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PARKER heizt dem Panther ein Ein Roman von Curd H. Wendt »Mylady wünschen, daß meine bescheidene Wenigkeit sich nach dem Weg erkundigt?« wollte Butler Parker wissen. Er lenkte sein hochbeiniges Monstrum über eine einsame Landstraße, während Agatha Simpson im Fond des Wagens mit einer voluminösen Pralinenpackung beschäftigt war. »Also haben Sie meine Anordnung doch richtig verstanden, Mister Parker«, gab die ältere Dame unwirsch zurück. »Wenn ich lebend wieder nach London zurückkehren soll, benötige ich auf der Stelle eine kleine Stärkung. Der Gasthof, von dem Mister McWarden sprach, muß doch ganz in der Nähe liegen…« Gerade kam ein kleines Haus am Straßenrand in Sicht, und der Butler nahm den Fuß vom Gas. Mit seinem hellroten Ziegeldach, den blank geputzten Butzenscheiben und dem üppig wuchernden Blumengarten wirkte das Häuschen recht einladend. Parker stoppte vor dem weiß gestrichenen Gartenzaun, verließ würdevoll sein Fahrzeug und wollte gerade an der frisch polierten Messingglocke ziehen, als ein furchtbarer Knall die friedliche Stille zerriß. Die Hauptpersonen: Professor Lawrence Lindsay: Seine brisante Entdeckung fasziniert nicht nur Wissenschaftler. Ray Marling täuscht vergebens eine Grippe vor. John Collings verfolgt mit gestohlenen Papieren politische Ziele. Le Cardiff will nur seinen Reibach machen. Butler Parker bringt seinem hochbeinigen Monstrum das Fliegen bei. Lady Agatha Simpson wird durch einen Bach an spontaner Rache gehindert. Eine mächtige Stichflamme schoß aus dem Dach eines flachen Anbaus, der hinter dem Haus zwischen Obstbäumen lag. Scheiben barsten, Glassplitter flogen als gefährliche Geschosse durch die Luft. Parker drückte sich in den Hauseingang, bis der prasselnde Dachpfannenregen vorüber war. »Diesen hinterhältigen Angriff werde ich sofort mit einer Gegenattacke beantworten«, vernahm er hinter sich das sonore Organ
seiner Herrin. Lady Agatha hatte den Wagen verlassen und marschierte mit finsterer Miene auf das Haus zu. Für sie stand bereits fest, daß sie nur mit knapper Not einem heimtückischen Anschlag auf ihr Leben entgangen war. Obwohl sie die Sechzig überschritten hatte und über eine geradezu beeindruckende Leibesfülle verfügte, konnte Agatha Simpson in solchen Momenten eine Dynamik entwickeln, die man ihr nie zugetraut hätte. Ihren Hut (oder was sie dafür hielt) hatte sie tief in die Stirn gezogen, die überdimensionalen Hutnadeln, die eher Bratspießen glichen, wippten bedrohlich. Auch der Pompadour, dessen lederne Riemen die Detektivin ums Handgelenk gewickelt hatte, war schon in lebhafte Schwingung geraten. Dieser lederne Beutel, der eher einem zu heiß gewaschenen Seesack als einem Damenhandtäschchen ähnelte, war mit buntlackierten, gußeisernen Perlen bestickt und hatte es in sich. Er enthielt Lady Simpsons sogenannten Glücksbringer, ein echtes Pferdehufeisen, das die ältere Dame aber aus humanitären Gründen in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt hatte. »Mister Parker, sehen Sie nach, wo diese Feiglinge sich verborgen halten«, ordnete sie an. »Ich will die Kerle zur Rede stellen und ihnen eine gehörige Lektion erteilen!« »Wie Mylady wünschen«, antwortete der Butler höflich und klopfte ein paar Glassplitter vom Ärmel seines Covercoats. »Man wird nichts unversucht lassen, um der Ursache dieser Explosion auf den Grund zu gehen.« In diesem Moment taumelte eine rußgeschwärzte Gestalt aus der Tür des Anbaus. »Feuer!« schrie der Mann mit zittriger Greisenstimme. »Hilfe, es brennt!« »Darf man sich erlauben, diesen Gartenschlauch zu benutzen, um den Flammen Einhalt zu gebieten?« erkundigte sich Parker. »Gartenschlauch? Was für ein Gartenschlauch?« fragte das Männchen verwirrt. Offenbar hatte die Explosion ihm einen gehörigen Schock versetzt. »Ach ja, der Gartenschlauch! Daß ich nicht gleich daraufgekommen bin!« Das Gartenhaus bot ein Bild der Verwüstung. Die heftige Detonation hatte das Dach abgedeckt und sämtliche Scheiben zertrümmert. Die Flammen hatten jedoch gerade erst begonnen, an der hölzernen Dachkonstruktion zu lecken. So hatte der Butler keine Mühe, das Feuer innerhalb weniger Minuten zu löschen.
»Leider ist mir ein kleines Mißgeschick unterlaufen«, sagte der Mann und versuchte, ein entschuldigendes Lächeln auf sein schwarzverschmiertes Gesicht zu zaubern. »Aber eigentlich war der Versuch ein voller Erfolg. Das sollten wir feiern! Ich habe noch einen feinen, alten Kognak im Haus.« Lady Agatha, die schon zu einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen ausgeholt hatte, erstarrte mitten in der Bewegung, das Angebot machte sie unsicher. Wenn der Mann bereit war, seinen Kognak mit ihr zu teilen, konnte er eigentlich keine feindlichen Absichten hegen. Oder war die Einladung vielleicht eine List? »Sie werden doch nicht im Ernst annehmen, daß eine Lady Simpson in eine derart plumpe Falle tappt«, herrschte sie den Mann an, der instinktiv den Kopf einzog. »Erst versuchen Sie, mich in die Luft zu sprengen, und dann wollen Sie mich auch noch unter einem fadenscheinigen Vorwand in ihr Haus locken…« »Ich? Sie in die Luft sprengen?« rief der Mann entsetzt aus. »Nie könnte ich einem Menschen etwas zuleide tun. Bitte, nehmen Sie mir ab, daß es sich um einen bedauerlichen Unglücksfall handelte, Mylady! Alles Nähere kann ich Ihnen erklären, wenn Sie meine Einladung annehmen.« »Mit Ihren Ausflüchten können Sie eine Detektivin meines Formats nicht beeindrucken«, entgegnete die ältere Dame ungerührt. »Sie können den Kognak ja herausbringen, um zu zeigen, daß es Ihnen ernst damit ist. Ich werde mir inzwischen auf der Gartenbank eine Verschnaufpause gönnen.« Mit einem Obstbaumzweig fegte Parker die Glassplitter von der Bank, während der zierlich Gebaute zum Haus ging. »Mister Parker, begleiten Sie ihn, damit er keine Dummheiten macht«, verlangte die Detektivin. Dann ließ sie sich auf der Bank nieder, die unter ihrer Fülle bedrohlich ächzte, aber doch standhielt. * »Ich fürchte, ich habe eben versäumt, mich vorzustellen, Mylady«, erklärte der Gastgeber, als er mit der Kognakflasche und Gläsern in den Garten zurückkehrte. »Lindsay ist mein Name. Lawrence Lindsay, ehemals Professor der Chemie an der Universität zu Edinburgh.«
Lindsay hatte die wenigen Minuten genutzt, um sich von den ärgsten Spuren der Explosion zu befreien. Seinen rußverschmierten Laborkittel hatte er gegen einen frischen, schneeweißen getauscht. Wasser und Seife hatten seine natürliche Gesichtsfarbe wieder zum Vorschein gebracht. Außer ein paar Schrammen schien er unverletzt. Auch sein weißer Vollbart und der Haarkranz, der seine spiegelnde Kugelglatze umrahmte, waren nur geringfügig angesengt. Seine kleinen, hellblauen Augen hinter den frisch geputzten Gläsern der altmodischen Nickelbrille blickten freundlich und offen. Mylady wirkte etwas geistesabwesend. Sie hatte nur Augen für die bauchige Flasche, die der Professor auf den hölzernen Gartentisch stellte. Das Etikett eines renommierten französischen Abfüllers gefiel ihr auf Anhieb. Dagegen störte sie die Zahl der Gläser, die Lindsay mitgebracht hatte. »Mein Personal trinkt im Dienst keinen Alkohol«, erklärte sie kategorisch und schob das dritte Glas beiseite, während der Gastgeber einschenkte. »Daß es bei dem Experiment knallen würde – damit habe ich natürlich gerechnet«, begann der Chemieprofessor seinen Bericht. »Was die Stärke der Explosion angeht, muß ich mich allerdings um eine Potenz geirrt haben. Anders ist diese Wirkung bei nur zehn Milligramm explosiver Substanz nicht zu erklären. Das werde ich gleich nachher noch mal überprüfen.« »Darf man Ihre Erklärung so deuten, daß Sie in Ihrem Labor mit Sprengstoffen experimentiert haben, Sir?« ließ der Butler sich vernehmen. »Nicht ganz«, schränkte der Professor lächelnd ein. »Eigentlich ist die hochexplosive Substanz, die ich in jahrelangen Versuchsreihen entwickelt habe, nur ein Nebenprodukt.« »Allerdings ein recht interessantes Nebenprodukt, falls man sich diese Bemerkung erlauben darf«, entgegnete der Butler, während Mylady unter wohligem Schnalzen ihr Kognakglas leerte und sich von Lindsay gleich wieder nachfüllen ließ. »Hat meine Wenigkeit richtig vernommen, Sir, daß es sich lediglich um zehn Milligramm Sprengstoff handelte, die die recht beachtliche Detonation auslösten?« »Genaugenommen, waren es sogar, nur 9,8«, bestätigte der Gelehrte stolz. »Das eigentliche Ziel meiner Versuchsreihe ist aber noch wesentlich interessanter.«
»Dabei kann es sich doch nur um die Entwicklung einer neuartigen Waffe handeln«, tippte die Detektivin, doch Lindsay hob abwehrend die Hände. »Das sei fern von mir«, rief er aus. »In dieser Hinsicht haben meine Kollegen schon genug Unheil angerichtet! Der Zweck meiner Untersuchungen ist rein wissenschaftlicher Art.« »Darf man sich denn in aller Bescheidenheit nach diesem Zweck erkundigen, Sir?« ließ Parker sich vernehmen. Lawrence Lindsay zögerte einen Augenblick. Ein verlegenes Lächeln glitt über sein faltiges Gesicht. »Seit heute ist ein uralter Traum der Menschheit in greifbare Nähe gerückt«, verriet er und dämpfte seine Stimme zu geheimnisvollem Raunen. »Woran die Alchimisten des Mittelalters vergeblich gearbeitet haben – die Verwandlung von Steinen in Gold – das werde ich mit den Mitteln der modernen Naturwissenschaft vollenden.« »Steine in Gold verwandeln?« Lady Agatha wurde hellhörig. »Geht das denn überhaupt, Mister Kinsey?« »Verzeihung, Mylady, Lindsay ist mein Name«, korrigierte der Professor. »Ich habe Ihren Namen schon richtig verstanden, Mister Finley«, beharrte die Detektivin. »Wie war das mit dem Gold und den Steinen?« »Nun, aus Geschichtsbüchern ist Ihnen vermutlich bekannt, daß es im Mittelalter Forscher gab, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, Steine in Gold zu verwandeln«, erläuterte Lindsay. »Geniale Geister arbeiteten wie besessen an dieser Aufgabe, aber sie mußten scheitern, weil sie noch zu sehr dem magischen Denken verhaftet waren und nicht über die nötigen technischen Hilfsmittel verfügten.« »Und welches sind die technischen Hilfsmittel, die man zur Herstellung von Gold benötigt?« Agatha Simpson machte kein Hehl aus ihrer Neugier. »Vor allem fehlte es den Alchimisten an der nötigen Prozeßwärme«, erläuterte der Chemiker. »Ihre Holzfeuerchen waren bei weitem nicht heiß genug, um die entsprechende Reaktion einzuleiten.« »Demnach kann und darf man also davon ausgehen, Sir, daß es Ihnen gelungen ist, die benötigte Temperatur zu erzeugen?« fragte Parker, und sein Gegenüber nickte. »Heute zum erstenmal«, bestätigte Lindsay und strahlte, als hät-
te ihm der Postbote einen Lottogewinn ins Haus gebracht. »Allerdings muß ich einräumen, daß sich dieser chemische Prozeß für kurze Zeit meiner Kontrolle entzogen hat. Die Folgen haben Sie gehört und gesehen.« »Zum Zeitpunkt der Detonation war für meine Wenigkeit allerdings nicht erkennbar, daß es sich lediglich um die begleitenden Geräusche eines wissenschaftlichen Experimentes handelte«, wandte der Butler ein. »Darf man vermuten, Sir, daß Sie mit diesen Versuchen schon längere Zeit beschäftigt sind?« »Seit drei Jahrzehnten«, bestätigte Lindsay stolz. »Als ich damit anfing, war ich noch Professor an der Edinburgher Hochschule. Die Labors dort waren natürlich besser ausgestattet als meine Gartenlaube hier. Aber als ich siebzig wurde, schickten sie mich in Pension.« »Demnach darf man annehmen, daß Sie es vorgezogen hätten, sich noch länger Ihren Forschungen an der Universität zu widmen, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Selbstverständlich«, rief Lindsay aus. »Aber offenbar hatten sie an der Hochschule Angst, ich könnte meine Experimente wirklich erfolgreich abschließen. Dann wären diese naturwissenschaftlichen Fachidioten nämlich alle gründlich blamiert gewesen.« »Die Leute haben Ihnen nicht geglaubt, daß Sie aus Steinen Gold machen können, Professor?« vergewisserte sich die Detektivin. »Sie wollten es nicht wahrhaben«, korrigierte Lindsay. »Aber es gibt wahrhaftig mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als sich die Schulweisheit meiner ehemaligen Kollegen träumen läßt. Sobald das Labor wieder aufgeräumt ist, werde ich den heutigen Versuch wiederholen. Und dann ist es bis zur tatsächlichen Umwandlung von Steinen in Gold nur noch ein kleiner Schritt.« Mit großen Augen starrte Agatha Simpson ihr Gegenüber an und vergaß fast, das volle Glas zu leeren, das sie in der Hand hielt. »Dann wären Sie ja mit einem Schlag der reichste Mann der Welt!« stellte sie fest, aber Lindsay schüttelte den Kopf. »Darum geht es mir doch gar nicht«, erklärte er. »Ich bin inzwischen fast neunzig und habe keine Erben. Was sollte ich mit so viel Geld? Ich bin schon zufrieden, solange ich meine wissenschaftlichen Arbeiten fortführen kann. Außerdem dürfte der Goldpreis in den Keller fallen, sobald es gelingt, das Metall in großen Mengen künstlich herzustellen.« »Meinen Sie wirklich, Professor?« Auf Lady Agathas Stirn stand
eine nachdenkliche Falte. Sie nahm sich vor, noch heute abend Mike Rander zu fragen, welche Konsequenzen es für ihr eigenes Vermögen haben konnte, wenn der Goldpreis tatsächlich »in den Keller fiel.« * Ein knatterndes Geräusch, das sich auf der Landstraße näherte, riß die Detektivin aus ihren Gedanken. Kurz darauf klappte das Gartentor, und zwischen den Rosenbüschen tauchte ein junger Mann in Bluejeans und einem verschlissenen Armee-Parka auf. »Das ist Ray Marling«, stellte der Professor vor. »Er kommt täglich vorbei, um mir in Haus und Garten zu helfen. Außerdem interessiert er sich natürlich auch für meine Experimente.« Der Ankömmling mochte knapp 20 sein. Er trug sein pechschwarzes Haar fast schulterlang. Die dunklen Augen unter den buschigen Brauen wanderten unstet hin und her. »Was ist denn passiert, Professor?« rief er aus und deutete auf das demolierte Gartenhaus. »Ich habe den Knall bis ins Dorf gehört. Hoffentlich sind Sie nicht verletzt?« »Ich – verletzt?« lachte Lindsay unbekümmert, als sei Marlings Vermutung völlig abwegig. »Du weißt doch, daß ich einen Schutzengel habe, mein Junge.« »Aber was war das für eine Explosion?« wollte Ray Marling wissen. »Ich habe dir doch von dem Problem mit der Prozeßwärme erzählt«, begann der Chemiker. »Ja und?« »Heute ist ein großer Tag! Zum erstenmal ist es mir gelungen, für ein paar Millisekunden die notwendige Temperatur zu erzeugen«, setzte der Professor den jungen Marin ins Bild. »Wirklich?« staunte Ray. »Daran haben Sie doch jahrelang gearbeitet?« »Stimmt«, bestätigte Lindsay froh gelaunt. »Und heute wird gefeiert! Komm, setz dich zu uns und trink ein Glas mit, Ray!« »Nein, danke«, gab der Junge zurück. »Ich mag doch keinen Schnaps.« Er musterte Lady Simpson und ihren Butler mißtrauisch, bevor er zum Gartenhaus hinüberging, um das verwüstete Labor in Augenschein zu nehmen.
