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Seewölfe 135 1
Roy Palmer 1.
Carberry blieb so unvermittelt stehen, daß Ferris Tucker, der sich hinter ihm durch die Dunkelheit tastete, gegen seinen Rücken prallte und ihm beinahe auf die Hacken trat. Der rothaarige Schiffszimmermann stieß einen Fluch aus und zischte: „Kannst du nicht vorher Bescheid sagen, wenn du bremst?“ Er verspürte den Drang, dem Profos kräftig in die Rippen zu boxen, bezwang sich aber. Schließlich brachte es ihm nichts ein, im Gegenteil, es schadete der Sache. Zweifellos würde Carberry brüllen, und wenn er brüllte, scheuchte er nicht nur die Tierwelt von Formosa auf, sondern versetzte möglicherweise auch die, die draußen auf See lauerten, in Alarmzustand. Carberry hatte Tuckers Protest kaum wahrgenommen. Er stand da und kratzte sich an seinem Rammkinn – was sich etwa so anhörte, als marschierten einige hundert große, tropische Exemplare der Waldameise durch das Dickicht, das die Männer umgab. Carberry murmelte: „Augenblick mal ...“ Ferris schnitt eine Grimasse. Allem Anschein nach dachte der Profos nach, aber es war nicht immer gewährleistet, daß auch etwas Gutes dabei heraussprang. Smoky war nun ebenfalls aufgerückt und wisperte: „He, was ist denn los da vorn? Geht's nicht weiter?“ „Verfranzt haben wir uns.“ Carberrys dumpfes Organ rief Vergleiche mit dem Knurren eines stämmigen Hofhundes wach. „Verlaufen?“ flüsterte Ferris Tucker. „Verdammt, wir hätten doch einen Kompaß mitnehmen sollen - bei der Finsternis. Aber wir hätten ihn erst im Ruderhaus abmontieren müssen, und das hätte zuviel Zeit gekostet. Licht können wir auch nicht anzünden. Jeder Feuerschein ist verräterisch. Sag mal, bist du ganz sicher, Ed?“ „Ja. Meine Nase sagt's mir, daß wir hier falsch sind. Mein Spürsinn.“
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Hasard und Sun Lo, die vor ihnen schritten, waren inzwischen stehengeblieben und kehrten jetzt vorsichtig zu ihnen zurück. Sun Lo hatte vernommen, daß gesprochen wurde. Der Seewolf übersetzte ihm verhalten ins Spanische, was Edwin Carberry da soeben von sich gegeben hatte. Sun Lo lächelte in der Dunkelheit. „Diesmal irrst du dich, Narbenmann“, sagte er auf spanisch. „Dank deines Papageis hast du die Felsentreppe zum Kloster gefunden. Aber heute nacht fehlt dir der gefiederte Kamerad, und du hast nicht die ausgeprägten Instinkte eines Tieres.“ Er sprach wirklich pures Kastilisch - und die portugiesische Sprache beherrschte er auch. Carberry mit seinem grausamen auswärtigen Kauderwelsch hätte da vor Neid erblassen können. Im Moment war der Profos eher wütend. Er hätte dem Mönch gern seine Meinung gesagt, aber es sprach zuviel dagegen. Erstens war so etwas in einer Situation wie dieser nicht angebracht, zweitens hatte Carberry keine Lust, mühselig auf spanisch zu radebrechen. Sein geliebter CornwallDialekt wäre ihm da lieber gewesen, aber den verstand Sun Lo ja bekanntlich nicht. Also schwieg der Profos. Ferris, Tucker, Smoky, Dan O'Flynn und Blacky drängten sich auf einer winzigen Schneise hinter Carberrys breitem Kreuz. „Was ist nun?“ raunte Dan ungeduldig. Carberry ließ sich nun doch zu einer Äußerung hinreißen. „Weiter, ihr Rüsselbären. Bis wir im Busch oder Sumpf steckenbleiben.“ Mißmutig stapfte er weiter. Hasard - gab zu den Einwänden seines Zuchtmeisters keinen Kommentar ab, er wußte ja, daß dies Carberrys typische Art war. An Land fühlte er sich bei weitem noch nicht so sicher wie auf See, dies war nicht sein Element. Hier roch es feucht und faulig, und die Umgebung verströmte Feindseligkeit und Tücke. Sun Lo, der weise alte Abt des Konfuzianer-Klosters von Formosa, führte die sechs Männer der „Isabella“ unbeirrt
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weiter durch das Dickicht. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nichts schien ihn erschüttern zu können. Die dreihundert Haupt- und dreitausend Nebenregeln der Lehre, die er seinen Schülern verkündete, waren nicht nur Theorie, sondern auch angewandte Verhaltensphilosophie. Ruhe und Geduld waren Meilensteine auf dem Weg zu einem glücklichen, vollkommenen Leben. Diese und andere goldene Regeln hatte Sun Lo auch Hasard und seiner Crew auseinandergesetzt. Vor gut drei Stunden hatte Sun Lo sich hoch oben, auf dem Dach der großen Insel, in eine Sänfte gesetzt. Dann hatten seine Schüler ihn die zweitausend in den Gneisfelsen gehauenen Stufen hinuntergetragen, der Dämmerung entgegen. Mit seiner zahlenmäßig starken Abordnung hatte der Abt sich an Bord der „Isabella VIII.“ begeben, um auch Ben Brighton und die anderen Besatzungsmitglieder zu begrüßen, die er noch nicht kannte. Jetzt bahnte sich der alte Mann mit erstaunlicher Behändigkeit einen Weg durch die Finsternis und die schlüpfrige Feuchtigkeit des wuchernden Gesträuchs. Er selbst wollte diese Führung zu einem erfolgreichen Ende bringen und hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Seewolf Unterstützung zu leisten. Für einen Abt war das schon recht ungewöhnlich. Aber übertriebene Förmlichkeiten, falsches Prestigeempfinden und Überheblichkeit waren dem alten Mann fremd. Hasard erinnerte sich noch, was er am Vormittag zu ihm gesagt hatte: Es gebe nur ganz wenige Dinge, die unter der Würde eines Menschen seien — Verrat und brutale Gewalt zählten dazu. Seinem Gemüt nach war Sun Lo rein und edel. Und niemand schien die Insel besser als er zu kennen. Nicht einmal seine Mönche, die Männer, die in der vergangenen Nacht Hasard und einige andere von der „Isabella“ überfallen hatten, wußten in diesem so undurchdringlich wirkenden Dickicht besser Bescheid als er, Sun Lo.
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Die knochigen, langgliedrigen Finger teilten Blätter und Zweige, ohne einen Laut zu verursachen. Sun Los Schritte waren auf dem morastigen Untergrund nicht zu vernehmen. Er verharrte und bückte sich. „Dort“, raunte er Hasard zu. „Dort liegt das Schiff. Ich habe es gewußt.“ Hasard kauerte sich neben ihn hin. Er spähte durch eine Lücke im Blättervorhang, die Sun Los Hände geschaffen hatten. Ferris, Ed, Smoky, Dan und Blacky hatten sich ebenfalls gebückt und versuchten, über die Schulter des Seewolfs hinweg etwas zu erkennen. Sie zählten zu seinen besten Männern. Und vor allen Dingen waren sie den ganzen Tag über mit im Tempel der Großen Vollendung dabei gewesen und hatten an dem Unterricht teilgenommen, den Sun Lo seinen Besuchern und neuen Verbündeten im Praktizieren waffenloser Kampfmethoden gegeben hatte. Das war wesentlich. Zumindest in dieser Nacht. Drüben, jenseits eines schmalen Uferstreifens, leuchtete über dem matt schimmernden Wasserspiegel die große Hecklaterne der Galeone. Ein schönes Schiff war das, wahrscheinlich ein 300-Tonner, der vor nicht allzu langer Zeit vom Stapel gelaufen war. Gut in Schuß war er, und die Armierung schien, imposant zu sein. Nur einen winzigen Nachteil hatte dieser Dreimaster: Er gehörte der Gegenseite. Hasard hatte die Galeone wiedererkannt. Sie gehörte zu dem Verband, mit dem die Seewölfe sich nördlich von Formosa hatten schlagen müssen. Zuerst hatten Hasard und seine Männer die „Sao Fernao“ versenken müssen, deren Kapitän ihnen eine höllische Falle gestellt hatte. Dann, auf offener See, hatte es das Gefecht mit weiteren vier Schiffen gegeben. Das Flaggschiff, an dessen Namen sich der Seewolf jetzt erinnerte, war gesunken — die „Bartolomeu Diaz“. Danach hatte das Feuer der „Isabella“ eine dritte Kriegsgaleone vernichtet. Wie sie geheißen hatte, war den Seewölfen nicht bekannt.
