Christina Holtz-Bacha (Hrsg.) Die Massenmedien im Wahlkampf
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Christina Holtz-Bacha (Hrsg.) Die Massenmedien im Wahlkampf
Christina Holtz-Bacha (Hrsg.)
Die Massenmedien im Wahlkampf Die Bundestagswahl 2005
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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1. Auflage Dezember 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Barbara Emig-Roller / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15056-7
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................. 3 Christina Holtz-Bacha Bundestagswahlkampf 2005 – Die Überraschungswahl............................ 5 Thomas Bosch "Hinten sind die Enten fett". Der Bundestagswahlkampf der SPD und die Mobilisierung der eigenen Mitglieder................................................................................... 32 Christina Holtz-Bacha & Eva-Maria Lessinger Politische Farbenlehre: Plakatwahlkampf 2005......................................... 80 Sandra Lieske Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005................................ 126 Christina Holtz-Bacha & Eva-Maria Lessinger Wie die Lustlosigkeit konterkariert wurde: Fernsehwahlwerbung 2005......................................................................... 164 Eva Johanna Schweitzer Professionalisierung im Online-Wahlkampf? Ein Längsschnittvergleich deutscher Partei-Websites zu den Bundestagswahlen 2002 und 2005 .................................................... 183
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Inhalt
Raphaela Ott Weblogs als Medium politischer Kommunikation im Bundestagswahlkampf 2005....................................................................... 213 Kerstin Plehwe Politische Dialogkommunikation im Bundestagswahlkampf 2005 ..... 234 Christoph Tapper & Thorsten Quandt "Trotzdem nochmal nachgefragt, Frau Kirchhof...". Eine dialoganalytische Untersuchung des Fernseh-Duells im Wahlkampf 2005 .................................................................................... 246 Winfried Schulz & Reimar Zeh Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels. Ein Vergleich der Kandidatendarstellung ................................................ 277 Jürgen Wilke & Carsten Reinemann Die Normalisierung des Sonderfalls? Die Wahlkampfberichterstattung der Presse 2005 im Langzeitvergleich.................................................................................... 306 Reimar Zeh & Lutz M. Hagen Stimmungen und Wählerstimmen – was die Papstwahl mit der Bundestagswahl zu tun hat (und mit Fußball)........................... 338 Autorinnen und Autoren............................................................................ 356
Vorwort
Die Überraschung, die Parteien und Wahlkampfprofis bei Schröders Neuwahlankündigung erlebten, traf in ähnlicher Weise diejenigen, die sich wissenschaftlich mit Wahlkämpfen beschäftigen: Mit Blick auf den regulären Wahltermin im Herbst 2006 waren bestenfalls die Designs für die nächsten Wahlkampfstudien entworfen und die Anträge auf finanzielle Unterstützung kaum formuliert. Insofern war es alles andere als selbstverständlich, dass die Untersuchungen, die sich in vielen Fällen mittlerweile zu Zeitreihen fügen und ihren Wert daher gerade im Vergleich von Wahl zu Wahl haben, wieder durchgeführt werden konnten. Erst recht war es unter solchen Bedingungen schwierig, gänzlich neue Studien auf die Beine zu stellen. Vor diesem Hintergrund gilt zunächst die Anerkennung denjenigen, die dennoch und oft mit so genannten Bordmitteln Untersuchungen realisieren konnten und ihre Ergebnisse zu diesem Buch beigetragen haben. Damit kann zum fünften Mal ein Sammelband mit Studien zur Bundestagswahl vorgelegt werden, die die Rolle der Massenmedien im Wahlkampf in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen und unter vielfältigen Perspektiven beleuchten. Jacob Leidenberger hat dafür gesorgt, dass aus den verschiedenen Texten eine einheitliche Druckvorlage wurde. An ihn geht ein besonderer Dank sowie an all diejenigen, die auf andere Weise am Zustandekommen dieses Bandes beteiligt waren. Christina Holtz-Bacha Nürnberg, Ende August 2006
Bundestagswahl 2005 î Die Überraschungswahl Christina Holtz-Bacha
Die Bundestagswahl 2005 war eine Überraschungswahl. Das galt für die Ankündigung ebenso wie für das Ergebnis der Wahl. Die Ankündigung des Bundeskanzlers am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai kam nicht nur für die Öffentlichkeit überraschend, seine Partei traf sie ebenfalls unerwartet. Auch im Nachhinein, bei dem Versuch, das Zustandekommen der Entscheidung und nicht zuletzt die Beweggründe zu analysieren, sah es nach einer recht einsamen Entscheidung von Gerhard Schröder und Franz Müntefering aus, obwohl angeblich erste Überlegungen dafür schon nach dem Debakel um die Ministerpräsidentinnenwahl in Schleswig-Holstein stattgefunden haben sollen. So war dann auf diese Wahl keiner vorbereitet, die Parteien nicht und auch nicht ihre Wahlkampfberater. Dieser Wahlkampf musste gleichsam aus dem Boden gestampft werden. Auch wenn die Parteien und ihre professionellen Unterstützer mit ihren Kampagnenplänen nicht erst warteten, bis Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht den Weg für die Neuwahl freigemacht hatten, sie hatten wenig Zeit. Gerade mal dreieinhalb Monate standen ihnen zur Verfügung. Damit widersprach die Kampagne 2005 den Trends der letzten Wahljahre, als die Wahlkämpfe immer länger zu werden schienen. So startete etwa der allgemein als modern und professionell gefeierte Wahlkampf der SPD 1998 mehr als ein Jahr vor dem Wahltermin (vgl. Holtz-Bacha, 1999). 2002 begannen die Wahlkampfbemühungen der beiden großen Parteien nach dem 'Wolfratshauser Frühstück' im Januar, nachdem die Union ihren Kanzlerkandidaten bestimmt hatte; so standen immerhin rund acht Monate für den Wahlkampf zur Verfügung. Mit dem Wahltermin am 18. September 2005 ergab sich zusätzlich zu der kurzen Vorbereitungszeit das Problem, dass die heiße Wahlkampfphase, womit üblicherweise die letzten vier bis sechs Wochen vor dem Wahltag gemeint sind, zum Teil in die Sommerferien fiel î eine Zeit, in der die Wählerschaft nicht gerade gut mit Politik zu erreichen ist. Schließlich waren die Parteien auch finanziell noch nicht wieder auf einen neuen Wahlkampf vorbereitet. Es gilt als Kennzeichen mo-
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derner Wahlkämpfe, dass diese kostenintensiv sind. Aufgrund des Mitgliederschwunds, den die deutschen Parteien erleben mussten, bestreiten sie ihre Arbeit und ihre Wahlkämpfe überwiegend aus der staatlichen Parteienfinanzierung, die wiederum abhängig ist von der Zahl der Stimmen, die sie bei einer Wahl erhalten, sowie von eingeworbenen Spenden. Im Jahr vor der Neuwahl hatten die Parteien die Europawahl zu finanzieren und je nach ihrem Erfolg bei dieser Wahl auch nur bedingt entsprechend Geld eingenommen, so dass ihnen die finanzielle Belastung ein Jahr früher als vorgesehen gewiss schwer fiel. Vor diesem Hintergrund – gewissermaßen über Nacht vor die Situation gestellt, eine Wahlkampagne zu organisieren – bot der Wahlkampf 2005 auch einen Test für die Professionalität der Parteien und ihrer Kampagnenexperten. Denn die deutschen Parteien bauen ihre Kampagnenteams jeweils neu und für den Zweck des Wahlkampfes auf, wenn auch durchaus mit gewissen personellen Kontinuitäten. Wie es um deren 'Professionalisierung' bestellt ist, war in den vergangenen Jahren wiederholt Gegenstand der Diskussion und auch von empirischen Untersuchungen; seltener wurde der Blick darauf gerichtet, inwieweit diese Professionalisierung auch für reguläre Zeiten der Politikvermittlung gilt. Wenn die Vermutung zutrifft, dass hier eine "professionalization at two speeds" (Holtz-Bacha, im Druck) zu beobachten ist, nämlich eine Professionalisierung von Wahlkämpfen, aber weniger der regulären Politikvermittlung, erfordert das mit herannahendem Wahltermin jeweils den (Neu-)Aufbau einer Wahlkampfzentrale, die für die Kampagne zuständig ist, ohne dass an vorhandene Strukturen anzuknüpfen ist. Nicht nur, dass der Wahlkampf von einem Tag auf den anderen zu organisieren war, es galt auch, strategisch die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zu berücksichtigen: Eine langfristig orchestrierte Kampagne sowie die thematische und gestalterische Entwicklung des Wahlkampfmaterials auf der Basis von Umfragen und Pretests, wie es die Lehrbücher des politischen Marketings vorsehen, waren kaum möglich. Es gibt dann auch durchaus Indikatoren dafür, dass sich der Zeitdruck und die noch nicht wieder ausreichend gefüllten Wahlkampfkassen für die Kampagnengestaltung ausgewirkt haben. So ließen sich zum Beispiel die Diskussion über die farbliche Gestaltung vor allem der SPD-Plakate oder die uneinheitliche Linie der CDU-Plakatkampagne (vgl. Holtz-Bacha & Lessinger, Politische Farbenlehre, in diesem Band) als Zeichen dafür sehen, dass hier schnell und ohne ausreichende Resonanztests entschieden wurde. Auch die – zahlenmä-
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ßig und gestalterisch – sparsame Produktion von Fernsehspots könnte entsprechend gewertet werden (vgl. Holtz-Bacha & Lessinger, Wie die Lustlosigkeit..., in diesem Band). Schließlich wurde die Aggressivität des Wahlkampfes beklagt, auch das ließe sich als eine Folge des zeitlichen Drucks und der daraus resultierenden Nervosität sehen. Ebenso überraschend wie die Ankündigung fiel das Ergebnis der Wahl aus. Als die Fernsehsender am Wahlabend ihre Prognosen bekannt machten und sich die Hochrechnungen stabilisierten, mochte wohl manche(r) den Augen nicht trauen. Die Union war als Favorit in den Wahlkampf gegangen. Der langfristige Trend der Sonntagsfrage zurück bis vor die Wahl im September 2002 macht deutlich, dass die Popularitätskurven von SPD und CDU nur einmal dicht beieinander lagen; das war zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 2002, als die beiden großen Parteien mit jeweils 38.5 Prozent abschnitten. Die Parteipräferenz für die SPD sank nach dem Wahltermin unmittelbar wieder ab und blieb niedrig, während die Kurve für die CDU/CSU nach oben abhob und sich zeitweilig sogar der 50-ProzentMarke annäherte. Beim Wahlergebnis 2005 lagen die beiden großen Parteien dann aber wieder gar nicht so weit auseinander. Die Unionsparteien kamen auf 35.2 Prozent, die SPD erreichte 34.2 Prozent. Die Umfrageinstitute hatten anderes erwarten lassen. Bis an den Wahltag heran hatten sie deutlich bessere Werte für die Union ermittelt. Für die FDP dagegen, die gegenüber 2002 erheblich zulegte und sich daher am 18. September als Gewinner der Wahl feierte, war durchweg ein niedrigeres Ergebnis vorhergesagt worden. In dem Sonderheft, das der Spiegel am Montag nach der Wahl herausbrachte, war dann auch die Rede von einem "Desaster für die Demoskopen" (Theile, 2005, S. 63). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte ebenfalls gleich nach der Wahl eine Graphik ins Netz, die in dicken Balken den Mittelwert der letzten Umfragen mit dem Wahlergebnis verglich und so die zum Teil beträchtlichen Abweichungen deutlich herausstellte (vgl. Abbildung 1). Zwar hatte es auch schon früher solche Aufrechnungen gegeben, zumal Wahlen wegen der Möglichkeit des Abgleichs am tatsächlichen Ergebnis einen echten Prüfstein für die Arbeit der Meinungsforschungsinstitute darstellen, diesmal schienen die Differenzen zwischen den Parteistärken während der Vorwahlzeit und dem tatsächlichen Wahlergebnis aber besonders weit auseinander zu liegen, so dass die Demoskopie zu einem Verlierer der Wahl ausgerufen wurde. Welche Erklärungen gibt es dafür, dass es offenbar
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2005 besonders schwer war, den Ausgang der Wahl zu prognostizieren? Außerdem stellt sich die Frage, ob diese Bundestagswahl damit eine Ausnahme darstellt oder ob sich hier ein Trend abzeichnet und die Demoskopie auch in Zukunft ähnliche Schwierigkeiten wie 2005 haben wird. Abbildung 1: Umfrageergebnisse und Wahlergebnis im Vergleich 45 40
Mittelwert Institute
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Wahl
30 25 20 15 10 5 0 CDU/CSU
SPD
Grüne
FDP
Linke
Sonstige
(Eigene Darstellung nach: Im Vergleich, 2005)
Die Überraschungen am Wahltag und die Unsicherheiten der Meinungsforschung dürften sowohl auf allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen wie auch auf spezifische Bedingungen dieser Bundestagswahl zurückzuführen sein. Zu den allgemeinen Trends gehören die Veränderungen im Zuge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, mit dem die traditionellen sozialen Variablen ihren Einfluss auf Verhalten und Einstellungen des einzelnen und damit schließlich auch ihre Vorhersagekraft für die Wahlentscheidung eingebüßt haben (vgl. auch Holtz-Bacha, 2002). Mit der Abschwächung der sozialstrukturellen Bindungen, dem steigenden allgemeinen Bildungsniveau und den besseren Möglichkeiten der Informationsbeschaf-
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fung haben sich zugleich die früher eher als langfristig stabil geltenden Bindungen an die Parteien gelöst. Damit hat die Parteiidentifikation, die nach dem sozialpsychologischen Modell des Wählerverhaltens (Ann ArborModell) als eine entscheidende Variable der Wahlentscheidung gesehen wurde, an Bedeutung verloren. Aber auch die sozioökonomischen Variablen und die damit einhergehenden Gruppenbindungen und Umweltbedingungen, die im Zentrum des mikrosoziologischen Modells der Columbia-Schule stehen und der Parteiidentifikation gleichsam vorgeschaltet sind, lassen sich immer weniger zur Prognose von Wahlentscheidungen heranziehen. Dazu kommt in Deutschland, dass sich das Parteiensystem verändert und wenigstens mit den Grünen eine Partei entwickelt hat, deren Entstehung nicht auf die gesellschaftlichen Konfliktlinien (Cleavage-Modell) zurückzuführen ist. Dieser Dealignment-Prozess, das Nachlassen der Parteibindungen, vollzieht sich in Deutschland langsamer als in anderen Ländern (vgl. Dalton, 2002, S. 184). Es gibt aber sehr wohl auch hier Zeichen dafür, dass traditionelle Bindungen lockerer und Wahlentscheidungen damit variabler geworden sind. Ein offensichtlicher Indikator ist die Zahl derjenigen Wählerinnen und Wähler, die auch während der heißen Wahlkampfphase noch unentschlossen sind, was sie wählen werden, und ihre Entscheidung erst spät treffen. Solche Unsicherheiten drücken sich zum Teil in Wahlabstinenz aus. Schließlich steht auch die Bereitschaft zur Wechselwahl für die Lockerung ehemals fester Bindungen. Die Wahlbeteiligung lag 2005 bei 77.7 Prozent, 1.5 Prozent niedriger als bei der letzten Wahl. Zwar ist das im internationalen Vergleich immer noch eine recht gute Quote; verglichen mit der hohen Wahlbeteiligung früherer Jahre mit Beteiligungsquoten von mehr als 85 oder sogar 90 Prozent zeigt sich darin jedoch ein deutlicher Rückgang. Obendrein können die beiden großen Parteien immer weniger Stimmen auf sich vereinen. 2005 kamen SPD und CDU/CSU zusammen auf 69.4 Prozent. Bei den Bundestagswahlen der siebziger Jahre lag ihr gemeinsamer Stimmenanteil über 90 Prozent; gegenüber dem Ergebnis der letzten Wahl im Jahr 2002 haben die beiden Parteien gut sieben Prozentpunkte eingebüßt. Die kleineren Parteien können den großen also einen wachsenden Anteil an Stimmen abjagen und haben insofern an Bedeutung gewonnen. Das Bild wird noch ein wenig komplizierter durch die Zahl derjenigen Wähler, die ihre Stimmen splitten. Seit 1980, als der Wert zehn Prozent erreichte, ist das Stimmensplitting immer weiter angestiegen. Bei der Wahl
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2005 gaben 24 Prozent der Wähler ihre Stimmen nicht einheitlich ab, was gegenüber der letzten Wahl noch einmal eine Steigerung um gut drei Prozent bedeutete. Mit ihren Zweitstimmenkampagnen zielen die kleinen Parteien sogar auf die uneinheitliche Stimmabgabe, so dass der Trend zum Splitten auch weiterhin anhalten dürfte. Das alles macht die Wählerinnen und Wähler im Wortsinne unberechenbar, und das bekommen auch die Meinungsforschungsinstitute zu spüren. Die kurzfristige Volatilität ist mit ihren Gewichtungsformeln kaum noch in den Griff zu bekommen. Die Präsentation von Ergebnissen der Sonntagsfrage in der Vorwahlzeit, ohne dass die Zahl der Unentschlossenen ausgewiesen wird, täuscht daher eine Verlässlichkeit vor, die gar nicht da ist, weil weder mit Sicherheit gesagt werden kann, wie sich diese Wähler entscheiden werden, noch ob sie sich überhaupt an der Wahl beteiligen. Bei den letzten Bundestagswahlen wurde der Anteil derjenigen, die sich auch kurz vor dem Wahltermin noch nicht entschieden hatten, jeweils mit rund einem Viertel angegeben, was in den letzten Tagen vor der Wahl noch zu nennenswerten Verschiebungen in der Parteienstärke führen kann. Ohnehin muss die Meinungsforschung mit einer gewissen statistischen Fehlermarge leben, die jedoch angesichts der zum Teil knappen Unterschiede in den Parteistärken bedeutsam (geworden) ist. Neben diesen allgemeinen Trends, die es schwer machen, das Verhalten der Wählerinnen und Wähler präzise abzuschätzen, haben 2005 Faktoren eine Rolle gespielt, die für diesen Wahlkampf spezifisch waren. Eine Besonderheit war die Gründung der WASG (Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit) und ihr Zusammengehen mit der PDS. Mit Oskar Lafontaine als Zugpferd zielte die WASG insbesondere auf das sozialdemokratische Wählerpotenzial. Durch ihre Verbindung mit der PDS verschaffte sie dieser Attraktivität auch im Westen. Zeitweilig wiesen die Umfragen zweistellige Werte für die Linkspartei aus. Als Neuentwicklung mit schnellem Erfolg in der Wählerschaft und nicht zuletzt durch die talkshowbewährten Spitzenkandidaten Lafontaine und Gysi zog die Partei in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Für die SPD entwickelte sich damit neue Konkurrenz im linken Spektrum, so dass sie nun nicht nur gegen die Unionsparteien, sondern eben auch gegen die Linkspartei anzukämpfen hatte. Die Warnungen von Union und FDP vor einer rot-rot-grünen Koalition verschärften dieses Problem für die SPD.
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Die Möglichkeit zur Bildung einer großen Koalition ist ein wiederkehrendes Wahlkampfthema der kleineren Parteien. Bis in die achtziger Jahre verkaufte sich jeweils die FDP in ihrer Wahlwerbung als notwendige dritte Kraft zwischen den beiden großen Parteien und deren Übermacht, sollten sie zusammen eine Koalition eingehen. Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag wurde die große Koalition auch für sie zu einem Thema. Im Wahlkampf 2005 hatte die FDP deutlich erklärt, eine Koalition mit der Union anzustreben; die andere Seite betonte, auf die Fortführung der rotgrünen Koalition zu setzen, auch wenn offensichtlich war, dass Differenzen zwischen SPD und Grünen die Entscheidung, eine vorgezogene Neuwahl herbeizuführen, mit beeinflusst hatten. Dennoch wurde schon bald diskutiert, dass sich SPD und Union zu einer großen Koalition zusammentun könnten, und die kleineren Parteien machten das auch zum Gegenstand von Warnungen in ihrer Wahlwerbung. Als sich im Laufe des Wahlkampfes allmählich die Umfragewerte für die SPD verbesserten, kamen Zweifel am sicher geglaubten Sieg für eine schwarz-gelbe Koalition auf und die Bildung einer großen Koalition zeichnete sich als eine ernst zu nehmende Möglichkeit ab. Wegen der damit verbundenen Machtfülle sind große Koalitionen indessen für viele Wähler eine wenig attraktive Lösung, was hinsichtlich der Stimmabgabe zu taktischen Überlegungen geführt haben könnte, die sich zum Ende des Wahlkampfes vor allem zu Gunsten der FDP ausgewirkt haben. Schließlich entstanden Unsicherheiten für die Wählerinnen und Wähler durch die Entwicklung der Kanzlerpräferenz bzw. das Auseinanderklaffen der Popularität der Kanzlerkandidaten auf der einen und derjenigen ihrer Parteien auf der anderen Seite. Wie schon im Wahlkampf 2002 war Gerhard Schröder 2005 deutlich beliebter bei der Wählerschaft als die SPD. Auch gegenüber Angela Merkel hob Schröders Popularitätskurve nach deren anfänglichem Vorsprung gleich nach ihrer Nominierung immer weiter ab. Nach den Zahlen, die im Verlauf des Wahlkampfes bekannt gemacht wurden, gab es auch unter den der Union nahestehenden Wählern viele, die eher Schröder zuneigten als Merkel. Solcherlei 'Kreuzdruck' mag seinen Anteil an der Unentschlossenheit bzw. an Bewegungen in der Wahlabsicht gehabt haben. Bereits während des Wahlkampfes 2005 entwickelten sich die Umfragen zu einem Thema der Kampagne. Die SPD, die bereits unmittelbar nach der Wahl 2002 an Akzeptanz in der Wählerschaft verloren hatte und aus
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einem Popularitätstief heraus in den Wahlkampf startete, musste – nicht zuletzt zur Mobilisierung ihrer Mitglieder und Anhänger – gegen die gedrückte Stimmung angehen (vgl. dazu auch Bosch, in diesem Band). Das Bild, das die Umfrageergebnisse und deren Kommentierung in den Medien verbreiteten, war da wenig hilfreich. Gerhard Schröder machte sich daher den Optimismus zur Strategie und bekräftigte bei Wahlkampfauftritten seine Entschlossenheit, die "Umfragen zu bezwingen". Ein Aufkleber der SPD ironisierte diesen Kampf gegen den Umfragetrend mit dem Claim "Umfrage-Sieger-Besieger". Der Wahlkampf Dass die Parteien gewissermaßen über Nacht vor die Tatsache gestellt waren, Wahlkampf führen zu müssen, und für diesen dann auch kaum vier Monate zur Verfügung standen, hat 2005 zu einer einzigartigen Situation geführt. Zwar fallen Wahlkämpfe je nach Konstellation – Spitzenkandidaten, wirtschaftliche und politische Lage – ohnehin unterschiedlich aus und sind daher auch nur bedingt vergleichbar, die besonderen Bedingungen der vorgezogenen Neuwahl haben aber die Kampagne 2005 in sehr eigener Weise geprägt: Der Wahlkampf war ungeplant und kurz. Er sollte daher auch weniger Geld kosten, was den Parteien entgegen kam, da ihre Wahlkampfkassen noch nicht wieder gefüllt waren. Die Kandidatenkonstellation hatte sich gegenüber 2002 geändert und war auch deshalb völlig neu, weil erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik eine Frau als Kanzlerkandidatin antrat. Für die SPD war die Situation insofern ähnlich wie drei Jahre zuvor, als die Popularität von Partei und Kanzlerkandidat weit auseinanderklafften. Gerade deshalb musste die SPD-Kampagne wiederum auf Personalisierung setzen und musste Gerhard Schröder dafür kämpfen, dass seine Popularität der Partei insgesamt zugute kam. So einfach, wie sich 2002 gegenüber Edmund Stoiber die Parole "Ich oder der" ausrufen ließ, war es indessen dieses Mal nicht. Angela Merkel wollte Themen in den Vordergrund stellen; für eine Persönlichkeitskampagne war sie – anders als es Stoiber 2002 getan hatte – kaum zu haben. Zudem waren alle Akteure ungeübt im Wettkampf mit einer Frau als Kanzlerkandidatin. Auch deshalb zündete vielleicht das "Ich oder der" nicht, das Jürgen Rüttgers gleich nach der Neuwahlankündi-
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gung neuerlich als Kampfruf zu lancieren suchte, denn keiner wusste, wie die nun darin versteckte Konnotation eines Kampfes zwischen Mann und Frau bei der Wählerschaft, aber auch bei den Parteimitgliedern ankommen würde. Schließlich musste die SPD an mehreren Fronten kämpfen. Erst allmählich wurde deutlich, dass das Verhältnis zum grünen Koalitionspartner ziemlich abgekühlt war. Außerdem verhießen die Umfragen kaum die Chance zur Fortsetzung der rot-grünen Koalition. Es galt daher, sich alle Optionen offen zu halten, trotz allem auch gegenüber den Grünen, schließlich waren sie es gewesen, die der SPD drei Jahre zuvor zu einer Neuauflage der Regierungskoalition verholfen hatten und die nun womöglich immer noch das kleinste Übel unter den möglichen Partnern darstellten. Mit der WASG, die auch durch ihr Zusammengehen mit der PDS schnelle Erfolge verzeichnen konnte, entstand der SPD Konkurrenz von links, die gerade gegen die Reformpolitik der Sozialdemokraten wetterte und damit in deren Wählerklientel einbrach. Zur Abwanderung bereite Wählergruppen waren zu umwerben oder zurückzuholen, auf der anderen Seite drängten Union und FDP, die die Warnung vor einer rot-rot-grünen Koalition zu ihrer Strategie machten, auf Abgrenzung. Wie schon in den Wahlkämpfen 1998 und 2002 stand Gerhard Schröder auch 2005 im Mittelpunkt der SPD-Kampagne. Sein intensiver persönlicher Einsatz spiegelt sich in dem Terminplan für seine Wahlkampfauftritte im ganzen Land (vgl. hierzu auch Bosch, in diesem Band). Um potenziell unangenehmen Sachthemen aus dem Weg zu gehen, die die Opposition auf die Agenda zu setzen versuchte, also vor allem die wirtschaftliche Situation in Deutschland sowie die Arbeitslosigkeit, baute die SPD mit ihrem Slogan "Vertrauen in Deutschland" auf eine allgemeine Vertrauenswerbung und bemühte sich ihrerseits, das Thema soziale Gerechtigkeit in die Diskussion zu bringen und dieses mit der Frage "Aber wofür stehen die anderen?" zugleich zum Defizit von Union und Liberalen zu erklären. Mit Portraitplakaten wurde Gerhard Schröder auch in die Themenkampagne einbezogen. Bilder und begleitende Texte versuchten, ihn mit den Eigenschaften Mut, Entschlossenheit und Standhaftigkeit zu verbinden; mit "Kraftvoll. Mutig. Menschlich" benannte der Claim eines Plakates explizit, wie das Image des Kanzlers gesehen werden sollte. Auch der öffentlich-rechtliche Fernsehspot der SPD, der mit verschiedenen Themen dem Publikum nahelegte, "Deutschland braucht einen Bundeskanzler, der..." und damit ebenfalls auf
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Schröder zugeschnitten war, unterstützte die Imagekampagne für und mit Schröder. Dieser wie auch ein für das kommerzielle Fernsehen produzierter Spot, der komplett von Schröder gesprochen wurde, schloss mit einem Kandidatenstatement, das die Politik der Partei wiederum personalisierte: "Deutschland ist auf dem richtigen Weg. Es ist der sicherste und gerechteste Weg in eine gute Zukunft. Dafür stehe ich." Um Tatkraft und Standhaftigkeit des Kanzlers zu unterstreichen, griff die SPD-Werbung 2005 auch noch einmal auf Rezepte zurück, die sich 2002 wundersam bewährt hatten. Damals waren es die Bilder von Schröder, der sich mit Jacke vom Bundesgrenzschutz und Gummistiefeln in den ostdeutschen Überschwemmungsgebieten zeigte und Empathie demonstrierte; und es war der Kanzler, der im Fernsehduell dezidiert die deutsche Beteiligung an einem Krieg im Irak ablehnte und Edmund Stoiber zu einer klaren Position in dieser Sache aufforderte. 2005 sprach sich ein SPD-Plakat der Themen-Serie "Für den Frieden" und "Gegen blinde Gefolgschaft" aus. In ähnlicher Weise betonte ein Plakat der Portrait-Serie mit Gerhard Schröder "Wer Frieden will, muss standhaft sein" (vgl. hier auch Holtz-Bacha & Lessinger, Politische Farbenlehre, in diesem Band) – beides Anspielungen auf Schröders Haltung im Jahr 2002 und die Erinnerung an die ambivalente Position der Unionsparteien sowie Angela Merkels demonstrative USAReise Anfang 2003, mit der sie sich hinter Bushs Irak-Politik stellte. Die Überschwemmung und Verwüstung von New Orleans durch Hurricane Katrina nutzte Schröder im Fernsehduell 2005, um Merkel zu Kritik an George W. Bush herauszufordern und sich für einen starken Staat auszusprechen, der in solchen Situationen effektiv handeln kann; auch dies der Versuch, noch einmal an die erfolgreichen Strategien von 2002 anzuknüpfen. Die SPD hat sich im übrigen 2005 wiederum als die Partei erwiesen, die im Wahlkampf Professionalität durch den Einsatz moderner Kampagneninstrumente demonstriert. 1998 war ihr das mit dem Aufbau der Kampa gelungen. Die damals auch räumlich getrennte Kampagnenzentrale war zu einem Symbol des modernen Wahlkampfes und so auch einem eigenen Thema geworden. Die damit angestrebte Zentralisierung der Kampagne demonstrierte Schlagkraft und sollte einem einheitlichen Auftritt der Partei im Wahlkampf dienen und ihr ein Corporate Image verschaffen, wie es die Rezepte des politischen Marketings empfehlen. Dazu gehörte auch der Aufbau eines effektiven Intranet, mit dem der Wahlkampf vor Ort von der Zentrale aus gesteuert wurde. 2005 stach die SPD durch eine zumindest
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formale Professionalisierung ihrer Internetangebote hervor (vgl. dazu Schweitzer, in diesem Band). Im Vergleich der Parteien verantwortete die SPD außerdem die meisten Weblog-Angebote, zeigte sich hier auch am aktivsten und nutzte am meisten interaktive Elemente, so dass ihr eine Vorreiterrolle hinsichtlich dieses neuen Kampagneninstruments bescheinigt wurde (vgl. Ott, in diesem Band). Zugleich machte der SPD-Wahlkampf 2005 aber auch deutlich, dass 'alte' Kampagnenmittel im neuen Gewand wiederbelebt und wichtiger werden. Der auf die Massenmedien zielende Wahlkampf hat herkömmliche Instrumente der direkten Wähleransprache keineswegs obsolet gemacht. Gerhard Schröder und Franz Müntefering – wie auch Joschka Fischer und Angela Merkel – begaben sich auf ausgedehnte Wahlkampftouren durch das Land, die den örtlichen Straßenwahlkampf anführten und beflügelten. Mit der Veränderung der Wählerschaft – dem Verschwinden bzw. dem schwindenden Einfluss von gesellschaftlichen Großgruppen – gewinnt in Wahlkämpfen zudem das Direktmarketing an Bedeutung, das die gezielte Ansprache spezifischer Interessen erlaubt. Mit der technischen Entwicklung sind dafür neue Kommunikationsinstrumente entstanden, deren Einsatz in Deutschland noch am Anfang steht, allerdings durch den Datenschutz zum Teil in ihrer breitenwirksamen Effektivität auch behindert wird: Neben dem Telephon ermöglichen Internet, E-Mail, SMS und Direct Mailing die individualisierte Ansprache der Wählerinnen und Wähler, dienen der parteiinternen Mobilisierung und demonstrieren obendrein Modernität. In Anbetracht dieser Entwicklungen geht Thomas Bosch (in diesem Band) so weit, die Zukunft des massenmedialen, weil ungerichteten Wahlkampfes in Frage zu stellen. Dort wird auch deutlich, wie die SPD in ihrer Kampagne auf die Mitglieder und Sympathisanten setzte, was wiederum gewisse Zweifel daran aufkommen lässt, dass der kapitalintensive wirklich den mitgliederintensiven Wahlkampf abgelöst hat. Die Union, so schien es, ging so stark in den Wahlkampf, dass sie nur aufpassen musste, nichts mehr zu verderben. Dass das nicht so einfach ist, zeigte die abbröckelnde Zustimmung in der Wählerschaft. Schon in der Vorwahlzeit angeprangerte Strategiefehler boten nicht nur der SPD Angriffsfläche. Kritik wurde schnell auch in den eigenen Reihen laut. Merkels Versuch, Zumutungen in Form einer Mehrwertsteuererhöhung offen auszusprechen und mit solcher Redlichkeit das Vertrauen der Wählerschaft zu gewinnen, scheiterte nicht zuletzt am Konter der SPD, die prompt gegen
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"Merkelsteuer" und "Merkel-Minus" zu Felde zog und dafür sorgte, dass die gleichzeitig geplante Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht mehr durchdrang. Die Empfehlung aus der ZEIT, für die Union bestünde "die wichtigste Folge der als entschieden geltenden Wahl darin, dass sie auf Ehrlichkeit setzen kann – und muss" (Ulrich, 2005), erwies sich als schlechter Rat und verkannte die Gesetze des Wahlkampfes: "Für Ehrlichkeit in Form von Blut, Schweiß und Tränen gibt es von den Wählern keine Prämie. Im Gegenteil: sie kalkulieren ohnehin ein, dass sie ein bisschen belogen werden" (Spreng, 2006). In der Art einer Supermarkt-Ankündigung für Aktionspreise inserierte die SPD: "Neu! Jetzt teurer: 2% Merkelsteuer auf alles!" (am 6./7. August in der Süddeutschen Zeitung). Die Sozialdemokraten nutzten ihre Chance, um die Union als "unsozial gegenüber kleinen und mittleren Einkommen und Familien" hinzustellen, auf diese Weise soziale Wärme gegen Kaltherzigkeit aufzubieten und so für sich zu werben: "Damit unser Land sozial bleibt. Am 18. September: SPD" (am 27./28. August in der Süddeutschen Zeitung). Als Merkel ihren Joker Paul Kirchhof als Anwärter auf den Posten des Finanzministers ins Spiel brachte, der aber mit nicht abgestimmten Steuerplänen aufwartete, ließ sich auch noch gegen "Kirchhof-Steuer" und "KirchhofKahlschlag" wettern (am 9. und am 14. September in der Süddeutschen Zeitung). Der "Professor aus Heidelberg", wie Schröder den Steuerexperten abfällig nannte, schien in anderen Regionen zu schweben und der Kanzlerkandidatin zeitweilig auch noch die Show zu stehlen. Der Wahlkampf hatte sein Thema gefunden. Welches Gewicht der Präsentation von Kirchhof als Ministerkandidaten zukam, zeigen die Analysen der Medienberichterstattung und schließlich das Fernsehduell (vgl. hier die Beiträge von Wilke & Reinemann sowie Tapper & Quandt). In der Konfrontation von Schröder und Merkel machte die Diskussion über die Rolle von Paul Kirchhof und seine Steuerpläne einen wesentlichen Teil der Gesprächsdauer aus; geradezu symptomatisch war der – zufällige oder doch gezielte – Versprecher des von Sat.1 ins Duell entsandten Moderators Thomas Kausch, der Merkel einmal mit Frau Kirchhof anredete. Zusammen mit dem bedrohlich wirkenden Begriff "Kopfpauschale" hatte die SPD in den Kirchhof-Kombinationen eingängige Schlagwörter gefunden, die sich in der öffentlichen Diskussion festsetzten. Indem sie die Unionsparteien damit als "radikal unsozial" abstempelte und Menschen mit mittlerem und geringerem Einkommen als "CDU/CSU Verlierer" heraus-
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hob, konnte sie sich selber als die soziale Alternative anpreisen. Nicht zuletzt deshalb wird es später in Anbetracht des Wahlergebnisses heißen, der Wahlkampf der Union sei kalt gewesen und hätte die Herzen der Menschen nicht erreicht: "Die CDU/CSU signalisierte im Wahlkampf keinerlei Hoffnung und vermittelte keine Positiv-Botschaften. [...] Die CDU/CSU bot den Wählern eine eiskalte Polarexpedition, obwohl die meisten Wähler lieber in den warmen Süden fahren" (Spreng, 2006). Kurz: "es fehlten Wärme, Herz und Vision" (Priess, 2005, S. 12). Merkel hatte außerdem das Störfeuer aus den eigenen Reihen zu fürchten. Gespannt wartete die Öffentlichkeit, wie sich die ambitionierten Ministerpräsidenten aus der Union verhalten würden. CSU-Chef Stoiber, von dem viele meinten, er wäre gern selbst noch einmal als Kanzlerkandidat angetreten, lieferte dann den Stoff, der entsprechende Schlagzeilen machte. Mit seiner Kritik am Osten fiel er der in Brandenburg aufgewachsenen Kanzlerkandidatin in den Rücken, die außerdem ihren Wahlkreis auf Rügen zu verteidigen hatte. Auf solche "fahrlässig herbeigeredeten Ost-WestBefindlichkeiten" (Priess, 2005, S. 12), der Zoff innerhalb der Unionsparteien versprach, hatten die Medien nur gewartet. Die FDP hatte sich diesmal eindeutig festgelegt, um vorab Klarheit über ihre Position zu schaffen und so zu vermeiden, was ihr in früheren Jahren wiederholt als Fehler angekreidet worden war. Sie hatte sich für eine Koalition mit der Union ausgesprochen, musste aber dennoch eigenes Profil zeigen. Ohne eigene Konturen hätte sie sich als Anhängsel der CDU/CSU erwiesen und damit als überflüssig dargestellt. Ein Thema fiel ihr – wie auch den Grünen – mit der Diskussion über die Möglichkeit einer großen Koalition gewissermaßen in den Schoß. Die Warnung vor einem allzu mächtigen Bündnis der beiden großen Parteien hat bei der FDP schon Tradition. Das Thema Steuern bot der FDP die Gelegenheit, sich gegenüber der Union abzusetzen und selbst als die Partei zu empfehlen, die gegen Steuererhöhungen kämpfen würde: "Mehr FDP, weniger Steuern.", so lautete eines ihrer Versprechen in der Plakatkampagne. Das Kirchhof-Debakel der Union kam ihr gerade recht. Aus gutem Grund verzichtete die FDP indessen diesmal darauf, sich nur auf Guido Westerwelle zu konzentrieren und ihn gar – wie 2002 – als Kanzlerkandidaten auszurufen. Westerwelle im Guidomobil, die Aufmerksamkeit heischenden Aktionen der 18%-Kampagne und die großspurige Proklamation eines Anwärters auf den Kanzlerposten waren im Bundes-
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tagswahlkampf 2002 als Spaßkampagne kritisiert worden, die der Partei nicht nur sarkastische Kommentare eingebracht hatte. Sie musste das Image der Spaßpartei loswerden und gab sich 2005 betont seriös. In diesem Bemühen um Seriosität betonte Westerwelle dann sogar im FDP-Fernsehspot, man mache hier keine Wahlwerbung. Die Plakatkampagne fuhr das ganze Spitzenpersonal der FDP auf und versuchte, die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten mit den Wahlkampfthemen der Partei zu verbinden. Die Warnung vor einer großen Koalition oder vor der Übermacht einer Partei verbindet die FDP traditionell mit einer Zweitstimmenkampagne, die heute in der Regel auf Kosten der Unionsparteien geht. Die gezielte Werbung um die Zweitstimme ist zum Standard der FDP-Wahlwerbung geworden. Im Vorwort zum Werbemittelkatalog seiner Partei betonte dann auch FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz: "Die Zweitstimme entscheidet: funktional über den Wechsel und inhaltlich über unser Gewicht in der Regierung." Die Werbung um die Zweitstimme war wieder ein festes Element der bundesweiten Plakatwerbung der FDP, auf jedem Plakat prangte über dem Parteilogo ein störerartiger Aufdruck "Zweitstimme". Auch im Fernsehspot warb Westerwelle für die Wahl der FDP, "auf jeden Fall mit Ihrer Zweitstimme". Dass sich die massive Zweitstimmenwerbung auszahlt und wie erfolgreich die FDP jeweils damit gewesen ist, lässt sich in der Gegenüberstellung von Erst- und Zweitstimmenanteil der Partei ablesen. Abbildung 2 zeigt diesen Vergleich für 2005 und in der langfristigen Entwicklung. Die Partei baut damit auf die Möglichkeiten des Stimmensplittings – eine Strategie, die längst auch die Grünen übernommen haben; bei ihnen wurde die Zweitstimme zur Joschka-Stimme. Die großen Parteien, zu deren Lasten die Zweitstimmenwerbung geht, reagieren seit Jahren entsprechend mit dem Verweis auf die "Kanzlerstimme". Dieser Kampf um die Zweitstimmen sorgt im übrigen dafür, dass das komplizierte deutsche Wahlsystem regelmäßig als Thema in den Kampagnen aufscheint, wenngleich – wie die Werbung um Kanzler-, Joschka- oder Oskarstimme zeigt – nicht mit korrekten Erklärungen, sondern in der Suggestion von Wirkungen (vgl. auch Holtz-Bacha, 2004a, b). Anders als die FDP, die im Gegensatz zu 2002 nun ihre Wahlwerbung nicht mehr nur auf den Spitzenkandidaten fokussierte, setzten Bündnis 90/Die Grünen 2005 wiederum auf Joschka Fischer. Jahrelang beliebtester
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Abbildung 2: Erst- und Zweitstimmenanteile der FDP
12 Zweitstimmen
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Erststimmen
8 6 4 2 0 1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
1994
1998
2002
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(Angaben nach den vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Ergebnissen)
deutscher Politiker hatte dieser im Zuge der 'Visa-Affäre' zu Beginn des Jahres an Popularität eingebüßt. Das Hin und Her um seinen Auftritt im Untersuchungsausschuss hatte den Wahlkampf der Grünen in NordrheinWestfalen belastet, man war sich uneins, ob es für den Wahlerfolg besser wäre, den Auftritt aufzuschieben oder so schnell wie möglich hinter sich zu kriegen. Schließlich willigte Fischer ein, im Ausschuss aufzutreten und sogar eine Fernsehübertragung zuzulassen; sein etwas angeschlagenes Image begann schnell, sich zu erholen. Das erlaubte der Bundespartei dann auch, wiederum eine personalisierte, auf Fischer zugeschnittene Kampagne für den nach der Landtagswahl in NRW überraschend anstehenden Bundestagswahlkampf zu konzipieren. Andere Kandidatinnen und Kandidaten, vor allem Renate Künast, überließen Joschka Fischer die alleinige Spitzenposition für den Wahlkampf: Die Partei, die sonst alle Positionen doppelt und mit beiden Geschlechtern besetzt, war sich ihres Zugpferdes bewusst und gab sich daher pragmatisch. Ähnlich wie bei Gerhard Schröder und der SPD bemühte sich die Kampagne der Grünen, die Popularität des Außenministers auf die Partei zu übertragen und ihn zuvorderst als Grünen zu verkaufen; 2002 schon hatte Joschka Fischer selbst in der Wahlwerbung betonen müssen, dass er ein Grüner sei und wer ihn als Außenminister wolle, die
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Grünen wählen müsse. Die Wahlspots der Grünen waren ganz auf Fischer zugeschnitten, er präsentierte sich als Grüner. Mit Ironie und hintergründigem Witz fielen die Fernsehspots aus dem Rahmen des Üblichen, die Partei weiß, dass sie ohnehin eine begrenzte Wählerklientel hat, die jedoch meist gut gebildet und daher auch mit einer schwierigen Argumentationsstrategie anzusprechen ist. Plakate der JA!-Serie zeigten Fischer in Großaufnahme, einmal mit dem Claim "JA! zu Grün" und dem störerähnlichen Aufdruck "Zweitstimme ist JOSCHKA-STIMME", ein anderes Mal mit dem Claim "JA! zu Joschka" und der Ergänzung neben dem Logo "JA zu Grün". Mit dem optimistischen JA hatte schon einmal die SPD 1965 für sich geworben. Die Grünen personalisierten ihr Negativcampaigning durch direkte Angriffe auf Angela Merkel, Guido Westerwelle und Edmund Stoiber. An der Bundesgeschäftsstelle in Berlin hing während des Wahlkampfes ein Fassadenplakat mit den Bildern der drei Politiker und dem Spruch "Freut Euch nicht zu früh!". Das Motiv gehörte auch zu einer Reihe von E-Cards, die anders als etwa die allgemeine Plakatwerbung durchweg dem Angriff auf den politischen Gegner dienten: Sie führten Stoiber als "Die beleidigte Lederhose" vor, nannten Kirchhof und Westerwelle "Käpt'n Kahlschlag und die Leichtmatrosen" oder präsentierten zu einem Bild von Merkel "Die aktuellen Lockvogelangebote der CDU". Auch die Fernsehspots griffen die drei Politiker an, hier allerdings humorvoll verpackt (vgl. Holtz-Bacha & Lessinger, Wie die Lustlosigkeit…, in diesem Band). Das Zusammengehen von WASG und PDS für den Wahlkampf führte in der bundesweiten Personalisierungsstrategie zu einer Doppelspitze. Neben Gregor Gysi, auf den sich wegen seiner überregionalen Bekanntheit und Popularität bis dahin die PDS-Kampagnen konzentriert hatten, stand nun Oskar Lafontaine, der als einziger Repräsentant der WASG hervorgehoben wurde. Die Kampagne trug der unterschiedlichen regionalen Verankerung der beiden Parteien Rechnung, indem die Plakate für den Osten neben dem Schriftzug DIE LINKE zusätzlich das PDS-Logo trugen. Ebenfalls für den Wahlkampf in den ostdeutschen Bundesländern dienten auch Portraitplakate von PDS-Spitzenkandidatinnen und -kandidaten. Die tosende Rückkehr von Oskar Lafontaine in die Politik, gepaart mit den zeitweilig sogar zweistelligen Umfragewerten der neuen Gruppierung, sowie das spektakuläre Zusammengehen mit der PDS, dis bis dahin in den alten Bundesländern nur wenig Erfolg gehabt hatte, verschafften der Linken eine Aufmerksamkeit, die selbst schon wieder Thema wurde, als Vorwürfe laut wurden, die Me-
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dien würden ihr zu viel Beachtung schenken. Das rief sogar den ehemaligen Bundespräsident Roman Herzog auf den Plan, der seinerseits von "Rattenfängern" sprach, dann aber dazu in einem ZDF-Interview sagte: "Das Argument, man sollte sie überhaupt nicht erwähnen, um sie nicht hoffähig zu machen, darf nicht einreißen. Das sind Argumente, die sich zunächst erst mal ganz einleuchtend anhören, aber grottenfalsch sind." ("Rattenfängern mit Charisma...", 2005) Wiewohl die WASG angetreten war, die Reformpolitik der rot-grünen Koalition zu bekämpfen und gerade der SPD Stimmen abzujagen, blieb die Linke bei ihren Werbematerialien mit der Negativwerbung moderat. Sie beschränkte sich hier eher auf allgemeine Kritik und warb stattdessen für Alternativen in der Politik. Den Angriff überließ sie vor allem den öffentlichen Auftritten ihres Spitzenpersonals. Umgekehrt wurde die Linkspartei aber zum Gegenstand des Negativcampaignings der anderen Parteien. Während die SPD mit ihren Werbemitteln ganz die Union aufs Korn nahm und hinsichtlich des Themas soziale Gerechtigkeit, zu dem sie von links angegriffen wurde, Positivwerbung betrieb, warnten die Unionsparteien und die FDP beständig vor einer rot-rot-grünen Koalition. Die Grünen berücksichtigten Lafontaine in ihrer E-Card-Kampagne: Neben einem Ausriss aus der Bild-Zeitung, der ein Bild von Lafontaine und in der Überschrift den Titel seines Buches "Mein Herz schlägt links" zeigte, war das gleiche Bild von Lafontaine noch einmal groß und durch das PDS-Logo ergänzt zu sehen, dazu der Spruch "Wofür man heute nicht alles den Oskar bekommt...". Das mediale Spitzenereignis des Wahlkampfes war wiederum das Fernsehduell. Kaum dass sich die Neuwahl abzeichnete, bemühten sich die Fernsehanstalten um eine Neuauflage der Duelle, wie sie erst 2002 in Deutschland eingeführt worden waren. Auch wenn diese hinterher nicht zuletzt wegen des starren Regelwerks viel Kritik auf sich gezogen hatten, schien gerade die Zweier-Konfrontation des Medienkanzlers mit der Herausforderin so viel Spannung zu bieten, dass wieder ähnlich gute Einschaltquoten zu erhoffen waren. Die Anstalten selbst taten alles, um Spannung aufzubauen und zu erhöhen, und versicherten, man habe aus den Duellen des Jahres 2002 gelernt und würde sich um eine bessere Diskussionssituation bemühen. Allerdings erklärte sich Angela Merkel nur zu einem Duell bereit mit dem Argument, es sei nicht genügend Zeit für mehrere solche Fernsehdiskussionen – eine Begründung, die ihr nicht zuletzt wegen der allgemeinen Erwartung, sie werde es in der Konfrontation mit Gerhard Schröder schwer
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haben, als Kneifen ausgelegt und daher als Fehler ihrer Kampagnenführung angekreidet wurde. Warnungen vor dem Medienkanzler an die Kandidatin, wie etwa diejenige von Guido Westerwelle, machten die Sache nicht besser: Er nannte Schröders Aufforderung an Merkel zu der Begegnung im Fernsehen eine "vergiftete Einladung"; man müsse sich gut überlegen, ob man die annimmt, denn Schröder sei "ein internationaler Meister im Flirt mit den Kameras" (Westerwelle warnt..., 2005). Implizit, aber dennoch deutlich artikulierte Westerwelle damit die – wie Umfragen zeigten, auch in der Bevölkerung verbreiteten – Zweifel daran, dass Merkel im Duell gegenüber Schröder würde bestehen können. Die Beschränkung auf nur ein Fernsehduell führte zu der fast schon skurrilen Situation, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie die beiden großen privat-kommerziellen Fernsehanbieter je einen Moderator stellten. Da in Anbetracht der genauen Vorabsprachen die Rolle der Moderatoren ohnehin stark begrenzt ist, ergab sich aufgrund des Doppelproporzes eine Überbesetzung auf journalistischer Seite. Weil alle vier beteiligten Sender das Medienereignis ausstrahlten, erreichte das Duell beinahe 21 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer, was einen Marktanteil von fast 60 Prozent bedeutete (vgl. Dehm, 2005). Die selbstbezügliche Berichterstattung der Medien im Vorfeld des Duells und rund um das Ereignis führte wie schon 2002 dazu, dass sich in der heißen Phase des Wahlkampfes die Kampagnenberichterstattung insgesamt gegenüber früheren Jahren deutlich erhöhte: Nicht der Wahlkampf an sich sorgte für mehr Beachtung, sondern ein Ereignis, bei dem die Medien selbst als Akteure auftraten. Nicht nur wegen des detailliert mit den Kandidaten ausgehandelten Regelwerks bleibt der Einfluss der Sender bzw. der Moderatoren auf den Ablauf und den Inhalt eines solchen Duells sehr beschränkt (nur 1.9% der gesamten Gesprächsdauer entfielen 2005 auf "Moderation, Begrüßung und Verabschiedung, Smalltalk", vgl. Tapper & Quandt, in diesem Band); es handelt sich um ein teilmediatisiertes Format, das von der politischen Seite dominiert wird. Die alles beherrschende Frage 'Wer wird gewinnen?', 'Wer gewinnt?' und 'Wer hat gewonnen?' demonstriert nicht nur den vieldiskutierten Horse Race-Charakter der Wahlkampfberichterstattung, sondern führt auch in bester Weise die Funktion – und Effektivität – der Spin Doktoren im eigentlich Wortsinne vor Augen. Schon vor dem Duell, auf jeden Fall aber während und so schnell wie möglich nach dem Duell gilt es, eine Bewertung
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der Diskutanden durchzusetzen und den eigenen Kandidaten in einem Siegerframe zu verkaufen: Die Fernsehbilder aus der 'Lobby' des Studios Adlershof machten es sogar dem nicht vor Ort befindlichen Publikum möglich zu verfolgen, was Spin Doctoring bedeutet und wie es abläuft. Den Spin Doctors obliegt die hohe Kunst des Deutungsmanagements, der Kampf um die Deutungshoheit (vgl. auch Bosch, in diesem Band), der so früh wie möglich einsetzen muss, um gewonnen zu werden. Dafür gingen dann auch während des Duells schon die ersten Bewertungen der Kontrahenten durchs Netz, der Sieger wurde ausgerufen, noch bevor die Schlussworte verhallt waren. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die SPD diesmal die besseren Deutungsmanager hatte. Faktor Frau Eine Frau als Kanzlerkandidatin – das war das vieldiskutierte Novum des Bundestagswahlkampfes 2005. Diese Diskussion setzte bereits ein, bevor Angela Merkel überhaupt Kandidatin war, nämlich spätestens mit der KFrage im Vorfeld der Bundestagswahl 2002, bei der sich dann aber Edmund Stoiber durchsetzte. Bevor diese Entscheidung fiel, wurde Merkel von den Medien mit der – von ihr wohl kaum zu verneinenden – Frage konfrontiert: "Ist die Gesellschaft schon reif für eine Kanzlerin?" (so z. B. "Entscheidungen allein treffen", 2002, S. 59; vgl. auch Holtz-Bacha, 2003). 2005 tauchte die Frage prompt wieder auf, bereits am Tag nach der Neuwahlankündigung hieß es in einem Beitrag zum ZDF special: Ist dieses Land reif für eine Kanzlerin? Diese mehrfach wiederholte Frage legte zumindest den Verdacht nahe, dass auch oder gerade die Medien nicht recht wussten, wie mit einer Kandidatin umzugehen sei. Solche Unsicherheiten auf Seiten der Medien sind offenbar auch eine Folge der jahrelangen Kritik am medialen Umgang mit den Geschlechtern: Marginalisierung und Trivialisierung – so lautete der wiederkehrende Vorwurf hinsichtlich der Darstellung von Frauen, zumal in der aktuellen Berichterstattung. Die Medien seien bei Politikerinnen mehr am Äußeren interessiert als an ihrer politischen Kompetenz. Neuerdings zeichnet sich außerdem ein 'Geschlechtsbonus' ab, der die Vermutung aufkommen lässt, die Medien würden gegenüber Politikerinnen gewissermaßen überreagieren, um sich nicht länger dem Vorwurf des Sexismus auszusetzen (Pfannes, 2004, S.
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98). Eine solche Art der Bevorzugung von Frauen stellt jedoch wiederum eine Form der Diskriminierung dar, denn Frauen erfahren damit eine 'Sonderbehandlung' in der Berichterstattung, die erneut ihr Frau- und Anderssein und damit die Abweichung von der männlich geprägten Politik betont. Zu den mehr oder weniger subtilen Mitteln der Andersbehandlung von Frauen, zumal in der Politik, gehört auch die Verwendung der Ansprache 'Frau' als permanente Verweisung auf das Geschlecht (Wer schreibt schon "Herr Schröder"?) sowie die Tendenz zur Abwertung ihrer politischen Leistungen (Pfannes, 2004; Sterr, 1997; Wille, 2001). Geradezu unvermeidlich war wohl die andauernde Etikettierung von Angela Merkel als "Die Erste" (Schmiese, 2005): Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik trat eine Frau als Kanzlerkandidatin an. Der ständige Verweis auf "die erste Frau" und "das erste Mal" betont die ungewohnte Situation und hebt den Ausnahmefall hervor, den Frauen auf den höheren Ebenen der Politik noch immer darstellen. Für Merkel hatte dieser Neuigkeitseffekt einen Vorteil: Die Analyse der Kandidatenberichterstattung in der überregionalen Presse (vgl. Wilke & Reinemann, in diesem Band) erbrachte für 2005 keinen Kanzlerbonus im Sinne eines Präsenzbonus; das galt auch für die Fernsehnachrichten (vgl. Schulz & Zeh, in diesem Band). In der Presse war Merkel sogar häufiger Gegenstand der Wahlberichterstattung als Schröder. Das bedeutet nicht unbedingt auch eine positive Beachtung: Ebenso wie bei Gerhard Schröder überwogen bei Angela Merkel die negativen Beiträge. 24 Prozent der Artikel, in denen die Herausforderin vorkam, enthielten eine negative Wertung, nur 8 Prozent waren positiv, was einen Saldo von -16 ergibt. Obendrein hatte sie nicht einmal die konservative Presse hinter sich: In der Welt kommt die Kanzlerkandidatin auf einen eindeutig negativen Saldo, und in der FAZ überwiegen die positiven Artikel nur ganz knapp. (Wilke & Reinemann, in diesem Band) Dass sich 2005 kein Bonus für den Amtsinhaber ergab und Angela Merkel nicht nur häufiger vorkam, sondern auch etwas häufiger Gegenstand von Bewertungen war als Schröder sowie häufiger und umfangreicher zitiert wurde, dürfte eher nicht daran gelegen haben, dass die Redaktionen über Gerhard Schröder nichts mehr zu sagen wussten, wie die beiden Forscher in der Interpretation ihrer Befunde als einen Grund vermuten. Eher ist wohl anzunehmen, dass tatsächlich "Angela Merkel als erste Frau in der Rolle der Kandidatin einfach interessanter" (Wilke & Reinemann, in diesem Band) war. Dafür sprechen zum einen die Erfahrungen aus der langen Kanzlerschaft
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von Helmut Kohl, über den die Presse auch nach mehreren Wahlkämpfen immer noch etwas zu schreiben hatte und ihm einem Kanzlerbonus verschaffte, zum anderen die Tatsache, dass Merkel im Vergleich zu Stoiber, der drei Jahre vorher gegen Schröder angetreten war, besser zum Kanzler aufschließen und diesen in der Präsenz sogar noch überholen konnte. Die Nachrichtensendungen im Fernsehen (vgl. Schulz & Zeh, in diesem Band) machten insofern einen Unterschied zwischen den Kanzlerkandidaten, als über Merkel mehr in hochpersonalisierten Beiträgen berichtet wurde als über Schröder. Umgekehrt gab es in den Fernsehnachrichten mehr Urteile über das Aussehen und das Auftreten des Kanzlers als entsprechende Qualifikationen von Merkel, dies womöglich wiederum ein Effekt der Überkompensation, wie ihn in der letzten Zeit schon andere Studien belegt haben. Dass 2005 zum ersten Mal eine Frau als Kanzlerkandidatin antrat, dürfte also seinen Effekt gehabt haben. Womöglich wurde deshalb auch besonders genau beobachtet, wie sie sich im Wahlkampf schlagen würde, zumal die kritische Haltung einiger Ministerpräsidenten aus der Union gegenüber der Kandidatin bekannt war. Die Spannung verheißenden und daher von den Medien vielleicht erhofften Querschläge aus den eigenen Reihen blieben dann auch nicht aus. Nicht zuletzt Edmund Stoibers Einlassungen über den Osten und die Frustrierten, die nicht über Deutschland Zukunft bestimmten dürften, mussten die aus dem Osten stammende Kanzlerkandidatin in Argumentationsnot bringen. Schließlich bot der Fall Kirchhof nicht nur den Medien, sondern auch Unionspolitikern Anlass zur Kontroverse. Das alles schlug sich in der Berichterstattung nieder. In der überregionalen Tagespresse befassten sich 2005 beinahe 22 Prozent der wertenden Urteile mit dem Verhältnis der Kandidaten zu anderen Akteuren. Erheblich intensiver als in anderen Wahljahren bewerteten die Zeitungen das Verhältnis der Kandidaten zu ihrer eigenen Partei oder anderen Vertretern der eigenen Partei; immerhin fast zehn Prozent aller wertenden Aussagen beurteilten ihr Verhältnis zur Union und einzelnen Politikern der CDU/CSU (Wilke & Reinemann, in diesem Band). Die Diskussionen im Vorfeld des Fernsehduells, die die Chancen von Angela Merkel abwogen, gegen den Medienkanzler und "Meister im Flirt mit den Kameras" (Westerwelle) anzukommen, ließen nicht immer erkennen, ob die Kandidatin oder die Frau gemeint war. In Umfragen gaben sich die meisten Leute überzeugt, dass Gerhard Schröder in der Debatte besser
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abschneiden würde als die Herausforderin. War das zunächst vielleicht nicht immer so ganz schmeichelhaft, könnte es letztlich aber ein Vorteil für Merkel gewesen sein: In Anbetracht der geringen Erwartungen konnte sie mit der Debatte fast nur noch gewinnen. Tatsächlich stellten hinterher viele fest, sie sei besser gewesen als erwartet. Das sollte aber noch lange nicht heißen, dass sie auch zur Siegerin erklärt worden wäre. Die Rolle des Siegers wurde Schröder zugewiesen; dagegen konnten Merkels Spin Doctors offenbar nicht ankommen. Merkel selbst war sich des Risikos bewusst, das für sie in der 'Frauenfrage' steckte, und versuchte, dieses Thema nicht zu einem Thema zu machen und die Kanzlerkandidatur nicht zu einem Wettstreit zwischen Frau und Mann zu erklären. Sie hatte erkannt, dass Politik – der größeren Sichtbarkeit von Politikerinnen zum Trotz – noch immer ein männliches Geschäft ist, nicht zuletzt in ihrer eigenen Partei. Wenn Frauen versuchen, in diesem Geschäft Fuß zu fassen, geraten sie in ein Dilemma, das Alice Schwarzer auf den Punkt gebracht hat, indem sie Merkel ein "Paradebeispiel für die Misere der Frauen in Führungspositionen" nannte: "trotz demonstrativer Weiblichkeit nur halbe Frau, trotz erkämpfter Männlichkeit nur halber Mann" (zitiert nach "Entscheidungen alleine treffen", 2001, S. 57). Bereits die 'K-Frage 2002' hatte aber gezeigt, dass dem Thema Frau nicht so einfach zu entkommen war. Trägt schon die Spekulation darüber, wer als Kanzlerkandidat ins Rennen geht, genug medienwirksame Spannung in sich, wird diese noch gesteigert, wenn zum ersten Mal eine Frau antritt, zumal aus den Reihen der Union, die im Vergleich zu den anderen Parteien den geringsten Anteil weiblicher Bundestagsabgeordneter hat; auch unionsgeführte Kabinette wiesen selten mehr als die 'Alibifrau' unter den Ministern auf und obendrein fast ausschließlich auf den klassischen Frauen-Positionen. Die Medien machten dann auch schnell klar, dass sie hier ein Thema für den Wahlkampf sahen. Während Merkel versuchte abzuwiegeln und stets auf Sachfragen verwies, um die es im Wahlkampf ginge, ließen die Medien nicht locker. Schließlich wurde Merkel noch von Seiten der Frauen zur Frauenfrage gezwungen: Alice Schwarzer erklärte die Wahl "auch" zu einer Frage des Geschlechts (Schwarzer, 2005) und forderte von Merkel entsprechende Bekenntnisse. Ein Interview mit der Kanzlerkandidatin, das kurz vor dem Wahltermin in Emma abgedruckt war (Warum sollen wir..., 2005), zeigt beispielhaft, wie sie im Laufe des Wahlkampfes immer wieder auf die Bedeu-
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tung des Geschlechts für Wahl und Kampagne angesprochen wurde. Merkels Aussehen î schon seit Beginn ihrer politischen Karriere ein beliebter Gegenstand der öffentlichen Diskussion, ihre Performance ebenso wie ihr Privatleben wurden zum Thema. Sie selbst erklärte im Interview mit Alice Schwarzer: "noch nie in meiner politischen Laufbahn [bin ich] so stark als Frau wahrgenommen worden wie in den letzten Monaten. Im Gegenzug habe ich mich in einem für mich ungewohnten Maße auch öffentlich zu meinem Frausein bekannt. Und damit meine ich jetzt nicht nur das Schminken ..." (Warum sollten wir..., 2005, S. 40). Ganz offen machte die Presse das Äußere zum Thema des Wahlkampfes. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zum Beispiel stellte fest: "Das Auge wählt mit" (Heine, 2005). Die Frankfurter Rundschau erklärte Merkel zum "Idealtypus der deutschen Politikerin" mit den "Vorzügen des schlechten Geschmacks" (Schlaffer, 2005). Brigitte ließ Tagesthemen-Moderatorin Anne Will und Schauspielerin Sibel Kekilli "über die Macht der Medien" und die Frage "Warum geht es bei Angela Merkel so viel um ihr Äußeres?" diskutieren (Bartels & Schnitzler, 2005). Die Metamorphose von "Kohls Mädchen" 1991 über "Geschlechtsneutral und irgendwie 'ostig'" 1996 und "Auffallend unauffällig" 2003 bis hin zu "Konservativ konserviert" im Jahr 2005 (Heine, 2005) inspirierte nicht nur die Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu Photostrecken. Die Partei selber nahm das ernst und präsentierte auf den Wahlplakaten ein ganz neues Gesicht von Angela Merkel. Auch für Gerhard Schröder war die Situation, gegen eine Frau in den Wahlkampf zu ziehen, ungewohnt. Einige Strategien, die bisher seinen Wahlkampf gekennzeichnet hatten, schienen so nicht mehr anwendbar. Bislang – das hatten die Wahlkämpfe gegen Helmut Kohl und erst recht gegen Edmund Stoiber gezeigt – war Schröder ein Kandidat gerade für die weibliche Wählerschaft gewesen. Obwohl er 1998 bei der Vorstellung seines Kabinetts Frauenpolitik noch als "Gedöns" bezeichnet hatte, konnte er immerhin auf den höchsten Ministerinnenanteil aller Regierungen verweisen; die zweite rot-grüne Regierung wies einen Frauenanteil von 46 Prozent auf und hatte Frauen mit dem Justiz- und dem Landwirtschaftsministerium auch auf Positionen gebracht, die bis dahin Männerdomänen gewesen waren. In den früheren Wahlkämpfen hatte Schröder gezielt versucht, sich als ein Kandidat der Frauen zu positionieren: Dem dienten sein Standardthema 'Doppelrolle der Frau' wie auch generell seine ausgeprägten Personalisierungs- und vor allem Privatisierungsstrategien (vgl. Holtz-Bacha, 2001).
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Im Fernsehduell musste Merkel Paul Kirchhof verteidigen, dem in der öffentlichen Diskussion verschiedentlich eine konservative Einstellung zur Rolle der Frau bescheinigt wurde. Die Moderatoren hielten ihr ein Zitat vor, das Kirchhofs Sichtweise dokumentieren sollte. Als sie versuchte, das Zitat dadurch zu relativieren, dass sie auf dem speziellen Zusammenhang seiner Entstehung verwies, sah Schröder eine Chance, sich hier noch einmal zu profilieren, und nannte ihre Ausführungen unwahr. Er musste sich bzw. seine Frau im Duell seinerseits verteidigen, weil diese kurz zuvor Angela Merkel in einem Interview vorgeworfen hatte, ihr fehlten aufgrund ihrer Kinderlosigkeit die Erfahrungen der meisten Frauen. Gerhard Schröder nutzte das zu einer öffentlichen Liebeserklärung an seine Frau, was beim weiblichen Publikum wohl gut ankommen sollte, in der deutlichen Inszenierung dann aber wohl doch ein bißchen zu dick aufgetragen war (Trautsch, 2005). Ausgerechnet ihrem Kontrahenten hatte es Angela Merkel zu verdanken, dass ihr im Wahlkampf 2005 immerhin ein Thema erspart blieb: das Verhältnis der Frau zum Fußball und die möglichen Folgen für den Wahlausgang. Wäre es dabei geblieben, dass Bundestagswahl und Fußballweltmeisterschaft in ein Jahr gefallen wären, hätte Schröder sich den Stimmungsmacher Fußball zunutze machen können. Längst hatte sich die Union Gedanken darüber gemacht, wie man mit dem vermeintlichen Nachteil bei der Instrumentalisierung des Fußballs für die Wahlkampagne umgehen sollte: "'Merkel als Frau kann da gar nicht so mitmachen, selbst wenn sie wollte.' Und die Union kann nichts dagegen machen, obgleich sie wollte" (Reinsch & Schmiese, 2004; vgl. auch Holtz-Bacha, 2006). Die vorgezogene Neuwahl hatte wenigstens in dieser Hinsicht die Sorge der Union erledigt, mit einer Frau im Rennen um die Kanzlerschaft schlecht aufgestellt zu sein. Fazit Der Bundestagswahlkampf 2005 wurde von manchen Beobachtern als vergleichsweise negativ empfunden. Gründe dafür, dass diesmal mit besonders harten Bandagen gekämpft wurde, lassen sich viele finden. Die Sozialdemokraten starteten aus einer beinahe hoffnungslosen Lage heraus; sie hatten kaum noch etwas zu verlieren. Obendrein wurden sie von allen Seiten angegriffen, da ihnen durch Die Linke im linken Spektrum weitere Konkurrenz
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entstanden war. Sogar die Grünen, mit denen sie in den letzten Jahren die Regierung gebildet hatten, kritisierten den Koalitionspartner. Da die Bilanz der rot-grünen Regierung nicht nur von den Oppositionsparteien im Bundestag heftig attackiert wurde, kam eine Strategie, die nach Amtsinhabermanier die bisherigen Erfolge in den Mittelpunkt stellt und den Gegner ignoriert, kaum in Frage. Vermutlich trug außerdem die Konstellation, in der die Union als sicherer Gewinner der Wahl betrachtet wurde, dazu bei, dass die SPD eher einen Herausforderer- als einen Amtsinhaberwahlkampf führte. Nicht zum ersten Mal hat sich 2005 gezeigt, dass die üblichen Annahmen über Amtsinhaber- und Herausfordererstrategien nicht (mehr) so recht passen wollen. Ohnehin werden diese stets auf eine Klassifikation aus den USA (Trent & Friedenberg, 2004) zurückgeführt, die sich stark an Präsidentschaftswahlkämpfen orientiert und eher von einer Konstellation mit einem allseits gut bekannten und mit der besonderen Würde seines Amtes antretenden Amtsinhabers gegen einen meist weniger vertrauten Herausforderer ausgeht. Wir finden zwar durchaus einige Übereinstimmungen zwischen den Werbestrategien hier wie dort, die entsprechende Zuordnung zu den Kampagnen von Amtsinhaber und Herausforderer indessen zeigt weniger Gemeinsamkeiten. Es wäre wohl an der Zeit, die importierte Klassifikation zu überdenken und eine für das deutsche politische System besser geeignete zu entwickeln. Ähnliches gilt auch für die Politikertypen, die für Präsentation und Selbstdarstellung von Spitzen- und Kanzlerkandidaten eingesetzt werden (vgl. z. B. Schwartzenberg, 1980; außerdem Holtz-Bacha, 2000, S. 194-196). Nicht nur, dass offenbar die Kampagnenberater von Angela Merkel selbst noch nicht wussten, wie die Kanzlerkandidatin zu präsentieren wäre, generell scheinen die herkömmlichen Typenbeschreibungen allzu sehr der Männerwelt der Politik verhaftet. Der Wahlkampf 2005 hat wieder einmal gezeigt, dass die Kampagne durchaus etwas bewirken kann. Unter den besonderen Bedingungen, die sich vor dieser Wahl stellten – die überraschende Ankündigung und die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bis zum Wahltermin sowie die für alle Akteure ungewohnte Konstellation eines Zweikampfes zwischen Kanzlerkandidat und Kanzlerkandidatin – dürften die Kampagnenmacher noch einiges dazugelernt haben. Das gilt gewiss für die Wahlkampfprofis der Union, die den sicher geglaubten Wahlsieg dahinschwinden sahen und sich das auch selber zuschreiben mussten. Das gilt aber andererseits auch für die SPD, die von den Fehlern der CDU-Kampagne profitierte und der mit einer
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beharrlichen Mobilisierungskampagne – und gegen die Medien, wie Gerhard Schröder nach der Wahl meinte – eine beispielhafte Aufholjagd glückte und sich deshalb als "Umfrage-Sieger-Besieger" feiern konnte. Die Umfrageinstitute, denen am Wahlabend ein Debakel bescheinigt wurde, und mit ihnen ihre Auftraggeber in Parteien und Medien mussten erkennen, dass das Verhalten der Wählerschaft nicht (mehr) so einfach zu berechnen und ihr Geschäft schwierig geworden ist. Vieles spricht dafür, dass es auch in der Zukunft Fehlkalkulationen geben wird und ihr Beratungspotenzial hinsichtlich der Strategieplanung für den Wahlkampf Unsicherheiten birgt. Literatur Bartels, S., & Schnitzler, M. (2005, 30. Juni). Warum geht es bei Angela Merkel so viel um ihr Äußeres? Brigitte, S. 186-192. Dalton, R. J. (2004). Citizen politics. Public opinion and political parties in advanced industrial democracies (3. Auflage). New York: Chatham House. Dehm, U. (2005). Das TV-Duell 2005 aus Zuschauersicht. Media Perspektiven, 627-637. "Entscheidungen allein treffen". (2002, 29. Dezember). Der Spiegel, S. 57-59. Heine, M. (2005, 26. Juni). Eine Radikalkur für die Kandidatin. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, S. 58. Holtz-Bacha, C. (1999). Wahlkampf 1998 – Modernisierung und Professionalisierung. In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Wahlkampf in den Medien – Wahlkampf mit den Medien. Ein Reader zum Wahljahr 1998 (S. 9-23). Opladen: Westdeutscher Verlag. Holtz-Bacha, C. (2001). Das Private in der Politik: Ein neuer Medientrend? Aus Politik und Zeitgeschichte, (B41-42), 20-26. Holtz-Bacha, C. (2002). The end of old certainties: Changes in the triangle of media, political system, and electorate and their consequences. Ethical Perspectives, 9, 222-229. Holtz-Bacha, C. (2003). Die Darstellung von Politikerinnen in den Medien/La couverture médiatique des politiciennes/L'immagine mediatica dei politici donna. Frauenfragen/Questions au féminin/Questioni femminili, (1), 47-55. Holtz-Bacha, C. (2004a). Germany: The "German Model" and its intricacies. In J. Roper, C. Holtz-Bacha & G. Mazzoleni, The politics of representation. Election campaigning and proportional representation (S. 9-27). New York: Peter Lang. Holtz-Bacha, C. (2004b). Germany: From modern to postmodern campaign. In J. Roper, C. Holtz-Bacha & G. Mazzoleni, The politics of representation. Election campaigning and proportional representation (S. 77-97) New York: Peter Lang. Holtz-Bacha, C., (2006). Fußball – Fernsehen – Politik. In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Fußball – Fernsehen – Politik (S. 5-21). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bundestagswahl 2005 î Die Überraschungswahl
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"Hinten sind die Enten fett". Der Bundestagswahlkampf der SPD und die Mobilisierung der eigenen Mitglieder Thomas Bosch
"Jeder Wahlkampf ist ein Unikat!" Mit diesen Worten brachte der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering Ende Mai 2005 auf den Punkt, was den Bundestagswahlkampf 2005 retrospektiv betrachtet sicherlich am sinnvollsten charakterisiert: Es handelte sich um ein ganz besonderes Ereignis in der jüngeren Geschichte Deutschlands. Das lag schon in der Ausgangssituation begründet, zeigte sich aber auch während der relativ kurzen Zeitspanne der Kampagne und zumal dann am Wahltag mit einem überraschenden Ergebnis. Dieser Wahlkampf soll hier aus der Perspektive der SPD genauer beleuchtet werden. Die Ausgangssituation für die Regierungspartei, die mit Gerhard Schröder seit 1998 den Kanzler stellte, war alles andere als komfortabel. Die Sozialdemokraten waren Ende Mai nach der verlorenen Landtagswahl in ihrem "Stammland" Nordrhein-Westfalen nicht nur in einem demoskopischen Tief, auch die Stimmung unter den Parteimitgliedern war am Boden. Kaum jemand in der SPD glaubte anfänglich daran, dass nach der "Ausrufung von Neuwahlen" in Folge des Wahldebakels in NRW "das Ruder innerhalb von 119 Tagen noch gewendet" werden könnte. Sätze wie "das ist doch aussichtslos" oder "das ist politischer Selbstmord" waren keine Seltenheit. Ein Wahlkampf in Deutschland kann aber nicht ohne das Engagement und den Einsatz der Parteimitglieder geführt werden. Und Engagement – ehrenamtliches zumal – bedarf eines gewissen Grades an Selbstbewusstsein, Optimismus und Siegeszuversicht. Von alledem besaßen die Genossen Ende Mai nur wenig. Welche Faktoren dennoch dazu beigetragen haben, dass die SPD am 18. September 2005 nur denkbar knapp hinter der Union rangierte, ist Thema der folgenden Ausführungen. In einem ersten Schritt wird es darum gehen, allgemein und auf Basis theoretischer Überlegungen aufzuzeigen,
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inwiefern Parteimitglieder bei Wahlkampagnen deutscher Parteien von Bedeutung sind. Das anschließende Kapitel widmet sich dann konkret dem SPD-Bundestagswahlkampf 2005. Nach einer Analyse der Ausgangssituation werden die strategischen Leitlinien vorgestellt, die der Arbeit der Wahlkampfverantwortlichen zu Grunde lagen. Entlang dieser Leitlinien wird dann die Umsetzung der SPD-Kampagne auf inhaltlicher, personeller und organisatorischer Ebene detailliert beleuchtet. In diesem Zusammenhang werden Mobilisierungsfaktoren vorgestellt, die dazu geführt haben können, dass es der SPD – insbesondere in der Schlussphase – wider Erwarten gelang, ihre eigene Wählerklientel anzusprechen bzw. daran mitzuwirken, den Zuspruch in der Wählerschaft für den politischen Hauptgegner CDU/CSU zu minimieren. Es lassen sich hier allerdings keine empirisch gesicherten Erkenntnisse vorstellen, insofern bleiben die Ausführungen in erster Linie deskriptiv. 1
Die Bedeutung von Parteimitgliedern in Bundestagswahlkämpfen
Vor jedem Wahltermin versuchen die Parteien, die Wählerschaft für sich zu gewinnen. Diese Phase wird als Wahlkampf bezeichnet, in dem der kommunikative Wettstreit um die meisten Stimmen zur Erlangung von Mehrheiten und Macht im Vordergrund steht. Wahlkämpfe können als spezifische politische Kommunikationsprozesse temporärer Art verstanden werden, die durch eine verdichtete Interaktion zwischen Werbenden und Umworbenen gekennzeichnet sind. Kommunikation ist daher ein entscheidendes und charakteristisches Element von Wahlkämpfen und diese Wahlkampfkommunikation erfolgt im Zusammenspiel von Parteien, Medien und Wählern. So besteht für die Parteien einerseits die Möglichkeit, direkt über die Parteiorganisation und die Parteimitglieder die Wählerschaft anzusprechen, und andererseits mit Hilfe der Massenmedien auf indirektem Weg ihre Botschaften zu vermitteln. Der indirekte Kommunikationsweg birgt indes den Nachteil, dass die Informationen in der Regel von journalistischer Seite gefiltert werden. Hauptziel der Parteien ist es aber, Informationen möglichst ungefiltert an die Wählerschaft zu übermitteln. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass im Zusammenhang mit Politikvermittlung zu Wahlkampfzeiten immer wieder der Begriff der Kampagnenkommunikation fällt. Dieser soll deutlich
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Thomas Bosch
machen, dass Politikvermittlung insbesondere in Wahlkämpfen von der jeweiligen Parteiführung gezielt geplant, organisiert und umgesetzt wird (Schmitt-Beck & Pfetsch, 1994, S. 116). Radunski (1980, S. 44 f.) hat in diesem Zusammenhang drei Hauptlinien der Wahlkampfführung beschrieben. So untergliedert er Wahlkämpfe in
eine Kampagne in den Massenmedien, eine Werbekampagne und eine Parteien- und Mobilisierungskampagne.
Im Rahmen der Kampagne in den Massenmedien liegt die wesentliche Aufgabe für das Wahlkampfmanagement darin, eine "Medienstrategie" zu entwickeln, die sich vor allem an die Multiplikatoren in den Print- und elektronischen Medien richtet (Müller, 2002, S. 632). Primärziel dieser Strategie ist es, parteipolitische oder politiker-spezifische Informationen und Themen im Sinne der Parteiführung auf die Medienagenda zu setzen. Nur so haben sie überhaupt eine Chance, massenmedial vermittelt zu werden. In diesem Zusammenhang weist Radunski (1980, S. 44) darauf hin, dass diese Art der Kampagne ein permanenter Prozess ist, der aber zu Wahlkampfzeiten wegen gesteigerter Aufmerksamkeit eine noch stärkere Bedeutung erfährt. Unter der Werbekampagne sind sämtliche Formen kommerzieller Kommunikation zu verstehen. Gerne wird in diesem Zusammenhang auch von gekaufter Kommunikation oder "paid media" gesprochen. Es handelt sich hierbei um spezifische Anspracheformen im Wahlkampf, für die zielgerichtet innerhalb einer kurzen Zeit verhältnismäßig viel Geld ausgegeben wird mit der Absicht, für eine Partei oder einen Kandidaten zu werben (von Alemann, 2003, S. 158; Wolf, 1987, S. 293). Diese Form der kommerziellen Wahlkampfkommunikation ist für den Wähler permanent sicht- und hörbar, weshalb Radunski (1980, S. 92) ausführt: "Gerade daran denkt der Wähler, wenn er an den Wahlkampf denkt." Das dritte wesentliche Element von Wahlkampagnen beschreibt Radunski (1980, S. 118 ff.) mit der Parteien- und Mobilisierungskampagne. Hier muss es dem Wahlkampfmanagement darum gehen, die eigenen Mitglieder zu motivieren, sich aktiv am Wahlkampf zu beteiligen: "Aufgabe der innerparteilichen Mobilisierung ist es, in mehreren Wellen bis hin zum Wahltag möglichst viele Parteimitglieder für den Wahlkampfeinsatz zu aktivieren. Dies ist einer der entscheidenden Wahlkampffaktoren" (Wolf, 1987,
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S. 296). Die Bedeutung dieser Kampagnenform lässt sich daran nachvollziehen, dass die Kampagnen für Bundestagswahlkämpfe in den Bundesgremien der Parteien von Mandatsträgern beschlossen, primär von hauptamtlichen Parteifunktionären auf Bundesebene geplant, konzipiert und organisiert werden, aber überwiegend vor Ort auf lokaler Ebene von ehrenamtlich und hauptamtlich Aktiven umgesetzt und realisiert werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Mitglieder für einen Wahlkampf mobilisiert sind. Eine wesentliche Grundlage und damit auch ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Mitglieder- und Sympathisantenmobilisierungskampagne sind dabei sorgfältig aufbereitete Informationen und eine möglichst perfekte Organisation und Verzahnung aller Kampagnenelemente. Insofern können eine erfolgreiche Kampagne in den Massenmedien und eine gelungene Werbekampagne ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Mobilisierung leisten. Dieser Beitrag wird sich im Folgenden mit der SPD-Kampagne im Bundestagswahlkampf 2005 auseinandersetzen und dabei ein Hauptaugenmerk auf die Parteien- und Mobilisierungskampagne legen. Aus diesem Grund soll zunächst darauf eingegangen werden, weshalb Mitglieder in Kampagnen überhaupt von Bedeutung sind, wo doch in der Vergangenheit von journalistischer Seite, aber auch teilweise in wissenschaftlichen Beiträgen des Öfteren der Eindruck erweckt wurde, dass moderne Wahlkämpfe vor allem Medienwahlkämpfe sind, bei denen wahlkämpfende Mitglieder an Bedeutung verlieren. In welcher Form können also Mitglieder ihrer Partei bei der Stimmenmaximierung helfen? Scarrow (1996, S. 42 ff.) nennt folgende Aspekte: Zunächst tragen Mitglieder durch ihre Mitgliedschaft zur Aufbesserung der Mitgliederstatistik bei, die regelmäßig veröffentlicht wird und so der Öffentlichkeit Zahlen und Daten liefert, wie es um das "Standing" der jeweiligen Partei insgesamt sowie in den einzelnen gesellschaftlichen Schichten oder Milieus bestellt ist ("Legitimacy Benefit"). Des Weiteren fungieren Mitglieder in ihrer Gesamtheit als Pool, aus dem Personal rekrutiert werden kann ("Personnel Benefit"). Mit neuen Ideen können Mitglieder dazu beitragen, das Parteiprogramm, aber auch die Organisationsprozesse zu verbessern oder anzureichern ("Innovation Benefit"). Sie stellen darüber hinaus Verbindungen zur Wählerschaft her und ermöglichen es der Parteiführung so, Informationen über die "grass-root opinion" zu generieren ("Linkage Benefit"). Mit der Annahme, dass Mitglieder im Regelfall eher wählen gehen als andere Wähler, ist der "Direct Electoral Benefit" verbunden. In Form von
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Mitgliedsbeiträgen oder Spenden erfüllen die Mitglieder eine weitere wichtige Funktion für die Parteien ("Financial Benefit"). Teile der Mitgliedschaft fungieren zusätzlich als "freiwillige Arbeitskräfte" ("Labour Benefit"), die sich in Wahlkämpfen aktiv engagieren. Last but not least können Mitglieder durch die Verankerung in ihren persönlichen Netzwerken Unterstützung generieren ("Outreach Benefit"). Von besonderer Bedeutung sind sicherlich die letzten drei Aspekte, denn ohne eine ausreichende finanzielle Grundlage kann kein Wahlkampf geführt werden. Des Weiteren gilt, dass ohne aktive Teilnahme oder organisatorische Mithilfe von Mitgliedern bedeutend weniger Plakate aufgestellt, weniger Wahlwerbung in den Briefkästen landen und weniger Wahlkampfveranstaltungen stattfinden würden und so die Partei vor Ort weniger präsent wäre. Im Zusammenhang mit deutschen Bundestagswahlkämpfen wird aber immer wieder auf die spezifische Bedeutung des "Outreach Benefits" hingewiesen. Auch Scarrow (1996, S. 111) kommt zu dem Schluss, dass Parteien Mitglieder insbesondere wegen dieses "Outreach Benefits" wertschätzen. So trägt jedes mobilisierte Mitglied zur weiteren Wählermobilisierung bei, indem es für die Partei, ihr Programm und ihr Spitzenpersonal in der Öffentlichkeit eintritt. Radunski (1980, S. 118) spricht in diesem Zusammenhang von einem "persönlichen Wahlkampf". Dieser funktioniert nach dem "Schneeball- oder Dominoprinzip". So können durch Ansprache und Mobilisierung der eigenen Mitglieder über die Stammwähler u. U. auch die Wechsel- und Nichtwähler erreicht werden. Als wesentliches Element dieses Wahlkampfes fungiert dabei die persönliche Ansprache der Wahlberechtigten – gerne auch "Mundfunk" genannt. Aktive Mitglieder und Anhänger werden so in Wahlkämpfen zu entscheidenden Multiplikatoren: "Die Wirkung der Gespräche von Anhängern mit Familie, Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen ist gar nicht hoch genug einzuschätzen" (von Alemann 2003, S. 161). Voraussetzung dafür, dass sich Mitglieder in irgendeiner Form engagieren, ist aber banaler Weise eine erfolgreiche Mobilisierung. Denn die große Gefahr, mit der sich eine Partei in einem Wahlkampf konfrontiert sehen kann, ist eine "schweigende Anhängerschaft" (Radunski, 1970, S. 138), sozusagen eine Art innerparteilicher "Schweigespirale" (vgl. Noelle-Neumann, 2001). Diese setzt sich zu Ungunsten einer Partei in Bewegung, wenn ihren Anhängern die Gefahr droht, innerhalb einer Gruppe isoliert zu werden,
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weil sie eine Meinung vertreten, die nicht der Mehrheitsmeinung zu entsprechen scheint. Deshalb muss es den Parteien gelingen, sich im Wahrnehmungsraum der Wählerschaft gut zu positionieren und ihre Mitglieder und Anhänger so zu mobilisieren, dass sie diejenigen sind, die in der Öffentlichkeit präsent sind und "lautstark" die Positionen der Partei vertreten. Gelingt dies nicht, kann das zur Folge haben, dass die eigenen Anhänger durch das Reden der politischen Gegner oder auch der Massenmedien demobilisiert werden und "schweigen": "Wer sieht, daß seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen. Indem die einen laut reden, öffentlich zu sehen sind, wirken sie stärker, als sie wirklich sind, die anderen schwächer, als sie wirklich sind. Es ergibt sich eine optische oder akustische Täuschung für die wirklichen Mehrheits-, die wirklichen Stärkeverhältnisse, und so stecken die einen andere zum Reden an, die anderen zum Schweigen" (NoelleNeumann, 1994, S. 378 f.). Eine solche Gefahr drohte der SPD zu Beginn des Bundestagswahlkampfes 2005, daher soll im Folgenden zunächst die Ausgangssituation beschrieben werden. 2
Analyse der Ausgangssituation
Wann begann das Dilemma der SPD, das letztendlich zu den vorgezogenen Neuwahlen zum 16. Deutschen Bundestag führte? Bis zum eigentlichen "Schicksalstag", dem Tag der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005, hatte die SPD nach der Bundestagswahl vom 22. September 2002 bereits bei zehn Landtagswahlen und einer Europawahl in Folge immer wieder – zum Teil dramatische – Verluste1 hinnehmen müssen. Die Stimmung in der Partei war angespannt. Sah es zu Beginn des Jahres 2005 noch so aus, als könnte sich die SPD wieder "stabilisieren" und die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen am Ende doch noch für sich entscheiden, ging spätestens mit dem 17. März dieser Wunschtraum vieler Genossinnen und Genossen zu Ende: "Es ist Donnerstag, 17. März, 16.36 Uhr. Spätestens jetzt ist endgültig klar: Die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein ist am Ende. Stellvertretend sei hier auf die beiden Landtagswahlen des 2. Februar 2003 in Hessen (-10,3 Prozentpunkte) und Niedersachsen (-14,5 Prozentpunkte), aber auch die Europawahl am 13. Juni 2004 (-9,2 Prozentpunkte) sowie die saarländische Landtagswahl vom 5. September 2004 (-13,6 Prozentpunkte) hingewiesen.
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Gestürzt von ihren eigenen Leuten" (Ertel, 2005). Nachdem Heide Simonis auch im vierten Anlauf bei der Wahl des Ministerpräsidenten von SchleswigHolstein die erforderliche Anzahl von 34 Stimmen nicht erreichte, weil ein Mitglied aus den eigenen Reihen ihr und dem geplanten Koalitionsbündnis aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) die Gefolgschaft verweigerte und es in Folge dessen zu einer Großen Koalition unter der Führung des CDU-Spitzenkandidaten Peter Harry Carstensen kam, war die Stimmung innerhalb der SPD bereits sehr angespannt. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai war dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die letzte noch amtierende rot-grüne Landesregierung wurde abgewählt. Die Landes-SPD fand sich nach 39 Jahren Regierungszeit in der Opposition wieder. Daraufhin verkündete Franz Müntefering kurz nach den ersten Hochrechnungen, dass er mit Bundeskanzler Schröder vereinbart habe, dem Parteipräsidium am nächsten Tag Neuwahlen vorzuschlagen: "Wir suchen die Entscheidung. Es ist Zeit, dass in Deutschland die Verhältnisse geklärt werden. Die Menschen sollen sagen, von wem sie regiert werden wollen." Mit der Erklärung, die Bundeskanzler Schröder dann pünktlich zur Tagesschau-Zeit um 20 Uhr abgab, wurden Münteferings Aussagen offiziell untermauert: "Für die aus meiner Sicht notwendige Fortführung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen gerade jetzt für erforderlich. Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht und Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich, also realistischerweise für den Herbst dieses Jahres, Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen." Allmählich wurde den an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus anwesenden Mitgliedern, Parteifunktionären, Abgeordneten und Journalisten klar, was der Neuwahlplan für die eigene persönliche Situation bedeutete. Jeder war in irgendeiner Weise "betroffen", und sei es nur, weil zum Beispiel Urlaubsplanungen zurückgestellt werden mussten. Für viele der anwesenden Abgeordneten ging es aber vielmehr um die existentiellere Frage, ob sie überhaupt noch eine Chance haben würden, dem nächsten Parlament wieder anzugehören. Angesichts der damaligen Umfragezahlen konnte sich jeder leicht ausrechnen, dass der nächsten SPD-Fraktion wohl kaum wieder 251 Abgeordnete angehören würden. Ein Umstand, der auch entsprechende
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Auswirkungen auf die zahlreichen Abgeordnetenmitarbeiter nach sich ziehen würde. So wurde vielen innerhalb weniger Minuten klar, dass diese Entwicklungen zahlreiche persönliche Lebenspläne umwerfen würden. Allein diese Erkenntnis förderte nicht unbedingt die Motivation der SPDSympathisanten. Vielmehr musste man den Eindruck gewinnen, dass das allmähliche Realisieren der Neuwahlpläne die Partei und ihre Mitglieder stark demobilisierte. Um dies nachvollziehen und verstehen zu können, lohnt ein kurzer Blick auf die damalige demoskopische Situation: So lag die Bundes-SPD in den Erhebungen in der Woche vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen bei forsa mit 28 Prozent 18 Punkte hinter der Union. In den Wochen nach der Verkündung der Neuwahlpläne tastete sich die Union zunächst an die absolute Mehrheit heran und erreichte stellenweise fast die 50 Prozent-Marke, während die SPD auf konstant niedrigem Niveau verharrte und bei den meisten Umfrageinstituten im Juni/Juli 2005 sogar nur noch 26 bis 27 Prozent erreichte. Ende Mai rechneten nach einer forsa-Umfrage 83 Prozent der Bundesbürger mit einem Regierungswechsel in Berlin (o. V., 2005). Auch die Wahlforscher machten darauf aufmerksam, "dass es bislang keinen Präzedenzfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte gibt, in der es einer Partei gelungen wäre, einen so deutlichen Abstand zum Herausforderer in derart kurzer Frist aufzuholen" (Feldenkirchen et al., 2005, S. 41). Die Lage erschien in der Tat aussichtslos. Die Medien besangen bereits das Ende von Rot-Grün und Kanzler Schröder:
"Adieu Rot-Grün!" (Mohr, 2005) "Marsch aus den Institutionen" (Siebenmorgen & Vornbäumen, 2005) "Rot-Grün wickelt sich ab" (Michel & Schellenberger, 2005) "Schröders Endspiel" (Feldenkirchen et al., 2005)
Zudem bekam es die SPD nicht nur mit Konkurrenz in Form der Union zu tun. PDS und WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) hatten es sich zum Ziel gesetzt, als gemeinsames "Linksbündnis" in die Wahl zu ziehen. Mitte Juni nannte sich die PDS in Linkspartei (optional auch Linkspartei.PDS) um und öffnete damit ihre Liste auch für Mitglieder der WASG. Mit dem ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine hatte das Linksbündnis einen prominenten Kandidaten gewonnen, der die Landesliste zur Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen anführte. Ziel des Linksbünd-
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nisses war es, sich als politische Alternative für von der Regierung Schröder enttäuschte Wähler zu positionieren, sich gegen die Reformen der rotgrünen Bundesregierung in Form der "Agenda 2010" zu stellen und das Themenfeld soziale Gerechtigkeit zu besetzen. Auch der rechtliche Rahmen für die Neuwahl gab in der Folge allerhand Anlass zur Diskussion. Schröder wollte nach Artikel 68 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland die Vertrauensfrage stellen mit dem Ziel, diese zu verlieren, um so den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Unter all diesen Vorzeichen ist es nur verständlich, dass innerhalb der Mitgliedschaft nicht unbedingt Euphorie für einen Wahlkampf ausbrach, den große Teile ohnehin von Anfang an verloren glaubten. Diese Stimmungslage führte auch in den Landesverbänden und Bezirken der Partei zu heftigen Diskussionen – so zum Beispiel auch bei der Aufstellung der Landeslisten. In Erwartung einer herben Niederlage wollten sich viele amtierende Bundestagsabgeordnete auf den vorderen Plätzen der jeweiligen Landesliste abgesichert wissen. Insofern herrschte innerhalb der Partei zeitweilig eine nahezu apokalyptische Untergangsstimmung. In dieser Situation galt es, in der Berliner SPD-Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus den Wahlkampf vorzubereiten. 3
Der SPD-Bundestagswahlkampf 2005
Den Wahlkampfverantwortlichen, das heißt sowohl der politischen als auch der technischen Wahlkampfleitung, war von Anfang an klar, dass der Bundestagswahlkampf 2005 nur dann für die SPD zu einem Erfolg werden könnte, wenn die eigenen Mitglieder von der Notwendigkeit der Neuwahlen zu überzeugen und für den Wahlkampf zu mobilisieren wären. Der SPDBundestagswahlkampf 2005 sollte keine mediale Inszenierung werden. Nach einem Gespräch mit dem für den operativen Teil der Kampagne verantwortlichen ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel fasste Meng (2005) das Credo für den SPD-Wahlkampf folgendermaßen zusammen: "Die Leute seien das Inszenieren leid. Es komme heute um der bedrohten Glaubwürdigkeit willen viel mehr auf Inhalte an als 1998 und 2002. Und darauf, den Wahlkampf nahe an der Denkwelt der verunsicherten SPD zu führen. (…) Es geht nicht nur um die Kanzlerperspektive, sondern auch ums Selbstbewusstsein als Volkspartei. Das steht dahinter, wenn
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Wasserhövel und Müntefering betonen, dass diesmal weniger Inszenierung dabei sei. SPD pur soll transportiert werden. In Wasserhövels Selbstverständnis ist das eine Kampagne, die wieder stärker die eigenen Mitglieder und Anhänger mobilisiert, 'ins Ehrenamtliche' reingeht (…), die Inhalte 'auf die Straße' bringt." Diese Schwerpunktsetzung stammte nicht zuletzt auch aus Erfahrungen des Bundestagswahlkampfes 2002. So verweist auch Bosch (2004, S. 137), der den SPD-Wahlkampf 2002 untersuchte, in seinem Fazit darauf: "Die Mitglieder sind für einen Wahlkampf wichtig – vor allem dann, wenn die Massenmedien mit ihrer Berichterstattung die Partei und ihre Wahlkampfkommunikation nicht in dem Maße unterstützen wie diese es wünscht." Es ist daher interessant, dass Wasserhövel (2005a, S. 3) bereits in der ersten Ausgabe der SPD-Funktionärszeitschrift Intern nach den verlorenen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen die Bedeutung der interpersonalen Kommunikation für den anstehenden Bundestagswahlkampf hervorhob, indem er an die Worte von Johannes Rau erinnerte: "Der Mundfunk wird oft den Rundfunk ersetzen müssen". In Anbetracht der Ausgangssituation wird aber rasch klar, dass die Mitglieder und Sympathisanten im Mai 2005 nur wenig gewillt waren, für die SPD zu werben. Für die Wahlkampfstrategen lautete daher die zentrale Frage und eigentliche Herausforderung: Wie kann man Mitglieder mobilisieren, die sich größtenteils eigentlich gar nicht mobilisieren lassen wollen? Grundsätzlich beruht die Parteimitgliedschaft auf Freiwilligkeit. Insofern müssen Mitglieder nicht aktiv für ihre Partei eintreten, weshalb auch nicht per se von engagementwilligen Parteimitgliedern auszugehen ist (Wiesendahl, 1996, S. 414). Als Faustregel gilt in Funktionärskreisen der SPD, dass etwa zehn Prozent der Mitglieder aktiv sind. Die Partei hatte Ende Mai 2005 593.901 Mitglieder, die Zahl der Aktiven konnte also nicht so hoch sein. Da bei der SPD etwa 60.000 Mandate zu vergeben sind, hat theoretisch eigentlich jedes aktive Mitglied auch ein Mandat inne und somit nicht nur den Wahlkampf im Kopf, sondern auch die tagtägliche operative Parteiarbeit zu leisten. Zwar vergrößert sich erfahrungsgemäß in Wahlkämpfen der Zirkel der engagementbereiten Mitglieder, aber angesichts der bereits angesprochenen Situation war davon nicht zwingend auszugehen. Insofern mag es kaum verwundern, dass es den Wahlkampfverantwortlichen der SPD zunächst darum ging, eine geeignete Ansprache an die Mitglied- und Anhängerschaft zu finden, um Mobilisierung zu generieren. Drei Punkte waren dabei wichtig: 1. Programm, 2. Persönlichkeiten und 3. Servi-
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cedienstleistungen. Diese drei Pfeiler waren entsprechend auch der Grundstock, auf dem die Parteistrategen die Linien des Wahlkampfes aufbauten. 3.1 Das Wahlmanifest Bereits in der Woche vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen sah sich die SPD mit parteiinternen Debatten um die weitere inhaltliche Ausrichtung der Regierungsarbeit konfrontiert. In Erwartung eines schlechten Wahlergebnisses spitzten sich die Diskussionen zu. Die Berliner Zeitung (Schellenberger & Vestring, 2005) prognostizierte der Partei einen offen ausbrechenden Richtungsstreit nach den verlorenen Landtagswahlen, weil sich vor allem der linke Parteiflügel gegen Schröders strikten "Reformkurs" stelle. Insbesondere die in einem "Jobgipfel" im März 2005 zwischen der Bundesregierung und der Union getroffenen Vereinbarungen, die Unternehmenssteuern zu senken, waren parteiintern umstritten. Zusätzlich befand sich die SPD zu diesem Zeitpunkt in einer Debatte um ein neues Grundsatzprogramm – naturgemäß ein Prozess, in dem viele Meinungen zu vielen verschiedenen inhaltlichen Punkten vertreten und auch öffentlich lanciert werden. In dieser schwierigen Situation galt es also, sich auf ein Regierungsprogramm für die Legislaturperiode von 2005 bis 2009 zu einigen. Die Debatte um das Grundsatzprogramm wurde zurückgestellt. Die Parteiführung musste nun zeigen, wie sie sich unter zeitlichem Druck auf zentrale politische Grundsätze einigt und ein Programm erstellt, in dem sich alle Parteiflügel "aufgehoben" fühlen. Des Weiteren musste dieses Programm natürlich auch Themen besetzen, die die Mitglieder emotional ansprechen und für die es sich in ihren Augen lohnt, in den Wahlkampf zu ziehen. Schließlich hatte das Regierungsprogramm verloren gegangenes Vertrauen in der Wählerschaft zurückzugewinnen und Wähler aus unterschiedlichsten Schichten anzusprechen. Dieser schwierige Prozess wurde professionell und erfolgreich gemeistert. In einigen intensiven und konzentrierten Sitzungen einigten sich die Spitzengenossen auf ihr Wahlmanifest, das am 4. Juli 2005 auf einem "kleinen Parteitag"2 einstimmig beschlossen und anschließend der Presse vorgeDiese Konferenz setzte sich aus den Mitgliedern des Parteivorstandes, des Parteirats, dem Fraktionsvorstand und den Landes- und Bezirksvorsitzenden zusammen.