»Da gibt es noch eine Frage, auf deren Beantwortung meine Wenigkeit außerordentlichen Wert legen würde, Sir«, nahm Parker das unterbrochene Gespräch wieder auf. »Fragen Sie nur«, ermunterte Lindsay ihn. »Vermutet man richtig, daß es sich bei der schon erwähnten explosiven Substanz um eine grundsätzlich neuartige Entwicklung handelt?« wollte der Butler wissen. »Mit herkömmlichen Sprengstoffen dürfte bei derart geringen Mengen keine solch beeindruckende Wirkung zu erzielen sein, falls meine Wenigkeit sich nicht täuscht.« »Es handelt sich um außerordentlich kompliziert zusammengesetzte Kristalle«, verriet der Wissenschaftler bereitwillig. »Ich könnte Ihnen die Formel aufschreiben, aber dafür wäre schon eine große Schulwandtafel nötig.« »Man wäre eher an den Gebrauchseigenschaften dieses Stoffes interessiert«, wandte der Butler ein. »Die Arbeit mit solch einer Substanz dürfte nicht gerade risikolos sein, falls diese Bemerkung gestattet ist.« »Im Gegenteil«, antwortete Lindsay. »Der Stoff ist völlig ungefährlich – im Prinzip. Wegen ihrer speziellen Zusammensetzung können die Kristalle zwar unvorstellbare Mengen Sauerstoff binden, was zur Entwicklung der enormen Hitze führt, aber das geschieht nur unter ganz bestimmten Bedingungen.« »Diese Bedingungen waren es, nach denen meine bescheidene Wenigkeit sich zu erkundigen gedachte«, erklärte der Butler. »Lindsaynit, wie ich es genannt habe, verfügt über geradezu ideale Eigenschaften«, setzte der Professor seine Erläuterungen fort. »Sie können die Kristalle ins Feuer werfen, ohne daß etwas geschieht. Sie können darauf herumtrampeln oder sie mit anderen Chemikalien mischen, die sich an der Luft selbst entzünden. Das ist alles völlig ungefährlich. Andererseits behält Lindsaynit seine Explosivität auch unter Wasser. Die chemische Reaktion, die Sie vorhin miterlebt haben, läuft nur ab, wenn die Kristalle mit einer bestimmten Frequenz in Schwingung gesetzt werden. Alles, was man braucht, ist ein kleiner Ultraschallgenerator, der die benötigten Frequenzen erzeugt.« »In der Tat eine bemerkenswerte Entwicklung, die nicht nur von der Wissenschaft mit großem Interesse aufgenommen werden dürfte«, bemerkte Parker. »Nicht nur von der Wissenschaft?« fragte Lindsay mit gerunzelter
Stirn. »Wie meinen Sie das?« »Ein Sprengstoff mit den Eigenschaften von Lindsaynit dürfte bei skrupellosen Gangstern oder Terroristen ebensoviel Begehrlichkeit wecken wie bei machthungrigen Politikern, falls man sich diese Anmerkung erlauben darf«, gab Parker zur Antwort. »Ohne meine ausführlichen Versuchsprotokolle, die rund fünfhundert Seiten umfassen, ist die Herstellung von Lindsaynit unmöglich«, entgegnete der Professor, »und die habe ich in einen Stahlschrank eingeschlossen, dessen Schlüssel ich stets bei mir trage.« Inzwischen war Ray Marling aus dem Gartenhaus zurückgekehrt. »Das Labor ist ja ein einziger Trümmerhaufen«, kommentierte er. »Da werden wir eine Weile brauchen, bis alles wieder aufgeräumt ist und funktioniert. Aber zum Glück hat der Stahlschrank mit den Unterlagen nichts abbekommen.« »Wir zwei kriegen das schon wieder hin«, tröstete der Professor. »Gleich morgen früh werden wir die Ärmel aufkrempeln und alles in Ordnung bringen. Ich fühle mich bärenstark und jugendfrisch nach dem heutigen Erfolg.« »Allerdings sollten Sie nicht vergessen, mein lieber Professor, daß Sie gefährlich leben«, mahnte Lady Agatha und streifte die inzwischen fast leere Flasche mit wehmütigem Blick. »Wieso gefährlich?« entgegnete Lindsay. »Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, Mylady, daß Lindsaynit absolut ungefährlich ist – im Prinzip.« »Ich meine nicht den Stoff, den Sie erfunden haben«, entgegnete Agatha Simpson. »Sondern?« »Vertrauen Sie der langjährigen Erfahrung einer wirklich kompetenten Detektivin, wie ich es bin«, erklärte die ältere Dame. »Die Unterwelt wird nicht ruhen, bis sie sich in den Besitz dieses Sprengstoffes gebracht hat.« »Sie sind Detektivin?« fragte Ray überrascht und maß die Sechzigjährige mit ungläubigem Blick. »Sie sind noch sehr jung und unerfahren«, entgegnete die Detektivin. »Deshalb ist es erklärlich, daß Sie von meinen Taten noch nichts vernommen haben. Meine Erfolge sind ebenso einzigartig wie meine Ermittlungsmethoden.« »Die Äußerung, die Mylady soeben getan hat, kann meine Wenigkeit nur mit allem Nachdruck unterstreichen«, pflichtete der But-
ler ihr bei. »Ich will nicht hoffen, daß ich Ihre Hilfe in Anspruch nehmen muß, Mylady«, meinte Lawrence Lindsay. »Wer sollte sich schon in diese Einöde verirren?« »Ich habe Sie gewarnt, Mister Pinclay«, verkündete Lady Simpson bedeutungsvoll. »Mein untrüglicher Spürsinn sagt mir, daß die Verbrecher nicht lange auf sich warten lassen. Aber fürchten Sie sich nicht! Sie stehen unter meinem persönlichen Schutz. Sollte Ihnen etwas zustoßen, so benachrichtigen Sie einfach meinen Butler. Ich werde dann alles Nötige veranlassen.« »Das ist ja sehr beruhigend«, erklärte Lindsay und lachte. »Hoffentlich bin ich auch noch in der Lage, Ihren Butler zu informieren, wenn mir wirklich etwas zustoßen sollte…« Die Kognakflasche hatte ihren letzten Tropfen gespendet, und Lindsay erklärte mit Bedauern, er habe sonst nichts Trinkbares im Haus – außer Tee. Das war für Mylady das Signal zum Aufbruch. Lindsay begleitete seine Gäste zum Wagen, während Ray Marling ins Haus ging. »Ich rufe nur eben meinen Vater an, Professor«, erklärte der junge Mann. »Er weiß gar nicht, wo ich stecke, und macht sich vielleicht Sorgen.« * »Ein ausgesprochen reizender Mensch, dieser Professor!« stellte Lady Agatha fest, als sie wieder im Fond des Wagens Platz genommen hatte und Parker sein hochbeiniges Monstrum in Richtung London rollen ließ. »Ich habe sofort gewußt, daß die Explosion nur ein kleines Versehen war. Ihnen fehlt eben meine Erfahrung und mein geradezu hellseherischer Spürsinn, Mister Parker! Sonst wäre selbst Ihnen klargeworden, daß es sich nicht um einen Anschlag handeln konnte.« »Bedauerlicherweise kann meine bescheidene Wenigkeit sich nicht erinnern, von einem Anschlag gesprochen zu haben«, gab der Butler höflich zurück. »Falls Mylady gestatten, würde man sich aber Myladys Einschätzung im Hinblick auf die Person Professor Lindsays ausdrücklich anschließen.« »Wenigstens sind Sie einsichtig, Mister Parker«, bescheinigte die resolute Dame ihm. »Wenn es bei Ihnen auch immer etwas länger dauert.«
»Man dankt aufrichtig für dieses unverdiente Lob, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigte ihm, daß der hellblaue Käfer immer noch mithielt. In einem Dorf, das sie eben passiert hatten, war das Fahrzeug aus einer Seitenstraße gekommen. Trotz des recht zügigen Tempos, das Parker vorlegte, hatte sich der offenbar streckenkundige Fahrer nicht abhängen lassen. »Der gute Professor wird bald froh sein, wenn ich meine schützende Hand über ihn halte«, fuhr die Detektivin fort und nahm sich der Reste an, die sie noch in der Pralinenschachtel gefunden hatte. »Wenn sich bei ihm erst mal das Gold häuft, weil er alle Steine in seinem Garten verwandelt hat, werden auch die Verbrecher nicht lange auf sich warten lassen.« »Falls Mister Lindsay mit seinen Experimenten tatsächlich den erhofften Erfolg haben sollte, müßte man mit einer solchen Entwicklung zweifellos rechnen«, pflichtete der Butler ihr bei. »Allerdings dürfte auch der von ihm entwickelte Sprengstoff eine starke Anziehungskraft auf zwielichtige Elemente ausüben, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.« »Der Sprengstoff?« fragte Mylady entgeistert. »Davon sprach ich doch soeben, Mister Parker.« Durch die Bemerkung des Butlers war ihr aufgegangen, daß sie sich vergaloppiert hatte. Nun versuchte sie, die Peinlichkeit durch Dreistigkeit aus der Welt zu schaffen, was ihr bei Parkers sprichwörtlicher Höflichkeit auch ohne weiteres gelang. »Wie ich schon sagte, Mister Parker«, fuhr sie fort, »wird die Unterwelt nicht ruhen, bis sie Mister Kinsey sein Gold, nein, seinen Sprengstoff geraubt hat.« Woran lag es nur, daß ihr das Gold nicht aus dem Kopf ging? Nachdenklich schob sie sich die letzte Praline in den Mund. »Sie sollten sich deshalb darauf einstellen, Mister Parker, daß Sie mich schon bald bei einem Einsatz begleiten können«, kündigte die Detektivin an. »Den hartgesottenen Burschen, die es auf Professor Linseys Sprengstoff abgesehen haben, ist ja doch niemand gewachsen außer mir.« »Die Gelegenheit zu ersten Kontakten mit möglichen LindsaynitInteressenten dürfte sich sehr kurzfristig ergeben, falls man sich nicht gründlich täuscht«, meldete Parker in diesem Moment. Eben war er von der untergeordneten Landstraße auf die breite Autopiste eingebogen, die in Richtung City führte. Der hellblaue
Käfer holte auf. Offenbar hatte sein Fahrer Angst, im dichten Verkehr die Spur des Butlers zu verlieren. »Wollen Sie damit sagen, daß ich verfolgt werde, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson hoffnungsfroh. »Mylady haben den Tatbestand, den meine Wenigkeit mitzuteilen gedachte, bereits in aller Deutlichkeit genannt«, gab der Butler zurück. »Das habe ich doch schon die ganze Zeit geahnt, Mister Parker«, schwindelte die ältere Dame ungeniert. »Ohne Zweifel handelt es sich um den weißen Austin. Das sieht eine Detektivin mit meinen Fähigkeiten sofort.« »Meine Wenigkeit hatte eher den hellblauen Käfer im Auge, der Mylady schon seit einer Viertelstunde folgt«, gab Parker zurück. »Richtig, der hellblaue Käfer! Den meinte ich natürlich auch, Mister Parker«, bestätigte die Detektivin, obwohl sie das Verfolgerfahrzeug überhaupt noch nicht bemerkt hatte. Sich zum Rückfenster umzudrehen, war bei ihrer Statur mit einigen Strapazen verbunden, die sie haßte. »Wo ich diese unverschämten Burschen stelle, überlasse ich natürlich Ihnen, Mister Parker«, gestattete Agatha Simpson großzügig. »Sie wissen ja, daß ich mich um solche Details nicht kümmern kann. Auf jeden Fall werde ich den Kerlen aber einen Denkzettel verpassen, den sie bis an ihr Lebensende nicht vergessen.« »Selbstverständlich wird man bemüht sein, Myladys Wünschen in vollem Umfang zu entsprechen«, versicherte der Butler. Bedächtig trat er das Gaspedal ein Stück weiter durch. Mit leisem Ruck schaltete sich das leistungsstarke Renntriebwerk ein, das Parker unter der schwarzen, eckigen Haube hatte installieren lassen. Leises Beben ging durch die stahlgepanzerte Karosserie, als das hochbeinige Gefährt davonzog. Der Nachmittagsverkehr war jedoch zu dicht, um die verblüffende Schnelligkeit des einstigen Taxis voll ausspielen zu können. Der Käfer, der ebenfalls über eine frisierte, hochtourige Maschine verfügen mußte, lag weiterhin dicht auf. Ohne Vorwarnung ging der Butler scharf auf die Bremse und verließ an der nächsten Abzweigung die Hauptstraße. Der Käferfahrer reagierte, so gut es sein Fahrzeug erlaubte. Wie ein Besessener kurbelte er am Lenkrad und zog sein Fahrzeug mit wimmernden Reifen durch die Kurve. Fast hätte er es geschafft. Doch dem Hochleistungsfahrwerk, über
