Parker spielt den Schmetterball Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Es war wirklich ni...
27 downloads
640 Views
562KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Parker spielt den Schmetterball Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Es war wirklich nicht die oft zitierte feine englische Art, die praktiziert wurde. Vor dem hübschen alten Haus im Stadtteil Belgravia mißbrauchten einige ungehobelt aussehende Männer den gepflegten Rasen und waren damit beschäftigt, ihn in einen Grillplatz zu verwandeln. Sie hatten ihr Brennmaterial gleich mitgebracht und übergossen es mit Benzin. Als die Flammen loderten wie bei einem mittleren Brand, umtanzten sie das Feuer und pflügten mit den hohen Hacken ihrer Stiefel den Rasen. Dabei gaben sie grölende Laute von sich, die entfernt an ein Lied erinnerten. Butler Parker war verständlicherweise peinlich berührt. Er war ein Mann der Ordnung, der Würde und der guten Erziehung, was sich bereits in seiner korrekten Kleidung ausdrückte. Er trug einen schwarzen Zweireiher, schwarze Schuhe und eine schwarze Melone. Über seinem angewinkelten Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm, der noch aus der victorianischen Zeit zu stammen schien. Butler Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß, fast schlank und ausgestattet mit dem ausdruckslosen und glatten Gesicht eines profimäßigen Pokerspielers, war rein zufällig in diese kleine Nebenstraße
geraten. Er hatte sie als Abkürzung benutzt, um zu seinem Wagen zurückzugehen. Nun aber blieb er stehen und beobachtete das seltsame Treiben. Die Campingfreunde hatten sich Bierdosen mitgenommen, die sie leerten und dann einfach in den kleinen Vorgarten warfen. Sie rupften die Blumen aus den Beeten und zerlegten eine Kübel-Agave in Streifen. Josuah Parker war Brite durch und durch. Normalerweise hätte er solch einen Vorgang würdevoll übersehen. Jeder hatte schließlich das Recht, sich nach Belieben zu vergnügen, sofern er seine Mitmenschen nicht belästigte. Hier schien das allerdings der Fall zu sein. Parker entdeckte nämlich hinter einem der Fenster das völlig verängstigte Gesicht einer alten Frau, die fassungslos auf das wilde Treiben in ihrem Vorgarten schaute. Sekunden später zog sich dieses Gesicht schon wieder hastig zurück. Parker, seines Zeichens Butler, überquerte die Straße. Er hatte vor, den jungen Männern dort im Vorgarten ein paar höfliche Fragen zu stellen. Zudem wollte er sich bei der Frau erkundigen, ob sie mit der brutalen Zerstörung ihres Vorgartens vielleicht einverstanden war. Man hatte ihn bereits bemerkt. Zwei der insgesamt sechs jungen Männer bauten sich vor dem niedrigen Eisengitter auf, das den Vorgarten zum
Gehweg abteilte. Sie grinsten den Butler ausgesprochen unverschämt an und musterten ihn wie eine seltsame Erscheinung aus einer anderen Welt. »Willste mitmachen, Opa?« fragte der erste junge Mann. »Oder willste nich' lieber Leine ziehen?« erkundigte der zweite sich bereits drohend. »Ich erlaube mir, den Herren einen wunderschönen Nachmittag zu wünschen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone. »Man scheint sich zu amüsieren.« »Schwirr' bloß ab, alter Sack«, sagte der erste junge Mann. »Oder biste scharf auf ein paar Brandflecken in deinem Anzug?« erkundigte sich der zweite. »Mitnichten und keineswegs«, lautete Parkers Antwort. »Darf ich unterstellen, daß die Eigentümer oder Bewohner des Hauses mit diesem Lagerfeuer einverstanden sind?« »Das geht dich doch'n feuchten Dreck an, oder?« Ein dritter Rowdy gesellte sich zu den beiden ersten. »Komm' doch rein und frag' mal«, forderte ein vierter den Butler auf. »Ein Vorschlag, den aufzugreifen ich mir erlauben werde«, gab der Butler zurück. »Sie gestatten?« Er drückte die niedrige Tür auf, betrat den Vorgarten und schien die sechs Rowdys schon vergessen zu haben. Steif, würdevoll und gemessen, als habe er einen Ladestock verschluckt, schritt Josuah Parker zur Haustür. Hier angekommen, legte er seinen schwarz behandschuhten Finger auf die Türklingel und wartete dann auf das Ergebnis seiner Bemühungen.
Die sechs jungen Männer hatten sich hinter dem Butler aufgebaut und tuschelten miteinander. Dann pfiffen sie begeistert, als die Haustür spaltbreit geöffnet wurde. Das ängstliche Gesicht einer alten Dame war zu sehen. »Parker mein Name«, stellte der Butler sich vor und lüftete erneut die schwarze Melone, »Josuah Parker. Darf ich davon ausgehen, Madam, daß Sie das Lagerfeuer in Ihrem Vorgarten akzeptieren und erlauben?« »Wie... Wie bitte?« Die alte Frau mit dem gütigen Gesicht hatte den Butler nicht recht verstanden. Sie machte einen verwirrten Eindruck. »Sind Sie mit der Grillparty in Ihrem Vorgarten einverstanden?« fragte der Butler jetzt schon wesentlich direkter. »Na... Natürlich, Sir«, stotterte sie und nickte wie ein Automat. »Natürlich bin ich einverstanden. Ich ... Ich freue mich sogar darüber, wirklich.« »Dann erlaube ich mir, noch einen erholsamen Nachmittag zu wünschen«, antwortete Josuah Parker und grüßte. »Ihre eben geäußerte Freude ist in der Tat deutlich zu erkennen.« * Lady Agatha Simpson war eine äußerst stattliche Dame, die an die Walküre einer Wagner-Oper erinnerte, als man für derartige Rollen noch füllige Sängerinnen bevorzugte. Sie war bereits über sechzig, doch eine genauere Jahresangabe hätte man von ihr nicht erwarten können. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, war eine immens reiche
Frau, seit vielen Jahren verwitwet und Amateurdetektivin von besonderem Rang, wie sie glaubte. Dazu fühlte sie sich schriftstellerisch begabt. Es war ihr erklärtes Ziel, eine gewisse Agatha Christie um Längen zu schlagen. Sie plante seit geraumer Zeit, einen Bestseller zu schreiben, hatte sich bisher jedoch noch nicht für ein bestimmtes Thema entschließen können. Agatha Simpson war eine ungemein energische Dame und sportlich dazu. Sie spielte mit Begeisterung Golf und war auch bei den Sportbogenschützen gefürchtet. Kraftvoll brachte sie Golfbälle und Sportpfeile in Ziele, die als solche eigentlich nicht gedacht waren. Darüber hinaus hielt sie sich noch für technisch begabt. Es gab eigentlich nichts, was sie nicht mal ausprobieren mußte. Dabei war es für sie völlig unerheblich, ob sie diese technischen Geräte nun beherrschte oder nicht. Sie mußte einfach ihren ausgeprägten Spieltrieb betätigen. Kenner gingen ihr gern aus dem Weg. Wo die Lady auftauchte, lagen kleine bis mittlere Katastrophen in der Luft. Ahnungslose Menschen hingegen unterschätzten sie regelmäßig und mußten dann reichhaltig Lehrgeld zahlen. Lady Agatha war unterwegs und trug eines ihrer viel zu weiten TweedKostüme im Chanel-Look, ihren aparten Hut, der eine verwegene Kreuzung aus Südwester und Tropenhelm darstellte; sie langweilte sich ein wenig, hatte vor knapp zehn Minuten eine Wohltätigkeitsveranstaltung verlassen und wurde dabei von ihrer Gesellschafterin und Sekretärin begleitet.
Die fünfundzwanzigjährige Kathy Porter hatte kastanienbraunes, mittellanges Haar, das ein pikant geschnittenes Gesicht mit großen und ausdrucksvollen Augen rahmte. Die junge Dame glich auf den ersten Blick einem scheuen Reh, das jeder Gefahr hastig aus dem Weg zu gehen pflegt. Die Wirklichkeit sah allerdings erheblich anders aus. Kathy Porter war in fast allen Künsten ostasiatischer Selbstverteidigung bewandert und konnte sich in Sekunden in eine wilde Katze verwandeln. Darüber hinaus war sie eine äußerst gelehrige und begabte Schülerin eines gewissen Butler Parker. »Was sagen Sie zu diesen Subjekten, Kind?« fragte Agatha Simpson plötzlich und blieb stehen. Ihre Augen verengten sich ein wenig. Die Detektivin beobachtete eine Gruppe von vier jungen Männern, die sich als Straßenkünstler minderer Qualität betätigten. Aus Autolacksprühdosen mißhandelten diese Subjekte, wie Lady Agatha sie bezeichnete, die Front eines gepflegten und hübsch aussehenden Hauses in einer recht stillen Seitenstraße. Sie sprühten gängige Farben auf das Weiß der Hausfront und genierten sich nicht, anzügliche und eindeutige Motive zu zeichnen. »Was sagen Sie dazu?« wiederholte Lady Agatha noch mal. Ihre Stimme klang bereits ein wenig drohend. »Nicht besonders künstlerisch, Mylady«, gab Kathy Porter zurück. »Das sind doch Schmierereien, Kindchen«, antwortete die energische Dame. »Über Kunst sollte man nicht richten oder streiten, Mylady«, fand Kathy Porter. Ihr war nicht entgangen, daß
der perlenbestickte Pompadour an Myladys linkem Handgelenk bereits in gefährliches Schwingen geriet. In diesem Handbeutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende trugen, befand sich ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Agatha Simpson war natürlich nicht zu bremsen. Ihr stand der Sinn nach Abwechslung. Sie hatte vor, sich mit den vier jungen Männern über Kunst an sich zu unterhalten. Kathy Porter wußte, daß es sinnlos war, Lady Agatha ablenken zu wollen. Was sie sich mal in den Kopf gesetzt hatte, führte sie auch aus. Da gab es einfach nichts, was sie hätte aufhalten können. Die Detektivin baute sich vor dem niedrigen Eisenzaun des hübschen Hauses auf und verzog geringschätzig ihren Mund. Das mißfiel den vier jungen Burschen, die die ältere Dame längst beobachtet hatten. Einer von ihnen beging den Kardinalfehler, auf die Frau zuzugehen. Er schien in ihr einen neuen Hintergrund für seine Malerei gefunden zu haben, hob die Sprühdose leichtsinnig an und richtete die Düse auf Lady Simpson. Bruchteile von Sekunden später bereute er es! * Butler Parker hatte seiner Herrin höflich zugenickt und lüftete die schwarze Melone. Er wandte sich um und sah sich den sechs Grillfreunden gegenüber, die eine Art Mauer bildeten und ihn offensichtlich daran hindern wollten, zurück zur Straße zu gehen.
