferantenseite wird näher auf diese Zusammenhänge eingehen. 5.3.3
Organisatorische Veränderungen
Organisatorisch werden sich die Unternehmen in Zukunft neu positionieren müssen, um insbesondere die Entwicklungsphasen von den Produktionsphasen abkoppeln zu können. Vollständig wird sich dies nie umsetzen lassen, da der Abstimmungsprozess vor dem Anlauf der Produktion zusätzliche Ressourcen erfordert, doch eine Ressourcenentzerrung ist erreichbar. In diesem Zusammenhang wird ein völlig neues Einkaufsverhalten der OEMs notwendig. Der heutige Schwerpunkt liegt auf bestimmten Zeitfenstern. Es gibt klassische „Pursuit-Phasen“, in denen OEMs ihre Lieferanten für ein spezielles Produkt auswählen. Diese Phase wird heute zeitlich stets vor dem Start der Produktion (SoP) angesiedelt. Für Lieferanten hat dies den Vorteil, dass sie sich leichter auf ihre Kunden einstellen können, da sie prinzipiell alle Produktangebote in einem konkreten Zeitfenster abliefern müssen. Zukünftig steigen hier die Herausforderungen an Lieferanten. Ständig müssen produktspezifische Verbesserungen umgesetzt werden und Neubzw. Weiterentwicklungen durchgeführt werden. Gleichzeitig nimmt der Konkurrenzdruck erheblich zu. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass in der Zukunft eine Standardisierung von Schnittstellen nötig sein wird, um den Marktanforderungen gerecht werden zu können. Für Lieferanten ist diese Tatsache zunächst ein Nachteil. Kundenspezifische Schnittstellen bieten aus Lieferantensicht eine Chance, den Kunden „einzuschließen“. Lieferanten müssen ihre Lock-in-Strategien entsprechend modifizieren. Diese höheren Herausforderungen werden nicht von allen Lieferanten umgesetzt werden können. Ein Umdenken wird auf beiden
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Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Seiten notwendig sein und auch Lieferanten müssen ihre Organisationsstrukturen anpassen. Werfen wir konkret einen Blick auf mögliche organisatorische Veränderungen aufseiten des OEM. Die Modularisierung führt zu einer Entkopplung von Produkt- und Fahrzeuglebenszyklus. Insbesondere bei Elektronikmodulen müssen aufgrund kurzer Lebenszyklen Updates während des Fahrzeuglebenszyklus durchgeführt werden. Die Organisation auf der OEM-Seite muss dieser Herausforderung begegnen. Das Management dieser Produkte darf mit dem Anlauf der Produktion des Gesamtfahrzeugs nicht beendet sein. Fahrzeug- und Produktverantwortlichkeiten müssen organisatorisch voneinander abgetrennt werden. Es geht darum, organisatorische Einheiten zu schaffen, die Module permanent begleiten, sowohl in der Entwicklung und im Einkauf als auch in der Produktion und nach dem Ende der Produktion. Matrixstrukturen werden in Zukunft entsprechend stärker an Relevanz gewinnen. Heutige Matrixstrukturen zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass fahrzeugspezifische Verantwortlichkeiten auf der einen Seite und funktionsbereichsspezifische Besonderheiten auf der anderen Seite zusammengeführt werden. Eine Person ist hier für ein bestimmtes Fahrzeug zuständig und begleitet es über seinen gesamten „Lebenszyklus“. Die Matrix ergibt sich in der Regel daraus, dass Funktionsbereiche mit den jeweiligen Fahrzeugen zusammentreffen. So trifft beispielsweise der Fahrzeugverantwortliche auf den Einkauf, die Produktion oder das Marketing. Hier sind in Zukunft Anpassungen notwendig, da Module in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt werden. Eine stärkere Fokussierung der Organisationsstrukturen auf Module ist notwendig, beispielsweise durch die Etablierung von Modulverantwortlichen. Diese Einheiten sind verantwortlich für die Koordination aller Aufgaben hinsichtlich eines spezifischen Moduls. Hierbei ist es zunächst sekundär, ob das Modul eine eigene Entwicklung des Unternehmens darstellt oder vielmehr von Lieferanten bezogen wird. Wie wir mehrmals betont haben, gehen wir davon aus, dass in Zukunft die Entwicklung von Modulen vermehrt von Lieferanten übernommen wird. Insofern werden „Modulmanager“ bei OEMs voraussichtlich eher einen Schwerpunkt im Bereich des Beschaffungsmarketings haben als im Bereich der Entwicklung. Modulmanager haben einen umfangreichen Kompetenzbereich. Es handelt sich um eine sehr vielseitige Tätigkeit, da sämtliche Prozessstufen des Moduls koordiniert werden müssen. Wie bei jeder Matrixstruktur ist auch hier die Koordination der Schnittstellen problematisch. Sowohl die Fahrzeug- als auch die Moduleinheiten
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern Modulschublade 1 Modul 1
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Modulschublade 2 Modul 2
Modul 3
Modul 4
Derivat 1
Modell 1 Derivat 2
Marke 1
Derivat 3
Plattform 1
Derivat 1
Modell 2 Marke 2
Derivat 2 Derivat 3 Derivat 4
Plattform 2 Modell 3
Derivat 1 Derivat 2
Abb. 52. Modulmanagement in der OEM-Organisation
sind für einen gesamten „Lebenszyklus“ zuständig. Beschaffung, Entwicklung, Marketing, Produktion und Service werden innerhalb dieses Zyklus abgedeckt. Zwischen Modul- und Fahrzeugverantwortlichen müssen die Schnittstellen festgelegt werden. Ihre effiziente Gestaltung muss gesichert werden, damit die Modulstrategie Erfolg hat. Unterstützt werden sollte diese Gestaltung durch teamorientierte Strukturen, in denen die Abstimmung sehr effizient funktionieren kann. In manchen Bereichen macht es aus Effizienzgründen Sinn, Kompetenzbereiche zu gründen. Denkbar ist dieser Ansatz beispielsweise für die Marketingabteilung. Marketingaufgaben werden entsprechend aus dem Modul- und dem Fahrzeugprozess herausgenommen und in einer neuen separaten Einheit zusammengefasst. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn von Synergien aufgrund eines parallelen Marketings von Modulen (Modulmarketing) und von Fahrzeugen (Fahrzeugmarketing) ausgegangen werden kann. Sinnvoll ist die Bündelung in vielen Fällen auch für den Beschaffungsbereich von Unternehmen. Insbesondere in der Einkaufsabteilung müssen die Mitarbeiter weniger fahrzeug- oder modulspezifischen Fähigkeiten haben. Verhandlungsgeschick und der Umgang mit Menschen sind hier wichtiger und bieten Synergien im Vergleich zu einem fahrzeug- oder modulorientierten Einkauf. Die hiermit umrissene Grundidee muss für die Praxis weiter ausgearbeitet werden. Es kann dabei sinnvoll sein, bei den Modulen zwischen „marken-
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Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
relevant“ und „weniger markenrelevant“ zu unterscheiden. Sicherlich ist auch eine Strukturierung in übergeordnete und untergeordnete Module vonnöten. Weiterhin lässt sich das Modulmanagement beispielsweise in Lieferantensuche, Lieferantenverhandlung, Entwicklung, Serienanlauf, Serienproduktion und Service untergliedern. Ein strategisches Modulmanagement auf der OEM-Seite ist wichtig, da es einen starken Einfluss auf die Wertschöpfungskonstellationen hat. Der OEM muss in seiner Strategie festlegen, welche Module er selbst managen möchte und welche von externen Partnern bereitgestellt werden sollen. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass Modulmanager eine Vielzahl von Fähigkeiten haben sollten, da sie Aufgaben unterschiedlichster Art erfüllen müssen. Folgende Aufgaben fallen in den Kompetenzbereich von Modulmanagern. x Wettbewerbsanalysen x Marktanalysen x Innovationsstrategien x Schnittstellenkoordination x Modulbeschaffung x Entwicklung und Aufrechterhaltung eines wettbewerbsfähigen Modulkits x Schaffung von Synergien zwischen einzelnen Fahrzeuglinien und Plattformen Es handelt sich um ein breites Spektrum an Kompetenzen und Aufgaben, die vielfältige Anforderungen stellen. Die Koordination in der Matrixstruktur stellt dabei eine große Herausforderung dar. In allen Phasen der Wertschöpfung muss geklärt werden, welche Rolle und welche Kompetenzen die einzelnen organisatorischen Einheiten haben. Die folgende Abbildung 53 ist ein Vorschlag, wie in den Entwicklungsphasen eines Gesamtfahrzeugs die Schnittstellenproblematik zwischen allen wesentlichen Einheiten des OEM gelöst werden kann. Welche Entscheidungskompetenz jede Einheit hat, muss unternehmensindividuell geklärt werden und wird daher von uns nicht vorgeschlagen. Das Produktmanagement beinhaltet Marketing, welches auch im Entwicklungsprozess an Gewicht gewinnt.
5.3
Neue Formen der Modularisierung bei Automobilherstellern
Entwicklungsphase KonzeptEntscheiplanung dungsträger
Konzeptentwicklung
Koordination
Sourcing
Serienentwicklung
Vorserie
145
Markteinführung
Produktmanagement Konzeptentwicklung Serienentwicklung Einkauf Fahrzeuglinienmanager Modulmanager Marketing Design : Einflussstärke
Abb. 53. Einfluss verschiedener OEM-Einheiten im Entwicklungsprozess
Modulmanager und Fahrzeugverantwortliche sind die beiden Einheiten mit dem höchsten „Involvement“, da sie eine „Lebenszyklusverantwortlichkeit“ haben. Die Relevanz dieser beider Einheiten für die OEMs wird in Zukunft steigen. Durch die Modularisierung ergibt sich eine veränderte Positionierung der OEMs in der dritten Revolution. Im Vergleich zur ersten und zweiten Revolution der Automobilindustrie zeigen sich deutliche Unterschiede. In Bezug auf ihre Lieferantenpflege müssen die OEMs umdenken. Supplier Relationship Management wird im Rahmen der Effizienten Vielfalt eine wirkliche Bedeutsamkeit erhalten. Dies wird auf der OEM-Seite derzeit in den meisten Fällen zu einseitig betrachtet. Es geht nicht darum, den Lieferanten zu steuern, auch nicht darum, den vermeintlich günstigsten Preis der Anbieter zu erhalten beziehungsweise die beste Qualität. Lieferanten werden für OEMs in Zukunft ein kritischer Erfolgsfaktor. Neue Beziehungen zwischen OEMs und Tier-1-Lieferanten sind quantitativ, aber vor allem auch qualitativ die Besonderheit in der dritten Revolution der Automobilindustrie. Diesem Thema werden wir uns später ausführlich widmen. Wie wir gesehen haben, führt die Modularisierung unter dem Motto der Effizienten Vielfalt zu massiven Änderungen in der Struktur der OEMs. Diese sind notwendig, um den neuen Herausforderungen des Marktes gerecht zu werden. Die Entkoppelung der Entwicklung von den Produktionsphasen ist dabei ein wesentlicher Unterschied zur zweiten Revolution in der Automobilindustrie. Der Fokus aller beteiligten Unternehmen liegt nicht mehr auf der Produktion, sondern auf der Wertschöpfung als Ganzer. Die Organisationsstrukturen müssen sich entsprechend anpassen.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Fahrzeugvielfalt
3. Revolution
1. Revolution 2. Revolution
???
Toyota
Ford
Wertschöpfungstiefe
Fahrzeugvielfalt
Abb. 54. OEM-Positionierung in der dritten Revolution der Automobilindustrie
5.4 Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten 5.4.1
Einführung
Halten wir uns den „Legokasten“ vor Augen, so ergibt die Zusammenstellung einzelner Komponenten ein Modul. Die Verbindung zweier Module ergibt abermals ein Modul, bis schließlich das Gesamtprodukt vorliegt. Hauptmodule sind dabei grundlegende Fahrzeugbereiche wie Innenraum oder Powertrain. Zu berücksichtigen ist dabei die Schnittstellen- und Integrationsherausforderung. Module müssen standardisierte Schnittstellen aufweisen, um den Effizienzanforderungen der dritten Revolution gerecht zu werden. Lieferanten relativ einfacher Module müssen unter Umständen keine Integration vornehmen und brauchen deshalb nur ein geringeres Augenmerk auf die Integration zu richten. Das Thema Integration ist sehr komplex, da neue Standards geschaffen werden müssen. Derzeit gibt es nur vereinzelt industrieweite Standards,
5.4
Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
147
sondern eher eine kundenspezifische Schnittstellenkoordination. Beispielsweise existieren bei Audi einheitliche Protokolle für Schnittstellen bei Fahrerinformationssystemen. Dies ist bemerkenswert, jedoch erst der Anfang, da selbst innerhalb eines Konzerns wie VW diese Schnittstellen noch nicht voll standardisiert sind. Die Standardisierung von Modulen ist ein zwangsläufiger Prozess, der am besten ohne den Zwischenschritt der kundenspezifischen Schnittstellenkoordination umgesetzt wird. Aus diesem Grund ist es für Lieferanten empfehlenswert, im Rahmen der dritten Revolution modulspezifisch Schnittstellen zu definieren. Dies ist im ersten Schritt nur durch die Zusammenschließung von Lieferanten in einer modulbezogenen Integrationskooperation möglich. Bei dieser Definition sollten die Potenziale der Standardisierung berücksichtigt werden. Unsere Ausführungen zur „Power of Standards“ haben die hohe Bedeutsamkeit der Standardisierung bei der Integration dargestellt. Sie bietet eine Möglichkeit, durch Skaleneffekte branchenweit vor allem bei elektronischen Modulen die Zufriedenheit der Konsumenten zu erhöhen. Die Schnittstellen müssen dabei offene Standards darstellen. Eine Etablierung von kontrollierten Standards ist nicht empfehlenswert, da eine branchenweite Durchsetzung von Standards auf diese Weise weniger schnell erreicht werden kann. Anzustreben ist eine Modularisierung der gesamten Wertschöpfungskette, die durch die Lieferanten angestoßen werden muss. Der erste Schritt ist dementsprechend die Modularisierung beim Lieferanten selbst, bevor im zweiten Schritt durch die Schaffung offener Standards die Modularisierung in der gesamten Industrie umgesetzt werden kann. Auf die Modularisierung beim Lieferanten selbst gehen wir nun ein. Die Modularisierung muss sich über einzelne Produktbereiche des Unternehmens erstrecken. Diese Bereiche sollten miteinander verbunden und produktübergreifend modularisiert werden. Unternehmen, die mit einem entsprechenden Produktportofolio aufwarten können, sehen wir als „Keimzellen“ der Modularisierung in der dritten Revolution der Automobilindustrie. Sie sollten die einzelnen Produktbereiche zunächst separat modularisieren und sie in einem zweiten Schritt zusammenfügen. Letzteres gelingt durch die Einführung von standardisierten Schnittstellen. Auf diese Weise können Lieferanten entsprechend schneller und kostengünstiger (Verbesserung der Markt- und Ressourceneffizienz) auf die Anforderungen des Marktes reagieren. Durch die Verbindung mehrerer Unternehmen in einem Modularisierungskonsortium kann die dritte Revolution beschleunigt werden.
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5.4.2
5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Markenaufladung
Das heutige Management der Kundenmarke wird auf Lieferantenseite noch „stiefmütterlich“ behandelt. Viele Lieferanten führen ein sehr ineffizientes Kundenmanagement durch, indem sie durch Ingredient Branding sich selbst und nicht die Anforderungen und Bedürfnisse des Kunden in den Vordergrund stellen. Ingredient Branding bedeutet, dass ein Teil der dem Gesamtprodukt vorgelagerten Wertschöpfungsstufe eine eigene Marke darstellt. Beispiele dafür sind „Gore-Tex“ oder „Intel Inside“. In vielen Fällen stellt Ingredient Branding für Lieferanten eine effiziente Marketingmaßnahme dar. Ingredient Branding ist derzeit sowohl auf der OEM- als auch der Tier-1-Seite ein „Hype“. Die Strategie kann beide Marken positiv ergänzen und stärken, aber auch ein Zeichen für eine schwache eigene Marke sein. Bei Ingredient Branding ist das Zusammenspiel der beiden Marken entscheidend. Im Blick auf die dritte Revolution müssen wir einen Schritt zurückgehen und das OEM-Markenmanagement aus einer anderen Perspektive betrachten. Im Blick auf die Konsumenten müssen der OEM und seine Marke in den Vordergrund gestellt werden. Die Marke des Zulieferers spielt in diesem ersten Schritt keine Rolle! Es ist denkbar, dass auch im Kontext der Effizienten Vielfalt Ingredient Branding eingesetzt wird. Dieses ist dann entweder ein Zeichen kurzfristiger Markenerweiterung bzw. -unterstützung oder ein Zeichen der Schwäche der OEM-Marke. Insbesondere bei Marken, die derzeit keine eindeutige Positionierung haben, ist Ingredient Branding ein falscher Weg. Wir empfehlen einen neuen Weg, nämlich den Weg der Markenaufladung. Markenaufladung bedeutet, dass ein Lieferant die OEM-Marke in den Vordergrund stellt, diese analysiert und gemäß dieser Analyse dazu „passende“ bzw. verstärkende (aufladende) Produkte anbietet. Lieferanten müssen die OEM-Marken verstehen und durch eigene Produkte unterstützen. Dieser Prozess ist möglichst proaktiv und professionell umzusetzen und führt zu einer Verbesserung der Markteffizienz. Dazu stellen wir im Folgenden eine strukturierte Vorgehensweise vor, die einen effizienten Lösungsvorschlag für die Herausforderung „Markenaufladung“ für Tier-1-Lieferanten darstellt: Ein Angebotsverhalten von Tier-1-Lieferanten im Sinne eines „Bauchladenmodells“ hat keine Zukunft mehr. Es muss durch ein markenspezifisches, markenaufladendes Angebotsdenken ersetzt werden. Nicht nur die Lieferanten, sondern auch die OEMs müssen ihr Verhalten an dieser Stelle ändern. Sie müssen mehr Offenheit zeigen und die Liefe-
5.4
Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
149
ranten vor allem viel früher, nämlich wenn die markenspezifischen Definitionen und Spezifikationen erarbeitet werden, in Form von Konzeptwettbewerben oder ähnlichem einbeziehen. Drastischer ausgedrückt: Wenn der Einkäufer eines OEM nur noch mit fertigen Spezifikationen einen bestmöglichen Preis vom Zulieferer erfragt, ist das Engineering oder die Designabteilung längst fertig und kümmert sich schon wieder um neue Modelle. Die Chance, auf die markenübergreifenden positiven wie auch manchmal negativen Erfahrungswerte des Zulieferers zurückzugreifen, ist dann verspielt. Unter Umständen holt man sich dann das „blaue Auge“, das ein Wettbewerber schon bekommen hat, noch einmal. Deshalb muss dieser Prozess mit mehr Proaktivität und Offenheit beiderseits neu sortiert und gestaltet werden. Wir sehen hier enorme Möglichkeiten für die Zukunft der Automobilindustrie. Um diese Neugestaltung greifbarer zu machen, werden wir sie am Beispiel BMW demonstrieren. Die Analysen basieren auf unseren eigenen Vorstellungen und müssen nicht immer mit denen von BMW übereinstimmen. Schritt 1 besteht in dem Abstecken eines Rasters zur Positionierung der Marken. Dieser Schritt ist sehr bedeutsam, da er alle weiteren Stufen beeinflusst und die Empfehlung des Tier-1, also letztlich seine Wettbewerbsfähigkeit, bestimmt. Lieferanten müssen einen Rahmen entwickeln, in dem sie die Marken ihrer Kunden platzieren können. In Wissenschaft und Praxis hat sich eine Vielzahl solcher Markenpositionierungsräume bereits durchgesetzt. Gängige Unterscheidungsmerkmale sind „Dynamik versus Solidität“ auf der einen und „Preisgünstigkeit versus Hochwertigkeit“ auf der anderen Seite. Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit bildet der Gegensatz „Premium versus Massenmarkt“. Wenden wir uns unserem Beispiel BMW zu, sehen wir schon an dieser Stelle, dass die derzeit existierenden Positionierungsmodelle Probleme mit sich bringen. Das Attribut Dynamik trifft auf BMW zu, gleichzeitig jedoch auch Solidität. Ähnlich verhält es sich bei der Differenzierung zwischen Premium und Massenmarkt. BMW ist ein Premiumhersteller, jedoch bei einer jährlichen Produktion von über einer Million Fahrzeuge auch kein NischenPlayer mehr. Premiumfahrzeuge können in Massen hergestellt werden, preisgünstige Automobile können dennoch einen sehr hohen Qualitätsstandard aufweisen (das galt sogar schon für Ford in der ersten Revolution der Automobilindustrie) und Solidität und Dynamik schließen sich ebenfalls nicht gegenseitig aus. Das Kernproblem gängiger Positionierungsmodelle liegt darin, dass vermeintlich gegensätzliche Achsen im Zusammenhang der drit-
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
ten Revolution keine Gegensätze mehr darstellen. Mehrere Anforderungen müssen parallel erfüllt werden. Es gibt noch ein zweites Problem derzeitiger OEM-Markenpositionierungsmodelle: Für Lieferanten ist es schwer, eigene Produkte innerhalb des gegebenen Rahmens zu positionieren. Es können kaum konkrete, handlungsrelevante Aussagen gemacht werden, da es derzeit keinen geeigneten Rahmen gibt, der eine Unterstützung der Kundenmarke durch eigene Produkte absteckt. Wir haben bereits eine Differenzierungsmöglichkeit für die OEMs als Ganze angeboten. Wir haben uns an dieser Stelle mit den Marken von OEMs auseinandergesetzt und dargestellt, dass sich OEMs vermehrt darauf einrichten, gezielt rationale oder emotionale Attribute durch ihre Marken zum Ausdruck zu bringen. Unser Positionierungsraum ist dementsprechend durch die beiden Achsen „rational“ und „emotional“ definiert. Rationalität bezieht sich auf funktionale Attribute von Marken, also auf eine Zweckbetonung und eine messbare Leistungsfähigkeit von Produkten. Emotionalität soll dagegen beim Konsumenten Leidenschaft erzeugen, beispielsweise durch ein besonderes Design. Die Einteilung ist sehr flexibel, da sowohl Marken als Ganzes als auch einzelne Fahrzeuge und eigene Produkte positioniert werden können. Dies ist eine notwendige Voraussetzung zur Markenaufladung. Betrachten wir nur die Marke des OEMs und nicht seine Strategie, so wird folgende Neuerung bei der Markenpositionierung deutlich: Im Konzept der Effizienten Vielfalt sind Rationalität und Emotionalität von Marken keine einander ausschließenden Dimensionen mehr. Im Unterschied zu gängigen Ausrichtungen betrachten wir beide Aspekte als strategisch umsetzbare Optionen. Eine Marke kann sich gleichzeitig durch ein hohes Maß an Rationalität und Emotionalität auszeichnen. In Schritt 2 werden die Gesamtmarken der OEMs positioniert. Es geht also darum, den Kern der Marke zu verstehen und ihn entsprechend in dem skizzierten Positionierungsraum zu platzieren. Der Standort der Gesamtmarke in diesem Raum gibt keinerlei Hinweise darauf, ob eine Marke besser oder schlechter als eine andere ist. Eine hohe Emotionalität oder Rationalität bedeuten nicht, dass eine Marke besser ist als andere. Auch relativ „emotionsarme“ Marken können sehr viel Erfolg am Markt haben. Es handelt sich um eine wertfreie, strategische Markenpositionierung. Der Kern der Marke BMW besteht aus den drei Werten „dynamisch“, „kultiviert“ und „herausfordernd“. Nicht nur bei BMW, sondern bei allen OEMs sind die Markenkerne auf der ersten Ebene sehr stark verdichtet.
5.4
Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
151
Letztlich weiß nur der OEM selbst, wofür genau die Markenkerne stehen. Aus diesem Grund ist ein intensiver Austausch der Marketingabteilungen beider Unternehmen für eine Win-Win-Situation unumgänglich. Der Lieferant muss eine OEM-Expertise aufbauen und die Markenphilosophie in eine eigene Sprache übersetzen. Diese Übersetzung muss in Bezug auf alle OEMs in ähnlicher Weise erfolgen, um eine Vergleichbarkeit verschiedener OEM-Marken zu ermöglichen. Hierbei handelt es sich um eine noch junge Disziplin für Tier-1-Lieferanten, die bisher eher rein technisch orientiert sind. In diesem Zusammenhang muss der Lieferant analysieren, wie die Markenkerne des OEM zum Ausdruck gebracht werden. Für die Erstellung von Empfehlungen ist es in diesem Schritt ratsam, gleichzeitig einen Vergleich mit Wettbewerbern und eine Marktsicht heranzuziehen. Die Marktsicht gibt Auskunft darüber, wie die Marke von Konsumenten wahrgenommen wird. Hierbei können durchaus Lücken in der Weise auftreten, dass sich die Vision der Marke nicht in der Realität spiegelt. Die Art der Lücke gibt dem Lieferanten einen weiteren Hinweis für eigene Empfehlungen. In Abbildung 55 ist ein entsprechender Vergleich zwischen der angestrebten Markenpositionierung und der tatsächlichen Marktsicht dargestellt.
Abb. 55. Gesamtmarkenpositionierung im Wettbewerbsumfeld
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Abb. 56. Fahrzeugpositionierung BMW
In dem dargestellten Beispiel ist die Lücke zwischen der eigenen Unternehmenszielvorgabe und der Marktwahrnehmung bei der ersten Marke größer als bei der zweiten. Tendenziell können Lieferanten gerade bei einer solchen größeren Lücke eine wirksame Unterstützung dafür bieten, dass Wunsch und Wirklichkeit näher zusammenrücken. Da Lieferanten stets auf einzelne Fahrzeuge fokussiert sind, ist in Schritt 3 eine weitere Differenzierung notwendig, während Schritt 2 bezüglich aller relevanten Fahrzeuge vorgenommen werden muss. Dieser Schritt ermöglicht, dass Lieferanten nicht nur marken- sondern auch fahrzeugspezifisch Angebote abgeben können. Die Konsolidierung einer gesamten Marke in unserem Markenpositionierungsraum ist ein erster wichtiger Schritt, ermöglicht jedoch kaum konkrete Handlungsempfehlungen. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt werden unter dem Dach einer Marke eine Fülle von Fahrzeugen positioniert werden, die zwar mit der Gesamtmarke eindeutig in Verbindung stehen, aber auch von der Grundpositionierung abweichen. Fahrzeugplatzierungen, die den gesamten Raum abdecken, sind aufgrund der Notwendigkeit der „Markenklarheit“
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
153
nicht zu erwarten. Die Marken müssen bei aller Vielfalt eine deutliche Botschaft zum Ausdruck bringen, die sämtliche mit der Marke verbunden Fahrzeuge verkörpern müssen. Diese Zusammenhänge sind kundenspezifisch zu verstehen, da sie die Basis für Angebote zur Markenaufladung darstellen. OEM-Marken müssen sich klar positionieren. Einen „Stretch“ von Marken halten wir zwar für sinnvoll, doch sollte sich der Kern in einem klaren Feld bewegen. Zu starke Streuungen, die letztlich eine Fahrzeugpositionierung in allen Bereichen zulassen, sind kontraproduktiv, da sie im Widerspruch zur Klarheit der Marke stehen. Die Beispiele VW Phaeton und Audi A2 zeigen, dass dieser Stretch – egal, ob nach „unten“ oder nach „oben“ – gefährlich und letztlich ineffizient sein kann. Bleiben wir bei der fahrzeugspezifischen Positionierung und werfen wir in Schritt 4 einen Blick auf die Konsumenten: Wir hatten mehrmals darauf hingewiesen, dass die Konsumenten in der dritten Revolution an Bedeutung gewinnen. Sie stellen – neben der Marke – die Basis für Innovationen und markenaufladende Produkte dar. Die zunehmende Komplexität des Konsumentenverhaltens erfordert, wie wir gesehen haben, neue Methoden der Marktforschung. Als wichtiges Element hatten wir die Milieuforschung vorgestellt. Die Aufgabe besteht nun darin, fahrzeugspezifisch typische Konsumentengruppen zu identifizieren. Zur milieuspezifischen Einordnung bedienen wir uns der Sinus-Milieus® von Sociovision. Diese Einordnung ermöglicht gleichzeitig eine fahrzeug- und markenspezifische Positionierung. In unserem Beispiel ist klar zu erkennen, dass kultivierte BMWs vorrangig für Konsumenten eines höheren sozialen Status von Interesse sind. Herausfordernde Fahrzeuge lassen sich besonders auf Konsumenten mit einer sehr modernen Grundeinstellung fokussieren. Konsumenten von dynamischen Fahrzeugen haben grundsätzlich ebenfalls eine moderne Wertorientierung, jedoch tendenziell einen niedrigeren sozialen Status als die Käufer von Fahrzeugen, in denen sich in erster Linie der herausfordernde oder kultivierte Markenkern spiegelt. Letztlich geht es darum, dass Lieferanten ein kundenspezifisches Konsumentenwissen aufbauen. Die Milieuforschung bietet dazu einen wichtigen Baustein. Der Lieferant muss sich die Frage stellen, welche Trends in den Milieus eines spezifischen Fahrzeugs besonders relevant sind. Welche Vorlieben haben beispielsweise „etablierte“ 7er BMW-Fahrer? Dieser Schritt ist notwendig, um Anregungen für kundenspezifische Technologie-
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Abb. 57. Milieuspezifische Konsumentengruppen am Beispiel BMW
angebote zu erhalten. Ist es beispielsweise sinnvoll, ein innovatives LEDFrontscheinwerfersystem als proaktive Empfehlung zunächst im 7er BMW oder aufgrund der moderneren Milieustruktur eher im 5er BMW vorzuschlagen? Workshops, Studien oder Ähnliches sind notwendig, um derartige Fragen beantworten zu können. Aus diesem Grund ist es zudem sehr wichtig, dass die Marketingabteilungen der jeweiligen Unternehmen eine Beziehung aufbauen. Diese sollte durch einen regen und offenen Austausch von Informationen geprägt sein. Der OEM kann auf diese Weise seine eigene Markenidentität durch die Produkte des Lieferanten schärfen. Der Lieferant auf der anderen Seite hingegen erhöht dadurch seine Chance, Geschäfte mit dem Kunden zu gewinnen und am Markt Bestand zu haben. Schritt 3 und 4 sind in ihrer Verbindung sehr wichtig, um dem OEM spezifische Angebote machen zu können. Im Konzeptwettbewerb mit anderen Lieferanten bestehen an dieser Stelle umfangreiche Differenzierungsmöglichkeiten. Die Lieferanten werden in Zukunft im Vergleich zu heute vermehrt als Experten und Berater auftreten. Die Unterstützung der Kundenmarke durch eigene Vorschläge ist dabei entscheidend, da sich OEMs vermehrt auf das Markenmanagement konzentrieren werden. Aufgrund des Abflusses von Wertschöpfung zum Lieferanten muss dieser den OEM
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
155
auch markenseitig besser unterstützen, als dies bislang der Fall ist. Lieferanten müssen proaktive Vorschläge bieten, um sich zu differenzieren; das Management der Marke wird dagegen vom OEM gesteuert. Nachdem die Marke des OEM, seine Fahrzeuge und Konsumenten positioniert worden sind, erfolgt in Schritt 5 die Übertragung auf den Lieferanten. Dieser muss entsprechend der ermittelten Positionierung seinen eigenen „Modulbaukasten“ platzieren. Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung ist dabei unumgänglich. Der Lieferant definiert seine zur Verfügung stehenden Module, die er dem OEM anbieten möchte, und platziert sie direkt im Markenpositionierungsraum. Dazu ist ein umfassendes Verständnis der Vorzüge aller Module notwendig. Diese Aufgabe obliegt den Produktmanagern, die die klaren „Value Propositions“ ihrer Produkte überblicken und ein gutes Verständnis der emotionalen und rationalen Positionierung haben sollten. Produktmanager kennen die produktspezifischen „Schrauben“ (Marketinginstrumente), mit denen sich die Emotionalität und Rationalität ihrer Produkte justieren lassen. Als praktisches Beispiel greifen wir den Produktbereich Frontbeleuchtung auf: Unterschiedliche Module können hier auf der Basis von standardisierten Schnittstellen zu einem neuen Produkt / Modul zusammengefügt werden. Mit diesem Baukasten hat der Lieferant eine Fülle von Angebotsmöglichkeiten. Sie erlauben eine erste Grobpositionierung, die in Schritt 6 weiter verfeinert wird. Gerade im Bereich der Frontbeleuchtung sind durch unterschiedliche Technologien, Designs oder Farbkombinationen viele Möglichkeiten einer individuellen rationalen bzw. emotionalen Positionierung gegeben. Die Marke des OEM kann sehr gut durch die „Augen“ des Fahrzeugs unterstützt werden, wie die Beispiele BMW und Mercedes E-Klasse (beide mit Lightpipes als Markenwiedererkennungsmerkmal) zeigen. Hier eröffnet sich in der Zukunft noch ein großes Potenzial, beispielsweise mit neuen Designmöglichkeiten mittels LED-Technologie. Eine Zusammenarbeit zwischen OEM und Lieferant ist in diesem Kontext abermals von großer Bedeutung. Die Designabteilung des Lieferanten kann mit den Exterieur-Designern des OEM zusammenarbeiten und dem OEM bereits im Designprozess eine Hilfestellung bei der Einschätzung bieten, ob das Design „fliegt“ oder nicht. Die Entscheidungszyklen werden dadurch kürzer. Das „Simultaneous Engineering“ wird in einer vorgelagerten Phase der Geschäftsbeziehung ergänzt um „Simultaneous Design“.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Abb. 58. Positionierung des Modulbaukastens
Abbildung 58 zeigt die Einordnung verschiedener Lichttechnologien im Markenpositionierungsraum. Diese Einordnung gibt eine erste Orientierung für kundenspezifische Empfehlungen, die dazu dienen, bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung mit dem Kunden in Kontakt zu kommen. Frühe Phasen sind in Geschäftsbeziehungen sehr relevant. Lieferanten können sich durch Proaktivität im Wettbewerb differenzieren und vor allem die Auswahlentscheidung durch ein frühes „Customer Engagement“ beeinflussen und unter Umständen sogar gestalten. Der Kunde sendet einen RfQ (request for quotation) an die zur Verfügung stehenden Lieferanten. Derjenige Lieferant, der zu einem frühen Zeitpunkt das Produkt unter Umständen selbst mit beeinflusst oder sogar mit entwickelt hat, hat selbstverständlich eine bedeutend höhere Chance, den Auftrag zu erhalten, da er ein wettbewerbsfähigeres Angebot abgeben kann. Gleichzeitig hat der OEM in der Vorentwicklungsphase Vertrauen gewinnen können, dass der Lieferant den Produktanforderungen gerecht wird und auch für die Serienproduktion ein „sicherer“ Partner sein wird. Vorentwicklungen und Konzeptwettbewerbe durch den OEM erweisen sich als wichtiges Instrument einer effizienten Entwicklung und zur Erzielung einer Win-Win-Situation für OEM und Lieferanten. Nachdem der Produktmanager des Lieferanten die Positionierung seines Modulbaukastens vorgenommen hat, muss er diese mit der Fahrzeugposi-
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
157
tionierung des OEM abgleichen. In unserem Beispiel ist es sofort einleuchtend, dass sowohl die LED-Frontbeleuchtung als auch das Xenon-Licht eine Übereinstimmung mit den charakteristischen Markenwerten von BMW besitzen. Dies ist der erste Gedankenanstoß für einen proaktiven Vorschlag gegenüber dem Kunden. Es muss ein gemeinsamer Business Case für OEM und Lieferant entstehen, der für beide auch finanziell zum Erfolg wird. Der OEM muss verstehen, dass seine Kunden bereit sind, für eine bestimmte Produkteigenschaft mehr zu bezahlen, oder dass er ein „Feature“ nutzen kann, um sich der Rabattierung zu entziehen. Der Lieferant möchte ebenfalls die „Take Rate“ seines Produktes erhöhen, um die Kosten zu decken und Profite zu erzielen. Nur wenn beide Unternehmen durch die entsprechenden Module ihre Profitabilität verbessern, ist die Modularisierung effizient. Abermals ist ein partnerschaftliches Agieren unumgänglich zur Umsetzung dieses Schrittes. Um die Treffgenauigkeit des Vorschlages zu erhöhen, ist es sinnvoll, einen weiteren Schritt bei der Produktpositionierung vorzunehmen. In Schritt 6 wird der Wert des Produktes ermittelt, den es für ein bestimmtes Fahrzeug eines Kunden hat. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, welches der zur Verfügung stehenden Module den Kern der Marke am besten unterstützt. Diese Analyse muss für jeden der Markenkerne des jeweiligen Automobilherstellers durchgeführt werden. Dadurch erlangt der Produktmanager des Lieferanten ein noch differenziertes Verständnis der Marke des Kundenfahrzeugs, für das er Angebote abgeben muss. Dies ist der entscheidende Schritt für den Produktmanager: Er muss sich die Frage stellen, wie die ihm zur Verfügung stehenden Produkte seines Modulbaukastens die einzelnen Markenwerte unterstützen können. Für jeden einzelnen der jeweils relevanten Markenwerte muss der Produktmanager entscheiden, ob eines seiner Modul im Stande ist, einen Mehrwert zu generieren und die Marke zu unterstützen. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob Kultiviertheit in einem 7er BMW eher durch eine Halogen- oder eine LED-Frontbeleuchtung verkörpert werden kann. Dadurch, dass wir zuvor ermittelt haben, welcher der Markenwerte für das entsprechende Fahrzeug den maximalen Nutzen erzeugt, können wir beides nun miteinander verbinden. Wir erhalten eine detaillierte Auskunft darüber, welches Produkt aus dem Modulbaukasten des Lieferanten konkret für das spezifische Fahrzeug des Kunden den größten Wert hat. Diese Information können wir mit einem fahrzeugspezifischen Preis des Moduls verbinden und sehen direkt, welches Modul für die Marke des OEM den maximalen Ertrag bringt.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Preis
Preis entspricht Kundenwert
hoch
LED Kurvenlicht
Xenon Kurvenlicht
Halogen
gering
Kundenwert gering
hoch
Abb. 59. Relativer Nutzen des Modulbaukastens
Durch diese Analyse ist einerseits erkennbar, dass eine LED-Frontbeleuchtung einen bedeutend höheren Kundennutzen mit sich bringt als eine Halogen- oder Xenon-Frontbeleuchtung. Unter Berücksichtigung des Kundenpreises zeigt sich zudem, dass die LED-Frontbeleuchtung einen relativ höheren Wert für den Kunden hat als ein Xenon-Kurvenlicht. Aufgrund der bisherigen Analyse ist der Lieferant im Stande, ein kunden- und fahrzeugspezifisches Angebot abzugeben. Dieses Angebot versteht sich als eine proaktive Maßnahme, um möglichst frühzeitig den Kontakt mit dem Kunden herzustellen. Es ist selbstverständlich nicht verbindlich, sondern vielmehr ein Gedankenanstoß für den OEM und ein Zeichen des Commitments in der Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten. Die Empfehlung basiert auf Konsumentenbedürfnissen, Orientierung der Gesamtmarke, fahrzeugspezifischen Markenbesonderheiten und dem Markenaufladungspotenzial der Lieferantenmodule. Aus diesen Gegebenheiten kann der Lieferant den kundenspezifischen Nutzen seiner Module abschätzen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Preise unterschiedliche Vorschläge unterbreiten. Unsere Beispielanalyse hat gezeigt, dass die LED-Technologie für den 7er BMW einen maximalen Nutzen erzeugt. Aufgrund der Markenwahrnehmung von BMW, der Konsumentenstruktur des Fahrzeugs und der
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
159
rational hoch DesignXenonKurvenlicht XenonKurvenlicht
Halogen HalogenKurvenlicht
emotional hoch
gering
LED-Kurvenlicht
gering
Abb. 60. Empfehlung des Lieferanten
Positionierung im Wettbewerb würden wir uns im konkreten Fall für ein LED-Kurvenlicht entscheiden. Diese Empfehlung stellt unter den gegebenen Marktbedingungen die optimale Lösung für den Kunden dar. Unsere Prozessschritte sind als Vorschlag zu verstehen, sich aus Lieferantensicht den Themen der Markenaufladung und der Berücksichtigung von Konsumententrends zu stellen. Ein fest definierter Prozess ist in dieser oder ähnlicher Form für Lieferanten unter der Prämisse der Effizienten Vielfalt unumgänglich. Markenaufladung durch den Lieferanten ist dann kein Qualifier mehr wie heute, sondern ein Disqualifier. Dazu sind auf Lieferantenseite neue Kompetenzen erforderlich, auf die wir im Folgenden eingehen werden. 5.4.3
Neue Kompetenzen
Um langfristig am Markt erfolgreich zu sein, müssen sich Lieferanten weiterhin durch Innovationen profilieren. Unsere Analyse hat gezeigt, dass dabei zwei wesentliche Dinge anders gemacht werden müssen als bisher: Einerseits müssen Innovationen modular aufgebaut werden und sich mithilfe von standardisierten Schnittstellen problemlos in das bisherige Produktportfolio des Unternehmens einfügen. Andererseits müssen vermehrt Trends und speziell Konsumententrends in die Innovationen einfließen.
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5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung Marktforschung
Modulentwicklung
Modulmanager
Kundenmanager
Marketingstrategie
Vertrieb
K O M M U N I K A T I O N
Designcenter
Abb. 61. Marketingkompetenzen von Lieferanten
Dabei spielt der Marketingbereich der Lieferanten eine Schlüsselrolle. Auf die Frage, welche Produkte Konsumenten beispielsweise in zehn Jahren präferieren werden, muss dort eine Antwort gefunden werden. Wir haben bisher viele Herausforderungen beschrieben, die von Lieferanten in der dritten Revolution gemeistert werden müssen. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um klassische Marketingaufgaben. Dem Marketingbereich von Lieferanten kommt daher in der Zukunft eine Schlüsselposition zu. Es stellt sich die Frage, inwieweit ein solcher Zentralbereich segmentiert sein sollte, um allen Herausforderungen gerecht zu werden. Zu diesem Problem bieten wir im Folgenden Lösungsmöglichkeiten. Der Marketingbereich muss verschiedene Kompetenzen integrieren. In Abbildung 61 ist eine entsprechende Organisationsstruktur dargestellt. Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Realisierung von Innovationen wird in Zukunft ein Marktforschungsbereich sein. Für den Blick in die Zukunft sollten grundsätzlich zwei Ansätze parallel verfolgt werden. Einerseits ist ein Verständnis zukünftiger Trends wichtig, um Produktlösungen entsprechend diesen Trends anzubieten. Darüber hinaus ist die Analyse der Gegenwart ebenso bedeutsam, um ein Verbesserungspotenzial für zukünftige Produkte zu identifizieren. Wählen wir als Beispiel die Verbesserung automobiler Innenräume: Diese beruht einerseits auf grundlegenden Trends wie Vernetzung, Natur und Harmonie. Andererseits können durch gezielte Konsumentenstudien Schwachstellen heutiger Innenräume aufgedeckt werden, beispielsweise in den Bereichen Spaltmaße, Haptik oder Bedienbarkeit. Beide Sichtweisen führen zusammen genommen zu einer effizienten Produktinnovation. Der Marktforschungsbereich muss seine Kompetenz in Zukunft durch neue Methoden erweitern. Wir hatten in diesem Zusammenhang bereits die
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
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Milieuforschung als Beispiel herangezogen. Die Marktforschung des Lieferanten ist komplexer als die des OEM, da sie alle bei den OEMs vorhandenen Herausforderungen integrieren muss. Der Lieferant muss die Kunden des OEM ebenso gut verstehen wie dieser selbst. Lieferanten können sich durch die Ausrichtung an den Endkunden im Wettbewerb differenzieren. Ihre eigenen Produkte müssen sie vermehrt an den Konsumenten ausrichten, um die Erfolgswahrscheinlichkeit des OEM und somit gleichzeitig ihre eigene zu erhöhen. Wie die Struktur der Marktforschungsabteilung konkret aussehen sollte, muss jeder Tier-1 für sich entscheiden. Wichtig ist, dass die folgenden Aspekte berücksichtigt werden: Der Marktforschungsbereich sollte sich mit Trends und ihren Auswirkungen auf die Automobilindustrie beschäftigen. Nicht alle Trends sind für alle Konsumentengruppen von gleicher Relevanz. Aus diesem Grund ist es wichtig, Konsumenten zu segmentieren, beispielsweise anhand der erwähnten Milieus. Trends und die Bedürfnisse einzelner Konsumentengruppen sind von hoher Wichtigkeit – sie stellen die Basis von Innovationsansätzen dar. Die Trends fließen über den Marktforschungsbereich in die Produktoder Modulentwicklung ein. Die auf der Basis der Marketingstrategie entstehenden Innovationen werden wiederum am Markt getestet. Diese Aufgabe übernimmt ebenfalls der Marktforschungsbereich. Dieser Prozess erlaubt eine sehr hohe Markteffizienz, da Innovationen somit im Idealfall den zukünftigen Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen. Dabei macht es Sinn, bereits Ideen mit weniger umfangreichen (kostenintensiven) Erhebungen am Markt zu testen. Dieser Schritt ist aus Gründen der Markt- und Ressourceneffizienz notwendig, da sonst unter Umständen Module entwickelt werden, die keine Akzeptanz bei den Konsumenten finden, was einen suboptimalen Ressourceneinsatz bedeutet. Eine Möglichkeit, Trends eigenständig zu erheben, sind Trendscouts. Diese können in globalen Unternehmen relativ kosteneffizient etabliert werden. Manche Gegenden oder Städte sind „Trendgenerierer“. Ein Lieferant könnte beispielsweise Mitarbeiter über ihre bisherigen Aufgaben hinaus in derartigen Schlüsselstädten positionieren und monatlich Trendreports liefern lassen. Städte, die derzeit als Trendgenerierer gelten, sind u.a. Shanghai, London, Tokio oder Mailand. Wichtig für Tier-1-Lieferanten ist es, die Trendscouts nicht nur in „automobilaffinen“ Städten zu platzieren, da nicht alle Trends unmittelbar mit Automobilen in Verbindung stehen. In der Regel haben auch Trends aus anderen Bereichen Auswirkungen auf die Automobilindustrie, die vom Lieferanten qualifiziert und quantifiziert werden müssen. Modetrends haben beispielsweise eine sehr hohe Relevanz, obwohl sie zunächst nicht in einem direkten Zusammenhang mit Automobilen stehen.