das Parkers eckige Kiste verfügte, waren die Beinchen des Käfers nicht gewachsen. Am Ausgang der langen Schleife wollte der Wagen partout nicht wieder in die Gerade zurück. Unter gräßlichem Quietschen schleuderte das Heck des Käfers zur Seite und prallte mit voller Wucht gegen den Mast einer Straßenlampe. Das Rücklicht splitterte, Kotflügel und Stoßstange bekamen Knicke und Beulen ab. Klirrend und scheppernd schlug die abstürzende Neonlampe auf das Wagendach. Aber noch gab der Fahrer nicht auf. * In der Gegend, in die Parker den Käferfahrer danach lockte, kannte er sich ebensogut aus wie in den unergründlichen Taschen seines schwarzen Covercoats. Es handelte sich um einen der fast dörflich wirkenden Randbezirke der Millionenstadt, wo sich zwischen den Siedlungen noch Wiesen, Felder und kleine Waldstücke ausbreiteten. Durch diese Landschaft schlängelte sich ein sanfter Bach, der sich nur nach starken Regenfällen in einen reißenden Fluß verwandelte. Über den Bach führte ein schmaler Wirtschaftsweg, den der Butler gelegentlich als Abkürzung benutzte. Deshalb wußte er, daß die kleine Brücke, die über den Bach führte, schon seit dem letzten Winter eingestürzt war. Damals hatte das Hochwasser einen Baumstamm gegen die altersschwache Konstruktion geschwemmt. Da der Weg jedoch nur wenig befahren wurde, hatte man die Reparatur immer wieder hinausgeschoben und sich damit begnügt, auf beiden Seiten Sperrbalken und Warnschilder aufzustellen. Bis zu der Stelle, an die der Butler seine Verfolger zu führen gedachte, waren es noch etwa drei Meilen. Zeit genug, um ein wenig das gehetzte Wild zu spielen. Parker ließ den Käfer, der etwas an Boden verloren hatte, so dicht aufschließen, daß er die Gesichter des Fahrers und seines Beifahrers schon fast im Rückspiegel erkannte. Dann gab er wieder Vollgas und ließ sein hochbeiniges Monstrum davonsausen. In der nächsten Kurve nahm er wieder den Fuß vom Gaspedal und ließ das Fahrzeug ausrollen. Der Käferfahrer, der Sekunden später um die Ecke geschossen kam, vollzog eine panische Not-
bremsung, um nicht auf das Hindernis aufzuprallen. Dieses Spiel, das sich auf die Nerven und die Konzentration des Verfolgers nicht gerade vorteilhaft auswirkte, trieb der Butler so lange, bis am Ende einer längeren Geraden die kleine Brücke, genauer gesagt ihre Reste, auftauchte. Die hölzerne Absperrung mit den Warnschildern stand noch immer da. Ein gelber Umleitungspfeil wies in einen noch schmaleren Wirtschaftsweg, der unmittelbar vor der Brücke im rechten Winkel abbog und bachaufwärts verlief. Wieder ließ Parker den Käferfahrer dicht aufschließen, um seine Sicht nach vorn einzuschränken. Dann trat er plötzlich das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Mit aufröhrender Maschine jagte sein schwerfällig wirkendes Gefährt auf die Reste der kleinen Brücke zu. Immer näher kam die rotweiße Absperrung. Parker erinnerte sich genau, daß der Bach an dieser Stelle kaum breiter als fünf Meter war. Was ein einigermaßen sportlicher Mensch mit Anlauf geschafft hätte, würde sein hochbeiniges Monstrum auch schaffen. Auch der Käferfahrer holte aus seinem Wagen heraus, was die frisierte Maschine hergab. Er wollte auf keinen Fall den Anschluß verpassen. Mit trockenem Knall flogen die grell lackierten Balken beiseite, als Parkers schwarzer, eckiger Kasten die Absperrung durchbrach. Für Sekundenbruchteile drehten sich die Räder in der Luft, dann setzte der Wagen auf der gegenüberliegenden Seite des Baches auf und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. »Ich werde mich beim Bürgermeister über diese holprige Wegstrecke beschweren«, empörte sich Lady Agatha im Fond. Daß sie soeben einen Flug und eine perfekte Landung miterlebt hatte, war ihr entgangen. »Man bittet Mylady in aller Form um Vergebung für die kleine Erschütterung«, ließ Parker sich vernehmen. »Die etwas unkonventionelle Fahrweise war jedoch erforderlich, um Myladys Verfolger zu stellen, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.« Der Käferfahrer hatte nur einen kleinen Fehler gemacht, als er Parkers Fahrzeug durch die Absperrung brechen und über den Bach fliegen sah: Er hatte einen Moment gezögert, ob er folgen
oder sein Fahrzeug durch eine Notbremsung vor dem Bach zum Stehen bringen sollte. Die Konsequenzen dieser kurzen Unentschlossenheit waren fatal. Als der Fahrer sich entschloß, doch in die Bremse zu steigen, trennten ihn nur noch ein paar Meter von dem Widerlager der kleinen Brücke. Mit blockierenden Rädern schlitterte das Auto auf die steinerne Rampe zu. Dabei wirkte das gemauerte Geländer wie ein Trichter, der jeden Ausbruchsversuch nach rechts oder links von vornherein zum Scheitern verurteilte. Wäre das Pflaster der Brückenrampe nicht so rutschig gewesen – vielleicht hätte es sogar noch gelangt. Mit dem letzten Rest an Fahrt glitt der Wagen auf die senkrecht abfallende Kante zu Verzweifelt hielt der Fahrer das Lenkrad umklammert und versuchte, sein Fahrzeug vor dem unaufhörlich näher rückenden Abgrund zurückzureißen. Doch das Lenkrad war kein Zügel und der Käfer kein Pferd, das einem solchen Befehl seines Reiters gefolgt wäre. Sanft rollten die Vorderräder des Autos über die Betonkante. Der Käfer neigte sich nach vorn und rutschte unter ohrenbetäubendem Kreischen auf dem Bodenblech weiter, bis er endgültig das Übergewicht bekam und kippte. Unter lautem Klatschen tauchte die Nase des Autos in den Bach, der nach den gewittrigen Regenfällen der letzten Tage beachtlich angeschwollen war. Als die Fluten über der Motorhaube zusammenschlugen, hingen die Hinterräder noch oben auf der Rampe. Glucksend umspielte das Wasser Scheibenwischer und Türgriffe, während Fenster, Dach und Heck des Wagens aus dem Wasser ragten. Die beiden Insassen waren unsanft mit den Köpfen gegen die Windschutzscheibe gestoßen, schienen sich aber nicht ernsthaft verletzt zu haben. Während Parker und Mylady ihr Fahrzeug verließen und sich dem Bach näherten, versuchten die Männer unter Aufbietung aller Kräfte, die Türen des Käfers gegen den Druck des Wassers aufzustemmen. Dabei hatte der Fahrer von vornherein schlechte Karten, weil die Strömung gegen seine Tür drückte. Aber auch das Bemühen des Beifahrers war nicht von Erfolg gekrönt. Offenbar hatte sich die Karosserie beim Sturz in den Bach verzogen. Fluchend kurbelten beide schließlich ihre Fenster herunter und kletterten ins Freie. In der reißenden Strömung waren die Männer zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf Butler Parker und sei-
ne Herrin zu achten. Erst als sie triefend naß das steile, mit Disteln und Kletten bewachsene Ufer neben der Brückenrampe erklommen hatten, warfen sie haßerfüllte Blicke hinüber. »Darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß die Herren ihren etwas mißglückten Flugversuch ohne körperliche Schäden überstanden haben?« ließ Parker sich vernehmen. »Verdammtes Kapitalistenpack!« schrie einer der jungen Männer, die beide in verschlissenen Jeansanzügen steckten, statt einer Antwort über den Bach. »Euch werde ich’s zeigen!« Rasch lief er auf einen Haufen Pflastersteine zu, die neben der Brückenrampe lagen. Doch Parker, der schon mit einer unfreundlichen Reaktion gerechnet hatte, durchkreuzte die Absichten nachhaltig. Ehe sein Gegner sich nach den Steinen bückte, hatte der Butler schon seine Gabelschleuder aus einer Innentasche des Covercoats gezogen und eine hartgebrannte Tonmurmel in die Lederschlaufe gelegt. Während der Mann nach einem der Steine griff, spannte Parker die kräftigen Gummistränge und visierte sein Ziel an. Dann ließ er die Murmel davongleiten. Sie tippte gegen das Handgelenk des Mannes, als er seine Hand gerade erhoben hatte, um den schweren Pflasterstein in Parkers Richtung zu schleudern. Wie ein getretener Hund jaulte er und ließ prompt das Wurfgeschoß fallen. Der Zufall wollte es, daß der Stein ausgerechnet auf seinen linken Fuß plumpste, der in einem durchlöcherten Turnschuh steckte und deshalb gegen derartige Belastungsproben nur unzulänglich geschützt war. Der Bedauernswerte wußte nicht, ob er sich zuerst um sein rasch schwellendes Handgelenk oder um den stechenden Schmerz im großen Zeh kümmern sollte. Jammernd hüpfte er auf einem Bein herum und ließ sich schließlich erbärmlich wimmernd zu Boden sinken. Sein Pech war, daß er sich dabei mitten in eine schlammige Pfütze setzte, die noch an die Regenfälle der vergangenen Tage erinnerte. Es fiel ihm aber nicht weiter auf, weil er sich an die Nässe in seinen Kleidern ohnehin schon gewöhnt hatte. Sein Kampfgenosse war in der Zwischenzeit jedoch nicht untätig geblieben. Er ging dabei allerdings weniger impulsiv zu Werke. Parker hatte registriert, wie der junge Mann kniend hinter einem
kleinen Busch in Deckung gegangen war. Als ein Windstoß die Zweige zur Seite drückte, war deutlich zu erkennen, daß er ebenfalls eine Gabelzwille aus der Tasche zog. Ohne seinen Kopf über den Busch zu erheben, drehte er sich vorsichtig um, offenbar in der Absicht, auf dem Weg nach einem geeigneten Kieselstein zu suchen. Leider entging ihm dabei, daß er Parker und Lady Agatha seinen stramm gespannten Hosenboden zuwandte. Mit routinierten Handgriffen löste der Butler den kleinen Sicherungsknopf am bleigefüllten Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Universal-Regenschirmes und klappte die Spitze im rechten Winkel nach unten. Dann legte er den Schirm wie ein Gewehr an und zielte auf die Sitzfläche des Mannes, der offenbar immer noch nicht den richtigen Stein gefunden hatte. Einen Moment später glitt ein gefiederter Pfeil aus dem hohlen Schaft und schwirrte zum anderen Ufer hinüber. Mit entsetztem Aufschrei faßte der Mann mit beiden Händen nach seinem verlängerten Rücken, als sich die Spitze durch das Tuch seiner Hose bohrte. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er in die Höhe und vergaß völlig, daß er jetzt nicht mal mehr durch den kleinen Busch geschützt war. Plötzlich blieb er jedoch wie angewurzelt stehen. Sein Gezeter verstummte. Die Arme fielen schlaff herab. Als habe er aus der Ferne Musik gehört, begann er ein paar ungeschickte Tanzschritte und wiegte sich in den Hüften. Da er jedoch allmählich in den Knien einknickte, war die Vorstellung schnell beendet. Mit verträumtem Lächeln auf dem Gesicht ließ er sich zu Boden sinken und bettete sich wohlig seufzend ins weiche Gras. »Mörder!« brüllte da der andere, der den Vorgang aus dem Versteck hinter dem gemauerten Geländer beobachtet hatte. »Ihr habt meinen Genossen umgebracht!« »Darf man den Herrn höflichst bitten, aus einer kurzen Bewußtlosigkeit keine voreiligen Schlüsse ziehen zu wollen«, entgegnete der Butler seelenruhig. »Der Pfeil ist lediglich mit einem harmlosen Betäubungsmittel pflanzlicher Art präpariert, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.« »Was ist los?« schrie der Mann herüber. »Kannst du dich nicht deutlicher ausdrücken, verdammter Adelsknecht?«
»Man war lediglich bemüht, den Herrn darauf hinzuweisen, daß die Wirkung des Pfeils schon nach etwa fünfzehn Minuten endet«, erklärte Parker geduldig. »Falls Sie die Freundlichkeit hätten, Ihren Begleiter von dem Geschoß zu befreien, wäre meine bescheidene Wenigkeit Ihnen außerordentlich verbunden. Eine Überschreitung des Baches dürfte bei der derzeitigen Wasserführung mit gewissen Risiken und Erschwernissen verbunden sein.« Endlich schien der Mann begriffen zu haben. Mühsam schleppte er sich zu seinem Genossen hinüber und zog ihm mit einem Ruck die Pfeilspitze aus dem Hosenboden. »Den behalte ich auf jeden Fall als Beweismittel«, rief er über den Bach und betrachtete mißtrauisch die nadelscharfe Spitze. Dann legte er sein Ohr auf die Brust des Bewußtlosen und überzeugte sich davon, daß er tatsächlich noch am Leben war. »Falls es erlaubt ist, würde meine Wenigkeit die Herren noch um eine kleine Gefälligkeit bitten«, lenkte der Butler die Aufmerksamkeit des Mannes wieder auf sich. »Im Interesse anderer Verkehrsteilnehmer wäre es von gewisser Wichtigkeit, die Absperrung und die Warnschilder wieder in der vorgeschriebenen Form aufzustellen. Allzuleicht könnte sich durch leichtsinnige Fahrweise ein folgenschwerer Unfall ereignen.« »Du kannst mich kreuzweise«, schrie der Mann. »Und deine verdammte adlige Schreckschraube auch!« »Mister Parker«, ließ Lady Agatha sich da vernehmen. »Gehe ich recht in der Annahme, daß man mich soeben gröblichst beleidigt hat?« »Mylady haben den Tatbestand bereits derart präzise in Worte gefaßt, daß man sich nicht in der Lage sieht, eine treffendere Definition zu geben«, bestätigte der Butler wunschgemäß. »Ich verlange, daß sich dieser ungehobelte Mensch auf der Stelle entschuldigt«, keifte die Detektivin und ließ ihren Pompadour kreisen. »Andernfalls werde ich ihm eine Lektion erteilen, die ihn sein Leben lang daran denken läßt, wie man sich einer Dame gegenüber benimmt.« Doch der junge Mann am anderen Ufer dachte gar nicht daran, Myladys Aufforderung nachzukommen. Im Gegenteil: Er fügte seinen ausgesprochenen unhöflichen Äußerungen weitere hinzu. Wie sollte Lady Agatha ihre Drohung in die Tat umsetzen? Die Einsatzmöglichkeiten ihres sogenannten Glücksbringers waren räumlich begrenzt. Bis auf die andere Seite des Baches reichten
