Karl-Wi1helm Weeber Wahlkampf im Alten Rom
Kari-Wilhelm Weeber
WAHLKAMPF IM ALTEN RoM
Patmos
•
Inhalt Einführung...
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Karl-Wi1helm Weeber Wahlkampf im Alten Rom
Kari-Wilhelm Weeber
WAHLKAMPF IM ALTEN RoM
Patmos
•
Inhalt Einführung ,.In Pompeji ist es schwierig . . .
7 «-
Keine Politik...........
10
Nachbarschaftshilfe in Sachen Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
verdrossenheit in der lokalen Selbstverwaltung
,. Die Sackträger bitten darum . . .
.
«-
Wahlhilfe von Bäckern, Lehrern und Co.
24
Frauenpower-zumindest auf den Wänden . . . . . . . . . . . . . . .
33
Einmischung erwünscht 40
Potpourri der Unterstützer ,.Alle Schlafmützen schlagen Vatia vor . . .
Bibliografische Information der Deutseben Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
«-
Fassaden mit Schmähwerbung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
Steh auf, wenn du ein Wähler bist!
50
Qualitätssiegel vb und drp Pompejis •tugendhafte« Wände
56
Deutschen Nationalbibliografie; deuillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
C> 2007 Patmos Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf
•Er wird die Stadtkasse schonen« Wahlaufrufe mit einem Hauch von Programm
62
Alle Rechte vorbehalten.
Printed in Germany ISBN 978-3-491-35008-3
www.patmos.de
Nett sein und sich nicht festlegen Erfolgsgeheimnisse des römischen Wahlkampfes
66
Aedil im Jahre des Untergangs?Die Wahlkampagne des Helvius Sabinus
73
»Lucius hat dies gemalt ... «Die Werbeprofis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
Einführung Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
»Deine ganze Stadt scheint nichts anderes im Kopf zu haben als Stellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Wahlen. Das ist ja schlimmer als in Rom.« So kommentiert der Aquarius ( »Wassermeister«) in Robert Harris' Bestseller »Pom
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
peji• die vielen mit roter und schwarzer Farbe aufgemalten Wahl aufrufe, die er bei seinem ersten Besuch in der Vesuvstadt erstaunt registriert. Denselben Eindruck kann man noch heute als Tourist gewinnen, wenn man über die breite Via dell' Abbondanza schlen dert. Wie vieles andere im verschütteten und dann wieder ausgegra benen Pompeji sind auch diese mit breiten Pinselstrichen an zahl lose Hauswände aufgebrachten Dipinti (»gemalte Inschriften•) etwas Einzigartiges, das sich nur hier erhalten hat - nahezu 2000 Jahre konserviert durch den Ascheregen, der die betriebsame kam panische Landstadt mit einem Schlag erstarren ließ und späteren Generationen damit eine faszinierende Momentaufnahme ihres privaten und öffentlichen Lebens hinterlassen hat. Ein paar Inschriften aus anderen Städten lassen mit großer Sicherheit ver muten, dass der auf Wänden »tobende• Wahlkampf nichts für Pompeji Eigentümliches gewesen ist. Auch in anderen Städten der römischen Welt dürften die Fassaden ähnlich ausgesehen haben: mit Wahlaufrufen überall dort überzogen, wo viele Menschen vor beikamen. Man vermutet allgemein, dass das auch für Rom galt zumindest in der Zeit der Republik, als es noch echte Wahlen gab und zeitweise erbitterte Wahlschlachten geschlagen wurden. Im strengen Sinne beweisen lässt sich das jedoch nicht. Insofern ist der Titel des Buches interpretationsbedürftig. :.Wahl fieber in Pompeji« hätte dem Autor besser gefallen. Wenn er sich gleichwohl auf den Wunsch des Verlages eingelassen hat, so gerade 7
deshalb, weil die Wahl-Dipinti kein singuläres, auf Pompeji be
gibt es, was inhaltliche Aussagen angeht, schlagende Parallelen zu
schränktes Phänomen waren, sondern vielerorts im Imperium
den pompejanischen Wahlaufrufen: Bloß keine politischen Festle
Romanum die öffentlichen Wände »zierten«. Pompeji ist mithin
gungen, bloß keine potentiellen Wähler durch programmatische
repräsentativ für Wahlkämpfe in diesem Kulturkreis- und »Rom«
Aussagen vergraulen ...
steht, wie in kulturgeschichtlichen Darstellungen üblich, für »römi sche Welt«.
Es ist wahr: Die pompejanischen •Wahlprogramme«, wie sie mitunter in Anlehnung an den griechisch-lateinischen Fachbegriff
Wahrhaftig etwas Besonderes: Wir werden rund zwei Jahr
programma (,.Aufruf«, ,.Bekanntmachung«) genannt werden, sind
tausende später Zeugen »aktueller« Wahlkämpfe und erleben, wie
zum aHergrößten Teil dramatisch inhaltsleer. Und trotzdem sind
Einzelpersonen und Familien, Berufsvereine und Nachbarschaften
sie als historische Quelle und als Spiegel des politischen Lebens in
in einen intensiven- und übrigens erstaunlich fairen! -Wahlkampf
einer römischen Stadt bei aller Monotonie spannend zu lesen -
eingreifen. Die ganze Bürgerschaft mischt sich in den Kommunal
nicht zuletzt weil sie uns authentische Einblicke in die politische
wahlkampf ein; selbst Frauen, die weder das aktive noch gar das
Mentalität der Römer verschaffen.
passive Wahlrecht haben, engagieren sich und beziehen Stellung.
Nirgendwo sonst gibt es faszinierendere antike Wände als in
Für die römische Welt durchaus nichts Selbstverständliches! Wäh
Pompeji. Wtr haben das für den Bereich der Graffiti in dem früher
len dürfen die Frauen zwar auch in Pompeji nicht, aber niemand ver
herausgegebenen Band »Decius war hier« dokumentiert. Dass der
bietet es ihnen, sich politisch zu artikulieren und ihr Gewicht in den
»Decius« mittlerweile in vierter Auflage vorliegt, macht deutlich,
Wahlkampf einzubringen. Genauer gesagt: in die Wahlkampagnen
dass nicht nur der Herausgeber an diesen wunderbar lebendigen
der IetztenJahre Pompejis; denn die ersten von Frauen »unterzeich
Zeugnissen des römischen Alltagslebens seine Freude hat. Das vor
neten« Wahlaufrufe fallen in die Zeit nach dem großen Erdbeben des
liegende Büchlein versteht sich als eine Art Ergänzung: »Wandmit
Jahres 62, nach dem Pompeji nur noch siebzehn Jahre existieren
teilungen«, zweiter Teil. Sicherlich eine etwas sprödere Materie
sollte.
und doch ebenso einzigartige wie wertvolle Dokumente, die auch
Mit den Wahlkämpfen der »großen Politik« im Rom des 1. Jahr
einer größeren Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden sollten.
hunderts v. Chr. hatte der Kommunalwahlkampf am Fuße des
Und sei es nur, damit Pompeji-Besucher am Ort des Geschehens
Vesuvs eine aus heutiger Sicht sehr erstaunliche Parallele: Er war
künftig ein bisschen besser über die Hintergründe informiert sind,
weitgehend inhaltsleer und verzichtete auf programmatische Aus
warum •die ganze Stadt nichts anderes im Kopf zu haben schien als
sagen. Entscheidend waren die Persönlichkeit eines Kandidaten
die Wahlen«.
und sein Charakter, nicht seine politischen Vorstellungen. In Rom wie in Pompeji und anderswo herrschte eine extreme Form der Persönlichkeitswahl. Parteien im modernen Sinne gab es nicht, jeder Kandidat war zunächst auf sich allein gestellt und musste zusehen, wie er sich im Wahlkampf möglichst viele und möglichst prominente Wahlhelfer verschaffte. Wie das im Rom des 1. Jahr hunderts v. Chr. funktionierte, darüber informiert uns eine Art Wahlkampfhandbuch, das unter dem Namen des jüngeren Bruders des berühmten Redners und Politikers Cicero überliefert ist. Da 8
9
Legitimation war aus heutiger Sicht fragwürdig. Denn ein Großteil der 100 Dekurionen konnte sich die Mitgliedschaft in dem erlauch
ordo sanctus heißt er in mehreren Inschriften, »ehr würdiger Stand4(- durch ein festgelegtes »Eintrittsgeld« (honora rium) erkaufen. Das war politisch so gewollt: Verantwortlich für ten Kreise
»ln Pompeji ist es schwierig
. . .
«-
-
die Geschicke einer Stadt sollten die Honoratioren sein, die begü
Keine Politikverdrossenheit in der lokalen
terte Oberschicht. Sie hatte im Übrigen, wenn etwa die Versorgung
Selbstverwaltung
der Gemeinde mit Getreide nicht funktionierte und das Volk murrte, am meisten zu verlieren ...
Panern et circenses, »Brot und Circusspiele«, habe das römische
Ein anderer Teil der Ratsherren gelangte indes durch Wahlen in
Volk nur noch gewollt und sich damit seine politischen Rechte
den Stadtrat, wenn auch auf indirekte Weise. Nach ihrer Amtszeit
abkaufen lassen, klagt der Dichter Juvenal. Die satirisch zuge
wurden die vom »Volk« (populus), der Gesamtheit aller freien
spitzte Formel hat es in ihrer Griffigkeit zu Sprichwort-Ehren
männlichen Bürger der Stadt, gewählten Beamten Mitglieder des
gebracht. Sie scheint ein System der politischen Entmündigung auf
Lokal-»Senats«. Und diese Wahlen waren heiß umkämpft. Poli
den Punkt zu bringen, das Augustus als erster Kaiser installiert und
tikverdrossenheit? Nicht in Pompeji! Sicher gab es Auftritte der
das seine Nachfolger übernommen haben. Wie alle holzschnittarti
Kandidaten in der Öffentlichkeit, Reden, Einflussnahmen auf die
gen Kurzformeln verzerrt auch die Brot-und-Spiele-»Theorie«
Wähler in Gestalt großzügig finanzierter »Spieleoc im Theater und
die historische Realität. Die Wlfklichkeit ist erheblich komplexer,
im Amphitheater sowie andere Formen des Wahlkampfes. Am
komplizierter und voraussetzungsreicher. Es gab durchaus noch
stärksten aber wurde er von den zahllosen Wahlaufrufen geprägt,
Formen der politischen Willensbildung, die auch öffentlich artiku
die überall in der Stadt zur Stimmabgabe für den einen oder ande
liert wurden- auch in Rom, wo die große Politik gemacht wurde.
ren Kandidaten- oder auch bestimmte Bewerber-» Koalitionen«
Aber natürlich stimmt es schon: Bei den »reichsweiten« Wahlen
animierten.
dort sorgte der Kaiser stets dafür, dass sie »richtig«, d. h. in seinem
Mit großen Lettern und breiten Pinselstrichen in roter oder
Sinne ausgingen. Und die gewählten Beamten standen machtpoli
schwarzer Farbe warben sie für die jeweiligen Favoriten eines Un
tisch ganz in seinem Schatten. Dass sich damit nicht gerade ein
terstützers bzw. einer Unterstützergruppe. rogator(es), •Bitt- oder
besonderer Anreiz für das Wahlvolk verband, sich innerhalb dieser
Antragsteller«, hießen die Auftraggeber dieser Wahlwerbung, und
festgelegten Strukturen politisch aktiv zu engagieren, kann man
ihre ,.Plakate« werden als titulipicti bezeichnet, •gemalte Inschrif
verstehen.
ten«. Bis zu 60 cm Höhe erreichten die »gemalten« Buchstaben; in
Anders in den rund 2000 Städten im Römischen Imperium. Sie
der Regel aber beschieden sich die Maler mit rund 20 cm für den
hatten das Recht der lokalen Selbstverwaltung- und die Bürger
Namen des Kandidaten. Die übrigen Teile des Dipinto- so die ita
nutzten es intensiv, jedenfalls die Pompejaner. Von einer Demo
lienische Bezeichnung für dieses Wahl-»Malen« - wurden meist
kratie im modernen westlichen Sinne war das kommunale politi
kleiner geschrieben.
sche System durchaus weit entfernt. Das mächtigste politische
Eindrucksvolle Zahlen belegen die Intensität des Wahlkampfes.
Gremium war der ordo decurionum, der Stadtrat. Er war in gewis
Im Ganzen sind rund 2800 Dipinti bekannt. Bei Beginn der Aus
ser Weise dem römischen Senat nachgebildet. Seine demokratische
grabungen im 18. und 19. Jahrhundert waren es indes erbeblich
10
11
-
mehr, aber man dokumentierte und schützte die Funde nicht, so
lieh tatsächlich gewählten - Kandidaten zu erstellen. Da tauchen
dass nur eine Minderheit »Überlebte«- immerhin fast dreitausend.
dann Bewerber auf, die aus den besonders einflussreichen Familien
Mehr als die Hälfte davon, ca. 1500 Dipinti, stammt aus dem Wahl
der Vesuvstadt stammten- und die mit entsprechend hohen Wahl
kampf des Jahres 79. Eine bemerkenswerte »Wahlschlacht«, die da
chancen antraten, während andere Bewerber reine Zählkandidaten
im letzten Lebensjahr Pompejis an den Fassaden ausgetragen wor
gewesen sein dürften. Aber immerhin: Auch diese hatten ihre
den ist! Von Wahlmüdigkeit keine Spur! Und wer wirklich die
Anhänger, die sich für sie ins Zeug legten und öffentlich Bekennt
Wahlen zu »verschlafen« drohte, der wurde von zahlreichen Auf
nis ablegten.
rufen unsanft geweckt und- häufig mit Namensnennung- aufgefor dert, endlich :.wach zu werden« und »aufzustehen« (s.S. soff.).
p.)�Q� l�fHR00Jill�ffVff{ ID·D·�?· w.JtVE�r;ffMrai\VI Seltener •Danke
ff(fR�T
an die Wähler: »Alle Pompejaner haben Paquius Proculus zum Duumvirn gewählt; Dipinto CIL IV 6406 a
Wie ging der Wahlkampf vonstatten? Voraussetzung war, dass Kandidaten offiziell benannt und in amtliche Bewerberlisten ein getragen wurden. Das waren die professiones petentium, »Kandi datenanmeldungen«. Vorschlagsberechtigt war jeder, der über das aktive Stimmrecht verfügte. Das passive Wahlrecht besaßen alle frei geborenen männlichen Bürger, die mindestens 30 Jahre alt waren. Wohl in augusteischer Zeit wurde das passive Wahlalter auf 25 herabgesetzt.
Waren die Listen erstellt, entbrannte der Wahlkampf. Er zog sich über mehrere Monate hin. Es galt, möglichst viele »Hilfstrup
Die restlichen erhaltenen Dipinti stammen aus früheren Wahl
pen« hinter sich zu bringen und dies öffentlich zu dokumentieren.
kampagnen. Gewöhnlich wurden die Wände nach den Wahlen
Einen Vorteil hatte, wer im Stadtbild durch eine Vielzahl von
getüncht, um für das nächste Mal freie Reklameflächen zu schaffen
Wahlaufrufen präsent war. Dabei zählte der »plakatierte« Name
oder den »Mauerraum« auch für andere offizielle Mitteilungen
mehr als der »Gehalt« der Wahlempfehlung- der tendierte in den
nutzen zu können. Manchmal unterblieb das jedoch, ohne dass
allermeisten Fällen gegen Null. Einmischung in den Fassaden
man im Einzelnen die Gründe dafür kennt. In anderen Fällen ge
Wahlkampf war ausgesprochen erwünscht. Und zwar erstaun
lang es den Archäologen, durch vorsichtiges Abtragen der obers
licherweise nicht nur seitens der Wahlberechtigten. Die weitaus
ten Schicht ältere Wahlaufrufe frei zu legen - ähnlich wie auch die
größte Gruppe derer, die in die Meinungsbildung eingriffen, ohne
heute aufgestellten Wahlplakate oder Reklametafeln ältere über
selbst wählen zu dürfen, waren Frauen - ein hochinteressantes
klebte Schichten aus früheren Wahlkämpfen aufweisen.
Phänomen, von dem wir indes nicht wissen, ob es auf andere Kom
Diese älteren Wahlaufrufe reichen zum Teil bis in die republika
munalwahlen übertragbar ist oder einen Sonderweg Pompejis dar
nische Zeit zurück, waren also, als die Stadt verschüttet wurde,
stellt. Jedenfalls war diese politische Partizipation von Frauen im
mehr als hundert Jahre alt. Sie werden, sofern sie aus der Zeit zwi
Vorfeld von Wahlen eine junge Entwicklung, die erst nach dem ver
schen 80 und 30 v. Chr. stammen, als programmata antiquissima,
heerenden Erdbeben des Jahres 62 einsetzte.
»älteste Wahlaufrufe«, bezeichnet- im Unterschied zu den »jünge ren« tituli recentiores.
Monatelang beherrschten die Wahl-Dipinti das Stadtbild. Nie mand konnte ihnen entgehen; sie »zierten« die Fassaden der Häu
Das umfangreiche Propagandamaterial hat die Historiker natür
ser überall dort, wo reger Betrieb war. Hauptverkehrsadern und
lich angespornt, Listen mit den aussichtsreichsten- und mutmaß-
Ladenstraßen waren besonders umkämpft. Alle Wahlkampfteams
12
13
-
waren bemüht, dort einen besonders hohen Präsenzfaktor zu
Auseinandersetzungen. Mit der gesamtstaatlichen Ebene vergli
erreichen- bis dann im März gewählt wurde und sich zeigte, wer
chen, waren die »Zweimänner« die Consuln der Kommunalpolitik.
den effizientesten Wahlkampf geführt hatte. Danach legte sich das
Sie führten den Vorsitz im Gemeinderat und waren politisch da
Wahlfieber für ein paar Monate, bis es erneut ausbrach und auf die
für verantwortlich, dass dessen Beschlüsse ausgeführt wurden. Ihr
frisch geweißten Wände neue Parolen aufgemalt wurden.