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stellt wurde. Die Einigung auf eine klare programmatische Ausrichtung, in der sich alle Parteiflügel wiederfanden und auf deren Basis alle führenden Köpfe der Sozialdemokratie bereit waren, in den Wahlkampf zu ziehen, war ein wesentlicher Meilenstein der SPD-Kampagne. Die dadurch erwachsene Einigkeit und Geschlossenheit der Parteispitze war es auch, die bei den Mitgliedern wieder erste Hoffnungen aufkeimen ließen, dass es sich vielleicht doch lohnen könnte, für die SPD zu kämpfen. Das Leitmotto der SPD-Kampagne war auch gleichzeitig der Titel des Wahlmanifests: "'Vertrauen in Deutschland. war eine zentrale argumentative Achse unserer Kampagne. Gegen die Stimmungsmache und das Schlechtreden des Landes setzten wir von Anfang an eine optimistische und positive Grundbotschaft. Der Vertrauensbegriff war natürlich gerade im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag provokativ, und das war auch so gemeint. Es gibt den philosophischen Grundsatz, dass man immer an der stärksten Stelle der opponierenden Argumentation ansetzen muss, und dies ist mit dem Reklamieren des Vertrauensbegriffs für die SPD verbunden" (Wasserhövel, 2005b, S. 4). Einige wichtige Eckpunkte des Inhalts, die zur Mobilisierung der Mitgliedschaft beigetragen haben, sollen hier stichpunktartig Erwähnung finden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Bekenntnis zum Kündigungsschutz, zur Tarifautonomie und zur betrieblichen Mitbestimmung sowie Beibehaltung der Steuerfreiheit bei Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen Anhebung des Steuersatzes für Spitzenverdiener (umgangssprachlich auch "Reichensteuer" genannt) Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr Einführung eines aus Steuermitteln finanzierten Elterngeldes als Einkommensersatz während der Babypause Anhebung des Arbeitslosengeld II Ost auf Westniveau Einführung einer Bürgerversicherung Beibehaltung des Ausstiegs aus der Atomenergie Steuerliche Entlastungen für private Haushalte (z. B. verbesserte Absetzbarkeit bei haushaltsnahen Dienstleistungen und Handwerksarbeiten im Privatbereich) Plädoyer für existenzsichernde Löhne
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10. Erhöhung des Anteils der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2010 auf drei Prozent. Dem allem lag ein Bekenntnis zur Fortführung des Reformprozesses zu Grunde, den Schröder mit der Agenda 2010 eingeleitet hatte. Der Grundtenor des Wahlprogramms lautete: Weitere Reformen anstreben mit dem Ziel, den Sozialstaat zu bewahren und für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Die zehn exemplarisch herausgegriffenen Punkte des Wahlmanifests sollen deutlich machen, dass dieses Programm auch als Grundlage für einen Richtungswahlkampf gegen die Union gesehen wurde. Das Wahlmanifest erreichte nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung (Hoff & Twardowski, 2005, S. 5). Auch parteiintern war das Manifest nahezu unumstritten. Die Nachfrage war enorm. Neben zahlreichen Abrufen aus dem Internetangebot der Partei wurden beim Vertrieb fast 650 000 Exemplare bestellt. Die Mitglieder der Partei begannen, sich für den Wahlkampf zu interessieren. Das Interesse wurde umso größer, je stärker versucht wurde, die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Positionen der Union und der SPD herauszustellen und den Aspekt der Richtungsentscheidung in den Vordergrund zu stellen. Es ging darum, die Alternativen deutlich zu machen. Dazu diente vor allem auch der Auftakt der Werbekampagne. Mit einer Plakatserie versuchte sich die SPD zu positionieren: "Aus Untersuchungen war bekannt, dass die SPD inhaltlich in drei Feldern punkten konnte: Mut zu Reformen, Friedenspolitik, soziale Gerechtigkeit. Diese Felder wurden in fünf Plakaten bearbeitet und am Ende immer mit der Frage versehen: 'Aber wofür stehen die anderen?'" (SPD-Parteivorstand, 2005, S. 10). Hervorzuheben ist, dass es sich bei diesen Plakaten um reine Typoplakate handelte. Diese kommunikative Zuspitzung der Grundlinien des Wahlmanifests (von Wasserhövel gern "Klartext-Wahlkampf" genannt) war ein weiterer wesentlicher Meilenstein der Kampagne, durch den es gelang, der Wählerschaft die inhaltlichen Positionen der SPD nahe zu bringen und zu einer verstärkten innerparteilichen Mobilisierung beizutragen.
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Abbildung 1: Plakat: "Wir stehen für den Mut zum Frieden."
Mit der Einigung auf das Wahlmanifest gelang es der SPD auch wieder mit halbwegs positiven Schlagzeilen medial durchzudringen:
"Wahlprogramm eint SPD" (Pries, 2005) "Dahinter kann sich die SPD versammeln" (Bruns, 2005) "Die SPD trägt Geschlossenheit zur Schau" (Doemens, 2005) "Schröder will kämpfen wie noch nie zuvor" (Fras & Schellenberger, 2005)
Die in der Berichterstattung nach der Vorstellung des Wahlmanifests auftauchenden Begrifflichkeiten Einigkeit, Geschlossenheit, Kampfgeist und Selbstvertrauen waren durchaus von psychologischer Wirkung für die eigene Mitgliedschaft. Es wirkte, als ließe die SPD jetzt die Streitereien der Vergangenheit zurück und widmete sich mit aller Kraft dem anstehenden Wahlkampf. Diese Signale mobilisierten die eigene Anhängerschaft. Insofern leistete das Wahlmanifest einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die parteiinterne Mobilisierung.
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3.2 Das "Personal" – der Faktor "Schröder" Wahlprogramme sind von Haus aus abstrakt. Um sie für eine breite Wählerschaft erfahrbar zu machen, bedarf es Personen, die die Themen des Programms glaubhaft verkörpern. Programme müssen in gewisser Weise personalisiert werden, um besser vermittelt werden zu können. Besonderes Augenmerk galt es aus Sicht der SPD, auf den Faktor "Schröder im Bundestagswahlkampf 2005" zu richten. Schröders Wille und Glaube daran, dass die SPD diese Wahl noch gewinnen könne, mutete viele in der Partei Ende Mai weltfremd an. Aus dieser Anfangsphase des Wahlkampfs soll an dieser Stelle in Form einer kleinen Anekdote auf eine ddp-Meldung Bezug genommen werden: Als Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende Juni 2005 den US-Präsidenten Bush in Washington besuchte, wurde dieser immer wieder von mitgereisten Journalisten auf die aussichtslose Lage für Schröder bei den anstehenden Bundestagswahlen angesprochen und damit konfrontiert, dass dies ja Schröders Abschiedsbesuch in den USA sei. Daraufhin ließ sich Bush zu einer Bemerkung bewegen, die auf Grund der nicht gerade immer innigen Verbundenheit mit Schröder durchaus auch als Warnung aufgefasst werden konnte: "Schröder sei ein 'sehr erfahrener politischer Wahlkämpfer' (…) 'Das wird nicht sein erstes Rodeo sein.'" Schröder ließ es sich in dieser Situation nicht nehmen, noch einen draufzusetzen, und zitierte daraufhin ein Sprichwort aus seiner niedersächsischen Heimat: "Hinten sind die Enten fett" (ddp, nik & mwa, 2005). Doch trotz dieser launigen Äußerungen standen für Schröder zu diesem Zeitpunkt die Aktien schlecht. Sein Ansehen in der Bevölkerung war nach der Neuwahlentscheidung zunächst rückläufig. So verlor Schröder bei der Frage nach der Direktwahl des Bundeskanzlers vom Monat Mai (46%) auf den Monat Juni (37%) sieben Prozentpunkte (Infratest dimap, 2005, S. 114). Die Union nominierte am 30. Mai Angela Merkel zur Spitzenkandidatin. Im direkten Vergleich lag der Amtsinhaber (44%) bei der Kanzlerfrage bereits in der Vorwoche der Nominierung hinter Merkel (50%; Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 27.5.2005). Infratest dimap (2005, S. 114) sah Schröder in der Juni-Umfrage sogar acht Prozentpunkte hinter Merkel. Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass Merkel nach ihrer Nominierung medial sehr präsent und die Bevölkerung auf die Kandidatin neugierig war. Für die Mobilisierung der SPD-Sympathisanten waren
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die ermittelten Werte jedoch nicht gerade förderlich. Als Schröder im Juli dann wieder deutlich vor Merkel (47% zu 37%; Infrast dimap, 2005, S. 114) lag, war auch eine deutliche Verbesserung der Stimmungslage in der Partei zu bemerken – zumal nach der "gewonnenen" Vertrauensfrage die parteiinternen Diskussionen über die Verfahrensweise zum Erreichen von Neuwahlen beendet waren. Seinen Vorsprung vor Merkel konnte Schröder dann bis zur Bundestagswahl halten. Insofern galt ab Juli 2005, was in demoskopischer Betrachtungsweise schon den Bundestagswahlkampf 2002 prägte: Die Deutschen wollten Schröder als Bundeskanzler, gaben aber der Union als Partei den Vorzug vor der SPD. Schröder machte seiner Partei von Anfang an klar, dass er in diesem Wahlkampf vollen Einsatz zeigen wollte. Vor der SPD-Bundestagsfraktion zeigte er sich am 25. Mai betont kämpferisch: "Ich weiß genau, was ich der Partei schuldig bin. Und ich werde ihr nichts schuldig bleiben". Unmittelbar nach der Vertrauensabstimmung am 1. Juli untermauerte Schröder vor den SPD-Parlamentariern seinen Kampfeswillen. Bezug nehmend auf die von Joschka Fischer im Vorfeld der Abstimmung im Plenum des Bundestags gehaltene engagierte Rede, die auch SPD-Abgeordnete mit lang anhaltendem Beifall und stehenden Ovationen honorierten, wurde Schröder von Parlamentariern mit den Worten zitiert: "Jetzt kommt es darauf an, in den Wahlkampf zu gehen. Ich bin gerne bereit, zu euch in den Wahlkreis zu kommen und euch den Fischer zu machen". Dieser intonierte Einsatzwille, sein in Umfragen gemessener Persönlichkeitsbonus gegenüber der Herausforderin, sein tatsächliches Engagement im Wahlkampf und sein mediales Auftreten waren als mobilisierende Faktoren für die Anhängerschaft, sich im Wahlkampf für Schröder und die SPD einzusetzen, von elementarer Bedeutung. Im Wahlsonderheft des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL schreibt Leinemann (2005, S. 47 f.) zu Schröder: "Im Wahlkampf führte Schröder einen bravourösen, aber ziemlich einsamen und letztlich paradoxen Kampf. Mit großer Leidenschaft schien er sich an die Spitze der sozialdemokratischen Kritiker seiner Reformpolitik zu setzen, ohne diese jedoch zu widerrufen. (…) Er brauchte kein Hochwasser, keinen Irak-Krieg oder irgendein anderes Wunder, um – wie 2002 – die Niederlage abzuwenden. Er war das Wunder selbst – ackerte, brüllte, schüttelte Hände und versprühte gute Laune. Damit holte Schröder Sympathiepunkte zurück, aber er stiftete auch Verwirrung. Am Wahlabend merkten die Genossen nur noch nicht, wie orientierungslos die Partei in
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Wahrheit ist. (…) Immer aufs Neue verblüffte der Kanzler im Wahlkampf nicht nur die Genossen durch sein Selbstbewusstsein und seine unerschütterlich gute Laune." Dass die Person Schröder für viele SPD-Wähler mitentscheidend war, legt auch die Wahltagsbefragung von Infratest dimap (2005, S. 74) nahe. Sie macht deutlich, dass für die Wahlentscheidung der SPD-Wähler die Persönlichkeit des Spitzenkandidaten von größerer Bedeutung war als bei der Wählerschaft der anderen Parteien. So gaben 24 Prozent der SPD-Wähler an, dass bei ihrer Wahlentscheidung die Person Gerhard Schröder im Vordergrund stand – im Vergleich: Für CDU-Wähler war Angela Merkel nur zu 16 Prozent für die Wahlentscheidung ausschlaggebend. Ungeachtet dieser tatsächlichen Beweggründe für die Wahlentscheidung, empfanden zahlreiche Genossen den Einsatz Schröders im Wahlkampf als beispiel- und vorbildhaft und ließen sich dadurch motivieren. Dass Schröder seine zu Beginn des Wahlkampfs gemachten Äußerungen ernst nahm, zeigte sich in einer Vielzahl von Parteiveranstaltungen, Wahlkampfkundgebungen und nicht zuletzt bei seinen Auftritten in der ARD-Talkshow Sabine Christiansen am 31. Juli und beim TV-Duell mit seiner Herausforderin Merkel am 4. September. 31.7., ARD: Gerhard Schröder bei Sabine Christiansen Unter dem Titel "Wie glaubwürdig ist Ihr Programm, Herr Bundeskanzler?" lud Christiansen Schröder in ihre Sendung ein. Der Kanzler sollte sich ihren Fragen stellen und weiteren geladenen Experten für verschiedene Themenbereiche sowie einem ehemaligen SPD-Mitglied, das zur WASG gewechselt war, Rede und Antwort stehen. Peter Dausend (2005) schrieb dazu in der Welt: "Gleich fünf Mann (…) sollten dem Kanzler so richtig einheizen, ihm Dampf machen, ihn 'grillen', wie es im Journalistendeutsch unschön wie jahreszeitengerecht heißt. Doch Schröder blieb in den 60 Minuten so ungegrillt wie eine Rostwurst bei Dauerregen. Er machte die Experten und den Überläufer mit einer Charmeoffensive mundtot. (…) Schlagkräftig, entschlossen, gut präpariert, noch besser gelaunt, mit einem Wort: souverän – so präsentierte sich Schröder zum Auftakt des Wahlkampfs demjenigen, den er nun so gern beschwört: dem Souverän." 5,19 Millionen Zuschauer verfolgten diese Sendung und in zahlreichen Kontakten, die Mitarbeiter der SPD-Kampagnenzentrale in der darauffol-
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genden Woche mit Mitgliedern hatten, war zu spüren, dass Schröder auf diese Weise viele Gespräche vor Ort angestoßen und einen wichtigen Mobilisierungsanstoß in die eigene Anhängerschaft geleistet hatte. Ein medialer Auftritt mit nicht zu vernachlässigender Wirkung auf die parteiinterne Mobilisierung. 31.8., Berlin: Wahlparteitag der SPD Von besonderer Bedeutung war der außenordentliche Parteitag der SPD – auch Wahlparteitag genannt. Knapp drei Wochen vor dem Wahltermin kamen in Berlin noch einmal die wichtigsten Parteimultiplikatoren zusammen. Ein solcher Parteitag kann einen entscheidenden Mobilisierungsimpuls für die Mitgliedschaft, aber auch über diese hinaus mit sich bringen. Zwar richten sich Parteitage originär an die eigenen Parteimitglieder, aber durch die Präsenz zahlreicher Journalisten wird zusätzlich eine massenmediale Berichterstattung generiert, die auf die gesamte Wählerschaft ausstrahlt. Für Wahlkampfmanager fungieren Parteitage deshalb als ein zentrales Kommunikationsmittel (Müller, 2002, S. 636). Das galt auch für den SPDWahlparteitag 2005 – von ihm sollte das entscheidende mobilisierende Signal für eine effektive Abschlussmobilisierung ausgehen. Im Zentrum stand der Spitzenkandidat Gerhard Schröder. Mit seiner Rede musste er den berühmten "Funken" auf die eigenen Mitglieder überspringen lassen, sie motivieren und mobilisieren. Kurz nach 12.30 Uhr trat der Kanzler ans Rednerpult. Für seine Rede waren laut Ablaufplan 35 Minuten eingeplant, es wurden fast eineinhalb Stunden. Ohne die Rede im Detail analysieren zu wollen3, ist hier auf eine entscheidende Passage einzugehen, mit deren Hilfe ein Thema lanciert wurde, das den Wahlkampf in der Endphase bestimmen sollte und wesentlich zur Mobilisierung der SPDAnhänger beitrug: Prof. Paul Kirchhof und sein Steuerkonzept. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter war von Angela Merkel im Falle eines Wahlsieges als Bundesfinanzminister vorgesehen. Mehrmals setzte sich Schröder mit dem Finanzexperten im Wahlkampfteam der Union, dem er den Beinamen "Professor aus Heidelberg" gab, auseinander. So kritisierte er zum Beispiel dessen Vorstellungen beim Thema Rente, sein Familien- und GeSie ist unter "http://www.spd.de/servlet/PB/show/1587411/310805_Rede_Schroeder_ Wahlparteitag.pdf", 24.3.2006 abrufbar.
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sellschaftsbild, aber auch sein vorgeschlagenes Steuerkonzept: "Weil ich beim Materiellen bin, muss ich ein Wort über deren Verteilungspolitik, über deren Steuerpolitik sagen [er bezieht sich dabei auf die Union, d.V.]. Wes Geistes Kind jener Herr [Prof. Kirchhof, d.V.] ist, der sich da durchgesetzt hat, wenn man sich seine steuerpolitischen Vorschläge anguckt, kann man aus einer Notiz erfahren, die gerade heute Morgen veröffentlicht worden ist. Ich muss die einmal vorlesen, liebe Freundinnen und Freunde. Es gibt da eine dpa-Meldung. (…) Der Finanzexperte aus dem Wahlkampfteam von Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel, Paul Kirchhof, ist mit Angaben zu seinem Steuermodell auf Widerspruch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestoßen. Kirchhof hatte der 'Neuen Presse' in Passau am Dienstag gesagt, eine Sekretärin mit 40 000 € Jahresgehalt zahle in seinem Modell – es wird noch besser – 4 000 € Steuern. Dagegen rechnete Unionsfraktionsvize Michael Meister der Zeitung am Mittwoch vor, für eine ledige Sekretärin betrage die Steuer nach Paul Kirchofs Modell 6 750 €. Jetzt wird es schön. Kirchhofs Mitarbeiter in der CDU-Zentrale erläuterte diese Diskrepanz: Gemeint sei keine ledige oder verheiratete Sekretärin, sondern gemeint sei eine rechnerische Größe, die – Zitat – 'Durchschnittssekretärin'. – Es wird noch besser. Liebe Freunde, ich muss noch zwei Sätze vorlesen: Bei dieser Modellrechnung sei unterstellt, dass die Sekretärin 1,3 Kinder habe und zu einem gewissen Prozentsatz verheiratet sei. Dann – so endet die Meldung – ergebe sich eine durchschnittliche Belastung von 4 000 € bei den Steuern. Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, das ist schon ein Grund zur Fröhlichkeit, aber auch Grund zur Nachdenklichkeit. Die nachdenkliche Frage muss zweierlei heißen: Erstens. Kann man einem solchen Menschen das Finanzministerium anvertrauen? Die zweite Frage geht weiter. Frau Merkel hat ja erklärt, die Vorschläge, die da gemacht würden, müssen wir ja nicht gleich verwirklichen; die könne man ja mal ausprobieren. Die Frage stellt sich doch wohl: Kann man einer solchen Frau, die so etwas ausprobieren will, das Kanzleramt anvertrauen? – Man kann es nicht." Was sich bei reinem Lesen nachvollziehbar anhören mag, wirkte bei der Rede Schröders wie eine humoristische Einlage. Dieses Zitat wurde von Schröder nahezu genial vorgetragen, intoniert und mit Mimik und Gestik so untermauert, dass es und er die Anwesenden fast zu "elektrisieren" schien. Die Passage wurde mehrmals von Gelächter und Applaus unterbrochen. Schröder schaffte es in seiner Rede, nahezu alles, was er am Wahlprogramm der Union kritisierte, mit einem Gesicht zu verbinden: Paul Kirchhof.
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Schröder hatte es verstanden, ein neues Thema in den Wahlkampf so einzuführen, dass die Delegierten den Parteitag motiviert und mobilisiert verließen. Und nicht nur die eigenen Mitglieder nahmen sich des Themas an. Wie der weitere Verlauf des Wahlkampfes – auch auf Grund der Tatsache, dass die Union fortan beim "Thema" Paul Kirchhof ungeschickt agierte – zeigte, hatten die SPD und vor allem Schröder hier das zündende Thema für die Abschlussmobilisierung gefunden, das auch medial entsprechenden Widerhall hatte. Schröders Parteitagsrede war auch am Tag darauf Thema in allen wichtigen Tageszeitungen. An Hand von exemplarisch ausgewählten Überschriften lässt sich zeigen, dass insbesondere der Kampf- und Siegeswillen des SPD-Spitzenkandidaten als Aufmacher der Berichterstattung diente:
"Bundeskanzler Schröder schwört SPD auf Kampf um den Sieg ein" (hb, 2005) "Jubel für den Kanzler" (Kleine & Brendlin, 2005) "Schröder in Bestform" (Dausend & Lutz, 2005) "Rüde Attacken gegen die Wunderwaffe des Gegners" (Fried, 2005b)
Schröder war es gelungen, die anwesenden Genossen zu mobilisieren. Durch die positive Medienberichterstattung wurden zusätzlich zahlreiche weitere Mitglieder und Anhänger, die nicht persönlich beim Parteitag anwesend waren, erreicht und sozusagen "fernmobilisiert". 4.9., Berlin-Adlershof: TV-Duell Ein weiterer parteiinterner Mobilisierungsfaktor war das TV-Duell zwischen den Spitzenkandidaten, auf das hier nur kurz eingegangen wird.4 Ein solches Fernsehereignis muss von der Wahlkampfleitung als Mobilisierungsinstrument genutzt werden. Da sich der Großteil der politisch Interessierten und vor allem die eigenen Mitglieder ohnehin das Duell ansehen, eignet es sich ideal zur Parteimobilisierung. So kann natürlich einerseits das Auftreten des jeweiligen Spitzenkandidaten zur Mobilisierung beitragen. Darüber hinaus kann aber das Duell zusätzlich durch flankierende Maßnahmen mobilisie4
Ausführliche Informationen zum Duell finden sich im Beitrag von Tapper & Quandt in diesem Band.
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rend wirken. Solche Maßnahmen können zum Beispiel im Internet durch Kommentierungen stattfinden, durch einen Aufruf zur Durchführung von "TV-Duell-Partys" geschehen oder in Form einer frühzeitigen Organisation von Verteilaktionen von Flugblättern, die die Leistungen der Protagonisten während des Duells kommentieren. Entscheidendes Ziel muss es sein, in zahlreichen Gesprächen und Aktionen dafür zu werben, dass der eigene Kandidat als Sieger aus dem Duell hervorgegangen ist. So sind bei TVDuellen rasche Stellungnahmen zahlreicher Multiplikatoren (Mitglieder, Anhänger, Unterstützer) von zentraler Bedeutung, weil vor allem Unentschlossene erreicht werden können. In diesem Zusammenhang spricht man gerne vom "Kampf um die Deutungshoheit". Aus diesen Gründen hatten die Wahlkampfverantwortlichen das TV-Duell mit einem SPD-Aktionstag verknüpft, auf den im Kapitel 3.3 detaillierter eingegangen wird. Wahlkampfkundgebungen Der Auftakt für die Großkundgebungen wurde auf den 13. August datiert. Er fand – wie schon 2002 – in Schröders Heimatstadt Hannover statt. Neben Schröder und dem damaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering waren zahlreiche weitere Bundesminister, -ministerinnen und Länderchefs anwesend. Etwa 10 000 Menschen kamen an diesem Tag zum Opernplatz. In der Folge absolvierten Schröder und Müntefering insgesamt 60 Großkundgebungen quer durch die Republik. Der Gesamtauftritt und die Gestaltung der Bühne basierte auf einer Zusammenarbeit der Düsseldorfer Agentur Butter, der Berliner Eventagentur COMPACTTEAM und den Wahlkampfverantwortlichen der SPD. Der Programmablauf gestaltete sich meist ähnlich. So wurden die Veranstaltungen durch Live-Musik (u. a. Jazzkantine, Die Prinzen, Keimzeit, Roland Kaiser), einer Talkrunde mit den örtlichen Bundestagskandidaten, einem 5minütigen "Imagefilm", einem Spot, in dem sich prominente Unterstützer zu Schröder und der SPD bekannten, und ggf. einem persönlich anwesenden prominenten Unterstützer (z. B. Günter Grass, Darius Michalczewski) flankiert, ehe der Hauptredner das Wort ergriff. Insgesamt fünf Moderatoren waren für die SPD während der Kundgebungstour im Einsatz. In Berlin, Oberhausen und Gelsenkirchen traten Müntefering und Schröder als "Tandem" auf – ebenfalls beim Wahlkampfauftakt in Hannover. In der Regel
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agierten die beiden Hauptprotagonisten jedoch separat, um in so vielen Städten wie möglich präsent zu sein. Beide Touren wurden in der Kampa koordiniert und vorbereitet. Der Zulauf zu den Kundgebungen war überraschend groß. Über 300 000 Zuschauer waren bei den Auftritten des Bundeskanzlers und/oder Parteivorsitzenden anwesend. Allein in Frankfurt am Main kamen am Samstag vor dem Urnengang 18 000 Interessierte. Trotz des großen Aufwands sind solche Veranstaltungen für die Mobilisierung der Partei in den zahlreichen Unterbezirken wichtig. Viele Mitglieder und Anhänger beteiligen sich aktiv, indem sie durch eigenes Engagement zum logistischen Gelingen der Veranstaltung beitragen, oder auch lediglich durch ihre Präsenz an der Wahlkampfveranstaltung. Nicht selten werden Busse angemietet, die Interessierte an den Kundgebungsort bringen. Dadurch entsteht auch ein Gemeinschaftsgefühl, das in Wahlkämpfen wichtig ist. Oftmals werden auf der Hin- und Rückfahrt von engagierten Parteimitgliedern weitere Wahlkampfaktionen geplant und tendenziell eher passive Mitreisende zur Mithilfe aufgefordert. Falls die Kundgebung erfolgreich war, verstärkt dies zudem den "Mundfunk", indem im Familien- oder Bekanntenkreis über die Veranstaltung nach dem Motto "Wir waren beim Kanzler" oder "Der Kanzler hat mir die Hand geschüttelt" berichtet wird. Das mag banal klingen, aber einprägsame persönliche Erlebnisse können Menschen mobilisieren und zu eigenem Engagement bewegen. Zusätzlich bringen Großkundgebungen eine Vor- und Nachberichterstattung in den örtlichen Medien mit sich und zeugen so von einer Präsenz der Partei vor Ort. Der zuletzt angesprochene Aspekt "Wahlkampfveranstaltungen" stellt bereits einen Vorgriff auf den dritten wichtigen Punkt der SPD-Kampagne und der damit verbundenen Mobilisierung der Mitgliedschaft dar: die Leistungen einer gut funktionierenden und serviceorientierten Wahlkampfzentrale. 3. 3 Die Kampa im Willy-Brandt-Haus Vorrangiges Ziel des SPD-Wahlkampfes war es, die eigenen Mitglieder zu mobilisieren. Insofern verwundert es nicht, dass es beim Aufbau einer Wahlkampforganisationsstruktur in erster Linie darum ging, diese nah an den Bedürfnissen der Mitglieder zu orientieren. Nicht die Wahlkampfzentra-
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le in Berlin sollte zum Mittelpunkt des Wahlkampfes werden, sondern der Wahlkampf in den Wahlkreisen vor Ort. Dieser Philosophie entgegen stand der "Mythos Kampa", der im Bundestagswahlkampf 1998 entstanden war. Nicht nur bei Journalisten, auch in Teilen der eigenen Partei hatte sich der Eindruck verfestigt, dass durch einen zentral gesteuerten Wahlkampf von einer Kampagnenzentrale aus Bundestagswahlen gewonnen werden können. So war in der Vergangenheit von den so genannten modernen Wahlkämpfen zu lesen, die sich im Gegensatz zu vormodernen und als auf die Parteiorganisation und die direkte Wähleransprache gestützten Kampagnen hauptsächlich in den Medien abspielen. Schulz (1998) spricht in diesem Zusammenhang von einem Entideologisierungs- und Professionalisierungsprozess, der dazu führt, dass Parteimitglieder zunehmend an Bedeutung verlieren. Niedermayer (2000, S. 196) bezeichnet dies als "Funktionsentleerung der Parteibasis". Als ein charakteristisches Element solcher "moderner Medienwahlkämpfe" gilt, dass sich die Kampagnenorganisation von der lokalen Ebene der Parteiorganisation stärker auf die nationale Ebene verlagert, also zentralisiert, um eine einheitliche Steuerung der Wahlkampfbotschaften vornehmen zu können (Norris, 2000, S. 139; Farrell & Webb, 2000, S. 105). Die Kampa 1998 und 2002 schien diesen Entwicklungsprozess zu untermauern, wenngleich die SPDWahlkampfverantwortlichen bereits 2002 immer wieder betonten, dass Wahlen vor Ort gewonnen werden (Bosch, 2004, S. 67). Auch im Bundestagswahlkampf 2005 drohte nach dem Motto "Lass die in Berlin mal machen" die Gefahr eines zu geringen Engagements an der Parteibasis – zumal in Anbetracht der beschriebenen Ausgangssituation. Allen hauptamtlichen Parteifunktionären dürfte aber auf Grund der zu Beginn des Wahlkampfes vorherrschenden medialen Stimmungslage klar gewesen sein, dass dieser Wahlkampf nicht ausschließlich medial bestritten und vom "good will" der Journalisten abhängig gemacht werden konnte. Ziel musste es sein, einen "Wahlkampf unter Vielkanalbedingungen" (Schulz, 1998) zu führen. Dies impliziert, eine Partei auf allen möglichen Kommunikationskanälen präsent werden zu lassen und die starke Fokussierung auf die Massenmedien dahingehend zu relativieren (nicht einzudämmen), dass eine Wahlkampagne zusätzlich verstärkt Elemente direkter ungefilterter und sofern möglich individualisierter Wähleransprache (wie Internet, Intranet, personalisiertes Direct-Mailing, E-Mail- und SMS-Kampagnen, aber auch die direkte Wähleransprache im klassischen Wahlkampf vor Ort)
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aufweisen muss, um der zunehmenden Fragmentierung der Wählerklientel besser gerecht werden zu können. Was aber bedeutete diese Erkenntnis für eine Kampagnenzentrale? Die Partei war von Anfang an mitzunehmen: Zielgruppenorientierte und individualisierte Wähleransprache ist nur vor Ort in den Wahlkreisen authentisch möglich und kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Mitglieder vor Ort bereit sind, sich für die Partei zu engagieren. Der Grundstein für einen Erfolg bei Wahlen liegt nicht zuletzt in den Millionen persönlichen Gesprächen, die vor Ort in den Wahlkreisen im Familien-, Bekannten- und Freundeskreis geführt werden. Diese Schwerpunktsetzung implizierte, dass nicht der Eindruck entstehen durfte, die in Berlin entwickelten Kampagneninstrumente würden den Parteigliederungen aufoktroyiert. So galt es zwar, Angebote und Ideen zu entwickeln, diese auch zu offerieren, aber auch für Anregungen der Parteibasis mit ihren vielfältigen Ideen empfänglich zu sein. Unstrittig ist dabei jedoch, dass eine Parteizentrale den roten Faden der Kampagnenführung in der Hand behalten muss, um die Partei nach außen einheitlich präsentieren zu können. Bezüglich der Wahlkampfstruktur war eine Art "zentralisierte Dezentralisierung" zu organisieren – und der Aufbau einer Wahlkampforganisationsstruktur für Bundestagswahlen beginnt zunächst auf Bundesebene. Mit Hilfe verschiedener wahlkampfspezifischer Projektgruppen sollte der Wahlkampf aus dem Willy-Brandt-Haus gesteuert und unterstützt werden. Ziel war es, eine Struktur in Form einer Dienstleistungszentrale zu schaffen, der es gelingt, die Bedürfnisse der Wählkämpfer vor Ort zu antizipieren und jederzeit bei Problemen, Wünschen und Anregungen ansprechbar zu sein und dabei mitzuhelfen, die Arbeit der wahlkämpfenden Mitglieder vor Ort soweit möglich zu erleichtern. Service, Kommunikation, Dialog und Information waren daher auch die Grundpfeiler für die Arbeit der Mitarbeiter im Willy-Brandt-Haus. Als wesentliches Element der Organisationsstruktur galt es, ein enges Zusammenspiel und einen intensiven Austausch zwischen den hauptamtlichen Mitarbeitern auf Bundes-, Landes/Bezirks- und Unterbezirksebene und den zahlreichen ehrenamtlichen Mitgliedern in den Wahlkreisen zu gewährleisten. Wasserhövel (2005a, S. 2) schrieb dazu in der Funktionärszeitschrift Intern: "Der Wahlkampf wird – anders als bei den Bundestagswahlkämpfen 1998 und 2002 – nicht aus einer ausgelagerten Wahlkampfzentrale organisiert. Das WillyBrandt-Haus ist die Kampa für die SPD. Das Willy-Brandt-Haus soll als 'Parteizentrale inmitten der Partei' in den nächsten Wochen die ehrenamtli-
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che Partei und die Kandidatinnen und Kandidaten kontinuierlich unterstützen – schnell und klar. (…) Ein professioneller Wahlkampf und eine aktive Mitgliederpartei bedingen einander. Mit einem reinen Medienwahlkampf kann man nicht mehr gewinnen. Wir werden unsere Siegchancen dann nutzen, wenn wir offen und ehrlich, offensiv und selbstbewusst als aktive Mitgliederpartei in diese Richtungsentscheidung einsteigen. Sicher: Wir werden auch mit professioneller Hilfe arbeiten, aber der Wahlkampf kann nicht alleine in Berlin gewonnen werden, sondern wir schaffen es dann, wenn wir in der gesamten Republik, in allen Wahlkreisen, in Stadt und Land loslegen". Um nicht gänzlich auf den auch positiv konnotierten Begriff "Kampa" verzichten zu müssen, wurde die Wahlkampfdienstleistungszentrale dann "Kampa im Willy-Brandt-Haus" genannt. Zur Gewährleistung eines raschen Informationsflusses zogen die Mitarbeiter des SPD-Parteivorstandes für die Zeit des Wahlkampfes in Großraumbüros innerhalb des Willy-BrandtHauses. Insgesamt versuchten dort rund 250 Mitarbeiter zum Gelingen der Kampagne beizutragen. Der Großteil stammte dabei aus dem hauptamtlichen Apparat des SPD-Parteivorstandes. Unterstützung bekamen die Hauptamtlichen durch einige studentische Mitarbeiter und Praktikanten, die für den Wahlkampf eingestellt wurden. Zusätzlich arbeiteten in dieser Zeit in der Parteizentrale einige wenige Mitarbeiter der externen Dienstleister. Wie der Abbildung 2 zu entnehmen ist, bestand die Kampa aus acht Projektbereichen und drei weiteren direkt der technischen Wahlkampfleitung angegliederten Arbeitsgruppen. Aufgabe der Kampa war es, die Kampagne auf Bundesebene zu planen, zu koordinieren und umzusetzen. Von der politischen Wahlkampfführung in Form des SPD-Präsidiums unter Leitung des damaligen Vorsitzenden Müntefering wurde der technische Wahlkampfleiter, der ehemalige Bundesgeschäftsführer Wasserhövel, mit der Umsetzung der Kampagne beauftragt. Ihm direkt unterstellt waren drei Arbeitsgruppen:
Abbildung 2: Organigramm der Kampa
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Agenturen/Produktion In Zusammenarbeit mit der Agentur Butter, die zeitweise mit bis zu sechs Mitarbeitern für die Zeit der Kampagne ihre Arbeit in der Kampa aufnahm, oblag dieser Gruppe die Mediaplanung sowie das Erstellen und die Gestaltung sämtlicher Werbe- und Wahlkampfmaterialien. Dazu gehörten neben den Plakatreihen, dem Kandidatenmaterial, den Give-Aways, den Themenflyern, der Wahlkampfzeitung und den Flugblättern des Tages auch die Anzeigengestaltung und die Produktion von Werbespots fürs Fernsehen, Kino und das Radio.5 Die Agentur entwickelte auch das neue Corporate Design der SPD, das am 4. Juli mit der öffentlichen Vorstellung des Wahlmanifests implementiert wurde. Als neue Hintergrundfarbe wurde "Umbra" ausgewählt. Ziel war es, die inhaltlichen Botschaften auf Basis dieser eher gedeckten Farbe besser zur Geltung kommen zu lassen (s. Abbildung 1). Veranstaltungen/Kongresse Die Touren des Bundeskanzlers und des Parteivorsitzenden wurden von dieser Arbeitsgruppe mit den Verantwortlichen der Partei vor Ort geplant und in Zusammenarbeit mit der Agentur COMPACTTEAM realisiert. Bei einer solchen Vielzahl von Veranstaltungen bedarf es einer sorgfältigen detaillierten Planung und Abstimmung – ein logistischer und auch finanzieller Kraftakt. Neben der Terminkoordination der kompletten Tour und der inhaltlichen Vorbereitung für die agierenden Spitzenpolitiker müssen Hallen und Plätze gefunden, Werbemaßnahmen ergriffen, das entsprechende technische Equipment organisiert, die Mobilisierung gewährleistet, die Einlassmodalitäten geklärt und Sicherheitsbestimmungen beachtet werden. Diese Vorbereitungen waren extrem personal- und zeitintensiv, zumal mit den detaillierten Planungen ja erst nach der Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten am 21. Juli begonnen werden konnte. Zusätzlich mussten weitere Veranstaltungen wie der Parteitag am 31. August oder auch der Wahlabend vorbereitet und die Anfragen aus den Parteigliederungen an prominente Spitzenpolitiker bearbeitet und vermittelt werden.
Da der Spot-, Anzeigen- und Plakatkampagne innerhalb dieses Bandes eigene Beiträge gewidmet sind, wird an dieser Stelle auf weitere Details verzichtet.
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Finanzen Wahlkämpfe sind kostenintensiv und bringen einen enormen buchhalterischen Aufwand mit sich. Um diese Belange kümmerte sich die Arbeitsgruppe Finanzen. Der Wahlkampfetat für den Bundestagswahlkampf 2005 belief sich auf rund 25 Millionen Euro (vgl. auch dpa & AP, 2005). Die restlichen Projektgruppen hatten jeweils eigene Projektbereichsleiter: Unterstützerinnen und Unterstützer In zahlreichen Wählerinitiativen warben unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen für die Wiederwahl der SPD und Kanzler Schröder. Sie traten bei Kundgebungen und in den Medien auf, schalteten Anzeigen, starteten Wahlaufrufe und unterstützten so den SPD-Wahlkampf. Tagtäglich wurde auf den Internetseiten der Partei der "Unterstützer des Tages" vorgestellt, der dort seine Parteinahme für die SPD begründete. Ab dem 1. September wurde ein Teil dieser Unterstützer in Form einer täglichen Anzeige in der BILD auch einem breiten Publikum vorgestellt. Neben einer Initiative von Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten gab es Unternehmer, Sportler, Kommunalpolitiker, internationale Unterstützer, eine Fraueninitiative, eine Initiative von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden und eine Initiative "neue Inländer". Besondere Aufmerksamkeit zogen natürlich prominente Unterstützer aus dem Show- und Filmgeschäft auf sich. So engagierten sich u. a. Iris Berben, Hannelore Elsner, Günter Grass, Wim Wenders, Wolfgang Völz, Ingo Appelt, Roland Kaiser, Ottfried Fischer, Robert Atzorn, Götz Alsmann, Senta Berger und andere für Gerhard Schröder und die SPD. Diese Projektgruppe war dabei insbesondere mit der Kontaktpflege und der Betreuung der Unterstützer sowie der Koordinierung der einzelnen Initiativen betraut.
Themen Diese Projektgruppe kümmerte sich um die inhaltliche Arbeit zu den einzelnen Themenfeldern im Wahlkampf. Hier wurden die Grundlinien für das
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Wahlmanifest vorbereitet, Informationen für die Wahlkampfmaterialien und Internetseiten aufbereitet sowie Wahlprüfsteine und Argumentationskarten erstellt. Kernaufgabe war es dabei, die Mitglieder vor Ort sprachfähig und argumentationsfest zu machen. Sämtliche Materialien wie das "Flugblatt des Tages" oder die "Kurz-Informationen" zu aktuellen Themen wurden von dieser Projektgruppe gespeist. Für den Straßenwahlkampf bereiteten die Mitarbeiter die Inhalte für vier Themenflyer auf. Mobilisierung / Regionalisierung Die Mobilisierung der Partei war ein elementarer Bestandteil der Kampagne, daher standen den Parteigliederungen in der Kampa zahlreiche Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung. Ziel war es, Kampagneninstrumente zu entwickeln und diese den Gliederungen anzubieten, eine parteiinterne Zielgruppenansprache zu realisieren und die regionalen Wahlkampfstrukturen zu unterstützen. So kümmerte sich die Gruppe zum Beispiel sowohl um die Institutionalisierung so genannter Junger Teams in allen Wahlkreisen als auch um den Einsatz der sogenannten 60plus–Teams – also Teams, die aus Mitgliedern und Anhängern bestanden, die in der Regel älter als 60 Jahre waren. Es ging darum, vor Ort aktive Strukturen aufzubauen und die Arbeit der Mitglieder mit Hilfe von Leitfäden, Materialien und Aktionsideen zu unterstützen. In Form von Ideen- und Kreativwettbewerben wurden Mitglieder angehalten, ihre Aktionen der ganzen Partei zugänglich zu machen. Insgesamt waren in unterschiedlichen Größen in 210 von 299 Wahlkreisen 286 60plus-Teams und 313 Junge Teams6 in 237 Wahlkreisen aktiv. Ehe es zur Bewerbung und Implementierung verschiedener Kampagneninstrumente kommen konnte, musste zunächst eine Grundmobilisierung gewährleistet sein. Der großen Verunsicherung innerhalb der Partei (auch auf Funktionärs- und Mandatsträgerebene) auf Grund der Neuwahlpläne musste entgegengewirkt werden. Deshalb entschloss man sich frühzeitig (d. h. noch vor der tatsächlichen Auflösung des Deutschen Bundestags) dazu, Regionalkonferenzen abzuhalten, bei denen der Parteivorsitzende oder anInwiefern sich das Engagement der Jungen Teams auf die tatsächlichen Wählerstimmen in der Gruppe der Jungwähler niedergeschlagen hat, ist aus dem Stand schwer zu beurteilen. Es ist aber an dieser Stelle erwähnenswert, dass die SPD, die insgesamt 4,3 Prozentpunkte hinter dem Bundestagswahlergebnis von 2002 zurückblieb, in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen Stimmengewinne verzeichnen konnte, während sie in allen anderen Altersgruppen im Vergleich zu 2002 verlor (Infratest dimap, 2005, S. 83).
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dere Spitzenpolitiker und -politikerinnen der SPD den Parteimultiplikatoren aus den Unterbezirken die Entscheidung für Neuwahlen erklären und so für eine Vorabmobilisierung sorgen sollten. Ziel war es, dass diese wiederum die Gründe und Argumente für diesen Plan Schritt für Schritt in die Ortsvereine und damit an die Basis weitervermitteln sollten. Als dann der Wahltermin feststand und mit der Kampagne begonnen werden konnte, lud die Kampa die Funktions- und Mandatsträger aus der gesamten Republik am 5. August zu einer zentralen Mobilisierungskonferenz nach Kassel ein. Der Konferenz ging dabei eine Sitzung des Parteipräsidiums voraus. Anschließend begann die Konferenz, die auch für Vertreter der Presse nicht zugänglich war. Neben einer Rede des Bundeskanzlers und des Parteivorsitzenden, deren Ziel es war, eine emotionale Mobilisierung zu erreichen und die inhaltlichen Leitlinien des Wahlkampfes zugespitzt darzulegen, stellte Wasserhövel die Grundanlage der Kampagne vor. Der Großteil der Mitarbeiter der Kampa war ebenfalls zugegen, um an Ausstellungsständen die einzelnen Kampagneninstrumente vorzustellen und mit den Wahlkampfverantwortlichen aus den Gliederungen ins Gespräch zu kommen. Einen Tag später, am 6. August, fand der erste von insgesamt vier bundesweiten Aktionstagen statt. Diese widmeten sich verschiedenen Themen bzw. Ereignissen – so zum Beispiel der geplanten Mehrwertsteuererhöhung ("Merkelsteuer"), den Unterschieden bei den geplanten Maßnahmen zur Gesundheitsreform (Kopfpauschale vs. Bürgerversicherung), dem TV-Duell und der Frage, wie sich die angestrebten Reformen der Union auf den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger auswirken würden (das so genannte "Merkel-Minus"). Ziel der Aktionstage war es, eine flächendeckende Mobilisierung innerhalb der Partei zu erreichen. Die Partei sollte an diesen Tagen in allen 299 Wahlkreisen für einen Großteil der Wählerschaft vor Ort präsent und erfahrbar sein. Der erste Aktionstag war für die parteiinterne Mobilisierung besonders wichtig, weil damit der Startschuss für die Kampagne in die Partei hinein gegeben und vor Ort der Straßenwahlkampf zum Erreichen der Wählerschaft eröffnet wurde. Ebenso wichtig war der letzte Aktionstag, der eine erfolgreiche Abschlussmobilisierung gewährleisten sollte. Um die Idee zu einem Erfolg werden zu lassen, waren Anreize nötig. Zu diesem Zweck wurden für die Aktionstage spezielle Aktionspakete entwickelt, die den Ortsvereinen kostenlos bzw. bezuschusst zur Verfügung gestellt wurden. In diesem Paket befanden sich neben Plakaten, Aufklebern, Broschüren, Argumentationshilfen, Musterpressemitteilungen und -anzeigen
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auch Vorschläge für themenorientierte Aktionsideen. Dieses neue Instrument stieß auf positive Resonanz und erhöhte den Mobilisierungsgrad. Eine weitere wichtige Zielgruppe waren die Neumitglieder. Zu Wahlkampfzeiten entscheiden sich auf Grund der erhöhten Politisierung in der Gesellschaft zahlreiche Bürger für ein Parteibuch. Deshalb entwickelte die Projektgruppe parallel zur Wahlkampagne eine Mitgliederwerbe- und Mitmachkampagne und rief die Parteigliederung zur verstärkten Mitgliederwerbung auf, indem sie eigens eine Klappkarte "Mitgliederwerbung im Wahlkampf" erstellte und davon jedem Wahlkreis 300 Exemplare kostenlos zur Verfügung stellte. Wahlkampfzeitungen und einige Anzeigen waren mit Beitrittscoupons versehen, im Internet gab es eine Mitmach-Hotline sowie ein Mitmachbutton. Während des Wahlkampfes konnte sich die SPD über mehr als 10.000 Neumitglieder freuen. Ein Großteil von ihnen ist meist hochmotiviert und will sich engagieren. Aus diesem Grund galt es, mit den Neumitgliedern zügig in Kontakt zu treten, um sie auf die verschiedenen Möglichkeiten eines Partei- und Wahlkampfengagements hinzuweisen. Online-Wahlkampf Die Bedeutung der virtuellen Kommunikation und der Onlineangebote in Wahlkampagnen hat im Verlauf der vergangenen Jahre zugenommen. Dabei zeichnet sich diese Kommunikationsart vor allem durch ihre Schnelligkeit, Leistungsstärke und relative Kostengünstigkeit aus. Sie bietet darüber hinaus die Möglichkeit zum interaktiven Austausch und ermöglicht es den Parteien, einen gewissen Teil der Wählerschaft direkt (ohne massenmedialen Filter) anzusprechen. Der Online-Wahlkampf ist auch von symbolischer Bedeutung – hier zeigt sich im Vergleich zur politischen Konkurrenz, wer in der Lage ist, technische Innovationen zu nutzen und diese rasch in eine Kampagne zu integrieren. Die Arbeit der Projektgruppe "Online-Wahlkampf" war vorrangig durch zwei Aspekte geprägt: Angebote für ein Massenpublikum sowie Formen zielgruppenspezifischer Ansprache (vgl. dazu Schweitzer, in diesem Band). Die parteiinterne virtuelle Kommunikation kann man als exklusive Kommunikation mit der Mitglied- und Anhängerschaft bezeichnen und impliziert vor allem die Verfügbarkeit von Informationen und Argumentationsmaterial, die Möglichkeit, Wahlkampfmaterialien bequem zu bestellen,
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das Ermöglichen eines direkten kommunikativen Dialogs sowie die Koordination und Integration engagementwilliger Internet-User in die Kampagne. Auf diese Weise können Mitglieder rasch, flächendeckend und kostengünstig über neue Ereignisse in Kenntnis gesetzt, sprachfähig gemacht, motiviert und mobilisiert und der Wahlkampf organisatorisch und logistisch vereinfacht werden. Zu diesem Zweck gab es im Bundestagswahlkampf 2005 eine geschützte Informationsplattform für hauptamtliche Mitarbeiter und Bundestagskandidaten. In diesem Intranet wurden permanent aktualisierte Textbausteine, Argumentationsmaterial, Kurzinformationen zur politischen Konkurrenz, Sprachregelungen zu aktuellen Themen und die wichtigsten Termine veröffentlicht sowie das Wahlkampfmaterial vorgestellt. Mit www.spd-online.de verfügt die SPD seit 2001 über ein Mitgliedernetz, das allen registrierten Mitgliedern zugänglich ist. Hier kann sich das Mitglied über alle Belange der Partei (Angebote, Dienstleistungen, Satzungsfragen etc.) informieren. Im Rahmen des Wahlkampfes wurden auf einer Kampa-Sonderseite zusätzliche wahlkampfspezifische Informationen bereitgestellt. Neben Leitfäden zu organisatorischen Fragen, Argumentationsmaterialien, Aktionsideen, konkreten Anregungen für die Wahlkampfarbeit vor Ort war hier direkt Wahlkampfmaterial zu bestellen. Ein besonderes Augenmerk richtete sich in diesem Wahlkampf auch auf die Integration von Neumitgliedern und die Akquise von Sympathisanten, dafür wurden insbesondere die Mitmach-Angebote im Netz gegenüber 2002 ausgeweitet. Da viele Mitglieder inzwischen "online" der SPD7 beitreten, galt es, diese sofort in den Wahlkampf zu integrieren, indem sie persönlich kontaktiert und ihnen Angebote zur Mitarbeit vor Ort oder im Netz unterbreitet wurden. Mit der Online-Community Rote Wahlmannschaft schuf die Projektgruppe ein neues Instrument zur Mobilisierung freiwilliger Unterstützer. Mehr als 15.000 Mitglieder und Sympathisanten engagierten sich auf diese Weise für die SPD. Ziel war es, die Internetkampagne mit den Wahlkampfstrukturen vor Ort zu verknüpfen. So bekamen Registrierte entweder Anregungen, wie sie sich im Netz für die SPD engagieren können, oder ihnen wurden Ansprechpartner für den "Offline-Wahlkampf" vor Ort genannt. Die Mitglieder erhielten Arbeitsmaterialien und Hintergrundinformationen sowie individuelle Beratung. Mit den Roten Blogs hatte jedes Community-Mitglied die Möglichkeit, ein eigenes Wahlkampftagebuch zu führen, Besonderen Zulauf hatte die SPD in der Nacht nach der Neuwahlentscheidung am 22. Mai, am Wahltag des 18. September und dem Folgetag mit jeweils weitaus mehr als 200 Onlinebeitritten.
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um so persönliche Erfahrungen mitzuteilen und einen entsprechenden Austausch zu ermöglichen. Auch der Kampagnenleiter Wasserhövel war täglich in seinem "Kampagnenblog" aktiv (vgl. auch Ott, in diesem Band). Ziel war es, die Ideen der SPD im Netz breit zu streuen und eine bessere Vernetzung der SPD-Sympathisanten im Netz zu realisieren. Mit Hilfe der Roten Wahlmannschaft bildeten sich zahlreiche regional aktive Teams, deren Mitglieder auf nicht-elektronischem Weg nur schwer zu erreichen gewesen wären. Aufgabe der Projektgruppe war es, diese Internet-Community zu betreuen, die Informationen aus anderen Projektgruppen aufzubereiten und so das Angebot auf den zahlreichen Seiten aktuell zu halten, Weblogs zu pflegen und Podcasts zu realisieren und diese der Internetöffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei arbeitete die Arbeitsgruppe eng mit der Agentur A&B.face2net zusammen, die ebenfalls mit einem Mitarbeiter direkt im Willy-Brandt-Haus vertreten war. Analyse/Forschung/Konkurrenz In dieser Projektgruppe wurde ein wesentlicher Teil der Vorarbeit für die strategische Entwicklung und Ausrichtung der Kampagne geleistet. Neben der Aufbereitung von Forschungsgrundlagen wertete sie Kampagnentests aus und beobachtete die aktuelle Meinungsforschung. Ein wesentlicher Aufgabenbereich umfasste die Wettbewerberbeobachtung – auch gerne "Opposition Research" genannt. Da parteiinterne Mobilisierung zu einem Gutteil mit "Attacken" und Argumenten gegen die politischen Wettbewerber generiert werden kann, wird dieses Arbeitsfeld im Folgenden detaillierter beschrieben. Im Bundestagswahlkampf 2005 ging es der SPD vor allem darum, einen Richtungswahlkampf anzustreben. Dafür bedurfte es einer gezielten Aufbereitung dessen, was "die anderen" der Wählerschaft anboten. Dazu gehören neben dem personellen Angebot vor allem die Wahlprogramme. Es galt, zugespitzt und für die Wählerschaft nachvollziehbar die Alternativen herauszuarbeiten. Für Cecere (2001, S. 67) dient Gegnerbeobachtung dazu, "Informationen über den politischen Konkurrenten, die für die eigenen strategischen Planungen von Interesse und Bedeutung sind, zu gewinnen und auszuwerten. Gelingt dies, dann wirkt Gegnerbeobachtung wie ein politischer Seismograf: Sie spürt frühzeitig Entwicklungen und Vorhaben, aber
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auch Konflikte und Widersprüche auf der anderen Seite auf und befähigt somit das eigene Team zur schnellen Reaktion." Auf zwei Hauptkonkurrenten musste sich die SPD dabei konzentrieren: die Union und die Linkspartei und deren Hauptprotagonisten. Ziel war es, an möglichst viele Informationen zu gelangen, indem die Internetseiten systematisch durchsucht, die Parteiprogramme durchgearbeitet und verglichen, die mediale Berichterstattung beobachtet und Veranstaltungen der politischen Konkurrenz besucht wurden. Die gewonnenen Informationen waren dann auf ihre strategische Bedeutung hin zu analysieren, um als "Munition" für den Wahlkampf Verwendung finden zu können. In der Folge entstanden zahlreiche Dossiers über die handelnden Akteure, ihre jeweiligen Biografien sowie Unstimmigkeiten in ihrer Argumentation (Zitatsammlungen), aber vor allem auch aufbereitete Informationen über die Parteien selbst, ihre thematische Schwerpunktsetzung, ihre Wahlkampfplanungen und deren jeweiligen Angriffslinien auf die SPD. Dagegen setzten die Mitarbeiter die Argumente der SPD und gaben Anregungen, wie man sich gegen argumentative Angriffe der politischen Konkurrenz zur Wehr setzen kann. Argumente und Gegenargumente gelangetn auf zahlreichen Kommunikationswegen in die Partei. Sie fanden sich in den Reden der SPDSpitzenpolitiker ebenso wieder wie auf Flyern, Broschüren, Plakaten oder der Internetseite www.die-falsche-wahl.de, die insbesondere vor den Auswirkungen einer potenziellen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP warnte. Zusätzlich wurden Veranstaltungen der politischen Gegner durch Live-Blogging begleitet und kommentiert. Zwei Flyer legten jeweils zehn Gründe dar, weshalb CDU/CSU/FDP bzw. PDS die falsche Wahl sind. Ein weiterer Part lag darin, Vorlagen, die die politische Konkurrenz lieferte, für eigene Zwecke zu nutzen. Dass auch handwerkliche und rhetorische Fehler auf der "anderen Seite" zur Mobilisierung der SPDAnhängerschaft beigetragen, scheint retrospektiv betrachtet unstrittig. Vor allem in den Reihen der Union wurden Vorlagen geliefert, die die SPD aufnahm und sie insbesondere in der Schlussphase des Wahlkampfes in die Offensive brachten. Wenn man so will, leistete die Union hier eine Art "Fremdmobilisierung" bei der SPD nicht zuletzt auch in Form einer Demobilisierung der Unionsanhänger. Dafür war es aber notwendig, dass solche Mobilisierungsfaktoren und -themen erkannt und durch Argumente für den Wahlkampf angereichert wurden.
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Der Wahlkampfberater des Unionskanzlerkandidaten Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 Spreng (2006) kritisierte dann auch die inhaltliche und strategische Ausrichtung des Unionswahlkampfes 2005: "Die CDU/CSU signalisierte im Wahlkampf keinerlei Hoffnung und vermittelte keine Positiv-Botschaften. (…) Die Anlage des Wahlkampfes war kalt, emotionslos, ohne Begeisterung". Des Weiteren mahnte er "schwere Kommunikationspannen, mangelnde Professionalität, Fehlentscheidungen und Illoyalitäten" an. An dieser Stelle soll an folgende Beispiele erinnert werden, die jeweils zu einer regen (auch medialen) Debatte führten: Das Wahlprogramm der Union: "Deutschlands Chancen nutzen" Durch ihre inhaltlichen Festlegungen ermöglichte es die Union der SPD, einen Richtungswahlkampf zu führen. In zentralen Punkten – vor allem bei der Steuerpolitik – konnte die SPD die Union als "Steuererhöhungspartei" angreifen und das "neoliberale Profil" thematisieren. Themen wie die Einführung einer Kopfpauschale bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die Abschaffung der Steuerfreiheit bei Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Abschaffung der Pendlerpauschale, die Einschränkung des Kündigungsschutzes und der dann später von Kirchhof in die Diskussion gebrachte Vorschlag eines einheitlichen Steuersatzes waren keine "Gewinnerthemen" – zumal es der Union nicht gelang, den Menschen zu vermitteln, warum dies alles geschehen sollte. Es wurden Zumutungen beschrieben, ohne dabei zu signalisieren, weshalb durch diese Maßnahmen eine Verbesserung der persönlichen Situation des Einzelnen erreicht werden konnte. Der SPD gelang es, diese Vorlagen für ihren eigenen Wahlkampf zu nutzen und sich als Partei zu präsentieren, die zusammen mit dem Kanzler die Reformvorhaben weiterführen will, ohne dabei die soziale Balance aus den Augen zu verlieren. Überspitzt gesagt, konnte die SPD so einen Oppositions- und Angriffswahlkampf führen, bei dem die Union insbesondere in der Schlussphase zunehmend in die Defensive geriet. Umgekehrt bedeutete dies für die Union, dass sie eine Art Regierungswahlkampf führte. Priess (2005, S. 10) zitiert in diesem Zusammenhang einen Satz einer "Führungskraft aus dem Konrad-Adenauer-Haus", der zehn Tage vor dem Wahltermin gefallen sein soll: "Wir müssen aufpassen, dass wir am
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18. September nicht für etwas abgewählt werden, was wir noch gar nicht haben tun können." Durch diesen Umstand erreichte die SPD auch verstärkt ihre eigenen Anhänger und konnte diese mit dem Argument mobilisieren, wie schwerwiegend die Veränderungen werden würden, wenn eine CDU/CSU/FDPRegierung am Wahltag die Mehrheit für sich gewänne. Diese Form des SPD-Wahlkampfs führte zugleich zu parteiinternen Diskussionen innerhalb der Union über die inhaltliche Ausrichtung des Wahlkampfes. Zusätzlich begann eine parteiinterne Debatte darüber, ob es nicht besser wäre, in den Ostländern einen eigenständigen Unionswahlkampf zu führen. Priess (2005, S. 12) charakterisierte den Unionswahlkampf wie folgt: "Ein WirtschaftsWahlkampf rein für den Kopf scheiterte im Thematisch-Strategischen – es fehlten Wärme, Herz und Vision". Neben dem Wahlprogramm und der Wahlkampfstrategie gab es weitere Punkte, die der Union zum Nachteil gerieten und das Bild einer geschlossenen Partei aufzuweichen begannen: So erhitzte zunächst der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) die Gemüter, als er pauschal nach dem Fund von neun von ihrer Mutter nach der Entbindung getöteten Säuglingen und dem Umstand, dass diese Taten so lange unbemerkt blieben, eine pauschale Erklärung abgab: "Ich glaube, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ist für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft". Kurz darauf polarisierte mit Stoiber ein weiterer Unionspolitiker die Republik: Bei einer Wahlkampfveranstaltung in BadenWürttemberg agitierte er die Spitzenkandidaten der Linkspartei, Gysi und Lafontaine, indem er sie "politische Versager" nannte und sich über den hohen Zuspruch für die Linkspartei in den neuen Ländern wunderte. Anschließend unterlief ihm ein folgenschwerer Fehler, als er weiter ausführte, dass er nicht akzeptieren wolle, "'dass der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen'" (vgl. Fried, 2005a). Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung durch eine weitere Passage einer Wahlkampfrede in Schwandorf, bei der er abermals bemerkte, dass der Osten nicht die Wahl entscheiden dürfe und die CSU deshalb ein gutes Ergebnis in Bayern brauchen würde, um Defizite zum Beispiel in Sachsen und Sachsen-Anhalt ausgleichen zu können: "Wir haben leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern."
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Auch die anderen Unionsministerpräsidenten stärkten nicht unbedingt die Geschlossenheit. So wurde ihnen von Seiten der CSU und in den Medien vorgeworfen, lieber im Sommerurlaub zu bleiben als bei Wahlkampfveranstaltungen in ihren Bundesländern der Kanzlerkandidatin den Rücken zu stärken. Und Stoibers Zielmarke, dass die Union bei der Bundestagswahl zwischen 42 und 45 Prozent erreichen müsse, setzte die Kandidatin zusätzlich unter Druck. Aber auch die Kandidatin selbst lieferte Vorlagen, die von der SPD für die Mobilisierung der eigenen Anhänger genutzt werden konnten. Zunächst ist da die Diskussion um das TV-Duell zu nennen. Merkel verweigerte sich einem zweiten Duells aus Termingründen. Der SPD bot das die Möglichkeit, der Kandidatin vorzuwerfen, dass sie kneife und Angst davor habe, es mit Schröder direkt aufzunehmen. Ein weiteres Thema war der BruttoNetto-Versprecher. So äußerte Merkel im ARD-Sommerinterview, dass bei einer Senkung der Lohnzusatzkosten, die Bruttolöhne um ein Prozent sinken würden. Dieser inhaltliche Fehler führte dazu, dass die CDU auf ihrer Internetseite, auf der das Interview abrufbar bar, dies zu korrigieren versuchte. Dabei unterlief aber ein weiterer Fehler: So hieß es dort, dass bei der Senkung der Lohnzusatzkosten, die Bruttolöhne um ein Prozent steigen würden. Da hier aber erneut Brutto und Netto verwechselt wurden und Merkel in einem Interview mit der Bunten den Fehler abermals wiederholte, konnte dies die SPD für ihre Zwecke nutzen und Merkels Kompetenz in den Fragen Wirtschafts- und Steuerpolitik angreifen. Ein zusätzliches Thema war die Berufung von Prof. Paul Kirchhof in das Kompetenzteam der Union. Auf Grund des Umstandes, dass Kirchhof im Vergleich zum Wahlprogramm der Union ein abgeändertes Steuerkonzept mit einem einheitlichen Steuersatz bei gleichzeitiger Streichung zahlreicher Steuersubventionen vertrat, führte dies zu Verwirrungen und zahlreichen Wortmeldungen aus der Union über die tatsächlichen Pläne der Union im Falle eines Wahlsieges. Dies wurde von der SPD und den Medien entsprechend aufgegriffen. Spreng (2006) wirft Merkel und den Wahlkampfverantwortlichen der CDU in diesem Zusammenhang vor, nicht rechtzeitig die Steuerkonzepte synchronisiert und eine gemeinsame Sprachregelung vereinbart zu haben. So wurde in der Schlussphase der Umbau des Steuersystems zum vorherrschenden Thema (s. Abbildung 3), mit dem sich Schröder beim Parteitag erstmals auseinandersetzte.
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Abbildung 3: Plakat Steuern/Kirchhoff
Solche Unstimmigkeiten und Diskussionen generierten negative Schlagzeilen für die Union:
"Schönbohm empört den Osten" (mak, pa & sche, 2005) "Merkel patzt bei brutto und netto erneut" (Eubel, 2005) "Pannenserie schreckt Union auf" (Hulverscheidt, 2005) "Stoiber entfacht Sturm der Entrüstung" (Fried, 2005a) "Wahlkampf entzweit Union" (Sosalla, 2005 "Stoiber redet die Union um Kopf und Kragen" (Munsberg, 2005) "Merkels Streithaufen" (Storz, 2005) "Spannungen zwischen Kirchhof und Merkel" (hig, 2005) "Merkel bemüht sich vergeblich um Geschlossenheit" (Ramelsberger, 2005) "Kirchhof bringt Wahlkampf der Union durcheinander" (Pache & Hulverscheidt, 2005)
Diese lösten wiederum bei den Unionsanhängern Verunsicherung aus und nährten andererseits bei den SPD-Anhängern die Zuversicht, doch noch ein besseres als das ursprünglich erwartete Wahlergebnis erreichen zu können. Insofern kann man hier durchaus von "Fremdmobilisierung" sprechen. Dem gegenüber stand nach der Verabschiedung des Wahlmanifests bis auf Spekulationen über etwaige Koalitionskonstellationen nach der Wahl eine weitgehend geschlossene SPD, wozu auch die parteiinternen Diskussionen innerhalb der Union beitrugen – konnte man sich in der SPD doch so über die Probleme der anderen unterhalten, ohne sich allzu sehr mit sich
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selbst beschäftigen zu müssen. Hinzu kamen die Umfragewerte, die im zeitlichen Verlauf ebenfalls mobilisierend respektive bei der Union demobilisierend wirkten. So hatte die SPD den entscheidenden Vorteil, dass sie von einem niedrigen Wert ausgehend in der Rolle des Außenseiters praktisch nur noch zulegen konnte, während die Union mit dem Problem umgehen musste, sukzessive an Zustimmung zu verlieren. Presse Eine weitere Projektgruppe der Kampa mit den Namen "Presse" kümmerte sich um die Pressearbeit. Diese ging aus der klassischen Presseabteilung des SPD-Parteivorstandes hervor. Für die Zeit des Wahlkampfes wurde die Abteilung lediglich personell etwas aufgestockt. Zur parteiinternen Mobilisierung trägt diese Projektgruppe indes nur indirekt bei, indem sie versucht, darauf hinzuwirken, dass die Partei, ihr Spitzenpersonal und ihre thematischen Botschaften medial präsent sind.8 Zusätzlich zur originären Arbeit begleiten die Mitarbeiter im Wahlkampf die Spitzen bei ihren Wahlkampfeinsätzen und betreuen die Journalisten bei Wahlkampfveranstaltungen. Neue Bundesländer In den neuen Bundesländern (mit Ausnahme Berlins) erreicht die SPD nicht mal annähernd einen Organisationsgrad, der der Situation in den alten Bundesländern entspricht. Mit einer Ausnahme9 hat die SPD in allen westlichen Bundesländern mehr Mitglieder hat als in den ostdeutschen Landesverbänden. Betrachtet man den Organisationsgrad, also die Mitgliederdichte, die sich aus der Anzahl der Mitglieder pro Wahlberechtigten ergibt, zeigt sich, dass die SPD in Ostdeutschland nur auf eine relativ geringe Zahl ehrenamtlicher Mitglieder bauen kann. So kommen zum Beispiel in Sachsen auf 1.000 8
Aus diesem Grund wird diese Projektgruppe hier nur oberflächlich betrachtet.
Der Landesverband Brandenburg (6.745 Mitglieder) hat mehr Mitglieder als die Landesorganisation Bremen (5.719) – auch hier muss Berlin ausgenommen werden (Stand 31.12.2005).
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Wahlberechtigte 1,3 SPD-Mitglieder10. Insofern ergeben sich in einem Bundestagswahlkampf für die ostdeutschen Bundesländer besondere Herausforderungen organisatorischer und logistischer Art. Hinzu kommt, dass die Volatilität in der gesamten ostedeutschen Wählerschaft größer und die Parteibindungen weitaus geringer sind als im Westen. Dies impliziert einen größeren Anteil an Wechselwählern. Daher war es nur konsequent, zusätzliche spezielle Mobilisierungsmaßnahmen für die neuen Länder zu ergreifen, um die SPD besser im Wahrnehmungsraum der Wähler zu positionieren und die Mitglieder vor Ort zu unterstützen. Um diese Maßnahmen kümmerte sich die Projektgruppe "Neue Bundesländer". Zur Unterstützung wurden den ostdeutschen Landesverbänden ab 1. August 25 Aktionsbusse zur Verfügung gestellt. Diese waren im Corporate Design gestaltet und fungierten in erster Linie als eine Art "mobiler Infostand". Ziel war es, Aktionstouren quer durch die neuen Bundesländer zu realisieren, um so als SPD auch in entlegenen Gegenden präsent zu sein. Jeder Bus wurde mit einem Team aus vier Genossinnen und Genossen besetzt. Diese engagierten sich hauptsächlich im Straßenwahlkampf (Infostände, Hausbesuche, Plakatierung, Verteilaktionen etc.) und unterstützten so die wenigen Mitglieder vor Ort bei der Wahlkampfarbeit. Ein Mitarbeiter der Kampa bereitete die begleitenden Busteams speziell für den Straßenwahlkampf vor. Zusätzlich boten die Kampa-Mitarbeiter den einzelnen Bundestagsabgeordneten ihre Beratung an und wirkten beim Erstellen von Wahlkampfdrehbüchern und der Vorbereitung von Veranstaltungen mit. Die Erfahrung zeigte, dass sich durch solche Maßnahmen eine bessere Mobilisierung (vor allem bei den vor Ort aktiven Mitgliedern, die die Unterstützung auf diese Weise direkt erfahren konnten) erreichen lässt als durch rein finanzielle Zuschüsse. Rotes Telefon / KIS Diese Projektgruppe widmete sich in erster Linie der Kommunikation mit allen Wahlkämpfern vor Ort. Kommunikation, Information und Beratung sind wichtige mobilisierungsfördernde Elemente. Den Mitgliedern muss die Möglichkeit gegeben werden, im direkten Gespräch schnell und unkompliIn Mecklenburg-Vorpommern sind es 2,1, in Sachsen-Anhalt 2,2, in Thüringen 2,4 und in Brandenburg 3,2. Im Vergleich dazu: Saarland 32,3, Hessen 16,9 oder Nordrhein-Westfalen 12,2.
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ziert wichtige Informationen in Erfahrung zu bringen und Fragen kompetent beantwortet zu bekommen. Diese Aufgabe oblag selbstverständlich allen Mitarbeitern der Kampa. Speziell wurde aber bereits Anfang Juni eine Hotline, das so genannte Rote Telefon, geschaltet, das von Montag bis Freitag, in der Schlussphase auch am Wochenende, von 8 bis 20 Uhr besetzt war. Des Weiteren bearbeiteten die Mitarbeiter etwa 45.000 Mailanfragen. Dabei verfügten sie mit dem Kampagnen-Informations-System (KIS) über eine Datenbank, die bereits für die Kampagne zur Bundestagswahl 2002 erfolgreich implementiert und in den Jahren zwischen den Wahlkämpfen weiterentwickelt wurde. Neben den Kontaktdaten der Kandidaten und Wahlkampfverantwortlichen vor Ort sind hier die letzten Wahlergebnisse sowie Informationen über die Wahlkreise dokumentiert und rasch abrufbar. Zusätzlich wurden alle Anfragen und Wahlkampfaktivitäten systematisch erfasst und ihre Weiterbearbeitung dokumentiert, um zu gewährleisten, dass Anfragen auch tatsächlich beantwortet und der Wahlkampf vor Ort so gut wie möglich unterstützt wird. Nicht umsonst gab Ohnmacht (2003) ihrer Abhandlung über das KIS im Bundestagswahlkampf 2002 die Überschrift "Datengedächtnis der Kampagne". Zusätzlich bot die Projektgruppe Schulungen an. So gab es für alle neuen Kandidaten das Angebot eines Media-Trainings, um ihr mediales und öffentliches Auftreten, ihren Umgang mit der Presse und ihre Rhetorik zu verbessern. Außerdem wurde ein Kampagnentraining für die örtlichen Wahlkampfleiter zur Erstellung von Wahlkampfdrehbüchern sowie zur Phasen-, Projekt- und Aktionsplanung und Schulungen zum TelefonCampaigning angeboten. Hierbei wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Telefonaktion unter den eigenen Mitgliedern für die Mobilisierung ungemein hilfreich sein kann, weil sich der Großteil der Mitglieder über die persönliche Ansprache freut und dann auch gern bereit ist, das eine oder andere Mal bei einer Wahlkampfaktion unterstützend tätig zu werden. Am 31. August startete offiziell das Telefon-Campaigning, bei dem sich etwa 100 Wahlkreise beteiligten. Hierfür konnte auf ein webbasiertes Datenbanksystem zurückgegriffen werden. Erstmals in einem Bundestagswahlkampf informierte die SPD all diejenigen Wahlkämpfer, die sich mit ihrer E-MailAdresse registriert hatten, direkt per Mail. Nach Angaben des zuständigen Mitarbeiters wurden allein in den letzten vier Wochen vor der Wahl mehr als 700.000 E-Mails in personalisierter Form verschickt. Diese Projektgruppe widmete sich also insbesondere der direkten und interpersonalen Kom-
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munikation mit der Mitgliedschaft – ein Aspekt, der für die Parteimobilisierung von ganz zentraler Bedeutung ist. Fazit Der Umstand, dass die SPD letztendlich bei dieser Bundestagswahl erfolgreicher abschnitt als zunächst erwartet, hat die Frage aufgeworfen, wie es den Wahlkampfverantwortlichen gelungen ist, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Auf diese Frage kann es jedoch keine eindeutige Antwort geben. Dazu können zahlreiche Faktoren beigetragen haben. Ein wichtiger Ausgangspunkt für die parteiinterne Mobilisierung war sicherlich die programmatische Grundlage in Form des Wahlmanifests, welches Einigkeit und Geschlossenheit in der Parteispitze aber auch in weiten Teilen der gesamten Partei herstellte. Zusätzlich hatte die SPD mit dem Parteivorsitzenden Franz Müntefering und Bundeskanzler Schröder an der Spitze ein erfolgreiches und engagiertes Gespann. Insbesondere die Rolle Schröders, sein Kampfes- und Siegeswillen, den er bei Fernsehauftritten, zahlreichen Kundgebungen, Parteiveranstaltungen und vor allem beim Wahlparteitag unter Beweis stellte, war von großer Bedeutung. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Anlage der Gesamtkampagne, die die Parteibasis ansprach und mobilisierte. Auch die Entscheidung, die Kampa in erster Linie als Dienstleistungszentrale für die Partei zu implementieren, und der Umstand, dass sich die Mitarbeiter der Kampa entsprechend als Servicedienstler betrachteten, honorierten die Mitglieder. So hatte die Kampagnenzentrale ihr Ohr immer bei den Mitgliedern und ihren Bedürfnissen. Die Kampa stand nicht über der Parteibasis – sie hatte den Zweck, die wahlkämpfenden Mitglieder vor Ort gezielt zu unterstützen. Vielschichtige Kommunikation, rasche Information, basisorientierter Service und eine funktionierende Organisation waren die Garanten für eine erfolgreiche Kampagne. Zusätzlich gelang es, mit Hilfe unterschiedlicher Kampagneninstrumente und verschiedenen Partizipationsangeboten zur Partei- und Anhängermobilisierung beizutragen. Neben den Aktionstagen, den Veranstaltungen, den Jungen und den 60+-Teams, der aktiven Einbindung von Neumitgliedern und Sympathisanten durch die Mitmachkampagne, die spezifischen Unterstützungsmaßnahmen für die neuen Bundesländer, einen innovativen Onlineauftritt, der permanent Information und Kommunikati-
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on gewährleistete, wirkte vor allem das verständlich aufbereitete Informationsmaterial mobilisierungsfördernd. Hinzu kamen Unstimmigkeiten innerhalb der Union – Schwächen, die von den SPD-Wahlkampfverantwortlichen gezielt und effektiv genutzt wurden. Der SPD gelang es, eine Art Oppositionswahlkampf aus der Regierungsverantwortung heraus zu führen – auch, weil ihr die Union dafür entsprechende Vorlagen lieferte. Insofern "fremdmobilisierte" die Union die SPD-Anhänger. Schließlich hellten sich im Laufe des Wahlkampfes die Rahmenbedingungen für die SPD auf: Erste Erfolge spiegelten sich in den allmählich steigenden Umfragewerten wider, während die Werte der Union sukzessive abnahmen – ein weiterer Mobilisierungsfaktor. Auch im Straßenwahlkampf war bei der Bevölkerung ein allgemeiner Stimmungsumschwung auszumachen, der sich zum Ende des Wahlkampfes auch in der medialen Berichterstattung niederschlug. All dies nährte im Kampagnenverlauf die Siegeszuversicht und die Kampfeslust der Genossinnen und Genossen. Nicht alle hier zusammengetragenen Faktoren können im Rahmen einer Mobilisierungskampagne im Vorfeld gezielt geplant werden. Eine Mobilisierungskampagne ist immer von den Umständen und der Ausgangssituation einer Kampagne abhängig, daher können auch keine eindeutigen Handlungsanweisungen gegeben werden. Wichtig ist es aber, darauf vorbereitet zu sein, auf eintretende Faktoren rasch reagieren zu müssen, indem die Grundlage dafür geschaffen wird, Informationen und Sprachregelungen zügig weitergeben zu können. Dafür bedarf es einer gut abgestimmten Organisation und dem Potenzial zur Nutzung vielfältiger Kommunikationskanäle. Kurze Kommunikationswege müssen ebenso gewährleistet sein wie die Möglichkeit, zügig Informationsmaterial zu erstellen, das für die Basis im Wahlkampf vor Ort brauch-, einsetzbar und verständlich ist. Nur so können auftretende Stimmungen gestärkt respektive geschwächt werden. Der Bundestagswahlkampf 2005 stellte die Parteien vor die besondere Herausforderung, die Kampagnen innerhalb einer kurzen Zeitspanne zu planen, zu organisieren und umzusetzen. Dies implizierte die Notwendigkeit zur Konzentration auf das Wesentliche. Insofern war die jeweilige Schwerpunktsetzung zu Beginn der Kampagne von elementarer Bedeutung. Es ist unstrittig, dass die SPD in erster Linie von dem vielfältigen Engagement der eigenen Mitglieder profitierte. Hier wurde vielerorts ein Kraftakt geleistet. Welche der oben genannten Faktoren in welchem Maße Einfluss auf die parteiinterne Mobilisierung hatten, muss Spekulation bleiben –
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schließlich hängt es vom einzelnen Individuum ab, auf welchen Wegen und durch welche Faktoren es erreichbar ist und angesprochen werden kann. Es lässt sich lediglich mutmaßen, dass ein Mix aus zahlreichen Faktoren und die Präsenz auf vielen Kommunikationskanälen dazu führten, viele Anhänger zu erreichen. In diesem Wahlkampf kam die SPD aus der Defensive. Mit Hilfe eines ganzen Bündels an Maßnahmen gelang es ihr, die Partei bis zum Wahltag sukzessive zu mobilisieren. Vor allem auf der letzten Wegstrecke konnte die SPD nochmal aufholen. Infratest dimap (2005, S. 80 ff.) beziffert den Anteil derjenigen SPD-Wähler, die sich in den letzten Wochen (22%), während der letzten Tage (16%) oder am Wahltag selbst (13%) für die SPD entschieden, auf mehr als die Hälfte – in den neuen Ländern sogar auf 59 Prozent. Diese Zahlen bestätigen eindrucksvoll die Bedeutung von Schlussmobilisierungskampagnen und unterstreichen den Ausspruch Schröders im Bundestagswahlkampf 2002: "Es kommt nicht darauf an, wer zuerst losläuft, sondern wer als Erster im Ziel ist". An diesem Punkt soll noch auf den Aspekt der unterschiedlichen Erwartungshaltung in den Parteien, bei den Journalisten und in der Bevölkerung – auch hervorgerufen durch die Meinungsumfragen – eingegangen werden. So erwarteten die Unionsanhänger, dass ihre Parteien am Wahlabend weit vor der SPD liegen würden, und die SPD-Anhänger befürchteten umgekehrt tendenziell das Schlimmste für ihre Partei. Auf Basis einer von Infratest dimap durchgeführten Nachwahlbefragung belegt Weßels (2005, S. 8), dass es der Union zwar in einem höheren Maße gelungen ist, ihre Wählerschaft von 2002 zu remobilisieren (78% zu 68% bei der SPD), dass aber der Zuwachs der Remobilisierung in den letzten Wochen vor der Wahl bei der SPD im Vergleich zur Union doppelt so groß war. So gelang es der SPD, in den letzten Wochen aus dem Lager der Unentschiedenen, das zu fast 40 Prozent aus vormaligen SPD-Wählern bestand, annähernd 80 Prozent der noch unentschiedenen SPD-Wähler von 2002 zur Wiederwahl zu bewegen. Insofern fand bei der SPD in der Schlussphase eine Art unerwarteter Remobilisierung statt. Schlussendlich lag die Union mit 35,2 Prozent einen Punkt vor der SPD (34,2%). Das unerwartet schlechte Abschneiden der Union, der Umstand, dass die SPD nur knapp dahinter rangierte und in 12 von 16 Bundesländern vor der Union lag, führte innerhalb der SPD zu einem "Freudentaumel", den Koch (2005) treffend mit den Worten beschrieb: "Besoffen vor Erleichterung".
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Abschließend sei angemerkt, dass auch dieser Wahlkampf gezeigt hat, welche Bedeutung Mitglieder in Bundestagswahlkämpfen nach wie vor haben – denn ohne deren tatkräftige Unterstützung hätte das SPD-Ergebnis am 18. September sicherlich schlechter ausgesehen. Es muss für die Betrachtung zukünftiger Wahlkämpfe die These erlaubt sein, dass in Deutschland die Zeit reiner Medienwahlkämpfe, wie sie in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur öfter beschrieben werden, ein vorzeitiges Ende gefunden hat. Zukünftige Wahlkämpfe werden zwar weiterhin stark von den Medien dominiert sein, aber die Bedeutung der Parteien- und Mobilisierungskampagne hat in diesem Wahlkampf eine Renaissance erlebt. Insofern stellt sich für zukünftige Kampagnen die Frage, welche Elemente und welche Anspracheformen für den direkten Wahlkampf vor Ort (weiter-) entwickelt werden müssen, um die Wählerschaft zu erreichen. Neben einer bundesweit einheitlichen Kampagne gilt es dabei, verstärkt auch professionelle lokale und wahlkreisspezifische Kampagnen – sozusagen "Mikrokampagnen" – in Betracht zu ziehen. Auch für diese wird ein "Dreiklang" aus mobilisierenden wahlkreisspezifischen Themen, einem professionellen Kandidaten und einer motivierten Mitgliedschaft entscheidend sein. Literatur Alemann, U. von (2003). Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland (3. Auflage). Opladen: Leske + Budrich. Bosch, T. (2004). Die Kommunikation von Parteien mit ihren Mitgliedern zu Wahlkampfzeiten. Der SPD-Bundestagswahlkampf 2002 aus Perspektive von Wahlkampfverantwortlichen und Parteimitgliedern. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität (unveröffentl. Magisterarbeit). Bruns, T. (2005, 4. Juli). "Dahinter kann sich die SPD versammeln". Der Tagesspiegel, S. 4. Cecere, V. (2001). Man nennt es Oppo. Opposition Research als systematische Beobachtung des Gegners. In M. Althaus (Hrsg.), Kampagne! Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying (S. 65-80). Münster: LIT. Dausend, P. (2005, 2. August). Souverän vor dem Souverän. Die Welt, S. 3. Dausend, P., & Lutz, M. (2005, 1. September). Schröder in Bestform. Die Welt, S. 3. ddp, nik & mwa. (2005, 30. Juni). Bush: Schröder ist "sehr erfahrener Wahlkämpfer". Deutscher Depeschendienst. Doemens, K. (2005, 5. Juli). Die SPD trägt Geschlossenheit zur Schau. Handelsblatt, S. 3. dpa & ap (2005, 27. Juli). 25 Millionen Euro für SPD-Wahlkampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 4.
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Politische Farbenlehre: Plakatwahlkampf 2005 Christina Holtz-Bacha & Eva-Maria Lessinger
Farben spielen eine wichtige Rolle in der Politik. Das hat der Wahlkampf 2005 wieder einmal gezeigt und erst recht die Farbspielerei nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses, als über eine Jamaika-Koalition und andere Farbkombinationen spekuliert wurde. Farben dienen ganz allgemein der Identifikation der Parteien und gehören insofern auch zu ihrem Image. Diese Farbsymbolik begegnet uns fast bei jeder Berichterstattung über den Stand der Sonntagsfrage, zur Darstellung der Sitzverteilung im Bundestag und zur Etikettierung möglicher oder tatsächlicher Koalitionen. Im Wahlkampf kombiniert sich diese Funktion bei den visuellen Kampagneninstrumenten mit dem Ziel, Aufmerksamkeit bei den Wählerinnen und Wählern zu wecken und damit deren Auseinandersetzung mit dem Wahlkampf herbeizuführen und zu lenken. In der Geschichte der deutschen Wahlkämpfe finden wir Berichte über die Suche nach der geeigneten Farbe für die Parteien bzw. ihre Werbemittel. Nicht immer handelt es sich hier um langlebige Konstanten; überraschenderweise hat sich nicht einmal die SPD kontinuierlich zur Farbe Rot bekannt und diese eingesetzt (vgl. auch Holtz-Bacha, 2000, S. 98). Farben unterliegen Moden und Vorlieben, die auch Parteien in Rechnung stellen müssen, denn schließlich geht es dabei um die ästhetische Anmutung ihres Werbematerials. Insofern ist auch nicht selbstverständlich und steht nicht von vornherein fest, mit welcher Farbe eine Partei in den Wahlkampf zieht. Andererseits gibt es aufgrund der gängigen Assoziationen bestimmter Farben mit bestimmten Parteien eine gewisse Bindung, die die Parteien nicht ohne weiteres vernachlässigen können. Da die Kampagnenmaterialien der Parteien meist nur sehr kurze Aufmerksamkeit finden, ist es wichtig, dass die eingesetzte Farbe eindeutig einer Partei zugeordnet wird und nicht etwa in die Irre leitet und fälschlich die Assoziation mit einer anderen Partei auslöst. Im Bundestagswahlkampf 2002 entschieden sich die beiden großen Parteien bei der Gestaltung einiger Plakatserien für das selbe Blau: Eine Angriffs-Serie der Union, die die Arbeitsmarktpolitik der SPD kritisierte,
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hatte den selben blauen Hintergrund und kombinierte ihn mit weiß und rot wie eine Serie von Textplakaten der SPD, die aufforderte "Schröder wählen" oder "Für eine mutige Arbeitsmarktreform" warb (vgl. Lessinger, Moke & Holtz-Bacha, 2003). Schließlich haben Farben psychologische und symbolische Wirkungen (vgl. Heller, 1999). Psychologische Wirkungen sind Eindrücke über 'kalte', 'warme' oder 'ruhige' Farben; die Farbsymbolik bezeichnet zum Beispiel Rot als Farbe der Liebe oder Blau als Farbe der Treue, Grün symbolisiert die Natur. In der Analyse der Plakatwerbung zur Bundestagswahl 2002 hatten wir festgestellt, dass die Farben, die die großen Parteien am häufigsten einsetzen, nämlich Blau, Rot, Grün, Weiß und Gelb, ziemlich genau der Rangfolge der deutschen Lieblingsfarben entsprechen (vgl. Lessinger, Moke & Holtz-Bacha, 2003, S. 239) und die farbliche Anmutung der Plakate insofern geschickt gewählt schien. Der Plakatwahlkampf 2005 hat diese besondere Bedeutung der farblichen Gestaltung von Kampagneninstrumenten neuerlich unterstrichen. Zwar waren die Wahlplakate schon immer Gegenstand ironischer bis bissiger Kommentierung, das gilt auch für 2005. Auffällig indessen war, dass 2005 gerade die Farbauswahl der Parteien ausführlich diskutiert wurde; so befand etwa Thomas E. Schmidt Anfang August in der Zeit: "Ästhetisch ist dieser Wahlkampf ein Problem". Gemeint waren damit zwar generell die Werbemittel der Parteien, vor allem aber die farbliche Gestaltung der Plakate von SPD und CDU, die sich auch auf anderen Werbematerialien wiederfand. "Schmuddelbraun gegen Retro-Orange" hieß es dazu in der Zeit (Schmidt, 2005). In der Süddeutschen Zeitung war von einem "komischen Beige" die Rede beim Blick auf die SPDPlakate (Liebs, 2005), schon früher hatte die SZ die Wahl von Orange als der neuen Farbe für das Corporate Design der CDU kritisiert: "Unsympathisch, billig, laut" ("Beiß in die...", 2005); in Capital hieß das Verdikt über den Werbeauftritt der Sozialdemokraten "schwach bräunlich" (Reischauer, 2005); und die FAZ mokierte sich ebenfalls über das Orange der Union ("In der politischen Modefarbe der Saison"; Alexander, 2005). Wenn die CDU mit dem Einsatz der Modefarbe Orange als Symbol eines schon wieder überkommenen 70er-Jahre-Retro-Chics ihrer Wahlkampagne ein wenig popkulturell jugendliches Flair verleihen wollte, so ist sie mit dieser Idee demnach fast ebenso gefloppt wie mit dem verunglückten Wahlkampfeinsatz des Rolling Stones-Evergreens "Angie".
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Immerhin hatten die Parteien damit die Aufmerksamkeit der Presse erreicht. Auch wenn Farben, Slogans und andere Gestaltungselemente Kritik erfuhren, war solche Berichterstattung in der Regel mit Photos dekoriert, die einen zusätzlichen Werbeeffekt erzielen konnten. Ob bewusst oder unbewusst bedienten die beiden Volksparteien damit das in der Wirtschaft beliebte Relaunch-Prinzip: Allein das Umstellen der visuellen Selbstpräsentation generiert die Neugier, die nötig ist, um wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Aus Perspektive der Medien wiederum kann das starke Interesse an der Farbgebung der Plakate gleich dreierlei bedeuten: Es könnte erstens ein Indiz für die unpolitische ästhetisierende Wahrnehmung von Parteien durch den Journalismus sein, zweitens ein Reflex auf die kaum mehr unterscheidbare Programmatik der etablierten Parteien oder drittens die Würdigung eines tradierten Wahlkampfmediums. Denn die Aufmerksamkeit für die Plakate unterstreicht zugleich deren Rolle im Wahlkampf und kann womöglich erklären, warum sich dieses vergleichsweise alte Werbemittel immer noch halten kann. Die Plakate haben vorrangig eine Indikatorfunktion, sie sind das deutlichste Zeichen dafür, dass Wahlkampf ist und demnächst ein Gang an die Urnen ansteht. Sie sind ein 'aufdringliches' Kampagneninstrument, dem kaum zu entkommen ist, weil in den letzten Wochen vor dem Wahltermin die Plakatwände, Laternenpfähle und Alleebäume übersät sind mit den Plakaten der Parteien. Plakate sind "des Wahlkampfs Kern" (Mannstein, 2004). Plakatwahlkampf 2005 Plakate haben ihren festen Platz in der deutschen Kampagnenkultur. Aufgrund des deutschen Wahlsystems mit Erststimme für einen Wahlkreiskandidaten und Zweitstimme für eine Partei werden die Wählerinnen und Wähler vielerorts mit wahlkreisbezogenen und mit überregionalen, national verbreiteten Motiven konfrontiert. Die örtlichen Kandidatenplakate, die meist nur Portraitphotos zeigen, erwecken oft den Anschein der Austauschbarkeit und dürften der Grund dafür sein, dass Wahlplakate als langweilig und einfallslos bezeichnet werden. Allerdings zeigt die Geschichte der Wahlplakate, dass solche Portraitphotos auch unter den überregional geklebten und primär um die Zweitstimme werbenden Plakaten auftauchen. Das gilt zunächst vor allem für die beiden großen Parteien, die Kanzlerkandidaten präsentie-
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ren, mittlerweile aber auch für alle kleineren Parteien, die ebenfalls auf Personalisierung setzen. Insofern gehört das Portrait zum Standardrepertoire der Plakatwerbung im Wahlkampf. Daneben stehen die themenorientierten Plakatserien, mit denen die Parteien versuchen, in der für Plakate gebotenen Kurzform ihre programmatischen Ziele zu übermitteln oder diejenigen der Opponenten anzugreifen. Welchen Stellenwert jeweils Kandidaten- und Themenkampagne haben und wie weit sich die Themenserien auffächern, ist variabel und abhängig von der jeweiligen Konstellation des Wahlkampfes. Neben den üblichen Wahlplakaten, die allerorten auf den Straßen anzutreffen sind, haben sich neue Formen entwickelt. In den Wahlkämpfen der letzten Zeit haben so genannte Presseplakate von sich reden gemacht. Das sind Plakate, die nur in sehr geringer Auflage produziert und an wenigen zentralen Stellen, zum Beispiel an oder in der Nähe der Parteizentralen, angebracht werden. Sie sind primär dafür konzipiert, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen und ihre Verbreitung in der Bevölkerung durch die mediale Berichterstattung zu finden. Gerade mit solchen Plakaten haben die Parteien bewiesen, dass Wahlplakate keineswegs langweilig sein müssen, sondern ihre Botschaften und erst recht ihre Angriffe auf den Kontrahenten auch humorvoll überzubringen sind (vgl. auch Lessinger, Moke & Holtz-Bacha, 2003). 2005 hatte die SPD gegenüber dem WillyBrandt-Haus, in dem diesmal auch die Wahlkampfzentrale untergebracht war, drei nebeneinander liegende Großflächen belegt. Die hier geklebten Plakate richteten sich vorrangig an die Medien. Sie waren Teil der Angriffskampagne und konnten auch kurzfristig gewechselt werden. Hier fanden sich Motive wie "Merkel/Kirchhof: Radikal unsozial" (vgl. Abbildung 3 in dem Beitrag von Bosch), "No Angies" oder "Konjunkturbremse Merkelsteuer" (vgl. auch SPD-Parteivorstand, 2005, S. 15). Zur Anwendung kommen neuerdings auch "Internet-Plakate". Gemeint sind damit solche "Plakate", die dem Nutzer begegnen, wenn dieser online geht. Solche Plakate können gezielt für die Ansprache bestimmter Wählergruppen eingesetzt werden, zum Beispiel von Kandidaten für ihren Wahlkreis: "Die Firma Web.de hatte sich deshalb für diesen Wahlkampf etwas Besonderes ausgedacht. Sie bot jedem Kandidaten die Möglichkeit, sein Internet-Wahlplakat direkt bei den Bürgern seines Wahlkreises im Netz zu plazieren. Und das funktioniert so: Mit der Postleitzahl des Nutzers ordnet Web.de die Bürger ihren Wahlkreisen zu. Öffnet der dann sein Postfach, erscheint das Internet-Plakat seines Wahlkreisabgeordneten und verbindet
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ihn mit dessen Website." (Beckermann, 2005) Zwar belegt das alte Medium Plakat auf diese Weise, wie es sich auch neuen technischen Gegebenheiten öffnet und so in gewissem Maße auch eine Zielgruppenansprache möglich macht, allerdings erfordert die Platzierung im Internet das Eingehen auf eine deutlich andere Rezeptionssituation, als sie für das Straßenplakat besteht, was wiederum Auswirkungen auf die formale Gestaltung haben muss. Genau genommen entsteht hier gerade ein neues Hybridmedium: Da nicht der anonyme Rezipient das Poster zu sehen bekommt, wie typischerweise bei der Plakatwerbung im öffentlichen Raum, sondern nur derjenige Nutzer, der sich beim Öffnen seiner Mailbox authentifiziert, handelt es sich bei diesen "Internet-Plakaten" eher um "elektronische Postwurfsendungen". Die nachfolgend präsentierte Untersuchung 1 beschreibt, wie die Plakatkampagnen der Bundestagsparteien im Wahlkampf 2005 gestaltet waren, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zwischen den Parteien zeigen und welche Kontinuitäten der Plakatgestaltung sich über Zeit abbilden. Der erste Teil stellt dar, wie die Kampagnen angelegt und organisiert waren, bevor anschließend die Befunde einer formalen und inhaltlichen Analyse der Plakate präsentiert werden. Die Angaben des ersten Teils basieren weitgehend auf Informationen, die bei den Parteien eingeholt wurden 2 , die Untersuchung folgt einem Verfahren der Bildanalyse, das schon früher zu diesem Zweck adaptiert und eingesetzt wurde, so dass sich auch Vergleiche zu anderen Kampagnen vornehmen lassen. SPD Die SPD startete ihren Plakatwahlkampf sechs Wochen vor dem Wahltermin. Verantwortlich war die Düsseldorfer Agentur Butter, die bereits mehrmals für die Partei gearbeitet hatte. Auf der Großfläche kamen neun Motive zum Einsatz, zusätzlich gab es zehn verschiedene Themenplakate. Die Großflächenplakate wurden in drei Dekaden ab Anfang August geklebt. Die Auflage für die kommerziellen Großflächen betrug 10.000 und für die 1
Die Studie wurde finanziell unterstützt von der Hans-Frisch-Stiftung, Nürnberg.