die ledernen Riemen keinesfalls. Auch die martialischen Hutnadeln waren nur im Nahkampf verwendbar. Als sie in ihrer hilflosen Wut von Parker verlangte, sie hinüberzubringen, um die angekündigte Vergeltung doch noch möglich zu machen, trat ein ausgesprochen seltenes Ereignis ein: Parker paßte. Allerdings mußte er ein beträchtliches Maß an diplomatischem Geschick aufbringen, um seiner Herrin trotz des unbefriedigenden Ausganges den Abgang schmackhaft zu machen. Listig erinnerte er sie an die Strapazen des sommerlich warmen Tages, die bereits hinter ihr lagen und stets ihrem außerordentlich sensiblen Kreislauf zuzusetzen pflegten. »Sieht man mir denn schon an, wie schlimm es um meinen Kreislauf bestellt ist, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha besorgt. »Dann wird es höchste Zeit für ein Stärkungsmittel.« Mit einer gewissen Erleichterung geleitete der Butler die ältere Dame zum Wagen und half ihr beim Einsteigen. Eine halbe Stunde später würde man das heimische Shepherd’s Market erreichen. Sein Hinweis auf die gewaltigen Vorräte an sogenannten Kreislaufbeschleunigern, die in den Gewölben unter Myladys repräsentativem Wohnhaus lagerten, hatte die gewünschte Wirkung erzielt. »Das wird dieser unflätige Bengel aber doppelt büßen, falls er mir jemals wieder unter die Augen kommt«, fauchte die Detektivin und kramte vergeblich in der leeren Pralinenschachtel, die noch auf dem Rücksitz gelegen hatte. »Eine solche Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, falls meine bescheidene Wenigkeit sich diese Bemerkung erlauben darf«, meinte Josuah Parker und legte den ersten Gang ein. * »Mister Parker«, erkundigte sich Agatha Simpson mißtrauisch. »Sie werden doch hoffentlich nicht vergessen haben, die Kinder zum Frühstück einzuladen?« Wenn die ältere Dame in liebevollem Ton von ihren »Kindern« sprach, waren damit stets Kathy Porter und Mike Rander gemeint. Den blendend aussehenden Rechtsanwalt, der in seiner sportlichen Erscheinung an einen beliebten James-Bond-Darsteller erin-
nerte, hatte Mylady gleich bei der ersten Begegnung ins Herz geschlossen. Parker und Rander hatten gemeinsam ereignisreiche Jahre in den Staaten verbracht, bevor der Butler nach London zurückkehrte und in Lady Simpsons Dienste trat. Als Rander später nachkam und in der Londoner City eine Kanzlei eröffnete, hatte Parker ihn im Haus seiner neuen Herrin eingeführt. Seitdem bestand eine der wichtigsten Aufgaben des Anwalts darin, Myladys nicht gerade unbeträchtliches Vermögen zu verwalten. Im Hause Simpson hatte Mike Rander auch Myladys attraktive Gesellschafterin Kathy Porter kennengelernt, eine selbstbewußte, junge Dame mit mandelförmig geschnittenen Augen und braunen Haaren mit Rotstich. Nur zu gern hätte die Hausherrin eine offizielle Verbindung zwischen den beiden »Kindern« gestiftet, doch Mike Rander und Kathy Porter hatten offenbar ihre eigene Vorstellung von einer Partnerschaft. »Meine Wenigkeit hatte bereits am gestrigen Abend Gelegenheit, Miß Porter und Mister Rander telefonisch Myladys freundliche Einladung zu übermitteln«, gab der Butler Auskunft, während er seiner Herrin eine ansehnliche Portion Avocados mit Geflügelsalat auf den Teller häufte. »Beide nahmen die Einladung dankend an und versprachen, Mylady gegen elf Uhr ihre Aufwartung zu machen.« In diesem Moment klingelte es, und Parker schritt zur Haustür. »Ich habe Sie zu mir gebeten, Mister Rander, um mit Ihnen ein schwerwiegendes Problem zu erörtern«, eröffnete die ältere Dame das Gespräch, sobald die beiden Vertrauten des Hauses am Frühstückstisch Platz genommen hatten. »So früh am Morgen?« entgegnete der Anwalt lächelnd. »Da muß es etwas Wichtiges sein.« »Welche Konsequenzen hätte es für meinen bescheidenen Besitz, wenn der Goldpreis in den Keller fallen würde?« wollte die Hausherrin wissen. »Wenn der Goldpreis in den Keller fallen würde?« wiederholte der Anwalt. »Das ist eine sehr theoretische Frage, Mylady. Natürlich ist auch der Wert des Goldes gewissen Schwankungen unterworfen. Aber daß der Preis völlig verfällt, damit ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.« »Dann sind Sie eben nicht ausreichend informiert, mein lieber Junge«, kritisierte Lady Agatha und ging zu den gefüllten Puten-
keulen mit Preiselbeerrahm über. »Professor Kinsey, mit dem ich gestern sprach, hat mich zum Glück rechtzeitig gewarnt.« »Kinsey?« überlegte Rander. »Ist das nicht der Amerikaner, der durch seine Untersuchungen über das Sexualverhalten berühmt wurde? Was versteht denn der vom Goldpreis?« »Professor Lawrence Lindsay, den Mylady zu meinen geruhen, ist Chemiker und war früher an der Universität zu Edinburgh tätig, falls man sich diese Erläuterung erlauben darf«, schaltete Parker sich in das Gespräch ein. »Natürlich, Chemiker ist er!« stimmte Lady Agatha zu. »Sagte ich das nicht?« »Und dieser Chemiker hat behauptet, der Goldpreis würde demnächst in den Keller fallen?« fragte Rander ungläubig. »Wenn er erst mal alle Steine in seinem Garten in Gold verwandelt hat, gibt es so viel davon, daß niemand mehr Geld dafür ausgeben will«, verriet Mylady und verwirrte den Anwalt damit noch mehr. »Steine in Gold verwandeln?« fragte ihr Gegenüber grinsend. »Das erinnert mich an ein Märchen, das ich als Kind gehört habe.« »Mister Lindsay ist der festen Überzeugung, das Ziel der mittelalterlichen Alchimisten mit den Mitteln der modernen Chemie erreichen zu können«, erläuterte Parker. »Ach diese Geschichte meinen Sie!« rief der Anwalt aus. »Dieser Traum wird wohl für alle Zeiten ein Traum bleiben.« »Das sagen Sie nur, um mich zu beruhigen, mein Lieber«, meinte die Detektivin mißtrauisch. »Aber was ist, wenn der Goldpreis tatsächlich in den Keller fällt? Eine alleinstehende Dame wie ich muß natürlich an die Sicherung ihrer Zukunft denken.« »Selbstverständlich habe ich einen Teil Ihres Vermögens in Goldbarren angelegt, Mylady«, gab der Anwalt Auskunft. »Aber wirklich nur einen Teil. Hinzu kommen Aktien, Grundbesitz und diverse Immobilienfonds. Selbst wenn das Gold von heute auf morgen völlig wertlos würde – arm wären Sie deshalb noch lange nicht, Mylady.« »Ich glaube, da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen, Mylady«, meinte auch Kathy Porter. »Mike und ich – wir würden schon dafür sorgen, daß Sie nicht von Wasser und Brot leben müssen.« Doch der Detektivin war nicht nach Scherzen zumute. Wenn es
um Geld ging, hörte der Spaß bei ihr grundsätzlich auf. »Aber dieser Professor Finley hat schon eine ganz wichtige Entdeckung gemacht«, begann sie von neuem. »Er behauptet, daß es nur noch ein kleiner Schritt ist, bis er aus Steinen Gold herstellen kann. Mister Parker, erläutern Sie meinen Gästen bitte die technischen Einzelheiten… Dann kann ich gleich feststellen, ob Sie auch alles begriffen haben.« In knappen Sätzen schilderte der Butler die turbulenten Ereignisse des vergangenen Nachmittags und ging dann ausführlich auf die von Lindsay entwickelte explosive Substanz ein. Schweigend hörte Rander zu. »Und Sie sind sicher, daß dieser Lindsay kein Scharlatan ist?« fragte er schließlich, als Parker seinen Bericht beendet hatte. »Das klingt alles etwas märchenhaft.« »Was die Umwandlung von Steinen in Gold angeht, dürften erhebliche Zweifel am Platze sein, Sir«, gab der Butler Auskunft. »Dagegen hatten Mylady und meine Wenigkeit ausreichend Gelegenheit, die erstaunliche Wirkung von Lindsaynit kennenzulernen. Sollte diese Substanz in die falschen Hände geraten, dürfte mit erheblichen Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit zu rechnen sein.« »Diese Gefahr sehe ich auch, Parker«, stimmte der Anwalt zu. »Der alte Professor scheint wirklich etwas weltfremd zu sein. Zumindest sollte er seine Versuchsprotokolle im Tresor einer Bank deponieren, statt in einem Blechschrank in seinem Gartenhaus.« »Eine solche Vorsichtsmaßnahme würde auch meine Wenigkeit befürworten, falls man sich diese Bemerkung erlauben darf«, stimmte Parker ihm zu. »Abgesehen von der möglichen Begehrlichkeit krimineller Kreise, sind die Papiere in Mister Lindsays Labor ständiger Brandgefahr ausgesetzt.« »Meinen Sie denn, daß es sich bei den Typen im hellblauen Käfer schon um die ersten Ganoven handelte, die von Lindsays Forschungen Wind bekommen haben?« wollte Rander wissen. »Falls Sie die Meinung meiner bescheidenen Wenigkeit dazu hören möchten, Sir«, antwortete der Butler, »sollte man nicht davon ausgehen, daß es sich um Berufsverbrecher handelte. Der Sprachgebrauch der Herren ließ eher auf politische Motivation schließen, falls man eine derart ungesicherte Vermutung aussprechen darf.« »Sie denken an Terroristen?« »Daran besteht überhaupt kein Zweifel«, antwortete Lady Agatha
an Parkers Stelle. Sie hatte das Reizwort »Terroristen« aufgeschnappt, obwohl sie mit Kathy Porter gerade ein separates Gespräch über die neue Herbstmode begonnen hatte. »In einem solchen Fall sollte man mit dem Schlimmsten rechnen.« meinte der Anwalt. »Dann wäre auch Professor Lindsay persönlich in Gefahr.« »Vielleicht könnte man einfach mal anrufen, um zu erfahren, wie es ihm geht«, schlug Kathy Porter vor. »Falls er sich dann nicht meldet, kann man immer noch überlegen, was zu tun ist.« »Ein außerordentlich sinnreicher Vorschlag, Miß Porter«, pflichtete der Butler ihr bei. »Allerdings war meine Wenigkeit so frei, sich schon vor dem Frühstück telefonisch nach Mister Lindsays Befinden zu erkundigen.« »Und?« »Der Herr Professor machte einen ausgesprochen vitalen Eindruck, wenn man es so formulieren darf«, gab Parker Auskunft. »Er teilte mit, daß sein Gehilfe bereits eingetroffen wäre und die Aufräumungsarbeiten im Labor erfreuliche Fortschritte machten.« »Das besagt noch gar nichts«, erklärte Lady Agatha. »Mein unfehlbarer Spürsinn signalisiert mir, daß die Terroristen nur noch auf den richtigen Augenblick warten, um zuzuschlagen.« Ausnahmsweise sollte Mylady mit dieser Prophezeiung recht behalten. * Als Kathy Porter und Mike Rander sich verabschiedeten, war die Mittagsstunde schon vorüber, und Mylady zog sich bald darauf zu einem Nickerchen in ihre privaten Gemächer im Obergeschoß zurück. Der Rest des Tages verlief ohne bemerkenswerte Ereignisse, wenn man davon absieht, daß die Hausherrin zur Teestunde noch mal den Salon betrat, um eine kleine Stärkung in Form einer köstlichen Sachertorte zu sich zu nehmen. Später widmete sie sich dann dem, was sie »Meditation« zu nennen pflegte. Parker trug ihr noch die unerläßlichen » Kreislaufbeschleuniger« hinauf und begab sich dann in die Küche, um das Frühstück für den nächsten Morgen vorzubereiten. Kurz vor Mitternacht wollte er gerade sein Labor aufsuchen, das