Wort hatte indes Gewicht, wenn es in der Versammlung der Deku
Aus heutiger Sicht überraschend oder sogar irritierend, für das
rionen zur Abstimmung kam. Die Duumvirn lenkten die politi
politische Denken des Altertums aber geradezu grundlegend: Die
schen Entscheidungen im Stadtrat massiv, zumal sie darauf verwei
Wahlperiode betrug nur ein Jahr. Das Prinzip der Annuität (Ein
sen konnten, dass sie das politische Mandat der Bürgerschaft hatten.
jahrsdauer) gehörte seit alters zu den ehernen Gesetzen der Macht
Sie waren die eponymen Beamten der Stadt, d. h., das »Örtliche« Jahr
beschränkung- ebenso wie das Prinzip der Kollegialität: Die Wahl
wurde in Akten und Beschlüssen nach ihnen benannt- so wie die
zweier Männer in das gleiche Amt sorgte dafür, dass niemand eine
Consuln auf höherer Ebene dem Jahr seinen •Namen« gaben.
allzu große persönliche Machtbasis aufbauen konnte. Und wer nur
Alle fünf Jahre wurden Kandidaten für das angesehenste und
ein Jahr lang im Amt war, tat gut daran, eng mit dem Gemeinderat
mächtigste Amt aufgestellt: Die duumviri quinquennales, •Fünf
zu kooperieren und keine unnötigen Machtproben zu riskieren,
jahresmänner«, hatten wie die römischen Censoren die Aufgabe,
für die er nach Ablauf der Amtszeit zur Rechenschaft gezogen
die Bürgerlisten auf Irrtümer zu durchforsten und Neueintragun
werden konnte.
gen vorzunehmen, die Bewohner Pompejis in Vermögensklassen
Der politische Wettkampf konzentrierte sich in Pompeji wie in den meisten anderen Städten des Römischen Reiches auf zwei
einzuteilen und die Mitglieder des Stadtrats auf ihre moralische Eignung zu überprüfen.
Ämter. Die Spitzen der Verwaltung bildeten die beiden Aedilen.
Kandidaten für das Duumvirat mussten die Aedilität bekleidet
Die offizielle Bezeichnung, die manche Wahlkampf-Dipinti in ab
haben- eine Art Bewährungsinstanz für höhere Aufgaben. In der
gekürzter Form übernehmen, war aediles viis aedibus sacris pub
Regel lag ihre politische »Probezeit« als Aedilen drei bis fünf
licis procurandis, »Beamte, die sich um den Zustand der Straßen
Jahre zurück. Eine mehrfache Bekleidung des Amtes war statt
sowie der sakralen und öffentlichen Gebäude zu kümmern haben«.
haft, allerdings nicht die unmittelbare Iteration (Wiederholung):
Außerdem oblagen ihnen die Kontrolle der Märkte, die Sicherung
Das hätte den Aufbau einer persönlichen Machtstellung erleichtert
der Getreideversorgung (einschließlich des Rechts, gegen Speku
und das Prinzip der Verantwortung für die Politik des abgelaufe
lanten vorzugehen) und die Organisation der öffentlichen »Spiele«.
nen Amtsjahres außer Kraft gesetzt. Ein paar Jahre später stand es
Um ihren Aufgaben nachkommen zu können, verfügten die Aedi
ehemaligen Duumvirn indes frei, sich erneut um das »Consulat«
len über einen- überschaubaren- Apparat von Hilfspersonal, das
der Kommunalpolitik zu bewerben.
sich u. a. aus servi publici, »Sklaven im öffentlichen Dienst«, zusam mensetzte.
Eines der politischen Schwergewichte in der Geschichte Pom pejis war Marcus Holconius Rufus. Er schaffte es, insgesamt fünf
Ihre Vorgesetzten mit Weisungsbefugnis und dem Recht, notfalls
mal zum Duumvirn gewählt zu werden. Freilich gehörte er wie so
die Anordnungen der Aedilen außer Kraft zu setzen, waren die bei
mancher andere Kandidat dem politischen Establishment mächti
den Duumvirn. Sie hießen offiziell duumviri oder duoviri iure
ger Familien seiner Heimatstadt an, dem es über Jahrzehnte hin
dicundo, »Zweimänner-Behörde für die Rechtsprechung«. Diese
weg gelang, die politischen Zügel der Vesuvstadt in Händen zu
richterliche Befugnis bezog sich ausschließlich auf zivilrechtliche
halten. Was aber keineswegs heißt, dass sich Holconius Rufus
14
15
nicht auch intensiv um Wahlunterstützer hätte bemühen müssen, die sich auf den Fassaden der Stadt für ihn verwendeten.
Persönlichkeit handelte oder wenn sich eine größere Gruppe Nachbarn oder Berufsverbände-für jemanden einsetzte. Solche
Einer besonderen Qualifikation bedurfte es dazu nicht, auch
Dipinti sind natürlich erheblich aussagekräftiger als die •Massen
keiner rhetorischen Ausbildung oder stilistischen Brillanz. Man
ware« der Unterstützeraufrufe »ohne Unterstützer«. Und deswe
brauchte nur den Namen eines Kandidaten auf die Wände zu
gen stehen sie in den folgenden Kapiteln im Vordergrund. Unsere
schreiben oder, wenn man das selbst nicht wollte oder konnte, von
Zusammenstellung des Materials sollte aber nicht darüber hinweg
Werbeprofis malen zu lassen. Nicht einmal das persönliche
täuschen, dass das Gros der Wahl-Dipinti-noch!-viel schlichter
Bekenntnis, wer hinter dem Wahlaufruf steckte, war vonnöten. Ein
und kürzer ist als die in diesem Büchlein versammelten Wahlauf
Casellinum aed( iLem), •Casellinus zum Aedil! « (3427) oder Holco nium Ilv(irum), »Holconius zum Duumvirn!« (3430) oder auch ein Doppelwunsch wie Ceium Ilvir(um) Helvium aed(ilem),
rufe.
»Ceius zum Duumvirn und Helvius zum Aedil! (944) reichte völ
authentisches, lebendiges Quellenmaterial für faszinierend hält,
«
Dem Eindruck von Uniformität und Monotonie pompeja nischer Wahl-»Programme« wird niemand, auch wenn er sie als widersprechen wollen. Eines aber lässt die Vielzahl der Unterstüt
lig aus. Vielfach wurde wenigstens ein oro vosfaciatis hinzugesetzt, »ich
zer, die Selbstverständlichkeit, mit der sich so viele Einzelpersonen
bitte euch ... zu wählen« - allerdings in aller Regel in der jeder
und Wählerinitiativen in den Wahlkampf einbrachten, durchaus
mann geläufigen Abkürzung ovf Dieses ovf ist ein derart stereo
erkennen: Im Rahmen der römischen •Spielregeln« funktionierte
typer Bestandteil von Wahlaufrufen, dass wir es bei unseren Bei
die Demokratie auf kommunaler Ebene bestens. Das Engagement
spielen als einzige Abkürzung nicht aufgeschlüsselt haben. Der
der Bürger-und Bürgerinnen I -stimmte. Sie nahmen ihre politi
Punkt dahinter zeigt an, dass es eine •unaufgelöste« Abkürzung
schen Pflichten ernst und ihre Rechte wahr. Amtsbewerber in
ist; ansonsten wird wie in den Original-Dipinti auf eine Zeichen
Pompeji mussten sich anstrengen; dort gewählt zu werden war
setzung in den lateinischen Texten verzichtet.
kein Selbsdäufer. Was im Übrigen auch Cicero wusste. Von ihm stammt eine mali ziöse Bemerkung, mit der er Caesars selbstherrliche Ergänzung des Senats durch seine Parteigänger aufs Korn nahm. Auf die Bitte eines gewissen Gaius MaJlius, er möge sich doch für die Aufnahme seines Stiefsohnes in einen Stadtrat einsetzen, erwiderte Cicero in
Typisches Dipinto: •Bitte wählt C.l. Polybius zum Duumvirn«; ovf. ist häufig in Ligatur geschrieben.
großer Runde: Romae, si vis, habebit, Pompeis difficile est (Macro bius sat. Il 3, 11 ). »In Rom wird er das, wenn du willst, erreichen, in Pompeji ist es schwierig.«
Auch wenn sie nicht •signiert« waren, haben die Wahlaufrufe ihren Eindruck auf die Wähler offensichdich nicht verfehlt. Die reine Quantität eines Bewerbernamens wurde als politisches Signal wahrgenommen. Allerdings dürften diejenigen Empfehlungen stär keres Gewicht gehabt haben, in denen sich der Unterstützer nament lich zu erkennen gab-erst recht, wenn es sich um eine anerkannte 16
17
Für wie wirksam man die politische Schützenhilfe aus dem eige nen Viertel hielt, lässt die z. T. dichte »Plakatierung« in eben die sem Umfeld erkennen. Verteilungsanalysen von Wahl-Dipinti zei gen bei mindestens 12 Kandidaten eine signifikant hohe Anzahl von Wahlinschriften zu ihren Gunsten in ihrer Nachbarschaft- wobei
Nachbarschaftshilfe in Sachen Politik
freilich die vicini häufig nicht expressis verbis als Wahlhelfer genannt sind, wohl aber zumindest ihre Hauswände für die Polit
Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass man mit den lieben Nach
werbung zur Verfügung stellen. Zwei Kandidaten hatten beson
barn in Frieden lebt. Und erst recht nicht, dass Nachbarn sich bereit
deren Rückhalt in ihrer Nachbarschaft: Cerrinius Vatia, der in der
finden, die Werbetrommel für einen Politiker von nebenan oder
6. regio wohnte und dort intensiv •beworben« wurde, und Ceius
gegenüber aktiv zu rühren. Wenn also vicini, :.Nachbarn«, aus
Secundus aus der 1. regio. Rings um sein Haus wiesen die Wände
drücklich in den Wahlkampf eingriffen, dann war diese Art politi
ihn als einen von seinen Nachbarn hoch geschätzten Politiker aus.
scher Nachbarschaftshilfe durchaus etwas Besonderes mit nicht
Nicht immer sind die Verteilungsmuster indes so offensicht
geringem Informationswert für Außenstehende. Ihnen wurde ja
lich. Dipinti von Nachbarn wurden zusätzlich durchaus auch an
durch diese :.Parolen« gespiegelt, dass der Bewerber ein verträg
belebten Straßen aufgemalt, in denen die Kandidaten erwiesener
licher, beliebter Mann war, der von Leuten, die ihn gut kannten und
maßen nicht wohnten. Es gab auch vicini-Aufrufe, die im gesam
tagtäglich Umgang mit ihm hatten, geschätzt und für fähig gehalten
ten Stadtgebiet gestreut vorkamen. Aufmerksame Beobachter der
wurde, ein herausragendes Amt zu bekleiden. Nachbarn, die jeman
Wahlwerbungs-Szene schlossen daraus zumindest auf eine hohe
dem bescheinigten, er sei dignus rei publicae, »habe es verdient, für
Motivation und ein ungewöhnliches Engagement der nachbar
die Bürgerschaft politisch zu wirken«, waren im Zweifel glaubwür
schaftlichen Wahlinitiative - was wiederum Rückschlüsse auf die
diger als Wahlhelfer, die mit ihrem Favoriten weniger vertraut
Popularität und Überzeugungskraft des Bewerbers erlaubte. Bei ein paar Kandidaten- Lollius Fuscus und Popidius Amplia
waren- oder die ihm persönlich zu nahe standen. vicini-Aufrufe waren zudem hilfreich, um einen möglichst
tus zählen zu dieser kleinen Gruppe- zeigt sich allerdings ein Ver
mobilisieren.
teilungsmuster, das misstrauisch macht: In der Nähe ihrer Wohn
Manch einer dürfte sich durch den •Einer-von-uns-Effekt« ange
häuser finden sich keine vicini-Aufrufe, sondern erst in einiger
großen Teil der Nachbarschaft bei den Wahlen
zu
sprochen gefühlt haben, dem anscheinend vertrauenswürdigen
Entfernung davon. Waren sie so unbequeme und unbeliebte Nach
Bewerber aus dem eigenen Viertel seine Stimme zu geben. Ein sol
barn, dass die Glaubwürdigkeit nachbarschaftlieber Wahlempfeh
cher Appell an das Gemeinschaftsgefühl und die •Geschlossen
lungen vor Ort in Frage gestanden hätte? Oder dass man Proteste
heit« eines Stadtteils scheint sich auch mit den Wahlaufrufen zu
hätte fürchten müssen?
verbinden, die Bürgerinitiativen eines Tor-Viertels auf die Wände
Im Übrigen gilt auch fürvicini die artikellose lateinische Gramma
bringen ließen. Da werben Bürger aus der Gegend um das »Salz
tik. Will sagen: Ob hinter einer solchen Wahlhilfe »die Nachbarn«
tor« ebenso für einen der »Ihren« wie Bewohner des Viertels am
standen oder lediglich »Nachbarn«, bleibt offen. Im Unterschied zu
»Urbulanensischen Tor«. Auch das Forum-Viertel ist vertreten;
anderen U nterstützergruppen zeichnen auch nie alle Nachbarn mit.
allerdings erfahren wir aus der fragmentarischen Inschrift nicht,
Tröstlich zu erfahren, dass es auch im römischen Pompeji die gänz
wen es unterstützt.
lich heile Nachbarschaftswelt wohl nicht gegeben hat ...
18
19
1
Vatiam aed(ilem) vicini Die Nachbarn (unterstützen) Vatias Wahl zum Aedil. 443
2
L Ceium aed(ilem) vicini rogant
Die Nachbarn bitten darum, Lucius Ceius zum Aedil zu wählen. 3
7195
Casellinum aed(ilem) vicini rogant Die Nachbarn bitten darum, Casellinus zum Aedil zu wäh len.
4
3666
Gavium aed(ilem) ovf. vicini rogant Bitte wählt Gavius zum Aedil. Die Nachbarn setzen sich für ihn ein.
5
3460
Trebium et Gavium aed(iles) d(ignos) r(ei) p(ublicae) ovf. vicini Bitte wählt Trebius und Gavius zu Aedilen. Sie haben es ver dient, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Die Nach barn (unterstützen sie).
6
7927
Cn Helvium Sabinum vicini fac(iunt) Die Nachbarn wählen Gnaeus Helvius Sabinus.
7
852
(Hyp ?)saeum quinq(uennalem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) vicini volunt Die Nachbarn wollen Hypsaeus als Quinquennalen haben. Er verdientes, die öffentlichen Interessen zu vertreten.
8
193
Polybium aed(ilem) vicini civem bonum fac(iunt) Die Nachbarn wählen Polybius zum Aedil. Er ist ein guter Bürger.
9
7925
P Paquium Proculum (du)umvirum i(ure) d(icundo) vicini cupidi faciunt 20
Putzfragment einer Wand mit Wahlaufrufen aus verschiedeneo Wahlkämpfen
Die Nachbarn setzen sich mit Nachdruck für Publius
15
L Popinium L(uci) f(ilium) Ampliatum v(irum) b(onum)
Paquius Proculus als Duumvir für die Rechtsprechung
aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) ovf. Urbulanenses roga
ein.
mus
7197
Bitte wählt Lucius Ampliatus, den Sohn des Lucius, zum 10
11
M Lucretium Frontonern aed(ilem) vicini rogamus
Aedil. Er ist ein guter Mann und verdient es, die öffent
Wir Nachbarn bitten darum, Marcus Lucretius Fronto
lichen Interessen zu vertreten. Wrr Leute am Urbulanenser
zum Aedil zu wählen.
Tor setzen uns für ihn ein.
6625
7706
M Cerrinium aed(ilem) Salinienses rog(ant) Die Bewohner des Viertels um die Porta Saliniensis (»Salz tor«; heute: Porta di Ercolano) bitten darum, Marcus Cerrinius zum Aedil zu wählen.
12
128
M Epidium Sabinum aed(ilem) Campanienses rog(ant) Die Bewohner im Viertel am Kampaner-Tor bitten darum, Marcus Epidius Sabinus zu wählen.
13
470
Forenses rog(ant) Die Bewohner des Forum-Viertels bitten, ... zu wählen.
14
783
Cn Helvium Sabi(num) aed(ilem) ovf. Urbulanenses rog(ant) Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. Die Be wohner des Viertels am Urbulanenser Tor (heute: Porta di Sarno) setzen sich für ihn ein.
7747
&�ll�SlCVND\)1\lN O· �· r�u vnlA�rnsr ·
Die Bewohner des Viertel sam Urbulansenser Tor setzen sich für die Wahl des Lucius Ceius Secundus zum Duumvirn ein.
22
23
eigenen Berufsstandes aus. Das coilegium bot vielen eine An zwei tes Zuhause. Kleinhändler und Handwerker waren in der römi schen Gesellschaft nicht besonders angesehen; die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung und die Gruppenidentität stärkten das Selbst bewusstsein des Einzelnen.
»Die Sackträger bitten darum « Wahlhilfe von Bäckern, Lehrern und Co. ...
