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Harry Thürk
Taifun Aufzeichnungen eines Geheimdienstmannes Zweites Buch Ping Tjiao Hutung
Weimar 1988
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Mit die...
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Harry Thürk
Taifun Aufzeichnungen eines Geheimdienstmannes Zweites Buch Ping Tjiao Hutung
Weimar 1988
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Mit diesem Buch möchte der Autor seine Verbundenheit mit China und dessen sozialistischer Entwicklung bekunden und seine auf eingehenden Studien beruhende persönliche Ansicht über einen wichtigen Abschnitt der Geschichte unseres Jahrhunderts einbringen.
Buchclubausgabe © Harry Thürk 1988 Alle Rechte vorbehalten Lizenz-Nr. 444-300/86/88 7001 Gesamtausstattung: Gerhard Medoch Gesamtherstellung: Karl-Marx-Werk Pößneck V15/30 Band I—III: 03680
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Vorbemerkung Es sind zehn Jahre vergangen, seitdem Sidney B. Robbins, der in China geborene Amerikaner, sein Haus in der Pekinger Ping Tjiao Hutung bezog. Der „Privatgelehrte“, den das OSS bei Ende des 2.Weltkrieges in Chinas Hauptstadt mit Wissen der Behörden ansiedelte, um eine Art Verbindung zu dem in der Revolution befindlichen Land zu erhalten, hat sich als hervorragend ausgebildeter Geheimdienstmann erwiesen, er verfügt auch über die erforderliche psychische Kondition für seine
Langzeitarbeit,
dennoch
–
seine
persönlichen
Aufzeichnungen lassen nach und nach Zweifel am Sinn der Sache erkennen, für die er steht. Da gibt es Lücken. Auch von Depressionen ist die Rede. Es sind wohl die neuen Realitäten in seiner chinesischen Umwelt, die ihm viele Hoffnungen der Anfangsphase nehmen, die ihn niedergeschlagen machen, introvertiert. Er hat den Aufschwung der Volksrepublik vor 4
Augen, dem er als kluger Beobachter seinen Respekt nicht versagen kann. Zuweilen gerät er sogar in die Nähe echter Begeisterung. Die stärker werdende Einbindung Chinas in das System der sozialistischen Staaten, besonders die Anlehnung an den Nachbarn Sowjetunion, wertet der Geheimdienstmann Robbins offensichtlich als energischen Strich durch die Rechnung die ursprünglich aufgestellt wurde. Es verwundert nicht, daß er sich immer tiefer in literarische Arbeiten vergräbt. Der 8. Parteitag der KP Chinas versetzt ihn schließlich nahezu in einen Zustand von Hoffnungslosigkeit, was die von ihm und ähnlich Denkenden angestrebte Annäherung Chinas an die USA betrifft. Das Endziel seiner Bemühungen scheint endgültig zum Phantom geworden. – Doch dann stellen plötzlich wieder neue spekulative Gedanken ein: In der Führungsspitze der KP Chinas bricht Mao Tse-tung einen offenen Streit um den künftigen Weg des Landes vom Zaune. Der wächst sich schnell zu Hasstiraden gegen die bis eben noch befreundete Sowjetunion aus. 5
Ist eine neue große Chance für das alte Ziel im Kommen? Der Autor
6
Station Ba Da 1.10.1954 Die erste Hitzewelle zum Sommeranfang hatte wie ein göttlicher Zauber gewirkt, sie brachte überall die Faszination des alten Pekings hervor: zur rechten Zeit, ohne Rücksicht auf Leid, Unglück oder Tod hatte die Stadt sich aufgerafft, ihre Kraft zu zeigen. Sie hypnotisierte die Herzen ihrer Millionen Bewohner und versetzte sie in einen traumgleichen Zustand, der sie Loblieder anstimmen ließ. Die Stadt war schmutzig, sie war schön, sie war altersschwach und verkommen, lebendig und lächelnd, unvergleichlich und verworren,
um friedlich und faul, eben Peking: unermeßlich,