»Alte Frauen anquatschen, wie?« fragte der junge Mann, der der Anführer war. Er sprach schleppend und gespielt nachlässig. »Mich deucht, meine Herren, Sie haben den Grund meines Besuches mißverstanden«, antwortete Parker in seiner höflichen und zurückhaltenden Art. »Ich denke, Jungens, wir sollten das Fossil mal'n bißchen grillen«, redete der Anführer weiter und schaute seine Begleiter an. Er war groß, stark und fühlte sich dem Butler selbstverständlich überlegen. »Sie sehen in meiner bescheidenen Person einen Menschen, der jedem Streit aus dem Weg zu gehen wünscht«, erklärte Josuah Parker. ' »Un' in mir seh'n Sie'n Typ, der sich nich' beleidigen läßt«, gab der junge Anführer zurück. »Auf sowas reagier' ich hart.« Und er wollte hart reagieren! Ohne jede Vorwarnung schlug er blitzschnell mit seiner rechten Faust in Richtung Unterleib des Butlers. Der Schlag war mit voller Kraft geführt und hätte selbst einen durchtrainierten Athleten mit Sicherheit zu Boden geschickt. Parker hingegen ging nicht in die Knie. Obwohl der gedachte, ..bösartige Tiefschlag fast ansatzlos geführt wurde, war der Butler schneller. Er schob die Wölbung seiner schwarzen Melone vor die Faust des jungen Mannes, der daraufhin förmlich grunzte, um dann zu stöhnen. Das Gesicht des Schlägers war schmerzverzerrt. Dann hechelte der Rowdy nach Luft, wurde kreideweiß
im Gesicht und verbeugte sich tief vor Parker. Dies war allerdings nicht als eine Art Höflichkeitsakt zu verstehen. Der Mann litt unsäglich. Seine geballte Faust war gegen die Wölbung der Kopfbedeckung geprallt und hatte sich dort leicht verformt. Die Innenseite der Melone war nämlich mit solidem Stahlblech ausgefüttert, das den Schlag völlig absorbiert hatte. Die restlichen fünf jungen Männer waren einen Moment ratlos. So hatten sie ihren Anführer noch nie erlebt. Er weinte nämlich und setzte sich. Dabei betrachtete er seine Faust. Es war ihm unmöglich, die Finger auch nur millimeterweise zu strecken. »Macht ihn fertig«, keuchte er endlich. »Sollte man etwaige Mißverständnisse nicht vielleicht ausdiskutieren?« schlug Parker gemessen vor. Die restlichen fünf jungen Männer schienen ihn überhaupt nicht zu schrecken. Sie gingen auf sein Angebot nicht ein und warfen sich fäusteschwingend auf den Butler, um ihn weisungsgemäß zu rösten. Ihr Anführer hatte ihnen schließlich einen klaren Befehl erteilt. Josuah Parker, ein durchaus friedfertiger Mensch, mußte zu seinem tiefen Bedauern Gegenmaßnahmen ergreifen. Dazu benutzte er den altväterlich gebundenen Regenschirm, der so ungemein harmlos und hausbacken aussah. Er war es jedoch keineswegs. In den Händen des Butlers verwandelte sich dieser Regenschirm in eine äußerst wirkungsvolle Nahkampfwaffe, die es in sich hatte. Parker benutzte ihn als
eine Art Kendo-Schlagstock und ließ ihn durch die Luft wirbeln. Er blockte damit ab, was immer ihn treffen sollte. Er ließ den Schirmstock auf Schultern, Oberarme und Handgelenke hinuntersausen und brauchte wirklich nur knapp eine Minute, bis die restlichen fünf Burschen schluchzend am Boden saßen und mit Sicherheit nicht mehr an ihr Grillvergnügen dachten. Sie sahen ihn scheu an und begriffen einfach nicht, was ihnen widerfahren war. Die erste Kollektivniederlage ihres Lebens durchzustehen, kostete sie sämtliche vorhandenen Nerven. »Sie dürfen versichert sein, meine Herren, daß ich mich an die Spielregeln gehalten habe«, sagte Parker und wischte sich mit der schwarz behandschuhten Linken einige unsichtbare Stäubchen vom schwarzen Zweireiher. »Darf ich Sie jetzt höflichst bitten, hier ein wenig für Ordnung zu sorgen? Ich sähe es nicht sonderlich gern, wenn die Besitzerin des Hauses es selbst tun müßte.« Parker wirkte ungemein überzeugend. Die fünf jungen Männer machten sich daran, den kleinen Vorgarten wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Der Anführer der Gruppe konnte sich daran allerdings nicht beteiligen, denn seine rechte Hand war immer noch zur Faust geballt und gefühllos. »Vielleicht sollten Sie Ihre Hand röntgen lassen«, schlug Parker vor, während er die Aufräumarbeiten beobachtete. »Darüber reden wir noch«, schluchzte der Anführer. »Dafür mach' ich Sie fertig.«
»Sie scheinen meiner bescheidenen Person gram zu sein«, antwortete Josuah Parker. »Ich kann das sogar verstehen, allerdings nicht, warum Sie diesen hübschen Vorgarten derart verwüsteten. Geschah dies aus einem Gefühl der Langeweile heraus, oder sollten hier vielleicht andere Gründe im Spiel sein?« »Ich sag' gar nichts!« Der Anführer der Rowdys sah den Butler giftig wenn auch unter Tränen - an. »Ich sag' überhaupt nichts.« »Nun gut«, Parker nickte. »Man wird sich wahrscheinlich noch mal sehen, denke ich.« »Mein Wort darauf!« Der Anführer nickte. »Un' dann bin ich dran!« »Meine Karte!« Butler Parker griff in eine der vielen Westentaschen und überreichte dem Superrowdy seine Visitenkarte, aus der hervorging, daß er der Butler einer gewissen Lady Agatha Simpson war. Selbstverständlich war auch die Adresse genau verzeichnet, die sich auf ein Haus in Shepherd's Market bezog, einem teuren Wohnviertel in der Nähe von Hyde Park. »Was halten Sie von einer kleinen Sammlung zugunsten der alten Dame drüben im Haus?« erkundigte sich Parker dann. Er sah die jungen Rowdys freundlich und aufmunternd an. »Ich bin sicher, daß da einige hübsche Pfundnoten zusammenkommen werden.« Er täuschte sich nicht. Die Burschen, eben noch fast reißende Wölfe, aktivierten ihre caritative Ader und legten einige Pfundnoten zusammen. Sie kamen auf den anerkennenswerten Betrag von weit über fünf-
zehn Pfund und schoben die Banknoten durch den Schlitz des Briefkastens. »Ich möchte mich im Namen der Besitzerin des Hauses recht herzlich bedanken«, meinte Parker. »Und da behauptet man immer, die Jugend von heute habe kein Herz! Welch ein schrecklicher Irrtum! Und nun wünsche ich den Herren eine gute Heimfahrt ...« Sie zogen ab wie die sprichwörtlich begossenen Pudel, verstauten ihre Grillutensilien in einen kleine Kastenlieferwagen, schoben sich in den Wagen und fuhren davon. Josuah Parker verzichtete darauf, noch mal zu kungeln. Er konnte sich vorstellen, daß die Besitzerin des hübschen Hauses zwar alles verfolgt, aber immer noch Angst davor hatte, ihm Rede und Antwort zu stehen. Fragen konnte man aber zu einem späteren Zeitpunkt stellen, wenn diese Angst abgeklungen war. * Drei der jungen Sprühdosenkünstler waren fassungslos. Eben noch hatten sie mit einem wüsten Spaß gerechnet und im Geist bereits gesehen, wie die rote Farbe das Gesicht und das Kostüm der älteren Dame färbte, da wurden sie grausam enttäuscht. Der junge Mann mit der Sprühdose taumelte zurück und blieb erst an der Hauswand stehen. Er sackte an ihr hinunter und nahm auf der Erde Platz. Er hatte die Sprühdose längst aus der Hand verloren und griff zögernd nach seinem Kinn. Obwohl er genau wußte, daß weit und breit kein Pferd vorhanden war, hatte er den Eindruck, von solch einem Vierbeiner
per Huftritt erwischt worden zu sein. Er konnte ja nicht wissen, was sich im Pompadour der Lady befand. Die drei verbliebenen Künstler wußten im Grund ebenfalls nicht, was sich wie zugetragen hatte. Okay, die stattlich aussehende Frau hatte mit dem perlenbestickten Handbeutel leicht, zugelangt, aber daraus hätte doch kaum solch ein fürchterlicher Niederschlag werden können. Sie rückten Lady Simpson zu Leibe. Kathy Porter verhielt sich abwartend und hütete sich, in das Geschehen einzugreifen. Sie kannte ihre Chefin und Gesellschafterin, die sich so etwas energisch verbeten hätte. Die drei verbleibenden Wandmaler stürmten auf Lady Agatha ein und... wurden von einem gewaltigen Rundumschlag erwischt. Der Pompadour krachte durch ihre Gesichter und erwischte nacheinander ihre Nasen. Daraufhin bremsten die drei jungen Männer notgedrungen ihren Schwung und schauten Agatha Simpson betroffenratlos an. Bevor sie sich erneut zu formieren vermochten, ging die Detektivin zum Gegenangriff über und benahm sich dabei wie ein unartiges Schulmädchen. Sie trat mit ihrem rechten Schuh gegen die diversen Schienbeine der Künstler. Und sie traf genau. Die drei jungen Männer setzten sich. Sie stöhnten, massierten sich Nasen und Schienbeine und hatten überhaupt keine Lust mehr, sich rowdyhaft aufzuführen. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose alte Frau anzufallen«, sagte Agatha Simpson grollend. »Noch bin ich nur verärgert, aber ich könnte ernstlich böse werden.«
Kathy Porter beobachtete die Fensterfront des Hauses. Hinter einer sich bewegenden Gardine war für einen Moment das entgeisterte Gesicht eines älteren Mannes zu sehen, der die Welt offenbar nicht mehr verstand. Kathy hörte ein Hupsignal, wandte sich um und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Caravan, an dessen Steuer ein gepflegt aussehender, etwa dreißig Jahre alter Mann saß. Er trug einen elegant gestutzten Oberlippenbart, hatte eine Stirnglatze und setzte sich hastig eine Sonnenbrille auf. Als er merkte, daß Kathy Porter ihn beobachtete, versuchte er sein Gesicht durch das Hochheben der flachen Hand zu tarnen und fuhr Sekunden später mit durchdrehenden Reifen davon. Kathy Porter hatte jedoch keine ausreichende Zeit, sich das Kennzeichen des Ford zu merken. »Ich hätte nicht übel Lust, diese Subjekte noch etwas zu strafen«, sagte Lady Simpson unternehmungslustig. »Sie haben doch niemals mit Erlaubnis des Hausbesitzers diese Schmierereien aufgesprüht.« »Wünschen Sie, daß ich nachfrage, Mylady?« erkundigte Kathy Porter sich. »Besorgen Sie Reinigungsmittel, Kindchen«, ordnete die ältere Dame an.« Im Haus wird es doch wohl Bürsten, Seife und Schmirgelpapier geben.« Als Kathy Porter zur Tür ging, erhoben die vier Sprühdosenkünstler sich wie auf ein geheimes Kommando und setzten sich wie olympiareife Sprinter ab. Sie liefen zur Straße und waren bald darauf zwischen den hier abgestellten Autos verschwunden.
»Nun, was ist?« fragte Agatha Simpson ungeduldig und ärgerte sich über die Flucht der vier Burschen, die sie nicht hatte verhindern können. Sie stand nun neben Kathy Porter, die erneut läutete. Im Haus rührte sich nichts. »Der oder die Besitzer scheinen nicht zu Hause zu sein, Mylady«, schwindelte Kathy Porter, obwohl sie es besser wußte. »Schön, dann werden wir später noch mal vorbeischauen«, meinte die Detektivin. »Aber dieser Sache werde ich auf den Grund gehen, verlassen Sie sich darauf, Kathy! Ich rieche es förmlich, hier kündigt sich ein neuer Fall an. Spüren Sie denn nichts?« »Noch nicht, Mylady«, schwindelte Kathy Porter weiter. »Nun, man hat's eben, oder man hat's nicht«, antwortete die selbstbewußte Dame fast mitleidig. »Für mich steht es fest, daß wir es mit organisiertem Bandentum zu tun haben. Ab sofort werde ich mich darum kümmern!« * »Das kann doch kein Zufall gewesen sein, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson streng. Sie befand sich in ihrem Salon im Erdgeschoß des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd's Market, das auf den noch wesentlich älteren Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Der kleine Platz, an dem das Haus stand, war so etwas wie eine Oase der Ruhe und des Friedens inmitten der Millionenstadt London. Hier schien die Zeit eine längere Pause eingelegt zu haben.
Die Hausbesitzerin hatte von ihrem erfreulichen Erlebnis berichtet und sich dann den Bericht ihres Butlers angehört. Beide Ereignisse zeigten verblüffende Parallelen. »Warum sagen Sie nichts, Mr. Parker?« fragte die Lady grollend. »Den treffenden Worten Myladys ist nichts hinzuzufügen«, gab Parker in seiner gemessenen Art zurück. »Sie glauben also auch, daß hier Terror ausgeübt wird?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« »Warum ängstigt man diese Hausbewohner?« fragte Agatha Simpson und sah Parker gereizt an. »Ich hoffe, Sie haben eine passende Antwort parat, Mr. Parker?« »Ich möchte mir erlauben, Mylady auf eine Tatsache hinzuweisen, die Mylady selbstverständlich bereits bekannt ist.« »Natürlich ist sie mir bekannt!« Sie hätte nie zugegeben, etwas übersehen zu haben. »Was war es denn noch?« »Beide Häuser, an denen die erwähnten Sachbeschädigungen vorgenommen wurden, Mylady, gehören zu einem kleinen Wohnviertel im Stadtteil Chelsea.« »Das wußte ich natürlich sofort, Mr. Parker.« »Wenn es erlaubt ist, die Dinge noch enger einzugrenzen, Mylady, so möchte ich sagen, daß beide Häuser praktisch Grundstück an Grundstück liegen, wenn man die Rückseiten der Häuser und Hintergärten in die Rechnung mit einbezieht.« »Selbstverständlich, daran dachte ich sofort«, schwindelte die ältere Dame in bewährter Weise. »Das sind doch
Tatsachen, über die ich schon gar nicht mehr rede.« »Es erhebt sich die Frage, Mylady, ob es nicht Zwischenfälle ähnlicher Art bereits in naher Vergangenheit gegeben hat.« »Jetzt sagen Sie schon endlich, woran Sie denken! Ich möchte wissen, ob Sie meine Theorie endlich erkannt haben.« Mylady hatte nicht die Spur einer Ahnung. »Ich muß bekennen, Mylady, daß meine bescheidene Wenigkeit zur Zeit leider noch nicht mit einer Theorie aufzuwarten vermag. Vielleicht könnten Mylady das Rätsel bereits gelöst haben!?« »Papperlapapp, Mr. Parker!« Sie sah ihn ungnädig an. »Ich werde Ihnen schon rechtzeitig sagen, was ich vermute. Ich möchte sehen, wann Sie selbst darauf kommen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mir Mühe geben werde.« »Stellen Sie fest, was da in diesem Viertel bisher passiert ist«, verlangte die resolute Dame. »Stellen Sie das möglichst umgehend fest! Das sind Kleinigkeiten, um die ich mich nicht kümmere. Und zudem muß ich jetzt an meinem Roman arbeiten.« Die Lady rauschte aus dem Salon und stampfte die Treppe hinauf in ihr sogenanntes Studio. Sie bekam nicht mit, wie Kathy Porter dem Butler zuzwinkerte. »Haben Sie eine Theorie, Mr. Parker?« erkundigte sich Kathy Porter dann. »Diese Frage, Miß Porter, werde ich hoffentlich in einigen Stunden positiv beantworten können«, erwiderte Josuah Parker. »Ich werde mir gestatten,
erst mal einige Informationen zu sammeln. Falls Mylady nach mir fragt, so können Sie ausrichten, daß ich mir ein wenig die Füße vertrete.« * Herb Falters, etwa dreißig Jahre alt, Oberlippenbart und Stirnglatze, machte einen verärgerten Eindruck. Er kam gerade aus dem kleinen Büro einer Autowerkstatt und schien unfreundliche Dinge gehört zu haben. »Ich glaub's noch immer nicht«, sagte er und sah seine Streitmacht kopfschüttelnd an. »Zehn ausgewachsene, harte Burschen lassen sich von 'nem wackligen Butler und 'ner alten Fregatte außer Gefecht setzen! Ich glaub's einfach nicht, obwohl ich was davon gesehen habe...« Die Grillfreunde und die Fassadensprüher zeigten sich zerknirscht. Zudem litten sie noch unter der Spezialbehandlung, der man sie unterzogen hatte. »Immerhin weiß ich jetzt, mit wem wir's zu tun haben«, redete Herb Falters weiter. »Die Alte is' 'ne gewisse Lady Simpson, der Butler steht bei ihr im Dienst. Klarer Fall, daß wir noch in dieser Nacht 'ne Spezialshow abziehen, und zwar vor ihrem Haus.« »Wie sieht's denn mit der Prämie aus, Falters?« erkundigte sich der Anführer der Grillfreunde, ein gewisser Jeff Ventor. Er konnte sich nur mühsam verständlich machen, denn sein Unterkiefer war erheblich geschwollen.