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Zwei Galeonen waren völlig intakt geblieben, weil sie wegen zu großen Abstandes nicht in den Kampf hat- ten eingreifen können. Hasard hatte sie beide abgehängt, aber jetzt war das eine Schiff wieder da. Ihr Kapitän und ihre Mannschaft waren erschienen, um dem verhaßten Feind endlich den Garaus zu bereiten. Und sie konnten es schaffen. Noch war die „Isabella“ arg angekratzt. In diesem ramponierten Zustand hielt sie. kein Gefecht durch. Die Crew war teils verletzt, teils ziemlich ausgelaugt. Erwischte der Portugiese die Seewölfe in ihrem Versteck in der Flußmündung, war es aus. * Hasard konnte mit dem reparaturbedürftigen Schiff aber auch nicht auslaufen. Selbst wenn er sich vor dem Portugiesen davongepirscht hätte, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nicht sehr weit gelangt. Da gab es nur eins. Er mußte handeln, bevor der Gegner ihn. entdeckt hatte, bevor auch die zweite Galeone zur Stelle war. Er mußte diesen vergeltungssüchtigen Dons zuvorkommen. Jetzt. Nach ihrer Rückkehr an Bord der „Isabella“ hatte Ben Brighton den Kutscher als Späher vorschicken wollen. Der Kutscher war schon vorher Wache an der Nordküste gegangen und hatte den Portugiesen entdeckt. Bob Grey hatte die Hiobsnachricht dann in die Berge hinaufgebracht, Bill, der Schiffsjunge, hatte den Seewolf unterrichtet. Sun Lo hatte zu Hasard gesagt: „Laß deinen Feldscher hier an Bord bleiben. Er ist auf einsamem Posten zu sehr gefährdet. Wir finden die Galeone auch so wieder.“ Das bewahrheitete sich jetzt, und Ed Carberry biß sich auf die Unterlippe, als er die feindliche Galeone wie eine schwimmende Burg daliegen sah. „Ich bewundere Eure Fähigkeiten“, murmelte Hasard. „Ihr habt ein
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ausgezeichnetes Orientierungsvermögen, Sun Lo.“ „Das ist Übungssache“, entgegnete der alte Mann. „Außerdem hin ich seit fast einem Menschenalter auf dieser Insel. Das dürft Ihr nicht vergessen.“ „Trotzdem.“ Hasard richtete seinen Blick wieder auf die Galeone. Der Kapitän hatte die Segel aufgeien lassen, das Schiff dümpelte nur noch dahin. Offenbar hatte der Mann vor, hier, an einer nicht sehr tiefen und einigermaßen geschützten Stelle, vor Anker zu gehen. Das traf sich gut. „Was plant Ihr?“ fragte Sun Lo gedämpft. „Ich will den Portugiesen einen Höflichkeitsbesuch abstatten.“ „Tötet sie nicht, Seewolf.“ „Das habe ich nicht vor. Solange sie nicht zu den Feuerwaffen greifen.“ „Ich habe die Messer gesehen, die Ihr und Eure Freunde in den Gurten stecken habt.“ „Die sind nur für den äußersten Notfall gedacht“, sagte Hasard ernst. „Ihr wißt, daß ich mehr als eine gerechtfertigte Verteidigung nicht verantworten kann“, raunte der alte Abt. Hasard nickte. „Ich werde Euch nicht enttäuschen.“ „Es ist wohl besser, ich begleite Euch. Ich bin ein guter Schwimmer.“ Verblüfft wandte sich Hasard dem klugen Mann zu. „Das bezweifle ich nicht. Aber das kann ich nun wieder nicht verantworten. Nein, wirklich nicht, Sun Lo. Ihr braucht nicht zu versuchen, Euch trotzdem durchzusetzen.“ Sun Lo konnte Hasards eisblaue Augen funkeln sehen. Er begriff, daß sein Ansinnen wirklich nicht die glorreichste Idee war. „Gut“, erwiderte er deshalb. „Was soll ich also tun? Hier warten?“ „Kehrt zum Schiff zurück“, raunte Hasard. „Wenn alles schiefgeht, gebe ich von der Galeone der Portugiesen aus ein Alarmzeichen. Ben Brighton wird dann auf Gedeih und Verderb doch mit der ‚Isabella' auslaufen und uns zu Hilfe kommen. Ich will aber nicht, daß Ihr dann noch hier im Dickicht steckt.“
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„Sondern?“ „Ich will, daß Ihr in dem Fall mit Euren Männern in die Berge zurückkehrt und Euch aus allem heraushaltet. Das hier ist einzig und allein unsere Sache“, sagte der Seewolf. Er schickte sich an, das Gebüsch zu verlassen. * Die Anker rauschten an ihren Trossen aus, die Spills auf Vor- und Achterdeck der Galeone wirbelten. Bug- und Heckanker klatschten ins ruhige Wasser und senkten sich dem Grund entgegen. Capitan Nuno Goncalves stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und blickte zum Ufer hinüber. Er verschränkte die Arme vor der Brust, beobachtete und dachte nach. Das Dickicht und der Inselwald hatten hundert Stimmen, Zikaden zirpten, Frösche quakten beleidigt, die Nachtvögel lösten sich in einem faszinierenden Konzert ab. Bewegungen, vielleicht sogar von Menschen, vermochte Goncalves jedoch nicht festzustellen. Und irgendwo die Umrisse einer großen Galeone mit überhohen Masten zu erkennen — das wäre denn doch zu schön gewesen. Ein Traum, der so nicht in Erfüllung ging. Am Abend hatte Nuno Goncalves die Küste von Formosa erreicht, am Abend noch hatte er nach dem gehaßten Feind geforscht. Ohne Erfolg. „Die Frage ist“, murmelte er jetzt, „sind die Hundesöhne wirklich auf dieser Insel zu finden?“ Der erste Offizier und der Batelero, der Bootsmann, waren zu ihm ans Schanzkleid getreten. „Ich bin davon überzeugt“, meinte der Erste, ein schneidiger junger Mann, der nach dem Anschluß Portugals an Spanien die Kadettenschule in Cadiz besucht und rasch Karriere gemacht hatte. „Die kleineren Inseln im Norden haben wir fast alle abgesucht. Ohne Ergebnis. Aber ‚El Lobo del Mar' muß sich irgendwohin verholen, um sein Schiff instand zu setzen.
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Bestimmt hat er auch Verletzte an Bord, die Ruhe und Erholung brauchen.“ Der Bootsmann war nicht ganz überzeugt. „Diese Teufel sind zu allem fähig. Auch dazu, einfach an der Insel vorbeizusegeln.“ Goncalves schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nun doch nicht. Morgen früh landen wir auf Formosa. Wir kämmen jeden Fuß Land ab —und wenn der Bastard hier ist, dann finden wir ihn auch, das schwöre ich euch.“ Der Bootsmann blieb skeptisch. „Vergeßt nicht, daß auf der Insel der verrückte Abt mit seinen schlagenden Mönchen haust, Kapitän. Mit dem kriegen wir auch Schwierigkeiten.“ Der Erste lachte auf. „Soll das heißen, daß du Angst hast?“ „Viele vor uns haben versucht, eine Kolonie auf der Insel einzurichten. Sie sind gescheitert. Alle.“ Nuno Goncalves nickte. „Stimmt, aber die 'Bahia Blanca' wird uns bald erreicht haben, und vielleicht treffen auch die ,Sao Fernao' und die ,Santa Luzia' ein. Dann haben wir die nötige Stärke, um ein erfolgreiches Landunternehmen durchzuführen.“ „Die ,Sao Fernao' und die ,Santa Luzia' hätten sich nie so weit vom Verband absetzen dürfen“, versetzte der erste Offizier. „Ich habe das immer für einen Fehler gehalten.“ Goncalves wandte den Kopf und fixierte ihn. „Die ,Bahia Blanca' ist zurückgeblieben, um die Schiffbrüchigen des Gefechts an Bord zu nehmen. Der Comandante gehört zu den Überlebenden. Wenn du willst, kannst du ihm. deine Kritik vortragen. Er wird davon sehr erbaut sein.“ „So habe ich das nicht gemeint“, sagte der Erste abschwächend. „Bitte verzeiht mir, Kapitän.“ „Genehmigt.“ Goncalves' Stimme klang weniger schroff, als er das erwiderte. „Folgt mir, wir gehen in meine Kammer und beschäftigen uns noch einmal eingehend mit den Karten. Morgen früh Will ich sicher sein, daß jeder unserer Schritte sorgsam vorbereitet und festgelegt
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ist. Wir dürfen keinen Fehler begehen. Keinen einzigen.“ Sie wandten sich vom Schanzkleid ab, schritten über das Achterdeck und stiegen auf die Kuhl hinunter. Goncalves gab dem Profos ein paar Anweisungen, die das Einteilen der Deckswachen für die Nacht betrafen, dann ging er vor dem Ersten und dem Bootsmann her auf das Achterdecksschott zu. Genau in diesem Augenblick regte sich am Ufer doch etwas, aber es war Nuno Goncalves' ausgesprochenes Pech und ein unverzeihliches Vergehen seines Ausgucks, davon nichts zu bemerken. 2. Dans scharfe Augen hatten sich auch diesmal nicht trügen lassen. Er hatte die Gestalten auf dem Achterdeck der Galeone auch ohne ein Spektiv beobachten können, und weder er noch Hasard und die anderen vier hatten sich vom Fleck gerührt, bevor die Männer nicht vom Schanzkleid verschwunden waren. Jetzt glitt der Seewolf über den schmalen Sandstreifen und erreichte das Flachwasser. Er schlich hinein und duckte sich so tief wie möglich. Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Blacky und Dan folgten seinem Beispiel. Sie alle waren nur mit kurzen Hosen bekleidet, die Messer steckten in den Gurten. Es war die einzige Möglichkeit, zur Galeone hinüberzutauchen, nur auf diesem Weg erreichten sie ungesehen das Schiff. Ein Boot wäre unweigerlich von dem feindlichen Ausguck entdeckt worden, und sei es noch so klein. Im Dickicht verweilte ein regloser, ernst dreinblickender Sun Lo. „Ich wünsche euch viel Erfolg“, flüsterte er. „Der Allgeist verleihe euch die Macht, es ohne Blutvergießen zu Vollbringen.“ Der Seewolf und seine fünf Männer waren ganz ins Seewasser eingetaucht und begannen zu schwimmen. Ihre Köpfe waren undeutliche, zerlaufende Male in den schwärzlichen Fluten. Wenig später waren sie nicht einmal mehr als Schemen
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zu erkennen - die Männer waren getaucht und bewegten sich unter Wasser auf die Galeone zu. Sun Lo drehte sich um und verließ seinen Posten. Nein, niemals würde er gegen Philip Hasard Killigrews Anweisung handeln. Dazu war er nicht fähig. Der Seewolf hatte ihm auferlegt, zur „Isabella VIII.“ zurückzukehren. Und das tat Sun Lo nun auch. Nur in einem Punkt verhielt er sich anders, als der Seewolf es von ihm annahm. Er mußte lächeln, als er daran dachte. „Meine Schüler warten auf mich“, sagte er in seiner weichen, melodiösen Sprache. „Es gibt in dieser Nacht noch eine Menge zu tun für uns.“ Hasard und seine Männer nahmen in diesem Moment ihre Köpfe wieder aus dem Wasser und achteten darauf, sowenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Sie schöpften Luft, es gurgelte nur ein bißchen im Wasser, dann waren sie wieder unter der Oberfläche verschwunden. Als sie zum zweitenmal aufstiegen und ihre Lungen vollpumpten, befanden sie sich unter dem Heck der Galeone. Wuchtig ragte der breite Spiegel über ihnen auf. Die Galerie und der darüber befindliche Teil des Schiffes waren reichlich mit Schnitzwerk verziert. Die Spanier und Portugiesen hatten einen unerschütterlichen Hang dazu, ihre Schiffe so auszustatten. Im Mondlicht konnte der Seewolf die Schriftzüge am Heck erkennen. „Sao Paolo“ hieß die Galeone. Sie hatte ein mächtiges Steuerruder aus schönstem Pinienholz, das zum Hochklettern einlud. Hasard grinste. Er wies auf das riesig wirkende Ruderblatt, glitt darauf zu und traf Anstalten, sich daran emporzuziehen. Carberry hatte unausgesetzt nach oben geschaut und warnte seinen Kapitän in diesem Moment durch einen Wink. Er selbst ließ sich unter Wasser sinken. Dan, Blacky, Smoky und Ferris taten das gleiche. Hasard fand gerade noch die Zeit, sich in dem Winkel in Sicherheit zu bringen, den das Ruderblatt mit dem Heck
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des Schiffes bildete. Hier verharrte er mit angehaltenem Atem. Oben — unsichtbar für den Seewolf - war eine Gestalt erschienen, und zwar ganz achtern auf dem erhöhten Teil des Hecks. Es handelte sich um eine der Deckswachen, die der portugiesische Profos auf Goncalves' Geheiß hin eingeteilt hatte. Dieser Mann warf einen knappen, prüfenden Blick aufs Wasser hinunter, bemerkte die kleinen Wellenringe jedoch nicht, die die fünf Männer der „Isabella“ hinterlassen hatten. Auch Hasard entdeckte er nicht, denn der befand sich unterhalb der Heckgalerie für ihn im toten Blickfeld. Folglich zog sich der Wachtposten wieder zurück. Er setzte seinen Rundgang fort, ohne im geringsten beunruhigt zu sein. Hasard sah die Freunde neben sich auftauchen. Durch eine Gebärde gab er ihnen zu verstehen, sie sollten sich still verhalten. Er legte sich behutsam auf den Rücken und schob sich auf dem Wasser mit dem Kopf zuvorderst am Ruder der Galeone entlang. Auf diese Weise erlangte er den Ausblick auf die gesamte Heckpartie. Er überzeugte sich, daß die Deckswache ihnen tatsächlich nicht mehr zum Verhängnis werden konnte, und verharrte fast eine Minute lang in seiner Lage. Dann klomm er endlich am Ruder empor. Ohne jegliche Hilfsmittel wie Enterhaken oder Taue erreichte er die Hennegatsöffnung, stellte die Füße hinein und stemmte sich hoch. Er streckte die Hände nach oben und konnte die Verzierungen der Heckgalerie berühren. Ferris enterte hinter ihm das Steuerruder der „Sao Paolo“. Hasard wartete sein Erscheinen noch ab, dann bückte er sich ein wenig, stieß sich schwungvoll ab und klammerte sich an der Galerie fest. Es gelang ihm, sich hochzuhieven und über die Balustrade zu klettern. Leise wie eine Raubkatze setzte er auf und blickte wie gebannt auf die Bleiglasfenster des Achterschiffes. Dahinter glomm der rötliche, dämmrige Schein von Öllampen.