unnachahmlich, liebenswert. Lao She, den ich für den bedeutendsten aller gegenwärtigen chine-sischen Romanciers halte, schrieb das im >Rickshaw BoyVerbotenen Stadtprivates Königreich< betrachtet und mit absolutistischer Selbstherrlichkeit regiert. - Gao Gang habe das System der >Einmann-Herrschaft< auf die mandschurische Industrie übertragen. (Gemeint ist die persönliche Verantwortlichkeit eines Leiters, wie das in der Sowjetunion praktiziert wird, z. B. bei Betriebsdirektoren, Kolchosvorsitzenden usw.) Dadurch wurden die Entscheidungen der Betriebsparteikomitees entwertet. Statt ihrer hätten Manager eigenmächtig die Betriebe regiert. - Gao Gang habe versucht, die Partei zu spalten und sich selbst an ihre Spitze zu stellen. - Gao Gang habe die Weisungen der Zentralregierung im Hinblick auf die Kollektivierung der Landwirtschaft hintertrieben und
die
Rückkehr
zum
System
der
Ausbeutung
der
Landproletarier befürwortet, indem er das vorgeschriebene Tempo der Kollektivierung eigenmächtig verringerte. (Das wird übrigens in ganz China von sehr vielen Funktionären getan, 84
stillschweigend, um durch das von Mao persönlich gewünschte Blitztempo nicht den langfristigen Erfolg der Kollektivierung zu gefährden.) -
Gao
Gang
habe
im Vorsitzenden des
Shanghaier
Parteikomitees und Chef der dortigen Administration, Jao Shuschi, einen Verbündeten gefunden, der sich der gleichen Mittel bediente, um die Volksmacht zu sabotieren. - Gao Gang habe einen Staatsstreich (!) versucht. Gao Gang habe weitere sieben hohe Funktionäre in der Mandschurei für seine Pläne gewonnen und sie zu Mitverschwörern gemacht. Neben diesen Anschuldigungen wird mündlich intensiv verbreitet, Gao Gang habe seine partei- und staatsfeindliche Tätigkeit im Einvernehmen mit sowjetischen Partnern ausgeübt, er sei von ihnen bestochen und unterstützt worden, das Ziel sei gewesen, Chinas Selbständigkeit zu liquidieren, indem unter dem Vorwand >Der Internationalismus macht Grenzen zwischen uns unnötig< die staatliche Eigenständigkeit Chinas beseitigt und das Land zu einer Sowjetrepublik gemacht werden sollte. Nie wird bei dieser Version eine Quelle angegeben, sie wird auch nie offiziell bestätigt, sie stammt meiner Ansicht nach trotzdem aus 85
der Parteiführung, und ich halte sie für ein Zeichen dafür, daß man versucht, eine Abgrenzung der Interessen Chinas gegenüber der Sowjetunion zu forcieren. Zur Kampagne: 24. 12. 1953: Auf einer Politbürositzung legt Mao eine Resolution
>Zur
Stärkung
der
Einheit
der
Parten
vor.
Im
Zusammenhang damit werden Gao Gang und Jao Shu-schi ihrer Funktionen enthoben. 6. 2. 1954: Erweiterte ZK-Tagung (d. h.: außer den gewählten Mitgliedern und Kandidaten läßt Mao Tse-tung auf eigene Einladung noch etwa 50 Funktionäre teilnehmen, mit Stimmrecht. Sie sind von ihm ausgewählt und verstärken sozusagen sein Stimmpotential, falls es zu Abstimmungen kommt. Diese Methode kann Mao offenbar üben, ohne dafür von anderen des Verstoßes gegen die Parteistatuten angeklagt zu werden. Er selbst war am 6.2. übrigens abwesend!). Liu Shao-tschi verliest die Anklage gegen Gao Gang und Jao Shu-schi. Die beiden werden unmittelbar danach in Haft genommen. 4. April 1955: 5. ZK-Plenum mit knappem Bericht über die > Verschwörung Gao Gangs feige Selbstmord verübte, kaum daß man ihn zur Verantwortung zogzwei Chinas< rundweg ab, besteht auf dem Recht zur >Befreiung< Taiwans, fordert den Abzug aller US-Truppen von der Insel und aus den umliegenden Gewässern, die Einstellung der US-Hilfe an Tschiang Kai-shek sowie den Hinauswurf von Tschiangs Diplomaten aus der UNO, wo sie >China< vertreten. Diesen Sitz beansprucht die Volksrepublik. Hierüber nun ist wiederum mit den USA beim besten Willen nicht zu reden — Prinzip oder nicht: die USA haben Verträge mit Tschiang Kaishek, die sie nicht verletzen können, ohne in Asien >das Gesicht zu Verlierern. Da Peking seinerseits natürlich auch bei der 88
geringsten Konzession, die Taiwan betrifft, Gesichtsverlust befürchten
muß,
ist
der
Ausgang
der
Genfer
Botschaftergespräche auf lange Sicht vorausbestimmt.
