PARKER greift den Blumenfreund Edmund Diedrichs »Ich werde noch ein wenig meditieren, Mister Parker«, sagte Agatha Simp...
23 downloads
528 Views
446KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PARKER greift den Blumenfreund Edmund Diedrichs »Ich werde noch ein wenig meditieren, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson. »Mein Bestseller wird ohnehin verfilmt, da kann ich das Drehbuch gleich mitverfassen.« »Ein ebenso einleuchtendes wie beeindruckendes Verfahre«, entgegnete der Butler. »Meine Wendigkeit wundert sich allerdings, daß Myladys Konkurrenz noch nicht auf diese Idee gekommen ist.« »Dazu bedarf es eines unkonventionell denkenden Geistes, Mister Parker«, wurde er umgehend belehrt. »Und wer außer mir hat den schon?« Lady Agatha hielt falsche Bescheidenheit für einen gravierenden charakterlichen Mangel, unter dem sie natürlich nicht litt. Sie hatte gerade den ersten Treppenabsatz erreicht, als die Türglocke sich meldete. »Wer könnte das sein?« überlegte sich. » Für ein Besuch ist es viel zu früh. Ich wundere mich, was manche Leute für Manieren haben.« »Eine gewisse Verwilderung der Sitten und Gebräuche, Mylady«, pflichtete Josuah Parker ihr bei, der inzwischen den verglasten Vorflur betreten hatte. In der Wand befand sich die bekannte Schalttafel, über die man Draußenstehende beobachten konnte. Parker aktivierte den Monitor, der ein gestochen scharfes Bild lieferte. Vor dem überdachten Eingang stand ein junger Mann. Ein riesiger Blumenstrauß verdeckte ihn fast. Die Hauptpersonen: Tim überbringt Blumen und erlebt eine Überraschung. Jay, Rob und Tony wollen ein Haus ausräumen und landen im Keller. Hank Vasco wird in der Toilette deponiert. Peter Sands betreibt einen Billardsalon und muß Federn lassen. Samuel Tanner handelt mit allem, was gestohlen ist, und findet seine Bleibe in einem Fischernetz. Thomas Dale verschickt Blumengrüße und wird »gepflückt«. 2
McWarden staunt über Myladys Kaufwünsche, die einem ChiefSuperintendent seltsam vorkommen. Butler Parker läßt sich nicht von falschen Fährten täuschen. Der Blumenbote starrte ungeduldig auf die Tür und hatte sicher keine Ahnung, daß er von einer installierten Kamera erfaßt wurde, die sein Bild auf den Monitor in der Nische des Vorflurs übertrug. Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und musterte die Umgebung. »Sie wünschen?« meldete sich Josuah Parkers Stimme aus einem kleinen Gitter neben der Tür. Der Butler verzichtete bewußt auf den Zusatz »Sir«, um nicht zu verraten, daß er sehr wohl wußte, daß es ein männlicher Besucher war, der Einlaß begehrte. Er legte Wert darauf, den Mann mit den Blumen zu beobachten. »Ich komme vom >BlumenfreundBlumenfreundesBlumenfreund< an. Wir liefern Blumengrüße innerhalb von ganz London«, teilte die Stimme mit. »Wir vermissen einen unserer Boten, Sir. Vielleicht können Sie uns behilflich sein?« »Sofern man dazu in der Lage ist, mit dem größten Vergnügen«, gab Parker gemessen zurück, während er das Tonbandgerät einschaltete, um das Gespräch mitzuschneiden. »Unser Mann hatte den Auftrag, bei Lady Simpson einen Strauß abzuliefern, der telefonisch in Auftrag gegeben wurde«, fuhr der Unbekannte fort. »Er verließ unser Auslieferungslager gegen neun Uhr heute morgen und wird seitdem vermißt.« »Eine außerordentlich bedauerliche Tatsache, Sir«, ließ sich Josuah Parker vernehmen. »Könnte meine Wenigkeit erfahren, wer der Auftraggeber für diesen Strauß war?« »Bedaure, nein; den darf ich nicht nennen. Wir erhielten einige 18
Tage vorher einen Scheck, den wir einlösten. Diesem Scheck war eine Notiz beigefügt, daß der Auftrag telefonisch erfolgen würde. Das ist dann auch geschehen.« Der Anrufer räusperte sich und fuhr etwas ungeduldig fort: »Aber verzeihen Sie, wenn ich das sage, das ist doch unwichtig. Wichtiger ist, daß unser Bote vermißt wird. Finden Sie nicht auch? Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, und er braucht Hilfe.« »Das wäre durchaus möglich, Sir«, gab Parker ihm recht. »Wie meinen Sie das?« In die Stimme des Anrufers hatte sich ein gewisses Mißtrauen gemischt. »Ihr sogenannter Bote könnte tatsächlich Hilfe brauchen«, fuhr Parker gemessen fort. »Und zwar von einem Anwalt, um – mit Verlaub – ein wenig deutlicher zu werden.« Einige Augenblicke herrschte am anderen Ende der Leitung betretenes Schweigen, nur das heftige Atmen des Anrufers war zu hören. Dann kam seine Stimme wieder, die jetzt belegt und ein wenig unsicher klang. »Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Mann«, knurrte der Unbekannte. »Was erzählen Sie da von einem Anwalt?« »Dieser Berufsstand bietet jene Art von Hilfe an, die Ihr Bote möglicherweise benötigt, Sir«, präzisierte Parker. »Bei Strafsachen ist ein guter Anwalt unbedingt erforderlich.« »Strafsachen?« echote der Anrufer. »Bei Einbruchsdiebstahl beispielsweise«, erläuterte Parker höflich. »Sie haben ihn der Polizei übergeben?« wollte der Unbekannte wissen, der sich offensichtlich entschlossen hatte, das Versteckspiel aufzugeben und im sogenannten Klartext zu reden. »Keinesfalls und mitnichten, Sir. Dies entspricht nicht Myladys Stil, um es einmal so zu formulieren.« »Aha! Und was ist Myladys Stil?« »Mylady hegt ein gewisses Faible für das Aufklären von Kriminalfällen, Sir. Sie ist auf diesem Gebiet außerordentlich erfolgreich, wenn man Sie darauf hinweisen darf.« »Ich zittere, Mann. Hören Sie meine Zähne klappern?« spottete der Anrufer. »Aber reden wir nicht lange drumherum. Was haben Sie mit meinem Mann gemacht?« »Er hat die Ehre, Myladys Gast zu sein«, gab Parker zurück. »Nachdem Mylady ein ausführliches Gespräch mit ihm geführt hat, wird er in die sogenannte Freiheit entlassen werden.« 19