Wir bedanken uns bei Christina Bauer, Nürnberg, die die Wahlplakate gesammelt und auch bei den Parteien die entsprechenden Auskünfte eingeholt hat. Zugleich geht unser Dank an die Parteien für ihre Bereitschaft, unsere An- und Nachfragen zu beantworten. Ebenfalls verpflichtet sind wir Nadine Hertel. Sie hat die ersten Systematisierungsvorschläge und Beschreibungen der Plakate geliefert.
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Wesselmänner, die extra für die Wahl aufgestellt werden, 42.000 Stück. Die Themenplakate standen in den Formaten A0 und A1 zur Verfügung. In welchem Format die Plakate eingesetzt und in welcher Auflage sie gedruckt werden, entscheiden die Landesverbände. Daher lässt sich die die Auflage dieser Plakate nicht ermitteln. Zum Auftakt der Plakatkampagne überraschte die SPD mit ihrer Farbwahl; die Diskussion darüber sicherte ihr die Aufmerksamkeit der Medien: Die Themenplakate der ersten Dekade brachten die Claims auf hellumbrafarbenem Hintergrund. SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel begründete die Wahl der Farbe damit, dass das dezente Umbra die politischen Botschaften der SPD stütze, indem es die Inhalte besser hervortreten lässt (vgl. Schellenberger, 2005). Damit ersetzte die SPD das bislang verwendete kühle Blau durch einen warmen Erdton. Auf diesem Hintergrund waren die Claims platziert, die jeweils thematische Aussagen "Wir stehen für ..." mit der Frage "Aber wofür stehen die anderen?" konfrontierten. Die Großflächenplakate der zweiten Dekade verbanden drei Claims zu den zentralen SPD-Themen soziale Gerechtigkeit, Frieden und Arbeit mit Bildern von Gerhard Schröder. In der dritten Phase stand der Kanzler ganz im Mittelpunkt des Plakats, seinem Bild beigegeben der Claim "Kraftvoll. Mutig. Menschlich." Nur für ihre vier bundesweiten Aktionstage produzierte die SPD Materialpakete, die auch Plakate enthielten. Diese dienten der Negativwerbung, die sich vor allem gegen die Steuerpläne der Union richtete und auch Merkel direkt angriff. Ein solches Plakat zeigte in der oberen Bildhälfte eine Ansammlung von Luxusjachten, darunter der Claim "Hier freut man sich auf Merkels Kopfpauschale" und ein leicht quer angesetzter schwarzer Störer mit der Aufforderung "Verhindern Sie die unsoziale Kopfpauschale von CDU/CSU." Nach Angaben der Partei wurde dem Plakatwahlkampf ein sehr großer Stellenwert zugewiesen. Wieviel Geld die SPD aber für den Plakatwahlkampf aufgewendet hat, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Anfang Juni bekannte SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter, die Partei müsse sparsamer sein als beim Wahlkampf drei Jahre zuvor, für den etwa 25 Millionen Euro ausgegeben wurden (vgl. Böhm, 2005).
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CDU Die CDU verpflichtete wiederum die internationale Agentur McCann Erickson, ergänzt durch die junge und ebenfalls in Hamburg ansässige Agentur Shipyard Nice Media. Im Vergleich zu anderen Werbeträgern wies man den Plakaten bei der CDU den höchsten Stellenwert zu. Nach Angaben aus der Partei standen 18 Millionen Euro für den Plakatwahlkampf zur Verfügung. Auf kommerziellen Großflächen wurden 22.000 Plakate eingesetzt, die Auflage für die Sondergroßflächen (Wesselmänner) belief sich auf 30.000 Stück. Für Plakatständer wurden außerdem 879.000 Plakate in den Formaten A1 und A0 produziert. Bereits seit der Europawahl 2004 setzte die CDU auf ein gedecktes Orange, das auf den Plakaten zur Bundestagswahl vor allem benutzt wurde, um auf unechten Störern, das heißt störerartigen Aufdrucken (gemeint sind graphische Zusätze, die aus einem strengen Layoutraster durch Schrägstellung herausfallen), den Slogan "Deutschland braucht den Wechsel" zu unterlegen. Es wiederholte sich in anderer Form nur auf einem Textplakat, das ganz in dieser Farbe gehalten war und den selben Slogan aufwies, darunter in weißer Schrift auf rotem Grund die Aufforderung "Jetzt CDU" mit einem Wahlkreuzchen. In ähnlicher Weise war sonst nur noch eine Sonderwerbeform gestaltet, und zwar ein Heckposter (Roadposter) zum Anbringen an LKWs oder dem Wahlkampfbus. Dieses kombinierte den Claim: "Im Gegensatz zu Rot-Grün weiß ich, wo ich hin will." mit dem Parteilogo und der kombinierten Deutschland- und Europafahne. In der Variante Apricot schien Angela Merkel die neu erkorene Parteifarbe mit einer Jacke aufzugreifen, mit der sie bei Wahlkampfauftritten und auf einem Kandidatenportrait zu sehen war. Farbe und Jacke setzten sich so schnell zur Identifikation der Kanzlerkandidatin durch, dass die SPD in einem Wahlspot, der der "rapid response" diente, nur die Jacke zeigen konnte und klar sein musste, wer gemeint war (vgl. dazu auch Holtz-Bacha & Lessinger, in diesem Band). Auffälliger als der Orangeton, der auf den Plakaten nur sparsam eingesetzt wurde, war ein Weinrot, das die CDU für eine Themenserie verwendete, die in verschiedenen Formaten auftauchte und damit am ehesten die CDU-Werbung charakterisierte. Da die Partei aber außerdem verschiedene Kandidatinnenposter und diverse andere Motive einsetzte, lässt die Plakatkampagne ein einheitliches Auftreten vermissen, so dass von einem Corpo-
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rate Design – anders als bei der SPD, die mit ihrer Farbgebung eine gemeinsame Klammer schuf – kaum zu sprechen ist. Nach anfänglichen Überlegungen, für Ost und West unterschiedliche Kampagnen zu konzipieren, entschied sich die Partei dann doch für einen einheitlichen Wahlkampf. So gab es dann auch eine bundesweit einheitliche Plakatierung, die nur Bayern aussparte, wo die CSU mit eigenen Motiven Wahlkampf machte. CSU Wie schon zur Bundestagswahl 2002 arbeitete die CSU für ihre Wahlkampagne 2005 mit der Münchner Agentur Serviceplan zusammen. Die Planungsphase umfasste sechs Wochen ab Mitte Juni, offizieller Auftakt der so genannten Motivationsphase war der 30. Juli. Diese wurde abgelöst von der heißen Phase, die über die letzten vier Wahlkampfwochen lief. Für die Plakatkampagne verwendete die CSU neun Großflächenmotive sowie drei weitere Plakate. Die Auflage für die kommerziellen Großflächen und die Wesselmänner lag zwischen 2.500 und 3.000 Stück, die Plakatauflage insgesamt bewegte sich zwischen 22.500 und 27.000. In welchem Umfang Kandidatenplakate gedruckt wurden, entschieden die Kandidaten selbst, die Auflage ist jedoch auf circa 1.000 pro Kandidat zu schätzen. Nach Angaben der Partei kam den Plakaten der gleiche Stellenwert zu wie Anzeigen und Broschüren. Für die Wahlkampagne insgesamt investierte die CSU 4.8 Millionen Euro (Fahrenholz, 2005). Anders als die Schwesterpartei verfügte die CSU 2005 mit dem konsequenten Einsatz der bayerischen Landesfarben Weiß und Blau sowie dem Rautenmuster über ein freistaatliches Corporate Design. Für den Bundestagswahlkampf gelang ihr mit diesem Design, das sogar über von der CDU übernommene Plakatmotive gelegt wurde, ein einheitlicher Auftritt, der es erlaubte, die Werbemaßnahmen schnell und eindeutig der CSU zuzuordnen. Den Bezug zur Bundestagswahl stellte ein schmaler schwarz-rot-goldener Streifen dar, der auf fast allen Plakaten am linken Bildrand eingezogen war; außerdem wiesen fast alle Plakate mit einem unechten Störer auf die "Bundestagswahl 18. SEPTEMBER" hin. Als Sonderwerbeform, die als Wandzeitung im Format A2 und für die Großfläche in der CSU-Landesleitung eingesetzt wurde, gab es ein reines
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Textplakat. Das Wort "Wechsel" hebt sich weiß von dem auf Entfernung hellgrau erscheinenden Untergrund ab, der aus einer dreispaltigen Auflistung kleinstgedruckter Ziele und Vorstellungen des Regierungsprogramms der CSU besteht. In einem rechteckigen Kasten in der linken oberen Ecke ist "Regierungsprogramm 2005 - 2009 www.csu.de" in weißer Schrift auf blauem Grund zu lesen. Als optisches Gegengewicht ist das Parteilogo mit dem Claim bündig in der unteren rechten Ecke angeordnet. Abbildung 1: CSU-Plakat "Wechsel"
FDP Die FDP arbeitete, wie schon bei der Europawahl 2004, mit der Solinger Agentur von Mannstein, die lange Jahre für die CDU tätig gewesen war. Die Plakatkampagne startete ähnlich wie bei den anderen Parteien nach der ersten Augustwoche. Die Auflage für alle Formate zusammen betrug 400.000 Exemplare, wobei allein 350.000 auf die Dreieckständer entfielen. Für den Plakatwahlkampf standen der Bundespartei 1.3 Millionen Euro zur Verfügung. Plakate seien als "Präsenzwerbung unerlässlich", hieß es dazu aus der Partei. Auch die Plakatkampagne der FDP wies eine einheitliche Gestaltung auf, die für alle Plakate und ebenso für andere Werbemittel durchgehalten wurde. In seinem Vorwort zum Werbemittelkatalog der FDP beschreibt das Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz so: "Unser Auftritt hat einen
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schwarz-rot-gelben Faden im Look der Deutschlandfahne mit viel frischem, sonnigem Gelb. Das davon ausgehende Signal: Wir wollen Deutschland erneuern mit einem liberalen, modernen Programm." (FDP, 2005) Die blaue Schrift auf dem gelben Hintergrund sorgte dafür, dass die gewohnte blaugelbe Farbgebung der Partei erhalten blieb. Auch der FDP-Plakatwahlkampf illustriert also, dass etablierte Parteifarben immer wieder neu interpretiert und mit scheinbar zeitgemäßen Konnotationen belegt werden, um die jeweilige Partei modern zu halten. Die Personalisierungskampagne der FDP wurde dieses Mal mit Themen bzw. Kompetenzbereichen verknüpft: Die Slogans, die für eine Themenserie eingesetzt wurden, tauchten auch auf den Kandidaten- bzw. Kompetenzplakaten wieder auf. Diese Kandidatenplakate gab es für acht FDPPolitikerinnen und - Politiker, für Guido Westerwelle und Wolfgang Gerhardt gab es diese Motive mit eigenen Slogans auch noch für die kommerziellen Großflächen und die Wesselmänner. Als "Platzhalterplakat" verwendete die FDP ein Plakat mit dem Slogan "Deutschland wechselt. Wechseln Sie mit!". Platzhalterplakate werden noch vor Beginn der eigentlichen Kampagne und oft nur für wenige Tage geklebt, um gute Plätze zu reservieren, bis die endgültigen Plakatmotive fertig sind. Neben den flächendeckend verbreiteten Plakaten produzierte die FDP so genannte Satellitenplakate, die eine ähnliche Zielsetzung haben wie Presseplakate: Mit Satellitenplakaten umrunden Helfer die Parteiversammlungen der politischen Gegner und hoffen vor allem darauf, mit ihren Plakaten auf den Fernsehbildern zu landen. Hier tauchte unter anderem eine Abwandlung des bekannten Rote-Socken-Plakats der CDU wieder auf, das diese 1994 nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gegen die PDS eingesetzt hatte. Die FDP produzierte ein Plakat, das über dem ebenfalls von der CDU übernommenem Slogan-Klassiker "Freiheit statt Sozialismus" auf einer Wäscheleine vor tiefblauem Hintergrund drei aufgehängte Socken präsentierte: links eine rote mit großen Löchern, in der Mitte eine grüne und rechts wieder eine rote mit etwas kleineren Löchern. Ein anderes Satelliten- oder Presseplakat zeigte einen Toaster, aus dem ein schwarz-verkohltes Toast springt, dazu der Slogan "Nur nicht zu schwarz werden lassen!".
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Bündnis 90/Die Grünen Für ihren Wahlkampf engagierten Bündnis 90/Die Grünen wiederum die Berliner Agentur Zum goldenen Hirschen. Damit war eine Kontinuität im Werbeauftritt der Grünen gewährleistet, die der Partei zu einem einheitlichen Image mit Wiedererkennungswert verhalf. Auch bei den Grünen wies man der Plakatkampagne einen hohen bis sehr hohen Stellenwert zu. Die Grünen begannen wie die anderen Parteien etwa sechs Wochen vor dem Wahltermin mit der Plakatierung. Die Plakatkampagne war auf zwei Phasen angelegt. In den ersten drei bis vier Wochen lief die "Mach mit!"Serie, ab dem 25. August wurden die "JA!"-Plakate geklebt. Die herausgehobene Rolle ihres Spitzenkandidaten spiegelte sich auch darin, dass er auf Bundesebene der einzige Politiker der Grünen war, für den es ein Kandidatenplakat gab und auch nur für ihn Großflächenplakate geklebt wurden. Außer den Plakaten, die flächendeckend zum Einsatz kamen, entwickelte die Partei Plakate einer "NEIN!"-Serie, die quasi das Gegenstück zu ihrer "JA!"-Serie bildeten, aber nur im Internet und als Aktionsplakate auf Wahlkampftour Verwendung fanden. Mit ihrem düsteren, ins Schwarze gehenden Hintergrund, der scheinbar eine rote Sonne verdunkelt, und Slogans wie "NEIN! zu Merkels neuen Steuerplänen" oder "NEIN! zu BushGefolgschaft" betrieb diese Serie deutliches Negativcampaigning. Dem personalisierten Angriff diente außerdem ein Fassadenplakat, das an der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin angebracht war. Es zeigte eine lachende Angela Merkel und hinter ihr – eher ungläubig als lachend – Edmund Stoiber und Guido Westerwelle; alle drei scheinen in den Himmel zu blicken. Über ihnen steht der Slogan "FREUT EUCH NICHT ZU FRÜH". Die Linkspartei Bereits seit 1994 arbeitet die PDS mit der kleinen Berliner Agentur Trialon, im Bundestagswahlkampf 2005 kam mit der ebenfalls in Berlin ansässigen DIG/Plus eine zweite Agentur dazu, die bereits den Europawahlkampf 2004 der PDS betreut hatte. Ihren Plakatwahlkampf startete die neue Linkspartei am 12. August, also etwas später als die übrigen Parteien. Nach Angaben aus der Partei weist diese den Plakaten im Werbemix einen hohen Stel-
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lenwert zu. Mit allem Drum und Dran investierte die Linkspartei etwa eine Million Euro in ihre Plakatkampagne. Auch die Linkspartei setzte neben ihrer Themenwerbung auf Personalisierung, wobei von Seiten der WASG nur Oskar Lafontaine einbezogen wurde; alle anderen Kandidatenplakate zeigten Politikerinnen und Politiker der PDS. Die Auflage der Themen- und Personenplakate betrug 260.000, außerdem wurden 9.000 Großflächenplakate geklebt. Plakate, die ausschließlich als Presseplakat oder im Internet verwendet wurden, gab es bei den Linken nicht. Wahlplakate 2005 – Serien und Protoytpen Das methodische Vorgehen für die im Folgenden vorgestellte Untersuchung der Wahlplakate orientiert sich an dem ikonographisch-ikonologischen Analyseverfahren, das auf den Kunsthistoriker Erwin Panofsky zurückgeht und in Deutschland für die Analyse massenmedialer Bilder adaptiert wurde (vgl. vor allem Müller, 1997). Dieses Verfahren geht in drei Schritten vor: von der vor-ikonographischen Beschreibung, die den "Phänomensinn" erfasst, über die ikonographische Analyse, die den "Bedeutungssinn" offen legt hin zur ikonologischen Interpretation, die den "Dokumentsinn" herausarbeitet (vgl. Panofsky, 1978; 1994). Es wurde bereits früher für die Analyse von Wahlplakaten eingesetzt, so dass für eine genauere Darstellung der Methode auf entsprechende Publikationen verwiesen werden kann (Dillenburger, Holtz-Bacha & Lessinger, 2005; Lessinger, Moke & Holtz-Bacha, 2003). SPD Serie 1: Themen-Serie Pro – Contra Die Plakate dieser Themenserie sind reine Textplakate im Hochformat. Der Hintergrund ist umbra, zum unteren Bildrand heller werdend. Die Slogans sind linksbündig angeordnet und in Versalien gesetzt. Inhaltlich kontrastieren die Plakate durch Gegenüberstellung von "Für" und "Gegen" Positionen der SPD mit anderen, wobei klar ist, dass die Union gemeint ist. Das Pro-Statement mit der positiven Botschaft, die jeweils für die Ziele und das
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Programm der SPD steht, erscheint in schwarzen Lettern, die weiß unterlegt sind. Das Contra-Statement mit der negativen Botschaft ist in weißen Lettern gedruckt und schwarz unterlegt. Das Parteilogo ist linksbündig direkt unter den Slogans angeordnet. Unter ihm befindet sich der Claim "Vertrauen in Deutschland", der in allen Serien vorkommt. In der rechten unteren Ecke ist die Internetadresse der SPD angegeben. Der Prototyp stellt das Pro-Statement "Für den Frieden." über das Contra-Statement "Gegen blinde Gefolgschaft." Abbildung 2: SPD-Plakat "Für den Frieden"
Die einzelnen Elemente der fast mathematischen Komposition des Posters sind exakt aufeinander abgestimmt: Die gesamte Gestaltung ist streng linksbündig; der geradlinige, klare Fond assoziiert auch die werbende Partei mit Geradlinigkeit und Klarheit; und der Kontrast der politischen Aussagen wird gleich zweifach symbolisiert: durch den Kontrast von Schrift und Hintergrund und dessen anschließende Inversion. Zudem vermittelt die Hinterlegung der Aussagen durch die jeweilige Kontrastfarbe den Eindruck, als sei hier eine bestimmte Textstelle mit einem Textmarker hervorgehoben, was dem Inhalt optisch noch größeres Gewicht verleiht.
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Serie 2: Themen-Serie "Gegenüberstellung" Hier wurde mit reinen Textplakaten im Querformat gearbeitet. Der Hintergrund ist wiederum in Umbra gehalten, das am unteren Bildrand heller wird. Die Großflächenplakate wurden im 18/1-Format sowohl auf kommerziellen wie auch auf mobilen Großflächen (Wesselmänner) geklebt. Die beiden Claims nehmen drei Viertel des Plakats ein, sind linksbündig angeordnet und laufen bis an den rechten Bildrand. Sie stellen Positionen der SPD, die hier mit der Bekräftigung "Wir stehen für ..." identifiziert werden, jeweils der Frage "Aber wofür stehen die anderen?" gegenüber. Ebenso wie in der Pround Contra-Serie ist die Position der SPD in schwarzen Versalien gedruckt, die weiß unterlegt sind; die Frage nach der Position der "anderen" erscheint in weißen Lettern und ist schwarz hinterlegt. Das Parteilogo, darunter der Slogan "Vertrauen in Deutschland", ist bündig auf der linken Seite der SPDPosition angeordnet. Der Prototyp enthält die Aussage "Wir stehen für den Mut zu Reformen." und wie auf allen Motiven dieser Serie als Gegenfrage "Aber wofür stehen die anderen?" Abbildung 3: SPD-Plakat "Wir stehen für den Mut zu Reformen"
Durch die konsequente Spiegelung der inhaltlichen Gegensätze im Farbspiel von Schwarz und Weiß muten die SPD-Poster dieser beiden Serien ästhetisch sehr geschlossen an. In Anbetracht ihrer Schlichtheit muss man sich aus werblicher Perspektive allerdings fragen, ob sich zu dem Claim "Mut zu
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Reformen" nicht auch ein wenig mehr "Mut zur Gestaltung" hätte gesellen können. Denn eingedenk der visuell zum Teil stark emotionalisierenden SPD-Plakatmotive vergangener Jahre könnte die hier intendierte Reduktion auf eine scheinbar rein sachpolitische Ebene vom Betrachter auch als mutlose Einfallslosigkeit in einem Ad-hoc-Wahlkampf interpretiert werden. Serie 3: Gestellte Parteivertreter-Portrait-Serie Zu der Gestellten Parteivertreter-Portrait-Serie gehören zwei querformatige kombinierte Bild-Text-Plakate, wobei das Bild dominiert. Das linke Drittel des Plakats ist in Umbra gehalten, das zum unteren Bildrand hin leicht heller wird. Die übrigen zwei Drittel nimmt eine Portraitaufnahme von Gerhard Schröder ein. Mimik und Gestik des Kanzlers unterstreichen den Slogan, so dass eine Verbindung zwischen Statement und Kandidat hergestellt wird. Der Slogan ist linksbündig angeordnet, beginnt im umbrafarbenen Feld und läuft in den hell-graugrün gefärbten Hintergrund der Portraitaufnahme. Wie bei den anderen Themen-Serien erscheint die Textaussage in schwarzen Lettern, die weiß hinterlegt sind. Parteilogo und darunter der SPD-Slogan stehen bündig auf der linken Seite der Aussage. Dadurch dass auch in den Kandidatenplakaten die Gestaltungselemente der Textplakate aufgegriffen werden, wird eine optische Beziehung zu den Textplakaten der beiden Themen-Serien hergestellt, die der Plakatkampagne nicht nur ein unverwechselbares Corporate Design verleiht, sondern zugleich den Kanzler eng mit Zielen seiner Partei verknüpft. Gerhard Schröder und 'seine' SPD werden visuell als Gesamtpaket vermarktet, und das im 'horse-race' mit einer Herausforderin, die sich nur unter größeren Schwierigkeiten als Kanzlerkandidatin ihrer Partei durchsetzen konnte. Der Prototyp enthält die Aussage "Wer Frieden will, muss standhaft sein.". Das Photo zeigt Schröder in Dreiviertelansicht mit einem ernsten Gesicht. Sein Blick, der leicht nach oben gerichtet ist, geht zum rechten Rand und damit aus dem Bild heraus, das heißt, er stellt keinerlei Beziehung zum Betrachter her. Ganz im Gegenteil schaut er durch die leichte Untersicht über den Rezipienten hinweg und fixiert mit auffallend leuchtend blauen Augen fast in Feldherren-Manier ein fernes Ziel. Haltung und Blick strahlen Stärke und Entschlossenheit aus. Es soll offenbar der Eindruck geweckt werden, als habe dieser Mann nicht nur eine politische Vision, son-
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dern auch die Kraft, sie umzusetzen. Mit dieser Kombination aus Vision und Kraft hatte Schröder 1998 in dem berühmten 'Jever-Spot' äußerst erfolgreich für sich geworben und hernach erstmals die Kanzlerschaft errungen. Ein am unteren Bildrand sichtbares Mikrophon hat offensichtlich nur dekorativen Charakter, da Schröder weder in dessen Richtung blickt noch spricht. Gestalterisch misslungen ist an diesem Plakat auch der zumindest irritierende, wenn nicht gar fast sinnentstellende Zeilenumbruch, der die Worte "will, muss" in der zweiten Zeile isoliert. Es steht zu vermuten, das hier der Wille, das Corporate Design durchzuhalten, mit dem Motiv kollidiert ist. Wäre der Claim nämlich sinnvollerweise in zwei Zeilen gesetzt worden, hätte er Schröders Ohr verdeckt, und die Portraitaufnahme hätte zweifellos an Würde eingebüßt. Abbildung 4: SPD-Plakat "Wer Frieden will, muss standhaft sein"
Serie 4: Authentische Parteivertreter-Portrait-Serie Die zwei Plakate dieser Serie ähneln im Aufbau sehr stark den Plakaten der Serie 3, verwenden aber Photos, die authentischer wirken, weil Schröder offensichtlich spricht und dabei auch gestikuliert. Da lässt sich dann eher nachvollziehen, was die Partei selbst zu dieser Serie sagt: "Die drei zentralen Themen der SPD-Kampagne wurden einem Bild des Kanzlers zugeordnet, wie man ihn aus der politischen Berichterstattung kennt. Also keine Studiobilder, sondern reale Bilder des Pressefotografen Marco Urban, der den
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Kanzler im Juni/Juli begleitete. Schweiß auf der Stirn blieb Schweiß auf der Stirn, es fand keine künstlich anmutende Retusche statt." (SPD-Parteivorstand, 2005, S. 12) Anders, als es die SPD in dieser Selbstdarstellung tut, werden hier nur zwei Plakate der authentischen Serie zugeordnet, weil das dritte Motiv ein Photo von Schröder verwendet, das ihn ähnlich würdevoll und erhaben erscheinen lässt wie der oben beschriebene Prototyp. Prototyp der authentischen Serie ist ein Plakat, das Schröder bei einer Rede zeigt. Er verleiht dem, was er sagt, Nachdruck durch eine geballte Faust, die Kraft und Kampfeswillen ausdrückt. Bei der geballten Faust handelt sich im übrigen um ein klassisches Plakatsymbol aus den alten Tagen des politischen Plakats; etwas unglücklich richtet sie sich hier jedoch auf den Betrachter. Abbildung 5: SPD-Plakat "Wer Gerechtigkeit will, muss das Soziale sichern"
Mit den zwei Portrait-Serien präsentierte die Partei ihren Kanzlerkandidaten in verschiedenen Facetten: Mit der würdevollen Haltung der gestellten Serie und den dynamischen Motiven der authentischen Serie bedient sie zwei verschiedene Rollenstereotype: Als dynamisch galt schon der Herausforderer Schröder im Wahlkampf 1998, die Würde indessen musste er sich als Amtsinhaber erst erarbeiten.
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CDU Serie 1: Themen-Serie "Wechsel" Die Themenplakate wurden im Hoch- und Querformat als Großflächenplakat für die Wesselmänner sowie für Dreieckständer bzw. Laternenanhänger gedruckt. Es handelt sich um reine Textplakate auf weinrotem Hintergrund, der zum unteren Bildrand hin leicht heller wird. Die Slogans sind zentriert angeordnet. Auf der oberen Hälfte der Plakatfläche ist "Die Bilanz von RotGrün" (so die Dachzeile) in Zahlen erfasst. Auf der unteren Hälfte findet sich ein unechter, leicht schräg aufgesetzter Störer in Form eines rechteckigen orangen Aufklebers mit der weißen Aufschrift "Deutschland braucht den Wechsel". "Deutschland" ist durch größere Schrift und Fettdruck gegenüber dem restlichen Text hervorgehoben. Das Parteilogo ist rechtsbündig unter dem Störer angeordnet und mit einem Deutschland-Europa-Signet versehen. Der Prototyp zeigt unter der Überschrift "Die Bilanz von Rot-Grün" den Claim "5 Mio. Menschen ohne Arbeit." und bietet damit einen Grund, warum Deutschland den Wechsel zur CDU braucht. Abbildung 6: CDU-Plakat: "Die Bilanz von Rot-Grün"
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Serie 2: Wahlaufforderungs-Plakat Der Hintergrund des hochformatigen reinen Textplakats ist im CDUOrange gehalten. Der Slogan ist zentriert angeordnet. Die Einteilung der Plakatfläche ist ähnlich der in der Themen-Serie "Wechsel". Auf die obere Hälfte wurde der Slogan "Deutschland braucht den Wechsel" (Großformatierung des unechten Störers der Themen-Serie "Wechsel") in weißer Schrift gesetzt. Hier ist das Wort "Wechsel" durch einen größeren Schriftgrad betont. Auf der unteren Hälfte findet sich ein leicht schräg aufgesetzter Störer in Form eines roten rechteckigen Aufklebers mit der Aufschrift "Jetzt CDU" in weißen Versalien. Links neben dem unten rechts angebrachten Parteilogo und dem Fahnensignet findet sich in kleiner weißer Schrift der Slogan "Besser für die Menschen". Der Slogan steht also in Leserichtung vor dem Parteilogo, während die SPD ihren Slogan "Vertrauen in Deutschland" immer als Logozusatz unter ihr Parteisignet platziert. Abbildung 7: CDU-Plakat: "Deutschland braucht den Wechsel"
Vergleicht man die visuellen Strategien auf den Textplakaten der beiden großen Volksparteien, so sind die Aussagen auf den SPD-Postern klarer, markanter und damit politisch auffälliger als die wahlkampfübergreifend
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austauschbaren Standard-Claims der CDU. Andererseits aber wirken die warmen Karminfarben der CDU-Textplakate im Vergleich zum kühleren SPD-Umbra emotionalisierender. Wo die SPD im Plakatwahlkampf auf politische Diskussion setzt, suggeriert die Plakatstrategie der CDU-Poster die Sicherheit und Geborgenheit einer eindeutigen Marschroute. Auffällig ist indessen die frappierende Ähnlichkeit der Schrifttypen auf den SPD- und CDU-Postern: eine optische Gleichheit im scheinbaren Gegensatz. Serie 3: Parteivertreter-Portrait-Serie Diese Bildplakate wurden im Hoch- und Querformat und in verschiedenen Größen gedruckt. Die Bildfläche zeigt eine Portraitaufnahme von Angela Merkel. Der Slogan in weißer Schrift ist auf die Photographie gesetzt. Der Bildhintergrund ist unscharf. Parteilogo und Zusatz stehen unten rechts im Bild. Der Prototyp zeigt das Portrait einer lächelnden Angela Merkel. Aufgrund einer Neigung des Kopfes des Kopfes ist ihr Blick leicht nach rechts oben gerichtet und geht so am Betrachter vorbei. Im Hintergrund sind unscharfe Konturen von Menschen zu erkennen. Das Plakat trägt den Slogan "Deutschlands Chancen nutzen.", wobei die Betonung auf "Chancen nutzen" liegt, was durch Schriftgröße und Fettdruck angezeigt wird. Auf diesem stark arrangierten Plakat versuchen die Werber, die Kanzlerkandidatin mit einem Hauch sanfter Weiblichkeit zu umgeben: Der apricotfarbene Blazer in Kombination mit der Ton in Ton gehaltenen Halskette und das von links oben geführte Licht, das die blonden Haare und die Wangen freundlich aufhellt, gemahnt fast an die verträumte Jungmädchen-Atmosphäre von Weichzeichner-Aufnahmen. Ganz offensichtlich hat man an der visuellen Erscheinung der Kandidatin mächtig gearbeitet und auch mit diesem Plakat versucht, dem "Hängenden-Mundwinkel"-Image politischer Karikaturen zu begegnen. Zu der Portrait-Serie gehört ein zweites Plakat mit Angela Merkel, das sie vor einem etwas verschwommenen dunkelgrünen Hintergrund zeigt. Auf diesem Bild ist ihr Blick direkt auf den Betrachter gerichtet. Bei geschlossenem Mund bleibt ihr Lächeln verhalten. Schwarze Kleidung, die an den Schultern sichtbar wird, unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Portraits.
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Abbildung 8: CDU-Plakat "Deutschlands Chancen nutzen"
Serie 4: Situatives Parteivertreter-Plakat Das querformatige Bildplakat wurde als Großflächenplakat und für die Verwendung auf Wesselmännern gedruckt. Das Bild zeigt eine halbnahe Aufnahme von Angela Merkel. Der Slogan (weiße Schrift) ist wieder auf die Photographie gesetzt. Der Bildhintergrund ist stark unscharf. Wie bei den anderen Serien ist das Parteilogo mit dem Zusatz unten rechts aufgedruckt. Auf dem Prototyp gestikuliert Frau Merkel mit beiden Händen und ist offenbar im Gespräch mit einem Mann, der leicht verschwommen nur von hinten und angeschnitten zu sehen ist. Ihr Blick ist auf den Mann gerichtet. Im Hintergrund sind unscharf eine Frau und ein Mann zu sehen, die zwar nicht direkt am Gespräch beteiligt sind, aber aufmerksam zuzuhören scheinen. In der unteren Hälfte des Plakats ist in weißer Schrift der Slogan "Mehr Wachstum. Mehr Arbeit." aufgedruckt, wobei die Wörter "Wachstum" und "Arbeit" durch einen größeren Schriftgrad betont sind.
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Abbildung 9: CDU-Plakat "Mehr Wachstum"
Im Unterschied zu den anderen Merkel-Portraits versucht diese Serie, die CDU-Spitzenkandidatin als Führungspersönlichkeit zu inszenieren. Das apricotfarbene Blazer ist strikter schwarzer Bekleidung gewichen. Die Politikerin führt ganz offensichtlich das Wort, während der männliche Gesprächspartner und der passive Zuhörer im Hintergrund ihren Ausführungen folgen. Merkels Handhaltung ist zwar offen und der Gesichtsausdruck tendenziell freundlich, aber der leicht vorgebeugte Oberkörper verweist darauf, dass hier jemand überzeugen und sich durchsetzen möchte. Die gesamte Komposition des Motivs ist photographisch hochgradig inszeniert. Obgleich Merkel nur rechts im Bild zu sehen ist, wird ihr Kopf durch die Lichtsetzung stark profiliert. Zudem verleiht ihr die Teleaufnahme enorme Präsenz. Denn durch die lange Brennweite verschwimmt der Hintergrund, und die Figur der Kandidatin springt förmlich aus dem Bild hervor. Außerdem suggeriert der Tele-Effekt, dass die Photographierte sich unbeobachtet fühlt und sich entsprechend locker gibt, denn Teleaufnahmen werden in der Regel nicht bemerkt. Ein weiterer Effekt der Teleaufnahme ist die Inszenierung des Kontextes. Der nur schemenhaft erkennbare Hintergrund informiert den Betrachter nur darüber, dass es sich offenbar um eine paritätisch besetzte Gesprächsrunde aus zwei Männern und zwei Frauen handelt, dass alle Personen Business-Kleidung (und damit scheinbar Verantwortung) tragen und gerade die beiden Männer der Kanzlerkandidatin wohlwollend interessiert zuhören. Damit treten die anderen Personen nicht
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in optische Konkurrenz zu Merkel, sondern dienen als Statisten bei der Inszenierung als Wirtschaftexpertin. Die beiden CDU-Parteivertreter-Serien sind vor allem deshalb interessant, weil sie ein Indiz für den bewussten Umgang mit dem Geschlecht der ersten deutschen Kanzlerkandidatin sind. Denn während die SPD in Plakatmotiven voll auf das Macher-Image des Amtsinhabers Gerhard Schröder setzt, musste für die Herausforderin Angela Merkel offenbar erst eine visuelle Strategie entwickelt werden, die den Aspekt der Weiblichkeit zu nutzen versucht, ohne Bumerang-Effekte zu provozieren. Das könnte erklären, warum die Kanzlerkandidatin in einer Plakatserie sanft, weich und fraulich präsentiert wird und in der anderen Serie strikt, dynamisch und als durchsetzungskräftig. Denn während es für Männer bereits tradierte Politiker-Typen gibt, wie zum Beispiel den Vater der Nation oder den Charmeur, müssen solche Stereotype für Politikerinnen noch ausdifferenziert werden. Gerade anhand der Wahlwerbung als Spiegel sich wandelnder politischer Kultur lässt sich beobachten, welche Images die Parteien für ihre Spitzenpolitiker austesten. Serie 5: Emotionale Serie Zu dieser Serie gehören zwei Bildplakate im Hochformat, die ihre Gemeinsamkeiten erst auf den zweiten Blick erkennen lassen. Der Slogan ist in weißer Schrift auf die Photographie gesetzt. Logo und Zusatz sind unten rechts angeordnet und unterlegt mit einem orangefarbenen Textkasten mit dem Claim "Besser für Deutschland." In beiden Fällen dienen Körperteile in Großaufnahme (der Kopf eines Babys auf dem einen, Arme und Hände auf dem anderen Plakat) dazu, den Slogan zu illustrieren, das heißt eine abstrakte politische Forderung zu konkretisieren. Der Prototyp zeigt die Nahaufnahme eines rosigen, lächelnden Babys, von dem nur der Kopf sowie ein Teil der Schulter zu sehen sind. Die Konzentration auf den Kopf und die großen Augen entsprechen dem Kindchenschema, das in der Werbung als sicheres emotionales Schemabild gilt. Der Slogan "Deutschlands Zukunft sichern." wird durch die Darstellung des Babys verstärkt. Durch die Verbindung der verbalen und visuellen Aussagen wird also das abstrakte Thema "Zukunft" unmittelbar an ein ganz konkretes
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Politikfeld, nämlich die Familienpolitik, gekoppelt. Ausformuliert sagt das Poster dem Betrachter: Es gibt keine Zukunft ohne Familie. Abbildung 10: CDU-Plakat "Deutschlands Zukunft sichern"
Das zweite Plakat dieser Serie trägt den Slogan "Gemeinsam für Deutschland", der visuell umgesetzt wird durch zehn im Kreis angeordnete gespreizte Hände, die sich mit den Fingern berühren. Das Motiv ähnelt damit dem traditionellen Symbol des "Sich an den Händen halten", das für Gemeinschaft und Zusammenhalten steht. Serie 6: Besser für unser Land Ebenfalls aus der Reihe fällt ein Plakat, das auf Großflächen geklebt wurde. Das Plakat ist komplett ausgefüllt mit den deutschen Nationalfarben, der Faltenwurf vermittelt den Eindruck, dass es sich um eine wehende Fahne handelt. In der Mitte des Posters steht in weißer Schrift "Besser für unser Land", dazu unten rechts der weiße Kasten mit dem CDU-Logo und dem Fahnensignet. Die Fahne flattert leicht nach rechts aufstrebend, und das
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glänzende Material verspricht gleichsam eine glänzende Zukunft mit der CDU. Abbildung 11: CDU-Plakat "Besser für unser Land"
Mit dem Einsatz der Nationalfarben in der Wahlwerbung möchten Parteien sich – vergleichbar mit einer Nationalmannschaft im Sport – symbolisch zum Stellvertreter der Nation machen. Bemerkenswert an diesem CDUPoster ist aber vor allem, dass das Wort "unser" fast im Bildmittelpunkt steht. Es geht hier also nicht nur im klassischen Sinne darum, sich als Oppositionspartei mit dem Staatsapparat zu assoziieren, um so den Amtsinhaberbonus von Regierungsparteien zumindest etwas zu kompensieren, sondern mit dem Begriff "unser" wird stärker an das Gemeinschafts- als an das Nationalgefühl appelliert. Denkt man an die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nationalsymbolen zur Zeit der WM 2006, so lag die CDU mit diesem Einsatz von Nationalsymbolen durchaus im Trend. Von Regierungsparteien hingegen werden National- oder auch Landesfarben eher gegenteilig genutzt, nämlich um sich als quasi-natürlicher Statthalter der Interessen aller im Land zu behaupten. Bestes Beispiel für diese Strategie ist die CSU, die traditionell in jedem Wahlkampf mit den bayerischen Landesfarben wirbt.
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CSU Serie 1: Themen-Serie Die reinen Textplakate im Hoch- und Querformat wurden als Großflächenplakate, als Plakate für Litfasssäulen und als Dreieckständer/Laternenanhänger im Format A0 und A1 geklebt. Den Hintergrund nimmt auf etwa vier Fünftel der Fläche das bayerische weiß-blaue Rautenmuster ein. Dieses wird am linken Plakatrand durch einen vertikalen schwarz-rot-goldenen Streifen und nach unten durch einen schwungvoll nach rechts oben gebogenen hell blau-grauen Pfeil abgetrennt. Die Fläche unterhalb des Pfeils ist weiß. Am rechten oberen Plakatrand befindet sich ein kleiner rechteckiger Störer mit schwarzer Schrift auf hell blau-grauem Untergrund und dem Verweis auf das Datum der Bundestagswahl. Der Slogan ist zentriert auf die obere Hälfte gesetzt. Das Parteilogo befindet sich bündig am Plakatrand unten rechts. Unter dem Logo steht der Claim "näher am Menschen." Abbildung 12: CSU-Plakat "Zeit für den Wechsel"
Zu dieser Serie gehören zwei Plakate mit völlig gleichem Design, aber ausgetauschtem Slogan. Der Prototyp beinhaltet alle Gestaltungsmerkmale dieser
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Serie. Mit dem Slogan "Zeit für den Wechsel." greift das Plakat das Wechsel-Thema der entsprechenden CDU-Serie auf. Das zweite Plakat der Serie trägt den Slogan "Arbeit schaffen – Wachstum fördern." Das unübersichtliche Parteilogo, das aus einem Konglomerat einzelner Grafikelemente zusammengesetzt ist, steht pars pro toto für den Designstil der gesamten Plakatkampagne der CSU. Serie 2: Alltagsszenen-Serie mit Kandidat(in) Die querformatigen Bildplakate dieser Serie entsprechen in ihrem Aufbau denjenigen der Themen-Serie "Wechsel". Ihr Hintergrund ist gestaltet wie bei der Themen-Serie, lediglich der Aufschwung versprechende Pfeil ist hier leicht durchsichtig angelegt. Das Bild zeigt Edmund Stoiber in einer Alltagsszene. Der Slogan ist in weißer Schrift oben auf das Photo gesetzt. Das Parteilogo samt Claim "näher am Menschen." befindet sich wieder bündig am Plakatrand unten rechts. Abbildung 13: CSU-Plakat "Gemeinsam die Zukunft sichern"
Der Prototyp zeigt Edmund Stoiber lächelnd zusammen mit einer jungen Familie, die hier aus einem Elternpaar mit kleiner Tochter, die von der Frau auf dem Arm gehalten wird, besteht. Der lachende Blick von Mann und Frau ist auf den Ministerpräsidenten gerichtet. Stoiber ist bei dieser Aufnahme ohne Krawatte und mit offenem Hemdkragen gezeigt, um eine un-
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gezwungene Atmosphäre zu symbolisieren. Diese Szenenaufnahme visualisiert den Slogan "Gemeinsam die Zukunft sichern", bei dem die Wörter "Gemeinsam" und "Zukunft" durch größere Schrifttype hervorgehoben sind. Zu dieser Serie gehört auch eine Adaption des situativen Parteivertreter-Plakats der CDU. Das Bild von Angela Merkel wurde in das CSUDesign integriert, ihm fehlt allerdings das weiß-blaue Rautenmuster als Hintergrund. Das gilt ebenso für ein weiteres Merkel-Portrait ("Ein neuer Anfang"), das aus der CDU-Kampagne übernommen und in das CSU-Design einmontiert wurde. Besonders auffällig an diesen Postern – wie auch an allen weiteren CSU-Plakat-Serien mit Personendarstellungen – ist der collagenartige Charakter dieser Bilder. Denn es werden nicht nur die Personen in den weißblauen Hintergrund gesetzt, sondern die Figurenkonstellation selbst wirkt hochgradig montiert. Die Augen des Familienvaters und Edmund Stoibers sind zwar aufeinander gerichtet, aber der Blickkontakt erscheint wenig authentisch, und das nicht nur im Sinne einer werblichen Inszenierung, sondern vielmehr so, als seien sich die Personen auf dem Bild nie begegnet. Die Frau lächelt hilflos Stoibers Hemd an, der seinerseits souverän über sie hinweg sieht. Unabhängig von den tatsächlichen Produktionsbedingungen dieses Plakatmotivs gelingt es mit dieser Art der Gestaltung nur sehr bedingt, einen Kandidaten überzeugend als volksnah zu präsentieren. Das sterile Licht, das kaum Schatten wirft, tut sein Übriges, um diesem Poster den Charme technischer Katalogphotographie zu geben. Serie 3: Alltagsszenen-Serie Das querformatige Bildplakat ist ebenso gestaltet wie die entsprechende Serie mit Kandidat. Der Prototyp ist zugleich das einzige Plakat dieser Serie. Den Vordergrund bildet eine Oberkörperaufnahme eines lächelnden Paares, wobei die Frau ein Kleinkind auf dem Arm hält. Der Slogan lautet "Sichere Zukunft für unsere Kinder". Die Wörter "Zukunft" und Kinder" sind durch größere Schrifttype hervorgehoben.
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Serie 4: Kandidaten-Portrait-Serie Die in verschiedenen Formaten gedruckten Plakate sind in gleicher Weise gestaltet wie die Themen- und Alltagsszenen-Serien. Vor dem weiß-blau rautierten Hintergrund zeigen die Plakate Portraits von Edmund Stoiber und Angela Merkel. Bei Merkel handelt es sich wiederum um ein aus der CDU-Kampagne adaptiertes Motiv (vgl. Parteivertreter-Portrait-Serie) mit dem Slogan "Deutschlands Chancen nutzen". Prototyp ist ein Plakat mit Edmund Stoiber. Er ist formell gekleidet, die weiß-blau gestreifte Krawatte scheint farblich mit Bedacht gewählt. Stoiber sieht den Betrachter direkt an, bleibt aber optisch auf Distanz. Seine angeschnittene rechte Hand scheint eine sein Gegenüber einladende Geste zu machen. Der Slogan des Prototyps lautet "Deutschland bewegen – Bayern stärken". Die Wörter "Deutschland" und "Bayern" treten durch größere Schrifttype hervor. Der Slogan ist auf diesem Plakat in Anführungsstriche gesetzt, wird also als Zitat dem bayerischen Ministerpräsidenten in den Mund gelegt. Abbildung 14: CSU-Plakat "Deutschland bewegen – Bayern stärken"
Serie 5: Angriffsplakat Aus dem Rahmen der vorgestellten Serien fällt ein Plakat, das in verschiedenen Formaten zu finden war. Zwar werden auch hier die Gestaltungsele-
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mente der anderen Serien aufgegriffen (weiß-blaue Rauten, schwarz-rotgoldener Streifen, CSU-Logo), hier ist jedoch der gesamte Hintergrund verschwommen im weiß-blauen Rautenmuster gehalten. Neben dem in der rechten oberen Ecke angeordneten CSU-Logo steht links in weißer Schrift "Entscheidung am 18. September:". Im oberen Teil des Plakats ist in der Art eines Aufzugsknopfes ein weißes Quadrat mit einem nach oben weißen schwarzen Dreieck zu sehen. Darunter ist zentriert der Claim "Aufschwung statt Abstieg" angeordnet, wiederum darunter ein grünes Quadrat mit einem nach unten weisen roten Dreieck. Das Wort "Aufschwung" ist größer gedruckt als der Rest des Claims. Abbildung 15: CSU-Plakat "Aufschwung statt Abstieg"
Dieses CSU-Plakat bietet ein gutes Beispiel für die Vor- und Nachteile eines konsequenten farblichen Corporate Designs. Zwar wird die CSU dank der weiß-blauen Rauten eventuell stärker mit dem Bundesland Bayern assoziiert als andere bayerische Landesparteien, andererseits aber ist die CSU dadurch auch in der Gestaltung ihrer Werbemittel limitiert. So wirkt das Angriffsplakat äußerst unaufgeräumt. Das CSU-Logo hängt in der rechten oberen Ecke, als sei andernorts auf dem Plakat kein Platz dafür gewesen; die kräftigen Nationalfarben am linken Rand aller CSU-Plakate wirken fast störend neben dem bleichen Blau der Rauten. Ähnliches gilt für den grün-roten Abwärts-
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pfeil, der vor allem deshalb hervorsticht, weil er farblich so schlecht zum Hintergrund passt. So steht zu vermuten, dass sich der Betrachter die Aussage des Angriffsposters nur stückweise erschließen kann. Das Medium Plakat lebt aber gerade davon, dass seine Bedeutung in Sekunden zu erfassen ist. FDP Serie 1: Themen-Serie "Mehr FDP" Die hochformatigen Textplakate standen in den Formaten A0 und A1 zur Verfügung. Der Hintergrund ist zu etwa vier Fünfteln flächig im FDP-Gelb gehalten. Am oberen linken Plakatrand geht das Gelb in eine verzerrte Deutschland-Flagge über. Der Slogan "Mehr FDP, mehr (bzw. weniger)..." ist rechtsbündig in blauen Lettern gedruckt. Das Parteilogo, ebenfalls in blauen Lettern auf gelbem Hintergrund, steht in der rechten unteren Ecke, ein Verweis auf die Internetseite (www.fdp.de) in der linken unteren Ecke. Über dem Logo wurde ein unechter Störer mit dem Aufdruck "Zweitstimme:" in gelbe Schrift auf blauem Grund leicht schräg aufgesetzt. Der Prototyp trägt den Slogan "Mehr FDP, mehr Bildung." (vgl. Abbildung 16). Positiv könnte man konstatieren, dass die FDP auch in diesem Wahlkampf dem Konzept der gelb-blauen Textplakate treu bleibt. Kritisch betrachtet, liefert die FDP nur ein weiteres Indiz dafür, dass die Parteien zur Bundestagswahl 2005 mit wenig frischen Botschaften gestartet sind. Serie 2: Parteivertreter-Portrait-Serie Die hochformatigen Parteivertreter-Portrait-Plakate stellen eine Variante der Themen-Serie "Mehr FDP" dar. Sie wurden ebenfalls in den Formaten A0 und A1 geklebt, diejenigen mit dem Bild von Guido Westerwelle zusätzlich als Großflächenplakate und Sondergroßfläche. Das Parteilogo samt dem Störer finden sich hier in der rechten oberen Ecke, der Internetverweis in der rechten unteren Ecke des Plakates. Der Slogan und darüber der Name des Abgebildeten sind in blauen Lettern auf gelbem Grund unten rechts
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eingesetzt. Diese Kandidaten- oder auch Kompetenzplakate gab es für insgesamt acht Kandidatinnen und Kandidaten, auf denen sich die Slogans der Abbildung 16: FPD-Plakate "Mehr FDP, mehr Bildung" & "Mehr FDP, mehr Mut"
Themenplakate wiederholten. Die Kombination von Slogan und Kandidat verband so jeweils einen FDP-Vertreter mit einem spezifischen Kompetenzbereich. Solche Kompetenzplakate gab es außer für Westerwelle (mehr Mut) auch für Wolfgang Gerhardt (mehr Freiheit), Hermann Otto Solms (weniger Steuern), Rainer Brüderle (mehr Arbeitsplätze), Cornelia Pieper (mehr Bildung), Dirk Niebel (mehr Arbeitsplätze), Sabine LeutheusserSchnarrenberger (Bürgerrechte) und Birgit Homburger (weniger Bürokratie). Der Prototyp zeigt eine Portraitaufnahme eines verhalten lächelnden Guido Westerwelle mit dem Slogan "Mehr FDP, mehr Mut.". Anders als auf den Plakaten mit seinen Kolleginnen und Kollegen ist Westerwelles Name allerdings oberhalb des eingeschobenen gelben Kastens mit dem Slogan angebracht. Für die Verbreitung auf Großflächen wurden drei Varianten der Portrait-Serie für Guido Westerwelle produziert. Während für eines der querformatigen Plakate die selbe Aufnahme verwendet wurde wie für die klei-
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nerformatigen Kompetenzplakate, zeigen ihn die anderen beiden Plakate in weniger formeller Aufmachung. Neben dem Slogan "Steuern runter, Arbeit rauf" ist ein lachender Guido Westerwelle zu sehen. Er sitzt quer auf einem Stuhl, den Arm über der Rückenlehne und mit einer gegenüber dem Betrachter einladenden Geste der Hand. Das Bild wird weiter dadurch aufgelockert, dass Westerwelle hier kein Jackett trägt und legerer nur mit Hemd und Krawatte gekleidet zu sehen ist. Beim Namensaufdruck, der in kleiner gelber Schrift in der unteren linken Ecke angebracht ist und so über die Krawatte des Kandidaten läuft, ist der Doktor-Titel weggelassen. Durch das Querformat kommt die deutsche Fahne am oberen Rand stärker zur Geltung. Auf dem rechten Poster zeigt sich Guido Westerwelle in ähnlicher Pose wie Edmund Stoiber in der CSU-Kandidaten-Portrait-Serie. Vergleicht man beide Plakate, so wirkt das FDP-Werbeplakat erheblich professioneller. Auch hier ist die Figur Westerwelles in den typischen FDP-Hintergrund montiert, doch sein Gesichtsausdruck und seine Gestik wirken erheblich authentischer und dadurch überzeugender als das Konterfei seines Kollegen von der CSU. Ein gewisses schauspielerisches Talent hilft Politikern sogar in der Plakatwerbung. Abbildung 17: FDP-Plakat "Steuern runter, Arbeit rauf"
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Serie 3: Platzhalterplakat "Wechsel" Auch das hochformatige (in A0 und A1) Wahlaufforderungsplakat ist eine Variante der Themen-Serie "Mehr FDP". Ebenso wie die Union plädiert die FDP hier für den Wechsel: Der das Plakat beherrschende Slogan lautet "Deutschland wechselt. Wechseln Sie mit!". Gegenüber der Themenserie werden die Nationalfarben stärker betont, der gesamte obere Rand des Bildes geht vom FDP-Gelb in Rot und Schwarz über, Falten deuten die Fahne an. Bündnis 90/Die Grünen Serie 1: Photo-Themen-Serie "Mach mit!" Die hochformatigen Text-Bild-Plakate wurden für die Dreieckständer verwendet. Den Hintergrund bildet eine Photographie, die im direkten Kontext zum Slogan (weiße Versalien, dick schwarz umrandet) am oberen Plakatrand steht. Im Vordergrund in der unteren Bildhälfte ist ein grüner Textkasten mit weißem Rand platziert, der in ebenfalls dick schwarz umrandeten weißen Lettern den Slogan "Mach mit!", in der zweiten Zeile www.grueneaktion.de und darunter das Parteilogo der Grünen umfasst. Da das leuchtende Grün im Kasten die höchste Farbsättigung hat, tritt es als bedeutendstes Element hervor. Der Prototyp zeigt vor weißem Hintergrund einen nach oben gestreckten Männerarm mit einer zur Faust geballten Hand, die eine Tomate zerdrückt. Das Bild visualisiert den Slogan "Gemeinsam gegen Gen-Food" (vgl. Abbildung 18). Serie 2: Photo-Themen-Serie "JA!" Die hochformatigen kombinierten Text-Bild-Plakate standen in den Größen A0 und A1 zur Verfügung. Den Hintergrund bildet eine Photographie, die wie in der Themen-Serie "Mach mit!" einen direkten Bezug zum Slogan "JA!..." herstellt. Die Plakate werden dominiert von einem großen "JA!", das in Versalien gedruckt über einem themenbezogenen Claim im Bildvorder-
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grund steht. Beides ist in einer grünen und weiß umrandeten rechteckigen Sprechblase angeordnet. Die Hinweislinie der Sprechblase stellt optisch die Verbindung zwischen Textfeld und Photographie her. In der unteren rechten Ecke des Plakats ist das Parteilogo abgebildet, links daneben der claim "JA zu Grün". Abbildung 18: Grünen-Plakat "Gemeinsam gegen Gen-Food"
Der Prototyp trägt den Slogan "JA! Neue Energie statt Öl und Atom" (vgl. Abbildung 19). Das Hintergrundbild zeigt eine Wüste vor wolkenlosem blauem Himmel mit einer weißen Sonne, Risse im Sand unterstreichen die Trockenheit. Die Hinweislinie der Sprechblase weist auf die Sonne, die damit auch als alternative Energiequelle zu Öl und Atom zu verstehen ist. Die Sprechblase verdeckt zudem drei bewaffnete Männer, wie sich aus den Schatten auf dem Sand erkennen lässt. Neben den üblichen Themen der Grünen (wie Bürgerrechte, gesundes Essen, Energiepolitik), die auf den Plakaten angesprochen werden, fällt eines aus dem Rahmen: Dabei handelt es sich um einen Fall von Negativwerbung, der Angela Merkel direkt anspricht. Auf dem Bild sind Rekruten der Bundeswehr abgebildet, ihnen wird mit der Sprechblase die Aufforderung "JA! Merkel, lass uns in Frieden" in den Mund gelegt.
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Die Gestaltung der Themen-Plakat-Serien der Grünen unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den einfachen Textbotschaften der anderen Parteien. Abgesehen von den überraschenden Bildmotiven und dem klaren Layout vermitteln die Poster zwei Bedeutungsebenen: Die erste und einfache Botschaft, nämlich sich gegen Genfood und für neue Energien zu entscheiden, erschließt sich dem Betrachter typographisch auf den ersten Blick. Abbildung 19: Grünen-Plakat "JA"
Allein damit haben die Plakate ihre Informationsfunktion bereits erfüllt. Darüber hinaus aber bieten beide Motive weitere ästhetische und inhaltliche Betrachtungsanreize, denn sowohl die zerquetschte Tomate als auch die Bewaffneten in der Wüste regen zum Hinsehen und Weiterdenken an. Die Grünen offerieren damit – wie schon früher – als einzige Partei Themenposter mit einer komplexeren Botschaft, die man als "Strategie des zweiten Hinschauens" bezeichnen könnte. Denn erst auf den zweiten Blick erkennt der Rezipient die Bild-Text-Verknüpfung zwischen Sonne, Energie und Krieg in der Wüste mit den grünen Parade-Politikfeldern Energie- und Außenpolitik.
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Serie 3: Parteivertreter- Plakat "JA!" Die kombinierten Text-Bild-Plakate entsprechen in ihrem Design der Photo-Themen-Serie "JA!", ihr Thema ist der Spitzenkandidat. Der Prototyp zeigt eine Ganzkörperaufnahme von Joschka Fischer mit angeschnittenen Schultern und Beinen. Er sitzt vorgebeugt auf einem Stuhl, lächelt, hat die Ellbogen auf den Knien abgestützt und die Hände ineinander gelegt. Der Hintergrund ist moosgrün gehalten, wobei Lichtspots auf die Bildmitte gerichtet wurden. Am unteren Plakatrand ist das Parteilogo abgebildet. Links daneben der Claim "JA zu Grün". Die Sprechblase, die Fischer halb verdeckt und deren Hinweislinie auf das Parteilogo gerichtet ist, trägt den Slogan "JA! zu Joschka". Gemessen an den Kandidaten anderer Parteien gibt sich Fischer betont lässig und entspannt. Er schaut den Betrachter ruhig und zuversichtlich an. Durch die Lichtregie und Sitzhaltung rücken sein markantes, aber freundliches Gesicht und seine kräftigen Hände in den Vordergrund, was ihn wohl zugleich als intellektuellen Kopfmenschen und Mann der Tat darstellen soll. Dennoch drückt das Bild eine eher abwartende Haltung aus. Abbildung 20: Grünen-Plakat "JA! zu Joschka"
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Eine Variante dieses Plakats zeigt das gleiche Photo von Joschka Fischer, der Slogan in der Sprechblase lautet "JA! zu Grün". Ein aufgedruckter Störer informiert in weißer Schrift: "ZWEITSTIMME IST JOSCHKA-STIMME". Serie 4: Themen-Serie "Prozent" Die "Prozent"-Serie der Grünen war ein Novum in der Wahlwerbung. Sie erzielte ihren Aufmerksamkeitseffekt durch Großflächenplakate, die auf einem grünen Hintergrund lediglich eine Prozentzahl in weißer Schrift mit schwarzer Umrandung zeigten. Der typische Farbton ließ vermuten, dass es sich um Plakate der Grünen handelte. Unklar blieb allerdings zunächst, was mit der Zahl gemeint war. Die Auflösung des Rätsels war im Netz zu finden bzw. erfolgte durch weitere Plakate, auf denen sich die Prozentzahl wiederholte, nun ergänzt durch Aussagen, die vermeintlich auf Umfragen zurückgingen: War zum Beispiel auf den ungezeichneten Plakaten eine "79%" zu sehen gewesen, hieß es nun in einem sprechblasenartigen weißen Rahmen "79% WOLLEN KEINE NEUEN ATOMKRAFTWERKE". Diese Plakate waren dann auch mit dem Parteilogo und dem Claim "JA zu Grün" versehen. Abbildung 21: Grünen-Plakat "79% wollen keine neuen Atomkraftwerke"
Auch bei dieser Plakatserie erschließt sich der Sinn nicht sofort, sondern regt – im Sinne einer "Strategie des Nachdenkens" – zur Auseinandersetzung mit dem gesamten Informationsangebot der Partei an. Damit sind die
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Grünen die einzige Partei, die mit dem Medium Plakat nicht darauf zielt, ihre komplette Botschaft selbst bei möglichst kurzer Betrachtungsdauer sofort klar zu machen, sondern die Poster als Appetizer einsetzt. Bleibt allerdings die Frage, ob die Rezipienten tatsächlich aktiv genug sind, sich die weitere politische Kost auf anderem Wege zu besorgen. Die Linkspartei Serie 1: Graphische-Themen-Serie "Aufkleber" Die Plakate der "Aufkleber"-Serie gab es als hochformatige Laternenanhänger. Auf weißem Hintergrund sind vereinfachte graphische Motive in Bonbon-Farben abgebildet, die an Werbe- bzw. Preisaufkleber aus dem alltäglichen Leben erinnern. In diese Motive ist jeweils in weißer Schrift der Slogan integriert. Auf allen Plakaten befindet sich zusätzlich ein unechter Störer in Form eines schräg aufgesetzten rechteckigen Aufklebers, auf dem "BUNDESWEIT WÄHLBAR" zu lesen ist. Am linken oder rechten oberen Plakatrand steht der Internetverweis auf www.sozialisten.de. Das Parteilogo ist am unteren Plakatrand angeordnet. Dabei galten für alle Plakate regionale Unterschiede: Ob dem Parteinamen der Zusatz "PDS" hinzugefügt wurde oder nicht, entschied jedes Bundesland für sich. Generell wurde in allen ostdeutschen Bundesländern, in Hamburg und in Bremen das Logo "DIE LINKE. PDS" benutzt, in den übrigen westdeutschen Ländern nur "DIE LINKE.". Dabei wurde auch die farbliche Gestaltung des Parteinamens variiert. Wo es nur hieß "DIE LINKE", erschien der Name in Rot, der Punkt auf dem "I" ersetzt durch einen wimpelartigen Pfeil, dessen Spitze nach links zeigt. In der Kombination mit "PDS" war "DIE LINKE" schwarz gedruckt, nur der Wimpel blieb rot; PDS daneben erschien in weißer Schrift auf rotem Grund. Der Protoyp zeigt auf weißem Hintergrund einen angeschnittenen hellgrünen "Preisaufkleber" mit dem Slogan "Lohnarbeit ja, Billiglohn nein". Der Zusatz "1,- €" verdeutlicht, dass mit Billiglohn auf die Ein-Euro-Jobs angespielt wird (vgl. Abbildung 22). Auf fast tragikomische Weise wird hier eine der zentralen politischen Aussage der Linken (aus)verkauft: Denn einerseits reizt der vermeintliche Preisaufkleber für Billigware praktisch jeden Konsumenten auf der Straße,
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einen aufmerksamen Blick auf das Plakat zu werfen, und der Text verdeutlicht durchaus, dass etwas an sich Wertvolles – nämlich Arbeit – verscherbelt werden soll. Andererseits wird der Slogan allein durch die Größenverhältnisse so stark durch das Preisschild überlagert, dass zumindest optisch der Eindruck entsteht, die Linke hätte etwas billig abzugeben – und nicht etwa die gegnerischen Parteien. Da sich die ironische Brechung der Gepflogenheiten von Supermarktwerbung nicht umstandslos vermittelt, rückt die Partei sich durch die Plakatgestaltung ungewollt in intuitive Nähe zu dem, was sie bekämpfen möchte. Abbildung 22: Die Linke-Plakat "Lohnarbeit ja, Billigjobs nein"
Serie 2: Parteivertreter-Portrait-Serie Die hochformatigen kombinierten Bild-Text-Plakate gab es in verschiedenen Formaten. Die Plakate sind überwiegend in Schwarz-Weiß gehalten, aufgelockert durch einige rote Elemente. Die obere Plakathälfte zeigt eine schwarz-weiße Portraitaufnahme einer Kandidatin oder eines Kandidaten. Auf der untere Plakathälfte ist auf weißem Hintergrund in roter Schrift der Name des Kandidaten zusammen mit einem schwarz gedruckten Statement
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zu lesen. Bei dem Statement handelt es sich entweder um ein Zitat oder um einen Ausspruch des Kandidaten. Am unteren Plakatrand ist das Parteilogo angeordnet, am rechten oberen Bildrand vertikal der Verweis auf die Internetseite. Der Prototyp zeigt ein Schwarz-Weiß-Portrait von Gregor Gysi. Sein Gesichtsausdruck ist freundlich, der Mund leicht geöffnet und das Kinn ist auf die linke Innenhandfläche gestützt, dadurch ist Gysis Unterlippe leicht verschoben. Der Bildhintergrund ist flächig schwarz. Darunter ist zu lesen: "Gregor Gysi: Linke Politik verdient Vertrauen, weil sie Alternativen mit den Menschen entwickelt." Das Parteilogo am unteren Bildrand kombiniert hier "Die Linke" und "PDS". Abbildung 23: Die Linke/PDS-Plakat "Linke Politik verdient Vertrauen"
Gysi nimmt also eine typische Intellektuellen-Pose ein, die man sich gerade in Schwarz-Weiß auch auf dem Rücken eines politischen Fachbuchs vorstellen könnte. Implizit vermittelt das Photo so den Eindruck eines kompetenten Mannes. Ebenso gut aber könnte diese Aufnahme als Portrait mit Bildunterschrift in einem Zeitungsinterview fungieren. So oder so macht diese Kombination einen seriösen Eindruck.
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Serie 3: Partei-Plakat Das querformatige Partei-Plakat ist an das Layout der "Aufkleber"-Serie angelehnt. Es wurde als Großflächenplakat in zwei Versionen geklebt, die sich nur durch die zwei Varianten des Parteinamens unterschieden. Der Hintergrund ist weiß und das Parteilogo ist mittig darauf gesetzt. Am rechten unteren Plakatrand erscheint der Verweis auf die Internetseite. Drei unechte Störer sind als "Aufkleber" angebracht, zwei unter, einer über dem Logo. Ein grüner "Preisaufkleber" erklärt in weißer Schrift "BUNDESWEIT WÄHLBAR", ein blauer quadratischer Aufkleber zeigt ein angebrochenes Glas und den Aufdruck "Sozial, mit aller Kraft.". Über dem Logo prangt ein gelber runder zackengerahmter Aufkleber, auf dem "JA Für eine neue soziale Idee" steht. Abbildung 24: Die Linke-Plakat "JA Für eine neue soziale Idee"
Die scheinbar beliebig angeordneten und wenig zusammenhängenden Elemente auf diesem Poster verschleiern die entscheidenden Informationen eher als sie zu transportieren. Was das angebrochene Glas symbolisieren soll, bleibt weitgehend unklar, und die Nachricht "bundesweit wählbar" auf einen grünen Preisaufkleber zu platzieren, der in ähnlicher Form auf anderen Plakaten als Angriff auf die Politik der Gegner eingesetzt wird, erscheint aus naheliegenden Gründen wenig zielführend.
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Fazit Die überraschend angekündigte Neuwahl führte dazu, dass sich alle Parteien vor die Situation gestellt sahen, kurzfristig eine Wahlkampagne auf die Beine zu stellen. Während die Kampagnen sonst langfristig konzipierten Strategien folgen, mussten die Wahlkampfmaterialien diesmal gleichsam über Nacht erstellt werden. Die Diskussionen, die diese zum Teil hervorgerufen haben – wie zum Beispiel die oben angesprochene über die Farbwahl der Parteien, aber auch die Kritik an mancher Negativwerbung – könnten ein Indiz dafür sein, dass in der Eile nicht alles genügend durchdacht war. Abgesehen von der CDU haben 2005 alle Bundestagsparteien Plakatkampagnen konzipiert, die durch gleichbleibende Farben und andere Elemente ein einheitliches Bild vermittelten und so über die verschiedenen Serien hinweg die schnelle Identifikation der Partei zuließen. Die CDU hat zwar Orange zu ihrer Farbe erklärt, diese wurde jedoch für die Plakate kaum in größerem Stil eingesetzt und fand sich fast nur im Parteilogo wieder. Die Zahl der Serien, die für die Plakatkampagne der CDU bestimmt wurde und von denen mehrere nur durch ein oder zwei Motive besetzt sind, spiegelt die Heterogenität und eine gewisse Beliebigkeit im Plakatauftritt der Partei. Die CSU konnte 2005 wieder mit einem klaren Bayernbezug antreten, nachdem sie 2002 auf den Plakaten, ebenso wie in der Kampagne überhaupt, weitgehend auf die regionalen Bezüge verzichtet hatte, weil ein zu enger Landesbezug als ein Handicap für die bundesweite Akzeptanz des Kanzlerkandidaten aus Bayern gesehen werden musste. Die SPD trat mit einer neuen Farbe an, die auf Anhieb nicht als SPD-Farbe zu identifizieren war; die Diskussion, die die Wahl des hellen Umbra ausgelöst hat, sorgte jedoch dafür, dass die Farbe schnell mit der SPD-Kampagne verbunden wurde. Alle Parteien sind 2005 neben thematischen Kampagnen auch mit Kandidatenserien angetreten. Zwar stellen die Kandidatenposter einen Klassiker unter den Wahlplakaten dar, weil sie das Bild der Wahlkreiswerbung bestimmen, die durchgängige Personalisierung bei allen Parteien für die bundesweite Kampagne ist jedoch neu. Sie ist geradezu selbstverständlich bei den großen Parteien, die auch Kanzlerkandidaten nominieren und sich in der Kampagne dann auf diese konzentrieren. Auch die FDP pflegt die Personalisierung schon seit Jahrzehnten. Die Grünen haben sich nur zögerlich zu Kandidatenkampagnen entschlossen, hatten aber bereits im Bundestagswahlkampf 2002 Joschka Fischer durch Personality-Plakate unter den
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anderen Kandidatinnen und Kandidaten herausgestellt; 2005 war er in der bundesweiten Werbung der einzige Kandidat der Grünen, der auf Plakaten erschien. Schließlich zog auch die Linkspartei mit Kandidatenpostern in den Wahlkampf. Wenngleich Kandidatenposter auch für andere PDS-Politiker gedruckt wurden, waren bundesweit mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi doch die Spitzenrepräsentanten von WASG und PDS hervorgehoben. Als Standard der Personalisierungskampagnen ist das Portrait im Passbildformat verstehen, das heißt Kopfaufnahmen mit angeschnittener Schulterpartie und Blick in die Kamera, die Bewerbungsphotos gleichen. Brustaufnahmen, die es erlauben, Gesten der Hand zu integrieren, wie es die Schröder-Serie der SPD teilweise tat, vermitteln daneben einen weniger gestellten und daher stärker authentischen Eindruck des Kandidaten. Solche Studioaufnahmen im Passbildformat kennzeichnen die Kompetenzplakate der FDP, im Ansatz finden wir sie auch für Merkel, Schröder und Stoiber. Es ist, als ob sich die Parteien des Problems bzw. der Langeweile bewusst sind, die solche Photos ausstrahlen, sie entwickeln verschiedene Strategien zur Auflockerung und versuchen, Authentizität zu vermitteln, indem sie eine Hand (Stoiber), ein Mikrophon (Schröder) oder als Hintergrund eine verschwommene Straßenszene (Merkel) auf das Bild nehmen. Die Linke, die für ihre Kandidatenplakate Schwarz-Weiß-Photos einsetzte, begegnet dem Problem mit einer zum Teil sogar ausgeprägten Mimik ihrer Kandidatinnen und Kandidaten und ebenfalls, indem eine oder beide Hände mit ins Bild genommen werden. Lediglich für Joschka Fischer gab es ein solches Portraitphoto nicht. Den Kandidatenportraits zum Trotz erscheint die Plakatkampagne 2005 textlastig. Das gilt allen voran für die SPD, die bei ihrer Themen-Serie völlig auf Bilder verzichtete und eine minimalistische Gestaltung präsentierte, dies mit dem erklärten Ziel, das Programm wirken zu lassen. Das gilt auch für die Themen-Serie der FDP, die durch die aufdringliche gelbe Farbe jedoch nicht die zurückgenommene Eleganz der SPD-Plakate mit dem hellen Umbra hatte. Die Linke kombinierte ihre Kandidatenbilder mit längeren Textzitaten. Aus dem Rahmen fallen in dieser Hinsicht wiederum die Grünen, die ihre Themen immer auch ins Bild umsetzten. Was diesmal fast völlig fehlte, waren Reportage-Nachahmungen und Szenen aus dem Alltagsleben. Die wenigsten Plakate erzählten "eine Geschichte", weder über die Person auf dem Bild, noch über Themen und Ziele. Solche Plakate hatte es 1998 und 2002 häufiger gegeben; aus einer
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Untersuchung zu den Plakaten aus dem Bundestagswahlkampf 1998 wissen wir, dass eine derartige Gestaltung gut ankommt, weil sie emotional anspricht (vgl. Lessinger & Moke, 1999). Vielleicht fehlte in diesem Wahlkampf aber auch nur die Zeit zur Inszenierung von Authentizität, so dass die neue Offenheit und Gradlinigkeit eher aus der Not geboren als eine echte Strategie ist. Humor, der in der deutschen Wahlwerbung gerne dafür eingesetzt wird, Angriffe auf den politischen Gegner zu verkleiden, fand sich diesmal ebenfalls so gut wie gar nicht auf den Plakaten. Die Parteien setzten diese Strategie bevorzugt auf den Presseplakaten oder in Sonderwerbeformen ein, die keine bundesweite Verbreitung fanden. Was da zum Teil zu sehen war, hatte meist nicht mehr viel mit dem hintergründigen Humor aus früheren Wahlkämpfen zu tun, sondern setzte auf direkten Angriff. Nicht ganz klar ist allerdings, warum die Parteien gerade bei solchen Plakaten, die Aufmerksamkeit generieren könnten, so zurückhaltend sind und sie der Verbreitung durch Medienberichterstattung überlassen. Der nicht recht kalkulierbaren Wirkung von Negativwerbung jedenfalls können sie damit auch nicht entgehen. Literatur Alexander, M. (2005, 16. August). In der politischen Modefarbe der Saison. Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 43. Beckermann, A. (2005, 18. September). www. wahlkampfchance verpasst.de. Im Wahlkampf haben die Parteien die Möglichkeiten des Internets nicht genutzt. Welt am Sonntag. Abgerufen am 9. Mai 2006 von www.wams.de/data/2005/09/18/777345.html?prx=1 "Beiß in die wächsernde Kaulquappe". (2005, 27. Juli). Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 17. April 2006 von www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/554/57497/ Böhm, M. (2005, 23. Juni). Wahlwerbung aus dem Hut gezaubert. ZDF. Abgerufen am 25. November 2005 von www.zdf.de/ZDFheute/inhalt/10/0,3672,2326282,00.html Dillenburger, M., Holtz-Bacha, C., & Lessinger, E.-M. (2005). It's Yourope! Die Plakatkampagnen der Parteien im Europawahlkampf 2004. In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Europawahl 2004. Die Massenmedien im Europawahlkampf (S. 35- 64). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fahrenholz, P. (2005, 7. September). Blau, blau, blau. Süddeutsche Zeitung, S. 17. FDP (2005). Sie können Deutschland erneuern. Werbemittelkatalog zur Bundestagswahl 2005. o.O.
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Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005 Sandra Lieske
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Einleitung
Mit seiner Ankündigung von vorgezogenen Bundestagswahlen noch am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 trat Gerhard Schröder die Flucht nach vorne an. Er verlangte nach einer neuerlichen Legitimierung seiner rot-grünen Regierung, die seit der Bundestagswahl 2002 aus allen Landtagswahlen als Verlierer hervorgegangen war und mit der Niederlage in NRW auch die letzte rot-grüne Landesregierung verloren hatte (vgl. Jesse, 2006, S. 72). Die Bürger waren von diesem "NeuwahlCoup" (Feldenkirchen et al., 2005, S. 22) mehr als überrascht, für die politischen Parteien bedeutete er vor allem eines: in relativ kurzer Zeit ein überzeugendes Wahlprogramm auf die Beine zu stellen und den Wähler davon zu überzeugen. Grundsätzlich stehen die politischen Akteure in Wählkämpfen immer vor dem Problem, die Bürger zur Stimmabgabe zu bewegen. Und das gestaltet sich aufgrund der abnehmenden Bindungsstärke zwischen Parteien und Bürgern und der so bedingten "Flüchtigkeit" des Wählers immer schwieriger (vgl. Dörner, 2002, S. 25). Deswegen gehen Wahlen in Demokratien umfassende Aktivitäten der Parteien voraus, bei denen verschiedene Kommunikationsstrategien zum Einsatz kommen. Sie zielen darauf ab, in der täglichen Informationsflut die Aufmerksamkeit des einzelnen Bürgers für sich zu gewinnen und ihn vor allem zur Stimmabgabe zu bewegen. Ein Wahlkampfinstrument, dessen sich die politischen Parteien dabei bedienen, sind Anzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften, die im Fokus der vorliegenden Untersuchung standen. Radunski (1980, S. 109) bezeichnet Anzeigen auch als "Hauptwaffe des Wahlkampfes", da mit diesem Wahlkampfinstrument einige Vorteile verbunden sind. Als ihr wesentlicher Nutzen gilt, dass die Parteien hier Zeitpunkt und Inhalt der Kommunikation relativ gut kontrollieren können (vgl. Schmitt-Beck, 2002, S. 25). Als weitere Pluspunkte nennt die Literatur ihre
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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Flexibilität, ihr enormes Potential für eine intensive und zielgruppenspezifische Kommunikation, ihre hohe Reichweite und ihre Unabhängigkeit im Vergleich zu anderen Wahlkampfinstrumenten wie zum Beispiel Parteienspots im Fernsehen oder Wahlplakate (vgl. Radunski, 1980, S. 108-109). Doch ist mit Anzeigen auch der Nachteil verbunden, dass sie als politische Werbung vom Wähler erkannt werden (vgl. Radunski, 1980, S. 45; 1983, S. 136-137). Darüber hinaus halten sich die Medien in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Option offen, Anzeigen abzulehnen (vgl. HoltzBacha, 1996, S. 25; Lieske, 2005, S. 95). Und letztendlich kosten Anzeigen Geld, was je nach Art des Mediums, der Größe der Anzeige, ihrer Gestaltung (z. B. Farbigkeit) und ihrer Platzierung innerhalb des Mediums das Wahlkampfbudget der Parteien unterschiedlich stark belastet. Wie umfangreich die politischen Akteure Anzeigen als Werbemittel im Bundestagswahlkampf 2005 genutzt haben, welche Medien dabei als Werbeträger zum Einsatz kamen und welche gestalterischen und inhaltlichen Konzepte die Kampagnen kennzeichneten, waren die zentralen Forschungsfragen der vorliegenden Untersuchung. Dabei richtete sich der Schwerpunkt des Interesses auf Insertionen des "heißen Wahlkampfs", also auf politische Anzeigen, die in den letzten vier Wochen vor dem Wahltag am 18. September 2005 geschaltet wurden. Analysiert wurden dabei die Anzeigenkampagnen von CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis '90/Die Grünen und der Linkspartei sowie Insertionen privater Initiativen, die eine bestimmte Partei und/oder einen bestimmten Kandidaten unterstützt haben. Bevor die Befunde der Studie präsentiert werden, richtet sich im Folgenden zunächst der Blick auf einige empirische Ergebnisse, die Auskunft über die Bedeutung von Anzeigen als Wahlkampfinstrument in früheren Wahlkämpfen geben. Dies ist nicht nur sinnvoll, um die aktuellen Befunde einzuordnen. Aus ihnen ergaben sich auch Konsequenzen für das empirische Vorgehen dieser Untersuchung, das im Anschluss daran erläutert wird. 2
Wahlkampfanzeigen – Ein "Auslaufmodell" in der politischen Kommunikation?
Vieles deutet darauf hin, dass Anzeigen in Bundestagswahlkämpfen beziehungsweise in Wahlkämpfen allgemein zugunsten einer direkten und möglichst unkommentierten Kommunikationszeit im Fernsehen an Bedeutung
128
Sandra Lieske
verlieren, müssen die Parteien doch mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln haushalten. Dass die politischen Akteure vor allem seit dem Bundestagswahlkampf 2002 verstärkt auf so genannte "free media" setzen, also auf die unbezahlte Berichterstattung der Massenmedien, die mit dem Vorteil einhergeht, dass sie von den meisten Wählern auch gar nicht als Wahlkampf verstanden wird (vgl. Fengler & Jung, 2003, S. 174), belegt auch eine Untersuchung von Marion G. Müller (2002). Sie untersuchte die Parteienwerbung im Bundestagswahlkampf 2002 und befragte dafür die Wahlkampfleiter der Parteien SPD, CDU/CSU, Bündnis '90/Die Grünen, FDP und PDS auch nach der Bedeutung verschiedener Wahlwerbemittel, u. a. von Anzeigen in überregionalen, regionalen/lokalen Zeitungen, in Zeitschriften und Lifestyle-/Special-Interest-Magazinen. Dabei zeigte sich, dass Anzeigen im Vergleich zum Bundestagswahlkampf 1998 allgemein an Wichtigkeit einbüßten, für die FDP sogar ganz an Bedeutung verloren. Werbemittel wie Parteitage und die erstmals eingeführten TV-Duelle wurden hingegen von allen Parteien für relativ wichtig erachtet – insbesondere von den großen Parteien (vgl. Müller, 2002, S. 634). Auch unter längerfristiger Perspektive ist ein Bedeutungsverlust der Anzeige als Werbemittel festzustellen. Dies belegen die Befunde von Silke Keil (2003), die sich in ihrer Dissertation mit der Wahlkampfkommunikation in Wahlanzeigen und Wahlprogrammen in den Bundestagswahlkämpfen von 1957 bis 1998 auseinander gesetzt hat. So stellt die Autorin fest, dass in diesem Zeitraum die Anzahl der Anzeigen in den vier überregionalen Qualitätszeitungen Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Rundschau abgenommen hat. Doch betont sie ausdrücklich, dass diese Abnahme nicht zwangsläufig einhergehen müsse mit einer Bedeutungsabnahme von Wahlkampfanzeigen insgesamt, da Anzeigen aus Parteiensicht gerade in regionalen, lokalen oder Special-InterestZeitungen immer noch große Bedeutung zukäme (vgl. Keil, 2003, S. 351). Völlig unberechtigt ist Keils Vermutung nicht, wie eine frühere Untersuchung der Verfasserin (Lieske, 2005) über die Anzeigenkampagne zur Europawahl 2004 zeigt. In dieser Studie wurden die Medien FAZ, SZ, Bild, Spiegel, Stern und Focus sowie die Illustrierten Bunte und Gala für den Zeitraum der "heißen Wahlkampfphase" vier Wochen vor dem Wahltermin am 13. Juni 2004 systematisch nach Anzeigen durchsucht. Darüber hinaus wurden die Parteien selbst um Informationen über ihre Anzeigenkampagnen gebeten. Dabei zeigte sich, dass in den systematisch analysierten Medien
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
129
insgesamt nur sechs Insertionen vorgenommen wurden, und zwar ausschließlich in der Bild-Zeitung sowie der SZ (vgl. Lieske, 2005, S. 104). Die übrigen analysierten Medien spielten hingegen – übrigens anders als im Europawahlkampf 1999 – gar keine Rolle (mehr), dafür aber regionale Tageszeitungen und/oder spezielle Zielgruppenmedien und Stadtmagazine, wobei die Parteien recht unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Dennoch: Nur die CDU, CSU, SPD und die PDS griffen im Europawahlkampf 2004 überhaupt auf Anzeigen als Mittel der Wähleransprache zurück. FDP und Bündnis '90/Die Grünen verzichteten aus finanziellen Gründen komplett auf Insertionen (vgl. Lieske, 2005, S. 114-117). Vieles spricht also dafür, dass die Anzeige als Werbemittel im Wahlkampf insgesamt an Bedeutung verliert. Dennoch wäre es übertrieben, von ihr als einem "Auslaufmodell" im Wahlkampfinstrumentarium zu sprechen, da Parteien sie nach wie vor nutzen, allerdings unterschiedlich intensiv und verstärkt in regionalen Tageszeitungen und/oder Special-Interest-Magazinen. Diese Medien sind zwar auflagenschwächer, verlangen dafür aber für Insertionen weniger Geld. Gerade letzteres Argument dürfte auch im Bundestagswahlkampf 2005 nicht unerheblich gewesen sein, fielen doch die Wahlkampfbudgets bescheidener aus als 2002: Gaben Parteien wie die CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 2002 noch insgesamt 49 Millionen Euro 1 für ihren Wahlkampf auf Bundesebene aus (vgl. Müller, 2002, S. 630), waren es laut einem Bericht des Tagesspiegels im Wahlkampf 2005 nur 20 Millionen Euro (vgl. Agenturen und Budgets der Parteien, 2005). Und auch bei den anderen Parteien – mit Ausnahme der Grünen – war das Wahlkampfbudget 2005 kleiner als 2002, auch wenn bei ihnen der Rückgang nicht ganz so dramatisch ausfiel wie bei den Schwesterparteien CDU und CSU. Anzunehmen war daher, dass sich die Parteien auch im Bundestagswahlkampf 2005 vornehmlich auf kostengünstigere Werbeträger konzentriert hatten, wenn auch möglicherweise nicht ausschließlich. Immerhin stehen für Bundestagswahlen immer noch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als beispielsweise für einen Europawahlkampf.
1
40 Millionen Euro entfielen auf die CDU, neun Millionen Euro auf die CSU.
130 3
Sandra Lieske Die Untersuchungsanlage
Aus den angeführten Befunden ergaben sich Konsequenzen für die vorliegende Untersuchung, vor allem für das Verfahren der Datensammlung. Um unnötige "Fehlsuchen" zu vermeiden, wurden systematisch nur insgesamt vier Medien als Untersuchungsmaterial herangezogen. Dies waren die Qualitätszeitungen FAZ (exklusive Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und RheinMain-Zeitung) und SZ, die Boulevardzeitung Bild sowie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Schließlich war nicht auszuschließen, dass die FAZ und der Spiegel, obwohl sie im Europawahlkampf 2004 nicht als Werbeträger genutzt worden waren, im Bundestagswahlkämpfen immer noch von Bedeutung sind. Außerdem stellt die FAZ in ihrer redaktionellen Tendenz ein Gegengewicht zur SZ dar, so dass die Auswahl der Qualitätszeitungen das Meinungsspektrum von gemäßigt links bis gemäßigt rechts abdeckte. Neben der systematischen Suche wurden die Parteien oder – in Absprache mit diesen – die mit der Kampagne beauftragten Werbeagenturen auf telefonischem oder schriftlichem Wege kontaktiert, um an weitere Informationen zu gelangen. 2 Dabei wurde angefragt, ob im Bundestagswahlkampf 2005 überhaupt Anzeigen zum Einsatz kamen, und wenn ja, an welchen Tagen und in welchen Medien dies geschah. Verbunden war die Anfrage mit der Bitte, die Anzeigenmotive in digitaler Form zur Verfügung zu stellen, um die vorliegende Arbeit für den Leser anschaulicher zu gestalten. Erfreulicherweise kamen alle Ansprechpartner dieser Bitte nach. Allerdings konnten auf diesem Wege nicht alle Schalttermine oder genauere Informationen über die Platzierung der Anzeigen innerhalb der Medien ermittelt werden. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die letzten vier Wochen vor der Bundestagswahl am 18. September 2005, den so genannten "heißen Wahlkampf". Der Untersuchungszeitraum umfasste also die Spanne zwischen dem 22. August und dem 17. September 2005. Bei den systematisch durchsuchten Medien wurden somit jeweils sechs Zeitungsausgaben pro Woche durchgeschaut. Beim Spiegel flossen insgesamt fünf Ausgaben in die Analyse ein, da das Nachrichtenmagazin aus Anlass der Bundestagswahl statt montags ausnahmsweise am Samstag, den 17. September 2005, erschienen ist. 2
An dieser Stelle sei allen Ansprechpartnern für ihre Unterstützung herzlich gedankt.
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
131
Als Analyseeinheiten gelten die Einheiten des Untersuchungsmaterials, die untersucht werden sollen. In der vorliegenden Studie waren dies Anzeigen, die von den Bundesgeschäftsstellen 3 derjenigen politischen Parteien geschaltet wurden, die zur Bundestagswahl 2005 angetreten sind und den Einzug in den Deutschen Bundestag geschafft haben: CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis '90/Die Grünen und Linkspartei. Außerdem wurden, wie bereits erwähnt, Anzeigen analysiert, die nicht von den Parteien selbst geschaltet wurden, sondern die auf andere Urheber (z. B. Prominente, Bürgerinitiativen etc.) zurückgingen. Bei Durchsicht der Medien fiel auf, dass zahlreiche Wirtschaftsunternehmen die Bundestagswahl als Anlass nahmen, für sich oder für eines ihrer Produkte zu werben. Diese Anzeigen gingen nicht in die Analyse ein. Aufgrund des beschriebenen Vorgehens der Datensammlung war eine systematische Datenanalyse nur für die Anzeigen in der FAZ, SZ, BildZeitung und im Spiegel möglich. Diese Befunde wurden durch eine umfassende Betrachtung der durch die Parteien gelieferten Informationen ergänzt, so dass die Ergebnisse insgesamt keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Dieser Nachteil wurde dennoch bewusst in Kauf genommen, da durch dieses Verfahren eher ein Gesamtbild über die Anzeigenkampagnen zur Bundestagswahl 2005 erschlossen werden konnte, als dies eine ziel- und womöglich erfolglose Suche in allen möglichen Medien versprochen hätte. Aufwand und Nutzen dieses methodischen Vorgehens standen somit in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Ohnehin ist das Repertoire an Anzeigenmotiven der Parteien begrenzt, so dass sich, auch wenn das Untersuchungsmaterial noch so umfangreich ausgefallen wäre, nur wenige neue Anzeigenmotive gefunden hätten. Die Anzeigenanalyse hat sich an die empirische Methode der Inhaltsanalyse angelehnt, die nach einer Definition von Früh (1998, S. 25) der "… systematischen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen" dient. Grundsätzlich basiert die Inhaltsanalyse auf formalen und inhaltlichen Kategorien, die zunächst in einem Codebuch definiert werden. Darauf wurde jedoch in der vorliegenden Arbeit verzichtet. Um dennoch ein systematisches Vorgehen zu gewährleisten, wurden der Analyse formale und inhaltliche Merkmale zugrunde gelegt, die sich an den Typologisierungsmerkmalen von Anzeigen durch Neumaier 3
Im Fall der CSU war dies die CSU-Landesleitung München.
132
Sandra Lieske
(2003, S. 30-31) orientieren. Demnach wurde die beworbene Partei, der Urheber der Anzeige (Partei, Name/Art der Testimonials), ihr Erscheinungsdatum, das Werbeträger-Medium, die Platzierung des Motivs innerhalb des Mediums (Seitenzahl, Anordnung innerhalb der Seite, z. B. rechtes Eckfeld, unterer Bildrand etc.), die Größe der Anzeige (z. B. 2/1-Seite, 1/1Seite, ½-Seite, ¼-Seite), ihre Farbigkeit (z. B. schwarz-weiß, zwei-, drei-, vierfarbig) und ihre grafischen Elemente (z. B. Foto, Grafik, Logo) erfasst. Ergänzt wurde die Analyse der formalen Merkmale durch eine Betrachtung des Anzeigeninhalts. In Anlehnung an das Codebuch der Studie von Mechthild Kratz (1997) wurde zunächst analysiert, welche Strategien die Parteien in ihren Anzeigen verfolgten, ob beispielsweise eine Personenorientierung auf den/die Spitzenkandidaten/in oder eine Themenorientierung vorlag. Darüber hinaus wurde die Funktion der Anzeigen (z. B. reine Information, Angriff auf den politischen Gegner, Mobilisierung der Anhänger/Wähler, Zweitstimmenwerbung etc.), die darin angesprochenen politischen Themen (z. B. Wirtschaftspolitik, Außenpolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik etc.) sowie die Tendenz der Aussagen (z. B. positiv, negativ, Mischform, neutral) analysiert. 4 Darüber hinaus wurden die sprachliche Ausführung der Anzeigen (z. B. ausführliche Textpassen in ganzen Sätzen oder plakative Gestaltung in Schlagworten) sowie deren Stil erfasst (z. B. reiner Prosatext, reiner Zitattext, Text mit Zitat, Text mit direkter Anrede des Wählers). Die Analyse erfolgte als eine Art Einzelfallbetrachtung für jede Partei getrennt. An diesem Vorgehen orientiert sich auch die nachfolgende Präsentation der Befunde, die mit den Ergebnissen zur Anzeigenkampagne der politischen Parteien beginnt und mit denen der Unterstützergruppen endet – jeweils vom politisch rechten Lager ausgehend bis hin zum linken.
Dabei war eine positive Tendenz dann gegeben, wenn das Erreichte und/oder die politischen Ziele für die Zeit nach der Wahl dargestellt wurden. Eindeutig negativ war sie, wenn Versäumnisse des Gegners angeprangert oder zukünftige politische Konstellationen (z. B. Große Koalition, Regierungsbeteiligung der Linkspartei etc.) als Gefahr angekündigt wurden. Eine Mischform lag dann vor, wenn die Darstellung der eigenen Leistung mit der Darstellung der Versäumnisse des Gegners verknüpft wurde. Wertfreie Aussagen galten als neutrale Tendenz.
4
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005 4
133
Ergebnisse
Insgesamt lässt sich festhalten, dass jede im Bundestag vertretene Partei im Bundestagswahlkampf 2005 auf Anzeigen zurückgegriffen hat. Jedoch geschah dies in unterschiedlich starkem Maße und nicht zwangsläufig in überregionalen Medien. Dort inserierten vor allem die großen Parteien CDU und SPD – wenn auch nicht besonders häufig –, wobei die SZ für die SPD der beliebteste Werbeträger war, die Bild-Zeitung für die Christdemokraten. Für die CDU erschienen in den letzten vier Wochen vor der Wahl in den analysierten Medien insgesamt vier und für die SPD neun Anzeigen. Die Linkspartei inserierte in überregionalen Medien nur ein Mal, und zwar in der Süddeutschen Zeitung. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die formalen Anzeigenmerkmale, wobei die Präferenz der Parteien für die angeblich stärker beachtete rechte Zeitungsseite ins Auge fällt. Da die SPD bei den neun Schaltterminen sechs Motive einsetzte, belaufen sich die systematisch analysierten Anzeigenmotive auf elf Stück insgesamt. Bündnis '90/Die Grünen und die Bundes-FDP verzichteten nach eigenen Angaben komplett auf eine Anzeigenschaltung in überregionalen Tageszeitungen beziehungsweise im Spiegel und nannten dafür finanzielle Gründe. Sie belegten stattdessen regionale Tageszeitungen und SpecialInterest-Medien, die auch bei den übrigen Parteien beliebte Werbeträger waren. Die CSU griff zwar auf die SZ und die Bild-Zeitung als Werbeträger zurück, belegte dort aber aufgrund ihrer regionalen Verwurzelung nur die in Bayern erscheinenden Ausgaben. Außerdem warb sie in der Boulevardzeitung Bild am Sonntag. 4.1 Die Anzeigenkampagne der CDU Die CDU-Bundesgeschäftsstelle inserierte in der "heißen Wahlkampfphase" insgesamt vier Mal mit vier verschiedenen Motiven: ein Mal in der FAZ und weitere drei Male in der Bild-Zeitung, wobei man in Absprache mit der CSU auf eine Anzeigenschaltung in der Region Bayern, im so genannten "Nielsen IV-Gebiet", verzichtet hat. Im Spiegel erschienen gar keine Anzeigen, ebenso wenig in der SZ. Bei der CDU-Anzeigenkampagne sind grundsätzlich zwei Konzepte zu unterscheiden. So diente eine Anzeigenlinie primär der Unterstützung von
134
Sandra Lieske
Tabelle 1: Übersicht über die Merkmale von Anzeigen der Parteien mit überregionaler Reichweite im Bundestagswahlkampf 2005 Urheber
Werbeträger
Datum
Seite
CDU
Bild
09.09.
3
Bild
15.09.
5
Bild
16.09.
7
FAZ
16.09.
4
FAZ
27.08.
5
Bild
09.09.
13
Bild
15.09.
9
Bild
16.09.
11
SZ
27./28. 08.
5
SZ
07.09
9
SZ
09.09.
11
SZ
14.09.
9
SZ
17./18. 09.
9
SZ
14.09.
10
SPD
Linkspartei
Platzierung rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, Bildrand unten rechte Seite rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, rechtes Eckfeld rechte Seite, Bildrand unten rechte Seite, Bildrand unten
Größe
Farbe
¼-Seite
2c
¼-Seite
4c
½-Seite
4c
1/1-Seite
2c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
¼-Seite
4c
½-Seite
4c
371 x 114 mm
2c
Angela Merkel (Anzeige in Bild vom 9. September, Anzeige in der FAZ vom 16. September). Sie war in Grau und Orange gehalten, der Anfang 2004 neu eingeführten "Corporate Identity" der Bundes-CDU (vgl. "Beiß in die wächserne Kaulquappe", 2005), und mit der orangefarbenen Überschrift versehen: "Angela Merkel hat unsere Unterstützung". Den größten Anteil der Anzeige in Bild nahm dabei eine Namensliste von Unternehmern oder Funktionären ein; die FAZ-Anzeige (vgl. Abbildung 1) dominierte eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien von mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten aus den Gesellschaftsbereichen Wirtschaft, Sport, Film,
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
135
Kunst und Wissenschaft. Diese Personen waren Mitglied des so genannten "teAM 5 Zukunft", einem Team aus mehr als 30.000 Bürgerinnen und Bürgen, das im Wahlkampf 2005 ins Leben gerufen worden war und kräftig die Werbetrommel für die CDU und Angela Merkel rührte. Thematisch warben beide Anzeigen in einem relativ kurzen Text für den politischen Wechsel, "für mehr Wachstum, Arbeit und Sicherheit", wobei die Tendenz der Aussagen ausschließlich positiv ausfiel. Die Anzeige in Bild enthielt unten rechts den plakativen Aufruf: "Am 18. September den Neuanfang wählen!" Dieser Anzeigenstrecke kamen somit streng genommen zwei Aufgaben zu: zum einen die Funktion der Mobilisierung des Wählers, für einen politischen Kurs- beziehungsweise Regierungswechsel zu stimmen und auf diese Weise Angela Merkel zur Kanzlerschaft zu verhelfen, zum anderen die Funktion eines sich selbst verstärkenden Effekts. So dienten die Anzeigen nämlich auch dazu, die Aufmerksamkeit des Wählers auf ein anderes Wahlkampfinstrument zu richten und ihn unter Umständen als Unterstützer im "teAM Zukunft" zu gewinnen. Die zweite Anzeigenlinie nutzte die CDU für einen direkten Angriff auf die SPD beziehungsweise deren Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder. Durch das Design in Rot-Orange waren dieses Anzeigen ein echter "Hingucker", wobei die Wahl der Farbe Rot, mit denen die angriffslustigen Aussagen hinterlegt waren, sicherlich ganz bewusst gewählt worden war – gilt sie doch als Farbe der Sozialdemokratie. Die CDU sah da im wahrsten Sinne des Wortes rot. Formal handelte es sich um reine Textanzeigen, die allerdings in Textlänge und Stil differierten. So sprach die CDU in der BildAnzeige vom 15. September mit der plakativen Überschrift "Der Wahlbetrug der SPD" Gerhard Schröder direkt an und forderte: "Hören Sie auf, die Wähler zu belügen, Herr Schröder!" Dabei stellte sie in tabellarischer Form und relativ detailliert fünf "Schröder-Lügen" – Zitate des Bundeskanzlers – fünf Gegenargumenten der CDU ("Die Wahrheit") gegenüber. Zwischen der Alternative "Lüge" und "Wahrheit" zu wählen, machte die CDU dabei zu einer Schicksalsfrage für den Wähler, nämlich zu einer "Entscheidung für Deutschland" – einem Schriftzug, der links vom CDU-Logo angeordnet war.
