PHAENOMENOLOGICA COLLECTIOS P I ~ B L I $ E
ISO KERN
S O U S LE P A T X O N A G E D E S C E N T R E S
D'ARCHIVES-HUSS...
43 downloads
943 Views
23MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PHAENOMENOLOGICA COLLECTIOS P I ~ B L I $ E
ISO KERN
S O U S LE P A T X O N A G E D E S C E N T R E S
D'ARCHIVES-HUSSEXL
Husserl und Kant ISO KERN
E I N E UNTERSUCHUNG ÜBER
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU KANT
Husserl und Kant i
Chmite de rkdaction de la collection: Pr6sident: H. L. Van Breda (Louvain); Membres : M. Farber (Philadelphia),E. Fink (Fribourg eu Brisgau), J . Hyppolite (Paris), L. Landgrebe (Cologne), M. Merleau-Ponty (Paris)7, P. R i c ~ u r(Par,~).K. H. Volkmann-Schluck (Cologne), J. Wahl (Paris); Secdtaire : J. Taminiaux (Louvain).
U N D ZUM NEUKANTIANISMUS
MARTINUS N I J H O F F / D E N H A A G / 1964
VORWORT ,,Ich merke nur a n , dass es gar nichts Ungewöhnliches sei, s m o h l i m genteinen Gespräche, als i n den Schriften, durch Verglcichung der Gedanken, welche ein Verfasser aber seinen Gegenstand äussert, i h n sogar besser zu verstehen, als er sich selbst uerstand, indem er seinen ßegriff nicht genugsam bestimmte u#d dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht entgegen redete oder auch dachte." Diesen Satz aus Kants „Kritik der reinen V e r n u n f f ' hat Husserl auf die Titelseite seines Exemplars von Kants Hauptwerk geschrieben.
Uber die Beziehungen zwischen Husserls Phänomenologie und der Kantischen und neukantianischen Philosophie ist schon Vieles geschrieben worden. Dabei wurden die verschiedensten Auffassungen geäussert ; man kann sagen, dass hier die ganze Skala möglicher Deutungen durchgang& wurde. Am einen Endc dieser Skala steht Husseri als Antipode Kants und jeglichen Neukantianismus, arn andern Ende der Neukantianer ~ u s s e r l ;und dazwischen liegen nuanciertere Bilder. Offenbar sind die Beziehungen zwischen Husserl einerseits und Kant und den Neukantianern andererseits komplexer Natur; offenbar bestehen hier aber auch innere Beziehungen, scicn sie nun positiver oder ncgativcr Art. Es drängte Husserl selbst danach, sich über sein Verhältnis zur Philosophie Kants klar auszusprechen. Für sein letztes Werk, für die K Y ~ Shatte ~ S , er eine Auseinandersetzung mit Kant geplant.1 Bevor er aber diesen Plan ausführen konnte, erreichte ihn der Tod. Auch mit den beiden bedeutendsten Strömungen desNeukantianisrnus, mit: der Marburger und südwestdeiitschen Schule, wünschte Husserl eine ~onfro&tion. Dazu beauftragte er seinen Schüler Fritz Kaufmann. Diesem Auftrag wurde aber nur teilweise ent1 S.U.
C. 46 ff.
Fritz Kaufmann schreibt in seinem Beitrag zu Edmund Husserlr85g-1959, C. 4 4 : „So war denn eine Kritik der Rickertschen wie der Marburger Philosophie die Aufgabe, die ich mir von Husserl zuerst für meine Dissertation stellen l i e s ~ .Ihre partielle Einlösung wurde viel später gegeben: für Rickert in meiner Geschichtsphilosophie der Gegenwart (1931). für die Marburger Schule in meinem Beitrag zum Cassirer-Band der Liorary of LFving Philosophers ( r ~ q g ) . " 2
ViII
VORWORT
VORWORT
Die vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus geschichtlich und systematiscl~zu untersuchen. Ihr Zweck besteht darin, ein möglichst vollständiges Bild von Husserls Auseinandersetzung mit der Kantischen und neukantianischen Philosophie, von seiner Interpretation und Kritik dieser F'hilosophie und von seiner bewussten und unbewussten Aufnahme Kaiitischer uiid neukantianischer Motive in sein Denien zu geben. Indem sie so das innere Verhältnis von Husserls Philosophie zu Kant und zum Neukantianismus untersucht, hofft sie, einen Beitrag zur Klärung des Sinnes dieser Philosophie 1eis:en zu können. Sie ist also eine Studie über Husserl und nicht ein systematischer Vergleich zwischen Phänomenologie und Kritizismus. Vergleiche werden nur insofern angestellt, als sie für das genannte Ziel notwendig oder nützlich sind. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass in der s y s t em a t is C h en Darstellung von Husserls Verhältnis zum Neukantianismus nur Paul Natorp und Heinrich Rickert berücksichtigt wurden. Diese ,,Beschränkung" hat ihren Grund darin, dass diese beiden Philosophen die einzige Neukantianer sind, die für Husserl grössere Bedeutsamkeit bes ssen. Im historischen Teil der Studie soll diese Behauptung ihrc echtfertigung finden, wobei gleichzeitig auch Nusserls Beziehungcn zu anderen Neukantianern kurz zur Sprache kommen werden. Natorp und Rickert sind andererseits auch nicht „irgtadwclcheJ' Neukantianer, sondem' die prominentesten Vertreter dcr beiden wichtigstcn neukantianischen Schulen, derjenigen Marburgs und Südwestdeutschlands. Sie können daher als Repräsentanten für den ganzen Neukantianismus betrachtet werden. Ein Wort ist noch über das bexützte Material zu sagen. Den folgenden Untersuchungen liegen nicht nur die publizierten Wake, sondern auch der gesamte bisher noch unveröffentlichte Nachlass Husserls zugrunde;l weiter konnte aber auch Einsicht in die erhaltene und in Löwen aufbewahrte Privatbibliothek Husserls genommen werden, die über Husserls Studium der Kant-
n"
Dieser Nachlass befindet sich im Husserl-Archiv (Lewen, Belgien) und ist in Gabelsberger-Stenographiegeschrieben; er umfasst über 40 ooo Seiten. Ungefähr die Hälfte davon wurde bis heute transkribiert. Kopien dieser Transkriptionen liegen in den Husserl-Archiven Köln, Freiburg i. Br., Paris und Philadelphia auf. Vgl. H. L. Van Breda U. R. Boehm, Aus dem Husserl-kvchiv i n Löwm (1953). 1
IX
ischen und neukantianischen Philosophie manche Hinweise zu geben vermag. Die vorliegende Studie stützt sich also auf eine sehr breite Grundlage, was ihr auch die Möglichkeit gab, ein definitiveres Bild von Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus zu zeichnen, als dies die bisherige, grösstenteils nur auf den publizierten Werken Husserls beruhende Literatur zu tun vermochte. Die folgenden Untersuchungen bestehen aus zwei Teilen: aus einem historischen und aus einem systematischen. Das Schwergewicht liegt völlig auf dem systematischen, da dieser Gesichtspunkt einen tiefer dringenden und klareren Einblick in das aufgeworfene Problem ermöglicht. Andererseits konnte aber auf eine historische DarsteUung nicht verzichtet werden, da diese manche Zusammenhänge sichtbar macht, die in einer systematischen verborgen bleiben. Um der Gefahr einer Doppelspurigkeit zu wehren, die dieser zweifache Gesichtspunkt mit sich bringt, begnügt sich der historische Teil hinsichtlich der inhaltlichen Beziehungcn der Phiiosphie Husserls zu derjenigen Kants lind des Neukantianismus mit bIossen Hinweisen. Der dadurch entstandene etwas abstrakte Charakter wird durch die Konkretheit des systematischen Teils aufgewogen. Dieser zweite Teil sieht seinerseits übrigens nicht von der Tatsache ab, dass 1-iusserlsVerhältnis zu Kant und zum Neukantianismus eine sehr bedeutende Entwicklung durchgemacht hat. Er gibt in dieser Hinsicht überall dic notwendigen Präzisionen. Während der historische Teil die Stellung Husserls zu Kant und zum Neukantianismus in einem Zuge behandelt, gibt der systematische eine gesonderte Darstellung. Diese Sonderiing bringt Nachteile mit sich, da die beiden in Frage stehenden Verhältnisse an manchen Punkten eng verknüpft sind. Andererseits war aber doch eine gesonderte Betrachtung von Vorteil, da auf diese Weise Husserls Beziehungen zu den einzelnen Philosophen übersichtlicher dargestellt werden konnten. Es blieb immer noch die Möglichkeit, jeweils auf jene Verknüpfungen hinzuweisen. An dieser Stelle möchte ich auch einige Worte dcs zutiefst empfundenen Dankes aussprechen. Zuerst danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. H. L. Van Breda (Löwen), der mit nie nachlassendem Interesse meine Arbeit leitete und reichlich förderte. Besonders sei
X
VORWORT
ihm auch dafür gedankt, dass er mir den von ihm verwalteten
Husserl-Nachlass, sowie alle archivarischen Hilfsmittel, ohne die die vorliegende Arbeit unmöglich gewesen wärc, zu jeder Zeit offen hielt. Zu Dank bin ich auch Herrn Prof. Dr. E. Fink (Freiburg i. Br.) verpflichtet, mit dem ich den Plan meiner Arbeit genau besprechen durfte und dem ich manchen Hinweis verdanke. Den wärmsten Dank möchte ich Herrn R. Boehm (Löwen) ausdrücken. Es ist nicht zuviel, wenn ich sage, dass er sich meiner Dissertatron wie einer eigenen angenommen hat.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Problemstellung V11 - benütztes Material V111 - Aufbau unserer Studie IX
Löwen, Juli 1962.
V1 I
r . Teil: HISTORISCHER UEBERBLICK ÜBER HUSSERLS ZU KANTUND ZUM NEUKANTIANISMUS VERHÄLTNIS I.
I
Kapitel: Von den Studienjahren bis zu den Logischen
;S I . Die Studienjahre
Die Jahre in Berlin 3 - bei Brentano in Wien; Brentanw Verhältnis zu Kant 4
$2.
Die vo~~hänomenoZogische Periode
3 8
Negatives Kantverhältnis in der ersten Hallisclien Zeit 8 - die Philosophie dw Arithmetik 8 - das geplante Werk: Philosophie der etcklidischn G e o r n o t ~ e10 - die Vorlesungen 11 - die philosophischen Autoren, die Husserl hauptsachlich studierte 11
J 3. Die Zeit der ,,Logischen Untersuchungen"
12
Die entscheidenden Jahre von ~89419512 - der Einfluss Natorp auf Husscrls Idee der objektiven Logik 13 - erste 13erülirung mit Rickert 13 - das neukantianische Milieu in Halle: Vaihinger, Erdmann. Riehl 14- die Berufung auf Kant und die Kritik Kants in den Logischen Untersuchungen 14 - positiveres Verhältnis zu Kant auch in den Vorlesungen; zahlreiche Vorlesungen und Ucbungen iiber Kant 16 - Huccerls Kant-Iahtiire 18 2.
Kapitel: Der Durchbruch zur transzendentalen I'hänomenologie (Von den Logischen Untersuchu~genzu den Idee%)
24
J q. Die Periode unmittelbar vor der Entdeckung der phänomenologischen Reduktion Die ph'anomenologixhe Reduktion von 1907 24 - die Vorlesungen der ersten Göttinger Zeit 25 - Descartes, Kant und Natorp in den Fiisf Vmlesungen (1907) 26 - die Rolle Kants und Natorps in Husseris Durchbruch zur transzendentalen Phänomenologie 27
24
XI1
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICBNIS (G)
J 5. Eie Jahre intensiver Auseinandersetzung mit Kant nach der Wendung zur reinen Phämmenologie
$10.
3. Kapitel: Die Periode der genetischen Phänomenologie
34
6. E i e Zeit des ersten Weltkrieges als Zeit von Husserls dtanschaulichem Bündnis mit dem deutschen Idealis34
mus Husserl als Nachfolger Rickerts in Freiburg i. Br. 34 - Fühlnngnrhme mit dem deutschen Idealismus 34 - Die Fichte-Vorträge von isi:(i8 35 - Husserls Kenntnis des Werkes von Fichte und der ardern grossen deutschen Idealisten 36 - die Beschäftigung mit Kant in den Vorlesungen und Kant-Lektüre 38
j 7. Das letzte Jahrzehnt von Husserls akade~nischerLehrtMigkeit Der Einfluss Natorps auf EIusserls Idee der genetischen Phänomenologie 39 - vertieftes Einversthdnis mit Kant vom Standpcnkt d a genetischen Phänomenologie 39 - die Vorlesungen; die wichtige Vorlesung Natur und Geist (~927).die sich ausführlich m:t Kant und Rickert auseinandersetzt 40 -der Aiifsatz Kant und diz Idee der Trans~endsntalphilosophie40 H-isseds Arbeit a n grossen Publikationen nach seiner Emeritierung von 1928 43 - Formate und tvanszendmtale Logik 44 - Cariesianische Meditationen 45 - Krisis 45
Kritik a n Kants Grundproblematik
.
(a) Kant stösst nicht zum radikalen Erkenntnisproblem vor; 1 seine Vernunftkritik enthält „dogmatischeH Voraussetzungen, die der ,,natürlichenv' Weltauffassung entstammen 68: Die Wandlung von I-Iusserls Interpretation des Kantisclien Grundproblcms 68 - erste Interpretation: Wie kann der Mensch a priari Gegenstände, die ausserhalb von ihm an sich sind, erkennen 68 - Kritik dieser Problematik: Kritik der Voraussetzung des .,natürlichen" (psychologischen) Begriffs des Subjekts 69 - Kritik der Voraussetzung eines „natürlichen" und ,,dogmatischenu Begriffs des Objekts 78 - zweite Interpretation des Kantischen Gmndproblems: Welches sind die apriorischen, objektiven und subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution von naturwissenschaftLicher Objektivität in der Subjektivität 80 das Kantische ErkenntnisprobIern als ein ..immanentesns 82 Kants ,.Einklammerung" der Naturwissenschaft 84 ( b ) Die Erkcuntnisprobleinatik Kants ist zu hochstufig; tiefer-
39
j' 5. Hzcsserls Spätwerke
Kant vermengt Noesis und Noema und vernachlässigt ein differenziertes Studium der noetischen Seite des Bewusstseins 65
28
Bzwusste Annäherung Husserls an Kant seit Ende 1907 28 - Vertiefte Auseinandersetzung mit Kant in privatem Studium und in den Vorlesungen 29 - Intensivierung der Beziehungen zu den Neukantianern 31 - Kant in den Ideen I 33
XI11
43.
liegende Probleme müssen vor ihr entwickelt werden 85: Kants Problem der Konstitution der wissenschaftlichen Natur setzt voraus die Konstitutionsproblernatik der Lebenswelt 85 weiter setzt jenes Kantisclie Problem voraus die transzendentale Erarterung der formalen Logik 86 - die Konstitution des iriiieren Zeitbewusstseins als die tiefste Problematik 88
(C) Kants Problematik ist zu eng 88: Kant fehlt eine Kritik der Erkenntnis der geistigen Welt 89 Kants Verengung des Begriffs der Welterfahrung 89 - dritte Interpretätion drs Karitischen Grundprobleins: das Problem dcr universalen ontologischen Urkenntnis der Welt 89
68
I
(d) Karit unterlasst es. seine Transzendentalphilosophie eincr transzendentalen Selbstkritik zu iinterziclien g r
XI. Husserls 2.
Teil: SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG VON HUSSERT~S KANTUND ZUM NEUKANTIANISMUS 51 ABTEILUNG:Husserls Verhältnis zu Kant 53 VERHÄLTNIS ZU
I.
Einleitende Bemerkungen über den Aufbau dieser Abteilung 53
r. Kapitel: Hucserls Kantkritik
55 55
[§ 9. K&ik a n einigen falschen Vorurteilen Kants
I
(n) Kant fehlt der echte Begriff des Apriori (das antiplatonische und formalrationalistische Vorurteil Kants) 55: Eirlos und Apriori 55 - Husserl und das Kantische Apriori als TJnawingigkeit von der Erfahrung 56 - das materiale Apriori Husserls 57 - Kritik an Kants Bestimmung und Relativierung des synthetischen Apriori 58 - Kritik der Kantischen Scheidung von Analytik und Synthetik 61
i
(b) l i a n t trennt zu schroff Sinnlichkeit und Vcrstand 62: Kritik Kants 62 - Sinnlichkeit und Verstand bei Husserl 62 Husserls und Kants Begriff der „reinen Vernunft" 64
\
!
-
Kantkritik wnter dem Gesichtsprtnkt der tra~zszende~lpltiloso~hischen Methode
(U)Kant fehlt der Begriff der phänomenologischen Reduktion 9 2 : die ,,Faktizitat" des transzendentalen Niveaus dcr Ilantischen Vernunftkritik 92 - der Mangel der phänoinenologisclien Keduktion h a t bei Kant eine Verwechslung von IJsychologie und Transzendentalphilosophie zur Folge 94 ( r ) ) Kritik an ICants regressiv-konstruktiver Methode: Kant fehlt eine intuitiv-aufweisende Methode 94: Andeutung eines positiven Gebrauchs der Termini „Regression“ und ..Konstruktion" bei Husscrl 94 - Kritik dcr regressiven Koristruktion als eines unanschaulichen Ihinnens von „erklärcndcnV ,.PrinzipienM 95 - das ..Prinzip aller Prinzipien" 9; - der Sinn von Husserls .,Positivismus" 95 - Husserls „Prinzip aller Prinzipien" und Kants Forderung einer ,,DeduktionH der evidenten synthetischen Sätze a priori 96- Hnsserls Berufung auf die Kantischc Fnrrricl: IZc.&ffc olin(~A t i ~ c l i n i ~nincl i ~ n ~lrrr (18 - tiintlirniatisclii: Konzcptic~iierials IJrs}irunl:von Ilus(irrls Intuitionininus ifthat Husserl weiter noch in einer dritten Ausgabe studiert, in derjenigen von Voriänder. Weiter liegt darin, dass Husserl vor allem die kleine Ausgabe von I<ehrbncli (Reclain) benützte, bereits ein Hinweis darauf - ein Hinweis, der sich in1 weitercn bestätigen wird dass er, wie so mancher andere I'hilosoph, aber nicht wie die Neukantianer der Marburger Schule, der ersten Auflage der Vernunftkritik vor der zweiten den Vorzuggab. Die Kehbach-Ausgabe folgt nämlich der ersten Auflage (enthalt ailerdings die Änderungen der zweiten Auflage im Anhang oder in Fussnoten), während die Ausgaben von Hartenstein und Vorländer auf der zweiten Auflage aufgebaut sind.
-
HISTORISCHER Ü B E R B L I C K
bibliothek ein sehr gutes Bild über die historischen Quellen seines Denkens. Die beiden Vorreden und die Einleitung der Kritik der reinen Vernunft hat Husserl mehrmals ganz gelesen.1 Die Transzendentale Ästhetik trägt 2 Spuren eines mehrfachen eingehenden Studiums. In der TranszendentalenLogik galt Husserls Interesse vor d e m der Transzendentalen Analytik und im besonderen der transzendentalen Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage (den drei Synthesen!), aber auch den Beweisen der Grundsätze, vor aIlem den ,,Analogien der Erfahrung". Von der Transzendentalen Dialektik hat Husserl die Einleitung, das erste Buch (über die Ideen) und vom zweiten Buch das erste Hauptstück, Von den Paralogismen der reinen Vernunft, eingehend studiert. Allerdings enthalt auch das zweite Hauptstück dieses zweiten Buches, Die Antinomie der reinen Vernunft, Stellen, mit denen sich Husserl eingehender beschäftigt haben muss, so mit dem sechsten Abschnitt (Der transzendentale Idealismus, als der Schliissel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik) und dem neunten Abschnitt (Von dem emfiirischen Gebrauche des regulativem Pri.rtzi#s der Vernunft in Ansehung aller kosmologischen Ideen). Dem dritten Hauptstück dieses Buches der Transzendedalen Dialektik, dem Ideal der r e i ~ nVernunft, hat Husscrl weniger Interesse gcschenkt. Dagegen wurde die Transzende.nta18 Methodenlehre von Husserl teilweise mehrmals studiert: so der erste Abschnitt des ersten Hauptstückes (Die Diszi$lin der reinen Vernzcnfl im dogmatischen Gebrauch), der die mathematische Vernunft erörtert, und der erste Abschnitt des zweiten Hauptstückes (Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauches unserer J7ernunft). Aus diesen Angaben, die wir Husserls Exemplaren der Wcrke Kants entnehmen können, lässt sich nun aber kaum etwas darüber sagen, inwiefern Husserl bereits in der liallisclien Zcit rlic! Philosophie Kants aus ejgener Lektüre kannte.3 Es ist aus zahlreichen Manuskripten zu erweisen, dass Husserl ein besonders 1 nämlich in albn drei genannten Ausgaben und in derjeniqen von Kelirbach rnehrmals. 3 in der Kehrbach-Ausgabe. a Für die Kritik der reinen Vernunft hat Husserl damals erwiesenermassen bereits die Kehrbach- und Hartenstein-Ausgabe benützt. Für jene Zeit kann nur die VorIänder-Ausgabe (1899),von der fast nur Vorreden und Ehleitung Lesespuren aufweisen, ausgeschieden werden.
21
intensives Kantstudium an Hand Kantischer Texte während der Jahre 1907 bis 1909 betrieb. Diese Studien drehten sich alle um die von uns eben hervorgehobenen Stellen der Kritik der reinen Vernwft.Soviel ist also sicher, dass für Husserls Kantstudium nicht nur und auch nicht hauptsächlich diese Zeit vor den Logischen Untersuchungen in Frage kommt. Nichts weist auf ein sehr tiefgehendes Kantstudium in der damaligen Zeit hin. Trotzdem ist aber anzunehmen, dass Husserl, als er begann, Ubungen und Vorlesungen über Kant zu geben, sich einigennassen in dessen Werken umsah. Wir erachten es daher als wahrscheinlich, dass Husserl bereits d a m a l s die meisten Werke Kants wenigstens ,,im ÜberflugH gelesen hat - d a s s er sie gelesen hat, erweist Husserls Exemplar der Hartenstein-Ausgabe. Auf alle Fälle besitzen wir kein Indiz, dass diese einmalige weite, aber nicht unbedingt tiefgehende Lektüre Kants später stattgefunden hat. Wie die Manuskripte zeigen, hat sich Husserl später wohl ausschliesslich in einzelne Steiien der Rantischen Werke vertieft, hauptsächlich in die Kritik der reinen Vernunft, um daraus Nutzen für seine eigene phänomenologische Problematik zu ziehen. Ein mehr von historischem Interesse getragener Oberblick übcr die Werke Kants würde am besten in jene frühe Zeit passen, als sich Husserl daran schickte, zu Kant ein ncues Verhältnis zu gewinnen. Auf Grund von Husserls Privatbibliothek und von Rcrncrkungen in Manuskripten ist es möglich, einige wichtige Sekundärliteratur über Kant, die Husserl in der in Frage stehenden Periode benützt haben dürfte, anzugeben.1 An allgemeineren Werken ist hier einmal zu nennen der dritte Teil von Uebenvegs Grundriss der Philosophiegeschichte in der Ausgabe von 1875, weiter Mellins I i ~ z x y l z l ~ ~ ü d i s ~Wfirlrnlruch Bcs der krilischrn. Plzilosofd~ir i i l i t l Vaihingers Kommentar zzc Kants Kritik der reinen Vernunft, an Hand dessen Husserl zwar nicht mehr als die beiden Vorreden zum betreffenden Werk Kants gelesen hat. Auch nur sporadisch hat Husserl das wichtige Werk von Hermann Cohen Kants Theorie der Erfahrung (in der zweiten Auilagc von 1885) konsultiert. Gründlich hat er den 3 12 dieses Buches gelesen, der Kants transzendentale Methode erörtert. In ihr sah Cohen die Originalität 3
S.U. Anhang 11.
iind Mission Kalits; er stcllt sic dar als cntstnndcn iin Nnclidenken über die Philosophiae natzlralis $vincipia mathematica Newtons und kennzeichnet sie als Feststellung und Prüfung der bedingenden Grundbegriffe der als Tatsache vorliegqnden Naturwissenschaft. Genau studiert hat Husserl das Werk des CohenSchülers August Stadler, Die Grundsätze der reined Erkenntnisiheorie ira der Kantischen Philosophie. Kritische Darstellung. Stadler übernimmt von Cohen in Bezug auf die Kantinterpretation die Unterscheidung zwischen dem metaphysischen und dem transzendentalen Apriori, welches als der definitive Begriff nichts mit psychologischer oder physiologischer Organisation oder Eingeborenheit zu tun hat, sondern eine rein logisch notwendige Bedingung der Erfahrung darstellt. E r scheidet denn auch streng die Kantische Erkenntnistheorie von der Psychologie. Auch fasst er wie sein Lehrer die Kantischen Kategorien als besondere Arten der einen fundamentden Kategorie oder Einheitsfunktion, der transzendentalen Apperzeption. In scinem angeführten Werk versucht er unter beständiger kritischer Bezugnahme auf die Kantischcn Texte die „Grundsätze des reinen Verstandes" als notwendige Bedingungen der Einheit der auf die apriorischen InEialte Zeit, Raum und Empfindung überhaupt bezogenen „transzendentalen Apperzeption" vollständig zu deduzieren. Weiter hat Husserl auch die Schrift von Moritz Steckelrnacher, Die formale Logik Kants in ihren Beziehungen zur transzendentalen, fast vollständig gelesen.Steckelmacherhebt deutlich die Kantische Scheidung zwischen reiner und angewandter Logik hervor und bestimmt jene als wesentlich normativ. Er will zeigen, dass dic formale Logik nach Kant nicht völlig aus sich verständlich sei, sondern Voraussetzungen enthalte, die in den Bereich der transzendentalen Logik gehören. Ausführlich geht er dabei cin auf Kants Bestimmung des Verhältnisses von Begriff und Urteil einerseits, die beidc einer analytischen Tätigkeit entspringen, und der von der Analysis vorausgesetzten Synthesis andererseits, die auf dem Grund der synthetischen Einheit der „transzendentalen Apperzeption" unbewusst produktiv die sinnlichen Daten in Zeit und Raum zu Komplexen vereint und damit schon ein allerdings unbewusstes Allgemeines konstituiert, das der Analysis die Handhabe zur Bildung von logischen, bewusst allgemeinen Begriffen bietet.
l3icsc Srliiinrl5rlitcrntiir iihrr Knnt. ist. fiir Hiisscrl wohl ziciiilicli bedeutend gewesen. Ihrcn Auswirku~igeriwerden wir z.'i'. crst in der späteren Zeit begegnen. Für die schon in die Zeit vor der Veröffentlichung der Logischen Untersuchungen fallende AbWendung Husserls von seiner früheren bloss psychologischen Kantinterpretation und für seine Anknüpfung an Kants Idee der reinen Logik in den Prolegomena waren die genannten Schriften Cohens, Stadlers und Steckelmachers wohl nicht ohne Einfluss.
HISTORISCHER ÜBERBLICK 2.
KAPITEL
D E R DURCHBRUCH ZUR TRAKSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE (VON D E N L C G T S C H E N U N T E R S U C H U N G E N ZU D E N I D E E N )
4. Cii? Periode unmittelbar vor der Enthckung der ,,~5änomenoEogischenReduktion" In der Periode, die wir in diesem Kapitel behandeln, geschieht HusscrIs Durclilir~iclizur t raiiszcii tlcii L :ilcii I'li!iiioiiiciiologic auf dem Wege der transzendental-phänomenologischen Reduktion. Damit rücken ins Zentrum von Husserls Denken der Begriff des reinen Bewusstseins und das universale Problem der IConsti t U t ion der diesem Bewusstsein sich darstellenden Gegenstände. Durch die Veröffentlichung der fünf Vorlesungen Die Idee (+PPhänomenologie aus dem Sommerseme~ter1go74st es allgemein bekannt geworden, dass dieser ~urcdbruchHusserls bereits mehrere Jahre vor den Ideen stattgef$nden hat. Auf Grund dieser Vorlesungen sowic anderer noch nicht veröffentlichter Manuskripte konnte er ziemlich genau datiert werden, nämlich in die Jahre zwischen 1905 und 19071, womit natürlich nicht gesagt werden soll, dass mit dicsm letzten Datum die ,,traxsendentale Reduktion" für Husserl schon eine abgcschlossene und gewonnene Sache war. Diaer Durchbruch wurde von manchen Interpreten entweder als Aufstieg odcr aber als Abfall in cincn kantianischcn Idealismus begrücst bzw. beklagt. Tatsächlich erinnern manche Wendungen Husseris aus der Zcit nach dicsenz Diircl~brucl~ an dic kritizistische Philosophie, und es ist daher von grösstem Interesse nachzuprüfen welcher Art Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus in jenen entscheidenden Jahren war.
Als Husserl für das Wintersemester 1901loz zu einer ordentlichen Professur von Halle nach Göttingen berufen wurde, besass er scfic.n, wie wir im vorhergehenden Kapitel feststellen konnten, I s. Ha 11, Eiul. des Herausgebers (W. Biemel), S. VII-X.
t
25
ein weit positiveres Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus, als dies zu Beginn der Haliischen Zeit der Fall war. E r kennt den grossten Teil der Kantischen Schriften - wenn auch nicht sehr tiefdringend - aus persönlicher Lektüre und aus seinem Seminarbetrieb; er steht mit einem prominenten Neukantianer, Natorp, in einem regen Gedankenaustausch und ist an der Hallischen Universität auch mit einer Reihe anderer Kantianer in Kontakt ge1':ikiiltiit war zur 2% t koinnicn. An tlrr (;ötlingcr Pliiloso~~liisclirii Husserls der Einfluss des Neukantianismus geringer ds in Halle. Als ordentliche Professoren für Philosophie wirkten dort der Lotzeschüler Julius Baumann und der Gedächtnispsychologe Georg Elias Müller, bei dem sich Philosophie auf Psyclio~>hysik wiliizichr.tc*. Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus bleibt zu Beginn der Göttingerzeit im wesentlichen dasselbe wie am Ende der Hallischen Jahre. Die Beziehungen zu Natorp scheinen sich eher zu verstärken. uber Kant fährt Husserl fort, Vorlesungen und Seminarien zu hdten.1 Zum erstenmal behandclt er auch die praktische Philosophie Kants; so in den Ethikvorlesungen von rgoz und in philosophischen Ubungen über Kants Kritik der praktischen Vernunft und Grundlegung der MetaPhysik der Sitten im Wintersernester 1gojlo4 und im Sommersemester 1906. Im Wintersemester 1g03/04 hält er eine vierstündige Vorlesung über Die Geschichte der neueren Philosophie von Kant einschliessLicb bis zur Gegenwart und im Wintersernester 1905106 liest er vier Stunden die Wochc über ICaltt und die nachkantische Plziloso#hie. U h r Kants Kritik der ueinen Vernunft führt er im Sommersemester 1902 ein Seminar durch; der Titcl seines Seminars im Winterscmestcr 1go5/oG lautet : Philosophische Uhungen iiber R a n k Theorie der Erfahrung nach der Kritik der reinen Vernunft und den Prolepmcna. Wohl aus dicscr frülirrcn G6ttirigcrzcit st;immrii drei VorIesungsfragmente über Kantz. Ihr Kantbild ist von demjenigen der Logischert Untersuchngen kaum verschieden. Kants 1 s.u. Anhang 1. "s handelt sich um folgende drei Texte: a) um den Text, der in Ha V11 als Beilage X I X publiziert wurde (der Herausgeber datiert ihn auf 1908; unseres Erachtens ist er etwas früher anzusetzen, etwa ~ g o g ) , b) um Ms. orig. F 142, S. 48a-5aa (wohl vor 1907; Husserl bemerkt zu diesem Text: ,,alt, noch ganz unzureichend"), C) um Ms. orig. F I 26, S. 147a-14ga (WS 1902/03).
Grundproblem x r d dargestellt als dasjenke der Synthesis der syntletrschen Urleile a priori, und seine Lösung in einer stark psycholcgisch-anthropologischen Interpretation einer scharfen Kritik unterworfen. Dass sich Husserl in jener früheren Göttingerzeit ausserhalb der d h n t e r , Vorlesungen und Übungen noch intensiver mit Iibnts S~Iirifteubeschäftigt liätte, ist aus Hiisscrls iinc1igcl:issenen Mariuskripten oder auf Grund anderer Quellen nicht zu er-
weisen. Die Einführung der phänomenologischen Reduktion in den Vorlesungen vom Sommersemester 1907 sckeint schon auf Grund des Vorangehendrn nicht u n m i t t e l b a r auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit Kant oder mit Natorp zurückzugehen. Dies wird bestätigt durch die Gestalt der phänomenologischen Reduktion, wie sie in jenen Vorlesungen vorliegt.1 Sie ist dort in e r s t e r L i n i C nicht durch einen kantianischen, sondern durch einen Cartesischeri Gedanken geprägt, nämlich durch die Idee des Anfgzngs der Philosophie in einem absolut Gegebenen (in einer a b s o h t n Evi3er.z) und der Epoche hinsichtlich all dessen, was dieser Forderung nicht entspricht. Von Kant wird ausdrücklich gesagt, dass ikm der Begriff der phänomenologischen Reduktion fehle.2 -Und doch ist die Philosophie Kants und Natorps in jencn fünf fundamentalen Vorlesungen unübersehbar anwesend. Die Frag3 nach dem Recht der Erkenntnisprätentionen und nach der Moglickkeit der Erkenntnis ist die Ausgangsfragcs, und die Forderung h e r Kritik der Vcmunft zur Ermöglichiing der Metaphysik die Grondforderung.4 Schon seit mel-ircrenJahren, soweit wir in HusserlslGianmkripten feststellen kornten, schon seit 1904, betxchtete Hirsccrl mit einer immer wach~endenBetonung eine Kritik der Vrrnanft als seine philosophische Hauptaufgabe.5 Auch irn spezielkn Natorps Gedankcn sird in den Fünf vorEcslcnge.ei,von 1907,ohne dass dieser aber je genannt würde, wirksam. Dre erste dieser Vorlesungen stellt o b j e k t i v e Wissenschaft und Philosophie (im besonderen Erkenntnistheorie) einander geL 11.1fulgcnden küiuicib wir nur arideutcii. Iliiic ~~iincllicliere Analyse dcr phäiiomenobgis-hen Reduktion in den Fünf Vorl. geben wir im § 18. 2 FGnf Vorl., S. 48. 3 s. a.a.3.S. 3, 6 , 19, zj, 38/39, 43 u.a. 4 s. a.a.0. S. 3, 22' 46, 52, 58. 5
s:~.