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Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Oberflächenstrukturen, Innenfarben, Formstile oder das gesamte „Transportation Design“ werden durch Mode beeinflusst. Darüber hinaus sind die „klassischen“ Aufgaben der Marktforschungsabteilung qualitativer und quantitativer Art nicht zu vernachlässigen. Denkbar in diesem Zusammenhang sind Ausgestaltungen von Frühwarnsystemen, „Competitive Intelligence“, eigenständige Studien zu gewissen Themen wie „Mobilität 2050“, „Innenraumqualität“, „neue Fahrzeugsegmente“, „Konsumenten von morgen“ oder „3000-Dollar-Auto“. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Themenfindung, sondern in der Beurteilung der Themenrelevanz. Insofern sollten die Experten bereits ein Verständnis von der Relevanz eines Themas für die eigene Geschäftstätigkeit haben, bevor sie sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Erfahrene Experten im Marktforschungsbereich sind aus diesem Grund unabdingbar, um die Gesamteffizienz zu sichern. Die Ergebnisse der Marktforschungsabteilung müssen möglichst vielen entscheidungsrelevanten Personen im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Interne Kommunikation ist dabei sehr wichtig. Ohne diese sind die Ergebnisse der Marktforschung wertlos, da sie dann nicht als Basis zukünftiger Innovationen verwendet werden. Entscheider im Bereich der Innovationen sind Kunden- und Modulmanager. Die Aufgaben klassischer Produktmanager müssen in der Zukunft erweitert werden. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt besteht die Herausforderung darin, Lösungen für ein effizientes Management der Modellvielfalt zu finden. Die Vielfalt muss zunächst verstanden und dann auf das eigene Unternehmen übertragen werden. Hierzu ist neben dem Konsumentenwissen aus dem Marktforschungsbereich ein umfassendes Kundenwissen zwingend erforderlich. Lieferanten müssen sich, abgesehen von eigenen Vorschlägen, zunächst den Gegebenheiten des Kunden anpassen. Insbesondere derzeit sind die OEMs sehr stark fragmentiert. Dieser Tatsache müssen die Kundenmanager gerecht werden. Kundenmanager sollten diejenigen Personen im Unternehmen des Lieferanten sein, die neben den Vertriebseinheiten den Kunden am besten kennen: Welche Unternehmensstrategie hat der Kunde? Wie entwickelt sich die Modellpalette, welche Innovationen könnten für den Kunden von Bedeutung sein? Wie ist die Marke des Kunden positioniert? Wer sind die Kernentscheidungsträger des Unternehmens? Wichtig dabei ist, dass die Kundenmanager einen eigenständigen Kontakt zu den strategischen Bereichen des OEM aufbauen. Die Marketingabteilung ist hierbei sicher ein wichtiger Bereich. In diesem Zusammenhang können die Kundenmanager Informationen „aufschnappen“, die für Dritte
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Neue Formen der Modularisierung bei Lieferanten
163
nicht zugänglich sind. Der tatsächliche „Wert“ der Kundenmanager wird jedoch wiederum nur dann ausgeschöpft, wenn diese sensiblen und intangiblen Informationen innerhalb des Unternehmens kommuniziert und visualisiert werden. Eine Möglichkeit hierbei ist die Ausarbeitung einer Kundenmarketingstrategie, die alle Facetten des Kunden beleuchtet und „Innovationsempfehlungen“ gibt. Modulmanager verstehen wir als Weiterentwicklung klassischer Produktmanager in Unternehmen. Wie wir gesehen haben, sind Module Produkte, die eine besondere Betreuung erfordern. Schnittstellenkoordination und Möglichkeiten zur „Standardisierung unter der Haut“ (unsichtbarer Bereich) versus „Differenzierung der Haut“ (sichtbarer Bereich) sind hierbei nur zwei Beispiele. Andererseits müssen Modulmanager auch alle „klassischen“ Produktmarketingaufgaben lösen wie beispielsweise die Ermittlung von Innovationstrends in ihrem Bereich. Dieser Zusammenhang gilt auch für die OEM-Seite. Auch dort kümmert sich der Modulmanager ausschließlich um sein Produkt. Die Etablierung von Modulexperten auf beiden Seiten führt dazu, dass die Kommunikation und der gesamte Entwicklungsprozess bedeutend effizienter gestaltet werden können als bisher. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass in der zweiten Revolution bei den Lieferanten ein ausgeprägter Fokus auf dem Austausch mit den OEM-Einkaufsabteilungen lag. Diese Interaktion kann nicht effizient sein, da die Kommunikation stark eingeschränkt ist, beispielsweise auf Preisverhandlungen. Modulmanager müssen sich vielerlei produktspezifisches Know-how aneignen. Besuche von Fachmessen, Auseinandersetzung mit der Fachpresse, enger Kontakt zu Produktentwicklungseinheiten wie beispielsweise Forschungs- und Entwicklungszentren, Besuche von Fachvorträgen und Mitgliedschaften in produktspezifischen Internetforen oder Vereinen sind eine notwendige Basis und der erste Schritt. Der zweite Schritt stellt für die Mitarbeiter die eigentliche Aufgabe dar, da sie auf der Basis ihres Wissens Ideen und Vorschläge für Produktinnovationen generieren und eigenständig Prognosen über die Marktentwicklungen abgeben müssen. Hierbei geht es primär nicht darum, auf Dritte zurückzugreifen, sondern eigenständig die Veränderungen in der Produktwelt in Empfehlungen zu transformieren. Beide Schritte müssen wiederum wirksam kommuniziert werden, um den Ressourceneinsatz möglichst effizient zu steuern. Eine Produktmarketingstrategie ist hierbei eine empfehlenswerte Möglichkeit, das so entstehende Wissen an alle relevanten Stellen im Unternehmen weiterzuleiten. Eine organisatorische Trennung zwischen Modul- und Kundenmanagern ist zunächst notwendig, da durch die Separierung der jeweiligen Kompeten-
164
5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
zen die beiden gegenläufigen Herausforderungen der dritten Revolution, Vielfalt und der Effizienz, aufgegriffen und Vorschläge zu ihrer Bewältigung bereitgestellt werden. Allerdings müssen die Lösungsansätze der beiden Bereiche zwingend miteinander verbunden werden, um Konzepte zu finden, die die vermeintlich gegensätzlichen Ziele miteinander kombinieren. Kundenmanager müssen Hand in Hand mit Modulmanagern arbeiten. Beide Herangehensweisen müssen zu einer Marketingstrategie zusammengefasst werden. Durch die Integration der beiden Teilbereiche kann sichergestellt werden, dass der Lieferant Lösungsvorschläge und Innovationen anbieten kann, die einerseits der kundenspezifischen Vielfalt entsprechen und andererseits Effizienz auf der Produktseite garantieren. Diese Integration ist freilich keine leichte Aufgabe, da beide Teilbereiche gegensätzliche Empfehlungen generieren können, doch genau in dieser Gegensätzlichkeit liegt der Handlungsbedarf für die Lieferanten. Sie kommen an der Integration von kundenspezifischen und produktspezifischen Ansätzen nicht vorbei, wenn sie langfristig Erfolg im Markt haben wollen. Dementsprechend ist es wichtig, innovationsspezifische Kompetenzen in einer organisatorischen Einheit zusammenzufassen.
5.5 Weitere Möglichkeiten der Vielfalt („sechste Art“) In der dritten Revolution der Automobilindustrie wird die derzeitige Vielfalt nicht ausreichen, um die Marktbedürfnisse zu befriedigen. Wir gehen davon aus, dass die Vielfalt deutlich zunehmen wird und gleichzeitig effizienter von den einzelnen Anbietern bereitgestellt werden kann. Mithilfe der Modularisierung von Produkten hat die Industrie die Möglichkeit, Vielfalt in einem anderen Umfang als bisher anzubieten. Wir unterscheiden zwei Stoßrichtungen, Modulflexibilität und Modulupdates, die wir zusammen als sechste Art der Vielfalt bezeichnen. Betrachten wir zunächst die Modulflexibilität. Für uns ist entscheidend, wie sich die Fahrzeugvielfalt nach der Bestellung eines Automobils gestaltet. Wenn von Vielfalt oder Individualisierung gesprochen wird, geht man meistens von einer großen Modellvielfalt aus. Hinsichtlich dieser Art der Individualisierung haben Konsumenten bereits soviel Auswahlmöglichkeiten wie nie zuvor. Einerseits steigt die Zahl der Modelle und andererseits die Zahl der zur Verfügung stehenden Optionen. Fasst man Modell- und Optionsvielfalt zusammen, ergeben sich die Auswahlmöglichkeiten, die Konsumenten schon heute haben. Bei manchen Herstellern hat die Zahl der Varianten weit mehr als 20 Ziffern (vgl. Abb. 44, S. 122). Nach dem
5.5
Weitere Möglichkeiten der Vielfalt („sechste Art“)
Modulflexibilität
Sechste Art der Vielfalt
165
Anpassung bestehender Module an tagtäglich wechselnde Konsumentenbedürfnisse
Einführung neuer Module während des Fahrzeuglebenszyklus
Modulupdates Einführung neuer Hauptmodule während des Fahrzeuglebenszyklus
Abb. 62. Erweiterte Vielfalt in der dritten Revolution der Automobilindustrie
Kauf lassen sich die individuell ausgewählten Optionen jedoch nicht mehr an wechselnde Bedürfnisse anpassen. Aus diesem Grund bezeichnen wir diese eingeschränkte Art der Vielfalt als geringe Individualisierung. Die Variantenvielfalt belastet zudem die Effizienz. Die deutschen OEMs zeichnen sich derzeit dadurch aus, dass sie hohe Entwicklungsausgaben für alle neuen Fahrzeuge haben. Dies ist ein Fakt, auf den man nicht stolz sein kann, sondern den man als bedrohlich erkennen sollte. Die Ressourceneffizienz wird im Entwicklungsbereich durch die gestiegene Variantenvielfalt stark beeinträchtigt. Eine weitere Zunahme der Individualisierung werden diese OEMs nicht mehr leisten können. Aufgrund der mangelnden Prozesseffizienz leidet zusätzlich die Qualität der Fahrzeuge mit steigender Vielfalt. Der OEM kann nicht alle denkbaren Kombinationen miteinander testen, bevor das Fahrzeug auf den Markt kommt. Er muss sich auf vorab definierte kritische Zusammenstellungen beschränken. Die praktischen Qualitätsprobleme deutscher OEMs zeigen, dass die gestiegene Vielfalt die Effizienz drastisch reduziert hat. Einen zweiten Ansatz der Individualisierung, die so genannte „Medium Personalisation“, bezeichnen wir als umständliche Individualisierung. Wir haben gesehen, dass die Variantenvielfalt in der Automobilindustrie ein hohes Maß an Personalisierung ermöglicht, nach dem Kauf jedoch keine weiteren Individualisierungsmöglichkeiten zulässt. Die „umständliche Individualisierung“ erlaubt dagegen auch Änderungen nach dem Kauf. Die bekanntesten Beispiele, die derzeit am Markt existieren, sind der Smart ForTwo und der Peugeot 1007. Bei Peugeot hat der Konsument beim Kauf die Option, zwischen verschiedenen Innenraum-Designpaketen
166
5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
zu wählen. Durch die Wahl eines Paketes kann der Käufer das Fahrzeug seinem individuellen Geschmack anpassen. Im Gegensatz zur „geringen Personalisierung“ ist in diesem Fall auch nach dem Kauf eine Flexibilität gegeben. Die im Ausstattungspaket enthaltenen Oberflächen und Verzierungen lassen sich durch andere ersetzen. Der Kunde kann sich beim Händler andersfarbige Teile kaufen und entsprechend seiner aktuellen Präferenz einen Austausch vornehmen. Ein ähnliches Beispiel stellt der Smart ForTwo dar. Medium Personalisation ist hier im Außenbereich des Automobils gewährleistet: Der Konsument kann die Außenfarbe durch andere Bodypanels wechseln. Ein Besuch beim Händler ist hierbei allerdings unumgänglich. Die Beispiele Smart und Peugeot zeigen einen ersten Schritt in Richtung stärker individualisierter Autos. Wir gehen allerdings davon aus, dass diese Art der Individualisierung im Rahmen der Effizienten Vielfalt keinen Erfolg haben wird, da sie ineffizient und unbequem für den Konsumenten ist. Insbesondere die Individualisierungsmöglichkeit bei Smart wird in der Praxis kaum genutzt. Verständlicherweise ist es für Konsumenten einerseits unattraktiv, mehrere hundert Euro für den Tausch einer Farbe zu bezahlen, und andererseits gestaltet sich der gesamte Prozess als äußerst umständlich: Ein Termin beim Händler und Wartezeiten müssen in Kauf genommen werden. Spontane Änderungen sind nicht möglich. Wir haben gesehen, dass Produkte in Zukunft wesentlich flexibler sein müssen als heute. Auch spontanen Änderungswünschen muss Rechnung getragen werden. Die Produkte werden in Zukunft eine Anpassung „auf Knopfdruck“ ermöglichen. Medium Personalisierung hat aus diesem Grund keine Zukunftsperspektive. In der dritten Revolution steht der Konsument im Fokus der Betrachtungen. Bei der Darstellung treibender Veränderungen im Konsumentenverhalten haben wir die Individualisierung als Kernelement erarbeitet. Alle von uns dargestellten Treiber der Revolution konnten diesem Thema subsumiert werden. Individualisierung ist auf der Konsumentenseite der entscheidende und treibende Faktor von Effizienter Vielfalt. Die Industrie steht im Kontext der dritten Revolution vor der Aufgabe, dass Automobile anpassungsfähiger werden und sich ständig auf wechselnde Bedürfnisse von Konsumenten einstellen müssen. Die bisher vorgestellten Arten der Individualisierung werden diesem Anspruch nicht gerecht. Die scheinbare Entscheidung zwischen Effizienz und Vielfalt wird in Zukunft keine Option mehr darstellen. Aus diesem Grund sehen wir für angenehme Individualisierung ein sehr großes Potenzial.
5.5
Weitere Möglichkeiten der Vielfalt („sechste Art“)
167
Diese Art der Personalisierung liegt dann vor, wenn der Konsument nach dem Kauf des Automobils ein Modul im Automobil ständig neu an seine jeweiligen Bedürfnisse anpassen kann. Bereits heute gibt es einige Beispiele hierfür: Automatikgetriebe oder Fahrwerke können per Knopfdruck auf die Wünsche des Fahrers eingestellt werden. Bei beiden Modulen wird die Individualisierungsmöglichkeit durch den Einsatz von Elektrik und Elektronik geschaffen. Elektronisch werden andere Fahrwerksabstimmungen in Sekundenschnelle erreicht. Früher war ein Wechsel von einer komfortbetonten zur einer sportlichen Abstimmung nur mit einem unbequemen und teuren physischen Umbau zu realisieren. Elektronische Fahrwerke hingegen bieten eine Fülle von Modi, die jegliche Wünsche von Konsumenten erfüllen können. Die Änderungen werden schnell und bequem realisiert. Ähnliches ist heute bei Automatikgetrieben möglich. In der Regel werden Konsumenten zwischen zwei und vier Getriebemodi angeboten. Das Beispiel BMW zeigt dabei, dass die umsetzbaren Individualisierungsmöglichkeiten gleichzeitig handhabbar für den Nutzer sein müssen. Hunderte von Abstufungen eines Automatikgetriebes übersteigen dabei ohne Frage die Beurteilungskompetenz. Das Beispiel Ferrari zeigt, dass die Anpassung auch zwei Module gleichzeitig umfassen kann. Hier hat man eine gute Balance gefunden, dem Nutzer individuelle Möglichkeiten zur Fahrwerks- und Getriebeabstimmung zu bieten. Es werden fünf Modi von sinnvollen Kombinationen der Fahrwerks- und Getriebeanpassung angeboten.
Abb. 63. Beispiele angenehmer Individualisierung
168
5
Die Lösung des Konfliktes: Modularisierung
Die Herausforderung liegt in Zukunft nicht in der Vielfalt, sondern in einer bedienerfreundlichen und beherrschbaren Vielfalt. Durch den Einsatz von Elektronik werden bei allen Modulen bisher undenkbare Möglichkeiten erreicht. Darüber hinaus lassen sich, wie das Beispiel Fahrwerk und Getriebeabstufung zeigt, sinnvolle Verknüpfungen von Modulen realisieren. Neben der Flexibilität der Module selbst gehen wir davon aus, dass in Zukunft Modulupdates möglich werden. Wir haben diese Art der Vielfalt bereits bei der Auseinandersetzung mit Modullebenszyklen angesprochen. Die Produktlebenszyklen der Module werden sich in Zukunft von denen der Fahrzeuge abkoppeln. Der starke Einfluss der Elektronik auf die Module trägt dazu bei, dass diese in Zukunft einen bedeutend kürzeren Lebenszyklus haben werden als das Gesamtfahrzeug. Bei einzelnen Modulen geschieht dies bereits heute: Beispielsweise können Rückleuchten bei BMW während des Fahrzeuglebenszyklus neue Elektroniksetups erhalten. Dies ist jedoch erst der Anfang der Vielfalt. In Zukunft kann in vielen Bereichen neue Software während des Fahrzeuglebenszyklus installiert werden. Ein besonders nahe liegendes Beispiel ist die Aktualisierung von Navigationssystemen. Darüber hinaus sind Updates auch bei Tachometermodulen inklusive Displays, Head-up-Displays, Motormanagement, Getriebesetupwahlmöglichkeiten oder neuen Sicherheitsfunktionalitäten und Vernetzungen bestehender Module denkbar. Zwischen Modulen und Hauptmodulen haben wir eine Unterscheidung vorgenommen. Beispiele für letztere sind Powertrain, Interieur oder Exterieur. Wir gehen davon aus, dass es in Zukunft ebenso Updates für Hauptmodule wie für Module geben wird. Am Hauptmodul Interieur lässt sich diese neue Form der Vielfalt eindrucksvoll nachvollziehen. Wir sehen ein Personalisierungspotenzial darin, dass in Zukunft Interieurintegratoren während des Fahrzeuglebenszyklus ein vollständig neues Interieur anbieten. Dieses Produktupdate kann vollständig unabhängig von einem Facelift oder einer neuen Modelleinführung durchgeführt werden. Das Update im Hauptmodul Interieur bedeutet, dass beispielsweise zwei Jahre nach der Produkteinführung einer neuen Fahrzeuglinie ein vollständig neuer Innenraum für das Modell eingeführt wird. Derartige Updates bieten für alle beteiligten Unternehmen ein großes Potenzial. Der OEM kann die Attraktivität seiner Fahrzeuge deutlich erhöhen. Dies wiederum hat direkte positive Auswirkungen auf die Lieferanten, die ebenfalls höhere Stückzahlen verkaufen können. Darüber hinaus entziehen sich solche Updates während der Laufzeit einer Diskussion über Preisnachlässe. Für den
5.5
Weitere Möglichkeiten der Vielfalt („sechste Art“)
169
Konsumenten sind sie schließlich interessant, da sein Fahrzeug auf diese Weise besser mit dem schnellen technischen Fortschritt im Bereich der Hauptmodule korrespondiert. Modulupdates halten das Fahrzeug „am Puls der Zeit“ und erhöhen dadurch seine Attraktivität.
6 Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten – die neue Wertschöpfung
6.1 Einleitung Über die quantitativen Veränderungen der Automobilindustrie in den kommenden Jahren gibt es eine Vielzahl von Prognosen. Hierbei hat sich insbesondere eine Studie als aussagekräftig etabliert: FAST (Future Automotive Industry Structure) 2015 beschreibt detailliert die Veränderungen in der Wertschöpfungsstruktur der Automobilindustrie für den Zeitraum von 2004 bis 2015 (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003). Im Folgenden werden wir diese Studie aufgreifen, um die quantitativen Veränderungen im Rahmen der Effizienten Vielfalt darzustellen. Auch die Experten von Mercer Management Consulting und der Fraunhofer-Gesellschaft erwarten nach den beiden Umwälzungen durch die Massenproduktion und die schlanke Produktion einen erneuten strukturellen Wandel in der Automobilindustrie. Die Auswirkung dieses Wandels sehen sie vor allem in quantitativen Veränderungen der Wertschöpfungsstruktur. Der in der FAST-Studie ermittelte Wandel betrifft insbesondere die Zulieferer und bietet ihnen neue, weit reichende Chancen und vor allem eine höhere Verantwortung durch nahezu eine Verdoppelung ihrer Wertschöpfung bis zum Jahr 2015. Gemessen an der Gesamtwertschöpfung beziffern die Experten den Wertschöpfungsanteil von Zulieferern und Dienstleistern auf 77 %. Im Vergleich zum Jahr 2002 entspricht dies einem Wachstum von 70 %. Wie wir bereits an mehreren Stellen gezeigt haben, hat diese Entwicklung ein völlig neues Rollenverständnis zur Folge. OEMs werden sich vermehrt auf das so genannte „Downstreamgeschäft“ fokussieren, also auf Wertschöpfungsstufen, die näher beim Konsumenten liegen, wie z. B. Vertrieb, Service oder Kundenbetreuung. In diesem Zusammenhang wird sich der OEM vor allem mit seiner Marke und ihrem Management intensiver auseinandersetzen. Diese Verlagerung wird auch durch einen stetig steigenden Investitionsaufwand unterstützt. OEMs müs-
172
6
Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
sen ihre Kapazitäten auch deshalb verlagern, weil sie zu viel „teures Kapital“ binden und entsprechend schlechte Bewertungen durch die Banken erhalten. Die Automobilentwicklung und -produktion dagegen wird vermehrt auf die Zuliefererindustrie verlagert. OEMs müssen hierbei vor allem festlegen, in welchem Ausmaß die Lieferanten ihre Marken unterstützen können. Nicht alle Produkte eines OEM sind markenprägend. Tendenziell ist es für den OEM auch in Zukunft sinnvoll, Kompetenzen hinsichtlich markenprägender Produkte aufrecht zu erhalten. Dies muss nicht bedeuten, alle markenprägenden Teile eines Automobils „inhouse“ zu entwickeln. Aus Effizienzgründen wird zukünftig kein OEM dazu in der Lage sein. Wird die Entwicklungskompetenz von markenprägenden Produkten ausgelagert, so ist es allerdings für den OEM notwendig, zumindest eine „Beurteilungskompetenz“ im Unternehmen zu halten. Hierbei geht es primär nicht um Marktpreise von Produkten, sondern um Innovationen; Shadow Engineering sollte auf jeden Fall vermieden werden. Nachdem die OEMs ihre markenprägenden Produkte definiert haben, müssen sie sich mit diesen im Wettbewerb differenzieren. Nur dadurch können sie sich einen langfristigen Erfolg am Markt sichern, da Marken ohne klare Botschaft dem Wettbewerbsdruck nicht standhalten werden. Insbesondere bei den markenprägenden Produkten, die der OEM von Lieferanten bezieht, ist eine neue Art der Zusammenarbeit unumgänglich. Vor allem langfristige, auf Vertrauen basierende Partnerschaften haben hierbei offensichtlich einen Vorteil; diesen Aspekt werden wir im folgenden Kapitel über die qualitativen Veränderungen näher thematisieren. Vorentwicklung
Serienentwicklung
55 %
54 %
45 %
46 %
-9%
- 14 %
Modulfabrikation
Modulproduktion
Fahrzeugproduktion 1%
2002
OEM-Veränderung
75 %
75 % 99 %
25 %
25 %
- 15 %
- 12 %
2015 36 %
68 %
22 %
90 %
10 %
87 %
OEM
-3% 4%
64 %
Lieferanten
96 %
Lieferanten
OEM
13 %
Abb. 64. Wertschöpfungsanteile auf einzelnen Stufen (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)
6.1 CAGR (2002-2015)
Wachstum (absolut)
Chassis
1,2 %
+ 13 Mrd. €
Powertrain
5,9 %
+ 38 Mrd. €
Motor und Abgassysteme
3,3 %
+ 30 Mrd. €
Body Struktur
19,5 %
+ 19 Mrd. €
Body Exterieur
3,7 %
+ 19 Mrd. €
Interieur
0,5 %
+ 7 Mrd. €
Elektrische Systeme / Elektronik
7,2 %
+ 157 Mrd. €
Modul
Einleitung
173
+ 283 Mrd. €
Abb. 65. Absoluter Wertschöpfungszuwachs der Lieferanten (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)
Insgesamt gehen die Veränderungen mit einer reduzierten Eigenleistung der OEMs auf jeder einzelnen Wertschöpfungsstufe einher (vgl. Abb. 64). Auf nahezu allen Ebenen der automobilen Wertschöpfung werden die OEMs Anteile an Lieferanten abgeben. Was dieser prozentuale Zuwachs absolut für Lieferanten bedeutet, ist in Abbildung 65 dargestellt. In Zukunft wird es für die Lieferanten immer wichtiger werden, proaktiv zu einem frühen Zeitpunkt in die Wertschöpfung einzusteigen. Es geht dabei nicht darum, dem OEM die eigenen Kompetenzen nahe zu bringen. Diese „Bauchladenmentalität“ ist in der dritten Revolution selbst im Rahmen des ersten Kontakts nicht effizient. Es geht für die Lieferanten vielmehr darum, im Bereich der markenprägenden Innovationen zu einem frühen Zeitpunkt Lösungen vorzuschlagen, die die Marke des OEM unterstützen. Lieferanten müssen mit „brand specific market driven innovations“ als Berater auftreten und dem Kunden konkrete Vorschläge unterbreiten. Das bedeutet nicht, bereits fertige Innovationen vorzustellen. Dieser Gedanke ist kontraproduktiv! Die Innovationen von heute stellen Commodities von morgen dar. Aufgrund der sehr langen „Time to Market“ in der Automobilindustrie können Lieferanten in vielen Produktbereichen drei bis vier Jahre vor dem Serienanlauf eines Fahrzeugs keine fertigen Innovationen
174
6
Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten 2015
2002 OEM Chassis
Antriebsstrang
Motor und Abgassysteme
Lieferanten
23%
37%
50%
96%
Body (Exterieur)
Elektrik / Elektronik
63%
50%
Body (Struktur)
Interieur
77%
85%
20%
80%
36%
45%
84%
84%
Lieferanten
15%
4%
55%
16%
OEM
16%
64%
59%
29%
41%
71%
14%
86%
16%
84%
Abb. 66. Wertschöpfungsanteile OEMs / Zulieferer 2015 versus 2002 (Mercer Management Consulting u. Fraunhofer Gesellschaft 2003)
anbieten. Wie eben dargestellt sind die ersten beiden Stufen im Innovationsprozess des Lieferanten das Marken- und Marktmanagement. Der von uns skizzierte Prozess marken- und konsumentenspezifischer Innovationen muss in dieser oder ähnlicher Art durchlaufen werden. Nachdem umsetzbare Produktideen entsprechend dieser Vorgehensweise erarbeitet und platziert worden sind, muss der Lieferant den Kunden proaktiv aufsuchen und ihm seine Vorschläge unterbreiten, wenn diese qualitätsstabil eingeführt werden.
6.2 Chassis Betrachten wir zunächst Veränderungen im Bereich des Fahrwerks: Schon heute gibt es erste Innovationen im Fahrwerkbereich, die sich durch eine so genannte „Intelligenz“ auszeichnen. Opel, VW und Mercedes haben bereits erste Systeme in der Produktion und darüber hinaus hat sich grundsätzlich jeder OEM diesem Thema gewidmet. Mit Intelligenz ist dabei eine elektronische Verknüpfung von verschiedenen Modulen, Fahrwerkskomponenten untereinander und anderen Elementen wie beispielsweise Lenkung oder
6.2
Chassis
175
Bremsen, gemeint. Die Fahrwerkselektronik ist dabei das Wachstumsfeld der Zukunft, sowohl auf der OEM- als auch auf der Lieferantenseite. Die Kernkompetenz wird in der Vernetzung der einzelnen Einheiten miteinander liegen. Der Faktor Sicherheit ist in diesem Kontext ein übergeordnetes Thema höchster Relevanz. Es geht nicht mehr darum, den Komfort des Fahrzeugs zu optimieren. Dieser hat bereits heute einen sehr hohen Level erreicht. Verbesserungen bei einem Modellwechsel fallen immer geringer aus und sind für Konsumenten nur noch schwer nachvollziehbar. Die Beispiele Mercedes-Benz und Lexus machen deutlich, in welche Richtung sich Innovationen im Allgemeinen und speziell im Fahrwerksbereich entwickeln werden. Durch eine Vernetzung der gesamten Fahrzeugelektronik können Situationen definiert werden, in denen gewisse Systeme einschreiten. Den Anfang dazu machten die ersten Versionen des ESP und ABS, die bei mangelnder Haftung respektive dem Blockieren eines Reifens Bremseingriffe vornehmen. Unter diesem Sicherheitsgedanken können mittlerweile zusätzlich Anhängerkupplung, Fensterheber oder Schiebedach geregelt werden. Bei anderen Modulen kann eine Vorbereitung auf weitere mögliche kritische Situationen ausgelöst werden, wie beispielsweise ein Trockenbremsen oder eine vorsorgliche Straffung des Sicherheitsgurtes. Auch mit Hilfe eines Abstandsradars lassen sich Brems- und Lenkeingriffe steuern. Das Fahrwerk spielt bei all diesen Szenarien eine entscheidende Rolle, da unterschiedliche Dämpfereinstellungen oder gezielte Veränderungen von Teilbereichen Gefahrensituationen entschärfen können. Bremsen, Lenkung, Stoßdämpfer / Federung, Radaufhängung, tragende Elemente (Leiterrahmen) und Räder in Verbindung mit der Fahrwerkselektrik und -elektronik machen ungefähr 18 % des Gesamtfahrzeugwertes aus. Mit zunehmender Vernetzung wird tendenziell auch der Wertschöpfungsanteil auf der Lieferantenseite steigen. Bereits sehr frühzeitig haben sich Unternehmen wie Continental mit der Verknüpfung von Fahrwerkskomponenten befasst und eine Integrationskompetenz aufgebaut. Für den Lieferanten ist eine solche Gesamtfahrzeugkompetenz notwendig, um dem Kunden über Komfortaspekte hinaus einen Mehrwert bieten zu können. Aus diesem Grund gehen wir gemeinsam mit den Experten der FASTStudie davon aus, dass der Wertschöpfungsanteil auf der OEM-Seite sinken und auf der Lieferantenseite steigen wird. Wichtig bei den zukünftigen Entwicklungen im Fahrwerkbereich wird sein, auch an dieser Stelle die Marke des OEM zum Ausdruck zu bringen. Sicherheits- und Dynamikaspekte bieten eine Fülle von unterschiedlichen Setups, die auf die jeweiligen Marken angepasst werden müssen. Eine enge
176
6
Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Zusammenarbeit der Marketingabteilungen von Zulieferer und OEM ist für diese Anpassung unumgänglich. Der OEM wird zunehmend Teilbereiche des Fahrwerks outsourcen und stetig Kompetenz in diesem Bereich verlieren. Letztlich werden den Markt wenige Systemanbieter und einige Nischenanbieter dominieren, die dem OEM in enger Zusammenarbeit einen vollständigen Modulbaukasten anbieten können. Die elektronische Integration wird diesen Prozess beschleunigen, da sie zu Kompetenzverschiebungen führt. Die mit der Mechatronik entstehende Funktionsvielfalt muss sinnvoll voneinander abgegrenzt werden.
6.3 Motor Der Motor als Herz des Automobils ist noch längst nicht ausgereift und wird weit reichenden Innovationen unterliegen. Nach wie vor wird dieser Bereich mit 19 % einen sehr hohen Anteil an der Gesamtwertschöpfung des Fahrzeugs einnehmen. Für OEMs ist der Motor ein sehr prekärer Bereich, da er das wahrscheinlich wichtigste Element des Fahrzeugs ist. Nach wie vor differenzieren sich OEMs sehr stark mit ihren Antriebseinheiten und versuchen dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Für OEMs wie Mercedes-Benz, BMW oder Porsche ist es derzeit und auch in naher Zukunft undenkbar, einen signifikanten Wertschöpfungsanteil in diesem Bereich an Lieferanten zu übertragen. Lieferanten unterstützen in diesem Zusammenhang weniger mit einer Systemkompetenz als mit der Entwicklung von Teilmodulen wie beispielsweise Kompressoren, Filter oder Turbolader. Deren Integration bleibt in vielen Fällen ebenso wie die Entwicklung der Maschine als Ganzer weiterhin eine Domäne des OEM. Allerdings wird dieses Extrem nicht für alle OEMs gelten. Vor allem die Einbeziehung von Entwicklungsdienstleistern ist hier der erste Schritt zu einer Übertragung von Wertschöpfung auf Lieferanten. Viele Herausforderungen wie beispielsweise umweltpolitische Vorgaben können OEMs alleine nicht mehr stemmen. Unternehmen wie Yamaha gehen sogar noch einen Schritt weiter und übernehmen neben der Entwicklung auch die Fertigung kompletter Aggregate und führen sie in Serie. Auch die Kooperationen zwischen den OEMs werden weiter zunehmen. So kooperieren aktuell beispielsweise Ford und PSA bei der Entwicklung von Dieselmotoren. Aufgrund der hohen Entwicklungskosten hat sich dieser Trend in der jüngsten Vergangenheit verschärft und wird sich weiter ausdehnen. Insbesondere die in Abschnitt 3.5 dargestellten zukünftigen Innovationen, die in
6.4
Powertrain
177
diesem Bereich zu erwarten sind, wie beispielsweise die Ausbreitung der Hybridtechnologie oder die Einführung der Brennstoffzelle, können Entwicklungsdienstleister und Tier-1-Lieferanten allgemein stärken und an der Wertschöpfung beteiligen. Selbst BMW ist heute mehr nicht im Stande, alle Entwicklungsanforderungen kurzfristig allein zu bewältigen, und ist daher einem Entwicklungskonsortium für Hybridmotoren beigetreten. Die erste Generation von Mini-Motoren bezog BMW von Chrysler und Toyota, während die Motoren des Nachfolgemodells aus den Regalen von PSA kommen – Markenprägung hin oder her. Da Motoraggregate oftmals markenprägende Module sind, ist bei der Verbesserung der Ressourceneffizienz (Nutzung gleicher Motoren) stets der Verlust an Markteffizienz (Konsumenten erwarten in einem Dodge andere Motoren oder zumindest andere Motorcharakteristiken als in einem Mercedes-Benz) zu beachten. Die Erfolg versprechende Lösung liegt auch hier in einer modularen Basisentwicklung und markenspezifischen Applikationsentwicklungen, insbesondere bei „Brot-undButter-Autos“, also den jeweiligen Volumenmodellen der OEMs. Diese erfordern in Zukunft eine stärkere Differenzierung untereinander. Wir gehen davon aus, dass diese Formen der Zusammenarbeit sich in Zukunft verstärken werden, die Gesamtkompetenz im Motorenbereich jedoch schwerpunktmäßig beim OEM verbleiben wird. Für Zulieferer ist es entscheidend, sich auch in diesem nach wie vor von den OEMs dominierten Bereich zu etablieren. Effizient sind dabei Kooperationen oder Entwicklungskonsortien, da sich der Aufbau einer eigenständigen Gesamtkompetenz als sehr kostenintensiv darstellt. Wahrscheinlich wird es auch mittelfristig unrealistisch bleiben, dass Motoren zum Gegenstand von Ingredient Brandings werden, doch die Aufgabenübertragung auf Lieferanten ist nicht auszuschließen und wird sich in begrenztem Maße fortsetzen.
6.4 Powertrain Im Bereich Antriebsstrang wird sich die absolute Wertschöpfung in den kommenden zehn Jahren nahezu verdoppeln. Unter Antriebsstrang fassen die Experten der FAST-Studie die Module Antriebselektronik, Antriebswellen, Achsgetriebe sowie das Getriebe zusammen. Letzteres vereint dabei ungefähr zwei Drittel der Wertschöpfung des Antriebsstrangs auf sich. Greifen wir das Getriebe auf und schauen uns die Markenrelevanz dieses Moduls an. Es zeichnet sich insgesamt durch eine sehr hohe Komplexität aus. Auf dem Markt existieren dementsprechend nur wenige Lieferan-
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6
Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
ten wie ZF, Getrag oder Aisin. Auf der OEM-Seite hat in der jüngeren Vergangenheit Mercedes-Benz durch die Entwicklung einer Siebengangautomatik umfassende Kompetenz bewiesen. Wenngleich zunächst nicht sichtbar, aber deutlich spürbar, eignen sich Getriebe dafür, die Marke des OEM zum Ausdruck zu bringen. Alleine der Vergleich eines BMW M5 und eines Mercedes CLS 63 AMG macht diesen Aspekt deutlich. Das Getriebe des BMW bietet dem Fahrer die Möglichkeit, über 200 Einstellungen vorzunehmen, beispielsweise durch unterschiedlich lange Schaltzeiten oder Schaltvorgänge bei verschiedenen Drehzahlgrenzen. Eine Launchcontrol bietet die Option eines „Formel-1-Starts“. Die Siebengangautomatik des CLS zielt dagegen auf den komfortorientierten Fahrer. Bei Bedarf ist auch hier ein sportliches Schalten möglich, was sich in der Praxis jedoch als unbequem herausstellt. Die OEMs verfolgen unterschiedliche Getriebephilosophien und noch nicht alle haben bereits die für sie ideale Lösung gefunden. Audi bietet eine Fülle von unterschiedlichen Getrieben an, ebenso Mercedes-Benz bei einigen Modellen. Diese Tatsache ist auch darauf zurückzuführen, dass das Getriebemodul einer intensiven Innovationstätigkeit unterliegt. Kürzlich hat beispielsweise Aisin eine Achtstufenautomatik für Lexus entwickelt, die bezogen auf Komfortaspekte derzeit ein Spitzenprodukt darstellt. Im Rahmen der von uns prognostizierten zunehmenden Vielfalt dürfen OEMs in Zukunft jedoch nicht die Gesamtmarke außer Acht lassen. Markentechnisch wäre dies grob fahrlässig. Mercedes-Benz muss beispielsweise bei jedem Fahrzeug Komfort- und Innovationsaspekte in den Vordergrund stellen. Der maßgebliche Vergleich darf nicht zwischen den Fahrzeugen einer Marke, sondern zwischen ihnen und dem relevanten Markt gezogen werden. Im Klartext bedeutet dies, dass eine C-Klasse genauso den Komfort in den Vordergrund stellt wie ein SLR, wobei die direkten Wettbewerber wie etwa ein 3er BMW oder ein Porsche Carrera GT die Bezugspunkte darstellen. Das Getriebe bietet für OEMs im nächsten Schritt allerdings eine gute Möglichkeit, auch fahrzeugspezifische Akzente zu setzen. So ist es beispielsweise denkbar, dass die kommende Generation des SLR ein Doppelkupplungsgetriebe erhalten wird mit der Option, selbst zu schalten oder den Vorgang der Automatik zu überlassen. Für eine A-Klasse ist dieses Szenario innerhalb der Marke Mercedes-Benz weniger relevant. Auch in Zukunft wird das Getriebe eine wichtige Rolle spielen, wobei die Wertschöpfung auch bei diesem Modul zunehmend auf Zulieferer übertragen wird. Für sie ist es dementsprechend bedeutsam, in der Basisentwicklung unterschiedliche Kundenanpassungsmöglichkeiten anzubieten, die
6.5
Body (Struktur)
179
dann wesentlich durch Software erreicht werden. Hier gibt es noch einen großen Spielraum, da derzeit der Fokus auf einer kundenindividuellen Entwicklung liegt. Langfristig werden sich auch bei diesem Modul die Zulieferer durchsetzen und für alle OEMs markenspezifische Lösungen anbieten müssen. Hierbei ist abermals ein enger Austausch der Marketingabteilungen von großer Bedeutung. OEMs müssen sich dieser Zusammenarbeit öffnen, damit ihre Marke weiterhin in ihrem Sinn durch entsprechende Produkte zum Ausdruck gebracht wird. Derzeit besteht noch ein sehr großes Defizit hinsichtlich der Ressourceneffizienz. Die Lieferanten müssen ihre Entwicklungstätigkeit kritisch hinterfragen und neu strukturieren. Empfehlenswert sind unterschiedliche „Gates“ in der Entwicklung, die einen Marketinginput zwingend erforderlich machen, um zur nächsten Stufe zu gelangen. Gleichzeitig muss der Marketingbereich in frühen Phasen eine Strategie erarbeiten, mit welchen Basisentwicklungen welche Kunden „markensicher“ bedient werden können. Durch eine modulare Entwicklung muss sichergestellt werden, dass für andere Kunden keine Neuentwicklung stattfinden muss, sondern nur ein modularer Austausch von Teilkomponenten. Gleichzeitig muss das Ergebnis für den Kunden ein völlig neues Produkt sein. Dieses Problem ist bis heute noch nicht überzeugend gelöst worden.
6.5 Body (Struktur) Bei der Karosseriestruktur wird der Lieferantenanteil von 4 % im Jahr 2002 auf 41 % im Jahr 2015 ansteigen. Diese Steigerung ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Lieferanten Gesamtfahrzeugkompetenzen aufbauen und sich als „Tier-0,5“ zu qualifizieren versuchen. Darüber hinaus werden auch Teilbereiche der Wertschöpfung von OEMs auf Lieferanten übertragen werden wie beispielsweise die Lackierung oder der gesamte Fahrzeugrohbau. Die Karosseriestruktur bietet entsprechende Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle der Zusammenarbeit zwischen OEM und Lieferant. Die Marke des OEM spielt hierbei im Vergleich zu den anderen Hauptmodulen eine geringere Rolle. Die Hürde, dass manche deutsche Autos nicht in Deutschland gefertigt werden, haben Konsumenten bereits genommen. Ein BMW muss nicht komplett von BMW produziert werden. Eine begleitende Kommunikationsstrategie hat dies den Konsumenten bereits verständlich gemacht. Das beliebte Valmet-Beispiel zeigt in diesem Zusammenhang immer wieder, dass ein Porsche auch vollständig von einer anderen
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6
Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Firma gebaut werden kann. Dass der Motor immer noch in Zuffenhausen montiert wird, ist dabei nur ein kosmetisches Detail. Finanzkräftige Zulieferer, die selbst eine hohe Wertschöpfung haben, können sich im Karosseriebau etablieren, wie das Beispiel Magna bereits heute zeigt. Wesentlich dabei ist, dass ein Vorteil durch die Integration der anderen Unternehmensbereiche erreicht werden muss. Für das Beispiel Magna bedeutet dies, dass die Karosseriefertigung angesichts der Integration von Intier als Teil von Magna Vorteile bei der Prozesseffizienz mit sich bringt. Diese Vorteile können zwischen OEM und Lieferant verteilt werden. Neue Geschäftsmodelle werden notwendig sein, um die Vielfalt in den Bereichen Karosserieentwicklung und -fertigung effizient umzusetzen. Die Fertigung muss flexibel gestaltet werden. Im Extremfall ist es denkbar, dass sich Unternehmen als Fertigungsdienstleister etablieren und Fahrzeuge für verschiedene Kunden auf einer Produktionsstraße fertigen. Wird diese Vision realisiert, entstehen für Zulieferer und OEMs große Vorteile, da sowohl die Prozess- als auch die Ressourceneffizienz auf beiden Seiten verbessert werden können. In diesem Zusammenhang ist abermals darauf zu achten, dass die Markteffizienz nicht zu stark gefährdet wird, da sie in der dritten Revolution den Kern der Veränderungen darstellt.
