Media Reloaded
Arnold Picot · Axel Freyberg Herausgeber
Media Reloaded Mediennutzung im digitalen Zeitalter
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Herausgeber Prof. Dr. Dr. Arnold Picot Universit¨at M¨unchen Institut f¨ur Information, Organisation und Management Ludwigstr. 28 80539 M¨unchen Germany
[email protected] Axel Freyberg A.T. Kearney GmbH Charlottenstr. 57 10117 Berlin Germany
[email protected] ISBN 978-3-642-11242-3 e-ISBN 978-3-642-11243-0 DOI 10.1007/978-3-642-11243-0 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der ¨ Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Seit dem Aufkommen des Internets unterliegt die Mediennutzung einem fundamentalen Wandel – tradierte Geschäftsmodelle im Mediensektor werden in Frage gestellt und es eröffnen sich immer neue Möglichkeiten der Mediennutzung. Der klassische, einseitige Konsum von vorstrukturierten Medieninhalten gehört zwar noch lange nicht der Vergangenheit an – er wird jedoch immer mehr durch Formen der interaktiven, partizipativen und selbst bestimmten Mediennutzung ergänzt. Und das mit weitreichenden Herausforderungen für die Medienbranche und deren Geschäftsmodelle – aber auch für Politik, Unternehmen und öffentliche Institutionen sowie jeden einzelnen Medienkonsumenten. Den Nährboden für diesen Wandel bereiten der Breitbandboom im Festnetz- und Mobilfunkbereich, die digitale Aufrüstung und beginnende Vernetzung der Heimelektronik, die rasant wachsende Funktionalität bei den Mobilfunkgeräten und die technische Evolution im Onlinebereich. Informationen und Medieninhalte sind heute in den „Fingerspitzen“ der Konsumenten – wann immer sie wollen, wo immer sie wollen. Damit sehen sich klassische Medienformen wie zum Beispiel das Fernsehen oder Printmedien mit einem tief greifenden Umbruch konfrontiert: Sie sind dazu gezwungen, neue Wege finden, ihre Kunden zu erreichen und am Markt erfolgreich zu sein. Dazu müssen sie vor allem die neuen Freiheiten des Online-Umfelds, wie zum Beispiel in der Werbung und der Interaktion für sich nutzen. Gleiches gilt für die Inhalteanbieter. Selbst Meinungsbildner wie die politischen Parteien stehen vor neuen Herausforderungen, die neue Medienvielfalt für sich zu nutzen, um ihre Botschaften zu transportieren. Dabei sind die Konsumenten von Botschaften längst zu „Nutzern von Inhalten und Plattformen“ avanciert: Sie greifen zunehmend selbst in die Medienerstellung ein und werden zu Bild-Reportern oder Produzenten eigener Online-Programme und -Serien. Für die Medienunternehmen stellt sich somit die Frage, wie sie diese Kundenenergie positiv nutzen können. Doch nicht nur die Medienunternehmen, sondern auch die Nutzer selbst sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Sie reichen vom Umgang mit der neuen Medienvielfalt und der Notwendigkeit des kritischen Filterns von Informationen bis hin zum Datenschutz, Jugendschutz und der digitalen Selbstbestimmung. Die ständige Balance zwischen Segen und Fluch des digitalen Medienzeitalters trifft alle – und stellt gerade auch für die Politik eine ganz besondere Herausforderung dar.
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Vorwort
Der Münchner Kreis hat die vielfältigen Aspekte der Fragestellungen rund um den Wandel in der Mediennutzung und die Implikationen auf die Medienlandschaft, die Politik und die Gesellschaft in seiner Fachkonferenz präsentiert und diskutiert. Im Rahmen der Konferenz sind die großen Protagonisten des Medienmarktes zusammen gekommen und haben die Frage, wie die Entwicklung tradierter Geschäftsmodelle einzuschätzen ist und welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben, diskutiert. Ein Ausblick auf die nächsten zehn Jahre sollte zukünftige Veränderungen beleuchten, die sich bei der Überführung der Prinzipien aus der innovativen Online- in die klassische Medienwelt, beispielsweise in den Bereichen Werbung und Interaktion, ergeben. Die wichtige Diskussion über die Herausforderungen an Politik und Gesellschaft durch den digitalen Konsumenten – zum einen vor dem Hintergrund der politischen Meinungsbildung und der anstehenden Wahlen, zum anderen vor dem Hintergrund der digitalen Selbstbestimmung – haben das Bild abgerundet. Das vorliegende Buch enthält die Vorträge und die durchgesehenen Mitschriften der Podiumsdiskussionen. Allen Referenten und Diskussionsleitern sowie all denen, die zum Gelingen der Konferenz und zur Erstellung dieses Buches beigetragen haben, gilt unser Dank. Arnold Picot
Axel Freyberg
Inhalt
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Inhalt 1
Das Internet als Medien-Transformator
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Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität, München
DIGITALE MEDIEN – MEDIENNUTZUNG IM UMBRUCH Moderation: Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität München
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Digitale Medien – Der Kampf ums Wohnzimmer und darüber hinaus
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Dr. Martin Fabel, A.T. Kearney GmbH, Berlin
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Mediennutzung im Wandel – Analyse und Aussichten 19 Dalia Das, Bertelsmann AG, Gütersloh
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Neue Kanäle, neue Inhalte: User Generated Content oder wie man sich die Energie der Kunden zunutze machen kann
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Prof. Dr. Thomas Hess, LMU München
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ROUNDTABLE: Broadcast vs. On-Demand – Das Ende des klassischen Medienkonsums?
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Moderation: Dr. Martin Fabel, A.T.Kearney GmbH, Berlin Teilnehmer: Robert Amlung, ZDF, Mainz Barbara Daliri Freyduni, Google Germany GmbH, Hamburg Florian Landgraf, Kabel Deutschland GmbH, Unterföhring Andreas Müller-Schubert, Microsoft Deutschland GmbH, Unterschleißheim Marc Schröder, RTL Interactive GmbH, Köln
NEUE GESCHÄFTSMODELLE – MEDIENLANDSCHAFT IM UMBRUCH Moderation: Dr. Andreas Bereczky, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
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Die Medienlandschaft in 10 Jahren Sascha Lobo, adnation Social Media Advertising, Berlin
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Inhalt
Digitale Werbung – Schöne neue Welt!?
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Dr. Peter Figge, Tribal DDB GmbH
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Neue Geschäftsmodelle aus der Konvergenz der Medien – Transaktions- und Werbeumsätze treiben das Zusammenwachsen der Medienund Kommunikationsindustrie
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Jochen Apel, Alcatel-Lucent Deutschland AG, Berlin
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Von Obama lernen, heißt siegen lernen? Rahmenbedingungen für Wahlkämpfe in Deutschland
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Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen e.V., Mannheim
10 ROUNDTABLE: Der digitale Konsument – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft
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Moderation: Prof. Dr. Arnold Picot, Ludwig-Maximilians-Universität, München Teilnehmer: Marc Jan Eumann, MdL, SPD-Landtagsfraktion NRW, Düsseldorf Karl Michael Friedrich, Vodafone Group Research & Development, München Prof. Peter Kabel, Unternehmer, Hamburg Dr. Clemens Riedl, StudiVZ Limited, Berlin Rainer Tief, Bayerischer Rundfunk, München
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Prof. Dr. Arnold Picot, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Anhang Liste der Referenten und Moderatoren
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1 Das Internet als Medien-Transformator Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität, München Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich darf Sie im Namen des Münchner Kreises herzlich begrüßen zu unserer Konferenz „Media Reloaded“. Vielleicht ging es Ihnen wie mir als Sie zum ersten Mal den Titel dieser Konferenz gehört haben und Sie dachten, was steckt eigentlich dahinter? Reloaded? Vielleicht haben Sie dann auch wie ich einfach gegoogelt. Was kam heraus? Heute wird eigentlich so ziemlich alles reloaded, was man sich vorstellen kann. Sehr frühzeitig wurde der Begriff verwendet, als die Fortsetzung des Films „Matrix“ herauskam – als „Matrix Reloaded“. Und so ging es weiter: • • • • • • • • • • •
Windows Reloaded Linux Reloaded Chip Reloaded Computer Reloaded Automobile Reloaded Beatles Reloaded Kapitalismus Reloaded Kommunismus Reloaded Obama Reloaded Merkel Reloaded Politics Reloaded
Reloaded heißt: aus alt wird neu, und da spielt natürlich das Internet, die digitale Welt, eine wichtige Rolle. Bei uns stehen heute die Medien im Mittelpunkt, also die alten Medien (Bild 1), hier versinnbildlicht durch das altmodische Fernsehgerät.
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Jörg Eberspächer
Bild 1: Das Internet transformiert die Medien, die medialen Gewohnheiten, die Kulturen
Die alten Gewohnheiten, die alten Kulturen, werden transformiert in irgendetwas Neues. Das hat mich als Elektrotechniker natürlich zu dem Bild des Transformators gebracht (Bild 2).
Bild 2: Das Internet als Medien-Transformator (I)
Keine Angst – die Schulstunde ist gleich zu Ende. Sie wissen, aus niedriger Spannung wird hohe Spannung gemacht, sichtbar in der Zahl der Windungen. Die klassischen Medien werden in neue Medien reloaded. Die Frage ist natürlich: heißt das „links = weniger spannend“ und „rechts = hoch spannend“? Das wird hier durch den Transformator impliziert. Aber es kann auch ganz anders sein. Es kann auch sein, dass wir auf der einen Seite hoch spannende, neuartige Medienformen haben – denken wir z.B. an HDTV – und rechts etwas weniger Spannendes, nämlich kleinste Bildchen auf einem Handy (Bild 3)...
1 Das Internet als Medien-Transformator
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Bild 3: Das Internet als Medien-Transformator (II)
Ich denke, wir haben für heute ein Programm zusammengestellt, das viele Facetten dessen darstellt, was hier transformiert wird und welche Rollen die verschiedenen Player im Transformationsprozeß haben. Ich wünsche Ihnen und uns allen „Brain „Reloaded“, auf dass wir neue Eindrücke über dieses wichtige Feld der Informations-, Kommunikations- und Medientechnik bekommen! Und damit steigen wir in die erste Sitzung ein. In der ersten Sitzung bekommen wir eine Einführung in das gesamte Spektrum des Themas von Herrn Dr. Martin Fabel. Herr Fabel ist bei A.T. Kearney. A.T. Kearney hat eine ganz wesentlice Rolle gespielt bei der Vorbereitung der Konferenz, insbesondere in Person von Herrn Axel Freyberg, dem Initiator und Spiritus Rector dieser Veranstaltung, der mit den Kollegen seines Programmausschusses, darunter auch Herrn Dr. Fabel, dieses heutige entwickelt und zusammengestellt hat. Leider ist Herr Freyberg heute kurzfristig dienstlich verhindert. Herr Fabel ist seit längerem bei A.T. Kearney und war vorher unter anderem bei der DEAG, der Deutschen Entertainment AG. Jetzt ist er zuständig für elektronische Medienthemen, Internet, Telekommunikation und Verlage sowie Dienstleister in ganz Europa.
DIGITALE MEDIEN – MEDIENNUTZUNG IM UMBRUCH Moderation: Prof. Dr. Jörg Eberspächer, Technische Universität München
2 Digitale Medien – Der Kampf ums Wohnzimmer und darüber hinaus Dr. Martin Fabel, A.T. Kearney GmbH, Berlin Das Stichwort „Der Kampf ums Wohnzimmer“ ist schon etwas älter. Ob es wirklich ein Kampf oder gar eine Schlacht war bzw. ist, sei dahin gestellt. Ich glaube aber, dass sich der Nebel langsam lichtet. Es ist aber noch nicht ganz klar, wer aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht. Ich möchte Sie durch sechs Themenbereiche führen: • Konvergenz der Medien: Ein wichtiger Aspekt ist, wie sich die teilnehmenden Spieler in diesem Kampf aufstellen. Diversifikation ist ein großes Stichwort, Konvergenz der Medien. Wir werfen einen kurzen Blick darauf. • Hype versus Realität: Spannender ist aber aus meiner Sicht die Frage, wie viel von dem, was mit Konvergenz und Digitalisierung überschrieben wird, noch im Hype-Stadium ist und wann was Realität wird. • Verfügbarkeit der Infrastruktur: Voraussetzung für alle Veränderungen ist, dass wir bestimmte infrastrukturelle Gegebenheiten finden. Und gerade auf diesem Gebiet hat sich – wie Sie wissen – einiges getan. Nur wenn diese Grundvoraussetzungen geschaffen sind, erfahren wir überhaupt einen Wandel in der Mediennutzung. • Erlösmodelle: Aus meiner Sicht wird der Kampf ums Wohnzimmer immer stärker zu einem Kampf um den Werbekuchen, der angesichts der Finanzkrise auch noch sichtbar kleiner wird. Dies ist so, weil es an vielen Stellen nicht gelungen ist, andere Erlösformen als die Werbung zu erschließen. Ein interessanter Trend dabei ist die zunehmende Wichtigkeit Performance-basierter Abrechnungsmodelle wodurch Targeting- bzw. Technologie-Kompetenz gegenüber klassischen Reichweitenthemen an Gewicht gewinnt. • Erfolgsfaktoren: Vielleicht gibt es aber einen kleinen Lichtblick. Von Apple lernen, heißt siegen lernen. Das wird zwar langsam zur Tautologie, hat aber hier eine konkrete Bedeutung: Die Erfahrung des iPhone zeigt nämlich, dass die
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Martin Fabel
Grenze zwischen Applikationen und Content verschwimmt, was wiederum neue Angebote hervorbringt und evtl. gar andere Werbeformen ermöglicht. Zur Diversifikation. Wer macht was? Ich habe versucht schematisch darzustellen, wer sich aus welchen Geschäftsmodellen wohin bewegt, ausgelöst durch oder selbst die Konvergenz befördernd (siehe Bild 1). Zunächst sind die Free TV Broadcaster wie RTL etc. mit ihrem klassischen Werbegeschäftsmodell anzuführen. Auch hier kann man zunehmend Online-Aktivitäten verfolgen, eigene Online-Plattformen, Mediatheken. Das gilt ebenso für die öffentlich-rechtlichen Sender. Ob da ein Einzelverkauf von Inhalten angeschlossen ist oder nicht, ist die große Frage. In jedem Falle bewegen sich die Sender allmählich in erweiterte Geschäftsmodelle hinein. Das Gleiche finden Sie bei den Kabelnetzbetreibern, die neben ihrem Fernsehsignal als Kernprodukt in das High Speed Internet einsteigen. Das ist bekannt, aber auch Video on Demand wird zunehmend eine wichtige Rolle spielen.
Bild 1: Entstehung eines konvergenten Marktes durch Diversifikation
Auf der anderen Seite haben wir Softwarefirmen, die plötzlich die Felder Medien und Entertainment besetzen. Gaming zieht ins Wohnzimmer ein, wenn es nicht schon längst dort angekommen ist. Bisher war das eine ganz abgeschlossene Anwendung. Plötzlich sind alle gegenüber dem Internet geöffnet, und wir haben ein Internet über eine Spielekonsole auf dem Fernseher. Dies sind Bewegungen, die via
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Digitale Medien – Der Kampf ums Wohnzimmer und darüber hinaus
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Microsoft und Nintendo ins Spiel kommen. Auch hier ist Paid Content oder Einzelverkauf als weiteres Geschäftsmodell ein Thema. Schließlich haben wir noch die klassischen Telekommunikationsplayer, die in alle Richtungen expandieren. IP-TV Angebote auf der einen Seite gebündelt mit On Demand Angeboten; also Entwicklung aus einem Zugangsgeschäft heraus auch wiederum in Richtung Werbung und Einzelverkauf. Und schließlich die Hardwarehersteller: Bei neuen Fernsehern ist mittlerweile die letzte Modernisierungswelle hin zum LCD und Plasmascreen bereits am Abflachen. Der nächste Innovationsschub besteht darin, dass die Geräte inzwischen häufig einen Internetanschluss und einen integrierten DVBT-Receiver haben – auch hier sehen wir Konvergenz in der Hardware. Bei allen kann die traditionelle Aufteilung beobachtet werden: Auf der einen Seite die Broadcaster und Contentanbieter, auf der anderen Seite die Zugangsplayer, Hardwarehersteller. Das vermischt sich zunehmend, und die Software in der Mitte trägt massiv zu dieser Vermischung bei. Was ist hier Dichtung und Wahrheit? Über die Segnungen, die uns IP-TV im Wohnzimmer bringen würde, wurde sehr viel diskutiert. Hier greift das bekannte Bild mit dem Hype Cycle (Bild 2): Wenn man berücksichtigt, wann welches Angebot seinen größten Hype hatte und welche wirtschaftliche Realität dem gegenüber steht, stellen wir fest, dass viele Stichworte noch oder noch immer im Hype sind. Wir reden über das E-Paper bei Zeitungen, das nicht wirklich voran schreitet. Dafür gibt es mittlerweile erste eBook Reader, die wirklich funktionieren und einen erstaunlichen Absatz zeigen. Was uns heute im Wesentlichen unter dem Stichwort Media Reloaded bewegt, IP-TV und Video on Demand, sehen wir noch immer relativ stark im Hype. Der kommerzielle Erfolg lässt bis jetzt noch auf sich warten. Die Frage ist: Wo ist das Neue bisher? Ist IP-TV ein lineares Programm über eine andere Übertragungstechnik oder kommen tatsächlich neue Angebote, neue Applikationen ins Land, von denen noch nicht ganz so viel zu sehen ist?
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Martin Fabel
Bild 2: Wirkung der Digitalisierung – Dichtung und Wahrheit
Eine zentrale Voraussetzung für den kommerziellen Erfolg von IPTV sind infrastrukturelle Gegebenheiten. Ein Vergleich 2004 versus 2008 deutet auf einige interessante Beobachtungspunkte (vgl. Bild 3). Wir haben versucht, uns auf eine Quelle zu beschränken. Interessant ist z.B., dass das statistische Bundesamt davon ausgeht, dass wir eher einen Rückgang in der Penetration von Fernseh- und Radiohaushalten klassischer Art verzeichnen. Ich glaube, dass daran etwas Wahres ist, wenn man den „digital Divide“ generationenspezifisch definiert: Die junge Generation, die eher im Internet aufwächst als mit traditionellen linearen Medien, und junge Paare, die bei Gründung ihres ersten Haushalts vielleicht ganz auf einen TV-Anschluss klassischer Art bis hin zu einem TV verzichtet, sondern möglichweise auch Fernsehen über den PC konsumieren, sind eine zunehmende Realität. Ob das korrekterweise in diesem einen Prozentpunkt ausgedrückt ist, sei dahingestellt. Spannender für unsere Frage ist der Anstieg im Internet insbesondere in den Breitbandzugängen. Das ist der wesentliche Motor von Interaktivität und vielen Veränderungen.
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Bild 3: Ausstattung deutscher Haushalte mit digitaler Unterhaltungselektronik
Ein zweiter Aspekt neben der Ausstattung der Haushalte mit Endgeräten ist die Frage nach dem Zugang. Eine These, die ich gerne aufstellen würde, lautet: Jede ökonomisch halbwegs darstellbare Bandbreite – und irgendwann ist alles ökonomisch darstellbar, weil irgendjemand einmal auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen ins Blaue hinein eine Investition tätigen muss und den ersten Schritt geht – hat irgendwann ihren Roll-out gefunden. (Aber nicht zwingend auch jede Technologie, wie wir am Beispiel DVB-H oder WiMAX haben beobachten können.) Was einigermaßen ökonomisch vernünftig machbar ist, wird stattfinden. Gerade im Festnetz gibt es erste Versuche dazu, welche Bandbreite schon durch Überseekabel geschleust werden konnte. Wir bewegen uns in einem Bereich von Gigabit. Damit will ich einfach nur sagen, dass diese Bandbreite kommt. Es geht zwar nur Zug um Zug, denn es handelt sich um einen stark investiven Prozess. Aber damit wird eine Gegebenheit Voraussetzung, die andere Dinge erst möglich macht. Als Messlatte haben wir die erforderliche HDTV-Bandbreite eingezeichnet, um zu zeigen, dass wir in der IP-Technologie stationär schon relativ weit sind. Im mobilen Umfeld hingegen werden wir noch ein bisschen warten müssen (siehe Bild 4).
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Bild 4: Entwicklung von Bandbreiten in der Datenübertragung
Wir können an der Mediennutzung erkennen, wenn Kombinationen aus Endgeräten und Bandbreite oder Übertragungstechnologie Raum greifen. Wir haben das exemplarisch eingezeichnet (vgl. Bild 5), indexiert auf 1980 gleich hundert. Die Linien in der Grafik zeigen an, wie viel mehr oder weniger diese Medien seither genutzt werden, gemessen an dem täglichen Medienkonsum. Anhand der dort eingezeichneten Beispiele kann man feststellen, wann immer Innovationen neu eingeführt wurden; so z.B. die Kabelnetzinfrastruktur in Deutschland Anfang der 80er Jahre, die VHS, die DVD, das Internet, MP3, iPod. Häufig sind auch bestimmte Sprünge oder Veränderungen zu verzeichnen. Das muss nicht immer mit kommerziellem Erfolg einhergehen. Betrachten wir stellvertretend die Kurve der Musik: Es ist faszinierend, wie der Musikkonsum insbesondere durch Filesharing, MP3 usw. in Verbindung mit dem Internet angestiegen ist, einhergehend mit der Entwicklung der Internet-Bandbreite als Voraussetzung dafür, nicht aber parallel auch die Erlöse der traditionellen Musikindustrie.
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Bild 5: Entwicklung der Mediennutzung
Im Endeffekt verzeichnen wir heute ca. 10 Stunden parallele, also nicht konsolidierte, Mediennutzung, oder anders formuliert, etwas unter 3 Stunden exklusive Nutzung. Dieses Bild greift natürlich viel zu kurz, weil es nicht die Generationsunterschiede, die schon längst existieren, sondern den gewichteten Durchschnitt der Bevölkerung darstellt. Es ist aber bekannt, dass junge Generationen heute mit dem Internet aufwachsen und ein komplett anderes Mediennutzungsverhalten aufweisen; zehn Stunden sehen dort deutlich anders aus. Auch traditionelle Medien, wie z.B. TV, werden eher über digitale Zugänge konsumiert, z.B. auf dem PC, d.h. wir müssen uns Veränderungen stellen, die – und so erklärt sich auch der Unterschied zwischen Hype und Realität – häufig eine Generationenfrage sind. Was diese digitalen Medien mit sich bringen, und das wird gern unter dem Stichwort „Kostenloskultur“ diskutiert, ist häufig der gescheiterte Versuch, die Mediennutzung entsprechend zu monetarisieren. Dies hat zwei wesentliche Gründe. Auf der einen Seite – und das liegt in der Natur des Internets – besteht der Effekt, dass der Nutzer dort sehr viel mehr Dinge wahrnehmen kann als in traditionellen linearen Medien. Z.B. ist bezeichnend, dass die File-Sharing-Nutzer weltweit noch immer wachsen. Dadurch, dass mittlerweile auch verstärkt Videos und nicht nur Musikfiles getauscht werden, steigt das File-Sharing-Volumen fast exponentiell dazu. Das bedeutet aber, dass das Thema (illegales) File-Sharing nicht passé ist mit
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der Diskussion von Kazaa und Napster, sondern weiterhin ein stabiler oder gar wachsender Trend ist. Demgegenüber haben wir einen massiven Anstieg der Nutzung von Social Networks, also neuen Medien, die erst im Internet entstanden sind, gepaart mit einem komplett anderen Sozialverhalten. Nur: Bislang ist es nicht gelungen, die wunderbare Reichweite in den Social Networks auch nur annähernd zu kapitalisieren (vgl. Bild 6).
Bild 6: Interaktive Nutzung Digitaler Medien
Wozu führt das? Wir haben das Bild dieses konvergenten Marktes (Bild 7) einmal nach den Geschäftsmodellen, die in Bild 1 eingeführt wurden, unterteilt, um zu analysieren, wie sich die jeweilige Mediengattung über die vier Geschäftsmodelle verteilt. Ein wesentlicher Teil ist Werbung – am anderen Ende stehen HardwareErlöse. Dazwischen findet sich das Zugangsgeschäft (z.B. für die Breitbandanbindung) oder Abonnements, beispielsweise im Bereich Zeitschriften. Darunter liegt der Einzelverkauf (etwa von Büchern oder Zeitungen) bzw. Paid Content (in der digitalen Welt).
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Bild 7: Konvergenter Gesamtmarkt in Deutschland
An diesem Muster lässt sich ablesen, dass der Werbekuchen in der traditionellen Welt nicht die dominante Erlösquelle ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass die PrintVerlage infolge der fallenden Printauflagen, ganz massiv ins Onlinegeschäft investieren und auch die Telekommunikationsanbieter in das (interaktive) Medien(zugangs)geschäft expandieren. Die Folge davon ist, dass der Kampf um die Werbung in voller Wucht entbrannt ist, während das Segment Paid Content bisher kaum funktioniert hat. Und eben dieser Werbekuchen schrumpft nun vor dem Hintergrund der globalen Wirtschaftskrise in Gänze (Bild 8): Zeitschriften verzeichneten im ersten Quartal 2009 teilweise Rückgänge zwischen 20 und 30%, der Jahresausblick für den gesamten Medienmarkt schwankt zwischen -5 und -10%. Wenn sich nun der gesamte Medienkuchen reduziert, gewinnt der kleine Anteil des Online Advertising, der in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, noch zusätzlich an Bedeutung. Bei näherer Betrachtung ist zu konstatieren, dass klassische OnlineWerbung, auch Display Advertising genannt, eher rückläufig und Search Engine Marketing der ganz große Gewinner ist – in, Deutschland v.a. Google.
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Bild 8: Entwicklungsaussichten des Werbemarktes in Deutschland
Was bedeutet das? Es entsteht ein Paradigmenwechsel, der für die Finanzierung von Medien und damit auch für den Kampf ums Wohnzimmer ernst zu nehmen ist. Zum einen lässt sich erkennen, dass der Bereich Display Advertising vehement von klassischen Bannern hin zu einer Bewegtbildwerbung mutiert. Die ist aktuell im Gegensatz zu traditionellen Bannern etc. auch komplett ausgebucht. Diese Video Ads wiederum sind ein potenzielles Substitut zur klassischen Werbung im Fernsehen. Zum anderen gibt es den Siegeszug des Suchwortmarketing (Search Engine Marketing), das reinrassig Performance-basiert ist. Man kann auch von abverkaufsorientierter Werbung sprechen, die wenig mit Imagewerbung zu tun und ganz andere Messgrößen hat, anhand derer ein Erfolg dieser Werbung beurteilt wird. Daraus folgt, dass Performance-basierte Werbung bzw. performance-basiertes Marketing allgemein Ausdruck eines deutlichen Trends ist, dem sich auch nicht länger die Printverlage verschließen können, was in den letzten Tagen und Wochen auch sichtbar wurde: Die Einführung von erfolgsabhängigen Vergütungsmodellen in der PrintWerbung von Axel Springer oder Bauer ist ein klarer Paradigmenwechsel (vgl. Bild 9).
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Bild 9: Entwicklung der Marktanteile im Werbemarkt
Was bedeutet das aber, wenn einerseits Bewegtbildwerbung im digitalen Umfeld, auf der anderen Seite vor allem aber Performance-basierte Suchwort-Werbung an Anteilen gewinnen? Dann wird Targeting Technologie ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, um die Nutzer aufzuspüren, zu profilieren, die Werbung zielgerecht auszuliefern und den entsprechenden Response zu messen. In Bild 10 sind wichtige international agierende „Internetriesen“, „Mediengiganten“ und große Mediaagenturen sowie eine Auswahl von deren M&A-Aktivitäten der letzten Jahre dargestellt. Daran lässt sich feststellen, dass die Medienindustrie bisher vor allem in ihrem traditionellen Muster Reichweite hinzukauft, nur eben in der digitalen Welt. Das gilt auch für viele der deutschen Player. Auf der anderen Seite haben die Internetriesen sowohl Reichweite als auch Technologie akquiriert, während die Mediaagenturen – und die ketzerische Frage nach deren Rolle in der digitalen Welt ist durchaus berechtigt – ihre Lektion dahingehend gelernt haben, dass sie sich vor allem auf der Software-Technologieseite verstärken. Diese Transaktionen sind Ausdruck des Trends, dass Werbung morgen sehr viel mehr mit Technologie zu tun haben wird als mit ausschließlich einem hochwertigen redaktionellen Angebot für eine starre Zielgruppe wie gestern.
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Bild 10: Zukäufe globaler Player im Vermarktungsgeschäft
Wenn man einen Ausblick wagt, könnte man vielleicht ein wenig provokant behaupten, dass bislang relativ wenige Innovationen im „Kampf ums Wohnzimmer“ entstanden sind. Zum einen entwickelt sich Video on Demand: Hollywood Blockbuster Downloads gab es zwar gestern schon, aber jetzt sind auch klassische TV Formate, Serien etc. in den Mediatheken verfügbar. Es gibt PVRs (Personal Video Recorder). Time-Shifting ist die wesentliche Zusatzfunktionalität, die damit bisher aufgekommen ist. Das gesamte Programmangebot hingegen ist im Prinzip weiterhin prinzipiell linear. Von den angekündigten neuen interaktiven Formaten ist bisher relativ wenig zu sehen. Wir verzeichnen natürlich parallele, TV-begleitende Internetangebote, die aber mit einem Medienbruch einhergehen. Die Mediathekenlandschaft ist wiederum fragmentiert: Der Nutzer muss die ihn interessierenden Contents mühsam zusammensuchen. Die einzigen Aggregatoren, die es in dem Umfeld gibt, sind typische Internet-Player wie YouTube (also wieder Google). Und die Digitalisierung, die bereits in die Wohnzimmer eingezogen ist, kommt im Wesentlichen als Walled Garden daher, d. h. die Settop Boxen, die zu „offenen“ Mediareceivern mutieren, sind trotzdem weitgehend abgeschottet, um Content-Piraterie auszuschließen und die Lizenzgeschäfte zu sichern. User Generated Content schließlich zieht im Wohnzimmer bisher kaum ein (von der „Dia-Show“ über die Digitalkamera auf dem LCD-TV-Screen abgesehen). Und auch die Vernetzung mit anderen Enter-
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tainment Devices im Haus ist stark begrenzt. Wir befinden uns also eigentlich noch ganz stark im gestrigen Modell, das nur digitalisiert wurde. Eine neue Perspektive eröffnet das iPhone. Wirklich faszinierend daran ist, dass es nicht an der Stelle gewonnen hat, die jedermann vermutete: nämlich dass Apple massiv in den Werbekuchen einbricht, über den zuvor die Rede war. Vielmehr steht das iPhone für eines der wenigen ersten Modelle, wo Paid Content (im Sinne von Paid Software Downloads) wirklich funktioniert. Zunächst einmal ist die User Experience faszinierend: Beinahe jeder, der das iPhone besitzt, ist davon begeistert. Das mobile Internet wird dadurch erstmalig nutzbar, vor allem dann, wenn man WiFi Access hat und nicht über 3G surfen muss. Die Integration von iTunes mit anderen Applikationen auf dem iPhone funktioniert auch wunderbar. Aber das wirklich Faszinierende ist eigentlich, im Appstore zu stöbern. Die mittlerweile 25.000 Applikationen, die man dort findet, sind nicht alle von Apple entwickelt worden, sondern von der Developer Community. Diese Open Innovation, diese Customer Energy zu erschließen und zu monetarisieren, indem einzelne Programme für wenige Cent heruntergeladen werden können (bisher 1 Mrd. Downloads seit Einführung des iPhone), ist der wirklich faszinierende Fakt. Wenn man dann vergleicht, wie wenig Innovation bisher im Wohnzimmer stattgefunden hat, entsteht der Gedanke, dass es in diesem Umfeld möglicherweise erst dann zu einem Innovationsschub kommt, wenn sich die Hardware-Hersteller, Plattform-Betreiber und Programmanbieter erst öffnen für all das, was an Innovationen „draußen“ bei Konsumenten und bei Developern vorhanden ist. Ob hingegen die Entlinearisierung ausgerechnet von denjenigen Beteiligten gewinnbringend erschlossen wird, die bisher ihre Einkünfte aus dem linearen Modell erschließen, darf bezweifelt werden.
3 Mediennutzung im Wandel – Analyse und Aussichten Dalia Das, Bertelsmann AG, Gütersloh Ich möchte meinen Vortrag zum viel diskutierten Thema „Mediennutzung im Wandel“ mit einigen Konsumentenstimmen beginnen.
Bild 1: Konsumentenstimmen
Bereits ein kurzer Blick auf diese Zitate macht deutlich, dass das Thema Mediennutzung sehr vielschichtig ist (Bild 1). Dabei geht es nicht nur um das verfügbare Zeitbudget der Konsumenten, das über Art und Umfang der Mediennutzung entscheidet, sondern auch um Gewohnheiten, Nutzungsmotive, Vertrauen, Nutzungssituationen und Bezahlmodelle.
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Wenn man Mediennutzung verstehen möchte, muss man sich mit all diesen Einflussfaktoren beschäftigen. Hinzu kommt: Nur mithilfe eines umfassenden Verständnisses der gegenwärtigen Situation kann es gelingen, plausible Zukunftsszenarien herzuleiten und sich als Marktteilnehmer entsprechend auf neue Gegebenheiten einzustellen. Um ein solches Verständnis medienübergreifend zu gewinnen und zu vertiefen, haben wir uns bei der Bertelsmann AG für einen zweistufigen Projektaufbau entschieden.
Bild 2: Projektdesign
In einem ersten Schritt wurden das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD Allensbach) sowie das Marktforschungsinstitut TNS beauftragt, in den drei Ländern Deutschland, Frankreich und Großbritannien repräsentative persönlich-mündliche Bevölkerungsumfragen zur Ermittlung der „Mediennutzung heute und in 2015“ durchzuführen (Bild 2). Die Befragungen in den einzelnen Ländern wurden dabei – soweit möglich – strikt vergleichbar angelegt. Insgesamt wurden 5.147 nach einem repräsentativen QuotaVerfahren ausgewählte Personen im Alter zwischen 14 und 69 befragt. Zur Entwicklung von Hypothesen, die in dieser quantitativen Untersuchung überprüft
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werden sollten, führten wir vorab in allen Ländern explorative Intensivinterviews durch. Es ist keine leichte Aufgabe, Konsumenten hinsichtlich ihrer zukünftigen Mediennutzung zu befragen. Um die entstehenden Unschärfen weitestgehend zu minimieren, hat Dr. Rüdiger Schulz vom IfD Allensbach – dem ich an dieser Stelle meinen Dank ausspreche – mit uns gemeinsam sehr viel Zeit investiert, um die richtigen Frageformulierungen zu entwickeln. Die Studie sollte die Nutzung des Internets sowie neuer Internetapplikationen zum Schwerpunkt haben. Werden die Nutzer linear verbreiteter Programmangebote zu aktiven Usern, die ihr Programm individuell zeitversetzt ‚on demand‘ zusammenbauen und sogar selbst produzierte Inhalte ins Internet stellen? Bleibt es bei der historisch gewachsenen Funktionsteilung zwischen den Mediengattungen? Was löst die Veränderungen aus? Bei den Vorbereitungen zur Durchführung unserer Studie ist uns aufgefallen, dass es an telemetrischen (und mit Daten zur Fernsehnutzung vergleichbaren) Daten zur Internetnutzung fehlt. Und das, obwohl das Internet den Vorteil hat – und das sieht man auch an den variablen und erfolgsabhängigen Bezahlmodellen, die dort angeboten werden –, dass man seine Nutzung tatsächlich direkt messen kann. Um also den Einfluss von Internetnutzung bzw. der Nutzung von Internetapplikationen auf den Konsum traditioneller Medien besser zu verstehen, haben wir uns zusätzlich zur Befragung zur Durchführung einer zweiten Projektphase entschieden. In dieser zweiten Phase haben wir die tatsächliche Internetnutzung durch unseren Technologiepartner Sirvaluse mittels einer innovativen Online-Echtzeit-Messung nachvollziehen lassen. Was heißt das genau? Das Online-Nutzungsverhalten von mehr als 1.300 repräsentativ ausgewählten Breitbandnutzern in Deutschland wurde sechs Wochen lang gemessen. Dabei wurden mehr als 1.000 URLs kategorisiert – Sie können sich vielleicht vorstellen, wie viele Daten bei sechs Wochen EchtzeitOnlinemessung zustande kommen: in diesem Fall über 2.000 GB. Ich freue mich, Ihnen heute zusätzlich zu einer Auswahl von Ergebnissen der ersten Projektstufe bereits erste Ergebnisse der Phase 2 präsentieren zu können. Was haben wir herausgefunden? Mediennutzung steigt weiter – Internet ist Wachstumsmotor, TV und Radio bleiben stabil
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Bild 3: Mediennutzung heute und 2015
Konsumenten erwarten, dass ihr Medienkonsum in den nächsten Jahren mit rund 1% jährlich steigt. Dabei entfallen über 70% des zusätzlichen Medienkonsums auf die Internetnutzung (Bild 3). Die Nutzung von TV und Radio bleibt hingegen stabil und macht weiterhin über 50% der Gesamtmediennutzungszeit aus. Lediglich ein geringer Teil der Internetnutzung geht nach Aussage der Konsumenten zu Lasten von Zeit, die bisher für traditionelle Medien aufgewendet wurde – vor allem Zeitungen und inhaltlich leicht austauschbare Publikumszeitschriften sind hier die Leidtragenden. Zielgruppenspezifisch ausgerichtete Printmedien werden aber auch in Zukunft eine starke Position behalten – dies gilt für Fachpublikationen und Special Interest Magazine, aber auch für innovative Publikumszeitschriften, wie beispielsweise der Erfolg von NEON eindrucksvoll demonstriert. Die Zeitschrift konnte gemäß IVW im ersten Quartal 2009 ihre verkaufte Auflage um beachtliche 7,5% im Vergleich zum Vorjahresquartal steigern – und das im umkämpften Segment der aktuellen Zeitschriften und Magazine. Erwähnt werden muss auch die anhaltende Popularität von anderen, hier nicht aufgeführten Unterhaltungsmedien wie z.B. dem Buch. Laut unserer Studie gehen Konsumenten hier weiterhin von einem stabilen Nutzungsverhalten aus – und das über alle Altersstufen hinweg.