Die meisten Berufsvereine hatten einen einflussreichen Patron, dessen gesellschaftliche Stellung auch ein wenig Glanz auf das collegium warf und der ihm in manchen Angelegenheiten des All
Was gäbe das heutzutage für ein Geschrei, wenn einzelne Berufs
tags half. Wenn sich ein gesamtes collegium für einen Kandidaten
verbände direkt in einen Wahlkampf eingriffen, indem sie einen
stark machte, dann dürfte das häufig der Patron des »Clubs� oder
Wahlaufruf für eine bestimmte Partei oder einen Kandidaten ver
ein von ihm protegierter Freund gewesen sein. Es gibt allerdings
öffentlichten! Dass sie es indirekt über Lobbyismus kontinuierlich
keine einzige Wahlempfehlung, hinter der ausdrücklich ein coile
und wohl effizienter als bei einer offenen Parteinahme tun, wissen
gium steht.
viele nicht und es regt jedenfalls kaum jemanden auf. In Pompeji lagen die Dinge anders -freilich in jeder Hinsicht.
Mit der »presserechtlichen� Zuordnung von Dipinti zu einem Berufsverein wird man da besonders vorsichtig sein, wo der Zusatz
Da riefen Obsthändler und Goldschmiede, Bauern und Maul
universi fehlt. Es war ja drei, vier Bäckern oder einigen Bauern
tiertreiber offen dazu auf, einen Kandidaten ihres Vertrauens zu
unbenommen, als pistores oder agricolae in den Wahlkampf einzu
wählen. Auch Sackträger - im Transportwesen der Antike wahr
greifen. Da es im Lateinischen keinen Artikel gibt, mussten die
und Färber bezogen eindeutig Stellung.
Passanten den Wahlaufruf nicht zwangsläufig als Empfehlung der
Manchmal ist die Wahlempfehlung besonders nachdrücklich:
lich keine Randgruppe l
Bäcker oder der Bauern verstehen, sondern nur als Parteinahme
wenn sie den Zusatz universi, »alle�, trägt. In diesen Fällen liegt es
von Bäckern oder von Bauern. Diese Einschränkung gilt auch
-
nahe, dass ein gesamter Berufsverein sich nach Aussprache in einer
gegenüber unserer Übersetzung. Sie gibt allerdings schon den ers
Mitgliederversammlung für eine Wahlunterstützung entschieden
ten Eindruck wieder, den solche Wahlaufrufe von Berufsgruppen
hat.
auf die Leser machten.
Freilich waren solche Berufsvereine (collegia) mit mittelalter
Eine nicht ungeschickte Variante, einen Berufsstand ins Wahl
lichen Zünften oder heutigen Innungen nicht vergleichbar. Es
Spiel zu bringen, ohne dass er selbst offen intervenierte, sind die
gab keine Zwangsmitgliedschaft, und auch die Vertretung berufs
Dipinti vomfacite-Typ. Da werden etwa die Obsthändler oder die
ständischer Interessen war von eher untergeordneter Bedeutung.
Wirte dazu aufgerufen, einen Vettius Firmus oder einen Sallustius
Nicht nur die Besitzer eines Betriebes konnten Mitglieder sein,
Capito zu wählen. Ob sie das tun, bleibt ebenso offen wie die
sondern auch ihre Angestellten. Alspressure group gar im politi
Frage, ob sich hinter dem Wahlaufruf ein anderer Obsthändler
schen Raum spielten die collegi.a keine Rolle. Viel wichtiger war
oder Wirt verbirgt.
ihre soziale Zielsetzung: Man traf sich im Kreise von Freunden und
Apropos »Wirt�. Dass in den Schenken und Wirtshäusern Pom
Bekannten meist einmal im Monat zu einem geselligen Beisam
pejis - es gab sie in großer Zahl! - abends beim Wein mehr oder
mensein mit gemeinsamem Essen u. U. im eigenen Vereinshaus
minder heftig politisiert worden ist, wenn die Wahlen näher rück
und tauschte sich dabei natürlich auch über Fragen und Sorgen des
ten, darf man sicher annehmen, und ebenso, dass die Gäste recht
24
25
unterschiedlicher Meinung waren. Umso mutiger und eindrucks
16
M Cerrinium pomari(i) rog{ant)
voller war es, wenn ein Wirt sich offen für einen Kandidaten aus
Die Obsthändler bitten darum, Marcus Cerrinius zu wäh
sprach. Der Kneipier Sabinus wagte sich ebenso weit vor wie die
len.
149
Wirtin Asellina und ihr Personal: Die Kellnerinnen der Asellina sie standen, wie es in der Branche üblich war, vermutlich auch zu
17
M Holconium Priscum aed(ilem) pomari{i) rog(ant)
anderen Diensten zur Verfügung- sprechen sich jedenfalls unmiss
Die Obsthändler bitten, Marcus Holconius Priscus zum
verständlich für C. Lollius Fuscus aus. Und ließen diesen Wahlauf
Aedil zu wählen.
206
ruf auf die Fassade der Gaststätte pinseln. Brachten sich auch Lehrer in den Kommunalwahlkampf ein?
18
Duos fra{tres). Felix pomar(ius) rog{at)
Aber sicher! Sie waren ja keinem Neutralitätsgebot unterworfen,
Die beiden Brüder! Der Obsthändler Felix bittet darum, sie
weil es nur reine Privatschulen gab. Also beteiligten sich einige von
zu wählen.
7261
ihnen an der politischen Werbe-»Schlacht«. Dass einige dabei ihre Schüler mit einbezogen, stimmt zumindest aus heutiger Sicht
MHOlCONlVM flU5CVAÜl UJ�1�="!:�
bedenklich. Noch bedenklicher freilich stimmt es, wenn gerade Wahlaufrufe von Lehrern durch schlimme grammatische Schnitzer »geziert« sind. Sowohl der Lehrer Saturninus als auch der Lehrer Valentinus greifen cum discentes suos in den Wahlkampf ein, »mit ihre Schüler«. Ob sie »ihre Kandidaten« damit wirklich geholfen haben?
Facsimile des Dipinto Nr. 19
19
M Holconium Priscum Ilvir(um) i{ure) d(icundo) pomari(i) universi cum Helvio Vestale rog(ant) Alle Obsthändler bitten gemeinsam mit Helvius Vestalis darum, Marcus Holconius Priscus zum Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
20
202
L C S Ilvir(um) Felicio lupinarius rog{at) Der Lupinenhändler Felicio bittet, L C S zum Duumvirn zu wählen.
21
3423
Porculum aed(ilem) Felicio lupinipolus rog(at) Der Lupinenhändler Felicio bittet, Porculus zum Aedil zu wählen.
26
3483 27
22
23
Nerum aed(ilem) ovf. ungue ntari(i) facite rog{ant)
30
Bitte wählt Nerus zum Aedil. Die Salbenhändler setzen
Die Sackträger bitten darum, Aulus Vettius zum Aedil zu
sich für ihn ein.
wählen.
601
M Holconium Priscum C Gavium Rufum llvir(os) Phoebus
31
ro(gat) Der Walker Primus bittet, Ludus Ceius Secundus zum
nius Priscus und Gaius Gavius Rufus zu Duumvirn zu
Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
M Casellium Marcellum aed(ilem) agrcolae rog(ant)
Alle Walker bitten, Holconius Priscus zum Duumvirn zu wählen.
i
490
Lollium aed(ilem) ovf. tegetari(i) (rogant) Bitte wählt Lollius zum Aedil! Die Mattenflechter setzen
Die Wmzer bitten darum, Casellius zum Aedil zu wäh
sich für ihn ein.
Cn
7473
6672
34
29
7164
Casellium vindemitores aed(ilem) rog(ant) len.
28
Holconium Priscum Ilvir(um) fullones universi rog(ant)
Die Bauern bitten darum, Marcus Casellius Marcellus zum 33
27
3478
103
Aedil zu wählen.
26
L Ceium (Secund)um Ilv{irum) i(ure) d(icundo) Primus fullo
cum emptoribus suis rogat
32
25
497
Phoebus bittet mit seinen Käufern darum, Marcus Holco wählen. 24
A Vettium aed(ilem) saccari(i) rog(ant)
Helvium
aed(ilem)
Hermes
Colo
cum
gallinariis
Herennium et Suettium aed(iles) quactiliari(i) rogant. d(igni) r(ei) p{ublicae)
rog{at)
Die Filzmacher bitten, Herennius und Suettius zu Aedilen
Hermes Colo bittet gemeinsam mit den Hühnerwärtern
zu wählen. Sie verdienen es, die öffentlichen Interessen zu
darum, Gnaeus Helvius zum Aedil zu wählen.
vertreten.
241
C Cuspinum Pansam aed(ilem) muliones universi
35
7809
Calventium Ilv(irum) i(ure) d(icundo) infectores rog(ant)
Alle Maultiertreiber schlagen Gaius Cuspinus Pansa als
Die Färber bitten darum, Calventius zum Duumvirn für
Aedil vor.
die Rechtsprechung zu wählen.
97
C Iulium Polybium Ilvir(um) muliones rog(ant)
36
7812
Posrumium Proculum aed(ilem) offectores rog(ant)
Die Maultiertreiber bitten darum, Gaius Iulius Polybius
Die Auffärber bitten darum, Postumius Proculus zum
zum Duumvirn zu wählen.
Aedil zu wählen.
113; 134
M Cerrinium Vatiam aed(ilem) saccari(i) rog(ant)
37
864
C Holconium Ilv(irum) i(ure) d(icundo) lignari{i)
Die Sackträger bitten darum, Marcus Cerrinius Vatia zum
Die Zimmerleute (bitten darum), Gaius Holconius zum
Aedil zu wählen.
Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
28
274
951
29
38
I(?) Trebium aed(ilem) tonsores
46
Die Friseure (setzen sich) für I(?) Trebius (ein).
C Lollium Fuscum Ilvir( um) ... Asellinas rogant nec sine Zmyrina
743
Die Kellnerinnen der Asellina- nicht ohne Zmyrina- bit 39
Trebium aed(ilem) ovf. clibanari(i) rog(ant)
ten darum, Gaius Lollius Fuscus zum Duumvirn zu wäh
Bitte wählt Trebius zum Aedil! Die Brotbäcker setzen sich
len.
für ihn ein. 40
7863
677
C luliumPolybium llvir(um) ovf. multum pistores rogant Bitte wählt Gaius lulius Polybius zum Duumvirn. Oie Bäcker setzen sich sehr für ihn ein.
41
886
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) pistores rog(ant) et cupiunt cum vtc1111s
Facsirnile des Dipinto Nr. 46
Die Bäcker bitten, Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen. Sie wünschen das gemeinsam mit den Nachbarn. 47
7273
Cn Helvium Sabinum aed(ilem)... ovf. Aegle rogat Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. (Die Kell
42
Popidium Rufum aed(ilem) piscicapi fac(iunt) Die Fischer wählen Popidius Rufus.
nerin) Aegle setzt sich für ihn ein. 48
43
Ceium Secundum Ilv(irum) i(ure) d(icundo) Asellina rogat
(Epid ?)ium ... Suettium Ilvir(um) ... culinari(i) rogant
(Die Wtrtin) Asellina bittet darum, Ceius Secundus zum
Die Küchengehilfen bitten darum, Epidius Suettius zum
Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
Duumvirn zu wählen.
M Epidium Sabinum d(uumvirum) i(ure) d(icundo) ovf....
Sallustium Capitonem aed(ilem) ovf. caupones facite
Sabinus dissignator cum plausu facit
Bitte wählt Sallustius Capito zum Aedil. Wirte, wählt ihn!
Bitte wählt Marcus Epidius Sabinus zum Duumvirn für die
336
Rechtsprechung.( ...) Der Platzanweiser Sabinus setzt sich mit Applaus für ihn ein.
45
7873
373
49 44
7862
826
6438 d
QPP iuvenem aed(ilem) ovf. d(ignum) r(ei) p(ublicae). Sabi nus rog(at) copo
50
Sabinum aed(ilem) discentes rogant
Bitte wählt den jungen Mann QPP zum Aedil. Er verdient
Die Schüler bitten darum, Sabinus zum Aedil zu wählen.
es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Der Wirt Sabi
673
nus setzt sich für ihn ein.
1048
51
C Cuspium Pansam aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) ovf. Saturninus cum discentes* rog(at)
30
31
Bitte wählt Gaius Cuspius Pansa zum Aedil. Er verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Saturninus setzt sich mit seine(n) Schüler(n) dafür ein.
275
• Akkusativ sutt des richtg i en Ablativs discentibus. 52
Frauenpower-zumindest auf den Wänden
Capellam d(uum)v(irum) i(ure) d(icundo) ovf. Verna cum dis cent(ibus) rogat Bitte wählt Capella zum Duumvirn für die Rechtspre
Viele reiben sich, wenn sie dies zum ersten Male sehen, verwundert
chung. Verna setzt sich zusammen mit seinen Schülern
die Augen: Frauen als Wahlhelferinnen? Sozusagen ganz offiziell
dafür ein.
und offen auf den Wänden? So etwas scheint der römischen Welt
694
ganz wesensfremd zu sein. In der Tat: Frauen hatten weder in Rom 53
Sabinum et Rufum aed(iles) d(ignos) r(ei) p(ublicae) Valenti
noch in anderen Städten das aktive oder passive politische Wahl
nus cum discentes* suos rog(at)
recht. Auch nicht in Pompeji, obwohl sich solche Spekulationen
Valentinus mit seine(n) Schüler(n) bittet darum, Sabinus
gelegentlich schon an das Vorhandensein »Weiblicher« Wahlauf
und Rufus zu Aedilen zu wählen. Sie verdienen es, die öffent
rufe geknüpft haben. So weit ging die politische Revolution nun
lichen Interessen zu vertreten.
doch nicht. Politische Frauenpower - sie endete an den Fassa
698
*Akkusativ statt des richtigen Ablativs discencibus.
den. Aber immerhin! Es ist schon etwas Aufsehen Erregendes, dass Frauen sich mit eigenen »Botschaften« in den pompejanischen Kommunalwahlkampf einbrachten. Und es mag sein, dass manch ein Mann das als Einmischung verstanden hat, als Einbruch in eine selbsrverständliche Männerdomäne. Diese Traditionalisten dürf ten indes in der Minderheit gewesen sein. Wäre Wahlwerbung von Frauen auf eine breite Ablehnungsfront gestoßen, so hätte die römische Männerwelt ein leichtes Spiel gehabt, diesen Neuerungen rasch einen Riegel vorzuschieben. Politische Entscheidungen und dies wäre ja eine von den Beamten und vom Gemeinderat zu treffende gewesen- trafen ja immer noch die Männer, und zwar sie allein. Gleichwohl waren rogatrices
-
die (nicht bezeugte) feminine
Form zu männlichen rogatores, »Wahlunterstützern«- im Jahre 79, als Pompeji unterging, anscheinend noch ein sehr junges Phäno men. In den Dipinti bis zum Erdbeben-Jahr 62 findet sich kein einziger Wahlaufruf einer Frau. Als reiner Zufallsbefund wäre das sehr erstaunlich. Auslöser eines Umdenkens in Sachen Wahl32
33
werbung dürfte die Erdbebenkatastrophe als solche kaum gewe
liehen Ton« oder •weibliche Inhalte«, •weibliche Programme« gar
sen sein. Wohl aber gab es danach durch den Zuzug neuer Sied
sucht, wird bitter enttäuscht.
ler Verschiebungen in der Zusammensetzung der Bürgerschaft,
Wir wissen wenig über die Motive der einzelnen Wahlhelfer. Das
die vielleicht eine größere Aufgeschlossenheit mit sich brachte und
ist bei den Frauen, die sich politisch zu Wort meldeten, nicht
die Überzeugung wachsen ließ, Wahlkampf sei eine Angelegen
anders. Vermutlich waren es wie bei den Männern vielfach persön
heit der gesamten Gemeinschaft, zu der eben auch Frauen gehör
liche Beziehungen zu den Kandidaten. Die •Beworbenen« stamm
ten.
ten aus dem Bekannten- und Freundeskreis der Werberinnen, oder
Solche Überzeugungen wachsen langsam. Und sicher mussten
diese gehörten einer Familie an, die in einem Klientelverhältnis zu
auch die Frauen sich erst an ihre neue »Macht«: im Wahlkampf
einem politisch ambitionierten Patron stand. Manchmal kamen
gewöhnen. So erklärt sich die verhältnismäßig kleine Zahl von ins
auch verwandtschaftliche Beziehungen zum Tragen. In ihrem Wahl
gesamt 52 •Frauen-Dipinti«, auf denen 54 Pompejanerinnen für
aufruf gibt sich Taedia Secunda als avia, »Großmutter«, des Bewer
28- natürlich männliche - Kandidaten eintreten. Bezogen auf die
bers zu erkennen, dem sie cupiens, •mit Nachdruck«, seinen Erfolg
Gesamtzahl der rund 2800 Dipinti, macht diese Unterstützer
•heftig wünschend«, die Daumen drückt (7469).
gruppe rund 2% aus. Von Männern dagegen sind 21% »unter
Von den Verfasserinnen der Wahlaufrufe spezifische •Frauen
zeichnet«, von gemeinschaftlichen Initiativen wie Nachbarschafts
themen« oder einen spezifisch weiblichen •Tonfall« in den Dipinti
vereinigungen und Berufsverbänden stammen 5%. Beim Gros
zu erwarten, wäre illusorisch - und auch reichlich ahistorisch. Es
von 72% der Dipinti tritt kein rogator namentlich auf. Änderte sich durch die neue Gruppe der Wahlhelferinnen etwas
gehörten sicher überhaupt schon Mut und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein dazu, wenn Frauen sich nunmehr auch in der
an der Form und am Inhalt der Politwerbung? Das war nicht
Öffentlichkeit politisch artikulierten. Dass viele das hinter ver
der Fall- was angesichts der kurzen »Eingewöhnungszeit« nicht
schlossenen Türen getan haben und einzelne Frauen der Hocharis
weiter verwundert. Zwischen Dipinti weiblicher und männlicher
tokratie in diesem Rahmen schon in republikanischer Zeit erheb
Auftraggeber gab es so gut wie keine Unterschiede; abgesehen
lichen Einfluss selbst auf die große Politik in Rom genommen
davon, dass Eheleute oder Paare gelegendich gemeinsam warben.
haben, ist bekannt. Aber der Schritt nach draußen ist für römische
Allerdings stets in einer cum-Verbindung: Einer von beiden ist als
Verhältnisse und römische Mentalität ein gewaltiger. Man darf
»Leitwerber« Subjekt, der Partner wird durch ein •mit« einbezo
wohl doch von einem Paradigmenwechsel sprechen, den wir über
gen. Dabei haben einige Frauen schon früh beherzt nach der Füh
die Dipinti in den letzten •Lebensjahren« Pompejis miterleben
rungsposition im gemischtgeschlechtlichen Wahlkampf-Duo ge
dürfen.
griffen, indem sie sich zum Subjekt gemacht und dem Mann die Begleiterrolle zugewiesen haben.