2.10.1955 Ein Sommer, so schön, wie wir ihn selten erlebten! Lange schon sind wir zurückgekehrt, in die Ping Tjiao Hutung. Die gewohnte Umwelt hat uns aufgenommen, die gewohnten Geräusche umgeben uns. Lao Wu und die Wu Tai-tai werkeln in der Küche herum, ab und zu lacht Hsiao Yü, die mit Burt beschäftigt ist, draußen auf der Gasse trompetet ein wandernder Scherenschleifer, Gemüsehändlers
das ist
Glöckchen eine
Weile
des zu
ambulanten hören,
das
Kastagnettengeklapper des Kuchenverkäufers. Über uns kreisen Tauben, deren Pfeifen summen und röhren, der Bambus im Hof raschelt unter einer kaum spürbaren Brise — es ist ein sonniger, noch sehr warmer Sonntag, an dem ich endlich wieder einmal Lust zum Aufschreiben meiner Gedanken bekomme. Ich habe Zeit. Sandy versieht Bereitschaftsdienst im Hospital, bis Mitternacht, sie arbeitet seit mehreren Monaten wieder. Anfang März, als wir nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in 89
Hongkong heimkamen, hatte uns die Geldreform überrascht — es wurden neue Banknoten ausgegeben, der Yüan bot sich ab sofort mit Gravuren dar, die Jenans einsam aufragende Pagode zeigten, Traktoren auf Erntefeldern oder marschierende, demonstrierende Volksmassen. Äußerlich war Peking ziemlich unverändert, wenn man von Neubauten im Zentrum absah und in der nordwestlichen Vorstadt. Hier war damit begonnen worden, einfache Wohnhäuser zu errichten. Im Gegensatz zu dem, was ich an Technik auf Baustellen in Hongkong gesehen hatte, baute man hier altmodisch und unter viel Aufwand von Arbeitskräften. »Das alles braucht seine Zeit«, meinte Tong, während wir im Bus bei einem gemeinsamen Ausflug an dem ausgedehnten Neubaugebiet vorbeirollten. »Im Grunde sind wir eben erst mit den Fundamenten einer modernen Industriegesellschaft befaßt, werden es auf lange Jahre weiter sein. Das Elend und die Rückständigkeit von Jahrhunderten kann man nicht mit Hast ausrotten, man braucht Ausdauer. Ich bezweifle, daß unsere Generation noch Anteil an den Früchten haben wird, die eine moderne chinesische Gesellschaft trägt, wenn unsere Kinder Glück haben, werden sie ernten können, vielleicht auch erst 90
unsere Enkel ...« Er lachte. »Man hat mich wegen dieser Ansicht unlängst kritisiert, in einer geschlossenen Versammlung. Ich war so
unbeherrscht
gewesen,
meine
Gedanken
Landsleuten
gegenüber offen zu äußern.« »Und?« Meine Neugier war erwacht. Tong nahm die Sache offenbar nicht so sehr ernst. Er meinte: »Wir haben wieder einmal eine Kampagne. Diesmal gegen Konterrevolutionäre. Die Führung ist der Ansicht, innerhalb der Partei würden sich bürgerliche und andere reaktionäre Leute zum Klassenkampf gegen die anderen sammeln, daher wird eine >Säuberung< durchgeführt. Es kommt nicht viel Vernünftiges dabei heraus, eine
Menge
Leute
mit
losem
Maul
werden
zu
Konterrevolutionären gestempelt, das ist alles. Mir wäre es beinahe auch so gegangen, aber ich bin nicht Parteimitglied, man konnte mir nicht nachsagen, daß ich mich tarne. Außerdem hatte ich die besseren Argumente ... Aber ein wohlmeinender Kader hat mir trotzdem nach der Versammlung den Rat gegeben, beim nächsten Mal lieber das Maul zu halten.« Wir stiegen unweit des Zoologischen Gartens aus. In den letzten Jahren war er vergrößert worden, und die Kinder fanden Spaß an den vielen Tieren, die sie sehen konnten. Interessanter als 91
der Zoologische Garten war für mich das von den Sowjets errichtete riesige Ausstellungsgebäude neben dem Zoo, ein Geschenk an die Pekinger. Ich sah es zum ersten Mal und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Der strahlend weiße Bau war von einem Turm gekrönt, der mich unwillkürlich an das Empire State Building erinnerte. Tong, der das Gebäude bereits kannte, schien durch den eigenwilligen Schnörkelstil nicht beeindruckt zu sein, er wies darauf hin, daß es im Inneren eine Unmenge hervorragend ausgestatteter Räume für Ausstellungen gab, man konnte sie aber auch für viele andere Zwecke nutzen, außerdem, und das schien ihm besonders wichtig, befand