$ 16,
genüber als Wissenschaften grundsätzlich verschiedener Denkhaltungen oder grundsätzlich verschiedener D i m e n s i o n e n ; und am Ende der zweiten Vorlesung, nachdem die phänomenologische Reduktion auf dem Cartesianischen Weg durchgeführt wurde, wird deren eigentlicher Sinn nun plötzlich ganz uncartesianiscli bestimmt als Aufforderung, keiner p d ß a a ~ cC i s &hho ytvoc von tlcr I)iiiiiwsirm t l ~ rpliilosol~liisclir.ii15rkt~iiiiliiisiii tlic~joiiigc~ t b i natürlich- o b j e k t i V e n Erkenntnis zu verfallen.1 Diese radikale GegenüberstelIung aweier Wissenschaftsdimcnsionen und die ständige Warnung vor einer Metabasis von der einen Dimension in die andere gehören zu den grundlegenden Gedanken von Natorps Auffmung dcs Vcrliältnisscs von o b j C k t i v c r Wissenschaft und Psychologie.:! Das Verhältnis zu Kant und zu Natorp, das in Husserls Wendung von 1907 zum phänorncnologisch reinen Bewusstsein und der von diesem aus sich stellenden universalen Konstitutionsproblcinatik liegt, sclieint uns das folgende zu scin: Husscrl hat durch eine nun schon seit zehn Jahren durchhaltende mässige Beschäftigung mit Kant und durch eine intensivere mit Natorp eine gewisse Vertrautheit mit deren Gedanken geworincn; ihre Problematik ist in sein eigenes philosophisches Ringen eingedrungen und wirkt sich in ihm - z.T. für Husserl sclbst incognito aus. Gegeniiber der Philosophie Kants und Natorps hat Husscrl abcr andererseits grosse Vorbehalte, haiiptsächlich (aber nicht nur) n~etliodischerArt. Diese Philosopliic sclicint ihm vor nllerri nicht seinem Intuitionismus und seinem Idcal einer absoluten Wissenschaft, deren Anfang eine absolute Evidenz zu scin hat, zu entsprechen. Diesem Ideal sieht Husserl bei Descartes entsprochen, und es ist nun unter dessen Ägide, und nicht unter jencr Kants, unter der Husserl 1907 das „ r e i n e Bewusstsein", das „ego cogito" erfasst. In diesem Aufstieg sind aber die kantianischen Gedanken im Untergrund wirksam, und sie sind es, die weit tiefer, d.h. zugleich wesentlicher, aber auch verborgener als Descartes den letzten Sinn der phänomenologischen Reduktion HusserIs bestimmen. - Diese Behauptiingcn werden wir erst wirklich rechlfertigen köii~icn,wenn wir in1 zwcitcii Tcil uiisrrcr Stutlic die innere Entwicklung von Husserls Gedanken der phänomenoFünf Vorl., 5. 38!39; vgl. a.a.0. 5. 6 . S.U. $ 3 0 .
logischen Reduktion bis in die Krisis hinein genau verfolgen werden. In der jetzigen historischen Ubersicht gilt es uns ja nur - wir betonen es zum wiederholten Male - einige grosse Linien der EnxickIung von Husserls Kantverhältnis festzuhalten. Unsere Feststellungen stehen mit Husserls eigenen Bemerkungen über seine philosophische Entwicklung im Einklang. Für die Entdedrung der phänomenologischen Reduktiop wies Husserl immer auf den Einfluss Descartes' hin,l nie abeq auf denjenigen K a t s oder Natorps ;in Bezug auf Kant leugnet er vielmehr einen solchen. So schreibt er 1919 in einem Brief an Arnold Metzger, d a s er früher gegen Kant tiefste Antipathie hegte, und dass dieser ihn eigrntlich (wenn er recht urteile) überhaupt nicht bestimmt habe.3 Es ist hier zu bemerken, dass Husserl sein wirkliches Verhältnis zu andern Philosophen oft unzulänglich beurteilte; soviel darf aber aus Husserls Urteilen entnommen werden, dass Natorp oder Kmt 1907 nicht den u n m i t t e l b a r e n Anstoss zur Konzeption der phänomenologischen Reduktion gegeben haben, was aber xch: einen tiefer liegenden Einfluss ihrerseits ausschliesst.
5. Die Jahre intensiver Azcseinandersetzzcng mit Kant nach der Weltdu'~g zur reinen Phänontenologie Husserl hat sein Verhältnis zu Kant so beurteilt, dass er erst, nachdmn Zr sich 1907 die phänomenologische Reduktion erarbeitet hatte, dessen inne wurde, dass sich seine eigenen philosophischen 1ntm:ionen mit denjenigen Kants in einem tiefen Einvernehmen befinden. In diesem Sinne hat sich Husserl rnchrmals, besonders in Briefen an Neukantiancr gcäussert. So schreibt er 1915 an Rickert: „Erst als ich auf meinen, mir selbst so mühseligen Wegcn, im Anstieg von unten, mich unvermerkt im idealistischen Gelände fand, da war ich in der Lage, unter Abstreifung a l l s Begrifkromatik das Grosse und ewig Bedeutsame im deutschen Ideal~smuszu erfassen." 3 Dasselbe schreibt er 1918 an N ~ t o r p :,,Wie wenig auf mich, den Werdenden, Kant und der weitere deutsche Idealismus eingewirkt hat, für dessen inneren Sinn ic.h zunächst völlig blind war, so hat mich ihm meine weitere Lcgik, C. 249: Ha I, Pariser Vorträge S . 3 ; Cart. Med., S . 43. s. 3usserh Brief an A. Metzger vom 4. Sept. 1919, veröffentlicht im Jahrbuch der Goivcs-Gesel~schaft,( 6 2 ) 1953, 195-zoo; vgl. auch Ha VI, Beil. 455 (1936). 1s . 2
t
C.
Brief an H Rickert vom
20.
XV, C.
Dez. 1915 (Kopie im Husserl-Archiv).
Entwicklung (dcn weltanschaulichen Intentionen, wenn auch durchaus nicht der Methode nach) angenähert. Die idealistische Philosophie bot mir keinen Lehrer, ihre Grundwerke waren für meine Forschungen keine Ausgangs- und Grundwerke... Wie immer ich als ganz vereinsamter Solus-ipse mir durch unwegsames Gestrüpp Wcgc bahnte, er fülutc inicli durch das Mctliuni ciiics (vielleichtmodifizierten) Platonismus auf Höhen- und Fernblicke, in denen mir mit einem Male Kant zugänglich und in weiterer Folge der tiefere Sinn des deutschen Idealismus und die absolute Bedeutung der ihn leitenden Intentionen verständlich wurde. Zugleich wurde ich dessen gewiss, dass die immanenten Richtlinien meiner streng wissenschaftlichen,von den primitiven Bewusstseinsstrukturen ausgehenden phänomenologischen Arbeit den zielgebenden Intentionen dieses Idealismus zustrebten. Auf ihn ist seitdem, wie wenig es in meinen Schriften auch sichtlich werden mag, all meine systematische Arbeit vollbewusst bezogen. . .," 1 An Ernst Cassirer schreibt Husserl 1925 : „Meine eigene Entwicklung, die ursprüngiich kantfeindlich war, aber freilich für den eigentlichen Sinn der Kantischen Philosophie unempfanglich, knüpfte an Descartes und die vorkantische Philosophie des 18.Jahrhunderts an, natürlich mitbestimmt durch wichtige Impulse von Brentano, Lotze und Uolzano. Als ich aber von den mir als Mathematiker nächstliegenden wissenschaftstheoretischen Grundproblemen zu irnmer neuen in notwendiger Konsequenz fortgetrieben und, inlmer Meder über die Möglichkeit voraussetzungsloser Peststellungen und absoluter Rechenschaftsabgabe nachsinnend, zur Methode einer eidetischen Bewusstseinsanrtlyce durchdrang, und als ich mir mit der phänomenologischen Reduktion das Reich der Urquelle allcr Erkenntnis eröffnete, da musste ich crkcnnen, dass dic mir zuwachsende Wissenschaft bei wesentlich andersartiger Methode die gesamte Kantische Problematik umspannte (die nun erst einen tiefen und klaren Sinn empfing) und dass sie Kants Hauptergebnisse in streng wissenschaftlicher Begründung und Begrenzung bestätigte.'' 2 Tatsächlich liegen mannigfaltige Zeugnisse dafür vor, dass Husserl unmittelbar nach seinen entscheidenden Vorlesungen vom Sommersemester 1907 sich weit intensiver als vorher mit 1
Brief an P. Natorp vom 29. Juni 1918 (Kopie im Husserl-Archiv). an E. Cassirer vom 3. April 1925 (Kopie im Hussed-Archiv).
"rief
HXSTORISCIIER ÜBERBLICK
Kant auseinandersetzte. In einer Tagebuchcintragung vom 3. März 1908 notiert Husserl: „Im Winter 1907/08 ging meine Arbeitskraft zurück. Ich sah, dass es unter diesen Umständen a m besten sei, mich meinen Vorlesungen zuzuwenden, mit der meine Schüler, wie es scheint, nicht unzufrieden waren. Ich habe immerhin gelernt durch vertiefte Beschäftigung mit Kants Kritik der reinen Vernunft." 1 Besonders reichen Aufschluss über Husserls intensive ~usiinandersetzun~ mit Kant unmittelbar nach seiner ersten Einführung der phänomenologischen Reduktion geben eine grosse Anzahl von Forschungsmanusknpten, die 2.T. von Husserl selbst auf die Jahre 1907 (September), 1908 und 1909 dadiert sind.2 Sie beschäftigen sich mit Kants Fragestellung nach der Möglichkeit der Wissenschaft, mit dem Verhältnis seiner transzendental-logischen Methode zur phänomenologischen, mit dem Sinn des Apriori und dem Verhältnis des Analytischen und Synthetischen, mit der Scheidung von transzendenther Ästhetik und transzendentaler Analytik, mit Kants Begriff der Synthesis, ~ den , Beweisen den Argumenten für die Apriorität des ~ a u mmit der Grundsätze, besonders der „Analogien der Erfahrung" und stellen sich allgemein die Aufgabe, nach dem Phänomenologischen in Kants Vernunftkritik zu suchen. Des öftern verweist Husserl. mit Seitenangaben auf Stellen der Kritik $er reimen Vernunft, besonders auf die Einleitung, die Transzendentale Astlzetik und innerhalb der ~ranszendentalt&Logik auf diS Trmszendentale Analytik, oder zitiert daraus wörtlich ganze Abschnitte.a Auch einige Sekundärliteratur über Kant h a t Hucserl wo111 in jenen Jahren gelesen: Als wichtigste ist zu nennen die Schrift Alexander Wernickes Die Theorie des Gegensknks wnd die Lehre vom Ding an sich bei I. Kant, deren reaListische Deutung des Dinges an sich für Husserls eigene Kantauffassung sehr bestimmend war. Weiter wirkte sich auch das Werk 0. Ewalds Kants Methodologie in ihren Grundzügen auf Husserls Kantdeutung aus.4 Offenbar hatte Husserl nach seiner Wendung von 1907 das 1% Das betr. Tagebuch ist veröffentlicht in Philosophyand Phenomemlopical Research, h%'2 1956 (XVI, 3); S. dort C. 302.
Es handelt sich hauptsächlich u m Texte, die in den Mss. tranccr. (Transkriptionen der Manuskripte) B IV I und D 13 X X I zusammengestellt sind. Neben diesen Texten siehe auch die Mss. orig. B I1 I und A V1 811, S. 42a. 3 Fast durchwegs benützt Husserl dabei die auf der ersten Auflage des Werkes basierende Kehrbach-Ausgabe. 4 S.U. S. 158,Anm. 2.
31
dürfnis, sicli über das Verliiiltnk seincr Pliä~io~ricnologic in ihmneuen Gestalt zur Philosophic Kants klar zu werden. Es ging ihm darum, sowohl die Divergenzen festzustellen, als auch die gemeinsamen Linien zu sehen und vom Kantischen Gedankengut zu lernen. Aus dieser AuseinanGersetzung mit Kant hemm und im Bewusstsein einer inneren Verwandtschaft übernimmt Husserl 1908 den Kantischen Terminus, f ranszendental" zur Bezeiclsnung seiner Phänomenologie.1 In seiner akademischen Lehrtätigkeit fährt Husserl frirt, sich mit Kant zu beschäftigen. Wie schon vor der Wendung vor, 1907 hält Husserl auch nachher jedes zweite Jahr (Wintnrsemester t 1907/08, ~ g o g / ~Io~, I I ~ I Z 1913fI4) , eine Vorlesung übe: K i l ~usd die nachkantische Phzlosophie. In1 Wintersemester 19og!1o und in demjenigen von I ~ I O ~ I Iführt er erneut ubungen über Kants Kritik der rezhen Vernunft durch ; auch der praktischen Pliiilosophie Kants widmet er wiederum zwei Übungen (Sommersemester rgog und Sommersemester 1914). Die erhaltenen Vorlesungsmanuskripte der späteren Göttingerzeit werten Kants Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erkenntnis und die Idee der naiura jwmaEiter spectat~in positivem Sinne und nennen vor allem als grosse Entdeckung Kants die Erkenntnis, dass alles ontologische Apriori auf dic Subjektivität zurückweist.2 Auch Husscrls Beziehungen zum Neukantianismus h & ~sich in diesen Jahren nach 1907 noch vcrstärkt. Als 1909 J r 1 l . u ~Baumann in Göttingen emeritiert wurdc, schlug HusserI als Nachiolgcr PaulNatorp und als zweiten Kandidaten dcnNatorp-Schüler Ernst 1 Der Text, den W. Bietnel in seiricr Einleitung zu I.fa [I zitiert, und in dem bereits der Begriff der transzendentalen PPaiiomenologie vorkommt ( s . a.a CI. S . IX), stammt sicher nicht aus 1907,wie Bieme: angibt, sondern mit grösster wahricheinlichkeit aus 1908. Husserl bemerkt nur a 7 i Rande dieses Textes, dass e r ,,znm Teil unter Verwendung einiger Blätter von 1907" geschrieben wurde (s. Ms. orig. B I1 I , S. 27a). Bieniels These, dass sicli Huscerl vährcnd dc!r eritsrheidenden Zeit VCIT 1907 eingehend mit Kant beschäftigte, und d a s ihm aus dieser Bescbäftiguog heraus i i e Idee der Phänomenologie als Transzendentaiphilosophie und transzenEentaler Idealismus sowie der Gedanke der phänomenologischen Reduktion erwaclsen seien (s. a.a.0. S. VIII), scheint uns auf Grund uiserer Feststellungen einiger Korrekturen zu bedürfen: Erstens, die eingehende Bes-häftigung mit Kant ist nicht unnittelbar v o r den Fünf Vorlesungen, sondern unmitAbar d a n a c h anzusetzen; zaeitens. ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in den Fünf Vorksungen Desca-tes mehr im Vordergrund steht als Kant. S. Ms. orig. F 1 12, S. 53b-56b (WS 1gzo111)und Ms. orig. F 142, S 43a. (wohl gegen 1913).
33
HISTORISCHER Ü B E R B L I C K
Cassirer vor. In einem Brief an Natorp vom 23. Dezember 1908 begründet er seinen Vorschlag: „Denn neben Ihnen wirken zu dürfen, das war seit einer Reihe von Jahren mein lebhafter Wunsch." 1 Gewählt wurde dann aber weder Natorp noch Cassirer, sondern der Sigwartschüler Heinrich Maier. Gleichzeitig habilitierte sich in Göttingen Leonhard ~ e l s o n ,der Kant irn Sinne von Fries rein psychologisch zu verstehen suchte und weiterbildete. Wie in bezug auf Kant so hat Husserl in diesen Jahren auch das Bedürfnis, sich über sein Verhältnis zu Natorp klar zu werden. Im März des Jahres 1909 gibt er in einem Brief an Natorp seinem Bedauern Ausdmck, dass er diesen zur vorgesehenen Zeit nicht besuchen konnte, und fügt hinzu: „Gar zu gerne hätte ich mit Ihnen allerlei durchgesprochen: die in unserer Korrespondenz berührten Fragen der transzendentalen Methode (im Sinne Kants und Ihrer Schule) und der phänomenologischen Methode, des Verhältnisses Ihrer philosophischen Psychologie und meiner Phänomenologie, der verschiedenen möglichen Umgrenzungen der reinen Logik (in all diesen Punkten bin ich gegenüber den Logischelt Untersuchungen wesentlich fortgeschritten)." 2 Tm Oktober desselben Jahres setzt sich Husserl auf Grund von Natorps Eideitufig in die Psychologie eingehend mit dessen psychologischer Methode auseinander 3 und in seinem Seminar behandelt er im darauffolgenden Winter einige kleinere Schriften desselben Aators.4 1910 versucht Husserl wiederum eine Berufung Natorps oder Cacsirers nach Göttingen zu erwirken; aber auch diesmal ohne Erfolg.5 In jenen Jahren nach I907 beginnen sich auch Husserls Beziehungen zu Rickert etwas enger zu gestalten. Seit 1910 steht er mit diesem in regelmässiger Korrespondenz, deren Gehalt allerdings weniger philosophischer Natur ist als diejenige mit Natorp. 1910 setzt sich Husserl auch scliriftlich mit Rickerts grossem Artikel Zwei Wege der Erkenntnistheorie auseinander 6 und zur selben Zeit will er den Artikel Über den Begriff der Philosophie in seinem Brief vom 23. Dez. 1908 (Kopie irn Husserl-Archiv). Brief vom 18. März 1909 (Kopie im Husserl-Archiv). 3 S. Ms. orig. K. I1 4, S. 103a-11ob (15.116. Okt. 1909). 4 s . den Brief an Natorp vom 22. Februar 1910 (Kopie im Husserl-Archiv). 5 s. den Brief an Natorp vom 28. Okt. 1910 (Kopie ini Husserl-Archiv). B C. Ms. transcr. A I 42 (1910); vgl. U. $5 34-36.
privaten Seminar behandeIn.1 Auch die fundamentabn W e r k Rickerts hat IIusserl sehr wahrscheinlich in jenen Jahren studiert. Ausserdem hat er sich wohl bereits 1908 mit dem Werk T'orausse~zungen und Ziele des Erkenlzens beschiäftigt,2 von dem Husserl in einem Brief an Natorp erklärt, dass es ausgezeichnete Kapitel enthalte,3 und dessen Autor, Jonas Cohn, Rickert nahestand. Husserls Auseinandersetzung mit ICant und dem Neukantianismus während jener Jahre nach 1907 kommt schon, allerdings nicht sehr explicit, im Logosartikel von 1911 zum Ausdruck; deutlicher aber dann in den Idee% I. Im 5 62 dieses Werkes, der den Abschluss der „phänomenologischen Fundameutalbetrachtung" über die transzendental-phänomenologischeReduktion bildet, gedenkt Husserl des Gegensatzes zwischen Dogmatismus und Kritizismus und stellt seine Phänomenologie als diejenige U'issenschaft hin, in der „alle eidetischen (also unbedingt allgemein güttigen) Erkenntnisse beschlossen liegen, mit denen sich die auf beliebig vorzugebende Erkenntnisse und Wissenschaften bezogenen Radikalprobleme der ,Möglichkeit' beantworten". 4 Die Phänomenologie wird dann gepriesen als die ,,geheime Selinwclit deiganzen neuzeitlichen Philosophie", wobei Kant in cer Reihe der Vorläufer die ausgezeichnete Rolle zuerteilt erhält : ,,. ..erst reckt erschaut sie (die Domäne der Phänomenologie) Kant, dessen grösste Intuitionen uns erst ganz verständlich werd.rn, wenn W: uns das Eigentümliche des phänomenologischen Grbietes zur vollbewussten Klarheit erarbcitet haben. Es wird uns dann evident, dass Kants Geistesblick auf diesem Felde ruhte. . Husserl vergisst aber nicht so$cich auf die methodisc:len Mängel Kants hinzuweisen - „. . . obschon er es sich noch nicht zuzueignen und es ais Arbeitsfcld einer eigenen strengen Wesenswissenschaft nicht zu erkennen vermochtc." 5
."
4 6
s. den Brief an Rickert vom 25. April 1910 (Kopie irn Husserl-Archiv]. Husserl verweist auf dieses Werk in Ms. transcr. B IV I, S. 233 (wo31 1908). s. den Brief vom 8. Juni 1917. Ideen I, S. 148. ebenda.
3. K A P I T E L
D I E PERIODE D E R G E N E T I S C H E N PHÄNOMENOLOGIE
$ 6 . Die Zeit des ersten Weltkrieges als Zeit von Hzcsserls weltanschaulichem Bündnis mit dem deutsclten Idealismzcs In die Jahre des ersten Weltkrieges fällt Husserls Berufung nach Freiburg i. Br. Seit dem Sommersemester 1916 lehrte Husserl in dieser Stadt auf dem Lehrstuhl, den vor ihm Rickert innedes 1915vcrAxbc~ic.ii gclialtrii liattc. ltickcrt, dcr als Nacl~iolg~r Windelband nach Heidelberg berufen wurde, hatte sich selbst für dic Wahl Husserls eingesetzt. In Freiburg fand Husserl ein stark von Rickert beeinflusstes philosophisches Milieq vor. Neben dem schon erwähnten Jonas Cohn 1 lehrten dort jauch die beiden Rickertschüler Richard Kroner und Georg Mehlis. Der spätere "SchUler" Husserls, Martin Heidegger, hatte sich 1916 bei Rickert unmittelbar vor dessen Wegzug habilitiert. Die Situation des Krieges stellte Husserl vor eine neue philosophische Aufgabe. Husserl empfand das I3edürfnis nach einer philosophischen Wcltaiischauui~g, dic dcni deutschen Volk als geistige Quelle der Widerstandskraft und als Mittel zur geistigen Uberwindung der grossen Not hätte dienen können. Für diesen praktischen Zweck war seine eigene Pliilosophie wenig geeignet. Sie war erst in ihren Grundlagen entwickelt und in ihrer streng wiss~riscliaftlichenForm unfähig, ein weiteres Publikum unmittelbar zur Tat zu entflammen. Der Krieg liess Husserl auch die Notwendigkeit einer geistigen Einheit mit seinen phiiosophischen Mitbürgern und der philosophischen Tradition Deutschlands verspüren. In dieser Situation wandte er sich in vermehrtem Masse den Trägern der grossen idealistischen Tradition Deutschlands zu, nachdem ihn seine eigene philosophische Entwicklung schon nahe an diese herangeführt und in ihm mindestens hinsichtlich des Vaters dieser grossen Tradition, Kant, und hinsichtlich 1 S.O.
C. 33.
gewisser neukantianischer Strömungen ein lebhaftes Gefühl der inneren Verwandtschaft geweckt hatte.' Dieses Bestreben Husserls rach weltanschaulicher Verbundenheit mit dem deutschen Iclealiwms kommt stark in seinem Briefwechsel mit den Neukantianern zum Ausdruck. 1915 schreibt er an Rickert : „ . . . so fühle ich mich im Ietzten Jahrzehnt mit den Führern der deutschen idealistischen Schulen eng vvrbunden, wir kämpfen als Bundesgenossen gegen den Naturalismus unserer Zeit als unseren gemeinsamen Feind. Wir dienen, jeder in seiner Art, denselben Göttern. . .." 2 Er betont, dass auch seine eigene Philosophie ,,Erziehung zum idealistischen Geiste" sei.3 Noch deutlicher wird dieser weltanschauliche Anschluss H-lsserls in einem Dankesbrief aus dem letzten Kriegsjahr an Nstorp für die Übersendung seiner Schrift D z u f s c h ~ rI.Vcltheruj (1018).Ihr maqs ilusscrl nls cincin Ausdruck cirtcr ,,Wcllaiiscli;~uitiig,die u n s allein. . ein ,seeliges Leben' ermöglicht, . .. cnschätzbaren Wert'' zu. Er schreibt in diesem Brief weiter: „Meines eigcne Entwicklung hat schon seit ungefähr einem Jahrrehrt Richtlinien cingesclilagen, die in metaphysischer, religions- ur-d geschichtsphilosophischer Beziehung der- von Ihnen gezeichneten schr nahe verwandt sind. So kann ic3, was Sie aus der Fülle Ihrer wundervoll reichen und harmonisch geeinigten Bildung sich innerlich zugeeignet haben und was Sie uns als Sinn der Welxnt~xvicklung, als Gottesentfaltiing und Welt~chöpfungin der Subjektivität klar gelegt Iiaben, ganz und gar in mich aulnehnien ohne jede innere Uefremdurig, vielmehr als ein mir nach dem Aligemeinen, nach den Hauptlinien, nach dem Typus laiigst Vertrautes und Heimeliges. Wenn sich methodisch und sachlich Diifcrerzen herausstellen sollten, so bleiben sie jetzt doch im Rahmen konkret anschaulicher Deutungen gescliichtlicher Entwicklungen ausser Wirksamkeit. " 4 Den reinsten Ausdruck dieser weltanschaulid~en stellungnahrne Husserls für den deutsc3en Idealismus geben die drei Vorträge über Fichtes Mensckkeifsideal, die HusserI zwischen dem 8, und 17. November 1917 und in Wiederholung zwischen dem 14.
.
.
. ..
1 R. Boehm hat in seinem Artikel HusserZ ef Z'id4nZiswts clasiiq~eauf diese ideologische Anknüpfung Husserls an den deutschen Idealismus hingeivrejen. 8 Brief vom 20. Dez. 19x5 (Kopie irn Husserl-Archiv). Brief vom 26. Dez. 1915 (Kopie im Xusserl-Archiv). 4 Brief vom 29. Juni 1918 (Kopie im Husserl-Archiv).
und 18. Januar 1918 an der Universität Freiburg für Kriegsbeurlaubte hielt. Fichte wird hier dargestellt als der „Philosoph der Befreiungskriege" 1, der in Deutschland nach der Niederlage bei Jena durch Napoleon mit seincr Philosophie des Willens und der Tat gegen die Schlaffheit, mit der weite Volkskreise diese Demütigung hinnahmen, ankämpfte und den Geist des Widerstands entfachte. Husserl betont, dass Fichte „eine durchaus praktisch gerichtete Natur" war: „Nach Anlage und herrschendem Lebenswillen war er ethisch religiöser Reformator, Menschheitserzieher, Prophet, Seher...." 2 Aus diesem praktisch ausgerichteten Lebenswillen Fichtes heraus will nun Huscerl auch dessen Philosophie verstanden haben. Sie ist nach ihm eine Weltanschazcung, die in grossartigen Vorahnungen, aber nicht in wiscenschaftlicher Begründung, Wahrheiten vorausnimmt, „die nicht nur die theoretische Neugier befriedigen, sondern, wie sie in die tiefsten Tiefen der Persönlichkeit dringen, diese afsbald auch umgreifen und zu einer höheren geistigen Kraft erheben". 3 Die Grundideen Fichtes, die Hervorhebung des Primats des tätigen Ich gegenüber der Welt der Gegenstände, besonders aber die theologischen und ethischen Gedanken werden mit einem hohen Pathos verkündet, die konkreten theoretischen Begründungen dieser Ideen in der Wissertsckuftslehre aber als ,,Konstruktionen von kaum erträglicher Gewaltsamkeit" abgelehnt.4 In diesen drei Vorträgen kommt zum Ausdruck, dass Husserl eine ziemlich umfangreiche Kenntnis von Fichtcs Werk besass; allerdings bezog sich diese hauptsächlich auf die theologischen und ethischen Schriften. Von Fichtes Wissenschaftslehre dagegen kannte Husserl nicht viel mehr als die beidcn Einleitungen, ev. nicht einmal diese.5 Husserls Fichtestudium dürfte vor allem Ms. transcr. F I 22, S. 7 (19x7); vgl. a.a.0. S.33/34 (1017). a.a.0. S. 7 (1917). a.a.0. S. 1 2 (1917). 4 Ms. orig. F I 22, S. q a / b (1917; diese Seite wurde nicht transskribiert, d a sie von Husserl aus den Vorträgen ausgeschieden wurde). Zitiert werden in den drei Vorträgen folgende Schriften Fichtes: Die Bestimmung des Menschen (1800) ; Erlanger Vorlesungen über das Wesefl des Gelehr&n (1805) ; Die Grundziige des gegenwärtigen Zeitalters (1806); Anweisungen zum seligen Lcben (1806; auf dieses Werk stützt sich der dritte Vortrag Husserls üb die fünf Stufen der Menschheitsentwicklung); Reden an die deutsche Nation (1808 Fu*f Berliner Vorlesungen iiber die Bestimmung des Gelehrten (1811). Das Exem lar der fünfbändigen Fichte-Ausgabe von Medicus (Eckardt, Leipzig), das sich in Husserls Privatbibliothek befindet, bestätigt, dass er jene Schriften studiert hat. Weiter zeigt dieses Exemplar noch, dass Husserl auch Fichtes Schriften aus dem Atheismusstreit kannte (Appellabion 1 s. 2
J
%;
während der Kriegsjahre stattgefunden haben, und zwar schon einige Zeit vor den Fichtevorträgen.1 Bereits 1915 schr2iLt er a n Rickert, dass er sich in zunehmendem Masse für Fichte interessiere.2 Im selben Jahr, wie dann auch noch 1918 hat Hrrsm-1ein Seminar über Fichtes Bestim~nmgdes Menschen durchgeführt. Allerdings hatte Husserl schon lange Zeit vor dem Krieg ein gewisses Interesse für Fichte: Schon 1903 hielt er ein Seminar über jenes in den beiden oben genannten Seminarien behandelte Werk.3 Dieses Interesse dürfte aber vor dem Kricg, allen Anzeichen nach, eher gering gewesen sein. Die Beziehungen Husserls zu den andern grossen postkantiariischen Idealisten, zu Hege1 und Schelling, sind viel weniger bedeutend. Zwar spricht sich Hiisserl in jencn Kriegsjahren ganz allgcmein über den dcutsclien Idealismus hochschätzend auc. Dabei hatte er aber vor allem Fichte und natürlich Kant im Auge. nenn von Hegels Werk kannte Husserl nur sehr wenig, närnlrch kaum mehr als die Vorreden zur Emyklopädie 4 und zur Pltünmsnologie des Geistes,s sowie einige Kapitel aus den Vorlesmgen iiEcr die Geschichte der Phi1osophie.ß Dazu hat er noch einige wenige Sekundärliteratur über Hege1 gelesen. Spezielle Vorlesungen d e r Semlnarien hat Husserl über ihn nie gehalten. Schelling wurde durch Husscrl völlig ignoriert. Kar1 Jaspers berichtet von einem personlichcn Gespräch mit Husserl im Jalire 1913, in dem dieser sicli beklagte, „wie ärgerlich und für ihn herabsetzend es sei, d ~ man ~ s ihn mit Schelling vergleiche; Schelling sei docli gar kein ernst z i i an das Publikum, Ober den G w n d unseres Chubem an eine g6tUicke Wdllngierung, Rückeriltnerungen, Antworten, Fragen}. Die Wissenschalk;khre dagegen is-. ungelesen. Von dcn beiden Einleitungen %U diesem Werk besass Husserl noch die kkine MeinerAusgabe (ebenfalls herausgegeben von Medicus). Die Lesmpuren, die dieses Exemplar aufweist, stammen aber nicht von I-Iusserl, sondern von seinem rechtmäscigcri Fksitzer, Herrn Bender, von dem es Husserl entgeliehen. aber nicht mehr zurückersrattet hat. 1 Die fünfbändige Medicus-Ausgabe, die Flusserl von Fichte besass , ,,um I ~ I O herum erschienen. S. den Brief vom 20. Dez. 1915 (Kopie im Husserl--4rchiv). Von Die Bestimmung des Memchetl besass Husserl nicht nnr di- Medicos-, sondern auch die kleine Kehrbach-Ausgabe (Redam, J-eipzig 1879). 4 Husserl besass dieses Werk in der .4usgabe von Lasson (Philosophisckz BibliotLek, Bd. 33, Leipzig 1905). ,F Husserl besass dieses Werk in der Ausgabe von Lasson (Pkilosophisch~Bibliutkek, Bd. 114, Leipzig 1907) und inder Berliner-Ausgabe von 1841 (Duncker und Humblot!. Diese Vorlesungen besass Husserl in der Berliner-Ausgabe von 1833 (gelesen s:nd die Kapitel über Heraklit, Leukipp, Demokrit, Anaxagoras, Platon, Ari.stoteles). -
-
+
nehmender Philosoph." 1 Auch während des Kricges scheint sich Husserl nicht für Schelling interessiert zu haben. Die intensive Beschäftigung mit Kant, die nach 1907 einsetzte und dic I-Iusscrl dic Grvsse Kniits iiis vol1c I3cwusstsciii treten liess, dürfte spätestens um 1912, als Husserl die Ideen zu schreiben begann, nachgelassen haben. Aber bereits 1917 studiert er wieder eingehend Kant.2 In jener Zeit hielt er auch eine Vor(itii Soiniiicr..;r!iiicslesung über I i a d s Transzc~tdcnl~~l~Ici1osopItic ter 1917) - es war Husserls letzte spezielle Vorlesung über Kant - und zwei Kantseminarien (im Sommersernester 1917 und im Wintersemester 1918/19). Ziemlich ausführLich war damals in andern Vorlesungen Husserls von I h n t die Rede; so in der Vork< : Sorii~iiersciiwslcrrg10 siiiig Eidcitmtg ilt die l ~ l d o s o f d ~ ivoiii (wiederholt Sommersemester 1918), aus der der längste erhaltene Husserlsche Text über Kant stammt,3 ebenso in der Vorlesung Phänomenologie und Erkenntnistheorie vom Sommersemester 1917,~ die Husserl in den Rantstudien zu veröffentlichen beabsichtigtes und zu diesem Zweck von Edith Stein ausarbeiten liess. Für Husserls Verhältnis zur Philosophiegeschichte im allgemeinen waren die Kriegsjahre insofern bedeutend, als sie in ihm in vermehrtem Masse das Bewusstsein weckten, in einer philosophischen Tradition zu stehen. Es ist äusserst aufschl&sreich, etwa Husscrls Logosartikcl von 19x1,dcr durch einen ahistorischen Geist gekennzeichnet ist, mit den Bemerkungen Husserls über die Wichtigkeit ciner Versenkung in die Werke der philosophischen Vorfahren in den Fichtevorträgen 6 zu vergleichen. Dieses Traditionsbewusstsein Husserls während des Krieges war primär durch praktische Zwecke verursacht. Nach dem Krieg aber sah s. I i . .Jaslir.rr, Rri~hcnschafttrnd Afishlich, S. 327128. Am 6 . Juli 1917 schreibt dlo Asslstoritlii Hriwxln, 1;dltli Stciib nii I i i i i p : t vom i Soiiitiicrsciiicst.cr 1927 zcigcn, t1;tss rlcr Aufsatz Kant und die Idee der Transzenden~alphzloso~ZEie von 1924, der aus einer Rede zu Kants 2 0 0 . Geburtstag im Mai desselben Jahres hervorgcgangen ist, Husserls damaliges Verhältnis zu Knnt trcii aiisdriickt und in seint%rpositiven Strilliin~niihme riiclit ciiifacli durch jciicn iiusscrii Anlass, liiuii zu iuicrii, cxkllirl wcrden kann.7 Husserl hat diesen Aufsatz ursprünglich für die
Veröffentlichung in den Kaatsludiefi bestimmt, ist dann aber von cliescr Absicht abgckornmcri, mügliclicrwcise - cs wäre die crstc grössere Publikation nach den Ideen I gewesen - u n nicht durch diese Schrift, die von einer Wcsensvcrwandtschaft zwischen der Phänomenologie und der Transzendentalphilofo~hk3 a n t s spricht und sich in eine gewisse Gefolgschaft Kants stellt, noch mehr die Gefahr der Klassifikation seiner Philosophie ak einer „neukantianischen" auf sich zu ziehen. Trotz des Bewwj-tseins einer inneren Verwandtschaft woiIte Husserl nicht von Kmt oder dem Neukantianismus her verstanden werden; vielmehr ist deren kritische Philosophie nach seiner Meinung nur vcn seiner transzendentalen Phänom~nologieher in ihrem wahren Gehelt klar zu crf;lsscn. Für diesen Aufsatz hat Husserl Texte über Kani ausamniengetragen, die er während d3in Perioden seiner Lehrtätigkeit und seines Kantstudiums verfasste.1 Der Aufsatz versucht, d a Behcutsamste der Philosophie Kants, dic Kopernikanische Wendung zum :transzendentalen Idealismus phänon~enologisch inchzuvollziehen (und damit, nach Husserl, erst richtig zu wllziehen). Die Art, wie Husserl hier die phänomenologische R e d d t i o n durchftihrt, ist für die Res?immung ihres Wesens \-rrn grosxr Hcclcutuiig iind wird uns noch cingclicnd bcschiiftigcn. In jcnrni Zusammenhang wird hervqehoben, dass Kant ,,in s e i x r tiefsinnigen Lehre von der Sgnthesis die Eigenart intentionaler Zusammenhänge bereits entdeckt" habe; dass die ph5nmenologiscli(:li Qwllt~nfast dl(!r 1Z iiuLisc11w'l'horici~~ L I fgcwici~:~i I scir113; dass das Erbgut Kants nicht pisgcgcben werden dirfe, sondern durch Klärung und Auswertung seiner absoluten Gelidte zu verewigen sei.4 So sci die transzcndci~talcYhänonienologic cin Versiicli, dcn ticfstcn Sinn ilcs Knntisclirii 'Pliilosol~:iirre~i.~ wahr XLI I I ~ : L C ~ fi ~ si(* C Isvlw I ; s i d ~i ~ i1ci1 . W I : S C I I L ~ ~ ( : I ~ ~ :lI< I r p : ~ ~ ~ iii si1ir::r sc von den absolut letzten Quellen der Erkenntnis e~nprsteigeriden
Vielleicht bildet der Text der Beilage XVIII aus Ha V11 ein Stiick dieser Vorlesung. s. Ms. orig. P I 40, C. 202b (WS 1919/20). s. Ms. trnnscr. Ii I 2 8 , S. 260 f f . (1920). S. Ms. orig. F I 32, S. 9za-128b (SC 1927). 5 S.U. S. 84. 8 s. Ms. orig. A I 40, S. za-13 U. z7a-3zb (SS 1927). Wir müssen uns also von den Ausführungen D. HenRchs in seinem Artikel Ober die Grundlagen von Husserls Kritik der philosophischen Tradition, die diese positive Stellungnahme auf jenen äussern Anlass zurückführen, distanzieren.