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Der Seewolf registrierte die Bewegung von Gestalten. Hasard kauerte wie festgenagelt da. Bei dem Raum konnte es sich nur um die Kapitänskammer handeln. Demzufolge waren die Männer, die sich gerade darin aufhielten, entweder der portugiesische Capitan mit ein oder zwei Besatzungsmitgliedern oder ein paar Offiziere. Wenn sie jetzt auf die Galerie hinaustraten, sah es für den Seewolf und seine Begleiter übel aus. Waren die Portugiesen schnell, dann konnten sie Hasard mit Leichtigkeit überwältigen und die fünf anderen vom Ruder wegschießen. Ferris, Blacky, Smoky, Ed und Dan befanden sich im Moment auf dem Präsentierteller. Hasard wagte kaum zu atmen. Ferris' Rotschopf erschien hinter der Handleiste der Balustrade, es folgten Kopf, Oberkörper, Bauchpartie - und die Beine. Ferris sank neben Hasard auf alle viere und verhielt sich genauso mucksmäuschenstill. Wenig Später waren auch der Profos und die drei anderen eingetroffen. Hasard pirschte sich an das eine Bleiglasfenster des Hecks heran, schob sich langsam hoch und schaute in die Kapitänskammer. Ihm war jetzt, da er die Männer hinter sich wußte, bedeutend wohler zumute. Etwas verschwommen erkannte er die Gestalten der Portugiesen im Schein der Öllampe. Der Vorteil war, daß er im Dunkeln stand, sie ihn also nicht sehen konnten. Er hingegen verfolgte ziemlich genau, was sie taten, und konnte sie jetzt auch sprechen hören. Sie hatten sich über Land- oder Seekarten gebeugt, die sie auf dem Pult des Capitans ausgebreitet hatten. „ ... wäre es das beste, bis zur Flußmündung zu segeln und dort zu beginnen“, sagte der eine gerade. „Si, Senor“, antwortete sein Gegenüber, ein augenscheinlich junger und schlanker, beinah schlaksiger Mann. „Hoch am Wind liegend können wir uns vielleicht sogar ein Stück den Fluß aufwärts arbeiten.“
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„Falls die Wassertiefe es zuläßt“, wandte der dritte ein. „Immer Bedenken, was, Bootsmann?“ sagte der Schlanke zu dem Mann. „Die kriegt man im Laufe der Jahre.“ „Es bleibt dabei“, sagte nun der erste Sprecher - der Kapitän der „Sao Paolo“. „Gleich im Morgengrauen laufen wir die Flußmündung an. Sie wird unser Ausgangspunkt und unsere Orientierungshilfe sein. Ich denke, von dort aus können wir ausgezeichnet operieren.“ Übergangslos wandte er sich vom Pult ab und schritt auf die Tür zu, die auf die Heckgalerie führte. Hasard zog sich sofort von dem Fenster zurück. Er hatte genug gehört. Seine Befürchtungen waren keineswegs übertrieben gewesen. Die Portugiesen waren drauf und dran, eine Falle zuschnappen zu lassen, aus der es kein Entweichen mehr gab. Nur die Dunkelheit hatte ihre Aktion unterbrochen. Die Nacht war der traute Verbündete der Seewölfe. Hasard hockte sich so hinter die Tür, daß sie zu ihm hin aufschwingen und ihn verdecken mußte. Er sah zu seinen Männern. Eine Absprache war nicht nötig, nicht einmal ein Winken oder Zeichengeben. Ihr gemeinsames Handeln war in vielen Einsätzen erprobt, jede Bewegung, jede Positionsnahme gleichsam zur Routine eingeschliffen, wenngleich jedes Unternehmen seine ureigenen Abläufe hatte und von ihnen verlangte, daß sie sich blitzschnell darauf einzustellen wußten. Eben das war es. Sie waren schnell. Ungemein schnell. Dan und Blacky nahmen die jeweils äußerste Ecke der Galerie an Back- und Steuerbord ein. Carberry, Smoky und Ferris Tucker kauerten sprungbereit vor der Balustrade und schienen in diesen Sekunden in sich zusammenzukriechen, um so gut wie möglich mit der Finsternis zu verwachsen. „Genießen wir einen Moment die frische Luft“, sagte der Capitan. „Bootsmann, bring die Karaffe mit, wir wollen auf eine
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erfolgreiche Sache anstoßen. Ein Glas Rotwein, das ist jetzt genau das richtige.“ Ja, dachte der Seewolf, ich finde auch, das ist ein großartiger Einfall. Die Tür öffnete sich. Sie prallte fast gegen ihn. Kaltblütig und voll Berechnung hockte er da. Als die Gestalt des portugiesischen Kapitäns die Deckung der Tür verließ und neben ihm erschien, schoß Hasard hoch. * Ungefähr zur selben Zeit schritt Lucio do Velho auf einem kleinen, unbedeutenden Eiland rund hundert Meilen nördlich von Formosa auf einem Plateau vor seinen Untergebenen auf und ab. Er hatte die Hände hinter dem Rücken ineinandergelegt und gab sich den Anschein eines Mannes, der in tiefschürfende Erwägungen verstrickt war. Dies war eine seiner beliebtesten Posen, wie die Mimik überhaupt sein ein und alles war. Drei Männer waren sein Publikum. Drei — dabei hatte seine Mannschaft aus fast vier Dutzend erfahrenen Seeleuten und Soldaten bestanden. Die Insel war felsig und unwirtlich. Ihre Entdecker hatten ihr seinerzeit nicht einmal einen Namen gegeben, und auch do Velho hielt es für absolut unwichtig, sie jetzt nachträglich zu taufen. Auf dem Eiland gab es keine Eingeborenen, keine Tiere und kaum Pflanzen. Ein Fleckchen Erde, vielleicht zwölf, dreizehn Quadratmeilen groß, schroff, karstig, ohne natürliche Attraktionen. Das Plateau stellte den höchsten Punkt dar, es lag vielleicht vierzig Fuß über dem Meeresspiegel, möglicherweise auch ein bißchen mehr. In der Nähe gab es ein kleines Wasserloch, die einzige Quelle der Insel. Das Trinkwasser war genießbar. Während der letzten, unendlich erscheinenden Stunden hatten die vier Männer sich wiederholt vor das Loch gelegt und das Naß in sich hineingeschlürft. Dieses Wasser — es war zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel.