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Angesichts des limitierten Zeitbudgets geht dieser Anstieg der Mediennutzung natürlich einher mit zunehmender Parallelnutzung, also der Nutzung von verschiedenen Medien zur gleichen Zeit. Internet wird unverzichtbar – bedroht das die klassischen Medien?
Bild 4: Bedeutung des Internet
Die zunehmende Relevanz des Internets wird besonders deutlich, wenn man Konsumenten nach dem Medium fragt, das ihnen heute und in fünf bis zehn Jahren unverzichtbar erscheint (Bild 4). Die Befragten aller drei Länder nennen hier das Internet als das Medium, auf das sie im Jahr 2015 nicht verzichten möchten. Interessant ist, dass die Befragten sich – anders als bei der vorhergehenden Frage – für ein Medium entscheiden mussten. Bedeutet diese steigende Relevanz des Internets gleichzeitig einen Bedeutungsverlust z.B. des Fernsehens? Bedroht das Medium Internet die klassischen Medien? Schon die Fragestellung verdeutlicht, dass aktuelle Diskussionen zu diesem Thema aus unserer Sicht nicht ganz trennscharf geführt werden. Zum einen wird von einer „Entweder-oder“-Stellung der verschiedenen Medien zueinander ausgegangen. Dabei macht ein genauerer Blick deutlich, dass jedes Medium spezifische Nutzungsbedürfnisse erfüllt und jede Nutzung einer speziellen Nutzungssituation
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angepasst sein kann. Zum anderen – und dieser Aspekt ist ungemein wichtig – bietet das Internet eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was traditionellerweise unter Medienkonsum verstanden wird. Der Blick auf die Ergebnisse unserer Internetmessung verdeutlicht: Das Internet wird zum größten Teil für Alltagsaktivitäten genutzt
Bild 5: Verweildauer im Internet nach Kategorien
Mehr als drei Viertel der im Internet verbrachten Zeit entfällt auf „verlagerte Alltagsaktivitäten“ (Bild 5). Bitte beachten Sie, dass es sich hier um die Verteilung der tatsächlich gemessenen Verweildauer handelt. Der Großteil der Zeit, die im Internet verbracht wird, hat demzufolge nichts mit Medienkonsum im klassischen Sinne zu tun. 30% der Zeit werden mit Email und Suche (6%) verbracht, weitere 24% entfallen auf eCommerce-Seiten. Das heißt: Man kauft bei eBay Babyschuhe, bei Quelle die neue Waschmaschine, man lernt im Internet seinen Partner kennen, schließt und pflegt Freundschaften. Die Nutzungsart, die am stärksten mit klassischem Medienkonsum vergleichbar ist, also der Konsum von Informations- und Unterhaltungsangeboten, nimmt heute lediglich knapp 20% der Verweildauer im Internet ein – kein Wunder also, dass sich klassische Radio- und Fernsehnutzung nach wie vor größter Beliebtheit erfreut.
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Die Unverzichtbarkeit des Internets ist demzufolge in erster Linie auf die Vielzahl von alltagserleichternden Anwendungsmöglichkeiten zurückzuführen. Eine unmittelbare Bedrohung klassischer Informations- und Unterhaltungsangebote lässt sich angesichts der geringen Nutzung dieser Angebote über das Internet nicht erkennen. Besonders erfreulich aus Sicht der Bertelsmann AG ist, dass die von unseren Kreativen erstellten Informations- und Unterhaltungsangebote auch im Internet stark genutzt werden. Zudem zeigen wir mit dem Netzwerk „Wer-kennt-Wen“, dass wir auch erfolgreich neue Segmente im Internet erschließen können – muss sich „Werkennt-Wen“ nach der hier dargestellten Verweildauer noch mit dem zweiten Rang begnügen, so ist das Angebot gemessen an Unique Usern bereits auf Platz eins der Social Networks in Deutschland angekommen. Wer viel Zeit im Internet verbringt, schaut auch viel fern Der zweite Aspekt einer möglichen Bedrohung ist die Substitution von traditioneller Mediennutzungszeit durch Internetnutzungszeit – schließlich ist das verfügbare Zeitbudget begrenzt. Bereits zu Beginn der Analyse haben wir gesehen, dass Konsumenten nicht von einem Rückgang ihrer TV-Nutzung, sondern eher von einer zusätzlichen Nutzung des Internets ausgehen. Diese Einschätzung wird durch eine weitere Detailanalyse bekräftigt:
Bild 6: Verteilung Internetnutzung auf TV-Nutzung
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Unsere Analyse zeigt, dass Menschen mit hoher Internetnutzungsdauer überdurchschnittlich stark (38%) in der Gruppe der Viel-Fernseher vertreten sind (Bild 6). Dabei werden die beiden Medien anwendungsspezifisch genutzt. Hier lässt sich die Funktionsteilung der beiden beispielhaft genannten Medien bereits erahnen – eine weitere Detailanalyse unserer Befragungsdaten liefert den Beleg: TV ist Lieblingsmedium zur Unterhaltung – auch für junge Menschen
Bild 7: Nutzungsmotive von Internet und TV
Für mehr als 50% der deutschen Bevölkerung ist das TV das bevorzugte Medium für Unterhaltung und Entspannung (Bild 7). Diese Aussage gilt übrigens auch für junge Menschen. Dabei führt die stärkere Unterhaltungsorientierung junger Menschen zwar zur vermehrten Nutzung entsprechender Angebote im Netz – das Fernsehen verliert aber dadurch als Unterhaltungsmedium in keinster Weise an Bedeutung. Lediglich bei einem Bedürfnis nach tiefergehenden Informationen schneidet das Internet bei den Befragten unter 44 Jahren etwas besser ab. Bei Informationen rund um das (tages-) aktuelle Geschehen liegt das Internet bei jungen Menschen zwar bereits gleichauf mit dem TV – hier aber zeigt z.B. n-tv.de, dass sich eine TVMarke wie n-tv auch zu einer vielgenutzten Informationsplattform im Internet ausbauen lässt. Gleiches gilt auch für starke Printmarken, wie z.B. die Süddeutsche, den Stern und nicht zuletzt für den SPIEGEL. Was keineswegs heißen soll, dass
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sich Medienhäuser auf großen Marken ausruhen können – schließlich gibt es auch erfolgreiche „Online-only“-Angebote im Netz wie z.B. chefkoch.de – das in unserer Internet-Messung nicht nur die Seiten bekannter Konsumgütermarken wie Knorr oder Maggi, sondern auch das Online-Format der Zeitschrift essen+trinken auf die Plätze verwies. Die unterschiedlichen Nutzungsmotive werden in Bild 7 exemplarisch für Deutschland gezeigt. Für England und Frankreich gelten diese Aussagen aber ebenfalls: TV ist das präferierte Medium für Unterhaltung und Entspannung. Wo also liegen die neuen Herausforderungen für Inhalteanbieter, die sich aus der Internettechnologie und im Speziellen aus dem World Wide Web ergeben? Auch darüber gibt unsere Studie Auskunft, beispielhaft sei hier das Thema Informationsverhalten aufgegriffen. Veränderte Informationskultur als Herausforderung für Medienmacher
Bild 8: Wertschätzung und Nutzung des Internets als Informationsquelle
Über alle Altersgruppen hinweg schätzen es die Menschen, jederzeit Informationen über das Internet abrufen zu können (Bild 8). Dennoch wird das Internet nur von einer Minderheit zur täglichen Information über aktuelle Geschehnisse genutzt. Im Gegensatz zu dem Bedürfnis älterer Generationen, ständig und fortschreitend gut
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informiert zu sein, genügt es der jüngeren Generation scheinbar, im Bedarfsfall zielgerichtet auf Informationen zugreifen zu können – das Internet verleitet durch seine Fülle an jederzeit verfügbaren Informationen offenbar dazu, kein eigenes Wissen mehr aufzubauen, sondern im Bedarfsfall fremdes Wissen über das Internet abzurufen. Wir reden also nicht von einem reinen Substitutionseffekt, sondern von einer grundsätzlichen Veränderung der Informationskultur – eine neue Herausforderung für Medienmacher, die Informationen über das Internet verbreiten und vermarkten wollen. Die Onlinenutzung von Informationen erfolgt sporadischer, bedarfsorientierter und daher gegebenenfalls auch fragmentierter als das traditionelle Zeitungslesen am Frühstückstisch. Die 1:1-Übertragung einer Printausgabe in eine Onlineausgabe erscheint angesichts dieses veränderten Informationsverhaltens einmal mehr fraglich. User Generated Content (UGC) und Soziale Netzwerke als Chance für Medienmacher Sind professionell gemachte bzw. klassische Medien bedroht von User Generated Content? Die Verweildauer in Sozialen Netzwerken übersteigt die Verweildauer in Blogs oder Foren bzw. auf Videoseiten wie YouTube oder Clipfish deutlich. Menschen kommen so heute ihrem verstärkten Kommunikationsbedürfnis nach – ermöglicht durch den technologischen Fortschritt. Kommunikation ist aber nicht etwas, was klassischen Medienkonsum bedroht. Im Gegenteil, es kann ihn sogar fördern. Blogs und Foren, als nutzergenerierte Textinhalte, spielen eine überraschend geringe Rolle. In Projektphase 1 gaben nur 4% der Befragten in Deutschland (12% in Großbritannien, 14% in Frankreich) an, Blogs und Foren zu nutzen, noch weniger Befragte stellen gar Inhalte online (2% in Deutschland, 7% in Großbritannien und 9% in Frankreich). Wie in Bild 9 gezeigt, weisen Blogs und Foren auch einen entsprechend geringen Teil der gemessenen Verweildauer auf (1-9% je nach Alter).
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Bild 9: Verweildauer in Sozialen Netzwerken und UGC-Angeboten
Diskussionswürdig wäre an dieser Stelle, ob Menschen ihre Informationen wirklich auf die Art und Weise konsumieren wollen, wie sie in Blogs und Foren verarbeitet und diskutiert werden (Bild 9). Gibt UGC nicht vielmehr einfach nur Hinweise darauf, was relevante Trends und Themen sein könnten, die dann von professionellen Medienmachern aufgenommen, bewertet und so aufbereitet werden, dass sie anschließend von vielen Menschen gelesen werden? Handelt es sich bei User Generated Content vielleicht eher um ein sender- und weniger um ein empfängergesteuertes Thema? Kommen wir zum spannenden Thema Video User Generated Content, zu den Angeboten von YouTube, Clipfish und ähnlichen. Der Konsum von Video-Clips erfreut sich wachsender Beliebtheit – und kommt dem klassischen Fernsehkonsum vielleicht noch am ehesten nahe. So heißt es in vielen Studien, junge Menschen konsumierten bereits häufiger YouTube-Inhalte als professionelle Inhalte auf dem TV-Gerät. Kann man hier eine Bedrohung für professionelle Medienmacher erkennen? Unserer Ansicht nach nicht unbedingt. Zum einen handelt es sich bei einem Großteil der bei „YouTube“ gezeigten „Bewegtbilder“ um professionell gemachte Inhalte (oftmals unter Umgehung der geltenden Copyright-Bestimmungen). Zum anderen befinden sich alternative Platt-
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formen mit professionellen Bewegtbild-Inhalten zwar erst im Aufbau, sind aber dennoch bereits heute sehr beliebt. Hieraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Erstens: Menschen möchten bewegte Bilder auch im Netz bzw. über den Übertragungsweg Internet konsumieren (wir schließen damit explizit auch mobile Endgeräte mit ein). Bewegte Bilder sind für den Menschen also auf allen Plattformen spannend und unterhaltsam. Einfach nutzbare Angebote von „Bewegtbildern“ über das Internet gibt es aber erstmalig durch innovative Plattformen wie „YouTube“. Aus diesem Grund nutzen die Menschen dieses Angebot. Die Tatsache, dass der tatsächlich nutzergenerierte (Amateur-)Inhalt auf diesen Plattformen dramatisch abnimmt – nicht zuletzt weil die Menschen mittlerweile erkennen können, was der Qualitätsunterschied zwischen einem Amateurvideo und einem professionell gemachten Video ist – führt zur zweiten Schlussfolgerung: Professionelle Bewegtbild-Inhalte erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit und behaupten sich sehr wohl gegen echten UGC. Eine Analogie zeigt sich auch im Bereich von eCommercePlattformen: Die Inhalte von eBay und mobile.de speisen sich mittlerweile ebenfalls überwiegend aus professionellen Händlerangeboten. Das heißt zusammenfassend, dass UGC und die damit verbundenen Plattformen weniger eine Gefahr als vielmehr eine Chance für professionelle Medienmacher darstellen. Es ist Aufgabe professioneller Medienmacher, Menschen und ihrem verstärktem Kommunikationsbedürfnis Raum zu geben, die dort diskutierten Themen zu bewerten, ggf. in ihre eigenen Inhalte mit einfließen zu lassen und über alle Plattformen professionell aufbereitet an die Menschen zurückzuspielen. Dabei kann insbesondere die Schnelligkeit der Übertragungswege von UGC im Informationsbereich systematisch genutzt werden. Professionelle Medien haben also zwei Verbündete – zum einen das nachhaltige Interesse der Menschen an professionell gemachten Medien und zum zweiten das fehlende Interesse bzw. die fehlende Befähigung der Menschen, sich selbst mit UGC an der Inhalteproduktion im Internet zu beteiligen – dies scheint nach wie vor einer kreativen Minderheit vorbehalten zu sein. Es sieht also so aus, als ob wir Medienmacher weiterhin Inhalte für alle Plattformen und insbesondere auch für den Übertragungsweg Internet bereitstellen müssten – und aus Sicht der Nutzer auch sollten. Rückbesinnung auf den Wert von Inhalten und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle Eine große Herausforderung – wir haben es auch im Vortrag von Dr. Fabel gehört – bilden die mit den neuen Verbreitungsformen einhergehenden Geschäftsmodelle. Meines Erachtens greift das Argument von Herrn Dieckmann zu kurz, wenn er sagt: „Es gibt den verfluchten Geburtsfehler des Internets, dass das Internet kostenlos ist. Diesen Fehler werden wir nicht korrigieren können“. Zum einen ist der Zugangsweg Internet selbst kostenpflichtig und die „Kostenloskultur“ im Web kei-
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neswegs gottgegeben, sondern Versäumnis der Medienmacher selbst. Sie haben es an vielen Stellen nicht geschafft, frühzeitig, intelligent und konsequent für gute Produkte bzw. gut recherchierte Inhalte zur Kasse zu bitten. Ursache für diese fatale Weichenstellung mag die Annahme gewesen sein, dass die Werbekunden umfangreiche Onlineangebote der Medienhäuser schon finanzieren werden. Auch wenn das Internet in seiner Bedeutung für den Konsumenten aufgeholt hat, stellt sich diese Annahme – soviel ist gewiss – als ein Trugschluss heraus. Rein erfolgsbezogene Vergütungsmodelle und billige Tausenderkontaktpreise im Internet sind keine Basis zur Finanzierung aufwändiger redaktioneller Online-Angebote. Wer bestimmt aber, dass auch zukünftig überwiegend Werbekunden die redaktionellen Inhalte, die über das Internet oder auch über mobile Endgeräte distribuiert werden, finanzieren müssen? Wer kommt als Erster davon ab, einzig und allein Klickraten als Messgröße seines Erfolges heranzuziehen? Dabei gibt es bereits Beispiele, die zeigen, dass Menschen durchaus bereit sind, für gute und einzigartige Angebote zu zahlen. Aktuelle Daten der GfK zeigen einen erneuten Anstieg legaler Musik-Downloads. Das Angebot von iTunes, das von Beginn an durch Nutzerfreundlichkeit bestach und durch eine wachsende Produktauswahl punktet, überzeugt mehr und mehr Menschen. Viel zu lange – so wissen wir heute – wurde seitens der Musikindustrie kein attraktives Angebot für MusikDownloads zur Verfügung gestellt – deshalb wichen Konsumenten auf illegale Angebote aus, die durch das Internet nun mal einfach zugänglich sind. Diese strategische Lücke nutzte Apple mit iTunes, das als industrieunabhängiger Dritter einen kommerziellen Erfolg landete. Trotz Erfolgsbeispielen wie diesem lässt die aktuelle Entwicklung ein „Weiter so“ befürchten. Ob dieses Kostenlos-Konzept aufgeht, bleibt abzuwarten. Insbesondere, wenn wir uns die Stimme des jungen Mannes in Erinnerung rufen, die wir zu Beginn meines Vortrags hörten: “Ich finde Zeitschriftenberichte ja auch im Internet – und die Flatrate ist schon bezahlt. Warum sollte ich noch zusätzlich Geld für eine Zeitschrift ausgeben?” (Schüler, 18, UK). Zum Schluss möchte ich einige wesentliche Erkenntnisse unserer Studie noch einmal zusammenfassen. Zusammenfassung in 10 Punkten 1. 2. 3.
Die Mediennutzung steigt weiter an, Wachstumsmotor hierfür ist das Internet. Die klassische Fernsehnutzung bleibt stabil. Das Internet selbst bedroht klassische Medien nicht, es ist eine weitere Technologie zur Übertragung medialer Inhalte, schafft also zusätzliche Verbreitungswege.
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4. 5.
Die Internetnutzung wird dominiert von „verlagerten Alltagsaktivitäten“. Nutzer wollen Bewegtbilder auch und zwar zusätzlich zum klassischen Fernsehen auf neuen Plattformen sehen – ‚on demand‘ Angebote sind gegenwärtig aber nur partiell interessant. 6. User-generated Content und Social Networks bieten Chancen für professionelle Medienmacher. Professioneller und zielgruppenorientierter Journalismus ist nicht in Gefahr. 7. Durch zunehmend fragmentierte Mediennutzung steigt der relative Wert absoluter Reichweite – wenige Medien werden Millionen von Menschen gleichzeitig erreichen können. 8. Inhalte-Anbieter müssen selbst Geschäftsmodelle implementieren, die zu einer angemessenen Monetarisierung von Online-Inhalten beitragen – die „Kostenloskultur“ im Web ist ein korrigierbarer „Geburtsfehler“. 9. Allerdings lassen sich tradierte (werbefinanzierte) Geschäftsmodelle aus der linearen Welt nicht 1:1 ins Internet übertragen. Auch im Internet muss unterschieden werden zwischen hochwertigen Werbeumfeldern und Umgebungen, in denen Nutzer einfach ihren Alltagsaktivitäten nachgehen. 10. Die Rückbesinnung der Medienmacher auf den Wert von Inhalten ist gerade in der Krise notwendig, um bei ohnehin ausbleibenden Werbeeinnahmen mit innovativen Produktideen und intelligenten Bezahlmodellen im Netz zu experimentieren.
Damit komme ich zum Ende meines Vortrags. Es würde mich freuen, wenn ich Sie mit diesem Auszug unserer Studienergebnisse und meinen Gedanken zum Thema Mediennutzung im Wandel interessieren oder vielleicht sogar überraschen konnte.
4 Neue Kanäle, neue Inhalte: User Generated Content oder wie man sich die Energie der Kunden zunutze machen kann Prof. Dr. Thomas Hess, LMU München
1. Konzept Das Thema der nutzergenerierten Inhalte (User Generated Content, UGC) stand in den letzten Jahren immer wieder in der Diskussion. Hierbei kam es in der letzten Zeit sowohl auf Seite der Konsumenten, als auch auf Seite der Anbieter zu interessanten Entwicklungen, die ferner durch technologische Veränderungen stark beeinflusst wurden. Der hier vorliegende Beitrag soll das Thema des User Generated Content vertiefen und einen Überblick über den Status quo geben. Die bisherige Grundlogik der Medienwelt geht von einer klaren Trennung zwischen Contentanbieter und -Konsumenten aus. Auf der einen Seite stehen die Medienunternehmen, welche Ihr Produkt, wie beispielsweise eine Zeitung, anbieten und auf der anderen Seite die Konsumenten, die dieses Produkt ausschließlich konsumieren. Medienunternehmen generieren dabei entweder direkte Erlöse durch den Verkauf des Produkts oder indirekte Erlöse z.B. durch den Verkauf von Werbung. Dieses dominierende Prinzip hat sich jedoch in den letzten Jahren mit Hilfe des Internets relativiert. Der Konsument beginnt neben den Medienunternehmen ebenfalls Inhalte zu produzieren und hebt damit die klare Trennung zwischen Anbieter und Konsumenten auf. Der Nutzer generiert nun selber Inhalte und wird somit zum sog. Prosumenten. Eine Definition von UGC ist in Bild 1 dargestellt.1 Dabei gibt es drei wichtige Eigenschaften, die erfüllt sein müssen damit UGC vorliegt. Zunächst ist der Nutzer kein reiner Konsument mehr, sondern produziert ebenfalls Inhalte, womit er die Rolle des Prosumenten zugeschrieben bekommt. Dabei wechselt er jedoch nicht die Seite und produziert die Inhalte z.B. für ein Unternehmen, um Erlöse zu generieren, sondern verfolgt dabei zunächst keine monetären Absichten. Die dritte und letzte Voraussetzung ist die massenmediale Ausrichtung der Inhalte, die für eine breite Öffentlichkeit und nicht nur für einzelne Nutzer z.B. in einem E-Mail-Verteiler bestimmt sind. 1
Vgl. Stöckl / Grau / Hess (2006), S. 46-47.
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Bild 1: Definition von User Generated Content
Das Phänomen UGC basiert nicht auf einem großen Technologiesprung, sondern begründet sich im kontinuierlichen Zusammenwirken unterschiedlicher Entwicklungen, die dies erst in Summe ermöglicht haben. Dazu zählen insbesondere drei wichtige Faktoren: 1. Der starke Rückgang der Zugangskosten wie Internet- und Mobilfunkgebühren. In diesem Zusammenhang ist auch die Zunahme an breitbandigen Internetanschlüssen zu nennen, die einen kostengünstigen Zugang zum Internet ermöglicht. 2. Die immer billiger und leistungsfähiger werdenden Endgeräte wie beispielsweise Kameras, Laptops oder auch Mikrophone, die das nötige Equipment für UGC darstellen und somit die Produktion ermöglichen. 3. Die Gewöhnung an das Internet und die Steigerung des Konsums und der damit verbundenen Steigerung der Partizipation der unterschiedlichen Formen von UGC. Unterstützt wird diese infrastrukturelle Basis durch die anhaltende Weiterentwicklung von Web 2.0 Applikationen wie z.B. Blog- oder Wiki-Systeme, die dem Nutzer erlauben seine Inhalte ohne Vorkenntnisse zu erzeugen. Der Begriff des Web 2.0 beschreibt eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets und sieht dieses als Plattform für interaktive und gemeinschaftlich genutzte Elemente wie z.B. Webblogs, Social Networks, Wikis oder ähnliche Angebote.2 Das Thema UGC, als eine Folge des Web 2.0, stellt für die Medienindustrie das spannendste Thema aus diesem Bereich dar, zumal dadurch möglicherweise Geschäftsmodelle direkt betroffen sind. Genau wie Open Source in der Softwarebranche, kann UGC dem Ansatz der so genannten „Commons-based Peer Production“ zugesprochen werden.3 Dabei geht es um die freiwillige und gemeinschaftliche Produktion von Informationsgütern. 2 3
Vgl. O’Reilly (2005). Vgl. Benkler (2005), S. 171-174.
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Das Humankapitel als Informationsinput stellt das wichtigste Gut dieses Ansatzes dar. UGC ist demnach kein singuläres Phänomen, sondern Teil einer ganz bestimmten Entwicklung. Open Source und UGC haben große Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle klassischer Anbieter, die sich einer neuen Art von Konkurrenz stellen müssen.
Bild 2: Regelmäßige Nutzung von UGC-Angeboten4
Die Bedeutung von UGC kann sowohl aus der Sichtweise der Konsumenten als auch aus der der Anbieter beschrieben werden. Wie Bild 2 zeigt, ist die regelmäßige Nutzung von UGC-Angeboten bei den Onlinenutzern bereits gut verankert und Angebote wie Wikipedia, Videoportale oder auch private Communities können ihren Anteil an regelmäßigen Nutzern stark ausbauen. Bei Betrachtung der Webseiten mit den meisten Besuchern bzw. der größten Reichweite im Netz bestätigt sich dieser Trend. Je nach Quelle sind ein Drittel bis die Hälfte der Top 15 Webseiten, UGCAngebote, was die große Relevanz auf Konsumentenseite unterstreicht. Leider spiegelt sich dies nicht bei den direkten und indirekten Erlösen wieder. Einige Angebote wie z.B. facebook.com müssen verstärkt für weitere Kredite kämpfen und andere wie z.B. zoomer.de (Holtzbrinck Gruppe) sind mittlerweile ganz aus dem Markt verschwunden.
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Vgl. Fisch / Gscheidle (2008), S. 358.
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2. Geschäftsmodelle Auf der Angebotsseite können UGC-Angebote anhand ihrer Geschäftsmodelle in die zwei Dimensionen „Produktergänzung“ und „allein stehendes Angebot“ systematisiert werden. Bei der Produktergänzung wird ein bereits vorhandenes Angebot durch den Einsatz von UGC-Elemente ergänzt. Alleinstehende Angebote dagegen sind reine UGC-Angebote, die von Medienunternehmen selbst gegründet oder durch eine Investition ins Portfolio mit aufgenommen wurden. Auf diesen Plattformen befinden sich jedoch auch professionell erstellte Inhalte wie z.B. Fernsehsendungen oder ähnliches, die entweder von Nutzern oder vom Medienunternehmen selbst dort platziert werden.
Bild 3: Systematisierung heutiger UGC-Angeboten
Bild 3 verortet beispielhaft einige dieser Angebote. Dabei wird, ausgehend vom klassischen Content Business von Medienunternehmen, in „Content Business“ und „Beyond Content Business“ unterschieden. Wie in der Bild zu sehen, sind alle Kombinationen von Ausprägungen am Markt vorhanden und eine klare Abgrenzung in die vier Sektoren ist teilweise gar nicht möglich. Einige der in Bild 3 aufgeführten Angebote stellen aufgrund ihrer Ausrichtung eine wettbewerbsstrategische Herausforderung für Medienunternehmen dar. Diese sahen sich in der Vergangenheit eher mit professionellen Anbietern und dem Sonderfall der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten im Wettbewerb. Doch nun gibt es weitere Anbieter am Markt, deren strategisches Verhalten schlecht einzuschätzen ist und daher teilweise zu Ungewissheit bei den Medienunternehmen führt. Hier sei beispielhaft Wikipedia genannt, welches sich nicht in klassischen Unternehmensstrukturen befindet und
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damit strategisch schwer einzuschätzen ist. Im Weiteren sollen einige Beispiele für UGC herausgegriffen und beschrieben werden. Zwei allein stehende Geschäftsmodelle auf der Grenze zwischen Content Business und Beyond Content Business sind die Plattformen flickr.com und youtube.com. Selbstverständlich wird dort Content in Form von Fotos bzw. Videos bereitgestellt, jedoch funktioniert die Art und Weise der Bereitstellung nicht nach klassischen Geschäftsmodellen der Medienbranche. Ferner wurden beide Plattformen nicht von Medienunternehmen gegründet, sondern sind durch kleine Start-up Unternehmen entstanden. Mittlerweile haben sich jedoch mit Yahoo bei Flickr und Google bei YouTube große Medienkonzerne in die Angebote eingekauft. Flickr gehört mit 7 Mio. registrierten Nutzern und 5.000 Seitenabrufen pro Minute zu den Top-50 am stärksten frequentierten Seiten im Internet. Auf YouTube werden täglich ca. 65.000 neue Videos hochgeladen und 100 Mio. Clips angeschaut. Damit wird deutlich, warum das Angebot zu den Top-3 am stärksten aufgerufenen Webseiten im Internet gehört.5 Die Erlösmodelle beider Webseiten sind hauptsächlich werbegetrieben, wobei überwiegend Google AdSense oder auch das Click-to-Buy Verfahren zum Einsatz kommen. Fraglich ist bei diesem Geschäftsmodell, ob es durch die immensen Traffic-Kosten auch zu einem Erfolgsmodell werden kann. Ein weiteres allein stehendes Geschäftsmodell aus dem Bereich Content Business ist das Angebot von myheimat.de. Auf dieser Plattform wird sog. Bürgerjournalismus betrieben, an dem sich mittlerweile ca. 25.000 Bürgerjournalisten beteiligen, die über die verschiedensten Themen (Geschichten, Blogs, Veranstaltungen, Fotos, Rubrikenanzeigen etc.), aktuell aus den Regionen Augsburg, Marburg und Hannover, berichten. Die online erstellten Inhalte werden anschließend sowohl online als auch in unterschiedlichen Print-Magazinen veröffentlicht und somit Erlöse generiert. So können regionale Themen, die für eine große Tageszeitung zu teuer wären, kostengünstig produziert werden. Drittes Beispiel von UGC-Angeboten sind die Social Communities. Diese Netzwerke bieten die Möglichkeit sich mit Freunden und Geschäftskollegen zu vernetzen und Informationen, auch in Form von Fotos und Videos, auszutauschen. In Deutschland zählt bei den privaten Angeboten StudiVZ und bei den kommerziellen XING zu den bekanntesten Angeboten. StudiVZ, nach dem amerikanischen Vorbild Facebook von drei Studenten gegründet, wurde im Jahr 2007 von der Georg von Holtzbrinck Gruppe übernommen und sucht seit dieser Zeit nach einem geeigneten Geschäftsmodell. Nach anfänglichen Schwierigkeiten zeigt sich, dass mit personalisierter Werbung durchaus Erlöse generiert werden können, doch bleibt der große Erfolg aus. XING setzt neben der Werbung auch auf Premium-Accounts, die es dem Abonnenten ermöglichen besser im Netzwerk mit anderen Nutzern zu kommunizieren. Da über XING hauptsächlich geschäftliche Beziehungen gepflegt 5
Vgl. Alexa (2009).
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werden und zusätzlich Jobangebote und –gesuche eine grundlegende Funktion darstellen, wundert es nicht, dass das Unternehmen mit seinen 550.000 PremiumAccounts zu erfolgreichen Plattformen gehört. Die drei Beispiele zeigen, dass UGC-Angebote eine große Bedeutung im Internet haben und ein großes Spektrum an Plattformen vorhanden ist, jedoch die wenigsten davon ein solides Geschäftsmodell vorweisen können.
3. Offene Fragen Betrachtet man das Thema UGC aus einer eher grundsätzlichen Perspektive, so stellen sich vier grundlegende Fragestellungen, von denen in den letzten Jahren zwei weitestgehend beantwortet wurden. Zunächst stellte sich die Frage, warum Menschen überhaupt bereit sind, kostenlos Inhalte für die Masse zu generieren. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass der primäre Grund der Spaß bei der Sache und eine gewisse Selbstdarstellung bzw. Selbstverwirklichung der Prosumenten ist.6 Dabei möchte z.B. ein Blogger einen konkreten Themenschwerpunkt und Einschätzungen in der öffentlichen Meinung setzen und übt damit das sog. Agenda Setting aus. Gegen die Erwartungen aus klassisch ökonomischer Perspektive ist Geld keine wirkliche Motivation für die Beteiligung an UGC-Angeboten. Die Qualitätssicherung von UGC ist eine weitere Frage, die bereits zum größten Teil beantwortet werden kann. Etwas genauer betrachtet muss hierbei jedoch in Qualitätssicherung gegen unerwünschte Inhalte und tatsächlicher Qualitätsmessung bzw. Bewertung von Inhalten unterschieden werden. Unerwünschte Inhalte, also Inhalte die z.B. gegen geltendes Recht verstoßen, können bei der Masse an UGC der heutzutage produziert wird nicht mehr manuell überprüft werden. Die Überprüfung von Bildern und Videos gestaltet sich dabei zusätzlich als wesentlich schwieriger als die von Texten. Deshalb wirkt man dem Problem mit Softwarelösungen wie beispielsweise der Filtersoftware Audible Magic entgegen, welche automatisch Bilder und Videos nach urheberrechtlich geschützten Inhalten durchleuchtet. Einfacher ist dagegen die Bewertung von Inhalten. Hier kommen Verfahren wie die Vergabe von Punkten (meist in Form von Sternen) oder die Abgabe von Kommentaren durch den Nutzer zum Einsatz. In Kombination mit der Zahl an Seitenaufrufen ergibt sich daraus dann eine bestimmte Platzierung bzw. die bessere Auffindbarkeit des Inhalts auf der jeweiligen Plattform. Die dritte Frage, welche noch nicht abschließend beantwortet werden kann, betrifft die Auswirkungen auf die klassische Wertschöpfungskette der Medienbranche. 6
Vgl. Stoeckl / Rohrmeier / Hess (2007), S. 280-282.
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Dabei stehen am Anfang der Wertschöpfung Inhalteproduzenten z.B. in Form von Nachrichtenagenturen, auf der zweiten Stufe Medienunternehmen, die diese Inhalte bündeln, auf der dritten Stufe Infrastrukturanbieter, welche die Inhalte verbreiten und am Schluss folgen die Konsumenten, die diese dann verbrauchen. UGC-Angebote wie z.B. Flickr, YouTube oder auch Twitter übernehmen ähnlich wie die Medienunternehmen auf der zweiten Stufe der Wertschöpfungskette die Bündelungsfunktion. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass hinter diesen Plattformen automatisierte Prozesse und keine klassischen Redaktionen mehr stehen, die eine inhaltliche Kontrolle vornehmen und damit ausgewählte Themen setzen. Die Stufe der Inhaltelieferanten, kann in freie Journalisten und Nachrichtenagenturen unterteilt werden. Auch auf dieser Stufe der Wertschöpfungskette verändert UGC in Form der Prosumenten die klassischen Strukturen. Das Thema von Aktualität bzw. Geschwindigkeit versus Qualität von Nachrichtenmeldungen, ist in den letzten Monaten immer wieder Mittelpunkt der Diskussion gewesen. Es bleibt abzuwarten in wie weit UGC eine ernsthafte Konkurrenz für Nachrichtenagenturen und Redaktionen darstellen kann. Die vierte und letzte Frage, die ebenfalls noch nicht abschließend beantwortet werden konnte, ist die Monetarisierung von UGC bzw. das Finden eines nachhaltig erfolgreichen Geschäftsmodells. Bild 4 zeigt mögliche Ansatzpunkte für allein stehende Geschäftsmodelle, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten beim Konsum von UGC zum Einsatz kommen können. Die erste Variante ist der kostenpflichtige Zugang zu den Inhalten, welche heute jedoch kaum verwendet wird. Internet-User haben sich über die letzten Jahre zu stark an kostenlose Angebote gewöhnt und sollte eine Plattform ihre Strategie ändern, könnten aufgrund der doch eher geringen Lock-in-Effekte umgehend neue kostenlose Angebote nachrücken.