»Keine Sorge, die wird prompt gezahlt«, erwiderte Herb Falters. »Bisher hat ja alles bestens geklappt.« »Das mein' ich aber auch, Herb«, schaltete sich der Anführer der Fassadenmaler ein. Er hieß Ben Laners und mochte dreißig sein. »Für meine Hand zieh' ich dem die Haut in Streifen«, schwor Jeff Ventor und rieb sich die Fingerknöchel, in die noch immer kein Gefühl zurückgekehrt war. Hinzu kam der Schmerz in seinem Kinn. Hier war er von Parkers Schirmstock leicht touchiert worden. »Aber vorher spiel' ich mit ihr noch was 'rum«, verlangte Ben Laners, der sich nachdrücklich an den Pompadourschlag erinnerte. Sein Gesicht sah leicht geschwollen aus. »Quasselt nicht, sondern laßt euch für die kommende Nacht was einfallen«, sagte Herb Falters. »Wo die beiden Typen zu finden sind, ist ja klar.« »Dieser Butler hat mir sogar noch 'ne Visitenkarte in die Hand gedrückt«, beklagte sich Jeff Ventor, der Anführer der Grillfreunde. »Scheint sich ziemlich sicher zu fühlen«, überlegte Ben Laners halblaut. »Das haben diese arroganten Burschen immer so an sich.« Herb Falters glaubte Bescheid zu wissen. »Zahlt es ihm und der alten Schrulle heim! Ihr könnt euch völlig frei bewegen, ihr habt freie Hand!« Herb Falters zündete sich eine Zigarette an und hörte zu, was die beiden Gruppenführer an Vorschlägen anzubieten hatten. Es zeigte sich, daß sie erfinderisch waren. In ihnen tobte noch die Wut über die erlittene Blamage. Bisher hatte alles wunderbar
geklappt, und sie hatten planmäßig und erfolgreich arbeiten können. Nun sollte sich das Blatt plötzlich wenden? Jetzt, wo sie so dicht vor der fetten Gesamtprämie standen? Das war ausgeschlossen! Sie waren bereit, diesmal besonders hart zuzuschlagen. Herb Falters war nicht so bei der Sache, wie er nach außen hin tat. Er stammte nicht aus London, sondern war von Manchester aus in die englische Hauptstadt engagiert worden. Auch seine Mitarbeiter stammten von dorther. Falters hatte einen fest umrissenen Auftrag übernommen, der kein Problem war. Wenigstens bisher nicht. Nun aber fragte er sich, wieso es zu diesen beiden eigenartigen Zwischenfällen gekommen war. Zwei Laien, dazu noch feine Pinkel in seinen Augen, wie er es nannte, hatten gezielt zugeschlagen und kräftig Ärger gemacht. Wer waren diese beiden Typen, die da in Shepherd's Market wohnten? Falters' Auftraggeber hatte sich dazu kaum geäußert. Er kannte angeblich weder eine Lady Simpson noch einen Butler Parker. Falters hatte eben erst mit diesem Auftraggeber gesprochen und verlangte schnellste Erledigung des Auftrags, weil er angeblich unter Zeitdruck stand. Er hatte ihm allerdings geraten, Lady Simpson und ihren Butler gründlich auszuschalten. Herb Falters, ein Gangster der mittleren Kategorie, aber mit großen Ambitionen, wollte diesen ersten wirklichen Großauftrag prompt erledigen und sich damit in London ein Image schaffen. Die Stadt gefiel ihm außerordentlich gut. Hier boten sich in der Zukunft bestimmt noch bessere Geschäfte an.
Hier war die Möglichkeit, an das ganz große Geld heranzukommen. »Okay, ich bin für 'nen kleinen Großbrand«, sagte er jetzt. Er hatte die Vorschläge mit halbem Ohr vernommen und traf nun seine Entscheidung. »Zündet den beiden Typen die Bude über den Köpfen an, Jungens! Nur nicht genieren! Nehmt ausreichend Benzin mit! Gegen Mitternacht muß die Feuerwehr von London Hochbetrieb haben, es soll sich 'rumsprechen, wer wir sind!« * Butler Parker vertrat sich die Füße und lustwandelte durch die schmalen Straßen in Chelsea, durch jene Straßen, die sein Interesse erregt hatten. Er suchte gezielt nach weiteren Spuren, die auf Grillpartys und Wandmalereien hindeuteten. Er brauchte wirklich nicht lange zu suchen und entdeckte in jenem Wohnviertel weitere verwüstete Vorgärten, eingeworfene Fensterscheiben und zusätzliche Schmierereien, deren Farben aus Sprühdosen stammen mußten. Genau in diesem engen Viertel, das hauptsächlich aus gepflegten älteren Häusern bestand, schienen die Rowdys sich besonders ausgetobt zu haben. Dies mußte natürlich seine Gründe haben. Josuah Parker vermied es, diverse Hausbesitzer aufzusuchen. Er wollte die Menschen nicht in Schwierigkeiten bringen. Er sah schließlich immer noch das ängstliche Gesicht der alten Frau, die ihm gegenüber behauptet hatte, die Grillparty in ihrem Vorgarten mache ihr Freude. Natürlich hatte sie unter Druck gestanden und
schreckliche Angst vor den Rowdys gehabt. Parker schritt das kleine Planquadrat ab und entdeckte gewisse Zusammenhänge. Die Grillfreunde und Wandmaler hatten sich eindeutig auf einen bestimmten Häuserkomplex konzentriert, der von vier Straßen eingegrenzt wurde und von zwei schmalen Gassen durchzogen war. Was bezweckten diese Belästigungen? Was wollte man mit diesem Psychoterror erreichen? Besonders wohlhabend konnten die Bewohner der mißhandelten Häuser sicher nicht sein, wenn man mal davon absah, daß ihnen die mehr oder weniger kleinen Häuser gehörten. Sie stellten allerdings einen erheblichen Wert dar, denn hier im Stadtteil Chelsea waren Grundstücke knapp und die Quadratmeterpreise hoch. Plötzlich glaubte der Butler zu wissen, welchen Plan die Rowdys verfolgten. Sollten die Hausbesitzer gezwungen werden, ihre Grundstücke und Häuser zu verkaufen? Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, als er im winzig kleinen Vorgarten eines Hauses einen alten Herrn entdeckte, der Gerümpel und Unrat aller Art zusammenharkte. Dieser Mann war seiner Schätzung nach etwa siebzig Jahre alt, hielt sich aber militärisch straff und hatte ein immer noch energisch geschnittenes Gesicht. »Ich erlaube mir, einen erholsamen Abend zu wünschen«, sagte der Butler und blieb stehen. »Man scheint, wenn mich nicht alles täuscht, Ihren Vorgarten mit einer Müllhalde verwechselt zu haben.« »Schreckliche Schweinerei«, erwiderte der alte Herr mit leicht
schnarrender Stimme. »Muß man mir während der vergangenen Nacht in den Vorgarten gekippt haben.« »Moral und Sitte neigen sich einem allgemeinen Tiefpunkt zu, Sir«, stellte Parker fest. »Weil nicht mehr durchgegriffen wird«, sagte sein Gesprächspartner anklagend. »Hoffentlich haben Sie die Polizei verständigt, Sir«, gab Parker zurück. »Polizei, Polizei!« Der alte Herr schnaubte verächtlich. »Lassen wir das.« »Mir entging nicht, daß erstaunlich viele Vorgärten hier in der Gegend verwüstet worden sind. Von einigen schrecklichen Wandmalereien mal ganz zu schweigen.« »Kann schon sein.« Der Hausbesitzer nickte und verschloß dann sein Gesicht. Parker glaubte förmlich zu hören, wie ein Eisenvorhang herunterging und ein Schloß einrastete. Der alte Herr wandte sich abrupt ab und verschwand in einem schmalen Gang, der hinter das Haus führte. Ganz eindeutig wollte er einem weiteren Gespräch aus dem Weg gehen. Parker schritt durch die Straße und bog in eine der beiden schmalen Quergassen ein. Es war wirklich ein Zufall, daß er an der Ecke noch mal stehen blieb und sich umdrehte. Vor dem Haus des alten Herrn parkte jetzt ein unscheinbar aussehender Vauxhall, aus dem zwei schlanke Männer stiegen, die etwa dreißig Jahre alt waren. Sie marschierten ebenfalls in den schmalen Seitengang und verschwanden hinter dem Haus.
Josuah Parker, an sich nicht neugierig, änderte seine Pläne und ging zurück zu dem Haus. Er hatte das sichere Gefühl, ein wenig gebraucht zu werden. * Der Garten hinter dem zweistöckigen Haus war winzig klein, aber gepflegt. Es gab einen teppichähnlichen Rasen und rechts an der hohen Brandmauer einen kleinen Pavillon, der mit grünen Ranken förmlich überwuchert war. »Sie sollten sich entscheiden, Major«, sagte eine nasal klingende, unangenehme Stimme. »Wir warten nicht länger.« »Wir können nämlich auch ganz anders«, fügte eine zweite Stimme hinzu. Sie klang fast freundlich, zu freundlich eigentlich. Diese Eigenschaft war fast schon eine körperliche Bedrohung. »Was soll ich denn machen?« Das war die Stimme des alten Herrn. Sie hörte sich verzweifelt und ängstlich an. »Sagen Sie mir, was ich tun soll? Verkaufe ich an Sie, bekomme ich Ärger. Verkaufe ich nicht, dann ebenfalls.« »Sie sind doch ein gelernter Stratege«, sagte die erste Stimme spöttisch und nasal. »Suchen Sie sich aus, was besser für Sie ist!« »Und weniger Ärger bringt«, setzte die zweite freundliche Stimme hinzu. »Wo ist da der Unterschied, wenn man mich so oder so zusammenschlagen wird?« fragte der alte Herr, den man Major nannte. »Würden Sie mich etwa schützen?« »Wir könnten dafür sorgen, daß Sie ungeschoren aus der Stadt kommen, Major«, sagte die nasale Stimme.
»Aber dann müßten Sie sich verdammt schnell entscheiden.« »Unsere Geduld geht nämlich langsam zum Teufel«, fügte die freundliche Stimme hinzu. »Ich mache Ihnen 'nen Vorschlag«, schaltete sich wieder die nasale Stimme ein. »Sie unterschreiben noch heute, am besten gleich jetzt. Sie kassieren, und wir bringen Sie aus der Stadt. Lassen Sie sich in 'ner netten Gegend nieder, wo man Sie nicht findet.« »Den Vertrag haben wir bei uns«, lockte die freundliche Stimme. »Das jetzt nur noch am Rande. Wenn Sie nicht mitziehen, Major, drehen wir die Schraube schärfer an!« »Lassen Sie mir Zeit bis ...« »Wir geben Ihnen 'ne Stunde«, unterbrach ihn die nasal klingende Stimme. »Und wir werden dann das Bargeld gleich mitbringen.« Die freundliche Stimme hatte einen beruhigenden Unterton angenommen. »Der Preis ist aber wirklich lächerlich«, beschwerte sich der Major. »Läßt sich da tatsächlich nichts mehr machen?« »Wir zahlen in jedem Fall mehr als unsere Konkurrenten«, fuhr die nasale Stimme fort. »Und Sie wissen es, Major!« Parker hatte kaum Zeit, sich in Deckung zu bringen. Er stand schon zu nahe am Pavillon, geriet jedoch keineswegs in Panik, sondern blieb einfach stehen, wo er war. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schob er einige grüne Ranken über seinen schwarzen Zweireiher. Sie kamen aus dem Pavillon.