»Was ist mit den anderen?« »Für die übrigen Herren dürfte sinngemäß das gleiche gelten, Sir.« »Ihre Chefin verschwendet nur ihre Zeit, Mann, lassen Sie sich das gesagt sein. Aus meinen Leuten bekommt sie kein Wort heraus. Sie können sie also ebensogut gleich freilassen.« »Eine solche Entscheidung liegt ausschließlich in Myladys Ermessen, Sir.« »Dann geben Sie sie mir mal, ich werde ihr das schon klarmachen«, verlangte der Anrufer. »Mylady hat sich zur Meditation zurückgezogen und kann nicht gestört werden, Sir. Möchten Sie zu einem späteren Zeitpunkt zurückrufen?« »Sie wissen offensichtlich nicht, mit wem Sie’s zu tun haben, Mann«, warnte der Mann vom Blumenfreund. »In gewissen Dingen verstehe ich absolut keinen Spaß. Ich erwarte, daß Sie meine Leute innerhalb der nächsten zwei Stunden freilassen, sonst…« »Was belieben der Herr sonst zu tun?« »Sonst wird es Ihnen verdammt leid tun, sich mit mir angelegt zu haben, kapiert?« »Sie übernehmen sich ein wenig, Sir!« ließ sich Parker vernehmen, dem es darauf ankam, den Anrufer zu provozieren. »Wenn man sich die kriminelle Qualität Ihrer Mitarbeiter vor Augen hält, dürfte Ihre Drohung beträchtlich an Wert verlieren.« »Sie müssen da ganz einfach Glück gehabt haben; normalerweise geht bei den Jungs grundsätzlich nichts schief«, ärgerte sich der Blumenfreund. »Aber wie dem auch sei, innerhalb von zwei Stunden, denken Sie daran!« Damit wurde auf der anderen Seite aufgelegt. * »Sie sind außerordentlich pünktlich, Sir«, stellte der Butler nach einem Blick auf die große Wanduhr fest. »Es sind in der Tat exakt zwei Stunden seit Ihrem ersten Anruf vergangen.« »Ich hoffe, Sie wissen noch, was ich Ihnen gesagt habe«, dröhnte der Anrufer, bei dem es sich um den sogenannten Blumenfreund handelte. »Ich habe Ihnen ein Ultimatum gestellt. Wie sieht’s damit aus?« 20
»Nicht unbedingt erfreulich, Sir, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Meine bescheidene Wenigkeit hatte noch keine Gelegenheit, Mylady über Ihr Anliegen zu informieren.« »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« fauchte es am Ende der Leitung. »Was treibt Ihre Lady denn im Augenblick?« »Mylady nimmt gerade den Lunch ein, Sir«, gab Parker würdevoll zurück. »Na fein, Mann, dann stören Sie sie mal und sagen Sie ihr, daß ich sie sprechen will«, forderte der Anrufer ungehalten. »Ein Sakrileg, das zu begehen meine bescheidene Wenigkeit sich niemals erlauben würde«, lehnte der Butler dieses Ansinnen entschieden ab. »Ich glaub’, ich hör’ nicht recht.« Der »Blumenfreund« verlor die Selbstbeherrschung und wurde laut. Dabei stieg auch die an sich recht kultivierte Stimme in höhere Tonlagen. Josuah Parker registrierte diese Nervenschwäche mit Interesse. »Vielleicht könnten Sie sich in einer Stunde noch mal melden, Sir?« schlug er höflich vor. »Bis dahin dürfte Mylady ihr Mahl beendet haben und ansprechbereit sein, vorausgesetzt, daß auch Mylady den Wunsch hegt, sich mit Ihnen auszutauschen.« »Was denn, die alte Schachtel futtert ‘ne ganze Stunde lang?« schäumte der »Blumenfreund« in ohnmächtiger Wut. »In der Tat, Sir. Man sollte sich stets eine angemessene Zeit zur Nahrungsaufnahme gönnen. Das garantiert nicht nur den größeren Genuß an den jeweiligen Speisen, sondern ist auch der Verdauung zuträglicher als die bedauerliche Hast, mit der heutzutage üblicherweise gegessen wird.« »Sparen Sie sich Ihre albernen Belehrungen, Mann! Ich sagte, in zwei Stunden sind die Jungs raus, oder es passiert was! Sie haben sich die Folgen selbst zuzuschreiben!« Damit knallte der »Blumenfreund« den Hörer auf die Gabel und ließ einen ebenso nachdenklichen wie zufriedenen Butler zurück. Josuah Parker kehrte gemessen und würdevoll in den kleinen Salon zurück und nahm seinen Platz neben dem Sessel seiner Herrin ein, die sich in der Zwischenzeit tapfer durch die Lunchvorräte gekämpft hatte. Sie sah zu ihm auf. »Wer war das?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Ein gewisser >BlumenfreundKunden< auskundschaften. Wißt ihr denn, wer die beiden komischen Alten sind?« »Naja, ‘ne Lady und ihr Butler eben, was soll an denen schon Besonderes sein?« wollte der andere junge Mann mit weinerlicher Stimme wissen. »Von der Sorte haben wir doch schon ‘n gutes Dutzend erleichtert, Chef.« »Wie kann man nur so blöd sein!« Peter Sands schüttelte den Kopf und wies mit dem Zeigefinger auf die beiden Unglücklichen. »Ich will euch jetzt mal verklickern, wer die beiden wirklich sind, ihr Armleuchter! Die betätigen sich als Amateurdetektive und habe beste Beziehungen zur Polizei und zum Innenministerium. Die haben schon mehrere von eurer Sorte in den Bau gebracht.« »Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, ließ sich der erste junge Mann dazu vernehmen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich bitte dich, Mann, zwei alte Leute, die puste ich um, wann immer ich will.« »Nimm dein Maul nicht so voll, wenn du mit mir sprichst«, fauchte Sands und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Die beiden sind so erfolgreich, daß das Syndikat ‘n verdammt hohen Kopfpreis auf sie ausgesetzt hat. Und wißt ihr auch, warum die so erfolgreich sind? Weil die ihren Kopf gebrauchen, im Gegensatz zu euch.« Josuah Parker wollte sich gerade auch im Namen seiner Herrin für das Kompliment bedanken, als der Blick des Salonbesitzers zufällig auf die Reihe der flackernden Monitore fiel, die auf einem Sideboard aufgebaut waren und den Raum aus verschiedenen Perspektiven zeigten. Er wirbelte herum, eilte zu der Monitorreihe und starrte aus weit aufgerissenen Augen auf den dritten von 36