sich im linken Seitenflügel ein russisches Restaurant! Wir suchten es gegen Mittag auf, um zu speisen, und es machte Eindruck auf uns: eine riesige Halle, licht und luftig, hervorragend klimatisiert. Kristallkandelaber und teures Geschirr, dazu ein Essen, das sich sehr gut mit dem Standard jedes ausländischen Hotels messen konnte. Russische Küche, deftig, schmackhaft, dazu russische Getränke, vom sprichwörtlichen Moskauer Wodka über erlesenen Krimsekt und Weine bis zum limonadeartigen Gebräu, >Kwas< genannt, das wir alle zum ersten Mal genossen und von dem die Kinder gar nicht genug bekommen konnten. 92
Als wir russische Krautsuppe und Schnitzel aßen, Kompott und Brot, erinnerte ich mich an das Gespräch, das ich unmittelbar nach unserer Rückkehr von Hawaii mit Kang Sheng geführt hatte. Mao, so sagte er mir, sei auf einer Reise durch verschiedene Provinzen, um sich über die Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft zu informieren, und er habe ihn beauftragt, ihm meinen Bericht zu übermitteln. Eigentlich hatte ich nichts sonderlich Wichtiges mitzuteilen, außer daß Mister Dulles die Aufrechterhaltung des direkten und geheimen Kanals billigte, daß er ihn selbst benützen würde, sobald sich das erforderlich machte. Daß er die Botschaft des Vorsitzenden Mao mit Interesse entgegengenommen habe und der Meinung sei, das amerikanischchinesische Verhältnis wäre — wenn überhaupt — nur unter der Bedingung zu bessern, daß China sich deutlich von seinen Bindungen zu den Sowjets löse ... Dies alles nahm Kang Sheng mit unbewegter Miene zur Kenntnis. Dann vertraute er mir an, daß der Vorsitzende Mao »einen vorsichtigen, aber konsequenten Kampf in der eigenen Partei begonnen haberede und handle zunehmend feindselig< die chinesischen Kommunisten seien »weiterhin aggressiv“ Der Vorsitzende hatte insgeheim auf ein ermutigendes Signal gehofft ...« Ich kannte die Dulles-Rede von Ende November. Dulles hatte in eine ganz andere Richtung gezielt. Zu Hause trug man sich mit dem Gedanken, die demonstrative Gesprächsbereitschaft der Sowjets zunutzen und zu Vereinbarungen mit ihnen zu kommen, weil es sich heraus gestellt hatte, daß mit Gewalt kaum noch etwas gegen sie auszurichten war. Nun wollte man erproben, ob man den Sowjets auf dem Umweg über die Diplomatie beikommen könnte. Doch ein solcher politischer Schwenk brachte erhebliche innenpolitische Risiken mit sich, der antikommunistische Fanatismus der letzten Jahre war nicht ohne 94
Wirkung geblieben. Man mußte die Fanatiker besänftigen, und genau das tat Dulles, indem er einerseits die Gesprächsbereitschaft der USA andeutete, andrerseits aber die alten, feindseligen Formulierungen anbrachte. Es dauerte einige Zeit, bis ich Kang Sheng diesen Zusammenhang erklärt hatte, aber ich gewann nicht den Eindruck, daß er meine Deutung teilte, obwohl er höflich bemerkte, er müsse das wohl alles neu durchdenken und noch einmal mit dem Vorsitzenden darüber sprechen.
'
Neu und absolut überraschend war ein Vorschlag, den der müde aussehende und. wie es mir schien, von Mal zu Mal mürrischer und introvertierter werdende Kang Sheng mir unmittelbar nach unserer Erörterung der Dulles-Rede machte. Er wollte die offenbar äußerst mißtrauischen und überall Verrat oder Hinterhalte
witternden
Amerikaner
von
nun
an
ebenso
regelmäßig über die Hauptschwerpunkte der innenpolitischen Entwicklung der Volksrepublik informieren wie über gewichtige Aspekte im außenpolitischen Konzept. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und Kang Sheng muß das gespürt haben, er wiederholte geduldig, es handle sich darum, den verantwortlichen Leuten in den Vereinigten Staaten durch praktische Maßnahmen klarzumachen, daß China entschlossen sei, zu ihnen letztendlich 95
ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, selbst wenn das noch lange Zeit dauerte. Eine neue Variante der nun mehr als zehn Jahre geübten Praxis, Amerika gegenüber > starke Worte zu gebrauchen und gleichzeitig den Tisch für ein Festmahl zu decken