Bild 4: Monetarisierung in allein stehenden Geschäftsmodellen
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Das am meisten verwendete Geschäftsmodell bei UGC-Angeboten ist die Einblendung von Werbung. Auf den Webseiten wird Werbung in Form von Bannern bzw. Texten platziert oder Partnerunternehmen werden in das Angebot z.B. über eigene Profile in einem Social Network integriert. Bei den Werbeeinblendungen wird immer häufiger mit personalisierter Werbung in Form von Zielgruppen spezifischer Werbung gearbeitet. In den Anfängen wurde diese Art der Werbung möglicherweise etwas ungeschickt eingesetzt, jedoch etabliert sich diese Form stetig. Eine weitere jedoch auch nicht ganz unumstrittene Möglichkeit ist der Verkauf von Nutzerdaten. Diese Form des Geschäftsmodells hat die Problematik des Datenschutzes und der Datenqualität. Vor allem Social Networks entfachen regelmäßig heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit, wenn beispielsweise die Nutzungsbedingungen angepasst werden. Wie stark diese Form der Monetarisierung bei UGC-Plattformen zum Einsatz kommt, ist schwer zu sagen, jedoch stellt sie sicherlich nicht die primäre Erlösquelle dar. UGC als Produktergänzung ist eine Variante, die vermehrt von klassischen Medienunternehmen eingesetzt wird und durchaus Erfolge vorweisen kann. Ein Beispiel dafür ist der Bild.de-Leser-Reporter, der mit seinem Handy oder per E-Mail Foto und Video-Beiträge für die Webseite der Bild Zeitung produzieren kann. So werden die von der Redaktion aufbereiteten Inhalte durch UGC unterstützt bzw. ergänzt. Auf fast allen Nachrichtenportalen ist es mittlerweile auch möglich redaktionelle Beiträge zu kommentieren, zu bewerten oder mit Social Bookmark Portalen zu verknüpfen. Die alten Inhalte bleiben demnach bestehen, und durch die Produktergänzung wird die Attraktivität gesteigert und möglicherweise die Kundenbindung erhöht. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Thema UGC kein „Hype-Thema“ darstellt, sondern die Medienbranche nachhaltig verändert. Die zu Beginn angesprochene klare Trennung zwischen dem Content-Produzenten auf der einen und Konsumenten auf der anderen Seite besteht nicht mehr. Die Nutzer zeigen ein nachhaltiges Interesse an UGC-Angeboten und auch das Konzept der Peer Production findet wie im Bereich von Open Source Anwendung. Damit stellt UGC auch nicht einen losgelösten Trend dar, sondern reiht sich als weiteres Phänomen mit ein. Jedoch gibt es noch keine eindeutige Lösung für eine erfolgreiche Monetarisierung dieser Angebote, die aktuell überwiegend auf Werbung in den unterschiedlichsten Formen setzen. An dieser Lösung müssen vor allem die allein stehenden Geschäftsmodelle arbeiten, da sie damit, im Gegensatz zur Produktergänzung, ihre Existenz sichern.
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5 ROUNDTABLE: Broadcast vs. On-Demand – Das Ende des klassischen Medienkonsums? Moderation: Dr. Martin Fabel, A.T.Kearney GmbH, Berlin Teilnehmer: Robert Amlung, ZDF, Mainz Barbara Daliri Freyduni, Google Germany GmbH, Hamburg Florian Landgraf, Kabel Deutschland GmbH, Unterföhring Andreas Müller-Schubert, Microsoft Deutschland GmbH, Unterschleißheim Marc Schröder, RTL Interactive GmbH, Köln Dr. Fabel: Sehr geehrte Damen und Herren, wir kommen zum nächsten Programmpunkt, dem ersten Panel. Wir diskutieren zum Stichwort ‚Broadcast versus On-Demand – Das Ende des klassischen Medienkonsums?’ – Entlinearisierung lautet der Terminus TechnicusEntlinear. Wir haben ein hochkarätiges Panel und können dieses Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Ich darf Ihnen zunächst die Panelists vorstellen. Frau Daliri Freyduni von Google ist Head of Marketing in Nord- und Zentraleuropa. Sie sind ein ditigtal Native, zumindest was Ihre beruflichen Stationen angeht: Axel Springer, Bild.de, Pixelpark usw. Herr Amlung, rechts daneben, repräsentiert die digitale Zukunft des ZDF. Er ist Beauftragter für digitale Strategien und Mitglied der Geschäftsleitung. Vom Nachrichtenchef bei Arte ging es nur noch digital weiter: Leiter Hauptredaktion Neue Medien, Koordinator digitale Entwicklung etc. Digitaler als durch Herrn Amlung könnte das ZDF nicht vertreten sein. Herr Landgraf ist Direktor bei Kabel Deutschland, verantwortet das komplette TV Geschäft analog und digital. Dann fragt man sich, was vom Geschäft der KDG denn nun noch fehlt. Da fehlen vielleicht noch Internet und Telefonie. Das darf noch jemand anderes verantworten. Zu meiner Linken Herr Müller-Schubert, Vertreter von Microsoft in Sachen IPTV, verantwortlich weltweit für das Microsoft TVGeschäft und vorher in diversen Managementpositionen im Ausland bei Siemens; sozusagen ein Telco TV Native. Er repräsentiert auch die Konvergenz, die wir alle erleben, sowohl von der Infrastruktur als auch von der Software und vom TV in alle Blickrichtungen. Herr Schröder, Sie haben einmal als Berater angefangen dann einen sehr interessanten, strategisch geschickten Weg eingeschlagen: zunächst zu RTL, danach die Telekom nicht nur kennen gelernt sondern dort eigentlich alles bewältigt, von dem
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_5 , © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Moderation: Martin Fabel
Sie heute profitieren können. Sie haben maßgeblich bei T-Online bzw. T-Home das IPTV Produkt entwickelt und ausgerollt. Kaum war es ausgerollt, sind Sie zurück zu RTL und heute Geschäftsführer RTL interactive und Mitglied der Geschäftsleitung bei RTL in Deutschland. Ich stelle mir interessant vor, wie Sie einerseits bei RTL Interactive die Entlinearisierung vorantreiben und auf der anderen Seite in der RTL Geschäftsführung vertreten müssen, dass das alles nicht so schlimm ist. Genau dieses Spannungsfeld wollen wir diskutieren und ich hoffe, es wird eine lebhafte Diskussion. Sie im Publikum sind bitte alle herzlichen aufgerufen, uns zu unterbrechen an jedweder Stelle. Wir haben auf alle Fälle am Ende einen Block für Publikumsfragen reserviert, aber wenn die Hitze der Diskussion Sie vorher nicht auf dem Stuhl hält, sondern Sie eine Frage stellen lässt, machen Sie bitte davon Gebrauch. Je lebhafter das Ganze wird, desto besser. Wir wollen die Zeit so strukturieren, dass wir zunächst keine Eingangsvorträge oder Eingangsstatements haben aber für jeden von Ihnen eine kleine Eingangsfrage und die Möglichkeit, aus Ihrer Sicht und aus Sicht Ihrer Firma das Thema Broadcast vs. On-Demand zu beleuchten. Danach haben wir drei Blöcke, die ich gern mit Ihnen diskutieren würde. Aus Perspektive der Nutzer, wir hatten das im Vortrag von Frau Das, veränderter Medienkonsum, jetzt speziell mit dem Stichwort Entlinearisierung. Wo stehen wir heute? Was hat sich tatsächlich wirklich verändert? Was erleben Sie in Ihrem Geschäft? Und, was uns alle beschäftigt, wie weit geht das Ganze? Was ist da eine End State Vision, auf die hinaus sich das entwickeln kann? Der zweite Block ist dann mehr aus Anbieterseite. Wem gehört die Kundenbeziehung in einer entlinearisierten Welt? Haben wir Portale auf dem Fernseher, wie wir sie bisher nur vom PC kennen? Wobei nicht ausgeschossen ist, dass der PC auch mal im Wohnzimmer steht. Eine ganz wichtige Frage sind die entlinearisierten Geschäftsmodelle. Wir hatten es vorhin gehört. Da müssen wir intelligente Geschäftsmodelle finden. Vielleicht finden wir welche, vielleicht haben wir schon welche. Also,’where is the money?’ ist eine ganz entscheidende Frage. Im letzten Block vor der Diskussion mit Ihnen im Publikum wollen wir uns noch einmal unterhalten über das Umfeld, welche Barrieren, welche Enabler dominieren infrastrukturell; offene, geschlossene Plattformen, auch das Stichwort: User Generated Content. Welche Rolle kann all das spielen? Das sind die drei Blöcke, durch die wir in der Diskussion gehen wollen. Ich darf mit Ihnen, Herr Schröder, beginnen und habe das eben schon angeschnitten. On-Demand, ist das nicht Teufelszeug aus Sicht eines Broadcasters, eines Free to Air Broadcasters, der werbefinanziert ist? Die Entlinearisierung insgesamt?
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Herr Schröder: Diese Frage habe ich mir auch gestellt als ich bei diesem Panel unter dem Titel ‚Linear versus non-linear’ oder ‚Broadcast versus On-Demand’ zugesagt habe. Das einzige Wort, das mir an dem Titel nicht gefällt, ist das Wort „versus“. Für mich ist linear und nicht-linear kein Widerspruch sondern eine sich ergänzende Symbiose, eine gute Kombination. Ich glaube, und das ist sozusagen der lineare TV-Mann in mir, dass das lineare Format eine Zukunft hat, dass das Medium Fernsehen auch in 20, 25 Jahren noch seine Berechtigung haben wird. Dafür gibt es eine klare Logik. Es gibt einen klaren Trend – und den erkennen wir heute schon – zu eher Event-orientierter Programmierung, ich nenne hier nur ‚Deutschland sucht den Superstar’ oder aber auch Sportveranstaltungen, die nur durch das Medium Fernsehen in kurzer Zeit große Reichweiten generieren können.. Diese Themen werden auch für Menschen in der nächsten Generation noch wichtig sein, dies sind einfach Themen, über die die Menschen morgens bei der Arbeit, auf dem Schulhof, etc. sprechen wollen. Daneben gibt es eher serielle Formate, die sich stärker für die nicht-lineare Nutzung eignen. Das ist für mich kein Widerspruch. Es gibt Menschen, die sich nach wie vor am klassischen elektronischen „Lagerfeuer“ entspannen wollen, und es gibt andere, die Fans eines Formats sind, die dieses gern nicht-linear nutzen wollen. Ich bin zuversichtlich und habe keine Angst vor diesem Miteinander, denn wir fragen uns nicht, welche Geschäftsmodelle es gibt, sondern wir setzen sie um. Für uns gibt es – und darauf kommen wir sicher im Detail später noch einmal zurück – schon heute eine Kombination aus werbefinanzierten und endkundenfinanzierten Geschäftsmodellen. Dr. Fabel: Dürfen wir da, soweit das öffentlich ist, nach dem Faktum fragen, wie viel noch linear und schon non-linear verdient wird bei RTL – oder zumindest umgesetzt wird? Herr Schröder: Solche Fragen beantworte ich sehr ungern, aber ich kann zumindest mit Nutzungszahlen aufwarten. Wie Sie wissen, wird in Deutschland die nicht-lineare Nutzung – insbesondere diejenige über digitale Videorecorder – heute noch nicht gemessen. Sie wird aber voraussichtlich ab Mitte des Jahres gemessen und ausgewiesen werden. In den USA sind – abhängig vom Format – heute schon bis zu 40% der Nutzung von populären Serien nicht-linear. In Deutschland muss man diese Rate sicher deutlich niedriger ansetzen aufgrund der niedrigeren Penetration von digitalen Videorecordern. Ich würde schätzen, dass sie bei ähnlichen Formaten in einer Größenordnung von maximal 10% liegt. Insofern erhoffen und erwarten wir durch die Veränderung der Ausweisung einen signifikanten Anstieg der Reichweite zur Mitte des Jahres, wenn nicht-lineare Nutzung auch zur Fernsehnutzung hinzugerechnet wird.
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Moderation: Martin Fabel
Dr. Fabel: Vielen Dank. Bleiben wir bei den Broadcastern. Herr Amlung, als Vertreter eines öffentlich-rechtlichen Senders, dürfen Sie überhaupt entlinearisieren? Wie viel dürfen Sie im Internet an Aktivitäten entfalten? Welche Rolle sollen non lineare Angebote für das ZDF als öffentlich-rechtliche Anstalt spielen? Herr Amlung: In der Einschätzung der Entwicklung unserer Branche sind Öffentlich-Rechtliche und Private gar nicht auseinander. Die Prognose, dass das Fernsehen bestehen bleibt, teile ich genau so, wie sie gerade dargestellt wurde. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass es in bestimmten Genres zu erwarten ist, dass die nichtlineare Nutzung wesentlich zunehmen wird – nicht unbedingt bei Sportevents, aber gerade bei fiktionalen Angeboten. Selbst im Nachrichtenbereich gibt es da ganz eindeutige Anzeichen. Für uns stellt sich daraus die Herausforderung, wie wir im Prinzip immer noch alle relevanten Gruppen dieser Gesellschaft erreichen können. Dahinter steckt eine ganz einfache Überlegung. Die Gebühr wird von allen erhoben. Also müssen wir im Prinzip auch alle Menschen bedienen. Wenn sich das Fernsehen so entwickeln sollte, dass bestimmte Gruppen der Gesellschaft auf linearem Weg nur noch ganz vereinzelt zu erreichen sind, haben wir ein Problem. Und bestimmte Inhalte, die uns besonders wichtig sind – gerade im Informationsbereich – linear gar nicht mehr funktionieren, dann haben wir keine andere Wahl, als dass wir in die nicht-lineare Welt gehen müssen. Der neue Staatsvertrag erlaubt das prinzipiell, die Möglichkeiten sind da. Entsprechende Angebote müssen beschrieben werden und sind dann über den Dreistufentest zu legitimieren. Dass auch ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender nicht in der linearen Welt stecken bleiben darf, ist in der Politik anerkannt. Ich glaube, dass uns allen im Moment noch die Vorstellung fehlt, wie die Branche in 20 Jahren wirklich aussehen wird. Da kann man sicherlich versuchen, Trends irgendwie fortzuschreiben. Sie sind aber, wenn man ehrlich ist, so mit Unsicherheiten behaftet, dass man da besser vorsichtig ist. In einer Sache bin ich aber sicher: der Trend, dass nicht-lineare Nutzung für das Fernsehen eine ganz wichtige Ergänzung wird, ist unumkehrbar. Das hat auch damit zu tun, dass dahinter eine technische Entwicklung liegt: Fernsehen wird zunehmend über IP-Netze verbreitet. In dem Moment, wo ohnehin die gesamte Distribution über ein IP-basiertes Netz abläuft, egal mit welchem Geschäftsmodell, fließen lineare und nicht-lineare Nutzung technisch zusammen. Und wenn wir soweit sind, dass technisch alles das Gleiche ist – das betrifft uns in ganz anderem Kontext auch in Beziehung zu den Verlagen –, dann werden die Medien tatsächlich konvergieren. Das wird einfach passieren. Dr. Fabel: Gibt es da eine Perspektive aus Sicht von RTL dazu, die kontrovers ist? Ansonsten gehen wir weiter, denn es gibt nichts Schlimmeres als Diskussionen, wo wir uns alle einig sind.
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Herr Schröder: Kontrovers könnte man sicherlich die Rolle oder die Ausbreitung des öffentlichrechtlichen Rundfunks im Internet diskutieren, Stichwort: 12. Rundfunkstaatsvertrag. Aber das würde uns so weit vom Thema entfernen und ist nicht relevant für die Diskussion linear versus nicht-linear. Dr. Fabel: Herr Müller-Schubert, wir hatten das schon eingangs diskutiert, es ist einiges an Digitalisierung im Gange. Auch IPTV greift um sich. Aber wo bleiben die nichtlinearen Innovationen? Hat Microsoft da etwas in der Pipeline? Herr Müller-Schubert: Ich möchte an einen Punkt anknüpfen, der eben angesprochen wurde: die Verteilung von TV über IP. Was die IP Technologie in die Netze bringt, ist die Möglichkeit einer hohen Interaktivität. Diese Interaktivität bietet neue Dienste und Anwendungen für den Zuschauer. Was wir als einen wichtigen Trend sehen, ist, dass linear und nicht-linear mehr zusammenwächst. Ich stimmte hier dem zu, was Herr Schröder gesagt hat. Das ist kein versus. Das ist ein Zusammenwachsen. Was wir als sehr interessante Ergänzung zum linearen TV sehen, ist, dass Dienste oder Informationen, die im Internet vorhanden sind, in einen TV Konsum integriert werden können. Stellen Sie sich z. B. vor, dass Sie ein Formel 1 Rennen verfolgen, und Sie können verschiedene Zusatzinformationen während des TV Konsums einblenden, und das ohne eine spürbaren Medienbruch. Den Ansatzpunkt des linearen TV Genusses, verbunden mit zusätzlichen Informationen und Diensten, sehen wir auf jeden Fall sehr stark im Kommen. Einen sehr großen Bedarf, den wir mehr und mehr sehen – und ich stimme dem zu – was heute Morgen gezeigt wurde, sind die Unterschiede in den Altersgruppen. Ich selber habe zwei Töchter von 17 und 18, die sich ganz anders verhalten als wir Erwachsene. Die Jugend schaut heute TV neben ihrem Social Networking auf dem PC. Sie schauen das, was sie herunterladen können, was sie gerade sehen möchten. Da ist auf jeden Fall ein sehr starker Trend vorhanden. Ich glaube aber auch, dass meine Töchter in zehn Jahren vor dem Fernseher sein werden: sie werden aber das Fernsehangebot anders konsumieren. Ich stimme dem zu, dass heute gelernt wird, was in zehn Jahren der Massenmarkt ist. Deswegen ist es sehr wichtig, die Erkenntnisse aus der jungen Generation dafür zu nutzen. Wir werden eine hohe Individualisierung über Social Networking erleben. Durch Hinweise von Freunden über das Social Networking wird es eine neue Verbreitung von Inhalten geben, die „In“ sind. Damit entsteht ein ganz anderes Verbraucherverhalten, was über Zeit auch in das traditionelle Fernsehgeschäft einfließen wird. Das ist eine sehr interessante Zeit und ich glaube, wenn wir in fünf Jahren hier sitzen, wird es viele der heute diskutierten Themen in den verschiedenen Märkten geben. Microsoft als Technologiepartner ist sehr aktiv im Bereich IPTV diese Interaktivität einzubinden und voranzutreiben. Unser erster Schritt war es, ein IP-basiertes digi-
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Moderation: Martin Fabel
tales Broadcastsystem zu schaffen, welches die beschriebenen Trends der wachsenden Benutzer-Interaktivität anbietet. Dr. Fabel: Ich muss da nachfragen. Meine Frage geht an Sie beide, weil Sie, Herr Schröder, sich jetzt auch schon etwas länger mit IPTV beschäftigen. Etwas zugespitzt: Die Vision des selbst nachbestellenden Kühlschranks oder das Hineinklicken in ein Fernsehformat, um direkt das Tennisdress der Tennisspielerin zu kaufen, sind Diskussionen aus der Zeit des Internetbubbles im Jahr 2000. Danach haben wir uns mit digitalem interaktiven Fernsehen beschäftigt. Sie berichten von der Verbindung von Internetinhalten in das TV-Programm. Jetzt haben wir schon 2009. Wann gibt es da einmal etwas zu sehen und anzufassen? Wann wird etwas Realität, dass wir alle nutzen? Herr Schröder: Vielleicht der Versuch eines Ausblicks von meiner Seite. Die wesentlichen zwei Barrieren, die dieser schönen bunten, interaktiven, digitalen Welt entgegenstehen, sind auf der einen Seite die Verbreitung von Infrastruktur. Die Ersatzzyklen im Fernsehgeschäft sind typischerweise länger als die im klassischen IT-PC-Umfeld. Bis Kunden rückkanalfähige Settop-Boxen, HD-fähige Fernseher etc gekauft haben, ist ein 6- bis 7-Jahreszeitraum vergangen. Den müssen wir erst noch abwarten. Die zweite Barriere ist das Nutzerverhalten. Der Kunde, der heute am PC hoch interaktiv ist, ist im großen Durchschnitt – und hier müssen wir natürlich einzelne Zielgruppen betrachten – noch nicht interaktiv. Beides hängt stark zusammen. Der Mangel an Angebot an interaktiven Möglichkeiten führt auch dazu, dass sich die Nachfrage nicht verändert. Ich nehme ein schönes Beispiel und klinge da möglicherweise sehr altmodisch: das interaktive Fernsehen existiert m.E. schon seit mehr als 20 Jahren in Form von Teletext. Das ist von den Zuschauern gelernt – mit einem Knopfdruck verlängere ich ganz einfach eine lineare Nutzung in eine nichtlineare Welt. Im Teletext ist bereits heute mit IP-Technologie viel möglich. Ich denke da an ein neues Teletextmodell auf der Basis einer offenen IPTV Middleware. Auf den meisten Settop-Boxen ist das heute schon möglich. Ich kann über einen Browser Inhalte, die über einen IP-Kanal zugeführt werden, mit dem TVSignal verbinden. Es mag langweilig klingen, aber stellen Sie sich einen Teletext vor, der neben Text auch Bild und Video hat. Dann wird das Ganze sehr spannend. Für uns ist sehr wichtig, dass das Ganze für den Kunden nutzbar und überschaubar bleibt. Dass der Kunde idealerweise aus einem laufenden Programm in vertiefende Inhalte eintauchen kann, danach aber auch wieder ins laufende Programm zurückkommt und sich nicht in der Unübersichtlichkeit eines weiten Internets verliert. Für unsere Zuschauer ist es sicher eine ganz interessante Erfahrung, wenn man eine Sendung verpasst hat, in eine Mediathek abzutauchen, sich diese Sendung dort abzurufen und dann wieder ins lineare TV zurückzukehren. Das ist ein ganz einfach zu verstehendes Angebot und auch sicher keine große Zukunftsmusik.
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Herr Müller-Schubert: Ich denke, es ist sehr wichtig zu unterscheiden, was heute im Massenmarkt angeboten wird, wie sich dieses weiter entwickelt und was die Zukunft bieten wird. Es gibt aber interessante Anzeichen, wie sich das Benutzerverhalten der heutigen Jugendlichen von diesem Breitenangebot unterscheidet. Für uns als Industrie ist es wichtig, die Technologie zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen. Ich will einmal ein nicht-deutsches Beispiel aufzeigen: AT&T ist sehr erfolgreich und gewinnt viele Auszeichnungen in den Regionen, wo sie diese neuen TV Dienste anbietet, weil sie insbesondere das Aufzeichnen von Filmen sehr einfach gemacht hat. In USA haben Sie typischerweise drei bis vier Fernseher im einem Haushalt. Mit der neuen IPTV Technologie von uns können sie heute Filme auf einen digitalen Recorder aufzeichnen und dann die Filme auf unterschiedlichen Fernsehern anschauen. Sie können z.B. im Wohnzimmer starten, dort stoppen und im Schlafzimmer weiterschauen. Das macht es für den Benutzer sehr einfach, das heutige Angebot besser zu nutzen. Das sind wichtige Funktionalitäten, wie sich eine AT&T in ihrem Wettbewerbsmarkt differenziert. Es kommt mehr und mehr die Interaktivität ins Spiel. Was ich bei unseren Kunden, den Telekommunikations-Betreibern feststelle ist, dass es sehr wichtig ist, das richtige Portfolio an Funktionalitäten für den jeweiligen Markt anzubieten. Was die Deutsche Telekom in Deutschland anbietet, was die British Telecom in UK anbietet, sind unterschiedliche Funktionalitäten. Für uns als Technologiehersteller ist es wichtig, einen Strauß von Möglichkeiten anzubieten, aus dem unsere Kunden das ihrem Markt entsprechende Angebot schneidern und flexibel auf Marktverschiebungen reagieren zu können. Dr. Fabel: Wir wollen uns mit den künftigen Szenarien der Mediennutzung in einem solchen Umfang noch ausführlicher beschäftigen. Frau Daliri Freyduni aus der Sicht von Google, ich schildere Google einmal mit einfachen Worten, wahrscheinlich falsch: Google ist ein sensationeller Weltmarktführer mit unverschämter Profitabilität im Bereich der Textsuche, der nun eine angeflanschte Videothek besitzt, stark User Generated. Wie wichtig ist das Bewegtbild für Google insgesamt, für die Strategie? Welche Aufstellung wollen Sie da einnehmen? Frau Daliri Freyduni: Ich komme darauf zurück, was Google erfolgreich gemacht hat. Das ist zum einen Innovationen zu schaffen und zum anderen etwas zu entwickeln, was hilfreich für die Menschen ist. Man darf im Vergleich zu einem traditionellen Medium wie Zeitungen nicht vergessen, dass wir keine Vertragsbindungen mit unseren Nutzern haben, wie beispielsweise Abos. Jeder Nutzer kann jederzeit entscheiden, unseren Service zu nutzen oder eben nicht. Das treibt unsere Innovation – wenn wir stehen bleiben, würden wir das spüren. Wenn wir auf YouTube zurückschauen – in den letzten Jahren ist die Community stark gewachsen und nach Nielsen Netrating nutzen über 13 Millionen Deutsche User YouTube – ist Video deshalb für uns wichtig, weil wir ein verändertes Nutzerverhalten sehen: Die Menschen haben ein
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Moderation: Martin Fabel
Interesse an Bewegtbild. Bewegtbild ist emotionaler als Text. Und wenn wir unserer Philosophie folgen, den Nutzern relevante Informationen anzubieten, dann gehört Video dazu. Dr. Fabel: Auch kommerziell? Frau Daliri Freyduni: Für Unternehmen ist YouTube eine neue Möglichkeit, mit ihren Kunden in den Dialog zu treten. Somit bieten wir ihnen an, neue Zielgruppen zu erschließen. Wir refinanzieren YouTube nicht über Paid Content, sondern schaffen ein Angebot, das für Nutzer und Werbetreibende gleichermaßen interessant ist. Wir bieten schon verschiedene Werbeformate und testen auch weiterhin neue Modelle, die jetzt anlaufen. Dr. Fabel: Können Sie uns noch ein paar Einblicke in die Geschäftsmodelle geben, die Sie rund um YouTube aufbauen? Wir brauchen das später als Input für den nächsten Teil unserer Diskussion. Frau Daliri Freyduni: Einige wurden heute schon genannt. Vielleicht erst einmal einen Satz vorab. Es gibt nicht nur das eine Geschäftsmodell. Was Sie sehen, ist ein Mix von verschiedenen Werbeformen. Zum Beispiel relativ klassische Werbespots auf der Homepage. Werbebanner wurden auch schon in einigen Präsentationen erwähnt, Click-to-Buy auch bereits mehrfach, also die Möglichkeit, dass Sie innerhalb eines Videos werben und dann das passiert, worüber man seit 10 Jahren redet: Man sieht etwas, findet das gut, kann klicken und kaufen. Unsere Hauptherausforderung besteht stets darin, etwas zu entwickeln, was unsere User mögen und einen weiteren Nutzen für sie bringt. Der Nutzer steht bei uns an erster Stelle – wenn ihnen unsere Produkte nicht mehr gefallen, sind sie mit nur einem Mausklick weg. Das ist das größte Risiko, das wir haben. Dr. Fabel: Herr Landgraf, für Kabel Deutschland würde ich non-linear übersetzen mit Videoon-Demand. Vielleicht greift das zu kurz. Dann korrigieren Sie mich gern. Ich würde gerne wissen, wie wichtig das für Sie werden soll. Und damit einhergehend, wenn es aber vielleicht doch so kommt, dass der Nutzer eher frei „herumvagabundiert“ und sich die Inhalte beliebig zusammensucht: Wer braucht denn dann noch den Kabelnetzbetreiber? Herr Landgraf: Zu Ihrer Frage linear oder nicht-linear: Da schließen wir uns der Meinung an, dass die nächsten 10, 20 Jahre oder sogar darüber hinaus das lineare Fernsehen weiterhin
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wichtig bleiben wird, dass aber eine Entlinearisierung auch kommen wird. Die Frage ist: Was machen wir eigentlich als Kabelnetzbetreiber dazu? Wir waren ja bis vor ein paar Jahren nur dafür bekannt, dass wir lange Löcher gegraben, Kabel verlegt und Kabelanschlüsse verkauft haben. Wir haben seit 2003 über eine Milliarde Euro investiert, vornehmlich für unser Internet- und Telefoniegeschäft, die Netze rückkanalfähig zu machen. Das Ganze dient zwei Kundengruppen, von denen eine oft vergessen wird. Wir haben einmal die Kundengruppe unserer neun Millionen direkten und indirekten Endkunden, die bislang vorwiegend lineares Fernsehen konsumieren, die sich aber – und ich weiß nicht, wie sehr es in ein, zwei oder fünf Jahren wirklich relevant ist – zunehmend auch nicht-lineare Dienste anschauen werden. Wir müssen diesen Endkunden folgen, wenn wir unser Nutzenversprechen nachhaltig einlösen wollen. Wir stehen dafür, mit einer hohen Qualität und einer hohen Zuverlässigkeit Bewegtbilder auf ein Endgerät zu bringen. Wenn der Kunde entscheidet, dass er diese Inhalte nicht mehr auf dem Fernseher sondern in seinem Arbeitszimmer oder vielleicht sogar in der U-Bahn sehen möchte, dann müssen wir da sein. Das heißt, es geht nicht nur darum, von einer linearen in eine nicht-lineare Welt kabelgebunden zu gehen, sondern irgendwann sicherlich auch mobile Endgeräte bedienen zu können. Die zweite Kundengruppe – und die wird immer wieder sehr gern vergessen – sind die Sender, die mit uns Einspeiseverträge für die Verbreitung ihrer Programme haben. Diese haben auch ein Interesse daran, dass sie ihre Kundengruppen nicht komplett an YouTube verlieren, sondern dass sie ihre Marken in eine nicht-lineare Welt verlängern können. Das ist eine nicht ganz triviale Situation, weil wir auf der einen Seite sehr viel Geld investieren müssen, um diese nicht-linearen Dienste und Plattformen entsprechend zu bauen, auf der anderen Seite aber die Partnerschaft mit den Sendern anstreben, so dass die Sender ihre Marken, die für bestimmte Inhalte stehen, auch in die nicht-lineare Welt erweitern können. Hierbei ist es für uns natürlich wichtig, dass wir bei der zunehmenden Zentrierung um den Content auf Senderseite weiterhin in der Lage sind, auch die Inhalte unseren Endkunden anbieten zu können. Dr. Fabel: Dann würde ich gern in unseren Diskussionsblock einsteigen. Vieles ist schon angeklungen, woran wir anknüpfen können. Zur Veränderung des Medienkonsums. Herr Amlung, Ihre Zuschauer haben eine umgekehrte Bevölkerungspyramide oder anders herum, die Bevölkerung schiebt sich in Richtung des Bildes Ihrer Zuschauer. Wie konsumieren die älteren Bevölkerungsschichten bereits nichtlinear, oder tut das noch niemand bei Ihnen? Und wer nutzt was? Das würde mich aus Sicht des ZDF interessieren, denn die digital Natives sind nicht unbedingt Ihr Hauptsegment.
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Moderation: Martin Fabel
Herr Amlung: Nein, natürlich nicht. Wobei wir uns schon auch fragen, wie wir die Digital Natives erreichen können. Das ist noch einmal eine ganz andere Baustelle. Schauen wir uns die Mediathek an: sie hat im Prinzip als Zielgruppe die ZDF-Nutzer, aber nicht mit einem Altersdurchschnitt von über 60, sondern deutlich darunter. Wir sind selbstbewusst genug zu sagen, dass wir für diese Zielgruppe 30+ durchaus attraktive Inhalte haben. Das merken wir in der Nutzung der Mediathek. Wir haben im nicht-linearen Bereich durchaus einige Erfolge, die wir über das lineare Fernsehen so nicht erreichen können, aber natürlich immer noch in ganz anderen Dimensionen. Nicht-lineares Fernsehen im Vergleich zum linearen Fernsehen sind in der Nutzung noch einige Größenordnungen auseinander. Trotzdem glauben wir, dass insgesamt die Bedeutung des nicht-linearen zunimmt, je jünger die Zuschauer werden. Wir werden die 60, 70, 80-Jährigen weiterhin mit linearem Fernsehen gut bedienen. Das ist überhaupt keine Frage. Aber die Frage stellt sich eben zunehmend bei den Jüngeren. Dr. Fabel: Gelernt habe ich schon einmal, dass ich mit den 50 minus jetzt zu den Jüngeren zähle. Das nehme ich gern mit. Gibt es aktive Strategien, die Sie verfolgen, um die anderswo auch gerne als Silversurfer bezeichneten in die nicht-lineare Welt mit hinüberzuziehen? Oder sagen Sie: Wir folgen denen lieber, wenn die mal so weit sind mit ihrem Surfverhalten? Herr Amlung: Im Endeffekt folgen die Älteren den Jüngeren. Das Internet wurde von den Jüngeren entdeckt, inzwischen nutzen es immer mehr Ältere. Im Moment haben wir die höchsten Zuwachsraten bei den über 60-Jährigen. Ich glaube, der Hauptpunkt ist, wie wir zu Zukunftsmodellen kommen, die wirklich langfristig taugen. Die wird man nicht mit den über 60-Jährigen finden. Dr. Fabel: Herr Schröder, Sie haben eher den anderen Teil der Bevölkerung in Ihrer Kernzielgruppe. Wie sieht das bei Ihnen aus? Was machen die? Was hat sich da verändert in den letzten fünf Jahren? Wie folgen Sie den Veränderungen oder wie führen Sie die vielleicht sogar an? Herr Schröder: Um auf die Frage mit dem Gegenteil zu antworten: Was wir in den letzten fünf Jahren nicht gespürt haben, ist einen massiven Shift in der Struktur der Nutzer von nicht-linearen Angeboten. Wir sehen einfach einen Anstieg in allen Altersgruppen gleichzeitig. Unsere Hypothese ist, dass der größte Treiber die Penetration von Breitbandinternet ist, das der Online-Nutzer nun endlich ermöglicht, das Medium Video auch wirklich zu nutzen. Das war vorher nicht der Fall. Wir sehen, dass unsere Fernsehzielgruppen ihre Nutzung durch nicht-lineares TV arrondieren, aber
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keine Abwanderungstendenzen. Ich denke, die Beobachtung, die eben angeklungen ist, gilt auch für uns. Natürlich ist auch bei uns der junge Nutzer überdurchschnittlich vertreten. Die Nutzer von nicht-linearen Angeboten sind nicht identisch zu denen im linearen Fernsehen, sondern ebenfalls jünger. Sie sind aber auch nicht allein zwischen 14 und 19 sondern wahrscheinlich näher an der Kernzielgruppe von RTL als das bei manchen anderen Online-Videoplattformen der Fall ist. Bei uns schaut auch der berufstätige Familienvater mal nach, wenn er eine Sendung verpasst hat. Es handelt sich bei uns nicht allein um ein kurzes Snack-TV, das man eher auf den User Generated Contentplattformen sieht. Wir beobachten natürlich auch sehr genau, ob nicht-lineare Nutzung Verdrängung oder Zusatznutzung darstellt. Wir erleben interessanterweise gerade bei unseren seriellen Formaten wie den Soaps, dass die Nutzung additiv ist, dass z.B. Fans, die eine Sendung verpasst haben, diese gerne auch nicht-linear nutzen aber deswegen nicht extra abwarten, die lineare Ausstrahlung boykottieren und diese dann möglicherweise mit weniger Werbung online sehen wollen. Wir sind durchaus sehr zuversichtlich, dass die Nutzung dadurch eher noch steigen wird. Dr. Fabel: Wenn wir den Scope, über den wir diskutieren, noch ein bisschen weiter spannen, nicht nur Broadcast versus on Demand sondern versus Internet mit Bewegtbildnutzung, sehen Sie dann eine Bewegung, bei der Sie anerkennen müssen, dass viele Zuschauer gar nicht mehr zu Ihnen kommen sondern sich nur noch bei YouTube oder anderen Video-Portalen bedienen? Herr Schröder: Einen Trend sehen wir und das steht vielleicht im Widerspruch zu dem, was wir vorab schon gehört haben. Wir sehen, dass der Zenit des User Generated Content angebotsseitig und auch nachfrageseitig überschritten ist. Wenn wir unsere Plattform Clipfish anschauen, sehen wir, dass der Anteil des abgerufenen Professional Content, also wirklich hochwertig produzierter Inhalte, relativ gesehen stark ansteigt. Wenn man sich die absoluten Reichweiten ansieht, sieht man, dass das Wachstum nicht mehr so explosionsartig ist wie in den letzten Jahren, aber dass durch den Anstieg des Anteils an professionell produzierten Inhalten die Basis dessen, was über Werbung refinanziert werden kann, deutlich ansteigt. Das ist für uns eine gute Nachricht. Ich glaube, User Generated Content ist wichtig, erfüllt aber eine ganz andere Funktion. User Generated Content wird häufig spontan genutzt, wenn ich z.B. morgens früh im Büro einen Link zu einem witzigen Videoclip bekomme, den ich aber möglicherweise nicht aktiv gesucht hätte. In diesem Zusammenhang darf man eben nicht unterschätzen, dass es sich letztendlich um vollkommen unterschiedliche Nutzungssituationen handelt. Was in den ganzen Diskussionen ebenfalls sehr stark unterschätzt wird, ist der Wert einer Marke, eines Leuchtturmes wie zum Beispiel RTL, wenn es darum geht, wem der Nutzer eigentlich vertraut, Das ist bei einer Informationssuche textbasiert heute ganz anders. Natürlich vertraue ich da einer Suchmaschine, die auf der Basis eines Algorithmus
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Moderation: Martin Fabel
relevante Informationen liefert. Die Frage ist aber, ob ich einer Maschine genauso vertrauen würde, wenn es um meine Präferenzen und meinen persönlichen Geschmack geht? Das ist sicherlich eine interessante Diskussion, weil dort die Schnittmenge zu Social Media und zu Social Communities noch einmal eine ganz andere ist. Da wird eine Marke, die Empfehlungsfunktion einer Marke, der Wert einer Marke auch in Zukunft wichtig sein. Dr. Fabel: Ich glaube, das ist ein ganz spannender Punkt, auf den wir noch einmal explizit eingehen werden. Mich würden da alle Sichtweisen interessieren. Frau Daliri, vielleicht aus Ihrer Sicht: Sie sehen, was in den letzten Jahren bei YouTube passiert. Können Sie uns ein paar Einblicke geben, die wir vielleicht miteinander noch nicht diskutiert haben, wie sich das Nutzungsverhalten und auch das Angebot verändern? Frau Daliri Freyduni: Man kann vielleicht mit ein paar Mythen aufräumen. Natürlich wird YouTube auch von jungen Leuten genutzt, aber bereits die Hälfte der Nutzer ist älter als 30 Jahre alt. YouTube ist unter anderem deshalb groß geworden, weil es unterhaltsam und informativ ist. Ich stimme nicht mit Frau Das überein, dass User Generated Content nicht relevant ist. Es gibt unglaublich witzige, interessante von Nutzern erstellte Inhalte. Und man muss auch sehen, dass es das Originelle ist, worüber die Menschen reden. Und viele Videos sind sehr sinnhaft. Denken Sie an die Tutorials, die es mittlerweile online gibt: Professoren stellen ihre Vorlesungen auf die Plattform ein. Sie können nahezu alles auf YouTube lernen: wie Sie ein Kind wickeln, sich schminken oder einen Motor reparieren. Diese Tutorials sind im Wachsen und gehen in eine völlig neue Richtung. Interessant bei YouTube ist auch, dass die Plattform relevant für Informationen wird. Natürlich holen sich viele Nutzer Informationen auf Nachrichtenseiten. Aber die 20 bis 29jährigen informieren sich beispielsweise verstärkt auf YouTube über Politik. Die Obama Kampagne ist ein schönes Beispiel: Wenn ich Sie fragen würde, wie viele von Ihnen Obamavideos auf YouTube gesehen haben, würden viele den Finger heben. Aber auch die professionellen Inhalte sind wahnsinnig wichtig. Wir sind ein innovationsgetriebenes Technologieunternehmen mit einer OnlineVideo-Plattform. Deshalb sind unsere Partner so wichtig, die ihre Inhalte einstellen wie beispielsweise das ZDF in Deutschland, BBC in UK, RAI in Italien. Auch der Vatikan hat seinen eigenen Kanal auf YouTube und die Englische Queen ebenfalls. Dr. Fabel: Wollen wir mal gemeinsam einen Blick in die Zukunft wagen. Ich glaube, dass da fünf Jahre nicht reichen. Wir müssen schon etwas weiter gehen. Wenn ich umgekehrt sage, wir schauen 20 Jahre zurück, sind wir bei 1990. Da gab es noch kein Internet für uns alle. Vielleicht nehmen wir 10 bis 15 Jahre, um irgendwo dazwischen zu liegen. Who wants to start? Microsoft, was ist die Vision des non-linearen oder überhaupt des Medien- und Fernsehkonsums im Jahre 2020.
