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Reichsbischof Ludwig Müller Eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit
VANDENHOECK & RUPRECHT
ARBEITEN WR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz
REIHE B: DARSTELLUNGEN Band 19
Thomas Martin Schneider Reichsbischof Ludwig Müller
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT· 1993
Reichsbischof Ludwig Müller Eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit
von
Thomas Martin Schneider Mit 8 Abbildungen
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT· 1993
Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen
Die De~ttsche Bibliothek- CIP-Einheitsa~tfnahme Schneider, Thomas Martin: Reichsbischof Ludwig Müller: eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit I von Thomas Manin Schneider.Göningen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darstellungen; Bd. 19) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-S2S-SS719-1 NE: Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte I B
@ 1993 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Primed in Germany.- Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwenung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz und Druck: Gulde-Druck GmbH, Tübingen Einband: Huben & Co., Göttingen
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung
9
11
Kapitell Jugend, Ausbildung, Gemeindepfarramt{l883-1914)
17
1. Familie, Kindheit, Schulzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Studium................................................... 3. Inspektorentätigkeit, Vikariat, Hilfspredigerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeindepfarramt in Rödinghausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 28 34 36
Kapitel2 Der Militärpfarrer ( 1914-1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
1. In Wilhelmshaven und Flandern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 46 49 54 57 75
2. 3. 4. 5. 6. 7.
In der Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DieZäsur 1918.............................................. In Cuxhaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederum in Wilhelmshaven (als Stationspfarrer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wehrkreispfarrer in Königsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Müllers Bekanntschaft mit Adolf Hitler und seine Hinwendung zu den Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Müllers kirchenpolitisches Engagement in den Ietztenjahren der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 94
Kapitel3 Auf dem Wege zum Reichsbischofsamt (April bis September 1933)....
103
1. Die Berufung zu Hitlers Bevollmächtigtem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zusammenarbeit mit dem "Drei-Männer-Kollegium" und die Niederlage gegen Bodelschwingh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kampagne gegen Bodelschwingh und Müllers "Machtergreifung" . . . . 4. Verfassung und Kirchenwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Müller als Vorsitzender der "Einstweiligen Leitung", seine Wahl zum preußischen Landesbischof und zum Reichsbischof . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 110 129 139 147
6
Inhaltsverzeichnis
Kapitel4 AnderMacht(1933-1935).....................................
153
1. Das erste .,Reichskirchenkabinett" Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
2. Die Hinwendung zu einerneuen kirchenpolitischen Konzeption unter dem Einfluß Oberheids und Jägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Versuch der ,.Gleichschaltung" der Landeskirchen und der Errichtung einer Reichsbischofsdiktatur 1934 (die ,.Ära Jäger") . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Müllers Vonragsrundreisen und seine reichsbischöflichen Verlautbarungen 1934/35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Widerstand gegen das "Regime" Müller und das Scheitern der "Gieichschaltungspolitik" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Müllers Bemühungen um die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes .
168 191 195 206 212
KapitelS Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
218
1. Die faktische Entmachtung Müllers und Müllers Verhältnis zum Reichs-
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
kirchenministerium und zu den Kirchenausschüssen. . . . . . . . . . . . . . . . . Müllers "Bündnis" mit dem Bremer DC-Landesbischof Heinz Weidemann und seine Hinwendung zu den Thüringer Deutschen Christen . . . . . Müller und Rosenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Müllers Briefe an Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Müllers öffentliche Auftritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,.Deutsche Gotteswone"- Müllers ,. Verdeutschung" der Bergpredigt . . . . Zur Wirkung der ,.Deutschen Gotteswone" im Kirchenkampf . . . . . . . . . Zum geistigen und historischen Hintergrund der ,.Deutschen Gotteswane"................................................... ., Was ist positives Christentum?"- Müllers ,.Glaubens- und Sittenlehre" . ,.Der deutsche Volkssoldat"- Müllers ,.Kriegsbuch" . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Darstellung von Müllers theologischem und kirchenpolitischem Denken nach seiner faktischen Entmachtung . . . . . . . . . . . . . Zur Einordnung von Müllers Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: MüllerundJuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Bewertung der Aktivitäten Müllers nach seiner faktischen Entmachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MüllersTod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218
227 232 236 245 250 256 269 274 280 284 295 302 306 308
Anhang zu Kapitel 5 Verzeichnis der öffentlichen Auftritte Müllers nach seiner faktischen Entmachtung................................................
315
Inhaltsverzeichnis
7
Kapitel6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
322
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337
I. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Größere unveröffentlichte Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mündliche und schriftliche Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337 337 341 342 342
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
355
Personenregister/Biographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356
Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
376
VORWORT Ludwig Müller war nicht gerade eine Persönlichkeit, mit der man sich identifizieren könnte. Er erinnert eher an Heinrich Manns "Untertan" Diederich Heßling oder an einen jener modernen Heilsprediger, deren mangelnder theologischer Tiefgang sich mit Sendungsbewußtsein, sicherem Instinkt für populistische Simplifizierungen und einem gewissen Charisma mischt, oder auch an einen jener anderen zahlreichen Günstlinge Hitlers, die ihre Position nicht so sehr ihrer Kompetenz, als vielmehr ihrer skrupellosen Gesinnung und Devotion verdankten. Derartige Urteile über die Persönlichkeit des "Reichsbischofs von Hitlers Gnaden" bergen, so zutreffend sie auf der einen Seite auch sind, auf der anderen Seite die Gefahr der selbstgerecht-moralistischen Überheblichkeit und der Besserwisserei aus der sicheren Warte der Nachgeborenen in sich. Sie erklären jedoch nur unzureichend, wie Müller zu der zunächst keineswegs unbedeutenden Rolle kam, die er spielte, in welcher Weise er diese Rolle ausfüllte und welche Positionen er vertrat. Sein Aufstieg und Wirken spiegeln womöglich stellenweise die allgemeinen kirchlichen und z. T. auch gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse besser wider als das Wirken und Schicksal einer der vorbildlichen Persönlichkeiten des Kirchenkampfes; wahre "Helden" sind ohnehin stets nur in der Minderheit. Müllers "Regiment" markiert in jedem Fall einen bis dahin wohl beispiellosen Tiefpunkt der evangelischen Kirchengeschichte, der aber zum Wendepunkt wurde, da sich gerade auch an der Person des Reichsbischofs der Widerstand entzündete, der der Kirche den Weg zurück zu ihren Wurzeln und damit in die Zukunft wies. Das Scheitern Müllers bedeutete in gewisser Weise gleichzeitig das Scheitern des Versuchs der nationalsozialistischen Gleichschaltung der evangelischen Kirche und das Scheitern des Bemühens um einen christlich-nationalsozialistischen Synkretismus, dem Müller- auch noch nach seinem erzwungenen Abtritt von der kirchenpolitischen Bühnemit stark zunehmender Leidenschaft, jedoch ebenso stark abnehmender Resonanz huldigte, bis er geradezu zu einer fast tragischen Figur wurde. Die vorliegende Untersuchung wurde im November 1991 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Sie wurde für den Druck geringfügig überarbeitet. Herzlich danke ich zunächst Herrn Professor Dr. Wolf-Dieter Hauschild, Münster, der die Arbeit anregte und sie, auch im Hinblick auf die Druckfassung, stets mit großem Interesse und Engagement betreute.
10
Vorwort
Weiterhin danke ich Herrn Landeskirchenrat i.R. Dr. h.c. Ernst Brinkmann, Dortmund, und Herrn Professor Dr. Kurt Meier, Leipzig, für mancherlei Hinweise und Anregungen. Ferner danke ich sehr den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der benutzten Archive (vgl. Quellen- und Literaturverzeichnis), ohne deren geduldige Hilfsbereitschaft mir manche wichtige Akte verborgen geblieben wäre, sowie für die Erteilung der Genehmigungen zur Einsichtnahme in die Nachlässe von Hans Meiser, Martin und Wilhelm Niemöller und Werner von Biomberg. Besonderer Dank gebühn meinem Freunde Pastor Hansgünter Reichelt, Leipzig, der noch unter den schwierigen .,DDR-Bedingungen" mancherlei Material besorgte und z. T. in stundenlanger Arbeit handschriftlich kopierte, meinem Bruder cand. theol. Wolfgang Schneider, Witten, für seine Hilfe beim Korrekturlesen sowie Herrn Dr. Carsten Nicolaisen und Frau Hannelore Braun M.A. von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München, für zahlreiche wenvolle, rasche Hilfeleistungen und für ihre Unterstützung und Geduld bei der Erstellung des druckfertigen Manuskriptes. Der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft danke ich auch für die freundliche Aufnahme dieser Untersuchung in die Reihe der .,Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte". Schließlich danke ich all jenen, die mich während der mehr als zwei Jahre der Abfassung gewissermaßen .,an Leib und Seele" betreuten, mir während der Archivreisen Gastfreundschaft gewährten, mich in die .,hohe Kunst" der modernen Textverarbeitung einwiesen oder sonst in irgendeiner Weise das Entstehen dieser Arbeit fördenen. Stellvertretend für alle nenne ich Margarete Böcker, Witten, Hans-jürgen Görß, Münster, sowie Ulrike Osang, Andrea Pingel und Ralf Leithoff, Berlin. Meinen Eltern Gerda und Horst Schneider- mein Vater konnte die Fertigstellung leider nicht mehr erleben und meiner Frau Christine Rensinghoff ist die Arbeit in Dankbarkeit gewidmet. Ibbenbüren, im Mai 1992
Thomas Manin Schneider
EINLEITUNG
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zum Verständnis der Persönlichkeit Ludwig Müllers leisten. Ein solches Vorhaben fügt sich namentlich ein in die vorerst noch sporadischen Versuche, die Geschichte der Glaubensbewegung Deutsche Christen, der deutsch-christlichen Kirchenpolitik und Theologie besser zu erforschen. Bei dem Bemühen um ein historisches Verstehen der neueren Kirchengeschichte muß auch der Lebensgang derjenigen berücksichtigt werden, die aus heutiger Sicht zwar die "Verlierer" sind und sich in fataler Weise irrten, die zu Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aber die Kirchenpolitik- z. T. unter anfänglich breiter Zustimmung der kirchlichen Öffentlichkeit - entscheidend bestimmten und auch das allgemeine religiöse Denken stark beeinflußten. Das Fehlen einer biographischen Darstellung über Ludwig Müller hat Georg Kretschmar bereits 1969 konstatiert 1 • Müller war nicht nur als Mitbegründer und Mitglied der Reichsleitung der Deutschen Christen, Mitbegründer und "Führer" des ostpreußischen Landesverbandes der Deutschen Christen, "Bevollmächtigter des Reichskanzlers für die Fragen der evangelischen Kirche", "Schirmherr" der Deutschen Christen, Reichsbischofskandidat, Vorsitzender der "Einstweiligen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche", preußischer Landesbischof und deutscher Reichsbischof einer der einflußreichsten und exponiertesten Vertreter der Deutschen Christen und zugleich einer der zwielichtigsten und -zumindest von seinen Kompetenzen her- mächtigsten Männer der Kirchengeschichte des deutschen Protestantismus, sondern er war trotz zahlreicher persönlicher Eigentümlichkeiten in mancher Hinsicht auch ein Prototyp für die allgemeine Mentalität und das allgemeine Denken der Deutschen Christen. Allerdings muß natürlich eingeräumt werden, daß es sich bei den Deutschen Christen um eine sehr heterogene Gruppierung handelte und daß dementsprechend Müllers Verhältnis zu Teilen der Deutschen Christen (gerade auch zu solchen, die "maßgeblich" waren) aus taktischen kirchen- und machtpolitischen, persönlichen, aber auch weltanschaulich-religiösen Gründen keineswegs ungebrochen war: Als "Führer" des ostpreußischen Landesverbandes der Deutschen Christen und DC-"Schirmherr" auf Reichsebene beschritt er 1932/33 einen relativ unabhängigen gemäßigt-konservativen Weg, der ihn in Konflikt brachte zu der radikalen DC-Reichsleitung unter Joachim Hossenfelder (bis Ende 1933). 1
G. KRETSCHMAR, Auseinandersetzung, S. 132, Anm. 19.
12
Einleitung
Während er sich dann 1934 mit dem DC-Reichsleiter Christian Kinder eng verbunden fühlte, befand er sich zu dem gemäßigten Kurs des DC-Reichsleiters Wilhelm Rehm (ab 1935) wieder in einem fundamentalen Gegensatz und "verbündete" sich mit dem "Führer" der äußerst radikalen, selbständigen Bremer Deutschen Christen Heinz Weidemann und mit den ebenfalls äußerst radikalen, selbständigen Thüringer Deutschen Christen. Müller wechselte also auch seinen eigenen Standort innerhalb des breiten Spektrums der Deutschen Christen von einer sehr gemäßigten zu einer sehr radikalen Position. Ludwig Müllers Lebensjahre in Westfalen von seiner Geburt bis zu seinem einunddreißigsten Lebensjahr hat Ernst Brinkmann in einem sorgfältig recherchierten kurzen Aufsatz von 1983 bereits erforscht 2 • Die von Manfred Koseborke verfaßten biographischen Skizzen, die 1976 veröffentlicht wurden, geben vor allem etwas Aufschluß über Müllers Tätigkeit als Wehrkreispfarrer in Königsberg/Ostpreußen (1926 bis 1933)1. Norben Sahrhage veröffentlichte einen Bericht über eine 1937 in Bünde gehaltene Rede Müllers\ der Müllers eigene Veröffentlichungen (s. Literaturverzeichnis) ergänzt. Der ehemalige deutsch-christliche Oberkirchenrat bei der "Reichskirchenregierung" Walter Birnbaum widmete in seinen 1973 veröffentlichten Memoiren seinem früheren obersten Vorgesetzten Müller einen eigenen Abschnitt, in dem er seine immer noch geradezu begeisterte Wenschätzung für Müller zum Ausdruck brachte 5 • Ansonsten existieren, abgesehen von einigen kurzen populärwissenschaftlichen Lexikonartikeln 6 und einigen stark tendenziösen deutsch-christlichen Kurzbiographien aus dem Jahre 1933 7 sowie der kurzen satirisch-kritischen Lebensbeschreibung von Waldemar Grimm 8 explizite zu Müller keinerlei Veröffentlichungen. Was die Erforschung der Deutschen Christen allgemein angeht, so liegen außer der ausführlichen Organisationsgeschichte von Kurt Meier von 1964 9 bislang im wesentlichen lediglich zwei regionalgeschichtliche Untersuchungen 10 und zwei Studien zur deutsch-christlichen "Theologie" 11 vor. Hinzu E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre. M. KoscHORKE, Person; 0ERS., Wehrkreispfarrer. 4 N. SAHRHAGE: ,. Wir haben jetzt ein Reich ... " Sahrhage behauptete irrtümlicherweise (Ean., S. 311, Anm. 3), für die Rede sei vorher in der Presse nicht geworben worden. Vgl. aber die den Auftritt Müllers ankündigende Zeitungsanzeige LKA BIELEFELD, 5,1-305,3. ~ W. BIRNBAUM, Zeuge, S. 196-200. 6 TH. MuRKEN, Müller; L. SNYDER, Encyclopedia; R. WISTRICH, Wer war wer?; CH. ZENTNERIF. BEDÜRFTIG, Lexikon. Vgl. ferner die Anmerkungen zur Vita Müllers bei K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 551 f.; H. DEGENER, Wer ist's? sowie F. BAUKS, Pfarrer, S. 345; DERS., Nachträge, S. 247. 1 W. ULMENRIED, Müller; A. DANNENMANN, Geschichte, S. 33-36; M. DIETRICH, Müller. 8 W. GRIMM, Reichsbischof. 9 K. MEIER, Deutsche Christen. Vgl. auch DERS., An.: Deutsche Christen, in: TRE. •o H. BAIER, Deutsche Christen (Bayern); R. HEINONEN, Anpassung (Bremen). 11 W. TILGNER, Volksnomostheologie; H.-J. SoNNE, Theologie. 2 3
Einleitung
13
kommen die frühe (1957) publizistische Arbeit über die Propaganda der Deutschen Christen von Karl-Heinz Göne 12 sowie einschlägige Abschnitte in übergreifenden Darstellungen zum Kirchenkampf 13 • Biographien Deutscher Christen wurden- anders als bei Vertretern der Bekennenden Kirche 14 - noch nicht geschrieben. Auch Autobiographien Deutscher Christen wurden kaum veröffentlicht 15 • Friedrich Wilhelm Bauks verfaßte aber eine kurze biographische Skizze über den westfälischen DCBischof Bruno Adler 16, und der Aufsatz von Jochen-Christoph Kaiser: ",Politische Diakonie' zwischen 1918 und 1941" erhellt die Vita des deutschchristlichen Direktors des Centralausschusses für die Innere Mission und zeitweiligen "Adjutanten" des späteren Reichsbischofs Ludwig Müller Horst Schirmacher 17 • Die naturgemäß wenigen Spuren, die Müller als Schüler, während der praktischen Phase seiner Ausbildung und während seines Gemeindepfarramtes in den Akten hinterließ, sind im wesentlichen noch vorhanden und bequem zugänglich 18 • Das Bild, das diese Dokumente vermitteln, wurde in der vorliegenden Arbeit ergänzt durch die Auswertung retrospektiver Aussagen Müllers, wie sie sich vor allem in seinen Reden ab 1933 finden (s. u.), sowie retrospektiver Aussagen von Bekannten Müllers, wie sie sich vor allem in Briefen an den Reichsbischof Müller (1933ff.) finden 19 • Ferner konnten noch Äußerungen von Zeitzeugen aus der Gegenwart verwandt werden. K.-H. Göm, Propaganda. Vgl. vor allem K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1 und 2; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1-3; H. BucHHEIM, Glaubenskrise. Vgl. auch die einschlägigen Abschnitte in den inzwischen zahlreichen regionalhistorischen Darstellungen zum Kirchenkampf. 14 Vgl. etwa die Bonhoeffer-Biographie von E. BETHGE, die Martin Niemöller-Biographien von J. BENTLEY und J. ScHMIDT, die Asmussen-Biographie von E. KoNUKIEWJTZ, die Bodelschwingh-Biographie von W. BRANDT, die Dibelius-Biographie von R. STUPPERICH, die Kar) Koch-Biographie von W. NtEMÖLLER, die Biographie des sächsischen BK-Pfarrers Fischer von H. KLEMM (Dienst). Vgl. ferner das Buch von E. KLÜGEL (Landeskirche) über den Hannoverschen Landesbischof Marahrens und die Biographie von W. PHtLIPPS über den Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses Wilhelm Zoellner. u An Autobiographien Deutscher Christen wurden veröffentlicht: CH. KINDER, Beiträge; W. BIRNBAUM, Zeuge; F. TüGEL, Weg (hg. v. C. Nicolaisen). Vgl. auch die unveröffentlichte Autobiographie von F. Wieneke, Kirche und Partei (Ms. bei der EvAG MüNCHEN). An Erinnerungen von Venretern der Bekennenden Kirche (im weiteren Sinne) liegen u.a. vor: G. DEHN, Zeit; 0. DIBELIUS, Ein Christ ist immer im Dienst; DERS., So habe ich's erlebt; P. FLEISCH, Kirchengeschichte; J. KüBEL, Erinnerungen; W. STÄHLIN, Via Vitae; R. v. THADDEN-TRIEGLAFF, Posten; TH. WuRM, Erinnerungen. Vgl. auch die unveröffentlichte Autobiographie von P. Winckler, Wie ich es sah und sehe (Ms. im LKA BIELEFELD). 16 F. BAuKS, DC-Bischof Bruno Adler. 17 J.-CH. KAISER, .Politische Diakonie•. 18 ARCHIV DES EVANGELISCH-STIFTISCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH; LKA BIELEFELD; ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHENGEMEINDE RöDINGHAUSEN. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, hat die Quellen im einzelnen zum Großteil bereits erschlossen. Z. T. konnten weitere Quellen gefunden werden. 19 EZA BERLIN, 1/C 4/74-80. 12 13
14
Einleitung
Schließlich wurde der geistesgeschichtliche Hintergrund ein wenig ausgeleuchtet (Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung, Universitäten Halle und Bonn). Dasselbe methodische Vorgehen, nämlich aus von ihrer Art, Herkunft und ihrem Alter her unterschiedlichen Quellen unter Berücksichtigung des historischen Kontextes ein Gesamtbild zu rekonstruieren, wurde auch beim zweiten Kapitel, über Müllers Zeit als Militärpfarrer (1914 bis 1933), angewandt. Auch hier konnten noch Zeitzeugen befragt werden. Während die Zeit des Ersten Weltkrieges, den Müller in Flandern und der Türkei verlebte, und die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als Müller Marinepfarrer in Cuxhaven war, quellenmäßig recht dunkel sind und man hier hauptsächlich auf retrospektive Äußerungen angewiesen ist, ist die Quellenlage im Hinblick auf die etwa sechsjährige Tätigkeit Müllers als Marineoberpfarrer in Wilhelmshaven (1920 bis 1926) recht gut. Die wichtigste Quelle sind hier die im Militärarchiv Freiburg verwahrten Akten des Stationspfarramtes Wilhelmshaven aus jener Zeit, die freilich nicht ohne Lücken sind 20 • Für Müllers Jahre als Wehrkreispfarrer in Königsberg (1926 bis 1933) ist die Quellenlage dagegen wieder relativ schlecht. Die Akten des Wehrkreises I (Ostpreußen) wurden vernichtet 21 • Allerdings ist das NSDAP-Gauarchiv Ostpreußen noch vorhanden 22 , das freilich über die wichtige Frage nach der Hinwendung Müllers zu den Nationalsozialisten Ende der zwanziger Jahre kaum Aufschluß gibt, so daß man auch hier wieder im wesentlichen auf retrospektive Aussagen, teilweise sogar erst aus der Zeit nach 1945, angewiesen 1st. Über die sich teilweise geradezu überschlagenden kirchenpolitischen Ereignisse der Jahre 1933 und 1934 (Schaffung der evangelischen Reichskirche und Beginn des Kirchenkampfes), an denen Müller meist direkt oder indirekt beteiligt war, sind wir vor allem durch die äußerst ausführlichen Gesamtdarstellungen von Klaus Scholder und Kurt Meier gut informiert 23 • Scholder und Meier haben das in Frage kommende Archivmaterial nahezu vollständig erschlossen. Hinzu kommt eine kaum überschaubare Fülle von Einzeluntersuchungen und Quellensammlungen zum Kirchenkampf 1933ff. Dem Duktus der Darstellungen von Scholder und Meier im wesentlichen folgend, wurden im dritten und vierten Kapitel, über Müllers Weg zum Reichsbischofsamt und seine Zeit an der Macht als Reichsbischof (1933 bis 1935), Literatur, gedruckte Quellen und Archivmaterial konzentriert auf die Person und die Rolle Müllers, sein Denken und Wirken, ausgewertet. Demgegenüber tritt eine detaillierte Schilderung der kirchengeschichtlichen Vorgänge BA FREJIURG, RM 26. BA FREIIURG, RH 53-1. zz GStA BERLIN, XX, Rep. 240. 2 3 K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1 und 2; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1-3.
lO 21
Einleitung
15
1933/34 zurück; diese wurden vielmehr insofern betrachtet, als sie mit der Person Müllers zu tun haben. Dabei ergaben sich freilich nur zu einem gewissen Teil neue Aspekte; zum Teil konnten frühere Beobachtungen ergänzt oder auch revidiert werden. Dies betrifft vor allem die Amtsführung Müllers, sein Verhalten bei Verhandlungen, sein Verhältnis anderen gegenüber und die Beurteilung Müllers durch andere. Von dem benutzten Archivmaterial sind im besonderen zu nennen: der riesige Bestand, betreffend die Deutsche Evangelische Kirche 1933 bis 1945, im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin 24 , der u. a. auch die Akten des Sekretariats des Reichsbischofs enthält, die in Bielefeld und Darmstadt verwahrte umfangreiche Sammlung zum Kirchenkampf von Wilhelm Niemöller2s, die Akten des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser 26 und der Nachlaß des wüntembergischen Landesbischofs Theophil Wurm 27 . In der Forschung nahezu unberücksichtigt blieben bislang die im Kommunalarchiv Minden verwahrten Akten der nach dem Zweiten Weltkrieg von ehemaligen Deutschen Christen gegründeten "Kirchengeschichdichen Arbeitsgemeinschaft", die allerdings zum Großteil noch nicht verzeichnet sind 28 . Die in staatlichen Archiven verwahrten Akten über Müllers Wirken 1933 bis 1935 sind in dem von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und der Kommission für Zeitgeschichte gemeinsam herausgegebenen "Inventar staatlicher Akten zum Verhältnis von Staat und Kirchen 1933-1945" verzeichnet 29 . Müllers Tätigkeit nach seiner faktischen Entmachtung im Herbst 1935 (fünftes Kapitel) blieb bislang in der Forschung nahezu gänzlich unberücksichtigt. Die Quellenlage ist relativ gut. Über die zahlreichen öffentlichen Reden Müllers- seine Hauptbeschäftigung bereits ab 1934- gibt es zahlreiche Berichte, Mitschriften und sonstige Hinweise 30 • Müllers Verhältnis zu staatlichen Stellen, besonders zum Reichskirchenministerium, erhellen die einschlägigen Akten im Bundesarchiv, Abt. Potsdam 31 und die in der Form von Microfiches vom Institut für Zeitgeschichte publizierten Akten der NSDAP-Parteikanzlei 32 . Ebenfalls kaum berücksichtigt wurden in der Literatur bisher die drei EZA BERLIN, 1. LKA BIELEFELD, 5,1; LKA DARMSTADT, 35. 26 LKA NüRNBERG, Pen. XXXVI. 27 LKA STUTTGART, D 1. Wurm und Meiser, die 1933 Müller untentützten, gehönen ab 1934 mit zu seinen schärfsten Widenachem. 28 KA MINDEN: Bestand Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft. Vgl. hierzu den Aufsatz von B. HEY, Arbeitsgemeinschaft. 29 CH. ABELEIH. BoBERACH, Inventar, S. 208-218. 30 Vgl. unten die im Anhang zu KapitelS, S. 315 ff. aufgefühnen Quellennachweise. l l BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM. 32 IFZ MüNCHEN, Akten. 24 25
16
Einleitung
größeren Publikationen Müllers aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre 33 ; sie werden in der vorliegenden Arbeit besprochen. Ein persönlicher Nachlaß Müllers existiert nicht; sämtliche Unterlagen sollen 1944 den Bomben zum Opfer gefallen sein 34 • Seine Personalakte enthält so gut wie kein relevantes Material 35 • Die Arbeit ist, wie es sich für eine biographische Darstellung nahelegt, chronologisch aufgebaut. An verschiedenen Stellen wird eingehalten, um in einem eigenen Abschnitt u. a. Müllers Reaktion auf bestimmte Ereignisse und Entwicklungen, sein Verhältnis zu bestimmten führenden Persönlichkeiten und sein Denken zusammenfassend, systematisch zu beleuchten. Daß die Einordnung von Müllers Denken in der Arbeit nur relativ wenig Raum einnimmt, ergibt sich aus der Sache: Selbst Müllers "Verehrer" Walter Birnbaum räumte ein, daß Müller "gewiß kein bedeutender Theologe (war)" 36 • Der Schwerpunkt der Arbeit sind die Kapitel I, II und V, in denen es um die bisher vernachlässigten Fragen: Woher kam Müller, und was wurde aus ihm? geht, deren Behandlung zu einem historischen Verstehen des gleichsam kometenhaften Auftretens Müllers in den Jahren 1933 bis 1935 beitragen soll. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurden offenkundige Orthographie- und Interpunktionsfehler sowie altertümliche Schreibweisen in den zitierten Quellen in der Regel stillschweigend korrigiert.
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L. MüLLER, Gottesworte; DERs., Positives Christentum; DERS., Volkssoldat. Auskunft von Frau Elfriede Maeser-Müller (Cuxhaven), 14. 9. 1990. EZABERLJN,I/C 1/40. Vgl. untenS.JI,Anm.lll. W. BIRNBAUM, Zeuge, S. 196.
KAPITEL
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JUGEND, AUSBILDUNG, GEMEINDEPFARRAMT (1883-1914)
1. Familie, Kindheit, Schulzeit
Johann Heinrich Ludwig Müller wurde am 23. Juni 1883 in Gütersloh in Westfalen geboren 1• Gütersloh, damals eine etwas "abseits" gelegene Stadt mit etwa 20.000 Einwohnern, mit Baumwoll- und Seidenindustrie und dem bekannten Verlag Bertelsmann, war der" Vorort" der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung; u. a. hatte Johann Heinrich Volkening hier gewirkt 2 • Die Erwekkungsbewegung hatte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts im allgemeinen zwar ihren Höhepunkt bereits überschritten, in Gütersloh war sie jedoch nach wie vor eine starke prägende Kraft. Noch in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war die Gütersloher Gesellschaft dem Bericht eines Zeitgenossen zufolge "durch und durch vom kirchlich-pietistischen Geiste bestimmt .... Der Pfarrer stand in hoher Achtung. Regelmäßiger Besuch des Gottesdienstes gehörte zum guten Ton. Man nahm teil beim Abendmahl. ... Der konservative Bauer sah es gern, wenn auf seinem Hof das Missionsfest gefeiert wurde .... Es wurde streng auf Sonntagsruhe gehalten, und es gab Familien, bei denen, zumal wenn man zum Abendmahl gewesen war, nicht einmal weibliche Handarbeiten erlaubt waren." 3 Theologisch vertrat die Ravensberger Erweckungsbewegung einen strengen Biblizismus und ein orthodoxes Luthertum. Jegliche rationalistischaufklärerische Strömung wurde als säkulare Aufweichung des christlichen Glaubens bekämpft. Nachdem ursprünglich die reformatorische Rechtfertigungslehre im Mittelpunkt der Predigt gestanden hatte, traten im Laufe der Zeit immer stärker das persönliche Erlebnis der "Erweckung", die "plötzliche emotionale Erfahrung von Sünde, Bekehrung und Gnade" und die "reine Lehre" in den Vordergrund•. Die Bewegung erhielt einen nomistischen Zug; weltliche Vergnügungen, wie z. B. Tanzen, wurden verdammt. Nach dem Vorbilde des
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E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 193. W. UuuNRJED, Müller, S. 6; F. BRUNS, Gündung, S. 14. Zit. nach F. BRUNS, Schule, S. 86. F. NtPKAU, Traditionen, S. 368; TH. SuNDERMEIER, Kirchenverständnis, S. 130.
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älteren Pietismus wurden erbauliche Zirkel gegründet. Mission nach außen und innen (Diakonie) wurde wichtig 5 • In politischer Hinsicht kann die Erweckungsbewegung als entschieden vaterländisch-monarchistisch, antiliberal und sozialkonservativ charakterisiert werden. Sie war - ganz im Sinne der restaurativen Bemühungen der Heiligen Allianz- eine Gegenbewegung gegen die im" Vormärz" und während der Märzrevolution von 1848 erhobenen liberalen und demokratischen Forderungen 6 • In dem "erweckten" Gütersloh kam es dementsprechend im März 1848 sogar zu einer sogenannten "umgekehrten Revolution", einer "tumultartige[n] Demonstration gegen die Vertreter der Fortschrittspartei"7. Den modernen emanzipatorischen und industriellen Bestrebungen des Bürgertums stand die sich hauptsächlich aus dem Adel und ländlich geprägten mittleren und unteren Bevölkerungsschichten rekrutierende Erwekkungsbewegung ebenso ablehnend gegenüber wie der Sozialdemokratie. Minden-Ravensberg war um die Jahrhundertwende eine Hochburg der Christlich-Konservativen bzw. der Christlich-Sozialen Partei. Beide Gruppierungen waren entschieden protestantisch und vertraten die soeben geschilderten politischen Vorstellungen. Hinzu kam ein starker Antisemitismus. Die Christlich-Soziale Partei wurde in der Reichswahlstatistik sogar unter der Rubrik "Antisemiten" geführt. Von 1879 bis 1898 vertrat deren Vorsitzender Adolf Stoecker Minden-Ravensberger Wahlkreise im Preußischen Abgeordnetenhaus 8 • Ludwig Müllers Vater, Adolf Müller, war "Eisenbahn-Stationsdiätar" bzw. "Stationsassistent" 9 , also ein in der Bahnhofsverwaltung beschäftigter außerplanmäßiger Reichsbahnangestellter. Ihm gelang später durch Verbeamtung und Beförderung zum "Stationsvorsteher I. Klasse" ein gewisser sozialer Aufstieg, mit den sozialen Absieherungen eines Beamten und einem immerhin fast doppelt so hohen Einkommen wie dem eines Lokomotivführers10. Ludwig Müllers Mutter war Adolf Müllers Ehefrau Anna]ohanne Sophie geb. Veerhof. Sie hatte noch drei weitere- sämtlich jüngere- Kinder 11 • Johanne Müller war eine sehr fromme Frau, in ihrer Religiosität offenbar s Zur Theologie der (Ravensberger) Erweckungsbewegung vgl. u.a. G. BENRATH, Erwekkung; F. BRUNS, Gründung; DERS., Schule; R. DEICHGRÄBER, Erweckung; M. GRESCHAT, Erweckungsbewegung; J. MoosER, Frommes Volk; TH. SuNDERMEIER, Kirchenverständnis. 6 F.NrPKAU, Traditionen, 5.368; G.BENRATH, Erweckung, S.211; vgl. auch K.-W. DAHM, Pfarrer, S. 161. 7 fi.fiiLBK,Idee,S.43. • F. NrPKAU, Traditionen. 9 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 193; L. Müller, Lebenslauf, 10. 5. 1941, hds. (BDC, Akte: Reichskulturkammer!Reichsschrifttumkammer: Ludwig Müller). IO E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 193; fiAuPTVERWALTUNG RErcHSBAHN, Eisenbahnen, S. 40 und 4-45; D. KuNKSIEK, Eisenbahner, S. 261 f. 11 Telefonische Auskunft von Frau Elfriede Maeser-Müller (Cuxhaven), 14. 9. 1990.
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noch ganz geprägt von der Erweckungsbewegung. Sie hatte entscheidenden Einfluß auf die religiöse Sozialisation ihres Sohnes, lehne ihn früh das Beten. Häufig sprach Ludwig Müller später öffentlich- nicht ohne Pathos- von der großen Frömmigkeit, aber auch von der großen Güte, aufopfernden Liebe und Selbstlosigkeit seiner Mutter und davon, wie stark er durch sie geprägt wurde: ,.Ich habe eine fromme Mutter gehabt, die viel über uns Kindem betete." 12 - ,.Mit dem Bilde meiner Mutter bleibt mir stets der erste Eindruck verbunden von dem, was Gottvenrauen ist, - von dem vor allem, was Liebe und Güte ist. Es ist mir heute so, als ob diese Liebe und Güte und dieses Gottvenrauen noch heute mit mir gingen, noch heute spürbar lebendig, wie sie in meinen Jugendjahren und ersten Mannesjahren neben mir gestanden haben." 13 - ,.Das meiste, das ich gelernt habe, habe ich von meiner Mutter ••• " 14 - ,.Herz und Sinne der Mutter sind immer der Vorhof zur Kirche. Die kleinen und großen Menschen, die durch diesen schönen, fröhlich geschmückten Vorhof gehen dürfen, finden die Pfone der Kirche leicht." 15 Johanne Müller war eine ausgesprochen milde Erzieherin. Es sei ihr, so Ludwig Müller, sehr schwer gefallen, ihrem Sohn etwas versagen zu müssen, sie habe dann ,.innerlich gekämpft" 16 • Gott diente ihr, wie so mancher christlichen Erzieherin, als Erziehungshilfe und Autoritätsstütze 17• Außer dem regelmäßigen, intensiven freien Gebet, der festen Überzeugung, daß man ,.dem Vater im Himmel alles sagen" müsse 18, lernte Ludwig Müller von frühester Kindheit an - besonders an Feienagen - die biblischen Geschichten kennen. Dabei wurde die Bibel ,.ganz als Gottes Won" angesehen, an der Historizität der Erzählungen wurde nicht gezweifelt 19• Im Gegensatz zu seiner Mutter hat Ludwig Müller seinen Vater bei seinen späteren öffentlichen Auftritten kaum erwähnt. Auch Adolf Müller war religiös engagien. Als Stationsvorsteher ließ er im Bahnhofswanesaal die ersten evangelischen Gottesdienste in Hörstel im Tecklenburger Land abhalten und war somit maßgeblich an der Gründung der donigen evangelischen Diasporagemeinde beteiligt 20 • u L. MüLLER, Marbach, S. 152. L. MüLLER, Minden-Ravensberg, S. 1. 14 L. MüLLER., Breslau, S. 234. 1s L. MüLLER., Mutter und Kirche. 16 L. MüLLER., Breslau, S. 234. 17 Ludwig Müller erzählte später: .Am nächsten Tag hatte die Mutter Kuchen gebacken, und wir sollten nicht davon essen, und, um uns davon abzuschrecken, sagte die Muner: ,Der liebe Gon sieht es•• (L.Müller, Rede: Der Ruf Gones an die Deutschen, 17.11. 1937- LK.A STUlTGAR.T, D 1/118). 18 L. Müller, Rede in Mülheim, 8.11. 1942 (EZA BER.uN, 7/1015). 19 Rückschauend äußerte Müller: .Die biblischen Geschichten nahmen wir als Wahrheit, z.B. Gott schuf aus einem Erdenkloß die ersten Menschen ... • (L. Müller, Rede in Gütersloh, 21. 2. 1937- LKA BtELEPELD, 5,1-305,3). 20 Pastor Hackemann (Hörstel) an Paula Müller, 28. 9. 1933 (EZA BEilLIN, 1/C 4/79). 13
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Ganz im Gegensatz zu seiner Frau zeichnete Adolf Müller Strenge aus, die sogar von Außenstehenden an ihm beobachtet wurde 21 • Dementsprechend beschrieb Ludwig Müller später seine Gefühle seinem Vater gegenüber mit den Begriffen "Respekt ... , Ehrfurcht und Gehorsam". Sein Vater habe ihm manches verboten und nicht zugelassen, er, Ludwig Müller, habe "nicht immer alles verstanden und gespün, daß er mich lieb hatte" 22 • Da Adolf Müller aus beruflichen Gründen häufig den Wobnon wechseln mußte, wuchs Ludwig Müller dann z. T. in seiner Gehunsstadt bei Großmutter und Großvätern und im Hause seines Großonkels auf2 3 • Auch die starke erweckliehe Frömmigkeit der Großeltern und deren Einfluß auf die Entwicklung seines christlichen Glaubens hat er später gelegentlich erwähnt. Außer durch seine Mutter habe er "Christus durch ... seine beiden Großväter kennengelemt" 24 • Von der Großmutter prägte sich ihm das Won ein: "Beten ist das Atemholen der Seele." 2 s Mit den Großeltern ging er jeden Sonntag zur Kirche, angeblich ohne jeden Zwang 26 • Von 1889 bis 1893 besuchte Ludwig Müller die Volksschule in seiner Heimatstadt 27 • Er erinnene sich später: "In der Schule ... haben wir zuerst die alttestamentlichen Geschichten kennengelernt. Und zwar so viel, daß nachher das Neue Testament viel zu kurz gekommen ist, daß wir das Allerwichtigste im Neuen Testament, das Verstehen der Person und das Wirken des Heilandes, viel zu wenig gehön haben." 28 Besonders erinnene er sich an die Paradiesgeschichte und den Sündenfall - "Das auswendig zu lernen, plagte mich. Ich sagte mir, wenn ich sündige, dann sind diese beiden schuld." -sowie an die Opferung Isaaks und die König-David-Geschichten: "Wir bekamen vor der Heiligkeit und Unbarmherzigkeit Gottes, der die Sünde straft, Angst. Wir hönen, Israel sei das auserwählte Volk. Wir fragten uns damals schon, soll der Herr ausgerechnet die Juden zum erwählten Volk gemacht haben? Wir merkten, daß vieles von dem Gelernten nicht stimmte."29 Eao. L. MüLLER, Breslau, S. 234. 21 W. ULMEN RIED, Müller, S. 6; L. MüLLER, Volkssoldat, S. 20. 24 An.: Reichsbischof Ludwig Müller in Halle, in: MtiTELDEUTSCHLANDISAALE-ZEtTUNG, 27.6. 1934. 2 S L. Müller, Predigt in Berlin-Tegel, 18.11. 1936 (EZA BERLIN, 1/A 4/488). Bei den Großeltern war es, so Müller: "Sitte, daß vonnittags um elf Uhr und nachmittags gegen sechs Uhr die ,Betglocke' geläutet wurde. Dann nahm der Großvater jedesmal die Samtkappe ab und sprach ein Vaterunser. Ob wir gerade unterwegs waren oder zu Hause, beim Klang der Glocke wurde der Großvater still und betete" (L. MüLLER, Volkssoldat, S. 19). 26 L. Müller, Predigt in Berlin-Tegel, 18. 11. 1936 (EZA BERLIN, 11 A 4/488); M. DIETRICH, Müller, S. 336; W. ULMENRIED, Müller, S. 6. 2 7 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 193. 2 8 L. MüLLER, Minden-Ravensberg, S. 1. 29 L. Müller, Rede in Gütersloh, 21. 2. 1937(LKA BtELEFELD, 5,1-305,3). 21
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Das Glaubensbekenntnis lernte er "naiv auswendig" 30 • Das in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete Evangelisch-Stiftische Gymnasium Gütersloh war ein "Kind" der Erweckungsbewegung 31 • Ihr in starkem Maße verpflichtet, waren nicht nur die Initiatoren und Gründer der Schule (u.a. Volkening) 32 , sondern z.B. auch der langjährige Anstaltspfarrer und spätere Generalsuperintendent der Neumark Theodor Braun, der den geistlichen Charakter des Gymnasiums in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts entscheidend prägte 33 • Die Schule wurde in dieser Zeit nicht nur von weiten Kreisen der Erweckungsbewegung in ganz Deutschland getragen, sondern sie hat ihrerseits auf diese Bewegung auch in stärkender Weise zurückgewirkt 34 • Das Gymnasium war von seiner Bildungskonzeption her gedacht als ein "Gegenpol" gegen das neuhumanistische Gymnasium mit seiner als widerchristlich empfundenen Glorifizierung der Antike, aber auch gegen die rationalistisch-aufklärerischen und säkularen Tendenzen der deutschen Klassik und des deutschen Idealismus 35 • Auf der anderen Seite war man bemüht, nicht hinter dem wissenschaftlichen Bildungsniveau der weltlichen Gymnasien zurückzubleiben, klassisch-humanistische Lerninhalte mit der christlichen Botschaft in Einklang zu bringen 36 • Man war der Überzeugung, daß "alle menschliche Wissenschaft, recht betrieben, zu Gott hinführe" und nicht notwendig, wie es vielfach geschah, von Gott entfremde 37 • Dementsprechend unterschied sich das Evangelisch-Stiftische Gymnasium Gütersloh von den Normalgymnasien weniger durch das "Was", als vielmehr durch das "Wie" des Unterrichts 38 , vor allem aber durch ein ausgeprägtes geistliches Leben neben dem Unterricht: allmorgendich Andacht, zweimal wöchentlich Abendandacht, sonntags Schulgottesdienst, zweimal im Jahr Abendmahlsfeier 39 • Das Lehrerkollegium, das sich von der Zusammensetzung her durch eine ungewöhnliche Homogenität auszeichnete, setzte sich des öfteren zusammen, "um für gefährdete Schüler im gemeinsamen Gebet die rechte
L. Müller, Rede in Radebeul, 13.10. 1943 (EZA BERLIN, 50/567C). F. BRUNS, Gründung, S. 13 und 18. ' 2 H. BLOTH, Eigenständigkeit; F. BRuNs, Gründung, S. 18f.; H. HILBK, Idee, S. 39-44 und 48-55. » K. HARTMANN, Braun. Hanmann war Ludwig Müllers Amtsbruder in Rödinghausen (vgl. unten S. 38f.). Vgl. auch F. BRUNS, Gründung, S. 43f.; H. HILBK, Idee, S. 54f. '" H. BLOTH, Eigenständigkeit, S. 63; H. HILBK, Idee, S. 39. n H. BLOTH, Eigenständigkeit, S. 76. ' 6 H. HILBK, Idee, S. 48. ' 1 Eao., S. 50. ' 8 Eao., S. 53. 39 Eao., S. 52. 30
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Wegweisung zu erbinen" 40 • Es gab auch immer einige Schüler, die sonntagnachmittags zusammenkamen, ,.um unter Gebet die Bibel erbaulich auszulegen"41. Auf das Amt des Anstaltspfarrers, der nicht nur Religionslehrer, sondern zugleich auch Seelsorger der Schüler war, wurde bereits hingewiesen. Der Religionsunterricht war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ganz und gar bibelorientien. Der historisch-kritischen Dogmen- und Bibelkritik wurde eine radikale Absage erteilt 42 . Noch in der Oberprima machte das ,.Memorieren von Psalmen und Kirchenliedern" einen Großteil des Lehrplanes im Fache Religion aus 41 • Typisch für das Evangelische Gymnasium Gütersloh war auch die Vielzahl der freiwilligen außerunterrichtlichen Interessengemeinschaften ("Gesellige Prima", Trommler-Korps, Posaunenchor, Turnverein, Spielverein, Stenographenverein, Leseverein): ..... jeder, der es wollte- und wer wollte es wohl nicht -, (konnte) sich einer Verbindung anschließen ... , in der er sich gut aufgehoben, in seinem Selbstwengefühl anerkannt und zu gemeinsamem Wettstreit angehalten wußte." In den Interessengemeinschaften wurde ,.ein strenges Ämterritual" gepflegt, ,.nach außen traten ... sie als farbentragende Korporationen auf" 44 . Ob diese Vereine wirklich geeignet waren, demokratisches Bewußtsein und Dialogbereitschaft zu erlernen, erscheint fraglich. Ein Mitschüler Ludwig Müllers hat dies später behauptet: ,.Ganz abgesehen von der Pflege treuer Kameradschaft, bildeten sie [sc. die Vereine] in einer hochkonservativen, stark auf Autorität (göttliche und menschliche) gegründeten Gesellschah demokratische Zellen und eine Schule selbständigen Handelns, ein gesundes Korrektiv auch gegen den Geist der alten Lernschule. Ohne ausgesprochene Tendenz gewöhnte man sich, in einer, wenn auch beschränkten Öffentlichkeit zu reden und seine Ansichten zu venreten, lernte, zu verhandeln und Kompromisse zu schließen, zu führen und gefühn zu werden, lernte, nur seinen Kameraden verantwortlich, ein Amt gewissenhaft zu verwalten." •s Die Schulvereine ermöglichten von Seiten der Schule eine gewisse Kontrolle der durch Nachmittagsunterricht und Andachten ohnehin stark limitienen Freizeit der Schüler. Sonstige Freizeitbeschäftigungsmöglichkeiten waren durch Verbote des Gymnasiums erheblich eingeschränkt. So war es den Schülern z. B. untersagt, Lokale, Kaffeehäuser oder Konditoreien aufzusuchen46. 40 EBD. 4'
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Zit. nach F. BRUNS, Schule, S. 86. Eao., S. 84-88. LüNZNER, Gymnasium, S. 5. H. HILBK, Idee, S. 58. Zit. nach F. BRuNs, Gründung, S. 53. A. KüBLER, Penne, S. 10.
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Mitunter unternahm der Klassenlehrer "am frühen Morgen einen Rundgang in die Wohnungen seiner Klasse, um sich zu überzeugen, ob auch wirklich alle seine Jungen rechtzeitig aufstehen und am Morgen fleißig lernen." 47 Entsprechend dem politisch konservativen Zug der Erweckungsbewegung wurden mit der Gründung des Evangelischen Gymnasiums Gütersloh auch politische Ziele verfolgt. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der den Grundstein des Schulbaus legte, und der Adel begünstigten aus politischen Gründen die Errichtung der Schule 48 • Dem revolutionären Geist von 1848 sollte ein streng obrigkeitsstaatlicher preußisch-royalistischer Geist entgegengesetzt werden 49 • Nach der Reichsgründung von 1871 machten sich immer stärker deutschnationalistische Tendenzen an der Schule bemerkbar, die teilweise chauvinistische und antisemitische Züge annahmenso. Höhepunkte des schulischen Lebens wurden Feiern aus Anlaß nationaler Gedenktage sowie die "zu einer nationalen Kundgebung sich auswachsende Turnfahrt", bei der der Direktor eine vaterländische Rede hielt 51 • Daß sich das Gymnasium bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung bemüßigt fühlte zu erklären: "Es ist natürlich selbstverständlich, daß unsere Anstalt das Dritte Reich freudig bejaht und begeistert hinter unserm Führer steht" 52 , zeigt, daß auch Ludwig Müllers frühere Schule- wie der ehemalige Schüler- die Hinwendung zum Nationalsozialismus vollzog. Es war nur folgerichtig, daß die sozial aufstrebende, pietistisch-erweckte preußische Beamtenfamilie Müller ihren Sohn in das Evangelisch-Stiftische Gymnasium einschulte, zumal sich diese Schule auch noch am Heimatort befand. So trat Ludwig Müller 1893 in die dortige Sexta ein 53 • Entsprechend dem lutherischen Zug der Ravensberger Erweckungsbewegung wurde er im Religionsunterricht vermutlich mit der Wittenberger Reformationsgeschichte vertraut gemacht. Martin Luther übte offenbar eine große Faszination auf ihn aus, allerdings nicht der Theologe und Reformator, sondern der "Mensch", den er sich wie einen seiner Nachbarn vorstellte- ruhig und stark, Zit. nach H. HILBK, Idee, S. S7. H. BLOTH, Eigenständigkeit, S. 69; F. BRUNS, Gründung, S. 28f.; H. HILBK, Idee, S. 44. 49 Noch im Jahre 1926, also während der .Blütezeit• der Weimarer Republik, hieß es in einem Zeitungsanikel anläßlich des 7Sjährigen Bestehens des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums Gütersloh: Jeder wird verstehen, daß man in Gütersloh stets an dieser pietätvollen Stellung zum Königshaus festhielt. So war es denn auch jetzt nicht zu verwundern, daß in der ganzen Stadt überaus zahlreiche schwarz-weiß-rote Fahnen zu sehen waren ... • (An.: Das 7Sjährigejubiläum des evangelischen Stiftischen Gymnasiums in Gütersloh, in: DER RErcHsaoTE, 2S. 8. 1926). 5o Vgl. A. KüBLER, Penne, S. S7. 51 F. BRUNS, Gründung, S. 30-37; H. HILBK, Idee, S. S9. 52 Zusatzvermerk zum Hausprospekt von 1929 (EZA BERLJN, 7/6370). 53 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 193. 47
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emsthaftig und immer mit einer "strahlende[ n] tiefe[ n] Freude in seinen Augen", eine Vorstellung, die er nach eigenen Angaben auch noch als erwachsener Mann behielts•. Das siebte Schuljahr absolvierte Müller am Lyzeum II in Hannover (Ostern bis 1. Juli 1895) sowie an der Cuxhavener Staatlichen Realschule mit Latein-Abteilungen (Sommer 1895 bis Ostern 1896). Wahrscheinlich lebte er in dieser Zeit bei den Eltern. Ostern 1896 kehrte er als Untertertianer an seine alte Gütersloher Schule zurückss. Es ist zu vermuten, daß man dem Schüler keinen ständigen Schulwechsel zumuten wollte. Außerdem hatte ja das Gütersloher Gymnasium ein unvergleichbares christliches Gepräge. Ab Mai 1897 war Müller mit Begeisterung und viel Engagement Mitglied des "Gymnasial-Trommel-Corps", zunächst als recht guter Flötist, der "allgemeinen Anklang findende" -Soli spielen und anderen Instrumentalunterricht erteilen konnte, ab 1899 dann als Trommlers6 • Im September 1900 wurde er für das Vereinsjahr 1900/1901 zum Vereinsleiter mit dem Titel "Präses des Corps" gewählt. Damit war er zugleich Tambourmajor. Als solcher führte er den Festzug bei den Jubiläumsfeierlichkeiten anläßlich des 50-jährigen Bestehens des Gütersloher Gymnasiums im Jahre 1901 ans 7 • Er berichtete ausführlich darüber in seinem Jahresbericht in der Chronik des Trommelkorps. Der Bericht, in dem von Flaggen, "Zapfenstreich", Marschieren "in Reihe und Glied" und "Kameradschaftlichkeit" die Rede ist, belegt vor allem Müllers große Affinität zum Militär bereits als Schüler, was angesichtsder geradezu "paramilitärischen" Struktur des Trommler-Korps nicht weiter verwundern kann und im übrigen wohl auch typisch für damalige Schüler war. Es heißt dort u. a.: "Wir grüßten ... in militärischer strammer Haltung, wie wir denn überhaupt so viel wie möglich militärische Strammheit im Verein gepflegt hatten .... das ganze Auftreten war so schneidig ... "ss Über die Militärbegeisterung in seiner Jugend schrieb Müller später noch: "Wir liebten die Armee, wir kannten alle Regimenter und ihre Uniformen, wir waren stolz auf die Kriegsflotte, wir kannten alle Schiffe." s9 Er trug sich ernsthaft mit dem Gedanken, einmal Marineoffizier zu werden 60 • Der "Flottenenthusiasmus" der zweiten Hälfte des Kaiserreichs, der "hinter der Aus.. Vgl. W. ULMENRIED, Müller, S.6f.; E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, 5.193. 55 EBD., S. 194. 54 Chronik des Gütersloher Gymnasial-Trommel-Corps, Vereinsjahr 1898/1899 (Verf.:
C. v. Sydow) (ARCHIV DES EvANGELISCH-STIFilSCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH); vgl. auch E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 194. 5 7 BücKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9. 58 Chronik des Gütersloher Gymnasial-Trommel-Corps. Vereinsjahr 1900/1901 (Verf.: Ludwig Müller) (ARCHIV DES EvANGELJSCH-STIFriSCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH). Bei E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 194 ist Müllers Bericht auszugsweise zitien. 59 L. MüLLER, Volkssoldat, S. 23. 60 Hermann Heckan (?) (Aachen) an [seinen Vetter] L. Müller, 25. 9. 1934 (EZA BERUN, 1/ A 4/33); BücKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9.
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ßenseite modernster Waffentechnik der sozialdefensiven Verhinderung politischer und sozialer Modernisierung (diente)" 61 , verfehlte also auch bei dem jungen Ludwig Müller seine Wirkung nicht. Daß Müller in seiner Eigenschaft als "Präses" des Trommelkorps einen "scharfen Verweis" erhielt, weil er verbotenerweise Tenianer mit zu einem Ausflug des Korps genommen hatte, von denen einer "höchst unmäßig im Bienrinken (war)" 62 , hat er in seinem Jahresbericht verschwiegen (nicht aber die Bestrafung des Tenianers) 63 • Über seinen Religionsunterricht äußene Müller Ende 1936, es sei der übliche lehr- und lernhafte Unterricht gewesen, "in dem die lebendigen Kräfte des Christentums nicht stark genug hervonraten." 64 Im Gegensatz hierzu heißt es in der kurzen Müller-Biographie von Will Ulmenried (Pseudonym) aus dem Spätsommer des Jahres 1933: "Auch aus dem, was am Sonntag der Geistliche [sc. der Anstaltspfarrer, der ja gleichzeitig Religionslehrer war, in der Schulkirche] verkündete, glaubte er [sc. Ludwig Müller], Gottes Stimme zu vernehmen. Und so entging ihm kein Won, wenn er mit seinen Schulfreunden in der Kirche der Predigt des Pfarrers voll tiefer Andacht lauschte. Schon den Heranwachsenden ergriff nicht nur Won und Gedanke im Unterricht des Gymnasiums und in der sonntäglichen Predigt, vielmehr brach in ihm die Überzeugung durch, daß ,die lebendige Kraft' wie er es später nannte - hinter allem steht und stehen muß, und daß diese Kraft dem Won und dem Gedanken erst ihren Sinn und Inhalt verleiht." 65 Die zwei widersprüchlichen Zitate müssen aus der jeweiligen Zeit heraus, aus der sie stammen, interpretien werden. Während Müller nach seiner faktischen Entmachtung als Reichsbischof im Herbst 1935 zunehmend auf offene Distanz zur Kirche und deren Lehre ging und dies u. a. mit negativen Erfahrungen aus seiner Jugend zu begründen versuchte, mußte er (bzw. sein ihm wohl gesonnener Biograph, der sich vermutlich auf Aussagen Müllers stützte) unmittelbar vor seiner Ernennung zum Reichsbischof im September 1933 darauf bedacht sein, den Eindruck eines kirchlichen, seit langem in seiner Frömmigkeit gefestigten Mannes zu erwecken 66 • Beide Momente schließen sich indes nicht aus: Eine grundsätzlich vorhandene erweckliehe Frömmigkeit des Schülers Müller muß ja nicht frei von gewissen Vorbehalten und Kritik gewesen sein. Müllers Religionslehrer war der Anstaltspfarrer Julius Möller, ein tief H.-U. WEHLER, Kaiserreich, S. 166. Konferenz-Protokolle von Ostern 1898 bis 17.Juli 1907, Protokoll vom 26. 9. 1901 (ARCHIV DES EVANGELISCH-STIFTISCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH). 63 Chronik des Gütersloher Gymnasial-Trommel-Corps, Vereinsjahr 1900/1901 (Verf.: Ludwig Müller) (ARCHIV DES EVANGELISCH-STIFTISCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH). 64 L. Müller, Rede bei der Gemeinschaft des Nordens, 26. 11. 1936 (EZA BERLIN, 50/333). 65 W. ULMENRIED, Müller, S. 6. 66 Vgl. unten Kap. 5, S. 277 und Kap. 3, S. 126 u.a. 6•
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religiöser, von seinem Christusglauben völlig durchdrungener Mann, der von seinen Schülern allgemein sehr geachtet und verehn wurde. Er war zu seiner Zeit der einzige Lehrer am Gütersloher Gymnasium, der im Unterricht Diskussionen zuließ. Der jugendlichen rationalen Religionskritik begegnete er ,.mit der Unantastbarkeit des Bibeltextes und vermochte vorgetragene Widersprüche für die unreifen Geister nicht zu entkräften" 67 • In einer von ihm verfaßten und im Jahre 1896 veröffentlichten Meditation begegnet uns J ulius Möller als energischer Venreter der Lehre Luthers von Gesetz und Evangelium und als ebenso energischer Kritiker der liberalen Theologie. Im Apostolikumstreit bezog er eine kompromißlose onhodoxe Position. Möller mahnte zum Rückzug aus der Welt, zur Ruhe, Stille und Besinnlichkeit. Seine Vorbilder waren neben Luther Bengel, Löhe und Zinzendorf68 • Ein Chronist des Gütersloher Gymnasiums bezeichnete Möllers Wirken als tragisch, da er zu einer Zeit gelehn habe, "in der die Erweckungsbewegung [der er sich zweifelsohne sehr verbunden wußte] ihre Kraft ... zu verlieren beginnt" 69 • Ein Biograph nannte ihn sogar den ,.letzte[n] der großen Zeugen" der Ravensberger Erweckung 70 • Politisch war Möller ein "überzeugter Anhänger des königs- und kaisenreuen Konservativismus" 71 , der sich in die Zeit Bismarcks zurücksehnte 72 • Von 1902 bis 1918 war er Gesamtvorsitzender der Christlich-Konservativen Panei Minden-Ravenbergs 73 • Als Primaner galt Ludwig Müller "als der Eleganteste und Unwiderstehlichste ... , die Höhe seiner Kragen und der Schick seiner Glacehandschuhe waren einfach nicht zu überbieten" 74 • Zum Ostenermin 1902 unterzog er sich der Reifeprüfung. Von seinen Abiturarbeiten wird noch sein Deutschaufsatz über das Thema: "Der Nationalcharakter der alten Germanen" im Schularchiv verwahn. Ernst Brinkmann hat diese Arbeit auszugsweise veröffentliches. In ihr wurden hauptsächlich Gedanken aus Tacitus' Germania referien: Müller kontrastiene die Treue, Sittenreinheit, Tapferkeit, Ehrlichkeit, Gastfreundschaft und Gottesfurcht der Germanen mit der Charakterschwäche und dem Sittenverfall der Römer und hob dabei die Treue zum Fürsten unter Einsatz des Lebens als die ,.schönste und beste Eigenschaft" hervor. Er räumte dann auch schlechte Eigenschaften der Germanen, die Praxis des Menschenopfers sowie die ,.Spiel- und Trinkwut", ein, kam jedoch abschließend zu dem Ergebnis: "Wenn wir nun zum Schlusse den gesamten Nationalcharakter betrachten, so leuchtet dochtrotz der schiechF. BRUNS, Gründung, S. 50f. J. MöLLER, Zeit und Ewigkeit. 6 9 F. BRUNS, Gründung, S. 51. 70 KLEIN, Möller, S. 158. 71 EBD., s. 163. 72 J. MöLLER, Zeit und Ewigkeit, S. 88(. n F. NlPKAU, Traditionen, S. 373; E. HoENER, Geschichte, S. 104. 74 BücKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9. 7 S E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 194f. 67
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ten Eigenschaften unserer Vorfahren das Gute unter allen Völkern der damaligen Zeit so herrlich hervor, daß wir uns der Bewunderung nicht enthalten können und stolz darauf sein dürfen, von solch herrlichen Vorfahren abzustammen." 76 Daß er mit deranigen nationalistischen Tönen nicht nur kein Außenseiter war, sondern daß solche Töne von ihm und seinen Mitschülern sogar erwartet wurden, beweist die Bewenung der Klausur: "Die Arbeit ist gewandt und im Ganzen korrekt geschrieben, so daß sie wohl noch als Gut gelten kann." 77 Müllers Deutschlehrer Hugo Hoffmann kann im übrigen als typischer Venreter der oben beschriebenen Bildungsziele des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums gelten. In der Festschrift anläßlich des 50-jährigen Bestehens der Schule bezeichnete er einerseits den Religionsunterricht "als den wichtigsten Lehrgegenstand", andererseits beantwonete er die Frage, "was denn das Ziel der Erziehung für diese Welt sei", wie folgt: "Natürlich wird hier die engere Gemeinschaft, in der wir leben, das eigene Volk und Vaterland, den ersten Rang beanspruchen dürfen. Somit steht für uns das nationale Interesse im Vordergrunde aller übrigen menschlichen Interessen. Die Jugend in nationalem Sinne zu erziehen, ist ein hohes und köstliches Ziel, das jeder Schule ... gesteckt ist .... aber die Vorliebe, die der Deutsche nun einmal für alles Ausländische und Fremde hat, und der Mangel an nationalem Stolze müssen mit aller Gewalt ausgerottet werden, und dazu ist die Schule berufen." 78 Außer in Deutsch schloß Müller auch in dem Doppelfach "Geschichte und Erdkunde" mit der Note "Gut" ab, in den übrigen Fächern erhielt er das Prädikat "Genügend". Zusammenfassend wurde er von der Königlichen Prüfungskommission folgendermaßen beuneilt: "Er hat bei regelmäßigem Schulbesuch im ganzen guten Fleiß gezeigt u[ nd] ein gutes Betragen bewiesen, hat sich genügend Kenntnisse erworben u[ nd] einen genügenden Grad geistiger Reife erreicht." Müller wurde mit dem Wunsche entlassen, "daß er die akadem[ische] Studienzeit recht gewissenhaft benutzen möge, um dereinst mit Gottes Hülfe ein treuer Diener der Kirche zu werden" 79 . Müller strebte also das Pfarramt an. Der Aussage eines jüngeren Mitschülers zufolge war das Theologiestudium für ihn allerdings "nur eine Nodösung"80. Eigendich hatte er ja Marineoffizier werden wollen. Bei seiner Berufsentscheidung spielte der Einfluß seiner Familie, besonders seiner Mutter, wohl 76 L. Müller, Der Nationalcharakter der alten Germanen, Unterlagen der Reifeprüfung Ostern 1902 (ARCHIV DES EvANGELISCH-SnFriSCHEN GYMNASIUMS GüTERSLOH); vgl. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 195. n L. Müller, Der Nationalcharakter der alten Germanen, Unterlagen der Reifeprüfung Ostern 1902 (ARCHIV DES EvANGELISCH-STirnseHEN GYMNASIUMS GüTERSLOH). Vgl. auch L. KERSSEN, Thema. 7• H. HoFFMANN, Wert, S. 88-90. 79 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 195. 80 BücKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9.
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die entscheidende Rolle 81 • Unter den 21 Schülern aus seiner Klasse, die Ostern 1902 das Abitur bestanden, waren insgesamt fünf spätere Theologen, die im übrigen sprachfrei ihr Studium beginnen konnten 82 • Diese Zahl entsprach Anfang des 20. Jahrhunderts in etwa dem Durchschnitt der Berufswahl des Gütersloher Gymnasiums 83 • In der "Bierzeitung" kam der Abiturient Ludwig Müller nicht eben gerade gut weg: "Müller, du redest so viel von andrer Leute Gebrechen, denkst wohl im Stillen, du wärst selbst ein vollkommener Gon; ja der Gedanke ist göttlich, bewundernd, muß ich sagen, da ihn, gesellig vereint, Dünkel und Dummheit gebar [sic!]." 84
2. Studium Die Friedrichs-Universität in Halle/Saale war Anfang des 20. Jahrhunderts seit langem die mit - freilich geringer werdendem - Abstand beliebteste Hochschule der Minden-Ravensberger Theologiesrudenten. Da der Anteil derer, die in den geographisch näher gelegenen Städten Göttingen und Marburg studienen, wesentlich niedriger war, wird man wohl davon ausgehen müssen, daß die Lehrenden und die von ihnen venretenen Lehrmeinungen einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf die Wahl des Studienones hanen 8s. Halle galt traditionell als Zentrum pietistischer Frömmigkeit. An der ursprünglich rein pietistischen evangelisch-theologischen Fakultät war nach einer längeren rationalistisch-aufklärerischen Phase unter dem "epochemachenden" Einfluß August Tholucks (Professor in Halle von 1826 bis 1877) "die Wendung vom Rationalismus zum modernen erweckten Pietismus auf akademischem Boden" vollzogen worden 86 • Neben Tholuck wirkte in Halle auch der Erweckungstheologe Julius Müller, dessen Berufung Tholuck an
81 Telefonische Auskunft von Frau Elfriede Maeser-Müller (Cuxhaven), 14. 9. 1990; vgl. auch M. KoscHORKE, Person, S. 45. Fehlende gesundheitliche Eignung scheidet als Ursache dafür, daß Müller nicht Marineoffizier wurde, wohl aus. Müller wurde offenbar .tauglich• gemustert. Im Jahre 1908 gab er in einem handschriftlich von ihm ausgefüllten Formular sein Militärverhältnis mit .Landsturm 1• an (Nachweisung der persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Hilfspredigers Ludwig Müller in Herford, Stiftberg, 26. 2. 1908- LKA BtELEFELD, 0,0/199). Regulären Wehrdienst leistete er nicht. 82 FESTSCHRIFT 1926, S. 74. Griechisch wurde am Stiftischen Gymnasium von Untertertia bis zum Abitur und Hebräisch von Untersekunda bis zum Abitur unterrichtet (vgl. LüNZNER, Gymnasium). 83 F. BRUNS, Schule, S. 85. IH LKA BtELEFELD, 5,1-305,3. 85 CH. PETERS, Sozialprofil, S. 65 und 75. 86 E. KÄHLER, Halle, S. 361; vgl. ZscHARNACK, Halle, in: RGG 2 , Sp.l587-1590. Zu Tholuck vgl. P. KEYSER, Tholuck; M. ScHMJDT, Tholuck.
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Stelle derjenigen von Ferdinand Christian Baur durchgesetzt hatte 87 . Einen strengen lutherisch-onhodoxen Konfessionalismus venrat Heinrich Ernst Ferdinand Guericke, der mit z. T. sehr fragwürdigen Mitteln gegen den alten Halleschen Rationalismus kämpfte 88 . Nach dem fast gleichzeitigen Tode von Tholuck, Müller und Guericke fanden in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhundens auch andere theologische Richtungen Vermittlungstheologie, Ritschlianismus, religionsgeschichtliche Schule Eingang in die evangelisch-theologische Fakultät Halle 89 - vermutlich mit ein Grund für die nachlassende Attraktivität von Halle bei den MindenRavensberger Theologiestudenten, die in Halle nicht mehr ausschließlich die "reine Lehre" fanden. Ein jegliche Vermittlungstheologie scharf ablehnender, Bekehrung und Mission betonender Biblizismus wurde in Halle freilich weiterhin durch den Tholuck-Schüler Manin Kähler (Professor für Dogmatik in Halle bis 1912) venreten, der mit Adolf Stoecker zugleich verwandt und befreundet war 90 • Biblizist war auch Gustav Warneck, von 1896 bis 1908 Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Missionswissenschaft in Halle 91 . Das nunmehr auch akademische Interesse an der Mission muß ohne Zweifel in Zusammenhang gesehen werden mit der Erwekkungsbewegung, aber auch mit dem deutschen Imperialismus und Kolonialismus92. Gleichwohl, der Neupietismus war zu Beginn des 20. Jahrhundens in Halle nicht mehr allein dominierend. Die Einrichtung zweiter Lehrstühle in den einzelnen Disziplinen zu dieser Zeit erfolgte u. a. auch aus dem Bemühen um einen gewissen lehrmäßigen Pluralismus heraus 93 . Außer durch Kähler und Warneck wurde das Gesicht der Halleschen Fakultät im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts vor allem durch den Kirchengeschichtler Friedrich Loofs und den Alttestamentler Emil Kautzsch beeinflußt 94 . Loofs, ein Ritschl-Schüler, beschäftigte sich hauptsächlich mit der Dogmengeschichte der alten Kirche und fühne in Halle die von Julius Köstlin begonnene historische Lutherforschung auf dogmengeschichtlicher Ebene weiter. Er bemühte sich um ein ",weltoffenes' Neuluthertum", um eine "Neuerfassung des reformatorischen Grundanliegens von seiner Mitte, der Rechtfenigungslehre und dem in ihr sich gestaltenden Gottesgedanken, her" 95 . Der Name Kautzsch steht für die E. KÄHLER, Halle, S. 361; E. WoLF, Halle, Sp. 37. Zu J. Müller vgl. F. ScHUMANN, J. Müller; E. FAHLBUSCH, Müller,J. 88 ZscHARNACK, Halle, in: RGG 1, Sp.l812f. Zu Guericke vgl. G. SPRENGLER, Guericke. 8 9 E. WoLF, Halle, Sp. 37. 90 ZuM. Kähler vgl. J. ScHNIETIND, Kähler; R. HERMANN, Kähler. 91 Zu Warneck vgl. H. ScHOMERUS, Warneck; A. LEHMANN, Wameck. 9 2 TH. NIPPERDEY, Religion, S. 97. 93 ZscHARNACK, Halle, in: RGG 1, Sp. 1815. 94 E. KÄHLER, Halle, S. 391. 9 ~ Zu Loofs vgl. E. WOLF, Lutherforschung, S. 107f.; K. ALAND, Loofs. Zitat: E. WoLF, Lutherforschung, S. 108. 87
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philologische, Iiteratur- und religionsgeschichtliche Erforschung der Bibel in Halle 96 • Fünf Semester lang, vom Sommersemester 1902 bis zum Sommersemester 1904 war Ludwig Müller Student an der evangelisch-theologischen Fakultät der Friedeichs-Universität in Halle 97 • Wir wissen nicht, ob er sich bewußt für den Studienort Halle entschied, oder ob er, wasangesichtsder Tatsache, daß die Aufnahme des Theologiestudiums nicht seinen eigentlichen Wünschen entsprach, nahe zu liegen scheint, bloß einem allgemeinen Trend folgte. In Halle wohnte Müller im Reformierten Konvikt, in dem eigentlich spätere Pfarrer reformierter Gemeinden mit den Eigenarten der reformierten Konfession vertraut gemacht werden sollten. Der Studieninspektor des Konviktes war damals Wilhelm Gustav Goeters, der später als Professor in Bonn zu Müllers theologischem Beraterkreis gehörte 98 • Als Müller im zweiten Semester war, starb sein Vater. Dies brachte die Familie offenbar in eine gewisse wirtschaftliche Notlage. Müller berichtete später, er habe zur weiteren Finanzierung seines Studiums einen Kredit aufnehmen müssen 99 • In Halle fühlte Müller sich im übrigen sehr wohl. Er erinnerte sich später, er habe dort "in Ruhe und Frieden" studieren können: " ... jeder (hatte} die Empfindung, wenn er einigermaßen fleißig war und arbeiten konnte, dann war die Zukunft seines Lebens gesichert." too Zum Wintersemester 1904/1905 wechselte Müller fürein Semester-es war sein letztes Studiensemester, das vermutlich schon ganz im Zeichen der Examensvorbereitung stand - an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität nach Bonn tot. Bonn war nach Halle - mit zunehmender Tendenz der beliebteste Studienort der Minden-RavensbergerTheologiestudenten to 2 • Die Bonner Universität hatte damals einen gewissen elitären Charakter, galt als "Prinzenuniversität". Wegen der vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten konnten es sich für gewöhnlich nur wenige leisten, hier zu studieren toJ. Ähnlich wie in Halle mit August Tholuck hatte in Bonn mit Theodor Christlieb ein "aggressiver [erweckter] Pietismus" Ein zu~ in die evangelischtheologische Fakultät gehalten. In der wilhelminischen Ara war Bonn zwar Zu Kautzsch vgl. R. RENDTORFF, Kautzsch. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 195. 98 Zum Reformierten Konvikt vgl. B. WEtßENBORN, Universität, S. 109f.; zu Goeters: 0. RrncHL, Fakultät, S. 97f.; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. I, S. 403. 99 L. Müller, Rede in Gütersloh, 21. 2. 1937 (LKA BtELEFELD, 5,1-305,3); L. Müller, Rede in Radebcul, 13. 10. 1943 (EZA BERLIN, 50/567C). 100 Art.: Reichsbischof Müller in Halle, in: MrTrELDEUTSCHE NATIONAL-ZEITUNG, 27. 6. 1934. 10 1 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 196. 102 CH. PETERS, Sozialprofil, S. 65 und 75. IOl SrMoNs, Bonn, Sp. 1300. 96 97
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rieder eine mehrheitlich liberale Fakultät, nach 1894 wurde sie jedoch Zielscheibe kirchenpolitischer Angriffe und einer ministeriellen ,Ent,tschlung'"104. Bis 1914 hatte sie zwei ,.Strafprofessoren", die der Positiven Jnion angehörten, und alle freiwerdenden Lehrstühle wurden mit ,.positien" Theologen besetzt 10s. Im Winter 1904/1905 lehrten an der Bonner vangelisch-theologischen Fakultät u. a. an liberalen Professoren der Alttewnentler Johannes Meinhold 106, der Neutestamentler Eduard Grafe 107 und er Systematiker Otto RitschP 08 , an ,.positiven" Professoren der Alttestatender Eduard König 109 und der Neutestamentler Siegfried Goebel 110. Über Müllers Theologiestudium selbst ist kaum etwas bekannt 111 . Die renigen Äußerungen Müllers bzw. ihm wohl gesonnener Biographen über ein Studium, die freilich allesamt aus den Jahren 1933 und 1934 stammen, assen erkennen, daß er der akademisch-wissenschaftlichen Beschäftigung tit der Theologie äußerst distanziert gegenüberstand. Müller, der angeblich tit ,.heiligem Ernst" sein Studium aufnahm 112 , ließ sich dem nationalsozialitischen Schriftleiter Max Dietrich zufolge bei seinem Studium von der Frage ~iten: " ... was kannst du in deinem persönlichen Leben aus der neutestatentliehen Verkündigung machen, wo und wie kann dir das Gehörte selbst ~rlebnis werden?" 113 Weiter heißt es bei Dietrich über Müllers Studium: Wie eine Gnadengabe empfand der junge Student in Halle und später in lonn die Erkenntnis, daß ein aufrechter Mensch niemals sein Ziel darin rblicken kann, zur verstandesmäßigen Zustimmung zu einem Dogma zu :ommen. So wurde der deutsche Reformator des sechzehnten Jahrhunderts 1och einmal unmittelbar Lehrmeister für einen ehrlich suchenden und rin;enden Deutschen. Nun durfte Ludwig Müller jene ,Freiheit eines Christenrtenschen' aus unmittelbarem eigenem Erleben heraus verstehen, zugleich ber auch lernen, daß nur der so innerlich frei Gewordene der seelsorgeri104 W. KüPPERS, Bonn, Sp. 1359. Zu Christlieb vgl. G. GoETERS, Christlieb; K. KuPrscH, :hristlieb. lOS G. GoETERS, Bonn, S. 77. Zur Bonner Fakultät vgl. auch 0. RmcHL, Fakultät, S. 75-85. 106 Zu Meinhold vgl. R. SMEND, Meinhold. 107 Zu Grale vgl. PH. VrELHAUER, Grale. 101 Zu 0. Ritschl vgl. E. BrzER, 0. Ritschl. 109 Zu König vgl. R. MEYER, König. 110 Zu Goebel vgl. 0. RmcHL, Fakultät, S. 94 f. 111 Die im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin verwahrte Personalakte Müllers (EZA iERLIN, 1/C 1140) enthält hierüber keinerlei Material, so wie sie überhaupt nur sehr wenige und istorisch kaum interessante Dokumente enthält. Da vergleichbare Akten (etWa die von Fritz :ngelke EZA BERLIN, 1/C 1/24-26) z.B. sämtliche Prüfungsunterlagen (einschließlich der :xamensklausuren) enthalten, liegt die Vermutung nahe, daß aus Müllers Personalakte zahlreihe wichtige Dokumente entfernt wurden, eventuell sogar von Müller selbst, etwa bei der ~äumung seines Büros im Kirchenbundesamt im Herbst 1935. 112 Art.: Unserem Reichsbischof zum Willkommen, in: DEUTSCHER SoNNTAG, Stuttgan, 2. 5. 1935, 121. I u M. DIETRICH, Müller, S. 237.
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sehen Aufgabe gewachsen, Arbeiter im Weinberg sein kann. Denn nur wer selbst Wege gesucht und gefunden hat, kann anderen Wege weisen." 114 Nach Will Ulmenried zog Müller unter all das während seines Studiums Gehörte den "Schlußstrich": "Theologie läßt sich nicht studieren oder erlernen. Zu Jesus kommt man nicht durch menschliche Weisheit- man muß Jesum selbst erleben!" 115 Ganz ähnliche Sätze finden sich auch in Arnold Dannenmanns "Geschichte der Glaubensbewegung ,Deutsche Christen'" von 1933: "In der gesunden Luft des Pietismus ... lernte er Jesus als seinen Herrn kennen, dem er unbedingte Gefolgschaft leisten wollte. So kam sein Entschluß zur Theologie. Auch während seines ganzen Studiums hatte er diese Haltung. Er wollte während seines Studiums nicht Jesus ,erforschen'. Er wußte eines: Jesus kann man nur erleben. Durch irgendwelche theologischen Erörterungen kann kein Mensch die Kraft des Gotteswortes in seinem Herzen und Leben verspüren." 116 In einer Würdigung Müllers in einer deutsch-christlichen Sonntagszeitung im Jahre 1934 wird interessanterweise unterstrichen, Müller sei kein "gelehrter Theologe" 117 • Müller selbst äußerte bei einem Besuch in Halle im Juni 1934 über sein Studium, er habe Christus "hier in Halle zu Ende seines Studiums selbst erlebt ... , nachdem er allen Gelehrsamkeitsballast über Bord warf; denn die Dogmen täten es nicht." 118 Diese Äußerung, aus deren ersten Teil man so etwas wie ein Bekehrungserlebnis herauslesen könnte, paßt in ihrem zweiten Teil zu zahlreichen späteren Äußerungen Müllers, in denen er schroff die Beschäftigung mit theologischen Problemen als völlig irrelevante Sophisterei abtat und in denen er sich vehement gegen jeglichen kirchlichen "Dogmatismus" wandte 119 • Nach seinen eigenen Angaben widmete Müller sich während seines Studiums hauptsächlich der Kirchengeschichte 120 - die beste Möglichkeit, den aktuellen systematisch-theologischen und exegetischen Diskussionen zu entfliehen. Insgesamt läßt sich im Hinblick auf Müllers Theologiestudium mit einem gewissen Vorbehalt angesichts der dürftigen Quellenlage folgendes festhalten: Müller ist während seines Studiums nicht tiefer in die theologischen Wissenschaften eingedrungen, er scheint vielmehr eine gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit bzw. -skepsis entwickelt zu haben. Jedenfalls führte das Studium wohl kaum zu einer In-Frage-Stellung seiner angestammten, das religiöse Erlebnis betonenden, pietistisch-erweckten Frömmigkeit. Seine Wendung gegen "die Dogmen" könnte auf eine Ablehnung des konservativ114 EBD. 115 116 117 118
W. ULMENRIED, Müller, S. 7. A. DANNENMANN, Geschichte, S. 34. Art.: Dem Reichsbischof zum Gruß! in: DEUTSCHER SoNNTAG, Stungart, 30. 9. 1934. Art.: Reichsbischof Ludwig Müller in Halle, in: MtTTELDEUTSCHLANDISAALE-ZEITUNG,
27. 6. 1934. 119 Vgl. z. B. L. MüLLER, Gonesworte, S. 36; DERs., Volkssoldat, S. 128f. 12C E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 195.
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kirchlich engagienen Dogmenhistorikers Friedrich Loofs hindeuten; seine starke Hervorhebung der persönlichen Christusbegegnung berühn sich zweifellos mit Gedanken Manin Kählers 121 . Wenn man dem ironisch-satirischen Anikel über Müller von Waldemar Grimm in der in Prag und Zürich im Exil erschienenen "Neuen Weltbühne" vom November 1934 Glauben schenken darf, bestand Müller seine Erste Theologische Prüfung, die er am 13. Oktober 1905 in Münster abschloß, wegen seiner Distanz zur wissenschaftlichen Theologie "nur mit Ach und Krach" 122 . In Halle schloß Ludwig Müller sich dem Verein deutscher Studenten an. Den Aussagen von Zeitgenossen zufolge war er "oft auf dem Haus" 123, galt als "flotter Student und gefürchteter Fechter" 124 , mischte sich "unter das zechende Volk" 12 s. Die im Kyffhäuser-Verband zusammengeschlossenen Vereine deutscher Studenten waren in erster Linie "Agitationsvereine zur ,Bekämpfung des Judentums als eines Hemmnis nationaler Entwicklung'". Zudem bekannten sie sich leidenschafdich zu einem starken monarchischen Regiment (sie bezeichneten sich als "Leibgarde der Hohenzollern"), zu den Wenen des Christentums, zu der vereinten deutschen Nation und zur Pflege des Deutschtums 126 . Auf Grund der starken politischen Betätigung wurden das Christentum und auch z. T. das Studentenwesen mehr und mehr vernachlässigt127. Um konfessionelle und dogmatische Streitigkeiten zu vermeiden, einigte man sich gleichsam auf einen christlichen Minimalkonsens, der gleichzeitig die Mitgliedschaft jüdischer Studenten verhindene. Es wurde festgesetzt: "Die Mitglieder müssen Christen sein. Infolgedessen fordern die Vereine von ihren Mitgliedern, daß dieselben getauft sind und dem Christentum in Anerkennung des hohen sittlichen Einflusses, den es während seiner tausendjährigen Verbindung mit dem deutschen Volksleben auf letzteres geübt hat, nicht feindlich gegenüberstehen. Die Vereine haben von ihren Mitgliedern weder Ablegung eines religiösen Glaubensbekenntnisses noch Stellungnahme zu irgendeinem konfessionellen oder dogmatischen Standpunkte zu verlangen, wohl aber dürfen sie von ihnen eine Gesinnung erwarten, welche alle zur Tötung der religiösen, idealen und moralischen Triebe im Menschen führenden Bestrebungen verwirft. " 128 Um die jahrhundenwende Vgl. J. ScHNIE'WlND, Kähler. W. GRIMM, Reichsbischof, S. 1408. Zum On und Datum der Prüfung vgl. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 196. 123 Henschke (Königsberg) an L. Müller, 3. 6. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/78). 12• BücKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9. 125 W. GRIMM, Reichsbischof, S. 1408. 12" K.jARAUSCH, Deutsche Studenten, S. 86-88, Zitat: S. 86; DERs., Students, society, S. 270. m Gu.uE I J. MöLLER, Studentenverbindungen, Sp. 966; vgl. L. CoRDIER, Studentenverbände, Sp. 856f. 12a F. ScHULZEIP. SsYMANK, Studententum, S. 324. 121
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ging der Nationalismus des Vereins deutscher Studenten "nahtlos in den alldeutschen Imperialismus über, der die Tirpitzsche Flottenrüstung und machtbewußte Weltpolitik unterstützte". Zentral blieb- unter dem Einfluß der Ideen von Adolf Stoecker, Heinrich von Treitschke und Richard Wagner -der Antisemitismus, der auch schon rassistisch motiviert war 129 • Im Jahre 1910 konnte Karl Kormann als Erfolg der Vereine deutscher Studenten, die sich in z. T. sogar blutigen (Duell-)Kämpfen gegen liberale Studentenverbindungen mehr und mehr an den deutschen Hochschulen durchgesetzt hatten (u.a. mit Unterstützung Bismarcks), herausstellen: "Heute ist der Gedanke des gesellschaftlichen Antisemitismus ja so ziemlich ein selbstverständliches Gemeingut aller akademischen Kreise geworden." uo Dem Verein deutscher Studenten gehörten u. a. Müllers spätere deutsch-christlichen Mitstreiter Wilhelm Kube und Joachim Hossenfelder, aber auch z. B. Otto Dibelius an 131.
J. I nspektorentätigkeit, Vikariat, Hilfspredigerzeit
Noch bevor Müller im Oktober 1905 das Erste Kirchliche Examen ablegte, kehrte er im Juni 1905 als Alumnatsinspektor an seine frühere Gütersloher Schule zurück Ul. Als Inspektor war er in erster Linie für die Beaufsichtigung der Schularbeiten zuständig, aber auch für den gleichsam militärischen Drill, der in den Gütersloher Alumnaten geübt wurde. Einer seiner Nachfolger berichtete über die Inspektorentätigkeit: "Da schrillt ... das scharfe Kommando des ,Weckers': Aufstehen! Im Hui geht's aus den Federn .... Da ertönt das Kommando des Inspektors, in Linie stehen die frischen Jungen und marschieren auf, dehnen und recken den jungen Körper, bis das Blut schneller durch die Adern pulst. Nach den Freiübungen noch ein kurzer Dauerlauf ... " 133 Der Einschätzung eines damaligen Alumnen zufolge war Ludwig Müller im Jahre 1905 für die Stelle des Alumnatsinspektors "noch nicht reif". Die Primaner lud er des öfteren in sein Zimmer "zu fröhlichem Umtrunk" ein, lehrte sie die "Kunst", eine Feuerzangenbowle anzusetzen. Als Schüler sich einmal in Müllers Zimmer, das dieser ihnen- während er selbst abwesend war- zur Verfügung gestellt hatte, betranken, versuchte er in Briefen an die Eltern, die Schuld gänzlich auf die angeblich "willensschwachen, dem Alkohol verfallenen" Schüler abzuwälzen 134 • Einem Untersekun129
K.jARAUSCH, Deutsche Studenten, S. 85, 88, 90f., Zitat: S. 91.
uo Eao., S. 86 und 91. Zitat nach Eao., S. 90. 131 K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 259; H. MEISER, Verantwortung, S. 367.
E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 196. m Hausprospekt: Evang. stift. Gymnasium Gütersloh, s.d. [1929) (EZA BERLIN, 7/6370), S.23f. 13 4 BüCKMANN, Gymnasiast (Ms.), S. 9f. 132
Inspektorentätigkeit, Vikariat, Hilfspredigerzeit
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mer, der angeblich in finanziellen Nöten war, lieh der Inspektor Müller nen Geldbetrag, den jener dann prompt bei einem Pferderennen verpraßus. Nicht genauer bekannte Differenzen zwischen Müller und der Hausdae des Alumnates I führten dazu, daß die Hausdame ihre Stellung aufgabu6 • Im Jahre 1906leistete Müller neben seiner Inspektorentätigkeit ein zwölf.onatiges Lehrvikariat in Gütersloh ab u 7 • Hierbei beeindruckten ihn nach genen Angaben am meisten die durch seinen Lehrpfarrer veranlaßten .re~lmäßigen Besuche ... bei einem ihm aus seiner Jugendzeit bekannten üheren Trinker, der sich durch das Blaue Kreuz gewandelt und bekehrt ane•us. Nachdem er Ende September 1907 seinen Dienst im Alumnat beendet ane, unterzog er sich der Zweiten Theologischen Prüfung, die er am ;. Oktober 1907 mit der Gesamtnote .Bestanden" erfolgreich abschloß. Im lktober/November 1907 nahm er an einem sechswöchigen pädagogischen ~minarkurs teil; ein Predigerseminar besuchte er nicht. Anschließend war Müller für ein knappes Jahr Hilfsprediger, zunächst in :iftberg bei Herford, dann- ab Juli 1908- in Röhlinghausen im Ruhrgebiet. fachdem ihm während seines Vikariats und zu Beginn seiner Hilfsprediger~it eine tadellose Führung und ein eifriges Bemühen um Fortbildung be:heinigt worden waren, geriet er mit dem Presbyterium der Evangelischttherischen Manen-Kirchengemeinde Stiftberg in Konflikt. Dieses versagte ~ine Mitwirkung bei der Erstellung der Dienstinstruktion und weigerte sich 11dem, den üblichen Antrag auf Ordination Müllers zu stellen, wenngleich 1auch erklärte, gegen eine stattfindende Ordination .keine Einwendungen" tachen zu wollen. Entgegen den eigentlichen Vorschriften wurde Müller ann auch nicht in Stiftberg, sondern in Kirchlengern, dem Sitz des ordinie~nden Superintendenten Höpker, ordiniert, und zwar am 16. Februar 1908. on dem .Erfordernis des gesetzlichen Alters" von fünfundzwanzig Jahren •ar er zuvor durch den Evangelischen Oberkirchenrat dispensiert worden. lie genauen Hintergründe der Probleme Müllers in Stiftberg sind, wie es :hon Ernst Brinkmann konstatiert hat, nicht mehr aufzuklären u 9 • Es ist ~hr möglich, daß in diesen Zusammenhang das gehört, was Müller in seinem uch • Was ist positives Christentum?" von 1938 als .das grundlegende rlebnis" seines Lebens beschrieb und was sich wie ein • Turmerlebnis" liest: Es war in der Zeit, als ich in das praktische Pfarramt eingeführt wurde. Auf lir lastete der Druck einer Schuld, die mich so quälte, daß ich sogar körpereh litt. Ich tat alles, was ich gelernt hatte. Ich betete so, wie ich es gelernt m Protokoll-Buch des Alumnat-Vorstandes, Protokoll vom 21. 7. 1905 (ARCHIV DES EvANELISCH-STIFTJSCHEN GYMNASIUMS GÜTERSLOH). U 6 Protokoll-Buch des Alumnat-Vorstandes, Protokoll vom 8. 3. 1906 (Eao.). m E. BllJNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 196. ua L. Müller, Rede bei der Gemeinschaft des Nordens, 26. 11. 1936 (EZA BEilLIN, S0/333). ut E. BlliNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 196f.
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hatte. Ich nahm den Katechismus und ,exerziene' seelisch die einzelnen Stufen von Sündenerkenntnis, Reue und Buße; aber das alles half mir nichts. Das Schuldbewußtsein blieb, und ich wurde nicht frei. Bereut hatte ich mein Unrecht so, wie man überhaupt nur etwas bereuen kann. Trotzdem kam ich nicht zu innerer Freiheit. Eines Tages mußte ich eine Frau beerdigen, die in der Einsamkeit gestorben war und die kaum jemand gekannt hatte. Infolgedessen standen am Grab nur sehr wenige Leute. Es war ein kalter, unfreundlicher Tag.... Mir war so schwer ums Herz, daß ich am liebsten selbst da unten gelegen hätte. Als ich die vorgeschriebenen Formeln gesprochen hatte, mußte ich zum Schluß das Vaterunser beten; an diesem Tag habe ich das Gebet zum erstenmal nicht gesprochen, sondern erlebt: Als ich an die Stelle kam: ,Vergib uns unsere Schuld', packte es mich plötzlich, wie man mit ganz neuen Augen ein neues, helles, sonniges Land erblickt. Ich fühlte mit einem Mal: Wenn hier die Aufforderung des Heilandes dahin geht, eine Vergebung zu erbitten, dann muß es auch eine Vergebung der Schuld geben. jetzt war ich in der Lage, vollerVenrauen diese geheimnisvoll göttliche Wahrheit anzunehmen. Ich spüne auch, wie ich frei und freier wurde, und als ich nach Hause kam, fragte meine Mutter: ,Junge, was ist mit dir passien? Du siehst so aus, als ob du ein großes Glück erlebt hättest.' Ja, Mutter', sagte ich, ,jetzt bin ich endlich befreit und glücklich.'" 140 Zu "dunklen Stunden" in seiner Vergangenheit, in der im übrigen niemand "herumwühlen" solle, da der "Herrgott" ihm seine Verfehlungen vergeben habe, bekannte Müller sich auch in öffentlichen Reden als Reichsbischof, offenbar als Reaktion auf entsprechende Vorwürfe 141 • Einem privaten Brief an Müller aus dem Jahre 1934 zufolge wurde behauptet, er habe damals "seine Braut sitzen lassen, um eine reiche zu heiraten" 142.
4. Gemeindepfarramt in Rödinghausen
Am 8. September 1908 wurde Ludwig Müller zum zweiten Pfarrer an der evangelisch-lutherischen St. Banholomäus-Kirche in Rödinghausen bei Bünde (Minden-Ravensberger Land) gewählt. Er setzte sich auch schon bei einer Probeabstimmung im August 1908 mit überwältigender Mehrheit gegen seine fünf Mitbewerber durch 143 • Müller behauptete späL. MüLLER, Positives Christentum, S. 75 f. L. Müller, Rede in Crailsheim, 12. 5. 1935 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.). 142 Berta Hermann (Münster} an L. Müller, 23. 4. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75}. 14 3 E. BRJNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 198; Protokolle der Sitzungen der kirchlichen Gemeinde-Vertretungen Rödinghausen (1895-1909), Protokoll vom 7. 8. 1908: Müller erhielt bei einer ersten Probeabstimmung 16 Stimmen, ein weiterer Bewerber 2 Stimmen, ein 140
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er, ,.rein äußerliche Gründe" seien für seine Wahl maßgebend gewesen, vor llem die Herkunft seiner Braut 144 • Die Cuxhavenerin Paula Emilie Reineke, die er am 16. September 1909 1eiratete (die Hochzeit war wegen Erkrankung der Braut verschoben worlen), stammte aus sehr wohlhabenden Verhältnissen; ihr Vater war ein eieher Kaufmann und schwedischer Konsul und konnte seiner Tochter 1ffenbar eine größere Mitgift mitgeben 145 • Paula und Ludwig Müller hatten inen Sohn und eine Tochter, ab 1935 zudem für einige Jahre eine Pflegetochert46.