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Do Velho bemühte sich trotzdem, seiner Miene einen Anstrich der Zuversicht zu geben. Er blieb stehen, wandte sich abrupt den drei Männern zu und sagte: „Und ich erkläre euch, wir schaffen es trotzdem. Wir halten durch. Wir sind zäh und lassen uns nicht unterkriegen.“ Carlos, ein untersetzter Mann mit großflächigem Gesicht, schaute auf. „Wir haben keinen Proviant, Capitan, vergeßt das nicht. Es gibt nichts zu essen auf der Insel, nicht einmal Wurzeln, die man ausgraben kann.“ „Und wenn es jagdbares Wild gäbe, könnten wir es nicht erlegen“, warf Ignazio ein. Seine Stirn war gefurcht, seine Augenbrauen fast drohend zusammengezogen. Er stammte aus Porto, ein muskulöser Mann, groß, breitschultrig, mit einem einfältigen Gemüt. „Wir haben eine Pistole“, fuhr er fort. „Und die ist nicht mehr brauchbar, obwohl wir das Pulver getrocknet haben, nachdem wir an Land geschwommen sind. Das Seewasser hat das Schloß ruiniert.“ „Egal“, erwiderte do Velho wegwerfend. „Wir sind darauf nicht angewiesen. Wißt ihr, wie lange ein Mensch durchhalten kann, wenn er genügend Trinkwasser hat? Bis zu zwei Wochen.“ Der vierte Mann meldete sich nun zu Wort. Sein hageres Gesicht drückte offene Wut aus. Bislang hatte er sich mühsam bezähmt, aber jetzt konnte er nicht mehr an sich halten. Sein Name war Vicente, er war einer der Stückmeister an Bord des nun zerstörten, versenkten Schiffes gewesen. „Capitan“, stieß er hervor. „Eine Woche, habt Ihr doch wohl sagen wollen. Aber welche Bedeutung hat das für uns? Schon morgen können wir uns vor Schwäche nicht mehr auf den Beinen halten. Übermorgen kriechen wir wie todwunde Tiere auf allen vieren. Am fünften Tag schleppen wir uns mit letzter Kraft ans Wasserloch, am sechsten und siebten dämmern wir dem Tod entgegen, am achten werden wir vielleicht endlich von diesem — diesem grausamen Schicksal erlöst.“
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Er sprang auf. „Wir können nicht einmal das Pulver zünden und Feuer entfachen! Nur dasitzen können wir, abwarten, bis der Tod sich zu uns auf die Insel schleicht, sich neben uns hockt und auf den ersten lauert, den er entführen kann. Oder? Oder was gedenkt Ihr zu tun, Capitan?“ Do Velho lächelte ihn an. „Du hast eine blumige Art, dich auszudrücken, Vicente. Eine Schule hättest du besuchen sollen. Vielleicht wärest du fürs Theater besser geeignet gewesen als für die Seefahrt. Vielleicht hättest du auch einen guten Priester abgegeben. Ja, das wäre möglich.“ Diese Worte warfen den hageren Mann endgültig aus der Fassung. Zornbebend stand er da. „Hier gibt es noch jemanden, der seine Aufgabe verfehlt hat. So verrückt daherzureden, das kann doch nicht dein Ernst sein, do Velho. Oder doch — es ist dein Ernst. Du hast uns von Anfang an verschaukelt, es ist deine Schuld, dass unsere Kameraden über die Klinge gesprungen sind. Du bist ...“ „Hör auf“, versuchte Carlos ihm das Wort abzuschneiden. „Das hat doch auch keinen Zweck.“ „ ... ein Versager!“ schrie Vicente. „Jawohl, ein Versager!“ Lucio do Velho stand mit leicht abgewinkelten Beinen und stemmte jetzt beide Fäuste in die Hüften. „Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, mich zu duzen?“ sagte er nicht besonders laut. „Da muß ein Mißverständnis vorliegen. Vicente, ich fordere dich auf ...“ „Ja!“ brüllte der hagere Mann. „Ein Mißverständnis! Und was für eins! Studiert hat er, unser Senhor Capitan, und ein gebildeter Mann ist er. Kluge, raffinierte Leute müssen her, um die Kolonien unseres Weltreichs zu schützen und Kerle wie den Seewolf zu hetzen. Die alte Garde von dummen Hunden reicht da nicht mehr aus. Aber er ist auf den Arsch gefallen, unser schlauer, studierter Capitan, und jetzt steht er da und weiß nicht weiter.“ Do Velhos Gesicht war eine bleiche Maske unter dem Mondlicht geworden. „Schluß jetzt. Das geht zu weit. Nimm zurück, was du eben gesagt hast, Bastard. Es ist deine
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einzige Chance.“ Seine Stimme klang völlig verändert. „Vicente!“ rief Ignazio. „Tu, was der Capitan sagt.“ Er war ebenfalls aufgestanden und trat auf den Kameraden zu. Vicente zückte seinen Säbel und sprang ein Stück auf dem Plateau zurück. „Bleib mir vom Leib! Ich steche dich nieder, wenn du mir zu nahe kommst!“ „Du bist ja wahnsinnig!“ schrie Carlos. Etwas wankend erhob er sich. Vicente richtete den Säbel auf Lucio do Velho. „Capitan, auch ich gewähre dir eine letzte Chance. Ich wiederhole meine Frage. Was gedenkst du zu unserer Rettung zu tun?“ Do Velho verengte die Augen zu Schlitzen. Kalt taxierte er den Abstand zwischen sich und dem Aufgebrachten und seine Möglichkeiten. So gesehen, konnte Vicente jeden Augenblick vorstürmen, an Carlos und Ignazio vorbei, und ihm, do Velho, den Säbel in die Brust stechen, ehe er überhaupt die Hand am Degengriff hatte. „Ich werde es dir sagen“, erklärte do Velho deshalb. „Na los!“ rief Vicente. „Aber ich will keine Durchhalteparolen oder nichtssagende Phrasen hören.“ Do Velho wies mit der Linken zur Bucht im Südwesten. „Unsere Galeone liegt auf dem Grund der Bucht, aber die Maststangen ragen aus dem Wasser, das heißt, die Wassertiefe ist nicht allzu groß. Einer von uns oder zwei könnten hinabtauchen und in den Schiffsräumen nach Proviant forschen.“ Vicente lachte höhnisch. „Sehr gut. Hast du vergessen, daß wir das schon getan haben? Ein guter Taucher kommt mit seinem Luftvorrat an die Kombüse oder an die Speisekammer heran, aber wenn er drin ist - spätestens dann - säuft er jämmerlich ab. Außerdem sind die Schotten dicht. Bei dem Wasserdruck sind sie nicht zu öffnen. Ich bin dreimal hinuntergetaucht, du elender Hurensohn, aber ich habe aufgeben müssen.“
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„Ich, äh, war nicht dabei“, erwiderte do Velho. „Ich habe zu der Zeit die Insel erkundet.“ „Ja. Gedrückt hast du dich.“ Do Velho ließ die Arme baumeln. „Du wirst bereuen, was du gesagt hast. Ungestraft beschimpft und bedroht man keinen Kapitän oder Offizier.“ „Weitere Vorschläge!“ fuhr Vicente ihn an. Der Mann aus Porto wollte sich an Vicente heranschleichen, aber Carlos hielt ihn zurück. Ignazio war ein diensteifriger Typ und der sturen Borddisziplin bedingungslos unterworfen. Für ihn zählte nur, was der Capitan sagte und tat. Er dachte nicht daran, daß Vicente der eindeutig Überlegene war und er Lucio do Velho innerhalb der nächsten Sekunden wahrscheinlich abservieren würde. Es lohnte sich also nicht, sich mit Vicente anzulegen. Do Velho entging es nicht, wie Carlos den Mann aus Porto bremste. Do Velho schaute zu Carlos, aber der wich seinem Blick aus. „Hör zu“, erklärte der Capitan jetzt. „Ich bin bereit, ein neues Experiment zu beginnen. Allein. Ich tauche. Wenn ich uns nichts Eßbares besorgen kann, werde ich zumindest eins der Beiboote aus den Zurrings lösen und an die Oberfläche befördern. Ich tue es noch heute nacht, wenn du willst, Vicente.“ Vicente grinste höhnisch. „Was für hervorragende Vorschläge! Aber völlig unbrauchbar. Ich habe auch das probiert, die Boote haben sich jedoch verkeilt und sind teils beschädigt, teils unter Kanonentrümmern begraben.“ „Wenigstens eins muß zu verwenden sein“, beharrte do Velho auf seiner Meinung. „Wir müßten nur alle vier tauchen.“ „Das könnte dir so passen.“ „Es ist ein ehrliches Angebot, Vicente.“ „Nein!“ brüllte der erregte Mann. „Du willst uns nur erledigen, unter Wasser! Sonst hättest du doch längst versucht, an ein Boot heranzukommen! Aber du weißt, das es sinnlos ist!“ Do Velho sprach eindringlich, fast bittend. „Überlege doch. Wir haben auf eins
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unserer Schiffe gewartet. Ich habe es gar nicht für nötig befunden, viel zu unternehmen. Früher oder später muß jemand erscheinen, der uns hier wegholt.“ „Ach? Unser Verband etwa?“ „Ja ...“ „Der Verband ist vom Seewolf zum Teufel gejagt worden“, sagte Vicente wild. „Vorletzte Nacht. Oder hast du auch das Donnern der Kanonen schon wieder vergessen?“ „Keineswegs. Ar ist auch ein Killigrew nicht in der Lage, sich vier Schiffe vom Hals zu schaffen. Und vier sind es gewesen, die von Formosa herübergesegelt sind, wie wir es schon vorher vereinbart hatten: die ,Bartolomeu Diaz`, die ,Vasco da Gama', die ,Sao Paolo' und die ‚Bahia Blanca'. Im Morgengrauen haben sie die ‚Isabella' gestellt und vernichtet.“ „So? Warum sind sie dann anschließend nicht herübergesegelt, um uns aufzulesen?“ Do Velho antwortete: „Der Comandante da Odemira weiß nicht, wo wir stecken. Er hat die abfackelnden Masten der ,Sao Fernao' nicht mehr sehen können. Das ist unser Pech. Jetzt müssen wir das Ende der langwierigen Suche abwarten. Aber wir können nicht nur mit dem Hauptverband rechnen, sondern auch mit der ‚Santa Luzia', unserem sechsten Schiff, das vor vier Tagen nach Nordosten abgelaufen ist, um die Nansei-Shoto-Inseln auf Feindbewegungen hin zu untersuchen.“ „Wir können also ganz sorglos sein?“ fragte Vicente lauernd. „Ja, unbedingt.“ „Du bist ein Lügner“, zischte der Stückmeister. „Ich hab's immer gewußt. Wir müssen hier verrecken, aber ich will dich zuerst sterben sehen, bevor es uns erwischt. Ich töte dich, du Hurensohn.“ Er wollte einen Ausfall zu do Velho hin unternehmen, doch dieser griff sich plötzlich an die Brust und sank zusammen. „Dios“, stöhnte er immer wieder. „Mein Gott, was ist nur — Himmel, warum helft ihr mir nicht?“ „Das Herz“, murmelte Ignazio. „Nein!“ stieß Carlos hervor. „Er ist ein großartiger Simulant, aber uns legt er nicht mehr herein. Ich übernehme die Sache.“
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Bevor Vicente eingreifen konnte, hatte er sein Messer gezückt und stürzte sich auf den Kapitän. Do Velho war auf die linke Körperseite gesackt und krümmte sich. Carlos hatte ihn erreicht — da zuckte er wie eine große, kräftige Schlange, schwang wieder hoch und knallte dem Mann beide Fäuste gegen den Kopf. Carlos verlor sein Messer. Vicente stieß einen wilden Schrei aus und rückte mit erhobenem Säbel vor, aber Lucio do Velho, der Gerissene, versetzte Carlos einen Stoß und beförderte ihn auf den Stückmeister der „Sao Fernao“ zu. Carlos prallte gegen Vicente. Vicente wimmelte den untersetzten Mann ab und trat an ihm vorbei. Diese kürze Verzögerung hatte do Velho gereicht. Er hatte seinen Degen gezückt und stellte sich dem Untergebenen, der sein Todfeind geworden war. Carlos hatte Mühe, sich vom Plateau aufzurappeln. Ignazio, der Mann aus Porto, stand wie vom Donner gerührt und schien nicht zu begreifen. Vicente drosch mit dem Säbel auf den Kapitän ein. Er wollte ihm den Schädel spalten, eine blutige Kerbe in die Schulter hauen, die Klinge im Herzen des Widersachers versenken, aber nichts davon klappte. Geschickt wehrte do Velho jede Attacke ab. Er baute eine Verteidigung auf, studierte Vicentes Kampftaktik, fand seine Fehler heraus — und duckte sich in einem Augenblick, den er für den geeigneten hielt. Vicente dachte, der Kapitän wolle einem Streich ausweichen. Er hatte sich getäuscht. Do Velho stand flach über den Boden gekauert, sein Kopf, Arm, Oberkörper waren eine Einheit, die plötzlich nach vorn schoß. Die Degenklinge traf Vicente. Vicente zog den Säbel erfolglos über do Velhos Kopf hinweg. Er hatte sich zu spät auf die neue Situation und auf das Verhalten des Gegners eingestellt. Vicente spürte ein Stechen im Unterleib, als Lucio do Velho seine Waffe bereits
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wieder an sich gerissen hatte. Wallende Nebel senkten sich über den Stückmeister Vicente. Er verlor die Kontrolle über sich, die Schmerzen packten ihn, rüttelten an seinem Leib und zwangen ihn zu Boden. Carlos stand und wollte sich erneut auf den Kapitän stürzen, aber in diesem Moment handelte Ignazio. Plötzlich hatte Carlos ein Messer zwischen den Schulterblättern stecken. Er röchelte, taumelte und schaute ungläubig drein. Zwei, drei stolpernde Schritte tat er noch auf Lucio do Velho zu, dann fiel auch er. Auf dem Bauch blieb er liegen. Sein Gesicht war nach unten gewandt. Vicente lag gekrümmt und hatte seinen Säbel aus der Hand verloren. Das Leben war ein Atemhauch, der aus seinem Körper entfloh und vom Wind davongetragen wurde. Ignazio stand mit baumelnden Armen und starrte seinen Kapitän an. „Ausgezeichnet“, sagte de Velho kühl. „Ich werde dafür sorgen, daß du eine Belobigung erhältst, mein Freund. Du hast dich vorbildlich verhalten.“ Er sah an dem Mann aus Porto vorbei und schien etwas entdeckt zu haben. Plötzlich steckte er den Degen weg und lief über das Plateau. „Da!“ rief er. „Ich hab's ja gesagt! Da kommt ein Schiff!“ Ignazio wandte den Kopf. Im ersten Augenblick hielt er das, was do Velho von sich gegeben hatte, für ein Hirngespinst. Dann entdeckte auch er das Licht in der Ferne. „Aus Nordosten nähert sich das Schiff“, murmelte Ignazio. „Wenn das die ‚Santa Luzia' ist und die Mannschaft unser Rufen hört, sind wir wirklich gerettet.“ Lucio do Velho lief bis zum Nordufer der Insel, verharrte auf dem Kap und blickte dem Segler entgegen. Er hielt auf das Eiland zu. Do Velho gestand vor sich selbst, daß er mit einem solchen Ereignis auch nicht mehr gerechnet hatte. 3.