Die hervorgehobenen Buchstaben "AM" stehen dabei für die Initialen der CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel.
5
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Sandra Lieske
Abbildung 1: CDU-Wahlplakat "Angela Merkel hat unsere Unterstützung"
Die Anzeige in der Bild-Zeitung vom 16. September war im Vergleich dazu wesentlich plakativer gestaltet, aber ähnlich angriffslustig im Tonfall. So warb sie mit der großformatigen Überschrift "7 Jahre Rot-Grün: Genug ist genug!", wobei die CDU stichpunktartig den Wählern versprach: " Aufschwung statt Abstieg î Verlässlichkeit statt leere Versprechen î Klaren Kurs statt Rot-Rot-Grün" (vgl. Abbildung 2). Mit dem Versprechen auf eine "bessere" Zukunft kritisierte die Partei in dieser Anzeige somit die rot-grüne Regierung für ihre Versäumnisse und zielte gleichzeitig darauf ab, die Angst der Bürger vor einer Regierungsbeteiligung der politischen Linken zu schüren. Die als relativ gering zu bezeichnende Anzahl der aufgefundenen CDUAnzeigen im "heißen Wahlkampf" täuscht darüber hinweg, dass die Partei 2005 deutlich mehr Anzeigen geschaltet hat und diesem Werbemittel immer noch relativ viel Bedeutung zumisst. Dies geht auch aus einer Mail des Lei-
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
137
ters Marketing und Kommunikation der CDU-Bundesgeschäftsstelle, Harald Walter, an die Verfasserin hervor, in der er den "sehr hohen Stellenwert" von Anzeigen für die CDU unterstreicht, weil man damit flächendeckend die Fähigkeit der CDU im Kernkompetenzfeld "Wirtschaft" demonstrieren könne. Tatsächlich inserierte die CDU nicht nur in anderen Medien als den analysierten, sondern startete ihre Anzeigenkampagne auch schon vor dem eigentlichen "heißen Wahlkampf". Abbildung 2: CDU-Wahlplakat "7 Jahre Rot-Grün: Genug ist genug"
So erschien bereits am 15. August in Bild ein Motiv mit einem direkten Angriff auf die SPD: "Deutschland zieht Bilanz. Dafür steht Rot-Grün: Tag für Tag 1.000 Arbeitsplätze weg." Zwei Tage später, am 17. August 2005, fuhr man eine weitere Attacke: "Alle 15 Min. eine Firmenpleite." Am 19. August 2005 folgte der dritte Angriff: "Die Renten werden jetzt auf Pump bezahlt." Alle Motive setzten damit auf plakative kurze Aussagen, waren grafisch als eine Art Karteikarte aufgemacht und folgten dem rot-orangefarbenem Design der "Angriffskampagne". Dabei dominierte Rot als Hintergrundfarbe; Orange fand sich lediglich unten links in einer Art "Aufkleber" wieder, auf dem die CDU mit der Aussage "Deutschland braucht den Wechsel" die Konsequenz aus ihrer Regierungskritik zog. Thematisch berührten diese
138
Sandra Lieske
Anzeigen die Themenfelder Wirtschafts- und Rentenpolitik, wobei auch sie den Wählern das Versagen der rot-grüne Regierung vor Augen führten sollten. Kurz vor der Wahl, am 14. September, erschien aus der gleichen Linie ein weiteres Motiv in allen regionalen Zeitungen Deutschlands (außer in Bayern), unter anderem auch in der FAZ-Rhein-Main-Zeitung auf Seite 51 (4c, ¼-Seite). Hier warb die CDU unter der Überschrift "Aufschwung statt Abstieg" in einem relativ ausführlichen Anzeigentext für ihre Kernkompetenz in Wirtschaftsfragen und formulierte dort fünf politische Vorhaben. So erfuhr der Wähler, dass die CDU sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland stark mache und Bürokratie abbaue sowie Familien steuerlich entlasten wolle. Außerdem werde man, so der Anzeigentext, Wachstum fördern, um die Sozialkassen zu sichern und Rentenkürzungen zu verhindern. Dabei versäumte die Partei es auch hier nicht, in einem einleitenden Satz die Versäumnisse von Rot-Grün auf dem Feld der Wirtschafts- und Rentenpolitik anzuprangern und vor einem Linksrutsch zu warnen. Darüber hinaus inserierte die CDU, dieses Mal mit Motiven aus der Linie der grau-orangefarbenen Unterstützer-Anzeigen, in der Bild am Sonntag (11. September, 2/1-Seite), in den Illustrierten Gala (15. September, 1/1Seite), Freizeit Revue (14. September 2005, 1/1-Seite) und Super Illu (15. September, 1/1-Seite), in der Sportzeitschrift Kicker (15. September, 1/1-Seite) sowie der überregional verbreiteten Tageszeitung Die Welt (15. September, 1/2-Seite). 6 Dabei waren die Fotos der prominenten Unterstützer an die jeweilige Zielgruppe angepasst, so dass beispielsweise im Kicker prominente Sportler der Kanzlerkandidatin ihre Unterstützung zusagten (u. a. Gunda Niemann-Stirnemann, Berti Vogts), in der Welt 20 Bürgermeister deutscher Städte. Drei weitere Anzeigenmotive der CDU fallen formal aus den beiden Anzeigenlinien heraus. So schaltete die CDU in EMMA (Nr. 5/2005, S. 61) eine vierfarbige ganzseitige Anzeige, wobei sie allein die Persönlichkeit ihrer Kandidatin für sich sprechen ließ. So war dort das Porträt einer freundlich lächelnden Angela Merkel zu sehen in Verbindung mit dem relativ kleinen Schriftzug "Deutschlands Chancen nutzen.". Auf einen Hinweis auf die Partei durch das Parteilogo verzichtete das Motiv völlig (vgl. Abbildung 3).
6
Informationen über die Platzierung der Anzeigen innerhalb der Medien liegen nicht vor.
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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Abbildung 3: CDU-Wahlplakat "Deutschlands Chancen nutzen"
Die Tatsache, dass die CDU im Bundestagswahlkampf 2005 die erste Kanzlerkandidatin der Bundesrepublik Deutschlands stellte, nutzte die Partei somit für eine gezielte Ansprache der weiblichen Wählerschaft. Mit einem weiteren Motiv – einer Graslandschaft unter blauem Himmel, in der gerade noch das Dach eines gelben Autos zu erkennen ist – warb die CDU in den Naturschutzblättern (Nr. 4/2005) für ihre Umweltpolitik. Und schließlich erschienen CDU-Anzeigen im Vorfeld der Nachwahl im Dresdner Wahlkreis I, die durch den Tod einer NPD-Kandidatin erzwungen worden war und am 2. Oktober 2005 schließlich stattfand. Dort warb die Partei mit dem Porträt des Altkanzlers Helmut Kohl, der als Symbolfigur für die Wiedervereinigung Deutschlands die Dresdner Bürger direkt ansprach und um die Abgabe der Erststimme für den CDU-Abgeordneten Andreas Lämmel bat. Mit der Erwähnung der Dresdner Frauenkirche "als Symbol für Frieden,
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Aussöhnung und Freiheit" sollten dabei positive Erinnerungen an die Zeit der Wende geweckt werden, wobei die Authentizität der Aussage durch die Unterschrift Kohls unterstrichen wurde. Auf Sachargumente verzichtete diese Anzeige komplett, ebenso wie auf das CDU-Logo. Das Motiv erschien am 30. September 2005 als viertelseitige, vierfarbige Anzeige in der Dresdner Morgenpost, der Sächsischen Zeitung und der Bild-Zeitung Dresden. 4.2 Die Anzeigenkampagne der CSU Auf eine bundesweite Anzeigenkampagne hat die CSU erwartungsgemäß verzichtet. Somit finden sich in den bundesweit erscheinenden Ausgaben der vier analysierten Medien keine Anzeigen. Allerdings spielen Anzeigen für die CSU als Wahlkampfinstrument nach wie vor eine Rolle, und auch die Süddeutsche Zeitung und die Bild-Zeitung kamen dabei zum Einsatz. Nach Angaben der CSU-Landesleitung erschienen hier insgesamt drei Motive an drei Tagen (10., 14. und 17. September 2005) 7 . Allerdings wurden dabei nur die in Bayern erscheinenden Ausgaben der Zeitungen belegt. Zudem inserierte die CSU mit diesen Motiven in regionalen Tageszeitungen in Bayern, außerdem am 11. September und am eigentlichen Wahltag in der Bild am Sonntag (BamS). 8 Das erste Anzeigenmotiv, das als hochformatige Eckfeldanzeige am 10. September in Bild erschien und am 11. September sogar eine komplette Seite in der BamS einnahm, setzte auf die Wirkung von wenig Text und einem auffälligen grafischen Element, das die in weißer Schrift deutlich hervorgehobene und im Übrigen einzige Aussage symbolisierte: "Aufschwung statt Abstieg". So war in der Mitte der Anzeige ein schwarzer, nach oben gerichteter Aufzugknopf und ein entgegengesetzter rot-grüner Pfeil zu sehen – eine Anspielung auf die rot-grüne Regierung, die die CSU damit indirekt angriff. Der Anzeigenhintergrund war im CSU-Blau gehalten – einer Farbe, die alle drei Anzeigenmotive dominierte. Die Bildfläche wurde durch einen schwarz-rot-goldenen Streifen, der Deutschland-Fahne, nach links hin begrenzt. In der oberen linken Anzeigenecke und somit gegenüberliegend vom CSU-Logo fand sich der kleinere Schriftzug: "Entscheidung am 18. September". Wie die CSU den propagierten Aufschwung erreichen wollte, blieb für 7 8
Angaben über die Platzierung innerhalb des Mediums liegen nicht vor. Angaben über die Platzierung innerhalb des Mediums liegen nicht vor.
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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den Betrachter allerdings offen, da dieses Motiv auf sachliche Argumente verzichtete. In dieser Hinsicht deutlicher wurde die hochformatige Eckfeldanzeige der CSU vom 14. September in Bild und der Süddeutschen Zeitung, nahm sich doch dort die sprachliche Gestaltung wesentlich detaillierter aus und darüber hinaus auch positiver. Formal war die Anzeige in zwei Hälften geteilt, wobei die obere Bildhälfte zwei Fotografien einnahmen: die Abbildung eines zufrieden auf seinen Gesellen blickender Handwerkers sowie das Bild einer glücklichen Familie (vgl. Abbildung 4). Beide Personengruppen waren mit einer Art Aufkleber als "Gewinner" gekennzeichnet, wobei die Bilder nach unten hin durch einen halbrunden, aufwärts gerichteten blauen Pfeil, dem Symbol für den Aufschwung, abgetrennt waren. Die untere Hälfte der Anzeige war dem Text vorbehalten, der unter der Überschrift stand: "Damit es endlich wieder aufwärts geht." Hier nannte die CSU sechs konkrete politische Vorhaben aus ihrem Wahlprogramm für die Bereiche Arbeitsmarktpolitik, Familien- und Europapolitik (u. a. Eingangssteuersatz von 12 Prozent, Kinderbonus von 50 Euro bei der Rente, Nein zur Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU). Um diese Pläne verwirklichen zu können, fordert die Partei am unteren linken Bildrand: "Deshalb am 18. September den Wechsel wählen." Im dritten, ebenfalls vierfarbigen Motiv, das am 17. September in der Bild-Zeitung und der SZ als rechte Eckfeld-Anzeige erschien und am 18. September in der BamS eine komplette Zeitungsseite einnahm, griff die CSU wieder auf eine plakative Gestaltung zurück und forderte knapp "Weg mit Rot-Grün". Dabei fiel die Anzeigenüberschrift durch ihre schräge Anordnung und den schwarz-rot-grünen Schriftzug besonders ins Auge. Die Anzeige diente vor allem der Mobilisierung der Anhänger, für ein Ende von Rot-Grün zu sorgen. So wurden diese in zwei kurzen Sätzen aufgefordert, beide Stimmen der CSU zu geben und dadurch Bayern in Berlin stark zu machen. Vom Design her folgte die Anzeige den ersten beiden Motiven. So dominierte auch hier das CSU-Blau, wobei der halbrund verlaufende, aufwärts gerichtete Pfeil als Symbol für den Aufschwung nicht fehlte.
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Abbildung 4: CSU-Wahlplakat "Damit es endlich wieder aufwärts geht"
4.3 Die Anzeigenkampagne der FDP Die FDP griff im Bundestagswahlkampf 2005 ebenfalls auf Anzeigen zurück – aus finanziellen Gründen allerdings nur in geringem Umfang, so die Auskunft der Bundesgeschäftsstelle der Liberalen. In den systematisch analysierten Medien erschienen auf Initiative der Partei gar keine Anzeigen. Nach Auskunft der Partei wurde nur eine Anzeige bundesweit geschaltet, und zwar in der letzten Ausgabe von Focus vor der Bundestagswahl 2005. Mit dem gleichen Motiv inserierte die FDP kurz vor der Wahl ein Mal in regionalen Tageszeitungen (Ruhr-Nachrichten, Kölnische Rundschau, Mitteldeutsche Zeitung, Rhein-Zeitung, Westfälischer Anzeiger, Münchner Merkur, HNA, Tagesspie-
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
143
gel, Bonner General-Anzeiger) und Boulevardzeitungen (TZ, Kölner Express). 9 Dabei handelte es sich um eine hochformatige Schwarz-Weiß-Anzeige mit Fotografien und Zitaten von zwölf prominenten Testimonials (u. a. HansOlaf Henkel, Hans-Hermann Tiedje, Luger Beerbaum, Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe), die darin erklärten, warum sie ihre Zweitstimme der FDP geben würden. Mit wenigen Ausnahmen folgten alle Promi-Statements einer positiven Tendenz, wobei ihnen der Wunsch nach einem Politikwechsel durch eine schwarz-gelbe Koalition gemein war. Nicht ohne Grund stand die Anzeige auch unter der Überschrift: "Wer Schwarz-Gelb will, wählt Zweitstimme FDP." (vgl. Abbildung 5) Abbildung 5:
FDP-Wahlplakat "Wer Schwarz-Gelb will, wählt Zweitstimme FDP"
9 Verlässliche Angaben über die jeweiligen Schalttermine und die Platzierung der Anzeigen innerhalb der Medien liegen nicht vor.
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Darüber hinaus inserierten die Liberalen in zwei Special-Interest-Medien: in Der Selbständige, dem offiziellen Organ des Bundesverbands der Selbständigen/Deutscher Gewerbeverband e.V. (Ausgabe 4/2005, S. 4-5), sowie in der Zeitschrift Naturschutzblätter (Ausgabe 4/2005, S. 2). In beiden Zielgruppenmedien erschien das gleiche vierfarbige querformatige Motiv, mit dem die FDP unter dem Motto "Steuern runter: Arbeit rauf!" um die Zweitstimme der Wähler warb. Formal handelte es sich dabei um eine reine Textanzeige, wobei sich die blauen Lettern auf dem gelb dominierten Anzeigenhintergrund deutlich abhoben. Das politische Hauptthema der FDP im Wahlkampf, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, wurde dabei unter den Schlagworten "Mehr Selbstvertrauen für Innovationen", "Mehr Anreize für Investitionen" und "Mehr Chancen für Deutschland" inhaltlich kurz erläutert. So informierte die Partei den Wähler darüber, das Steuerrecht zu vereinfachen und die Steuersätze zu senken, außerdem den Kündigungsschutz zu lockern und Bürokratie abbauen zu wollen. Darüber hinaus warb sie um die Gunst der Wähler, damit Deutschland durch mehr Forschungsfreiheit und mehr Chancen auf eine qualifizierte Ausbildung wieder wettbewerbsfähig werde. Im rechten oberen Eck befand sich außerdem der Hinweis auf eine kostenpflichtige Informationshotline der FDP, unten rechts der Link zum Internetauftritt der Partei. Somit kam der Anzeige die Funktion zu, den Wähler – wenn auch in verkürzter Form – über Programminhalte und weitere Informationsquellen der FDP zu unterrichten und ihn zur Abgabe seiner Zweitstimme zu mobilisieren. Von direkten Angriffen auf den politischen Gegner oder einzelne Personen sahen die Liberalen ab, so dass die Tendenz der Anzeige ebenfalls als positiv zu bezeichnen ist.
4.4 Die Anzeigenkampagne der SPD Die SPD inserierte im "heißen Wahlkampf" in den analysierten Medien insgesamt neun Mal mit sechs verschiedenen Motiven. Doch schaltete die Partei Anzeigen bereits vor dem "heißen Wahlkampf", nämlich am 6./7. August in der SZ sowie am 20. August in der FAZ. Außerdem nutzte die SPD nach Auskunft der Düsseldorfer Agentur Butter, die mit der Kampagne beauftragt worden war, neben den analysierten Medien noch weitere Werbeträger und inserierte kurz vor der Wahl in regionalen Tageszeitungen,
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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in der Qualitätszeitung Frankfurter Rundschau sowie den türkischsprachigen Zeitungen Hürriyet und Milliyet. Darüber hinaus betrieben die Sozialdemokraten eine eigens auf die neuen Bundesländer gemünzte Anzeigenkampagne und belegten dabei unter anderem die letzten fünf Ausgaben der ostdeutschen Illustrierten Super Illu (Nr. 34-38/2005). Eine auf die Zielgruppe der Frauen zugeschnittene Anzeige erschien ferner in EMMA (Nr. 5/2005, S. 32-33). Zudem inserierte die SPD in der im Saarland erscheinenden Ausgabe der Bild-Zeitung sowie am eigentlichen Wahltag in der Boulevardzeitung Bild am Sonntag. Von der Gestaltung her folgten alle Motive dem gleichen Design. So war der obere Teil der Anzeige entweder Fotografien oder Grafiken vorbehalten, der untere Teil dem jeweiligen Anzeigentext, wobei unten links immer das SPD-Logo mit dem Claim "Vertrauen in Deutschland." und unten rechts stets in kleiner schwarzer Schrift die Internetadresse der SPD zu sehen war. Fast immer warb die SPD mit einem Slogan, der links vom Parteilogo stand. Dieser lautete entweder: "Damit unser Land sozial bleibt. Am 18. September: SPD" oder "Damit Gerhard Schröder Bundeskanzler bleibt. Beide Stimmen für die SPD." Der Anzeigenhintergrund war bei allen Anzeigen in Umbra gehalten, so dass sich das rote SPD-Logo und die schwarzweißen beziehungsweise roten Textelemente deutlich davon abhoben. Inhaltlich ist in den SPD-Anzeigen eine Themenorientierung in Verbindung mit einer Personenorientierung auszumachen, denn fast immer wurden die Aussagen mit der Persönlichkeit des Kanzlers und/oder seiner Herausforderin verknüpft. So attackierte die SPD die Opposition, insbesondere die CDU/CSU, für ihre "unsozialen" Steuerpläne und die von Angela Merkel betriebene "Miesmacherei" des Standorts Deutschland, um sich gleichzeitig mit Hilfe der Persönlichkeit Gerhard Schröders als soziale und wirtschaftspolitisch kompetente Partei darzustellen. So erschien beispielsweise am 27. August in der FAZ eine Anzeige mit Zitaten deutscher und internationaler Pressestimmen, in denen die Reformerfolge der SPDRegierung gelobt wurden. Diese durchweg positiven Aussagen wurden dem pessimistischen Zitat der CDU-Kanzlerkandidatin gegenübergestellt: "Noch nie ging es Deutschland so schlecht wie heute." (vgl. Abbildung 6) Im Anzeigentext, der mit der Überschrift "Keine Chance den Miesmachern! Deutschland ist auf dem richtigen Weg." eingeleitet wurde, erfuhr der Wähler von den Erfolgen der SPD: der seit Februar 2005 gesunkenen Zahl an Arbeitslosen und dem "brummenden" Export. Darüber hinaus informierte
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die SPD den Wähler darüber, dass die Oppositionsparteien auf die schlechten Zahlen angewiesen seien, "um ihre ungerechten neoliberalen Vorhaben zu rechtfertigen", und dass Angela Merkel nicht geeignet sei, das Land zu führen. Dies sei nur mit Gerhard Schröder möglich, so das abschließende Fazit: "Bundeskanzler Gerhard Schröder erneuert Deutschland und erhält den sozialen Zusammenhalt." Abbildung 6: SPD-Wahlplakat "Keine Chance den Miesmachern!"
Auch an anderer Stelle präsentierte die SPD Gerhard Schröder als Garant für eine sozial gestaltete, friedvolle und die Wirtschaft vorantreibende Politik. In der SZ-Anzeige vom 17./18. September, in der unter dem Porträt des Kanzlers und den Schlagworten "Kraftvoll.", "Mutig.", "Menschlich." der Einsatz Schröders für die Erneuerung Deutschlands und sein Widerstand gegen den Irak-Krieg gelobt wurden, wandte sich Gerhard Schröder mit einem ausführlichen Brief sogar direkt an die Wähler. Er verwies darin nicht
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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nur auf den Beginn "der dringend notwendigen Erneuerung" Deutschlands, sondern kritisierte die Oppositionsparteien gleichzeitig für ihre Blockadehaltung in der Vergangenheit. Darüber hinaus warnte er die Wähler eindringlich vor den "Rückschritten", die mit den Steuerplänen der CDU/CSU verknüpft seien, um schließlich den Wähler um die Abgabe beider Stimmen zu bitten. Inhaltlich ähnlich gestaltete sich auch das Anzeigenmotiv vom 14. und 15. September in Bild und der SZ, in der ebenfalls die an die Kandidaten geknüpfte Kontrastierung von "wirtschaftlicher Vernunft" und "sozialer Gerechtigkeit" auf der einen und wirtschaftlicher Unvernunft und sozialer Härte auf der anderen Seite zu beobachten war. So warb die SPD dort mit einem Porträt des Kanzlers und der Überschrift: "Gerhard Schröder muss Kanzler bleiben!". Darunter wurde der Wähler mit emotionalisierenden Schlagworten über die Vorzüge der SPD im Vergleich zur CDU informiert. So konnte man dort unter anderem lesen, dass die SPD für "soziale Marktwirtschaft" und "faire Steuern" stehe, dem Bürger bei CDU/CSU hingegen der "Kirchhof-Kahlschlag" und eine "höhere Mehrwertsteuer" drohe. In der letzten Zeile reduzierte die SPD die Gegenüberstellung von sozialer Gerechtigkeit und Härte auf die Namen ihres Kandidaten und den der Herausforderin. Einen willkommenen Anlass für einen weiteren Angriff auf die CDU/CSU bot Paul Kirchhof, den die Christdemokraten im Wahlkampf als ihren "Supermann" und Anwärter auf das Amt des Finanzministers präsentiert hatten, der aber mit seiner Vision eines Einheitssteuersatzes von 25 Prozent und dem Wegfall aller Steuersubventionen und Abschreibungsmöglichkeiten selbst in den eigenen Reihen für reichlich Diskussionsstoff sorgte (vgl. Neubacher, Neukirch, Pfister & Schult, 2005). Kirchhofs Pläne, die zwar im Wahlprogramm von CDU und CSU in dieser Form gar nicht verankert waren, nutzten die Sozialdemokraten gezielt, um den Wählern die "unsozialen" Steuerpläne von CDU/CSU, durch die Reiche entlastet und sozial Schwächere belastet würden, vor Augen zu führen. So erschien unter anderem am 9. September in der SZ und der Bild-Zeitung ein Anzeigenmotiv mit der Überschrift "Radikal unsozial: Kopfpauschale, Kirchhof-Steuer, Mehrwertsteuer." Im oberen Teil der Anzeige waren drei Fotos von "CDU/CSU-Verlierer" zu sehen, wobei der relativ ausführliche Anzeigentext vor den Steuerplänen der Opposition warnte und gleichzeitig für eine
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gerechte Zukunft unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders warb (vgl. Abbildung 7). Ein ähnliches Motiv erschien am 7. September in der SZ. Abbildung 7: SPD-Wahlplakat "Radikal unsozial"
Den oberen Teil der Anzeigenfläche nahmen dort vier Fotos ein von Personen, die die SPD als Paradebeispiel für die "Verlierer" und "Gewinner" der CDU/CSU-Pläne präsentierte. So waren dort eine vierköpfige Familie, eine Krankenschwester, ein Rentnerehepaar sowie ein Unternehmensberater zu sehen, für die in einem schräg stehenden Textfeld jeweils die Summe des "Merkel-Minus" beziehungsweise "Merkel-Plus" aufgeführt waren – ohne allerdings anzugeben, ob es sich dabei um das Jahres- oder Monatsminus handelte. Wie die SPD zu ihren Ergebnissen gekommen war, erfuhr der Betrachter erst im weiter unten stehenden Anzeigentext, der – basierend auf den angeblichen Plänen von CDU/CSU – vier Rechenexempel enthielt und
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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der mit den Worten eingeleitet wurde: "Den meisten Menschen ginge es schlechter mit CDU/CSU. Und ihnen?" Darüber hinaus wurde der Wähler aufgefordert, sich auf den SPD-Internetseiten über seine "persönlichen Konsequenzen" zu informieren und am 18. September SPD zu wählen – "Damit unser Land sozial bleibt." 10 4.5 Die Anzeigenkampagne von Bündnis '90/Die Grünen Bündnis '90/Die Grünen haben im Bundestagswahlkampf 2005 auf eine Insertion in den analysierten Medien komplett verzichtet. Dennoch wurden laut Angaben der Bundesgeschäftsstelle der Grünen vier Anzeigenmotive gestaltet, mit denen in sehr begrenztem Umfang geworben wurde. Als Werbeträger entschied man sich dabei für die Berliner Tagespresse, die taz sowie die Frauenzeitschrift EMMA. 11 Die Motive, die in Berlin und der taz geschaltet wurden, folgen inhaltlich und formal einem einheitlichen Konzept; die Anzeige in EMMA fällt formal heraus. Bei den in Berlin inserierten Motiven handelte es sich um vierfarbige hochformatige Anzeigen, bei denen die Farbe Grün dominiert und die sich durch eine plakative Gestaltung auszeichnen. Auf einem quer verlaufenden gelben Balken im unteren Drittel der Anzeige warb die Partei jedes Mal für die Zweitstimme der Wähler. Unten rechts war jeweils das Logo der Grünen zu sehen, zwei Mal mit dem Claim "JA zu Grün", einmal mit dem Zusatz "Berlin wählt Grün". Thematisch stand bei allen drei Motiven die von den Grünen befürchtete Große Koalition im Mittelpunkt, wobei die Folgen dieser politischen Konstellation unterschiedlich drastisch demonstriert wurden. In der taz-Anzeige, die unter der Überschrift "Nie wieder GROSSE KOALITION!" stand, war beispielsweise das Foto des erschossenen Benno Ohnesorg zu sehen, der zur Zeit der ersten Großen Koalition Ende der 1960er-Jahre bei einer Studentendemonstration erschossen worden war. Dieses Anzeigenmotiv erschien laut Auskunft der Agentur Butter in abgewandelter Form auch in der Illustrieren Super Illu, und zwar im Rahmen der SPD-Anzeigenkampagne für den Osten. Hier waren ausschließlich "Verlierer" abgebildet, wobei das Beispiel des Unternehmensberaters durch eine Studentin und die vierköpfige Familie durch einen Facharbeiter ersetzt und der Anzeigentext entsprechend abgeändert worden war. 10
11 Informationen über Schalttermine und Platzierung der Anzeigen innerhalb der Medien liegen ebenso wenig vor wie Angaben über ihre Größe.
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Dieses Bild stand somit als Symbol für die negativen Folgen einer Großen Koalition, so dass die Anzeige die Funktion einer Warnung übernahm. Sachliche Argumente fehlten hier völlig. Die Funktion einer Wählerwarnung übernahm auch die vierfarbige Anzeige in EMMA (Nr. 5/2005), die dort ganzseitig auf Seite fünf und somit relativ weit vorne erschien. Allerdings konzentrierte sich die Anzeige zielgruppengerecht auf ein spezielles Frauenthema, nämlich auf die Diskriminierung der Frau, die die Grünen der CDU/CSU vorwarfen. Auf den ersten Blick erweckte die Anzeige den Eindruck einer CDU-Anzeige, da dort ein Gruppenfoto der fünf CDU/CSU-Spitzenpolitiker Stoiber, Rüttgers, Wulff, Müller und Koch zu sehen war, die begeistert in die Hände klatschen. Außerdem informierte ein im CDU-Orange gestaltetes Textfeld, das sogar mit dem CDU-Logo versehen war, den Betrachter darüber, warum sich die Herren so freuen. So bekam man dort zu lesen: "Wir haben eine Kanzlerkandidatin – und ihr könnt wieder an den Herd!" Unten rechts wurde der Wähler in einem grün hinterlegten Textfeld mit der Überschrift "Kleine Warnung" relativ ausführlich darüber informiert, wie die Union eine Gleichstellung von Mann und Frau verhindern wolle. Ohne Sachargumente, sondern mit dem einfachen Hinweis, dass Frauen eine bessere Politik verdient hätten, forderten die Grünen weiblichen Wähler schließlich auf, "JA zu Grün" zu sagen (vgl. Abbildung 8). 4.6 Die Anzeigenkampagne der Linkspartei Für die Linkspartei wurde in den systematisch analysierten Medien eine Anzeige gefunden. Das zweifarbige Motiv, das am 14. September in der SZ geschaltet wurde, ist grob in zwei Felder untergliedert, wobei links eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Oskar Lafontaine zu sehen ist, der zusammen mit Gregor Gysi als Spitzenkandidat der Partei fungierte. Der rechte und etwas größere Teil der Anzeigenfläche ist dem Text, dem Parteilogo "Die Linke." und der Angabe der Internetadresse der Linken vorbehalten, wobei sich die weißen Buchstaben vom roten Anzeigenhintergrund deutlich abheben. Ein weißer schräg stehender "Aufkleber" in der Mitte der Anzeige wirbt mit der Aussage "Zweitstimme ist Oskarstimme!", so dass die Anzeige vor allem die Funktion einer Zweitstimmenwerbung übernahm. Ausführliche Informationen über die Vorhaben der Linkspartei liefert sie dem Wähler
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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Abbildung 8: Grünen-Wahlplakat "Kleine Warnung"
jedenfalls nicht. So erfuhr der Betrachter durch die Überschrift nur, dass die Linkspartei "Familienpolitik sozial gestalten" wolle, und was eine sozial gestaltete Familienpolitik aus Sicht der Partei ausmacht: "Bezahlbare Kitaplätze und Freizeitangebote, gute Schulen, Arbeit und trotzdem Zeit für Kinder …" (vgl. Abbildung 9). Dass sich nur eine Anzeigenschaltung in den analysierten Medien für die Linkspartei findet, täuscht darüber hinweg, dass sie von allen kleineren Parteien dieses Werbemittel im Bundestagswahlkampf 2005 am intensivsten genutzt hat. So inserierten die Linken nach Auskunft der Agentur DiG/Plus Berlin mit unterschiedlichen Motiven in Special-Interest-Magazinen (u. a. Konkret, Berliner Lehrerzeitung, EMMA, Jüdische Allgemeine, Verdi Publik, Neues Deutschland), in den fremdsprachigen Medien Kurier Berlinski Polonica, Evrensel, Russjaka Germania, in den Stadtmagazinen Tip Berlin, Hamburg Pur, Auspuff
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Rhein-Main, Events Postdam sowie in regionalen und lokalen Tageszeitungen (u. a. Märkische Oderzeitung, Kieler Nachrichten, Berliner Abendblatt, Märkische Allgemeine, Saarbrücker Zeitung, Mannheimer Morgen, Wochenkurier Sachsen). Einige regionale Tageszeitungen belegte sie sogar mehrfach hintereinander, so zum Beispiel das Berliner Abendblatt, die Berliner Zeitung sowie die Saarbrücker Zeitung. Ein Veranstaltungshinweis erschien zudem in der Frankfurter Rundschau. Somit lässt sich feststellen, dass die Linkspartei von den kleineren Parteien die wohl umfangreichste Anzeigenkampagne betrieben hat – zumal bei fast jeder Insertion ein anderes Motiv zum Einsatz kam. 12 Abbildung 9: Wahlplakat der Linken "Familienpolitik sozial gestalten"
Bei den Anzeigenmotiven der Linkspartei lassen sich grob zwei Konzepte unterscheiden. So zeichnete sich eine Linie durch eine themenorientierte Strategie und eine besonders plakative Gestaltung aus. Diese Motive erschienen vorwiegend in Special-Interest-Magazinen, den Stadtmagazinen und den fremdsprachigen Medien. Die zweite Anzeigenlinie, zu der auch das oben beschriebene Motiv zu zählen ist, kennzeichnete eine personen- und themenorientierte Strategie mit Schwarz-Weiß-Fotografien der jeweiligen Direktkandidaten oder der beiden Spitzenkandidaten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Aufgrund der besonderen Situation, dass die WASG mit Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat auf den Listen der Linkspartei zur Wahl angetreten war und die Linken somit über zwei Spitzenkandidaten verfügte, wurden diese teilweise auch gemeinsam abgebildet, meist in Kombination mit der Überschrift "Zwei Stimmen, eine Idee" und einem kurzen Vollständige Angaben über Schalttermine, Größe und Platzierung der Anzeigen innerhalb der Medien liegen nicht vor.
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Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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Anzeigentext. Die Überschrift hatte dabei doppelte Bedeutung: So sollte sie nicht nur verdeutlichen, dass beide Spitzenkandidaten das Thema "Soziale Gerechtigkeit" in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellten. Dieses Motiv übernahm auch die Funktion der Wählermobilisierung zur Abgabe beider Stimmen an die Linkspartei – ein Hinweis, der sich vor allem auf den kurz vor der Wahl geschalteten Anzeigenmotiven fand. Anzeigen dienten der Linkspartei auch als Informationsinstrument, um die Wähler darauf hinzuweisen, dass die Partei deutschlandweit zur Wahl antrat. So beinhalteten viele Motive den Hinweis "bundesweit wählbar" oder "Mit der Zweitstimme bundesweit wählbar", wobei die Anzeigen in westdeutschen Medien mit dem Absender "Die Linke", in ostdeutschen Medien mit dem Logo "Die Linke.PDS" gekennzeichnet waren. Fast alle Anzeigenmotive wurden mit einem relativ kurzen Anzeigentext kombiniert. Zum Teil waren dies Zitate der jeweiligen Kandidaten, teils kurz gehaltene Informationen über Programminhalte der Linkspartei (z. B. Einführung eines Kindergeldes von 250 Euro; Einführung eines Mindestlohns von 1.400 Euro brutto und einer Mindestrente von 800 Euro). In einigen Anzeigenmotiven beschränkte sich der Anzeigentext aber auch auf relativ allgemein gehaltene Aussagen (z. B. "Des Rätsels Lösung für den Osten. Und den Westen.", "Für eine neue soziale Idee.", "100 Prozent für den Osten"). Dabei folgten beide Anzeigenlinien bezüglich ihres Inhalts einem einheitlichen Konzept, da sie die Themen "Soziale Gerechtigkeit", "Frieden" und "Stärkung des Ostens" in den Mittelpunkt stellten. Nach dem Motto "Dem Trübsinn ein Ende" – einer der Slogans, mit dem die Linkspartei für die Stärkung des Ostens warb – waren fast alle Motive bewusst positiver Tendenz. Angriffe auf den politischen Gegner blieben völlig aus.
4.7 Testimonial-Anzeigen im Bundestagswahlkampf 2005 Auch im Bundestagswahlkampf 2005 traten private Initiativen auf, um mit Anzeigen einen bestimmten Kandidaten und/oder eine bestimmte Partei zu unterstützen. Allerdings kam dieses Engagement nur der CDU, SPD und der FDP zugute. Für die CDU machten sich dabei zwei Testimonials stark: die Unternehmensgruppe Tengelmann sowie eine Gruppe deutscher Familienunternehmer. Sie warben insgesamt fünf Mal mit zwei Motiven. Ebenfalls zwei Initiativen warben für die Liberalen: eine Gruppe von Akademikern
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sowie die Wählerinitiative "Zweitstimme für die FDP". Allerdings schalteten sie jeweils nur eine Anzeige. Die SPD fand in der Bevölkerung die meiste Unterstützung. Für sie traten vier Gruppen auf, die immerhin acht Mal in den analysierten Medien warben. Zu nennen sind hier die Initiativen "Wirtschaft für Schröder" und "Bürger für Schröder", die je ein Mal inserierten. Darüber hinaus erschien eine Anzeige von deutschen Künstlern sowie fünf verschiedene Anzeigenmotive, in denen sich Prominenten aus allen möglichen Gesellschaftsbereichen für die SPD stark machten. Außerdem unterstützten laut Auskunft der Agentur Butter noch zwei weitere Testimonials Gerhard Schröder und die SPD im Wahlkampf: eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern und eine Initiative deutscher Filmemacher. Tabelle 2 gibt einen kurzen Überblick über die formalen Merkmale der TestimonialAnzeigen, die auf systematischem Wege in der FAZ, SZ und der Bild-Zeitung gefunden wurden. CDU-Testimonials Die beiden Testimonial-Anzeigen für die CDU weisen gestalterische und inhaltliche Unterschiede auf. Die vierfarbige Tengelmann-Anzeige mit der großen Überschrift "Im Zweifel für eine Frau" bestach durch ihre auffällige Gestaltung – einem Wahlzettel mit einem Kreuz bei einer schwarzen, weiblichen Symbolfigur und einem darunter stehendem roten "Männlein". Durch die kleinere Aussage "Deutschland braucht den Wechsel" und die am rechten Bildrand stehende Aufforderung "Bitte gehen sie zur Wahl" übernahm die Anzeige primär die Funktion, den Wähler zum Wahlgang zu bewegen und dabei Angela Merkel zu unterstützen. Sachargumente fehlten hier völlig, wobei die Feststellung, dass ein Politikwechsel nötig sei, einem Seitenhieb auf die rot-grüne Regierung gleichkam – wenn auch nicht einem besonders festen. Anders das Motiv der Unternehmergruppe: Die Schwarz-WeißAnzeige, die auf Initiative des Unternehmensberaters Brun-Hagen Hennerkes 13 in der FAZ, SZ und angeblich zu reduzierten Anzeigenpreisen in regionalen Ausgaben der Bild-Zeitung erschien (vgl. Rinke, 2005), setzte zwar Brun-Hagen Hennerkes hatte bereits 2002 mit einer Anzeigenkampagne den damaligen Kanzlerkandidaten, Edmund Stoiber (CSU), unterstützt. Über seine Aktivitäten im Wahlkampf 2005 war die CDU ebenfalls informiert (vgl. Rinke, 2005).
13
Die Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl 2005
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Tabelle 2: Überblick über die formalen Merkmale der Testimonial-Anzeigen im Bundestagswahlkampf 2005 Partei CDU
Urheber
Werbeträger
Datum
Seite
Platzierung
Größe
Farbe
Deutsche
FAZ
10.9.
17
Rechte Seite
1/1Seite
sw
SZ
10./11.9.
25
Rechte Seite
sw
FAZ
17.9.
23
Bild
17.9.
7
½-Seite
4c
SZ
17.9.
6
½-Seite
4c
Gruppe von Akademikern
SZ
09.9.
8
¼-Seite
sw
Wählerinitiative "Zweitstimme für die FDP"
SZ
16.9
11
½-Seite
sw
Wählerinitiative "Wirtschaft für Schröder" Gruppe bildender Künstler Wählerinitiative "Bürger für Schröder" Gruppe von Prominenten
FAZ
31.8.
11
Rechte Seite, Bildrand unten Rechte Seite, Bildrand unten Linke Seite, Bildrand unten Linke Seite, linkes Eckfeld Rechte Seite, Bildrand unten Rechte Seite
1/1Seite ½-Seite
sw
SZ
03./04.9.
17
Rechte Seite
SZ
17./18.9.
11
Rechte Seite
Bild
03.9.
16
Bild
13.9.
16
1/16Seite
4c
Bild
14.9.
16
1/16Seite
4c
FAZ
16.9.
8/9
17.9.
11
2/1Seite 1/1Seite
4c
Bild
Letzte Seite, rechtes Eckfeld Letzte Seite, rechtes Eckfeld Letzte Seite, rechtes Eckfeld Doppelseitig Rechte Seite
1/1Seite 1/1Seite 1/1Seite 1/16Seite
Familienunternehmer CDU
FDP
SPD
Unternehmensgruppe Tengelmann
4c
sw sw 2c
4c
auch eine überdimensionierte Lupe als grafisches Element ein, die die Aufforderung "Bitte schauen Sie genau hin!" in der Anzeigenüberschrift symbolisch aufgriff. Doch wurde hier der Betrachter direkt angesprochen und in einem relativ ausführlichen Text über die "traurige Hinterlassenschaft von Schröder" auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes beziehungsweise der Wirt-
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schaftspolitik informiert. Zudem klagte der Anzeigentext das durch RotGrün verursachte "Ausbluten" von Familienunternehmen an sowie den Verfall gesellschaftlicher Werte wie Ehe und Familie. Als Beleg der Aussagen diente ein Auszug aus einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung, der Schröder für seine Selbstinszenierung "als großen Friedensstifter und Sozialreformer" trotz seiner negativen Bilanz im Inland kritisierte. Als Konsequenz aus ihrer Kritik bilanzierten die Unternehmer: "So geht es nicht weiter: Wir brauchen Kompetenz in der Politik und keine Show, Substanz in der Arbeit und weniger Talk. Unternehmer müssen wieder unternehmen können – zum Wohl und Nutzen unseres Landes." FDP-Testimonials Die Gruppe von Akademikern, die sich für die Liberalen einsetzte, stellte ihre Anzeige unter das Motto "It's the economy, stupid", dem Motto des ersten Clinton-Wahlkampfes, und warb dementsprechend für die Wirtschaftskompetenz der FDP. Ausführlich erläuterten die Initiatoren ihre Gründe, warum sie überzeugt davon waren, dass "nur mit den Liberalen ein grundlegender Politik-Wechsel möglich" sei. Sie lehnten sich dabei an das Wahlprogramm der Partei an und verwiesen unter anderem auf deren Vorhaben, den Kündigungsschutz zu lockern und das Steuerrecht durch die Einführung eines dreistufigen Steuersatzes zu vereinfachen, den Schuldenberg abzubauen und die Sozialversicherungskosten vom Arbeitslohn abzukoppeln. Dabei wollte die Initiative den Wähler auch über die aus ihrer Sicht bestehende Misswirtschaft der rot-grünen Bundesregierung aufklären, die "in sieben Jahren – handwerklich schlecht – nur Reparaturen am System verursacht, aber den Mut zum Politik-Wechsel nicht gehabt" habe. So forderte sie unter anderem auch eine Neugestaltung der Außenpolitik "nach der Politik der opportunistischen Achsenbildung auf der Basis von 'Männerfreundschaften'" – ein Angriff, der auf die Freundschaft von Gerhard Schröder mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin abzielte. Der Anzeigentext schloss mit dem optisch hervorgehobenen Fazit "Nur eine starke FDP ist Motor der Veränderung.", unter dem die Namensliste der Initiatoren stand. Die zweite Testimonial-Anzeige für die Liberalen ging auf die Wählerinitiative "Zweitstimme für die FDP" zurück – ein Name, der fett gedruckt
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den relativ ausführlichen Anzeigentext überschrieb. Die Initiatoren warben inhaltlich für die in ihren Augen bestehende Notwendigkeit einer liberalen Politik, für eine "mutige Umkehr", um den "gefährlichen Abwärtstrend" zu stoppen, ohne allerdings auf konkrete politische Vorhaben der FDP einzugehen oder Versäumnisse der rot-grünen Regierung im Einzelnen anzuprangern. Stattdessen beschränkten sie sich auf allgemein gehaltene Aussagen und verwiesen auf den Nachteil einer großen Koalition, die "Stillstand der Politik" bedeute, und die negativen Folgen eines rot-grünen Bündnisses – womöglich unter Beteiligung der Linkspartei – das "zum endgültigen Abstieg Deutschlands" führe. Bemerkenswert ist, dass es sich bei dieser Anzeige um eine Initiative handelte, die nicht auf überzeugte FDP-Wähler zurückging, was aus dem Anzeigentext ersichtlich ist. So heißt es dort: "Sicherlich gab es in der Vergangenheit auch Anlass, von der FDP enttäuscht zu sein …" Doch wähle man "zusammen mit vielen anderen, die sich früher für andere Parteien entschieden haben, diesmal die FDP". Somit diente die Anzeige vor allem der Zweitstimmenwerbung für die FDP und der Mobilisierung von Wechselwählern, um durch die Stärkung der Partei im Bundestag andere politische Konstellationen zu verhindern. SPD-Testimonials Die Testimonial-Anzeigen für die SPD folgten inhaltlich einer gemeinsamen Strategie, da ihnen als zentrales Argument die Persönlichkeit von Gerhard Schröder diente, was alleine schon aus den Anzeigenüberschriften hervorgeht. Doch bezogen sich die bewusst positiven Aussagen, die die Stärke des SPD-Kanzlers demonstrieren sollten, je nach Initiative auf unterschiedliche Politikfelder. Am einfachsten war das Anzeigenmotiv der Initiative "Bürger für Schröder" gestaltet. So war dort neben einem Porträt von Gerhard Schröder und der Überschrift "Nur einer hat das Zeug zum Kanzler" lediglich eine kleinformatige Grafik mit den Ergebnissen einer Infratest-Dimap-Umfrage zu sehen, die die Überlegenheit des Kanzlers gegenüber seiner Herausforderin Merkel auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Außen- und Sozialpolitik demonstrierte. Namen der Bürger, die sich für Schröder stark machten, wurden nicht genannt.
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Anonym blieben auch die Absender der Anzeigen-Initiative "Wirtschaft für Schröder", die von Heino Wiese, einem ehemaligen SPD-Abgeordneten und dem derzeitigen Direktor der Modefirma "S.Oliver", initiiert worden war (vgl. Rinke, 2005). Auch hier erfuhr der Betrachter keine Namen, wohl aber von den Verdiensten des Kanzlers um das Ansehen Deutschlands im Ausland und um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes durch seinen Reformkurs. Die große Anzeigenüberschrift "Starker Kanzler, starke Wirtschaft" brachte den Inhalt des Anzeigentextes somit auf den Punkt. In einem abschließenden Satz zollten die Initiatoren Schröder "höchsten Respekt" für seine Entscheidung, "im Interesse des Landes" Neuwahlen angestrebt zu haben, und sprachen ihm dafür ihr "entschiedene Unterstützung bei der Fortsetzung seiner zukunftsorientierten Politik" aus. Ebenso positiv in ihrer Tendenz fiel die Anzeige der Gruppe bildender Künstler aus, die sich für Gerhard Schröder engagierten. So erfuhr der Betrachter dort, dass die Künstler den Kanzler deshalb unterstützten, "weil er sich für die materiellen Belange der Kunst und der Künstler engagiert und eingesetzt" und die künstlerischen Arbeiten "immer wieder als wichtigen Teil der Identität Deutschlands gewürdigt" habe. Hier erfuhr der Wähler auch, wer hinter der Initiative stand. So war links eine Namensliste von 46 Künstlern abgedruckt, auf der unter anderem auch Jörg Immendorf zu finden ist, dessen Freundschaft mit Gerhard Schröder in der Vergangenheit immer wieder von der SPD medienwirksam inszeniert worden ist. Mit ihrem persönlichen Namen sprachen sich auch Prominente aus anderen Gesellschaftsbereichen für Schröder aus. 14 So bekannten sich unter anderem in der FAZ kurz vor der Wahl mehr als 350 Prominente zu ihrem gemeinsamen Ziel, die Amtszeit des SPD-Kanzlers zu verlängern. Die doppelseitige Anzeige stand unter der großformatigen Überschrift "Für Bundeskanzler Schröder", die sich mit ihrer weißen Schrift deutlich vom roten Textfeld abhob. In der Mitte der Anzeigenfläche waren unter dem einleitenden Satz "Ich wähle Schröder" zehn Porträtaufnahmen mit Zitaten von Prominenten zu sehen (u. a. Günter Grass, Senta Berger, Iris Berben, Natalia Wörner, Hannes Jaenicke, Hannelore Elsner, Ottfried Fischer), in denen sie ihre ganz persönlichen Gründe darlegten, Gerhard Schröder zu unterstützen. Gemeinsam war den Statements die Darstellung des SPDKanzlerkandidaten als mutigen und willensstarken Politiker, der sich für eine Verantwortlich für den Anzeigeninhalt der Bild-Annoncen war der Publizist Manfred Bissinger; bei der FAZ-Anzeige war dies Achim Post, Berlin.
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die Wirtschaftskraft fördernde, friedvolle und sozial gerechte Politik einsetzt und damit das internationale Ansehen Deutschlands stärkt. Der größte Teil der Anzeigenfläche war der Namensaufzählung weiterer Prominenter vorbehalten sowie zwei Hinweisen auf weitere Unterstützer-Aktionen durch deutsche Betriebsräte und deutsche Wirtschaftsvertreter. So fand sich unter anderem unten rechts ein Feld mit dem Anzeigentext der Initiative "Wirtschaft für Schröder". Der Aufruf "Kommen Sie wählen" unten rechts schloss die Prominenten-Anzeige ab. Eine Auswahl der Einzelstatements mit dem jeweiligen Fotoporträt des Prominenten erschien darüber hinaus in der Bild-Zeitung, kurz vor der Wahl als ganzseitiges Motiv, aber auch als kleinformatige Anzeigenkampagne. So trat dort am 3. September beispielsweise der Schauspieler Hannes Jaenicke als SPD-Testimonial auf und bekannte: "Ich wähle Schröder, weil er den Mut hat, bitter nötige Reformen anzupacken, ohne dabei die Menschlichkeit aus den Augen zu verlieren." 5
Fazit
Wie empirische Befunde belegen, deutet sich schon seit längerem, spätestens aber seit dem Bundestagswahlkampf 2002, eine Bedeutungsabnahme von Anzeigen als Wahlkampfinstrument an. Dies gilt insbesondere für die kleineren Parteien. Gleichzeitig scheint eine Umorientierung stattzufinden zu kostengünstigeren Werbeträgern wie regionalen Tageszeitungen oder Special-Interest-Magazinen. Diese Tendenz wird durch die vorliegende Studie zu Umfang und Strategien der Anzeigenkampagnen im Bundestagswahlkampf 2005 bestätigt. So zeigte sich, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien von Anzeigen als Wahlkampfinstrument Gebrauch gemacht haben, allerdings nicht unbedingt in den systematisch analysierten Medien FAZ, SZ, Bild und im Spiegel. Gerade die kleineren Parteien nutzten als Werbeträger Medien mit regionaler Reichweite (z. B. regionale Tageszeitungen) und spezielle Zielgruppenmedien (z. B. EMMA, Super Illu, Der Selbständige, fremdsprachige Medien u. a.), allerdings fiel der Aufwand, insbesondere von FDP und Bündnis '90/Die Grünen, insgesamt gering aus. In den überregionalen Medien FAZ, SZ, Bild inserierten in der "heißen Wahlkampfphase" nur die CDU, die SPD sowie die Linkspartei, letztere allerdings nur ein einziges Mal. Dennoch: Anzeigen scheinen nach wie vor als Werbemittel eine Rolle zu spielen, allerdings konzentrieren sich die Parteien mit ihren Inserti-
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onen auf die Zeit kurz vor der Wahl, insbesondere auf die letzte Woche vor dem eigentlichen Wahltermin. Von einer kontinuierlichen Anzeigenkampagne, die für eine erfolgreiche, denn Aufmerksamkeit generierende Werbung vonnöten ist, kann somit – wenn überhaupt – nur bei den großen Parteien die Rede sein. Nur sie inserierten konsequent über einen mehr als vierwöchigen Zeitraum hinweg und belegten dabei einzelne Medium mehrfach hintereinander. Etwas weniger aktiv, aber durchaus noch umfangreich warb erstaunlicherweise nur noch die relativ kleine Linkspartei. Festzuhalten bleibt, dass alle Parteien bei der grafischen Gestaltung ihrer Anzeigen ihr Corporate Design berücksichtigten – sei es bei der Gestaltung des Anzeigenhintergrunds oder bei der Wahl einzelner Textelemente. Darüber hinaus waren bei allen Parteien eine oder mehrere Konzeptionslinien zu erkennen, die professionell gestaltet waren. Was die Betrachtung des Anzeigeninhalts angeht, so fiel der oftmals scharfe Ton auf, was nicht verwundert, nutzten doch gerade die SPD und die Unionsparteien CDU/CSU Anzeigen für einen Angriff auf den politischen Gegner. So verkauften die CDU mit ihrer rot-orangefarbenen Anzeigenlinie und die CSU in ihren plakativ gestalteten Motiven dem Wähler die Bilanz von Rot-Grün auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Rentenpolitik als "Abschwung" und "Abstieg", den es abzuwählen gelte. Gleichzeitig präsentierten sie die eigene Partei als politische Lösung. Angriffslustig agierte auch die SPD in ihren Anzeigen, wobei sie ihren Vorwurf der sozialen Härte an die Oppositionsparteien, vor allem an die Adresse von CDU/CSU, und die Darstellung der eigenen Leistungen als sozial gerecht und wirtschaftspolitisch vernünftig konsequent mit der Darstellung der Persönlichkeit der beiden Kanzlerkandidaten verknüpfte. So sprachen sie einerseits Angela Merkel die Regierungskompetenz ab und stellten andererseits Gerhard Schröder als mutigen, willensstarken und gleichzeitig menschlichen Politiker dar, dessen Reformkurs beibehalten werden müsse. Angriffsfläche boten den Sozialdemokraten vor allem die Pläne von CDU/CSU auf dem Gebiet der Steuerpolitik, um den Wählern vor Augen zu führen, dass Spitzenverdiener zu Lasten des kleinen Mannes bei den Unionsparteien entlastet würden. Kurz vor der Wahl sprach Gerhard Schröder in einem Brief an die Wähler dieses Thema sogar direkt an – ein Stilelement, das im Bundestagswahlkampf 2005 einzigartig blieb. Bündnis '90/Die Grünen setzten in ihren Anzeigen auf einen durchweg negativen Tenor, da sie den Wähler vor allem vor der Gefahr einer großen Koalition in Berlin warnen wollten, ohne jedoch auf eigene
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Programminhalte oder Vorhaben hinzuweisen. Eine humorvolle Anzeige schaltete die Partei in der Frauenzeitschrift EMMA, doch war auch hier die Botschaft eindeutig: Warnung an die Wählerin, dieses Mal vor der aus Sicht der Partei frauenfeindlichen Politik der Union. Ein durchweg positiver, denn optimistischer Tenor fand sich in den Anzeigen der Linkspartei, die mit den für sie "klassischen" Themen "Soziale Gerechtigkeit", "Frieden" und "Stärkung des Ostens" warb. Mit einem zuversichtlichen Blick auf die Zukunft präsentierte sich auch die Zweitstimmenkampagne der Liberalen, für die die Partei Prominente als Zugpferde gewinnen konnte, für die sie aber auch gezielte Sachargumente ins Feld führte. Auch wenn im Bundestagswahlkampf 2005 nur die großen Parteien mehrfach auf überregional verbreitete Werbeträger zurückgriffen, waren gerade diese Medien für Testimonials von Bedeutung, die im letzten Wahlkampf für die SPD, CDU und die Liberalen aktiv waren. Vergleicht man die Anzahl dieser Anzeigen mit denen der Parteien, so wird deutlich, dass Unterstützer-Gruppen in der "heißen Wahlkampfphase" fast genauso häufig inserierten wie die SPD und CDU. Für die Anzeigen, die in überregionalen Medien für die FDP erschienen, waren sogar ausschließlich private Initiatoren verantwortlich. Den größten Beistand von privater Seite fand die SPD, für die sich allein in den analysierten Medien vier private Gruppen stark machten. Zu ihnen zählten die Initiativen "Wirtschaft für Schröder" und "Bürger für Schröder", eine Gruppe bildender Künstler sowie ein Kreis von Prominenten aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Zudem inserierten Sozialwissenschaftler und Filmemacher für die SPD, allerdings in anderen Medien als den analysierten. Etwas weniger Unterstützung wurde der CDU zuteil, für die sich die Tengelmann-Unternehmensgruppe und ein Kreis deutscher Familienunternehmer stark machte. Ebenfalls zwei Unterstützer-Gruppen warben für die FDP: ein Kreis von Akademikern sowie die Wählerinitiative "Zweitstimme für die FDP". In ihren formalen Merkmalen fielen diese Anzeigen heterogen aus, wobei den Testimonial-Anzeigen für die SPD ihre durchweg positive Tendenz gemein war. Konsequent stellten sie die Persönlichkeit von Gerhard Schröder in den Mittelpunkt und präsentierten ihn als kompetenten und mutigen Reformpolitiker auf den Gebieten der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik. Damit folgten sie inhaltlich dem Konzept der Anzeigenkampagne der SPD. Bei den übrigen Testimonial-Anzeigen reichte die Strategie von deutli-
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cher Kritik an Rot-Grün (Akademiker pro FDP, Familienunternehmer pro CDU), über die Werbung ohne Sachargumente (Unternehmensgruppe Tengelmann) bis hin zur gezielten Zweitstimmenkampagne (Wählerinitiative "Zweitstimme für die FDP"), um das "Übel" einer großen Koalition oder sogar einer Regierungsbeteiligung der Linken zu verhindern. Als Fazit bleibt festzuhalten: Anzeigen sind nach wie vor – gerade für die großen Parteien und private Unterstützer-Gruppen – im Bundestagswahlkampf von Bedeutung. Allerdings liegt in Hinblick auf die offenkundig fehlende Kontinuität der Anzeigenkampagnen und die offensichtliche Konzentration der Insertionen auf die letzte Woche vor dem Wahltermin die Frage nahe, ob sich Anzeigen aus Sicht der Parteien tatsächlich lohnen. Schließlich geht es im Wahlkampf um eine Maximierung des Stimmanteils. Stammwähler werden durch Anzeigen allenfalls in ihrer Entscheidung bestätigt, so dass es für die Parteien letztendlich darauf ankommt, mit Anzeigen diejenigen anzusprechen, die sich entweder noch nicht auf eine Partei festgelegt haben oder noch unentschieden sind, überhaupt zur Wahl zu gehen. Ob eine solche Mobilisierung durch Anzeigen "auf den letzten Drücker" kurz vor dem Wahltermin gelingt, darf man bezweifeln, wird doch das Segment der Wechselwähler gerade am Ende des Wahlkampfes immer kleiner. Schmitt-Beck (2002) spricht im Zusammenhang mit Wahlkämpfen nicht umsonst von einem "Nadelöhr am Ende" (des Wahlkampfes), zumal es gerade die "Unentschiedenen" sind, die das Wahlkampfgeschehen mit geringem Interesse verfolgen (vgl. Schmitt-Beck, 2002, S. 45). Als Partei sollte man sich daher durchaus die kritische Frage stellen, ob kurzfristige und/oder punktuelle Insertionen in einzelnen Werbeträgern nicht nur die Funktion einer zusätzlichen Einnahmequelle für die Medien erfüllen. Literatur Agenturen und Budgets der Parteien (2005). Heruntergeladen am 6. März 2006 von http:// www.tagesspiegel.de/medien/index.asp?gotos=http://archiv.tagesspiegel.de/toolbox-neu. php?ran=on&url=http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/19.06.2005/ 1887057.asp. "Beiß in die wächserne Kaulquappe". (2005, 27. Juli). Heruntergeladen am 9. März 2006 von http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/554/57497/. Dörner, A. (2002). Wahlkämpfe – eine rituelle Inszenierung des "demokratischen Mythos". In A. Dörner & L. Vogt (Hrsg.), Wahl-Kämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual (S. 16-42). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Wie die Lustlosigkeit konterkariert wurde: Fernsehwahlwerbung 2005 Christina Holtz-Bacha & Eva-Maria Lessinger
Die Wahlwerbung der Parteien in Fernsehen und Radio gehört zu den Standardinstrumenten der Kampagnenkommunikation. Ebenso wie auf der Straße mit Plakaten gilt es, in den Rundfunkmedien präsent zu sein, nicht zuletzt auch deshalb, weil den Parteien bei den öffentlich-rechtlichen Sendern die Zeit für ihre Werbefilme standardmäßig und kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Öffentliche Aufmerksamkeit finden die Wahlspots immer dann, wenn den Anstalten Spots angeliefert werden, die aus der Reihe fallen. Die Geschichte der Wahlwerbung im Fernsehen ist auch eine Geschichte der Auseinandersetzung über umstrittene Spots. In den letzten 10 bis 15 Jahren ging es da zumeist um Spots rechtsextremer Parteien, die die Rundfunkanstalten nicht ausstrahlen wollten. Da ihre Handhabe zur Ablehnung von Parteienspots gering ist, landen solche Ablehnungen stets bei den Gerichten. Zwar stellen diese sich nicht immer auf die Seite der Parteien, generell aber werden ihre Entscheidungen von dem Grundsatz geleitet, dass den Parteien im Wahlkampf Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu geben ist (vgl. dazu auch Holtz-Bacha, 2001; Holtz-Bacha & Kaid, 1996). Im Bundestagswahlkampf 2005 hat es in drei Fällen öffentliche Aufmerksamkeit für die Wahlwerbung im Fernsehen gegeben, und alle waren darauf angelegt, die mediale Aufmerksamkeit zu erregen und auf diese Weise Wirkung zu erzielen oder zu verstärken. Fall eins betraf die SPD. Die Partei hatte erfahren, wie der Fernsehspot der CDU aussehen würde, drehte kurzfristig einen Antwort-Spot und verbreitete ihn im Internet, noch bevor der Spot der Union im Fernsehen zu sehen war. Der Film der Union war der "Kugel-Spot", der Negativwerbung betrieb, indem er die Politik der rotgrünen Regierung angriff: In dem Spot, der mit der bangen Frage einsetzt "Was wird aus unserem Land?", rollt eine Kugel über einen Tisch und stößt auf ihrem Weg mehrere Gegenstände um und symbolisiert damit, was RotGrün alles kaputt gemacht hat: "Rot-grün hat viel versprochen und viel verspielt". Im letzten Teil des Spots spricht Merkel in die Kamera und er-
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klärt: "Dies ist keine Wahl wie andere. Es steht viel auf dem Spiel". Sie bittet für sich und die CDU um den Auftrag der Wählerschaft und versichert: "Deutschland wird es schaffen". Die SPD griff das Kugel-Motiv auf und machte daraus einen so genannten Flip-Flop-Spot. Das ist ein klassisches Format aus der USamerikanischen Wahlwerbung, das zum Beispiel durch Zeigen einer sich hin- und herdrehenden Wetterfahne wechselnde, eben wetterwendische und insofern unberechenbare Einstellungen von Kandidaten anprangert. Im SPD-Spot sah man, wie eine Frau in der für Angela Merkel typischen apricotfarbenen Jacke mit ihren Händen ungeschickt eine Kugel hin- und herwirft, die ihr schließlich zu Boden fällt. Ein Sprecher kommentiert: "Frau Merkel will angeblich keine deutschen Soldaten im Irak. Aber noch vor zwei Jahren wollte sie auch militärische Mittel einsetzen. Frau Merkel war vor kurzem noch gegen eine höhere Mehrwertsteuer. Jetzt will Frau Merkel die Mehrwertsteuer erhöhen. Frau Merkel wollte die Pendlerpauschale erst ganz abschaffen, dann teilweise, dann vielleicht doch wieder ganz. Frau Merkel möchte, dass die Bruttolöhne sinken. Oder die Nettolöhne steigen. Oder die Bruttolöhne steigen? Oder brutto, netto, Nettolöhne, brutto, netto, steigen, sinken? Frau Merkel kann sich nicht entscheiden. Aber Sie können es." (SPD-Parteivorstand, 2005, S. 18) Auf subtile Weise ironisiert der Spot nicht nur die Wankelmütigkeit der Gegenkandidatin, sondern stichelt mit dem Brutto-Netto-Wortspiel auch gegen deren sachpolitische Kompetenz. Einige Zeit zuvor nämlich war Merkel wegen der Verwechslung von Brutto- und Nettolöhnen tagelang in den Medien verhackstückt worden. Derlei hintergründige Anspielungen könnten quasi als Insider-Gag durchaus Chancen haben, auch bei dem gegen Parteienwerbung eher gefeiten Publikum der politisch stark interessierten Zuschauer gut anzukommen. In diesem Fall diente der SPD-Spot also einer "Inoculation"-Strategie: Damit versuchen Kandidaten der Wirkung von Angriffen, die im Rahmen von Negativwerbung auf sie zukommen, vorzubeugen und sie so abzuschwächen. Der Spot wurde ausschließlich im Internet verbreitet, fand aber schnell breites Interesse. Die Medien sorgten für Aufmerksamkeit, weil es sich zum einen um eine für die deutsche Wahlkampfgeschichte neue Aktion handelte; zum anderen wucherten die Spekulationen darüber, wie die SPD vorab über den "Kugel-Spot" erfahren hatte. Der zweite Fall, mit dem die Fernsehspots im Wahlkampf 2005 Aufmerksamkeit bekamen, war ein Spot der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands
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(APPD). Was den Anstalten angeliefert wurde, löste Irritationen aus: "Zu sehen war eine etwas entgleiste Punk-Party, bei der eine wabbelige Dame mit ansehnlicher Oberweite halbnackt herumknutschte und Leute im Irokesen-Schnitt Hundefutter fraßen. Irgendein Gast setzte sich einen Schuss, ein anderer zertrümmerte einen Computer, dauernd tapste ein Kleinkind durchs Bild, und im Hintergrund lief röhrende Musik." (Bullion, 2005) ARD und ZDF versuchten, sich gegen den Spot zu wehren. Dass die Gerichte für die beiden Sender unterschiedlich entschieden, weckte erst recht Interesse für den Spot. Das ZDF war vor das Verwaltungsgericht Mainz gezogen. Dieses stellte fest, der Spot verstoße gegen Menschenwürde und Jugendschutz. Daher brauchte das ZDF den Spot nicht ausstrahlen. Anders ging der Fall für die ARD aus, der vor dem Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt wurde. Das Gericht erkannte in dem Spot zwar "animalisch-triebhafte Verhaltensweisen" und nannte ihn "geschmacklos", verpflichtete aber die ARD, den Spot zu zeigen. Schließlich meldete sich auch noch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu Wort, der damit auch gleich die Zulassung der Partei zur Wahl in Frage stellte, was der APPD zusätzlich Beachtung sicherte. Aufmerksamkeit schaffte auch die vom Satire-Magazin Titanic gegründete Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz Die Partei, mit ungewöhnlichen Aktionen um ihre Wahlwerbung. Ebenso wie die anderen kleinen Parteien hatte sie auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen je zwei Sendeplätze erhalten. Bereits ihr Name demonstriert den nicht ganz ernst gemeinten Charakter ihrer Bewerbung, erst recht, wenn sich (der ehemalige) Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn (so auch die Namenseinblendung) in einem Spot als Markus Sonnenborn und als Bundesvorsitzender der "Partei für Arbeit, Reisefreiheit, Tierschutz, Elitenbeförderung und basisdemokratische Initiativen" vorstellt. Er präsentiert das "mit einem extrem hochbezahlten Berater" entwickelte Projekt HLX, dieses "steht für hohe Leistungsmaximierung", das "im wesentlichen aus der Verlagerung von qualifizierten Leistungsträgern nach Bari, Neapel, Pisa, Olbia, Salzburg und weiteren Destinationen" besteht. Wie ein anderer Sport der Partei bekräftigt, will sie mit dem Wiederaufbau der Mauer "das Vermächtnis des Titanic-Mitbegründers Chlodwig Poth erfüllen: die endgültige Teilung Deutschlands". Mehrmals werden in dem Spot Ausschnitte aus dem SED-Lied "Die Partei hat immer recht" eingespielt.
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Als eines ihrer Ziele benennt Die Partei die komplette Abschaffung von Schleichwerbung "gerade in ARD und ZDF". Indessen schien sie schon mit ihrem ersten Spot Schleichwerbung betrieben zu haben, denn HLX ist das Kürzel von Hapag-Lloyd Express, schließlich wurde ja auch für Reisefreiheit und die Beförderung der Eliten zu verschiedenen Destinationen geworben. Die "einzige Partei, die von der Stiftung Warentest mit gut benotet wurde", machte erst recht von sich reden, als sie ankündigte, einen Teil ihrer Sendezeit über Ebay für Wirtschaftswerbung versteigern zu wollen (vgl. "Die Partei": ..., 2005). Schon die Ankündigung brachte der Partei die Beachtung der Presse, die dann auch den nächsten Sendetermin für den Spot mit der Werbeeinblendung verbreitete. Die Partei bot 25 Sekunden ihrer Sendezeit im ZDF für knapp 10.000.- Euro an, alternativ 90 Sekunden Product Placement. Die Provokation wurde dadurch noch gesteigert, dass in dem Angebot explizit solche Produkte angesprochen waren, für die im Fernsehen nicht geworben werden darf: "Wenn sie für Waffen, Tabakwaren, Branntwein etc. werben möchten, platzieren wir Ihr Produkt gut sichtbar und werbewirksam über die ganze Spotlänge von 90 Sekunden". Das ZDF sah offenbar keine Handhabe, die Ausstrahlung abzulehnen. Eigentlich gilt, dass die Rundfunkanstalten die Ausstrahlung verweigern können, wenn ein Spot offensichtlich keine Wahlwerbung darstellt. Letztlich lief ein Spot, in dem sehr offensichtlich "Schleichwerbung" für "HLX" betrieben wurde, das Unternehmen selbst will dafür nicht bezahlt haben. Die öffentliche Diskussion dieser Fälle – Empörung und Ablehnung auf der einen Seite, Amusement über gezielte Provokation auf der anderen – zeigt, dass die Rechnung der Parteien aufgegangen ist. Sie haben Aufmerksamkeit für ihre Spots und für die Parteien erzielt, die mit der Produktion der üblichen Werbefilme und der Ausstrahlung zu einem zufällig zugeteilten Termin kaum zu erreichen gewesen wäre. Für die Parteien ließe sich daraus eine Strategie ableiten, die sich einsetzen lässt, um das Werbepotenzial der Fernsehspots, an dem so oft gezweifelt wird, zu erhöhen und zugleich Inhalte zu vermitteln. Denn auf der Metaebene sind alle drei Spots auf unterschiedliche Weise selbstreferenziell. Während sich die Merkel-Persiflage der SPD einer klassischen amerikanischen Spotstrategie bedient, die das Medium Wahlwerbespot insgesamt sogar aufwertet, indem es die Parteienfilme des politischen Gegners überhaupt als einer Antwort würdig befindet, stellen hingegen die beiden Nonsense-Parteien das Wahlkampfmedium Fernsehspot ganz grundsätzlich in Frage. Der Punk-Werbefilm der APPD mag
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zwar vielen als schockierender gelten, ist aber deutlich belangloser als der Titanic-Spot, denn die stereotype Anarcho-Party erreicht nicht annähernd das Niveau des politischen Zynismus, den der Punk in seiner Entstehungszeit zu bieten hatte, und ist damit wenig anderes als der Aufguss einer nach 30 Jahren doch eher altbackenen Jugendbewegung. Erstaunlich genug, dass ein solcher Film überhaupt Empörung auslösen konnte. Erklärlich wird das nur dadurch, dass dem Medium Parteienspot nach wie vor jene von journalistischen Bearbeitungsroutinen ungestörte politische Artikulationsfunktion attribuiert wird, die der ursprünglichen Idee zugrunde lag, gerade den kleineren Parteien in Wahlkampfzeiten kostenlose Sendezeit auf den öffentlichrechtlichen Sendeanstalten zur Verfügung zu stellen und die es daher nicht zweckentfremdend zu missbrauchen gilt. Was die Parteien letztlich aus dieser Möglichkeit machen, ironisieren wiederum die Titanic-Spots mit diversen Anspielungen, die zum Nachdenken über die Gestaltung von Wahlwerbespots im Allgemeinen anregen. Schon der monströse Name der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz Die Partei, gemahnt an die zahlreichen Splitterparteien, die seit dem Start der Fernsehspots im Jahr 1957 turnusgemäß über den Bildschirm flimmern und deren stetig wechselnde Namen oft nichts anderes darstellen als ein diffuses Sammelbecken diverser sachpolitischer Themen, die diese politischen Gruppierungen von den Bundestagsparteien nicht angemessen behandelt sehen. Diese Tendenz spiegelt sich auch in den Befunden der quantitativen Inhaltsanalyse der Parteienspots. Der hochbezahlte Berater, den Die Partei vermeintlich verpflichtet hat, verweist auf das, was den kleinen Parteien im allgemeinen fehlt: die pekuniären Mittel für eine professionelle Produktion ihrer Spots. Während die etablierten Parteien in ihren Werbefilmen zu allen Zeiten den Wähler mit idyllischen emotionalisierenden Bildwelten lockten, sitzen die Repräsentanten kleiner Parteien mit schöner Regelmäßigkeit in Studiokulissen aus Pappmaché, ganz so wie Markus Sonneborn in den Kandidatenstatement-Parodien der Partei: Die uni gelben bzw. einheitlich beschrifteten und erschlagend geschlossenen Aktenordnerreihen bedecken die gesamte Rückfront, und der hoch formell gekleidete Bundesvorsitzende "Markus Sonnenborn" sitzt stocksteif hinter einem mit Kaffeekanne und Tasse gedeckten Tisch und verliest – ab und an gestört durch ein Richtmikrophon im Gesicht – seine Botschaft vom Blatt, bis die für fast alle Splitterparteien obligatorische Deutschlandfahne krachend hinter ihm zu Boden fällt. Die
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zuweilen unfreiwillig komische, bürokratische Korrektheit, mit der die Kandidaten von Splitterparteien in der Tat häufig auftreten, scheint als Kompensation für einen Mangel an Bekanntheit gedacht zu sein. Auch die Titanic-Parodie einer Parteiversammlung in einem gutbürgerlichen, mit Lüstern illuminierten Festsaal, wo der von seinen Anhängern umjubelte Bundesvorsitzende einmarschiert und alle Redner unvorteilhaft von unten gefilmt und halb vom Mikrophon verdeckt werden, beobachtet recht präzise die handwerklichen Produktionsfehler vieler kleiner Parteien. Ob nun intendiert oder nicht: Auch die Versteigerung des Sendeplatzes via Ebay reflektiert das Medium Wahlwerbespot, denn die Aktion erinnert an einige sehr ernsthafte und auch gelungene Versuche, die eigene Sendezeit anderen zugute kommen zu lassen. So hatten zum Beispiel anlässlich der Bundestagswahl 1994 Bündnis 90/Die Grünen ihre Sendezeit politisch engagierten Gruppen zur Verfügung gestellt, die dort ungewöhnlich kreative und intelligente Spots gegen Rassismus präsentierten. Dass diese Spots damals allerdings erheblich weniger Aufmerksamkeit erzeugten als elf Jahre später die Ebay-Aktion der Partei, mag auch ein Indikator dafür sein, dass von Wahlwerbespots eben doch eher amüsante politische Unterhaltung als eine ernsthafte Anregung zum Nachdenken erwartet wird. Formale und inhaltliche Analyse der Fernsehspots Wie üblich gab es für alle Parteien, die vom Bundeswahlleiter zur Wahl zugelassen waren, Sendezeit auf den beiden öffentlich-rechtlichen Kanälen. Dafür hat sich ein System der abgestuften Vergabe von Sendeplätzen eingespielt, bei dem die großen Parteien mehr und die kleinen weniger erhalten. SPD und CDU konnten 2005 über je acht Sendeplätze pro Sender verfügen; CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen bekamen jeweils vier, die Linkspartei drei und alle anderen zwei Sendeplätze. Darüber hinaus hatten die Parteien die Möglichkeit, Werbezeit auf den privat-kommerziellen Programmen zu kaufen. Allerdings beschränken sich die meisten Parteien auf die Zeit, die ihnen ARD und ZDF zur Verfügung stellen, da hier die Werbezeit kostenfrei ist. So sind es in der Regel nur die im Bundestag vertretenen Parteien, die es sich leisten können, zusätzliche Werbezeit auf den kommerziellen Kanälen zu bezahlen. Was die Werbung im Fernsehen angeht, treten die Parteien daher zu sehr unterschiedlichen Bedingungen an. Die nicht im
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Bundestag repräsentierten Parteien und Gruppierungen bleiben auf die Mindestzahl von zwei Spots pro öffentlich-rechtlichem Sender begrenzt; wann ihr Spot genau auf Sendung ist, können sie nicht beeinflussen. So können sie zwar Glück haben und eine attraktive Sendezeit zugewiesen bekommen, die ihnen hohe Zuschauerzahlen beschert. Es kann aber auch passieren, dass ihr Spot sehr früh oder sehr spät am Abend zur Ausstrahlung kommt und dann nur vergleichsweise wenige Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Die finanziell besser ausgestatteten Parteien, die Werbezeit bei den kommerziellen Sendern einkaufen, sind mit ihrer Werbung nicht nur stärker präsent, sondern sie können durch die Wahl von Sender und Sendezeit auch spezifische Zielgruppen ansprechen. Werbung im Fernsehen gab es 2005 ab dem 22. August, also über die letzten vier Wochen vor dem Wahltermin am 18. September. Die letzten Spots liefen am Freitag vor der Wahl. Die Spots waren jeweils über den Abend verteilt, die ersten liefen gegen 17.15 Uhr, die letzten fanden sich um 23.30 Uhr im Programm. Für den einzelnen Spot standen 90 Sekunden zur Verfügung. 24 Parteien nahmen 2005 ihr Recht auf Werbung im öffentlichrechtlichen Fernsehen wahr, demnach verzichteten acht Gruppierungen auf die Möglichkeit, im Fernsehen für sich zu werben. SPD und Union erhielten je acht Sendeplätze auf ARD und ZDF, hatten also allein im öffentlichrechtlichen Fernsehen 16 Mal Gelegenheit, ihre Werbefilme zu zeigen. Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CSU bekamen je vier Sendeplätze zugewiesen, die Linke wurde mit je drei Sendeplätzen bedacht. Alle anderen Parteien und Gruppierungen, die zur Wahl antraten, konnten je zwei Sendeplätze in Anspruch nehmen. Entsprechend einer früheren Gerichtsentscheidung ist zwei die Mindestzahl, die einer Partei für ihre Werbung im Fernsehen zur Verfügung stehen muss, um einen gewissen Wiederholungseffekt zu gewährleisten. Aus finanziellen Gründen produzieren die kleinen Parteien meist nur einen Werbefilm, der dann auf allen Sendeplätzen zum Einsatz kommt. Die letzten Wahlkämpfe haben aber gezeigt, dass auch die größeren Parteien meist nur mit wenigen oder sogar nur mit einem Spot in den Fernsehwahlkampf gehen und nicht einmal verschiedene Spots für die öffentlichrechtlichen und die kommerziellen Sender vorsehen, sondern mit den gleichen Spots in unterschiedlicher Länge antreten. Wenn auf den beiden Systemen mit gleichen Spots geworben wird, bedeutet das aber, dass die Parteien, die sich zusätzliche Werbezeit kaufen, die Möglichkeit der Zielgruppen-
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ansprache kaum nutzen. Der wenig differenzierte Einsatz der Spots ist offenbar nicht nur ein Zeichen von Sparsamkeit, sondern auch ein Indikator dafür, dass den Parteien die Werbung im Fernsehen nicht (mehr) so wichtig ist. Für die Kampagne 2005 war wegen der Kürze des Wahlkampfes und der geringen Vorbereitungszeit erst recht zu erwarten, dass die Parteien nicht viel in diesen Wahlkampfkanal investieren würden. Nachfolgend werden die Ergebnisse einer formalen und inhaltlichen Analyse der Parteienspots präsentiert 1 . Die Auswertung lässt verschiedene Perspektiven zu. Einmal geben die Daten Aufschluss darüber, wie sich die einzelnen Parteien selbst darstellen und gesehen werden möchten. Denn ebenso wie die anderen Werbemittel sind die Fernsehspots ein Instrument der ungefilterten Selbstdarstellung. Der Vergleich der Parteien untereinander lässt verschiedene Strategien erkennen, mit denen sie sich gegenüber der Wählerschaft zu platzieren versuchen. Im Zeitverlauf schließlich legen die Fernsehspots offen, wie sich Kampagnenstile und Selbstdarstellungsstrategien entwickeln, und ganz allgemein, wie sich die Art und Weise der Vermittlung von Politik inhaltlich, vor allem aber auch formal verändert. Es gilt also, nicht nur zu untersuchen, was die politischen Akteure sagen, sondern auch, wie sie es sagen. Bei der Analyse von Fernsehwerbung ist also zu berücksichtigen, dass die Spots neben der inhaltlichen, über den Text zu erfassenden Seite auch eine visuelle Komponente aufweisen, die nicht nur eine Begleitung oder Ergänzung zum gesprochenen Text darstellt, sondern sehr wohl auch eigenständige Informationen vermittelt. Das Analyseinstrument für die Parteienspots 2005 entsprach demjenigen, das bereits früher für entsprechende Untersuchungen zum Einsatz kam (vgl. Holtz-Bacha, 2001, S. 151-153; Holtz-Bacha, 1999). Die Analyse erfolgte auf zwei Ebenen. Die Rahmencodierung erfasst auf der Ebene des gesamten Spots die wesentlichen Daten zu seiner Struktur. Zur Analyse der verbalen und visuellen Gestaltung eines Spots wird eine so genannte Sequenzcodierung vorgenommen. Analyseeinheit ist hier nicht der ganze Spot, sondern eine Szene oder Sequenz. Eine Sequenz besteht aus einer oder mehreren Einstellungen, die durch Schnitt oder Überblendungen voneinander getrennt sind. Eine Sequenz/Szene bildet ein Kontinuum, das durch Die Analyse wurde finanziell unterstützt von der Hans-Frisch-Stiftung, Nürnberg. Unser Dank geht außerdem an Christina Bauer, die für die Archivierung der Spots gesorgt hat, sowie an Oliver Bender, der zusätzliche Informationen über das Material beschafft und insbesondere die Codierung der Spots übernommen hat. Den Parteien und den Rundfunkanstalten, die uns mit Auskünften weitergeholfen haben, sei ebenfalls herzlich gedankt.
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verschiedene Kriterien zu einer Einheit verbunden wird (Bedeutungsklammer). Zu diesen Kriterien, die die Einheit schaffen, können gehören:
ein Kontinuum von Ort, Zeit, Handlung ein Kontinuum in der Figurenkonstellation und/oder im Thema formale Einheit durch Kontinuum von Aufnahmeverfahren, Filmmaterial, Geräuschkulisse, Musik, Sprecher, Bildfolgen mit ähnlichen Motiven.
Nach der Festlegung einer Sequenz wird dieser im nächsten Schritt eine Präsentationsform (z. B. Montage; Testimonial, Kandidatenstatement) zugewiesen. Präsentationsformen sind danach zu unterscheiden, ob in ihnen ein Parteivertreter als Akteur auftritt oder nicht. 38 Spots bilden die Grundgesamtheit der Untersuchung. Diese Zahl zeigt bereits, dass die 24 Parteien, die Spots zur Ausstrahlung brachten, nur sehr wenige verschiedene Spots produziert haben. Tatsächlich gingen viele Parteien nur mit einem Spot in den Wahlkampf, der auf den zugeteilten (mindestens vier) Sendeplätzen entsprechend häufig wiederholt wurde. Da als "verschieden" auch die für das Privatfernsehen gekürzten Versionen der für ARD und ZDF produzierten Spots gezählt wurden, weil sie als solche eine andere Anmutung und damit vermutlich auch eine andere Wirkung haben, ist jedoch die Zahl wirklich unterschiedlicher Produktionen noch geringer. Sogar die beiden großen Parteien, von denen am ehesten zu erwarten wäre, dass sie in die Fernsehwerbung investieren, blieben sparsam. Die CDU brachte auf ihren acht Sendeplätzen bei ARD und ZDF lediglich den schon beschriebenen Kugel-Spot zur Ausstrahlung, im privat-kommerziellen Fernsehen lief eine auf 36 Sekunden gekürzte Version. Die SPD produzierte drei verschiedene Spots. Der Spot für das öffentlich-rechtliche Fernsehen war nur 60-Sekunden lang. Er war ganz auf Gerhard Schröder zugeschnitten. Im ersten Teil der Langfassung sieht man den Kanzler, begleitet von Mitarbeitern, auf dem Weg durch das Kanzleramt in zügigem Schritt auf die Kamera zugehen. Dazwischen sind Bilder von öffentlichen Auftritten des Kanzlers geschnitten. Zu den Bildern erklärt eine Sprecherin, für welche Politik sich ein deutscher Bundeskanzler einsetzen sollte: "Deutschland braucht einen Bundeskanzler, der für eine moderne Familienpolitik eintritt ... der den Atomausstieg weiter durchsetzt ... der für neue Arbeit auch die Wirtschaft in die Pflicht nimmt ... der sich stark macht
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für den Kündigungsschutz ... der mutig unser Land erneuert ... der sich entschlossen für soziale Gerechtigkeit einsetzt ... der standhaft bleibt für den Frieden". Zum Ende des Spots spricht Schröder in die Kamera: "Deutschland ist auf dem richtigen Weg. Es ist der sicherste und gerechteste Weg in eine gute Zukunft. Dafür stehe ich." Im kommerziellen Fernsehen platzierte die SPD zwei verschiedene Spots. Einer davon war wiederum ein Schröder-Spot, in dem der Kanzler die ganze Zeit sprach und den Wählerinnen und Wählern deutlich machte: "Sie entscheiden...". Der zweite Spot war ein Negativspot im Stil der umbrafarbenen Plakatkampagne. Er nahm das "Merkel-Minus" aufs Korn und fügte sich ein in die auf verschiedenen Kanälen geführte Kampagne gegen die "Merkel-Steuer". Der Fernsehspot demonstriert an mehreren Beispielen, was die Steuerpolitik der Union für einzelne Personen und Berufsgruppen bedeuten würde. Wenn in Wahlwerbespots auf Heller und Pfennig gerechnet wurde, so geschah das bislang anhand großer Zahlen wie zum Beispiel der Staatsverschuldung. Politik aber bis zu ihren Auswirkungen auf das Portemonnaie einzelner Bürger zu konkretisieren, ist zumindest in dieser Deutlichkeit ein Novum. Dem gegenüber bot sich im Schluss die SPD als soziale Alternative an: "Deutschland muss sozial bleiben. Am 18. September SPD". Bündnis 90/Die Grünen waren 2005 die Partei, die die meisten verschiedenen Spots produzierte, einen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen und vier Spots für die Ausstrahlung im kommerziellen Fernsehen. Alle stellten Joschka Fischer in den Mittelpunkt und alle bedienten sich eines hintergründigen Humors für die Kampagne gegen die Union. Gedreht wurden die Wahlspots von Filmemacher Pepe Danquart, der 1993 den Oscar für seinen Kurzfilm "Schwarzfahrer" erhalten hatte. Zwei 90-Sekunden-Spots für die Ausstrahlung auf ARD und ZDF zeigen "Joschka auf der Alm". Beide Versionen sind in ihrer Gestaltung und ihrem Text ähnlich. In dem einen Spot, der so genannten funky version, sitzt Fischer lässig, leicht nach vorne und damit zum Publikum gebeugt auf einer Bank, in den Händen lange Grashalme. Hinter ihm eine grüne Wiese, im Hintergrund Wald und Berge. Während die Kamera auf ihn zufährt, sind leises Vogelgezwitscher und eine Kirchglocke zu hören, schließlich setzt sanfte Musikuntermalung ein und Fischer dreht sein Gesicht zur Kamera. Aus dem Off hört man ihn mit ruhiger Stimme erzählen: "Die Grünen sind an allem schuld. Ich hör das immer wieder. Die Mopsfledermaus, der Feldhamster werden uns dann noch dazugesellt. Ich kenne das seit langem. Vor
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Wahlen – sind die Grünen an allem schuld. Okay, wir sind nicht schuld an Angela Merkel, an Guido Westerwelle, an Edmund Stoiber. Wir sind schuld am Atomausstieg, am Einstieg in die erneuerbaren Energien, an Geschlechtergleichstellung [...] Dafür sind wir gerne schuld [...]". Direkt in die Kamera spricht Fischer dann die Wahlaufforderung: "Am 18. September haben Sie die Entscheidung. Und ich bitte Sie, wählen Sie die Grünen." Nach Ende seines Textes dreht Fischer sich um und blickt auf die Wiese hinter ihm, die Kamera fährt nach oben, so dass Fischer aus dem Bild verschwindet. Die Musik wird aufgedreht, vor der Wiese erscheinen nacheinander die Einblendungen "JA! zu Joschka" und "JA! zu Grün". Als Schlusseinstellung zeigt ein Packshot ein grünes Rechteck mit dem Logo der Partei und einer eckigen Sprechblase, die den Text "Zweitstimme ist Joschka-Stimme" enthält. Mit dem Schlusspart greifen so die beiden Spots Elemente der Plakatkampagne auf und verschaffen damit der Partei auch über die verschiedenen Werbemittel hinweg einen einheitlichen Werbeauftritt (vgl. Holtz-Bacha & Lessinger, Politische Farbenlehre, in diesem Band). Die drei Spots der Grünen, die ausschließlich im Privatfernsehen ausgestrahlt wurden, stellen Spielszenen mit Joschka Fischer und dem bayerischen Schauspieler Ottfried Fischer dar, die humorig Negativwerbung betreiben. Einmal imitiert Ottfried Fischer Franz Josef Strauß, der über sich über "die weibliche Reinkarnation von Helmut Kohl und ihren Mehrheitsbeschaffer, diesem Leichtmatrosen, und darum herum tanzenden Giftzwerge von der Linkspartei" erregt und dann feststellt "Gut, dass ich das nicht mehr erleben muss". Ein anderes Mal spielt er den "Grantler", der keinen Atomstrom mag, dem 18 Prozent Merkelsteuer gestohlen bleiben können und der nicht will, dass Westerwelle Außenminister wird. Im dritten Spot ergreift Ottfried Fischer der Horror, als Saumagen serviert wird, und Joschka Fischer sagt ihm dazu: "Willkommen in der Vergangenheit". Auch diese Spots enden alle mit einem Packshot, der optisch der Plakatkampagne entspricht. Der (einzige) Spot der FDP zeigte Guido Westerwelle mit der Anmutung eines Nachrichtensprechers: Seriös gekleidet mit Nadelstreifenjackett, weißem Hemd und orangefarbener Krawatte, im Sitzen, als Hintergrund die Glaskuppel des Bundestages. Tatsächlich beginnt er seinen Text mit den Worten: "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir senden Ihnen jetzt keinen Werbespot, sondern wir nennen Ihnen unsere Argumente. [...] Wir wollen Rot-Grün beenden. Und wir wollen verhindern, dass es eine Mehr-
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heit aus SPD, Grünen und PDS gibt. Der Schlüssel dazu ist eine starke FDP. [...]". Die Linkspartei ging ebenfalls mit nur einem Spot in ihre Fernsehwerbekampagne. In seinem Stil, nicht zuletzt mit der poppigen Musik, erinnerte er an die Spots der PDS aus früheren Wahlkämpfen. Im Spot waren Bilder von Rad fahrenden jungen Menschen gegen Bilder deutscher Städte und Landschaften geschnitten; im Mittelteil sieht man mehrere Kandidatinnen und Kandidaten der Partei im angeregten Gespräch mit Bürgern gefolgt von Kandidatenstatements zuerst von Oskar Lafontaine und dann von Gregor Gysi. Der Spot wirbt für die Möglichkeit der Veränderung, kritisiert nur allgemein "die anderen Parteien" und ihre Politik und betreibt insofern lediglich ein zurückhaltendes Negativcampaigning. Leitmotiv des Spots ist die Farbe rot: Mehrmals tauchen rothaarige Frauen und rotgekleidete Menschen auf, eine rote Markise, eine rote Ampel, rote Tücher, bis hin zur Einblendung eines roten Kastens, auf dem in weißer Schrift "Für eine neue soziale Idee." geworben wird, und dem Packshot auf das Parteilogo, bei dem wie auf den Plakaten der I-Punkt in LINKE durch einen nach links weisenden roten Wimpel ersetzt ist, und PDS rot unterlegt ist. Von den 38 Spots wurden 31 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt, entsprechend entfielen nur sieben auf das kommerzielle Fernsehen. Hier warben lediglich SPD, CDU, CSU und Bündnis 90/Die Grünen. Die durchschnittliche Länge der Spots, die 74.32 Sekunden beträgt, wird daher stark durch die von ARD und ZDF vorgegebene Länge für die Ausstrahlung bestimmt. Schnitte erfolgten in einem durchschnittlichen Abstand von 4.77 Sekunden. Damit sind die Spots gegenüber früheren Wahlkämpfen zwar wieder etwas ruhiger geworden, mit mehr als 14 Schnitten pro Spot, der maximal 90 Sekunden lang sein konnte, bleibt es aber dabei, dass die Politikvermittlung über Wahlspots Häppchenware ist. Auf die 38 Spots entfielen insgesamt 120 Sequenzen; im Schnitt enthielt ein einzelner Spot damit gut drei Sequenzen. Die Spots stellten also meist Kombinationen von mehreren Präsentationsformen dar. Weniger als ein Viertel (23 %) der Sequenzen zeigte einen Kandidaten als Akteur. Die weit überwiegende Mehrheit der Sequenzen enthielt also Präsentationsformen, die nicht von einem Kandidaten bestimmt waren.
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Abbildung 1: Präsentationsformen ohne und mit Kandidat Testimonial Slice of Life 11% 3% Plakat. Einstellung 4%
Packshot 39%
Rede 11%
Montage 36%
Methaphor. Präsentation 7%
Interview 4%
Statement 85%
Abbildung 1 stellt nebeneinander, wie stark die einzelnen Formate unter den Präsentationsformen ohne und mit Kandidat vertreten waren. Unter den Präsentationsformen ohne Kandidat steht der Packshot deshalb an erster Stelle, weil er fast in jedem Spot auftaucht: Es ist der Blick auf das beworbene Produkt, die Erinnerung, von wem der Spot stammte, der gerade gelaufen ist; wem die Stimme zu geben ist. Packshots sind in der Regel die letzten Einstellungen eines Spots, in denen das Parteilogo eingeblendet wird, meist kombiniert mit einem Slogan. Packshots haben insofern eher formalen Charakter, es handelt sich um Standardeinstellungen. Für die Spots 2005 wurden insgesamt 36 Packshots gezählt, kaum ein Spot verzichtet also auf diese Einstellung. Bei im Schnitt etwas mehr als drei Sequenzen pro Spot bleiben also neben dem Packshot im Grunde nur zwei, die inhaltlich gestaltet werden. Auch dies ist ein Indikator dafür, dass sich die Parteien mit ihren Spots weniger Mühe gaben als bisher. Es reicht, als "Marke" präsent zu sein. Als nach dem Packshot populärste Präsentationsform ohne Kandidat erweist sich auch 2005 wieder die Einzelbild-Montage. Sie besteht hier in den meisten Fällen aus unverbundenen Aneinanderreihungen von Einzelbildern, die wenigsten folgen einem Leitmotiv, die den einzelnen Einstellungen eine Klammer gibt. In der Regel sind diese Bildkompilationen unterhaltsam und optisch ansprechend, aber inhaltlich beliebig. Mit Abstand, aber einem dennoch nennenswerten Anteil sind Testimonials vertreten, also Statements von Bürgerinnen und Bürgern, die als vermeintlich neutrale Zeugen auftreten und damit ihre Partei oder die Kandidaten unterstützen. Dieses
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Format der Wahlwerbung ist auch deshalb beliebt, weil es den Parteien erlaubt, Bürgernähe zu demonstrieren. Die Präsentationsformen mit Kandidat werden traditionell von den Statements beherrscht. Es ist die klassische Form der Wahlwerbung, die im Englischen als Talking Head bezeichnet wird und damit dieses Format gut charakterisiert. Das Kandidatenstatement ist eine einfache, schnell und auch preiswert zu produzierende Präsentationsform, in der der Kandidat sich oder seine Partei präsentiert. Der oben beschriebene Spot der FDP war ein solches Kandidatenstatement. Wenn ausgerechnet der Spaßmobil-Politiker Guido Westerwelle dort einleitend sagt, das sei keine Wahlwerbung, dann meint er damit wohl den Verzicht auf schöne Bilder und Inszenierung, wie sie auch die FDP sonst eingesetzt hat. Wahlwerbung ist auch ein simples Kandidatenstatement dennoch, es gilt jedoch als ein langweiliges und einfallsloses Format. Für die Fernsehspots 2005 gibt es ein paar bemerkenswerte Befunde, die sich auf die formale Gestaltung der Werbefilme beziehen. Frühere Analysen hatten zum Beispiel darauf schließen lassen, dass der Einsatz von Musik in den Spots mittlerweile ein Muss darstellt. 42 Prozent der Sequenzen verzichteten dieses Mal auf die musikalische Untermalung. Wo Musik auftauchte, war sie fast immer als Hintergrundmusik eingesetzt, gesungene Sequenzen sind ganz selten. Entsprechend blieb die Musik auch eher zurückhaltend oder bildete eine mittelstarke Geräuschkulisse, dominierte im Ton aber nur in gelegentlich. Am häufigsten (ca. 63%) wird eine undefinierbare Instrumentalmusik zum Einsatz gebracht, andere Stilrichtungen sind nur zu jeweils geringen Anteilen zu finden. Das heißt, Musik dient meistenteils als Begleitung, unterstützt das Bild, übernimmt aber selten eine eigenständige inhaltliche Funktion. Eine Ausnahme stellt zum Beispiel der Spot der Republikaner dar, die wieder einmal mit "Spiel mir das Lied vom Tod" aufmachten (während Geier im Bild zu sehen waren). Die deutsche Nationalhymne taucht, bezogen auf alle Spots und Sequenzen, so gut wie gar nicht auf; patriotische Bezüge finden sich dann schon eher in der Verwendung der Nationalfarben und der Nationalflagge. Es sind lediglich Republikaner und NPD, die die Nationalhymne überhaupt und strategisch einsetzen. Bei der NPD wird zudem die verbotene erste Strophe des Deutschlandliedes gespielt. Andere Geräusche als musikalische Untermalung blieben eine Seltenheit.