Müller wurde 1908 in Rödinghausen ,.mit großen Ehren empfangen", ämdiche Schulkinder und der Posaunenchor holten ihn vom Bahnhof ab. Er var in seiner Rödinghauser Gemeinde sehr beliebt, galt als kontaktfreudig, ;esprächig, humorvoll, machte gern einen Spaß, war stets hilfsbereit und ozial eingestellt: .. Wenn junge Leute gern heiraten wollten und es nicht ;onnten, half er ihnen mit Sachen, die ihnen fehlten. • Wenn er predigte, dann var die Kirche jedesmal ,.schwicktevoll", es gab Leute, die extra seinetwegen :um Gonesdienst kamen 147• Er war sehr naturverbunden, unternahm mit den Konfirmanden und C.atechumenen oft Ausflüge. Im Sommer fand der kirchliche Unterricht im ~alde statt. Müller kam nie pünktlich zum Unterricht, sondern blieb oft ~xtra lange weg, angeblich damit die Kinder länger spielen und sich vergnü;en konnten. Wenn die Jugendlichen etwas ,.ausgefressen" hatten, nahm er ie mit dem Argument in Schutz: .. Wenn die Bengels immer brav wären, lann wäre mit ihnen nicht viel los." 148 Häufig machte er Krankenbesuche. Diese seelsorgerliehe Tätigkeit prägte hn nach eigenem Bekunden stark. Bei einem Besuch in Rödinghausen im ahre 1937 erklärte er: ,.Nicht auf der Universität- denn das kann ich offen md mit Dank gegen Gon sagen-, bei euch in der Gemeinde an Krankenmd Sterbebetten habe ich wahre Seelsorge und den Glauben gelernt." 149 Die -lausbesuche unternahm er mit einer Pferdekutsche, die ihm sein Schwiegerlriner 1Stimme {AacHIV DER EvANGELISCH-LUTHEIUSCHEN KraCHENGEMEINDE RöDJNGIAUSEN). 144 L. Müller, Rede in Rödinghausen-Westkilver, 11. 3. 1937{LKA BrELEFELD, 5,1-18,2). 145 E. BIUNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 198; L. Müller an EOK Berlin, 31. 3. 1910 {EZA ~EilLIN, 7/6624); F. BAuKS, Piarrer, S. 345; Anonymus an L. Müller, s.d. {EZA BEilLIN, 1/C 4/ '4 ); Interview des Verf. mit Karl Stallmann {Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990 {Karl Stallnano wurde 1914 von Müller konfirmien); vgl. auch Johannes Scharlock {Berlin) an Präses ~oeller {Berlin), 19. 3. 1949 {EZA BEauN, 7/1015). 146 Erklärung Müllers über die für Kinderbeihilfen maßgebenden Verhältnisse, 24. 5. 1936 EZA BEilLIN, 1/C 1140). 147 E. MöLLER, Befragungsprotokolle ehemaliger Konfirmanden Müllers {Ms.). 14 1 Interview des Verf. mit Karl Stallmann {Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990. 149 L.Müller, Rede in Rödinghausen-Westkilver, 11.3. 1937 {LKA BtELEFELD, 5,1-18,2); •gl. u. a. auch M. DIETRICH, Müller, S. 237; W. ULMENRIED, Müller, S. 8; W. BuNDT, Bodelchwingh, S. 116; E. BlliNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 200.
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vatergeschenkt hatte. Dieser bezahlte auch Häcksel und Hafer für das pferd. Wenn Müller das Futter vieneljährlich abrechnete, pflegte er zu sagen: "Schreibense mal man nicht zu wenig auf die Rechnung, mein Schwiegervater hat genug Geld." 150 Ein wesentlicher Grund für seine große Beliebtheit in Rödinghausen war wohl, daß er sich durch seine weltliche Offenheit 151 stark von seinem Amtsbruder, dem ersten Pfarrer Klamor Hanmann, unterschied, der eine besonders enge erweckt-pietistische Einstellung hatte und z. B. versuchte, Tanzveranstaltungen zu verhindem und Alkoholkonsum zu unterbinden, und der auf Beibehaltung sehr altertümlicher liturgischer Formeln beharne. Dementsprechend war das Verhältnis zwischen Müller und Hanmann- entgegen der Darstellung von Dietrich und Ulmenried- gespannt 152 • U. a. in der Jugendarbeit, in der er sich besonders engagiene, stieß Müller auf die Kritik seines um eine Generation älteren Amtsbruders: Der "Versuch, von der Peripherie zum Zentrum der Seelenpflege an der Jugend zu gelangen", könne, so Hanmann bei einer Presbyteriumssitzung im Hinblick auf Müllers Aktivitäten, "auch veräußerlichend u[nd] vom Zentrum abziehend wirken" 153 • Gegen den Widerstand von Hanmann setzte Müller den Bau eines neuen Gemeindehauses durch, das hauptsächlich der Ausweitung seiner Jugendarbeit dienen sollte 154 • Außer dem Jünglings- und Männer-Verein" mit angegliedener Jugendturnabteilung leitete er den Posaunenchor und den Blaukreuzverein rss. Letzteres hindene ihn freilich nicht daran, auch schon mal die "Schluckpulle" kreisen zu lassen, vermudich sehr zum Ärgernis seines Amtsbruders 1s6 • Bei allen persönlichen und kirchlich-theologischen Differenzen zwischen Interview des Verf. mit Karl Stallmann (Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990. EaD. und E. MöLLER, Befragungsprotokolle ehemaliger Konfirmanden Müllers (Ms.). 152 Über das gespannte Verhältnis Müller - Hartmann vgl. u.a.: L. Müller, Rede bei der Gemeinschaft des Nordens, 26.11. 1936 (EZA BERLIN, 50/333); Sitzungsberichte der Kirchlichen Venretungen der evang. luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928), Protokoll vom 25. 10. 1911 (ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHENGEMEINDE RöDINGHAUSEN); Interview des Verf. mit Karl Stallmann (Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990; E. MöLLER, Befragungsprotokolle ehemaliger Konfirmanden Müllers (Ms.). Zu Hartmann vgl. auch R. BoTZET, Ereygnisse, S. 112 und 143. Von einem guten Verhältnis zwischen Müller und Hartmann ist - ganz offensichdich fälschlicherweise - bei M. DIETRICH, Müller, S. 237 und W. ULMENRJED, Müller, S. 8 die Rede. IS3 Sitzungsberichte der Kirchlichen Vertretungen der evang. luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928), Protokoll vom 26. 4. 1911 (ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KraCHENGEMEINDE RÖDINGHAUSEN). 154 Sitzungsberichte der Kirchlichen Venretungen der evang. luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928), Protokoll vom 23.1. 1913 und .Zum Gedächtnis•, 1913 (EBD.). Vgl. auch WESTFÄLISCHES SoNNTAGSBLATT FÜR STADT UND LAND, I. I. 1933, S. 587. 155 E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 198; Sitzungsberichte der Kirchlichen Vertretungen der evang. luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928), .Zum Gedächtnis", 1913 (ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHENGEMEINDE RömNGHAUSEN). 156 E. MöLLER, Befragungsprotokolle ehemaliger Konfirmanden Müllers (Ms.). ISO
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den beiden Pfarrern- in politischen Fragen herrschte Einmütigkeit zwischen ihnen. Ein Großteil der Rödinghauser verdiente damals seinen Lebensunterhalt außer durch eine bescheidene Landwirtschaft durch die Herstellung von Zigarren in Heimarbeit bzw. in Filialbetrieben. Unter diesen Zigarrenarbeitern faßte die SPD seit Anfang des Jahrhunderts immer mehr Fuß, im Jahre 1912 erzielte sie bei der Reichstagswahl im Amt Rödinghausen mehr als 35% der Stimmen 157• Ihr schärfster Konkurrent war die Christlich-Soziale Partei, die es bei derselben Wahl immerhin auf etwa 20% der Stimmen brachte 158 • Ffarrer Hartmann führte nun einen regelrechten Kreuzzug gegen die Sozialdemokratie und schreckte dabei auch nicht vor der Drohung mit gerichdicher Anklage und Kirchenzucht bzw. dem tatsächlichen Ausschluß vom Abendmahl zurück. Müller unterstützte seinen Amtsbruder in seinem Kampf gegen SPD und Gewerkschaften tatkräftig 159• Dabei befand er sich im übrigen im Einklang mit dem altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrat, der z. B. im Jahre 1890 die Geistlichen in einem Erlaß aufgefordert hatte, die Sozialdemokratie "in freien Versammlungen, verbunden mit Rede und Gegenrede", zu bekämpfen 160• Der von Ernst Brinkmann bereits zitierte offizielle "Jahresbericht der Gemeinde Rödinghausen" für das Jahr 1909, den Müller verfaßte, beschäftigt sich zu einem Großteil mit den angeblich verderblichen Folgen der "scharfen" sozialdemokratischen "Verhetzung", die, so Müller, selbst bei den Mitgliedern der christlichen Vereine Erfolg gezeitigt habe. Die Ursache für diesen Erfolg sah Müller nicht in sozialen Problemen, sondern darin, "daß bei manchen Christen ein großer Mangel an innerer Einsicht u[ nd] Erkenntnis vorhanden ist", sowie in dem "verderblichen Werk" der "jüdisch-liberalen Presse in unauffälligem Gewand" und der "Zeitungen der Berufsorganisationen", deren Absichten der einzelne nicht ohne weiteres durchschaue. Er erklärte, man begegne der "sozialdemokratischen Agitation" "nicht ohne Erfolg" durch "rechte Aufklärung", "öffentlich in der Predigt und in der Stille im persönlichen Umgang" 161 • Bereits in Rödinghausen galt Müller als talentierter Redner. Karl Stallmann, 1914 Müllers Konfirmand, erinnerte sich: "Pastor Müller hat eigentlich nie außerhalb der Kirche öffendich gesprochen. Einmal aber, bei einer nationalen Gedenkfeier, da fiel ein Redner aus, und alle sagten: ,Pastor Müller soll sprechen.' Müller zögerte zunächst, dann erbat er sich zwanzig Minuten Bedenkzeit und schloß sich allein in einer Scheune ein. Es dauerte R. BoTZET, Ereygnisse, S. 143, vgl. auch EBD., S. 182. F. N1PKAU, Traditionen, S. 387. Sitzungsberichte der Kirchlichen Venretungen der evang.luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928), Protokoll vom 2.3. 1910 und Gemeindechronik Rödinghausen (ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHENGEMEINDE RöDINGHAUSEN}; R. BoTZET, Ereygnisse, 1S 7
tss ts 9
5.143.
A. VoGT, Religion, 5.171. L. Müller, Jahresbericht der Gemeinde Rödinghausen [für das Jahr 1909], 1910 (LKA BIELEFELD, 4-IJN, Bd. 1,28}. Vgl. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, 5.199. t60
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auch tatsächlich nur zwanzig Minuten, bis er wieder herauskam. Dann hat er eine Rede geschwungen, die war aber eins a!" 162 Vermutlich handelte es sich um die Sedanfeier am 2. September 1910, als Müller der Rödinghauser Schulchronik zufolge als "Venreter der jüngeren Generation ... ein Hoch dem geeinten Deutschen Vaterlande (brachte)" 163 • In den Jahren 1910 bis 1913 bemühte Müller sich des öfteren, sich beruflich zu verbessern. Er bewarb sich- erfolglos- um Pfarrstellen in der Schweiz 164 , in Cuxhaven, Buenos Aires und- zweimal- in Hamburg 165 .1m Zusammenhang mit seiner Bewerbung um die Auslandspfarrstelle in Argentinien schrieb der damalige westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner eine Stellungnahme. Dieses bereits bei Ernst Brinkmann abgedruckte Dokument sei hier wegen der eindrücklichen Charakterisierung Müllers durch seinen Vorgesetzten und wegen der späteren Bedeutung Wilhelm Zoellners im Kirchenkampf- als Vorsitzender des Reichskirchenausschusses wurde er 1935 gleichsam Nachfolger des Reichsbischofs Ludwig Müller- noch einmal zitien: "Müller ist, wie angegeben [bezieht sich auf eine Stellungnahme von Müllers Superintendenten Höpker], gewandt und sicher im Auftreten, Redebegabung fehlt ihm nicht. Doch sind Wone und Gedanken bei ihm nicht immer gleich bedeutend u[nd] gleich bedeutsam. Die Landgemeinde genügt ihm nicht. Im Anfang glaubte er, es würde ihm sicher nicht fehlen, daß ein Mann seiner Begabung rasch von einer Stadt geholt würde. Das ist nun nicht eingetroffen. Deshalb wohl der Zug in die Feme. Trotzdem befürwonen wir die Aussendung. Er wird den draußen an ihn zu stellenden Anforderungen genügen können." 166 Müller zog dann allerdings die Bewerbung für Buenos Aires "mit Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand seiner Gattin" wieder zurück 167 • Daß Müller das ländliche Pfarramt tatsächlich nicht genügte, wie Wilhelm Zoellner es behauptete, beweist eine Äußerung Müllers vom November 1937: Er entschuldigte gleichsam seine Tätigkeit als Landpfarrer damit, daß er "Luftveränderung nötig (hatte)" 168 • Kurioserweise begründete er im Jahre 1910 seine Bewerbung um eine Pfarrstelle in der Schweiz beim Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin ebenfalls mit der Notwendigkeit einer Luftveränderung (wegen einer Lungenerkrankung sei162 Interview des Verf. mit Karl Stallmann (Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990 (nach stichwonaniger Mitschrift). 16l R. BoTZET, Ereygnisse, S. 137. 164 L.Müller an EOK Berlin, 31.3. 1910 und EOK Berlin an Konsistorium Münster, 3.6. 1910 (EZA BERLIN, 7/6624). u.5 E. ßJUNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 199f. 166 Zoellner an EOK Berlin, Konz. 30. 4. 1912 (LKA BIELEFELD, 2-4995); E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 199. 167 EOK Berlin an Konsistorium Münster, 12. 7. 1912 (LKA BIELEFELD, 2-4995); E. ßJUNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 199. 16 1 L.Müller, Rede: Der Ruf Gottes an die Deutschen, 17.11. 1937 (LKA STUTTGART, D 1/118).
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ner Frau) 169 . Müller mußte sich freilich belehren lassen, daß dem preußischen Oberkirchenrat ,.die Besetzung von Pfarrstellen in der Schweiz nicht zusteht"170. Erst im Frühjahr 1914 hatte Müller mit einer Bewerbung als Marinepfarrer Glück. Ende April1914 verließ er Rödinghausen 171 . Außer den Erfahrungen seines ersten und einzigen Gemeindepfarramtes nahm er eine Leidenschaft für Zigarren aus diesem Tabakon mit. Seinen für seine Rödinghauser Zeit charakteristischen Spitzban legte er später ab 172 .
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L. Müller an EOK Berlin, 31. 3. 1910 (EZA BERLIN, 7/6624). EOK Berlin an Konsistorium Münster, 3. 6. 1910 (Eao.). E. BRJNKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 200. Interview des Verf. mit Karl Stallmann (Rödinghausen-Ostkilver), 6. 2. 1990.
KAPITEL2
DER MILITÄRPFARRER (1914-1933)
1. In Wilhelmshaven und FlAndem Müllers Weggang aus Rödinghausen geschah recht plötzlich 1• In einem auch für die damaligen Verhältnisse sehr devot formulierten Brief an Zoellner vom 21. März 1914 teilte er mit, daß er am letzten Sonntag "vor dem Herrn Feldpropst gepredigt" habe und bereits am 15. April, zunächst auf Probe, eine Stelle als Marinepfarrer in Kiel antreten könne. Er bat um Urlaub und um Mithilfe bei der Suche nach einem Vertreter für sein Rödinghauser Pfarramt 2 • Seinen Dienst als Marinepfarrer auf Widerruf begann er dann allerdings erst am 1. Mai, und zwar auch nicht in Kiel, sondern in Wilhelmshaven. Einem handschriftlichen tabellarischen Lebenslauf Müllers zufolge fuhr er ab dem 31. Mai auf der "S.M.S. Westfalen" mit 3 • In den Besatzungslisten des Schiffes aus dieser Zeit ist er allerdings nicht verzeichnet 4 , er scheint also nur außerplanmäßig und kurzfristig an Bord gewesen zu sein. Nach Ablauf der dreimonatigen Probefrist wurde Müller im August- der Erste Weltkrieg hatte begonnen - eine feste Anstellung als Marinepfarrer zugesichert. Am 24. August kündigte er deshalb in einem Schreiben an den Superintendenten in Kirchiengem sein Rödinghauser Pfarramts. Seiner alten Gemeinde teilte er die Kündigung am selben Tage in einem kurzen Telegramm mit, da "Ernennung Marinepfarrer soeben eingetroffen" 6 • Diese Formulierung war sachlich nicht ganz korrekt, denn noch war er ja nominell Ffarrer in Rödinghausen. Bereits am 26. August wurde ihm dann allerdings vom Presbyterium Rödinghausen "unter dankbarer Anerkennung seiner treuen Wirksamkeit in der Gemeinde die ... geforderte Entlassung aus dem II. Pfarramt erteilt zum 31. August" 7 • Am 1. September erfolgte die ErnenVgl. E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 200. LKA BIEUFELD, 2--4995. > EZA BEilLIN, 1/C 11-40 (Lebenslauf s.d.). 4 BA FllEIBURG, RM 92/1880 und 1881. s LKA BIELEFELD, 2--4995. 6 Sitzungsberichte der Kirchlichen Vertretungen der evang. luther. Gemeinde Rödinghawen (1909-1928), Protokoll vom 26. 8. 191-4 (ARCHIV DER EvANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHENGEMEINDE RöDINGHAUSEN). Don wird das Telegramm Müllers wörtlich zitien. 7 Eao. 1
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In Wilhelmshaven und Flandem
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nung Müllers zum Marinepfarrer durch den Marinepropst 8 • Er war zunächst für das I. Geschwader in Wilhelmshaven (Pfarramt IV) zuständig 9 • Eine "förmliche Übergabe der Pfarrsachen" in Rödinghausen und eine Verabschiedung von seiner Rödinghauser Gemeinde konnten wegen des begonnenen Krieges- Müller befand sich auf See- nicht erfolgen 10 • Seit dem 24. November 1914 tat Müller Dienst bei der I. Marinedivision in Flandem 11 • Er hatte zunächst seinen Sitz in Ostende, wo er im April1915 ein Marineheim einrichtete 12 , und war zuständig für die Seelsorge im Bereich der II. Marinebrigade, der Marine-Infanterie-Brigade und der schweren Korpsartillerie sowie ab Frühjahr 1915 zusätzlich in verschiedenen Marinelazaretten. Sein Arbeitsgebiet umfaßte insgesamt etwa dreißig Predigtstellen. Wegen dieser großen Arbeitsbelastung forderte der Kommandeur der I. Marinedivision in einem Schreiben an das Generalkommando in Brügge vom 5. Mai 1915 dringend die Abkommandierung eines weiteren - dritten evangelischen Pfarrers für seine Division, der hauptsächlich Müller entlasten sollte. Gleichzeitig wurde in dem Schreiben "besonders anerkennend" Müllers "aufopfernde[.] und unermüdliche[.] Tätigkeit" hervorgehoben 13 • Die Initiative zu diesem Schreiben war offenbar von Müller ausgegangen. Das Antwortschreiben des Chefs des Brügger Generalkommandos, in dem die Bitte um Abkommandierung eines weiteren evangelischen Pfarrers u. a. mit dem Hinweis auf die noch größere Arbeitsbelastung des- einen- katholischen Marinepfarrers der Division rundherum abgelehnt wurde, wurde Müller urschriftlich unter Rückerbittung zur Kenntnisnahme zugesandt. Auf der Rückseite dieses Antwortschreibens formulierte Müller handschriftlich einen recht energischen, ausführlich begründeten Widerspruch gegen die Ablehnung der nach seiner Ansicht "voll begründet[en]" Bitte und bat möglichst um Wiederholung des Gesuches, was aber wohl nicht geschah 14 • Im Juni 1915 mußte Müller sich "wegen einer dringenden Operation" beurlauben lassen 15 • Seine Vertretung konnte er vorher offenbar noch selber regeln, er versäumte allerdings wohl eine Abstimmung mit seinen übergeordneten Dienststellen, was ihm anscheinend eine Rüge des Divisionskommandos einbrachte. In einem Schreiben an das Kommando vom 18. September 1915 16 rechtfertigte er sich jedenfalls gegenüber dem Vorwurf der "UmgeEZA BERLIN, 7/4253, BI. 227. W. ULMENRIED, Müller, S. 8. 1o E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, S. 200. 11 Eao., S. 200, Anm. 26; L. Müller, Tabellarischer Lebenslauf, s. d., hds. (EZA BERLIN, 1/C 1/40). u Prof. Dr. Hugo Gilben (Lübeck) an Müller, 6. 8. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75). l l BA FREIBURG, RM 1201205. 14 Antwonschreiben vom 8. 5. 1915 (Eao.). IS Kommandeur der I. Marinedivision (Ostende) an Generalkommando (Brügge), 4. 6. 1915 (Eao.). 16 EBD. 8
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Der Militärpfarrer (1914-1933)
hung des Dienstweges" bei der Regelung seiner Vertretung. Er berief sich auf seine Arglosigkeit und zeigte sich keiner Schuld bewußt. Offenbar war er mit der hierarchischen Struktur des Militärapparates noch nicht vertraut, wie auch seine ungewöhnliche Reaktion auf die Entscheidung des Chefs des Generalkommandos bezüglich der geforderten dritten Pfarrstelle zeigt. Nach Rückkehr aus seinem Genesungsurlaub im Juli 1915 übernahm Müller bei der I. Marinedivision die Seelsorge im Bereich des Ostabschnitts der belgiseben Küste mit Sitz in Blankenberghe, wo er in einer am Seedeich gelegenen Villa wohnte 17• Ob ein Zusammenhang besteht zwischen dieser Versetzung und Müllers Mißachtung des Dienstweges, ist unbekannt, ebenso, ob die Mitte Januar 1916 durch den Marine-Staatssekretär Alfred von 1irpitz verfügte Versetzung Müllers zum Marioe-Sonderkommando in der Türkei - der bisherige Pfarrer dort war erkrankt - 18 als Sanktion für mangelnde Unterordnung oder im Gegenteil sogar als Aufwertung von Müllers Position zu interpretieren ist. Einem Brief an ihn aus dem Jahre 1935 zufolge war Müller in Flandern durchaus auch an vorderster Front tätig. In dem Brief heißt es, ein Feldgottesdienst Müllers in Middelkerke sei "stark beschossen" worden 19 • Müller berichtete später in seinen Reden verschiedentlich von Erlebnissen im Schützengraben in Flandern, auch vom Erlebnis des Massensterbens an der Front und den dadurch bei vielen verursachten Glaubensanfechtungen 20 • In dem von ihm herausgegeben "Marine-Kalender" für das Jahr 1926 schilderte er eine plötzliche "feindliche Beschießung": "Während wir im Regiments-Geschäftszimmer versammelt waren [um die Trauerfeier einer "Massenbeerdigung" zu besprechen], begann plötzlich eine feindliche Beschießung aus langen Schiffsgeschützen ... Gleich nach dem ersten Einschlag stürzte mein Bursche bleich und völlig aufgeregt ins Zimmer. Er hatte neben einer Gruppe von Soldaten gestanden, von der gleich 4 Mann durch die Granate zerrissen waren. Der 2. Einschlag lag ganz nahe neben dem Regiments-Geschäftszimmer; die wenigen noch heilen Scheiben zersprangen, ganze Stücke flogen aus der Wand, und wir verholten uns in den Unterstand." 21 Müller selbst scheint durch solche Erfahrungen nicht an der Sinnhaftigkeit des Krieges irre geworden zu sein, bei ihm überwog das Gefühl der soziale Grenzen überschreitenden Frontkameradschaft. Gleichwohl räumte Generalkommando (Brügge) an Kommandeur der I. Marinedivision (Ostende), 2. 8. 1915 (Eao.); L. Müller an Verwaltungsamt Nordsee, 4. I. 1921 (BA FREIBURG, RM 26/30). 18 Alfred von Tirpitz (Berlin) an Generalkommando (Brügge), 15. I. 1916 (BA FREIBURG, RM 120/205). 19 Cun Roßberg (Werdau} an Müller, 31. 10. 1935 (EZA 8ERLIN, 1/C 4/77}. 20 Vgl. z.B. L.Müller, Rede in Stenin, 6.6. 1934 (LKA BIELEFELD, 5,1-758,1}; L.Müller, Rede in Stungan, 1.10. 1934 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.}; L.MÜLLER, Ansprache, S. 58; L. Müller, Rede in Gütersloh, 21. 2. 1937(LKA SIELEFELD 5,1-305,3). 2 1 L. MüLLER, Marine-Kalender 1926, S. 27. 17
In Wilhelmshaven und Flandern
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er später ein, er habe einmal dem verzweifelten Vater eines gefallenen Soldaten "nichts sagen" können 22 • Im Hinblick auf Müllers Predigtweise in Flandem schrieb ein ehemaliger Hauptmann 1934 in einem Brief an Müller, er habe es damals "als beglückend und beseligend empfunden", daß Müllerden Soldaten das Evangelium "gerade so, wie wir es liebhatten und brauchten", gepredigt habe 23 • Müller behauptete später des öfteren, während seiner Tätigkeit als Militärpfarrer im Kriege sei ihm die Sinnlosigkeit der Zersplitterung des deutschen Protestantismus, aber auch der konfessionellen Trennung vor Augen geführt worden 24 • Wenngleich er auch auf diese Weise seine zweifellos erst später entwickelten nationalkirchlichen Vorstellungen rechtfertigen wollte, so sind diese Aussagen in ihrem Kern doch wohl durchaus glaubwürdig. Bei der Durchführung der Gottesdienste und der Seelsorge im Kriege wird er wie seine Amtsbrüder tatsächlich immer wieder auf praktische Probleme auf Grund landeskirchlicher und konfessioneller Unterschiede (Liturgie, Lieder, Abendmahl etc.) gestoßen sein. Wegen des hohen Stellenwertes, den er der nivellierenden "Frontkameradschaft" beimaß, wird Müller solche Unterschiede, zumal angesichts der nationalen Hochstimmung im Kriege, wiederholt und zunehmend als Ärgernis empfunden haben. Hinzu kommt, daß die Militärseelsorge im Kaiserreich in wesentlichen Teilen der äußeren Ordnung eine überkonfessionelle Struktur aufwies und daß bei den Militärseelsorgern des ausgehenden Kaiserreiches generell ein tendentiell "überkonfessionelles Bewußtsein" auf Grund dieser Strukturen sowie auf Grund der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Arbeit im politisch-nationalistischen Sinne vorhanden war 25 •
u L. Müller, Rede in Gütersloh, 21. 2. 1937 (LKA BIELEFELD, 5,1-305,3). K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 552 hat aus der Tatsache, daß Müllers Kriegseinsatz später von vielen .nicht ganz für voll genommen• wurde, gefolgen, daß Müller .im Grund kein Frontkämpfer" gewesen sei. Dies muß wohl insofern modiflZien werden, als Müller bei einzelnen Kampfhandlungen in der für einen Militärpfarrer üblichen Weise zugegen war. Vgl. hierzu auch unten S. 46ff. Müllers Wirken in der Türkei! Ob Müller sich freilich tatSächlich in Flandem .den Namen eines aufopfernden, ... keine Gefahr scheuenden Seelsorgers• erwarb, wie W. ULMENRJED, Müller, S. 8 es behauptete, ist fraglich. Wenn Müller später in vermudich übenriebener Weise seine Kriegserlebnisse schildene, so ist dies sicherlich nicht außergewöhnlich. 23 Prof. Dr. Hugo Gilben (Lübeck) an Müller, 6. 8. 1934 (EZA BERLJN, 1/C 4/75). 24 Vgl. u.a. L. Müller, Rede in Stuttgan, 1.10. 1934 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.); Rede in Güstrow, 20. 2. 1935 (LKA BIELEFELD, 5,1-758,2); Rede in Berlin-Tegel, 18. 11. 1936 (EZA BERLJN, 7/1015); Rede in München, 5. 5. 1937(LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 39). zs A. VoGT, Religion, S. 193, 195, 199 und 528f.
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2. In der Türkei Müller reiste nicht sofort nach der Tirpitzschen Verfügung in die Türkei ab, man wartete vielmehr erst das Eintreffen seines Nachfolgers in Flandem ab 26 • Wann er dann tatsächlich aufbrach, ist unbekannt, jedoch wird der Aufbruch wohl noch in den ersten Monaten des Jahres 1916 erfolgt sein 27 • Beim Sonderkommando der Kaiserlichen Marine in der Türkei tat er Dienst auf den Schlachtkreuzern ,.Goeben'" und ,.Breslau'" sowie bei den vor allem bei den Dardanellen und am Bosperus stationierten Landkommandos. Einen Wohnsitz hatte er in Konstantinopel (Cospoli-Jeniköi). Die spärlichen Quellen über Müllers Aufenthalt in der Türkei ergeben ein recht ambivalentes Bild. Einerseits scheint es für ihn eine recht unbeschwerte, bequeme Zeit gewesen zu sein. Ein Amtsbruder, dessen Ehefrau und ein Arzt erinnerten ihn später in Briefen übereinstimmend an die gemeinsamen ,.schönen Jahre" in Konstantinopel28 • Bald nach seiner Ankunft in der Türkei konnten auch seine Frau und sein Sohn nach Konstantinopel übersiedeln 29 • Andererseits war Müller aber doch wohl auch in das Kriegsgeschehen verwickelt. Einem Brief an ihn aus dem Jahre 1935 zufolge nahm er gemeinsam mit dem Verfasser des Briefes, vermutlich im Frühjahr 1916, an einer Dardanellenschlacht teil 30 • Am 18. März 1916 hielt Müller gemeinsam mit einem islamischen Geistlichen bei den Dardanellen eine ,.gottesdienstliche Feier" zum Gedächtnis an eine ein Jahr zuvor stattgefundene Schlacht. Er berichtete über diese Feier, an der sowohl deutsche als auch türkische Soldaten und Offiziere, einschließlich der beiden Dardanellenkommandanten, teilnahmen, später in dem schon erwähnten ,.Marine-Kalender" für das Jahr 1926, es sei das erste Mal gewesen, ,.daß ein christlicher und mohammedanischer Gottesdienst gemeinsam abgehalten wurde." Nach dem Bericht bestand Müllers Predigt lediglich aus
Vgl. den hds. Vermerk vom 22.1. 1916 auf dem Schreiben Alfred von lirpitz (Berlin) an Generalkommando (Brügge), 15. 1. 1916 (BA FREIBUR.G, RM 120/205). 2 7 Müllers Nachfolger war ein vorher in Wdhelmshaven tätiger Militärgeistlicher, dessen Ankunft in Flandem sich nicht allzu lange verzögen haben dürfte (vgl. Anm. 26). In seinem hds. tabellarischen Lebenslauf (EZA BER.LIN, 1/C 1/40) gab Müller später an, er sei am 16. 1. 1916, also einen Tag nach Abfassung der lirpitzschen Verfügung, Pfarrer des Sonderkommandos in der Türkei geworden. Demnach müßte die Verfügung bereits vor dem Eintreffen des Briefes (vgl. Anm.18) am 22.1. 1916 (Eingangsvennerk auf dem Schreiben) in Flandem bekannt gewesen sein. Eventuell hatte man von Flandem aus auch die Versetzung Müllers empfohlen. 28 Hermann Kieser (Eßlingen) an Müller, 28. 9. 1933; Clara Kieser (Eßlingen) an Müller, 30. 9. 1933; Osman Grosholz (Bad Nauheim) an Paula Müller, 29. 4. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/ 79und 75). 29 Lebenslauf Adolf-Ludwig Müllers, s.d. (EZA BER.LIN, 1/C 4/74) . .so Reinhold Hobaus (Berlin) an Müller, 8. 11. 1935 (Eao.); vgl. H. DEGENER., Wer ist's? 5.1110, demzufolge Müller an mehreren Kämpfen in den Dardanellen teilnahm. 26
In der Türkei
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einer Schilderung des Kampfes, den die deutschen und türkischen Verbündetentrotzgroßer Materialunterlegenheit gewonnen hätten 31 . In einer Rede 1937 äußene er über seine Türkei-Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, die Gebete der Moslems seien "erhebend und feierlich" gewesen. Demgegenüber seien die christlich-orthodoxen Gottesdienste, die er damals ebenfalls kennengelernt habe, "kirmesanige Zeremonien" gewesen. Es seien ihmangesichtsdieser Eindrücke Zweifel gekommen, "welche Religion nun die richtige sei" 32 . Im Frühjahr 1917brach in Konstantinopel in einer Kraftfahrabteilung eine Cholera- und Typhusepidemie aus. Nach dem Bericht einer Krankenschwester engagiene Müller sich sehr bei der Seelsorge an den Kranken, ließ sich mit dem Wasserflugzeug der "Goeben" zu Infektionsbaracken bringen, deren Zugang vom Lande aus gespem worden war 33 . Das mutige, die Gefahr der Ansteckung nicht scheuende Verhalten wurde später in der DC-Zeitung "Deutscher Sonntag" propagandistisch für den kirchenpolitisch unter starken Druck geratenen Reichsbischof ausgeschlachtet. Dem "Deutschen Sonntag" zufolge kümmerte sich Müller nicht nur um die deutschen Kranken, sondern auch um die - verbündeten - türkischen Kranken islamischen Glaubens und erhielt dafür den türkischen Halbmondorden mit Stern 3\ den er später stets trug und der ..viel belacht" wurde 35 . Es ist sehr möglich, daß er bei der Gelegenheit auch sein Eisernes Kreuz erster Klasse verliehen bekam36. Den türkischen Halbmond, dessen Inschrift: ..Tod allen Christenhunden" lauten soll, trug übrigens gelegendich auch Müllers späterer Gegenspieler Martin Niemöller 37, dessen Biographie überhaupt in mancherlei Hinsicht in der Zeit vor 1933, wie schon James Bentley bemerkt hat, derjenigen Müllers "verblüffend ähnlich" ist 38 . Nach Bentley hatten die beiden Männer sich bereits im Kriege kennengelemt. Niemöller habe, so Bentley, Müller damals
L. MüLLER, Marine-Kalender 1926, S. 25. L. Müller, Rede in Bad Oeynhausen, 15. 2. 1937 (LKA BtELEFELD, 5,1-305,3). 33 Käthe Förster (Köln) an Müller, 16. 10. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/80). 34 An.: Dem Reichsbischof zum Gruß! in: DEUTSCHER SoNNTAG, Stungan, 23.12. 1934. Im Februar 1935 berichtete Müller in einer Rede in Güstrow von einer schweren und gefährlichen Fiebererkrankung, die er sich bei einem Krankenbesuch im Lazarett zugezogen habe (L. Müller, Rede in Güstrow, 20. 2. 1935 - LKA BtELEFELD, 5,1-758,2). Da jedoch weder hier eine 31 32
Verbindung zu Konstantinopel noch in den Quellen über Müllers Zeit in Konstantinopel eine Verbindung zu der Erkrankung hergestellt wird, erscheint ein Zusammenhang mit der Epidemie in Konstantinopel unwahrscheinlich. 3S Vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, Text zur Abbildung 89. 36 A. DEGENER, Wer ist's? S. 1110. 3 7 Eisenbardt, Bericht über die Ereignisse in Manin Niemöllers PEarrhaus in Berlin-Dahlem am 25.1. 1934, 9.10. 1958 (LKA DARMSTADT, 35/34). 38 J. BENTLEY, Niemöller, S. 67.
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schon "als einen Opponunisten mit wenigen religiösen Grundsätzen zu verachten (gelemt)" 39 • Auf Müllers Seelsorge an den Typhus- und Cholerakranken nahm im Dezember 1933 auch sein theologischer Berater Emanuel Hirsch in einer Andacht im DC-Blatt "Evangelium im Dritten Reich" bezug. Hirsch führte u.a. aus, Müller habe ihm erzählt, unter den Sterbenden im Seuchenlazarett seien etliche gewesen, die sich an Diebstählen von Autoteilen beteiligt und angesichtsihres bevorstehenden Todes unter großen Gewissensqualen gelitten hätten. Auf Hirschs Frage, ob Müller habe helfen können, habe dieser geantwortet, "er habe ihre ganze seelische Not [die der Diebe] mit ihnen durchlebt in eigener Erschütterung. ,Da habe ich [Müller] ihnen helfen können und zeigen können, daß es in der Liebe Gottes einen Weg zur Freiheit gibt selbst in solcher Lage ... '" 40 • Im Juni 1917 begleitete Müller den Schlachtkreuzer "Breslau" auf einer "Kriegsfahrt" durch das Schwarze Meer, bei der ein gegnerischer V-BootStützpunkt zerstört wurde und die Donaumündung und die Fahrstraße vor Odessa vermint wurden. Anschließend wurde die "Breslau" von russischen Schiffen verfolgt und beschossen, erreichte aber unversehrt den Hafen 41 • Im Januar 1918 erlebte Müller während eines Seegefechts vor der Insel Imbros den Untergang der auf eine Mine gelaufenen "Breslau" mit, bei dem mehr als zwei Drittel der Besatzung ums Leben kamen. Müller befand sich jedoch wohl nicht mit an Bord der "Breslau", wie es der Brief der Tochter eines gefallenen Deckoffiziers der "Breslau" an ihn aus dem Jahre 1933 nahelegt 42 • Er befand sich dem an ihn gerichteten Schreiben eines ehemaligen Matrosen aus dem Jahre 1935 zufolge vielmehr an Bord der sich in unmittelbarer Nähe der "Breslau" befindlichen "Goeben" 43 • Anstatt die Schiffsbrüchigen der "Breslau" aufzunehmen, zog sich die "Goeben" aus Furcht, selbst auf eine Mine zu laufen oder beschossen zu werden, sofort zurück, weshalb viele der Besatzungsmitglieder der "Breslau" nicht mehr rechtzeitig aus dem eiskalten Meer geborgen werden konnten. Bei der anschließenden Flucht der "Goeben" vor einer befürchteten Verfolgung durch englische Schiffe lief die "Goeben" auf Grund 44 • Müller wurde von einem deutschen Torpedoboot 39 EBD.
o Emanuel Hirsch, Art.: Die Freiheit, in: EvANGELIUM IM DRITTEN REICH, 3. 12. 1933. Vgl. L. MüLLER, Marine-Kalender 1926, S. 59. 42 Charlone Böhme (Rüstringen) an Müller, 26. 12. 1933 (EZA BERLIN, 1/C 4/74). o Alfred Tannenherger (Kirchhain) an Müller, 30. 5. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/78). 44 Zu den Ereignissen während des Seegefechtes vor Imbros im Januar 1918 vgl. H. LOREY, Krieg, S. 330-349 und die einschlägigen Akten BA FREJBURG, RM 3/3429; 92/3944 und 3949. Vgl. auch die Berichte Müllers über den Untergang der ,.Breslau• und die Schlacht in: L. MüLLER, Marine-Kalender 1926, S. 7; Marine-Kalender 1927, S. 5 und 33. Die .unterlassene Hilfeleistung• der .Goeben• hatte noch ein gerichtliches Nachspiel; es wurde jedoch niemand verurteilt. 4
4•
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aufgenommen und harne während der nächtlichen Rückfahn dieses Bootes auf der Kommandobrücke aus 45 • Am 6. November 1918, also wenige Tage vor dem Zusammenbruch des Kaiserreiches und dem Kriegsende, wurde Müller zum Divisionspfarrer der Mittelmeerdivision beförden 46 • Er befand sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon nicht mehr in der Türkei, oder er war zumindest dabei, die Türkei zu verlassen. Nachdem die mit Deutschland verbündete Türkei bereits Ende Oktober 1918 die Waffen niedergelegt hatte, zogen sich nämlich die deutschen Orienttruppen - und mit ihnen Müller - zunächst über das Schwarze Meer nach Sewastopol auf der Krim-Halbinsel zurück, die wie die gesamte Ukraine von deutschen Truppen besetzt war. Nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens durch die deutsche Regierung am tt. November 1918 traten diese Truppen den Rückzug an. Dieser Rückzug, an dem die ursprünglich in der Türkei stationienen Truppen und Müller teilnahmen, gestaltete sich deshalb als besonders schwierig, weil die Bolschewisten in der seit ein paar Monaten unabhängigen Ukraine während des Abzugs der Deutschen Fuß zu fassen versuchten, was wiederum ukrainische Separatisten und Konterrevolutionäre zu verhindem sich beq~ühten 47 • Angesichts des herrschenden Chaos in der Ukraine kam es zudem don zu zahlreichen Bandenbildungen 48 • Wenn Müller später von "schwerer, übler Flucht ... durch Südrußland [gemeint war wohl die Ukraine] in die Heimat" sprach, bei der er zum ersten Male "rote Fahnen und Bolschewistenherrschaft" gesehen habe, so entsprach das wohl durchaus den Tatsachen 49 • Wie in Flandem und schon in Rödinghausen scheint Müller auch in der Türkei mit seinen Predigten gut angekommen zu sein. Ein ehemaliger Maat der "Goeben" schrieb ihm 1933, alle hätten in der Türkei seine "erbauungsvollsten Reden" gern gehört, die Grabrede für einen Kameraden sei ihm "unvergeßlich" 50 • 3. Die Zäsur 1918
Müller dürfte, wie er es auch später andeutete 51 , während seines Türkeiaufenthaltes kaum etwas von den sozial-ökonomischen, politischen und stimmungsmäßigen Änderungen in Deutschland während und vor allem am Alfred Tanneoberger (Kirchhain) an Müller, 30. 5. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/78). L. Müller, Tabellarischer Lebenslauf, s.d., hds. (EZA BERLIN, 1/C 1/40). 47 An.: Zum Abschied des ev. Stationspfarrers Ludwig Müller, in: WILHELMSHAVENER ZEITUNG, 28. 8. 1926; vgl. K.D. ERDMANN, Weltkrieg, 5.217-223 und 237. 48 Vgl. BA FREIBURG, RM 41/16. 49 L. MüLLER, Minden-Ravensberg, S. 1; vgl. L. Müller, Rede in Friedrichshafen, 16. 5. 1935 (LKASnrrrGART, 115 b V/1935 Altreg.). 50 Wilhelm Sehröder (Magdeburg) an Müller, 30. 9. 1933 (EZA BERLIN, 1/C 1/44). 51 L. Müller, Rede in Ulm, 13. 5. 1935 (LKA STUTTGART, 115 b V /1935 Altreg.). 45
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Ende des Krieges mitbekommen haben. Vom Ausbruch der deutschen "Novemberrevolution" erfuhr er nach eigenen Angaben erst, als er sich beim Rückzug bereits in der Nähe des polnischen Bialystok befand. Als er dann schließlich Deutschland erreicht und "überall die rote Flagge" gesehen habe, sei es ihm "durchs Herz" gegangen s2 • Der Schock über den verlorenen Krieg und den Zusammenbruch des Kaiserreiches- und damit der eigenen Idealewird für den Orientheimkehrer noch weitaus größer gewesen sein als für die meisten anderen Offiziere, Bildungsbürger, Piarrer, die bis zuletzt mehrheitlich vom Sinn des Krieges und einem bevorstehenden deutschen Sieg sowie von der Notwendigkeit und Legitimität der alten monarchischen Ordnung überzeugt waren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß, wie Amold Vogt es aufgezeigt hat, die Militärgeistlichen im Kaiserreich des letzten Wilhelm massiv und systematisch "zur ideologischen Bekämpfung revolutionärer oder liberaler Ideen" und besonders "als Kampfmittel gegen ... die Sozialdemokratie" eingesetzt wurdens3 • Die Intensivierung der Militärkirchenpolitik in jener Zeit geschah, so Vogt, primär aus diesen innenpolitischen Gründens4. Der preußische Feldpropst Max Ernst Ferdinand Wölfing beklagte in einer Verfügung von 1916 die Praxis, "daß namentlich jüngere in der Heeresseelsorge stehende Geistliche in ihren Predigten und Ansprachen die Verkündigung des Evangeliums gegenüber vaterländischen Gedanken zurücktreten lassen" ss. Der historische Einschnitt 1918 markiert, wie er es später selbst immer wieder betonte, auch in Müllers Leben eine tiefe Zäsur. Er akzeptierte weder die Tatsache der militärischen Unterlegenheit Deutschlands noch die Tatsache der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in Deutschland als Gründe für den Umschwung. Ganz im Sinne der "Dolchstoßlegende" war er davon überzeugt, daß das an sich heldenhafte, durch den Krieg freilich zermürbte, "Volk von so viel heiligem Tun, von so viel Einsatz, von so viel Größe" lediglich das Opfer einer kleinen Clique egoistischer "Schieber" und "Schufte" geworden sei, die er dann allesamt als Juden identifizierte ("Leute, denen man an der Nase ansah, daß sie keine Deutschen waren")S6, so wie er überhaupt den Geist der Weimarer Republik mit dem "jüdischen Geist" gleichsetztes 7 : "Mir ist damals deutlich geworden, daß der Hauptfeind der Jude ist. •ss Müller räumte allerdings auch einmal ein, die "Führerschaft" in L. Müller, Rede in Friedrichshafen, 16. 5. 1935 (Eso.). A. VoGT, Religion, S. 170. 54 Eso., S. 168. 5 5 Zit. nach Eso., S. 551. "" L. Müller, Rede in München, 5. 5. 1937 (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 39); vgl. u. a. auch L. Müller, Rede in Friedrichshafen, 16. 5. 1935 (LKA STVTTGART, 115 b V/1935 Altreg.). 5 7 L. Müller, Rede in Stungan, 1. 10. 1934 (Eso.); vgl. u.a. auch Rede in Stettin, 6. 6. 1934 (LKA BIELEFELD, 5,1-758,1); Rede in Ulm, 13.5. 1935; Rede in Friedrichshafen, 16.5. 1935 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.). 51 L. Müller, Rede in Crailsheim, 12. 5. 1935 (Eso.). 52 53
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Deutschland vordem Zusammenbruch sei "schlapp und morsch" gewesen 59 , womit er vermutlich weniger den Kaiser und die Militärs als vielmehr die Regierungen von Theobald von Bethmann Hollweg bis Max von Baden meinte. Die eklatanten Versorgungsengpässe in den letzten Kriegsjahren in Deutschland bagatellisierte er zu dem Problem "um schlechten Kaffee oder schwaches Bier" 60 • Die tiefe Ablehnung gegenüber dem neuen deutschen Staat hat er beibehalten. Dabei mischte sich die Trauer über den Zusammenbruch des Alten mit Modernitätsangst und Kulturpessimismus angesichts der technischen Entwicklung61 und angesichts der allmählichen Auflösung der bürgerlichen Normen des 19. Jahrhunderts in einer zunehmend offener werdenden Gesellschaft, die er schlicht als Dekadenz bzw. völligen Sittenverfall empfand: "In den Nachkriegsjahren ist bei uns überall jüdischer Geist eingedrungen. Kino, Theater, Presse, Kirche- alles war vom Judentum durchdrungen. Der Jude wollte auch den letzten Rest von Scham den Deutschen aus dem Herzen reißen." 62 Eine wirkliche intellektuelle, differenzierende Auseinandersetzung mit liberalem, demokratischem und marxistischem Gedankengut suchte Müller zweifellos nicht. Zwar behauptete er u. a. in einer Rede im Mai 1935, er habe nach dem Umsturz 1918 "angefangen, alle die Schriften zu studieren, die hinter der Bewegung standen, die nun in Deutschland die Herrschaft hatte", er offenbarte jedoch gleich selbst die ausschließlich irrationalen, auf primitivem Antisemitismus beruhenden Motive seiner Einstellung, wenn er in der Rede, die Bilanz seines angeblichen Schriftenstudiums ziehend, fortfuhr: "Was sind denn nun die Gedanken der Marxisten, worauf begründen sie sich, wer ist der eigentliche Vaterall (!]dieser Ideen? Und da wurde mir klar, daß dieser Karl Marx, nach dem wir heute noch die marx(istische] Bewegung nennen, nicht ein Mann war, der aus deutschem Blut stammte, sondern daß gerade der ein Vollblutjude gewesen ist, der durch seinen Werdegang gerade Deutschland bis aufs Blut haßte." 63 Da auch diese Äußerung Müllers, wie seine bereits vorher zitierten antisemitischen Deutungen der Ergebnisse der "Novemberrevolution", aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen, sind natürlich Zweifel geboten, ob Müller tatsächlich, wie er es selbst behauptete, schon in der Zeit unmittelbar nach 1918 so dachte. Antisemitische Äußerungen Müllers sind jedoch auch S9 60
L. Müller, Rede in Stenin, 6. 6. 1934 (LKA 8JELEFELD, 5,1-758,1). An.: Reichsbischof Ludwig Müller in Halle, in: MnTELDEUTSCHLANDISAALE-ZEJTUNG,
27.6. 1934. 61 Vgl. etWa L. Müller, Rede in Berlin-Tegel, 18. 11. 1936 (EZA BER.LJN, 7/1015). Don äußene Müller sich naiv-kritisch über die moderne Maschinisierung. 62 L. Müller, Rede in Gunzenhausen, 3. 12. 1941 (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9); vgl. auch L. MüLLER, Minden-Ravensberg, S. 2. 63 L. Müller, Rede in Friedrichshafen, 16. 5. 1935 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.).
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bereits für die Zeit vor 1933 (s. u.) und, freilich in weniger scharfer Form, für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg 64 bezeugt, so daß die von Müller hergestellte Verbindung zwischen den von ihm im Zusammenhang mit der ,.Novemberrevolution" empfundenen Mißständen und dem Judenrum durchaus ohne Beeinflussung durch die Nationalsozialisten möglich erscheint. So sehr sich Müllers ,.Analyse" des Umbruchs 1918 auch mit nationalsozialistischen Anschauungen deckt, so behielt er doch wohl während der gesamten Epoche der Weimarer Republik eine durch und durch monarchistische Gesinnung. Selbst nach der nationalsozialistischen Machtergreifung blieb er dem ehemaligen Kaiserhause treu. Ähnlich wie schon Paul von Hindenburg nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten hielt Müller es beispielsweise nach seiner Wahl zum Reichsbischof im September 1933 für ,.eine selbstverständliche Pflicht", dem exilierten Kaiser, den er mit ,.Eure Majestät" anredete, ,.ehrerbietigst" von seiner Berufung "Meldung zu erstatten" und um eine Audienz für einen Antrittsbesuch zu bitten 65 • Für den 14. November 1933 wurde in Berlin ein Treffen Müllers mit der Ehefrau Wilhelms vereinbart 66 • Auch mit Prinz August Wilhelm von Preußen hatte Müller nach 1933 offenbar Kontakt 67 • Sein Büro als Reichsbischof schmückte ein Porträt des Ex-Kaisers 68 • Auf Grund von Befragungsprotokollen, die heute leider nicht mehr auffindbar sind, kam Hans Buchheim bereits 1953 - ganz im Gegensatz zur Auffassung von Heinrich Schmid 1947- zu dem Ergebnis, daß Müller zu den Nationalsozialisten ,.ideologisch eigendich nicht paßte", sondern vielmehr im damaligen Sinne konservativen, d. h. monarchistisch-obrigkeitsstaadichen, nationalistischen Kreisen zuzurechnen gewesen sei 69 • Was den Antisemitismus anbetrifft, dem auch Müller anhing, so ist oft vergessen worden, daß dieser ja keineswegs nur der Nazi-Partei eigen war, sondern in der Zeit nach 1918, in der ,.Sündenböcke" gesucht wurden, in weiten Bevölkerungskreisen, in denen er latent schon seit längerem vorhanden war, einen Aufschwung und eine Radikalisierung erfuhr. Vgl. oben Kap. 1, S. 39. REICHSARCHIV UTRECHT, 14/263; auszugsweise abgedruckt in CW 1934, Sp. 523f. Walhelm II. vermerkte neben Müllers Bitte, seine "Meldung persönlich wiederholen• zu dürfen, "ja.•- Für den Hinweis auf diesen Brief vom 31.10. 1933 danke ich Herrn Chr. Weiling, Lüdinghausen. 66 Oberst von Giese (Berlin) an Müller, 23.10. 1933 und Müller an von Giese, 1. 11. 1933 (EZA BEIWN, 1/C 4/79). 6 7 K.ScHOLDER, Kirchen, Bd.l, Abbildung89. " Vgl. unten Kap. 4, S. 155. 69 H. ScHMID, Wetterleuchten, S. 33; H. BucHHEIM, Glaubenskrise, S. 93; vgl. auch die Einschätzung von W. CoNRAD, Kampf, S. 23. Zu den Befragungsprotokollen, auf die Buchheim sich stützte. teilte mir das Institut für Zeitgeschichte (München) am 17. 10. 1989 mit, daß die fraglichen Quellentrotz intensiver Suche nicht mehr ausfindig zu machen seien. 64
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Müllers politisch-weltanschauliche Entwicklung während der Weimarer Republik, einschließlich der Ursachen für seine dann doch erfolgte Hinwendung zu den Nationalsozialisten, wird im einzelnen noch zu erönern sein.
4. In Cuxhaven
Im Gegensatz zur Großzahl seiner Kollegen blieb Müller auch nach dem Ende des Weltkrieges Militärpfarrer. Beim -nunmehr stark reduzienenMilitär, das bekanntlich stets ein Fremdkörper im ersten demokratischen deutschen Staat blieb, konnte er für sich ein Stück Kontinuität bewahren. Nach dem schon erwähnten handschriftlichen tabellarischen Lebenslauf Müllers wurde er bereits am 16. Dezember 1918 Garnisonspfarrer in Cuxhaven, dem Heimaton seiner Frau 70 . In Cuxhaven eneilte er zunächst in der donigen Realschule Religionsunterricht. Dabei ging ihm der Ruf eines "energischen Lehrer[s]", der seinen Schülern "schon die Flötentöne beibrächte", voraus 71 . Dennoch war er offenbar auch bei seinen Cuxhavener Schülern sehr beliebt. Ein ehemaliger Schüler schrieb ihm 1934: "Schon in der ersten Religionsstunde, die Sie uns eneilten, zeigte sich ihre Persönlichkeit, zumal Sie es verstanden, durch fesselnden Vonrag zeitgemäßer Gleichnisse zu begeistern, und dieser erste Eindruck gewann uns für Sie und ist geblieben, solange Sie uns unterrichteten."72 Die Lehnätigkeit in Cuxhaven könnte ein Hinweis darauf sein, daß Müllers Verbleiben beim Militär zunächst keineswegs sicher war. Eine Petition aus Cuxhaven um die Erhaltung der donigen Marine-Garnisonspfarrämter beider Konfessionen deutet darauf hin, daß eine Streichung dieser Pfarrstellen geplant war. Merkwürdigerweise beteiligte sich Müller an dieser ihn existentiell betreffenden Petition nicht 73 • Über die an sich quellenmäßig ebenfalls dunkle Zeit Müllers in Cuxhaven gibt ein im Landeskirchlichen Archiv Hannover befindlicher Briefwechsel noch einige höchst interessante Hinweise von z. T. großer Brisanz. Es handelt sich um einen Briefwechsel zwischen dem Hornberger Konsistorialrat Opper und dem Präsidenten des Landeskirchenamtes in Kassel aus der Zeit vom 1. bis 10. Juni 1933 74 . Opper war als Oberpfarrer in Wilhelmshaven L. Müller, Tabellarischer Lebenslauf, s.d., hds. (EZA BERLIN, 1/C 1/40). Paul Mechsner (Hannover) an Müller, 25. 8. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/76). 72 Eao.; vgl. auch das positive Urteil eines ehemaligen Konfirmanden über Müller: Radke (Helmstedt) an Müller, 31. 5. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/77). 73 EZA BERLIN, 11 A 2/496 I. Im Mai 1920 wurde der Erhalt der Pfarrämter zugesichert. 74 LKA HANNOVER, L 2, 5 a Bd. I. Die Kenntnis dieses Briefwechsels verdanke ich Herrn Landeskirchenrat i. R. Dr. h. c. Ernst Brinkmann, Dortmund. Zur Quelle ist anzumerken, daß Opper in seinen Briefen aus der Retrospektive nach mehr als einem dutzend Jahren über Müllers Tätigkeit als Pfarrer in Cuxhaven berichtete, daß er Anfang 1920 mit Müller in Konflikt geraten 70
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Vorgesetzter Müllers während dessen Cuxhavener Zeit; im Oktober 1920 übernahm Müller Oppers Stationspfarramt für den Bereich der Nordsee. Nach Opper war Müller zunächst außerplanmäßig in der Cuxhavener Militärseelsorge tätig, da die dortige Militärpfarrstelle bereits besetzt war. Eine andere Verwendung für ihn sei, so Opper, damals nicht möglich gewesen. Müller habe es dann allerdings "mit Hilfe des ... Kommandanten ... in einiger Zeit" geschafft, "den ordentlichen Pfarrer ganz zur Seite zu schieben", was nach Oppers Urteil "zu normalen Zeiten natürlich eine Unmöglichkeit gewesen wäre." Opper habe durch sein Eingreifen Müllers Tun, das diesem im übrigen bei seinen Kollegen den Namen "Leichenmüller" (" ... weil er über Leichen ginge ... ") eingebracht habe, "etwas eindämmen können". Ein Zeugnis, das er einmal während Müllers Cuxhavener Zeit über diesen verfaßte, gab Opper wie folgt wieder: "P. Müller überragt keineswegs irgendwie den Durchschnitt. Eine besondere theologische Begabung, die sich etwa in der Herausgabe eines Buches gezeigt hätte, besitzt er nicht. Auch eine war (vgl. unten im Text) und daß er die Briefe in einer Hochzeit des Kirchenkampfes, während des Kampfes um den damaligen designienen Reichsbischof Friedrich von Bodelschwingh (vgl. unten S. 129ff.), verfaßte. Opper begann den Briefwechsel mit dem erklänen Ziel, aufzuzeigen, warum .es ... eine ganze Ungeheuerlichkeit (wäre), einem solchen Herrn [Müller] die Neuordnung und Leitung der ganzen deutschen evangelischen Kirche anzuvenrauen•. Er haue zunächst vor, lediglich den ihm persönlich offenbar näher bekannten Präsidenten des Kasseler Landeskirchenamtes, der sich in der Presse mehrfach zur aktuellen kirchenpolitischen Lage geäußen haue, zu informieren. Auf dessen Nachfrage hin stimmte Opper dann auch einer Weitergabe der Informationen an die .übrigen Herren der Kirchenregierung und des Landeskirchenamtes• zu; ferner haue er .auch nichts dagegen einzuwenden, wenn der Venreter unserer ... Landeskirche im ... Kirchenausschuß in Berlin davon Gebrauch macht•. Auf weiteres Nachfragen hin regte Opper schließlich an, die Informationen .auf innerkirchlichem ... Dienstwege• Bodelschwingh sowie dem damaligen kommissarischen Präsidenten des Kirchenbundesamtes Friedrich Seetzen zuzuleiten. Den Vorschlag, direkt mit der Reichsleitung der Deutschen Christen zu verhandeln, hielt Opper dagegen nicht für ratsam. Opper, der betont haue, er wolle .natürlich nicht in einen Pressekampf mit gerichtlichem Nachspiele gezogen werden•, befürchtete - sicher nicht zu Unrecht -, .daß die ganze Angelegenheit auf das politische Gebiet geschoben werden könnte•. Außerdem wies er darauf hin, daß ja auch Müller Mitglied der DCReichsleitung sei. Opper stellte es jedoch anheim, .hinterher mit Genehmigung des Herrn Reichsbischof [von Bodelschwingh]• mit einem .als besonnen und sachlich• empfohlenen Mitglied der DC-Reichsleitung .mündlich die Angelegenheit [zu] besprechen•. Ob und an wen die Informationen Oppers tatsächlich weitergeleitet wurden und ob und inwiefern sie die Einstellung von Kirchenpolitikern beeinflußten, ist unbekannt. Die Tatsache, daß sich der Briefwechsel im Nachlaß des damaligen Hannoverschen Landesbischofs August Marahrens befindet, könnte darauf hindeuten, daß Marahrens, einer der wichtigsten Kirchenpolitiker der damaligen Zeit (vgl. unten S. 106), diesen Briefwechsel kannte. Womöglich bestärkte ihn diese Kenntnis in seiner auffallend konsequenten ablehnenden Haltung gegenüber einer Ernennung Müllers zum Reichsbischof (vgl. unten S. HOff.). Trotz der Abfassungsumstände sind die Briefe Oppers durchaus glaubwürdig, da sie zum Teil sehr detailliene Informationen enthalten, die im Jahre 1933 im wesentlichen noch nachprüfbar gewesen sein dürften. Opper benannte zudem den damaligen Feldpropst, der bereits während Müllers Cuxbavener Zeit amtiene, als Zeugen. Auch Oppers Adressat hielt die Briefe offensichdich für glaubwürdig.
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Der Militärpfarrer (1914-1933)
besondere religiöse Begabung ist ihm nicht eigen. Als Redner übertrifft er nicht den Durchschnitt. Er besitzt eine stattliche Erscheinung, die einem sympathisch ist." Die zweifellos brisanteste Information Oppers bezieht sich auf Müllers Verhalten während des sogenannten Kapp-Putsches. Als Reaktion auf den Putsch rissen in Wilhelmshaven im März 1920 linksgerichtete revolutionäre Matrosen die Herrschaft an sich und setzten sämtliche Offiziere in einer Kaserne vier Wochen lang fest. Im Gegensatz zu dem allgemeinen Boykott dieser Matrosen habe Müller nun, so Opper, die "Meuterer" anerkannt, erklärt, er stelle sich "auf den Boden der Tatsachen", und dann versucht, hinter Oppers Rücken mit den Revolutionären zu "paktieren" und sich Vorteile zu verschaffen, u. a. die sofortige Übertragung der Stationspfarrgeschäfte. Er habe die Matrosen zunächst "mit Telegrammen" "bombardiert[.]", und dann sei er auch von Cuxhaven nach Wilhelmshaven gefahren, um persönlich mit ihnen zu verhandeln. Die revolutionären Mannschaften hätten ihn freilich "abfahren" lassen und zu Opper gesagt, daß sie Müllers Vorgehen "scharf verurteilten", daß sie "vor einem Pfarrer, der es besonders mit den Offizieren gehalten habe und nun bei ihnen Vorteile suche", "ausspuckten". Über die Folgen von Müllers Verhalten berichtete Opper: "Natürlich habe ich damals diesen Vorgang der Marineleitung gemeldet. Aber in jener verworrenen Zeit kam diese Angelegenheit erst nach 3/4 Jahren dort zur Verhandlung. Ich war inzwischen längst aus der Marine ausgeschieden. Pfr. Müller erhielt die für jene Zeit sehr scharfe Strafe, die auch mir offiziell mitgeteilt wurde. Er bekam die Mißbilligung der Marineleitung ausgesprochen, und der Herr Feldpropst sagte gelegentlich einem der früheren Marinepfarrer: am liebsten hätte er Pfr. Müller entlassen, aber da er bereits alle anderen Pfarrer auf Wartegeld gesetzt hätte, könne er Pfr. Müller nicht auch noch wegschicken." Als Müller zum 1. Oktober 1920 nach Wilhelmshaven gekommen sei, hätten die dortigen Offiziere nichts von seinen Aktivitäten gewußt, "sonst hätten sie sicher auf sein Ausscheiden gedrängt". Da diese Offiziere "natürlich rechts gesonnen waren", sei Müller nunmehr nach rechts hinübergeschwenkt und "besonders in Rechtsorganisationen tätig" gewesen. Falls Oppers Informationen zutreffend sind, ist Müllers Annäherung an die Wilhelmshavener Revolutionäre auf Grund seiner politisch-weltanschaulichen Grundeinstellung wohl nicht anders als als Kollaborationsversuch aus rein opportunistischen Motiven zu deuten, wie es auch der Einschätzung Oppers entsprechen dürfte. Die "Wilhelmshavener Affäre" gibt somit offensichtlich weniger Auskunft über Müllers politisch-weltanschauliche Einstellung, als vielmehr über seine Persönlichkeit. In zwei Briefen (desselben Verfassers) an ihn aus den Jahren 1933/34 wird Müller auch schon für seine Cuxhavener Zeit ein längerer, gegen manche Widerstände ausgefochtener
Wiederum in Wilhelmshaven (als Stationspfarrer)
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"politischer Kampf" -auch von der Kanzel herab- im Sinne der Rechten, mit dem Ziele "der religiösen Gesundung unseres Deutschen Volkes", bescheinige5. Angesichts der Vorwürfe Oppers nimmt sich die Beschwerde eines Cuxhavener Gemeindepfarrers, Müller habe in Cuxhaven wiederholt gegen die Dimissoriale-Vorschriften verstoßen, geringfügig aus. Immerhin veranlaßte diese Beschwerde den Marinepropst zu einer Nachfrage bei Müller. Dieser räumte ,.Unregelmäßigkeiten" ein, wälzte die Schuld aber gänzlich auf seinen Küster ab 76 • Der Marinepropst gab sich damit zufrieden, wies Müller jedoch darauf hin, daß er "zur Vermeidung von Unregelmäßigkeiten den Küster hätte genauer anweisen müssen." 77 Darauf, daß Müller sich in Cuxhaven noch der Erweckungsfrömmigkeit verbunden fühlte, deutet ein Brief an ihn aus dem Jahre 1935 hin, in dem von einem Engagement Müllers in "Gemeinschaftskreisen" die Rede ist, in denen er sich ,.besonderer Hochschätzung" erfreut habe 78 •
5. Wiederum in Wilhelmshaven (als Stationspfarrer) Wie bereits erwähnt, übernahm Müller am 1. Oktober 1920 als Marioeoberpfarrer das Stationspfarramt für den Nordseebereich in Wilhelmshaven79. Wegen des drastischen Stellenabbaus beim Militär wurden später die Marinestationen Nord- und Ostsee vereinigt, so daß er dann offenbar auch für den Ostseebereich zuständig war 80 • Anders als für die übrigen Jahre Müllers als Militärpfarrer ist die Quellenlage im Hinblick auf die etwa sechsjährige Tätigkeit Müllers in Wilhelmshaven relativ gut. Im Freiburger Militärarchiv sind nämlich die Akten des Stationspfarramtes Wilhelmshaven aus jener Zeit, wenn auch nicht ohne Lücken, noch vorhanden 81 • In Wilhelmshaven widmete sich Müller offenbar vor allem einer intensiven Vortrags- und Redetätigkeit, hauptsächlich wohl - im weiteren Sinne - im Rahmen seines Dienstes, wobei oft die Initiative von ihm ausging, aber auch privat. Spätestens in Wilhelmshaven scheint er also jene rhetorische Leidenschaft bei sich entdeckt und entwickelt zu haben, der er sich auch später 75 Hugo Hilck (Wesennünde) an Müller, Weihnachten 1933 und 13. 4. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75). 76 L. Müller an Marinepropst, 30. 10. 1920 (BA FREIBURG, RM 26/30). 77 Marinepropst an Müller, 11. 11. 1920 (Eao. ). 78 OskarTheden (Köslin) an Müller, 26.1. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/78). 79 Vgl. u.a. L. Müller, Tabellarischer Lebenslauf, s.d., hds. (EZA BERLIN, 1/C 1/40); L. Müller, Lebenslauf, 10. 5. 1941, hds. (BDC, Akte: Reichskulrurkammer, Reichsschrifttumskammer: Ludwig Müller). 80 Vgl. W. GRIMM, Reichsbischof, S. 1409; W. ULMENRIED, Müller, S. 9. 8J BA FREIBURG, RM 26. Zu den Lücken vgl. unten im Text.
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Der Militärpfarrer (1914-1933)
noch, auch noch nach seiner Wahl zum Reichsbischof 1933 und dann ebenfalls nach seiner faktischen Entmachtung 1935, so intensiv hingab. Daß er während seiner Wilhelmshavener Jahre bei seinem Publikum in der Regel anscheinend gut ankam und in bestimmten Kreisen als Redner gefragt war, wird ihn in seinen Ambitionen bestärkt haben. Im einzelnen sind folgende tatsächlich durchgeführten und geplanten Veranstaltungen Müllers nachweisbar: -Von Januar bis März 1921 plante er in Wilhelmshaven vier Vonräge vor Offizieren zu dem- anspruchsvollen- Thema: "Soziale Bewegungen und Theorien bis zur modernen Arbeiterbewegung". Im selben Zeitraum bot er für Mannschaften und Offiziere in Wilhelmshaven, Lehe, Cuxhaven und Emden jeweils fünf Vonräge zum Thema: "Überblick über die Geschichte bis zur Gegenwan mit besonderer Berücksichtigung der großen winschaftlichen Bewegungen" an 82 • Über den Inhalt der Vonräge ist leider nichts bekannt. Die sozial-ökonomische Ausrichtung der Themen mutet erstaunlich modern an. Bei der Auswahl der Themen könnte der Vorsatz der Auseinandersetzung mit dem Marxismus und der Sozialdemokratie eine Rolle gespielt haben. Ein Brief- und ein Telegrammkonzept Müllers lassen freilich Zweifel daran aufkommen, daß er den Themen, die ihm womöglich auch vorgegeben worden waren, gerecht werden konnte. In dem Briefkonzept teilte Müller einem Kapitän mit, daß er "die eigentlichen Geschichtsvorträge unterbrechen" wolle (" ... weil ich mich nicht genügend vorbereiten konnte ... "), und er "also das nächste Mal wieder[!] erzählen (würde), und zwar: ,Die letzte Kriegsfahn der 76
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78
K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 14. Zum ganzen Abschnitt vgl. Ean., Bd. 1, S. 723 und Bd. 2, S. 13-17. Eao., Bd. 1, S. 724 f. und K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 137. H. MEISER, Verantwonung, S. 168. Vgl. etwa Eao., S. 159f.
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An der Macht (1933-1935)
theologische Berater des Reichsbischofs Beyer, refonniener "Kirchenminister" wiederum Weber, und Werner fühne kommissarisch das Amt des juristischen "Ministers" weiter, das Müller nach wie vor am liebsten mit Jäger besetzen wollte. Während der kurzen Amtszeit des zweiten "Reichskirchenkabinetts" vollzog Müller offen die Trennung von den Deutschen Christen, von denen er sich keinen Nutzen mehr versprach. Am 6. Dezember legte er die Schirmherrschaft überdie Deutschen Christen nieder, und am 20. Dezember nötigte er Hossenfelder, seine kirchlichen Ämter und die Reichsleitung der Deutschen Christen niederzulegen. Während diese Maßnahmen gleichzeitig geeignet waren, die "Bekenntnisfront" zu beruhigen - diese hatte ja seit der "Sponpalastkundgebung" Entsprechendes immer wieder geforden -, verabschiedete das zweite "Reichskirchenkabinett" auf der anderen Seite drei weitreichende Kirchengesetze, durch die der "Bekenntnisfront" nun gleichsam nach dem "Zuckerbrot" die "Peitsche" zuteil wurde. Die Gesetze bedeuteten einen tiefen Eingriff in die Rechte der Landeskirchen und erleichteneo die Disziplinierung mißliebiger Geistlicher. Auf Grund des wachsenden Drucks von Seiten der "Bekenntnisfront", die das zweite .,Reichskirchenkabinett" zu keinem Zeitpunkt anerkannt hatte, zerbrach dieses schon zum Jahreswechsel 1933/34 79 • Müller hatte an den "Kabinettsitzungen" ohnehin kaum noch teilgenommen 80 • Er versuchte nun, im Grunde nur mit Hilfe seiner beiden Berater Oberheid und Jäger, in kaum verhüllter rechtsbrecherischer, diktatorischer Weise allein zu regieren. Die ersten Schritte in diese Richtung waren die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend und der sogenannte "Maulkorberlaß". Die Eingliederung der Evangelischenjugend bedarf einer genaueren Erörterung. Müller hatte sich durch verschiedene Maßnahmen das Yenrauen der Führungder Evangelischenjugend erworben. Auf Anregung des Reichsführers des EvangelischenJugendwerkes Erich Stange gab er am 17. August 1933 als "Bevollmächtigter des Kanzlers" und "Landesbischof von Preußen" eine Kundgebung heraus, in der er der Erwanung Ausdruck verlieh, daß das Evangelische Jugendwerk "sich geschlossen zum Einsatz für die großen volksmissionarischen Aufgaben bereitstellt". Zwar ließ er keinen Zweifel daran, daß er entsprechend dem Führerprinzip gerade auch von der Evangelischen Jugend Unterordnung und Gehorsam verlangte ("Jeder, der hier aus der Reihe bricht oder eigenmächtige Wege geht, erschwen die Durchführung der ungeheuren Aufgabe, die uns die Verkündigung des Evangeliums im Dritten Reich stellt"), jedoch mußte die Kundgebung den Eindruck erwek79
80
37).
K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 724-730 und K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 137f. Protokolle der 11., 12. und 13.Sitzung des Reichskirchenkabinetts (EZA BERLIN, 1/A 4/
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ken, daß er die Jugendarbeit als einen wichtigen und unentbehrlichen Bestandteil der kirchlichen Arbeit ansah, daß er jedenfalls an einer völligen Auslieferung der Evangelischen Jugend an die nationalsozialistische Parteibzw. Staatsjugend nicht interessiert war 81 • Dieser Eindruck wurde bestätigt durch eine wenig später erlassene Anordnung Müllers an die Leitungen der altpreußischen Provinzialkirchen, in der er sich expressis verbis "gegen Versuche der Erschütterung oder Auflösung der verbandsmäßig organisierten Jugend innerhalb der evangelischen Kirche" wandte und es als "Pflicht der Kirche" bezeichnete, "hier schützend einzugreifen•. Den Pfarrern und Vereinsvorsitzenden verbot er, "eigenmächtig Vereine aufzulösen oder in andere nicht-kirchliche Vereine zu überführen." 82 Am 1. September wandte er sich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Einstweiligen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche mit einer ganz ähnlichen Anordnung auch an alle nicht-altpreußischen Kirchen. Er begründete die Anordnung freilich damit, daß man "einer einheitlichen und endgültigen Regelung" in einem Vertrag zwischen Staat und Kirche nicht vorgreifen du••rfe 83 . Anfang Oktober 1933 erreichte der Reichsbischof in einem Gespräch mit Baidur von Schirach, daß dieser seine wenige Tage zuvor gemachte öffentliche "Ankündigung auf Auflösung der Jugendverbände" vorläufig wieder zurücknahm 84 • Am 10. Oktober gab Müller Stange- nach dessen Erinnerung- "feierlich mit Handschlagdie Erklärung ab( ... ), daß er zu einer Auflösung des Evangelischen Jugendwerkes niemals die Hand bieten würde, weil er diese Front einer jungen evangelischen Arbeiterschaft für seine volksmissionarische Aufgabe brauche" 85 • Bei den drei Tage später auf Anregung Hossenfelders beginnenden Vorgesprächen zur Bildung einer reichskirchlichen Jugendkammer war man sich weit~!!hend einig, "daß eine Auflösung des Evangelischen Jugendwerks oder eine Ubemahme durch die HJ nicht in Frage komme." 86 Die Einrichtung der Jugendkammer bedeutete eine stärkere Bindung der Evangelischen Jugend
81 Die Kundgebung ist abgedruckt bei J.jüRGENSEN, Lektion, $.151; vgl. auch Eao., S. 60f. und M. PRIEPKE,jugend, S. 60. 82 Zit. nachJ.jüRGENSEN, Lektion, S. 61. sJ J. GAUGER, Chronik, S. 124; vgl. auch K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 148 und J.jüRGENSEN, Lektion, S. 61. 114 M. PRtEPK.E, Jugend, S. 66f. as Aufzeichnung Stangcs: "Nachtrag zu dem Schreiben vom 17.Dezember 1933•, KasseiWilhelmshöhe, 20. 12. 1933, abgedruckt Eso., S. 191-193, hier: S. 192; vgl. auch J.jÜRGENSEN, Lektion, S. 71. 16
Eso.
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An der Macht (1933-1935)
an die Kirche und damit faktisch einen größeren Schutz gegenüber den Ansprüchen Schirachs 87 . Mehrere ergebnislos verlaufene Gespräche zwischen Vertretern der nationalsozialistischen Reichsjugendführung, des Evangelischen Jugendwerkes und der Reichskirchenregierung im Spätherbst 1933 legten den Schluß nahe, daß Müller nicht ohne weiteres bereit war, auf die kompromißlose Forderung Schirachs nach einer Auslieferung der Evangelischen Jugend einzugehen88. Die "vertrauensbildenden Maßnahmen" Müllers wurden von den Jugendführern "honoriert". Bereitsam 3. Juli 1933 hatte Stange dem ,.Bevollmächtigten des Reichskanzlers" - noch bevor dieser offiziell ein kirchenleitendes Amt übernommen hatte-die ,.Schirmherrschaft" überdie ,.EvangelischeJugend Deutschlands" übertragen- eine klare Parteinahme für die Reichsbischofskandidatur Müllers 89 • In der Verfassung des Evangelischen Jugendwerkes vom 23. Juli war diese "Schirmherrschaft" um das Bestätigungsrecht des Reichsführers des Jugendwerkes erweitert worden 90 • Die bereits erwähnte von der Evangelischen Jugend mitveranstaltete Großkundgebung für den neuen Reichsbischof Ende September 1933 war ein deutlicher Loyalitätsbeweis 91 • Am 17. November 1933 übertrugen die Jugendführer Müller schließlichin konsequenter Anwendung des Führerprinzips - die völlige Befehlsgewalt über das Evangelische Jugendwerk und erfüllten damit eine schon drei Wochen zuvor erhobene Forderung des Reichsbischofs 92 • Allerdings banden sie diese Befehlsgewalt an die Verfassung des Jugendwerkes, die eine "Zustimmung des Führerrats" bei ,.Entscheidungen, die in das Leben der Gesamtheit der evangelischenJugendverbände unmittelbar und wesentlich eingreifen", vorschrieb 93 • DieJugendführer glaubten vermutlich, sich hinterder Autorität des Reichsbischofs vor den immer unverhohlener geäußerten,
Vgl. Eao. Eao., S. 82; vgl. auch M. PRtEPKE,Jugend, S. 60f. und 70. 8 9 J.jüRGENSEN, Lektion, S. SO und 52; vgl. auch M. PitJEPKE, Jugend, S. 60, der die Übertragung der .Schirmherrschaft• bereits als Bereitschaft wertete, "sich grundsätzlich unter die Befehlsgewalt Müllers zu stellen. • 90 Eao., S. 59f. Die Verfassung ist abgedruckt bei J.jüRGENSEN, Lektion, S. 146-151, hier: S. 147 (Art. III, 2). Dort ist von der Bestätigung durch den Reichsbischof die Rede, den es damals gar nicht gab. Es war jedoch wohl schon klar, daß Müller Reichsbischof werden würde. 9 1 Vgl. auch die Dankschreiben von Jugendvertretern an Müller für dessen Engagement für die Evangelische Jugend aus jener Zeit (EZA BERLIN, 11A 4/58). 92 J.JÜRGENSEN, Lektion, S. 73 und 81. 9 .) Eao., S. 81. 87 88
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jedes Zugeständnis ablehnenden Expansionsambitionen Schirachs verschanzen zu müssen 94 • Es ist wohl gleichermaßen ein Zeichen dafür, daß die Jugendführer sichwohl nicht ganz zu Unrecht - in einer fast aussichtslosen Situation zu befinden wähnten, als auch ein Zeichen für eine verhängnisvolle Fehleinschätzung des Reichsbischofs, daß sie diesem ausgerechnet in dem Moment die Befehlsgewalt übenrugen, als dieser zum ersten Male deutlich zu erkennen gegeben hatte, daß er bereit war, Schirachs Forderungen nachzugeben. Unmittelbar vor der Übenragung der Befehlsgewalt hatte Müller den Jugendführem nämlich einen Venragsentwurf präsentien, der die völlige Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend vorsah 95 • Die Jugendführer äußenen zwar Bedenken gegen den Venragsentwurf, gleichzeitig unterstrichen aber auch sie die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der HJ 96 • Müller hielt sich während der Verhandlung mit den Jugendführern sehr zurück und versprach, die Bedenken "auf sich zu nehmen" 97 • Vor allem aber versuchte er in gewohnter Manier, mittels eines langen, beschwörenden Monologs die Zustimmung zur Eingliederung zu erlangen. Dabei räumte er, rhetorisch und psychologisch nicht ungeschickt, wiederholt durchaus Probleme ein, die er dann freilich u. a. mit Hinweisen auf die Chance einer großen Missionsarbeit durch die Schaffung einer einheitlichen Jugendorganisation und das nötige Gottvenrauen sofon stark relativiene: "Der oberste Grundsatz ist für uns alle der, daß wir den Heiland ins Volk tragen, daß unser Volk mehr als bisher von Ihm erlaßt wird. . . . Gewiß, wir sehen überall Gefahren und Schwierigkeiten. Wir wollen diese nicht unterschätzen. Aber wir wollen auch nicht mutlos werden. Das Evangelium des Heilandes hat göttliche Kraft und hat sich immer wieder durchgesetzt. Es wird sich auch heute durchsetzen. Gerade wegen der Gefahren und der Gegner ist heute doppelter Einsatz nötig .... Es wird uns natürlich schwer, uns von alten Organisationen zu trennen. Wir müssen aber doch suchen, was wahr, echt und klar ist, das muß sich durchsetzen. Volk und Staat sind heute eins .... Es sind zumeist falsche Gerüchte, die eine klare Linie verhindern .... Selbstverständlich ist durch den Venrag noch nicht alles in Butter.... Wir müssen aber die großen, weiten Ziele im Auge behalten und zunächst die Schritte tun, die zunächst einmal getan werden müssen .... Der Sieg ist bei dem Evangelium und bei unserem Heiland." Müller konzediene auch, daß viele - selbst führende - Nationalsozialisten "nicht kirchlich eingestellt" seien, jedoch Vgl. die Einschätzung von M. PRIEPKE,Jugend, S. 69 undJ.JüRGENSEN, Lektion, S. 80f. Zu den Absichten und Äußerungen Schirachs vgl. u. a. EBo., S. 43, 69 und 72. 95 EBo., S. 79f.; vgl. auch K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 734; M. PRJEPKE, Jugend, S. 69; H. RIEDEL, Kampf, S. 65. 96 Protokoll über die Sitzung der Führer des Ev. Jugendwerkes in Anwesenheit des Herrn Reichsbischofs, 17. 11. 1933, 16 Uhr (EZA BERLIN, 1/A 4/42). 97 Zit. nach M. PRJEPKE, Jugend, S. 69. 94
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hätten diese "im letzten Grunde christliche Grundgedanken", betonten "seelische Werte" wie "Vertrauen, Treue, Gehorsam", seien aber auch "noch Objekte der Kirchenarbeit". Im persönlichen Gespräch mit ihm, Müller, habe es sich herausgestellt, daß Baidur von Schirach "ein falsches Bild von der Kirche hatte" und daß umgekehrt Schirach in der Öffentlichkeit falsch verstanden worden sei. Schirach wolle "die kirchliche Jugend als Sauerteig haben." Müller hoffte, durch die Eingliederung "an die Gesamtarbeit in der Jugend irgendwie heran[ zu]kommen." 98 An der "Linie" des vermutlich auf ein Konzept des Hossenfelder-Mitarbeiters Pfarrer Walter Hoff99 zurückgehenden Eingliederungsvertragsentwurfes, den er den Jugendführern am 17. November präsentiert hatte, hielt Müller in der Folgezeit konsequent fest, freilich nicht ohne das für ihn stets typische Lavieren und Vertrösten. Der Vertrag, den Schirach und er am 19. Dezember 1933 unterschrieben, stimmte fast völlig im Wortlaut mit diesem Entwurf überein 1oo. Es waren wohl gleich mehrere Umstände und Entwicklungen, die zu Müllers Meinungsumschwung geführt hatten: der wachsende Druck nach dem "Sportpalastskandal" vom 14. November, die unnachgiebige Haltung Schirachs und vor allem die Tatsache, daß Staat und Partei zunehmend auf Distanz zum Reichsbischof gegangen waren. Ferner hatte Ende Oktober der kirchlich eingestellte Ministerialdirektor Rudolf Buttmann signalisiert, daß Schirach im Reichsinnenministerium "seine Vorstellungen zur künftigen Jugendpolitik referiert und offenbar durchgesetzt" hatte 101 • Schließlich paßte die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Staatsjugend ganz zu der noch genauer zu erörternden neuen kirchenpolitischen Konzeption Müllers, die auf eine möglichst nahtlose Integration der Kirche in den NS-Staat abzielte. Im übrigen darf die Rolle Müllers bei der Eingliederung der Evangelischen Jugend nicht überbewertet werden. Wie oben bereits erwähnt 102, war es zunächst Hossenfelder der hier auf kirchlicher Seite tätig wurde. Dieser erklärte bei einer Vorbesprechung über die Bildung einer Jugendkammer der Reichskirche am 13. Oktober 1933: "Die Verhandlungen, die wir hatten, sind so zustandegekommen, daß Baidur von Schirach den Reichsbischof sprechen wollte. Reichsbischof Müller beauftragte mich, mit Schirach zu verhandeln. Ich habe Herrn Pfarrer Hoff mitgenommen." 103 Die Initiative Der Reichsbischof in der Sitzung der Führer des Ev. Jugendwerkes, 17. II. 1933 (EZA BER.LIN, 1/A 4/42). 99 EZA BERLIN, 1/A 4/61. 100 J.jORGENSEN, Lektion, S. 193, Anm.l36. Müller selbst behauptete, der Yenragsentwurf stamme von ihm. So auch H. RlEDEL, Kampf, S. 65. 101 j.jORGENSEN, Lektion, S. 72. 1o2 Vgl. oben S. 158. 103 EZA BERLIN, II A 4/42. 98
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ging demnach von Schirach, also von staatlicher Seite, aus. Den Protokollen 104 zufolge war es dann Hoff, der im Auftrage Hossenfelders sowohl die Verhandlungen mit den Vertretern der EvangelischenJugend als auch mit der HJ führte. Der Reichsbischof war an diesen Verhandlungen, abgesehen von der erwähnten Besprechung mit den Vertretern der EvangelischenJugend am 17. November und dem ebenfalls erwähnten Gespräch mit Schirach Anfang Oktober 1933, nicht beteiligt. Allerdings berief Hoff sich in der dritten vorbereitenden Sitzung zur Bildung einer Reichsjugendkammer am 27. Oktober 1933 auf das grundsätzliche Einverständnis des Reichsbischofs. Dieser war, darauf deuten u.a. seine Ausführungen am 17. November hin, an Einzelheiten der geplanten Einigung mit der HJ, etwa an einer Bestandsgarantie der Evangelischen Jugendverbände und der Gewährung einer gewissen Autonomie, offenbar immer weniger interessiert und lediglich darauf bedacht, daß den Wünschen des Partei- und Staatsvertreters Schirach rasch entsprochen werde und daß auf diese Weise die Beziehungen zwischen Partei und Staat auf der einen und der von ihm geführten Reichskirche auf der anderen Seite intensiviert würden. Außerdem war Müller offensichtlich davon überzeugt, daß Schirach, nicht zuletzt auf Grund des Gespräches mit ihm, dem Christentum durchaus wohlwollend oder doch zumindest offen gegenüberstand. Am 9. Dezember 1933 gaben Schirach und Müller über Rundfunk und Presse bekannt, daß die Verhandlungen bezüglich des zukünftigen Verhältnisses von Evangelischer Jugend und HJ kurz vor dem Abschluß stünden 105 • Die Fülle von Protesttelegrammen, die diese Meldung provozierte, zeigt, daß - zumal angesichts der starren Haltung Schirachs - allgemein eine Eingliederung der EvangelischenJugend erwartet wurde 106• Um seinen ,.guten Willen" zu zeigen, lud Müller den Führerrat des EvangelischenJugendwerkes für den 16. Dezember nach Berlin. Er ließ sich dann allerdings durch Oberheid vertreten, da er angeblich wegen ,.familiärer Angelegenheiten" verhindert war. Oberheid wiederholte, daß der Vertragsabschluß kurz bevorstehe. Ferner machte er deutlich, daß der Reichsbischof an den Vorschlägen vom 17. November festhalten wollte 107• Am 18. Dezember kam es endlich zu der lange gewünschten Aussprache zwischen dem Führerrat und dem Reichsbischof. Dieser bekräftigte seine Absicht, den Eingliederungsvertrag zu unterschreiben, versprach aber im-
104 Niederschriften über die vorbereitenden Sitzungen zur Einrichtung einer Reichsjugendkammer am 13., 23., 24. und 27. 10. 1933 sowie Protokoll über die informatorische Besprechung zwischen Vertretern der einstweiligen Reichsjugendkammer und der HJ am 27. 10. 1933 (Eao.). 10 5 M. PJUEPKE, Jugend, S. 70f.; J. JüRGENSEN, Lektion, S. 82. 106 Eao., S. 83. 10 7 M. PJUEPKE, Jugend, S. 72; J.JüRGENSEN, Lektion, S. 84.
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merhin, nichts zu unternehmen, .,ehe er die Führung des Jugendwerkes noch einmal gehört habe" 10 8 • Am Vormittag des folgenden Tages empfing er die Landesbischöfe Meiser und Wurm. Diese verlangten, daß ihnen gleichfalls vor Abschluß des Vertrages noch einmal die Gelegenheit zur Äußerung gegeben werde. Auch dies sagte der Reichsbischof, so behaupteten es jedenfalls die beiden Landesbischöfe später, .,auf das allerbestimmteste" zu 109• An seine beiden Versprechen hielt Müller sich nicht. Ohne weitere Verhandlungen mit Jugend- oder Landeskirchenvertretern unterschrieben Schirach und er am Abend des 19. Dezember den Eingliederungsvertrag, der freilich mit dem Datum des folgenden Tages versehen worden war 110 • Nach Schirachs Erinnerung wurde der Vertragsabschluß würdig begangen mit einem Essen im Hotel .,Esplanade", das musikalisch umrahmt wurde von einem bekannten Geiger, den der Reichsbischof .,besonders schätzte" 111 • Anschließend begaben sich die beiden Männer in Schirachs Büro, wo sie den Vertrag vor der Wochenschau erläuterten 112 • Gegen 21 Uhr empfing Müller im., Weißen Saal" der Räume des Reichsbischofs noch einmal dieJugendführer. Um nicht des Wortbruchs überführt zu werden, verschwieg er den Vertragsabschluß, geriet aber offensichtlich in arge Gewissensnot. Nach Stanges Erinnerung standen ihm .,die Schweißtropfen auf der Stirne", und er erklärte bald, .,er müsse sich wegen eines Herzanfalles eine Zeitlang zurückziehen". Nach einer Weile ließ er durch .,Kirchenminister"" Beyer ausrichten, er sei nicht in der Lage, die Besprechung fortzusetzen, wolle aber den Vertrag auch gegen den Willen der Jugendführer unterschreiben 113 • Daraufhin verlasen die Jugendführer ein vorbereitetes Schreiben, in dem sie u. a. auf die verfassungsmäßigen Grenzen der Kompetenzen Müllers hinwiesen und die Bevollmächtigung zurückzogen 114 • Beyer verweigerte die Annahme des Schreibens 11 s. Zit. nach K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 735. Zit. nach Eao., S. 735. Demgegenübergab Müller nach M. PIUEPKE,Jugend, S. 74 ,.keinerlei konkrete Zusicherungen •. 110 H. RtEDEL, Kampf, S. 65-67. Nach K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 736 wurde der Vertrag erst am 20. 12. unterzeichnet, jedoch sei dies nur noch eine Formalität gewesen. Demgegenüber hat J. JüaGENSEN, Lektion, S. 194, Anm. 161 plausibel dargelegt, daß die Unterzeichnung bereits am 19. 12. stattfand. Vgl. auch die Einschätzung von M. PIUEPKE, Jugend, S. 74. Der Venrag ist abgedruckt bei C. NJcOLAISEN, Dokumente, Bd.1, S.183f. Faksimileabdruck des Venrages bei H. RIEDEL. Kampf, S. 315; E. RöHMIJ. THIERFELDER, Evangelische Kirche, S. 43. Der Venrag samt Ausführungsbestimmung ist abgedruckt bei M. PRIEPKE, Jugend, S. 186-188; J.JüaGENSEN, Lektion, 5.168-170. Zum Yenragsinhalt vgl. auch Eao., S. 90-93. 111 Zit. nach K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 736. 112 Vgl. EBD. m Zit. nachJ.JüaGENSEN, Lektion, S. 89f. 1 14 Das Schreiben ist abgedruckt Eao., S. 167f. 115 EBD., s. 90. lOB
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Noch in der Nacht meldete der Rundfunk den Venragsabschluß 116• Wenige Tage später enthob Müller Stange seines Amtes 117, und Schirach beantragte Stanges ,.sofonigen Ausschluß aus der NSDAP im Schnellverfahren" 118. In einem Brief an die Eltern, Pfarrer und Jugendführer vom 23. Dezember, der auch im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche veröffentlicht wurde, versuchte der Reichsbischof den ,.entscheidungsschwere[n] Schritt'" der Eingliederung der Evangelischen Jugend, um den er ,.mit Gott im Gebet gerungen • habe, zu rechtfenigen 119• Den Landeskirchenleitungen gegenüber äußene er sich in einem Brief vom seihen Tage wie folgt über seine Motive für die Eingliederung: ,.Mit der Eingliederung des Jugendwerkes ist die letzte Entscheidung darüber gefallen, daß die Deutsche Evang. Kirche nicht tatenlos neben dem großen verheißungsvollen Anfang deutscher Erneuerung dieses Jahres stehen will. Sie hat nun das Ihre gewagt, und ich weiß, daß dieser Schritt verstanden worden ist. Möge Gott aus der Entscheidung dieser Stunde eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat hervorwachsen lassen in der An, wie sie evang. Geiste gemäß ist ... 120 Am 27. Dezember veröffentlichte er ein ,.Sofonprogramm", das den Einzug der Vermögensbestände und die Auflösung der Jugendverbände vorsah 121. Zum Jahresanfang 1934 berief er den Aachener Pfarrer Karl Friedrich Zahn zum ,.Reichsjugendpfarrer'" und beauftragte ihn mit der Durchführung der Eingliederung 122 • Trotz des Rechts- und Wonbruchs, den Müller sich ohne Zweifel zuschulden kommen ließ, istJohannesJürgensen in der Einschätzung zuzustimmen, daß es zu einfach wäre, dem Reichsbischof die alleinige Verantwortung aufzuerlegen, wie dies vielfach geschehen ist 123 • Es fragt sich, ob der NS-Staat längerfristig bereit gewesen wäre, ein so großes Potential wie die EvangelischeJugend neben der Hitlerjugend (oder doch zumindest in gewisser Autonomie zu dieser) zu dulden. Jürgensen uneilte sogar: ,.Ludwig Müller vollzieht mit seiner Unterschrift lediglich das, was schon längst unabänderliche 11 6 Eao., S. 99. Vgl. auch die u.a. im REICHSBOTEN vom 22. 12. 1933 abgedruckte gemeinsame Presseerklärung Müllers und Schirachs. 11 7 Müller an Stange, abgedruckt bei M. PIUEPKE. Jugend, S. 196. Zur Datierung dieses Schreibens vgl. Eao., S.162, Anm.251;J.jüRGENSEN, Lektion, S. 96 und 195, Anm. 174. 11s Zit. nach Eao., S. 95. 119 GESETZBLATI" 1933, S.43f. Der Brief ist auch abgedruckt bei J.JüRGENSEN, Lektion, s. 177f. 120 EZA BERLIN, 1/A 4/61. 12 1 M. PRIEPKE, Jugend, S. 78; J. jüRGENSEN, Lektion, S. 98. 122 M. PRIEPKE, Jugend, S. 81; J.jüRGENSEN, Lektion, S. 99. Am 30. 1. 1934 trug Zahn Müller seine Vorstellungen über die praktische Durchführung der Eingliederung vor (EZA BERLIN, 1/ A4/59). m Vgl. J.jüRGENSEN, Lektion, S. 95 und 105f.