er sich im Souterrain des Hauses eingerichtet hatte, als in der Diele das Telefon läutete. In würdevoller Haltung schritt der Butler zum Apparat und nahm den Hörer ab. »Hallo, Mister Parker! Gut, daß ich Sie erreiche!« sagte eine aufgeregte Stimme. »Sie müssen sofort herkommen!« »Darf man sich zunächst in aller Bescheidenheit nach dem Grund Ihrer freundlichen Einladung erkundigen, Mister Lindsay?« fragte Parker, der den Anrufer sofort erkannt hatte. »Sie waren da!« rief Lindsay mit zittriger Stimme. »Sie haben mich überfallen!« Parker ließ sich auch durch diese Mitteilung nicht aus der Ruhe bringen. »Darf man der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Sie den Überfall körperlich unversehrt überstanden haben, Sir?« »Unkraut vergeht nicht«, gab der Wissenschaftler zurück. »Aber alle meine Unterlagen sind gestohlen!« »Dürfte man um eine möglichst präzise Mitteilung darüber bitten, wann Ihnen dieses unerfreuliche Ereignis zugestoßen ist, Sir?« »Vor über einer Stunde«, antwortete Lindsay. »So lange habe ich gebraucht, um mich aus den Fesseln zu befreien und ans Telefon zu kommen.« »Dann dürften die Herren ihre Beute bereits in Sicherheit gebracht haben«, meinte Parker. »Eine Verfolgung wäre mithin wenig aussichtsreich.« »Die sind längst über alle Berge«, bestätigte Lindsay. »Am besten rufe ich die Polizei an.« »Es steht meiner Wenigkeit zwar nicht zu, Ihr Verhalten auch nur im geringsten zu kritisieren, Sir«, entgegnete Parker. »Doch hat sich die Einschaltung der Polizei in bestimmten Fällen schon nachteilig ausgewirkt, falls diese Anmerkung erlaubt ist.« »Aber was soll ich denn sonst tun, Mister Parker?« fragte Lindsay ratlos. »Falls man einen Vorschlag unterbreiten dürfte, sollten Sie vielleicht einen beruhigenden Tee aus Melissenblättern zu sich nehmen, Sir. Meine Wenigkeit wird sich bemühen, in weniger als einer Stunde bei Ihnen zu sein.« *
Als Parkers hochbeiniges Monstrum kurze Zeit später vor Lindsays Haus ausrollte, war der greise Forscher ausgesprochen erleichtert. »Ich wollte gerade schlafen gehen, als die Kerle kamen«, begann er seinen Bericht. »Das Aufräumen im Labor hat mich doch etwas angestrengt, obwohl der gute Ray wirklich tüchtig mitgeholfen hat.« »Mister Marling war nicht zufällig im Haus, als Sie überfallen wurden, Sir?« erkundigte sich Parker. »Nein«, entgegnete der Professor und führte den Butler in sein bescheiden möbliertes Wohnzimmer. »Ray ist wie üblich zum Abendessen nach Hause gefahren.« »Und Sie haben zunächst keinen Verdacht, wer die Unbekannten gewesen sein könnten, Sir?« »Ich habe sie ja kaum gesehen«, erklärte Lindsay. »Ich war gerade am Fuß der Treppe und wollte nach oben in mein Schlafzimmer, da schlug mir jemand etwas über den Kopf.« »Muß man davon ausgehen, daß sie durch diesen Schlag das Bewußtsein verloren, Sir?« vergewisserte sich Parker. »Ich war wohl einen Moment ziemlich benommen«, bestätigte sein Gegenüber. »Als ich wieder zu mir kam, hatten die Kerle mich an das Treppengeländer gefesselt, und der Schlüssel zum Stahlschrank, den ich immer an einem Bindfaden um den Hals trage, war weg.« »Sie sind aber vermutlich nicht in der Lage anzugeben, wie lange Ihre Bewußtlosigkeit dauerte, Sir?« »Lange kann es nicht gewesen sein«, meinte Lindsay. »Sonst hätte ich nicht ihr Auto abfahren hören. Da war ich schon wieder halbwegs bei Bewußtsein.« »Darf man sich erkundigen, ob Sie das Motorengeräusch des Fahrzeuges möglicherweise wiedererkennen würden, Sir?« ließ Parker sich vernehmen. »Ein Auto klingt doch fast wie das andere«, antwortete Lindsay. »Ich höre da kaum Unterschiede heraus.« »Diese Feststellung möchte meine Wenigkeit auch nicht im geringsten anzweifeln«, erklärte der Butler. »Dennoch gibt es einzelne Fabrikate, deren Motorengeräusch besonders auffällig und charakteristisch ist, wenn man es mal so formulieren darf.« »Zum Beispiel diese seltsamen Autos aus Deutschland, die die jungen Leute >Käfer< nennen«, wußte der Professor überra-
schend doch Bescheid. »Exakt dieses Fabrikat war es, an das meine Wenigkeit dachte«, sagte Parker. »Könnte es zutreffen, daß die Herren, die so freundlich waren, Sie zu überfallen, einen sogenannten Käfer benutzten?« »Ausgeschlossen!« gab der Wissenschaftler zurück. »Ein Käfer war das auf keinen Fall! Rays Freunde fahren so ein Auto. Daher kenne ich das Geräusch.« Eine andere Antwort hatte Parker auch kaum erwartet. Der hellblaue Käfer, der Mylady und ihm am Nachmittag gefolgt war, konnte nach der mißglückten Bachüberquerung noch nicht wieder fahrbereit sein. »Darf man aus Ihren Äußerungen schließen, Sir, daß Mister Marlings Freunde Ihnen persönlich bekannt sind?« wollte der Butler wissen, und Lindsay nickte. »Dan und Phil haben ihn manchmal hier abgeholt, wenn sein Moped defekt war«, gab er Auskunft. »Aber näher kenne ich die beiden auch nicht.« So gut er sich erinnern konnte, beschrieb Lindsay die jungen Leute. Parker wußte schon nach den ersten Sätzen genug. Daß der Käfer von Dan und Phil hellblau lackiert war, hätte der Professor ihm gar nicht erzählen müssen. Später ging er mit Lindsay noch zum Labor hinüber, um den geplünderten Stahlschrank in Augenschein zu nehmen. Das Labor machte schon wieder einen halbwegs funktionsfähigen Eindruck. Der greise Wissenschaftler und sein junger Gehilfe hatten tüchtig zugepackt beim Aufräumen. Die Türen des Stahlschranks, in dem Lawrence Lindsay seine Versuchsprotokolle aufbewahrt hatte, standen weit offen. In dem Schloß, das einem professionellen Einbrecher ohnehin nicht lange getrotzt hätte, steckte noch der Schlüssel. »Alles weg«, klagte Lindsay und deutete auf die leeren Fächer. »Aber das Wichtigste haben sie doch vergessen.« Er führte den Butler zu einem Tisch und zeigte ihm das kleine schwarze Kästchen, das dort lag. »Der Ultraschallgenerator! Ohne den ist Lindsaynit harmlos wie Seifenpulver.« Schadenfroh kicherte das Männchen in sich hinein. »Morgen werde ich meine Versuche schon fortsetzen«, kündigte Lindsay unternehmungslustig an, als sie wieder zum Haus zurückgingen. »Um die Experimente erfolgreich zu Ende zu führen,
brauche ich die Protokolle nicht. Nur später, wenn ich die sensationellen Ergebnisse in der Zeitschrift der Königlichen Akademie der Wissenschaften veröffentliche, muß ich die Unterlagen rekonstruieren. Können Sie sich vorstellen, was das für eine Arbeit wird, Mister Parker?« »Möglicherweise lassen sich die gestohlenen Unterlagen bis dahin doch wieder beschaffen, Sir«, gab der Butler zur Antwort. »Darf man sich übrigens noch erkundigen, ob die Herstellung von Lindsaynit mit besonderem Aufwand technischer oder finanzieller Art verbunden ist?« »So kompliziert und langwierig die Entwicklung war – die eigentliche Herstellung der Substanz ist nicht schwierig«, gab Lindsay zur Antwort. »Wer über meine Protokolle verfügt, kann Lindsaynit in jedem ordentlich eingerichteten Schullabor herstellen.« »Falls Sie die Güte haben, Sir, meiner Wenigkeit noch eine letzte Frage zu beantworten«, sagte Parker, »so würde man gern erfahren, ob Ihre Protokolle auch Aufzeichnungen über die Ultraschallfrequenzen enthalten, die nötig sind, um die Substanz zur Explosion zu bringen.« »Kein Wort, Mister Parker!« rief Lindsay aus und kicherte wieder vergnügt. »Die Unterlagen über diese Versuchsreihe, die ja mit der Herstellung von Lindsaynit nichts zu tun hat, habe ich gar nicht im Labor aufbewahrt, sondern in meinem Schlafzimmerschrank. Und da liegen sie auch noch.« »Dennoch sollte man alles daransetzen, die unbefugte Herstellung der von Ihnen entwickelten Substanz nach Möglichkeit zu unterbinden, Sir«, meinte der Butler und verabschiedete sich. * Josuah Parker wollte rechtzeitig in Shepherd’s Market sein, um für seine Herrin den Frühstückstisch zu decken. Gerade heute wäre diese Eile aber nicht nötig gewesen, denn Lady Agatha ließ sich mit dem Aufstehen mehr Zeit als sonst. Offenbar hatte sie etliche Kreislaufbeschleuniger eingesetzt, um den Anstrengungen ihrer Meditation gewachsen zu sein. Die Zeiger der Uhr rückten schon auf Mittag zu, als der Butler Mylady endlich von dem nächtlichen Vorfall berichten konnte. »Natürlich werde ich mir zuerst diesen Gärtnerburschen vorneh-
men«, erklärte sie, während Parker ihr frischen Stangenspargel auf aromatischem Parmaschinken vorlegte. »Dem steht die Goldgier doch im Gesicht geschrieben.« »Geruhten Mylady Goldgier zu sagen?« erkundigte sich Parker vorsichtig. »Selbstverständlich sagte ich Goldgier, Mister Parker«, gab die Detektivin zurück. »Ist Ihnen denn nicht klar, was der Lümmel mit den gestohlenen Papieren vorhat? Für mich gibt es da keine Frage.« »Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, sich gewisse Gedanken über mögliche Zusammenhänge zu machen«, teilte der Butler höflich mit. »Man sah sich aber noch nicht in der Lage, zu endgültigen Schlüssen zu kommen, falls dieser Hinweis erlaubt ist.« »Das ist doch völlig eindeutig, Mister Parker«, stellte die ältere Dame fest. »Dieser Jim stammt offensichtlich aus bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen«, fügte sie hinzu und schlürfte schnell eine Auster leer. »Und weil er sich nicht mal ein Auto, geschweige denn salonfähige Kleidung leisten kann, ist er natürlich neidisch auf jeden, der ein paar Schilling mehr hat. Können sie mir soweit folgen, Mister Parker?« »Myladys Ausführungen sind von geradezu bestechender Klarheit, falls diese Anmerkung erlaubt ist«, antwortete der Butler in seiner gewohnt höflichen Art. »Haben Sie denn nicht bemerkt, mit welch neidischen Blicken mich der Bengel angestarrt hat, nur weil ich mir ein bescheidenes Fahrzeug leisten kann?« wollte die Detektivin wissen. »Dabei muß ich mir das Geld für Benzin geradezu vom Mund absparen. Wäre ich nicht beruflich auf ein motorisiertes Gefährt angewiesen, würde ich mir diesen Luxus nicht erlauben, Mister Parker.« »Niemals würde es meiner Wenigkeit einfallen, Myladys Äußerungen auch nur im mindesten anzuzweifeln«, versicherte der Butler wahrheitsgemäß und stellte seiner Herrin eine ebenso vielseitige wie nahrhafte Auswahl aus dem Käseangebot zusammen. »Wo war ich stehengeblieben, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson und schob sich flink ein geräuchertes Forellenfilet mit reichlich Meerrettichsahne in den Mund. »Mylady hatten in beeindruckender Weise die Vermögensverhältnisse des jungen Mister Marling analysiert«, gab der Butler Auskunft. »Daran hatten Mylady die Feststellung angeschlossen, daß der Genannte von der verwerflichen Eigenschaft des Neides befal-
len sein müsse.« »Und weil er so neidisch ist, will er selber aus Steinen Gold machen«, fuhr die ältere Dame fort. »Der dumme Junge!« setzte sie nach einer Pause hinzu, die mit dem Verzehr des nächsten Forellenfilets ausgefüllt war. »Nachher fallen die Goldpreise in den Keller, und er hat sich umsonst bemüht.« »Mylady haben zweifellos auch erwogen, daß Mister Marling möglicherweise an anderen Dingen interessiert sein könnte als an der Herstellung von Gold«, gab Parker zu bedenken. »Natürlich habe ich daran gedacht, Mister Parker.« sagte die Hausherrin ungeniert. »Einer Detektivin meines Ranges entgeht eben kein Aspekt dieses außerordentlich komplizierten Falles.« »Mister Marling könnte als Mitglied einer kriminellen oder jedenfalls gewalttätigen Gruppierung Interesse an der Herstellung der explosiven Substanz Lindsaynit haben«, fuhr der Butler fort. »Das habe ich Ihnen eben auseinandergesetzt, Mister Parker«, behauptete Lady Agatha dreist. »Sie sollten zuhören, wenn ich Ihnen meine Schlußfolgerungen erläutere. Sonst werden Sie nie etwas von mir lernen.« »Selbstverständlich wird man in Zukunft noch intensiver bemüht sein, Mylady keinen Anlaß zu Beanstandungen mehr zu geben«, versicherte Parker. »Natürlich gibt es noch eine weitere Möglichkeit«, mußte der Butler sich von seiner Herrin belehren lassen. »Dieser Lümmel kann den Sprengstoff ja auch für seine eigenen Zwecke herstellen, um damit den Tresor einer Bank zu sprengen.« »Keinesfalls sollte man solch eine Möglichkeit ausschließen, Mylady«, stimmte Parker zu. »Andererseits dürfte das Verhalten von Mister Marlings Freunden die Vermutung nahelegen, daß eine kriminelle Vereinigung hinter dem Raub der Papiere steht. Möglicherweise auch eine militante politische Gruppierung, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf.« »Militante politische Gruppierung«, wiederholte Mylady und betonte jedes Wort einzeln. »Das ist es ja, was ich Ihnen von Anfang an erklären wollte, Mister Parker. Endlich haben Sie es begriffen.« »Man dankt verbindlich für dieses völlig unverdiente Lob, Mylady«, gab Parker in seiner unerschütterlichen Höflichkeit zurück. »Ich habe es also mit einer militanten politischen Gruppierung zu tun«, stellte die Detektivin tief befriedigt fest und machte den