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Herr Müller-Schubert: Für uns als Technologielieferant ist es sehr wichtig, dass wir mit dem Endkunden reden. Was sind die wichtigen Trends? Was sind Themen, die einen Unterschied im Angebot unserer Kunden letztlich machen? Aus heutiger Sicht fassen wir das in drei wichtige Themenbereiche zusammen. Einmal ist es das Thema „When?“. Wir sehen einen deutlichen globalen Trend, dass die Zuschauer eine Sendung aufzeichnen und diese dann anschauen, wenn die Zeit es erlaubt. Z.B. ist ein wichtiges Thema das so genannte „TV of Yesterday“, d.h. komplette oder inhaltbezogenes Aufzeichnen der Programme in der Vergangenheit. Hier gibt es zwar landesspezifische Regulierungen aber generell wird die Zeitdimension von TV Broadcast-Sendungen damit adressiert. Man kann im Endeffekt im Netz Fernsehsendungen aufzeichnen, die gerade oder in den letzten sieben Tagen gelaufen sind, ganz einfach im EPG (Electronic Programming Guide) anzeigen und auf der Zeitachse in die Vergangenheit zurückgehen und sich das anschauen. Aufzeichnen von BroadcastSendung als Zuschauer zuhause oder zentral im Netz ermöglicht es dem Zuschauer TV Sendungen anzuschauen, wenn es die Zeit erlaubt und man ist nicht mehr so stark zeitlich vom Programmgrid abhängig. Das ist ein ganz wichtiger Trend und in zehn Jahren wird das eine ganz dominierende Realität sein. Einen zweiten Trend, den wir sehen, ist das Thema „Where“ oder wo werden die TV Inhalte in der Zukunft angeschaut. Wir sehen hier zwei neue Möglichkeiten des Fernsehkonsums als besonders wichtig an: PC/Laptop und Mobilfunkendgeräte. Wir sehen ganz klar den Trend, dass zusätzliche Endgeräte neben dem Fernsehgerät ihren Platz finden werden. Einen interessanten Nebeneffekt dieser neuen Endgeräte ist, dass ich einmal aufgezeichnete Sendungen mitnehmen kann, oder dass „meine Sendungen mir folgen“ und über das Internet angeboten werden. Letztlich bedeutet das, dass unabhängig wo ich gerade bin, habe ich Zugang zu meinen Inhalten. Entweder habe ich ihn abonniert, oder ich habe ihn aufgezeichnet. Das dritte Thema, was wir ganz klar sehen, ist „What?“ Welcher Inhalt interessiert mich? Wir sehen hier eine sehr starke Individualisierung. Hier sehe ich auch ganz interessante Geschäftsmodelle vom Vorpaketieren, d.h. das professionelle Zusammenstellen von Inhalten. Das ganze Thema Recommendations aus dem Social Network wird immer wichtiger. Es wird einfach eine neue Dimension kommen, wo man mit Freunden während einer TV-Sendung Dinge austauscht, neue Ideen generiert. In zehn Jahren sehen wir, dass uns alle drei Dimensionen einen erheblichen Schritt nach vorne gebracht haben. Die Basis dafür, ich hatte es vorhin schon einmal gesagt, ist die Interaktivität, die über die Technologie kommt. Essentiell wichtig ist es aber, das Benutzerverhalten als treibenden Faktor zu verstehen und die Veränderungen durch neue Geschäftsmodelle. Wir stellen etwas ganz Wichtiges fest: Diese neuen Möglichkeiten der Nutzung sind für den „Normalverbraucher“ heute immer noch sehr kompliziert. Als Verbraucher muss ich wissen, wo ich bestimmte Inhalte finde; ich muss mich mit Technologien auseinandersetzen, und so weiter. Wir legen
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bei Microsoft insbesondere sehr starken Wert darauf, dass die Benutzeroberfläche so einfach wie möglich bleibt. Sie hatten die Altersgruppe der 60-Jährigen angesprochen. Diejenigen sind in zehn Jahren 70, aber wir wollen sie auch in die neuen Möglichkeiten einbinden. Es ist sehr wichtig zu verstehen, was in dem jeweiligen Zeitfenster relevant ist für das jeweilige Marktsegment und einen Massenmarkt. Das ist ein sehr kritisches Erfolgskriterium, auf das wir sehr viel Wert legen, gerade auch durch Befragungen der entsprechenden Kundengruppen. Dr. Fabel: Herr Landgraf, was ist Ihr Bild von in zehn Jahren? Herr Landgraf: In Großteilen kann ich dem gerade Gesprochenen zustimmen. Allerdings bin ich vielleicht ein bisschen konservativer oder pessimistischer was die Multitaskingfähigkeiten in zehn Jahren auf dem Sofa angeht. Ich gehe davon aus, dass sich die Massenkonsumtrends für Bewegtbilder etwas langsamer entwickeln als wir uns alle einreden, die wir in dieser Branche aktiv sind. Ich glaube weiterhin, dass die Menschen ihre 20 Uhr-Nachrichten sehen wollen und gehe auch davon aus, dass meine Frau in zehn Jahren – wenn es das noch gibt – dienstags abends Dr. House gucken möchte. Und ich gehe nicht davon aus, dass Sie dann am Mittwoch bei YouTube guckt, ob es etwas Ähnliches wie Dr. House gibt, was sie dann guckt und mit Freunden shared, während sie parallel die von der Oma geschossenen Bilder auf einen Bildschirm linkt, auf Pause drückt, ins Schlafzimmer geht und dort den Medienkonsum unterbrechungslos fortsetzt. Ich glaube, dass es ein bisschen länger dauern wird. Genauso wie wir vor 15 Jahren schon über interaktives Fernsehen gesprochen haben. Da war ich zwar noch nicht bei KDG dabei, habe es mir aber anekdotisch berichten lassen. Werden nicht-lineare Nutzung, die nahe an den starken Markenleuchttürmen hängen – also die Dinge, die man einfach versteht als Endkunde – Einzug halten? Ja. Werden wir in zwei Jahren schon alles auf Abruf konsumieren? Da bin ich mir nicht so sicher. Aber ich gehe sehr stark davon aus, dass in zehn Jahren sowohl was die Nutzerführung als auch was die Rechtesituation angeht, sich der Markt so sortiert hat, dass der Kunde dann seine geliebten Formate auch nicht-linear und ggf. auch auf verschiedenen Endgeräten konsumieren kann. Dr. Fabel: Herr Amlung, sehen Sie das auch so? Herr Amlung: Ich teile die Vorliebe zu schauen, was wir eigentlich in den letzten Jahren erlebt haben. Und deswegen tue ich mich mit Prognosen schwer. Nehmen Sie das Beispiel Google. Das Geschäftsmodell von Google hatte eigentlich keiner erwartet. Im Werbebereich waren damals Banner die gängige Technik. Google sagte dann: das machen wir anders. Und dieses Andere hat plötzlich alle Erwartungen und alle Trends, die vorher diskutiert wurden, über den Haufen geworfen. Eine ganz ähn-
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liche Geschichte bei den Handys. Weder Nokia noch Windows Mobile noch andere haben den Impact erkannt, den die ganz einfach Bedienung des iPhones hat. Und immer noch ist das iPhone in dieser Einfachheit unübertroffen. Microsoft hat es zum Beispiel bis heute nicht geschafft, Windows Mobile angemessen anzupassen. Auch diesen Trend hatte keiner auf dem Schirm, gerade nicht innerhalb der Branche, innerhalb der Handyindustrie. Deswegen glaube ich, dass man die treibenden Kräfte nicht wirklich vorhersehen kann. Es läuft einfach nicht so, wie wir es erwarten. Der Haupterfolgsfaktor ist deshalb, offen zu bleiben für diese Überraschungen und dann in der Lage zu sein, schnell zu reagieren – und nicht mit langen Produktzyklen und Schwerfälligkeiten die Entwicklung zu verschlafen. Herr Müller-Schubert: Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Aspekt, den Sie angesprochen haben und ich glaube, ein Erfolgskriterium der Zukunft sein wird, dass man die Flexibilität, die die Technologie bietet, entsprechend einsetzt. Wie heute Morgen schon einmal angesprochen: die lange Zeit, die es braucht, um heute im traditionellen TV Geschäft Innovationen zu bringen. Da wird sich durch die Technologie einiges tun. Wir bei Microsoft haben uns groß auf die Fahne geschrieben: Webspeed auf den Fernseher zu bringen. Ich glaube auch nicht, dass es eine Killerapplikation gibt. Es wird ein Bouquet von Möglichkeiten geben, die man individuell zusammenstellen kann. Aber die Zusammenarbeit der Industrie mit dem Ziel, die Geschwindigkeit der Innovation in das Thema reinzubringen, ist ein kritischer Erfolgsfaktor für uns alle. Dr. Fabel: Gibt es noch Ergänzungen? Sonst würde ich gern eine kleine Delphi-Expertenrunde starten. Herr Schröder, Sie dürfen anfangen. Wir nehmen noch einmal das Jahr 2020. Wie viel Prozent vom täglichen Bewegtbildkonsumdurchschnitt der Bevölkerung in Deutschend ist non-linear. Herr Schröder: Ich würde schätzen, dass es 20 % sind. Aber man beachte, das dies nicht allein auf dem Endgerät Fernseher, sondern insbesondere auf dem Endgerät Mobiltelefon sein wird. Vielleicht das noch anknüpfend an die Diskussion von eben: ich sehe das Zusammenkommen von zwei Megatrends, einmal Mobilität durch Geräte, die zu Telefonie und anderen Zwecken benutzt werden, und das Thema IP-Technologie. Ich glaube, an diesem Schnittpunkt liegt Innovationspotenzial. Insofern sehe ich einen großen Teil der nicht-linearen Nutzung über Mobiltelefone, aber natürlich auch im Wohnzimmer und im Arbeitszimmer. Dr. Fabel: In der Tat, der Poll soll über alle Devices gehen. 20%, wer bietet mehr oder weniger?
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Moderation: Martin Fabel
Herr Müller-Schubert: Ich sehe einen wesentlich stärkeren Trend. Ich sehe heute schon in den USA, dass Leute ihre Kabelbox zurückgeben und anfangen, nicht-lineare Inhalte zu schauen; einfach auch aus Kostengründen in den heute schwierigen Zeiten durch die Rezession. Die Technologie ist heute da. Die Inhalte sind, wenn man sich im Internet auskennt, vorhanden. Ich glaube auch, dass wir einen weiter steigenden Teil Anteil des Fernsehkonsums auf verschiedensten Endgeräten (Laptop, Mobilfunk) sehen werden. Ich wäre überrascht, wenn wir in 20 Jahren nicht mindestens 50% nichtlinearen Konsum von Inhalten haben. Herr Landgraf: Ich müsste mich jetzt eigentlich mit 37,5% dazwischen legen. Ich glaube aber in der Tat, dass es auch eher in Richtung 30%+ gehen wird, insbesondere wenn man betrachtet, welche durchschlagende Kraft nicht-lineare Mainstreamangebote z.B. in Großbritannien haben, in dem allein der Sky+ Anytime Dienst, der eigentlich eine recht rudimentäre Form von On-Demand-Inhalten einer Satellitenplattform darstellt. Dort manifestiert sich, dass heute schon über 10% der TV-Nutzung nichtlinear ist; und das bei lediglich 30, 40 Contentstunden, die auf eine Settop Box gespielt werden. Und das wenige Jahre nach Einführung. Daher möchte ich schon davon ausgehen, dass es über 30% der Nutzung sein wird. Dr. Fabel: 35%? Herr Landgraf: Wir liegen eh alle falsch. Dann bleibe ich bei meinen 37,5%. Dr. Fabel: Wunderbar, mit Nachkommastelle finde ich klasse. Frau Daliri! Frau Daliri Freyduni: Ich würde in die Runde fragen: Wie viele von Ihnen schicken täglich noch ein Fax? Vor 20 Jahren haben wir über Fax kommuniziert. Da hätte keiner gedacht, dass wir jetzt alle E-Mail benutzen. Ich kann keine Prozentzahl geben, aber wenn ich meinen Sohn anschaue, würde ich sagen 100%. Mein Sohn hat zwei PCs und keinen Fernseher. Wenn man sich die letzte Umfrage unter Teenagern anschaut, dann nennen die meisten auf die Frage, was Ihnen wichtig sei, Freunde und Familie an erster Stelle. Was hoffentlich auch so bleibt – und danach kommt schon der PC! Wenn man sich beispielsweise die Wachstumsraten im letzten Jahr von über 500 Prozent von angesehenen und hochgeladenen YouTube Videos über mobile Endgeräte anschaut, dann gibt uns das eine Vorstellung, wie groß der Anteil an OnDemand Videos in 20 Jahren sein wird. Immens groß.
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Dr. Fabel: Ich muss Sie um Zahlen bitten und wir nehmen das als persönliche Meinung, weil ich weiß, wie restriktiv Google mit Veröffentlichungen ist. Also, hier sprechen Sie als Person und nicht für Google. Frau Daliri Freyduni: Meine ganz persönliche Meinung ist: deutlich über 50% in zehn Jahren. Herr Amlung: In zehn Jahren noch nicht im Gesamtschnitt über 50, aber in einzelnen Milieus und Zielgruppen. Dr. Fabel: Und im Gesamtschnitt? Herr Amlung: Im Schnitt würde ich deutlich über 20 sagen, aber noch unter 50. Dr. Fabel: Ich glaube, das können wir als öffentlich-rechtliche Aussage so stehen lassen. Ich darf Sie im Publikum noch einmal daran erinnern, dass wir gern und jederzeit Fragen entgegennehmen. Bitte, die erste Publikumsfrage. Dr. Konietzka: Ich habe folgende Fragen: Google und Microsoft sind amerikanische Firmen, die für ein amerikanisches Publikum funktionierende Unterhaltungskonzepte entwickelt haben. Inwieweit stoßen diese beiden Monopolisten in Europa an ihre Grenzen? Gibt es Untersuchungen und somit auch Erkenntnisse über Medienüberdruss, über Langeweile von immer gleichen „Belustigungen“? Sind die Konsumenten in Sachen amerikanische Unterhaltungsformen unbegrenzt belastbar? Dr. Fabel: Ich denke die Frage ist verstanden. Frau Daliri und Herr Müller-Schubert? Herr Müller-Schubert: Es ist für uns wichtig, die einzelnen Märkte zu verstehen. Ich verstehe Ihre Bemerkung, dass Google und Microsoft US-basierte Firmen sind. Ich bin verantwortlich bei Microsoft für unsere IPTV Lösung und ich bin kein US Amerikaner. Wir sind weltweit tätig und die USA ist ein Teil davon, nicht der dominierende Teil. Heutige Realität ist, dass IPTV Technologie in Europa weiter verbreitet ist als zurzeit in den USA. Es ist sehr wichtig, das internationale Geschäft zu verstehen und insbesondere die landesspezifischen Anforderungen. Wenn wir hier über Microsoft sprechen, möchte ich zwei Dinge differenzieren: Einmal als Software-Plattform-Lieferant. Ich bin verantwortlich für die Plattform, die wir herstellen und unseren
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Moderation: Martin Fabel
Kunden in den jeweiligen Märkten anbieten, um damit das jeweils richtig zugeschnittene Angebot für die Endkunden zu erstellen. Ein Erfolgskriterium für dieses Geschäft ist es, die richtigen Funktionalitäten in der Plattform für die Märkte bereitzustellen. Unser Geschäft ist global. Wir haben z.B. Kunden in China, Indien, Singapur, Europa und in Nordamerika, d. h. die Plattform muss im Endeffekt die Möglichkeiten bieten, die verschiedenen Kundenanforderungen abbilden zu können. Das ist eine Seite von Microsoft. Es gibt natürlich weitere Angebote von Microsoft zum Thema TV, z.B., was im Bereich der Xbox Spielekonsole in einigen Ländern angeboten wird: über den Xbox Live Service Filme anzuschauen. Wie bereits erwähnt, werden in Zukunft immer mehr Filmangebote über das Internet oder andere Quellen, wie Gamestations, angeboten. Dieser Trend und in den Markten jetzt tätig zu sein ist für uns wie auch für andere Firmen wichtig. Dr. Fabel: Vielleicht darf ich noch ergänzen, ich habe die Frage so verstanden, dass sie schon darauf zielt, ob es im Rahmen Ihrer Überlegungen Strategien und Pläne gibt – wir haben eben über Prozente gesprochen und wo das alles hingehen kann in der wunderbaren non-linearen Welt –, die den Medienüberdruss ernst nehmen und aufgreifen? Herr Müller-Schubert: Das war der zweite Teil der Frage. Ich glaube, ein Überdruss der Benutzer kommt insbesondere daher, wenn man sich nicht mehr in der Welt des Angebotes zurechtfindet. Das war ja auch ein ganz wichtiges Thema in den Anfangsjahren des Internet, sich in der Fülle des Angebotes zurechtzufinden. Es wird entscheidend für den Erfolg sein, wie ein Benutzer in der Zukunft den Content findet. Das ganze Thema Search aber auch Recommendations – Empfehlungen von Freunden – oder auch das automatische Angebot basierend aus dem bisherigen Verhalten werden wichtige Elemente sein, aus denen man sich in der Zukunft sein eigenes Programm zusammenstellt. Wir stellen uns das so vor, dass man sich in der Zukunft aussuchen kann, welche Themen oder Inhalte angeboten werden. Wenn man sich z.B. ein Video anschaut – ich nehme als Beispiel Batman –, so werden zusätzlich automatisch ähnliche Inhalte angeboten, aus denen man auswählen kann. Frau Daliri Freyduni: Ich sehe die Frage ähnlich wie Sie. Überdruss kommt auch eher, wenn man damit nicht zurecht kommt. Wir sehen aber, dass immer mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden. Sie kennen die Zahl vielleicht: 20 Stunden Videomaterial werden weltweit auf YouTube pro Minute hochgeladen. Tendenz steigend. Unsere Hauptaufgabe als Unternehmen ist, diesen Inhalt einfach auffindbar zu machen. Die Frage ist doch, wie man sicher stellt, dass die User die online verfügbaren Inhalte auch wirklich nutzen können und die Inhalte finden, die relevant für sie
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sind. Was Sie auf YouTube oder überhaupt im Internet finden können, ist phänomenal, großartig. Dr. Fabel: Da kann sie heute Nachmittag auch noch einmal adressiert werden. Weitere Fragen bitte. Christian Töpper, Presseprogramm Service: Zum Thema Finden. Das ist eine kleine praktische Baustelle, die aber relevant ist. Wie bringe ich Fernsehen und Web zusammen? Wie bringe ich Broadcast und OnDemand zusammen? Da gibt es zum Thema Finden ein ganz altes Werkzeug. Das heißt Programmzeitschrift. Es ist ein bisschen verrückt in Deutschland, aber es sind 30 Millionen Stück pro Monat, die da gekauft werden. Die Entwicklungschefin von Google hat vor zwei Jahren angekündigt: wir machen das, wir machen eine Programmzeitschrift überflüssig. Mich würde, Frau Daliri, interessieren: Wie weit sind Sie? Frau Daliri Freyduni: Dazu kann ich Ihnen keine Antwort geben. Man muss ehrlicherweise sagen, dass bei den Programmzeitschriften und den Auflagen, die Sie genannt haben, auch ein Großteil sonstige Verkäufe enthalten sind. Unser Ziel ist nicht, Programmzeitschriften überflüssig zu machen. Unser Ziel ist, Menschen, die sich im Internet bewegen, Informationen zugänglich zu machen. Wenn User nach wie vor lieber eine Programmzeitschrift kaufen, dann liegt es doch komplett in ihrem eigenen Ermessen. Wir sehen, dass Programmzeitschriften verstärkt von den älteren Zielgruppen gekauft werden. Die jüngeren finden ihre Inhalte immer mehr im Internet direkt oder über Suchmaschinen. Herr Michael Cramer: Eine Frage, die mich wegen der Zusammenstellung der Runde interessieren würde. Wenn ich mir meinen Neffen ansehe, der ist sehr entspannt, wenn er am Abend mal eine Sendung verpasst, weil er weiß, dass er die in zwei Tagen auch auf YouTube findet. Inwieweit haben wir hier eigentlich einen Interessenskonflikt in der Runde? Sind Sie da entspannt von RTL- und ZDF-Seite? Kommt Ihnen das sogar zugute, dass Sie sagen, das gibt es eine Bindung der Leute? Denn rechtlich ist das doch eigentlich ein Problem. Herr Schröder: Vielleicht kann ich dazu etwas ausführen. Ich bemühe immer gern die Beispiele aus der Musikindustrie, weil diese Industrie bei all den aktuellen Trends einfach fünf Jahre früher dran war. Musik konnte man auch schon über schmalbandige Leitungen illegal erwerben. Ich glaube, dass das Piraterie und illegale Nutzung dann Nischenphänomene bleiben werden, wenn es legale Alternativen gibt. Da sind wir in der Bewegtbildindustrie einfach deutlich früher dran, als es in der Musikindus-
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Moderation: Martin Fabel
trie der Fall war. iTunes ist ein gutes Beispiel. Ich sage immer, wenn die legale Nutzung einfach schöner, schneller und komfortabler ist als die illegale, gibt es eine gute Chance für die legale Nutzung. Das sehe ich im Bewegtbildbereich auch. Für mich ist eine legale Nutzung, wenn sich zum Beispiel YouTube mit den Musikverlagen einigt und über die GEMA die Urheberrechtsentgelte abführt. Das ist ein schönes Geschäftsmodell. Da haben die Musiklabels gar nichts dagegen. Das ist für den Kunden gut. Das ist für die Künstler gut. Aber wie gesagt, es muss auf der Basis eines effizienten und die Rechte der Komponisten und Texter berücksichtigenden Geschäftsmodells passieren. Dann mache ich mir keine Sorgen. Ihrem Neffen wird es dann irgendwann einmal so lästig sein, seine Lieblingsinhalte mit schlechtem Gewissen im Internet zu suchen. Er wird es vielleicht dann legal haben wollen und auch einen Werbeblock dafür akzeptieren, dass er es legal und kostenlos konsumieren darf. Herr Amlung: Wir arbeiten mit Google und anderen zusammen, um die rechtlichen Fragen zu lösen. Wir haben ein Interesse daran, dass wir in legale Umgebungen kommen, dass die Rechteinhaber vernünftig abgegolten werden. Wir halten grundsätzlich den Interessenskonflikt für nicht besonders groß. Es ist mir als ZDF eigentlich völlig egal, wo ein ZDF-Inhalt konsumiert wird: Hauptsache, er wird als ZDF-Inhalt erkannt und wahrgenommen, und er wird auch bei uns gezählt. Das ist eine nicht ganz einfach zu regelnde praktische Frage. Noch ist die traditionelle Fernsehquote das Maß der Dinge. Wenn mir ein Zuschauer aus der Quote rausfliegt und ich keine Möglichkeit habe, ihn wieder irgendwo anders reinzurechnen, dann habe ich einen Verlust. Wir sind in unserer Medienforschung gemeinsam mit anderen sehr massiv daran, die nicht-lineare Nutzung in die Fernsehquote zu integrieren. Es wird in Zukunft zwar die bekannte Kanalquote weiter geben, die auf den Sendeplatz bezogen ist. Aber es wird eine zweite Quote geben, die produktbezogen berechnet wird. Sprich: wie viele Menschen haben zum Beispiel eine bestimmte Sendung auf allen möglichen Kanälen und Portalen gesehen? Das ist methodisch nicht ganz einfach, weil das pro Portal und Kanal heute in unterschiedlichen Methodiken erfasst wird. Aber die Harmonisierung dieser Messmethoden ist im Interesse der ganzen Branche, und da bin ich relativ zuversichtlich, dass wir bald Ergebnisse haben. Dr. Fabel: Noch Fragen? Wir haben noch Platz. Frau Das! Frau Das: (Text nicht freigegeben.) Dr. Fabel: Dürfen wir das im Sinne der Zeit mit einem „Ja“ oder „Nein“ beantworten, fünffach?
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Herr Amlung: Natürlich wächst der Kuchen insgesamt, stimmt. Wir erwarten aber auch, dass es im linearen Geschäft Einbrüche gibt durch Verlagerungen in Richtung nicht-linear. Frau Daliri Freyduni: Wenn Sie sich mein Handy anschauen und wissen, dass man darauf Videos anschauen kann, dann werden mehr Leute, auch wenn sie unterwegs sind, Videos anschauen. Und das spricht natürlich für ein insgesamtes Wachstum. Herr Landgraf: Ich glaube auch, dass die Bewegtbildnutzung insgesamt steigen wird. Herr Müller-Schubert: Wir glauben, dass es immer lineare Inhalte geben wird. Es gibt einfach Sportereignisse, wo die Leute vor den Fernseher gehen und es Live erleben wollen. Aber es ist ein ganz klarer Trend auch für non-lineare Themen wie beschrieben zu sehen. Herr Schröder: Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem. Wir sehen eine Ausweitung der Nutzung und wir haben innerhalb dieser ausgeweiteten Nutzung eine nicht-lineare Nutzung. Das heißt, der Teil, der für lineare Nutzung übrig bleibt, ist zumindest in den USA leicht gesunken. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, der gegen eine Fortsetzung dieses Trends spricht. Insofern schließe ich mich meinen Vorrednern an. Dr. Fabel: Ich würde gern noch eine Frage stellen für ein kleines Schlussstatement. Ich habe verstanden, im Jahr 2020 sind die 37% der Median. Wir erwarten eine non-lineare Nutzung des Bewegtbildmedienkonsums, der auch insgesamt wächst, so dass wir sowohl eine Ausweitung als auch eine Substitution verzeichnen werden. Ich habe zweitens verstanden, dass die Entlinearisierung allen Beteiligten gut tut. Jeder profitiert davon. Sie geht zu Lasten von niemandem. Wir haben dann eine Situation, dass die 37% – und ein Teil davon wird auch im Wohnzimmer stattfinden – auf einem bestimmten Verhalten basieren, wonach der Nutzer Contents anklickt, sucht, navigiert, anschaut, vielleicht auch herunterlädt. I am a firm believer in convenience through software – das heißt, irgendjemand wird tracken, was konsumiert wird, und dann anfangen, entsprechende Recommendations zu unterbreiten. Zusätzlich kommen noch welche aus dem Social Network. Ausführliche NutzerProfile entstehen. Aber wer ist dann derjenige, der das liefert? Ist das nur ein Softwarelieferant, der das plug-and-play-fertig liefert für z.B. KDG? Oder gibt es da einen neuen Google, der es besser als jeder andere versteht, Empfehlungen für den non-linearen Konsum zu unterbreiten, also den Content an den Mann zu bringen? Was ist dann mit den starken Sendermarken? Irgendwer muss hier doch unter einer solchen Veränderung leiden. Offene Frage, offene Runde.
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Moderation: Martin Fabel
Herr Schröder: Das ist vielleicht eine ganz langweilige Antwort, weil ich glaube, dass dort, wo Marktmechanismen nicht funktionieren, eine Aufsicht erforderlich ist. Dadurch werden Verzerrungen hoffentlich korrigiert. Insofern müssen wir alle miteinander. Das ist schon einmal die eine Aussage. Dass es einem gelingt, die Weltherrschaft zu erlangen, wird nicht der Fall sein. Die gute Nachricht ist tatsächlich aus unserer Sicht, dass die Nutzung wächst, dass die Relevanz wächst. Video wird einen viel größeren Teil der Zeit eines jeden Menschen in Anspruch nehmen als das in der Vergangenheit der Fall war, einfach durch den technischen Fortschritt. Jetzt ist es nur an uns, die entsprechenden Geschäftsmodelle zu finden. Natürlich bringen die neuen technischen Möglichkeiten Gefahren für etablierte Geschäftsmodelle, aber meine persönliche Erfahrung ist auch, immer wenn technologische Innovationen gekommen sind, hatte jeder Angst. Jack Valenti, der Chef des Branchenverbands der amerikanischen Filmindustrie, hat einmal in den 80er Jahren gesagt, der Videorecorder sei der Tod der Filmindustrie. Man sieht, durch neue Technologien wächst der Kuchen. Meine Beobachtung ist, mit zusätzlicher Nutzung, mit zusätzlicher Relevanz kommt auch zusätzliches Geld in diesen Markt. Klar, es wird einen Verteilungskampf um dieses zusätzliche Geld geben, aber in Summe ist das erst einmal eine gute Nachricht. Wie genau das Spiel nachher ausgeht und wer welchen Teil dieses größer werdenden Kuchens für sich in Anspruch nehmen kann, ist tatsächlich offen. Aber da wage ich auch keine Prognose. Herr Müller-Schubert: Vielleicht knüpfe ich da direkt an. Ich stimme zu, dass im Endeffekt die Industrie zusammensitzen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen muss. Ich glaube aber auch, dass der Benutzer eine wesentlich höhere Eigenverantwortung bekommt. Wir müssen technologisch Möglichkeiten errichten, dass der User bewusst „nein“ sagen kann, dass er z.B. bestimmte Inhalte oder Angebote nicht möchte. Das wird ein Thema sein, was wesentlich wichtiger werden wird, und hier sind wir alle gefordert. Wenn man z.B. heute mal in die Social Networking Angebote reinschaut, und sieht, was dort User freiwillig über sich „veröffentlich“, ist das schon erschreckend. Ich hatte da auch interessante Gespräche mit meinen Töchtern gehabt, die sich plötzlich wundern, dass sie irgendwelche Angebote oder fremde Kontaktansprachen bekommen. Hier ist die Eigenverantwortung der Benutzer stark gefordert aber auch wir als Anbieter von technischen Lösungen oder Inhalten müssen hier aktiv den Benutzer unterstützen. Herr Landgraf: Ich glaube, was dieses ganze Softwarethema angeht, auch sehr stark daran, dass das die Marktmechanismen regeln werden. Es ist m.E. nicht sinnvoll, dass sich eine Institution oder ein Teil des Marktes zusammenrobbt und glaubt, den heiligen Gral zu finden, der natürlich dann auch auf subjektiven Interessen beruht, sondern dass der Markt dies regeln wird. Ich gehe auch davon aus, dass auch unterschiedliche Nutzungsformen, verschiedene grafische Oberflächen und auch Suchmechanismen
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dazu beitragen werden, Angebote zu differenzieren. Von daher wird es regulatorische Aufsichtspflichten geben, damit nicht einer, wie Marc Schröder eben zu Recht sagte, die Weltherrschaft übernimmt. Ich glaube aber auch nicht, dass wir in einer Art Planwirtschaft enden können, in der eine regulatorische Instanz sagt: so sieht es jetzt aus. Dies würde zu einer Gleichmacherei aller Infrastrukturen führen, die m.E. nicht gesund ist. Frau Daliri Freyduni: Ich denke das Hauptthema heißt für jeden Marktteilnehmer innovativ zu bleiben und neue Bereiche zu testen. Keiner weiß heute schon genau, was die Lösung ist. Ich glaube, dass insgesamt die Unternehmen in Zukunft noch mehr gefordert werden, innovativ zu sein, schnell zu sein, viel stärker auf den Markt zu hören als in der Vergangenheit. Und auch viel stärker auf den Konsumenten zu hören. Sie werden auch gar nicht mehr weghören können, da er im Zweifel unaufgefordert seine Meinung sagt. Das wird das Regulativ sein und die Konsumenten werden am Ende des Tages davon profitieren. Dr. Fabel: Herr Amlung, wird die Amazon Recommender Engine dann Ihr Programmdirektor für die 20%, die Sie genannt haben? Herr Amlung: Einer von vielen. Ich glaube, dass alle, die wir hier sitzen, zu den Gewinnern gehören könnten. Die Chancen sind riesig. Es ist die Frage, was wir daraus machen. Natürlich verlieren wir viele der alten Gewissheiten. Wir hatten zu Zeiten der analogen Antenne ausschließlich direkte Endkundenbeziehungen. Die sind längst weg. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir genauso auch nicht mehr im bisherigen Sinne Programmdirektor sind, sprich: unseren linearen Fluss so gestalten können, wie wir das für richtig halten, weil der Nutzer da schlichtweg an immer mehr Stellen nicht mitmachen wird. Wir müssen uns etwas anderes überlegen, wie wir trotzdem genauso erfolgreich akzeptiert und gemocht werden als öffentlichrechtlicher Sender, denn letztlich ist die Gebührenakzeptanz immer davon abhängig, dass das, was wir machen auch geschätzt wird. Insofern ist es überhaupt keine Alternative, so zu bleiben wie wir sind, sondern wir müssen uns so verändern, dass wir auch wieder in eine neue digitale Medienwelt hineinpassen. Wie das geht, wissen wir heute noch nicht komplett. Dr. Fabel: Ich glaube, das ist ein sehr gutes Schlussstatement. Die 37% non-lineare Bewegtbildnutzung nehmen wir als zentrale Erkenntnis mit aus dieser Panel-Diskussion. Ansonsten darf ich es mit Reich-Ranicki sagen: den Vorhang zu und alle Fragen offen. Ich darf mich bei Ihnen bedanken.