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Wirklichkeit ist. " 124 Ferner wirkte Müller seit November relativ offen und konsequent auf die Eingliederung hin 125 • Schließlich bevollmächtigten die Jugendführer den Reichsbischof, obwohl dieser sie gerade über seine Absichten aufgeklärt hane, und sie widerriefen die Bevollmächtigung erst, als bereits alles zu spät war. Überhaupt trifft die Jugendführer ein erhebliches Maß an Mitverantwortung. Sie waren nicht nur mehrheitlich in besonderer Weise offen für den Nationalsozialismus, kopierten nicht nur sofort die straffe zentralistische Organisationsstruktur und das Führerprinzip der Nationalsozialisten, begrüßten nicht nur mehrheitlich die "Gleichschaltungsbestrebungen" der Deutschen Christen und die Wahl Müllers 126, sondern bemühten sich seit der "Machtergreifung" auch sehr um eine ganz enge Zusammenarbeit mit der Hitlerjugend. In der Verfassung des Evangelischen Jugendwerkes vom 23. Juli 1933 ist sogar ausdrücklich von "Eingliederung in die vom Kanzler geschaffene staatliche Jugendorganisation Deutschlands" und Unterstellung unter den "Jugendführer des Deutschen Reiches" die Rede 127 • Allerdings planten die Jugendführer eine korporative bzw. kooperative Eingliederung unter Wahrung einer gewissen Eigenständigkeit 128 • Es kam jedoch im Sommer 1933 bei der Evangelischen Jugend auch bereits vereinzelt zu Gruppenauflösungen und Übertritten in die HJ 129, und selbst Stange, der ja NSDAP-Mitglied war, war nicht völlig frei von Zweifeln darüber, ob eine in irgendeiner Weise noch eigenständige Evangelische Jugend im neuen Staat überhaupt noch zu rechtfertigen war 130 • Wenn Müller sich erinnerte, er habe beim erstmaligen Präsentieren des Eingliederungsvertrages am 17. November "ein gewisses Schwanken" der Jugendführer beobachtet, so entsprach das wohl durchaus den Tatsachen; Stange räumte ein solches "Schwanken" in einer Aufzeichnung vom Tage nach dem Vertrags124 Eao., S. 105. Zahlreiche Briefe aus dem Spätherbst 1933 belegen, daß der Druck auf die Evangelische Jugend durch Übergriffe von Seiten der HJ und von Seiten der Partei und des Staates wuchs und daß die Furcht vor einer unmittelbar bevorstehenden völligen Eingliederung der EvangelischenJugend in die HJ weit verbreitet war (EZA BERLIN, 1/ A 4/56f.). IH Vgl. die schon 1958 erfolgte Einschätzung von K. KuPISCH, Jungmännerwerk, S.-417: .Mindestens seit Ende Oktober, Anfang November 1933 mußte Stange wissen, daß er in eine Sackgasse geraten war, aus der es kein Entweichen mehr gab. Das taktische Spiel war verloren. Stange konnte daher auch nicht so überrascht sein, als er im Dezember von dem Vertrag zwischen Ludwig Müller und B. v. Schirach erfuhr. Denn daß Reichskirchenregierung und Reichsjugendführung auf ein Abkommen hinsteuerten, war keinem an der Sache Beteiligten verborgen. Seit Mitte November stand auch fest, daß ein solcher Vertrag ohne Stange zu schließen sei. • 126 Vgl. M. PRIEPKE,Jugend, S. 59 und 91;J.JüRGENSEN, Lektion, S. 28 und 54. 127 Text der Verfassung Eao., S. 146-151; vgl. hier: S. 147 (An. I, 2). Vgl. auch die Denkschrift Stanges ,.An die Kirchenregierung• vom 9. 8. 1933, in der ebenfalls von einer ,.Eingliederung der evangelischen Jugendverbände• die Rede ist (EZA BERLIN, 1/A 4/58). 128 J.JÜRGENSEN, Lektion, S. 60; M. PRIEPKE,Jugend, S. 58; vgl. H. RtEDEL, Kampf, S. 64. 12 9 M. PRIEPKE,Jugend, S. 63; J.JüRGENSEN, Lektion, S. 63. uo Vgl. Eao., S. 46 und 62.
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abschluß indirekt ein 131 • Und wenn Stange am 17. Dezember 1933 einen Brief an den Reichsbischof, in dem er seine Ablehnung des Yenragsentwurfes begründete, mit dem Satz begann: "Der Yenrag ist im ganzen gut und sachverständig durchgearbeitet, obwohl noch eine Reihe von Einzelheiten zu klären wären"- so war dies wohl nicht nur eine Captatio benevolentiae 132 • Müller hoffte, sich durch das Abkommen mit Schirach erneut die volle Unterstützung Hitlers sichern zu können. Gleich nach Abschluß des Yenrages sandte er Hitler ein Telegramm, das auch in der Presse veröffentlicht wurde, in dem er stolz die Eingliederung meldete 133 • Wieder einmal wirkte sich eine Offensivmaßnahme jedoch gleichsam als Bumerang aus: Trotz einer entsprechenden Bitte blieben die öffentliche Anerkennung der Eingliederung und die Bestätigung Müllers durch Hitler aus. Statt dessen fordene nunmehr die .,Bekenntnisfront" ultimativ auch den Rücktritt des Reichsbischofs. Das hatte dieser auch nicht durch die Lüge, Hitler habe erklän, die Eingliederung der Evangelischenjugend sei für ihn .,das größte Weihnachtsgeschenk", verhindern können 134 • Ein Briefkonzept an Hitler zeugt von der Enttäuschung des Reichsbischofs darüber, daß ihm das seine Position stärkende Lob versagt blieb 135 • Auch Schirach enttäuschte die Erwanungen des Reichsbischofs. Nachdem es bereits im Sommer 1934 zu heftigen Konflikten zwischen Zahn und Schirach kam, die, auf Betreiben Schirachs, sogar zum Ausschluß Zahns aus der SA fühnen 136, beschwene Müller sich in einem Brief an Schirach vom 17. Dezember 1934 darüber, daß Schirach zu .,schweren Mißverständnissen" und .,Mißdeutungen" des Jugendvertrages Anlaß gegeben habe 137• Unmittelbar nach der Eingliederung der Evangelischen Jugend, mit der er eine Lawine des Protests losgetreten und sich den Namen Judas der Evange-
J31 Stange, .Nachtrag zu dem Schreiben vom 17. Dezember 1933•, Kassel-Wilhelmshöhe, 20. 12. 1933, abgedruckt bei M. PRJEPKE, Jugend, S.191-193, hier: S. 192. Zu Stanges Haltung 1933 und dessen .Legendenbildung• nach 1945 vgl. K. KuPISCH,Jungminnerwerk. 132 Stange an MüUer, 17. 12. 1933, abgedruckt bei M. PRJEPKE, Jugend, S. 184-186, hier: S.184 sowie beiJ.JüRGENSEN, Lektion, S. 164-166, hier: S. 164. Stanges Altemativ-Vemagsentwurf enthielt gleich zu Anfang ein Bekenntnis .zur einheitlichen staatspolitischen Erziehung der deutschen Jugend durch den Staat•. Vgl. M. PRIEPKE, Jugend, S. 186 bzw. J.JüRGENSEN, Lektion, S.166. 133 Das Telegramm ist abgedruckt bei H. RrEDEL, Kampf, S. 66. u• K. ScHOLDER, Kirchen, Bd.1, S. 737f. m MüUer an Hider, s.d., hds. (Konz.) (EZA BERLIN, 1/A 4/246), auszugsweise zitiert bei K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 738. 136 Vgl. Briefwechsel Zahn- Schirach und Zahn- Obenter SA-Führer sowie die Denkschrift Zahns .Spannungen zwischen Ev. Jugend und Hiderjugend• vom 25. 7. 1934 (EZA BERLIN, 1/A 4/62). 137 Konzept des Briefes mit Abgangsvermerk (Eao.). MüUer rügte konkret, daß Schirach bei dem Abdruck des Eingliederungsvertrages in seinem Buche über die HJ .den für die Kirche entscheidenden Punkt4• weggelassen habe.
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lischen Kirche" eingehandelt hatte 138 , "rettete" Müller sich, indem er am 4.januar eine Verordnung erließ, die diejenigen Amtsträger, die die "Kirchenregierung" oder deren Maßnahmen öffentlich angriffen, mit der sofortigen Suspendierung vom Amt und der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bedrohte. Gleichzeitig setzte dieser "Maulkorberlaß" den "Arierparagraphen" erneut in Kraft. Die Idee und der Text des Erlasses stammten wohl von Oberheid und Jäger. Vermutlich waren diese auch bei der Eingliederung der Evangelischen Jugend direkt beteiligt 139 • Darauf deutet auch die Tatsache hin, daß Jäger am 24. Januar 1934 dem Reichsbischof Abschriften aus sechs verschiedenen Gestapo-Lageberichten übersandte, in denen übereinstimmend davon die Rede ist, daß durch die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hj die bisherigen Unstimmigkeiten zwischen beiden Gruppierungen beigelegt worden seien 140• Es scheint so, daß Jäger angesichts des großen Protests eine von ihm mit verantwortete Aktion - die Eingliederung der Evangelischenjugend- nachträglich zu rechtfertigen versuchte. Müllers kirchenpolitischer Kurswechsel muß vor dem Hintergrund einer neuen kirchenpolitischen Konzeption gesehen werden. Während er bislang das Konzept einer selbständigen, mit dem Staat freilich eng kooperierenden und womöglich durch ein "Konkordat" verbundenen evangelischen Reichskirche vertreten hatte, strebte Müller nunmehr eine Integration der Kirche in den Staat durch Wiederherstellung des staatlichen Summepiskopats in Form eines "Reichsministers in evangelicis" 141 an, dessen Staatssekretär gleichsam als eine Art dauernder Staatskommissar die äußeren Angelegenheiten der Kirche ordnen sollte. Die bisherige Form der "Kirchenregierung" (mit dem "Geistlichen Ministerium") betrachtete Müller, u. a. wegen der Eigendynamik der nach seiner Ansicht zum Teil noch "reaktionären", auf Grund ihrer Erfahrung den neuen Leuten aber in mancher Hinsicht überlegenen Kirchenadministration, als gescheitert. Er vertrat diese neue kirchenpolitische Konzeption bereits am 21. Dezember in einem Gespräch mit Bodelschwingh in Informationsdienst des Reichsbischofs, 1. 8. 1935, S. 12 (LKA SrurrGART, D 1/118). Zu den Protesten gegen Müller vgl. u.a. M. PRIEPKE, Jugend, S. 75; H. RtEDEL, Kampf, S. 68-70; J.jÜRGENSEN, Lektion, S. 99-102. Vgl. ferner die zahlreichen Protestschreiben in den Akten EZA BERLIN, 11A 4/58, 59 und 61. EZA BERLIN, 11A 4/56 aber auch 15 zustimmende Schreiben an Müller zur Eingliederung. 139 Der .Maulkorberlaß• (GESETZBLATT 1934, 5.1) ist auch abgedruckt bei K.D. ScHMIDT, Bekennmisse 1934, S. 26f. Zum .Maulkorberlaß• vgl. K. ScHOLDER. Kirchen, Bd. 1, S. 739f.; EBD., Bd. 2, S. 34-36; K. MEtER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 154f. Zur Kritik des Erlasses vgl. auch Moderamen des Refonnienen Bundes an den Reichsbischof, 11.1. 1934 und Hochschulerklärung zur Sicherungs-Verordnung des Reichsbischofs, 14.1. 1934 (abgedruckt bei K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S.28f.). Dem .Maulkorberlaß• ging der Entwurf zu einer .Verordnung zur Behebung kirchlichen Notstandes wegen Widerstandes gegen die Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend• voraus (EZA BER.LIN, 1/A 4/59). 140 EZABERLIN,1/A4/61. 141 Zum Begriff .Minister in evangelicis• vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 28 f. 131
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Hannover 142 , dann in einem offenbar nicht ausgefenigten handschriftlichen Briefkonzept an Hitler aus der Zeit zwischen Weihnachten 1933 und Neujahr 1934 143 , ferner in einer Unterredung mit Hindenburg, dessen Staatssekretär Meißner, Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk und Oberheid am 11. Januar 1934 144 sowie schließlich bei einer Besprechung mit Schöffe}, Marahrens, dem Präsidenten der pfälzischen Kirche Jakob Kessler und Oberheid am 26. Januar 1934 145 • An der Entwicklung der neuen kirchenpolitischen Konzeption waren Oberheid und Jäger, die gemeinsam mitJohannes Heckel im Dezember 1933 eine entsprechende Denkschrift an die Reichsregierung verfaßten 146, maßgeblich beteiligt. Jäger verbrachte mit dem Reichsbischof kurz vor Weihnachten 1933 einen Abend im - wahrscheinlich Berliner - Opernhausrestaurant, in dessen Verlauf er diesen vermutlich - offensichtlich mit Hilfe größerer Mengen Alkohols- auf den neuen kirchenpolitischen Kurs festlegte. In einem persönlichen Brief vom Neujahrstag 1934 erinnene Jäger Müller zunächst an jenen "folgenreichen" Abend und sprach dann von "der großen strategischen Umfassung [sie!], die inzwischen eingeleitet ist". In diesem Zusammenhang bezeichnete Jäger die Eingliederung der EvangelischenJugend als einen "Akt von . . . entscheidender Bedeutung", an dem man keinerlei nachträgliche Abstriche vornehmen dürfe, und empfahl dringend den "Maulkorberlaß". In einer für seine Persönlichkeit bezeichnenden Weise ermahnte Jäger den von Anfechtungen nicht völlig freien (s. u.) Reichsbischof schließlich zu rücksichts- und kompromißlosem Durchgreifen: "Landgraf, bleibe unmenschlich han!" 147 Nach Leonore Siegele-Wenschkewitz stammt die Idee der Wiedereinfüh142 Bodelschwingh, Besprechung mit Reichsbischof Müller in Hannover, 21. 12. 1933, Bethel, 27.12. 1933 (HA BETHEL. 2/39-51). 143 Müller an Hider, s. d. (Konz.)(EZA BERLIN, 1/A 4/246). Auszüge aus diesem .flüchtigen, bisweilen verwimen• Konzept bei L. StEGELE-WENSCHKEWJTZ, Nationalsozialismus, S. 162-165. Vgl. EBD., S. 162 auch zur Datierung und zur Frage der Ausfenigung. Ein weiteres Briefkonzept Müllers an Hitler, in dem .im Anschluß an unsere Besprechung am 1.2. 34• die Schaffung eines .Ministeriums in evangelicis• vorgeschlagen wurde, datien vom 6. 2. 1934 (EZA BERLIN, 1/A 4/246- vgl. C. NtCOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 8, Anm. 9). 144 Vgl. EBD., s. 6-8. 14 s LKA STUTTGART, D 1/118 - vgl. W. NIEMÖLLER, Epilog, S. 114. Zu Müllers neuer kirchenpolitischen Konzeption vgl. auch H. MEISER, Verantwonung I, S. 221 und 220f., Anm. 2; J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 70ff.; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 17ff.; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 157; J. MEHLHAUSEN, Bekenntnis und Staat, S. 215-218. 146 K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 27f. 147 Jäger (Köppern/faunus) an Müller, 1. 1. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75). Zu Beginn des Briefes heißt es: .Zunächst darf ich wohl der Annahme Ausdruck geben, daß Sie sich von dem Abend im Opernhausrestaurant rasch und gut erholt hatten; ich selbst bekam es erst am Heiligen Abend zu büßen, den ich in einer körperlich so elenden Verfassung erlebt habe, daß ich nur der Meinung sein kann, der Teufel habe alle guten Wünsche aus Bayern, Wümemberg und ähnlichen Landstrichen über meinem sündigen Haupte ausgelöst. •
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rung des Summepiskopats ursprünglich von Hermann Göring, der diese Idee bereits im Sommer 1933 Müller gegenüber vorgebracht habe. SiegeleWenschkewitz wies in diesem Zusammenhang auf die Zusammenarbeit der beiden Männer im preußischen Staatsrat hin. Der Reichsbischof hatte Göring für das Amt des "Ministers in evangelicis" vorgesehen. Dieser scheint die neuen kirchenpolitischen Pläne Anfang 1934 auch tatkräftig unterstützt zu haben, vermudich da er sich Hoffnungen auf eine neue Würde machte 148 • In einem Brief Müllers an Göring vom 12. Januar 1934, anläßlich Görings Geburtstag, heißt es: • Wir haben auch das Venrauen, daß Sie der Evangelischen Kirche weiterhelfen werden in ihrem Streben, Volk, Staat und Kirche immer mehr einander näher zu bringen." 149 Göring hatte dem Reichsbischof in einem Telegramm vom 31. Dezember 1933 für seine "treue mitarbeit an dem neuaufbau des staates" gedankt 150 • Für das Amt des für die Ordnung der äußeren Angelegenheiten der Kirche zuständigen Staatssekretärs (s.o.) kam natürlich niemand anders als Jäger in Frage. Müller behauptete, Jäger sei ihm staatlicherseits zugewiesen wordeniSI. Die Müller selbst zugedachte Rolle beschränkte sich auf geistlich-theologische Aufgaben, auf die Förderung der" Volksmission". Kun Meier hat darauf hingewiesen, daß das neue kirchenpolitische Konzept in mancher Hinsicht der Struktur der Militärseelsorge entsprach 1s2 • Ein an der Militärseelsorge orientienes Kirchenmodell hatte Müller ja bereits bei einem Gespräch mit Bodelschwingh im Mai 1933 entwickelt 1s3 ; seine Mitwirkung an dem neuen kirchenpolitischen Konzept ist also durchaus wahrscheinlich. Der Gedanke des Summepiskopats begegnet indirekt bereits in dem Programm für den geplanten Festgottesdienst zur Einführung des Reichsbischofsam 3. Dezember 1933, die dann verschoben werden mußte. Nach dem Programm sollte der Reichspräsident von Hindenburg proklamieren: "Im Namen des deutschen Volkes evangelischen Glaubens und kraft meines Amtes oberstes Glied der Deutschen Evangelischen Kirche, bestätige ich Dich, Ludwig Müller, als den ersten lutherischen Reichsbischof in deutschen Landen. Von Deutschen Reiches wegen gebe ich Dir Raum und Vollmacht in unserem Volke, die Kirche Jesu Christi zu bauen nach dem Bekenntnis 14• L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Nationalsozialismus, S. 166; vgl. K. ScHOLDER., Kirchen, Bd.2, S.30f. und 51; W. CoNR.AD, Kampf, 5.64. 14 9 EZA BER.LIN, 1/C 4/73. ISO EZA BER.LIN, 1/C 4/79. tSt E. BALZER., Niederschriften (Ms.), 21. 8. 1935, S. 3; vgl. auch den Bericht M. Niemöllers vor dem Bruderrat des Pfarrernotbundes am 27. 11. 1933 (vgl. H. MEISER., Verantwortung, S. 135, Anrn. 12). Von Seiten des Reichsinnenministeriums wurde Jäger abgelehnt (W. CoNRAD, Kampf, S. 61 ). tsz K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.l, 5.157. tsl Vgl. oben S. 123.
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unserer Väter und in Treue zum Reiche und seinen Führern. "1!>4 Meißner ließ Müller damals mitteilen, "daß eine Ansprache des Herrn Reichspräsidenten weder in der in diesem Programm vorgesehenen Form noch in irgendeiner anderen Form in Frage käme", da dagegen sowohl staatsrechtliche als auch persönliche Bedenken Hindenburgs bestünden 155 • Interessanterweise war sein ehemaliger Konkurrent Bodelschwingh offenbar einer der ersten nicht zum Kreis des Reichsbischofs gehörenden Kirchenleute, denen Müller den kirchenpolitischen Kurswechsel erläuterte. Bodelschwingh genoß sein besonderes Vertrauen; nach den Aufzeichnungen Bodelschwinghs hatte das Gespräch der beiden Männer am 21. Dezember 1933 streckenweise geradezu seelsorgerliehen Charakter 156• Müller war zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht frei von Skrupeln im Hinblick auf die von Jäger und Oberheid verfolgte harte Linie und versuchte, Bodelschwingh als Vermittler zu gewinnen. Bodelschwinghs Protokoll zufolge gab er sich allen Ernstes der Illusion hin, noch einen Ausgleich zwischen Jäger und Oberheid einerseits und der "Bekenntnisfront" andererseits erreichen zu können, erklärte, er wolle Jäger und Karl Koch zusammenbringen und zweifele nicht daran, daß eine Verständigung zwischen beiden gelingen werde. Er stellte auch in Aussicht, sich von den neuen deutsch-chrisdichen Bischöfen zu trennen 1!>?. Gesprächsbereitschaft zeigte er auch am folgenden Tage, dem 22. Dezember, an dem er nacheinander Marahrens, Lauerer und Bodelschwingh, Wurm und Meiser empfing 158 , weiterhin am 7. Januar 1934, als er abermals in Hannover mit Bodelschwingh verhandelte und offenbar sogar überlegte, ob er sich nicht auf das Amt eines Militärbischofs zurückziehen sollte 159, und schließlich am 13. Januar, als er- zum zweiten Male- eine Bischofskonferenz in Berlin einberief, auf der über den "Maulkorberlaß" und über das neu zu bildende "Geisdiche Ministerium" gesprochen wurde 160 • Die Einberufung der Bischofskonferenz geschah offenbar unter dem Eindruck des Empfangs beim Reichspräsidenten am Vortage. Hindenburg und IS4 Programm für den Festgottesdienst zur Einführung des Herrn Reichsbischofs (BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/5, Bl.ll1-115). In diesem für Hindenburg bestimmten Programm ist die für den Reichspräsidenten vorgesehene Proklamation gestrichen. Es ist nicht bekannt, wer das Programm erstellte. Vermutlich wird es aber mit Müller abgestimmt worden sein. 155 Aktennotiz Meißners vom 30.11. 1933 (BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/5). 156 Bodelschwingh, Besprechung mit Reichsbischof Müller in Hannover am 21.12. 1933, Bethel, 27.12. 1933 (HA BETHEL, 2/39-51). Don heißt es beispielsweise: .Er [Müller] selbst beklagt, daß er ganz vereinsamt sei und in letzter Zeit immer an das Won habe denken müssen: Wollt ihr auch weggehen ?• 157 EBD., vgl. auch Bodelschwingh, Besprechung mit Müller in Hannover 21.12. 1933 (HA BETHEL, 2/39-176). 151 Vgl. H. MEISEil, Verantwonung, S. 179, Anm. 1. 159 EBD., S. 201, Anm. 2. 160 Vgl. EBD., S. 205-210.
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auch Schwerin von Krosigk hatten den Reichsbischof bei diesem Empfang zu einer Verständigung mit der Opposition ermahnt. Persönlich hielt Hindeoburg übrigens nicht mehr viel von Müller. In einem Schreiben an Lammers führte Meißner nach dem Empfang aus, der Reichspräsident sei "der Ansicht, daß der Reichsbischof, teils aus gesundheitlichen Gründen, teils aus Mangel an Autorität, nicht in der Lage ist, die gegenwärtig sehr besorgniserregenden Zustände in der evangelischen Kirche zu bessern und die Einheit der Reichskirche zu wahren." 161 Auch Schwerin von Krosigk stand dem Reichsbischof ablehnend gegenüber: In einem Brief an Meißner vom 6. Januar hatte er eine tiefe Besorgnis über die Verhältnisse in der Kirche geäußert und erklärt, "daß die Hauptschuld den Reichsbischof trifft, der durch seine schwankende, zweiseitige Haltung sich das Vertrauen, nunmehr wohl auf allen Seiten, verscherzt hat." 162 Es zeugt wiederum von der zwiespältigen Persönlichkeit Müllers, daß er zur gleichen Zeit, als er noch Gespräche mit der kirchlichen Opposition führte und Kompromißbereitschaft signalisierte, auch bereits harte Töne fand. Nachdem er Ähnliches bereits am 5. Dezember geäußert hatte (s.o.), erklärte er Meiserund Wurm in der schon erwähnten Besprechung am 19. Dezember, kurz vor der Unterzeichnung des Eingliederungsvertrages für die Evangelische Jugend, wörtlich: "Es hat keinen Wert mehr weiterzuverhandeln. Ich muß meinen Weg eben alleine gehen." 163 Am 22. Dezember drohte er bei seinem Gespräch mit Marahrens: "Sollten seitens der [oppositionellen] Bischöfe weitere Schwierigkeiten gemacht werden, werde ich einen Notstand erklären und alle Bischöfe absetzen." 164 In einem vom 2. Januar datierten Brief an Meiser wies er in schroffer Form die Forderungen der "Bekenntnisfront" zurück 16s, und in einer Rede anläßlich der Einführung des OeLandesbischofs von Braunschweig Wilhelm Beye am 22.Januar 1934 sagte er gar im Hinblick auf seine kirchenpolitischen Gegner, die er als "Pfaffen" bezeichnete: "Ich habe ihnen die Hand ausgestreckt, sie haben die Hand zurückgeschlagen, und jetzt haue ich ihnen auf die Pfoten ... " 166 Es waren ohne Zweifel Oberheid und Jäger, die zu solchem Konfrontationskurs drängten. In seinem bereits zitierten Brief vom Neujahrstag 1934 hatte Jäger Müller ja bereits zu einem entsprechenden Verhalten ermahnt. Die am 7. Januar 1934 wiederaufgenommenen Ausgleichsverhandlungen mit Bodelschwingh brach Müller ohne Angabe von Gründen ab, nachdem er C. NICOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 9f. Schwerin von Krosigk an Meißner, 6.1. 193-4, hds. (BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/3 ). Vgl. K. ScHOLDEil, Kirchen, Bd. 2, S. -45. 163 Zit. nach H. MEISEil, Verantwortung 1, S. 172. 164 Zit. nach Eao., S. 183, Anm. 20. 165 Müller an Meiser, 2.1. 1934 (Abschrift) (LKA SnrrrGAJt.T, 0 1/47,1; BA AaT. PoTSDA.M, Büro d. Reichspräs. 281/3). 166 Auszug aus der Rede des Reichsbischofs Müller am 21.1. 1934 in Braunschweig (LKA 0Ail.MSTADT, 62/10-42). 161
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nach einem Anruf (vermutlich von Oberheid oder Jäger)- nach Berlin gereist war, wo er dann mit Jäger versuchte, Gestapo-Chef Rudolf Diels zu einem Eingreifen gegen die kirchliche Opposition zu veranlassen 167 • Nach der Niederschrift des anwesenden theologischen Hilfsreferenten des Münchener Landeskirchenrates Christian Stoll wurde der Reichsbischof in einer Pause während der Bischofskonferenz am 13.Januar 1934 von Oberheid und Jäger "bearbeitet", da er "ihnen viel zu nachgiebig gewesen ist" 168 • Es ist wohl kein Zufall, daß sich bei dem einerseits auf Harmonie bedachten, andererseits von Oberheid und Jäger bedrängten Reichsbischof in jener Zeit wieder verstärkt seine offensichtlich psychosomatisch bedingten Krankheitssymptomebemerkbar machten 169• Vor allem auf Grund des "Maulkorberlasses" formierte sich Anfang 1934 eine äußerst breite Oppositionsfront gegen den Reichsbischof und seine Berater, die von Karl Barth über Martin Niemöller und die süddeutschen Landesbischöfe bis hin zu den deutsch-christlich orientierten Theologieprofessoren Fezerund Gogarten und zu dem entlassenen deutsch-christlichen rechtskundigen Mitglied des "Geistlichen Ministeriums" Werner reichte 170 • Der Nationalsozialist Werner verfaßte sogar eine umfangreiche Denkschrift, in der er die bisherige Amtsführung Müllers und auch dessen Persönlichkeit anband von zahlreichen Beispielen einer vernichtenden Kritik unterzog: Müller habe mehrfach seine Stellung dazu mißbraucht, sich persönliche Voneile, u. a. finanzieller Art, zu verschaffen. Er habe keine klaren Vorstellungen im Hinblick auf seine Amtsführung gehabt, sich ständig mit neuen Mitarbeitern und Beratern umgeben, für die künstlich neue Ämter geschaffen worden seien, sei Entscheidungen stets ausgewichen. All dies habe in der obersten Kirchenbehörde "jede kontinuierliche Arbeit nahezu unmöglich gemacht". Als Landesbischof von Preußen habe er "so gut wie keine sachliche Arbeit geleistet", an den Sitzungen des preußischen Oberkirchenrates habe er nie teilgenommen. Auch als Reichsbischof sei er zumindest auf dem Gebiete der kirchlichen Verwaltung absolut untätig gewesen. Von Freitag bis Dienstag habe er in der Regel Wochenendausflüge unternommen, sei auch sonst an kritischen Tagen einfach überhaupt nicht zu erreichen gewesen, habe sich krank gemeldet und sich, ohne Angabe seiner Adresse, in irgendein Hotel oder Sanatorium zurückgezogen. Ansonsten habe er als Reichsbischof "seine Zeit hauptsächlich darauf verwandt, über rein äußerliche Dinge, Repräsentationsfragen, Gestaltung seiner Amtstracht, Ausgestaltung der Bischofskreuze usw. zu beraten. Erhebliche Zeit nahmen die Fragen der Gestaltung einer Fahne für seinen Kraftwagen, der Ausgestaltung seines Ornats bei der beabsichtigten feierlichen Einführung im Dom, der Form der Einla1' 7 16•
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°
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W. CoNRAD, Kampf, S. 63; H. MEISER, Verantwonung 1, S. 187. Zit. nach EBD., S. 209, Anm. 13. Vgl. u.a. EBD., S. 166; 174, Anm. 1; 185, Anm. 2; 199. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 53 f.
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dung zu dieser Einführung usw. in Anspruch. Er empfing zu jeder Zeit Kunsthandwerker und Juweliere, die ihm Entwürfe für sein Amtskreuz und die Kreuze der Bischöfe unterbreiten mußten. Der Kopf seines Briefpapiers mußte durch einen Prof. in Offenbach entworfen werden. Noch Ende Dezember 1933 ist bei der Kirchenkanzlei die Rechnung eines Goldschmiedes vorgelegt worden, der für den Ornat des Reichsbischofs eine Mantelschnalle geliefert hat, die aus Gold ist und 198 RM kostet." 171 Die zahlreichen Gegner Müllers, die es im Januar 1934 innerhalb der Kirche gab, waren sich trotz der naturgemäß gewaltigen Differenzen hinsichtlich der Art und der Begründung ihres Protestes und hinsichtlich ihrer Zielvorstellungen einig in der Forderung nach dem Rücktritt des Reichsbischofs172. Angesichts der zunehmenden Streitigkeiten erwarteten schließlich sowohl Müller und seine Berater als auch die Opposition eine endgültige Lösung des Kirchenkonflikts von Hitler. Scholder sprach in diesem Zusammenhang von einem "merkwürdige[ n] Führerglaube[ n]" 1n. Am 25. Januar kam es zu dem von beiden Seiten ersehnten Kanzlerempfang. Obwohl mehr Gegner als Befürworter Müllers teilnahmen, geriet die Opposition gleich zu Beginn des Empfangs "hoffnungslos in die Defensive" 174 : Göring, der Polizei und Geheimdienst auf die Kirchenopposition angesetzt hatte, desavouierte gleich zu Anfang des Empfangs die Opposition gründlich durch das Verlesen eines abgehörten Telefonats Martin Niemöllers, das, aus dem Zusammenhang gerissen und von Göring noch manipuliert, den Eindruck einer politischen Intrige erweckte. In dieser Situation verpflichtete Hitler die Kirchenvertreter erneut zu einem Arrangement mit dem Reichsbischof 175 . In den verschiedenen, teilweise voneinander abweichenden, Berichten über den Kanzlerempfang ist nirgendwo davon die Rede, daß Müller sich in irgendeiner Weise während des Empfangs geäußert hätte. Er scheint also während des mehr als eine Stunde dauernden Treffens, bei dem es immerhin um die Frage seines Verbleibens im Amt ging, geschwiegen zu haben, was unter normalen Umständen natürlich unverständlich gewesen wäre. Indes, 171
F. WERNER, Denkschrift (Ms.), 5. 3; S-9; 15-17. Zum hohen Quellenwen dieser Denk-
schrift vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, 5. 369, Anm. S. Eao.,5.S4. EBD., 5. 53. 174 Eao., 5. 60. 17S Hintergründe, Verlauf und Folgen des Kanzlerempfangsam 25. 1. 1934 wurden bereits detaillien erforscht: Vgl. W. NrEMÖLLER, Hider; DERs., Epilog; J. GLENTH0J, Hindenburg; J. ScHMIDT, Niernöller, 5.167-176; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.1, 5.154-165; C. NrcourSEN, Dokumente, Bd. 2, 5. 17-33; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, 5. 37-73. Vgl. auch die zahlreichen in den Arbeiten von W. Niemöller und J. Glenth"j abgedruckten Dokumente. Vgl. ferner die Berichte von W. CoNRAD, Kampf, 5. 65-67; TH. WuRM, Erinnerungen, 5. 93-95 sowie den unveröffendichten Bericht des westfälischen DC-Bischofs B. ADLER, Empfang (Ms.). 172 173
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die Umstände waren nicht normal, der Kanzlerempfang nahm von Anfang an einen ungewöhnlichen Verlauf. Das Schweigen Müllers darf freilich nicht in der Weise interpretien werden, als sei dieser an dem Verlauf des Kanzlerempfangs gänzlich unbeteiligt gewesen. Es deutet vielmehr manches darauf hin, daß er und seine Berater die für die kirchliche Opposition so überraschende Entwicklung der Hider-Audienz seit längerem mit vorbereitet hatten. Wie schon erwähnt, versuchten Müller und Jäger in einer Unterredung mit Diels am 7. Januar, die Gestapo gegen die kirchliche Opposition zu mobilisieren. Wie vorher schon Oberheid beschworen sie die allgemeine staatspolitische Gefahr, die vor allem vom Pfarrernotbund ausgehe, betrieben also s.ezielte Denunziation 176 • Diels ordnete daraufhin am 8. Januar eine genaue Uberwachung der kirchlichen Opposition an 177• Auf die "ernsteste Gefahr . . . für Ruhe und Ordnung im Staate" durch das Wirken der kirchlichen Opposition wies Müller auch Innenminister Frick in einem Schreiben vom 15.Januar, das auch Hider vorgelegt wurde, hin 178 • Der Briefoffenban freilich vor allem die tiefgreifenden Differenzen zwischen dem Reichsinnenministerium und dem Reichsbischof. Dieser beklagte, daß Frick sich einer Besprechung mit ihm verweigere und "ohne vorherige Fühlung und Verbindung" mit ihm ausgerechnet den mit der kirchlichen Opposition offen sympathisierenden Ministerialdirektor Buttmann als Vertreter für den Kanzlerempfang bestimmt habe, ferner daß Frick für den Fall eines Fondauerns des Kirchenkonfliktes mit einer Temporaliensperre gedroht habe- eine Androhung, die geeignet sei, "mir [Müller] die Hände zu binden und der Obstruktion erheblich den Rücken zu stärken. • Müller muß sich also völlig darüber im klaren gewesen sein, daß er vom Innenminister nicht nur keine Unterstützung zu erwanen hatte, sondern daß dieser sogar gegen ihn im Sinne der kirchlichen Opposition arbeitete. Daß Ähnliches auch für den Reichspräsidenten galt, dürfte dem Reichsbischof bei seinem schon erwähnten Treffen mit Hindenburg am 11. Januar kaum verborgen geblieben sein 179• Bei Hider selbst, der des Kirchenstreites überdrüssig war, konnte Müller in jenen Tagen ebenfalls nichts erreichen. Zwar behauptete er, Hitler habe ihn am 18. Januar empfangen, jedoch war dies ganz offensichtlich eine Zwecklüge, um seine besondere Beziehung zum "Führer" herauszustellen 18o. In dieser für ihn schwierigen Situation fand er Rückhalt bei Hermann Göring, der ja auch der neuen kirchenpolitischen Konzeption aufgeschlossen K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 46. Die Anordnung ist abgedruckt bei J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 73. 171 Das Schreiben ist abgedruckt EBo., S. 73f. 179 Vgl. die Einschätzung von J. Glenthej (EBo., S. 52): .Reichspräsident und Reichsionenminister arbeiteten für Müllers Abgang, und zwar als Ergebnis der Hitler-Audienz. • 110 Vgl. H.MEISER, Verantwonung,S.218. 176
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gegenüberstand. Nach JBrgen Glenthej benutzte Göring sogar Müller .,als die vollkommen haltungslose Person, die er war, als Strohmann" 181 , was allerdings wohl ein zu starkes kirchenpolitisches Initiati...--Werden Görings voraussetzt. Demgegenüber ist die- zu Müllers Stil passende- Vermutung Scholders plausibel, Müller und Oberheid seien Göring während des Frühstücks anläßtich dessen prächtig gefeierten 41. Geburtstages am 12. Januar 1934 - erfolgreich - um politische Unterstützung angegangen. Jedenfalls wirkte Göring am 20. Januar in Müllers Sinne persönlich auf Hitler ein und mobilisierte darüber hinaus auch weitere Mitglieder der preußischen Staatsregierung für Müller. Während Göring Hitler gegenüber die bereits von Müller und seinen Beratern vertretene These einer staatspolitischen Gefahr, die von der kirchlichen Opposition ausgehe, wiederholte, hatten Frick und Buttmann zwei Tage zuvor in einer Unterredung mit Hitler "alle Schuld am Kirchenstreit der Unfähigkeit des Reichsbischofs und seiner Berater zugeschrieben" 182 • Auf Grund dieser widersprüchlichen Informationen verlangte Hitler weiteres Material. Während das Innenministerium vermutlich die Werner-Denkschrift weiterleitete 183 , war es für den preußischen Ministerpräsidenten dank seiner Beziehungen und seiner Macht ein Leichtes, die Polizei und die von Müller und seinen Beratern bereits in Bewegung gesetzte Geheimpolizei in Anspruch zu nehmen, um belastende Dokumente über die kirchliche Opposition zu gewinnen 184 • Die hauptsächlich persönliche Verfehlungen Müllers enthüllende Denkschrift Wemers erregte offenkundig Hitlers Mißfallen- er sprach während der Audienz im Hinblick auf die Denkschrift von für die Kirche unwürdigen Methoden, auf die er sich nicht einlassen wolle 18 s, und äußerte sich noch 1942 in einem Tischgespräch höchst abfällig über die angebliche Beckmesserei und Spießigkeit der Denkschrift 186 • Demgegenüber scheinen die von Göring besorgten Dokumente, die dieser Hitler am Vortage des Kanzlerempfangs präsentierte 187, bei Hitler ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Spätestens jetzt dürfte Hitler sich für Göring und Müller und gegen das Innenministerium und die kirchliche Opposition entschieden haben, und es dürfte darüber hinaus das Vorgehen während der Audienz festgelegt worden sein: Desavouieren der Opposition durch das Präsentieren von "belastendem" Material durch Göring und dadurch Verhindern, daß der Reichsbischof stürzt. Daß Göring das "belastende" Material am Tage des J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 54. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 50 f. 183 Das Innenministerium erhielt die Denkschrift am 16.Januar (vgl. W. NIEMÖLLER, Hider, S. 22; W. CoNRAD, Kampf, S. 65). 184 K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 51 f. l85 Vgl. W. NIEMÖLLER, Hider, S. 33 f.; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 60f. und bes. B. AoLER, Empfang (Ms.). 186 Vgl. H. PICKER, 1ischgespräche, S. 260. 187 K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 52. 181
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Kanzlerempfangs noch durch das abgehörte Telefonat Niemöllers ergänzte, wird Göring Hitler unmittelbar vor dem Empfang noch mitgeteilt haben, jedenfalls impliziert dies wohl eine spätere Äußerung Hitlers 188 • Es ist wahrscheinlich, daß Müller mit seinen Beratern nicht nur den Verlauf der Hitler-Audienz durch die Kontakte mit Diels und Göring sowie die gezielte politische Denunziation der kirchlichen Opposition mit vorbereitete, sondern daß er auch über das geplante genaueVorgehen Görings und Hitlers bei der Audienz vorher informiert war. Zumindest läßt die .protokollarische Sonderbehandlung" Müllers darauf schließen. Müller war auf der den Eingeladenen bekanntgegebenen Einladungsliste nicht verzeichnet 189• Da seine Teilnahme von Anfang an festgestanden haben dürfte 190, könnte dies darauf hindeuten, daß dem Reichsbischof gewissermaßen ein anderer Status eingeräumt wurde als den übrigen Kirchenvertretern. Hierfür spricht ferner, daß Müller schon vor dem Beginn der Audienz, während die anderen Kirchenvertreter noch in den Vorzimmern der Reichskanzlei warten mußten, zum Kanzler ging, wo sich auch bereits Göring aufhielt 191 , und schließlich, daß er während des Empfangs anders als alle anderen Kirchenvertreter neben Göring und unmittelbar hinter Hitler auf der Seite der Regierungsvertreter stand 192 • Diese .Sonderbehandlung" wäre Müller jedenfalls wohl kaum zuteil geworden, wenn Hitler ernsthaft einen Sturz des Reichsbischofs in Erwägung gezogen hätte, und Müller wird diese Haltung Hitlers sicherlich vor dem Kanzlerempfang durch Göring oder durch Hitler selbst- spätestens unmittelbar vor der Audienz - erfahren haben. Wenn dies zutrifft, dann konnte Müller ruhig und gelassen dem Kanzlerempfang beiwohnen und sich aus der Debatte gänzlich heraushalten, um so eine gewisse Überlegenheit zu demonstrieren. Da bis zum 25. Januar alles auf die Frage: Sturz des Reichsbischofs- ja oder nein? zugespitzt worden war, war Müllers eigentliches Anliegen, von Hitler .grünes Licht" für die Verwirklichung der neuen kirchenpolitischen Konzeption zu bekommen, völlig in den Hintergrund gerückt. Insofern hatte Müller nur einen Teilerfolg erzielt 193 • Diesen Teilerfolg versuchte er dann freilich, unter Ausnutzung der großen Niederlage seiner Gegner, konsequent zu einem vollständigen Sieg auszubauen. Die eingeschüchterte Opposition, die bereit war, sich noch einmal - es sollte das letzte Mal sein unterzuordnen, wollte immerhin den Reichsbischof im Hinblick auf die 181 Nach H. PtcKER.,'Iischgespräche, S. 357 äußene Hitler Anfang der vierziger Jahre, er habe den Inhalt des Telefonats Niemöllers .durch Göring verlesen lassen". Vgl. auch J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 45; C. NtCOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 20. 189 W. NtEMÖLLER, Hitler, S. 36. 190 Gegen Eao., S. 119. 191 J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 58. 19 2 J. ScHMIDT, Niemöller, S. 109; vgl. J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 59; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 59; gegen B. ADLER, Empfang (Ms.). 193 Vgl. J. GLENTH0J, Hindenburg, S. 62f.
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gegen ihn bestehenden Bedenken zur Rede stellen. Es zeugt von der Schwäche der Opposition, daß Müller gleichsam deren Verhandlungsdelegation bestimmte 194 • Auf Anfrage erklärte er sich bereit, am Tage nach der KanzlerAudienz Schöffel zu empfangen. Dieser nahm dann noch Marahrens und Kessler mit zu der Besprechung 195 • Schöffel brachte verschiedene "Gravamina", u. a. die nicht eingelösten Versprechen hinsichtlich der praktischen Handhabung der Verfassung, die Staatskirchenpläne, den "Maulkorberlaß", den "Arierparagraphen" und die persönliche Amtsführung des Reichsbischofs, zur Sprache. Müller ging auf die Vorwürfe in gewohnt beschwichtigender, weitschweifiger Weise ein, wobei er versuchte, "die Tatsachen zu leugnen oder ihnen eine Interpretation zu geben, wie sie ein Schüler zu machen pflegt, wenn er sich aus einer Sache herausreden will. " 196 Er stellte auch mehrfach Aufklärung in Aussicht und versprach, "er werde für die Substanz der Kirche, wie ein Löwe kämpfen'", und ferner, daß der "Arierparagraph" nicht durchgeführt werde und "daß der Bischofsrat öfter als bisher, der Verfassung entsprechend, gehört werde", worauf "er selbst großes Gewicht (lege)". Den "Maulkorberlaß" rechtfertigte er mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von "Ruhe und Ordnung": ., ... in der letzten Zeit (seien) sehr ernste Dinge vorgekommen, die die Autorität untergrüben ... ", womit er offenbar auf die von ihm selbst verbreiteten Gerüchte einer staatspolitischen Gefahr, die von der kirchlichen Opposition ausgehe, anspielte. Außerdem behauptete er, er habe vor der Bekanntgabe des "Maulkorberlasses" das Einverständnis Buttmanns und des Büros des Reichspräsidenten eingeholt, was offenkundig gelogen war. Oberheid ergänzte, das Gesetz werde nur äußerst milde gehandhabt, als "Höchststrafe bei schweren Verfehlungen" sei der "Verweis" vorgesehen. Auch dies war gelogen. Schöffel, Marahrens und Kessler hatten keine Gelegenheit mehr, die Erklärungen des Reichsbischofs zu hinterfragen und zu erwidern. Genau in dem Moment, als dieser mit seinen Ausführungen zum Ende kam, meldete Oberheid, der Reichsbischof werde am Telefon verlangt. Als Müller vom Telefon zurückkam, behauptete er, "er müsse noch zu einem Staatsminister", und beendete die Besprechung. Am folgenden Tage, dem 27. Januar, gelang es Müller gemeinsam mit Oberheid auf einer Bischofskonferenz, alle "Kirchenführer" zu einer Erklärung unbedingter Loyalität gegenüber dem Reichsbischof zu bewegen. In längeren Ausführungen hatte er zuvor zunächst den "starke[ n] Eindruck von dem Manne [Hitler], vor dem wir gestanden haben" und der "sich ja innerlich direkt" zum .,protestantischen Glauben ... hingezogen" fühle, beschworen und noch einmal in grellen Farben die Gefahr, die für den Staat von bestimmten Kreisen der kirchlichen Opposition ausgehe, an die Wand gemalt- er 194
19 5
koll. 196
Vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 63. Zu der Besprechung vgl. das bei W. NrEMÖLLER, Epilog, S. 109-116 abgedruckte Proto-
EBD., s. 116.
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)rach in diesem Zusammenhang von einer .,Affäre", in die, wie ihm vertraueh mitgeteilt worden sei, außer Niemöller auch .,noch andere Herren ... erwickelt sind". Es folgten die üblichen frommen Versprechungen und .ppelle .an das brüderlich-chrisdiche Empfinden", Drohungen (.Ich bin ~st davon überzeugt, daß der Führer ... bestimmt eine harte Tat folgen LSsen wird, wenn es nicht gelingt, zur Besinnung und zur Ordnung zu ommen"), Bekenntnisse zu .Bibel und Bekenntnis" und die wiederholte iitte, .daß wir uns heute nicht in Einzelheiten verlieren und daß die Debatte achher nicht auf solche Einzelheiten eingeht, die der großen Sache schaen." Entgegenkommen signalisierte Müller lediglich in der Frage des Arierparagraphen", auf dessen Durchführung er zu verzichten versprach. ~reilich ließ er keinen Zweifel daran, daß er grundsätzlich ein Befürworter .ieses umstrittenen Paragraphen war: .In dem Blut liegt das Geheimnis, das ~eilig und reingehalten werden muß." Es bedeute .,ein Opfer, daß der lrierparagraph ... nicht zur Durchführung kommt" 197• Durch die Loyalitätserklärung der .Kirchenführer", die Scholder als wahrhaft schmähliche Kapitulation" wertete 198, wurde der Pfarremotbund, ler durch die Bloßstellung Niemöllers ohnehin geschwächt war, isoliert; er ·erlor zahlreiche Mitglieder. Müllers Stellung schien wieder absolut gesihen199.
3. Der Versuch der .Gleichschaltung• der Landeskirchen und der Errichtung einer Reichsbischofsdiktatur 1934 (die .Ara Jäger") Ermutigt durch den Verlauf des Kanzlerempfangs machten sich Müller md seine Ratgeber daran, eine regelrechte Reichsbischofsdiktatur zu instalieren und die Landeskirchen in die Reichskirche einzugliedern. Bereits einen ragnach dem Kanzlerempfang wurde durch eine reichsbischöfliche VerordlUng die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union in eine absolute ,Führerkirche" mit unumschränkten Vollmachten für den Landesbischof, Jso Müller, verwandelt 200 • Mit Hilfe Görings und der Gestapo wurden eine leihe von Maßnahmen zur Einschüchterung der kirchlichen Opposition :rgriffen. In verschiedenen Landeskirchen setzte Müller radikale Deutsche :hristen als Bischöfe ein. Das Reichsgesetz .,über den Neuaufbau des Rei:hes" vom 30. Januar 1934, das die Selbständigkeit der Länder endgültig >eseitigte, bestätigte den Reichsbischof und seine Berater in ihrem Vorhaben, Vgl. H. MEISER, Verantwortung, S. 240-249. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 63. 199 Eao.,S.64f. 200 Zu den Eingliederungen der Landeskirchen und den Maßnahmen zur Errichtung einer leichsbischofsdiluatur vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 66-73; 87-93; 108; IIOf.; .59-170; 274-278; 285-287; 292 sowie K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 204-221. 197
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die Landeskirchen mit der Reichskirche völlig gleichzuschalten. Am 1. März 1934 übenrug Müller seine (unumschränkten) Befugnisse als Landesbischof auf die Deutsche Evangelische Kirche. Am 2. März erließ dann das Ende Februar neu ernannte (dritte} "Geistliche Ministerium", dessen ordnungsgemäße Besetzung freilich durch ein Uneil des Berliner Landgerichts bereits am 27. März bestritten wurde 201 , ein Gesetz, wonach die Deutsche E vangelische Kirche unter Führung des Reichsbischofs durch ihre Organe die Leitung der altpreußischen Unionskirche übernahm. Damit war diese praktisch in der Reichskirche aufgegangen. Auch die theologischen Fakultäten wurden in die große Gleichschaltung einbezogen, eine Reihe von Umbesetzungen wurde in die Wege geleitet. In einer Verordnung vom 7. März wurde die Führungsrolle des Reichsbischofs bei der Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche herausgestellt. Ihm zur Seite stand lediglich Oberheid als "Chef des Stabes" des Reichsbischofs 202 • Wenig später wurde ein Kirchengesetz über den reichskirchlichen Haushalt verabschiedet, nach dem in noch stärkerem Maße als bisher die Umlagekraft der Landeskirchen angespannt werden sollte. Am 12. April berief Müller Jäger als rechtskundiges Mitglied ins "Geistliche Ministerium" 203 .Jäger, der seinen Posten im preußischen Kultusministerium beibehielt, erhielt den Titel "Rechtswalter" und wurde am 19. April zum alleinigen kirchenpolitischen Venreter des Reichsbischofs und zum Leiter der Kirchenkanzlei bestimmt, während der bisherige "Stabschef" Oberheid auf den bedeutungslosen Posten des theologischen Venreters und "Vikars der Deutschen Evangelischen Kirche" abgeschoben wurde, wo er im Sommer von dem lutherischen "Kirchenminister", dem Direktor des HarnC. NICOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 109, Anm. I. Dem .Ministerium• gehönen Friedrich Engelke (vgl. unten im Text), der Stellvenreter Oberheids als rheinischer Bischof Heinrich Forsthoff (unienes Mitglied) sowie kommissarisch wiederum Otto Weber und, ebenfalls kommissarisch, der Berliner Konsistorialpräsident Paul Walzer (juristisches Mitglied), ein Bekannter Jägers, an (K. ScHOLDEil, Kirchen, Bd. 2, S. 88). 202 Müller hatte Oberheid am 16. 2. 1934 zum .Chef des Stabes• ernannt und ihm Weisungsbefugnis für die Beamten der Reichskirche und der allgemeinen kirchlichen Verwaltung eneih (Müller an Oberheid, 16. 2. 1934- EZA BEilLIN, 1/C 1/43). 2oJ Oie Berufung Jägers gaben Müller und Jäger in einer im GESETZBUlT 1934, S. 33 veröffentlichten Botschaft (abgedruckt auch bei C. NICOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 108-110) bekannt. Danach war es Jägers Aufgabe, die äußere Ordnung der Kirche zu festigen, um zu gewährleisten, .daß um unseren Glauben wirklich nur geistlich gerungen wird. • Jäger hielt persönlich offenbar nicht sehr viel von Müller. Einer eidesstattlichen Erklärung seiner Ehefrau vom 25. 9. 1934 zufolge äußene Jäger am 23. 5. 1934: •... der Reichsbischof Müller, der Bischof aller Deutschen, ... ist nichts anderes als ein unsicherer Kantonist und Kujon• (Abschrift LKA BIELEFELD, 5,1-302). Während der offiziellen Feier der Einführung Müllers als Reichsbischof am 23. 9. 1934 sagte Jäger dagegen in einer Rede, zu Müller gewandt: .Ihr freundliches Lachen ist mir immer gewesen wie ein Abglanz von Gottes Güte!• (Zit. nach Landespastor Sager, An.: Unser Reichsbischof, in: Der Kirchenälteste. Monatsblatt für die Kirchgemeinderäte des Landes. Schulungsblatt für nationalsozialistische evangelische Christen, Schwerin - Mecklenburg, Oktober 1934, S.108f.- LKA BIELEPELD, 5,1-290,1). 201
Offizielles BiiJ des Reichsbischofs um 1933 (EZA Berlin, 500/ P490)
Nach der Amtseinführung am 23. September 1934 vcrliilh ~lüllcr zus;unmen mit dem "Rcchts\valter" August Jäger Jen Berliner Dom (FZA Berlin. 500/F X)
Müller vor dem Wittenberger Rathaus nach seiner Wahl zum Reichsbischof am 27. September 1933 (EZA Berlin, 500/E 103)
Müller tauft am 4. November 1938 in Anwesenheit des Paten Adolf Hitler die Tochter Hermann Görings in dessen Haus Karinhall bei Eberswalde (Dtutscher Sonntag, Stuttgart, 1. 1. 1939, S. 6)
Der Rcidttbitchof ridttet d.t ChrittcntufJ'I
.. Rcid1shisdwi .\hillcr stützt Hitler, Terror und 1\.riL·g"- Pinselund Fedcu.eidmung von Heinrich \'ogcler .HIS dem Jahre 19.33 (Aus: Neue Gcsdlsduft iür Bildende Kunst Berlin, Hg.: Heinridl \"ogL·Il'l". Kunstwerke- Gebr.tuchsgq~enst:inde- Dokummtc. Berlin 19S3, S. 247; Verlag Fri',lidl & Kauinunn)
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"Führer sehen Dich an". Karikatur von Richard Ziegler, 1934 (© 1975 Georg Heintz, Worms)
Kreuz- Lutherrose- Hakenkreuz. Das reichsbischöfliche Amtssiegel (EZA Berlin 1/ B 3/423)
Der Versuch der .Gleichschaltung• der Landeskirchen
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burger ,.Rauben Hauses" Pfarrer Friedrich Engelke, abgelöst wurde 204 • Bei Jägers Amtsantritt als ,.Rechtswalter" wurde gleichzeitig seine Funktion als ,.Amtswalter für evangelische Angelegenheiten in der Reichsleitung der NSDAP" herausgestellt. Zwar war diese Funktion faktisch mit keinerlei Einfluß verbunden, jedoch erschien vielen Zeitgenossen die Zusammenfassung der Ämter von Staat, Panei und Kirche in Jägers Hand .. wie die Verwirklichung der totalen Gleichschaltung von Kirche und Staat". Daß dies offensichtlich beabsichtigt war, beweist die Tatsache, daß Müller späterwenngleich vergeblich - versuchte, Jäger auch noch ins Reichsinnenministerium zu lancieren 205 • Auf dieselbe An und Weise wie die preußische Landeskirche gliedeneo der Reichsbischof und sein ,.Rechtswalter", der stets die Initiative ergriff, im Sommer 1934 fast alle Landeskirchen direkt oder indirekt in die Reichskirche em. Im Mai 1934 begann ein ..Versuchskursus" des Reichsbischofs im ostpreußischen Predigerseminar Klein Neuhof, bei dem die seelsorgerliehe Ausbildung der ausgewählten Kandidaten ,.mit der hanen Zucht eines nationalsozialistischen Kameradschaftslagers" verbunden werden sollte und der als ,.Muster deutsch-christlicher Predigerseminararbeit . . . die Grundlage für alle späteren Predigerseminare" werden sollte 206 • Am 9. August 1934 trat auf Befehl Müllers und Jägers die Nationalsynode zusammen. Alle mißliebigen Mitglieder waren vorher auf Grund eines Kirchengesetzes vomJuli 207 durch linientreue ersetzt worden. Die Synode nahm eine neue Geschäftsordnung an, die dem Reichsbischof und seinem ,.Rechtswalter" unbeschränkte Leitungsbefugnisse zuwies. Ferner wurden mit großer Mehrheit sechs- z. T. ganz offenkundig verfassungswidrige- Kirchengesetze angenommen, mit denen die bisherigen Maßnahmen zur Eingliederung 204 Am 9. 6. 1934 schrieb Müller an Oberheid (EZA BERLIN, 1/C 1/43): .Auf Ihren persönlichen Vonrag bewillige ich Ihnen ab heute einen dreimonatigen wissenschaftlichen Urlaub.• Nach diesen drei Monaten berief Müller dann am 15. 9. 1934 Fritz Engelke zum • Vikar der Deutschen Evangelischen Kirche• (,.Bestallung• Engelkes durch Müller: EZA BERLIN, 1/C 1/ 26) . .zos Vgl. etwa Müller an Franz PEeffer von Salomon, 11. 8. 1934 (Konz.) (EZA BERLIN, 1/A 4/ 246, auszugsweise zitien bei C. NICOI.AISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 160, Anm. 4). In diesem Schreiben äußene Müller die Bine, .Herrn Reichsminister Dr. Frick [zu] binen, Herrn Ministerialdirektor Jäger nunmehr in das Reichsministerium des lnnem zu übernehmen, wie das ja auch dem Willen des Führers entspricht• (vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 90 und 276f.). 206 J. BECKMANN, Briefe, S.68f. 20 7 Kirchengesetz über die Bestellung der Mitglieder der Nationalsynode, 7. 7. 1934 (GESETZBLATJ' 1934, S. 85f.). Nach diesem Gesetz konnte nur derjenige Mitglied der Nationalsynode bleiben, der .jederzeit rückhaldos• sowohl für die Reichskirche als auch für den NS-Staat eintrat und dem das .Geistliche Ministerium• unverletzte Ehrenhaftigkeit, kirchliche Gesinnung, Würde und ein entsprechendes Verhalten bescheinigte. Auf Grund des Gesetzes wurden zahlreiche der 60 Mitglieder der Nationalsynode ausgetauscht. Vgl. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 213; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 274 f. und 285.
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der Landeskirchen und zur Errichtung der Reichsbischofsdiktatur nachträglich legalisiert und z. T. sogar ausgeweitet werden sollten 208 . Obwohl die Rolle Oberheids und Jägers bei der kirchenpolitischen Entwicklung des Jahres 1934 und das Verhältnis der beiden zum Reichsbischof noch nicht näher erforscht sind 209, ist, wie bereits angedeutet, wohl nicht daran zu zweifeln, daß Oberheid und Jäger und später Jäger allein die eigentlichen Akteure bei der Errichtung der Reichsbischofsdiktatur und der Gleichschaltung der Landeskirchen waren, daß der Entscheidungen stets ausweichende, lavierende Müller zwar informiert, unter dem Einfluß seiner Berater wohl auch von der Notwendigkeit der kirchenpolitischen Maßnahmen überzeugt und bei wichtigen Aktionen anwesend war und -neben Jäger -seine Unterschrift unter die entsprechenden Verordnungen und Gesetze setzte, somit auch mitverantwortlich war, daß er aber im Grunde nur "Marionette" seiner Ratgeber war. Die Quellen enthalten jedenfalls keine Hinweise auf eine Initiative oder ein eigenständiges Engagement des Reichsbischofs bei den fraglichen kirchenpolitischen Maßnahmen. Wenn Müller später rückblickend auf die kirchenpolitische Entwicklung des Jahres 1934 behauptete, er habe sich auf die juristischen Fähigkeiten Jägers "völlig verlassen"210, so entsprach das offensichtlich durchaus den Tatsachen. Müllers Passivität bei den kirchenpolitischen Maßnahmen lag vermutlich nicht nur an seiner schwachen Persönlichkeit, sondern auch an seinem Desinteresse an Fragen der Administration, der äußeren Ordnung der Kirche. Gemäß der neuen zum Jahreswechsel 1933/34 entwickelten kirchenpolitischen Konzeption (s.o.) sollte ja die äußere Kirchenverwaltung an den Staat abgetreten werden und wollte der Reichsbischof sich auf geistlich-theologische Aufgaben, auf "Volksmission", zurückziehen. Zwar wurde staatlicherseits kein .. Minister in evangelicis" ernannt, jedoch mag Müller Jäger, der sich ihm gegenüber immer wieder auf das ausdrückliche Einverständnis des Staates berief und ja auch Staats- und Parteiämter bekleidete, als Ersatz für solch einen Minister angesehen haben. Jäger beschrieb in einem Interview anläßlich seiner Ernennung zum .,Rechtswalter" ganz offen die Arbeitsteilung bei der Reichskirchenleitung: .,Die geistlichen Fragen bearbeiten der Reichsbischof selbst und als sein Gehilfe der Reichskirchenvikar, ferner die theologischen Mitglieder des 20a Zur Nationalsynode vgl. den detaillierten Bericht des Münchener Oberkirchenrates TH. BREIT, Nationalsynode. Müller nahm zur Sache kaum Stellung - dies überließ er Jäger -, sondern mahnte unter Berufung auf das Militär zum absoluten Gehorsam ihm und dem .Führer• gegenüber, der .sich zu uns bekannt (hatt, und forderte ganz ähnlich wie z. B. bei der Beratung der Verfassung im Juli 1933 (vgl. oben 5.141): .Darum stellen Sie nun doch Ihre Bedenken zurück und nehmen Sie das Gesetz einmal vorläufig an. Wir machen nichts für die Ewigkeit ... • (TH. BREIT, Nationalsynode, S. 5 f. und 38). 2 09 Zu der äußerst schlechten Quellenlage zu Oberheid und Jäger vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 819, Anm. 68 und Eao., Bd. 2, S. 14 und S. 369, Anm. 5 und 6. zao E. BALZER, Niederschriften (Ms.), 21. 8. 1935, S. 3.
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Geistlichen Ministeriums. Die gesamte äußere Ordnung, d. h. die Fragen rechtlicher und organisatorischer Art, werden durch mich, den Rechtswalter der evangelischen Kirche, bearbeitet." 211 Dem Ministerialrat Conrad zufolge hatte diese Arbeitsteilung für Müller den folgenden Sinn:" ... der Mann im geistlichen Gewande [Müller] (konnte) ... den Unschuldsengel spielen und dem anderen Uäger] die grobe Arbeit am Hackeklotz überlassen." 212 Daß diese Taktik nicht erfolglos war, beweist ein Brief Wurms an Müller vom 21. Juni 1934. Wurm rechnete die kirchenpolitischen Gewaltmaßnahmen nicht so sehr dem Reichsbischof an, als vielmehr dessen Beratern. In dem Brief heißt es u. a.: "Eine persönliche Verständigung mit Ihnen fiele mirtrotzallem Vorgefallenen nicht schwer, weil ich gerade die einschneidendsten und verhängnisvollsten Maßnahmen der Reichskirchenregierung ... nicht Ihrer Initiative, sondern der völlig verkehrten Orientierung Ihrer Ratgeber zuschreibe. "213
4. Müllers Vortragsrundreisen und seine reichsbischöflichen Verlautbarungen 1934/35
Während Oberheid und Jäger sich um die Gleichschaltung der Landeskirchen und um die Errichtung der Reichsbischofsdiktatur kümmerten, widmete Müller sich bereits 1934 einer intensiven Reise- und Vonragstätigkeit. Es war, wie er es selbst in einem Vortrag am 6. Juni 1934 in den Stettiner Messehallen formulierte, seine ganze Leidenschaft, "durch Deutschland zu gehen und mich zu zeigen und zu sagen, wie es mir ums Herz ist." 214 Er verabscheute je länger, je mehr administrative Arbeit, mit der er ja offensichtlich auch nicht zurechtkam, liebte dagegen öffentliche Auftritte und repräsentative Aufgaben, war von seiner rhetorischen Begabung überzeugt und von einem missionarischen Sendungsbewußtsein durchdrungen, wollte einen "Feldzug auf die Seele des Volkes" 215 anführen. Für das Jahr 1934 sind- z. T. mehrere- Auftritte in Kiel, Braunschweig, Magdeburg, Dresden, Aachen, Dortmund, Bremerhaven, Nürnberg, Wiesbaden, Essen, Eisenach, Stettin, Leipzig, Wittenberg, Karlsruhe, Königsberg, Halle, Pasewalk (Pommern), Greifswald, Kaiserslautern, Oldenburg, Aurich, Volmerdingsen, Lübeck, Hannover, Ulm, Heilbronn, Stuttgan, Potsdam, Erste Nacht-Ausgabe. Deutsches Nachrichtenbüro, 27. 4. 1934 (BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspris. 281/4). 212 W. CoNRAD, Kampf, S. 95. m Wurm an Müller, 21.6. 1934 (LKA STUTTGART, D 1/118). 21 4 LKA BIELEFELD, 5,1-758,1. 21 s An.: Gewaltige Kundgebung der .Deutschen Christen• Westfalens, in: WESTPÄLISCHE LANDESZEITUNG- RoTE ERDE, 26. 3. 1934. 211
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Münster, Dielefeld sowie in verschiedenen Berliner Bezirken belegt 216 • Es ist 216
Es gibt folgende vollständige gedruckte Reden und Predigten Müllers aus dem Jahre 1934:
L. MüLLER, Rede im Berliner Spanpalast am 28. Februar 1934; DERs., Berlin-Tegel; Du.s., Der Reichsbischof über "positives Christentum"; DEils., Leipzig; DEils., Karlsruhe; DEilS., Ulm; vgl. auch DEilS., Inhalt und Form in der Kirche. Außerdem gibt es zahlreiche Hinweise auf, Berichte über sowie Mitschriften von Reden und Predigten Müllers im Jahre 1934. Vgl. u.a.: B. HEY, Kirchenprovinz Westfalen, S.253; H. LtNCK, Kirchenkampf, S. 76f.; j. GAUGER, Chronik, S.l32, 142, 145, 212, 219; CW 1934, S.280, 622; Müller, Rede in Braunschweig, 22.1. 1934 (LKA DAilMSTADT, 62/1042); An.: Ein Volk, ein Staat, eine Kirche. Reichsbischof Müller in Dresden, in: DRESDNER NACHRICHTEN, 74/1934; An.: Kundgebung der .Deutschen Christen• in der Westfalenhalle, in: DoRTMUNDEil ZEITUNG, 26. 3. 1934; An.: Gewaltige Kundgebung der .Deutschen Christen• Westfalens, in: WESTFÄLISCHE LANDESZEITUNG - RoTE ERDE, 26. 3. 1934; An.: Der Reichsbischof in den Unterweser-Städten, in: BREMER ZEITUNG, 16. 4. 1934; Landesführung DC Saarbrücken, Rundschreiben, s.d. [betr. Gautagung mit Müller am 29. 4. 1934] (LKA BtELEFELD, 5,1-812); Müller, Rede in Essen, 12. 5. 1934 (Zeitungsausschnitt LKA DAilMSTADT, 35/483 vom 14. 5. 1934); Thüringer Heimatkorrespondenz, 14. 5. 1934 [betr. Rede Müllers in Eisenach am 13. 5. 1934] (LKA STUTTGART, D 1/169); Müller, Rede in Berlin: "Positives Christentum",juni 1934, epd-Bericht vom 13. 6. 1934 (LKA STUTTGART, D 1/118); Müller, Rede in Stettin, 6. 6. 1934 (LKA BIELEFELD, 5,1-758,1); An: Tausende hönen den Reichsbischof, in: STETTINER RUNDSCHAU, 7. 6. 1934; Zeitungsnotiz über Sonnenwendfeier der Königsherger SA mit Müller, in: BASLER NACHRICHTEN, 26. 6. 1934; An.: Feldgonesdienst der Königsherger SA, in: EvANGELIUM IM DRITTEN REtcH, I. 7. 1934; An.: Reichsbischof Ludwig Müller in Halle, in: MtTTELDEUTSCHLANDISAALE-ZEtTUNG, 27.6. 1934; An.: Reichsbischof Müller in Halle, in: MITTELDEUTSCHE NATIONAL-ZEITUNG, 27. 6. 1934; An.: Es gibt keine Bekenntnisnot. Eine Rede des Reichsbischofs in Halle, in: NS-KuatER, 28. 6. 1934; An.: Reichsbischof Müller in Greifswald, in: GREIFSWALDER ZEITUNG, 6. 7. 1934; An.: Reichsbischof Müller über die evangelische Kirche, in: NEUE WESTFÄLISCHE VOLKSZEITUNG, 14. 7. 1934 [betr. Rede Müllers in Kaiserslautern]; An.: Kreiskirchentag in Berlin, in: BERLINER LoKAL-ANZEIGER, 21. 8. 1934; An.: Reichsbischof Müller über positives Christentum (Zeitungsausschnitt LKA BtELEPELD, 5,1-305,2 vom 21. 8. 1934); An.: Der Reichsbischof in Nordwestdeutschland (Zeitungsausschnitt LKA BtELEPELD, 5,1-305,1 vom 21. 8. 1934); An.: Der Reichsbischof in der Heilandkirche [in Volmerdingsen] (Zeitungsausschnitt LKA BIELEPELD, 5,1-305,2 vom 28. 8. 1934); Müller, Rede in Hannover, 18. 9. 1934 (diverse Zeitungsberichte LKA BtELEFELD, 5,1-305,2; 290,1; 298,1; 747,1; 758,1); Rehm, Rundschreiben, 26. 9. 1934 [betr. Wümembergreise Müllers Ende September/Anfang Oktober 1934] (LKA STUTTGART, D 1/52); Müller, Entwurf zu einer Predigt am Erntedankfest [30. 9. 1934 in Ulm] über Mt. 6,11 (EZA BERLIN, 1/C 4/35); Programm zum Gottesdienst am Erntedankfest, den 30. 9. 1934 im Münster zu Ulm (LKA STUTTGART, D 1/52); An.: Der Reichsbischof in Ulm, in: STUTTGARTER NEuEs TAGEBLATT, 2.10. 1934; Müller, Rede in Heilbronn, 30. 9. 1934 (LKA STUTTGART, D 1/52); An.: Reichsbischof Müller in Heilbronn (Zeitungsausschnitt LKA STUTTGART, D 1/118 vom 1.10. 1934); Müller, Rede in Stuttgan, I. 10. 1934 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg. und D 1/52; vgl. auch diverse Zeitungsartikel über diese Rede LKA STUTTGART, D 1/53 und 118 sowie LKA StELEFELD, 5,1-305,2 vom 2. bzw. 4.10. 1934); An.: Loerzer, Propst der Kurmark, wird eingefühn, in: EvANGELIUM JM DRITTEN REICH, 3. II. 1934; STEGLITZER ANZEIGER, Extrablatt, 17. II. 1934 [betr. Rede Müllersdon am selben Tage]; An.: Ein unvergeßlicher Tag für die westfälische Kirche. Die feierliche Einführung des Bischofs Adler ... durch den Reichsbischof, in: EvANGELIUM IM DRJTTEN REtcH, Ausgabe Hagen-Lüdenscheid, 18. 11. 1934; Kun Fürst (Heiligensee), Kurzbericht der Kundgebung der Deutschen Christen im [Berliner] Spanpalast am 19. 11. 1934 (LKA DARMSTADT, 62/1043); An.: Reichsbischof Müller sprach in Essen, in: NATIONALZEITUNG EssEN, 16.12. 1934. Weitere HinweisejK 2, 1934; AELKZ 67, 1934 und in der Literatur.
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höchst wahrscheinlich, daß Müller auch noch in anderen Orten sprach. Einige Orte bereiste er, ohne don längere Reden zu halten, zeigte sich der Bevölkerung und ließ sich "huldigen" 217 • Auch nach dem Scheitern der Politik der "Gleichschaltung" der Landeskirchen und der Errichtung einer Reichsbischofsdiktatur Ende 1934 (s. u.) setzte er seine Reise- und Vortragstätigkeit fon. Für das Jahr 1935 sind Reden in Mönchsroth (Franken), Güstrow, Bad Oeynhausen, Pforzheim, Wiesbaden, Gelnhausen, Crossen, Eisenach, Lübeck, Leipzig und in verschiedenen Berliner Bezirken sowie groß angelegte" Werberundreisen" durch Mecklenburg, Hannover, Schlesien, Westfalen, Wümemberg, Baden und in der Grenzmark nachweisbar 218 • Der Reichsbischof predigte in besonderen Festgottesdiensten, etwa bei der Einführung neuer DC-Bischöfe, und hielt z. T. vor sehr großem Publikum meist sehr lange, ohne Konzept vorgetragene, kaum strukturierte Reden in großen Versammlungshallen 219 • Oft gab es zu den Reden noch ein Rahmenprogramm. Vor Müllers Auftritt in der Stuttganer Stadthalle am 1. Oktober 1934 spielte beispielsweise ein Musikzug "Volkslieder und ernste Märsche" und zum Einzug des Reichsbischofs "Preußens Gloria" und den "Badenwei217 Vgl. etwa An.: Der Reichsbischof in den Unterweser-Städten, in: BREMER ZEITUNG, 16. 4. 1934 und An.: Reichsbischof Müller in Greifswald, in: GREIFSWALDER ZEITUNG, 6. 7. 1934. 218 Es gibt folgende vollständige gedruckte Reden und Predigten Müllers aus dem Jahre 1935: L. MüLLER, Minden-Ravensberg; DERs., Marbach; DERs., Breslau; DERS., Ansprache. Außerdem gibt es zahlreiche Hinweise auf, Berichte über und Mitschriften von Reden und Predigten Müllers im Jahre 1935. Vgl. u.a.: J. BECKMANN, Briefe, S. 227; J. GAUGER, Chronik, S. 494; H. GECK, Bekennende Kirche, S. 92 f.; Müller, Ansprache bei einer Morgenfeier über Reichssender Berlin, 3. 2. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/35); Müller, Rede in Berlin: "Die Grundwahrheiten des Christentums", 13. 2. 1935 (LKA DARMSTADT, 35/14); Müller, Rede in Güstrow, 20. 2. 1935 (LKA BtELEFELD, 5,1-758,2); Müller, Rede in Bad Oeynhausen, 24. 4. 1935 (LKA BtELEFELD, 5,1-305,3); Werbeflugblatt für Reden Müllers in drei Wiesbadener Kirchen am 28. 4. 1935 (EBo.); diverse Zeitungsberichte und Flugschriften über Reden Müllers in Schlesien, Westfalen, Baden und Wümemberg, April/Mai 1935 (LKA DARMSTADT, 62/10.3; LKA BtELEFELD, 5,1-305,3; LKA STUTTGART, D 11118; 115 b V/1935 Altreg.; D 1/100,2; D II 81); Müller, Predigt in Marbach: Job. 13,34, 12. 5. 1935 (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 27); Müller, Rede in Crailsheim, 12. 5. 1935; Müller, Rede in Ulm, 13. 5. 1935; Müller, Rede in Stuttgan, 15. 5. 1935 (LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg.); Müller, Rede in Friedrichshafen, 16. 5. 1935 (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 27; LKA STUTTGART, 115 b V/1935 Altreg. und D 1/118); Programm für Westfalenfahn Müllers 17.-29. 6. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/80); Müller, Rede in Iserlohn, 20.6. 1935 (Zeitungsberichte LKA BtELEFELD, 5,1-305,3); Müller, Rede in Gelnhausen, 8. 7. 1935 (EBo.); Müller, Predigt in Crossen: Job. 4,23f. und Mt. 6,9-13, 4. 9. 1935 (Zeitungsbericht EBo.); Müller, Rede in Eisenach, 13. 10. 1935 (Zeitungsbericht LKA DARMSTADT, 62/1044). Weitere Hinweise: JK 3, 1935; AELKZ 68, 1935 und in der Literatur, bes. K.MEIER, Kirchenkampf, Bd.2, 5.219, 317f. u. 322 und W.NJEMÖLLER, Bekennende Kirche, S. 160f. 219 In einem Schreiben der Kanzlei des Reichsbischofs an Hugo Hilck (Wesermünde) vom 11.4. 1934 (Konz.) (EZA BERLIN, 1/C 4/75) heißt es: Der .Herr Reichsbischof (hält) fast alle seine Vonräge frei".
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ler Marsch". Müllers Ansprache wurde dann umrahmt durch ,.Wir treten zum Beten ... • und ,.Ein feste Burg ... ", und zum Abschluß wurden das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied gesungen 220 • Wenn man den Zeitungsberichten Glauben schenken kann, so kam er bei seinem Publikum außerordentlich gut an. In der ,.Bremer Zeitung" vom 16. April 1934 heißt es z.B. über einen Vortrag: ,.Selten wird im Raum der Stadthalle eine so im Hören versunkene und in jubelnden Beifall ausbrechende Gemeinde versammelt gewesen sein!" 221 Von bekenntniskirchlicher Seite aus wuchs indes auch der Widerstand gegen die Auftrine Müllers (s. u.). Teilweise verursachten diese Auftritte im Gegenzug große Versammlungswellen der Bekennenden Kirche. Staatlicherseits wurden mitunter Veröffentlichungen über die Auftritte oder sogar die Versammlungen selbst verboten, um Unruhe zu vermeiden 222 • Außer durch seine öffentlichen Auftrine wandte sich der Reichsbischof durch zahlreiche offizielle ,.Kundgebungen", gleichsam ,.Hirtenbriefe", an die Öffentlichkeit 223 • 1934 reiste Müller häufig zusammen mit dem neuen Reichsleiter der ,.Deutschen Christen" Christian Kinder, von dem er behauptete, er sei mit ihm ,.in so herzlicher Kameradschaft verbunden" und wisse, ,.daß kein Mensch diese Kameradschaft irgendwie stören kann" 224 • Er behauptete nach dem Kanzlerempfang mehrmals öffentlich auch wieder, er sei ,.immer bewußt und mit voller Absicht ,Deutscher Christ' gewesen" und werde es auch in Zukunft bleiben 225 - dies, obwohl er sich ja Ende 1933 von den Deutschen Christen öffentlich distanziert und die Schirmherrschaft niedergelegt hatte. Eine Analyse der - äußerst trivialen - Vorträge und Predigten sowie der verschiedenen reichsbischöflichen Verlautbarungen aus den Jahren 1934/ 35 226 ergibt ein höchst ambivalentes Bild im Hinblick auf Müllers theologische Position, wie es prinzipiell auch schon in seiner Grundsatzerklärung Programm der Kundgebung LKA SnrrrGART, 115 b, 111,1 Ahreg. An.: Der Reichsbischof in den Unterweser-Städten (LKA 8JELEPELD, 5,1-305,1). 222 Vgl. erwa 8. HEY, Kirchenprovinz Westfalen, S. 261,257,281 und 289. 223 Die .Kundgebungen• sind abgedruckt im GESETZBLATT 1934 und 1935. Vgl. weiterhin die Zeitungsanikel Müllers: L. MÜLLER, Der Reichsbischof zur Rassenpflege; DERs., Manh[äus] 12 Vers 30; DERS., Komm, heiliger Geist; DEas., Das Kreuz im Mittelpunkt; DEas., Evangelium und Preußentum. 22 4 Müller, Rede in Stungan, 1. 10. 1934 (LKA SnrrrGART, D 1152). 22s L. MüLLER, Rede im Berliner Sponpalast am 28. Februar 1934, S. 7; An.: Gewaltige Kundgebung der .Deuuchen Christen• Westfalens, in: WESTPÄLJSCHE LANDESZEITUNG- RoTE ERDE, 26. 3. 1934 und An.: Kundgebung der .Deutschen Christen• in der Domnunder Westfalenhalle, in: DoaTMUNDER ZEITUNG, 26. 3. 1934; Müller, Rede in Stenin, 6. 6. 1934 (LKA BrELEPELD, 5,1-758,1) u.a. 226 Die Analyse beruht auf einer sehr breiten Quellenbasis; vgl. Anm. 216, 218 und 223. Müller trug in kaum variiener Fonn stets die gleichen Gedanken vor. Die Trivialität seiner Ausführungen war durchaus nicht unbeabsichtigt. glaubte er doch, daß das Wesen von Religion ganz simple Dinge ausmachen, daß die religiöse Entfremdung der Menschen an der. Verkompli220
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nach seiner Wahl zum Reichsbischof und in verschiedenen Äußerungen des Jahres 1933 227 zutage tritt. Einerseits venrat Müller durchaus traditionelle kirchliche und biblische Positionen. So sprach er von Christus als dem Herrn der Kirche, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, dem erhöhten, gegenwänigen Herrn, dem Sohn Gottes, dem vom Himmel Gekommenen und dereinst Wiederkommenden, als dem, der Gewalt über alles habe, an den es sich zu glauben lohne, als unserem Herrn, in dem sich Gott offenban habe. Das reformatorische "solus Christus" klang bei Müller des öfteren deutlich an, so etwa, wenn er das "Evangelium von jesus Christus" als "der Kirche Wesen und alleinigen Inhalt" bezeichnete oder wenn er erkläne, Christus sei "unsere einzige Kraft; ... unser einziger Trost" 228 • Er bekannte sich u.a. auch eindeutig zum Sühnopfer Christi ("Er [Gott] hat seinen Sohn die Gewalt der Sünde bis zum äußersten durchleiden lassen, um sie so durch die Gewalt der Barmherzigkeit zu überwinden") 229 , zur Auferstehung Christi als einer "Tatsache", bei der es nichts "abzuschwächen, umzudeuten" gebe 230 , wiederholt ausdrücklich zur zentralen Bedeutung der reformatorischen Rechtfenigungslehre "sola fide", zur durch den Heiligen Geist inspirienen ganzen Bibel Alten und Neuen Testamentes, zum Heiligen Geist als dem, der Kirche wirke und die Christen in aller Welt sammle, zu den beiden Sakramenten, zum Gebet, das er mitunter sogar als Ausweis für seine Frömmigkeit und seinen "guten Willen" benutzte ("Der [Müller über sich selbst], der vor dem Schlafengehen still wird vor Gott und etwas mit ihm in Ordnung zu bringen hat, der hat keine Neigung zum Herrschen" 231 ) und zur in- und ausländischen Ökumene. Besonders leidenschaftlich trug er des öfteren seine - alles umfassenden, stets aber nur sehr formelhaft vorgetragenen - Bekenntnisse zu "dem Bekenntnis" bzw. den "Bekenntnissen" vor, worunter er, wie er es in einer Rede in Friedrichshafen am 16. Mai 1935 verdeutlichte, weniger die Bekenntnisschriften, als vielmehr- wie "der einfache Mann" -die Abwendung der Gefahr, "den Herrn Christus vom Thron [zu] stoßen", verstand232. So erkläne er am 6. Juni 1934 in den Stettiner Messehallen: "Ich für meine Person stehe zu dem Bekenntnis. Und wenn ich das einmal sage, dann ist es so. Ich möchte den Vater oder die Mutter sehen, die auf eine Aussage, die sie ihrem Kinde gegenüber tun, von diesem hören müßten: das zierung• dieser Dinge durch Dogmen, Liturgie, Theologie etc. liegt, und war es doch sein Anliegen, sich an .den gemeinen Mann aus dem Volke• zu wenden. zz1 Vgl. oben S. 130ff.; 143ff.; 153f. lll GESETZBUlT 1934, S. 186 und 184. zz' EBo., S. 21. llO GESETZBUlT 1935, S. 32f. m Müller, Rede in Essen, 12. 5. 1934 (LKA BIELEFELD, 5,1-812). m LKA STUTTGART 115 b V/1935 Altreg.
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glaube ich dir aber nicht. Was soll ich denn noch tun? Soll ich mich hinstellen und jeden Tag sagen: Ich stütze das Bekenntnis" 233 ? Diese Ausführungen zeigen freilich, daß Müllers Bekenntnistreue schon damals vielfach in Zweifel gezogen wurde. Die Ursache hierfür war, daß er, wie Friedrich von Bodelschwingh es bereits in einem Brief an ihn vom 29. Juli 1933 bemängelt hatte 234, neben den traditionellen Positionen gleichzeitigandererseits - auch Positionen venrat, die über die traditionelle kirchliche Lehre hinausgingen, mit ihr mehr oder minder unvereinbar waren und teilweise in direktem Widerspruch zu ihr standen. Während Äußerungen Müllers, in denen von einem unmittelbaren Geschichtswirken Gottes die Rede ist, sowie die häufige aufklärerisch-moralistische Betonung eines "Christentums der Tat" -entsprechend dem "kategorische[ n] Imperativ des Preußenphilosophen Kant" 235 - zu der damaligen Zeit im Prinzip nicht als anstößig empfunden worden sein dürften, provozienen die Behauptungen, Gott habe die nationalsozialistische "Revolution" gewirkt und den "Führer" gesandt, und die Aktivitäten der Nationalsozialisten während der "Kampfzeit" seien praktizienes Christentum gewesen, natürlich kirchlichen Protest, ebenso die Behauptung, Christ werde man nicht durch die Taufe, sondern nur durch die Tat- solche Aussagen waren es wohl, die ihm- zu Recht- den Vorwurf des Pelagianismus eintrugen 236 • Müller ging es als Nationalsozialist und Kirchenmann, als Deutschem Christen, darum, Nationalsozialismus und Christentum bzw. Protestantismus nicht nur formal, sondern auch inhaltlich miteinander zu verknüpfen, dem Nationalsozialismus bzw. seiner Ideologie eine religiöse Funktion und umgekehn der christlichen Theologie eine politische Funktion zur Affirmation des Nationalsozialismus beizumessen. Er stellte diese Verbindung her, indem er von einer Wirklichkeit in der Seele des Menschen ausging, die mit Gott zu tun hat und als dynamische Kraft im Menschen und nach außen hin als Tat wirksam sein kann, die gefühlt werden kann und unsterblich ist. Diese seelische Wirklichkeit wird nun nach Müller durch "Blut und Boden" geprägt und ist für den modernen deutschen Menschen wiedererweckt worden durch den Nationalsozialismus, den er dementsprechend- wie er es ja schon 1933 getan hatte- als eine neue "Erweckungsbewegung" bezeichnete 237 • LKA BIELEPELD 5,1-758, I. LKA BIELEFELD, 5,1-321,1. In dem Brief heißt es u.a.: •... wirempfinden immerwieder eine eigentümliche Verflachung der evangelischen Botschaft. Wir hören neben den betont orthodoxen Wendungen als Grundmelodie ganz rationalistische Töne ... Es erschreckt uns, daß dicht neben der Bejahung der reformatorischen Bekenntnisse Sätze stehen, die den Kern dieser Bekenntnisse, die Botschaft von Christus dem Herrn, radikal durchstreichen." 2JS L. MüLLER, Evangelium und Preußentum. 236 Bodelschwingh an A. Schreiber, 23. 4. 1934 (HA BETHEL, 2/39-35). 2l 7 An.: Der Reichsbischof in den Unterweser-Städten, in: BREMER ZEITUNG, 16. 4. 1934; Thüringer Heimatkorrespondenz, 14. 5. 1934 (LKA SrurrGART, D 11169). 233
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Die starke Betonung des individuellen religiösen Gefühls 238 führte konsequenterweise zu einer Relativierung bzw. Kritik der kirchlichen Dogmen und Lehren sowie der sich darauf gründenden religiösen Sprache und Formen239. Müller vertrat die Auffassung, die Dogmen, Lehren, die kirchliche Sprache und die kirchlichen Formen könnten dem einfachen, unmittelbaren Erspüren der seelischen Wirklichkeit hinderlich sein und zu religiöser Entfremdung führen. Diese Gefahr ging für ihn natürlich in noch stärkerem Maße von verschiedenen internationalen bzw. angeblich "undeutschen" Bewegungen und Geistesströmungen (Liberalismus, Marxismus, Pazifismus etc.) und vor allem vom Judentum, gegen das er scharf polemisierte, bzw. von Judaismen im Bereich der Kirche aus, da seiner Meinung nach ja die "seelischen Triebkräfte" der Deutschen durch deren "Blut und Boden" geprägt sind. Die Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus hatte indes noch weitere Konsequenzen. Neben den traditionellen christologischen Aussagen finden sich Aussagen Müllers über Christus, die dem nationalsozialistischen Männertyp entsprechen, so, wenn er Christus als "Held[en]" und "Kämpfer allergrößten Formats" oder gar als "Deutschen" bezeichnete24o. Müller bemühte sich schon Anfang 1934 auch wieder um eine Annäherung an den völkisch-religiösen Parteiideologen Alfred Rosenberg, der ja Ende 1933 aus Solidarität mit Reinhold Krause aus der evangelischen Kirche ausgetreten war. In einer Rede im Berliner Sportpalast am 28. Februar 1934 wandte er sich zwar gegen "einen neuen Wotanskult" und gegen die Ersetzung des "deutschen[!] Christentums ... durch germanisches Heidentum", jedoch fügte er hinzu: "Jedoch muß ich eins deutlich aussprechen: Ich gebe dem P[artei]g[enossen] Rosenberg absolut Recht, wenn er sagt, daß wir Nationalsozialisten die Geschichte unseres Volkes mit neuen Augen und mit neuem Verständnis sehen gelernt haben. Und so sehen wir auch mit stolzer Freude darauf zurück, daß gerade in der alten germanischen Lebensauffassung so viel schöne, reine und innerlich wertvolle Kräfte lebendig waren, daß sie für sehende und wissende Augen noch heute erkennbar sind, wenn wir Weihnachten oder Ostern feiern und diese ausgesprochen christlichen Feste m Am 24. 3. 1934 sagte Müller in Donmund: • Was ist ein Christ? Nur der, der das innere Erlebnis der gewaltigen Stärke Christi hat.• (An.: Kundgebung der .Deutschen Christen• in der Donmunder Westfalenhalle, in: DoRntUNDER ZEITUNG, 26. 3. 1934). 219 Zu den "Formen• fühne Müller in seiner Bremerhavener Rede im April1934 aus: "Die wichtigsten äußeren Aufgaben der Zukunft sind die Schaffung eines einheitlichen Reichsgesangbuches ... , die Ausbildung einer allgemeinen Liturgie und der Umbau der Gotteshäuser zu Andachtsstätten, die in Raumordnung, Licht und Schmuck zum Gemüt sprechen und die Starre und Kälte der meisten protestantischen Gotteshäuser ablösen.• (An.: Der Reichsbischof in den Unterweser-Städten, in: BREMER ZEITUNG, 16. 4. 1934). 2•o J. GAUGER, Chronik, S. 212,219 und 253; L. MüLLER, Matth[äus] 12 Vers 30; DERs., Rede im Berliner Spanpalast am 28. Februar 1934, S.14.