6.6 Body (Exterieur) Unter dem Hauptmodul Body (Exterieur) verstehen die Experten der FAST-Studie Elemente wie Kotflügel, Fenster, Front- und Heckklappe, Frontend / Rearend, Türen und die Schließanlage. Obwohl es sich bei der „Außenhaut“ eines Automobils zweifelsohne um ein markenrelevantes Produkt handelt, wird auch in diesem Bereich eine Übertragung der Wertschöpfung vom OEM auf den Lieferanten erwartet. In sehr frühen, designspezifischen Phasen ist ein regelmäßiger Austausch zwischen Designern des OEM und Lieferanten notwendig. Absolut wird die Wertschöpfung dieses Hauptmoduls kaum steigen, prozentual bezogen auf das Komplettfahrzeug sogar sinken. Eine absolute Steigerung liegt dennoch vor, da wir von einem Anstieg der Fahrzeugvolumina ausgehen. OEMs müssen sich dieser Entwicklung auch strukturell anpassen und eine vernetzte Organisation schaffen. Bereichsdenken hemmt die Effizienz, da OEMs sich mit bereichsübergreifenden Modulen auseinandersetzen müssen. Für Lieferanten gilt tendenziell das Gleiche. Unternehmen, die
6.7
Interieur
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beispielsweise drei separate Produktsparten haben, müssen diese entweder schnellstmöglich miteinander verbinden und sie modular aufbauen oder separate Geschäftsmodelle für einzelne Produktbereiche oder Themen entwickeln. Die Betriebsorganisation muss umfassend angepasst werden, angefangen bei den physischen Arbeitsplätzen bis hin zum gesamten Anreizsystem für alle Mitarbeiter. Diese Herausforderung auf OEM- und Lieferantenseite sollte so schnell wie möglich angegangen werden, um nicht der Konsolidierung der Branche zum Opfer zu fallen, was insbesondere den Lieferanten droht. Ein Beispiel für ein integriertes Modul sind Türen. Die Lieferanten müssen dazu übergehen, Geschäftsmodelle aufzusetzen, die unterschiedliche Grade der Modularisierung berücksichtigen. Dies sollte nicht auf Anforderung des OEM hin, sondern proaktiv geschehen. Von der einzelnen Komponente des Fensterhebers bis hin zum integrierten Türmodul inklusive Innenverkleidung, Elektronik, Außenhaut, Rahmenstruktur und Verglasung muss es verschiedene Stufen geben, die jeweils angeboten werden. Diese müssen dabei markenspezifisch anpassungsfähig sein, also innerhalb eines Submoduls Differenzierungsmöglichkeiten erlauben. Der Phantasie und Proaktivität sind an dieser Stelle keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, dass Lieferanten für das Hauptmodul Body (wie für alle anderen Module auch) kundenunabhängige Geschäftsmodelle festlegen und einen entsprechenden Modulbaukasten entwickeln. Dieser bietet den Vorteil einer gesteigerten Ressourceneffizienz. Durch die Einbeziehung der Marketingabteilung des Lieferanten in den gesamten Prozess muss sichergestellt werden, dass die Markteffizienz gleichzeitig nicht reduziert wird.
6.7 Interieur Nach wie vor werden OEMs auch in Zukunft einen starken Fokus auf Eigenleistungen im Bereich Interieur legen. Nichtsdestotrotz müssen sie auch an dieser Stelle „loslassen“ und eine engere Zusammenarbeit mit Lieferanten suchen. Der automobile Innenraum ist einer der wesentlichen Bereiche, die die Marke ausdrücken können. An dieser Stelle werden von Seiten des OEM oftmals Fehler gemacht, wenn beispielsweise ein sportliches Markenimage nicht durch das Interieur reflektiert wird. Die Abkehr vom fahrerorientierten Cockpit bei BMW ist ein populäres Beispiel dafür. Andere OEMs mit ähnlichen Markenwerten setzen dagegen fahrerorientierte Interieurs um wie beispielsweise Audi oder Alfa.
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Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Die Lieferanten haben in den vergangenen Jahren eine Innenraumkompetenz aufgebaut, die diejenige des OEM übersteigt. Immer mehr OEMs akzeptieren diesen Kompetenzanstieg und geben vermehrt Aufträge an Lieferanten ab. Betrachten wir die Wertschöpfungsveränderungen genauer, so zeigt sich, dass auch in diesem Bereich der wesentliche Zuwachs bei den Elektronikmodulen zu finden ist. Der Anteil von Interieur-Elektronik wird sich entsprechend den Analysen der FAST-Studie in den kommenden Jahren nahezu verdoppeln. Rein mechanische Elemente wie die Pedalanlage, Innenraumbelüftung oder Sitze werden dagegen relativ gesehen an Wertschöpfung verlieren. Die Herausforderungen, die wir im Rahmen der Effizienten Vielfalt sehen, können sehr gut anhand des Hauptmoduls Interieur illustriert werden. Wir haben es mit zwei wesentlichen Problemen zu tun, die zunächst nicht beide auf einmal gelöst werden können: Auf der einen Seite steigt die Komplexität im automobilen Innenraum. Aufgrund der Vernetzung von Elektronikkomponenten mit anderen Modulen muss die Teilbereichsbetrachtung der OEMs und Tier-1 einem ganzheitlichen Ansatz weichen. In Zukunft werden beispielsweise Hersteller von Konsolen immer mehr unter Druck geraten, da selbst bei Konsolen andere Kompetenzen in den Vordergrund rücken. Kühlung und Elektronik wie beispielsweise USB-Schnittstellen und die Systemintegration in das Gesamtcockpit sind nur wenige Beispiele, die klar zum Ausdruck bringen, dass die Kompetenz von Nischenlieferanten leicht überschritten werden kann. In Zukunft müssen Interieuranbieter den Gesamtzusammenhang im Cockpit verstehen und managen. Die Aufgaben umfassen Design, Schnittstellenkoordination sämtlicher elektronischer Elemente, HMI, Klimamodulintegration sowie eine allgemeine Innenraumkompetenz und die Verknüpfung der Einzelbereiche. Alle dargestellten Elemente müssen von den Anbietern verstanden werden, um künftige Cockpitlösungen erarbeiten zu können. Diese Herausforderung kann derzeit kein Lieferant bewältigen. Nur wenige Unternehmen vereinigen das für die Gesamtkompetenz notwendige Produktportfolio von Interieur, Klimatechnik und Elektronik unter einem Dach. Es ist insofern davon auszugehen, dass große Lieferanten ihr Produktportfolio dementsprechend erweitern oder Kooperationen eingehen werden. Beispielsweise arbeitet Faurecia als klassischer Interieurhersteller bereits heute in einem Joint Venture mit Siemens VDO als Elektronikspezialist zusammen. Klar ist, dass wir in Zukunft bei den Lieferanten viel Bewegung in diesem Bereich erwarten und dass nur sehr wenige Unternehmen tragfähige Gesamtlösungen bereitstellen können. Kooperationen,
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Interieur
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Aufkäufe und massive interne Reformen von Organisationsstrukturen zur Vermeidung von „Bereichsblindheit“ werden die kommenden Jahre auf der Lieferantenseite prägen. Die Konsolidierung wird sich daher nicht nur auf die Unternehmen im Ganzen erstrecken, sondern vor allem auch auf Geschäftsbereiche. Die Lieferanten werden sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und Geschäftsfelder zusammenschließen. Größe alleine ist kein Garant für ein erfolgreiches Unternehmen, sondern vielmehr die Leistungsfähigkeit im Kerngeschäft. Für Lieferanten wird dies kein leichter Weg werden. Integrierte Interieuraufträge kann heute kaum ein Lieferant bewältigen. Neben dem Problem gesteigerter Komplexität, das nur durch das Beschreiten neuer Wege zur Erhöhung der Effizienz gelöst werden kann, haben wir es auf der anderen Seite mit dem Trend der Vielfalt zu tun. Vielfalt wirkt dabei zunächst effizienzreduzierend, weil die Ressourcen für die geforderten Anpassungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht ausreichen und weil vor allen Dingen weniger Output pro Ressource zu erwarten ist. Entwicklungen müssen beispielsweise für eine bedeutend höhere Anzahl an Optionen und Varianten durchgeführt werden, wobei mit den eingesetzten Entwicklungsressourcen keine Lösungen für den Gesamtmarkt erarbeiten werden können, sondern nur für einen sehr kleinen Teilbereich. Die Ressourceneffizienz sinkt! Gleichzeitig entstehen Probleme bei internen Prozessen, da der Trend zur Vielfalt weitere Abstimmungen erforderlich macht, die die Prozesseffizienz stark beeinträchtigen. Insbesondere im Blick auf den automobilen Innenraum besteht auf der Konsumentenseite ein großer Bedarf, die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Innenräume werden mit persönlichen Merkmalen wie Plüschtieren, Fußballschals, Aufklebern, Plastikblumen, Duftspendern oder sonstigen Accessoires ausgestattet. Das Cockpit zeichnet sich dagegen durch Unflexibilität aus und ist nicht anpassungsfähig. Hier sind in Zukunft Lösungen gefragt, die dem Konsumenten die Möglichkeit bieten, auf eine bequeme Art und Weise Modifikationen vorzunehmen. Das bedeutet nicht, wie im Peugeot 1007 unterschiedliche Oberflächenfarben manuell zu wechseln. Ein solcher Tausch ist unbequem. In der Praxis wird man sich deshalb eher für eine Farbe entscheiden und an ihr festhalten. Es geht vielmehr darum, Lösungen zu finden, die eine Anpassung in Sekundenschnelle ermöglichen – beispielsweise unterschiedliche Beleuchtungen des Innenraums per Spracheingabe oder Knopfdruck. Eine Abstimmung der Innenraumbeleuchtung auf die jeweilige Musik oder eine DVD wäre auch möglich. Philips zeigt, dass dies für Fernseher bereits heute machbar ist.
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Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
In diesem Bereich existiert eine Fülle von Möglichkeiten für Konsumenten, ihre Persönlichkeit „per Knopfdruck“ zum Ausdruck zu bringen. Der Einsatz von Elektronik löst den vermeintlichen Widerspruch zwischen den zwei Herausforderungen Effizienz und Vielfalt. Die Anbieter sind aufgrund ihrer Gesamtcockpitkompetenz im Stande, verschiedene Personalisierungsszenarien vorab zu programmieren. Denkbar ist sogar, dass sich die Konsumenten im Laufe des Fahrzeuglebenszyklus Updates herunterladen und ihr Fahrzeug entsprechend aktualisieren. Verschiedene Geschäftsmodelle sind in diesem Zusammenhang denkbar. Die Zukunft geht weit über den heutigen Stand der Individualisierung hinaus und bietet sowohl für OEMs als auch für Lieferanten ein hohes Potenzial, sich im Wettbewerb zu differenzieren!
6.8 Elektrik und Elektronik Elektrik und Elektronik stellen eine Besonderheit dar, da in Zukunft jedes Modul von Elektronik geprägt sein wird. Wenn auch ein Modul selbst nicht in diesen Bereich fällt, so muss es dennoch eine elektronische Schnittstelle zu anderen Systemen besitzen. Im Verhältnis zu den OEMs werden Lieferanten auf diesem Gebiet keinen Wertschöpfungszuwachs erhalten, während bei allen anderen Hauptmodulen eine deutliche prozentuale Steigerung ihrer Wertschöpfung zu verzeichnen ist. Allerdings wird sich der Anteil der Elektrik und Elektronik an der Gesamtwertschöpfung im Zeitraum 2002 bis 2015 ungefähr verdoppeln. Elektronik und Software werden die Basis von 90 % aller zukünftigen Innovationen im Automobil sein. Dieser Bereich wird in Zukunft noch schwerer abzugrenzen sein, als dies heute bereits der Fall ist. Er hat eine Querschnittsfunktion, da alle anderen Hauptmodule ebenfalls Elektronik beinhalten. Die im Folgenden dargestellten Wertschöpfungsveränderungen beziehen sich auf die „reinen“ Elektroniksysteme. Darunter verstehen wir Bordelektronik und „ConsumerElektronik“. Beispiele für Bordelektronik sind Steuerungsmodule und das Motormanagement, für die Consumer-Elektronik Navigationssysteme und Radios. Dieser Kern des Hauptmoduls Elektrik und Elektronik nimmt alleine bereits 20 % der Wertschöpfung des Gesamtfahrzeugs ein. Bereits heute wird ein Großteil der Wertschöpfung von Elektronik-Zuliefererkonzernen wie Siemens VDO, Bosch oder Visteon übernommen. Um in Zukunft Vielfalt und Effizienz miteinander kombinieren zu können, ist eine Modulentwicklung auf der Basis von Elektrik und Elektronik unumgänglich. Dieser Produktbereich hat den überaus großen Charme, dass mit
6.8
Elektrik und Elektronik
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einem entsprechend angepassten Produktsetup verschiedene Konsumentengruppen angesprochen werden können. Durch den Einsatz von Elektronik können die Produkte differenziert werden und auch während ihres Lebenszyklus verändert werden. Individualisierung ist kosteneffizient in Zukunft nur mithilfe von Elektronik umzusetzen. Auch in diesem Kontext haben wiederum solche Lieferanten einen Vorteil, die neben Elektronik noch weitere Produktbereiche wie Interieur oder Fahrzeugklimatisierung im Portfolio haben und sie geschickt miteinander verknüpfen. Die Innenraumtemperatur wird ohnehin elektrisch gesteuert, sie jedoch mit einer indirekten Beleuchtung des Armaturenbretts zu verknüpfen, wäre ein neuer Ansatz. Über die Menüsteuerung der Multimediaeinheit könnten dem Konsumenten unterschiedliche Modi angeboten werden, wie etwa „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“. Individuelle Abstimmungen per Knopfdruck sind ebenfalls möglich. Aber auch im „reinen“ Elektronikbereich gibt es Möglichkeiten der Individualisierung. BMW beispielsweise entwickelt bereits heute zunächst die gesamte elektronische Fahrzeugarchitektur, bevor die Fahrzeugspezifikationen folgen. Alle elektronischen Setups werden vorab festgelegt. Bei der Einführung des Fahrzeugs bietet dieses zwar schon eine Fülle von Innovationen, doch die Besonderheit liegt darin, dass Innovationen auch während der laufenden Produktion „nachgeschossen“ werden können. Außerdem kann der Konsument während der Laufzeit seines Wagens individuelle Upgrades erwerben: erweiterte Softwarefeatures, neue Motormanagementeinstellungen, innovative Bremslichtsetups, andere Innenraumfarbkombinationen oder Soundeinstellungen. Auch hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Kunden könnten sich in Zukunft neue Setups direkt aus dem Internet auf die jeweilige Fahrzeugfestplatte herunterladen. Entscheidend ist, dass sich die Lebenszyklen der Module und diejenigen der Fahrzeugmodelle in Zukunft entkoppeln werden. Erfolgen Softwareupdates mit einem Dreh des Zündschlüssels via Satellitenübertragung, liegt ein neues Produkt im alten Fahrzeug vor. Ohne ein umfassendes Modulmanagement ist Effizienz entsprechend nicht zu erreichen. Sowohl auf OEM- als auch auf der Lieferantenseite kommt es darauf an, die Schnittstellen der eigenen Module sowie deren Vernetzung zu beherrschen. Schnittstellen- und Integrationskompetenz sind unmittelbar miteinander verbunden. Ob die Gesamtfahrzeugintegration beim OEM verbleiben oder auf Lieferanten übertragen wird, ist zunächst nicht relevant. Wichtig ist, dass Lieferanten diese Aufgabe in Zukunft prinzipiell übernehmen können und in Sachen Elektronik eine noch bedeutendere Rolle spielen werden. Die Wichtigkeit neuer Kompetenzen eröffnet gleichzeitig
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Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
neuen Anbietern die Möglichkeit, sich am Markt zu profilieren. Beispiele dafür könnten IBM oder Microsoft sein. Dabei spielt nicht nur die umfassende Elektronikkompetenz zur Etablierung neuer Plattformen, sondern auch der Service eine wichtige Rolle. Neue Serviceangebote, wie wir sie eben beispielhaft beschrieben haben, erfordern neue Geschäftsmodelle. Die erwähnten Elektroniklieferanten müssen Lösungen für geeignete Schnittstellen und neue Standards finden. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob man offene oder kontrollierte Standards schaffen sollte. Um eine möglichst schnelle und effiziente Umsetzung zu erreichen, empfehlen wir die (gemeinsame) Entwicklung von offenen Standards, die von vielen anderen Unternehmen genutzt werden können. Diese Strategie hat im Vergleich zu kontrollierten Standards den Vorteil, dass die Effizienzsteigerungen für die Gesamtindustrie bedeutend schneller wirksam werden. Ein beispielsweise über Lizenzgebühren kontrollierter Standard lässt sich wesentlich schwerer und langsamer etablieren. Vor einer Zusammenarbeit mit Konkurrenten oder anderen Unternehmen wie IBM sollte sich kein Lieferant scheuen. Auf der OEM-Seite stellt die Kooperation von Volkswagen und Google einen ersten Schritt in die Richtung solcher neuartigen Kooperationen dar. Die jeweiligen Rechte am geistigen Eigentum dürfen in dieser Zusammenarbeit nicht vernachlässigt werden. Bei den von uns propagierten Konzeptwettbewerben werden immaterielle Vermögensgegenstände immer bedeutsamer. Durch die Verabschiedung einer VDA-Richtlinie ist ihr Schutz zumindest auf dem Papier in Deutschland relativ gut gesichert. Die internen Prozesse im Rahmen der Entwicklung müssen neu aufgesetzt werden. Nur das Konzept einer vernetzten Elektronikarchitektur und Organisation kann den Herausforderungen standhalten. OEM- und Zuliefererorganisation müssen an dieser Stelle nahezu verschmelzen, um eine standardisierte Individualisierung zu ermöglichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass ein Unternehmen wie beispielsweise Microsoft den offenen Standard für die gesamte Industrie setzt, die entsprechende Kompetenz selbst besetzt und im zweiten Schritt sogar die Fahrzeugintegration übernimmt. Hier liegt eine Gefahr für die etablierten Elektroniklieferanten und eine Chance für neue Anbieter. Der Zuwachs an Wertschöpfung wird in der Zuliefererindustrie auch zu einer erhöhten Beschäftigung führen. Diese Entwicklung hält bei deutschen Zulieferern bereits seit über einer Dekade an. Im Zeitraum von 1994 bis 2005 zeichnet sich bei deutschen Lieferanten bei zeitgleicher Stagnation auf dem Gesamtarbeitsmarkt und angesichts steigender Globalisierung ein Anstieg von 90.000 Mitarbeitern ab (Verband der Automobilindustrie 2006).
6.8
Elektrik und Elektronik
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Festzuhalten bleibt, dass nur Innovationen lohnkostenintensive Standorte langfristig interessant machen können. Unternehmensbereiche, die von Innovationen nicht profitieren und in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit ihnen stehen wie beispielsweise der Finanzbereich, erzielen beispielsweise am Standort Deutschland weniger Nutzen als innovationsnahe Funktionsbereiche wie Marketing, Design oder Entwicklung. Bei der Wahl der unternehmenseigenen Standorte geht es darum, einen angemessenen Mix zu finden und eine möglichst hohe Flexibilität des Gesamtverbundes zu kreieren, um den Kunden- und letztlich den Marktbedürfnissen gerecht zu werden. Um die Effizienz zu erhöhen, muss ein Modulbaukasten entwickelt und möglichst marken- und fahrzeugübergreifend eingesetzt werden. Insbesondere in den Bereichen Powertrain und Elektronik können identische Module mehrfach verwendet werden (McKinsey & Company 2006). Insgesamt steigt der Handlungsspielraum für die Unternehmen, wenn sie Lösungen erarbeiten, die elektronische Schnittstellen haben. Elektronikmodule bieten den Vorteil, dass sie trotz hoher Standardisierung eine Vielzahl von spürbaren Produktvariationen zulassen. Gleichzeitig eröffnen sie die Möglichkeit, ein zielorientiertes Markenmanagement umzusetzen. In Verbindung mit dem Hauptmodul Powertrain ist eine erweiterte elektronische Motorsteuerung denkbar, die dem Fahrer Modifikationen des Setups der Maschine erlaubt. Das bedeutet im Klartext, dass der Konsument je nach individuellem Befinden per Knopfdruck auswählen kann, ob er ein sportliches oder komfortables Ansprechverhalten der Maschine wünscht. Diese Einstellung der Maschine kann weiterhin mit anderen Modulen verknüpft werden. Beispielsweise erscheint es sinnvoll, parallel dazu das Fahrwerk entsprechend abzustimmen oder den Klang des Auspuffs. Wie bereits angesprochen, sollten diese Auswahlmöglichkeiten nicht nur technisch fokussiert sein, sondern in ein Markenmanagement integriert werden. Nehmen wir den VW-Konzern als Beispiel, so ist vorstellbar, dass die Vielfalt des Fahrzeugsetups in einem VW Golf über ein Menü gesteuert wird. Bei Audi wird dann das gleiche Menüsetup des Golfs ergänzt durch Bedienelemente auf der Mittelkonsole. In Verbindung mit der Designabteilung könnten drei Knöpfe mit den Wahlmöglichkeiten „Normal“, „Sport“ und „Race“ stilvoll platziert werden. Das fiktive Beispiel zeigt, dass OEMs, aber vor allem auch die Zulieferer eine Fülle von Möglichkeiten und ein breites Spielfeld haben, um dem Konsumenten eine markengetreue Differenzierung und Auswahl bei gleichzeitiger Standardisierung zu bieten.
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Quantitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Entscheidend für die OEMs sind die Definition des Modulbaukastens und die Anpassung der eigenen Organisation. Die heutigen Strukturen sind den Herausforderungen nicht gewachsen, da sie einen Fokus auf andere, übergeordnete Kriterien richten. Wie in Kapitel 5 erläutert, kann der erste Schritt in Richtung eines solchen Organisationsumbaus eine Ergänzung der bestehenden Struktur durch die Etablierung von Modulmanagern sein. Wichtig dabei ist es, eine markenübergreifende Ausrichtung umzusetzen. Nur ein konzernweites Markenmanagement erlaubt es, die durch den Modulbaukasten technisch erreichte Effizienz konsumentenspezifisch umzusetzen, um eine „marktgerechte“ Vielfalt zu erreichen. Verschiedene Bereiche des Unternehmens müssen dafür zusammengeführt werden. Nicht Bereichsdenken ist gefragt, sondern die Bündelung verschiedener Kompetenzen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Bei der Darstellung der zweiten Revolution hatten wir auf einen wichtigen Grund für ihre mangelhafte Umsetzung hingewiesen: Tendenziell wird in westlichen Ländern im Vergleich zu asiatischen der Eigennutzen über den Gesamtnutzen gestellt. Diese kulturimmanente Einstellung hat Vor-, aber auch Nachteile. Letztere ergeben sich dann, wenn der Eigennutzen nicht mit dem Unternehmensnutzen im Einklang steht. In den letzen Jahren ist dieser Zustand vermehrt zu finden und Korruptionsfälle sowie Bereichsdenken prägen die Praxis. Die zweite Revolution wurde auch aufgrund dieses Umstands bei westlichen OEMs weniger nachhaltig durchgeführt. Für die Verwirklichung der Effizienten Vielfalt sehen wir ebenfalls eine Hemmschwelle, wenn Eigen- und Unternehmensziele nicht übereinstimmen. Vor allem das in der Praxis gängige Bereichsdenken ist kontraproduktiv, da gerade das Gegenteil, die Integration von Kompetenzen, erforderlich ist. Auch der Personalbereich ist in diesem Zusammenhang gefordert, um die Anreizsysteme zu modifizieren. Die gleichen Aufgaben stellen sich verschärft auf der Lieferantenseite. Auch hier müssen die internen Strukturen den neuen Herausforderungen angepasst werden. Insbesondere die Modularisierung führt in Verknüpfung mit einem effizienten Markenmanagement zu Veränderungen. Es geht auch auf der Lieferantenseite darum, Strukturen zu schaffen, die eine Verbindung von Design, Marketing sowie Forschung und Entwicklung zulassen. Konsumententrends und Markenbesonderheiten müssen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung berücksichtigt werden und die Basis für alle folgenden Schritte sein. Eine wirksame Marktforschung und ein differenziertes Kunden- und v.a. Markenwissen sind dabei unumgänglich. Diese Elemente müssen in das eigene Produktmarketing einfließen. Die Funktion des Produktmanagers besteht darin, basierend auf diesen Informationen
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Elektrik und Elektronik
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einen Modulbaukasten zu entwickeln. Diese Aufgabe kann nur gemeinsam mit den Entwicklungsingenieuren bewältigt werden. Daher muss neben der klassischen, unabhängigen Arbeit des Marketings eine intensive Verflechtung mit den Entwicklungsbereichen etabliert werden und das Wissen der zeitlich „vorgelagerten“ Bereiche der Kunden- und Markenexpertise sowie der Konsumentenforschung einbezogen werden. Auch bei den Lieferanten müssen in Anlehnung an die OEM-Organisation ähnliche Einheiten wie Modulmanager eingeführt werden, die eine Fülle von Kompetenzen vereinen. Zusätzlich ist bei der Strukturierung und Segmentierung der Unternehmensbereiche die Bedeutung der Integration im Allgemeinen und speziell bezüglich der Elektronik zu berücksichtigen. Viele Unternehmen zeichnen sich heute durch voneinander unabhängige Produktbereiche aus. Sie müssen versuchen diese Elemente miteinander zu verbinden. Elektronik stellt dabei wie erwähnt ein besonders großes Potenzial zur Verfügung. Die Unternehmensstruktur darf sich dementsprechend nicht auf einzelne Module versteifen, sondern muss stets das übergeordnete Ziel der Integration und Verknüpfung im Blick behalten und wirksam umsetzen. Bereichsdenken ist auch an dieser Stelle out, weswegen die Personalabteilungen von Lieferanten wie diejenigen der OEMs, insbesondere der westlichen, Anreizsysteme schaffen müssen, die sich dieser Herausforderung annehmen.
7 Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten – die neuen Beziehungen
Die dargestellten Wertschöpfungsveränderungen der kommenden Jahre werden die Industrie nicht revolutionieren. Um von einer Revolution in der Automobilindustrie sprechen zu können, sind weiter reichende, strukturelle Neuerungen notwendig. Verschiebungen der wertschöpfenden Aufgaben bedeuten neue Herausforderungen für Lieferanten und andere Schwerpunktsetzungen für die OEMs; sie münden insgesamt in eine Übertragung der Aufgaben vom OEM auf den Lieferanten. Entscheidend bei diesem Zusammenspiel ist, dass beide Spieler neue Rollen erhalten.
7.1 Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt In der dritten Revolution werden neue Geschäftsmodelle realistisch, die bisher undenkbar waren. Ein neues Beziehungsgeflecht zwischen OEM und Zulieferer entsteht, welches im Zusammenspiel mit den dargestellten quantitativen und modulorientierten Veränderungen erst die Revolution ausmacht. Zu Beginn der Auseinandersetzung mit qualitativen Veränderungen müssen unterschiedliche Ausgangsbedingungen bei den jeweiligen Geschäftsbeziehungen berücksichtigt werden. Die folgenden Aussagen gelten nicht gleichermaßen für alle Marktpartner, sondern nur für bestimmte Geschäftsmodelle. Modularisierung und Markenmanagement stellen dabei abermals wichtige Kriterien für die Abgrenzung verschiedener Geschäftsmodelle dar. Diese Modelle beziehen sich primär auf Lieferanten, wobei heutige OEMs ebenfalls in dieser Rolle auftreten können und werden. Die Modelle schließen sich nicht gegenseitig aus. Unternehmen wie beispielsweise der Lieferant Benteler könnten durchaus mehrere Geschäftsmodelle gleichzeitig umsetzen. Eine klare Abgrenzung innerhalb des Unternehmens ist dabei unumgänglich. 7.1.1
Commodity-Modell
Entscheidend für das jeweilige Geschäftsmodell ist zunächst die Unternehmensentscheidung, sich auf ein einzelnes Modul zu fokussieren oder
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
aber auf das Zusammenspiel verschiedener Module. Liegt die Kernkompetenz des Unternehmens auf der Entwicklung eines einzelnen Moduls, muss danach unterschieden werden, ob es markenaufladend ist oder nicht. Liegt eine entsprechende Unterstützung nicht vor, haben wir es mit dem ersten von vier Geschäftsmodellen zu tun. Dieses Geschäftsmodell des CommodityModul-Lieferanten bezeichnen wir im Folgenden als Commodity-Modell. Beim Commodity-Modell geht es um Produkte, die den Kern der OEMMarke nicht unterstützen. Ein Beispiel dafür können Klimaleitungen sein oder aber Türmodule bei bestimmten OEMs. Tendenziell ist die Komplexität des Produktes in diesem Geschäftsmodell vergleichsweise am geringsten. Dies gilt analog auch für die Struktur der Geschäftsbeziehung. Einzelne Abteilungen kommen separat miteinander ins Gespräch, beispielsweise der Einkauf mit dem Vertrieb. Darüber hinaus ist die Vernetzung mit weiteren Teilbereichen des Unternehmens begrenzt. In der Regel werden die Entwicklungsbereiche beider Firmen miteinander im Dialog stehen. Weitere Beziehungen sind aufgrund der geringen Komplexität des Produktes und der fehlenden Markenrelevanz für das Gesamtfahrzeug kaum zu erwarten. Die Kontaktintensität ist in diesem Geschäftsmodell entsprechend gering und kein empfehlenswertes Differenzierungskriterium für die Anbieterunternehmen. Für sie ist es entscheidend, die ihnen gestellten Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Eine Differenzierung im Wettbewerb ist unter diesen Bedingungen relativ schwierig und nur durch eine außergewöhnliche Erfüllung des Anforderungskatalogs möglich. Das Commodity-Modell ist durch einen enormen Preisdruck geprägt. In vielen Fällen ist der Preis das zentrale Differenzierungsmerkmal für Lieferanten. Diese Tatsache kann nicht nur ein Problem, sondern auch eine Chance sein. Werden beispielsweise Prozessinnovationen eingeführt, kann dieser Wettbewerbsvorteil leicht zum Gewinn eines großen Marktanteils führen, da das CommodityModell von der Anbieterseite her sehr volatil ist. Aufgrund der geringen Komplexität und Markenrelevanz sind die Anbieter leichter austauschbar als in den übrigen Geschäftsmodellen. Grundsätzlich übt der Nachfrager im Commodity-Modell einen starken Druck auf den Lieferanten aus. Nicht nur in der Lieferantenauswahlphase, sondern auch in späteren Phasen der laufenden Produktion setzt sich dieser Druck fort. Oft werden Forderungen nach Preisreduktionen mit der Androhung unterstrichen, den Lieferanten zu wechseln. Daraus ergeben sich nicht nur in der Entwicklungsphase, sondern auch in der Phase der Lieferantenanalyse und -auswahl andere Verhaltensweisen. Hierbei wird der Nachfrager darauf bestehen, dass der Anbieter seine Anforderungen besser erfüllen muss und insbesondere weitere Preisvorteile
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
193
OEM Produktion Design Marketing R&D Einkauf
Vertrieb R&D Design Marketing Produktion
Lieferant Abb. 67. Struktur der Geschäftsbeziehung des Commodity-Modells
einräumen soll. Die Verhandlungen sind dementsprechend stark preisgetrieben. Zusammenfassend skizziert Abbildung 67 die Struktur dieser Geschäftsbeziehung. Das Commodity-Modell ist nicht unwichtig, sondern im Gegenteil von hoher Relevanz. Wir gehen davon aus, dass die Zukunft von einer klaren Fokussierung auf bestimmte Markenattribute geprägt sein wird. Diese Fokussierung muss gleichzeitig einhergehen mit einer Konsolidierung der Kernmarkenwerte. Eine Marke, die „alles kann“, ist aussagelos. Die geforderte Markenschärfe bedeutet im Umkehrschluss, dass sich eine größere Anzahl von Unternehmen im Bereich des Commodity-Modells bewegen wird. Im Rahmen der dritten Revolution der Automobilindustrie ist das Modell allerdings insofern nicht bedeutsam, als es die Revolution nicht maßgeblich treibt. Die Geschäftsbeziehung zwischen den Unternehmen wird sich in diesem Modell im Vergleich zum Status quo nicht wesentlich verändern. Es werden sich lediglich die genannten Wertschöpfungsverschiebungen ergeben, die noch keine Revolution ausmachen! Abbildung 68 stellt die Positionierung der Unternehmen des Commodity-Modells in einem Koordinatensystem aus Markenrelevanz und Vernetzungsintensität grafisch dar.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Markenrelevanz Brand-BoosterModell
Schnittmenge
IntegratorModell AssemblerModell
CommodityModell
Intensität der Vernetzung
Abb. 68. Positionierung des Commodity-Modells in der Effizienten Vielfalt
Die Markenrelevanz muss in diesem Zusammenhang modulspezifisch betrachtet werden. Man muss sich die Frage stellen, ob die Marke des Automobils durch das jeweilige Modul beeinflusst werden kann oder nicht. Dabei ist es wichtig, dass das Produkt von den Insassen des Fahrzeugs erlebt werden kann. Dieses Erleben kann sich prinzipiell auf alle Sinne beziehen, wobei das Schmecken sicherlich weniger relevant ist. Oberflächen betasten, Materialien fühlen und riechen, das Getriebe spüren oder das Radio schlichtweg sehen – diese Produkterlebnisse werden durch markenrelevante Produkte geschaffen. Der Grad der Vernetzung bezieht sich auf verschiedenste Aspekte. Entlang der Wertschöpfungskette werden unterschiedliche Schnittstellen miteinander verknüpft. Dies bezieht sich auch auf die Ausrichtung der Mitarbeiter und das Führungsverhalten der beteiligten Manager. Gemeinsame Führung, „Profit & Risk Sharing“, gemeinsame Prozesse, Infrastrukturen oder Geschäftsmodelle – all diese Elemente sind Zeichen eines hohen Vernetzungsgrades. Die Unternehmen bauen auf gemeinsamen Zielvorstellungen auf und vernetzen ihre Ressourcen, um sie effizienter einzusetzen. Das Commodity-Geschäftsmodell ist kein „schlechtes“ oder untergeordnetes Geschäftsmodell. Unternehmen können in jedem der Geschäftsmodelle Erfolg haben. Die Anforderungen an den Erfolg sind freilich in den
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
195
einzelnen Geschäftsmodellen unterschiedlich und erfordern ein entsprechendes Management. Zusammenfassend ergeben sich folgende kritische Erfolgsfaktoren des Commodity-Modells: x Prozessführerschaft x Kapazitätsauslastung x Hoher „Low Cost“-Anteil x Qualitätsausrichtung x Kostenführerschaft x Economies of Scale 7.1.2
Brand-Booster-Modell
Das zweite Geschäftsmodell muss ebenfalls modulbezogen betrachtet werden. Der Unterschied zum Commodity-Modell liegt beim Brand-BoosterModell darin, dass der Anbieter die Marke (brand) des Nachfragers durch sein Angebot fördert (booster). Der jeweilige Markenkern wird durch die Produkte des Anbieters unterstützt. Greifen wir das Beispiel Klimatechnik auf, so hatten wir Klimaleitungen als „Commodity“ eingestuft. Der zentrale Klimakasten (HVAC) hingegen hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Komfort im Inneren des Fahrzeugs. Komfortorientierte Marken werden daher in einigen Fällen die HVACEinheit als markenrelevantes Modul festlegen. Im Brand-Booster-Modell ergibt sich im Vergleich zum CommodityModell eine völlig unterschiedliche Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager. Im ersten Fall war der Austausch der Unternehmensbereiche sehr begrenzt, was wir grafisch mit einem verengten Trichter veranschaulicht haben (vgl. Abb. 67). Der Engpass im Trichter wird im BrandBooster-Modell deutlich geweitet, da die Kommunikation nicht nur zwischen der Einkaufsabteilung des Nachfragers und dem Vertrieb des Anbieters stattfindet. Das bedeutet nicht, dass andere Abteilungen im Commodity-Modell weniger wichtig wären. Der Unterschied liegt darin, dass sie im Brand-Booster-Modell aktiv in die Geschäftsbeziehung eingebunden sind und sie gestalten. Da Brand-Booster-Produkte eine große Bedeutung für die Konsumenten haben, werden Fehlentscheidungen in diesem Bereich härter bestraft als im Commodity-Modell. Die aktuellen und zukünftigen Anforderungen der
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Konsumenten müssen antizipiert werden. Die expliziten oder unterbewusst vorhandenen Wünsche müssen durch entsprechende Produktlösungen befriedigt werden. Ein intensiver Austausch zwischen den Marketingabteilungen der beiden Interaktionspartner ist im Brand-Booster-Modell für einen langfristigen Erfolg unabdingbar. Ebenso ist es entscheidend, dass verschiedene Unternehmensbereiche während des gesamten Produktlebenszyklus in Kontakt stehen. Da der Erfolg der entsprechenden Technologien kritisch ist, muss insbesondere ein Austausch zwischen den Entwicklungsabteilungen stattfinden. Dieser Austausch mündet bei sehr komplexen markenrelevanten Produkten in eine gemeinsame Entwicklung des Produkts. Zuvor müssen beide Marketingabteilungen Analysen und Empfehlungen für Produktanforderungen abgeliefert haben, auf dessen Basis dann die Entwicklungsbereiche ihre Arbeit aufnehmen können. Auch die Interaktion zwischen Designern beider Partner ist im BrandBooster-Modell sehr wichtig. Sie ist v.a. unumgänglich bei Produkten, die durch Design stark beeinflusst werden können, also weniger bei der erwähnten HVAC-Einheit als beispielsweise bei einer Instrumententafel. Designer visualisieren die Visionen der Zukunft. Schon zu einem frühen Zeitpunkt können diese Visionen Gedankenanstöße für Entwicklungsbereiche sein. In späteren Phasen drücken sie mit ihren Entwürfen Ideen der Marketingabteilung aus und steuern schließlich dann das finale Design. Dieser Zusammenhang zeigt, dass Marktteilnehmer im Rahmen der dritten Revolution wesentlich spezifischer agieren müssen, dass ihre Maßnahmen beispielsweise gezielt auf bestimmte Phasen in der Geschäftsbeziehung ausgerichtet sein müssen. Die Unternehmen müssen ein Verständnis dafür gewinnen, welche Teilbereiche zu welchen Zeitpunkten mit welchen Partnern interagieren müssen. Die Komplexität der Geschäftsbeziehung ist im Brand-Booster-Modell dementsprechend ungleich höher als im Commodity-Modell. Demgegenüber ist der Preisdruck auf den Anbieter beim Brand-BoosterModell deutlich geringer. Es geht hierbei für den Anbieter nicht mehr primär darum, die Anforderungen des Nachfragers zu erfüllen. Aufgrund der frühen Interaktion stehen die Produktanforderungen beim Nachfrager in dieser frühen Phase noch gar nicht fest. Sie werden erst gemeinsam mit dem Anbieter definiert. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Nachfrager für einen Lieferanten entscheiden muss, ist diese Entscheidung prinzipiell schon gefallen. Durch die gemeinsamen intensiven Vorarbeiten mit einem Partner ist das Lastenheft auf diesen fokussiert. Man kann sogar noch einen
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
197
Schritt weiter gehen und festhalten, dass in vielen Fällen das Lastenheft des Nachfragers gemeinsam mit einem bestimmten Anbieter entwickelt wurde. Der intensive Austausch im Vorfeld hat verschiedenste Kompetenzen beider Parteien zusammengeführt. Basierend darauf wurden die Spezifikationen festgelegt. Das bedeutet nicht, dass der Entwicklungspartner in allen Fällen den Produktionsauftrag für das Modul erhält. Nachdem die Produktentwicklung abgeschlossen ist, wird das Modul am Markt ausgeschrieben. Allerdings hat der Entwicklungspartner im Auswahlverfahren die beste Ausgangssituation und bekommt aller Voraussicht nach den Zuschlag. Die Struktur der Geschäftsbeziehung im Brand-Booster-Modell weicht ebenso wie die entscheidenden Differenzierungsmerkmale im Anbieterwettbewerb vollständig vom Commodity-Modell ab. Es werden andere Kompetenzen notwendig. Die Vernetzung nimmt im Vergleich zum CommodityModell stark zu, was sich grafisch in einer deutlichen Weitung des „Geschäftsbeziehungstrichters“ zeigt (Abb. 69). Für die folgenden Ausführungen ist das Brand-Booster-Modell sehr bedeutsam, da es ein neuartiges Verhalten in der Geschäftsbeziehung erfordert. Ehemals allein entscheidende Kriterien wie Preis oder Qualität verlieren an
OEM Produktion Design
Marketing
Einkauf
R&D
Vertrieb
R&D
Design
Marketing
Produktion
Lieferant Abb. 69. Struktur der Geschäftsbeziehung des Brand-Booster-Modells
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Markenrelevanz Brand-BoosterModell
Schnittmenge
IntegratorModell AssemblerModell
CommodityModell
Intensität der Vernetzung
Abb. 70. Positionierung des Brand-Booster-Modells in der Effizienten Vielfalt
Relevanz und weichen neuen „Beziehungsfaktoren“. In Verbindung mit den dargestellten Wertschöpfungsverschiebungen haben wir es mit revolutionären Veränderungen der Geschäftsbeziehung zu tun. Das Brand-BoosterModell ist daher für unsere Analysen von zentraler Bedeutung. In dem oben abgesteckten Koordinatensystem nimmt es daher eine völlig andere Position als das Commodity-Modell ein (vgl. Abb. 70). Wie wir gesehen haben, ist die Intensität der Vernetzung zwischen den beiden Partnern deutlich höher. Der Vernetzungsgrad geht dabei einher mit der jeweiligen Markenrelevanz. Dieser Zusammenhang wird grafisch durch die Abschrägung dargestellt. Die kritischen Erfolgsfaktoren des Brand-BoosterModells sind: x Marketingkompetenz x Designkompetenz x Proaktivität in Frühphasen der Fahrzeugentwicklung x Interaktion der „Partnerabteilungen“ x Innovationen
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
199
7.1.3 Integrator-Modell Das dritte Geschäftsmodell bezeichnen wir als Integrator-Modell. Der entscheidende Unterschied zu den beiden vorherigen Geschäftsmodellen liegt darin, dass die Module nicht einzeln betrachtet werden. Mehrere Module werden in einen systematischen Zusammenhang gebracht, miteinander vernetzt und in das Fahrzeug integriert. Das Gesamtmodul hat dabei markenprägende Eigenschaften, was für die Teilmodule nicht unbedingt gelten muss. Greifen wir erneut unser Beispiel der Klimatisierung auf, so liefert der Integrator die Klimaanlage inklusive Leitungen und Klimakasten. Entscheidend dabei ist, dass er nicht nur mehrere Module kombinieren, sondern auch die damit verbundenen Herausforderungen managen muss. So muss er z. B. über ein Verständnis des Strömungsverhaltens im Innenraum verfügen. Außerdem muss er weitere Module wie die Instrumententafel in die eigenen Betrachtungen einbeziehen und verstehen, da sie den Klimatisierungskomfort erheblich beeinflussen können. Organisatorisch sind hierbei viele Herausforderungen zu bewältigen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Vernetzungsgedanke. Die innovationsrelevanten Kompetenzen müssen innerbetrieblich miteinander verknüpft werden. Aus Gründen der Prozesseffizienz ist es dabei sinnvoll, Bereiche mit einer sehr hohen Vernetzung organisatorisch zu einer neuen Einheit zu verschmelzen. Entscheidend bei der Etablierung dieser Innovationszellen ist die Interdisziplinarität. Durch die Bündelung von stark vernetzten Einheiten in einer eigenständigen organisatorischen Einheit können Innovationen bedeutend effizienter vorangetrieben werden. Es reicht nicht aus, die für Innovationen maßgebliche Kompetenz inhouse aufzubauen. Erst ihre nicht nur innerbetriebliche, sondern auch zwischenbetriebliche Vernetzung bringt den notwendigen Nutzen. Dadurch werden modulspezifische Zentralbereiche über die Firmengrenzen hinweg etabliert, womit sich Vorteile bei der Ressourceneffizienz ergeben. Die Markteffizienz wird unter Einbeziehung von „Marktexperten“ – also der Marketingabteilung – gesichert. Vorsicht ist allerdings bei Prozessinterdependenzen geboten. Eine interdisziplinäre, modulspezifische Innovationszelle, die OEM- und Lieferantenkompetenzen verbindet, darf „sich nicht selbst im Weg stehen“. Die erforderlichen Abstimmungen sollten primär innerhalb der Zelle stattfinden und nicht die restliche Organisation auf beiden Seiten belasten. Dies lässt sich natürlich nie ganz vermeiden, weswegen bei der Etablierung von gemeinsamen Teams der Abstimmungsbedarf stets kritisch hinterfragt werden muss.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
OEM Produktion Design
Marketing
Einkauf
R&D
Vertrieb Design
R&D Marketing Produktion
Lieferant : Innovationszelle
Abb. 71. Struktur der Geschäftsbeziehung des Integrator-Modells
Nicht nur inner-, sondern auch zwischenbetrieblich wird beim IntegratorModell ein bisher nicht gekanntes Ausmaß an Vernetzung erreicht. Der bei den anderen beiden Modellen dargestellte Beziehungstrichter wird hier stark „ausgebeult“ (vgl. Abb. 71). Wie beim Brand-Booster-Modell müssen sich die beiden Partner auch beim Integrator-Modell bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Geschäftsbeziehung miteinander austauschen. Die Maximen des Brand-Booster-Modells gelten daher verstärkt auch für Integratoren. Der wesentliche Unterschied zum Brand-Booster-Modell besteht darin, dass die beiden Partner noch stärker miteinander vernetzt sind. Die Marketingabteilung des Anbieters steht in permanentem Austausch mit der eigenen Entwicklungsabteilung und der des Kunden. Durch die Etablierung von Innovationszellen auf beiden Seiten werden modulspezifische interdisziplinäre Teams gebildet, die über die gesamte Wertschöpfung hinweg gemeinsam an Problemlösungen arbeiten. Idealerweise verschmelzen diese beiden Zellen zu einer einzigen und werden auch räumlich zusammengefasst. Diese zwischen Modullieferant und Assembler verschmolzenen Einheiten müssen flexibel gehalten werden, so dass auf beiden Seiten die Kompetenzen entsprechend dem Fortschreiten des Wertschöpfungsprozesses angepassst werden können.