NEUE GESCHÄFTSMODELLE – MEDIENLANDSCHAFT IM UMBRUCH Moderation: Dr. Andreas Bereczky, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
6 Die Medienlandschaft in 10 Jahren Sascha Lobo, adnation Social Media Advertising, Berlin Ich möchte zunächst sagen, worüber ich spreche. Ich gehe weniger an Geschäftsmodelle heran als an etwas ganz Grundsätzliches, nämlich an die Revolution – es ist ein total abgenutztes Wort, das ich aber trotzdem benutze, weil ich mir dafür eine neue witzige Schreibweise ausgedacht habe – Rev01ution – das O und das L ersetzt durch eins und null: die digitale Revolution, die uns in Richtung einer digitalen Gesellschaft bringen wird. Diese digitale Gesellschaft, die sich gerade entwickelt, inhaltlich präzise vorherzusagen, das kann natürlich erst einmal überhaupt keiner. Auch nicht ich. Ich bediene mich deshalb eines kleinen Tricks, den ich zu allem Überfluss auch noch übernommen habe, und zwar von Herrn William Gibson, einem Science Fiction Autor. Er ist der Erfinder des Wortes Cyberspace und vieler anderer intelligenter und kluger Sachen. Ein Visionär würde man sagen, wenn dieses Wort nicht mindestens ebenso abgenutzt wäre wie „Revolution“. Dieser Mann hat etwas gesagt, was mich sehr beeindruckt hat und was mir heute hilft, Ihnen überhaupt einen Vortrag über die Zukunft halten zu können: Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungerecht verteilt. Im Umkehrschluss kann ich es mir dann leisten, an ganz bestimmten Dingen, an ganz bestimmten Ecken in der Realität, die schon heute existiert, nachzusehen – und was ich dort finde, zur Zukunft zu erklären und auf die nächsten zehn Jahre zu extrapolieren. Das heißt, was immer wir in den nächsten Jahren erleben – vielleicht nicht alles, aber doch ein großer Teil – ist heute irgendwo schon verborgen. Wenn ich im Hier und Jetzt nur gut genug suche, kann ich wagen, die nächsten zehn Jahre vorherzusagen. Das als meinen kleinen Trick, mit dem ich Sie auf eine Tour de Force mitnehmen möchte: mit der These „Das Internet wird zum Herzen der Gesellschaft“. Ich möchte das ganz bewusst so hoch hängen. Zum einen, weil ich natürlich ein Typ
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_6 , © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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bin, der Pathos gern mag und zum zweiten, weil ich glaube, dass die Überlegungen, die man heute trifft – selbst wenn man versucht, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – an einer grundsätzlichen Fehlinterpretation des Internets scheitern. Es ist die Fehlinterpretation, dass es sich um ein weiteres Medium handele, oder um einen weiteren Vertriebskanal. Ich glaube, dass das Internet wesentlich tief greifender auf die Gesellschaft wirkt und deswegen ganze Denkmodelle umgeworfen werden müssen, wenn sie nicht sowieso schon von ganz allein umgeworfen werden. Das erleben zum Beispiel die Kollegen von diesem alten Medium Print jeden Tag. Wurde heute wieder ein Magazin eingestellt? Das wissen Sie besser als ich. Ich bin ganz froh, dass es das Internet gibt. Ich hätte sonst von diesen vielen eingestellten Zeitschriften nie erfahren. Das Internet wird zum Herzen der Gesellschaft. Das ist eine Wendung, die für CeBIT Webciety – ich arbeite viel für die deutsche Messe AG – entwickelt wurde und die bezeichnen soll, was da im Gange ist, die Entwicklung zur Digitalen Gesellschaft, die „Rev01ution“. Ich beginne mit der Erklärung eines Mechanismus, von dem viele von Ihnen schon gehört haben werden. Es handelt sich um die Weisheit der Vielen, zu englisch „Wisdom of the Crowds“. Das ist eine sehr wichtige Eigenschaft im Netz, weil sie eine von diesen neuen Qualitäten darstellt. Man klickt sich durch das Netz, landet auf YouTube, guckt in die Kommentare und sieht, die Vielen sind schon mal da. Die Weisheit leider noch überhaupt nicht. Weisheit ist im Internet generell relativ schwer zu finden. Auf dem Campus der Universität von Oregan hat die Universitätsleitung 1970 gedacht: wir machen mal Web2.0. Das hat sie natürlich nicht wörtlich so gemeint. Aber es war die Zeit, wo man Studenten ein bisschen mitgestalten lassen wollte. Also durften sie den Campus neu arrangieren. An die Gebäude wollte man sie lieber nicht heranlassen, also hat man sie an die Landschaft drumherum angesetzt. Sie haben erst einmal das getan, was man von Studenten auch erwartet hätte, nämlich alles planiert. Dann haben sie etwas sehr Intelligentes gemacht, was vom Verständnis wegweisend für die weitere Entwicklung des Internets ist. Sie haben überall Rasen gepflanzt. Und diesen Rasen haben sie über drei Monate wachsen lassen. In diesen drei Monaten des Semesters sind die Studenten zwischen den Häusern umhergegangen und über diesen Rasen. Anschließend haben sie Wege geteert, und zwar dort, wo der Rasen heruntergetrampelt war. Wenn das eine breite Trampelstrecke war, haben sie einen breiten Weg geteert. Wenn das eine schmale Trampelstrecke war, haben sie einen schmalen Weg geteert. Das Ergebnis waren geteerte Wege exakt an den Stellen, wo die Studenten sie brauchen. Ich bin bereit, jede Wette einzugehen, dass kein Architekt, kein Landschaftsgestalter der Welt die Wege exakt so hätte anlegen können, wie die Menschen sie brauchten. Selbst, wenn es sich bei dieser Geschichte vermutlich um einen Urban Legend handelt.
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In den Köpfen der Vielen, in der Masse, in diesem Fall in den Füßen der Vielen, liegt eine Qualität verborgen, die der Einzelne nicht abbilden kann. Genau das ist die Weisheit der Masse. Der interessante Teil fängt da an, wo diese Weisheit der Masse, wo diese Vielen die richtige Technologie an die Hand bekommen. Dann entwickeln sich auch für die gesamte Gesellschaft, für Wirtschaft, Kultur, Politik ganz neue Qualitäten. Die richtige Technologie war in diesem speziellen Fall Rasen. Die Aufgabe des Rasens hat inzwischen das Internet übernommen, und ich versuche zu zeigen, in welchen Bereichen das wirkt. Eine der beeindruckendsten und simpelsten Plattformen, mit der dieses Internet auf die Gesellschaft verbessernd wirken kann, ist FixMyStreet.co.uk. Bei dieser Plattform gebe ich meine Postleitzahl ein, dann kann ich dazu schreiben: ‚bei mir vor der Tür ist die Laterne kaputt‘ oder ‚auf der Long-Street ist ein Schlagloch‘. Ich kann noch ein Foto dazu hochladen. Die Betreiber dieser Plattform, eine Stiftung, leiten das genau an die zuständigen Stellen innerhalb der Verwaltung, die das dann bearbeiten sollen. Damit die Motivation erhöht wird, listen sie für jeden einzelnen Bezirk in England – die heißen dort Councils – auf, wie viele Probleme gemeldet worden sind, wie viele gelöst wurden, wie viele davon alt und ungelöst sind, wo der Status überall unbekannt ist. Das listen sie so auf, dass es jeder sehen kann. Wenn man dann in der entsprechenden Verwaltung sitzt, möchte man nicht derjenige sein, der den Anruf von der „Sun“ bekommt, wenn da steht: 415 Probleme gemeldet, alle ungelöst. Durch diese Transparenz und durch diese Vielen, die die Probleme von dort aus melden, wo sie sind, wo sie ihnen auffallen, übersetzt: durch diese Weisheit der Masse, wird sogar – und ich möchte jetzt keinem von Ihnen zu nahe treten – etwas so Behäbiges wie die Verwaltung, wie die Administration in ihren Grundfesten erschüttert, also effektiver. Das Interessante daran ist, dass diese Mechanik – für England ist das tatsächlich ein Stück Weltverbesserung -, die wir vorher als nur eine der vielen Qualitäten des Netzes gesehen haben, eben nicht nur darauf begrenzt ist. Das nächste Beispiel ist ein verhältnismäßig abgelutschtes, das ich nur ganz kurz skizzieren will: Ich halte Herrn Obama für den ersten Internetpräsidenten. Warum? Er hat in einem ganz entscheidenden Monat, nämlich im Januar 2008, als es darum ging, ob er für die demokratische Partei nominiert wird, die ersten Caucusses, also Vorwahlen standen an, etwa 36 Mio. $ Spenden eingesammelt. Und davon 88% im Internet. Das Interessante ist, dass er diese 88% aus dem Internet nicht wieder ins Internet gesteckt hat, sondern benutzt hat, um die Kommunikationshoheit über die klassischen Medien zu gewinnen: er hat bis zu halbstündige Werbespots im Fernsehen geschaltet, das er aus dem Internet heraus gezogen hat. Dieses Beispiel zeigt, mit welcher Hebelwirkung man im Netz unterwegs sein kann. Von Herrn Obama kann man natürlich noch ganz viel lernen, das würde heute aber etwas zu weit führen. Aber man kann von ihm unter anderem lernen, wie man
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Social Media benutzt. Man kann von ihm so viel lernen, dass sogar Herr Netanjahu offenbar glaubte, eine absolut identische Website in Israel ins Netz stellen zu müssen. Man kann es auch übertreiben mit dem Lernen, wollte ich damit sagen. Gehen wir weg von Obama, aber bleiben noch kurz in der Politik. In der Schweiz gibt es eine sehr hohe Zahl von Menschen, die im Social Network Facebook aktiv sind, angeblich 1,1 Mio. Menschen – bei überhaupt nur 7,5 Mio. Schweizern. Das führt dazu, dass sich die Basisdemokratie in der Schweiz verändert. Früher, als man Volksbegehren in Gang setzen wollte, musste man vermutlich noch mit einer Urne von Dorf zu Dorf ziehen. Da ist es natürlich sehr schwierig, 50.000 oder 100.000 Unterschriften zusammenzubekommen. Heute gibt es Facebook Gruppen, die es innerhalb von 24 Stunden schaffen, viele Tausende Unterschriften zu sammeln, von einer öffentlichen Diskussion in den herkömmlichen Medien beinahe unbemerkt. Das partizipative Modell wird mit dieser Technologie etwas stärker, um es vorsichtig zu sagen. Jede Gruppe auf Facebook, die sich beispielsweise mit dem Reitsport beschäftigt, kann auf einmal, wenn sie möchte und 50.000 Leute erreicht, eine solche Petition einbringen. In der Schweizer Zeitung „20 Minuten“ erschien im Januar 2009 ein Artikel mit der Überschrift „Facebook bringt Bundesrat ins Schwitzen“ – und zwar durch das hohe Volumen bisher unbekannter Gruppen, die auf einmal Petitionen einbringen. Diese Entwicklung gilt selbstredend nicht nur für die Politik. Die Plattform innocentive.com wurde von einem pharmazeutischen Unternehmen ins Leben gerufen. Dort stellen Unternehmen ihre Probleme ein. Etwa: „Molekül A will nicht mit Molekül B reagieren, wir haben alles probiert, kalt, warm, nichts geht“. Für ein solches Problem loben sie eine Belohnung zwischen 5.000 und 1 Mio. $ aus. Wer als erster die Lösung bringt, kriegt das Geld. Und die Lösung wird weltweit von inzwischen über 160.000 angemeldeten Wissenschaftlern aus der verschiedensten Bereichen gesucht. Ein guter Teil dieser Probleme, die eingestellt werden, werden auch gelöst, häufig mit Ansätzen, die einzelnen Forschern schon länger bekannt sind. Interessanterweise sind von den gelösten Problemem eine größere Zahl in Kasachstan gelöst worden. Da scheinen Horden von Wissenschaftlern Schubladen voller ungenutzter, weltbewegender Erkenntnisse zu haben. Genau das ist das Stichwort. Das Netz greift an dieser Stelle in die Wirtschaft mit ein, denn natürlich werden diese Probleme von Firmen eingestellt, die ein ganz konkretes wirtschaftliches Interesse haben. So wird aus einem Gedankengang, aus einer kasachischen Schublade, auf einmal ein reeller Unternehmenswert in Nordamerika. Da funktioniert etwas wie eine Art Staubsauger für Mehrwerte – wie eBay, das die Dachböden und Keller der Republik entrümpelt hat – nur bei innocentive mit dem Wissen der Menschheit in den Schubladen der Forscher.
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Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass es eine ins Internet ausgelagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung im Bereich Biochemie oder Pharmazeutik geben kann. Da muss man sich erst einmal die Formulierung vergegenwärtigen, um die Tragweite zu begreifen. Gehen wir noch weiter weg – hin zum Maschinenbau, also einer schon etwas älteren Hochtechnologie. Die Plattform emachineshop.com gibt es seit dem Jahr 2000. Dort kann ich mir mit einem Onlinetool ein Bauteil designen oder auch designen lassen, drücke auf einen Knopf, gebe meine Kreditkartennummer an und bekomme es ein paar Wochen später zugeschickt. Ich habe eine Fülle von Materialien. Ich habe eine Fülle von Bearbeitungstechniken. Ich habe das hier einmal rausgeschrieben: Rubbermolding, Plastic Injection Molding – Dinge, von denen die meisten von uns noch nie gehört haben werden. Diese Verarbeitungstechnologien sind ausgelagert ins Internet. Es ist völlig egal, ob ich mir da ein einzelnes Bauteil für meinen Oldtimer nachmache, das ich nicht mehr bekomme, oder ob ich für meine Fabrik in Hessen 500.000 komplizierte kleine Kurbelwellen bestelle. Da wandern Prozesse ins Netz ab in Bereichen, in denen man das so nicht erwartet hätte. Es gibt übrigens tatsächlich eine florierende Oldtimer-Community um diese Seite herum, wo sich Leute gegenseitig die schönsten Rückspiegel modellieren usw., die es einfach am Markt nicht mehr gibt. Machen wir einen Rissschwenk in die Kultur: ein bisschen Eigenwerbung gehört dazu. Mein letztes Buch ist ebenfalls nach diesen Methoden entstanden. Ich habe das nicht mehr auf Word-Dokumenten geschrieben, sondern komplett auf dem Server, nämlich in Google Docs. Das ist eine Art Online-Word, wo man aber kollaborativ gleichzeitig daran arbeiten kann. Ich habe zusammen mit meiner Koautorin Kathrin Passig die Texte geschrieben, und gleichzeitig haben wir noch zwei Lektoren engagiert und den Lektor von Rowohlt, wo das Buch im Oktober 2008 erschienen ist. Wir haben gleichzeitg zu fünft an diesem Buch gearbeitet. Das hat einen enormen Zeitvorteil ergeben und vor allem für mich die Legende widerlegt, man könne nicht zu zweit an einem Text arbeiten. Das ist nicht so. Die Lektoren haben häufig gesagt: Moment, das ist der totale Quatsch und hier steht das Gegenteil von der Behauptung fünf Seiten zuvor. Das sind Dinge, die einem Autor allein entweder gar nicht oder erst viel zu spät auffallen. Dadurch gab es in unserem Arbeitsprozess einen Qualitäts- und Geschwindigkeitsgewinn. Wir haben drei Monate gebraucht, um dieses Buch zu schreiben, handelsübliche 290 Seiten. Das liegt natürlich auch an uns. Sie merken, das war ein bisschen vorgetäuschte Bescheidenheit. Ich möchte auf einen medialen Wandel eingehen, der schon länger besteht, der aber in meinen Augen immer wichtiger wird, auch wenn er den Hype-Zyklen der Medien leider oft unterworfen wird: Weblogs. Diese Blogs sind ja nichts anderes als ein kleines Stück Software, mit dem jeder von uns publizieren kann. Jeder von uns wird zum Medium, wenn er das möchte. Das tun in Deutschland noch gar nicht so viele Menschen. In anderen Bereichen der Welt tun das sehr viele Menschen. Aber was ist die Funktion davon? Das ist das eigentlich Interessante daran. Die
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Funktion ist, dass ich eine ganz neue Kultur erreichen kann, weil publizieren nicht mehr dem Faktor Geld unterworfen ist. Das werden die von Ihnen, die in Verlagen arbeiten, wahrscheinlich mit einem weinenden und einem anderen, auch weinenden, Auge sehen. Das Blog des Schriftstellers Jens Thiel, das leider inzwischen eingestellt ist, functionalfate.org, sammelte Fotos von Plastikstühlen auf der ganzen Welt. Darüber kann man lachen, aber immerhin ist der Monoblock Plastiksessel, um den es hier geht, das häufigste Möbelstück der Welt. In dem Blog ist ein Foto von einer Fähre in Brasilien, die aus einem Floß mit aufgenagelten Stühlen besteht, zu sehen. Diese Publikations- und Kulturform wäre nur möglich als Blog. Stellen Sie sich vor, jemand würde eine Zeitschrift herausgeben, wo Fotos von Plastikstühlen … okay als Liebhaberprojekt. Ich weiß nicht, wie weit das führen würde. Dass das noch in ganz andere Bereiche geht, zeigt das Blog vabanque.today.net, das alles Wissen über Bankraube sammelt. Wann immer im deutschsprachigen Raum eine Bank überfallen wird, werden auf diesem Blog die Fotos, die Motive der Täter analysiert, dokumentiert wieviel Geld erbeutet wurde und so fort. Das Blog existiert schon seit 2004. Man bekommt dort einen ganz guten Überblick darüber, dass sich Bankräuber in der Regel unfassbar dämlich anstellen. Auch das zeigt auf, wie Kommunikation und Kultur im Internet mit der Begeisterung des Einzelnen leben. Wer sich für den Bankraub an sich interessiert, liest dieses Blog. Auch das ist ein Phänomen, was Medien durchaus im Auge behalten sollten, nämlich dass die Zielgruppen auf einmal nur noch nach ihren eigenen Interessen zu bedienen sein können. Es geht übrigens nicht nur um Subkulturen. Eine der allerersten Bloggerinnen in der deutschsprachigen Landschaft ist Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträgerin, die ihre Texte auf elfriedejelinek.com seit 1996 in chronologischer Reihenfolge ins Netz stellt und deswegen als Bloggerin gelten kann, um einmal dieses Subkulturargument etwas zu entkräften. Das ist jetzt auch nicht unbedingt Mainstream, aber immerhin offiziell Hochkultur. Was können diese Blogs bewirken? Dafür ein angerissenes Beispiel: allesaussersport.de. Als es 2007 auf der Kippe stand, ob das Radsport-Team T-Mobile weiter Team T-Mobile heißt, hat ein Radfahrer namens Bert Dietz bei Herrn Beckmann ein Interview gegeben. Sein Anwalt saß dabei; er wollte nicht riskieren, verklagt zu werden. Herr Beckmann wollte sich aber auch nicht in der Sendung, die erst aufgezeichnet und dann zeitversetzt ausgestrahlt wird – zensieren lassen. Dann hat tatsächlich Herr Dietz etwas gesagt, was sein Anwalt ihm empfohlen hat, auf gar keinen Fall ausstrahlen zu lassen. Herr Beckmann wollte sich immer noch nicht zensieren lassen, ein Dilemma. Also hat man einen total salomonischen, leider aber trotzdem total dämlichen Kompromiss gefunden, wie wir gleich sehen: Es gab eine Tonstörung. Genau in dem Moment der problematischen Passage gab es einen
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880 Hz Ton: piiiep. Man konnte Herrn Dietz wegen des Tons leider nicht verstehen, was sehr ärgerlich war, weil es gerade das Herzstück seiner Aussage war. Die Rechnung wurde aber ohne die Leute gemacht, die ein Publikationsmedium haben, die die Vernetzung haben und die diese Weisheit der Vielen nutzen können, im richtigen Moment Wissen in die richtigen Kanäle zu leiten. Es hat sich eine Person gefunden, die einen Mitschnitt von dieser Sendung hatte und eine andere Person, die sich ganz gut mit Tönen auskannte. Diese Person hat dann einen 880 Hz Filter darauf gelegt und kurze Zeit nach der Ausstrahlung den kompletten Kommentar, den Herr Dietz nicht veröffentlicht haben wollte, ins Netz gestellt. Ein paar Stunden später war genau dieser Vorgang samt der problematischen Passage auf Spiegel Online. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum das Team T-Mobile jetzt nicht mehr so heißt. Ein Stichwort, was in diesen Tagen fallen muss, ist Twitter: das wird gerade unfassbar in den Medien gefeiert. Es gibt in Deutschland gegenwärtig ungefähr zwischen 50.000 und 70.000 aktive Twitterer. Das sind etwa doppelt so viele wie Eiscurling spielen. Dafür scheint es mir etwas häufiger in den Medien zu sein, was aber auch seinen Grund hat. Twitter ist im Prinzip eine Art SMS an alle ins Internet. Es wird Micro-Blogging genannt und vereinigt die Vorteile von den Blogs, die wir vorher gesehen haben mit einer dramatischen Beschleunigung. Meine Koautorin Kathrin Passig war auf Island, und es gab dort ein Erdbeben. Ich habe das vorher gesehen, weil es jemand getwittert hat, der in einer seismischen Station in Amerika arbeitet. Dann schickte ich Kathrin eine SMS, sie antwortete, sie habe nichts bemerkt. Ein paar Minuten später bekam ich noch eine SMS „Jetzt spüre ich es auch!“. Ich habe über Twitter von dem Erdbeben auf Island erfahren, bevor es bei Kathrin in Island war. Twitter ist offenbar noch schneller als live. Das Interessante ist, wie das auch die Wahrnehmung der Öffentlichkeit verändern kann. Wir kennen alle das tolle Instrument Google und letztlich ist ja nur das wahr, was man googeln kann. Da kann man sehen, wie sehr auf diese gefühlte mediale Wahrheit solche Medien Einfluss haben. Es begab sich im Dezember 2007, dass der Nutzer auf Twitter Merlix der Nutzerin Percanta irgendwas sagen wollte. Er hat sich aber verschrieben und Percanat geschrieben, ein Buchstabendreher. Ein Dritter, der überhaupt keine Ahnung davon hatte, was vorging, hat das zufällig gelesen und dachte, dass sich Percanat wie ein Medikament anhört. Er hat einfach reingeschrieben: „nehmen Sie zwei Percanat, Wadenwickel, dann ist es morgen wieder weg“. Jemand anders fand, dass das Wort Percanat sich eher wie ein Fußbodenbelag anhört und meinte, dass er am Wochenende den ganzen Dachboden mit Percanat auslegen müsste. Aus diesen Wortspielen hat sich eine regelrechte Lawine entwickelt und innerhalb von 48 Stunden gab es 45.000 Google Treffer zu Percanat, das vorher nicht existierte, vorher gab es 0 Google Treffer dazu. Das ist eine ganze Menge und heißt, dass man über solche Instrumente in die gefühlte Realität, denn es ist tatsächlich
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nur eine gefühlte Realität (wie aber die restliche Realität ja auch), Fakten hineinpressen kann. Diese vielen Millionen Twitterer, derzeit etwa acht Millionen weltweit, sind hervorragend vernetzt. Jemand macht ein Foto, stellt es rein und sofort ist es über den ganzen Globus verteilt. Man hat das unter anderem bei dem Flugzeugabsturz im Hudson River gesehen. Es ist tatsächlich inzwischen so, dass man bei praktisch jedem Flugzeugunglück davon ausgehen kann, dass ein Twitter zuerst vorort ist. Ich überlasse es Ihrer Phantasiee, ob das jetzt gut, schlecht, schön, ethisch problembehaftet oder was auch immer ist. Das können wir an anderer Stelle besprechen. Wir besprechen erst einmal, dass es eine Auswirkung auf die Gesellschaft hat. Diese Auswirkungen gehen noch weiter, denn Twittern ist überhaupt erst der Anfang vom Anfang. Ich kann – und da ist die Plattform Qik interessant – mit jedem handelsüblichen UMTS Handy jetzt und hier einen Livestream aufmachen, und zwar einen Livestream, wo auf dieser Plattform Qik Bild und Ton ins Netz gesendet werden. Jeder kann es sehen, es bleibt gespeichert. Wenn ich das richtig miteinander vernetze, wie ich das getan habe, bekommt auch noch jeder von meinen vielen tausenden Followern, also Abonnenten auf Twitter, sofort wenn ich zu senden beginne, eine Nachricht: ‚Hallo, ich sende Live‘ und ist mit einem Klick dabei. Ich könnte also hier schnell und problemlos eine Livesendung mit 400, 500 Zuschauern machen – wenn das nicht ab 500 Leuten in Bayern lizenzpflichtig wäre. Nur, um nebenbei auch einmal einen kleinen Seitenhieb auf die in Teilen irreale Gesetzgebung zu geben. In welche gesellschaftlichen Bereiche das überraschenderweise noch eingreifen kann, sehen wir an diesem Beispiel von Thomas Knüwer, Handelsblattreporter, der Qik auch eifrig benutzt. Der ‚arme‘ Mann ist Preußen-Münster Fan, filmt regelmäßig mit Qik die Spiele von Preußen-Münster und überträgt sie also live ins Netz. Bei Preußen-Münster interessiert das natürlich überhaupt gar keinen. Aber überlegen wir, was das in drei Jahren bedeuten kann, wenn im neuen Stadion in München 60.000 Menschen sind, von denen etwa 1.000 ein Handy haben und mitfilmen. Ich sitze dann zu Hause und klicke auf eine Plattform, die mir immer den Stream mit der höchsten Qualität aus der gewünschten Perspektive zeigt. Dann sehen Sie, wie mit einem Mal im Bereich Fußball und Sportübertragungen ganz ungeahnte Auswirkungen haben. Und wie Uli Hoeneß wahrscheinlich persönlich von Zuschauer zu Zuschauer geht, um die Handys einzusammeln. Wir kommen zu einer Veränderung des Internets, die mit der Mobilisierung des Netzes einhergeht, und zwar wird es immer fraktaler. Ich stelle mir meine mediale Öffentlichkeit immer stärker selbst zusammen. Das hat man schon häufiger gehört. Inzwischen ist das aber auf eine Art und Weise angekommen, die tiefgreifende Auswirkungen auf Geschäftsmodelle im Internet hat.
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Das Beispiel ist netvibes, eine selbstgenerierte Startseite ins Internet, wo ich mir in einzelne kleine Kästchen jeweils genau die Inhalte hineinbeamen kann, die ich haben will. Ob das die Überschriften meiner Mails sind, ob das Spiegel Online ist, ob das einfach die Anwesenheitsliste meiner Freunde in irgendeinem Internetdienst ist oder das Wetter von Tahiti. Das heißt, alles, was ich irgendwo ins Netz stelle, kommt bei den Leuten, die netvibes nutzen, nicht mehr als Homepage an, sondern in einem klitzekleinen Feld, das sie sich selbst zusammengestellt haben. Das hat natürlich eine ganze Menge Implikationen. Ich sitze vor meiner Startseite, habe alles auf einer Seite und das Gefühl, eine Art Internet-Cockpit vor mir zu haben. Das hat die Firma Sprint auch schon einmal in einem Fake, einer Werbung vorgetäuscht. Die haben alle möglichen Daten, Flugdaten, wie viele Kaffeetassen gerade in Kanada getrunken werden und ähnliches auf einer Seite gezeigt. Man hat das Gefühl, dass man am Cockpit der Welt sitzen würde. Diese Individualisierung, diese Cockpitisierung des Netzes hat zum Beispiel die BBC schon ganz hervorragend in ihrer Seite umgesetzt. Da habe ich einzelne kleine Boxen, auch Widgets genannt, die ich inhaltlich und von der Form so justieren kann, wie ich es möchte. Ich möchte beispielsweise hier nur Nachrichten über Kricket aus Asien haben und dort nur Nachrichten, die mit Peer Steinbrück zu tun haben. Ich kann sie mir genau so zusammenstellen, wie ich es möchte. Diese Widgetisierung gilt nicht nur für Medien, sondern auch für viele andere Geschäftsmodelle. Ich habe eines herausgepickt, eBay ToGo. Die haben ihr gesamtes Geschäftsmodell, ihr gesamtes Portal in ein kleines Widget hineingepresst. Dieses Widget kann jeder von uns einfach auf seiner Seite veröffentlichen und seine Auktion wie einen Youtube-Film ins Netz stellen. Dann kann man in diesem kleinen bannerartigen Ding bis hin zum Bieten, Kaufen, sogar fast die ganze Abwicklung machen. Das ist eine von den Lehren, nämlich dass man, wenn man irgendwie mit dem Internet zu tun hat und sein Geschäftsmodell darin hat, sich darauf vorbereiten muss, dass seine ganze Firma in ein klitzekleines Banner hineingepresst werden können sollte. Das ist auch deswegen relevant, weil zufälligerweise die Größe dieses Banners fast mit dem übereinstimmt, was wir heute an Größe auf dem iPhone haben. Nicht nur übrigens, dass die Internetnutzung aus dem iPhone dramatisch zunimmt – das wissen Sie alle -, sondern es hat sich mit der Einführung des App Stores ein Markt gebildet, wo vorher überhaupt gar kein Markt war: der Endkunden-Markt für mobile Software nämlich. Das Interessante daran ist, dass über dieses Micropayment jetzt Geschäftsmodelle möglich geworden sind, die vorher undenkbar waren. Mein Ratschlag, den ich zum Schluss mitgeben möchte, ist darüber nachzudenken, wie neue Marktplätze, wie neue Geschäftsmodelle entstehen, indem man konsequent und vor allem so einfach wie möglich diese Entwicklungen zu Ende denkt. In
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diesem Fall ist es die Widgetisierung verbunden mit einer extrem einfachen Form des Payments. Mein Abschlussbeispiel soll darauf hinweisen, wie man als Firma im Marketingbereich Kommunikation mit dieser neuen Realität umgehen kann. Da draußen sind Menschen, die mit der Weisheit der Vielen auf mich zustürmen, die im Zweifel für mich extrem relevante Informationen haben oder verbreiten, unabhängig davon ob die jetzt stimmen oder nicht. Ähnliches hat die Firma EA miterlebt: Electronic Arts hat ein Golf-Computerspiel auf den Markt gebracht, Tiger Woods PGA Tour. Solch ein Spiel kostet sehr viel Geld, viele Millionen für die Entwicklung. Und dann war da ein Fehler in dem Spiel. Ein YouTube-Nutzer hat herausgefunden, dass Tiger Woods irgendwann auf dem Wasser steht und den Golfball abschlägt. Der hat das hochgeladen, Levinator 25 hiess er. Ein solcher Fehler kann das ganze Spiel zerstören. Wenn sich der Eindruck entwickelt, dass es sich um einen schwerwiegenden Fehler handelt, möchte niemand mehr das Spiel kaufen. Die Firma EA hat nun auf diesen YouTube-Film, wo Tiger Woods auf dem Wasser steht, reagiert – und behauptet, dass Tiger Woods tatsächlich so gut ist, dass er über das Wasser gehen kann. Das Ganze haben sie unterstützt mit einem Clip dargestellt, wo der echte Tiger Woods tatsächlich über das Wasser geht. Ein fabelhafter Kommunikationsschachzug. Mit der richtigen Reaktion, die Leute ernst zu nehmen, darauf zu achten, was dort draußen passiert, hat diese Firma EA sich auf diese neue Wirklichkeit eingestellt und hat charmanter, als man das überhaupt für möglich gehalten hätte, diesen potenziell börsenkursgefährdenden Fehler beantworten können, weil sie gemerkt hat, wie man mit diesen neuen Medienwirklichkeiten umgeht.
7 Digitale Werbung – Schöne neue Welt!? Dr. Peter Figge, Tribal DDB GmbH Schöne neue Welt? Vergessen Sie das Fragezeichen! Die digitalen Medien bieten der Werbung tatsächlich eine schöne neue Welt! Die Technologie eröffnet ganz neue Möglichkeiten, Botschaften kreativ zu inszenieren. Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: Die Digitalisierung des Alltags vergrößert das Spielfeld, auf dem digitale Kommunikation stattfinden kann, weil sie dazu führt, dass immer mehr Lebensbereiche im Digitalen konvergieren. All diese Entwicklungen verändern die Art und Weise, wie Menschen mit Medien umgehen, wie, wann und wofür sie sie nutzen. Diese Veränderungen fordern nicht nur die Medienhäuser; auch Agenturen müssen sich darüber Gedanken machen, ob sie auf die schöne neue Welt ausreichend vorbereitet sind. Doch zunächst möchte ich darauf eingehen, was die digitalen Medien für die Gestaltung von Werbung bedeutet.
Schöne neue Welt: kreative Spielräume durch neue technische Möglichkeiten Interaktive Banner, die ihre Botschaft je nach Eingabe des Users verändern. Dynamische Formate, die Produkte überraschend und prägnant inszenieren oder die ideenreich auf das redaktionelle Umfeld eingehen – der Phantasie der Kreativen setzt die digitale Technologie nur noch wenige Grenzen. Die Kombination von Bewegtbild, Soundeffekten und interaktiven Elementen ist in der Online-Werbung inzwischen fast zum Standard avanciert. Philips nutzte die Möglichkeiten des Internet, um ein Nischenprodukt – Ganzkörperrasierapparate für Männer – zu lancieren. Die Aufgabe für die Werbeagentur war im Prinzip nicht ungewöhnlich: Die Zielgruppen sollen ein neues Produkt kennen lernen und seinen Nutzen verstehen. Da dafür aber ein durchaus sensibles, auch mit Tabus belegtes Thema sehr detailliert angesprochen werden musste – die Entfernung unerwünschter Körperbehaarung bei Männern –, war die Aufgabe andererseits auch wieder nicht alltäglich und eine besondere Herausforderung. Durch die ideenreiche und auch ironisch überhöhte Inszenierung des Produkts mit Hilfe von Filmsequenzen auf einer eigenen Website wurde aus dem Thema, über das man nicht spricht, ein Unterhaltungsangebot, das man seinen Freunden weiterleitet.
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_7 , © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Der Anspruch an Werbung, unterhaltend, überraschend und involvierend zu sein, kann in digitalen Medien auf einem ganz anderen Niveau eingelöst werden, als es in den klassischen Medien möglich war und ist. Das zeigen Beispiele wie das Widget „Miles“ für Nike+ (Bild 1). Eigentlich ein „Werbemittel“, um die innovative Kombination aus Laufschuh und digitaler Leistungskontrolle zu bewerben, wirkt es durch seinen hohen Nutzwert eher wie eine Produkterweiterung, wie ein Service.
Bild 1: Das Widget „Miles“ bewirbt das Produkt Nike+, ergänzt es aber gleichzeitig durch bedarfsgerechte Zusatzservices.
Der Siegeszug des mobilen Internet bringt noch einmal eine ganz neue Qualität in die werbliche Kommunikation. Werbung muss nicht mehr unterbrechen, sie kann in einer passenden Situation ein Unterhaltungs- oder Informationsangebot machen, das der Nutzer in Anspruch nimmt oder nicht. Zudem ist das Internet inzwischen ein hoch professionalisiertes Mainstream-Medium. Für das Marketing bedeutet das, dass nicht nur die notwendige Reichweite auch für Massenkommunikation vorhanden ist, sondern dass auch den Bedürfnissen der Werbungtreibenden nach Überprüfung der Kommunikationsleistung Rechnung getragen wird – und zwar viel unmittelbarer und verlässlicher als in anderen Medien.
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Große neue Welt: gestalterische Spielräume durch Konvergenz im Digitalen Doch die schöne neue Welt bietet nicht nur kreativere Formen für die klassische Kampagnenkommunikation. Auch für Kommunikationsprogramme, beispielsweise für das Relationship Marketing, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Während das Beziehungsmanagement durch die Initiativen und Aktivitäten des Unternehmens gestaltet wird, ist die Interaktion auf so genannten Plattformen weitgehend nutzergesteuert. Schließlich können Interessenten und Kunden in den digitalen Medien die Marke oder das Unternehmen rund um die Uhr, an jedem Tag des Jahres erleben und erkunden.