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mit Worten bezeichnen, die wir mit Stolz und Freude aus der ältesten Geschichte unseres Volkes herleiten." 241 Mit Rosenberg traf Müller übrigens im August 1934 in Warnemünde zufällig zusammen. Nach den Tagebuchaufzeichnungen Rosenbergs äußerte er bei diesem Treffen: ,.Ich wollte Sie schon lange sprechen, Herr R[ osenberg] ... Ich glaube, wir stehen uns gar nicht so fern. Ich fühle mich erst frei, seit ich den ganzen Dogmatismus abgeworfen habe u[ nd] zu einfachen Grundsätzen zurückgekehrt bin." Rosenberg kommentierte diese Äußerung wie folgt: ,.Ich traue meinen Ohren nicht! Noch vor wenigen Monaten hat Müller den Dr. Krause als ,lrrlehrer' aus den ,Deutschen Christen' davongejagt, der nur wiederholt hatte, was in meinem ,Mythus' steht ... Das Nikäische ,Bekennmis' geht also immer mehr in die Brüche, es ist wahrhaft hohe Zeit geworden, mit diesen Albernheiten einmal ein Ende zu machen, um wieder frische europäische Luft atmen zu können. Der Rei[chs]-Bi[schof] ist jedenfalls am Ende seines Hebräischen angelangt ... " Die beiden Männer verabredeten, ,.irgendwo in der Stille ein längeres ,Religionsgespräch' [zu] veranstalten", nachdem Müller ,.heftig" die Ansicht Rosenbergs ,.bejahte": ,.Der Geist unserer Zeit hat seine Richtung genommen u[nd] wird sie nicht ändern. Es wäre klug, um jede Bilderstürmerei zu vermeiden, dies zu erkennen u[ nd] die Folgerungen daraus zu ziehen." 242 Ein solches ,.Religionsgespräch" fand auch tatsächlich statt. Auf einer DCBischofskonferenz am 4. Dezember 1934 berichtete Müller über eine dreistündige Unterredung mit Rosenberg, der gegenüber nationalsozialistischen ,.Ausfällen gegen die Kirche" und ,.Angriffe[n] gegen das Christentum" helfen wolle, der aber nicht wolle, ,.daß der Erlösungsgedanke ,Schlappheit' ist" und daß man Angst vor Gott haben müsse. Müller erklärte, er habe in dem Gespräch die folgenden Gedanken entwickelt, die er "einmal in einer kleinen Schrift aussprechen" wolle und denen Rosenberg zugestimmt habe: ,.Ein jeder mache sich von Gott sein eigenes Bild. Gott sei das absolut Gute, das Ewige, das Überzeidiche! Die Aussagen über Christus seien ebenfalls als Bilder anzusehen, so etwa, wenn gesagt werde: Christus sei der Sohn, Gott der Vater.... Christus selbst hat sich nie auf seine irdische äußere Erscheinung bezogen und aus ihr Ansprüche hergeleitet. Er hat erklärt: ,Tut, was ich euch sage! Dann werdet ihr erleben, daß meine Lehre die Wahrheit von Gott ist!'"24l Kurt Meier hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Müller gegen die umfassende Werbekampagne der völkisch-religiösen Bewegungen im Frühjahr 1935, bei der vor allem auch gegen die Deutschen Christen polemisiert wurde, nur sehr schwach protestierte 244 . In einem .. Wort des Reichsbischofs Z.fl Z4 Z
Z.fl Z44
EBD., s. 8f. Zit. nach H.-G. SERAPHIM, Tagebuch, S. 43. E. 8ALZER, Niederschriften (Ms.), 4. 12. 1934, S. 3 und 7. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 27.
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zur weltanschaulichen Bewegung in unserem Volk" vom 30. April1935 heißt es: ,.Es ist auch nicht christlich, in fanatischem Eifer die gegnerische Bewegung [die völkisch-religiöse] schlecht zu machen, zu diffamieren, ihre Lehre zu entstellen, das ehrliche Suchen, das in dieser Bewegung ist, zu verkennen und sich gegen die Wahrheiten zu versperren, die der Gegner uns immer wieder zu sagen hat." 245 In seinem Won an die Theologiestudenten vom 26. Juni 1935 fordene der Reichsbischof gar dazu auf, ,.auch Ketzereien zu durchdenken, um zur Wahrheit durchzudringen" 246 • Im Sommer 1935 scheint Müller auch direkte Verhandlungen mit Venretem der völkischreligiösen Deutschen Glaubensbewegung des Professors Wilhelm Hauer gefühn zu haben 247 • Angesichts seines Bemühens um eine Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus verwunden es schließlich nicht, daß Müller wiederholt auch direkte Analogien zwischen christlich-biblischen und nationalsozialistischen Motiven herstellte. So verglich er beispielsweise am 6. Juni 1934 in seiner Stettiner Rede Christi Tod und Auferstehung mit dem Schicksal der DC-Bewegung 248 , und in einem ,.Gruß an das Winterhilfswerk" im Oktober 1934 identifiziene er das Reich Gottes teilweise mit dem ,.Dritten Reich": ,.Gott führe im Dritten Reich ein Stück seines heiligen Gonesreiches weiter über Deutschland gnädig herauf." 249 In einer Kundgebung zum zweiten Jahrestag der nationalsozialistischen ,.Machtergreifung" stellte er eine Analogie her zwischen dem Hauptmann von Kapernaum und Adolf Hitler sowie zwischen dem Venrauen auf Christus und dem Venrauen auf Hitler 250 • Auch auf der ,.Reichskirchlichen Hochschultagung" in Leipzig im Juni 1935
GESETZBLATr1935, 5.49-52, hier: 5.49. Die Kundgebung ist auch abgedruckt bei K.D. 5cHMIDT, Bekenntnisse 1935,5. 112-115. 246 GESETZBLATr 1935, 5. 67-69, hier: 5. 68. Die Kundgebung ist auch abgedruckt bei K. D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1935, 5.139f. Vgl. auch die von MüUer und anderen DC-Bischöfen unterzeichnete .Bekanntmachung an die Geisdichen unserer Landeskirche• vom 21. 3. 1935 (GESETZBLATr 1935, 5. 27-29, auch abgedruckt bei K. D. 5cHMIDT, Bekenntnisse 1935, 5. 76-78) sowie das • Won des Reichsbischofs an die Pfarrer• vom 26. 6. 1935 (GESETZBLATr 1935,5.71-74, auch abgedruckt bei K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1935, 5.140-144). 2 47 Friedrich Schone (Berlin-5teglitz) an MüUer, 23. 8. 1935 (EZA BEilLIN, 1/C 4/80). Nach diesem Brief traf MüUer am Himmelfahnstage 1935 in Schmargendorf mit .einige(n] Mitarbeiter(n] und Duzfreunde[n]• Hauers zusammen und regte bei der Gelegenheit und später noch einmal eine .eingehende[.] Aussprache• mit diesen an. Schone bot nun die Arrangierung einer Zusammenkunft in der letzten Augustwoche 1935 an und sprach in diesem Zusammenhang von einer .Auseinandersetzung mit Hauer•, wie sie sowohl bei den Nationalsozialisten als auch bei der Gestapo Anerkennung finde. Der handschrifdiche Vermerk auf dem Brief .Mittwoch Donnerstag• könnte ein Indiz dafür sein, daß an einem dieserTage in der letzten Augustwoche die Aussprache zwischen Müller und Venretem Hauers stattfand. 24 1 J. GAUGEil, Chronik, 5. 219. 249 Eao., 5. 368. 250 L. MüLLER, Matth[äus] 12 Vers 30. 20
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verglich er den christlichen Glauben, den er als Vertrauen definierte, mit dem Vertrauen zum "Führer" 251 • Des öfteren forderte er 1934/35 eine "einige, romfreie deutsche Kirche" oder gab die Parole aus: "Ein Volk, ein Staat, eine Kirche!" bzw. forderte zur Überwindung der konfessionellen Spaltung auf 252 • Dies paßt einerseits zu Müllers Dogmenkritik und zu der von ihm behaupteten engen Verbindung von Deutschtum und christlicher Religion, andererseits zu der neuen kirchenpolitischen Konzeption einer Integration der Kirche in den Staat. Diesen Zusammenhang der Forderung nach der "einen" Kirche mit der neuen kirchenpolitischen Konzeption stellte im März 1934 Oberheid in einem Vortrag zum Thema "Die neue Kirche im neuen Reich" in Düsseldorf klar heraus. Nachdem er die neuen kirchenpolitischen Vorstellungen dargelegt hatte, führte er dem Bericht der "Kölnischen Zeitung" nach aus: "Aber diese äußere Umformung sei nur die Vorbedingung für die viel wichtigere geistliche Aufgabe der Kirche. Eine religiöse Sehnsucht sei im Volk aufgebrochen. Diese stelle die Kirche vor eine ungeheure Aufgabe, wie sie seit den Tagen der Reformation kaum dagewesen sei. Beweise die Kirche, daß sie die Kraft habe, diese Aufgabe zu erfüllen, so werde uns Deutschen einmal die große Zukunft beschert werden: ein Staat, ein Volk, eine Kirche." 253 Auch Jäger forderte verschiedentlich die "eine" deutsche Kirche 254 • Von bekenntniskirchlicher Seite wurde behauptet, die "Reichskirchenregierung" habe der Reichsregierung im Juni 1934 eine von Jäger verfaßte Denkschrift eingereicht, in der der Plan einer deutschen Nationalkirche mit Überwindung der konfessionellen Trennung in Deutschland entwickelt worden sei 255 • Entgegen der Ansicht von Kurt Meier, nach der die Nationalkirchenaussagen von der Bekennenden Kirche überinterpretiert wurden, deutet alles darauf hin, daß Müller seit 1934 bereits als Fernziel eine überkonfessionelle, auch die Katholiken mit einschließende deutsche Nationalkirche anstrebte, für die er sich dann nach 1935 ganz besonders stark, offen und eindeutig l.SI J. GAUGER, Chronik, S. 534 und 536. m EaD., S. 142, 163, 192, 208, 214, 221, 310, 405, 494; L. MüLLER, Rede im Berliner Sportpalast am 28. Februar 1934, S. 8 und 10; Art.: Gewaltige Kundgebung der .Deutschen Christen• Westfalens, in: WESTFÄLISCHE LANDESZEITUNG - RoTE ERDE, 26. 3. 1934; Art: Kundgebung der .,Deutschen Christen• in der Dortmunder Westfalenhalle, in: DoRTMUNDER ZEITUNG, 26. 3. 1934; Müller, Rede in Essen, 12. 5. 1934 (LKA BtELEFELD, 5,1-812); Thüringer Heimatkorrespondenz, 14. 5. 1934 (LKA STUTTGART, D 11169); Müller, Rede in Stuttgart, 1. 10. 1934 (LKA STUTTGART, D 1/52); Art.: Reichsbischof: .Mein Weg ist richtig!• (Zeitungsausschnitt LKA BtELEFELD, 5,1-305,1); Art.: Ein Volk, ein Staat, eine Kirche, in: DRESDNER NACHRICHTEN, 74/1934; Müller, Rede in Hannover, 18. 9. 1934 (diverse Zeitungsberichte LKA BIELEFELD, 5,1-305,2; 290,1; 298,1; 747,1; 758,1) u.a. m BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 28114. 2S4 J. GAUGER, Chronik, 5.216 und 326. m EaD., S. 216; vgl. Doerffler an Denkhaus, 11. 9. 1934 (auszugsweise Abschrift) (LKA BIELEFELD 5,1-758,2).
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engagierte 256 • Der oberste Repräsentant und "Führer" des deutschen Prote2S6 Daß Müller eine überkonfessionelle deutsche Nationalkirche angestrebt habe, hält K. MEIER für einen letzdich ungerechtfertigten Vorwurf von Seiten der Bekennenden Kirche. Entsprechende verfängliche, rein agitatorische Äußerungen Müllers und Jägers, die .immer wieder von der ,einigen, romfreien Nationalkirche•• gesprochen hätten (vgl. oben S. 204 ), seien der Anlaß für diesen Vorwurf gewesen. Die Bekennende Kirche habe das Argument eines angeblichen- Nationalkirchenkonzepts Müllers und Jägers verständlicherweise .hochgespielt•, .um den Widerstand zu motivieren• (Kirchenkampf, Bd.1, S.211; vgl. auch S.185, 222 und 624f.). Es sei jedoch, so Meier, .abwegig•, die Äußerungen Müllers und Jägers so zu interpretieren, als habe man .eine den Katholizismus umschließende, das evangelische Bekenntnis außer Kraft setzende Nationalkirche• angestrebt (Eso., S. 624f.). Bezüglich einer angeblichen NationalkirchendenkschriftJägers an die Reichsregierung im Juni 1934 habe Müller, so Meier, .nach dem Rücktritt Jägers erklän, die Reichskirchenregierung habe niemals eine solche Denkschrift veranlaßt, zur Kenntnis genommen oder gebilligt• (Eso., S. 211 ). Die Schlußpassage der Rede Müllersam 18. 9. 1934 in Hannover, in der von der .einen romfreien deutschen Kirche• die Rede war und die besonders heftige Reaktionen hervorrief (vgl. unten S. 210), müsse man, so Meier, im Zusammenhang der ganzen Rede .als emphatisch-unreflektierten Appell• verstehen, wie er sich öfters in Reden Müllers finde. Gleichwohl räumt Meier ein, daß Müllers späteres Dementi bezüglich dieser Passage (.Ich habe lediglich erklän, Luther habe die Absicht gehabt, eine romfreie Kirche zu schaffen. Wir wollen in Deutschland nicht etwa einen Kampf gegen die katholische Kirche•) .natürlich schwach (wirkte) und ... nicht recht (überzeugte)• und daß dieses Dementi erst auf den Einspruch des Reichsaußenministers - nach heftigen Protesten u. a. von katholischer Seite und aus dem Ausland - hin erfolgte (Eso., S. 624 ). Müllers spätere Annäherung an die nationalkirchlich orientierten Thüringer Deutschen Christen (vgl. unten S. 228ff.) resultierte, so Meier, aus der Tatsache seiner Entmachtung Ende 1935 und .aus ... einer zunehmenden Sympathie für ein dogmenloses Christentum, für dessen Verkündung er bei den Nationalkirchlern ein Betätigungsfeld fand•. Müller habe sich ferner zu den Thüringer Deutschen Christen hingezogen gefühlt, da sie vom Reichskirchenausschuß gleichermaßen wie er selbst - theologisch geächtet worden seien, nicht aber wegen einer nationalkirchlichen Einstellung (Eao., S. 625). Die Argumentation Meiers ist nicht zwingend. Warum sollte Müller aus rein propagandistischen Motiven heraus in der Öffentlichkeit .immer wieder• nationalkirchliche Gedanken geäußert haben, wenn solche Äußerungen doch in weiten Teilen der evangelischen Kirche, bei der katholischen Kirche, im Ausland und nicht zuletzt auch beim NS-Staat auf scharfen Protest stießen (vgl. unten S.206ff.)? Daß Müller nach dem Sturz Jägers erkläne, von einer nationalkirchlichen Denkschrift Jägers an die Reichsregierung nichts zu wissen, kann m. E. nicht als Beleg für das Nicht-Vorhandensein der Denkschrift oder für das Unbeteiligtsein (bzw. die Unkenntnis) Müllers an dieser Denkschrift gelten. Es liegt m. E. nahe, daß Müller, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und sich in für ihn schwierigen Situationen von alten Vorstellungen und Freunden rasch trennte, hier wieder einmal die Unwahrheit sagte. Bezüglich der Hannoveraner Rede Müllers hat Meier selbst auf das schwache Dementi Müllers, das zudem erst nach der Intervention des Reichsaußenministers erfolgte (vgl. Neuraths Aufzeichnung über seine Unterredung mit Müller am 20. 9. 1934- C. NrcoLAJSEN, Dokumente, Bd. 2, S. 174-176), hingewiesen. Die Gründe, die Meier für Müllers spätere Hinwendung zu den Thüringer Deutschen Christen anführt, sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen, sie schließen aber eine - zusätzliche - nationalkirchliche Oberzeugung Müllers nicht aus; eine solche liegt im Gegenteil als Ursache für Müllers Kontakte zu den Thüringern wohl sehr nahe. Dafür, daß Müller ein Nationalkirchenkonzept vertrat, sprechen vor allem auch seine eindeutigen Äußerungen nach seiner faktischen Entmachtung (vgl. unten S. 293f.); diese hat Meier offenbar kaum beachtet. Meier muß die zahlreichen nationalkirchlichen Äußerungen und Aktivitäten Müllers, die zu verschiedener Zeit und unter verschiedenen kirchenpolitischen Umständen erfolgten,
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stantismus hatte also bereits wenige Monate nach seinem Amtsantritt den Boden seiner Konfession verlassen. Daß er 1934 und 1935 mehrfach auch explizite die Idee einer überkonfessionellen Nationalkirche ablehnte, sich mitunter auch zur konfessionellen Vielfalt bekannte und sich gegen eine "Verwischung der konfessionellen Unterschiede• wandte, spricht nicht unbedingt gegen diese These, zumal diese Äußerungen auf entsprechenden Protest hin erfolgten 257 • In jedem Fall zeigt sich auch hier wieder die Doppelzüngigkeit Müllers. Zwar vertrat Müller auch bereits vor 1934 in der Öffentlichkeit "unkonventionelle" religiöse Vorstellungen, jedoch wurden die entsprechenden Aussagen relativ verstreut und zusammenhanglos vorgebracht, die traditionellen theologischen Aussagen überwogen. In zusammenhängender Weise trug Müller seine "unkonventionellen" religiösen Vorstellungen offenbar erstmals in seiner Berliner Sportpalastrede am 28. Februar 1934 vor, die zusammen mit einer Rede Kinders in einer Auflage von 40.000 auch publiziert, jedoch wohl schlecht verkauft wurde 258 • Die "unkonventionellen" Gedanken wurden 1934/35 dann häufig und in zunehmend radikaler und differenzierter Form geäußert- freilich stets neben stereotypen traditionellen theologischen Formeln. Die neue kirchenpolitische Konzeption vom Jahreswechsel1933/34 bewirkte also auch einen Wechsel im Hinblick auf die theologischen Aussagen des Reichsbischofs .
.S. Der Widerstand gegen das .,Regime • Müller und das Scheitern
der ., Gleichschaltungspolitik • Das rechtsbrecherische Vorgehen des Reichsbischofs und seiner Berater bei der "Gleichschaltung• der Landeskirchen und dem Versuch der Errichtung einer Reichsbischofsdiktatur sowie Müllers ,.unkonventionelle" religiöse Aussagen stießen auf massiven Widerstand von verschiedenen Seiten. Es ist hier nicht möglich, darauf im einzelnen näher einzugehen. Folgende Bereiche und wichtigen Ereignisse dieses Widerstandes seien jedoch kurz skizziert 259 : - Die westfälische Provinzialsynode, die einzige Provinzialsynode der altpreußischen Unionskirche, in der die Deutschen Christen bei den Kirimmer wieder interpretieren und umdeuten. Plausibler scheint es dagegen zu sein, in der Tat eine nationalkirchliche Uberzeugung, auch schon 1934, bei Müller anzunehmen. 257 GESETZILATr 1934, S. 187 und 226f.; J. GAUGER, Chronik, S. 310. 258 Gesellschaft für Zeitungsdienst GmbH (Berlin) an Deutsche Evangelische K.irchenkanzlei, 9. 8. 1934 (EZA BERLJN, 7/990). 259 Zum Widerstand gegen das ,.Regime• Müller vgl. u. a. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S.41-44, 94-118, 171-207, 214-216, 269-271, 275-283 und 290-306; K.MEJER, Kirchenkampf, Bd.1, 5.165-191.
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chenwahlen im Juli 1933 nicht die Mehrheit errungen hatten, widersetzte sich der Gleichschaltung der preußischen Landeskirche und konstituierte das erste "bekennende" Kirchenregiment. - Die "Bekenntnissynode" der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union gründete faktisch eine eigene Kirche innerhalb der Landeskirche. - Die Bischöfe Wurm, Meiser und Marahrens widersetzten sich der Eingliederung ihrer Landeskirchen und distanzierten sich vom "Regime" Müller. - Es kam zu einem umfassenden Zusammenschluß der verschiedenen stark anwachsenden kirchlich-oppositionellen Kräfte im Reich und zu den Anfängen einerneuen eigenen Kirchenleitung auf Reichsebene (vgl. "Nürnberger Ausschuß", "Ulmer Erklärung", Reichsbekenntnissynode von Barmen, ständige Vertretung der Bekennenden Kirche in Bad Oeynhausen u. a.). - Es wurden z. T. mit großem Erfolg rechtliche Schritte gegen die Gewaltmaßnahmen der "Reichskirchenregierung" untemommen 260. - Das Reichsinnenministerium 261 , der Reichsfinanzminister262 und Hindenburg263 intervenierten wiederholt zugunsten der kirchlichen Opposition und kritisierten die Maßnahmen der "Reichskirchenregierung", ebenso zahlreiche Prominente 264 . - Im Ausland mehrten sich die Proteste gegen das Vorgehen des "Regimes" Müller, was mehrfach das Auswärtige Amt auf den Plan rief265 . - Von bekenntniskirchlicher Seite aus wurden verschiedene Flugschriften und Traktate verbreitet, in denen dem Reichsbischof offen in scharfer Form Z60 Vgl. etWa die erfolgreiche Klage Werners gegen seine Entlassung (Abschrift des Uneils: LKA BIELEPELD, S,1-7S8,1 ). Z61 Vgl. Frick an Müller, 10. 2. und 21. 3. 1934 (abgedruckt bei C. NICOLAISEN, Dokumente, Bd.2, S. S9f. und 83f.). 26Z Vgl. Schwerin von Krosigk an Meißner, 28. 6. 1934 (BA AJT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/S). 263 Vgl. Anm. 269. 264 Carl Friedrich von Siemens erwog z. B. den Austritt aus der Evangelischen Kirche wegen der Gewaltmaßnahmen des .Regimes• Müller (Evangelisches Pfarramt Fahrland bei Potsdam an Superintendent Thom, 11. 12. 1934 - EZA BERLIN, 1/C 4/80). Der langjährige Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages Walhelm Freiherr von Pechmann erkläne in einem Brief an Müller vom 2. 4. 1934 tatsichlieh seinen Kirchenaustritt. Der Brief ist abgedruckt bei K.D.ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. S8f. und bei F. W. KAN'rzENBACH, Widerstand, S. 79f. (vgl. auch den vorausgegangenen Brief Pechmanns an Müller Eao., S. S9f.). Zu Protesten gegen Müller aus der .high society•, u.a. aus dem Hochadel, vgl. auch: BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/S und 6. 265 Vgl. Gestapo, Mitteilungen, 10. 3. 1934 (EZA BERLIN, 1/A 4/247); Neurath an Frick, 18. 6. 1934 (Abschr.) (BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspris. 281/4); F. KNIPPING, Akten, Bd.III,1, S.38, 404, 406f., 413f., 46Sf., 473,476, S21-S23. Vgl. auch die zahlreichen Anikel, z. T. auf der ersten Seite, in renommienen britischen, skandinavischen, schweizer, niederländischen, französischen und US-amerikanischen Zeitungen, in denen die diktatorischen Maßnahmen des Reichsbischofs gerügt wurden (zahlreiche Zeitungsausschnitte z. B. LKA BIELEFELD, S,1-30S,1).
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Verstöße gegen die evangelischen Bekenntnisse durch sein Tun und Reden vorgeworfen wurden. Oft wurden Passagen seiner Reden, die mit der kirchlichen Lehre unvereinbar waren, mit der Bibel oder mit traditionellen theologischen Aussagen des Reichsbischofs konfrontiert 266 • - Auch in völkisch-religiösen Publikationen wurde Müller angegriffen, weil er noch zu sehr dem alten Kirchenturn und der Bibel verhaftet sei 267 • Der Reichsbischof und seine Berater reagierten auf den Widerstand einerseits mit einer Reihe von Botschaften und Gesetzen sowie mit beschwichtigenden Briefen 268 , die den Anschein der Friedensbereitschaft erwecken sollten. So wurde z. B. der "Maulkorberlaß" aufgehoben. Andererseits ergriffen sie vor allem mit Hilfe Görings und der Gestapo eine Fülle von Maßnahmen zur Einschüchterung der kirchlichen Opposition. Insgesamt zeigte sich das "Regime" Müller jedoch relativ unbeeindruckt von dem Widerstand. Sogar mehrere mahnende Briefe Hindenburgs an den Reichsbischof blieben beispielsweise unbeantwonet 269 • Von dem Kurs der Eingliederung der Landeskirchen und der Schaffung einer Reichsbischofsdiktatur wich man nicht ab. Die entsprechenden Maßnahmen wurden im Gegenteil unter dem Eindruck des wachsenden Widerstandes wohl sogar noch forciert. Man wollte vermutlich rasch vollendete Tatsachen schaffen. Danach, so hoffte man, würde der Protest zum Erliegen kommen bzw. leicht abgedrosselt werden können 270 • Was den Reichsbischof und seinen "Rechtswalter" in ihrer Haltung am 266 Vgl. etwa die Flugschriften .. Wie gibt uns Gon seinen Willen kund?", ,.Ist das Bekenntnis in der Deutschen Evangelischen Kirche verletzt?•, ,.Unsere Anklage gegen Reichsbischof Ludwig Müller•, "Anklageschrift gegen den Reichsbischof Ludwig Müller•, ,.Reichsbischof Ludwig Müller in seinem Verhältnis zur Wahrheit• (LKA BrELEFELD, 5,1-290,1; LKA STU1TGART, D 1/118; LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 27); Bruderrat des Pfarrer-Notbundes, "Unser GAUGER, Chronik, S.165-167 und K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse Wort an die Gemeinden· 1934, S. 55-57); Bruderrat der Freien Evangelischen Synode in Berlin-Brandenburg, "Antwort auf die Botschaft des Reichsbischofs zum kirchlichen Frieden vom 13. April 1934"; vgl. auch Gestapo, Mitteilungen, 10. 3. 1934 (EZA BERLIN, 1/A 4/247). 2 67 Vgl. etwa Drehscheibe. DasBlander denkenden Menschen (hg. v. Friedrich Oberschilp, Hannover), 7. 10. 1934 (LKA STUTrGART, D 1/118). Auf den ersten beiden Seiten dieses völkisch-religiösen Blaues ist ein "Offener Brief an Herrn Reichsbischof Müller• abgedruckt, in dem dieser scharf angegriffen wird. 268 Vgl. z. B. Müllers "Friedensbotschaft• vom 13. 4. 1934 (GESETZBLATT 1934, S. 35, abgedruckt auch bei K. D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 59f.), nach der alle Verfahren gegen kirchenpolitische Gegner eingestellt werden sollten, sowie die Briefe: Müller an Graf von der Goltz, 25. 4. 1934 (Reinkonz.) (EZA BERLIN, 1/C 3/285); Müller an Wurm, 27. 6. 1934 (LKA STU1TGART, D 1/118). In seiner .Karfreitagsbotschaft" vom 24.3. 1934 (GESETZBLATT 1934, S. 21-23, abgedruckt auch bei K. D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 53-55) hane Müller eine Amnestie noch abgelehnt. 269 Vgl. die mehrfachen Erinnerungsschreiben Meißners an Müller: BA ABT. PoTSDAM, Büro d. Reichspräs. 281/5. Briefe Hindenburgs nicht ermittelt. 270 Zur Reaktion Müllers und seiner Berater auf den Widerstand vgl. u.a. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 66f., 94, 108-110 u. 271; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 205f.
a.
Der Widerstand gegen das .Regime• Müller
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meisten bestärkte, war die Unterstützung durch Hitler, der seit dem Kanzlerempfang im Januar 1934 nolens volens den Kurs des "Reichskirchenregimes" deckte. Am 18. Juli 1934 empfing Hitler Müller und jäger271 und wirkte nach einem Telegramm Müllers vom 23. Juli sogar in deren Sinne auf das "unbequeme" Reichsinnenministerium ein, das Veröffentlichungen über den Kirchenkonflikt, auch von Seiten des Reichsbischofs, verboten hatte 272 • Versuche Meisers und Wurms, bei Hitler etwas zu erreichen, blieben dagegen absolut erfolglos. Auf dem Nürnberger Reichsparteitag Anfang September ließ Hitler sich beim Händeschütteln mit dem Reichsbischof fotografieren. Hierdurch entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß die Maßnahmen des "Regimes" Müller nach dem ausdrücklichen Willen Hitlers geschehen waren 273 • Mitte September und Anfang Oktober setzten der Reichsbischof und sein "Rechtswalter" in gewohnter rechtsbrecherischer Manier die renitenten Bischöfe Wurm und Meiser ab, obwohl diese sich noch kurz zuvor eines äußerst breiten Rückhalts bei ihren Pfarrern und Gemeinden vergewissen hatten, und gliederten nach bekanntem Muster die württembergische und die bayerische Landeskirche in die Reichskirche ein. Dies verursachte in Wüntemberg und noch mehr in Bayern eine riesige Protestwelle, vor allem nachdem Wurm und Meiser am 6. bzw. 12. Oktober unter Hausarrest gestellt worden waren 274 • Hitler hielt jedoch auch jetzt zunächst noch am "Regime" Müller und an dessen Eingliederungspolitik sowie an dem schon im Sommer vereinbarten Plan einer feierlichen Vereidigung des Reichsbischofs und der Landesbischöfe Ende Oktober in der Reichskanzlei fest. Gleichwohl geriet das "Regime" unter zunehmenden Druck. Die zweite Reichstagung der Deutschen Christen am 21. und 22. September und die anschließende offizielle Einführung des Reichsbischofsam 23. September in Berlin hatten bereits gezeigt, daß der Rückhalt des .,Regimes" nur recht mäßig war. Zu beiden Veranstaltungen waren weit weniger Menschen gekommen als erwartet. Zudem hatten die politische Prominenz und Vertreter 271 Über den Empfang Müllers und Jägers bei Hider wurde mit Hiders Einverständnis folgende Pressenotiz veröffentlicht: ,.Reichskanzler Adolf Hider erklärte seine Befriedigung mit dem Fortschritt des Einigungswerkes und der zeitgemäßen Neuordnung, zumal hiermit die zunehmende Befriedung des kirchlichen Lebens marschiere• (zit. nach C. NtCOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 157, Anm. 3). Über den Verlauf des Gespräches ist sonst nichts bekannt (vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 278). 272 Müllers Telegramm an Hider vom 23. 7. 1934 ist abgedruckt bei C. NrcoLAJSEN, Dokumente, Bd. 2, S. 163f. Auf dem Telegramm befmdet sich der folgende Vermerk der Reichskanzlei: ,.24. 7. 34 telef[onisch] Herrn Staatssekretär Lammers mit der Bitte, dem Innenministerium mitzuteilen, daß auf Befehl des Führers das Verbot sofort aufzuheben ist• (EBD., S. 164, Anm.3). 273 Zur Unterstützung Müllers durch Hitler vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 96, 107, 271, 278f., 288(.; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 502f. 2 74 Vgl. hierzu E. C. HELM REICH, Arrest and Freeing.
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An der Macht (1933-1935)
der Ökumene vollständig gefehlt, von der Bekennenden Kirche natürlich ganz zu schweigen 27s. Am 18. September 1934 hatte Müller in einer Rede in Hannover- wieder einmal- eine "romfreie" deutsche Nationalkirche gefordert 276. Dies hatte zu heftigen Reaktionen in der damals noch unabhängigen saarländischen Presse und im saarländischen Katholizismus geführt. Angesichts der bevorstehenden Abstimmung über die Wiedereingliederung des Saarlandes hane der Saarbevollmächtigte, der pfälzische Gauleiter Josef Bürckel, unmittelbar nach der Rede Hitler aufgefordert, sich von Müller zu distanzieren. Vom Reichsbischof selbst hatte Bürckel verlangt, bei Hitler den "Verzicht auf Einsetzung als Reichsbischof vorzutragen" 277. Auch Reichsaußenminister Constantin von Neurath hatte - in einer persönlichen Unterredung mit Müller - sehr gegen die Rede protestiert 278 . Auf das Vorgehen gegen die süddeutschen Bischöfe reagierte die Saarpresse nun abermals heftig. Bürckel wiederholte recht energisch seine Rücktrittsforderung279. Auch die englischen Bischöfe Bell und Cosmo Lang (Canterbury) protestierten gegen die Gleichschaltung der süddeutschen Landeskirchen und drohten der Reichsregierung mit dem Abbruch der Beziehungen zur Deutschen Evangelischen Kirche. Lang stellte der Reichsregierung sogar 275 Vgl. zum ganzen Vorgang K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 309-33-t; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.1, S. 217-220. Vgl. auch die diversen Zeitungsberichte LKA BIELEFELD, 5,1-305,2 und 758,2. Das im Einführungsgottesdienst abgelegte Gelöbnis Müllers, in dem er sich zum .heiligen Evangelium• bekannte, .wie Dr. Martin Luther es uns gedeutet hat und wie es uns die Bekenntnisschriften unserer Kirche vor Augen halten•, ist abgedruckt bei K. D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 138. Zur Kritik der Einführung vgl. auch .Offener Brief des Landesbischofs D. Meiseranden Reichsbischof• vom 2. 10. 1934 (Eao., S. 142-148). 2 76 Müller, Rede in Hannover, 18. 9. 193-t (diverse Zeitungsberichte über die Rede und über die Presseerklärungen Müllers zu der Rede LKA BIELEFELD, 5,1-305,2; 290,1; 298,1; 747,1; 758,1); J. GAUGER, Chronik, S. 310; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 320; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.1, 5.624; E.C. HELMREICH, Arrest and Freeing, 5.160-162. Vgl. auch Anm.256. Zur Kritik der Rede vgl. auch die von der bayerischen Landeskirche herausgegebene Stellungnahme .Lutherische Kirche deutscher Nation oder romfreie deutsche Nationalkirche!• (Abdruck: K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 139-H2). 277 Telegramme Bürckels an Hider und Müller, 21. 9. 193-t (EZA BERLIN, 1/A 4/246, abgedruckt bei C. NICOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 175, Anm. -t; vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 320f.). Bereits der Plan Müllers, Ende April 1934 zu einem .Gaukirchentag• der Deutschen Christen ins Saargebiet zu reisen, hatte im Saarland für Unruhe gesorgt, die den Saarbevollmächtigten Franz von Papen veranlaßte, Müller in einem Schreiben vom 16. -t. 1934 (abgedruckt bei C. NtcOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 114f.) .nach Absprache mit dem Herrn Reichskanzler dringend (zu) bitten, von diesem Besuch Abstand zu nehmen•. Bürckel hatte Hider in einem Telegramm vor dem Besuch Müllers gewarnt. Er soll darin erklän haben, .daß er den Reichsbischof, wenn er dasSaargebiet betreten würde, verhaften und in ein Konzentrationslager überführen würde; denn er [Bürckel) hafte mit seinem Kopf für das Saargebiet.• (Zit. nach Eao., S. 115, Anm. 6). 278 Vgl. die Aufzeichnungen des Reichsaußenministers über seine Unterredung mit dem Reichsbischof am 20. 9. 1934 (C. NICOLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 174-176). 279 Vgl. Eao., S. 193, Anm. 38; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 349.
Der Widerstand gegen das .Regime• Müller
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ein Ultimatum. Daraufhin warnte Neurath Hitler vor möglichen negativen außenpolitischen Konsequenzen 280 • Derbayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert äußene angesichts des wachsenden Protests in Bayern, an dem sich auch zahlreiche Paneigenossen beteiligten, die Befürchtung, die ganze Angelegenheit könne nunmehr "in das politische Gebiet'" überschlagen 281 • Auf Seiten der Deutschen Christen betrieb Christian Kinder nach der Absetzung Wurms "mit allen Mitteln'" den Sturz Jägers. Kinder sah offenbar seine eigenen kirchenpolitischen Vorstellungen zu wenig berücksichtigt und hoffte wohl, an die Stellejägers treten zu können 282 • Was schließlich die Bekennende Kirche anbetrifft, so wurde wegen der Gewaltmaßnahmen in Wümemberg und Bayern die zweite Reichsbekenntnissynode auf den 19. und 20. Oktober vorverlegt. Auf dieser in Dahlem stattgefundenen Synode, an der offiziell ein Vertreter der Ökumene teilnahm, wurde eine Erklärung verabschiedet, in der das "kirchliche Notrecht" und die Übernahme der Leitung und Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche durch eigene Notorgane erklän wurden. Ferner wurde eine Erklärung des Bruderrates vom 18. September bestätigt, wonach Müller und Jäger sich "von der christlichen Kirche geschieden" hätten 283 • Auf Grund der vielfältigen heftigen Proteste, vor allem wohl wegen der zu erwartenden politischen Konsequenzen (vgl. die Warnungen von Bürckel, Sieben und Neurath), rückte Hitler schließlich vom "Regime'" Müller ab. Zu Hitlers Kurswechsel trug auch das sich abzeichnende Urteil des Reichsgerichts im Revisionsprozeß bezüglich der Amtsenthebung von Manin Niemöller bei. Das Reichsjustizministerium erklärte in einem Bericht an Hitler, es sei zu erwanen, daß Niemöller den Prozeß gewinnen werde und daß das Gericht darüber hinaus gleichzeitig alle Gewaltmaßnahmen des Reichsbischofs und seines "Rechtswalters" für rechtsungültig erklären werde. Hitler, der nach einer Aktennotiz der Reichskanzlei die Angelegenheit mit dem Reichsbischof besprochen hatte 284 , sagte den für den 25. Oktober geplanten Empfang mit der Vereidigung des Reichsbischofs und der Landesbischöfe ab. Am nächsten Tag lud Hitler Wurm und Meiser, die frei kamen, sowie Marahrens für den 30. Oktober nach Berlin ein. Jäger blieb nun nichts anderes übrig, als zurückzutreten. Die Absage der Vereidigung, der Sturz Jägers und die öffentliche Rehabilitierung Wurms und Meisers durch Hitler bedeuteten eine eklatante Bloßstellung des Reichsbischofs 285 • Vgl. Eao., S.332f. und 348f.; E.C. HELMREICH, Arrest and Freeing, S. 164-168. Zit. nach K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 331. Zu den Protesten in Bayern vgl. auch die Regierungspräsidentenberichte H. WITETSCHEK, Kirchliche Lage, Bd.2, S.37f.; W.ZIEGLER, Kirchliche Lage, S. 36. 212 K. ScHoLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 328 und 352. m Zit. nach Eao., S. 318. 284 Vgl. E. C. HELM REICH, Arrest and Freeing, S. 167. 28S Zum Scheitern der .Gieichschaltungspolitik• vgl. K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 310-355; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.1, 5.219-240 und 501-512. 21o 281
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An der Macht (1933-1935)
Müllers erste Reaktion auf diese Krise war nicht etwa ein Infragestellen der Gewaltmaßnahmen. Auf einer DC-Bischofskonferenz am 26. Oktober gab er sich im Gegenteil nach wie vor höchst "kampfesfreudig": "Ich werde diejenigen, die sich nicht einordnen wollen, an die Kandare nehmen müssen! Ich werde mit der Faust auf den Tisch schlagen!" Die Ursache der Krise sah er, für den die Kirchenpolitik im engeren Sinne ja nur noch zweitrangig war, in der mangelhaften "geistige[n] Bewältigung der Weltanschauung des Nationalsozialismus". Auf der Bischofskonferenz verabschiedete er sich dementsprechend im Grunde von allen bei ihm noch vorhandenen traditionellen theologischen Positionen; eine Problematisierung der NS-Ideologie kam für ihn- natürlich- nicht in Frage: "Alle ... Schwierigkeiten mit der NS-Weltanschauung stellen uns die Frage nach unserer Theologie! Geforden wird von uns Nationalsozialisten in der Kirche eine neue Theologie! ... Wir müssen das Anliegen [der völkisch-religiösen Bewegung um Hauer, Rosenberg etc.] ernst nehmen, und wir müssen versuchen, über die Position der [völkisch-religiösen] Deutschen Glaubensbewegung hinaus in eine Kirche mit einer neuen Theologie die suchenden deutschen Menschen hineinzuführen! ... Wir müssen uns theologisch befassen mit dem neuen biologischen und rassewissenschaftlichen, auch dem rasseseelischen Denken, das dem Nationalsozialismus zu Grunde liegt! Wir müssen dann auch die Folgerungen ziehen - ohne Furcht! ... Dazu ist erforderlich, daß wir unser ganzes bisheriges Denken auflockern und in Frage stellen. Wir dürfen dabei auch nicht haltmachen vor festen Begriffen und Denkbahnen. Wir müssen ganz neu denken und auch formulieren!" 286 Müllers in der Folgezeit noch öffentlich geäußenen traditionellen theologischen Aussagen (s.o.) dürften demnach hauptsächlich taktisch motivien gewesen sein. Allerdings könnte sich hier natürlich auch wieder eine gewisse Unsicherheit zeigen.
6. Müllers Bemühungen um die Wiederherstellung
des alten Rechtszustandes Nach dem Sturz Jägers wurde der Reichsbischof von Hitler vorerst noch nicht völlig fallengelassen, obwohl Hitler unmittelbar nach dem Sturz Jägers "betont haben (soll), es verbinde ihn persönlich nichts mehr mit Ludwig Müller, und er wolle ihn auch nicht halten". Hitler ließ Müller sogar 216 Zit. nach E. BALZER, Niederschriften (Ms.), 26. 10. 1934, S. 1 f. Auf einer DC-Kirchenführertagung am 12. 6. 1934 hatte Müller bereits geäußert: • Wenn wir nun daran gehen, unseren lutherisch bestimmten Glauben auszusprechen, so brauchen wir dabei vielleicht ganz andere Vokabeln, als Luther sie einst gewählt hatte; zum Beispiel ist heute in Deutschland der Rassegedanke grundlegend. Die positive Bedeutung von Blut und Boden muß in unsenn Bekenntnis zum Ausdruck kommen• (zit. nach EBD., 12. 6. 1934, S. 1).
Müllers Bemühungen um die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes
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den Rat erteilen, "zur Zeit nicht von seinem Amt zurückzutreten". Der Reichsbischof sollte, so Hitlers Absicht, "erneut eine Frist erhalten", um "die Sache in Ordnung zu bringen" 28 7• Bei seinen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise bemühte Müller sich, offenbar auf Hiders Weisung hin, um eine enge Abstimmung mit dem Reichsinnenministerium. Am 30. Oktober 1934 entwarf er ein Schreiben an Frick, in dem er sich von den "Methoden Jägers" distanzierte, sich zu einer Aussprache mit der kirchlichen Opposition auf Vermittlung des Reichsinnenministeriums bereit erklärte und versprach, die anstehenden Aufgaben "nicht diktatorisch" lösen zu wollen. Das Amt des ,.Rechtswalters" wollte er einstweilen kommissarisch mit Kinder besetzen. Er räumte ein, daß er mit der Krise allein nicht mehr fertig werde, vielmehr auf die Unterstützung des Staates angewiesen sei und daß "eine Überprüfung der von dem bisherigen Rechtswalter getroffenen Maßnahmen unbedingt erforderlich" sei 288 • Am 6. November empfing Frick den Reichsbischof und erklärte im Hinblick auf die Rechtslage, daß für die Reichsregierung "die aus den Kirchenwahlen 1933 entstandene Rechtsgrundlage" maßgeblich sei 289 • Eben diesen Rechtszustand vor den Eingliederungen und den Maßnahmen zur Errichtung einer Reichsbischofsdiktatur versuchte Müller nun also, um "die eigene Position zu sichern und das Gesetz des Handeins wieder an sich zu reißen", wiederherzustellen 290 • So nahm er durch eine Verordnung vom 20. November die Eingliederungsgesetzgebung zurück 291 und versuchte, die leitenden kirchlichen Ämter wieder mit deren rechtmäßigen Inhabern zu besetzen, was jedoch, u. a. wegen der Verweigerung oppositioneller Kirchenleute, nur zum Teil gelang. Am 29. November fand eine Bischofskonferenz statt, an der oppositionelle "Kirchenführer" freilich nicht teilnahmen. Zu Beginn dieser Konferenz legte Müller dem Protokoll zufolge in einer längeren Rede "das entscheidende Gewicht darauf, die Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche einwandfrei legal zu statuieren". Dementsprechend bat er anschließend um Personalvorschläge für das "Geistliche Ministerium", um auch dieses Gremium wieder ordnungsgemäß konstituieren zu können. Als rechtskundiges Mitglied des "Ministeriums" sei, so der Reichsbischof, wieder Werner "in Geltung", der erfolgreich gegen seine Entlassung geklagt hatte 292 • Auf einer weiteren Bischofskonferenz am 4. Dezember gab Müller dann Zit. nach K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 511; vgl. auch EBD., S. 626. EZA BERLIN, 1I A 4/246. 28 9 Zit. nach K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. I, S. 512. 290 EBD., Bd. 2, s. 2. 291 GESETZBLATr 1934, s. 219. 292 Nikolaus Christiansen und Ludwig Müller, Protokoll der Kirchenführenagung am 29. 11. 1934 in Berlin (EZA BERLIN, 1/ A 4/110). Vgl. auch das Protokoll von E. BALZER, Niederschriften (Ms.), 29. 11. 1934. Zur Klage Wemers vgl. Anm. 260. 2 87 Z88
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auch seine Entscheidung im Hinblick auf die theologischen Mitglieder des "Reichskirchenkabinetts" bekannt. Es waren wiederum Engelke und Forsthoff und als reformierter "Minister" der Wetzlarer Superintendent Jakob Heep2'3. Zur Überraschung Müllers lehnte Frick jedoch die Anerkennung der "Gesetzmäßigkeit" dieses "Ministeriums" ab, da die Legitimation der Teilnehmer der Bischofskonferenz nicht zweifelsfrei erwiesen sei. Ein weiterer Grund war vermutlich die Tatsache, daß das neue "Geistliche Ministerium" von den bekenntniskirchlich orientierten "Kirchenführem" nicht mitgetragen wurde. Frick ließ dem Reichsbischof seine ablehnende Haltung durch ein relativ scharf formuliertes Schreiben seines Staatssekretärs Hans Pfundtner vom25.Januar 1935 mineilen 294 . Indem Brief wurdedarüberhinaus angekündigt, die staatliche Genehmigung für den reichskirchlichen Haushalt zu verweigern, und es wurde eine Stellungnahme zu einem Rechtsgutachten der Bekennenden Kirche 295 angemahnt, die Frick bereits in einem Brief vom 5. Januar gefordert, Müller aber in seinem Antwortschreiben mit der Begründung, er könne "auf alle privaten Gutachten unmöglich eingehen•, abgelehnt hatte 296 . Es zeugt von der nach wie vor im Reichsinnenministerium herrschenden Stimmung gegen Müller, daß Pfundtners Brief an die "Basler Nachrichten" lanciert wurde, die ihn am 7. Februar in Auszügen veröffentlichten 297. Der Reichsbischof überließ es zunächst Engelke und dann sogar Wemer, auf Pfundtners Schreiben zu antworten; er selbst meldete sich wieder einmal krank 298 . Die Antwort Werners, der ein umfangreiches Rechtsgutachten anfertigte, war, wie nicht anders zu erwarten, sicher nicht in Müllers Sinne. Wemer erklärte rundweg, er halte es unter den gegenwärtigen Umständen schlechterdings für unmöglich, ein rechtmäßiges "Geistliches Ministerium" zu bilden, die kirchliche Organisation sei in fortschreitender Auflösung begriffen. Er bot sich für Verhandlungen an "über die Frage ... , welche Maßnahmen zur Wiederherstellung der äußeren kirchlichen Ordnung in dieser Lage getroffen werden können", was nichts anderes bedeuten konnte, als daß Wemer eine Lösung ohne Müller anstrebte. 293 ProtokoU der Kirchenführertagung in Berlin am 4. 12. 1934 (EZA BERLJN, 1/A 4/182). Vgl. auch das ProtokoU von E. BALZER, Niedenchrihen (Ms.), 4.2. 1934. 294 EZA BERLIN, 1/A 4/110, abgedruckt bei C. NrcoLAISEN, Dokumente, Bd. 2, S. 239f. 29 5 Eberhard Fiecller, Walhelm Flor u. a., Äußerung zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche aus Anlaß der Bekannnnachung des Reichsbischofs vom 27.11. 1934, Berlin, 6.12. 1934 (Abschrift) (LKA DARMSTADT, 62/1026). 296 EZA BERLJN, 1/ A 4/110. Beide Briefe sind abgedruckt bei C. NrcoLAISEN, Dokumente, Bd. 2, s. 237-239. 29 7 An.: Scharfes Schreiben des Reichsinnenministeriums an Reichsbischof Müller. 29 1 Frick an Engelke, 28. 1. 1935 (Abschrift); Wemer an Frick, 4. 2. 1935 (Konz.) und Anlage: Aufzeichnung über die Gesetzmäßigkeit des gegenwänig amtierenden Geistlieben Ministeriums (EZA BERLJN, 11A 4/110). In Wemers Brief auch der Hinweis auf die Erkrankung Müllen.
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Bei der kirchlichen Opposition waren, wie bereits angedeutet, die Bemühungen um Wiederherstellung des alten Rechtszustandes von Anfang an auf einhellige Ablehnung gestoßen; der Reichsbischof, der auch jetzt im Grunde noch nicht bereit war, irgendwelche Fehler seinerseits einzugestehen, hatte seine Glaubwürdigkeit endgültig verspielt. Der Widerstand gegen ihn wuchs sogar nach dem Sturz Jägers noch stark an 299 , auch wenn um den Jahreswechsel 1934/35 auf Veranlassung des Reichsinnenministeriums "Ausgleichsverhandlungen" zwischen dem Reichsbischof und der Bekennenden Kirche stattfanden, die freilich zum Scheitern verurteilt waren. Die Bekennende Kirche hatte am 20./21. November entsprechend den Dahlemer Beschlüssen eine eigene "Vorläufige Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche" gegründet, der acht Landeskirchen beitraten. Müller bezeichnete die "Vorläufige Kirchenleitung" "als ein rein privates und noch dazu illegales Unternehmen", verbot allen Pfarrern und Beamten der Kirche, sich ihr zu unterstellen, und versuchte, per Privatklage den Namen der "Vorläufigen Kirchenleitung" anzufechten, scheiterte damit aber in zwei Instanzen 300 • Die Demissionsforderungen an Müller aus dieser Zeit sind kaum noch zählbar. Seinen Rücktritt forderten u. a. die Landesbischöfe von Bayern, Württemberg und Hannover, der schlesische Provinzialbischof Otto Zänker, der Präses der Bekenntnissynode Karl Koch, die "Arbeitsgemeinschaft der missionarischen und diakonischen Verbände und Werke", der GustavAdolf-Verein, der Lutherische Rat, der Martin-Luther-Bund und nicht weniger als 127Theologieprofessoren 301 • Müller ignorierte alle diese Forderungen, erklärte: "Ich ... halte solange auf meinem Posten aus, als Gott es mir befiehlt", und gab Durchhalteparolen aus: "Wir ziehen das Kinnband fester an" 302 • Er, der im Volksmund allgemein der "Reibi" genannt wurde, erhielt Ein recht origineller • Widerstand• gegen einen Auftritt Müllers wurde im November 1934 in Berlin-Steglitz geleistet. Gegner Müllers hauen den Steglitzer Anzeiger davon überzeugt, daß eine für den Morgen des 18. 11. geplante Kundgebung Müllers kurzfristig auf den 2.12. verschoben werden müsse. In seiner Ausgabe vom 17. 11. brachte der Steglitzer Anzeiger prompt diese Falschmeldung und sah sich dann genötigt, den Lesern in einem Extrablau vom selben Tage mitzuteilen, daß die Schriftleitung .einem mit den übelsten Mineln unternommenen Versuch, die morgige Kundgebung zu vereiteln, zum Opfer gefallen (istt (STEGLJTZER ANZEIGER, Extrablatt, 17.11. 1934). 300 K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 2-12. Vgl. die .Bekanntmachung des Reichsbischofs• zur Gründung der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 27.11. 1934 (GESETZBLATI 1934, S. 221, auch abgedruckt bei K. D. ScHMJDT, Bekenntnisse 1935, S. 19f.), die ,.Anrwon der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche an den Reichsbischof• vom Dezember 1934 (Abdruck: Eao., S.21-23) und das .Won des Reichsbischofs an die pfarrer• vom 26. 6. 1935 (GESETZBLATI 1935, S. 71-74, auch abgedruckt bei K. D. ScHMlDT, Bekenntnisse 1935, S. 140-144). lOI K.MEIER, Kirchenkampf, Bd.1, S.512. Vgl. die bei K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S. 163-167 abgedruckten Briefe. l02 Müller an Elisabeth Reinhold (Bad Waldungen), 8. 1. 1935 und Müller an pfr. Hollje (Oldenburg), 10.12. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/66). Vgl. auch Müller an Karl Koch, 7.11. 1934 (abgedruckt bei K.D. ScHMIDT, Bekenntnisse 1934, S.167f.) sowie das im GESETZBLAlT 1934, 299
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An der Macht (1933-1935)
den Spitznamen "Bleibi" 303 • Auch Witze, die in jener Zeit erzählt wurden, machen deutlich, als wie lächerlich Müllers starrsinniges Festhalten an seinem Amt weithin empfunden wurde 304 • Müller zog sich wieder ganz aus der Kirchenpolitik zurück und versuchte, durch groß angelegte • Werberundreisen" (s.o.) seine angeschlagene Autorität wieder zu festigen. Diese Reisen stießen allerdings z. T. auf heftigen Protest. So lehnten es beispielsweise die Presbyterien seiner Heimatstadt Gütersloh sowie von Rödinghausen, wo er seine erste Pfarrstelle innehatte, ab, Müller die Kirche zur Verfügung zu stellen 305 • Dennoch vermochte er es, sein oft sehr zahlreiches Publikum zu begeistern, er hatte offensichtlich eine gewisse Ausstrahlung. Der Brief eines Hoteliers vom Bodensee an den Reichsbischof vom 17. Mai 1935 ist ein eindrückliches Beispiel hierfür. In dem Brief heißt es u.a.: ,.Bis gestern kannte ich Sie nicht und verurteilte Ihr Handeln, heute kenne ich Sie und freue mich über das Bild Ihres herrlichen Kirchenbaues in Deutschland, das Sie uns gestern in Friedrichshafen zeigten. Sie können nicht genug als Reichsbischof in's Volk gehen ... " 306 Für wie wichtig Müller die Öffentlichkeitsarbeit zur Stärkung seiner Position erachtete, zeigt auch die Beauftragung des Neustrelitzer Landessuperintendenten Herben Propp, der offensichtlich eine An von ,.Propagandaminister" für ihn werden sollte. Propp wurde im Frühjahr 1935 beauftragt, "zu prüfen, welche Möglichkeiten kirchenamtlicher Einwirkung auf dem Gebiete der Presse, des Rundfunks, des Films u. a. Mittel des ÖffendichkeitsdienS. 211-213 veröffendichte. Wort des Reichsbischofs an die Gemeinden und Pfarrer• vom 8. 11. 1934 (auch abgedruckt bei K.D. ScHMIDT, Bekennmisse 1934, S. 168-170). Zur Reaktion auf die unnachgiebige Haltung Müllers vgl. u. a. die .Antwort theologischer Hochschullehrer an den Reichsbischof• vom November 1934 und die .Antwort des Gustav Adolf-Vereins an den Reichsbischof• vom 9.11. 1934 (abgedruckt Eao., S.l71-174). JoJ Art.: Hanns Kerrl, in: LA CaOJx, 24./25. II. 1935. J04 Hier zwei .Kostproben•: .Auf dem Bahnhof ruft der Fahrdienstleiter: Zurücktreten, bitte, zurücktreten! Ein Herr aber tritt vor. Der Fahrdiensdeiter spricht ihn an: Mein Herr, zurücktreten! Der Herr dreht sich um und erwidert: Ich bin der Reichsbischof Müller und trete nie zurück!• (F. DANIMANN, Flüsterwitze, S. 112f.- dort weitere Witze).- .Ein Pfarrer fragt Müller, warum er nicht endlich die Konsequenzen ziehe und zurücktrete. Müllers Antwort: Gott selbst hat mich in das Reichsbischofsamt hineingerufen. Daraufhin der Pfarrer: Woher wußten Sie, daß Gott, als er ,Müller' rief, ausgerechnet Sie meinte ?• (Diesen Witz erzählte mir Herr Oberbibliotheksrat Dr. Horst Röhling, Witten). JO! K. MEIER, Kirchenkampf, Bd.2, S.219; W. NrEMÖLLER, Bekennende Kirche, S.160f. J06 W. Weise (Wasserburg) an Müller, 17. 5. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/49). Vgl. auch Vikar Schwanze (Kratzeburg) an Müller, 31. 12. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/66): .Nachdem ich anfangs Ihrer Amuführung ablehnend-kritisch gegenübergestanden habe, bin ich ... durch Sie selber für Sie gewonnen worden ... • und Marx (Wilhelmshaven) an Müller, 16. 5. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/76): .Ebenso schrieb mir Admiral Lorey: ,Ich habe neulich abends unseren Freund den Reichsbischof in Lichterfelde im Gemeindesaal sprechen hören. Er war gut aufgelegt, und seine Ausführungen fanden riesigen Beifall ... Es scheint mir sehr richtig zu sein, daß er viel reist und predigt und Vorträge hält. Ich weiß, daß er an diesem Abend mehrere für sich gewonnen hat. ••
Müllers Bemühungen um die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes
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stes gegeben sind" 307 • Am 3. September 1935 wurde er dann zum ,.Beauftragten des Reichsbischofs für Pressearbeit und Öffentlichkeitsdienst der Deutschen Evangelischen Kirche" berufen. Das vom Reichsbischof unterzeichnete Berufungsschreiben ist formal eine Imitation der Bevollmächtigung Müllers durch Hitler vom April1933: "Hierdurch berufe ich Sie zum ,Beauftragten des Reichsbischofs ... ' Sie erhalten den Auftrag, die Kirchenamtliche Pressestelle innerhalb des Sekretariats des Reichsbischofs zu leiten. Eine Geschäftsordnung wollen Sie demnächst vorlegen." 308
307 Propp an Kasse der Deutschen Evangelischen Kirche, 12. 3. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 1/ 44). Propp gab einen in Maschinenschrift veroffendichten .Informationsdienst• heraus (vgl. LKA STUTI'GART, D 1/118). l08 Müller an Propp, 3. 9. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 1/44).
KAPITEL
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DER REICHSBISCHOF NACH SEINER ENTMACHTUNG (1935-1945) 1. Die faktische Entmachtung Müllers und Müllers Verhältnis zum
Reichskirchenministerium und zu den Kirchenausschüssen
Da es Müller nach dem Sturz Jägers nicht gelang, den Konflikt innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche zu lösen, hielt man staatlicherseits Ausschau nach einer völlig neuen kirchenpolitischen Konzeption. Hier gab es bald im wesentlichen zwei verschiedene Tendenzen: Einerseits erwog man eine völlige finanzielle und juristische Trennung von Kirche und Staat, andererseits gab es Pläne, den Summepiskopat aus der Zeit vor 1918 in der evangelischen Kirche wiedereinzuführen. In einem Interview mit der englischen Zeitung "Daily Express" im März 1935 erklärte Müller, es werde der "Summepiskopat des Führers" kommen, wobei Hitler die Ausübung der ihm zustehenden Rechte an ihn delegieren werde. Diese Erklärung, die zu seinen eigenen kirchenpolitischen Vorstellungen paßte, sollte wohl Müllers angeschlagene Position etwas aufwerten. In dem Interview nannte Müller erstmalig den Reichsminister ohne Geschäftsbereich Hanns Kerrl im Zusammenhang mit der Kirchenfrage: Dieser sei als- staatlicher- Reichskirchenminister vorgesehen. Tatsächlich wurden staatlicherseits bald sowohl der Plan der Trennung von Kirche und Staat als auch der Plan der Wiederherstellung des Summepiskopats fallen gelassen. Hitler, der lange gezögert hatte, entschloß sich für ein Modell, das dem Staat ein weitgehendes Aufsichtsrecht einräumen sollte, ohne daß dabei jedoch der Summepiskopat restauriert werden sollte. Durch einen Erlaß vom 16. Juli 1935 übertrug er Kerrl sämtliche staatskirchenrechtlichen Kompetenzen sowohl Preußens als auch des Reiches. Kerrls Auftrag bestand im wesentlichen darin, den als politischen Unruheherd empfundenen Kirchenstreit zu beenden. Durch das "Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche" vom 24. September 1935 erhielt Kerrl, der sich mit dem Einverständnis Hitlers "Reichs- und Preußischer Minister für die kirchlichen Angelegenheiten" nannte, die Vollmacht, rechtsverbindliche Verordnungen für die ganze Kirche zu erlassen. Auf der Grundlage dieses sogenannten "Sicherungsgesetzes", das eine Art "Ermächtigungsgesetz" für Kerrl war, richtete Kerrl vom Oktober bis zum Ende des Jahres 1935 den Reichskirchenausschuß, den Landeskirchenausschuß für die Altpreußische Unionskirche und weitere Landeskirchenausschüsse in den sogenannten
Die faktische Entmachtung Müllers
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"zerstörten" Landeskirchen, in denen einer deutsch-christlichen Kirchenleitung ein bekenntniskirchliches Notregiment gegenüberstand, sowie in Preußen auch noch Provinzialkirchenausschüsse ein. Diese Kirchenausschüsse erhielten das Recht, in innerkirchlichen Angelegenheiten Verordnungen zu erlassen 1• Das "Sicherungsgesetz" und die Bildung der Kirchenausschüsse bedeuteten faktisch die völlige Entmachtung Müllers, und zwar sowohl als Reichsbischof als auch als preußischer Landesbischof. Er mußte seine Diensträume verlassen, hatte künftig keinerlei kirchenleitende Befugnisse und ihm unterstellte kirchliche Mitarbeiter mehr und behielt lediglich seinen Titel, sein Arntskreuz, seinen Talar und sein- nicht unbeträchtliches- Reichsbischofsgehalt. Die natürliche Schlußfolgerung angesichts dieser "Kaltstellung" wäre ein Rücktritt gewesen. Einer Abberufung oder Abwahl standen rechtliche Schwierigkeiten entgegen, denn dergleichen war in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche von 1933 nicht vorgesehen- ein schwerwiegendes Versäumnis, wie sich jetzt zeigte. In einer vertraulichen Unterredung mit Kerrl und dem Ministerialdirigenten in Kerrls Ministerium Hermann von Denen bot Müller tatsächlich seinen Abschied an 2 • Kerrl nahm dieses Rücktrittsangebotzunächst noch nicht an. In einer Besprechung mit Friedrich von Bodelschwingh begründete Kerrl dies u. a. mit dem Willen Hitlers. Bodelschwingh kommentierte: "Offenbar will man ihn [Müller] mit Rücksicht auf die Partei noch nicht offiziell verschwinden lassen, ehe nicht der Nachweis erbracht ist, daß der Versuch mit den Kirchenausschüssen sich durchsetzt." Gegenüber Bodelschwingh äußerte Kerrl, er habe dem Reichsbischof geraten, mit seinem Rücktritt "noch zwei Monate [zu] warten" 3 • Müller mußte • Vgl. zum ganzen Vorgang K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 38-40 und 66-101; K. ScHOLDER, Art.: Kirchenkampf, Sp.1183f. Das .Sicherungsgesetz• ist abgedruckt im GESETZBLATJ" 1935, S. 99 und bei K.D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. IU1, S. 9f. Bereitsam 11.3. 1935 war ein Reichsgesetz .über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen• erlassen worden. Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurden staadiche Finanzabteilungen bei den Behörden der preußischen Landeskirchen gebildet. Auf Grund eines Reichsgesetzes vom 26. 6. 1935 war eine Beschlußstelle beim Reichsinnenministerium eingerichtet worden, bei der die endgültige, verbindliche Entscheidung bei Rechtsstreitigkeiten in kirchlichen Angelegenheiten lag. Das Modell, für das Hider sich entschied, entsprach im wesentlichen einer Denkschrift des Staatssekretärs im Preußischen Kultusministerium Walhelm Stuckart vom Januar 1935 (vgl. hierzu auch K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 2, S. 66f.). Hider hane Kerrl offenbar bereits im Frühjahr 1935 beauftragt; Kerrl erbat jedoch Bedenkzeit. z Vgl. Hermann von Detten, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709); Friedrich von Bodelschwingh (Ebenhausen) an Paul Winckler, 10.11. 1935 (HA BETHEL, 2/39-54). Wann Müller sein Rückmnsangebot machte, ist unbekannt. 3 Eao., vgl. F. v. Bodelschwingh an Hermann von Denen, 11. 11. 1935 (HA BETHEL, 2/ 39-46). Kerrllegte zu Beginn seiner Tätigkeit als Reichskirchenminister offenbar großen Wert auf den Rat Bodelschwinghs und versuchte, diesen für eine Mitarbeit bei seiner Befriedi-
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Kerrl freilich versichern, sich ganz zurückzuhalten 4 • In einem elfsei tigen Brief an Kerrl vom 10. Oktober 1935 begründete Müller dann allerdings, "warum ich niemals und unter keinen Umständen von meinem Amte zurücktreten kann". Die vierzehn - ebenfalls um ihr Amt fürchtenden deutsch-christlichen Bischöfe, die sich am 26. September- also zwei Tage nach Erlaß des "Sicherungsgesetzes" - mit dem Reichsbischof in Berlin getroffen hatten und, wie Müller schrieb, ihm und sich untereinander "[ n]ach einem gemeinsamen Abendmahlsgang in der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche ... in feierlicher Weise die Kameradschaft ... , wie sie aus der gemeinsamen Arbeit um die Erneuerung der Kirche und dem gemeinsamen nationalsozialistischen Kampf heraus geworden ist, von neuem durch Handschlag" versprochen hatten, hatten ihn vermutlich dazu ermuntert, seine Rücktrittsbereitschaft aufzugeben und gleichsam in die Offensive zu gehen. Müller sparte in seinem Brief an Kerrl nicht mit Vorwürfen gegen "staatliche und parteiamtliche Stellen". Diese hätten "sich die Schau unserer politischen[!] Gegner zu eigen gemacht" und schöben ihm und den DC-Bischöfen "die entscheidende Schuld an der Zerrüttung der Kirche" zu, obwohl "die ganze Kirchenpolitik ... von Anfang an bis zum heutigen Tage in gemeinsamer Arbeit zwischen den Vertretern des Staates und mir festgelegt worden" sei, "[w ]obei die Entscheidung nach Lage der Sache immer in der Hand des Staates" gelegen habe, die "Staatsmänner ... , die bisher ... die Kirchenpolitik mitbestimmt haben", folglich mindestens "dieselbe Verantwortung, die mich trifft, ... auch ... zu tragen" hätten. Hinzu komme, daß die kirchlichen Eingliederungsmaßnahmen während der ,.Ära Jäger" vor allem deshalb gescheitert seien, weil bestimmte staatliche Stellen wie das Reichsjustizministerium diese durchkreuzt hätten. Müller erklärte, er glaube nach wie vor "an das Vertrauen des Führers", "an die U numstößlichkeit des Volksentscheides [= Kirchenwahlen ]" von 1933 sowie "an die hohe Aufgabe des reichsbischöflichen Amtes" und dürfe sich deshalb nicht aus der Verantwortung stehlen 5 • In einem weiteren Brief an Kerrl vom selben Tage schlug er diesem vor, den deutsch-christlichen ehemaligen Marinepfarrer und damaligen Theologieprofessor in Münster Martin Redeker, den DC-Bischof von Magdeburg Friedrich Peter, den Mitbegründer der Deutschen Christen und damaligen brandenburgischen Oberkonsistorialrat Friedrich Wieneke sowie seinen gungspolitik in der evangelischen Kirche zu gewinnen. Das Verhältnis Bodelschwingh - Kerrl ist in der Forschung noch nicht näher untersucht worden. 4 EBD.; Hermann von Denen, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709); Hermann von Denen an Reichskirchenausschuß, 17. 7. 1936 (EZA BERLJN, 1/A 4/488); vgl. auch K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2,
S.77. Müller an Kerrl, 10.10. 1935, masch. (BA ABT. Pono.ut, 51.01 RKM 23.709); vgl. auch K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 75f. 5
Die faktische Entmachtung Müllers
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Mitarbeiter, den DC-Pfarrer Emanuel Graf von Korff, in den Reichskirebenausschuß zu berufen, als "Männer ... , die das eigentliche religiöse Anliegen des deutschen Christentums wirksam venreten, u[ nd] die über die Verhältnisse der Reichskirche u(nd] der altpreußischen Union Bescheid wissen" 6 • Zu dem geplanten Rücktritt kam es also - auch nach einer gewissen Übergangszeit - nicht. Es stellt sich die Frage, warum Müller nicht von staatlichen Stellen, namentlich von dem neuen Reichskirchenministerium unter Kerrl, zur Demission gezwungen oder auf andere Weise aus seinem Amte entfernt wurde - die nationalsozialistischen Machthaber hätten zweifellos, ohne Rücksicht auf die Rechtslage, einen Weg dazu gefunden. Hier scheint in der Tat der Wille Hitlers, auf den Kerrl sich Bodelschwingh gegenüber berufen hatte (s.o.), eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. So sehr Hitler die Berufung Müllers inzwischen für einen "Fehler" 7 hielt und den Kontakt mit ihm mied, so wenig war Hitler doch bereit, gegenüber der ihm verhaßten Bekenntniskirche offen einen Irrtum einzugestehen, denn der völlige Rückzug des von Hitler ursprünglich direkt und offen unterstützten Reichsbischofs wäre einem solchen Eingeständnis gleichgekommen. Noch im Juli 1941 ließ Hitler durch seinen Reichskanzleiminister Hans Heinrich Lammers Müller, der endlich die Konsequenzen aus seiner faktischen Entmachtung ziehen und zurücktreten wollte, mitteilen: "Der Führer läßt Sie bitten, . . . keinerlei Schritte wegen Niederlegung Ihres Kirchenamtes als Reichsbischof zu unternehmen." 8 Auch die von Müller als "Reichsbischof" am 4. November 1938 vollzogene Taufe der Göring-Tochter Edda, bei der HitlerTaufpate war und über die die Medien - auch mit Fotos - berichteten 9 , kann wohl als Beleg dafür gewenet werden, daß Hitler an einer völligen Ausschaltung Müllers nicht interessien war; zumindest mußte in der Öffentlichkeit dieser Eindruck entstehen, und Hitler wird sich dessen bewußt gewesen sein. Die Taufe der Göring-Tochter weist darauf hin, daß auch Göring nach wie vor hinter Müller stand. Christhard Mahrenholz, Hannoverscher Oberlandeskirchenrat und Mitglied des Reichskirchenausschusses, behauptete nach dem Kriege sogar, es sei hauptsächlich der Widerstand Görings gewesen, der Müller vor dem vollständigen Verlust seines Amtes bewahne 10 • Wenn das Ministerium Kerrl an der Tatsache, daß Müller nominell weiterMüller an Kerrl, 10. 10. 1935, hds. (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RK.M 23.709). So wörtlich bei einem Tischgespräch in der Wolfsschanze am Abend des 8. 4. 1942 (vgl. H. PICKER., Tischgespräche, S. 395). 8 Lammers an Müller, 27. 7. 1941 (Abschr.) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Vgl. unten S. 241. 9 DEUTSCHER SoNNTAG, Stuttgart, 1.1. 1939; vgl. L. PouAXov/j. WuLF, Reich, S. 211-217don zahlreiche Hinweise auf Berichte über die Taufe in Rundfunk und Presse. Müller hatte Göring am 10. 4. 1935 auch getraut. Hider war Trauzeuge gewesen. Müller hatte für die Traupredigt allerdings nur fünf Minuten Zeit bekommen (D.IRVING, Göring, S. 230). ao Vgl. E. KLÜGEL, Landeskirche, S. 197. 6
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
hin Reichsbischof blieb, nichts ändene, obwohl dieser dem Minister stets distanzien bis feindselig gegenübenrat (s. u.) und obwohl Kerrl zeitweise plante, daß Müller ein gewöhnliches Pfarramt übernehmen sollte 11 , bzw. hoffte, "daß schließlich der Reichsbischof die Unmöglichkeit einsehen wird, nur mit der Kraft seiner Rede, die ja immerhin bedeutsam sein mag, seine Stellung aufrechtzuerhalten und daraus seine Konsequenzen ziehen wird" 12 , so lag dies zum einen sicherlich an der Haltung Hiders und Görings, zum anderen aber wohl auch daran, daß das nominelle Fonbestehen des Reichsbischofsamtes, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, die Möglichkeit bot, den Einfluß der Kirchenausschüsse ständig in bestimmten Grenzen zu halten bzw. diesen permanent ihre Abhängigkeit vom Reichskirchenministerium und Machtlosigkeit vor Augen zu führen, indem von Seiten des Kirchenministeriums der Reichsbischof gegen die Ausschüsse gleichsam ausgespielt wurde. Die ironische Bemerkung Kerrls, die er einmal gegenüber Mitgliedern des Reichskirchenausschusses machte: "Den [Müller] brauche ich noch als schwarzen Mann für euch" 13 , hatte wohl durchaus einen ernsten Hintergrund. Es gibt freilich auch Hinweise darauf, daß Kerrl sich seinerseits - in späteren Jahren- auf Grund der Kontakte Müllers zu Rosenberg und zu Hider in eine gewisse Konkurrenzsituation zu Müller hineingedrängt sah, daß er, obwohl die Kompetenzen in kirchlichen Angelegenheiten offiziell bei ihm lagen, gar nicht (mehr) die Macht hatte, den Reichsbischof auch nominell abzusetzen 14 • Für die Arbeit der Kirchenausschüsse bedeutete das - wenn auch nur nominelle- Weiteramtieren Müllers von Anfang an eine schwere Hypothek. Der Venreter der Bayerischen Pfarrerbruderschaft gab wohl sehr zutreffend eine allgemeine Stimmung wieder, als er in einem Brief an den Reichskirebenausschuß vom 25. Oktober 1935 u.a. schrieb: "Die am häufigsten aufgeworfene Frage ist: ,Was ist mit dem cReichsbischof, L. Müller?' Der Reichskirchenausschuß möge sich sagen lassen, daß seine Arbeit so lange der notwendigen Venrauensgrundlage in der breiten Öffentlichkeit der Gemeinden entbehren muß, solange Herr L. Müller, wenn auch nur dem Namen nach, noch weiter Reichsbischof ist. Wir PEarrer haben eigentlich drängendere Anliegen als die Beseitigung dieses Herren. Aber für unsere Gemeinden ist 11 Friedrich von Bodelschwingh (Ebenhausen) an Paul Winckler, 10.11. 1935 (HA BETHEL, 2/39-54). 12 Wiedergabe der Position Kerrls durch Denen bei einer Besprechung mit Friedrich von Bodelschwingh und dem Ministerialdirigenten im Reichskirchenministerium Julius Stahn in Bethel am 28. 9. 1935 (HA BETHEL, 2/39-46). In der Niederschrift über dieses Gespräch heißt es, man sei sich einig gewesen, .daß diese Anschauung [Kerrls] reichlich optimistisch genannt werden muß•. u Brunotte, Befragungsprotokolle zu Müllers Tod (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller). •• Vgl. unten S. 239.
Die faktische Ennnachtung Müllers
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seine Beibehaltung oder seine Absetzung ein Prüfstein. Bleibt er, dann muß jedermann denken, es bleibt alles beim Alten. Wird er abgesetzt, dann ist ein erster Aktivposten des Vertrauens geschaffen." 15 Es nimmt nicht Wunder, daß der Reichskirchenausschuß beim Kirchenministerium ständig mündlich und schriftlich auf eine Amtsniederlegung des Reichsbischofs drängte, mit der Begründung, .der Reichsbischof sei und bleibe das stärkste Hindernis für eine Annäherung und Befriedung ... , weil immer noch in weiten Kreisen des Volkes Unklarheit über seine Stellung in der Kirche herrsche." 16 Diese Eingaben waren genauso erfolglos wie die vom Reichskirchenausschuß selbständig versuchten Maßnahmen zur .Beseitigung" Müllers. Deutlicher als wohl in jeder anderen Angelegenheit wurde hier offenbar, wie machtlos die Kirchenausschüsse letzdich waren. Am 17. Oktober 1935 hob der Reichskirchenausschuß perBeschluß .das Sekretariat des Reichsbischofs als rechtsgültig nicht vorhanden" auf und ließ den Mitarbeitern des Sekretariats diesen Beschluß durch den Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei Friedrich Werner schriftlich mitteilen. Wenn es in der Mitteilung dann freilich heißt: .Ich ersuche Sie deshalb ergebenst, dem Beschluß des Reichskirchenausschusses insofern Rechnung zu tragen, als Sie sich bis zur anderweitigen Regelung aller Dienstgeschäfte enthalten. Soweit Sie sich aus besonderen Gründen im Dienstgebäude des Evangelischen Oberkirchenrates in der Jebensstraße aufhalten wollen, steht Ihnen ... Ihr bisheriges Dienstzimmer bis auf weiteres zur Verfügung. Irgendeine Entscheidung über Ihre dienstrechtliche Stellung ist in dem Beschluß des Reichskirchenausschusses nicht enthalten" 17 - so mußte das natürlich schwach wirken. Am 18. Oktober berichteten der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses Wilhelm Zoellner und das Ausschußmitglied Ludwig Diehl, damaliger deutsch-christlich orientierter pfälzischer Landesbischof, auf einer Sitzung des Reichskirchenausschusses über ergebnislose direkte Verhandlungen mit dem Reichsbischof über dessen Rücktritt. Zoellner und Diehl wurden beauftragt, erneut mit Müller zu verhandeln 18 • Am 29. November beschloß der Reichskirchenausschuß die formelle Beseitigung der Bezeichnung .Reichskirchenregierung", die .noch immer nicht selten Verwendung" finde, und bat in zwei Schreiben Kerrl um eine Bestätigung dieses Beschlusses 19 • Dieser antwortete im April 1936 knapp: Dr. Schattenmann an Reichskirchenausschuß, 2S. 10. 1935 (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI,96). 16 Hennann von Denen, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. POTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 17 Wemer an Walzer, 22. 10. 1935 (Abschrift; Eao.). 18 Sitzungsprotokoll des Reichskirchenausschusses, 18. 10. 193S (EZA BERLIN, IIA 4/385). 19 Reichskirchenausschuß an Kerrl, 17.12. 1935 und Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei an Kerrl, 25. 2. 1935 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 15
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
"Der gegenwärtige Zeitpunkt ist m.E. für den Erlaß einer derartigen Verordnung nicht geeignet. Ich bitte daher, zunächst davon abzusehen." 20 Am 7. Dezember 1935 stellte der Reichskirchenausschuß förmlich fest, "daß der Reichsbischof keinerlei Amtsgeschäfte mehr wahrnimmt", und faßte gemeinsam mit dem altpreußischen Landeskirchenausschuß den Beschluß, wegen der ungeklärten "Vorwürfe über persönliche Verfehlungen des Reichsbischofs und altpreußischen Landesbischofs ... sofort nach Inkrafnreten der geplanten und beschleunigt zu verabschiedenden Disziplinarverordnung ein Untersuchungsverfahren einzuleiten." Dieser Beschluß, der Müller sofort in einem Brief mitgeteilt wurde 21 , wurde offensichtlich niemals in dieTat umgesetzt. Häufig beschwerten sich die Kirchenausschüsse über öffentliche Auftritte Müllers als "der Reichsbischof" und versuchten, solche Auftrine zu verhindern22. Hier reagierte das Reichskirchenministerium nur äußerst "halbherzig", unternahm nur sehr "milde" Schritte. Zu einer von Müller im Herbst 1935 vorgenommenen Kircheneinweihung bemerkte Kerrl aufVorhalt, diese sei schon vor längerer Zeit vorgesehen gewesen, deshalb habe er Müllers Auftreten bei diesem Anlaß noch einmal gestattet; und den Nachruf Müllers bei der Beerdigung des am 23. Oktober 1935 verstorbenen Berliner Systematikers Reinhold Seeberg interpretierte Kerrl als das persönliche Wort eines Freundes des Verstorbenen, Müller habe nicht amtlich fungiert 23 . Auf eine Beschwerde des Reichskirchenausschusses anläßlich einer geplanten Predigt Müllers am Himmelfahrtstage 1936 in der Stadtkirche zu Neustrelitz hin teilte Kerrl dem Schweriner Evangelischen Oberkirchenrat zwar mit, er habe "die sämtlichen Befugnisse des Reichsbischofs dem Reichskirchenausschuß übertragen", verlangte dann aber lediglich, "daß ... bei einer Predigtansage nicht von dem ,Reichsbischof' gesprochen wird, sondern durch Zusatz des Namens ,Ludwig Müller' kenntlich gemacht wird, daß hier nicht die amtliche Spitze der deutschen Evangelischen Kirche spricht." 24 Anfangjuli 1936 ging der Reichskirchenausschuß gleichsam in die Offensive und forderte in einem Schreiben an Kerrl "mit Nachdruck ... , daß Sie, Herr Reichsminister, nachdem Reichsbischof Ludwig Müller aus der ihm angesichts unseres Werkes selbstverständlich obliegenden völligen Zurückhaltung in kirchlichen Dingen zunehmend herausgetreten ist, sein Ihnen, 20 Reichskirchenminister an Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei, 16. 4. 1936 (Konzept; Eso.). 21 Reichskirchenausschuß an Müller, 7. 12. 1935 (Konz. mit Abgangsvermerk vom selben Tage)(EZA BERLIN, 1/A 4/387, Bl.15). 22 Vgl. u.a. einen entsprechenden Beschluß des Reichskirchenausschusses vom 25./26. 10. 1935 (EZA BERLIN, 1/A 4/385 ). 21 Friedrich von Bodelschwingh (Ebenhausen) an Paul Winckler, 10.11. 1935 (HA BETHEL, 2/39-54). 24 Kerrl an Oberkirchenrat Schwerin, 26. 5. 1936 (Konz.) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709).
Die faktische Entmachtung Müllers
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Herr Minister, wie wir hören, vorliegendes Rücktrittsgesuch genehmigen." In dem Schreiben heißt es dann weiter:"Wir wären anderenfalls gezwungen, gegenüber Reichsbischof Ludwig Müller die uns geeignet erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen." 25 Das Antwonschreiben des Ministerialdirigenten von Detten mußte auf den Reichskirchenausschuß wie eine Ohrfeige wirken. Zwar erkläne Detten, er habe "Müller ... darauf hingewiesen, daß er auch weiterhin Zurückhaltung zu üben hat", er fügte allerdings hinzu, "daß von Anfang an darüber Klarheit bestand, daß der Reichsbischof in Gemeinden predigen dürfe, von denen er eingeladen wird", um dann abschließend noch schlicht die völlige Ohnmacht des Reichskirchenausschusses in Sachen "Reichsbischof" zu konstatieren: ., ... ich (möchte) feststellen, daß ... von dem Herrn Minister persönlich eindeutig festgestellt worden ist, daß der Reichskirchenausschuß keine Zuständigkeit besitze, Maßnahmen gegen den Reichsbischof Müller zu ergreifen." 26 Am Tage nach der Abfassung und Absendung des Schreibens des Reichskirchenausschusses, am 3. Juli 1936, hatte Detten eine Besprechung mit Ludwig Müller gehabt. Die Niederschrift Dettens über diese Unterredung macht deutlich, wie ablehnend Müller dem Reichskirchenministerium gegenüberstand und wie sehr er dessen Politik mißbilligte. Müller, der zwei Bitten um ein Gespräch "längere Zeit" unbeantwonet gelassen hatte, erkläne nicht nur, daß die Kirchenausschüsse "mehr oder weniger eine sterbende Einrichtung" seien, sondern auch, daß "die Arbeit des Herrn Ministers ... nicht von Erfolg begleitet sein (werde)", sofern dieser nicht das staatskirchliche System einer völligen Übernahme der Kirchenverwaltung durch den Staat verwirkliche: "Die kirchlichen Beamten müßten wieder Staatsbeamte werden, und die Pfarrer müßten unmittelbar vom Staat besoldet werden nur so bekomme man die Kirche zu einer staatlichen Haltung und die Geistlichen zum Gehorsam." Müller beklagte sich in dem Gespräch mit Detten über die ,.in keiner Weise als kameradschaftlich" zu bezeichnende Behandlung durch den Reichskirchenminister; so habe er seine eigene Entmachtung erst durch die Zeitungen erfahren. Auf seine Rücktrittsabsicht vom Herbst 1935 angesprochen, erwidene er "[ n]ach anfänglichem Ableugnen ... sehr energisch", davon .,könne heute keine Rede mehr sein; nur dann, wenn ihm der Führer persönlich seinen Auftrag zurückgäbe, würde er einer dazu einberufenen Generalsynode gegenüber seinen Rücktritt erklären." Er äußene schließlich noch die kaum verhüllte Drohung, "er werde ... von dem Kampf nicht lassen, das werde man noch zu spüren bekommen." Denen reagiene auf Müllers Äußerungen auffallend milde. Zwar stellte er ihm einige unangenehme Fragen, etwa nach Gerüchten über persönliche Verfehlungen, zs Reichskirchenausschuß an Kerrl, 2. 7. 1936 (Konz. mit Abgangsvermerk vom selben Tage) (EZA BERLIN, 1/A 4/387). 26 Hermann von Detten an Reichskirchenausschuß, 17. 7. 1936 (Ean .. ).
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1CH5)
er ließ es aber im wesentlichen damit bewenden und erinnerte ihn lediglich .,noch einmal an die von ihm versprochene Zurückhaltung". Müller rechtfertigte sein häufiges Auftreten in der letzten Zeit damit, "daß er eben immer mehr zu solchen Predigten gerufen werde, da das Volk in seiner Not sich sehne, wirklich echtes, praktisches Christentum zu hören" 27 • Das Reichskirchenministerium bemühte sich erklärtermaßen lediglich um die Verhinderung von "Werbung durch Handzettel, Flugblätter, Maueranschläge außerhalb der kirchlichen Räume u. a. für das öffentliche Auftreten des Reichsbischofs" 28 • Aber selbst diese bescheidene Einschränkung von Müllers Wirksamkeit führte das Reichskirchenministerium nur äußerst lax durch 29 • Als der Reichskirchenausschuß im Mai 1936 sein scharf ablehnendes Gutachten über die von Müller veräffendichte Bergpredigt-Übertragung auch an die evangelisch-theologischen Fakultäten sandte, rügte das Reichskirchenministerium dies als eine Kompetenzüberschreitung 30 • Versuche des Reichskirchenausschusses, den Reichsbischof auf Pensionsgeld zu setzen, scheiterten am Einspruch des Reichskirchenministeriums 31 • Sogar gegenüber anderen staadichen Stellen nahm das Reichskirchenministerium Müller in Schutz. Als der preußische Finanzminister im Oktober 1936 wegen einer Kündigung der dem preußischen Staat gehörenden Wohnung Müllers 32 und dann im Januar 1942 wegen der Rückgabe eines zum Inventar der staatseigenen Königsherger Schloßkirche gehörenden und dem Reichsbischof leihweise überlassenen historischen Bischofskreuzes 33 nachfragte, antwortete der Reichskirchenminister, er lege "Wert darauf, daß die Wohnung des Reichsbischofs Müller nicht gekündigt wird" 34 bzw. er wolle "[a]n der leihweisen Überlassung des Bischofskreuzes . . . eine Änderung nicht eintreten lassen" 35 • Der brandenburgische Provinzialkirchenausschuß mußte auf seiner Sit2 7 Hermann von Denen, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. PonoAM, 51.01 RKM 23.709). 21 Hermann von Denen an Landeskirchenausschuß der Altpreußischen Union, 14. 10. 1936 (EZA BERLJN, 7/1015). 29 Vgl. Landeskirchenausschuß der Altpreußischen Union an Kerrl, 21. 12. 1936 (Eao.). 30 Stahn an Reichskirchenausschuß, 3. 8. 1936 (EZA Berlin, 1/A 4/488). Vgl. unten S. 261. 31 EZA BERLIN, 1/C 4/79, Bl.29-31 und 41. Die staadiche Finanzabteilung (vgl. Anm. 1) bei der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei unterstützte die Bemühungen des Reichskirchenausschusses, Müller auf Pensionsgeld zu setzen. 32 Aktenvermerk Stahn, betr. Wohnung des Reichsbischofs Ludwig Müller, Berlin, 3. 10. 1936 (BA ABT. POTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 33 Preußischer Finanzminister an Reichskirchenminister, 9. 2. 1942 (BA ABT. PonoAM, 51.01 RKM 21.862). 34 Reichskirchenminister an Preußischer Finanzminister, 19. 12. 1936 (Reinkonz.) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 35 Reichskirchenminister an Preußischer Finanzminister, 17. 6. 1CH2 (Konzept; Eao.).