rechts. Dieser zeigte den Billardtisch, an dem die Wache, die für die Abschirmung seines Büros zum Salon hin zuständig war, spielte. Es war die ältere Dame, die mit ihrem Queue durch die Gegend gestikulierte und die Aufmerksamkeit des Salonbesitzers erregte. »He, ihr beiden, kommt mal her!« befahl er und winkte den jungen Männern herrisch. Er deutete auf den Monitor, wo Lady Agatha gerade damit beschäftigt war, einem der Leibwächter heftig die Meinung zu sagen, indem sie ihn am Ohr zupfte. »Wißt ihr, wer das ist?« wollte er mit gefährlichem Unterton in der Stimme wissen. »Meine Güte, wie die mit Norman umgeht«, staunte der eine junge Mann. Er hatte noch nie gesehen, daß jemand so mit dem Boß von Sands’ Salonwache umsprang. »Ist das etwa seine Mutter?« fügte er grinsend hinzu und erntete dafür einen schmerzhaften Klaps. »Das ist euer Opfer, du Idiot! Und jetzt erklär mir doch bitte mal, was die Frau hier im Salon zu suchen hat«, fauchte der Billardunternehmer. »Das… das muß ‘n Zufall sein«, stammelte der zweite junge Mann und schrumpfte unter den mörderischen Blicken seines Chefs förmlich zusammen. »Zufall? Ihr Blödmänner habt sie hierher geführt. Und dann kann ja auch der Butler nicht weit sein.« Peter Sands griff nach dem Telefon auf dem Schreibtisch und drückte eine Taste, dann bellte er einige Befehle in den Hörer und legte wieder auf. Josuah Parker schob die Tür ganz auf und trat ein. Höflich lüftete er die Melone und wandte sich an den Hausherrn. »Man kann Sie zu Ihrer scharfsinnigen Schlußfolgerung, was den Aufenthaltsort meiner bescheidenen Wenigkeit betrifft, nur beglückwünschen, Sir. Gestatten Sie, daß man näher tritt?« Parker wartete nicht auf die entsprechende Einladung, kam auf den Salonbetreiber zu und deutete eine korrekte und höfliche Verbeugung an. Peter Sands starrte ihn perplex an und mahlte wütend mit den Zähnen. Er kniff die Augen zusammen und maß den Butler mit einem Blick, der sensiblere Gemüter das Fürchten lehrte.
37
* »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor und nickte dem Hausherrn knapp zu. »Das haben Sie sicher bereits vermutet, Sir.« »Wie… äh, kommen Sie hier rein, Parker?« erkundigte sich der Salonbetreiber und runzelte nachdenklich die Stirn. »An und für sich haben Unbefugte keinen Zutritt, und meine Leute achten darauf, daß sich niemand verirrt.« »Die vier Herren am letzten Billardtisch waren möglicherweise ein wenig abgelenkt, als sich meine bescheidene Wenigkeit auf den Weg zu Ihrem Büro machte, Sir«, vermutete Parker. »Durch Ihre Chefin, ich weiß«, reagierte Sands wütend und sah auf Monitor Nummer drei, wo jetzt allerdings nur noch der Billardtisch zu sehen war. »Aber trotzdem, die Tür zur Verwaltung ist immer verschlossen, und dann die Tür vom Gang her auch«, stellte Sands fest. »Sie haben da nicht zufällig ein bißchen nachgeholfen, wie?« »Man hatte im Prinzip keine Mühe, bis zu Ihnen vorzudringen, Sir«, antwortete Parker ein wenig ausweichend. »Ich habe im Vorraum einen Mann sitzen, der zusätzlich aufpassen soll«, fiel Peter Sands ein. »Wie sind Sie an dem vorbeigekommen?« »Auch dieses Problem erwies sich als nicht unüberwindlich, Sir«, ließ ihn Parker wissen. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war der erwähnte Mann ein wenig unaufmerksam.« »Das wird ihm verdammt leid tun, und diesen Tranfunzeln im Salon auch«, ärgerte sich Sands. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Lady Agatha erschien. Ihr Auftritt war beeindruckend. Sie scherte sich nicht im geringsten um die Waffen, die die jungen Männer, die sie hergebracht hatten, auf ihren Rücken richteten. Mylady marschierte schnurstracks auf den Hausherrn zu und baute sich zornbebend vor ihm auf. »Was soll das bedeuten, Sie Lümmel? Ich verlange eine Erklärung!« rief sie und trat dem hünenhaften Salonbetreiber herzhaft auf die Zehen. Der zuckte unangenehm berührt zusammen. »Passen Sie doch auf!« japste er und wich erschrocken zurück, um sich aus Myladys Reichweite zu bringen. »Seht ihr nun, wie dämlich ihr euch angestellt habt?« wandte er 38
sich an die beiden jungen Männer in den Klappstühlen, die Agatha Simpson fasziniert anstarrten. »Ehrlich, Boß, die Alte kann doch kein Problem sein«, ließ sich der eine von ihnen leichtsinnigerweise vernehmen. Das hätte er besser nicht gesagt. Mylady wirbelte herum und kam über ihn wie ein wildgewordener Büffel. Sie versetzte dem vorlauten Mann eine herzhafte Ohrfeige, trat ihm anschließend dezent gegen das Schienbein und zog ihn dann an der üppigen Frisur in die Höhe, um ihm tief in die Augen zu sehen. »Meinten Sie mit der Alten etwa mich, junger Mann?