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
201
Markenrelevanz Brand-BoosterModell
Schnittmenge
IntegratorModell AssemblerModell
CommodityModell
Intensität der Vernetzung
Abb. 72. Positionierung des Integrator-Modells in der Effizienten Vielfalt
Ähnlich wie beim Brand-Booster-Modell verschieben sich auch beim Integrator-Modell die maßgeblichen Bedingungen der Geschäftsbeziehung: Neue Faktoren werden entscheidend und bisherige Kriterien wie Preis oder Qualität verlieren an Relevanz. Abbildung 72 fasst die damit skizzierte Positionierung des Integrator-Modells zusammen. Eine entscheidende Aufgabe für Integratoren besteht darin, die Wertschöpfung von der Basisentwicklung bis zum laufenden Service nach der Produktion aufzubauen. Im Blick auf die Wertschöpfung ist dieses Geschäftsmodell das umfangreichste und insofern erfordert es über alle wertschöpfenden Stufen hinweg umfangreiche Investitionen. Dabei handelt es sich einerseits um modulspezifische Entwicklungs- und Testeinrichtungen. Innovationszentren müssen etabliert werden, die verschiedene innovationsrelevante Kompetenzen zusammenführen. Ebenso wichtig wie Kooperationen mit Universitäten und das Management von Patenten sind andererseits allerdings auch weltweite Marketing- und Marktforschungsaktivitäten. Da der Konsument als Ausgangspunkt von Innovationen eine immer komplexere Analyse erfordert, ist die Integration dieses Wissens in die Basisentwicklung unumgänglich. Welche Trends werden in Zukunft die Module beeinflussen, wie wird sich das Konsumverhalten in Zukunft ändern? Auf vielerlei Fragen dieser Art müssen Antworten gefunden und Lösungen in Form von Innovationen geschaffen werden.
202
7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Abschließend bieten wir einen Überblick über die kritischen Erfolgsfaktoren des Integrator-Modells. Wichtig ist dabei eine Unterscheidung zwischen Entwicklung und Produktion. Wir haben bereits erwähnt, dass Entwicklungspartner nicht immer die Produktion der Module übernehmen. Es kann durchaus sein, dass der Entwicklungspartner den Zuschlag für das Produktionsgeschäft an einen Wettbewerber verliert. Für diesen Fall sind dann nur die Erfolgsfaktoren der Entwicklung entscheidend. Grundsätzlich müssen Integratoren jedoch beide Bereiche effizient abdecken, da nicht davon auszugehen ist, dass es beispielsweise nur Entwicklungsintegratoren oder Produktionsintegratoren geben wird. Die kritischen Erfolgsfaktoren sind dementsprechend: Entwicklung x Verständnis der Interaktion zwischen den Modulen sowie der Interaktion zwischen Hauptmodulen und Modulen x Balance zwischen Standardisierung und Einzelentwicklung x Schnittstellenmanagement Produktion x Pre-assembly x Logistikkompetenz x Finanzielle Stabilität und starkes Finanzmanagement x Management von Vorlieferanten x Risikomanagement 7.1.4
Assembler-Modell
Beziehungstechnisch ist das Assembler-Modell eng verwandt mit dem Integrator-Modell. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt ist die Produktion der Fahrzeuge nicht mehr an den OEM gebunden. Dieser konzentriert sich vielmehr auf seine Kernkompetenzen in bestimmten markenprägenden Modulen, das gesamte Markenmanagement sowie auf Service und Vertrieb. Der OEM tritt insofern selbst als Lieferant auf und bedient den Assembler mit markenrelevanten Modulen. Diese Konstellation könnte der finale Schritt in der dritten Revolution der Automobilindustrie sein. Zuvor wird es Übergangslösungen geben.
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
203
Der Unterschied der Geschäftsbeziehung liegt im Vergleich zum Integrator-Modell darin, dass weniger Parteien im gegenseitigen Austausch stehen. Da das Kerngeschäft des Assemblers die Fahrzeugproduktion ist, liegt der Fokus der Beziehung zwischen OEM und Assembler auf der Hand: Damit die Produktion möglichst effizient und reibungslos gestaltet werden kann, muss zunächst ein regelmäßiger Austausch der Produktionsabteilungen etabliert werden. Im Gegensatz zum Integrator-Modell geht es darüber hinaus weniger darum, dass Querverbindungen z. B. zwischen der Marketingabteilung des Anbieters und dem Einkauf des Nachfragers zustande kommen. Grafisch ist diese geringere Bedeutung durch eine gestrichelte Linie gekennzeichnet. Den Austausch zwischen den sich fachlich gegenüberstehenden Abteilungen Einkauf und Vertrieb, oder Lieferanten-Marketing und OEM-Marketing halten wir jedoch auch beim Assembler-Modell für wichtig. Der Assembler benötigt eine umfassende Kompetenz und muss auf allen Geschäftsebenen über Potenziale und mögliche Probleme informiert sein. Probleme müssen gemeinsam gelöst und neue Effizienzvorteile umgesetzt werden. Ein kontinuierlicher, breit gefächerter Austausch ist dafür unumgänglich. Bei unserer grafischen Darstellung des Assembler-Modells fällt die Intensität der Vernetzung entsprechend geringer aus als im Integrator-Modell.
Assembler Produktion Design
Marketing
Einkauf
R&D
Vertrieb
R&D
Design
Marketing
Produktion
Lieferant Abb. 73. Struktur der Geschäftsbeziehung des Assembler-Modells
204
7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Die Markenrelevanz der Wertschöpfung, die im Assembler-Modell erreicht wird, ist dagegen relativ hoch. Die Endmontage umfasst alle Module und das komplette Fahrzeug bildet schließlich den stärksten Ausdruck der OEM-Marke. Dennoch beeinflussen Integratoren und Brand Booster durch die Entwicklung der Produkte, die die markenspezifische Auslegung beinhalten, den Kern der Marke stärker. Die Markenrelevanz des AssemblerModells ist im Vergleich zu diesen beiden Modellen geringer anzusetzen. Betrachten wir dieses Geschäftsmodell noch etwas genauer und werfen wir einen Blick auf mögliche zukünftige Strömungen in der Automobilproduktion: Die dritte Revolution der Automobilindustrie setzt im Gegensatz zu den ersten beiden nicht bei der Produktion an, sondern beim Konsumenten und damit bei einer neuen Art der Produktentwicklung. Dennoch führt das Prinzip der Effizienten Vielfalt auch zu starken Veränderungen in der Herstellung. Manche Experten prognostizieren eine voll automatisierte, computergesteuerte Produktion. In diesem Fall würden sämtliche Arbeitsschritte von Robotern übernommen werden. Die Kommunikation zwischen Maschinen, die bisher ein Hindernis für einen drastischen Produktionswandel dargestellt hat, ist heute beispielsweise via Bluetooth kein Problem mehr. Die automatisierte Vernetzung mit vorgelagerten Wertschöpfungsstufen stellt eine neue Herausforderung dar. Eine „Machine to Machine Communication“ ermöglicht in diesem Zusammenhang einen Zugriff auf andere Unternehmen, auf andere Prozessstufen innerhalb der Produktion, die Erkennung von Engpässen und die Kontrolle des gesamten Prozesses. Im Extremfall führt dieses Szenario zu menschenleeren Produktionshallen. Wir rechnen im Rahmen der Effizienten Vielfalt nicht mit dieser „dunklen Fabrik“, sondern eher mit folgender Entwicklung: Assembler-Unternehmen benötigen sehr hohe Investitionen. Die Herausforderung der parallelen Erfüllung von Effizienz und Vielfalt kommt hier sehr deutlich zum Tragen, denn Vielfalt geht tendenziell mit einer Reduktion von Stückzahlen einher, während die Prozesseffizienz in der Produktion das Gegenteil, nämlich große Losgrößen, verlangt. Für die Produktion in der dritten Revolution bedeutet dies in erster Linie, dass die Anlagen flexibler gestaltet werden müssen. Unsere Empfehlung für das Assembler-Modell geht dahin, dass die Produktionsanlagen Fahrzeuge mehrerer Marken in einem Werk produzieren können sollten. Die Automatisierung wird hierbei zunehmen, auch wenn sie nicht zu einer vollkommen menschenleeren Fabrik führen wird. Weitere Kernbereiche, die bisher in menschlicher Hand lagen, müssen in Zukunft auf Maschinen übertragen werden. Die Schnittstellen zwischen den Modulen der Integra-
7.1
Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
205
toren und der Produktion halten wir dafür besonders geeignet. Über standardisierte Schnittstellen können fertige Module sehr leicht von Maschinen montiert werden. Eine weitere Möglichkeit des Maschineneinsatzes sehen wir im gesamten Motorenbau und im Einbau des Motors in das Fahrzeug. Menschen spielen unter dem Gesichtspunkt der Effizienten Vielfalt weiterhin eine sehr bedeutsame Rolle, da sie grundsätzlich wesentlich flexibler sind als jede Art von Maschinen. Humanressourcen können in der Produktion für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt und schneller zwischen mehreren Bereichen verlagert werden. In Zukunft geht es also für Assembler darum, höchste Flexibilität in ihren Fabriken zu erreichen, um marken- und fahrzeugunabhängig produzieren zu können. Des Weiteren müssen zusätzliche Produktionsbereiche automatisiert werden, insbesondere die Schnittstellen zwischen Assembler und Integratoren. Die Maschinen müssen stärker miteinander vernetzt werden und untereinander kommunizieren. Diese Verknüpfungen schaffen einen deutlichen Effizienzvorteil im Vergleich zum Status quo, da auf diese Weise Problemlösungen schneller bereitgestellt werden können. Die Kontrollkompetenz über das gesamte System muss weiterhin beim Menschen verbleiben. In Abbildung 74 sind alle vier Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt in Bezug auf ihre Markenrelevanz und ihre Vernetzungsintensität positioniert. Die folgende Liste zählt die kritischen Erfolgsfaktoren des AssemblerGeschäftsmodells auf: x Prozessführerschaft x Kapazitätsauslastung x Hoher „Low Cost“-Anteil x Qualitätsorientierung x Kostenführerschaft x Economies of Scale x Interaktion mit vorgelagerten produktionsnahen Bereichen x Finanzielle Stabilität x Management von Vorlieferanten x Risikomanagement x Schnittstellenmanagement x Flexible Produktionsassets
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Markenrelevanz Brand-BoosterModell
Schnittmenge
IntegratorModell AssemblerModell
CommodityModell
Intensität der Vernetzung
Abb. 74. Positionierung des Assembler-Modells in der Effizienten Vielfalt
In der Praxis werden in Zukunft einige Unternehmen versuchen, verschiedene Business-Modelle parallel zu realisieren. Dieser Versuch scheint zunächst sehr ambitioniert, aber nicht unmöglich. Kritisch dabei ist die Frage nach der Kernkompetenz und nach den Effizienzvorteilen durch die Verknüpfung mehrerer Geschäftsmodelle. Wir gehen davon aus, dass das höchste Maß an Ressourcen-, Prozess- und Markteffizienz erreicht wird, wenn sich Anbieter modulspezifisch auf eines der vier Geschäftsmodelle fokussieren und die von uns empfohlene Intensität der Vernetzung mit dem Nachfrager umsetzen. Die jeweiligen Schnittstellen müssen dabei stets kritisch betrachtet werden, da sie stets die Gefahr von Effizienzverlusten durch Abstimmungskosten zwischen den Parteien bergen. Entscheidend ist, inwieweit es den Zulieferern gelingt, die unterschiedlichen Geschäftsmodelle konsequent und fokussiert umzusetzen. Die Unternehmen, z. B. heutige große Tier-1-Lieferanten, müssen verstehen, dass die unterschiedlichen Geschäftsmodelle auch unterschiedliche Strukturen und Managementqualitäten erfordern. Ein Luftauslass, eine Instrumententafel oder ein komplett zusammengestelltes Cockpit markieren völlig unterschiedliche Arten von Geschäften. Dieses spiegelt sich im Übrigen auch in den Umsatzgrößen wieder. Ein Cockpitauftrag kann leicht ein Volumen von 100 Mio. € pro Jahr überschreiten. Die Investitionen, Risiken und Abhän-
7.2
Neues Rollenverständnis
207
gigkeiten stehen in ganz anderen Relationen und müssen auch dementsprechend bewertet und gemanaged werden. Wer hier nicht konsequent trennen kann, wird seine Profitabilität gefährden. Erfolgreiche Unternehmen werden sich von weniger erfolgreichen dadurch unterscheiden, dass es ihnen gelingt, die unterschiedlichen Geschäftsmodelle entweder separat oder gleichzeitig schlüssig umzusetzen. Dabei muss eine Fokussierung auf die jeweiligen Erfolgsfaktoren etabliert werden. Werden mehrere Geschäftsmodelle gleichzeitig umgesetzt, so muss versucht werden, die eigenen Kompetenzen so auszubauen, dass mehrere Erfolgsfaktoren gleichzeitig erfüllt werden. Für kleinere Unternehmen halten wir die Fokussierung auf lediglich ein Geschäftsmodell für die beste Handlungsoption. Unsere weiteren Analysen beschränken sich auf das Brand-BoosterModell, das Integrator-Modell und das Assembler-Modell, da sie mit ihren neuen Formen der Geschäftsbeziehung die Automobilindustrie entscheidend prägen und revolutionieren werden.
7.2 Neues Rollenverständnis Unter dem Aspekt der Hierarchie geht es um ein neues Rollenverständnis in der Automobilindustrie. Hier wird die Revolution ansetzen und einen tief greifenden Wandel mit sich bringen, der sich in mehreren Schritten vollzieht. 7.2.1
Schritte des Wandels
Wir gehen davon aus, dass der Wandel des Rollenverständnisses in drei aufeinander aufbauenden Schritten erfolgen wird. Zunächst werden die OEMs in einem ersten Schritt vermehrt Kompetenzen an Lieferanten abgeben. Wir haben diesen Zusammenhang bereits ausführlich diskutiert. Um derartige Entscheidungen zu treffen, müssen sich die Anbieter auf eine langfristige Produkt- und Markenstrategie einigen. Undeutliche Marken werden den Markt verlassen, neue aufleben und bestehende unter Umständen neu und klarer positioniert werden. Die Strategie muss im nächsten Schritt festlegen, welche Kompetenzen notwendig sind, um die Markenwerte eigenständig effizient zu bedienen, und welche nicht. Dabei stehen zunächst nicht Produkte, sondern Themen wie Dynamik, Sicherheit oder Familienfreundlichkeit im Vordergrund. In den Feldern, die markenprägend sind, werden die OEMs auch in Zukunft eine umfassende Kompetenz besitzen müssen, beginnend bei den Konsumententrends über Forschung
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
und Entwicklung bis hin zur Modulvernetzung im Sinne der übergeordneten Markenwerte. Tendenziell wird die gesamte darüber hinausgehende Wertschöpfung an Partner übertragen werden. Aufgrund des Kompetenzanstiegs der Tier-1-Lieferanten werden diese einen großen Teil der markenprägenden Wertschöpfung übernehmen. Letztlich ist davon auszugehen, dass sich die OEMs nur auf einen sehr geringen Teil der Wertschöpfung fixieren werden, der um den Kern der eigenen Marke aufgebaut ist. Diejenigen markenrelevanten Module, die ebenfalls abgegeben werden, müssen dennoch stets mit der Marke des OEM in Verbindung gebracht werden. Dementsprechend sind das Markenmanagement und die spezialisierte Teilwertschöpfung in Zukunft das Hauptbetätigungsfeld des OEM. Die heutigen Servicedienstleistungen werden im Kontext dieses ersten Schrittes bestehen bleiben und sogar ausgedehnt werden. Doch auch in diesem profitablen Bereich wird der OEM in Zukunft vermehrten Druck spüren – dazu mehr in den folgenden Abschnitten. Den zweiten Schritt sehen wir in einer zunehmenden Kooperation in Bezug auf alle Module. Hierbei gibt es verschiedene Kooperationsansätze, die relevant sein können. Grundsätzlich versucht der OEM, in diesem zweiten Schritt möglichst viel Entscheidungskompetenz zu behalten. Letztlich führt jedoch der kooperative Zusammenschluss anderer Unternehmen zu einer steigenden Einflussnahme. „Vertikale“ und „horizontale“ Kooperationen sind in diesem Kontext gängige Begriffe. Vertikal bedeutet, dass sich Unternehmen entlang einer Wertschöpfungskette zusammenschließen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dabei befinden sich die Partner auf unterschiedlichen Stufen der Kette. Die Unternehmen Italdesign, BMW und Cooper sind beispielsweise eine vertikale Kooperation bei der Entwicklung des Mini Cooper eingegangen. Wir vermuten, dass die unterschiedlichen Formen der vertikalen Zusammenarbeit zunehmen werden und dass sich insbesondere im Entwicklungsbereich neue Partnerschaften ergeben werden. Eine größere Bedeutung sehen wir allerdings bei horizontalen Kooperationen. Dabei schließen sich Wettbewerber kurzfristig zusammen und arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Diese Kooperation kann auch ein erster Schritt hin zu einem Unternehmenszusammenschluss sein. Wir gehen davon aus, dass der Bereich der horizontalen Kooperationen in Zukunft von einer hohen Dynamik gekennzeichnet sein wird. Horizontale Kooperationen können auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette etabliert werden: PSA und Toyota kooperieren auf der OEM-Ebene bei der Entwicklung und Produktion eines Kleinwagens; ZF und Continental sind Teil einer Partnerschaft zur Entwicklung von Hybrid-
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Neues Rollenverständnis
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antrieben. Die Produktportfolios und die damit verbundenen Entwicklungskompetenzen ergänzen sich und schaffen einen Wettbewerbsvorteil. Erfolgreiche Kooperationen werden in vielen Fällen zu langfristigen Partnerschaften ausgebaut werden. Dies ist vor allem bei solchen Technologieund Know-how-Kooperationen zu erwarten, die mittel- oder langfristig Markterfolg haben werden. Die Hybridtechnologie ist ein Beispiel dafür! Wir gehen davon aus, dass diese Art der Kooperation im Rahmen der dritten Revolution stark zunehmen wird und dass sich neue Allianzen als Vorstufen von Firmenzusammenschlüssen ergeben werden. Vertikale oder horizontale „Wertschöpfungspartnerschaften“ finden zunächst zwischen Unternehmen statt, die ein fester Bestandteil der Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie sind. Darüber hinaus sind jedoch auch industrieübergreifende Kooperationen denkbar. Darunter verstehen wir die Kooperation eines Unternehmens der Automobilbranche mit einem Partner, der an der automobilen Wertschöpfung nicht unmittelbar beteiligt sein muss. Beispiele dafür sind Universitäten, Unternehmensberatungen oder Forschungs- und Entwicklungszentren. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen einem OEM und einem branchenfremden Partner ist die Kooperation zwischen Audi und der Technischen Universität München. Ein gemeinsam konzipierter Studiengang stellt für Audi sicher, dass unternehmensspezifische Humanressourcen effizient aufgebaut werden. Die Universität gewinnt auf der anderen Seite Interesse bei Studenten, Medien und Professoren und verbessert ihre finanzielle Situation. Auch nahezu alle großen Tier-1-Lieferanten kooperieren inzwischen mit Universitäten. Es ist anzunehmen, dass in Zukunft viele neue Partnerschaften dieser Art entstehen werden. Derzeit sind diese in der Vielzahl der Fälle dadurch geprägt, dass die Automobilindustrie bezahlte Aufträge an ihre Partner abgibt. Kooperationen führen unter diesen Umständen nicht zu Zusammenschlüssen und sind in der Regel nicht von Dauer. Dennoch sind in diesem Zusammenhang auch neue Geschäftsmodelle zu erwarten, insbesondere bei der Zusammenarbeit von Lieferanten und OEMs mit Universitäten und Forschungs- und Entwicklungsdienstleistern. Nur wenn beide Parteien Ressourcen für die Kooperation bereitstellen, können sich langfristige Partnerschaften mit einem Effizienzvorteil ergeben, da der Leistungsempfänger sonst den Anreiz hat, sein Know-how gegen ein zusätzliches Entgelt mit einem weiteren Partner zu teilen. Im Konsolidierungs- und Effizienzsteigerungsprozess wirkt ein solches Verhalten kontraproduktiv, da es Wettbewerbsvorteile vernichtet. Neben dem Ausbau derartiger Kooperationen rechnen wir in der zweiten Stufe des Wandels mit einem Wettbewerb der Netzwerke untereinander.
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Partner
Fokussierung - Doppelkupplungsgetriebe - Leichte Allradantriebe (Verbrauchssenkung) - Weitere Komponentenpartner (LuK/BorgWarner)
Partner
Fokussierung - Antriebstechnik, auch Allrad - Produktion und Gesamtfahrzeugkompetenz - Elektronikintegration
Partner
Fokussierung - Antriebstechnik - Erweiterung des Hybrids (regeneratives Bremssystem, elektrische Servolenkung)
Abb. 75. Ausgewählte Hybridallianzen
Die in Abbildung 75 gezeigten Beispiele derzeitiger Partnerschaften auf dem Gebiet des Hybridantriebs deuten diese Entwicklung an. Selbst wenn man asiatische Vorreiter ausblendet und nur europäische Kooperationen betrachtet, wird der derzeit bereits intensive Wettbewerb deutlich. Der Überblick illustriert auch den von uns mehrfach angesprochenen steigenden Innovationsdruck. Wie unsere PEST-Analyse gezeigt hat, steigen insgesamt die Anforderungen an die Industrie. Mangelnde eigene Kompetenz erfordert Zusammenschlüsse mit Partnern, die sich gegenseitig ergänzen. Unternehmen, die diesem Trend nicht folgen, haben entweder einen Wettbewerbsvorsprung oder geraten im Konsolidierungsprozess tendenziell stärker unter Druck. Partnerschaften sind notwendig, um den Wettbewerbern Paroli bieten zu können. Der Wettbewerb verlagert sich dementsprechend von einzelnen Unternehmen hin zu verschiedenen Partnerschaften. Als Folge davon werden die Partner innerhalb des Netzwerkes die themenspezifische Kooperation weiter ausbauen, um ihre Wettbewerbsvorteile zu sichern. Diese enge Zusammenarbeit und Verflechtung von Organisationen und Prozessen wird in vielen Fällen zu einem nachhaltigen organisatorischen Zusammenschluss zwischen den Partnern führen.
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Neues Rollenverständnis
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Beim Aufbau von Partnerschaften ist es empfehlenswert, sich nicht ausschließlich auf ein Thema wie beispielsweise Hybridsysteme zu fokussieren. Die Partner sollten sich auch in weiteren Produkt- und Themenbereichen ergänzen und Synergien finden. Diese Strategie hat mehrere Vorteile: Zum einen führt sie zu einer Risikoreduktion. Die Problematik bei Innovationen besteht darin, dass ihre Erfolgswahrscheinlichkeit nicht gesichert werden kann. Partikelfilter und Hybridantrieb sind derzeitig erfolgreiche Innovationen. Auf der anderen Seite stehen aber auch Innovationen, die nicht vom Markt akzeptiert wurden bzw. nicht umgesetzt wurden, wie z. B. die elektronische Bremse von Mercedes-Benz oder das 42-Volt-System, bei dem Bosch eine Vorreiterrolle gespielt hat. Beide Unternehmen konnten keinen ausreichenden „Return“ für das eingesetzte Kapital erwirtschaften. Die Innovationsdiversifikation im Netzwerk dient folglich der Reduktion des Erfolgsrisikos. Zum anderen liegt ihr Vorteil in einer erhöhten „Wertschöpfungsmacht“. Auch wenn sich Größe in der Vergangenheit nicht als Vorteil von Lieferanten erwiesen hat, ist sie doch unter der Voraussetzung einer Festlegung der Kernkompetenzen eine Notwendigkeit, um mehr Einfluss in der OEM-Beziehung zu erhalten sowie durch ein umfangreicheres und effizienteres Investment einen Innovationsvorsprung gegenüber dem Wettbewerb herauszuarbeiten. Die Industrie hat die Erfahrung gemacht, dass ein Lieferant alleine nicht mehr als 40 Prozent der Fahrzeugwertschöpfung abdecken sollte. Modulspezifisch ist Größe jedoch notwendig, um globale Innovationen zu stützen, die einen Wettbewerbsvorteil ausmachen. Modulspezifisch wird sich die Anzahl der Lieferanten weiter reduzieren. Diese Reduktion wird in Zukunft weniger unter dem Gesichtspunkt der reinen Umsatzvergrößerung als der Bündelung von Geschäftsfeldern erfolgen. Wir hatten bereits angedeutet, dass die Fokussierung auf Kernkompetenzen eine treibende Kraft im Konsolidierungsprozess ist. Nicht fokussierte große Unternehmen werden es im Rahmen der Effizienten Vielfalt deutlich schwerer haben als kleinere Unternehmen, die in ihrem Geschäftsfeld Marktführer sind. Es ist zu erwarten, dass sich die dargestellten Kooperationsmöglichkeiten ausweiten werden und dass sich dadurch neue Netzwerke etablieren werden. Darunter werden auch horizontale Entwicklungskooperationen der OEMs sein, da sie in einigen Bereichen derzeit die Entwicklungsführerschaft besitzen. Aufgrund der steigenden Innovationsfähigkeit der Zulieferer schrumpft dieser Vorsprung jedoch permanent, so dass diese Art der Partnerschaften in der dritten Revolution nicht im Vordergrund stehen wird.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Im Gegensatz dazu steigt der Einfluss und Wertschöpfungsanteil der Lieferanten mit ihrer Kooperationstätigkeit maßgeblich. Durch den Zusammenschluss von Partnern zu neuen Unternehmen wird dieser Prozess zusätzlich beschleunigt werden. Die hiermit beschriebene zweite Stufe des erwarteten Wandels ist insofern von erstarkten Zuliefererunternehmen und -netzwerken gekennzeichnet, die die Industrie bedeutend stärker prägen werden als bisher. Auch die Zusammenarbeit mit dem OEM wird in diesem zweiten Schritt Veränderungen unterliegen. Wir gehen davon aus, dass der OEM die vollständige Integrationsfähigkeit sowie die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Module und des Gesamtfahrzeugs zunächst behält. Aufgrund des gestiegenen Einflusses der Netzwerke und der zusammengeschlossenen Unternehmen wird sich die Vernetzung zwischen den Zulieferernetzwerken und den OEMs intensivieren. Die OEMs werden diesen Schritt einleiten, um ihre „Oberhoheit“ zu behalten. Die stärkere Vernetzung wird sich unter anderem durch folgende Merkmale auszeichnen: x Gemeinsames Geschäftsmodell und -führung x Profit & Risk Sharing x Gemeinsame Infrastruktur x Komplementäre Kompetenzen und Ressourcen x Gemeinsame Mission Die OEMs bewegen sich auf die Lieferanten zu, da diese Strategie für sie die einzige Möglichkeit darstellt, ihre Einflussnahme weiterhin aufrecht zu erhalten. Ihre bestimmende Position wird jedoch nur vorübergehend bestehen bleiben und im dritten Schritt des Wandels eingeschränkt werden. Aufgrund dieser grundlegenden Umwälzungen der Geschäftsbeziehungen hat die aktuelle Revolution einen völlig anderen Charakter als die zweite und vor allem die erste Revolution, die primär in Prozessinnovationen bestanden. Angestoßen durch verschiedene marktliche Treiber, insbesondere auf der Konsumentenseite, werden die Spieler zu neuartigen Maßnahmen gezwungen, um sich weiterhin im Markt halten zu können und nicht der Konsolidierung zum Opfer zu fallen. Die Lieferanten bauen im ersten Schritt mehr und mehr Kompetenz auf und übernehmen zunehmend Wertschöpfungsanteile. Den Anforderungen, die sie hierbei erfüllen müssen, können nur die wenigsten Unternehmen standhalten, wodurch der Konso-
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Neues Rollenverständnis
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lidierungsprozess auf der Lieferantenseite ungleich einschneidender als auf der OEM-Seite ausfällt. Um dem zu begegnen, versuchen Lieferanten Kooperationen mit anderen Partnern, vornehmlich Wettbewerbern oder branchenfremden Einrichtungen, einzugehen. Die intensivere Zusammenarbeit führt konsequenterweise dazu, dass zum einen die Konsolidierung vorangetrieben wird und zum anderen der Einfluss der Netzwerke und der großen Spieler steigt. Der Konsolidierungsprozess verschärft sich, da die Netzwerkbildung einem Kompetenzzuwachs entspricht, dem andere Wettbewerber unter diesen Bedingungen nicht mehr Paroli bieten können. Arbeiten die Netzwerke effizient, so führt die gegenseitige Ergänzung der Partner zu einer Stärkung der gemeinsamen Innovationsfähigkeit. Schließlich drängt sich die Option des Unternehmenszusammenschlusses auf: Die Aufhebung des Netzwerks würde eine große Gefahr für die Partner darstellen, dem verschärften Wettbewerb zum Opfer zu fallen. Für viele Netzwerke wird daher der Zusammenschluss die einzige Alternative sein, um der Verdrängung vom Markt zu entgehen. Dieser Wandel findet schleichend statt und mündet in einen dritten Schritt. Die Zusammenschlüsse von Unternehmen auf der Lieferantenseite und die gleichzeitige Fokussierung der OEMs auf die Kernkompetenzen des Markenmanagements, der Servicedienstleistungen und der Entwicklung in ausgewählten Bereichen führen zu einem neuen Beziehungsgeflecht zwischen OEMs und Zulieferern. Diese Struktur haben wir in Abbildung 76 dargestellt. Dabei stehen nicht mehr wie heute die OEMs als Wertschöpfungsführer an der Spitze, sondern Lieferanten. Wir haben gezeigt, dass die dritte Revolution maßgeblich durch das Prinzip der Modularisierung geprägt wird. Aufgrund der dargestellten Entwicklungen wird es modulspezifisch nur noch eine sehr geringe Anzahl an Lieferanten geben, die die hohen Industrieanforderungen erfüllen können. Kooperationen markieren in diesem Kontext nur einen Zwischenschritt und sind zu einem späteren Zeitpunkt voraussichtlich in den meisten Fällen nicht mehr relevant, da sich erfolgreiche Partner bereits zusammengeschlossen und weniger erfolgreiche getrennt haben. Entscheidend werden die Modulkonsortialführer, deren Einfluss im Vergleich zu heute sehr stark steigen wird. Parallel dazu sinkt die Abnahmemacht der OEMs. Wir haben gesehen, dass die OEMs bis zum Jahr 2015 einen Großteil ihrer heutigen Wertschöpfung an Lieferanten übertragen werden. Auch über das Jahr 2015 hinaus ist nicht davon auszugehen, dass dieser Trend aufhören wird. OEMs werden vielmehr zu „Markenmodulspezialisten“. Wie die FAST-Studie gezeigt hat, werden die OEMs ihre Wertschöpfungskompetenz primär bei marken-
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten Commodity Modul 1
Brand Booster Modul 2
Integrator Hauptmodul 1 Brand Booster Modul 1 Commodity Modul 2
Integrator Hauptmodul 2
Assembler
Commodity Modul 3
Integrator Hauptmodul 3
Brand Booster
Commodity
Brand Booster
Brand Booster
Commodity
Modul 1
Modul 2
Modul 3
Modul 4
Modul 5
Abb. 76. Marktstruktur der Effizienten Vielfalt
prägenden Produkten beibehalten und ausbauen. Weniger markenrelevante Module werden outgesourct und wandern in den Kompetenzbereich von Tier-1-Lieferanten. Die geforderte Klarheit des Markenmanagements reduziert die Anzahl an Modulen, auf die sich der OEM fokussiert. In unserer Abbildung übernehmen OEMs ebenso wie Lieferanten die Rollen von Integratoren oder Modulkonsortialführern. Das zu Grunde liegende Geschäftsmodell ist das des Integrators. Der Integrator wird zwar bei den meisten Modulen ein Lieferant sein, doch bei denjenigen Produkten, die für den OEM markenprägend sind, wird der OEM selbst die Integrationskompetenz aufrechterhalten. Ansonsten ist der OEM auf weitere Integratoren angewiesen und muss mit ihnen kooperieren. In unserer Abbildung haben wir drei Hauptmodule dargestellt, die drei Unternehmen mit Konsortialführerschaft für das jeweilige Modul entsprechen. Jeder Integrator managt die für das Hauptmodul notwendige Lieferantenstruktur. Dabei handelt es sich um Unternehmen der Geschäftsmodelle Brand Booster oder Commodity. Unsere Wertschöpfungsdiskussion hat gezeigt, dass auch die Produktion der Automobile langfristig nicht mehr durch die OEMs übernommen werden muss. Das Geschäftsmodell des Assemblers entspricht genau dieser Aufgabe. Andere Unternehmen bauen ihre Kompetenzen in diesem Bereich
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Neues Rollenverständnis
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auf und können mithilfe flexibler Systeme OEM-übergreifend Fahrzeuge produzieren. Zunehmende Flexibilisierungsmöglichkeiten der Produktionsanlagen machen diese Prognose realistisch. In Zukunft können beispielsweise Fahrzeuge der Marken Porsche, Renault und BMW auf der gleichen Produktionsstraße gefertigt werden. Der Assembler ist in Zukunft nicht mehr zwingend identisch mit dem OEM. Dieser Wandel in der Produktion wird allerdings stufenweise erfolgen und der OEM wird zunächst in den meisten Fällen selbst der Assembler bleiben. Die Flexibilisierung der Produktionsanlagen wird dann in einem ersten Schritt nur für die eigene Fahrzeugpalette durchgeführt. 7.2.2
Künftige Schwerpunkte der OEMs
Insgesamt werden die OEMs in Zukunft selbst die Rolle von Lieferanten spielen, da sich ihre Wertschöpfung auf die modulspezifische Entwicklung und auf Downstreamaktivitäten konzentriert. Sie werden zu spezialisierten Modulkonsortialführern und stehen insofern grundsätzlich auf einer Stufe mit anderen Modulkonsortialführern, also mit anderen Lieferanten. Daneben werden die OEMs ihre konsumentennahen Aktivitäten (downstream) ausbauen. Es besteht allerdings auch hier die Möglichkeit, dass sie mittel- oder langfristig weite Teile dieser Wertschöpfung auf spezialisierte Unternehmen übertragen müssen. Wesentliche Downstreamaktivitäten, die zunächst in der Hoheit des OEM liegen, sind das Marketing, verbunden mit Brandingaufgaben, der Vertrieb sowie eine Fülle von Servicedienstleistungen wie Autobankgeschäfte oder Versicherungen. Zunächst werden sich in der dritten Revolution hier keine großen Änderungen ergeben. Dennoch halten wir es für wahrscheinlich, dass in den „Endphasen“ der Revolution auch hier Kompetenzverschiebungen stattfinden werden. Der Vertrieb unterliegt bereits heute einem Wandel. Im Rahmen der Gruppenfreistellungsverordnung haben die OEMs deutlich an Einflussnahme verloren. Dem Handel wurden entsprechend höhere Freiheiten eingeräumt, da die Herstellerbindung gelockert wurde. Automobilhändler können heute mehrere Marken verschiedener Konzerne „unter einem Dach“ anbieten. Derzeit wird der Markenauftritt noch durch den OEM vorgeschrieben. Die Fahrzeugpräsentation einer Marke muss räumlich von Marken anderer Konzerne unterscheidbar sein. „Point of Sale“-Materialien, markenspezifische Schriftzüge an der Gebäudefassade und eine räumliche Trennung der Marken müssen derzeit im Vertrieb noch gewährleistet sein. Im Servicebereich ist dies dagegen schon nicht mehr notwendig. Peugeots und Renaults können in der gleichen Händlerwerkstatt gewartet werden.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Diese Lockerung und vor allem der Blick auf Entwicklungen bei den amerikanischen Händlern machen deutlich, dass eine weitere Liberalisierung realistisch ist. Wir gehen davon aus, dass so genannte „Vielmarkenhändler“ weiter zunehmen werden und dass auch der markenspezifische Auftritt aus Kostengründen langfristig weiter reduziert wird. Ein Automobilhändler ist in Zukunft eher mit einem Supermarkt zu vergleichen. Ob sich auch das Discounterprinzip übertragen lässt, wollen wir allerdings nicht diskutieren. Aus der Markenperspektive ist hier jedoch Vorsicht geboten. Die skizzierte Entwicklung beeinträchtigt eindeutig die geforderte Notwendigkeit einer klaren Markenidentität. Es macht keinen Sinn, sich auf allen vorgelagerten Wertschöpfungsstufen um Markenklarheit zu bemühen, um diese schließlich beim Verkauf wieder zu zerstören. Aus diesem Grund nehmen wir an, dass sich im Rahmen der Effizienten Vielfalt zwar einerseits das Prinzip der Vielmarkenhändler durchsetzen wird, dass die Händler jedoch andererseits markenspezifische Erlebniswelten mit dem Ziel einer besseren Differenzierung aufrechterhalten werden. Der Automobilhandel muss in Zukunft mehr denn je die komplexen Konsumentenanforderungen erfüllen und Erlebnisse bieten. Unspezifische Markenpräsentationen langweilen und führen dazu, dass Konsumenten sich ihr Kauferlebnis bei anderen Händlern suchen. Letztlich wird sich die Einflussnahme des OEM auf den Handel drastisch reduzieren. Auch auf diesem Gebiet wird Wertschöpfung auf andere Partner übertragen. Dies gilt gleichermaßen für den gesamten Bereich von Servicedienstleistungen. Die Fahrzeugfinanzierung über Autobanken ist gang und gäbe, auch Versicherungsdienstleistungen werden in Zukunft vermehrt durch den OEM direkt angeboten werden. Problematisch für den OEM ist allerdings die Tatsache, dass er bei diesen Dienstleistungen Wettbewerbern gegenüber steht, die über ein wesentlich höheres Maß an Erfahrung und Effizienz verfügen. Bisher konnte die Macht der Marke darüber hinwegtäuschen und viele Konsumenten wählen daher den für sie bequemen Weg der OEMDienstleistungen. Banken, Versicherungen, aber auch Automobilhändler wollen von diesem profitablen Geschäft zunehmend partizipieren. Insbesondere der Handel stellt für den OEM einen ernst zu nehmenden Wettbewerber dar. Markenübergreifende Großhändler werden in Kooperation mit Banken oder Versicherungen ebenfalls attraktive Konditionen anbieten können und diese Möglichkeit in Zukunft vermehrt nutzen. Markenunabhängige Dienstleistungsunternehmen können effizientere Verträge anbieten. Auf neue Dienstleistungen im Rahmen der dritten Revolution werden wir an späterer Stelle nochmals eingehen.