Müllers .Bündnis• mit dem Bremer DC-Landesbischof Heinz Weidemann
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zung am 23. November 1936 resigniert seine Ohnmacht im Hinblick auf Müller eingestehen. Auf die Tagesordnung dieser Sitzung war als dritter Punkt - vermutlich Erwartungen erzeugend - aufgenommen worden: "Antrag auf Einleitung eines Lehrbeanstandungsverfahrens gegen den Reichsbischof Müller und Stellungnahme zu verschiedenen Eingaben wegen des öffentlichen Auftretens des Reichsbischofs". Im Sitzungsprotokoll heißt es dann zu diesem Tagesordnungspunkt: "Nach eingehender Aussprache wird beschlossen: Der P( rovinzial-]K[irchen-]A[usschuß] sieht sich nicht in der Lage, von sich aus das öffentliche Auftreten des Reichsbischofs Müller zu verhindern." 36
2. Müllers .Bündnis" mit dem Bremer DC-Landesbischof Heinz
Weidemann und seine Hinwendung zu den Thüringer Deutschen Christen
In der Zeit während und nach seiner Entmachtung, als immer mehr Menschen sich von ihm distanzierten, fand Müller Rückhalt bei dem OeLandesbischof von Bremen Heinz Weidemann. Weidemann war Anfang 1934 in der Bremischen Kirche nur mit Hilfe des "Regimes" Müller-Jäger an die Macht gekommen; seine Stellung hing also völlig von der Autorität des Reichsbischofs ab 37 • Weidemann versuchte zudem seit dem Frühjahr 1935, mit Müllers Hilfe Reichsleiter der Deutschen Christen zu werden. Müller unterstützte Weidemann in diesem Bemühen, wenn auch aus taktischen Gründen nur verdeckt. Er hoffte, daß Weidemann ihm nach dem Scheitern der Eingliederungspolitik bei seiner Rehabilitierung helfen konnte. So entstand ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Männern 38 • Die Wahl von Wilhelm Rehm zum neuen DC-Reichsleiter am 8. September 1935 bedeutete das Scheitern der Bemühungen Weidemanns um diesen Posten. Weidemann trennte sich am 11. September mit dem Gau Bremen von den Rehmschen Deutschen Christen und gründete eine eigenständige DC-Bewegung, die er, indem er Müller als zentrale Integrationsfigur herausstellte, reichsweit auszubauen versuchte. Am 19. September rief Müller auf Initiative Weidemanns sämtliche DC-"Führer" zusammen und versuchte, eine Bevollmächtigung zu erlangen, was allerdings mißlang. Lediglich einige nordwestdeutsche DC-
Protokoll der Sitzung des brandenburgischen Provinzialkirchenausschusses vom 23. 11. 1936 (EZA BERLIN, 14/1519). Der Antrag auf Einleitung eines Lehrzuchtverfahrens gegen Müller war vom Gemeindekirchenrat zu Berlin-Steglitz eingebracht worden (Gemeindekirchenrat Berlin-Steglitz an Provinzialkirchenausschuß, 12.11. 1936- EZA BERLIN, 7/1015). l 7 R. HEINONEN, Anpassung, S. 43-47, 53, 69 und 82; K. MEIER. Kirchenkampf, Bd. 1, S.387. 38 R. HEINONEN, Anpassung, S. 55-59 und 82. 36
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Gaue stellten sich hinter Müller und Weidemann 39 • Parallel zu Müllers Einfluß in der Deutschen Evangelischen Kirche war also auch sein Einfluß bei den Deutschen Christen gesunken. DC-Reichsleiter Rehm ging, nachdem er sich im Frühjahr 1935 noch zu seiner Treue zum Reichsbischof bekannt hatte 40, auf offenen Konfrontationskurs zu Müller und stellte sich hinter die Kirchenausschüsse 41 • Die enge Beziehung zwischen Müller und Weidemann hatte jedoch weiterhin Bestand. Mit Weidemann verband Müller der Gedanke der ,.Übertragung" der Bibel in eine dem nationalsozialistischen Zeitgeist entsprechende Form. Kurz nachdem Müller im März 1936 seine "Verdeutschung" der Bergpredigt veröffentlicht hatte, erschien Weidemanns ,.Evangelium Johannes Deutsch", das, wie Reijo Heinonen aufgezeigt hat, ,.aus der gleichen ideenpolitischen Absicht" entstand 42 • Dem Bremer DC-Landesbischof hatte es Müller offenbar auch zu verdanken, daß der Staatssekretär im Reichskirchenministerium Hermann Muhs für ihn eintrat, als der Reichskirchenausschuß im Juni 1936 ein Rede- und Predigtverbot für den Reichsbischof durchsetzen wollte 43 • Umgekehrt unterstützte Müller, wenn auch erfolglos, Weidemann - u. a. durch ein Gutachten -, als dessen Stellung in Bremen auf Grund persönlicher Verfehlungen 1943/44 ins Wanken geriet 44 • Müller und Weidemann gemeinsam war auch die Hinwendung zu der von dem Pfarrer und Oberregierungsrat Siegfried Leffler geführten Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen, die sich bereits unmittelbar nach der DC-Sportpalastkundgebung vom November 1933 von den übrigen Deutschen Christen getrennt hatte. Diese radikalste Gruppierung innerhalb der sich immer mehr zersplitternden deutsch-christlichen Bewegung hatte als einzige DC-Gruppierung noch wachsenden Zulauf und Einfluß zu verzeichnen. In ihr schien am ehesten eine Synthese zwischen den religiösen Überzeugungen von Nationalsozialisten christlicher Provenienz und dem konkurrierenden Gedankengut völkisch-religiöser Nationalsozialisten, wie es etwa Rosenberg vertrat, möglich 45 • Gemeinsam mit Weidemann und Hossenfelder, der ebenfalls einer eigenständigen DC-Bewegung (,.Hossenfelderbewegung") vorstand, gründete Leffler im Frühjahr 1936 einen deutsch-christlichen "Führerring", der im August nach dem Beitritt mehrerer sich von der Rehmschen Reichsleitung lösender DC-Gaue zu einem "Führerkreis" erweitert wurde 46 • Neben andeEao., S. 65-69. RehmanMüller,25.4.1935(EZABERJ.IN, 1/A4/104). 41 Vgl. u.a. Rehman Kerrl, 2~. 9. 1935 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.138). 4 2 R. HEINONEN, Anpassung, S. 166. Zu den .Deutschen Gotteswonen• vgl. unten S. 250ff. 4 l R. HEJNONEN, Anpassung, S. 119. 44 Eao., S. 271 und 274. 4 s Zu den Thüringer Deutschen Christen vgl. K. MEIER, Deutsche Christen, S. 2-10. 46 Eao., S. 145-147. l9
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Müllers .Bündnis• mit dem Bremer Oe-Landesbischof Heinz Weidemann
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renentmachteten DC-"Kirchenführern" wie Friedrich Peter (Magdeburg), Bruno Adler (Münster) und Friedrich Coch (Dresden) trat auch Müller diesem "Führerkreis" bei 47 • Müllers Hinwendung zu den von den Thüringern initiienen und dominienen deutsch-christlichen Einheitsbestrebungen gegen die mehr und mehr an Einfluß verlierende, einen gemäßigten Kurs steuernde DC-Reichsleitung unter Rehm entsprang nicht allein machtpolitischem Kalkül. Er stimmte auch mit den kirchenpolitischen und theologischen Grundüberzeugungen der Thüringer, dem Ziel der Schaffung einer überkonfessionellen deutschen Nationalkirche und dem Bemühen um eine vollständige Integration der NSIdeologie in die christliche Lehre bzw. - genauer- um eine Umformung der christlichen Lehre entsprechend der NS-Ideologie, seit seiner kirchenpolitischen und theologischen "Wende" 1934 völlig überein. Hinzu kommt, daß nicht nur Weidemann loyal zu Müller stand, sondern seit einiger Zeit auch Leffler. Nachdem die Thüringer Deutschen Christen wegen Müllers "konservativ-kirchlicher" Haltung im Streit um die DCSponpalastkundgebung vom November 1933 auf Distanz zum Reichsbischof gegangen waren, hatte Leffler Müller nach dem Scheitern der gewaltsamen Eingliederungspolitik im November 1934 geschrieben: "Ich wollte Ihnen heute kurz mitteilen, daß wir in dem Kampf um die deutsche evangelische Kirche mit aller Entschiedenheit und allen Kräften auf Ihrer Seite stehen werden ... daß Sie in allen Stücken auf uns rechnen dürfen ... " 48 • Und auf einer Arbeitstagung der Thüringer Deutschen Christen Anfang Mai 1935 wurde im Beisein Müllers erklän, "es gebe nur einen Führer, Adolf Hitler, und nur einen vom Führer für die Kirche Beauftragten, Ludwig Müller." 49 Die Thüringer Deutschen Christen bzw. deren "Führer" hatten Müllers "Wende" offensichtlich anerkannt und honorienen sie nun mit Treuebekundungen, so auch auf ihrer Eisenacher Reichstagung im Oktober 1935, unmittelbar nach der faktischer Entmachtung des Reichsbischofs 50 • Auch Hossenfelder, der an der Thüringer Arbeitstagung im Mai 1935 teilnahm, trug die auf dieser Tagung formuliene Loyalitätserklärung für Müller mit 51 • Hossenfelder, dessen Verhältnis zu Müller u. a. wegen dessen gemäßigterer, kirchlicherer Haltung ja spannungsreich gewesen war und der von diesem Ende 1933 zum Rücktritt genötigt worden war, scheint ebenfalls der "Wende" des Reichsbischofs Rechnung getragen zu haben, ebenso wie der Tatsache, daß Müller das Schicksal der- für Müller noch bevorstehenden, aber sich bereits abzeichnenden - Entmachtung mit ihm teilte, daß sich in Gestalt der staatlicherseits betriebenen Ausgleichspolitik mit der BekenntK. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 412. Leffler an Müller, 10. 11. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/66). 49 Zit. nach K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 40. so Vgl. R. HEINONEN, Anpassung, S. 70. SI K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 40. 47
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
niskirche sowie der damit sympathisierenden DC-Reichsleitung unter Rehm eine neue ihnen gemeinsame Gegenfront auftat. Die drei Männer des "Führerringes", die gleichzeitig die maßgeblichen Männer des erweitenen "Führerkreises" waren, standen also, wenn auch nicht unbedingt aus persönlicher Freundschaft, hinter Müller. Hossenfelder, dessen Verhältnis zu Müller anders als Weidemanns und weit mehr noch als Lefflers in der Vergangenheit belastet war, erklärte im September 1936 sogar selbständig, Kontinuität und Ursprünglichkeit im Hinblick auf die deutsch-christliche Arbeit für sich reklamierend: "Wir ... sind uns bewußt, daß unsere Haltung gegenüber dem Reichsbischof frei von Verunglimpfungen immer die gleiche kameradschaftliche gewesen ist und auch heute noch ist." s2 Anschluß an die Thüringer Deutschen Christen suchten außer den oben schon genannten DC-Bischöfen u. a. auch der DC-Bischof von NassauHessen Emst-Ludwig Dietrich und, was besonders bemerkenswert ist, der ehemalige enge Berater und Yenraute des Reichsbischofs Heinrich Oberheids3, der ja für dessen" Wende" 1934 wohl maßgeblich mitverantwortlich war. Auch der "Führerkreis" erfuhr noch eine Fonsetzung und Erweiterung. Aus ihm ging am 10. November 1936 der "Bund für Deutsches Christentum" und aus diesem wiederum am 6. Juni 1937 die "Nationalkirchliche Bewegung ,Deutsche Christen'", die nunmehr eindeutig unter der alleinigen Oberleitung Lefflers stand und sich seit 1938 "Nationalkirchliche Einung Deutsche Christen" nannte, hervors•. Müller behielt auch zu diesen Nachfolgeorganisationen des "Führerkreises" enge Verbindungen. Anläßlich der Gründung des "Bundes für Deutsches Christentum" fand am 11. November 1936 im Berliner Kriegervereinshaus eine Kundgebung statt, bei der er die erste Rede hieltss. Geschäftsführer des Bundes war der Mecklenburger DC-Landessuperintendent Hugo Propp, der als "Pressereferent" ein enger Mitarbeiter des Reichsbischofs gewesen war; bei der Gründungskundgebung des Bundes sprachen außer Müller u.a. auch Oberheid, Weidemann und der sächsische DC-Landesbischof Coch, der Müller bei der Erledigung seiner Korrespondenzen halfs6 • Müller befand sich also im "Bund für Deutsches Christentum" im Kreise seiner früheren Weggefähnen. Der 1937 gegründeten "Nationalkirchlichen Bewegung ,Deutsche ChriZit. nach K. MEIER, Deutsche Christen, 5. 146. Vgl. EBD., 5.149; K.MEIER, Kirchenkampf, Bd.2, 5.40 und BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.138, BI. 302. ~ K. MEIER, Deutsche Christen, S. 147, 219f. und 353. 55 EBD., 5. 149. 56 Vgl. Fricdrich Coch an Ministerialdirigent Dr. Meerwald, 26. 2. 1937 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 52
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Müllers .Bündnis• mit dem Bremer DC-Landesbischof Heinz Weidemann
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sten'" gehörte er als Ehrenmitglied an. Als solcher hielt er die Eröffnungsrede bei der Reichstagung der Bewegung vom 9. bis 11. Oktober 1937 in Eisenach57. Die "Nationalkirchliche Einung Deutsche Christen" ernannte Müller im Herbst 1938 gemeinsam mit dem völkischen Schriftsteller Arthur Bonus und dem früheren Generalsuperintendenten Hans Schönler "in Anerkennung seines verdienstvollen Wirkens für die Idee des Deutschen Christentums" ebenfalls zu ihrem Ehrenmitglied. In der Zeitschrift der "Nationalkirchlichen Einung" wurde aus diesem Anlaß seine aus der Sicht der Thüringer positive "Wende" gewürdigt: "Vielleicht hatte er bei seinem Antritt andere Vorstellungen von einer Neugestaltung der Kirche gehabt .... Sehr schnell sah er unumwunden ein, daß der Einheitsstaat unter der Führung Adolf Hitlers den Volksgenossen Gesetze auferlegen und unter allen Umständen Disziplin und Gehorsam verlangen muß. Er sah aber auch weiter ein, daß die Kirche nicht durch Politik oder durch Organisation zu retten sei. Er wußte, daß es durch den nationalsozialistischen Umbruch um die Erneuerung der deutschen Seele geht. Und schließlich rang er sich zu der Ansicht durch, daß das Amt eines Reichsbischofs niemals eines der Verwaltung sein darf. Soll der Staat Ordnung halten in der Kirche, wie er es überall tut! Den Geistlichen aber, und an ihrer Spitze dem deutschen Reichsbischof, liegt es ob, der menschlichen Natur, die nach Religion verlangt, die sich in irgendeiner Form an den Glauben an die Unsterblichkeit klammert, zu helfen, sie zu lieben und für sie tätig zu sein." 58 Müllers Hinwendung zu den Thüringer Deutschen Christen nach seiner faktischen Entmachtung zeigte sich vor allem anderen darin, daß er sich häufig als Redner auf Veranstaltungen bzw. auf Einladung der Thüringer oder der von diesen ausgehenden Organisationen betätigte und - ganz in deren Sinne - sogenannte "Gottesfeiem" abhielt, bei denen er auch auf Gestaltungsvorschläge der Thüringer sowie deren Liedgut zurückgriff59. Seine 1936 veröffentlichten "Deutschen Gonesworte" und seine im selben Jahre herausgegebene Schrift "Für und wider die Deutschen Gonesworte" wurden im Weimarer Verlag der Thüringer Deutschen Christen gedruckt; 57 Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP [Rosenberg], Yenrauliehe Mineilungen zur weltanschaulichen Lage, 22. 10. 1937 (KA MrNDEN, Kirchengeschichdiche Arbeitsgemeinschaft 6). Das Dokument ist abgedruckt bei F. ZIPFEL, Kirchenkampf, S. 432-+42. 51 Deutsches Christentum, Weimar, 13. 11. 1938 (EZA BERLIN, 1/A 4/93). 59 Bei den zahlreichen Berichten über bzw. Mitschriften von Auftrinen Müllers nach seiner faktischen Entmachtung finden sich auch z. T. sehr detailliene Hinweise auf die Gestaltung der Gonesdienste bzw.•Gonesfeiem• Müllers. Als .Liturg• fungiene in der Regel nicht Müller, sondern ein önlicher thüringisch orientiener DC-Pfarrer. Die .Liturgien• entsprechen den Gestaltungsvorschlägen der Thüringer Deutschen Christen (vgl. DEUTSCHE CHRISTEN, NAnoNALXIRCHLICHE EINUNG E. V., Gonesfeier; vgl. auch H.-J. SoNNE, Politische Theologie, s. 7Q-72).
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
für die "Deutschen Gottesworte" warben die Thüringer kräftig und empfahlen das Buch ihren Anhängern 60 • Bei der Beerdigung des Thüringer OeLandesbischofs Martin Sasse am 31. August 1942 hielt Müller einen Nachruf61. Die engen Beziehungen zwischen der von Sasse nach den Vorstellungen der Thüringer Deutschen Christen geführten Thüringer "Musterkirche" und dem Reichsbischof drückte ein wümembergischer Pfarrer in holprigen Versen, die er seinem Landesbischof Wurm zu dessen siebzigstem Geburtstag am 7. Dezember 1938 widmete, so aus: "Von Thüringen Herr Bischof Sasse I Holt ein Glas Bier sich neu vom Fasse I Und spricht dann lächelnd und in Ruh: I ,Ihr Herren, ihr gesteht mir zu, I Daß in der Kirchen ganzem Vereine I Die Musterkirche ist die meine. I Im Urbild zeigt sie heut schon euch I Die kommende Kirche im Deutschen Reich. I Und sie verbirgt in ihrem Schoß I Ein Kleinod -das macht sie so groß-: I Des großen deutschen Traums Erfüller, I Den Reichsbischof, Herrn Ludwig Müller.'" 62
J. Müller und Rosenberg Es gibt einige Indizien dafür, daß Müller sich nach seiner faktischen Entmachtung zum Zwecke der Wiedererlangung von Einfluß und Macht um eine enge Zusammenarbeit mit dem "Chefideologen" der Nationalsozialisten Alfred Rosenberg bemühte und daß dieser diesen Bemühungen wenigstens teilweise wohlwollend oder doch zumindest nicht ablehnend gegenüberstand. Nachdem es ja wohl bereits 1934, nach Müllers"Wende", zu einer Annäherung zwischen beiden Männern gekommen war, gab es Ende September 1935, also unmittelbar nach Müllers "Kaltstellung", in Berlin Gerüchte, "daß
60 L. MüLLER, Gottcswortc; DEils., Für und wider. Zur Werbung durch die Thüringer: Schulungsbrief [der thüringisch orientierten] Glaubensbewegung Deutsche Christen, Mccklcnburg, Schwcrin, 6/1936 (K.A MINDEN, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft 27) -dort wird Müllcrs Buch als Weihnachtsgeschenk für jeden deutsch-christlichen Haushalt wärmstcns empfohlen; Anhang zu KIRCHENBEWEGUNG DEUTSCHE CHRISTEN (Hg.), Irrlehre, wo es heißt, Müllcrs Buch verdiene ganz besondere Beachtung; vgl. ferner DEUTSCHER SoNNTAG, Srungart, 26. 4. 1936 und Mitteilungsblau der [thüringisch orientierten] Reichskirchenbewegung .Deutsche Christen•, Nümbcrg-Lichtcnhof, 23. 4. 1936 (LK.A NüRNBERG, Pers. XXXVI, 96), wo es heißt, Reichsbischof Müller sei und bleibe .[u]nscr Kirchcnführcr•. Die .Deutschen Gonesworte" und die Schritt .Für und wider die Deutschen Goncswortc• finden sich au~h in einem Verzeichnis .aller Bücher und Schriften" der .Nationalkirchlichcn Bewegung" (K.A MINDEN, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft 25). Zu den "Deutschen Goncswortcn" vgl. unten S.250ff. 61 Vgl. E. STEG MANN, Kirchenkampf, S. 71 und unten S. 248 ff. 62 Zit. nach G. ScHÄFER, Landeskirche, Bd. S, S. 1126.
Müller und Rosenberg
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Müller und Oberheid den Versuch machen wollen, mit Hilfe von Rosenberg den Einfluß Kerrls ... zu beseitigen" 63 • Im Jahre 1937 antwonete Müller auf die Frage, welcher Unterschied zwischen ihm und Rosenberg bestehe, .,daß Rosenberg wie er den Schutt einer 1000-jährigen Kirchengeschichte wegräume und daß sie beide sehr wohl wüßten, was Glaube sei" 64 • Am 22. Oktober 1937 berichtete Rosenberg als der .,Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP" in seinen ., Venraulichen Mitteilungen" über die vom 9. bis 11. Oktober stattgefundene Reichstagung der ,.Nationalkirchlichen Bewegung ,Deutsche Christen'" in Eisenach, an der Müller teilnahm. Bemerkenswen ist, daß Rosenberg den Vonrag Lefflers und den des Jenaer Privatdozenten Walter Grundmann - bei Anerkennung einiger positiver Tendenzen -einer scharfen Kritik - wegen immer noch zu starker Bindung an traditionelle christliche Positionen -unterzog, während er von der Eröffnungsrede Müllers lediglich einige zentrale Gedanken kommentarlos sachlich wiedergab. Der Bericht Rosenbergs macht deutlich, daß dieser auch das .,Unternehmen" der radikalen Thüringer Deutschen Christen für letztlich ungeeignet hielt65 • In einem Schreiben vom 25. Januar 1939 bat die Münchener NSDAPReichspaneileitung Rosenberg um seinUneil über Müllers Buch ., Was ist positives Christentum?" 66 Wir wissen nicht, ob und in welcher Weise Rosenberg antwonete, aber die Anfrage zeigt, daß bei der Paneileitung Unsicherheit herrschte über den ideologischen Stellenwen des Buches und über Rosenbergs Haltung zu dem Buch, daß man offenbar eine positive Kritik Rosenbergs für durchaus möglich hielt. Eindeutig belegt ist, daß Rosenberg Müllers Buch ,.Der deutsche Volkssoldat" positiv einschätzte. Unter dem Datum des 18. Januar 1940 schrieb der Stabsleiter der Dienststelle des Stellvenreters des ,.Führers" Manin Bormann an Rosenberg: .,Vor einigen Tagen äußenen Sie in der Reichskanzlei dem Führer gegenüber, daß Reichsbischof Müller ein ausgezeichnetes Buch für den deutschen Soldaten geschrieben habe". Auf Bormanns Kritik an Rosenbergs Uneil hin- ., ... durch dies Buch (Müllers ,.Volkssoldaten"] werden unter Umständen Soldaten, die an sich bereits vom Christentum gelöst sind, 6.) Äußerung Friedrich von Bodelschwinghs bei einer Besprechung mit Denen und Stahn in Sethel am 28. 9. 1935 (HA BETHEL, 2/39-46). Zur Annäherung Müllers an Rosenberg 1934 vgl. oben S. 201 f. 64 Zit. nach R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 236. 6 s Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehnung der NSDAP [Rosenberg], Vertrauliche Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage, 22. 10. 1937 (K.A MrNDEN, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft 6). Das Dokument ist auch abgedruckt bei F. ZIPFEL, Kirchenkampf, S. 432-442. 66 Der Stellvertreter des Führers, Stab (München) an Rosenberg, 25. 1. 1939 (IFZ MüNCHEN, Akten, Microfiches 126 01839). Vgl. unten S. 275.
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung ( 1935-1945)
erneut mit zum Teil getarnt christlichen Gedankengängen vertraut gemacht"67- nahm Rosenberg, der irrtümlicherweise davon ausgegangen war, daß auch Bormann das Buch empfohlen hatte 68 , das Buch in Schutz: "Wir dürfen ... nicht vergessen, daß dieses Buch, das in vielem schon ganz abseits von allen Kirchen führt, von einem Mann verfaßt wurde, der immerhin evangelischer Reichsbischof gewesen ist. " 69 Müller war auch die Ursache für eine weitere Auseinandersetzung zwischen Bormann und Rosenberg, die sich in religionspolitischen Fragen keineswegs so einig waren, wie es in der Literatur vielfach behauptet wird 70 . Bormann nahm verschiedene Mitteilungen, "der Reichsbischof Müller erzähle allenthalben", er habe von Rosenberg "den Auftrag erhalten, Richtlinien für die Gestaltung des Religionsunterrichtes in den Schulen auszuarbeiten", zum Anlaß, Rosenberg in einem Brief vom 22. Februar 1940 "auf die ernsten Bedenken hinzuweisen, die ich [Bormann] gegen eine solche Beauftragung zu erheben habe." In langen Ausführungen begründete Bormann seine Haltung u. a. mit der Unmöglichkeit einer Synthese von Nationalsozialismus und Christentum und mit dem zu erwartenden Widerstand gegen solche Richtlinien von Seiten der Kirchen. Bemerkenswerterweise konzedierte Bormann immerhin, daß Müller "sich nach seinen letzten Veröffentlichungen ja selbst schon stark von Vorstellungen gelöst hat, die bisher zu dem Glaubensgut auch der Deutschen Christen gehörten." 71 Rosenberg reagierte auf Bormanns Brief sichtlich ungehalten: " ... die mehrseitigen Belehrungen über unsere Haltung mir gegenüber (sind) nicht notwendig ... ". Rosenberg dementierte energisch, Müller beauftragt zu haben. Auch Müller habe, so Rosenberg, "kategorisch verneint, erklärt zu haben, daß er von mir [Rosenberg] einen Auftrag ... erhalten hätte." Interessanterweise räumte Rosenberg in dem Schreiben allerdings ein, kürzlich zwei Unterredungen mit Müller gehabt zu haben. Einmal habe dieser ihn aufgesucht und sich über die persönliche und dienstliche Behandlung beklagt, der er seit Jahren ausgesetzt sei. Er- Rosenberg- habe Hitler über die Besuche und die Klagen Bericht erstattet. Rosenberg hatte sich also offensichtlich zum Fürsprecher Müllers beim "Führer" gemacht! Rosenberg fuhr in seinem Schreiben an Bormann fort, in einer der beiden Unterredungen mit Müller habe dieser "zwar auch gewisse Gedanken über die religiöse Jugenderziehung ausgesprochen, von mir aber keinen Auftrag erhalten. Ich habe ihm Bormann an Rosenberg, 18. 1. 1940 (Eao., Microfiches 126 02328). Rosenberg an Bormann, 20. 1. 1940 und Bormann an Rosenberg, 26. 2. 1CHO (Eao., Microfiches 126 02315f. und 126 02208f.). 69 Rosenberg an Bormann, 20. 1. 1940 (Eao., Microfiches 126 02315f.). 70 Vgl. etwa. M. BROSZAT, Staat Hitlers, S. 285; H.-U. THAMER, Verführung, S. 442; N. FREI, Führerstaat, S. 82. 71 Bormann an Rosenberg, 22.2. 1940 (IFZ MüNCHEN, Akten, Microfiches 126 02218-126 67
68
02224).
Müller und Rosenberg
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ediglich- was ich ja nicht hindern kann- freigestellt, etwas darüber nieder~ulegen, da er davon sprach." 72 Es ist sehr möglich, daß der wahre Sachvertalt so war, wie Kurt Meier es vermutet hat, daß nämlich Müller eine ::iesprächsanregung Rosenbergs für einen Auftrag ausgab 73 • Wenn Rosenberg auch offenkundig die Bedeutung und Intensität seiner Verbindung zu Müller gegenüber Bormann herunterzuspielen versuchte, so ;teht doch wohl außer Zweifel, daß es eine solche- engere- Verbindung gab. Es stellt sich natürlich die Frage nach den Hintergründen dieser Verbindung, ~umal Rosenbergs Name für eine Position steht, wonach Christentum und Nationalsozialismus sich zueinander wie Feuer und Wasser verhalten, eine Position, an die Bormann in seinem Schreiben Rosenberg erinnerte. Hier ;pielte zunächst sicherlich die Tatsache eine Rolle, daß Rosenberg in gewisser Weise das Schicksal des .,Kaltgestelltseins" bzw. des .,An-die-Seite-ge1rängt-Seins" mit Müller teilte. In Gestalt von Reichskirchenminister Kerrl ~atten die beiden einen gemeinsamen Widersacher. Rosenberg, dem die ~rhoffte Anerkennung in der Partei versagt blieb- sein .,Mythus des 20.Jahr~underts" erlangte niemals den Status einer parteiamtlichen Schrift -, benühte sich seit dem Herbst 1939 sehr, seine Stellung durch ein überdie Partei ':tinausgehendes Weisungsrecht auch gegenüber staatlichen Stellen zu ver;tärken. Es war nun hauptsächlich Kerrl, der gegen diesen Versuch ganz )ffen und mit bemerkenswerter Schärfe opponierte und der Hitler schließ.ich dazu bewog, sich am 21. Februar 1940 definitiv gegen das Bestreben R.osenbergs zu entscheiden 74 • Der sich schon vorher abzeichnende .,Sieg" K.errls dürfte Rosenberg noch einmal deutlich vor Augen geführt haben, daß Hitler immer noch nicht bereit war, auf offenen Konfrontationskurs gegen:iber den Kirchen zu gehen, wie es wohl Rosenbergs eigentlichen Intentionen ~ntsprochen hätte. Müller konnte nun für Rosenberg insofern nützlich sein, us dieser als prominenter Kirchenvertreter und früherer .,Kirchenführer", ler immer noch als der von Hitler protegierte .,Reichsbischof" in der Öffentichkeit auftrat, das Christentum gleichsam von innen heraus auflöste - hier war Rosenberg wohl, anders als Bormann, der Ansicht, daß Müller weiter als mdere, etwa die Thüringer, ging und daß er in Zukunft womöglich noch weiter gehen würde. Rosenberg hoffte vielleicht, die entstehende .,Konkursnasse" übernehmen und dann nach seinen Vorstellungen auf rein völkischtationalsozialistischer Grundlage etwas ganz Neues aufbauen zu können. \hnliche Pläne verfolgte, wie unten noch zu zeigen sein wird, auch Müller. Der Gegensatz Rosenberg- Kerrl und das Wohlwollen Rosenbergs gegeniber Müller zeigten sich auch, als sowohl Rosenberg als auch Kerrl um eine ;tellungnahme zu einer Eingabe an den .,Führer" vom April 1940 gebeten n Rosenberg an Bonnann, 27. 2. 1940 (Eao., Microfiches 126 02205-126 02207). n K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 22. 7• M. BaosZAT, Staat Hitlers, S. 298-300.
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
wurden, in der Müller schwere Vorwürfe gegen die Panei erhoben hane 75 • Während Kerrl Müllers Ausführungen in einem ausführlichen Schreiben scharf veruneilte- sie bewiesen, ,.daß der Reichsbischof zu einer nüchternen und zutreffenden Beuneilung der Sachlage nicht imstande ist" 76 -, ließ Rosenberg lediglich eine kurze Notiz anfenigen, in der es u. a. heißt, Müller sei bei seiner Eingabe von ,.falschen Voraussetzungen" ausgegangenn.
4. Müllers Briefe an Hitler
Mehrfach wandte Müller sich nach seiner faktischen Entmachtung mit Briefen bzw. Eingaben direkt an Hitler. Er erkannte richtig, daß der ,.Führer" ihn immer noch in gewissem Maße protegiene, ihn vor dem Verlust seines Titels und seines aktiven Gehaltes bewahne. Das Verhältnis Müllers zu dem für ihn ,.zuständigen" Minister Kerrl war, wie bereits aufgezeigt, stark belastet, da Müller hauptsächlich Kerrl für seine ,.Kaltstellung" verantwonlich machte. Daß der religions- und kirchenpolitische Kurs von Staat und Partei keineswegs festgelegt war, dürfte Müller, etwa auf Grund seiner Kontakte zu Rosenberg, ebensowenig verborgen geblieben sein wie die Tatsache, daß es auch auf diesem Gebiete unter den NS-Großen unterhalb Hitlers ein großes Gerangel um Kompetenzen und den einzuschlagenden Weg gab. Aus der Sicht Müllers war es demnach folgerichtig, sich- an Kerrl bzw. nach dessen Tod Ende 1941 am Reichskirchenministerium vorbei direkt an Hitler zu wenden, dem er schließlich fast seine ganze Karriere zu verdanken hatte und dem er noch immer- und bis an sein Lebensende- ohne Einschränkungen und mit großer Unterwürfigkeit loyal ergeben war. Darüber, daß Hitler seinerseits mit Müller persönlich längst ,.fenig" war, von ihm nichts mehr erwanete, war Müller sich freilich nicht im klaren, oder er wollte dies nicht wahr haben. Für den Zeitraum von April 1940 bis Juli 1944 sind sieben Briefe und Eingaben Müllers an Hitler erhalten, und es ist sehr möglich, daß es noch weitere Schreiben gab. Müller verfolgte zweifellos stets die Absicht, sich bei Hitler in Erinnerung zu rufen, und daß die erhoffte Antwon seine Position aufwenen würde, daß er wieder in irgendeiner Form zu Einfluß gelangen könnte. Zweimal, im April1940 und im Juli 1941, wandte Müller sich wegen seiner eigenen Stellung an Hitler. 7 !> Eingabe Müllers, April 1940 (Abschrift) (IFZ MüNCHEN, Akten, Microfiches 126 02619-126 02622; weitere Abschrift: BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Zu Müllers Eingabe vgl. auch unten S. 237ff. 76 Kerrl an Lammers, 13. 4. 1940 (BA ABT. PonoA.M, 51.01 RKM 23.709). 77 Rosenberg an Bormann, 16. 7. 1940, Anlage: Buth, Aktennotiz für den Reichsleiter, 12. 7. 1940 (IFZ MüNCHEN, Akten, Microfiches 126 02540f.).
Müllers Briefe an Hitler
237
Im April 1940 schrieb er an Lammers: "Im Anschluß an unsere Besprechung im Januar d[iese]s J[ahre]s bitte ich Sie, die Güte zu haben, eine Entscheidung des Führers darüber herbeizuführen, ob das Amt des Reichsbischofs liquidiert werden soll oder nicht." In dreizehn Punkten begründete er seine Bitte ausführlich. Er behauptete, er selbst habe Hitler "seinerzeit ... um die Berufung eines Reichskirchenministers gebeten, in der Absicht, daß der Minister im Auftrag des Führers als Staatsoberhaupt in gemeinsamer Arbeit mit mir die äußere Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche durchführen sollte". Kerrl habe nun aber jede Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt; er - Müller - sei zwar "de jure immer noch Reichsbischof", de facto aber sei sein Amt "ohne Funktion und Wirkungsmöglichkeit", es sei "geradezu zur Karikatur" geworden. Eine "zunächst als ,Übergang' zeitlich begrenzt gedachte Lösung" sei "Dauerzustand" geworden. Die Versuche, die Deutsche Evangelische Kirche "innerlich zu einigen", seien allesamt gescheitert. Er als Reichsbischof habe nichts erreichen können, da er nicht über die nötigen Machtmittel zur Durchsetzung der Einheit verfüge, Kerrl könne nichts erreichen, "weil er nur Macht hat" - offensichtlich spielte Müller hier auf die fehlende geistliche Autorität Kerrls an. In der evangelischen Kirche hätten "faktisch die Vertreter der den Nationalsozialismus innerlich ablehnenden sogenannten Bekenntniskirche das Heft in der Hand", die den Konfessionalismus neu konsolidierten. Einer solchen Kirche stehe er "geradezu feindlich" gegenüber, da es für ihn klar sei, "daß die Dynamik des Nationalsozialismus eine überkonfessionelle deutsche Volkskirche verlangt und nicht eine evangelische Konfessionskirche." Er habe "in den letzten Jahren" eine "völlig neu orientierte seelische Haltung" gewonnen, wie sie in seinem Buche "Der deutsche Volkssoldat" zum Ausdruck komme. Müller bemängelte, die Partei propagiere "im Lande den Kirchenaustritt, ohne für die Ausgetretenen eine nationalsozialistisch orientierte deutsche Volkskirche zu schaffen." Wie oben schon erwähnt, erhob er schwere Vorwürfe gegen die Partei. Seine "alten Kampfgefährten", die meist Parteigenossen seien, würden "von der Partei so schlecht behandelt, daß es nicht mehr zu ertragen ist"; demgegenüber erscheine die Bekenntniskirche "geradezu als ,Kriegsgewinnler'". Ebenso wie die Bekenntniskirche werde auch die römisch-katholische Kirche bevorzugt. Die gesamte evangelische Heeresseelsorge sei bekenntniskirchlich orientiert 78 • John S. Conway interpretierte Müllers Brief vom April1940 als Ausdruck von Resignation 79 • In der Tat erweckt der Brief den Eindruck, als habe Müller sich zunächst über die Bedeutung der Einsetzung Kerrls für seine Position getäuscht, als sei er nun endlich auf Grund des Andauems seiner 71
Müller an Lammers, April I'HO (Eao., Mierefiches 126 02619-126 02622; = BA ABT.
PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Vgl. oben S. 235f.
;-, J. CONWAY, Kirchenpolitik, S. 155.
238
Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
"Kaltstellung" zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation gekommen und als sei er jetzt bereit, die Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten. Dieser Eindruck ist sicher nicht falsch; der Brief zeugt bestimmt auch von Frustrationserfahrungen. Indes ist damit wohl noch nicht die eigentliche Intention umschrieben. Der Schlußteil des Briefes enthält einige konkrete Vorschläge und auch Forderungen, die nicht zu einem resignienen Rückzug passen und die Müller z. T. auch schon vorher in seinem Brief andeutete. Unter Punkt 13 formulierte er u. a.: "Das Beibehalten des Reichsbischofsamts hat nur noch dann einen Sinn, wenn eine überkonfessionelle deutsche Volkskirche erstrebt wird." Und in einem abschließenden- nicht beziffenen- Abschnitt heißt es: .,Ist der Führer aber der Ansicht, daß ich aus außen- oder innenpolitischen Gründen das Amt weitenragen soll, dann muß ich bitten, daß mir von den der Kirche immer noch geschenkten Unterstützungsgeldem ein Etat zur Verfügung gestellt wird, der mich in die Lage versetzt, das Amt eines Reichsbischofs der Bedeutung eines solchen Amtes entsprechend zu führen. Dieser Etat kann aber nicht dem Reichskirchenminister unterstellt werden, der sich als Gegner des Reichsbischofs betätigt, sondern er müßte der Reichskanzlei aufsichtlich unterstellt werden. Außerdem muß mir eine Wirkungsmöglichkeit geschaffen werden, daß ich mit Laienhelfern im Volk die Idee einer deutschen Volkskirche propagieren kann, ohne daß Panei-undDienststellen meine Arbeit hindern, wie das zur Zeit der Fall ist. Eine Aufgabe aber ist am vordringlichsten: die Schaffung eines deutschen Religionsbuches, das in der Zusammenarbeit mit dem Reichsleiter Rosenberg feniggestellt werden muß, zur Einführung eines deutschen frommen Religionsunterrichtes in allen deutschen Gemeinschaftsschulen. Ohne den Auftrag des Führers kann diese Arbeit aber nicht durchgefühn werden. Die Vorarbeiten für ein solches Religionsbuch habe ich bereits in Angriff genommen, und wenn der Führer die Absicht hat, mir den Auftrag dafür zu geben, bitte ich, dem Führer darüber Vonrag halten zu dürfen." 80 Müller dachte also keineswegs an einen Rückzug von seiner öffentlichen Wirksamkeit ins Privatleben, sondern übrigens ganz seinem kirchenpolitischen Programm entsprechend -lediglich an einen Rückzug von der Kirche, die er nominell noch immer repräsentiene. Er hoffte wohl, Hitlers ausdrückliche Genehmigung für die Verbreitung seiner neuen religiösen Überzeugungen und für den Aufbau einer entsprechenden Organisation zu bekommen sowie durch eine Beauftragung für die Gestaltung des Religionsunterrichtes wieder offiziellen Einfluß zu erlangen. Dabei sah er seinen Reichsbischofstitel offenbar als eine An Verhandlungsgegenstand an, oder er drohte gar indirekt, aus einer unbestimmten Ahnung heraus, daß man staatlicherseits an einem nominellen Weiterführen des 80 Müller an Lammers. April1940 (IFZ MüNCHEN, Akten. Microfiches 126 02619-126 02622; • BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709).
Müllers Briefe an Hitler
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Reichsbischofsamtes durch ihn immer noch interessien war, mit seinem Rücktritt, wobei dies natürlich keine reale Drohung sein konnte. Oben wurde bereits erwähnt, daß sowohl Kerrl als auch Rosenberg um eine Stellungnahme zu Müllers Eingabe vom April 1940 gebeten wurden. Während Rosenberg die Angelegenheit nicht weiter ernst nahm, kommt in der scharfen Reaktion Kerrls auch eine gewisse Furcht vor einer möglichen Konkurrenz Müllers zum Ausdruck. Kerrl interpretiene Müller so, daß dieser die Vereinigung der Befugnisse des Reichsbischofs mit den Befugnissen eines Reichsministers anstrebe. Dies sei aber, so Kerrl, u. a. wegen der konfessionellen Trennung in Deutschland "undurchführbar". Kerrl stimmte zwar der Ansicht Müllers zu, "daß die Lösung der religiösen Frage in unserem Volke nur dann richtig und erfolgreich angefaßt werden kann, wenn der Führer sich selbst entscheidet, ob und wie das geschehen soll", er betonte dann aber sofon: "Der Auftrag und die notwendigen Vollmachten dürften dann allerdings nicht dem Reichsbischof, sondern nur mir als dem zuständigen Reichsminister zu erteilen sein." Die Forderung Müllers, ihm einen Etat zur Verfügung zu stellen, lehnte Kerrl rundweg ab. Am Ende seiner Stellungnahme beklagte Kerrl sich seinerseits über fehlende Einflußmöglichkeiten: "Über Mangel an Macht sich zu beschweren, hatte der Reichsbischof wahrlich weniger Veranlassung als der Kirchenminister ... ". Er fügte freilich beschwichtigend und mit einer deutlichen Spitze gegen Müller hinzu: "Ich bescheide mich aber und erfülle auch ohne Macht meine Pflicht und werde dem Führer, wie es meines Amtes ist, zu gegebener Zeit die geeigneten Vorschläge machen, durch die der Nationalsozialismus auch die Entwirrung der religiösen Fragen im Deutschen Volke zu gutem Ende führen wird." Im übrigen argumentierte Kerrl, es sei ihm niemals um Fragen der Kirche im eigentlichen Sinne gegangen, er habe niemals eine Einigung des deutschen Protestantismus angestrebt, seine Aufgabe habe vielmehr immer darin bestanden, "dafür Sorge zu tragen, daß durch religiöse Streitigkeiten die Kirchen nicht zu einer Gefahr für den Staat werden können und daß der Weg zu einer religiösen Einigung des Deutschen Volkes nicht verbaut wird." Auch an religiös-theologischen Fragen sei er eigentlich gänzlich uninteressiert; das Buch "Der deutsche Volkssoldat" habe er "nicht einmal gelesen" 81 • Müllers Initiative hinsichtlich des Religionsunterrichtes, wie sie in seinem Brief vom April1940 zum Ausdruck kommt, scheint auch den "Stellvenreter des Führers" Rudolf Heß auf den Plan gerufen zu haben. Am 18. April 1940 sandte dieser jedenfalls Göring einen neunseitigen Brief82 , in dem er ohne Müller zu nennen - dringend vor einer Änderung der gegenwänigen Kerrl an Lammers, 13. 4. 1940 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Vgl. oben S. 235f. MüNCHEN, Akten, Microfiches 126 02601-126 02609. Eine Abschrift des Briefes wurde auch Rosenberg zugesandt: Bormann an Rosenberg, 25. 4. 1940 (Eso., Microfiches 126 02600). 81
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung ( 1935-1945)
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Müllers Briefe an Hitler
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Praxis des Religionsunterrichtes, insbesondere vor der Aufstellung staatlicher Richtlinien für den Religionsunterricht, warnte. Einen ganz ähnlichen Vorstoß wie im April1940 unternahm Müller auch im Juli 1941 mit einem direkt an den "Führer" gerichteten handschriftlichen Schreiben. In diesem in Salzburg verfaßten Brief verabschiedete er sich mit bemerkenswerter Offenheit und Eindeutigkeit endgültig von Kirche und Christentum: "Ich sehe mich genötigt, aus der Kirche, an deren Spitze ich noch formell stehe, auszutreten, weil ich die Lehren dieser Kirche nicht mehr vertreten kann." Er bat Hitler, "den Zeitpunkt zu bestimmen, wann ich den Kirchenaustritt vollziehen soll." Weiterhin machte er in dem Brief dem "Führer" davon "Meldung", daß er in "harter Arbeit und in schweren Stunden" ein neues Buch mit dem Titel "Die nationalsozialistische deutsche Volkskirche" geschrieben habe, mit dessen Inhalt die parteiamtliche Prüfungsstelle "völlig einverstanden" sei. Allerdings sei die Druckerlaubnis noch nichteneilt worden, "weil der Inhalt des Buches ... derartig ,hochpolitisch' sei, daß nur der Führer selbst darüber entscheiden könne." Müller bat deshalb, Hitler "[ ü]ber die in diesem Buch aufgezeigte Lösung der religiösen Frage durch etwas ganz Neues, in dieser Art nur durch den Nationalsozialismus möglich Gewordenes u[nd] nur durch Sie, mein Führer, Durchführbares ... zu gegebener Zeit Vortrag halten zu dürfen." 83 Sowohl formal als auch inhaltlich unterscheidet sich dieser Brief von der Eingabe vom April 1940 im Grunde lediglich durch größere Direktheit und Bestimmtheit. Beides führte immerhin dazu, daß Hitler persönlich von dem Brief unterrichtet wurde. Am 27. Juli 1941 teilte Lammers Müller mit: "Der Führer läßt Sie bitten, bis auf weiteres Ihren Austritt aus der Kirche nicht zu vollziehen und auch keinerlei Schritte wegen Niederlegung Ihres Kirchenamtes als Reichsbischof zu unternehmen. Die Notwendigkeit, sich ganz auf die Aufgaben der Kriegführung zu konzentrieren, macht es dem Führer leider auch unmöglich, Sie in absehbarer Zeit zu einem Vortrage über Ihr geplantes Buch zu empfangen." 84 Wenn Müller seine erklärten Ziele auch verfehlt hatte, so hatte er doch immerhin eine offizielle Bestätigung seiner wenn auch einflußlosen - Stellung als "Reichsbischof" durch den "Führer" und damit eine gewisse Aufwertung erhalten. Es zeugt von Müllers ungebrochenem Machtwillen, daß er diese Aufwertung für sich nutzbar zu machen versuchte. Als ihm der Gemeindekirchenrat für eine im Oktober 1941 geplante Predigt in Stralsund die Kirche verweigerte, wandte er sich telegrafisch an den Reichskirchenminister mit der Bitte, ihm zu seinem Predigtrecht zu verhelfen. Gleich zu Anfang des Telegramms begründete er seine Bitte damit, daß der "Führer" ihm habe "mitteilen lassen,
83
Müller an Hitler, 21. 7. 1941, hds. (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709).
84 EIID.
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
daß ich mein Kirchenamt als Reichsbischof vorläufig weiterführen soll." 85 Auch die merkwürdige Berufung auf seine angebliche "Immediat-Stellung" gegenüber dem .Führer" bei seinem Antrag auf Kriegsdienstbefreiung für seinen Fahrer (s. u.) könnte dadurch veranlaßt worden sein, daß Müller sein Amt nunmehr allein auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers hin weiterfühne. Bei einer Rede in Regensburg am 21. November 1941 behauptete Müller sogar, er habe ,.aufs neue vom Führer einen Auftrag bekommen", was natürlich zu Spekulationen darüber fühne, worin dieser Auftrag bestand und ob Müller mit Hitler selbst gesprochen hatte 86 • Am 30. Januar 1943 nahm Müller die Tatsache, daß die Geistlichen von der .,Anmeldepflicht aller einsatzfähigen deutschen Männer'" ausgenommen wurden, zum Anlaß für einen Brief an Hitler. Er bat .,um die Erlaubnis, daß ich mich in einem Aufruf an alle Geistlichen ... wende, um sie aufzufordern, sich freiwillig genau so zu melden, wie alle anderen deutschen Männer es auch tun." Wenn es in Müllers Brief dann heißt, er wolle sich an alle seine "Kameraden im Amt, einerlei welcher religiösen od[ er] konfessionellen Richtung" wenden, und wenn es weiterhin heißt: " ... ich (erkläre) mich sofon bereit, an jeder Arbeitsstelle, wohin ich auch gerufen werde, meine Pflicht zu tun", so ist klar, daß es Müller nicht allein um eine Stärkung der "Wehrkraft" ging, sondern - wieder - auch um eine Förderung seiner überkonfessionellen religiösen Ideen durch Hitler sowie um die Wiedererlangung von Einfluß, gleich welcher An. Der dem Brief beigefügte, ebenfalls von Müller verfaßte ,.Entwurf zu einem Aufruf an alle Geistlichen Deutschlands" erinnen an Äußerungen Müllers aus der Zeit der Weimarer Republik: .,Wenn das Vaterland ruft, haben die Geistlichen als Verkündiger des göttlichen Gebots der Liebe erst recht die Aufgabe, von dieser Liebe nicht nur zu predigen, sondern sie mit der Tat zu beweisen. Es gibt keine größere Liebe, als die, für die Kameraden sich einzusetzen mit Leib und Leben", aber auch an die in seinem Buch "Der deutsche Volkssoldat" erhobene Forderung nach einer Vorbereitung auf den .,totalen Krieg": .,Darum, Ihr Kameraden im Amt und alle Ihr Geistlichen ... legt die Versorgung der Gemeinde ... in die Hände frommerMännerund Frauen, und geht selbst an die Arbeitsstellen, as Müller an Reichskirchcnministcr, 27. 9. 1941 (fclcgramm; Eao.). Im Reichskirchenministerium war man offenbar nicht unbccindruckt. In einem Antwonschrciben an Müller heißt es, die Verfügung über die Kirchengebäude stehe dem Reichskirchenminister zwar nicht zu, da Hidcr einen entsprechenden Verordnungsentwurf nicht gebilligt habe, man habe Müllcrs .Anmg• aber an den Evangelischen Oberkirchenrat in Bcrlin als zuständige Behörde .zur weiteren Bearbeitung befürwoncnd abgegeben• (Rcichskirchcnminister an Müller, 2. 10. 1941 - Eao.). Der Berliner Oberkirchenrat lehnte Müllers Begehren allerdings ab (Evangelischer Oberkirchenrat Berlin an Müller, 8. 10. 1941- EBD.). 86 Dekan Daumiller (München) an Ev.-luth. Landeskirchenrat München, 12.12. 1941 (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9). Bei einer Rede am selbcn Tage in Hof .betonte• Müller, .er sei noch Reichsbischof, er werde nach Ende des Krieges wieder hcrvonreten• (Kreisdekan von Hof an Ev.-luth. Landeskirchenrat München, 10. 12. 1941- Eao.).
Müllers Briefe an Hitler
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wohin Ihr auch immer berufen werdet. Arbeitet und kämpft mit Hand und Herz und Kopf für den Sieg unseres Volkes! Ich selbst habe mich als erster sofort zur Verfügung gestellt." 87 In seinem Antwortschreiben vom 17. Februar teilte Lammers mit, er habe Hitler den Brief samt Anlage vorgelegt. Hitler habe dazu bemerkt, .,daß mit der Herausnahme der Geistlichen aus der Meldepflicht ja gerade der Anschein einer kirchenfeindlichen Einstellung vermieden werden sollte." Außerdem habe der .,Führer" entschieden, daß die Bitte um Erlaubnis für den Aufruf .,nicht erfüllt werden kann" 88 • Daß Müllers eigene Bereitschaft zum Kriegsdienst offenbar nicht ganz ernst gemeint war, zeigt die Tatsache, daß er im Dezember 1943 um eine Kriegsdienstbefreiung für seinen Fahrer nachsuchte (s. u.), auf den er, wie er schrieb, unmöglich verzichten konnte 89 • Es überrascht, welche-zumal in Kriegszeiten- vergleichsweise geringfügigen Anlässe Müller mitunter nutzte, um sich an Hitler zu wenden. In einem Schreiben vom 7. Januar 1943 setzte er sich für die Heilsarmee ein, deren Auflösung vom Reichsinnenminister verfügt worden war. Müller war vermudich von der militärischen Struktur dieser Freikirche angetan, auch mögen gewisse erweckliehe Reminiszenzen und eine späte Dankbarkeit für die Beteiligung der Heilsarmee an der Ehrung Müllers anläßlich seiner Wahl zum Reichsbischof 1933 eine Rolle gespielt haben. Nach Abstimmung mit Bormann rechtfertigte Hitlers Reichskanzleiminister Lammers in seinem Antwortschreiben das Verbot der Heilsarmee u. a. mit dem Hinweis auf den englischen Ursprung dieser ,.Sekte". Lammers versprach immerhin, mit dem .,Personal" der Heilsarmee ,.möglichst schonend" umzugehen. Wenn Lammers seinen Brief dann mit der Bemerkung schloß: ,.Ich bitte, diese Mitteilungen, die nur Ihrer persönlichen Unterrichtung dienen, als streng vertraulich zu behandeln", so mußte Müller sich, obwohl er in der Sache nichts erreicht und Hitler ihm auch nicht selbst geantwortet hatte, ernst und wichtig genommen fühlen 90 • Weniger ,.erfolgreich" waren drei Briefe an Hitler vom Juli und Dezember 1943 sowie vom Juli 1944, in denen Müller um eine Aufhebung des Verbots der Schulandachten im Evangelischen Gymnasium Gütersloh bat 91 , um eine Befreiung vom Kriegsdienst für seinen Fahrer nachsuchte 92 und gegen die Nicht-Erteilungeiner Erlaubnis für eine geplante Rede in Prag protestierte 93 • IFZ MüNCHEN, Akten, Mierefiches 101 29369-101 29371; vgl. BA ABT. Pono.uc, 51.01 RKM 23.709. Zu Müllers Buch .Der deutsche Volkssoldat• vgl. unten S. 280ff. 88 IFZ MüNCHEN, Akten, Mierefiches 10129372. 8 9 Müller an Kanzlei des Führers, 28.12. 1943 (BA ABT. Pono.uc, 51.01 RKM 23.709). 90 Lammers an Müller und Lammers an Barmann, 17.12. 1943 (IFZ MüNCHEN, Akten, Mierefiches 101 06830f.). 91 Müller (z.Zt. Bad Mergentheim) an Hider, 16. 7. 1943 (Eao., Mierefiches 101 014442/1). 92 Müller an Kanzlei des Führers, 28. 12. 1943 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 93 Müller an Hider, 14. 7. 1944 (Eao.). 87
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung ( 1935-1945)
Was die Schulandachten anbetrifft, so bat Lammers Bormann um eine Untersuchung. Diese Untersuchung, deren Ergebnis Müller mitgeteilt wurde, ergab, daß ein Verbot der Andachten "überhaupt nicht ergangen (ist)", daß lediglich bei der Gestaltung der Andachten eine Änderung in der Weise vorgenommen wurde, "daß nunmehr auf die Empfindungen aller Beteiligten Rücksicht genommen wird" 94 • Da Müller gegen eine Neugestaltung der Andachten schwerlich etwas einzuwenden gehabt häne - er trat selbst für neue Formen im religiösen Bereich ein und hielt unkonventionelle religiöse Feiern-, erwies sich seine Bitte als sachlich unbegründet und damit überflüssig- eine Bewenung, die man auch zwischen den Zeilen in dem Antwonbrief von Lammers lesen kann. Daß er sich mit der Bitte um Freistellung seines Fahrers vom Kriegsdienst direkt an den "Führer" wandte und den Reichskirchenminister überging, begründete Müller in einem Schreiben an die Reichskanzlei damit, daß der Reichskirchenminister nicht seine vorgesetzte Dienststelle sei. Wenn er dann weiter schrieb: "Ich unterstehe direkt dem Führer- meine ,Stellung' ist zu vergleichen mit dem, was man sonst Immediat-Stellung nannte" 95 , so zeugt dies gleichermaßen von Anmaßung und von völliger Verkennung der Realität. Müllers Argumentation scheint die Reichskanzlei denn auch kaum beeindruckt zu haben. jedenfalls sandte diese den Antrag ohne weiteren Kommentar "zuständigkeitshalber" an das Reichskirchenministerium, übrigens ohne Müller eine Abgabenachricht zu eneilen 96 • Das Reichskirchenministerium urteilte dann, man könne "eine dringende Notwendigkeit der Uk-Stellung des Chauffeurs des Reichsbischofs nicht an[ .. ]erkennen." 97 Müllers Protest gegen die Weigerung des "Reichsprotektors für Böhmen und Mähren" Hans Frank, ihn im Juli 1944 in der Prager Universität über das Thema "Die Religionskrise unserer Zeit" sprechen zu lassen 'll, beantwortete Lammers kurz und abweisend wie folgt: Frank trage dem "Führer" gegenüber die Verantwortung für das Protektorat. Es müsse daher ihm überlassen bleiben, "aus allgemeinpolitischen Erwägungen" einen Vortrag "über ein so umstrittenes Thema" zu verhindern. Frank habe im übrigen, wie Müllers eigener Darstellung in seinem Protestbrief zu entnehmen sei, bei seinem ablehnenden Bescheid eine "sehr entgegenkommende" Form gewählt. Lammers schloß, indem er Müller eine deutliche "Abfuhr" erteilte: "Bei dieser klaren Sachlage erschien es nicht erforderlich, den Führer, der mit kriegs-
94 Lammers an Müller. 4. 10. 1943 und Bormann an Lammers. 25. 9. 1943 (IFZ MüNCHEN. Akten. Microfiches 101 01441 f. und 101 01442/2). 95 Müller an Kanzlei des Führers. 28. 12. 1943 (BA ABT. PoTSDAM. 51.01 RKM 23.709). 96 Kanzlei des Führers an Reichskirchenminister. 27. I. 1944 (Eao.). 97 Reichskirchenministerium an Kanzlei des Führers. 13.2. 1944 (Eao.). 98 Müller an Hider. 14. 7. 1944 (Eao.).
Müllers öffentliche Auftritte
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wichtigen Aufgaben aufs Äußerste belastet ist, mit dieser Angelegenheit zu befassen." 99 5. Müllers öffentliche Auftritte
Müller hielt sich nicht an das Versprechen, sich ganz zurückzuhalten, das er Kerrl im Herbst 1935 hatte geben müssen. Lediglich Ende 1935 übte er eine gewisse Zurückhaltung und ließ mehrere Termine absagen mit der in etwa stets gleichlautenden Begründung: "Herr Reichsbischof hat mit Herrn Reichsminister Kerrl vereinbart, daß er sich in der nächsten Zeit mit Rücksicht auf die derzeitige kirchliche Lage etwas zurückhalten würde." 100 Spätestens ab 1936 trat er, wie schon angedeutet, wieder sehr häufig durch Vorträge, Predigten und Gottesdienste - oft besondere Festgottesdienste - bzw. "Gottesfeiern", Auftrine vor der Presse, Publikationen, die Wahrnehmung "repräsentativer Aufgaben" (Bürgermeisterempfänge, Teilnahme als Ehrengast an kulturellen Veranstaltungen u. ä.}, Haustaufen u. a. an die Öffentlichkeit, und zwar stets explizite als der "Reichsbischof". Die im Anhang 101 beigefügte Auflistung der öffentlichen Auftritte Müllers seit dem Herbst 1935, die natürlich unvollständig bleiben muß, gibt detailliert Auskunft über seine Wirksamkeit nach seiner faktischen Entmachtung. Danach trat er offenbar besonders häufig in Württemberg, Bayern, Westfalen, Mecklenburg sowie in seinem Wohnort Berlin auf, aber auch Auftritte in Schlesien, Sachsen, Thüringen, Baden, Schleswig-Holstein, in der Pfalz, im Rheinland und im Hannoverschen sind belegt. Besonders häufig scheint er in den Jahren 1936 bis 1938 sowie im Herbst 1941 aufgetreten zu sein; in der Zeit von 1939 bis zum Herbst 1941 scheint er dagegen selten an die Öffentlichkeit getreten zu sein, ab 1942 scheint die Zahl seiner Auftritte abgenommen zu haben. Allerdings plante er ja sogar noch für den Juli 1944 eine Rede. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß Müller meist bei Veranstaltungen bzw. auf Einladung der Deutschen Christen nationalkirchlicher (Thüringer) Richtung ("Bund für Deutsches Christentum", DC-"Nationalkirchliche Bewegung", DC-"Nationalkirchliche Einung") bzw. von DCGruppen in den genannten Ländern, die dieser Richtung nahestanden, auftrat. Ende 1936 hielt er aber z. B. auch noch mit Erfolg einen Vortrag vor einer Landeskirchlichen Gemeinschaft 102 • Lammers an Müller, August 1944 (Eao.). Sekretariat des Reichsbischofs an Superintendent von Nordhausen, I. 11. 1935 (Konz.) (EZA BERLJN, 1/C 4/34; dort weitere entsprechende Briefkonzepte). •o• Vgl. unten S. 315ff. 102 Müller, Rede bei der .Gemeinschaft des Nordens•, 26. 11. 1936 (EZA BERLIN, 50/333). 99
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Müllers Auftrine hatten stets eine stark polarisierende Wirkung. Sein Kommen ließ den seit 1935 etwas abgeflauten Kirchenkampf jeweils vor On mit ganzer Heftigkeit von neuem entflammen. Wie schon erwähnt, versuchten die um ihre Autorität besorgten Kirchenausschüsse mit allen Mitteln, auch durch offizielle Verlautbarungen, die Auftrine zu verhindern. Natürlich erhob sich auch von Seiten der Bekennenden Kirche, einschließlich der Kirchenleitungen der sogenannten "intakten" Landeskirchen, aber auch von nicht bekenntniskirchlich orientienen Kirchengemeindevorständen und sonstigen kirchenleitenden Institutionen -etwa dem badischen Landesbischof und dem Geistlichen Venrauensrat, der 1939 im weiteren Sinne die Nachfolge des Reichskirchenausschusses antrat-, von z. T. nationalsozialistisch orientienen Privatleuten sowie von Seiten der DC-Reichsleitung unter Rehm vielfältiger, mitunter sehr heftiger Protest 10J. Teilweise konnten Auftritte dadurch verhinden bzw. erschwen werden, daß ihm kirchliche Räume verwehn wurden 104 , in der Regel mußte man sich jedoch auf verbalen Protest beschränken. Das "halbherzige" Vorgehen des Reichskirchenministeriums gegen die Auftrine - teilweise dadurch bedingt, daß es dem Kirchenministerium an Kompetenzen mangelte, teilweise dadurch, daß das Ministerium Müller gegen die Kirchenausschüsse gleichsam "ausspielte" - wurde bereits dargestellt. Immerhin unterband das Reichskirchenministerium z. T. die öffentliche Propaganda für Auftritte Müllers und wandte sich im Mai 1936 mit der Bitte an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, bei offiziellen Anlässen künftig nicht mehr Müller, sondern den Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses Wilhelm Zoellner als Repräsentanten der evangelischen Kirche einzuladen 105 • Andere staatliche Stellen - vor allem die Gestapo -, denen es um die Vermeidung öffentlicher Unruhe ging, sprachen wiederholt Auftrittsverbote aus, an die Müller sich dann auch hielt 106• Die Schriftleitung der Zeitung "Der Westen" wurde im April1936 wegen der Veröffentlichung eines Inter-
103 Zu den Protesten gegen Müllers Auftritte vgl. u.a. H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 213; K. MEIEil, Kirchenkampf. Bd. 2. S. 118 und 402; EBD., Bd. 3, S. 247 und 524; K. 0. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, S. 533 und 589ff.; Bd. 1112, S. 881 ff. und 1139. Zahlreiche Hinweise auch in den Akten EZA BERLIN, 1/A 4/26 und 1/A 4/488. Zum Protest von deutschchristlicher Seite vgl. u. a. Rehman Zoellner, 1. 7. 1936 (EZA BERLIN, 1/A 4/488) undRehman Kerrl, 30. 10. 1936 (Abschrift) (EZA BERLIN, 1/A 4/392. BI. 288-293). 104 Vgl. u. a. K. 0. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 864. lOS Reichskirchenminister an Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. 22. 5. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709); vgl. K. MEIER, Kirchenkampf. Bd. 2, S. 402. Vgl. auch oben S. 226. 106 Vgl. u. a. R. BERGMANN, Documenta. Bd. 2, S. 297f.; K. MEIER, Kirchenkampf. Bd. 2, S. 329 und 429; BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.138; STA MüNSTER, 1022; vgl. auch K. MEIEil, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 482; R. BERGMANN, Documenta. Bd. 3, S. 266.
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views mit Müller auf Initiative des Reichskirchenministers durch den Reichspropagandaminister verwarnt 107• Einen besonderen Aufschwung nahm Müllers öffentliche Wirksamkeit, nachdem Hitler nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses am 15. Februar 1937 einen Erlaß zur Wahl einer Generalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche herausgegeben hatte. Müller sah für sich die Chance, durch diese Wahl, die dann freilich nicht stattfand, wieder zu größerem Einfluß gelangen und seine kirchenpolitischen und religiösen Vorstellungen durchsetzen zu können 108 • Mit Unterstützung der DC-Organisationen Thüringer Richtung engagiene er sich in einer An ..Wahlkampf", war, wie der sächsische DC-Landesbischof Coch am 26. Februar 1937 schrieb, .,jetzt dauernd im Reiche auf Vonragsreisen unterwegs" 109 • In einer .. Wahlkampf"-Rede in Hannover im März 1937 erkläne Müller, er wolle sich .,selbst an die Spitze" der .,Liste" stellen, die dafür eintrete, daß die Kirche kein "Fremdkörper" mehr im Staate ist, sondern .,auf allen Machtanspruch verzichtet". Der Bruderrat der Bekennenden Kirche der Kirchenprovinz Sachsen bezeichnete ihn daraufhin als den .,Spitzenkandidat(en]" der Deutschen Christen 110 • Wie in der Hochzeit des Kirchenkampfes 1933/34 verursachte dieses Engagement Müllers die Herausgabe zahlreicher gegen ihn bzw. seine Reden gerichteten Flugschriften durch die Bekenntniskirche sowie durch Venreter der sogenannten kirchlichen "Mitte", in denen z. T. auch wieder .,unkonventionelle" Äußerungen Müllers mit seinen früheren traditionell kirchlichen Aussagen verglichen wurden 111 • Die bereits erwähnteTaufe der Göring-Tochter Edda durch Müller am 4. November 1938 rief auch außerhalb der Kirche, bei zahlreichen aus der Kirche ausgetretenen Nationalsozialisten, Verunsicherung und massiven Protest hervor 112 • Die Taufe wurde in Görings Haus Karinhall (bei Eberswalde) vorgenommen. Müller äußene während der Taufzeremonie: "Und nun frage ich Euch, Eltern und Paten: Wollt Ihr geloben, dieses Kind so zu erziehen und zu betreuen, daß es aufwächst in Gottvenrauen und Verantwonungsbewußtsein, in Liebe und Treue zu Volk und Vaterland, so antwortet: Ja'. So bitte ich Sie, mein Führer, daß Sie im Namen der übrigen Paten 107 Reichskirchenminister an Reichspropagandaminister, 17. 4. 1936 und Reichspropagandaminister an Reichskirchenrninister, 15. 5. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RK.M 23.709). 108 Zu Hiders Wahlerlaß und dem .Kampf um eine imaginäre Kirchenwahi• vgl. u.a. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 148-154. 109 Friedrich Coch (Dresden) an Dr. Meerwald (Berlin), 26. 2. 1937 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 110 Bruderrat der Bekennenden Kirche der Provinz Sachsen, Nachschrift der Rede Müllers am 19. 3. 1937in Hannover (LKA BrELEFELD, 5,1-305,3). 111 LKA BIELEFELD, 5,1-17,2; 18,2; 748,2; LKA STUTTGART, D 11118. 112 Mehrere Protestbriefe sind abgedruckt bei L. Pou.uov/j. WuLF, Reich, S. 211-217.
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dem Kinde ihre Hand auflegen, und auch Sie bitte ich, Herr Feldmarschall."10 Besonderes Aufsehen erregte schließlich Müllers Nachruf bei der Beerdigung des Thüringer LandesbischofsManinSasse im Sommer 1942. Ähnlich wie schon in seinem Brief an Kerrl vom 10. Oktober 1935, in seiner Besprechung mit Ministerialdirigent von Denen am 3. Juli 1936 und in seiner Eingabe an Hitler vom April t.940 übte Müller scharfe Kritik an der Religionspolitik der NSDAP, die diejenigen, die in kirchlicher Stellung dem Nationalsozialismus die Treue gehalten hätten, fallen gelassen habe, und das obwohl der Anikel24 des Paneiprogramms mit dem Bekenntnis zum .positiven Christentum" nach wie vor gültig sei. Wönlich sagte er u.a.: "Als vor acht Jahren der Landesbischof Sasse hier in dieser Kirche in sein hohes Amt feierlich von mir eingefühn wurde, beteiligten sich daran mit absoluter Selbstverständlichkeit die höchsten Venreter der Panei und des Staates. Heute ist kaum ein Braunhemd in der Kirche zu sehen. Und wenn es der Fall ist, dann bestimmt nicht mit Wissen und Willen der derzeitigen Paneileitung . . . . Der moderne Mänyrer wird nicht mehr wilden Tieren vorgeworfen, aber wenn das Beste im Menschen, das Größte und Stärkste seiner Seele, und das ist das, was Deutsche Yenrauen nennen, dieses Yenrauen sich getäuscht sieht, wenn Unkameradschaftlichkeit anstelle der Kameradschaftlichkeit tritt, wenn trotz dieser ionersten höchsten Not der Mann dennoch dem Führer persönlich weiter die Treue hält, dann ist das Märtyrenum, über das mancher moderne Politiker im Augenblick vielleicht noch lächelt, das ihm aber zu seiner Zeit den Atem verschlagen wird. • 114 Müllers kaum mehr verhüllter Angriff auf die Panei - bei gleichzeitigem Treuebekenntnis zum ,.Führer" -wurde vermutlich von der Gestapo beargwöhnt115. Manin Bormann sandte jedenfalls allen Reichsleitem, Gauleitern und Verbändeführern ,.streng venraulich" eine offensichtlich geheimpolizeiliche Mitschrift von dem Nachruf zu mit dem Vermerk: ,.Die NSDAP dient dem ganzen Volk, nicht Konfessionen, deren Meinungsverschiedenheiten sie sich auch weiterhin fernhält und fernhalten muß. • 116 Der Thüringer Kirchenrat Paul Lehmann, der die Nachfolge Sasses anstrebte, sah sich durch lU Zit. nach G. VAN NORDEN, Wir verwerfen, S. 152; dort Faksimileabdruck eines Teils von Müllers handschriftlichem Manuskript. 114 Zit. nach BDC, 24-f, BI. 160f. (Anlage zu einem ,.streng vertraulichen• Rundschreiben Bormanns an die Reichs- und Gauleiter sowie die Verbändeführer vom 10. 9. 19-42- vgl. unten im Text). Ein etwas anderer, sinngemäß aber gleicher Wortlaut ist überliefert bei P. DAHINTEN, Chronik (Ms.), der sich auf eine nach der Trauerfeier angefertigte Nachschrift stützte; vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 71; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 481. Vgl. oben S. 220; 225; 237. 11 ~ So K. Meier(EBD., 5.482) gegen E.STEGMANN, Kirchenkampf,S. 71, wo es heißt, es sei ein Zeichen für die Bedeutungslosigkeit Müllers ,.im Jahre 1941 [sicW, daß die Gestapo keine Notiz genommen habe. 116 BDC, 244, BI. 159-161.
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Müllers Nachruf genötigt, in zwei Stellungnahmen an die Pfarrer ,.den fatalen Eindruck zu beseitigen, als habe in Thüringen eine Spannung zwischen NS-Partei und Staat einerseits und evangelischer Kirche andererseits bestanden". Lebmann warnte die Geistlichen davor, ,.bewußt oder unbewußt zu Werkzeugen religiös getarnter politischer Unzufriedenheit gemacht zu werden", und gab die Schuld an Problemen im Verhältnis von Staat und Kirche ausschließlich dem .,alten Kirchentum", das kein Verständnis für die Ziele des Nationalsozialismus habe 117 • Lebmanns Versuche, sich- u.a. auf Kosten Müllers - zu profilieren, scheiterten. Seine Kritik an Müller stieß zwar auf keinen Widerspruch, wohl aber die offizielle Form seiner Stellungnahmen, die sowohl von der Bekennenden Kirche als auch von den Thüringer Deutschen Christen als Anmaßung empfunden wurde. Lebmann wurde schließlich sogar beurlaubt 118 • So sehr Müller auf der einen Seite mit seinen Auftritten auch auf offene, starke Abwehr von verschiedenen Seiten stieß, so gelang es ihm auf der anderen Seite doch, häufig eine recht große Menschenmenge bei seinen Veranstaltungen zu versammeln, bei der er dann auch in der Regel recht gut ankam. Oft hatte er mehrere hundert Zuhörer 119, bei einer .,Wahlkampf"Rede in Bayreuth sollen es sogar 1800 gewesen sein 120 • Allerdings scheint das Interesse an Müllers Auftritten in der zweiten Kriegshälfte stark zurückgegangen zu sein- vermutlich der Grund für Müllers weniger häufiges Auftreten. Im Jahre 1942 sollen bei verschiedenen Veranstaltungen mit Müller in Bayern jeweils nicht mehr als ein dutzend Personen anwesend gewesen sein 121 • Bei einer .,Gottesfeier" Müllers in Mülheim/Ruhr am 8. November 1942 waren freilich immerhin noch etwa 450 Personen anwesend 122 • Selbst die schlecht besuchten Auftritte Müllers in Bayern nahm Landesbischof Meiser aber so wichtig, daß er sich über jede einzelne Veranstaltung ausführlich Bericht erstatten ließ. Diesen Berichten zufolge handelte es sich bei den Zuhörern um eine relativ homogene Gruppe, überwiegend um zum mitderen und wohlhabenden Bürger- und Beamtenturn gehörende Frauen ab etwa dreißig Jahren, die meist Parteimitglieder waren und zu den thüringisch orientierten DC-Gruppen gehörten. Aber auch zahlreiche Katholiken und 117 K. MEtER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 482; vgl. auch R. BERGMANN, Documenta, Bd. 3, S. 273. Die Stellungnahmen Lehmanns sind abgedruckt in: KJ 1933-44, S. 503-508. 11 • K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 482-484. 119 Vgl. etwa Karl Scheuermann (Stungan) an Evangelischer Oberkirchenrat Stungan, 15. 6. 1938 (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 112). IZO H. BAIER, Deutsche Christen, S. 318. lll Evangelisches Piarramt Mühldorf an Evangelischer Landeskirchenrat München, 16. 2. 1942 (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9); vgl. H. BAIER, Kirche in Not, S. 272 und 274f.; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 467. 122 Aktenvermerk des Evangelischen Konsistoriums Düsseldorf, 11.11. 1942 (EZA BERLIN, 7/1015).
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aus der Kirche Ausgetretene sowie Angehörige von Freikirchen sollen Müllers Veranstaltungen besucht haben 123 • Wie schon seine Reden in früheren Jahren waren auch die Reden Müllers nach seiner faktischen Entmachtung meist sehr lang, kaum strukturien und gehaltarm. Er sprach in der Regel frei, liebte etymologische Betrachtungen und erzählte gerne Anekdoten aus seinem Leben. Zwar legte er, auch bei Predigten und Andachten, nur selten einen Bibeltext zu Grunde (wenn er es doch tat, so handelte es sich oft nur um einen Versteil, häufig aus dem Johannes-Evangelium), während seiner Ansprachen kam er jedoch immer wieder auf bestimmte neutestamendiche Motive (etwa den "verlorenen Sohn") zu sprechen 124 •
6. • Deutsche Gottesworte"- Müllers. Verdeutschung• der Bergpredigt
Im März 1936 erschien im Thüringer .. Verlag Deutsche Christen, Weimar" Müllers erstes Buch, mit dem Titel: "Deutsche Gotteswone, verdeutscht von Reichsbischof Ludwig Müller". Bei diesem Bändchen, das viel Aufsehen erregte, handelt es sich um eine Übenragung bzw. "Verdeutschung" der Bergpredigt nach Matthäus in einer äußerst freien und unkonventionellen, meist sinnentstellenden Weise. Müller erklärte zwar, er habe nicht übersetzen wollen und es sei ihm auch nicht um Wissenschafdichkeit gegangen - an exegetischen Fragen hatte er also offensichtlich kein Interesse -,er betonte aber, er habe den nach seiner Ansicht für seine ,.nationalsozialistischen Kameraden" und "Volksgenossen" nicht mehr zeitgemäßen Luthenext modernisieren und es seinen "Volksgenossen im Dritten Reich" ermöglichen wollen, sich "ein eigenes Uneil" zu bilden "über Christus und über das, was er will." Als Abfassungsmotiv nannte er dementsprechend ein rein volksmissionarisches Anliegen: Es sei ihm darum gegangen, den" Volksgenossen im Dritten Reich", die der Kirche entfremdet seien und ihre Sprache nicht mehr verstünden, die Bergpredigt in einer Weise- wieder- nahezubringen, die sie "verstehen und begreifen" 125 - worunter er die Sprache und Vorstellungswelt der Nationalsozialisten verstand. Mag er den Ton der Nationalsozialisten auch getroffen haben, der Gehalt der Bergpredigt ging bei seiner Übenragung, was wohl unvermeidlich war, nahezu vollständig verloren. Zwar wird man Müller ein subjektiv ernsthaftes Bemühen um Volksmission bei der Abfassung der "Deutschen Gotteswone" durchaus m Vgl. LKA NüRNBERG, LKR II, 246 und Pers. XXXVI, 33/5 und 112. Vgl. die Quellenangaben zum Anhang dieses Kapitels: Auftrine Müllers nach seiner faktischen Entmachtung, S. 315ff.; zum Inhalt der Reden, Predigten etc. vgl. unten S. 284ff. IZS L. MüLLER, Gotteswone, S. 7und 38f.; DERs., Für und wider, S.5f. Auszüge aus Müllers .Deutschen Goneswonen• sind abgedruckt bei K.D. ScKMJDT, Dokumente, Bd. 1111, s. 583-589. 12 4
Müllers • Verdeutschung• der Bergpredigt
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zugestehen müssen, Reijo Heinonen stellte aber zweifellos zu Recht die These auf, daß es Müllers eigentliches Motiv gewesen sei, .durch Reformarbeit in einem traditionellen Aufgabenbereich", nämlich dem der Bibelübertragung, nach seiner faktischen Entmachtung .seine geistliche Führerrolle in der Deutschen Evangelischen Kirche zu beweisen•, worauf schon die Unterzeichnung des Vorwortes mit .Euer Reichsbischof" hinweise 126• Die Bergpredigt-.Verdeutschung" steht unter der Überschrift: .Der ewige Christus spricht" m·. Auf weitere Überschriften verzichtete Müller, ebenso auf Kapitel- und Versangaben. Er übertrug den Text der Bergpredigt nach Matthäus 5, 3 bis 7, 27 nahezu vollständig 128 • Bei vielen Versen ist allerdings eine Analogie zum Matthäus-Text nur noch mit Mühe erkennbar, wenngleich Aufbau und Duktus des Bibeltextes übernommen wurden. Versteile fehlen des öfteren bzw. sind überhaupt nicht wiederzuerkennen. Mehrere Satzteile und ganze Sätze fügte Müller eindeutig völlig analogielos ein, zweimal vertauschte er die Reihenfolge der Verse 129 • Die für die Bergpredigt völlig ungewohnte und inadäquate militärisch straffe und völkisch-nationalistische Begrifflichkeit fällt selbst beim oberflächlichen Lesen der .Deutschen Gottesworte" sofort ins Auge. So wird beispielsweise aus der Seligpreisung der .Sanftmütigen• (Mt 5, 5 nach Luther): • Wohl dem, der allzeit gute Kameradschaft hält." uo In zeitgenössischen Kritiken der .,Deutschen Gottesworte" von dem Theologieprofessor Adolf Allwohn und vor allem von Otto Dibelius sowie in dem offiziellen Gutachten des Reichskirchenausschusses wurden Müllers Arbeitsweise bzw. seine Kriterien für seine stark inhaltsändernde.Verdeutschung" bereits recht klar beschrieben 131 • Im wesentlichen lassen sich fünf Änderungsprinzipien ausmachen: 1. Müller schied alles aus, was auf das Alte Testament und das Judentum Bezug nimmt. So werden z. B. aus den Propheten, Schriftgelehrten und Pharisäern .,Lehrer und Prediger•, aus dem mosaischen Gesetz und den Geboten die .göttlichen" oder .,ewigen" ., Wahrheiten und Forderungen" und aus dem alttestamentlichen Altaropfer der .Gottesdienst" bzw . .,KirchR. HEtNONEN, Anpassung, S. 166. L. MüLLER, Gotteswone, S. 9. 121 Sieht man von einigen fehlenden Dubletten im weiteren Sinne ab (Mt 6, 17; 7, 10.18.20), so fehlen lediglich die Verse nach Matthäus 5, 25 f. und 35 f. vollständig. 129 Am auffälligsten ergänzte Müller vor der Übertragung von Matthäus 7, 12 (L. MüLLER, Gotteswone, S. 28). Weitere eindeutige Einschübe Müllers z. B. nach der Übenragung von Matthäus 5, 30; 6, 8.25; 7, 5.14 (Eao., S.14, 20, 23, 25 und 29). Die Reihenfolge der Verse vertauschte Müller bei der • Verdeutschung• von Matthäus 7, 7-11 und 7, 24-27 (Eao., S. 27 und 32). 130 EBD. 9. ut A. ALLWOHN, Bergpredigt, S. 190 und 226; 0. DrBELJUS, An.: Ludwig Müller. Das Gutachten des Reichskirchenausschusses ist abgedruckt bei K.D. ScHMJDT, Dokumente, Bd.II/1, S. 589-594. 12r. 127
s.
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gang" 132 • Die acht Stellen, an denen im Luthenext von .Lohn", "belohnen" und "vergelten" die Rede ist, ändene Müller, wahrscheinlich, um jegliche Assoziation mit der im Nationalsozialismus geächteten .jüdischen Lohnmoral" zu vermeiden 133 • Das alttestamentliche Scheidungsrecht, das Matthäus 5, 31 zitien wird (.Es ist auch gesagt: Wer sich von seinem Weibe scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief"), bleibt in den "Deutschen Gotteswonen" völlig unerwähnt 134 • Von der Stadt Jerusalem, den Zöllnern und von Salomo ist don ebenfalls nicht mehr die Rede 13s. Müller löste aber die Bergpredigt nicht nur aus dem Kontext des jüdischen Volkes heraus, sondern er stellte sie bzw. das, was er daraus machte, zudem sprachlich und durch die ausdrückliche Beschränkung des Adressatenkreises im Vorwon auf die" Volksgenossen im Dritten Reich" 136 in den Kontext des deutschen Volkes hinein. Wo in der Bergpredigt z. B. in der Form: "Ihr habt gehön, daß zu den Alten gesagt ist ... " etc. (Mt 5, 21.27.33.38.43) indirekt auf das alttestamentliche Gesetz Bezug genommen wird, formuliene er so, daß sich - zumal nach dem Vorwon - der Leser des nationalsozialistischen Deutschland direkt durch Müllers "ewigen Christus" angesprochen fühlen mußte, und dies war ganz offensichdich beabsichtigt: "Ihr tragt es in eurem Blut und eure Väter haben es euch gelehn ... ", "Ihr wißt, daß in eurem Volk die fromme Überlieferung ... ", "Im Volksmund heißt es immer noch ... " etc. 137• 2. Müller schwächte die Imperative der Bergpredigt mit ihrer unbedingten Schärfe stark ab. Das "lebensschützende Gesetz" Matthäus 5, 21 ("Du sollst nicht töten ... ") wird in den "Deutschen Gotteswonen" zum Verbot des "Meuchel-Mordes" abgemilden 138 • Während nach Matthäus 5, 22 bereits derjenige, der "zu seinem Bruder" "Du Narr!" sagt, "des höllischen Feuers schuldig" ist, ist nach Müller erst derjenige "härtester Strafe schuldig", der "seinen Volksgenossen" "moralisch zu vernichten sucht oder ihn tätlich bedroht" 139• Wenn es in den "Deutschen Gotteswonen" heißt: "Eine Ehe, die unwahr geworden ist, ist keine rechte Ehe. - Ehebruch gibt Recht zur Scheidung. Nimm es aber nicht leichtfenig mit der Scheidung", so ist das bei aller Unklarheit- sicherlich eine Relativierung von Matthäus 5, 32: "Wer sich von seinem Weibe scheidet, es sei denn um Ehebruch, der macht, daß sie die Ehe bricht ... " 140 Am deutlichsten wird die Abschwächung der Fordem L. MüLLER, Gotteswone, S. 9, 11, 13, 30; vgl. Mt 5, 12.15.17-20 und 23f.
Eao., S. 13, 17f., 21; vgl. Mt 5, 12.46; 6, 1 f. 4f. 16 und 18. u 4 Eao., S. 14. m Mt 5, 35.46f.; 6, 29; L. MüLLER, Gotteswone, 5.15, 17und 24. u• Eao., S. 7. 137 Eao., S. 12 und 14-17. m R. HEINONEN, Anpassung, S. 172; L. MüLLER, Gotteswone, S. 12. u• Eao. 140 Eao., S. 14; vgl. K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, S. 591 (RKA-Gutachten); 0. DrBELIUS, An.: Ludwig Müller, S. 319. UJ
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rungen Jesu bei den Wortenjesu vom Schwören und vom "Backenstreich". Während Jesus nach Matthäus 5, 34 das Schwören grundsätzlich verbietet, verbietet Müllers "ewiger Christus" nur, "bei jeder Kleinigkeit" zu schwören 141 • Den Vers Matthäus 5, 39: " ... so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar" übertrug Müller wie folgt: .. Wenn dein Kamerad in seiner Erregung dir ins Gesicht schlägt, ist es nicht immer richtig, gleich wieder zu schlagen. Es ist mannhafter, überlegene Ruhe zu bewahren. Wahrscheinlich wird dein Kamerad sich dann schämen." 142 Eine weitere massive Abschwächung der Imperative ist es natürlich, wenn die Geltung der Gebote, wie schon angedeutet, fast durchweg auf die .. Volksgemeinschaft" beschränkt wird. So wird z. B. aus dem Feind im Gebot der Feindesliebe (Mt 5, 44) der "Gegner" innerhalb der ..Volksgemeinschaft" 143 • Aber auch sonst wird in den "Deutschen Gottesworten" der universale Geltungsanspruch der Gebote der Bergpredigt relativiert, da stets nur von .. Volksgenossen" und "Kameraden" die Rede ist 144 • Stark abgeschwächt wird schließlich - bzw. es verschwindet völlig die Forderung nach Demut in der Bergpredigt. An deren Stelle tritt, wie der Gutachter des Reichskirchenausschusses es nannte, die Forderung nach "eigensüchtiger Selbstbehauptung" und stolzer .. Vornehmheit". Der Gutachter verwies hier auf die Stelle im Wort vom "Backenstreich" Matthäus 5, 39, die Müller übertrug mit: .,Es ist mannhafter, überlegene Ruhe zu bewahren. Wahrscheinlich wird dein Kamerad sich dann schämen", sowie auf die Stelle in Matthäus 5, 44: " ... bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen ... ",die in den "Deutschen Gottesworten" lautet: " ... gebt euch Mühe, selbst einem Beleidiger und Verfolger gegenüber eine vornehme und ruhige Haltung zu bewahren" 145 • An dem Eindruck der Relativierung der Demutsforderung vermögen auch die Stellen bei Müller nichts zu ändern, an denen "ichsüchtige Menschen", "Selbstsucht", "Eigennutz" und "Überheblichkeit" kritisiert werden, denn an all diesen Stellen wird nicht eigentlich Demut ~~fordert, sondern ein "Sich-selbst-Bemühen", Selbstsucht, Eigennutz und Uberheblichkeit zu überwinden: "Kinder Gottes sollen sich mühen, anders zu sein, als ichsüchtige Menschen." - .. Wenn du jeden Tag nur kurze Zeit anbetend still sein wolltest vor dem ewigen Gott, so würdest du gar bald alle Überheblichkeit verlieren, weil du dann genug zu tun hast, um selber mit Gott ins Reine zu kommen." 146 L. MüLLER, Gotteswone, S. 15. Eao., S. 16. 14 3 Eao., S. 17; vgl. auch Eao., S. 16. 144 K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, S. 593; R. HEtNONEN, Anpassung, S. 169f. 14 s L. MüLLER, Gotteswone, S. 16f.; K.D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 1111, S. 593. 14 ~> L. MüLLER, Gotteswone, S. 17, 25 und 29; vgl. auch 0. DtBELJUS, An.: Ludwig Müller, 5.318. 141
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3. Mit der "Relativierung der unbedingten Forderungen Jesu" geht eine Moralisierung der Bergpredigt einher. Diese Moralisierung zeigt sich besonders deutlich darin, daß die "Goldene Regel" (Mt 7, 12), die Luther als Zusammenfassung des "natürlichen Gesetzes'" bezeichnete, bei Müller zum Zentrum der gesamten Bergpredigt wird. Einzig diese Regel ist in den "Deutschen Gonesworten.. gespem gedruckt, und in einer langen, völlig neu erfundenen Einleitung wird sie als "das große Geheimnis wahrer Volksgemeinschaft und wirklicher Kameradschaft'", als "einfache Wahrheit, die doch Gones ganze[!] Größe umfaßt", bezeichnet 147• Überhaupt wird in den "Deutschen Gottesworten" die Tat noch wesentlich stärker betont und gefordert als in der Bergpredigt. Müllers "ewiger Christus'" verlangt von den" Volksgenossen" ständig, sich "Mühe'" zu geben bzw. sich zu "mühen", zu "streben", "ganze Arbeit'" zu machen, "das Höchste" von sich zu fordern u. ä. 148 • Bei der Übertragung der Verse Matthäus 5, 24 und 42 und Kapitel6, 25 und 34 fügte Müller ein: "Eine einzige Tat echter kameradschaftlicher Verständigung gilt vor Gott mehr, als jeder gewohnheitsmäßige Kirchgang.'" - "Echte Kameradschaft kann sich gar nicht genug tun ... " - "Gewiß müßt ihr eure Pflicht tun und arbeiten. Denn ,wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen'."-"Tut heute eure Pflicht mit Gottvertrauen und guter Zuversicht!" 149 4. Ein weiterer Eingriff in die Bergpredigt bezieht sich auf die Offenbarungsvorstellung. Nach den "Deutschen Gottesworten" offenbart Gott sich -und hierfür gibt es überhaupt gar keine Anhaltspunkte in der Bergpredigtim "Blut", "Gewissen", "Empfinden" und im "Herzen" der "Volksgenossen", ferner in den Sitten und Gebräuchen, im Traditionsgut des Volkes Jso. Die Offenbarung Gottes ist demnach an ein bestimmtes Volk gebunden. Nicht nur von der Sinaioffenbarung Gottes ist in den "Deutschen Gottesworten" keine Rede mehr, sondern auch nicht von der Offenbarung inJesus Christus. Müllers "ewiger Christus" verkündet letzdich nur das, was dem Volk ohnehin bereits "tief im Blute liegt" ISI und was sich im Laufe der Generationen an Volkstradition gebildet hat. Dementsprechend strich Müller konsequenterweise auch aus der SeligpreisungJesu Manhäus 5, 11: "Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen[!] schmähen und verfolgen ... " den christologischen Aspekt: "Wohl euch, wenn ihr um Gon und um eurer Treue zu ihm[!] geschmäht und verfolgt werdet ... " 1s2 5. Die Verheißungen und eschatologischen Züge der Bergpredigt wurden zwar nicht völlig "gestrichen'", wie der Gutachter des ReichskirchenausL. MüLLER, Goneswone, S. 82. Eao., S. 16f. und 22. 149 Eao., S. 13, 16, 13 f. •so Eao., S. 12, 14f., 16f., 20, 23,26 und 28f. •s• Eao., S. 28. •s 2 Eao., S. 9. • 47 •4•
Müllers • Verdeutschung" der Bergpredigt
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schusses es behauptete IS3, aber doch stark abgeschwächt. So wird in den "Deutschen Gottesworten" z. B. aus der Seligpreisung der Leidtragenden schlechthin (Mt 5, 4) die "Wohlpreisung" nur mehr dessen, "der sein Leid mannhaft trägt", aus der Seligpreisung derjenigen, "die um Gerechtigkeit willenverfolgt werden" (Mt 5, 10), die" Wohlpreisung" nur mehr derjenigen, "die ehrlich und treu leben und arbeiten, die aber trotzdem verfolgt und verlästert werden". An die Stelle der Tröstung durch Gott in der zweiten Seligpreisung (Mt 5, 4: " ... sie sollen getröstet werden") tritt bei Müller: "Er [sc. der Mensch!] wird die Kraft finden, nie mutlos zu verzweifeln" 1S4, wo, wie Dibelius es formulierte, eigendich "Gon ... nicht mehr benötigt (wird)" 15s. Aus den Indikativen: "Ihr seid das Salz der Erde" und "Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5, 13f.) machte Müller Imperative: "Was das Salz für die Speise bedeutet, das sollen die Gotteskinder in der Welt sein." - "So sollen die Gotteskinder ein leuchtendes Licht sein ... " 1s6 • Die zweite Vaterunserbitte: "Dein Reich komme" (Mt 6, 10) liest sich in den "Deutschen Gonesworten" so: "Herrsche du in unseren Herzen" 157• Den Vers Manhäus 6, 33: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gones und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen" übertrug Müller wie folgt: "Eure größte Sorge und euer vornehmstes Verlangen soll vielmehr darauf gerichtet sein, daß ihr Frieden findet in eurer Seele und daß Gottes frohe und befreiende Wahrheit verwirklicht wird in eurem täglichen Leben." 1s8 In einem Nachwort erläuterte Müller noch einmal die Motive für seine "Verdeutschung". Da die meisten, vor allem die jungen Menschen dem "Kirchentum", anders als dem "reine( n] Christentum", völlig entfremdet seien, sei es für eine religiöse Erneuerung notwendig, die überkommenen kirchlichen Formen und Dogmen sowie auch die Konfessionen zu überwinden. Die einzelnen Völker müßten künftig "aus ihrem ureigensten Volksempfinden heraus die religiösen Werte und Wahrheiten so fassen und gestalten ... , wie es ihrer volklichen Eigenart entspricht" 1s9 • Müller zeigte sich überzeugt, daß dies in Zukunft im deutschen Volk geschehen wird und daß es so "zu einer wahrhaft innerlich frommen deutschen Volksgemeinschaft echten Christentums" kommt. Hierzu sei es aber nötig, daß "der Einzelne im Volk" wieder auf Gon höre und sich darum bemühe, die Bergpredigt in die Praxis umzusetzen 160 • Die Bergpredigt als der mit Abstand wichtigste Teil der Bibel sei "ein einziger, gewaltiger Gottes-Ruf zum Dienst für Gon und m Vgl. K.D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/t, S. 592. L. MüLLER, Gonesworte, S. 9. ISS 0. DtBELIUS, An.: Ludwig Müller, S. 318. IS6 L. MüLLER, Gonesworte, S. 10.
1 54
157 1s• 15'
160
Eao., S. 20. Eao., 5.24. Eao., S.3Sf. Eao., S. 36.
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
für die Kameradschaft im Volk" (dies wird durch besonders großen Druck hervorgehoben) 161 • Der "sklavischen Angst vor einer rächenden Vergeltung" Gottes stellte Müller das "kindliche Yenrauen zu Gott" und das "ehrliche Verantwortungsbewußtsein" gegenüber, das "zur Arbeit an uns selbst", "zum Kampf für das Gute" und "zum Dienst an unserm Volk" verpflichte 162 • Gott sei Geist, weshalb auch Gottes Reich nur geistiger An, nur "innerlich in uns" vorhanden sein könne. Die nordischen Völker hätten anders als die Völker des Mittelmeerraumes das entsprechende Won Christi für Gott, für .,das Letzte und Ewige, ,die Vorsehung', ,den Allmächtigen"', das nicht einmal sicher bekannt sei, mit ",Good' = ,Gott'" übersetzt. Für den nordischen Menschen sei "Gott das Gute, wie auch[!] Christus sagt: ,Niemand ist gut- nur allein Gott'" 163 • Zum Verhältnis von Christentum und Judentum äußene Müller, das Judentum sei nicht die Wurzel des Christentums, sondern das Christentum sei vielmehr "im Kampf gegen das Judentum geworden". Er räumte allerdings ein, daß Judaismen in der kirchlichen Tradition vorhanden seien. Diese würden aber "mit der Neugestaltung unseres deutschen Volkslebens ... ganz von selbst ... verschwinden". Der Jude sei und bleibe "der älteste und erbittenste Feind" des Christentums 164 •
7. Zur Wirkung der "Deutschen Gottesworte• im Kirchenkampf
Am 16. März 1936, unmittelbar nach dem Erscheinen der "Deutschen Gotteswone", legte der Reichskirchenausschuß in einer im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche veröffentlichten Bekanntmachung Verwahrung gegen die Unterzeichnung des Vorwones mit "Euer Reichsbischof" ein. Es handele sich, so der Reichskirchenausschuß, bei dem Buche um eine .,reine Privatarbeit", auf deren Inhalt man sich vorbehalte, später noch einzugehen 165 • Bereits zwei Tage vor der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung hatte der Verlag in einem Rundschreiben die Buchhändler "dringend" darum gebeten, die "Deutschen Gotteswone" "zunächst für den Monat März aus dem Verkehr zurückzuziehen" und, "[u]m sich keinen Unannehmlichkeiten auszusetzen, ... die Propagierung, Ausstellung und den Verkauf dieses Bu
161 162 163 164
Eao., S. 38. Eao., S. 37. Eao., S. 40f. Eao., S. 38f.
16S GESETZBlATT
18. 3. 1936.