Das Hauptmanuskript, in dem diese Texte zusainrnengrstellt sind, t . i g t d i e Signatur 11 IV I . Wohl glniclizriti~hat Hrissrrl auch ;tizisrnusbcgleitet sind, der als solcher selbst widersinnig ist, aber auf dem Boden dieser Erkenntnistheorien nicht überwunden werden kann.2 Die Erkenntnistheorie ist nach Husserl nur möglich durch eine radikale Selbstbesinnung des erkennenden Subjekts auf sein erkennendes Leben, dessen Wesen durch die naive Welt- und Selbstauffassung verdeckt ist, und die daher durch den Erkenntnistheoretiker radikal durchbrochen werden muss. Diesen Schritt hin zum Boden, auf dem die Erkenntnisproble1
Beil. XIX,S . 380181 (wohl noch vor rgo7). dazu die erste der Fünf Vorlesungen.
a.a.0.:
2 S.
,
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
72
matik rein gestellt werden kann, sah Husserl- wenn auch nur im Ansatz - in den ersten der Meditationen Descartes' vollzogen: „Philosophie kann nur ins Leben treten mit einer Besinnung und einem Anfang, dessen Typus Cartesius klassisch vorgezeichnet hat." Darum hat Husserl, wenn er gegen Kants mangelnden Radikalismus in der transzendentalphilosophischen Fragestellung vorging, dies oft in Konfrontation mit Descartcs getan; so etwa in einem Vorlesungstext aus dem Anfang der Zwanziger Jahre, in dem ausgeführt wird, dass Kant nie vom gewaltigen Ernst der Cartesianischen Meditationen ergriffen gewesen sei und daher auch nie radikal erwogen habe, auf welchen Boden sich der erkenntnistheoretisch Reflektierende stcllc.2 Auch die für die Krisis geplante Kantkritik sollte ja in dieser Konfrontation oder Messung mit Descartes geschehen und ist so auch in den für diese Kritik geschriebenen Texten ausgeführt worden.3 Den an Kant gerichteten Vorwurf, in seine Erkenntnisprobleinatik transzcnttcnte Voraussctzungcn der natürlichen Wcltauffassung (das menschliche Subjekt psycliologischer Vermögen einerseits und das „Ding an s i c h andererseits) einzubeziehen, hat Husserl im Laufe der Jahre immer mehr abgeschwächt, da sich seine Kantinterpretation in dieser Hinsicht ständig änderte. Was die hterp~etationdes Kantischen Subjekts anbelangt, so wissen wir bereits aus unserem historischen Überblick, dass Husserl in seiner frühesten Zeit die Kantische Philosophie als platten Psychologismus interpretierte, der alle Erkenntnis und Wissenschaft ausschliesslich auf eine zufälligc, rein faktische Einrichtung des menschlichen Geistes, auf einen psychologischen Mechanismus, zurückführt.4 Dieser Meclianismus wurde von Husserl damals auf die selbe Stufe gestellt wie der Hurnesclie psychologische Meclianismus der Gewohnlieit und wurde in seinen Konsequenzen noch als skeptischer betrachtet als dieser, da er auch die Mathematik mit in Leidenschaft ziehe. In welchem Ausmass Husserl Kant psychologisch interpretiertc, zeigt sein Einwand gegen Kants Theorie der synthetischen Urteile a priori: ,,Dass ein Urteil aus solch einer tatsächlichen Einriclitung hervorgehe, das verbürgt doch nicht die Wahrheit. Wären alle 1 Ha VII, Beil. XVIII, S. 375 (1921 oder etwas spater). 2
a.a.0. C. 37314 (1921 oder etwas spater).
8
s. Ha VI, Beilagen X
4
s.o. S. 11.
U.
XV (1936).
Menschen wahnsinnig, wären sie alle ganz falsch organisiert, dann waren ihreurteileüber Tatsachen noch langenicht Erkenntnisse."i Wir haben auch schon darauf hingewiesen, dass IIusserl diese Kantinterpretation aber bald fallen liess und schon zur Zeit der Abfassung der Logischen Untersuchmgen erkannte, dass Kants Erkenntnistheorie Seiten hat, die über den Psychologismus der SeeIenvcrmögcn als Erkenntnisqiicllci-i hinniisrrichcn.2 Wic sclion die oben angeführten Zitate aus den Jahren 1917und 1921zcigen, hat Husserl aber noch sehr lange in der Kantischen Vernunftkritik psychologische (aus der „natürlichen" Subjektauffassung stammende) Aspekte gesehen. Er betont diesen Interpretationsstandpunkt I ~ I Gaufs bcstimintestc gcgciiiil>crtlcn ncukiinti;inischen Versuchen, das psychologische Moment aus der Kantischen Transzendentalphilosophie hinauszuinterpretieren : „Der Psychologismus . . . lebt auch in Kant fort. Wenn die Kantianer unserer Zeit gegen diesen Vorwurf heftig reagieren, so liegt es teils an Umdeutungcn, die sie mit Kant vorndimen, tcils aber dnrnn, dass sic selbst die gefortlcrtc radikale 1,oslösiing von ;~llciiiI'sychoIogismus nicht ZU vollziehen vermochten. Man kann nicht die Erkenntnisvermögen, aus denen Kant geometrische und kategoriale Begriffe und Grundsätze entqulllen lässt, als blosse fupns de parler I~iristeiIm,da sonst Rants Uarstellungcri ganz unvcrständlich werden." 8 11n selben Text anerkennt Husserl aber doch wiederum, dass die Kantischen, aus der Psychologie stammenden Begriffe über ihren vorclergründigcn psycliologisclieri Sinn hinausweisen, ohne allerdings in ihrem tiefer liegcndcn transzendcritalen Sinn eine wirkliche Klarheit zu erreichen: ,, . . . das menschliche Subjekt ist immerfort vorausgenommen als Subjekt psychischer Vermögen. Im Fortschritt der Untersuchungen und ihrer Ergebnisse erfahren diese Voraussetzungen notwendige, abcr gnriz und gar ungeklärte Verschiebungen; sic nehmen daher cirien mythischen Sinn an . . .." 4 Wenn Husserl schon zur Zeit der Logischen Untersztchungen M-.ririg. K i 28, C. 21n (1887). Log. Unters. I , I . Aufl. S. 93 .4nni. Ha VII, Beil. X X I , S. 402 (CS 19x6); folgende Texte betonen noch stark das psychologische Moment in Kants Vernunftkritik: a.a.0. Beil. X I X (wohl vor 1907) ; a.a.0. Beil. XVI (wohl 1908); Ms. transcr. B 1V I , S. 74/75 (wohl Dez. 1909); Ms. orig. F 1 3 0 . S . 70-77 (SS 1916); Ms. transcr. F I 28, S. 294195 (SC 1920); Ha VII, Beilage XVIII (1921 oder etwas sp5ter). 4 tla VII, ßcil. S X l , C. 401 (SS 1916). 1
2
74
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
wusste, dass Kant die Begründung rler Vernunftkritik durch Psychologie ablehnte.1 und daher anerkannte, dass die subjektiven Begriffe Kants nicht einfach psychologisch zu verstehen sind, so vermisste er aber bei Kant eine Klärung und methodisch reine Erfassung ihres tiefer liegenden Sinnes und richtete daher an ihn - schon in den Lagischen lintersuchufigen - den Vorwurf mythischer Unverständlickkeit. Diesen Vorwurf, dem wir uns eingehend anlässlick unserer DarsteIlung von Husserls Kritik an Kants methodisc'iiem Vorgehen widmen werden, erhebt Husserl im Laufe der Jahre rmmer bestimmter. Diese Kritik und diejenige der Voraussetzung des psychologischen Subjekts der natürlichen („dogmatischen") Nieltauffassung verhalten sich, in der zeitlichen Kontinuitgt gesehen, also „umgekehrt proportional" zueinander - und zwar notwendiserweise. Zur Zeit der Krisis steht der Vorwurf des Mythischeri ganz im Vordergrund, während der Gegenvonvurf nicht mehr erhoben wird. In den Prager Vorträgen, die eine Vorstufe zur Krisis darstellen, erklärt Husserl sogar ausdrücklich die psychologische Kantinterpretation iür verfehlt: ,,Wenn man Kantc Philosophie als die subjektivistische oder als immanente bezeichnet und an die menschliche Seele denkt, so wie sie in der traditionellen Psycl~ologic,also als Komponente der psycho~hysischenRealität Thema ist, so hat man kein ---- Wart von Kant verstanden. Gerade diesen objektivistischen ,Psychologismus' iür immer zu entwurzeln ist Kants Untern~hrnen." "- 2
Schon in den I d e e ~betont Husserl, dass Kant zum Boden der reinen transzendentalen Subjektivität vorgestossen sei.3 Die Fichte-Vorträge von 1917118interpretieren K m t s Subjekt nicht mehr psychologisch, sondern rein transzendental.4 In den Vorlesungen Erste Philosophie vom Wintersemester 1923124 erklärt Husserl, Kant könnc der Vorwurf nicht gcmacht werden, dass er objektiv-wissens:haftliche Erkenntnisse (etwa ein Wissen über Psychophysisches), die der natürlichen Erkcnnti~iscinstellung entspringen, in die erkenntnistheoretischen Untersuchungen einflechte.5 In den Zwanziger Jahren wie dann auch im letzten Jahr1 s . a.a.0. Beil. X\'. S. 554 (woh. 1897/98);a.a.0. Beil. XVIII, S. 369 (1921oder etwas spater). 2 31s. tranqcr. I< I11 1, 5.20. 3 Ideen I, S. 148. 4 s. Ms. transcr. F 122, S .15, 21 (1917).
3
Erste Pk.I, C.
IH.
H U S S E R L S VERIIÄLTNIS Z U K G N T
75 zehnt von Husserls Leben finden wir immer wieder der Auffassung Ausdruck gegeben, dass sich Kants Forschungen d e f a c t o auf transzendentai-phänomenologischer Ebene abspielen.1 Husserl versuchte in jener Zeit das Kantische Subjekt von der Monade Leibnizens her zu verstehen, dessen Einfluss auf Kant er in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen stark hervorhob.2 Die Kantische Vermögenstheorie zeigte sich ihm so als eine „flüchtige monadologische Interpretation psychologischer Lehren". 3 Die Monade Leibnizens deutete Husserl als Cartesianisches reines ,,EgoU.4 Wir finden also den an Kant gerichteten Vorwurf des Psychologismus einerseits und die transzendental-phänomenologische Interpretation des Kantischen Subjekts bei Husserl gleichzeitig, obschon jener Vorwurf immer mehr zurückgeht, und diese Interpretation sich immer sicherer äussert. Selbst in den allerletzten Jahren war Husserl noch immer der Auffassung, dass Kants Vernunftkritik nicht gänzlich rein von dogmatisch-psychologischen Momenten sei, wenn er auch in den Prager Vorträgen eine psychologische Kantinterpretation als grundverkehrt ablehnt.5 Denn noch in der Krisis finden wir die charakteristischen Satze: ,,Wenn dagegen Kant in seiner Fragestellung und regressivcn Methode zwar natürlich auch von der vorgegebenen Welt Gebrauch macht, aber dabei eine trmszenclentalc Subjektivität konstruiert, durch deren verborgene transzendentale Funktionen nach unverbrüchlicher Notwendigkeit die Welt der Erfahrung dass eine besondere geformt wird, so gerät er in die ~chwicri~keit, Eigenheit der menschlichen Seele (der selbst zur Welt gehörigen und daher mit vorausgesetzten) die Leistung einer diese ganze Welt gestaltenden Formung vollziehen und vollzogen haben soll. Sowie wir diese transzendentale Subjektivität aber von der Seele unterscheiden, geraten wir in ein unverständlich Mythisches." 6 Die psychologische und die transzendental-phänomenologicche Interyrctation des Kantischcn Subjekts widcrsl>rcclicri sich n u r S.U.
§ 17.
47a (gegen 1913);Ms. orig. F 1 30, C . 71b (SC 1916);Ha V I ~ , Beil. XVIII, S. 374 (1921oder etwas später); Ms. orig. A I11 4,C . 89b (wohl anfangs 2
s. Ms. orig. F 142,C .
der Zwanziger Jahre). 3 H a V I I , ßeii. X V I I I , S. 374 (1921 liegt in der Weise ursprünglicher Stiftung im EigenWesen d e r E r f a h r u n g selbst. Was sie bedeutet, kann man nur ihr allein abfragen, so wie man (was übrigens selbst in unseren Bcreich gehört), was ein juristisches Ucsitzrecht jeweils bedeutet und ausweist, nur erfragen kann durch Rückgang auf die Urstiftung dieses Rechtes." 2 Was Husserls Kantinterpretation von derjenigen jener Schule unterscheidet, ist dies, dass er, wenn er auch ausführliche noetische (subjektive) Untersuchungen in Kants Veniunftkritik vermisst? ihr Vorhandensein in diesem Werk doch mehr betont als jene neukantianische Schule. F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, 2. Band, Logik, S. 146147. 8 S.O. $ 9.2,
1 8
S. 131.
84
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Muss aber Husserl, wenn er als den Ansatzpunkt der Kantischen Problematik die Naturwissenschaft betrachtet, nicht Kant doch wieder 5-orwcrfcn, dass cr ~objcktivcs,dcr natürlichen Erkenntnislialtung entstam~nendcsWis~eiials Voraussetzung in die Erkenntriispr~biematikeinbeziehe ? Tatsächiich stellt Husserl bei Kant ein w starkes Verhaftetsein an der Wissenschaft seiner Zeit fest.1 Aber zu einer p r i n z i p i e l l e n Kritik wird dieser Vorwurf bci Husscrl iiic. Virlinclir cirklSrt cir in ~:lcrVoilcsliiig N d w und Gzis2 von1 Sommersemester 1927: „Il(~iiiriiiiissc~ii v o r ilrr c i i l w i c k c l l wcrdtrii
Einem Philosophen vorzuwerfen, dass er ein gewisses philosophisches Problem nicht gestellt habe, ist ein unsachliches Unternehmen, sofern dieser Vorwurf sich nicht auf ein Problem bezieht, das seinem W e s e n n a c h in den Problemkreis der betreffenden kritisierten Philosophie hineingehört und dort notwendigemeise gestellt werden muss, wenn die Probleme dieses Problemkreises überhaupt eine klare Erörterung erfahren sollen. Es ist nicht gleichgiiItig, welche Einzelprobleme innerhalb einer iinivers;~lcn,inncrlich zusamrnerigchörigeii Problematik gcstellt werclcn, da die klare Formuliernng und Behandlung gewisser Probleme die Erörterung anderer Probleme voraussetzt. In dicscm berechtigten Sinn wirft Husserl Kant vor, die Problematik der wissenschaftlichen Natur zu hochstufig anzusetzen. Bcrcits 1912 schreibt er in einem ursprünglich für die Ideen I1 gedachten Text, der das Problem der Konstitution der wissenschaftlichen Natur entwirft: ,,Solche Problcme bewegen, obschon nicht voUkommen ausgereift, Kants Verniinftkritik, sie setzen aber offenbar eine Phänomenologie und eine Einsicht in die Konstitution der niedereren Erfahrungsstufen voraus, eine Aufgabe, die Kant nicht erfasst und, wo cr sie gcstrciit, clocli in ilircr Grösse nicht geahnt hat. Daher fehlt ihm schon die richtige Formulierung dcs Problciiis. I h s l'roblcrii clcr Itin ciiiciii riitsc~lhaften Milieu, ist Leistung mythisch bleibender transzendentaler Vermögen. " 2 Der Einwand, dass Kant es unterlasse, das Bewusstsein systematisch intuitiv zur erforsclirn, findet sirli bei Husscrl von drn Logischen Untersvckultgen bis zur IIrzszs.3 Der ganze $ 3 0 dieses letzten Werkes Busserls, der den Titel trägt: „Der Mangel einer anschaulich-aufweisenden Methode als Grund für die mythischen Konstruktionen Kants", ist jenem Einwand gewidmet. Er führt aus, dass Knnt scinen Lcscrn vcrwclirc, „die Ergrbnissc scincs regressiven Verfahrens in anschauliche Begriffe umzusetzen", da er nur eine Art von innerer Erfahrung kenne, nämlich die ysycliologische, die er als unEäX~igbetrachte, das transzendentale Bewusstsein zu erfassen. Da alw seine transzcndentalen Begriffe durch keine Ansd-auung z l erfiillen seien, blieben sie „mytliisch", d.h. prinzipiell unverständich. In den Prager Vorträgen und dccn diesen entsprecliendcn Tcilcn der Itriszs stellt I-Iusscrltlcn Mangcl an intuitiver He~~usstsein;forscl~ung als den Grund hin, warum in1 Kampf von Objektivismus und Tra~~szcnclentalpE~ilosoyI~ie, der die Geistesgeschichte der Neuzeit bestimmt, der Objelrtivismus in Form des Positivismus die Transzendentalphilosophie der deutschen Idealisten überwinden konnte.4 Das ,,keineu i.it vrr uns sinngemäss hinzugefügt. Erste Ph. I , C. 1g;/pY. Log. Unters. 11, I . h f l . 6. Unttrsuchung, cj 66; Ha VII, Beilage XVI I1 (1921oder etwas später); a.a.0. Kants Kopeynikanische Unzdrehuwg.. ., S. 228 (1924);a.a.0. K a n t . . ., S. 237 (1924:;Logik, S. 13; Ms. transcr. K I11 28, C. 5 5 (wohl Dreissiger Jahre). 4 S.U.
5 28.
106
,
Husserls Vonvurf, das Bewusstsein nicht intuitiv zu erforschen, ist natürlich gleichbedeutend mit dem Vomurf, keine systematische i n t e n t i o n a l e Analyse zu betreiben; denn intuitive Bewusstseinsforschungkann nach Husserl nur intentionale Analyse sein, da Bewusstsein und Intentionalität dasselbe ist. So ist denn Husserl der Uberzeugung, dass „die grossen von der Marburgcr Scliiilc iind A. Richl ncii ~rschlosscncnGedanken dcr Kant'schen Vernunftkritik nichts weniger als iin echten Sinn grundlegende, d.i. aus den ursprünglichsten und klarsten Quellen (denen der reinen Anschauung) unmittelbar schöpfende sind; dass also die Kant'sche Transzendentalphilosophie weder in ihren originären, noch in den erneuten Gestalten die irn wahren ! Sinne Erste Philosophie sein könne". 1 Wie aus den obigen Zitaten ersichtlich ist, sieht Husserl Kants regressives und konstruktives Verfahren in engstem Zusarnmenhang mit der rationalistischen Tradition, die aus Reaktion gegen den Empirismus sich von der Empirie (vom Anschaubaren) fernhielt, um sich mit einer blossen Wortanalyse zu begnügen. Auch der spezifischregressive Charakter des nicht intuitiven Verfahrens Kants wird von Husserl mit dieser rationalistischen Tradition in Zusammenhang gebracht, nahcrhin mit ihrer ,,Versöhnungsmetaphysik". Diese Metaphysik, die nach I-fusserl schon auf die Cartesianisclic Schule zurückgeht, stellt nach ihm eine im Unanschaulichen verbleibende, regressive Konstruktion der Bedingungen der Möglichkcjt der Versöhnung von modernem mechanizistischem Wcltbild und rcliqös-teleologischer Weltan.ichauung dar im Sinne der Frage: Wie miiss die Wirklichkeit letztlich gedacht wcrdcii, dass (lirsc gcgcnsiitzlichcn Standpunktc mitcinander in Einklang gebracht werden können ? 2 Der eigentümliche 1wstt.ht Cluiri~klcrt l ~ sVorgcliciis tlcr V1~rsijliiiiiii~111rti~~~1~ysiIi also darin, dass sie sich dogmatisch an gewisse Auffassungen klammert und ohne dirckt-anschaulichen Aufweis deren Bedingungsgründe konstruiert. Dieses Vorgehen ist nach IIusserl das eigentliche Vorgehen der Theologie, die es dazu benützt, ihr Dogma rational verständlich zu machen. ,,Aber was der Theologie zugebilligt werden kann, steht noch nicht der Philosophie zu. 1
2
H U S S E R L S V E R H ~ L T N I S ZU P A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Entwurf einer Vorrede zu den Log. Unters. (xg13), S. xro/rr. Erste PA. I, S. 188, 190.
%T
*
I"7
Sie darf kein vorausgehendes Dogma, keine wie immer geartetc Vorüberzeiigiiiig habcn. Ihr Wcscn isi CS ja, absolut gcgründcte Wissenschaft, oder einfacher, reine Wissenschaft und nichts als Wissenschaft sein zu wollen." 1 Im konstruierenden Verfahren des Rationalismus und des deutschen Idualismus sah Husserl also eine Heteronomie gegenüber der Theologie. 2 Kiitits Vcifalilci~ciiwr lcrmkrcl :i~i~r:liiliili(:licii IM)rsc:li.~itig(10s transzendentalen lilewusstseiils sah Hucserl aber nicht nur im geschichtlichen Zusammenhang mit dem Rationalismus, sondern er bezichtigte auch die naturalistische Psychologie des englischen Empirismus, Kant von einer solchen Forschung ferngehalten zu haben. In den Pragcr Vorträgen führt Sr aiis: „Ich glaube nun und hoffe, Sie davon überzeugen zu können - so paradox diese These hier erscheinen muss - dass gerade dieser sinnverfälschende Bann, der auf der Psychologie lag und der sie bis heute verhinderte, ihre eigentümliche Aufgabe zu erfassen, die Hauptschuld daran, trägt dass die Transzenikntal~hilosopliieaus ihrer pcinlichen Situation keinen Ausweg fand und darum in ihren schillernden Konstruktionen stecken blieb. Hätte die Psychologie nicht versagt, so hätte sie eine notwendig vermittelnde Arbeit geleistet für eine konkrete, handanlcgende, analytisch-synthetische, von allen Paradoxen befreite Tra~szendentalphilosophie."3 Husserl ist natürlich weit entfernt, die Transzendentalphilosophie psycliologisch begründen zu wollen. Eine echte Psycliologie vermag aber nach ihm die konkrete inteotionaie Struktur des Bewusstseins, die - wenn auch in einem andern Sinnzusammenhang - auch dem transzendentalen Bewusstsein eigen ist, sichtbar zu machen und so für die Transzendentalphilosophie Vorarbeit zu lcistcri. Ja nocli inchr, nach dcrri spälcri I-Tusserlfülirt cinc rüdikal diirchdachte Psychologie. ihren eigener. Motiven folgend, notwciidig mir ' ~ ~ ~ ~ i 1 ~ s ~ ~ ~ 1 i d ~ ~ 1 ~ t i ~ 1 ~ ~ 1 ~ i 1 o s t ~ ~ ~ l 1 . i ~ ~ . Natürlich konnte Husserl das Fehlen von systematischen intuitiven Analysen des transzendentalen Bewusstseins bei Kant nicht einfach durch dessen historisclic Abliängigkcit vom Rationalismus und Empirismus erklären. Er war sich bewusst, dass a.a.0. S. 190. Die unanschauliche Konstruktion der Prinzipizn kennzeichnet auch die positive Wissenschaft, wie etwa die moderne Physik. Diirct die reine Intuition versuchte Husserl der Philosophie eine spezifische Wissenschdtlichkeit zu sichern. Ms. transcr. K 111 I, S. 2 6 (1935).
108
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
dieses Fehlen bei Kant nicht ein bloss zufälliges ist, sondern durch den innern Gehalt seiner Philosophie selbst bedingt wird: E s gibt nach Kant nur eine anschauende Erfahrung von „ P h ä n o m e n e n " (in s e i n e m Sinne) oder - da ,,Weltw bei ihm den Inbegriff der Phänomene darstellt - nur eine W e l t l i c h e Erfahrung; somit ist die Selbsterfahrung des Subjekts immer nur psychologisch und nie transzcndcntal.l,2 Drmgcgcniiber lchrt Ilusscrirl, dass nicht alle Erfahrung Selbstgebung von Weltlichem sei, sondem dass es auch eine unmittelbare und anschauliche Erfahrung des absoluten, weltkonstituierenden Bewusstseins gebe.3 Gerade in Zusammenhängen, die besonders terminologisch stark an die Kantische und neukantianische Philosophie anklingen, betont Husserl immer wieder, dass das absolute oder transzendentale Bewusstsein keine Konstruktion, sondern in direkter Anschauung gegeben sei4 Was ist nun nach Husscrl der Grund, warum Kant die Möglichkeit einer transzendentalen Erfahrung nicht erfasst hat ; welches ist also der tiefste Grund für das Fehlen der systematischen intentionalen Analyse? Husserl antwortet: Weil Kant die transzendental-phänomenologische Reduktion nicht methodisch durchführte." ,,Transzendental-phänomenologische Reduktion'' bedcutct aber nicht nur Umwendung von der natürlich-objektiven Einstellung auf die Welt zu dem dieser Welt vorangehenden, d.h. sie konstituicrcndcn Uewusstscins, dns r~lssolciies crfnhrcii wcrclcn kann, und Abhebung dieses Bewusstseins von allen weltlichen Objektitäten, auch von den in der räumlichen Welt lokallslertcn Seelen (als dem Gegenstand der Psychologie), sondern zugleich der Schritt von der nicht adäquat anschaulichen und damit nicht apodiktischen ~ e l t e r f a h r u n gzur adäquat anschaulichen und damit apodiktischen Erfahrung des Cartesianischen ego cogilo. E s handelt sich hier um die beiden h e t e r o g & n e n Momente von i ! 1 s. K~isis, 5 30. W i r möchten nicht leugnen, dass bei Kant Ansätze zur Begründung einer transzendentalen Erfahrung (in1 Sinne Husserls) vorhanden sind; wie sehen diese Ansätze in der von Kant deutlich gemachten Universalität der Zeit gegenüber der ,,Begrenztheit" des Raumes. Die inneren Phänomene gehören nach Kant nicht in den Raum; nach Husserl bedeutet dies eigentlich schon, d a s sie nicht rnundane sind, d a Mundaneität Lokalisierung einbeschliesst. S. 2 . 8 . Logik, C. 197,223124. 4 S. z.B. Ideen I, S. 133, 134; Ha V, Nachdort, C. 141. 5 Krisis,S. 202 ff.; Ms. transcr. K I11 I, S. 22 (1935).
1 I
i I
109
Husserls transzendental-phänomenologischer Reduktion, die von diesem aber immer eng gekoppelt gesehen wurden, selbst dann noch, als er sich in der Xrzsis vom Cartcsianischcn Modus der phänomenologischen Reduktion, in dem das zweite Moment im Vordergrund stellt, distanzierte. Vom ersten Moment aus gesehen, wird Kants Verkennen einer transzendentalen Anschauung, wenn I-Tusscrl rlaiiir als Grund das Iicliicn clcr bcwusst Citrclig~fülirtcti transzendental-phänomenologischen Reduktion angibt, auf ein Prinzip zurückgeführt, das an sich mit dem Intuitionismus nichts zu tun hat, eben auf die methodisch nicht radikal durchgeführte Wendung von der natürlich-objektiven in die transzc3dentale Einstellung, was die Vermengung von psychologischer und transzendentaler Erfahrung und damit das Verkennen der letzteren zur Folge hat.1 Vom zweiten Moment aus aber wird jenes Verkennen und der damit verbundene Mangel an intentionaler Bewusstseinsanalyse durch das Fehlen des Intuitionismus im allgemeinen erklärt, der, radikal durchgeführt, zu einer absoluten oder apodiktischen Intuition und dadurch zum Cartesianischen ego cogito hinstrebt. Da das erste Moment weit grundlegender Husserls transzendental-phänomenologische Reduktion bestimmt als das zweite, von dcm sogar irn Gegensatz zum erden völlig abgesehen werden kann,2 cchcint also nicht der Vorwurf des mangelnden Intuitionismus den logisch ursprünglichs:en Punkt von Husserls Kantkritik zu bjlderi, s o n d ~ r nder Vormirf der nicht n~ctliotliscliklar ~lurchgclülirtci~ trnt~szciiclriit:~1e11 Wciidi-ng. Viir EIusserls ;13ewustseiri aber ist der erstgenannte Vorwurl sicher wichtiger. Auf aile Fälle liängen f ü r ihn die in dieserc Paragraphen unter a) und b) angeführten Kritiken eng zusammen. Da die unter a) besprochene Kritik nichts anderes als die unter Cem Methodengesichtspunkt durchgeführte Kritik des fj 10ist, sti sind wir hier an der Stelle angelangt, an der sich die g r u n d s ä t ~ ~ c h s t eKantn kritiken Husserls eng verschlingen.3 s. Ideen I, S. 148. Diese Behauptungen werden wir irn g 18 begründen. 8 In seinem Artikel Husserl rt I'idddisme classique bezeichnet R. Boehm den Begriff der „Rekonstruktionw als den Schlüsselbegriff von Husserls Kritik am deutschen Idealismus von Kant bis Natc,rp. Diesen Begriff habe Husserl a l k Wahrscheinlichkeit nach von Natorp übernommen, bei dem e r den Begriff für die Grunrlmethode aller Transzendentalphilocophie darstelle. Bei Husserl soll dieser Begriff diejenige Methode kennzeichnen, die vc.n ,,erfundenenu Prinzipien aus die als bekannt vorausgesetzte phänomenale Welt rekonstruiere, wobei das Gelingen d k e r Rekonstruk
I10
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Die hier folgenden Bemerkungen bilden ein Corollarium zu den Ausführungen über Husserls Idee der Philosophie im obigen Abschnitt b) .l Wir haben schon in einem andern Zusammenhang einiges über Husserls Begriff der Vemunft gesagt.2 Damals stand Husserls weiterer Vemunftbegriff zur Rede, der die Spontaneität oder Aktivität des Subjekts bedeutet und der Sinnlichkeit als der Passivität oder IZczcptivität gcgcriübcrstclit. Schon dnninls vcrwiesen wir aber auf den prägnanten Vemunftbegriff Husserls, der die n o r m g e m ä s s e oder r e c h t m ä s s i g e Aktivität (die „vernünftige Vernunft") bezeichnet. So kann Husserl sagen : ,, . . . der Vemunftcharakter ist . . . selbst der Charakter der Rechtheit. . .." 3 Dic Vernunft in dieseln pr@nariten Sinn liegt für
-
-
1x1
Husserl noch vor aller Scheidung in thcoretische Vernunft und Vernunft der Gemütssphäre, bzw. in theoretische, axic.lq$x:?e und praktische Vernunft.1 Die Quelle des Rechts der Akte (der „SetzungenW)ist nach Hnsserl die E v i d e n z : Eine Set z-mg ist vernünftig (rechtmässig) wenn sie in der Einsicht g r ü n ~ e t . z ~ i e Urqucllc aller Vernünftigkeit ist die ,,originäre EviCcnz". 3 Daher kann Husscrl die originäre Evidenz als ,,UrvernuriftcLaraktcr" bezeichnen.4 Vernunft im prägnanten Sinne ist also f?r Husserl eine Setzung (Thesis), die in der Evidenz gründet („ich glauke, weil ich sehe"). In einem gewissen Sinne ist für Hu;serl sogar die Istdir Vaber selbst den Fall an, alle endlichen Vernunftwesen hätten dieselben Bedürf~isse,würden also durch dieselben Objekte in Lust und Leid brwcgt, d5cliten auch in Anscliung dcr Mittel, dicsc Objckte zu realisieren, gänzlich einerlei, selbst dann wäre das Prinzip der Selbstliebe kein praktisches Gesetz, denn diese Einhelligkeit wäre doch nur eine zufällige, diejenige einer zufälligen, wennschon ausnahmslosen Erfahrung. Die Bestimmungsgründe des Willens hätten bloss subjektive und empirische Geltung, sie hätten nicht diejenige Notwendigkeit, welche die echte Objektivität ausmacht und die aus Gründen a priori entspringt; es wäre eine bloss physische Notwendigkeit, die uns die Handlung unausbleiblich ab-
nötigte, wie etwa das Gähnen, wenn wir andere gahnen sehen.'' 1 Es scheint uns nicht unwahrscldnlich, dass Huscerl für seine Polemik gegen „KantsUP;ychologisrnus wesentliche AL-egungen von den anti-psychologistischen Argumentationen Kants srlbst empfangen hat - ohne sich dessen vorerst bewusst ZU seix Später dürfte Husserl allerdings diese r~ichlichpmadoxe Sitilation eri in kannt liabcn, was ihn d x i n auch &tzu bewogen li ~ l m mag, seiner Kantkritik die anti-psychologistischen Argumentationen wegzulassen. E s sei jedoch bemerkt, dass wenn diese drgumentationen Husserls Kant selbst auch nicht treffen, sie doch den „Neukmtianismus" Larigc-Hrl~nlioltz?ck~e~ Prägung nidit verfehlen. Tm Hinblick darauf verliert diese Kantkritlk etwas ihren paradoxen Charakter: Husserl hatte mit ihr vor allrm auch diesen Neukantianismus ini Auge.