Und die Männer haben ihn, wie gesagt, mitgemacht! Sie haben politische Werbung von Frauen jedenfalls toleriert und die neue
Eine einzige Formulierung fällt aus dem üblichen standardisier
»Mode« allenfalls achselzuckend und indifferent, nicht aber be
ten Rahmen. Die beiden in einer Bäckerei tätigen Frauen, die die
sonders misstrauisch oder gar feindselig begleitet. Sonst hätten die
Aedilitätskandidaten Casellius und Albucius unterstützen, geraten
von Frauen via Wahlparolen auf den Vertrauensschild gehobenen
ob der Qualitäten der Bewerber fast ins Schwärmen und kommen
Kandidaten sicher rasch gegen die unerwünschte Werbung interve
tieren ihren Wahlaufruf mit dem Ausruf: »Solche Bürger auf
niert, um ihre Wahlchancen nicht zu verspielen.
immer in unserer Kolonie!« (3678) Wer ansonsten einen »weih34
Solche Interventionen sind indes nur in zwei Fällen nachgewie35
sen. Bei zwei ansonsten gut lesbaren Wahlaufrufen stießen die Aus
54
gräber auf ein zunächst rätselhaftes Übertünchen der Wahlhelfer
M Cerrinium aed(ilem) Pollia rog Pollia bittet darum, Marcus Cerrinius zu wählen.
368
Namen. Ein vorsichtiges Abtragen der Farbschicht enthüllte, dass sich hier eine Cuculla und eine Zmyrina für C. Iulius Polybius enga
55
Fuscum aed(ilem) Ipbigenia facit
giert hatten. Die beiden Wahlhelferinnen kennen wir aus anderen
Iphigenia setzt sich für die Wahl des Fuscus zum Aedil ein.
Inschriften. Sie waren als Kellnerinnen - und das heißt, um es
457
freundlich auszudrücken, auch als Animierdamen-in derSchänke der Asellina tätig. DiesesMilieu zog zwar vieleMänner-und damit
56
Popidium Secundum aed(ilem) Pherusa rog(at)
Wähler- an. Aber es galt laut Gesetz als »unanständig«. Und da
Pherusa bittet darum, Popidius Secundus zum Aedil zu
waren beim Wahlkämpfer Polybius die Grenzen der emanzipatori
wählen.
7749
schen Toleranz endgültig erreicht. Vermutlich ließ der Kandidat unverzüglich den Teil der Wahlaufrufe überstreichen, der ihn in Ver
57
Trebium et Gavium aed(iles) ovf. Siccia rog(at)
ruf bringen konnte- Beifall von der falschen Seite ist in aller Regel
Bitte wählt Trebius und Gavius zu Aedilen. Siccia setzt sich
kontraproduktiv. Den Rest ließ er stehen- mit dem Slogan »Poly
für ihn ein.
9860
bius als Duumvir!« konnte er bestens leben. Besonders überraschend ist diese Halbwelt-Variante der dam
58
C Iulium Ilvir(um) Fabia rogat ovf. dignus est
natio memoriae, »Tilgung des Angedenkens«, nicht: »Zensur« ist
Fabia bittet darum, Gaius Iulius zum Duumvirn zu wähl
schließlich ein lateinisches Wort.
ten. Bitte wählt ihn! Er hat es verdient. 59
7189
Casellium aed(ilem) rog(at) Secunde Ozomene ubiq(ue) Secunde Ozomene bittet überall darum, Casellius zum Aedil zu wählen.
60
343
Veientonem aed(ilem) Ascla rog(at) Ascla bittet darum, Veiento zum Aedil zu wählen.
61
7288
VibiumSeverum Ilvir(um) i(ure) d(icundo) ovf. Ascla rog(at) Bitte wählt Vibius Severus zum Duumvirn für die Recht sprechung. Ascla setzt sich für ihn ein.
62
7291
C CSM llvir(um) Ascla rog(at) Ascla bittet darum, Gaius C(alventius) S(ittius) M(agnus) zum Duumvirn zu wählen.
36
7295
37
63
64
65
M Samellium Modestum aed(ilem) Epidia nec sine Cosmo ( ?)
69
cupiens avia rog(at) et fecit
Epidia bittet darum, Marcus Samellius Modestus zum
Bitte wählt Lucius Popidius Secundus zum Aedil. Darum
Aedil zu wählen. Cosmus schließt sich der Bitte an.
bittet seine Großmutter Taedia Secunda mit Nachdruck
6610
und sie hat (das Dipinto ?) machen lassen.
Polybium Ilvir(um) Lollia cum suis
70
67
68
7469
P Vedium Nummianum aed(ilem) Hilario cum sua rogat
Lollia (setzt sich) mit ihren Angehörigen für Polybius als
Hilario bittet euch zusammen mit seiner Frau, Publius
Duumvirn (ein).
Vedius Nummianus zum Aedil zu wählen.
1053
Ceium Secundum Ilvir(um) ovf. Sutoria Primigenia euro suis
71
rog(at) Astyle dormis
66
L Popi(dium) S(ecun)dum aed(ilem) ovf. Taedia Secunda
rogat
913
A Trebium Valentem aed(ilem) Cerialis Acratopinon cum Cassia rog(at)
Bitte wählt Ceius Secundus zum Duumvirn. Sutoria Pri
Cerialis Acratopinon (sprechender Name: :.ungemischten
migenia bittet zusammen mit ihren Angehörigen darum.
Wein trinkend�) bittet zusammen mit Cassia darum, Aulus
Astylus, du schläfst!
Trebius Valens zum Aedil zu wählen.
7464
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) ovf. L Ceium Secundum
72
7669
M Casellium et L Albucium aed(iles) ovf. Statia et Petronia
Ilvir(um) ovf. Recepta nec sine Thalamo
rog(ant) tales cives in colonia in perpetuo
Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil und Lucius
Bitte wählt Marcus Casellius und Lucius Albucius zu Aedi
Ceius Secundus zum Duumvirn. (Dafür setzt sich) Recepta
len. Statia und Petronia setzen sich dafür ein. Solche Bür
nicht ohne Thalamus (ein).
ger auf immer in unserer Kolonie l
1083
Pupium Ilvir(um) i(ure) d(icundo) ovf. Appuleia cum Mustio
73
3678
C Iulium PolybiumIlvir(um) Cuculla�- rog(at)
vicino et Narcissus vos roga(nt)
Cuculla bittet darum, Gaius Iulius Polybius zum Duum
Bitte wählt Pupius zum Duumvirn für die Rechtspre
virn zu wählen.
chung. Appuleia mit ihrem Nachbarn Mustius sowie Nar
,. Der Name war mit weißer Farbe übertüncht; er war erst nach der Entfer
cissus bitten euch darum.
nung der Farbe zu lesen.
3527
A Vettium Firmum aed(ilem) ovf. dignus est Caprasia cum
74
7841
CI P Ilvir(um) i(ure) d(icundo) Zmyrina"· rog(at)
Nymphio rog(at) una et vicini
Zmyrina bittet darum, G(aius) I(ulius) P(olybius) zum
Bitte wählt Aulus Vettius Firmus zum Aedil. Er hat es ver
Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
dient. Caprasia bittet darum zusammen mit Nymphius;
* Wie bei Nummer 73 war der Name übertüncht.
auch die Nachbarn (bitten darum).
38
7864
171
39
deutlich geringere Überzeugungskraft. Die meisten Klienten haben sich deshalb bei Wahl-Dipinti wohl nicht »geoutet«. Ein Mann mit dem nicht gerade Autorität ausstrahlenden Namen »Schweinchen« meldet sich ebenso zu Wortwie Freunde von Gladia torenkämpfen. Wie stark sich die gesamte Bürgerschaft im Vorfeld
Einmischung erwünscht- Potpourri der Unterstützer
der Wahlen engagierte, bringen sehr weit gefasste Sympathisanten gruppen auf den Punkt: Da wirbt »das Volk« für Lucius Popidius
Aus der Masse der »anonymen« Wahlaufrufe ragen die Dipinti
Secundus, und da werben »Kolonisten und Einwohner« Pompejis,
heraus, in denen sich eine Einzelperson oder Gruppen als rogator
also Menschen mit und ohne Bürgerrecht, für einen gewissen Gaius
bzw. rogatores, d. h. als Wahlhelfer, zu erkennen geben. Wu haben
Ateius Capito. Gut für die Glaubwürdigkeit des Wahlaufrufs, dass sie
sie in den vorangegangenen Kapiteln nach bestimmten »Klassen«
nicht noch universi hinzugefügt haben, »alle«.
zusammengestellt. Hier nun sollen diejenigen Unterstützer Er wähnung finden, die sich in die anderen Rubriken nicht einfügen. Ein
buntes Potpourri von erstaunlichen, bemerkenswerten,
manchmal auch etwas skurrilen Wahlinitiativen: angefangen von ehemaligen Sklaven, die sich in die politische Willensbildung ein schalten, über Priester bis hin zum Gemeinderat, derin-allerdings wenigen - Aufrufen dezidiert für einen Kandidaten Stellung be zieht, in einem Fall sogar angeblich »in Übereinstimmung mit dem Volk«. Dass sich auch Klienten einmischen, ist im Prinzip nicht er staunlich. Im Gegenteil: Sie waren aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu ihrem patronus, der ihnen gelegentlich materiell unter die Arme griff und als starker, gesellschaftlich anerkannter Mann ihre Interessen vor Gericht oder in außergerichtlichen Streitigkeiten vertrat, dazu verpflichtet. In Rom und vermutlich auch in Pompeji scharten sich die Klienten bei öffentlichen Auftritten von Wahlbe werbern um ihren Patron. Der tauchte auf dem Forum mit einem möglichst großen Gefolge auf, das der Öffentlichkeit - und ihm selbst - demonstrierte, wie bedeutend er war und wie Recht man daran tat, einen so einflussreichen, prominenten Mann zu wählen. Freilich war es nicht besonders opportun, wenn Unterstützer sich in Wahlaufrufen als Klienten zu erkennen gaben. Da alle Welt davon ausging, dass sie gewissermaßen das »geborene« Wählerre servoir für ihren patronus waren, hatten diese »Pflichtübungen« 40
41
75
L Ceium Secundum aed(ilem) Ampliatus r(ogat) verecund(is
Für die Wahl des Marcus Cerrinius Vatia zum Aedilen hat
simum cum) libertis
sich Tyrannus zusammen mit seine(n) Kumpels einge
Ampliatus bittet zusammen mit seinen Freigelassenen
setzt.
darum, den höchst ehrenwerten Ludus Ceius Secundus zum Aedil zu wählen.
* Ein m i Zusammenhang mit Wahlempfehlungen doch recht gewöhnungs
7542
bedürftiger Name! **
76
221
Akkusativ statt des richtigen Ablativs sodalibus.
L Popidium Secundum aed(ilem) Dionysius l(ibertus) rog(at) Der Freigelassene Dionysius bittet darum, Ludus Popidius Secundus zum Aedil zu wählen.
83
A Vettium Caprasium Felicem aed(ilem) ovf. Pilipphus'� rog(at)
1041
Bitte wählt Aulus Vettius Caprasius Felix zum Aed.il. Pilip 77
Cuspium Pansam aed(ilem) Fabius Eupor princeps libeninorum
phus setzt sich für ihn ein.
Fabius Eupor, der führende Mann unter den Freigelassenen,
*
(schlägt) Cuspius Pansa als Aedil vor. 78
117
Bitte wählt Gaius Iulius Polybius zum Aedil. Sein Klient
79
84
Porcellus bittet darum, Marcus Lucretius Fronto zum Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
Holconium Priscum d(uumvirum) i(ure) d(icundo) ovf. Poli
Rechtsprechung. Sein Klient Polites (bittet darum).
*Sprechender Name: »Schweinchen«; es ist allerdings offen, ob die Zeitge nossen das so wahrgenommen haben.
7685
85
L Ceium Secundum rogant clientes
zum Aedil zu wählen.
3674
7490
Epidium Sabinum Ilvir(um) iure dic(undo) ovf. Trebius cliens
86
7231
Bitte wählt Epidius Sabinus zum Duumvirn für die Recht sprechung. Sein Klient Trebius setzt sich mit Zustimmung des ehrwürdigen Gemeinderats für ihn ein.
7605
M Cerrinium Vatiam aed(ilem) dignum rei p(ublicae) Tyran
Fuscum aed(iJem) Amandus sacerdos Der Priester Amandus (schlägt) Fuscus als Aedil vor.
facit consentiente sanctissirno ordine
82
M C M aed(ilem) Pyramus Olympionica Calvos rog(at) Der Olympiasieger Pyramus Calvos bittet darum, M C M
Seine Klienten bitten darum, Ludus Ceius Secundus zu
81
9922; vgl.
9919
Bitte wählt Holconius Priscus zum Duumvirn für die
wählen.
M Lucretium Frontonern d(uumvirum) i(ure) d(icundo) Por cellus* rogat
7279
tes cliens
80
Erstaunlich, dass der Auftraggeber diese verballhornende Schreibweise sei nes Namens Philippu s dem Dipinto-Schreiber hat durchgehen lassen ...
C Iulium Polybium aed(ilem) ovf. Placidus cliens rog(at) Placidus setzt sich für ihn ein.
567
87
Pansam aed(ilem) Amandus sacerdos rog(at) Der Priester Amandus bittet darum, Pansa zum Aedil zu wählen.
7900
nus'� cupiens fecit cum sodales** 42
43
88
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) Isiaci universi rog(ant)
94
M Epidium Sabinum Ilvir(um) i(ure) d(icundo) ovf. dignissi
AlleIsispriester (oder:Isis-Anhänger) bitten darum, Gnaeus
mum iuvene(m) sanctus ordo facit Clementi sancto iudici
Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen.
fel(iciter)
787
Bitte wählt Marcus Epidius Sabinus, einen jungen Mann, 89
M Epidiurn Sabinum llvir(um) iur(e) dic(undo) ovf. dignum
der das sehr verdient, zum Duumvirn für die Rechtspre
iuvenem Suedius Clemens sancrissimus iudex facit vicinis
chung. Der ehrenwerte Gemeinderat setzt sich für ihn ein.
rogantibus
Ein Hoch auf den ehrenwerten Richter Clemens!
7579
Bitte wählt Marcus Epidius Sabinus zum Duumvirn für die Rechtsprechung. Er verdient es. Der ehrwürdige Richter
95
Sabinum Ilvir(urn) i(ure) d(icundo) sanctus ordo consensu
Suedius Clemens setzt sich für ihn ein. Die Nachbarn un
populi facit
terstützen diesen Wahlaufruf.
Der ehrenwerte Gemeinderat setzt sich mit Zustimmung
1059
des Volkes für Sabinus als Duumvirn für die Rechtspre 90
Paquium d(uumvirum) i(ure) d(icundo) Veneri(i) rogant
chung ein.
7584
Die im Venus-Tempel Beschäftigten* bitten darum, Paquius zum Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen. ,.
1146
96
L Popidium Secundum aedilem po(p )ulus rogat
Das Volk bittet darum, Lucius Popidius Secundus zum
Andere Deutungs. folgendes Dipinto.
Aedil zu wählen. 91
mvenem
97
C Ateium Capitonem aed(ilem) rogamus coloni et incolae
Die im Gymnasium am Venus-Tempel trainierende Vereini
Wir, die Kolonisten und Einwohner, bitten darum, Gaius
gung bittet darum, den jungen Ceius Secundus zum Duum
Ateius Capito zum Aedil zu wählen.
virn für die Rechtsprechung zu wählen. 92
1045
Ceium Secundum llv(irum) i(ure) d(icundo) Veneriosi rog(ant)
9918
n91
Holconium Priscum llvir(um) i(ure) d(icundo) spectaculi spectantes rog(ant) Die Zuschauer des Amphitheaters��- bitten darum, Holco nius Priscus zum Duumvirn für die Rechtsprechung zu wählen.
7585
,. Dipinto in der Nähe des Amphitheaters.