« grollte sie. »Ja… nein… bitte, lassen Sie mich doch los«, flehte der Gemaßregelte und stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Lady Agatha ließ ihn los und drückte ihn energisch in den Klappstuhl zurück. Der war diesem Anprall nicht gewachsen und löste sich umgehend in seine Bestandteile auf. Der junge Mann lag in den Trümmern, blinzelte verwirrt um sich und wußte nicht, was er tun sollte. Der Salonbetreiber genoß die Szene außerordentlich. Er hatte sich hinter seinen Schreibtisch fallen lassen und lachte aus vollem Hals. Er schüttelte immer wieder den mächtigen Schädel und schien sich prächtig zu amüsieren. »Irgendwie gefallen Sie mir, Lady. Warum müssen Sie mir in die Quere kommen und meine Geschäfte stören?« ließ er sich vernehmen und musterte sie scharf. »Sie gefallen mir ganz und gar nicht, um das deutlich zu sagen«, gab die ältere Dame zurück und nahm kein Blatt vor den Mund. »Wie kommen Sie dazu, mir jugendliche Dilettanten ins Haus zu schicken?« »Da sagen Sie etwas Wahres«, stöhnte der Salonbetreiber. »Dilettanten! Schauen Sie sich nur die beiden Anfänger an! Mit so was muß man nun arbeiten.« Er schüttelte erneut den Kopf und sah anklagend auf die jungen Männer, die den Lieferwagen vor Myladys Haus abgeholt hatten und dabei von Horace Pickett verfolgt worden waren. »Die beiden haben Sie hierhergeführt, stimmt’s?« fuhr er fort und hieb dabei mit der Faust auf die Schreibtischplatte. Die beiden Kerle zuckten erschrocken zusammen und sahen sich schuldbewußt an. »Das war doch ein Kinderspiel«, winkte sie großzügig ab. »Das dachte ich mir. Aber das wird Folgen für die beiden haben. 39
Was ist mit den anderen Leuten? Wo sind die jetzt?« »Glauben Sie wirklich, daß ich Ihnen das auf die Nase binde? Falls ja, sind Sie naiver, als ich gedacht habe.« Lady Agatha lachte und ließ sich in einen Sessel fallen, der von ihrem Gewicht beeindruckt stöhnte. »Also, was haben Sie mit den Jungs gemacht? Ich möchte eine Antwort haben.« »Sie sind Myladys Gast«, antwortete Parker an Stelle seiner Herrin und deutete in deren Richtung eine Verbeugung an. »Verzeihen Mylady, daß sich meine bescheidene Wenigkeit unaufgefordert zu Wort meldet, aber welchen Sinn dürfte es haben, sich angesichts der Übermacht noch länger zu sträuben?« »Da sprechen Sie ein wahres Wort, Parker. Sie scheinen ‘n schlaues Kerlchen zu sein«, freute sich der Salonbetreiber und nickte dem Butler aufmunternd zu. »Was heißt das denn, Sie sind Myladys Gast?« »Man sitzt sozusagen in Myladys Vorratskeller«, gab Parker verschämt zurück. »Das ist doch wohl nicht zu fassen.« Peter Sands sah kopfschüttelnd von Lady Agatha zu Parker und wieder zurück. »Wie, um alles in der Welt, haben sie das geschafft?« »Ein wenig Glück dürfte durchaus im Spiel gewesen sein«, zeigte sich Josuah Parker bescheiden. »Papperlapapp, Mister Parker, es war ein Kinderspiel, solche Anfänger zu überrumpeln«, mischte sich Lady Agatha ein und lachte spöttisch. »Wirklich nicht zu glauben, wer sich heutzutage alles als Gangster versucht.« »Ich lege natürlich Wert darauf, meine Leute zurückzubekommen, das dürfte Ihnen wohl klar sein«, stellte Sands fest und erhob sich. Er baute sich vor Mylady auf und sah drohend auf die ältere Dame hinab. »Und ich weiß auch schon, wie wir das machen.« »Glauben Sie nur nicht, daß Sie eine Lady Simpson einschüchtern können! Das haben schon ganz andere versucht.« »Ich weiß, daß Sie ‘ne große Nummer sind, Mylady«, erwiderte der Gangsterboß. »Aber ich weiß auch, daß es Leute gibt, die einen hohen Preis auf Ihren Kopf gesetzt haben. Den werde ich mir selbstverständlich verdienen. Das wird mir neue, einflußreiche Freunde verschaffen, denke ich.« »Stellen Sie sich das nicht zu leicht vor«, warnte die Detektivin. 40
»Nur, weil ich jetzt in Ihrem Büro sitze, in dem es nicht mal etwas zu trinken gibt, haben Sie noch lange nicht gewonnen.« »Oh, einen Drink serviere ich Ihnen gern.« Der Salonbetreiber deutete eine hämische Verbeugung an und wandte sich dem Barschrank neben seinem Schreibtisch zu. »Was bevorzugen Mylady?« »Etwas Anständiges, junger Mann, auch wenn ich bezweifle, daß Sie das haben«, gab Agatha Simpson zurück. »Lassen Sie sich überraschen.« Sands schenkte in ein Glas ein und reichte es der Detektivin. »Probieren Sie mal, ein ausgezeichneter Malt, garantiert über zwanzig Jahre alt.« »Hoffentlich ist er in der Zeit nicht schlecht geworden.« Die Detektivin betrachtete kritisch die bernsteinfarbene Flüssigkeit. »Welches Gift haben Sie dazugetan?« »Aber ich bitte Sie, Mylady! Was denken Sie denn von mir?« Peter Sands schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und prostete ihr zu. »Auf Ihr Wohl, Mylady, solange es Ihnen noch gutgeht«, wünschte er vieldeutig und leerte sein Glas. Dann wandte er sich an Parker und erklärte seine weiteren Pläne. »Die Sache ist ganz einfach, Mann«, verdeutlichte er ihm. »Ihre Chefin bleibt hier und leistet mir Gesellschaft. Ich spendiere gern noch ‘n Drink. Und Sie fahren mit Norman und zwei der anderen Jungs nach Hause und lassen meine Leute frei. Wenn Norman dann anruft und bestätigt, daß alles okay ist, kann Ihre Chefin gehen. Man ist ja schließlich kein Unmensch.« »Sie fürchten keine rechtlichen Probleme, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Aber warum denn?« Peter Sands winkte lächelnd ab. »Beweisen Sie doch mal, daß die Jungs versucht haben, bei Ihnen einzubrechen. Und die kleine Episode hier? Wie viele Zeugen wollen Sie haben, daß Sie und Ihre Lady hier auftauchten und den Ärger vom Zaun brachen? Sie wissen ganz genau, daß da nichts läuft, Parker. Außerdem habe ich mich über euch beide erkundigt. Ihr arbeitet immer ohne die Bullen. Die schaltet ihr immer erst zum Schluß ein, um die Opfer zu übergeben.« »Dürfte man zuvor noch einen Punkt klären?« bat Parker höflich. »Sie sprachen vorhin davon, Mylady einer gewissen Interessentengruppe zu übergeben, um sich eine Prämie zu verdienen und auf der kriminellen Karriereleiter weiter aufzusteigen.« 41