Die beiden Männer, einer etwa vierzig, der andere etwa fünfunddreißig Jahre alt, marschierten dicht an Parker vorüber und verschwanden in Richtung Straße. Dann tauchte der alte Herr auf. Er machte einen unsicheren und verzweifelten Eindruck. »Ich möchte Sie bitten, Sir, mein Benehmen zu entschuldigen«, sagte Parker, lüftete seine schwarze Melone und streifte die grünen Ranken zur Seite. »Aus Gründen, die später zu erklären ich mir erlauben werde, mußte ich Ohrenzeuge dieser Unterhaltung werden.« »Was ... Wie ... Zum Teufel!« Der alte Herr bekam einen roten Kopf und sah wütend den Butler an. »Darf ich vorschlagen, Sir, daß Sie sich möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erregen?« redete Parker weiter. »Ich darf Ihnen versichern, daß ich Ihnen helfen möchte.« »Kommen Sie mir bloß nicht mit Tricks«, schrie der Major den Butler an. »Verlassen Sie sofort mein Grundstück - oder ich rufe die Polizei! Wer hat Ihnen überhaupt erlaubt, hier zu erscheinen? Gehen Sie! Mit Tricks brauchen Sie mir nicht zu kommen. Ich weiß längst, was ich zu tun habe. Ich habe meine Lektion gelernt.« Parker sah ein, daß ein vernünftiger Dialog aussichtslos war. Er grüßte erneut und schritt dann durch den schmalen Seitengang zur Straße zurück. Er war recht zufrieden. In seinem Kopf schälte sich immer mehr eine ganz bestimmte Theorie heraus. Er glaubte inzwischen zu wissen, um welche Dinge es hier ging. Als er die Hausecke erreicht hatte, stand er plötzlich den beiden Männern gegenüber. Sie ließen ihn in die Mündung zweier kurzläufiger Revolver
blicken und forderten ihn auf, sich an einer Rundfahrt durch die Stadt zu beteiligen. »Solch einer freundlichen Einladung kann ich einfach nicht widerstehen«, antwortete Parker in seiner höflichen Art. »Ich bin schon jetzt davon überzeugt, daß Sie meiner bescheidenen Wenigkeit Dinge bieten werden, die mich überraschen.« * Besondere Sehenswürdigkeiten zeigten die beiden Männer dem Butler allerdings nicht. Er saß neben jenem Mann, der die freundliche Stimme besaß, auf dem Rücksitz des Ford. Der Mann hatte den Lauf der Waffe gegen Parkers Hüfte gepreßt und schien sehr mißtrauisch zu sein. Er wollte erst mal wissen, wer Parker war. »Meinen Namen nannte ich Ihnen bereits«, erinnerte Josuah Parker. »Ich habe die Ehre und den Vorzug, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen.« »Sind Sie sicher?« fragte der Freundliche. Seine Stimme klang spöttisch. »Vollkommen«, gab Parker zurück. »Sind Sie nicht zufällig von einem gewissen Herb Falters angeheuert worden?« fragte der Freundliche weiter. »Könnte doch sein, oder?« »Ein Herr namens Herb Falters ist mir unbekannt.« »Die Butlermasche ist nicht schlecht«, stellte der Nasale vom Steuer her fast anerkennend-belustigt fest. »Sieht verdammt seriös aus.« »Sie können versichert sein, meine Herren, daß ich dem Beruf eines But-
lers nachgehe«, antwortete Parker gemessen. »Und was wollten Sie vom Major?« fragte der Nasale. »Mich trieb das zu ihm, was man gemeinhin die nackte Neugier nennt«, entgegnete Parker. »Wenn Sie gestatten, werde ich das näher erklären.« »Okay, wir gestatten.« Der Nasale nickte vom Steuer her. »Bei meinen kleinen Ausgängen, um ein wenig frische Luft zu schnappen, fielen mir zerstörte Vorgärten und beschmierte Hausfassaden auf«, sagte Butler Parker gespielt naiv und ahnungslos. »Und erstaunlicherweise entdeckte ich diese Unschönheiten in einem ganz bestimmten, meiner Ansicht nach abgegrenzten Areal.« »Ein schlaues Bürschchen, wie?« Der Freundliche lächelte und wandte sich an seinen Begleiter vorn am Steuer. »Ich erlaubte mir daraufhin einige Gedanken zu machen.« »Was Sie nicht sagen, Parker!« Der Freundliche nickte. »Reden Sie weiter!« »Ich kam zu dem Schluß, daß dies nicht ohne bestimmte Gründe geschehen ist und noch geschieht.« »Wir haben's ja mit 'nem richtigen Detektiv zu tun«, rief der Mann nasal von vorn nach hinten. »Vielen Dank, Sir, ich fasse Ihre Bemerkung als ein Kompliment auf!« Parker nickte. »Ich muß gestehen, daß Kriminalromane meine geheime Leidenschaft sind.« »Und jetzt wollen Sie 'rausbekommen, warum sich da so gewisse Dinge tun, wie?« Der Freundliche tat ebenfalls naiv. »In der Tat, so möchte ich es ausdrücken.«
»Und was vermuten Sie, Mr. Parker?« Der Druck des Revolvers minderte sich ein wenig. Der Freundliche schien der Ansicht zu sein, daß man es mit einem einfältigen Mann zu tun hatte. »Ich las vor geraumer Zeit einen Kriminalroman, der an sich nicht besonders spannend war«, schickte Josuah Parker voraus. »Das Motiv für die Schreckenstaten hingegen scheint sich mit dem hier zu decken.« »Und das Motiv sah wie aus?« wollte der Fahrer wissen. »Erpressung, Nötigung, Psychoterror«, antwortete Parker. »So ganz ohne Grund?« wunderte sich der Freundliche gespielt. »Man wollte damit Bauern zwingen, ihre Farmen zu verkaufen«, redete Parker weiter. »Besagter Grund und Boden war für den Bau einer Firmengroßanlage vorgesehen. An dieser Stelle soll und muß ich darauf hinweisen, daß die Industriegruppe selbstverständlich nichts von diesen üblen Machenschaften ahnte.« »Und sowas spielt, sich Ihrer Ansieht nach jetzt in Chelsea ab?« tippte er Freundliche an. »Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen«, antwortete Josuah Parker. »Sehr schön«, sagte der Freundliche. Seine Stimme wurde fast salbungsvoll. »Wetten, daß Sie in 'ner halben Stunde anders darüber denken werden?« »Könnten Sie sich vielleicht etwas deutlicher ausdrücken?« bat der Butler. »Nach einer Spezialbehandlung werden Sie die ganze Geschichte für immer vergessen«, prophezeite der
Freundliche und lachte leise. »Aber lassen Sie sich überraschen!« »Sie machen meine bescheidene Wenigkeit in der Tat recht neugierig«, gestand Parker, der weiterhin Naivität vortäuschte. * »Ich war zufällig in der Nähe«, behauptete Chief-Superintendent McWarden, ein untersetzter, grimmig aussehender Mann mit leichten Basedowaugen, die ihm das Aussehen einer Bulldogge verliehen. Er leitete ein Sonderdezernat des Yard und trug sein Schicksal mit mehr öder weniger Fassung, es immer wieder mit Lady Simpson und Butler Parker zu tun zu haben. »Sie arbeiten also an einem Fall, den Sie wieder mal nicht lösen können«, stellte Agatha Simpson ironisch fest. »Aber das wundert mich schon lange nicht mehr.« »Mr. Parker ist nicht zufällig zu Hause, Mylady?« erkundigte McWarden sich und schluckte die Ironie, zog aber ein saures Gesicht. »Er vertritt sich die Füße«, antwortete die Detektivin. »Aber was das bedeutet, wissen wir ja, nicht wahr?« »Sie, ähem, Sie arbeiten an einem neuen Fall?« wollte McWarden ziemlich ungeniert wissen. »Wollen Sie mich etwa ausfragen, Mc Warden?« »Darf ich Ihnen etwas anbieten, Sir?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Mister McWarden wird sicher nicht lange bleiben«, durchkreuzte die Hausbesitzerin diesen Plan und bedachte ihre Gesellschafterin mit einem vernich-
tenden Blick. »Und zudem ist der Sherry ausgegangen.« »Ich brauche nichts«, meinte McWarden gereizt. »Herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Mylady!« »Sie ärgern sich über etwas, wie?« Lady Agatha freute sich. »Ich habe es da mit einem Fall zu tun, der tatsächlich ärgerlich ist«, räumte McWarden ein. »Da weiß man ganz genau, daß brave Menschen erpreßt werden, aber man kann einfach nichts dagegen unternehmen, verstehen Sie, Mylady? Zwei Zeugen hatten sich bereit erklärt, uns Informationen zu liefern, aber sie mußten es bitter bezahlen.« »Vielleicht haben wir doch noch einen Schluck Sherry, Miß Porter, oder nicht?« Agatha Simpsons Interesse war sofort geweckt worden. Ihre Frage nach dem Sherry kam jedoch zu spät. Kathy Porter servierte ihn bereits. »Genieren Sie sich nicht, McWarden«, forderte die ältere Dame ihren Besucher auf, der seine fünfzig Jahre erreicht hatte. »Natürlich werde ich Ihnen wieder mal helfen.« »Es geht um seltsame Immobiliengeschäfte, Mylady«, begann der Chief-Superintendent, nachdem er von dem köstlichen alten Sherry getrunken hatte. »Wir haben den Verdacht, daß Hausbesitzer gezwungen werden, ihre Grundstücke und Häuser zu wahren Spottpreisen zu verkaufen. Es handelt sich um Objekte in allerbester Wohnlage. Aber wie. gesagt, wir .bekommen keine Informationen.« »Und wie zwingt man die Hausbesitzer zum Verkauf?« Lady Simpson warf Kathy Porter einen
triumphierenden Blick zu. »Man setzt sie unter körperlichen und seelischen Druck, nicht wahr?« »Das vermuten wir, Mylady. Nein, noch anders ausgedrückt, wir wissen es sogar, aber wir können nicht einschreiten. Wie schon gesagt, wir haben keine Zeugen und damit leider auch keine Beweise.« »Das wird sich ändern, McWarden.« »Sie sagen das in einem Ton, Mylady, als ob Sie bereits mehr wüßten?« McWarden wurde sofort hellhörig. »Ich weiß gar nichts, McWarden, gar nichts.« »Um welchen Stadtteil handelt es sich, Sir?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Da haben wir es mit Chelsea zu tun, dann mit Kensington und schließlich auch noch mit Belgravia. Ich sagte ja schon, zwei Zeugen, die sich zur Verfügung stellen wollten, ja, die eigentlich schon Anzeige erstattet hatten, spielten plötzlich nicht mehr mit.« »Wieso mußten diese beiden Zeugen ihre Aussagebereitschaft bitter bezahlen, Sir?« fragte Kathy Porter weiter. »Sie liegen im Krankenhaus«, antwortete der Chief-Superintendent. »Einer von ihnen wurde von einem Auto angefahren, dessen Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Der zweite Zeuge stürzte eine steile Treppe hinunter, wie er sagt, aber ich vermute, daß er genau weiß, daß er gestoßen wurde.« »Ich werde mich dieser Dinge annehmen, McWarden«, reagierte die ältere Dame aufgebracht. »Warum kommen Sie erst jetzt damit zu mir?« »Die Dinge liegen erst seit einigen Tagen oder gut anderthalb Wochen zu-
rück, Mylady«, entschuldigte McWarden sich. »Wir dachten, wir würden sie allein in den Griff bekommen, aber...« »Ist bekannt, Sir, wie viele Häuser inzwischen in den drei Stadtteilen verkauft wurden?« wollte Kathy Porter wissen. »Nein, leider nicht. Verkäufe sind schließlich Dinge, in die die Polizeibehörde sich nicht einschalten kann und darf. Sie kennen doch unsere Gesetze, Miß Porter.« »Ich glaube, daß sich hier ein Thema für meinen Bestseller anbietet«, vermutete die Detektivin und blitzte den Chief-Superintendent an.« Diese Subjekte werden bald von mir hören.« »Werden Sie Mr. Parker verständigen, Mylady?« »Ich werde ihn natürlich informieren, sonst ist er beleidigt«, sagte Lady Agatha. »Sie wissen doch, wie sensibel er ist.« * »Sind Sie sicher, meine Herren, daß Sie sich auf dem rechten Weg befinden?« fragte Parker doppelsinnig. Er zeigte noch immer die ahnungslose Naivität und schien sich zu wundern, daß seine beiden Begleiter ihn in der Nähe von Paddington Station in einer Doppelgarage aussteigen ließen. Sie hatten eine schmale Toreinfahrt und einen engen Hinterhof passiert und standen mit dem Ford in einer großen Garage. Der Mann mit der nasalen Stimme schloß das Tor, während der Freundliche neben dem Butler stehen blieb und ihm nach wie vor den Revolverlauf in die rechte Hüfte preßte.
»Wir sind richtig, Parker«, meinte der Nasale, nachdem er das Tor geschlossen hatte. »Nur noch ein par Schritte, ja? Dann haben Sie's geschafft.« »Sie beabsichtigen doch nicht etwa, sich an einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann zu vergreifen?« Ein erster Unterton der Sorge klang in Parkers Stimme. »Es handelt sich nur um'n kleines Privatgespräch«, meinte der Freundliche. »Danach werden Sie bestimmt nicht mehr neugierig sein.« »Ich würde meinen, daß ich meiner Neugier bereits jetzt und hier abschwören könnte«, versprach Josuah Parker. »So einfach wollen wir's aber doch nicht machen, oder?« Der Nasale ging voraus. Er öffnete eine Seitentür, hinter der eine schmale Treppe in ein Haus führte. Nach ein paar Stufen war wohl das Erdgeschoß erreicht. Parker sah sich in dem Zimmer um, in das man ihn führte. Es war nur mittelgroß, und die Fenster waren mit schweren Blendläden verschlossen. Die Tür in den angrenzenden Raum war dick wattiert. Die beiden Männer steckten erst mal ihre Schußwaffen weg und griffen nach Kabelenden, die mit Wollappen umwickelt waren. Sie ließen die Schlaginstrumente probeweise durch die Luft zischen. Parker täuschte Angst vor und wich gegen die nackte Wand zurück. Der Raum bot übrigens keine Ausweich- oder Schutzmöglichkeit. Er war völlig unmöbliert bis auf einen Tisch, der unter einem geschlossenen Fenster stand. »Das Verfahren ist ganz einfach«, sagte der Mann nasal und grinste.