93
M Epidium Sabinum Ilvir(um) d(ignum) r(ei) p(ublicae) ordo
sanctus facit Der ehrenwerte Gemeinderat tritt dafür ein, Marcus Epi dius Sabinus zum Duumvirn zu wählen. Er verdient es, die öffentlichen Interessen wahrzunehmen. 44
7576
45
lediglich die Warnung eines Dipinti-Malers vermuten, der jedem »Zerstörer« die Krankheit auf den Hals wünscht (s. Nr. 195). Direkte Verunglimpfungen von Gegenkandidaten fehlen völlig. Die einzige Form von Schmähpropaganda war eine Art Negativ werbung durch offensichtljch erfundene »Wählerinitiativen«, mit
»Alle Schlafmützen schlagen Vatia vor ... « Fassaden mit Schmähwerbung?
denen der beworbene Kandidat sich wenig schmücken konnte. Unterstützergruppen wie »Spättrinker«, »Würfelspieler« und »Schlafmützen« nahm natürlich niemand als reale Gefolgsleute
Man kann sich seine politischen Freunde nicht immer aussuchen.
eines Bewerbers wahr. Aber es bestand schon rue Gefahr, dass
Beifall von der falschen Seite mussten auch pompejanische Wahl
Bewerber mit einer solchen -scheinbaren - Wahlklientel in den
kämpfer in Kauf nehmen-wenn etwa ein Wahlaufruf von Grup
Dunstkreis von Tunichtguten gerückt wurden und ihnen damit
pen oder Personen unterschrieben wurde, auf deren Solidarität
indirekt das abgesprochen wurde, was sich standarrusiert mit dem
man durchaus hätte verzichten können. Welche Möglichkeiten ein
Kürzel vb (vir bonus, »guter Mann«) oder vir probus, »rechtschaf
Kandidat hatte, sich von solcher unerwünschten Werbung und
fener Mann«, verband. Freilich ist nur eine Handvoll solch ruskre
Vereinnahmung zu distanzieren oder sie zu verhindern, wissen
rutierender Wahlaufrufe erhalten geblieben. Sie waren sicher keine
wir nicht. Ein direktes Eingreifen ist nur in zwei Fällen belegt: Da
»spam-Dipinti«, mit denen rue Werbeflächen der Fassaden >>zuge
wurden-vermutlich auf Betreiben des Bewerbers C. Iulius Poly
müHt« worden sind, sondern eher ein Ausnahmephänomen.
bius -die Namen zweier fragwürdiger Wahlhelferinnen aus dem
Dass sich dahinter eine von Rivalen gesteuerte Kampagne ver
Rotlichtmilieu übertüncht. Offensichtlich hatte Polybius Sorge,
barg, ist angesichts der Seltenheit dieses Dipinti-Typs kaum anzu
zu eng mit der Halbwelt in Verbindung gebracht zu werden und
nehmen. Vielleicht hat sich auch nur ab und zu jemand einen Jux
Wahlchancen durch den Eindruck mangelnder Seriosität einzubü
erlaubt, um rue »Humorfähigkeit« eines Bewerbers zu testen -
ßen (s. Nr. 73 und 74).
oder um rue als abgedroschen empfundene Phrasenhaftigkeit de,r
Im Normalfall werden die Kandidaten es indes hingenommen
üblichen Wahlaufrufe zu karikieren. Es ist nicht einmal auszu
haben, wenn unter den vielen honorigen Unterstützern auch der
schließen, dass die Wahlkampftruppe des betroffenen Kandidaten
eine oder andere unerbetene »Fan« auftauchte. Eine starke Präsenz
selbst die Dipinti in Auftrag gegeben hat, um durch ihren Witz
des eigenen Namens auf den Fassaden der Stadt zählte im Zweifel
Aufsehen zu erregen - und die Blicke der Passanten auf den
mehr als die »Qualität« des einzelnen Wahlaufrufs. Wahlkämpfer
Namen dessen zu lenken, den die reichlich schrägen Unterzeich
haben ja ein großes Herz, in das auch ein ordentliches Quantum an
ner-Vögel da angeblich unterstützten ...
Opportunismus passt ...
Sollte ruese Vermutung zutreffen, dann hätte sich das Wahl
Im Ganzen zeichnete sich der Dipinti- Wahlkampf durch ein
kampfteam des M. Cerrinius Vatia mit weitem Abstand den Origi
hohes Maß an Anstand und Fairness aus. Attacken politischer
nalitätspreis für Öffentlichkeitsarbeit in einer Textsorte verdient,
Gegner gegen Wahlaufrufe -in Form von Überpinselungen, bos
rue ansonsten wahrlich nicht durch Kreativität und Spritzigkeit
haften Kommentaren, Karikaturen und dergleichen -waren wohl
glänzt.
die Ausnahme. Dass es in Einzelfällen zu derartigen Übergriffen gekommen sein muss, lässt neben allgemeiner Lebenserfahrung 46
47
98
Vatiam aed(ilem) rogant Macerio* dormientes universi cum* Alle Schlafmützen bitten gemeinsam mit Macerius da rum, Vatia zum Aedil zu wählen.
Vermutic l h Verschreibungfür cum Macerio.
•
99
575
Vatiam aed(ilem) furunculi rog(ant) Die kJeinen Diebe (Spitzbuben) bitten darum, Vatia zum Aedil zu wählen.
100
576
M Cerrinium Vatiam aed(ilem) ovf. seribibi universi rogant scr Florus cum Fructu Bitte wählt Marcus Cerrinius Vatia zum Aedil Alle Spät trinker setzen sich für ihn ein. Dies schrieb Florus zusam men mit Fructus.
101
Bewerber-Namen, die immer wieder auf den Wänden Pompejis begegnen:
581
Iulius Polybius und Holconius Priscus
M C V v(irum) b( onum) aed(ilem) ovf. Colepsius rog(at) sicari o(vf. ?)* Bitte wählt M(arcus) C(errinius) V(atia) zum Aedil. Colepsius setzt sich für ihn ein. (Auch) die Meuchelmör der bitten darum(?). •
246
Unsichere Lesung: hinter secario sind Buchstaben ausgefallen; sicarius:
•Mörder.,. 102
. . .
drapetae omnes
Alle entlaufenen Sklaven (bitten darum, ... zu wählen). 7389
103
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) aliari rog(ant) Die Würfelspieler bitten darum, Gnaeus Helvius zum Aedil zu wählen.
48
3885
49
sogar mit einer massiven Kombination von Imperativ und Kon junktiv:facfacias, »mach zu, dass du ihn wählst!« Was, wenn sich die derart nicht nur sanft Bedrängten taub stell ten oder man fast schon vermuten konnte, dass ihnen die Wahl Imperative nicht nachdrücklich genug Beine machen würden? Für
Steh auf, wenn du ein Wähler bist!
diesen Fall hielten manche Wahlkämpfer ein semantisch schwere res Geschütz bereit. Sie fragten bei ausgesuchten Anhängern wenig
Massive Wahlenthaltung wird in unseren Tagen als ernstes Problem
dezent an, ob sie »schliefen« -oder unterstellten das direkt. Die
empfunden. Wenn zu wenige Menschen von ihrem Wahlrecht
Römer verwendeten keine Satzzeichen; deswegen war manches
Gebrauch machen, so lässt sich das als Krisensymptom für die Insti
dormis so oder so, d. h. als Frage oder als Vorwurf, interpretierbar.
tutionen oder gar die Verfassung deuten. Und es schwächt in der
Der erinnernde Zusatz cupis (»du willst ihn doch!«) milderte den
Tendenz die Stellung derer, die gewählt worden sind -fehlende
harschen Ton gelegentlich ab.
Wählerstimmen wagen nicht einmal die rhetorisch brillantesten und
Wer schläft, wenn er eigentlich etwas anderes tun soll, den muss
dreistesten Wahlsieger in Zustimmung umzudeuten. Und natürlich
man aufwecken. In diesem Sinne wird man das in einem solchen
sind diejenigen besonders düpiert, deren Anhänger scharenweise
Zusammenhang gern verwendete vigilare auch verstehen können,
den Wahlurnen fern geblieben sind, sodass die»Falschen« die Mehr
wenngleich es im Grunde ein »Wachen«, »wach Sein« bezeichnet.
heit bekommen haben ...
Es kann ja nicht verkehrt sein, etwas träge Zeitgenossen, die eine
Die zuerst genannten Bedenken dürften bei römischen Politi
Wahl zu »verschlafen« drohen, sowohl zum wach Werden als auch
kern kaum eine Rolle gespielt haben, wenn sie über Fragen der
zum wach Bleiben aufzufordern - und, bevor sie das vergessen:
Wählermobilisierung nachdachten. Wohl aber die letzte Üher
zum surgere, »Aufstehen«.
legung: Wer sein eigenes Wählerpotential nicht ausschöpfte, ris
Man sieht: Nicht alle Wahlkampfteams waren zartbesaitet.
kierte eine Niederlage. Und so setzte das Team, das die Wahlkam
Manche gingen schon recht ruppig mit den Wählern um-bemer
pagne seines Kandidaten plante und steuerte, in den Wahlaufrufen
kenswerter Weise vor allem mit denen, die als eigene Sympathisan
nicht nur auf den Indikativ, der eine tatsächliche Unterstützung
ten eingestuft wurden. Wenn gerade die Wahlaufrufe im Imperativ
signalisierte. In manchen Fällen griff man auch zum Imperativ, um
vorwiegend an den besonders umkämpften Fassaden der belebten
die eigene Klientel aus einer gewissen Lethargie zu reißen und sie
großen Straßen angebracht wurden, dann wurde da schon ein ganz
zu aktivem Wahleinsatz zu drängen. »Wählen gehen!« forderte
ordentlicher Druck auf potentielle »Schlafmützen« im eigenen
eine große deutsche Partei in einem Bundeswahlkampf ihre An
Lager aufgebaut ...
hänger einst auf; und jedes Mal, wenn sich ein Bundestagswahl
Die vornehme Variante bestand in einem »ich weiß ja, dass du
kampf dem Ende zuneigt, mehren sich die Stimmen von Politikern,
unseren Kandidaten willst«; da ersetzte der appellative Subtext
die ihre Parteigänger mit ähnlichen Appellen aufzurütteln versu
(»dann wähl ihn gefälligst auch!«) den schroffen Imperativ auf der
chen. Ganz ähnliche Slogans finden sich auf den pompejanischen
sprachlichen Oberfläche. Aber sicher ist sicher, auch damals schon:
Fassaden. Mit einem fac bzw. facite (»mach!«, »macht!«, »wählt!«
Die Subtext-Alternative ist gegenüber der klaren Ansage in der
oder bei absolutem Gebrauch »los, voran!«) werden Einzelne oder
Befehlsform deutlich in der Minderheit.
Gruppen an ihre Unterstützungspflicht erinnert; in zwei Fällen 50
51
104
Cuspi fac Fadium aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae)
Bitte wählt Marcus Holconius Priscus. Menecrates, du
Cuspius, wähle Fadius zum Aedill Er verdient es, die
bist sein Klient. Schläfst du?
öffentlichen Interessen zu vertreten.
114 105
822
1068
Priscum aed(ilem) ovf. Lutati fac
Ampliatum aed(ilem) oro vos faciatis Lorei vicinae* vis et dormis
Bitte wählt Priscus zum Aedil. Lutatius, geh ihn wäh
Bitte wählt Ampliatus zum Aedil. Nachbar Loreius, du
len!
willst ihn haben und schläfst?
7636
7517
*Wohl Verschreibungfürvicine.
106
Modestum aed(ilem) Pansa fac facias Los, Pansa, wähl den Modestus zum Aedil!
115
1071
Ampliatum aed(ilem) dignus est Graphicae::· dormis et cupis Ampliatus als Aedill Er hat es verdient. Graphicus, du
107
Vettium Firmum aed(ilem) dignus est pomari facite
schläfst - und doch willst du ihn haben.
(Wählt) Vettius Firmus zum Aedil. Er hat es verdient.
* Wohl Verschreibungfür Graphice.
Obsthändler, wählt ihn!
183
116 108
Caprasium et Paquium vicini facite
CapeHarn d(uum)v(irum) i(ure) d(icundo) ovf. Proc(ule) dorm(is)
Wählt Caprasius und Paquius, Nachbarn!
Bitte wählt Capella zum Duumvirn für die Rechtspre
7819
chung. Proculus, du schläfst! 109
7650
7578
A Vettium Firmum aed(ilem) ... pilicrepi facite Ballspieler, wählt Aulus Vettius Firmus zum Aedil!
1147
117
Popidium Secundum aed(ilem) ovf. Astyle dormis Bitte wählt Popidius Secundus zum Aedil. Astylus, du
110
HelviumSabinum aed(ilem)Biri(i)cumBiria rog(ant)d(ignum)
schläfst!
7794
r(ei) p(ublicae) v(irum) b(onum) ovf. Onomaste, cupide fac Die Birii (eher: Vrrii) bitten gemeinsam mit Biria darum, Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen. Er verdient
es,
118
die
Ampliatum aed(ilem) Trebi surge fac aed(ilem) Lollium Fus cum adulescentem probum
öffentlichen Interessen zu vertreten - ein guter Mann!
Ampliatus als Aedill Trebius, steh auf! Setz dich für Lol
Setze dich ordentlich für ihn ein, Onomaste!
lius Fuscus .als Aedil ein! Er ist ein rechtschaffener junger
9885
Mann. 111
7619
Lorei cliens fac quem diligis Klient Loreius, wähl den, den du liebst!
119
7531
C L(ollium) F(uscum) aed(ilem) cliens surge fac Gaius Lollius Fuscus zum Aedil! Klient, steh auf! Mach
112
(Fau)stinum aed(ilem) Crescens fave Faustinus zum Aedil! Crescens, sei ihm gewogen!
voran und wähle ihn! 120
113
MHolconiumPriscumovf. MenecratescliensB ... (?)dormis 52
7668
7909
Suettium ... Maci vigila Suettius (wählen)! Macius, sei wachsam I
2974
53
121
Veientonem aed(ilem) Police vigila Veiento als Aedil! Politus, wach auf!
122
7703
C Calventium Sittium Ilvir(um) i(ure) d(icundo) Uboni vigula::· (Wählt) Gaius Calventius Sittius zum Duumvirn für die Rechtsprechung! Ubonius, wach auf! " Mehrfach
123
858
in Dipinti
für vigila.
Popidium Ilvir(um) Graphice vigula Popidius zum Duumvirn! Graphicus, sei wachsam! 7649
124
Ampliatum L(uci) f(ilium) aed(ilem) vicini surgite et rogate Lutati fac Nachbarn, wacht auf und setzt euch für Ampliatus, den Sohn des Lucius, als Aedil ein. Lutatius, wähl ihn!
125
7443
L Popidium L f(ilium) Ampliatum aed(ilem) o(ro) te fac(ias) Trebi et Soteriche et'� vigilate Ich bitte dich, Lucius Popidius Ampliatus, den Sohn des Lucius, zum Aedil zu wählen. Trebius und Soterichus, seid wachsam!
7632
" Verschreibung, das zweite
126
et muss getilgt werden.
Alipe cupis Alipus, du willst ihn doch!
127
7694
Popidium iuvenem aed(ilem) Crescens scio te cupere Ich weiß doch, Crescens, dass du den jungen Popidius als Aedil willst.
54
7910
Intensiver Wahlkampf: Belebte Straßen waren als ,.Werbeflächen« umkämpft.
macht deutlich, dass die Römer einen extremen Persönlichkeits wahlkampf führten. Die Kandidaten brauchten nicht festzulegen, welche politischen Akzente sie setzen, welche Projekte sie in ihrer Amtszeit voranbringen oder welche Fortschritte sie den Menschen bringen wollten. Viel mehr als solche inhaltlichen Füllungen von
Qualitätssiegel vb und drp Pompejis »tugendhafte« Wände
Politik zählte die Person. Wer gewählt werden wollte, musste bei den Menschen als Persönlichkeit ankommen - allerdings als eine, die aufgrund ihrer Charakterstärke und ihres Lebenswandels eine
Wer moderne Wahlplakate wegen ihrer Inhaltslosigkeit und Phra
gewisse Garantie dafür zu bieten schien, keine Schande über die res
sendrescherei kritisiert, kennt römische Wahlaufrufe nicht. Die
publica, die alle Bürger angehende Sache, ihre Stadt, zu bringen.
sind jedenfalls in ihrer großen Masse ohne jede programmatische
Es fällt auf, dass sich positive Aussagen über die moralische
Aussage. Es dominieren vorgestanzte Formeln mit mehr oder
Integrität überdurchschnittlich häufig mit iuvenes, »jungen Män
weniger - meist weniger - aussagekräftigen Adjektiven, die die
nern«, verbinden. Das könnte sich mit einem Vertrauensvorschuss
charakterliche Eignung der Bewerber »beschreiben«. Zwei von
erklären, den ältere, leben�erfahrene und über lange Zeit »beob
ihnen sind so ritualisiert, dass sie meistens abgekürzt werden.
achtete« Kandidaten bei römischen Wählern genossen. Wer aller
vb steht fürvir bonus (»guter Mann«), und drp empfiehlt den Kan
dings aufgrund der vielen »jugendlichen« Amtsbewerber den Ein
didaten als dignus rei publicae (•des Gemeinwesens würdig«) als
druck hat, die römischen Pompejaner seien eine Art Trendsetter
einen, dem man die Vertretung der öffentlichen Interessen, das
für den modernen Jugendwahn gewesen oder sie hätten in •Junge
Gemeinwohl, die administrative und politische Führung der Stadt
an-die-Macht!«-Phantasien geschwelgt, den kann man beruhigen
beruhigt anvertrauen kann.
oder muss ihn enttäuschen: Zu den iuvenes zählten alle, die das
Wahlunterstützer, denen die Vertrauen einflößende WU'kung
46. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten.
dieser monotonen ethischen Qualitätssiegel suspekt war, setzten gelegentlich einen bekräftigenden Superlativ hinzu: dignissimus, »wirklich würdig!« Oder sie ergänzten und variierten die Charak terisierung ihrer Favoriten durch andere Adjektive, die deren hohen moralischen Standard betonten: tüchtig, bescheiden, ehren wert, unbescholten, rechtschaffen, anständig oder wie immer man die Eigenschaftswörter wiedergeben will, die die Fassaden Pom pejis fast wie ein open-air-Lexikon der Synonyme für »Integri tät« und »Verantwortungsbewusstsein« erscheinen lassen. Beein druckend, wie die Tugend in der Vesuvstadt alles andere über strahlte! Die Konzentration •programmatischer« Aussagen allein auf die charakterliche Tauglichkeit der Bewerber- allenfalls noch mit der in drp mitschwingenden Konnotation: Man traut es ihnen zu 56
57
128
Trebium aed(ilem) v(irum) b(onum) ovf. Bitte wählt Trebius zum Aedil. Er ist ein guter Mann.