Käsewürfeln den Garaus. »Wenn Sie mir bis hierher folgen konnten, Mister Parker, wird es Sie nicht überraschen, daß es sich um Rechtsextremisten handelt.« »Nach der völlig unmaßgeblichen Meinung meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte der Sprachgebrauch von Mister Marlings Freunden eher auf das extreme linke Spektrum hindeuten«, wandte Parker ein. »Rechts oder links – was soll diese kleinliche Unterscheidung.« wischte Agatha Simpson den Einwand vom Tisch. »Auf jeden Fall sind sie militant, und das ist die Hauptsache.« »Darf man sich in aller Bescheidenheit erkundigen, welche Schritte Mylady als nächste anzuordnen gedenken?« ließ Parker sich vernehmen, während er den verwüsteten Frühstückstisch abräumte. »Natürlich werde ich zuerst diesen Gärtnerburschen ins Verhör nehmen, Mister Parker«, kündigte die Detektivin an. »Das sagte ich bereits. Und sobald er gestanden hat, werde ich den Rest der Bande hinter Schloß und Riegel bringen.« »Dann darf man zweifellos davon ausgehen, daß Mylady die Absicht hegen, Mister Ray Marling einen Besuch abzustatten?« »Selbstverständlich, Mister Parker.« * Vor der Abfahrt, die sich wegen einer plötzlichen Kreislaufschwäche seiner Herrin auf den späten Nachmittag verschoben hatte, war Parker noch ans Telefon gegangen. Er hatte den Wissenschaftler angerufen, um zu erfahren, ob Ray Marling heute wieder zum Helfen gekommen sei. »Leider nicht«, lautete die Antwort des Professors. »Der Junge ist krank geworden. Heute morgen hat er mich angerufen und gesagt, daß er nicht kommen kann.« Daraufhin hatte Parker sich nach Rays Anschrift erkundigt. »Sie glauben doch nicht etwa, daß der Junge etwas mit dem Überfall zu tun hat?« fragte Lindsay entsetzt. »Das ist völlig ausgeschlossen, wenn sie einem alten Mann mit Lebenserfahrung glauben wollen. Der Junge ist nicht nur hilfsbereit, sondern grundehrlich. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.« »Mit derartigen Ankündigungen sollte man grundsätzlich zurück-
haltend umgehen, falls meine bescheidene Wenigkeit sich diese Anmerkung erlauben darf«, entgegnete Parker. »Allzu leicht könnten schmerzhafte Brandblasen die Folge sein.« Das Dorf, in dem Ray Marling wohnte, machte einen ausgesprochen ärmlichen Eindruck. Und das Elternhaus des jungen Mannes, das Professor Lindsay dem Butler, am Telefon beschrieben hatte, wirkte noch dürftiger als die anderen Gebäude. Vor der grauen Kate mit dem briefmarkengroßen Rasenstück ließ der Butler sein hochbeiniges Monstrum ausrollen. Hier lebte Ray mit seinem Vater. Die Mutter des jungen Mannes rar vor einigen Jahren nach einem Autounfall gestorben, wie der Professor zu berichten wußte. Behutsam half Parker seiner Herrin, ihre beeindruckende Körperfülle aus lern Fond des Wagens zu bugsieren, ehe er an die windschiefe und rissige Haustür klopfte. Es dauerte eine Weile, bis schwere, schlurfende Schritte im Flur zu vernehmen waren. Dann wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet, und ein breites, unrasiertes Männergesicht tauchte auf. »Darf man davon ausgehen, Mister Dean Marling vor sich zu haben?« erkundigte sich der Butler höflich. »Den Vater eines gewissen Ray Marling, wenn man es mal so ausdrücken darf?« »Was ist los?« grunzte der Mann unwillig und musterte den Butler mißtrauisch aus zusammengekniffenen Augen. Er schob die Tür ein Stück weiter auf, so daß ein riesiger Bauch sichtbar wurde, der von einem ehemals weißen Unterhemd mühsam zusammengehalten wurde. Ray Marlings Vater war mindestens einen Kopf größer als Josuah Parker. Und er war etwa doppelt so breit. »Lady Agatha Simpson, in deren Diensten zu stehen meine Wenigkeit die Ehre hat, wünscht Mister Ray Marling zu sprechen«, erklärte der Butler. Doch Dean Marling verstand immer noch nicht. Oder er wollte nicht verstehen. »Lernen Sie erst mal, sich so auszudrücken, daß ein normaler Mensch Sie auch versteht«, knurrte er. »Dann können Sie wiederkommen.« Er wollte die Tür zuknallen, doch Parker hatte schon seinen altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm gezückt und ließ die bleigefüllte Spitze leicht gegen Marlings Brust tippen. »Man dankt verbindlich, auch im Namen Myladys, für die freundliche Einladung, einzutreten«, erklärte der Butler höflich, während er über die Schwelle schritt und Rays Vater rückwärts taumelte,
bis er am Rahmen der Küchentür Halt fand. »Was soll der Mist?« fluchte Marling. »Der Junge ist nicht da. Verschwinden Sie! Leute wie Sie passen nicht in dieses Haus!« »Das ist eine Feststellung, die auch meine Wenigkeit unterstreichen würde, Mister Marling«, entgegnete Parker höflich. »Mylady hatte allerdings auch nicht an einen längeren Aufenthalt gedacht. Es handelt sich lediglich um ein Gespräch mit Ihrem Sohn, falls dieser Hinweis erlaubt ist.« »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß er nicht da ist«, knurrte Marling, »also verschwinden Sie!« »Mylady wurde allerdings dahingehend informiert, daß Ihr Herr Sohn erkrankt sei, Mister Marling«, erklärte Parker unbeeindruckt. »Darf man bei dieser Gelegenheit der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß es nichts Ernsthaftes ist?« Marling lief dunkelrot an. Die dicke Ader an seiner Schläfe pochte beängstigend. »Und wenn er krank ist, der Bengel?« brüllte er. »Was geht Sie das an? Vielleicht liegt er auch in seinem Zimmer im Bett… Alt genug ist er ja, daß ich ihn nicht ständig beaufsichtigen muß.« »Falls Sie keine Einwände erheben, Mister Marling«, ließ Parker sich in seiner gelassenen Art vernehmen, »würde meine Wenigkeit gern einen Blick in das Zimmer Ihres Sohnes werfen, um sich von dem Sachverhalt zu überzeugen.« Da war es mit Marlings Beherrschung endgültig vorbei. Mit wütendem Schrei griff er nach der schweren, gußeisernen Bratpfanne auf dem Herd. Doch ehe er sein Wurfgeschoß in Parkers und Myladys Richtung schleudern konnte, war der schwarze UniversalRegenschirm schon wieder vom angewinkelten Arm seines Besitzers gehüpft. Flink glitt der bleigefüllte Bambusgriff über den Boden und legte sich unwiderstehlich um Marlings Knöchel. Dem schwergewichtigen Mann wurden im wahrsten Sinn des Wortes die Beine unter dem Leib weggerissen. Mit entsetztem Aufschrei warf er die Hände in die Luft, um irgendwo einen Halt zu. finden. Zu seinem Leidwesen entglitt ihm dabei die Bratpfanne und flog durch die verglasten Türen in den Geschirrschrank an der Stirnwand der Küche. Dean Marling torkelte rückwärts, ruderte mit den Armen, ohne einen Widerstand zu finden, und knallte dann mit dem vollen Gewicht seines Körpers rücklings gegen den schon arg lädierten Geschirrschrank. Dabei machte sein Hinterkopf so
intensive Bekanntschaft mit der Oberkante des Schrankes, daß er plötzlich allen Schmerz und alle Wut vergaß. Dean Marling ließ die Arme sinken, verdrehte die Augen und brabbelte unverständliche Laute, ehe er in den Knien einknickte, die für seinen wuchtigen Oberkörper ohnehin zu schwach erschienen. Zentimeter für Zentimeter rutschte er mit dem Rücken an den Schranktüren nach unten, bis er auf dem Küchenboden eine einigermaßen bequeme Sitzstellung fand. Dabei brachen allerdings die vorderen Füße des Schrankes ab, was für Rays Vater weitere fatale Folgen hatte. Im Zeitlupentempo neigte sich das Möbelstück nach vorn, wodurch zuerst die schwere Bratpfanne in Bewegung geriet. Ein Ton wie von einer Kirchenglocke erklang, als sich der gußeiserne Boden auf die Schädeldecke des Mannes senkte. Marling hatte für derlei akustische Genüsse allerdings kein Ohr. Er sackte nur noch etwas tiefer in sich zusammen und ließ den Platzregen aus Tellern, Schüsseln, Tassen und Scherben unbestimmbarer Herkunft geduldig auf sich niederprasseln. Josuah Parker griff erst ein, und bewahrte Marling vor weiterem Schaden, als der Schrank endgültig nach vorn zu kippen drohte. »Falls sich Mister Ray Marling tatsächlich in seinem Zimmer aufhalten sollte, dürfte er auf Myladys Besuch inzwischen hinlänglich vorbereitet sein«, kommentierte Parker das ohrenbetäubende Scheppern, während seine Herrin auf der schmalen Stiege ins Obergeschoß voranschritt. Die wurmstichigen Stufen ächzten erbärmlich, aber sie hielten Lady Agathas Gewicht überraschenderweise stand. Da es oben nur zwei Zimmer und eine Abstellkammer voll Gerumpel gab, hatte der Butler schnell den Raum gefunden, den Ray Marling bewohnte. Schon die Parolen an der Tür machten auf die Ideen aufmerksam, die durch den Kopf des Bewohners spukten. »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, las Parker seiner Herrin vor. »Haut den Bullen in die Fresse«, fand Agatha Simpson noch einigermaßen witzig. Dagegen konnte sie sich mit der Forderung »Krieg den Palästen, Friede den Hütten!« überhaupt nicht anfreunden. Die Wände des Zimmers waren mit ähnlichen Parolen bedeckt. Ansonsten gab es in dem bescheidenen Raum ein unordentlich
gemachtes Bett, einen Schrank voll schmutziger Wäsche, einen Stuhl und ein kleines Wandregal mit einem Dutzend Bücher. Daß Ray sich nicht in seinem Zimmer aufhielt, überraschte den Butler keineswegs. Daß der Junge sich am Morgen nach dem Überfall scheute, dem Professor unter die Augen zu treten, und deshalb die Krankheit vorgetäuscht hatte, war naheliegend. Selbst wenn er den Überfall nicht begangen, sondern nur die entscheidenden Tips geliefert hatte. Die Suche nach den gestohlenen Versuchsprotokollen verlief ebenfalls ergebnislos, obwohl Parker nach dem Besuch in Rays Zimmer auch die übrigen Räume des Hauses gründlich unter die Lupe nahm. Das besagte nicht viel, denn nach diesem Überfall wäre Rays Haus mit Sicherheit das dümmste Versteck für die brisante Beute gewesen. Als Parker wieder in die Küche zurückkehrte, schlug Dean Marling gerade die Augen auf und musterte fassungslos die Verwüstungen, die er angerichtet hatte. »Durch ihr freundliches Entgegenkommen, Mister Marling«, richtete der Butler das Wort an ihn, »war es Mylady möglich, sich persönlich davon zu überzeugen, daß Ihr Sohn keineswegs erkrankt ist und deshalb auch nicht das Bett hütet.« Marling brachte nur ein unverständliches Brummen heraus. Sein Versuch, sich vom rutschigen Küchenboden zu erheben, mißglückte kläglich. »Deshalb wären Mylady außerordentlich interessiert, von Ihnen den derzeitigen Aufenthaltsort Ihres Sohnes zu erfahren«, fuhr der Butler fort. »Das geplante Gespräch duldet nämlich keinen allzu großen Aufschub mehr, falls dieser Hinweis erlaubt ist.« Marling wollte schon wieder aufbrausen, doch als er die bleigefüllte Spitze von Parkers Schirm bemerkte, die dicht vor seiner Nase pendelte, gab er klein bei. »Keine Ahnung, wo der Kerl steckt«, knurrte er. »Vielleicht bei seinen verdammten Freunden.« »Darf man sich in aller Bescheidenheit nach den Namen dieser Freunde erkundigen?« ließ der Butler sich vernehmen, obwohl Marling schon wieder die Augen geschlossen hatte und sein Nickerchen auf dem Küchenboden fortsetzen wollte. »Ich kenne nur Phil und Dan«, gab der Mann widerwillig Auskunft. »Die wohnen in einem alleinstehenden Haus gleich hinter Darrington, rechts von der Landstraße. Die anderen Kerls, mit denen