»Wer hier wieder 'rauskommt, erinnert sich an nichts mehr und ist auch nicht mehr neugierig.« »Weil er weiß, daß wir ihn sonst noch mal zu uns einladen«, fügte der Freundliche lächelnd hinzu. »Und noch mal und solange, bis er kapiert! Haben wir uns deutlich genug ausgedrückt?« »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie meiner bescheidenen Person körperliche Pein zufügen wollen?« fragte der Butler bestürzt. »Richtig«, antwortete der Mann nasal und näherte sich dem Butler. Er übersah leichtsinnigerweise den altväterlich gebundenen Regenschirm, der noch immer korrekt am linken Unterarm des Butlers hing. »Wir bringen Sie nachher sogar wieder zurück«, meinte der Freundliche. »Aber jetzt erst mal zur Sache, Mr. Parker, oder wie Sie sonst heißen mögen! Sie arbeiten also für Herb Falters, wie?« Auch er übersah den UniversalRegenschirm des Butlers. Für ihn war der nur ein Gerät, um das niederschlagreiche Londoner Wetter abzuwehren. »Mr. Herb Falters?« wiederholte Parker, um sich den Namen genau einzuprägen. »Meinen Sie Mr. Falters aus dem Eastend, meine Herren?« »Wir meinen Herb Falters aus Soho, Mr. Parker.« Der Mann mit der nasalen Stimme wurde hochmütig und ... wollte blitzschnell mit seinem Kabelende zuschlagen. Er führte diesen Schlag auch tatsächlich aus, doch sein Ziel traf er nicht. Parkers Regenschirm war wesentlich schneller.
Wie ein Florett schoß die Stahlspitze vor und traf genau den Solarplexus des Schlägers. Er traf ihn nachhaltig. Der Mann näselte plötzlich nicht mehr, sondern grunzte unmelodisch und keuchte. Seine zum Schlag erhobene Hand blieb unbeweglich in der Luft stehen, während das Kabelende zu Boden fiel. Der Mann war wie gelähmt. Der Freundliche stierte fasziniert auf die Szene, mit der er natürlich nicht gerechnet hatte. Dann aber wollte er ebenfalls zuschlagen, doch auch er erlitt eine peinliche Niederlage. Die improvisierte Florettspitze bohrte sich in seinen rechten Oberarm und schien dort einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben. Der Freundliche ließ sein Schlaginstrument ebenfalls fallen und vergoß einige dicke Tränen. »Sie dürfen versichert sein, meine Herren, daß mir Gewalt äußerst fern liegt«, entschuldigte sich Parker. »Eine informative Unterhaltung wäre mir wesentlich lieber.« Aber die wollten sie nicht haben. Die beiden Männer erholten sich von ihrer Erstarrung und stürzten sich mit schwingenden Fäusten auf den Butler, der ein wenig zurückwich. »Sie ahnen nicht, wie peinlich mir das alles ist«, sagte Josuah Parker, bevor er dann mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms gezielt, aber nicht zu hart, zuschlug. * »Weiter, weiter«, drängte Lady Simpson, wobei ihre Augen freudig funkelten. »Ich hoffe, Sie haben die beiden Subjekte anschließend in ein Spital bringen müssen.«
»Mitnichten und keineswegs, Mylady«, erwiderte Parker, der sich wieder im altehrwürdigen Stadthaus seiner Herrin eingefunden hatte und Bericht erstattete. »Ich war so frei, den beiden Herren eine kleine Lektion zu erteilen, mehr nicht.« »Guter Gott, wann treten Sie endlich der Heilsarmee bei?« wollte die kriegerische Dame wissen. »Diese Frage, Mylady, stellte sich mir bisher noch nicht«, beantwortete Parker diese Frage, wobei Kathy Porter, die sich ebenfalls im Salon befand, ein aufsteigendes Lächeln gerade noch unterdrücken konnte. »Haben Sie die beiden Subjekte wenigstens mitgebracht?« fragte Lady Agatha weiter. »Wenn Sie's schon nicht können, dann werde ich es eben tun müssen. Sie werden mir sagen, von wem sie bezahlt werden.« »Ich war so frei, Mylady, die beiden Herren in ihrem Quartier zurückzulassen«, gestand Parker. »Eine Befragung würde nichts erbringen, wie ich vermute. Der Mann mit der nasalen Stimme heißt übrigens Charles Shoon und stammt aus Liverpool. Der Mann mit den freundlichen Manieren ist ein gewisser Lester Crown, der ebenfalls in Liverpool beheimatet ist.« »Aber diese beiden Lümmel arbeiten doch nicht auf eigene Rechnung, oder?« Agatha Simpsons Stimme grollte bereits wieder. »Mit Sicherheit nicht, Mylady«, erwiderte Parker. »Ich habe mich in ihrer Notwohnung ein wenig umgesehen. Notwohnung deshalb, weil die Herren sich wirklich nur auf Zeit eingerichtet haben. Ich fand in einem banalen Versteck, nämlich unter einer Fußbodendiele, den Betrag
von zweitausend Pfund in kleinen Banknoten.« »Haben Sie wenigstens das Geld mitgenommen?« »In der Tat, Mylady! Man wird es einer caritativen Organisation zuleiten, wenn ich dies vorschlagen darf.« »Sorgen haben Sie!?« Die Detektivin schüttelte den Kopf. »Haben Sie denn kein Verhör angestellt, Mr. Parker? Von wem stammen die zweitausend Pfund? Für wen terrorisieren sie diese Hausbesitzer? Wer sind die wirklichen Drahtzieher? »Darüber lassen sich wohl nur Vermutungen anstellen, Mylady.« »Welche, Mr. Parker? Ich bestehe darauf, daß Sie mir nichts verschweigen.« »Diesen recht ungewöhnlichen und interessanten Fund erlaubte ich mir zu machen, Mylady.« Während Parker noch redete, präsentierte er seiner Herrin einen Mokkalöffel. »Wollen Sie meinen Sinn für Humor prüfen?« Agatha Simpsons Augen blitzten. »Dies, Mylady, würde ich mir niemals gestatten«, schickte der Butler gemessen voraus. »Darf ich Mylady bitten, einen Blick auf die Gravur zu werfen?« Der Mokkalöffel stammte mit Sicherheit nicht aus einem Kaufhaus, wie Kathy Porter sofort feststellte. Er war mit kunstvollen Ornamenten geschmückt und stellte einen Wert dar. »Was sind denn das für Zeichen?« fragte Agatha Simpson und wog den Mokkalöffel prüfend auf der flachen Hand. »Schweres Silber, würde ich sagen.« Sie reichte den Mokkalöffel an Kathy Porter weiter, schaute sich die
Gravur einen Moment an und nickte dann! »Arabische Schriftzeichen«, meinte sie und sah den Butler abwartend an. »Arabische Schriftzeichen mit einer Art Krone«, bestätigte Josuah Parker. »Man sollte vielleicht der Frage nachgehen, Mylady, wie dieser wertvolle Mokkalöffel in den Besitz der Herren Shoon und Crown gelangt ist. Daraus ergeben sich dann möglicherweise weitere Erkenntnisse!« * Es war spät geworden. Josuah Parker unternahm seinen üblichen Rundgang durch das altehrwürdige Haus seiner Herrin und überzeugte sich, daß sämtliche Sicherheitseinrichtungen eingeschaltet waren. Das stilvolle Fachwerkhaus war in der Vergangenheit schon häufig das Ziel nächtlicher Besucher gewesen, die allerdings samt und sonders ihre Überraschungen erlebt hatten. Das Gebäude war im Grund eine raffiniert gesicherte Festung mit mehr als nur einem doppelten Boden. Selbst der geschickteste Dieb hätte hier sein Waterloo erlebt. Parker hatte sich dieses System einfallen lassen und die Sicherungen zum Teil selbst eingebaut. Ihm ging es darum, den Schlaf der Hausherrin zu schützen. Parker rechnete mit Besuchern. Nicht umsonst hatte er den Grillfreunden seine Visitenkarte hinterlassen. Seiner Erfahrung nach würden diese Fanatiker in den nächsten Stunden versuchen, ins Haus einzudringen. Rache wurde in Kreisen
der Unterwelt stets groß geschrieben, wie er ebenfalls aus Erfahrung wußte. Nach seinem Rundgang begab er sich in das Souterrain des Hauses, wo sich seine privaten Räume befanden. Er bewohnte hier eine kleine Zimmerflucht, an die sich sein Labor anschloß, eine Art überdimensional große Bastelstube, die mit allen technischen Raffinessen eingerichtet war. Hier erfand und baute der Butler seine technischen Spielereien und Überraschungen, die seine Gegner immer wieder verwirrten und vor Rätsel stellten. In dieser Bastelstube öffnete der Butler den Waffenschrank. Er entschied sich in Anbetracht der späten Stunde für ein echtes Blasrohr, das aus den Wäldern des Amazonas stammte. Es war fast drei Meter lang und erlaubte ein präzises Zielen. Parker suchte sich einige Blasrohrpfeile aus, deren Spitzen er sorgfältig untersuchte. Dann trug er das Blasrohr samt der dazu passenden Munition nach oben ins Haus und verschwand in einem Wandschrank, der in der großen Wohnhalle stand. Nach wenigen Minuten verließ er einen anderen Wandschrank, der bereits in der Wohnung eines zweiten Fachwerkhauses stand, das sich rechtwinklig an das Haus der Lady Simpson anschloß. Es gab hier Geheimgänge, die nur die Eingeweihten kannten. Die benachbarten Häuser an diesem kleinen Platz gehörten ausnahmslos der älteren Dame und waren unbewohnt. Sie standen deshalb leer, um ahnungslose Mieter nicht zu gefährden. Wie bekannt war das eigentliche Haus der Lady immer wieder das Ziel harter und
brutaler Gangster, die keine Rücksicht übten. Parker nahm an einem Fenster im Obergeschoß des Nachbarhauses Platz und genoß den Frieden der Nacht. Dieser kleine Platz in Shepherd's Market war tatsächlich so etwas wie eine Oase. Vom Lärm der Millionenstadt war hier so gut wie nichts zu sehen oder zu vernehmen. Parker hing seinen Gedanken nach, die um den Mokkalöffel kreisten. Wie war er in den Besitz der beiden Gauner Shoon und Crown gelangt? Warum hatten sie diesen Löffel ebenfalls in das Geldversteck gelegt? Es konnte nicht der Silberwert allein gewesen sein. Dieser Mokkalöffel mußte für Shoon und Crown sonst noch wichtig sein. Für den nächsten Tag beabsichtigte Parker, die Gravur auf dem Löffel von einem Orientalisten deuten zu lassen. Dann wußte man wohl schon mehr. Inzwischen hatten Shoon und Crown natürlich längst das Verschwinden der zweitausend Pfund und des Mokkalöffels entdeckt. Wie würden sie darauf reagieren? Beabsichtigten sie ebenfalls, noch in dieser Nacht hier zu erscheinen? Gerieten sie dann mit der Gruppe der Grillfreunde zusammen? Trafen sie auch auf die Sprühdosenkünstler? Gehörten die Grillfreunde und Wandmaler zu einer Gruppe, die vielleicht von Herb Falters geleitet wurde? Dieser Name war von den beiden Gangstern Shoon und Crown wiederholt genannt worden. Herb Falters war für sie Konkurrenz, das hatte Parker unschwer herausgehört. Vor welchem Hintergrund sich das alles abspielte, hatte Chief-Superinten-
dent McWarden deutlich gemacht. Agatha Simpson hatte ausführlich über ihre Unterhaltung mit McWarden berichtet. Grundstücke und Häuser sollten auf dem Umweg über Terror aller Art verkauft werden. Wer hatte diesen Terror ausgelöst? Wer wollte sich in den Besitz der Immobilien bringen und dann an wen verkaufen? Daß es hier um Riesengeschäfte und beträchtliche Summen ging, lag auf der Hand. In den Stadtteilen Chelsea, Kensington 'und Belgravia wurden die Quadratmeter praktisch mit Gold aufgewogen. Parker reagierte äußerst gelassen, als eine kleine rote Signallampe vor ihm aufflackerte. Sie befand sich auf einem schmalen, schwarzen Kästchen, das kaum größer war als eine Zigarettenpackung. Dieses Warnzeichen sagte ihm, daß ein Sensor auf eine Bewegung zur Einfahrt in den quadratischen Platz, an dem die Häuser lagen, angesprochen hatte. Butler Parker griff nach seinem Nachtsichtgerät und beobachtete vier Männer, die von der Durchgangsstraße kamen und sich vorsichtig an das Blumenbeet heranpirschten, das sich in der Mitte des kleinen Platzes befand. Es war also soweit! * Ihr Plan war mehr als einfach. Jeder Gangster trug zwei kleine Plastikkanister, die mit Benzin gefüllt waren. Der Inhalt dieser Kanister sollte gegen die Vorderfront des Fachwerkhauses gespritzt werden. Dann brauchte man nur noch ein Streichholz, um es
dieser alten Lady und ihrem Butler mal gründlich zu zeigen. Sie gingen hintereinander und legten am Blumenbeet eine Verschnaufpause ein. Hier wollten sie sich darüber einig werden, wie man die Hausfront unter sich aufteilte. Mit Zwischenfällen rechneten die vier jungen Kerle überhaupt nicht. Einer stellte gerade seinen Kanister ab, als er einen stechenden Schmerz in der linken Gesäßhälfte verspürte. Er zuckte zusammen, fuhr unwillkürlich herum und suchte nach dem Verursacher dieser Pein. Er wollte sich an seinen Nebenmann wenden, doch auch der zuckte gerade in diesem Moment zusammen und faßte nach seiner rechten Gesäßhälfte. »Was soll das?« fragte er und wandte sich dem zuerst Getroffenen zu. »Was?« fragte der und spürte einen bleierne Schwere in seinen Gliedern. »Das!« Der zweite Gangster wollte noch seine stechende Gesäßhälfte betasten, aber seine Kräfte reichten schon nicht mehr aus. Er schaffte es noch nicht mal, herzhaft zu gähnen, obwohl ihm danach zumute war. Er legte sich auf die Seite, zog die Knie an und schloß die Augen. Er schlief noch schneller ein als der Gangster, den es zuerst erwischt hatte. »Wir nehmen die linke Hausseite«, sagte der dritte Gangster und nickte seinem Nebenmann zu. Doch der reagierte nicht. Er fiel kopfüber in die weiche Beeterde und rollte dann zur Seite. »Hei, was ist?« fragte der vierte Gangster überrascht. »Laß den Blödsinn!«