Bitte wählt Paquius und Caprasius zu Duumvirn für die Rechtsprechung! Zwei außerordentlich tüchtige Män
123
ner! 129
460
A Vettium Firmum aed(ilem) v(irum) b(onum) ovf. Felix cupit
136
Cuspium Pansam aed(ilem) iuvenem probum dignum rei
Bitte wählt Aulus Vettius Firmus zum Aedil. Ein guter
p(ublicae) ovf.
Mann! Felix wünscht das.
Bitte wählt Cuspius Pansa zum Aedil! Er ist ein tüchtiger
174
junger Mann, der es verdient, die öffentlichen Interessen 130
Trebium Valente{m) et Gavium Rufum viros bon(os)
zu vertreten.
702
(Wählt) Trebius Valens und Gavius Rufus. Gute Leute! 137
3516
L Ovidium Veiento(nem) aed(ilem) v(irum) b(onum) d(ig num) r(ei) p(ublicae) ovf. iuvenem probum Graniu(s) rog{at)
131
Alleium (?) Maium d(uum)v(irum) i(ure) d(icundo) Aurelius
Bitte wählt Lucius Ovidius Veiento zum Aedil. Er ist ein
civem bonum fac{it)
guter Mann, der es verdient, die öffentlichen Interessen zu
Aurelius setzt sich für die Wahl des Alleius (?) Maius zum
vertreten, ein rechtschaffener junger Mann. Granius setzt
Duumvirn für die Rechtsprechung ein. Er ist ein guter
sich für ihn ein.
Bürger.
138 132
. . .
9869
499
rium Sabinum aed(ilem) Helissaeus et Tintirius optimum
PopidiumSecundum verecundum adulescentem aed(ilem) ovf. Bitte wählt Popidius Secundus zum Aedil. Er ist ein be
iuvenem rog{ant)
scheidener Jüngling!
968
Helissaeus und Tmtirius bitten darum, Sabinus (?) zum Aedil zu wählen. Ein hervorragender junger Mann! 133
158
139
Licinium rog(amus ?) iuvenem verecundissimum d(ignum)
L Ceium Secundum iuvenem optimum d(uum)v(irum) i(ure)
r(ei) p{ublicae) ovf. Wir( ?) bitten euch darum, Licinius zu wählen - einen
d(icundo) ovf. Sex Ceius facit
überaus sittsamen jungen Mann, der es verdient, die
Bitte wählt Lucius Secundus, einen hervorragenden jun
öffentlichen Interessen zu vertreten.
3463
gen Mann, zum Duumvirn für die Rechtsprechung I Sex tus Ceius setzt sich für ihn ein.
7974
140
Holconium Priscum verecundissimum d(ignum) r(ei) p(ub licae) aed(ilem) ovf. dignissimum
134
135
Samillum Modestum iuvenem probum aed(ilem)
Bitte wählt Holconius Priscus zum Aedil. Ein überaus
Samillus Modestus zum Aedil! Ein rechtschaffener junger
bescheidener Mann, der es verdient, die öffentlichen Inter
Mann!
essen zu vertreten! Er verdient es wirklich!
290
Paquium et Caprasium probissimos d(uum)v(iros) i(ure) d(icundo) ovf. 58
141
309
Holconium Priscum d(ignum) r(ei) p(ublicae) Ilv(irum) iuvenem frugi 59
(Wählt) Holconius Priscus. Er verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Ein solider junger Mann l
147
Claudium Verum Ilv(irum) i(ure) d(icundo) iuvenem inte grum
943
(Wählt) Claudius Verus zum Duumvirn für die Recht142
Popidium Secundum egregium adulescentem aed(ilem) ovf.
sprechung. Ein unbescholtener junger Mann!
3741
Bitte wählt Popidius Secundus zum Aedil - einen Jüng ling, der herausragt!
1012
148
C Gavium Rufum Ilvir(um) ovf. utilem r(ei) p(ublicae) Vesonius Primus rog(at)
143
Suetcios Certurn llvir(um) i(ure) d(icundo) Verum aed(ilem)
Bitte wählt Gaius Gavius Rufus zum Duumvirn. Ein für
Celsum collegam rog(at) Elainus dissign(ator) rog(at)* quo
unsere Stadt nützlicher Mann! Vesonius Primus setzt sich
rum innocentiam probastis
für ihn ein.
3471
Bitte wählt die Suettier! Den Certus zum Duumvirn für die Rechtsprechung, den Verus zum Aedil und außerdem
144
149
C GaviumRufum llvir(um) ovf. d(ignum) r(ei) p(ublicae) et
Celsus zu seinem Kollegen. Deren Integrität habt ihr er
utilem iuvenem prob um
fahren. Der Platzanweiser Elainus setzt sich für sie ein.
Bitte wählt Gaius Gavius Rufus zum Duumvirn. Er ver
597
dient
* Ein rogat ist überflüssig.
ist ein nützlicher, rechtschaffener junger Mann.
L Popidium Secundum aed(ilem) iuvenem innocuae aetatis
150
es,
die öffentlichen Interessen zu vertreten. Und er 6668
Ceium Ilvir(um) ov(f). benemerentem rog(amus)
d(ignum) r(ei) p(ublicae) ... umus cupit
Wir(?) bitten darum, Ceius zum Duumvirn zu wählen. Er
... umus wünscht Lucius Popidius Secundus als Aedil. Er
verdient es!
7460
ist ein junger Mann von bisher rechtschaffenem Lebens wandel und verdient es, die öffentlichen Interessen zu ver treten.
151
Vatiam et Postumium d(ignos) r( ei) p(ublicae) benemerentes (Wählt) Vatia und Postumius. Sie verdienen es, die öffent
720
lichen Interessen zu vertreten. Sie verdienen es wirklich! 145
Veientonem aed(ilem) ovf. et Vetcium innocentes
9832
Bitte wählt Veiento zum Aedil und auch Vettius! Untade lige Männer! 146
7143
Pansam aed(ilem) iuvenem sanctissimum d(ignum) r(ei) p(ublicae) ovf. Bitte wählt Pansa zum Aedil. Er ist ein überaus tugend hafter junger Mann und verdient es, die öffentlichen Inter essen zu vertreten.
60
7684
61
der als munerarius magnus gerühmt wird, als ein »großer Veran stalter von Gladiatorenkämpfen«. Der Wahlkontext dürfte dabei gegeben sein, doch handelt es sich nicht um ein »offiziöses« großes Dipinto, sondern um ein viel weniger auffälliges Graffito (4999). In einer Reihe von Wahlaufrufen wird in schöner Offenheit dar
»Er wird die Stadtkasse schonen« Wahlaufrufe mit einem Hauch von Programm
gelegt, dass sich der Kandidat für die Wahlunterstützung durch einen mit Namen angesprochenen Förderer revanchieren werde, indem er seinerseits als Unterstützer zur Verfügung stehe. Solche
programmata heißen die Wahl-Dipinti in der altertumswissen
Netzwerke zu flechten und zu pflegen war eines der großen Erfolgs
schaftliehen Fachsprache. Das aus dem Griechischen übernom
geheimnisse römischer Politik. Ohne persönliche Beziehungen und
mene lateinische Wort bedeutet »Öffentliche Bekanntmachung«,
politische Freundschaften war weder in Rom noch in Pompeji Kar
keineswegs »Programm« im heutigen Sinn. Wie im vorangehenden
riere zu machen. Man formulierte das selten so ungeschminkt wie in
Kapitel dargelegt, gehörten inhaltliche Aussagen gerade nicht zu
diesem (seltenen) Typus von Wahlaufrufen. Aber dass Politik so
den Stärken römischer Wahlwerbung. Das war anerkannte Wahl
funktionierte, war allgemein bekannt. Und es galt auch nicht als ver
karopfpraxis, und alle hielten sich daran. Fast alle, um genau zu
werfliche Kungelei, sondern als Ausdruck einer Lebensphilosophie,
sein. Denn in einigen wenigen Wahlaufrufen blitzen so etwas wie
die im lateinischen Sprichwort viel eleganter klingt: manus manum
eine inhaltliche Aussage bzw. die konkreten Erwartungen der Un
lavat, »eine Hand wäscht die andere«.
terstützer auf. Die wenigen Beispiele sind in diesem Kapitel zusam mengestellt. Um zumindest etwas Material zu gewinnen, haben wir die Defi nition des »Programmatischen« sehr weit gefasst und selbst dann zugegriffen, wenn die allgemeine Formel drp (dignus rei publicae), jemand sei »der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten wür dig«, durch die colonia Pompeiana ersetzt, konkretisiert und in gewisser Weise emotionalisiert wird. Auch positive Wertungen von Kandidaten, die sozusagen programmatisch verallgemeinert wer den (»solche Männer braucht die Stadt!«) sind hier angeführt. Wahlversprechen im eigentlichen Sinne finden sich nur zweimal. Wer »gutes Brot bringt«, lässt auch allgemein für die Ökonomie der Stadt Gutes erwarten - wie auch der, der die Gemeindekasse nicht ausplündern, sondern eine solide Finanzplanung betreiben wird. Zweimal wird daran erinnert, dass ein Kandidat sich in der Vergangenheit Verdienste erworben hat, die ihn für eine politische Karriere empfehlen. Gelegentlich wird zu diesen »programmati schen« Aussagen auch der Fall des Casellius Marcellus gestellt, 62
63
152
Rusticum Verum a(edilem) v(iis) a(edibus) s(acris) p(ubl.icis)
158
p(rocurandis) Augusto feüciter aediles sie decet
(Wählt) Lucius Sextilis zum Duumvirn für die Rechtspre
(Wählt) Rusticus zum Aedil mit der Zuständigkeit für
chung. Er hat sich vielen gegenüber als freigebig erwie
Straßen, heilige und öffentliche Gebäude. Ein Hoch auf
sen.
den Kaiser! So müssen Aedilen sein.
7187
427
159 153
L Senilem Ilvir(um) i(ure) d(icundo) multis fecit benigne
Bruttium Balbum Ilvir(um) Gen(ialis) rog(at) hic aerarium
M Casellium et L Albucium aed(iles) ovf. Statia et Petronia
conservabit
rog(ant) tales viros in colonia in perpetuo
Genialis bittet darum, Bruttius Baibus zum Duumvirn zu
Bitte wähJt Marcus Casellius und Lucius Albucius zu
wählen. Er wird die Stadtkasse schonen.
3702
Aedilen. Statia und Petronia setzen sich für ihn ein. Solche Männer in unserer Kolonie auf Dauer!
160
3678
L Munatium Caeserninum
quinq(uennalem)
Nucerini
(pu ?)giles spectastis 154
155
C lulium Polybium aed(ilem) ovf. panem bonum fen
Lucius Munatius Caeserninus zum Quinquennalen! Ein
Bitte wählt Gaius Iuüus Polybius zum Aedil. Er bringt
wohner von Nuceria, ihr habt die von ihm bezahlten
gutes Brot.
Faustkämpfer angeschaut!
429
M Epid.ium Sabinum d(uumvirum) i(ure) dic(undo) ovf.
161
9939
Sabinum aed(ilem) Proeule fac et ille te faciet
dig(nus) est defensorem coloniae ex sententia Suedi Clemen
Proculus, wähle Sabinus zum Aedil - und er wird dich
tis sancti iudicis consensu ordin.is ob merita eius et probita
wählen.
635
tem d.ignum rei pubücae faciat(is) Sab.inus dissignator cum plausu facit
162
Bitte wählt Marcus Epidius Sabinus zum Duumvirn für die
Cn Helvium Sabinum aed(iJem) v(irum) p(robum) Lorei fac et ille te faciet
Rechtsprechung. Er hat es verdient - der Verteidiger der
Loreius, wähle Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil, einen
Stadt, der sich nach Ansicht des ehrenwerten Richters Sue
tüchtigen Mann- und er wird dich wählen.
7733
dius Clemens mit Zustimmung des Gemeinderates wegen seiner Verdienste und Rechtschaffenheit als würdig erwie sen hat, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Der Platz anweiser Sabinus tritt mit Beifall für ihn ein.
768
163
Popidium Secundum aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ubücae) probissimum iuvenem ovf. Rufine fave et ille te faciet Bitte wählt Popidius Secundus zum Aedil. Er verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Ein überaus
156
M Epidium defensorem ...
anständiger junger Mann I Rufinus, unterstütze ihn -
(Wählt) Marcus Epidius, den Verteidiger ... 157
1032
und er wird dich auch wählen!
3409
Numm.ianum aed(iJem) dignum coloniae Pompeianae (Wählt) Nummianus zum Aedil. Er ist ein der Kolonie Pompeji würdiger Bewerber. 64
7219
65
Es gab keine Parteien, die einem Bewerber Rückhalt hätten geben und Schwächen seiner Persönlichkeit oder seiner Selbstdar stellung mit den Stärken ihres politischen Programms hätten aus gleichen können. Die Kandidaten waren damit viel stärker auf sich allein gestellt, als wir uns das vor dem Hintergrund unserer Erfah
Nett sein und sich nicht festlegen -
rungen mit einer Parteiendemokratie vorstellen können. Daraus
Erfolgsgeheimnisse des römischen Wahlkampfes
ergaben sich zwei eherne Grundregeln für einen erfolgreichen
Wie sichert sich ein Amtsbewerber in dem politischen System
dich angenehm für die Wähler dar! Und zum Zweiten: Schare so
Roms eine größtmögliche Unterstützung im Wahlkampf? Wie
vieleUnterstützer und politische Freunde um dich, wie du bekom
spricht er seine Wähler an, um sie zu einer Stimmabgabe zu seinen
men kannst, und lass diese Unterstützung für das Wahlvolk deut
Gunsten zu bewegen?
lieb werden!
Wahlkampf. Zum Einen: Mache dich so beliebt wie möglich, stelle
Antworten auf diese Fragen liefert ein schmales Wahlkampf
Römischer Wahlkampf war ein lang andauernder, über viele Sta
Brevier, das unter dem Namen des Quintus Tullius Cicero über
tionen führender Bittgang: rogare, »um Unterstützung werben«,
liefert ist. Es hat die Form eines Briefes an seinen älteren und viel
»Wähler um ihre Stimme bitten«, ist das Zauberwort des commen
prominenteren Bruder Marcus Tullius Cicero, den großen Redner,
tariolum. rogandi omnes sunt diligenter, schärft der Ratgeber dem
der sich im Jahre 64 v. Chr. anschickte, im Consulatswahlkampf
Kandidaten ein, »alle Welt muss umsichtig gebeten werden!« (5)
sein politisches Meisterstück zu machen. Und der dann tatsächlich
Dabei muss man sich auch schon einmal klein machen, die Wähler
siegreich aus den Wahlen hervorging: Im Jahre 63 v. Chr. konnte er
umschmeicheln und ihnen gefällig sein. Mehrfach wird das aus
seine politische Laufbahn als römischer Consul krönen. Es wäre
drücklieb als inservire bezeichnet (»dienen«, 21, 23, 24, 40), ja sogar
schon höchst bemerkenswert, wenn sich sein jüngerer Bruder mit
als studiose inservire (»mit Eifer dienen«, 49). Darin steckt servus,
einer solchen persönlichen Empfehlungsschrift in Ciceros Wahl
»der Sklave«, und diese Etymologie dürfte den Zeitgenossen
kampf eingebracht hätte. Entsprechend laut sind immer wieder
durchaus bewusst gewesen sein.
Zweifel an der Autorschaft des Quinrus Cicero geäußert worden.