118
1
( b ) K r i t i k d e s K a n ~ i s c h e nA n t h r o p o l o g i s m u s Im voraus müssen wir bemerken, dass die Auffassungen, die Husserl unter dem Titel „Kritik des Kaniischen Anthmpologismus" angriff, von i h :n engstem Zusammenhang niit dein ,,Kantischen" Ysychologisrnusgeselienwurden. Wir wissen bereits, dass Husserl, wenigstens explizit, dem Begriff des „Menschenw nur einen natürlich-objektiven Sinn gegeben hat.2 Wenn er daher Kant von der menschlichen Erkenntnis sprechen hörtc, die iin Gegensatz zur göttlichen Erkenntnis nicht die ,,Noumena" oder dic , , T X I I :ui ~ ~ sich", soti:I(~nl h s s dic (111rchi l m sul>jcktivct~ Anschauungs- und Dcnkwcisen geformten „l'liZnoincne" erkennt, so konnte er diese Kant:sc:he Rede nur in einem natürlich-objektivcn oder empirisch-psycholngischen Sinn verstelicn. I h r Rcgriff des „McnschenH braucht nun aber in der Bewegung Ces pliilosopliisclien T)cnlrens Icritirswrgs i n seiiinrii 11ntiirlii:li-ol>jcktivt?n Sinn zu verharren, sondern vermag auch cinei transzcridmtale Ucdeutung anzunehmen, wenn der sich radikal sellsstbecinn~nde Mensch zu seinem in der natürlich-objektiven Selbstauffassung verhüllten transzendentalen Sclbst vordringt. Wenn Knrit (laller in seiner Vernunftkritik immer wieder von rinem beschränkenden „wir Menschen" spricht, so ist an sich damit noch keineswegs ein 1
(SC
Ms. transcr. F I 20, S. zog (SC
1920). 2 S.O. 76
S.
ff.
1902);derselbe Text
in Ws. tranxr. F I
25, S. 274
I20
SYSTEMATISCIIB D A R S T E L L U N G
Psychologismus heraufbeschworen. Um Husserls Kantkritik kritisch würdigen zu können, ist also ein strenges Auseinanderhalten der „Kritik des Psychologismus" und der ,,Kritik des Anthropologisn~us"notwendig. Wie wir bereits andeuteten, betrifft Husserls ,,Kritik des Kantischen Anthropologismus" Kants Lehren vom ,,Ding an sich" und vom intellectzls archetypzls, die unsere Erkenntnis und Wahrheit als bedingt oder endlich erscheinen lassen, eben als die b l o s ~ menschliche und nicht als die absolute Erkenntnis und Wahrheit oder die Erkenntnis und Wahrheit überhaupt. Wenn wir soeben im Plural von Kants Lehren vom ,,Ding an sich" und vom intellectus archety~zlssprachen, so sind wir damit schon einer besonderen und, wie wir meinen, verkehrten Interpretation Husserls gefolgt. Denn bei diesen Lelircn handelt es sicli letzlicli nur um eine Lehre, die aufgespalten Kants wirklichen Absichten und Formulierungen nicht mehr entspricht und absurd wird. Untersuchen wir nun genauer Husserls Interpretation und Kritik dieser Lehre, die er in den Cartesianischen Meditationen als das den Kantischen und phänomenologischen Idealismus Unterscheidendc anführt.1 Während manche der grossen neukantianischen Zeitgenossen Husserls Kants „Ding an sich" in idealistischen Sinne dcuteten sei es als noumenales Subjekt (Kiino Fischer), als Idee, die die Aufgabe der Erkenntnis ausdrückt (Hermann Calxen),als Formel für die allgemeine Funktion der Gcgenstandsbildung (Ernst Cassirer) oder als das vom reinen Verstand geforderte Gesetz der Einheit von Form und Inhalt der Erscheinung (Bruno Bauch) hielt Husserl, wie bereits in einem andern Zusammenhang festgestellt wurde, an einer realistischen Interpretation fest, und zwar an derjenigen, die bei den früheren Neukantianern die übliche war, nach der Jahrhundcrtwendc aber als prominenten Vertreter fast nur noch Riehl fand. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass I-lusserl diesen Neukantianer persönlich kannte und dass er zu Beginn der Göttinger Zeit die Schrift Die Theorie des Gegenstandes zlrtd die Lehre vom Ding a n sich bei Imnaanzlel Kafit von Alexander Wernicke, die auch den Interpretationsstandpunkt KicliIs vertritt, studiert hatte.3 1
'
Carl. Med., S . 118. S.O. s. 14. S.O. s . 30.
Nach dieser Interpretation ist das ,,Ding an sich", in1 Sinne des gemeinen Realismus oder Objektivismus, aufzufassenals das wirkliche Objekt, das an sich mit der Erkenntnis nichts zu tun hat, dcni also das Erkanntwerden ausserwesentlicli ist. Ober den gemeinen dogmatischen Objektivismus hinaus, der dieses bewusstseinstranszendE.ntv Ding als erkennbar postuliert, ist nach jener Interpretation das Kantische ,,Ding an sich'' nur anzusetzen als nnerkennbare UrsacIic dcr Empfindiingen dcs Subjekts, die dieses zu seinen allein erfahrbaren Dingen, zu den sinnlicli-kategorialen Gegenständen formt. Dieser so gefassteo Idee eines unerkennbaren ,,Ding an sich" stellt Husserl seine These von der Korrelation von Sein und Bewusstsein gegtriiibcr 1in1-lwirft Knnt vor, nicht ziini w;ilircii Sinn dieser Korrelation clurdigedmngen zu sein.' ,,Zum Wesen des Seins gehört Gegeben-sein-können." 2 Denn „ist etwas, so muss, dass es ist, prinzipiell iir Wahrheit aussagbar, die Wahrheit begründbar sein.. . Die Begründung der Wahrheit vollzieht sich in cogitationes, in Uewu;stseiii. . . Also Sein iirid mögliches Uewusstsein, das als erkennendes Rechtsgründe hat, solches Sein anzusetzen, sind sicher Correlativa," 3 ,,Gegenstände selbst und an sich sind nur denkbar in bezug auf ~e&sstscin." 4 „Prinzipiell ist ein Gegenstand undenkbar, der dcr idealen Möglichkeit der Erfahrung und somir:übrigens auch der Möglichkeit eines ihn erfahrenden Subjekts entbehrte." 5,,Wenn wir von Gogenständcn sprechen, die zu keiner Anschauung überhaupt Beziehung haben, so ist das Widersinn." 6 „Die Idee von der1 Dingen an sich, die . . . prinzipiell übersinalicli sind, ist ein nonsens. Er ist ein gänzlich leerer, ja nicht nur das, ein unsinniger Begriff." 7 „Was Kant ,Erscheinung' nennt, das Ding der Erfahrung, das ist ein subjektivistisch (oder anthrcplogistisch) gedeutetes Ding, während es das eine und einzige Ding ist, von dem zu reden Übcrhaupt Sinn hat." 8 „Dem Sein an sich des (Erfahrungs-) Dinges substruieren ein prinzipiell unerfatubares Sein, ist Unsinn." 9 Ha VII, Bcil. X X , S. 386 (IODS). Ms. transcr. B IV 6, S. 229 (1908). 8 a.a.0. S. r86/87 (1908 d.et;vas spätrr). 6 Ms. < A g . I< I 1 4 , S. i o q l ~irHit. ~ r y i q ) . 6 Ms. traiiscr. 11 I V 6, S.83 (1921). 6 Ms. transcr. B IV I, S. 76 ( m h 1 Dez. 1909). 7 Ms. orig. F I 26, S. 1q7b [1qc.2/03). Ms. transcr. B IV I , S. 76j77 (wohl Dez. rgog). 9 Ms. transcr. B IV 6 , S. 229 (zgo8). 2
I22
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Solche Sätze, wie wir sie hier zucammenget;agen haben, finden sich in Husserls Kantkritiken und natürlich auch in andern Texten als Ausdruck einer Husserlschen Grundüberzeugung immer wieder. Besonders in den Ideen I, näherhin in ihrem zweitem Abschnitt (Die phänomenologische Fwndamelttalbetracht~ng) fasst Husserl die Idee eines „Dinges an sich" von verschiedenen Gesichtspunkten ins Auge, und hier stehcn Husserls kritische Stellungnahmen auch in relativ ausführlichen begründenden Zusammenhängen, auf die wir im folgenden einen Blick zu werfen haben. Im § 43 wendet sich Husserl gegen die Idee des ,,Dinges an sich", insofern dieses gedacht wird als ein durch die Wahrnehmungserscheinungen bloss indiziertes und zugleich durch sie verhülltes Substrat. Husserl zeigt, dass die wesensnotwendige, auch von einem göttlichen Geist nicht aufhebbare 1 Inadäquatheit der Dingwahrnehmung (d.h. die Wesensnotwendigkeit, dass das räumliche Ding nur in Erscheinungen oder Abschattungen gegeben werden kann) keine i n d i r e k t e Gegepnheit des Dinges in der Weise der Indikation durch Bilder o d q Zeichen bedeutet, sondern dass das Ding in dieser ihm wesenseidenen Gegebenheitsweise ,,leibhaftig" s e l b s t d a , s e l b s t gegeben ist. Diese Polemik gegen die sogenannte „Bilder"- oder ,,ZeichentheorieM scheint allcrdings weniger gegen Kant selbst als etwa gegen die Neukantianer Helmholtz und Kiehl, die jene Theoxien vertraten, gerichtet zu sein. Denn in einem Manuskript, das ungefähr 1908 entstanden scin durfte, bekämpft Husserl dieselbe Theorie und bemerkt: „Es ist eine grosse Einsicht, die unter allerlei Verhüllungen schon bei Kant zutage getreten ist, dass nicht all das, was wir Wahrnehmung, Erfahrung und erfahrungsmässige Naturerkcnntnis nennen, ein bloss indirektes Bewusstsein ist." 2 Tatsächlich wendet sich ja Kant in seiner Widerlegung des Idealismus aufs schärfste gegen die Cartesianische „Repräsentationstheorie" dcr äusseren Erfahrung und weist klar die Unmittelbarkeit dieser Erfahrung auf.3 Doch glaubte Husserl, Kant diese Einsicht eben nur „unter allerlei Verhüllungen" zugestehen zu 1 Auf Husserls Polemik gegen die Idee eines ,,göttlichen Geistes", für den Wesensgesetze der Dingwahrnehmung nicht gelten, werden wir noch unten zu sprechen kommen. 2 Ms. transcr. B IV 6, S. 209 (1908).
3
Kritik der reinen Vernunft, B 275176.
können, denn er blieb immer der Ansicht, dass nach Kant das sinnliche Material des Bewusstseins ein die Subjektivität ganz und gar Transzendierendes bekiinde.1 Damit hat Husscrl aber wohl vor allem einen andern Aspekt des ,,Dinges an s i c h irn Auge, der nicht notwendig die Auffassung der Wahrnehmung als eines i n d i r e k t e n Bewusstseins mit sich führt, nämlich den Aspekt des „Dinges an sich" als ,,unbekannter Ursache dcr Erschcinungcn". Gegen diesen Aspekt geht Husserl im j 52 der Ideelz I vor. Er erklärt hier in einem ergänzenden Text aus den Zwanziger Jahren, der in der Husserliana-Ausgabe in den Zusammenhang des Paragraphen eingegliedert wurde, dass diese Ursache der Erscheinungen, wenn sie überhaupt s e i , prinzipiell wahrnehmbar sein müsse, also nicht prinzipiell „unbekannt" scin könne. Er begründet diese These mit dem Hinweis, dass die Richtigkeit des Existenzialurteils die Möglichkeit der Anpassung der Urteilsmeinung an die Ursache selbst in deren „originalen Selbstgebung" besage. „Ein mögliches Ich gehört also zur Möglichkeit der Wahrheit, bzw. eines wahrhaft Seienden, hier wie bei irgendwelchem wahrhaft Seienden sonst.'' 2 Husserl hebt hervor, dass dieses Ich nicht das eigene Ich zu sein brauche. sondern eventuell ein anderes „besser und weiter schauendes Ich'' sein könne, in bezug aiif das abcr prinzipiell die Möglichkeit der Einfühlung bestehen müsse. Setzung eines Seienden (Exictcntialurteil) schliesst nach ,Husserlalso notwendig in sich die Setzung der Möglichkeit der originalen Sclbstgebung dieses Seienden (in der es sich seincm Seinsmodus entsprechend selbst gibt) gegenüber einem erkennenden Ich, d.h. die Setzung seiner prinzipiellen Erkennbarkeit. Es ist demnach nach Huscerl widersinnig, eine unerkcnnbare Ursache der Erscheinungen zu postulieren, ganz abgesehen davon, dass eine ursächliche Erklärung der Erscheinungswelt durch eine „Affektion von bewusstselnstranszendentn Dingen" eine Naturalis~erungdes Bewusstseins, d.h. die Einordung des Bewusstseins in einen naturkausalen Zusammenhang bedeutet. Wie steht es nun aber nach Husserl, wenn ich ein unerfahrbares „Ding an sich" nicht als Wirklichkeit, sondern als blosse Möglichkeit ansetze? Darauf gibt Husserl im $48 („Logische Möglichkeit und sachlicher Widersinn einer Welt ausserhalb unserer Welt") Ha VI, Beil. XV, C. 454 (1936); vgl. 31s. orig. F I 30, S. 77b (SC 1916). Ideen I , S. 123.
1 s. 2
I24
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
und in einer Randbemerkung zu diesem Paragraphen, die als Beilage XIV in die Husserliana-Ausgabe aufgenommen wurde, eine Antwort: Vom formal-analytischen Gesichtspunkt ist ein solch unerfahrbares „Ding an sich" (bzw. eine unerfahrbare Welt) möglich, da ihr Begriff keinen formallogischen Widerspruch enthält. Betrachte ich aber diese formallogische Mögliclikeit saclilicli, d . 1 ~nelime ich Einsiclit in dcii cjacl@ialt dieser Möglichkeit, was in einer phantasierenden Anschauung geschehen kann, so werde ich des Widersinns dieser formallogischen Möglichkeit gewahr. Denn stelle ich mir in der Phantasie ein Ding oder eine Welt vor, dann ist in dieser Anschau1111fi n o t w r ~ i < l i riii g lMdmi\stroiii r h w rriiici~Ir11 iiiil:iiigtschaut, da jenes Ding oder jene Welt nur vorgestellt werde11 kann als Einheit von synthetisch zusammenhängenden Abschattungen (Erscheinungen von), also in Orientierung auf ein Subjekt hin. Die Fragr stcllt sich, ob dicsc Kritik Hiisscrls drs ,,Ding ;in sicli" dic I'hilosopliie Kaiits wirkIicli trifft. Oltiic Zweifcl crweist sie dasjenige „Ding an sich" als unmöglich, das sich manche Neukantianer und Kantinterpreten (darunter auch Husserl) vorstellten. Auch in der Kritik derreinen Vernunlt (TramszendemtaleÄsthetik!) (~rwliriiitdas „Ding :in sicli" xitiiiiclist als dir Olijrkliviliit des Rationaljsmus, d.h. als das ,,DingH,wie es im Ausgang von Descartes von jenem in seiner Wesensbestimmung ohne inneren Bezug zum erkennenden Bewusstsein gedacht und auch zum grundlegenden Objektbegriff der modernen Naturwisscnschaft wurde. Manchc Wendungen Kants können talsäclilich den Eindruck erwecken, dass dieser jenes objektivistisch konzipierte Objekt stehen lässt und nur die vom Rationalismus pcistrilierte faktische Erkennbarkeit dieses Objekts ablehnt. Im dritten Hauptstück der Analytik der Grzmdsätze (Von dem Grunde der Unterscheidumg aller Gegenstände giberhaupt i n Phmomena und Noumena), wo Kant systematisch Phaenomenon und Noumenon einander gegenüberstellt, erhält aber das „Ding an sich" einen völlig andern Gehalt: E s ist dort kein absolut bewusstseinstranszendenter Gegenstand, der an sich mit einem erkennenden Subjekt (mit der Wahrheit) nichts zu tun hat, den wir aber erkennend als unsern Gegenstand intendieren, um schljesslich zu erkennen, dass wir ihn gar nicht erkennen können. Kant erklärt: ,,Damit aber ein Noumenon (Ding an sich> eine: wahren, von d e n
HUSSERLS YERHÄLTNIS
ZU K A N T
125
Phänomenen zu unterscheidenden Gegenstand bedeute, so ist es nicht genug : dass ich meinen Gedanken von allen Bedingungen sinnlicher Anschauung b e f r e i e , ich muss noch überdem Grund dazu haben, eine andere Art der ~ n s c h a u u nals ~ , diese sinnliche ist, a n z u n e h m e n , unter der ein solcher Gegenstand gegeben werden könne; denn sonst ist mein Gcdanke c1oS:h leer, dwwar oliric Witlcrspriicli." 1 Das „ l h g an sicli" odcr ,,Noiiincn~m''hat also für Kant nur eine positive Bedeutung, wenn es in Bezug auf eine andere Erkenntnis als die unsere, nämlich auf die göttliche gesetzt wird. Es zeigt sich damit - was wir eingangs Ces Abschnittes hervorhoben -, dass das ,,Ding an sich" oder „Neumeiioii" 1i:iiits iiiir ~,iis:~iiiiiic~ii i i i i l ~li~ssoii l ~ l i - r ! 111,si t r k l l r ~ , l u s archetyfms geselien werden darf. Es ist ICarits grosse Leistung, den objektivistischen Objektbegriff als den Begriff eines absclut bewusstseinstranszendenten Gegenstandes als V-rkehrt erwiesen zu Iinixm, iiitlciii cir xciglc, (hss nllc iiristw I die apriorische sachhaltige Form vorzeichnet". 4 In der l f i s i s gehört sie als Ontologie der Lebenswelt zur Grundproblematik. Diese universale Weltontologie umschreibt für den späten Husserl die Sphäre der positiven 5 synthetischen Ontologie. Solange Husserl die synthetische Ontologie mit der Gesamtheit der regionalen Ontologien identifizierte, sah er in Kants synthetischen Urteilen a prinri der Tmmzendentalen Bsthetik und der Transzendentalen Andytik die Konzeption einer einzelnen materialen Ontologie, derjenigen der Region der materiellen Natnr.6 Die Katcgorien Kants fasste er also als regicinalc Kategorferi und fordertc Kant gegenüber eine Kategorienlehre nicht nur für die matcrielle Natur, sondern für alle Weltregionen.7 Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Husserl seit etwa dcr Mitte der
.
Weltstrukturen, während doch der Begriff der Weltstruktur, d a nicht die Welt als einheitliches Universum voraflgesteiit ist, überhaupt nicht zur Erörterung kommt" (Ha 111, Beil. VI, S. 390 (rgz7)). 1 Ms. orig. A IV 5 , S. 8b (zwischen 1922 U. 1925). a.a.0. S. 92.1 (Winter- oder Ostcrfcrien ~ 9 2 4 ) . Logik, 5 64. 4 Logik, C. 134. Diese universale sachhaltige Ontologie ist nicht zu verwechseln mit der formalen Wahrheitslogik, die noch nichts Sachhaltiges enthält und eine blosse wahrheitslogische Wendung der puren Analytik darstellt. 6 E s muss hinzugefügt werden, dass Husserl die Idee einer noch uriiversaleren synthetischen Ontologie ins Auge fasste, die Ontologie des Seins der transzendentalen Subjektivität (s. Ha VIII, Idee der vnllm Onfologi8. ., S. 212-228 (1923 uxd 1 ~ 4 ) ; Ms. transcr. A V11 14, C. xgn f f . (1920, 1925); Ms. orig. A 1V 5, S. g6b/g? (1924)); H a IX, Encyclopedia-B7itawnua~Artike1, C. 297. S. Ms. orig. F I 30, S. 76b (CS 1916); Ms. &ig. A IV 5, S. 56a (1g24/25); Ms. orig. F IV 3, S. 57b (wohl 192s). 7 Ms. orig. F I 12, ~ ; j j ff. a (WS I ~ I O / I I ) .
.
142
IIUSSERLC V E R H Ä L T N I S ZU K A M T
SYSTEMATISCHE' D A R S T E L L U N G
Zwanziger Jahrc in dieser rcgional-ontologischen Kantinterpretation schwankend wurde, wenn er sie auch nipht völlig aufgab.1 Er hat damals wohl versucht, Kants Begriff $er Natur nicht in einem regionalen Sinne aufzufassen, sondern! als ,,Weltw zu interpretieren. Ob diese neue Kantinterpretation Husserls Entwurf einer universalen Weltontologie vorangegangen ist, oder ob vielmehr umgekehrt dieser Entwurf zu jener Interpretation geführt hat, können wir nicht entscheiden. Wir haben im § g angedeutet, dass wir mit den dortigen Ausführungen noch nicht Husserls letztes Wort zu Kants Idee des Apriori wiedergegeben haben. Tatsächiich gewinnt Husserl von der Problematik der synthetischen Ontologie her einen wesentlich neuen Begriff des synthetischen Apriori, der dem Kantischen viel . näher kommt als der von ihm im allgemeinen definierte. In jenem Paragraphen haben wir dargelegt, dass Husserl den Begriff des Apriori allgemein durch das Eidos definiert, und dass nach ihm jedes individuelle Was „in die Idee gesetzt", d.h. als Exempel eines Eidos gefasst werden kann. Von dieser Definition her würde also Husserl die Frage des Parnzenides Platons, ob es auch eine Idee ,,Haaru oder „Schmutz" gebe, bejahen. Die synthetische ontologische Erkenntnis bezieht sich nach ihm aber nun keineswegs auf die eidetischen Singularitäteri, sondern auf die ,,Kategorieno, d.h. auf die apriorischen Grundstrukturen odcr, wie Husserl völlig kantianische Termini aufgreifend auch sagt, die konstitutiven Formen 2 einer gewissen ~ c l t r e ~ i o(oder n i e r ganzen Welt). Ist das Apriori durch diese ontologische Erkenntnis bestimmt, so ist eine Unterscheidung von apriorischen und nicht apriorischen Begriffen möglich, was bei der blossen Definition des Apriori durch das Eidos nicht der Fall ist; denn ein solches entspricht ja jedem individuellen Wac. Für Husserl ist allerdings die Kategorie auch ein Wesen oder Eidos, nämlich ein „oberstes Wesen" oder ,,oberstes Eidos",und es könnte scheinen, dass zwischen dem durch das Eidos im allgemeinen definiertcn und dem durch die synthetische Ontologie definierten Begriff des Apriori nur ein gradueller Unterschied besteht, dass der zweite Begriff also nur ein Spezialfall des ersten ist. Es ist aber ersichtlich, dass zwischen den eine
= S.O. 5 roc. s. 2.B. Ideen I ,
S. 367.
I
I43
Region als Region konstituierenden obersten Wcscn (ontologischen Formen) und den ihnen untergeordneten Wesea (Species) nicht bloss ein gradueller, sondern ein wesensmässigerKnterschied besteht. HusserI hat diesen Unterschied in gewissen Zusammenhängen, besonders in dem vielgelesenen ersten Abschnitt von Ideen I ohne Zweifel zu wenig deutlich hervorgehoben. Er spricht auch nie wie Kant von den Kategorien als v m apriorischen Begriffen (im Gegensatz zu den aposteriorischen Begriffen der Spezies). Dass er sich aber des radikalen, wesensmässigen Unterschiedes zwischen Kategorie und gewöhnlichem Speziesbegriff bewusst war, ist sicher. In den Ideen I11 schreibt er: „Das Apriori im Sinne der Region ist der Quellpunkt d e r Ontologien, deren Notwendigkeit und ausgezeichnete Stellung im S-ptem aller Wissenschaften und deren ekigartige methodische Funktion für die Ausführung von Tatsachenwissenschafteri für d:e er-tsprechenden regionalen Sphärer- nun wirklich aus den tiefsten, eben den Urgründen der Phänomenologie verständlich wird. Es ist ja völlig klar, d a s eine zum regionalen Apriori, z.B. Ding überhaupt, Seele überhaupt gehörige Wesenswissenschaft eine regional andere Stellung und Uedcutung haben muss als alle anderen Wesenserkerintnisse, die sich etwa an ,zufällige3Uesonderungen der Idee der Dinglichkeit, Seele USW.,also an sachhaltige, sei es auch noch so allgemeine Begiffe anschliessen. Der Kcilic der Erführungswissenschaften von der realen Wirklichkeit (als Tatsacienwissenschaflcn) tritt somit in bcsondcrcr Wcise dci&nübcr dic Ontologie der physischen Natur, als Wesenslelire tlcr natura formaliter spectata, ebenso die Ontologie der animalischen, bzw. seelischen Natur." 1 Co ist sich denn Husserl der gr~indsätzlichenUnalität seines Terminus „AprioriMbewusst gewesen, wenn er sich auch selten darüber äusscrt.2 Neben dem bloss durch das „platon~sche" Eidos bestirnmten Begriff des Apriori benützte Husserl noch einen zweiten, dessen Ursprung bei Kant liegt. Husserl bemerkt in eincr Vorlesung aus dem Wintersemester 1goz:o3 selbst, dass er Ideen I I I , S . 36. Neben dem soeben zitierten Text ist uns nur noch ein Text bekannt, in dem Husserl auf diese Doppeldeutigkeit seines Terminus ,,Aprio-i" hinweist: In den Filnf Vorlesungen bestimmt er wie üblich das Apriori durch das Eidos und bemerkt dazu: ,,Jedenfalls ist das der eine berechtigte Begriff des Apriori ein anderer ergibt sich, wenn wir darunter alle Begriffe verstehen, die als Kategorien eine in bestimmtem Sinn prinzipielle Bedeutnng haben, und dann weiter die Wesensgesetze, die in diesen Begriffen gründen" (a.aO. S. 51). 1
I45
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS YERHÄLTNIS Z U KANT
seinen Begriff der Kategorie von Kant habe. Er fügt hier aber hinzu, dass er ihn allgemeiner oder formaler als Kant fasse, nämlich im Sinne der formal-analyt ischen Begriffe wie „Gegenstand", „RelationH usw.1 Nur wenige Jahre nach Abfassung dieses Textes gebraucht Husserl jedoch auch den Begriff der synthetischen oder materialen Kategorie. Von grundlcgendcr Bedeutung ist cs nun, dass Hiisscrl dem ,,KantischenJ' Begriff des Apriori für die Vernunftkritik, bzw. für das universale Problem der Konstitution die weit grössere Wichtigkeit beimass als dem bloss ,,platonischen", Nachdem er in den Fiinf Vorleszcngen von I907 diese beiden Begriffe einander gegenübergestellt hat, bemerkt er im Hinblick auf den ,,KantischenJ' Begriff: „In den Richtungen auf die Kritik der Vernunft, der theoretischen nicht nur, sondern auch der praktischen und jedweder Vernunft ist das Hauptziel freilich das Apriori im zweiten Sinn, die Feststellung der selbst zu gebenden prinzipiellen Formen und Sachverhalte und mittels dieser Selbstgegebenheiten die Realisierung, die Auswertung und Bewertung der mit dem Anspruch auf prinzipielle Bedeutung auftretenden Begriffe und Gesetze der Logik, der Ethik, der Wertlehre." 2 Dieser Begriff des Apriori ist in der „Vernunftkritik" darum von grösster Wichtigkeit, weil deren Aufgabe gerade dann besteht, die ,,Prinzipien, die als ideale Bedingungen der Möglichkeit wissenschaftlicher Objektivität alles empirischewisscnschaftlidie ~ e r f a h r e n Normen b regeln", 3 aufzuklären. Diese Normen sind nichts mcleres als jenes ontologische Apriori.4 Das Problem der Konstitution, d.h. das Problem des alle Gegenständlichkeit konstituierenden transzendentalen Bewusstseins ist eine Vertiefung und ein anderer Aspekt jenes Problems der „Vernunftkritik". Die universale Analyse des transzendentalen Bewusstseins, d.h. die Phänomenologie, geschieht nach Husserl notwendigerweise am Leitfaden (oder arn
Index) des on t 01ogi c; C hen Apriori:l Tatsächlich kann diese Analyse (sei sie statisch oder genetisch) nicht in einer Rhapsodie von tausendundein Problemen fragen, wie sich im transzendentalen Bewusstsein das Haar, der Schmutz und alle andern Spezies konstituieren, oder gar, wie sich die und die individcellen Fakten konstituiert haben, sondern es geht in dieser Analyse um die ICotistitutioii der „TCatcguricii" oder oiitologischci Strukturcri. Dabei hat die Phänomenologieals genetische sich nicht an irgendwelche festen traditionellen Ontologien zu binden,Z sondern sie entdeckt, dass diese eine Geschichte haben und verfolgt sie in dieser ihrer Geschichtlichkeit, ohne dass diese ihre Funktion als Leitfäden aber verlieren würden. Nur an Hand dieser notwendigen transzendentalen LeitfMen oder Indizes, die gegenständlich einen festen Strukturti:pus ausdrücken, wird transzendentalphänomenologische Wahrheit als Wissenschaft iiberhaupt möglich.3
I44
Ms. orig. F I 26, S. 148a (WS ~ g o z / o f ) . Fiinj Vorlesungen, C. 52. 8 a.a.0. C. 58. 4 Husserl hat auch Kants Kritik der reinen V m r ~ n f taufgefasst als Kritik der o n t o l o g i s c h e n Erkenntnis. Zum Satze Heideggers in Kund und das Probkm. . : ,,Wenn man überhaupt (hinsichtlich der Vernunftkritik) die Auslegung der Erkenntnistheorie gelten lassen könnte, dann wäre zu sagen: die Kritik der reinen Vernunft ist nicht eine Theorie der ontischen Erkenntnis (Erfahrung) sondern der ontologischen Erkenntnis", bemerkt Husserl: „natürlich". (s. Husserk Exemplar dieses Heideggerschen Werkes, C. 16). 1 2
.
J 14. Hqsserls Ubernahme vom Ku& Idee der natura formaliter spectata Husserl exponierte seine Idee einer Ontologie oder Logik der materiellen N a t u r meistens unter Berufung auf Kant (genauer auf dcssen synthetisches Apriori der Trar.szepzdentalen Asthetik und Transzende&~zleaAnalytik) ; so vor allem in seinen Logikvorlesungen vom Wintersemester rg10/11, wo er wohl zum erstenmal diese Pdce systematisch urnriss.4 Die ontologische Gesetzlichkeit der Natur bezeichnet Husserl auch als die F o r m der Natur oder mit dem Kantischen Ausdruck als natzlra formaliter q5ectata.5 Diese Gesetzlichk~itbzw. die sie erfassende Ontologie hat nach ihm für die emprrischen Naturwissenschaften als Logik irn Sinne einer Wissensdiaftslehre oder reinen Methodenlehre zu f-~ngieren.6,,Alle objektive Gültigkeit vgl. U. S. 332 ff. S. Carl. Med., C. rrolrr. 3 s . Krisis,C. 177; vgl.a.a.O.S.175. vgl. Ms. orig. F I 12 ( I ~ I O I I Is. ) ; auch die parallelen Ausführungen in der Vorlesung Grundprobleme der PhümmcnnEogie (Ms.orig. F I 43. S. SI-+, WS rgro/rr). 5 S. hk. orig. A 1 8 , C. 33b (1gog;ro); Ms. orig. F I 12, C. 31 ff. (rg~c./rr); Ideen I I I , S. 36; Ms. orig. A I V 5, S. 45bi46 ('Iovember 1925 oder etwas später). 6 Vom Standpunkt des späten Husserl setzt diese Ontologie, die eine Ontologie der wissenschaftlichen Natur ist. ei:e Ontologie der LebensweIt -daraus. 1 2
14~
H U S S E R L S VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
im Apostcriori hat ihre Prinzipien im Apriori." 1 Jede empirische Naturwissenschaft „ist in all ihrcn Erfahrungsweisen, in all ihren Aussagen über Dinge gebunden an das, was die Idee von Ding und Natur a priori vorschreibt, oder Kantisch gesprochen, an die Form der Natur". 2 Husserl teilt die Naturontologie in zwei Gruppen von verschiedenen Disziplinen auf: I. in Geometrie, Chronologie und Phoronomie und 2. in „diejenigen Disziplinen, wclclie der Kantischen ,rcincn' Nnturwisscnscliaft entsprechen, also das Apriori der raumzeitlichen Realität (Materie), abgesehen von der reinen ~ a u m und Zeitform, erforschen". 3 Dieser Zweischichtigkeit der Naturontologie sah er in Kants Scheidung von transzendentaler Ästhetik und transzendentaler Analytik entsprochen.4 Ausser den „Postulaten des empirischen Denkens überhaupt" mit den Modalkategorien des Daseins, der Möglichkeit und der Notwendigkeit spielen alle Kantischen Grundsätze in Husserls Konzeption der Naturontologie eine bestimmende Rolle. Besonders die „Axiome der Anschauung" und die „Analogien der Erfahrung'' treten in Husserls Erörterungen über die räumliche Ausdehnung, die Zeitlichkeit, die Kausalität und die Substanzialität der Natur hervor. Aber auch Kants ,,Antizipationen der Wahrnehmung" haben in Husserls naturontologischen Gesetzen der notwendigen qualitativen ErfüUung der räumlichen Extension und der Gradualität dieser Erfüllung ihre Entsprechung. Husserl hat sich eingehend mit diesen Kantischen Grundsätzen beschäftigt. In einer Studie, wohl aus dem Jahre 1908,erörtert er einzeln die „Axiome der Anschauung", die „Antizipationen der Wahrnehmung" und die „Analogien der Erfahrung''. 6 Zu den ,,Axiomen" bemerkt er, nachdem er die diesbezüglichen Erörterungen Kants zusammengefasst hat :„Zum Wesen des Dinges, wie es in der Erscheinung gegeben ist, gehört räumliche Ausdehnung, zum Wesen dieser Ausdehnung Teilbarkeit. Das ist
4
I dem Brief Husserls an Dilthey vom5./6 Juli I ~ I Iderzitierte ; Text ist veröffentlicht in Ha IX, Einl. des Hrsg., S. XIX. 2 Ms. orig. F I 12, S. 32b ( I ~ I O ~ I S. I )auch ; Ms. orig. A IV 5, C. 6/7 (zwischen 1922 und 1925), S. 90a (1gz4). 8 ebenda. 4 S.U. g 21. I 5 s. Ms. transcr. B IV I, C. 158-188 (wohl 1908).