Ray zusammen ist, habe ich auch nur von weitem gesehen.« »Man dankt verbindlich für die erschöpfende Auskunft und wünscht noch einen angenehmen Tagesverlauf, Mister Marling«, sagte Josuah Parker, bevor er seine Herrin durch den düsteren Flur nach draußen geleitete und Dean Marling dem Chaos in seiner Küche überließ. * Gleich nach der kleinen Ortschaft Darrington ließ der Butler sein schwarzes, hochbeiniges Monstrum am Rand der Landstraße ausrollen. Ein schmaler, mit groben Schottersteinen befestigter Fahrweg führte zu einer mannshohen Hecke. Dahinter war das Dach eines flachen, langgestreckten Gebäudes zu erkennen – offenbar das Haus, in dem Rays Freunde Dan und Phil Brigger wohnten. Parker hatte sein Fahrzeug kaum verlassen, als ein großer, schwarzbrauner Boxerhund wütend kläffte. Mit gewaltigem Satz wollte das Tier dem Ankömmling an die Gurgel springen, doch Parker ließ sich durch die ausgesprochen unfreundliche Begrüßung nicht aus der gewohnten Ruhe bringen. Mit der Gelassenheit eines Toreros, der den anstürmenden Kampfstier erwartet, streckte er dem Hund die bleigefüllte Spitze seines UniversalRegenschirmes entgegen. Das Tier hatte bereits zum Sprung angesetzt, als es das Hindernis bemerkte und die Angriffsrichtung ändern wollte. Doch es war schon zu spät. Jämmerlich jaulte der Boxer, als die Schirmspitze erst gegen seine empfindliche Nase tippte und sich dann in seinen aufgerissenen Rachen schob. Alle viere von sich gestreckt, landete der Hund mit dumpfem Geräusch zu Parkers Füßen. Im selben Moment hatte der Vierbeiner seine Angriffsgelüste vergessen, sprang wieder auf die Beine und galoppierte zum Haus zurück. Inzwischen war man auch drinnen auf den unangemeldeten Besuch aufmerksam geworden. Für einen Moment erschien ein Gesicht am Gartentor, das der Butler sofort als das des Käferfahrers erkannte. Dann war der Mann schon wieder verschwunden. Während Parker seiner Herrin beim Aussteigen half, ließ er das Haus nicht aus dem Blickfeld. Deshalb entging ihm auch nicht,
daß Sekunden später zwei Männer hinter dem Tor auftauchten. Phil Brigger hatte sich seinen Bruder Dan zur Verstärkung geholt. Beide hielten Flaschen in der Hand, aus deren Hälsen Stoffetzen hingen. Phil hatte ein Feuerzeug aus der Tasche gezogen und steckte die Lunte seines Molotowcocktails in Brand. Doch Parker durchkreuzte diese feindseligen Absichten rechtzeitig und gründlich. Während der Mann zum Wurf ausholte, spannte der Butler bereits die kräftigen Gummistränge seiner Gabelschleuder. Sekundenbruchteile später glitt die hartgebrannte Tonkugel davon und suchte sich ihr Ziel. Entsetzt schrie Phil auf, als das explosive Wurfgeschoß in seiner Hand zersplitterte. Mit dumpfem Knall entzündete sich das umherspritzende Benzin und hüllte die Brüder für einen Moment in einen Feuerball. In heilloser Panik stürzte Phil davon. Sein Bruder folgte ihm und ließ im Laufen seine Flasche fallen. Sie zerbarst auf den Steinplatten des Gartenweges und sorgte für weiteres Feuerwerk. Sekunden später vernahmen Parker und Lady Agatha lautes Platschen hinter dem Haus. In ihrer Angst hatten Phil und Dan sich in einen schlammigen Ententeich gestürzt, der von der Straße aus nicht zu sehen war. Als der Butler um die Hausecke bog, standen zwar noch die Rosenbüsche in Flammen, doch die beiden Brüder hatten mit ihrer Löschaktion Erfolg gehabt. Über und über mit Schlamm, Schlingpflanzen und Seerosenblättern bedeckt, krochen sie gerade aus dem Tümpel. Trotz dieser Maskierung erkannte auch Agatha Simpson sofort die beiden Männer, denen sie noch eine Lektion über gutes Benehmen schuldig geblieben war. Manchmal zeigte ihr lückenhaftes Gedächtnis eben doch noch überraschende Leistungen… Parker in seiner hilfsbereiten Art war gerade damit beschäftigt, den Brüdern über das glitschige Ufer an Land zu helfen, als er hinter sich eine Tür knarren hörte. Es war Ray Marling. Seine Hände hielten den Stiel einer Mistgabel umklammert, die er als Wurfspieß einzusetzen gedachte. Doch er hatte nicht mit der blitzschnellen Reaktion des Butlers gerechnet. Als wolle er den jungen Mann mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßen, zog Josuah Parker seinen schwarzen Bowler vom Kopf. Doch dann faßte er ihn an der stählernen Krempe und
schickte ihn dem Angreifer entgegen. Wie eine Frisbee-Scheibe glitt die Kopfbedeckung durch die Luft. Ray ließ seine Mistgabel fallen, als er das schwarze Geschoß auf sich zusegeln sah und hob schützend die Hände vors Gesicht. Dadurch entging er zwar einer drohenden Beschädigung seiner Nase. Doch die Wirkung, die die scharfe Krempe auf seine Fingerknöchel ausübte, war alles andere als angenehm, wie man aus dem schmerzverzerrten Gesicht schließen konnte. Ohne die am Boden liegende Waffe und seine schlammtriefenden Kampfgenossen eines weiteren Blickes zu würdigen, stürzte er wimmernd ins Haus und riegelte die Tür hinter sich zu. Inzwischen hatte Lady Agatha die Gelegenheit genutzt, um sich der beiden Brüder anzunehmen. Wie eine zürnende Rachegöttin stand sie am Ufer des Tümpels und sah auf die schnaufenden und prustenden Gestalten hinab, die sich vergeblich bemühten, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ein leises Pfeifen war zu vernehmen, als die ledernen Riemen ihres Pompadour die Luft durchschnitten. Soweit man es durch Schlick und Seerosenblätter hindurch erkennen konnte, war es Phil, der als erster Bekanntschaft mit Lady Simpsons Glücksbringer machte. Gerade hatte er seinen Oberkörper mühsam auf das rettende Ufer gehievt, als sich der lederne Beutel mit der Zärtlichkeit einer Dampfwalze auf seinen Hinterkopf legte. Phil absolvierte eine Bewegung, die an einen mißglückten Liegestütz erinnerte. Dann bettete er unter leisem Stöhnen das Gesicht ins feuchte Gras. Daß seine Beine noch im Wasser hingen, schien ihn jetzt nicht mehr zu stören. Mit finster entschlossener Miene zog Lady Agatha eine der überdimensionalen Hutnadeln aus ihrer eigenwilligen Kopfbedeckung und spießte sie dem Mann ins Gesäß, bevor sie sich unter zufriedenem Grunzen seinem Bruder zuwandte. Wieder durchschnitten die ledernen Riemen geräuschvoll die Luft. Wieder leistete der sogenannte Glücksbringer ganze Arbeit. Dan, der sich noch nicht so weit aus dem Tümpel herausgearbeitet hatte wie sein inzwischen friedlich schlummernder Bruder, gab sein Bemühen augenblicklich auf, als der Pompadour sich auf seine Schädeldecke senkte. Leider zeigte er überhaupt kein Interesse an dem reizvollen Muster, das die kleinen buntemaillierten Eisenkugeln der Perlenstickerei seiner Kopfhaut einprägten.
Parker packte den Mann, der wieder ins Wasser zu rutschen drohte, am Kragen und zog ihn ans Ufer. Die ältere Dame faßte diese menschenfreundliche Geste als Einladung auf, auch Dan mit einer Hutnadel zu behandeln. Und sie nahm ihre Aufgabe sehr gewissenhaft wahr. Jetzt galt es nur noch, Rays habhaft zu werden, der sich im Haus verbarrikadiert hatte. Augenscheinlich war dem jungen Mann aber die Aussichtslosigkeit seiner Situation bewußt geworden. Parker hörte die Haustür klappen und sah Sekunden später, wie Ray über den Fahrweg in Richtung Landstraße davonrannte. Seelenruhig brachte er seinen altväterlich gebundenen Schirm in Anschlag und klappte die Spitze nach unten. Ray mochte so schnell rennen, wie er wollte – der kleine, gefiederte Pfeil, der im nächsten Moment aus dem hohlen Schaft des Schirmes schwirrte, war schneller. Von weitem sah er aus, als machte Ray einen Luftsprung vor überschäumender Freude. Doch die Laute, die er von sich gab, als die nadelscharfe Spitze seinen Hosenboden durchdrang und wippend im Sitzfleisch stecken blieb, klangen nicht danach. Mit beiden Beinen gleichzeitig sprang er mitten im Lauf in die Höhe. Einen Moment schien er unbeweglich in der Luft zu schweben. Dann gehorchte er aber doch den Gesetzen der Schwerkraft und legte sich bäuchlings auf die kantigen Schottersteine. Wie unbequem die Unterlage war, die er sich da ausgesucht hatte, wurde Ray nicht mehr bewußt. Die rasch einsetzende Wirkung des Betäubungsmittels, mit dem der Butler die Pfeilspitze präpariert hatte, ließ ihn die Unannehmlichkeiten der Landung augenblicklich vergessen. »Denen habe ich gezeigt, was es heißt, eine Lady Simpson in ungehöriger Weise zu beleidigen«, stellte die ältere Dame befriedigt fest. Sie hatte die Arme in die ausladenden Hüften gestemmt und den rechten Fuß auf Phils Rücken gesetzt, so daß sie wie ein Großwildjäger auf Safari wirkte, der sich gerade fürs Fotoalbum ablichten läßt. »Das war allerdings erst die unumgänglich notwendige Vorarbeit«, schränkte die Detektivin ein. »Die wichtigste Aufgabe liegt noch vor mir. Mister Parker, bringen Sie die Burschen ins Haus, damit ich mit der Vernehmung beginnen kann!«
* »Verfluchtes Ausbeuterpack!« waren die ersten Worte, die Phil hervorstieß, als er die Augen wieder aufschlug und sich zusammen mit Dan und Ray auf dem verschlissenen Großmuttersofa im Wohnzimmer wiederfand. Mit einem Ruck versuchte er, aus den ächzenden Polstern hochzukommen. Doch die stählernen Handschellen, mit denen der Butler seine Hände auf dem Rücken gefesselt hatte, vereitelten sein Bemühen. Zum Glück überhörte Lady Agatha Phils unhöfliche Bemerkung, weil sie damit beschäftigt war, den Kühlsehrank zu inspizieren. Doch für Dosenbier und billigen Whisky aus dem Supermarkt hatte die ältere Dame keine Verwendung. »Sorgen Sie dafür, daß ich unverzüglich mit der Vernehmung beginnen kann, Mister Parker«, befahl sie frustriert. »Ich fürchte daß mein Kreislauf nicht mehr allzu lange durchhält.« »Mittlerweile dürften die Herren bereit sein, Mylady umfassende Auskünfte zu erteilen, falls meine bescheidene Wenigkeit, sich nicht irrt«, meldete der Butler. Gleich nach Phil waren auch Dan und Ray aus ihren Träumen in die schmerzhafte Wirklichkeit zurückgekehrt. Mit starren Blicken, die eine Mischung von Angst und Erwartung spiegelten, sahen sie Josuah Parker und seiner Herrin entgegen. »Verfl…« wollte Phil schon wieder lospoltern, doch sein Bruder versetzte ihm mit dem Ellenbogen einen derart heftigen Rippenstoß, daß er mitten im Wort verstummte. »Wo sind die Papiere?« wollte Lady Agatha wissen, die sich in drohender Haltung vor den Männern aufgebaut hatte. »Papiere?« fragte Dan und setzte ein ahnungsloses Gesicht auf. »Was für Papiere denn?« »Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt«, erklärte die ältere Dame in scharfem Tonfall. »Ausflüchte lasse ich nicht durchgehen. Eine Detektivin meines Ranges merkt das sofort.« »Aber wir wissen nicht, welche Papiere Sie meinen«, beteuerte Dan. Diese Äußerung hätte er besser unterlassen, denn prompt holte Agatha Simpson zu einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen aus. Haltlos pendelte Dans Kopf von einer Seite zur anderen, als Myladys muskulöse Linke sich auf seine Wange legte. Verzweifelt versuchte der Mann, an die rasch schwellenden roten Striemen heranzukommen, die die gespreizten Finger der älteren Dame hin-
terlassen hatten. Doch die Handschellen hinderten ihn daran, obwohl er sich in geradezu abenteuerlichen Verrenkungen übte. »Soeben habe ich Ihnen erklärt, daß ich keine Ausflüchte dulde«, verkündete die Detektivin mit Donnerstimme. »Ich hoffe, diese kleine Belehrung hat Ihnen gezeigt, daß mit mir nicht zu spaßen ist. Sollten weitere Ungehörigkeiten passieren, kann ich noch deutlicher werden.« »Schon gut«, brummte Phil. »Wir haben verstanden. Was wollen Sie wissen?« »Wo haben Sie die Papiere versteckt?« wiederholte die Detektivin ihre Frage. »Welche Papiere denn?« gab Phil zurück. »Wir haben keine Papiere versteckt!« Hektisch kramte Agatha Simpson in ihrem Gedächtnis. Daß ihre Ermittlungen irgendwie mit gestohlenen Papieren zusammenhingen, daran erinnerte sie sich genau. Aber was waren das für Papiere? Warum waren sie so wichtig? Die einzigen Papiere, an denen Mylady persönliches Interesse zu zeigen pflegte, waren mit dem Porträt der Königin und hübsch verschnörkelten Zahlen bedruckt. Doch plötzlich fiel ihr der rettende Ausweg ein. »Die Einzelheiten wird Ihnen mein Butler erläutern«, verkündete sie. »Mister Parker ist für die Details zuständig.« »Mylady geruhten, von den Versuchsprotokollen zu sprechen, die Professor Lawrence Lindsay nach einem Überfall in der vergangenen Nacht entwendet wurden, falls man sich diesen erläuternden Hinweis erlauben darf«, kam der Butler dem Befehl seiner Herrin nach. »Professor Lindsay?« fragte Dan zurück. »Ist das nicht der verrückte Greis, dem gestern das Gartenhaus in die Luft geflogen ist?« »Sofern meine Wenigkeit die etwas vulgäre Ausdrucksweise des Herrn richtig zu deuten weiß, dürfte es sich um die nämliche Person handeln«, bestätigte Parker. »Professor Lindsay stand unmittelbar vor dem Abschluß einer grundlegenden wissenschaftlichen Forschungsarbeit, als sich die bedauerliche Detonation in seinem Labor ereignete.« »Und heute nacht soll jemand die Versuchsprotokolle gestohlen haben?« meldete Ray sich zu Wort. »Wer kann denn nur auf so eine Idee kommen?« »Mit Sicherheit jemand, der den Aufbewah-