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Der Einsatz von Spezialeffekten hielt sich in Grenzen. Ein Viertel der Sequenzen weist keinerlei Spezialeffekte auf. Dass darüber hinaus die Computeranimation in jeder zweiten Sequenz Anwendung findet und schließlich Überblendtechniken etwa in jeder sechsten Sequenz auftauchen, verweist lediglich auf den Einsatz von mittlerweile gängigen Techniken, die aber kaum für filmtechnische Raffinesse sprechen. Insofern lässt sich für die Gestaltung der Spots sagen, dass größtenteils wenig Aufwand betrieben wurde und die Fernsehwerbung der Parteien 2005 wenigstens gestalterisch nicht gerade für Furore sorgen konnte. Die Analysen der Parteienspots im Fernsehen, wie sie auch schon früher vorgelegt wurden, verwenden ein differenziertes Maß der Personalisierung. Unterschieden wird das schlichte Auftauchen eines oder mehrerer Kandidatinnen und Kandidaten im Bild einerseits und die Fokussierung auf einen Kandidaten, indem diese(r) zum Thema gemacht wird, andererseits. In Anbetracht von Diskussionen über "Präsidentialisierung" auch parteiendominierter politischer Systeme ist obendrein interessant zu prüfen, in wie weit eine Konzentration auf die Kanzlerkandidaten stattfindet. Kandidaten sind in 32.5 Prozent der Sequenzen vorhanden. Rund ein Drittel davon präsentiert die Kanzlerkandidaten, macht sie aber nicht zum Thema. Nicht einmal drei Prozent der Sequenzen thematisieren die Kanzlerkandidaten. Noch einmal fast ein Drittel präsentiert ebenfalls Kandidaten, die nicht Kanzlerkandidaten ihrer Partei sind. Zum Thema werden diese Kandidaten in gut vier Prozent. Wenn Eigenschaften der Kandidatinnen und Kandidaten angesprochen werden, geht es in den meisten Fällen um ihre Kompetenz und damit eine klassische politische Qualität. Gelegentlich finden sich Hinweise auf das Charisma eines Kandidaten; Integrität und Zuverlässigkeit haben indessen offenbar derzeit keine Konjunktur. Alles in allem hält sich die Personalisierung der Parteienwerbung demnach stark in Grenzen. Das Bild sieht allerdings etwas anders aus, wenn man nur die Spots der Bundestagsparteien betrachtet. Tatsächlich macht es ja gerade für diese Parteien Sinn, auf Personalisierung zu setzen, da nur sie bekannte Kandidatinnen und Kandidaten aufzuweisen haben. Bei den Spots von SPD, CDU, CSU, FDP, den Grünen und der Linken spielen die Kandidaten eine wichtigere Rolle als bei den kleineren Parteien, die sich eher auf ihre Themen konzentrieren. Bei SPD und CDU treten ausschließlich die Kanzlerkandidaten auf, werden aber nur sehr bedingt auch zum Thema gemacht. Sie präsentieren sich eher als Repräsentanten ihrer Partei. Insofern
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lässt sich auch für die Bundestagsparteien sagen, dass Personalisierung nur eingeschränkt stattfindet: Ihre Werbung setzt zwar deutlich auf die Kandidaten und ihre Popularität, wobei – außer bei der Linken – eine Fokussierung auf nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu verzeichnen ist. Eine Personalisierung in dem Sinne, dass die Kandidaten auch zum Thema gemacht und mit ihren persönlichen, womöglich sogar unpolitischen Eigenschaften und Kompetenzen angepriesen werden, bleibt in der Wahlwerbung im deutschen Fernsehen immer noch sehr begrenzt. Bemerkenswert ist allerdings, dass auch die Grünen sich in ihren Spots wiederum ganz auf Joschka Fischer konzentriert haben. Das galt 2005 sowohl für die Werbung im Fernsehen wie auch für die Plakatkampagne; 2002 waren andere Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen, die einst die Personalisierung völlig abgelehnt hatten, immerhin noch auf den Plakaten zu sehen gewesen. Die Parteienspots werben also bevorzugt themenorientiert. Wie sich auch hier zeigen wird, darf das nicht als eine wirkliche Information oder Diskussion von Politik verstanden werden. In maximal 90 Sekunden kann nur plakativ argumentiert werden, für Hintergrund und Für und Wider ist da keine Zeit. Das thematische Spektrum streute auch 2005 sehr breit. Das ist eine Folge der großen Zahl kleinerer Parteien und Gruppierungen, die zur Wahl antreten und ihr Recht auf Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahrnehmen. Viele dieser Gruppierungen haben singuläre Anliegen, auf die sich dann auch ihre Fernsehwerbung bezieht. So gab es dann auch nur ganz wenige Themen, die nennenswerte Anteile erreichten. An vorderster Stelle steht da – naturgemäß – der Komplex Wahlkampf, an der Spitze die gezielten Wahlaufrufe (in 32% der themenbezogenen Sequenzen). Bei den übrigen Themen war 2005 Arbeitslosigkeit/Beschäftigungspolitik der Renner, zusammen mit Klagen über die wirtschaftliche Situation taucht dieser Themenkomplex in 27 Prozent der Sequenzen auf, in denen Sachthemen behandelt werden. Wenigstens in der Fernsehwerbung war der Wahlkampf 2005 damit thematisch sehr eng angelegt. Wie angesichts dieser Schwerpunktsetzung kaum anders zu erwarten, war die Behandlung der Themen bevorzugt negativ. Die kritische Bewertung überwog bei weitem, sie kam beinahe doppelt so häufig vor wie neutrale Statements und noch häufiger als eine positiv wertende Präsentation. Es ergibt sich aus der Funktion von Werbung und zugleich dem Format des Werbespots, dass die bloße Behauptung das Argumentationsmuster dominiert. Wo sich überhaupt von Argumentation sprechen und eine solche
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Kategorie für die Analyse anwenden lässt, gilt für rund drei Viertel der Sequenzen, dass nicht mehr geliefert wird als eine bloße Behauptung. Die Parteien machen sich kaum die Mühe, ihre Behauptungen mit Beweisen zu untermauern oder wenigstens auf Plausibilitäten zu verweisen. Zweiseitige Argumentation ist nicht zu finden. Was da kritisiert, behauptet oder versprochen wird, bezieht sich etwas häufiger auf die Zukunft als auf die Vergangenheit. Das aber bedeutet, dass die Parteien mehr Versprechungen über ihre zukünftige Politik machen als sich der Wählerschaft mit ihren – nachprüfbaren – politischen Entscheidungen der Vergangenheit zu empfehlen. Soweit sich das auf der schmalen Basis der Spots und entsprechend der Sequenzen pro Partei sagen lässt, neigten die Unionsparteien in ihrer Wahlwerbung etwas stärker zur rückbezogenen Argumentation als SPD und Grüne. Gilt die zukunftsbezogene Argumentation gemeinhin eher als Amtsinhaberstrategie, weil Amtsinhaber eine Bilanz ihrer Regierungsarbeit ziehen und mit ihren Erfolgen werben können, finden wir hier also genau umgekehrte Verhältnisse. Rot und Grün sprechen lieber über das, was sie in den nächsten Jahren verwirklichen oder verhindern wollen, während die Unionsparteien tendenziell eher zurückblicken, nicht jedoch mit einer Bilanz ihrer eigenen Politik, sondern im Angriff auf die rot-grüne Koalition. Vor diesem Hintergrund ist dann auch nicht verwunderlich, wenn sich zeigt, dass sich die Argumentation der Parteien doppelt so häufig auf Reformen und Veränderungen bezieht, als dass sie sich fürs Bewahren aussprechen. Bei den Bundestagsparteien plädieren SPD und Grüne indessen häufiger für das Festhalten an bewährter Politik, während die Oppositionsparteien alle klar auf Veränderung zielen. Fazit Es war kaum anders zu erwarten: Die Parteien betrieben nicht viel Aufwand für ihre Fernsehwerbung. Zum einen war das naheliegend in Anbetracht des kurzen Wahlkampfes und nur schwach gefüllten Kassen. Zum anderen hatte sich schon 2002 gezeigt, dass den Parteien zwar die Wahlwerbung im Fernsehen wichtig ist, sie sich durch die Bedingungen aber eingeengt fühlen und daher andere Werbemittel stärker gewichten. Das beste Indiz für den schwachen Elan, mit dem die Parteien 2005 an die Produktion ihrer Fernsehspots gingen, ist die kleine Zahl unterschiedlicher Spots. Gerade die gro-
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ßen Parteien, insbesondere die CDU, gaben sich sparsam. Ausreißer in mehrerlei Hinsicht stellten Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Partei dar und arbeiteten so gegen die allgemeine Lustlosigkeit bei der Spot-Gestaltung. Die Grünen produzierten insgesamt fünf verschiedene Spots, so viele gab es von keiner anderen Partei. Die Partei trat mit vier Spots an, das ist ungewöhnlich für eine so kleine Gruppierung, die ja auch auf ARD und ZDF zusammengenommen nur vier Sendeplätze für die Ausstrahlung ihrer Fernsehwerbung erhält. Die Grünen fallen mit ihren Spots auch durch die humorvolle Gestaltung aus dem Rahmen. Die Komik der Spielszenen mit Fischer & Fischer und die mehr hintergründige Ironie in den beiden Spots mit Joschka Fischer auf der Alm erzeugen eine gewisse Spannung, die allerdings – so gewiss auch die Kalkulation – nur eine bestimmte Klientel ansprechen dürfte. Der Humor der Grünen-Spots diente in allen Fällen der Verpackung des Negativcampaignings gegen Union und FDP. Ähnliches wie für die Grünen gilt für Die Partei, die nicht zuletzt mit der aufmerksamkeitsträchtigen Versteigerung von Werbezeit den unernsten Umgang mit ihrer Sendezeit demonstrierte und diesen durch den Kampf der Partei gegen Schleichwerbung noch persiflierte. Wenn sie davon spricht, "unser Bundespräsident Herbert Köhler [habe] neulich den Deutschen Bundestag nach Rücksprache mit Sabine Christiansen komplett aufgelöst" und sich selbst als "einzige Partei der extremen Mitte" bezeichnet, dann kommt Die Partei auch inhaltlich ganz im Stil der Satire daher. Grüne und Die Partei – wie auch der umstrittene Spot der APPD – haben für Abwechslung gesorgt und demonstrieren damit zugleich, dass die Wahlwerbung im Fernsehen Aufmerksamkeit schaffen und damit ein Wirkungspotenzial entfalten kann. Die SPD hat darüber hinaus durch ihr Zurückschlagen noch vor dem Angriff durch den Kugel-Spot der CDU ein neues Element in den Wahlkampf per Spot gebracht, wenn auch im Internet, das sich dafür als schnelleres Medium eher anbietet. Anders als in den USA gibt es in der Fernsehwerbung in Deutschland noch nicht die schnelle Reaktion auf den Gegner per Spot; das wäre aufgrund der Regulierung der Wahlwerbung hier auch allenfalls im kommerziellen Fernsehen möglich. Neu in der Fernsehwerbung von SPD und CDU war der Einsatz der Spots für das Negativcampaigning. Gerade bei den großen Parteien war das bislang kein auffälliges Element, eher fand sich die Kritik bei den kleineren Parteien und Gruppierungen. Diesmal ging die CDU ausschließlich mit einem Negativspot in den Fernsehwahlkampf; das bedrohliche Szenario, das
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der erste Teil des Spots aufbaut, wird durch das Statement von Angela Merkel am Schluss auch kaum aufgelöst. Die SPD produzierte mit ihrem Spot "Merkel-Minus" einen Negativspot, der nur im kommerziellen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Mit dem direkten Bezug zu Kanzlerkandidatin der Union ging der Spot auch über den sonst üblichen allgemeinen Angriff auf die politischen Gegner hinaus, indem Angela Merkel direkt angegriffen wurde. Neben den Fernsehspots produzieren die Parteien meist auch Kinospots, die in der Regel deutlich witziger sind als das, was im Fernsehen gezeigt wird. Ein Beispiel dafür bot 2005 die SPD. Ihr Kinospot zeigte über 40 Sekunden ein Bild von "Dr. Westerwelle", "Dr. Merkel" und "Dr. Stoiber" auf dem Podium einer Pressekonferenz. Westerwelle scheint in die Luft zu gucken, Stoiber schaut mit grimmigem Blick auf sein Mikrophon. Nichts tut sich. Dann als Einblendung die Frage: "40 Sekunden sind Ihnen schon zu lang?". Zwar können sich die Parteien bei der Werbung im Kino auf ein spezifisches Publikum einstellen und ihre Spots entsprechend gestalten, dennoch bleibt die Frage, warum im Kino gehen soll, was im Fernsehen offenbar nicht angebracht ist. Ebenso wie bei den Plakaten, wo die Parteien ihre besten Einfälle den Presseplakaten und damit der medialen Weiterverbreitung zu überlassen scheinen, ziehen sie mit ihren witzigen Spots ins Kino und bleiben im Fernsehen, vor allem auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen, eher konventionell. Literatur Bullion, C. von (2005, 8. September). Der Punk und das Merkel. Süddeutsche Zeitung, S. 17. "Die Partei": Schleichwerbung für Hapag Lloyd. Netzeitung. Abgerufen am 1. Oktober 2005 von www.netzeitung.de/internet/355683.html Holtz-Bacha, C. & Kaid, L. L. "Simply the best". Parteienspots im Bundestagwahlkampf 1994 – Inhalt und Rezeption. In C. Holtz-Bacha & L. L. Kaid, (Hrsg.), Wahlen und Wahlkampf in den Medien. Untersuchungen aus dem Wahljahr 1994 (S. 177-207). Opladen: Westdeutscher Verlag. Holtz-Bacha, C. (1999). "Wir sind bereit": Wählen Sie "Weltklasse für Deutschland". In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Wahlkampf in den Medien – Wahlkampf mit den Medien. Ein Reader zum Wahljahr 1998 (S. 69-85). Opladen: Westdeutscher Verlag. Holtz-Bacha, C. (2001). Wahlwerbung als politische Kultur. Parteienspots im Fernsehen 1957-1998. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001 SPD-Parteivorstand. (Hrsg.) (2005). Die Kampagne zur Bundestagswahl 2005. Berlin: SPD.
Professionalisierung im Online-Wahlkampf? Ein Längsschnittvergleich deutscher Partei-Websites zu den Bundestagswahlen 2002 und 2005 Eva Johanna Schweitzer
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Der Online-Wahlkampf in den Schlagzeilen
"www.wahlkampfchance-verpasst.de" hieß es zum Wahltermin in der Welt am Sonntag (Beckermann, 2005, S. 9), "Under Construction" kommentierte die Financial Times Deutschland (Virtel, 2005, S. 25) und von einem "Wahlkampf wie vor dreißig Jahren" sprach gar die FAS (Niggemeier, 2005, S. 33) – das Fazit der journalistischen Beobachter zum Online-Wahlkampf 2005 hätte kaum einhelliger formuliert werden können. Während die vorangegangene Parlamentswahl in Großbritannien und die US-Präsidentschaftswahl des Jahres 2004 neue Maßstäbe in der interaktiven und dezentralen Wahlkampfführung setzten, bewiesen deutsche Online-Kampagnen eine erschreckende "Mutlosigkeit der Parteien" (Wenzel, 2005, S. 2). Die Internetauftritte seien "bunt, banal und bisweilen auch polemisch" (Hannemann & Lehmkuhl, 2005, S. 88), in jedem Fall jedoch "höchst einfallslos" (Virtel, 2005, S. 25) und kaum mehr als "eine Fortführung des herkömmlichen Wahlkampfes" (Schemel, 2005, S. 15). Es fehle "die Interaktivität, die Metakommunikation und die Denke vom 'Netz' aus" (ebd.), vor allem aber eine Riege an "Visionäre[n]" (Wenzel, 2005, S. 1), um die Potenziale des OnlineEngagements auch hierzulande richtiggehend auszuschöpfen. "Willkommen [also] im Internetwahlkampf, unterste Schublade" (Virtel, 2005, S. 25), im "digitale[n] Entwicklungsland" (Beckermann, 2005, S. 9)? Diese medial vermittelte These einer kaum fortgeschrittenen Professionalisierung des deutschen e-campaigning ist zumindest aus drei Gründen kommunikationswissenschaftlich zu hinterfragen: Zum einen orientieren sich entsprechende Bewertungen der hiesigen Online-Kampagnen fast ausschließlich am amerikanischen Rollenmodell (vgl. z. B. Virtel, 2005). Ein solches Vorgehen liegt vor dem Hintergrund der fortwährenden Amerikani-
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sierungsdebatte in der politischen Kommunikation (vgl. Kamps, 2000) sowie mit Blick auf die Anfänge des Internetwahlkampfes in den USA (vgl. Davis, 1999) durchaus nahe. Der punktuelle und fast ausschließliche Vergleich mit dem transatlantischen Pendant lässt jedoch häufig landesspezifische Besonderheiten, zum Beispiel im Wahl- und Mediensystem, in der politischen (Spenden-)Kultur oder in der Internetnutzung, außer Acht, die für die nationale Ausgestaltung von Webkampagnen prägend wirken (vgl. auch Bieber, 2000, S. 105-107; Welzel, 2002). Werden solche systemimmanenten Faktoren nun in der Betrachtung deutscher und amerikanischer Wahlkämpfe vernachlässigt, entstehen oft verkürzte Gegenüberstellungen der jeweiligen Netzaktivitäten, die allgemeine Schlussfolgerungen über prinzipielle Qualitätsunterschiede kaum rechtfertigen. Dies gilt in besonderer Weise für journalistische Darstellungen, die in der Begründung ihrer Werturteile allein auf anekdotische Evidenz rekurrieren. Bereits im Bundestagswahlkampf 1998 konnte eine qualitative Inhaltsanalyse der deutschen Presseberichterstattung eine stark stereotype, bisweilen ereignis- und personenzentrierte Bezugnahme auf amerikanische Kampagnenformen feststellen (vgl. Voss, 2001). Das politische Hintergrundgeschehen und die Differenzierung der Wahlkampforganisation auf verschiedenen Ebenen des US-Systems blieben hierbei zugunsten einer Stilisierung des amerikanischen Präsidentschaftsentscheids weitestgehend unbedacht. Auch für die gegenwärtige Schilderung des e-campaigning lässt sich dieser selektive Zugriff nun beobachten (vgl. z. B. Frith, 2005): Die Mehrzahl der publizistischen Beiträge zu den deutschen und amerikanischen OnlineWahlkämpfen konzentriert sich – der Logik der Nachrichtenfaktoren folgend – primär auf plakative oder hervorstechende Einzelfallbeispiele, die von der durchschnittlichen Kampagnenleistung der beteiligten Akteure erheblich abweichen. Im Rahmen einer als Pars pro toto angelegten Berichterstattung, die zudem auf relativierende Bezüge zur empirischen Wahlforschung verzichtet, werden diese nicht repräsentativen Fallbeispiele sodann zum öffentlichen Vergleichsmaßstab für ebenfalls nur ausschnitthaft betrachtete deutsche Internetwahlkämpfe (zur präjudizierenden Wirkung von medialen Fallbeispielen auf Rezipientenurteile vgl. auch Daschmann, 2001). In der Folge zeitigt dies in beiden Ländern eine Tendenz zur publizistischen Über- resp. Unterschätzung der tatsächlichen Webkompetenzen, die eine Verkennung des eigentlichen Kampagnenspektrums im nationalen e-
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campaigning und eine Vernachlässigung der zeitlichen Entwicklung zum heutigen Status quo bedingt. Gerade letzteres Argument offenbart dabei zugleich ein weiteres Defizit in der medialen Konstruktion des Online-Wahlkampfes: Die in der Bundestagswahl 2005 geübte Kritik an einer mangelnden Professionalisierung der deutschen Internetkampagnen impliziert nach wissenschaftlichen Kriterien eine diachrone Perspektive, die den Fortschritt der jeweiligen Kommunikationsleistungen anhand eines Vergleichs mit vorangegangenen OnlineAuftritten im eigenen Land beurteilt. Eine derartige Längsschnittbetrachtung ist für andere Formate bzw. Medien in der Wahlkampfführung längst gängig (vgl. z. B. Holtz-Bacha, 2000; Wilke & Reinemann, 2000). Folgt man diesem Beispiel, wäre der Internetwahlkampf 2005 daher zunächst mit entsprechenden Netzkampagnen zurückliegender Bundestagswahlen zu kontrastieren, bevor sich der analytische Blick einer kontextsensiblen Gegenüberstellung mit dem amerikanischen Modell zuwendet. Jener notwendige zeitliche Vergleich wird in den meisten publizistischen Beiträgen jedoch selten eingenommen. Vielmehr scheinen der begrenzte redaktionelle Raum und die mangelnden Rechercheressourcen eine gegenwartsbetonte Mediendarstellung zu begünstigen, die in einer fallorientierten Schilderung aktueller Online-Bestrebungen nur wenig Bezüge zur Ausgestaltung früherer Wahlkämpfe erkennen lässt. Für die mediale Beurteilung des erreichten Professionalisierungsgrades im deutschen e-campaigning bedeutet dies in der Bilanz indessen eine erhebliche Einschränkung der dargebotenen Argumentationskraft: Die ausschließliche und pauschale Orientierung am amerikanischen Vorbild, die Konzentration auf einige wenige, nicht repräsentative Einzelfälle und die Vernachlässigung der zeitlichen Perspektive gewährleisten insgesamt keine angemessene Bewertungsgrundlage, die eine begründete Einschätzung der Professionalisierung im deutschen e-campaigning zuließe. Hierzu wäre ein systematischer Vergleich der nationalen Internetauftritte notwendig, der die benannten Schwächen der Berichterstattung aufgreift und diese durch eine empirische Längsschnittuntersuchung kompensiert. Bislang fehlt in der deutschen Forschung jedoch ein entsprechendes Vorgehen, da die Kürze der hiesigen Internettradition und die Flüchtigkeit des Mediums der retrospektiven Betrachtung natürliche Grenzen setzen. Ferner ist hierzulande erst seit einigen Jahren ein verstärktes Bemühen um eine empirisch-quantitative Auseinandersetzung mit Formen der computer-vermittelten Wahlkampf-
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kommunikation festzustellen (vgl. Römmele, Gibson, & Ward, 2003; Schweitzer, 2003, 2005), die den Rückgriff auf existierende Datenbestände erlaubt. Angesichts dieses Forschungsdefizites ist es daher das Ziel des vorliegenden Beitrags, erstmals eine diachrone Betrachtung des nationalen Online-Wahlkampfes zu leisten, die gesicherte Schlussfolgerungen über den Stand der Professionalisierung im deutschen e-campaigning ermöglicht. Anhand einer vergleichenden Inhalts- und Strukturanalyse nationaler ParteiWebsites zu den Bundestagswahlen 2002 und 2005, die an eine frühere Untersuchung anschließt (vgl. Schweitzer, 2003), sollen dabei wesentliche Entwicklungstendenzen deutscher Internetkampagnen aufgezeigt und diese vor dem Hintergrund der allgemeinen Modernisierungsprozesse in der Wahlkampfführung beleuchtet werden. Hierzu gilt es zunächst, den Begriff der Professionalisierung für den Online-Bereich näher zu explizieren und ihn in empirisch geeignete Beobachtungskategorien zu überführen (Abschnitt 2). Diese Operationalisierung soll dann in Form von sechs forschungsleitenden Hypothesen der methodischen Vorgehensweise (Abschnitt 3) sowie der weiteren Ergebnisdarstellung (Abschnitt 4 und 5) zugrunde gelegt werden. Ein bilanzierendes Fazit (Abschnitt 6) fasst schließlich die Kernbefunde der vorliegenden Studie zusammen und setzt diese zur Ausgangsfrage der Professionalisierung im nationalen e-campaigning in Beziehung. 2
Der Online-Wahlkampf aus Sicht der Kommunikationswissenschaft: Forschungsentwicklung und Befunde zur Professionalisierung politischer Internetauftritte
Die empirische Analyse von Online-Kampagnen hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Standardfeld in der internationalen Wahlkampfforschung entwickelt. Dieser Aufstieg lässt sich sowohl mit der zunehmenden Verbreitung des e-campaigning und der wachsenden Zahl an Internetnutzern als auch mit dem anhaltenden wissenschaftlichen Interesse für technische Neuerungen wie Weblogs oder Podcasting begründen. Darüber hinaus fördern länderübergreifende Kooperationen, institutionalisierte Projektplattformen (z. B. www.politik-digital.de; www.politicsonline.com; www.politicalweb.org) sowie eine fortgeschrittene methodologische Diskussion (vgl. z. B.
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Benoit & Benoit, 2005; Roessing, 2005) die Etablierung der OnlineForschung in der politischen Kommunikation. Im Mittelpunkt der wahlkampfbezogenen Studien steht dabei die Frage, ob sich klassische Befunde der Kommunikationswissenschaft zur Kampagnenführung in traditionellen Medien auch auf die Wähleransprache im Internet übertragen lassen. Diesem Erkenntnisinteresse liegt die Annahme zugrunde, dass Online- und Offline-Wahlkämpfe aufgrund des geteilten gesellschaftlichen Kontextes und des gemeinsamen politischen Ziels der Mobilisierung Parallelen in ihrer jeweiligen Ausgestaltung aufweisen müssten, die sich aus den übergreifenden Rahmenbedingungen der modernen Politikvermittlung ergeben. Hierzu zählen etwa die allgemein nachlassenden Parteibindungen, die steigenden Wechsel- und Nichtwählerzahlen sowie das wachsende staatliche Anspruchsdenken der Bürger oder die erhöhten medialen Inszenierungszwänge für Parteien und Politiker (vgl. z. B. Swanson, 2003). Die Anpassung an diese Konsequenzen des sozialen und medialen Wandels wird dabei in der Wahlforschung als Professionalisierung bezeichnet, die das strategisch motivierte Bemühen der politischen Akteure umschreibt, eine langfristige Effizienzsteigerung ihrer Wähleransprache zu erzielen (vgl. z. B. Holtz-Bacha, 2002; Negrine & Lilleker, 2002; Swanson & Mancini, 1996). Obwohl der Begriff der Professionalisierung und seine Bedingungsfaktoren selbst nicht unumstritten sind (vgl. Donges, 2000; Lilleker & Negrine, 2002), wird in der Forschungsliteratur jedoch recht einmütig auf die mit ihm assoziierten Veränderungen in der Kampagnenführung verwiesen. Diese konkretisieren sich unter anderem in der Hinzuziehung externer Wahlkampfberater, in der Ausrichtung an der medialen Darstellungslogik und in der Anwendung klassischer Marketingstrategien, die in der Konsequenz zu einer weitreichenden Entideologisierung und Personalisierung der politischen Kommunikation sowie zu einer Betonung des Angriffswahlkampfes (Negative Campaigning) beitragen (vgl. Swanson & Mancini, 1996, S. 252). Darüber hinaus wird häufig auch das World Wide Web als charakteristisches Element der postmodernen Kampagne genannt (vgl. z. B. Blumler & Kavanagh, 1999, S. 222; Norris, 2000, S. 138; Plasser, 2003, S. 241), dessen Implementierung "thus opened up a new chapter in the history of the professionalization of politics" (Mancini, 1999, S. 239). Während die empirische Forschung nun für einzelne Merkmale dieser Professionalisierung durchaus annahmenkonforme Konvergenzen zwischen
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Online- und Offline-Wahlkämpfen feststellen konnte, die zudem Anlass zur Vermutung einer Normalisierung des e-campaigning gaben (vgl. im Überblick z. B. Gibson, 2004; Tedesco, 2004; Ward, Gibson & Nixon, 2003), ist die Frage eines parallelen Prozesses der Professionalisierung innerhalb und außerhalb des Internets bislang nur sehr selten aufgegriffen worden. Nach Kenntnis der Autorin liegen weltweit allein drei Studien vor, die anhand eines Längsschnittvergleichs einzelner Kampagnen-Websites eine diachrone Betrachtung des Webwahlkampfes unternehmen (vgl. Greer & LaPointe, 2004; Kamarck, 2002; Sadow & James, 2000). 1 Diese Untersuchungen wurden jedoch ausschließlich in den USA sowie durchgängig mit Bezug auf etwaige Kandidaten-Homepages in regionalen Wahlen durchgeführt und können daher in ihren Schlussfolgerungen nicht unmittelbar auf den deutschen Online-Wahlkampf übertragen werden. Des Weiteren zeigen die genannten Analysen zum Teil uneinheitliche Befunde, die sich durch individuelle Unterschiede in der methodischen Vorgehensweise ergeben. Im Bewusstsein dieser Einschränkungen können die genannten Studien daher einzig als Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung dienen, um das Konzept der Professionalisierung für den deutschen Internetwahlkampf zu adaptieren und dieses in geeignete Forschungshypothesen zu überführen. Gemeinsam ist den genannten Längsschnittanalysen dabei, dass sie die Professionalisierung des e-campaigning sowohl für die inhaltliche als auch für die formale Ebene der politischen Online-Kommunikation operationalisieren. So werden neben den bereits angesprochenen Merkmalen der Entideologisierung (Wahlkampfthematisierung vs. sachpolitische Erörterungen), der Personalisierung (Kandidaten- vs. Parteiorientierung auf der Themen-, Aussagen- und Urheberebene) und des Ausmaßes an Negative Campaigning (Kritik am politischen Gegner vs. positive Selbstdarstellung) ebenso jene Aspekte der politischen Website-Gestaltung berücksichtigt, die als medienspezifische Besonderheiten der computer-vermittelten Kommunikation über die rein textbasierte Wähleransprache hinausgehen. Im Einzelnen umfasst dies so1 Auch die Untersuchung von D’Alessio (2000) beinhaltet einen Längsschnittvergleich des OnlineWahlkampfes zu den amerikanischen Senats- und Gouverneurswahlen der Jahre 1996 und 1998. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Studien konzentriert sich der Autor jedoch ausschließlich auf die Verbreitungsrate des e-campaigning unter den antretenden Kandidaten, während inhaltliche oder formale Aspekte der Internetauftritte gänzlich unberücksichtigt bleiben. Da diese nun das Hauptaugenmerk der vorliegenden Analyse bilden, werden die Befunde von D’Alessio für die nachfolgenden Überlegungen nicht weiter miteinbezogen.
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wohl die Zahl an ergänzenden informativen und interaktiven Elementen als auch die Stärke der Serviceorientierung der Homepages, die sich an der Häufigkeit der Einbindung multimedialer und steuernder Zusatzoptionen für die Website-Nutzer bemisst. Eine derartige formale Erweiterung des Professionalisierungskonzeptes trägt hierbei den wissenschaftlichen Forderungen nach einer mehrdimensionalen Analyse dynamisch-variabler Online-Inhalte Rechnung (vgl. z. B. Rössler & Wirth, 2001, S. 282), die zusätzlich Aspekte der Benutzerfreundlichkeit des Internetauftritts, das heißt der sog. WebsiteUsability, integriert und hierdurch Schlussfolgerungen über die wirkungskalkulierte Gesamtkonzeption der netzbasierten Wahlkampfführung ermöglicht. Dieses Verfahren ähnelt ferner auch bereits etablierten Untersuchungsansätzen zur Beschreibung anderer Wahlkampfmedien, die in gleicher Weise eine Differenzierung zwischen formalen und inhaltlichen Gestaltungsmerkmalen postulieren (vgl. Kaid & Johnston, 2001, S. 25f.). Auf der Grundlage dieser Beobachtungskategorien gilt in amerikanischen Studien nun eine Professionalisierung des e-campaigning dann als gegeben, wenn im Zeitverlauf quantitative Anteilszunahmen jener OnlineMerkmale erfolgen, die a) eine inhaltliche Annäherung des Internetwahlkampfes an das Offline-Pendant beschreiben bzw. b) eine strukturelle Reorganisation des Webauftritts zugunsten einer stärkeren Nutzerorientierung indizieren. Im Einzelnen bedeutet dies gemäß der entwickelten Operationalisierung eine zunehmende thematische Fokussierung der Websites auf die Wahlkampfführung, eine vermehrte Konzentration auf die Spitzenkandidaten als Hauptgegenstand der online publizierten Textbeiträge, eine Verstärkung der inhaltlichen Kritik am politischen Konkurrenten sowie eine Steigerung der informations-, interaktions- und servicebezogenen Website-Elemente. Diese Indikatoren werden dabei nicht als willkürlich-normative Wertsetzung in der Beurteilung politischer Internetauftritte eingeführt, sondern resultieren aus der um medientechnische Aspekte erweiterten Kongruenzannahme der Forschung bezüglich der gemeinsamen Kennzeichen des Online- und Offline-Wahlkampfes. Demzufolge bezieht sich die gewählte Operationalisierung auch ausschließlich auf die inhaltliche und formale Gestaltung der jeweiligen Internetauftritte, während eine Berücksichtigung der organisatorischen Verantwortung der Netzaktivitäten oder ihrer tatsächlichen Effekte innerhalb der Wählerschaft in diesem Zusammenhang nicht intendiert ist. Eine solche Differenzierung könnte jedoch gleichwohl zusätz-
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liche Informationen über den jeweiligen Entwicklungsstand im e-campaigning erbringen. In der Anwendung dieser rein angebotsorientierten Operationalisierung auf den amerikanischen Online-Wahlkampf vermögen die angeführten Längsschnittanalysen nun die vermutete parallele Professionalisierung der computer-vermittelten Wähleransprache mehrheitlich zu bestätigen: Die untersuchten Kandidaten-Websites aus den Senats-, Kongress- und Gouverneurswahlen der Jahre 1996, 1998 und 2000 wiesen im Zeitverlauf eine deutliche Vermehrung der interaktiven Elemente sowie eine Zunahme an informierenden Hintergrundmaterialien zu den Kandidaten und ihren politischen Positionen auf. Darüber hinaus erfolgte eine vielfältigere Einbindung an Graphik- und Serviceelementen ("sophistication"), die gemeinsam mit einem stellenweise höheren Anteil an Negative Campaigning (zum zunehmenden Negativismus von Kampagnen-Websites vgl. auch Klotz, 2004, S. 77) für eine Weiterentwicklung des Internetwahlkampfes spricht. Greer und LaPointe (2004, S. 130) resümieren folglich, dass "[…] new technologies are producing a bifurcation in campaign strategy. Campaign websites are becoming both more informative and interactive, but are also using more sophisticated graphics and taking a more negative stance towards opponents". Entgegen der ursprünglichen Erwartungen zeigte sich in den jeweiligen Untersuchungen jedoch weder ein Trend zu einer stärkeren Personalisierung der Webangebote noch eine intensivere Bezugnahme auf den Wahlkampf als Hauptthema der Kampagnen-Seiten. Stattdessen traten sachpolitische Erörterungen häufiger in den Vordergrund, die insgesamt eine partielle Professionalisierung des e-campaigning nahe legen: Demnach lassen sich die erwarteten Anpassungsprozesse an die online und offline geltenden Bedingungen der modernen Politikvermittlung vor allem auf der strukturellen Ebene der Website-Gestaltung beobachten, während die inhaltliche Ausrichtung der Internetauftritte hiervon nur wenig beeinflusst scheint. Für die Professionalisierungsfrage im deutschen Online-Wahlkampf wäre mit Blick auf diese Befunde und der ihnen zugrunde liegenden Operationalisierung daher zu prüfen, ob sich hinsichtlich der Partei-Websites zu den Bundestagswahlen 2002 und 2005 in ähnlicher Weise eine quantitative Veränderung der benannten Indikatoren beobachten lässt. Diese Vermutung kann in Form von sechs forschungsleitenden Hypothesen konkretisiert werden:
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H 1:
Die Partei-Websites weisen im Jahr 2005 mehr Informationselemente auf als im Jahr 2002.
H 2:
Im Zeitverlauf zeigen die Homepages eine Zunahme an interaktiven Optionen.
H 3:
Die Zahl der Serviceelemente hat sich im Untersuchungszeitraum erhöht.
H 4:
Zwischen den Bundestagswahlen 2002 und 2005 gewinnt das Thema Wahlkampf gegenüber sachpolitischen Fragen an Bedeutung.
H 5:
Im Zeitvergleich hat die Personalisierung der Partei-Websites signifikant zugenommen. Dies zeigt sich sowohl auf der Themen- als auch auf der Aussagen- und Urheberebene.
H 6:
Im Wahljahr 2005 ist der Anteil an Aussagen, die dem Negative Campaigning zugesprochen werden können, signifikant gestiegen.
Träfen diese Hypothesen zu, so wäre eine umfassende Professionalisierung des deutschen Online-Wahlkampfes gegeben, die sich sowohl auf der Struktur- als auch auf der Inhaltsebene der analysierten Partei-Websites niederschlägt. Im Rahmen der Untersuchungsanlage setzt die empirische Validierung jener Annahmen damit ein zweistufiges Verfahren voraus, welches in der zeitlichen Konstanz des Erhebungsinstrumentes beiden Dimensionen der Online-Professionalisierung Rechnung trägt und hierdurch einen zuverlässigen Längsschnittvergleich des Internetwahlkampfes in den Bundestagswahlen 2002 und 2005 ermöglicht. 3
Zur Anlage der Untersuchung
Für die prozessorientierte Betrachtung der Professionalisierung im nationalen Online-Wahlkampf griff die vorliegende Analyse auf eine Pilot-Studie zur Bundestagswahl 2002 zurück (vgl. Schweitzer, 2003). Diese untersuchte zum damaligen Zeitpunkt die Frage der Normalisierung des deutschen Online-Wahlkampfes am Beispiel einer Inhalts- und Strukturanalyse der ParteiWebsites von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. In der Vorgehensweise und in ihren Befunden vermag diese Studie nun als Ausgangs-
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punkt für eine analoge Untersuchung des Online-Wahlkampfes 2005 zu dienen, die die Homepages aller zur Bundestagswahl antretenden und im Internet präsenten Parteien (N=32) hierzu vergleichend in Beziehung setzt. Im Einzelnen wurden für diese Zielsetzung die entsprechenden ParteiWebsites in den letzten vier Wochen vor dem Wahltermin abgespeichert und einer formalen bzw. inhaltlichen Codierung unterzogen. Dieses Vorgehen hat sich in der internationalen Forschung zur Gestaltung des OnlineWahlkampfes nunmehr als Standardmethode etabliert. Die formale Strukturanalyse erfasst in diesem Zusammenhang die An- und Abwesenheit diverser Website-Elemente und -Optionen, die auf der Grundlage theoretischer Vorüberlegungen, methodologischer Empfehlungen und forschungspraktischer Gesichtspunkte in mehrteilige Funktionskataloge gegliedert werden (vgl. z. B. Gibson & Ward, 2000). Obwohl sich hierzu bislang kein studienübergreifendes Systematisierungsmuster durchsetzen konnte, weisen die in internationalen Untersuchungen verwendeten Codebögen dennoch erhebliche Überschneidungen auf. So wird in den meisten Analysen ein Informations- oder Servicebereich unterschieden, der alle zur politischen Orientierung angebotenen Hintergrundmaterialien, wie zum Beispiel Newsletter, Wahlprogramme, Veranstaltungstermine, Kandidatenporträts, kategorisiert und diese gegenüber interaktiven Website-Elementen, wie etwa Diskussionsforen, Chats, Online-Umfragen, abgrenzt. Daneben finden sich mehrere Klassifikationen zu etwaigen medienorientierten Homepage-Leistungen (z. B. Bilddatenbanken, Pressemitteilungen, Nachrichtenarchive), zur hypertextuellen Vernetzung der Website mit anderen Online-Inhalten sowie Codierschemata bezüglich der Teilhabemöglichkeiten der Nutzer an der Wahlkampagne (z. B. Online-Fundraising, Friendraising, E-volunteers) oder den graphischen bzw. navigationsbezogenen Homepage-Merkmalen, die die technische Gesamtkonzeption des Internetauftritts betreffen (z. B. Audio/Videostreams, Animationen, Suchmaschinen, Textoptionen). Für die Bundestagswahl 2002 wurde ebenfalls eine solche Zuordnung formuliert, die im Einzelnen die ermittelten Website-Elemente in vier Funktionsgruppen (Information, Mobilisation, Partizipation und Integration) sowie in fünf formale Kategorien (Visibilität, Zugänglichkeit, Navigation, Aktualität und Design) differenzierte (vgl. Schweitzer, 2003, S. 201-202 sowie Tabellen 2a-d und Tabelle 3). Anhand dieser Klassifikationen konnten Rückschlüsse über eventuelle Strukturunterschiede zwischen den politischen Internetauftritten gewonnen und diese im Parteivergleich quantifiziert wer-
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den. Hierzu ließ sich für jede Kategorie ein parteibezogener Indexwert berechnen, der aus der Division der pro Website aufgefundenen und der in einer Kategorie generell erreichbaren Gesamtzahl an Homepage-Elementen resultierte und damit eine Spannbreite von 0 (keine Präsenz der jeweiligen Website-Elemente) bis 1 (vollständige Präsenz der Website-Elemente) aufwies. In der strukturanalytischen Betrachtung des Online-Wahlkampfes 2005 sollte diese Vorgehensweise nun ebenfalls übernommen werden. Allerdings beinhaltete die gewählte Adaption zwei entscheidende Änderungen: Zum einen wurde für beide Wahlen – entsprechend der hier im Mittelpunkt stehenden Hypothesenprüfung – eine (rückwirkende) Rekategorisierung der erfassten Homepage-Merkmale durchgeführt, die statt der ursprünglichen neun nun drei Funktionsgruppen vorsieht. Diese beinhalten gemäß der zuvor entwickelten Operationalisierung des Professionalisierungsbegriffes eine Systematisierung der vorliegenden Website-Kennzeichen in die Bereiche Information, Interaktivität und allgemeine Serviceorientierung, wobei letztere Kategorie vor allem gestalterische und steuerungsbezogene Optionen umfasst. 2 Zum anderen wurden die ehemals berücksichtigten Dimensionen Integration, Visibilität und Aktualität nicht mehr in die Nachfolgestudie mit aufgenommen, da diese für die gegenwärtige Fragestellung nur eine geringe Aussagekraft besitzen. An ihrer Stelle erfolgte eine Ergänzung der ursprünglichen Itemliste um die technischen Neuerungen Weblogs und Podcasting, die in der Bundestagswahl 2002 noch keinerlei Anwendung fanden. Insgesamt schloss die Strukturanalyse zum Online-Wahlkampf 2005 damit 69 Website-Elemente ein, deren kategoriale Ausprägung für alle Partei-Homepages ermittelt und in einem übergeordneten Indexwert quantifiziert wurde. In der Überprüfung der strukturbezogenen Forschungsannahmen sollten die eruierten Indexwerte der Webauftritte im Online-Wahlkampf 2005 nun die jeweiligen Kennziffern aus dem vergangenen Internetwahlkampf 2002 deutlich übertreffen. In diesem Fall wäre für die betrachteten Partei-Websites eine formale Teilprofessionalisierung gegeben, die weiterhin für die inhaltliche Dimension des e-campaigning zu validieren ist. Die vorliegende Untersuchung beinhaltete aus diesem Grund in Anlehnung an die entsprechende Vorgehensweise zur Bundestagswahl 2002 neben der Strukturauswertung ebenso eine quantitative Inhaltsanalyse der auf den Homepages der Parlamentsparteien (SPD, CDU, CSU, Bündnis 90/Die Eine detaillierte Aufschlüsselung der berücksichtigten Website-Elemente muss an dieser Stelle aus Platzgründen entfallen. Eine entsprechende Übersicht kann jedoch von der Autorin bezogen werden.
2
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Grünen, FDP, Die Linke/PDS) publizierten Online-Nachrichten. In den letzten vier Wochen vor dem Wahltermin wurden diese täglich ausgedruckt, archiviert und schließlich einer manuellen Codierung unterzogen. 3 Die inhaltliche Betrachtung umfasste hierbei neben den standardisierten formalen Kategorien, wie zum Beispiel Beitragslänge, Autor und Verweildauer, insbesondere die hypothesenrelevanten Aspekte der Themensetzung der OnlineNachrichten, ihre Aussagen bezüglich der eigenen Partei und des politischen Konkurrenten sowie die Urheber der jeweiligen Äußerungen. Für jeden Beitrag konnten in diesem Zusammenhang maximal acht Statements samt Verfasser codiert werden; dies entsprach dem gewählten Verfahren in der Pilot-Studie zur Bundestagswahl 2002. Die Konzentration auf die Online-Nachrichten der Partei-Websites ergab sich im Rahmen der Inhaltsanalyse dabei aus drei Grundüberlegungen: Zum einen ist es das Ziel der vorliegenden Analyse, einen validen Längsschnittvergleich des Internetwahlkampfes in den letzten beiden Bundestagswahlen zu ermöglichen. Im Einzelnen setzt dies Kontinuität im methodischen Zugang und damit Konstanz in der Materialauswahl voraus. Da die Erstuntersuchung aus dem Jahr 2002 neben der Strukturanalyse der Webauftritte ebenfalls die Online-Beiträge der vier genannten Parlamentsfraktionen in den Mittelpunkt rückte, ist in einer analogen Nachfolgestudie in gleicher Weise die formale und inhaltliche Ausgestaltung der jeweiligen ParteiWebsites zu berücksichtigen. Diese Homepages gelten darüber hinaus im Gegensatz zu den sie begleitenden Kampagnen-Seiten nach wie vor als Zentrum des politischen Internetauftritts. Ihre Nutzung durch interessierte Wähler und Medienvertreter lässt folglich eine stärkere Beachtung und Breitenwirkung jener Online-Beiträge vermuten, die in der begründeten Selektion des zu analysierenden Datenausschnitts ebenfalls zum Ausdruck kommen sollte. Des Weiteren vermögen die dort publizierten ParteiNachrichten in besonderer Form Rückschlüsse über die im Wahlkampf verfolgten inhaltlichen Kommunikationsstrategien der beteiligten Akteure zu geben: Im Gegensatz zur Medienberichterstattung und zu anderen Werbemitteln der Kampagnenführung, die teils längere Vorlaufzeiten in ihrer Produktion aufweisen und damit keine kontinuierliche Aktualisierung ermöglichen, bieten die im Internet publizierten Mitteilungen einen Zur Berechnung der Intracoderreliabilität wurde im Rahmen der Inhaltsanalyse eine Zufallsstichprobe von 5% des Untersuchungsmaterials erneut codiert. Der entsprechende Reliabilitätskoeffizient beträgt .89 nach Holsti.
3
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wesentlich größeren Raum zur ungefilterten Selbstdarstellung sowie zur unmittelbaren und schnellen Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen während des Wahlkampfes. Durchgängige Kommunikationsmuster der Parteien sowie eventuelle Strategieänderungen lassen sich somit im Zeitverlauf an den jeweiligen Homepages und hier insbesondere an den entsprechenden Online-Nachrichten am besten ablesen. Dies stellt gerade für die vorliegende Studie einen entscheidenden Vorteil dar, um den Professionalisierungsgrad des deutschen e-campaigning nachfolgend sowohl auf der strukturellen als auch auf der inhaltlichen Ebene angemessen beschreiben zu können. 4
Ergebnisse der Strukturanalyse
Im Mittelpunkt der Strukturanalyse stand zunächst die Frage, ob sich für die Online-Wahlkämpfe der Bundestagswahlen 2002 und 2005 eine formale Weiterentwicklung der untersuchten Partei-Websites beobachten lässt. Die angenommene Professionalisierung der Internetauftritte sollte dabei in Anlehnung an die Befunde der amerikanischen Längsschnittstudien nicht nur in der Zahl der vorzufindenden politischen Informationselemente (H 1) und im Ausmaß der dargebotenen interaktiven Optionen (H 2), sondern auch in der Stärke der allgemeinen Serviceorientierung (H 3) zum Ausdruck kommen. Um dies zu überprüfen, beinhaltete die Strukturanalyse insgesamt 69 Website-Elemente, die in ihrer Online-Präsenz anhand von drei Funktionsgruppen erfasst und durch einen Indexwert numerisch miteinander verglichen wurden. Im Gesamtüberblick der Befunde zeigt sich dabei für die betrachteten Partei-Homepages der Bundestagswahl 2005 (N=32) ein ähnliches Bild wie zur Bundestagswahl 2002 (vgl. Abbildung 1). Erneut stellen die informationsorientierten Website-Optionen parteiübergreifend den Kern des politischen Internetauftritts dar. So dominieren über alle Homepages hinweg textbasierte Beschreibungen der Wahlprogramme, der Parteigeschichte und ihrer internen Organisation sowie Hinweise zu den Kandidaten, den politischen Veranstaltungen oder den Sendezeiten der Wahlwerbespots. Diese werden des Weiteren von ServiceElementen wie Artikelarchiven, PR-Downloads, Fotos und Graphiken begleitet, die die Les- und Handhabbarkeit der gegebenen Hintergrundmaterialien
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Abbildung 1: Ergebnisse der Strukturanalyse im Online-Wahlkampf 2005
1,00
Index
0,80 Information Interaktivität Service
0,60 0,40 0,20 0,00 SPD
CDU
CSU
Grüne Partei
FDP
Linke Andere (Mw.; N=26)
insgesamt erhöhen. Interaktive Funktionen finden demgegenüber kaum Berücksichtigung: Zwar weist die Mehrzahl der untersuchten ParteiWebsites basale Optionen wie E-Mail-Kontakte (32 von 32 Parteien), Fundraising (16 von 32 Parteien) oder Online-Mitgliedschaften (26 von 32 Parteien) auf, darüber hinausgehende Möglichkeiten zur Beteiligung der Nutzer werden von den meisten Parteien jedoch nur selten eingeräumt. Wenige Homepages bieten zum Beispiel die Teilhabe als Wahlkampfhelfer (7 von 32 Parteien) oder die persönliche Stellungnahme im Rahmen von Diskussionsforen (12 von 32 Parteien), Weblogs (5 von 32 Parteien) und Online-Umfragen (3 von 32 Parteien) an. Der organisatorische Aufwand zur Realisation dieser Elemente und vor allem die Sorge um einen medialen Kontrollverlust (vgl. Stromer-Galley, 2000) scheinen hier weiterhin die Bereitschaft der politischen Akteure zur dezentralen Öffnung ihrer Parteikommunikation zu schmälern. Dies wirkt insofern überraschend, als die erfolgreichen Online-Strategien des zurückliegenden US-Präsidentschaftswahlkampfes 2004 und die Befunde neuerer Experimentaluntersuchungen zur Rezeption und Wirkung von Kampagnen-Websites (vgl. Sundar, Kalyanaraman & Brown, 2003) gerade für interaktive Homepages von einem positiven Imageeffekt unter der Wählerschaft ausgehen. Die Vernachlässigung solcher Komponenten im hiesigen Webwahlkampf trägt daher zwar
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dem Steuerungsbedürfnis nationaler Parteien Rechnung, birgt umgekehrt jedoch das Risiko von Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzverlusten, die insbesondere unter erfahrenen Internetnutzern durch eine Verstärkung der entsprechenden Informationsangebote kaum zu kompensieren sind. Dessen bewusst scheint sich insbesondere die FDP, die als einzige Partei sowohl zur Bundestagswahl 2002 als auch im Online-Wahlkampf 2005 über eine überdurchschnittliche Ausprägung ihrer interaktiven Website-Optionen verfügte. Abseits dieser Sonderstellung offenbart der Blick auf die strukturanalytische Gesamtauswertung der zurückliegenden Bundestagswahl zudem eine signifikante Professionalitätskluft zwischen Parlaments- und Nicht-Parlamentsparteien. Während SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke/PDS in der formalen Konzeption ihrer Internetauftritte meist mehr als die Hälfte aller erreichbaren Kategorie-Elemente verzeichnen, weisen die nicht im Bundestag vertretenen Parteien durchgängig erhebliche Defizite in der Informationsdichte, dem Interaktivitätsgrad und der Benutzerfreundlichkeit ihrer Website-Gestaltung auf. Unabhängig von der jeweiligen politischen Grundausrichtung konzentrieren sich diese ausschließlich auf die Kernelemente des politischen Internetauftritts (vgl. Schweitzer, 2005, S. 136-137) und verbleiben damit im Durchschnitt weit unter den Standards der etablierten Parlamentsparteien: Neben Newslettern, Kampagneninformationen und der Vorstellung parteiinterner Projekte werden hierbei hauptsächlich Interaktions- und Service-Aspekte wie Druck-, E-Mail- und Feedbackoptionen bei Textbeiträgen, Sitemaps, Info-Touren oder Suchmaschinen sowie Multimedia-Angebote, Bildarchive und Gimmicks vernachlässigt, die auf nationaler Ebene nunmehr zu den grundlegenden Bestandteilen des e-campaigning zählen. Diese Leistungsunterschiede zwischen großen und kleinen Parteien bestätigen die an anderer Stelle bereits erwähnte Normalisierungsthese der politischen Online-Kommunikation, die für den Internetwahlkampf eine Widerspiegelung realer Macht- und Ressourcenverhältnisse postuliert. So verzichten weniger einflussreiche Akteure häufig auf eine anspruchsvolle Selbstdarstellung im Internet, da sie durch die kontinuierliche Betreuung eines aufwändigen Online-Angebots eine zusätzliche und unnötige Belastung ihrer eingeschränkten personellen bzw. finanziellen Mittel befürchten. In der Konzentration auf eine minimalistische Webpräsenz bleibt jedoch meist unberücksichtigt, dass professionelle Internetauftritte eine wichtige Unterstützungsleistung in der Koordination der Offline-Kampagne erbringen und dabei im Vergleich zu anderen Werbemitteln weitaus günsti-
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ger zu initiieren sind. Ferner stellen sie für kleinere Parteien oft die einzige Möglichkeit dar, sich auch außerhalb des Wahlkampfes unter interessierten Wählern und Medienvertretern umfassend und angemessen zu profilieren. Die mangelnde Aufmerksamkeit, die die eigene Homepage unter den analysierten außerparlamentarischen Gruppierungen erfährt, ist daher vor allem als eine vertane Chance zur Eigenwerbung im politischen Wettbewerb zu werten. Dies verdeutlicht insbesondere der Blick auf die formale Entwicklung des Online-Wahlkampfes unter den Bundestagsparteien (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Ergebnisse der Strukturanalyse im Zeitvergleich SPD Index
CDU
B’90/Grüne
FDP
Gesamt
2002
2005
2002
2005
2002
2005
2002
2005
2002
2005
Information
0,81
0,81
0,76
0,81
0,57
0,76
0,57
0,81
0,68
0,80
Interaktivität
0,53
0,38
0,40
0,56
0,40
0,50
0,80
0,75
0,53
0,55
Service
0,68
0,69
0,74
0,67
0,71
0,81
0,74
0,84
0,72
0,75
Anmerkung: Abweichungen zu den an früherer Stelle (vgl. Schweitzer, 2003) berichteten Indexwerten für die Bundestagswahl 2002 sind durch eine im Methodenteil dieser Studie beschriebene Rekategorisierung der erfassten Website-Elemente bedingt, die aus der Anpassung des Erhebungsinstruments an die hier im Vordergrund stehende Hypothesenprüfung erfolgte.
Im Rückgriff auf die Pilot-Studie zur Bundestagswahl 2002, die ausschließlich die Websites von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP untersuchte, lässt sich im diachronen Vergleich der entsprechenden Indexwerte eine wachsende Divergenz zwischen den jeweiligen Netzkampagnen konstatieren: Während die Internetauftritte der kleineren Parteien auch zur Neuwahl 2005 durch erhebliche Defizite in der formalen Gestaltung gekennzeichnet sind, erfolgte für die Homepages der im Parlament vertretenen Fraktionen eine zusätzliche Steigerung der informations-, interaktions- und servicebezogenen Website-Optionen. Im Zeitverlauf erhöhten sich die Indexwerte der betrachteten Funktionskategorien sowohl im parteiübergreifenden Gesamtdurchschnitt als auch in der Mehrzahl aller individuellen
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Paarvergleiche. Diese Zunahmen resultieren unter anderem aus den gestiegenen Online-Erfahrungen der politischen Organisationen sowie aus dem Hinzutreten technischer Neuerungen, die in den strategischen WebsiteRelaunches im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 zum Ausdruck kamen. Hierbei wurden stellenweise wahlbezogene Informationen vertieft, Steuerungs- und Textoptionen vervollständigt sowie etwaige interaktive Feedbackmöglichkeiten ergänzt, um den wachsenden Ansprüchen der (Medien-) Öffentlichkeit und den Standards der politischen Konkurrenten gerecht zu werden. Diese Entwicklungen entsprechen dabei den zuvor formulierten strukturanalytischen Hypothesen (H 1-3) und legen folglich eine formale Teilprofessionalisierung des deutschen Online-Wahlkampfes nahe. Dieser Befund ist in der Gegenüberstellung zu den Ergebnissen amerikanischer Längsschnittstudien jedoch durch zwei grundlegende Einschränkungen zu präzisieren: Zum einen lässt sich eine formale Professionalisierung des deutschen Online-Wahlkampfes gegenwärtig nur für die betrachteten Bundestagsfraktionen feststellen. Eine entsprechende Effizienzsteigerung unter den außerparlamentarischen Gruppierungen konnte hier aufgrund des begrenzten Datenvergleichs im Zeitverlauf weder direkt beobachtet noch mit Blick auf die geringen konzeptionellen Gesamtleistungen dieser Akteure im Online-Wahlkampf 2005 begründet angenommen werden. Zum anderen erfolgte auch für die analysierten Bundestagsfraktionen keine gleichmäßige Weiterentwicklung ihrer jeweiligen Internetauftritte: Bei vier der insgesamt fünfzehn verglichenen Indexpaare (in der Tabelle grau unterlegt) traten widersprüchliche Wertverschiebungen auf, die eine Differenzierung der strukturbezogenen Grundannahmen erfordern. So zeigten die Homepages von SPD, CDU und FDP bisweilen nur selektive Leistungserweiterungen in einzelnen Bereichen, die zugleich von Zurücknahmen anderer Website-Optionen begleitet waren. Dies äußerte sich unter anderem in der Reduktion von spielerischen Elementen auf Seiten der FDP, in einer Aufgabe einzelner Steuerungshilfen im Rahmen der CDU-Homepage sowie in einer Ablösung von Chats und Diskussionsforen zugunsten von Weblogs innerhalb der SPD-Website. Diese Neuausrichtungen sind vermutlich sowohl taktischen Überlegungen als auch der Kürze der Wahlkampagne bzw. ihrer Planungsphase und der Ersetzung bisheriger Optionen durch technische Innovationen geschuldet, die in der Bilanz zu einem diskrepanten Entwicklungsbild im e-campaigning beitragen. Letzteres relativiert daher die bislang geschilderten Befunde der Strukturanalyse und lässt somit insgesamt
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einen bedingten Professionalisierungsprozess im deutschen Internetwahlkampf vermuten. Ob und inwieweit diese Schlussfolgerung hierbei auch für die inhaltliche Ebene der Netzkampagnen zutrifft, soll im Folgenden näher erörtert werden. 5
Ergebnisse der Inhaltsanalyse
Während die Strukturcodierung der Partei-Websites ausschließlich die formale Gestaltung des Online-Wahlkampfes betrachtete, setzte sich die Inhaltsanalyse gezielt mit der kommunikativen Ausrichtung der jeweiligen Internetauftritte auseinander. Diese wurde anhand der auf den Homepages der Bundestagsparteien (SPD, CDU, CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke/PDS) publizierten Online-Nachrichten ermittelt, die in den letzten vier Wochen vor dem Wahltermin täglich ausgedruckt und einer manuellen Codierung unterzogen wurden. Im Zentrum der Analyse stand dabei die Frage, ob sich eine inhaltliche Professionalisierung des OnlineWahlkampfes in Anlehnung an die Befunde der amerikanischen Längsschnittstudien in einer zunehmenden Entideologisierung der Kampagne (H 4), in einer verstärkten Personalisierung (H 5) und in einem steigenden Anteil an Negative Campaigning (H 6) nachweisen lässt. Um dies empirisch zu überprüfen, wurden neben den formalen Kennzeichen der OnlineNachrichten insbesondere ihre thematischen Schwerpunkte, ihre Aussagen über die beteiligten politischen Akteure sowie die Urheber der Äußerungen erfasst. Die Inhaltsanalyse stützte sich dabei insgesamt auf 451 Beiträge (ohne CSU und Die Linke/PDS: 303 Artikel). Diese verteilten sich gleichmäßig über die heiße Wahlkampfphase und wiesen mit einer Verweildauer von ca. drei Tagen eine ähnliche zeitliche Persistenz auf wie zur Bundestagswahl 2002. Darüber hinaus war die Mehrzahl der Online-Nachrichten (66,7%) erneut in einem nüchternen Nachrichtenstil gehalten und ließ ebenso wie im zurückliegenden Webwahlkampf die Internetredaktionen der jeweiligen Parteien als Hauptverfasser erkennen (72,2%). Allein die Homepage der Linken/PDS bildete diesbezüglich eine Ausnahme, da sie abermals die persönliche Stellungnahme einzelner Mitglieder in den Vordergrund rückte und folglich primär auf die Beitragsform eines Kommentars zurückgriff (65,6%).
Professionalisierung im Online-Wahlkampf?
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Weiterhin zeigte sich im Vergleich zur Pilot-Studie der Bundestagswahl 2002 eine deutliche Steigerung der Nachrichtenumfänge (durchschnittlich 349 Worte; Min.: 12; Max.: 2214; Std.: 324,83) sowie eine Zunahme an textbegleitenden Elementen wie Fotos (66,3%), Graphiken (22,2%), vertiefenden Hyperlinks (53,3%) oder Hintergrundmaterialien (23,9%). Insbesondere die Homepage der SPD trat in diesem Zusammenhang hervor, da sie erstmals nicht nur die meisten Beiträge auf sich vereinigte (21,3%), sondern ebenfalls am häufigsten entsprechende Multimedia-Ergänzungen zu ihren Online-Nachrichten anbot. Dies unterstreicht die eingetretene formale Professionalisierung des deutschen Internetwahlkampfes, die für die Bundestagsparteien bereits im Rahmen der Strukturanalyse verzeichnet werden konnte. Abseits dieser gestalterischen Weiterentwicklung lässt sich mit Blick auf die thematische Schwerpunktsetzung der politischen Websites zudem eine erste Bestätigung für die angenommene inhaltliche Professionalisierung des e-campaigning finden: In der Gegenüberstellung zu den Befunden der PilotStudie konnte für die Bundestagswahl 2005 gemäß der vierten Forschungshypothese ein deutlicher Anstieg der selbstreferentiellen Wahlkampfbezüge beobachtet werden (vgl. Abbildung 2): Abbildung 2: Themen des Online-Wahlkampfes 2005
70
Wahlkampf
Sachpolitik
Anteil in %
60 50
Bildung (2,7%) Umweltpolitik (4,4%)
Sozialpolitik (2,4%)
Sonstiges (2,5%)
Wirtschaft (4,9%)
40
Steuerpolitik (7,1%)
30 20
Innenpolitik (8,0%)
10
Wahlkampf (59,6%)
Außenpolitik (8,4%)
0 2002
2005 Jahr
Während im Jahr 2002 der Anteil an sachpolitischen Erörterungen noch insgesamt auf den Partei-Homepages leicht überwog, dominierte in der
202
Eva Johanna Schweitzer
zurückliegenden Neuwahl sowohl parteiübergreifend als auch im Zeitverlauf die Auseinandersetzung mit der eigenen Kampagnenführung. Mehr als die Hälfte aller Beiträge (59,6%; ohne CSU und Die Linke/PDS: 57,8%) widmete sich nun den Wahlkampfaktivitäten der politischen Organisationen, wobei insbesondere die landesweiten Veranstaltungen der Kandidaten (19,7% aller Wahlkampf-Beiträge) und das TV-Duell (7,4% aller Wahlkampf-Beiträge) im Mittelpunkt standen. Andere gesellschaftliche Bereiche, wie Außen-, Wirtschafts- oder Steuerpolitik, die im Vorfeld der Bundestagswahl als besonders vordringlich in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung erschienen, wurden demgegenüber weitestgehend ausgeblendet. So bildete selbst das kontrovers diskutierte Steuerkonzept von Paul Kirchhof nur in 4,2% der Partei-Nachrichten einen inhaltlichen Schwerpunkt. 4 In diesem Zusammenhang ließ sich für die SPD-Homepage sogar eine annähernd doppelt so häufige Bezugnahme auf Kirchhof feststellen wie auf Seiten der hierfür in Verantwortung stehenden CDU (9,4% aller SPD-Beiträge vs. 5,9% aller CDU-Beiträge). Diese Verstärkung der entideologisierten Wahlkampfzentrierung kann ferner auch für den individuellen Partei-Vergleich konstatiert werden: In der Kontrastierung mit den entsprechenden Anteilswerten von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in der Bundestagswahl 2002 zeigte sich für die Mehrheit der genannten Parlamentsfraktionen zur Neuwahl 2005 ein erheblicher Anstieg der Kampagnenbeiträge auf jeweils über 60 Prozent. Allein bei den Liberalen erfolgte eine diesbezügliche Minderung der parteieigenen Wahlkampfthematisierung (von einst 44,4% auf 33,3%), die vermutlich auf das strategische Bemühen um eine seriösere Selbstdarstellung gegenüber der vergangenen "FDP-Spaßkampagne" zurückzuführen ist. Gleichwohl überwog auch hier in beiden Bundestagswahlen die selbstreferentielle Bezugnahme auf den Wahlkampf. Die insgesamt ausgeprägtere Kampagnenorientierung der untersuchten Partei-Websites bestätigt damit die erste inhaltsbezogene Forschungshypothese (H 4) und lässt folglich eine entsprechende Teilprofessionalisierung der Online-Kampagnen vermuten. Doch gilt dies auch für die angenommene Personalisierung der Internetauftritte (H 5)? Um diese Frage zu beantworten, muss neben der thematischen Ausrichtung der Beiträge ebenso die Aussagen- und Urheberebene mit in Betracht gezogen werden. Innerhalb der rein steuerpolitischen Beiträge dominierte gleichwohl die Diskussion um Paul Kirchhof mit einem Anteil von 59,4%.
4
Professionalisierung im Online-Wahlkampf?
203
Hinsichtlich des ersten Indikators lässt sich dabei keine stärkere Konzentration der Online-Nachrichten auf die jeweiligen Spitzenkandidaten feststellen. Ähnlich wie zur Bundestagswahl 2002 bildeten diese nur in rund drei Prozent aller Beiträge den Hauptgegenstand der Webpublikationen (ohne CSU und Die Linke/PDS: 3,4%; in der Bundestagswahl 2002: 3,9%), wobei auch im individuellen Partei-Vergleich keine themenorientierte Zunahme der Personalisierung erfolgte. Der Internetwahlkampf der Parlamentsfraktionen entsprach damit insgesamt zwar dem vermuteten Trend einer selbstreferentiellen Kampagnenthematisierung, vermied hierbei jedoch parteiübergreifend eine prononciertere Auseinandersetzung mit der politischen Führungsriege. Dies zeigt sich insbesondere mit Blick auf die analysierten Aussagen jener Online-Nachrichten (vgl. Abbildung 3): Abbildung 3: Beitragsaussagen im Online-Wahlkampf 2005
N N= = 1289 1289
SPD
233
CDU
208
Gegenstand
B'90/Die Grünen
187
CSU
147
Gerhard Schröder
Positiv
116
FDP
Negativ
103
Die Linke
98
Angela Merkel
93
Paul Kirchhof
41
Kirchhofs Steuerkonzept
29
Sonstige
34
0
50
100
150
200
250
300
Zahl der Aussagen
In den letzten vier Wochen vor dem Wahltermin wurden insgesamt 1.289 Statements erfasst (ohne CSU und Die Linke/PDS: 940). Diese erschienen
204
Eva Johanna Schweitzer
vorwiegend in der letzten Woche des Untersuchungszeitraums (N=363; 28,2%) und konnten mehrheitlich auf die Homepage der SPD zurückgeführt werden (N=352; 27,3%). Entgegen der ursprünglichen Forschungsannahme konzentrierten sich die Äußerungen jedoch in allen Parteien nicht auf die Spitzenkandidaten oder auf Paul Kirchhof, sondern auf die jeweiligen Parlamentsfraktionen: Drei Viertel aller politischen Aussagen (N=976; 75,7%) widmeten sich hier den antretenden Parteien, wobei hauptsächlich die gegenseitige Kritik von SPD und CDU/CSU im Vordergrund stand. So richtete die Union zumeist die Anschuldigung an die Regierungskoalition, eine wirtschaftliche Misere in Deutschland verantwortet (32,2% aller regierungsbezogenen Aussagen, 11,1% aller Aussagen der CDU; 56,3% aller regierungsbezogenen Aussagen, 20,5% aller Aussagen der CSU) und das Vertrauen der Menschen missbraucht zu haben (17,2% aller regierungsbezogenen Aussagen, 5,9% aller Aussagen der CDU; 10,4% aller regierungsbezogenen Aussagen, 3,8% aller Aussagen der CSU), während die Sozialdemokraten umgekehrt den Vorwurf des mangelnden sozialen Mitgefühls (36,6% aller unionsbezogenen Aussagen, 12,8% aller Aussagen der SPD), der Unaufrichtigkeit (20,3% aller unionsbezogenen Aussagen der SPD, 7,1% aller Aussagen der SPD) und des Konservatismus (11,4% aller unionsbezogenen Aussagen der SPD, 4% aller Aussagen der SPD) gegenüber der Opposition erhoben. Die Spitzenkandidaten wurden demgegenüber nur in 18,9 Prozent aller Statements genannt (N=243). Dies entspricht annähernd der Aussagenverteilung, wie sie auch im Bundestagswahlkampf 2002 beobachtet werden konnte, als die Mehrzahl der Äußerungen (N=522; 76%) ebenfalls die jeweiligen Parteien aufgriff und die politische Führungsriege nur in gut einem Viertel aller Stellungnahmen (N=167; 24%) eine nähere Berücksichtigung erfuhr. Die verbleibende Differenz zwischen den Anteilen der Kandidatenthematisierung in den Bundestagswahlen 2002 und 2005 erklärt sich hierbei vor allem durch die hinzugetretene Auseinandersetzung um Paul Kirchhof (N=70; 5,4% aller Aussagen), die im Rahmen eines personalisierten Stellvertreter-Diskurses zu einer geringeren Bezugnahme auf die jeweiligen Spitzenkandidaten führte. So bestand der Hauptteil der steuerpolitischen Aussagen vorwiegend aus charakterlichen Wertungen der Privatperson Kirchhof (58,6%), während sachliche Beurteilungen seiner konzeptionellen Vorschläge deutlich in den Hintergrund traten (41,4%). Insbesondere die SPD forcierte in diesem Zusammenhang eine Personalisierung der Steuerdebatte, da sie überwiegend Kirchhofs moralische Grundhaltung in Frage
Professionalisierung im Online-Wahlkampf?
205
stellte (35,5% aller auf Kirchhof bezogenen Aussagen, 3,1% aller Aussagen der SPD) und ihn gemeinsam mit der Union der Unaufrichtigkeit bezichtigte (12,9% aller auf Kirchhof bezogenen Aussagen, 1,1% aller Aussagen der SPD). Gleichwohl bildete diese Kontroverse, wie bereits auf der Themenebene der Beiträge festgestellt, nicht den Mittelpunkt des OnlineWahlkampfes. Letzterer konzentrierte sich vielmehr homepageübergreifend auf die Demonstration der parteibezogenen Kampagnenkompetenz, so dass auch für die Aussagenebene keine verstärkte Personalisierung des OnlineWahlkampfes 2005 konstatiert werden kann. Dies gilt ebenso für den Bereich der Urheber jener Statements: Sowohl in der Bundestagswahl 2002 als auch in der Bundestagswahl 2005 stammte die Mehrheit der Beitragsäußerungen nicht von den jeweiligen Spitzenkandidaten (28,3%), sondern von anderen Repräsentanten der politischen Organisationen (64,1%; ohne CSU und Die Linke/PDS: 60,4%). Dies bestätigte sich für alle Wochen des Untersuchungszeitraums sowie für alle betrachteten Internetauftritte. Allein die SPD-Homepage bildete hier im zurückliegenden Wahlkampf 2002 insofern eine Ausnahme, als Gerhard Schröder eine Art Amtsbonus in der Häufigkeit seiner Online-Zitation aufwies und damit im Vergleich zu seinen Parteigenossen wesentlich stärker als Urheber in Erscheinung trat (vgl. Schweitzer, 2003, S. 210). Diesen Aussagenvorsprung verlor er im Internetwahlkampf 2005 jedoch in drastischer Weise: War er im Jahr 2002 in mehr als einem Drittel (37,1%) aller SPDÄußerungen als Verfasser erkennbar, so ließen sich zur vorgezogenen Neuwahl nur noch 17 Prozent aller parteilichen Stellungnahmen auf ihn zurückführen. Demgegenüber erzielte seine Herausforderin Angela Merkel im Online-Wahlkampf 2005 eine deutlich höhere Sichtbarkeit: Im Vergleich zum Amtsinhaber wurde sie häufiger in den jeweiligen Textbeiträgen genannt (36,8% vs. 35,3%), war doppelt so oft auf beitragsbegleitenden Fotos zu sehen (12,2% vs. 6,2%) und wurde schließlich umfassender als dieser in den jeweiligen Online-Nachrichten zitiert (9% vs. 4,7%). Selbst Guido Westerwelle (6,7%) und Edmund Stoiber (5,4%) wiesen gegenüber dem Bundeskanzler eine höhere Urheberpräsenz auf, so dass im Internetwahlkampf 2005 ohne Zweifel von einer kommunikativen Entmachtung Schröders gesprochen werden kann. Darüber hinaus gewann Angela Merkel auch in der Gegenüberstellung zu ihrem Vorgänger, Edmund Stoiber, an Bedeutung: Im Gegensatz zu seinem Auftreten als Kanzlerkandidat in der Bundestagswahl 2002 wurde sie auf der CDU-Homepage vielfältiger in eigenen
206
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Worten wiedergegeben (42,3% vs. 17,8%) und erhielt zudem häufiger explizite Würdigungen seitens ihrer Parteikollegen (8,7% vs. 6,4% aller CDUAussagen). Dieser individuelle Aufstieg blieb jedoch ohne Einfluss auf die Gesamtbilanz der Bundestagswahlen 2002 und 2005, so dass eine signifikante Zunahme der kandidatenbasierten Beitragsäußerungen hier nicht belegt werden kann. Stattdessen überwogen im Partei- und Zeitvergleich generell Stellungnahmen durch andere Parteimitglieder, die das Wahlkampfgeschehen und die an ihm beteiligten Akteure subjektiv kommentierten. Mit Blick auf die übereinstimmenden Ergebnisse der Themen-, Aussagen- und Urheberanalyse lässt sich folglich für die fünfte Forschungsannahme zur Personalisierung im Online-Wahlkampf keine Bestätigung formulieren. Dies trifft ebenso für die letzte Hypothese der vorliegenden Untersuchung zu, die sich mit dem Ausmaß an Negative Campaigning in den analysierten Online-Nachrichten auseinandersetzte. Zwischen den Bundestagswahlen 2002 und 2005 sollte diesbezüglich eine vermehrte Hinwendung zum Negativismus auf den jeweiligen Partei-Websites beobachtet werden, die entsprechend der amerikanischen Längsschnittbefunde als ein Indiz für eine inhaltliche Professionalisierung des Internetwahlkampfes gilt. Im Zeitvergleich ließ sich für diese Vermutung jedoch kein Beleg finden (vgl. Abbildung 4). In der Gegenüberstellung der prozentualen Saldi zwischen positiven und negativen Partei-Aussagen dominierte zwar insgesamt sowohl zur Bundestagwahl 2002 als auch zur Bundestagswahl 2005 der Angriffswahlkampf unter den politischen Akteuren, eine signifikante Steigerung des Anteils an Negative Campaigning konnte hierbei jedoch nicht nachgewiesen werden. Vielmehr traten im individuellen Vergleich deutliche Entwicklungsunterschiede zwischen den Parteien auf, die die Annahme eines gleichgerichteten Professionalisierungsprozesses der Online-Kampagnen relativieren: Während Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Zeitverlauf eine annähernd konstante argumentative Ausrichtung vertraten, erfolgte für SPD und CDU eine Verkehrung ihrer jeweiligen Kommunikationsstrategien ins Gegenteil. So konzentrierten sich die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf 2002 entsprechend ihrer Position als Amtsinhaber vor allem auf eine positive Selbstdarstellung, die insbesondere die Reformkraft der Regierung, ihr Bemühen um soziale Gerechtigkeit (jeweils 18,4% aller selbstbezüglichen Aussagen, 9,6% aller Aussagen der SPD) sowie die Kompetenz und Sympathie-
Professionalisierung im Online-Wahlkampf?
207
wirkung des Kanzlers (jeweils 13,2% aller selbstbezüglichen Aussagen, 6,8% aller Aussagen der SPD) hervorhob. Im Bundestagswahlkampf 2005 gab die Abbildung 4: Negative Campaigning im Partei- und Zeitvergleich Partei SPD
CDU
CSU
Grüne
FDP
Linke
Gesamt
2002 2005
2002 2005
2002 2005
2002 2005
2002 2005
2002 2005
2002 2005
30,0
Saldo in %
20,0 10,0 0,0 -10,0 -20,0 -30,0 -40,0
Jahr
SPD dieses Vorgehen jedoch weitestgehend auf und verstärkte stattdessen den eigentlich für eine Herausfordererposition typischen Angriffswahlkampf gegen CDU/CSU und Paul Kirchhof. Die Union reagierte auf diesen taktischen Wechsel umgekehrt mit einer intensiveren positiven Selbstdarstellung im Online-Wahlkampf 2005, indem sie nun den erstrebten politischen Neuanfang unterstrich (28,6% aller selbstbezüglichen Aussagen, 11,5% aller Aussagen der CDU), die kämpferische Geschlossenheit ihrer Partei betonte (12,5% aller selbstbezüglichen Aussagen, 2,8% aller Aussagen der CDU) und eine um Solidarität (12,5% aller selbstbezüglichen Aussagen, 2,8% aller Aussagen der CDU) und Ehrlichkeit (10,7% aller selbstbezüglichen Aussagen, 2,4% aller Aussagen der CDU) bemühte Politik für sich reklamierte. Dieses Vorgehen stand hierbei in deutlichem Kontrast zur taktischen Posi-
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tionierung im Rahmen der Bundestagswahl 2002, als die wirtschafts- und arbeitsmarktbezogene Kritik an der rot-grünen Regierungskoalition den Fokus der jeweiligen Online-Nachrichten bildete. Der geschilderte Ausrichtungswechsel unter den beiden Volksparteien illustriert damit die situative Gebundenheit der angewandten Kommunikationsstrategien und lässt folglich im Vergleich zum amerikanischen e-campaigning kaum einen homepageübergreifenden Negativtrend erkennen. In der Konsequenz muss die These eines verstärkten Angriffswahlkampfes (H 6) daher ebenso zurückgewiesen werden wie die Annahme einer zunehmenden Personalisierung der untersuchten Netzkampagnen (H 5). Hierdurch verbleibt in der Gesamtbetrachtung der Befunde allein die vermutete Entideologisierung der Partei-Websites im Rahmen der Hypothesenprüfung bestehen (H 4), so dass in Anlehnung an die Ergebnisse der Strukturanalyse auch für die inhaltliche Ebene des Online-Wahlkampfes von einem bedingten Professionalisierungsprozess auszugehen ist. Im Vergleich zur formalen Entwicklung der untersuchten Internetauftritte scheint dieser jedoch wesentlich schwächer ausgeprägt zu sein: So konnte im Rahmen der Inhaltsanalyse nur eine von insgesamt drei Forschungshypothesen empirisch validiert werden, während die Strukturcodierung der Homepages zumindest auf der globalen Ebene eine Bestätigung für alle drei gestaltungsbezogenen Vorannahmen erbrachte. Diese Beobachtung entspricht dabei den Befunden der amerikanischen Längsschnittstudien, die für die analysierten Kandidaten-Websites in gleicher Weise eine primär technisch orientierte Professionalisierung des Online-Wahlkampfes verzeichnen. 6
Zusammenfassung und Fazit
Im Rahmen des vorliegenden Beitrags galt es die Frage zu beantworten, ob für die Bundestagswahlen 2002 und 2005 eine Professionalisierung der deutschen Online-Kampagnen erfolgte. Dieses Erkenntnisinteresse war unter dem Eindruck eines recht einmütigen medialen Meinungsklimas im Vorfeld der Neuwahl entstanden, welches für die Netzaktivitäten deutscher Parteien eine mangelnde konzeptionelle Weiterentwicklung postulierte. Um diese These nun empirisch zu überprüfen, wurde erstmals eine Längsschnittbetrachtung nationaler Partei-Websites unternommen, die in Anlehnung an amerikanische Vergleichsstudien sowohl die formale Gestaltung als auch die
Professionalisierung im Online-Wahlkampf?
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thematische Ausrichtung der Internetauftritte mitberücksichtigte. Die Ergebnisse der jeweils in der heißen Wahlkampfphase durchgeführten Inhaltsund Strukturanalyse bestätigen dabei die zu Beginn diskutierte Vermutung einer nur wenig differenzierten Mediendarstellung des deutschen ecampaigning: Entsprechend der formulierten Forschungshypothesen wiesen die Homepages der Parlamentsparteien zur Bundestagswahl 2005 tatsächlich ein höheres Gesamtmaß an Information, Interaktivität und Serviceorientierung auf, als in der vorangegangenen Bundestagswahl 2002. Darüber hinaus zeigten sie eine ausgeprägtere Kampagnenbetonung, die sich insbesondere in der wachsenden thematischen Fokussierung auf den Wahlkampf und in einer Zurückdrängung sachpolitischer Erörterungen niederschlug. Eine verstärkte Personalisierung der Online-Kommunikation oder ein steigender Anteil an Negative Campaigning konnte demgegenüber nicht durchgängig beobachtet werden. Vielmehr fanden sich sowohl für die strukturellen als auch für die inhaltlichen Dimensionen der Untersuchung individuelle Entwicklungsunterschiede zwischen den Parteien, die die Grundannahme eines gleichgerichteten Anpassungsprozesses an die Rahmenbedingungen der modernen Politikvermittlung relativieren. In Parallelität zu den Befunden amerikanischer Längsschnittuntersuchungen ist daher auch für deutsche Partei-Websites zunächst von einer bedingten Professionalisierung auszugehen, die vor allem in der formalen Konzeption der Homepages und weniger in der argumentativen Schwerpunktsetzung der Netzauftritte zum Ausdruck kommt. Dieser Befund lässt sich gegenwärtig jedoch allein für die zentralen Online-Angebote der (Parlaments-)Parteien formulieren, da etwaige begleitende Kandidaten- oder Kampagnen-Websites in der vorliegenden Untersuchung nicht miteinbezogen wurden. Letztere bedürfen im Zuge der nachfolgenden Forschung nun einer gesonderten Betrachtung, um die begonnene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Formen der Professionalisierung im nationalen Online-Wahlkampf weiterhin empirisch zu vertiefen. Literatur Beckermann, A. (2005, 18. September). www.wahlkampfchance-verpasst.de. Noch ist die Wahl offen, doch eines ist schon sicher: Die Parteien haben die Möglichkeiten des Internets nicht genutzt. Welt am Sonntag, S. 9. Benoit, P. J., & Benoit, W. L. (2005). Criteria for evaluating political campaign webpages. The Southern Communication Journal, 70, 230-247.
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Weblogs als Medium politischer Kommunikation im Bundestagswahlkampf 2005 Raphaela Ott
In den vergangenen Jahren haben sich Weblogs als neues Format im Internet entwickelt. Sie dienen der Veröffentlichung persönlicher Inhalte und Meinungen. Es handelt sich dabei um regelmäßig aktualisierte Webseiten, deren Einträge in umgekehrt chronologischer Reihenfolge aufgelistet sind. Die meist vorhandene Kommentarfunktion sowie die Adressierbarkeit der einzelnen Einträge ermöglichen eine einfache und interaktive Nutzung der Inhalte. In den USA waren Weblogs im Präsidentschaftswahlkampf 2004 erstmals Bestandteil der Online-Kampagnen. Sie wurden genutzt, um den Bürgern politische Informationen zu vermitteln und ihnen die Möglichkeit zu verstärkter politischer Partizipation zu geben. In Deutschland wurden Weblogs zum ersten Mal bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft 2004, im Europawahlkampf 2004 und bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2005 als PR-Mittel eingesetzt. Im nordrhein-westfälischen Wahlkampf führte die SPD einen Weblog nach dem Vorbild der amerikanischen Wahlkampfblogs. Dieser Weblog war vor allem deshalb erfolgreich, weil er professionell gestaltet war und eine tägliche Aktualisierung erfuhr (Pohr, 2005), und wurde auch im Bundestagswahlkampf 2005 weitergeführt. Bundespräsident Horst Köhler verkündete den Termin der vorgezogenen Bundestagswahl am 21. Juli 2005. Bis zur Wahl am 18. September 2005 blieben somit zwei Monate für den Wahlkampf, der damit zum kürzesten Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik wurde. Die Bedingungen eines so kurzen Wahlkampfes begünstigen den Internetwahlkampf, denn Online-Angebote haben kurze Produktionszyklen und die WahlkampfWebseiten verursachen vergleichsweise geringe Kosten (Bieber, 2005). Es gab laut Bieber schon früher "Sparversionen" von Politikerblogs, wie beispielsweise die Schröder-Tour-Webseite oder das Guidomobil, also "wesensverwandte Formen" zur Darstellung des tagesaktuellen Wahlkampfgeschehens (Lerche, 2003). Im Bundestagswahlkampf 2005 galten Weblogs als
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Raphaela Ott
großer Trend (Mobilmachung der Netzwerker., 2005). Sie waren bis dahin nur selten und in geringer Anzahl Bestandteil von Wahlkampagnen deutscher Parteien und als Medium politischer Kommunikation in Deutschland noch seltener Forschungsgegenstand. Dieser Beitrag untersucht, in wie weit und mit welchen Themenschwerpunkten die großen Parteien Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005 einsetzten. Weblogs als Kommunikationsform im Internet Das Kunstwort Weblog setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen "Web" und "Log". "Web" steht als Synonym für das weltweite Internet, und der Begriff "Log" ist das englische Wort für "Tagebuch" oder "Fahrtenbuch" (Zerfaß & Boelter, 2005, S. 20). Ursprünglich waren Weblogs häufig aktualisierte und chronologische Publikationen von persönlichen Gedanken und Webadressen im Internet. Im Laufe der Zeit haben sie sich thematisch weiterentwickelt und mittlerweile sind unterschiedliche Varianten vorzufinden. Diese reichen von einfachen Link-Sammlungen über fachspezifische Beiträge bis zu sehr persönlichen Tagebüchern. Es lassen sich folgende grundsätzliche Übereinstimmungen zusammenfassen: "Ein Weblog ist eine häufig aktualisierte Webseite, auf der Inhalte jeglicher Art in chronologisch absteigender Form angezeigt werden. Ein Weblog kann typischerweise die Form eines Tagebuchs, eines Journals, einer What's New Page oder einer Link-Sammlung zu anderen Webseiten annehmen. Der Autor ist dabei entweder eine einzelne Person oder eine Gruppe. Alle Inhalte sind in der Regel durch Links mit anderen Webseiten verlinkt und können unmittelbar durch den Leser kommentiert werden." (Picot & Fischer, 2006, S. 14; vgl. hier Abbildung 1). In Weblogs ist der aktuellste Eintrag an oberster Stelle vorzufinden und die folgenden Einträge werden dem Datum nach unten immer "älter". Es gibt multimediale Weblogs mit der Einbindung von Audio-, Bild- und Filmdateien sowohl in spezifischen Foto-, Video- und Audioblogs als auch in den überwiegend textbasierten Formen (Schöneberger, 2005, S. 282). Meist stellt sich der Autor vor, um dem Leser Informationen über seine Person zu vermitteln. Die Autoren von Weblogs werden "Blogger" genannt. Das einfachste und wichtigste Hilfsmittel der Vernetzung im Internet ist die Verlin-
Weblogs als Medium politischer Kommunikation
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Abbildung 1: Beispiel für einen typischen Weblog (von Andrea Nahles, SPD)
Quelle: Focus-Online; URL: http://blog.focus.msn.de/nahles/
kung. Der so genannte "Blogroll" in jedem Weblog stellt eine Verlinkung auf weitere Weblogs dar. Der Weblogbetreiber legt Anzahl und Typ der Verlinkungen fest. Das Netzwerk von Weblogs bezeichnet man als "Blogosphäre". Auch in den Einträgen kann es Verweise auf Weblogs, Internetseiten oder andere Online-Quellen geben. Weblogleser haben die Möglichkeit, sich durch Kommentierung einzelner Einträge am netzwerkartigen Kommunikationsprozess zu beteiligen und direkt unter die Einträge zu setzen. Dies ist eine Besonderheit von Weblogs, die sie von anderen Kommunikationsformen unterscheidet. Gegenüber anderen Webseiten zeichnen sich Blogs durch ihren individuellen Charakter, der eine besondere Beziehung zum Leser entstehen lässt, aus. Für die Nutzer sind insbesondere die subjektiven Meinungen und Erfahrungen der Autoren von Interesse, so dass die Blogs inzwischen insbesondere als authentische und interaktive Alternative zu traditionellen Internetportalen und den herkömmlichen Massenmedien (Printmedien, Fernsehen und Hörfunk) wahrgenommen werden (Zerfaß & Boelter, 2005, S. 20). Der Begriff "Weblog" wurde 1997 erstmals vom Programmierer Jorn Barger verwendet, der seine Dokumentationen im Internet "Web-Logbuch"
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nannte. Barger sammelte darauf Links zu anderen Seiten, die er an andere User schickte. Damit entstand ein Austausch von Link-Sammlungen im Netz. Ab 1999 ermöglichte eine speziell dafür erstellte Software die schnelle Verbreitung und tägliche Aktualisierung von Weblogs. Diese ist meist kostenlos und einfach zu bedienen. Eine weitere und einfachere Gelegenheit, Weblogs zu veröffentlichen, bieten "Blog-Hoster". Diese Blog-Dienstleister stellen einen bestimmten Platz auf Webservern sowie eine vorinstallierte Blog-Software zur Verfügung. Über die weltweite Anzahl und Verbreitung von Weblogs gibt es verschiedene Angaben und Schätzungen. Die Blogosphäre ist höchst dynamisch, und die Zahlen sind immer nur Momentaufnahmen. Nach dem Blog Herold Blog Count vom Oktober 2005 existieren insgesamt über 100 Millionen Weblogs. Davon gibt es allein in den USA etwa 30 bis 50 Millionen Weblogs (Blog Herold, 2005). In Deutschland sind es dagegen nur 300.000 Weblogs. Im Februar 2006 meldete Technorati, die weltgrößte Suchmaschine für Weblogs, dass weltweit über 26,6 Millionen Weblogs existieren und sich ihre Anzahl alle fünf Monate verdoppelt (State of..., 2006). Typisierung von Weblogs Es gibt sowohl private und journalistische Weblogs als auch solche von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Parteien und Politikern sowie von Institutionen und Unternehmen (Zerfaß & Boelter, 2005, S. 23). Die meisten Weblogs werden von Privatpersonen betrieben und sind digitale Tagebücher (Wolf, 2002, S. 2). Darin werden Gedanken festgehalten, Nachrichten aus dem Internet zitiert und kommentiert oder Bild- und Audiodateien publiziert. Bei den politischen Weblogs kann man zivilgesellschaftliche und parteipolitische Weblogs unterscheiden (Schmidt, 2005). Zivilgesellschaftliche Weblogs werden von gesellschaftspolitischen Initiativen und politisch aktiven Personen betrieben. Dazu gehören auch parteinahe Weblogs von Bürgern, die ihre politischen Meinungen verbreiten und ihre Partei auf diese Weise unterstützen möchten. Im Wahlkampf führte beispielsweise Marcel Bartels den Weblog "Mein Parteibuch" über seine Mitgliedschaft in der SPD. Außerdem gab es auch journalistische Portale mit investigativen und meinungsbildenden Ansprüchen. Beispiel dafür ist der Wahlblog "BerlinHauptstadtbüro", den Autoren des Handelsblatts betrieben. Die zivilgesell-
Weblogs als Medium politischer Kommunikation
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schaftlichen Weblogs tragen sowohl zur Formierung einer politischen Öffentlichkeit als auch zur Vernetzung von Menschen bei (Schmidt, 2005). Parteipolitische Weblogs werden von einzelnen Politikern oder mehreren Politikern einer Partei geführt. Es gibt auch Journalisten, die im Auftrag der Partei stellvertretend den Blog gestalten und die Inhalte bestimmen. Weblogs sind dabei als ein eigenständiges Element in die parteipolitische Kommunikationsstrategie eingebunden, die den Leser informieren und überzeugen sollen. Dazu gehören unter anderem die inhaltliche Vermittlung der Wahlprogramme und die authentische oder auch persönliche Beschreibung des Wahlkampfverlaufes. Insofern ist Parteilichkeit gewollt und lässt sich nicht vermeiden (Schmidt, 2005). Darüber hinaus kann mit Hilfe der Kommentarfunktion in den Weblogs ein Dialog zwischen Politikern und Bürgern entstehen. Weblogs als Medium im Online-Wahlkampf Mit der individuellen Kombination von Text, Ton und Bild erlauben Weblogs Personalisierung, Authentizität, Aktualität und Interaktion. Daher sind sie für den Wahlkampf besonders gut geeignet. In Weblogs können Politiker und Parteien ortsunabhängig, ungefiltert und ohne Zeitverlust ihre Standpunkte veröffentlichen (Heltsche, 2005, S. 5). Für den Wähler stellen Blogs eine neue Form der politischen Partizipation dar (McKenna & Pole, 2004, S. 3), die verschiedene Ausprägungen annehmen kann. Aktiv-symbolische Partizipation bezeichnet die öffentliche politische Meinungsäußerung. Diese erfolgt durch themenbezogene Kommentierungen der Wähler oder durch direkte Fragen zu politischen Themen. Aktiv-materiale Partizipation drückt sich im Parteibeitritt oder in einer Spende für die Partei aus (Bucy & Gregson, 2001, S. 371). Worin besteht das Potenzial von Weblogs als Bestandteil des OnlineWahlkampfes?
Das Internet kann dazu beitragen, politisch zu bilden, zu informieren, und Bürger zu aktivieren (Rice, 2004, S. 54). Weblogs sind eine Möglichkeit, die Ziele einer Partei oder eines Politikers zu vermitteln und Unterstützung zu gewinnen (Griffiths, 2004).
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Raphaela Ott Die Rückkanal-Funktion der Weblogs verschafft Parteien und Politikern Feedback zu ihren Ideen und Konzepten. Politiker bedienen sich der neuen Kommunikationsform, um das eigene Image zu gestalten und ihre Glaubwürdigkeit zu stärken (Chaudy, 2005, S. 3). Politiker-Blogs können den Bürgern die Abgeordneten als Individuen näher bringen, indem sie über ihre Arbeit im Wahlkreis informieren. Der Blog kann den Bürgern die öffentliche Welt der Regierung aus der privaten Perspektive von Politikern vermitteln. Für diejenigen, die bereits politisch aktiv sind, sind Weblogs eine preiswerte Möglichkeit, sich zu engagieren und über die Politik zu informieren (Gill, 2004, S. 4).
Weblogs machen allerdings nur einen Teil einer erfolgreichen OnlineKampagne aus (Rice, 2004, S. 55). Sie müssen gezielt und gut überlegt in die Kampagne eingebunden werden.
Weblogs im US- Präsidentschaftswahlkampf 2004 Als innovative Internetkomponente waren Weblogs im Präsidentschaftswahlkampf 2004 ein wertvolles Instrument der Kampagnen-Kommunikation (Rice, 2004, S. 9). Die demokratischen Kandidaten Wesley Clark, Howard Dean, John Edwards, Bob Graham und John Kerry hatten auf ihren Webseiten Verlinkungen auf die eigenen Weblogs (Gill, 2004, S. 3). Mit seinem "Blog for America" war Howard Dean der erste Politiker mit einem eigenen Weblog und er nutzte diesen auch am wirkungsvollsten. Im März 2003 hatte sein Weblog täglich 3.000 Leser, im September 2003 waren es bereits 30.000 Besucher am Tag (Rice, 2004, S. 13). Der Blogroll verlinkte unter anderem zu zahlreichen inoffiziellen Weblogs von Dean-Anhängern. Der Blog war das Instrument der Dean-Kampagne, das den Kandidaten vom Außenseiter zum Spitzenkandidaten machte (Cornfield, Carson, Kalis & Simon, 2005, S. 3). Die Kampagne bot ein neues Modell, um Unterstützer zu erreichen, Spendengelder zu sammeln und ermöglichte es den Anhängern miteinander zu kommunizieren (Rice, 2004, S. 6). Besonders erfolgreich war das Online-Fundraising. Im zweiten Quartal 2003 konnten 7,5 Millionen Dollar über das Internet gesammelt werden, womit Dean
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jeden anderen Kandidaten übertraf (Möller, 2005, S. 147). Die wichtigste Rolle spielten Weblogs während des Wahlkampfes als Katalysator der so genannten Grassroot-Bürgerbewegung (Kline & Burstein, 2005, S. 16) und Dean nutzte das Internet am effektivsten, um online ein solches GrassrootNetzwerk zu organisieren. "Grassroot support" bedeutet, dass sich lokale Gruppen organisieren, um ihren Kandidaten zu unterstützen. Dean mobilisierte ein stabiles Netzwerk, nutzte Online-Foren wie "Meetup.com", um es zu organisieren, und erstellte eine lange E-Mail-Liste von Anhängern (Rice, 2004, S. 23). Neben den Journalisten waren Blogger bei den "Conventions" zugelassen und beide Parteien statteten sie mit Ausweisen, Sitzplätzen und Interviews aus (Cornfield, Carson, Kalis & Simon, 2005, S. 4). Damit schienen Blogger in der politischen Diskussion akzeptiert zu sein. Fragestellung Ziel der hier präsentierten Studie war es zu prüfen, ob es den großen Parteien im Bundestagswahlkampf 2005 gelungen ist, Weblogs zum strategischen Bestandteil ihrer Wahlkampagnen zu machen. Dafür sollten diejenigen Blogs identifiziert und einer Inhaltsanalyse unterzogen werden, die am längsten existierten und am aktivsten betrieben wurden. Es galt zunächst, Themen und Unterschiede in den Weblogs der verschiedenen Parteien festzustellen. Dabei waren insbesondere die angesprochenen Wahlkampfthemen von Interesse. Außerdem sollte die Anzahl der Kommentare in den verschiedenen Weblogs ermittelt werden, da diese einen Indikator für die aktiv-symbolische Partizipation in den Weblogs darstellen. Da die Interaktivität in den Weblogs insbesondere durch die Elemente des Blogrolls sowie die Verlinkung auf andere Webseiten entsteht, wurden die Weblogs auf Blogrolls untersucht. Dabei werden Vernetzungen zwischen verschiedenen Parteien und Interaktion innerhalb einer Partei unterschieden. Da Weblogs im US-Wahlkampf 2004 erfolgreich für das "OnlineFundraising", die Mobilisierung und Rekrutierung von Unterstützern und das "Negative Campaigning" eingesetzt wurden, stellt sich die Frage, ob diese Aspekte auch in den Weblogs deutscher Parteien und Politiker eine Rolle spielten.
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Untersuchungsdesign Dieser Studie liegt eine Inhaltsanalyse von Politiker- und Parteiweblogs zugrunde. Für die Analyse von Weblogs fehlen bislang noch standardisierte Verfahren. Die Einträge im Weblog lassen sich jedoch wie Artikel in Printmedien oder Fernsehbeiträge behandeln und untersuchen. Die hier vorgelegte Analyse beginnt am 21. Juli 2005 mit Ankündigung der Wahl durch Bundespräsident Köhler und endet am Tag der Wahl, dem 18. September 2005. Die zur Analyse verwendeten Partei- und Politikerweblogs wurden auf den politischen Online-Portalen "Politik Digital" (Liste der Weblogs..., 2005) und "Politik und Kommunikation" (Blog-Tipp, 2005) veröffentlicht. "Wahl.de" ist eine weitere speziell für den Wahlkampf eingerichtete Plattform, die einen "Blog-Hoster" anbietet (Wahl.de Blogs, 2005). Weblogs, die keine Kommentarfunktion hatten, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Die Politiker- und Parteiweblogs stammen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, PDS und WASG. Darüber hinaus wurden auch die Weblogs der Jungpolitiker wie der Grünen Jugend, der Jungen Liberalen und der Jusos einbezogen. Insgesamt wurden 3.087 Einträge in 103 Weblogs codiert (vgl. Abbildung 2). Die Politiker bloggten auf eigenen Portalen sowie auf journalistischen und parteiübergreifenden Plattformen wie "Focus-Online", "Politik Digital", "Politikerscreen.de" und "AOL". Zu den bloggenden Politikern bei "Focus-Online" gehörten Oswald Metzger (Bündnis 90/Die Grünen), Andrea Nahles (SPD), Ursula von der Leyen (CDU), Hildegard Müller (CDU) und Silvana Koch-Mehrin (FDP). Für die Kampagne "5 für Berlin" von "Politikerscreen.de-Informationsdienst für Politik" bloggten Matthias Berninger (Bündnis 90/Die Grünen), Jörg Tauss (SPD), Martina Krogmann (CDU), Birgit Homburger (FDP), Dagmar Enkelmann (PDS/Die Linke) und Dorothee Mantel (CSU). Bei AOL führten die Politiker Niels Annen (SPD), Petra Pau (PDS), Kathrin GöringEckhardt (Bündnis 90/Die Grünen), Katherina Reiche (CDU) und Herrmann Otto Solms (FDP) einen Blog (Liste der Wahlblogs, 2005). In der Stichprobe sind 46 Politiker-Blogs vertreten, die bei "Wahl.de" geführt wurden. Auf dem Portal von "Politik Digital" bloggte als einziger der Politiker Jakob-Maria Mierscheid von der SPD. Die übrigen 39 Partei- und Politikerweblogs wurden auf eigenen Plattformen veröffentlicht und gestaltet. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) war dabei die Ranghöchste unter den bloggenden Politikern (Politiker entdecken..., 2005).