Dann fuhr er hoch, als sei er von einem Rieseninsekt gestochen worden. Er jaulte verhalten auf und langte nach seinem Gesäß, in das sich ein Stachel gebohrt zu haben schien. Er fühlte gerade noch, daß da tatsächlich ein mindestens stricknadellanger Stachel im Fleisch war, doch dann schwanden auch ihm die Sinne. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gähnte er noch schwach, doch dann schob sein Oberkörper sich in die Blumenpracht, und der Mann blieb danach regungslos liegen. * »Die lassen sich verdammt viel Zeit«, ärgerte sich Jeff Ventor. Er saß zusammen mit seinem Partner Ben Laners im Fahrerhaus des kleinen Kastenlieferwagens und wartete sehnsüchtig darauf, daß wilde und gierige Flammenzungen an der Hausfassade hochzüngelten. Bisher war dieses Schauspiel ausgeblieben. »Die Jungens wollen's eben besonders gründlich machen«, antwortete Ben Laners beruhigend. »Wenn schon, denn schon! Die haben immerhin 'nen ganz schönen Zorn im Bauch.« Die beiden Anführer der Grillfreunde und Fassadensprüher warteten also weiter, wurden jedoch nach etwa dreiundvierzig Sekunden leicht nervös. Es hatte sich noch immer nichts getan. »Das haut doch nicht hin«, ärgerte Jeff Ventor sich. »Ich hätte mitgehen sollen.« »Und deine Hand?« erkundigte Ben Laners sich skeptisch. »Eben!« Jeff Ventor dachte an seine mißhandelte Rechte, deren Finger immer noch verstaucht waren. Der
Schlag gegen die Melonenwölbung zeitigte eine nachhaltig starke Wirkung. »Ob ich mal nachsehen soll?« fragte Ben Laners. »Irgendwas kann da doch nicht stimmen.« »Verrückt, wie?« Jeff Ventor schüttelte den Kopf und zeigte mit dem linken Daumen nach hinten in den Aufbau des kleinen Kastenlieferwagens. »Wir schicken die Reserve 'rüber.« Dagegen hatte Ben Laners nichts einzuwenden. Als Anführer einer Gruppe hatte man schließlich aus der richtigen Entfernung heraus seine Leute einzusetzen. Wozu war man schließlich Vormann? Er öffnete das kleine Schiebefenster und brachte sein Gesicht an die Öffnung. »'raus«, sagte er knapp zu den noch vorhandenen vier jungen Burschen, die eigentlich recht froh waren, sich endlich auch mal in Szene setzen zu können. »Paßt aber auf, irgendwas könnte da drüben an dem Fachwerkschuppen nicht stimmen!« Die Schläger stahlen sich vorsichtig aus dem Kastenaufbau, formierten sich und verschwanden wenig später in der Dunkelheit. Sie pirschten sich an den kleinen Platz heran, der von den hübschen, alten Fachwerkhäusern umstanden war. Sie erreichten das Blumenbeet und suchten hier nach ihren Freunden. Nichts! Sie tuschelten miteinander, waren einen Moment ratlos und kamen dann zu dem zwingend logischen Schluß, ihre Freunde müßten wohl schon drüben am Haus sein. Es bot sich also
an, sie dort zu suchen und ihnen unter Umständen zu helfen. Sie trugen übrigens keine Benzinkanister und ahnten nicht, wie positiv sich das für sie auswirkte. Sie erreichten die Hausfront und suchten hier nach den Feuerteufeln. Doch sie fanden und hörten nichts. Ihre Vorgänger waren wie vom Erdboden verschwunden. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Das machte sie natürlich unsicher. Sie beratschlagten leise miteinander und traten schleunigst den Rückmarsch an, legten ein äußerst schnelles Tempo vor und hatten den Kastenlieferwagen schon nach wenigen Minuten erreicht. »Nun?« fragte Jeff Ventor, der die Oberleitung des Unternehmens hatte. »Nichts«, sagte einer der vier jungen Schläger und schüttelte den Kopf. »Die sind nich' mehr da.« »Vielleicht sind sie im Haus?« fragte Ben Laners. »Die Tür is' zu«, sagte der junge Bursche. »Un' die hätten sie ja bestimmt aufgelassen, oder?« »Und jetzt?« Ben Laners sah Jeff Ventor fragend an. »Keine Ahnung.« Jeff Ventor brach unter der Last der Verantwortung fast zusammen. »Ich glaube, wir hauen erst mal ab, oder?« »Und was wird Falters sagen?« »Is' mir egal«, gab Jeff Ventor zurück. »Hier stimmt doch was nicht. Und Benzin haben wir ohnehin keins mehr.« Die Männer stiegen ein, der kleine Kastenlieferwagen setzte sich in Bewegung. Er transportierte professionelle Rowdys, die jetzt allerdings einen ratlosen und nervösen Eindruck machten. Immerhin waren
vier ihrer Freunde wie durch Zauberei verschwunden. * »Hatten Mylady eine angenehme Nacht?« erkundigte sich Parker am anderen Morgen. Er servierte seiner Herrin das Diätfrühstück. Lady Agatha hatte sich vor einigen Wochen entschieden, etwas gegen ihre ausgeprägte Fülle zu unternehmen und sich auf schmale Kost gesetzt. »Ich habe selbstverständlich kaum ein Auge zugetan«, behauptete die Sechzigjährige wie gewöhnlich. »Während Sie wahrscheinlich wie ein Murmeltier schliefen, habe ich über unseren neuen Fall nachgedacht!« »Mylady sind zu einem ersten Urteil gekommen?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker?« Sie schaute ihn streng an. »Ich werde ab sofort die Initiative ergreifen. Ich werde diesem Terror ein Ende bereiten.« Nach dieser mehr als pauschalen Feststellung widmete sie sich ihrem frugalen Frühstück. Es bestand aus einigen gegrillten Würstchen, Eiern mit Speck und einigen Scheibchen Lachs. Dazu aß sie nur drei Scheiben Toast, die sie recht oberflächlich mit Landbutter bestrich, also immerhin knapp unter vier Millimeter blieb. Dazu erfrischte sie ihren Körper noch mit Obstsaft, der mit einem Schuß Kognak versetzt war, mit Rumtee und mit einigen wenigen Käsesorten. »Das kann nur McWarden sein«, seufzte sie auf, als die Türglocke sich meldete. »Vielleicht Neuigkeiten, die Myladys Fall betreffen«, deutete
Parker an, verließ das kleine Speisezimmer und sah sich wenig später dem Chief-Superintendent gegenüber, der ihn aus schmalen, prüfenden Augen musterte. »Darf ich mir erlauben, einen besonders schönen Morgen zu wünschen, Sir?« fragte Parker. »Ich störe doch hoffentlich nicht, wie?« McWarden schnüffelte. »Mylady frühstückt, Sir.« »Ich werde nicht lange bleiben«, versprach der Chief-Superintendent und ließ sich von Parker ins Zimmer führen. Er verbeugte sich knapp. »Immer im Dienst, nicht wahr?« spöttelte die ältere Dame. »Sie sehen schlecht aus, McWarden. Haben Sie Sorgen?« »Ein Gedeck für den Chief-Superintendent?« fragte Parker. »Sie werden doch hoffentlich schon gefrühstückt haben, oder?« Agatha Simpson warf schnell einen abschätzenden Blick auf ihre Diäteinheiten. »Nur eine Tasse Tee«, bat McWarden. »Ich habe nicht viel Zeit. Auf mich warten anstrengende Verhöre. Vor einigen Stunden ist da nämlich eine verrückte Geschichte passiert.« »Beneidenswert, McWarden«, antwortete die Detektivin. »Mein Leben verläuft leider recht ereignislos.« »In Finsbury, Sie wissen, Mylady, im Nordosten der Stadt, hörten Passanten Klopfsignale unter der Straßendecke.« »Es wird sich um Bauarbeiter gehandelt haben.« »Sie kamen aus einem Gully, Mylady. Die Passanten verständigten die Polizei, die ihrerseits die
Feuerwehr alarmierte. Es dauerte eine ganze Weile, bis man Kontakt mit den Personen aufnehmen konnte, die sich im Sammler eines Abwasserkanals verirrt hatten.« »Es handelte, wie ich Ihren Worten entnehmen muß, um mehrere Personen, Sir«, schaltete Josuah Parker sich würdevoll ein. »Genau um vier Männer«, bestätigte McWarden und warf dem Butler erneut einen prüfenden Blick zu. »Sie machten einen völlig verstörten und erschöpften Eindruck.« »Wer wandert auch schon freiwillig in Abwässerkanälen herum?« wunderte sich Lady Agatha. Nun beobachtete auch sie ihren Butler. »So freiwillig sind diese vier jungen Kerle ganz sicher nicht in das Kanalsystem geraten«, redete der Chief-Superintendent weiter. »Sie waren untereinander mit Handschellen verbunden.« »Was Sie nicht sagen!« Agatha Simpson räusperte sich. »Und dann war da noch etwas«, zählte McWarden weiter auf. »Die Handschellen waren durch die Tragegriffe von Plastikkanistern geführt worden. Sie wissen schon, sie konnten so unterwegs nicht weggeworfen werden. Eine flüchtige Untersuchung hat ergeben, daß die Kanister mit Benzin gefüllt gewesen sein müssen.« »Was soll ich dazu sagen, Mr. Parker?« Lady Agatha wandte sich an ihren Butler. »Ja, was sagt man dazu?« fragte auch der Chief-Superintendent. »Wir haben uns die vier Männer natürlich näher angesehen. Alle vorbestraft wegen Körperverletzung. Es handelt
sich um lange Listen. Wie können solche Burschen in das Kanalsystem gekommen sein? Und dazu noch in dieser Aufmachung? Da macht man sich doch so seine Gedanken, nicht wahr?« »Sie drängen sich geradezu auf, Sir«, pflichtete Josuah Parker dem ChiefSuperintendent bei. »Sie wissen zufällig nichts darüber, Mr. Parker?« erkundigte sich McWarden. »Mir ist unerfindlich, Sir, wie die vier Herren nach Finsbury gelangten«, lautete Parkers Antwort. »Wurden sie in Haft genommen?« »Man wird sie noch heute wieder auf freien Fuß setzen müssen. Sie haben schließlich nichts Kriminelles getan.« »Aber sie werden doch gesagt haben, wer sie in die Kanäle geschickt hat, oder?« erkundigte sich Lady Agatha. »Darüber verweigern sie jede Auskunft, Mylady. Sie wollen in einem Lokal bei den East India Docks betäubt und ausgeraubt worden sein. Wir sind nicht in der Lage, ihnen das Gegenteil zu beweisen.« »Benzinkanister!« Agatha Simpson ließ das Wort auf der Zunge zergehen. »Was mögen diese Subjekte wohl vorgehabt haben?« »Da ist man nur auf Vermutungen angewiesen, Mylady.« »Und die wären?« Sie sah den YardMann erwartungsvoll an. »Brandstiftung«, erwiderte Chief-Superintendent McWarden. »Aber fragen Sie mich nicht, Mylady, an welches Haus die Schläger gedacht haben. Oder haben Sie da vielleicht eine Ahnung?« »Wie sollte ich, McWarden!? Ich weiß ja gar nichts von diesen Leuten.«
»Auch Sie haben keine Vorstellung, Mr. Parker?« »Noch ein wenig Tee?« erkundigte sich der Butler, die Frage überhörend. »Danke, nichts mehr!« McWarden stand auf. »Richtig, was ich noch sagen wollte! Beinahe hätte ich's vergessen. Alle Kanalwanderer klagen über Schmerzen im Gesäß. Sie behaupten, man habe ihnen dort Spritzen ins Fleisch gejagt. Aber vielleicht können es auch Blasrohrpfeile gewesen sein, nicht wahr?« McWarden lächelte spöttisch, verbeugte sich und ließ sich von Parker zur Tür bringen. Man sah es dem Chief-Superintendent deutlich an, daß ihm dieser Abgang imponierte. * Professor Basil Lindby war ein kleiner Mann mit großem Kopf und noch größerer Brille. Er hatte eisgraue, stets forschende Augen und beugte sich tief über den Mokkalöffel, den Butler Parker ihm gereicht hatte. Er brauchte nur wenige Sekunden, bis er die arabische Gravur identifizieren konnte. »Es stammt von Feisal el Achem«, sagte er und reichte Parker den Mokkalöffel fast angewidert zurück. »Völlig neues Stück, überhaupt nichts Antikes.« »Mylady würde gern wissen, wer der Besitzer des Stückes ist«, erwiderte Josuah Parker. Er hatte den Fachwissenschaftler in dessen Haus in Brompton aufgesucht. »Feisal el Achem ist der Scheich eines winzig kleinen Königtums am Golf von Oman, Mr. Parker.«
»Ein demnach noch herrschender Monarch, Sir?« »Aber sicher. Können Sie mit dem Begriff Oman überhaupt etwas anfangen?« Professor Lindby sah den Butler streng an, als habe er einen Prüfling vor sich. »Meiner bescheidenen Kenntnis nach, Sir, dürfte dieses Scheichtum sich an der Ostküste der arabischen Halbinsel befinden, genauer gesagt wohl in der Nachbarschaft so bekannter Scheichtümer wie Dubai, Maskat und Oman.« »Richtig, setzen, äh, Sie sind gut informiert, Mr. Parker. Der Scheich von Achem ist steinreich. Man hat vor einigen Jahren riesige Ölfelder gefunden, die jetzt erschlossen werden. Bis vor etwa fünf Jahren war das Scheichtum so unbedeutend, daß man überhaupt nicht davon sprach.« »Scheich Feisal el Achem wird mit Sicherheit erfreut sein, wenn man ihm den Mokkalöffel zurückerstattet.« »Ich habe ihn mal gesehen«, erinnerte der Professor. »Ein ziemlich ungeschliffener und ungehobelter Patron, wenn Sie mich fragen, Mr. Parker. Er scheint noch in Begriffen des Mittelalters zu denken. Ich wollte in seinem Scheichtum Grabungen vornehmen, aber er hätte mich um ein Haar auspeitschen oder sogar köpfen lassen. Er hält sich für einen Halbgott.« »Dann werde ich mir erlauben, Mylady von einer Reise in dieses Scheichtum abzuraten«, meinte Parker. »Tun Sie das nur ja, Mr. Parker! Sie würde wahrscheinlich böse Überraschungen erleben.« Josuah Parker wechselte noch einige Höflichkeiten mit Professor Lindby,
verließ dann dessen Haus und setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi aus grauer Vorzeit, das jedoch nach seinen Wünschen und Vorstellungen auf den neusten Stand der Technik gebracht worden war. Unter dem eckigen Aufbau der Karosserie gab es Delikatessen, wie man sie aus der Welt des Tourenwagenrennsports kannte. Darüber hinaus war dieses seltsame Auto eine Trickkiste auf Rädern, wie mancher Gangster schon viel zu spät erkannt hatte. Parker nutzte die Gelegenheit seines momentanen Alleinseins. Agatha Simpson und Kathy Porter befanden sich im Stadthaus der Detektivin, um wichtige Post aufzuarbeiten. Parker hatte angeblich nur vorgehabt, die Gravur auf dem Mokkalöffel deuten zu lassen. Nachdem er nun wußte, wer der Besitzer des Löffels war, wollte er gleich einen Schritt weitergehen und den Löffel zurückerstatten. Die Adresse war schnell gefunden. Von einer Telefonzelle aus rief Parker einen guten Bekannten im Auswärtigen Amt Ihrer Majestät an. Nach schon drei oder vier Minuten wußte er, daß die Botschaft des Scheichtums Achem im Stadtteil Belgravia lag. Es handelte sich um ein dreistöckiges Haus in einer stillen Straße. Schwere Broncetafeln neben dem Eingang unterstrichen die Bedeutung seiner Bewohner. In dem winzig kleinen Vorgarten stand ein Fahnenmast, an dessen Spitze eine außerordentlich bunte und exotische Flagge wehte.