Bild 2: Die Anforderungen an digitale Kommunikation variieren je nach Projekttyp.
Es gibt mit Kampagnen, Programmen und Plattformen für Marken und Unternehmen also drei ganz unterschiedliche Formen digitaler Kommunikation mit ganz unterschiedlichen Anforderungen an ihre Ausgestaltung (Bild 2). Während Kampagnen temporäre Projekte sind, bei denen es darum geht, eine Kernbotschaft zu vermitteln, sind Programme mittel- bis langfristig angelegt. Im Idealfall gehen sie flexibel auf den einzelnen Interessenten oder Kunden ein und ermöglichen damit einen echten Dialog. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Unternehmen einen solchen Dialog nicht aufnehmen und dann plötzlich beenden kann – wie es bei Kampagnen üblicherweise der Fall ist. Nebenbei bemerkt: Je stärker Kampagnen auch in sozialen Netzwerken diskutiert werden, umso schwerer wird es für Unternehmen, Kampagnen nach einem selbst gewählten Zeitplan zu beenden. Das Beispiel „Paul Potts“ für die Deutsche Telekom illustriert anschaulich, wie eine klassische, massenmediale Kampagne in den digitalen Medien aufgenommen und weitergesponnen wird
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– und zwar weitgehend unter der Regie der Nutzer. Der Spot nutzte Originalmaterial aus der britischen Casting-Show „Britain’s got talent“, in der der unscheinbare Hobby-Opernsänger Paul Potts das Publikum zu Tränen rührte. Das gesteigerte Interesse sowohl an Paul Potts als auch an der Deutschen Telekom zeichnete sich in der Google Suchvolumen Statistik deutlich ab. Der Spot war in den Videoportalen wie YouTube zu finden und wurde in diversen Blogs diskutiert. Der Hype in der digitalen Welt führte dazu, dass auch die klassischen Massenmedien das Thema aufnahmen. Ähnliches gilt für die virale Marketingkampagne, die Volkswagen mit Hape Kerkelings Kunstfigur „Horst Schlämmer“ realisiert hat: Die Kampagne produzierte durch die zahlreichen Verlinkungen in Blogs viel länger Aufmerksamkeit, als es ursprünglich geplant war. So lange eine Kampagne im Web ein Thema ist, so lange muss auch das Unternehmen darauf eingerichtet sein, zur Kampagne Stellung zu nehmen und eigene Informationen anzubieten. Unter dem Begriff „Plattformen“ sind alle Formen digitaler Angebote zusammengefasst, die wie Websites dauerhaft zur Verfügung stehen und die „on demand“ Informationen, Unterhaltung oder Kontaktmöglichkeiten nutzbar machen. Die besondere Herausforderung an Plattformen ist, dass sie „on demand“ die Angebote liefern müssen, die der einzelne Nutzer gerade benötigt oder sucht. Dazu ist es notwendig, sich intensiv damit zu beschäftigen, wann und warum wer nach bestimmten Inhalten sucht. Navigation, Sprache, Zusammenstellung von Content müssen den Logiken der Nutzer folgen, nicht der des Unternehmens. So banal diese Erkenntnis klingt – man kann sie nicht oft genug betonen. Plattformen sind daher in der Regel hochkomplexe Lösungen, denn sie müssen möglichst viele Formen von und Anlässe für Nutzerinteraktionen vorausdenken. Hinzu kommen neue Anforderungen durch das mobile Internet. Die Nutzung wird noch spontaner, dabei zielorientierter; entsprechend steigen die Ansprüche an die Usability weiter an. Nutzeroberflächen, die sich intelligent an das Nutzerverhalten anpassen, sind die konsequente Weiterentwicklung.
Praxisbeispiel internationale Tiguan Kampagne Die so genannte „Long-Lead-Kampagne“ zum Volkswagen Tiguan zeigt, dass die Grenzen zwischen Kampagne, Programm und Plattform fließend sind. Der Tiguan wurde etwas später in den Markt eingeführt als seine direkten Konkurrenten. Das Ziel der Kampagne war daher, Interessenten zu motivieren, auf den Tiguan zu warten, bevor sie sich für einen kleinen SUV entscheiden. Die Kommunikation begann bereits 8 Monate vor der Markteinführung mit einem speziellen Webangebot und einem Dialogprogramm aus Newslettern und Mailings. Über eine gemeinsame Online-Plattform, die Tiguan Base, wurden die Inhalte der Kampagne international zur Verfügung gestellt. 50 Länder beteiligten sich. Für die Adress-
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generierung und -qualifizierung gab es eine gemeinsame Infrastruktur, so dass sie zentral abgewickelt werden konnten. Auch E-Mailings wurden zentral gesteuert. Dennoch konnten die teilnehmenden Länder ihre lokalen Inhalte problemlos integrieren.
Bild 3: Die Tiguan Kampagne wurde erst durch konsequente Nutzung digitaler Technologie möglich.
Für die Interessenten wurde die Website vor allem durch 3D-Animationen attraktiv, die die Fahrzeuge in verschiedenen Ausstattungsvarianten in einer Qualität zeigten, die einem Video nahe kam – zu einem Zeitpunkt, als es das Fahrzeug noch gar nicht gab (Bild 3). Durch Videos mit den Designern und durch Hintergrundberichte konnten die Interessenten den Entstehungsprozess des Tiguan bis zu seiner Markteinführung hautnah miterleben. Weltweit wurde die „Tiguan Base“ mehr als 3 Millionen Mal aufgerufen. Mehr als 230.000 Tiguan Interessenten registrierten sich, rund 63.000 davon allein in Deutschland. Zur Markteinführung war der Tiguan bereits ausverkauft. Die diesjährige Jubiläumskampagne von Volkswagen kombiniert klassische Werbung mit einer Community-Plattform. Bemerkenswert daran ist, dass die Plattform keine Ergänzung der TV- und Print-Kampagne ist, sondern dass sie das Kernstück der Jubiläumsaktion bildet: Die eigentliche Kampagne entsteht durch die Geschichten rund um ihre Erlebnisse mit Volkswagen, die Volkswagenfahrer auf dieser Plattform erzählen, auf die sie ihre Freunde und Bekannte hinweisen und die von anderen Nutzern und diskutiert werden. Die Marke organisiert die Plattform nur, die Inhalte stammen ausschließlich von ihren Kunden. Auf bestehenden Plattformen wie myspace.com bewarb Volkswagen das Jubiläum durch auf deren Zielgruppen abgestimmte Aktionen, doch die Volkswagen-Plattform selbst beweist eindrucksvoll, dass auch das Web 2.0 nicht mehr ausschließlich das Medium der ganz
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jungen Zielgruppen ist. Das Durchschnittsalter der Nutzer ist 39 Jahre; der älteste von ihnen ist 89 Jahre alt, der jüngste 18 Jahre. 96 % der Geschichten, die eingestellt werden, sind positiv.
Risiken und Nebenwirkungen: auch Agenturgeschäftsmodelle stehen zur Disposition Wenn sich Medien verändern, wenn sich die Art, wie Menschen Medien nutzen verändert, dann können auch diejenigen, die Medien als Werbeträger benötigen, nicht so weitermachen wie bisher. Deshalb sind nicht nur Medienhäuser gefordert, sich zu fragen, wie sie in einer Welt der digitalen Medien erfolgreich sein können. Auch Agenturen müssen sich der Tatsache stellen, dass altbewährte Vorgehensweisen in einer digitalisierten Medienlandschaft nicht mehr gelten oder zumindest nicht mehr ausreichen, um den Marktanforderungen gerecht zu werden. Eine Agentur, die in der Lage ist, die Möglichkeiten der digitalen Medienwelt auch wirklich auszureizen, unterscheidet sich in vier zentralen Aspekten von der Werbeagentur klassischer Prägung. 1. Lösungen statt Kampagnen: Anstatt Kampagnenideen zu schmieden, müssen Agenturen ihren Kunden kommunikationsbasierte Lösungen für Businessprobleme anbieten können. 2. Berater statt Werbemittelhersteller: Damit geht einher, stärker als bisher die eigene Beratungskompetenz zu monetarisieren, anstatt für die Herstellung von Werbemitteln bezahlt zu werden. 3. So einfach wie möglich, so komplex wie nötig: Kompliziertes auf eine einfache Botschaft reduzieren zu können, bleibt zwar eine Kernkompetenz von Agenturen, gleichzeitig müssen sie auch mit komplexen Lösungen souverän umgehen können. 4. Netzwerk statt Pyramide: Eine Agentur, die Lösungen für Business Probleme entwickelt, muss über breites Spektrum von Kompetenzen verfügen, die sie in der jeweils benötigten Kombination für die Lösungsentwicklung nutzen kann – und zwar möglichst unter einem Dach. An die Stelle des klassischen, wahlweise beratungs- oder kreationszentrierten Agenturmodells muss deshalb ein durchlässiges Team gleichberechtigter Spezialisten treten, das bei Bedarf flexibel durch externe Experten erweitert wird. Die Fähigkeit, Spezialisten aus ganz verschiedenen Bereichen zu einem Team zu integrieren, ist eine Schlüsselkompetenz für die Agentur des digitalen Zeitalters. Eine solche Agentur erlebt das Mehr an Möglichkeiten nicht als Last, sondern als Chance. Und dann ist die Welt der digitalen Werbung tatsächlich schön, inspirierend und bereichernd.
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Literatur und Links Deutsche Telekom „Paul Potts“-Kampagne • Holst, Jens (2008): „Zwischen Skepsis und Begeisterung.“ In: Horizont (31), 31.07.2008, Seite 13. • Deutsche Telekom (2008): „Erleben, was verbindet“, http://www.telekom.com/ dtag/cms/content/dt/de/543698 Nike+ „Miles“: • Website: www.mymiles.de Philips Produktkampagne: • Website: http://www.shaveeverywhere.com/index_bg.html Volkswagen “Horst Schlämmer”-Kampagne und Community-Plattform „60 Jahre“: • Direktmarketing Praxis (2007): „VW und Horst Schlämmer: „Da weißte Bescheid‘“, in: Direktmarketing Praxis Heft 6, Seiten 20/21. • Figge, Peter/Maltzen, Ralf (2009): „Der Schlämmer-Blog. Erfolgreich trotz Regelverstoß“, in: Marketing Review St. Gallen 1/2009, Seiten 34- 38. • Steuer, Helmut (2009): „Unternehmen entdecken YouTube“, in: Handelsblatt, 18.03.2009. • Website: www.volkswagen-60-jahre.de
8 Neue Geschäftsmodelle aus der Konvergenz der Medien – Transaktions- und Werbeumsätze treiben das Zusammenwachsen der Medien- und Kommunikationsindustrie Jochen Apel, Alcatel-Lucent Deutschland AG, Berlin Neue Geschäftsmodelle entstehen immer dann, wenn alte Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren. Konvergenz schafft neue Geschäftsmodelle. Das heißt, bringt man das Eine mit dem Anderen zusammen bekommt man am Ende des Prozesses einen neuen Service oder eine neue Applikation mit der man am Markt, vielleicht in einer veränderten Wertschöpfungskette, wieder erfolgreich sein kann. Neue Geschäftsmodelle müssen vor allen Dingen am Endkunden orientieren. Der Endkunde entscheidet, ob das neue Angebot für ihn einen Mehrwert darstellt oder nicht.
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Ein gutes, wenn auch häufig genutztes Beispiel ist Apples iPod incl. iTunes (Bild 1). Apple, seinerzeit PC Hersteller hat durch die Konvergenz von MP3 Player und Online Musicstore ein neues und sehr erfolgreiches konvergentes Geschäftsmodell in den Markt gebracht. Vor dem iPod kam Apple in der Wertschöpfungskette der Musikvermarktung nicht vor. Heute ist es einer der wichtigster Marktteilnehmer. Apple hat mit dem iPod und mit der Vermarktung über iTunes von Musik die bis dahin geltenden Regeln fundamental verändert.
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Nicht nur wegen Apple, aber auch, ist die Musik-CD ist dem Tode geweiht (Bild 2). Die CD ist ein Auslaufmodell, auch wenn immer noch versucht wird, über Urheberrechtsabgaben, alte Geschäftsmodelle am Leben zu erhalten. Auch wenn die Industrien versuchen, sich abzuschotten und ihre alten Geschäftsmodelle zu verteidigen, wird es immer „den Ersten“ geben der allgemein gültige Regeln bricht. Wie entsteht Konvergenz? Wie entstehen konvergente Geschäftsmodelle? – Indem man „das Beste“ aus den zwei zu konvergierenden Marktangeboten zusammen bringt. Es bedeutet nicht zwangsläufig, dass alte Geschäftsmodelle ab sofort nicht mehr funktionieren. Es ist wichtig, genau zu identifizieren, welcher Mehrwert für den Endkunden generiert wird. Identifizieren wir einmal das Beste der Medienindustrie und das Beste der Telekommunikationsindustrie:
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Bild 3
Beginnen wir mit der Medienindustrie (Bild 3). Das Beste an der Medienindustrie ist, dass die Informationen, die beim Konsumenten abgeliefert werden, im Kopf, aber auch im „Herzen“ ankommen. Und dort emotional verhaftet bleiben. Halten wir fest, dass der große Mehrwert, „das Beste“ der Medienindustrie die direkte emotionale Erreichbarkeit des Konsumenten ist.
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Bild 4
Kommen wir zur Telekommunikationsindustrie. Die Telekommunikationsindustrie erreicht den Konsumenten dort, wo es besonders wichtig ist: im Portemonnaie (Bild 4). Telekommunikationsunternehmen haben den unschätzbaren Vorteil, dass sie einen direkten Zugang zum Kunden haben. Sie wissen, wo er wohnt. Sie wissen, wie gut er bezahlt. Sie wissen, was er für einen Service benutzt. Sie wissen, wie er Services konsumiert und ob man ihm noch andere Dinge vermarkten kann. Das heißt, direkt, persönlich, gezielt. Dort sind die Konsumenten auch direkte Kunden und nur hier fließt Geld vom Konsumenten direkt (Bild 5).
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Bild 5
Die Wahrnehmung des Konsumenten ist zweigeteilt. In das Wachbewusstsein, welches Kaufentscheidungen fällt und das Unterbewusstsein, welches Kaufentscheidungen beeinflusst, treibt und Impulse gibt. Leider können wir das Unterbewusstsein nicht steuern. Optimal wäre es, wenn wir das Unterbewusstsein wie eine Batterie steuern könnten und immer dann Impulse abrufen könnten, wenn es notwendig ist. Das Unterbewusstsein wird sehr stark von der Medienindustrie adressiert. Das Wachbewusstsein von der Telekommunikationsindustrie. Bündeln wir beides, haben wir eine komplette Konsumentenadressierung, so wie wir sie brauchen. Mit emotionaler Erreichbarkeit und der Möglichkeit, diesen emotionalen Impuls direkt in bare Münze umsetzen lassen zu können. Hier ein paar Beispiele, in denen konvergente Geschäftsmodelle ansatzweise bereits umgesetzt worden sind.
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Bild 6
RTL Mobile (Bild 6). Das Geschäftsmodell basiert zum einen auf einer Subscription für den Mobiletarif, und zum anderen auf der Möglichkeit des freien Zugangs zum RTL Mobileportal. Dies ist wiederum hauptsächlich werbefinanziert.
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Bild 7
Ein gutes Beispiel für einen konvergenten Dienst ist Sky in UK (Bild 7). Sky gilt als die „Mutter“ aller Red Button Applikationen. Es wird aus dem Unterbewusstsein ein direkter Kaufimpuls initiiert und durch das Wachbewusstsein direkt umgesetzt – umgesetzt werden können, weil es einfach den roten Knopf auf der Fernbedienung gibt, mit dem direkt bestellt werden kann. Das haben wir bis heute in Deutschland noch nicht gesehen. Was sind Zukunftsmodelle? Die Medienindustrie, die Telekommunikationsindustrie, die Netzbetreiber werden sich aufeinander einlassen müssen und das nicht nur kommerziell sondern auch technisch. Dies wird die Herausforderung sein. Netzbetreiber werden den Medien Funktionen zur Verfügung stellen, mit denen sie direkt den Kaufimpuls in Verkauf umsetzen können. Services wie Clearing, Billing oder Customer Care, können auf einfache Art und Weise angeboten werden. Technologieanbieter werden den „Klebstoff“ für all das im Laufe der Zeit entwickeln und zur Verfügung stellen.
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Bild 8
Ich habe Ihnen ein weiteres Beispiel eines Zukunftsmodells mitgebracht. Philips hat 2008 ein Venture gegründet, welches sich APRICO personal TV nennt (Bild 8). Es ist eine personifizierte EPG-Applikation. APRICO personal TV ist eine Kooperation mit Axel Springer Digital TV Guide eingegangen, um die notwendigen EPG Daten zu erhalten, aber auch die Vermarktung der Werbefläche zu realisieren. Dies ist ein erstes Beispiel, wie ein Technologiehersteller mit einem Medienunternehmen zusammenarbeitet, um neue Services für den Endkunden, die viel Mehrwert erzeugen, zu entwickeln.
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Bild 9
Was sind die Erfolgsfaktoren (Bild 9)? Konvergente Geschäftsmodelle werden sehr diversifiziert sein. Natürlich wird es nicht die Killerapplikation geben. Es werden viele kleine Applikationen sein, so wie wir es heute beispielsweise vom iPhone oder als Widget vom iMac kennen, die den Erfolg ausmachen werden. Die Marktteilnehmer, die konvergente Geschäftsmodelle entwickeln wollen, müssen akzeptieren, dass die Wertschöpfungskette, so wie wir sie heute kennen, sich vielleicht verändern wird. Es werden mehr oder andere Teilnehmer in die Wertschöpfungskette eintreten. Aber ohne diese Teilnehmer würde die Wertschöpfungskette erst gar nicht entstehen. Und natürlich das Bewusstsein, dass eventuell heutige Geschäftsmodelle morgen nicht mehr funktionieren, dass sie eventuell Auslaufmodelle sind.. Es gibt erhebliche kulturelle Unterschiede. Die Medienindustrie ist, was Produkte angeht, anders konditioniert als ein Netzbetreiber. Ein durchschnittlicher Netzbetreiber braucht zwischen sechs und zwölf Monate, um ein Produkt einzuführen. Das werden wir wahrscheinlich im Bereich der Medien nie vorfinden. Wir brauchen eine „Trial & Error“ Kultur und das insbesondere auf Seiten der Netzbetreiber. Das bedeutet, kostengünstige und schnelle Produktion und wir müssen uns auch erlauben, dass „Error“ eine Option ist. Das wir mit dem einen oder anderen Dienst scheitern können. Der Mehrwert für den Konsumenten wird entscheidend für den Erfolg sein – nichts anderes.
9 Von Obama lernen, heißt siegen lernen? Rahmenbedingungen für Wahlkämpfe in Deutschland Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen e.V., Mannheim Als ich gefragt wurde, ob ich zu dieser Thematik etwas vortragen will, habe ich zunächst ablehnend reagiert, weil dazu weder allzu viel Konzeptionelles noch Empirisches vorliegt. Die Tatsache, dass ich Ihnen heute keine Powerpoint-Präsentation vorstelle, ist deshalb nicht meiner Technikfeindlichkeit geschuldet sondern lediglich der Tatsache, dass ich zu diesem Thema nur wenig an Daten präsentieren kann und Sie vielmehr mit einigen eher skeptischen und vielleicht relativierenden Ausführungen zu dem Thema behelligen will, die vielleicht etwas Zweifel säen, ob denn wirklich so viel von der neuen schönen, mobilen Internettechnologie in den Wahlkämpfen der Zukunft bei uns von entscheidender Bedeutung sein wird. Zweifelsfrei befinden wir uns zurzeit – und zurzeit heißt für mich nicht nur in Monaten, sondern in einer etwas längerfristigen Perspektive betrachtet – in einer gewissen Umbruchsituation was Wahlkämpfe angeht. Den letzten ganz alten, klassischen Wahlkampf haben wir 1994 erlebt – wenn Sie versuchen, sich daran noch zu erinnern. Da war Kohl eigentlich schon abgewählt, nachdem die deutsche Einheit doch nicht ganz so gut funktioniert hat. Er hat einen Bundestagswahlkampf unter dem schlichten Motto „Den Aufschwung wählen“ in einer Zeit gemacht, in der von Aufschwung noch nicht einmal bei den Wirtschaftsprognostikern irgendwas zu sehen war. Die Werbeagenturen haben schöne Spots produziert, es wurden wehende Deutschlandfahnen in allen Variationen gezeigt, riesige Plakatwände damit vollgeklebt. Die Partei-Welt war auch noch heil: Die Parteimitglieder, von denen es damals auch noch mehr aktive gab, haben Infostände und Canvassing gemacht, es kamen noch Menschen zu Wahlkampfveranstaltungen, ohne dass man dafür Busse organisieren musste und sogar welche in die Hinterzimmer der Dorfwirtschaften, man spulte das ganze Programm ab, das in den 70er Jahren entwickelt worden war. Ein ganz entscheidender Unterschied zur heutigen Situation besteht darin, dass die Wähler den Politikern und auch den Agenturen in den Wahlkämpfen damals noch das geglaubt haben, was die ihnen gesagt haben. Die Wähler glaubten bei der Wahl 1994 zu einem erheblichen Teil, dass sie durch die Wahl der Union und Kohls, den Aufschwung wählen können, obwohl sich das Land von der starken Wirtschaftskrise 1993 objektiv keineswegs erholt hatte.
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Erst später haben die Menschen z.B. gelernt, dass man von Wirtschaftswachstum nicht mehr automatisch erwarten kann, dass dadurch Arbeitsplätze entstehen. Wir erlebten dann in der Folgezeit einen Relativierungsprozess, der seinen Höhepunkt am Wahlabend der Bundestagswahl 2002 Punkt 18:00 Uhr fand. Damals sagte plötzlich der Wahlsieger Schröder – und Stoiber hätte das genauso machen müssen – ätsch, ätsch, was wir euch bis vor einer Minute noch erzählt haben, dass die sozialen Sicherungssysteme sicher sind, stimmt alles nicht. Ab sofort müssen wir richtig ans Eingemachte gehen und schmerzhafte Einsparungen vornehmen. Seit der Zeit spätestens ist es klar, dass die Bürger den Politikern und den Werbetreibenden vor allem in den Wahlkämpfen kein besonders großes Vertrauen mehr entgegenbringen und Wahlversprechungen deshalb auch nicht mehr so richtig funktionieren, weil es ihnen an Glaubwürdigkeit fehlt. Diese Erfahrung aus dem BTW 2002 hat dann dazu geführt, dass Frau Merkel in der Bundestagswahlsituation 2005 schon vor der Wahl gesagt hat, dass sie die Mehrwertsteuer erhöhen will. Was wird uns der Bundestagswahlkampf 2009 bringen? Ich glaube er wird uns in sehr zugespitzter Form aufzeigen, was heutzutage noch geht in Wahlkämpfen und was nicht. Wir werden in diesem Jahr eine ungeheuer dichte Dramaturgie des Bundestagswahlkampfs erleben. Es ist schon von den vielen Wahlen gesprochen worden. Wir haben jetzt zunächst eine Europawahl, deren Auswirkungen auf die politische Stimmung man danach vielleicht noch wieder etwas relativiert bekommt, weil danach erstmal die Sommerpause folgt, die aber in diesem Jahr keine echte Sommerpause sein wird. Danach folgt ein ganz enger Zeitkorridor zwischen dem Ende der Sommerferien in NRW Mitte August und der Bundestagswahl am 27. September. In diesen sechs Wochen liegt am 30. August eine Dreifachwahl in Bundesländern, in denen, auch ohne dass man große prognostische Fähigkeiten haben muss, viel passieren wird. Wir werden dann eine Diskussion über rot-rote Koalitionen bekommen, weil eine solche mit großer Sicherheit in zwei dieser Länder rechnerisch möglich sein wird. Wir haben danach dann eine vierwöchige Hauptphase des Bundestagswahlkampfs eventuell mit zwei Fernsehduellen und einer heftigen Debatte über sich möglicherweise nach der Bundestagswahl ergebende Regierungskoalitionen, die ja im Fünf-Parteien-System nicht mehr so einfach sind – eine Erkenntnis, die spätestens nach dem Hessen-Spektakel auch beim weniger politisch interessierten Wähler angekommen ist. Als Ergebnis werden wir erleben, dass die sowieso schon stark ausgeprägte Volatilität in der Wählerschaft ungeahnte Ausmaße erlangen kann. Darauf müssen sich Wahlkämpfe, die viel weniger planbar sein werden, einstellen und durch ein hohes Maß an Flexibilität versuchen müssen, darauf zu regieren. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie man in einer solchen Konstellation noch Kampagnen machen kann, und vor allen Dingen wie man Kampagnen in Wahlkämpfen eigentlich noch kontrollieren kann. Wenn Sie allein das Problem bei der Union 2005 anschauen, wie ihr die Kampagne, ich nenne nur das Stichwort Kirchhoff, weitgehend entglitten ist – Eine Kampagne, die als großer Bringer
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gedacht war, indem man einen renommierten Experten auch mit dem Bonus eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters gebracht hat, der sich zuvor objektiv große Verdienste gerade in der Familienpolitik erworben hatte. Eine Kampagne in der sich der politisch unerfahrene Akteur an seinem medialen und persönlich wahrgenommenen Anfangserfolg berauscht, nicht mehr zu bremsen ist von den Parteiführungsorganisatoren und sich plötzlich selbst zuständig erklärt für Themen, für die er nicht eingeplant war und für die er auch keinerlei Mandat hatte. Dazu dann ein entsprechender Bundeskanzler, der eigentlich schon in den Ruhestand gegangen war, dann aber gemerkt hat, dass ihm das noch Spaß macht, einen Wahlkampf mit so einer Steilvorlage zu führen. Glaubt man den vielen selbstberufenen Wahlkampfexperten, dann sind das alles Probleme von gestern. Jetzt meinen vor allem PR-Berater und auch Direktmarketing-Leute, die zur Zeit unterwegs sind, entsprechende Etats zu akquirieren, gibt es nur noch ein Thema, den Präsidentschaftswahlkampf im letzten Jahr in den USA. Dabei beschreiben und deuten sie sehr oft diesen Wahlkampf sehr einseitig, darauf werde ich später noch mal kurz eingehen. Zunächst muss man sich erstmal mit der Frage auseinandersetzen inwieweit überhaupt Strukturen aus einem US-Präsidentschaftswahlkampf auf einen Bundestagswahlkampf in Deutschland übertragen werden können. Wenn man den MarketingLeuten glauben schenkt, dann gilt „Von Obama lernen, heißt siegen lernen!“. Aber da, glaube ich, kann man doch einige wesentliche Unterschiede aufzeigen, die das Übertragen dieser Konstellation auf die bundesrepublikanische Situation nur sehr eingeschränkt erlauben, wenn überhaupt. Differenzen in der politischen Kultur gibt es vor allen Dingen im Parteiensystem. Wir finden sie aber auch im Hinblick auf das Wahlsystem. Wir finden sie im Hinblick auf das Partizipationsverhalten. Was die Medienlandschaft angeht, haben wir entscheidende Unterschiede, in der Rechtsordnung und auch im Finanzwesen der Parteien. Diese Punkte kann ich hier jeweils nur kurz anschneiden. In den USA gibt es ein Zwei-Parteien-System mit sehr lockeren Bindungen der Wähler an diese Parteien, während wir inzwischen auch im Westen Deutschlands ein etabliertes Fünf-Parteien-System vorfinden mit Parteien, die traditionell in Deutschland noch aus den alten Weltanschauungsparteien hervorgegangen sind. Bei aller Auflösung traditioneller Milieus, die wir bei den Parteien in Deutschland beobachten können, existiert trotzdem immer noch eine sehr starke ideologische Bindung großer Teile der Wählerschaft an diese Parteien, die man auch mit Kommunikation nur bedingt beeinflussen kann. Dennoch muss man feststellen, dass bei uns Wahlen auf Bundesebene jeweils relativ knapp ausgehen und deshalb auch wenige Prozente entscheidende Veränderungen im Wahlergebnis hervorbringen können.
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Dieses deutsche Parteiensystem hat zur Folge, dass natürlich Wahlen nur dann erfolgreich sind, wenn entsprechende Koalitionen gewählt werden können. Dass eine Person oder ein Spitzenkandidaten als so exzessiv zum Sieger werden kann, kennen wir eigentlich gar nicht, sondern bei uns können letztlich immer nur bestimmte Koalitionen gewinnen. Und der Kanzlerkandidat ist auch nicht der Kanzlerkandidat einer einzelnen Partei, sondern er ist in der Regel der Kanzlerkandidat einer bestimmten Koalition und die Verlässlichkeit der Koalitionsaussagen ist ganz wesentlich für den Erfolg der einzelnen Parteien verantwortlich. Die Bewegung, die wir in Wahlkämpfen in Deutschland beobachten können, sind Bewegungen in wenigen Gruppen, nämlich im Zwischenbereich von Union und FDP auf der einen Seite und in dem Zwischenbereich von Wählern, die sowohl von der SPD als auch den Grünen erreichbar sind, und noch viel entscheidender in einer Gruppe von ungefähr 20% in der Bevölkerung, für die sowohl die Union als auch die SPD wählbar ist. In dieser letzten Gruppe wird eigentlich entschieden, welche Koalition anschließend über eine entsprechende Mehrheit verfügt. Die Unterschiede im Wahlsystem zwischen Deutschland und den USA sind eigentlich noch gravierender als die im Parteiensystem. Die USA besitzen ein Wahlsystem, das am Schluss eine dichotome Personenwahl nach einem sehr langen, manchmal spannenden Vorwahlkampf hervorbringt, während wir in Deutschland Parteilisten für eine Parlamentswahl haben, eine indirekte Wahl des Kanzlers und einer Koalition und von daher auch schon allein eine relativ geringere Personalisierungsmöglichkeit als in den USA. Aber ein ganz entscheidender Unterschied ist, dass es bei einem deutschen Wahlkampf um jede Stimme in jeder Gegend geht. Wenn Sie sich amerikanische Wahlkämpfe anschauen, selbst bei ganz ferner Betrachtung, dann gibt es ganze Landstriche in den USA, wo es völlig irrelevant ist, was die Menschen aufgrund des dortigen Wahlsystems eigentlich an Wahlkampf erleben, wie sie abstimmen, weil ein Großteil der Bundesstaaten in den USA so an bestimmte Parteien gebunden ist, dass dort fast gar keine Wahlkämpfe stattfinden. Von daher gibt es in den Wahlkämpfen der USA eine sehr starke regionale Konzentration, während es in Deutschland auch auf die letzten Dörfer in jedem Bundesland ankommt. Aber auch das Partizipationsverhalten ist ganz unterschiedlich. Wenn man den Medien bei uns Glauben schenken darf, dann leiden wir unter einer ganz schwachen Wahlbeteiligung, die auch angeblich dramatisch zurückgeht. Das ist aber höchstens die halbe Wahrheit, denn bei Bundestagswahlen verzeichnen wir bisher eigentlich keine nennenswerten Rückgänge in der Wahlbeteiligung, auch nicht in der jüngsten Zeit. Wir hatten 1990 und 2005 in den letzten Jahrzehnten die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl, und da lag sie immer noch im Bereich von 78%. Ansonsten lagen alle Bundestagswahlbeteiligungen in den letzten Jahrzehnten über 80%. In den USA ist die Wahlbeteiligung traditionell niedriger. In den letzten 100 Jahren wurde die höchste Wahlbeteiligung in den USA mit 65% erreicht, und das war 1908. Das heißt, um diese hohe Wahlbeteiligung in
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Deutschland zu erreichen, müssen die Parteien auch auf entsprechend unpolitische Wählergruppen zugehen und diese ansprechen können, sonst kommen Sie nie in diese Größenordnungen. Letztlich interessiert sich bei uns nämlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung nur marginal bis überhaupt nicht für Politik. Die Medienlandschaft ist total unterschiedlich, insbesondere dahingehend, dass in den USA im Prinzip eine breit aufgestellte qualitativ hochwertige Zeitungslandschaft fehlt, während in Deutschland nach wie vor die regionalen Qualitätszeitungen ungeheuere Abonnentenzahlen vorzuweisen haben. Politische Information und Diskussionsvermittlung finden in Deutschland traditionell zu einem großen Teil in dieser Zeitungslandschaft statt, während wir das in den USA so nicht kennen. Zur Medienlandschaft gehören auch die Datenschutzvorschriften. Und da ist in den USA unvergleichliches möglich. Wenn Sie Obamas viel zitierten 13 Millionen gesammelte E-Mailadressen oder entsprechende sonstige Daten sehen und sich so etwas in Deutschland vorstellen, wie viele Benachrichtigungen man alleine jemand schicken muss, bevor man eine E-Mailadresse bei uns speichern darf. In den USA können Sie das einfach einsammeln und Sie können überlegen, was Sie damit dann anstellen wollen. Bei uns wären die Parteien aufgrund ihrer unzureichenden personellen und finanziellen Ressourcen gar nicht in der Lage, solche Datenmengen entsprechend den rechtlichen Vorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt zu betreuen, zumal die Menschen auch eine ganz andere Erwartung haben. Wenn ihnen hier jemand eine E-Mail schickt, weil er etwas von Ihnen wissen will, dann erwartet er auch, dass diese E-Mail auch beantwortet wird. Im Staatsvertrag der Öffentlich-rechtlichen steht sogar drin, dass jeder Zuschauer ein Recht hat, dass seine Frage an den Sender beantwortet wird. Machen Sie das mal mit 13 Millionen Leuten, die plötzlich meinen, sie seien angesprochen worden und wollen mit Ihnen kommunizieren. Wir finden also schon auf der institutionellen Ebene eine Vielzahl von Unterschieden, die sehr differenziert gesehen werden müssen im Hinblick auf die Einsatzmöglichkeiten der Wahlkampfinstrumente, die im Wahlkampf bei Obama eingesetzt worden sind. Aber ich glaube, dass wir Obamas Wahlkampf gerade in Hinblick auf die Nutzung modernerer Technologien ein bisschen realistischer beurteilen müssen. Das war kein reiner Internetwahlkampf, auch wenn die Journalisten, die davon auch nicht so viel verstehen, in der Berichterstattung öfters diesen Eindruck erweckt haben. Wir haben selbstverständlich einen sehr modernen Wahlkampf erlebt. Aber zum Beispiel hat Obama traditionelle Fernsehzeit gekauft: sieben wichtige Sender gleichzeitig als es spannend und vermeintlich knapp wurde, mehr als eine halbe Stunde zur besten Sendezeit. Das war ein ganz traditionelles Instrument in amerikanischen Präsidentschaftswahlen, das aber in den letzten Präsidentschaftswahlkämpfen so nicht mehr genutzt worden war.