Zur Wirkung der .Deutschen Gottesworte" im Kirchenkampf
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ches sofort einzustellen." Allerdings wurde in dem Schreiben hinzugefügt, ,.daß das Buch voraussichtlich im April wieder erhältlich ist" 166 • Für einen Zusammenhang zwischen der Reaktion des Reichskirchenausschusses und dem Rückzug des Buches, den damals offenbar die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung vermutete 167, gibt es keinen Hinweis. Vielmehr scheinen staatliche Stellen interveniert zu haben; darauf deutet der Hinweis auf die möglichen "Unannehmlichkeiten" hin. Ab dem 30. März waren die ,.Deutschen Gottesworte" dann wieder im Handel 168 ; offenbar hatten staatliche Stellen gegen einen Vertrieb nichts einzuwenden. Der mecklenburgische Landessuperintendent Propp, der ehemalige Leiter der Abteilung "Information" des Reichsbischofs, versandte am 31. März 1936 die "Deutschen Gottesworte" mit einem Empfehlungsschreiben an sämtliche mecklenburgischen Pfarrer 169• Auf die Reklame der Thüringer Deutschen Christen für die ,.Deutschen Gottesworte" wurde oben schon hingewiesen. In einem Zeitungsinterview mit "Der Westen", das am Ostersonntag, dem 12. April1936, in großer Aufmachung erschien, warb auch Müller selbst für sein Buch, erklärte, die erste Auflage sei bereits vergriffen, und kündigte die Herausgabe einer"Volksausgabe" an 170 • Tatsächlich gab es die ,.Deutschen Gotteswone" bald sowohl als einfache Broschüre für 0,50 Reichsmark als auch als ,.geschmackvolle Geschenkausgabe" im "Prachtband" für 1,85 Reichsmark zu kaufen. Noch 1936 erschien bereits die neunte Auflage- das 17.-18. Tausend 171 • Offenbar blieb es nicht dabei, denn noch 1939 erschien in der Theologischen Literaturzeitung eine Rezension des Buches 172 • In einer Unterredung mit dem Ministerialdirigenten des Reichskirchenministeriums von Detten im Juli 1936, der auf Drängen des Reichskirchenausschusses 173 Müller u. a. auch im Hinblick auf die "Deutschen Gottesworte" zur Rede stellte, behauptete dieser, das Buch werde ,.jetzt" auch "in das Schwedische, Englische und auch Französische übersetzt" 174 • Verlag Deutsche Christen, Weimar, an die Buchhändler, 14. 3. 1936 (Abschrift) (LKA DAilMSTADT, 62/1043). 1" AELKZ 69, 1936, Sp. 307f. 168 L. MüLLER, Für und wider, S. 5; W. Bogner (Augsburg) an Zoellner, 2. 4. 1936 (EZA 8ERLJN, 1/A 4/26). 169 Propp an pfarrer Theodor Rohrdantz (Schwerin), 31. 3. 1936 (Abschrift) (Eao.); Pastor Siegen (Güstrow) an Reichskirchenausschuß, 15. 5. 1936 (EZA BERLIN, 1/ A 4/488). 170 DER WESTEN, 12. 4. 1936. 171 Vgl. Anm. 60. m H. EISENHUTH, Art.: Müller. 113 Reichskirchenausschuß an Reichskirchenministerium, 4.6. 1936 (EZA BERLIN, 7/1015). 174 Hermann von Detten, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Obersetzungen ins Schwedische und Französische sind nicht nachgewiesen; zur Übersetzung ins Englische vgl. unten S. 266f. 166
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (193S-194S)
Als einer der ersten übte offenbar DC-Reichsleiter Rehm in einem offenen Brief scharfe Kritik an den "Deutschen Gottesworten". Am 24. März 1936 nahm die DC-Kreisleitung Gelsenkirchen dieses Schreiben zum Anlaß, sich in einem Brief an den DC-Gau Westfalen 175 loyal hinter Müller und sein Buch, das "zu den wenigen geistigen Taten der Deutschen Christen" gehöre, zu stellen und sich gleichzeitig von der Rehmschen Reichsleitung loszusagen. Auch die DC-Kreisgruppe Görlitz äußerte ihr "stärkstes Befremden" über die Haltung Rehms zu den "Deutschen Gottesworten" 176• In dem von der rheinischen Bekenntnissynode herausgegebenen "Brief zur Lage" vom 31. März 1936 wurden Sätze aus den .Deutschen Gottesworten" mit dem Luthertext kontrastiert, um die deutsch-chrisdiche "Verflachung und Verwässerung" der Bergpredigt durch Müller, dessen Buch auch als "Windei" bezeichnet wurde, aufzuzeigen 177• Offenbar auf Grund zunehmender Kritik sah Müller sich bereits Anfang April1936 genöt~~t, in mehreren kirchlichen Zeitungen eine kurze Rechtfertigung unter der Uberschrift: "Warum ich die Bergpredigt ,verdeutschte'" zu veröffendichen, die freilich wohl auch Werbezwecken dienen sollte 178 • Am 4. April erschien in der Jungen Kirche" die oben schon erwähnteäußerst ablehnende - Rezension der "Deutschen Gottesworte" von Otto Dibelius. Diese Rezension, die in der "Jungen Kirche" zusammen mit einer ebenfalls von Dibelius stammenden Rezension eines Buches des völkischen Schriftstellers Gustav Frenssen abgedruckt ist, wurde auch, ohne dieNennung von Dibelius' Namen und ohne die Rezension von Frenssens Buch, als Broschüre, verantwortet von Kurt Scharf, verbreitet 179 • Dibelius wertete Müllers Buch als Beleg für den Geist, der mit der Bewegung der Deutschen Christen in die evangelische Kirche eingebrochen sei 180 • In Briefen an den Landessuperintendenten Propp und den Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses Zoellner vom 6. April bezeichnete der Schweriner Pfarrer Theodor Rohrdantz, der im übrigen gegen die Zusendung der "Deutschen Gotteswone" durch Propp (s.o.) protestierte, das Buch u.a. als "unverantwortliche Verschandelung der Bergpredigt" 181 • Am 8. April berichtete die schwedische Zeitung "Svenska Dagbladet" darüber, daß der Reichsbischof die Bergpredigt auf nationalsozialistische Weise umgeschrieben habe 182 • KA MrNDEN, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft 25. DC-Kreisgruppe Görlitz, Rundbrief, 6. 7. 1936 (LKA 0ARMSTADT, 62/10+4). m J. BECKMANN, Briefe, S. 567f. 178 Abgedruckt in L. MüLLER, Für und wider, S. 5-8. Eao., S. S auch der Hinweis auf die Veröffentlichung des Artikels in mehreren Zeitschriften Anfang April. Entspr«hende Zeitungsausschnitte: EZA BERLIN, II A 4/93; LKA DARMSTADT, 62/1044. 179 0. DrBELIUS, Art.: Ludwig Müller; K. ScHARf, Reichsbischof. 180 0. DrBELIUS, Art.: Ludwig Müller, S. 316. 181 EZABERLIN,1/A4/26. 182 Art.: Biskop Müller omredigerar Bergspredikan. 17 5
176
Zur Wirkung der .Deutschen Goneswone• im Kirchenkampf
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Der Brieger Superintendent fordene den Reichskirchenausschuß im April 1936 in zwei Schreiben zu konkreten Maßnahmen gegen die "Deutschen Gotteswone" auf 183 • Der Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät in Jena Professor Erich Pascher, der zeitweise den Thüringer Deutschen Christen nahestand, lehnte in einem vertraulichen Schreiben an Zoellner vom 22. April Müllers Publikation "als eine ehrfurchtslose Verballhornung" der Bergpredigt ab 184 • Die Kritik Adolf Allwohns, auf die schon hingewiesen wurde, erschien im Mai 1936 in der von Allwohn selbst herausgegebenen Zeitschrift "Kirche im Angriff". Die "Verdeutschung" sei, so Allwohn, selbst bei "Kollegen, die nicht gerade zu den kirchenpolitischen Gegnern" Müllers gehönen, auf stärkste Ablehnung gestoßen. Sie sei, abgesehen von den theologischen Mängeln, auch sprachlich sehr mittelmäßig und könne den heutigen Deutschen nicht ansprechen 185 • Nach einem ,.bischöflichen Won" des schlesischen Bischofs Zänker "zur Abwehr der Verfälschung des Evangeliums, wie sie in der Schrift von Reichsbischof Ludwig Müller ,Deutsche Gotteswone' vorliegt", verabschiedete die schlesische Synode der Bekennenden Kirche auf ihrer Tagung am 23./24. Mai 1936 zu dem Buch eine Entschließung, in der es heißt, das Ansehen der evangelischen Kirche werde zerstön, die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft in Frage gestellt, "wenn solche offenkundige Verfälschung des Wones Gottes mit dem Innehaben des höchsten Amtes in der Kirche vereinbar ist" 186• In der "Reformienen Kirchenzeitung" vom 19. Juli 1936 uneilte Wilhelm Kolfhaus über die "Deutschen Gotteswone", der Verfasser habe "ein anderes Evangelium" verkündigt, nicht ,.das der Kirche anvenraute". Das Buch Müllers, den die Deutschen Christen noch immer nicht ,.abgeschüttelt" hätten, lasse vermuten, daß es sich bei dem Bemühen der DC-Reichsleitung unter Rehms einen gemäßigten Kurs einzuschlagen, um einen neuen theologischen"Vernebelungsversuch" handelt 187• Auch von völkisch-nationalsozialistischer Seite her wurde die "Verdeutschung" der Bergpredigt einer scharfen Kritik unterzogen. Der ,.Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" veröffentlichte in seinem Zentralorgan unter der Überschrift "Sanftmut und Kameradschaft" einen Anikel, in dem die "Deutschen Gotteswone" als der Versuch einer unmöglichen "Gleichschaltung" von christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung bezeichnet werden. Müller habe alte Begriffe .,mit modernem Zierat" verbrämt, was ,.weder revolutionär noch nationalsozialistisch, sondern FälEZABERLIN, 1/A4/26und 1/A4/488. EZA BERLIN, 1/A 4/488. l85 A. ALLYOHN, Bergpredigt, S. 190; vgl. auch Eao., S. 226. 116 Beschlüsse der Schlesischen Synode der Bekennenden Kirche, 23./24. S. 1936, abgedruckt bei K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. Il/1, S. 675. 117 W. KoLFHAUS, Auseinandersetzung, S. 236. 183
184
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
schung" sei. Die NS-Weltanschauung sei .,in einer neuen Zeit ... aus eigener Kraft" entstanden; sie dürfe nicht dazu mißbraucht werden, eine .,Weltanschauung der Vergangenheit" mit Begriffen des nationalsozialistischen Wollens zu .,drapieren" 188 • Die Bekenntnisgemeinschaft Nümberg wenete die .,Deutschen Gotteswone" in einem .,Merkblatt zu den Thüringer Deutschen Christen" als .,grobe Fälschung und frevelndes Spiel mit den Wonen Jesu" 189 • Johannes Müller äußene sich bei einer seiner Fragebeantwortungen im Schloß Elmau abfällig-ironisch über die ., Verdeutschung". Ludwig Müller hätte, so Johannes Müller, .,das alles viel schöner sagen können, wenn er überhaupt keinen Bezug auf die Bergpredigt genommen hätte" 190• Die genannten Reaktionen auf die .,Deutschen Gotteswone", die vermutlich nur eine kleine Auswahl darstellen, zeigen, für wieviel Aufsehen Müllers Publikation in verschiedenen Kreisen sorgte; sein Name bzw. sein Tun erzeugte immer noch bei vielen Emotionen. Dabei scheinen zunächst die negativen Kritiken vorgeherrscht zu haben. Den Höhe- und in gewisser Weise auch den Wendepunkt der Kritik der .,Deutschen Gotteswone" stellte das oben schon mehrfach angesprochene Gutachten des Reichskirchenausschusses dar 191 • Eine erste Fassung dieses Gutachtens, die der mit Reichskirchenminister Kerrl in einem Venrauensverhältnis stehende theologische Referent des Reichskirchenausschusses Professor Theodor Ellwein erarbeitet hatte, lag bereits in der Sitzung des Reichskirchenausschusses am 12./13. März 1936 vor. Auf der Sitzung wurde .,in Aussicht genommen, das ... Gutachten nach nochmaliger Überarbeitung den obersten Behörden der d[eu]t(sehen] ev[ angelischen] Landeskirchen zuzuleiten. • 192 Dies wurde dann auf der Sitzung des Reichskirchenausschusses am 17. April1936 beschlossen. Den Ausschlag für diesen Beschluß hatte das fünf Tage zuvor veröffentlichte Interview Müllers mit der Zeitung .,Der Westen" (s.o.) gegeben 193 • In einem dem Gutachten beigefügten Schreiben an die obersten Behörden der Landeskirchen heißt es, von einer Veröffentlichung des Gutachtens solle abgesehen werden, um dem Buch nicht eine ihm nicht zukommende Bedeutung beizumessen. In einem weiteren Schreiben vom 30. April 1936 erläutene der Reichskirchenausschuß hierzu, daß unter einer Veröffentlichung lediglich die Bekanntgabe im Amtsblatt oder in der öffentlichen Presse zu verstehen sei, eine Zustellung .,an sämtliche Pfarrer" Aus der Zeitschrift .Die Bewegung•, zit. nach AELKZ 69, 1936, Sp. 1053. LKA NÜRNBERG, Pers. XXXVI, 33/5. 190 Zit. nach H. M. MüLLER, Elmauer Chronik, S. 40. 19 1 Das Gutachten ist abgedruckt bei K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, S. 589-594. 19 2 Niederschrift über die 19. Sitzung des Reichskirchenausschusses, 12./13. 3. 1936 (EZA BERLIN, 11A 4/385). Zu Ellwein vgl. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 127. 193 Niederschrift über die 21. Sitzung des Reichskirchenausschusses, 17. 4. 1936 (EZA BERLIN,1/A4/385). 1•• 119
Zur Wirkung der .Deutschen Goneswone• im Kirchenkampf
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sei dagegen ratsam 194 • Am 2. Mai 1936 sandte der Reichskirchenausschuß das Gutachten auf eine Anregung seines Mitgliedes Christhard Mahrenholz hin auch an alle evangelisch-theologischen Fakultäten, eine Maßnahme, die später, als mit den staatlichen Stellen nicht abgestimmt, vom Kultus- und, wie erwähnt, vom Kirchenministerium gerügt wurde 195 • Am 15. Mai 1936leitete der Landeskirchenausschuß der Altpreußischen Union das Gutachten an die Pfarrer weiter. Andere Landeskirchen folgten der Altpreußischen Union 196 • Sogar der deutsch-christliche Hamburger Bischof Tügelleitete das Gutachten weiter 197 • Das Landeskirchenamt Hannover, das das Gutachten am 23. Mai 1936 versandte, schrieb den Pfarrern dazu u. a.: "Wir dürfen es als selbstverständlich ansehen, daß kein Geistlicher unserer Landeskirche dem Verfasser der genannten Schrift [Müller] Altar oder Kanzel zur Ausübung von Funktionen des geistlichen Amtes weiterhin einräumt." 198 In dem Gutachten des Reichskirchenausschusses wird zwar eingeräumt, daß das Anliegen, für den modernen Deutschen die Bergpredigt neu zu "übertragen", grundsätzlich berechtigt sei, es werden Müller dann aber eine Reihe von" Verfälschungen" nachgewiesen, und es wird schließlich abschließend zusammenfassend konstatiert, das Buch stelle "1. einen Betrug seiner Leser dar", bedeute zweitens "eine völlige Verfälschung, Verjudung [!] und Verdiesseitigung" der Heilstat Christi, und: "3. Der Verfasser sagt sich mit dieser Schrift ... von der im Worte Gottes begründeten, aus dem Bekenntnis heraus lebenden und ohne Lehre nicht existenzfähigen evangelischen Kirche los." 199 Das Gutachten des Reichskirchenausschusses bewirkte weithin offenbar das Gegenteil von dem, was damit beabsichtigt war. Es provozierte gleichsam eine ganze Reihe von Verteidigungsschriften der "Deutschen Gottesworte" bzw. von negativen Kritiken des Gutachtens, die offenbar die wenigen positiven Kritiken eindeutig, zumindest quantitativ, überwogen 200 • Es 194 K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. Il/1, S. 589; Reichskirchenausschuß, Rundschreiben an die obersten Behörden der deutschen evangelischen Landeskirchen, 30. 4. 1936 (EZA BERLIN, 1/ A4/385). 195 Mahrenholz an Oberkonsistorialrat Dr. Benn, 18. 4. 1936 (EZA BERLIN, 1/A 4/488); Niederschrift über die 22. Sitzung des Reichskirchenausschusses, 23. 4. 1936 (EZA BERLIN, 1/A 4/385); Reichskirchenausschuß, Rundschreiben an die evangelisch-theologischen Fakultäten, 30.4. 1936 (Konzept mit Abgangsvermerk: 2. 5. 1936); Stabn an Reichskirchenausschuß, 3. 8. 1936 (EZA BEilLIN, 11A 4/488). 196 L. MüLLER, Für und wider, S. 8f.; K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. IU1, S. 589. 197 K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 271. 19 8 Zit. nach L. MüLLER, Für und wider, S. 8. 199 K.D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, S. 589-594. 200 Positive Kritiken des Gutachtens: Stadtvikar Walther Foc:rtsch (Nümberg) an Zoc:llner, 23. 5. 1936 und Pfarrer Helbrock (Bubraucke) an Reichskirchenausschuß, 26. 5. 1936 (EZA 8EilLIN, 1/A 4/488); Wurm an Zoc:llner, 24. 4. 1936 (G. ScHÄFER, Landeskirche, Bd. 4, S. 618f.). Wurm dankte Zoellner .aus vollem Herzen für das kraftvolle Won, das Sie zu den Auslegungskünsten Ludwig Müllers gesprochen haben•, und im Hinblick auf Müller uneilte er: .Er
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hat den Anschein, als sei der Blick der kirchlichen Öffentlichkeit nach der Veröffentlichung des Gutachtens gleichsam von den "Deutschen Goneswonen •, von denen nunmehr meist nur noch indirekt die Rede war, weg und hin zu den tatsächlichen oder vermeintlichen Mängeln des Gutachtens gelenkt worden. In den z. T. recht umfangreichen negativen Kritiken des Gutachtens, die vor allem von Theologen, aber auch von Laien stammten und entweder direkt an die Kirchenausschüsse gesandt oder als Druckschriften veröffentlicht wurden, wurde häufig die Form des Gutachtens, die "Verketzerung" und der Eindruck einer förmlichen "Exkommunikation" Müllers, die den Kirchenausschüssen nicht zustehe, kritisien, wobei mitunter auf die Pluralität der Lehrmeinungen im Protestantismus hingewiesen wurde 201 • Des weiteren wurden vermeintliche oder tatsächliche Parallelen zwischen einzelnen Aussagen der "Deutschen Goneswone" und Ausführungen von renommienen Theologen aufgezeigt 202 • Ferner wurden tatsächliche oder vermeintliche sachliche Fehler und Uberinterpretationen des Gutachtens gerügt 203 • Schließlich wurde der angebliche volksmissionarische Wen der "Deutschen Gotteswone" hervorgehoben 204 • Die "Missionstendenz" der "Deutschen Goneswone" würdigte auch Wilhelm Stapel in seiner "Apologie" der "Deutschen Gotteswone". Dieses schwimmt so flach wie eine Flunder, und seine einzige Entschuldigung ist, daß er vom Tiefgang keine Ahnung haben kann vermöge eines Konstitutionsfehlers. • Zu den zahlreichen, z. T. sehr umfangreichen Kritiken vgl. unten S. 262 ff. und die folgenden Anmerkungen. Bereits die Bekanntmachung des Reichskirchenausschusses im Gesetzblatt vom 16. 3. 1936 (vgl. oben S. 256f.) war kritisien worden: W. Baum (Siegen) an Zoellner, 23. 3. 1936 (EZA BEilLJN, 11A 4/ 26); vgl. W. STAPEL, Bergpredigt, S. 477. 201 Vgl. u.a. A. Kirchner (Berlin) an Reichskirchenausschuß, 27. 5. 1936. Nach eigenen Angaben versandte Kirchner Abschriften dieses Schreibens .an etwa 1000 kirchlich-sachverständige Volksgenossen•. Vgl. auch Pfarrer Kinzel (Leverkusen-Wiesdorf), Etwas zu dem Thema: Vergiftung der Atmosphäre durch Kirchenpolitik, in: .Deutsche Christen• Gau Rheinland, Oberhausen, s.d. Beide Quellen: EZA BEilLIN, 1/A 4/488; der Brief Kirchners auch in: L. MüLLER, Für und wider, S. 22-24. 202 Prof. Fiebig, Bemerkungen zu dem Gutachten des Reichskirchenausschusses über das Bergpredigt-Buch von Ludwig Müller (Eingangsvermerk 26. 5. 1936) (EZA BEilLIN, 1/A 4/ 488); Pfarrer Karl Tiesler, Stellungnahme zu einem Gutachten des Reichskirchenausschusses, Mülheim/Ruhr, Ende Mai 1936 (in: .Deutsche Christen• Gau Rheinland, Oberhausen, s.d.EZA BEilLJN, 1/A 4/488, abgedruckt in: K.D. ScHMJDT, Dokumente, Bd.II/2, S.735-738); Pfarrer Hinderer an Reichskirchenausschuß, 29. 6. 1936 (EZA BEilLIN, 11A 4/488). 203 Vgl. u. a. Pfarrer Ernst Plato (Berlin) an Reicbskirchenausschuß, 9. 6. 1936; Pfarre1 Müllensiefen (Stettin) an Reichskirchenausschuß, 12. 6. 1936 und Schulrat Prölß (Guben) an Reichskirchenausschuß, 16. 6. 1936 (sämtlich Eao.). 204 Vgl. u. a. Fritz Schierenberg (Essen) an Eger, 28. 5. 1936 (EBD.). A. ALLWOHN, Bergpre· digt, S. 226 berichtete von einem .Amtsbruder•, der erklän habe, Allwohn habe theologisch mi1 seiner Kritik der "Deutschen Gotteswone• sicher recht. Damit sei aber, so der .Amtsbruder" nach Allwohn, über die .praktische Bedeutung dieser Verdeutschung• noch nicht entschieden .Er [der "Amtsbruder•] habe das Buch im Konfirmandenunterricht vorgelesen und dabei dit unmittelbare Verständlichkeit dieser Übersetzung feststellen können. •
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"nützliche" Buch könne, so Stapel, den deutschen Volksgenossen zudem zur Gewissensschärfung dienen. Zwar finde sich in ihm auch "weniger Geglücktes", jedoch sei jede "Übersetzung" eine schwierige Sache. Auch Luther seien zahlreiche Übersetzungsfehler nachgewiesen worden. Müller sage aber ja ausdrücklich, daß er gar nicht übersetzen, sondern "verdeutschen" wolle, was legitim sei 20 s. Sogar ausgesprochene Kritiker der "Deutschen Gottesworte", sowohl solche, die der "kirchlichen Mitte", als auch solche, die der Bekennenden Kirche zuzurechnen waren, wandten sich gegen das ReichskirchenausschußGutachten, und zwar vor allem gegen die Erweckung des Eindrucks einer "Exkommunikation" 206 • Während Vertreter der "Mitte" eine "Verketzerung" Müllers allein "wegen einiger vorgetragener Gedanken" für unevangelisch hielten 207 , bestritten bruderrätliche Kreise den Kirchenausschüssen grundsätzlich das Recht, sich zu Lehrfragen zu äußern 208 • Der Herausgeber der liberalen "Christlichen Welt" Hermann Mulert übte in der Ausgabe seiner Zeitung vom 6. Juni 1936 in einem langen Artikel mit der Überschrift: "Ludwig Müller exkommuniziert" Kritik an dem Gutachten des Reichskirchenausschusses. Die Schärfe des Gutachtens habe ihren Grund weniger in den "theologischen Unzulänglichkeiten" der "Deutschen Gottesworte", als vielmehr "in unerfreulichen persönlichen Erfahrungen mit dem Verfasser". Das Urteil des Reichskirchenausschusses sei, wenn dies auch nicht direkt ausgesprochen werde, durchaus als "eine Art moralischer Exkommunikation" zu werten, die dem Protestantismus fremd sei. Kein evangelischer Christ sei "im Gewissen verpflichtet, solche Urteile für zutreffend zu halten." Zum "Wesen evangelischen Christentums" gehöre "Mannigfaltigkeit religiöser Überzeugungen und theologischer Denkweise": " ... da steht eben Theologie gegen Theologie ... ". Zwar werde "niemand Adolf von Hamack und Ludwig Müller in einem Atem nennen", jedoch gebe es bei beiden verwandte Gedanken, die man nicht ohne weiteres als Häresie abtun könne. Abschließend warnte Mulen "vor katholisierender Mißdeutung deszos W. STAPEL, Bergpredigt, S. 477f. Stapel rechtfenigte seine .Apologie• von Müllers Buch wie folgt: .Daß der Reichsbischof, der von seiner Rirche bekämpft, ja verhöhnt wurde, sich von seinen Christen weg zu denen wendet, denen ,das Christentum fremd geworden ist', und bei ihnen eben für diese Kirche wirbt, das hat mir das Herz gerühn. • 206 Pastor Hennig (frent!Rügen) an Landeskirchenausschuß der Altpreußischen Union, 22. 5. 1936 (EZA BERLIN, 11 A 4/488); Richard Bergmann in der pfälzischen Zeitschrift .Union•, 7.6. 1936, 5.316 und Dns., An.: Ludwig Müller exkommunizien, in: .Union-, 21.6. 1936 (vgl. R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 208-210). Bergmann, pfälzischer Pfarrer, war Vorsitzender der .Freunde der Union •, einer pfälzischen kirchenpolitischen .Minelgruppe•, die hinter den Kirchenausschüssen stand (K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 310; vgl. auch S. 118). Der Reichskirchenausschuß sah sich genötigt festzustellen, .daß unser Gutachten eine ,förmliche Exkommunikation' nicht enthält• (Reichskirchenausschuß an Pastor Hennig, Trentl Rügen, 2. 7. 1936- EZA BERLIN, 7/1015 ). 207 R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 209. 201 K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 118.
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sen ... , was evangelische Kirchenausschüsse zu Lehrfragen sagen." Es bleibe jedem protestantischen Christen "aufs Gewissen gelegt", um die evangelische Wahrheit selbständig zu ringen 209 • Mulerts Einwände gegen das Reichskirchenausschuß-Gutachten hatten umso mehr Gewicht, als Mulert in der vorigen Ausgabe seiner Zeitschrift noch deutliche Kritik an den "Deutschen Gottesworten" geübt hatte: Zwar sei einzelnes durchaus "treffend" übertragen worden, jedoch suche das Buch insgesamt "die Gegenwartsnähe in falscher Weise" 210 • Zu Beginn seines Artikels "Ludwig Müller exkommuniziert" hatte Mulert zudem zahlreiche Beispiele dafür angeführt, daß die "Christliche Welt" die Amtsführung des Reichsbischofs von Anfang an bekämpfte und sich auch gegen seine Wahl ausgesprochen hatte 211 • Dietrich Bonhoeffer, der ein Exemplar der "Deutschen Gottesworte" mit zahlreichen Randglossen versah 212 , kritisierte das Gutachten aus dem folgenden Grund: Nicht Müller als einzelner, als Autor eines Buches, könne interessieren, sondern es müsse eine "echte Lehrentscheidung in Sachen der DC" geben, die sich auf deren gesamtes theologisches Programm zu richten habe 2 u. In der Ausgabe vom 12. Juni 1936 des katholischen Emigrantenblattes "Deutsche Briefe" heißt es zu dem Gutachten des Reichskirchenausschusses, nur "[ n]aive Gemüter" könnten sich darüber freuen, denn es seien die gleichen Kreise, "welche nichts gegen ihn [Müller] taten, als er bei Hitler in Gnaden stand", die Müller nunmehr "den Eselsfußtritt" gäben 214 • Das Gutachten des Reichskirchenausschusses war sicherlich auch der Anlaß für Müller, im August 1936 eine apologetische Schrift mit dem Titel "Für und wider die Deutschen Gottesworte. Dokumente und Tatsachen aus dem Kampf um ein deutsches Christentum" herauszugeben 115 • Müller, der sich in dieser Schrift wiederum als "Reichsbischof" bezeichnete, wurde zu dieser neuerlichen Veröffentlichung vermudich durch die vielen negativen Kritiken, die das Gutachten des Reichskirchenausschusses hervorgerufen hatte, ermutigt. Die Schrift enthält außer dem vorher bereits veröffentlichten Artikel "Warum ich die Bergpredigt ,verdeutschte'" (s.o.) und einem Protestbrief Hermann Mulen, An.: Ludwig Müller exkommunizien, in: CW 50, 1936, Sp. 497-501. Hermann Mulen, An.: Müllers Verdeutschung der Bergpredigt, in: CW 50, 1936, Sp.479f. 2 11 Hermann Mulen, An.: Ludwig Müller exkommunizien, in: CW 50, 1936, Sp. 497. m Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Professor D. Eberhard Bethge. 213 Dietrich Bonhoeffer, Irrlehre in der Bekennenden Kirche? Gutachten, verschickt vom Bruderrat der Bekenntnissynode Pommern, Stmin, Juni 1936 (Vervielfältigung) (K.D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 738ff., hier: S. 745). 21• H. HüRTEN, Briefe, S. 235. 21s L. MüLLER, Für und wider. 209 2IO
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eines "Laien" an den Reichskirchenausschuß 216 eine Seite: "Wie uneilt das Volk über die ,Deutschen Gotteswone' ?" mit kurzen, äußerst positiven Statements zu den "Deutschen Gotteswonen" - aus Zeitungen und von Privatleuten -, ein Geleitwon Müllers, ein Verlagsvorwon, den Text des Reichskirchenausschuß-Gutachtens, eine "Antwon" Müllers auf dieses Gutachten und schließlich eine weitere negative Kritik des Gutachtens von Propp und einen Aufsatz von Engelke. In dem Verlagsvorwon heißt es, die Absicht der Schrift sei es, "der Verketzerung und Verleumdung" Müllers entgegenzuwirken, die im übrigen "den Durchbruch der deutschen Seele zu einem innerlich und äußerlich wahrhaft deutschen Christentum" nicht verhindem könnten. Viele Menschen, denen die Bibelsprache fremd geworden sei, würden, wie zahlreiche Bestellungen und positive Kritiken aus "fast allen Kulturländern der Erde" bewiesen, durch die "Deutschen Gotteswone" angeregt, sich von neuem mit der Bergpredigt zu beschäftigen 217 • Die Beiträge von Propp und Engelke sind offenbar sozusagen "Auftragsarbeiten" Müllers, denn in beiden wird bereits auf die Schrift "Für und wider die deutschen Gotteswone" Bezug genommen 218 • Propps Kritik des Reichskirchenausschuß-Gutachtens unterscheidet sich nicht von den übrigen negativen Kritiken des Gutachtens: Die "Verketzerung" Müllers, die den Kirchenausschüssen nicht zustehe, und die "Verabsolutierung einer bestimmten geschichtlichen Bekenntnisbildung" werden angeprangen 219 • Engelke begab sich mit seinem Aufsatz gleichsam auf eine "höhere" Ebene. In diesem Aufsatz ist von den "Deutschen Gotteswonen" und der dadurch ausgelösten Kontroverse so gut wie überhaupt nicht die Rede, es wird statt dessen das Zukunftsbild eines Christentums entworfen, das "alle bisherige Frömmigkeit, Theologie, Kirche" hinter sich läßt, das nicht mehr "verfälscht" wird durch theologische, finanzielle und politische Macht der Kirche, durch Konfessionalismus, Dogmen, Kirchenordnungen, Streit, "Inquisitionen" und "Ketzergericht" 220 • In seinen eigenen Beiträgen zu "Für und wider die Deutschen Gottesworte", in denen er zu einzelnen Kritikpunkten Stellung nahm, unterstrich Müller vor allem noch einmal sein volksmissionarisches Anliegen. Es komme weder auf wissenschaftliche Genauigkeit noch auf ästhetische Wortwahl an, sondern allein darauf, "daß die Wone unseres Herrn an unser Volk herankommen", das zu 80 bis 90 Prozent der Kirche entfremdet sei 221 • Während er die meisten Vorwürfe von sich wies, bezeichnete er den Es handelt sich um den Brief von A. Kirchner (vgl. Anm. 201). L. MüLLER, Für und wider, S. 4. 2u Eao., S. 26 und 28. 21• Eao., S. 25 und 27. 22c Eao., S. 32; vgl. auch S. 30. 221 Eao., S. Sf. 2 16
21 7
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (193S-194S)
Vorwurf der Moralisierung der Bergpredigt "beinahe" als "eine Anerkennung". Im Protestantismus drücke man sich häufig infolge eines falschen Verständnisses der lutherischen Rechtfenigungslehre vor den moralischen Forderungen, er nehme die Forderungen Jesu dagegen .als das ... , was sie sind: einfachste Forderungen der Kameradschaft, der Volksgemeinschaft und der Bewährung solcher Haltung" 222 • Nach der Veröffentlichung von "Für und wider die Deutschen Goneswone" scheint die Auseinandersetzung um Müllers Bergpredigt-"Verdeutschung" zwar nicht völlig, aber doch weitgehend beendet gewesen zu sein, was natürlich nicht besagt, daß diese Schrift die Kritiker überzeugte. Der Leiter der Apologetischen Zentrale in Berlin Walter Künneth zitiene 1937 in einer Publikation kommentarlos längere Passagen aus den "Deutschen Gotteswonen" als Beispiel für Irrlehre 223 • Im Jahre 1938 wurden Teile der "Deutschen Gotteswone" zusammen mit Teilen einer Übenragung des Johannes-Evangeliums von Heinz Weidemann in einer von dem New Yorker Pastoraltheologen Howard C. Robbins in London herausgegebenen Schrift mit dem Titel • The Germanisation of the New Testament" ins Englische übersetzt, mit der "English Bible" konfrontien und kritisiert. In einem Vorwort urteilte Robbins, die Bibel-Übertragungen der beiden DC-Bischöfe seien vom Standpunkte wissenschaftlicher Bibelkritik aus nur von sehr geringer Bedeutung, sie seien aber unheilvolle Zeichen der Zeit, denn durch sie sei die NS-Ideologie gleichsam in die heiligsten Bezirke der christlichen Religion eingedrungen, und dies ausgerechnet im Lande der Reformation, wo die Autorität und Unantastbarkeit der Heiligen Schrift stets besonders hochgehalten worden sei 224 • Robbins bescheinigte dann zwar auch den beiden Autoren das ehrliche Bemühen, wie die Bekennende Kirche gegen die Christentumsfeindlichkeit des Nationalsozialismus anzukämpfen- ein Anliegen, mit dem alle Mitchristen übereinstimmen ("sympathize") müßten-, jedoch lehnte Robbins die Art und Weise der Ausführung dieses Anliegens, die Modifizierung und teilweise Sinnverkehrung der christlichen Botschaft und die Anpassung an die unchristliche nationalsozialistische .Blut- und Boden-Ideologie", strikt ab. Im Unterschied zu Weidemann hielt Robbins Müller zugute, daß er seine Leser "mit entwaffnender Offenheit" darüber informiere, daß er nicht übersetzt, sondern verdeutscht habe. Dies sei, so Robbins, im Prinzip durchaus legitim, sofern es darum gehe, die Implikationen der Gedanken des Originaltextes für die heutige Zeit und für eine bestimmte Menschengruppe in ihrer spezifischen Lebenssituation aufzuzeigen. In dieser Hinsicht seien die 222 223 22 4
Eao., S. 7. W. KüNNETH, Gesicht, S. 4-7 und 24. H. C. RoBB INS, Germanisation, S. S.
Zur Wirkung der .Deutschen Gotteswone• im Kirchenkampf
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,.Deutschen Gotteswone" zum Teil ,.keineswegs unerfolgreich". Jedoch überschritten auch die .,Deutschen Gotteswone" auf der anderen Seite die Grenze des Zulässigen, da der wesentliche Gehalt der Bergpredigt angetastet und z. T. ins Gegenteil verkehn werde, so etwa wenn sämtliche Bezüge auf das Alte Testament eliminien würden oder wenn der Geltungsbereich der Gebote der Bergpredigt auf die ,.Volksgenossen" beschränkt werde: ,.,Blessed are the peacemakers' cannot be narrowed into ,Happy are they who keep peace with their fellow countrymen' without perversion ... " 225 . Robbins verglich solche Manipulationen am Bibeltext mit der Häresie des Marcion, dem zwar auch ein subjektiv guter Wille, die Wiederherstellung der reinen christlichen Botschaft, zuzubilligen sei, der aber gleichwohl einer der gefährlichsten Häretiker der Kirchengeschichte gewesen sei. Mareion und den beiden DC-Bischöfen sei vor allem gemeinsam, daß sie das Alte Testament verwerfen und daß sie sich darum bemühen, das Christentum von angeblich falschen jüdischen Lehren und jüdischem Legalismus zu befreien226. Wie erwähnt, erschien im Jahre 1939 noch einmal in der Theologischen Literaturzeitung-inder August/September-Ausgabe- eine Rezension der ,.Deutschen Gotteswone". Der Verfasser dieser Rezension, in der auch auf die Schrift .,Für und wider die Deutschen Gotteswone" Bezug genommen wurde, war der Jenaer Theologe Heinz Erich Eisenhuth. Eisenhuth uneilte, Müller sei bei seiner Übertragung-trotz einiger Mängel- das Entscheidende gelungen, nämlich ,.die Wone der Bergpredigt so in unsere Zeit hineinzustellen, daß sie zum Hinhören und zur Lebensumkehr Veranlassung werden können". Die negativen Kritiken der .,Deutschen Gotteswone" beruhten z. T. auf den verschiedensten Mißverständnissen, z. T. gebe es auch ernste Einwendungen, die allerdings die dringende Notwendigkeit einer modernen Übenragung des Neuen Testamentes deutlich machten 227. Müller selbst rechtfenigte seine ,.Deutschen Gotteswone" noch einmal kurz in seinem Ende 1938 veröffentlichten Buch., Was ist positives Christentum?"22s Insgesamt zeigen die Reaktionen auf die ,.Deutschen Gotteswone" zunächst, wie sehr umstritten das Buch bereits gleich nach seinem Erscheinen war, und zwar bis in führende deutsch-christliche Kreise hinein. Für viele war mit diesem Buch die Grenze des christlich Venretbaren nunmehr end-
s. s.
EBD., 6. EBD., Sf. 227 H.E. ErsENHUTH, An.: Müller. R. HEINONEN, Anpassung, S. 173 wenete Eisenhuths Rezension als Beleg dafür, daß Müllers Sinnveränderungen der Bergpredigt parallel zum Eindringen der NS-Ideologie in die Gesellschaft allmählich ihren anstößigen Charakter verloren hätten. Dies scheint mir insofern eine Überinterpretation zu sein, als einerseits Müllers • Verdeutschung• ja auch bereits unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung Zustimmung erfuhr und als andererseits Eisenhuths Einschätzung nicht unbedingt repräsentativ war. 221 l. MüLLER, Positives Christentum, S. 107. llS
22•
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
gültig überschritten. Konnte Müller anstößige Aussagen in seinen Reden und Vonrägen und selbst in seinen Interviews dementieren, was er wiederholt auch tat 229 , so hatte man mit den .Deutschen Gotteswonen'" ein eindeutiges Dokument, mit dessen Hilfe man Müller der Häresie überführen konnte. Die • Verdeutschung" lieh ferner (vgl. Dibelius, Kolfhaus, Bonhoeffer), wie Heinonen es fonnulien hat, "der Bekennenden Kirche Argumente gegen die Intentionen der Deutschen Christen" allgemein, die sich öffentlich niemals vom Reichsbischof distanzien hatten, sich aber unter Reichsleiter Rehm gerade um einen moderaten Kurs bemühten 230 • Von daher muß vermutlich auch zu einem Gutteil die deutsch-christliche Kritik der .Deutschen Gottesworte" gesehen werden, denn Müllers Manipulationen am Bibeltext diskreditierten in großen Teilen der Öffentlichkeit, denen es an Einblick in die heterogene Struktur der Deutschen Christen mangelte, dieses Bemühen. Gleichzeitig scheint durch diese Kritik von deutsch-christlicher Seite der Abspaltungs- und Auflösungsprozeß bei den Deutschen Christen beschleunigt worden zu sein; für viele an der Basis war es nicht einsichtig, warum ihr ehemaliger "Führer", für den sie sich 1933 so sehr engagiert hatten, nunmehr von seiner eigenen Bewegung offen fallengelassen wurde. Die Kritik an Müllers Buch von völkisch-nationalsozialistischer Seite macht deutlich, daß Müller nach wie vor, trotz Radikalisierung, gegen zwei Fronten zu kämpfen hatte. Die kirchliche "Mitte" und liberale Theologen wurden durch die Bergpredigt-Übenragung z. T. sichtlich verunsichen: Einerseits standen auch sie dem Buch äußerst ablehnend gegenüber, andererseits konnten sie sich wegen ihrer grundsätzlichen toleranten und pluralistischen Haltung in Fragen der Lehre nicht zu eindeutigen Aussagen, die das Buch als häretisch qualifizierten, durchringen und nahmen es sogar gegen solche Qualifizierungen in Schutz. Die Reaktionen auf die "Deutschen Gotteswone'" zeigen schließlich, daß Müller kirchlich und theologisch keineswegs völlig isolien war, und vor allem, wie unsicher die Stellung der Kirchenausschüsse war, die auf der von Müller verächtlich gemachten Bekenntnisgrundlage einen Ausgleich zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche anstrebten und die sich anstelle des faktisch entmachteten, aber immer noch öffentlichkeitswirksam tätigen Reichsbischofs als neue Kirchenleitung profilieren mußten. Die Reaktion des Reichskirchenministeriums auf die "Deutschen Gotteswone'" ist typisch für die ambivalente Haltung dieses Ministeriums Müller gegenüber: Einerseits wurde Müller zur Rede gestellt, und vermutlich war man auch über das Gutachten des Reichskirchenausschusses frühzeitig infor22 9 Vgl. etWa Hermann von Detten, Niederschrift über eine Besprechung mit Ludwig Müller, Berlin, 3. 7. 1936 (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). zlo R. HEINONEN, Anpassung, S. 167.
Zum Hintergrund der .Deutschen Gotteswone•
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miert, eventuell war man weiterhin sogar an dem vorübergehenden Verbot des Buches im März 1936 beteiligt, andererseits wurden später keine konkreten Schritte mehr gegen die Verbreitung der Bergpredigt-"Verdeutschung" unternommen, und man interveniene im Gegenteil sogar gegen die Verbreitung des Gutachtens des Reichskirchenausschusses.
8. Zum geistigen und historischen Hintergrund der .Deutschen Gottesworte"
Der geistige und historische Hintergrund der "Deutschen Gotteswone" wurde bereits von Reijo Heinonen gründlich untersucht 231 . Zwar markien Müllers Bergpredigt-.,Übenragung" den Beginn deutsch-christlicher Bibel"Eindeutschungen"232, jedoch konnte Heinonen aufzeigen, daß der hinter den "Deutschen Gotteswonen" stehende "Gedanke einer an das nationale und völkische Ideengut angepaßten, eingedeutschten Bibel viel älter (war)" 233 , so daß also die Bemerkung Müllers über seine Verdeutschung: "Ein deraniger Versuch in solcher Form ist bisher noch nie unternommen worden ... " 234 , welche implizien, es sei etwas völlig Neues geschaffen worden, relativien werden muß. Heinonen nannte als "Vorläufer" im weiteren Sinne die mittelalterliche Evangelienharmonie "Heliand", die die Deutschen Christen selbst entsprechend interpretienen 235 , sowie aus dem Bereich der nationalistischen und völkischen Literatur Ernst Moritz Arndts "Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann" aus dem Jahre 1814 - "mit seiner soldatischen Gesinnung" - und die 1904 erschienene "Germanenbibel" von Wilhelm Schwaner, eine Zusammenstellung von Gedanken deutscher Philosophen und Dichter, die nach dem Wunsche Schwaners "neben der lieben alten Christenbibel" stehen sollte, womit nach Heinonens Ansicht "die notwendige Anpassung des christlichen Glaubens an das nationale Ideengut" unterstrichen wurde 236. Wilhelm Stapel wies in seiner Apologie der "Deutschen Gotteswone" auf einen weiteren "Vorläufer" hin, nämlich auf Walther Classens vor dem Ersten Weltkrieg erschienenes Buch "Christus heute", in dem die Gleichnisse und Sittengespräche Christi "auf uns Heutige" angewandt würden 237 , und Otto Dibelius zog in seiner Kritik eine Verbindungslinie zwischen den n• EBD., S. 154-181, bes. S. 166-174. m Vgl. H. C. RoBB INS, Germanisation, S. 25. 233 R. HEJNONEN, Anpassung, S. 162. 23 4 L. MüLLER, Positives Christentum, S. 107. 2 35 R. HEJNONEN, Anpassung, S. 176. 236 EBD., s. 163. 237 W. STAPEL, Bergpredigt, S. 477f.
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
.,Deutschen Gotteswonen" und den (älteren) Büchern des völkischen Schriftstellers Gustav Frenssen 238 • Darüber hinaus können sicherlich auch die im Jahre 1901 von Houston Stewan Chamberlain herausgegebenen"Wone Christi" als" Vorläufer" gelten. Zwar griff Chamberlain bei dieser Zusammenstellung von Äußerungen Jesu aus den Evangelien weitgehend auf den Luthenext zurück, jedoch war es auch Chamberlains erklänes Ziel, eine Anpassung an nationales und völkisches Gedankengut zu erzielen, und zwar durch die Auswahl von möglichst authentischen Wonen Christi und durch die Herauslösung dieser Wone aus dem durch die jüdischen "Berichterstatter" und deren Umwelt geprägten Kontext 239 • "Eindeutschungs- und Nationalisierungspläne" im Hinblick auf das "kirchliche Sprachgut" bzw. entsprechende Forderungen gab es vor 1933 bereits von Seiten des .,Bundes für deutsche Kirche", des .,Deutschchristlichen Arbeitskreises" und der .,Christlich-Deutschen Bewegung". Die Deutschen Christen, deren Mitglieder zu einem großen Teil aus diesen Organisationen stammten, griffen die .,Eindeutschungs"-Pläne und -Forderungen auf und trugen sie nach der nationalsozialistischen .,Machtergreifung" mit wachsender Vehemenz vor. Zu denen, die die Notwendigkeit der .,Eindeutschung" der Bibel besonders hervorhoben, gehönen u. a. der Mitbegründer der Deutschen Christen Friedrich Wieneke und der theologische Stellvenreter des Reichsbischofs .,Reichsvikar" Friedrich Engelke 240 • Auf die .,Eindeutschungs"-Bemühungen des Bremer DC-Bischofs Weidemann wurde bereits hingewiesen. Weidemann hatte Anfang 1935 in Bremen einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, der sich vornahm, die Schriften des Neuen Testamentes zu übenragen 241 • Ein entsprechendes Projekt verfolgte später das von den Thüringer Deutschen Christen begründete Jenaer .,Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", das unter der Leitung von Walter Grundmann stand 242 • Im Verlag der Bremer Deutschen Christen veröffentlichte 1939 und 1940 auch Emanuel Hirsch Übenragungen von Texten aus den Evangelien und den Paulusbriefen 243 • Die Idee, Bibeltexte in moderner Weise zu .,übenragen" und dabei nationalem und völkischem Gedankengut anzupassen, war, so kann man zusammenfassend sagen, bei nationalistischen und völkischen Schriftstellern seit 231
0. DIBELIUS, An.: Ludwig Müller.
H.ST. CHAMBEIU.AIN, Worte Christi, S.1, 11 und 15. R. HEINONEN, Anpassung, S. 163f. Engelke hatte in den 20er Jahren bereits den .GedankengehaJt• des Römer- und des Galaterbriefes in eine .neue Spnche für unsere Zeit• übertragen. 241 EBD., 174f. 2 4 2 Vgl. zu diesem Projekt W. GRUNDMANN, Arbeit; E. HAENCHEN, Gottes Wort, S.129-131. 243 E. HIRSCH, Jesus; DERS., Paulus. Vgl. hierzu auch E. HAENCHEN, Gottes Wort, s. 129-131. 23 9
240
s.
Zum Hintergrund der .Deutschen Goneswone•
271
dem 19. Jahrhundert, bei Gruppen der ,.nationalen Opposition" in der Kirche nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem in deutsch-christlichen Kreisen weit verbreitet. Heinonen wies außerdem nach, wie im Bereich der Wissenschaft Adolf Schlatter den deutsch-christlichen Eindeutschungen den Weg bereitete: Schlauer habe erstens ,.die Abhängigkeit des kirchlichen Lebens und der Theologie vom Volkstum" betont, zweitens ,.die Zeitgebundenheit der Bekenntnisse" gelehrt, drittens ,.durch seine Betonung des ,Erlebnisses' an den anti-intellektualistischen Trend des nationalsozialistischen Staates" angeknüpft und viertens ,.die Einflüsse des Judentums als ethisch-metaphysisches Verderbnis" behandelt 244 . Über den bislang aufgezeigten geistesgeschichtlichen Rahmen hinaus lassen sich die ,.Deutschen Gottesworte" aber noch genauer einordnen. Wolfgang Tilgner zog eine direkte Verbindungslinie zwischen der von Wilhelm Stapel bereits seit 1919 erhobenen Forderung, ,.die Bergpredigt ,ins Deutsche', d. h. in eine dem deutschen Volk gemäße Art und Haltung" zu übertragen, und den ,.Deutschen Gottesworten" 245 . Stapel stützte sich bei seiner Bergpredigt-Interpretation auf Karl Bornhäuser246. Heinonen zeigte inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen den ,.Deutschen Gottesworten" und den Bergpredigt-Auslegungen Bornhäusers und Stapels auf. Diese Gemeinsamkeiten beziehen sich vor allem auf die Negierung des universalen Anspruchs der Forderungen Jesu. So reduzierte Stapel, von den Untersuchungen Bornhäusers herkommend, der die Bergpredigt als Jüngerlehre" interpretierte, die ,.möglichst konkret aus dem damaligen Kulturmilieu verstanden werden" müsse, die ,.absoluten ethischen Maßstäbe und Bestimmungen", von denen in der Bergpredigt die Rede ist, wie später Müller, ,.zum nationalbegrenzten religiösen Gesetz" 247. Stapel und Müller stimmten darin überein, ,.die Bergpredigt als Teil eines jüdischen Volksgesetzes" aufzufassen, ,.das einer ,Verdeutschung', d.h. Umdeutung in die Wertvorstellungen der nationalsozialistischen Gesellschaft bedürfe." 248 Hinter dieser Interpretation steht die von Stapel - u. a. unter Rückgriff auf Bornhäuser entwickelte - Volksnomoslehre, nach der jedem Volkstum ein spezifischer Sittenkodex eignet, der ihm von Gott schöpfungsmäßig zugeordnet wurde, d. h. im jeweiligen Volkstum biologisch verankert ist 249. Müller griff also bei seiner Bergpredigt-,.Übertragung" auf den Kern des R. HEINONEN, Anpassung, S. 159. W. TrLGNER, Volksnomostheologie, S. 110f. 246 Vgl. W. STAPEL, Staatsmann, S. 40; vgl. W. TILGNER, Volksnomostheologie, S. 110. 2 47 R. HEINONEN, Anpassung, S. 170. 241 EBD., s. 169. 249 W. TrLGNER, Volksnomostheologie, S. 109-122; vgl. R.HEINONEN, Anpassung, s. 168ff. 244
2o
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Stapelsehen Denkens zurück, der, von den Deutschen Christen in Anspruch genommen, gleichzeitig ein entscheidender Punkt der theologischen Auseinandersetzung des Kirchenkampfes war 2s0 • Heinonen konnte sogar für einzelne Wone bzw. Gedanken der "Deutschen Goneswone" Parallelen zu Bornhäuser und Stapel nachweisen. Bei Müllers "Übenragung" von Manhäus 5, 22 ("Ihr müßt aber erkennen und euch klar machen, daß die Ausführung des Mordes die Folge einer inneren Entwicklung ist, die anfängt mit Mißgunst, Neid und Haß") 2s1 ist die Abhängigkeit von Bornhäuser, dem zufolge Jesus hier "seinen Schülern das gegenseitige Fluchen und Bannen verbietet, indem er ihnen sagt: ihr werdet dadurch zu Mördern", offensichtlich 2s2. Bornhäuser, Stapel und Müller ist gemeinsam, daß sie die Forderungen der Bergpredigt über das Töten lediglich für den Mord gelten lassen, das Töten im Krieg und durch die Justiz aber für gerechtfenigt ansehen 2s3 • Ganz dieser Interpretation entsprechend wird bei allen dreien die Stelle vom Backenstreich in der Weise abgeschwächt, daß sie "dem Pazifismus keine Unterstützung geben konnte, sondern vielmehr geeignet war, die im Krieg entstandene Verhänung der ethischen Grundsätze zu untermauern." 2s4 Auf Parallelen zwischen Müller und Bornhäuser wiesen- in rechtfenigender Absicht- auch bereits zeitgenössische Kritiker der "Deutschen Gotteswane" hin 2ss. Dem Leipziger Theologieprofessor Paul Fiebig zufolge zog Müller tatsächlich "Bornhäusers Buch zur Bergpredigt" bei der Abfassung der "Deutschen Gotteswone" heran2s6 • Mit Heinonen läßt sich zusammenfassend sagen, daß Müller sich zur Veneidigung seiner "Deutschen Gotteswone" teilweise durchaus auf zeitge250 Vgl. W. TrLGNER, Volksnomostheologie, S.113; R. HEINONEN, Anpassung, S. 170f.; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 533-536. 251 L. MüLLER, Gottesworte, S. 12. 252 K. BoRNHÄUSER, Bergpredigt, S. 70; vgl. R. HEINONEN, Anpassung, S. 171. 253 K. BoRNHÄUSER, Bergpredigt, S. 64; W. STAPEL, Kirche Christi, S. 133; L. MüLLER, Gottesworte, S. 12; vgl. R. HEINONEN, Anpassung, S. 171 f.; DERS., Säkularisierung, S. 101. 254 R. HEINONEN, Anpassung, S. 172f.; vgl. K. BoRNHÄUSER, Bergpredigt, S. 92; W. STAPEL, Staatsmann, S. 40; L. MÜLLER, Gottesworte, S. 16; vgl. auch R. HEINONEN, Säkularisierung, S. 102. Auch Paul Althaus versuchte, ,.das ,Kriegserlebnis' mit der Bergpredigt in Einklang zu bringen• (R. HEINONEN, Anpassung, S. 172; vgl. P. ALTHAUS, Sozialismus, S. 77). 2 55 Vgl. Pfr. Karl Tiesler, Stellungnahme zu einem Gutachten des RKA, Mülheim!Ruhr, Ende Mai 1936 (K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 737); Pfr. Hinderer (Gailenkirchen) an RK.A, 29. 6. 1936 (EZA BERLIN, 1/A 4/488). Tiesler war Mitarbeiter der von den Weidemannscben Bremer DC herausgegebenen Zeitung .Kommende Kirche• (R. HEl NONEN, Anpassung, S. 168). Hinderer verwies außerdem auf angebliche Berührungen mit Adolf Schlauer und der Jubiläumsbibel• der Wümembergischen Bibelanstalt. Vgl. auch die Verweise auf Adolf von Harnack durch Hermann Mulert (vgl. oben S. 263f.). 256 Fiebig, Bemerkungen zu dem Gutachten des RKA über das Bergpredigt-Buch von Ludwig Müller, hds., Eingangsvermerk des RKA: 26. 5. 1936 (EZA BERLIN, 11A 4/488).
Zum Hintergrund der .Deutschen Goneswone•
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nössische theologische Literatur stützen konnte, oder umgekehrt, daß die Kritik an den "Deutschen Gotteswonen" teilweise "indirekt die Interpretation Bornhäusersund Stapels traf. " 257 Mindestens ebenso deutliche Parallelen wie zu Stapel und Bornhäuser lassen sich zu dem bereits vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen Buch von Johannes Müller (Elmau) "Die Bergpredigt verdeutscht und vergegenwärtigt" aufzeigen, dessen Titel bereits demjenigen von Ludwig Müllers Buch "Deutsche Gottesworte verdeutscht" ähnelt. Wie später Ludwig Müller, so wertete auch Johannes Müller die Bergpredigt als den "konzentrierte[n] Ausdruck dessen, was er [Jesus] wollte." 258 Und wie später Stapel und Müller, so behauptete auch bereits Johannes Müller "die Unhaltbarkeit der Bergpredigt als gemeingültige Morallehre", da sie sich "an eine strengumgrenzte [sie!] Auslese von Menschen" richte 259 • Wie Stapel und Ludwig Müller zog Johannes Müller den Schluß: "Wir müssen uns die Reden Jesu verdeutschen, denn sie sind auf jüdischem Boden gewachsen und an Juden gerichtet, an ein Volk besonderer Rasse und Geschichte." 260 Das "Wesentliche" oder "allgemein Menschliche des Evangeliums" müsse man "von dem Fremdartigen lösen und in deutsches Empfinden aufnehmen." 261 Daß in den "Deutschen Gotteswonen", wie erwähnt, die acht Stellen, an denen im Luthenext von "Lohn", "belohnen" und "vergelten" die Rede ist, geändert wurden, könnte unmittelbar auf Johannes Müller zurückgehen. Dieser nannte den "Lohn" ausdrücklich als Beispiel für die jüdische Einkleidung der Bergpredigt, die gemäß der nationalen Eigenart der Deutschen übertragen, d. h. "eingedeutscht", werden müsse: "Wir finden, daß Jesus seinen Zuhörern mit Vorliebe den Wen, die Wirkung und die Bedeutung einer inneren Stellung oder eines Verhaltens dadurch klar macht, daß er von dem Lohn spricht, den es finden wird. Das ist aber nur eine jüdische Ausdrucksform für naturgesetzliche Zusammenhänge einerseits und lebhaftes persönliches Interesse andrerseits, herausgeboren aus jüdischer Lebensauffassung. Jesus war weit davon entfernt, die Heilsgüter als Lohn anzusehen, den man sich verdient. . . . Aber den Juden war das ein geläufiger und lebendiger Ausdruck sowohl für die Folge von Ursache und Wirkung wie für treibendes Interesse.... Uns Deutschen aber ist das Rechnen mit dem, was einem dafür wird, in allen höheren Angelegenheiten jedenfalls ganz fremdartig und in tiefster Seele zuwider. Wir empfinden es als schimpflich und gemein. Wer das leugnet, dem ist durch die fremde Lymphe das Blut verdorben worden." 262 25 7
R. HEINONEN, Anpassung, 5.169 und 171.
258
J. MüLLER., Bergpredigt, S.l.
259 260 261 262
Eao., S. 8f. Eao., S. 12. Eao., S. 14. Eao., S. 13f.
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9. • Was ist positives Christentum?•- Müllers .Glaubens- und Sittenlehre• Auf einer deutsch-christlichen Bischofskonferenz im Dezember 1934 hatte Müller angekündigt, er wolle "einmal in einer kleinen Schrift" die neuen theologischen Gedanken .,aussprechen", die er in einem Gespräch mit Rosenberg entwickelt habe 263 • Diese Ankündigung scheint er mit seinem im November 1938 im Berliner .,Herben Stubenrauch Verlag" erschienenen und 1939 vom Stuttganer ..Tazzelwurm Verlag" übernommenen Buch .. Was ist positives Christentum?" 264 wahr gemacht zu haben. Diese zweite größere Publikation Müllers, in der das aus dem Paneiprogramm der NSDAP stammende Schlagwon vom .,positiven Christentum" aufgegriffen wird 265 , ist eine An "Glaubens- und Sittenlehre". Einer Aktennotiz des Reichskirchenministeriums vom 17. Januar 1939266 zufolge berichtete der Stuttganer Verleger des Buches, er sei "für heute Nachmittag zu einer Besprechung über eine Förderung des Müllersehen Buches durch das Prop[ aganda-]Min[isterium]" in dieses Ministerium bestellt worden. Julius Stahn, Ministerialdirigent im Reichskirchenministerium, vermerkte hierzu: "Wir wollen nichts dafür tun, aber auch nichts dagegen'"- eine für die Position des Reichskirchenministeriums im Hinblick auf Müller wohl bezeichnende Haltung. Der Verleger äußene sich nach der genannten Aktennotiz auch zu Müllers Motiven für die Abfassung des neuen Buches: "Müller habe die Arbeit als eine Möglichkeit der Rehabilitierung betrachtet und sich ein Reichsleiteramt damit erhofft." Allerdings finde das Buch "keinen besonderen Anklang, zu mal in der Panei nicht." Am 27. Januar 1939 übersandte das Reichspropagandaministerium der Reichsschrifttumskammer eine Beuneilung des Buches "Was ist positives Christentum ?" 267 , die äußerst positiv ausfiel - ein Beweis dafür, daß das Propagandaministerium das Buch tatsächlich für förderungswürdig hielt. In der Beuneilung heißt es u. a.: "Das Buch ist in allgemein verständlichem Stil geschrieben und entbehn aller volksfremden, erstarnen Theologie und ihrer E. BALZER, Niederschriften (Ms.), 4. 12. 1934. Vgl. oben S. 202. Zum Erscheinungsdatum: November 1938 vgl. BDC, Akte: Reichskulturkammer/ Reichsschrifnumskammer: Ludwig MüUer. us Das NSDAP-Paneiprogramm von 1920 ist u.a. abgedruckt bei E. RöHMij. THIERFELDER, Evangelische Kirche, S.17. In dem Programm heißt es unter Punkt24: .Wir fordern die Freiheit aUer religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne ~ich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz.• 266 BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709. 267 BDC, Akte: Reichskulturkammer/Reichsschrifttumskammer: Ludwig MüUer. 263
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Müllers .Glaubens- und Sittenlehre•
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für Laien unverständlichen Terminologie. Der Verfasser wendet sich ausdrücklich an die Volksgenossen, die die Verbindung mit den alten Kirchen verloren haben und die eine Kirche herbeisehnen. Gerade dieses undogmatische Buch ist geeignet, denjenigen Volks- und Parteigenossen, die die Kirchen ablehnen, aber an christlichen Ideen festhalten, einen Ausweg aus innerer Bedrängnis zu zeigen." Außergewöhnlich war die der Beurteilung angefügte Aufforderung an die Reichsschrifttumskammer: "Ich bitte daher zu veranlassen, daß das Buch in allen Buchhandlungen und Kiosken im ganzen Reich zur Auslage kommt. Eine Werbeanzeige im Börsenblatt der deutschen Buchhändler würde ich begrüßen. Von dem Veranlaßten bitte ich, mir Kenntnis zu geben." Die Reichsschrifttumskammer antwortete, man habe es "bisher in jedem Falle vermieden", sich für einzelne Werke einzusetzen und wolle daran auch in Zukunft festhalten. Der "Fall" des Reichsbischofs sei zudem "auch deshalb etwas heiß, als [sie!] es sich um eine Kirchenfrage handelt." Es wurde aber in Aussicht gestellt, daß eine Besprechung des Buches im Rahmen einer "geplanten Arbeitswoche über Weltanschauung und Dichtung erfolgt." Außerdem schlug die Reichsschrifttumskammer vor, eine "Besprechung des Buches" an den Schriftleiter der Fachzeitschrift "Buchhändler im Neuen Reich" zu senden 268 • Beifall fand "Was ist positives Christentum?" auch beim nationalsozialistischen "Reichsbund der Deutschen Beamten". In dessen "Schulungsbriefen" heißt es: Während "der politische Konfessionalismus" dieTaufe der GöringTochter durch Müller "als Propaganda gegen unsere Weltanschauung" benutze, indem er "dieses Ereignis umfälschen (will) in ein offizielles nationalsozialistisches Bekenntnis zu kirchlichen Formen", habe der "P[artei]g[ enosse] Ludwig Müller" mit seinem neuesten Buch endgültig den Beweis erbracht, daß "er völlig mit den Formen und Dogmen allen Kirchenturns (bricht)." Anschließend wurden in den "Schulungsbriefen" verschiedene Punkte aus "Was ist positives Christentum?" zustimmend zitiert bzw. paraphrasiert269. Oben wurde bereits erwähnt, daß die NSDAP-Reichsparteileitung am 25.Januar 1939 Rosenberg um sein Urteil über" Was ist positives Christentum?" bat- ein Zeichen für eine gewisse, eventuell durch das positive Urteil des Propagandaministeriums verursachte, Unsicherheit der Partei hinsichtlich der Bewertung des Buches. Im übrigen scheint "Was ist positives Christentum?", wie es der Verleger ja schon im Januar 1939 einschätzte, weit weniger Interesse geweckt und deshalb auch weit weniger Reaktionen hervorgerufen zu haben als die 268 Reichsschrifttumskammer an Reichspropagandaministerium, 8. 2. 1939 {Konz.) (BDC, Akte: Reichskulturkammer!Reichsschrifnumskammer: Ludwig Müller). 269 LKA BIELEFELD, 5,1-305,3.
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,.Deutschen Gotteswone". Die "Christliche Welt", die der Bergpredigt"Verdeutschung" noch zwei längere Artikel gewidmet hatte, machte sich nunmehr lediglich in einer kurzen Glosse unter der Rubrik "Verschiedenes• über Müllers mangelnde Latein-Kenntnisse lustig. Müller, der ja gerne etymologische Betrachtungen anstellte und immer wieder auch seine klassische Bildung unter Beweis zu stellen versuchte, behauptete in "Was ist positives Christentum?", das Won Religion stamme zwar aus dem Lateinischen, jedoch suche man ,.ein Hauptwort, etwa ,religio'", selbst im "beste[n] lateinische[n] Lexikon" vergeblich 270 • Die ,.Christliche Welt" wies demgegenüber darauf hin, daß das Won "religio" allein bei Cicero mehr als dreihundenmal vorkomme und folglich auch "in jedem gangbaren lateinischen Lexikon" stehe 271 • Im Bundesarchiv, Abteilung Potsdam wird noch eine kurze Glosse, vermutlich aus einer Kirchenzeitung, verwahrt, in der kurz auf den Inhalt von ,. Was ist positives Christentum?" eingegangen und gleichzeitig dagegen polemisiert wird 272 • Es scheint so, daß man sich im Laufe der Zeit an Müllers provozierende, unkonventionelle, unkirchliche Gedanken mehr oder weniger gewöhnt hatte, daß sie, zumindest in geschriebener Form, kaum noch Zündstoff boten. Zum Buch selbst: In einem kurzen Vorwort erkläne Müller sich zum .Sprecher der Volksgenossen •, die die "völlige Einheit", auch auf religiösem Gebiete, ,.ersehnen". Er habe das Buch "selbstverständlich ... als Nationalsozialist geschrieben", allerdings "nicht im Auftrag der Panei"- eine Formulierung, wie sie sich ganz ähnlich auch in Rosenbergs "Mythus" findet 273 • Mit "Was ist positives Christentum?'" wende er sich "an das deutsche Volk in der Überzeugung, daß das Wort ,Positives Christentum' genauso gut mit neuem deutschen Inhalt erfüllt werden kann wie das Won ,Sozialismus'." 274 Das Buch ist dreigeteilt. Auf den ersten achtundzwanzig Seiten analysierte Müller unter der Überschrift: ,.Die Lage" die religiöse Situation in Deutschland. Über den Begriff des Venrauens versuchte er zunächst eine Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Religion herzustellen: Venrauen sei sowohl "das charakteristische Merkmal des nationalsozialistischen Menschentypus" (Vertrauen zur nationalsozialistischen Idee, zum "Führer" und im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands) als auch "eine Angelegenheit der 21o
L. MüLLER. Positives Christentum. S. 39.
2 71
Theo Herrle. An.: Bedeutung der Kenntnis der alten Sprachen. in: CW 53. 1939, S. 260.
Vgl. etwa die einfachen zeitgenössischen Handwönerbücher K. GEORGEs. Handwönerbuch. Sp. 2293-2295; DERS .• Schulwönerbuch. S. 770; C.INGERSLEV. Schul-Wönerbuch. S. 750f.; F. HEINICHEN. Schulwönerbuch. S. 715f. oder auch F. KLUGE/ A. GöTZE. Etymologisches Wönerbuch der Deutschen Sprache. S. 478f. Es fragt sich. ob Müller überhaupt irgendwo nachschaute. m BA ABT. PoTSDAM. 51.01 RKM 23.709. 273 A. RosEN BERG. Mythus. S. 2 f. 2 74 L. MüLLER. Positives Christentum. S. 5.
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Seele"; deshalb, so folgene er, "greift der Nationalsozialismus grundlegend in das Gebiet des Seelischen ein." 275 Ausgehend von der Darstellung seiner eigenen religiösen Sozialisation, die er als typisch ansah, beschrieb Müller anschließend die allgemeine "sogenannte alte ,christliche' Weltanschauung", deren Grundlage die Geschichte des jüdischen Volkes sei und die geprägt sei durch Kirchenlehren und Dogmen, vor allem durch die Vorstellung von einem Gott, der nicht nur Hilfe und Trost sei, sondern auch eine drohende Macht, vor der man sich fürchten müsse 276 • Müllers dreifache Begründung für die Ablehnung dieser alten "Weltanschauung" ist denkbar einfach: Erstens sei er schon als Kind damit nicht fenig geworden, so wie auch "die allermeisten" seiner "Volksgenossen" damit nicht fenig würden 277 • Zweitens habe zu keinem Zeitpunkt, nicht einmal unter Theologen, "Einigkeit über Christus und seine Lehren" bestanden. "Wer will mir da", so argumentiene er, "das Recht streitig machen, als Nationalsozialist meine eigene Anschauung zum Ausdruck zu bringen." 278 Drittens sei "die sogenannte alte ,christliche' Weltanschauung in Wirklichkeit gar keine ,christliche' Weltanschauung ... , sondern ... biblische kirchliche Weltanschauung mit jüdisch-orientalischen und griechisch-romanischen Zügen." 279 In fast wönlicher Aufnahme dessen, was er bereits im Nachwon der "Deutschen Gotteswone" ausgefühn hatte, venrat er die Auffassung, daß in der gesamten ",christlichen' Welt ... die Zeit des starren kirchlichen Dogmatismus zu Ende geht, und ... daß wir in eine Zeit hineinwachsen, in der die Völker aus ihrem Volkstum heraus, aus ihrer volklichen Eigenart, die ewigen Wene und die ewigen Wahrheiten so fassen und so formulieren werden, wie es ihrer Volksan entspricht" 280 • Der abgelehnten "sogenannten alten ,christlichen' Weltanschauung" stellte Müller die "neue deutsche, arische oder nationalsozialistische Weltanschauung" gegenüber. Diese Weltanschauung zeichne sich vor allem durch Realismus aus, der "die Dinge der Welt" ansehe und beuneile, "wie sie sind" 281 • Der Inhalt der neuen Weltanschauung, das, "was (wir) schauen", sei .,zuallererst, daß wir Deutsche sind, daß wir in Deutschland leben", weiterhin .,daß unser deutsches Blut das Geheimnis unseres deutschen Lebens und unserer deutschen An ist" und daß .,wir . . . unser Leben in der großen Gemeinschaft unseres Volkes (leben)", in der es keinen Raum mehr gebe für
s Eao., S. 9f. Eao., S. 19. 2n Eao., S. 21 f. m Eao., S. 21. 279 Eao., S. 22. 28c Eao., S. 27. 21 1 Eao., S. 22f. 27
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Uneinheitlichkeit, sei es auf politischem, sozialem oder religiösem Gebiet282 . Schließlich sähen "wir"- bzw. "unsere Seele" fühle und empfinde- "in uns selbst" "das letzte Geheimnis, das als ,Schöpfer', als ,Vorsehung', als der ,Allmächtige' hinter der Welt steht, in der Welt wirksam ist", nämlich "Gott den Ewigen", aber auch "mit hanem Grauen neu und viel schärfer als früher den Teufel und das teuflische Wesen"' 283 . Wie er der alten Kirchenlehre das Attribut "christlich" absprach, so versuchte er die Christlichkeit der neuen nationalsozialistischen Weltanschauung zu erweisen. Dies tat er zunächst indirekt, indem er behauptete, die nationalsozialistische Weltanschauung könne nicht "antichristlich" sein, da sie "den gottfeindlichen und christushassenden, jüdischen Bolschewismus"' als den "ärgsten Feind unerbittlich und bis zur letzten Entscheidung" bekämpfe284, und dann direkt, indem er sich auf das Paneiprogramm der NSDAP berief, wonach "der Nationalsozialismus auf dem Boden eines ,positiven Christentums' steht". Indirekt räumte Müller aber auch ein, daß es innerhalb des Nationalsozialismus auch andere, nicht-christliche Bestrebungen gab, die er aber gleichsam als Verfälschungen ansah: "Über dieses Paneiprogramm hat aber nicht irgendein x-beliebiger Paneigenosse zu bestimmen, sondern allein der Führer. Solange aber der Führer nichts anderes bestimmt hat, bleibt für jeden Paneigenossen das Programm verbindlich; also auch das Wort vom ,positiven' Christentum." 285 In dem mehr als hundert Seiten umfassenden Hauptteil: "Die Sache"' mit den Unterabschnitten: "Gott", "Beten", "Glauben", "Der Glaube (Das Glaubensbekenntnis)", "Kirchenpolitik", "Die Bibel" und "Christus" sowie verschiedenen Exkursen, u. a. zur Taufe und zur Ethik, gab Müller eine umfassende Definition dessen, was er unter "positivem Christentum" verstand, beginnend mit der Frage: "Was ist positives Christentum?", schließend mit der Aussage: "Das ist positives Christentum." Nach Müllers Selbstverständnis handelt es sich bei dem Hauptteil also um eine Art "Katechismus" für die neue Christentums- bzw. Religionsauffassung des Nationalsozialismus. Zu Beginn dieses Hauptteils sprach Müller den Kirchen grundsätzlich die Legitimation ab, in religiösen Angelegenheiten Entscheidungen zu treffen, da die Repräsentanten der Kirchen, die ohnehin untereinander zerstritten seien, "alle ohne Ausnahme auch ,dunkle Stunden'" hätten und als "Kinder ihrer Zeit und ihres Volkes" nicht wissen könnten, "was wirkliches und für alle Zeiten ,positives' Christentum ist". Weiterhin seien Bibel, Tradition o. ä. keine "objektive Grundlage, von der aus die Frage nach einem
m Eao., S. 23; vgl. auch Eao., S. 24f. EBD., s. 26. 284 EBD., s. 27. 28S EBD., s. 28. 283
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positiven Christentum allgemeingültig und für alle Zeiten bestimmend zu beantwonen ist" 286 . In dem knapp zwanzigseitigen Schlußteil: ,.Die Folgerung" zog Müller die Konsequenzen für das Verhältnis von Staat und Kirche bei der Verwirklichung des ,.positiven Christentums". Außerdem charakterisiene er den Nationalsozialismus: Nationalsozialismus sei der Glaube an Volk und Vaterland, an die Kameradschaft im Volk, an die ,.schicksalhafte Volksverbundenheit" 287. Er sei ferner ein dauerndes Kämpfen, ein immer wieder neues Streben, er sei die große Lebensschule, in der die Menschen nach dem Ideal deutscher Lebensauffassung und deutscher Frömmigkeit erzogen würden288. Dem Geist der Selbstsucht und dem ,.Tanz ums goldene Kalb" hätten die Nationalsozialisten die Wene Ehre, Ehrlichkeit, Wahrheit, Treue, Kameradschaft und Freiheit gegenübergestellt 289 . Mit Freiheit sei jedoch nicht Zügellosigkeit und Willkür gemeint, die, ebenso wie die Selbstsucht, ,.durch ein gerechtes, der Volksan entsprechendes ,Gesetz'" ,.überbrückt" werden müßten 290 . Die Behauptung Müllers in ,. Was ist positives Christentum?", er fühle sich erst seit Anfang 1938 ,.nach schwersten inneren Kämpfen ... in der Lage ... , das auszusprechen", was er in eben diesem Buche niederschrieb 291 , die eine religiöse Wende Müllers in dieser Zeit implizien, entspricht nicht den Tatsachen. Der Inhalt von ,. Was ist positives Christentum?" stimmt mit dem überein, was Müller seit seiner Wende 1934 an neuen religiösen Gedanken äußene. Allenfalls findet sich in dem neuen Buch eine größere Konkretisierung, Spezifizierung und Exemplifizierung, die jedoch auch nur unwesentlich über das hinausgehen, was Müller in seinen Reden ab seiner faktischen Entmachtung äußene. Der Grund für Müllers Behauptung, er habe 1938 eine Wende in seinem religiösen Denken und Reden vollzogen, kann nur darin liegen, daß er sich gegenüber Nationalsozialisten, die der Kirche fern standen und den Reichsbischof immer noch mit der ,.alten" Kirche in Verbindung brachten, in ein besseres Licht setzen wollte. Auch das Buch ,. Was ist positives Christentum?" zeugt von einer erstaunlichen Trivialität, die in der gedruckten Form noch viel stärker ins Gewicht fällt als bei Müllers Reden und die die Trivialität der ,.Deutschen Gottesworten" noch übenrifft. So gelangte Müller beispielsweise nach einer seitenlangen Erönerung der Frage: ,. Was ist überhaupt ,Weltanschauung'?" zu dem EBD., s. 30f. EBD., 154. 281 EBD., s. 155f. 289 EBD., 154. 2 9C Eao., S. 155f. Zum weiteren Inhalt von Haupt- und Schlußteil vgl. unten die zusammenfassende Darstellung von Müllers theologischem und kirchenpolitischem Denken nach seiner faktischen Entmachtung S. 31 5ff. 291 l. MüLLER, Positives Christentum, S. 21 f. 2&6
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s. s.
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Schluß: "Wir schauen die Welt an! Etwas anderes will das Won Weltanschauung zunächst gar nicht sagen." 292 Mit solchen Plattheiten ging eine geradezu grotesk anmutende Selbstüberschätzung einher. Müller ging z. B. in seinem Buch davon aus, "daß mindestens 80 Prozent des breiten Volkes genau dieselben Ansichten und genau dieselbe innere Einstellung zum positiven Christentum haben, wie ich es ausspreche" 293 . Ausdrücklich betonte er, daß zudem gerade auch "viele Intellektuelle" ihm bestätigt hätten, daß er "mit einfachen Worten" das ausgesprochen habe, "was in ihnen seit langem geworden und gewachsen war" 294 . Ein "sehr gelehrter Mann" habe seine (Müllers) Auffassungen zustimmend in "Vorträge[n] über religions-philosophische Probleme" erläuten295. Müller zweifelte nicht im entferntesten daran, sondern hielt es vielmehr für bewiesen, "daß ich auf dem richtigen Wege bin" 296 . Im Hinblick auf sein "Kaltgestelltsein" erklärte er, er befinde sich "in einer geradezu tragischen Position" 297. In bezugauf die in der Kirche maßgeblichen Männer hielt er sich gleichsam für den einsamen Rufer in der Wüste, für den einzig Weisen unter lauter Ignoranten oder Verblendeten, und hierbei scheute er sich nicht, seine Situation mit derjenigen Christi oder Luthers zu vergleichen 298 .
10. "Der deutsche Volkssoldat"- Müllers "Kriegsbuch •
Mit seinem im Dezember 1939 im Berliner "Edwin Runge Verlag" erschienenen- dritten- Buch: "Der deutsche Volkssoldat", mit dessen Abfassung er nach eigenen Angaben noch vor dem Kriegsanfang begonnen hatte 299, bewies Müller wieder einmal, daß er die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Wie er 1914 rechtzeitig von seinem Gemeindepfarramt zur Marine gewechselt war, so legte er nunmehr gleich zu Anfang des Zweiten Weltkrieges sein "Kriegsbuch" vor, das in der Literatur bislang weitgehend unbeachtet blieb 300 . "Der deutsche Volkssoldat" wurde offenbar eine Art Bestseller. 1940 erschien bereits- nunmehr beim Verlag "Herben Stubenrauch", Berlin- die vierte (unveränderte} Auflage. EBD., S. 8-23 (Zitate teilweise im Sperrdruck). EBD., s. 35. 294 EBD., s. 33. 295 EBD., s. 34. 296 EBD., s. 36. 297 EBD. 298 EBD., s. 34f. 299 L. MüLLER, Volkssoldat, S. 7. 300 Bei K. MEIER, Deutsche Christen; DERs., Kirchenkampf, Bde. 1-3; F. BAUJtS, PEarrer; Dns., Nachträge; E. BRINKMANN, Müllers Lebensjahre, ist das Buch beispielsweise nicht erwähnt. Kurze Hinweise aber bei H. BAIER, Kirche in Not, S. 265 f. 29 2
293
Müllers .Kriegsbuch•
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Auf die positive Beuneilung des Buches durch Alfred Rosenberg wurde oben schon eingegangen. Im kirchlichen Bereich fand das Buch offenbar kein besonderes Interesse mehr; jedenfalls sind Reaktionen nicht bekannt. "Der deutsche Volkssoldat" ist im Grunde ein Plädoyer für eine vollkommene, alle deutschen Menschen miteinbeziehende Militarisierung des Lebens in Deutschland (vgl. schon den Begriff"Volkssoldat"), für eine umfassende Vorbereitung eigentlich bereits auf den totalen Krieg. So heißt es z. B. in der Einleitung: "Ob Krieg oder Frieden: wir Deutschen sind ein Volk von Soldaten .... Arbeiter und Bauern, Beamte, Ingenieure und Wissenschaftler, Kaufleute und Händler, ja selbst Frauen und Kinder werden Volkssoldaten, die ihre Heimat über alles lieben, und die bereit sind, für einen dauerhaften Frieden und für eine glückliche Zukunft der Nation jedes Opfer zu bringen." 301 Der Soldat im herkömmlichen Sinne war für Müller nur eine besondere "An" des ,.Volkssoldaten": "Wir sprechen vom ,Soldaten der Arbeit', vom ,politischen Soldaten' und im besonderen vom Soldaten der Wehrmacht."302 Diesem "Soldaten der Wehrmacht" wandte er sich dann allerdings in "Der deutsche Volkssoldat" fast ausschließlich zu. Er ging u. a. auf die Ausbildung und die verschiedenen Laufbahnen beim Militär ein. Oft kam er in seinem Buch jedoch auch auf "seelische", religiöse Belange zu sprechen, wie es schon Kapitelüberschriften wie: "Soldatische Frömmigkeit einst und jetzt", ,.Der junge deutsche Mensch und seine seelische Situation", "Gott und das Schicksal", "Unsterblichkeit" anzeigen. Die Verbindung zwischen militärischem und religiösem bzw. "seelischem" Bereich stellte er auf verschiedene Weise her. Zunächst einmal bezog er bei der Forderung nach vollkommener Militarisierung des Lebens in Deutschland nicht nur alle deutschen Menschen, sondern auch alle Bereiche des Lebens in Deutschland, auch und gerade den "seelischen" Bereich mit ein: "Deshalb muß das ganze Volksleben in seiner wirtschaftlichen und in seiner seelischen Struktur so aufgebaut werden, daß Wehr-Wille und Wehr-Macht die Sicherheit des Landes und des Volkes gewährleisten." 303 Weiterhin sprach er ganz offen von der Notwendigkeit eines religiösen Rückhaltes besonders der ,.Soldaten der Wehrmacht", damit sie für ihre Tätigkeittrotz der damit verbundenen Lebensgefahr motivien sind: "Muß nun der Soldat seiner Aufgabe entsprechend nicht nur kämpfen, sondern 301 L. MüLLER, Volkssoldat, S. Sf. Herr Prof. Dr. Roben C. Walton, Münster, wies mich freundlicherweise darauf hin, daß sich Überlegungen Müllers in .Der deutsche Volkssoldat•, insbesondere die Überzeugung der Notwendigkeit einer totalen Militarisierung Deutschlands, mit Ideen aus den Spätschriften des Generals Erich Ludendorff, vor allem aus dessen Buch .Der totale Krieg• von 193S, berühren. Dies paßt zu der bei Müller auch noch nach 1933 vorhandenen traditionellen soldatisch-konservativen, nationalistischen Grundhaltung. 302 L. MüLLER, Volkssoldat, S. 13; vgl. auch Eao., S. 29. 303 Eao., S. 11.
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auch sterben, so braucht er einen starken seelischen Halt ... " - .Mit entgottetem Volk, mit entgottetem Heer lassen sich letztlich keine siegreichen Schlachten schlagen." 304 Religion wird hier also gleichsam für militärische Zwecke, die Stärkung der • Wehrkraft", instrumentalisiert. Schließlich war Müller auch der Auffassung, daß der .Fahneneid" und die .Pflichten des deutschen Soldaten" eine religiöse Dimension haben, und er interpretierte beides entsprechend 305 • Die religiösen Gedanken, die Müller vortrug, entsprechen ganz dem, was er in • Was ist positives Christentum?" und in seinen Reden nach seiner .Kaltstellung" ausführte. Mit seinem Buch .Der deutsche Volkssoldat" bewegte er sich auf einem Terrain, in dem er sich als alter Militärpfarrer offensichdich ganz zu Hause fühlte. Des öfteren schwelgte er in dem Buch geradezu in Kriegs- und Militärerinnerungen, die er meist in anekdotenhafter Weise wiedergab. Anhand dieser - häufig sehr trivialen - Erinnerungen versuchte er, einige seiner banalen Gedanken zu veranschaulichen. Um die positive Auswirkung der .soldatische[n] Erziehung" auf das Zivilleben zu verdeudichen, erzählte er beispielsweise relativ weitschweifig die Geschichte eines Fleischermeisters, der während seiner Militärzeit von seinem Feldwebel das Reinigen der Fingernägel lernte, was ihm später in seinem Beruf zugute kam 306 • Eso., S. 31 und 115; vgl. auch Eso., S.61 und 129. JOs Eso., S. 82-%. 306 Eso., S. 94-%. An anderer SteUe verdeutlichte MüUer die soldatischen Tugenden der Tapferkeit und der Bescheidenheit. Er erzählte ausführlich von den zahlreichen gewagten Kriegsabenteuern zweiereinfacher Matrosen im Orient. Diese .Helden• hätten niemals von ihren Taten gesprochen. Er selbst habe erst davon erfahren, als ein Dritter, der sonst ebenfalls .sehr stiUe• gewesen sei, während einer ausgelassenen Feier (.Bei der des Alkohols fast entwöhnten Mannschaft kam bald Stimmung auf•) sehr .redselig• geworden sei. Der Grund für die Feier sei der .Gebunstag• eines Dolmetschers gewesen, der in Wirklichkeit gar nicht Gebunstag haue, dem man aber .klargemacht (haue), er müsse Gehunstag haben•, da er .gute Beziehungen nach Konstantinopel hatte• und so .für das zum Feiern notwendige Getränk zu sorgen (hauet (Eso., S. 41-43). Dieselbe Geschichte hatte MüUer auch bereits im Deutschen Marine-Kalender 1926, S. 83 zum besten gegeben. Allerdings .löste sich• donbei dem .Helden• selbst (es war nur von einem die Rede, der auch nicht Matrose, sondern Bootsmannsmaat war) während des Festes .in später Stunde• die .Zunge•. Mit der Zeit scheinen sich die Ereignisse in Müllers Erinnerung zunehmend verklän zu haben; er spann Seemannsgarn nach dem Motto: .Se non e vero, e molto ben trovato.• Um aufzuzeigen, daß es bei der .Gougläubigkeit• nicht so sehr auf das Reden, sondern vielmehr auf das Handeln ankommt, schildene Müller im .Deutschen Volkssoldaten• zwei Beispiele aus seiner Seelsorgetätigkeit im Krieg. Zum einen erzählte er von einem an sich .zuverlässige[n] und brave[ n] Soldat[en1• aus frommem Hause, der sich einmal .sinnlos betrank und in der Trunkenheit alles demoliene•, weil - während daheim eine Verlobte auf ihn .wartete•- ein .Stadtmädchen• mit schlechtem Leumund .mehr und mehr Gewalt über ihn (gewann) und ... eines Tages (erkläne), daß sie von ibm ein Kind erwarte. • Müller war sofon klar: .Hier war also mit guten und schönen Reden nichts mehr zu machen. Es mußte gehandelt werden.• Sein Handeln sah dann so aus: .Zunächst habe ich den Mann von dieser Frau befreit 304
Müllers "Kriegsbuch•
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Überhaupt zeichnet sich auch "Der deutsche Volkssoldat" durch eine Fülle von Banalitäten und einen geschwätzigen, geschraubten Sprachstil aus. Streckenweise liest sich das Buch wie eine Sammlung von Stilblüten und Platitüden. Im folgenden einige Beispiele: - "Der Alte Fritz hatte bekanntlich auch seine braven und sehr tüchtigen Soldaten, sonst hätte er die vielen und schweren Kriege wohl kaum gewinnen können." - "Der richtige Soldatenpfarrer alter Zeit kannte das Herz seiner Soldaten, und er bemühte sich, ihnen im Gottesdienst kurz und knapp das Herz warm zu machen, daß sie helle Augen kriegten und freudig bewegt wurden." -"Die Mutter und der Vater sind ja seinerzeit [sie!] auch einmal Kinder gewesen ... " .- "Der gute Vorgesetzte wird also niemals seine Untergebenen schikameren ... - "Stellt sich ein Rekrut bei der Ausbildung allzu dumm an, so kann es nicht wundernehmen, wenn dem ausbildenden Vorgesetzten einmal die Galle überläuft." -"Alle Tradition hat irgendwann einmal begonnen." - "Ein Lehrer muß gelernt haben, wenn er lehren soll, er muß das, was er lehren soll, besser können als der zu Belehrende." 307 Z. T. hat man den Eindruck, als habe Müller versucht, den Novellenstil Theodor Storms nachzuahmen: "Mein Großonkel saß eines Tages, als ich etwa 15 Jahre alt war, in seinem Sessel und las die Zeitung. Er selbst stand ungefähr in seinem 60. Lebensjahr. Da trat ein ganz alter, aber noch verhältnismäßig rüstiger Mann ins Zimmer, nahm einen Stuhl und setzte sich an den Tisch ... " 308 Oben wurde schon erwähnt, daß Müller weitere Bücher plante. Gemeinsam mit Rosenberg wollte er ein deutsches Religionsbuch herausgeben, und im Juli 1941 hatte er das Konzept für ein neues Buch mit dem Titel: "Die nationalsozialistische deutsche Volkskirche" bereits fertiggestellt, das dann aber nicht mehr veröffentlicht wurde. Das Manuskript ist verschollen. Vermudich im Zusammenhang mit diesem Buchprojekt stellte Müller Ende Februar 1941 einen förmlichen Antrag auf Befreiung von der Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer. Dabei gab er als "erlernten Be-
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[wie, das erfähn der Leser leider nicht, auch nicht, was aus dem Kind wurde]. Dann haben wir uns gegenseitig verpflichtet, ein Vieneljahr lang keinen Alkohol zu trinken. • Zum anderen berichtete Müller von einem "Stadtjunge[n]• mit einem .geradezu scheußlichen Entwicklungsgang•, der offenbar geschlechtskrank war. Auch hier redete Müller nicht viel, sondern handelte gleich: .Ich habe venraulich mit seinem Arzt gesprochen [unter Verletzung der Schweigepflicht?), der sich seiner kameradschaftlich annahm•, so daß er schließlich .ein guter Soldat geworden (ist)• (L. MüLLER, Volkssoldat, S. 62--64). lC 7 EBD., S. 15, 18, 34, 58, 91 f., 98 und 105. lOI EBD., 20.
s.
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ruf" nicht Pfarrer, sondern ,.Seelsorger" und als ,.Gebiet der schriftstellerischen Tätigkeit: neue überkonfessionelle Volkskirche" an 309 •
11. Zusammenfassende Darstellung von Müllers theologischem und
kirchenpolitischem Denken nach seiner faktischen Entmachtung Die einzelnen theologischen und kirchenpolitischen Äußerungen Müllers ab dem Herbst 1935 lassen sich, wie schon angedeutet, zu einem relativ geschlossenen theologischen ,.System" und einem sich daraus ergebenden relativ geschlossenen kirchenpolitischen Konzept zusammenfügen. Im Vergleich der zahlreichen Äußerungen miteinander wird fast nirgends eine Spannung, ein Bruch oder eine größere Korrektur sichtbar. Im Gegenteil: Die Grundgedanken wurden in kaum variierter, geradezu penetrant stereo~per Form ständig wiederholt. Des.. öfteren verwies Müller in späteren Außerungen bestätigend auf frühere Außerungen. Als Indizien für die Beständigkeit der theologischen und kirchenpolitischen Überzeugungen Müllers nach dem Herbst 1935 können auch sein kontinuierliches Engagement für die Thüringer Deutschen Christen bzw. diesen nahestehende Gruppen sowie bestimmte von Zeitgenossen stets wieder vorgebrachte Kritikpunkte (platter Rationalismus, Verkürzung der Christologie, Moralisierung etc.) gelten. Von einer Wende in Müllers Denken Anfang 1938, wie er sie in,. Was ist positives Christentum?" behauptete, kann, wie gesagt, überhaupt gar keine Rede sein. Einzig im Sinne einer im ganzen eher geringfügigen Radikalisierung bzw. schärferen Formulierung bestimmter Gedanken sowie im Sinne einer Konkretisierung, Spezifizierung und Exemplifizierung ist eine gewisse Weiterentwicklung feststellbar, wobei allerdings der z. B. in den ,.Deutschen Gonesworten" vom März 1936 schon deutlich erkennbare theologische und kirchenpolitische Rahmen niemals transzendiert wurde. In den ,.Deutschen Gonesworten" ist dieser freilich ein wenig hinter der Bergpredigt-Übertragung verborgen, liegt er nicht so offen zu Tage wie etwa in" Was ist positives Christentum?". Die theologischen und kirchenpolitischen Gedanken, die Müller nach seiner "Kaltstellung" vortrug, sind eine konsequente Weiterentwicklung und Entfaltung seiner seit 1934 geäußerten "unkonventionellen" religiösen Vorstellungen. Die theologische Position Müllers wird im folgenden weitgehend unter groben klassisch-systematischen Gesichtspunkten dargestellt, wie sie Müller selbst durchaus noch formal benutzte 310 • BDC, Akte: Reichskulturkammer/Reichsschrifnumskammer: Ludwig Müller. Die zusammenfassende Darstellung des theologischen und kirchenpolitischen Denkens Müllers nach seiner .Kaltstellung• beruht auf der Analyse der Publikationen Müllers sowie der zahlreichen Berichte über und der Mitschriften von Reden, Predigten etc. Müllers nach seiner faktischen Entmachtung (vgl. die Quellenangaben zum Anhang dieses Kapitels S. 315 ff. ). 309
310
Zusammenfassende Darstellung von Müllers Denken
285
Offenbarung Müller geht bei seinem Offenbarungsverständnis von für die Deutschen ausschließlich diese hat er im Blick - seiner Meinung nach objektiv Gegebenem aus: vom deutschen Land, vom Klima in Deutschland, von der deutschen Geschichte, vom deutschen Volk und vom deutschen Menschen mit deutschem Körper, deutschem Geist, deutschem Blut, deutschem Herzen und deutscher Seele 311 • Rasse und Nation sind also gleichsam die großen Determinanten in Müllers Offenbarungsverständnis und überhaupt in seiner "Theologie". In der durch die übrigen "objektiven" Gegebenheiten mit bestimmten deutschen Seele bzw. im deutschen Blut und deutschen Herzen - diese Begriffe werden synonym benutzt-offenbansich nach Müller Gott den Deutschen. Eine Erkenntnis dieser Offenbarung, Gotteserkenntnis also oder, wie er es nennt, "Gottverbundenheit", ist nach Müller allen Deutschen angeboren, zumindest die Möglichkeit hierzu: Gott kann vom deutschen Menschen in seiner Seele, genauer in seinem Gewissen als Teil der Seele, bzw. in seinem Blut und Herzen gefühlt, gespürt, empfunden werden 312 • Von einer Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift und in Jesus Christus ist nicht mehr die Rede. Gott Gott ist für Müller eine "seelische Wirklichkeit", ein der Seele bzw. dem Herzen, Blut, Gewissen immanenter Geist, der gleichsam die Form bestimmterTugenden (Liebe, Wahrhaftigkeit etc.) oder allgemein die Form des schlechthinnigen Guten annimmt bzw. der sich dementsprechend dem deutschen Menschen in dessen Seele, Herz, Blut, Gewissen offenban. Jegliche Transzendenz Gottes im weitesten Sinne verneint er. Entschieden wendet er sich immer wieder gegen die Auffassung von einem rächenden, strafenden, Angst einflößenden Gott. Gott ist für ihn ausschließlich gütig und "väterlich", das schlechthinnige Gute eben. Die christliche Vorstellung von Gott als einem personhaften Gegenüber zum Menschen scheint er aufgegeben zu haben, jedenfalls spielt eine solche Vorstellung keine Rolle mehr in seinem Denken 313 •
Christus Müller lehnt die Lehre von den zwei Naturen Christi und damit dann auch dieTrinitätslehre ab. Christus ist bzw. war für ihn ausschließlich vere homo. Nicht Christus steht für ihn im Mittelpunkt des Christentums, sondern Gott. Die Bedeutung Christi sieht er einzig in dessen Lehnätigkeit, in dessen Vgl. L. MüLLER, Volkssoldat, S. 12, 17,25-27, 39f., 47, 51 f., 84f., 132, 137und 150. m Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 47f. m Vgl. Eao., S. 43-69.