Das Abträglichste überhaupt war Arroganz. Wer den Menschen
Ebenso wird in Teilen der Forschung bezweifelt, dass es sich um
das Gefühl vermittelte, sie nicht recht ernst zu nehmen, wer im
eine historische Handreichung aus den sechziger Jahren des 1. Jahr
Wahlkampf auf die gesellschaftliebe Distanz zwischen dem vor
hunderts v. Chr. handelt. Die Datierungen reichen bis in die frühe
nehmen Bewerber und dem einfachen Wählervolk pochte, der
Kaiserzeit.
hatte fast schon verloren. Dagegen brachte Bürgernähe mit Hände
Die Frage nach dem Verfasser muss letztlich wohl ebenso unbe
schütteln, freundlichem Smalltalk und stets heiterer Miene wichtige
antwortet bleiben wie die der Datierung. In unserem Zusammen
Popularitätspunkte ein (46). Man musste sympathisch wirken -
hang sind beide ohnehin von untergeordneter Bedeutung. Ent
auch wenn man es nicht war. Das Geheimnis des guten Wahlkämp
scheidend ist, dass wir mit dem commentariolum petitionis, dem
fers- ein Gaius Cotta wird vorbildhaft als wahrer in ambitione arti
»skizzenhaften Entwurf für eine Bewerbung«, ein Dokument in
fex gerühmt, als »Künstler in der Wahlwerbung« (46)- best.and
Händen halten, das uns authentisch und zuverlässig Einblick in die
darin, sich auch mal eine Zeit lang im Vorfeld von Wahlen verstellen
Welt und Mentalität römischer Wahlkämpfer gibt.
und sich ein zweites Gesicht zulegen zu können. Fragwürdig unter
66
67
sittlichen Gesichtspunkten, räumt Cicero ein, aber unabdingbar:
einzelnen Kandidaten grundsätzlich politisch zu verorten waren,
Im Wahlkampf war die Personalunion von bonus vir (»guter, unta
ob sie in der späten Republik eher für eine populare, auf die Volks
deliger Mann«) und bonus petitor (»guter Wahlkämpfer«) wenig
tribunen gestützte Politik standen oder eher dem Lager der Sena
förderlich. Schonungslos ehrlich stellt er fest: »Das eine zeichnet
toren, den Optimaten, zuneigten. Mit konkreten Inhalten hatte
den anständigen Menschen aus, das andere den guten Kandidaten«
diese Präferenz indes relativ wenig zu tun. Da gab es oft genug
(45)- was dessen Anhänger nicht daran hinderte, ihn in Wahlauf
Überschneidungen oder auch unerwartete Positionswechsel wie
rufen dennoch unablässig als vir bonus anzupreisen. Die entspre
etwa heutzutage, wenn die (vermeintlich) Rechten sich anschicken,
chende Abkürzung vb ist in pompejanischen Dipinti eine der
die (vermeintlich) Linken links zu »überholen«. Viel wichtiger als
beliebtesten Empfehlungsformeln (s. S. 56 ff.).
die klare politische Linie war es, wie man persönlich bei den Wäh
Wie verhält sich der Wahlkämpfer gegenüber Wünschen, die an
lern ankam, ob man ihnen vermitteln konnte, dass man sich mit sei
ihn herangetragen werden? Auf jeden Fall taktisch: Nach Möglich
ner Autorität, Integrität und Klugheit »für ihre Vorteile einsetzen
keit stellt er deren Erfüllung in Aussicht und lässt die Zeit für sich
werde« (53).
arbeiten. Wenn es aber gar nicht anders geht, dann federt er einen abschlägigen Bescheid mit freundlichen, verständnisvollen Wor ten ab (45). Grundsätzlich aber gilt die blanke opportunistische Formel »möglichst viel Ja und ganz wenig Nein sagen« und allen alles versprechen. So jedenfalls hielt es der schon erwähnte Wahl kampf-»Künstler« C. Cotta. Er war zuversichtlich, dass sich schon ein Grund oder Vorwand finden lassen werde, ein Versprechen lei der doch nicht einlösen zu können .. (47). .
Solche»Notversprechen« nähmen im Grunde sogar auf die Psy
Wahlempfehlung für P. Paquius Proculus, denn »er verdient es« (dignus est).
chologie des Wählervolkes Rücksicht, findet Cicero. In einem auf Volkstümlichkeit und persönliche Nähe abgestimmten Wahl kampf wolle der Bittsteller eigentlich gar nicht die Wahrheit hören,
Die konkrete Füllung der »Vorteile« ( commoda)- das wird sich
weil das die Stimmung verderbe. »Alle werden es mit voller Über
im Rahmen des Vertrauensvorschusses, der sich mit der Wahl ver
zeugung vorziehen, dass du lügst, als dass du ihnen ihre Bitte ab
bindet, schon finden. Die pompejanischen Wahlaufrufe bestätigen
schlägst« (46).
diese »apolitische« Tendenz des römischen Wahlkampfes auf ein
Die Bitten, von denen hier die Rede ist, waren persönliche
drucksvolle Weise. Mit der häufig verwendeten Formel dignus rei
Anliegen, keine Anträge im Hinblick auf eine politische Program
publicae, »des Gemeinwesens würdig«, wird die allgemeine, aus
matik. Aus heutiger Sicht wohl das Erstaunlichste am römischen
der Persönlichkeit des Bewerbers resultierende Qualifikation fest
Wahlkampf überhaupt: Cicero warnt den Amtsbewerber dringend
gestellt, die richtigen Weichen für die respublica zu stellen. Er ist es
davor, sich politisch festzulegen, einen politischen Standpunkt zu
wert, gewählt zu werden, und deshalb wird er es nach der Wahl
ergreifen (53). Eine Todsünde für einen Wahlkämpfer, weil es seine
schon richten.
Wahlchancen dramatisch schmälere- bei klaren »Ansagen« brä
Die gleiche- folgerichtige- Übereinstimmung zwischen den
chen ganze Wählergruppen weg. Natürlich wusste man, wie die
Wahl-Dipinti in der Praxis der Wahlwerbung und den theoreti-
68
69
sehen »Vorgaben« des commentariolum: politische Programma
Erfolg gebiert den Erfolg-dieser Slogan galt auch für römische
tik- Fehlanzeige! Ein Trost für uns Nachgeborene: Nicht nur wir
Wahlkämpfe. Je mehr und je angesehenere Unterstützer man für
tappen im Dunkeln, was die politischen Ziele der einzelnen Kandi
sich rekrutierte, umso mehr durfte man darauf hoffen, dass einfa
daten angeht, die sich in Pompeji um die Aedilität oder das Duum
chere Menschen diesen »Vorbildern« folgten.
virat bewarben- die pompejanischen Wähler vor zweitausend Jah ren waren da nicht besser daran.
Die Qualität der Wahlkampfhelfer war wichtig, aber auch die Quantität-daher die Empfehlung an den Wahlkämpfer, einen mög
Das zweite Erfolgsrezept für den Wahlkampf neben gratia
lichst großen Kreis von Unterstützern hinter sich zu scharen: die
(•Gunst«, »Beliebtheit«) war eine breite Unterstützung durch
Mitglieder des eigenen Wahlbezirks, die Nachbarn und Klienten,
möglichst viele Anhänger schon während der Wahlkampagne.
die Freigelassenen und sogar die Sklaven (denn die wussten etliche
Wem viele vertrauen, dem kann man selbst getrost seine Stimme
Interna aus dem Leben der Familie, die nicht unbedingt ans Licht
geben- auf dieses Kalkül war der Wahlkampf zugeschnitten. Und
der Öffentlichkeit kommen sollten - und •Gerüchtekampagnen«
deshalb kam es darauf an, alte Beziehungen zu aktivieren, Dank
unzufriedener oder rachsüchtiger Unfreier waren kaum nachzu
barkeit für Wohltaten, die man anderen erwiesen hatte, im Zeit
weisen, in ihrer möglichen Rufmord-Wirkung indes fatal) (17). Um
punkt des Wahlkampfes einzufordern {23), politische Freunde,
der Gerüchteküche keine Nahrung zu geben, empfahl es sich also,
die man selbst bei einer Wahl unterstützt hatte, um sich zu scharen
»denen lieb und angenehm zu sein, die aufgrund eines angemessene
und nach Möglichkeit auch prominente, angesehene Unterstüt
ren Grundes deine Freunde sind« (16) -und sie zu veranlassen, dies
zer zu gewinnen, die man als Referenzen für die eigene Eignung
möglichst öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren.
als Beamter anführen konnte {17). Netzwerke politischer amici,
Auch dieser theoretische Rat wird in der Dipinti-Realität einge
»Freunde«, waren etwas ganz Wichtiges in einem römischen Wahl
löst. Präsenz bedeutete Prominenz und höhere Wahlchancen -
kampf. Das Prinzip wechselseitiger Hilfestellung funktionierte -
nach diesem Motto sah das Wahlkampfteam eines Kandidaten zu,
man musste etwas trägere »Freunde« ab und zu nur daran erinnern,
möglichst viele und möglichst hochrangige bzw. authentische
dass sie einem noch einen Gefallen schuldig waren ...
Wahlaufrufe an den Fassaden zu platzieren. Wer die Bewohner sei
»Viele und verschiedenartige Freundschaften« in den Dienst der
nes Stadtviertels und seine Nachbarn zur Wahlunterstützung ani
eigenen Wahlkampagne zu stellen {29), das war die eine Sache.
mieren konnte, überzeugte die Öffentlichkeit davon, dass er dort,
Diese Freunde indes zu solcher Aktivität zu motivieren, dass sie
wo man ihn
offen Partei ergriffen, war die andere, im Zweifel etwas mühseli
wurde. So leicht ist und war es nicht, vom Vertrauen ausgerechnet
gere. Lippenbekenntnisse oder freundliche Worte in kleinen Zir
der engsten Nachbarn getragen zu werden.
am
besten kannte, als würdiger Kandidat angesehen
keln beim Gastmahl oder abendlichen Trinkgelage nutzten nur
Mit Wahlwerbung solle man nach einem gut ausgeklügelten, sys
wenig; entscheidend war die Mobilisierung in der Öffentlichkeit,
tematischen Plan die gesamte Stadt »beglücken« (habeto rationem
die sichtbare und hörbare Unterstützung dort, wo viele Menschen
urbis totius, 30), empfiehlt das Wahlkampf-Brevier. Auch darin
zusammenkamen. Immer wenn du in der Öffentlichkeit auftrittst,
erweisen sich die Kandidaten in Pompeji als gelehrige Schüler. Die
rät Quintus Cicero seinem Bruder, •umgib dich mit einer Beglei
Verteilung der Wahl-Dipinti lässt in vielen Fällen eine strategische
tung, die sich aus Männern eines jeden angesehenen Geschlechts,
Planung erkennen (s. S. 73 ff.), wobei man Streuverluste möglichst
Standes und Lebensalters zusammensetzt« - das macht enormen
vermeiden wollte. Will sagen: Die Wahlwerbung konzentrierte sich
Eindruck auf die Menge {34).
auf die Stellen im Stadtgebiet, die stark frequentiert waren und wo
70
71
man entsprechend viele Wähler erreichte. Das waren vorzugsweise die großen Einfall- bzw. Ausfallstraßen zwischen den Stadttoren und der City. Eine wichtige Rolle spielten aber auch die Berufsvereine (colle
gia). Man darf annehmen, dass sich einzelne Kandidaten in deren Sitzungen vorgestellt und um politische Unterstützung geworben haben. In vielen Fällen hatten sie damit Erfolg. Da »plakatierten«
Aedil im Jahre des Untergangs?Die Wahlkampagne des Helvius Sabinus
dann Obsthändler oder Müller, Bauern oder Sackträger zuguns ten des Bewerbers, der den besten Eindruck auf sie gemacht hatte
Möglicherweise war
es
für Gnaeus Helvius Sabinus ein bitterer
(s. S. 24 ff. Als collegia traten die Angehörigen bestimmter Berufe
Wahlsieg- bitter, weil er gerade in jenem Jahr 79 n. Chr. als Aedil
allerdings offiziell nicht in Erscheinung.
kandidiert hatte, in dem der Ascheregen des Vesuvausbruchs die
Die körperliche Präsenz der Bewerber, ihre ständige Verfüghar
Stadt begrub. Ganz sicher wissen wir es nicht, ob er den Sprung
keie und Ansprechbarkeit im Wahlkampf wird von Cicero vehe
vom ambitionierten Kandidaten zum siegreichen Amtsinhaber tat
ment eingefordert (41)- möglichst mit einem großen Gefolge, das
sächlich geschafft hat; denn er ist gegen mindestens drei ernst zu
sie bei ihren öffentlichen Auftritten begleitet. Denn »das führt zu
nehmende Konkurrenten angetreten. Wenn er sich aber durchge
einer hohen Meinung und verleiht dir große Würde« (36). Das
setzt haben sollte, dann fiel seine Wahl definitiv ins letzte Jahr des
wird im pompejanischen Kommunalwahlkampf nicht anders
Bestebens von Pompeji. Das ergibt sich schlüssig aus der Tatsache,
gewesen sein als in der »großen« Politik in Rom. Auf sekundäre
dass kein einziger der ihn favorisierenden Wahlaufrufe übertüncht
Quellen müssen wir hier jedoch verzichten. An deren Stelle tritt
worden ist. Helvius Sabinus war stets ganz oben- jedenfalls auf der
indes das umfangreiche primäre Quellenmaterial der
obersten Dipinti-Schicht.
Wahl
Dipinti; es lässt eine vergleichbare Wahlkampfstrategie erschlie
Seine Chancen standen gut, wenn man das aus der großen Zahl
ßen. Und die hieß: •Jeder, der dich gut kennt( ...), hat dich gern
der Aufrufe, Sabinus zu wählen, schließen darf. Das Wahlkampf
und wünscht, dass du möglichst bedeutend bist« (17).
team hatte ganze Arbeit geleistet. Mehr als 100 Dipinti zugunsten
Und das kleidet dieser •Jemand« in die schlichte Dipinto-For
dieses Bewerbers »zierten« pompejanische Fassaden. Das sind fast
mel ovf, oro vosfaciatis: »Ich bitte euch, XY zu wählen.« Denn der
4% von dem, was erhalten ist, also jedes 25. überlieferte Wahl
ist dignus rei publicae, •hat es verdient, die öffentlichen Interessen
»Programm«. Auch die Verteilung der »Wahlplakate« stimmte, wie
zu vertreten«- auch wenn er sich im Wahlkampf reichlich oppor
die Karte zeigt. Helvius Sabinus war fast im gesamten Stadtgebiet
tunistisch verhalten und konkrete politische Aussagen vermieden
präsent, vorrangig aber an Verkehrsknotenpunkten, wo die Wer
hat.
bung einer größtmöglichen Zahl von Passanten ins Auge stach.
Ähnlichkeiten mit modernen Wahlkämpfen waren indes nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Das war bei der breiten Via dell'Abbondanza der Fall, die bei allen Wahlkampfstrategen als »Werbemeile« heiß begehrt war, sowie an den anderen wichtigen Straßenachsen, die stark frequentierte Stadttore mit der City verbanden. Inhaltlich zeichneten sich die Unterstürzer des Helvius Sabinus deutlich weniger durch kreatives Engagement aus. Will sagen: Die
72
73
u Veneil ng der Dtpinti . für Helvtus Sabinus
1 Antiquarium/ Museum
2 8astlika 3 T�mpd d�s Apollon
4 Forum 5 lsis-Tcm�� 6 Grolks un Kl�ines
Th�atcr d Haus d e s MenaJl �r d 8 Haus �er Hun en jahrfetcr . 9 Haus d�r Stlbcrhochutt 7
10 Haus der vergo ldeten Amorctr�n
.
II H�us der Vtttter Haus des Fauns
:� Dtclw.•rs Haus des tragtsehen NEUE
AUSGRABUNGEN
Außt rna I. lb des Oricntierurt.�splans: 14
Villa des Diomr?cs
15 Vtlla urr • .I Mysrenen
Verteilungvon D.1 P'nti 1 zugunsteo des Helv!Us Sabmusun . . Stadtgebiet P ompejis. ·
74
75
für die üblichen Unterstützergruppen: Einzelpersonen, Familien, Berufsverbände, Nachbarschaften, Stadtviertel- und Frauen, die das ihnen vorenthaltene Wahlrecht durch ein Vorschlagsrecht ersetzten. Unter ihnen greifen mit Aegle und Maria auch zwei Ser Die kürzeste Form des Wahlaufrufs: •Helvius als Aedil!c
vierdamen aus dem WirtShaus der Asellina in denWahlkampf ein. Im Unterschied zu anderen Kandidaten (s. S. 73 und 74) befürch tete Helvius Sabinus von solcherWahlunterstützung aus dem ver
Wahlaufrufe für ihn waren ebenso formelhaft und monoton wie
rufenen Kneipenmilieu keine negative Wirkung auf »bürgerliche«
das Gros derWahl-Dipinti. Die beliebteste Formulierung war Cn
Wähler. Umso interessanter wäre es zu erfahren, ob sein »Mut«
Helvium Sabinum aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) o(ro) v(os) f(aciatis): »Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. Er ver
belohnt und er tatsächüch zum Aedil im Jahre des Untergangs sei ner Stadt gewählt worden ist.
dient es, die öffenilichen Interessen zu vertreten«. So steht es auf achtzehn Wänden. Unmittelbar dahinter in der »Hitparade« der Empfehlungstexte rangiert mit siebzehn »Kopien« das gleiche ohne drp. Sechsmal erhält die längere Formel den Zusatz vb (virum
bonum; •guter Mann!«). Immerhin neunmal lassen die Unterstüt zer nur den Namen wirken: Cn Helvium Sabinum. Offensichdich ist allgemein bekannt, um welches Amt er sich bewirbt - bis auf eine Ausnahme: Ein Dipinci-Maler vertut sich schücht, indem er den Aedilitäts-Bewerber zum Kandidaten für einen Duumvirn Posten macht (7034). Zwei Wahlaufrufe werben nicht nur für Helvius Sabinus, son dern gleichzeitig für Marcus Samellius Modestus. Solche »Koali tionen« inWahlaufrufen waren üblich. Und man darf unterstellen, dass die beiden Kandidaten- manchmal vier, wenn eine »Paketlö sung« von zwei Aedilen und zwei Duumvirn vorgeschlagen wurde- ihr Einverständnis dazu gegeben hatten und sich als politi sche amici, •Freunde«, verstanden. Was freilich nicht hieß, dass sie tatsächüch gemeinsam ins Amt kamen oder gemeinsam scheiter ten. Die Wähler ließen sich von •Listenverbindungen« weniger beeindrucken als von der Autorität der einzelnen Kandidaten und stellten dann perWahl unter Umständen ganz andere »Koali tionen« her. Der Kreis der Wahlhelfer unseres Kandidaten war groß und bunt - ein Querschnitt durch die Bevölkerung und exemplarisch 76
77
164
CnHel(vium)Sabin(um)aed(ilem)Pacuvius cupidus rog(at)
172
Cn Helviurn Sabinum aed(ilem) pistores rog(ant) et cupiunt
Pacuvius bittet mit Nachdruck darum, Gnaeus Helvius
cum VlClillS
Sabinus zum Aedil zu wählen.
Die Bäcker bitten darum, Gnaeus Helvius Sabinus zum
7595
Aedil zu wählen. Sie wünschen das zusammen mit den 165
Nachbarn.