»Bereitet Ihnen das etwa Kummer?« freute sich der Salonbetreiber. »Keine Angst, Mann, das habe ich nur so gesagt, war ‘n Späßchen. Sobald meine Leute frei sind, ist es Ihre Chefin auch. Mein Wort darauf!« * »Meine Güte, was ist denn das für ‘ne Klapperkiste?« amüsierte sich Norman, der Anführer der Salonwache. Im nächsten Augenblick schrie er und hüpfte auf einem Bein um Parkers hochbeiniges Monstrum herum. Er hatte dem ehemaligen Londoner Taxi einen Tritt gegen die Karosserie versetzt und dabei feststellen müssen, daß die noch außerordentlich stabil war. »Verdammt, ist das ‘n Panzer oder so was?« japste Norman, während er sich erschöpft an den eckigen Wagen lehnte und nach Luft schnappte. »Dieser Eindruck dürfte im Grund gar nicht so abwegig sein, Sir«, gab Parker gemessen zurück und entriegelte seinen Privatwagen. »Wenn man die Herren bitten dürfte?« »Sie sind wohl in jeder Lebenslage steif und superhöflich, wie?« erkundigte sich der Cowboydarsteller mit den schulterlangen Haaren, während er auf den Rücksitz kletterte. »Man sollte nie die Contenance verlieren, Sir«, stimmte Parker ihm höflich zu. »Auch nicht, wenn es um Ihr Leben geht?« fragte der parfümierte Wächter, der als dritter Mann des Begleitkommandos fungierte. »Es stirbt sich leichter mit dem Gefühl geistiger Überlegenheit, Sir«, bestätigte der Butler höflich und nahm hinter dem großen Steuerrad Platz. »Wo haben Sie dieses Wrack nur aufgetrieben, Mann?« witzelte Norman, der auf dem Beifahrersitz saß. Er hatte sich inzwischen von seinem Schmerz erholt und schwamm wieder obenauf. »Wahrscheinlich auf ‘ner Schrotthalde geklaut«, vermutete der Cowboy von hinten und lachte hämisch. »Daß der sich mit sowas überhaupt auf die Straße traut«, wunderte sich der Parfümierte. »Ich hoffe, wir schaffen es heute noch bis zum Haus Ihrer Che42
fin«, heuchelte Norman Besorgnis und sah den Butler grinsend von der Seite an. »Man wird sich Mühe geben, Sir«, versprach Parker und startete das eckige Gefährt. Norman verlor das Interesse an dem Butler und wandte sich an seine Kumpane auf dem Rücksitz des Wagens. »Irgendwann tret’ ich den Alten noch mal ins Kreuz. So laß ich auf die Dauer nicht mit mir umspringen«, knurrte er. »Na ja, manchmal könnte man ihn schon anspringen«, erwiderte der Cowboy. »Aber auf der anderen Seite zahlt er auch gut, vergiß das nicht.« »Gut? Daß ich nicht lache!« regte sich Norman auf. »Dafür müssen wir schließlich auch die Dreckarbeit erledigen. Der macht sich doch die Hände nicht mehr schmutzig.« »Tja, dafür ist er eben der Boß«, stellte der parfümierte Mann fest. Parker hörte aufmerksam zu, während er seinen Privatwagen in Richtung Shepherd’s Market lenkte. Er fand die Unterhaltung ausgesprochen interessant. Der Umstand allerdings, daß die jungen Männer so offen miteinander sprachen, konnte nur eines bedeuten, nämlich, daß er dieses Abenteuer nicht überleben sollte. Er hatte indes keinesfalls die Absicht, die Herren bis zum Haus seiner Herrin zu fahren, um dort die »Kollegen« freizulassen. Sein Wagen bot genug Möglichkeiten, die jungen Männer unterwegs auszuschalten. Er fuhr einige Umwege und hörte dabei seinen Fahrgästen zu, die sich erfreulich mitteilsam zeigten. »Boß? Nicht mal das ist er richtig«, regte sich Norman weiter auf. »Der ist im Grund auch nur ‘n kleines Licht und kriegt seine Befehle von ‘nem anderen.« »Ach nee, und woher weißt du das?« erkundigte sich der Cowboy interessiert. »Ich hab’ zufällig mitgekriegt, wie er mit seinem Boß telefoniert hat«, berichtete Norman. »Er hat mich nicht kommen hören, und ich habe mich mucksmäuschenstill verhalten. Auf jeden Fall hat er nicht viel mehr gesagt als >ganz, wie Sie wünschendas geht in Ordnung, verlassen Sie sich draufQualle< trägt?« »Sie meinen Tanner, den Hehler.« Der Chief-Superintendent nickte zustimmend. »Der ist tatsächlich nicht ganz unbekannt.« McWarden kritzelte etwas auf einen Zettel und ließ ihn scheinbar versehentlich fallen. Dann erhob er sich. »Ich werde mich jetzt um Ihre Chefin kümmern«, kündigte er an und öffnete die Tür. »Ich hoffe, ich kann Inspektor Wells umstimmen und ihn dazu bewegen, gewisse Dinge zu vergessen. Er ist übrigens im Vorstand des Fonds zur Unterstützung von Polizeiwaisen und -witwen, falls Ihnen das was sagt, Mister Parker.« »Es war schon immer ein besonderes Anliegen Myladys, die Hinterbliebenen von im Dienst ums Leben gekommenen Polizeiangehörigen zu unterstützen.« »Ich sehe, wir verstehen uns wieder glänzend.« McWarden verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich. Josuah Parker erhob sich gleichfalls und bückte sich nach dem Zettel, den McWarden »verloren« hatte. Zu seiner Überraschung war darauf die Adresse eines Hehlers verzeichnet, der in Fachkreisen »die Qualle« genannt wurde. * David Wells hatte nach Anfertigung der Protokolle alle an der Schlägerei Beteiligten wieder auf freien Fuß setzen lassen. Lady Agatha saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und nahm übel. »So weit ist es also mit uns gekommen, Mister Parker«, reklamierte sie. »Da wird eine unschuldige Bürgerin wie. eine Verbrecherin behandelt und aufs Revier geschleppt, zusammen mit Kriminellen, die diese Bürgerin überfielen! In was für einem Land leben wir eigentlich?« 55