311
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Wollen, in dessen .,Propaganda" für Gott. Nur hierüber, nicht aber über das Leben Jesu und seine Abstammung gibt es nach seiner Überzeugung sichere Informationen. Christus verkündete eigentlich nichts Neues, sondern nur das, was den (deutschen) Menschen ohnehin angeboren ist, nämlich Gotteserkenntnis und Tugenden . .,Müllers" Christus wollte, daß die Menschen sich auf ihre angeborenen "seelischen Wirklichkeiten" zurückbesinnen. Eine direkte politische Dimension der Lehre Christi lehnt Müller ausdrücklich ab 314 • Ein gewisser Bruch ist es, wenn er, obwohl er einerseits erklän, über Jesu Leben gebe es keine sicheren Informationen, andererseits - im selben Buch und in derselben Rede 315 - Christus ausführlich beschreibt als einen sehr männlichen, hanen, heroischen Kämpfer, als einen Mann, der den Heldentod gestorben sei. Solche Charakterisierungen waren natürlich damals geeignet, sich Christus als einen "Arier" vorzustellen, obwohl Müller meist einräumte, auch über die Rassenzugehörigkeit Christi lasse sich nichts Sicheres sagen. Allerdings konnte er auch sagen, Christus sei "mit ziemlicher Sicherheit" kein Jude gewesen 316 • Entscheidend ist für ihn die Erkenntnis, daß Christus das Judentum und dessen negativen geistigen und seelischen Einflüsse in der denkbar schärfsten Weise bekämpfte. Von daher stellt er die These auf, das Christentum habe sich nicht aus dem Judentum heraus, sondern vielmehr in Abwehr des Judentums entwickelt 317 •
Heiliger Geist Wie oben bereits gesagt, ist die entscheidende Wesensbestimmung Gottes für Müller, daß Gott Geist ist, der den Menschen im übrigen wie ein Vater begegnet. Er unterscheidet also gar nicht mehr zwischen Gott Vater und Gott Geist, wobei allerdings nicht erkennbar ist, ob er mit Geist den Heiligen Geist meint, denn ausdrücklich pneumatologische Aspekte kommen in seinen Äußerungen nach dem Herbst 1935 überhaupt gar nicht vor. Unzweifelhaft ist es jedenfalls, daß Müller auch im Hinblick auf den Heiligen Geist die Trinitätslehre aufgibt. Sünde und Sühne Zur Sünde finden sich widersprüchliche Aussagen. Einerseits lehnt Müller die Lehre von der Erbsünde ausdrücklich ab 318 , andererseits erklän er, daß dem Menschen ebenso wie das Gute auch das Böse angeboren sei 319 • Das ll 4
315 3 16 3 17
318 31 9
Vgl. Eao., S. 118-121. Eao., S. 129-131; H. 8AJER, Deutsche Christen, S. 318 u. a. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 118 f. Vgl. L. MüLLER, Gotteswone, S. 38f. Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 124f. Vgl. L. MüLLER, Volkssoldat, S. 89f.
Zusammenfassende Darstellung von Müllers Denken
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Gute ist für ihn jedoch der eigentlich dominierende, dynamische, nach Entfaltung strebende Faktor in der menschlichen Seele. Nach seiner Ansicht liegt es nun am Menschen bzw. an dessen Umwelt, diesen Faktor gleichsam zum Zuge kommen zu lassen. Geschieht dies, so spürt der Mensch eine Gewissensentlastung, ein innerliches Freiwerden vom "Druck des Schuldbewußtseins" 320 • Sündenvergebung wird also gleichsam auf eine rein psychologische Ebene heruntergeholt. Es geht nicht mehr um die Schuld selbst, sondern nur noch um das Schuldbewußtsein. Die reformatorische Rechtfertigungslehre, das sola gratia, gibt Müller auf, denn der Mensch, der ja auch nicht grundsätzlich sündig ist (Verwerfung der Erbsünde- s.o.), wirkt nach seiner Ansicht durch stetes Bemühen, durch seine ganze Haltung, durch seine Wieder- bzw. Rückbesinnung auf das Gute in seiner Seele entscheidend bei der Überwindung des Bösen in ihm mit 321 • Ganz dementsprechend ist für Müller auch ein Sühneopfer Christi überflüssig- er lehnt es explizite ab bzw. relativiert es, indem er es gleichsetzt mit dem "Opfer" nationalsozialistischer Kämpfer und deutscher Soldaten im Weltkrieg 322 • Ganz dementsprechend wendet er sich generell gegen den Begriff der Gnade 323 • Ebenso weiß er auch mit den Begriffen Demut und Buße nichts anzufangen 324 • Allerdings spricht er in späteren Reden häufig von Reue, die der Gewissensentlastung vorausgehe bzw. die nach den Regeln eines, so wörtlich, "Naturgesetz[es] im Seelischen"- das er entdeckt habe genauso, wie Naturwissenschaftler Entdeckungen gemacht hätten- gleichsam automatisch alle Schuld tilge, womit die kirchliche Sündenlehre, die das Fundament sämtlicher Kirchenlehren sei, endgültig widerlegt sei 325 • Wie oben schon angedeutet, sind Gut und Böse nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Phänomene für Müller, sind Gut und Böse nicht nur individuell, sondern auch kollektiv beeinflußbar. Das Kollektiv, die Volksgemeinschaft, wirkt bei der Überwindung des Bösen mit 326 •
Glaube und Vertrauen Glaube ist für Müller ein ganz allgemeines Vertrauen und gleichsam eine Rückbesinnung auf die angeborenen positiven "seelischen Wirklichkeiten". In der zweiten Bedeutung hat Glaube also eine sichere, objektive Grundlage. Entschieden wendet sich Müller daher gegen einen Glauben, der aus einem 320
L. MüLLER, Positives Christentum, S. 137f.
m Vgl. oben S. 253 und unten S. 290. 322 L. MüLLER, Positives Christentum, S. 135f.; Interview Müllers über das. Wesen christlicher Ostern•, in: DER WESTEN, 12. 4. 1936.
m Eao. Vgl. oben S. 253. s Müller, Rede in Gunzenhausen, 3. 12. 1941 (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9). 326 Vgl. L. MüLLER, Volkssoldat, S. 36-39,45, 58f., 61 f., 89f., 107, 141 f., 153.
324 32
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
spekulativen Fürwahrhalten biblischer Heilsereignisse besteht. Die Rückbesinnung auf die positiven "seelischen Wirklichkeiten", die für ihn immer auch ein Tun miteinschließt (s. u.), setzt nach Müller enorme gesellschaftliche Wirkungskräfte frei. Insofern kann für ihn der Glaube Berge versetzen 327 •
Schriftverständnis Die Bibel ist für Müller teilweise ein rein menschliches Buch mit menschlichen Imümern 328 • Sie ist geprägt durch die "seelischen Wirklichkeiten" ihrer Verfasser, die wiederum durch ihre Zeit und Rasse determiniert werden 329 • Bedeutungsvoll in der Bibel sind nach Müller die Stellen, an denen direkt die Lehre, das Wollen Christi wiedergegeben werden, also die Worte Christi. Für besonders wertvoll hält er dabei die Bergpredigt. Christus bediente sich nach seiner Ansicht z. T. einer bildhaften Sprache, die für den modernen Deutschen übertragen werden muß 330 • Da für ihn, wie oben bereits gesagt, die Lehre und das Wollen Christi mit den angeborenen positiven ,.seelischen Wirklichkeiten" des deutschen Menschen gleichsam deckungsgleich sind, kann Müller auch sagen, Gottes Wort in der Bibel sei nur das, was in der Seele der Deutschen als gut empfunden wird, bzw. umgekehrt: alles das sei nicht Gottes Wort und könne daher ausgeschieden werden, was der heutige deutsche Mensch nicht mehr versteht oder was ihm Schwierigkeiten bereitet 331 • Die subjektive Empfindung und Beurteilung des modernen deutschen Menschen werden also zum hermeneutischen Schlüssel für die Bibel und gleichzeitig zum Auswahlkriterium innerhalb der Bibel. Müller geht allerdings, wie wir oben sahen, davon aus, daß die subjektiven Empfindungen und Urteile der deutschen Menschen auf objektiven Gegebenheiten basieren. Ganz seinem Bibelverständnis entsprechend hält Müller vor allem das (jüdische) Alte Testament für problematisch und fordert, ihm gleichsam nur noch einen völkerkundlich-religionsgeschichtlichen Wert beizumessen, es aber für die religiöse Unterweisung der Deutschen nicht mehr zu verwenden 332 , bzw. er fordert - später - sogar, es ganz abzuschaffen 333 • Ganz seinem Bibelverständnis entsprechend nimmt Müller auch gemäß den Anforderungen des modernen deutschen Menschen starke inhaltliche und sprachliche Veränderungen an dem für ihn relevanten Bibeltext sowie an einzelnen Begriffen in der Bibel vor und erhebt ganz neueTexte gleichsam in den Rang der Bibel, bzw. er plädiert dafür, an die Stelle von Berichten und m Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 47 und 81-91.
Vgl. Eao., S. 104. Vgl. Müller, .Religiöses Schlußwort• bei einer Versammlung der Amtswalter dc:s DCGaues Groß-Berlin, 28. 9. 1936 (EZA BERLIN, 11A 4/488). 330 Vgl. L. MÜLLER, Gottesworte, S. 38-41. m Vgl. z. 8. L. MüLLER, Für und wider, S. 5f. m Vgl. L. MÜLLER, Positives Christentum, S. 107f. m Vgl. AELKZ 70, 1937, Sp.1125. 328
329
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Erzählungen über bestimmte Ereignisse in der Bibel Berichte und Erzählungen über bestimmte Ereignisse aus der jüngsten deutschen Vergangenheit zu setzen. Im Neuen Testament bevorzugt er das Johannes-Evangelium und lehnt die "Deduktionen des Paulus" ab 334 •
Eschatologie Müller räumt selbst ein, daß bei ihm die Eschatologie keine große Rolle spielt 335 • Seine "Theologie" ist betont diesseits bezogen. Ganz seiner Auffassung von Gott und dessen Wirkungsbereich entsprechend kann er sich das Reich Gottes zunächst nur als etwas rein Innerliches, in der menschlichen Seele Sich-Ereignendes vorstellen. Ganz seiner "Christologie" und ,.Soteriologie" (Christus als bloßer Mensch, Sühnopfer überflüssig) entsprechend kann er mit einer Auferstehung Christi, aber auch anderer von den Toten nichts anfangen. Gemäß seinem Schriftverständnis ersetzt er deshalb auch den Begriff ,.Auferstehen" durch den völlig diesseitigen, profanen Begriff "Aufstehen" 336 • Anstelle des Auferstehungsglaubens tritt der Glaube an die "Unsterblichkeit" der Seelell7.
Ekklesiologie Wie Müller offenbar keinen Heiligen Geist kennt, so anerkennt er auch nicht die Notwendigkeit von Kirche. Christus habe keine Kirche gewollt 338 • Die herkömmliche Legitimation von Kirche und deren Ämtern beruht nach Müller auf einem falschen Verständnis von Gott, Sünde und Sühne. Die Kirchen machten sich die Angst der Menschen vor der Strafe Gottes zunutze, wobei sie gleichzeitig diese Angst noch schürten bzw. überhaupt erst erzeugten. Die Kirche habe ihre Existenz weiter abgesichert durch Kirchenlehren, Bekenntnisse und Dogmen, die die eigentliche Religion, das Wollen Christi verfälscht hätten und der Kirche zu ihr nicht zukommender Macht verholfen hätten 339 •
Ethik Die Ethik ist gleichsam das Kernstück von Müllers "Theologie" 340 • Christsein, Christentum und Gottesdienst sind für ihn, wie er es immer wieder betont, letztlich nichts anderes als tugendhaftes Leben. Christus ist Interview Müllers über das. Wesen christlicher Ostern•, in: DER WESTEN, 12. 4. 1936. Vgl. L. MüLLER, Für und wider, S. 18 f. l)6 Müller, Interview über das. Wesen christlicher Ostern•, in: DER WESTEN, 12. 4. 1936. m Vgl. L. MüLLER, Volkssoldat, S. 143-146. m Vgl. Müller, Predigt in Duisburg, 14. 3. 1937 (AELKZ 70, 1937, Sp. 414). m Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 138f. 340 Vgl. zur Ethik Müllers u.a. Eao., 5.61-66; L. MüLLER, Volkssoldat, S. 36f., 48f., S2f., 62, 6S, 67, 141f. 114
m
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bzw. war letztlich nichts anderes als ein großerTugendlehrer; Gott selbst ist letzdich identisch mit bestimmten Tugenden oder mit dem Guten schlechthin, bzw. er offenbart sich dementsprechend. Tugendhaftes Leben trägt nach Müller entscheidend zur Überwindung des Bösen im Menschen, zur Sühne von Schuld bei. Die Tugenden sind dem Menschen nach seiner Ansicht angeboren, und das Gute im Menschen, also Gott, ist eine dynamische Kraft, die den Menschen zum Tun des Guten, zur Praktizierung der Tugenden, drängt. Notwendig ist allerdings auch noch das eigene Zutun des Menschen, seine Anstrengung, sein Bemühen und der positive Einfluß des Kollektivs bzw. des Volkes. Hier gelten nach Müller die Gebote Christi, wie sie sich vor allem in der Bergpredigt finden und die im übrigen ja den angeborenen Tugenden entsprechen, als Richtschnur. Die Gebote sind durchweg erfüllbar und sollen auch erfüllt werden. Einenusus elenchticus der Gebote Christi lehnt Müller ab. Die Gebote und ihr Geltungsbereich beziehen sich im Grunde ausschließlich auf die Volksgemeinschaft. Die Tugenden, um die es Müller im einzelnen geht, lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: absolut selbstloses Engagement mit aller Kraft und unter Einsatz notfalls auch des Lebens für die vollkommen einige Volksgemeinschaft und stetige, vollkommene Pflichterfüllung. Aus seiner Konzentration auf die Volksgemeinschaft, aus seiner Tugendlehre, aus seiner Lehre von den angeborenen, durch Rasse und Nation determinierten "seelischen Wirklichkeiten", aus seiner Auffassung von der Beeinflußbarkeit des Bösen durch die Umwelt ergeben sich für Müller bestimmte Konsequenzen. Auf einen Nenner gebracht, handelt es sich dabei um die Verhinderung bzw. Ausscheidung, Bekämpfung von fremden Einflüssen anderer Völker und Nationen sowie von internationalen Einflüssen 341 • Von diesen die Entfaltung der angeborenen guten "seelischen Wirklichkeiten" behindernden und das ebenfalls angeborene eigentlich sekundäre, statische Böse stark befördernden negativen Einflüssen nennt er das "Internationale Kirchentum" (besonders den römischen Katholizismus, aber auch den" Weltprotestantismus"), den Liberalismus, das Freidenkertum, den Atheismus, Marxismus und vor allem, als gleichsam hinter allem stehend, das (internationale) Judentum. Ein radikaler, aggressiver Antisemitismus ist dementsprechend ein ganz wesentliches Element von Müllers "Ethik". Ansatzweise findet sich auch das Postulat nach Ausgrenzung von Behinderten aus der Volksgemeinschaft 3'42 • Genauso, wie Einflüsse anderer Völker und Nationen die angeborenen positiven "seelischen Wirklichkeiten" negativ beeinflussen können, können offenbar nach Müllers Auffassung auch Behinderungen und Behinderte einen solchen negativen Einfluß ausüben. l41 342
Vgl. u. a. Eao., S. 10, 24, 36, 57, 151, 154f. Vgl. EBD., 57.
s.
Zusammenfassende Darstellung von Müllers Denken
291
Mission Da Religion bei Müller ganz entscheidend durch die angeborenen .,seelischen Wirklichkeiten" bestimmt ist, die ihrerseits wieder durch Rasse und Nation determiniert sind, lehnt er jegliche äußere Mission als geradezu unmöglich ab 343 • Ihm geht es einzig und allein um Volksmission, diese ist sein großes Anliegen. Volksmission ist deshalb wichtig, weil das den Deutschen angeborene Gute bzw. dessen Entfaltung durch die Volksgemeinschaft beeinflußt wird und weil es gemäß der Ethik vor allem anderen um eine auch in religiöser Hinsicht völlig einheitliche Volksgemeinschaft geht 344 •
Gebet Da für Müller Gott im Grunde ein der menschlichen Seele immanenter Geist oder aber identisch mit bestimmten Tugenden bzw. dem Guten ist, ist Gebet für ihn kein Zwiegespräch, sondern ein innerliches Stillewerden, ein Sich-Besinnen auf die angeborenen positiven .,seelischen Wirklichkeiten", also gleichsam eine An .,autogenes Training". Da Gott nach Müller nicht unmittelbar in die Geschichte eingreift, sondern nur mittelbar durch das tugendhafte Handeln der Menschen, sowie auf Grund seines Verständnisses von Sünde und Sühne hält er Bittgebete für sinnlos 345 • Sakramente Ganz seinen christologischen, hamaniologischen und soteriologischen Vorstellungen entsprechend kommt den Sakramenten in Müllers Theologie eigentlich überhaupt gar keine Bedeutung mehr zu. Nicht durch die Taufe wird jemand für Müller Christ, sondern allein durch tugendhaftes Handeln. Die Taufe kann er nur noch .,abgeleitet" verstehen 346 • Ein genaues neues Taufverständnis wird nicht deutlich. Genauso, wie er den modernen deutschen Menschen nicht mehr ansprechende Bibelstellen übenrägt, übenrägt Müller gleichsam auch das Abendmahl für die NS-Zeit. Dabei bleibt vom neutestamentlichen Abendmahl, vom Abendmahl der christlichen Kirchen, gleich welcher Konfession, außer ganz wenigen rein äußerlich-formal ähnlichen Elementen nichts mehr übrig. Das Brot wird zum bloßen Symbol für das deutsche Vaterland, der Wein zum Symbol für das deutsche Blut 347 •
Vgl. Müller, Predigt in Duisburg, 14. 3. 1937(AELKZ 70, 1937, Sp. 414). Vgl. L. MüLLER, Für und wider, S. 3 und Sf. 3 4 s Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 45 und 69-81. 346 Eao., S. 127. 341 Vgl. Müller, Feierstunde in Berlin-Spandau, 29. 8. 1943 (EZA BERLIN, 1/C 4/1).
30 3 44
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Die Theodizee Dem Menschen unerklärliches Leid, und hierzu zählt er auch den Krieg, ist nach Müller schicksalhaft und auch von Gott nicht beeinflußbar. Der Mensch müsse sich mit dem nicht zu Ändernden abfinden, hierbei könnten ihm die angeborenen positiven Kräfte der Seele eine Hilfe sein. Große Verzweiflung angesichtsunerklärbaren Leids sei schädlich für die Volksgemeinschaft bzw. für die Entfaltung der angeborenen positiven seelischen Kräfte des Volkes. Letztlich könne der Mensch darauf vertrauen, daß sich das Gute durchsetzt 348 •
Bekenntnis Müller ist der Auffassung, es sei töricht und zwecklos, über den Inhalt der kirchlichen Bekenntnisse zu streiten, da jeder seine eigene Überzeugung habe und nur diese für die richtige halte und da es keinen Beweis für die Richtigkeit oder Falschheit der einzelnen Glaubenssätze gebe. Gegenseitige Toleranz sei deshalb die einzige Möglichkeit einer "positiv christlichen" Haltung; für "theologisches Rechtgläubigkeitsstreiten" habe das Volk kein Verständnis. Auf der einen Seite wendet er sich dann allerdings gegen eine "konjunkturhafte Ablehnung" der kirchlichenG laubensbekenntnisse, schon deshalb, weil sie den Vorfahren etwas Heiliges gewesen seien. Freilich sei der Kampf um das Bekenntnis bereits lange vor dem Entstehen des Nationalsozialismus dagewesen. Auf der anderen Seite relativiert er die Bedeutung der Glaubensbekenntnisse, indem er sie als etwas rein Menschliches bezeichnet und erklärt, Gott frage nicht nach einem Glaubensbekenntnis, sondern nach unserem Tun und unserer Gesamthaltung. Dementsprechend sei "Bekenntnis" bzw. "Christus bekennen" im eigentlichen Sinne nicht das Anerkennen von kirchlichen Lehren und Dogmen, sondern das Tun dessen, was Christus verlangt habe. Müller schließt nicht aus, daß die "neue deutsche Kirche" ein neues Glaubensbekenntnis, neue Dogmen und Lehrsätze formulieren werde. Diese Frage müsse jedoch der weiteren Entwicklung überlassen bleiben. In diesem Zusammenhang stellt er die wohl rhetorisch gemeinte Frage: "Ist nicht das Parteiprogramm auch eine An Dogma und sind seine einzelnen Punkte nicht auch gewissermaßen Lehrsätze?" 349
Die Rolle des Nationalsozialismus Zu Müllers religiösem Entwurf gehört als wichtiger Faktor auch der Nationalsozialismus. Ihm und seinem "Führer" kommt schon rein formal eine religiöse Bedeutung zu, wie es sich bei dervon Müller verwandten Sprache und Begrifflichkeit zeigt. Aber auch inhaltlich mißt Müller dem Nationalsozialismus eine religiöse Bedeutung bei. Der Nationalsozialismus und vor allem Adolf Hitler haben für 348 l 49
Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 50-58; DERS., Volkssoldat, S. 116-125. L. MüLLER, Positives Christentum, S. 93-96.
Zusammenfassende Darstellung von Müllers Denken
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ihn durch Wort und Tat eine Wiederbesinnung auf die angeborenen positiven seelischen Kräfte und deren Entfaltung wieder ermöglicht bzw. gefördert, und sie haben die negativen Einflüsse auf diese seelischen Kräfte zurückgedrängt bzw. beseitigt. Dem Nationalsozialismus kommt bei Müller demnach eine ganz ähnliche Bedeutung zu wie Christus oder auch Luther zu ihren Zeiten 3 so. In Anlehnung an das Parteiprogramm der NSDAP nennt Müller seinen theologischen Entwurf "Positives Christentum" 351 •
Das kirchenpolitische Programm der Nationalkirche Die kirchenpolitische Konzeption Müllers ergibt sich unmittelbar aus seinem theologischen Entwurf3 52 • Kirche ist für ihn theologisch nicht legitimierbar (s.o.). Die seiner Meinung nach die Organisation von Kirche und deren gesellschaftlichen und politischen Einfluß begründenden Kirchenlehren und Dogmen hält er für Verfälschungen der in der Seele des Menschen objektiv gegebenen religiösen Wirklichkeiten, besonders deshalb, weil über Kirchenlehren und Dogmen kein Konsens herzustellen sei und diese daher für die konfessionelle Zersplitterung verantwortlich seien. Die alten Kirchenlebren und Dogmen seien zudem für den modernen Menschen nicht mehr nachvollziehbar. Das Vorhandensein verschiedener Konfessionen lehnt er so entschieden ab, weil die angeborenen positiven seelischen Werte seiner Meinung nach nach vollkommener Einheit der Volksgemeinschaft, auch und gerade auf religiösem Gebiet, streben und weil die Konfessionen, vor allem der römische Papat, aber auch der "Weltprotestantismus", in internationale Zusammenhänge eingebunden sind; internationale Strömungen sind für ihn aber stets Verfälschungen der durch Rasse und Nation determinierten positiven religiösen Wirklichkeiten. Die deutsche Nation und das deutsche Volk bzw. die deutsche Volksgemeinschaft als die Determinanten der religiösen Wirklichkeiten in der Seele der Deutschen und der Nationalsozialismus als der Reformator dieser Wirklichkeiten treten bei Müller gleichsam an die Stelle von Kirche. Das Religiöse reguliert sich im übrigen nach seiner Überzeugung nach den der Volksgemeinschaft immanenten gleichsam naturgesetzliehen Kräften ganz von selbst, nachdem die Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus in ihrer reinen, unverfälschten Form wiederhergestellt ist. Aus all dem ergibt sich für die Praxis das Konzept einer staatlichen überkonfessionellen deutschen Nationalkirche. Dabei kommt dieser "Kirche" überhaupt gar keine eigenständige Bedeutung mehr zu, sondern sie ist m Vgl. L. MüLLER, Volkssoldat, S. 8f., 18, 27, 47, 56, 86, 98, 102, 131, 149f., 154, 156. Vgl. L. MüLLER, Positives Christentum. m Zur kirchenpolitischen Konzeption Müllers vgl. u.a. Eao., S. 97-103 und 145-164.
JSI
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
vollständig in den nationalsozialistischen Einheitsstaat integriert. Verwaltung, Finanzen und Eigentum der .,Kirche" sind nach Müller ausschließlich Sache des Staates. Die Leitung der .,Kirche" kommt dem .,Führer" als dem Staatsoberhaupt - gleichsam als neuem summus episcopus - zu. In seinem Auftrag muß, so Müllers Vorstellung, auch die geistliche Leitung ausgeübt werden. Jegliche subversive Tätigkeit innerhalb der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, jegliche Kritik am NS-Staat und dessen Anschauungen und Maßnahmen ist als Störung der zu vollkommener Einheit hinstrebenden positiven seelischen Kräfte des Volkes unbedingt zu unterbinden. In diesem Zusammenhang ist wohl auch Müllers Forderung nach einem neuen .. Pastorentyp" zu sehen 353 . Die Aufgabe der Pastoren müsse ganz auf die Seelsorge beschränkt sein. Auf Grund seiner Voraussetzungen ist es konsequent, daß Müller die Einführung des .,Arierparagraphen" und den Pastoreneid auf Hitler fordert354. Seelsorge an Deutschen kann nach Müllers Anschauungen nur jemand betreiben, dessen seelische Struktur mit der seelischen Struktur der Deutschen übereinstimmt- also nur ein .,arischer" Deutscher. Der Eid auf den .,Führer" soll die notwendige vollkommene Einheit und die völlige Integration der Kirche in die Volksgemeinschaft des NS-Staates gewährleisten. Theologische Grundlage der angestrebten Nationalkirche soll das .. positive Christentum" sein, also Müllers eigener theologischer Entwurf, für den er allerdings ja gleichsam Allgemeingültigkeit beansprucht. Im übrigen sollen Glaubens- und Gewissensfreiheit herrschen, wobei sich natürlich die Frage aufdrängt, ob hierfür überhaupt noch Raum bleibt. Was die Schulen anbetrifft, so fordert Müller konsequenterweise Gemeinschaftsschulen und einen überkonfessionellen, staatlich geregehen Religionsunterricht355. Das Konzept einer deutschen evangelischen Reichskirche mit eigener Verwaltung lehnt er ausdrücklich ab 356 . Dieses sei gescheitert. Dementsprechend will er selbst auch nicht wieder die Position einnehmen, die er vor seiner faktischen Entmachtung innehatte. Gleichwohl beharrt er unter Berufung auf das Vertrauen des Führers, das er genieße, auf seinem geistlichen Führungsanspruch.
m Vgl. Interview Müllers über das • Wesen christlicher Ostern•, in: DER WESTEN, 12. 4. 1936. Vgl. H. BAIER, Deutsche Christen, S. 318. m Vgl. l. MüLLER, Volkssoldat, S. 61. lS6 Vgl. Interview Müllers über das .. Wesen christlicher Ostern-, in: DER WESTEN, 12. 4. 1936. l!>4
Zur Einordnung von Müllers Denken
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12. Zur Einordnung von Müllers Denken
Bei dem Versuch einer Einordnung von Müllers Denken stößt man auf folgende gravierende Schwierigkeiten: -Müllers Denken zeichnet sich durch eine geradezu erstaunliche Trivialität und Banalität aus. Die schon in früheren Jahren zu beobachtende Theoriefeindlichkeit und den Antiintellektualismus behielt Müller auch in späteren Jahren bei. Was er schrieb und redete, war das Produkt von Erfahrungen, Intuitionen, Gefühlen, Vorurteilen, Instinkten, kaum das Produkt intensiver intellektueller Arbeit. Mit einem Wort: Müller war eigentlich weder ein wissenschaftlich geschulter Theologe noch überhaupt ein "Denker". -In seinen Büchern und Reden verschwieg Müller seine Quellen. Nirgendwo zitierte oder erwähnte er andere Schriftsteller, Theologen, Philosophen, "Denker". Auch sonst gibt es in den Quellen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (s. u.), keinerlei Hinweise darauf, welche religiösen oder weltanschaulichen Entwürfe und Gedanken er zur Kenntnis nahm und wer oder was ihn beeinflußte. Womöglich legte er sich darüber selbst keine Rechenschaft ab. -Es ist ein generelles Merkmal deutsch-christlichen und völkisch-religiösen Gedankengutes- und Müller war hier ganz und gar keine Ausnahme, sondern im Gegenteil wieder einmal typisch-, daß sich dieses durch "sprachliche Maßlosigkeit, begriffliche Verschwommenheit sowie doppelbödige Argumentation und theologische Unbekümmertheit", "Mangel an logischer Durchdringung", "eklektische[ n] Rückgriff aufTheologen, Philosophen und Schriftsteller", "unoriginelle[.] Zusammenstückung von Äußerungen und deren problematische[.] Inanspruchnahme für eigene Überzeugungen" auszeichnet: "Aus dem Gut vermeintlicher Gewährspersonen werden Ideensplitter unreflektiert herausgesucht, passend gemacht und in die eigenen Ausführungen eingestreut." 357 - Es gibt eine unüberschaubare Fülle von deutsch-christlichen und völkisch-religiösen Büchern und Traktaten. Dabei gibt es natürlich auch immer zahlreiche inhaltliche und formale Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten, zumal angesichtsder soeben beschriebenen charakteristischen Verschwommenheit und des Eklektizismus dieser Literatur. Oft sind solche Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten wohl rein zufällig oder allenfalls Ausdruck eines gemeinsamen Zeitgeistes, jedenfalls sind sie noch kein Beweis für eine gegenseitige Abhängigkeit oder für eine direkte Verwandtschaft. -Trotz der großen Fülle von Kirchenkampf-Literatur fehlen, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie der Untersuchung von Hans-Joachim Sonne, detaillierte Darstellungen und Interpretationen des Denkens der Deutschen Christen, nicht zuletzt wegen der oben genannten Schwierigkeiten 358 • n1 lSI
H.-J. SoNNE, Politische Theologie, S.lO. EBD., s. 9f.
296
Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung (1935-1945)
Auf Grund dieser Schwierigkeiten ist es methodisch wohl der richtige Weg, bei der Suche nach den Wurzeln von Müllers Denken den Blick auf solche "Verbindungen" zu lenken, für die es konkrete "äußere" Anhaltspunkte gibt. Es versteht sich von selbst, daß die genannten Probleme nur die Skizzierung eines relativ groben Rasters zur Erfassung von Müllers Einstellung zulassen.
Stapel Der einzige konkrete Hinweis darauf, welche Lektüre Müller nach 1933 beeindruckte, ist ein Briefkonzept an Wilhelm Stapel vom August 1934. Nach diesem mit seinem Namenszeichen versehenen Konzept teilte Müller Stapel mit: "Ihr Buch ,Volkskirche und [muß heißen: oder] Sekte' habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich kann nur wünschen, daß sowohl meine Freunde wie [sie!] auch meine Gegner sich mit diesem Buch ehrlich auseinandersetzen." 3s9 Nun könnte das Briefkonzept natürlich Grundlage für ein rein formelles Höflichkeitsschreiben gewesen sein. Dagegen spricht die Singularität des Schreibens, der in dem Konzept zweimal geäußerte Wunsch Müllers, sich einmal "ausführlich" mit Stapel zu "unterhalten", und nicht zuletzt der höchstwahrscheinliche Umstand, daß Stapel Müller das Manuskript seines Buches "Volkskirche oder Sekte" auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin bereits unmittelbar nach der Abfassung und noch vor der Drucklegung zusandte 360 . Was den Inhalt von "Volkskirche oder Sekte" angeht, so werden Stapels Kritik am "Vorwiegen der lntellektualität" bei den oppositionellen Theologen361, seine Polemik gegen "Bekenntnisfront" und Pfarrernotbund, besonders gegen Karl Barth und Martin Niemöller, sowie die Disqualifizierung von deren Einwänden als unbußfertige und geradezu gotteslästerliche Anmaßung362 bestimmt Müllers Beifall gefunden haben. Die Aufforderung zu unbedingter Loyalität gegenüber dem mehrfach namentlich genannten und immer noch - als "Vertrauensmann Hitlers" bezeichneten Reichsbischof Ludwig Müller wird Müller sicherlich geschmeichelt haben 363 . Die relativ "diffizilen", einen Großteil von Stapels Buch umfassenden Ausführungen über Ekklesiologie, Pneumatologie, die drei Artikel des Apostolikums, die konfessionellen Unterschiede zwischen Reformierten Müller an Stapel, 7. 8. 1934 (Konz.) (EZA BERLIN, 1/C 4/78). Stapel an Müller, 10. 6. 1934 (Eao.). In diesem Brief ist zwar nur von der wunschgemäßen Übersendung eines Manuskriptes - ohne 'litelangabe- die Rede, das Datum des Briefes stimmt aber mit dem Abfassungsdatum des Vorwones zu • Volkskirche oder Sekte" überein (vgl. W. STAPEL, Volkskirche, S. 5), so daß sehr anzunehmen ist, daß es sich um das Manuskript von • Volkskirche oder Sekte• handelte. 361 EBD., s. 7. 362 Eao., bes. S. 7-18. 363 Eao., S. 38 und 57f. 3S 9
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und Lutheranern 364 fanden keinen unmittelbaren Eingang in Müllers Denken. Ganz anders verhält es sich dagegen mit den praktischen kirchenpolitischen Schlußfolgerungen Stapels. Das Volkskirchenkonzept Stapels weist eine große Übereinstimmung mit der kirchenpolitischen Konzeption Müllers nach dessen Wende auf. Stapel zeichnete in "Volkskirche oder Sekte", ganz den kirchenpolitischen Vorstellungen Müllers entsprechend, das Bild einer Kirche, deren äußere Ordnung und deren Recht ganz dem Staat unterstehen bzw. ganz in die staatliche Ordnung und das staatliche Recht integrien sind 365 • Wie Müller wandte sich Stapel ausdrücklich gegen eine ",selbständige' Kirche", die notwendigerweise "Raum ,gegenüber' dem Staate" beanspruche 366 • Sowohl formal als auch inhaltlich ist bei Stapel, wenngleich recht vorsichtig, auch bereits von Nationalkirche die Rede 367 • Für die angestrebte Kirche müsse, so Stapel, das Volkstum "mitkonstitutiv" sein 368 • Die bei Müller nach seiner Wende zu beobachtende Abwendung von der Kirchenpolitik und seine Hinwendung zu religiösen Fragen entspricht ganz der Haltung Stapels: "Der Kern der lutherischen Kirche, das dürfen wir nie vergessen, liegt nicht im Regiment, das durchaus der Staat selbst sein könnte, sondern im Glaubensleben. Darum ist (sie!] uns Theologie und Seelsorge wichtiger und größerer Aufmerksamkeit wen als die regimentliehen Dinge ••• " 369 Zwar betonte Stapel in" Volkskirche oder Sekte" sein Luthenum und gestand der Kirche gemäß der Confessio Augustana eine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit im Bereich von Lehre und Sakramentsverwaltung zu 370 , jedoch wird dies dadurch relativien, daß er sich wie Müller dagegen wandte, "alles lehrmäßig ... festzulegen" bzw. zu "dogmatisieren" 371 • Die Übereinstimmung zwischen Müller und Stapel in den genannten Punkten ist offenkundig. Eine direkte Abhängigkeit ist allerdings unwahrscheinlich. Müller kann Stapels Buch frühestens imjuni 1934 gelesen haben, die neue kirchenpolitische Konzeption venrat er hingegen bereits seit Ende 1933. Stapels Buch wird Müller jedoch sicherlich in seiner auf Grund von praktischen Erfahrungen unter dem Einfluß Oberheids und Jägers gewonnenen Haltung bestärkt und gleichsam die theoretische Untermauerung geliefen haben. Dies erklän Müllers Lob für Stapels Buch. Daß Müller Stapels theoretischen "Unterbau" ignoriene, kann als Beleg für seine Theoriefeindlichkeit gewenet werden. EBD., s. 19-52. EBD., S. 53-55, 57, 64. Zu Stapels Volkskirchenkonzept vgl. auch H.-R. MüLLER-SCHWEFE, Volkskirche, Sp. 1459. 366 W. STAPEL, Volkskirche, S. 60. 367 EBD., s. 56. 368 Eao., S. 68. 369 EBD., s. 71. 370 EBD., s. 57. 311 EBD., s. 61. )6.4
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Wir sahen oben bereits, daß es eine mögliche Verbindungslinie gibt zwischen Stapels Forderungen nach ,.Eindeutschung" der Bergpredigt und dem ,.Kern" des Stapelsehen Denkens, der Volksnomoslehre, einerseits und den ,.Deutschen Gotteswonen" andererseits. Nach Heinrich Keßler war Stapel ,.einer der gewandtesten publizistischen Verbündeten des Reichsbischofs" 372 • Es erscheint unzweifelhaft, daß Stapel Müller beeinflußte. Allerdings deutet alles darauf hin, daß Müller Stapels Denken in stark vereinfachter und verkürzter Form, vielleicht vermittelt durch Deutsche Christen, die Stapels Denken vielfach für sich in Anspruch nahmen und gewissermaßen populari. .. s1enen, rez1p1ene.
Rosenberg Die ab Ende 1934 offenbar guten Kontakte Müllers zu Rosenberg 373 lassen vermuten, daß Müller in seinem Denken auch von Rosenberg beeinflußt wurde. Vor allem sein Bericht über ein mehrstündiges ,.Religionsgespräch" mit Rosenberg Ende 1934, bei dem weitgehendes Einvernehmen erzielt worden sei 374, und die offenbar geplante Zusammenarbeit der beiden Männer bei der Neuordnung der religiösen Jugenderziehung im ,.Dritten Reich" 37s deuten darauf hin. Nach dem Uneil Raimund Baumgärtners waren die Pro-Rosenberg-Äußerungen des Reichsbischofs freilich rein opponunistisch bestimmt 376 , war das Verhältnis Müllers zu Rosenberg stets gekennzeichnet von dem Gefühl der Rivalität, ,.begleitet von unterschwelligem Argwohn gegenüber Gefährdungen der eigenen Rolle und Funktion" 377 , und betrachtete Müller Rosenbergs ,.Aussagen zur Religion" lediglich als dessen ,.Privatmeinung" 378 • Es konnte indes gezeigt werden, wie intensiv die Kontakte der beiden Männer ab 1934 waren und daß sie gleichsam zu religionspolitischen Bündnispannern wurden 379 • Darüber hinaus lassen sich auch klare Gemeinsamkeiten im Denken feststellen. Müller deutete auf einer DC-Bischofskonferenz im Dezember 1934 selbst an, daß er gemäß der Haltung Rosenbergs alles aufgeben wollte, was dem Christentum als ,.Schlappheit" ausgelegt werden könnte 380 • Wenn er dann die Lehre von der Erbsünde verwarf, überhaupt die kirchliche Lehre von Sünde und Sühne ablehnte, wie auch die Begriffe Gnade und Demut, wenn er H. KEßLER, Stapel, S. 192. m Vgl. oben S. 232ff. m Vgl. oben S. 202. m Vgl. oben S. 234 f. 376 R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 74. 377 Eao., S. 249. 378 Eao., S. 250. m Vgl. oben S. 232 ff. 3ao Vgl. oben S. 202. m
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sich gegen einen Furcht einflößenden Gott wandte und das Bild eines heroischen, männlichen Jesus zeichnete 381 , so entspricht dies der im einzelnen exakt- vorher- so geäußerten Position Rosenbergs 382 . Rosenberg und Müller waren weiterhin die besondere Wertschätzung des Johannes-Evangeliums und die Ablehnung des Paulus 383, die Ablehnung des Alten Testamentes- besonders für den Religionsunterricht- und die Forderung nach dessen Ersetzung durch deutsche Sagen und Märchen 38 \ die Unsterblichkeitsvorstellung 385 , die Ablehnung eines Glaubens an Christus386, die Hervorhebung der zentralen Bedeutung der Pflichterfüllung 387 und die Ablehnung des Dogmatismus und angeblich starren alten Kirchentums388 sowie internationaler Strömungen, wie der ökumenischen Bewegung389, gemeinsam. Besonders deutlich ist die Übereinstimmung zwischen Rosenberg und Müller in Fragen der Kirchenpolitik und bei der "Seelenlehre". Wie später Müller, so forderte auch Rosenberg eine den Deutschen arteigene, die Konfessionen überwindende Nationalkirche 390, die Abschaffung der Konfessionsschulen391, die Ersetzung der Pastorenkirche durch eine neue Volkskirche, die Vollendung der deutschen Reformation "aus dem Geiste des Nationalsozialismus", die Amtsenthebung nicht willfähriger Pfarrer, die Einführung des "Arierparagraphen" in der Kirche und die Abschaffung der institutionellen Eigenständigkeit der christlichen Organisationen 392 . In der Auseinandersetzung mit Kerrllehnte Rosenberg strikt jegliche Trennung von Nationalsozialismus und Religion ab, betonte vielmehr, daß auch der Nationalsozialismus eine "Seelenangelegenheit" sei 393 . Dies entspricht genau der Argumentation Müllers in "Was ist positives Christentum?" 39.. Die "Seelenmystik" Rosenbergs spiegelt sich in Müllers Denken klar wider. Wie später Müller, so ging Rosenberg in seinem "Mythus des 20. Jahrhunderts"- unter Berufung auf Meister Eckehart-von einer seelischen Macht oder Kraft aus, die durch die jeweilige Rasse und Kultur geprägt ist, Vgl. oben S. 285 ff. Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 71, 235-238, 604; DERs., Rompilger, S. 23-32. Vgl. auch R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 81. m Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 75. 314 Vgl. Eso., S. 223,603 und 614; A. RosENBERG, Dunkelmänner, S. 20-25. Jas Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 392; vgl. auch R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 81. ' 16 Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 623 f. 3 17 Vgl. R. BAUMGÄRTNER., Weltanschauungskampf, S. 79. " 8 Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 77,480,602,611 und 615; DERS., Rompilger, S. 40-51. )1'1 Vgl. EBD., s. 62-74. 3 ~ Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 610f. und 623; DERS., Dunkelmänner, S. 41-49. ' ' 1 Vgl. A. RosENBERG, Mythus, S. 625 und 634f. m Vgl. R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 73f. J•J Vgl. EBD., s. 77-79. '"' Vgl. oben S. 276f. 311
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mit Gott zu tun hat bzw. mit Gott gleichzusetzen ist und der, sofern sie "von allen Dogmen, Kirchen und Päpsten" befreit ist, eine Dynamik anhaftet, die als Tun des Guten nach außen wirkt 395, - von einer seelischen Kraft, die "im engsten Zusammenhange" mit dem Blut steht 396 und der eine gewisse Naturgesetzlichkeit eigen ist 397 • Ganz ähnlich wie später Müller betrachtete Rosenberg Hider als den "(Wieder-] Erwecker der Rassenseele" 398 • Müllers Auffassung, daß Reue alle Schuld tilge 399 , findet seine Entsprechung im "Mythus": "Gesündigt haben, ist keine Sünde, sobald es uns leid ist", heißt es don im Zusammenhang mit Betrachtungen über die Reue. Allerdings unterschied Rosenberg, anders als Müller, nach Meister Eckeban zwei verschiedene Anen von Reue 400 • Schließlich stimmten Rosenberg und Müller in ihrer Definition von Religion als Schicksalsgebundenheit 401 und in einer gewissen Wenschätzung des alten christlichen Glaubens in dem Sinne, daß er den deutschen Vorfahren heilig gewesen sei 402 , überein. Die Abhängigkeit Müllers von Rosenberg ist offenkundig. Sie war bedingt durch die religionspolitische Zusammenarbeit der beiden und erklän diese zugleich. Wieder, wie schon bei Stapel, ließ Müller den theoretischen Hintergrund Rosenbergs (vgl. seine Auseinandersetzung mit Meister Eckehan) und die Differenzierungen Rosenbergs (vgl. sein Verständnis der Reue) außer Betracht.
Die Thüringer Deutschen Christen Wie schon erwähnt, engagiene Müller sich nicht nur stark für die und innerhalb der von den Thüringer Deutschen Christen ins Leben gerufenen Organisationen, sondern er stimmte auch mit deren theologischen und kirchenpolitischen Grundüberzeugungen weitgehend überein 403 • Hier scheint er in seinem letzten Lebensjahrzehnt seine geistige Heimat gefunden zu haben. Hans-Joachim Sonnes Analyse der politischen Theologie der Thüringer Deutschen Christen 404 könnte zu einem großen Teil, bis in Details hinein, auch eine Analyse von Müllers Äußerungen sein. Den Thüringer Deutschen Christen und Müller waren u.a. gemeinsam: der Begriff ,.ewiger Christus" 405 , die Lokalisierung Gottes "in uns" bzw. von m A. RosENBERG, Mythus, S. 216-219,222,239 und 269. Eao., S. 258; vgl. auch R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 242. ' 97 A. RosENBERG, Mythus, S. 266. ' 98 Eso., S. 546. J 99 Vgl. oben S. 287. 4 oo A. RosEN BERG, Mythus, S. 237f. 401 Vgl. R. BAUMGÄRTNER, Weltanschauungskampf, S. 78. 40 2 Vgl. Eao., S. 81. 40' Vgl. oben S. 229. 404 H.-J. SoNNE, Politische Theologie, S. 56-100. 40 s Eao., S. 57. 396
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iottes Reich in der Seele, die Betonung des individuellen frommen Gefühls, las "von der völkisch-nationalen Struktur menschlichen Seins abhängig ;emacht (wird)" 406, die Anschauung, daß Christus eigendich "sekundär", ,weder originell noch unersetzbar (ist)", "daß er den vor ihm und unabhän;ig von ihm vorhandenen Glauben nachträglich bestätigt hat" 407, die Analo;isierung des neutestamentlichen Kreuzes- und Auferstehungsgeschehens ,mit dem Auf und Ab des Lebens" 408 bzw. des Opfers Christi mit den ,Opfern nationaler Kämpfer" 409, die Vorstellung jesu als "Vorbild männich-herben Heldentums" 410 , die Meinung, daß sich die Rassenzugehörigkeit :hristi nicht eindeutig bestimmen lasse, es aber entscheidend sei, daß "Chri:tus ... der diametralste Gegenpol zum Judentum" gewesen sei 411 , die These, laß das Alte Testament zwar einen gewissen historischen Wen habe, für die Ürchliche Praxis aber unbrauchbar sei, die spätere Radikalisierung dieser ialtung zum Alten Testament, die zu der Forderung führte, das Alte Testanent durch Glaubenszeugnisse aus dem eigenen Volk zu ersetzen 412 , die ~orderung nach antijüdischer Reinigung des Neuen Testamentes 413 , die ~rhebung des eigenen subjektiven religiösen Gefühls zum Bewertungsmaß:tab der Bibel 41 \ die Pervenierung von Taufe und Abendmahl als religiös rerbrämte Aufnahme in die bzw. Beschwörung der Volksgemeinschaft 415 , lie Verketzerung internationaler Organisationen und Bestrebungen 416 , die ~ervorhebung der zentralen Bedeutung des tugendhaften Handelns, der ,Hingabefähigkeit bis zum Äußersten" 417, die Forderung nach Entscheilung für den Nationalsozialismus mit Leib und Seele 418 , die religiöse Deu:ung des Nationalsozialismus als die" Vollendung der Reformation" 419 • Besonders deutlich ist die Übereinstimmung Müllers mit den Thüringer )eutschen Christen in dem, was Sonne den "Toleranzfanatismus" der Thü·inger Deutschen Christen nannte, sowie in den Nationalkirchenvorstellun~en. Ausgehend von der Auffassung, daß der Glaube ein subjektives Gefühl ;ei, rühmten sich die Thüringer Deutschen Christen wie Müller der" Tole·anz" in Fragen der Lehre und des Bekenntnisses und klagten diese Toleranz ~ugleich bei ihren Gegnern ein. Dahinter stand die alte aufklärerisch-frideri~ianische Formel, wonach jeder nach seiner eigenen Fa~on selig werden tönne. Diese zur Beliebigkeit führende religiöse "Toleranz" kontrastierte nit äußerster Intoleranz auf politischem Gebiete sowie mit der Polemik ~egen die überkommenen kirchlichen Lehren und Formen 420 • 4 x. Eao., S. 58. ..,. Eao., S. 61. 410 Eao. 412 Eao., S. 86f. 414 Eao., S. 65. 416 Eao., S. 81. 418 Eao., S. 87. .:o Vgl. Eao., S. 64-70.
Eao., S. 60. Eao., S. 62 . m Eao., S. 63 f. 4 13 Eao., S. 67f. 41 5 Eao., S. 72. 417 Eao., S. 83. 419 Eao., S. 90 . 40 7
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Die von Müller aus Gründen der Einheitlichkeit des Volkstums und Staatswesens gefordene überkonfessionelle, das ganze Volk umfassende Nationalkirche, die organisch in den Staat eingebunden, rechdich nicht mehr selbständig sein sollte, entsprach ganz den kirchenpolitischen Zielen der Thüringer Deutschen Christen 421 • Daß Müller "Gottesfeiern" nach Thüringer Muster abhielt, wurde schon erwähnt 422 • Die höchstwahrscheinliche Beeinflussung Müllers durch Stapel bzw. Stapelsches Gedankengut und durch Rosenberg widerspricht nicht der These, daß Müller bei den Thüringer Deutschen Christen seine geistige Heimat fand. Zum einen führte die religiöse "Toleranz" der Thüringer Deutschen Christen notwendig zu Nuancierungen und Unterschieden, zum anderen knüpften auch die Thüringer Deutschen Christen in gewisser Hinsicht an Stapelsches Gedankengut arf4 23 und bemühten sich um einen Ausgleich mit bzw. zeigten Verständnis für Rosenberg, gehörten zu denen, die innerhalb der Kirche Rosenberg am nächsten standen 424 • Sonne zeigte auf, in wie starkem Maße die führenden Thüringer Deutschen Christen- ähnlich wie Müller- durch "das ,Geisterlebnis' der ersten Kriegsmonate 1914/15" und das "gemeinschaftsbildende ,Kampferlebnis' in der NSDAP" geprägt wurden 425 •
13. Exkurs: Müller und Juden Müller wuchs in einer judenfeindlichen Umgebung auf: Antisemitisch waren die in seiner Heimat Minden-Ravensberg tonangebenden Parteien, Antisemitismus begegnete Müller vermudich bei Schülern und Lehrern seines Gymnasiums, und ganz dezidiert antisemitisch war der Verein deutscher Studenten, dem Müller angehörte 426 • Dementsprechend ist auch eine judenfeindliche Einstellung Müllers bereits in früher Zeit nachweisbar. 1910 polemisierte er gegen die jüdische
Eao., S. 75-78 und 96. Vgl. oben S. 231. m Vgl. H.-J. SoNNE, Politische Theologie. S. 75 und 92. 42 4 Vgl. R. BAUMGÄRTNER, Wehanschauungskampf, S. 238f. und 248. 425 H.-J. SoNNE, Politische Theologie. S. 89. 4!6 Vgl. oben S. 18; 23; 33. 421
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Exkurs:~üllerundJuden
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Presse und brachte sie in Zusammenhang mit dem Liberalismus und der Sozialdemokratie 427 • Seinen späteren Erinnerungen zufolge hatte er bereits an dem alttestamentlichen Religionsunterricht in der Volksschule Anstoß genommen 428 • Das "Trauma" von 1918 verstärkte Müllers Judenfeindschaft. Jüdischen Geist" machte er für die Niederlage verantwonlich, und "jüdischer Geist" war es, der nach seiner Ansicht die verhaßte erste deutsche Republik beherrschte. Dabei subsumiene er unter den Begriff "jüdischer Geist" im Grunde alle modernen freiheitlichen und sozialen Strömungen sowohl auf politisch-gesellschaftlichem als auch auf kulturellem Gebiet, alle nunmehr an Einfluß gewinnenden bzw. zur Entfaltung kommenden Strömungen, die geeignet waren, die alten monarchisch-obrigkeitsstaatliehen Strukturen in Frage zu stellen bzw. zu untergraben 429 • Müllers Judenfeindschaft entsprach ganz dem zu seiner sonstigen politischen Einstellung passenden national-konservativ, kulturell und religiös bestimmten "gemäßigten" Antisemitismus Stoeckerscher Provenienz, wie er im deutschen Protestantismus jener Zeit zumindest in latenter Form weit verbreitet war, auch bei Männern wie Wurm, Dibelius und Meiser 430 • Mit der allgemeinen politischen Radikalisierung Müllers in den zwanziger Jahren ging eine Radikalisierung seiner Judenfeindschaft einher. Judenfeindliche Äußerungen Müllers in dieser Zeit- er soll die Juden u. a. öffentlich als "Kulturschmarotzer" verunglimpft haben - wurden von Zeitgenossen als schlimme antisemitische Hetze empfunden 431 • Spätestens ab 1933 trat Müller wiederholt für den "Arierparagraphen" im Bereich der Kirche ein, wenngleich er in dieser Frage auch taktiene 432 • Hatte der Verein deutscher Studenten lediglich Nicht-Christen (Ungetaufte) und solche Studenten, die die christliche Kultur und Sitte ablehnten, ausgeschlossen, so betraf der kirchliche "Arierparagraph" Christen (Getaufte) jüdischer Abstammung, zielte also nicht auf die Religions- und Kulturzugehörigkeit, sondern auf die "Rassenzugehörigkeit" ab. Immerhin soll Müller einem Zeitungsbericht zufolge noch im Januar 1934 öffentlich erklän haben: "Wenn ein junger Jude zu ihm komme und aus innerer Überzeugung sage, er wolle getauft werden, dann könne er getauft werden." Allerdings folgte dann gleich die Einschränkung: "Wenn der getaufte Jude dann sage, er wolle Pastor werden, dann antwone er, das solle er Vgl. oben S. 39. Vgl. oben S. 20. 4 29 Vgl. oben S. SOff. 4 l 0 Vgl. zur Frage des Verhältnisses von Protestantismus und Judentum u.a. die beiden neueren Veröffentlichungen J.-Ch. KAisER!~. GRESCHAT, Holocaust, hier: S. XIII und 218-221 (H.-U. THAMER, Protestantismus) und E. RöHwiJ. THIERFELDER, Juden- ChristenDeutsche, hier: S. 46-S2 und 7S-83. 4 l 1 Vgl. oben S. 66f. m Vgl.obenS.I49; 1St; 16S; 180; 191. 427
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bleiben lassen. Wenn ein Chinese getauft worden sei, dann wollten wir ihn auch nicht als Pastor." 433 Nach Klaus Scholder hatte Müller spätestens unter dem Eindruck des Nürnberger Reichspaneitages der NSDAP Ende August/ Anfang September 1933 die Schwelle zum radikalen Rassenantisemitismus überschritten 434 • Tatsächlich legen Müllers Ausführungen während der sogenannten "Braunen Synode" der altpreußischen Unionskirche am 5. September 1933 diesen Schluß nahe. Er hatte u. a. gesagt, er stehe noch ganz unter "dem gewaltigen Eindruck" der "Nürnberger Tage" und könne "jetzt doppelt stark" mitfühlen und mit begreifen, "was den Führer bewogen hat, gerade dieses Problem [das Rassenproblem] mit so starker Hand anzufassen." 435 Ganz dem entsprechend zeigte Müller sich im Oktober/November 1933 völlig "han" gegenüber den wiederholten Bitten eines Erfuner KorvettenKapitäns a. D., eines alten "Frontkämpfers", dessen Frau "nicht-arischer" Abstammung war und dessen Sohn deshalb sein Theologiestudium aufgeben sollte. Er ließ dem verzweifelten Vater durch seinen Mitarbeiter Hans Michael Müller lapidar antwonen, daß er nichts tun könne, da "die Kirche ... sich zu den Grundlagen und Ordnungen des völkischen Staates bekannt" habe 436 • Mit erschreckender Kälte ließ er Anfang 1934 sogar das Hilfegesuch seiner eigenen Nichte zurückweisen, deren Ehemann als "Nicht-Arier" von Berufsverbot bedroht war. Das Antwonkonzept der Kanzlei des Reichsbischofs lautet: "Herr Reichsbischof hat Ihren Brief erhalten. Es tut Herrn Reichsbischof außerordendich leid, aber seiner Meinung nach hat er nicht die Möglichkeit, Ihnen in Ihrer Angelegenheit weiterzuhelfen." 437 Es zeugt von der Zwiespältigkeit von Müllers Persönlichkeit, aber auch davon, daß er den nationalsozialistischen Rassenantisemitismus noch nicht in seiner ganzen brutalen Schärfe erlaßt bzw. verinnerlicht hatte, daß er sich zur gleichen Zeit wiederholt für bedrohte "Nicht-Arier" verwandte. Im Oktober 1933 setzte er sich beim "Reichsstatthalter in Hessen" und beim Reichsarbeitsminister- freilich erfolglos- für einen Friedberger Dentisten ein, dem wegen seiner jüdischen Abstammung die Krankenkassenzulassung entzogen worden war 438 • Etwas mehr Erfolg hatte dagegen Müllers Einsatz für eine "nicht-arische" ehemalige Lehrerin seiner Tochter in Königsberg. 4H
An.: Evangelium und Rasse, in:? (Zeitungsausschnitt LKA STUITGART, D 11118}.
K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. I, S. 676f.; vgl. auch EBD., S. S96f. Zit. nach EBD., S. 600 f. 4 36 Walter Schmidt-Henrici (Erfun} an Müller, 1S.IO., 31.10. und 21.11. 1933; Hans Michael Müller Oena) an Schmidt-Henrici, 3. 11. und 24. II. 1933 (Konz.) (EZA BERLIN, 1/C 4/ 17}; vgl. auch K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 677. 4 l 7 Henriette Ehrenfeld (Essen} an Müller, 31. I. 1934; Kanzlei des Reichsbischofs an Ehrenfeld, 19. 2. 1934 (Konz.) (EZA BERLIN, 1/C 4/7S). Einen weiteren ähnlichen Fall schildenen J.-Ch. KAISER,judenmission, S.197f. und 211 und E. RöHM/j. THIERFELDER,juden- Christen -Deutsche, S. 258-260. 43 • Müller an den Reichsstatthalter in Hessen (Dannstadt), Konz. mit Abgangsvermerk: 4,.
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Zwar lehnten der Königsherger Oberschulrat und der Königsherger Rundfunkchoreine Einstellung bzw. Weiterbeschäftigung der Lehrerin ab, jedoch versprach der Gaugeschäftsführer des NS-Lehrerbundes Ostpreußens zu versuchen, die Lehrerin im "Hausschullehrerdienst" unterzubringen 439 • Im Dezember 1933 und im März 1934 bedankten sich zwei Männer, die von dem staatlichen "Arierparagraphen" betroffen waren, bei Müller dafür, daß er erfolgreich zu ihren Gunsten intervenien habe 440 • Im Sommer 1934 engagiene sich der Reichsbischof bei Reichsinnenminister Frick sehr für die Familie des Königsherger Ffarrers Hans Rohde, eines "alten DC-Kämpfers", die wegen der "nicht-arischen" Herkunft der Ehefrau in Schwierigkeiten geraten war 441 • Besonders bemerkenswen ist der Fall des - deutschnational gesonnenen Königsherger Kirchenmusikdirektors Ernst Maschke, der jüdischer Abstammung war. Müller war ein enger Freund Maschkes und seiner Familie und ein Liebhaber von Maschkes Musik. Mit Hilfe seiner Königsherger "Kirchenkampfgenossen" protegierte er in den Jahren 1933 bis 1935 die immer wieder bedrohte Familie Maschke, und dies obwohl diese sich ihrerseits mehr und mehr von Müller wegen dessen Eintretens für den kirchlichen "Arierparagraphen" abwandte. Am Karfreitag 1935 übenrug der Reichssender Königsberg sogar einen Gottesdienst, bei dem Maschke die musikalische Leitung hatte; diese wurde anschließend in Rundfunk-Zeitschriften "groß herausgestellt". Als in der Presse im Sommer 1935 die Namen der "nichtarischen" Kirchenmusiker veröffendicht wurden, fehlte Maschkes Name. Mit der faktischen Entmachtung Müllers im Herbst 1935 war es mit dem Schutz der Familie Maschke schlaganig vorbei. Sowohl Maschke als auch seine "arische" Frau verloren ihren Beruf, die Tochter mußte Schule und Musikstudium abbrechen. Als Gestapobeamte Maschke im März 1940 abführen wollten, erlitt Maschke einen Herzschlag, an dem er einige Tage später starb. Gegen den erklänen Willen der Familie hielt Müller die kirchliche Trauerfeier für Maschke und würdigte Maschkes Leben und Werk 442 • In schärfstem Kontrast hierzu steht der zunehmende verbale Radikalismus Müllers, der schließlich kaum noch zu steigern war. So heißt es im übelsten Nazi-Stil in "Der deutsche Volkssoldat": "Das Erwachen des Rassebewußtseins hat die Liebe des deutschen Menschen zu seinem Volk venieft und neu fundamentien. Wenn wir unser deutsches Blut von fremdrassigem Blut 6. 10. 1933; Müller an Reichsarbeitsminister, 16. 10. 1933 (Durchschrift); Reichsarbeitsminister an Müller, 30. 10. 1933 (EZA BERLIN, 1/C 4/17). 4.)9 EZA BERLIN, 1/C 4/74. 440 Gerhard Freund (Granzow) an Müller, 31. 12. 1933; Georg Förster (Allenstein) an Müller, 15. 3. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75). 441 Müller an Rohde, 29. 6. und 17. 10. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/77). 442 H. PROLINGHEUER, Ausgetan, S. 145; DERS., Die judenreine deutsche evangelische Kirchenmusik, S. 265-267.
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reinhalten, und wenn wir insbesondere den uns wesensfremden jüdischen Einfluß aus allen deutschen Lebensbereichen verbannen, so steht als letztes Motiv hinter alledem auch nichts anderes als die Liebe zur deutschen Heimat und zum deutschen Volk. Diese opferbereite Liebe hat ein hartes kämpferisches Gesicht. Alles Weichliche und Schwächliche ist ihr verhaßt, denn sie weiß, daß alles Leben nur dann gesund und lebenstüchtig bleibt, wenn das Lebensfeindliche, das Morsche und Abständige aus dem Weg geräumt und vernichtet wird. jeder Wald muß durchforstet werden. Aus jedem Acker muß das Unkraut entfernt werden. So muß auch für die deutsche Seele Sorge getragen werden, daß ihre Lebenskraft von dem Unkraut blutsfremder Art nicht gehemmt oder gar vernichtet wird. Dieser Kampf der deutschen Seele um ihrer Selbstsicherheit und um ihrer eigenen Freiheitwillen nimmt seinen unbeirrbaren Verlauf. Er läßt sich nicht mehr aufhalten. Und er wird sein Ziel erreichen, so gewiß das Licht stärker ist als die Finsternis und die Wahrheit stärker als die Lüge." 443 Natürlich ist fraglich, ob Müller hier wirklich, wie es sich ex post anhört und es etwa das Bild vom Unkraut, das entfernt werden müsse, nahelegt, einer Ermordung der Juden, dem "Holocaust", das Wort redete; die antisemtische Hetze ist in jedem Fall schlimm genug. Unerträglich ist es, daß der Judenhaß auch noch in den Mantel der christlichen caritas gehüllt wird. Im Dezember 1941 sprach Müller in einer Feierstunde in Gunzenhausen tatsächlich von Beseitigung und Vernichtung der Juden, die mit dem Satan in Verbindung stünden. Allerdings gab er hier - gleichwohl kommentarlos und also vermutlich im Grunde durchaus zustimmend - die Meinung eines anderen wieder. Er selbst nannte die Juden dann "unsere Todfeinde" bzw. "unsere ärgsten Feinde", die Deutschland vernichten wollten444.
14. Abschließende Bewertung der Aktivitäten Müllers nach seiner
faktischen Entmachtung
Es bestand, so kann man ex post wohl sagen, zu keinem Zeitpunkt die reale Möglichkeit für Müller, nach seiner faktischen Entmachtung wieder einen relevanten direkten kirchen- oder religionspolitischen Einfluß auf kirchlicher oder staatlicher Ebene zu erlangen. Dies war für seine Zeitgenossen freilich keineswegs klar. Während bestimmte radikale deutsch-christliche Kreise (um Weidemann und die Thüringer Deutschen Christen) noch Hoffnungen auf die Integrationskraft des ehemaligen Reichsbischofs sowie auf seine alten Beziehungen zu Hitler L. MüLLER, Volkssoldat, S. 56f. Müller, Rede bei einer Feierstunde der DC-NationaJkirchliche Einung in Gunzenhausen, 3. 12. 1941 (LKA NüllNBERG, LKR II, 246, Bd. 9). 44 3
444
Abschließende Bewenung der Aktivitäten Müllers
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setzten, fürchteten die gemäßigte DC-Reichsleitung unter Rehm, die Kirchenausschüsse, bekenntniskirchliche Kreise, mehrere Landesbischöfe und auch sonst große Teile der Kirche gleichermaßen ein "Comeback" Müllers. Hans Meiser ließ sich beispielsweise noch in den vierziger Jahren detaillien über Auftritte Müllers Bericht erstatten, und Theophil Wurm äußene noch im Jahre 1943 in einem Brief an das Reichskirchenministerium die Sorge, die Landeskirchen könnten durch eine Rehabilitierung Müllers wie schon in den Jahren 1933-35 erschütten werden 445 • Natürlich boten die Auftritte Müllers der Bekennenden Kirche auch die willkommene Gelegenheit, die Wichtigkeit ihres Anliegens und Tuns herauszustellen, sich weiterhin in ihrem entschiedenen Gegenüber zu Müller zu profilieren. Das Bemühen der Rehmschen DC-Reichsleitung um einen gemäßigten Kurs wurde durch Müllers Tun diskreditien, da es der Reichsleitung nicht gelang, der Öffentlichkeit ihre Distanz zu dem ehemaligen DC-Schirmherm und Vertrauten Hitlers zu vermitteln. Auf der anderen Seite beschleunigte gerade diese Distanzierung den Abspaltungs- und Auflösungsprozeß innerhalb der deutsch-christlichen Bewegung, da Müller für viele immer noch der Vertraute Hitlers und der "Führer" der Reichskirche war, dem sie die einmal gelobteTreue nicht meinten aufkündigen zu können. Die zahlreichen Aktivitäten Müllers waren schließlich ein wesentlicher Grund dafür, daß die Kirchenausschüsse nicht die nötige Autorität erlangten und scheiterten. Müller sorgte aber nicht nur auf kirchlicher, sondern auch auf staatlicher und paneipolitischer Ebene nach wie vor für beträchtliche Verwirrung. Wie auf der kirchlichen Ebene, so übte er zwar auch hier keinen direkten Einfluß mehr aus, in den Machtkämpfen, Intrigen und Kompetenzstreitigkeiten der NS-Großen unterhalb Hitlers war er jedoch weiterhin ein nicht unwichtiger Faktor, zumindest wenn es um Fragen der Religionspolitik ging. Er besaß immer noch eine gewisse Unterstützung durch Hitler, der zwar nichts mehr von ihm hielt, aber der kirchlichen Opposition nicht den Triumph eines vollständigen Rückzugs Müllers gönnte, zumal dies dem Eingeständnis eines Fehlers gleichgekommen wäre. Ausgestattet mit dieser Unterstützung, über deren Ausmaß und Hintergründe er seine Zeitgenossen täuschen konnte und sich vermutlich selbst nicht ganz im klaren war, spielte Müller gleichsam z. B. Göring gegen Kerrl, Rosenberg gegen Bormann und das Reichspropagandaministerium gegen die Reichsschrifttumskammer aus oder sorgte doch zumindest für z. T. erhebliche Spannungen zwischen diesen. Allerdings würde man Müllers Rolle sicherlich überbewerten, nähme man an, er hätte bei seinem Taktieren konsequent einen bestimmten Plan verfolgt. Oft war er 445 Wurm an Reichskirchenminister, 16.4. 1943 (BA An. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.768). Zu Meise:- vgl. oben S. 249.
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sogar wohl nichts weiter als eine Schachfigur im Machtspiel der anderen, diente z. B. dem Kirchenministerium mitunter als willkommenes Mine} zur GängeJung der Kirchenausschüsse. Die im NS-Staat allgemein vorherrschenden strukturellen innenpolitischen Schwächen, die Polykratie, das administrative Chaos 446 lassen sich gerade auch am Beispiel des entmachteten Ludwig Müller deutlich aufzeigen. 15. Müllers Tod
Müllers plötzlicher Tod bald nach dem Zusammenbruch des NS-Staates führte zu verschiedenen Legendenbildungen. Während Zeitpunkt und Ort seines Sterbens und seines Begräbnisses zuverlässig belegt sind - die standesamtliche Sterbeurkunde weist den Tod für den 31. Juli 1945 um tt Uhr in Berlin-Zehlendorf nach, auf dem donigen Gemeindefriedhof wurde er am 6. August kirchlich bestanet 447 -, sind die genauen Todesumstände bis heute nicht eindeutig geklän und lassen sich wohl auch nicht mehr eindeutig klären. Im wesentlichen steht die These eines natürlichen Todes infolge eines ,.Herzschlages" der These eines Selbstmordes Müllers gegenüber 448 • Die These eines natürlichen Todes ist wohl die ältere in der Öffentlichkeit verbreitete These 449 • Sie wurde (und wird) hauptsächlich von der Familie Müllers venreten. In einem Leserbrief an die ,. Welt am Sonntag" aus dem Jahre 1953 zitiene die Ehefrau Müllers zum Beweis für einen natürlichen Tod ihres Mannes aus dem ärztlichen Totenschein, in dem es heiße: ,.Todesursache: An Entkräftung und Folgeerscheinung einer schon Jahre alten Angina pectoris. Befund: Herzschlag." 450 Im Oktober 1945 teilte Frau Müller der Kirchenkanzlei den Tod ihres Mannes unter Hinzufügung einer Sterbeurkunde offiziell mit und nannte als Todesursache: ,.Herzschlag" 451 • Für die ,.Herzschlag"-These spricht, daß belegt ist, daß Müller mindestens Vgl. hierzu vor allem die grundlegende und immer noch gültige Studie von M. BROSZAT, Staat Hitlers. 447 Sterbeurkunde des Standesamtes Berlin-Zehlendorf Nr. 2180 vom 1. 8. 1945 (EZA BERLIN, 1/C 1140). Dagegen nannte z.B. P. HoFFMANN, Widerstand, S. 29 Königsberg als Sterbeon Müllers. Zur Beerdigung Müllers vgl. die Aktennotiz der Kirchenkanzlei EZA BERLIN, 11C 11 40, BI. 57. Müllers Grab existien nicht mehr (telefonische Auskunft von Frau Elfriede MaeserMüller, Cuxhaven, 14. 9. 1990). 448 Die ebenfalls kolponiene Version, wonach Müller gegen Ende des Krieges wegen Konflikten mit der Panei und der SS von den Nazis zum Selbstmord gezwungen wurde, kann natürlich außer Betracht bleiben (Hermann Nitsche, Bunde, an Verf., 14. 3. 1990). 449 So z.B. Joachim Hassenfelder in einem Brief an Kun Dietrich Schmidt vom 1. 3. 1956 (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller). 450 Paula Müller, Leserbrief, abgedruckt in: WELT AM SoNNTAG, 5. 7. 1953. 4 5 1 Paula Müller an Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei, 25. 10. 1945 (EZA BERLIN, 1/C 1140). 446
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seit dem Ersten Weltkrieg unter Herzbeschwerden litt 452 , die, wie oben (Kap. 3 und 4) erwähnt, in Streßsituationen während der Hochzeit des Kirchenkampfes besonders häufig und heftig auftraten, wie es dem Krankheitsbild der Angina pectoris entspricht 453 • In einem medizinischen Gutachten vom Oktober 1934 erkläne ein Neurologe, er habe das Leiden des Reichsbischofs bereits vor etwa einem Jahr als "Beschwerden im Sinne der Angina pectoris" diagnostizien. Als- zu dieser Diagnose passende- Krankheitsursachen nannte der Neurologe "beginnende[.] Anerienverkalkung", ,.starken Nikotinmißbrauch" und ,.starke[.] Belastung in seinem (Müllers] hohen Amt" 454 • Gemäß der Diagnose Angina pectoris wurde Müller auch stationär im Krankenhaus, in Badekuren und medikamentös mit Nitroglycerin-Präparaten in hohen bzw. häufigen Dosierungen behandelt 455 • Nach Müllers eigenen Angaben verschlechtene sich sein gesundheidicher Allgemeinzustand und seine Herzerkrankung in den letzten Kriegsjahren, u. a. nach zwei "Verdunkelungsunfällen" 456 • Die als Motiv für einen Suizid in Frage kommende psychische und körperliche Belastung Müllers auf Grund des Zusammenbruchs des NS-Staates, einschließlich des Todes seines "Idols" Hider, auf Grund privater Probleme (s. u.), auf Grund des Verlustes seiner Wohnung- diese war am 29. Januar 1944 durch einen Bombenangriff völlig zerstön worden 457 -,auf Grund von Verhören durch die Rote Armee und Furcht vor Sanktionen (s. u.) sowie auf Grund der schlechten allgemeinen Versorgungslage und Lebenssituation im Berlin des Sommers 1945 kann durchaus auch die vorhandene Herzsymptomatik krisenhaftzugespitzt und zu einem natürlichen Tod gefühn haben. DerThese des natürlichen Herztodes schlossen sich Bekannte und ehemalige deutsch-christliche Weggefähnen Müllers an. Ein mit Müller bis zum Sommer 1945 in häufigerem persönlichen Kontakt stehender Pfarrer hielt "einen Selbstmord für ,völlig ausgeschlossen', da er überhaupt nicht zu Müllers ,kindlicher Gläubigkeit und unbedingtem Gottvenrauen' gepaßt hätte." 458 Für vollkommen undenkbar hielt auch Joachim Hossenfelder eim Vgl. Dr. med. Osman Grosholz (Bad Nauheim) an Müller, 20. 11. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/47); vgl. auch Joachim Hassenfelder an Kun Dietrich Schmidt, 1. 3. 1956 (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller). •Sl Zur Angina pectoris vgl. etwa W. PscHYREMBEL, Klinisches Wönerbuch, s. v.: Angina pectoris. •s• Nervenarzt Dr. Paul (Königsberg) an den behandelnden Arzt in Bad Reinerz, 2. 10. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/77). •ss ZurTherapie Müllers vgl. Eao. und Anna Rammelsberg (Zossen) an Müller, 12.10. 1935 (EZA BERLIN, 1/C 4/80); Heinz Breitkreuz, Arzt, an Müller, s.d. [ca. 1933] (EZA BERLIN, 1/C 4/74); Dr. med. Hans Hoehl, Facharzt für innere Krankheiten (Bad Reinerz), Kurverordnung für Müller, 5. 10. 1934 (EZA BERLIN, 1/C 4/75). •s. Müller an Kanzlei des Führers, 28. 12. 1943 (BA ABT. PonoAM, 51.01 RKM 23.709). •S 7 EZA BERLIN, 1/C 1/40, Bl.24ff. •sa Zit. nach K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. I, S. 812.
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nen Selbstmord. Hossenfelder, der im übrigen auch darauf verwies, Müller sei "sehr herzkrank" gewesen, argumentiene, ein Selbstmord beim Einmarsch der Russen im Mai 1945 wäre noch verständlich gewesen, nicht jedoch nach dem Abzug der Russen aus Berlin-West im Juli 459 . Friedrich Wieneke erwähnte einen um die Jahreswende 1944/45 an ihn gerichteten Brief, in dem Müller sich im Hinblick auf die Zukunft sehr zuversichtlich geäußert habe, und nannte als Todesursache: "Herzschlag" 460 . Müllers früherer Mitarbeiter Walter Birnbaum vermutete, "mangelnde Ernährung ... , ... das allgemeine Chaos der ersten Besatzungszeit in Berlin oder Enttäuschungen und unmittelbare persönliche Bedrohung als ehemalige prominente Persönlichkeit des Dritten Reiches" hätten einen Zusammenbruch der Kräfte Müllers herbeigefühn; jedenfalls sei er "an seinem Herzleiden gestorben"46t. Von einem natürlichen Tod ging schließlich der einer möglichen Verschleierung der Tatsachen absolut unverdächtige Otto Dibelius aus. Wenn es in Dibelius' 1961 erschienenen Memoiren heißt: "Ludwig Müller starb gerade in jenen Monaten- übrigens eines natürlichen Todes"- so implizien dies, daß Dibelius die Selbstmordthese zwar kannte, aber ausdrücklich ablehnte462. Es ist allerdings sehr möglich, daß Dibelius bei der Abfassung seiner Memoiren wichtige Aussagen, die für die Selbstmordthese sprechen (s. u.), noch nicht kannte. So sehr das Krankheitsbild Müllers einen natürlichen Tod nahelegt, so ist doch nicht auszuschließen, daß seine Familie einen Selbstmord zu venuschen versuchte, was nur allzu verständlich gewesen wäre. Die auf dem Totenschein vermerkte Todesursache könnte dann das Ergebnis einer Fehl- oder Gefälligkeitsdiagnose sein. Die genannten Zeitgenossen, die einen Suizid für ausgeschlossen hielten, waren allesamt keine Zeugen des Todes, ihre Aussagen haben insofern nur einen bedingten Wen. Die Selbstmordthese wurde offenbar zuerst von Seiten der unter der kommissarischen Leitung des Oberkonsistorialrates Heinz Brunotte stehenden Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche auf der Konferenz zu Treysa Ende August 1945 geäußen, und zwar zunächst in der Weise, Müller habe sich, "sicherem Vernehmen nach, beim russischen Einmarsch in Berlin [Anfang Mai] 1945 das Leben genommen." 463 Demgegenüber heißt es in dem Bericht des Lordbischofs von Chichester George Bell über seine Deutschlandreise vom 18. bis 31. Oktober 1945: " ... Müller committed
4 S9 joachim Hassenfelder an Kun Dietrich Schmidt, 1. 3. 1956 (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller). 460 F. WtENEKE, Kirche und Panei (Ms.), S. 256. 461 W. BIRNBAUM, Zeuge, S. 199. 462 0. DtBELIUS, Ein Christ ist immer im Dienst, S. 257. 463 H. BRUNOlTE, Bekenntnis, S. 99.
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suicide about six weeks ago." 464 Die falschen Terminangaben und die Formulierung: ,.sicherem Vernehmen nach" lassen vermuten, daß sich die Vertreter der Selbstmordthese zunächst mehr auf Gerüchte, als auf konkrete Fakten stützten. Ohne Manipulationen unterstellen zu wollen, so ist doch die Einschätzung wohl nicht abwegig, daß die Selbstmordthese den Repräsentanten der Kirche nicht gerade unbequem war, konnte doch ein Selbstmord leicht als das Eingeständnis eines in der Sackgasse endenden Irrweges, als das Eingeständnis großer Schuld und die Übernahme der Verantwortung für diese Schuld interpretiert werden und konnte doch auf diese Weise ein Gutteil der Schuld, die die Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus auf sich geladen hatte, problemlos auf das Konto des ehemaligen "Führers" der Reichskirche verbucht werden. Hauptsächlich stützt die Selbstmordthese sich inzwischen freilich auf die Aussagen von früheren Nachbarn einer ehemaligen Mitarbeiterin Müllers, die in dem Ruf stand, mit Müller bis zu dessen Tod ein Verhältnis gehabt zu haben 465 • Die Nachbarn, eine damalige Medizinstudentin und ein damaliger Industriedirektor und dessen Ehefrau, die übrigens von Brunotte selbst befragt wurden, gaben lediglich die Selbstmordversion wieder, wie sie ihnen von der ehemaligen Mitarbeiterin Müllers berichtet worden war, sie waren selbst also nicht Zeugen des Todes. Brunotte hielt seine schon früher geäußerte Selbstmordthese durch diese Aussagen nunmehr für "eindeutig historisch bewiesen" 466 • Die Selbstmordthese geht also letztlich auf den uns nur indirekt überlieferten Bericht einer einzigen Frau, der ehemaligen Mitarbeiterin Müllers, zurück. Ebenso geht die Verbreitung der Selbstmordthese offenbar letztlich allein auf Brunotte zurück. Damit ist über den Wert der These natürlich noch nichts gesagt, zumal es weitere Indizien gibt. Die damalige Medizinstudentin, die nach ihren Angaben gemeinsam mit der ehemaligen Mitarbeiterin Müller kurz vor seinem Tode aufsuchte und bewußtlos sah, allerdings "bloß für einige Minuten", sagte aus, Müller habe bei Kriegsende in ihrem Beisein "wiederholt Selbstmordabsichten geäußert", vor allem nach einem Verhör durch sowjetisches Militär; bereitsamTage des sowjetischen Einmarsches habe er sich erschießen wollen, man habe mit Mühe seine Pistole versteckt. Die Aussagen der ehemaligen Medizinstudentin, sie sei kurz vor Müllers Tod bei Müller gewesen und dieser habe versucht, sich beim Einmarsch der Roten Armee zu erschießen, konnten der Direktor und seine Frau nicht bestätigen, im Gegenteil: Daß die frühere Mitarbeiterin Müller nicht mit ihrer Tochter, sondern mit der Medizinstudentin aufgesucht habe, hielten sie für verwunderlich, und davon, daß Müller sich habe erschießen wollen, Zit. nach C. VoLLNHALS, Evangelische Kirche, S. 232. s Heinz Brunotte an Kurt Dietrich Schmidt, 4.1. 1961, Anlage: Befragungsprotokolle zum Tod Müllers, 1956-1960 (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller). 466 Eao.; vgl. H. BRUNOlTE, Bekenntnis, S. 99, Anm. 1. 464 46
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hätten sie nichts bemerkt, obwohl sie in "den letzten Tagen von Berlin" gemeinsam mit Müller und der Medizinstudentin im Luftschutzkeller gesessen hätten. Von den Aussagen der Medizinstudentin bestätigte das Ehepaar lediglich, daß Müller von den Sowjets verhön worden sei und- indirekt und zu einem gewissen Teil - daß er Selbstmordabsichten gehabt habe: Die Mitarbeiterin Müllers habe der Ehefrau des Direktors ein Buch gezeigt, das Müller ihr geschenkt habe und in das er die mehrdeutige (aus dem Lied: .,Ich hatt" einen Kameraden ... " stammende) Widmung geschrieben habe: "Bleib" Du auch im ewigen Leben mein bester Kamerad". (Von "wiederholt" direkt geäußenen Selbstmordabsichten ist in den Aussagen nicht die Rede). Ferner stimmen die Aussagen der Medizinstudentin und des Ehepaares, wie erwähnt, darin überein, daß die Mitarbeiterin Müllers ihnen berichtet habe, daß Müller Selbstmord begangen habe, wobei allerdings die Medizinstudentin im Gegensatz zu dem Ehepaar nur die angebliche Tatsache des Selbstmordes an sich, nicht aber irgendwelche Einzelheiten zu berichten wußte. Die Einschätzung von Brunotte, die Aussagen des Ehepaares und der Medizinstudentin deckten sich .,im großen und ganzen", ist sicherlich etwas problematisch. Die Aussagen des Ehepaares beinhalten die stärksten Indizien für einen Suizid. Aus eigener Anschauung wußte das Ehepaar zu berichten, daß Müllers Ehe zerrüttet gewesen sei und daß er Verhältnisse mit anderen Frauen, u. a. eben mit seiner- verheirateten -ehemaligen Mitarbeiterin, gehabt habe, was immer wieder zu Konflikten gefühn habe. Ferner habe er erwiesenermaßen Alkoholprobleme gehabt. Das Ehepaar erkläne, es habe gesehen, daß Müller Anfang Mai von einem Offizier und mehreren Soldaten der Roten Armee "zu einer Besprechung auf die Kommandantur" geholt wurde. Er habe seinen Lutherrock und das Amtskreuz angelegt. Nach vier Stunden sei er .,begeisten" zurückgekehn und habe erzählt, er sei von den Sowjets, die etwas über sein Verhältnis zu Hitler und Goebbels hätten wissen wollen, als hoher kirchlicher Würdenträger behandelt worden. Von der Mitarbeiterin Müllers habe das Ehepaar erfahren, daß er den Sowjets erzählt habe, er sei "mit Hitler ... wegen seiner Judenpolitik völlig zerfallen gewesen und habe ihm das persönlich auch gesagt"; die Sowjets hätten ihm geglaubt und eine Villa und ein Auto versprochen. Zwei Wochen später sei er, so das Ehepaar, erneut von sowjetischem Militär geholt worden. Diesmal hätten ihn die Sowjets, die sich wohl inzwischen über ihn informien gehabt hätten, "sehr schlecht behandelt und mit einem Prozeß in Nürnberg bedroht", Müller sei allerdings nicht verhaftet worden. Den Bericht der ehemaligen Mitarbeiterin über die Umstände von Müllers Tod gab das Ehepaar wie folgt wieder: Müller habe an einem Abend EndeJuli zu seiner Haushälterin gesagt: "Wenn ich morgen früh bis 10 Uhr nicht beim Frühstück bin, können sie man den Arzt rufen." Am anderen Morgen habe die Haushälterin Müller bewußtlos in seinem Bett liegend gefunden. Auf dem Nachttisch hätten zwei leere
MüllersTod
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Rollen der Schlaftabletten ,.Lumina!" gelegen, ferner hätten donein Glas Wasser und ein Bild der Mitarbeiterin Müllers gestanden. Müllers Ehefrau habe es abgelehnt, einen Arzt zu rufen, mit der Begründung, es sei sowieso keiner zu bekommen 467. Nachdem Müller bereits zwei Tage bewußtlos gewesen sei, habe die Haushälterin die Mitarbeiterin Müllers und einen mit Müller befreundeten Admiral geholt, der bei Müller geblieben sei. Am Morgen des dritten Tages seiner Bewußtlosigkeit sei Müller aufgewacht. Der Admiral habe ihn ,.auf militärische An" angebrüllt, ,.etwa: ,Kerl, was machst du für Geschichten .. .'" Müller habe ,.mit Augenzwinkern" geantwortet: ..Vergiftet, ja ja - vergiftet" und sei bald darauf gestorben. Der Bericht des Ehepaares wirkt auf Grund der detailliert geschilderten Indizien natürlich überzeugend. Allerdings ist es aus medizinischer Sicht höchst unwahrscheinlich, daß Müller unmittelbar vor seinem Tod noch einmal bei vollem Bewußtsein war 468 . Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die wichtigsten Informationen nicht nur aus zweiter (Müllers Mitarbeiterin - Ehepaar), sondern offenbar sogar aus dritter Hand (Haushälterin, Admiral - Müllers Mitarbeiterin- Ehepaar) stammen. Die Aussagen des Ehepaares wurden später in verzerrter Form kolportiert469. Viele Historiker betrachten die Selbstmordthese inzwischen als gesichen470; andere sind- zu Recht- vorsichtiger 471 . Beide Thesen, die These des natürlichen Herztodes und die Selbstmordthese, haben, dies dürfte deutlich geworden sein, sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen. Auf Grund der in beiden Fällen recht unsicheren, einseitigen Quellenlage ist ein abschließendes Urteil nicht zu rechtfertigen. Zwar ist eine Harmonisierung der beiden Thesen nicht unbedingt sehr überzeugend, jedoch ist eine Art Synthese immerhin möglich, und es gibt sogar einige Anhaltspunkte dafür: Es ist denkbar, daß Müller durchaus vorhandene Selbstmordabsichten nicht mit letzter Konsequenz und Entschlossenheit verfolgte. Er kündigte seinen Selbstmord offenbar relativ offen an (Buchwidmung, Instruktion an die Haushälterin) und hatte womöglich, Hier ist ein weiterer Widerspruch zur Aussage der Medizinstudentin, der zufolge Müllers Ehefrau gar nicht zu Hause war. 468 Auskunft von cand. med. Beate Riedesel und cand. med. Eberhard Rensinghoff, Marburg!Lahn. 469 Vgl. Wemer Koch (Netphen) an Wilhelm Niemöller, 8. 3. 1961 (LKA BIELEFELD, 5,1-305,3). Die verzerrte Darstellung in diesem Brief wurde unkritisch von M. KoscHOUE, Person, S. 46 und DERs., Wehrkreispfarrer, S. 5().4 sowie von E. C. HELM REICH, German Churches, S. 501, Anm. 46 übernommen. 470 Vgl. u. a. R. HEINONEN, Anpassung, S. 49; P. HOFFMANN, Widerstand, S. 29; H. MEISER, Verantwonung, S. 548 (Bearb.: H. Braun und C. Nicolaisen); TH. MuRXEN, Müller; C. NlcoLAISEN, Dokumente, Bd. 1, S. 43; R. WISTiliCH, Wer war wer? s. v.: Müller, Ludwig; G. MAY, Kirchenkampf, S. 126; vgl. auch Anm. 469! 411 K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 1, S. 552; K. ScHOLDER, Kirchen, Bd. 1, S. 812; CH. ZENTNERIF. BEDÜRFTIG, Lexikon, s. v.: Müller, Ludwig. 467
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Der Reichsbischof nach seiner Entmachtung ( 1935-1945)
zumal er wohl Tabletten nahm, eine gewisse Hoffnung, noch rechtzeitig gefunden und gerettet zu werden. Da er aber herzkrank war, genügte vielleicht schon eine vergleichsweise geringe Dosis Schlaftabletten, um, obwohl er in derTat offenbar noch lebend gefunden wurde, nach fast drei Tagen den Tod herbeizuführen, zumal angeblich keine hinreichende medizinische Betreuung möglich war, die sein Leben eventuell noch gerettet hätte. Ein Zusammenkommen von "bedingtem" Suizid, der Herzerkrankung und der allgemeinen schlechten Lebenssituation im damaligen Berlin hätte dann den Tod verursacht 472 • Den Gedanken einer Harmonisierung der These des natürlichen Todes und der Selbstmordthese äußene schon joachim Hossenfelder 1956, allerdings in sehr sarkastischer Weise, die deutlich macht, daß Hossenfelders persönliche Antipathie gegen Müller die Zeit des Nationalsozialismus, trotz gewisser Annäherungen nach Müllers "Kaltstellung", wohl überdauene. Hossenfelder meinte: "Vielleicht war sein [Müllers] Herz schneller, als seine Hand." 473
472 Die lebensbedrohliche Wirkung einer Überdosis von Barbituraten wie dem Schlafmittel .Lumina!• wird verstärkt bei Herzerkrankungen wie der Angina pectoris (Auskunft von cand. med. Beate Riedesel und cand. med. Eberhard Rensinghoff, Marburg!Lahn). 47l Joachim Hassenfelder an Kun Dietrich Schmidt, I. 3. 1956 (EvAG MüNCHEN, Einzelne Personen: Ludwig Müller).
ANHANG
zu KAPITEL 5
VERZEICHNIS DER ÖFFENTLICHEN AUFTR.ITIE MÜLLERS NACH SEINER FAKTISCHEN ENTMACHTUNG (unvollständig- mit Quellenangaben)
Ende 1935 Herbst 1935: Kircheneinweihung in ? (Friedrich von Bodelschwingh, Ebenhausen, an Paul Winckler, 10.11.1935 - HA BETHEL, 2/39-54). 13.10.1935: Rede während der ,.Eisenacher Lutherwoche• (Zeitungsausschnitt LKA DARMSTADT, 62/1044). 20.10.1935: Geplante Predigt bei einem Treffen des DC-Untergaues Hochland in München (Tonhalle) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.138). Nach 23.10.1935: Nachruf bei der Beerdigung von Reinhold Seeberg (Friedrich von Bodelschwingh, Ebenhausen, an Paul Winckler, 10.11.1935- HA BETHEL, 2/39-54 ).
1936 Anfang 1936: Amtliches Auftreten im Freistaat Sachsen (K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/1, s. 533). Anfang April1936: Interview mit .Der Westen• über das. Wesen christlicher Ostern• (in: DER WESTEN, Berlin, 12.4.1936; vgl. auch H. HüRTEN, Briefe, Bd.2, S. 162-164; K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 863; CW SO, 1936, Sp.429). Ostern 1936: Artikel .Deutsche Ostern•, von Müller verfaßt, in: Kieler Zeitung ? (Zeitungsausschnitt - EZA BERLIN, 1I A 4/385 ). 16.4.1936: Auftritt in Jena (K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 402). 26.4.1936: Predigt und Rede bei einer Tagung der Kreisgemeinde der Thüringer DC, Jena (MJTTEILUNGSBLATT DER DEK, 16.7.1936; vgl. auch K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S.863f.). Nach April 1936: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Siegen (Kaiserganen) (.Der Reichsbischof im Siegerland• -Sonderdruck aus dem Reformierten Sonntagsblatt, Lage/Lippe- LKA BIELEI'ELD, 5,1-758,2). Mai 1936: Teilnahme als Ehrengast bei der feierlichen Eröffnung der Jubiläums-Kunstausstellung der Preußischen Akademie der Künste in Berlin (Akademie-Gebäude am Pariser Platz) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709; vgl. K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 2, S. 402). 21.5.1936 (Himmelfahrt): Predigt in Neustrelitz (Stadtkirche) (Kerrl an EOK Schwerin, 26.5.1936- BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709; EZA BERLIN, 1/A4/488). Anfang Juni 1936: Geplante Rede auf Einladung der DC {Thüringer Richtung) in Koblenz (MJTTEJLUNGSBLATT DER DEK, 16.7.1936; vgl. K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 864). Ca. Juni 1936: Rede bei einer Veranstaltung der DC-Gemeinde in Ansbach (LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 33/S). Geplante Rede im Hannoverschen (MITTEILUNGSBLATT DER DEK, 16.7.1936; vgl. K. D. ScHMJDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 864).