7.2
Neues Rollenverständnis
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Eine Kompetenz, die wir bisher stets als Kernkompetenz des OEM in einer im Sinne der Effizienten Vielfalt revolutionierten Automobilindustrie beschrieben haben, ist das Markenmanagement. Das Management der eigenen Marke ist einer der wesentlichen Optionen für den OEM, sich gegenüber Wettbewerbern zu differenzieren. Die Bedeutsamkeit der Marke als Kaufentscheidungskriterium für Automobile wird im Vergleich zu heute weiter wachsen. Dabei hatten wir vermehrt darauf hingewiesen, dass eine Fokussierung auf wenige zentrale Markenattribute erforderlich ist. Alles könnende Marken sind unrealistisch und werden mangels Klarheit keine Chance im Wettbewerb haben. Betrachtet man genauer, wie Marken und speziell OEM-Marken kreiert werden, so zeigt sich folgendes Bild: Aufgrund des hohen Stellenwerts der Markenbotschaften werden Agenturen eingeschaltet, die auf das Management von Marken spezialisiert sind. Diese Unternehmen machen nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Markenhistorie und mit den Visionen des Unternehmens Vorschläge für eine Positionierung. In mehreren „Runden“ wird ein Feedback von der Marketingabteilung des OEM eingeholt und in neue Vorschläge eingearbeitet. Letztlich entscheidet die Unternehmensführung des OEM über die neuen Markenwerte. Die kreative Arbeit im „Markenfindungsprozess“ liegt primär bei der damit beauftragten Agentur und nicht beim OEM. Im Anschluss an diese grundlegende Phase findet eine Art Verwaltung der Markenwerte durch die Marketingabteilung des OEM statt. Dieses Markenmanagement stellt sicher, dass die Markenwerte über alle Wertschöpfungsstufen hinweg in die Betrachtung aufgenommen und adäquat in Produkte oder Prozesse übersetzt werden. Bei der Entwicklung von markenprägenden Modulen ist insbesondere der Ausdruck der Marke durch Innovationen wichtig. Der Markenfindungsprozess ist bereits heute zu einem Großteil an spezialisierte Unternehmen übertragen worden. Es stellt sich die Frage, ob diese Agenturen in Zukunft ihren Aufgabenbereich ausweiten und Kompetenzen der OEM-Marketingabteilung übernehmen werden. Dieses Szenario ist nicht abwegig. Die gesamte Kommunikation der Marke ist durch einen externen Partner möglich. Selbst die Marketingabteilung eines OEM unterliegt im Blick auf ihre Kommunikationsaufgaben einem partiellen Outsourcing. Auf der Lieferantenseite haben wir die steigende Bedeutung des Marketings bereits ausführlich beschrieben. Aufgrund der zunehmenden Markenrelevanz und des Wertschöpfungsgewichts der Module von Integratoren und Brand Boostern ist diese Prognose sehr stabil. Auf der OEM-Seite zeigt sich dagegen ein etwas anderes Bild, da die OEMs Kompetenzen, Wert-
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
schöpfung und auch Markenrelevanz hinsichtlich ihrer Eigenleistung verlieren werden. Die Marketingabteilungen müssen unter diesem Gesichtspunkt klare Alleinstellungsmerkmale erarbeiten. In Abbildung 76 haben wir die von uns vorgestellten Geschäftsmodelle berücksichtigt. OEMs sind dabei nicht mehr explizit genannt, da sie als Integratoren für markenprägende Module auftreten werden. In einer Übergangsphase werden sie ebenfalls die Rolle des Assemblers aufrechterhalten. Langfristig übernehmen jedoch spezialisierte Unternehmen diese Aufgabe. OEMs fokussieren sich neben der Konsortialführerschaft der markenrelevanten Module auf verschiedene Downstreamaktivitäten. Diese unterliegen jedoch – wie dargestellt – ebenfalls der Gefahr eines Outsourcings. Wenn die heutigen Lieferanten ihren Effizienzvorsprung weiter ausbauen, ist es sogar vorstellbar, dass am Ende der Revolution keine OEMs in ihrer heutigen Rolle mehr am Markt existieren. Spezialisierte Marketingabteilungen von Integratoren übernehmen mit Hilfe von Agenturen das gesamte Markenmanagement ihrer Kunden. Die Konsortialführerschaft der markenrelevanten Module kann bei effektivem Markenmanagement ebenfalls von Integratoren geleistet werden. Selbst Downstreamaktivitäten wie Vertrieb und Servicedienstleistungen könnten beim OEM entfallen, da spezialisiertere Unternehmen eine höhere Effizienz erreichen können. An späterer Stelle werden wir uns mit Möglichkeiten beschäftigen, von welchen Unternehmen die Vielfalt in der dritten Revolution ausgehen kann. Unsere zuletzt vorgestellten Überlegungen repräsentieren dabei gewiss ein extremes Szenario und wir gehen im Folgenden davon aus, dass die OEM nicht vom Markt verdrängt werden. 7.2.3
Kompetenzverschiebungen in den unterschiedlichen Phasen der Geschäftsbeziehung
Die von uns dargestellten Veränderungen des Einflusses der einzelnen Parteien dürfen nicht nur statisch betrachtet werden. Auch im zeitlichen Verlauf der Zusammenarbeit verschieben sich die Kompetenzen zwischen OEMs und Lieferanten. Die folgenden Aussagen sind zunächst unabhängig vom Geschäftsmodell des Lieferanten, doch sie beziehen sich primär auf das Brand-Booster- und das Integrator-Modell. In vielen Fällen sind Lieferanten heute immer noch Auftragsempfänger. Auch wenn viele Bücher etwas anderes empfehlen, ist die Realität auf der Lieferantenseite meist durch kurzfristig orientierte Aktivitäten geprägt. Der Kunde stellt eine Anfrage, welche von den Vertriebsmitarbeitern des Lieferanten mehr oder weniger motiviert beantwortet wird. Oft bekommt immer noch derjenige Anbieter den Zuschlag, der bei gleichzeitiger Erfüllung aller Anforderungen den geringsten Preis verlangt. Diese Denkweise
7.2
Neues Rollenverständnis
219
wird sich im Rahmen der Effizienten Vielfalt ändern. Preise und Qualitäten wirken nicht mehr als Qualifier, sondern als Disqualifier. Andere Faktoren entscheiden dagegen über Erfolg oder Misserfolg bei der Vergabe von Verträgen sowie in der gesamten Geschäftsbeziehung. Der zeitliche Verlauf von Projekten spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Die prognostizierte Konsolidierung auf Lieferantenseite führt dazu, dass dem Nachfrager modulspezifisch nur noch eine sehr geringe Anzahl von Anbietern gegenüber steht. Derjenige Anbieter, der schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung gemeinsam mit dem Kunden arbeitet, wird bei der Vergabe des Geschäftes einen nahezu uneinholbaren Wettbewerbsvorsprung gegenüber seinen wenigen Konkurrenten haben, denn er hat das Produkt gemeinsam mit dem Kunden spezifiziert und entsprechend den eigenen Kompetenzen entwickelt. Die offizielle Anfrage, die der OEM nach Ablauf der gemeinsamen Entwicklung an die wenigen verbleibenden Lieferanten stellt, ist dementsprechend auf seinen Entwicklungspartner zugeschnitten. Dieser hat die Ausschreibung sogar durch seine eigenen Aktivitäten selbst beeinflussen können. Die Zusammenarbeit des Lieferanten mit dem OEM vor der eigentlichen Ausschreibung ist dementsprechend ein erfolgsentscheidendes Kriterium. Sie soll im Folgenden unter zwei Gesichtspunkten näher spezifiziert werden. Zum einen stellt sich die Frage, welche Abteilungen zu welchen Zeitpunkten einbezogen werden sollen. Es muss also ein Verständnis für unterschiedliche Phasen der Geschäftsbeziehung aufgebaut werden. Zum anderen geht es darum, festzulegen, welcher Bereich des Anbieters mit welchem Nachfragerbereich kommunizieren soll. Grafisch hatten wir diesen Zusammenhang bei der Beschreibung des Integrator-Modells als Netzwerk vorgestellt. Werfen wir zunächst einen Blick auf unterschiedliche Phasen und Zeitpunkte in der Geschäftsbeziehung zwischen OEM und Lieferant. Dabei spielt es keine Rolle, welches der vier Geschäftsmodelle herangezogen wird. Dies wird erst bei der zweiten Frage relevant, welche Abteilungen miteinander kooperieren sollen. Wir nehmen das Ergebnis vorweg und stellen zunächst das Phasenkonzept vor.
Konzeptwettbewerb
Konzeptvergabe
Konzeptentwicklung
Auftragsvergabe
Serienentwicklung
Grundlagenforschung
Abb. 77. Phasen der Geschäftsbeziehung
Assembly
Aftermarket & Service
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Da die Lieferanten in der dritten Revolution den Großteil der Wertschöpfung auf sich vereinen, repräsentiert das Konzept die Perspektive des Lieferanten. Lieferanten forschen und entwickeln kundenunabhängig. Bei unserer Auseinandersetzung mit technologischen Treibern hatten wir Beispiele dieser Grundlagenforschung vorgestellt. In Kooperation mit entsprechenden Forschungseinrichtungen müssen Lieferanten im Rahmen der dritten Revolution vermehrt in sehr frühen Entwicklungsphasen versuchen, einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Die von uns dargestellten technologischen Trends und Treiber sind dabei wichtige Felder, in denen der Anbieter eine Konsolidierung vornehmen muss. Es wird nicht möglich sein, in alle Erfolg versprechenden Technologiefelder zu investieren. Eine effiziente Marktforschungsabteilung ist bei der Auswahl von Bereichen ein sinnvolles Werkzeug. Grundlagenforschung ist ein fortlaufender Prozess, der phasenunabhängig zu gestalten ist. In unserem Phasenkonzept halten wir die Unterscheidung verschiedener Reifegrade der Geschäftsbeziehung für sehr wichtig. Die OEMs benötigen eine stärkere modulspezifische Unterstützung als bisher. Konzeptwettbewerbe sehen wir in diesem Zusammenhang als entscheidendes Instrument zur Erreichung Effizienter Vielfalt und als erste Phase der Geschäftsbeziehung: Beginnend mit einem „weißen Blatt Papier“ machen mehrere Lieferanten Produktvorschläge. Der OEM konsolidiert die Vorschläge und vergibt das Konzept an einen Partner. In der Phase der Konzeptentwicklung arbeitet der OEM mit jeweils einem Integrator pro Modul zusammen und legt gemeinsam mit ihm die Modulund Fahrzeugspezifikationen fest. Der Auftrag ist zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht vergeben. Die gemeinsame Definition und Vorentwicklung sichert dem Integrator allerdings einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Der Austausch zwischen den Partnern ist in dieser Phase sehr wichtig und intensiv. Für den Anbieter ist dies der entscheidende Zeitpunkt, sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen wenigen Mitstreitern zu erarbeiten, denn modulspezifisch existieren nur noch wenige andere Integratoren, an die der OEM später seine Anfrage richten wird. Aufgrund des spezifischen Investments und Wissens wird der Konzeptentwicklungspartner in vielen Fällen die Auftragsvergabe für sich entscheiden können. Dennoch ist dies nicht immer zwingend notwendig. Auf der Basis der entwickelten Produktspezifikationen können Wettbewerber durchaus attraktivere Angebote abgeben und den Auftrag letztlich an Land ziehen. Im Anschluss daran folgt die Phase der Serienentwicklung. Das Produkt wird nach den jeweiligen Spezifikationen für die Serie entwickelt. In dieser
7.2
Neues Rollenverständnis
221
Phase findet ebenfalls ein umfangreicher Austausch zwischen den Unternehmensbereichen statt. Wichtig hierbei ist abermals eine intensive Interaktion zwischen den Marketing- und Entwicklungsbereichen. Der Vertrieb des Lieferanten spielt hier eher eine begleitende als eine aktive Rolle. Nachdem das Produkt für den Serieneinsatz angepasst wurde, beginnt das Assembly des Moduls aufseiten des Integrators. Aufseiten der Fahrzeugmontage – also nach unserem Konzept beim Assembler – wird die Produktion leicht zeitversetzt beginnen. Im Blick auf diese Phase macht es einen wichtigen Unterschied, ob der Assembler mit dem OEM identisch ist oder nicht. Im letzteren Fall besteht ein größerer Interaktionsbedarf, da eine weitere Partei integriert wird. Der Assembler ist dann zu einem früheren Zeitpunkt in den Prozess einzubeziehen. Bereits in der Serienentwicklung muss er als fester Partner an der Austauschbeziehung beteiligt werden. Ist der OEM selbst der Assembler, so ist die Interaktionsintensität geringer, da weniger Unternehmensbereiche miteinander kommunizieren. Im Netzwerk müssen lediglich einige Abteilungen wie beispielsweise die Produktionsplanung hinzugefügt werden. Die Phase des Assembly dauert zeitlich relativ lange an. Nach Ablauf der Produktion ist jedoch die Geschäftsbeziehung nicht abrupt beendet. Der Aftermarket und Service des Lieferanten muss viele Jahre über die Produktion hinaus Ersatzteile zur Verfügung stellen. Natürlich reduziert sich die Interaktion aller Abteilungen zu diesem Zeitpunkt. Dennoch ist diese Phase nicht unwichtig. Während der genannten Phasen haben die verschiedenen Abteilungen unterschiedliche Bedeutsamkeit (vgl. Abb. 78). Wichtig dabei ist, dass insbesondere zu Beginn der Geschäftsbeziehung viele Abteilungen des Anbieters gemeinsam daran arbeiten, das Geschäft mit dem Kunden zu gewinnen. Längst geht es nicht mehr primär darum, einen guten Vertrieb zu etablieren. In den frühen Phasen der Geschäftsbeziehung müssen Marktund Innovationsexperten gemeinsam mit dem Vertrieb eine umfassende Strategie erarbeiten, um am Ende den Auftrag zu erhalten. Wesentliche Abteilungen dabei sind Marketing, Design, Entwicklung und Innovationszentren, die intensiv miteinander kooperieren müssen. Fruchtbar ist diese Strategie nur dann, wenn auf der Lieferantenseite alle Markt- und Innovationsexperten dem Konzept zustimmen. Die Zukunft muss in diesem Zusammenhang in aktuelle Maßnahmen „übersetzt“ werden. Bei der Umsetzung dieser „diskontierten Zukunft“ müssen alle Experten mitwirken, um eine möglichst hohe Markteffizienz, d.h. eine effiziente Bedienung des Kunden, zu realisieren.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Bei der Erarbeitung von Strategien stellt sich oftmals die Frage, ob der Kunde oder das Produkt im Vordergrund der Betrachtung stehen soll. Im Kontext der Effizienten Vielfalt ist die Antwort darauf eindeutig: Kern des Wandels sind veränderte Beziehungen zwischen OEM und Lieferanten, bei denen der Kunde im Vordergrund steht. Produkte oder Module sind lediglich Werkzeuge, um die Effizienz im System zu erhöhen, doch sie müssen auf den Kunden ausgerichtet werden. Schwerpunkt hierbei ist eine eindeutige Aufladung der Kundenmarke durch markenprägende Module. Aus diesem Grund brauchen insbesondere Brand Booster eine grundlegende Modulstrategie. Erfolg können sie nur durch die markenrelevante Anpassung der Module auf einen spezifischen Kunden und die damit verbundene effiziente Gestaltung der Geschäftsbeziehung mit diesem haben. Die Produktstrategie ist dementsprechend ein Disqualifier und die Kundenstrategie der entscheidende Qualifier. Der Wandel von einer Geschäftsbeziehung mit kurzfristigen operativen Fragestellungen hin zu einer Beziehung, die auf langfristigen strategischen Überlegungen basiert, muss vor allem auf der Lieferantenseite vollzogen werden. Auch vermeintlich kurzfristig orientierte Bereiche wie der Vertrieb müssen ihre Einstellung ändern, um die zukünftigen Herausforderungen meistern zu können. Unternehmen mit lediglich kurzfristigen Gewinn- oder Umsatzzielen werden dem Wettbewerb der Effizienten Vielfalt nicht standhalten können, da sie Defizite bei ihrer Markt-, Prozess- und Ressourceneffizienz haben. Phase der Geschäftsbezie- Konzept- KonzeptUnterhung wettbewerb vergabe nehmensbereich
Konzeptentwicklung
Auftragsvergabe
Serienentwicklung
Assembly
Entwicklung Innovationszentrum Marketing Design Vertrieb Geschäftsleitung Produktion Service Finanzen Logistik : Einflussstärke
Abb. 78. Geschäftsbeziehung im Überblick
Aftermarket & Service
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Neues Rollenverständnis
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Abbildung 78 veranschaulicht die Schwankungen der Bedeutsamkeit, denen die unterschiedlichen Unternehmensbereiche im Verlauf der Geschäftsbeziehung unterliegen. Darüber hinaus macht die Grafik den Umfang der Interaktion deutlich. Die meisten Bereiche sind in allen Phasen involviert. Dies gilt dabei zunächst unabhängig vom jeweils betrachteten Geschäftsmodell. Wir wollen nicht für jedes der vier Modelle die Detailunterschiede in der Interaktion aufzeigen, da dies keine zusätzlichen Erkenntnisse in Bezug auf die revolutionären Veränderungen zur Folge hätte. Wichtig ist festzuhalten, dass sowohl auf der OEM- als auch auf der Lieferantenseite die Bedeutung von Markt-, Innovations- und Markenexperten steigt. Ihr wachsender Einfluss ist eine logische Konsequenz der Wertschöpfungsverschiebungen und der neuen Beziehungsstrukturen im Kontext der Effizienten Vielfalt. Langfristig orientierte Strategien müssen gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden. Diese strategische Perspektive ist als Ergänzung zum operativen Geschäft zu sehen und unumgänglich für den gemeinsamen Netzwerkerfolg. Gleichzeitig ist es für das Zusammenspiel zwischen Integrator und Lieferant erfolgsentscheidend, dass die beiden Parteien bereits in einer sehr frühen Phase der Geschäftsbeziehung miteinander kooperieren. Der dabei erarbeitete Wettbewerbsvorsprung für den Lieferanten wird aufgrund der steigenden Komplexität der Module in den meisten Fällen der ausschlaggebende Faktor für die Vergabe des Geschäftes an ihn sein. Insgesamt wird die Geschäftsbeziehung komplexer, da wir es mit einem höheren Grad der Vernetzung zu tun haben. Im Rahmen dieser Interaktion gilt es stets darauf zu achten, dass keine Doppelarbeiten entstehen und dass der Abstimmungs- und Koordinationsbedarf nicht zu groß wird. Beides wirkt Effizienz reduzierend. 7.2.4
Keiretsu
In Wissenschaft und Praxis werden Keiretsu stark diskutiert. Obwohl sich schon viele Experten mit dieser japanischen Form von Unternehmensverbünden auseinander gesetzt haben, möchten wir sie an dieser Stelle aufgreifen, da sie wichtige Hinweise auch für andere Arten von Geschäftsbeziehungen geben. Um ein Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Automobilindustrie in der dritten Revolution durch das Nebeneinander verschiedener Keiretsu auszeichnen wird. Dennoch haben die Wesensmerkmale und Strukturen der Geschäftsbeziehungen innerhalb eines Keiretsu eine hohe Relevanz für die dritte Revolution.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Keiretsu sind vergleichbar mit den von uns dargestellten Kooperationen zwischen Unternehmen. Die Verflechtungen im Keiretsu sind jedoch stärker als bei klassischen Kooperationen. Bei einem Keiretsu handelt es sich um die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit und Verflechtung mehrerer Unternehmen. Diese Verbindungen können wie bei Kooperationen vertikaler oder horizontaler Natur sein. Die Unternehmen bewegen sich in einem strategischen Netzwerk, wobei die einzelnen Unternehmensstrategien aufeinander abgestimmt sind. Die Führungsebenen der jeweiligen Firmen treffen sich in regelmäßigen Abständen und legen eine gemeinsame Strategie fest. Diese bezieht die Stärken aller Partner des Netzwerkes mit ein, um eine möglichst hohe Effizienz im Gesamtsystem zu erreichen. Aufgrund der regelmäßigen strategischen Absprachen und der optimalen Ausnutzung der Netzwerkressourcen entsteht eine enge Bindung zwischen den Firmen. Keiretsu sind langfristig ausgerichtet und führen zu einem „Lock-in“ der Partner im Netzwerk. Durch die Zusammenführung der Stärken einzelner Partner erhofft man sich Wettbewerbsvorteile. Die Verflechtung geht über eine personale und prozessorientierte Verbindung hinaus. In den meisten Fällen sind die Unternehmen auch kapitalseitig miteinander verknüpft. Dabei werden oftmals über Kreuz Aktienpakete gehalten, wodurch eine wechselseitige Abhängigkeit erzielt wird. Diese Wechselseitigkeit ist bei Keiretsu sehr bedeutsam. Es kommt nicht darauf an, dass ein bestimmtes Unternehmen Aktienanteile an allen anderen hält. Dies würde einen Insourcing gleichkommen und ein starkes Ungleichgewicht bei den Machtverhältnissen herstellen. Keiretsu versuchen formal gleichberechtigte Partnerschaften zu definieren. Oftmals gibt es eine „Hausbank“, die die Transaktionen übernimmt und besondere Finanzierungs- und Kreditmöglichkeiten für die Partner anbieten kann. Neben diesen finanziellen Verflechtungen ist auch der Austausch von Humanressourcen sehr wichtig. Dabei ist abermals die Interaktion im Unternehmensverbund äußerst relevant. Manager aus der Geschäftsführung werden in Partnerunternehmen entsandt, um diese zu leiten und um Erfahrungen zu sammeln. Auf den verschiedensten Ebenen stellt ein Keiretsu insofern ein komplexes Interaktionsnetzwerk dar. Personen, Aktienbeteiligungen, Strategien und Prozesse unterliegen einer starken Transparenz. Sie sind natürlich nicht für alle Partner des Netzwerkes frei verfügbar, jedoch bedeutend flexibler einsetzbar als in klassischen OEM-Zulieferer-Beziehungen. Diese Flexibilität sichert ein hohes Maß an Prozess- und Ressourceneffizienz.
7.2
Neues Rollenverständnis
225
Die Verflechtungen werden nicht vertraglich definiert, sondern die Ressourcen werden entsprechend dem jeweiligen Bedarf zielorientiert eingesetzt. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Keiretsu unterscheiden: Die historische Form des horizontalen Keiretsu besteht aus Unternehmen verschiedener Industriezweige. Ähnlich wie bei großen Mischkonzernen können die Partner das Marktrisiko durch ihre enge Zusammenarbeit reduzieren. Oftmals gehören zu diesen Keiretsu eigene Versicherungen, eine Bank und ein Handelshaus. Im Handelshaus werden nur Waren von Partnern des Keiretsu aufgenommen. Dementsprechend existieren sehr viele Unternehmen, die sich einem solchen Keiretsu anschließen. Die Unternehmen eines horizontalen Keiretsu können gleichzeitig Mitglieder eines vertikalen Keiretsu sein. Diese Unternehmensgruppen fassen verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette innerhalb einer Industrie zusammen. Um ein Hauptunternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette gruppieren sich weitere Partner entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Alle beteiligten Unternehmen entstammen dementsprechend der gleichen Branche, wodurch ein sehr stark verflochtenes System mit massivem Einfluss auf die industriespezifische Wertschöpfung geschaffen wird. Wertschöpfungsanteile des Hauptunternehmens können aufgrund der engen Verbindung reduziert und an spezialisierte Unternehmen abgegeben werden. Vor- und nachgelagerte Stufen erhalten eine strategische Bedeutung und werden für das Hauptunternehmen erfolgsentscheidend. Keiretsu haben Vor- und Nachteile. Werfen wir zunächst einen Blick auf die positiven Seiten: Das Netzwerk als Ganzes besitzt zunächst den Vorteil, dass es einen Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu konkurrierenden Einzelunternehmen hat. Durch den Zusammenschluss hat jedes Mitglied des Netzwerks die Möglichkeit, auf Ressourcen zurückgreifen zu können, die ihm sonst verwehrt wären. Bekanntlich ist der Output in einem Netzwerk in der Regel mehr wert als die Summe der Einzelteile. Durch die enge Verbindung zwischen den Unternehmen entstehen Effizienzvorteile, die zu einem erhöhten Output führen. Außerdem benötigen manche Innovationen eine „kritische Masse“ an Ressourcen, die erforderlich ist, um einen überproportionalen Nutzen zu erzielen. Grundsätzlich bietet ein Keiretsu auch Vorteile bezüglich verschiedenster Transaktionskosten. Neben der Reduktion von Risiken und Unsicherheiten werden schließlich Kosten bei der Kapitalaufnahme und bei der Informationssuche eingespart. Durch die Spezialisierung auf Kernkompetenzen steigt die Leistungsfähigkeit auf allen einzelnen Wertschöpfungsstufen. Mit den gleichen Ressourcen kann somit im Vergleich zum Wettbewerb ein entsprechend höherer
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Output erzielt werden. Zusätzlich haben die Netzwerkpartner mehr Ressourcen als zuvor zur Verfügung, da diese im Verbund flexibel gehandhabt werden. Derartige Wettbewerbsvorteile sind insbesondere in Entwicklungsphasen von hoher Relevanz. Keiretsu können daher einen Vorteil bei der Innovationskraft ihrer Unternehmen generieren. Unternehmen im Keiretsu haben eine gewisse Monopolstellung, da sie bei der Belieferung stets Konkurrenten vorgezogen werden. In manchen Fällen wird die Konkurrenzsituation vollständig ausgehebelt. Dieser vermeintliche Vorteil deutet zugleich bereits auf das Hauptproblem von Keiretsu hin: Konkurrenz und Wettbewerb fördern die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Werden sie eingeschränkt, so wirkt sich dies negativ auf die Motivation aus, sich ständig zu verbessern. Die ständige Verbesserung gilt zwar als eine der Hauptmaximen im Keiretsu, doch sie wird durch den geringeren Wettbewerb eingeschränkt. Eine zu starke Verflechtung wirkt außerdem in manchen Fällen lähmend. Abstimmungen und Koordinationen werden in erhöhtem Maß nötig und belasten die Effizienz. Konkurrenzunternehmen, die sich nicht im Netzwerk befinden, haben die Möglichkeit, unter Umständen schneller auf Marktanforderungen zu reagieren und Lösungen bereitzustellen. Abgesehen von den verschiedenen Problemen, die Keiretsu mit sich bringen, ist ihre Grundidee dennoch für unsere Betrachtung veränderter Geschäftsbeziehungen in der dritten Revolution bedeutsam. Insbesondere vertikale Keitretsu haben Ähnlichkeiten mit zukünftigen Zusammenschlüssen in der Automobilindustrie. In der von uns dargestellten Industriestruktur spielen Integratoren, die modulspezifisch das Management der gesamten Wertschöpfungskette übernehmen, eine wichtige Rolle. Dieses Management verschiedener Brand-Booster- und Commodity-Anbieter erfordert in Zukunft eine stärker langfristig orientierte Perspektive und Verflechtung. Aufgrund der sinkenden Zahl an modulspezifischen Experten ist beides für Integratoren unumgänglich, um sich auf Dauer im Markt halten zu können. Entscheidend für unsere Fragestellungen ist die neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen im Netzwerk. Es handelt sich dabei um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Ziel, bei der vermieden werden muss, dass ein Unternehmen ein anderes unterdrückt. Das Netzwerk als Ganzes verfolgt ein Ziel, dem sich alle Partner unterordnen, unabhängig vom jeweiligen Einfluss. Dieses Konzept wird in der dritten Revolution zunehmend Einzug in das tagtägliche Geschäft finden. Die Besonderheit dieser Entwicklung liegt darin, dass die Netzwerkpartner vom Markt zu diesem Verhalten gezwungen werden, wäh-
7.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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rend die Geschäftsbeziehung in einem Keiretsu durch andere Faktoren beeinflusst wird. Loyalität, Vertrauen, Commitment, Langfristigkeit und der offene Austausch von Wissen sind Elemente, die in heutigen Geschäftsbeziehungen zwischen OEMs und Lieferanten außerhalb der „japanischen Welt“ kulturell bedingt unbekannt sind. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt wird sich das Verhalten der Marktteilnehmer ändern. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass die Konsolidierung der Lieferantenbranche zu einer drastischen Reduktion der Anzahl an Marktteilnehmern führen wird. Die dargestellten veränderten Hierarchien zwischen Lieferanten und OEMs führen zu einer zunehmenden Komplexität und letztlich zu höheren Anforderungen an die Lieferanten. Langfristige strategische Planungen der Unternehmen werden erfolgsentscheidend, ebenso wie eine intensive Zusammenarbeit in sehr frühen Phasen der Geschäftsbeziehung. Letztlich führt dies zu steigenden Investitionen, die nur durch Langfristigkeit und durch Zusammenarbeit im Netzwerk rentabel sind. Nicht kurzfristige Gewinne stehen im Vordergrund, sondern hohe finanzielle und humane Investitionen in eine dauerhafte Geschäftsbeziehung. Der Konsolidierungsprozess auf der OEM- und vor allem auf der Lieferantenseite wird durch diese Hierarchieveränderungen beschleunigt. Modulspezifisch wird daher nur eine sehr geringe Anzahl von Anbietern übrig bleiben. Wir gehen von drei bis vier wettbewerbsfähigen Lieferanten pro Modul aus. Diese Konsolidierung entspricht gleichzeitig einem Annäherungsprozess der Anbieter hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit. Nur die effizientesten Unternehmen werden am Markt bestehen bleiben, so dass sich die Marktteilnehmer nach diesem Prozess durch eine vergleichbare Leistungsfähigkeit auszeichnen werden. Dieser Zusammenhang ist im Rahmen der Effizienten Vielfalt sehr wichtig, da er zu revolutionären Veränderungen der Verhaltensweisen von OEMs und Lieferanten führen wird.
7.3 Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen 7.3.1
Einführung der Value Proposition
Im Folgenden betrachten wir die Geschäftsbeziehungen im Rahmen der Effizienten Vielfalt aus einer anderen Perspektive. Wir befassen uns vornehmlich nicht mehr mit der Struktur dieser Beziehungen, sondern mit der in ihnen erzielten Wertschöpfung. Dazu ziehen wir das Konzept der Value Proposition heran, das in der Regel zur Ermittlung eines Produktwertes verwendet wird.
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7
Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Langzeitprofitabilität LZP = f (1/3 M + 2/3 D)
Differenzierung % der Wettbewerber SD = VP + WV
Marktreife
Value Proposition: Erwartung an das Produkt (Produktversprechen)
Wahrgenommener Value: Erfahrung mit dem Produkt
Abb. 79. Business Profitability (Huete 2002)
Betrachten wir zunächst diese klassische Anwendung, um das Konzept kennen zu lernen, bevor wir es auf die Geschäftsbeziehungen übertragen. Wie kann ein Unternehmen profitabel am Markt agieren? Eine Antwort auf diese Frage skizziert Abbildung 79. Ein Teil der Profitabilität wird durch die Gegebenheiten des jeweiligen Marktes bestimmt (Market Maturity). Grundsätzlich haben Unternehmen mehr Potenzial in solchen Märkten, die mit Ungleichgewichten behaftet sind, da labile Situationen immer eine Chance darstellen. Beispiele hierfür sind Markteintrittsbarrieren, Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage oder Preisunterschiede. Neben diesen Marktspezifika ist die Differenzierung des jeweiligen Unternehmens von seinen Wettbewerbern maßgeblich. Sie wird grundsätzlich durch ein besonderes Produktangebot (Value Proposition) erreicht, das von den Kunden auch als solches wahrgenommen wird (Perceived Value). Um beim Kunden eine hohe Wertvorstellung hinsichtlich eines Produktes zu erzeugen, ist es wichtig, individuell und proaktiv auf ihn zuzugehen. Dabei ist die Erwartung an das Produkt sehr wichtig. Der Wert, den Konsumenten von ihren Produkten erwarten, wird von der „Value Proposition“ aufgegriffen. Die harte Seite der Value Proposition besteht aus tangiblen Faktoren und dem Preis. Tangible Faktoren machen den Wert eines Produktangebotes aus. Unter diesen Faktoren versteht man grundsätzlich alle relevanten Produktspezifika: Verwendete Materialien, Oberflächen, Verarbeitung, Qualität, Leistungsdaten und die Größe sind Kernkriterien, die einen Ein-
7.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
„harte Seite“
TF VP = VP: TF: EF: P: IS: IC:
P
„softe Seite“
+ +
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EF IS + IC
Value Proposition Tangible Faktoren Emotionale Faktoren Preis Insecurities (Unsicherheiten) Inconveniencies (Unbequemlichkeiten)
Abb. 80. Value Proposition (Huete 2002)
fluss auf den Wert des Produktangebotes haben. Eventuelle Unterschiede bei diesen Eigenschaften sind in vielen Fällen messbar. Grundsätzlich ist die Messbarkeit bei allen „harten“ Faktoren gewährleistet. Dies gilt selbstverständlich auch für den Preis. Je höher der Preis eines Angebotes ist, desto geringer ist dessen Wert für den Käufer, da die Attraktivität sinkt. Attraktive Angebote haben einen hohen tangiblen Nutzen bei vergleichsweise geringen Preisen. Aus diesem Grund nimmt der Preis einen Platz im Nenner der Formel ein. Nehmen wir als Produktbeispiel einen Fernseher: Tangible Faktoren sind dabei beispielsweise die Bildschirmdiagonale, die Tiefe des Gerätes oder Produktleistungsmerkmale wie besondere Timerfunktionen, Split Screen, automatische Abschaltung und Ähnliches. Zwei alternative Geräte sind anhand dieser Kriterien leicht vergleichbar. In Verbindung mit dem Preis lässt sich auf der harten Seite der Value Proposition relativ schnell das „bessere“ Gerät ausmachen. Innovative Technologien müssen insofern nicht immer einen höheren Wert haben als konventionelle. Sie werden in der Regel bei den reinen Leistungsmerkmalen besser abschneiden, jedoch diesen Vorsprung durch den höheren Preis wieder reduzieren. Im Rahmen der dritten Revolution in der Automobilindustrie werden auf dieser harten Seite neue Strategien notwendig. Mit dem zunehmenden Einsatz von Elektronik in Automobilen verlieren klassische Preismodelle der Betriebswirtschaftslehre an Relevanz (kundennutzenorientiert vs. kostenorientiert). Neue Ansätze werden nötig, um adäquate Preise festzulegen. Im Blick auf die harte Seite der Value Proposition schließen sich hier eine
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Fülle von Fragen an: Welche Partner beeinflussen die tangiblen Faktoren? Sind Assembler, Integratoren, Brand Booster oder Commodity-Anbieter entscheidend oder muss auch hier das Netzwerk als Einheit verstanden werden? Darüber hinaus stellt sich auf der harten Seite auch die Frage nach der Gestaltung der Produktvielfalt. Welche Unternehmen werden für die Vielfalt verantwortlich sein? Diesen Fragen werden wir uns später widmen. Auf der soften Seite haben wir es mit anderen Kriterien und anderen Fragestellungen zu tun: Emotionale Faktoren erhöhen den Wert eines Angebotes relativ stark. Designs, Farben oder die Marke eines Produktes sind Beispiele hierfür. Innovative Technologien haben in der Regel klare emotionale Vorteile. Kehren wir in diesem Zusammenhang zu unserem Beispiel zurück: Neue Fernsehergenerationen zeichnen sich meist durch ein neuartiges Produktdesign aus. Generell werden viele Käufe erheblich durch das jeweilige Design beeinflusst. Beispiele dafür sind Kaffeemaschinen von Porsche Design, Apples iPod, Mobiltelefone von Motorola oder die Saftpresse Juicy Salif von Alessi. Bei Automobilen spielt der emotionale Faktor des Designs ebenfalls eine entscheidende Rolle und beeinflusst die Kaufentscheidung von Konsumenten sehr stark. Audi hat mit dem TT genau an diesem Punkt angeknüpft. Neben dem Design ist die Marke eines Produktes ein weiterer softer Faktor von großem Gewicht. Unsere bisherigen Ausführungen haben die Bedeutsamkeit von Marken in der Automobilindustrie bereits betont, doch Beispiele für emotionales Produktdesign
Beispiele für emotionale Marken
Abb. 81. Emotionale Faktoren auf Produktebene
7.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
231
auch bei anderen Produkten ist die „Macht der Marke“ als emotionaler Faktor sehr hoch. Unabhängig von den Leistungsmerkmalen des Produktes haben manche Marken einen enorm hohen Wert für Konsumenten. Beispiele solcher Marken sind Mont Blanc, Apple, Gucci, Rimowa, Rolex oder Miele. Demgegenüber sind Unbequemlichkeiten negative softe Faktoren. Ein klassisches Beispiel dafür sind lange Lieferzeiten. Es ist bedeutend bequemer, ein Produkt direkt im Handel zu erhalten, als mehrere Monate darauf zu warten. Bei Massenmarken ist dieser Zusammenhang auf Automobile übertragbar. Dabei wollen wir von dem Effekt absehen, dass lange Wartezeiten bei Premiumprodukten durchaus die Begehrlichkeit erhöhen können, wie das Beispiel Aston Martin zeigt. Darüber hinaus stellt die Handhabung des Produktes einen Unbequemlichkeitsfaktor dar. Manche Produkte sehen vielleicht toll aus, sind jedoch extrem unbequem in ihrer Bedienung. Die Juicy-Salif-Saftpresse ist ein Beispiel dafür. Wie erwähnt hat das Produkt einen hohen emotionalen Nutzen und ist in dieser Hinsicht nahezu konkurrenzlos. Betrachten wir jedoch die Einfachheit der Bedienung, sind die meisten elektrischen Saftpressen überlegen. Finger und Kleidung bleiben dort in der Regel sauber. Ein weiterer Aspekt, der den Wert eines Produktes mindern kann, sind Unsicherheiten. Die Lebensdauer eines Produktes ist hierfür ein gutes Beispiel. Greifen wir auf die beiden Beispiele Fernsehapparat und Saftpresse zurück, ergibt sich Folgendes: Konsumenten können sich in der Regel nicht sicher sein, dass innovative Fernsehtechnologien eine höhere Lebensdauer haben als konventionelle, die u.U. ausgereifter sind. Zwischen Innovation und klassischem Produkt herrscht hier meistens ein Patt. Anders sieht die Situation bei unserem Saftpressenbeispiel aus: Eine elektrische Saftpresse wird sicherlich eine kürzere Lebensdauer haben als Juicy Salif, die nur durch Bruch defekt werden kann. Das Designerprodukt stellt in diesem Beispiel die sicherere Alternative dar. 7.3.2
Die Annäherungstheorie
Von der Vergangenheit bis heute ist die Beziehung zwischen OEMs und Lieferanten durch wenige Erfolgsfaktoren geprägt. Einfach ausgedrückt entscheiden der Preis und die Technologie darüber, an welchen Wettbewerber der Auftrag vergeben wird. Scheitert ein Lieferant bei einer Auftragsvergabe, so ist entweder sein Preis zu hoch oder er bietet nicht die richtige Technologie an. Wir bewegen uns demnach hauptsächlich auf der harten Seite der Value Proposition.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Es ist klar, dass die Anforderungen des Marktes in diesem Punkt weiter steigen werden. Diese Schlussfolgerung ergibt sich unmittelbar aus unserer PEST-Analyse. In allen betrachteten Bereichen – seien es Gesetzesvorgaben, der ökonomische Zwang zur Effizienzsteigerung oder Konsumentenund Technologietrends – kommt es zu einem steigenden Druck auf die harten Faktoren. Dies führt insbesondere auf der Lieferantenseite zu einer geschäftsfeldspezifischen Konsolidierung. Betrachtet man die Automobilbranche, so wird schnell klar, dass hier ein ausgereifter Markt vorliegt: Informationen sind relativ transparent. Viele Spieler stehen sich gegenüber, die sich in ihren Angeboten nur wenig unterscheiden. Je ausgereifter der Markt ist, desto stärker greift grundsätzlich unsere Annäherungstheorie, nach der sich im Verlauf einer Konsolidierung des Marktes die Leistungsfähigkeit der wenigen verbleibenden Spieler auf ein verhältnismäßig einheitliches Niveau zu bewegt. Da sich diese Leistungskonvergenz aufgrund der dargestellten Treiber und der damit verbundenen Konsolidierung weiter fortsetzen wird, spielt im Extremfall die harte Seite der produktspezifischen Value Proposition im Wettbewerb keine Rolle mehr. Wir gehen davon aus, dass die dritte Revolution dazu führen wird, dass alle am Markt bestehenden Unternehmen den Kundenanforderungen auf der harten Seite der Value Proposition gerecht werden können. Qualitäts-, Logistik- oder Preisanforderungen werden von den verbleibenden leistungsfähigen Lieferanten in vergleichbarem Maß erfüllt. Aus diesem Grund verlieren die klassischen Lieferantenauswahlkriterien in Zukunft an Relevanz. Leicht messbare Kriterien, wie sie sich beispielsweise in einer Balanced Scorecard festhalten lassen, führen nicht mehr zu einer eindeutigen Entscheidung für den einen oder anderen Lieferanten. Das Bewertungsverfahren muss um weitere und neue Kriterien ergänzt werden. Unter diesen Bedingungen wird es immer wichtiger, sich durch andere Faktoren – auf der soften Seite der Value Proposition – zu differenzieren. Im Rahmen der dritten Revolution sehen wir hier die entscheidende Möglichkeit für Unternehmen, sich im Wettbewerb zu profilieren. In der dritten Revolution der Automobilindustrie ergibt sich daraus die Notwendigkeit von neuen Formen der Zusammenarbeit, zumal der bereits geringen Zahl heutiger OEMs eine zahlenmäßig deutlich reduzierte, jedoch gestärkte Lieferantenbasis gegenüber stehen wird. Wir möchten in diesem Kontext das Konzept der Value Proposition nutzen und aus dem Produktbereich auf die Geschäftsbeziehungen übertragen. Wir unterscheiden dementsprechend ein hartes und ein softes Beziehungsgeflecht, die wir im Folgenden separat betrachten.