»Mylady erfreuen sich inzwischen wieder ihrer wohlverdienten Freiheit«, tröstete Parker sie über den polizeilichen Mißgriff hinweg. »Wennschon! Die Gangster wurden auch freigelassen«, wollte sich Mylady auf keinen Fall so einfach über das schmachvolle Erlebnis hinwegsetzen. »Eine taktische Maßnahme, die im Grund nichts zu besagen hat«, vermutete Josuah Parker. »Man darf davon ausgehen, daß die Herren in Kürze wieder von den Behörden kontaktiert werden, um dann eventuell für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen zu werden.« »Das will ich aber auch schwer hoffen«, entgegnete die Lady vom Rücksitz her. »Kann es übrigens sein, daß ich McWardens Stimme gehört habe?« »Das wäre in der Tat möglich«, räumte Parker ein. »Mister McWarden war so freundlich, auf dem Revier zu erscheinen und sich für Mylady zu verwenden. Meine bescheidene Wenigkeit hatte dabei Gelegenheit zu einem interessanten Gedankenaustausch mit Mister McWarden.« »Was soll das heißen, er hat sich für mich verwendet?« wunderte sich die ältere Dame. »Für mich braucht sich niemand zu verwenden, schließlich bin ich im Recht, Mister Parker.« »Es ging Mister McWarden darum ein gewisses Mißverständnis seitens Inspektor Wells auszuräumen und auf Myladys Verdienste aufmerksam zu machen, was die Bekämpfung der Kriminalität betrifft.« »Nun ja, das klingt schon besser«, räumte sie ein. »Obwohl ich diesen Inspektor auch so überzeugt hätte.« »Das dürfte außer Frage stehen. Mylady«, wußte Parker. »Aber Mister McWarden hat sozusagen von Kollege zu Kollege auf ihn eingewirkt. Mister Wells konnte Mylady unter Bezug nur diese Einflußnahme unbesorgt und ohne weitere Formalitäten entlasten. Das entsprechende Protokoll wurde der Vernichtung anheimgegeben.« »Warum denn? Das finde ich aber nicht gut.« Lady Agatha schüttelte verärgert den Kopf. »Das Protokoll wäre ein Beweis dafür gewesen, daß man mich unrechtmäßig festgehalten hat, Mister Parker. Ich hätte es vor Gericht verwenden können.« »An welches Gericht dachten Mylady in diesem Zusammenhang, wenn man fragen darf?« erkundigte sich Parker gemessen. 56
»An das Gericht, das sich mit den Übergriffen staatlicher Stellen befaßt und die Höhe der Schmerzensgelder und des Schadenersatzes festlegt«, antwortete die Detektivin. »Es dürfte nach der Vernichtung von Myladys Protokoll schwerfallen, einen entsprechend aktenkundigen Beweis zu führen«, bedauerte Parker. »Andererseits kann besagtes Protokoll auch nicht mehr gegen Mylady verwendet werden.« »Gegen mich?« Agatha Simpson japste hörbar nach Luft. »Wie können Sie so etwas sagen, Mister Parker? Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?« wollte sie mit anklagender Stimme wissen. »Mylady können der uneingeschränkten Loyalität meiner bescheidenen Wenigkeit sicher sein«, stellte der Butler würdevoll fest. »Es lagen indessen die Aussagen mehrerer Angehöriger der Polizei vor, die beschworen, Mylady habe in unzulässiger Weise auf ihre Gesundheit eingewirkt und sich an staatlichem Eigentum vergriffen, indem Mylady versehentlich die Uniform der Herren derangierten und einige Schlagstöcke zerbrachen.« »Das verdanken die Tölpel nur ihrer eigenen Ungeschicklichkeit«, war sich Mylady sicher. »Die Herren dürften in ihren Uniformen durchaus als Ordnungshüter zu erkennen gewesen sein«, befürchtete Parker. »Papperlapapp, Mister Parker, doch nicht bei dem Licht, das in dieser Spielhöhle herrscht, und bei dem Qualm! Im Eifer des Gefechts kann so was schon mal vorkommen.« »Darf man sich erkundigen, wie es Mylady gelang, sich aus der Gewalt von Mister Sands und seine Mitarbeiter zu befreien und sein Büro zu verlassen?« »Das war eigentlich ganz einfach.« Lady Agatha vergaß umgehend ihren Ärger mit der Polizei und lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. »Der Oberlümmel kannte meinen Pompadour noch nicht«, erzählte sie genüßlich. »Mit dem ließ ich ihn erstmal Bekanntschaft schließen. Anschließend habe ich seine Schläger auf Trab gebracht und ihnen einige Ohrfeigen verpaßt. Dann bin ich in den Salon zurückgegangen und habe am Billardtisch aufgeräumt. Leider erschien wenig später die Polizei und brach meine Aufräumungsarbeiten ab.« »Sehr bedauerlich, Mylady«, fand Parker. »Ich werde in einigen Tagen, wenn ich den Fall erledigt habe, noch mal zum Revier Harriet Street fahren und dem hochnäsigen Inspektor meine Meinung sagen«, versprach die ältere Dame. 57
»Ich werde ihm klarmachen, daß er sich unmöglich benommen hat, und ihm Gelegenheit geben, sich bei mir zu entschuldigen.« »Mister Wells hat seinen Irrtum eingesehen und ist inzwischen Myladys großer Verehrer«, wußte der Butler zu berichten. »Wirklich? Wie schade!« erwiderte die ältere Dame. »Mister Wells ist übrigens sehr um die Hinterbliebenen von im Dienst verschiedenen Kollegen bemüht«, fuhr Parker fort. »Hätte ich dem Griesgram gar nicht zugetraut«, gab Mylady nicht sonderlich interessiert ihren Kommentar. »Er hat sich äußerst lobenswert über Myladys großherzige Spende geäußert«, fügte Parker gemessen hinzu. »Mister Wells bat meine bescheidene Wenigkeit, Mylady seinen Dank auszurichten und seiner Wertschätzung zu versichern.« »Bitte, bitte, gern geschehen«, sagte die Detektivin, die nicht richtig hingehört hatte. Einen Augenblick später jedoch kam ihr die Erleuchtung. »Was haben Sie da erzählt, Mister Parker?