Weblogs als Medium politischer Kommunikation
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Abbildung 2: Partei- und Politikerweblogs nach Parteizugehörigkeit
30 Partei
25
Politiker
20 15 10 5 0 SPD
CDU/CSU
FDP
PDS
Die Grünen
WASG
(n =103)
Die Kategorienbildung erfolgte auf Grundlage weblogtypischer Eigenschaften. Solche typischen Kategorien sind zum Beispiel Themen und Akteure. Codiert wurden Identifikationsmerkmale der Weblogs wie Titel oder die Parteizugehörigkeit. Zu den formalen Merkmalen gehören unter anderem die Anzahl der Kommentare eines Eintrags. Die technischen Codiereinheiten beinhalten weblogspezifische Eigenschaften wie die Verlinkungsformen wie Blogroll und Verlinkungen auf andere Webseiten. Zu den inhaltlichen Codiereinheiten gehören zunächst die Ereignismerkmale mit den Themen, die in den Weblogs auftauchten. Ergebnisse der Inhaltsanalyse Insgesamt 83,5 Prozent sind Politikerblogs, und in den übrigen Weblogs bloggen mehrere Politiker beziehungsweise deren Vertreter auf Parteiebene. 35,3 Prozent dieser Parteiblogs wurden von den Jugendorganisationen betrieben. Dazu gehören die Jusos (17,6 Prozent), die Grüne Jugend (11,8 Prozent) und die Jungen Liberalen (5,9 Prozent). Die Grünen hatten mit 29,1 Prozent den größten Anteil an den Weblogs, die FDP kam auf 25,3
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Prozent, während auf die CDU/CSU nur 11,1 Prozent und die PDS 8,7 Prozent entfielen. Wie aus Abbildung 2 außerdem hervorgeht, bloggte die SPD mit 32 Prozent im Vergleich zu den anderen Parteien am meisten auf Parteiebene. Bei den Grünen waren 10 Prozent Parteiblogs und bei der FDP 11,5 Prozent. Die meisten Politiker bloggten bei "Wahl.de" (44,7 Prozent) und auf eigenen Portalen (38,8 Prozent), während der Anteil mit 4,9 Prozent bei "Focus-Online" und "AOL" gleich groß war (vgl. Abbildung 3). Bei "AOL" und "Politikerscreen.de" waren Politiker aus allen politischen Lagern unter den Bloggern. Bei "Wahl.de" waren alle Parteien der Analyse, auch Politiker der WASG, eingeschlossen. Lediglich bei "Focus-Online" bloggte kein Vertreter der Linken. Die Weblogs der Grünen überwogen mit 41,3 Prozent bei "Wahl.de", und die FDP hat einen Anteil von 32,6 Prozent. Die SPD bloggte mit 42,5 Prozent am häufigsten auf eigenen Plattformen. Abbildung 3: Verteilung der Weblogs auf die verschiedenen Portale nach Partei
wahl.de Eigene
Politik Digital SPD Politikerscreen
CDU/CSU FDP Die Grünen
FOCUS
PDS WASG
AOL 0
(n=103)
10
20
30
40
50
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Aktivität der parteipolitischen Weblogs Die Anzahl der Einträge ist bei Weblogs ein Ausdruck für deren Aktivität. Je aktiver Weblogs sind, desto höher ist deren Akzeptanz in der Blogosphäre. Die SPD war am aktivsten, da sie 43,1 Prozent aller Einträge abdeckt, obwohl von ihr nicht die meisten Weblogs stammten (vgl. Abbildung 4). An zweiter Stelle stehen die Grünen mit 30,5 Prozent. Die CDU/CSU stellt mit 6,5 Prozent der Einträge insgesamt eher inaktive Blogger. Auf das Linksbündnis von PDS und WASG fallen insgesamt nur 5,3 Prozent. Abbildung 4: Häufigkeitsverteilung der Einträge nach Parteien 50
40
30
20
10
0 SPD
Die Grünen
FDP
CDU/CSU
PDS
WASG
(n=3087)
Mit 292 Einträgen hatte der Parteiweblog der Grünen "Blog.Grüne.de" die meisten Einträge. Davon entfielen 84 Prozent auf die 24-Stunden OnlineRedaktion am 17. und 18. September, bei der Fragen von Wählern beantwortet wurden. Der Weblog der Hamburger SPD bloggte mit 233 und der Weblog der SPD Nordrhein-Westfalen mit 144 Einträgen. Die einzelnen Weblogs hatten jeweils unterschiedlich viele Einträge und immerhin 10,7 Prozent wiesen nur einen Eintrag im gesamten Untersuchungszeitraum auf. Das bedeutet, dass nach dem ersten Eintrag dort nicht mehr gebloggt wur-
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de. 15,5 Prozent der analysierten Weblogs hatten 21 bis 30 Einträge. Dies ist damit die am häufigsten besetzte Kategorie. Der Anteil der FDP-Weblogs ist hier mit 31,3 Prozent am größten. 2,9 Prozent der Weblogs bestanden aus 121 bis 145 Einträgen. 1,94 Prozent hatten über 201 Einträge. In den Weblogs mit über 61 Einträgen hatte die SPD einen Anteil von 66,7 Prozent. 121 bis 145 Einträge wurden ausschließlich in SPD-Blogs geschrieben. 14 Tage vor der Wahl erschien im jüngsten Weblog der Stichprobe der erste Eintrag (vgl. Abbildung 5). 23,3 Prozent der Weblogs wurden innerhalb von 30 Tagen, also knapp einen Monat vor der Wahl, eingerichtet. Innerhalb der 60 Tage des Untersuchungszeitraumes entstanden 42,7 Prozent der Weblogs. Etwa zwei bis drei Monate, also 61 bis 90 Tage existierten 18,4 Prozent der Weblogs. Etwa drei bis sechs Monate, also zwischen 91 und 270 Tagen, waren 10,7 Prozent der Weblogs aktiv. Über ein Jahr existierten 2,9 Prozent der Weblogs. Dabei bestanden die SPD- Weblogs überwiegend bereits vor dem Untersuchungszeitraum beziehungsweise der Abbildung 5: Lebensdauer der analysierten Weblogs nach Partei
Über ein Jahr
SPD CDU/CSU
271 bis 365 Tage
FDP Die Grünen
91 bis 270 Tage
PDS
61- 90 Tage
WASG
31 bis 60 Tage 15 bis 30 Tage bis 14 Tage 0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
(n=103)
Ankündigung der Neuwahlen. Von den ca. 42,7 Prozent der Weblogs, die zwei Monate vor der Wahl aktiviert wurden, sind 31,8 Prozent FDP-Blogs und 27,3 Prozent Weblogs der Grünen. Auch bei den Weblogs, die einen Monat vor der Wahl eingerichtet wurden, ist der Anteil der Grünen (37,5
Weblogs als Medium politischer Kommunikation
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Prozent) und der FDP (33,3 Prozent) am höchsten. Am längsten existierte der Weblog von Axel Schäfer (SPD), der bereits seit 5. November 2002 unter den Bloggern war. Der Weblog der SPD Nordrhein-Westfalen wurde im Juni 2004 eingerichtet. Der Parteiweblog der PDS Sachsen war ebenfalls schon seit Mai 2004 aktiv. Während des Untersuchungszeitraumes stieg die Anzahl der Einträge pro Tag an. Die Zahl der Einträge war im Juli insgesamt deutlich geringer als im August und September. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass innerhalb des Untersuchungszeitraumes die Zahl der Weblogs zunahm. Bis zum Wahltag am 18. September wurden Einträge verfasst. Verlinkung und Interaktivität Die Interaktivität in Weblogs wird insbesondere durch den Blogroll, also die Verlinkung auf andere Weblogs, bestimmt. 59,2 Prozent aller analysierten Weblogs verlinkten auf Webseiten. In den Blogs der Grünen gab es meist keine Verlinkung (53,3 Prozent). In den Weblogs der SPD (76 Prozent), CDU/CSU (81,8 Prozent) und PDS (66,7 Prozent) überwogen die Verlinkungen auf Webseiten. 23 Prozent dieser Weblogs verlinkten nur auf eine und 13,1 Prozent auf drei Webseiten. 44,3 Prozent der Weblogs setzten hauptsächlich Links auf Webseiten der eigenen Partei. In ihrem Weblog verlinkten 23 Prozent primär auf die eigene Homepage und 14,8 Prozent auf allgemein politische und überparteiliche Webseiten wie "Politik-Digital" oder "Politikerscreen.de". Insgesamt 18 Prozent verlinkten auf unpolitische Webseiten mit anderem Schwerpunkt. Bei 4,9 Prozent hielten sich die Webseiten der eigenen Partei und der Opposition die Waage. Der Blogroll war dagegen in nur 36,9 Prozent der analysierten Fälle zu finden. Mit 64 Prozent waren Blogrolls am häufigsten in den SPD-Weblogs vertreten. Bei 30,8 Prozent der FDP-Blogs gab es ebenfalls einen Blogroll. Insgesamt 44,7 Prozent der Weblogs mit einem Blogroll verlinkten überwiegend auf Weblogs der eigenen Partei. 15,8 Prozent hatten einen Blogroll, der außer auf die eigene Partei auch auf Weblogs der Opposition verlinkte, mehrheitlich jedoch auf Weblogs der eigenen Partei. Bei 4,9 Prozent waren im Blogroll die Verlinkungen auf die eigene Partei und die Opposition zu gleichen Teilen vertreten. Insofern gab es Vernetzungen zwischen verschiedenen Parteien. Der Blog der NRW-SPD verlinkte sogar auf international
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politische Weblogs wie Howard Deans "Blog for America". Betrachtet man die einzelnen Einträge, die Verlinkungen aufwiesen, so gab es in 62,4 Prozent nur einen Link. 22,3 Prozent hatten zwei Verlinkungen und 8,3 Prozent drei Links. Die Verlinkungen in den Einträgen kamen überwiegend in von der SPD geführten Blogs vor, gefolgt von den Grünen. Mit acht Prozent überwogen die Verlinkungen auf Webseiten der eigenen Partei. 5,4 Prozent waren Verlinkungen auf allgemeine politische Webseiten ohne spezifischen parteipolitischen Hintergrund, und in 4,5 Prozent der Fälle wurde auf die eigene Webseite verwiesen. 5,1 Prozent der Verlinkungen erfolgten auf Berichte in Online-Ausgaben von Printmedien wie "Spiegel-Online", "Focus-Online" oder "Süddeutsche Zeitung". Multimediale Elemente wie Wahlspot, Wahlkampfsong oder Podcast (Audiovariante von Weblogs) waren selten integriert. Auch in den Einträgen wurde häufiger auf Webseiten als auf Weblogs verlinkt. Die SPD verlinkte als einzige auf multimediale Formen wie Wahlspot, Podcast, Live Blog oder Videoblog. Der Netzwerkaufbau wurde von den Politikern und Parteien nicht ausreichend genutzt und, abgesehen von manchen SPD-Blogs sowie bei den Grünen, nicht wahrgenommen. Partizipation in den Weblogs Ein großer Vorteil von Weblogs ist die Möglichkeit für Leser, sich mittels Kommentierung der Einträge an der Diskussion zu beteiligen. Die Anzahl der Kommentare ist Maßstab für die aktive Partizipation von Lesern der Weblogs. Insgesamt 46,7 Prozent der Einträge in den analysierten Weblogs wurden nicht kommentiert. Der Anteil unkommentierter Einträge ist somit im Verhältnis zu den übrigen Einträgen sehr hoch. 19,3 Prozent der Einträge wiesen nur ein bis zwei Kommentare auf. 21 bis zu 178 Kommentare pro Eintrag kamen in wenigen Einträgen vor. Die Partizipation war auf den verschiedenen Portalen unterschiedlich groß, und die meisten Kommentare für einen Eintrag gab es auf "Focus-Online". Bei "Focus-Online" gab es keinen einzigen Eintrag, der nicht kommentiert wurde, und die Mindestanzahl waren fünf Kommentare. Die höchste Anzahl von 178 Kommentaren für einen Eintrag erhielt Andrea Nahles (SPD) auf "Focus-Online". Danach folgten die Politiker Oswald Metzger (Die Grünen) und Silvana KochMehrin (FDP). AOL steht an zweiter Stelle der aktiv kommentierten Platt-
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formen. Dort gab es nur zwei Einträge, die unkommentiert blieben. Bei AOL erhielt Petra Pau (PDS) die meisten Kommentare, gefolgt von Niels Annen (SPD). Bei "Politikerscreen.de" erhielten die Politikerinnen der Union Dorothee Mantel (CSU) und Martina Krogmann (CDU) die meisten Kommentare, während die Einträge von dem Grünen-Politiker Matthias Berninger am wenigsten kommentiert wurden. Den höchsten Anteil unkommentierter Einträge gab es auf den eigenen Portalen. Themenschwerpunkte Die angesprochenen und diskutierten Themen in den analysierten Weblogs variieren. Es werden persönliche Erlebnisse angesprochen und darüber hinaus die Tagespolitik, Programme der oppositionellen Parteien oder das Programm und die Kampagne der eigenen Partei kommentiert. Bei den zehn am häufigsten angesprochenen Themen war der Wahlkampf das Hauptthema (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Hauptthemen in allen Weblogs Häufigkeit Straßenwahlkampf Wahlkampfauftritt Wahlkampfplakatierung Weblogs im Wahlkampf Kampagne der SPD, Wahlprogramm Private Themen, Persönliche Erlebnisse Wahl/Wahlkampf als Thema Wahlkampfpropaganda Wahlkampfbesuch einer Institution/Unternehmen Prominente Unterstützer
(n=3.087)
225 166 88 82 74 73 71 65 63 63
Prozent 7,3 5,4 2,9 2,7 2,4 2,4 2,3 2,1 2,0 2,0
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In 7,3 Prozent aller Einträge wurde von den Politikern der eigene Straßenwahlkampf beschrieben. Weitere 5,4 Prozent der Themen behandelten die Wahlkampfauftritte von Parteien und Politikern wie zum Beispiel Redeauftritte, Diskussionen oder weitere Auftritte in der Öffentlichkeit. Bei 2,7 Prozent wurde über Weblogs als Medium im Wahlkampf diskutiert. Weblogs wurden auch dazu genutzt, Programme oder Strategien der Opposition zu kritisieren mit dem Zweck, die eigene Partei besser darzustellen. Zwei Prozent der Einträge beschrieben den Wahlkampfbesuch von Politikern in verschiedenen Institutionen oder Unternehmen. In weiteren zwei Prozent der Einträge vermittelten Prominente ihre Überzeugung über ihre Partei, um weitere Unterstützer für die jeweilige Partei zu rekrutieren. Da auf die SPD die meisten Einträge entfielen, wurden auch überwiegend ihr Wahlprogramm und die Kampagne thematisiert. Die SPD-Einträge kritisierten insbesondere das Wahlprogramm der Union. Besonders häufig wurde Unterstützer der Partei thematisiert. In den CDU/CSU-Blogs war das TVDuell zwischen Merkel und Schröder eine beliebter Diskussionsgegenstand. Die Einträge in den Weblogs der PDS hatten vor allem das Linksbündnis mit der WASG zum Thema. In den Einträgen der FDP spielten zudem die Wahlkampfplakatierung und die Wahlprognosen eine Rolle. Das Thema Parteispenden war insbesondere im Weblog "Bürgerfond" von Bedeutung. Die Weblogs der Grünen sprachen mögliche Koalitionen nach der Wahl an. Bei der PDS traten Themenschwerpunkte wie beispielsweise Hartz IV, das Arbeitslosengeld II oder der Rechtsextremismus auf. Die Kategorie "Wahl/Wahlkampf" mit allen Unterkategorien tauchte als Hauptthema in rund 58 Prozent der Einträge auf und bei 57 Prozent war es das zweitwichtigste Thema. Zu weiteren Hauptthemen gehörten unter anderem "Öffentliche Haushalte, Finanzen, Steuern" (4,4%), "Arbeit/Arbeitslosigkeit" (3,4%), "Energie/Energiepolitik" (2,6%), "Familienpolitik, Gesellschaft" (2,2%), "Bildung, Kultur Wissenschaft" (1,9%), Umweltpolitik, Umweltpolitik" (1,9%) sowie die "Deutsche Vereinigung; Ost-West Probleme" (1,5%). Fazit und Ausblick Weblogs wurden von allen größeren Parteien genutzt, wenn auch nicht mit gleicher Intensität. Betrachtet man die Häufigkeit der Weblogs in der Untersuchungsgesamtheit sowie die Anzahl der Einträge insgesamt, so bloggten
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die Politiker der rot-grünen Koalition am intensivsten. Die Anzahl der Weblogs stieg während des Wahlkampfes an; bis zum Wahltag wurde gebloggt und um Stimmen gekämpft. Knapp 67 Prozent der untersuchten Weblogs entstanden erst nach Ankündigung der Neuwahlen, gewannen also erst mit dem Wahlkampf an Popularität. Dieser Befund bestätigt auch, dass sich Weblogs als Kampagneninstrument kurzfristig in den Wahlkampf einbeziehen lassen. In der deutschen politischen Blogosphäre kommt der SPD eine Vorreiterrolle zu. Sie hatte bereits vor der Verkündigung der Neuwahlen die meisten Weblogs laufen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie "Bloggen für die Bundestagswahl", die die SPD als Pionier unter den Polit-Bloggern bezeichnet (Heltsche, 2005, S. 10). Auch sonst kann die SPD kann als Vorbild für die Weblog-Nutzung während des Wahlkampfes herangezogen werden. Ihre Weblogs wiesen am häufigsten interaktive Elemente auf. Dazu gehören Verlinkungen in den Einträgen, der Blogroll und Formen wie Videoblog oder das Live-Blogging. Auch die Grünen setzten Weblogs innovativ im Rahmen der 24-Stunden-Online-Aktion zur Beantwortung von Leserfragen ein. Da der Blogroll seltener als die Verlinkung auf Webseiten vorhanden ist, könnte dies ein Beleg dafür sein, dass vielen Autoren die Bedeutung des Blogrolls, und dabei insbesondere der Vorteil der Vernetzung untereinander, unbekannt war. Verlinkungen gab es bevorzugt auf Webseiten der eigenen Partei. Beachtliche 47 Prozent aller Einträge wurden nicht kommentiert. Die aktive Partizipation in den Weblogs lag damit unter den Möglichkeiten. Eine rege Partizipation ist von der Plattform abhängig, auf der die Weblogs veröffentlicht werden. Die Kommentarsetzung war auf den Plattformen "Focus-Online" und AOL höher als auf eigenen Portalen. Dies wird auch von der Agentur "Ausschnitt Medienbeobachtung" bestätigt, die zu dem Ergebnis kam, dass die Bereitschaft zur Kommentierung weniger von der Parteizugehörigkeit als von der Platzierung der Weblogs im WWW abhängt (Heltsche, 2005, S. 12). Auf eigenen Plattformen sind viele Weblogs nur über den Blogroll anderer Weblogs, wenn vorhanden, zugänglich. Es wird auch auf Webseiten von Parteien und Weblogs verlinkt. Sie werden daher hauptsächlich von denjenigen gelesen, die bereits politisch interessiert sind und die Webseiten und damit auch Weblogs ihrer Partei kennen. Die Reichweite von Online-Portalen wie "Focus-Online" oder AOL ist größer. Um Weblogs der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, könnten auch
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andere journalistische Plattformen wie zum Beispiel Yahoo oder T-Online Weblogs von Politikern veröffentlichen, die bereits einen Starblog betreiben (T-Online, 2006). Weblogs könnten besser in das Wahlkampfkonzept eingebunden werden, indem man die Weblogadressen auf den Seiten reichweitenstarker Onlinemedien und auch in den Wahlprogrammen oder auf Wahlplakaten veröffentlicht. In Deutschland finden sich auch einige Strategien wieder, die für den Erfolg von Weblogs im US-Wahlkampf 2004 entscheidend waren. Die SPD nutzte manche ihrer Weblogs dazu, neue Parteimitglieder und Wähler für sich zu gewinnen. Dafür brachten sie Beiträge von Prominenten und NichtProminenten und Listen von Unterstützern. Darüber hinaus wurden Weblogs, wenn auch peripher, zum Online-Fundraising genutzt. Diese Möglichkeit nutzte vor allem die FDP in ihrem Weblog "Bürgerfond". Die "Bloggen für die Bundestagswahl" erwähnt, dass dies an das Sammeln von Spendengeldern im Weblog von Howard Dean erinnert (Heltsche, 2005, S. 9). Als einzige Partei ließ die SPD ihre Blogger am 31. August 2005 live über ihren Parteitag im Weblog der SPD Nordrhein-Westfalen berichten. Es gibt mehrere Indikatoren dafür, dass das Potenzial von Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005 nicht ausgeschöpft wurde. Diese waren kaum in die jeweiligen Wahlkampfstrategien der Parteien eingebunden. Ausnahmen waren hier die Weblogs von Rot-Grün und in Ansätzen diejenigen der FDP. Im Allgemeinen arbeiten Parteien und Politiker in Deutschland nur zögerlich mit dem Internet und wollen die vermittelten Inhalte kontrollieren. Deshalb verzichten Verantwortliche auf interaktive Elemente (Schemel, 2005). Das Internet ist einer breiteren Masse von Lesern zugänglich und die vermittelten Inhalte, die oft persönliche Ansichten von Politikern sind, werden nicht nur von Parteiangehörigen, sondern auch von politischen Gegnern gelesen. Viele können die Dimensionen der Internetkampagnen nur schwer abschätzen. Möglicherweise liegt dies auch an dem Konflikt zwischen der Absicht der Wahlkämpfer, bestimmte Themen kontrolliert zu besetzen, um Stimmen zu gewinnen, und der Idee, dass bestimmte Wahlkampfinhalte in den Weblogs diskutiert werden (Abold, 2006, S. 3). Wahlblogs wurden ebenfalls kurzfristig und überstürzt eingeführt, ohne sie strategisch einzubinden und ihre formale Ausgestaltung zu bedenken (Skowronek, 2005, S. 2). Hier liegt die Ursache für den möglichen Erfolg der SPDWeblogs und deren interaktive Ausgestaltung, da diese überwiegend bereits vor der Wahl existierten und somit das Potenzial der Weblog-Nutzung be-
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reits erprobt werden konnte. Nur wenigen Politikern waren Weblogs ein Begriff (Skowronek, 2005, S. 1). In den USA hatten im Wahlkampf John Kerry und George W. Bush ihre eigenen Weblog, während im Bundestagswahlkampf 2005 die Kanzlerkandidaten Angela Merkel und Gerhard Schröder nicht unter den Bloggern vertreten waren. Spitzenpolitiker waren lediglich im "Blog.Grüne.de" unter den regelmäßigen Bloggern, und Joschka Fischer schrieb immerhin den ersten Eintrag. Es bleibt offen, ob Weblogs nur ein vorübergehender Trend im Bundestagswahlkampf 2005 waren. Eine fundierte Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung von Weblogs kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgen. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft deren Gebrauch in der politischen Kommunikation zunehmen und sich als parteipolitische Kommunikationsstrategie etablieren wird. Möglicherweise werden Weblogs bis zur Bundestagswahl im Jahr 2009 besser in die Wahlkampfstrategien der Parteien eingebunden sein und deren Akzeptanz bis dahin nicht nur bei den Politikern, sondern auch bei den Bürgern zunehmen. Literatur Abold, R. (2006). The Audience is Listening. Nutzung und Akzeptanz von Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005. Kommunikation@Gesellschaft, 7, (Beitrag 1). Abgerufen am 28.2.2006 von http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B1_2006_Abold.pdf Bieber, C. (2005). TV kills the Internet Star. Politik-Digital. Plattform für Politik und Internet. Abgerufen am 5.1.2006 von http://politik-digital.de/edemocracy/wahlkampf/bundestagswahl05/kommentarbieber050603.shtml Blog-Tipp. (2005). Politik & Kommunikation. Abgerufen am 18.9.2005 von http://politikkommunikation.de/kampagne05/tipps/wahlblogs.php Bucy, P. E., & Gregson, S. K. (2001). Media participation. A legitimizing mechanism of mass democracy. New Media & Society, 3, 357- 380. Chaudy, S. (2005). Does mediated communication (CMC) set up new means of propaganda or just new space for political communication? Paper for the First European Communication Conference: 50 Years of Communication Research: Past & Future, 24-26 November 2005, Universiteit van Amsterdam, Amsterdam. Cornfield, M., Carson, J., Kalis, A., & Alison, E. (2005). Buzz, blogs and beyond. The Internet and the national discourse in the fall of 2004. Pew Internet & American Life Project: The Pew Research Center Project. Abgerufen am 20.7.2005 von http://www.pewinternet.org /ppt/BUZZ_BLOGS__BEYOND_Final05-16-05.pdf FOCUS (2005). Focus Online Blogs. Abgerufen am 15.8.2005 von http://blog.focus.msn.de
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Politische Dialogkommunikation im Bundestagswahlkampf 2005 Kerstin Plehwe
Der rasante gesellschaftliche und mediale Wandel, dem sich Unternehmen seit Jahren stellen müssen, um erfolgreich im Wettbewerb um Kunden zu bleiben, macht auch vor der Politik nicht Halt. Einer schwindenden Markenloyalität in der Wirtschaft stehen im politischen Betrieb eine abnehmende Wählerbindung sowie ein kontinuierlicher Rückgang der Wahlbeteiligung gegenüber. So hat die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland an den Wahlen seit 1949 auf allen Ebenen des politischen Systems tendenziell abgenommen. "In den letzten 14 Jahren hat sich die Zahl der Nichtwähler mehr als verdoppelt." (Korte, 2005b, S. 1) Diesen Abwärtstrend bestätigt auch die Bundestagswahl 2005. Die Wahlbeteiligung übertraf zwar immer noch deutlich die Beteiligungsraten bei Landtags-, Kommunal- oder Europawahlen. Doch im Vergleich zur Bundestagswahl im Jahre 2002 fiel die Beteiligung mit insgesamt 77,7 Prozent 1,4 Prozentpunkte geringer aus als noch bei der Wahl 2002 (79,1 Prozent). Dies war die bisher niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl überhaupt (Jung & Wolf, 2005, S. 8). Dieser Abwärtstrend stellt sich auf Landesebene noch viel dramatischer dar. Die Wahlbeteiligungen, die im März 2006 in den drei Bundesländern Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gemessen wurden, waren im Vergleich zu den vorangegangenen Landtagswahlen massiv eingebrochen: in Sachsen-Anhalt minus 21 Prozent, in Baden-Württemberg minus 15 Prozent und in Rheinland-Pfalz minus sechs Prozent. In Sachsen-Anhalt ging nicht einmal jeder zweite Bürger zur Stimmabgabe. Hier lag die Wahlbeteiligung bei nur noch 44,4 Prozent. In Baden-Württemberg sank sie ähnlich dramatisch auf 53,4 Prozent. Vergleichsweise gering war der Einbruch in Rheinland-Pfalz, wo immerhin noch 58,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für eine Partei votierten. Neben der steigenden Zahl der Nichtwähler ist eine weitere Entwicklung in diesem Zusammenhang durchaus signifikant: Die Zahl der so genannten Unentschlossenen, das heißt derjenigen, die kurz vor der Wahl
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noch nicht wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben, wächst ebenso. Bei der Bundestagswahl 2005 lag diese Zahl zwei Tage vor der Wahl bei knapp zehn Millionen. Und so stellte Richard Hilmer, Chef des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap in der Welt vom 17. September fest: "Mit Werten um 20 Prozent plus x zwei Tage vor Wahl ist die Anzahl der Unentschlossenen unter den Wahlwilligen so hoch wie vor keiner anderen Bundestagswahl." (Willerhausen & Diering, 2005) Diese Zahl bestätigte auch die Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher. Die Gründe für die steigende Zahl der Nichtwähler und Unentschlossen an Politik und Wahlen sind vielfältig und werden von den Politikwissenschaftlern durchaus unterschiedlich interpretiert und bewertet. Aber bei allen unterschiedlichen Erklärungsansätzen wird doch eines deutlich: Die Akzeptanz von Politik und ihre Glaubwürdigkeit sinken stark. Immer weniger Menschen zeigen Interesse am politischen Alltagsleben. Sie verzichten in großen Teilen sogar auf eines ihrer elementarsten Rechte, das Wahlrecht. Und das Verhalten derjenigen Wählerinnen und Wähler, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, ist in weiten Teilen unberechenbarer geworden. Viele Wähler entscheiden sich zunehmend spontan und situativ auf Basis der höchst individuellen Wahrnehmung. Das mussten auch die Demoskopen zuletzt bitter zur Kenntnis nehmen. Denn noch nie haben die Umfragen so daneben gelegen wie bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag 2005. Damit einhergehend verliert das politische System durch die sinkenden Mitgliederzahlen der Parteien. Die Zahl der Mitglieder aller im Bundestag regelmäßig vertretenen Parteien (SPD, CDU, CSU, FDP, Grüne, PDS) ist von circa 2.288.834 im Jahre 1990 auf 1.550.153 im Jahre 2004 gesunken. Die Bindungswirkung der politischen Parteien nimmt beständig ab. Gleichzeitig geht in allen Parteien die Bereitschaft zum aktiven Engagement bei den weniger gewordenen Mitgliedern zurück. Diese Entwicklungen zeigen, dass Politiker und Parteien umdenken müssen, wenn sie im Wettbewerb um Mitglieder und Wähler gemeinsam bestehen wollen. Ein Blick in die Wirtschaftswelt kann hier helfen. Im Rahmen des so genannten CustomerRelationship-Management (CRM) hat die Wirtschaft bereits die Bedürfnisse des einzelnen Kunden in den Mittelpunkt gerückt, um neue Werte zu generieren, die einer schwindenden Markenloyalität auf Seiten der Konsumenten entgegensteht. Politiker und Parteien sind hier ebenso gefordert, über neue
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Wege und Mittel der Mitgliederbindung und der Wählermobilisierung in Wahlkampfzeiten nachzudenken. Wahlkampf mit klassischen Mitteln reicht allein nicht mehr aus– Beziehungskrise zwischen Bürgern und Politik In diesem Zusammenhang muss die Frage erlaubt sein, was Wahlkämpfe überhaupt noch bewirken können. Oder andersherum gefragt: Was zeichnet den Erfolg beziehungsweise den Misserfolg von Wahlkämpfen aus? Ist im Vorfeld überhaupt einzuschätzen, wie die Bürgerinnen und Bürger auf Wahl- und Werbebotschaften reagieren werden? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob Plakate und Wahlwerbespots weiterhin noch die richtigen Mittel darstellen, um das beschädigte Vertrauen in die zur Wahl stehenden Parteien und Politiker aufzufangen beziehungsweise wiederherzustellen? Solche Fragen müssen die professionellen Wahlkämpfer in Zukunft beantworten, wenn sie sich mit der angeschlagenen Beziehung zwischen Politikern und Bürgern auseinandersetzen. Woran es im Detail auch liegen mag, Tatsache ist, dass politische Kommunikation ihre Empfängerinnen und Empfänger oft nicht erreicht. Nach einer repräsentativen Umfrage der Initiative ProDialog in Zusammenarbeit mit Infratest dimap fühlten sich im letzten Bundestagswahlkampf mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland nicht durch Fernseh- und Plakatwerbung der Parteien animiert, an der Wahl am 18. September 2005 teilzunehmen. Dieses Ergebnis, verbunden mit der Erkenntnis, dass im Nachhinein vom Bundeswahlleiter die geringste Wahlbeteiligung seit 1949 festgestellt wurde, unterstreicht nachdrücklich, dass Parteien dringend neue Wege in der Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern einschlagen müssen. In Zeiten reduzierter Werbebudgets und gestiegener Kundenanforderungen einerseits und der Informationsüberlastung andererseits wird der Ruf nach mehr Effizienz und größerer Individualität der Kommunikation lauter. Denn mit neuen Konsum- und Informationsmustern ausgestattet, informiert und kommuniziert auch der Konsument beziehungsweise der Wähler anders als noch vor wenigen Jahren. Die große Herausforderung für die Politik liegt darin, ihn dennoch zu erreichen, ihn zu überzeugen – und zur Handlung zu bewegen. An dieser Stelle stoßen die Massenmedien wie Zeitung, Fernsehen und Plakatwerbung an ihre Grenzen, insbesondere was die Vermittlung von
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politischen Inhalten angeht. Es fehlt hierzulande an einer gezielten Ansprache des Wählers. Zentrale Themen, wie zum Beispiel soziale Reformen, werden nur unzureichend an die Bürger vermittelt. Gerade die Politik steht jedoch in der Verantwortung, ihr Handeln nicht nur zu rechtfertigen, sondern überhaupt erst einmal begreifbar zu machen und darüber Rechenschaft abzulegen. Die Themen und Sachverhalte sind auf der anderen Seite sehr viel komplexer geworden. Dabei könnte der Mut zu eindeutigen und klaren Bekenntnissen – wie in jeder menschlichen Beziehung – auch die beschädigte Glaubwürdigkeit der Parteien und Politiker nach und nach verbessern. Was kann, was muss also getan werden, um die von Karl-Rudolf Korte (2005a) als "wählerische Wähler" und "Orientierungsnomaden" des Heute und Jetzt bezeichneten Wahlberechtigten wieder zu erreichen? Was müssen Parteien tun, um Bürgerinnen und Bürgern ihre Inhalte zu vermitteln und gleichzeitig Vertrauen aufzubauen? Erforderlich ist sicher ein Umdenken. Politiker müssen direkter und vor allem kontinuierlich auf die Bürger zugehen. Die modernen Methoden der Dialogkommunikation öffnen hier ähnliche Möglichkeiten wie der klassische Straßenwahlkampf. Und gerade die kleineren Parteien versuchten in diesem Sinne bei der letzten Bundestagswahl neue Wege der Wahlwerbung und Politikvermittlung in Ansätzen auszuprobieren und zu testen. Die Ausgangsbedingungen der kleineren Parteien sind dabei durchaus von Vorteil. Sie haben oft die klareren Botschaften, eine leichter abgrenzbare Klientel, schlanke Organisationsstrukturen, den Mut zur Lücke und Offenheit für Innovationen. Darüber hinaus bringen sie noch etwas ganz Entscheidendes mit – nämlich den Willen zu mehr Bürgernähe. Politische Dialogkommunikation steckt in Deutschland noch in den Anfängen Im kurzen Bundestagswahlkampf 2005 wurden also auch hierzulande erstmals wahrnehmbar Dialoginstrumente eingesetzt. Tendenziell geschah dies spielerisch und nicht zwangsläufig mit der Kontinuität, die der erfolgreiche und bindende Dialog mit dem Bürger haben kann und auf lange Sicht auch haben sollte. Es wurde noch experimentiert – aber der Erfolg war meist offensichtlich.
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Die Linkspartei etwa setzte Multimedia Messaging Service (MMS) zur Wählermobilisierung ein. Auf der eigens eingerichteten Internetseite "www.die-linke-mms.de" konnten Handynutzer nach vorheriger Registrierung Wahlkampfbotschaften und Wahlmotive der Linkspartei als Fotonachricht an Freunde und Bekannte kostenlos verschicken. Menschen, die von dieser Aktion erreicht wurden, konnten diese Fotonachricht wiederum an Freunde und Bekannte direkt weiterleiten. Die Linkspartei hinterließ mit dieser Aktion über Parteigrenzen hinweg Eindruck. Auch die FDP konnte im Wahlkampf Zielgruppen jenseits der eigenen Anhängerschaft erreichen. Die Partei setzte dabei vor allem auf das Medium Brief. Einladungen zu Veranstaltungen gingen an FDP-nahe Haushalte sowie an Mittelständler, Jungwähler, Erstwähler oder Einzelunternehmer. Die Ergebnisse dieser Aktion waren außerordentlich positiv. Verschiedene Parteien engagierten zudem erstmals freiwillige Helfer für den Telefon-Dialog. Die Freiwilligen setzten sich nahezu rund um die Uhr am Telefon für die Anliegen ihrer Partei ein, sie unterstützten die Kandidaten und überzeugten die Wähler, an der Bundestagswahl teilzunehmen. Der Vorteil der Telefonansprache lag nicht zuletzt darin, dass per Anruf sehr kurzfristig noch unentschiedene Wähler erreicht werden konnten. Die CSU ließ sogar Edmund Stoiber persönlich bei den Bürgern anrufen – per Stimme vom Band. Auf diese Weise warb der bayerische Ministerpräsident um Stimmen für seine Partei. Kurz nach dem Anruf erhielt die Zielgruppe (rund 1.000 ausgesuchte Mobilfunknutzer) eine SMS. Darin wurde ihnen mitgeteilt, wie auch Freunde und Bekannte auf Empfehlung mit einem StoiberAnruf überrascht werden könnten. Auch diese Maßnahme diente in erster Linie als Aufruf zur Beteiligung an der Bundestagswahl 2005. Beispiele für individualisierte Dialoge waren die Zielgruppenbriefe der CDU an Senioren und Erstwähler sowie die E-Mail-Kommunikation der Partei, der eine Vorbildrolle zukommt: 4,5 Millionen E-Mail-Adressen wurden in acht verschiedene Zielgruppen geclustert. Die Bürger wurden in zwei Stufen angesprochen und dann multimedial über eingebundene Hyperlinks auf CDU-Seiten weiter betreut. Dass dialogorientierte Botschaften tatsächlich überzeugen können, dafür spricht das gute Abschneiden der drei kleineren Parteien. Ihnen ist es gelungen, ihre Klientel durch spezifische Aussagen zu relevanten Themen an sich zu binden und die hohe Online-Affinität – beispielsweise bei den Sympathisanten von Bündnis 90/Die Grünen – für den elektronischen Dia-
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log zu nutzen. So ermöglichten die Grünen es ihren Anhängern, im Internet über das Wahlprogramm zu diskutieren, E-Postkarten nach dem Schneeballprinzip an Freunde zu verschicken und Flugblätter für Aktionen auszudrucken. Solche interaktiven und partizipatorischen Elemente des GrünenWahlkampfes werden sicherlich Nachahmer finden. Was zeichnet politische Dialogkommunikation aus? Die beschriebenen Aktionen der einzelnen Parteien (SMS- und E-MailAktionen, Erstwählerbriefe etc.) ersetzen nicht die langfristige und damit nachhaltige Kommunikationsarbeit. Denn die kurzfristige und aktionistische Jagd nach Stimmen ergibt noch lange keinen Dialog. Die Wählerinnen und Wähler von heute suchen nach Orientierung und glaubwürdigen Politikkonzepten. Deswegen muss zum einen die inhaltliche Substanz der Politik stimmen, und zum anderen sollten ihre Repräsentanten den direkten und persönlichen Kontakt mit den Bürgern so oft wie möglich suchen. Ob per Brief, E-Mail oder Telefon – wichtig ist die Präsenz der Botschaft und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Die Wähler möchten von den Politikern heute zudem glaubwürdig vertreten werden und ihre Anliegen in guten Händen wissen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollten politische Parteien zunehmend in einen echten und langfristigen Dialog mit ihren Wählern eintreten. Denn nur der kontinuierliche Dialog schafft genügend Raum für Inhalte, vermittelt diese zielgruppengenau (Identifikation) und fördert Reaktionen (Interaktion). Auf diese Weise kann eine intensivere Politiker-Bürger-Beziehung wachsen. Dies gelingt allerdings nur, wenn die Parteien ihr Know-how im Bereich des Bürgerdialogs konsequent ausbauen, wenn sie ihre Ressourcen neu fokussieren und sich auf ein neues Denkmodell einlassen. Die für einen erfolgreichen Dialog mit den Wählern erforderlichen Instrumente wurden bei der vergangenen Bundestagswahl bereits eingesetzt. Aber sie sind noch nicht ausreichend konzeptionell aufbereitet und auch noch ohne ausreichendes technisches Know-how. Dialog setzt ein Höchstmaß an Qualität voraus. Die Vorstellung, dass jeder einen Brief oder eine EMail professionell verfassen kann, trügt leider. Und auch das Telefonieren setzt eine professionelle Schulung voraus, zumindest wenn Wähler nicht verärgert, sondern gewonnen werden sollen. Wer an dieser Stelle kurzfristig
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denkt, verpasst die Chance, eine belastbare Beziehung aufzubauen. Genau die Grundlage, die gegenwärtig dringend notwendig wäre, um den Bürgern verständlich zu machen, dass die Bild-Zeitung mit "Seid ihr alle irre?" einmal mehr zwar den Bürgern aus den Herzen zu sprechen scheint, aber eben am Ende doch Unrecht hat. Vermittlung politischer Inhalte wird immer wichtiger Dialogkommunikation in der Politik zielt ganz allgemein darauf ab, Bürger, Interessenten, Unterstützer, Spender und Multiplikatoren aller Art, die sich mit einer Sache verbunden sehen, für diese zu gewinnen. Sie richtet sich auf den Konsens innerhalb des demokratischen Systems. Es geht darum, Bewusstsein und Bürgerbindung zu schaffen sowie Handlungen innerhalb der Gemeinschaft auszulösen. Denn Dialogkommunikation richtet sich direkt an den Einzelnen und agiert jenseits der Massenkommunikation. Vergleichbar zu den Dialogmarketing-Prinzipien in der Wirtschaft (Holland, 2002, S. 12 ff.) nimmt sie auch in der politischen Kommunikation kleiner werdende Zielgruppen-Segmente in den Fokus, um diese effektiv mit den richtigen Themen zu versorgen. Statt die Bevölkerung als Ganzes anzusprechen, konzentriert sie sich auf spezielle Akteursgruppen oder Einzelpersonen, etwa allein erziehende Mütter, Kleinunternehmer, Freiberufler, Senioren, arbeitslose Jugendliche oder Unternehmen einer bestimmten Größe oder Branche. Je feiner dabei die Auswahl derjenigen Bürgerinnen und Bürger erfolgt, mit denen der Dialog geführt wird, desto individueller kann sich dieser entfalten. Technisch sind dieser Segmentierung keine Grenzen gesetzt. Das Segmentierungs-Credo lautet: So fein wie möglich und so grob wie nötig. Dabei muss der Politikdialog stets hinterfragen, welche Maßnahmen dem Bürger und der Demokratie dienen und welche Mehrwerte dazu beitragen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen oder sich für einen gesellschaftlichen Zweck einzusetzen. Welche Botschaft oder Handlungsaufforderung wird gehört? An wen muss diese Botschaft adressiert werden? Das setzt voraus, den Bürger zu kennen. Doch Vorsicht: Den gläsernen Bürger ins Visier zu nehmen und diesen im Unklaren darüber zu lassen, dass Daten von ihm erhoben und verwertet werden, um die Segmentierung bzw. Clusterung politischer Zielgruppen voranzutreiben, wäre kontraproduktiv und entspricht nicht dem Sinn und der Ethik von Dialogkommunikation und Bürgerbindung.
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Hier stehen Nutzenargumentation und Mehrwert für den Bürger im Fokus. Wer Vertrauen zu seiner Behörde, Partei, einem Ministerium oder einer Initiative hat, der gibt als Bürger auch gern persönliche Daten preis. Während reichweitenstarke, klassische und monologische Bürgeransprache, etwa 18/1-Plakate oder TV-Spots, die keine klare Handlungsaufforderung oder Botschaft kommunizieren, verpuffen, ohne bei den Adressaten eine Wirkung zu erzielen, geht Dialogkommunikation gezielter vor und ist auch deutlich effektiver. Sie setzt verstärkt darauf, Tendenzen, Haltungen, Sichtweisen und Trends innerhalb der Bevölkerung aufzugreifen und zu verwerten. Die Schlüsselbegriffe dafür sind Bürgerorientierung sowie die gezielte Ansprache, Vermittlung und Überzeugung. Durch einen solchen permanenten und nachhaltigen Dialog mit einzelnen Bürgern und Gruppen innerhalb der Bevölkerung wird die unabdingbare Bindung zwischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gestärkt. Im Zentrum der politischen Dialogkommunikation steht die Beziehung dieser drei Akteure. Abgeleitet von den Erfahrungen des CustomerRelationship-Managements könnte hier von einem neuen Dialogmanagement für die Politik gesprochen werden. Gemeint ist damit ein Politikverständnis, welches die essenzielle Pflege der Beziehungen zum Bürger noch stärker ins Zentrum rückt. Die um sich greifende "Entfremdung" zwischen Politikern und Bürgern könnte durch kontinuierliche, gezielte und persönliche Ansprache des Wahlvolks, sei es per Brief oder per Telefon, zumindest verringert, wenn nicht sogar überwunden werden. Auch zur Mobilisierung sind Dialog-Instrumente in der politischen Kommunikation besonders geeignet. Schließlich muss die Politik wieder umfassender in der Bevölkerung verankert werden. In früheren Jahrzehnten hatten beispielsweise sehr viel mehr Menschen ein Parteibuch. Heutzutage dagegen engagieren sich immer weniger Bürgerinnen und Bürger in Parteien. Etwas stärker ist die Beteiligung bei Nichtregierungsorganisationen. Eine spontane politische Partizipation breiter Schichten, wie wir sie etwa bei den Bürgerinitiativen der 80er Jahre erlebt haben, ist aktuell nicht zu erkennen. Diesen Entwicklungen lässt sich mit dialogischen Kommunikationsinstrumenten entgegen wirken, indem systematisch Unterstützung eingeworben wird. Dabei darf sich der Einzelne jedoch keinesfalls als gläserner Bürger fühlen. Oberstes Gebot für Kampagnenmacher ist die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Und mehr noch: Der Respekt vor jedem einzelnen Bürger gebietet es, ein "Nein"
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zur Kommunikation auch als ein solches zu akzeptieren. Mit datenschutzrechtlichen Aspekten gilt es offen und transparent umzugehen. Im Vordergrund muss dabei immer das Wohl des Bürgers und dessen Bereitschaft für den Dialog stehen. Nur wenn sich die Menschen auf eine vertrauensvolle und offene politische Diskussion einlassen und diese als persönliche Bereicherung empfinden, werden sie es den Kampagnenmachern – etwa Bundesministerien oder Parteien – auch gestatten, ausgewählte personenbezogene Daten zu erfassen, zu speichern und zu verwerten. Die emotionale Basis dafür ist gegenseitiges Vertrauen. Die technischen Möglichkeiten zur persönlichen Ansprache des Bürgers sollten Parteien und Politikern zudem immer wieder den Anstoß geben, ihre Beziehung zum Bürger neu zu reflektieren und zum Maßstab ihres politischen Handelns zu machen. Warum sollen die Verantwortlichen in der Politik nicht bei allem, was sie tun, die Frage im Hinterkopf behalten, wie sie die betreffenden Fakten in einen Bürgerbrief formulieren würden? Peter Radunski, ehemaliger Berliner Senator und in den 90er Jahren Bundesgeschäftsführer der CDU, verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorbildfunktion Großbritanniens. Er stellt fest, dass in Großbritannien klassischerweise per Brief, per Telefon oder im Rahmen von Bürgerversammlungen kommuniziert wird. Es gibt viele klug gemachte Briefe und TelefonAktionen einzelner Politiker. In Deutschland noch kaum vorstellbar ist beispielsweise die Tatsache, dass einige Kandidaten im letzten Wahlkampf bis zu 20.000 Briefe mit der Hand an Bürgerinnen und Bürger geschrieben haben, die zudem oft sehr persönlich gehalten waren. Dem Wähler wird dadurch Aufmerksamkeit und Wertschätzung signalisiert. Üblich ist auch der so genannte Candidate Letter, in dem sich der Kandidat den Bürgerinnen und Bürgern in seinem Wahlkreis persönlich vorstellt (Radunski, 2006). Dieser außerordentliche Einsatz der Abgeordneten und Kandidaten liegt in Großbritannien nicht zuletzt am System der direkten Demokratie. Schließlich benötigen britische Politiker, um einen Sitz im Parlament zu erhalten, das Mandat der Wähler des eigenen Wahlkreises. In Sprechstunden oder per Brief stehen sie den Bürgern daher Rede und Antwort, erläutern, erklären und rechtfertigen ihre politischen Ziele und Positionen. Dabei müssen sie oft ganz konkret auf Probleme in ihrem Wahlkreis eingehen.
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Zusammenfassung und Erkenntnisse für die politische Dialogkommunikation Zusammenfassend ist festzustellen, dass zwei wesentlich Herausforderungen für Parteien und politische Verantwortungsträger bestehen: Erstens die Klärung und Differenzierung der politischen Programmatiken und zweitens die Anstrengung, diese allgemein verständlich und individuell, das heißt auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten, zu kommunizieren. Zudem gilt es, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen und über Interaktivität Politikinteresse zu generieren. Wahlkampf-Veranstaltungen lassen sich zum Beispiel dazu nutzen, die Vorstellungen und Forderungen der Bürger genauer zu erfassen, um mit Folgeaktivitäten zielgerichteter auf deren Interessen reagieren zu können. Der zweifellos stattfindende Wandel der politischen Kommunikation hin zu mehr Bürgernähe und Dialog wird künftige Kampagnen maßgeblich beeinflussen. Gefragt sind für die Zukunft erfolgreicher politischer Kommunikation Vernetzung und Synergien cross-mediale Ansätze und individualisierte Botschaften – immer auf der Basis einer genauen Analyse der Bedürfnisse von Zielgruppen und der kontinuierlichen Pflege von Datenbeständen. Um Erfolg zu haben, muss sich das politische Dialogmarketing die folgenden Tipps zu Eigen machen:
Schaffen Sie belastbare Verbindungen zu Ihren Zielgruppen. Hören Sie Ihren Zielgruppen zu und lernen Sie von Ihnen. Empathie und Emotionalität führen zu Verständnis und Vertrauen – zu Ihnen und in die Demokratie. Vertrauen darf nicht enttäuscht werden, da es die Grundlage dafür bildet, dass Ihre Zielgruppen einwilligen, mit Ihnen im Dialog zu bleiben. Deswegen muss Ihr Dialoganliegen professionell und authentisch ausgeführt werden. Sie werden durch fundiertes Zielgruppenwissen und ein Mehr an Zustimmung für Ihre Bemühungen entlohnt. Bauen Sie eine Rückkopplung (Antwortmöglichkeiten) in Ihre Kommunikationsinstrumente ein. Machen Sie aus anonymen bekannte Zielgruppen. So bleiben Sie im Dialog! Bieten Sie Mehrwerte in Form von relevanten Informationen oder Beratung über Response-Medien an.
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Kerstin Plehwe Vernetzen Sie die Kommunikationsdisziplinen und verzahnen Sie die Medien. Nicht jeder möchte online kommunizieren, mancher vielleicht lieber telefonieren. Bieten Sie möglichst verschiedene Reaktionskanäle an. Zahlreiche Studien belegen, dass so genannte integrierte Kommunikation erfolgreicher ist als Einzelmaßnahmen. Nutzen Sie klassische Medien für die Reichweite, adressieren Sie mit Hilfe der Dialog-Instrumente relevante Zielgruppen. Klassik- und Dialogkommunikation arbeiten am besten Hand in Hand. Nutzen Sie das Know-how von Spezialisten und respektieren Sie jedes Nein zur Kommunikation. Bei längeren Anstoßketten steigt die Chance, wahrgenommen zu werden und Zielgruppen zur richtigen Zeit in der richtigen Situation abzuholen. Bleiben Sie im Dialog – auch über den Wahlkampf hinaus. Kommunizieren Sie möglichst zielgerichtet: individualisiert (maßgeschneiderte Themen und Zeitpunkte) und personalisiert (persönliche Ansprache). Nutzen Sie Ihr Bürger- und Zielgruppenwissen so oft es geht. Sprechen Sie dabei die Sprache Ihrer Wähler. Pflegen Sie ihre Daten. Sie sind möglicherweise ein Motor für den Konsens. Gute Dialoge benötigen professionelle Grundlagen und Kampagnenmanagement. Investieren Sie in den Aufbau von Datenbanken. Nutzen Sie die Daten auch zur Spender- beziehungsweise Förderergewinnung. Messen, testen und optimieren Sie Ihre Kampagnen kontinuierlich. Ein Flop bei einer Testgruppe lässt sich eher verkraften als einer bei einer bundesweiten Kampagne. Setzen Sie im Sinne der Partizipation auf Interaktivität, beispielsweise einen Call-Back-Button im Internet. Er erleichtert den Zielgruppen Anfragen. Überwinden Sie die internen Widerstände, indem sie die einfach nachweisbaren Erfolge dialogischer Kampagnen sichtbar machen.
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"Trotzdem nochmal nachgefragt, Frau Kirchhof...". Eine dialoganalytische Untersuchung des FernsehDuells im Wahlkampf 2005 Christoph Tapper & Thorsten Quandt
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Die Fernsehduelle: The same procedure as last time?
Die überraschende Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Mai 2005, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen – mit der klaren Absicht, diese zu verlieren und den Prozess zu frühzeitigen Neuwahlen in Gang zu bringen – hatte vermutlich die gesamten Langzeitplanungen der Parteien, aber auch der Medien durcheinander gewirbelt. Es mussten nun die Vorbereitungen für die Wahlkampfberichterstattung zu den eigentlich für 2006 geplanten Bundestagswahlen vorangetrieben werden. Bei den TVSendern mit angedacht: Fernsehduelle zwischen den beiden aussichtsreichsten Kandidaten. Diese Form der Berichterstattung und des Wahlkampfs war im Jahr 2002 erstmals für Deutschland erprobt worden. Amtsinhaber Gerhard Schröder und sein Herausforderer, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, hatten sich damals in zwei TV-Duellen nach amerikanischem Vorbild direkt gegenübergestanden. Vorbild der beiden Sendungen, die jeweils zeitgleich auf zwei Sendern (einmal RTL und SAT.1, das andere Mal ARD und ZDF) ausgestrahlt wurden, waren die Fernsehdebatten der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, die seit den ersten vier, geradezu legendären "Great Debates" zwischen dem Republikaner Richard M. Nixon und dem demokratischen Kandidaten John F. Kennedy im Jahr 1960 zu den Traditionen des amerikanischen Wahlkampfes gehören. Kennedy, so eine weit verbreitete Sichtweise, habe damals die Wahl vor allem aufgrund seines besseren Auftretens in den Fernsehdebatten für sich entscheiden können. Freilich gibt es abweichende Meinungen, die den Effekt der 'Great Debates' gar nicht auf die eigentlichen Sendungen, sondern auf die nachfolgende Berichterstattung darüber zurückführen (vgl. Kraus, 1962a, b).
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Ähnlich wurden auch bei den ersten deutschen Duellen Wirkungen auf die Meinungsbildung untersucht: Das Echo in den Medien oder die Reaktionen des Publikums auf die Sendungen (z. B. Dehm, 2002, Zubayr & Gerhard, 2002) wurden analysiert ebenso wie direkte Veränderungen der Auffassungen von den Kandidaten beim Publikum (vgl. z. B. Scheufele, Schünemann & Brosius, 2005; Maurer & Reinemann, 2004). Scheufele, Schünemann und Brosius konstatieren (zumindest kurzfristige) Effekte: "Die befragten Wähler ließen sich offenbar sowohl von ihrem Realeindruck als auch dem Fremdeindruck beeinflussen. Dabei stellten wir nicht nur 'duell-nahe' Effekte fest – wie z. B. auf die Eindrücke vom Auftritt der Kandidaten oder vom Sieger des Duells. Vielmehr scheinen das erste TV-Duell und die Nachberichterstattung darüber auch duell-fernere Wirkungen gehabt zu haben – wie z. B. auf generelle Vorstellungen von der Persönlichkeit und Kompetenz der Kanzlerkandidaten. Und selbst die Kandidaten- und Parteienpräferenz wurden offensichtlich zumindest kurzfristig verändert." (Scheufele, Schünemann & Brosius, 2005, S. 417)
Während das erste Duell nicht zwingend dem Amtsinhaber in die Karten spielte, wurde das zweite Duell deutlicher von Schröder für sich entschieden (vgl. Scheufele, Schünemann & Brosius, 2005, S. 405), und es lag die Vermutung nahe, dass der Wahlausgang zugunsten Schröders eben auch auf die Kompetenz des "Medienkanzlers" zurückzuführen war, Politik und sich selbst medienwirksam zu inszenieren. Strategische Fehler der CDU/CSU waren erkannt und analysiert worden (vgl. Wiesendahl, 2003) – und die Performance des Herausforderers Stoiber in den Duellen gehörte mit dazu. So erstaunte es auch nicht, dass die Kanzlerkandidatin der CDU, Angela Merkel, nach der erwarteten Abstimmungsniederlage Schröders bei der Vertrauensfrage und der Entscheidung für Neuwahlen mehr als zurückhaltend angesichts des Wunsches nach Fernsehduellen im Wahlkampf 2005 reagierte. Zwar war die politische Ausgangslage Schröders deutlich schlechter als noch drei Jahre zuvor, mit Umfragerückständen zur CDU von bis zu 17 Prozentpunkten im Juni/Juli 2005 (vgl. Politbarometer, 2005); doch musste damit gerechnet werden, dass der angeschlagene Amtsinhaber gerade angesichts der bedrohlichen Lage zu medienwirksamer Höchstform auflaufen würde. Dank der "beharrlichen Verweigerungskraft von Frau Merkel" wurde "der Wahlkampf 05 nur von einem einzigen Showdown vor laufender Kamera gekrönt" (Dausend, 2005a); einem zweiten Duell wollte Merkel nicht zustimmen. Dadurch war auch das Setting ein anderes – da nicht wie
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt
2002 zwei Duelle auf private und öffentlich-rechtliche Sender aufgeteilt werden konnten, musste man eine andere Lösung finden, um das 'Gleichgewicht' zwischen den Sendern zu wahren. Ergo: Das Duell wurde auf allen Sendern zeitgleich ausgestrahlt. Öffentlich wurde dies mit gewisser Häme begleitet: "[Es] darf sich der Zuschauer bei der Eitelkeit der beteiligten Fernsehanstalten bedanken, daß er nun das fernsehhistorisch einmalige Schauspiel erleben darf, wie vier Moderatoren – doppelt soviel wie 2002 – zwei Politiker befragen, was der Sendung bereits im Vorfeld das Label '2 plus 4'-Gespräche beschert hat. Ein Job, zwei Bewerber, vier Moderatoren, vier Sender, Schrödermerkelkloeppelillnerchristiansenkausch, wohin man schaltet – 'ein Hauch von Nordkorea', nennt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender das staatsfernsehgleiche Einheitsglotzen zur besten 'Tatort'-Zeit." (Dausend, 2005a)
Trotz der generellen Unterschiede zwischen den Duellen 2002 und der 2005er-Auflage gab es jedoch auch einige Gemeinsamkeiten: Nicht nur war der Ort derselbe, auch gab es wieder ein "penibel ausgehandelte(s) Regelwerk" (Das penibel ausgehandelte Regelwerk, 2005), für das diverse Zeitungen sogar eine "Gebrauchsanleitung" (vgl. BZ-Gebrauchsanleitung, 2005) veröffentlichten. Freilich wurde auf Basis der Erfahrungen aus den ersten Duellen eine weniger rigide Auslegung der formalisierten Gesprächsregeln erwogen. Angesichts der mitunter schleppenden Duelle 2002 war nämlich von einem "gescheiterten Experiment" (Schwennicke, 2002) die Rede gewesen, welches unter anderem auf zu starre Gesprächsregeln mit im Vorfeld festgelegten Redeanteilen und der Limitierung journalistischer Interventionsmöglichkeiten der Moderatoren zurückgeführt worden war. Die Problematik der Überreglementierung und deren Auswirkung auf die Gesprächsführung konnte auch von den Autoren dieses Beitrags mit Hilfe einer dialoganalytischen Studie belegt werden (Tapper & Quandt, 2003). Dementsprechend konstatierte die Moderatorin Maybrit Illner in einem Interview vor dem 2005erDuell: "Für die neue Duell-Ausgabe in 2005 scheint klar, dass der freie Schlagabtausch der Lebendigkeit der Auseinandersetzung nutzt. Die Journalisten sind diesmal beweglicher als vor drei Jahren" (zitiert nach Waldner, 2005). Freilich ist zu prüfen, inwieweit der von Illner formulierte Anspruch bei dem Duell 2005 wirklich umgesetzt werden konnte – denn auch bei der Neuauflage gab es klare Vorgaben. Für eine solche Analyse bietet die Dia-
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loganalyse einige probate Methoden (vgl. Quandt & Tapper, 2002); zudem liegen mit der Studie zu den Duellen 2002 (Tapper & Quandt, 2003) und Analysen der TV-Kandidateninterviews 1998 und 1994 (Tapper, 1998; Moke, Quandt & Tapper, 1999) Vergleichsdaten aus vergangenen Jahren vor, so dass auch mögliche Veränderungen dokumentiert werden können. Ziel der vorliegenden Studie ist es somit, dialoganalytisch das Vorgehen der Politiker und der Journalisten, ihre Interaktion – und mögliche Defizite des Duells – zu untersuchen. Im Rahmen einer solchen Analyse werden u. a. das dialogische Verhalten, Störungen, die Hartnäckigkeit der Diskutanten bei ungenauen Antworten des Gegenübers, die Genauigkeit von Antworten, die Themenstruktur und die formalen Rahmendaten der Interviews untersucht (zu allgemeinen Grundlagen der Methode vgl. Quandt & Tapper, 2002 sowie Tapper & Quandt, 2003). Im Folgenden wird das methodische Vorgehen noch etwas genauer beschrieben (Abschnitt 2). Im Anschluss daran werden einige Ergebnisse der Studie vorgestellt (Abschnitt 3). Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse wird schließlich diskutiert, inwieweit sich das Duell 2005 von den Duellen 2002 unterscheidet – oder auch nicht (Abschnitt 4). 2
Methodisches Vorgehen
Grundlage dialoganalytischer Auswertungen sind detaillierte Transkripte. Im vorliegenden Fall wurde daher das TV-Duell anhand von Videoaufzeichnungen im Wortlaut vollständig transkribiert; zudem wurden symbolische Codierungen für gleichzeitiges Sprechen der Diskutanten, Abbrüche der Rede, Pausen, Modulationen des Tonfalls sowie weitere Kommentare zur Sprechweise eingefügt. Mit Hilfe dieser Zusatzinformationen ist es möglich, die Mechanismen der 'Gesprächssteuerung' zu untersuchen. Damit sind Konventionen im Sinne eines Frage-Antwort-Spiels (vgl. z. B. Greatbatch, 1988; Holly, 1992a, b, 1993) gemeint, die letztlich den Ablauf eines Gesprächs entscheidend prägen – selbst wenn sie nicht explizit gemacht werden und auch nicht unbedingt den kommunizierenden Individuen 'bewusst' sein müssen. Solche impliziten Zuweisungen betreffen zum Beispiel Rollenzuweisungen (Interviewer, Befragter) und damit verbundene Handlungsmöglichkeiten und -schemata. Die Rollenzuweisung legt u. a. fest, wer Fragen stellen darf (für gewöhnlich der 'Interviewer') und wer antworten muss
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt
(in diesem Fall: die Kandidaten). Die Diskutanten können jedoch durch bestimmte Strategien das Rederecht und die thematische Steuerung an sich ziehen, beispielsweise durch Unterbrechen, bestimmte sprachliche Signale, Gesten oder Mimik. Je nach Rigidität der impliziten oder expliziten Gesprächsregelungen können solche Strategien als Störungen oder gar Affront empfunden werden; sie sind aber in bestimmten Rahmen zulässig und Teil fast jeder Diskussion. Bei der Materialaufbereitung wurde (wie in den vorhergehenden Analysen) auf eine phonetische Umschrift der Interviews verzichtet, da die so zu gewinnenden Informationen – beispielsweise über Dialekt, Ausspracheungenauigkeiten oder sprachliche Eigenheiten der Diskutanten – nicht im Fokus des Forschungsinteresses lagen (vgl. hierzu auch Quandt & Tapper 2002, 136 ff.). Aus dem so erhobenen und aufgearbeiteten Material wurden Daten gewonnen, die auf die in den früheren Studien bereits erprobte Art und Weise analysiert wurden. Die Daten umfassten: 1. Formaldaten der Gespräche Diese umfassen die Gesamtgesprächsdauer, die jeweilige Redezeit der Politiker und der Journalisten, den Wortanteil der Beteiligten (welcher von der Redezeit aufgrund der differierenden Sprechgeschwindigkeiten zu unterscheiden ist) und die Zahl der 'Turns' bzw. der Gesprächszüge.1 Von den Turns unterschieden wir zudem die Reaktionen der Kandidaten, die nicht mit den Turns übereinstimmen müssen, denn ein Turn kann mehrere Reaktionen enthalten.2 2. Themen In Diskussionen werden viele Themen miteinander verwoben – eine klare Trennung findet in der Praxis oft nicht statt, und vielfach werden bestimmte Themen innerhalb von Sprecher-Turns erst entwickelt. Insofern ist es schwierig, apriori Themen mittels starrer Kategorien zu fixieren und dann zu messen. Stattdessen bietet es sich an, anhand des Materials die Themen zu Komplexen zu verdichten. Eine ex post Codierung bietet zudem den Unter einem Turn oder Gesprächszug versteht man inhaltlich kohärente Äußerungen, die ein Disk tant äußert, wenn er 'an der Reihe' ist; hierzu gehören also keine reinen Hörersignale (vgl. Schwitalla, 1979) wie "oh", "mhm" usf. oder erfolglose Sprechversuche (vgl. Quandt & Tapper, 2002).
1
Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Kandidat während eines durchgehenden Turns auf mehrere eingeworfene Fragen reagiert, ohne sich unterbrechen zu lassen.
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Vorteil, dass sie offen ist für eine potenziell unbegrenzte Zahl an Themen. Natürlich gibt es immer wieder auftauchende politische Schwerpunkte von Wahlen wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Steuern, Finanzen, Koalitionsmöglichkeiten, Wahlchancen usf. (dies zeigen auch unsere Analysen aus den vergangenen Jahren). Freilich sind Wahlkämpfe oft von aktuellen Themen geprägt, die so in den anderen Wahlen zuvor nicht aufgetaucht sind, wie etwa der Irak-Konflikt oder die Flut-Katastrophe im Bundestagswahlkampf 2002 (vgl. Tapper & Quandt, 2003). 3. Strukturen Die Strukturen von Gesprächen können durch eine ganze Reihe an Kennwerten beschrieben werden. So lässt sich bestimmen, wie häufig Fragen tatsächlich beantwortet werden, wie oft Diskutanten die gerade Sprechenden unterbrechen oder stören oder bei nicht korrekt beantworteten Fragen nochmals nachhaken. Diese Informationen geben Hinweise auf die Gesprächssteuerung durch die Diskussionsteilnehmer, die natürlich versuchen, die Diskussion nach ihrer Vorstellung zu gestalten, indem sie beispielsweise häufiger oder länger zu Wort kommen, unangenehme oder als besonders angreifbar erscheinende Argumente unterbrechen oder in strategisch wichtigen Momenten das Rederecht ergreifen, um Initiative zu demonstrieren. Ebenso wie bei der Analyse der ersten Fernseh-Duelle wurden auch diesmal nicht nur 'Frage-Antwort'- oder 'Vorwurf-Entgegnung'-Sequenzen (sog. Adjacency Pairs) zwischen den zwei diskutierenden Parteien (Journalisten und Kandidaten) untersucht, sondern auch komplexere Abfolgen analysiert und qualitativ beschrieben. Auf eine Quantifizierung wurde hier verzichtet, da solche komplexen Muster in einer bestimmten Form nur wenige Male oder tatsächlich nur in Einzelfällen auftauchen, so dass eine Auszählung wenig sinnvoll erscheint. 3
Ergebnisse
3.1 Formaldaten des Untersuchungsmaterials Die Neuauflage des Kandidaten-Duells im Jahr 2005 orientierte sich in einigen Punkten an den ersten beiden Duellen des Jahres 2002. Ort des Geschehens war jeweils das Studio D in Adlershof, ein ehemaliges Studio des
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt
DDR-Fernsehens in Berlin. Auch in der neuen Version des Duells standen bzw. lehnten die Kandidaten an Stehpulten und ihnen wurden von den Journalisten Fragen in thematischen Blöcken gestellt. Allerdings gab es auch einige wichtige Unterschiede im Setting: So waren 2005 vier Moderatoren dazu abgestellt, die Politiker zu befragen – weniger eine Notwendigkeit der Gesprächsführung, sondern eher eine Folge der von den Sendern gewünschten Ausgewogenheit in der Besetzung der Journalisten-Riege. So kam von jedem Sender eine Journalistin bzw. ein Journalist zum Zuge: Sabine Christiansen (ARD), Maybrit Illner (ZDF), Thomas Kausch (Sat.1) sowie Peter Kloeppel (RTL). Aufgrund der hohen Zahl an Moderatoren wurden quasi 'Pärchen' gebildet, die jeweils bestimmte Themenblöcke vorstellen und moderieren sollten; insgesamt waren für die Sendung acht bis zehn Blöcke vorgesehen (vgl. Dausend, 2005a). Zudem gab es zwischen 2002 und 2005 Unterschiede in der räumlichen Anordnung der beteiligten Personen zueinander, denn Schröder und Merkel standen 2005 wesentlich näher zusammen als Schröder und Stoiber 2002. Man mag dies als Marginalien abtun – doch diese Abweichungen im Setting führten zu einer spezifisch anderen Gesprächsatmosphäre als noch in den ersten Duellen. Diese wurde im Nachhinein von Kommentatoren zumeist als etwas 'lockerer' und 'freier' bezeichnet, wenngleich dabei natürlich neben dem Setting auch die Gesprächsführung und die Tonalität der Diskussion eine zentrale Rolle spielen. Außerdem war die 'Freiheit' der Diskussion auch in der Version von 2005 (ebenso wie 2002) durch vorab detailliert ausgehandelte Gesprächsregeln beschränkt worden. Das Reglement sah folgende Rahmenbedingungen vor:3
Die geplante Gesamtlänge der Sendung beträgt 90 Minuten (2002 waren jeweils 75 Minuten geplant; vgl. hierzu Tapper & Quandt, 2003). Es sind acht bis zehn Blöcke mit Fragen zu den wichtigsten politischen Themen vorgesehen. Die Einstiegsfrage eines jeden Themenblocks wird dabei beiden Kandidaten gestellt. Die Eingangsfrage des Duells geht an Schröder, während Merkel das letzte Statement der Sendung bekommt. Ebenso ist vorab festgelegt, welche Themenblöcke die jeweiligen Moderatorenpärchen behandeln.
3 Zu den Gesprächsregeln vgl. BZ-Gebrauchsanleitung (2005), Dausend (2005a), Waldner (2005), Das penibel ausgehandelte Regelwerk (2005)
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Die Antworten sollen 60 bis 90 Sekunden lang sein, wobei die Redezeit der beiden Kandidaten in einem Zeitkonto festgehalten wird, welches alle 15 Minuten eingeblendet wird, und an das die Moderatoren alle 30 Minuten erinnern. Am Schluss der Sendung sollte dieses Konto – mit einer Toleranz von einer Minute – ausgeglichen sein. Zeitüberziehungen eines Kandidaten sollen durch zusätzliche Sprechanteile des anderen ausgeglichen werden. Am Ende der Sendung können sich die Politiker mit einem SchlussStatement direkt an die Zuschauer wenden, wobei dieses Statement nicht länger als 90 Sekunden lang sein sollte.
Insofern war auch das Duell des Jahres 2005 immer noch in Hinblick auf die Grundparameter der Sendung stark reglementiert. Freilich kann man unterstellen, dass die Sender und auch die Politiker aus den ersten Duellen 2002 gelernt hatten, dass eine zu starre Gesprächsführung von Publikum und Kritikern negativ aufgefasst wird (vgl. hierzu Tapper & Quandt, 2003; Gangloff, 2002). Die Autoren der vorliegenden Studie hatten in ihrer Analyse der ersten Sendungen beispielsweise konstatiert, dass "die formalisierten Regeln [...] jedwede Form spontaner Diskussion unterdrückt" hatten, was "die Journalisten, die normalerweise inhaltliche Nachfragen stellen, Themen bündeln und als 'Anwalt' des Zuschauers fungieren" nur noch "zu Stichwortgebern und Zeit-Ansagern reduziert" hatte, während "die Kandidaten indes (...) relativ ungestört ihre jeweiligen Agenden präsentieren [konnten]" (Tapper & Quandt, 2003, S. 261). Grundproblem der damaligen Sendungen war also vor allem das stark eingeschränkte Wechselspiel zwischen den Diskussionsteilnehmern – eine direkte Auseinandersetzung zwischen Journalisten und Politikern und den Politikern untereinander war in der damaligen Sendeform eigentlich gar nicht vorgesehen gewesen. Dieses Wechselspiel, das heißt das jeweils direkte Aufeinander-Eingehen der Kandidaten, sahen auch die vorab fixierten Regeln des Jahres 2005 nicht ausdrücklich vor. Allerdings erlauben sie eine etwas lockerere Abfolge von Fragen und Antworten. Insoweit ist das Reglement des Duells – im Verhältnis zu 2002 – tatsächlich freier, was auch Kloeppel in einem Interview betont: "Das Korsett ist jetzt aufgeschnürt worden, das kommt der Sendung sicher zugute" (zitiert nach Waldner, 2005). Ein erster Blick auf die formalen Rahmendaten der Sendung lässt bereits einige interessante Rückschlüsse auf den Charakter des Duells zu. Die
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Gesamtgesprächsdauer des Duells liegt etwas höher als die veranschlagten 90 Minuten. Während dieser Zeit waren für Schröder 78 Gesprächszüge (Turns) zu verzeichnen, für Merkel nur die Hälfte, also 39 Turns. In einer standardisierten Zeiteinheit von 5 Minuten brachte Schröder also 4,2 Turns unter, Merkel dagegen 2,1 Turns. Damit liegt Merkel noch unter der niedrigsten Zahl von Turns pro Zeiteinheit, die 2002 gemessen wurde4 (Schröder im 1. Duell 2002: 2,2 Turns/5 Min.), Schröder dagegen deutlich über der Höchstmarke von 2002, die er selbst im zweiten Duell damals aufgestellt hatte (3,7 Turns/5 Min.). Da die Gesprächsanteile aber annähernd ausgeglichen sind (rund 40 Minuten bzw. 43,1% für Schröder, knapp 39 Minuten bzw. 41,7 % für Merkel), sind die Gesprächszüge von Schröder im Mittel sehr kurz (30,8 Sekunden), die von Merkel hingegen ausgesprochen lang (59,7 Sekunden).5 Auch hier liegen die Kandidaten unter bzw. über den jeweils kürzesten und längsten Werten, die für 2002 verzeichnet wurden (Schröder im 2. Duell 2002: 31,1 Sekunden; Schröder im 1. Duell 2002: 50,8 Sekunden). Im Gegensatz zu einigen Kritiker-Kommentaren im Rahmen der Nachberichterstattung kann damit nicht der Eindruck untermauert werden, dass Merkel 'aggressiver' und Schröder besonders 'zahm' war, im Gegenteil: Die kurzen und häufigen Turns sind bei Diskussionen in der Regel ein Indikator für aktiveres, mithin auch aggressiveres Auftreten (dies kann auch durch differenziertere Auswertungen untermauert werden; s. Abschnitt 3.3). Die Angriffslust Schröders hat jedoch mit Merkel einen quasi konträr handelnden Widerpart: Deren lange Statements sind ein Zeichen für standhaftes und beharrliches Sprechen, ohne sich beispielsweise durch Einwürfe des Gegners aus dem eigenen Schema bringen zu lassen. Möglicherweise sind so die Kritiker-Kommentare auch auf Basis der Vorerwartungen zu verstehen: Spekuliert wurde, dass der 'Medienkanzler' Schröder ein leichtes Spiel mit der als eher spröde qualifizierten Merkel haben werde. Die Beharrlichkeit von Merkel kann so – auf Basis der Vorerwartungen – als überraschend 4
Vgl. für alle Daten zu den Duellen 2002: Tapper & Quandt (2003)
5 Diese Daten weichen klar von der sendungsinternen Messung ab. Christiansen, Illner und Kloeppel bemerken zum Schluss der Sendung unisono, es sei "unglaublich", dass die Redezeiten der beiden Kandidaten bis auf eine Sekunde übereinstimmten, und zwar "mit Atomuhren gemessen" (Illner). Insgesamt weicht die von uns gemessene Differenz zwischen den Kandidaten um rund 90 s von dieser sendungsinternen Messung ab. Denn während in der sendungsinternen Messung offenbar ausschließlich "Exklusivturns" in die Bewertung einflossen, wurden in der vorliegenden Analyse sämtliche Einwürfe oder andere Phasen gleichzeitigen Sprechens berücksichtigt.
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souveränes Handeln interpretiert werden, welches dann zu den genannten Kritiker-Attributionen führte. Tabelle 1: Formale Daten der Sendungen Gesamtgesprächsdauer6: 5578 s Kategorie Redezeit der Akteure: Summe Redezeit Anteil an Gesamtdauer
Schröder
Merkel
Kloeppel
Illner
Christiansen
Kausch
2402 s
2328 s
234 s
315 s
297 s
230 s
43,1%
41,7%
4,2%
5,6%
5,3%
4,1%
78
39
28
35
25
21
30,8 s
59,7 s
8,4 s
9,0 s
11,9 s
11,0 s
Turns Anzahl der Turns Mittlere Länge der Turns
Neben dem Blick auf die Politiker-Daten ist auch die Auswertung der Journalisten-Gesprächszüge aufschlussreich: Diese unterscheiden sich ebenfalls deutlich von jenen des Jahres 2002. Durchweg sind die Turns der Journalisten im Jahr 2005 kürzer als die Gesprächszüge der ersten Duelle (2005: 8,4 s – 11,9 s; 2002: 12,1 s – 16,3 s). Dies bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass die Journalisten zwar jeweils kürzer, aber dafür auch häufiger sprechen: Da vier Moderatoren die Sendung bestreiten, ist die individuelle Zahl an Turns natürlich geringer als 2002 (2005: 21-35 Turns während 93 Minuten Gesprächszeit; 2002: 32-48 Turns während 80 bzw. 86 Minuten Gesprächszeit). Betrachtet man jedoch die Journalisten als Gruppe, so zeigt sich ein anderes Bild: Im ersten Duell 2002 lag die Zahl der Gesprächszüge für die Journalisten zusammengenommen bei 4,32 Turns/5 Min., im zweiten Duell bei 5,44 Turns/5 Min. In der Neuauflage 2005 verzeichnen die Journalisten Dies ist die Zeit beginnend mit dem ersten und endend mit dem letzten gesprochenen Wort in der jeweiligen Sendung. Sie entspricht damit nicht der Summe der einzelnen Akteurs-Redezeiten.
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in einem standardisierten 5-Minuten-Zeitraum zusammengenommen 5,86 Turns. Das heißt, insgesamt hatte die Gruppe der Journalisten im Jahr 2005 häufigere, gleichzeitig aber jeweils kürzere Redeanteile – ein erster Hinweis für eine aktivere Gestaltung der Diskussion als noch in den ersten Interviews. 3.2 Themen des Duells Interviewsendungen und Fernsehdebatten des Wahlkampfs sind für gewöhnlich von zentralen (innen)politischen Themen bestimmt, wie zum Beispiel der Arbeitslosigkeit, Steuerplänen, der Finanz- und Wirtschaftslage, aber auch Koalitionsmöglichkeiten und Siegchancen der jeweiligen Kandidaten. Hinzu gesellen sich 'Sonderthemen', die für den jeweiligen Wahlkampf spezifisch sind – diese speisen sich aus aktuellen Ereignissen und Problemlagen. In Langzeituntersuchungen der Interviewsendungen mit Kandidaten und der ersten Duelle konnten die Autoren der vorliegenden Studie diese Themen identifizieren: 1994 spielte die 'Rote-Socken-Kampagne' der CDU bzw. der Umgang mit der PDS eine wichtige Rolle, 1998 standen außenpolitische Themen (z. B. finanzielle Hilfen für Russland oder die sich abzeichnende neuerliche Krise auf dem Balkan) im Fokus, und bei den Duellen 2002 waren der Irak-Konflikt und die Bewältigung der Schäden durch die Hochwasserkatastrophe zentrale Diskussionsthemen (vgl. Tapper, 1998; Moke, Quandt & Tapper, 1999; Tapper & Quandt, 2003). Das Duell 2005 war hingegen stark von Themen geprägt, die in Bezug zur schwierigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands standen. Spitzenreiter war dabei die Steuer- und Finanzpolitik mit 18,1 Prozent Anteil an der Gesprächsdauer, gefolgt von der Arbeitsmarkpolitik mit 15,3 Prozent und den (hohen) Energiepreisen (vor allem Mineralöl/Benzin) mit 13,5 Prozent. Ebenfalls mit der prekären wirtschaftlichen Situation verbunden ist die Rentenpolitik (d. h. diskutiert werden hier anstehende Rentenkürzungen oder das Aussetzen der Rentenanpassungen auf Grund der schwierigen Finanzlage), die noch auf 8,6 Prozent der Gesprächsdauer kommt. Neben diesen 'Standardthemen' eines Wahlkampfes in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gibt es aber auch diesmal Sonderthemen. Auf den ersten Blick ist hier die Außen- und Europapolitik als größter Block mit 8,7 Prozent der Gesprächsdauer zu nennen – letztlich geht es hier vor allem um den möglichen
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EU-Beitritt der Türkei und die EU-Verfassung. Andere Sonderthemen wie Gen-Technik oder die Hurrikan-Katastrophe von New Orleans finden sich nur noch im niedrigen, einstelligen Prozentbereich. Tabelle 2: Themen der TV-Duelle (prozentualer Anteil an der Gesamtgesprächsdauer) Thema
Anteil
Steuer- und Finanzpolitik
18,1
davon: CDU-Steuerpläne und die Rolle Paul Kirchhofs
13,3
SPD-Steuerpolitik, rot-grüne Haushalts- und Schuldenbilanz Arbeitsmarktzahlen und Arbeitsmarktpolitik
15,3
Energiepreise sowie Energie- und Umweltpolitik
13,5
Außen- und Europapolitik (EU-Verfassung, EU-Beitritt der Türkei)
8,7
Rentenpolitik
8,6
Koalitionsmöglichkeiten und Wahlchancen
5,5
Wirtschaftswachstum und wirtschaftliche Stärke Deutschlands
4,8
Frauen- und Familienpolitik, Vereinbarkeit von Kind und Beruf
4,4
Sozialstaat und soziale Sicherungssysteme
3,8
Gen-Technik
3,8
Doris Schröder-Köpf und ihre öffentlichen Äußerungen zu Merkel
2,2
Verhältnis Rot-Grün, bzw. Fischer-Schröder
2,1
Führungsstärke der Kandidaten, Gefolgschaft in den eigenen Reihen
2,1
Stimmung in Deutschland, Deutschlands Ansehen innen und außen
2,0
Moderation, Begrüßung und Verabschiedung, Smalltalk
1,9
Paul Kirchhofs Einstellung zur Rolle der Frau
1,3
Hurrikan-Katastrophe von New Orleans und das Versagen der USFührung
1,0
Investitionen in Forschung und Bildung Gesamt7
7
4,8
Abweichungen von 100 Prozent ergeben sich durch Rundungen der Einzelwerte.
0,8 99,9
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt
Freilich ist dies nur eine oberflächliche Betrachtungsweise, denn in der Diskussion werden viele Themen miteinander verwoben und sind nicht klar nach 'Blöcken' zu trennen. Beispielsweise hängen Ausgaben im Sozialbereich oder für Forschung immer auch mit der Einnahmeseite, also dem kompletten Finanz- und Steuerkonzept zusammen. Insofern ist auch die Vorgabe an die Moderatoren, acht bis zehn Themenblöcke zu behandeln, nur eine Sollvorgabe, die so in der Realität einer Diskussion nie durchzuhalten ist (was sich auch anhand der Themenanteile zeigt; vgl. Tabelle 2). Diese Verquickung von Themen zeigt sich auch darin, dass das eigentlich bestimmende Sonderthema des Duells in der Übersicht zunächst gar nicht explizit auftaucht: nämlich die Diskussion um den Steuerexperten Paul Kirchhof, der einige Zeit als zukünftiger CDU-Finanzminister gehandelt worden war. Kirchhof war durch seine Ideen zur Gestaltung der staatlichen Finanzierung und der Rentenpolitik in die Kritik geraten, und die SPD hatte die Diskussion um Kirchhof als einen zentralen Ansatzpunkt für die Kritik am politischen Gegner genutzt. Auch im Duell lenken die Journalisten sowie auch Schröder das Gespräch immer wieder auf Kirchhof, in unterschiedlichen Zusammenhängen. Vor allem im Rahmen der Diskussion um die Finanzpolitik nehmen die CDU-Pläne und sowie die Rolle Kirchhofs den zentralen Part ein (13,3 % der Gesprächdauer) – die rot-grüne Haushaltsbilanz und die Steuerpolitik der Koalition treten so in der Hintergrund (nur 4,8 % der Gesprächsdauer), was Schröder sicherlich zu pass kommt, da hier einige seiner eigenen Problemfelder liegen. Dies ist aber nur in Teilen Gesprächsstrategie des Kanzlers, denn die Journalisten kehren immer wieder von selbst auf Kirchhof zurück: [1] TV-DUELL 2005 34 Christiansen: …Ihr möglicher Finanzminister, Herr Kirchhof! Der will nun noch mehr! Und letztendlich völlig verwirrt bleiben die Wähler zurück. Was ist denn da nun Steuerpolitik aus einem Guss?8 Die Zitate werden hier der besseren Lesbarkeit halber im Klartext ohne die Anmerkungen zum gleichzeitigen Sprechen und zu Störungen wiedergegeben (mit Ausnahme der Fälle, in denen explizit auf diese eingegangen wird).
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37 Christiansen: Paul Kirchhof hat dazu immer gesagt, er trete mal in die CDU ein, wenn sein Modell verwirklicht würde. Wann tritt er denn in die CDU ein?
39 Kausch: Sie bringen da einen schillernden Namen, einen Herrn Kirchhof, aber gleichzeitig legen Sie ihn mit seinen Visionen doch sofort wieder an die Kette. Das ist doch auf Jahre hinaus nicht umsetzbar, und er hat es selber gesagt, das ist mittlerweile völlig offen, da blenden Sie doch auch die Wähler! Das ist doch unglaubwürdig!
Dies ist auch der indirekte Erfolg der SPD-Strategie, Kirchhof als Wahlkampfthema zu etablieren (und wohl ein strategischer Fehler der CDU, die hier zu viel Angriffsfläche geboten hat) – welches die Journalisten dann auch aufgreifen müssen. Zudem lenkt Schröder das Gespräch auch mehrfach aktiv auf Kirchhof oder spitzt die Diskussion zu. So nimmt er vor allem Merkels Argumentationsstrategie, das CDU-Programm als Gegenwart und Paul Kirchhofs Pläne als Visionen für ein zukünftiges Steuersystem zu unterscheiden, aufs Korn. Er beschreibt Kirchhof als Technokraten mit unsozialen Plänen, die nicht nur Visionen seien, sondern ein von der CDU verfolgtes Steuerkonzept mit fatalen Folgen: [2] TV-DUELL 2005 42 Schröder: ...Denn das Modell Kirchhof ist nicht nur eine Vision. Man kann ja nicht ein Volk zum Versuchskaninchen von Herrn Kirchhof machen wollen, sondern es ist in sich in einer Weise ungerecht, die kaum zu überbieten ist… Das kann doch nicht ernsthaft Vision genannt werden
52 Schröder: …es ist ein Steuerrecht, das zu gravierenden Einnahmen im Staat führen würde, der Staat könnte seine Leistungen nicht mehr erbringen, und im Übrigen in einer Weise ungerecht, wie es kaum noch geht, und äh sich dahinter zu verste-
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt cken zu sagen, wir machen das Schritt für Schritt und das sei eine Vision! Das verstehe ich nicht. Wieso ist etwas, was in dieser Weise in die Lebensverhältnisse von Menschen negativ eingreift, eine Vision. Ich hab unter Visionen immer positive Dinge verstanden.
Ganz ähnlich sieht es beim Themenblock 'Rente' aus: Gegenstand ist hier die Idee Kirchhofs, die Rentenversicherung komplett zur Privatsache zu machen, ähnlich dem Modell einer Kfz-Versicherung. Auf journalistischer Seite wird hierbei wieder der Widerspruch zum CDU-Programm thematisiert: [3] TV-DUELL 2005 139 Kausch: …das zeigt ganz deutlich, dass der Generationenvertrag ja eigentlich nicht mehr so funktioniert, Frau Merkel. Herr Kirchhof schlägt deshalb vor, die Umlagerente komplett durch äh eine Privatvorsorge zu ersetzen. Noch so eine Vision, die Sie sofort wieder kassiert haben...
Schröder schießt sich hier wieder auf den unsozialen Technokraten Kirchhof ("Der Professor aus Heidelberg") ein, den Merkel stoppen müsse. Dabei versucht Schröder wiederholt, subtil auf Uneinigkeit und Uneinheitlichkeit in Merkels Team hinzuweisen, indem er beispielsweise seine Widersacherin jovial dafür lobt, dass Kirchhofs Pläne nicht in reiner Form in das CDUProgramm eingeflossen sind. [4] TV-DUELL 2005 153d Schröder: …Deswegen, und das will ich auch äh sagen, glaube ich Frau Merkel, dass sie Herrn Kirchhof gestoppt hat [...]. Ich glaube Ihnen das, denn ich glaube, dass wir einen Riesenfehler machten, wenn wir nicht beide Säulen benutzten, sondern das täten, was dieser Professor aus Heidelberg vorgeschlagen hat, nämlich die Rentenversicherung ähnlich aufzubauen wie die Kfz-Versicherung. Damit sagt der Mann doch, man müsse Menschen genau so behandeln wie Sa-
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chen, und das zeigt, dass er wirklich die Beziehung zur Lebenswirklichkeit verloren hat...
165 Schröder: Frau Merkel, ich [...] zitiere Herrn Kirchhof. Der vergleicht die Rentenversicherung mit der Kfz-Versicherung. Das kann ich doch wohl als das bezeichnen, was es ist. Nämlich absurd. Und ich konzediere Ihnen doch ausdrücklich, dass das nicht Ihre Position ist, bitte Sie aber, ihm zu sagen, er soll das nachlassen!
Kirchhof wird allerdings nicht nur im Zusammenhang mit seinen politischen Plänen thematisiert. Auch seine Einstellung zur Rolle der Frau in der Gesellschaft steht in der Kritik. So wird Merkel von Illner ein Zitat Kirchhofs vorgehalten, das dessen konservative Sichtweise zur Rolle der Frau dokumentieren soll. Merkel ist gezwungen, den Hintergrund des Zitats, welches aus dem Vorwort eines Buchs stammt, gerade zu rücken. Schröder geht immer wieder dazwischen, indem er Merkels Ausführungen als unwahr tituliert. [5] TV-DUELL 2005 186 Illner: …Paul Kirchhof ist schon wieder zu zitieren. Mit einem Satz aus dem Jahr 2003, die Mutter macht in der Familie Karriere, der Vater findet seine Identität, wenn er die ökonomischen Grundlagen der Familie beschafft. Wie kommt er eigentlich mit Ihnen klar?
187a Merkel: Schauen Sie, das ist genau das, was ich meine, äh wie im Augenblick diskutiert wird. Paul Kirchhof hat zu einem speziellen Buch ein Vorwort geschrieben. Und zwar einem Journalisten vom Deutschlandfunk, wo die gemeinsam zehn Kinder haben, wo die Mutter genau diese Rolle für sich einnimmt und wo der Vater die berufliche Karriere macht. Und diese beiden haben das für sich so entschieden, und Paul Kirchhof hat dazu ein wohlwollendes Vorwort geschrieben. Paul Kirchhof…
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188 Schröder: Aber das ist schlicht unwahr!
187b Merkel: …hat vier Töchter.
189 Schröder ((nach vorn)): Das ist ein Zitat aus einem Interview!
190a Merkel: Paul Kirchhof hat – es ist ein Zitat aus einem Vorwort! Und dieses…
191 Schröder: Interview.
190b Merkel: …Vorwort ist abgedruckt worden, und deshalb kann ich nur sagen, Paul Kirchhof hat vier Töchter ((lächelt)). Ich hab mich mit ihm unterhalten. Alle…
192 Schröder: ((lacht))
190c Merkel: …vier Töchter sind berufstätig, alle vier Töchter haben Kinder, alle vier Töchter machen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie…
Insgesamt wird ein Großteil des TV-Duells durch das Thema 'Kirchhof' bestimmt. Merkel muss den Finanzexperten und seine Ideen über weite Strecken des Gesprächs verteidigen, was für Schröder ein doppelter Vorteil ist: Einerseits kann er die politische Gegenseite kritisieren, andererseits
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bleibt weniger Raum für Kritik an seiner eigenen Politik. Nimmt man ausschließlich die Passagen, die die Person Kirchhof, dessen Pläne und deren Widersprüche zum CDU-Programm zum Gegenstand haben, so machen diese allein 13,0 Prozent der gesamten Redezeit aus. Diese 'KirchhofLastigkeit' wird anhand eines Versprechers von Thomas Kausch in einer an Merkel gerichteten Frage deutlich: [5] TV-DUELL 2005 39 Kausch: Trotzdem noch mal nachgefragt bei Ihnen, Frau Kirchhof…
Insofern ist auch die Neuauflage des Duells von einem 'Sonderthema' geprägt; dieses ist erst im Wahlkampf generiert worden und unter anderem durch die gezielte Kampagne der SPD zum zentralen Punkt der Auseinandersetzung geworden – insofern kann man hier auch eine geschickte Strategie erkennen, von eigenen politischen Schwierigkeiten abzulenken. Neben den strukturellen Ähnlichkeiten der Duelle 2002 und 2005 (Verweis auf politische Großthemen, Diskussion aktueller 'Sonderthemen') gibt es allerdings auch einen wichtigen Unterschied, der in den Daten zur Neuauflage zunächst gar nicht ins Auge fällt – da der Anteil für den entsprechenden Themenbereich so gering ist: Moderation, Begrüßung und Verabschiedung sowie nicht themenbezogener Smalltalk nehmen nämlich nur 1,9 Prozent der Zeit in Anspruch. Vor allem im ersten Duell 2002 wurden dagegen die Interviewregeln nochmals ausführlich erläutert (3,8 %), und im zweiten Duell das erste bilanziert (2,8 %), zusätzlich zur Moderation mit 1,8 bzw. 2,0 Prozent. Auch wenn es sich hier absolut gesehen nur um geringe Gesprächsanteile handeln mag, wirkt sich dies auf den Charakter des Interviews aus. Da die Journalisten insgesamt nur wenig Zeit auf sich vereinen, kommt das weitestgehende Aussparen der Gesprächsregeln und der Duell-Situation umso deutlicher zu tragen: Die Journalisten stellen so in der Hauptsache themenbezogene Fragen. Letztlich wirkt deren Gesprächsführung dadurch deutlich zielgerichteter und die journalistischen Beiträge sind 'substanzieller'. Insofern kann man hier einen Lernprozess aus den ersten Duellen 2002 erkennen.
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3.3 Struktur der Diskussion 3.3.1 Fragen und Antworten Ein deutlicher Unterschied zwischen den ersten Duellen 2002 und der 2005er-Auflage besteht in der unterschiedlich starken Reglementierung des Frage-Antwort-Ablaufs. Bei den ersten Duellen waren im offiziellen Regelwerk nur Fragen der Journalisten, Antworten der Kandidaten und SchlussStatements vorgesehen. Insofern war auf Basis der Gesprächsregeln ein echtes Duell – nämlich das wechselseitige Aufeinander-Eingehen der Kandidaten – gar nicht vorgesehen. Zwar zeigte sich bei der Analyse, dass Abweichungen von den zu starren Vorgaben durchaus für ein geringes Maß an Auflockerung sorgten (vgl. Tapper & Quandt 2003), doch blieben die Veranstaltungen im Kern fast PR-Auftritte, bei denen "die beiden Kandidaten ihr 'Programm' herunterspulen" (ebd., 256) konnten. So war es das explizite Ziel der Sender, dies zu ändern: Die Duell-Regeln schließen diesmal eine direkte Bezugnahme der Kandidaten aufeinander jedenfalls nicht aus (vgl. oben 3.1). Betrachtet man die Initialaktionen der Journalisten (vgl. Tabelle 3), so fällt allerdings zunächst kein Unterschied zu den ersten Interviews auf: Diese beschränken sich, mit einzelnen Ausnahmen, auf Fragen an die jeweiligen Kandidaten. Nur zwei Mal wird eine Erlaubnis an die Kandidaten erteilt, auf den Gegner zu reagieren; darüber hinaus sind zwei weitere Initialreaktionen zu verzeichnen: die jeweiligen Aufforderungen zum Schluss-Statement an Schröder und Merkel. Insoweit könnte man sich – oberflächlich gesehen – der Aussage der Auswertungen zu den ersten Duellen 2003 anschließen: Es "sind kaum Turns zu finden, in denen tatsächlich 'journalistisch' gehandelt wird" (Tapper & Quandt 2003), im Sinne einer forcierten Gesprächssteuerung. Allerdings greift hier eher die Veränderung des Regelwerks denn journalistische Untätigkeit: Da die Kandidaten direkt reagieren können, ist das Eingreifen der anwesenden Journalisten meistenteils gar nicht notwendig. Letztlich lassen die Journalisten die Debatte so lange frei laufen, wie sie keinen direkten Grund zur Intervention sehen. Dies entspricht auch dem bereits genannten Ziel einer freieren Diskussion, bei der die Kandidaten im Mittelpunkt des Interesses stehen (vgl. auch Dausend, 2005a).