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Nuno Goncalves sah die Gestalt neben sich hochschnellen, und fast gleichzeitig stellte er fest, daß sich in der Dunkelheit vor ihm noch mehr ungebetene Gäste eingefunden hatten. Schemen, die vor der Balustrade kauerten. Selten war die Heckgalerie der „Sao Paolo“ derart belebt gewesen. Ein Schlag traf Goncalves, ehe er schreien, handeln oder kämpfen konnte. Dieser Hieb, auf seine rechte Flanke gezielt, war so hart, daß er nach Steuerbord katapultiert wurde. Er flog Dan O'Flynn entgegen, und der ließ seinen rechten Fuß hochzucken, wie Sun Lo es ihn gelehrt hatte. Ein Ruck, der Goncalves' Körper durchlief, ein erstickter Laut, ein Fallgeräusch, und der portugiesische Kriegsschiff-Kapitän lag ausgestreckt vor Dan auf den Planken. Ergötzen konnte Dan sich an diesem Anblick allerdings nicht, er mußte den anderen nach. Carberry, Smoky und Ferris Tucker waren wie die Teufel in die Kapitänskammer gestürmt. Hasard wirbelte herum und lief ihnen nach, Blacky schloß sich ihm an. Der erste Offizier der „Sao Paolo“ hatte seinen Kapitän wie durch Spuk aus dem Rechteck der Türöffnung verschwinden sehen. Sofort hatte er die Hand auf den Griff seiner wertvollen Radschloßpistole fallen lassen. Im Grunde war das die richtige Reaktion, und man mußte es dem schlanken, schneidigen Mann lassen: Er hatte das Rüstzeug eines vollwertigen Kapitäns. Der Bootsmann klappte den Mund auf und stand für eine Weile ratlos da. Ein Klotz aus Muskeln, Narben, Häßlichkeit und englischen Flüchen raste auf den ersten Offizier zu. Der zückte die Pistole, um ein Loch in diesen Berg zu brennen, aber Carberry war schneller. Im Eifer des Gefechts vergaß er Sun Lo, die Klosterschüler und den ganzen Kram, den er da oben im Bergkloster vernommen hatte. Er knallte dem Gegner eine brettharte Linke auf den Waffenarm, so daß die Pistole durch den Raum segelte und zu Boden polterte. Die rechte Faust rammte er ihm unters Kinn - nach guter
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alter Cornwall-Art und wie's ihm spontan einfiel. Smoky und Ferris schlüpften an dem zusammenbrechenden Ersten vorbei und erreichten den Bootsmann. Sie nahmen neben ihm Aufstellung, keilten ihn ein, und Ferris raunte dem Entsetzten auf spanisch zu: „Ruhig bleiben. Ich an deiner Stelle würde nichts von dem versuchen, was du vielleicht vorhast.“ Der Bootsmann hatte bereits die Karaffe mit dem Vinho tinto in der linken Hand, wie Nuno Goncalves es ihm befohlen hatte. Seine rechte Hand umspannte einen gläsernen Kelch, den er soeben einem dunkel lackierten Schrank aus kostbarstem Nußbaumholz entnommen hatte. Ferris nahm ihm die Karaffe ab. Smoky fing das Glas auf, als der Bootsmann es einfach fallen ließ. „Na, na“, sagte Hasards Schiffszimmermann. „Wir wollen doch nicht, daß hier was kaputtgeht.“ Der Bootsmann stürzte mit einem Aufschrei auf Hasard zu. Blacky und Dan befanden sich hinter dem Seewolf, brauchten aber nicht mehr einzugreifen, weil Hasard den Anrückenden mit einem einzigen Schlag fällte. Der Bootsmann hätte gern wie am Spieß geschrien und um sich geprügelt. Stattdessen legte er sich sanft auf den Boden der Kammer. „Donnerkiel“, sagte Carberry. „Das war ein Hieb, Sir.“ „Waffenloser Kampf“, erwiderte der Seewolf leise. „Langsam kriege ich Geschmack daran.“ „Sun Lo sollte uns sehen“, flüsterte Dan. Hasard huschte zur Tür, die auf den Gang des Achterkastells führte. Er lauschte, wandte sich dann wieder um und raunte: „Kommt. Noch rührt sich nichts, aber vielleicht ist der Ruf des Burschen an Oberdeck doch vernommen worden.“ Hasard öffnete die Tür und zog den Schlüssel ab, der von innen steckte. Er zwängte sich als erster durch den Spalt in den stockfinsteren Gang. Nichts, das irgendwie Gefahr verkünden konnte, ließ
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sich im Achterdeck vernehmen. Hasard schlich weiter. Dan O'Flynn löschte das Licht in der Kammer, damit sie den Schein nicht im Rücken hatten. Blacky, Smoky, Carberry und Tucker waren an ihm vorbei. Er verließ als letzter die Kammer. Auf dem Gang dachte der Profos: Hölle, es ist nicht leicht, sich so ganz ohne Anhaltspunkte im Dunkeln voranzubewegen, aber, hol's der Henker, wir haben langsam ja schon Übung darin. Kurze Zeit darauf hatten sie den Gang hinter sich gebracht. Dan als letzter des kleinen Trupps hatte die Kapitänskammertür von außen zugeschlossen — damit die drei ohnmächtigen Gegner ihnen nicht in den Rücken fallen konnten, wenn sie vorzeitig erwachten. Hasard drückte das Schott, das auf die Kuhl mündete, vorsichtig auf, aber er konnte es doch nicht verhindern, daß die Eisenangeln ein leises Knarren von sich gaben. Er verharrte. Über ihm, an der Schmuckbalustrade, die den vorderen Querabschluß des Achterdecks bildete, standen zwei der vier Deckswachen dicht nebeneinander. „Hast du das gehört?“ sagte der eine. „Dann habe ich mich eben also doch nicht getäuscht. Erst ein Schrei — jetzt ein deutliches Knarren.“ „Das wird der Capitan sein“, meinte der andere. „Nein, unmöglich. Warum sollte der schreien?“ „Vielleicht hat er den Ersten angebrüllt.“ „Ich glaub's einfach nicht. Woher kam das Knarren?“ „Vom Schott“, antwortete der zweite Posten trocken. „Es steht halb offen und wird vom Wind bewegt.“ „Du meinst, alles sei in Ordnung?“ „Ja. Was soll denn schon passieren?“ Eben, was soll schon passieren, dachte auch der erste Posten. Er sann für eine Weile nach, dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Trotzdem. Ich gehe kurz 'runter und sehe nach.“
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Der andere zuckte mit den Schultern. Der erste Posten stieg den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter, wandte sich nach rechts und sah gerade noch, daß das Schott zum Achterkastell tatsächlich halb offen war. Er wollte sich darüber wundern, denn noch vor ein paar Minuten hatte er es fest verschlossen gesehen. Aber zu solchen oder ähnlichen Überlegungen blieb ihm keine Zeit. Jemand sprang ihn an. Hasard hatte das Achterkastell auf leisen Sohlen verlassen und neben dem Backbordniedergang gekauert. Ein Hieb mit der Handkante gegen die Nackenpartie des Postens genügte, und der Mann sank vor der Hütte zusammen, ohne auch nur den leisesten Laut von sich zu geben. Ein wenig Licht von der Hecklaterne drang bis auf die Kuhl, aber dicht vor der Querwand der Hütte herrschte schwärzeste Finsternis. Hasard ließ sich neben dem Bewußtlosen nieder, hockte völlig reglos da ' und wartete ab. Wenig später verließ auch die zweite Wache das Achterdeck. „He, wo steckst du?“ rief der Mann. Von der Back meldete sich ein dritter Mann. Er trat an die Querbalustrade über der Kuhl, und fast gleichzeitig erschien neben ihm eine weitere Gestalt. „Was ist los? Warum rufst du?“ ,,Sirio meint, was gehört zu haben“, brummte der zweite Posten. Er hatte die Stufen des Backbordniedergangs hinter sich gebracht und blieb ganz nah vor Hasard stehen. „Möchte wissen, was der hat. Ich sage euch, er sieht Gespenster.“ Hasard spähte zum Vordeck hinüber. Weitere Wachtposten konnte er nicht entdecken. Vier waren es also. Es galt, die beiden auf der Back außer Gefecht zu setzen, ohne daß sie den Rest der Mannschaft wachtrom- mein konnten. Sirios Kumpan beugte sich ein wenig vor. Offenbar versuchte er zu erkennen, was sich im Dunkel vor der Poop tat. Hasard hatte Sirios Stimme vorher deutlich genug vernommen, er konnte sie ohne Schwierigkeiten nachahmen.