Butler Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum unter den von Säulen getragenen Vorbau des Hauses, stieg aus und läutete. Hinter der Tür war daraufhin ein nasal klingender Ton zu vernehmen. Sekunden später wurde geöffnet. Zwei Araber in weiten, wallenden Gewändern verbeugten sich vor Parker und kreuzten ihre Arme vor der Brust. Sie waren ungemein höflich. »Ich würde gern eine Fundsache abgeben«, sagte Josuah Parker, nachdem die beiden Orientalen sich wieder aufgerichtet hatten. Während er noch sprach, präsentierte er ihnen den bewußten Mokkalöffel. Was dann erfolgte, überraschte selbst den Butler, den normalerweise kaum etwas aus der Ruhe brachte. Die beiden eben noch höflichen Araber wurden ausgesprochen unhöflich, stürzten sich auf Parker und schleppten ihn ins Haus. * Normalerweise hätte Josuah Parker sich solch eine rüde Behandlung nicht bieten lassen, doch er war neugierig geworden. Er fragte sich, warum der an sich doch recht harmlose Mokkalöffel eine derartig wütendwilde Reaktion ausgelöst hatte. Hatte Professor Lindby ihm nicht deutlich gesagt, daß der kleine Löffel auf keinen Fall ein antikes Stück war und zu einem völlig normalen, wenn auch sehr teuren Besteck gehörte? Wenig später wurde Parker dann doch ein wenig unwirsch. Die beiden Burnusträger wollten ihm die Arme auf den Rücken drehen und noch mehr Gewalt anwenden. Parker leistete die Andeutung von
Widerstand, worauf die beiden Araber sich auf dem Boden wiederfanden. Sie rutschten bis zur Zimmerwand hinüber und blieben dort regungslos liegen. Parker war betroffen. Mit diesem Effekt hatte er nicht gerechnet. Er kümmerte sich um die beiden Schlafenden und fand unter ihren Burnussen je einen Revolver. Er nahm die Waffen an sich und entlud die Trommeln. Nachdem er die Patronen unter das Polster eines Sessel geschoben hatte, steckte er die beiden Waffen zurück in die modernen Schulterhalfter der beiden Männer. Er prüfte den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone, legte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm und schritt dann würdevoll zur nächsten Tür. Er klopfte und trat ein. Hinter einem mit Blattgold verzierten, riesigen Schreibtisch saß ein europäisch gekleideter Araber, der den Butler irritiert anschaute, um sich dann zu erheben. »Wie kommen Sie hier herein?« fragte der Mann dann in tadellosem Englisch. »Ich gestatte mir, einen wunderschönen Morgen zu wünschen«, antwortete Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß Ihre beiden Türsteher nicht gerade über die besten Manieren verfügen?« »Wie ... Wie bitte?« »Sie begegneten meiner bescheidenen Wenigkeit mit dem, was man gemeinhin Brachialgewalt nennt. Mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker.«
»Brachialgewalt?« Der etwa vierzigjährige Mann sah über Parkers Schulter zur Tür, die der Butler gerade passiert hatte. Parker wandte sich um und sah sich erneut den beiden weiß gekleideten Burnusträgern gegenüber, die ihre Revolver gezogen hatten. »Was hiermit zu beweisen ist«, sagte Parker, ohne seine Stimme zu erheben. »Die Manieren des Scheichtums scheinen sich noch nicht ganz dem Normalstandard angepaßt zu haben.« »Was wollen Sie?« fragte der Vierzigjährige und stoppte die beiden Burnus-träger mit einer knappen, herrischen Handbewegung. »Ich möchte ein Fundstück zurückerstatten«, antwortete Parker und präsentierte erneut den bewußten Mokkalöffel. Der Vierzigjährige starrte auf den kleinen Gegenstand, der auf Parkers schwarz behandschuhter Innenhand lag, um sich dann ein Lächeln abzuringen. »Woher haben Sie diesen Mokkalöffel?« fragte er dann. »Er wird also hier im Haus vermißt?« »Seine Hoheit vermissen ihn tatsächlich«, sagte der europäische Gekleidete. »Darf ich jetzt wissen, woher Sie ihn haben?« »Ich fand ihn auf der Straße, um es allgemein mal so zu umschreiben. Sie sind, wie ich vermute, der Sekretär des Scheichs oder Emir? Sie werden verzeihen, daß mir die Titel nicht recht geläufig sind.« »Ich bin der Sekretär des Emirs von Achem«, stellte der Mann sich vor und kam um seinen Blattgoldschreibtisch herum. »Ich heiße Awud Salhut. Sie
haben den Mokkalöffel also auf der Straße gefunden?« »Mir scheint, daß Sie sich das kaum vorstellen können«, antwortete Josuah Parker. »Sie erlauben, daß ich mich Ihrer Auffassung anschließe. Mokkalöffel dieser Art müßten ja erst mal auf solch eine öffentliche Straße verbracht werden.« »Was ... Was wollen Sie damit andeuten?« fragte Awud Salhut. »Nach meinem bescheidenen Verständnis wurde besagter Mokkalöffel hier aus der Residenz des Emir entwendet«, erklärte Parker, der sich vorsichtig weiter an eine Möglichkeit heranpirschte, die er plötzlich entdeckt hatte. »Um aber noch einen kleinen Schritt weiterzugehen: Dieser an sich banale Mokkalöffel könnte vielleicht unter Umständen beweisen, daß Sie, Mr. Salhut, Kontakte hegten und pflegten, die der Emir von Achem entweder nicht kennt oder nicht schätzen würde.« Parker hatte genau den Punkt getroffen, auf den es ankam. Der Sekretär nickte den beiden Burnusträgern zu, die prompt wieder ihre Waffen hoben und die kurzen Läufe auf den Butler richteten. »Ich werde Sie jetzt mit einem Terroristen verwechseln«, sagte Awud Salhut und lächelte mokant. »Ich werde später behaupten, daß Sie versucht haben, in die Privaträume des Emirs einzudringen. Dabei wurden Sie überrascht und nach kurzem Kampf tödlich getroffen. Wie gefällt Ihnen das?« »Ich möchte nicht versäumen, mich für Ihre außerordentliche Offenheit zu bedanken«, erwiderte Parker. Dann sah er zu, wie die beiden Burnusträger
abdrückten. Der Butler konnte nur hoffen, daß die Araber ihre Waffen nicht nachgeladen hatten! * Lady Agatha Simpson befand sich in voller Aktion. Nach dem Hungerfrühstück, wie sie es bezeichnet hatte, saß sie am Steuer ihres Land-Rover und lehrte London das Fürchten. Sie bewegte den hochbeinigen, kastenförmigen und robusten Wagen, der eigentlich für unwegsames Gelände konstruiert war, mit Lust und Freude durch die Straßen. Sie schien mit dem Fahrzeug die Tätigkeit eines Räumoder Schneepflugs übernommen zu haben: Vor dem Kühler teilte sich der Verkehr blitzschnell, hinter dem Heck war ein breiter, fahrzeugleerer Streifen. Verängstigte und total irritierte Autofahrer hatten ihre Wagen angehalten und wischten sich den Angstschweiß von der Stirn. Diese Reaktionen hingen mit dem eigenwilligen Fahrstil der Dame am Steuer zusammen, der an den eines Kamikaze-Fliegers erinnerte. Agatha Simpson pflegte stets erst im letzten Moment auf das Bremspedal zu treten. Solch eine Taktik überstanden nur Fahrer, deren Nerven besonders stabil waren. Kathy Porter, die neben der Lady saß, hatte sich selbstverständlich angeschnallt, stemmte sich aber zusätzlich mit den Füßen gegen das Bodenbrett des Wagens. Darüber hinaus klammerte sie sich mit ihren Händen an die reichhaltig vorhandenen Haltegriffe. Sie litt,
Angst und Schrecken standen ihr im Gesicht. »Eine Fahrdisziplin haben diese Leute!« Lady Simpson schüttelte verwundert den Kopf, nachdem sie einen Bentleyfahrer an die Seite gedrückt hatte. »Der Mann muß mich doch gesehen haben!« »Vielleicht fahren Sie etwas zu schnell, Mylady«, sagte Kathy Porter. »Schnickschnack, Kindchen!« Agatha Simpson war da ganz anderer Meinung. »Ich halte mich genau an die Richtgeschwindigkeit, aber die nutze ich allerdings auch aus. Ich möchte den Verkehr doch nicht lahmlegen.« Sie hielt auf einen Lastwagen zu, dessen Fahrer der sicheren Annahme war, er solle gerammt werden. Der Mann riß das Steuer herum und landete vor dem Ziergitter eines Denkmals. Er blieb einen Moment sitzen, bis er sich von diesem tollkühnen Angriff erholt hatte. Dann riß er die Wagentür auf und schleuderte der älteren Fahrerin eine wilde Orgie von Flüchen nach, die sie zu seinem Glück schon gar nicht mehr hörte. Lady Simpsons Ziel war Soho. Sie wollte herausfinden, wer dieser Herb Falters war, dessen Namen sie von ihrem Butler erfahren hatte. Parker hatte ihn seinerseits von den beiden Männern gehört, die den alten Major unter Druck gesetzt hatten und denen er den Mokkalöffel weggenommen hatte. Parker wußte natürlich nichts von diesem Unternehmen, sonst hätte er seine Bedenken angemeldet. Herb Falters war ja mit Sicherheit der Mann, der die Fassadenmaler und Grillfreunde befehligte. Es mußte sich also um
einen Mann handeln, der so friedfertig war wie eine gereizte Klapperschlange. Kathy Porter hatte keine Chance gehabt, Mylady dieses Unternehmen auszureden. Was die ältere Dame sich mal in den Kopf gesetzt hatte, war nicht wieder rückgängig zu machen. »So, das hätten wir.« Agatha Simpson stellte den Land-Rover auf einen Parkplatz und stieg aus. »Sie haben natürlich keine Ahnung, wie ich an diesen Falters herankomme, nicht wahr?« »Es wird nicht leicht sein, Mylady.« »Wo besorgt Mr. Parker sich seine Informationen?« Lady Simpson lächelte wissend. »Nun, er hat da einige Informanten, die teilweise zur Unterwelt gehören, Mylady.« »Richtig. Und genau da werde ich ansetzen. Was Mr. Parker kann, kann ich schon lange, Kindchen! Es kommt eben nur darauf an, an wen man sich wendet und wie man die Fragen stellt.« »Sie kennen eine Kontaktstelle, Mylady?« wunderte sich Kathy Porter. »Man darf sich nicht mit Kleinigkeiten abgeben«, redete die Detektivin weiter. »In diesem Fall heißt das, mit einem Mann zu sprechen, der in der Unterwelt etwas gilt.« »Den Mylady aber nicht kennen?« Kathy Porter geriet in akute Sorge. »Ich kenne ihn nicht, aber er wird mich bald kennenlernen, Kindchen. Ich denke an Stirling Mall.« Kathy Porter hörte für einen erheblich langen Moment auf zu atmen. Stirling Mall war immerhin ein Gangster der ersten Garnitur. Und
ausgerechnet an diesen Mann wollte Lady Agatha sich wenden? »Das dort muß sein Club sein«, sagte die ältere Dame und deutete auf ein schwarz gestrichenes Haus, das Distanz und Exklusivität ausstrahlte. »Hoffentlich zeigt er sich gesprächig, sonst werde ich wohl etwas nachhelfen müssen.« Während sie das sagte, geriet ihr Pompadour in leichte Pendelbewegung. * Die beiden Burnusträger drückten ab. Bruchteile von Sekunden später schauten sie verdutzt auf ihre Schußwaffen, die stumm blieben. Parkers Gesicht war unbeweglich und ausdruckslos, doch innerlich atmete er befreit auf. Er hatte sich immerhin auf eine Art Russisches Roulette eingelassen. Die Waffen hätten durchaus nachgeladen sein können. Die beiden Burnusträger hatten sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt und stürzten sich erneut auf den Butler. Sie wollten ihn auf jeden Fall weisungsgemäß ausschalten. Parker machte kurzen Prozeß. Er hielt seinen UniversalRegenschirm sach- und fachgerecht in beiden Händen und benutzte den bleigefütterten Bambusgriff als Hockeyschläger. Bevor die Burnusträger ihre Krummdolche zum Einsatz bringen konnten, lagen sie bereits wieder auf dem Boden, der hier von einem kostbaren Teppich bedeckt war. Awud Salhut, der Sekretär des Emirs, stand wie erstarrt hinter seinem