Helvium Sabinu(m) aed(ilem) ovf. Astylus cup(it)
7273
Bitte wählt Helvius Sabinus zum Aedil. Astylus bittet da rum.
173
7525
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) vicini fac(iunt) Die Nachbarn setzen sich für Gnaeus Helvius Sabinus als
166
Aedil ein.
HelviumSabinum aed(ilem)Popidi rog(ant)
852
Die Popidier bitten darum, Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen.
174
705
CnHelviumSabin(um)aed(ilem) ovf. Urbulanenses rog(ant) Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil I Die An
167
Cn Helvium Sabin(um) aed(ilem) Epidius euro suis vol(t) et
wohner des Urbulanenser Tores setzen sich für ihn ein.
probat
7747
Epidius will gemeinsam mit seiner Familie Gnaeus Hel vius Sabinus als Aedil. Er findet ihn gut.
175
7708
Cn Helvium Sabini aed(ilem)Isiaci universi rog(ant) Alle Isis-Priester (oder: lsis-Anhänger) bitten darum,
168
Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen.
Helvium Sabinum aed(ilem)Parthope et Rufinus rog(ant)
787
Parthope und Rufinus bitten darum, Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen.
176
3403
Cn Helvium Sabinum M Samelliurn Modes(rum) aed(iles) d(ignos) r(ei) p(ublicae) ovf.
169
Cnaeum Helvium Sabinum aed(ilem) d(ignurn) r(ei) p(ubli
Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus und Marcus Samel
cae) ovf.
lius Modestus zu Aedilen. Sie verdienen es, die öffentlichen Interessen zu vertreten.
Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. Er ver dient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten.
177 170
6616; 6627
7843
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) ovf. L Ceium Secundum
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) iuvenem prob(urn)
Ilvir(um) ovf. Recepta nec sine Thalamo
Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil! Ein anständiger jun
Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. Bitte
ger Mann!
wählt Lucius Ceius Secundus zum Duumvirn. (Das emp
1145
fiehlt) Recepta nicht ohne Thalamus. 171
1083
CnHelviumSabinum omni bono meriturn iuvenem aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) ovf.
178
Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil, einen jun
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) d(ignum) r(ei) p(ublicae) Maria rogat
gen Mann, der sich in jeder Hinsicht auszeichnet! Er ver dient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. 78
706
79
Maria bittet darum, Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil zu wählen. Er verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. 179
7866
Cn Helvium Sabinum aed(ilem) ovf. Baibus cupidus feci(t) Bitte wählt Gnaeus Helvius Sabinus zum Aedil. Baibus hat ihn mit Nachdruck gewählt.
»Lucius hat dies gemalt
. . .
«-
Die Werbeprofis
935 b
Professionelle Werbeagenturen, die sich Image-Kampagnen für einen Kandidaten überlegten und passende Slogans kreierten, gab es in Pompeji nicht. Was inhaltlich auf die Wände kam, entschieden die einzelnen Wahlhelfer oder die Komitees, die einen Politiker unterstützten. Wohl aber wurden im Regelfall Profis für die tech nische Durchführung der Wahlwerbung engagiert - Reklame maler, die allein oder mit einem Team von Gehilfen arbeiteten. Der Chef eines solchen Kleinunternehmens war der scriptor, »Schreiber«, ganz selten auch als pictor, »Maler«, bezeichnet. Er trug die Wahlaufrufe in roter oder schwarzer Schrift mit möglichst ansehnlichen Buchstaben auf die Wandflächen auf. Was er da schrieb, war sicher mit den Auftraggebern abgestimmt - und natürlich auch, wo er es hinschrieb. Wie er seinen Auftrag aus führte, war zum großen Teil dem ü herlassen, was er als seine künst lerische Freiheit definierte, wenngleich es sicher auch in dieser Hinsicht lockere Absprachen gegeben haben dürfte. Im Rahmen solcher Vereinbarungen wurde auch festgelegt, dass der scriptor in eigener Sache Reklame machen durfte: Eine Reihe von Wahlaufrufen trägt den Zusatzscr(ibit) bzw. scr(ipsit) XY, »XY schreibt dies« bzw. »hat dies geschrieben«. Von den 25 namentlich bekannten scriptores ist allerdings mehr als die Hälfte nur ein ein ziges Mal bezeugt. Einige von ihnen dürften nur Gelegenheits schreiber gewesen sein, die damit einer Nebentätigkeit nachgin gen, bei anderen mag es ein Zufall der Überlieferung sein, dass sie nur einmal auftauchen. Bescheidenheit dürfte dabei kaum der Grund sein. Gerade die Erfolgreichen
in
dem Gewerbe sahen zu,
ihr »Logo« möglichst oft unterzubringen, um ihren Betrieb im
Gespräch zu halten und weitere Aufträge zu akquirieren. 80
81
Darauf legten jedenfalls Papilio (11 Bezeugungen), Hinnulus, Icarinus (jeweils 7) und Victor (6) großen Wert. Und erst recht Infantio und P. Aemilius Celer. Seine 17 »Unterschriften« zei gen, wie gut Infantio im Geschäft war. An ihn haben sich offenbar viele Auftraggeber gewandt- oder er war so geschickt im Ver handeln, dass er seine Eigenwerbung häufiger gestattet bekam als andere. Der ungekrönte König unter den scriptores Pompejis war indes Publius Aemilius Celer. Mit 18 Bezeugungen führt er die Besten liste der Eigenreklame an. Aber nicht nur quantitativ fällt er aus dem Rahmen. Auch »qualitativ« machte er gelegentlich durch ungewöhnliche Kommentare auf sich aufmerksam. In einem Falle droht er Wahlkampf-»Vandalen«- Vorgängern der Leute, die 2000
:oArbeitsproben« professioneller scriptores
Jahre später Wahlplakate abreißen oder »verzieren« - mit üblen Folgen (»Neidhammel, der du dies hier zerstörst, werde krank!«,
(oft mit dem Wunsch feliciter, »alles Gute für ...«), und gelegent
3775), in einem anderen Dipinto bekennt er sich weniger larmoy
lich auch andere Mitteilungen von Privatleuten.
ant als selbstironisch zur einsamen Nachtarbeit scr(ibit) Aemilius Celer sing(ulus) ad luna(m): »Dies hat Celer allein beim Monden
der Verantwortliche. Er brachte jedenfalls seinen Namen sehr viel
schein geschrieben«; 3884). Gleich noch einmal in demselben
häufiger auf als den seiner Helfer. Zu ihnen gehörte der dealbator,
Dipinto brachte er in der Öffnung eines großen C ein scr(ibit)
»T üncher«, der die Wände von früheren Parolen säuberte und
Celer unter. Damit jeder wusste, wo er den geschäftstüchtigen Witzbold antreffen konnte, prangte ein Aemilius Celer hic habitat
einen weißen (albus) Untergrund herstellte. Dipinti waren häufig
an seinem Haus, »hier wohnt Aemilius Celer« (3794).
mentaren der Passanten schützten. dealbator und scriptor arbeite
Wenn im Team gearbeitet wurde, war der scriptor offenkundig
in einer Höhe angebracht, die sie vor Schmierereien oder Kom
Nicht alle Bezeugungen beziehen sich auf Wahlinschriften. Von
ten also oft auf einer Leiter - und die wurde, falls die beiden sich
diesem »Stoßgeschäft« zu Anfang des Jahres hätten die Maler
nicht gegenseitig halfen, von einem Dritten gesichert, dem scala
kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Profis waren
rius, » Leiterhalter«.
auch auf andere Aufträge angewiesen. Ein lukratives Geschäft
Gelegentlich arbeiteten die »Wahlhelfer« in der Nacht. Ob das,
waren die öffentlichen Einladungen zu Gladiatorenkämpfen und
wie manche Forscher annehmen, der Regelfall war, ist fraglich. Die
anderen Massenunterhalrungen. Die »Wohltäter«, die diese Show
Bezeugungen von Nachtarbeit sind nicht so häufig, dass sie sich
Veranstaltungen finanzierten, legten Wert darauf, dass ihr Name in
verallgemeinem ließen. Sicher war es auf besonders stark frequen
möglichst großen Lettern im Zusammenhang mit dem Arena-Pro
tierten Straßen tunlich, wenn sich die Parolen-Schreiber nicht ins
gramm auf den Wänden zu lesen war. Daneben wurden Vermie
hektische Menschengewühl am Tage begaben, sondern bis zum
tungs- und Verkaufsanzeigen als Dipinti in Auftrag gegeben,
Abend warteten, wenn es deutlich ruhiger geworden war. Dann
öffentliche Begrüßungen und Akklamationen für hochrangige
brauchte der scriptor noch jemanden, der die Wand anleuchtete -
Persönlichkeiten, die sich um die Stadt verdient gemacht hatten
den lanternarius (lantema, »Laterne«). Auch bei dieser Arbeit gab
82
83
es Rationalisierungsmöglichkeiten) die ein Schreiber einmal der
180
Wand anvertraut: »Lampenträger, halte die Leiter!«
M Cerrinium aed(ilem) ovf. scr(ibit) Florillus Bitte wählt Marcus Cerrinius zum Aedil. Dies schreibt
Sollte mitunter ein weiterer Gehilfe mit der Funktionsbeschrei
Florillus.
803
bung adstans die Malertruppe verstärkt haben? Wohl kaum. ad
stans ist einer, der »dabeisteht«. Es dürfte sich im Falle des »ver
181
Popidiom Secund um aed(ilem) ovf. dignus est scr(ibit) Inf(an
ewigten« Beistehers Vesbinus nicht um einen Assistenten, sondern
tio)
eher um einen Müßiggänger gehandelt haben, der der kleinen
Bitte wählt Popidius Secundus zum Aedil. Er verdient es.
Kolonne interessiert bei der Arbeit zugesehen hat- und hinterher
Dies schreibt Infantio.
709
erstaunt war, dass auch sein Name die Wand zierte ... 182
Ti(berium) Claudium Verum ovf. vicini scr(ibit) Aemilius Celer Nachbarn, bitte wählt liberius Claudius Verus. Dies schreibt Aemilius Celer.
183
3820
L Popidiom Secundum aed(ilem) ovf. Lollius Synhodus cliens rog(at) scr(ibit) Papilio Bitte wählt Lucius Popidius Secundus zum Aedil. Darum bittet sein Klient Lollius Synhodus. Dies schreibt Papi lio.
184
7418
Q Postum(ium) M Cerrinium aed(iles) ovf. Euxinus rog(at) nec sine Iusto scr(ibit) Hinnulus Bitte wählt Quintus Postumius und Marcus Cerrinius zu Aedilen. Darum bittet Euxinus und Iustus schließt sich dem an. Dies schreibt Hinnulus.
185
9851
Q Postumium Proculum aed(ilem) drp ovf. scr(ibit) Por cellus Bitte wählt Quintus Postumius Proculus zum Aedil.. Er verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Dies schreibt Porcellus.
186
9925
Lucius pinxit Lucius hat dies gemalt.
84
7535
85
187
Lepidus Sabinus zu Aedilen, die mit der Verwaltung der
(Popidio Rufo feliciter dign)us est omnibus Pompeianis feli citer scripsit Infantio
Straßen und der sakralen und öffentlichen Gebäude
Alles Gute für Popidius Rufus! Er hat es verdient. Alles
betraut sind. Sie haben es verdient. Dies hat Ossius(?)
Gute für alle Pompejaner! Dies hat Infantio geschrieben.
.I
geschrieben, Onesimus war dabei sein Tüncher.
222
7343
191 188
.
. ? scripsit Secundus dealbante Victore adstante Vesbino .
C Iulium Polybium aed(ilem) v(üs) a(edibus) s(acris) p(ubli
Dies hat Secundus geschrieben; Victor hat die Wand ge
cis) p(rocurandis) lanternari, tene scalaml
tüncht, und Vesbinus hat dabeigestanden.
1190
Stimmt für Gaius Iulius Polybius als Aedil, der mit der Verwaltung der Straßen und der sakralen und öffent
192
.
. Postumium aed(ilem) scr(ibit) lnfantio infra scribente .
lichen Gebäude betraut ist. Lampenträger, halte die Leiter
Parente li ...
fest!
(Wählt) Postumius zum Aedil! Dies schreibt Infantio;
7621
Parens schreibt darunter (der Text bricht ab, das Zahlzei 189
chen II ist nicht zuzuordnen).
M Pupium Rufum Ilvir(um) i(ure) d(icundo) dignum r(ei)
984
p(ublicae) ovf. Mustius fullo facit et dealbat scr(ibit) (un ?)icus s(ine?) reliq(uis) sodalib(us) non(is ?)
193
A Suettium Certurn aed(ilem) ovf. scribit Paris idem rogat
Bitte wählt Marcus Pupius Rufus zum Duumvirn für die
Bitte wählt Aulus Suettius Certus zum Aedil. Dies
Rechtsprechung. Er verdient es, die öffentlichen Inter
schreibt Paris, und er selbst bittet auch darum.
821
essen zu vertreten. Der Walker Mustius wählt ihn und macht die Wand weiß. Er schreibt dies allein(?) ohne(?)
194
Stunde? An den Nonen?).
7186
3529
195 190
Certimeles, scribis va(le)! Certimeles, du schreibst. Leb wohl!
seine übrigen (neun?) Gefährten (oder: zur neunten
L Statium Receptum Ilvir(um) i(ure) d(icundo) ovf. vicini
1> Paquium Proculum Ilvir(um) virum b(onum) d(ignum)
dig(nus est) scr(ibit) Aemilius Celer vic(inus) invidiose qui
r(ei) p(ublicae) ovf. A Vettium (Caprasi)um Felicem Ilvi
deles aegrotes
r(um) v(irum) b(onum) d(ignum) r(ei) p(ublicae) ovf. digni
Bitte wählt Lucius Statius Receptus zum Duumvirn für
sunt Q Marium (Rufum) M Lepidum Sabinum aediles v(iis)
die Rechtsprechung, Nachbarn! Er verdient es. Dies
a(edibus) s(acris) p(ublicis) p(rocurandis) digni sunt s(crip)
schreibtAemilius Celer, der auch selbst Nachbar ist. Neid
sit (Os ?)sius dealbatore Onesimo
hammel, der du das hier zerstörst, werde krank!
3775
Bitte wählt Publius Paquius Proculus zum Duumvirn. Er ist ein guter Mann und verdient es, die öffentlichen Inter essen zu vertreten. Bitte wählt Aulus Vettius Caprasius Felix zum Duumvirn. Er ist ein guter Mann und verdient es, die öffentlichen Interessen zu vertreten. Sie haben es verdient. (Wählt) Quintus Marius Rufus und Marcus 86
87
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CIL IV
/5 Stellenverzeichnis CIL IV
97 103 113 117 � 123 ps S.t.-..149 158 S.t.., 174 183 193 202 221 222 241 246 274 275 290 309 336 343 368 373 427 429 443 457 460 470 490 499 601
A�
A�( 90
Weeber, Wahlkampf 27 23
p128 11
16
132 129 107 7
19
82
190
26 101 29 51 134 140 44 59 54 43 152 154 55 135 12 24 131 22
�' 'g
CIL IV
635 673 677 694 698 702 705 706 709 720 783 787 803 821 822 826 852 858 864 913 935 b 943 951
968 984 1012 1032 1041 1045 1048 1053 1059 1068
Weeber, Wahlkampf 161 50 39 52 53 136 166 171 181 144 13 88; 175 180 193 113 42 6; 173 122 36 70 179 141 37 138 192 142 156 76 96 45 64 89 104
1071 1083 1141 1146 1147 1190
2974 3403 3409 3423 3460 3463 3471 3478 3483 3516 3527 3529 3666 3674 3678 3702 3741 3775 3820 3885 6438d 6610 6616 6625 6627 6668 6672 7143 7164 7186 7187 7197 7219 7231 7273
Weeber, Wahlkampf 106 66; 177 170 90 109 191 120 168 163 20 4 139 148 31 21 130 67 189
3 85 72; 153 159 147 195 182 103 49 63 178 10 176 149 25 145
32 194 158 58 157 86 41; 172
CIL IV
7261 7279 7288 7291 7295 7343 7389 7418 7443 7460 7464 7469 7473 7490 7517 7525 7531 7542 7576 7558 7579 7584 7585 7595 7605 7619
7621 7632 7636 7649 7650 7668 7669 7684 7685 7694 7706 7707 7733 7747 7749
Weeber, Wahlkampf 18 78 60 61 62 187 102 183 124 150 65 69 33 80 114 165 111 75 93 116 94 95 92 163
81 118 188 125 105 123 1L5 119
71 146 79 124 15 121 162 14; 174 56 91
Weeber,Wahlkampf
CIL IV
7791
91
7910
127
7794
117
7925
8 5
CIL IV
Weebe� Wahlkampf
7809
34
7927
7812
35
7974
133
7819
108
9832
151
7841
73
9851
154
7843
169
9860
57
7862
47
9869
137
7863
46
9885
110
7864
74
9918
97
7866
178
9919
84
7873
48
9925
185
7900
87
9939
160
7909
112
Bildnachweis S. 12,21,55: Werner Krenkel,Pompejanische Inschriften,Leipzig 21963, S. 20,87, 94 $.16,22, 27,69: Rex E. Wallace,An Introducnon to Wall lnscriptions from Pom peii and Herculaneum,Wauconda (lll.) 2005,S. 105, 107 S. 31, 49, 77: Manifesti elettorali nell'antica Pompei, a cura di Romolo Augusto Staccioli, Mailand 1992,Tafel 2 S. 74-75: Ehrenfried Kluckert, Neapel, Zürich/München, S. 159 (Artemis Cice rone; leicht überarbeitet) S. 84: Fotografische Vorlage aus dem Besitz des Autors
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