7.3
7.3.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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„Harte“ Wege zum Erfolg
Veränderte Beziehungen durch andere Produktlebenszyklen Auf der harten Seite der Value Proposition ist die Herausforderung bestimmend, dass Konsumenten nicht mehr bereit sind, für Innovationen zu bezahlen. Gleichzeitig erwarten sie eben diese und damit immer umfangreichere Produktleistungen. Beide Trends führen zu einem steigenden Druck auf die Value Proposition und letztlich auf den Innovationszyklus eines Unternehmens. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Marktdurchdringung von Innovationen zu berücksichtigen. Wir hatten bereits auf die Unterscheidung zwischen Schrittmacherleistung, Schlüsselleistung und Standardleistung hingewiesen. Hat es eine Technologie bis zum Standard gebracht, so signalisiert sie damit kein schlechtes Produkt. Innovationen, die den gesamten Prozess bis zur Standardleistung durchlaufen, sind prinzipiell erfolgreiche Innovationen und können als effizient beschrieben werden. In der Vergangenheit hat es viele Produkte gegeben, die auf der Stufe der Schrittmacheroder Schlüsselleistung stehen geblieben sind, bevor sie dann den Markt verlassen mussten. Das 42-Volt-Netz ist ein Beispiel hierfür. Die Effizienz dieser Neuentwicklung war entsprechend gering. Wir gehen davon aus, dass in der dritten Revolution einerseits mehr Innovationen das gesamte Phasenmodell durchlaufen werden und dass sie dies andererseits schneller tun werden als bisher. Die Marktdurchdringung von Innovationen wird in Zukunft bedeutend schneller erfolgen als in der Vergangenheit. Dies hat mehrere Gründe. Wir haben gesehen, dass in Zukunft prinzipiell fast jede Innovation von Elektrik und Elektronik geprägt sein wird. Darüber hinaus werden immer mehr Elektronikprodukte im Fahrzeug integriert. Werfen wir einen Blick auf die Lebenszyklen von Produkten im Bereich der Konsumentenelektronik, so fällt auf, dass Mobiltelefone, Digitalkameras oder MP3Spieler zeitweise einen Produktlebenszyklus von deutlich weniger als einem Jahr haben. In diesem Zeitraum durchlaufen manche dieser Produkte alle Innovationsphasen von der Schrittmacherleistung bis zur Commodity. Aufgrund des rasanten technischen Fortschritts altern elektronische Produkte schneller. Das bedeutet jedoch weniger, dass die Unternehmen ihre Innovationsleistung steigern müssen, als dass sie sie strategisch einsetzen müssen. So bieten etwa Mobiltelefonhersteller Innovationen auf dem japanischen Markt bereits drei bis vier Jahre vor der deutschen Markteinführung an. Neu eingeführte Mobiltelefone in Deutschland sind in Japan längst Commodities. Die Komprimierung des Produktlebenszyklus erstreckt
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
sich auf alle elektronikbasierten Innovationen. Die Hersteller müssen dieser Herausforderung mit strategischem Handeln begegnen – dazu weiter unten mehr. Neben der Verkürzung der Produktlebenszyklen aufgrund eines hohen Elektronikanteils gehen wir davon aus, dass im Rahmen der dritten Revolution mehr Technologien alle Innovationsphasen durchlaufen werden. Dies hängt damit zusammen, dass der Konsument in Zukunft der Ausgangspunkt neuer Produkte sein wird. In unseren bisherigen Ausführungen haben wir bereits ausführlich erläutert, dass Innovationen stärker auf die Bedürfnisse der Konsumenten zugeschnitten werden müssen. Insbesondere für Brand Booster und Integratoren kommt es darauf an, ein strategisches Marketing zu etablieren. Dabei müssen die Wünsche der Konsumenten in Modul- und letztlich Kundenstrategien übersetzt werden. Neben den Wünschen der Kunden muss auch ihre Zahlungsbereitschaft erfasst werden. Eine in den Marketingbereich integrierte umfassende Marktforschungsabteilung ist dafür unerlässlich. Oberstes Ziel dieses Bereiches muss es sein, Konsumententrends und -bedürfnisse zu ermitteln und diese gemeinsam in die Grundlagenentwicklung einfließen zu lassen. Nachdem im Forschungs- und Entwicklungsbereich erste Produktideen zustande gekommen sind, muss die Marktforschungsabteilung auf der Basis dieser Vorschläge ein Feedback am Markt einholen. In Zukunft können Innovationen nicht mehr die Bedürfnisse des Konsumenten ausblenden. Je nachdem, in welchen Bereich die Innovation fällt, müssen unterschiedliche Marktforschungsmethoden eingesetzt werden. Die Marktintelligenz wird im Rahmen der dritten Revolution eine strategische Kompetenz sein. Unabhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell müssen die Anbieter immer mehr Innovationen in immer kürzerer Zeit anbieten. Der entscheidende Grund für diesen Zusammenhang ist die Verkürzung der Innovationszyklen. Die kundenspezifische Applikationsentwicklung muss beim Übergang zu Elektronikinnovationen stark reduziert werden. Gleichzeitig muss es das Ziel sein, dass ein möglichst hoher Prozentanteil der verkauften Module Innovationen darstellt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist klar, dass Innovationen auf der einen Seite hohe Investitionen erfordern, auf der anderen Seite jedoch auch überproportionale Gewinne ermöglichen. Die Unternehmen stehen hier vor einer großen Herausforderung: Wie kann jedes neue Produkt gleichzeitig eine Innovation sein, ohne dass dafür ein unrealistischer Investitionsaufwand anfällt? Dieser Herausforderung muss mit einer bisher nicht da gewesenen Effizienz in den Entwicklungsphasen begegnet werden. Die Phasen der Ideenfindung, von
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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der Invention bis zur Innovation, müssen schneller, zielorientierter und mit weniger Qualitätsverlusten als bisher stattfinden. Einige wichtige Elemente eines solchen effizienten Innovationsprozesses haben wir bereits angesprochen. Die Marketing- und Marktforschungsabteilungen dienen einerseits als Ideenfinder und andererseits als Filter zukünftiger Innovationen. Sie müssen sicherstellen, dass nur solche Produkte die Marktreife erlangen, die von den Konsumenten auch entlohnt werden. Grundlagenforschung ist zeit- und kostenintensiv. Unabhängig vom Geschäftsmodell müssen die Unternehmen versuchen, diese Phase zu optimieren. Wirkungsvoll sind in diesem Zusammenhang Kooperationen mit Universitäten. Dabei gilt wiederum, dass die Zusammenarbeit sich nicht auf einzelne Projekte beschränken, sondern einen langfristigen Charakter haben sollte. Ein gemeinsamer Studiengang ist dafür ein guter Ansatz. Auf diese Weise können Unternehmen die Ausbildung von Nachwuchskräften zu ihren Gunsten beeinflussen. Innerhalb solcher Studiengänge sind erste Projekte im Forschungs- und Entwicklungsbereich bereits mit den Studenten wertvoll. Parallel dazu müssen Doktorandenprogramme etabliert werden, um themenspezifisch zu forschen. Die Programme dürfen nicht losgelöst vom Unternehmen sein. Die enge Verzahnung zwischen Universität und Unternehmen ist zwingend notwendig und hat gerade in Deutschland noch Nachholbedarf. Die Modularisierung als weiteren Ansatz haben wir ebenfalls ausführlich behandelt. Durch die Etablierung eines Modulbaukastens können Lieferanten effizienter als bisher Innovationen am Markt anbieten. Entscheidend ist dabei das Management der Schnittstellen. Alle neuen Produkte müssen kompatibel zum bisherigen Baukasten sein. Die geschickte Kombination von Modulen führt dabei zu einer Innovation. Da jede Kombination für sich genommen ein neues Produkt ist, lassen sich Innovationen effizient auf der Basis eines existierenden Modulbaukastens realisieren. Die Entwicklung neuer Module ist für eine Innovation insofern nicht immer notwendig. Es ist leicht zu erkennen, dass Innovationen im Rahmen der dritten Revolution ein völlig neues Management erfordern. Entscheidend ist die langfristige strategische Planung, besonders weil wir es mit verkürzten Produktlebenszyklen zu tun haben. Alle möglichen Modulkombinationen müssen über einen sehr langen Zeitraum geplant werden, denn die phasenweise Einführung von neuen Produkten sichert dem Anbieter die Umsetzung von Effizienz und Innovationskraft zugleich. Bereits kleine Veränderungen durch den Einsatz neuer Module können eine neue Positionierung
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
des gesamten Produkts bewirken. Die Innovation entwickelt sich modular weiter und ist in unterschiedlichen Ausbaustufen parallel in allen Phasen des Innovationszyklus vertreten. Die Basisinvestition für alle Technologien muss dementsprechend in Zukunft vermehrt zu einem sehr frühen Zeitpunkt getätigt werden. Gewinne werden mit der Einführung verschiedener Upgrades erreicht, deren Entwicklung nur sehr wenig kostet. Dieser Zusammenhang ist sehr wichtig, um die geforderte Effizienz in den Entwicklungsstufen zu erreichen. Jeder Produktbereich muss im Rahmen der Effizienten Vielfalt einen Modulbaukasten haben. Die hohe Zahl der möglichen Varianten und der damit erreichbaren Vielfalt liegt auf der Hand. Der Anbieter muss anfangs sehr hohe Investitionen aufbringen und hat anschließend dank standardisierter Schnittstellen nur geringe Kosten bei der modulspezifischen Weiterentwicklung. Dieses Szenario erfordert neue Preismodelle, da Preise zukünftiger Innovationen nicht mehr auf den Kosten basieren dürfen, sondern auf dem Kundennutzen. Dieser Ansatz ist bereits aus der Elektronikindustrie bekannt. Kostenbasierte Preismodelle betrachten in der Regel die Grenzkosten. Man stellt sich letztlich die Frage nach den geringsten möglichen Kosten eines Produktes. Da sich diese Kosten stets auf eine zusätzliche Einheit beziehen, müssen Verbesserungen in der Produktion in der Kalkulation antizipiert werden. Alle möglichen Effizienzsteigerungen sind dementsprechend in der Berechnung enthalten. Bei klassischen automobilen Produkten ist dieser Ansatz der richtige Weg, um einen für alle Parteien akzeptablen Preis zu ermitteln. Mit dem zunehmenden Einzug von Elektrik und Elektronik in das Automobil ist dieses Preissetzungskonzept jedoch nicht mehr haltbar. Die Betrachtung der Grenzkosten ist bei Elektronikprodukten problematisch, da sie in vielen Fällen gegen null tendieren und letztere somit an die Kunden verschenkt werden müssten. Die Entwicklung neuer Elektronikprodukte ist außerordentlich kostenintensiv. Werden wie oben beschrieben zukünftige Modulupdates bei der Entwicklung berücksichtigt, so erhöht sich der Entwicklungsaufwand abermals. Die erste Einheit des Produktes verursacht entsprechend hohe Kosten. Bei der Produktion der zweiten Einheit des Moduls reduzieren sich die Kosten dagegen auf ein Minimum – im Extremfall tendieren sie gegen Null. Gemäß der gängigen Preisfindung anhand von Grenzkosten gelangt man insofern zu einem Konsumentenpreis, der ebenfalls gegen Null tendiert. Deutlich wird dieser Trade-off bei der Entwicklung einer Software: Die Entwicklung ist sehr teuer und dementsprechend entstehen für die erste
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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CD mit der gespeicherten Software sehr hohe Kosten. Jede weitere Kopie dieser CD ist für den Anbieter, abgesehen von den marginalen Materialkosten, kostenlos. Durch die Möglichkeit, phasenspezifisch ohne Zusatzkosten weitere Upgrades in das Modul einfließen zu lassen, werden die Kosten und damit auch der Preis von der Leistung des Produktes abgekoppelt. Die Faktoren der harten Seite der Value Proposition stehen in der Effizienten Vielfalt immer weniger miteinander in Verbindung. Anstatt die Kosten in die Kalkulation einzubeziehen, wird in Zukunft auch bei der Preisfestlegung von Modulen der Konsument im Fokus der Betrachtung stehen. Abermals kommt der Marketingabteilung eine strategische Rolle zu. Die Marketingexperten müssen in einem ersten Schritt den Kundennutzen abschätzen und auf der Basis dieses Nutzens einen Preis für das Modul finden. Diese Ersteinschätzung findet zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Entwicklung statt. Nachdem die Eigenschaften des Moduls feststehen, muss der vorgeschlagene Preis durch Tests verifiziert werden. In der Regel wird es in dieser Phase zu Anpassungen des Preises kommen. Bei der Analyse müssen verschiedene Produktausgestaltungen berücksichtigt werden. Dies ist unumgänglich, da die Module mit verschiedenen Ausbaustufen zeitlich versetzt im Markt eingeführt werden. Die Marktforschungs- und Marketingexperten haben hierbei eine sehr wichtige Funktion, da sie mit ihrer Untersuchung die Phasen und die ihnen entsprechenden Modulkombinationen festlegen. Obwohl Elektronikprodukte einen sehr kurzen Lebenszyklus haben, muss für ihre Vermarktung eine langfristige Preis- und Kundennutzenstrategie festgelegt werden. Ein Modul kann durchaus fünf Ausbaustufen haben. Von der Markteinführung der ersten Stufe bis zur letzten vergehen unter Umständen zehn Jahre. Darüber hinaus sind durch die Kombination des existierenden Modulbaukastens nicht nur verschiedene Ausbaustufen, sondern auch völlig unterschiedliche Produkte mit eigenen Preisen und Kundennutzen denkbar. Ein Modulbaukasten birgt dementsprechend eine Fülle von Innovationen, wobei jede davon unterschiedliche Upgrades in einzelnen Phasen durchlaufen muss. Zeitlich gesehen ist im Rahmen der Effizienten Vielfalt eine Zukunftsplanung für die kommenden 20 Jahre nicht unrealistisch, wobei 5 Jahre Entwicklung 15 Jahren der stufenweisen Produkteinführung und -etablierung gegenüberstehen. Die langfristige strategische Planung ist von daher im Rahmen der dritten Revolution der Automobilindustrie ein erfolgsentscheidendes Element.
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Szenarien Auf der harten Seite der Value Proposition beschäftigen wir uns mit tangiblen Faktoren als aufwertenden und Preisen als abwertenden Merkmalen. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir die Aufgabe der Entkopplung dieser beiden Bereiche vorgestellt. Im Folgenden stellt sich nun die Frage, welche Spieler für diese harte Seite der Value Proposition in der dritten Revolution maßgeblich sind. Hierbei lassen sich verschiedene Szenarien voneinander unterscheiden. Wir hatten bereits das Gesamtkonzept der Marktstruktur in der Effizienten Vielfalt erläutert (vgl. Abb. 76, S. 214): Integratoren liefern Hauptmodule an einen Assembler. Wir gehen davon aus, dass die Rolle der Produktion langfristig nicht mehr ausschließlich vom OEM übernommen wird. Der Assembler kann in unserer Grafik daher entweder ein heutiger Automobilhersteller oder ein Lieferant sein. Dies gilt analog auch für den Integrator. Bei markenprägenden Modulen übernehmen OEMs die Aufgabe des Integrators und das damit verbundene Management der gesamten Wertschöpfungskette. Die Vielzahl der Integratoren sind heutige Tier-1Lieferanten. Nach wie vor existieren Tier-2- bis Tier-n-Lieferanten, die modulspezifische Leistungen erbringen. Unser erstes Szenario bezeichnen wir als „Starke Integratoren“. In der dritten Revolution in der Automobilindustrie ist davon auszugehen, dass der Einfluss modulspezifischer Experten stark zunehmen wird. Integratoren werden die Aufgabe haben, für ein bestimmtes Modul alle vorgelagerten Wertschöpfungsstufen zu koordinieren. Alle Phasen in dem von uns dargestellten Konzept von der Grundlagenforschung bis hin zur Integration und Produktion des Moduls entfallen auf den Integrator. Pro Modul wird es nur sehr wenige Integratoren geben, die über ein vergleichbares Leistungspotenzial verfügen. Ihre strategische Bedeutsamkeit in Bezug auf das Gesamtfahrzeug ist entsprechend hoch. Im Extremfall kann dieses Szenario dazu führen, dass die industrieweit vorhandenen Integratoren in Zukunft ausreichend Kompetenz vereinen werden, sämtliche Module des Fahrzeugs zu entwickeln, zu produzieren und zu integrieren. Die Diskussion der Kernkompetenzen hatte gezeigt, dass sich OEMs auf die Koordination weniger, markenprägender Module fokussieren werden. Ist beispielsweise „Dynamik“ ein Kernmarkenwert eines OEM, wird er die Wertschöpfung im Bereich des Fahrwerksmoduls selbst übernehmen. Bei einem anderen OEM, der andere Markenschwerpunkte setzt, ist diese Fokussierung auf das Fahrwerk nicht notwendig. Das Management der gesamten Wertschöpfungskette wird für dieses Mo-
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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dul von einem anderen „Nicht-OEM“ übernommen. Letztlich existieren für alle Module solche „Nicht-OEM“-Integratoren. Aufgrund dieser Tatsache kann sich auch bei den markenprägenden Modulen langfristig eine Konkurrenzsituation ergeben, die bewirkt, dass heutige OEMs auch diesen Teil der Wertschöpfung abgeben. Integratoren werden in diesem Szenario nicht nur dafür zuständig sein, alle Upstreamaktivitäten der Wertschöpfungskette zu koordinieren, sondern auch versuchen, weitere Kanäle für sich zu erschließen. Die Produktion und der Handel sind dabei sicherlich weniger relevant. In diesen Bereichen existieren spezialisierte Unternehmen, die die Aufgaben effizienter lösen. Der gesamte Bereich des Service und des Aftermarket hingegen ist ein Feld, in dem eine Ausweitung der Aktivitäten von Integratoren empfehlenswert und wahrscheinlich ist. Die Phase des Service nach Ablauf der Produktion hatten wir bereits in unserem Phasenmodell vorgestellt. Derzeit wird dieser Bereich in der Praxis mit geringerer Aufmerksamkeit noch bedacht. In Zukunft wird sich dies ändern, da der automobile Aftermarket ein attraktives Geschäftsfeld mit großem Potenzial ist. An dieser Stelle ist die Phantasie der Integratoren gefragt. Bereits in frühen Phasen der Entwicklung müssen Überlegungen zum Aftermarket einbezogen werden. Es handelt sich hierbei um kein Abfallgeschäft, sondern um einen profitablen Wachstumsbereich. Phantasie ist auch bei der Schaffung neuartiger Services gefragt. Hierbei ist abermals die Marketingabteilung des Integrators in der Pflicht, mit pfiffigen Konzepten ein Differenzierungspotenzial zu schaffen. Beispiele für solche Services könnten besondere Rabattsysteme, Koppelungsangebote unter Einbeziehung anderer Module, Upgrademöglichkeiten während des Produktlebenszyklus, Kaufaktionen für Konsumenten oder Kooperationen mit wertschöpfungsunabhängigen Unternehmen wie Outdoorbekleidungsherstellern oder Reiseveranstaltern sein. Das Marketing der Integratoren muss hier in Zukunft stark in das Geschehen mit eingreifen und umfassende Lösungen vorschlagen. Das Szenario starker Integratoren kann auch beinhalten, dass die Unternehmen versuchen, in völlig unterschiedlichen Geschäftsbereichen tätig zu werden. Eine „Zurückdiversifikation“ in nicht-automobile Sektoren dient dann neben der Erzielung zusätzlichen Gewinns insbesondere einer Reduktion des Risikos. Unsicherheiten und Risiken sind im Kontext der bevorstehenden Umwälzung sehr bedeutsam, da die Vielzahl der Unternehmen in den einzelnen Stufen der Revolution den Markt verlassen wird. Mit dem Wissen um diese Bedrohung müssen Strategien erarbeitet werden, die das
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
unternehmerische Risiko reduzieren. Eine Ausdehnung der Geschäftstätigkeit auf andere Branchen und Produkte ist hierbei naheliegend. Das zweite Szenario nennen wir „Starke Ressourcenlieferanten“. Unsere Auseinandersetzung mit technologischen Trends hat gezeigt, dass verschiedene Technologien in Zukunft wichtig sein werden. Wie bereits heute wird es auch in Zukunft immer einen Schwerpunkt auf bestimmte Ressourcen oder Technologien geben. In der Regel zeichnen sich nur sehr wenige Lieferanten durch Know-how in diesen Technologien aus. Diese Unternehmen finden sich in vorgelagerten Stufen der Modulwertschöpfung. In vielen Fällen werden sie nicht nur einen Modulanbieter mit ihrer Ressource beliefern, sondern mehrere. Entscheidend bei der Auseinandersetzung mit Ressourcen ist stets die Frage nach der Kritizität. Ressourcenlieferanten müssen demnach das Ziel verfolgen, ihre Ressource so zu vermarkten, dass sie für andere Unternehmen kritisch ist. In manchen Fällen handelt es sich dabei um Zufall, in vielen jedoch auch um unternehmerisches Können. Letzteres gilt zum Beispiel für die Alternative Stahl versus Aluminium. Beide Rohstoffe haben in der Automobilindustrie Hoch- und Tiefzeiten durchlebt. Auf beiden Seiten gibt es spezifische Vor- und Nachteile und grundsätzlich ist nicht eines der beiden Materialien die beste Wahl. Wie in vielen anderen Bereichen auch gibt es bei Ressourcen in der Automobilindustrie oftmals eine große Euphorie für das eine oder das andere Material. Bis vor kurzem wurde Aluminium in der Industrie in vielen Bereichen eingesetzt und bereits als Ablösung von Stahl gesehen. Durch Investitionen in neue Technologien und Prozesse gelang es der Stahlindustrie jedoch, mit so genannten Leichtbaustählen die Wettbewerbssituation wieder zu ihren Gunsten zu wenden. Ihre Produkte haben inzwischen wieder an Attraktivität gewonnen. Stahl ist gleichzeitig eine für die Automobilindustrie kritische Ressource. Die Monopolisierung von Ressourcen ist auch in der dritten Revolution relevant. Wir haben gesehen, dass der technologische Fortschritt schneller voranschreiten wird als heute und dass grundsätzlich mehr Innovationen am Markt platziert werden. Neue Materialien und Rohstoffe werden in naher Zukunft Einzug in die Industrie erhalten. Dabei liegt es in der Natur des betriebswirtschaftlichen Denkens, sich durch spezielle Prozesse vom Wettbewerb zu differenzieren, diese für andere möglichst schwer zugänglich zu machen und so eine Marktführerschaft zu erlangen. Lieferanten, die diese Machtposition anstreben, müssen nicht zwangsläufig auf der Wertschöpfungsstufe angesiedelt sein, auf der die Ressource
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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gewonnen wird. Mit dem Wissen um die Kritizität eines bestimmten Bereichs können auch weiter „upstream“ positionierte Unternehmen diese Machtposition erarbeiten. Dabei spielt es weder eine Rolle, auf welcher Ebene sich der Lieferant befindet, noch, ob es sich um ein Unternehmen des Commodity- oder des Brand-Booster-Modells handelt. Als Beispiel dafür wollen wir die Firma SGL Carbon anführen. Das Unternehmen stellt Karbonteile für verschiedene Industrien dar. Die Herstellung von Karbonprodukten ist derzeit sehr ineffizient, denn der Produktionsprozess ist gekennzeichnet durch Diskontinuitäten und durch ein hohes Maß an Handarbeit. Ähnlich wie in der zweiten Revolution der Automobilindustrie werden auch in der Karbonfertigung neue Produktionsprozesse die Produktkosten revolutionieren. Bisher bilden Karbonteile für die Automobilindustrie noch keine kritische Ressource. Stellen sich jedoch die erwarteten Effizienzverbesserungen in der Produktion ein, so konkurriert Karbon als Ressource plötzlich mit Stahl und Aluminium. Karbon kann über Nacht zur kritischen Ressource für Automobilindustrie sowie weitere Industrien werden. Das Beispiel zeigt, dass sowohl Commodity-Lieferanten als auch Brand Booster durch die Integration einer kritischen Ressource eine große Machtposition gewinnen können. Dieses Szenario gilt zudem nicht nur für Lieferanten, die die Ressource direkt zur Verfügung stellen, sondern auch für Unternehmen anderer Geschäftsmodelle. Starke Konsortien stellen schließlich das dritte Szenario im Beziehungsgeflecht der Effizienten Vielfalt dar: In Zukunft werden Module oder technologische Treiber verstärkt von Konsortien aufgegriffen. Mehrere Unternehmen arbeiten gemeinsam an der Entwicklung eines Moduls. Die Konsortien können dabei aus mehreren Integratoren bestehen, wenn durch die Zusammenlegung der Kompetenzen für zwei verschiedene Module neue Chancen generiert werden können. Sicherlich wird auch die geforderte Interaktion zwischen den Unternehmen einer Wertschöpfungskette langfristige Partnerschaften ergeben. Diese modulspezifischen Partnerschaften sind bei intensiver Kooperation vergleichbar mit dem Zusammenschluss von Unternehmen. Die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten japanischen Keiretsu bieten inhaltlich in mehrerer Hinsicht Anknüpfungspunkte für die dritte Revolution der Automobilindustrie. Die Zusammenarbeit von Unternehmen in Konsortien stellt einen solchen Anknüpfungspunkt dar. Merkmale von Keiretsu wie Partnerschaftlichkeit, gegenseitiges Vertrauen oder langfristige Orientierung erhalten in der automobilen Zukunft immer mehr Relevanz, insbesondere in Konsortien.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Wir hatten bereits gezeigt, dass sich der Wettbewerb in der Automobilbranche zukünftig verlagern wird hin zu einem Wettkampf der Netzwerke und Konsortien. Dies gilt vor allem für kapitalintensive Innovationen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Schrittmacherleistungen, die in die Industrie eingeführt werden müssen. Derartige Schrittmacherleistungen erfordern in Zukunft wesentlich höhere Investitionen als heute, da sie nicht mehr als losgelöste Innovationen am Markt platziert werden. Bereits im Vorfeld werden Prozessstufen weiterer Upgrades oder Nachfolgemodule definiert. Letztlich werden unterschiedliche Ausbau- und Entwicklungsstufen der Innovation von Anfang an mit in die Überlegung einbezogen. Die initiale Schaffung des zugrunde liegenden Modulbaukastens ist entsprechend kapitalintensiv. Aus diesem Grund werden Konsortien in Zukunft häufiger zu finden sein als derzeit. Da sie insbesondere zu Beginn der Festlegung des Modulbaukastens von Schrittmacherleistungen auftreten, haben die fertigen Module eine überproportional hohe Bedeutung in der Industrie. Das Beispiel der Hybridtechnologie macht diese Relevanz deutlich. Für die Konsortien eröffnet sich dementsprechend ein großes Machtpotenzial in der Industrie. Die hohen Investitionen in eine Basistechnologie, die gleichzeitig modular veränderbar ist, führen in diesem Szenario zu einer hohen Abhängigkeit der Industrie vom Konsortium. Die Gefahren, die sich daraus ergeben, hatten wir bereits vorgestellt. Ein weiteres Problem birgt die starke Vernetzung, denn je stärker die Unternehmen miteinander vernetzt sind, desto größer wird der Abstimmungs- und Koordinationsaufwand, der mit Effizienzverlusten verbunden ist. 7.3.4
„Softe“ Wege zum Erfolg
Einführung In unseren einführenden Erläuterungen des Konzepts der Value Proposition haben wir drei Bereiche dem soften Beziehungsgeflecht zugeordnet – emotionale Faktoren, Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten. Die Unterscheidung zwischen der harten und der soften Seite der Value Proposition fällt recht leicht: Harte Faktoren sind im Gegensatz zu den soften weitestgehend messbar und relativ leicht abzubilden. Preise, Qualitäten oder Lieferbedingungen können problemlos zwischen zwei unterschiedlichen Anbietern verglichen werden. Die skizzierten Szenarien im Beziehungsgeflecht oder die Herausforderungen der Individualisierung auf der harten Seite lassen sich einfach darstellen. Betrachtet man die harte Seite der Geschäftsbeziehungen in der dritten Revolution, so sind diese weitaus leichter greifbar als die Aspekte der soften Seite.
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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Auf der soften Seite von Geschäftsbeziehungen geht es weniger um Strukturen als um Verhaltensweisen zwischen den Partnern. Ihr Verhalten in der Effizienten Vielfalt muss aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Letztlich handeln immer Einzelpersonen mit individuellen Eigenheiten und Wertvorstellungen. Die personale Perspektive muss jedoch um eine organisatorische ergänzt werden, denn Unternehmen zeichnen sich durch unterschiedliche Unternehmenskulturen aus. Die jeweilige „Unternehmens-DNA“ überträgt sich sehr stark auf das Verhalten von Mitarbeitern. Mitarbeiter von Toyota agieren anders als Mitarbeiter von BMW oder Ford. Diese Unterschiedlichkeiten werden natürlich auch in Zukunft bestehen bleiben, doch wir gehen insgesamt von einem revolutionären Richtungswandel im Verhalten der Akteure aus. Dabei haben wir nicht so sehr die Mikroperspektive auf einzelne Unternehmen im Blick, sondern die übergreifenden Strömungen. Durch die gesamte Industrie wird ein Ruck gehen und sie zu neuen, kooperativen Verhaltensweisen zwingen. Diese Zwangssituation markiert einen wesentlichen Unterschied zur zweiten Revolution: Dort waren neue Verhaltensweisen zwischen den Marktteilnehmern eine freiwillige Entscheidung, die primär durch den OEM getroffen wurde. Nur wenige OEMs hielten Partnerschaftlichkeit für effizient und änderten ihr Verhalten. Meistens blieb alles beim Alten: bei einem starken Fokus auf die harte Seite der Value Proposition. Der von uns prognostizierte Zwang beruht auf einer wesentlichen Annahme, die wir im folgenden Abschnitt entfalten: In Zukunft wird sich die Leistungsfähigkeit der einzelnen Lieferanten angleichen, so dass nicht die harten, sondern die soften Faktoren der Value Proposition die entscheidenden Erfolgskriterien sein werden. Obwohl wir sie erst jetzt eingehend vorstellen, zieht sie sich bereits durch das ganze Buch und sollte daher für jeden Leser offensichtlich sein. Nicht erst seit kurzem werden Geschäftspartnerschaften von anderen Kriterien bestimmt als lediglich von Produktpreis und -qualität. Diese alten Handelsweisheiten sind in den vergangenen Jahren in der Automobilindustrie stark vernachlässigt worden; umgekehrt bilden sie einen wesentlichen Hintergrund für diejenigen Unternehmen, die sich trotzdem an ein faires Handeln gehalten haben. Was faires Verhalten im Rahmen der Effizienten Vielfalt bedeutet, wollen wir im Folgenden ermitteln. Zunächst werfen einen Blick auf die soften Faktoren, die für zukünftige Geschäftsbeziehungen entscheidend sind. Aufgrund ihrer hohen Relevanz werden wir uns detailliert mit ihnen auseinandersetzen. Dabei wird sich schnell zeigen, dass eine Strukturierung notwendig ist, um Handlungsempfehlungen auf dieser Seite der
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Geschäftsbeziehungen geben zu können. Anschließend stellen wir die Frage, wie die soften Faktoren in der dritten Revolution in das strategische und operative Handeln einzubeziehen sind. Dafür betrachten wir zunächst die jeweilige Bedeutsamkeit der Faktoren in unterschiedlichen Phasen der Geschäftsbeziehung. Daraufhin greifen wir unsere vier Geschäftsmodelle auf und erarbeiten Beziehungszusammenhänge zwischen den einzelnen Modellen auf der Basis der soften Faktoren. Zum Abschluss dieses Kapitels geben wir einige praktische Empfehlungen für ihre effiziente Umsetzung. Wesentliche softe Faktoren in Geschäftsbeziehungen Das Beziehungsgeflecht zwischen OEM und Tier-1, wie wir es heute kennen, wird in Zukunft nicht mehr existieren. Bezüglich bestimmter Module werden OEMs selbst zu Zulieferern, wodurch sich das bisherige Verhältnis zwischen OEM und Tier-1 deutlich verschiebt. Lieferanten und OEMs werden sich an vier wesentlichen Geschäftsmodellen orientieren, wobei der OEM zumindest in der Anfangsphase der Revolution die „Wertschöpfungskontrolle“ behalten wird. Wichtig dabei ist, dass den heutigen OEMs eine deutlich kleinere, aber erstarkte Zuliefererbasis gegenübersteht. Diese Konstellation führt dazu, dass in den Geschäftsbeziehungen der Automobilindustrie neue Faktoren zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal werden. Die harte Seite der Value Proposition wird zum Disqualifier, die softe dagegen zum Qualifier. Die Produktleistungen konvergieren zunehmend und das klassische Produktmarketing wird in der Automobilindustrie einem Beziehungsmarketing oder Customer Relationship Management bzw. Supplier Relationship Management weichen. Wie wir bereits angedeutet haben, müssen zwei Blickwinkel voneinander unterschieden werden: Einerseits stehen sich Unternehmen gegenüber. Dementsprechend müssen gewisse softe Faktoren auf der Unternehmensebene berücksichtigt werden wie beispielsweise das Image oder die Kultur. Andererseits gibt es eine Fülle von grundsätzlichen Faktoren wie Vertrauen, Flexibilität oder Offenheit, die in Zukunft an Bedeutsamkeit gewinnen werden. Diese Faktoren sind zunächst unabhängig von den in Beziehung stehenden Unternehmen, denn letztlich stehen sich nicht nur zwei oder mehr Unternehmen gegenüber, sondern Personen. Die darzustellenden soften Erfolgsfaktoren der Value Proposition können insofern als Verhaltensfaktoren aufgefasst werden. Die dritte Revolution der Automobilindustrie wird maßgeblich durch neue Verhaltensweisen, insbesondere durch Fairness geprägt.
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Softe Faktoren der Effizienten Vielfalt
Emotionale Faktoren
Persönlich
Unternehmensspezifisch
Vertrauen
Unternehmenskultur
Zufriedenheit Sympathie
Insecurities
Verhaltens- und Leistungsunsicherheiten
Inconveniences
Unbequemlichkeiten
Abb. 82. Softe Faktoren im Überblick
Wir gehen von einer Revolution des Verhaltens aus, die dennoch nicht nur auf der persönlichen Ebene betrachtet werden kann. Je nachdem, welches Geschäftsmodell vorliegt, werden unterschiedliche Faktoren den Schwerpunkt bilden. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte je nach Konstellation der beteiligten Geschäftsmodelle müssen separat erarbeitet werden. Gewissermaßen muss der allgemeine, persönliche Aspekt in einem zweiten Schritt an die interagierenden Unternehmen angepasst werden. Abbildung 82 bietet einen Überblick über die soften Faktoren. Die organisatorische Seite ist dabei nicht grundsätzlich isoliert von der persönlichen Perspektive zu sehen. Alle emotionalen Faktoren, Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten beeinflussen sich einerseits wechselseitig und haben andererseits Auswirkungen auf die Interaktion der Unternehmen, also auf die organisatorische Seite der Faktoren. Werfen wir zunächst einen Blick auf die persönlichen Aspekte dieser soften Größen. In der wissenschaftlichen Literatur und auch in der Praxis herrscht derzeit keine Klarheit hinsichtlich dieser Faktoren. In den meisten Fällen werden Vertrauen, Zufriedenheit, Sympathie, Risikomanagement, Problemlösungsbereitschaft und ähnliche Kriterien „in einen Topf geworfen“. Diese unstrukturierte Herangehensweise verdeutlicht, dass die Industrie softe Faktoren zwar erkannt hat, aber nicht konsequent berücksichtigt. Dies wird sich im Rahmen der Effizienten Vielfalt ändern, da sie dann kein „schmückendes Beiwerk“, sondern die entscheidenden Erfolgsfaktoren von automobilen Geschäftsbeziehungen sein werden.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Emotionale Faktoren stellen die Geschäftspartner ins Rampenlicht. Der Kunde muss im Mittelpunkt des eigenen Handelns stehen. Wenn es um Beziehungen im Allgemeinen und Geschäftsbeziehungen im Speziellen geht, ist Vertrauen wohl der in der Literatur am häufigsten erwähnte Wert. In den meisten Fällen geht es darum, dass Leistungen vertragsgerecht erfüllt werden. Der Kunde soll sich schon im Vorfeld der Geschäftsbeziehung darauf verlassen können, dass die gegebenen Versprechen auch eingehalten werden. Vertrauen wird in der aktuellen Literatur oft mit der Kompetenz des Anbieters in Verbindung gebracht. Ein starker Fokus auf die eigenen Kompetenzen in allen Phasen der Wertschöpfung gilt dementsprechend als wichtiges Vertrauen förderndes Mittel. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt gilt dies nicht mehr. Das Produkt steht bei der Vertrauensdiskussion nicht mehr im Vordergrund. Wie wir gezeigt haben, werden die Produktleistungen der einzelnen Anbieter schrittweise immer stärker konvergieren. Dieser Umstand führt dazu, dass das Vertrauen des Nachfragers, dass seine Produktanforderungen erfüllt werden, einer selbstverständlichen Gewissheit weicht. Der zweite wesentliche Gedanke, der bisher stets mit dem Thema Vertrauen in Verbindung gebracht wird, ist Opportunismus. In vielen Fällen geht man davon aus, dass sich vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen durch weniger Opportunismus auszeichnen, der darin besteht, dass die Unternehmen die aus einer Geschäftsbeziehung gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um bei anderen Kunden Vorteile zu gewinnen. Auch dieser Aspekt wird im Rahmen der Effizienten Vielfalt deutlich an Relevanz verlieren. Es ergeben sich weniger Möglichkeiten, Erkenntnisse vom einen Partner auf einen anderen zu übertragen, da insgesamt weniger Geschäftsbeziehungen existieren. Die Konsolidierung in der Automobilindustrie führt dazu, dass modulspezifisch nur noch sehr wenige Unternehmen zur Verfügung stehen werden. Die langfristige Zusammenarbeit mit einem spezifischen Partner ist dementsprechend wichtiger als die opportunistische Nutzung von Informationen für einen anderen Kunden. Im Gegensatz zu heute kann Opportunismus in der dritten Revolution der Automobilindustrie nicht mehr als effizient betrachtet werden. Kurzfristige Vorteile werden in Zukunft aufgrund der Bedeutung einzelner Geschäftsbeziehungen und der langfristigen Orientierung ein geringes Gewicht haben. Im Rahmen des Vertrauens kommt es auf das Verhalten der einzelnen Mitarbeiter und des Gesamtunternehmens an. Das ehemalige Produkt- oder Leistungsvertrauen weicht im Rahmen der Effizienten Vielfalt einem Verhaltensvertrauen.
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Unabhängig vom Geschäftsmodell geht es darum, dass sich Anbieter und Nachfrager als Wertschöpfungseinheit verstehen. Die eigenen Ziele müssen völlig auf den Partner ausgerichtet werden. Dies bedeutet, dass der größte Erfolg der Geschäftsbeziehung und des eigenen Unternehmens dann erzielt wird, wenn sich alle Aktivitäten am Partner orientieren. Opportunistisches Verhalten reduziert dagegen die Effizienz der Geschäftsbeziehung. Probleme müssen offen angesprochen und gemeinsam gelöst werden. Ehrlichkeit hat daher einen entsprechend hohen Stellenwert im Rahmen der Effizienten Vielfalt. Die Unternehmen müssen lernen und versuchen, sich als Einheit zu verstehen. Erfolge der Einheit bedeuten gleichzeitig Erfolge jedes einzelnen Unternehmens. Die jeweilige Wertschöpfungseinheit erstreckt sich auf die gesamte Wertschöpfung des betrachteten Moduls. Das geforderte Vertrauen bezieht sich daher nicht nur auf die Beziehung zwischen zwei Unternehmen, sondern auf einen Unternehmensverbund. Dieser Verbund muss zu jeder Zeit Höchstleistungen erbringen, um am Markt Erfolg zu haben. Fehler werden in Zukunft bedeutend schneller durch den Markt bestraft. Unternehmen, die diesen Zusammenhang berücksichtigen, werden ihren Erfolg steigern können. Insbesondere OEMs müssen ihre Verhaltensweisen überdenken, um zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Vertrauen bedeutet in Zukunft, dass die gesamte Wertschöpfung eines spezifischen Moduls als Einheit aufgefasst wird. Alle beteiligten Unternehmen müssen darauf vertrauen können, dass die Partner zuerst die Ziele des Unternehmensverbundes im Blick haben und erst in einem zweiten Schritt die eigenen. Und sie müssen darauf vertrauen können, dass alle Partner diese Einstellung teilen. Die heute üblichen Verhaltensweisen müssen sich radikal ändern. Wichtig bei allen Überlegungen zum Thema Vertrauen ist die Frage nach der Kontrolle. In den vergangenen Jahren gab es viele Diskussionen darüber, wie Partner in Geschäftsbeziehungen kontrolliert werden sollen. Es wurden Mechanismen definiert, die den Geschäftspartnern zu verschiedenen Zeitpunkten und auf unterschiedlichen Ebenen der Geschäftsbeziehung Kontrollmöglichkeiten einräumen sollten. Motivationsaspekte für die Mitarbeiter standen ebenfalls in enger Verbindung mit diesen Kontrollansätzen, da die Überprüfung von Einzelzielen in die Kontrollsysteme integriert werden konnte. Unabhängig davon, ob wir uns Theorien oder die Praxis in diesem Bereich anschauen, werden alle bisher da gewesenen Konzepte in der dritten automobilen Revolution nicht greifen, da diese Art der Kontrolle nicht effizient sein kann!
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Kontrolle erzeugt immer Kosten. In den aktuellen Analysen werden diese Kosten dem Nutzen des Kontrollmechanismus gegenübergestellt. Das im Kontext der Effizienten Vielfalt geforderte Vertrauen kann sich jedoch nur Effizienz steigernd auswirken, wenn die Kontrolle überflüssig wird. Alle Partner eines modulspezifischen Wertschöpfungssystems können sich darauf verlassen, dass die gemeinsamen Ziele von allen Beteiligten mit größtem Engagement verfolgt werden, da das Gesamtsystem Priorität hat. Aufgrund der enormen Auswirkungen auf den Erfolg der Modulwertschöpfung müssen alle Unternehmen versuchen, diesen soften Faktor umzusetzen, wodurch die Kontrolle redundant wird und nur als Kostentreiber zu verstehen ist. Zufriedenheit sehen wir als weiteren wichtigen Erfolgsfaktor der Effizienten Vielfalt an. Ohne Zufriedenheit werden Geschäftsbeziehungen in der Automobilindustrie in Zukunft nicht haltbar sein. Wie beim Faktor Vertrauen zeigt sich auch hier ein entscheidender Unterschied zu den Geschäftsbeziehungen in der zweiten Revolution: Zufriedene Lieferanten gab es damals vornehmlich in asiatischen OEM-Tier-1-Beziehungen. In den meisten anderen Fällen war nicht eine gemeinsame Orientierung bestimmend, sondern nach wie vor das Diktat des OEM, das auf der Lieferantenseite keine Zufriedenheit hervorrufen kann. Zufriedenheit ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Erfahrungen und Erwartungen. Gute Erfahrungen und die Erfüllung von Erwartungen können Zufriedenheit erzeugen. Diese Zusammenhänge werden in der Literatur eingehend untersucht. Trotz aller Komplexität handelt es sich letztlich immer um verschiedene Konstellationen von Erfahrungen und Erwartungen, auf die wir in unseren Ausführungen nicht näher eingehen wollen. Die Wechselwirkung von Erfahrungen und Erwartungen lässt sich gut am Beispiel Toyota erklären: Toyota erkannte in den 90er Jahren in der Kundenzufriedenheit ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Die Idee bestand darin, dass die Kundenbeziehung maßgeblich durch Zufriedenheit geprägt sein sollte, denn zufriedene Kunden bauen eine Verbindung zur Marke auf und entscheiden sich beim nächsten Autokauf wieder für sie. Diese Markenpositionierung von Toyota war zur damaligen Zeit sehr geschickt, da Zufriedenheit mit einfachen Mitteln erreicht werden konnte. Der Grund dafür liegt im Zusammenspiel zwischen Erwartungen und Erfahrungen. Europäische Konsumenten hatten in den 90er Jahren sehr geringe Erwartungen an Automobile der Marke Toyota. Die Investitionen des Unternehmens in die Produktqualität führten dazu, dass die Erwartungen der wenigen Kunden deutlich übertroffen wurden. Diese über den Erwartun-
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gen liegenden, positiven Erfahrungen führten zu einer hohen Zufriedenheit. Entsprechende Studien und gute Positionierungen in Pannenstatistiken führten in Verbindung mit umfassenden Marketingaktivitäten zu einer steigenden Nachfrage nach der Marke Toyota. Aufgrund niedriger Erwartungen und positiver Erfahrungen konnte Toyota Zufriedenheit bei den Käufern erzeugen und letztlich nachhaltig Marktanteile gewinnen. Diese Tatsache führte jedoch dazu, dass sich die Erwartungen drastisch verschoben. Heute stellen Konsumenten an Toyota höchste Erwartungen bezüglich Zuverlässigkeit und Qualität. Gleichzeitig sind weitere Verbesserungen aufgrund des hohen erreichten Niveaus nur schwer umsetzbar. Parallel bedrohen Rückrufaktionen das Image und Wettbewerber holen auf. Eine Differenzierung im Wettbewerb anhand von Zufriedenheit wird dementsprechend schwieriger. Diese Zusammenhänge gelten analog auch für Geschäftsbeziehungen. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Fokussierung auf Zufriedenheit in Geschäftsbeziehungen ein Novum ist und im Rahmen der Effizienten Vielfalt ein wichtiges Differenzierungsmerkmal sein wird. Als dritten und letzten emotionalen Faktor nennen wir Sympathie. Diese bezieht sich in besonderem Maße auf die in der Geschäftsbeziehung interagierenden Personen. Sympathie wirkt Effizienz steigernd, wenn sie Komplexität reduziert und dadurch das Handeln erleichtert. Sie ermöglicht, dass einerseits eventuelle Probleme im Wertschöpfungsverbund leichter angesprochen werden können und dass andererseits auch Erfolge fairer geteilt werden. Beide Aspekte sind in zukünftigen Geschäftsbeziehungen zentral. Sympathie zwischen den Kundenkontaktmitarbeitern und zwischen den Unternehmen im Allgemeinen erleichtert die Kommunikation der Partner enorm. Sie öffnet viele Türen, während Antipathien die Handlungsmöglichkeiten meist einschränken. Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander kann auf dem Hintergrund gegenseitiger Sympathie wesentlich leichter erreicht werden. Dabei müssen die Geschäftspartner keine Freunde werden. Es geht bei Sympathie vielmehr darum, dass eine Basisübereinstimmung im Hinblick auf Ziele, Verhaltensweisen, Werte und Grundeinstellungen gegeben ist. In Geschäftsbeziehungen gibt es viele Problempunkte, die zu einer Quelle von Problemen und Unstimmigkeiten werden können. Sympathie in dem beschriebenen Sinne einer ähnlichen Grundeinstellung erleichtert in diesen Situationen die Konfliktbewältigung. Sympathie verbessert die Effizienz, da sie die Bereitstellung von Problemlösungen beschleunigt.
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Der Faktor Sympathie wird in der aktuellen Managementliteratur intensiv diskutiert. Schon lange beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Frage, welche Verhaltensweisen von Managern vorteilhaft und empfehlenswert sind. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt sehen wir aufgrund der steigenden Bedeutung softer Faktoren eine starke Tendenz in Richtung sozialer und stärker teamorientierter Persönlichkeiten im Vergleich zu „harten Einzelgängern“. Die letzteren Managertypen werden es in der dritten Revolution schwer haben, alle Partner von ihren an der modulspezifischen Wertschöpfung ausgerichteten Zielen zu überzeugen. Diese Prognose steht nicht im Konflikt zu dem Trend der Individualisierung, den wir in unserer PEST-Analyse erarbeitet haben. Individualisierung bedeutet nicht Egoismus. In den zukünftigen Geschäftsbeziehungen geht es darum, alle Partner davon zu überzeugen, dass sich der Eigennutzen aus dem Gesamtnutzen ergibt und nicht umgekehrt. Eine nachhaltige Umsetzung dieser Maxime ist auf der Grundlage von Sympathie leichter. In diesem Zusammenhang hat Personalmanagement eine hohe Bedeutung zur Förderung der dargestellten emotionalen Faktoren. Einen ersten Anknüpfungspunkt bietet das „Management by Objectives“. Neu wird dabei freilich die Ausgestaltung der Ziele sein. Die Optimierung der Effizienz im Wertschöpfungsverbund, insbesondere zwischen Integrator und Brand Booster muss direkt mit Belohnungen für die beteiligten Mitarbeiter verknüpft werden. Auf diese Weise wird der Eigennutzen durch die Orientierung am Gesamtnutzen optimiert. Ein weiterer Gesichtspunkt zur Förderung der soften Faktoren im Bereich des Personalmanagements sind unternehmensübergreifende Teamstrukturen. Es ist durchaus denkbar, dass Mitarbeiter in Zukunft nicht bei einem Unternehmen angestellt sind, sondern bei einer Art Projekteinheit. Mitarbeiter aus allen an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen könnten abgezogen und in projektspezifische Einheiten übertragen werden. Relevant ist diese Option vor allem für diejenigen Konstellationen, die sich durch eine enge Partnerschaft und Interaktion auszeichnen, also beispielsweise die Beziehung zwischen Brand Booster und Integrator. Ein entsprechendes Projekt bildet die Integration eines Moduls hinweg über alle Wertschöpfungsstufen. Bedarfsorientiert werden humane Ressourcen hinzu- und später wieder abgezogen. Auf diese Weise kann eine sehr schlanke Einheit geschaffen werden, die ressourceneffizient agiert und sich an einem klaren Prozess orientiert. Gleichzeitig wird die Motivation der Mitarbeiter durch wechselnde Herausforderungen und klar definierte Handlungsspielräume mit Eigenverantwortung gefördert.