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Tabelle 3: Initialaktionen (Anzahl und Anteile an den Aktionen) Kategorie Frage an Schröder Erlaubnis für Schröder zur Replik auf Merkel Aufforderung an Schröder zum SchlussStatement Frage an Merkel Erlaubnis für Merkel zur Replik auf Schröder Aufforderung an Merkel zum SchlussStatement Alle Aktionen
Kloeppel n (%)
Illner n (%)
Christiansen Kausch gesamt n (%) n (%) n (%)
13 (18,3) x (0,0) 1 (1,4)
7 (9,9) x (0,0) x (0,0)
12 (16,9) 1 (1,4) x (0,0)
5 (7,0) x (0,0) x (0,0)
37 (52,1)
4 (5,6) 1 (1,4) x (0,0)
12 (16,9) x (0,0) 1 (1,4)
5 (7,0) x (0,0) x (0,0)
9 (12,7) x (0,0) x (0,0)
30 (42,3)
19 (26,8)
20 (28,2)
18 (25,4)
14 (19,7)
71 (100)
1 (1,4) 1 (1,4)
1 (1,4) 1 (1,4)
Betrachtet man die Nachfragen der Journalisten bei ungenauen oder fehlenden Antworten – wenn zum Beispiel der Kandidat statt einer Antwort ein unpassendes Statement abspult, welches mit der Frage nur in marginalem oder gar keinem Zusammenhang steht – so zeigt sich ein etwas differenzierteres Bild: 38 ungenauen Antworten (die zu gleichen Teilen von Schröder und Merkel kommen) stehen 12 Nachfragen gegenüber. 2002 kamen auf 21 ungenaue Antworten 6 Nachfragen (Duell 1) bzw. auf 33 ungenaue Antworten ebenfalls 6 Nachfragen. Das heißt, in der Neuauflage wurde ebenso wie imersten Duell 2002 rund ein Drittel der ungenauen Antworten mit Nachfragen belegt, während es im Duell 2 des Jahres 2002 nur ein Fünftel aller ungenauen Antworten war. Freilich ist hier zu ergänzen, dass im allerersten Duell 2002 sehr viel weniger ungenaue Antworten auftraten – weil vor allem Schröder sich damals noch weitestgehend an die unausgesprochene Gesprächsregel hielt, dass Fragen auch zu beantworten seien. Die nachfolgenden Duelle sind hier von wesentlich 'undisziplinierterem' Verhalten geprägt,
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Tabelle 4: Nachfragen bei ungenauer oder fehlender Antwort Ungenaue/fehlende Antworten (Anzahl; Anteil an den Antworten) Schröder 19 (51,4 %)
Merkel
19 (63,3 %)
Nachfragen der Journalisten (Anzahl; Anteil an den Fragen des Journalisten an diesen Kandidaten) Kloeppel: 1 (7,7 %) Illner: 2 (28,6 %) Christiansen: 2 (16,7 %) Kausch: 2 (40,0 %) Kloeppel: 1 (25,0 %) Illner: 2 (16,7 %) Christiansen: 0 (0,0 %) Kausch: 2 (22,2 %)
was jedoch gleichzeitig Ausdruck einer stärkeren 'Diskussions'-Atmosphäre ist. Oder anders gewendet: Wenn die Journalisten nur schwach steuern und eine freiere Diskussion erlauben, kommt es eben auch zu (vielfach strategischen) ungenauen oder fehlenden Antworten. Tabelle 5: Reaktionen der Kandidaten Reaktion Genaue Antwort Eher ungenaue Antwort Nichtbeantwortung Reaktionen auf Fragen insgesamt Erwiderung auf Gegner ohne Aufforderung Erwiderung auf Gegner nach Einholung einer Erlaubnis Erwiderung auf eine dem Gegner gestellte Frage Schluss-Statement Gesamt
Schröder n (%) 18 (23,7) 11 (14,5) 8 (10,5) 37 (48,7) 35 (46,1) 1 (1,3) 2 (2,6) 1 (1,3) 76 (100,0)
Merkel n (%) 11 (27,5) 12 (30,0) 7 (17,5) 30 (75,0) 8 (20,0) 1 (2,5) x 1 (2,5) 40 (100,0)
Wert 1: Anzahl der Reaktionen; Wert 2: Anteil an allen Reaktionen des Kandidaten
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Betrachtet man das Kandidaten-Verhalten etwas genauer, so findet man einige interessante Abweichungen zwischen Schröder und Merkel: Zwar antworten beide, wie bereits erwähnt, gleich häufig ungenau oder gar nicht (vgl. Tabelle 4 bzw. 5), bei einer insgesamt wesentlich höheren Zahl an Reaktionen bei Schröder. Dies heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass Schröder im Verhältnis häufiger genau antwortet: Der Anteil genauer Antworten an den jeweiligen Reaktionen der Kandidaten liegt bei Schröder sogar niedriger als bei Merkel. Dies hat seinen Hauptgrund darin, dass es der amtierende Kanzler nicht bei Reaktionen auf Fragen belässt: Er wird in weitaus stärkerem Maße als Merkel ohne Aufforderung aktiv. Fast die Hälfte seiner Reaktionen erfolgt ohne entsprechende Aufforderung seitens der Journalisten, während seine Opponentin in nur einem Fünftel ihrer Reaktionen unaufgefordert zu reden beginnt. Zwei Mal beantwortet Schröder sogar eine Frage, die eigentlich an Merkel gestellt wurde; dies ist natürlich auch ein Versuch, den politischen Gegner einerseits gar nicht zu Worte kommen zu lassen, andererseits auch – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – zu 'entmündigen': [6] TV-DUELL 2005 166 Illner: Gut. Können wir das noch mal klären, Frau Merkel. Gibt es tatsächlich die Vorstellung von Paul Kirchhof einer kompletten Privatisierung, oder…
167 Schröder: Ja sicher! Ist doch veröffentlicht! Lesen Sie den Tagesspiegel!
(…) 176b Illner: … Frau Merkel, können wird denn. Kann der Wähler hundertprozentig davon ausgehen, dass Paul Kirchhof tatsächlich der Finanzminister dieses Landes wird, wenn Sie denn die Wahl gewinnen?
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178 Schröder: Nein, das kann sie natürlich nicht, weil sie die Wahlen nicht gewinnt.
179 Merkel: ((lächelt)) Herr…
176c Illner: … gewinnen? ((schmunzelnd))
Diese Differenzen im Diskussionsstil zeigen sich auch, wenn man nochmals die Adressaten der Kandidaten untersucht: Bei dieser Auswertung zeigt sich, dass Schröder häufig Merkel direkt attackiert (30,3% aller Reaktionen Schröders, d. h. 23-mal), während Merkel dies nur sehr selten tut (12,5% bzw. lediglich 5 mal). Die CDU-Kandidatin wählt stattdessen meist die Journalisten als Adressaten oder sie wendet sich sowohl an die Journalisten als auch an ihren Gegner. Letztgenannte Art der Adressierung ist bei ihr – relativ gesehen – sogar häufiger als bei Schröder; jedoch gilt daran zu erinnern, dass dieser fast doppelt so häufig reagiert. Zusammengenommen wird Merkel von Schröder somit 41-mal angesprochen (ob allein oder zusammen mit den Journalisten), während umgekehrt Merkel sich nur 18-mal an Schröder wendet. Tabelle 6: Adressaten der Kandidatenreaktionen Adressat Journalisten Sowohl Journalisten als auch Gegner Gegner Publikum Gesamt
Schröder n (%) 34 (44,7) 18 (23,7) 23 (30,3) 1 (1,3) 76 (100,0)
Merkel n (%) 21 (52,5) 13 (32,5) 5 (12,5) 1 (2,5) 40 (100,0)
Wert 1: Anzahl der Reaktionen; Wert 2: Anteil an allen Reaktionen des Kandidaten
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Kurz gefasst bedeutet dies: Schröder sucht häufiger die direkte Konfrontation mit Merkel, auch unter Umgehung der kodifizierten Duell-Regeln, während sich Merkel viel stärker an dem vorab vereinbarten Duell-Reglement eines "Journalisten fragen, Politiker reagieren"-Spiels orientiert. 3.3.2 Unterbrechungen, Störungen, erfolglose Sprechversuche Der Charakter einer Diskussion wird nicht nur durch Turns, also vollständige inhaltliche Gesprächszüge bestimmt, sondern auch durch andere Formen der Gesprächsbeteiligung – beispielsweise Unterbrechungen, Störungen sowie abgebrochene Sprechversuche. An ihnen lässt sich sehr gut der Charakter des Gesprächs, die Atmosphäre, aber auch die Durchsetzungsfähigkeit der Diskutanten und ihrer Strategien ablesen. So nutzen Gesprächsteilnehmer oft gezielt Einwürfe, um den Gegner aus dem Konzept zu bringen oder auch das Rederecht zu erlangen. Diese Art der Unterbrechung ist allerdings nicht immer von Vorteil: Denn auch die Außenwirkung der Störung ist zu bedenken – Kontrahenten und Publikum können diese auch durchaus negativ auslegen, zum Beispiel im Sinne der Rücksichtslosigkeit oder der Arroganz gegenüber dem jeweiligen Gegner. Umgekehrt kann aber auch der Gestörte durch Störungen in ein schlechtes Licht gerückt werden – beispielsweise wenn der Abbruch eines inhaltlichen Turns als Schwäche ausgelegt wird. Insofern sind Gesprächselemente, die nicht als vollständige inhaltliche Turns qualifiziert werden können, in Hinblick auf die Charakterisierung der Diskutanten oftmals sehr aussagekräftig. Am Duell 2005 lässt sich dies mit aller Deutlichkeit nachweisen (vgl. Tabelle 7): Konsistent mit den Kennwerten der beiden Kontrahenten zeigen die Unterbrechungen und Störungen klar den aggressiven Gesprächsstil Schröders, der in extremem Gegensatz zum zurückgenommenen Diskussionsstil Merkels steht. So unterbricht oder stört der Kanzler seine Gegnerin in mehr als 40 Prozent seiner Turns, in knapp einem Drittel seiner Turns fällt er den Journalisten ins Wort. Insgesamt beginnt Schröder also drei Viertel seiner Turns, während ein anderer (meist Merkel) noch spricht. Ganz anders Merkel: Sie geht bei Schröder so gut wie nie dazwischen (nur 5,1% ihrer Turns), und auch bei den Journalisten hält sie sich vergleichsweise zurück (12,8% ihrer Turns).
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Die Journalisten unterbrechen oder stören die Gesprächszüge der beiden Kandidaten naturgemäß etwas häufiger, da es zu ihrer Aufgabe gehört, im Zweifelsfall einzuschreiten, wenn beispielsweise Antworten nicht gegeben werden, das Gespräch sich in die falsche Richtung entwickelt oder sich Kandidaten nicht an die impliziten oder expliziten Diskussionsregeln halten. So ergreifen die Journalisten in etwa 35 Prozent ihrer Gesprächszüge das Wort während eines Schröder-Turns, bei Merkel sind es gut 19 Prozent. Die wesentlich höheren Anteile bei Schröder erklären sich schon allein dadurch, dass dieser viel häufiger (auch ungefragt) das Wort ergreift, somit auch des Öfteren zur Raison gebracht werden muss. In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass Merkel tatsächlich öfter von Schröder als von den Journalisten gestört wird – ein weiterer, markanter Hinweis auf die aggressive Diskussionsführung Schröders. Tabelle 7: Unterbrechungen und Störungen Durch Schröder Durch Merkel Durch die Journalisten
bei Merkel bei den Journalisten bei Schröder bei den Journalisten bei Schröder bei Merkel
1,8 1,3 0,1 0,3 2,0 1,1
43,6 % 30,8 % 5,1 % 12,8 % 34,9 % 19,3 %
Wert 1: Anzahl pro 5 min der Gesamtredezeit; Wert 2: Anteil an den Turns der Störenden
Interessant ist dabei auch der Vergleich zu den Duellen 2002: Das 'Störfeuer' Schröders im Jahr 2005 erreicht deutlich höhere Werte als die ersten beiden Duelle 2002: Selbst der höchste damals erzielte Wert – eine Quote von 1,1 Störungen pro 5 Minuten Redezeit bei Stoiber im zweiten Interview – liegt deutlich unter den 2005 gemessenen Werten. Im Gegensatz dazu liegt Merkel weit unter den Werten ihres Vorgängers Stoiber, der Stör-Quoten von 0,4 (bei den Journalisten im 1. Duell) bis 1,1 (bei Schröder im 2. Duell) erreichte. Insofern unterstreicht auch dies die bereits umrissenen Diskussionsstile der Kontrahenten 2005 im Vergleich zu den ersten Duellen. Deutlich wird zudem, dass die Journalisten 2002 weniger stark eingriffen (bzw.
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eingreifen mussten) als 2005.9 Insgesamt waren die Journalisten damit 2005 aktiver – vor allem aus zwei Gründen: Zum einen sprach Schröder extrem häufig und auch unaufgefordert, während Merkels Turns besonders lang waren, weswegen beide viel Raum für Einwürfe und Unterbrechungen boten. Zum anderen waren solche Unterbrechungen auch dort nötig, wo (von den Journalisten zugelassene) Passagen des direkten Aufeinander-Eingehens der Kandidaten beendet und wieder zum "Frage-Antwort-Spiel" zurückgekehrt werden sollte. Nun könnte man aufgrund dieser Messungen zum Schluss kommen, dass damit Schröder durchsetzungsfähiger und Merkel weniger standfest wirken würde. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass Stärke auch darin bestehen kann, Störungen des Kontrahenten nicht weiter zu beachten und sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Letztlich sind die ermittelten Werte also vor allem Ausdruck zweier vollkommen unterschiedlicher Diskussionsstrategien. Schröder fällt es offenbar leicht, zwischen dem Reagieren auf Journalistenfragen, direkten Angriffen auf die Gegnerin und Smalltalk mit den Journalisten hin und her zu schalten, ohne dabei aus dem Konzept zu geraten. Insofern sucht er auch immer wieder die direkte Auseinandersetzung mit Merkel oder ergreift eigenmächtig das Wort. Merkel dagegen orientiert sich viel stärker als Schröder an einem Regelwerk, in dem die Journalisten die Gesprächssteuerungskompetenz innehaben und das Wort erteilen, in dem die Kandidaten überwiegend auf Fragen der Journalisten reagieren und in dem ein anderer Sprecher eher nicht unterbrochen wird. Damit vermeidet sie, sich auf Schröders "Spiel" einzulassen und so womöglich ihr eigenes Konzept aus den Augen zu verlieren. Diese Strategien zeigen sich letztlich auch in der Zahl der erfolglosen Sprechversuche. Sowohl Merkel als auch Schröder setzen nur selten zum Reden an und brechen dann erfolglos ab; Merkel weil sie ihre Turns meistens dort beginnt, wo sie an der Reihe ist, Schröder weil er seine Störungen und Unterbrechungen meist auch durchsetzt. Insofern zeigt sich Merkel hier, wenn auch auf Basis einer anderen Strategie, als durchaus ebenbürtig. Darin besteht ein Unterschied zu den Duellen 2002: Damals setzte der Herausforderer Stoiber deutlich häufiger als der Kanzler Schröder ohne Erfolg zu einem Gesprächszug an. 2002 lag diese Quote bei minimal 0,4 (Störungen/Unterbrechungen Stoibers durch die Journalisten im 1. Duell) bis maximal 1,2 (Störungen/Unterbrechungen Schröders durch die Journalisten im 2. Duell) pro 5 Minuten.
9
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Bei den Werten der Journalisten gibt es ebenfalls messbare Unterschiede zu den Duellen 2002: Während die Journalisten bei Turns des Herausforderers Stoiber im Jahr 2002 nur sehr selten ohne Erfolg zu sprechen ansetzten, liegt der Wert bei Merkel klar darüber, und zwar auf demselben Niveau wie jener von Schröder. Anders formuliert: Bei Merkel brechen die Journalisten Sprechversuche ebenso wie bei Schröder häufig ab. Dies liegt zum einen an der Beharrlichkeit der Kandidaten, ist zum anderen aber auch Ausdruck der Gesprächsführung der Journalisten, die sich zurücknehmen, um eine Diskussion der Kandidaten untereinander nicht zu unterbinden. Tabelle 8: Erfolglose Sprechversuche Versuch von
4
während eines Turns von
pro 5 min. Gesamtredezeit
absolute Anzahl
Schröder
Merkel
0,1
1
Journalisten
0,3
6
Merkel
Schröder
0,2
3
Journalisten
0,1
2
Journalisten
Schröder
0,5
10
Merkel
0,5
10
Diskussion
Die Neuauflage der Sendeform 'Kandidaten-Duell' bietet 2005 in vielerlei Hinsicht 'more of the same': Die Grundparameter sind ähnlich, Schröder attackiert und diskutiert gewohnt aggressiv, die Journalisten verstehen sich wieder in erster Linie als Moderatoren der Diskussion. Dennoch gibt es entscheidende Unterschiede, die unter anderem auf Veränderungen des Regelwerks zurückzuführen sind. So können die Kandidaten 2005 direkt aufeinander reagieren, was insbesondere Schröder immer wieder zu Attacken nutzt; daher können sich die Journalisten diesmal tatsächlich weitgehend schadlos auf die Moderationsrolle zurückziehen, da das gestärkte diskursive Element die Sendung stark auflockert und ein Eingreifen und Nachhaken seitens der Journalisten oftmals gar nicht erforderlich macht. Die Unterschiede zur Erstauflage sind allerdings nicht nur auf die Änderungen im Reglement zurückzuführen. So scheinen die Kandidaten aus
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den Erfahrungen der ersten Duelle auch gelernt zu haben. Schröder forciert die Rolle des staatsmännischen, in entscheidenden Momenten aber auch aggressiven, gleichzeitig stets jovialen Amtsinhabers, die er bereits im zweiten Duell 2002 erfolgreich umgesetzt hatte. Die Kritik und auch die Zuschauer hatten Schröder damals im zweiten Duell deutlich besser gesehen als im ersten Duell, wo sich Schröder für seine Verhältnisse sehr stark zurückgenommen hatte. Merkel hingegen macht nicht den Fehler Stoibers, sich durch Schröders Attacken aus dem Konzept bringen zu lassen. Sie bleibt standhaft und bringt beharrlich, mitunter stoisch die Einwürfe Schröders ignorierend, ihre überaus langen Turns fast immer zu Ende. Damit konnte Merkel in der Nachberichterstattung zum Duell punkten – viele professionelle Beobachter sahen sie 2005 deutlich besser als Stoiber 2002 oder sogar vor dem Amtsinhaber Schröder. Einige der Kritiker wollten bei ihr eine ungewohnte Angriffslust beobachtet haben (vgl. Dausend, 2005b). Dies lässt sich freilich auf Basis der Analysen nicht belegen. Es ist zu vermuten, dass der Eindruck eines aggressiven Auftretens auf Basis der Vorerwartungen zustande kam: Denn viele hatten der Herausfordererin kaum Chancen im Duell zugesprochen und vermutet, dass sie neben dem 'Medienkanzler' Schröder eher unsicher wirken würde, so dass ihr ruhiges Auftreten im Sinne eines 'besser als erwartet' interpretiert wurde. Möglicherweise ist der Eindruck Merkels aber auch durch Schröders Reaktion auf die CDU-Kandidatin zurückzuführen: Während er nämlich Stoiber 2002 noch weitestgehend ignoriert oder mit ironischen Seitenhieben deutlich abgewertet hatte, versuchte er 2005 Merkel vor allem zu stören und zu unterbrechen. Insofern kann man eine Entwicklung der Sendeform konstatieren, da einige Kritikpunkte der ersten Duelle 2002 in der Neuauflage ausgemerzt wurden. Freilich ist die generelle Kritik an der Art der Diskussion in den Duellen damit nicht vom Tisch: Denn wenn man die Duelle mit den in früheren Wahlkämpfen üblichen Fernsehinterviews vergleicht (vgl. hierzu Moke, Quandt & Tapper, 1998 sowie Tapper & Quandt, 2003), so ist die Rolle der Journalisten immer sehr reduziert: In den Interviews haken die Journalisten um ein Vielfaches häufiger nach, sie unterbrechen und stören mehr. Ein Beispiel: Pro 5 Minuten gingen die Journalisten bei den ARD- und ZDF-Sendungen im Jahr 1998 im Schnitt zwischen 2,8 und 12,4-mal bei Politiker-Statements dazwischen, beim Pro 7-Interview mit Schröder 3,8mal. Hier liegen die Werte des Duells 2005 darunter, ebenso wie schon 2002
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(vgl. Tapper & Quandt, 2003, S. 260). Dies ist nicht den Journalisten, sondern der Sendeform selbst anzulasten: Letztlich geht es bei den Duellen weniger um eine thematische Auseinandersetzung mit den politischen Inhalten der Kandidaten, sondern vor allem um die Art und Weise, wie die Themen von den Akteuren präsentiert werden. Würden Themen und Programme auf dem Prüfstand stehen, müssten die Journalisten stärker nachhaken – was allerdings dem 'Duell'-Charakter entgegen laufen würde, da im selben Moment die Auseinandersetzung mit dem politischen Widersacher natürlich nur noch indirekt möglich ist: Denn Auseinandersetzung bedeutet auch direkte Interaktion. So ist auch 2005 zu unterstreichen, was bereits angesichts der Erstauflage der Duelle 2002 festgestellt wurde: Es ist "schwierig, konsequentes Nachfragen und eine direkte Auseinandersetzung der Kandidaten miteinander zu kombinieren" (vgl. Tapper & Quandt, 2003, S. 261). Angesichts der genannten Defizite konnte auch die Neuauflage des Duells nicht völlig überzeugen. Dies mag auch an den zu hohen Erwartungen liegen: Sowohl die Kandidaten als Kontrahenten einer personalisierten Auseinandersetzung zu präsentieren als auch Programme und Themen in der Tiefe zu diskutierten, ist ein Spagat, den die Duelle in ihrer bisherigen Form realiter kaum umsetzen konnten. Wie schon 2002 angemerkt wurde, gibt es aber einiges Potenzial in einer dialogischen Sendeform. Es ist angesichts des Interesses seitens der Politik, der Sender und des Publikums an der Sendeform zu vermuten, dass es auch im nächsten Wahlkampf zu Kandidaten-Duellen kommen wird – insofern ist es spannend zu beobachten, ob und wie das Grundprinzip weiterentwickelt wird. Literatur BZ-Gebrauchsanleitung für das Fernseh-Duell. (2005, 3. September). BZ, S. 21. Das penibel ausgehandelte Regelwerk des Duells. (2005, 4. September). Welt am Sonntag. Aufgerufen am 14. Januar 2006 von http://www.wams.de/data/2005/09/04 /770280 .html Dausend, P. (2005a, 3. September). Ein Hauch von Nordkorea. Die Welt, S. 4. Dausend, P. (2005b, 5. September). Verbal-Attacken, Offensiven des Lächelns. Die Welt, S. 3. Dehm, U. (2002). Fernsehduelle im Urteil der Zuschauer. Eine Befragung des ZDF zu einem neuen Sendungsformat bei der Bundestagswahl 2002. Media Perspektiven, 600-609.
"Trotzdem nochmal nachgefragt, Frau Kirchhof..."
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Christoph Tapper & Thorsten Quandt
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Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels. Ein Vergleich der Kandidatendarstellung Winfried Schulz & Reimar Zeh
Bisher hat noch immer das Fernsehen die größte Bedeutung für die Orientierung der Wähler im Wahlkampf. In Umfragen rangiert das Fernsehen mit Abstand an der Spitze relevanter Informationsquellen der Wähler (Geese, Zubayr & Gerhard, 2005). Es behauptet seine dominierende Stellung trotz vieler neuer Möglichkeiten der Internet-basierten Kampagnenführung. Das liegt nicht zuletzt an der für die Zuschauer attraktiven, durch Personalisierung lebendigen und durch Dramatisierung spannenden Politikvermittlung. Die Fernsehdebatten der Kanzlerkandidaten in den Wahlkämpfen 2002 und 2005 haben das eindrucksvoll unterstrichen. Das Fernsehen ist besonders empfänglich für Inszenierungen und für spektakuläre Aktionen. Es reflektiert in den Nachrichten schlaglichtartig die auffälligsten Ereignisse und Themen des Wahlkampfs und wird dabei gern auch für die "politische Kampagne" der Parteien vereinnahmt (Radunski, 1980). Analysen des Fernsehbildes der Kampagne sind daher ein guter Lackmustest für den Charakter des Wahlkampfs und seines Wandels. Allerdings stehen sie vor dem Dilemma, kaum entscheiden zu können, welche Aspekte des Analyseergebnisses als Abbild der Kampagne zu interpretieren sind und welche als fernsehspezifisches Konstrukt. Das Fernsehbild ist beides zugleich, und es ist darüber hinaus ein Einflussfaktor, auf den Kampagnenmanagement und Wähler reagieren. 1
Das Fernsehen als Indikator der Kampagne
Verschiedene Wahlkämpfe haben auf Grund konstanter institutioneller Rahmenbedingungen eine ähnliche Ereignisstruktur. Zudem deuten Entwicklungstrends auf eine stärkere Vereinheitlichung von Wahlkämpfen hin,
278
Winfried Schulz & Reimar Zeh
und zwar auch im internationalen Vergleich. Etikettierungen wie Amerikanisierung und Modernisierung nehmen darauf Bezug. Sie fassen unterschiedliche Veränderungen der Wahlkampfführung zusammen wie zum Beispiel eine zunehmende Professionalisierung, Medialisierung und Personalisierung (vgl. etwa Niedermayer, 2000; Norris, 2000; Plasser & Plasser, 2002). Die Veränderungen sind eine Reaktion auf den sozialen, politischen und medialen Wandel. Die zunehmende Volatilität der Wähler – teils bedingt durch eine abnehmende Parteibindung – erfordert Anpassungen der Wahlkampfführung. Wähler ohne ausgeprägte Parteibindungen und Wechselwähler müssen mit anderen Methoden mobilisiert und überzeugt werden als Parteigänger. Überdies verlangen die Expansion, Kommerzialisierung und Differenzierung der Mediensysteme eine Modernisierung des Kampagnenmanagements, erhöhen dabei auch die Anforderungen im Hinblick auf Kosten, Strategien und Praktiken. Auf der anderen Seite wirken sich Veränderungen der Wahlkampfführung auf das Wählerverhalten wie auch auf das Medienbild der Kampagne aus und tragen damit wiederum zum politischen und medialen Wandel bei. Interaktionen zwischen Wahlkampfführung und Wahlkampfberichterstattung sind besonders offensichtlich bei den (vermuteten) Tendenzen der Personalisierung. Als Indikatoren dafür gelten die "Entsachlichung" und "Entideologisierung", das heißt die Vernachlässigung von Sachfragen und Parteiprogrammatik, zugunsten einer Konzentration auf die Person des Spitzenkandidaten bei gleichzeitiger "Vermenschlichung" der Kandidaten, das heißt der Betonung von eher unpolitischen, rollenfernen Eigenschaften (Brettschneider, 2002; Lass, 1995). Dies wird zum einen als eine Strategie des Kampagnenmanagements wahrgenommen, um den Kandidaten mit einem eher unpolitischen Profil auch für politisch wenig festgelegte Wähler attraktiv zu machen. Zum anderen wird angenommen, dass ein allgemeiner Stilwandel der Fernsehberichterstattung unter anderem durch zunehmende Personalisierung und Dramatisierung gekennzeichnet ist. Es ist offensichtlich, dass sich beide Tendenzen wechselseitig verstärken können. Für die Inhalte der Berichterstattung gilt zunächst einmal die Vermutung, dass sie primär die Merkmale der politischen Realität, auf die sie sich beziehen, wiedergeben, auch wenn die Wiedergabe kein Spiegelbild der Wirklichkeit sein kann. Betrachtet man dagegen die formalen Merkmale des Medienbildes, so kann man in höherem Maße sicher sein, dass ihre Ausprägung auf Entscheidungen der Redaktion zurückgehen bzw. auf vor- und
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
279
nachgelagerte Einflüsse im Prozess der Nachrichtenproduktion. Vor allem die Medienlogik des Fernsehens verlangt es, Politik zum Beispiel am Personenhandeln und mit Hilfe von "sprechenden Köpfen" zu veranschaulichen und mit der Betonung von Konflikten und Wettbewerbsaspekten (dem so genannten "horse race") das Fernsehbild lebendig zu gestalten, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu gewinnen. Vor allem für die privaten Programme, die zur Sicherung ihrer ökonomischen Basis nach Reichweitenmaximierung streben müssen, ist dies ein wichtiges Ziel. Unsere Analyse richtet sich vor allem auf Darstellungsmerkmale der Fernsehnachrichten, die in hohem Maße durch redaktionelle Entscheidungen beeinflussbar sind. Wir gehen der Vermutung nach, dass die Berichterstattung des Fernsehens über den Wahlkampf einem Stilwandel unterliegt. Diese Tendenz zeichnete sich schon in unseren Analysen zu früheren Bundestagswahlen ab (Schulz & Zeh, 2004, 2005). Mit der Verlängerung der Zeitreihe könnten die Ergebnisse mehr Evidenz erhalten. Ein Stilwandel ist zu vermuten erstens infolge technischer und organisatorischer Neuerungen in der Nachrichtenproduktion (Wix, 1996). Zweitens deutet einiges darauf hin, dass der Generationenwechsel und veränderte Auffassungen der Berufsrolle zu einem Wandel des Nachrichtenjournalismus beitrugen (Kepplinger, 1998, S. 78). Drittens ist anzunehmen, dass sich auch der Wandel der Wahlkampfführung auf den Nachrichtenstil auswirkte. Schließlich gibt es Anzeichen dafür, dass die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen die Nachrichtendarstellung veränderte. Einerseits diagnostizieren vergleichende Analysen ein unterschiedliches Informationsverständnis von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten (Krüger, 2000). Andererseits belegen Zeitvergleiche eine Konvergenz der Nachrichtenstile und -inhalte im dualen System (z. B. Maier, 2002). Wir wollen daher auch einen Blick darauf werfen, welche Unterschiede es im Kampagnenbild der verschiedenen Nachrichtensendungen gibt und welche Veränderungen im Laufe der Zeit eingetreten sind. 2
Fernsehimages als Agens der Wahlentscheidung
Jeder Wahlkampf hat seine Eigenheiten. Die vorherrschenden Themen und Probleme, aktuelle Ereignisse und die jeweilige Kandidatenkonstellation geben jeder Wahl und jedem Wahlkampf einen besonderen Charakter. So
280
Winfried Schulz & Reimar Zeh
trug die "Vereinigungswahl" 1990, an der zum ersten Mal die Bürger in den neuen Bundesländern teilnahmen, den "Kanzler der deutschen Einheit" Helmut Kohl zu einem unangefochtenen Sieg über seinen Herausforderer Oskar Lafontaine. Im "Superwahljahr" 1994 gab es insgesamt 19 Wahlen auf allen politischen Ebenen, deren Abläufe und Ergebnisse auf jeweils nachfolgende Wahlkämpfe ausstrahlten; auch 1994 schaffte es der SPDKandidat – nun war es Rudolf Scharping – nicht ins Kanzleramt. Die Bundestagswahl 1998 markiert die Abwahl von Helmut Kohl und den Machtwechsel zur rot-grünen Regierung unter Führung von Gerhard Schröder. Im Wahljahr 2002 sorgten ungewöhnliche Ereignisse wie die Flutkatastrophe in Ostdeutschland, die Thematisierung des Irak-Konflikts und zwei Fernsehdebatten für einen lange Zeit als unwahrscheinlich geltenden Sieg Schröders über seinen Herausforderer Edmund Stoiber. "Kein Wahlkampf ist wie der andere", resümiert Holtz-Bacha (2003), gestützt auf empirische Langzeitstudien (Holtz-Bacha, 2000; Wilke & Reinemann, 2000). Unsere Analyse geht einigen Besonderheiten des Wahlkampfs 2005 nach. Auffälligstes Merkmal war, dass mit Angela Merkel zum ersten Mal eine Frau für das Amt des Bundeskanzlers kandidierte. Daher liegt es nahe zu prüfen, welche Unterschiede es in der Fernsehdarstellung der Herausforderin im Vergleich zum männlichen Amtsinhaber Schröder gab. Kandidaturen von Frauen für höchste politische Ämter sind in Deutschland eine Seltenheit. Vor Angela Merkel traten Heide Simonis und Ute Vogt für ein Ministerpräsidentenamt und Gesine Schwan für das Amt des Bundespräsidenten an – mit unterschiedlichem Erfolg. Daher gibt es hierzulande wenig Erfahrung über den Umgang mit einer solchen Situation, und entsprechend rar ist die Forschung zum Vergleich weiblicher und männlicher Kandidaten. Zu den wenigen einschlägigen Studien zählt eine Untersuchung von Ohr und Klein, die unter anderem zu dem Ergebnis kommt, dass bei der Wiederwahl von Heide Simonis im Jahr 2000 deren physische Attraktivität einen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatte. Eine Studienabschlussarbeit zur letzten Bundespräsidentenwahl stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung der Kandidaten in quantitativer und qualitativer Hinsicht fest. Über Gesine Schwan berichteten die untersuchten Printmedien nicht nur weit weniger als über Horst Köhler. Die Kandidatin wurde auch stärker klischeehaft unter Verweis auf Emotionalität, Äußerlichkeiten und Gender (Weiblichkeit) charakterisiert (zit. bei Holtz-Bacha, im Druck). Eine Reihe weiterer Untersuchungen zum Frauenbild in deutschen Medien, die sich allerdings
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
281
nicht auf die Wahlkampfsituation beziehen, bestätigt vielfach die geringere Präsenz von Politikerinnen und eine geschlechtstypische Berichterstattung. Allerdings gibt es auch Anzeichen für eine gewisse Angleichung der Kandidatenimages in den Medien (zusammenfassend dazu Holtz-Bacha, im Druck). Weit zahlreicher sind die Studien, die in den USA durchgeführt wurden. Auch dort betrachten die Medien weibliche Kandidaten mit einem anderen Blick als ihre männlichen Konkurrenten. Sie werden eher mit "weiblichen" Merkmalen dargestellt und mit "weiblichen" Themen in Verbindung gebracht. Ihr Familienleben und ihre Persönlichkeit erhalten mehr Aufmerksamkeit als ihre politische Programmatik. Ihr Medienimage ist unpolitischer und negativer. In neueren Untersuchungen deutet sich allerdings eine zunehmend ausgeglichene Darstellung weiblicher und männlicher Kandidaten an (zusammenfassend dazu Bystrom, 2004). Sowohl in den USA wie auch in Deutschland konzentriert sich die bisherige Forschung zum Vergleich weiblicher und männlicher Kandidatenimages auf die Presse. Zu dieser Thematik ist neben der Studie von Boomgaarden und Semetko (2006), die sich ebenfalls auf den Wahlkampf 2005 bezieht, unsere Analyse eine der wenigen Untersuchungen von Fernsehnachrichten. Allerdings schließt sie an eine recht lange Forschungstradition an, die sich allgemein mit der Rolle von Fernsehimages im Wahlkampf befasst. Das Interesse am Fernsehimage der Kandidaten gründet im Wesentlichen auf der Annahme, dass die Fernsehdarstellung eine wesentliche Ressource der Imagebildung der Wähler ist und dass diese wiederum Einflüsse auf deren Kandidatenpräferenz hat. Für diese Sicht des Fernsehens als Agens im Prozess der Wahlentscheidung gibt es eine Reihe eindrucksvoller empirischer Belege. So prägte die Fernsehberichterstattung im Wahlkampf 1990 die Vorstellungen der Wähler von den Kandidaten Kohl und Lafontaine und beeinflusste die Wahlentscheidung (Kepplinger, Brosius & Dahlem, 1994a, 1994b). Andere Studien zur Wahl 1990 bestätigen diese Zusammenhänge (Finkel & Schrott, 1994; Schrott & Meffert, 1996; Semetko & Schönbach, 1994). Bei der Bundestagswahl 1998 zeigte schon im Vorfeld die Imageentwicklung des Herausforderers Schröder eine deutlich positivere Tendenz als die des Amtsinhabers Kohl (vgl. Brettschneider, 2002, S. 188). Dies korrespondierte mit dem Erscheinungsbild der Kandidaten, wie es das Fernsehen
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Winfried Schulz & Reimar Zeh
vermittelte (Kepplinger Maurer, & Roessing, 1999).1 Für die Bundestagswahl 2002 belegen Kepplinger und Maurer (2005) eine Übereinstimmung einerseits zwischen den Vorstellungen der Bevölkerung von der Sachkompetenz der Kandidaten Schröder und Stoiber (und im Falle des damaligen Bundeskanzlers auch von dessen Persönlichkeit) und andererseits deren Darstellung in den Fernsehnachrichten. Insgesamt zeigen diese Untersuchungen zu den deutschen Bundestagswahlen, dass die Medienimages für die Vorstellungen der Wähler von den Kanzlerkandidaten eine große Bedeutung haben und deren Wahlentscheidung beeinflussen. Ähnlich lautet das Fazit des Literaturberichts von Dahlem (2001, S. 195), der auch die USamerikanische Forschung einbezieht. 3
Fragestellungen und Datenbasis
Unsere Analyse zeichnet die Fernsehberichterstattung über die Bundestagswahlkämpfe seit 1990 nach und untersucht vor diesem Hintergrund einige Besonderheiten der Kampagne 2005. Die Berichterstattung über die jeweiligen Kanzlerkandidaten steht dabei im Mittelpunkt. Uns interessiert zum einen die Frage, ob sich Trends wie die zunehmende Personalisierung und Dramatisierung der Wahlkampfberichterstattung fortsetzen, die sich bei bisherigen Analysen abzeichneten (Schulz & Zeh, 2005). Die Personalisierung würde allgemein den Selektions- und Darstellungserfordernissen des politischen Journalismus und speziell den Bedürfnissen des Fernsehens entsprechen, und die Dramatisierung kommt speziell den Interessen der privaten Programme entgegen, die auf diese Weise ihr Nachrichtenangebot für ihre eher unpolitische Klientel attraktiv machen können. Wir untersuchen die vermuteten Tendenzen an Stilmerkmalen der Berichterstattung, die weitgehend durch Entscheidungen im Prozess der Nachrichtenproduktion geprägt sind. Da die Vermutung zunehmender Personalisierung und Dramatisierung eine Trendaussage ist, wäre ein Anstieg der folgenden Nachrichtenmerkmale zu vermuten: 1. Die Fernsehbeachtung der Kandidaten und insbesondere ihre Darstellung in Bild und O-Ton, 2. der Nachrichtenfokus auf Personen (statt auf Sachfragen), 3. die Beachtung 1 Brettschneider erkennt in seinen Analysen jedoch keinen spezifischen Einfluss der Fernsehnutzung. Dies könnte, wie der Autor mutmaßt, an der Konsonanz der Medienberichterstattung gelegen haben (Brettschneider, 1998, 1999).
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
283
unpolitischer Personenmerkmale, 4. die Betonung von Wettbewerbsaspekten der Kampagne und 5. eine lebendige, Aufmerksamkeit weckende Nachrichtengestaltung. Zum anderen interessiert uns, wie ähnlich oder unterschiedlich die Kandidaten bei der Wahl 2005 im Fernsehen dargestellt wurden. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Frage, ob das Geschlecht der Kandidaten bei der Konstruktion ihres Fernsehimages eine Rolle spielte. Wurde die Kandidatin bei der Fernsehpräsenz benachteiligt? Spielte bei der Konstruktion des Fernsehimages von Angela Merkel das Gender-Stereotyp eine Rolle, wurde sie mit eher "weiblichen" Merkmalen charakterisiert und mit "weiblichen" Themen in Verbindung gebracht? Wurde sie stärker personalisiert und "vermenschlicht" als Gerhard Schröder? Und gab es Unterschiede bei den wertenden Urteilen über die Kandidaten? Außer dem Zeitvergleich und dem Vergleich der Kandidaten stellen wir schließlich auch einen Vergleich an zwischen verschiedenen Fernsehsendern. Einerseits geht es darum zu prüfen, ob es auffällige Unterschiede im Medienbild der Kampagne gibt, das sie in ihren Hauptnachrichtensendungen vermittelten. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass die privaten Programme auf Grund ihres andersartigen Informationsverständnisses die Kandidaten auf andere Weise darstellten als die öffentlich-rechtlichen. Andererseits lässt die empirisch bereits belegte Konvergenz der Systeme vermuten, dass auch die Kampagnenberichterstattung im dualen System immer ähnlicher wird. Wir schließen inhaltlich und methodisch an unsere Untersuchungen zu früheren Bundestagswahlen an, damit eine Vergleichbarkeit der Daten gegeben ist. Das Vorgehen bei der Codierung wie auch das Codebuch der Inhaltsanalysen finden sich dokumentiert bei Zeh (2005).2 Wo nötig, erläutern wir methodische Details im Folgenden bei der Ergebnisdarstellung. Wir betrachten die Hauptabendnachrichten der Fernsehprogramme, die seit Beginn unseres Beobachtungszeitraums (1990) eine nahezu vollständige technische Reichweite in Deutschland hatten, und zwar die Tagesschau in der ARD, heute im ZDF, RTL aktuell und SAT.1 News. Die Ergebnisse An der Analyse der Nachrichtensendungen waren sechs intensiv geschulte Codierer beteiligt. Verlässlichkeitstests wurden sowohl vor als auch nach der eigentlichen Analyse durchgeführt und erbrachten insgesamt zufrieden stellende Ergebnisse: Der Reliabilitätskoeffizient (nach Holsti) der hier verwendeten Kategorien liegt mindestens bei .67, teils jedoch deutlich darüber und im Mittel bei .79. Zum Teil haben wir für die hier berichteten Auswertungen die Ausprägungen der Kategorien zusammengefasst und damit die Verlässlichkeit weiter erhöht.
2
284
Winfried Schulz & Reimar Zeh
beziehen sich jeweils auf die letzten vier Wochen vor dem Wahltag, die üblicherweise als die "heiße Phase" im Bundestagswahlkampf angesehen werden (definiert auch dadurch, dass während dieses Zeitraums Wahlwerbung im Fernsehen ausgestrahlt wird). Für die Trenddarstellungen werden die Sender zusammengefasst, um ein prägnantes Bild zu erhalten. Wir gehen aber auch auf Unterschiede zwischen den einzelnen Sendern ein, sofern sie bemerkenswert sind. 4
Ergebnisse
4.1 Kandidatenpräsenz Erstes auffälliges Merkmal der Wahlkampfberichterstattung 2005 ist ein erneuter Anstieg der Beiträge mit Wahlbezug, nachdem der entsprechende Anteil 2002 zurückgegangen war. Der Trend zunehmender Beachtung des Wahlkampfs in den Fernsehnachrichten, den wir von 1990 auf 1998 erkennen, setzt sich damit fort (vgl. Abbildung 1). Im Durchschnitt widmeten die Fernsehsender bei der letzten Wahl bereits drei Viertel ihrer politischen Nachrichtenbeiträge der Wahlberichterstattung. Unterschiede zwischen den Sendern sind gering. Ein ähnlicher Anstieg der Wahlberichterstattung findet sich auch in der Presse (vgl. Semetko & Schoenbach, 2003; sowie die Ergebnisse von Wilke und Reinemann in diesem Band). Offenbar hat der Nachrichtenwert von Wahlkampfereignissen langfristig zugenommen und führte 2005 noch einmal zu einer erheblichen Ausweitung der Kampagnenberichterstattung. Dieser Anstieg in den Fernsehnachrichten relativiert sich jedoch etwas, wenn man berücksichtigt, dass der absolute Umfang der Politikberichterstattung bei der letzten Wahl geringer war als bei früheren Wahlen. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass es 2005 neben dem Wahlkampf konkurrierende unpolitische Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert gab wie den Hurrikan Katrina und den Papstbesuch in Köln. Während der Anteil der Beiträge mit Wahlbezug von 2002 auf 2005 kräftig gestiegen ist, ging der Anteil der Beiträge mit Bezug auf die Kanzlerkandidaten zurück. Der Rückgang dürfte vermutlich daran liegen, dass 2005 das TV-Duell nicht eine so enorme Nachrichtenresonanz fand wie die beiden Duelle 2002. Oder anders betrachtet: 2002 war die Kandidatenpräsenz
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Abbildung 1: Beiträge mit Wahlbezug und Kandidatenbezug
80
Kandidatenbezug und Wahlbezug in Prozent
Prozentbasis: Anzahl der politischen Beiträge
Anteil der Beiträge mit Kandidatenbezug Anteil der Beiträge mit Wahlbezug Anzahl der politischen Beiträge
700 600
60
500 400
40 300 200
20
100 0
0 1990
1994
1998
2002
2005
Die Anteile der Beiträge mit Wahlbezug bzw. Kandidatenbezug wurden auf Basis der Anzahl politischer Beiträge in den Nachrichtensendungen berechnet (farblose Kolumnen, rechte Achse).
auf Grund des Neuigkeitswerts der TV-Duelle und der Verdoppelung des Ereignisses außergewöhnlich hoch. Immerhin blieb die Kandidatenpräsenz bei den letzten Wahlen auf einem deutlich höheren Niveau als in den 1990er Jahren, und das muss man als Indiz einer zunehmenden Personalisierung der Kampagnenberichterstattung werten. Wenn sich die Betrachtung auf einzelne Nachrichtenbeiträge als Einheiten der Analyse richtet, kann man grundsätzlich zwei Typen der Nachrichtenkonstruktion unterscheiden, nämlich zum einen Beiträge mit Bezug zu beiden Kandidaten und zum anderen Beiträge, in denen exklusiv entweder Amtsinhaber oder Kandidat/-in vorkommen. Abbildung 2 zeigt im Trend den Anteil dieser Typen von Nachrichtenbeiträgen. Offensichtlich hat der Nachrichtenanteil mit Bezug zu beiden Kandidaten im Lauf der Zeit deutlich zugenommen, wenngleich es 2005 keine weitere Steigerung mehr gab. Man kann darin ein verstärktes Bemühen der Sender um Ausgewogenheit in der Berichterstattung sehen. Möglich ist auch, dass die Fernsehnachrichten mehr und mehr die Wettbewerbsaspekte des Wahlkampfs herausstellen. Für die letztere Interpretation sprechen Unterschiede im Berichterstattungsan-
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Winfried Schulz & Reimar Zeh
lass der verschieden konstruierten Nachrichten. Bei Beiträgen mit Bezug zu beiden Kandidaten sind das überdurchschnittlich häufig Wahlkampfereignisse, TV-Duelle und Umfrageergebnisse.3 In diesen Berichten verwenden die Medien besonders häufig ein "horse race framing", wie Boomgaarden und Semetko (2006) in ihrer Untersuchung zeigen. Dadurch werden der Kandidatenwettstreit und der Kampf um die Wähler sichtbar, und die Beiträge enthalten oft mehr Dramatik als Beiträge, die sich exklusiv auf einen Kandidaten beziehen. Beim Vergleich der Sender fällt auf, dass vor allem RTL besonders häufig Beiträge mit Bezug zu beiden Kandidaten konstruierte (vgl. unten Tabelle 3). Abbildung 2: Kandidaten im einzelnen Beitrag 100
Prozent Kandidat/-in Kanzler Beide
80
60
40
20
0 1990
1994
1998
2002
2005
Dieser Nachrichtentyp ist auch überdurchschnittlich stark personalisiert. Das lässt sich für 2005 gut belegen, da die Codierer anhand mehrerer Merkmale den Grad der Personalisierung der Beiträge einstuften (vgl. Tabelle 1).4 Wie diese Analyse ferner zeigt, wurde über Merkel deutlich häufiger als über Schröder in hoch personalisierten Beiträgen berichtet. Diese UnterDieser Befund stützt sich auf eine Kategorisierung der gezeigten/berichteten Situation bzw. des "äußeren" Geschehens, das den unmittelbaren Anlass der Berichterstattung bildete.
3
4
Diese Kategorisierung war in den Analysen zu früheren Wahlkämpfen noch nicht enthalten.
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
287
schiede zwischen den Kandidaten finden sich bei allen untersuchten Sendern, wobei der durchschnittliche Personalisierungsgrad bei den Nachrichten von RTL deutlich über dem der anderen Sender liegt. Tabelle 1: Personalisierung der Beitragstypen
Es geht ausschließlich oder in erster Linie um Sachverhalte Personen und Sachverhalte sind in etwa gleich bedeutend im Beitrag Der Beitrag handelt nur von Personen oder der Personenbezug steht im Vordergrund Insgesamt Anzahl der Beiträge
Beiträge mit Bezug zu beiden Kandidaten in %
Beiträge mit Exklusivbezug zu Merkel in %
Beiträge mit Exklusivbezug zu Schröder in %
Insgesamt in %
12
17
32
18
20
26
34
25
68
57
34
57
100
100
100
100
(81)
(30)
(41)
(152)
Ein personalisierter Nachrichtenstil kann sich außer im Umfang des Personenbezugs auch in der Art der Personendarstellung ausdrücken. Personen erscheinen auffälliger, lebendiger und für das Nachrichtenbild bedeutsamer, wenn sie im Nachrichtenfilm mit O-Ton erscheinen statt nur vom Sprecher oder von anderen Personen erwähnt zu werden. Abbildung 3 lässt erkennen, dass die Visualisierung der Kanzlerkandidaten im Lauf der Zeit kontinuierlich zunahm und dass sich dieser Trend bei der letzten Wahl noch einmal deutlich verstärkte. Die Veränderungen im Zeitverlauf weisen alle untersuchten Nachrichtensendungen in ähnlicher Weise auf, wobei sich allerdings das ZDF nach wie vor stärker auf Sprechermeldungen beschränkt als die übrigen Sender. Abbildung 3 zeigt einen leichten Vorsprung Merkels bei der Visualisierung. Dies kann man als zusätzliches Indiz einer stärkeren Personalisierung der Kandidatin ansehen. Auf der anderen Seite ist der Unterschied zugunsten des Herausforderers auch schon 2002 zu beobachten, so dass der Befund auch als Schwund des Amtsbonus gedeutet werden kann.
288
Winfried Schulz & Reimar Zeh
Es ist anzunehmen, dass die Wahlkampfberichterstattung im Wesentlichen der allgemeinen Tendenz zu einem stärker bildhaltigen Nachrichtenstil folgAbbildung 3: Visualisierung der Kandidatendarstellung 100
Prozent Kanzler
Kandidat/-in
80
60
40
20
0 1990
1994
1998
2002
2005
Anteil der Beiträge, in denen die Kanzlerkandidaten im Film mit O-Ton dargestellt wurden (Basis: jeweils alle Beiträge mit Bezug zu Kanzler bzw. Kandidat/-in)
te, wie ihn verschiedene Untersuchungen belegen (vgl. Brosius, 2001; Marcinkowski, Greger & Hüning, 2001). Gleichwohl ist die Entwicklung bemerkenswert,wenn man das Fernsehen als Agens im Wahlkampf betrachtet. Denn die Visualisierung vermittelt den Wählern einen lebendigeren und zunehmend personalisierten Eindruck vom Wahlkampf. Die Bildinformation dürfte eher den Vorstellungen der Wähler von der Persönlichkeit als von den politischen Zielen und Sachkompetenzen der Kandidaten zugute kommen (Kepplinger, Brosius & Dahlem, 1994b, S. 17). Es ist daher zu vermuten, dass dies zur Personalisierung des Wählerverhaltens beiträgt. Aufschluss über einen etwaigen Stilwandel kann auch die Analyse der thematischen Schwerpunkte der Berichterstattung geben. In der Diskussion über den Wandel der Wahlkampfberichterstattung spielt die These der "Entsachlichung" eine gewisse Rolle (vgl. etwa Holtz-Bacha, 2006; Oberreuter, 2001). Gemeint ist damit, dass sich der Fokus der Berichterstattung zunehmend auf Personen verschiebt und Sachfragen demgegenüber in den
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
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Hintergrund treten. Wir können dies wenigstens näherungsweise anhand des thematischen Rahmens prüfen, in dem die beiden Kanzlerkandidaten jeweils dargestellt werden. Bei der Analyse wurde dazu der vorherrschende Themenkontext des Kandidatenbezugs ermittelt. Wenn man die thematischen Bezüge danach unterscheidet, ob sie sich auf Sachfragen beziehen oder nur auf so genannte Politics-Themen, das heißt auf die Wahl, den Wahlkampf und auf innere Angelegenheiten, Konflikte, Affären von Parteien und Regierungen, erhält man einen ungefähren Eindruck von der thematischen Substanz der Berichterstattung.5 Zwar enthält die Betrachtung einige Unschärfen.6 Doch dürften diese den Zeitvergleich wenig stören, da sie bei allen Messpunkten gleichermaßen auftreten. Wie aus Abbildung 4 erkennbar, präsentiert das Fernsehen die Kandidaten weit häufiger im Rahmen von Politics als mit Bezug zu Sachfragen. Eine Ausnahme von diesem Muster bildete nur die Vereinigungswahl 1990. Am deutlichsten war das Übergewicht themenarmer Kandidatenbezüge bei der Wahl 1998. Danach ging der Anteil von Politics-Rahmungen im Durchschnitt wieder zurück. Der Rückgang betraf jedoch weit stärker die Bezüge zum Kanzler als zum Herausforderer. Dies ist wahrscheinlich daraus zu erklären, dass es der damalige Kanzler Schröder im Wahlkampf 2002 geschickt verstand, die Flutkatastrophe in Ostdeutschland und den sich abzeichnenden Irakkrieg zu thematisieren. Der Vergleich zwischen den Protagonisten zeigt auch eine Besonderheit für den Wahlkampf 2005. Während sonst über den Herausforderer häufiger als über den Amtsinhaber im Rahmen von Politics berichtet wurde, gab es diesen Unterschied bei der letzten Wahl nur noch in den RTL-Nachrichten. Bei den anderen Sendern war das Verhältnis ausgeglichen oder umgekehrt, das heißt, bei Merkel-Bezügen spielten Sachfragen etwas häufiger eine Rolle als bei Bezügen zu Schröder. Dies steht auch im Gegensatz zu US-amerikanischen Befunden (vgl. Bystrom, 2004). Insgesamt passt das Übergewicht von Politics-Rahmungen bei den letzten Wahlen zwar in das Bild von einer betont personalisierten und dramatisierten Wahlkampfberichterstattung. Der Vergleich der Ergebnisse für die 5
Die Kategorisierung folgt einem Vorschlag von Eilders und Mitarbeitern (2003).
So wurde jeweils nur ein Thema als das vorherrschende Thema bzw. Hauptthema im Personenbezug codiert (und zwar anhand einer sehr detaillierten Liste von Themen). Es wurden also die Fälle nicht spezifiziert, bei denen neben dem Themenbezug Wahl/Wahlkampf im Beitrag zusätzlich auch Sachfragen angesprochen waren.
6
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einzelnen Wahljahre lässt aber keine klare Einschätzung darüber zu, ob dies als Stilwandel zu interpretieren ist. Es könnte allerdings sein, dass sich der Trend, der im Vergleich der Wahlen 1990 bis 1998 zu erkennen ist, auf Grund einer Art von Deckeneffekt nicht mehr fortsetzte. Mit anderen Worten: Der Wandel war 1998 abgeschlossen; zumindest ein Rest von Sachfragen blieb in der Wahlkampfberichterstattung des Fernsehens erhalten. Abbildung 4: Politics als thematischer Rahmen der Kandidatenbezüge 100
Prozent Bezüge insgesamt Kanzler Kandidat-/in
80
60
40
20
0 1990
1994
1998
2002
2005
Vorherrschender Themenkontext des Kandidatenbezugs sind Politics, d. h. Wahl, Wahlkampf sowie innere Angelegenheiten von Regierungen und Parteien (Basis: jeweils alle Beiträge mit Bezug zu Kanzler bzw. Kandidat/-in)
Tabelle 2 differenziert noch einmal die thematischen Kontexte der Bezüge zu Merkel und Schröder im Wahlkampf 2005. Der häufigere Sachthemenkontext bei Bezügen zu Merkel ist vor allem auf die Thematisierung der Steuerpolitik in der Unionskampagne zurückzuführen ist. In den SchröderBezügen gibt es demgegenüber aus verständlichen Gründen eine Akzentuierung von Leistungen des Kanzlers und der Regierung. Die Themenkontexte der Kandidaten lassen keine Anzeichen einer geschlechtstypischen Stereotypisierung erkennen. Weder wird Merkel häufiger als Schröder im Kontext
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
291
Tabelle 2: Vorherrschender Themenkontext der Kandidatenbezüge
Internationale Beziehungen davon u.a.: Staatsbesuche Beziehungen zur Türkei Innenpolitische Sachthemen davon u.a.: Wirtschaftslage, Konjunktur Arbeitslosigkeit Gewerkschaften Steuern Energiepolitik, Öl-, Benzinpreis Bildungspolitik Kunst, Kultur, Kirchen Politics: Wahl, Wahlkampf davon u.a.: Wahl und Wahlkampf allgemein, Wahlkampfstil Kampagne/Programm der Union Kampagne/Programm der SPD Umfragen, Prognosen TV-Duelle mögliche Koalitionen rechtliche Aspekte der Neuwahl Sonstige Politics-Themen davon u.a.: Leistungsbilanz der Regierung Sonstiges davon u.a.: Naturkatastrophen Insgesamt Anzahl der Bezüge
Bezug zu Merkel % 6,3
Bezug zu Schröder % 7,4
3,6 1,8 22,5
4,1 0 15,6
2,7 0,9 2,7 10,8 3,6 0 0,9 67,6
0,8 0,8 1,6 2,5 4,9 2,5 1,6 61,5
22,5
19,7
21,6 0 3,6 11,7 3,6 3,6
1,6 10,7 6,6 12,3 2,5 7,4
2,7
9,8 0
0,9
9,8 5,7
0 100 (111)
3,3 100 (122)
von vermeintlich weiblichen oder "weichen" Themen wie Bildung oder Kultur dargestellt, noch kommen in Schröder-Bezügen "harte" Themen wie Wirtschaft und Finanzen öfter vor als in Merkel-Bezügen. Die tatsächlichen Verteilungen sind dem erwarteten Muster eher entgegengesetzt. Und auch in
292
Winfried Schulz & Reimar Zeh
dieser Hinsicht unterscheidet sich die Berichterstattung von den Verhältnissen in den USA. Bei früheren Wahlen wurde oft ein Unterschied in der Beachtung und Darstellung des Amtsinhabers im Vergleich zum Herausforderer diagnostiziert. Die außerordentliche Präsenz von Helmut Kohl im Vereinigungswahlkampf 1990 gab Anlass zu der Annahme, die Medien gewährten dem jeweiligen Kanzler einen besonderen Amtsbonus, und das sei – speziell im Vergleich zu angelsächsischen Verhältnissen – eine Besonderheit des deutschen Journalismus (vgl. etwa Semetko, 1996). Allerdings zeigte sich schon 2002 ein völlig anderes Bild, wenn man nicht nur die Auftritte der Kandidaten, sondern zusätzlich auch Umfang und Intensität der Beachtung im einzelnen Nachrichtenbeitrag berücksichtigte (vgl. Schulz & Zeh, 2004). Bei Fortschreibung dieser differenzierten Betrachtung ist zwar auch für 2005 ein leichter Vorteil für den Amtsinhaber zu erkennen, wenn man lediglich die Anzahl der Nachrichten mit Kandidatenbezug vergleicht. Berücksichtigt man jedoch zusätzlich die Intensität der Beachtung, so liegt die Herausforderin vorn. Ähnlich ist das Bild, wenn man nur die O-Ton-Auftritte ("sound bites") vergleicht (Abbildung 5). Abbildung 5: Länge der O-Ton-Auftritte durchschnittliche Länge
Gesamtlänge Kanzler
1500
Kandidat/-in
Serie 3
30
Serie 4 25
20
1000
15
10
500
5
0
0 1990
1994
1998
2002
2005
1990
1994
1998
2002
2005
Bei der durchschnittlichen Länge der Äußerungen hat diesmal der Kanzler einen leichten Vorsprung, bei der Gesamtlänge aller Äußerungen liegt die
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293
Tabelle 3: Vergleich der Kandidatendarstellung bei einzelnen Sendern
Anteil Beiträge mit Exklusivbezug* Merkel Schröder Anteil Beiträge mit hoher Zentralität des/der Kandidaten/-in (Bezug zum Kandidaten im überwiegenden Teil oder im ganzen Beitrag)** Merkel Schröder Anteil Beiträge mit FilmDarstellung und O-Ton (Visualisierung)** Merkel Schröder Gesamtlänge der O-TonAuftritte (sound bites in Sekunden) Merkel Schröder Durchschnittliche Länge der OTon-Auftritte (sound bites in Sekunden) Merkel Schröder Anteil Beiträge mit vorwiegend positiver Grundtendenz** Merkel Schröder Wertende Urteile (Mittelwerte) Merkel Schröder
ARD Tagesschau
ZDF heute
RTL Aktuell
SAT.1 News
30,6% 33,3%
17,5% 35,0%
13,2% 13,2%
18,4% 26,3%
25,0% 28,0%
38,5% 33,3%
51,5% 36,4%
32,1% 32,3%
66,7% 62,5%
46,2% 30,3%
48,5% 54,5%
60,7% 45,2%
240 273
255 229
328 347
280 243
14,12 14,37
15,94 16,36
10,93 12,39
10,77 12,15
33,3% 48,0%
19,2% 45,5%
30,3% 36,4%
28,6% 38,7%
+0,40 -0,18
+0,17 +0,13
+0,14 -0,16
-0,05 +0,16
Der jeweils größere Wert im Kandidatenvergleich ist fett hervorgehoben; Prozentbasis: *) Jeweils alle Beiträge mit Bezug zu einem oder beiden Kandidaten pro Sender **) Jeweils alle Beiträge mit Bezug zu Merkel bzw. Schröder pro Sender
294
Winfried Schulz & Reimar Zeh
Herausforderin vorn. Dass der Kanzlerbonus ein allgemein typisches Merkmal der deutschen Wahlberichterstattung ist, muss angesichts dieser Ergebnisse bezweifelt werden. Der Beachtungsvorteil des Kanzlers war offenbar aufdie Wahlen in den 1990er Jahren beschränkt. Im Zuge des Wandels der Nachrichten ist er verschwunden (vgl. auch Boomgaarden & Semetko, 2006, ferner Wilke & Reinemann in diesem Band). Der Wandel brachte insgesamt und auch bei den O-Ton-Auftritten eine Konvergenz des Nachrichtenstils der öffentlich-rechtlichen und der privaten Programme. Während die durchschnittliche Länge der O-Ton-Auftritte in den 1990er Jahren zwischen den Sendern noch ganz erheblich variierte, hat sie sich inzwischen weiter angeglichen. Allerdings präsentieren die öffentlichrechtlichen Sender die Kandidaten nach wie vor mit durchschnittlich längeren Sound Bites als die privaten Nachrichtenprogramme (vgl. Tabelle 3). Alle Ergebnisse zur Kandidatenbeachtung zusammengenommen, kann man in den Fernsehnachrichten über den Wahlkampf 2005 keine Benachteiligung – eher schon eine leichte Bevorzugung – der Kandidatin erkennen. Dies stimmt mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen überein (Boomgaarden & Semetko, 2006; Krüger, Müller-Sachse & Zapf-Schramm, 2005, sowie Wilke & Reinemann in diesem Band). Um zu prüfen, ob einzelne Nachrichtenprogramme eine Präferenz für Merkel oder Schröder zeigen, haben wir verschiedene Darstellungsmerkmale in Tabelle 3 so zusammengestellt, dass jeweils ein direkter Vergleich zwischen den Kandidaten pro Sender möglich ist. Saldiert man die Ausprägungen aller Indikatoren, so könnte man allenfalls bei der Tagesschau der ARD einen Vorteil für den ExKanzler ausmachen: Von sieben Indikatoren sprechen fünf für Schröder. Bei den übrigen Sendern lässt sich das Muster kaum als Begünstigung eines der Kandidaten deuten. 4.2 Kandidatenbewertung Medienpräsenz ist nicht unter allen Umständen von Vorteil, auch nicht im Wahlkampf. Falls die Medien eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten stark beachten und dabei besonders unvorteilhafte Aspekte herausstellen oder die Kandidatenbezüge kritisch kommentieren, bringt Medienpräsenz eher Nachteile. Unser Analyseinstrument bietet mehrere Möglichkeiten, um die Bewertung der Kandidatendarstellung einzubeziehen (wie teilweise schon in
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295
Tabelle 3 geschehen). Zum einen waren die Codierer gehalten, für jeden Kandidatenbezug ganzheitlich zu bestimmen, ob die überwiegende Grundtendenz des Beitrags für Merkel bzw. für Schröder eher positiv oder eher negativ war.7 Zum anderen wurde für jede Kommunikatorsequenz ermittelt, ob ein Bezug zu Umfragewerten vorlag und ob diese für SPD bzw. Schröder oder Union bzw. Merkel günstig waren.8 Und schließlich wurden auf der Aussageebene alle explizit wertenden Urteile über die Kandidaten identifiziert.9 Die Auswertung der Kandidatenbezüge ergibt für beide Kandidaten einen deutlichen Überhang der Bezüge mit einem positiven Grundtenor. Die Fernsehpräsenz war also durchweg eher günstig als ungünstig, und zwar in allen Programmen. Dies ist übrigens ein weiterer Unterschied zur Wahlkampfberichterstattung in den USA mit ihrem hohen Anteil an Negativismus (vgl. etwa Hallin, 1992; Lichter & Smith, 1996). Vergleicht man die beiden Kandidaten, so war – nach dem Eindruck der Codierer – die Darstellung für Schröder günstiger als für Merkel. Im Vergleich der einzelnen Sender ist dieser Vorsprung bei den öffentlich-rechtlichen – und insbesondere beim ZDF – ausgeprägter als bei den privaten (vgl. Tabelle 3). Die Auswertung auf der Ebene der Kommunikatorsequenzen erbringt ein weitgehend ausgeglichenes Ergebnis.10 Bei den – überwiegend zitierten bzw. berichteten – Urteilen schließlich zeigt sich ein leichter Vorteil für Merkel (der statistisch nicht signifikant ist). Vergleicht man in dieser Hinsicht die einzelnen Sender, so ist vor allem bei der ARD-Tagesschau ein Bewertungsvorteil für Merkel auszumaDie Instruktion lautete: "Was ist die überwiegende Grundtendenz des Beitrages bezüglich Schröder? Betrachtet wird der gesamte Beitrag unter Zusammenfassung aller werthaltigen Einzelaspekte (Ereignis, Thema, Interaktion, Urteile)". Die Einschätzung wurde vierstufig codiert: keine eindeutig erkennbare Tendenz, vorwiegend negativ, vorwiegend positiv, gemischt positiv und negativ.
7
Eine Kommunikatorsequenz ist als Analyseeinheit anhand des (Nachrichten-)Sprechers bzw. der erzählenden Person im On definiert. Wechselt der Sprecher bzw. die erzählende Person im On innerhalb eines Beitrags, beginnt jeweils eine neue Kommunikatorsequenz. 8
Urteil war definiert als eine charakterisierende Aussage oder Bewertung, die im Hinblick auf einen bestimmten Wert, auf eine bestimmte Fähigkeit oder Eigenheit gemacht wurde und damit ein bestimmtes Bild oder eine Vorstellung von Kandidaten vermittelte, z. B. von seiner politischen Kompetenz oder persönlichen Eigenschaften. Die Codierer stuften die Wertigkeit des Urteils nach einer siebenstufigen Skala von extrem positiv bis extrem negativ ab. Für die Analyse wurde diese jedoch zur Dichotomie positiv-negativ reduziert, um die Verlässlichkeit der Daten zu erhöhen.
9
10 Es gab jeweils einen Überhang von Beiträgen, die einen Vorteil der Union und – im Kandidatenvergleich – von Schröder berichteten, wie es überwiegend auch den Umfragewerten entsprach.
296
Winfried Schulz & Reimar Zeh
chen (bei SAT.1 dagegen ein leichter Vorteil für Schröder; vgl. Tabelle 3). Insgesamt ist beim Überblick über die Bewertungsindikatoren, wie schon bei den übrigen Darstellungsmerkmalen, keine eindeutige Begünstigung des Amtsinhabers und dementsprechend auch keine Benachteiligung der Herausforderin zu erkennen. Im Zeitvergleich weisen auch die wertenden Urteile auf einen Stilwandel der Nachrichten hin. Die absolute Anzahl der Urteile ist in der Berichterstattung zu den beiden letzten Wahlen um ein Mehrfaches höher als bei den Wahlen in den 1990er Jahren, wenn auch 2005 wieder ein Rückgang gegenüber 2002 zu verzeichnen ist. Das Anwachsen der Urteile in Nachrichten resultiert zum erheblichen Teil aus der Nachrichtenresonanz der TVDuelle sowie aus den vielen Umfrageaktivitäten und deren Nachrichtenbeachtung. Dies kann als zunehmende Dramatisierung gedeutet werden. Aussagen über den Kandidatenwettstreit und den Stand des Rennens – das "horse race" – machten die Nachrichten spannender, farbiger und interessanter. Die Urteile kategorisierten wir nach Eigenschaftsdimensionen, wobei wir Bewertungen der Situation als eigene Kategorie aufführten. Letztere stammten zumeist von Journalisten, Experten oder Wählern und bezogen sich auf den Stand des Kandidatenwettstreits, wie er sich unter anderen aus Umfragen oder den TV-Duellen ergab. Auf diese Kategorie entfielen im letzten Wahlkampf rund 30 Prozent der Urteile (vgl. Abbildung 6). Ein etwas geringerer Anteil bezog sich auf rollennahe und im engeren Sinn "politische" Eigenschaften. Rechnet man die Aussagen zur Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit dazu, die zumindest indirekt politisch relevant sind, kommt man auf einen Anteil von 38 Prozent von mehr oder weniger rollennahen Urteilen.11 Der größere Teil der Urteile bezog sich also entweder auf rollenferne Eigenschaften der Kandidaten oder auf ihre Position im "horse race". Unterschiede zwischen den Kandidaten gab es dabei kaum. Die Ähnlichkeit der Urteilsverteilungen drückt sich in der Symmetrie der Grafik aus. Deutliche Unterschiede gibt es allerdings bei Urteilen zum Aussehen und Auftreten. Anders als man vermuten könnte, wurde das Aussehen und Auftreten von Schröder häufiger beurteilt als das von Merkel.12 Bei 11
Bei den Urteilen über Merkel entfallen auf diese Kategorie 39 Prozent, bei Schröder-Urteilen 37 Prozent.
12 Über ähnliche kontra-intuitive Ergebnisse berichten auch Bystrom (2004) und Holtz-Bacha (im Druck) in ihren Forschungsüberblicken.
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
297
den sonstigen Personenmerkmalen, zu denen wir unter anderem die soziodemographischen Merkmale wie Geschlecht, Alter, Familienstand und Konfession rechneten, kam im Untersuchungszeitraum überhaupt nur ein einziges Urteil vor. Es war eine positive Aussage einer Teilnehmerin auf dem CDU-Parteitag in Dortmund über Merkel, die Bezug auf ihr Geschlecht nahm ("So eine Frau schafft das…"). Diese Ergebnisse (wie auch der oben mitgeteilte Befund zum thematischen Kontext der Kandidatenbezüge) sprechen insgesamt zwar für einen weitgehend entsachlichten Wahlkampf, weniger jedoch für eine "Vermenschlichung" der Kandidaten. Nur gut ein Viertel der Kandidatenbeurteilungen im Wahlkampf 2005 stammt von Journalisten, ein weiteres Viertel von den Kanzlerkandidaten selbst und der Rest von anderen Politikern, von Experten und von Wählern (meist aus Umfragen). Von Merkel kamen deutlich mehr Urteile in den Nachrichten vor als von Schröder; besonders bei der ARD-Tagesschau war das Verhältnis zugunsten der Merkel-Urteile ausgeprägt. Allerdings enthielt die Tagesschau mit Abstand die geringste Zahl von Urteilen im Untersuchungszeitraum. Bei den anderen Sendern war sie mehr als doppelt so hoch. Der Anteil der Journalisten-Urteile war bei SAT.1 und beim ZDF mit 34 bzw. 29 Prozent am höchsten. Abbildung 6: Urteile über Merkel und Schröder in den Nachrichten (2005) negativ,
positiv über Merkel
negativ,
positiv über Schröder
Führungsqualitäten sonst. professionelle Kompetenz Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit
Urteile über Merkel
sonst. Charaktereigenschaften und Fähigkeiten
Urteile über Schröder
Aussehen, Auftreten sonst. Personenmerkmale Situation, "horse race" 50
40
30
20
10
0
10
Absolute Zahl der wertenden Urteile über die Kandidaten
20
30
40
50
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Winfried Schulz & Reimar Zeh
Der insgesamt positive Urteilssaldo geht vor allem auf Bewertungen des Kandidatenwettstreits zurück. Auch die Journalisten-Urteile waren im Mittel positiv, und zwar etwas positiver über Merkel als über Schröder (und das auch bei den einzelnen Sendern, obwohl der Vergleich auf dieser Ebene wegen geringer Fallzahlen nur eingeschränkt möglich ist). Die Journalisten bewerteten fast ausschließlich unpolitische Eigenschaften sowie das Auftreten und die Situation. Dagegen stammten die im weiteren Sinn politischen Urteile entweder von den Kandidaten selbst oder von anderen Politikern, auch von Wählern und Experten. Diese Urteile waren per Saldo negativ, in Bezug auf die Führungsqualitäten der Kandidaten sowie ihre Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit sogar extrem negativ. Dass Merkel Schröder fast doppelt so häufig kritisierte wie umgekehrt, deutet darauf hin, dass für die Opposition – wie meistens – der Angriffswahlkampf einen höheren Stellenwert hatte als für die regierende SPD. Abbildung 7: Beurteilte Eigenschaften der Kanzlerkandidaten 100
Prozent Kanzler Kandidat Urteile insgesamt
80
60
40
20
0 1990
1994
1998
2002
2005
Anteil der Urteile über die professionelle Kompetenz (einschl. Führungsqualitäten) an allen wertenden Urteilen
In der Diskussion über den Wandel der Wahlkämpfe lautet eine Annahme, dass bei der Charakterisierung der Kandidaten zunehmend unpolitische
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
299
Eigenschaften betont werden, dass rollennahe Merkmale zurücktreten und dass dies zu ihrer "Vermenschlichung" und damit auch zur Personalisierung der Kampagne beiträgt. Um den behaupteten Trend zu überprüfen, haben wir in Abbildung 7 den Anteil wertender Aussagen über die professionelle Kompetenz der Kandidaten (einschließlich Führungsqualitäten) dargestellt. Im Zeitvergleich ist in der Tat ein Rückgang der politischen Charakterisierungen zu verzeichnen. Im Vergleich zu 1990 sind vor allem bei Aussagen über den Herausforderer die Kompetenzurteile zurückgegangen. Dies könnte man als Personalisierungstrend interpretieren. Allerdings könnte man in den Werten für 1990 auch eine unnormale Abweichung nach oben sehen und in den Werten für die folgenden Bundestagswahlen eine Variation im Wertebereich zwischen 30 und 50 Prozent. Bemerkenswert ist immerhin, dass der Wert für 2005 an der unteren Grenze dieses Bereichs liegt und dass es kaum noch einen Unterschied zwischen den Kandidaten gibt. Dies ist allerdings weniger Indiz für eine ausgeprägte "Vermenschlichung" als vielmehr für eine zunehmende Fixierung auf den Kandidatenwettstreit. Denn ein erheblicher Anteil der unpolitischen Urteile bezieht sich auf die Wahlkampfsituation. 5
Zusammenfassung und Diskussion
Unsere Analyse der Wahlkampfberichterstattung der bundesweit verbreiteten Fernsehkanäle ARD, ZDF, RTL und SAT.1 konzentriert sich auf den Wandel des Nachrichtenbildes der Kanzlerkandidaten seit der Bundestagswahl 1990 und auf die Darstellung von Angela Merkel und Gerhard Schröder bei der letzten Wahl. Untersucht wurden die Hauptabendnachrichten jeweils während der letzten vier Wochen vor dem Wahltag. Zusammengenommen weisen unsere Ergebnisse einen deutlichen Stilwandel der Wahlkampfberichterstattung aus. Die Kampagne erhielt bei den letzten Wahlen deutlich mehr Aufmerksamkeit in den Fernsehnachrichten als zu Beginn der 1990er Jahre, und dementsprechend nahm auch die Kandidatenpräsenz zu. Zugleich gab es einen Anstieg bei der Visualisierung der Kandidatendarstellung. Die Kandidaten werden inzwischen vorwiegend im Kontext von Politics dargestellt; vor allem der Bezug zu Wahlen und Wahlkampf dominiert, Sachfragen traten in den Hintergrund. Nachrichtenbeiträge handeln heute häufiger als früher von beiden Kandidaten, Exklusivdar-
300
Winfried Schulz & Reimar Zeh
stellungen gingen zurück. Überdies ist der Anteil der Urteile, der sich auf die eher unpolitischen Eigenschaften der Kandidaten und auf ihre Position im Rennen – im "horse race" – bezieht, gewachsen; er überwiegt inzwischen deutlich. Insgesamt lassen sich die beobachtbaren Veränderungen als Personalisierung, "Entsachlichung" und Dramatisierung der Wahlkampfberichterstattung interpretieren. Die Fernsehnachrichten vermitteln ein zunehmend lebendiges, farbiges und spannendes Bild des Wahlkampfs, in dem die Kanzlerkandidaten eine immer prominentere Rolle spielen. Den Stilwandel haben die öffentlich-rechtlichen wie die privaten Programme in ähnlicher Weise vollzogen. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Sendersystemen, die zu Beginn der Dualisierung sehr ausgeprägt waren, zunehmend geringer geworden. Diese Angleichung ist auch schon in anderen Analysen festgestellt worden. Darüber hinaus sehen wir in unseren Daten noch eine andere Art der Konvergenz. Unterschiede in der Darstellung der Kanzlerkandidaten sind im Lauf der Zeit geringer geworden. Der Kanzlerbonus, der vor allem 1990 und auch noch danach diagnostiziert wurde, ist inzwischen verschwunden. Er war möglicherweise ein historisches Phänomen der 1990er Jahre. In der Kampagnenberichterstattung 2005 wurden der Amtsinhaber und die Herausforderin in vielen Merkmalen sehr ähnlich dargestellt. Auch bei den wertenden Urteilen über die Kandidaten zeigt sich wie schon in den Wahljahren zuvor ein weitgehend ausgewogenes Bild. Zwar erscheinen die Kandidaten in den Fernsehnachrichten per Saldo in einem positiven Licht. Aber die für ihre politische Rolle zentralen Eigenschaften – Führungsqualitäten, professionelle Kompetenz wie auch Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit – werden zumeist negativ beurteilt. Diese Urteile stammen vom jeweiligen Gegenkandidaten, von anderen Politikern, von Wählern und Experten. Journalisten beschränken sich auf die Beurteilung unpolitischer Eigenschaften der Kandidaten und auf deren Stellung im Wettbewerb. Für die Vermutung, dass eine Frau, die für das Amt des Bundeskanzlers kandidiert, in den Nachrichten schlechter wegkommt als ihr männlicher Kontrahent, bietet unsere Analyse keine Anhaltspunkte. Angela Merkel war bei einigen Darstellungsmerkmalen sogar leicht im Vorteil, so bei der Zentralität ihrer Rolle in den Beiträgen, bei der Visualisierung, bei der Summe aller O-Ton-Auftritte und bei den wertenden Urteilen. Gerhard Schröder war demgegenüber in etwas mehr Nachrichtenbeiträgen präsent, auch in
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301
mehr Beiträgen, in denen er exklusiv vorkam, und in mehr Beiträgen mit einer für ihn positiven Grundtendenz. Seine O-Ton-Auftritte waren im Durchschnitt etwas länger, und auf ihn entfielen mehr – auch mehr positive – Urteile über sein Aussehen, Auftreten und seinen Charakter. Geschlechtstypische oder gar klischeehafte Urteile über Merkel spielten in den Nachrichten keine nennenswerte Rolle. Auch die thematischen Kontexte der Kandidatenbezüge entsprechen weder Vermutungen, wie man sie bei einer weiblichen Kandidatur haben könnte, noch den in der allgemeinen Berichterstattung feststellbaren Benachteiligungen von Politikerinnen. Offenbar haben sich bei der Darstellung von Angela Merkel die mit ihrer Rolle (als Spitzenkandidatin und mögliche Kanzlerin) verbundenen Statusfaktoren vor den "Nachrichtenfaktor Geschlecht" geschoben. Dieser von Holtz-Bacha (im Druck) für das zukünftige Merkel-Image geäußerten Erwartung entsprachen die Fernsehsender offenbar schon im Wahlkampf 2005. Die optimistisch stimmenden Ergebnisse gelten aber nur für die Spitzenkandidatin. Vergleicht man die Darstellung aller Politiker in der Wahlkampfberichterstattung 2005, so zeigen sich erhebliche Präsenzdefizite weiblicher Kandidaten (so auch bei Boomgaarden & Semetko, 2006). Unsere Befunde zum Fernsehimage der Spitzenkandidaten gelten für die Hauptabendnachrichten, die in besonderem Maße den journalistischen Normen von Objektivität und Fairness verpflichtet sind. Möglicherweise verändert sich das Bild, wenn man andere politische Sendungen in die Analyse einbezieht. Möglicherweise sind auch unsere Kategorien, die in erster Linie dem Langzeitvergleich dienen, für die Besonderheiten des Wahlkampfs 2005 nicht sensibel genug. Andere Analysen werden diese Zweifel hoffentlich ausräumen oder bestätigen können. Trotz der Vorbehalte kann man aus unseren Ergebnissen folgern, dass die Fernsehnachrichten als Agens im Wahlkampf eher das Wählerurteil über die Person der Spitzenkandidaten und über den Stand des Rennens prägen können als über deren Stellung zu wichtigen Sachfragen. Denn für die Wähler sind die Fernsehnachrichten die wichtigste Quelle der Information und Meinungsbildung über den Wahlkampf. Das hat wiederum Folgen für eine professionelle Wahlkampfführung, die sich an der Medienlogik des Fernsehens und seinen Wirkungsbedingungen orientiert. Denn für das Wahlkampfmanagement ist das Fernsehen eine unverzichtbare Plattform, um Kandidaten und Programme darzustellen und sich in der Medienöffentlichkeit mit den Konkurrenten auseinanderzusetzen.
302
Winfried Schulz & Reimar Zeh
Die Beziehungen im Wahlkampf haben sich inzwischen zu einer für alle Beteiligten vorteilhaften Transaktion entwickelt. Parteien und Kandidaten, das Fernsehen und schließlich auch die Wähler profitieren wechselseitig voneinander. Dabei haben die über die Medien vermittelten Transaktionen zunehmend an Bedeutung gewonnen, während die direkten Transaktionen zwischen Parteien und Wählern in den Hintergrund getreten sind. Dies sind wesentliche Aspekte der Medialisierung von Wahlkämpfen (Schulz, Quiring & Zeh, 2005). Offen bleiben muss vor diesem Hintergrund die Frage, wie viel das Nachrichtenbild, das wir untersucht haben, vom tatsächlichen Charakter der Kampagnen reflektiert, wie viel davon ein Konstrukt des Fernsehens ist und wie viel aus Reziprozitätseffekten resultiert, das heißt durch Anpassung an die Darstellungserfordernisse des Fernsehens. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Grenzen zwischen dem Handeln der Politik und der journalistischen Beobachtung zunehmend verschwimmen. Am deutlichsten ist dies bei den TV-Duellen und den Wählerumfragen zum Stand des Rennens zu erkennen. Das Fernsehen ist entscheidend an der Kreation dieser Ereignisse beteiligt, die einen erheblichen Teil seiner Berichterstattung ausmachen. Personalisierung und Dramatisierung steigern seinen Nachrichtenwert. Für das Fernsehen sind die inszenierten Wahlkampfereignisse publikumswirksamer Nachrichtenstoff. Es verstärkt in einem Prozess positiver Rückkopplung die Merkmale des Wahlkampfs, die es abzubilden scheint, oder ruft sie selbst erst hervor. Es ist damit zugleich Agens und Indikator des Wandels der Wahlkämpfe. Literatur Boomgaarden, H. G., & Semetko, H. A. (2006). Duell Mann gegen Frau? Geschlechterrollen und Kanzlerkandidaten in der Wahlberichterstattung. Unpublished manuscript, Beitrag zur gemeinsamen Tagung der DVPW-Arbeitskreise "Wahlen und politische Einstellungen", "Parteienforschung" sowie "Politik und Kommunikation, 19. und 20. Juli 2006 in Berlin. Brettschneider, F. (1998). Medien als Imagemacher? Bevölkerungsmeinung zu den beiden Spitzenkandidaten und der Einfluß der Massenmedien im Vorfeld der Bundestagswahl 1998. Media Perspektiven, o. Jg, 392-401. Brettschneider, F. (1999). Kohls Niederlage. Kandidatenimages und Medienberichterstattung vor der Bundestagswahl 1998. In P. Winterhoff-Spurk & M. Jäckel (Hrsg.), Politische Eliten in der Mediengesellschaft. Rekrutierung – Darstellung – Wirkung (S. 65-103). München: Reinhard Fischer.
Die Kampagne im Fernsehen – Agens und Indikator des Wandels
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Die Normalisierung des Sonderfalls? Die Wahlkampfberichterstattung der Presse 2005 im Langzeitvergleich Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
1
Vorbemerkungen
Die Bundestagswahl am 18. September 2005 war die sechzehnte seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 (und die fünfte seit der Wiedervereinigung 1990). Nach so vielen Wahlen über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg handelte es sich inzwischen längst um einen Vorgang demokratischer Routine. Gleichwohl stellte diese Bundestagswahl einen "Ausnahmefall" dar. Denn sie fand ein Jahr vor Ablauf der regulären Legislaturperiode statt und kam auf verfassungsrechtlich problematische Weise zustande. Nach mehreren für die SPD verloren gegangenen Landtagswahlen, zuletzt am 22. Mai 2005 in Nordhein-Westfalen, strebte Bundeskanzler Gerhard Schröder vorzeitige Neuwahlen noch im gleichen Jahr an. Er wollte – nach eigenen Worten – sich und der rot-grünen Bundesregierung damit ein neues Mandat verschaffen und insbesondere deren Durchsetzungsvermögen gegenüber einem von CDU/CSU (und der FDP) dominierten Bundesrat zurückgewinnen. Die Auflösung des alten Bundestages und die Ansetzung von Neuwahlen waren jedoch umstritten, konnten aber erreicht werden, nachdem die damit befassten Verfassungsorgane – der Bundespräsident und das Bundesverfassungsgericht – den Weg dafür frei gemacht hatten. Zum dritten Male in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fand die Bundestagswahl damit früher statt als nach dem üblichen vierjährigen Rhythmus vorgesehen. Ähnliches war 1972 geschehen, als die sozialliberale Koalition im Zuge der Ostpolitik ihre Parlamentsmehrheit einbüßte; und dann noch einmal 1983, nachdem die FDP die Koalition mit der SPD aufgekündigt hatte und eine neue mit der CDU/CSU eingegangen war. Aber nicht nur das Zustandekommen machte die Bundestagswahl 2005 zu
Die Normalisierung des Sonderfalles?
307
einem Ausnahmefall. Neu war auch, dass jetzt zum ersten Mal mit Angela Merkel eine Frau für das Amt des Bundeskanzlers kandidierte. Drei Jahre vorher hatte die CDU-Vorsitzende noch dem CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt gelassen. Mit ihm als Kanzlerkandidaten hatten die Unionsparteien jedoch die Wahl verloren, wenn auch nur knapp und entgegen einem Trend, der zunächst lange Zeit auf einen Wahlsieg hingedeutet hatte. Die Gründe für den Wahlausgang sind in mehreren inzwischen vorliegenden Untersuchungen erforscht worden (Noelle-Neumann, Donsbach & Kepplinger, 2005; Falter, Gabriel & Wessels, 2005). Die Ausgangslage war für die Opposition im Jahr 2005 eigentlich noch komfortabler. Seit kurz nach der Wahl 2002 hatte die CDU/CSU stets einen Vorsprung in der Wählergunst besessen, und alles schien für eine schwarz-gelbe Koalition zu sprechen. Tatsächlich aber erhielten die Unionsparteien am 18. September 2005 deutlich weniger Stimmen als erwartet (35,2%) und erzielten nur einen hauchdünnen Vorsprung vor der SPD (34,3%). Daraus resultierten erhebliche Schwierigkeiten für die Regierungsbildung, die nur mühsam überwunden werden konnten, dann aber in der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD am 22. November 2005 mündeten. So kam es zwar zu einem Regierungswechsel, wenn auch nur zu einem "halben". Es sind also mehrere Gründe, die die Bundestagswahl 2005 zu einem außergewöhnlichen Fall machen. Interessieren kann dabei unter anderem, wie sich der Wahlkampf unter diesen Umständen abgespielt und wie die Massenmedien über ihn berichtet haben. Dergleichen zu untersuchen, gehört zu den mittlerweile gängigen Aufgaben der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Die Frage, mit der wir uns im Folgenden beschäftigen, ist, wie die Wahlkampfberichterstattung in der deutschen Presse 2005 im Vergleich zu den vorangegangenen Bundestagswahlen ausgesehen hat. Wir schließen damit an eigene Vorstudien an. Retrospektiv hatten wir vor einigen Jahren zunächst eine vergleichende Inhaltsanalyse von vier deutschen Tageszeitungen bei allen Bundestagswahlen von 1949 bis 1998 durchgeführt. Deren Ergebnisse wurden in einem Buch publiziert (Wilke & Reinemann, 2000). Bis dahin waren zwar zahlreiche Einzeluntersuchungen zu den Bundestagswahlen angestellt worden, nicht aber ein direkter Vergleich für alle zusammen. Es lag nahe, diese Untersuchung bei der Bundestagswahl 2002 in identischer Weise zu wiederholen und die vorhandene Zeitreihe fortzusetzen (Wilke & Reinmann, 2003). Mehrere Ergebnisse ließen die
308
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Wahl 2002 als "Sonderfall" erscheinen. Nicht nur der große Umfang der Berichterstattung, sondern auch die durch die TV-Kanzlerduelle ausgelöste Intensität von Aussagen über die Kanzlerkandidaten schienen dies zu rechtfertigen. Es bot sich an, die Wahlkampfberichterstattung in der deutschen Presse auch bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 erneut zu untersuchen, und zwar ein weiteres Mal in der durch die vorangegangenen Studien vorgezeichneten Weise.1 Zur Anlage der Studie sei hier nur das Notwendigste gesagt und für nähere Auskünfte auf die ursprüngliche Buchpublikation verwiesen (Wilke & Reinemann, 2000, S. 19ff.). Als Untersuchungsmaterial zogen wir wieder die vier, üblicherweise als überregional verbreitete Qualitätsblätter eingestuften Tageszeitungen Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt heran. Diese Medienauswahl resultierte ursprünglich aus dem Wunsch, den gesamten Untersuchungszeitraum seit 1949 mit den gleichen relevanten Titeln abzudecken und mit ihnen zugleich das politische Spektrum zwischen "links" und "rechts" abzubilden. Für andere Medien, etwa das Fernsehen, hätte sich eine gleichartige Untersuchung (mit entsprechender Laufzeit) gar nicht realisieren lassen (vgl. jetzt Wilke & Spiller, 2006). Eine weitere Beschränkung betraf den untersuchten Zeitraum und das untersuchte Material. Gegenstand der Inhaltsanalyse waren alle Artikel, die einen Bezug zur Bundestagswahl, zum Wahlkampf und/oder zu den Kanzlerkandidaten aufwiesen. Jeder zweite relevante Artikel auf der Titelseite, im politischen Teil, auf Kommentar- oder Reportageseiten und im Ressort Vermischtes aus den letzten vier Wochen vor der Wahl – sozusagen der "heißen" Phase des Wahlkampfs – wurde einbezogen. Andere Ressorts (Wirtschaft, Feuilleton) blieben außen vor. Die Inhaltsanalyse erstreckte sich auf Beiträge, wertende Aussagen über die Kanzlerkandidaten und Bilder. Auf der Beitragsebene wurden u. a. Umfang, Darstellungsform und zentrales Thema erfasst, auf der Ebene der wertenden Aussagen deren Urheber und Inhalte, auf der Bildebene der/die gezeigte Kandidat/in und seine/ihre visuelle Erscheinung. Das Untersuchungsmaterial und das Erhebungsinstrument wurden 2005 wieder gleichgehalten wie bei den vorangegangenen Bundestagswahlen. Denn nur so konnte eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse sichergestellt Die Durchführung der Untersuchung wurde durch finanzielle Unterstützung der FAZIT-Stiftung ermöglicht, wofür wir an dieser Stelle danken möchten.
1
Die Normalisierung des Sonderfalles?
309
werden. Die Codierung fand nach dem Wahltag statt. Codierer waren mehrere Studierende. Nach einer intensiven Schulung wurde die Reliabilität anhand von zehn Wahlkampfbeiträgen getestet. Die durchschnittliche paarweise Übereinstimmung lag für die hier präsentierten Kategorien zwischen .85 und 1.00. Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse dieser Inhaltsanalyse vorgestellt. Ziel ist es, Ähnlichkeiten zu bzw. Abweichungen von früheren Bundestagswahlen aufzuzeigen. Bestätigen sich früher gemachte Befunde oder lassen sich Veränderungen feststellen? Diese Frage interessiert uns im Hinblick auf eine Reihe genereller Merkmale der journalistischen Wahlkampfberichterstattung, wie zum Beispiel die Quellen und Darstellungsformen, die Personalisierung, die Authentizität, die Visualisierung sowie die politischen Tendenzen der Blätter. Im Besonderen möchten wir aber jene Resultate überprüfen, derentwegen sich 2002 der Eindruck eines "Sonderfalls" aufgedrängt hatte. Wir möchten wissen, ob sich die Indikatoren dafür erneut zeigen und möglicherweise auf eine "Normalisierung" des Sonderfalls hindeuten. 2
Formale Merkmale der Wahlkampfberichterstattung
2.1 Umfang Nicht über jede Bundestagswahl seit 1949 ist in der Presse in gleichem Umfang berichtet worden. Anfangs hatten die Zeitungen noch eine geringere Seitenzahl und für diese Thematik – wie auch für andere – weniger Platz zur Verfügung. Das änderte sich mit der Erhöhung des Seitenumfangs. Von Anfang der fünfziger bis Mitte der neunziger Jahre nahm der durchschnittliche Umfang der Rubriken für Innen- und Außenpolitik in deutschen Tageszeitungen von 3,4 auf 7,5 Seiten zu (Kepplinger, 1998, S. 47). Doch auch die Umstände der jeweiligen Wahl hatten Einfluss darauf, wie umfangreich über diese jeweils berichtet wurde. Über die 15 vorangegangenen Bundestagswahlen (1949-2002) hinweg zeigte sich eine Wellenbewegung. Nach der Zunahme der Wahlkampfberichterstattung bis Mitte der siebziger Jahre ging die Berichterstattung zurück, gleichviel ob man sie an der Zahl der journalistischen Beiträge oder ihrer Länge in Anschlägen/Zeichen misst. Mit der Bundestagswahl 1994 setzte erneut ein Anstieg ein, wobei vor allem derjeni-
310
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
ge von 1998 auf 2002 beträchtlich war und einen Grund abgab, von einem "Sonderfall" zu sprechen. Die Zunahme im Umfang 2002 haben wir vor allem auf den "Richtungswahlkampf", spezifische Themen und insbesondere die erstmals durchgeführten Kanzlerduelle zurückgeführt, die allein viel mehr Beiträge zur Folge hatten als die so genannten "Elefantenrunden" zwischen den Spitzenkandidaten der Parteien, die es in den siebziger und achtziger Jahren auch schon gegeben hatte. Wie unsere Daten jetzt zeigen, erreichte die Wahlkampfberichterstattung 2005 eine ähnliche Größenordnung wie 2002 – lag also weit über dem Langzeit-Durchschnitt. Zwar wurden mit 1.134 Beiträgen rund 50 weniger gezählt als vor der letzten Wahl, die Anzahl der Anschläge/Zeichen war aber um insgesamt 10.000 höher. Insofern wurde der Spitzenwert von 2002 noch einmal übertroffen (wenn auch nur knapp). Im Durchschnitt waren die Beiträge 2005 etwas länger als die im Jahr 2002, und zwar um ca. 250 Zeichen. Bei der Bewertung des Umfangs ist aber zu bedenken, dass gerade die großen und überregionalen Tageszeitungen in Deutschland wegen der 2002 eingetretenen wirtschaftlichen Krise der Branche ihren Umfang verringert haben, auch den des Politikteils. Wir können dies hier zwar nicht genau beziffern, aber doch die begründete Annahme ableiten, dass der Anteil der Wahlkampfberichterstattung am politischen Zeitungsinhalt 2005 deshalb eher größer gewesen sein dürfte als drei Jahre zuvor. Darin hat sich niedergeschlagen, dass es auch für die Zeitungen um eine "Richtungswahl" ging (vgl. Abbildung 1). Im Jahr 2002 war es Die Welt gewesen, die am ausgiebigsten über den Wahlkampf zum Bundestag berichtet hatte. Mehr als ein Drittel aller Beiträge unserer Stichprobe war von dieser Zeitung publiziert worden (35%). Auch im Jahr 2005 bot die Welt mit knapp einem Drittel noch immer die meisten Beiträge, auch wenn sich ihr Anteil etwas reduzierte (30%). Am wenigsten Wahlkampfberichterstattung lieferte (mit 18%) wieder die FAZ, während der Anteil der SZ etwa gleich blieb (25% vs. 23%). Einen deutlich größeren Anteil als 2002 stellte diesmal die Frankfurter Rundschau (27% vs. 21%). Bemerkenswert sind auch einige andere Veränderungen. In der FAZ und der FR wurde 2005 ein höherer Anteil der wertenden Aussagen über die Kanzlerkandidaten publiziert, in der SZ hingegen ein deutlich, in der Welt ein etwas geringerer Teil. Generell kann man die Anzahl der wertenden Urteile als einen Indikator für die Intensität der Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidaten interpretieren. 2002 war in der Welt vor allem die Viel-
Die Normalisierung des Sonderfalles?
311
Abbildung 1: Umfang der Wahlkampfberichterstattung 1949-2005 7
1400 1200
Umsatz
Anschläge
6
1000
5
800
4
600
3
400
2
200
1 0
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: Hochrechnung der tatsächlichen Wahlkampfberichterstattung auf Basis einer Stichprobe von 50 Prozent der relevanten Beiträge (n=5.836). 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung
zahl der Fotos und Bilder aufgefallen, mit denen die Wahlkampfberichte illustriert wurden. Drei Fünftel aller gezählten Fotos wurden damals in dieser Zeitung abgedruckt. Im Jahr 2005 halbierte sich dieser Anteil. Neuer "Spitzenreiter" bei den Wahlkampfotos war jetzt mit über einem Drittel die Frankfurter Rundschau (36% vs. 9% 2002). Im Zuge ihres im September 2003 durchgeführten Relaunchs ist die FR zu einer sehr stark mit Farbfotos bebilderten Zeitung geworden (Abbildung 2). In den letzten vier Wochen vor einer Bundestagswahl berichten die Tageszeitungen in der Regel jeden Tag in mehreren Beiträgen über die bevorstehende Wahl und den Wahlkampf. Dabei gibt es nur partielle Schwankungen in der Zahl der täglichen Beiträge. Diese hängen jeweils von "Wahlkampfereignissen" ab, aber auch von konkurrierenden anderen Geschehnissen, für die Platz in der Zeitung benötigt wird. Waren in der viertletzten
312
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Abbildung 2: Anteil der Zeitungen an der Wahlkampfberichterstattung 2005 50 45
Beiträge
Aussagen
Photos
38
40
36
35
30
30
27 24
25 20 15
18 19
25
30
23 19
12
10 5 0 Frankfurter Allgemeine
Frankfurter Rundschau
Südeutsche Zeitung
Die Welt
Basis: 567 Beiträge, 741 wertende Aussagen, 84 Fotos
Woche die Unterschiede pro Tag noch geringfügig, so doch in den restlichen drei Wochen größer. Die meisten Beiträge, nämlich 38, wurden am 3. September publiziert, am Tag vor dem Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel. Bemerkenswert ist, dass am 17. September 2005, dem Tag vor der Bundestagswahl, vergleichsweise wenig Beiträge publiziert wurden. Das waren praktisch nur halb so viel wie 2002, als an dem Samstag vor der Wahl 43 Beiträge veröffentlicht wurden, so viele wie in keiner anderen Ausgabe der Zeitungen in der "heißen" Wahlkampfphase dieses Jahres. Allerdings wird die "Unterzahl" von Artikeln am 17. September 2005 dadurch relativiert, dass diese im Durchschnitt fast vier Mal so lang waren wie die an den Tagen vorher. Deutlich größere Schwankungen als bei den Beiträgen gab es im Laufe des Wahlkampfs bei den Aussagen, die in den journalistischen Beiträgen wiedergegeben oder gemacht werden. Hier hatte sich 2002 schon gezeigt, dass in den Artikeln der Zeitungen nach den Kanzlerduellen eine große Zahl von Aussagen über die Kandidaten vorkam. Das gleiche Phänomen trat auch im Wahlkampf 2005 wieder auf, wenn auch nur ein einziges Mal, be-
Die Normalisierung des Sonderfalles?