ZU X A N T
I47
aber nicht gcnug gesagt. Zum Wcsen des Dinges gehärt CS, ausgedehnt zu sein und gelnass scincrAusde1mu;lgteilbar zu sei3 und wieder zusammensetzbar zu sein. Das sind ontologische Aussagen, für die ich Evidenz h a b . " 1 In den Idee# I I betont er im Sinne Kants die Gleichartigkeit der Teile der ränrnlichen Extension.2 Nicht nur den Raumzrörterungen der Tvanszend.entaEea Anulytik sondern auch denjrnigen der Trnnszer,detzlaEenAsthetz'k hat Husserl grossc 13caclitur;ggcdiciikt : AIlr vier, h w . fiinf K;~umargumente Kants sind Gegenstand ausführlicher schriftlicher Auseinandersetzungen.3 Aus dem ersten Argument, in dem Kant zeigt, dass der Dingvorstellung der Raum augnindeliegen muss, um sie überhaupt zu ermöglichen, und daher kein empirischer Begriff scin kann, cntnirnmt Husserl, dass ein Ding odcr ein Dingkomplex notwendig ein Herausgemeintes oder Herausgesetztes aus einem umfassenden räumlichen Hintergrund ist, und dass daher der Raumbegriff nicht in der Weise abstrahiert sein kann wie der Begriff von einem Ding. Weiter entnimmt er diesem Raumargument, wie allen andern, dass der Raum eine notwendige F o r m der Dinge ist, wobei er wie Kant unter ,,Form" den allem andern in der Möglichkeit einer anschaulichen Einheit vorausgehenden Charakter versteht.4 Als er in seinen späteren Jahren daran ging, eine Weltontolngie zu entwerfen, betonte er den u n i v e r s a l e n Charakter der Kiumlichkeit. In einer Vorlesung im Wintersernester 1926/~7führt er aus: ,,Betrachten wir die Welt universal, als2 nach dem, was von ihr wirklich und für jedermann wahrnehmbw i3t, SO finden wir sie als nicht bloss zeitliche, sondern d s räumliche. Während ilircs Zeitlichseins und in jeder Zeitphase ist sie immerfort räumlich. Räumlichkeit gehört unbedingt zur Welt, wie immer wrr sie umdenken mögen, sie ist räumlich, und zwar als Welt möglicher Wahrnehmung für jedermann, odcr auch so ausgedrückt : solange wir in der Wahrnehmung bleiben und wahrgenommene Welt habcn, kann unmöglich irn Wahrnehmungsgehalt das Räumliche und das, was wesentlich mit dazu gehört, fehlen. Kant sagte, der
1 Aus
a.a.0. C. 173174; wir unterstreichen. Ideen I I , S. 30. Ms. transcr. B IV I, C. 42-75 ( ~ g Dez. . rgog). Schon i r den Seefeldzr Mss. (A V11 25, S. lob (1go5) nimmt Husserl auf die Kantisc3en Raum- u n i Zeizargumente der T~anszendentalenA s t ~ d i kBezug. * Er/. U. Ur:., S. 191. 1
2
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S E R L S V E R H Ä E T N I S ZU K A N T
Raum sci notwcndig Anschauungsform; wir ziehen vor zu sagen: Wahmehmungsform, aber das Wort ist nicht anders d s durch das vorher Ausgeführte zu verstehen. Die Wahrnehmung, von der hier die Rcdc ist, ist Objektwahrnchmung, universale Weltwahrnehrnung, auch äussere Wahrnehmung zu nennen." 1 Während Husserl noch bis zu den Ideen den sinnlich wahrgenommenen Raum der Dinge gewissermassen als realen „Fall'' der geometrischen I d e e des Euklidischen Raumes betrachtete, schied er seit den Zwanziger Jahren streng zwischen dem Raum der sinnlichen Wahrnehmung und dem geometrisch-exak t en Raum der physischen Gegenstände, der sich erst in der wissenschaftlichen Idealisierung durch den Prozess der geometrischen Messung konstituiert.
Auch im Problem dcr Einzigkcit von Zeit und Raurn vcrwcist Husserl auf Kant. Die Frage beantwortend, ob ein individuelles Sein ausserhalb der Natur denkbar sei, schreibt er in einem Manuskript aus dem Jahre 1921 : ,,Esist d e Grundgedanke ~ der Kantischen Lehre (die, so wie sie bei Kant begründet und schon ausgesprochen ist, verkehrt ist), nämlich, dass Ernpfindungsdaten transzendent objektiviert nur solclic Objektitäten crgebm, die in der einen einzigcn universalen Raumzeitform liegen, zweifellos enveisbar." 1
148
Als eine weitere, noch fundamentalere Form der Dinge betrachtet Husserl die objektive Zeit. Nachdem er in Erf&krung und Urteil diese ontologische Struktur erörtert hat, schreibt er: „Wir verstehen nun die innere Wahrheit des Kantischen Satzes: die Zeit i s t die F o r m der S i n n l i c h k e i t , und darumist sie die Form jeder möglichen Welt objektiver Erfahrung. . . Sie ist die erste und Grundform, die Form aller Formen, die Voraussetzung aller sonst Einheit stiftenden Vcrbundenheiten. . . . Die Zeitlichkeit als Dauer, als Koexistenz, als Folge ist die notwendige Form aller einheitlich anschaulichen Gegenstände und sofern ihre Anschauungsform (Form der konkret individuellen Angescbautheiten) 2 Im selben Werk unterscheidet Husserl zwischen dieser objektiven Weltzeit und der Gegebenheit szeit der immcr in zeitlicher Orientierung zur Anschauung kommenden Dinge ; auch 1 hier knüpft er wiederum an Kant an.3 Wie für diesen ist für Husserl die objektive Zeit die Form der „ v e r h a r r e n d e n S u b s t a n z e n " : sie ist an die Substanzen, die Husserl immer im kausalen Zusammenhang denkt, gebunden.4 Dadurch unterscheidet sie sich von der subjektiven oder immanenten Zeit, die die Form der f liessenden Erlebnisse ist.
.
."
1 8
Als weitere apriorische Formen der materiellen Natur bestimmt Husserl Substantialität und Kausalität. Der Substanzbcgriff ist dabei ziemlich genau der Kantische, genauer. Kants realisierte oder schematisierte Kategorie der Substanz als transzendentale Zeitbestimmung (das Beharrende). I n einem Text aus dem Jahre 1907 bcschäftigt sich Husserl eingehend mit diesem Begriff und bestimmt ihn in völlig Kantischen Wendungen.2 Wir müssen annehmen, dass er die entsprechenden Kantischen Texte (die „Analogien der Erfahrung") vor Augen oder von einem unmittelbar vorhergehenden Studium gegenwärtig hatte. In diesem Text Husserls wird die Substanz als das im Fluss der kausalen Dingverändcrungen letztlich Beharrliche und Tdentische bezeichnet : „Substanzen können nicht entstehen und vergehen"; 3 „das in der Vielheit kausaler Verflechtungen und beständiger Relativität seine Identität Erhaltende ist die Substanz". 4 Sie wird weiter bestimmt als das raumfüllende Rede, das prinzipiell nicht „PMnomenal" ist, als die Materie, a l s Kraft, als das die Einhei: der kausalen Beziehungen Ermöglichcnde.5 Tm oben eiu.ähnt;.n Text aus dem Jahre 1908, in dem Husserl die ,,Analogien"crörtert, schreibt er, dass sich das Substanzaxiom aus dem Wesen der Dinge einsehen lasse.6 Auch in nicht iinmittelbar sich an Kmt anschliessendcn Ausführnngen über die ontologische Struktur der Substantialität ist seine Gegenwart deutlich fühlbar. So etwa in den Ideen I 1 7 oder in einem Text aus dem Jahre 1917, in dem
Ms. transcr. F I 33, C. 80 (1926/27). E r f . U. Urt., S. 191.
a.a.0. S. 307. 4 Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseifls, S. 466; Ms. orig. A IV 5, S. 36b (Nou. 1g25), S. 62a (1924/25); Ms. orig. A V11 14, S. zoa/b (1924 oder anfangs 1925); Ms.. orig. A V11 18, S. 22a (Sommer 1930).
149
8
4
7
Ms. transcr. B I V 6, C. 56 (1921). s. D 13 XXI, (1907 bis rgog:. a.a.0. C. 62 (1907). a.a.0. S. 126127 (1907). a.a.0. S . 125/26 (1907). Ms. transcr. B IV I, C. 174 ff. (wohl 1908). Ideen 11, C. 44.
I.51
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S K R 1 . S V E R H Ä L T N I S ZTT K A N T
die Substanz nach Kant definiert wird als „das Identische, das in der Dauer verharrt und somit durch jede Zeitphase hindurch das Identische ist". 1
objektiven Gültigkeit Ces Apriori scheint vorerst für das eidetische und intentional-analytische Denken Husserls nicht zu bestehen. Dennoch hat Husserl in Forschungsmanuskripten und Vorlesungen des öftcrn auf ICants transzendentale Dediiktir~riBezug genommen und hat auch versucht, dcrcn Gehalte für sein eigenes Philosophieren fruchtbar zu machen. Weichen besocderen Sinn Husserl dabei dem Kantischen Gedanken verlieh und in welchen Grenzen er ihr- sich zu eigen machen vermochte, soll uns in diesem Paragrapher- beschäftigen. Allerdings werder w:r hier noch nicht die letzte Antwort auf diese Frag? geben können. Besonders ausfübrIich hat Husserl über die Möglichkeit der Deduktion des Apriori in seiner Vorlesung Aiatur und Geist v.lm Sommersemester 1927 gesprochen.1 Da wir in m s e r m Ausfiihrungen uns stark auf diese. Vorlesung stützen, ist es zweckmäisig, ihre Hauptproblematik kurz zu umreissen : Es geht in ihr hauptsächlich um die Metho& der Gewinnung und Begründung der verschiedenen apriorischen Wissenschaften, einmal der fornden Ontologie und Logik, dann aber auch der materialen Ontologien, die den betreffenden empirischen Wissenschaften die Prinzipien zu liefern und somit dir Funktion von SVissenschaftstheonen zu übernehmen haben. Vcm den nrsprüngIich b@indeten Wissmschaftstheorien her soll das Problem des Vcrtiältntsses von Naturund Geisteswissenschaften, von dciii die Vorlesung ihren Acsgarig nahm, gelöst werden. In clicscrn %usamtrierihang untcrwirfi H,usserl die auf Windclbanrl zurückgelieiide Scht:id~irig3cker:s von Natur- und. Geschichts~x~iscenschaften und die Rickertxhe transzendentale Deduktion ihrer Methoden einer Kritik. Dii: Dednktion Rickerts bezeichnet Husserl als formalistische Scheindediiktion, weil in ihr Formen m d Normen für Weltwissenschaften dcduziert würden, ohne dass sie sich dabei auf eine konkrete intuitive Analyse der Welterfahmng und der sich in dieser konstituierenden Welt gründe. Der trans~endentalenDeduktior-Rickertsstellt Husserl seine eigene Metiode der „transzendentalen Deduktion" gegenüber und setzt dkse in Beziehung zu derjenigen Kants.
150
Die Kausalität setzt Husserl gleich mit dem g e r e g e l t e n Verhalten der Dinge in bezug auf ihre Umstände; er ist also in dieser deterministischen Auffassung der Kausalität mit Kant einig.2 Allerdings unterscheidet er auch hier streng zwischen vorwissenschaftlicher und wissenschaftlich exakter Dingauffassung : ,,Erst die neue Naturwissenschaft hat diese aus der Erfahrungsauffassung herauszuhebende Idee einer strengen Identität in absolut bestimmten und eindeutigen Abhängigkeiten der Kausalität erfasst und die in ihr liegenden Forderungen entwickelt." 3 Gegenüber diesem Satz aus den Ideen I I wird Husserl in seiner späteren Zeit betonen, dass die exakte Gesetzlichkeit der Kausalität nicht einfach (analytisch) aus der vorwissenschaftlichen Dingerfahrung „herau?zuheben'' sei, sondern auf einer z.T. überspannten fdealisierung be1uhe.4 Das vorwissenschaftliche anschauliche Ding befindet sich nach ihm nicht in exakten und durchgängig geregelten Beziehungen auf reale Umstände.5 Die bewusste Erfassung der durcli die modernen Naturwissenschaften konstituierten Idee einer gesetzlich exakt bestimmten Natur betrachtcte Husserl als das Werk Kants: dessen natztra fornzaliter spectata ist nach ihm dic erste Ontologie der wissenschaftlichen Natur.6
J 15. Nusserl und Kants Gedanke der transzmdentalen Deduktion des APriori Von Husserls phänomenologischer Philosophie her, wie sie in seinen veröffentlichten Wcrken vorliegt, würde Inan kaum envartcn, dass er sich intensiver fiir Kants tra~iszcndentaleDeduktion der Kategorien und der Grundcätze interessierte. Denn das Kantische Problem der transzendentalen Deduktion der Ms. orig. A I 36, S. 114a (1917); vgl. Phänomenologae des.~nne?enZeatbewusstsezns, 479.
Logos, S. ~ I O / I Iund Ms. orig. A I V 5, S. 66a (1924!251. Ideen I I , S . 49. MS. orig. A VII 18, S. 23a (Sommer 1930). Idee78 I r , C. 34. Ms. orig. A I V 5, S.46ajb (Nov. 1925 oder spater). S.
3 4
6
In dieser Vorlesung erklärt Husserl, d a s eine transzendentale Deduktion der apriorischen Weltstrukturer, bzw. dei apriorischen Prinzipien der M-eltwissenschaften zwei mögliche Wege ein1 s.
Ms. orig. F I 32 (SC 1 9 s ) .
1.52
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
schlagen könne: den direkten Weg „von unten", der ausgeht von der Analyse der konkrcten vor~>rädikativenWeelterfahrung, oder den Weg „von oben", der bei der formalen Logik ansetzt. Den ersten Weg begeht nach ihm die Phänomenologie, während der zweite dem Wesen nach der kantianische ist. Von dicsern zweiten Weg stammt nach Husserl die spezifisch transzendentale Frage nach den ,,Bedingungen der Möglichkeit".l Dcnn dic Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit wird bereits im Ansatzpunkt dieses Weges, in der formalen Logik, gestellt. Diese hat die Aufgabe, den Bedingungen der anaIytischen Widerspruchsfreiheit und der formalen Einstimmigkeit nachzugehen, d.h. Gesetze der Konsequenz, der Inkonsequenz und der VerträgIichkeit aufzustellen.2 Von dieser Sphäre der analytischen Widerspruchsfreiheit - in der auf ontologischer Seite nur von irgendwelchem Urteilssubstrat überhaupt die Rede ict,3 ohne zu fragen, ob es sich um wahrhaft seiende oder auch nur um möglicherweise seiende Gegenstände handelt - kann in die in einem erweiterten Sinne fonnale Sphäre der synthetischen oder sachlichen Widerspruchslosigkeit übergegangen werden;4 es ergibt sich hier folgende transzendentale Fragestellung: „Geselzt es sei irgendeine unendliche Mannigfaltigkeit gegeben und in unserem rein formalen Denken zunächst ganz unbestimmt gedacht als vorausgt!sctztermassm seiende, mit einem ,gewissen' konkreten Gehalt also, der aber in völlig unbestimmter AIlgrmeinheit als ein gewisser' konkreter nur gedadit ist. Als das aber müsste sie, wie ri. priori einzusehen, für irgeiideine Subjektivitkt erkennbar, in ihrcm wahren Sein bcstirnmbar sein zur Möglichkeit. der Erkeriritnis. Lu allein Seienden als solchem gehört,weiter ühcrlegt,vor atlemErkilirung. Wie kann eine Uneridlichkeit erfahren sein? Nur so, dass ein endlicher Bestand jeweils direkt in die Eriahrring fällt und zughk11 p,l r:~g(wist i11 cincr f-1urizo11t p r i i s ~ t ~ t km, ~ p i ~iiwt-Vcrwia.a.0. S. 130.2. a.a.0. S. 106b, 125b. 3 d.h. die syntaktischen Stoffe oder die „Kernev werden als blosscs Etwas überhaupt, eventuell als letzte Substrate, aber nicht als eigentliche (zeitliche) Individuen gedacht. Vgl. zum folgenden unsere Ausführungen in g 13 über das Verhältnis von Analytik und Synthetik. 4 a.a.0. S. 108a und 127a ff.; das Verhältnis der Spären der analytischen Widerspruchsfreiheit und der synthetischen Widerspruchsfreiheit ist in Lo& unter dem Titel p u r e Konsequenzlogik (oder pure Analytik) und Wahrheitslogik ausführlich behandelt (s. a.a.O., I. Abschnitt, bes. die $5 15, 19 U. 51). 1
sung auf einen subjektiv möglichen Fortgang zu neuer Erfahrung U.S.W. Ferner, erkenribar sein kann aber nicht heissen, bloss erfahrbar sein, sondern den Gegebenheiien der wirklichen Erfahrung aus bestrmmende und bcgründbare Urteile vollziehen können, durch die sich wahrhaftes Sein und Socein bestimmt. So fortgehend kann man formalc Ucdirigungcn der Rlögliclikei: einer erkennbaren unen~2ichmMannigfaltigkeitcehrwohlherausstellen, bzw. nachweisen, dxs t3nc solclic Mannigfaltigkeit a priori einc gesetzmässige und n i r t t eine beliebige Seinsform haben muss als notwendiges Korrela-: der MögIichkeit ihrer Erkenntnis." 1 In der „Sphäre der Synthesis" stellt sich also das Problem sachlicher Möglichkeit, der Noglirhkeit sachlicher Evidenz, 3.h. das Problem der apriorischen Bedingungen, die über die Bedrngungen der mathematischen Analysis iinaus erfüllt sein müssen, damit die unendliche Mannigfaltigkeit als Mannigfaltigkeit von erfahrbaren Realitäten soll möglich sein können.2 „Realitätv meint hier zunächst nicht rauniwelfiche Realität, sondern stellt einen allgemeinsten Begriff von Realität oder von Seisndem dar, der gegcnüber den blossen Urt&substraten und ihrer Einstimmigkeit nichts weiter einfihrt als sachliche Bewälirbarkeit überhaupt.3 Entsprechend sind aui:fi die in dieser synthetischen oder cachlichen Sphäre auftretenrtcn BegrifIc dcr erkenrimden Subjektivität, der Erfahrung, desDcnkens öunächr;t in einem möglichst: formalen Sinn zu nehaen.4 Doch kann nun von diesem Formalen aus immer mehr iris .Kcrikrete fortgescliritten wfrtka: .,Somit crgibt sich ein abst:&-rader Weg vorn arialytisch Forrnalcr. zum saclihaltig Formalen, v:m den Gesclzcsbediiigu~igcnder M@$iclikeit blosser Widerspruchslosigkeit ZII den neuen gcsetztichezi 13edingungen möglicher s;ichlicIier Wahrlwit: vorn analytisch-mathematischen Apriori srirn synthetisch-sachZick.(:n Apriori. ncr Weg Iülirt niif sy titlii!risdicr Srilr. voii tlimi :~llgi:iiic:instciiriiicl daher noch undiffwenzxrten Apriori möglicher Kealitat zu einem sich. immer differenzierenderen. E s ergibt sich . . . das gesamte materiale Apriori einer möglichen Welt als solcher und als für eine Subjektivität erkennbam," 5 Ms. orig. F 1 32, C. ~ 2 6 8 p vgl. ; S. Io7a Cf. a.a.0. S. 128a a.a.0. S. 128b. a.a.0. S. 107a ff. U. ~ 2 6 b . a.a.0. C. 128b.
I54
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
E s ist bei Husserls Sicht dieses Weges der transzendentalen Deduktion „von oben" wohl zu bemerken, dass dessen Ausgang von der formalen Logik nicht etwa im Sinne der „metaphysischen De3uktionn Kants, die die Kategcrien von der Urteilstafel als ihr2m ,:LeitfadenH ableitet, zu verstehen ist. Dieses Vorgehen Kants, das auch bei den meisten iieukantianern nicht in hohem Ansehen stand, hat Husserl abgelehnt,l und zwar aus methodischen Gninden, aber auch deshalb, weil Husserl es ferne lag, das ontologixhe Aprioriin das Prokrustesbett der formal-logischen Urteiistafel zu spannen.2 I n seiner Darstellung des Weges der transzendentalen Deduktion „von oben", die keineswegs bloss eine fremde Auffassung referieren, sondern den gültigen Gehalt der Kantiscrien Idee der transzendentalen Deduktion wiedergeben wiil, 1äs:st Husserl die ,,metaphysische Deduktion" beiseite und sieht dex Ansatz der transzendentalen Deduktion bei der formalen Logk nur so, dass jene von dieser die Fragestellung übern i m t und sie auf den syntheti~chenBereich anwendet. Bereits 1908 hat sich Husserl eingehend mit diesem Weg „von vben", den er auch den transzendental-logischen nennt, auseinandergesetzt.3 In Konfrontation mit der phänornenologischcn Xcthode charakterisiert er ihn folg3ndermascen: „Im phänomeno;ogischen Studium finden wir eine Korrelation zwischen dem Wesen Cer in ,unserer Natur' faktisch gegebenen Dinglichkeit und ihrer Kcristitiition. 'lm transzendental-logischen Studium nun erw&n wir die funktionellen Zusammenhänge innerhalb dieser Kc.rrela3on ; wir gellen nicht vorn grgebenen Ding unserer Natur aus, s o ~ d e r nvon einer allgemeinerer oder allgemeinsten Idee eines .Objektes: an sich' überhaupt iind vi:rfolgcri die funktionellen Zusainmenhange zwischen dem, was zu solchem Objekt gehört, und seiner xöglichcn Erkenntnis. Dic Erkenntriismoglichkeit (als Erfahrungsrnoglichkeit) scheint I i ~ r ~ e r u n g ean n nähere Bestimmungen für die Objektität an sich zu stellen und zugleich als Erkenntnismöglichkeit von Objekten an sich Forderungen an nähere ~ e s t a l t u n gder ausweisenden Akte."4 „Die Kantische transzendental-hgische Methode: sie geht den Bedingungen der Möglich.
15 5
keit der Erfahrung nach als Bedingungen der Möglichkeit von (an sich seienden) Gegenständen der Erfahrung . . . Was muss für Objekte gelten, damit sie . . . sollen durch Erfahrungswissenschaft bestimmbar, erkennbar sein. Phänomenologisch gehe ich von den Dingen aus im Sinne der ontologischen Gesetze und stelle fest, dass nur Akte der und der Artung und Bildung, Wahrnehmungen der und der Bildung, intellektive Akte überhaupt von den und den Gattungen und Arten ihrem Wesen nach solche Objekte vorstellig machen und das Sein solcher Objekte, auf sie bezügliche Sachverhalte usw., sei es unmittelbar, sei es mittelbar, begründen können. Ich sehe dann, dass die Möglichkeit solcher und solcher Erkenntnis (Begründungen, Ausweisungen) zum Wesen solcher Objekte gehört und umgekehrt. Ich verstehe dann das Wesen der Korrelation. Ich gehe den logischen und ontologischen Gesetzen nach, erforsche auch ihre Ausweisungen, verstehe, wie sie gelten und gelten können und den phänon~enologischenSinn, der ,hinter' ihnen liegt. ich verstehe die Regelung der Bewusstseinseinheit, die das Korrelat dieser Axiome ist. Transzendentallogisch: IIier gehe ich nicht von den Dingen als solchen, für welche die ontologischen Gesetze gelten, sondern ich gehe von cineni allgemeinen Rcgriff von Dingen aus, die an sich sein sollen, etwa von Dingen, die sinnlich gegeben sciri sollen (was ich auch nur der Phänomendogie verdanken kann) und suche für diesen allgcineinen Dcnkbegriff zu zeigcn, dass, wenn Erfalirbarkeit gewährleistet sein soll in einem gewissen Sinn, dass dann die ori@logischen Gt:setze für sie gelten müssen (oder gcwisse unter ihricn). Gewisse Forderungen für die Objekte (ein gewisses An-sich-sein) ist Voraussctzung; ebenso gewisse Voraussetzungen schon bekanritcr Akte, gewisser Arten von Erkenntnisakten (Wahrnehmen, Denken, ,Anschauung ohne Begriffe blind'), also auch gcwissc W~SCIIScrkenntnisse dafür. Die Bedingungen dcr Mögliclikcit, diesc an sich seienden Objekte durch Erfahrung zu bestimmen, wissenschaftlich zu erkennen, schreiben dann d e Gegenständen ~ ~ selbst geu-kse Formen und Gesetze vor." 1 In seinen Logikvorlesungen vom Winterseinester rgog/ro und vom Wintersemester I ~ I O / I I 3 stellt Husserl das transzendental-
-
,.U. S. 292. 3 S. bis. transcr. B I V I. C . 146-148 (wohl S ~ p t e m b e r1go8), S. 221-246 (wohl 190K odcr spätm). 4 a.a.0. S. 236 (wohl 1908 oder später).
ZU KANT
2
1
a.a.0. C. z45:46 (wohl 1908 oder spater).
3
S. Ms.orig, A I 8, S. 4 2 ff. (1909/10). s. M s . orig. F I 1 2 , S. 49 ff (1910111).
1.56
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
logische Vorgehen Rants als ein von einem axiologisch-teleologischen Gesichtspunkt geleitetes hin. N c h t dass er darin etwa die Auffassung Rickerts, dass das theoretische Erkennen im Grunde ein Verhalten gegenüber Werten sei, impliziert sähe,l sondern der axiologische Charakter dieses Vorgehens liegt nach ihm darin, dass dieses die Erkenntnis oder Wissenichaft als ein zu erzielendes Ideal voraussetzt, um dessen Bedingungen der Realisierung zu ermitteln : „In der letzteren <SC. in d c transzendental-logischen Betrachtung im Kantischen Sinn> f r q e n wir: Wie muss Natur überhaupt beschaffen sein, wenn sie 3ie und die theoretischen Tugenden haben soll. Auf das legen wir eben Wert, wir fordern axiologisch eine gewisse ,Angemessenheit der Natur an unser Erkenntnisvermögen'. Nun ist diese A%rigemessenheiteinerseits eine empirische, sofern wir 2.B. lang genug leben, um eine empirische Klassifikation vollziehen, Naturgesetze erkennen zu können etc.; andererseits eine apriorische, sofern Natur überhaupt uns die Freude macht (eine absolut wei-tvoIle, richtige), in schönen Theorien erkennbar zu sein. Aber in der transzendentalen Naturbetrar:litung ist die Ausführung eine theoretische, insofern nämlich zwar eine Wertung (thcoritische Tugendhaftigkeit) uns leitet, aber nach Redingungcn der Möglichkeit einer Natur gefragt wird, die gciwisse l3eschaffcnheit.n haben soll, 13eschaffenheiten, die in sich nichts von Wertan enthalten." 2 „Ich fiige hier noch eine Ergänzung von grosscm Interesse bei. Ich will nämlich zeigen, dass sich in den Rahmen unserer Betrachtungen auch Kants transzendental-logisc~x Betrachtungsweise der Erkenntnis, durch die er eine Erkenntnistheorie glaubte geben zu können, anreiht. In Wahrheit hät Kants Trailszendentalphilosophie einen durchaus teleologischen Charakter und ist, wenn dies auch nicht scharf genug herixgehoben wird und von Kant selbst hervorgehoben ist, von einem axiologischen Gesichtspunkt geleitet. Überlegen wir folgendes: Für das menschliche Bewusstsein stellt sich durch das Mediuni der sinnlichen Erscheinungen eine Welt dar, zunächst die VJ2lt schliciter Erfahrung, räumlich-zeitlich, grenzenlos von ungefähren Regelmässigkeiten geregelt, die sich dem Menschen in seiner zunächst nur praktischen Einstellung aufdrängen und sein Handeln bestimmen. Nun
'
S.U.
2
Ms. orig. A I 8, C. 43a ( r g o g l ~ o ) .
5
36.
H U S S E R L S VERI-IÄLTNIS
ZIJ K A N T
157
tritt die Wisserischaft auf den Plan, und den empirischen Zusammenhängen der schlichten Erfahrung nachgehend und sie denkmässig erforschend erarbeitet der Mensch eine Natur, eine Welt exakter Gesetzlichkeit als Korrelat dcr Naturwissei~schafteri heraus. Und dann sagt man sich: Die wirkliche Welt ist durchaus gesetzlich, die Gesetze sind nur nicht vom unwisse~~schaftIichen Menschen erkannt worden. Und weiter: So ist der hfenscli der Natur angepasst, d a s die wahrhaft seiende Natur, in der er lebt, nicht nur eine streng gesetzliche Welt ist, sondern als solche auch in menschlicher Naturwissenschaft erkennbar ist und denigcriiäss in menschlicher wissenschaftlicher Technik praktisch beherrschbar. K e h r e n w i r d i e S a c h e u m und zwar in Absicht auf eine teleologische Betrachtung. Angenommen, ein Bewusstsein sei wic da-h unsere mit sinnlichen Erscheinungen begabt; wir sagen nicht, dass es in jeder Hinsicht sinnliche Erscheinungen sind, wie w i r sie faktisch haben. Sinnliche Erscheinurigen seien es aber und als solche Erscheinungen sind es Erscheinungen von einem Dasein, von einer ,Natur1.Wir sagen abcr nicht, dass es Natur sei in dem Sinn, den die Ontologie der Natur umgrenzt, sondern in einem verallgemeinerten Sinn. Natur sei ein Titel für ein sich in dirätals sol.chcr, 111dieseln Sime Interpretierte: er auch Kacts transzendentale Deduktion der ersten Ruflage.3 Husserl lxit den Schritt Kants zur reiiicn Subj-ktivität durch diese Natorpsc-hen Auffassiingen hindurch gesehen.
J 18. D k Bedmtung von Kants Rzickgaug zzw Subjektivität fir.r HrzserEs Idee der transzendwta:-$hir:nomnologisch.el Reduktion Im letzten Paragraphen haben wir festgehdten, in welcher 3:eise Husserl bei Kant den Rückgzng zur transzendentalen
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU IiANT
I95
Subjektivitat vollzogen sah. Im folgenden soll nun erörtert werden, welche Bedeutung diese Weise des Rückgangs für Husscrls Idee der transzendental-phänomenologicchen Reduktion hatte. Wir stellen die Frage, ob diese Idee Husserls eine innere Verwandtschaft zu jener Weise des Rückgangs besitzt, oder ob int Gegenteil Husserls Rückgang zur transzendental-phänon~enologischen Subjektivität mit jener Kantischen Weise nichts zu tun hat. Dabei verstehen wir diese immer so, wie sie von Husserl s e l b s t gesehen wurde, also in engstem Zusammenhang mit K a t o r p s Kantinterpretation und Auffassung der philosophischen Psychologie. Husserls Idee der transzendental-phänomenologischen Reduktion, wenn wir darunter seine gesamte Methode des Rückgangs zur reinen Subjektivität verstehen, ist ausgesprochen komplexer Natur. In ihr sind sehr verschiedene Motive verwoben, und sie hat in Husserls Entwicklung sehr verschiedene Gestalten angenommen. Eine gewisse Klarheit können wir gewinnen, wenn wir, wie dies Husserl selbst getan hat, den Gesamtkoniplex dieser Idee auflösen in die einzelnen Wege der trailszeridci~tal-pl~änomenologischen Reduktion. Nur auf dicsc Weise können wir uns über die Uberlegimgen klar werden, die jener Methodenidee Husserk zugrunde liegen, iincl ihr Verhältnis zum ,,KantiscIicn Rückgang" präfen. Prominente Interpreten habcn bei Husserl vier vt:rschicdene Wege der transzendental-pl~än»mcnologiscl~~~n Reduktion iinterschieden: I. den Cartesianischcn Weg, 2. den Weg über die intentionale Psychologie, 3. den Weg über die Kritik der positiven Wissenschaften und 4. den Wcg über die Ontologie.1 IVie wir noch zeigen werden, handelt es sich aber beim dritten und vierten dieser Wege I e t z t l i c h um d e n s e l b e n Wegtypus, so dass wir grundsätzlich nur von drei verschieclencn M7egen sprechen können. Untersuchen wir nun einzeln diese Wegtypen! Bemerken wir aber zum vornherein, dass sic bei Husserl nicht immer fein säuberlich getrennt sind, sondern des öftern miteinander verschlungen auftreten.
1 s. die Einleitung von R. Boehm zu Ha VIII, S. X X S I I I ff. und den Beitrag von E. Fink, Dk Späipkilosaphie Hnrsserls zum Husserlgederikbuch von 1959.