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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Ein solcher Einsatz von Mitarbeitern ist als eine unternehmensübergreifende, projektspezifische Matrixstruktur zu verstehen. Die Beteiligten kommen ständig in Kontakt mit anderen Menschen, haben wechselnde Herausforderungen und ein hohes Maß an Verantwortung. Das für die Prozesseffizienz kritische „Abteilungsdenken“ heutiger Strukturen kann durch diese Teamstrukturen gelöst und Vertrauen aufgebaut werden. Unsicherheiten (insecurities) reduzieren den Wert einer Geschäftsbeziehung. Das ist der Grund, warum sie formal im Nenner des Bruchs zu finden sind. Grundsätzlich positiv ist, dass Unsicherheiten in Bezug auf die Produktleistungen in Zukunft weiter abnehmen werden. Wir haben an mehreren Stellen bereits von einer Konvergenz der Produktleistungen gesprochen. Der Nachfrager muss sich insofern immer weniger Sorgen machen, dass seine Wünsche nicht erfüllt werden oder dass unvorhergesehene Probleme auftreten. Die von uns betrachteten Module sind in den meisten Fällen sehr komplex. Mit Ausnahme des Commodity-Modells sind alle anderen Geschäftsmodelle und Konstellationen von Geschäftsbeziehungen durch komplexe Produkte gekennzeichnet. Das Management dieser hohen Komplexität im Wertschöpfungsverbund stellt in Zukunft eine große Herausforderung dar. Hinsichtlich der Geschäftsbeziehungen unterscheiden wir zwei Arten von Unsicherheit: Einerseits geht es darum, dass der Anbieter seine versprochene Leistung erbringt. Nehmen wir als Beispiel eine Flugreise. Der Nachfrager sollte sicher sein können, dass der gebuchte Flug stattfindet. Andererseits geht es darum, dass die Leistung in der Art und Weise erbracht wird, wie sie vom Anbieter versprochen wurde. In unserem Flugzeugbeispiel bedeutet dies, dass der Flug keine Verspätung haben sollte. Die Leistung wird in diesem Fall zwar grundsätzlich erbracht, jedoch nicht in der Weise, wie sie versprochen wurde. Beide Arten von Unsicherheiten sind für die zukünftigen Geschäftsbeziehungen in der Automobilindustrie sehr wichtig. Insbesondere heutige Lieferanten zeichnen sich oftmals durch ein unprofessionelles Verhalten aus. In vielen Fällen versprechen sie mehr, als sie letztlich einhalten können. Kurzfristig ist dieses Verhalten für sie u. U. vorteilhaft, da sie zusätzliche Aufträge erhalten, nicht jedoch langfristig. Vor allem Integratoren müssen sich in Zukunft stärker als heute darauf verlassen können, dass die versprochene Leistung der vorgelagerten Wertschöpfungsstufen tatsächlich erbracht wird. Diese Zuverlässigkeit ist entscheidend, um langfristigen Erfolg in einer Geschäftsbeziehung zu generieren. Der Nachfrager muss davon überzeugt sein, dass sich der Anbieter entsprechend den gemeinsamen „Beziehungsin-
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
teressen“ verhält. Beide Unternehmen müssen ihre Ziele in der Wertschöpfungspartnerschaft aufeinander abstimmen. Der Nachfrager muss sich darauf verlassen können, dass der Anbieter stets versucht, den gemeinsamen Nutzen zu optimieren. Geschäftsbeziehungen in der dritten Revolution zeichnen sich dadurch aus, dass beide Unternehmen einander als Partner verstehen und den eigenen Erfolg dadurch maximieren, dass sie an einer gemeinsamen Strategie arbeiten. Ein kritisches Thema ist dabei das „geistige Eigentum“ und der grundsätzliche Umgang mit sensiblen Informationen. Dieser Aspekt ist sowohl für OEMs als auch für Lieferanten relevant. Lieferanten haben eine OEMübergreifende Perspektive und generieren fortlaufend kundenübergreifendes Wissen. Für den OEM besteht ein Nutzen darin, dass er durch die enge Geschäftsbeziehung mit einem Lieferanten u. U. Wettbewerbsinformationen erhält. Lieferanten müssen jedoch ihre Geschäftsbeziehungen übergreifend und ganzheitlich betrachten. Eventuelle Vorteile in der Beziehung zu einem Kunden, die durch die Weitergabe sensibler Informationen entstehen, sind nur kurzfristig von Bedeutung und schädigen langfristig das Gesamtnetzwerk. Ähnliches gilt aus der OEM-Perspektive: Das geistige Eigentum von Lieferanten darf nicht gegeneinander ausgespielt werden, auch wenn dadurch kurzfristige Vorteile in der Geschäftsbeziehung entstehen. Auch hier muss der Nutzen des gesamten Wertschöpfungsverbundes betrachtet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wertschöpfungsnetzwerk sehr flexibel und je nach betrachtetem Modul unterschiedlich ist. OEM sollten entsprechende Informationen nicht an andere Lieferanten weitergeben oder neue Anforderungskataloge auf der Basis des neuen Wissens generieren. Insgesamt geht es im Kontext der Unsicherheiten darum, den Partner davon zu überzeugen, dass das eigene Verhalten stets den Nutzen der Partnerschaft in den Vordergrund stellt. Eigennutzenorientierung, die zu einer Reduktion des Gesamtnutzens führt, ist ineffizient. Der Partner muss sicher sein, dass die versprochenen Leistungen erbracht werden und dass der Anbieter sein Möglichstes tut, um seine Versprechen einzulösen. Hierbei ist eine wechselseitige offene Kommunikation entscheidend. Sie muss in Zukunft verschlankt werden und von Konsistenz geprägt sein. Anpassungen des Inhalts für verschiedene Gruppen oder Kanäle sind redundant und vor allem ineffizient, da sie Ressourcen binden, die anderweitig eingesetzt werden könnten. Grundsätzlich wird eine ausschließliche Ausrichtung am Shareholder Value für zukünftige Geschäftsbeziehungen nicht mehr tragfähig sein. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt erwarten wir eine Abkehr von der aus-
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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schließlichen Fixierung auf den Aktienkurs des jeweiligen Unternehmens. Entscheidend sind vielmehr gemeinsame modulspezifische Ziele aller an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen. Ihr Hauptinteresse muss auf die Wertschöpfungseinheit als Ganzes gerichtet sein. Die Maximierung ihres Erfolgs schlägt sich auch in den eigenen Profitabilitätskennzahlen nieder. Richten Unternehmen ihre Anstrengungen primär auf die Aktionäre und den Aktienkurs aus, so werden eigens Maßnahmen (beispielsweise im Bereich der Kommunikation) durchgeführt, um die entsprechenden Ziele zu erreichen. Ein solches Vorgehen ist in Zukunft ineffizient, da es sich nicht in allen Fällen mit den Zielen der Wertschöpfungseinheit deckt. Die starke Orientierung am Shareholder Value erfordert Ressourcen, die alternativ zur Optimierung von Prozessen, des Marktes oder der Motivation benutzt werden könnten. In Zukunft wird es notwendig sein, diese Effizienzpotenziale zu nutzen und die Aktivitäten stärker auf die Kunden und den Wertschöpfungsverbund auszurichten. Der Aktienkurs ergibt sich letztlich als „Nebenprodukt“ eines effizienten Managements, wie man am Beispiel Porsche sehen kann. Unbequemlichkeiten (inconveniences) bedeuten, dass die Geschäftsbeziehung für den Kunden mit Mühen und Umständen verbunden ist. Diese Unbequemlichkeiten beziehen sich auf Rahmenbedingungen, die den Umgang mit dem Partner kennzeichnen. Im B2B-Bereich wird dieser Faktor bisher kaum beachtet. Verbreitet ist dagegen das Management von Unbequemlichkeiten im Konsumgüter- und Dienstleistungssektor. Im Konsumententeil unserer PEST-Analyse haben wir gezeigt, dass das berufliche und private Leben durch Technologien deutlich erleichtert wird. Es besteht ein Trend, die täglichen Herausforderungen mit entsprechender Unterstützung möglichst bequem zu meistern. Bezogen auf das Automobil spielen Technologien dabei eine entscheidende Rolle. Der Einzug von umfassenden Elektronikmodulen ermöglicht dabei eine völlig neue Art der Bequemlichkeit in Fahrzeugen: Informationen können via Internet gesucht werden, Navigationssysteme finden den jeweils bequemsten Weg und geben Tipps, welche Dinge auf der Reise unter Berücksichtigung der individuellen Einstellungen empfehlenswert sind. In der Konsumgüterindustrie ist der Bequemlichkeitstrend in vielen Facetten zu erkennen: Bestellung per Internet, längere Ladenöffnungszeiten oder die Erlebnisorientierung beim Einkaufen sind Beispiele hierfür. Ein weiterer Indikator ist die steigende Nachfrage bei Dienstleistungen. In den vergangenen Jahren hat der Anteil der Dienstleistungen am Bruttosozialprodukt in vielen Ländern der Welt deutlich zugenommen.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Die Tendenz, Unbequemlichkeiten abzubauen, zeigt sich insbesondere dann, wenn in Volkswirtschaften die Einkommen der Haushalte steigen. Neben der Individualisierung wird versucht, das eigene Leben möglichst bequem zu gestalten. Was im Konsumgüterbereich gang und gäbe ist, stellt im B2B-Bereich bislang noch ein Novum dar. Übertragen wir die Erkenntnisse aus der Konsumgüterindustrie auf die Geschäftsbeziehungen der Effizienten Vielfalt, so erweist sich erneut die Kundenfokussierung von Unternehmen als notwendig. Die Prozesse des Anbieters müssen sich konsequent an den Bedürfnissen des Nachfragers orientieren. Die Kundenorientierung anhand der vier genannten Geschäftsmodelle stellt dabei lediglich einen ersten strategischen Grundansatz dar. Für eine nähere Untersuchung dieses Themas empfiehlt sich die Auseinandersetzung mit CRM-IT-Konzepten. Bereits heute herrscht in diesem Bereich ein „Hype“, an dem vor allem Unternehmensberatungen und IT-Dienstleister partizipieren wollen. Wir sehen CRM-IT-Systeme demgegenüber als eines von vielen Werkzeugen zur Ausrichtung am Kunden. Es sollte nur dann eingesetzt werden, wenn bereits eine strategische Kundenorientierung im gesamten Unternehmen besteht, also die bisher angesprochenen Herausforderungen der dritten Revolution erkannt und entsprechende Lösungskonzepte erarbeitet worden sind. Sind diese Konzepte nicht vorhanden, so stellt jede Investition in CRM-IT-Systeme eine Verschwendung dar – eine Situation, die in der heutigen Industrie in den meisten Fällen vorliegt. Welchen Nutzen ein CRM-IT-System haben kann, ist leicht zu beschreiben, wenn man sich die klassischen Anwendungsbereiche anschaut (vgl. Abb. 83): x Koordinierende Elemente sind strategischer Natur. Sie sind auf die Kundenbeziehung als Ganzes und im Gesamtzusammenhang ausgerichtet. Da wir uns bereits eingehend mit diesem Bereich beschäftigt haben, gehen wir hier nicht näher darauf ein. x Operatives CRM verfolgt das Ziel der praktischen Umsetzung koordinierender Elemente. Informationstechnische Unterstützungssysteme werden vor allem in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Kundenservice eingesetzt, da diese die wesentlichen Schnittstellen zum Kunden darstellen. Bausteine wie Marketing Automation, Sales Automation oder Service Automation sind Beispiele für eine ITgestützte Förderung des Austauschs mit dem Kunden.
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
Koordinierende Elemente
Operative Elemente
- Strategie / Philosophie - Prozessgestaltung - Organisatorische Änderungen - Controlling
- Kundendaten / Historie - Kampagnenmanagement - Beschwerdemanagement - Vertriebsunterstützung
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CRM-ITBausteine Analytische Elemente
Kollaborative Elemente
- Data-Warehousing / Mining - Category Management - Customer Lifetime Value - Zufriedenheitsanalyse
- Kommunikationsmaßnahmen - Loyalitätsprogramme - Integration der Kundenkommunikation
Abb. 83. Klassische CRM-IT-Bausteine (Schröder et al. 2002)
Die einzelnen Komponenten des operativen CRM laufen in der Regel auf einer einheitlichen Kundendatenbank. Das operative CRM setzt Anwendungen ein, die die Kommunikation zwischen Kunden und Unternehmen sowohl im Front-Office-Bereich (direkter Kundenkontakt, z. B. Marketing, Vertrieb und Service) als auch im BackOffice-Bereich (kein direkter Kundenkontakt, z. B. Personalabteilung, Einkauf) unterstützen. Beide Bereiche werden miteinander verknüpft (z. B. bei der Weiterleitung von Beschwerden), um den maximalen Nutzen aus der informationstechnischen Vernetzung ziehen zu können. x Kollaboratives CRM umfasst die informationstechnische Aufarbeitung derjenigen Aspekte, die wir zum Thema Kommunikation zusammengetragen haben. Die verschiedenen Kommunikationskanäle, über die das Unternehmen mit dem Kunden in Kontakt tritt, werden vernetzt und synchronisiert, so dass eine systematische, einheitliche und konsistente Ansprache des Kunden an allen Kommunikationsschnittstellen verwirklicht werden kann. x Das analytische CRM dient schließlich der Auswertung von gesammelten Kundendaten. Die strukturelle Analyse dieser Daten macht umfassende Untersuchungen zum Kaufverhalten des Kunden, möglichen Profilen oder zur Abgrenzung homogener Kundengruppen
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
überflüssig. Allerdings ist analytisches CRM eher im Bereich des Konsumgütermarketing relevant als im Bereich komplexer B2BGeschäftsbeziehungen. CRM-IT-Systeme sind vor allem ein wirksamen Mittel zur Steigerung der Prozesseffizienz in Geschäftsbeziehungen. Alle für den aktuellen Status der Beziehung relevanten Informationen können per Knopfdruck abgerufen werden. Empfehlenswert ist dabei eine Harmonisierung der Systeme im Wertschöpfungsverbund. Offenheit und Ehrlichkeit als zentrale Merkmale zukünftiger Geschäftsbeziehungen können wirksam umgesetzt werden, wenn die Partner im Verbund ihre jeweiligen Systeme verfügbar machen und in einem projektspezifischen CRM-System zusammenführen, das allen Mitarbeitern zugänglich ist. Harmonisierte IT-Komponenten ermöglichen eine derartige Zusammenfassung in einem projektbezogenen System und bieten aufgrund der relativ geringen Kosten Stärken hinsichtlich der Prozess-, Ressourcen- und Motivationseffizienz. Der Kunde möchte zwar nicht die Verantwortung abgeben, jedoch die mit der Geschäftsbeziehung verbundene Arbeit. Eventuell auftretende Probleme in der Geschäftsbeziehung spielen dabei eine wichtige Rolle, da sie schwer wiegende Unbequemlichkeiten darstellen. Bequemlichkeit bedeutet in diesem Kontext, dass der Lieferant mit seinen Kunden offen kommuniziert. Seine Kommunikation von Problemen muss stets mit dem Vorschlag von Lösungswegen verbunden sein. Der Kunde sollte erkennen, dass sich sein Geschäftspartner bemüht, Probleme in den Griff zu bekommen. Die effiziente Problemlösung ist dabei eindeutig die Aufgabe des Anbieters und ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Ein effizientes Management von Unbequemlichkeiten zeigt sich in besonderer Weise im Verhalten in Problemsituationen. Die Kommunikation muss sich dabei auf die internen Kanäle beschränken. Beide Partner müssen sicherstellen, dass Komplikationen nur intern diskutiert und behoben werden. Ein Lieferant darf beispielsweise nicht öffentlich für eine Rückrufaktion verantwortlich gemacht werden und umgekehrt auch niemanden öffentlich beschuldigen. Die Existenz unterschiedlicher Unternehmenskulturen ist nichts Neues. Neu ist jedoch, dass die damit verbundenen Verhaltensweisen zu einem wichtigen Erfolgsfaktor in der Automobilindustrie werden. Das Vorhandensein einer Unternehmenskultur ist zunächst einmal positiv für Unternehmen, da sie gewissermaßen die Unternehmenskomplexität reduziert. Unabhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell bedeutet die eigene Kultur eine Erleichterung, sich im Markt zu bewegen. Hierbei stehen
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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wiederum das Verhalten gegenüber Partnern und die Art und Weise der Zusammenarbeit mit ihnen im Vordergrund. Diese eher organisationsbezogene, nach außen gerichtete Perspektive muss um eine interne, personenbezogene Perspektive ergänzt werden. In diesem Sinne erleichtert es die Unternehmenskultur den Mitarbeitern, sich intern anzupassen. Im Idealfall teilen alle Mitarbeiter bestimmte Grundorientierungen und Wertvorstellungen. Wenn alle Mitarbeiter die gleichen Überzeugungen haben, erleichtert dies den Umgang untereinander und führt zu positiven Auswirkungen auf das Verhalten nach außen. Die Bewältigung möglicher Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Unternehmen und in der internen Zusammenarbeit kann durch eine nachhaltig gesteuerte Unternehmenskultur vereinfacht werden. Wie alle soften Faktoren ist auch die Unternehmenskultur nur schwer greifbar. Sie macht sich vielmehr indirekt bemerkbar. Unterschiedliche Unternehmenskulturen zeigen sich an verschiedenen Stellen wie beispielsweise dem grundsätzlichen Verhalten von Vorgesetzten, dem Stil der Unternehmenskommunikation oder den Investitionen in die Mitarbeiter. Letztlich geht es darum, den Verhaltensstil des Unternehmens ganzheitlich zu beschreiben, um daraus dessen Kultur abzuleiten. Man muss sich die Frage stellen, welche Werte im Vordergrund stehen. Wie wichtig ist die Entwicklung sozialer Fähigkeiten im Vergleich zur Leistungsorientierung? Steht die Kundenorientierung über der Produktorientierung? Sind die Mitarbeiter zufrieden? Werden Ziele eher auf Teams oder auf Individuen bezogen? Die Antworten auf diese Fragen lassen deutlich werden, von welchen Werten die Unternehmenskultur geprägt ist. Motivation, Kommunikation, Konsistenz und die aktive Mitgestaltung aller Mitarbeiter sind entscheidende Elemente des Erfolgs. Gelingt es dem Unternehmen nicht, diese Hebel im Sinne einer einheitlichen Einstellung zu bewegen, wird sich kein gemeinsamer Verhaltenskodex etablieren und internalisieren lassen. Ein Scheitern in diesem Punkt ist jedoch im Rahmen der Effizienten Vielfalt nicht verzeihlich, da die Kultur wie eine Art „Unternehmens-DNA“ aufzufassen ist, die alles Handeln prägt. Wir halten die Schaffung einer Unternehmenskultur für sehr wichtig, da sie umfassende positive Auswirkungen auf weitere softe Faktoren hat: Sie reduziert die Unsicherheit künftigen Handelns und sie schafft Vertrauen, dass sich sowohl die Mitarbeiter als auch das Unternehmen als Ganzes entsprechend den festgelegten Normen- und Wertvorstellungen verhält. Erfahrungen aus der Vergangenheit unterstützen dieses Vertrauen im Idealfall. Darüber hinaus kann ein entsprechendes Verhalten hohe Sympathien bei den Geschäftspartnern erzeugen. Mitarbeiterförderung, soziales Enga-
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
gement oder die Orientierung an strengen Leistungszielen sind für die Geschäftspartner augenfällig und haben durchweg positive Einflüsse auf das Image und die Geschäftsbeziehung. Im Rahmen der Effizienten Vielfalt muss sich die Unternehmenskultur an den Erfolgsfaktoren der Industrie orientieren. Dies war in der ersten und zweiten Revolution nicht anders. Neu sind jedoch die entsprechenden Faktoren, die sich an den Elementen der Value Proposition orientieren (Abb. 84). „Emotionale Vertrauenskultur“
TF VP =
P
+ +
EF IS + IC
„Technokratische Performancekultur“
Abb. 84. Unterschiedliche Unternehmenskulturen im Überblick
Im Rahmen der Effizienten Vielfalt unterscheiden wir zwei tendenzielle Richtungen, an denen sich die Unternehmenskultur orientieren kann. Eine technokratische Performancekultur wird sich vornehmlich an der harten Seite der Value Proposition orientieren. Hierbei fokussiert sich das Unternehmen nach wie vor sehr stark auf Produktleistungsmerkmale. Diese Leistungsorientierung muss auf die Mitarbeiter übertragen werden und dient der internen Motivation. Leistungsorientierte Bezahlung und eine Förderung der extrinsischen Motivation im Allgemeinen sind in diesem Modell entscheidend. Trotz steigender Konvergenz von Produktleistungen handelt es sich um eine strategische Option für eine Unternehmenskultur, da die Leistungsorientierung in Verbindung mit Engagement zu sehen ist. Der Einsatz der Mitarbeiter erstreckt sich in der technokratischen Performancekultur nicht ausschließlich auf die Produkte, sondern auf das gesamte Verhalten. Leistungsorientierte Unternehmen bieten dem Kunden eine gewisse Sicherheit, dass Probleme gelöst werden, sobald sie entstehen. Außerdem können sie damit rechnen, dass sich ihr Engagement positiv auf das entgegengebrachte Vertrauen auswirkt. Die Performancekultur spiegelt dieje-
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nigen Verhaltensweisen wieder, die OEMs von ihren Zulieferern im Jahr 2007 weitestgehend erwarten. Selbstverständlich ist eine Leistungsorientierung der Mitarbeiter sehr wichtig, doch wir gehen davon aus, dass sie in Zukunft nur in einem sehr beschränkten Bereich für eine Profilierung im Wettbewerb ausreichen wird. Zudem sehen wir verschiedene Probleme bei diesem Kulturtypus. Mit der zunehmenden Konvergenz von Modulleistungen gerät diese Kultur im Vergleich zur emotionalen Vertrauenskultur ins Hintertreffen. Leistung ist weniger gefragt, sie wird vielmehr erwartet. Soziale Aspekte und die Förderung softer Faktoren werden dagegen bei der technologisch orientierten Leistungskultur tendenziell vernachlässigt. Die Partner werden sich schwer tun darauf zu vertrauen, dass ein Unternehmen, das durch die Leistungskultur geprägt ist, langfristig in Geschäftbeziehungen investieren und über diesen langen Zeitraum auch Nachteile in Kauf nehmen wird. Bei leistungsorientierten Unternehmen stehen tendenziell eher kurzfristige Gewinnoptimierungen im Vordergrund, die im Rahmen der Effizienten Vielfalt für die Unternehmen kontraproduktiv sind und im Rahmen der Konsolidierung zu einem Verlassen des Marktes führen werden. Eine Alternative stellt demgegenüber die emotionale Vertrauenskultur dar. Eine positive Kundenbeziehung ist nach den Grundsätzen dieser Kultur unumgänglich für den langfristigen Erfolg. Der Kunde steht im Mittelpunkt des gesamten unternehmerischen Handelns. Diese konsequente Kundenorientierung muss sich in der Organisation widerspiegeln. Einheitliche Kundenprozesse, Schnittstellen und Investitionen müssen durch ein einheitliches CRM umgesetzt werden. Viele Unternehmen rücken derzeit den Kunden in den Mittelpunkt. Wichtig bei dieser Kundenfokussierung ist die Internalisierung der Werte bei allen Mitarbeitern. Ein IT-System alleine kann keine emotionale Vertrauenskultur fördern. Die Motivation der eigenen Mitarbeiter selbst ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung. Im Gegensatz zur technologischen Performancekultur steht hierbei nicht die extrinsische, sondern die intrinsische Motivation im Vordergrund. Langfristige Orientierung, Konsistenz und Engagement im Kundenkontakt können dauerhaft nur durch intrinsisch motivierte Mitarbeiter umgesetzt werden. Eine emotionale Vertrauenskultur muss neben dem externen auch den internen Kunden in das Rampenlicht stellen. Investitionen in die eigenen Mitarbeiter sind außerordentlich wichtig. Unsere bisherigen Ausführungen zur Motivation (vgl. S. 101 ff.) bieten in diesem Zusammenhang erste Ideen für konkrete Maßnahmen: Gefördert werden müssen Überschaubarkeit,
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Eigenverantwortung und Marktdruck. Mitarbeiter müssen klar definierte Ziele und Aufgabenbereiche erhalten. In einem entsprechend abgesteckten Rahmen sollten sie möglichst viele Freiräume genießen können. Eine positive Atmosphäre für alle Mitarbeiter ist erforderlich, um eine Motivation „von innen“ zu erreichen. Wichtige Kennzeichen einer solchen Unternehmenskultur sind ein leistungsfähiges Team, flache Hierarchien, Mitarbeiterveranstaltungen, flexible Strukturen mit abwechslungsreichen Aufgaben und stets neuen Herausforderungen. Emotionalität und Vertrauen muss maßgeblich durch die Mitarbeiterüberzeugung zum Kunden transportiert werden. Die Mitarbeiter müssen sich durch Flexibilität und problemorientiertes Denken auszeichnen. Das Bedürfnis des Kunden nach Bequemlichkeit und nach Lösung seiner Probleme kann wirksam nur bedient werden, wenn die Mitarbeiter ihm stets eine hohe Priorität zukommen lassen und flexibel auf seine Wünsche reagieren. In der Praxis haben sich so genannte „Resident Engineers“ an dieser Stelle als sinnvoll erwiesen. Vor Ort beim Kunden können sie flexibel auf Probleme reagieren und sie unter Umständen proaktiv lösen. Der Grundsatz der Proaktivität gilt auch hier. Das Aufschieben, Beschönigen oder gar Abstreiten von Problemen wird so vermieden. Offene Kommunikation, Vertrauensaufbau, Sympathie, Zufriedenheit sowie der Abbau von Unsicherheiten und Unbequemlichkeiten werden durch die Unterstützung des Kunden vor Ort nachhaltig erreicht. Die Umsetzung einer Unternehmenskultur weist Ähnlichkeiten zu dem von uns vorgestellten Konzept des Markenmanagements in der dritten Revolution auf. Auch hier kommt es bei der Ausgestaltung weniger darauf an, worauf sich das Unternehmen inhaltlich fokussiert. Wir geben keine Empfehlung, welcher der soften Faktoren mehr oder weniger für den Aufbau einer Unternehmenskultur geeignet ist, da die Gewichtung nicht entscheidend ist. Die konsistente Umsetzung der Werte ist der Schlüssel zum Erfolg; welcher Wert in den Mittelpunkt gestellt wird, ist dagegen sekundär. Konsistenz spielt beim Faktor Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle. In vielen Veröffentlichungen werden in diesem Zusammenhang „starke“ und „schwache“ Unternehmenskulturen unterschieden. Als schwach werden dabei in der Regel solche Kulturen bezeichnet, die Probleme in der konsistenten internen und externen Umsetzung aufweisen. Die Kultur wird in diesem Fall von den Mitarbeitern nicht durchgehend internalisiert und „gelebt“.
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Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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Softe Beziehungskonstellationen Die Erarbeitung verschiedener Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt hat gezeigt, dass sich die Strukturen in Zukunft revolutionär verändern werden. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir Erfolgsfaktoren für die veränderten Geschäftsbeziehungen vorgestellt. Dabei haben sich auf der persönlichen Ebene insbesondere Faktoren aus den Bereichen „Unbequemlichkeiten“, „Unsicherheiten“ und „emotionale Faktoren“ – im Vergleich zu klassischen „harten Faktoren“ – als entscheidend gezeigt. Auf der organisatorischen Seite haben wir daraufhin Unternehmenskulturen betrachtet, die entweder eher softe oder eher harte Faktoren aufgreifen. Auf diesem Hintergrund können wir uns nun den Beziehungskonstellationen der Effizienten Vielfalt aus der Perspektive der soften Faktoren zuwenden. Zusammenfassend haben wir diese Perspektive in einer Matrix der vier Geschäftsmodelle dargestellt (Abb. 85). Diese Art der Darstellung führt dazu, dass jede Beziehungskonstellation zweimal zu finden ist. Diesen Vorteil nutzen wir, um zwei verschiedene Aspekte der Beziehung zu beschreiben. Zunächst stellen wir uns die Frage, welche der beiden erarbeiteten Typen von Unternehmenskultur für die jeweilige Geschäftsbeziehungskonstellation vorteilhaft ist. Diese Analyse ist auf der linken Seite der Abbildung zu finden. Geschäftsmodelle der Effizienten Vielfalt
Assembler
Assembler
Brand Booster
Commodity
Interaktionspartner
Integrator
Emotionale Vertrauenskultur
Brand Booster
Emotionale Vertrauenskultur
Commodity
Integrator
Prozessbezogene Interaktionseinheit
Prozesspartner
Emotionale Vertrauenskultur
Technokratische Technokratische Technokratische Performancekultur Performancekultur Performancekultur
Abb. 85. Beziehungskonstellationen der Effizienten Vielfalt unter dem Gesichtspunkt der Soft Factors
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Im nächsten Schritt betrachten wir die Interaktion der Geschäftspartner genauer. Die Interaktionsintensität spielt neben der Fokussierung auf gewisse softe Faktoren eine wichtige Rolle bei den jeweiligen Geschäftsmodellen. Diesen Aspekt hatten wir bereits bei der Ausarbeitung der Geschäftsmodelle angesprochen. Wir werden nun die dargestellten soften, aber auch harten Faktoren heranziehen und uns fragen, welche „Interaktionstendenzen“ zu erkennen sind und wodurch sich verschiedene Konstellationen aus der Beziehungsperspektive auszeichnen. Dieser Teil ist auf der rechten Seite der Matrix zu finden. Unternehmen des Commodity-Modells haben auch in der dritten Revolution einen klaren Fokus auf harte Faktoren in der Geschäftsbeziehung. Wesentlich sind hierbei das Produkt und effiziente Prozesse in der Beziehung zu anderen Unternehmen der Wertschöpfungskette. Beim Management von nicht markenprägenden Modulen oder gar Komponenten ist es entscheidend, dass Leistungen erbracht werden und dass der Fluss innerhalb der Wertschöpfungskette an keiner Stelle gefährdet ist (technokratische Performancekultur). An der Schnittstelle zwischen Integration und Commodity-Produkt spielt die Leistungssicherheit eine entscheidende Rolle. Für Integratoren ist es sinnvoll, dass der CommodityLieferant eine leistungsorientierte Unternehmenskultur verfolgt, da preisund qualitätsbezogene Aspekte auf dieser Stufe der Wertschöpfung entscheidend sind. Es geht darum, die Erfüllung der Anforderungen sicherzustellen. Aus der Interaktionsperspektive ist es in allen drei in Frage kommenden Konstellationen wichtig, dass die Unternehmen einen regelmäßigen und offenen Austausch miteinander betreiben. Wir bezeichnen die Interaktion in diesen Geschäftsbeziehungen dementsprechend als Partnerschaft. Sicherheit und Leistung werden in dieser Partnerschaft insbesondere durch standardisierte, effiziente und „gelebte“ Prozesse erreicht. Qualitätskontrollen, Sicherheitsgates, wertschöpfungssteuernde IT-Vernetzungen und leistungsorientierte Bezahlungen sind Elemente, die diese Sicherheitsund Leistungskultur auszeichnen. Die Geschäftsbeziehungen, die ein Commodity-Lieferant mit den anderen drei Geschäftsmodellen eingehen kann, charakterisieren wir deshalb als „Prozesspartnerschaften“. Für die Zusammenarbeit von Assemblern und Brand Boostern spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle. Die Module des Brand Boosters beeinflussen die Marke des Fahrzeugs maßgeblich. Aus diesem Grund ist es entscheidend, dem Partner einen ausreichenden Handlungsspielraum einzuräumen und ihm darin möglichst viel Freiheit zu lassen. Dabei ist das Vertrauen unerlässlich, dass der Partner nicht seine, sondern die ge-
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meinsamen Ziele in den Vordergrund stellt. Nur so kann erreicht werden, dass die Marke des Gesamtfahrzeugs tatsächlich „geboosted“ wird. Trotz einer gewissen Distanz innerhalb der Wertschöpfungskette ist es notwendig, dass sich die Unternehmen als Partner verstehen. Eine modulspezifische Partnerschaft ist in allen Konstellationen der Effizienten Vielfalt entscheidend. Die partnerschaftliche Grundeinstellung haben wir bereits an mehreren Stellen als revolutionäre Neuerung vorgestellt. Die einzelnen Konstellationen führen allerdings zu unterschiedlichen Ausrichtungen dieser Partnerschaft. Die Beziehung zwischen Brand Booster und Assembler erfordert eine Partnerschaft, die interaktionsorientiert ist. Die hohe Relevanz des Teilmoduls für das Gesamtprodukt macht eine auf gegenseitigen Austausch angelegte Geschäftsbeziehung unumgänglich. Offenheit, Ehrlichkeit und Kommunikation prägen die Interaktion dieser beiden Unternehmenstypen. Die Beziehung zwischen Brand Booster und Integrator erfordert eine solche Partnerschaft selbstverständlich ebenfalls. Für die Zukunft der Automobilindustrie sehen wir die höchsten Herausforderungen und revolutionären Veränderungen speziell an dieser Schnittstelle. Die hohe Markenrelevanz der Module erfordert eine über mehrere Jahre andauernde, intensive Interaktion. Die Kooperation der Unternehmen muss sogar über eine Partnerschaft hinausgehen. Es kommt nicht mehr nur darauf an, einen Kommunikationskanal aufzubauen und regelmäßig den Status zu besprechen. Die Beziehung zwischen Brand Boostern und Integratoren geht deutlich darüber hinaus. Wir bezeichnen diese Konstellation als Interaktionseinheit. Innerhalb der Wertschöpfungseinheit bringt jedes Unternehmen seine Leistungen über mehrere Jahre ein. Bereits in sehr frühen Phasen der Geschäftsbeziehung werden Fahrzeugkonzepte, Module und Ziele meist gemeinsam abgesteckt. Der gesamte Entwicklungsprozess ist auf das gemeinsame Projekt fokussiert. Die Organisationen der beiden Unternehmen müssen sich stark anpassen, um diese langfristige Projektarbeit effizient zu steuern. Ressourceneffizienz ist dabei ein wichtiger Faktor, da aus beiden Unternehmen Ressourcen für das Projekt zusammengeführt werden müssen. Völlig neue Ansätze des Personalmanagements sind notwendig, um ein entsprechendes „Einheitsverständnis“ zu erzeugen. Aufgrund der langen Zusammenarbeit der Unternehmen muss aus organisatorischer Sicht ein Rahmen geschaffen werden, der die gemeinsamen Ziele unterstützt. Für die Erzielung von Effizienz in derartig langfristig orientierten Kooperationen spielen klar definierte Prozesse eine wichtige Rolle, indem sie mehrere Effizienzkriterien gleichzeitig fördern. Der Wertschöpfungszusammenhang wird immer komplizierter, je weiter der Zeithorizont ist, so dass in sehr lang andauernden Geschäftsbeziehungen immer
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die Gefahr besteht, dass Ressourcen verschwendet bzw. nicht effizient eingesetzt werden. Standardisierte Prozesse sind hierbei eine sehr gute Option, da sie festlegen, welche Bereiche ihren Beitrag zur Wertschöpfung in welchen Phasen der Geschäftsbeziehung liefern sollen. Die Ressourceneffizienz kann auf diese Weise optimiert werden, da stets nur „wertschöpfende Ressourcen“ eingesetzt werden. Darüber hinaus sorgen definierte Prozesse der Wertschöpfungseinheit dafür, dass keine Engpässe im Ablauf entstehen, keine Aufgaben mehrfach angegangen werden und dass sie genau dann gelöst werden, wenn es die Wertschöpfung erfordert. Mit anderen Worten fördern standardisierte Prozesse die Prozesseffizienz. Wir kennzeichnen die Geschäftsbeziehung zwischen Brand Booster und Integrator daher als prozessbezogene Interaktionseinheit und sehen in dieser Verbindung die größte Herausforderung aller relevanten Geschäftsbeziehungen der Effizienten Vielfalt. Sie erfordert die Umsetzung der meisten soften Faktoren, während auf der Seite der harten Faktoren ebenfalls keine Einschränkungen zulässig sind. Alle beschriebenen Erfolgsfaktoren müssen in dieser Konstellation gefördert werden. Schließlich bleibt noch die Beziehung zwischen einem Integrator und Assembler zu betrachten. Wie bei Brand Boostern erfordert auch bei Integratoren die Beziehung zum Assembler ein sehr hohes Maß an Vertrauen. Wie bei allen anderen Konstellationen verbietet das Gebot einer hohen Effizienz eine Beeinflussung der Wertschöpfung des jeweils anderen Geschäftsmodells. Für den Assembler trifft dieser Zusammenhang besonders stark zu. Seine Partner müssen ihm vertrauen können, dass er seinen Wertschöpfungsanteil mit höchster Effizienz umsetzt und immer die Ziele der Gesamtwertschöpfung in den Vordergrund stellt, um dadurch wirtschaftlichen Erfolg zu generieren. Sowohl der Integrator als auch der Brand Booster müssen sich um den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung mit dem Assembler bemühen. Eine emotionale Vertrauenskultur in den beteiligten Unternehmen ist entsprechend viel versprechend für einen „Wertschöpfungserfolg“. Wir sehen die Beziehung des Assemblers zum Integrator, ebenso wie diejenige zum Brand Booster, als Partnerschaft, nicht aber als Einheit. Ständiger Austausch, Integration der Mitarbeiter, Offenheit und Ehrlichkeit sind zwar wichtig, doch aufgrund der geringeren Dauer der Geschäftsbeziehung nicht auf einem ähnlich hohen Niveau wie in einer Interaktionseinheit. Beide Unternehmen müssen abgegrenzte Handlungsspielräume definieren und die Wertschöpfung innerhalb dieses Spielraums insbesondere prozess- und ressourceneffizient umsetzen. Eine Verbindung beider Handlungsspielräume zu einem gemeinsamen wirkt beim Assembly wegen der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Kompetenzen eher kontraproduktiv.
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Strategische Frühwarnung In den vorangegangenen Kapiteln haben wir die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer auf Effiziente Vielfalt ausgerichteten Industrie vorgestellt. Dabei hat sich insbesondere die Gestaltung der Geschäftsbeziehung als bedeutsam gezeigt. Wir haben die Value Proposition als Hilfsmittel genutzt, um die klassische Produktperspektive um eine Beziehungsperspektive zu erweitern. Das Management auf der Basis der Value Proposition beeinflusst die Profitabilität eines Unternehmens deutlich. Letztlich gibt der Anbieter dem Nachfrager mit seiner Value Proposition ein Versprechen ab. Der Nachfrager muss zunächst vertrauen, dass dieses Versprechen auch eingehalten wird. Wir haben gesehen, dass starke Marken in diesem Kontext sehr hilfreich sind, da sie Vertrauen aufbauen und dem Nachfrager Sicherheit bieten, dass die Value Proposition realistisch ist. Bucht man beispielsweise ein Zimmer in einem Hilton-Hotel, kann man davon ausgehen, dass die versprochene Leistung auch erbracht wird: dass das Zimmer sauber und gut ausgestattet ist und dass das Hotel über einen guten Service verfügt. Vielleicht übertrifft der „Perceived Value“ sogar die Vorstellungen, wenn das Frühstück besser ist als erwartet und beim Checkin eine kleine Überraschung wartet. Anders sieht die Situation in einem kleinen, familiengeführten Hotel aus. Das Haus hat keine Marke, die dem Nachfrager Sicherheit bietet. Vorab kann man sich zwar über das Hotel informieren, doch die Servicequalität und einzelne Leistungen können nur vor Ort erfahren werden. Es kann sein, dass der „Perceived Value“ sehr gering ist und man letztlich enttäuscht ist, da beispielsweise die Zimmer schlecht isoliert, temperiert oder gereinigt sind. Natürlich kann man gerade angesichts von geringen Erwartungen besonders positiv überrascht werden, wenn sich das Hotel beispielsweise durch besondere Atmosphäre, Freundlichkeit oder eine gute Küche auszeichnet. In Geschäftsbeziehungen muss der Anbieter stets versuchen, die Value Proposition möglichst realitätsgenau zu formulieren und sie konstant aufrechtzuerhalten. Dabei sind vor allem diejenigen Einflüsse kritisch, die vom Unternehmen schwer zu beeinflussen sind. Der Begriff des Risikos fasst eben diese Einflüsse zusammen. Sie können Unternehmen stark treffen und die Value Proposition zerstören. Die versprochenen Leistungen werden dann u. U. nicht erfüllt und der Perceived Value negativ beeinflusst. Strategische Frühwarnung bietet sich an, um dieses Problem zu managen. Der Wertschöpfungsverbund als Einheit bewegt sich in einer unsicheren Zukunft. Das tägliche Handeln ist dabei von einer Fülle von Unsicherhei-
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ten geprägt. Die PEST-Analyse dient in diesem Zusammenhang abermals als pragmatisches Tool, um einzelne Unsicherheiten zu quantifizieren. Unsicherheiten müssen dabei positiv gesehen werden, denn alle Unternehmen der Industrie sind ihnen ausgesetzt und die erfolgreichsten können die den Unsicherheiten innewohnenden Chancen nutzen. Unabhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell müssen die Unternehmen versuchen, die Unsicherheiten in Risken zu übersetzen. Der Unterschied zwischen einer Unsicherheit und dem damit verknüpften Risiko ist die Bewertung. Risiken sind bewertete Unsicherheiten. Wenn einem Unternehmen ein Überblick über alle Risiken vorliegt, ist die Entscheidung über Investitionen bedeutend leichter, als sie es angesichts von Unsicherheiten wäre. Risiken sind im Vergleich zu Unsicherheiten leicht zu managen, da sie einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden können. Durch Versicherungen können Risiken abgedeckt werden, andererseits müssen sie beispielsweise durch Rückstellungen abgesichert werden. Diese Absicherung demgegenüber bei Unsicherheiten nicht möglich. Bei allen Diskussionen über Risiken und Unsicherheiten ist der Vergleich eines Unternehmens mit einem Flugzeug besonders prägnant (vgl. Abb. 86). Wie Flugzeuge befinden sich auch Unternehmen in einem unsicheren Umfeld. Ein Flugzeug ist Unsicherheiten wie wechselnden Windgeschwindigkeiten, der Anzahl anderer Maschinen im Luftraum oder dem
! mittlere Windgeschwindigkeiten
Markenrelevanz Brand Booster Modell Integrator Assembler
Modell
Modell
Commodity Modell
Intensität der Vernetzung
Normale Arbeitslosenquote: 3 %
Sturm in 200 km Entfernung
Vereiste Landebahn
!
!
Gestiegener Rohölpreis: 70 $
Zusammenschluss von Wettbewerbern
! : Geringes Risiko
!
!