« Sie richtete sich auf und beugte sich vor, um nichts von der Antwort zu verpassen. »Man erwähnte, daß sich Inspektor Wells sehr angetan zeigte von Myladys edler Spende für den Witwen- und Waisenfond«, wiederholte der Butler. »Und wieviel habe ich gespendet?« erkundigte sich die mißtrauische Dame. »Ich kann mich gar nicht an Derartiges erinnern.« »Meine Wenigkeit erledigte das für Mylady und befolgte damit eine Anregung, die Mylady schon vor langer Zeit gaben.« »Wieviel, Mister Parker?« wiederholte Agatha Simpson ihre Frage mit erstickter Stimme. »Fünfhundert Pfund, Mylady«, informierte Josuah Parker sie. »Eine wirklich großzügige Geste, wenn man dies anmerken darf.« »Fünf… fünfhundert Pfund«, stotterte die ältere Dame vom Rücksitz her und schlug entsetzt die Hände zusammen. »Wollen Sie mich ruinieren, Mister Parker?« »Keinesfalls und mitnichten, Mylady«, versicherte der Butler ihr, der von der Reaktion seiner Herrin kaum überrascht wurde. »Fahren Sie unverzüglich an den Straßenrand! Ich erleide gerade einen Kreislaufzusammenbruch«, teilte Mylady mit und röchelte. Parker hatte im Prinzip damit gerechnet und die Fahrt vorsichtshalber verlangsamt. Er lenkte das hochbeinige Monstrum an den Straßenrand und, stieg aus, um die Tür auf Myladys Seite zu 58
öffnen. Einen Augenblick später reichte er seiner Herrin die rettende Medizin in einem silbernen Becher, der normalerweise als Verschluß einer kleinen lederumhüllten Taschenflasche diente. Der Butler führte sie stets in einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats mit sich. Die Medizin war bester französischer Cognac und hatte sich immer als außerordentlich zuverlässig wirkender Kreislaufbeschleuniger erwiesen. * Kurz nach Mitternacht machte sich ein akustisches Signal bemerkbar. Josuah Parker sah auf und erblickte auf dem Monitor zwei Gestalten, die sich der hinteren Mauer näherten. Diese begrenzte Myladys Grundstück zu einem benachbarten Park, in dem sich um diese Zeit niemand mehr aufhielt. Die Eindringlinge saßen bereits rittlings auf der Mauer und sprachen leise miteinander. Sie hatten sich die Gesichter geschwärzt, trugen dunkle Kleidung und Schuhe und erinnerten Parker von Figur und Gestik her an die beiden Lieferwagenabholer, die er im Büro des Salonbetreibers Peter Sands kennengelernt hatte. Hatten ausgerechnet diese beiden den Auftrag erhalten, ihre »Kollegen« zu befreien? Die nächtlichen Besucher wollten sich eben auf der anderen Seite zu Boden fallen lassen, als Parker einen bestimmten Schalter betätigte, der auf der Mauer winzige Stahlborsten unter Strom setzte. Vom System her handelte es sich dabei um eine Vorrichtung, wie sie Landwirte benutzten, um ihre Tiere zum Verweilen innerhalb des eingezäunten Bereiches zu bewegen. Die Stromstärke war so gewählt, daß sie gesundheitlich unbedenklich war und lediglich für einen gewissen Schock sorgte. Die unangemeldeten Gäste heulten wie zwei liebestolle Wölfe bei Vollmond und sprangen fast senkrecht in die Luft. Parker, der sie auf dem Monitor genau beobachtete, beschloß, einen weiteren, hilfreichen Impuls zu senden. Er schickte einen zweiten Stromstoß auf die Reise und sah eine Sekunde später, wie dieser die beiden Schwarzgekleideten auf der Mauerkrone erreichte. Die Männer ließen sich kippen und klatschten auf den Wirtschaftsweg, der an der Rückseite von Myladys Haus verlief. 59
Dort blieben sie einen Augenblick wie betäubt liegen und schienen über ihr Schicksal nachzudenken. Da sie sich offenbar nicht klarwerden konnten, wie es weitergehen sollte, ließ Parker ihnen erneut eine Entscheidungshilfe zukommen. Er schaltete ein Tonband ein, das speziell für derartige Zwecke bespielt worden war, und bescherte den nächtlichen Besuchern ein Konzert besonderer Art. Zunächst nahmen sie gar nicht wahr, daß auf einmal bestimmte Geräusche an ihre Ohren drangen. Dann richteten sie sich blitzschnell auf, hoben die Köpfe und lauschten in die Dunkelheit. Die Geräusche waren eindeutig zunächst ein Hecheln, das ab und zu von einem Knurren unterbrochen wurde, dann folgten leise Kommandos. Schließlich hörten die Erschrockenen ein leises Winseln, dem ein gedämpftes Bellen folgte. Jetzt schien ihnen alles klar zu sein. Sie sprangen auf und stürmten zur Mauer, die ihnen als rettendes Bollwerk erschien. Sie stellten sich auf die Zehenspitzen, reckten sich und versuchten verzweifelte, mit den Fingerspitzen die Mauerkrone zu erreichen, um sich hochzuziehen. Ein langgezogenes Heulen ertönte, das ihnen wahre Schauer über die Rücken jagte. Dem unerfreulichen Geräusch nach zu urteilen, mußte der Hund, der sich ihnen näherte, große Ähnlichkeit mit einem Wolf haben. Sie sahen sich an, liefen einige Schritte zurück und nahmen Anlauf. Sie sprinteten auf die Mauer zu und schienen sie förmlich überrennen zu wollen. Die Kerle hechteten hoch, krallten ihre Finger in die rauhe Krone und zogen sich von Panik erfüllt nach oben. Gerade, als sie dort angekommen waren und zum Absprung auf die rettende Straßenseite ansetzten, hörten sie ein Scharren und Kratzen an der Mauer unten auf der Seite von Myladys Grundstück. Sie drückten sich von der Mauerkrone ab und stürzten in die Tiefe. Dort nahmen sie sich nicht mal die Zeit, festzustellen, ob sie den Sprung heil überstanden hatten. Sie quälten sich umgehend auf die Beine und taumelten in der Dunkelheit davon. Die Außenmikrophone übertrugen das Geräusch eines aufheulenden Automotors, der offensichtlich überdreht wurde. Josuah Parker nickte zufrieden und schaltete die Anlage ab. Er rechnete nicht damit, in dieser Nacht noch mal gestört zu wer60