1ch
(a) Der Cartesianische Wcg Tlcr C.artcsirnische Weg, wie auch die hcidcn andern Wegtypcn, erscheint bei Husserl in verschiedener- Modifikationen. Doch liegt eine mehr oder weniger feste Struktur zugrunde, die wir im voraus urnreisren wollen. Diese Struktur des Cartesianischen Weges ist rlurch folgende Gedankenschritte bestimmt: I. Den Beginn bildet die Idee der Philosophie als einer absolut begründeten Vissenschaft, genauer einer Wissenschaft, die sich vor einem a b s o l u t e n A n f a n g aus (von einem „ a r c h i m e d i s c b e ri P u n k t " aus, wie Husserl auch sagt) in einem absolut begrlmd-ten Fortgang aufbaut. Dieser Anfang muss, so steht auch schon fest, ki einer a b s o l u t e n E v i d e n z bestehen, in einer Evfdenz alsc, die a b s o l u t z w e i f e l l o s , k l a r und r ä t s e l l o s ist. 2. Nun muss Umschau nach eincr absoluten Erkenntnis oder Exdenz gehelten werden. Durch eine universale Kritik der t r a n s z e n d e n t e n W c l t e r k e n n t n i s ergibt sich, dass p r i n z i p i e l l keine jolChe Erkenntnis jener Forderung entspricht: Der r 11e r transzendenten Welterkenntnis zugrundeliegende Glaube 2.n das Sein Cer Welt bcsitzt jene absolute Evidenz nidit+ Der ~ n b n g e n d ePhilosoph muss also gegeniiber dem Weltglaubeil und damit auch gegenüber allcr Wclterkenntnis, sei sie wissenschaftNatur, eine E p ochii üben, d . 1 ~ licher d e r i~~~issenscIiaftlich(;r er muss sie a u s s e r G e l t u n g s e t z e n . Die F r a ; stellt ~ sich, ob überhzupt noch eine geltende Erkenntnis ü5 r i g b l e i b t , wenn alle transzendente Wclterkenntnis aujser Gciturig gesetzt ist. Die Antwort fällt bejahend aus: E s bleibt übrig das cogito des Philosophierenden, das Gegenstand der immanenten Erkenntnis und a b s o l u t eviden: ist. Der absolute Anfarg ist pvonnen. 4. Das co&o t r ä g t i n t e r i t i o ~ i a lund in diesem Sinne i m m z n e n t d i e g a n z e W e l t a l s cogitatum i n s i c h . Obschon die Welt und ihr ganzer Gehalt vom anfangenden Philosophen ausser G e l h q gesetzt wurde, bleibt sie also n u i doch für ihn beccehen, aber nicht mehr in ihrer ursprünglichen Geltung, sondern 3 h s s a l s i-agitatum qua cogitatum, d.h. als blosses „ P h ä ~ o m e n " Damit . ist die reine Subjektivität in ihrem vollen Um.#:
H U S S E R L S V E R H Ä L T N T S Z1J R A N T
S Y S T E M A T I S C H E DAXSTELT.UI.IG
I97
fang erfasst. Sie darf nicht mit dem Menschen verwechselt werden, der ein blosses transzendentes cogitatum dieser Subjektivität ist. Verfolgen wir nun in einem Überflug diesen Cartesianischen Weg durch Husserls philosophisches Werk hindurch. Ansätze zu diesem Weg finden sich schon iin zweiten Band der Logischen Unders2~chungen, nämlich im 5 7 der Einleitung, der den Titel trägt: Das Prinzip der Voraussetzungslosigkeitder erkenntnistlzeoretischen Untersuckungen. In ihm verlangt Husserl, dass die Erkenntnistheorie „alle Annahmen, die nicht pliänomenologisch voll und ganz realisiert werden können" ausschliessen,l auf die ,,adäquat erfüllende Anschauung" zurückgehen,2 d.h. sich „rein auf dem Grunde gegebener Denk- und Erkenntniserlebnisse vollziehen'' Wir treffen hier also schon die den Cartesianischen Weg kennzeichnenden Forderuiigen dcs A n f a n g s bei einer absoluten Evidenz und des Ausschlusses all dcssen, was nicht aEisolut evident ist. Als „phänomenologisch voll und ganz realisierbare Sphäre" wird aber in dcn Logischen Unlerswchungennur das ErIcbnis mit seinem r e e l l e n Gelialt, nicht aber auch sein i n t e n t i o n a l C r Gehalt, nämlich das cogitatum, in Anspruch genommen. Die Subjektivität ist also noch nicht in vollem Sinne erreicht. Auch wird sie noch als psychologische. angesprochen, denn die Phänomenologie wird aufgefasst als ,,deskriptive Psychologie". F Der Gedanke des Einschlusses des cogitatwn in den absoluten Bereich der Phänomenologie oder Erkenntriistheorie taucht schon In jenem sich auf Descartes berufenden Text vom Jahre 1904 auf.4 Damit ist im Prinzip der Cartesianischc Weg der phänomenologischen Reduktion schon abgesteckt. Systematisch wird cr aber erst in den Fünf Vorlesungen (Die Idee der Phänomenologie) vom Sorri~riersemester1907 begangen. E r setzt ein mit der zweiten Vorlesung, in der zu Beginn die Forderung erhoben wird, dass die Erkenntnistheorie einen absoluten Anfang besitzen müsse, der ,,schlechthin nichts von der Unklar-
2
Log. Unters. 11, a.a.0. S. 21.
3
a.a.0. S.
4 S.O.
S.
20.
181.
I.
Aufl., S. 19.
I+
H U S S E R L S VEKHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
heit und Zweifelhaftigkeit enthalten darf, die Erkenntnissen sonst d e r Charakter des Rätselhaften, Probblematischen verleihm.. .." 1 Nach Cer Aufstellung dieser Forderung knüpft Ilusserl an die C,artesianische Zweifelsbetrachtung an 8 und stellt die cogitationes als m t e absolute Gegebenheiten fest. Diecogitatio als „rätsellose",3 ,:absolut klare und zweifellose Erkenntnis1',4 als ,,Absolutes", 5 als ,:lefztes MES, was Sein und Gegeliensein besagen kann", 6 vermag a k o d e l absoluten Anfangspunkt der Erkenntnistheorie zu bilcen. Die co,@tatio oder das Erlebnis als das dem Bewusstsein r e e l l Immanente scheint vorerst - wie Husserl bemerkt - die einzige absolute Gegebenheit oder, was dasselbe ist, die einzige r e i n e Immanenz darzustellen, so dass die phänomenologische Re~3uk:ion (als der Ausschluss all dessen, was nicht absolut gegeben k t ) als i\usschluss alles r e e l l Transzendenten erscheint. Damit wäre der Standpunkt der Logischen Untersuchngen eingenomen.7 Die weiteren Vorlesungen zeigen dann aber, nachdem sie auch betont haben, dass die absolute cogitatio nicht als psychologische cogitatio (die als Bstandteil des transzendenten Menschen nicht absolut gegeben kt) ~ e r s t a n d c nwerden darf,* wie auch reell Transzendentes in den &reich der absolutcn Gegebenheit oder r e i n e n Immanenz gehört; nämlich die in der Ideation zu erschauenden allgemeirien W e Sen der cogitationes 9 u n 3 der intentionale Gegenstand als s:)lcher (das cogitatum qua .I0 ,,Folglich gewinnt der Tkgriff der p h ä n Omen ocogitat~m) l o g i s c h e n R e d u k t i o n eine näliere, tiefere Bestiminilng und einen klareren Sinn: nicht Ausscl~ussdes reell Transzendenten ( e h a gar Irri psychologisch-empkischen Sinn), sondern Ausschluss des Transzendenten überhaupt als einer hinzunehmenden Existenz, d.h. alles dessen, was nicht evidente Gegebenheit ist im echten Sinn, absolute Gegebenheit des reinen Schauens." l1 Heben wir z.bcchliessend hervor, dass die Fiinf Vor1esunge.n nicht Fiofif Votlesonzen, S. 29. Q.a.0. C. 30. * a.a.13. C. 34. 4 a.a.'3. S. 33. 5 a.i.0. S. 31. 6 ebenda. i a.a.0. C. 35 ff.; vgl. Gedankengang.. ., C. 5 . a.a.0. C. 4: ff. F a.a.0. C. 49. '1 a.a.0. C. 67, 72; vgl. Gedmtkengang. . ., S. XI. 11 a.a.0. (Gedankengang.. .), C. 9. 1
199
über die e i g e n e Subjektivität hinausführen, also in eincni gewissen „So1ipsismus" verharren. Damit hätten wir in grossen Linien den Cartesiailischen Weg der Fülzf Vorleszmgen gezeichnet. Bemerken wir zum voraui, dass nicht ausschliesslicli dieser Weg dcn Sinn der pliäriomciiologischen Reduktion in jenen Vorlesungen bestimmt, sondern dass hier auch noch andere Gedankengänge sinnbestimmend wirken doch davon später. Eine wichtige Etappe in der Entwicklung von Husscrls Idee des phänomenologischen Reduktion bilden die Vorlesungen G r u d pobleme der Phänomenologie, die Husserl im Wintersemester I ~ I O / I I gehalten hat.1 In ihnen dehnt Husserl zum ersten Mal dir pliänomcnologjsche Rcdiiktion :iuf die, In t c ssu b j c k t i v i t ä t aus. Der Cartesianische Weg spielt aber in diesen Vorlesungen keine Rolle! Demgegenüber ist Die phänomelzologische Fzr,nda?tzentalbetraclztung der Ideen I , die die transzendental-phäno~~ier~ologische Reduktion entwickelt, wiederum stark durch Motive des Cartesianischen Weges geprägt. Zwar setzt diese Fundamenlalbetrachtung nicht mit der Forderung eirics absolutcn Anfangs ein; ihre Struktur ist aber dennoch dadurcli typisch ,,cartesiariisch", das.; sie damit b e g i n n t , den Weltglatibcn „ausscr Aktion zu setzcn", ,,auszus~liaIteri"oder „ci~izuklanirnerri",2 so dass si& die Frag(, erhebt, was als geltendes Scin noch iib r i g b l e i b t .Wiese Fragc nach dem ,,phänomenologischen Residuu~ri"blcibt der leitende Gesichtspunkt d r folgenden Untersuchungen, dic selbst aber den Weltglauben nicht einklammern, sondcrn in bloss psychologischer Reflexion auf das Bewusstsein zu zeigen versuchen: erstens, dass dieses als „eine offen-endlose und doch für sich abgeschlossene Seinssphäre zu erfassen ist", 4 und zweitens, „dass eben d i e s Seinssphäre durch die oben beschriebene phänoi~ieno1ogii;c~~e Ausschaltung nicht betroffen ist". 5 Das erste dieser beiden Ziele, nämlich der ilufweis der Geh.~ C. 225 . ff. Ideen I , C. 65. a.a.0. C. 70. 4 a.a.0. C. 72. 5 ebenda.
s c h l o s s e n h e i t desBewusstseinsbzw. dessen U n t e r s c h i e d e n hei t von der transzendenten Dinglirhkeit (transzendenien Welt) wird im zweiten Kapitel des Abschnittes (Die phänomenologische Fundam&lbetrachklzg) errciclit : E s wird hier einmal festgcstellt, dass ,,eir.e r-in durch die eigenen singulären Wesen der Erlebnisse selbst bestimmte Einheit auss~c,hliesslichdie Einheit des Erl c b n i s s t r o ~ a " ,1 der den Gegenstand dcr immanenten Erkenntnis bildet, ist, während das t r a n s z e n d e n t e Ding „ausser aller eigenwesentlichen Einheit" 2 mit dem (transzendenten) Erkenntniaakt steht. Damit ist das Bewusstsein (der Erlebnisstrom) als geschlossene Einheit ermittelt. Die Verschiedenheit wird dann durch folgende eng zusammenhängende Gegenüberstellungen bestimmt: I. inmanente Wahrnehmbarkeit des Erlebnisses - Unmöglichkeit der immanenten Wahrnehmbarkeit des realen Dinges jwokei .,Tmmaneriz" hier reelles Beschlossensein meint) ;3 2 . bloss pkänomcnalcs Gegebensein (d.h. Gegcbcnscin durch einseitige ,,Erscheinungsweisen" oder ,,Abschattungen") des realen Dinges (des Transzeridenten) - absolutes Gegebensein des Erlebnisses (des Iinmanenten) ; und - Husserl setzt gleich - bloss phänomenales Sein des Transzendenten - absolutes Sein des Immancnteri :"daraus ergibt sich: 3. Zweifellosigkeit des immanenten Erlehnises - Zweife1haftigkc:it dr:s transzendenten Dinges.5 Nachdem das zweite Kapitel dic Unterschiedenlieit des Bewisstseins und der Realität herausgearbeitet hat, legt das drit.te Iic Subjektivität wird dünn insofern dic „tra~iszcs~cle~italc" genannt, als sie alle Transzendenz (Objektivität) in sich k o n s t i t u i e r t . Das Wort „transzendental" kommt bei Hiisserl auch historisch gesehen zuerst in Verbindungen wic „trniiszc.ndrntalc I'roblcnlc" oder „transzendentale Phänomenologie" vor und erst später in solchen wie ,,transzendentales Bewusstsein" oder „transzenden1
Krisis, C. rcm,hor.
3
G . Berger, Le cogito daiis la philosophie de Husserl, C .
* a.a.0. S. 102.
123.
244
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
tales Ego": Die zuerst genannten Ausdrücke finden sich schon in Texten von 1g08,l wahrend erst die Tdeen i den Begriff des ,,transzendentalen Bewusstseins" eitführen. und zwar gerade in Verbindung mit jener transzendentalen F r a g e s t e l l u n g nach der Möglichkeit transzendenter oder objektiver Erkenntnis: „Die Bezeichnung der phänomenologischen Reduktion und im gleichen der reinen Erkenntnissphäre als ,transzendentaler' beruht gerade darauf, dass wir in dieser Reduktion eine absolute Sphäre von Stoffen und noetischen Formen finden, zu deren bestimmt gearteten Verflechtungen nach i m m a n e n t e r W e s e n s n o t w e n d i g k e i t dieses wunderbare Bewussthaben eines so und so gegebenen Bestimmten oder Bestimmbaren gehört, das dem Bewusstsein selbst ein Gegenüber, ein ~rinzipiellAnderes, Irreelles, Transzendentes ist, und dass hier dir Urquell- ist für die einzig denkbare Lösung der tiefsten Erkenntnisprobleme, welche Wesen und Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnis von Transzendentem betreffen." 2 Dass wesentliche Unterschiede hinsichtlich ver5chiedt;ner Bestimmungen von ,,transzendental" zwischen ihm und Kant vorliegen, steht für Ilusserl natürlich sicher - man denke nur etwa an den für Kant paradoxen Begriff der transzendentalen Erfahrung -, an einer ubereinstimmung in der Grundbedeutung hält er aber fest.
talbegriff ist nach Husserl also durch eine Methode definiert, die darauf ausgeht, apriorische ,,Naturu-formen, bzw. ontologische Sätze (die ,,Grundsatze") zu deduzieren. E r stimmt im wesentlichen mit dem kritizistischen Transzendentalbegriff überein, wie ihn E. Fink im angeführten Artikel durch den Transzensus von den empirischen Gegenständen der Welt zu den apriorischen Weltformen charakterisiert und mit demjenigen Husserls konfrontiert. Diesen zweiten, einseitig von den ontologischen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis gekennzeichneten Transzendentalbegriff hat Husserl tatsächlich nie zu seinem eigenen gemacht, obschon er manchmal auch die Fragestellung nach diesen ontologischen Bedingungen als „transzendentaleM bezeichnet.1 Vielmehr erklart er, dass dieser Begriff notwendig noetisch zu erweitern sei - so etwa in einem Zusammenhang, in dem er Kants einseitiges ontologisches Interesse einer Kritik untcnvirft.2
Neben dem ersten Transzcndentalbegriff, den Husserl in Kants PhiIosophic vorfand, und der ihn bewog, seine Phänonlenologie als transzendentale zu bezeichnen, ~ a er h durrh Kant noch einen zweiten, begrenzteren Transzendentalbegriff motiviert : „Nun tritt in der transzendentalen AnaZyh'4 (SC. der Kritik der reinen Verwun/t) noch eine spezifisch transzendentale Methode hervor, insbesondere in der ,Deduktionpund in den Beweisen der ,Grundsatze' (näher der ,Analogien'). Die ,Analogien' sind ,a priori' gültige Satze, vor aller Erfahrung gültig, weil, wenn sie nicht g ~ l t e nwürdcn, cine objektiv gültige Zcitbcstinimung unmöglich wäre. Soll Erfahrung in Form der Erfahrungswissenschaft möglich sein, soll also Natur im Sinne dieser Wissrnschaft erkennbar sein, so müssen die und die Sätze gelten." 3 Dieser Transzendens. hls. orig. B I1 I, S. 27 f f . (wohl 1908). C. 35a (Sept. 1903). 2 Ideen I . C. 245, 3 Ha VII, Beil. XX, C . 386 (1908). 1
1 s. Ms. transcr. D 13 XXI, C. I O I (1907); vgl. a.a.0. S . 84, 1 5 3 (1907); 11s. orig. A 1 8 , S. 43a ( ~ g o g l r o ,55a (1909/1o); Ms.orig. A 1 36, S. 143 ff. ( 1 9 1 4 / 1 j ) ,IjO f f . (etwa 1915); Ha V, Beil. I, C. 128 (1912). B Ha VII, Kant.. ., S.281182 (1924).
5. K A P I T E L
I-IIJSSERL U N D K A N T S L E H R E V O N D E R „ D I E b-ATUR F O R M E N D E N S U B J E K T I V I T Ä T "
j
Klzlzlis Erfassung der Wesensstrukturen der Subjektivität Ini letzten Kapitel haben wir allgrmein ausgeführt, dass nach Husserls Interpretation Kant de facto zur absoluten Subjektivität vxgestcissen war. Dieses Kapitel s d l nun erläutern, inwiefern Husserl in der Kantischen Vernunftkritik auch eine konkrete, ir- die einzelnen fundamentalen Gestdten vordringende Erfassung d-s Wesens dieser Subjektivität zu erkennen glaubte. Erst hinjichtlich der konkreten Auffassung des W-ens der Subjektivität - worin narürlich auch eine Auffassung des Wesens der Objektivität imp!iziert ist - konnte sich füiHusserl sein Verhältnis zur Kantischen Philosophie grundsätzli~hbestimmen. DLSSKant, Vernunftkritik einen tiefen Einblick in das Wesen der Subjektivität darstellc, iinterliess Husserl nicht hervorzuhi'bca. Co erlrlart er am Ende des liistorischen Teilcs von Erste Pht7osoflhie von 1923/24, dass Kant „mit eincr beispiellosen intuiti~renKraft" Wt:sensstrukturen in der transzendentalen Subjektivität gesclicn habe, „die von anverglcichlicher Bedeutung sinc urid die niemand vorde~ngeahnt hat''. 1 E r mag dabei die Erkenntnis Iiants irn Auge gehabt haben, dass „in dem, was wir Seele nennen, alles irn kontinuierlichen F l u s e und nichts Rleibendes i;t, ausser etwa (wenn man cs durchaus will) das darum so einfache Ich, weil diese Vorstellung keinen Inhalt, mithin kein Yannigfaltiges hat . . .", 2 eine Erkr-nntnis, die seine Lehre vom ,Heraklitisclien Fluss" des Bewusstseins und von dem darin kbmden absolut einfachen Ichpol vorausnahm; oder aber auch R a n k Bestimmung der Zeit als der universalen Struktur der ,innern" und damit auch der ,,äussern" Phänomene;3 die bedeu20.
2
E r s t e P h . I . C. 197. K r i t i k der n k e n V ~ ~ n w tAf t381/82. ,
3 s Hs, 1ransr-i. B I V I, S. 149 ff. (wohl 1908)~WO H i ~ s e r den l Satz Kants aus der :ran~zendent;len Deduktion der ersten 'Auflage, lass alle Vorstellungen zueiner reinen inierex .4nsctauung, nämlich zur Zeit gehören, zitiert und erläuternd beifiigt, dass i r r E r i ~ l i r i i s z u ~ n n i i i i e n h a rdie ~ g Form der pliärioiiienologischeri Zeit habe.
tendste Entdeckung Kants lag nach Husscrl aber in der Lehre von der S y n t h e s i s :E r war der Auffassung, dass jener „in seiner tiefsinnigen Lehre von der Synthesis die Eigenart intentionaler Zusammenhänge im Grunde schon entdeckt und echt intentionale Analysen, in einiger Naivität, schon geübt hat." 1 Unter der Kantischen „Synthesis" verstand Husserl folgenden Begriff: „ ,Synthesis' . . . nennt er <SC. Kant) die im Subjekt sich vollziehende Leistung jener apperzeptiven Vereinheitlichung, wonach Mannigfaltigkeiten von Vorstellungen im Bewusstsein selbst die Bedeutung erhalten als die zur Einheit eines identischen äusseren Objekts zusammengehörigen Erfahrungen v o n eben diesem Objekt." 2 Die Synthesis, auf die es Husserl bei Kant abgesehen hat, ist die figürliche Synthesis (synthesis speciosa) der produktiven Einbildungskraft in der Erfahrung; es ist die im Kantischen Sinne „empirischew Synthesis, die das „Mannigfaltige der Anscliauung" durchgeht, aufnimmt und verbindet und dadurch den einheitlichen Erfalirur-igsgegerictand und die ganze Erfahrungswelt (die ,,Natur7')konstituiert.$ Nicht ist es die prädikative Synthesis des logischen Urteils, ebensowenig denkt Hiisserl dabei an die synthcsis intcllectwalis, wclclie nach Kant in Ansehung der Mannigfaltigkeit einer Anschauung abstrakt in der blossen Kategorie gedacht wird. Es geht ilirn aber auch wie dies bei Kant dcr Fall ist, um die „transzendentale“ oder ,,reine1' (die Wörter iin Kantischen Siriri gcnoianien) figürliche Synthesis der Einbildungskraft, die sich nur auf die a p r i o r i s c h e E i n h e i t s f o r m (odcr ontologische Struktur) der Erfahrungsgegenstände bezieht und der „empirischenw Syiithesis, d.h. der Erfahrung, als Bedingung der Xlöglichkeit oder (in der Sprache Husserls) als Wesensforin zugrundeliegt. Die grösste Bedeutung sprach Husserl der Erkenntnis Kants zu, dass Erfahrung - die immer Erfahrung v o n Gegenständen ist - in einer Synthesis einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen besteht, die ihren Einheitspol im e i n e n Gegenstand besitzt. Eine genauere und zwar transzendentale, d.h. auf dem Boden der reinen Subjektivität sich abspielende Analyse dieses synthetischen Charak1
8 J
Ha VII, Iiaat.. ., S. 237 (1924). Ha VII, Beil. X X I , S. 397 (SC 19161 Vgl. a.a.0. C. 404 (CS 1916).
~ 4 8
SYSTEMATJSCHE DARSTEL1,UNG
ters der Erfahrung sah er bei Kant in dessen transzendentaler Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft,die die drei Synthesen der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition in der Empirie - nach Kant - psycliologisch erörtert, um die von ihnen vorausgesetzten reinen Synthesen zu erschliessen.1
Die Thematik der Synthesis (im wdtesten Sinne) bedeutet für Husserl die noetische Seite der intentionalen Analyse.2 Alle Gegenstände sind nach Husserl synthetische Einheiten: Sie haben ihrer Sinn aus irgend einer Synthesic.; sie sind synthetische Einheitcn, weil sie als objektiv seiende immer I d e n t i t ä t e n mannigfaltiger ~ntentionaliiätensind. Korrelativ liegt in allen ~ e w u s s t seincerlebnissen Synthesis;3 ,,es gibt keine andere Verbindung von Bewusstsein mit Bewusstsein als Synthesis, wieviele Gestalten sie auch haben mag." 4 So ist Synthesis der erste und allgemeinste Begriff von „Konstitutio;l". 5 E r umfasst auch das immanente Zeitbewusstsein (intentionale Synthesis des immanenten Zcitbewusstseins) .6 In einem spezifischen Sinne sprickt Husserl von „SynthesisW hinskhtlicli der gegliederten oder polythetischen Akte des begrifflichen Verstandes.' Einc fundamentalere Synthesis stellt nach ihm aber die schlichte Erfahrung des realen Dinges oder schon dic Wnlirnehmiing des raurn-zcitlichcii Phantoms dar eben diejenige, die er bei Kant vorausgenomincn sah8 Beconderc 13edeulung erhielt für den späten Husrjerl dabci Kants „Synthesis der Rekognition". Während die I d e e ~dcr Auffassung sind, dass die Wahrnehmung, zu der natürlich immer Retention (dic Kants „Synthesis der Reproduktion" entspricht) gehört, für sich genommen genüge, um dcn Gegenstand als seienden darzustellen,R crklärt Formale und transzendentale Logik das Gegenteil : Wahr1 Welchen geriauen Sinn Husserl jeder dieser drei Synthesen Kants gab, ist nicht im einsehen zu ermitteln; jedenfalls interpretierte er sic nicht wie Heidegger als die Konstitution der drei Zeitdimensionen. In Ms. transcr. B I V I , C. 159/60 (1908) versucht 'r sie als Apperzrptionsschichte~iin der Icstiiiiiiit Kant in den beiden Auflagen der Kritik der reitzen Vernunft zienllich verschieden: Während die Einbildungskraft in der ersten Auflage als ein gegenüber dem Verstande selbständiges Vermögen erscheint - obschon sie ihre Synthesen auf dem Grunde der Verstandeseinheit, der Kategorien ausübt - wird sie in der zweiten Auflage zu einer Funktion des Verstandes - insofern dieser auf die Sinnlichkeit wirkt -, so dass nun der Verstand als eigentlicher Urheber der Synthesis auftritt: die Synthesis der Einbildungskraft ist eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit. Mindestens in seinen späteren Jahren hat sich Husserl in seiner Interpretation der Kantischen Synthesis hinsichtlich deren Verhältnisses zum Verstand hauptsächlich an die zweite Auflage der Kritik dw reinsn 'V8wzzcnft gehalten, ja, er geht sogar nudi über sie hinaus, worin er den Neukantianern seiner Zeit folgt, die mindestens diejenigen der Marburger iirid siidwestdeutschen Schule - für Kants Auffassung der Einbildungskraft als eines besondern Vermügens nichts übrig hatten. \Vährend er in Texten aus der Zeit vor den Ideen die Kantischc Synthesis noch als Handlung der Einbildungskraft bezeichnet, spricht er nach den Idden zumeist nur noch von der Kantischen Synthesis als einer Wirkung des Verstandes oder der Veriiunft, ohnc clib Eir1bildiing.skraft überhaupt zu enviihnen; 1 so schon in den Einleitungsvorlesungen vom Sommersamester 1916.2 Besonders deutlich geschieht dics aber in der Krisis,wo Hiisserl i t ~zwei Paragraphen ($5 25 und 28) auf die „grosse Kantische Entdeckung" vorn „doppelt fungierenden Verstand" zu sprechen koinirit: E s ist einerseits der Verstand, der sich in den IVissenschaftcn (mathematischen Naturwissenschaften) begrifflich offenbart und betätigt, und andererseits der Verstand, der verborgen fungierend imme~fortsinnliche Daten rationalisiert und immer schon rationalisiert hat und in dieser Synthesis die sinnlich-anschauliche 1 Allerdings spricht Husserl noch iii eiiierii Text von 1928 dnvoii, dass riach Kant die anschauliche Welt „ein sich in der tr;iiis~.eiidcntnlcn Syntliesis (Irr 1:iiibildunpskraft konstituierendes Gebilde" sei (s. Ha I X , Beil. I , 5. 352). 2 5. H a VII, Beil. S X I , C. 398/99 (CS 1916).
262
SYSTEM!xTISCIIE
DARSTELLUNG
UinWelt k,snjtituiert. rm 5 ~s kbnfronti& Husserl diese Lehre Kants lnit dem Hume'schen Datenpositivismus, der nur die Empfindiingsdatcn in dez sknlichen Wahrnehmung gegeben sein lässt und die Dinge in i b ~ e Struktur r der Identität und Kausalität zu Fiktionen erklärt. ,,Zr-mterschiebt", sagt Husserl von Hume, ,,der Waiirnehrnung, die un: dcch D i n g e (die Alltagsdinge) vor Augen steilt, blossc iiinnedaxn. M.ri.W. : Er übersieht, dass blosse Sinnlichkeit, auf blosse Empfindungsdaten bezogen, für keine Gegenstände der Erfahrxg aufkommen kann. Also übersieht er, dass d k e ErfahningsgrgenstHnde auf eine verborgene geistige Leistung verweisen, uiid das Problem, was das für eine Leistung sein kann. Vorweg muss ~ i doch r eine solche sein, die die vorwissenschaftliche Erfak-ung dazu befähig macht, durch Logik, Mathematik, mathernatische Naturwissenschaft in objektiver Gültigkeit, d.i. in einrr für jedermann annehmbaren und bindenden Notwendigkeit erkennbar zu sein." 1 Demgegenüber lehrte Kant, so führt Husserl weiter aus, dass in der Erfahrung zweifellos Dinge erscheinen une nicht blosse Empfindungsdaten, dass diese Erfahru~igsdingcaber Leistungen des verborgen fungierenden Verstandes seien, der die Sinnesdatcn durch apriorische Formen z 2 synthetischen Einheiten bringt: „I,Irc~r;~iisbestimmt werden nnd nach welclicr Mctliodc. Nntürliclr: t l i e Kantische Frage seiner transzendentalen Analytik." 1 M.s.'\V., Husserl fragte sicli, wie es möglich ist, dass sich auf der sinnlichen Erfahrung ein begriffliches und schlicsslich objektiv-wissenschaft1ichesIlenkcn aufbaiien, bzw., d a s dic sinnliche Erfahrungswelt durch den Logos der Wissenschaft hestiriiiiil. werden kann. Dcr Gedanke, dass die anteprätlikative Koiistitut i m auf dieselben „kategorialen Puriktioneti" zurückgqfit, tlir sich im eigentlich kategorialen odcr begriffliclien Denken auswirken, war fiir Husserls phänomenologische Lösung dieses Problems äusserst fruchtbar. In einem Text aus der Zeit um Iqro schreibt Husserl: „Das einheitliche Ding der Erfahrung in1 Zrisammenhang der erfahrungsmässig gegebericn oder gemeinten Dingwelt und Mencchenwelt. Die logischen Aktc, dic Urteilt:, weiche das Erfahrene beschreiben und es objektiv bestinimen. Was das Ding in Wahrheit ist, erkenne ich nur durch Begriffe und das begriffliche Urteil. Aber vor diesem begreifenden Denken liegt verborgen in der empirischen Anschauung schon ein ,aus der 1 Ms. orig. A I V 5, C. gqa/b [Winter- oder Osterferien 1924). Diese zitierte Stelle hat Husserlspätermit ihrem Kontext mit Bleistift durchgestrichen. Die Durchstreichung ~eschahaber kaum im Hinblick auf die uns hier interessierende Ideiitifizieruiig c l m
hoblematikder wissenschaftlichen Objektivität gegenüber der sinnlichen Erfahrungswett mit „Kants Frage seiner transzendentalen Analytik".
266
Seele selbst' stammender Vernunftgehalt oder Eogischcr Gehalt, ohne den das Urteil der Realität sich nicht ins Werk setzen liesse; begreifen kann ich nur, was begrifflich ist. . . . Die Funktionen der Synthesis, welclie irnrnancnte Gebilde ,schaffen', und diese fasst der Logos in logischer Weise, driickt sie aus, schafft Aussagebedeutungen mit ihrer ,Allgemeinheit', ihrer logischen Identität als logischc Gegenstände." 1 Huserl konnte sich aber mit der „Konstruktion", dass die Erfahrungsdinge bereits „begrifflich" oder „kategorialH sein müssen, um im logischen Denken erfassbar zu sein, nicht begnügen. Es galt ihm, den „kategorialen Funktionen" in der anteprädikativen Erfahrung, die nach ihm bei Kant nur „in prinzipieller Allgemeinheit herausgedacht" 2 waren, durch intentionale Analyse nachzugehen. Nichts anderes unternimmt er in Erfahrulzg und Urteil, wo die Genesis der Kategorien in der Erfahrung untersucht wird. Auch in der Krisis legt er dar, dass „die Welt als Lebenswelt schcn vorwissenschaftlich die ,gleichen' Strukturen hat, als welche die objektiven Wissenschaften, in eins mit ihrer (durch die Tradition der Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit gewordencn) Substruktion einer ,ati sich' seienden, in ,Wahrheiten an sich' bestimmten Welt, als aprioriscile Strukturen voraussetzei~11nd systematisch in apriorischen Wissenschaften entfalten, in Wissenschaften vom Logos, von den universalen methodischen Normen, an welche jcde Erkenntnis der ,an sich objektiv' seienden Welt sich binden muss'', 3 und entwirft die Aufgabe, die „kategc.riah Funktioneri", die die sinnliche Lebenswelt (und zwar schon die vorprädikative) konstituiercri, zu enthüllen. Irn Hinblick auf diese Entliiillung geschieht ja auch die Anknüpfung an Kants Lehre w m doppelt ftingicrendcn Verstand zu Beginn des dritten Tcils dieses Werkes. Allerdings sind für Husserl, wie wir bereits ausgeführt habek4 die wissenschaftlichen Kategorien gegeniiber den Typenbegriffen des vorwi~senschaftlichen Prädiziervns nicht einfach a n a l y t i SC h e Enthüllungen der in der sinnlichen Erfahrungswelt liegenden kategorialen Struktur, sondern sie setzen nach ihm einen Idealisierungsprozess voraus, der ihre exakte Objektivität konstituiert. Die Kategorien bleiben dabei aber doch die „gleiMs. orig. A I 36, C . 1535 (gegen 1920). 3k. transcr. K III 28, S. 43 (Dreissiger Jahre). 3 K ~ i s i sC, . 142 S.O. C. 254 ff.