: Hohes Risiko
Abb. 86. Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Risiko
7.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
267
Zustand der Landebahn ausgesetzt. Unsicherheiten für Unternehmen ergeben sich beispielsweise aus der Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Rohstoffpreise sowie aus dem Verhalten von Wettbewerbern. Erst wenn diese Unsicherheiten bewertet werden, kann von einem Risiko gesprochen werden. Die Sperrung der Landebahn aufgrund von Vereisung auf der einen Seite oder der Zusammenschluss zweier Hauptwettbewerber auf der anderen Seite stellen dementsprechend Risiken dar. Die Herausforderung besteht darin, in einer Vielzahl von unternehmensspezifischen Einflüssen diejenigen zu identifizieren, die tatsächlich eine Gefahr oder ein Risiko darstellen. Beim Flugzeug übernimmt diese Funktion das Radar. Es „scannt“ die Umgebung ( unsichere Zukunft) und identifiziert potenzielle Probleme, bevor sie auftreten ( Frühwarnung). Ein vergleichbares strategisches Frühwarnsystem bietet auch Unternehmen mehr Sicherheit, mehr Chancen und eine beschleunigte Entscheidungsfähigkeit. Das Unternehmen bewegt sich in einer Umwelt, die unzählige Einflüsse birgt, und blickt in die Zukunft. Mithilfe von strategischer Frühwarnung bieten sich ihm in der Zukunft einerseits konkretere Möglichkeiten und parallel weniger Handlungsalternativen. Mit anderen Worten wird die Zukunft klarer und kalkulierbarer. Effizienzvorteile, die aus einer solchen Planbarkeit erwachsen, können einen erheblichen Wettbewerbsvorteil für Partnerschaften in der Automobilindustrie darstellen. Ebenso wie bei den bisherigen Betrachtungen darf das System auch an dieser Stelle nicht auf ein einzelnes Unternehmen in der Wertschöpfungskette reduziert werden. Die Risiken betreffen den gesamten Verbund der vier Geschäftsmodelle. Strategische Frühwarnung muss ebenso wie CRM-IT-Systeme projektorientiert und wertschöpfungsübergreifend umgesetzt werden. Um Umwelteinflüsse zu bewerten, ist eine Definition von verschiedenen Indikatoren notwendig. Wir empfehlen hierbei die PEST-Analyse als Hilfsmittel. Alle Umwelteinflüsse des Unternehmens können mit Hilfe dieser Methodik wirksam ermittelt werden. Die Herausforderung strategischer Frühwarnung liegt allerdings nicht in der Definition der Risikoindikatoren, sondern in der Entscheidung, wann ein Einfluss ein Risiko für das Unternehmen darstellt und wann nicht. Die Bewertung von Indikatoren ist nicht trivial, da auch Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den Indikatoren analysiert werden müssen. Ähnlich wie bei CRM-IT-Systemen gibt es auch hier computergestützte Analysemethoden, die notwendig sind, um identifizierte Signale zu deuten. Verschiedene Teilindikatoren werden in der Regel zu einem Gesamtindikator verdichtet.
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Qualitative Veränderungen zwischen OEMs und Lieferanten
Ähnlich wie bei der Value Proposition kann man auch bei der Frühwarnung zwischen einer harten und einer soften Seite unterscheiden. Auf der harten Seite findet man leicht vorhersagbare und messbare Einflüsse wie beispielsweise die Arbeitslosenquote. Derartige Indikatoren sind klar definiert und ihre Auswirkungen relativ gut bewertbar. Anders sieht die Situation dagegen bei so genannten „Weak Signals“ aus. Sie fallen in einen eher „soften“ Bereich, da es sich um schwer vorhersagbare und bewertbare Einflüsse handelt. Weak Signals stellen eine erhebliche Herausforderung in der strategischen Frühwarnung dar. Die schwierige Deutung von Weak Signals ist durch zwei unterschiedliche Aspekte bedingt: Einerseits sind gewisse Situationen nur schwer quantitativ messbar. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Beispiel hierfür. Die Unternehmen waren sich der neuen Situation zwar bewusst, doch sie konnten Chancen und Risiken nicht eindeutig bewerten. Viele Aspekte waren zum damaligen Zeitpunkt ungewiss. Das Geschehen wurde zwar von der damaligen Regierung stark beeinflusst, doch die genaue Entwicklung der ehemaligen DDR konnte man 1989 nicht abschätzen. Die Entwicklung der Infrastruktur, die Reaktion der Menschen auf das demokratische Wirtschaftssystem, die Abwanderung oder beispielsweise Entschädigungsforderungen von früheren Grundstücksbesitzern waren schwer prognostizierbar. Andererseits gehören so genannte Diskontinuitäten in den Bereich von Weak Signals. Dabei handelt es sich um Indikatoren für Veränderungen, die sehr plötzlich auftreten und prinzipiell nicht vorhersagbar sind. Als Beispiel dafür sind die Anschläge des 11. September 2001 zu nennen. Einen Tag zuvor hätten wahrscheinlich fast alle Unternehmen die Auswirkungen von Terroranschlägen geringer eingeschätzt. Die Zerstörung des World Trade Centers traf die meisten Unternehmen unvorbereitet. Die Bezeichnung „Weak“ bezieht sich insofern nicht auf den Umfang eines Risikos. Dieser ist meistens sogar sehr hoch, wie etwa im Fall von Terrorismus oder Krieg. Weak Signals sind lediglich schwach bezüglich ihrer Einschätzbarkeit und aus diesem Grund ein großes Problem für viele Unternehmen, da sie gleichzeitig von großer Bedeutung sind. Um sich dennoch auf Weak Signals einzustellen, hat sich in der Praxis die so genannte „What-if-Methode“ etabliert. Unternehmen stellen verschiedene Szenarien auf und entwickeln entsprechende Strategien und mögliche Reaktionen. Derartige Szenarien könnten Kriege, Rohstoffkrisen oder der plötzliche Durchbruch einer neuen Technologie sein. Mögliche „Schubladenlösungen“ für die einzelnen Szenarien bieten den Unternehmen zumindest etwas mehr Sensibilisierung für Weak Signals und dadurch mehr Chancen.
7.3
Erfolgsfaktoren der Geschäftsbeziehungen
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Nicht alle Indikatoren sind für alle Unternehmensebenen gleich bedeutsam. In der Praxis empfiehlt es sich, eine Unterscheidung zu treffen. Durch unterschiedliche „Indikatorebenen“ können für die verschiedenen Bereiche des Wertschöpfungsverbundes genau diejenigen Chancen und Risiken aufbereitet werden, die in ihrem Handlungsspielraum relevant sind. Detaillierungsgrad und Sequenz können für das gesamte Portfolio von Indikatoren angepasst werden. Wird diese bereichsspezifische Warnung vor Risiken und Beschreibung von Chancen umgesetzt, ist die strategische Frühwarnung effizient. Ihre Umsetzung in den Geschäftsbeziehungen der Effizienten Vielfalt ist somit ein wichtiger Erfolgsfaktor.
8 Zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie
Abschließend fassen wir unsere Überlegungen zusammen und geben mit zehn Thesen einen Ausblick auf die Zukunft der Automobilindustrie. Wir haben gesehen, dass die Automobilbranche am Beginn einer erneuten, nämlich einer dritten Umwälzung steht. Im Gegensatz zu den ersten beiden ist diese dritte Revolution nicht durch einen bestimmten OEM geprägt. Einige Unternehmen sind „auf dem richtigen Weg“, doch sind sie den anderen noch nicht so weit und so konsequent voraus wie Toyota in der zweiten und Ford in der ersten Revolution der Automobilindustrie. Hinsichtlich der Einbeziehung von Lieferanten in den Entwicklungsprozess ist BMW einer der führenden OEMs. Werfen wir nun einen Blick auf die wesentlichen dargestellten Entwicklungen: These 1: Die Automobilindustrie wird sich mit allen Wertschöpfungsstufen weiter in andere Regionen verlagern. In unserer Auseinandersetzung mit politischen und ökonomischen Treibern hat sich gezeigt, dass der Druck auf OEMs und Lieferanten weiter steigen wird. Innovationen müssen immer schneller und immer „erfolgswahrscheinlicher“ in verschiedensten Märkten platziert werden. Auf der Lieferantenseite resultiert daraus eine Wettbewerbssituation, die für viele Unternehmen ruinös sein und einen Konsolidierungsprozess nach sich ziehen wird. Für OEMs ist der Druck ähnlich hoch, obwohl hier schon eine große Marktbereinigung stattgefunden hat. Die Rahmenbedingungen für profitable Geschäfte verschlechtern sich zunehmend, wie die Ausführungen zu steigenden Rohstoffkosten und sinkenden Verkaufspreisen für Automobile klar gezeigt haben. Zu den ökonomischen Rahmenbedingungen gesellen sich weitere, politisch motivierte Anforderungen wie beispielsweise die Einhaltung unter-
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Zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie
schiedlicher Emissionsstandards und die Umsetzung von politisch verordneten Innovationen. Viele dieser Herausforderungen sind in den klassischen Triade-Märkten nicht mehr zu meistern. Wachstum und neue Chancen sind notwendig, um eine langfristige Profitabilität in der Automobilindustrie zu sichern. Im Blick auf die so genannten „Emerging Markets“ ist deutlich geworden, dass Osteuropa, Indien und China ein großes Potenzial für entsprechende Wertschöpfungsverlagerungen haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei nicht nur um eine Verlagerung von Produktionskapazitäten handelt. In vielen Fällen ist dies der erste Schritt, doch haben diese Länder gleichzeitig ein sehr großes Konsumentenpotenzial, wie der Vergleich der Pkw-Dichten erkennen lässt. Nach einem Lernprozess werden neue OEMs aus den Emerging Markets auch den Wettbewerb in den klassischen Triade-Märkten verschärfen. Die Zunahme von Arbeitsplätzen steht immer in Verbindung mit einer erhöhten Nachfrage, wie das Beispiel Osteuropa eindrucksvoll gezeigt hat. Dort gibt es derzeit viele Millionen potenzielle Automobilkäufer, die sich durch ein steigendes Bildungsniveau und eine sehr hohe Motivation auszeichnen. Neben der Produktion können in diesen Märkten auch andere automobile Wertschöpfungsbereiche abgedeckt werden. Lerneffekte werden hier sehr schnell zu einer Angleichung der Entwicklungsfähigkeiten führen. Die derzeitigen Kooperationen zwischen westlichen und östlichen Unternehmen führen dazu, dass die eine Partei zunächst von geringen Produktionskosten profitiert. Die andere Partei kann im Gegenzug lernen und den Innovationsrückstand abbauen. Das zukünftige Wachstum der Automobilindustrie in neuen Regionen ermöglicht neue „Low Cost“-Ansätze. Diese stehen zunächst der Erfordernis einer steigenden Vielfalt entgegen, die jedoch von den Konsumenten in „Low Cost“-Märkten auch nicht gefordert wird, weshalb eine Standardisierung dort zunächst erfolgsentscheidend ist. Die Verbraucher in diesen Märkten haben einen Bedarf an „rationaler Mobilität“ und orientieren sich nicht an bestimmten Marken. Andere Geschäftsmodelle als die von uns beschriebenen sind hier notwendig um effizient zu sein. Entwickeln sich diese Märkte jedoch so rasant, wie es von vielen Experten prognostiziert wird, werden unsere Ansätze zeitversetzt auch dort wirksam werden. These 2: Um Erfolg in der Automobilindustrie zu haben, müssen Unternehmen die Individualität des Konsumenten in den Vordergrund stellen.
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Zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie
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Unsere Analyse des sozialen Umfelds hat gezeigt, dass die Automobilindustrie in Zukunft auf eine Welt hybrider Konsumenten trifft, die ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse, Vorstellungen und Neigungen durch ihr Automobil zum Ausdruck bringen möchten. An vielen Eckpunkten haben wir gesehen, dass die Konsumenten mehr als je zuvor das Bedürfnis haben, ihre Persönlichkeit individuell zum Ausdruck zu bringen. Diese Individualität umfasst unterschiedlichste Teilbereiche wie Mobilität, Urbanität, Emotionen oder Wissen. All diese Aspekte lassen sich zu der Prognose verdichten, dass das Auto in Zukunft noch stärker ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sein wird als heute. Es muss sich daher besser auf die Individuen einstellen als bisher. Die Kundenbasis ist differenzierter geworden als früher und fordert personalisierte Produktlösungen. Der Konsument verlangt Produktvielfalt. Daher muss die Automobilindustrie die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ihrer Automobile entsprechend erhöhen. Bei der zukünftigen Entwicklung von Fahrzeugen stehen die Konsumenten im Vordergrund. Nur so kann die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationen erhöht und langfristig gesichert werden. Sie muss in Zukunft zunehmen, da „Flops“ die Gesamteffizienz deutlich verschlechtern. Außerdem gehen wir von einer weiteren Polarisierung der Automobilindustrie in „Premium“ und „Low Cost“ aus, da die Heterogenität des Konsumentenmarktes in Zukunft weiter zunimmt. OEMs „in der Mitte“ stehen vor einer schwierigen Aufgabe. These 3: Automobile bleiben weiterhin Technologieträger; die erfolgreiche Platzierung von Innovationen am Markt verlangt von den Marktteilnehmern völlig neue Kompetenzen. Im Bereich der Innovationen erwarten wir ein weiteres Wachstum und den Einzug neuer Technologien, die umfassendere Kompetenzen erfordern als bisher. Nanotechnologie, Bionik und Informationstechnologie bieten ein besonders großes Potenzial für die Automobilindustrie. Der Einsatz neuer Technologien wird in Zukunft durch Interdisziplinarität geprägt sein. Automobile Innovationen werden sich nicht mehr auf einen einzelnen Bereich beschränken, sondern zunehmend bereichsübergreifend gestaltet werden. Die Integration technischer Neuerungen unterschiedlichster Art erfordert weitgehende Veränderungen im Innovationsmanagement von Lieferanten und OEMs. Biologen, Physiker und Psychologen
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stellen Kompetenzen dar, die in Zukunft interdisziplinär zusammengefasst werden müssen. Projektarbeit hat sich hierbei als außerordentlich effizient erwiesen. Insbesondere in der Entwicklung von Automobilen müssen bedeutend flexiblere Strukturen etabliert werden, als dies heute der Fall ist. Humanressourcen werden dann nur noch für einen kurzen Zeitraum in einem bestimmten Projekt eingesetzt. Dadurch kann die Effizienz der „interdisziplinären“ Entwicklung nachhaltig erhöht werden. Nicht nur innerhalb eines Unternehmens, sondern auch zwischen mehreren Firmen muss ein intensiverer Austausch entstehen. In der Produktentwicklung und in den neu entstehenden Geschäftsbeziehungen in den Frühphasen eines Projektes liegt die Wurzel der Effizienzsteigerung in der dritten Revolution. Sie unterscheidet sich damit deutlich von den beiden vorherigen Revolutionen, die sehr stark auf die Produktion von Automobilen fokussiert waren. These 4: Die Balance zwischen Effizienz und Vielfalt wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor in der Automobilindustrie. Betrachten wir die bisherigen Ausführungen, so erkennt man, dass die Automobilindustrie vor einem Dilemma steht: Die Konsumenten fordern Individualität und Vielfalt. Im Vergleich zu heute muss sich die Vielfalt deutlich erhöhen. Problematisch dabei ist, dass selbst heute die geforderte Vielfalt nicht effizient umgesetzt werden kann. Die notwendige Zunahme der Vielfalt kann nur mit revolutionären Effizienzverbesserungen erreicht werden. Vielfalt belastet die Effizienz. Insbesondere im Produktentstehungsprozess sind OEMs und Lieferanten daher vielen Herausforderungen ausgesetzt. Die heutige starke Produktfokussierung muss um eine Markt- bzw. Kundenperspektive ergänzt werden. Dabei spielt die Entscheidung zwischen Regionalität und Globalität eine wichtige Rolle. Die Entscheidung für den einen oder anderen Bereich hängt stark von der betrachteten Innovation ab, da die jeweiligen Skaleneffekte sehr unterschiedlich sein können. Zwischen den OEMs und zwischen OEMs und Lieferanten wird es verstärkt zu Entwicklungskooperationen kommen. Wir haben gesehen, dass derartige offene Geschäftsbeziehungen ein Umdenken insbesondere auf der OEM-Seite erfordern. Shadow Engineering oder Best of Benchmark als „Rosinenpicken“ sind falsche Ansätze, von denen sich die Industrie lösen muss.
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Auf der Seite der Vielfalt haben wir gesehen, dass der Konsument den Ausgangspunkt für Veränderungen bildet. Dieser Trend betrifft nicht nur die Automobilindustrie, sondern fast alle Produktbereiche. Der Wunsch nach Vielfalt wird derzeit in der Automobilindustrie relativ ineffizient auf vier verschiedene Arten umgesetzt. Konsumenten können sich ihr Fahrzeug individuell zusammenstellen durch die Auswahl zwischen verschiedenen Marken (1. Art), unterschiedlichen Modellen (2. Art), einzelnen Derivaten (3. Art) und persönlichen Ausstattungsoptionen (4. Art). Ein Blick auf die aktuelle Profitabilität der Automobilindustrie zeigt, dass die derzeitige Vielfalt nicht effizient genug realisiert wird. Darüber hinaus ist sie nicht vielfältig genug, da nach dem Kauf des Automobils keine Anpassungen mehr vorgenommen werden können. Berücksichtigt man die hybriden Konsumenten, die ihr Verhalten tagtäglich verändern und die diese Flexibilität auch von ihrem Auto erwarten, so wird deutlich, dass die heutige Vielfalt in Zukunft nicht mehr ausreichen wird. Es geht vor allem darum, „sinnvolle Vielfalt“ zu schaffen, die der Endverbraucher tatsächlich nutzt und als Teil seiner Individualität umsetzen kann. These 5: Modularisierung ist ein wesentliches Mittel, um den Widerspruch zwischen Effizienz und Vielfalt zu lösen. Die Automobilindustrie steht vor dem Problem, dass mehr Vielfalt effizienter bereitgestellt werden muss. Einen wesentlichen Beitrag, diesen vermeintlichen Widerspruch zu lösen, sehen wir in der Modularisierung von Produkten. Unser Vergleich mit dem „Legoauto“ hat angedeutet, in welche Richtung sich die Industrie in der Zukunft bewegen muss. Standardisierung und Differenzierung können in einem modularen Konzept miteinander verknüpft werden und so gleichzeitig Effizienz und Vielfalt bieten. Für die Automobilindustrie besteht in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe darin, zu definieren, welche der Module einen Einfluss auf die Marke des Gesamtfahrzeugs haben – d.h. „markenaufladend“ sind – und welche nicht. Bei markenaufladenden Produkten muss trotz der Standardisierung von Basisspezifikationen eine markenspezifische Anpassung der wahrnehmbaren Elemente erfolgen. Wir haben ausführlich gezeigt, wie Lieferanten und OEMs die Modularisierung in der Industrie umsetzen sollten. Organisatorische Umstrukturierungen, Veränderungen im Entwicklungsprozess, die Neugestaltung von Geschäftsbeziehungen, die Etablierung eines Markenmanagements sowie
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die Einführung neuer Kompetenzen sind entscheidend, um einen ganzheitlicher Veränderungsansatz zu verwirklichen. Wichtig ist hierbei, dass der strukturelle Wandel die gesamte Industrie betrifft. In der ersten Revolution verfügten die OEMs über eine hohe Wertschöpfungstiefe bei einer geringen Breite des Fahrzeugangebots, also bei der Produktion weniger Modelle und Derivate. In der zweiten Revolution sank die Wertschöpfungstiefe, die Breite der Modellpalette stieg hingegen deutlich an. Diese Entwicklung von der ersten zur zweiten Revolution setzt sich in der Zukunft fort. Im Rahmen der dritten Revolution wird die Wertschöpfungstiefe aufseiten der OEMs erneut sinken, während das Modellspektrum sich vergrößert. Nischenfahrzeuge werden in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein. Für die Lieferanten bedeutet dies einen Zuwachs an Wertschöpfung. These 6: Die Automobilhersteller werden weitere Aufgaben an Lieferanten übertragen und ihre eigene Wertschöpfung auf markenprägende Module konzentrieren. Bei unserer Erörterung neuer OEM-Zulieferer-Beziehungen haben wir im ersten Schritt die Wertschöpfungsverschiebungen bei den Hauptmodulen der Automobile betrachtet. Der Anteil der Wertschöpfung auf der OEMSeite wird sich in den kommenden Jahren deutlich reduzieren. Dagegen übernehmen Lieferanten zunehmend Aufgaben, welche vorher von den OEMs abgedeckt wurden. Die Komplexität der Module erfordert eine effiziente Entwicklung durch spezialisierte Unternehmen. Der von uns prognostizierte Konsolidierungsprozess wird dementsprechend zu einer geschäftsfeldspezifischen Konsolidierung des Anbietermarktes führen. Lieferanten sind den OEMs in der Entwicklung ihrer jeweiligen Module überlegen. Dieser Grundsatz gilt weitestgehend bei allen Fahrzeugmodulen. Selbstverständlich wird es Unterschiede in der Wertschöpfungsverlagerung bei einzelnen Hauptmodulen wie Elektronik, Interieur oder Powertrain geben, doch die Stoßrichtung ist die gleiche. Effizienz in der Entwicklung kann nur durch die Übertragung von OEMAufgaben auf vorgelagerte Wertschöpfungsstufen erzielt werden. Bei der Entscheidung, welche Module aus der OEM-Perspektive primär dem Outsourcing unterliegen sollten, ist die Berücksichtigung eines strategischen Marketings abermals bedeutsam. In Zukunft muss die produktorientierte Technologieperspektive einer konsumentenorientierten Marktsicht
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weichen. Es kommt nicht mehr darauf an, dass der OEM diejenigen Produkte selbst entwickelt, die er aufgrund seiner Kompetenz am besten entwickeln kann. Vielmehr geht es darum, dass der OEM entscheiden muss, welche seiner Module die eigene Marke beeinflussen können und welche nicht. Ein professionelles, also strategisches Markenmanagement muss hierzu in die Entwicklungsarbeit des OEM integriert werden. Diese Notwendigkeit erfordert bei vielen OEMs ein starkes Umdenken; ihr Marketing muss zielgerichteter auf das jeweilige Verbrauchermilieu ausgerichtet werden. Konsequenz, Konsistenz und Klarheit müssen die Eckpfeiler des Markenmanagements auf der OEM-Seite sein. Der OEM muss nachhaltig und klar definieren, welche Produkte für seine Marke prägend sind und welche nicht. Der Konsument und die eigene Marke bestimmen die Outsourcingentscheidung und nicht mehr das eigene technische Know-how. In den Bereichen, die als markenprägend definiert werden, muss freilich Know-how aufgebaut werden. Die Wertschöpfungskompetenz bei den entsprechenden Modulen und vor allem die markenorientierte Abstimmung mit den Lieferanten bleiben in der Hand des OEM. Auf die damit verbundenen organisatorischen Veränderungen wollen wir in dieser Zusammenfassung nicht eingehen, jedoch auf neue erforderliche Kompetenzen hinweisen: Sowohl auf der OEM- als auch auf der Lieferantenseite müssen die internen Strukturen die Marken- und Marktperspektive besser berücksichtigen, als dies heute geschieht. Die Forschung und Entwicklung muss mit Marketingkompetenzen verknüpft werden, um bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Modulentwicklung Konsumentenund Markenbedürfnisse zu integrieren. Die Zulieferer müssen MarketingKnow-how aufbauen, das über den OEM bis hin zum Endverbraucher reicht, und dieses OEM-spezifisch anwenden können. Denn Technologien sind nicht mehr primär aufgrund ihrer Innovationskraft entscheidend, sondern aufgrund ihrer Marktorientierung. Zum Erreichen dieser Ziele ist ein revolutionäres Umdenken erforderlich. These 7: Wenige Lieferanten mit klar abgegrenzten Geschäftsmodellen und hoher Modulkompetenz werden die Automobilindustrie prägen. Nicht nur im Blick auf das Markenmanagement, sondern auch bezogen auf das Gesamtunternehmen ist Klarheit von hoher Bedeutung. Dabei können einzelne Geschäftsmodelle auch „unter einem Dach“ umgesetzt werden. Dies erfordert jedoch ein anderes Management als die separate Umsetzung eines Geschäftsmodells.
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Bisher zeichnete sich ein erfolgreicher Lieferant durch Innovationen aus, die er zu wettbewerbsfähigen Preisen vermarktete. Bei der Vergabe von Aufträgen entschied prinzipiell der Preis oder die Technologie. Die analysierten Zukunftstrends haben gezeigt, dass der Wettbewerbsdruck auf alle Spieler in Zukunft weiter steigen wird. Die oftmals zu kurzfristig und zu sehr auf den eigenen Nutzen bedachte Mentalität der OEMs führt in Verbindung mit höheren Anforderungen an Lieferanten dazu, dass viele Unternehmen diesem Druck nicht standhalten können. Der Druck auf die „harte Seite der Value Proposition“ wird derart ansteigen, dass eine Fokussierung auf wettbewerbsfähige Kernkompetenzen der einzige Ausweg für Lieferanten sein wird. Diese zunehmende geschäftsfeldspezifische Konsolidierung führt zu veränderten Verhältnissen zwischen dem OEM und den Lieferanten. Im Gegensatz zu heute werden dem OEM in Zukunft modulspezifisch nur noch sehr wenige Lieferanten gegenüberstehen. Angesichts dessen muss sich die kurzsichtige Geschäftsbeziehungsmentalität der OEMs wandeln, da zum einen ein gegenseitiges Ausspielen der Lieferanten nicht mehr möglich sein wird und weil sich zum anderen die Leistungsniveaus der verbliebenen Unternehmen kaum noch unterscheiden werden. Wie auf der OEM- bzw. Markenseite sind auch bei den Lieferanten im Zuge dieser Konsolidierung Konsistenz und Klarheit sehr wichtig. Die skizzierten Rahmenbedingungen führen dazu, dass sich sowohl die OEMs als auch die Lieferanten modulspezifisch an neuen Geschäftsmodellen orientieren müssen. Für OEMs ist diese Neuorientierung wichtig, da sie modulspezifisch Wertschöpfung übertragen bzw. aufbauen müssen. Wir sehen im Rahmen der dritten Revolution in der Automobilindustrie vier grundlegende Geschäftsmodelle zur Marktpositionierung: das CommodityModell, das Brand-Booster-Modell, das Integrator-Modell und das Assembler-Modell. Produkte, die den Kern der OEM-Marke nicht unterstützen, werden durch das Commodity-Modell abgedeckt. Die Interaktion zwischen OEM und Lieferant ist hierbei stark auf den Einkauf und den Vertrieb beschränkt. Unternehmen im Commodity-Modell müssen versuchen, ihre Organisation so zu gestalten, dass eine Prozess- und Kostenführerschaft erreicht wird, die Kapazitäten mit einem hohen Low-Cost-Anteil möglichst ausgelastet sind, Economies of Scale umgesetzt werden und die Qualität ein Höchstmaß erreicht. Im Prinzip geht es in diesem Geschäftsmodell um die „klassischen Anforderungen“ eines OEM an die Lieferanten. Das Brand-Booster-Modell hat demgegenüber eine andere Ausrichtung. Es bezieht sich auf Module, die den Kern der Marke des OEM unterstützen.
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Wir hatten gezeigt, dass sich die OEMs in Zukunft auf die Wertschöpfung von markenprägenden Modulen fokussieren müssen. Sie können dementsprechend das Geschäftsmodell des Brand Boosters aufgreifen. Da sie jedoch auch markenprägende Module wie beispielsweise Navigationssysteme, Sitze oder Instrumententafeln an Lieferanten abgeben werden, kann dieses Geschäftsmodell ebenfalls von Lieferanten übernommen werden. Nehmen wir diesen letztgenannten Fall an, so ergeben sich dafür starke Veränderungen in der Geschäftsbeziehung zwischen OEM und Lieferant. Mehrere Unternehmensbereiche sind in die Interaktion integriert, die Unternehmen kommen früher in Kontakt miteinander und sie tauschen sich intensiver aus. Gemeinsam wird durch die Interaktion der Marketingabteilungen ein effizientes Markenmanagement sichergestellt und insgesamt verlieren Preis- und Technologiegesichtspunkte an Gewicht. Kritische Erfolgsfaktoren dieses Geschäftsmodells sind neue Kompetenzen der Unternehmen im Marketing und Design, ein proaktives, partnerschaftliches Verhalten und markt- sowie markenspezifische Innovationen. Das Integrator-Modell ist ebenfalls für OEMs und Lieferanten gleichermaßen relevant. Unternehmen dieses Geschäftsmodells müssen mehrere Module miteinander verbinden und in das Fahrzeug integrieren. Für den Integrator ergeben sich insofern völlig andere Herausforderungen. Handelt es sich dabei um ein höchst markenprägendes Gesamtmodul, wird der OEM selbst diese Aufgabe übernehmen. Aufgrund der notwendigen Fokussierung auf wenige Kernkompetenzen wird das Management anderer Hauptmodule auf Lieferanten übertragen werden. Diese Hauptmodule werden tendenziell einen geringeren Einfluss auf die Marke haben, jedoch niemals völlig losgelöst von dieser sein. Die Interaktion zwischen OEM und Lieferanten ist durch einen sehr hohen Vernetzungscharakter gekennzeichnet. Darüber hinaus ist es in diesem Modell empfehlenswert, gemeinsame projektspezifische Einheiten zu bilden. Wir haben in diesem Zusammenhang Innovationszellen vorgestellt. Integratoren sind für die Entwicklung der Module, aber auch für ihre Produktion verantwortlich. Die für dieses Geschäftsmodell erforderlichen Kompetenzen entsprechen dieser Besonderheit. In der Entwicklung kommt es darauf an, dass das Unternehmen ein Verständnis von der Interaktion zwischen allen Modulen aufbaut und deren Schnittstellen möglichst effizient gestaltet. Im Bereich Assembly sind finanzielle Stabilität, das Management von Vorlieferanten, effiziente Produktionseinrichtungen und ein integriertes Risikomanagement wichtig. Die Anforderungen der Produktion gelten gleichermaßen für das Assembler-Modell. Dieses Geschäftsmodell kann in Zukunft ebenfalls sowohl
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von Lieferanten als auch von OEMs besetzt werden. Auch hinsichtlich der Fahrzeugproduktion haben wir ein weiteres Effizienzpotenzial aufgezeigt. Die Interaktion zwischen OEM und Lieferant ist im Assembler-Modell ebenfalls relativ hoch, jedoch umfasst sie nicht alle Bereiche der beteiligten Unternehmen. Eine Fokussierung auf den Produktionsbereich ergibt sich als selbstverständlich. Als Erfolgsfaktoren dieses Modells sehen wir neben den dargestellten produktionsspezifischen Faktoren des Integrator-Modells zusätzlich eine hohe Auslastung von Kapazitäten, Prozess- und Kostenführerschaft, die Realisation hoher Skaleneffekte, einen hohen Anteil an „Low Cost“ sowie eine starke Qualitätsorientierung. These 8: Die Gestaltung der Kundenbeziehung außerhalb von Preis- und Technologieaspekten wird stark an Bedeutung gewinnen. Bereits bei der Auseinandersetzung mit den einzelnen Geschäftsmodellen hat sich gezeigt, dass sich die Faktoren, die den Erfolg einer Geschäftsbeziehung bestimmen, verschieben werden. Die Konvergenz der Leistungsfähigkeit auf der Lieferantenseite erfordert von den OEMs neue Kriterien zur Beurteilung der Lieferanten und von den Lieferanten neue Ansätze, sich im Wettbewerb zu differenzieren. Anhand der Value Proposition im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zwischen OEMs und Lieferanten haben wir gezeigt, dass die „harte Seite“, also Technologien, Preise, Qualitäten und ähnliche messbare Werte, in Zukunft deutlich an Relevanz verliert. Als zukünftige Erfolgsfaktoren für die Geschäftsbeziehung als Ganzes haben wir verschiedene Faktoren erarbeitet: Emotionale Faktoren stellen den Kunden in den Vordergrund. Der Kunde muss das Gefühl bekommen, dass der Anbieter alles versucht, um ihn zufrieden zu stellen. Sympathie und wechselseitiges Vertrauen sind dabei wichtige Teilbereiche, die in der Geschäftsbeziehung aufgebaut werden sollten. Um diese Faktoren zu fördern, haben wir neue Ansätze im Personalmanagement vorgestellt (z. B. „Management by Objectives“). In Ergänzung zu diesen positiven emotionalen Aspekten stellt der Abbau von Verhaltens- und Leistungsunsicherheiten einen weiteren entscheidenden soften Faktor dar. Der Nachfrager sollte sich möglichst wenige Sorgen machen müssen, dass der Anbieter seine Produktversprechungen umfassend einhält. In diesem Punkt gibt es insbesondere bei Lieferanten noch
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Handlungsbedarf. Eine offene Kommunikation zwischen den Unternehmen ist wichtig, um Unsicherheiten ab- und Vertrauen aufzubauen. Zur Vermeidung von Unbequemlichkeiten muss der Umgang zwischen den Partnern möglichst erleichtert werden. Die Unternehmen müssen ihre Geschäftspartner in den Vordergrund der eigenen Perspektive stellen und ihre Aktivitäten an ihnen ausrichten. Die Kundenorientierung kann auch informationstechnisch unterstützt werden. Der Anbieter muss versuchen, die Geschäftsbeziehung für den Kunden möglichst angenehm zu gestalten, beispielsweise durch die Übereinstimmung in den Unternehmenswerten, einen regelmäßigen Austausch, offene Kommunikation und eine langfristige strategische Orientierung. Probleme müssen offen angesprochen und mit einem hohen Engagement bearbeitet werden. Neben diesen persönlichen Faktoren markiert die Unternehmenskultur einen unternehmensspezifischen soften Faktor. Neben einer eher traditionellen „technokratischen Performancekultur“ sehen wir in einer „emotionalen Vertrauenskultur“ einen Erfolgsfaktor vieler zukünftiger Geschäftsbeziehungen. Diese Kultur setzt auf eine konsequente Kundenorientierung, faires Verhalten untereinander und Investitionen in die eigenen Mitarbeiter, um eine Motivation „von innen“ heraus zu generieren. Neue Geschäftsbeziehungen werden notwendig, um Effizienzniveaus in der Wertschöpfung zu erreichen, welche deutlich über den heutigen Standards liegen. These 9: Neue Arten der Vielfalt werden vom Endverbraucher gefordert und führen zu flexibleren Mobilitätsmodellen. Die heute existierende Vielfalt wird weiter ausgedehnt werden. Modulare Konzepte bieten die Möglichkeit, diese Vielfalt deutlich effizienter als bislang zu verwirklichen. Die vier klassischen Formen der Vielfalt – Marken, Modelle, Derivate und Ausstattungsoptionen – sind unserer Meinung nach nicht mehr „smart“ genug und können die wechselnden Bedürfnisse der Konsumenten nicht adäquat erfüllen. Wir rechnen mit einer fünften Art der Vielfalt, die den Insassen tagtäglich die Möglichkeit bietet, ihr Fahrzeug den aktuellen eigenen Bedürfnissen anzupassen. Die von uns vorgestellte Modulflexibilität bietet Möglichkeiten, die eine Anpassung integrierter Module an tagtäglich wechselnde Konsumentenbedürfnisse erlauben. Es geht hier beispielsweise darum, dass Innenraumfarben beliebig per Knopfdruck verändert werden können oder dass
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Setupeinstellungen unterschiedliche Fahrzeugabstimmungen oder Sound-, Sitz-, Klimatisierungs- oder Lichteinstellungen ermöglichen. Wichtig ist, dass die Module in Zukunft eine höhere Flexibilität bieten müssen und dass sie sich auch individuell verknüpfen lassen müssen. Wir haben gezeigt, wie das Management von Schnittstellen, welches dann sehr wichtig wird, effizient durchgeführt werden kann. Darüber hinaus eröffnen Modulupdates während des Fahrzeuglebenszyklus weitere Möglichkeiten der Vielfalt und der Individualisierung. In Zukunft werden die Lebenszyklen der Fahrzeuge und einzelner Module voneinander entkoppelt. Während der Fahrzeuglebensdauer können neue Softwareeinstellungen erworben und individuelle Modulanpassungen vorgenommen werden. Insgesamt eröffnet der Softwarebereich große Chancen für neue Geschäftsmodelle. Ein Abonnement, das bei jedem Starten des Motors ein Softwareupdate durchführt, ist ein Beispiel hierfür. Neue Module oder Hauptmodule werden in Zukunft während des Fahrzeuglebenszyklus eingeführt. Insofern kann man dann nicht mehr von einem „neuen Modell“ sprechen, sondern vom „neuen Interieur“. Neben diesen Modulupdates haben neue Mobilitätskonzepte ein großes Potenzial. Der Großteil der heutigen Fahrzeuge ist bereits finanziert oder geleast. Im Gegensatz zur Entscheidung zwischen Miete und Eigentum fehlt allerdings beim heutigen Fahrzeugleasing die Flexibilität, das Auto kurzfristig zu wechseln. Neue Finanzierungskonzepte werden den Konsumenten diese Flexibilität bei einzelnen Modellen bieten. Für einen gewissen monatlichen Betrag könnte man beispielsweise die Option auf drei Fahrzeugwechsel pro Jahr anbieten: im Sommer das Cabrio, im Winter das SUV und im Frühling das Coupé. Auch durch diese Konzepte wird die Automobilindustrie weiter zusammenwachsen. Neue Arten der Geschäftsbeziehungen, Kooperationen und Partnerschaften gewinnen auch in diesem Kontext an Relevanz. These 10: Die dritte Revolution in der Automobilindustrie findet vorwiegend in der Entwicklung zukünftiger Automobile statt. In unserer gesamten Analyse hat sich der Entwicklungsbereich als derjenige gezeigt, der den meisten Veränderungen in der dritten Revolution in der Automobilindustrie unterliegen wird. Derzeit liegen die größten Ineffizienzen der Branche in den Wertschöpfungsstufen der Entwicklung. Dies hat mehrere Gründe. OEMs arbeiten
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ineffizient mit Lieferanten zusammen, verschwenden beispielsweise Ressourcen durch Shadow Engineering oder durch die Beteiligung zu vieler Lieferanten an einer Ausschreibung. In Zukunft geht es nicht mehr darum, aus der OEM-Sicht den günstigsten Preis für ein Modul zu erhalten, sondern darum, eine langfristige Wertschöpfungspartnerschaft mit ausgewählten Lieferanten zu etablieren. Die Effizienz wird mit zunehmender Konsolidierung des Lieferantenmarktes weiter steigen und muss genutzt werden. Neue Geschäftsbeziehungen haben dabei einen gewissen „Pflichtcharakter“, da die automobilen Trends und die damit verbundenen Herausforderungen auf keinen Fall mit den heutigen Entwicklungsstrukturen gemeistert werden können. Wir haben dargestellt, welche Veränderungen in der Entwicklung von Automobilen auf der OEM- und der Lieferantenseite notwendig sind, um Vielfalt effizient umzusetzen. Organisatorische Veränderungen, interdisziplinäre Ansätze, Gruppen- und Teamarbeit, Markenmanagement, Innovationszellen, Mitarbeitermotivation, intensivere Kommunikation und strategische Frühwarnungssysteme sind nur einige wenige Beispiele für Ansätze, um die Entwicklung in der Automobilindustrie effizienter zu gestalten. Als wichtige Merkmale der neuen Geschäftsbeziehungen in der dritten Revolution haben sich Kooperationen und Netzwerke ergeben. Der aktuelle Wettbewerb zwischen einzelnen Unternehmen wird in Zukunft in einen Wettbewerb zwischen Wertschöpfungsnetzwerken übergehen. Dabei ist es wichtig, dass die Netzwerke bezüglich ihrer eigenen Ziele geschlossen agieren. Die Zusammenarbeit von Lieferanten und OEMs sollte sich durch eine Zielkonvergenz sowie wechselseitige Proaktivität und Offenheit auszeichnen. Die vorgestellten Trends in der Automobilindustrie haben uns vor Augen geführt, dass die gesamte Industrie im Umbruch ist. Dieser Umbruch ist im Gegensatz zu den ersten beiden Revolutionen nicht durch ein besonderes Unternehmen, sondern durch den Konsumenten getrieben. Die Konsumenten wollen ihre Individualität durch Automobile zum Ausdruck bringen und fordern ein bisher nicht da gewesenes Ausmaß an Vielfalt. Einen „standardisierten Verbraucher“ gibt es nicht. Bereits heute haben die Unternehmen der Automobilindustrie Probleme, ihr Geschäft effizient zu gestalten. Durch den Trend zur Vielfalt steigt diese Belastung weiter, wodurch sich die zentrale Herausforderung der dritten Revolution in der Automobilindustrie ergibt: Alle an der Wertschöpfung beteiligten Firmen müssen Lösungen finden, um dem Konsumenten eine revolutionäre Produktvielfalt bei gleichzeitig revolutionärer Effizienz anzubieten.
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Zehn Thesen zur dritten Revolution in der Automobilindustrie
Modelle, Ideen und Anregungen im Blick auf diese Herausforderung zu entfalten, ist eine Intention dieses Buches. Viele unserer Ideen sind noch „Zukunftsmusik“, andere hingegen wie beispielsweise die Modularisierung haben in einzelnen Bereichen schon begonnen. Für uns hat sich klar gezeigt, welche Unternehmen die Gewinner der dritten Revolution sein werden. Für alle an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen geht es in Zukunft darum, sich besser auf das jeweilige Umfeld einzustellen. Technologische Entwicklungen werden in Zukunft stärker durch das Umfeld bestimmt als heute. Im Vergleich zu heute wird der Entwicklungsprozess keinen unermesslichen Freiraum mehr für „Ingenieurskunst“ bieten. Die Innovation muss am Verbraucher ausgerichtet sein. Dieser muss sie verstehen und beherrschen. Nur dann haben zukünftige Innovationen Sinn und führen zu einem Mehrwert. Ein klares Geschäftsmodell ist dabei unumgänglich, da beispielsweise ein Integrator über andere Fähigkeiten verfügen muss als ein Unternehmen des Commodity-Modells. Ein Unternehmen kann mehrere der von uns dargestellten Geschäftsmodelle gleichzeitig verfolgen, doch benötigt es auf die einzelnen Modelle angepasste Strukturen und Kompetenzen. Wer diese Anforderungen erfüllt und bei der Entwicklung konsequent ein umfassendes Kundenverständnis integriert, wird gestärkt aus der Konsolidierungsphase hervorgehen. Obwohl sich die dritte Revolution vor allen Dingen in der automobilen Entwicklung abspielen wird, haben wir auch auf Veränderungen in der Produktion hingewiesen, die zu modell- oder sogar markenübergreifenden Produktionslinien führen werden. Die Besonderheiten des AssemblerModells haben in diesem Kontext weitere Einblicke ergeben. Die Wurzel der dritten Revolution liegt jedoch in der Entwicklung. Dort kommt es zu Veränderungen, die revolutionären Charakter haben. Es wird sich zeigen müssen, wie in einem Umfeld, das von individualisierten Konsumenten, von neuen, aufstrebenden Regionen, der Ausbreitung von Elektronik und Software sowie von zunehmender Komplexität und Interaktion gekennzeichnet ist, mit dem Wunsch nach Beherrschbarkeit und sinnvoller Standardisierung umzugehen ist. Die Gewinner der dritten Revolution werden darauf eine zielgerichtete und auch effiziente Antwort finden müssen. In diesem Buch haben wir versucht, mit möglichen Lösungsansätzen der Beantwortung dieser wichtigen Frage näher zu kommen. Es liegt jetzt an den Unternehmen, die richtigen Weichen zu stellen und die Herausforderungen der dritten Revolution bei der Umsetzung von Effizienter Vielfalt anzunehmen und erfolgreich zu meistern. Dabei wünschen wir dieser Industrie, mit der wir uns verbunden fühlen, viel Erfolg.
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Über die Autoren
Dr. Mathias Hüttenrauch, geboren 1964 in Berlin, ist Geschäftsführer eines führenden globalen Zuliefererunternehmens. Nach einer Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker studierte er Kraftfahrzeugtechnik an der Technischen Hochschule Zwickau und absolvierte berufsbegleitend jeweils einen MBA in Zürich und New York. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigte er sich mit strategischen Frühwarnsystemen. Mathias Hüttenrauch besitzt eine langjährige Erfahrung in der Führung und Ausrichtung von Automobilzulieferern. Vor seiner heutigen Aufgabe war er unter anderem im Erstausrüstungs- sowie Ersatzteilgeschäft von Zulieferern auf mehreren Kontinenten tätig.
Markus Baum, geboren 1978 in Frechen, ist Marketing Manager eines international bedeutenden Automobilzulieferers. Nach dem Abitur studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Universität zu Köln. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt er sich mit Kundenbeziehungsmanagement von Automobilzulieferern. Markus Baum startete seine automobile Karriere im Marketing eines weltweit agierenden Automobilzuliefererunternehmens. Dort war er zuständig für das strategische Marketing wesentlicher Kunden sowie die Kommunikation verschiedener Unternehmensbereiche. Heute ist Markus Baum für das Key Account Marketing eines bedeutenden deutschen Zuliefererunternehmens verantwortlich.