Blattgoldschreibtisch und starrte den Butler entgeistert an. Mit solch einer Lösung hatte er sicher nicht gerechnet. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Parker höflich. »Normalerweise neigt meine bescheidene Wenigkeit nicht zu solchen Handlungen. Ich bin im Grund meines Wesens ein äußerst friedfertiger Mensch, wie ich versichern darf.« Awud Salhut war das nicht. Er reagierte und riß die Schublade seines Blattgoldschreibtisches auf. Parker ging von der Vermutung aus, daß der Sekretär wohl nach einer Schußwaffe greifen wollte, die er in der Lade verwahrte. Um den Mann also nicht in Versuchung zu bringen, reagierte auch Parker. Awud Salhut sah die schwarze Melone auf sich zukommen. Sie glich einer Diskusscheibe, der er nicht mehr ausweichen konnte. Als der Stahlrand der Melone seine Nasenwurzel berührte, stöhnte Awud Salhut auf und setzte sich. Übrigens sehr nachdrücklich. Seine zur Seite gerutschte Gestalt sagte deutlich aus, daß er sich für wenigstens zehn Minuten nicht mehr erhob. Josuah Parker war untröstlich. Immer wieder zwang man ihn dazu, sich seiner Haut zu wehren. Nützliche Gespräche waren ihm wesentlich lieber. Bei einem Blick in die Schublade fand er auch prompt eine Automatik beachtlichen Kalibers. Der Butler entfernte das Magazin, prüfte die Kammer und ließ alles in einer großen Bodenvase neben dem Schreibtisch verschwinden. Dann schritt er würdevoll und gemessen zur
Doppeltür, die hinter dem Schreibtisch zu sehen war. Sie öffnete sich, bevor er sie erreicht hatte. Jetzt waren vier Burnusträger ihm eindeutig feindlich gesinnt. Sie schwangen mittelalterlich aussehende Krummsäbel und benahmen sich äußerst unhöflich. Es war ihre erklärte Absicht, den Butler an Leib und wohl auch an Seele zu schädigen. Josuah Parker wußte, wann er unerwünscht war. Hier war es der Fall. Der ruhende Sekretär schien noch vor seinem Einnicken Zeit gefunden zu haben, weitere Wachen zu alarmieren. Der Butler aktivierte also einen seiner Nebelwerfer. Dabei handelte es sich um einen kirschkerngroßen, schwarzen Knopf, der unterhalb der Ziertuchtasche seines Zweireihers angenäht und praktisch unsichtbar war. Parker riß ihn los und warf ihn mit Nachdruck auf den Teppich. Das Ergebnis war verblüffend. Vor den anstürmenden Säbelschwingern schoß eine grellrote Nebelwolke hoch, die nicht nur jede Sicht nahm, sondern darüber hinaus auch noch für einen mittelschweren Hustenreiz sorgte. Parker hatte sich diese Patentwaffe ausgedacht und in seinem Privatlabor angefertigt. Sie erlebte hier ihre erste Bewährungsprobe. Während die vier Burnusträger ausreichend mit sich zu tun hatten, verließ Parker den ungastlichen Ort, um in nächster Zeit noch mal unter anderen Vorzeichen vorzusprechen. Er wollte jetzt nicht weiter aufdringlich sein. Zudem hatte er die Brieftasche des Sekretärs eingesteckt. Er interessierte
sich für ihren Inhalt, den er in aller Ruhe studieren wollte. * Stirling Mails Club war wirklich nicht anzusehen, daß der Inhaber zu den Spitzen der Unterwelt gehörte, Stirling Mall selbst besaß natürlich, was die Behörden anbetraf, eine fast weiße Weste. Die illegale Arbeit ließ er von willigen, brutalen und erstklassig bezahlten Kreaturen besorgen. Er war vor vielen Jahren mal für einige Zeit im Gefängnis gewesen und hatte keine Lust, dort noch mal untergebracht zu werden. Er saß in seinem Büro, das erstaunlich sachlich eingerichtet war. Stirling Mall war damit beschäftigt, einige Abrechnungen zu prüfen, die mit seinem Club allerdings nichts zu tun hatten. Diese Abrechnungen bezogen sich auf seine illegalen Geschäfte. Er war vor allen Dingen im Versicherungsschwindel tätig und hatte beste Beziehungen zu den Docks, zu Transportunternehmern und einigen Banden, die für ihn Diebstähle größten Stils ausführten. Er sah kurz hoch, als sein engster Mitarbeiter Norman Elgin hastig eintrat. Elgin war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, sah gut aus, war sportlich, knochenhart und raffiniert. Im Augenblick wirkte er ein wenig mitgenommen. Seine Nase blutete. Mit einem Taschentuch wischte er an ihr herum. »Was ist denn mit Ihnen los, Elgin?« erkundigte sich Stirling Mall erstaunt. Mall war ein massiger, gemütlich aussehender Mann von schätzungsweise fünfzig Jahren. Er
trug einen Smoking, denn er wollte sich in einer halben Stunde seinen ausgesuchten Gästen zeigen. »Wir... Wir haben eine Verrückte im Club«, berichtete Norman Elgin. »Eine Verrückte? Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus, Elgin!« »Sie hat unsere beiden Türsteher zusammengeschlagen, hätte um ein Haar die Bar zertrümmert und will jetzt Sie sprechen.« »Wer ist sie?« Stirling Mall war aufgestanden. »Den Namen hab' ich nicht behalten, aber sie muß gleich hier sein.« »Und meine beiden Leibwächter, Elgin?« Stirling Mall lächelte ironisch. »Wie will sie an Roy und John vorbeikommen? « Stirling Mall hatte den Satz noch nicht beendet, als die beiden Leibwächter sich ins Büro schleppten. Sie taumelten, als seien sie total betrunken. Ihr Haar war zerzaust, ihre Smokings verrutscht und eingerissen. In ihren Augen stand die wilde Panik. Außerdem, das fiel Mall sofort auf, waren sie ohne Waffen. »Was ist denn mit euch los?« fuhr Mall seine beiden wirklich tüchtigen Leibwächter an. »Sie wollten sich an einer wehrlosen, alten Frau vergreifen«, grollte in diesem Moment eine baßbaritonal gefärbte Stimme von der Tür her. Dann schob sich eine stattlich aussehende, füllige Dame ins Büro. An ihrem Handgelenk pendelte ein perlenbestickter Pompadour. »Vorsicht, Mr. Mall«, rief Elgin und drückte sich zur Seite. Die beiden Leibwächter taumelten schleunigst in eine Ecke des Zimmers und nahmen schützend ihre Unterarme hoch.
»Wer... Wer sind denn Sie?« fragte Stirling Mall verdutzt. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf. »Lady Simpson, nicht wahr?« »Sind Sie dieser Mall?« fragte die resolute Dame und nickte. »Stirling Mall.« Der Gangsterchef verbeugte sich weltmännisch. »Was kann ich für Sie tun, Mylady?« Elgin und die beiden Leibwächter verstanden die Welt nicht mehr. Auf eine Handbewegung Mails hin verschwanden sie schleunigst aus dem Büro. »Ihre Angestellten sind dumm, anmaßend und schlecht erzogen«, schickte die ältere Dame erst mal voraus und nahm im Besuchersessel Platz. »Sie kennen mich also?« »Wer kennt Sie nicht, Mylady?« konterte Mall höflich. Er war sichtlich nervös. Er hatte nicht übertrieben. Natürlich kannte er die Lady, aber noch besser kannte er ihren Butler. Und den fürchtete er ungemein. Bisher hatte er das Glück gehabt, daß Parker sich für ihn noch nicht interessierte. »Okay, junger Mann«, meinte Agatha Simpson. »Ich brauche eine schnelle Auskunft. Und kommen Sie mir nur ja nicht mit der Ausrede, Sie hätten diesen Namen noch nie gehört. Er lautet Herb Falters.« »Herb Falters?« Stirling Mall wußte mit diesem Namen tatsächlich nichts anzufangen. »Hat er etwas angestellt?« »Die Fragen stelle ich, junger Mann!« Sie sah ihn gereizt an. »Lenken Sie nicht ab! Wo finde ich dieses Subjekt?« »Das müßten meine Mitarbeiter erst mal ausfindig machen, Mylady«, antwortete Mall hastig.
»Ja, worauf warten Sie eigentlich noch?« grollte sie. »Da steht ein Telefon! Hoffentlich ist Ihnen bekannt, wie man es bedient! Ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Nehmen Sie schon endlich den Hörer ab, aber etwas plötzlich!« Stirling Mall bekam einen trockenen Mund, hätte sich am liebsten aufgeregt, dachte dann aber an einen gewissen Josuah Parker und griff gehorsam nach dem Hörer. Er wollte keinen Ärger haben. * »Auch Sie werden das noch lernen, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson, als sie ihre Geschichte erzählt hatte. »Man muß mit den Leuten nur höflich und menschlich reden.« »Mylady erfuhren von Mr. Stirling Mall die Adresse dieses Herb Falters?« fragte Parker. Er trug den schmalen Lunch auf, der aus einem Pilzomelett, geröstetem Speck und einer Portion Rührei bestand. Dazu gab es Roastbeef und ein kaltes Hühnchen. Kurz, Lady Simpson hielt wieder mal auf strenge Diät und achtete auf ihre Linie. »Ich war sogar schon bei diesem Herb Falters«, antwortete Lady Agatha und nickte. »Zu seinem Glück war der Lümmel aber nicht da. Ich werde ihn gegen Abend noch mal besuchen, doch dann kann er sich auf einiges gefaßt machen.« »Er wohnt oberhalb einer Autowerkstatt und Garage«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Wie ich erfahren habe, hat er das alles vor knapp einem Monat gemietet und will dort
angeblich eine Schnellreparatur einrichten.« »Unter den Namen Herb Falters?« »Richtig, Mr. Parker!« Kathy Porter nickte. »Da wäre noch etwas. Wenn ich das sagen darf, Mylady?« »Reden Sie, Kindchen, reden Sie!« Agatha Simpson beschäftigte sich mit dem Roastbeef. »In der Wohnung über der Werkstatt scheint ein Kampf stattgefunden zu haben, Mr. Parker. Einige Spuren deuten einwandfrei darauf hin.« »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.« Die Lady maß dieser Feststellung keine Bedeutung bei. »Mylady glaubt nicht, daß Herb Falters Besuch von Mitarbeitern dieses Stirling Mall bekommen hat«, sagte Kathy Porter. »Dann müßten seine Männer Tiefflieger sein«, sagte die ältere Dame geringschätzig. »Gleich nach meiner Unterhaltung mit Mall bin ich zu diesem Herb Falters gefahren. Und sie können sich darauf verlassen, daß ich nicht geschlichen bin.« »Ganz sicher nicht, Mylady.« Parker nickte ernst und sah noch nachträglich im Geist das Verkehrschaos, das seine Herrin auf den Straßen Londons angerichtet haben mußte. Dennoch neigte er zu Kathy Porters Auffassung. Einmal auf diesen Herb Falters aufmerksam gemacht, hatte Mall mit Sicherheit einige seiner Leute dorthin gehetzt und Falters erst mal in Verwahrung genommen. Ein Gangster vom Format dieses Stirling Mall war an jedem Geschäft interessiert. Wahrscheinlich waren Malls Leute bereits dabei, Herb Falters zu > verhören