1
2
HUSSERLS VERHÄLTNIS
S Y S T E N A T I S C H E DAKSTELLU'G
ZU KANT
267
chen". Husserl war sich natürlich bewusst, in seiner Theorie über die ,,Idealisierung" wesentlich über Kant hinausziigelien, auch wenn er in den entsprechenden Untcrsiichiingcii innnchiiial a n Kants Gegenüberstellung von objcklivcn Ii)rfalirungsurtcilcn und subjektiven Wahrnehmungsurteilen, die er - übrigens zu Unrecht 1 -mit seinen schlichten vnru~isse1isclinftlic1~~1~ Erfahrungsurteilen identifiziert, eriiinert.2 Schon einige Zeit vor den Ideen hat Husscrl dem Iiantischcn Gedanken, dass die Erfahrungswelt von ,,Verstandesfunktionen" konstituiert wird, Aufmerksamkeit geschenkt und vielleicht gerade in Folge einer Auseinandersetziing mit dicsciii Iiaiitisclirti Gedanken von der scXilichten \Vclterfalirung als ciiicin Fuiigicrcn der Vernunft gesprochen, was er erst in den Ideen, noch nicht aber in den Logischen Unters~chungentut.3 In einem Text aus der Zeit seiner intensiven Kantbeschäftigung (zwischen 1907 und xgog), der die Stelle aus der Einleitung der zweiten Auflage der Kritik der r e k e n Vernunft behandelt, wo Kant ausführt, dass zeitlich all unsere Erkenntnis mit der Erfahrung beginne, dass aber trotzdem die Möglichkeit apriorischer Urteile bestehe, bcmerkt Husserl: „Das kann so sein, dass z.B. zu den Formen der höheren inteUektueIlen Verarbcitutig Wescnsgesetzr: gehören, dir eben zu ihnen wesentlich gehören, und d.ie allgcnseii-i zilr Iuk ßaucf;inden.Eiiim:~lbcstatidcii die rcligiöscn und cthischen Forderungen der ~nenscliliclienFreiheit und einer freien göttlichen Weltschopfung und teleologiichen Weltlenkung. Weiter wirkte aber auch im Rationalismus das transzendentale Motiv Descartes'. Um diesen verschiedenartigen und gegensätzlichen Ariforderungen zu genügen, entwickelte die rationalistische Schule eine eigenartige konstruktive Methode, die die Voraussetzungen S r die Versöhnung dieser Anforderungen zu ermitteln
Aus unseren Darstellungen geht hervor, dass nach Husserls Auffassung die Philosophiegesckichte vor Kant zwar bedeutsame Ansatze, aber noch keine echtc Trariszendentalphilosopl~iehervnrgetiraclit Imt. 1)ics war I I I ~ I I i i i sc*iri(:ii A U ~ : Ii i Ii c : i i i c i i i i P:wissen Sinne die historische J..eisturig ICants. In der Krisis schreibt Husserl: „Was uns jetzt besonders interessiert, ist - zunächst in formaler Allgemeinheit gesproclicn -, dass in Reaktion gegen den Humeschen Datenpositivismus, welcher in seincrn Fiktionalismus die I'hilosophic als Wissenschaft aufgibt, nun zum e r s t e n Mal s e i t D e s c a r t e s einegrosseundsystematisch aufgebaute wissenschaftliche Philosophie auftritt, die anzusprechen ist als transzer.idcn t iilcr Siil)j(~ktivisri~iis." 1 ,,Tasächlich ist, wcnn wir tlic ii(~g;ttivistiscli-~k(?1)t isclihie «itd l>hilosol>hzscIti:lirilik, 103 ( I N + $ )C. , 313-332. 3 La;. U~Efcrr.I, I. Aufl., S . 169 Anin. I. 4 Lozik, in allgemeinster Weise bestimmt, ist für Natorp wie für IIusserl Theorie Ton Wissenschaft ilberhaupt, Theorie von Theorie Uberhaupt. Husserl drückt dies in Kantischen Redeu-endungen so aus: Logik hat „den Bedingungen der Möglichkeit Cer Theorie Zbbrrhaopt", d.11. „den Bedingungen der Möglichkeit der Wahrheit überhaupt" narhziischai (Log. Ilnters. I, I . Aufl. S. 236137). Natorps Formulierung iii i f b n o5jektici -iid ~ r ~ b j c k t i v1)egrilndung e der Erkrttnlnis Iaiitct: „l.ogik als Theorie der Erkenntnis will die gesetzmassige Verfassung darlegen, wodurch Erkenntnis eine innere Einheit bildat" (S. 2 5 6 ) , wobei unter Erkenntnis nicht der Erkenntnisakt, sondern ein oijekti-fes theoretisches Gebilde zu verstehen ist. Wenn Natorp in seiner Besprezhung vm Husserls Prolegomena gegen diese einwendet, dass die Logik vom 1
0 L.
dung, dass das primäre und eigentliche Thema der Logik mit Subjektivem nichts zu tun habe. Beide fordern aber andererseits doch eine subjektive Begründung,l die aber keineswegs die Stelle der objektiven, die im innern Zusammenhang der objektiven Wissenschaft selbst geschehen muss, einzunehmen hat - das wäre eben Psychologismus -, sondern in einer völlig neuen Dimension liegt und einen völlig neuen Begründungss in n hat. Bei Husserl hat diese Begründung durch die Phänomenologie, die er in den Logischeil Udersuchzcngen als ,,deskriptive Psychologie" (nicht empirische) fasst, zu geschehen, während Natorp diese Aufgabe als die Aufgabe der allgemeinen Psychologie, die er auf eine völlig eigenartige Weise, und zwar ebenfalls als nicht empirische auffasst, bezeichnet. Das Verhältnis Husserls zu Natorps Psychologie soll im foIgenden Kapitel erörtert werdcn.
Problem des Gegenstandes (aufgefasst als Gegenstand der Erfahrung) nicht getrennt werden könne (anders ausgedrikkt: dass die Logik der formalen Wahrheit in der I.o~ik der Wahrheit des Gegenstnnilea, (1.h. in dcr transsen~lentalenLogik begriitidct werden miisse), sn t r i f f t er darnit wohl ciriei~ 1Jiitrrsi:hi~tlzwisrhrri sciricr ei~rricii Auffassung der reinen Logik und derjenigen des frühen Husserl. scheint aber andererseits doch zu wenig auf Husserls Betonung des Zusammenhanges von Logik und Gegenstandstheorie (s. Log. Uf18crs.I , $8 69-71) und Idee der Erweiterung der Logik sur Theorie der Erfahrungserkenntnis (s. a.a.0. F, 72) zu achten. In der Klärung des Verhältnissrs von forninlei I.n~ikiirid Tlirorii. crien „blass subjektiveii" Erscliciiiungcri der sinnlxhen Erfahrung bewegt sich nun bei Husserl zur Zeit der Idee% noch grundsätzlich in diesem staliichen Rahmen, obschon gende sie Motive enthielt, ihn zu durchlkechen. Die Erkläruiig Husscrls gcgciiübcr Natorp von 1918,dass er schon seit mehr als einem Jahrzehnt der Phänomenologic das Problem der transeendcntaleii Genesis gestellt habe, bezieht sich vielleicht weniger auf die Phänomenologie der Konstitution der T r a n s z e n ~ h zals auf die Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseim, die Husserl schon 1g04/og in Vorlesungen zu entwickeln versuchte.3 Er nennt zwar diese Phänomenologie vor 1918 nie genetisch; erst in den Zwanziger Jahren bezeichnet er sie als dle Grundlage der genetischen Konstitution. Als deren Grundlage scheint sie aber schon nicht mehr eigentlich zur genetischen Problemetik, im Sinne wie sie von Husserl seit den Zwanziger Jahrrn verstanden wird, selbst zu gehören. In der intentionalen Analyse des inneren Zeitbewusstceins untersucht Husserl die Konstitution der Zeitlichkeit der Empfindungen und intentionalen Erlebnisse als immanenten dauernden ( i n der „objektiveno immanenten Zeit seienden) Einheiten im absoluten zeitkonstituierenden Bewusstseinsfluss. Damit entspricht er in gewisser Weise z.3. ideen 11, C. 2 3 ; Ha V, Beil. I, S. 125 (1gx2). Die Idrsn I1 enthalten zwar genetische Oberlegungen (S. 214/15).Diese treten aber erst in der zweiten Steinschen Fassung (1918/19) auf, also erst n a c h dem uns interessierenden Zeitpunkt. 3 s. Phän ~menologiedes inneren Zeitbewusstssins. 1 s.
IIUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M N E U K A N T I A N I S M U S
349
Natorps Forderung, aUe festen Objektitäten - auch die Erlebnisse im Sinne Husserls - ins Bewusstsein zu verflüssigeri. Manche Anklänge der Zeitproblematik Husserls an diejenige Natorps machen es wahrscheinlich, dass Husserl auch in diesem Punkt von Natorps Einleitung in die Psychologie eine „anregende Wirkung" empfangen hat. Wie Natorp Iehnt es Husserl ab, das absolute zeitkonstituierende Bewusstsein, das er in einem radikalen Sinne absolute Subjektivität nennt, i n die Zeit zu stcllcn. „Von einer Zcit dcs Ictztcii konstituicrciirlcii l~cwiisstsc~ii~s h i i i ~ iiiclit i i i t i I ~ i . gc~sl)r~t:iit~ii werden." 1 „Die subjektive Zeit konstituiert sich im absoluten zeitlosen Bewusstsein, das nicht Objekt ist." 2 Es hat nach Husserl keinen Sinn, von den absoluten zeitkonstituierenden Phäno, mcncn zit sngrm, sir sric%tii i i i Jrtzi i i i i t l . sc+ii vorli~i-~ ~ ( Y I I sics folgten ci~ianclerzeitlich nach oder seien gleiclizcitig usw. ; vor1 dcr absoluten Subjektivität kann nur gesagt werden, dass sie zu einem Jetzt oder einem Vorher gehöre, indem sie für diese konstituierend ist.3 „Wir kiinnen nicht mrlcrs sagen als: dieser Fli~ss ist etwas, das wir nach dcrn ICoiislituicrtcii so iicnncri, aber cs ist nichts zeitlich ,Objektives'. Es ist die absolute Subjektivität und hat die absoluten Eigenschaften eines in1 Bilde als ,Fluss' zu Rczeichnenden, in einem Aktualitätspunkt, Urquellpunkt, ,Jetzt1 Entspringenden usw, In1 Aktualitätserlebnis habcn wir den Urquellpunkt und eine Kontinuität von Nachhallriiomcnten, F ü r all das fehlen uns die Narnen."4 Diese Sätze Husserls, besonders etwa die Wqndungen, dass der absolute Fluss nichts zeitlich ,,Objektives" sei, dass er vom Konstituierten her genannt werden müsse, dass für ihn aber eigentlich die Namen fehlen, haben ihre unmittelbaren Entsprechungen bei Natorp. Husserl folgt auch darin Natorps Einleitztng, dass er die Zeit als die „Urformn des Bewusstseins auffasst und so das zeitkonstituierende Bewusstsein letztlich als ein ineins unzeitliches (weil allererst zeitigendes) und zeitliches (weil immer schon sich selbst gezeitigtes) offenbar werden lässt: Der absolute Bewusstseinsfluss konstituiert sich selbst, d.h. er ist sich in sich selbst vor der Reflexion retentional gegeben in der Form der a.a.0. S.432. * a.a.0. C. 464. a.a.0. S. 429. 4
clrenda.
35O
BUSSERLS V E R H Ä L T N I S Z U M N E U K A N T I A N I S M U S
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
„?räphänomenalcn" oder ,,priiinniancntcn" vorkonstituierten Zeit [die nicht zu verwechseln ist mit der konstituierten „objektiven" Zeit der reflektierten immanenten Einheiten), in die die Phasen des Flusses (die Phase der Aktualität und die Serien der voraktuellen und nachaktuellen Phasen) „quasizeitlich" eingeordnet sind. Gebender und gegebener Fluss kommen dabei aber n x h t völlig zur Deckung: „Was im Momentan-Aktuellen des &wnsstseinsflusses zur Erscheinung gebracht wird, das ist in der fieihe der retentionalen Momente desselben vergangene Phase des Bewusctsiinsflusses."l Nach Ausführungen des langjährigen .ksistenten Husserls, E. Fink, soll dieser in seiner Spätzeit noch entschiedener als in den Vorlesungen von 1g04/05 die Zeitlosigkeit des letzten Quellgrundes des Bewusstseins hervorgehoben haben.2 Auch hier wäre eine gewisse Ähnlichkeit mit Natorps Ent~%arallelitätder noematischen und noetischen Analyse in der Phänomenologie hat Husserl unseres Wissens zwar nie ausdrücklich widerrufen. Aber in der Krisis umreisst er das Forschungsfeld der Pliänomenologic: auf eine Weise, die das Fallenlassen einer besonderen noetischen Analyse bedeutet.1 Wir meinen den $50 dieses Werkes: Ersfe Ordnmg aller Arbeitsprobleme unter den Titeln: Ego - cogito - cogihztum. Wir erwarten, dass Husserl hier wie üblich unter ,,cogitoW die Noesis, unter ,,cogitatzm" das Noema versteht. Dein ist aber nicht so: Das ,,cogilatum" bezeichnet hier den Gegeristandcpol, d.h. das identische X, das sich in mannigfachen Erccheinungsweisen zeigt; diese subjektiven Erscheinungen in ihrer synthetischen Verbundenheit sind mit dem Titel cogito gemeint, und das Ego schliesslich ist der Tchpol als der identische Vollzieher aller Geltungen. Wo sind die ,,Arbeitsprobleme" der Noesis? Sie sind verschwunden! Bemerken wir, dass die in diesem Paragraphen der Krisis vollzogene Scheidung genau der Natorpschen Scheidung: Ichpl-Bewusstseirrsinhalt-Gegenstands1,ol entspricht. D a s IlusscrI sciiic L'Iiä~ioiiiciiologi~: wiilirciitl sciliicsl~~lic:iis iiiiiiitir deutlicher als noematische auffasste, dürfte in einem entscheidenden Masse auf den Einfiuss Natorps zurückgeführt werden ; andererseits wurde HusserI dazu wohl auch durch die Cartesianische Zweifelsbetrachtung, die neben dem cogito auch die cogitata stehen lässt, motiviert.
360
Der Umfang des phänomenologischen Forschungsfeldes der Ideen unterscheidet sich von demjenigen der Logischen Untersicchmgen nicht nur durch die Einbeziehung des ,,GegenstandspoE b e ~ s obereits in] E~tcycZopediaBrita~nica-Artikel(s. Ha IX, S. 238139,244, 280). Auf S . 283 dieses Artikels unterscheidet Husserl zwar zwischen „,noetischer' und .utnmatischer' Richtung der phänomenologischen Beschreibungen". Unter „Noesis" werden hier aber nicht mehr A k t e , sondern die mannigfaltigen E r s c h e i n u n g e n der gegenständlichen Einheiten, also eigentlich Noemen verstanden, während als ..Noemaw die gegenständliche mannigfaltig erscheinende E i n h e i t als solche, also eigencIich das Ontologische bezeichnet wird.
362
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
les" (durch das Noema), sondern auch durch die Einbeziehung des
entgegengesetzten Poles,derwiedasNoemakeinenreellcn Bestandteil des Erlebnisses bildet, nämlich des reinen Ich. Auch in diesem Punkte verdankt Husserl wohl Natorp wesentliche Anregungen. In den Logischen Untersuchungen schreibt er, dass er das reine Ich Natorps, das dieser als Beziehungszentrum aller Bewusstjeinsinhalte auffasst, nicht zu finden vermöge; in der zweiten Auflage desselben Werkes (1913)korrigiert er sich aber ausdrücklich, indem er dieses reine Ich als im Vollzug der Evidenz des cogito adäquat erfassbar erklärt.1 Diese Annäherung Husserls an Natorp geschieht allerdings auch wiederum auf einem Hintergrund fudamentaler Divergenzen. Nach Natorp ist dieses Ich nicht intuitiv erfassbar, überhanpt nicht objektivierbar, sondern blocs notwendig vorauszusetzender Beziehungspunkt der Bewusstieinsinhalte (dasjenige, cem die Bewusstseinsinhalte bewusst sind), d.h. das subjektive Zentrum der für alle Bewusstseinsinhalte völlig gleichartigen Bewusstheit, das selbst aber nicht wiederum Bewusstseinsinhalt sein kann. Husserl dagegen betrachtet nicht nur das reine Ich als ein intuitiv erfassbares. sondern nach ihm lebt dieses Ich a ~ c in h sehr verschiedenen Weisen X in den jeweiligen Erlebni~arte~ und Erlebnismodis und gibt SO zu einer Mannigfaltigkeit wichtiger Beschreibungen Anlass. Er unterscheidet an den Erlebnissen das rein Subjektive oder die subjektiv orientierte Seite, die die Wcisen betrifft, wie das Ich, in den Erlebnissen lebt, und eine ich-abgewandte, zur Konstitution des intentionalen Gegcnstandm hin orientierte Seite. Entsprechend ergibt sich ihm eine Zweiteilung der phänomenologischen Untersuchungen, wobei er hervorhebt, dass die objektive Seite untersucht werdcn kann „oIinc dass man sich mit dem reinen Ich und seinen Weisen der Beteiligung dabei irgend tiefergrhenrl brschäftigt". 2 Hiisscrls phänomenologische Untcrsuchu~igcnsind zuin grösstcn Tcil objcktiv oricnticrt, d.ll. sic befasser_ sich mit der Konstitution des intentionalen Gegenstandes. Ein wesentlicher Unterschied in der Auffassung der reinen Ich liegt zwischen Husserl und Natorp auch darin, dass für Husserl
dasjnden Noesen lebende Ich ein einzelnes ist, das in einer intersubjektiven Gemeinschaft steht, während Natorp das reine Iclri als das „Ich überhaupt", als die nicht objektivierbare und damit eigentlich auch nicht zu erfassende subjektive Entsprechung der objektiven gegenständlichen Einheit betrachtet. Diesen letzten Unterschied hat Husserl nie ausdrücklich hervorgehoben; den „Ichpol" seiner Phänomenologie identifiziert er mit dem Ich Natorps. Umson~dirbctonte er aber dicscm gcgenüber die intuitive Erfassbarkeit des reinen Ich und unterwarf Natorps These von der uniformen, überhaupt nicht zu fassenden Beziehung des Ich zu den Bewusstseinsinhalten einer scharfen Kritik. Zu den Ausführungen Natorps, dass das Ich, von dem wir sprechen und das wir somit objektiv erfassen, nicht das ursprüngliche, sondern nur ein abgeleitetes, spiegelbildliches, fiktives Ich sei, bemerkt Husserl: „Das ist eine reine Ichskepsis und mit dem skeptischen Widersinn behaftet." 1 „Nehmen wir einen Kasten im Bild: hatte ich ihn oder dergleichen nie gesehcn, so gäbe es für mich kein BiId."2 Gegcn dic Thcsc, dass das iirspriinglichc Ich nicht gegeben werden könne, sondern nur und zwar notwendig als letzter Seinsgrund und Problemgnind der Psychologie supponiert werden müsse, führt er aus: „Das Ich in seiner Ursprünglichkeit : wie alles, was ist, nur für ein Ich ist inmannigfaltigcn Modis der so ist auch (1;~s Idi Gegebenheitswcisen (1Srscliciiiiitigswcise1~). für sich selbst und für irgendcin ldi nur in Modis. Und cincr dieser Modi ist das Ich in seiner Urspninglichkeit . . . 3 „Ich kann nichts als notwendig supponieren, was ich nicht in seiner Möglichkeit sehe." 4 „Aber kann etwas Wcscn habcri und Ccirr, das nicht gegeben werden kann.'' 5 „Von dem wahres Sein, Tatsache, echte Begriffe, Erkenntnis, Urteil e t ~ Begründenden . kann es also keine Wissenschaft geben, es kann selbst nicht sein, nicht begriffen wcrtlcti ctc., iiiid tlir Wissc~iis(:linftv o i r :ill (lwi i i i i i s s l c es voraussctzcn, müsste auf sich selbst bczogcti sein, was widersinnig ist . . .." 6 Tm 3 23 der Ideen I I , der überschrieben ist: „Erfassbarkeit des
."
Randbemerkung Husserls in Allgemeine.. ., S. 3 0 . Randbemerkung Husseris iii ALIgenieine.. ., C. 31. 8 ebenda. Randbemerkung Husseris in Allgemeine. . , S . 39; Husserl unterstreietit 8 Randbemerkung Huscerls in Allgcm&e.. ., S. 3 1 . Randbemerkung Husserls in Allgemeine. . , C. 32. 1
Log. Unters. II, I . Aufl. S. 340 Cf. mit Log. Unters. 11, 2 . Aufl. S. 357 U. 360 Xnin ; zu Husserlq Lehre vorn Ich s.o. f 26. 2 Jdezn I. S. 196. Diese Scheidung vc.n sibjektiver und objektiver Forschungs~ i c i t u n gist nicht zu verwechseln mit der Scheidung zwischen noematischer und nochscher Forschung (s. a.a.0. S. 231, ~ € 1 ) . 1 Vergleide
. .
reinen Ich (des Ich-pol)", setzt sich Husserl eingehend mit Natorp auseinander, ohne ihn aber zu nennen. Er schreibt: Es gehört ,,zum ?Vesen des reinen Ich, sich selbst als das, was es ist und wie es fungiert, erfassen und sich so zum Gegenstand machen zu können. k s reine Ich ist also keineswegs Subjekt, das niemals Objekt w~rdenkann, wofern wir eben den Begriff des Objektes nicht von vornherein beschränken und insbesondere auf ,natürliche' Objekte, auf mundane, ,reale' beschränken, mit Beziehung auf welche der Satz allerdings in einem guten und wertvollen Sinn gelten würde. Denn das ist gewiss sehr bedeutsam, dass das reine Ich allem Realen und überhaupt allem anderen gegenüber, was noch als ,seiend' bezeichnet werden kann, eine völlig isolierte Stellung einnimmt. Wir können nämlich sagen : alles im weitesten Sinn Gegenständlicheist nur denkbar als Korrelat möglichen Bewusstseins, näher: eines möglichen ,ich denke' und somit als beziehbar auf ein reines Ich. Das gilt auch vom reinen Ich selbst. Das reine Ich ist durch das reine Ich, das identisch selbe, gegenständlich setzbar," "ach Husserl kann sich das reine Ich dadurch originär selbst erfassen, dass es fungierend in einem neuen c q ü o auf ein in der Retention gegenwärtiges (anderes) cogito reflektiert und das darin auftretende reine Ich wahrnehmend erfüsst. Er unterscheidet also zwischen dem „ursprünglichen", licht gegenständlichen (nicht reflektierten, sondern reflektierenden) Ich cnd dem objektivierten (nicht aktuell reflektierenden, , d>cr s ~ i l d ~ r n~ f I ~ l ~ t i ~T rA Z ~ i ~ )('r tdclärf hridc auf Grund von hüherer lieflexion als ,,in Wahrlieii ein und dasselbe ieinc Ich". 3adurch wird für Husserl das reine Ich zu einem zeitlichen,d.h. in der immanenten Zeit seienden; denn das reine Ich erfasst sich als identisch mit dem Ich, das in den vergangenen, sei es in der Xexntion zurückgelialtenen oder in der Reproduktion wiedererinnerten iogitttltiones lebte und vom vergangenen Jetzt bis zum aktuellen fliessenden Gegenwartsjetzt als identisches dauerte (wennauch in eincr Dauer ganz anderer Art, als Erlebnisse dauern). So wird das reine Ich fiir Wiisserl ein? Einheit, die selbstbewusstseinsmässig konsituiert ist, nämlich gezeitigt mit seinen Erlebnissen in einem Bewusstsein eines neuen Sinnes: im immanenten ZeitbewusItsein. Dieses Bewusstsein scheint nach den Vorlesungen 1
8
Ideen 11, S 101. C. 102.
a.a.0.
zarr Plcüm?ioEogie dcs inneren Zeithcwusstscins von 1905 und nach den Ideem kein „ichpolarisiertec" mehr zu sein. Der späte Husserl nimmt hier aber doch eine Ichpolarisierung an; allen Anzeichen nach hält er diese aber nicht mehr gegenst$ndlich intuitiv erfassbar, sondern nur für „rekonstmierbar".l Auch a n diesem Punkt - iii rlcr Auff:iss~iigtlcs iirsprüiigliclictcii Icli scheint sich Husserl Natorp genähert zu haben. Gegen Natorps Begriff der „BewusstheitH als der inhaltslosen, notwendig zu supponierenden Beziehung der Bewusstseinsinhalte auf das ebenso zu supponierende Ich bemerkt Ilusserl: „Nein, das Bewusstsein ist nicht Beziehung = Beziehen, sondern wird zu einer Beziehung in der Reflexion und in einem reflektiven Beziehen. Wovon ist aber die Rede? Von der Beziehung, dem sich Beziehen des Ich auf seinen Inhalt. Aber wenn wir dabei auch f absehen vom Unterschied zwischen dem sich Bezielicn ; i ~ den intendierten, gemeinten Gegenstand, der beachteter ist, und dcrn Bewussthaben ohne solche spezifische Meinung, so ist sicher, dass das Ich nicht sich in Relation setzt zum Inhalt." 2 „Das einzelne intentionale Erlebnis ist kein Beziehungserlebnis (Bewusstsein von Beziehung}. Was die Beziehung zwischen Ich und intentionalem Gegenstand (als gegenständliche Beziehung) voraussetzt ist Reflexion auf das Erlebnis und Reflexion niit Identifikation des Ich und dcs Gegenstandcl;." 3 ,, . . . das sicli IJczicBctn dcs Ich auf den Gegenstand (sagt) nicht, dass das i3cwiisstsciii selbst ciiic? Ij&tivit8t bzw. des problematisclien %Ins vor der Geburt, des Todes und des ,nach ietu Tode' " gebrancht Husserl den 'I'errnious „Rekonstriiktion" in einem T e ~ tmilis d c Dreissiger ~ Jahren, wobei er zugleicb der Fragwürdigkeit dcr damit bez e i r b d e n Aufgabe Ausdruck gibt: „Die3e p z e (latente} Seinssphärc ist eine solche der RGmst~arkfion - nämlich von der patenten zurückgehend auf das Latente, scincr Mcdif5ation nachgehend. Aber es gibt Rekonstruktion von solchem, was Bewusit. seix, .Ras in gewisscr Weise Erfahrung ist, von einer crfahrcnden Subjektivitlt, die doch n:zht aktiv erfahrendc ist in einer W e h , die eine wirkliche Kommunikation und Seinsausweisung ermöglichte, und das prinzipiell. So für das urkindliche Seelenleben. A k r s ist und ist evident rekonstruierbat (in einer nur ,vagen' Bestimmtheit) und ist wirklid mit dem Seinssinn, den die Rekonstrnktion ihm zuweist. E s ist als ein nur so intersubjektiv zugangliches Bewusstsein, Fur-sich-sein. Aber wie weit reicht solche RekoffFtcuk¿ion hinsichtlich Geburt (bzw. ev. vor der Gcburt) und Tod (nach dem T o q . Handelt es sicb um Rekonstruktionen, die der Analoie mit dem sedimentierten Sein fc'gen miissen (dem „Unbewussten" i n unserer Bewusstseinssphäre), und werder?.wir dann nicht zurückgetrieben von den Menschen zu den Tieren, zu den PflanZen, ZL den niedersten Lebewesen, zu der Atomkonstitution der neuen Physik zu einer Totalbetrachtung der wach konstituierten Welt und von ihr aus zu einer transzado~ital-subjektivenBetrachtung, die rekonstruierend zurückgeht auf Subjekt. Wesen -.-mscfiedener Ordnungsntufen mit einem Instinktbewusstsein und instinktiver Kmrianikation, monadoiogischer Kommunikation im Monadenwechsel." (Ms. orig. A f 23. S. z c b ; wohl Dreissiger Jahre). z Ms. orig. A 1 36, S. 163a/b (rgrg od. 1920).
-
als des genetischen Ursprungs der objektiv-wissenschaftlichen Objektivität geht. Doch spielen solche Gedanken in seiner Problematik der Lebenswelt zweifellos auch mit. Aus dem Vorangehenden dürfen wir den Schluss ziehen, dass sich Husserl des konstruktiven Charakters zumindest seiner geriet ischen Ph5nomcnologir wiiig.;tc-ii.; tc4wc+ein Ideales ist? ICann nicht eine Idee auf eine andere Idee gerichtet sein?" 1 Gegen Rickerts A~gument,dass das ideale Sein, wie etwa die geometrische Idee „der Winkel im Halbkreis" im Gegensatz zu den Urteilsbedeutungen nicht wahr oder falsch sein könne, bemerkt Husserl: ,,Natürlich, abcr wer würde auch bcliauptcn, dass alle idealen Gegenstände Sätze sind? Nur Satze sind wahr und falsch. Was sind das für sonderbare Argumentationen? Wenn jemand Zahlen, geometrische Gebilde und Sätze insgesamt als ideale Gegenstände bezeichnet, so wird er nicht behaupten, dass sie 1
AIS. transcr. A I
42,
S. 65 (1910).
389
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
einerlei sind, aber wohl, dass sie ein Gemeinsames haben." 1 ' Husserl geht dann ein auf den für ihn innerhalb der idealen Seinssphäre liegenden Unterschied von Urteilssinnen (Urteilsbedeutungen oder Sätzen) und allgemeinen Gegenständen (Spezies), die durch die Abstraktion oder Ideation gewonnen werden, und betont die Eigenartigkeit des Reiches der Sätze gegenüber dem anderen idealen Sein. Er korrigiert sich hier hinsichtlich seiner Prolegomena, in denen er die Urteilssinne als Ideen im Sinne der allgemeinen Spezies aufgefasst hatte.2 In dieser Unterscheidung der Sätze von den allgemeinen ~egenktändenhat sich Huscerl also Rickert genähert, womit wir aber nicht sagen wollen, dass dies unter dessen Einfluss geschah. Trotzdem bleiben aber für Husserl die Sätze ideales Sein. Werte können sie nach Husserl nur werden, insofern sich auf sie ein Akt des Wertens (eine Wertapperzeption) beziehen kann.3 Aber selbst als Werte bleiben sie noch Seiendes. Denn nach Husserl ist der Wert nicht nur ini Sein fundiert - nur was als Scicndes vorgestellt ist, kann als Wert apperzipivrt werden 4 -, sondern der Wert selbst (das gewertete Seiende a l s gewertetes) ist cin Seiendes, da in einem nun im Wertapperzipieren fundierten theoretischen Bewusstsein gesagt werden kann, dass der Wert ist und wie er ist.5 Dass der Wert theoretisch als seiender Gegenstand erfasst werden kann, beruht darauf, dass das Werterlebnis selbst implizit ein objektivierendes ist,6 d.h. eine verborgenc Seinssetzung enthält; 7 das wertnehmende Erfühlen trägt den Wert bewiisstseinsdissig so in sich, dass er jederzeit erfahrungsbereit ist, bereit für das bloss zugreifende Lrfassen als daseiend.8 Es ist ein grundlegender Gedanke Husserls, dass jedes Bewusstsein zutiefst c i i i Scinsl>cwusstscinist, odcr, noetiscli gesproclicn, d w jedes intentionale Erlebnis als Urdoxa fungiert.9 Dieses in allen intcntionalcn I~rlcbnisscnfiingicicridc Seinsbcwusstsein identi-
fiziert Husserl keineswegs mit einem theoretischen Akt ; vieimehr handelt es sich um eine vortheoretische Objektivierung oder Seinskonstitution, die die Voraussetzung für alle Theorie ist, da ein theoretischer Akt wesensmässig auf ein vorgegebenes (d.h. auf ein bereits objektiviertes oder konstituiertes) Seiendes gerichtet ist.L2 Hussed wirft Rickcrt vor, tlcn Scinsbcgriff aiif cinc unklarc Weise zu begrenzen, und ihn nicht als einen „stufierbaren" anzuerkennen.3
388
1
ebenda.
e Husserl weist an folgenden Stellen auf d i e s n Mangel der Prolegomena hin: M?, orig. A 111 X I ,C. 21a (um 1920); Brief an R. Inprden vom 5. April 1918 (veröffent-
licht in Zeitschrift ff4r Philosophie S I 1 1 (1959). S . 349); Logik, s Ms. transcr. A I 42 C. 14 (19x0). 4 a.a.0. S. rr (1910); vgl. Ideen I , S. 285; I d m n I I , $5 4, 7. 5 a.a.0. C. 2 ( ~ g r o ) vgl. ; Ideen I , S. 278, 297 % s . I&en I I , S. 16. 7 s. Ideen I , C. 297 ff.
C. 138 Anm. I.
Von fundamentaIer Bedeutung ist Husserls Kritik an Rickerts Bestimmung des Erkennrns als cincs Uejaiiens cincs transzcndenten Sollens auf Grund eines Evidenzgefühls. Husserl beginnt in seinen RefIexionen diese Kritik mit dem Satz: „Ich kann nicht anders sagen, als dass dieser Lehre eine sehr schlechte Phänomenologie zugrunde liegt." 4 Schon a n Rickerts Auffassung des cigcnf Iichen Erkcniitiiisaktcs als eines Bejahens oder Vernejnens übt Husserl Kritik. Sein Begriff der Erkenntnis ist zwar kein kontcniplativer; darin ist cr mit Rickert einig. Er betont in der Erkenntnis das Moment des Setzens (Thetischen, Positionalen) oder des Glaubens (Doxa) ;ja, er sieht dieses Moment nicht nur irn begrifflichen Urteil, sondern in jedem intentionalen Erlebnis, also schon in der vorbegriffIichen W;thrnehmung,5 Die Konstitution des Seins hat nach ihm wesentlich einen Charakter des Setzens und des Glaubens. Dieser Charakter ist nun aber, weder irn Bereidz des begrifflichen6 Erkennens noch irgendwo sonst, aLc ein Bejahen oder Verneinen anzusprechen. Bejahen (Affirmation) und Verneinen (Negation) sind nädi Husscrl blosse tbetisclic odcr doxische Modi f i k a t i o 1 s. Idcea 11, S. 4, 6. s Der thwirrtiwlie Akt ist iiacli Iliirrnrrl kriiiwwcgs iirapi.iliiglichcr:iI$ dcr wc~tciidi: oder wollende, denn diese sind nicht notwendig in einem theoretischen Akt fundiert, sondern setzen, wie der theoretische Akt selbst, als Möglichkeitsbedingung nur ein objektivierendes oder doxisches Erlebnis voraus. Das theoretische Bewusstsein zeichnet sich nach Husserl durch seine Universalität aus: „Alle Akte, die nicht von vorneherein theoretische sind, lassen sich durch Eiristellurigeän ' Uber diese Vorlesung schreibt Husserl am 26. Dez. 1928 an Rickert: „Ich habe 1
I d e n I , S . 354.
8
Ms. transcr. F I 24, S . 249 (1911od. 1914).
in meinen vierstündigen Vorlesungen über Natur und Geist einige Wochen lang die Von Ihnen darin (SC. in Die Grmzen der aaturre~issenschaftlichen Ijegriffsbildrrng) 1)"folgte transzendentale Methode mit der Kantischen uiid rnit nieiiier eigenen koith t i e r t . um mir selbst innere Klarheit über die hier spielenden wissenschaftstheo~ l l r h e nProbleme zu verschaffen, bzw. mein eigenes Vorgehen zu rechtfertigen. Einiges iiber den Stil dieser Kritik wäre aus der jetzigen Arbeit (SC. Logik) zu mlntbrnen" (Kopie des Briefes im Husserl-Archiv).