rungsort der schon mehrfach erwähnten Papiere genau kannte, Mister Marling«, entgegnete der Butler. »Die Täter dürften auch darüber informiert gewesen sein, daß Professor Lindsay den Schlüssel stets bei sich zu tragen pflegte.« »Sie wollen doch nicht behaupten, ich wäre das gewesen!« rief Ray, und seine Empörung klang fast echt. »In Ihrem eigenen Interesse wäre es besser, junger Mann, Sie würden auf der Stelle ein umfassendes Geständnis ablegen«, schaltete Lady Agatha sich wieder in die Vernehmung ein. »Leugnen hilft Ihnen ohnehin nicht. Meinen Verhörmethoden hat auf die Dauer noch niemand widerstanden.« »Falls Mylady gestatten, würde meine Wenigkeit diese Feststellung mit allem Nachdruck unterstreichen«, pflichtete der Butler ihr bei, doch auf Ray schien die Warnung noch nicht genügend Eindruck gemacht zu haben. »Geständnis?« gab der junge Mann patzig zurück. »Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank! Beweisen Sie mir doch erst mal was!« »Beweise sind als Mittel der Kriminalistik längst überholt«, belehrte die Detektivin ihn. »Geständnisse sind das einzige, worauf es ankommt.« »Da kann ich ja nur lachen«, rief Ray. Doch aus dem Lachen wurde nichts. »Könnte es zutreffen, Mister Parker, daß hier soeben eine Dame der Gesellschaft von einem Rüpel gröblich beleidigt wurde?« erkundigte sich die Detektivin und setzte ihren Pompadour in Schwingung. »Mylady haben den juristischen Tatbestand in geradezu bewundernswerter Klarheit in Worte gefaßt«, bestätigte Josuah Parker wunschgemäß. Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, als die ältere Dame sich schon auf die ihr eigene Weise Genugtuung verschaffte. Ray Marling versuchte, sich zur Seite zu ducken, als der perlenbestickte Pompadour heranschwebte. Er konnte jedoch nicht mehr verhindern, daß Agatha Simpsons Glücksbringer übermütig auf seine Schädeldecke hüpfte. Was er ihm brachte, hatte allerdings mit Glück nicht viel zu tun. Der junge Mann jammerte in den höchsten Tönen, als die kleinen, buntemaillierten Perlen über seine Kopfhaut glitten. Aber wenigs-
tens hatte er sich soweit aus der Flugbahn bringen können, daß der Pompadour die Schädeldecke als Landeplatz verschmähte und noch ein Stück weiterrutschte. Der Leidtragende war sein Sitznachbar Dan, dessen Schläfe sich dem ledernen Beutel als Ausweichziel geradezu anbot. Stöhnend fuhr er zuerst in die Höhe und sackte dann in sich zusammen. Aus glasigen Augen betrachtete er den Butler und die Detektivin fassungslos, bevor er seinen Kopf nach vorn sinken ließ, noch ein paar unverständliche Worte murmelte und schließlich jedes Interesse am Fortgang der Unterhaltung verlor. Ray Marling blieb allerdings keine Zeit, diesen Gang der Dinge mit Erleichterung oder Schadenfreude zu genießen. Es gab eben Situationen, in denen die ältere Dame eine unübertreffliche Gründlichkeit an den Tag legte. Ehe der junge Mann wußte, wie ihm geschah, schickte die Detektivin noch eine Ohrfeige hinterher, die auch ihn ins Reich der unruhigen Träume schickte. Phil Brigger hatte die Ereignisse, die sich neben ihm auf dem Sofa vollzogen, so hautnah miterlebt, daß er noch den Luftzug zu spüren glaubte, der von dem Pompadour ausging. Vor Entsetzen hatte er Mund und Augen immer weiter aufgerissen. Jetzt zog er instinktiv den Kopf ein und spähte ängstlich in Pompadours Richtung. Doch die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Die Beleidigung war aus der Welt geschafft und die Detektivin wollte ihr Verhör fortsetzen, solange es noch einen vernehmungsfähigen Verdächtigen gab. * »Jetzt ist es aber wirklich höchste Zeit für Ihr Geständnis, junger Mann!« forderte Lady Agatha den völlig eingeschüchterten Phil auf. »Aber versuchen Sie nicht, mir irgendwelche Märchen aufzutischen! Ich könnte mich sonst leicht wieder beleidigt fühlen.« Phil schien nicht gerade erpicht darauf, Pompadours Unmut zu erregen. Was er soeben erlebt hatte, reichte ihm offenbar fürs erste. »Wenn Sie mich fragen, werde ich Ihnen antworten«, bot er schüchtern an. »Und ich werde nur die Wahrheit sagen. Ehrenwort!«
»Mich wundert, daß Ihnen ein Begriff wie > EhrenwortRote Faust < erst vier Finger hat.« »Rote Faust? Buckingham-Palast?« Das war zu viel für eine trotz allem konservative Angehörige des britischen Hochadels. »Den Palast Unserer Majestät wollten Sie…« Es dauerte nur Sekunden, bis sie ihren Ärger abreagiert hatte und liebevoll ihren ebenso gehorsamen wie zuverlässigen Pompadour streichelte. Doch Phils Verhör war von diesem Zeitpunkt an beendet. Dafür war jetzt Ray an der Reihe. Er hatte unvorsichtigerweise die Augen geöffnet und dadurch zu erkennen gegeben, daß er wieder ansprechbar war. »Ihr Kollege war bereits so entgegenkommend, Mylady alles Wichtige über den Raub der Protokolle und die geplante Verwendung des Sprengstoffes mitzuteilen«, richtete der Butler das Wort an ihn. »Man wäre dem Herrn deshalb außerordentlich verbunden, wenn er sich bereitfände, die letzte noch offene Frage zu beantworten.« Ray Marling, in dessen Kopf ein Mühlrad zu arbeiten schien, brummte nur. »Mister Phil Brigger sah sich bedauerlicherweise wegen einer plötzlichen Unpäßlichkeit nicht in der Lage, weiterhin am Verhör teilzunehmen, falls man sich diesen erklärenden Hinweis erlauben darf«, teilte Parker in seiner höflichen Art mit. »Andernfalls hätte meine Wenigkeit es zweifellos vermieden, Sie zu belästigen.« »Was für eine Frage denn?« erkundigte sich Ray und versuchte angestrengt den Kopf aufrecht zu halten. Da ihm das nur mangelhaft gelang, ließ er sich stöhnend wieder in die Polster zurückfallen und schloß die Augen. »Mylady wäre außerordentlich interessiert an einer präzisen Auskunft darüber, wo sich die gestohlenen Versuchsprotokolle zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden«, gab Parker Auskunft, während seine Herrin zur Bekräftigung ihren Pompadour schwenkte. »Nicht hier«, brachte Ray Marling mühsam heraus. »Eine nicht sehr erschöpfende Auskunft, wie man sicher anmer-
ken muß«, erklärte Parker. »John hat das ganze Paket«, behauptete Ray und wollte schon wieder wegdämmern, aber Parker holte ihn mit ungewohnt kräftigem Räuspern ins harte Leben zurück. »Mylady würde es zweifellos begrüßen, wenn Sie auch noch den Aufenthaltsort des genannten Herrn mitteilen könnten«, sagte der Butler, sobald sein Gegenüber wieder die Augen geöffnet hatte. »John ist nach London gefahren«, stöhnte Ray. »Und das Paket?« wollte die Detektivin endlich wissen. »Das hat er mitgenommen«, gab Ray noch von sich. Weitere Äußerungen waren ihm nicht mehr zu entlocken. Er schnarchte friedlich und trotzte beharrlich allen Versuchen, ihn wach zu kriegen. Parker, der von seiner Herrin gerade weitere Instruktionen erbitten wollte, blieb plötzlich lauschend stehen, als sich auf der wenig befahrenen Landstraße ein Auto näherte. Deutlich war zu hören, wie der Fahrer Gas wegnahm und unvermittelt wieder beschleunigte, als er ungefähr auf der Höhe des Hauses war. Das konnte ein Zufall sein. Der Butler zog aber auch die Möglichkeit in Betracht, daß es sich um John handelte, den vierten Finger der sogenannten »Roten Faust.« Es war nicht auszuschließen, daß er in diesem Moment aus London zurückgekehrt war und Parkers hochbeiniges Monstrum an der Landstraße bemerkt hatte. * »Falls Mylady keine Einwände erheben«, erklärte Parker, »würde meine bescheidene Wenigkeit die Gelegenheit wahrnehmen, um im Garten ein wenig frische Luft zu schöpfen.« Die ältere Dame war einverstanden. Sie selbst zog es jedoch vor, im Haus zu bleiben, wo sie Phil, Dan und Ray im Auge behalten konnte. Als Josuah Parker die Haustür öffnete, huschte ein schwarzbrauner Schatten an ihm vorbei ins Freie. Es war der Boxerhund, der sich nach seinem ersten Zusammentreffen mit dem Butler ängstlich unter dem Küchentisch verkrochen hatte. In langen Sätzen jagte das Tier um die Hausecke und verschwand im hinteren Teil des Gartens, der an ein Waldstück grenzte. Inzwischen war die Abenddämmerung hereingebrochen. Büsche
und Bäume warfen tiefe Schatten, in denen die schwarzgekleidete Gestalt des Butlers untertauchte. Konzentriert spähte er mit seinen Nachtvogelaugen in die Richtung, in die der Hund davongelaufen war. Plötzlich drang Gebell an sein Ohr. Das Kläffen hörte sich jedoch nicht bedrohlich an, als hätte der Hund einen Eindringling gestellt. Eher schien es, als ob er freudig einen Freund begrüßte. Wenig später gewahrte der Butler im Ungewissen Zwielicht eine Männergestalt, die langsamen Schrittes von der Obstwiese her sich dem Haus näherte. Im Gehen versuchte der Unbekannte, den Hund zu beruhigen, der immer wieder freudig an ihm hochsprang. Als der Mann das Haus fast erreicht hatte, blieb er lauschend stehen. Langsam zog er etwas aus seinem Jackenausschnitt bevor er an die hintere Tür trat. Vorsichtig drückte er die Klinke nieder, doch der Riegel, den Ray nach seinem mißglückten Mistgabelangriff auf den Butler von innen vorgeschoben hatte, versperrte den Weg. »Darf man dem Herrn möglicherweise eine helfende Hand anbieten?« sagte Parker plötzlich und trat aus dem undurchdringlichen Schatten. Augenblicklich brach der Mann seine erfolglose Beschäftigung mit der verbarrikadierten Tür ab und fuhr auf dem Absatz herum. In seiner Rechten schimmerte der kalte Stahl eines Revolvers. Sein Pech war, daß Parker mit dieser Zuspitzung der Ereignisse gerechnet hatte. Fest lag der Bambusgriff des schwarzen Universal-Regenschirmes in der Hand des Butlers, während die bleigefüllte Spitze einen Halbkreis beschrieb. Von unten her tippte sie gegen das Handgelenk des völlig verdutzten Mannes, der daraufhin alle feindseligen Absichten vergaß. Schmerzhaft jaulte er, riß die getroffene Hand in die Höhe und ließ die Waffe fahren. In hohem Bogen flog der Revolver auf die Wiese. Wie ein Mensch, der die Hosen voller Ameisen hat, hüpfte John hin und her und rieb dabei sein schnell schwellendes Handgelenk. In dem Hund weckte der Angriff auf seinen Herrn neuen Mut, und er warf sich auf den Butler. Doch Parker zog seelenruhig seinen schwarzen Bowler und stülpte ihn dem Hund über den Kopf. Augenblicklich erstarb das wütende Kläffen und Knurren. Winselnd machte der Boxer kehrt und legte
sich seinem Herrn zu Füßen. »Man bittet höflichst um Nachsicht«, sagte Parker. »Die kleine Behandlung dürfte dem Herrn gewisse Schmerzen zugefügt haben. Sie war jedoch unvermeidlich, falls man sich diese Bemerkung erlauben darf.« John Collings antwortete nicht, massierte nur weiterhin sein Handgelenk und hielt insgeheim nach seiner Pistole Ausschau, die irgendwo im Gras liegen mußte. »Im Umgang mit Feuerwaffen sollte man sich der größten Sorgfalt befleißigen«, stellte der Butler fest. »Allzu leicht könnten bei unsachgemäßem Gebrauch Folgen eintreten, die nicht wiedergutzumachen sind.« »Was wollen Sie?« knurrte Collings. »Wie kommen Sie dazu, mich in meinem eigenen Garten zu überfallen?« »Demnach dürfte meine Wenigkeit die Ehre haben, Mister John Collings gegenüberzustehen.?« forschte Parker unbeirrt. »Dem vierten Finger der >Roten Faust