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Und dann sollten wir uns nicht vom Ergebnis dieses Wahlkampfs täuschen lassen. Es wurde und wird oft der Eindruck erweckt, dass in den USA ein Erdrutsch in diesem Wahlkampf stattgefunden hat. Ein Erdrutsch hat stattgefunden, wenn man sich anschaut, wie sich die Zahl der Wahlmänner verändert hat. Wenn man sich die Prozentwerte an Stimmen für die Kandidaten anschaute, dann hat im Vergleich zu der vorausgegangenen Präsidentschaftswahl der demokratische Kandidat knapp fünf Prozentpunkte dazu gewonnen. Das ist letztlich das Ergebnis dieser riesigen Kampagne, von der wir in einigen Jahren wissen werden, ob sie wirklich als epochal gekennzeichnet werden kann. Mit der Dimension eines Erdrutsches, die wir in Deutschland immer häufiger sehen, hat das sicher nicht viel zu tun. Und noch eins: Wir bekamen in den Medienberichterstattungen diese riesigen Schlangen vor den Wahllokalen vorgeführt und es wurde über Mega-Wahlbeteiligungen als Folge der direkten Kampagne gesprochen. Diese Bilder hätten sie allerdings bei allen anderen Präsidentschaftswahlen auch produzieren können, weil es in USA nach unserer Standards einfach zu wenige Wahlurnen gibt und deshalb immer Schlangen entstehen. Wenn Sie es sich genau anschauen, ist die Wahlbeteiligung von 60,1% auf 61,7% gestiegen. Das sind ganze 1,6 Prozentpunkte mehr. Gewiss kein Grund um von einer neuen Qualität zu sprechen. Ein ganz entscheidender Unterschied zwischen der vergangenen Präsidentschaftswahl und der kommenden Bundestagswahl hängt nicht so sehr mit den technischen Mitteln und eingesetzten Medien zusammen, sondern hat vor allem etwas mit den jeweiligen Personen zu tun. Sie haben mit Obama eine charismatische Führungspersönlichkeit, die eine optimale Kampagnenfähigkeit besitzt. Wenn Sie dazu als Vergleich Merkel und Steinmeier nehmen, können Sie sich leicht ausrechnen, dass unabhängig von den Werbekanälen, die Sie bedienen, es einfach schwer fällt, auch bei unendlichem Budget, eine entsprechende Empathie bei den Anhängern zu erzeugen, die dann zu massenrelevanten Phänomenen führen, die Sie mit der Kamera abfilmen können, um damit eine Wahlkampkampagne attraktiv zu machen. Bei Merkel und Steinmeier können Sie pragmatische Nüchternheit erwarten mit einer erzwungenen verbalen Zuspitzung und die wird in dieser Art den Wahlkampf im Sommer dominieren. Man muss dabei aber auch sehen, dass in den USA eine politische Zäsur gewollt war mit einem starken „Bush muss weg“ Effekt. Diese in den USA vorherrschende Stimmung kann man keineswegs mit der in den Parteien zwischenzeitlich entstandenen Unlust an der großen Koalition vergleichen, die zudem von der Bevölkerung in dieser Intensität gar nicht geteilt wird. Zum Schluss will ich noch kurz aufzeigen, welche Rahmenbedingungen in Deutschland aktuell im Hinblick auf die Internetstrukturen vorliegen. Dabei zeigt es sich, dass die Internetausstattung – und die Nutzungsintensität noch stärker – ungeheuer stark zwischen den einzelnen demografischen Gruppen differiert. Bei den über 60-Jährigen Deutschen liegt die Internetanschlussquote im Bereich von
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knapp 30%. Bei den bis 40-Jährigen sind es 90%. Wir haben starke geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer 73–75% Internetanschlüsse, Frauen etwas über 50%. Wahlberechtigte mit höchstens Hauptschulabschluss besitzen zu weniger als einem Drittel einen Internetanschluss, bei denjenigen mit Hochschulabschluss sind es etwas über 90%. Das hat natürlich entsprechende Folgen, wenn Sie sich wiederum die demografische Struktur der verschiedenen Parteianhängergruppen vergegenwärtigen: Die Union schneidet in höheren Altersgruppen extrem gut ab und auch bei denjenigen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen erreicht sie in der Regel überdurchschnittliche Ergebnisse. Für die Union ist deshalb das Internet aufgrund ihrer sozialstrukturellen Unterstützung ein relativ uninteressantes Wahlkampfinstrument. Wenn Sie sich als Gegenpol die Grünen ansehen, dann sieht die Lage ganz anders aus: Mehr als 80% der Wähler der Grünen verfügen über einen Internetanschluss. Im Gegensatz zur Union schneiden die Grünen besonders gut in den jüngeren Altersgruppen und bei denen mit hoher formaler Bildung ab. Da kann das Internet einen ganz anderen Stellenwert für einen Bundestagswahlkampf bekommen. Zusätzliche Hemmnisse für eine stärkere Bedeutung des Internets im Wahlkampf resultieren aus dem relativ großen zeitlichen Vorlauf von Internetkampagnen, insbesondere wenn Sie eine adressbasierte Direktansprache erlauben sollen. Der Aufwand dafür wird völlig unterschätzt. Zudem sind die Parteien chronisch unterfinanziert. Wenn Sie in Deutschland eine neue Klopapiermarke etablieren wollen, haben sie manchmal einen größeren Etat zur Verfügung als eine große Partei bei einer wichtigen Wahl. Um Millionen von geeigneten E-Mail-Adressen einzusammeln, brauchen Sie nicht nur Zeit sondern auch viel Geld, um auch jenseits des Internets über andere Kommunikationskanäle diese zu akquirieren. Hierbei bietet nicht nur die unvergleichlich größeren Etats der US-Wahlkampfakteure sondern auch die aufgrund der Vorwahlen sehr lange Wahlkampfzeit eine ideale Voraussetzung, um so etwas in Gang zu bringen. Der zweite, nicht ganz unwesentliche Punkt ist die Angst, dass es in den Führungsgremien der Parteien die Angst gibt, dass eine internetbasierte Kampagne, wenn man sie einmal losgetreten hat, nur noch schwer kontrollierbar wird, insbesondere dann, wenn sie außerhalb der eigenen IT-Architektur stattfindet, was wiederum dringend notwendig ist, wenn sie die notwendige Breite bekommen soll. Um eine breit angelegte internetbasierte Kampagne auch außerhalb der eigenen IT-Strukturen beeinflussen zu können, müssen Sie viele Leute organisieren und generalstabsmäßig einsetzen, um wenigstens ab und an einen richtunggebenden Traffic einbringen zu können. Denn machen wir uns nichts vor: Ähnlich wie früher bei den Leserbriefkampagnen in den Tageszeitungen auch ein großer Teil der Leserbriefe aus den Parteibüros kam und nicht von irgendwelchen besorgten oder begeisterten einfachen Bürgern, läuft das Spiel im Internet auch. Lediglich wenn es extrem erfolgreich wird, verlieren die Initiatoren an Bedeutung, weil sie dann quantitativ keine Rolle mehr spielen.
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Es gibt jedoch einen wirkungsmächtigen Trend, der der Beutung des Internets als Kommunikationsmittel in Wahlkämpfen zugute kommt: Wahlkämpfe beginnen immer später, weil die Entscheidungen der Wähler auch immer später fallen und sie auch flexibler werden. Das führt zwangsläufig zu sehr kurzen, sehr konzentrierte Kampagnen. Und dafür ist ein Teil der traditionellen Medien, die im Wahlkampf zur Verfügung stehen, einfach von der Art und Weise, wie sie produziert werden, nicht so gut geeignet. Eine Großfläche, die Sie im Wahlkampf einsetzen wollen, muss zu einem Zeitpunkt fertig produziert werden, der eigentlich viel zu lange vor der Hauptphase des auf drei bis vier Wochen verkürzten Wahlkampfs liegt. Spätestens eine Dekade vor dem Wahltermin können Sie die letzte, schon Wochen vorher fertig gestellte Großflächen starten. Dann bleibt noch die Eckfeldanzeige in der Tageszeitung, wo Sie vielleicht 72 Stunden Reaktionszeit haben. Das ist dann aber auch schon das Äußerste, was im Bereich der traditionellen Wahlkampfmedien dafür zur Verfügung steht. Deshalb wird diese strukturelle Veränderung automatisch dazu führen, dass auch mittelfristig elektronische Elemente im Wahlkampf an Bedeutung gewinnen werden. Als Fazit glaube ich, dass wir auch nach Obama mit Sicherheit keine Revolutionierung der Wahlkämpfe bei uns in Deutschland erleben werden, sondern es wird eben so sein wie es immer im Leben ist: ziemlich langsam und langweilig und mit einer allmählichen Veränderung, von Wahlkampf zu Wahlkampf immer etwas mehr. Die alten A0 und A1 Plakate an den Straßenbäumen werden auch in 10, 20 Jahren noch geklebt werden müssen, damit die wenig an Politik interessierten Wahlberechtigten merken, dass Bundestagswahl ist.
10 ROUNDTABLE: Der digitale Konsument – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft Moderation: Prof. Dr. Arnold Picot, Ludwig-Maximilians-Universität, München Teilnehmer: Marc Jan Eumann, MdL, SPD-Landtagsfraktion NRW, Düsseldorf Karl Michael Friedrich, Vodafone Group Research & Development, München Prof. Peter Kabel, Unternehmer, Hamburg Dr. Clemens Riedl, StudiVZ Limited, Berlin Rainer Tief, Bayerischer Rundfunk, München
Prof. Picot: Meine Damen und Herren, wir haben heute viele Facetten, viele Perspektiven auf die digitalen Medien und ihre Nutzung kennen gelernt, einige Perspektiven auch in die Zukunft, einige Fragen, die sich stellen, einige wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte. Das Schlusspanel soll sich mit der Frage „Der digitale Konsument – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft“ beschäftigen. Es soll nicht so sehr darum gehen, irgendwelche Geschäftsmodelle, irgendwelche Technologien und ähnliches zu beleuchten, sondern eben darum, den gesellschaftlichen, institutionellen, politischen, rechtlichen Rahmen, in dem das Ganze stattfindet, anzusprechen und zu sehen, was wir dort für Änderungen, für Herausforderungen, für Handlungsbedarf, für Chancen, für Risiken haben und was getan werden muss, damit sich das alles möglichst nützlich, sinnvoll und im Einklang mit unserer Gesellschaft und ihren Institutionen entwickeln kann. Dazu begrüße ich die Runde auf dem Podium und freue mich, dass wir hier zusammen sind und darf Sie kurz vorstellen. Rainer Tief zu meiner Linken; er ist der Leiter des Programmbereichs Multimedia und Jugend des Bayerischen Rundfunks und insofern zuständig für das trimediale Jugendangebot im Bereich des Bayerischen Rundfunks. Er hat den Bezug zu der heute schon öfter apostrophierten Jugend hier. Neben mir sitzt Herr Riedl. Herr Dr. Clemens Riedl ist bei StudiVZ in Berlin leitend tätig und damit einer derjenigen, die sich mit den Social Networks beschäftigen, die ja heute auch schon mehrfach angesprochen worden sind. Zu
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meiner Rechten sitzt Herr Prof. Peter Kabel. Er ist vielen von Ihnen ein vielleicht noch aus der ersten Internetwelle bekannter Internet- und Medienunternehmer aus Hamburg, der verschiedene eigene Engagements als Unternehmer bewältigt hat und zurzeit ein Portfolio von mehreren Internet-, Hightech- und Medienunternehmen betreut. Zu seiner Rechten sitzt Herr Michael Friedrich von der Vodafone Group Research & Development hier in München. Das ist dieser Think Tank in München, der sich immer ein bisschen im Vorlauf des sonstigen Konzerns bewegt und versucht, den Blick für die Chancen und Möglichkeiten der Zukunft frei zu bekommen und da auch wirklich Projekte aufzusetzen. Schließlich Herr Marc Jan Eumann, Mitglied des Landtags des nordrhein-westfälischen Parlaments und zugleich medienpolitischer Sprecher der SPD und auch Vorsitzender der Medienkommission beim SPD Parteivorstand. Wir haben also eine schön gemischte Runde von Verantwortungsträgern und Beobachtern dieser Szene. Ich freue mich, dass wir jetzt in die Diskussion eintreten können und habe als erstes an unsere Teilnehmer jeweils die Bitte, aus Ihrer jeweiligen Verantwortung und Blickrichtung heraus, die zwei, drei wichtigsten Herausforderungen, Probleme, auch ungenutzten Chancen oder was immer Sie für wichtig halten in Bezug auf Politik und Gesellschaft zu benennen, die Ihnen ins Auge springen. Ich bitte Sie, diese möglichst holzschnittartig und auch provokant zu benennen, so dass wir dann auf der Basis die Diskussion vertiefen können, in die ich auch gern noch weitere Fragen und Punkte einbringe und dann natürlich auch Sie, meine Damen und Herren im Auditorium bald mit einbeziehe. Darf ich mit Ihnen Herr Eumann, nachdem Sie die übergreifende politische Verantwortung sozusagen vertreten, beginnen und Sie bitten, uns die zwei, drei wichtigsten Schlaglichter aufzuzeigen? Herr Eumann: Das Wichtigste muss ich vorweg sagen: Wahlkampf ist nie langweilig. Ich kann nur jedem von Ihnen empfehlen: machen Sie selbst einmal einen Wahlkampf, seien Sie einmal Kandidat oder Kandidatin und dann haben Sie mit Langeweile keine intime Beziehung. Wenn ich den Ablauf des heutigen Tages Revue passieren lasse, ist deutlich geworden, dass wir über den Menschen in vielen Kategorien reden. Er ist Endkunde, Nutzer, Prosument, aber er wird selten in seiner Eigenschaft als Bürger erwähnt. Deswegen möchte ich den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Vieles von dem, was sich hinter Innovationen verbirgt, gelingt nur, wenn wir es schaffen, mit der Revolution der Digitalisierung eine Revolution im Bildungssystem zu verbinden. Wir müssen unser Bildungssystem so umbauen, dass jeder sich auch in dieser digitalen Welt zuhause fühlen kann. Wer heute in Schulen reinblickt – das soll keine Schelte an Lehrerinnen und Lehrer sein –, stellt fest, dass in der Regel immer noch die Kreide das wichtigste Instrument ist und nicht der Laptop. Da fangen die Probleme schon an. Wir kennen das etwas sperrige Wort von der Medienkompetenz; ich bin davon überzeugt: Medienkompetenz wird die zentrale
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Aufgabe sein, um in diesem Feld angemessen bestehen zu können – auch mit Blick auf Orientierung, Qualifikation, informationelle Selbstbestimmung. Wichtig ist: Ich freue mich sehr über neue Möglichkeiten von Partizipation. Das ist eine große Chance für die Demokratie. Auf der anderen Seite gehört aber auch dazu zu sagen, dass ich mir keine Medienwelt vorstellen kann und möchte, in der es ausschließlich User Generated Content gibt. Wir müssen sicherstellen, dass es Qualität durch professionell erarbeitete Inhalte gibt, die auch Orientierung bieten und zur Meinungsbildung beitragen. Wir müssen klären, ob wir dies in Zukunft über einen Anbieter – das ist zurzeit der öffentlich-rechtliche Rundfunk über die Gebührenfinanzierung – sicherstellen. Oder ob wir auch andere, die einen Beitrag zu Qualität und Inhalten leisten, von diesem Kuchen etwas abgeben. Meine These ist, dass wir in zehn Jahren nicht mehr über eine Rundfunkgebühr sondern über eine Mediengebühr reden. Es ist heute deutlich geworden, dass die entscheidende Frage sein wird, wer eigentlich die Inhalte finanziert, die wir brauchen, die Orientierung bieten etc. Wir haben gehört, dass das Geschäftsmodell von Nachrichtenagenturen schwieriger wird. Wir hören, dass wahrscheinlich das Riepl'sche Gesetz das erste Mal durchbrochen wird, denn das Geschäftsmodell einer Regionalzeitung ist ein endliches Geschäftsmodell. Wir hören aber gleichzeitig, dass die Tageszeitung zur Willensbildung in Deutschland eine herausragende Bedeutung hat. Deshalb müssen wir klären, wie wir diese Inhalte sichern. Das sind für mich die drei wichtigsten Punkte, die wir anzupacken haben. Prof. Picot: Vielen Dank. Damit haben Sie schon einen Aufschlag gemacht, der doch einiges anspricht, was wir sicherlich auch später noch vertiefen. Ich möchte aber erst einmal die Runde vervollständigen, dann haben wir sozusagen das Portfolio. Herr Friedrich, was sehen Sie als Vertreter eines Hauses, das sich mit der Mobilität, aber auch ganzheitlichen Zugangsversorgung zu Kommunikation und Inhalten, Medien und Daten befasst bis hin zu gewissen eigenen Versuchen im Bereich der Medienangebote. Was sehen Sie vor dem Hintergrund, was wir diskutiert haben, als besonders bemerkenswert oder auch bedenkenswert? Herr Friedrich: Um den Titel dieses Abschlusspanels aufzugreifen; es wäre vielleicht angebrachter vom digitalen Akteur zu sprechen als vom digitalen Konsument. Ich glaube, dass aus vielen Beispielen hervorgegangen ist, dass nicht nur Interaktivität sondern auch Partizipation, was Sie auch gerade genannt haben, ein prägendes Element ist. Ich würde den zweiten Teil des Titels noch erweitern; es ist nicht nur eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft, es ist eigentlich insbesondere eine Herausforderung für den Einzelnen oder vielleicht den kleinen Mikrokosmos der Familie, für diese engeren Institutionen. Alle sind gleichberechtigter und bilateraler oder multi-
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Moderation: Arnold Picot
lateraler gefragt als das bisher im Massenmediumsmodell der Fall war. Ich möchte auch gern Kompetenz aufgreifen; Medienkompetenz oder Kommunikationskompetenz ist sicherlich eine Schlüsselfähigkeit, die insbesondere in Zeiten einer gefühlten Kultur der Widersprüchlichkeiten, die wir erleben, wo öffentliche Privatheiten dominieren, aber wo die Fähigkeit damit umzugehen oder das zu steuern bei Leuten, die professionell damit umgehen, ganz gut ausgeprägt sind. Aber die Vielen, die in das unendliche Universum des Cyber Space hineingeworfen werden und vielleicht auch verlockt werden, sich preiszugeben oder sich darzustellen und eigentlich ein Grundbedürfnis gerade bei jüngeren Leuten befriedigt wird, sich zu zeigen, müssen lernen, damit umzugehen, damit es nicht zu Auswüchsen kommt wie Cyber Mobbing, wie das unberechtigte Nutzen von privaten Daten, Fotos etc. Dazu brauchen wir sicherlich Regularien. Dazu brauchen wir insbesondere die Kompetenz. Dazu brauchen wir aber auch die Werkzeuge, die Tools, die für den normalen Konsumenten einfach verständlich genug sein müssen. Auch wenn er hineinwächst, muss er erst einmal darin aufwachsen. Er muss es erst einmal lernen. Ich denke dieser Aspekt Privatheit, vielleicht auch fragmentierter Identitäten, die sich da widerspiegeln, mit einer Infrastruktur und mit Möglichkeiten zu versorgen. Und da sind wir vielleicht beim Telekommunikationsunternehmen. Ich habe das Gefühl, dass im Bereich Medium dieser Aspekt Kommunikation, Handel und Beziehungen wieder wesentlich stärker in den Vordergrund tritt und eine parallle und gleichwertige Größe im gesamten Mediengeschehen ist. Das sind für mich Entwicklungsströme, die das Ganze auf ein neues Level bringen. Prof. Picot: Vielen Dank Herr Friedrich. Das hat wirklich schön komplementär zu dem gepasst, was Herr Eumann schon vorbereitet hatte, Probleme der öffentlichen Privatheit, Cyber Mobbing als Risiko, aber auch eben die Forderung des Einzelnen, der Familie und der digitale Akteur. Herr Kabel, was können Unternehmer dazu beitragen? Was haben die gelernt, wenn sie sich wie Sie weit über zehn Jahre in diesem Metier tummeln? Was ist deren Blick auf diese Entwicklung, vielleicht auch deren Verantwortung? Prof. Kabel: Es sind ein paar mehr als zehn Jahre. Ich habe gerade überlegt und glaube, dass ich 1989 meine erste interaktive Anwendung produziert und 1993 eine der ersten kommerziellen Websites, die es im deutschsprachigen Raum gab, auf die Reise gebracht habe. Ich habe zwei Kinder – das ist das Setting, auf dem basierend ich meine Aussagen tätigen werde –, einen 16-jährigen Sohn. Ich maße mir also an, dass ich dieses ganze digitale Medienthema ein bisschen mitverfolgt habe und auch die allerneuesten Nutzungsaspekte kenne. Ich kann nicht als Repräsentant für alle Unternehmer sprechen, aber als jemand, der diese Entwicklung lange mitgemacht hat. Bei mir kommt allmählich das Gefühl auf, dass wir den Zivilisationsprozess anschieben müssen. Technologien haben allesamt nur dann wirklich nachhaltig
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Erfolg haben können, wenn sie zivilisiert wurden. Nehmen wir den Straßenverkehr – nach der Faszination Pferdekutsche ohne Pferde kam irgendwann der Aspekt der Verkehrstoten, Unfälle, Umwelt usw. Heute wird das gesellschaftlich sehr fein. Ausbalanciert. Wir sagen, wir wollen Autofahren, aber nicht alles vollstinken und nicht alle verunglücken. Diese Art des Abwägens und gesellschaftlichen Diskurses findet im Bereich der digitalen Medien aus meiner Sicht und der gesamten Entwicklung viel zu wenig statt. Wir machen jetzt hier ein Panel und es gibt viele Diskussionen. Aber aus meiner Sicht ist es nicht ausreichend, wenn man sich die Tragweite der Veränderungen anschaut. Ich gehe mit Ihnen, Herr Friedrich, komplett überein. Für mich ist das Kernthema die neue Definition der Privatheit. Dinge, die früher privat waren, sind nicht mehr privat, sondern sind plötzlich irgendeine Form der Öffentlichkeit. Ich habe ein Twitteraccount. Ich habe ein Facebook-Account. Ich habe ein Xing-Account.... Ich habe jeweils mehrere Hundert Follower oder wie auch immer derartige Kontakte im Einzelnen auch benannt werden. Ich weiß ein bisschen, was dort stattfindet. Es sind viele Banalitäten. Es sind viele Dinge, die einfach so dahingesagt sind, die aber trotzdem hohe Wirkung haben. Hier haben wir ein Thema, was die Privatheit ist. Auf der anderen Seite, Politik als eine Art Gegensatz zum Privaten? Mein Sohn betreibt auch eine Art Politik durch sein privates Netzwerk von Followern. Das ist seine Mikropolitik, die so stattfindet, dass er exakt wie in der Politik auch versucht, Gruppen zu seinen Gunsten, mit seinen Interessen zu mobilisieren. Das macht er wie in der Politik auch. Er injiziert wohl dosiert Aufmerksamkeit und Botschaften in diese Gruppen hinein. Wenn ich meinem Sohn sage: du könntest vielleicht mal im Spiegel etwas über diesen und jenen Vorgang lesen, dann guckt er mich an als würde ich Japanisch mit ihm sprechen. Das ist ihm so vollkommen fremd, dass man auf diese Weise Informationen besorgen und verarbeiten kann. Er bezieht alle Informationen über sein digitales Netzwerk. Hier haben wir wirklich eine Situation, die aus meiner Sicht für uns als Gesellschaft dramatische Veränderungen mit sich bringt, nicht nur im Medienbereich, den wir heute schon relativ stark besprochen haben. Ich kann mir eine Welt vorstellen – ich wünsche sie mir nicht, aber sie wird kommen –, in der wir nur noch mit semiprofessionellen Akteuren im Medienumfeld sprechen können, weil schlicht und ergreifend die Finanzierung von professionellen Akteuren nicht mehr stattfinden wird. Das sind Themen, die wir aus meiner Sicht viel intensiver besprechen müssen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht weiterhin mit dieser naiven Freude die Eisenbahn beklatschen, die Weihnachten im Kreis fährt, sondern uns Gedanken machen, wohin diese Reise eigentlich führen soll und das ein bisschen steuern. Die Technologie nimmt hier gerade eine Menge Raum ein und hat eine große Dynamik entwickelt. Wir sind nicht diejenigen, die am Steuerrad sitzen, sondern wir folgen immer nur und staunen, was alles passieren kann.
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Moderation: Arnold Picot
Prof. Picot: Vielen Dank. Sehr bedenkenswerte Einsichten und sicherlich auch ein enger Bezug zu dem, was schon gesagt wurde und vielleicht auch zu dem, was noch gesagt wird. Ich weiß es nicht, denn jetzt wird uns Herr Riedl etwas sagen, was seine Einschätzung der Dinge darstellt. Ich kann mir denken, dass Ihre Verantwortung, die Sie gerade auch bei StudiVZ haben, Anknüpfungspunkte bietet zu dem, was hier gesagt wurde, nämlich die Medienkompetenz, die Frage bei Ihren vielen Nutzern. Haben Sie da eine Aufgabe, die davor zu bewahren, dass sie Dinge preisgeben, die ihnen hinterher leid tun? Oder ist das etwas, was an Ihnen vorbeigehen muss und sehen Sie ganz andere Fragen, die vielleicht hier von Politik, Gesellschaft, aber auch jedem Einzelnen aufgegriffen werden müssen? Dr. Riedl: Ich vertrete hier StudiVZ. Das sind drei Plattformen. Ich persönlich nenne es immer das unbekannteste Massenmedium in Deutschland. Unbekannt deshalb, weil ich glaube, dass viele von uns, die sich nicht in dieser Community bewegen, es gar nicht so kennen. Wir haben 13 Mio. Nutzer, von denen sich rund 50% täglich einloggen. Das heißt, wir haben heute ca. 6 Mio. Leute. Im Vergleich zu vielen anderen Social Communities sind wir nicht eine Abbildung von Freundeskreisen oder Netzwerken im Privaten sondern wirklich eine offene Community, die sich sehr transparent austauscht und auch neue Leute und neue Formen auf der Plattform kennen lernt und dadurch einen Riesenspin bekommt, den wir teilweise kaum noch kontrollieren können. Ich glaube, dass das ganz wesentliche Auswirkungen für die Politik hat und so habe ich das verstanden, auch ein ganz wesentlicher Input von heute ist. Inwieweit das auch einen Einfluss auf die Politik haben wird, sind vielleicht zwei Themen. Wir haben auf der einen Seite das beobachtet, was auch Herr Kabel angesprochen hat, nämlich eine Veränderung im Agendasetting wie das eigentlich traditionell über Zeitungen und Medien der Fall war, über Eliten, die bestimmte Themen einfach platziert haben. Da sehen wir starke Veränderungen wie auch über die Geschwindigkeit, über die Multiplikatoren, die es überall gibt, die es auch auf unserer Plattform gibt und die plötzlich meinungsbildend Massen bewegen. Noch einmal, wir haben rund 70% aller Jugendlichen zwischen 14 und 29 auf der Plattform. Das sind schon ungeheure Zahlen. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die meine Argumente vielleicht untermauern können: Stichwort Agendasetting. Wir hatten eine Dame bei uns auf der Plattform, auf der Startseite, eine 42 Jahre alte Kindergärtnerin, die mit einem Thema, das wir am Anfang gar nicht so bemerkt haben, eine Gruppe gegründet hat zum Thema ‚Bedingungsloses Grundeinkommen’. Ich habe am Anfang gar nicht verstanden, um was es da geht. Die hat auch bei anderen Plattformen dieses Thema hochgetrieben, Followers akquiriert und ist dann mit Petitionen zum Bundestag losgegangen und hat den ganzen Server zum Abrauchen gebraucht. Es geht hier darum, dass jeder Mensch ein Recht auf Einkommen hat. Sie hat 50.000 digitale Unterschriften
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gesammelt, und das ist jetzt ein Thema für den Deutschen Bundestag. Solche Leute tun das auf unserer Plattform. Manchmal bekommen wir das auch mit. Wir sehen hier, dass ein Thema, das so keiner auf der Agenda hatte und das eigentlich überhaupt kein Thema ist und in unserem Raum nicht diskutiert wird, plötzlich zum Thema wird. Ein Beispiel für die Geschwindigkeit: Wir haben bei uns mehr oder weniger interessenhalber im Herbst zur Obamawahl die Frage‚ seid ihr für Obama oder für McCain’ auf der Startseite gestellt. Nach einer Stunde hatten wir 500 Antworten, nach zwei Stunden 1000 Antworten, nach drei Stunden 4000 und am Abend 200.000. Am nächsten Tag waren es 700.000 und am dritten Tag 1,5 Millionen. Das muss man sich einmal vorstellen: 1,5 Mio. Deutsche haben dazu eine Meinung abgegeben, ohne dass wir das irgendwie groß bemerkt haben. Entscheidend ist auch die Geschwindigkeit, mit der das plötzlich Fahrt aufnimmt. Am Anfang war das überhaupt keine Thema und auch nicht besonders interessant. Plötzlich entwickelt sich da etwas. Man sieht, es geht in die eine oder andere Richtung, attracts eyeballs, wie wir sagen, und bekommt eine Riesengeschwindigkeit. Ob dieses Phänomen in Deutschland so übertragbar ist, wie das in Amerika der Fall ist – da bin ich ganz bei Herrn Jung –, das wissen wir nicht. Ich glaube es auch nicht. Das ist wirklich zu unterschiedlich. Leitmedien spielen bei uns glücklicherweise noch eine große Rolle. Das Parteiensystem ist anders, aber es wird sehr interessant sein zu sehen, welche Auswirkungen es auf die Politik hat. Ich glaube, dass gerade im jugendlichen Segment, im Erst- und Jungwählerbereich die Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind. Wenn wir sehen, dass Wahlen relativ knapp ausgehen, kann das hier schon eine Rolle spielen, die ich nicht unterschätzen würde. Prof. Picot: Wenn ich noch einmal auf die Verantwortung zurückkommen darf oder die sonstigen gesellschaftlichen Forderungen oder Handlungsbedarfe, die sich aus Ihrer Sicht aus dieser Situationsbeschreibung, die Sie eindrucksvoll geliefert haben, ergeben? Dr. Riedl: Wir halten erst einmal zu 100% alle Datenschutzbestimmungen ein, die es in diesem Land gibt. Dazu haben wir uns noch Selbstverpflichtungen aufgelegt, um mit dem verantwortungsvoll umzugehen. Zwei Meinungen dazu. Erstens bilden wir die Gesellschaft ab, so wie sie ist. Wir haben 13 Millionen User auf der Plattform. Ich komme aus Österreich, das sind 8 Millionen. Auch dort geschehen schlimme Dinge. Wir können nur das tun oder abbilden, was Sache ist Für viel interessanter halte ich, dass unsere Wettbewerber aus dem Ausland natürlich den deutschen Bestimmungen nicht unterliegen. Es gibt ein Abkommen mit der Europäischen Union „Safe Harbor“, das besagt, dass die Datenschutzbestimmungen nur für die jeweiligen Unternehmen aus dem Land, aus dem sie kommen, gelten. Also, für die Amerikaner die amerikanischen und für die Deutschen die deutschen. Herr Jung hat es eben angesprochen – was in Amerika mit Daten getan wird, ist für uns völlig
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Moderation: Arnold Picot
undenkbar. Und die amerikanischen Datenschutzverpflichtungen sind nicht den deutschen unterlegen. Das ist etwas, was man auch vielleicht diskutieren könnte. Ich möchte das so vorsichtig ansprechen. Prof. Picot: Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Punkt. Ich darf noch einmal ein Beispiel dazu nennen. Wir wurden an meiner Universität von einem der großen ausländischen Social Networks angesprochen, die die Daten von unseren Absolventen haben wollten, damit sie irgendwie eine Gruppe aufmachen können. Wir mussten ihnen dann sagen, dass es Datenschutzbestimmungen gibt und wir diese Daten ihnen nicht einfach als Datei herübergeben können, damit sie damit etwas machen. Die diskutieren heute noch mit uns, weil sie es nicht verstehen können. Dr. Riedl: Ja, die können es nicht verstehen, und es interessiert sie auch nicht. Sie unterliegen nicht einem Datenschutzbeauftragten, da das föderal geregelt ist. Das ist ein Sache, die hier nicht diskutiert wird, sondern es gibt in Deutschland das Phänomen, dass man über die eigenen Leute gern alles diskutiert – wir bekommen genug Anfragen –, aber alles, was bei amerikanischen Sachen läuft, wird hoch geschrieben und hoch geglänzt. Wir nehmen das zur Kenntnis und arbeiten daran. Wir sind 100% gesetzeskonform, haben das selbst auch noch verschärft und nehmen das sehr ernst. Wir tun alles, was in unserer Macht steht und insofern glaube ich, dass wir einen sehr guten Job machen. Ein zweites Beispiel, wir haben 100 Mitarbeiter, die täglich unsere Plattformen durchforsten, monitoren, und wir haben schon längst diese Kontrollen, die Frau von der Leyen gefordert hat, dass man sofort etwas melden kann, wenn etwas ist. Wenn etwas gemeldet wird, schauen sich das 100 Leute sofort an. In dem Verhältnis, was in der realen Welt passiert, haben wir das relativ gut im Griff. Prof. Picot: Vielen Dank. Herr Tief, Herr Riedl hat gesagt, dass er 70% der jungen Leute auf seinen Plattformen hat. Sie tun wahrscheinlich auch einiges dafür, dass sich ein großer Teil von denen nicht nur, aber auch, im öffentlich-rechtlichen Bereich tummeln oder wieder tummeln. Aber unabhängig davon, was bedeutet der digitale Bürger an politischer, öffentlicher, gesellschaftlicher Verantwortung oder Problematik aus der Sicht Ihrer Erfahrung? Herr Tief: Zuallerst ist gesellschaftliche Verantwortung für uns keine Pflicht sondern eine vornehme Aufgabe. In meiner Antwort werde ich mich auf die Rolle des öffentlichrechtlichen Rundfunks beschränken, den ich vertrete, und möchte den Titel, den Sie für die Veranstaltung gewählt haben, ein bisschen ergänzen. Für uns sind die Nutzer unserer Medienangebote nämlich nicht nur Konsumenten. Ich glaube, wir würden
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den unseren Auftrag sehr stark verkürzen, wenn wir den Rundfunk per se nur als eine Dienstleistung sähen, wie es ja in Europa sehr gern gemacht wird, und den kulturellen Auftrag, den wir haben, und der auch diese Gesellschaft prägt, hinten anstellen. Wir sind der Meinung, dass es da nicht nur um Reichweiten geht sondern tatsächlich auch um Werte, die wir zu transportieren haben. Das gehört bei uns mit zum Auftrag dazu und begründet unsere gesellschaftliche Verantwortung. Wir stehen zum Beispiel für gut recherchierte und geprüfte Inhalte, wollen verlässlich sein und Qualitätsjournalismus anbieten. Bestimmte Themen oder Darstellungen vertragen sich damit nicht. Ich finde, was zum Beispiel StudiVZ macht, verdienstvoll für diejenigen, die eine Kommunikationsplattform brauchen. Es wäre aber keine Aufgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, unmoderiert nur Inhalte untereinander austauschen zu lassen. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Gleichwohl ist er natürlich sehr erfolgreich und jeder, der Kinder hat, weiß, dass nicht nur die von Lokalisten bis StudiVZ alle Plattformen gern nutzen. Worum geht es uns? Wir wollen uns durch unsere professionell gemachten Inhalte auszeichnen. Da müssen wir aufpassen, dass wir die Marken, die wir aufgebaut haben – und wir sind mit dem Radio seit 1924 auf dem Markt – nicht durch User Generated Content verwässern, der unserem Qualitätsstandard oft nicht genügen kann. In solchen Fällen müssen wir auch gegensteuern. Wir haben viel gehört über Schnelligkeit bei der Berichterstattung, gerade wenn es um Nachrichten geht im Netz. Für uns gilt nach wie vor ein ganz alter journalistischer Grundsatz: Sorgfalt vor Geschwindigkeit. Bei uns geht es auch hier um Verlässlichkeit .Wir machen wie jeder andere Fehler, das ist ganz klar. Aber ich nehme das Beispiel Twitter, was heute sehr viel beklatscht wurde und der hervorragende Kollege Sascha Lobo hat damit auch interessante Erfahrungen gemacht. Ich nenne jetzt aber mal ein Beispiel, was passiert, wenn man so etwas verkehrt verwendet. Ich finde, Focus Online hat einen Fehler gemacht mit dem Einsatz vom Twitter beim Amoklauf von Winnenden. Da kamen dann tatsächlich Meldungen wie „Ich bin jetzt ganz nah am Tatort, aber ich kann nicht genau sehen, was da los ist und ich melde mich gleich wieder“. Hier sind Menschen zu Tode gekommen! Wir sollten es tunlichst unterlassen, dass wir das Medium Twitter in dieser Weise sensationslüstern einsetzen. Aber ich gehe mit Sascha Lobo wirklich einher, dass wir nicht das Medium verteufeln sollte, sondern was man zum Beispiel daraus macht. Das war nur ein Beispiel von vielen. Als öffentlich-rechtliche Sender dürfen wir gerade in immer stärker diversifizierten Märkten drei Werte nicht vernachlässigen: Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit – auch wenn der Reiz, besonders schnell zu sein, besonders originell zu sein verführerisch ist. Wenn Sie mit seriösen Inhalten punkten wollen, haben Sie es natürlich erstmal schwerer als wenn Sie mit aus der Hüfte geschossenen und nur witzigen Inhalten unterwegs sind. Da muss man einen langen Atem haben und ich freue mich, dass unsere Finanzierungsform dafür auch gut ist. Wir sind nicht direkt davon abhängig, auf kurze Zeit möglichst schnell Reichweite zu erzielen. Wir können uns das eine oder andere als Entwicklung leisten. Ich denke, dass wir in Zukunft als Medium mit einem Bekenntnis zur hohen
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Moderation: Arnold Picot
Qualität extrem gut aufgestellt sind, eben weil wir eine Vielzahl von verlässlichen Inhalten haben, die wir jetzt miteinander vernetzen können. Die Kollegen vom privaten Fernsehen und Radio machen natürlich auch ein wunderbares Programm und treffen ihre Zielgruppen, die aber oft ganz andere Interessen haben als die unseren. Ich merke es zum Beispiel beim Podcasting. Wir haben als erste in der ARD 2005 Podcasting aufgegriffen und Inhalte von unseren Programmen zum Download ins Netz gestellt. Die Kollegen von der privaten Radioszene konnten das auch tun, aber es stellte sich schnell heraus, dass sie sehr wenig hatten. Wir haben 2005 mit 5.000 Downloads pro Monat angefangen. Wir sind jetzt bei 4,4 Millionen pro Monat allein als Bayerischer Rundfunk und was besonders schön ist, – es sind nicht nur die Comedies und populären Inhalte von Bayern 3, sondern 20% der Abrufe entfällt auf Wissenschaftssendungen, die aus Bayern2 kommen. Von unserer Seite sind wir also mit der Long-Tail Problematik bereits vertraut, die für uns aber mehr Chance als Bedrohung darstellt Prof. Picot: Vielen Dank. Meine Damen und Herren, dass ist schon ein breiter Strauß von Aspekten und ich glaube, eine sehr nützliche Runde, wo wir doch einiges zu der Vielfalt dieser politischen und gesellschaftlichen Thematik kennen gelernt haben. Ein Punkt zog sich durch alle Bemerkungen und ich bin auch sehr dankbar, dass Sie gesagt haben, dass es nicht nur um den digitalen Konsumenten geht, sondern um den digitalen Bürger, den digitalen Akteur. Dem muss man zustimmen. Aber wenn es darum geht, müssen wir uns fragen, wo er eigentlich ist, der digitale Bürger, der digitale Akteur. Wir haben – und das wurde vorhin von Herrn Jung und anderen angedeutet –, dass wir etliche Bürger haben, die eben aus welchen Gründen immer nicht oder nur teilweise digital sind. Wir alle haben an dem Tag heute unterstellt, dass alle irgendwo digital unterwegs sind. Das sind aber nicht alle. Wir kennen den Nonliner Atlas, da sind 30% der Bevölkerung bewusst nicht, weil sie kein Geld oder keinen Zugang haben, nicht online. Wir haben den Alt/Jung Unterschied. Wir haben den Stadt/Land Unterschied. Wir haben den Bildungsunterschied. Wir haben den Unterschied in Bezug auf Offliner/Onliner. Was muss denn getan werden, wenn die Digitalisierung so läuft und wir die Spaltung unserer Gesellschaft nicht möchten, dass eben diese Voraussetzung für verantwortliches bürgerliches Handeln auf digitaler Basis überhaupt erst geschaffen wird? Sind wir da schon weit genug oder was muss getan werden? Was ist Ihre Erfahrung dort? Herr Eumann, Sie erleben einiges in den politischen Diskussionen. Herr Eumann: In diesem Fall natürlich alles. Man muss im vorschulischen Bereich anfangen, d. h. es darf kein Kind mehr aus dem Bildungssystem kommen, ohne dass es wirklich eine Kompetenz in diesem Feld hat. Dann kann man bei diesen Generationen das Thema digitale Spaltung ganz gut in den Griff bekommen. Ich rede jetzt nicht von der Breitbandpenetration. Das ist glücklicherweise auch ein Thema, das an Fahrt gewinnt. Es gibt viel versprechende Bemühungen, das Stadt/Land Gefälle zu kom-
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pensieren. Wobei man auch ein bisschen Wasser in den Wein gießen muss, weil wir natürlich auch nicht auf jeden Berg einen Autobahnanschluss gelegt haben. So wird man auch nicht jeden Ort erreichen können. Es wird vielmehr eine Kombination geben. Was Ältere anbelangt, glaube ich, unterschätzen wir, dass viele in ihrem Berufsalltag mit Medien konfrontiert werden. Diese vermeintlich einfachen Berufe, die ohne Computerkenntnisse auskommen, gibt es kaum noch. Ich glaube, dass wir vor allem auf folgendes achten müssen: Kinder und Jugendliche bewegen sich viel schneller und häufig sicherer im Netz. Das ist eine gute Entwicklung. Oft ignorieren sie aber Gefahren. Die Gefahr beispielsweise, was eigentlich mit Daten passiert, welche Spuren sie in dieser Welt hinterlassen, mit der schlichten Erkenntnis, all das, was ich jetzt im Netz hinterlege, begleitet mich mein ganzes Leben. Die Kompetenz eines 12-jährigen Mädchens, das bei SchülerVZ unterwegs ist, ist noch nicht so groß. Da gibt es eine große Verantwortung von Eltern, die sie, wie ich finde, noch nicht hinreichend wahrnehmen. Es gibt wunderbare Projekte, viele gute Beispiele. Wenn Sie aber die Erfahrung gemacht haben, wer zu Klassenpflegschaftssitzungen kommt, auf denen es entsprechende Informationen und Angebote gibt, dann wissen Sie, dass Sie Probleme haben, bestimmte Eltern, bestimmte Erziehungsberechtigte zu erreichen. Es hilft nur dieser Satz, den Sie von vielen Politikern immer wieder gehört haben: Das ist ein langer Prozess. Herr Riedl, ich will das nicht in Abrede stellen, was Sie alles an Selbstregulierung machen. Sie kennen die Schwierigkeiten, die Sie gerade bei SchülerVZ hatten. Sie kennen die Kölner Untersuchung aus 2005, 2007 veröffentlicht, dass sich 37% der Mädchen in Chatrooms sexuell belästigt fühlen, weil sie mit Inhalten konfrontiert werden, die sie weder gesucht haben noch finden wollten. Da passiert schon eine Menge im Netz, deviantes Verhalten ist das Stichwort, das uns nicht gleichgültig sein darf. Damit stelle ich keinesfalls die Chancen, die das Netz bietet, in Frage. Kurzum: Wir müssen uns überlegen, ob Selbstregulierung ausreicht. Dr. Riedl: Auf dem Schulhof passiert das auch. Das ist nicht unsere Schuld. Herr Eumann: Da passiert es auch. Ich will ja deutlich machen, dass auch niemand die Post verboten hat, obwohl über die Post auch Kinderpronographie verschickt worden ist. Gleichwohl entledigt das niemanden aus der Verantwortung, da genau draufzuschauen und zu klären, ob wir für diese digitale Welt neue Spielregeln finden können. Ich meine: Wir brauchen neue Spielregeln für diese Welt und das heißt, wir können nicht nur dem Kind, dem Jugendlichen sagen, dass er das schon machen wird. Die meisten können überhaupt nicht einschätzen, was mit ihren Daten passiert. Ich will jetzt nicht den Gassenhauer bemühen, dass das in einer Partylaune gemachte Foto dann fünf Jahre später beim Bewerbungsgespräch tatsächlich zu einem Problem werden kann. Die Beispiele kennen Sie alle vielfältig. Da wächst
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Moderation: Arnold Picot
auch ein Bewusstsein, aber bei den Themen Datenschutz und Datenrecht, beim Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – benötigen wir eine neue Kultur. Das ist ein wichtiges Thema für die Zivilgesellschaft. Wir haben zu wenig Orte, diese Fragen zu diskutieren. Das Gute ist – das sage ich positiv für das Medium –, wenn solche Debatten stattfinden, dann finden sie in der Regel im Netz statt. Sie finden kaum noch in den traditionellen Medien statt, übrigens auch viel zu wenig im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In dieser Debatte, Stichworte: individuelles Identitätsmanagement und Medienkompetenz, sind wir wirklich ganz am Anfang und das Schwierige dabei ist: Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, holen Sie es ohne Schaden nicht mehr raus. Kurzum: Wir reden über einen Prozess, den wir alle miteinander neu organisieren müssen. Ich will ein Beispiel nennen: Warum nicht über das PostIdent-Verfahren eine Anmeldung für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren – bei SchülerVZ mehr Sicherheit schaffen. Die Kinder gehen dann gemeinsam mit ihren Eltern dahin. Sie identifizieren sich, so kann besser gewährleistet werden, dass Kinder in ihrer Altersgruppe kommunizieren und für Eltern mag dies ein Anlass sein, sich stärker mit dem Kommunikationsverhalten ihrer Kinder zu beschäftigten. Das ist zugegebenermaßen eine Barriere. Das ist vielleicht nicht so gut für Ihre Zahlen, aber für die Glaubwürdigkeit von Communities gerade bei der Zielgruppe Kinder, wie ich finde, ist es unabdingbar, hier zu neuen Mechanismen zu kommen. Weil sonst möglicherweise das, was Sie als Geschäftsmodell hinterlegen, schwieriger wird, denn das Wichtigste – das ist auch meine These – ist die Glaubwürdigkeit in diesem Medium. Die verspielt man in diesen Zeiten leicht – es zurückzugewinnen, ist weitaus schwieriger. Dr. Riedl: Da muss ich sagen, das kann nicht sein. Wenn Sie es gemacht hätten, wäre es illegal gewesen, weil Sie bei SchülerVZ als Erwachsener nicht rein kommen. Herr Eumann: Natürlich können Sie sich da anmelden und dann klicken Sie… Dr. Riedl: Nein, Sie können sich bei SchülerVZ nicht anmelden. Sie kommen nur über Einladung hinein. Herr Eumann: Das geht ganz einfach. Da ticken Sie an, dass Sie zwölf Jahre sind und Sie wissen nicht, ob das Mädchen zwölf Jahre ist.