den. * Es war kurz nach dem Frühstück, als es klingelte. Parker begab sich gemessen in den Flur, schaltete die Überwachungsanlage ein und sah einen Streifenwagen vor dem Haus. Ein junger Polizist stand vor der Eingangstür und hielt im Arm einen gewaltigen Blumenstrauß, der sein Gesicht fast gänzlich verdeckte. »Der Herr wünscht?« meldete sich Parker über die Außenlautsprecher bei dem frühen Besucher. »Polizei, Sir. Inspektor Wells schickt uns«, teilte der Polizist mit. »Würden Sie bitte öffnen?« Josuah Parker betätigte den Türsummer und sah dem jungen Mann mit dem Blumenstrauß entgegen. »Wer ist es, Mister Parker?« wollte Lady Agatha aus der Tiefe der Halle Wissen. »Ein Polizist, der Mylady Blumengrüße überbringt«, meldete Parker. »Blumen? Das ist ja sehr interessant!« Genau diese Reaktion hatte der Butler erwartet und befürchtet. Agatha Simpson tauchte erstaunlich schnell an der Tür auf. Sie wirkte ausgesprochen unternehmungslustig. »Noch mal falle ich auf den Trick nicht herein, Mister Parker, das heißt, auch beim erstenmal hat es ja nicht geklappt«, stellte sie fest. »Eine Ungezogenheit, daß es die Strolche noch mal versuchen. Aber ich werde ihnen ein für allemal klarmachen, daß man so mit einer Lady Simpson nicht umspringen kann.« »Möglicherweise dürfte es sich um einen echten Polizisten handeln, Mylady«, versuchte Parker seine Herrin zu bremsen. »Er sagt, daß Inspektor Wells ihn schickt.« »Ausgerechnet Wells!« Mylady vergaß schnell ihren Ärger und blickte dem Überbringer des polizeilichen Blumengrußes mit strahlendem Lächeln entgegen. »Sie kommen von Inspektor Wells, junger Mann?« flötete sie. »Jawohl, Mylady. Er hat uns aufgetragen, diesen Strauß bei Ihnen abzugeben.« »Das ist sehr nett von ihm.« Lady Agatha streckte die Hände 61
nach dem Strauß aus, nahm ihn entgegen und… schlug ihn dem entsetzten Polizisten um die Ohren! Der warf sich herum und stürmte davon. Er stieg in den Streifenwagen und fuhr sofort ab. Parker sah noch, wie der diesmal echte Blumenbote den Hörer des Funktelefons ans Ohr preßte und offensichtlich eine Meldung durchgab. Der erwartete Anruf kam eine Viertelstunde später. Mylady hatte sich inzwischen in ihr Studio zurückgezogen, um sich der Meditation hinzugeben. »Ein bedauerliches Mißverständnis, Sir«, versicherte Parker dem aufgebrachten Inspektor Wells. »Wie Sie vielleicht von Mister McWarden hörten, wurde Mylady erst kürzlich das Opfer eines Überfalls, der mit Hilfe eines angeblichen Blumenboten inszeniert wurde.« Nachdem Wells ärgerlich aufgelegt hatte, dauerte es keine fünf Minuten, bis sich der nächste Anrufer meldete. Es war ChiefSuperintendent McWarden, der sich ein wenig ungehalten zeigte und kein Verständnis für Myladys Mißgriff aufbringen wollte. »Mylady bedauert den kleinen Zwischenfalls außerordentlich«, versicherte Parker. »Sie bittet, dies dem betroffenen jungen Mann auszurichten, Sir.« Auch McWarden genierte sich nicht, den Hörer härter als üblich aufzulegen. Der dritte Anrufer war schließlich der sogenannte Blumenfreund, der ohne Umschweife zur Sache kam. »Meine Männer sitzen noch immer bei Ihrer komischen Lady im Keller, Parker, und das gefällt mir gar nicht.« »Inzwischen dürften Sie ja einen Versuch unternommen haben, diesen unleidlichen Zustand zu ändern, Sir«, erinnerte der Butler ihn, »wenngleich dieser auch – mit Verlaub – dilettantisch ausfiel. Die Mitarbeiter Mister Sands’ zeichnen sich nicht eben durch überragende kriminelle Fähigkeiten aus, wenn Sie diesen Hinweis gestatten.« »Das weiß ich selbst, Mann, und deshalb werden die Kaliber, die ich Ihnen demnächst ins Haus schicke, ganz anders ausfallen«, drohte der »Blumenfreund«. »Es sei denn, Sie werden endlich vernünftig und sehen ein, daß Sie auf Dauer keine Chance gegen mich haben. Lassen Sie die Leute frei, und alles ist in Butter! Sonst sehe ich schwarz für Sie, das können Sie mir glauben.« »Sie werden verstehen, Sir, daß Ihre Drohungen von meiner bescheidenen Wenigkeit nicht allzu ernst genommen werden«, 62
machte Parker ihm klar und legte auf. Solche Unhöflichkeit war ihm eigentlich in tiefster Seele zuwider, aber es kam jetzt darauf an, den »Blumenfreund« zu reizen und aus der Reserve zu locken. Wenige Augenblicke später schlug das Telefon erneut an. Parker verzichtete darauf, sich korrekt zu melden. »Haben Sie noch etwas zu dem anstehenden Fragenkomplex beizutragen, Sir?« erkundigte er sich. »Für den Fall, daß Sie wieder nur eine auf keinen Fall ernst zu nehmende Drohung ausstoßen wollen, kann meine Wenigkeit Ihnen nur sagen, daß diese wohl kaum auf fruchtbaren Boden fallen dürfte.« »Sie… Sie!« brüllte der sogenannte Blumenfreund und rang nach Worten. »Meine bescheidene Wenigkeit geht davon aus, daß Sie nichts weiter zu sagen haben, Sir«, teilte der Butler kühl mit und legte auf. Als das Telefon nach fünf Minuten wieder klingelte, verzichtete er darauf, überhaupt erst abzunehmen. Er wußte, daß es wieder der sogenannte Blumenfreund war, und gedachte, dessen Nervenkostüm durch die Mißachtung des Telefons weiter zu strapazieren. * »Was habe ich heute vor?« erkundigte sich die Detektivin. »Ich hoffe, Sie haben mir einen interessanten Vorschlag zu machen.« »Mylady gedenken möglicherweise die >Qualle< aufzusuchen«, vermutete Parker. »Die >Qualle