316
Verzeichnis der öffentlichen Auftritte Müllers
Ab 7.6.1936: Mecklenburgfahrt. 7.6.1936: Predigt in Penzlin (MITTEJLUNGSBLATI DER DEK, 16.7.1936; R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 221 f.; K. D. ScHMJDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 864). 13., 14. oder 15.6.1936: Rede bei einer Tagung des DC-Gaues Mecklenburg in Güstrow (LKA DAilMSTADT, 35/58). 14.6.1936 (Trinitatis): Predigt in Güstrow (Dom) (MITTEILUNGSBLA1T DER DEK, 16.7.1936; K. D. ScHMIDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 864; JK 1936, S. 725; H. ScHMJD, Wetterleuchten, S. 270f.; G. ScHÄFER, Landeskirche, Bd. 5, S. 149). Rede bei einem Treffen des DC-Gaues Berlin (Hasenheide) (EZA BERLJN, 1/A 4/488). 21.6.1936: Predigt in Neubrandenburg (EBD.; K. D. ScHMJDT, Dokumente, Bd. 11/2, S. 862). 28.6.1936: Geplante Rede bei einer DC-Veranstaltung in Edemissen. 5.7.1936: Geplante Rede bei einer Landestagung der DC-Würnemberg in Marbach. 22.7.1936: Rede in Wanenburg (EZA BERLJN, 1/A 4/488). 2.8.1936: Geplanter Gottesdienst anläßlich der Einweihung einer Hitler-Büste in Berlin-Tempelhof (Glaubenskirche) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Ab 9.8.1936: Geplante Mecklenburg{ahrt: systematische Bereisung der Kirchenkreise, Empfang bei städtischen Behörden (Bürgermeister), Eintragungen ins ,.Goldene Buch• (EBD.; EZA BERLIN, 1/A 4/488). 30.8.1936: Geplanter Festgonesdienst in Wismar. 6.9.1936: Reden in Boizenburg und Lübtheen. 19.9.1936: Rede in Schwerin. 20.9.1936: Rede in Schwerin (EZA BERLJN, 1/A 4/488). 28.9.1936: ,.Religiöses Schlußwort• bei einer Versammlung der Amtswalter des DC-Gaues Groß-Berlin (EBD.; vgl. H. HüRTEN, Briefe, Bd. 2, S. 466f.; R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 276; K. MEIER, Deutsche Christen, S. 174). Ca. Herbst 1936: Schlesienfahrt (EZA BERLIN, II A 4/488). 30.9.1936: Gonesdienst und Rede in Glogau (Gemeindehaus) (LKA BJELEPELD, 5,1-748,2). Geplante Haustaufe in Glogau (EZA BERLIN, II A 4/488). Oktober 1936: Geplante Rede Müllers in Berlin (Heilands-Kirchengemeinde) (EZA BERLIN, II A4/26). 7.10.1936: Geplante Rede bei einer Feierstunde der DC (Thüringer Richtung) in BerlinWedding (Gemeindehaus der Paulskirche) (Pfr. der Paulskirche an RKA, 2.10.1936- EBD. und EZA BERLJN, 7/1015). 11.10.1936: Predigt in Berlin (Christuskirche) (EZA BERLIN, 7/1015). Mitte Oktober 1936: Äußerungen vor Journalisten in Berlin über die gegenwärtige und zukünftige kirchliche und religiöse Lage in Deutschland (vgl.: Flensborg Avis, 20.10.1936- Übers. EZA BEilLIN, 1/A 4/488 und BA ABT. PoTSOAM, 51.01 RKM 23.709). November 1936: Geplante Gottesdienste in Berlin und Luckenwalde (EZA BERLIN, II A 4/26 und 14/1519). Ca. Anfang November 1936: Interview mit der Zeitung ,.Oe Nederlander• (in: OE NEDERLANDER, 4.11.1936; vgl. AELKZ 69, 1936, Sp.1124; R. BERGMANN, Documenta, Bd.2, S. 129). Interview mit dem ,.Bukarester Tageblatt• (Carlo von Kügelgen, Art.: Gespräch mit dem Reichsbischof Ludwig Müller, in: BuKARESTER TAGEBLATT, 9.11.1936). 1.11.1936: Geplante Festpredigt bei einer DC-Reformationsfeier in Berlin-Neukölln (Genezareth-Gemeinde) (LKA DAilMSTADT, 62/10+4 und EZA BERLJN, 7/1015). 8.11.1936: Predigt über Matthäu:~ 12, 30 in Berlin-Spandau (Nikolaikirche) (Sup. Albertz, Spandau, an VKL, 16.11.1936-EZABEilLIN, 50/333). 11.11.1936: Erste Rede bei der Gründungsveranstaltung des ,.Bundes für Deutsches Christentum • in Berlin (Kriegervereinshaus) (K. MEIER, Deutsche Christen, S.l49; CW 50, 1936, Sp.1056). Rede bei einer Gauveranstaltung des DC-Gaus Groß-Berlin (LKA DAilMSTADT, 62/10+4). Geplante Rede: ,.Deutsches Christentum• in Berlin-Zehlendorf (Gemeindehaus) (EZA BERUN, 7/1015 ).
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15.11.1936: Predigt Johannes 6, 63a und Apokalypse 2, 10 in Berlin-Borsigwalde (auszugsw. Stenogr.- Ean.). 18.11.1936 (Buß- und Benag): Gonesdienst mit Liturgie und Predigt o. Text in Berlin-Tegel (Theodor Gassmann, Berlin-Tegel, an Johannes Eger, 19. 11.1936- EZA BEilLIN, 11A 4/488 und Predigtnachschrift- EZA BEilLIN, 7/1015). 22.11.1936 (Totensonntag): Geplanter Gonesdienst in Chemnitz (Lukaskirche) (EZA BERLIN, 1/A 4/26). 24.11.1936: Geplante Rede bei einer Veranstaltung der DC-.Nationalkirchliche Bewegung• in Dresden (Großer Saal der Ausstellung) (LK.A DARMSTADT, 62/1044). 26.11.1936: Rede bei der Landeskirchlichen Gemeinschaft? (Saal der .Gemeinschaft des Nordens•) (EZA BEllLIN, 50/333). 28.11.1936: Reden bei einer DC-Veranstaltung in Teterow (Kirche und .Mecklenburger Hof•) (Schulungsbrief Glaubensbewegung Deutsche Christen, Mecklenburg, Schwerin, 6/1936K.A MINDEN, K.AG 27; EZA BEilLIN, 1/A 4/488). 29. 11. 1936 ( 1. Advent): Predigt bei einer DC-Veranstaltung in Bellahn (Kirche) (Schulungsbrief Glaubensbewegung Deutsche Christen, Mecklenburg, Schwerin, 6/1936 - KA MrNDEN, K.AG27). Ca. Dezember 1936: Reden bei Veranstaltungen des .Bundes für Deutsches Christentum• in Essen (.Kaupenhöhe•) und Oberhausen (Stadtcafe) (P. DoHMS, Flugschriften, S. 307f.; BA ABT. POTSDAM, 51.01 RKM 23.709). Ende 1936: Predigt bei einer DC-Veranstaltung in Hagenow (Kirche) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709).
1937 1937: Sachsenfahrt: Reden in Reichenbach, Leipzig und Bautzen. Januar/ Anfang Februar 1937: Rede bei einer Veranstaltung der DC (Thüringer Richtung) in Wuppenal (EZA BEilLIN, 1/A 4/488). 14.-21.2.1937: Westfalenfahrt (Veranstalter DC Westfalen) (LK.A BrELEPELD, 5,1-305,3 und 748,2; STA MüNSTER, 1022; vgl. auch H. HüRTEN, Briefe, Bd. 2, S. 591 und G. ScHÄFER, Landeskirche, Bd. 5, S. 70, denen zufolge Müller Anfang 1937 etwa 25 Auftritte in Westfalen hane). 14.2.1937: Geplante Rede in Bünde (Stadtganen). 15.2.1937: Rede in Bad Oeynhausen (Kurhaussaal). 20.2.1937: Geplante Rede in Rahden (.Schwettmann•). Geplante Rede in Lübbecke (Bürgerpark). 21.2.1937: Rede in Minden-Pona Westfalica (.Kaiserhof•). Rede in Gütersloh (LK.A BrELEFELD, 5,1-305,3). Anfang März 1937: Geplante Rede bei einer Veranstaltung der DC (Thüringer Richtung) in Wuppenal (EZA BEilLIN, 1I A 4/488). März 1937: Reden in Bayern (H. BAJERIE. HENN, Chronologie, S. 178). 6. oder 7.3.1937: Rede in Lübeck (Kirchl. Wahldienst für Schleswig-Holstein, 17.3.1937- LK.A BIELEFELD, 5,1-17,2; K. F. REIMERS, Lübeck, S.379). 8.-11.3.1937: Westfalenfahrt.
8.3.1937: Rede in Brackwede (.Heßmann•). Rede in Bielefeld (Oetkerhalle) (LK.A BIELEPELD, 5,1-305,3 und 748,2). 9.3.1937: Geplante Rede in Lengerich. Geplante Rede in Brochterbeck. 10.3.1937: Geplante Rede in Ibbenbüren. Geplante Rede in Westerkappeln (StA MüNSTER, 1022). 11.3.1937: Rede in Westkilver (.Brüggemeier•) (LK.A BrELEFELD, 5,1-18,2).
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Geplante Rede in Herlord (.Schützenhof•) (LKA BIELEFELD, 5,1-305,3). 13.3.1937: Rede bei einer DC-Versammlung in Stuttgart (LKA NüRNBERG, KKU 12/1). 14.3.1937: Rede in Duisburg (Salvatorkirche) (AELKZ 70, 1937, Sp.414; LKA SnrrrGART, D 1/ 118). 17.3.1937: Rede: .Kirche im Volk• bzw.• Kirche und Volk'" in Hannover-Linden (Bethlehemskirche) (E. KLÜGEL, Landeskirche, S. 240; Wahldienst der Ev. Landeskirche in Wümemberg, Stuttgart, 12.4.1937- LKA SnrrrGART, D 1/118; LKA München an die Geisdichen, 8.4.1937 - LKA BIELEFELD, 5,1-18,2; Rundbrief Deppe, 28.4.1937- LKA BIELEFELD, 5,1-17,2; wörtl. NachschriEt - LKA BIELEFELD, 5,1-305,3 ). 23.3.1937: Rede bei einer Kundgebung der DC-Volkskirchenbewegung in Stuttgart (Liederhalle) (LKA SnrrrGART, D 1/118). 24.3.1937: Rede bei einer Veranstaltung des .Bundes für Deutsches Christentum• in München (fonhalle) (H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 1, S. 216; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 178; Niederschr. nach Stichwortkonz.- LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 39 und 33/5). Maii}Nni /9J7: Bayemfahrt: Reden in Ansbach, Nümberg, Selb, Coburg, Kulmbach, Marktredwitz und Münchberg (H. BAIER, Deutsche Christen, S.319f.; H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 2, S.192, 203f. und 290f.; H. 8AIERIE. HENN, Chronologie, S. 187). 4.5.1937: Rede bei einer • Wahlkampf•-Versammlung der bayerischen DC in Bayreuth (Siebenhalle) (H. BAIER, Deutsche Christen, S. 318; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S.182; vgl. auch LKA NüRNBERG, LKR V, 952 a, 1). 5.5.1937: Rede bei einer Veranstaltung des .Bundes für Deutsches Christentum•: .Kirche und Volk• in München (fonhalle) (H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 1, S. 238; H. BAI ERlE. HENN, Chronologie, S.182; LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 39 und 33/5). 6.5.1937: Rede in Ansbach (H. WITETSCHEK, Lage, Bd.2, S.183 und 192; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 182). 7.5.1937: Rede in Hof (H. BAIER, Deutsche Christen, S.319; H. WrTETSCHEK, Lage, Bd.2, S. 193; H. 8AIERIE. HENN, Chronologie, S. 182; vgl. auch LKA NüRNBERG, LKR V, 952 a, I). 10.5.1937: Geplante, dann aber staatspolizeilich verbotene .Wahlkampf•-Rede in Ludwigshafen. Rede bei • Wahlkampf•-Versammlungen in Mannheim (Ballhaus und Saal des Friedrichsparkes) (R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 297f. und 387f.; H. PRANTL, Lage, S. 183). 11.5.1937: Geplante Rede bei einer Wahlkundgebung des .Bundes für Deutsches Christentum• in Rotbenburg ob derTauber (Sporthalle) (LKA SnrrrGART, 116 d I Altreg.). 29.5.1937: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Frankenthai (Kirche) (R. BERGMANN, Documenta, Bd. 2, S. 300; H. PRANTL, Lage, S. 182f.). 30.5.1937: Rede bei einer Veranstaltung der DC-.Nationalkirchliche Bewegung•: • Was will die Kirche, und was muß heute ihre Aufgabe sein?• in Samberg (H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 2, S. 192 und 195; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 184; LKA NüRNBERG, KirchenkampfZeitungsausschnitte). 1.6.1937: Rede bei einer DC-Veranstaltung über • Volk und Kirche• in Augsburg (Ludwigsbau) (H. BAIER, Deutsche Christen, S. 319; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 184; H. WJTETSCHEK, Lage, Bd. 3, S. 132 und 137). 5.6.1937: Rede in Nennslingen (H. BAIER, Deutsche Christen, S. 319; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S.184; H. WITETSCHEK, Lage, Bd.2, S.204). 6.6.1937: Predigt in Weißenburg (Kirche) (H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 2, S. 204; H. BAIER, Deuuche Christen, S. 319). 7.6.1937: Rede in Weiden (H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S.184; W. ZIEGLER, Lage, S.143f.). 8.6.1937: Rede in Nümberg-Eibach (Kirche) (H. BAIER, Deutsche Christen, S. 319; H. BAIERI E. HENN, Chronologie, S. 185). Ca. Juli 1937: Rede in Aurich (Landwirtschaftliche Halle) (K. BEHNKEN, Deutschland-Berichte, S.1160).
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19.9.1937: Reden über die Ziele der DC in Coburg (Schloßkirche und Hofbräusaal) (H. WJTETSCHEK, Lage, Bd. 2, S. 225; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 192). 9.10.1937: Eröffnungsrede bei einer Reichstagung der DC-.Nationalkirchliche Bewegung• in Eisenach (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP [Rosenberg], Venrauliche Mitteilungen zur weltanschaulichen Lage, 22.10.1937 - KA MINDEN, KAG 6; F. ZIPFEL, Kirchenkampf, s. 432-442). 17.10.1937: Rede bei der Gaugemeinde Wümemberg-Hohenzollem im Bund für Deuuches Christentum in Schomdorf (Pfarrdienst. Beilage zum Ev. Kirchenblatt für Wümemberg, Stungan, 15.2.1938, S.156- LKA BrELEFELD, 5,1-233,1). 17.11.1937: Rede: .Der Ruf Gottes an die Deuuchen• in Erlangen (H. BAJER, Deutsche Christen, S. 326; H. BAJERIE. HENN, Chronologie, S. 196; LKA STUTrGART, D 1/118). 25.11.193 7: Geplante Rede bei einer DC-Veranstaltung in Tutdingen (.Badischer Hof• ). 26.11.1937: Geplante Rede bei einer DC-Veranstaltung in Neuenbürg (Turnhalle) (DEUTSCHER SoNNTAG, Stungan, 28.11.1937). Ende November 1937: Rede in Geislingen (AELKZ 70,1937, Sp.1125). 1.-3.12.1937: GqJIAntt Wi4rttnnbtrg{ahrt (DEUTSCHER SoNNTAG, Stungan, 28.11.1937).
1938 9.-16.1.1938: Wi4rtttmbtrg{ahrt: Reden in Calw und Backnang (Ev. KIRCHENBLATT FÜR WüRTTEMBERG, Stungan, 1938, S.28; CW 52, 1938, Sp.334). 12.1.1938: Rede in Ulm (Saalbau)(LKA STUTrGART, D 11118). 3.5.1938: Rede bei einer DC-Versammlung in Ludwigshafen (.Pfalzbau•) (H. PRANTL, Lage, s. 251). 20.-30.j.J938: Wi4rtttmbtrgfahrt: Reden in Nöningen, Tunlingen, Balingen, Blaubeuren, Göppingen, Komwestheim, Stuttgan, Öhringen, Bietigheim, Sindelfmgen, Tübingen, Schomdorf, DC-Konfirmation in Uhingen (Ev. Gemeindedienst für Wüntemberg an EOK Stuttgan, 15.6.1938- LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 112; CW 52, 1938, Sp.334). 24.5.1938: Rede in Nagold (.Traube•) (Zeitungsausschnitt LKA STUTrGART, D 11118). 27.5.1938: Rede in Crailsheim (Rittersaal) (D. Flierl, Neuendenelsau, an Meiser, Juni 1938LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 112). 30.5.1938: Rede bei einer DC-Veranstaltung: .Deutsches Volk, brich auf zur Einheit im Glauben!• in Augsburg (Ludwigsbau) (H. WJTETSCHEK, Lage, Bd. 3, S. 166; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 211; LKA NüRNBERG, Pers. XXXVI, 33/5). 17.6.1938: Reden bei DC-Veranstaltungen in Bayreuth und Bamberg (H. WJTETSCHEK, Lage, Bd. 2, S. 413 u. 290; H. BAJERIE. HENN, Chronologie, S. 213). 18.-20.6.1938: Geplante Rede bei einem Treffen der Landesgemeinde Baden der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Heidelberg (Programm: DC-Nationalkirchliche Einung, Treffen der Landesgemeinde Baden in Heidelberg- LKA DARMSTADT, 35/58). 19.6.1938: Rede bei einem Landsgemeindetag der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Stungan (Ev. KIRCHENBLATT FÜR WüRTTEMBERG, Stungan, 1938, S. 100). 4.11.1938: Taufe von Edda Göring (Haus Karinhall) (G. v. NoRDEN, Wir verwerfen, S. 152).
1939 Ca. Januar 1939: Geplanter Gonesdienst in Dresden (Kreuzkirche) (BA ABT. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 22.1.1939: Geplante Rede bei einer Amtsträgerversammlung der DC-Landesgemeinde Wüntemberg-Hohenzollem (DEUTSCHER SONNTAG, Stungan, 8.1.1939).
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24.3.1939: Geplante Rede bei einer Mitgliederversammlung der DC-.Nationalkirchliche Einung• Groß-Berlin in Berlin (Großer Saal der Neuen Welt, Hasenheide) (EZA BEilLlN, 7/ 1015). 18.6.1939: Predigt auf Einladung einer DC-Gruppe (Thüringer Richtung) in Moorburg (H. WILHELMI, Hamburger Kirche, S. 267). 10.12.1939: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Nümberg (.Deutscher Hof•) (H. BAIEil, Kirche in Not, S. 265).
1940 23.4.1940: Predigt o. Text auf Einladung der DC-.Nationalkirchliche Einung• in PEorzheim (Schloßkirche) (Kühlewein an GVR, 6.6.1940, Anlage- EZA BEilLIN, 1/A 4/26).
1941 23.2.1941: Predigt o. Text bei Gottesfeier in Berlin-Friedenau (Kirche "Zum guten Hirten•) (EZA BEilLIN, 50/251 b). 19.10.1941: Geplante Predigt bei einem Gottesdienst der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Stralsund (Nikolaikirche) (BA Au. PoTSDAM, 51.01 RKM 23.709). 21.11.-8.12.1941: Bayernfahrt (vgl. auch H. BAIEil, Kirche in Not, S. 271). 21.11.1941: Rede bei einer Veranstaltung der Nationalkirchler in Regensburg (LKA NüRNBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 23.11.1941: Rede über .Deutsche Frömmigkeit• in Hof (.Linde•) (H. WITETSCHEK, Lage, Bd. 2, S. 401-403; H. BAIEiliE. HENN, Chronologie, S. 257; Dekanat Hof an Kreisdekan Bayreuth, 10.12.1941- LKA Nü&NBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 24.11.1941: Rede bei einer DC-Versammlung in Münchberg (.Harmonie•) (LKA Nü&NBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 25.11.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Kulmbach (Spitalkirche) (H. BAIEiliE. HENN, Chronologie, S. 258; LKA NüRNBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 26.11.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung: .Deutsche Frömmigkeit, ein Vortrag über positives Christentum• in Bayreuth (LKA Nü&NBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 27.11.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Erlangen (Kleiner Kolosseumssaal) (Eao. und LKA NüRNBEilG, Pers. XXXVI, 112). 28.11.1941: Rede über .Deutsche Frömmigkeit• in Bamberg (H. WITETSCHEK, Lage, Bd.2, S. 401-403; H. BAIEiliE. HENN, Chronologie, S. 258; LKA Nü&NBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 30.11.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung: .Der neue Dom der Deutschen• in Nümberg (.Deutscher Hof•) (Bericht: Kreisdekan Nümberg an LKR München, 2.12.1941 - LKA NüRNBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). Ende November 1941: Reden bei DC-Veranstaltungen in Wunsiedel (Eao.). 2.12.1941: Rede bei einer Veranstaltung der DC-Gemeinde in Ansbach (LKA NüRNBEilG, Pers. XXXVI, 33/5). 3.12.1941: Rede bei einer Feier der DC-.Nationalk.irchliche Einung• in Gunzenhausen (Brauhaussaal) (LKA NüRNBEilG, LKR II, 246, Bd. 9). 7.12.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Coburg (Kleiner Saal des Münchener Hofbräus) (Dekanat Coburg an Kreisdekan Bayreuth, 12.12.1941- Eao.). 8.12.1941: Rede bei einer DC-Veranstaltung in München (.Bayerischer Hof•) (Kreisdekan München an LKR München, 12.12.1941 - Eao.).
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1942 Januar 1942: Müller bei der Verabschiedung von DC-PEarrer Lehnen in Mühldorf (PEarramt Mühldorf/Obb. an LKR München, 16.2.1942- Eao.; H. BAIER, Kirche in Not, S. 272). Reden bei DC-Veranstaltungen in Wasserburg und Töging (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd.9). 30.8.1942: Geplanter Vonrag in München (Finkenstraße 2) (Eao.). 31.8.1942: Nachruf bei der Beerdigung des Thüringer DC-Landesbischofs Manin Sasse in Eisenach (Manin Bonnann, Rundschreiben Nr. 139/42 an Reichsleiter, Gauleiter, Verbändeführer, 10.9.1942 [Vennerk: .Streng venraulich•], Anlage- BDC, 244, 81.159-161; P.DAHINTEN, Chronik [Ms.]; vgl. auch LKR Lehmann, Eisenach, an die PEarrer, 10.9.1942- EZA BERLIN, 50/576; E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 71; K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 481 f. und G. ScHÄFER, Landeskirche, Bd. 6, S. 1002). Anfang November 1942: .Gonesfeiern• bei Veranstaltungen der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Essen-Kupferdreh und Essen-Altstadt (EZA BER.LIN, 1/A 4/26; Kons.-präs. Düsseldorf an EOK Berlin, 24.11.1942- EZA BERLIN, 7/1015). 8.11.1942: Predigt o. Text bei einer Veranstaltung der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Mülheim/Ruhr (Paulikirche) (EZA BERLIN, 7/1015). Mine November 1942: Rede bei einer DC-Veranstaltung in Töging (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9). 27.11.1942: Feierstunde in Berlin-Spandau (K. MEIER, Kirchenkampf, Bd. 3, S. 247). 29.11.1942: Predigt o. Text bei Weihungsgonesdienst der Frauenkirche in Dresden mit OeLandesbischof Friedrich Coch (Eao., S.524; Landesbruderrat Dresden an VKL, 9.12.1942EZA BERLIN, 50/576).
1943 Anfang 1943: Geplante (nicht stangefundene) Vonragsreisen für die Thüringer DC im .Gau Bayerische Ostmark• (H. BAIER., Kirche in Not, S. 273). 28.2.1943: Rede in Augsburg (Börsensaal) (Eao., S. 273 und 453; H. BAIERIE. HENN, Chronologie, S. 265). 12.3.1943: Geplante Rede bei einer Feierstunde der DC-.Nationalkirchliche Einung• in Münchberg (LKA NüRNBER.G, LKR II, 246, Bd. 9). 29.8.1943: Feierstunde in Berlin-Spandau (Melanchthonkirche) (EZA BER.LIN, 1/C 4/1 und 7/ 1015). 13.10.1943: Rede bei einem DC-Gemeindeabend in Radebeul (Gemeindesaal der Friedenskirche) (EZA BER.LIN, 50/567C). Mine Dezember 1943: Geplante Rede bei einer DC-.Gonesfeier• in Bayreuth (Bruderhauskirche) (LKA NüRNBERG, LKR II, 246, Bd. 9).
1944 1944: Reden in Bayern (H. BAIER., Kirche in Not, S. 274f.). Anfang 1944: Zwei Reden bei DC-.Gonesfeiern• in Regensburg (Bruderhauskirche) (LKA NüRNBER.G, LKR II, 246, Bd. 9). 14.7.1944: Geplante Rede: .Die Religionskrise unserer Zeit• in Prag (Universität) (BA ABT. POTSDAM, 51.01 RKM 23.709).
KAPITEL6
ZUSAMMENFASSUNG
Im ersten Kapitel wurde gezeigt, wie stark der junge Ludwig Müller durch die Erweckungsbewegung seiner Heimat Minden-Ravensberg geprägt wurde, und zwar sowohl in der Familie als auch in der Schule als auch während der praktischen Phase seiner Ausbildung als auch in seinem ersten - und einzigen - Gemeindepfarramt. Die starre, enge Frömmigkeit der Erweckungsbewegung scheint Müller freilich nicht ungebrochen übernommen zu haben, vielmehr gibt es einige Hinweise dafür, daß er schon frühzeitig Zweifel an einzelnen fundamentalistischen biblischen Aussagen hatte, mit denen er konfrontiert wurde, und daß er die große Sittenstrenge der Erweckungsbewegung, die im übrigen auch nicht zu seinem Lebensstil paßte, mitunter als bedrückend und einengend empfand. Solche Vorbehalte und Bedenken müssen zweifellos vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Erweckungsbewegung allgemein gegen Ende des 19.Jahrhunderts ihre Bedeutung auf Grund der fortschreitenden "Entzauberung der Welt" (Max Weber) im Gefolge der technisch-industriellen Revolution und der Auflösung der überkommenen Sozialstrukturen einbüßte. Eine gewisse Distanzierung und Skepsis gegenüber der erweckten Frömmigkeit der älteren Generation scheint wohl für Müllers Generation durchaus typisch gewesen zu sein. Diese Distanzierung war bei Müller allerdings nicht so groß, daß er den Boden der Erweckungsbewegung gänzlich verlassen hätte. Zur Skepsis gegenüber dem Alten gesellte sich noch nicht das Suchen nach etwas Neuem; die bewahrende Kraft der Tradition war offenbar noch zu stark. Hieran änderte auch das Theologiestudium nichts, das Müller die Möglichkeit eröffnete, neben der Erweckungsfrömmigkeit - die auch an den Fakultäten, die er besuchte, Einzug gehalten hatte, dort aber nicht mehr allein dominierend war- andere theologische Entwürfe kennenzulernen und seine theologische Position zu reflektieren, neu zu fundieren oder zu revidieren. Zwar mag das Studium, etwa durch das Kennenlernen des theologischen Liberalismus, zu einer weiteren Erschütterung der erweckten Frömmigkeitsvorstellungen bei Müller beigetragen haben, die Bereitschaft zu einer konstruktiven - wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Theologie war bei ihm jedoch wohl kaum vorhanden. Vielmehr scheint er im Gegenteil eine gewisse Theoriefeindlichkeit entwickelt zu haben, wie sie der Haltung vieler
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erweckter Pietisten entsprach. Er blieb der religiösen Vorstellungswelt der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung also auch nach seinem Studium weithin verhaftet, wenngleich er ihr wohl auch nicht mit der Begeisterung und Kritiklosigkeit anhing wie seine Eltern und Lehrer. Zwar wandte er sich später, in den 30er Jahren, eindeutig von der Erwekkungsbewegung ab, in mehrfacher Hinsicht blieb die Erweckungsbewegung jedoch auch dann noch prägend für ihn: - Die erweckt-pietistische Frömmigkeit diente ihm später bei der Entwicklung und Artikulierung neuer weltanschaulich-religiöser Vorstellungen als eine Negativfolie. Seine eigene religiöse Sozialisation sah er als typisch an. - Er betonte stets stark das individuelle religiöse Gefühl, wie es erwecklieber Praxis entspricht. - Er beherrschte eine frömmelnde Art und Sprache und machte hiervon auch noch in späteren Jahren Gebrauch. Noch 1936 kam er mit einer Rede vor Gemeinschaftskreisen gut an. - Die nationalsozialistische Bewegung hielt Müller für eine neue Erwekkungsbewegung. - Die für Müllers Denken stets kennzeichnende enge Verbindung von Politik und Religion sowie seine antisemitische Einstellung haben ihre Wurzeln in der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung. Anders als die religiöse Seite übernahm Müller die politische Seite der Erweckungsbewegung offenbar ungebrochen. Im Gegensatz zu den religiösen Vorstellungen war das national-konservative, obrigkeitsstaatlich-monarchistische Gedankengut der Erweckungsbewegung anscheinend nach wie vor attraktiv, auch für Müller und seine Generation. Ja mehr noch, die ehrgeizigen imperialistischen Pläne des jungen Wilhelm, die ihren Ausdruck in der gigantischen Aufrüstung der Flotte fanden, der äußerliche Glanz des "Wilhelminischen Zeitalters" übten offenbar gerade auf große Teile der jungen Generation - zumindest aus den bürgerlichen Schichten und dem ländlich-protestantischen Raum- eine große Faszination aus. Die nachlassende Attraktivität der Erweckungsbewegung in religiöser Hinsicht scheint durch die wachsende Attraktivität der politischen Vorstellungen der Erwekkungsbewegung kompensiert worden zu sein, was notwendig zu einer Gewichtsverschiebung zugunsten des Politischen und zuungunsten des Religiösen führen mußte. Eine solche Gewichtsverschiebung fand zumindest bei Müller wohl zweifellos statt. Zwar ist die Quellengrundlage für die Zeit vor 1918 äußerst dünn, jedoch ist die völlige Dominanz des Politischen bei Müller für die Zeit der Weimarer Republik eindeutig nachweisbar, und es gibt Indizien dafür, daß sich diese Haltung bei Müller schon seit längerem entwickelt hatte. Die allgemein festzustellende Politisierung dürfte bei Müller noch in besonders starkem Maße gefördert worden sein durch sein Engagement im stark politisierten - Verein deutscher Studenten sowie später durch die
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direkte Erfahrung des Weltkrieges, das ebenfalls unmittelbare Erlebnis der revolutionären Wirren in Deutschland nach dem Zusammenbruch 1918 sowie durch seine Tätigkeit als Militärseelsorger. Während seines Gemeindepfarramtes erfreute Müller sich wegen seiner weltlichen Offenheit offenbar relativ großer Beliebtheit. Auch scheint er damals schon - vor dem Ersten Weltkrieg - als Redner jene Ausstrahlung gehabt zu haben, die bei einem Großteil der Zuhörer sehr gut ankam, ohne daß der Inhalt der Reden besonders anspruchsvoll und geistreich gewesen wäre. Diese rhetorische Begabung erklärt zu einem gewissen Teil den Aufstieg Müllers mit; Reden-Halten wurde in zunehmendem Maße seine Hauptbeschäftigung, ab 1934 tat er praktisch kaum etwas anderes. Während er mit seinem Amtsbruder wegen dessen konservativer religiöserwecklieber Einstellung in Konflikt geriet, unterstützte er diesen in seinem politischen Kampfe gegen die Sozialdemokratie. Als Müller im Frühjahr 1914 Marinepfarrer wurde, ging in gewisser Weise, mit Verspätung, sein eigentlicher Berufswunsch, Marineoffizier zu werden, in Erfüllung, den er zunächst unter dem Einfluß seiner erwecklieh-frommen Familie, für die nur der Pfarrerberuf für den ältesten Sohn in Frage kam, hatte aufgeben müssen. Von der nationalistischen Kriegsbegeisterung des August 1914 angesteckt, erlebte er den Krieg sehr eindrücklich an Kriegsschauplätzen in Flandern und -fernab der Heimat- in der Türkei. Trotz der Erfahrung der Grausamkeit des Krieges hielt die nationalistische Kriegsbegeisterung offenbar unvermindert an, und so korrespondiert mit der Hochstimmung des August 1914 das traumatische Erlebnis des November 1918, das noch dadurch verstärkt worden war, daß Müller von den innenpolitischen Zuständen in Deutschland nichts mitbekommen hane und während der Flucht aus der Türkei durch die Ukraine den Bürgerkrieg der Bolschewisten miterlebte. Verunsichert durch die revolutionären Wirren im Nachkriegsdeutschland und durch die ungewisse berufliche Zukunft der Militärpfarrer, versuchte Müller 1919, aus rein opportunistischen Motiven mit linken aufständischen Matrosen zu kollaborieren. Als Marineoberpfarrer in Wilhelmshaven (1920 bis 1926) und als Wehrkreispfarrer in Königsberg (1926 bis 1933) widmete er sich wohl vor allem einer intensiven Vortrags- und Redetätigkeit, im Rahmen seines Dienstes, aber auch privat. Bei Kriegervereinen und nationalistischen Organisationen war er offenbar- über Wilhelmshaven und Königsberg hinaus -ein beliebter politischer Redner. Der militaristische, revanchistische, nationalistische, reaktionär-antirepublikanische Inhalt der Reden wurde von der linken Presse z. T. heftig kritisiert. Auch die sozialdemokratisch geführte preußische Staatsregierung nahm Anstoß. Müller war aktives Mitglied rechter, nationalistischer Organisationen; an
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der Gründung der ,.Stahlhelm"-Onsgruppe Wilhelmshaven war er beteiligt. Der von ihm 1926 und 1927 herausgegebene ,.Marine-Kalender", in dem das Kriegserlebnis beschworen wurde, war eine Plattform für nationalistisches Gedankengut. Die Garnisonkirche in Wilhelmshaven gestaltete er zu einer ,.Ruhmeshalle der kaiserlichen Marine" um. Müllers politische Einstellung war für seine Herkunft, seine Zeit und seine Stellung als Militärpfarrer weithin geradezu idealtypisch. Er repräsentierte sozusagen mustergültig den ,.Nationalprotestantismus", die ,.Kriegstheologie", die konservativ-nationale Einstellung des überwiegenden Teils des kirchlich gebundenen Protestantismus in der Weimarer Republik, den ,.Pastorennationalismus". Sein Name stand für Formeln wie ..Thron und Altar", ,.Mit Gott für Kaiser und Vaterland", .. Volk und Altar". Bei Müllers politischer Einstellung wiederum typisch war, daß bei ihm das Politische in zunehmendem Maße über das Religiöse fast völlig dominierte. Was den religiösen ,.Rest" anbetrifft, so blieb er der Frömmigkeit der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung rudimentär verhaftet. Hinzu kamen- abermals typisch für seine politische Haltung- ein stark akzentuierter praktischer Moralismus und eine allgemeine, wenig konkrete Kritik des kirchlichen ,.Dogmatismus". Müllers Hinwendung zu den Nationalsozialisten war zwar sicherlich weder zwangsnotwendig noch allgemeintypisch, jedoch war bei ihm die allgemein zu beobachtende Disposition für die radikalen Ideen der Nationalsozialisten ohne Zweifel besonders groß, nicht zuletzt wegen der großen Entschiedenheit und Leidenschaftlichkeit, mit der er vor seiner NS-Orientierung die für seinen ,.Stand" typischen deutschnationalen politischen Überzeugungen vertrat, die im übrigen in mancher Hinsicht mit denen der Nationalsozialisten verwandt, wenn auch weniger radikal waren. Bei seiner Hinwendung zu den Nationalsozialisten waren spezifische Lebensumstände, besonders auch die geopolitische Situation Ostpreußens, mit entscheidend. Auf Grund seiner gesellschaftlichen Gewandtheit und begünstigt durch die Tatsache, daß seine Frau aus einer wohlhabenden Familie stammte, hatte Müller in Ostpreußen- wie schon in Wilhelmshaven- Zugang zu führenden, sozial hochstehenden Kreisen- ein Umstand, der für die Nationalsozialisten nützlich sein konnte. 1927 kam es im Hause Müllers vermutlich zu einem geheimen Treffen Hitlers mit rechts-konservativen einflußreichen Persönlichkeiten der Provinz. In Ostpreußen waren auf Grund der ,.Insellage" die Berührungsängste im Hinblick auf die Nationalsozialisten geringer als anderswo, so nachweislich beim ,.Stahlhelm"- dem Müller ja angehörte- und auch bei Teilen der evangelischen Kirche. Die persönliche Bekanntschaft mit Adolf Hitler, der Müller sofort für sich gewann, war der Schlüssel zu Müllers späterer Karriere. Von größter Bedeutung war für die Nationalsozialisten die Möglichkeit,
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über Müller in der Reichswehr Fuß zu fassen. Der ostpreußische "Grenzschutz" war ein Feld, auf dem SA und Reichswehr zusammenarbeiten konnten. Die vermeintliche große Bedrohung der ostpreußischen Enklave und die Sorge um die Stärkung der "Wehrkraft" relativierten ideologische Differenzen. Müller hat die Zusammenarbeit von SA und Reichswehr entscheidend gefördert. Mehr und mehr geriet er, wie verschiedentlich nachweisbar, in die Rolle des Vermittlers zwischen SA, NSDAP und auch Hitler persönlich einerseits und Reichswehr andererseits. Unter den Offizieren des Wehrkreises warb er erfolgreich für Hitler, u. a. den Wehrkreisbefehlshaber Werner von Blomberg, den späteren Reichswehrminister Hitlers. Müller hatten es die Nationalsozialisten wesentlich mit zu verdanken, daß der für die "Machtergreifung" entscheidende ,.Einbruch" in die bis dahin den Nationalsozialisten recht distanziert gegenüberstehende Reichswehr gelang. Auch auf dem Gebiet der Kirchenpolitik engagierte Müller sich frühzeitig im Sinne der Nationalsozialisten. Anders als später vielfach behauptet, war er offenbar von Anfang an bei der Gründung der Deutschen Christen auf Reichsebene maßgeblich beteiligt. Eventuell strebte er sogar von Anfang an das Amt des Reichsleiters an, konnte sich aber zunächst nicht gegen Joachim Hossenfelder durchsetzen, der auch später noch Müllers schärfster Konkurrent blieb. Während Hossenfelder ein radikaler nationalsozialistischer ,.Kämpfertyp" war, der auch von der NS-Ideologie überzeugt war und sich um ein Eindringen dieser Ideologie in den Bereich der kirchlichen Lehre bemühte, war bei dem um eine Generation älteren, eher konservativ-nationalistischen, aus der Erweckungsbewegung stammenden Müller - wie bei den meisten anderen nationalsozialistisch orientierten Pfarrern auch- die Hinwendung zu den Nationalsozialisten nicht gleich mit einer Identifizierung mit der nationalsozialistischen "Blut- und Boden-Ideologie" und einer Vermischung dieser Ideologie mit christlicher Theologie verbunden. Vielmehr erschöpfte sich sein Engagement für den Nationalsozialismus offensichtlich - neben seiner Vermittlertätigkeit- in rein politischer Agitation und HitlerBegeisterung sowie in dem rein kirchenpolitischen Einsatz für eine den allgemeinen Zentralisierungsbestrebungen der Nazis entsprechende einheitliche evangelische Reichskirche und für die kirchenpolitische "Machtergreifung" der Deutschen Christen. Mit dem von ihm mit gegründeten und geführten ostpreußischen Landesverband der Deutschen Christen steuerte Müller einen eigenen, vergleichsweise gemäßigten Kurs. Daß Hitler im April1933 ausgerechnet Müller zu seinem ,.Bevollmächtigten für die Fragen der evangelischen Kirche" ernannte, hatte folgende Gründe: - Hitler war Müller dankbar dafür, daß dieser den Nationalsozialisten den für die "Machtergreifung" notwendigen "Einbruch" in die Reichswehr mit ermöglicht hatte.
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- Müller hatte Kompetenz bewiesen, im Sinne der Nationalsozialisten z. T. schwierige und geheime Verhandlungen zu führen, zu vermitteln und für Hitler zu werben. - Ebenso hatte Müller auf kirchenpolitischem Gebiet Kompetenz im Sinne der Nationalsozialisten bewiesen. - An der Loyalität Müllers, der vermutlich der einzige evangelische Pfarrer war, den Hider seit längerem näher kannte und der seit 1931 auch Paneimitglied war, konnte kein Zweifel bestehen. - Müller verfügte über gesellschaftliche Verbindungen und eine gewisse Ausstrahlung. - Anders als etwa bei Hossenfelder war bei Müller zu erwanen, daß er wegen seiner vergleichsweise konservativen Einstellung und seiner erwecklich-frommen Herkunft in weiten kirchlichen Kreisen auf Akzeptanz stoßen würde. Dies war deswegen wichtig, weil Hitler während der Konsolidierungsphase seiner Herrschaft eine Konfrontation mit den Kirchen und den Gläubigen vermeiden wollte. Das Jahr 1933 stand bei Müller ganz im Zeichen der Kirchenpolitik, konkret: des Engagements für eine von den Deutschen Christen kontrollierte zentralistische evangelische Reichskirche. Dies entsprach den hauptsächlichen Bemühungen Müllers unmittelbar vor der "Machtergreifung" Hitlers sowie auch den wenig konkreten Plänen der Nationalsozialisten im Hinblick auf den deutschen Protestantismus -im Rahmen der allgemeinen Gleichschaltungsbestrebungen - bzw. den Plänen der Deutschen Christen (s.o.). Hinzu kamen bei Müller persönliche Ambitionen, im Bereich der evangelischen Kirche an die Macht zu gelangen. Müller ging es zunächst um rein organisatorische Fragen, den Zusammenschluß der einzelnen Landeskirchen, die Besetzung der kirchenleitenden Funktionen mit Deutschen Christen und den persönlichen Machtkampf um die - neu zu schaffende - Führungsposition im gesamtdeutschen Protestantismus. Die angestrebte "Gleichschaltung" stieß im Falle des deutschen Protestantismus freilich wegen der konfessionellen Unterschiede sofon auf inhaltliche Probleme. Müller scheint diese Problematik frühzeitig erkannt zu haben. Er fordene entsprechend den vermutlich von ihm mit formulienen Richtlinien der ostpreußischen Deutschen Christen die "Weiterbildung des Bekenntnisses" auf der Grundlage des "Bekenntnisstandes der Reformation", was auf die Schaffung eines Unionsbekenntnisses hinauslaufen mußte, das gleichzeitig noch im Sinne der politischen Rechten "moderne Irrlehren", wie "Materialismus", Bolschewismus und Pazifismus, verdammen sollte. Diese Forderung ist zum einen einzuordnen in den großen Strom der Unionsbestrebungen seit Anfang des 19.Jahrhunderts, zum anderen in die "große Bekenntnisbewegung" Anfang der dreißiger Jahre, die auch den Beifall des Mitinitiators des Altonaer Bekenntnisses Hans Asmussen für Müllers Akzentuierung des
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Bekenntnisses erklän. Während es jedoch den Verfassern der "Bekenntnisse" von Altona, Bethel, Barmen etc. um eine Rückbesinnung auf das Proprium christlicher Theologie ging, war Müllers Betonung des Bekennens taktisches Mittel zur inneren Ermöglichung der Reichskirche und Ausdruck einer indifferenten Haltung gegenüber den kirchlichen Lehren und Dogmen. Die im Vergleich zu den aktuellen politischen Herausforderungen mehr und mehr als sekundär und überholt empfundenen dogmatischen Fragen sowie die auf dogmatischen Differenzen beruhende konfessionelle Trennung, die wegen des Strebens nach nationaler Einheitlichkeit seit längerem als Ärgernis empfunden wurde, sollten unter keinen Umständen den nationalsozialistischen bzw. deutsch-christlichen Zentralisierungs- und "Gleichschaltungs"Plänen im Hinblick auf den deutschen Protestantismus im Wege stehen. Das theologische oder religiöse Wollen der Deutschen Christen zu explizieren, hielt Müller, wie große Teile der Deutschen Christen, für überflüssig und unangebracht bzw. sogar für kirchenpolitisch schädlich. Auf Grund seines vergleichsweise moderaten Auftretens, seiner relativ konservativen, kirchlich-frommen Einstellung und nicht zuletzt auf Grund seiner Nähe zu Hitler erfreute Müller sich nach seinem Hervonreten an die Öffentlichkeit zunächst in weiten kirchlichen Kreisen recht großer Beliebtheit. Dies muß betont werden, weil später viele von denen, die Müller zunächst unterstützten oder doch zumindest an seiner Integrität nicht zweifelten, Müllers Persönlichkeit einer geradezu vernichtenden Kritik unterzogen. So stand z. B. der wüntembergische Landesbischof Theophil Wurm anfänglich voll auf Müllers Seite, und so gewannen z. B. Müllers Konkurrent um das Reichsbischofsamt Friedrich von Bodelschwingh und vor allem der reformiene Bevollmächtigte des Kirchenbundes Hermann Alben Hesse zunächst einen guten Eindruck von Müller. Seine höchst mangelhafte theologische Kompetenz, die u. a. auch Bodelschwingh und Hesse gleich bemerkten, konnte Müller dadurch ausgleichen, daß es ihm gelang, namhafte Universitätstheologen (u. a. Karl Fezer und Emanuel Hirsch) für einen persönlichen Beraterkreis zu gewinnen. Müller verstand es, sich etwa durch die Ausarbeitung neuer gemäßigterer DC-Richtlinien klar von der radikalen DC-Reichsleitung um Hassenfelder abzugrenzen und dadurch Yenrauen zu erlangen. Die Teilnahme Müllers als Hitlers Bevollmächtigter an den Beratungen der kirchlichen Bevollmächtigten über eine Neuordnung des deutschen Protestantismus wurde offenbar mehr oder weniger als selbstverständlich erachtet, auch wenn er nicht an allen Beratungen teilnahm. Müller zeigte einerseits Kompromißbereitschaft: Auf Grund des Widerstandes der kirchlichen Bevollmächtigten verabschiedete er sich von seiner Forderung nach einer "Weiterbildung des Bekenntnisses" zur inneren Ermöglichung der angestrebten evangelischen Reichskirche und ließ die neuen DC-Richtlinien nach den Vorschlägen der kirchlichen Bevollmächtigten ändern. Daß Müller andererseits auf einer staatlichen Mitwirkung bei der geplanten Schaffung einer
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reichskirchlichen Verfassung beharne und, nachdem er dies nicht erreichen konnte, zumindest auf einer Unterredung mit Hitler vor der Einigung über die Person des zukünftigen Reichsbischofs bestand, läßt darauf schließen, daß Müller das neue Reichsbischofsamt frühzeitig selbst anstrebte und lediglich in anderen Fragen zu Zugeständnissen bereit war. Die Wahl Bodelschwinghs zum Reichsbischof durch die Vertreter der Landeskirchen Ende Mai 1933 machte Müllers Hoffnungen auf dieses Amt vorerst zunichte. Allerdings hatte sich gezeigt, daß er vor allem in den Reihen der lutherischen Bischöfe über Sympathisanten verfügte. Müller, der das Angebot Bodelschwinghs, "Wehrbischof" zu werden, ablehnte, gab seine kompromißbereite Haltung auf und arrangiene sich notgedrungen mit der radikalen DC-Reichsleitung um Hossenfelder. Er selbst führte den Kampf gegen Bodelschwingh auf drei Ebenen: - Durch Reden vor großem Publikum versuchte er, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Bodelschwingh und die Kirchenvertreter unter Druck zu setzen. Dank seiner Beziehungen wurde er dabei- anders als Bodelschwingh - von den Medien unterstützt. - Als Bevollmächtigter des Reichskanzlers sorgte er dafür, daß Bodelschwingh die staatliche Anerkennung versagt blieb. Eine Intrige der Kamarilla des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zugunsten Müllers verhinderte zudem eine öffentliche Bestätigung Bodelschwinghs durch Hindenburg. Ferner forderte Müller, der Bodelschwinghs Nominierung durch Rechtsgutachten anfechten ließ, auch im Namen der Reichsregierung allgemeine Kirchenwahlen, die Hassenfelder schon seit längerem gefordert hatte und für die sich nunmehr offenbar vor allem das um einen Legitimitätskurs bemühte Reichsinnenministerium einsetzte. - "Hinter den Kulissen" versuchte Müller, die lutherischen Bischöfe für sich zu gewinnen. Nach der Einsetzung August Jägers als Staatskommissar für die altpreußische Unionskirche, über die Müller wohl zumindest vorher informien war, und dem dadurch bewirkten Rücktritt Bodelschwinghs ~.aben die Lutheraner Müller "Rückendeckung" für dessen putschanige Ubernahme der Leitung des Kirchenbundes am 28. Juni. Auf staatlichen Druck wurde Anfang Juli rasch die Verfassung fertiggestellt. Bei den Verfassungsberatungen, an denen u. a. die kirchlichen Bevollmächtigten und der bayerische Landesbischof Hans Meiser teilnahmen, überließ Müller die inhaltliche Argumentation fast ausschließlich Jäger und dem Kirchenrechder Johannes Heckel, er selbst achtete darauf, daß der mit der Regierung abgestimmte Zeitplan eingehalten wurde, und bemühte sich, durch Beschwichtigungen und Versprechungen, aber auch Drohungen aufkommende Bedenken an dem nach dem "Führerprinzip" konzipienen Verfassungsentwurf zu zerstreuen. Die staatlich angeordneten allgemeinen Kirchenwahlen am 23. Juli brachten, nach einer Art "Wahlkampf" Müllers, bei dem er massiv duch die
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Nationalsozialisten unterstützt wurde, einen überwältigenden Wahlsieg der Deutschen Christen. Müllers Wahl zum Reichsbischof am 27. September war nur mehr eine Formsache. Am 4. August war er bereits zum preußischen Landesbischof gewählt worden. Auf den ,.theologischen Erwartungsdruck" weiter kirchlicher Kreise reagierte Müller als preußischer Landesbischof und deutscher Reichsbischof und auch bereits als Anwärter auf diese Ämter, indem er- vermutlich unter Rückgriff auf die Rudimente seiner erweckt-pietistischen Frömmigkeit biblische und kirchlich traditionelle Allgemeinplätze vertrat, die seinen Gegnern keine Angriffsflächen boten, sondern sogar z. T. noch Vertrauen schufen. Müller trug solche Gedanken allerdings stets nur sehr formelhaft vor, so daß kein bestimmtes theologisches Profil, allenfalls ein ganz allgemein biblisch-reformatorisches, sichtbar wurde. Die theologischen Äußerungen Müllers scheinen mehr taktischen Erwägungen als innerer Überzeugung entsprungen zu sein, zumindest lag hier ganz offensichtlich nicht das eigentliche Interesse Müllers. Von nationalsozialistischer Seite aus schien das Festhalten an und Wiederholen von traditionellen kirchlichen Formeln gedeckt zu sein durch Hitlers religiöse Grundentscheidung, keine völkisch-religiösen Experimente zu wagen, sowie durch den während der Konsolidierungsphase der nationalsozialistischen Herrschaft von Hitler ausgerufenen ,. Vertrauensfeldzug" (Klaus Scholder) gegen die Kirchen, zu dem auch ein betont kirchliches Auftreten und Gehabe von führenden Nationalsozialisten, einschließlich Hitler, gehörten. Müller konnte bzw. mußte - wie viele andere damals - annehmen, daß die Nationalsozialisten an einer Antastung der kirchlichen Lehren grundsätzlich nicht interessiert waren, ja daß sie sich sogar zu den traditionellen Grundlagen des Christentums bekannten und daß das spezifisch Nationalsozialistische sich im kirchen- bzw. religionspolitischen Bereich ausschließlich aufFragen der äußeren Ordnung und personelle Fragen sowie auf eine Betonung der Tat und eine Relativierung der dogmatischen Fragen zugunsten religiös verklärter Gemeinschaftsgefühle zu beschränken hatte. Diese Annahmen waren Grundlage und Ziel von Müllers Denken und Handeln 1933. Kurt Meier hat solche nicht nur bei Müller, sondern bei den Deutschen Christen damals häufig anzutreffenden Bemühungen einer ,.möglichst weitgehenden Einordnung christlicher und kirchlicher Existenz in die vom NSSystem bestimmten politisch-weltanschaulichen Strukturen", ohne die Erfordernis ,. wesentliche[ r] Veränderungen traditioneller theologischer Denkmodelle", in Abgrenzung zu anderen deutsch-christlichen Bestrebungen als ,.Koordinierungsversuche von NS-Totalitätsanspruch und Christentum" bezeichnet 1• 1
K. MEIER, NS-Staat, S. 75.
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Die Amtsführung des in Kirchenleitungsfragen unerfahrenen Müller kann als recht dilettantisch und konzeptionslos charakterisiert werden. Er zeigte so gut wie keine Initiative und Richtlinienkompetenz, liebte es dagegen sehr zu repräsentieren. Schon Ende 1933 ergaben sich für Müller auf allen Seiten Schwierigkeiten. Nachdem er, um die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu beenden, die kirchenpolitische Neutralität der Reichskirchenregierung verkündet hatte, beendeten Partei und Staat ihre direkte, offene Unterstützung für die Deutschen Christen und zogen sich wieder auf eine konfessionell-religiöse Neutralitätsposition zurück. Dies rief nicht nur Kritik von Seiten der radikalen Deutschen Christen an Müllers Vermittlungskurs hervor, sondern ermutigte und bestärkte auch die von Anfang an vorhandene nicht-deutschchristliche innerkirchliche Opposition sowie die außerkirchliche Opposition völkisch-religiöser Gruppierungen. Die DC-"Sportpalastkundgebung" im November 1933 war nicht nur der Anfang vom Ende der unter Müllers "Schirmherrschaft" stehenden Bewegung der Deutschen Christen, sondern diskreditierte auch auf Grund der dort vorgetragenen radikalen inhaltlichen religiösen Forderungen die Bemühungen Müllers, Kirchenpolitik und Theologie voneinander zu trennen und den theologischen Bereich, die reformatorischen "Bekenntnisse", unangetastet zu lassen, wie er es zumindest öffentlich immer wieder bekundete. Auf Grund seines "Zickzackkurses" nach der "Sportpalastkundgebung" geriet Müller schließlich vollends zwischen alle Stühle. Ein besonderer Schock muß es dabei für Müller gewesen sein, daß der im Rufe des NSDAP-"Chefideologen" stehende Alfred Rosenberg aus Protest gegen Müllers Verurteilung der auf der "Sportpalastkundgebung" erhobenen radikalen Forderungen aus der evangelischen Kirche austrat. Nicht-deutsch-christliche Kreise hielten Müllers Reaktion auf die "Sportpalastkundgebung" demgegenüber für völlig unzureichend. Die "Sportpalastkundgebung" und ihre Folgen bewirkten - nach einigem Zaudern und Lavieren- bei Müller eine völlige Wende in kirchenpolitischer und theologischer Hinsicht. Die Auffassung Müllers, man könne Kirchenpolitik und Theologie strikt voneinander trennen, war ohnehin von vornherein illusorisch gewesen. Zu Recht hatte die kirchliche Opposition darauf verwiesen, daß etwa die Bemühungen um Einführung des "Arierparagraphen" in der Kirche die Fundamente der christlich-reformatorischen Lehre erschütterten und nicht nur, wie Müller meinte, die äußere Ordnung betrafen. Nach den von Kurt Meier aufgestellten Kategorien gab Müller den Versuch einer "Koordinierung" von Nationalsozialismus und Christentum bei grundsätzlicher Wahrung der organisatorischen Selbständigkeit der Kirche und bei weitgehendem Verzicht auf weltanschauliche Verfremdung des Evangeliums auf und wandte sich der Konzeption einer völligen Integration
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sowohl der Kirchenverwaltung in die staatliche Administration als auch der christlichen Lehre in die nationalsozialistische Weltanschauung und später sogar der Konzeption einer ,.Harmonisierung" bzw. ,.Unifizierung" von Christentum und Nationalsozialismus zu, was natürlich nicht ohne völlige Verbiegung der christlichen Lehre geschehen konnte 2 • Der Kurswechsel Müllers geschah unter dem Einfluß seiner engen Berater, des deutsch-christlichen rheinischen Provinzialbischofs Heinrich Oberheid und August Jägers. Jäger konnte Müller offenbar kurz vor Weihnachten bei einer Zecherei endgültig auf das neue Konzept festlegen. Gemeinsam mit Oberheid und Jäger installiene Müller nach dem Auseinanderbrechen seines ersten und einzigen funktionsfähigen ,.Reichskirchenkabinetts" Ende 1933 eine regelrechte Reichsbischofsdiktatur zur Durchsetzung des neuen Programmes. Der erste Schritt auf dem Wege der Verwirklichung der neuen Konzeption war die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend durch Müller und Schirach am 19. Dezember 1933. Müller hatte die Bevollmächtigung der ,.Führer" der evangelischen Jugend mißbraucht, die freilich nicht ganz so arglos gewesen sein können, wie später vorgegeben, da Müller die Eingliederung seit längerem relativ offen angekündigt hatte. Auf die wachsende Kritik an seinen Maßnahmen reagiene Müller einerseits - in direkten Verhandlungen - mit Beschwichtigungen und später nicht eingelösten Versprechungen und Zugeständnissen, andererseits mit Häne (,.Maulkorberlaß"). Er selbst, psychisch labil, flüchtete häufig offenbar geradezu in die Krankheit. Der Kanzlerempfang sowohl oppositioneller als auch Müller gegenüber loyaler Kirchenvenreter im Januar 1934 brachte eine völlige Niederlage der Opposition. Mit Hilfe seiner Beziehungen zu Hermann Göring hatte Müller die Intrige gegen Manin Niemöller, die das Scheitern der Opposition herbeifühne, offenbar mit vorbereitet. Ausgestattet mit der neuerlichen Bestätigung durch Hitler intensivienen Müller und seine Ratgeber ihre Bemühungen um die Verwirklichung des neuen Kurses. Vor allem wurden jetzt die einzelnen Landeskirchen mit der Reichskirche völlig gleichgeschaltet. Müller selbst zog sich allerdings ab 1934 immer mehr von der aktiven Kirchenpolitik zurück - mit administrativen Aufgaben kam er ja offenkundig auch nicht zurecht- und wandte sich religiösen Fragen zu. Bereits im Herbst 1933 hatte er eine großangelegte,. Volksmission" stanen wollen, was durch die kirchenpolitischen Wirren jedoch vereitelt worden war. Er war zu der Erkenntnis gelangt, daß der Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten nicht vor der kirchlichen Lehre haltmachen dürfe, daß die Kirche erst dann wirklich ,.in den Griff" zu bekommen war, wenn man sozusagen an die 2
Eao., S. 75-78.
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Substanz ging. Den berühmten Appell von Karl Barth, das Gebiet der Kirchenpolitik zu verlassen und sich statt dessen wieder ganz auf die "Sache" zu konzentrieren 3 , befolgte also auf seine Weise und mit Verspätung gewissermaßen auch Müller, wenngleich seine Motive und seine Auffassung von der "Sache" natürlich grundverschieden von denjenigen Barths waren. Aber nicht nur die bekenntniskirchliche Opposition, sondern auch die Gegner Müllers auf Seiten der radikalen Deutschen Christen und der völkischreligiösen Gruppierungen hatten den Kampfplatz auf eine andere Ebene, das Feld der theologischen bzw. religiös-weltanschaulichen Inhalte, verlagert. Müller nahm nunmehr den Kampf auf dem neuen Felde wieder auf. Natürlich hängt das zunehmende Desinteresse Müllers an der Kirchenpolitik auch damit zusammen, daß nach der neuen Konzeption für die Kirche auf diesem Gebiet keine Tätigkeitsmöglichkeit mehr blieb. Wie schon erwähnt, widmete Müller sich ab 1934 fast ausschließlich einer intensiven Vortrags- und Redetätigkeit und reiste zu diesem Zwecke durch ganz Deutschland. Der Inhalt der Reden zeichnet sich durch eine geradezu erstaunliche Trivialität aus. Einerseits wiederholte er - offenbar aus rein taktischen Gründen- traditionelle kirchliche und biblische Positionen, allerdings stets wieder nur sehr formelhaft. Andererseits äußerte er in zunehmendem Maße "unkonventionelle" Gedanken, mit denen er den Boden christlicher Theologie eindeutig verließ. Nach seiner "Kaltstellung" im Herbst 1935 gab er die traditionellen Formeln fast völlig auf und äußerte nur noch die neuartigen religiösen Gedanken, die er seit seiner "Wende" Ende 1933/ Anfang 1934 konsequent und geradlinig weiterentwickelt hatte (s. u.). Die vor allem von Jäger durchgeführte rechtsbrecherische und gewaltsame Eingliederungspolitik scheiterte auf Grund des starken Widerstandes im Herbst 1935. Z. T. waren erfolgreich rechtliche Schritte gegen diese Politik unternommen worden. Die in- und ausländischen Proteste ließen den NSStaat um seine Reputation bangen, so daß Jäger, den Müller zu seinem "Rechtswalter" ernannt hatte, zurücktreten mußte. Müller versuchte, seine eigene Position zu retten, indem er sich darum bemühte, den alten Rechtszustand vom Sommer und Herbst 1933 wiederherzustellen, scheiterte damit aber, da er sein Vertrauen in kirchlichen Kreisen bereits endgültig verspielt hatte und da vor allem das Reichsinnenministerium, das Müller bereits seit längerem kritisch gegenüberstand, obstruierte. Durch die Einsetzung des - staatlichen - Reichskirchenministers Hanns Kerrl und der Kirchenausschüsse im Herbst 1935 wurde Müller als Landesund Reichsbischof faktisch völlig entmachtet. Die fehlende verfassungsrechtliche Grundlage für eine Absetzung und die Unnachgiebigkeit Müllers verhinderten allerdings, daß Müller auch seinen Titel und sein Gehalt verlor. 3
K. BARTH, Theologische Existenz heute.
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Hinzu kam, daß Göring, der noch 1938 seine Tochter durch Müller taufen ließ, weiterhin hinter Müller stand und daß Hitler der bekenntniskirchlichen Opposition nicht den Triumph eines völligen Rückzugs des Reichsbischofs gönnte, der im übrigen nach der massiven Unterstützung 1933/34 dem Eingeständnis eines Fehlers gleichgekommen wäre. Zwar reagierte Hitler auf die verschiedenen direkten Appelle Müllers, ihm in irgendeiner Weise wieder zu Einfluß zu verhelfen, abweisend, jedoch ließ er ihm noch Anfang der vierziger Jahre, als Müller auf Grund des Fortdauerns seiner "Kaltstellung" endlich die Konsequenzen ziehen und zurücktreten und sogar aus der Kirche austreten wollte, mitteilen, er solle das Reichsbischofsamt nominell weiterführen. Für das Reichskirchenministerium, das Müller hauptsächlich für seine faktische Entmachtung verantwortlich machte, war Müller einerseits offenbar ein willkommenes Mittel zur Gängelung der Kirchenausschüsse. Andererseits war offenbar auch das Kirchenministerium zu schwach, um Müller zum Rücktritt zu zwingen. Für die Arbeit der Kirchenausschüsse bedeutete das - wenn auch nur nominelle- Weiteramtieren Müllers von Anfang an eine schwere Hypothek, da dieses in der Öffentlichkeit den Führungsanspruch der Kirchenausschüsse unglaubwürdig machte. Ebenso diskreditierte Müllers Auftreten als Reichsbischof die Bemühungen der Deutschen Christen unter dem neuen Reichsleiter Wilhelm Rehm um einen gemäßigten Kurs des Ausgleichs mit den Ausschüssen. Die Suche nach Bündnispartnern aus machtpolitischen Erwägungen sowie inhaltlich-ideologische Übereinstimmungen ließen Müller an die Seite des radikalen Bremer DC-Landesbischofs Heinz Weidemann, der Thüringer Deutschen Christen und auch Alfred Rosenbergs rücken: - Mit Weidemanns Hilfe hoffte Müller, die Deutschen Christen unter seiner Führung neu sammeln zu können. Die beiden Männer verband ferner der Gedanke der "Verdeutschung" von neutestamentlichen Texten in die Sprache der Nationalsozialisten. - Bei der selbständigen Bewegung der Thüringer Deutschen Christen, der einzigen deutsch-christlichen Gruppierung, die nach dem Debakel der "Sportpalastversammlung" vom November 1933 noch Zuwachs zu verzeichnen hatte, fand Müller nach 1935 sozusagen seine geistige Heimat. Er stimmte mit dem Thüringer Konzept einer überkonfessionellen deutschen Nationalkirche, in der lehrmäßig weitgehende "Toleranz" herrschen sollte, sofern nicht der Nationalsozialismus in Frage gestellt würde, völlig überein. An den reichsweiten Expansionsbemühungen der Thüringer war Müller beteiligt und bekleidete führende Ämter. - Müller und Rosenberg verband die gemeinsame Gegnerschaft zu Kerrl und in gewisser Weise auch das Schicksal des "An-die-Seite-gedrängtSeins".
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Nach dem Kirchenaustritt Rosenbergs hatte Müller sich bereits 1934 wieder um eine Annäherung zu Rosenberg bemüht; ein Dissens mit dem NS"Chefideologen" schien ihm auf Dauer offenbar unerträglich zu sein. Rosenberg hat wohl einige Änderungen in Müllers Denken bewirkt, so etwa die Preisgabe des als Ausdruck von Schwäche erachteten christlichen Sündenund Sühnopferverständnisses und die Umdeutung Jesu zu einer Heldengestalt. Rosenberg, der erkennen mußte, daß Hitler einen offenen Konfrontationskurs mit den Kirchen auch in späteren Jahren ablehnte, plante vermutlich, gemeinsam mit Müller Richtlinien für einen einheitlichen überkonfessionellen Religionsunterricht herauszugeben. Außer durch zahlreiche Vorträge und Reden, meist bei Veranstaltungen der Thüringer Deutschen Christen, trat Müller nach seiner "Kaltstellung" durch drei Publikationen hervor: eine "Übertragung" der Bergpredigt nach Matthäus in eine dem nationalsozialistischen Empfinden gemäße Form, eine Art "Glaubens-und Sittenlehre", in der er das aus dem NSDAP-Parteiprogramm stammende Schlagwort vom "positiven Christentum" zu explizieren versuchte, und ein den Geist des ehemaligen Militärpfarrers atmendes "Kriegsbuch", das als moralische "Durchhaltehilfe" für Soldaten für den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg gedacht war. Müllers Bergpredigt-"Übertragung" "Deutsche Gottesworte", die offenbar an die Bergpredigt-Interpretationen von Karl Bornhäuser, Wilhelm Stapel undjohannes Müller (Elmau) anknüpft, erschien in zahlreichen Auflagen und erregte, u. a. wegen der sinnverkehrenden Eingriffe in den Bibeltext, viel Aufsehen. Bis in deutsch-christliche Kreise hinein war mit dem Buch die Grenze des christlich Vertretbaren überschritten. Der Reichskirchenausschuß nahm die "Deutschen Gottesworte" zum Anlaß, in einem offiziellen Gutachten zu erklären, Müller habe sich selbst von der Kirche losgesagt. Dies provozierte z. T. heftige Kritik, nicht nur von Seiten der Thüringer Deutschen Christen, sondern auch von Müller ansonsten kritisch gegenüberstehenden Theologen, die die evangelische Lehrfreiheit gefährdet sahen. Die Bücher "Was ist positives Christentum?" und "Der deutsche Volkssoldat" fanden offenbar kaum noch Resonanz; auch Müllers Reden wurden immer weniger beachtet. "Der deutsche Volkssoldat", der Rosenbergs Beifall fand, wurde immerhin ganz gut verkauft. Der Inhalt von Müllers zweitem und drittem Buch sowie seiner zahlreichen Reden ist eine Mischung aus der z. T. sehr breiten Schilderung banaler Erlebnisse seines Lebens sowie nationalkirchlichem und nationalsozialistischem Gedankengut, "garniert" mit christlichen "Versatzstücken". Eine Verwandtschaft zu Wilhelm Stapels "Volksnomoslehre" und Volkskirchenkonzept sowie, wie erwähnt, zum Denken der Thüringer Deutschen Christen ist feststellbar. Kernstück von Müllers Denken wurden mehr und mehr Elemente von Rosenbergs "Seelenmystik": Müller ging von einer durch Rasse und Volkstum determinierten unsterblichen seelischen Kraft aus, die
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Zusammenfassung
er im Grunde mit Gott gleichsetzte. Diese durch den Nationalsozialismus wiedererweckte seelische Kraft wirkt nach Müller als gute Tat nach außen, sofern sie nicht durch fremde Einflüsse, etwa das Judentum, behinden, verdeckt oder verfälscht wird. Mit solchen Überzeugungen verließ Müller ohne Zweifel eindeutig den Boden christlicher Theologie, wie es sich etwa auch in seinem Sakramentsverständnis zeigte, bei dem der Ursprung der Sakramente keine Rolle mehr spielte. Daß Müller an einer gewissen christlichen Begrifflichkeit festhielt, zeigt, daß er immer noch darum bemüht war, das Christentum in den Nationalsozialismus zu integrieren, und sei es auch um den Preis der völligen Aufgabe der "Substanz" der christlichen Lehre zugunsten der nationalsozialistischen "Blut- und Boden-Ideologie". Müllers Verhältnis zu Juden entsprach zunächst dem kulturell bestimmten Antisemitismus Stoeckerscher Provenienz, wie er für die politische Haltung der Minden-Ravensberger Erweckun_gsbewegung typisch war. Nachdem er, seiner nationalistischen politischen Uberzeugung entsprechend, die Juden für die Niederlage 1918 und die ihm verhaßten Zustände der ersten deutschen Demokratie verantwonlich gemacht hatte, war er unter dem Einfluß der Nationalsozialisten auch für deren rassistisch motivierten Antisemitismus zugänglich und bemühte sich um einen kirchlichen "Arierparagraphen". Auf an ihn gerichtete Hilfegesuche von "Nicht-Ariern" reagiene er zum Teil schroff abweisend, zum Teil setzte er sich engagien für die "Nicht-Arier" ein, was ihn freilich nicht daran hindene, seine antisemitische Hetze zu verschärfen. Ein Selbstmord Müllers kann keineswegs, wie behauptet, als historisch gesichen angesehen werden. Zwar gibt es Indizien und Motive für einen Selbstmord, jedoch wäre auf Grund der- insgesamt sehr dünnen- Quellenlage auch ein natürlicher Tod des seit längerem Herzkranken plausibel. Nicht unwahrscheinlich ist, daß eine "Verkettung von Umständen" 1945 Müllers Leben beendete: "dilettantischer" Selbstmordversuch, Herzschwäche, psychische und physische Erschöpfung nach dem Ende des Krieges und der NSGewaltherrschaft, unzureichende medizinische Versorgung etc. Obwohl Müllers Leben und Tun zu einem großen Teil aus seiner Zeit heraus erklärbar sind - er ließ sich gleichsam über weite Strecken von dem Hauptstrom seiner Epoche und seines "Milieus" treiben -, bleibt der Eindruck einer höchst fragwürdigen Persönlichkeit. Machtgier, Opportunismus, mangelnde theologische Kompetenz sowie politisch-ideologische Verblendung verhinderten, daß Müller auf der schon frühzeitig beschrittenen abschüssigen Bahn der "Versklavung" einer zur Floskel erstarnen christlichen Botschaft durch zeit- und menschenbedingte, eitle politisch-ideologische Überzeugungen noch anhalten, geschweige denn umkehren konnte.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
I. UNVERÖFFENTLICHTE QUELLEN
a) Archivalische Quellen
1) Architl des Di4konischtn Werkts, Berlin (ADW Berlin) Bestand CA (Akten des Central-Ausschusses für die Innere Mission): CA 1026, Bd. 11
2) Berlin DoCNmtnt Ctnttr (BDC) Akte: Reichskulturkammer/Reichsschrifttumskammer: Ludwig Müller NSDAP-Mitgliederkartei: Ludwig Müller Nr. 244 Kirche allgemein J)
Eflangtlischts ZtntraLJrchitl, Berlin (EZA Berlin) Bestand 1 (Vorgängereinrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland): 1/A 2/496 I- 497 Militärkirchenwesen, 1905-35 11A 3/93 Sitzungen der Landeskirchenvertreter 11A 4 (Deutsche Evangelische Kirche 1932/33-1945): 11A 4/1-4 Verhandlungen zur Schaffung einer einheitlichen Deutschen Evangelischen Kirche 1/A 4/11 Besetzung des Kirchenbundesamtes durch SA 1/A 4/24-26 Reichsbischof Müller, 1933-0 11A 4/28-33 Einführung MüDen als Reichsbischof 11A 4/37 Geistliches Ministerium- Sitzungsprotokolle 11A 4/42 Handakte Hossenfelder, betr. Bischofsfrage in der Landeskirche Hessen-Nassau 1/A 4/56-62 Eingliederung der Evangelischen Jugend in die HJ 1/A 4/93 f. Deutsche Christen allgemein 1/ A 4/103 f. Schriftwechsel mit Reichsbischofssekretariat- Jungreformatorische Bewegung, Bekennende Kirche etc. 1/A 4/110 Geistliches Ministerium, 1934-40 1/A 4/182 Protokolle der Kirchenführertagungen, 1934 1/A 4/246 Handakte des Reichsbischofs betreffend Kirchenpolitik, 1933-35 11A 4/247 Gestapo über kirchenpolitische Vorgänge, 1934 11A 4/248 Kirchenpolitischer Schriftwechsel des Reichsbischofs mit den Deutschen Christen, 1933 11A 4/385-387 Sitzungsprotokolle des Reichskirchenausschusses 1/A 4/392 Handakte Wilhelm Zoellner 1/A 4/488 Reichskirchenausschuß- Vorgänge betreffend den Reichsbischof 1/C 1 (Kirchenkanzlei Penonalia): 1/C 1/24-26 Personalakte Friedrich Engelke 1/C 1140 Penonalakte Ludwig Müller 11C 110 Personalakte Heinrich Oberheid 1/C 1/44 Penonalakte Herben Propp 11C 11177 Besoldung Reichsbischof
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Quellen- und Literaturverzeichnis
1/C 3/285 Repräsentation der Deutschen Evangelischen Kirche 1/C 4 (Sekretariat des Reichsbischofs): 1/C 4/1 Sekretariat des Reichsbischofs- Allgemeines 1/C 4/17 Arierparagraph 1/C 4/28 Emanuel Hirsch, Denkschriften und theologische Arbeiten für den Reichsbischof 1/C 4/34 Reisetätigkeit des Reichsbischofs, 1935 1/C 4/35 Ansprachen, Predigten und Kundgebungen des Reichsbischofs - Konzepte und Entwürfe, 1933-35 1/C 4/49 Schriftwechsel allgemeiner kirchenpolitischer und theologischer An, 1934/35 1/C 4/66 Ergebenheits- und Treuekundgebungen für den Reichsbischof 1/C 4/73 Titigkeiten des Reichsbischofs als preußischer Staatsrat 1/C 4/74-78 Privater Schriftwechsel- Binen um Fürsprache 1/C 4/79 Persönliche Angelegenheiten, von der Kirchenkanzlei bearbeitet 1/C 4/80 Laufender privater Schriftwechsel des Reichsbischofs, 1934/35 Bestand 7 (Evangelischer Oberkirchenrat der E\·angelischen Kirche der Altpreußischen Union, Berlin): 71990 Deutsche Christen, 1932-41 7/1015 Landesbischof, 1933-63 7/1993-1995 Politische Volksvereine und Teilnahme der Geistlichen daran 7/2043-2046 Verhältnis der Evangelischen Kirche und der Geistlichen zur Politik 7/2071 NSDAP- Zeitungsartikel, 1932-42 7/4253 Marine-Prediger: Berufung, Anstellung, Besoldung, 1873-1934 7/6370 Evangelisch-Stiftisches Gymnasium Gütersloh 7/6624 Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Rödinghausen Bestand 14 (Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg): 14/1519 [nicht verzeichnet; betr. Ludwig Müller] Bestand 50 (Archiv für die Geschichte des Kirchenkampfes- Sammlung Günther Harder): 50/251 b VKL - fragmentarisches Material 50/264 a VKL- Jannasch: Pfarrernotbund undjungreformatorische Bewegung 50/333 Deutsche Christen, Reichsbischof, Thüringer Deutsche Christen, 1936/37 50/567 c VKL- Materialien 501576 Deutsche Christen im Kriege 50/P 2 Presse-Sammlung Inland, bis 30. 4. 1933
4) Geheimes Staatsarchiv PreNßischer KNitNrbesitz, Berlin (GStA Berlin) Bestand XX, Rep. 240 (NSDAP-Gauarchiv, Ostpreußen): A I a-c Führerbefehle C 33 a,b Bezirk 1, Schriftwechsel C 53 a Königsberg-Stadt 1932-42 C 54 a,b Königsberg, Ortsgruppen j)
Hapurchiu der t1on Bodelschwinghschen Anstalten, Bielefeld-Bethel (HA Bethel) Bestand 2/39 (Kirchenkampf und Euthanasie): 2/39-28 bis 31 Reichsbischof- Kirchenkampf, Pressenachrichten, April-Juni 1933 2/39-34a bis 35 Neuordnung der Kirche, April1933-1935 2/39-41 Schriftwechsel mit Pastoren, 1933-37 2/39-46 Schriftwechsel mit Reichsminister Kerrl und Herrn von Denen, 1935-38 2/39-51 Reichsbischof Ludwig Müller, 1933-35 2/39-54 Reichskirchenausschuß, 1935-37 2/39-176 Persönliche Akten Bodelschwinghs, Reichsbischof, Generelles, Bd. I, 1933 2/39-179 Persönliche Akten Bodelschwinghs, Reichsbischof, Generelles, Bd. 3, 1933
Unveröffentlichte Quellen
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6) LAndeskirchliches Archw dn E'flangelischen Kirche 'flon Westfalen, Bielefeld (LKA Bielefe/J) 0,0/199 Nachweisung der penönlichen und diensdichen Verhältnisse derpfarrerder Diözese Herford, 1894-1922 2-4995 Pfarrstellen der Kirchengemeinde Rödinghausen, 1903-27 4-lJN, Bd. 1,28 KirchlicheJahresberichte (an die Kreissynode Herford), 1902-10 Bestand 5,1 (Archiv des Kirchenkampfes- Sammlung Wdhelm Niemöller): 5,1-15 Deutsche Evangelische Kirche 5,1-17,1 bis 18,2 .Kirchenwahl• 1937 5,1-290,1 Deutsche Christen II 5,1-298,1 Adolf Hitler 5,1-302 Augustjäger 5,1-305,1-3 Ludwig Müller 5,1-321,1 Friedrich von Bodelschwingh 5,1-550,1 Wdhelm Brandes, Sammlung 1932-45 5,1-74 7,1 Reichsregierung 5,1-748,2 NSDAP, Partei, Staat, Kirche 5,1-758,1 f. Reichskirchenregierung 5,1-805,1 Vorgeschichte 1933, Verfassungsausschuß der rheinischen Synoden 5,1-812 Deutsche Christen allgemein 1934-39; rheinische DC-Behörden 1934_.2
7) Zentrai4rchi'fl der E'flangelischen Kirche in Hessen ""d Nassa11, Darmstadt (LKA Darmstadt) Bestand 35 (Archiv des Kirchenkampfes- Sammlung Wdhelm Niemöller): 35/8 Kundgebungen zur Gründung der Deutschen Evangelischen Kirche; .Drei-MännerKollegium• und Müller 35/14 Prozeß Ludwig Müller- Vorläufige Kirchenleitung 35/34 Kanzlerempfang der .Kirchenführung•, 25. 1. 1934 35/58 Deutsche Christen, geschichtlicher Überblick 35/483 Who is who?- Ludwig Müller Bestand 62 (Nachlaß Martin Niemöller): 62/1022 Persönliche Korrespondenz, Mai-Oktober 1933 6211026 Bruderräte, 1933-37 62/1042 Sportpalastkundgebung, DC-Führer- Materialsammlung, 1933-35 6211043f. Deutsche Christen und Deutsche Glaubensbewegung, Bd.1: Materialsammlung, 1933-36; Bd.2: Schriftwechsel, 1933-37
8) Bllndesarchi'fi-Militiirarchw, Freib11rg i. B. (BA Freib11rg) RM 3/3429 Seegefecht vor Imbros, 20.1. 1918 Bestand RM 26 (Stationspfarramt Wdhelmshaven): RM 26/5 Seelsorge allgemein, 1920-30 RM 26/15 außerordentliche Gottesdienste 1921-39 RM 26/30 Pfarrer allgemein, 1920ff. RM 26/50 Ansprachen und Einweihungen 1921 ff. RM 26/52 Kasernenstunden 1921 ff. RM 26/72 Verschiedenes RM 41116 Marinedienststellen in Rußland, Cospoli 1918/19 Bestand RM 92 (Schwere und mittlere Kampfschiffe): RM 92/1880f.•Westfalen• 1914 RM 92/3944 Erlebnisse des Admirals von Nordeck auf S.M.S.• Breslau• während des Emen Weltkriegs
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Quellen- und Literaturverzeichnis
RM 92/3CH9 Die Kreuzerfahnen der .Goeben• und .Breslau• im Ersten Weltkrieg unter türkischer Flagge RM 120/205 Generalkommando des Marinekommandos, Seelsorge 1915-17 Bestand RH 53-1 (Wehrkreis I- Ostpreußen) (vernichtet) Bestand N 52 (Nachlaß Werner von Blomberg): N 52/2 Lebenserinnerungen bis 1933 N 52/7 Biombergs Einstellung zu Hider und zum Nationalsozialismus, Nürnberg ICHS Bestand N 237 (Nachlaß Friedrich Ronneberger) (unverzeichnet) Bestand N 239 (Nachlaß Magnus von Levetzow): N 239/59 Publizistische, Presse- und Filmangelegenbeiten, 1919-38 Bestand N 282 (Nachlaß Franz Dohrmann, intus: Dokumentation Dohrmann) (unverzeichnet)
9) Archiv tks Evangelisch-Stiftischen Gymnasil4ms G;;tersloh Konferenz-Protokolle von Ostern 1898 bis 17.juli 1907 Unterlagen der Reifeprüfung Ostern 1902 Chronik des Gütersloher Gymnasial-Trommel-Corps Protokoll-Buch des Alumnat-Vorstandes 190Sf. 10) Landeskirchliches Archiv tkr Evangelisch-l,.therischen Landeskirche Hannooers (LKA
Hannooer) Bestand L 2 (Nachlaß August Marahrens): L 2, 4 a Bd. 11,1 Akten betreffend die werdende evangelische Kirche deutscher NationVerhandlungen der 3 Bevollmächtigten, Mai 1933 L 2, S a Bd. I Das Werden der Deutschen Evangelischen Kirche, 1933 II) B,.ndesarchiv AbteiJ,.ng Merseb,.rg (BA Abt. Merseb,.rg) Bestand Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung: Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XVII, 231/1 Politische Betätigung der Geisdichen, 1931/32 12) Komm,.naJ.rchiv Minden (KA Minden)
Akten der .Kirchengeschichdichen Arbeitsgemeinschaft• (KAG) (unverzeichnet)
IJ) Evangelische Arbeitsgemeinschaft f;;r Kirchliche Zeitgeschichte, M;;nchen (EvAG M;;n-
chen) Einzelne Personen: Ludwig Müller (Befragungsprotokolle, Schriftwechsel und Recherchen von Kirchenkanzlei-Präsident D. Heinz Brunotte betreffend den Tod Ludwig Müllers)
14) lnstitl4t f;;r Zeitgeschichte- Archiv, Miinchen (l[L M;;nchen) Zeugenschrifttum: ZS lOS Oberleutnant von Mellenthin ZS 133 Major von Salmuth
15) Staatsarchiv M;;nster (StA MNnster) 1022 Landratsamt Teekienburg
16) Landeskirchliches Archiv tkr Evangelisch-L,.therischen Kirche in Bayern, N;;rnberg (LKA N;;rnberg) Bestand Personen XXXVI (Nachlaß Hans Meiser): Pers. XXXVI, 27 Gesamtkirchliche Lage 1935136 Pers. XXXVI, 33,3-S Deutsche Christen Bayern 1934-44, Versammlungsberichte Pers. XXXVI, 39 In Aussicht gestellte Wahl zur Generalsynode 1937 Pers. XXXVI, 96 Kirchenkampf im Reich Pers. XXXVI, 112 Deutsche Christen außerhalb Bayerns
Unveröffentlichte QueUen
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Pers. XXXVI, 115 Korrespondenz zur kirchlichen Lage 1933/34 LKR II, 246, Bd. 9 Deutsche Christen in Bayern ab 1940 LKR V, 952 a, I Volksmissionarisches Amt 1935-39 KKU 12/1 Kirchenkampf- Landeskirchenrat, 1938 Akte: Kirchenkampf, Zeitungsausschnittssammlung K. Reichskirche, Reichskirchenregierung, Reichsbischof bis 31. 5. 1934
17) BNndeSArchiTJ AbteilNng Potsdam (BA Abt. Potsdam) Bestand 51.01 Reichskirchenministerium (RKM): RKM 21.862 Schloßkirche Königsberg, 1911-1942 RKM 23.138 DC-Bestrebungen 1935/36 RKM 23.247 Reichsbischof 1933-39 RKM 23.463 Acta betreffend die Neuordung der Evangelischen Landeskirchen- Reichskirche RKM 23.709 Bildung von Vertrauensräten bei der Deutschen Evangelischen Kirche und bei der Landeskirche; intus: Sonderband 14: Reichsbischof Ludwig MüUer RKM 23.747 Veröffentlichungen in der Presse über Hanns Kerrl RKM 23.768 Sächsische Landeskirche Bestand Büro des Reichspräsidenten: 281/3-6 Deutsche Evangelische Kirche
18) ArchiTJ der EfJtangelisch-INthnischm Kirchengemeinde RödinghtaNsm ProtokoUe der Sitzungen der kirchlichen Gemeindevenretung Rödinghausen (1895-1909) Sitzungsberichte der Kirchlichen Venretungen der evang.luther. Gemeinde Rödinghausen (1909-1928) Gemeindechronik Rödinghausen
19) Landeskirchliches ArchifJ der EfJtangelischm Landeskirche in Wümemberg, StNttgtart (LKA StNttgtart) 115 b 111,1 (Altregistratur) Reichskirche, Kundgebungen des Reichsbischofs 1934 115 b V/1935 (Altregistratur) Reichskirche, Kirchenkampf 1934-46 116 d I (Altregistratur) Reichskirche, Wahlen zur Generalsynode 1937 Bestand D 1 (Nachlaß Theophil Wurm): D 1/47,1 Württembergische Evangelische Landeskirche, Januar 1934 D 1/52f. Wümembergische Evangelische Landeskirche, September/Oktober 1934 D 1/100,2 Wümembergische Bekenntnisgemeinschaft, Rundbrief D 1/118 Reichsbischof Ludwig Müller D 1/169 Thüringen Dossier: Ludwig Müller
20) ReichSArchiTJ Umcht Bestand 14 (Ex-Keizer Wtlbelm II): Nr.263
b) Größere unveröffentlichte Manuskripte
ADLER., Bruno: Der Empfang der Kirchenführer bei Hitler am 25.Januar 1934. Minden 1954 [KA Minden, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft]. BAIER., Helmut: Um Reichsbischof und Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche 1933 [Privatbesitz Archivdirektor Dr. Helmut Baier, Nümberg]. BALZER., Erwin: Niederschriften über Zusammenkünfte und Besprechungen der Kirchenführer
342
Quellen- und Literaturverzeichnis
und der Kirchenleitungen vom 12.Juni 1934 bis zum 7. September 1936. Hamburg-Sasel1958 [KA Minden, Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft]. BoDELSCHWINGH, Friedrich von: Dreißig Tage an einer Wegwende deutscher Kirchengeschichte. Ebenhausen, 29. 10. 1935 [HA Bethel]. BücKMANN: Als Gymnasiast in Gütersloh. Ostern 1900 bis Ostern 1907. Nonheim 1962 [Archiv des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums Gütersloh]. DAHINTEN, Paul: Chronik des Kirchenkampfes in der Thüringer evangelischen Kirche 1933-1945 (=Thüringer Chronik) [Kopie: LKA Stuttgan, D 1/169]. HARMS, Hugo: Geschichte des Kirchenkampfes in Oldenburg. Bd. 1 [LKA Oldenburg]. MÖLLER, Erwin: Befragungsprotokolle ehemaliger Konfirmanden Ludwig Müllers. Rödinghausen 1983 [Privatbesitz Rektor i. R. Erwin Möller, Rödinghausen ]. WERNER. Friedrich: Denkschrift. 1934 [BA Abt. Potsdam, Büro d. Reichspräs. 28113, 81. 125-155]. WrENEKE, Friedrich: Zehn Jahre Deutsche Christen. Berlin, Juni 1942 [EZA Berlin, 1/ A 4/94 ]. DERs.: Kirche und Partei. Erlebte Kirchengeschichte (1929-1945) [EvAG München]. WINCKLER, Paul: Wie ich es sah und sehe. Vom Weg durch bewegte deut.~che Jahrzehnte. Lebenserinnerungen eines Theologen [LKA Sielefeld ].
c) Mündliche und schriftliche Auskünfte Prof. D. Eberhard Bethge Landeskirchenrat i. R. Dr. h. c. Ernst Brinkmann, Donmund Dr. Marion Gräfin Dönhoff, Hamburg, 19. 1. 1990 Institut für Zeitgeschichte, München, 17. 10. 1989 Elfriede Maeser-Müller, Cuxhaven, 14. 9. 1990 Hanna Müller, Farchant, 1. und 5. 9. 1990 Hermann Nitsche, Bunde, 14. 3. 1990 Cand. med. Eberhard Rensinghoff, Marburg/Lahn Cand. med. Beate Riedesel, Marburg!Lahn Oberbibliotheksrat Dr. Horst Röhling, Witten Karl Stallmann, Rödinghausen-Ostkilver, 6. 2. 1990 Prof. Dr. Roben C. Walton, Münster, September 1991 Vizeadmiral a.D. Karl-AdolfZenker, Bonn, 23. 3. 1990
II. VERÖFFENTLICHTE QUELLEN UND DARSTELLUNGEN ABELE, Christina!BOBERACH, Heinz u.a. (Bearb.): Inventar staatlicher Akten zum Verhältnis von Staat und Kirchen 1933-1945. Hg. von der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und der Kommission für Zeitgeschichte. Bd. l. Kassel1987. ALAND, Kurt (Hg.): Glanz und Niedergang der deutschen Universität. Berlin/New York 1979. DERs.: An.: Loofs, Friedrich. In: RGG3 IV, Sp.448. ALLGEMEINE EvANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHENZEITUNG 1933ff. ALLWOHN, Adolf: An.: Die Bergpredigt in der Verdeutschung durch den Herrn Reichsbischof. In: KiA 5, 1936, S. 190. DERS.: An.: Die Bergpredigt in der Verdeutschung durch den Herrn Reichsbischof Ludwig Müller. In: KiA 6, 1936, S. 226. ALTHAUS, Paul: Religiöser Sozialismus. Grundfragen der christlichen Sozialethik (SASW. 5). Gütersloh 1921. BAIER, Helmut: Die Deutschen Christen Bayerns im Rahmen des bayerischen Kirchenkampfes (EKGB. 46). Nümberg 1968.
Veröffentlichte QueUen und DarsteUungen
343
DEils.: Kirche in Not. Diebayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg (EKGB. 57). Neustadta.d. Aisch 1979. DERS. und HENN, Ernst: Chronologie des bayerischen Kirchenkampfes 1933-1945 (EKGB. 47). Nümberg 1969. BARLEV, Jehuda: Juden und jüdische Gemeinde in Gütersloh 1671-1943. Gütersloh 19882 • BARTH, Karl: Theologische Existenz heute! München 1933. BASLER NACHRICHTEN 1934f. BAUKS, Friedrieb Wilhelm: Der westfälische DC-Bischof Bruno Adler. In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 80, 1987, S. 153-159. DERS.: Die evangelischen Pfarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945 (Beiträge zur westfälischen Kirchengeschichte. 4). Bielefeld 1980. DERS.: Nachträge zu: Die evangelischen PEarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945. In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 76, 1983, S. 231-258. BAUMGÄRTNER, Raimund: Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. B 22). Mainz 1977. BECKMANN, Joachim (Hg.): .Briefe zur Lage• der Evangelischen Bekenntnissynode im Rheinland Dezember 1933 bis Februar 1939. Neukirchen-Vluyn 1977. DERS. (Hg.): Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1933-1944. Gütersloh 19762 (• KJ 1933--44). DERS. (Hg.): Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1945-1948. Gütersloh 1950 (• KJ 1945-48). BEHNKEN, Klaus (Hg.): Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 4.Jg. 1937. Salzhausen und Frankfun a. M. 1980. BENRATH, Gustav Adolf: An.: Erweckung/Erweckungsbewegungen, historisch. In: TRE 10, S.205-220. BENTLEY, James: Manin NiemöUer (Übersetzung aus dem Englischen: Kar) Heinz Sieber). München 1985. BERGHAHN, Volker R.: Der Stahlhelm Bund der Frontsoldaten 1918-1935 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Paneien. 33). Düsseldorf 1966. BERGMANN, Richard (Hg.): Documenta. Unsere Pfälzische Landeskirche innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche in den Jahren 1930-1944. Berichte und Dokumente. 3 Bde. Speyer 1960. BERLINER BöllSEN-COURIER 1933. BERLINER LOKAL-ANZEIGER 1933f. BERLINER TAGEBLATI" 1928 und 1930. BESSEL, Richard: Political Violence and the Rise of Nazism. The Storm Troopers in Eastem Germany 1925-1934. New Haven/London 1984. BETHGE, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe. Christ. Zeitgenosse. München 19866 • BILDBERICHT FÜR DAS DEUTSCHE CHRISTENVOLK 1933. BIRNBAUM, Walter: Zeuge meiner Zeit. Aussagen zu 1912 bis 1972. Göttingen 1973. BIZER, Ernst: Otto Ritschl 1860-1944. In: Bonner Gelehne. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie. Bonn 1968, S. 143-152. BLOTH, Hugo Gotthard: Zur Eigenständigkeit des Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums in Gütersloh.In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 72, 1979, S. 63ff. BoRNHÄUSER, Karl: Die Bergpredigt. Versuch einer zeitgenössischen Auslegung. Gütersloh 1923. BoTZET, Rolf: Ereygnisse, Merckwürdigkeiten und Begehbenheyten aus Rödinghausen. Rödinghausen 1988. BoYENS, Armin: Kirchenkampf und Ökumene 1933-1939. DarsteUung und Dokumentation. München 1969. BRACHER, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Vallingen 1971 5•
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