3g6
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
ist, und das an eine ,,fertige" objektive 'Caiirklichkeitherantritt, um sie theoretisch zu bewältigen, ist für Rickert das reale oder empirische, nicht aber das erkenntnistheoretische Subjekt (das überinclividuelle „Ich der reinen Apperzeption"). Dem reinen überindividuellen Ich ist die objektive Wirklichkeit nicht etwas absolut Vorgegebenes, sondern sie ist das immancnte Produkt seiner Formung; ihre konstitutiven Formen (2.13. die Formen ,,'lVirklichkeit", „Substantialität", „Kausalität") haben ihren Ursprung in den Kategorien (Bejahungsfc+~men) des crkcnntniti theoretischen Subjekts. Die objektive Wirklichkeit, vor der das empirische Ich steht, ist also schon etwas subjektiv Geformtes, aber nicht geformt von diesem empirischen, sondern vom erkehntnistheoretischen Subjekt. Um die objektive Wirklichkeit wissenschaftlich zu erfassen, muss nach Rickert das empirische Subjekt diese mit n euen F o r m e n versehen. Diese neuen Formen sind aber nicht mehr konstitutive Wirklichkeitsformen, sondern blosse methodologische Formen. Diese Unterscheidung zwischen konstitutiven Wirklichkeitsformm und blossen m e t b dologischen Formen betrachtet Rickert als eine seiner bedeutendsten Neuerungen gegenüber Kant. Nach seiner Auffassung lie in Kants Begriff der Natur eine Verrnenpng diescr beiden Fomtypen vor, was nach ihm damit zusammnihängt, dass Kant Begriff der Wissenschaft in der Kritik &V reinen Veraunft demjenigen der Naturwissenschaft Nextons gleichsetzte W daher Möglichkeitsbedingungen,diesich nur auf die mathematischmechanischen Naturwissenschaften beziehen, also nur spezielle methodologische Formen sein können, zu konstitutiven Wirklichkeitsformen werden liess. Rickert hat hier besonders eine Kantische Kategorie im Auge: diejenige Cer Kausalität. In die* sem Begriff Kants liegt nach ihm einerseits eine wirkliche. Rategorie oder Wirklichkeitsforrn vor, nämlich diejenige der kausalen Abhängigkeit ; zugleich ist aber damit eine blosse methodologische Form verkoppelt: diejenigc dei Gesetzmässigkeit. Die objektive Wirklichkeit ist nach Rickert zwar kausal, aber nicht gesetzmässig. Wenn sie dies nämlich wäre, so über Rickert, dann müssten alle Wissenschaften von der objekti Wirklichkeit Gesetzeswissenschaften sein; dann wäre die turwissenschaft als Gesetzeswissenschaftpler excellelzce der Prot t yp aller objektiven Wissenschaften, und die Wissenschaften, di
diese vollkommene Gesetzesstmktur der Naturwissenschaften nicht erreichen, wie die Geschichtswissenschaft, wären bloss von niederer Wissenschaftlichkeit. Gerade diesen Methodenmonismus und die in ihm liegende Gleichsetzung von ,,NaturH (als System von Gesetzen) und objektiver Wirklichkeit will Rickert vermciden; m,a.CV., ;~rk~il ,,Erkenntnis vollzieht sicli notwenclig in Uegriffcn (urteilcndbegründend). Wenn aber Erkenntnis Seiendes und Soseiendes begrifflich und wahrhaft feststellt, ist eben dieses Seiende selbst begrifflich. Die Begriffe sind nicht unsere Sache, die nur u n s Erkennende angehen. Das Seiende seinerseits ist nicht in sich: den Begriffen fremd. Ferner erkennen wir begrifflich denkcnd und einsehend Gesetze, so sind wir nicht Gesetzgeber, und die Dinge an sich ohne Gesetze, sondern der Welt selbst als seiender gehören die Gesetze zu, von ihr in ihrem Sein unabtrennbar." 2 „Rickert tut so, als ob vorweg eine Welt vor der Erkenntnis wäre, und dic Erkenntnis eine umformende Auffassung wäre. Es ist eine Uniformung der Vermeintheiten der Erfahrung, aber diejenige Umformung, in der d a in ihr liegende Wahre und Falsche sich bestimmt. Das in ihr Liegende besagt aber nicht, dass sie selbst schon Wahrheit, wahres Sein als reelles Erfahrungsstück in sich trüge, sondern, dass jedermann auf ihrem Grund und entsprechend fortschreitend zu Erkenninisgebilden kommen muss, die sich ais Enthüllung und explizite Bestimmung der Erfalirungsmeinung einsehen lassen." 3 Husserl wirft hier Rickert zugleich einen theoretischen P r a g m a t i s m u s und einen R e a l i s m u s vor. Pragmatisch ist der Ausgangspunkt der Rickertschen Deduktion nach HusserI deshalb, weil er die Begriffe und Gesetze gewissermassen als nützliche, bloss ,,subjektive" Instrumente ansetzt, mit Hilfe 1
a.a.0. S. 1o3a (SS 1927).
3
a.a.0. C. r t z b (CS 1927).
* ebenda.
406
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
deren der endliche Mensch die itn voraus seiende, an sich begriffsfremde, unendliche Welt in der theoretischen Praxis erfasst.1 Dem Sinn nach denselben Vorwurf hat Husserl schon in seinem ersten Bericht iiber dewtsche Schriften zw Logi5, der 1897 erschien, an Rickert gerichtet. Damals erklärte er gegzn Rickerts Aufsatz Zar Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildzcng,dass die Begriffe und Gesetze nicht als blosse Mittel aufgefasst werden dürfen, mit deren Hilfe es dem e n dli C hen Menschen gelinge, die unendliche Wirklichkeit der Erkenntnis zu unterwerfen, da selbst im Falle, dass dem menschlichen Geiste eine unendliche Erfahrung möglich wäre, die Erkenntnis desen, was allgemein ist, und der darauf basierenden Gesetze ihre volle Bedeutung bewahren würde. Husserl lehnt es ab, im begrifflichen Wesen der Erkenntnis einen Endlichkeitscharakter zu sehen; Begrifflichkeit gehört nach ihm zum Wesen von Erkenntnis überhaupt.2 Entsprechend lehrt Husserl auch, dass die wahre Wirklichkeit selbst unter Begriffen steht. Diese an sich seiende Wirklichkeit darf nun aber nach der oben angeführten Kritik Husserls nicht in der Weise Rickerts realistisch als etwas der Erkenntnis Vorangehendes und ihr gegenüber Absolutes aufgefasst, sondern muss als ein Gebilde bctrachtet werden, das seinen ganzen Seinssinn aus der Erkenntnisleistung empfangen hat und beständig neu empfängt: Sie empfängt ihren Seinssinn auf dem Boden der vorbegrifflichen puren Erfahrung, in der eine Welt, welche aber keine uriendiche an sich seiende Mannigfaltigkeit ist,3 d s aktuelle und potcntielle Präsurnption beschlossen liegt; dann aber auch aus der begrifflichen und schliesslich w~ssenschaftlich-begrifflichen Erkenntnis, die die potentielle Erfahrungspräsumption des Immer-wieder und des f f b e r h a u ~ ins t aktuelle Bewusstsein erhebt und damit erst die präsumptiw Idee der a n sich seienden iinendlichcti Wclt als dcr für jedcrinann überhaupt und fiir iiw in iii;~nnigI;iltigciiiiögliclwr Erhliriiiig iihcrliaupt immer wieder zugänglichen und ausweisbaren o b j e k t i ven Wirklichkeit konstituiert.4 „Das Sein der Welt ist also nicht Sein im voraus mit einer hintennachkommenden Erkenntnis, sondern das S.rozb, xogb (SS 1927). s.o. S. 126. 3 Die Lebenswelt hat nach Husserl einen offeLen Horizoct, sie ist aber keine unendliche Mannigfaltigkeit. 4 Ms. orig. F 1 32, S. 104b ff. (SC 1927). 1
a.n.0.
Sein der Welt ist Scin einer zunächst blinden und darin exyliziteti und sehenden Erfahrungspräsumption und dann einer in ciner Relativität von gelingenden Begründungsstufen sich immer höheren relativen Wahrheitswert zueignenden wissenschaftlichen Präsumption. Die notwendige Erfahrungs- und Erkenntnisgeltung, welche während dieses gelingenden intersubjektiven Prozesses der Glaube an die Wirklichkeit der Welt setzt, gibt dem Erkenntnisziel, der präsumierten Welt als ins Unendliche zu bestimmender, sein notwendiges Walirlieitsrccht. 1)ie ideale Grcnzidee - obschon eine unerreichbare - ist die einer allvollkommenen Erkenntnis und als Korrelat die Welt selbst, die in ihrem schlechthinnigen Sein bloss Korrelat dieser Erkenntnis wäre." 1 Die O b j e k t i v i t ä t einer an sich seienden Welt, die dem Subjekt gegenübersteht, ist nach Husserl nicht Ausgangspunkt oder Grundlage, sondern eine in der wissenschaftlichen Erkenntnis entworfene Idee. Ausgangspunkt der systematischen Erkenntnis ist nach Husserl die Lebenswelt, die nicht streng objektiv ist. Esist sehr bemerkenswert, dass sich Husserl in seiner Kritik des realistischen Ansatzes der Rickertschen Methodologie auf K a n t beruft. Es sei hier der entsprechende Text zitiert, aus dem wir bereits einige Sätze anführten,Z dessen volle Bedeutung aber erst in diesem Zusammenhang der Kritik Rickerts sichtbar wird: ,,Rickert äussert sich in seinem Werk wiederholt, dass seine wissenschaftstheoreCisckc Decliiktion keinen Anlsss hat in erkenntnistheoretische Erwägungen einzutreten. Ich incincrseits aber verstehe nicht, wie eine solchc Deduktion anders möglich und begründet sein kann, es sei denn als cine crkenntnistheoretische. Von dieser Art sind die transzcndcntaleti llediiktionen Kants. Als echt erkenntnistheoretische bewegen sie sich im Rahmen einer konkreten obschon universalen Betrachtung unsercr Erfaliriing iiiirl rirfdiriiii~swc?l1..sowie iiriwrcv- Wisst-riscliaftcn von clicwr IM:~1ii~i1ii~sw1~l I -- I I I I S ( : ~ I : ~wiilcl ic:li cvit lcri l leistungsfähigen Wissenschaften, wie Mathematik und Naturwissenschaft, oder nur solche Leistung prätendierenden wie die Metaphysik. Hier stellt Kant, also immer im Rahmen konkreter Gesamtanschauung verbleibend, seine Fragen und entwirft seine Deduktionen, In der Erfahrung mcincn wir die sciciidc Wclt zu
405
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
haben, irnd doch Erfahrung bedarf des Denkens, eines ganz andersartigen Denkens, es bedarf der objektiven Wissenschaft, um da3 Erfak-ene in seinem wahren Sinn zu erfassen. Was leistet diese. wie ist die in ihr erwachsende Erkenntnis des Seins der Welt, des in ,objektiverJ Wahrheit Seins und Soseins zu verstehen. Wie ist es zu verstehen, dass Wissenschaft von der Welt a prori an eine gewisse Grundbegrifflichkeit gebunden ist? Grurdbe,+ffe und Grundurteile, die der Erfahrung ,vorangehen' und ;ie normieren? In der universalen Erfahrung ist eine objektive Welt nur dann erfahren, nur dann können wir sagen. dass sie d ~ ist s cobjektiv gültige), wenn ein wissenschaftliches Denken sich auf Erfahrung in solcher jeden Erkennenden der Erkenntnisgemmsrhaft zwingenden Gültigkeit aufstufen kann, derart, d a s eben evrdent wird: Was jeweils Erfahrung in ihrerbegriffslosen Ar: Mosc anschaut, ist das, was die Erkenntnisleistung der Wissensc5aft nach dem in ihr liegenden ,objektiv1wahren Sein allererst herausstellt (enthüllt, entfaltet). Dass Erfahrung tragfähig ist f k ,wissenschaftliches' Denken, das allein macht es aus, dass ihreh objektiver Wahrheitsgehalt, einGehalt an objektiv wahrem Sein un:er dem Titel Welt zugeschrieben werden kann. Aber wa-m ist Erfahrung tragfähig für wissenschaftliches Denken, und iimg&chrt wann ist ein Denken wirklich wissenschaftlich, wirkliche Erfahrung, objektiv gültige Wahrheit enthüllend? Drucken nicnt die apriorischen Grundbegriffe der cchten Wissenschaften Bedingungen der Möglichkeit solcher Erfahrungserkenntnis aus? Un3 welche Formen muss Erfahrung selbst hinsichtlich der in ihr anschmlich erfahrenen Dingwelt haben, um begrifflich, urteilsmassig, wissenschaftlkh-wahrheitcmässigerfassbar zu sein USW., erfascbar als objektiv, an sich gültig? So geht Kant vor undindern , er in uns die Einsicht, dass einc seiende Welt er co i ~ g e b tweckt nicht für ims voiweg gegebene Tatsache ist in der blossen Erfahrung eines jeden, und dass die erkennende Betätigung der \Viss~iic~haft nicht etwas ist, das dieser vorgegebenen nachfolgt als ein an ihr irgendwie Herumhantieren, dessen Ergebnis ein vollkmmenes individuelles oder generelles Gebilde der Weltwirl-tlichkeit selbst wäre . . . Vielmehr schafft er die Einsicht, d s s die Welt, dir für uns ist, erst in unserer Erkenntnis für ur2 üOerhaupt ist und dass sie für uns nichts anderes ist als in uns-rer Erfduung und in unserem Denken sich unter dem Titel
objektive Erkenntnis gestaltende. Die objektiv-wahre Welt ist dann das Ideal der in einsichtiger intersubjektiv notwendiger Gültigkeit sich für uns und in uns als rechtmässig wahre heraucstellenden. Kant nimmt zwar seinen Ausgang vom Faktum der allgemeinen Erfahrung und Erfahrungswissenschaft und ihrer naiven von uns Iiingenoiiin~e~ien Gcltung. Abcr intlrin rr n;i(:li der prinzipiellen Möglichkeit und dem Sinn dieses Faktums und eines solchen Faktums überhaupt als Möglichkeit fragt, verliert das Faktum den Charakter einer bleibenden Voraussetzung und fraglosen Geltung: seine prinzipielle Möglichkeit verständlich zu machen, führt zu seiner ,Einklammerung'. Was nun Rickert aribelangt, so setzt er die Welt als vorgegebene Tatsache voraus und sie bleibt für ihn in Seinsgeltung - und beginnt damit auf die Unendlichkeit hinzuweisen, in die uns die direkte Erfahrungserkenntnis verstrickt, die extensiven und intcnsiv~iiUticndliclikeiten." 1 Wir haben in unseren Ausführungen über Rickert gezeigt, dass dieser letztlich kein „RealistMist, sondern die objektive Wirklichkeit aus den Formungen (Kategorien) des reinen erkenntnistheoretischen Bewusstccins hervorgehen lässt. Wcitcr 1i;ibcn wir aber auch darauf aufmerksam gemacht, dass er seine methodologischen irbcrlegungen auf dem Boden des empirischen Rcalismus durchführt, und zwar auf Grund der fundamentalen Scheidung zwischen den konstitutiven Wirklichkcitsformcn und dcn methodologischen Erkenntnisformen bzw. zwischen den1 erkenntnistheoretischen und dem empirischen Subjekt. In dieser Scheidung stellt er sich bewusst Kant entgegen, dem er vorwirft1 im Begriff der ,,Naturmdiese beide Formarten vermengt zu haben. Den methodologischen Erkenntnisformen will Rickert einen viel subjektiveren Sinn geben, als dies Kant implizit durch deren Verinengung mit den Kategorien (Wirkliclikritsformcii) tat; ~ i n d zwar so, dass er diese methodologisclicn Forinen nicht auf das die objektive Wirklichkeit produzierende überindividuelle erkenntnistheoretische Ich (transzendentale Apperzeption) bezieht, sondem blass auf das die objektive Wirklichkeit schon ,,fertigu vor sich habende empirische oder psychologische Subjekt. Die objektive Wirklichkeit ist für das empirische Subjekt das erlebte und gegenständlich vorgegebene Material, das es mit Hilfe sciilcr 1
a.a.0. S. rrga-rrqa (CS 1927).
41°
H U S C B R L S V E R H Ä L T N I S Z U M N E U K A N T I A N I S M U S 411
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Erkenntnisbegriffe zur „Natur1' oder zur „Geschichte" umf Dabei zeigt sich ein unaufhebbarer Antagonismus zwischen was wirklich ist, und dem, was erkannt (,lbegrifflich bewäl ist ; m.a. W., die objektive Wirklichkeit ist qachRickert irrati In Husserls ~ r i t i ' kan Rickert in der Vodescng Natur und (1927)kommt nicht zum Ausdruck, ob sich Husserl jener fundamentalen Scheidung Rickerts zwischen der Ebene des erkenntnisthe4retischen Ich und der objektiven Wirklichkeitsformen einerseits und derjenigen des realen Ich und der Erkenntnisfonen andererseits bewusst ist oder nicht. Jedenfalis lehnt Husserl unter Berufung auf Kant ! - diese Scheidung implizit schon da durch ab, dass er die Wissenschaften letztlich Leistung der sinn gebend Welt erkennenden t r a n s z e n d e n t a l e n Subjektivität sein lässt und sie nicht durch die blosse Beziehung auf den realen Menschen relativiert. Alle Erkenntnis, alles Bewusstsein überhaupt ist nach Husserl, r a d i k a l (d.h. transzendental-phänornenologisch) gefasst , transzendental. Gegenüber Rickert betont Husserl andererseits auch, dass dk objektive Wirklichkeit letztlich ein „ideal% Telos begrifflich eikcnntnismässigerund immer reicherer begrifflicherBestimmung"~ sei; die objektive Wirklichkeit ist also für Husscrl nichts Irratib nales, sondern ein völlig rationales Gebilde. Die Frage ist hier aber ob Husserl Rickerts Begriff der objektiven MTirklichkcit nicht missversteht. Zwar ist dieser Begriff bei Rickat bestimmt durch das ob j e k t i V e Gegenüber des erkennenden und Wissenschaf treibenden Subjekts. Er ist aber auch dadurch charaktcrisiert, dass er das sinnlicli-anschauliche ,,Material", d.h. den Ausgangs* punkt oder die Grundlage des begrifflichen Erkennens bezeichnet. Für Husserl sind diese beide Bestimmungen unvereinbar. Die Grundlage (Ausgangspunkt) des wissenschaftlichen Erkennens ist für ihn gerade nicht ein rein objektive Gegenüber, sondern ein Subjektives, das sinnlich Anschauliche, die Umwelt des natürlichen Lebens. Husserl bringt in der angeführten Vorlesung von 1927 den Rickertschen Begriff der objektiven Wirklichkeit mit seinem Begriff der sinnlichen Erfahrungswelt nicht zusammen - mit einem gewissen Recht natürlich. Wenn wir aber die Gegenüberstdlung Rickerts von anschaulicher objektiver Wirklichkeit und
-
1
a.a.0. S. 105b (SS 1927).
letztlich unanschaulicher wissenschaftlich-begrifflicher „Natur " und diejenige Husserls von sinnlicher Erfahrungswelt oder Lebenswelt und objektiv-wissenschaftlicherWelt miteinander konfrontieren, so fallen uns sofort Parallelen auf. Die objektive Weh der exakten Naturwissenschaft ist für Husserl gegenüber der sinnlichen Erfahrungsweft eine ,,Abstraktion", ein der sinnlichen Erfahningswelt als ihrer Grundlage substruiertes idealisiertes Gebilde, das - hier Iiegt wohl die auffallendste Parallele zu Rickert - eine a n d e r e OntoIogie, d.h. eine andere Formenstmktur besitzt als die sinnliche Erfahrungswelt. Wie Rickert konstitutiveWirklichkeitsformen und methodologischc Erkenntnisformen einandcr gegcnübcrstellt, so untcrsclicidet Husserl zwischen den Formen der sinnlichen Erfahrungswelt (Ontologie der Lebenswelt) und den idealisierten und mathematisierten Weltformen des Wissenschaftlers, die nach ihm nicht bloss eine analytische Enthüllung jener sind, und die er, wiederum in Übereinkunft mit Rickert, mit Kants lzatura formaliter spectata (wenigstens bis zu einem gewissen Zeitpunkt) in Zusanunenhang bringt.1 Die ü'bereinstimmung besteht speziell hinsichtlich des zentralen Begriffs der Kausalität: Rickert wie Husserl unterscheiden hier zwei verschiedene Formen: die exakte gesetzliche Kausalität dcr objektiven Wissenschaft und die Kausalitiit der sinnlichen Welt, die für Husserl ini Gegensatz zu Rickcrt aber doch eine gewisse Gesetzlichkeit, nämlich eine ungefähre Regelmässigkeit bedeutet.2 Dieser soeben genannte Unterschied scheint vorerst unbedeutend; bei näherem Zusehen weist er aber doch auf eine radikalc Divergenz zwischen Rickert und Husserl hinsiclitlich der Auffassung des Verhältnisses von erlebter und wissenschaftlich bestimmter Realität hin. Für Rickert haben die konstitutiven Wirklichkeitsformen und die methodologischen Erkenntnisformen miteinander nichts zu tun, sie befinden sich in einer Diskontinuität. Husserl dagegen betont, dass in der sinnlichen Erfahrungswelt selbst die Motive für die Konstitution der wissenschaftlichen Welt liegen; genauer, nach Husserl hat „die Welt als Lebenswelt . . . die ,gleichenJ(aber nicht dieselben!> Strukturen, als welche die objektiven Wissenschaften, in eins mit ihrer (durch 1 S.O.
( 14.
'S.O.
C.
750.
4I2
die Tradition der Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit wordenen) Substruktion einer ,ar- sich' seienden, in ,Wahrheiten an sich' bestimmten Welt, als epriorische Strukturen voraussetzen und systematisch in apriorischen Wissenschaften entfalten, in Wissenschaften vom Logos, von den universalen methodischen Normen, an welche jede Erkenntnis der ,an sich objektiv' seienden Welt sich binden muss". Dieser Unterschied zwischen Rickert und Husserl hat seine Entsprechung in der völligen Verschiedenheit im Verfahren der Gewinnung der Methodenideen wie es von den beiden Philosophen geübt wird. Darauf soll n gcnaii eiiig~,g:~iigcn w~idcn. Doch vorerst sei noch folgendes festgehalten : Es wird deutli dass Huscerl sich in einer Mittrlstellung zwischen Kant Rickert befindet: Er unterscheidet mit Rickert zwischen apriorischen Formen der Wissenschaften und den aprioris Formen der anschaulich erlebten Welt; aber er bezeichn beiden Formarten als die „gleichenH (wenn auch nicht selben!) und bezieht sie beide auf die transzendentale S vität - hierin folgt Husserl Kant. Husserl ist sich erst in der zwe ten Hälfte der Zwanziger Jahre bewusst geworden, dass die ~zaturaformaliter s$ectata der ~ k s e n s c h d f t e nnicht einfach eine analytische Enthüllung der Wcltforrn d4r vortheoretischen Erfahrung ist, sondern dieser Form neue l~ormmon~ente zufiilirt.* In der Krisis spielt die Unterscheidung zwischcn der Ontolagiß der Lebcnswclt urid dcr Ontologie der wissenscl~aftlichenWelt eine fundamentale Rolle. Wir halten es für nicht ausgeschloss obschon die Vorlcsiing Natmr und ~ e i s t ' v o n1927 dazu kcinc haltspunkte bietet -, dass Husserl durch Rickertsclie Gedanke gänge zu dieser Unterscheidung motiviert wurde. Ob dies durc rekte Lektüre von Rickerts Schriften geschah - die IIauptwe Rickerts Der Gegenstand der Erkexatnis und Die Grenzen der nai wissenschaftlichen Begriffsbildzcng hat Husserl in mehreren lagen studiert - oder ob er den Einfluss des Rickertschen Mi1 das auch noch in den Zwanziger Jahren durch die Anwesen der Rickertschüler und -anhänger Kroner, Mehlis und Cohn Freiburg herrschte, erfuhr, ist nicht auszumachen und ist bei gleich möglich. Nicht ausgeschlossen ist, dass Heidegger, der au 1
H U S S E R L S VERR'LTNIS
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
Krisis, C. 142. S.O.
s. 254155.
ZUM NEUKANTIANISMUS
413
zu Rickert „in die Schule ging" und sich bei ihm habilitierte, Husseri den Gedanken nahe legte, die Formenstruktur dcr Wissenschaft nicht einfach mit der Ontologie der erfahrenen Welt zu identifizieren. Wir haben schon indirekt angedeutet, dass es auch Heidegger gewesen sein könnte, der Husserl wenigstens zeitweise davon abbraclitc, Knnts ILtcgoricn mit dcii ii;iti~rwiv+wsrli;tit lichen Kategorien glcichzusctzcii.l
Nach dieser Darstellung von Husserls Kritik an Rickerts Ans a t z p u n k t der Methodologie soll nun auf Husserl Kritik ain t1t.i. VorgcIicii Ric1ici.L~iii tk:r 1)c:cl ii li L i o i r tlw McCliotloiii(1~~c:ii positiven Wissenschaften eingegangen werden. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass die ganze Deduktion Rickerts vom rein formalen Gedanken getragen wird, dass das Subjekt, wenn es die unendliche Wirklichkeit in der Erkenntnis bewältigen will, diese entweder generalisierend oder individualisierend umformen muss. Rickert schaut also nicht auf die konkreten Gestaltungen der erlebten objektiven Wirklichkeit, um an ihnen selbst die Methodenideen gewissennassen abzulesen, die einc wissenschaftliche Erfassung erlauben würden, sondern er entwickelt diese Ideen „a priori" aus jenen formalen Grundgedanken, wobei allerdings das Fakt u m der Wissenschaften mit zum Ausgangspunkt gehört. Dem entspricht natürlich die vorhin genannte Auffassung Rickerts, dass diesc Methodenideen (i-rietlicidologIsc11~~11 Erkcnntnisformeii) mit der objektivcii Wirkliclikcit i n sich iiiclits zu t u n haben, also auch nicht a u s ihr ,,abgelesen“ werden können. Dcmgcgcnübcr vcrlangt Hiisserl für jcdc T>ccluktioiioder Konstruktion von ontologischen Formcn als Methodenprinzipicn der Wissenschaften eine phänomenologische Fundarnentierung. Über diese Forderung Husserls haben wir schon kurz gesprochen, als wir allgemein dessen Verhältnis zum Gcdanken der Deduktion von ontologischen Strukturen erörterten.2 Im jetzigen Zusamrneiihang der Kritik der Methodologie Rickerts kommt sie nur in der Gestalt zii Wort, in der sie von Husserl im Hinblick auf das Problem der U n t e r s c h e i d u n g der verschiedenen Wissenschaften und der Entwicklung der v e r s C h i e d e n e n wissenschaftlichen Methodenideen oder Grundbegriffe erhoben wird. 1 S.O.
9
S. Sg.
s.o. f r g .
4I4
SYSTEMATISCHE D A R S T E > L U N G
Diese Unterscheidung und Gewinnung der Grundlagen der V schiedenen Wissenschaften kann nach Hussmls Ausführungen in der Vorlesung Nutzlr zlnd Geist (1927) in volier Klarheit nur auf Grund des Rückgangs auf die V olle k o n k r e t e Erfahrung, aus der alle Wissenschaft entspringt, erreicht werden: d.h. durch die phänomenologische Analyse des vollen konkreten Lebens und dessen Welt (Lebenswelt).l Die alle andern Wissenschaften in ihren Prinzipien fundierende Wissenschaft hat nach Husserl dieses Leben zu erfassen. Sie hat also in einem bestimmten Sinne Lebensphilosophie zu sein; nicht Lebensphilosophie aus irgendeiner irrationalistischen, gegen die Rationaiität der Wissenschaft gerichteten Haltung, wie sie von der jenen Namen tragenden philosophischen Strömung des 20. Jahrhunderts eingenommen wurde, sondern Lebensphilosophie aus der Forderung nach radikalster Wissenschaftlichkeit und Rationalität und aus der Einsicht heraus, dass die positive Wissenschaft dieser Forderung nicht entspricht, So kann Husserl 1927 ausführen: ,Der Gnindcharakter der Phanomenologie ist also wissenschaftlicheLebensphilosophie; ist Wissenschaft nicht unter Voraussetzung lind auf dem Grunde der vorgegebenen Wissenschaften,sondern radikale Wissenschaft, die das konkrete,universale Leben und seine Lebenswelt, die wirklich konkrete. Umwelt als wissenschaftliches Urthema hat, das sie von hier ausgehend und rein aus der konkretesten Anschauung schöpfend die strukturelle Typik dieser Umwelt auf strenge und jederzeit nachzuprüfende Begriffe bringt um1 von da aus systematisch die Grundbegrifflichkeit gewinnt, die allcn möglichen Wissenschaften dienen müssen, so wie sie andererseits zeigt, dass alle mögliclien Wissenschaften nur Sinn haben können in bezug auf die Urstrukturen der Lebenswirklichkeit. Es erwächst also in der Phänomenologie die unter allen Umständim ui fordernde Grundwisscnscl~aft, denn alle erdenkliche Theorie und Wissenschaft entspringt aus dem Leben und bezieht sich auf die vortheoretische Welt, auf die Welt purer Erfahrung, auf die Welt, in die wir als praktische Menschen hineinleben." 8 Die Strukturen der Lebenswelt bilden Lach Husserl aiso die Grundlage für die Erkenntnisziele aller pos$ti~en Wissenschaften: sie schreiben diesen ihre Ziele und ~ e t h o d e nvor. Die Grundbe:
griffe, mit clcncn clic Wisscnscliaftcn ilirc Grgc?nständccrnrbcilcii, haben ihr Mass an den zugrundeliegendenlebensweltlichen Strukturen.1 Die Lebenswelt gibt in ihrer invarianten Wesenstypik im voraus alle möglichen wissenschaftlichen Themen in die Hand.2 Die Scheidungcn und Gruppieruiigcn oiiszu cictLui.icrc:ir, bcri~lt sich Husserl, wie wir in einem anderen Zusammenhang schon hervorhoben, auf Kant.5 Folgender Text sei hier trotz seines Umfanges wiedergegeben, da er zugleich diese Kritik ins Wesentliche zusammenfasst und Husserls bcincrkcnswcrtc Berufung auf Kanl 1
Ms. orig. F I 32, C. 139b (CS 1927).
'a.a.0. C. ~ozb,i q b , {SC 1927). 'a.a.0. C. r4oa (SS 1927). 4
Kiisis, C. 219.
ß
S.O.
S. 160/1.
41s
SYSTEMATISCHE D A R S T Z L L U N G
gegen den Neukantianer Rickert enthält: „Kant als Philosoph stellt sich auf eine höhere Warte und "iberschaut das TypischAllgemeine dieses Lebens, stellt hier eben Fragen eines tieferen, aber immer noch konkreten Verständ~ssesbetreffend Sinn und Möglichkeit solcher Leistungen und der Rechtmässigkeit hier zu stellender Ziele und universaler normatrver Ideale. Rickert aber, die Konkretion des Lebens und der Wissenschaft unter sich lassend, stellt formale Forderungen und konstruiert formale Notwendigkeiten mit dem Ziel der erkenntnismässigen Überwindung der Unendlichkeiten. Nominell bezieht sich diese Konstruktion zwar auf die Welt unserer wirklichen u x l möglichen Erfahrung, während doch eben dies, dass es die Welt möglicher Erfahrung ist, nicht konkret aus der Erfahrung selbst geschöpft ist. Die Wesensart der Erfahrung und des auf sie zubeziehenden Denkens, durch die die Welt diejene ist, die für uns den konk~etbestimmten Sinn hat, durch die sie für uns nicht eine leere unendliche Mannigfaltigkeit ist, sondern die für uns allein sinnvolle Welt von den und den a priori ihr zugehörigen Sinnesstrukturen - bleibt in den systematischen Deduktionen Rickerts eigentlich ganz ausser Frage. Von physischer und psychophysischer Natur, von Raum, Zeit, Kausalität ist zwar die ICetic, ebenso von Dingen in ihrer Unendlichkeit fortschreitender qualitativen und quantitativen Erfahrung, von ihrer Beschreibung, von exakter Begriffsbildung und Eesetzeserforschung: aber das a l l e in einer lccr formalen Sacliferne. - Wcnn vcrniinftigc und n priuri gültige Erkenntnicforderungen an die Welt gestellt und in dieser Gültigkeit deduziert werden sollen, müssten wir doch konkret erst zeigen, dass die für uns allein Sjnn habende Welt, die <Welt>unserer Erfahrung und des sie sukzessive theoretisc5 enthüllenden Denkens, an unsere Erkenntnis diese Forderungen stellt: dass sie sie stellt, undErkenntnisweil sie cbcn selbst, als was sic ist, Erfi~i~ningswelt ist, als solche gewisse intuitiv aufvelsbare Strukturen hat, die uns binden, die an unser prädikatit-cs Denken also Forderungen stellen. M.a.W., wir müssen anschaulich die WesenskorreIation von Erfahrungswelt und wissenschaftlicher Wahrheitswelt in ihren konkret allgemeinen Strukturen durchforschen, wir müssen dem Wort Welt den konkret vollen Sinn geben und darin zeigen, dass eine unendliche Mannigfaltigkeit dieser Wesensart Welt sich als ,wahrhafte' und im ,objektiven Sinn' seien-
BUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M NEUKANTIANISMUS
419
de erkenntnismässig nur verwirklichen kann in den und den Erkenntnisformen, in Wissenschaften der und der methodischen Formen. Dann sind die an ein vernünftiges Erkennen zu stellenden Forderungen nicht solche, die wir leer formal deduzieren, etwa weil wir uns in den Kopf gesetzt haben, unendliche Mannigfatigkeiten zu überwinden - ohne zu fragen, ob sie durch ihren Sinn solche Überwindung zulassen -, sondern es sind dann die zu stellenden Forderungen solche, die die Welt selbst, die zunächst sinnliche, an uns stellt (sofern dieser ursprüngliche und erste Sinn, sinnliche Welt, in sich Möglichkeiten und Tendenzen zur Idealisierung als ,objektive1in sich hat) durch den ihr eigenen Sinn. Der eigene Sinn der Welt ist aber zunächst nichts anderes als der Sinn, der in der Einstimmigkeit unserer Erfahrung an uns als die Erfahrenden als anschauliche Präsumption einer seienden Welt herantritt und der von uns als theoretische Denksubjekte in der neuen Sinngebung der Idealisiening in den Formen der prädikativen Wahrheit und Wissenschaft theoretisch enthüllt, in spezifisclicr Denkarbcit konstituiert wcrclcri soll. Nur so vorgchend können wir, also nur im echten Sinn erkenntnistheoretisch die radikale Norm und Form möglicher Weltwissenschaft und einer seiendcn Wclt als ihr lliii: H. April 1766 Mendelssohn an Kaiit: 23. Dezember 1770 mit H e r z : Kant an Herz: 7. Juni 1771 Kant a n Herz : 21. Februar 1772 Kant an Herz: 1773 Kant an Herz: 26. Mai 1789 tiiit l i e i i i l i o l tl : Kant an Reinliold : 19. Mai 1789 W E R K E ~ B E RKANT, DIE HUSSEKL ZITIERT ODER STUDIERT HAT B
*%NIXE
F.,
*BERGMANN J., *BERGMANN J., *BRENTAN~ F.. *COHENH..a COUTURAT L.,4 *DILTHEY
W.,
B L S ~ N H ATN . , 6S
*HEIDEGGER M., HEMAN F., HICKSG.,
2
*HOFMANN P., KÖNIG,E. *KRAUSE A.,
BRIEFWECHSEL K A N T S
3.
*EWALDO.,
MINDESTENS TEILWEISE
Kant und die philoso#hische Aufgabe ernserer Zeit. Rerlin 1832 Vorlesungen über Metaphysik mit besonderer Beziehung au/ Ir'ant, Berlin 1886 Geschichte der Philosophie, 2. Bd. : Die deutsche Philosophie um Knnb bis Beneke Berlin ~ 8 g 2 / g 3 Die vier Phasen der Philosophie und ihr augenblickNcher Stand, Lcipzig 1926 Kants Theorie der Erfahrarng, 2. Aufl.. Berlin 1885 L a philosophie des naathLwtatiqires dde Kant. Auszug aus Revue de mktaphysique el de morale, 1904 (IZ), C. 321-383 Die Jugendgeschichle Hegels zsnd andere Abhandlungen zur GescRichb des deutschen IdeaEsmus, Leipzig U. Berlin iyz I F r i ~ sund fianl. Eilt Raitrng X?