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„Aqui, eis“, raunte er auf portugiesisch. „Hier, hier ist ...“ Der andere rückte näher. „Que, onde – was, wo?“ fragte er. „Dies hier“, zischte der Seewolf. Er knallte dem Posten die Faust gegen die Schläfe, fing ihn auf und zog ihn zu sich herunter. Sanft ließ er ihn auf die Planken gleiten, dann erhob er sich und ging über die Kuhl. Carberry, Smoky, Blacky, Ferris und Dan hatten das Achterkastell der Galeone verlassen und kauerten sprungbereit. Sie hielten den Atem an, denn was der Seewolf in diesem Augenblick vorführte, war wirklich das Ausmaß der Verwegenheit. Für zwei oder drei Sekunden glaubten die beiden Posten auf der Back vielleicht noch daran, den zweiten Wachmann vor sich zu haben. Sie hatten nicht erkennen können, was sich vor der Hütte abgespielt hatte. Sie hatten Sirios Partner nur verschwinden und dann sofort wieder eine Gestalt auftauchen sehen. Jetzt sperrten sie die Münder auf. Hasard nutzte das Überraschungsmoment eiskalt aus. Er duckte sich, sprintete los, hetzte über die Planken und steuerte genau auf das Vorkastell zu. Kurz davor stieß er sich ab. Er federte genau in dem Moment auf die zwei Deckswachen zu, in dem diese die Pistolen zückten. Einer der beiden stieß einen keuchenden Laut des Entsetzens aus. * Hasard packte zu und kriegte sie an den Hemdaufschlägen zu fassen. Ehe sie sich wehren konnten, rammte er ihre Köpfe zusammen. Ihr ausgesprochenes Pech war, daß sie keine Helme trugen. Sie stöhnten auf und sackten zusammen. Der Seewolf klammerte sich an der Handleiste der Querbalustrade fest, zog sich endgültig hoch und rutschte über die hölzerne Barriere weg auf das Vordeck. Der eine Posten war ohnmächtig zusammengesunken. Der andere fing sich wieder, richtete seine Pistole auf Hasard und spannte den Hahn. In seinen Augen loderte es, Haß verzerrte sein Gesicht.
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„El Lobo del Mar“, stieß er hervor. Hasard schwang auf ihn zu. Sein rechter Fuß zuckte hoch, es funktionierte auch diesmal, Sun Lo war ein hervorragender Lehrmeister. Die Pistole löste sich aus der Hand des Portugiesen, wirbelte durch die Luft und flog außenbords. Hasard setzte nach und packte den Arm des Gegners. Der Posten hatte plötzlich das Gefühl, sein Schultergelenk würde ausgekugelt werden. Er verlor den Boden unter den Füßen, hob sich unter Hasards Griff ein Stück durch die Luft und krachte schwer gegen die Schmuckbalustrade. Besinnungslos blieb auch er liegen. Hasard blickte sich um und entdeckte die Musketen der beiden Männer. Er griff sie, eilte zur Kuhl und warf sie von oben aus seinen wartenden Männern zu. Carberry fing die eine Muskete auf, Dan schnappte sich die andere. Sie grinsten, nickten sich zu und stiegen als erste ins Vorschiff hinunter. Dort befand sich das Mannschaftslogis, dort mußte die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden. Unten, auf dem dunklen Gang, taumelte dem Profos der „Isabella“ ein schlaftrunkener Mensch entgegen. Offenbar hatte er etwas von dem vernommen, was sich auf Oberdeck getan hatte — jetzt wollte er nach dem Rechten schauen. Vielleicht war er der Decksälteste. Oder gar der Profos. Wer auch immer — Ed Carberry fällte ihn mit einem wilden Hieb. Der Sturz des Portugiesen verursachte einigen Lärm: Poltern, Rumpeln, das Schlagen von Stulpenstiefeln auf den Planken. So wurde der eine oder andere Schläfer wach. Überall regte sich Leben, mürrische Stimmen fragten, was los sei und ob man nicht Ruhe geben könne. Carberry tastete sich in einen Raum vor. Er vernahm Schnarchen, Atmen, Husten. Er stupste Dan O'Flynn an, der dicht neben ihm war. Sie flankierten die Tür, lehnten sich mit dem Rücken gegen die Wand und hoben die Musketen.
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Jemand schlug Feuerstein und Feuerstahl gegeneinander. Ein Funke entstand, dann glomm ein Talglicht. auf. Verwirrte Mienen, liegende und halb aufgerichtete Gestalten, mindestens zwanzig an der Zahl — jawohl, sie standen im Mannschaftslogis. „Hoch die Flossen“, sagte Carberry in holprigem Portugiesisch. „Unternehmt keinen Quatsch, ihr Bastardos, oder wir marschieren hier durchs Schiff, daß es nur so raucht. Also, schön brav sein.“ Smoky, Blacky und Ferris Tucker hatten sich inzwischen auf die übrigen Schlafräume des Vordecks verteilt. Es gab ein paar Kammern, in denen der Feldscher und ein paar andere Leute ihrer zweifellos verdienten Nachtruhe nachgingen. Für sie gab es ein höchst unerfreuliches Erwachen. Hasard nahm sich im Alleingang ein paar Offiziere vor, die sich gerade anschickten, das Achterkastell zu verlassen. Er hätte sich eher um sie kümmern können, aber es war ihm das Wichtigste gewesen, zuerst die Deckswachen auszuschalten. „Zwei Kerle“, sagte im Mannschaftslogis soeben einer der Portugiesen. „Und sie haben nur zwei Schuß. Überwältigen wir diese Hunde.“ Dan blickte zum Profos. „Ed - ohne Waffengewalt, hat der Seewolf gesagt.“ „Glaubst du, ich bin taub?“ „Nein, ich wollte dich bloß noch mal daran erinnern“, sagte Dan grinsend. Die ersten Portugiesen sprangen aus ihren Kojen. Zweifellos hatten sie bereits eine Ahnung, wer ihre Gegner waren, und sie wollten sich auf Teufel komm raus Lorbeeren verdienen. Denn auf die Ergreifung des Seewolfes und seiner Crew war eine Belohnung ausgesetzt, eine Kopfprämie, deren Höhe Philipp II. von Spanien höchstpersönlich festgelegt hatte. Carberry drehte seine Muskete um und benutzte sie als eine Art Dreschflegel. Den Hahn der Waffe hatte er gar nicht erst gespannt, sie konnte also nicht losgehen. Er mähte vier, fünf Angreifer nieder, dann ließ er die Muskete los und fing an, „durch das Schiff zu marschieren“, wie er angekündigt hatte.