313
dingt dadurch, dass lediglich ein TV-Duell des Kanzlerkandidaten und der Kandidatin stattfand. Die meisten Aussagen enthielten jetzt die Zeitungen vom 6. September 2005, deren Zahl übertraf noch sogar diejenige jedes der Duelle 2002. Einen weiteren Gipfel von Aussagen gab es noch am 15. September 2005, nicht wegen bestimmter Ereignisse, sondern aufgrund journalistischer Entscheidungen. An diesem Tag brachten u. a. die FAZ einen ganzseitigen Artikel über Gerhard Schröder, die SZ einen solchen über Angela Merkel (jeweils auf Seite 3). Die Intensität der Aussagen war für uns ebenfalls ein Grund gewesen, die Wahlkampfberichterstattung 2002 als "Sonderfall" einzustufen. Insoweit zumindest scheint sich der Sonderfall zu "normalisieren". 2.2 Darstellungsformen und Platzierung Schon in unserer ersten Studie zu den Bundestagswahlkämpfen im Langzeitvergleich hatte sich gezeigt, dass von den Journalisten dazu zunehmend weniger Nachrichten und Berichte verfasst werden. Die "objektive" Tatsachenberichterstattung ist seit den fünfziger Jahren rückläufig, der Gebrauch "subjektiver" Darstellungsformen (Reportagen, Kommentare) hat sich dagegen verstärkt (Abbildung 3). Das Schaubild belegt diesen langfristigen Trend, in dem es zwar gelegentlich ein Auf und Ab gab, der sich aber letztlich doch kontinuierlich durchzieht und unumkehrbar anmutet. Dieser seit längerem beobachtbare Trend hat sich im Jahr 2005 weiter fortgesetzt. Nur noch bei der Hälfte der Wahlkampfbeiträge handelte es sich um Nachrichten und Berichte. Jeder vierte Beitrag war ein Kommentar oder eine Glosse, jeder sechste eine Reportage (oder ein Feature) und den Rest stellten sonstige Formen (Porträts, Interviews, Dokumentationen). Die meisten Kommentare und Glossen brachte 2005 die Welt (43) vor der Frankfurter Rundschau (35) sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung (je 25). Auch bei den Nachrichten und Berichten führt die Welt (86) vor der SZ (82), der FR (67) und der FAZ (50). Die FR brachte die meisten Interviews. Da aber nur die Hälfte der Beiträge in die Inhaltsanalyse einbezogen wurde, müssen die obigen Zahlen verdoppelt werden, um auf die tatsächlichen Werte zu kommen.
314
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Betrachtet man die Platzierung der Artikel, so stand jeder fünfte der Wahlkampfbeiträge auf der Titelseite der vier Zeitungen, die übrigen vier von fünf waren im Innenteil platziert. Damit war die "Aufmachung" 2005 etwas weniger prominent als drei Jahre zuvor, als sich jeder vierte Beitrag auf der Titelseite befand. Naturgemäß ist die Kapazität der Titelseite von Zeitungen sehr begrenzt, so dass die Varianz bei diesem Indikator nicht so groß sein kann. Abbildung 3: Darstellungsformen der Wahlkampfbeiträge 1949-2005 100
Nachricht/Bericht Kommentar/Glosse Reportage/Feature Sonstiges
89 82
78
80
84 70
75 67 61
64
71
67 62
60
58 56
53
50
40
21
20
20 10
9
15
13
13
14
18
22 17
21
26
24
17
8
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 5.836 Beiträge. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurt Allgemeine Zeitung
2.3 Urheber und Quellen Parallel zu der Veränderung bei den journalistischen Darstellungsformen zeichnete sich schon in der ersten Untersuchung eine andere ab: Im Laufe der Jahrzehnte ist die Wahlkampfberichterstattung immer mehr zu einer Sache der zeitungseigenen Journalisten geworden. Anders gewendet: Der Anteil von Beiträgen, der Nachrichtenagenturen, also von vorgefertigtem
Die Normalisierung des Sonderfalles?
315
Material, das in der Regel allen Zeitungen zur Verfügung steht, hat abgenommen. Wurden in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch ein Drittel bis ein Viertel der Beiträge zu den Wahlkämpfen aus Agenturquellen geschöpft, so in den neunziger Jahren in weniger als einem Viertel, ja 1994 und 2002 nur noch in einem Sechstel. Das hat sich auch 2005 abermals bestätigt (Abbildung 4). Abbildung 4: Urheber und Quellen der Wahlkampfbeiträge 1949-2005 100
80
Eigenbeiträge Agenturbeiträge Sonstige/nicht identifizierbar 76
71
75
71 65
66
31
31
83
66
70
74
72
75
23
22
21
84
83
11
13
77
60 47 37
40 26
27 21
20 3
16
5
3
1
3
26
23 18
2
16
4
3
6
3
16
2
21
2
5
4
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 5.836 Beiträge. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung
3
Themen
Wahlkämpfe werden von Parteien und ihren Kandidaten mit dem Ziel geführt, für sich und für bestimmte Themen und Problemlösungen die Unterstützung der Bevölkerung zu bekommen. Hier wenden wir uns zunächst den Themen zu, um die es in der Wahlkampfberichterstattung ging. Über die einzelnen Wahlen hinweg gibt es bei den Themen gewisse Konstanten, aber auch mitunter Verschiebungen. Einen Gesamtüberblick dazu bietet Tabelle 1.
316
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Tabelle 1: Themen der Wahlkämpfbeiträge (geordnet nach der Häufigkeit 2005) 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005 Gesamt
Wahl/ Wahlkampf
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
%
44
49
64
47
41
49
49
57
43
39
37
30
44
49
46
58
47
Wirtschaft/ Finanzen 5
4
6
1
7
12
5
5
6
14
9
17
12
13
11
12
9
Außenpolitik
5
14
9
24
16
15
7
3
7
13
7
21
2
2
15
5
10
Umfrageergebnisse
1
1
x
1
2
4
1
1
x
2
2
3
3
4
4
4
2
Parteipolitik
17
4
1
4
15
3
9
4
7
6
12
12
18
12
3
4
8
Politik/ Politiker allg. 5
5
5
2
5
1
3
5
6
4
2
2
-
1
4
3
3
Innenpolitik
8
5
6
5
2
6
3
4
8
3
6
7
8
5
2
2
5
Soziales
x
1
1
1
1
2
2
2
2
5
x
2
3
3
3
2
2
Deutschlandpolitik
x
9
4
9
7
1
10
4
3
6
10
-
-
-
-
-
4
Kultur/ Bildung etc.
4
2
x
2
4
3
4
3
10
2
5
2
2
3
2
-
3
Umwelt
-
-
-
-
-
-
x
x
1
2
1
-
1
2
3
-
1
Sonstiges
11
7
6
7
x
5
9
12
7
5
10
6
8
7
6
9
Summe
100 102 101 102 100 102 102 99
n (Beiträge)
241 304 264 299 345 432 439 451 441 351 230 232 253 393 594 567
99 101 101 101 101 101 101 99
7 100 5.836
Anmerkung: Die Werte in der Spalte "Gesamt" ergeben sich aus dem Mittelwert der prozentualen Anteile der einzelnen Jahre.
Auffällig ist 2005, dass die Wahl und der Wahlkampf selbst in einem Ausmaß die zentrale Thematik darstellten, wie lange nicht mehr. 2002 beschäftigten sich damit 45 Prozent der Beiträge, dieses Mal waren es 58 Prozent, also praktisch drei Fünftel. Zuletzt war der Anteil dieses Themas 1976 so hoch gewesen. Entsprechend weniger häufig kamen andere Themen in der Wahlkampfberichterstattung vor. Mit 12 Prozent stand die Wirtschafts- und Finanzpolitik an zweiter Stelle. Sie nahm offenbar keinen höheren Rang ein als bei der vorangegangenen Bundestagswahl. Der Hauptunterschied zu dieser lag 2005 in der viel geringeren Bedeutung der Außenpolitik. Diese hatte 2002 mit 15 Prozent eine – auch langfristig gesehen – außergewöhnliche Rolle gespielt, und zwar wegen des drohenden Irak-Krieges, den Bundeskanzler Gerhard Schröder damals gezielt zum Wahlkampfthema machte. 2005 bot sich die Gelegenheit zu einem außenpolitischen "issue manage-
Die Normalisierung des Sonderfalles?
317
ment" nicht wieder. Der schwelende Atomstreit mit dem Iran gab dergleichen jedenfalls nicht her. So kam die Außenpolitik als Thema 2005 praktisch nur in jedem zwanzigsten Beitrag vor. Bei den übrigen Themenfeldern lässt sich rein quantitativ kaum ein Unterschied zu 2002 ausmachen. Umfrageergebnisse und Parteipolitik kamen je in vier Prozent der Beiträge vor, Soziales (losgelöst vom Wahlkampf) und Innenpolitik in zwei. Praktisch so gut wie gar nicht (mehr) thematisiert wurden in der politischen Berichterstattung die Umwelt und Kultur/Bildung/Religion. Die Deutschlandpolitik ist seit der Wiedervereinigung per definitionem kein Thema der Wahlkämpfe mehr. Um den ziemlich großen Themenbereich Wahl/Wahlkampf weiter zu differenzieren, wurde in der Inhaltsanalyse 2005 zusätzlich dazu eine Reihe von Unterthemen erfasst. Maximal drei konnten pro Beitrag registriert werden. Im Vordergrund der Wahlkampfberichterstattung im engeren Sinne standen die Programme der Parteien (44%). Das heißt, die Beiträge befassten sich auch damit, die Ziele und Pläne der Parteien bekannt zu machen. Alle großen Parteien hatten Wahlprogramme vorgelegt, in denen zum Teil präzise bestimmte Vorhaben angekündigt wurden. Dazu gehörte beispielsweise die von der CDU/CSU geplante, von der SPD aber abgelehnte Mehrwertsteuererhöhung. Ein weiteres Element war die Abstufung der Steuersätze. Tatsächlich gelang es der SPD, die Wahlkampfauseinandersetzung vor allem auf das Regierungsprogramm der Unionsparteien abzustellen und von der Bilanz der eigenen Regierung abzulenken. In jedem dritten der Beiträge der Zeitungen zu Wahl und Wahlkampf waren die Kanzlerkandidaten sowie die Strategien der Parteien ein Thema. Und in jedem fünften wurden die "Schattenkabinette" von CDU/CSU und SPD angesprochen bzw. sonstige Politiker dieser Parteien. Fasst man die zuletzt genannten Aspekte der Wahlkampfberichterstattung zusammen, so zeigt sich das hohe Ausmaß "personaler" im Vergleich zu "sachlichen" Themen. Weil in der langfristigen Inhaltsanalyse die Themen der Berichterstattung zu den Bundestagswahlkämpfen nur immer allgemein erfasst worden sind, können thematische Besonderheiten hier nicht hinreichend beleuchtet werden. Das gilt beispielsweise für die den Wahlkampf 2005 zeitweise beherrschende Auseinandersetzung um den Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof, den Angela Merkel in ihr Team berufen hatte, und um sein Steuerkonzept. Dem ist im Nachhinein eine wahlentscheidende Bedeutung zugemessen worden.
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Abbildung 5: Wichtigste Themen der Wahlkampfberichte 2005 im Zeitverlauf 70 60
59 53
50
Wahlkampf Wirtschaft/Finanzen
40
Außenpolitik Umfragen
30 19
20 10
62
59
13 8
8
0 4 Wochen vorher
3 Wochen vorher
2 Wochen vorher
Woche vor der Wahl
Basis: 567 Beiträge
Welche Rolle die Hauptthemen in den Wahlkampfbeiträgen in den letzten vier Wochen vor der Wahl gespielt haben, zeigt Abbildung 5. Während die Wahl und der Wahlkampf (einschließlich der genannten Unterthemen) noch an Bedeutung gewannen, lag der Hauptumschwung darin, dass Wirtschaft und Finanzen von der vierten bis zur zweiten Woche vor der Wahl als Gegenstände der Berichterstattung zunahmen (Beiträge mehr als verdoppelt, von 8% auf 19%). In der letzten Woche trat diese Thematik dann wieder zurück. Zumindest in diesem Zusammenhang wird man vielleicht einen "Kirchhof"-Effekt erkennen können. Von den Aspekten des Themas Wahlkampf, die wir unterschieden haben, verlor in den letzten vier Wochen vor dem 18. September vor allem die Strategie der Parteien an Bedeutung. Die Programme traten zwischenzeitlich etwas zurück, während die Kanzlerkandidaten in der dritten und zweiten Woche vor der Wahl wichtiger wurden. Das dürfte durch die TV-Duelle bedingt gewesen sein. In der letzten Woche des Wahlkampfs traten aber wieder die Programme gegenüber den Kandidaten in den Vordergrund.
Die Normalisierung des Sonderfalles? 4
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Personalisierung
Ob es einen Trend zur "Personalisierung" der Medienberichterstattung gibt, wird nicht nur im Zusammenhang mit der Politik-, sondern beispielsweise auch für die Wirtschaftsberichterstattung diskutiert (dazu z. B. Maurer & Reinemann, 2006). Unter Personalisierung wird dabei ganz allgemein eine Entwicklung verstanden, bei der konkrete Einzelpersonen immer stärker zum Deutungsmuster komplexer Sachverhalte und Anker von Bewertungen werden (Holtz-Bacha, 2003, S. 20). In der Wahlkampfberichterstattung kann sich Personalisierung beispielsweise in einer stärkeren Konzentration auf die Kandidaten und/oder einer stärkeren Hervorhebung eher politikferner Eigenschaften zeigen. Für die Zeit zwischen 1949 und 1998 war insgesamt keine lineare Steigerung der Personalisierung zu beobachten gewesen. 2002 gab es dann deutlich mehr wertende Aussagen über die Kandidaten und diese betrafen in so großem Umfang wie noch nie ihr Auftreten, also etwa ihre rhetorischen Fähigkeiten und ihre mediale "Performance". Ursache waren die 2002 erstmals nach amerikanischem Vorbild veranstalteten TVDuelle (Wilke & Reinemann, 2003). Um die Personalisierung der Berichterstattung 2005 zu prüfen, untersuchen wir die Kandidatenbezüge der Beiträge, die Intensität der Kandidatenbewertung und der Eigenschaftsdimensionen, nach denen die Kandidaten in der Berichterstattung bewertet wurden. Von den untersuchten Beiträgen der vier Qualitätszeitungen hatten 71 Prozent einen Bezug zu Gerhard Schröder und/oder Angela Merkel. Das war etwas weniger als 2002 (75%), aber etwas mehr als 1998 (66%) und 1994 (64%). Insofern liegt die Bundestagswahl 2005 im Rahmen des Normalen. Bedenkt man allerdings den großen Umfang der Berichterstattung, so hat es bis auf die Wahl 2002 keine andere gegeben, bei der die Kandidaten in so vielen Artikeln erwähnt wurden. Sie sind für die Rezipienten also auch deutlich präsenter. Die untersuchten Blätter unterschieden sich dabei kaum. Am häufigsten kamen die Kandidaten in der Welt vor (75%), am seltensten in der FAZ (67%). Ungewöhnlich sind dagegen die Befunde hinsichtlich der relativen Präsenz von Kanzler und Herausforderin: Einen Bezug zum amtierenden Kanzler gab es nur in 50 Prozent der Beiträge, in 56 Prozent jedoch einen Bezug zur Herausforderin. Damit zeigt sich im Gegensatz zu den meisten vorherigen Wahlen kein Kanzlerbonus. Zuvor war nur 1980, 1983 und 1998 kein klarer Kanzlerbonus festzustellen gewesen. Das Ausmaß des Präsenz-Vorsprungs von Angela Merkel war dabei mit
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
sechs Prozentpunkten so groß wie bei keiner Wahl zuvor (Abbildung 6). Sogar noch etwas ausgeprägter ist ihr Vorsprung, wenn man nur die Artikel mit dem zentralen Thema Wahl/Wahlkampf in Betracht zieht (61% vs. 51%). Abbildung 6: Kandidatenbezug in den Wahlkampfbeiträgen (in %) 100 Bezug zu mindestens einem Kandidaten Bezug zum Kanzler Bezug zum Herausforderer
79
80
71 62 60
58
62
59 54
75 67
66
75 64
71
66
55
40
20
19
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 5.867 Beiträge. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1949 wurde Konrad Adenauer als Kanzler verschlüsselt.
Für die Bundestagswahlen zwischen 1949 und 1998 hatten wir festgestellt, dass die Anzahl der wertenden Aussagen vor allem ein Indiz für die Schärfe der Auseinandersetzung um die Kandidaten ist. Die Wahl 2002 hatte sich in dieser Hinsicht dramatisch von den bisherigen Wahlen unterschieden. Im Vergleich zu 1998 war die Zahl der Bewertungen um mehr als das fünffache angestiegen und lag auch etwa fünfmal so hoch wie der langjährige Durchschnitt für die Jahre 1949-1998. Als Ursache dieser immensen Steigerung konnten wir die beiden TV-Duelle ausmachen. Allein an den beiden auf die Duelle folgenden Tagen enthielten die Zeitungen ein Drittel aller im Untersuchungszeitraum publizierten wertenden Urteile über die Kandidaten. Während des Wahlkampfs 2005 veröffentlichten die untersuchten Blätter wieder fast ebenso viele wertende Urteile über die Kandidaten wie 2002
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(n=741). Auch die durchschnittliche Zahl der Aussagen pro Beitrag blieb mit 1,3 auf dem 2002 festgestellten, im Vergleich zu allen früheren Wahlen außergewöhnlich hohen Niveau (1949-1998: 0,48) (vgl. Abbildung 7). Anders jedoch als 2002 war die hohe Bewertungsintensität nur zum Teil ereignisbedingt. Zwar führte auch 2005 das TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel zu einem schon 2002 beobachteten Höhepunkt der medialen Auseinandersetzung mit den Qualitäten der Kandidaten. Die Anzahl der Aussagen am Dienstag nach dem Duell lag mit 109 ähnlich hoch wie nach den beiden Duellen 2002 (103 bzw. 101). Da es jedoch diesmal nur eine Fernsehdebatte gab, machten die Bewertungen im Kontext dieses wichtigsten Wahlkampf-Medienereignisses nicht mehr ein Drittel, sondern nur noch 18 Prozent aller wertenden Aussagen aus. Abbildung 7: Intensität der Kandidatenbewertung 800
760 Aussagen insgesamt Aussagen über den Kanzler Aussagen über den Herausfoderer/die Herausforderin
700
741
600 500 400 294
300 200
158
100 0
71
94
163
201
173
195
191
156
128
153
84
1 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 3.565 Aussagen. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1949 wurde Konrad Adenauer als Kanzler verschlüsselt. Stichprobe von 50 Prozent der relevanten Beiträge.
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Betrachtet man, wann und wo weitere Schwerpunkte der Kandidatenbewertung lagen, dann fallen insbesondere der Donnerstag (n=76) und der Samstag unmittelbar vor der Wahl auf (n=69). Insgesamt enthielten die letzten drei Ausgaben der Qualitätszeitungen vor dem Wahltag fast ein Viertel aller wertenden Aussagen (23%) im Untersuchungszeitraum. Die Redaktionen lenkten dabei in einer ganzen Reihe von umfangreichen Kommentaren, Porträts und Reportagen den Blick nochmals in starkem Maße auf die Kandidaten selbst. Noch nie vor einer Bundestagswahl wurde das Medienpublikum in den letzten Tagen mit einer so hohen Zahl von wertenden Urteilen über die Kandidaten konfrontiert. Ob sich darin die bis zuletzt erbittert geführte Wahlkampfauseinandersetzung spiegelt oder die Redaktionen den vielen unentschlossenen Wählern eine letzte Hilfestellung geben wollten, dies können wir hier allerdings nicht klären. Das hohe Niveau der Kandidatenbewertung war 2005 also nur in Teilen durch die TV-Duelle verursacht. Die Vielzahl der Aussagen resultiert vielmehr daraus, dass die Journalisten der untersuchten Zeitungen die Kandidaten verstärkt selbst zum Thema machten, auch ohne dass dies durch ein externes Ereignis verursacht worden wäre. Möglicherweise ist dies ist ein Indiz für eine bedeutsame Veränderung in der Wahlkampfberichterstattung: Die 2002 wesentlich durch die TV-Duelle induzierte Personalisierung setzt sich in der Presseberichterstattung auch ohne auslösendes Ereignis fort. Raum für die Bewertung der Kandidaten bieten dabei in starkem Maße die subjektiv geprägten journalistischen Darstellungsformen, die – wie wir oben gezeigt haben – immer größeren Raum in der Wahlkampfberichterstattung einnehmen. Wie schon 2002 erwies sich auch 2005 die Welt als das Blatt, in dem die Kandidaten mit Abstand am intensivsten bewertet wurden. 38 Prozent aller Aussagen waren hier zu finden. In der Frankfurter Rundschau wurden nur 24, in der Frankfurter Allgemeinen und der Süddeutschen Zeitung nur jeweils 19 Prozent der wertenden Aussagen publiziert. Wenn man die Zahl der veröffentlichten Artikel berücksichtigt, erweist sich die Welt ebenfalls als besonders bewertungsfreudig, während die Süddeutsche Zeitung im Verhältnis zum Gesamtumfang ihrer Berichterstattung die wenigsten wertenden Aussagen über Gerhard Schröder und Angela Merkel veröffentlichte. Trotz der weit überdurchschnittlichen Häufigkeit, mit der die Welt die Kandidaten bewertete, zeigte sich bei den wertenden Aussagen kein Präsenzbonus für den Kanzler. Ganz anders als bei den meisten anderen Bun-
Die Normalisierung des Sonderfalles?
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destagswahlen wurden Herausforderin und Amtsinhaber fast gleich häufig bewertet (376 vs. 365). Im Vergleich zu 2002 wurde Gerhard Schröder wesentlich seltener bewertet, die Herausforderin dagegen sehr viel häufiger als ihr Vorgänger Edmund Stoiber. Ein Überhang von Aussagen über den Kanzler ist dabei in der Süddeutschen Zeitung (56 vs. 44%) und der Welt festzustellen (53 vs. 47%). Mehr wertende Aussagen über Angela Merkel als über Gerhard Schröder brachten die Frankfurter Rundschau (60 vs. 40%) und die FAZ (53 vs. 47%). Dies lässt wiederum vermuten, dass die Anzahl der wertenden Aussagen nicht gleichbedeutend mit einer besonders positiven Bewertung eines Kandidaten bzw. einer Kandidatin ist. Die TV-Duelle hatten 2002 nicht nur zu einer deutlichen Steigerung der Aufmerksamkeit für die Kandidaten, sondern auch zu einer Verschiebung innerhalb der Dimensionen geführt, nach denen die Kandidaten in der Berichterstattung bewertet werden. Besonders auffällig waren die geringe Bedeutung von Sachkompetenz und Managementfähigkeiten (29% aller Aussagen) sowie die enorme Wichtigkeit des Auftretens, der rhetorischen Fähigkeiten und äußeren Merkmale der Kanzlerkandidaten. Fast ein Viertel (23%) der Aussagen hatte sich mit diesen Eigenschaften beschäftigt. Damit publizierten die Zeitungen 2002 16mal so viele wertende Aussagen über diese "Performance"-Qualitäten der Kandidaten wie noch 1998 (Wilke & Reinemann, 2003). Betrachtet man die letzten vier Wochen vor der Wahl 2005, dann ergibt sich hier ein ähnlich verblüffender Befund wie im Hinblick auf die Intensität der Kandidatenbewertung: Obwohl diesmal nur ein TV-Duell stattfand, lag der Anteil der Bewertungen der Performance-Qualitäten erneut auf dem hohen Niveau von 2002. Erneut entfielen 22 Prozent aller Aussagen über Angela Merkel und Gerhard Schröder auf diese Eigenschaftsdimension. Im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt blieb der Anteil der publizierten Aussagen über Sachkompetenz und Managementfähigkeiten niedrig (31%). Deutlich seltener als 2002 wurde in den Zeitungen die Persönlichkeit (z. B. Glaubwürdigkeit) ein Kriterium zur Beurteilung der Kontrahenten (21%). Mit Ausnahme von 1949 spielte die Persönlichkeit nur im Vorfeld der Wahl 1998 eine noch geringere Rolle (19%) in der Medienberichterstattung. Die Bedeutung der Grundhaltungen (z. B. Konservatismus) lag dagegen mit einem Anteil von fünf Prozent im langjährigen Trend. Neben der erneut sehr hohen Relevanz der Performance-Qualitäten sticht 2005 vor allem die Wichtigkeit von Aussagen hervor, in denen das
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Verhältnis der Kandidaten zu anderen Akteuren bewertet wurde. Im langjährigen Mittel der Wahlkämpfe 1949-2002 beschäftigten sich damit etwa neun Prozent der wertenden Urteile. 2005 waren es dagegen fast 22 Prozent. Ursache dafür war in erster Linie, dass intensiver als sonst das Verhältnis der Kandidaten zu ihrer eigenen Partei bzw. anderen Vertretern der eigenen Partei beurteilt wurde. Dies traf besonders auf Angela Merkel zu. Fast zehn Prozent aller wertenden Aussagen über sie befassten sich mit ihrem Verhältnis zur CDU und anderen CDU/CSU-Politikern. Analysiert man die Verteilung der Bewertungsdimensionen, dann wird klar, dass wie 2002 der wesentliche Grund für die hohe Bedeutung der Performance-Qualitäten das TV-Duell war. An den beiden Tagen nach dem Duell erschienen 43 Prozent, an den beiden Tagen vor dem Duell nochmals 15 Prozent aller dieser Aussagen. Am Dienstag nach dem Duell machten Urteile über die "Performance" von Angela Merkel und Gerhard Schröder mehr als die Hälfte aller wertenden Aussagen aus. Erneut hat das TV-Duell offenbar in der Presse nicht zu einer Diskussion über die Kompetenz der Kandidaten geführt. Auch im Hinblick auf die Bewertungen des Verhältnisses der Kandidaten zu anderen Akteuren offenbart eine tageweise Analyse Interessantes: 43 Prozent dieser Aussagen erschienen erst in den letzten vier Tagen vor der Wahl. Die Beziehungen zu anderen Akteuren machten an diesen Tagen nicht weniger als ein Drittel aller wertenden Urteile aus und wurden damit zum wichtigsten Urteilskriterium der Schlussphase der Wahlkampfberichterstattung. Dabei stammten die Hälfte dieser Aussagen von den schreibenden Journalisten selbst und fanden sich meist in den bereits erwähnten Porträts und Reportagen. Dies bedeutet, dass die Redaktionen die Beziehungen der Kandidaten zu anderen Akteuren in den letzten Wahlkampftagen aus eigenem Antrieb zum quantitativ wichtigsten Urteilskriterium machten. Vergleicht man, welche Eigenschaften bei der Bewertung Gerhard Schröders und welche bei der Beurteilung Angela Merkels im Mittelpunkt standen, dann gibt es – ganz anders als 2002 – keine gravierenden Unterschiede. Kandidatin und Kandidat wurden also nicht nur ähnlich häufig, sondern auch nach den selben Kriterien bewertet. Auch dies ist im langfristigen Vergleich eher untypisch, denn bei den bisherigen Bundestagswahlen waren insbesondere Kompetenz und Managerfähigkeiten in der Regel ein wesentlich wichtigeres Kriterium zur Beurteilung der Amtsinhaber gewesen, was damit zu hat, dass sie anhand ihrer bisherigen Leistungen im Amt beur-
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teilt werden können. Auch die inhaltliche Bewertungsstruktur lässt also im Wahlkampf 2005 nicht erkennen, dass Amtsinhaber und Herausforderin anders behandelt worden wären. 5
Authentizität
In den USA ist die durchschnittliche Länge der verbalen bzw. visuellen Zitate politischer Kandidaten im Fernsehen und in der Presse seit den sechziger Jahren deutlich zurückgegangen. Seit den 1990er Jahren ist die durchschnittliche Länge der Sound-bites der Präsidentschaftskandidaten allerdings auf niedrigem Niveau relativ stabil (Media Monitor, 2004). In den von uns untersuchten Qualitätszeitungen verringerten sich seit 1980 ebenfalls sowohl der Gesamtumfang als auch die durchschnittliche Länge der Zitate der Kanzlerkandidaten. Dies galt allerdings nicht für die FAZ, die den Umfang ihrer Zitate im gleichen Zeitraum sogar steigerte. In der Wahlkampfberichterstattung des Fernsehens war seit 1990 ebenfalls eine Verkürzung der durchschnittlichen Länge der O-Töne, jedoch gleichzeitig ein steigender Gesamtumfang der Zitierung festzustellen (Schulz & Zeh, 2004; dazu auch Donsbach & Jandura, 2005). Die Berichterstattung über die vorletzte Bundestagswahl 2002 hatte hier in mancher Hinsicht einen langjährigen Trend beendet. Nie hatten mehr Beiträge Zitate der Kandidaten enthalten (32%), nur selten waren sie insgesamt so umfangreich gewesen (2.628 Zeilen). Für die Wahlberichterstattung 2005 haben wir die Zitierung der Kanzlerkandidaten erneut untersucht. Dabei war ein Zitat als die wörtliche oder in indirekter Rede stattfindende Wiedergabe von Aussagen der Kanzlerkandidaten definiert. Ein erster Hinweis auf die Bedeutung von Zitaten der Kandidaten ist der Anteil der Beiträge, in denen überhaupt Zitate vorkommen. 2005 ging dieser Anteil wieder auf ein normales Maß von 23 Prozent zurück und lag damit wieder etwa so hoch wie 1998. Ähnliches gilt für die Gesamtlänge der Zitierung. Sie ging von 2002 um 1.000 Zeilen auf 1.688 zurück und erreichte damit wieder etwa das Niveau der Jahre 1990-1998. Zumindest in dieser Hinsicht scheint 2002 also wirklich ein Ausnahmejahr gewesen zu sein (Abbildung 8).
326
Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
Abbildung 8: Umfang der Zitierung der Kanzlerkandidaten 3500 3257
Gesamt
Kanzler
Herausforderer/in
3000 2592 2500
2371
2640
2103
1952
2000
2628
2409 1938
1664 1519
1500
1686
1643 1390
1074 1000 551 500
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 5.269 Beiträge. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung. Stichprobe von 50 Prozent der relevanten Beiträge
Die Analyse der Zitierung von Kanzler und Herausforderin erbringt ähnliche Ergebnisse wie eine Reihe anderer Indikatoren zuvor: Erstmals seit 1983 und anders als bei den meisten Wahlen zuvor gab es bei der Zitierung keinen Kanzlerbonus. Angela Merkel wurde in 15 Prozent der Beiträge mit 903 Zeilen deutlich umfangreicher zitiert als Gerhard Schröder, der in 12 Prozent der Artikel mit nur 783 Zeilen in eigenen Worten vorkam. Damit reduzierte sich im Vergleich zu 2002 die Zitierung Gerhard Schröders um knapp die Hälfte, die Zitierung des Herausforderers bzw. der Herausforderin dagegen nur um ein etwa Viertel. Anders als der Gesamtumfang der Zitate reduziert sich die durchschnittliche Länge der Zitate in den einzelnen Beiträgen. Aufgrund der zwischen den Wahljahren stark schwankenden Beitragszahlen ziehen wir hier – anders als in früheren Veröffentlichungen – nur die Beiträge heran, in denen die Kandidaten tatsächlich zitiert werden. Das hat den Vorteil, dass man
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einen plastischeren Eindruck davon bekommt, in welchem Umfang die Kontrahenten zu Wort kommen, wenn ihre Aussagen referiert werden. Eine strukturelle Reduktion der Chance der Kandidaten, ihre Vorstellungen und Ideen im Zusammenhang zu präsentieren, lässt sich so am besten nachweisen. Im langjährigen Mittel der Jahre 1949-2002 hatten die Zitate der Kandidaten pro Artikel mit Zitat eine Gesamtlänge von 22 Zeilen. Zwischen 1987 und 2002 reduzierte sich die Durchschnittslänge kontinuierlich von 31 auf 14 Zeilen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 reduzierten die Qualitätszeitungen die Zitate nochmals um eine auf 13 Zeilen. Dies war der niedrigste Wert seit 1949. Der Trend zu immer kürzeren "text-bites" der Kanzlerkandidaten setzte sich also fort (vgl. Abbildung 9). Abbildung 9: Durchschnittliche Länge der Zitierung der Kanzlerkandidaten in Wahlkampfbeiträgen mit Zitaten (Summe beider Kandidaten) 250
40 Anzahl der Beiträge mit Zitaten Durchschnittliche Länge der Zitate
200
30
26
25
24 24
22
150
21 22
20
20 16 100
31
29
18
20 16 14
13 10
50
0
0 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 1.970 Beiträge mit Zitaten der Kandidaten. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung. Stichprobe von 50 Prozent der relevanten Beiträge
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann Visualisierung
Zu den auffälligsten Veränderungen der Wahlkampfberichterstattung deutscher Tageszeitungen gehört in jüngerer Zeit die zunehmende Visualisierung durch die Verwendung von Fotos (Wilke, 2004). Bis zur Bundestagswahl 1998 hielt sich die Illustration der Wahlkampfberichte sehr in Grenzen. Im Jahr 2002 kam es dann geradezu zu einem Visualisierungsschub. Auch diesbezüglich trifft das Etikett vom "Sonderfall" zu. Die Anzahl der verwendeten Fotos in den vier untersuchten Tageszeitungen verdreifachte sich. Damit zeichnete sich ab, dass Bilder immer stärker zu Wirkungsfaktoren auch der gedruckten (Tages-)Presse werden. Eine zunehmende Visualisierung der Wahlkampfberichterstattung ist auch für die Fernsehnachrichten nachgewiesen worden (z. B. Maurer & Kepplinger, 2003; Schulz & Zeh, 2004) und wird durch die Einführung neuer visueller Medienereignisse wie der TVDuelle weiter verstärkt (Maurer & Reinemann, 2003). Die starke visuelle Präsenz von Politikern ist von entscheidender Bedeutung für die Wirkung der Wahlkampfberichterstattung. Denn visuelle Informationen lenken die Aufmerksamkeit der Rezipienten von Sachfragen und eher politischen Eigenschaften auf eher persönliche und äußerliche Eigenschaften der Politiker. Bilder vermitteln zwar Informationen über die Persönlichkeit der Kandidaten, sagen jedoch kaum etwas über ihre Sachkompetenz aus. Textliche bzw. verbale Informationen können dagegen sowohl Informationen über die Persönlichkeit als auch über die Sachkompetenz von Politikern vermitteln. Dabei prägen die visuellen Informationen eines Beitrags den Gesamteindruck von einem Politiker sehr viel stärker als die verbalen Informationen (Kepplinger & Maurer, 2005). Man kann den Visualisierungstrend deshalb auch als einen weiteren Indikator für die zunehmende Personalisierung der Kandidatendarstellung ansehen. Wie Abbildung 10 zeigt, hat sich der 2002 begonnene Trend im Jahr 2005 fortgesetzt und verstärkt. Rechnet man unsere Stichprobe hoch, dann wurden in den letzten vier Wochen vor der Wahl mehr als 160 Fotos der Kanzlerkandidaten von den Zeitungen veröffentlicht, auf denen Gerhard Schröder und Angela Merkel 196mal abgebildet waren. Die relativ hohe Zahl von Fotos, auf denen beide Kandidaten gleichzeitig zu sehen waren, geht dabei im wesentlichen auf das TV-Duell und die letzten Bundestagsdebatte zurück. Wurde 1998 im Durchschnitt noch jeder zwanzigste Artikel mit einem Foto der Kandidaten illustriert, so war es 2005 schon jeder sechs-
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te. Wie an früherer Stelle schon vermerkt, brachte 2005 die Frankfurter Rundschau die meisten Bilder (36%), gefolgt von der Welt (30%) und der Süddeutschen Zeitung (23%). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, obwohl auch sie mittlerweile mehr auf Visualität setzt, blieb das Organ mit den wenigsten Kandidatenbildern (12%). Abbildung 10: Abbildungen der Kandidaten 1949-2005 (hochgerechnet) 220 196
200 Abbildungen insgesamt 180
Abbildungen Kanzler
160
Abbildungen Herausforderer/in
140
127
120 100 80 60 32
40 17
20 0
1
29 14
15
17
44
44 25
31
25
29
8
1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: 654 Abbildungen der Kandidaten. Hochrechnung auf Basis einer Vollerhebung der "Einzelbilder" und 50%-Stichprobe der "Beitragsbilder". 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Durch die starke Vermehrung der Bilder in den Tageszeitungen sind die Kanzlerkandidaten der Parteien darin auch visuell viel präsenter als früher. Dabei wurde die CDU-Vorsitzende nur wenige Male seltener abgebildet als der Kanzler. Von einem "visuellen Kanzlerbonus" kann nicht gesprochen
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Jürgen Wilke & Carsten Reinemann
werden. Das war 2002 noch anders gewesen, als Bilder Schröders viel häufiger veröffentlicht wurden als die seines Gegenkandidaten Edmund Stoiber. Allerdings unterschieden sich die vier Zeitungen etwas hinsichtlich der Bildmotive. Die Frankfurter Rundschau brachte beispielsweise mehr Fotos, auf denen Schröder allein abgebildet war, als solche, auf denen Angela Merkel allein zu sehen war. Die SZ hatte hingegen mehr Fotos mit Angela Merkel allein und auch mehr mit beiden Kandidaten zusammen als die anderen Zeitungen. Jeweils jedes zehnte Bild war eine Porträtaufnahme oder ein Gemeinschaftsfoto beider Kandidaten, etwa jedes fünfte zeigte einen Wahlkampfauftritt. Von den Fernsehauftritten stammten sieben Prozent der Bilder. Fotos aus dem Privatleben der Kandidaten fehlten so gut wie ganz. 7
Negativismus und politische Tendenzen
Obwohl die Medien die Funktion haben, Missstände aufzudecken, Fehlentwicklungen in der Politik aufzudecken und auch einen Wahlkampf kritisch zu begleiten, kann eine übertrieben kritische Politikdarstellung zu Politikverdrossenheit führen, die durch die tatsächliche Ereignislage nicht gerechtfertigt ist. Es ist deshalb immer wieder untersucht worden, wie negativ deutsche Medien die Politik darstellen (Maurer & Reinemann, 2006). In unserer Analyse der Wahlen seit 1949 zeigte sich bei einer zusammenfassenden Betrachtung beider Kandidaten seit 1980 stets ein Übergewicht negativer Beiträge. Nur 1990 bei der "Wiedervereinigungs-Wahl" erreichte Helmut Kohl bei der Zusammenfassung aller Zeitungen noch einmal einen positiven Saldo. Ähnliche Befunde ergeben sich auch für die Wahlkampfberichterstattung der Bild-Zeitung zwischen 1990 und 2002 (Semetko & Schönbach, 2003) sowie der Fernsehnachrichten von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 zwischen 1990 und 1998 (Schneider, Schönbach & Semetko, 1999). Als Indikator für die Tendenz der Darstellung der Kandidaten dient hier wie in den früheren Analysen der Saldo des Anteils positiver und negativer Beiträge über die Kandidaten. Die Basis bilden die Beiträge mit Bezug zu den Kandidaten. In den letzten vier Wochen vor der Wahl 2005 war in der Hälfte dieser Beiträge eine Tendenz zu erkennen. Damit wurden die Kontrahenten zwar nicht ganz so häufig bewertet wie 2002 (55%), jedoch deutlich häufiger als im Durchschnitt aller bisherigen Wahlen (40%). Die Zeitungen stellten Gerhard Schröder und/oder Angela Merkel in 24 Prozent
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der Beiträge negativ, in 10 Prozent positiv und in 16 Prozent der Artikel ambivalent dar. Wie auch in den meisten Wahljahren zuvor überwog also 2005 eine negative Darstellung der Kanzlerkandidaten. Der Saldo von -14 erreicht zwar nicht den Minusrekord von 2002, ist aber dennoch schlechter als alle anderen Werte seit 1980 (Abbildung 11). Wenn man die Beurteilung von Kandidat und Kandidatin vergleicht, so setzt sich der seit 1980 zu beobachtende Trend ebenfalls fort. Fasst man alle Zeitungen zusammen, so gibt es für Angela Merkel (-16) und Gerhard Schröder (-12) jeweils ein deutliches Übergewicht negativer Beiträge. 24 Prozent aller Beiträge mit Bezug zum amtierenden Kanzler waren negativ, 12 Prozent positiv. Von den Artikeln, in denen die Herausforderin vorkam, waren ebenfalls 24 Prozent negativ, aber nur 8 Prozent positiv (Abbildung 11). Abbildung 11: Tendenzen der Kandidatenbewertung (Saldo der Anteile positiver und negativer Beiträge mit Kandidatenbezug) 30 Kandidaten von CDU/CSU
20
Kandidaten der SPD Gesamt
10
0
-10
-20
-30 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005
Basis: Beiträge mit Bezug zu den Kandidaten der CDU/CSU und mit Bezug zu den Kandidaten der SPD. 1949: Der Tagesspiegel statt Frankfurter Allgemeine Zeitung
Auch in unserer Studie haben sich bei der Beurteilung der Kanzlerkandidaten immer wieder die politischen Linien der vier untersuchten Qualitätszeitungen gezeigt. Allerdings beurteilen die Zeitungen auch Kandidaten, die
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ihnen eigentlich nahe stehen sollten, zuweilen äußerst kritisch. Die politische Linie determiniert die Bewertung politischer Kandidaten also nur zu einem Teil bzw. nicht in allen Fällen. Zudem zeigt sich die Grundhaltung eines Blattes oftmals eher in deutlicher Kritik am abgelehnten als in euphorischer Zustimmung zum favorisierten Kandidaten. Die Befunde für 2005 bestätigen diese Beobachtungen erneut. Indikator ist auch hier der Saldo aus dem Anteil negativer und dem Anteil positiver Artikel, wobei ambivalente Beiträge unberücksichtigt bleiben. Nur die Redakteure der Frankfurter Rundschau und mit Abstrichen der Frankfurter Allgemeinen bewerteten die Kanzlerkandidaten so, wie man es aufgrund der Position ihres Blattes im politischen Spektrum erwarten würde: In der FR wurde Gerhard Schröder überwiegend positiv (+12), Angela Merkel deutlich negativ (-26%) beurteilt. Damit bewertete die FR Gerhard Schröder mit Abstand am besten und war gleichzeitig die einzige Zeitung, die mehr positive als negative Artikel über ihn publizierte. In der FAZ dagegen fiel das Urteil über die Herausforderin zwar deutlich besser aus als über den Kanzler. Der Überhang positiver Artikel über Angela Merkel war jedoch marginal (+1) und der Überhang negativer Artikel über Gerhard Schröder nur halb so groß wie etwa in der FR (+12). Wie bereits 2002 beurteilten die Süddeutsche Zeitung und die Welt zwar jeweils den Kandidaten besser, der ihnen aufgrund ihrer politischen Linie näher stehen dürfte. Dennoch überwogen in beiden Blättern für beide Kontrahenten die negativen Beiträge. Besonders ausgeprägt war dieser Negativismus erneut in der Süddeutschen Zeitung (-12 vs. -26), etwas schwächer in der Welt (-19 vs. -6). Wie schon 2002 waren beide Zeitungen offenbar mit keinem der Kandidaten so recht zufrieden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie ihre Haltung zu einem möglichen Regierungswechsel nicht deutlich gemacht hätten. Ein in dieser Form einmaliges Indiz dafür ist der Aufmacher der Welt am Tag vor der Wahl, dem 17. September. Unter der Überschrift "Mehr Deutschland, weniger Staat" plädiert Chefredakteur Roger Köppel so ausdrücklich für eine schwarz-gelbe Koalition, dass man wohl von einem klassischen "Endorsement" nach britischem Vorbild sprechen muss. Derart explizit hatte sich in Deutschland bislang nur die Financial Times positioniert (vgl. Abbildung 12).
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Abbildung 12: Tendenzen der Kandidatenbewertung 2002 nach Zeitungen (Saldo positiver und negativer Beiträge mit Kandidatenbezug) 30 Schröder
20
Merkel
10 0 -10 -20 -30 Frankfurter Rundschau
Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine
Die Welt
Basis: 567 Beiträge
8
Zusammenfassung und Diskussion
In diesem Beitrag haben wir eine Langzeitanalyse der Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten der Jahre 1949 bis 2002 fortgesetzt (Wilke & Reinemann, 2000; Wilke & Reinemann, 2003). Sie gibt uns die Möglichkeit, die Entwicklung wesentlicher Merkmale der Wahlkampfberichterstattung über mehrere Jahrzehnte zu verfolgen. So können Trends nachge zeichnet oder die Folgen neuer Wahlkampfelemente, wie etwa der TV- Duelle,für die Wahlkampfberichterstattung aufgedeckt werden. Die Langzeitperspektive bewahrt dabei davor, Einmaliges sofort als Trend zu bezeichnen und lässt manch scheinbar Neues als doch nicht ganz so neu erscheinen. Im Rahmen dieser Analyse standen neben den formalen und thematischen Merkmalen der Berichterstattung erneut die Personalisierung, Authentizität und politische Färbung im Vordergrund. Daneben haben wir uns auch mit der Visualisierung der Berichterstattung befasst. (1) Über die Bundestagswahl 2005 berichteten die vier untersuchten Qualitätszeitungen wieder genauso intensiv wie über die Wahl 2005. Noch 1998 hatte der Gesamtumfang der Berichterstattung um die Hälfte niedriger
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gelegen. Am meisten berichtete die Welt, gefolgt von FR, Süddeutscher Zeitung und FAZ. Offensichtlich hat sich der Bundestagswahlkampf als Thema etabliert, dem eine außerordentliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Ursachen dafür dürften sein, dass die Bundestagswahlkämpfe strukturell spannender geworden sind. Da die Loyalitäten der Wähler zu den Parteien abgenommen und der Anteil an "late deciders" dramatisch zugenommen hat, spielen kurzfristige Ereignisse und Entwicklungen sowie die Wahlkampfanstrengungen der Parteien eine immer wichtigere Rolle. Dies erhöht auch die Einflussmöglichkeiten des politischen Journalismus, die er durch kritische Betrachtung der politischen Akteure, aber auch durch eigenständiges Agenda-Setting nutzen kann. (2) Hinsichtlich der journalistischen Darstellungsformen und der Quellen bzw. Urheber der Berichterstattung bestätigten sich Entwicklungen, die wir bereits für die Wahlen 1949 bis 2002 festgestellt haben. Während der Anteil von Nachrichten und Berichten weiter absank, veröffentlichten die vier Qualitätsblätter 2005 erneut außerordentlich viele kommentierende Beiträge. Sie machten knapp ein Viertel der Artikel aus. Dem entspricht, dass auch der Anteil der Eigenbeiträge ähnlich hoch, die Übernahme von Agenturtexten ähnlich niedrig wie 2002 lag. (3) Neben dem Wahlkampf selbst spielte in den untersuchten Berichten die Wirtschaftspolitik die größte Rolle. Innerhalb des Themas Wahlkampf waren die Programme und inhaltlichen Absichten der Parteien am wichtigsten. Innerhalb der letzten vier Wochen vor der Wahl war eine gravierende Verschiebung der Themen hin zum Bereich Wirtschaft und Finanzen feststellbar. Die Ursache dafür dürfte die Debatte um Paul Kirchhof sowie die von der Union geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung gewesen sein, die von der SPD im Wahlkampf intensiv für negative campaigning genutzt wurde. (4) Die Wahlkampfberichterstattung 2005 war wie 2002 erneut sehr stark personalisiert. Der Anteil von Beiträgen mit Kandidatenbezug war relativ groß und die Kandidaten wurden wieder in weit mehr Artikeln erwähnt als in allen Wahlen vor 1998. Obwohl diesmal nur ein TV-Duell stattgefunden hat, publizierten die Zeitungen wieder genauso viele wertenden Urteile und maßen Auftreten und medialer "Performance" eine ebenso große Bedeutung zu wie schon 2002. Letzteres deutet darauf hin, dass die Einführung der TV-Duelle 2002 zu einer Verschiebung der Beurteilungskriterien für die Kanzlerkandidaten geführt hat, die auch dann anhält, wenn das entsprechende Ereignis nicht oder nicht in gleicher Häufigkeit stattfindet.
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Bemerkenswert ist auch die hohe Bedeutung von journalistischen Urteilen über das Verhältnis der Kandidaten zu anderen Akteuren – vor allem in den letzten Tagen vor dem Wahltermin. (5) Von einem Kanzlerbonus als Präsenzbonus kann bei der Bundestagswahl 2005 nicht die Rede sein. Die Herausforderin Angela Merkel kam in mehr Beiträgen vor als Gerhard Schröder, wurde etwas häufiger bewertet, wurde nach ähnlichen Kriterien bewertet, wurde häufiger und umfangreicher zitiert und war auf fast so vielen Fotos zu sehen wie Gerhard Schröder. Möglicherweise glaubten die Redaktionen, bereits alles über Gerhard Schröder geschrieben zu haben. Vielleicht war Angela Merkel als erste Frau in der Rolle der Kandidatin einfach interessanter. Eventuell bot sie aber auch aufgrund der Schwierigkeiten in ihrer Kampagne (Kirchhof) und dem Abschmelzen des sicher geglaubten Vorsprungs in den Umfragewerten mehr Angriffsfläche. (6) Die Authentizität der Berichterstattung, die wir über die Zitierung der Kandidaten gemessen haben, lag in mancherlei Hinsicht 2005 wieder im Trend der Jahre 1990-1998. Dies gilt für den Anteil der Beiträge, die überhaupt Zitate enthielten und die Gesamtlänge der Zitierung. Fortgesetzt hat sich allerdings die zunehmende Verkürzung der Zitate in den einzelnen Beiträgen, die überhaupt ein Zitat enthielten. Ihre durchschnittliche Länge ist zwischen 1987 und 2005 um etwa 30 Prozent zurückgegangen. (7) Die Visualisierung der Kandidatendarstellung hat sich mit den Bundestagswahlen 2002 und 2005 besonders eklatant verändert. Man kann geradezu von einer Explosion visueller Darstellungen der Kandidaten sprechen, die sich 2005 nochmals verstärkt hat. Dieser Trend wird in erster Linie von der Welt und neuerdings der FR getragen, die seit ihrem Relaunch 2003 in starkem Maße auf den Einsatz von Bildern setzt. (8) Fasst man die Zeitungen zusammen, dann setzt sich der seit 1980 bestehende Trend einer deutlich negativen Darstellung der Kandidaten fort. Dabei ergab sich nur für die Frankfurter Rundschau und mit Abstrichen die Frankfurter Allgemeine ein Muster, wie es ihre prinzipielle politische Position erwarten lassen würde. Der den Zeitungen nahe stehende Kandidat wurde jeweils eher positiv, der andere Kandidat eher negativ dargestellt. In der Süddeutschen Zeitung und der Welt wurde über die nahe stehenden Kandidaten zwar besser berichtet, jedoch überwogen auch hier die negativen Artikel. Im Fall Angela Merkels wird dabei auch deutlich, dass es nicht unbedingt ein Vorteil sein muss, den Präsenzbonus des Kanzlers aufzuholen. Selbst in der
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FAZ erreichte sie nur einen marginalen Überhang positiver Berichte, in der Welt lag dieser Saldo sogar deutlich im negativen Bereich. Die publizistische Unterstützung für sie war also in den untersuchten konservativen Blättern – zumindest in den letzten vier Wochen vor der Wahl – überraschend schwach. In ihrer Berichterstattung über die Bundestagswahl 2005 haben die Journalisten der Qualitätszeitungen die Kanzlerkandidaten wieder sehr stark in den Mittelpunkt gerückt. Anders als 2002 war diese Fokussierung aber nur zum Teil durch die TV-Duelle bedingt. Vielmehr deutet eine Reihe von Indikatoren darauf hin, dass der Impuls für die starke Personalisierung 2005 noch stärker von den journalistischen Akteuren selbst ausging als 2002: So blieben die Performance-Qualitäten auch bei nur einem TV-Duell gleich wichtig, die Zeitungen widmeten den Kandidaten in den letzten Tagen so viel Aufmerksamkeit wie bei keiner Wahl zuvor und sie stützten sich dabei auf Urteilskriterien, die in der Wahlkampfberichterstattung zuvor nur eine geringe Rolle gespielt hatten. Dabei setzten die Zeitungen wie nie zuvor auf visuelle Darstellungen der Kandidaten. Bewusst oder unbewusst verstärken sie so eine Entwicklung, bei der die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Person der Kandidaten und ihre persönlichen bzw. äußerlichen Merkmale gelenkt wird. Die Zeiten, in denen die Qualitätszeitungen für rationales politisches Raisonnement, das Fernsehen für oberflächliche Bilder standen, sind vielleicht noch nicht ganz vorbei. Die Grenzen aber verschwimmen zusehends. Literatur Donsbach, W., & Jandura, O. (2005). Rückkehr des Kanzlerbonus. Redepräsenz der Kanzlerkandidaten in den Fernsehnachrichten. In E. Noelle-Neumann, W. Donsbach & H. M. Kepplinger (Hrsg.), Wählerstimmungen in der Mediendemokratie. Analysen auf der Basis der Bundestagswahlkampfs 2002 (S. 69-90). Freiburg: Alber. Falter, J. W., Gabriel, O. W., & Wessels, H. (Hrsg.) (2005). Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2002. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Holtz-Bacha, C. (2003). Bundestagswahlkampf 2002: Ich oder der? In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Die Massenmedien im Wahlkampf. Die Bundestagswahl 2002 (S. 9-28). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Kepplinger, H. M. (1998). Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft. Freiburg: Alber. Kepplinger, H. M., & Maurer, M. (2005). Abschied vom rationalen Wähler. Freiburg: Alber.
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Maurer, M., & Kepplinger, H. M. (2003). Warum die Macht der Fernsehbilder wächst. Verbale und visuelle Informationen in den Fernsehnachrichten vor den Bundestagswahlen 1998 und 2002. In C. Holtz-Bacha (Hrsg.), Die Massenmedien im Wahlkampf. Die Bundestagswahl 2002 (S. 82-97). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Maurer, M., & Reinemann, C. (2003). Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Maurer, M., & Reinemann, C. (2006). Medieninhalte. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Media Monitor. (2004, November/Dezember). Campaign 2004 final. How TV news covered the general election campaign. Noelle-Neumann, E., Donsbach, W., & Kepplinger, H. M. (2005). Wählerstimmungen in der Mediendemokratie. Freiburg: Alber. Semetko, H. A., & Schönbach, K. (2003). News and elections. German Bundestag Campaigns in the Bild, 1990-2002. Press/Politics, 8(3), 54-69. Schneider, M., Schönbach, K., & Semetko, H. A. (1999). Kanzlerkandidaten in den Fernsehnachrichten und in der Wählermeinung. Befunde zum Bundestagswahlkampf 1998 und früheren Wahlkämpfen. Media Perspektiven, 262-269. Schulz, W., & Zeh, R. (2004). Die Fernsehpräsenz der Kanzlerkandidaten im Wandel. Analyse der Wahlkampfberichterstattung 1990-2002. In F. Brettschneider, J. v. Deth & E. Roller (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2002: Analysen der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes (S. 95-117). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wilke, J. (2004). Die Visualisierung der Wahlkampfberichterstattung in Tageszeitungen 1949 bis 2002. In T. Knieper & M. G. Müller (Hrsg.), Visuelle Wahlkampfkommunikation (S. 210-230). Köln: von Halem. Wilke, J., & Reinemann, C. (2000). Kanzlerkandidaten in der Wahlkampfberichterstattung. Eine vergleichende Studie zu den Bundestagswahlen 1949-1998. Köln: Böhlau. Wilke, J., & Reinemann, C. (2003). Die Bundestagswahl 2002: Ein Sonderfall? In C. HoltzBacha (Hrsg.), Die Massenmedien im Wahlkampf. Die Bundestagswahl 2002 (S. 29-56). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Wilke, J., & Spiller, J. (2006).Wahlkampfberichterstattung im deutschen Fernsehen: Anfänge und Herausbildung von Sendeformaten (1953-1983). In M. Behmer & B. Hasselbring (Hrsg.), Radiotage, Fernsehjahre. Interdisziplinäre Studien zur Rundfunkgeschichte nach 1945 (S. 103 -123). Münster: LIT-Verlag 2006.
Stimmungen und Wählerstimmen – was die Papstwahl mit der Bundestagswahl zu tun hat (und mit Fußball) Reimar Zeh & Lutz M. Hagen
Fußball als Stimmungsmacher Wie wir etwas beurteilen, hängt nicht nur vom Objekt ab und von den Maßstäben, die wir daran anlegen. Es wird vielmehr auch davon beeinflusst, in welcher Stimmung wir uns befinden. Dieser psychologische Mechanismus vermag auch die polische Urteilsbildung zu beeinflussen und kann daher bei Wahlen eine Rolle spielen. Der Einfluss von Stimmungen auf Wahlergebnisse ist nicht so erheblich, wenn gute und schlechte Laune der einzelnen Bürger, je nach subjektivem Befinden, in der gesamten Bevölkerung zufällig verteilt sind und sich somit im Aggregat tendenziell aufheben. Stimmungen sind vielmehr dann ein wichtiger Faktor, wenn sie sich gleichgerichtet in der Bevölkerung ausbreiten. Bestimmte Ereignisse sind nämlich dazu geeignet, die Stimmung weiter Teile einer Nation synchron zu erfassen. Die wichtigsten Bedingungen hiefür liegen darin, dass ein solches Ereignis erstens für einen Großteil der Bevölkerung emotionales Potenzial besitzen muss und darüber hinaus, zweitens, einem Großteil auch zur Kenntnis gelangt – was im Wesentlichen durch die Massenmedien zustande gebracht wird. Beide Kriterien treffen regelmäßig auf sportliche Großereignisse mit nationaler Beteiligung zu, die Rekordreichweiten in Presse und Fernsehen erzielen. In Deutschland ist in dieser Hinsicht zuvorderst der Fußballsport dazu geeignet, die Laune einer ganzen Nation zumindest kurzfristig zu synchronisieren. In der Bundesrepublik gibt es kaum ein Ereignis, das mehr Menschen in seinen Bann zieht als ein wichtiges Fußballspiel. So scheint es, wenn man nach den Fernsehreichweiten geht, mehr Deutsche interessiert zu haben, ob Portugal oder Griechenland 2004 Europameister werden würde, verglichen dazu wie sich die Kanzlerkandidaten 2005 im damals einzigen Fernsehduell schlagen würden – obwohl dies sogar auf vier Sendern gleichzeitig ausgestrahlt wurde. Siege der Deutschen Elf verbreiten gute Laune. Wichtige
Stimmungen und Wählerstimmen
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Siege – wie zum Beispiel der Finaleinzug 2002 – verbreiten Euphorie. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass alle möglichen Lebensbereiche besser beurteilt werden, sogar die Arbeit der Bundesregierung. Die zunächst verblüffende Annahme, dass etwas scheinbar Unpolitisches wie Fußball auf die Popularität von Politikern und Parteien einwirken kann, lässt sich durch das von Rahn formulierte Konzept Public Mood plausibel untermauern (Rahn & Hirshorn, 1999; Rahn, 2000; Rahn, Kroeger & Kite, 1996). Public Mood kann als diffuser Gefühlszustand verstanden werden, den das Individuum als Konsequenz seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Gemeinschaft empfindet. Diese allgemeine Stimmungslage ist verwandt mit den Konzepten der sozialen bzw. nationalen Identität. Mit einer gewissen Berechtigung kann man Public Mood auch als die kurzfristige und profane Seite nationaler Identität begreifen, die sich zum Beispiel auch durch die Sportberichterstattung der Medien nährt (Billig, 1995). Die individuelle affektive Gemütslage hat einen erheblichen Einfluss auf die Urteilsbildung. Zahlreiche experimentelle Befunde belegen diesen Zusammenhang. So urteilen gutgelaunte Probanden generell positiver über Objekte, die mit der Stimmungslage in keiner Beziehung stehen. Zum einen liegt dies daran, dass Menschen dazu neigen, Stimmungen anstelle von Information zu nehmen, gerade dann, wenn urteilsrelevante Information schwer zugänglich oder nur unter hohem Aufwand zu beschaffen ist. Zum anderen verarbeiten fröhliche Menschen Information weniger gründlich bzw. oberflächlicher, schlechtgelaunte nehmen dagegen die zentrale Route der Informationsverarbeitung, um zu einem Urteil zu kommen (Mayer, Gaschke, Braverman & Evans, 1992; Forgas, 1995; Schwarz & Clore, 1983; Schwarz, 1988). Darüber hinaus können sportliche Großereignisse auch indirekt wirken. Sie verdrängen politische Themen aus dem Schlaglicht der Medien. Agenda Setting heißt, bestimmte Themen mit Hilfe der Medien zum Gesprächsthema zu machen. Politische oder auch wirtschaftliche Akteure haben daran Interesse, wenn sie positiv mit diesen Themen assoziiert sind. Agenda Cutting bedeutet umgekehrt, die Aufmerksamkeit des Publikums von kritischen Themen abzulenken, sie von der Agenda zu verdrängen (vgl. Brettschneider, 2005). Dieses negative Agenda Setting – oder auch Agenda Cutting – entfernt Probleme aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, so dass sie vielleicht nicht als gelöst erscheinen, aber doch nicht präsent genug sind, um die
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Reimar Zeh & Lutz M. Hagen
Urteilsbildung zu beeinflussen. Insofern kann die Wirkung von Sport auf Wahlergebnisse auch als Primingeffekt verstanden werden (Iyengar & Kinder, 1988), von dem ceteris paribus die amtierende Regierung, die am ehesten für nationale Probleme verantwortlich gemacht wird, auch am ehesten profitiert. Effekte von Fußballereignissen auf die Urteilsbildung sind von Schwarz et al. (1987) nachgewiesen worden, die während der WM 1982 den Einfluss von guter und schlechter Laune auf das Urteilen von Probanden untersucht haben. Dazu wurden vor und nach Spielen der westdeutschen Nationalmannschaft Urteile über das allgemeine Wohlbefinden, die Arbeitszufriedenheit und die Zufriedenheit mit nationalen Angelegenheiten eingeholt. Nach einem Sieg der BRD-Auswahl wurden alle Bereiche deutlich besser beurteilt als vor dem Spiel. Nach einem Unentschieden gegen England – was Schwarz et al. als Quelle für schlechte Laune ansahen – ließen sich keine Effekte auf das Urteilen der Probanden feststellen (Schwarz, Strack, Kommer & Wagner, 1987). Auf der Makroebene ist der Einfluss von Fußballgroßereignissen auf Wahlen bereits bei mehreren Gelegenheiten durch die Autoren des vorliegenden Artikels untersucht und belegt worden (Zeh & Hagen, 1999; Hagen, Zeh & Müller-Klier, 2003; Zeh & Müller-Klier, 2004; Zeh & Hagen, 2006). Besonders Siege der deutschen Nationalmannschaft wirken sich auf die politischen Urteile der Deutschen im Vorfeld von Bundestagswahlen aus. So konnte 2002 – eine wenn auch schwache – Verbesserung der Umfragewerte für Schröder und die SPD mit dem überraschenden Erfolg der Deutschen Elf bei der WM in Japan und Süd-Korea in Verbindung gebracht werden. Der Popularität von Helmut Kohl hat es dagegen im Jahr 1998 geschadet, dass die von Berti Vogts trainierte Nationalmannschaft den Erwartungen bei der Weltmeisterschaft in Frankreich nicht entsprochen hatte. Analysen, die den Einfluss von Spielen der deutschen Nationalmannschaft auf politische Urteile bei früheren Wahlen untersucht haben, stellen in erster Linie positive Einflüsse fest, von denen die beiden Volksparteien sowie deren Kanzlerkandidaten profitiert haben. Allerdings legten zum Beispiel Gerhard Schröder und die SPD im Wahljahr 2002 fußballbedingt noch stärker in den Umfragen zu als Edmund Stoiber und die Union (Zeh & Hagen, 1999; Hagen, Zeh & Müller-Klier, 2003; Zeh & Müller-Klier, 2004; Zeh & Hagen, 2006). Obwohl aus den oben geschilderten Gründen also die Popularität der Regierungsparteien und des Kanzlers durch fußballinduzier-
Stimmungen und Wählerstimmen
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te Stimmungseffekte üblicherweise stärker verbessert wurde als die der Opposition, so konnten doch von positiven Stimmungen politische Akteure aus allen Lagern profitieren. Fragestellungen Bestimmte fußballerische Erfolge lassen also die politischen Urteile der Bürger wohlwollender ausfallen, so dass die Folgen für die Umfragewerte kein Nullsummenspiel sind. Vielmehr schlägt die allgemein verbesserte Stimmung im Land auf verschiedene Elemente der Polity durch. Dies lässt erwarten, dass auch das politische System als ganzes besser bewertet wird und somit auch die Bereitschaft steigt, wählen zu gehen. Dies ist die erste Hypothese, die wir im weiteren Verlauf dieses Beitrags untersuchen werden. Wir gehen davon aus, dass positive Stimmung, die durch Fußball induziert wird, die Wahlbereitschaft steigert. Diese Hypothese soll nicht nur für das Wahljahr 2005 geprüft werden, sondern für den gesamten Zeitraum ab 1993, für den uns Daten vorliegen, die geeignet sind die Annahme zu überprüfen. Unsere zweite Hypothese besteht darin, dass es auch im Vorfeld der Bundestagswahl von 2005 vordergründig unpolitische Ereignisse gab, deren Bedeutsamkeit und emotionales Potenzial groß genug waren, um einen messbaren stimmungsinduzierten Einfluss auf die Popularität der zu Wahl stehenden Parteien und Politiker zu hinterlassen. Diese Annahme ist für das Wahljahr 2005 weniger plausibel als für die Jahre der vier voran gegangenen Bundestagswahlen, weil das in den vergangen Wahljahren stets wirkungsmächtigste Stimmungsereignis in diesem Jahr nicht stattfand: die Fußballweltmeisterschaft. Von 1990 bis 2002 wurden die Bundestagswahlen nämlich immer im Herbst nach diesem, stets im Sommer ausgespielten Turnier abgehalten. Doch im Jahr 2005 beendete Bundeskanzler Gerhard Schröder diesen Rhythmus durch Neuwahlen, die um rund ein Jahr, in den Herbst 2005, vorgezogen wurden – und das, obwohl man Schröder nachsagt, über die positiven Effekte fußballerischer Erfolge für amtierende Regierungen Bescheid zu wissen, und obwohl die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land als Baustein in der Wahlstrategie der Regierungskoalition galt (Hammerstein et al., 2004). Inzwischen ist nicht nur die Bundestagswahl 2005, sondern auch die Fußballweltmeisterschaft 2006 ins Land gegangen. Sie hat
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eine in diesem Maß unerwartete, derart große nationale Euphorie ausgelöst, dass man spekulieren darf, ob es in taktischer Hinsicht nicht ein Fehler des ehemaligen Bundeskanzlers war, die Wahlen vorzuziehen, die seine Koalition dann so knapp verlieren sollte. Gleichwohl lassen sich auch im Wahljahr 2005 zwei Ereignisse ausmachen, die vordergründig unpolitisch waren, nationale Gefühle angesprochen haben und viel Aufmerksamkeit durch die Medien bekamen. Das erste Ereignis hat erneut mit Fußball zu tun; so fand im Juni der ConfederationsCup in Deutschland statt, ein Testlauf für die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft unter Beteiligung der deutschen und anderer erstklassiger Nationalmannschaften. Deutschland erreichte in diesem Turnier den dritten Platz, was so nicht hatte erwartet werden können und in fußballinteressierten Kreisen zumindest für Zufriedenheit sorgte. Es scheint nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen zu den vergangenen Bundestagswahlen plausibel, dass diese sogenannte "Mini-" oder "Test-WM", in der die deutsche Nationalmannschaft mit ansprechenden Leistungen überrascht hat, für die Regierung einen Beitrag zur Aufholjagd in den Umfragen geleistet hat. Das zweite relevante Ereignis hat nichts mit Fußball zu tun. Es geht vielmehr um die Wahl des deutschen Kardinals Joseph Alois Ratzinger zum Nachfolger von Johannes Paul II. auf dem Stuhle Petri. Die BILD-Zeitung brachte die Verbindung zwischen dem Ausgang dieser Papstwahl und dem deutschen Nationalstolz mit einer nachgerade legendären Überschrift auf den Punkt: "Wir sind Papst" (Bild vom 20.04.2006). Man kann vermuten, dass die Entscheidung des Konklave, einen Deutschen zum Papst zu machen, die Public Mood der Nation aufhellte und damit die Bewertung der großen Parteien und ihrer Kandidaten verbesserte. Dabei darf man außerdem davon ausgehen, dass die christlichen Parteien stärker profitierten, weil für ihre Anhänger die Wahl von Benedikt XVI. die größere Bedeutung besessen haben dürfte. Daten und Methode Wie bereits in früheren Untersuchungen greifen wir auf Daten zurück, die wir einer Sekundäranalyse unterziehen. Dabei handelt es sich um Ergebnisse aus dem FORSA-Bus. Daten aus dieser Trendbefragung stehen seit 1993 zur Verfügung und erlauben mit ca. 2.500 Befragten pro Woche eine regel-
Stimmungen und Wählerstimmen
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mäßige Analyse auf einer Datengrundlage, die repräsentativ für die erwachsene deutsche Wohnbevölkerung ist. Eine repräsentative Messung der (auf die Nation gerichteten oder auch nur rein subjektiven) Stimmung der Deutschen wird durch den FORSA-Bus ebenso wenig zur Verfügung gestellt wie durch irgendeine andere Untersuchung. Im Hinblick auf die Überprüfung unserer Hypothesen kann also die zentrale intermediäre Variable nicht in die empirischen Modelle aufgenommen werden. Dass das kausale Bindeglied zwischen Fußballergebnis und Wahlergebnis die (allgemeine) Stimmung der Wähler ist, kann also nicht direkt belegt werden; dieses ergibt sich aus der Plausibilität der vorangegangenen theoretischen Überlegungen. Dagegen stellt der FORSA-Bus einen Indikator für die unabhängige und die abhängige Variable zur Verfügung, das heißt die wahrgenommenen Inhalte der Medienberichterstattung zum einen, die Popularitätsurteile zum anderen. Tabelle 1: Relevante Indikatoren aus dem FORSA-Bus Indikator
Frageform
Fragehäufigkeit
Frageformulierung
Rezeption von Offen Themen
1993-2005 werktäglich außer Okt. – Dez. 1998
Welche drei Themen, über die in den Zeitungen, im Radio oder im Fernsehen in diesen Tagen berichtet wurden, interessieren Sie besonders?
Kanzlerpräferenz
Geschlossen
1993-2005 werktäglich
Wenn Sie den Bundeskanzler selbst wählen könnten: Für wen würden Sie sich dann entscheiden: Für Gerhard Schröder oder für Angela Merkel (bzw. jeweils aktuellen Kandidaten)?
Sonntagsfrage
Geschlossen
1993-2005 werktäglich
Und welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?
Für das, was aus den Medien rezipiert wurde, kann die von den Befragten werktäglich zu Protokoll gegebene Aussage als indirekter Indikator gelten, welche Themen, über die in den Medien berichtet wurde, sie besonders interessieren. Dabei können bis zu zehn Themen genannt werden. Diese werden von FORSA kategorisiert, unter anderem auch in die Kategorie Fußball. Wir müssen davon ausgehen, dass die Intensität, mit der ein Thema in den Medien verfolgt wird, mit dem Ausmaß der Berichterstattung darüber
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zusammenhängt. Sollten wir also Zusammenhänge zwischen dem Interesse für Fußball und den politischen Urteilen finden, können wir als Auslöser die Intensität der Berichterstattung vermuten. Als Indikatoren für politische Urteile stehen zwei Fragen im FORSA-Bus zur Verfügung: die Kanzlerpräferenz und die Sonntagsfrage. Da die jeweilige Opposition nicht immer einen Kanzlerkandidaten nominiert hat, wurde nach dem wahrscheinlichsten Herausforderer des amtierenden Kanzlers gefragt. Die relevanten Indikatoren aus dem FORSA-Bus fasst Tabelle 1 zusammen. Die Wahlbeteiligung als Funktion der Stimmung Die Absicht zu wählen und vor allem die Absicht, eine etablierte Partei zu wählen, ist ein wichtiger Indikator für das Vertrauen, das die Bürger der Politik entgegenbringen. Dieser und andere mit ihm verwandte Indikatoren verbessern sich im Laufe des Wahlkampfes und erreichen meist zu Mitte der Legislatur-
periode ihren Tiefpunkt. Die Erkenntnis, dass Wahlkämpfe indem sie das Interesse an der Politik steigern, auch zur allgemeinen Zufriedenheit mir dieser beitragen, geht schon auf die Erie-County-Studie zurück (Lazarsfeld, Berelson & Gaudet 1944). Der beschriebene Rhythmus wird für Deutschland durch Abbildung 1 veranschaulicht. Als Indikator für das Vertrauen in die Politik bzw. in die Parteien wurde darin der Anteil der wahlberechtigten Befragen, die eine etablierte Partei wählen, verwendet.1 Die Grundlage, um im Folgenden den Zusammenhang zwischen Fußballinteresse und politischer Stimmung zu untersuchen, bilden bivariate Korrelationsanalysen. Die Rezeption des Themas Fußball durch die Probanden – gemessen am bekundeten Interesse an der bezüglichen Medienberichterstattung – wurde mit der Wahlabsicht zugunsten einer etablierten Partei korreliert. Diese Korrelation wurde für jede der 3.220 verfügbaren täglichen Stichproben bis September 2005 einzeln berechnet. Legt man ein fünfprozentiges Signifikanzniveau an, wären 161 signifikante Korrelationen bei rein zufälliger bivariater Verteilung zu erwarten. Tatsächlich zählen wir aber 326 statistisch signifikante Korrelationen; 307 davon sind positiv.
Als etablierte Parteien bezeichnen wir die beiden Volksparteien CDU und SPD, außerdem die FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen. PDS bzw. Die Linke wurde aufgrund der Tatsache, dass sie auf Bundesebene nicht zu den potenziellen Regierungsparteien gehört, nicht dazugerechnet.
1
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Abbildung 1: Einfluss des Interesses für Fußball auf die politische Stimmung 100
In %
Anzahl
Anteil der Befragten, die eine etablierte Partei wählen wollen Anzahl der Länderspiele
12
Anzahl der sig. Zusammenhänge mit Fußballinteresse Wahlen 10
80
8 60 6 40 4
20
2
0
0 Jan 93
Jan 94
Jan 95
Jan 96
Jan 97
Jan 98
Jan 99
Jan 00
Jan 01
Jan 02
Jan 03
Jan 04
Jan 05
Quelle: FORSA-Bus 1993 – 2005 ca. 500 Befragte werktäglich
Wie aus Abbildung 1 ebenfalls hervorgeht, treten diese Befunde meist dann auf, wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt. Dieser grafische Beweis lässt sich inferenzstatistisch erhärten. Dazu wird die Zeitreihe, die die Anzahl Spiele der deutschen Nationalmannschaft pro Monat angibt, mit der Zeitreihe der Anzahl signifikanter positiver Zusammenhänge korreliert, die zwischen der Wahlabsicht zugunsten einer etablierten Partei und der Nennung von Fußball als interessantes Thema bestehen. Diese Analyse bestätigt, dass die Spiele der deutschen Nationalmannschaft einen positiven Einfluss auf die Wahlbeteiligung besitzen. Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse der Kreuzkorrelationsanalyse zwischen beiden Zeitreihen. Sie belegen, dass das Interesse für Fußball genau dann die etablierten Parteien attraktiver macht, wenn die Fußballnationalmannschaft spielt oder gerade gespielt hat. Der Korrelationskoeffizient zwischen der monatlichen Anzahl Spiele und der monatlichen Anzahl signifikanter Korrelationen überschreitet nur in den beiden Fällen die statistischen
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Konfidenzgrenzen, dass die im gleichen Monat gemessenen Werte korreliert werden, bzw. dass die Anzahl signifikanter Zusammenhänge mit der Anzahl Spiele aus dem Monat zuvor korreliert wird. Dagegen hängt die Anzahl signifikanter Zusammenhänge weder signifikant mit der Anzahl Spiele aus einem der länger zurückliegenden Monate (Vorlauf der Vorlaufvariablen größer eins), noch mit der Anzahl Spiele aus einem der nachfolgenden Monate zusammen (negativer Vorlauf, d. h. Nachlauf der Vorlaufvariablen). Abbildung 2: Kreuzkorrelation zwischen der Anzahl Spiele der Fußballnationalmannschaft und der Anzahl signifikanter Korrelationen (1993 bis Sept. 2005, monatlich) Vorlaufvariable: Anzahl der Spiele der deutschen Fußballnationalmannschaft pro Monat Nachlaufvariable: Anzahl der sig. Zusammenhänge, monatlich aggregierte Summen 1,0 0,8
Kreuzkorrelation Koeffizient Konfidenzintervall
0,6
Korrelationskoeffizient
0,4 0,2 0,0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1,0 -4
-3
-2
-1
0
1
2
3
4
Nachlauf in Monaten
Diese Effekte sind noch stärker, wenn man nur so genannte Pflichtspiele berücksichtigt, also Begegnungen während eines Turniers bzw. zur Qualifikation zu einem Turnier. Die gute Stimmung, die von einem solchen Ereignis ausgeht, verflüchtigt sich nicht sofort. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Welt- und Europameisterschaften zu Beginn des Sommers stattfinden, wo weniger konkurrierende Ereignisse die Stimmung trüben können.
Stimmungen und Wählerstimmen
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Die beiden signifikanten Korrelationen aus dem Kreuzkorrelogramm bleiben jeweils auch dann bestehen, wenn sie gegen eine Dummy-Variable kontrolliert werden, die in den Monaten von Bundestagswahlen den Wert eins annimmt, ansonsten Null beträgt. Durch diese Kontrolle kann der Verdacht ausgeräumt werden, die Zusammenhänge zwischen Nationalmannschaftsspielen und Wahlbeteiligung beruhten auf Scheinkorrelationen. Da Wahlen und Fußballweltmeisterschaften in den Jahren zwischen 1993 und 2002 so eng beieinander lagen (vgl. Kapitel 2), könnte man nämlich vermuten, dass der Anstieg der Wahlbeteiligung tatsächlich nur auf dem bekannten Effekt von Wahlkämpfen beruht, die allgemeine Bewertung von Politik zu verbessern. Doch dies ist nicht so. Man muss nach der vorstehenden Analyse vielmehr davon ausgehen, dass es tatsächlich die großen Fußballfeste sind, die eine erhöhte Bereitschaft auslösen, seine Stimme für eine der etablierten Parteien abzugeben. Stimmungsfaktoren bei der Bundestagswahl 2005 Die Entwicklung der Umfragewerte der Kanzlerkandidaten und der beiden Volksparteien seit der Bundestagswahl 2002 ist in Abbildung 3 verzeichnet.2 Die SPD lag außer Ende September 2002 zu keinem Zeitpunkt vor der Union, zeitweise näherte sie sich sogar der 20 Prozentmarke an. Mitte 2004 erholte sie sich jedoch. Die Umfragewerte für Gerhard Schröder waren etwas besser als die seiner Partei, lag er doch mit seiner wahrscheinlichsten Konkurrentin von der Union, Angela Merkel, lange gleich auf. Seine Werte verbesserten sich im Sommer 2004 ebenfalls. Die Erholung bei der Sonntagsfrage und in der Kanzlerpräferenz endete aber in Frühjahr 2005 und fand ihren vorläufigen Tiefpunkte im Juni, kurz nachdem Schröder überraschend Neuwahlen angekündigt hatte. Bis zur Wahl legten Schröder und seine Partei wieder beachtlich zu – ob auch dabei wieder der Fußball als Stimmungsfaktor eine Rolle spielte oder ob die Wahl von Papst Benedikt sich in dieser Weise auswirkte, das soll im Folgenden überprüft werden.
FORSA führte bis Ende 2002 Edmund Stoiber als Kandidaten der Union, auf die Darstellung dieser Umfragewerte wurde hier verzichtet, da sie für die Neuwahl 2005 ohne Bedeutung sind.
2
348
Reimar Zeh & Lutz M. Hagen
Abbildung 3: Entwicklung der Wahlabsicht und der Kanzlerpräferenz seit der Bundestagswahl 2002 120
60 Kanzlerpräferenz: Merkel
100
40
Schröder
80
20
60
0 CDU/CSU
40
-20
Wahlabsicht: SPD
20
-40
0
-60
Januar 2002
Januar 2003
Januar 2004
BTW 2002
Januar 2005
BTW 2005 LTW NRW
Quelle: FORSA-Bus 2002 – 2005 ca. 500 Befragte werktäglich
Die Wahl eines Deutschen zum Bischof von Rom war ein herausragendes Einzelereignis, für das sich fast die gesamte Bevölkerung interessierte, wie Abbildung 4 deutlich zeigt. Dabei spielte es keine Rolle, ob der Befragte evangelisch oder katholisch war, allein die Konfessionslosen ließ dieses Ereignis vergleichsweise kalt. Eher bescheiden fällt im gleichen Zeitraum dagegen das Interesse für Fußball aus, allerdings ist es immer vorhanden. Turniere verstärken das Interesse deutlich. Allerdings erreicht der Confed-Cup nicht das Niveau, dass man bei der WM 2002 oder bei der EM 2004 beobachten konnte. Während der Woche des WM-Finales 2002 erklärten immerhin 61 Prozent der Befragten, sich für Fußball zu interessieren; für das EM-Finale 2004 waren das immerhin noch 40 Prozent – und dies ohne deutschen Finalisten.
Stimmungen und Wählerstimmen
349
Abbildung 4: Interesse für Medienthemen 2005 70
in % Fußball
60
Papst
"Wir sind Papst"
Johannes Paul II. stirbt
50
40
30 Confed-Cup 20 Benedikt XVI. in Köln 10
0 Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Um nun der Frage nachzugehen, ob und wie sich diese Ereignisse auf das politische Klima vor der Neuwahl ausgewirkt haben, verfahren wir nach dem gleichen Muster wie zuvor: Für jede verfügbare Tagesstichprobe wird die Korrelation zwischen dem Themeninteresse und den politischen Variablen errechnet. Hierbei werden die Wahlabsicht zugunsten der SPD bzw. der Union und die Kanzlerpräferenz für Schröder bzw. Merkel jeweils als dichotome Variable verwendet. Die Ergebnisse der Korrelationsanalyse werden durch die folgenden beiden Tabellen zusammengefasst. Es finden sich insgesamt an 49 von 957 untersuchten Tagen statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen dem Interesse an "Fußball" als besonders interessantem Thema aus der aktuellen Medienberichterstattung und der Wahlabsicht bzw. Kanzlerpräferenz. Dies entspricht ungefähr fünf Prozent der untersuchten Tage und damit dem, was als Folge von Zufall allein hätte erwartet werden können – schließlich wurde ja ein fünfprozentiges Signifikanzniveau angelegt. Auch tritt keine Häufung der signifikanten Korrelationen zum Zeitpunkt des Confederations-Cups im Juni und Juli auf,
350
Reimar Zeh & Lutz M. Hagen
so dass man davon ausgehen kann, dieses Ereignis sei nicht für PublicMood-Effekte verantwortlich. Offenbar war es im Vergleich zu einem regulären Turnier, wie Europa- oder gar Weltmeisterschaften nicht bedeutsam genug, das hatte ja bereits die Analyse des Themeninteresses nahe gelegt (vgl. Abbildung 4). Allerdings ist in der Verteilung der Signifikanzen ein auffälliges Muster erkennbar, das darauf schließen lässt, dass sich die vorgefundenen Korrelationen nicht durch Zufall allein erklären lassen: Interesse an Fußball hängt fast durchweg positiv mit der Wahlabsicht bzw. Kanzlerpräferenz zusammen (vgl. Tabelle 2). Dies entspricht genau den theoretischen Annahmen über die Wirkung von Fußball auf politische Popularität via Public Mood, wie sie eingangs skizziert wurden. Eine Ausnahme besteht allerdings im Falle der Kanzlerpräferenz für Angela Merkel darin, dass sie – wenn überhaupt – überwiegend negativ mit Fußballinteresse zusammenhängt. Vermutlich steht dahinter aber kein eigenständiger Effekt. Vielmehr dürfte dieses Muster eine Folge von besseren Beurteilungen für Gerhard Schröder sein, die aus der Beachtung von Fußball resultieren. Schließlich wird der ExKanzler im Bewusstsein der Öffentlichkeit wie kein zweiter deutscher Politiker mit Fußball assoziiert (Hagen, Zeh & Müller-Klier, 2003). Welche Fußballereignisse im Einzelnen dafür gesorgt haben, dass Parteien oder Kanzlerkandidaten im Jahr 2005 besser bewertet wurden, das kann man ohne genauere Analyse nicht sagen. Vermutlich können einzelne reichweitenstarke Beiträge über Spiele, Turniere oder andere Entwicklungen im Fußball dafür verantwortlich sein. So überraschte im Februar die Deutsche Elf mit einem Unentschieden gegen Argentinien, das in der Fachpresse wie ein Sieg behandelt wurde, während eine Niederlage gegen die Slowakei im September Klinsmanns Kurs in Frage stellte. Beim Thema der Papstwahl vom April 2005 liegen die Dinge etwas anders. Obwohl auch in diesem Fall die Gesamtzahl der Korrelationen zwischen Themeninteresse und Wahlabsicht bzw. Kanzlerpräferenz die Häufigkeit nicht übersteigt, die der Zufall allein hätte erwarten lassen, sind die Muster weitaus eindeutiger: Just im Monat in dem Benedikt XVI. gewählt wurde, lassen sich die mit Abstand meisten Zusammenhänge feststellen. Auch in den beiden Vormonaten des Konklaves, in denen die Medien ja
Stimmungen und Wählerstimmen
351
Tabelle 2: Zusammenhang zwischen dem Interesse am Thema "Fußball" und der Wahlabsicht bzw. Kanzlerpräferenz vor der Bundestagswahl 2005 Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Gesamt Wahlabsicht pro SPD
2
2
0
2
2
1
0
1
1
11
Wahlabsicht kontra SPD
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Wahlabsicht pro Union
1
1
0
1
1
2
1
1
1
9
Wahlabsicht kontra Union
0
0
0
0
0
0
0
0
1
1
Kanzlerpräf. pro Schröder
3
4
4
1
3
1
0
2
2
20
Kanzlerpräf. kontra Schröder
0
0
0
0
0
0
1
0
0
1
Kanzlerpräf. pro Merkel
0
0
0
0
0
1
0
0
1
2
Kanzlerpräf. kontra Merkel
0
2
1
1
0
0
0
0
1
5
Gesamt
6
9
5
5
6
5
2
4
7
49
bereits eine mögliche Wahl des Deutschen thematisiert hatten, häufen sich die signifikanten Zusammenhänge. Eine weitere, wenn auch geringe Häufung ist im August zu verzeichnen, dem Monat, in dem der neue Papst Köln besuchte. Erneut treten nur verschwindend wenige, negative Korrelationen auf. Ganz offenbar hat die Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst auf dem Weg über die öffentliche Stimmung die Popularität verschiedener politischer Akteure erhöht (vgl. Tabelle 3). Hiervon profitiert die Union weit stärker als die SPD, was sich mit der höheren Affinität von Anhängern der Christdemokraten und ChristlichSozialen zur – insbesondere katholischen – Religion erklären lässt. Die wenigen negativen Zusammenhänge betreffen sämtlich die Kanzlerpräferenz für Gerhard Schröder. Das lässt sich analog zu den negativen Effekten des Fußballinteresses auf die Präferenz für Merkel am besten damit erklären, dass das Interesse für den Papst keine direkten Auswirkungen auf die Beurteilung Schröders hat, dass es aber die Präferenz für die Kandidatin der Union stark erhöht, die in erheblichen Teilen zu Lasten Schröders geht.
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Tabelle 3: Zusammenhang zwischen dem Interesse am Thema "Papst" und der Wahlabsicht bzw. Kanzlerpräferenz vor der Bundestagswahl 2005 Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Gesamt Wahlabsicht pro SPD
0
2
1
1
2
1
1
0
0
8
Wahlabsicht kontra SPD
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Wahlabsicht pro Union
1
1
2
7
2
1
1
2
0
17
Wahlabsicht kontra Union
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Kanzlerpräf. pro Schröder
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Kanzlerpräf. kontra Schröder
0
1
1
1
0
0
0
1
0
4
Kanzlerpräf. pro Merkel
0
2
2
8
0
1
0
1
0
14
Kanzlerpräf. kontra Merkel
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Gesamt
1
6
6
17
4
3
2
4
0
43
Korrelationen zwischen der Thematisierung der Papstwahl und der Wahlabsicht für die Unionsparteien bzw. der Präferenz für Angela Merkel als Kanzlerin lassen sich plausibel allerdings auch durch einen Kausalzusammenhang erklären, der unsere bisherige Erklärung genau umdreht: Diejenigen, die eine Sympathie für die konservativen Parteien und ihre Kanzlerkandidatin hegen, dürften ceteris paribus auch eher am Papst interessiert sein und daher seine Wahl und seinen Besuch in Deutschland eher für wichtig erachten als andere. Auch wenn dieser Effekt vermutlich für einen Teil der gefundenen Korrelationen verantwortlich ist, scheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass deswegen ein Public-Mood-Effekt abgelehnt werden muss. Drei klare Belege sprechen dafür: Erstens teilten rund zwei Drittel der Deutschen im Frühjahr 2005 die Einschätzung, dass die Wahl des Papstes zu den wichtigsten Themen zähle (vgl. Abbildung 4) – und das ist ein Anteil der Bevölkerung, der weit über die Anhängerschaft der Union hinaus geht. Zweitens war auch die Wahlabsicht für die SPD klar erkennbar und ausschließlich positiv von der Papstwahl und ihren Folgen betroffen (vgl. Tabelle 3). Drittens, und das ist der stärkste Beleg, korreliert in den 40 Wochen vom Beginn des Jahres
Stimmungen und Wählerstimmen
353
2005 bis zur Wahl das Interesse für das Thema "Papst/Papstwahl" im Betrag von -0,31 mit dem Wahlabsichtsaldo, der aus dem Anteil derjenigen berechnet wird, die die SPD wählen wollen, minus denjenigen, die eine Unionspartei wählen wollen. Diese Korrelation ist signifikant. Das heißt, die politische Stimmung zugunsten der Union kovariierte mit dem Interesse an der Union. Da weder die religiöse Affinität noch die langfristige Parteineigung definitionsgemäß kurzfristig variieren, ist diese Korrelation ein Beleg dafür, dass die Papstwahl einen Public-Mood-Mech-anismus ausgelöst hat. Dieser ist allerdings gemäß der unterschiedlichen Affinität der politischen Lager zum Papst den Unionsparteien und ihrer Kandidatin weitaus stärker zugute gekommen als den Sozialdemokraten und ihrem Kandidaten. Fazit Zusammenfassend hat die vorstehende Analyse noch einmal bestätigt, welche herausragende Stellung Fußballwelt- und Europameisterschaften als politischer Stimmungsfaktor besitzen. Je näher sie an Wahlterminen liegen, desto stärker werden sie die Wahlbeteiligung anregen – das wurde in diesem Beitrag zum ersten Mal belegt. Die Tatsache, dass Fußballweltmeisterschaften im Jahre 2005 erstmals seit langer Zeit nicht mit der Bundestagswahl zusammengefallen sind, hat dazu geführt, dass das Interesse an Fußball nur moderate Effekte auf die Popularität von Parteien und Politikern zeitigte, die sich nicht ohne Weiteres konkreten Anlässen zuordnen lassen. Gleichwohl lässt sich auch im Vorfeld dieser Bundestagswahl wieder ein erheblicher politischer Effekt von vordergründig unpolitischem Geschehen ausmachen. Die erste Wahl eines Deutschen zum Papst seit knapp einem halben Jahrtausend hat die nationale Stimmung eindeutig soweit angehoben, dass Parteien und Politiker besser beurteilt wurden. Dies trifft allerdings nicht auf den Kanzlerkandidaten der SPD zu und weitaus stärker auf die Unionsparteien als auf die SPD. Erneut zeigt sich damit, dass PublicMood-Effekte die Polity nicht unterschiedslos betreffen. Vielmehr vermögen diejenigen am stärksten zu profitieren, die die stärkste Affinität zu demjenigen Thema aufweisen, mit dem die Stimmung gemacht wird.
354
Reimar Zeh & Lutz M. Hagen
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Stimmungen und Wählerstimmen
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Autorinnen und Autoren
Bosch, Thomas (Jg. 1977), M.A., ist Referent beim SPD-Parteivorstand im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Dort arbeitet er im Referat "Regionale Wahlkämpfe" der Abteilung "Planung und Kommunikation". Im Bundestagswahlkampf 2005 war er Mitglied der "Koordinierungsgruppe" und in der Projektgruppe "Veranstaltungen/Kongresse" zuständig für den Bereich "zentraler Rednereinsatz". Bereits im Bundestagswahlkampf 2002 arbeitete er für den SPD-Parteivorstand. In der damaligen Kampa war er für den Aufbau und die Koordinierung der Jungen Teams mitverantwortlich. Bosch studierte Publizistik, Theaterwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Während seines Studiums wurde er als Stipendiat von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert. In seiner Magisterarbeit beschäftigte er sich mit der "Kommunikation von Parteien mit ihren Mitgliedern zu Wahlkampfzeiten". Hagen, Lutz M. (Jg. 1962), Dr. rer. pol. habil., Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft II an der TU Dresden. Forschungsschwerpunkte: Nachrichtenwesen, insbes. Produktion, Rezeption und Wirkung von Wirtschaftsberichterstattung; empirische Methoden, insbes. computerunterstützte Inhaltsanalyse und Zeitreihenanalyse; Medienökonomik; OnlineKommunikation. Aktuelle Funktionen: Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden. Holtz-Bacha, Christina (Jg. 1953), Dr. phil., Studium der Publizistik, Politikwissenschaft und Soziologie in Münster und Bonn. Promotion zum Dr. phil. 1978 in Münster und Habilitation 1989 in Hannover. 1979 bis 1981 Pressereferentin an einem Meinungsforschungsinstitut. 1981 bis 1991 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Akademische Rätin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität München. 1986 Gastprofessorin an der University of Minnesota in Minneapolis/USA. 1991 bis 1995 Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. 1995 bis 2004 Professorin am Institut für Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 1999 Fellow
Autorinnen und Autoren
357
am Shorenstein Center/John F. Kennedy School of Government, Harvard University in Cambridge/USA. Seit 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 1989 Mitherausgeberin der Publizistik. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Mediensystem. Lessinger, Eva-Maria (Jg. 1964), M.A., Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum; PRVolontariat; 1992 bis 2000 freie Journalistin; 2000 bis 2002 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim; 2002 bis 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, seit April 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, visuelle Kommunikation, qualitative Methoden. Lieske, Sandra (Jg. 1975), M.A., 1995-1997 kaufmännische Ausbildung, 1997/98 bis 2003 Studium Publizistik, BWL und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Università degli Studi di Milano/Italien, 2001 bis 2004 wissenschaftliche Hilfskraft und Projektmitarbeiterin am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2003 bis 2004 Projektleiterin Marketing/PR beim SWR (Landessender Mainz), seit 01/2004 Doktorandin am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, seit 10/2004 als Stipendiatin der Promotionsförderung der Hanns-Seidel-Stiftung e.V. München. Ott, Raphaela (Jg. 1980), Diplom-Sozialwirtin, Studium der Sozialwissenschaften an der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg mit den fachlichen Schwerpunkten Kommunikationswissenschaften, Allgemeine Soziologie, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und Wirtschafts- und Organisationssoziologie. Diplomarbeit zum Thema "Weblogs als Medium politischer Kommunikation im Bundestagswahlkampf 2005" am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft (Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha), seit Februar 2005 tätig als Werkstudentin bei der Siemens AG zur Unterstützung der Teamassistenz und Personalarbeit.
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Autorinnen und Autoren
Plehwe, Kerstin (Jg. 1967) ist Beraterin und Vorsitzende der Initiative ProDialog in Berlin sowie Autorin zahlreicher Fachartikel und Herausgeberin des Buchs "Vom Dialogmarketing zum Wahlerfolg" mit Fachbeiträgen namhafter Experten, Checklisten und Internationalen Fallbeispielen (Berlin 2005, Helios-Verlag). Die ehemalige Präsidentin des DDV gilt als einer der führenden Köpfe im Bereich der Dialogkommunikation sowie als profilierte Expertin in allen Fragen der strategischen Kundenorientierung und des Customer-Relationship-Management. An der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin hat Kerstin Plehwe einen Lehrauftrag im Studiengang Wirtschaftskommunikation. Zudem doziert sie an diversen Fachakademien und Hochschulen. Quandt, Thorsten (Jg. 1971), Dr. phil., Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum sowie der Media and Cultural Studies an der John Moores University Liverpool. Nach dem Studium Tätigkeit als Hörfunkjournalist. Von 1998 bis 2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der TU Ilmenau. Danach Forschungsassistent am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Sommer 2006 Gastprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Kommunikatorfoschung/Journalismusforschung, Medieninnovationsforschung, Medien- und Kommunikationstheorie. Reinemann, Carsten (1971) Dr., Studium der Publizistik, Politikwissenschaft und Psychologie in Mainz. 1997 wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig. 1997 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik in Mainz. Promotion zum Dr. phil. 2002. Seit April 2003 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik in Mainz. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Journalismusforschung, Medienwirkungsforschung, Methoden. Schulz, Winfried (Jg. 1938), Dr. rer. pol., Dr. h. c., em. Prof. für Kommunikations- und Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg; Studium der Sozialwissenschaften an den Universitäten München, Freie Universität Berlin und Mainz; Habilitation für Publizistik an der Universität
Autorinnen und Autoren
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Mainz; Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Mainz, Berkeley/USA, Münster, Erlangen-Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Medienwirkung, Methoden der Kommunikationsund Mediaforschung. Schweitzer, Eva Johanna (Jg. 1980), M.A., Studium der Publizistik, Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Psychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Januar 2004 dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Online-Kommunikation. Tapper, Christoph (Jg. 1966), M.A., Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Von 1998 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FUBerlin; zunächst am Arbeitsbereich PR/Kommunikationsmanagement und zuletzt im Studiengang Journalisten-Weiterbildung. Seit 2005 selbständiger Kommunikationsberater. Forschungsschwerpunkte: Öffentlichkeitsarbeit/ Kommunikationsmanagement, Dialoganalyse, Filmwirtschaft. Wilke, Jürgen (Jg. 1943), Prof. Dr., Studium der Germanistik, Publizistik und Kunstgeschichte in Mainz und Münster (Westf.). Promotion zum Dr. phil. 1971. Journalistische Tätigkeit. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Universität Mainz. Habilitation 1983. Von 1984 bis 1988 Professor (Lehrstuhl Journalistik I) an der Katholischen Universität Eichstätt. Seit 1988 Professor für Publizistik an der Universität Mainz. 2004 Prof. h.c. der Lomonossow-Universität Moskau, seit 2005 Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte u. a. Medien- und Kommunikationsgeschichte, Medienstruktur, Internationale Kommunikation, Nachrichtenforschung. Zeh, Reimar (Jg. 1970), Dr. rer. pol., Diplom-Sozialwirt; Studium der Sozialwissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; 1997 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kommunikations- und Politikwissenschaft in Nürnberg; 2005 Promotion; seit Juli 2005 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kommunikations-
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Autorinnen und Autoren
wissenschaft in Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Politische Kommunikation, Sportberichterstattung, Medienwirkung und Mediaforschung.