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Dr. Riedl: Das ist der Punkt, den ich meine. Wir sind einer der unbekanntesten Massenmedien in Deutschland. Es wird riesig viel über uns gesprochen. Die allerwenigsten kennen es. Herr Eumann: Ich will Sie gar nicht mit unseren individuellen Erfahrungen langweilen, aber genau das ist passiert. Und dann habe ich mit meiner Familie versucht, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen und ich kann Ihnen nur sagen: das war keine besonders gute Erfahrung. Sie gehen mit den Leuten, die das nicht wollen, nicht so anständig um. Ich wollte Ihnen diesen Hinweis ersparen, weil wir vielfach heute auf unsere familiären Zusammenhänge hingewiesen haben. Als Vater von drei Töchtern, und damit soll alles gesagt sein, kann ich dazu eine Menge beitragen. Ich wäre an der Stelle etwas demütiger und nicht so forsch. Prof. Picot: Also, wir nehmen hier einmal mit, dass es zumindest die Anregung gibt, die Identifikation, die Authentizität der Teilnehmer in solchen Foren zu sichern oder zu überprüfen, damit sich nicht irgendwelche dort tummeln, die dann primär Belästigungen oder ähnliches machen. Das ist zumindest eine Anregung, über die man nachdenken kann, ohne dass man sie jetzt gleich umsetzt, weil man da bestimmt viele Dinge noch bedenken muss. Herr Tief, vielleicht bevor Sie Ihren Beitrag leisten, noch eine kurze ergänzende Frage von mir: Was tun sie in Ihren Jugendprogrammen, die Sie sehr stark mitbetreuen, um die Schüler oder die Jugendlichen auf diese Probleme, in die sie mit ihrer Selbstoffenbarung und allem, was damit zusammenhängt, geraten können, aufmerksam zu machen? Punkt 1. Punkt 2: Was tun Sie als öffentlich-rechtliche Einrichtung, um Ihre Inhalte, die Sie ja auch interessant anbieten und sehr gut recherchiert bereitstellen, auch wirklich all denjenigen, die draußen die Gebühren zahlen, verfügbar zu machen, gerade die digitalen Inhalte? Oder ist es etwas, was nur für die, die in den Zentren wohnen und dort gut gebildet sind, zur Verfügung steht? Prof. Picot: Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, auch Ihre Fragen oder Kommentare, die Sie zu diesen sehr wichtigen Zukunftsentwicklungen haben, jetzt hier einzubringen. Ich glaube, Sie wollten noch eine ergänzende Bemerkung machen. Herr Tief: Sie bzw. Herr Eumann haben vorhin schon das Schlagwort genannt. Ich glaube, wir sollten uns über die Schulung der Medienkompetenz mehr Gedanken machen. Und da glaube ich auch, Herr Riedl, dass da nicht Aggressivität hilft, sondern dass da helfen würde, wenn auch Sie, die Sie über ein Heer von Nutzern verfügen, dieses Thema bei sich selbst ernst nähmen. Sie erreichen die junge Zielgruppe ja deutlich besser als wir alle zusammen, und haben Ihre Nutzerzahlen auch stolz genannt.
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Moderation: Arnold Picot
Diese Nutzerzahlen sind in meinen Augen auch eine Verpflichtung für Sie. Was Herr Eumann gesagt hat, will ich unterstreichen. Sie haben es vorhin gesagt, als Sie von der neuen Zivilisation gesprochen haben. Daran müssen wir alle massiv mitwirken. Wir übernehmen unseren Teil beim Bayerischen Rundfunk und fördern intensiv den Aufbau von Medienkompetenz. In unserem Jugendprojekt „on3“ ist das ein Riesenthema. Und die Aufklärungsarbeit in Sachen Medienkompetenz geht bei uns weiter als den Menschen, die bei uns zu Gast sind, nur die Probleme zu zeigen, die man später haben könnte, wenn man bei einer Personalabteilung mit unschönen Fotos konfrontiert wird. Wir wollen denen auch erklären, wie die Medien, dieser Markt funktioniert. Und auch ganz konkret zur Eigeninitiative anregen. Wie funktioniert zum Beispiel das Filmemachen? Sie können sich bei uns zum Beispiel einen ganzen Lehrgang downloaden, wo Sie Tipps bekommen, wie Sie ein halbwegs professionelles Video machen, wie Sie ein professionelles Audio machen können. Sie werden über Zusammenhänge in der Musikindustrie aufgeklärt, die eigentlich, wenn Sie sich als junger Mensch nicht mit Marketing befasst haben, für Sie eine Black Box sind. Natürlich muss man aufpassen, jungen Menschen hier nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen. Deshalb fände ich auch, Herr Dr. Riedl,, dass wir hier gemeinsam eine Initiative starten sollten, weil das etwas ist, was am Schluss dem gesamten Medium schaden würde, wenn wir hier durch die Unaufgeklärtheit insbesondere der jungen Nutzer einen Schaden für die späteren Erwachsenen herbeiführen. Prof. Picot: Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, auch Ihre Fragen oder Kommentare, die Sie zu diesen sehr wichtigen Zukunftsentwicklungen haben, jetzt hier einzubringen. Ich glaube, Sie wollten noch eine ergänzende Bemerkung machen. Prof. Kabel: Zum einen wollte ich ergänzen, dass ich überhaupt nicht glaube, dass man das durch technische oder juristische Hebel zu lösen versuchen kann. Die mögen im einen oder anderen Fall irgendwas noch dazu addieren, aber das kann niemals die Lösung sein. Die Lösung muss ein wachsendes Bewusstsein sein – durchaus auch ein Bewusstsein der Erwachsenen und ein gewisses Maß sich dem Diskomfort auszusetzen, der sich einstellt sobald man sich mit Themen auseinandersetzt, die einem vielleicht im ersten Moment nicht so liegen, sich das wirklich selber anzusehen und sich praktisch damit zu beschäftigen. Zum anderen auch Diskomfort, mit seinen Kindern durchaus kontroverse Themen zu besprechen. Ich möchte von diesem Datenschutzthema kurz in eine andere Richtung gehen. Jugendliche – und das sind nicht nur Kinder sondern auch schon in den 20er Jahren – sind heute sehr stark reizorientiert. Mein Sohn beispielsweise verabredet sich mit seinen Freunden und sagt, wir treffen uns Dienstag 17 Uhr. Also, bis Dienstag 16:59 Uhr wird noch digital verhandelt, ob es nicht noch einen besseren Deal gibt. Einerseits verstehe ich das natürlich. Ich agiere letztendlich in einer ganz ähnlichen Weise. Allerdings weiß ich auch, dass ein wesentlicher Zusammenhalt unserer Gesellschaft durch
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Verbindlichkeit zustande kommt. Sich Zeit und Aufmerksamkeit verbindlich zuzusagen. In meiner Kindheit sagte man: ich bin um 17 Uhr da. Und da musste die Welt untergehen, dass ich nicht um 17 Uhr da war. Und es war mir auch ein Bedürfnis, dem Freund zu sagen: diese Zeit gehöre ich sozusagen dir. Das sind Fragen, wo man sagen kann, dass es unbequem ist, das zu besprechen und eigentlich habe ich keine Zeit. Und wie gesagt, macht es das Leben nicht leichter, aber wir müssen es tun, weil wir einfach in eine Welt hineingehen, die eine so unfassbare Umwälzung in ganz fundamentalen Fragen mit sich bringt, dass wir nicht einfach sagen können, dass wir das so geschehen lassen. Wir sagen unseren Kindern, unseren Töchtern auch, dass sie gefälligst nicht mit irgendwelchen Kerlen gehen sollen, die sie auf dem Schulhof anquatschen. Wir werden das nicht lösen, indem wir ihnen Angst vor dem bösen schwarzen Mann einflößen, sondern indem wir ihnen Selbstbewusstsein einpflanzen, dass sie das Recht haben, nein zu sagen. Solche Erziehungsaufgaben müssen wir einfach wahrnehmen, und die kommen viel zu kurz. Prof. Picot: Herr Friedrich, Sie wollten noch ergänzen. Und dann habe ich hier eine Wortmeldung. Herr Friedrich: Vielleicht noch ergänzen bzw. zusammenführen, dazu für mich um Barrieren abzubauen oder um Akzeptanz und diesen neuen digitalen, vielleicht hybriden, aber auch den physischen Raum zu schaffen. Es ist eigentlich Zugang, Relevanz, Vertrauen und hier Verbindlichkeit, Vertrauen, Substanz – das ist für mich eine ganz wichtige Komponente. Zugang zum Beispiel, keine Preisbarrieren. Ich spreche jetzt hier mehr aus persönlicher Sicht bzw. will meinen Kollegen von den Tarifkommissionen in Vodafone nicht vorgreifen, aber wir sehen natürlich, dass sobald ein Produkt ein Commodity, also ein übliches Produkt, wird, fängt die Preisschwelle an zu sinken, und das ist auch der Fall. Das ist sicherlich sehr nötig und wichtig, um das digitale Geschäft und das digitale Leben zu ermöglichen. Diesen Trend haben wir bezüglich Relevanz. Wir haben heute über Twitter gehört. Ob Twitter oder andere Dienste jetzt sinnvoll oder nicht sind, sie scheinen momentan ein Kommunikationsbedürfnis, ein einfaches Bedürfnis auf eine einfache Art anzusprechen. Deswegen findet es Widerhall, wird ausprobiert und findet seine Gestalt, wie es benutzt wird. Es müssen relevante Produkte sein und das heißt für Bevölkerungsgruppen, wenn sie bisher nicht so sehr herangeführt worden sind, wenn sie in dem Produkt oder in dem Service einen Sinn und eine Relevanz für ihr persönliches Leben entdecken, dann finden sie den Zugang natürlich per se sehr viel leichter. Dazu kommt in diesem digitalen Bereich das Thema Vertrauen, also Verbindlichkeit, weil ich nicht möchte, dass meine Daten missbraucht werden. Ich möchte Sicherheit, einen gesicherten Rahmen verspüren, in dem ich mich frei, aber selbst kontrolliert bewegen kann. Wenn diese Effekte zusammenkommen, baue ich natürlich neben den ganzen Kompetenzen und dem Hineinwachsen diese Schwellen sehr stark ab.
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Moderation: Arnold Picot
Herr Eumann: Ich möchte noch einen Gedanken ergänzen. Ich bin gar nicht von Regulierungswut besessen, sondern es ist meine feste Überzeugung: Je kompetenter der Einzelne ist, desto weniger brauchen wir Spielregeln, die dann höhere Hürden bedeuten. Wenn uns das gelingt, ist es gut. Der Wunsch ist – und das ist ein altes sozialdemokratisches Thema – in der Tat der mündige Bürger, der genau weiß, was er tut. Wir wissen nur, dass es bis auf Weiteres eine Fiktion ist. Wenn Sie sich die Sozialstrukturen von Familien angucken, wenn Sie sich in Quartieren bewegen, wo Kinder in einem Umfeld aufwachsen, in dem es schwer ist, dass sie überhaupt pünktlich Kindergarten und Schule erreichen, wissen Sie, warum wir über solche Dinge nachdenken, dass wir eine Kindergartenpflicht brauchen, damit Kinder möglichst früh aus einem sozialen Umfeld kommen, das sie in dieser Gesellschaft weitgehend chancenlos lässt. Da darf man Staat, Gesellschaft nicht aus der Verantwortung lassen. Es wäre schön, wenn am Ende genau dieser mündige Bürger, die mündige Bürgerin steht. Prof. Picot: Meine Damen und Herren, ich habe zwei Wortmeldungen. Bitte sehr. Michael Cramer: Ich finde, bei den ganzen Diskussionen heute ging es mir einen Tick zu viel um die Kinder. Kinder sind ein tolles Thema und sehr emotional. Aber es geht hier nicht nur um ‚Wie erziehen wir unsere Kinder?’ sondern auch um die Frage ‚Was machen wir mit der Gesellschaft?’ Ich finde diesen Blick auf die Kinder ein bisschen arg vereinfachend. Unsere Eltern haben uns früher auch nicht verstanden, wenn wir uns um neue Medien gekümmert haben und genauso geht es uns heute mit unseren Kindern. Aber interessant ist doch auch die Frage: Was macht denn eigentlich die erwachsene Gesellschaft im Augenblick? Und wie gehen wir im Augenblick mit der Qualität in Medien um, auch wenn es um die Zielgruppe der Erwachsenen geht? Ich denke, dass weder die Privaten noch die Öffentlich-Rechtlichen für sich in Anspruch nehmen können, dass sie in den vergangenen zehn Jahren für herausragende Qualität, Bildung etc. gesorgt hätten. Und die Erwachsenen geben das an ihre Kinder weiter. Auch das Datenschutzthema ist wichtig und wird sehr gehypt, aber ich finde ein nicht weniger wichtiges Thema ist im Augenblick, wie wir es schaffen, ein Qualitätsbewusstsein zu vermitteln, um Informationen auch danach zu bewerten zu können, ob sie wertvoll sind. Wir haben vorhin von Demut gesprochen. Da kann man auch ein bisschen demütig sein, wie eine relativ freie Gesellschaft wie eine Wikipedia tatsächlich einen Qualitätsstandard verwirklicht, den ich weder bei Öffentlich-Rechtlichen noch bei Privaten Medienanbietern im Augenblick sehen kann, insbesondere wenn es um
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Vertrauen in die Informationen geht, um ihre Darstellung und um ihren Wahrheitsgehalt. Prof. Picot: Vielen Dank. Herr Eberspächer! Prof. Eberspächer: Wir haben heute morgen gehört, dass das Zeitbudget für die Mediennutzung sogar zunimmt, so dass keiner Verlierer ist. Alle sind Gewinner. Es ist zwar kaum glaublich, aber nehmen wir einmal an, dass das so ist. Wo geht dann eigentlich die für Medien genutzte Zeit verloren? Wir haben doch nur netto 18 Stunden am Tag! Ich frage mich nun: Werden dann wichtige Tätigkeiten nicht mehr gemacht, also z.B. weniger miteinander gesprochen? Andererseits werden heute eher mehr Bücher gekauft als früher, und sie werden vielleicht sogar auch gelesen. Die Leute kochen heutzutage auch sehr gerne, was ja auch Zeit braucht und nicht viel mit Medien zu tun hat. Was ich mir vorstellen kann, ist, dass sich die persönliche Kommunikation teilweise in das Netz verlagert. Meine Mitarbeiter skypen z.B. oft miteinander, selbst wenn sie im selben Gebäude sind, und gehen nicht über den Flur ins andere Zimmer. Substitution ist für mich also die einzige Erklärung. Die Frage also an Sie, Herr Kabel, der Sie selber ein aktiver Mediennutzer sind und sicher auch viel Zeit dafür verbrauchen, aber auch an die anderen: wo geht die Zeit hin? Prof. Picot: Es ist bestimmt auch für die Gesellschaft eine wichtige Frage, wie sich die Verteilung der verschiedenen Aktivitäten verändert. Wir haben heute früh auch von Frau Das gehört, dass viele Aktivitäten ins Internet verlegt werden, die man vorher eben nicht im Internet gemacht hat. Das ist auch ein Teil dieses Spiels, wenn man die Zeit im Internet hinterher zusammenzählt, dann wird da eingekauft, wo man früher unterwegs war und woanders eingekauft hat oder Informationen gesucht, wo man früher in die Bibliothek ging. Das ist aber nur ein Teil der Erklärung. Ich würde jetzt gern auf die beiden Punkte eine Antwort vom Panel hören. Herr Kabel, Sie waren unmittelbar angesprochen. Prof. Kabel: Ich glaube schon, dass viele Dinge wegfallen, die im Internet gemacht werden. Darunter sind harmlose und vielleicht auch Konvenienz steigernde Sachen wie Einkaufen im Netz. Aber da gibt es auch eine ganze Reihe von informativen Aufgaben, die man jetzt eben im Internet macht, aber nicht mehr irgendein professionell erstelltes Informationsbit liest sondern durch Kommunikation…wenn hier immer von User Generated Content die Rede ist, dann denken die meisten an YouTube Filmchen, die zuhause gemacht werden. Ich denke da eher an den massenhaften Austausch über Plattformen wie Facebook oder StudiVZ. Das ist nicht Content im eigentlichen Sinne, sondern das sind drei, vier Sätze, die man sich gegenseitig
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Moderation: Arnold Picot
zuwirft. Wir haben eben nicht nur diese Art der Verlagerung, sondern wir haben vor allen Dingen ein Phänomen der extremen Verkürzung. Das kann man wirklich überall erkennen. Ganz besonders finde ich es auch wieder, wenn man sich diese Fragen der Freunde oder Follower anschaut. Hier gibt es offensichtlich ein allmählich wachsendes Gefühl, dass man Aufmerksamkeit beliebig stückeln kann. Dass man sagen kann, ich habe 300 Follower und das ist so wie 300 Centstücke, die irgendwann 3 Euro werden, und irgendwann wird ein großer Hunderteuroschein daraus. Ist das so? Frage ja/nein. Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht so genau. In meiner Lebensmöglichkeit oder Erfahrung und Background ist das nicht so. Ich glaube, das ist eine völlig andere Welt. Aber in vielen Köpfen ist das bestimmt anders und das zahlt 100%ig auf diese Sache ein. Ich habe eben eine ganz andere kurzzyklischere und gestückelte Art wie ich Informationen aufnehme. Das trägt nicht unbedingt dazu bei, dass die Inhalte irgendwie substanzieller werden. Skype ist eine wunderbare Möglichkeit, um hin und her zu chatten, und man kann das auch super archivieren und sich gegenseitig an den Kopf hauen ‚das habe ich dir aber schon vor vier Wochen gesagt, dass das soundso ist’. Es ist aber nicht unbedingt der Ort, wo man komplexe Gedanken miteinander teilt, die man in einem Gespräch vielleicht hat. Prof. Picot: Vielen Dank. Diese Verstückelung und Verkürzung ist sicherlich ein sehr wichtiger Punkt, aber auch die Verdichtung und die Parallelisierung von vielen Vorgängen, die ja auch ’unprecedented’ ist. Herr Tief und Herr Riedl, vielleicht sagen Sie noch etwas zu der Verantwortung der Erwachsenen, weil Herr Kramer ja darauf hingewiesen hat, dass wir die Problemlösung nicht nur auf die nächste Generationen abladen können – ob die dann kommt, wissen wir nicht –, sondern was heute die Erwachsenen eigentlich tun können, damit diese Probleme doch einigermaßen im Zaum gehalten werden können. Dr. Riedl: Ich kann mich dem nur anschließen. Ich finde das ganz toll. Ich komme ja selbst aus den Qualitätsmedien und glaube, das eine steht neben dem anderen. Man darf nicht sagen, dass immer die klassischen Medien für Qualität stehen und User Generated für minderwertigen Content. Erst einmal ist es nicht der Content, wie Sie Herr Kabel richtig sagen. Ich habe auch damals in der Schule viel gelesen als es das noch nicht im Internet gegeben hat, beispielsweise „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Es ist nicht immer so, dass alle alten Medien gleich immer tolle Medien sind. Ganz im Gegenteil, wir sehen, dass das Finanzierungsmodell für viele gute Medien und für das klassische Bildungsbürgertum eigentlich nicht mehr da ist. Ich kann fast die These aufstellen, dass man das Gefühl hat, das ganze Bildungsbürgertum wird immer mehr zur Nische. Das ist ein gesellschaftlicher Trend, der überhaupt nichts mit diesen Phänomenen der Technologien zu tun hat sondern mit etwas, was einfach in unserer Gesellschaft ist. Das ist auch das, was Herr Kabel heute gemeint hat. Darum muss man sehr vorsichtig sein, und nicht einfach ein Fin-
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gerpointing auf Gesetze oder Medien machen, sondern einfach schauen, wohin sich die Gesellschaft verändert. Es gibt einen Satz von einem englischen Philosophen: The tendency goes down. Das macht mich persönlich bestürzt, aber eine Antwort darauf habe ich auch keine. Herr Tief: Wir haben zum Beispiel seit vielen Jahren beim Bayerischen Rundfunk einen eigenen Bildungskanal, BR alpha. Dieses Angebot bedient ausschließlich ein anspruchsvolles Publikum eben mit Bildungsinhalten. Aber natürlich senden wir auch für Menschen, die sich bei weniger anstrengender Kost entspannen wollen. Wenn wir nun einen Musikantenstadl senden, werden Sie dann sagen ‚Um Gottes willen, schau was die da machen!’. Wir haben bei den vielen Programmminuten, die wir pro Tag anbieten, natürlich eine Menge Inhalte dabei, die nicht unbedingt die öffentlich-rechtliche Kernkompetenz spiegeln. Aber sich an diesen Beispielen abzuarbeiten, würde ein falsches Bild ergeben. Ich gebe Ihnen recht; es ist ein Trend, Bildungsinhalte in den Massenmedien kleiner zu fahren, und ich glaube, diesem Trend sollten wir versuchen massiv zu begegnen, indem wir all jene unterstützen, die hier noch Wissenswertes und Relevantes zu vermitteln haben. Wenn es so ist, dass man sich fast der Lächerlichkeit preisgibt, wenn man nicht in 0,30’ antwortet oder mit einer witzigen Bemerkung kontern kann, sondern einfach den Mut besitzt, Aufmerksamkeit auch für anstrengende, komplexe Antworten einzufordern, dann müssen wir gegensteuern. Programme, die das zum Prinzip erheben, muss es auch geben. Wir haben sie. Prof. Picot: (siehe Ziffer 11 Schlussbemerkung)
11 Schlusswort Prof. Dr. Arnold Picot, Ludwig-Maximilians-Universität, München Meine Damen und Herren, ich möchte meinen Kollegen hier auf dem Panel sehr herzlich danken für diese Diskussion. Ich glaube, wenn wir zu einem ähnlichen Thema in einigen Jahren noch einmal hier zusammensitzen sollten, hoffe ich, dass wir sagen können: the tendecy goes slightly up; zumindest: no more down. Das wäre schon einmal sehr wichtig. Wir haben einige Punkte genannt, die dazu beitragen können, dass es vielleicht in eine solche Richtung geht, wenn man sich gemeinsam darum bemüht. Und da hat jeder in seinem Bereich eine ganze Menge Möglichkeiten und wir zusammen sicherlich auch. Insgesamt muss man auch sehen, dass es sich hier um einen säkularen, wirklich ungewöhnlichen Trend handelt, mit dem wir es in der Digitalisierung aller Medien zu tun haben, der einen riesigen Lernprozess für die Gesellschaft und jeden einzelnen von uns bedeutet und der einen langsamen schrittweisen, vielleicht auch Wachstumsprozess ermöglicht, zumindest einen Bewältigungsprozess dieser Herausforderungen, aber auch das Mitnehmen der vielen Chancen, die darin liegen. Auch darüber ist heute vielfältig schon gesprochen worden. Und das kennen wir auch aus vielen anderen Zusammenhängen. Ich möchte damit zum Schluss unserer heutigen Konferenz kommen und mich bei Ihnen für Ihr Interesse bedanken. Ich möchte vor allem noch einmal Herrn Freyberg, der Initiator für diese Veranstaltung ist, danken, der heute nicht hier sein kann, aber auch dem Programmausschuss, der mitgewirkt hat und den anderen Gremien des Münchner Kreises und vor allen Dingen auch allen, die heute mitgewirkt haben hier auf der Bühne, im Versammlungssaal, aber auch außerhalb hinter den Kulissen. Ich glaube, es war insgesamt eine sehr anregende und runde Veranstaltung und wir können hoffentlich daraus die eine oder andere Lehre mit nach Hause nehmen und weitertragen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die Folien von unseren Veranstaltungen wie immer im Internet abrufbar sind, wenn Sie sich das eine oder andere anschauen wollen. Wir werden natürlich auch wieder einen Tagungsband erstellen, wie wir das immer tun. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass wir eine ebenfalls sehr wichtige Thematik in sechs Wochen, am 12. Mai, in Berlin behandeln werden, nämlich die Frage, wie wir das Internet, Stichwort: Digital Divide, zu den nächsten 5 Milliarden Menschen bekommen, nachdem jetzt etwa 1½ bis 2 Milliarden Men-
A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0_11 , © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Arnold Picot
schen im Internet sind und was damit für Themen, Entwicklungschancen, technologische, infrastrukturelle und auch bildungsbezogene – ich glaube, es war sehr wichtig, was Herr Eumann gesagt hat, die Bildungsdimension – Voraussetzungen und Herausforderungen verbunden sind; auch eine sehr interessante und wirklich zukunftsweisende Thematik. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und wünsche Ihnen einen guten Heimweg. Auf Wiedersehen.
Anhang
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Anhang Liste der Referenten und Moderatoren
Robert Amlung
Marc Eumann, MdL
Leiter Digitalstrategie Zweites Deutsches Fernsehen ZDF-Str. 1 55100 Mainz
[email protected] Medienbeauftragter SPD-Landtagsfraktion NRW Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf
[email protected] Jochen Apel
Dr. Martin Fabel
Head of Media Services / Ageo Alcatel-Lucent Deutschland AG Siemensstr. 3 63263 Neu-Isenburg
[email protected] Vice President A.T. Kearney GmbH Charlottenstrasse 57 10117 Berlin
[email protected] Dr. Andreas Bereczky
Dr. Peter Figge
Zweites Deutsches Fernsehen Produktionsdirektion Leitung ZDF-Str. 1 55100 Mainz
[email protected] Geschäftsführer Tribal DDB GmbH Willy-Brandt-Str. 1 20457 Hamburg
[email protected] Dalia Das
Axel Freyberg
Senior Director Corporate Development Bertelsmann AG Carl-Bertelsmann-Str. 270 33311 Gütersloh
[email protected] Vice President A.T. Kearney GmbH Charlottenstr. 57 10117 Berlin
[email protected] Barbara Daliri Freyduni
Prof. Dr.-Ing. Jörg Eberspächer Technische Universität München Lehrstuhl für Kommunikationsnetze Arcisstr. 21 80290 München
[email protected] Head of Marketing Northern & Central Europe Google Germany GmbH ABC-Str. 19 20354 Hamburg
[email protected] A. Picot, A. Freyberg (eds.), Media Reloaded, DOI 10.1007/978-3-642-11243-0 , © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Anhang
Karl Michael Friedrich
Andreas Müller-Schubert
Senior Technology Manager Media Vodafone Group Research & Development Chiemgaustr. 116 81549 München
[email protected] General Manager Global Solutions Microsoft Deutschland GmbH Konrad-Zuse-Str. 1 85716 Unterschleißheim
[email protected] Prof. Dr. Dres. h.c. Arnold Picot
Prof. Dr. Thomas Hess Universität München Institut für Wirtschaftsinformatik und neue Medien Ludwigstr. 28 80539 München
[email protected] Universität München Institut für Information, Organisation und Management Ludwigstr. 28 80539 München
[email protected] Dr. Clemens Riedl
Matthias Jung Forschungsgruppe Wahlen e.V. N7, 13-15 68161 Mannheim
[email protected] CEO studiVZ Limited Saarbrückerstr. 38 10405 Berlin
[email protected] Prof. Peter Kabel
Marc Schröder
Bernadottestraße 26 22763 Hamburg
[email protected] Geschäftsführer RTL Interactive GmbH Am Coloneum 1 50829 Köln
[email protected] Florian Landgraf Senior Vice President Content & Product Management Cable TV Kabel Deutschland GmbH Betastr. 6-8 85774 Unterföhring
[email protected] Sascha Lobo adnation Social Media Advertising Schönhauser Allee 184 10119 Berlin
[email protected] Rainer Tief Bayerischer Rundfunk Ltr. Programmbereich Multimedia und Jugend Rundfunkplatz 1 80335 München
[email protected]