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Wenig später tobte der Kampf sowohl im Vor- als auch im Achterschiff. Hasard und seine Männer teilten großzügig Schläge und Tritte aus, sie bedienten sich wieder der Methoden, die Sun Lo ihnen beigebracht hatte. Der Seewolf hatte allein vier Mann gegen sich, aber dank der einzigartigen Verteidigungsweise hielt er sie sich vom Leib. Hasard trat einem wutschnaubenden Offizier unters Kinn, setzte mit der Faust nach und schickte ihn mit einem Schlag zu Boden. Den Hieb eines anderen Gegners blockte er mit der Handkante ab, dann packte er zu und verdrehte dem Mann den Arm, daß er quer durch den Gang des Achterkastells flog und ein paar Yards weiter hart auf den Planken landete. Er tauchte unter einem sirrenden Degen weg, ließ wieder seinen Fuß hochschnellen und entwaffnete den Gegner. Konzentriert schlug und trat er abwechselnd, paßte aber auf, keinen der Angreifer durch zu harte Abwehr lebensgefährlich zu verletzen. Einen derart ausdauernden Faustkampf hatte der Seewolf bisher noch nicht ausgetragen. Und nie hatten sich die Männer der „Sao Paolo“ einer so wehrhaften kleinen Streitmacht gegenübergesehen, nie hatte man sie im Kampf auf Deck dermaßen in Verlegenheit gebracht. Ein einziger Tag im Bergkloster von Formosa hatte nicht ausgereicht, um Hasard und seine Männer in alle Geheimnisse der mysteriösen Kampfweise einzuweihen. Sun Lo hatte ihnen aber versichert, daß sie die Grundzüge der waffenlosen Verteidigung recht gut verinnerlicht und in die Praxis umgesetzt hätten. Was aber Sun Los Mönche zu vollbringen vermochten, war sehr viel erstaunlicher. Hasard hatte auf dem Hof vor dem Tempel der Großen Vollendung gesehen, wie ein Schüler mit der bloßen Faust einen Stapel von zwölf gebrannten Tonziegeln zertrümmert hatte. Er war dabei gewesen, wie zolldicke Bretter mit der Handkante gespalten worden waren. Weiter gab es Konzentrations- und Meditationsübungen,
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die den Mönchen neue Erkenntnisse eröffnen sollten, die sie immer wieder an die Basis der Gewaltlosigkeit erinnerten, auf der ihre Lehre eigentlich beruhte. Die Mittel, mit denen man sich gegen eine Invasion wandte, wurden durch den Zweck geheiligt, sie erwuchsen aus der Not. Aber Sun Lo wies immer wieder darauf hin, daß er keine hirnlosen Kraftprotze fördern wolle. Sun Lo hatte Hasard erzählt, daß er manchmal mit den Klosterschülern zum Fluß hinuntersteige und sie dort lernten, wie man auf dünnen, schmalen Brettern über das Wasser laufe. Sie konnten mit Nagelschuhen Mauern hochrennen, über Kohlen und Glasscherben gehen und noch viele andere erstaunliche Demonstrationen vollführen. Dies alles gehörte zu den harten, entbehrungsvollen Prüfungen, die Sun Lo allen Männern abverlangte, die letztlich die Straße der Weisheit beschreiten wollten. Ganze Welten schienen die verschiedenen Mentalitäten der Völker zu trennen, und für einen Europäer war es schwer, diese Art größter Selbstbeherrschung und harten Trainings zu verstehen. Hasard glaubte aber, etwas von dem, was Sun Lo ihm auseinandergesetzt hatte, begriffen zu haben. Er hechtete auf den letzten Widersacher zu, packte ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Mit einem Hieb seiner rechten Handkante entledigte er ihn seiner Pistole. Sie wälzten sich auf dem Gang, überrollten sich, balgten sich, bis Hasard einen der Tricks anwandte, die er von Sun Lo gelernt hatte. Der Offizier löste sich von Hasard und prallte gegen die Gangwand zurück. Heftig schlug sein Hinterkopf gegen das harte Edelkastanienholz. Er sank mit einem Stöhnen an der Wand zu Boden. Hasard beschloß, die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen. Er hob die eine Pistole auf, lief nach achtern und riegelte die Tür der Kapitänskammer auf. Der Bootsmann rappelte sich gerade benommen auf, wie der Seewolf im Mondlicht erkennen konnte. Er wollte nach
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einer Waffe greifen, aber Hasard stoppte ihn. „Auf die Galerie“, herrschte er ihn an. „Wird's bald, oder muß ich nachhelfen?“ Nein, daran war dem Bootsmann nicht gelegen. Er stolperte durch die immer noch offene Tür auf die Heckgalerie hinaus. Unterwegs strauchelte er fast über die liegende Gestalt des Ersten. Er stieß ihm die Stiefelspitze in die Körperseite, turnte über ihn weg und hielt sich mühsam in der Balance. Der erste Offizier, offensichtlich durch den Tritt aufgerüttelt, kam nun auch. zu sich. Hasard scheuchte auch ihn nach achtern hinaus. Er nahm die Karaffe voll Wein mit, trat zu dem Kapitän Nuno Goncalves und leerte den edlen Vinho tinto über dessen Haupt aus. Die Wirkung trat augenblicklich ein. Der Kapitän hob den Kopf, schüttelte ihn und prustete. Verdattert schaute er sich um - und blickte in die Mündung der auf ihn gerichteten Pistole. „Freundchen“, sagte der Seewolf, „ich habe nur einen Wunsch, und den wirst du mir erfüllen.“ „Seewolf“, zischte Goncalves. „Fahr zur Hölle!“ „Später vielleicht“, sagte Hasard kalt. „Erst springst du.“ Der Mann sah ihn ungläubig an. „Richtig verstanden“, sagte Hasard. „Du jumpst ins Wasser. Du und deine beiden Figuren. Ich sage das nicht noch mal.“ Goncalves erhob sich unter dem zwingenden Blick des Seewolfs. Er trat zu dem Ersten und zu dem Bootsmann, kletterte auf die Balustrade der Galerie, sah noch einmal voll Haß zu dem Gegner dann ließ er sich in die Tiefe fallen. Hasard zielte auf die beiden anderen, und auch die hatten es plötzlich sehr eilig, von Bord der „Sao Paolo“ zu gelangen. 4. Die Partie im Vordeck war ebenfalls entschieden. Carberry, Smoky, Blacky, Ferris und Dan scheuchten gut zwei Dutzend Portugiesen aufs Oberdeck und
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zwangen sie, die Beiboote abzufieren. Verstört und mit fliegenden Fingern nestelten die Besiegten die Laschings der Boote los, hievten sie hoch, beförderten sie an den Galgen außenbords und fierten sie ungewöhnlich schnell ab. „Ein Zugeständnis“, sagte der Profos unwillig. „Ihr Saubande, wenn es nach mir gegangen wäre, hättet ihr nicht eine einzige müde Jolle gekriegt. Dann wärt ihr alle baden gegangen.“ Ferris lachte und wies nach Backbord. „Einige scheinen deine Gedanken gelesen zu haben, Ed. Hörst du das?“ Ja, Carberry vernahm es jetzt auch. Da war ein Plätschern, ein Aufwühlen des Seewassers jenseits der Bordwand der Galeone. Überrascht hob er die Augenbrauen. Er vergewisserte sich, daß die Kameraden die Portugiesen auch allein bewachen konnten, drehte sich um und trat ans Schanzkleid. Im Meer schwammen zehn oder zwölf Männer, der Profos bereitete sich nicht erst die Mühe, sie genau zu zählen. Nichts schien diese Burschen mehr zu interessieren, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und die Galeone zu legen. Carberry grinste. „Ausgekniffen, was? Das große Sausen gekriegt, wie? Ho, das haben wir gern. Feigheit vor dem Feind und Fahnenflucht — deswegen könnte euer Kapitän, dieses Rübenschwein, euch glatt vors Kriegsgericht stellen.“ Er wandte sich um und sah den Seewolf, der gerade vier Männer aus dem Achterkastell auf die Kuhl trieb. Reichlich verunstaltet sahen die Dons aus, und ihre Mienen drückten allen Jammer der Welt aus. „Sir!“ rief Carberry. „Einen Teil des Haufens haben wir glatt in die Flucht geschlagen.“ „Umso besser, Ed.“ „Sollen wir die Hundesöhne jetzt in die Boote abentern lassen?“ „Natürlich, was denn sonst?“ Smoky schaute zu Carberry und lachte. „Willst du dich von den Dons verabschieden?“
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Der Narbenmann schnitt eine Grimasse. „Ja, es tut mir richtig leid, daß sie abhauen. Hatte mich schon an sie gewöhnt.“ „Ah durch die Mitte“, sagte Blacky zu den Portugiesen. Er beherrschte ihre Sprache gut, hundertmal besser als Carberry. Sie verstanden ihn denn auch sofort und drängten sich vor den Jakobsleitern, die Carberry hatte ausbringen lassen. Sie konnten gar nicht schnell genug in ihre Boote steigen. „Ferris und Dan“, sagte der Seewolf. „Ihr durchsucht jetzt die Schiffsräume. Wenn ihr etwas findet, das wir mitnehmen können —bitte. Aber laßt Pulver und Munition liegen, wir haben noch genug Vorrat an Bord.“ „Aye, Sir“, erwiderte Ferris. Er drehte um, Dan folgte ihm, und sie verschwanden unter Deck. Etwas später hatten die Portugiesen mit den Booten von der Bordwand abgelegt. Ferris und Dan kehrten zu Hasard zurück und zeigten ein paar besonders wertvolle, reich verzierte Pistolen vor, die sie entdeckt hatten. „Die stammen aus einer Kammer des Achterdecks“, erklärte Dan O'Flynn. „Ich fände es schade, wenn wir die hierlassen würden. Ich weiß, wir nehmen kein Boot, wir schwimmen an Land zurück, um keine Spuren zu hinterlassen. Aber ich könnte die Dinger auf einem Plankenstück festzurren, damit sie nicht naß werden.“ „Meinetwegen“, entgegnete Hasard. Er blickte Ferris an. „Und was hast du gefunden?“ „Werkzeuge, Sir.“ Ferris grinste von einem Ohr zum anderen. „Auch einen Bohrer?“ „Na klar, Sir.“ „Was stehst du dann noch herum? Du weißt ja, was du zu tun hast.“ Ferris Tucker verließ wieder das Oberdeck. Er stieg tief in den Schiffsbauch der stolzen, schönen „Sao Paolo“ hinunter und begab sich mit den Beutewerkzeugen an eine Arbeit, die er nicht zum erstenmal ausübte. Er wußte, wo die besten Stellen waren, um den Bohrer anzusetzen, und wie viele Löcher erforderlich waren, um das
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Kriegsschiff in relativ kurzer Zeit auf den Grund der See zu befördern. Schon nach kurzer Zeit lief er wieder zur Kuhl hoch. Die Werkzeuge hatte er im untersten Schiffsraum zurückgelassen. „Wir können das Schiff jetzt verlassen“, meldete er seinem Kapitän. Hasard warf noch einen Blick nach Backbord und sah den Booten nach. Es waren drei, zwei große und eine kleinere Jolle. Das am weitesten nach Westen versetzt dahingleitende Boot wurde in diesem Moment von seinen Insassen gestoppt. Sie hatten den Kapitän, den ersten Offizier und den Bootsmann entdeckt, hielten auf sie zu und nahmen sie an Bord. Hasard grinste. Natürlich durften sie es nicht bemerken, wie die Seewölfe jetzt heimlich die „Sao Paolo“ verließen. Die Portugiesen mußten denken, daß ihre Gegner das Schiff besetzt hielten, ja, daß sie sogar die Geschütze luden und sich auf einen Gegenschlag vorbereiteten. Wenn der Capitan und seine Mannen bemerkten, daß man sie getäuscht hatte, würde es bereits zu spät sein. Dann konnten sie nicht mehr an Bord der Galeone zurückkehren, die Lecks nicht mehr stopfen und das Wasser in die See zurückpumpen — ausgeschlossen. Hasard gab seinen Männern einen Wink. Sie begaben sich ans Steuerbordschanzkleid und enterten an einer der Jakobsleitern ab. Unten ließen sie sich ins Wasser gleiten, und Dan schob das Stück Holz, auf dem er die wertvollen Pistolen befestigt hatte, vor sich her. Tatsächlich gelang es ihm, die Waffen unversehrt an Land zu befördern. Schweigend schwammen die sechs Männer nebeneinander her, und als sie das Ufer erreicht hatten, vergewisserten sie sich zunächst, daß sie von den Portugiesen auch nicht gesehen werden konnten. Aber die „Sao Paolo“ lag zwischen ihnen und dem davonziehenden Feind, und die Schatten der Nacht schlossen einen Vorhang zwischen den Gegnern. Hasard führte seine kleine Gruppe an Land. Dan O'Flynn schleppte das winzige
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„Floß“ mit den darauf festgezurrten Pistolen mit und ließ es neben sich ins Gebüsch sinken, als die Kameraden im Dickicht verharrten und sich hinkauerten. Sie blickten zur Galeone. Das Schiff hatte jetzt etwas mehr Tiefgang und begann für einen Uneingeweihten kaum sichtbar - ein wenig nach Steuerbord zu krängen. „Ausgezeichnet, Ferris“, lobte der Seewolf. „Von jetzt an füllt sich der Schiffsinnenraum immer schneller mit Wasser. Falls die Dons jemals zurückkehren, finden sie den Kahn nicht wieder. Die See ist an dieser Stelle tief genug, um ihn in seiner vollen Größe zu schlucken.“ Er richtete sich auf. Die Männer folgten seinem Beispiel, und sie strebten dem Verlauf des Pfades nach, den Sun Lo ihnen zuvor gebahnt und gekennzeichnet hatte. * Am Flußufer lag ein Boot bereit. Gary Andrews und Bob Grey warteten darauf, mit ihnen zur „Isabella“ zu pullen. Hasard fiel Greys verstohlenes Lächeln auf, aber er wußte sich keinen Reim darauf zu bilden. Er berichtete den beiden kurz, was sich zugetragen hatte. Die Männer freuten sich. über den Erfolg und schlugen Dan, Blacky, Smoky und Ferris auf die Schultern. Beim Seewolf wagten sie es nicht, aus Respekt. Bei Carberry trauten sie sich ebenfalls nicht recht, weil der vielleicht zurückschlug. Und wo der Profos hinlangte, wuchs kein Gras mehr. Die acht Männer stiegen ins Boot und pullten zur „Isabella“. Hasard saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Als er zu seinem Schiff blickte, beschlich ihn ein merkwürdiges, fast resignierendes Gefühl. Wäre es nicht besser gewesen, die „Sao Paolo“ zu kapern und statt ihrer die „Isabella“ zu versenken? Die „Sao Paolo“ war völlig intakt und seetüchtig gewesen — die englische Lady nicht. Sie mußte erst
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mühsam wieder repariert, aufgetakelt und abgedichtet werden. Es brauchte seine Zeit, bis die Masten wieder wie neu standen und das Rigg in perfekter Ordnung war. Gefechtsschäden — die Portugiesen hatten sie wirklich arg in die Bredouille gebracht. Carberry drückte es jetzt auch aus, etwas drastischer allerdings: „Teufel, Männer, wenn ich daran denke, was wir noch an dem elenden Zuber zu tun haben, kriege ich das große Kotzen.“ Gary Andrews und Bob Grey grinsten breit. „Ihr Zwerge“, sagte der Profos drohend. „Ihr Kakerlaken. Was gibt's denn da zu grinsen, he? Ich werde euch das schon austreiben, ihr Rübenschweine. Das Ausruhen bekommt euch wohl nicht, was, wie?“ Hasard schaute in diesem Moment jedoch genauer hin und zog verwundert die Augenbrauen hoch. Was war denn da auf seinem Schiff los? In den Wanten hingen Gestalten, soviel vermochte er im silbrigen Schein des Mondes wohl zu erkennen — aber es schien sich um drei, vier Dutzend Männer zu handeln, die an den Rahen hantierten, und so groß war seine Crew doch gar nicht. „He“, sagte er zu Carberry und den anderen. „Dreht euch mal kurz um!“ Der Profos folgte der Aufforderung und stieß erstaunt aus: „Ja, da wird doch die Seekuh in der Pfanne verrückt!“ „Jetzt spuck ich nach Luv“, erklärte Smoky verblüfft. Sie hatten noch mehr solcher Sprüche auf Lager, aber Dan O'Flynn unterbrach sie,: ihm dämmerte es. „Das können nur Sun Lo und seine Mönche sein!“ rief er. „Diese Kerle! Sie sind nicht in die Berge zurückgekehrt, sondern helfen beim Ausbessern der Schäden!“ So war es. Das Boot glitt bei der „Isabella“ längsseits, und kurz darauf enterten die acht Männer an Bord auf. Hier konnte der Seewolf sich davon überzeugen, wie weit die Arbeiten bereits fortgeschritten waren. Carberry kratzte sich mal wieder am Kinn und revidierte gründlich sein Urteil über
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Sun Lo, den Abt von Formosa. Eigentlich hatte er ihn für einen großen Theoretiker vor dem Herrn gehalten oder, anders ausgedrückt: für einen Spinner. Inzwischen hatte er aber einsehen müssen, daß dieser alte Mann ein sehr lebensnaher Mensch war — was die angewandten Verteidigungsgriffe betraf, die Orientierung im Dickicht und die Nothilfe auf einem ramponierten Schiff. Ben Brighton erstattete dem Seewolf Bericht, nachdem dieser ihm geschildert hatte, wie das Unternehmen an Bord der „Sao Paolo“ verlaufen war. „Sämtliche Lecks sind abgedichtet“, sagte Ben. „Die zerstörten Teile des Schanzkleides haben wir durch neue ersetzt. Das laufende und stehende Gut ist ebenfalls in Ordnung gebracht worden. Jetzt brauchen nur noch die Segel angeschlagen zu werden.“ Sun Lo trat zu ihnen. „Ich habe von dem großen Mann mit dem grauen Bart vernommen, daß ihr im Morgengrauen aufbrechen könnt“, fügte er auf spanisch hinzu. Er meinte Shane, das war klar, Big Old Shane, der trotz seiner Rippenquetschungen tüchtig mit zugriff. Hasard ließ seinen Blick über Deck schweifen und schaute zu den Masten und Rahen hoch. Seine Männer und die Mönche von Formosa — bei Gott, was wäre die Welt ohne solche Menschen gewesen! * Am Morgen — sehr früh, nach dem Abschied von Sun Lo und dessen Schülern verließ die „Isabella VIII.“ die Mündung des Flusses. Eine halbe Meile vor der Küste fiel sie ab und ging platt vor den Westwind. Eigentlich hatte der Seewolf Formosa im Westen passieren wollen. Aber er hätte kreuzen müssen, um das Westufer zu erreichen, und das hätte ihn zuviel Zeit gekostet. Er zog es vor, die große Insel im Nordosten zu runden, wieder anzuluven und auf südlichen Kurs zu gehen. So befand sich die Galeone zwar in Lee der
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Insel, aber der Wind wehte frisch bis handig und trieb sie rasch genug voran. Hasard hatte Ben, Shane, Ferris, Smoky und Old O'Flynn zur Betrachtung des neuen Kartenmaterials im Ruderhaus versammelt. Gary Andrews hatte Pete Ballie auf seinem Posten als Rudergänger abgelöst, von Zeit zu Zeit schaute auch er herüber. Die größte, beste Karte, die der Seewolf von Sun Lo erhalten hatte, wurde mit vereinten Kräften an der Rückwand des Ruderhauses festgepinnt. Hasard nahm sie noch einmal genau in Augenschein und fuhr mit der Fingerkuppe über Linien, Farben und Eintragungen. Die Erläuterungen waren mal in chinesischer Sprache, mal in uraltem, geschraubtem Portugiesisch abgefaßt. Man wurde kaum schlau daraus. „Alt, aber ungemein präzise“, stellte der Seewolf fest. „Ich habe Vergleiche mit meinen anderen Karten angestellt und nur bestätigen können, was Sun Lo mir gesagt hat: Nach dieser Karte können wir uns mindestens bis zu den Philippinen hin einwandfrei bewegen.“ „Woher hat der Mönch sie?“ wollte der alte O'Flynn wissen. „Als er noch in Kanton war, hat sie ihm ein Pilger ausgehändigt“, erwiderte Hasard. „Das ist eine verworrene Geschichte, aus der ich nicht ganz schlau geworden bin. Auf jeden Fall ist diese Karte fast hundert Jahre alt. Wenn ich richtig verstanden habe, soll ein Abgesandter der Republik Venedig sie in Zusammenarbeit mit chinesischen Seefahrern ausgearbeitet haben, aber das ist für uns ja nicht von Bedeutung.“ Carberry sagte: „Wenn wir stur nach Süden laufen, segeln wir genau auf die Philippinen zu, nach, äh - Luzon.“ Er beugte sich vor und beäugte die Karte aus der Nähe. Sir John, der Papagei, wanderte schaukelnden Schrittes von seiner rechten Schulter aus auf seinen Rücken und blieb dort sitzen. „Und da“, meinte der Profos. „Da ist ja auch Manila. Legen wir dort keine - keine Rast ein?“
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Shane und alle anderen im Ruderhaus grinsten, nur der Seewolf blieb ernst. „Ich weiß es noch nicht genau“, antwortete er. „Ich werde es mir überlegen, Ed. Eigentlich wollte ich auf dem schnellsten Weg nach England zurückkehren.“ Carberry richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Sir John verlor den Halt und landete fast auf den Planken. Er fing sich im letzten Augenblick und verließ schimpfend das Häuschen auf dem Quarterdeck. „Sir“, begann Carberry in der Absicht, seinen Worten Gewicht zu verleihen. „Willst du dort der königlichen Lissy die Beute abliefern?“ „Soweit sind wir noch nicht, Ed.“ „Natürlich steht es mir nicht zu, dir in den Kram zu reden“, fuhr der Profos fort. „Aber, äh, bei unserem letzten Besuch sind wir nicht gerade -zuvorkommend behandelt worden.“ Hasard musterte ihn aufmerksam. „Abgesehen von unseren Schätzen und der Königin, Ed, zieht es dich manchmal nicht auch nach Old England zurück?“ „Ich ...“ „Ed“, sagte Old O'Flynn mit süßsaurem Grinsen. „Bald ist Weihnachten. Und beim dicken Plymson gibt's dann fetten Schweinebraten.“ „Ach, hör doch auf“, sagte der Profos brummig. Hasard sah auf die kleinen Inseln, die Luzon im Norden vorgelagert waren, und prägte sich ihre Namen ein. Er überlegte ein wenig, sah dann wieder zu den Männern und sagte: „Eins wissen wir alle genau. Die Jagd ist noch nicht zu Ende. Die Dons scheinen in dieser Gegend ganz wild darauf zu sein, uns zu packen. Vielleicht hängt das mit unserem Überfall auf die Manila-Galeone zusammen. Wie die ‚Isabella' aussieht, scheint sich zumindest in der Umgebung der Philippinen herumgesprochen zu haben. Wir werden immer mehr Feinde im Nacken haben.“ „Mit anderen Worten, sie sitzen uns auf dem Pelz wie die Zecken am Arsch der Kuh“, erklärte Edwin Carberry.
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Gary Andrews hätte fast losgeprustet, aber er besann sich im letzten Augenblick. Ferris Tucker holte tief Luft, dann entgegnete er: „Das hast du fein gesagt, Ed, wirklich.“ „Will ich auch meinen“, brummte der Profos. Hasard verzog keine Miene. „Manila ist eine Hochburg der spanischen Kolonisation. Trotzdem segeln wir den Dons in den Rachen. Ich will in den Indischen Ozean, und der kürzeste Weg führt westlich an den Philippinen vorbei. Eine offene Frage: Hat jemand Einwände?“ Er blickte von Mann zu Mann. Sie schwiegen. Einwände? Nein, die hatten sie nicht, wenn es darum ging, die Spanier zu reizen. Der Seewolf war mal wieder tollkühn genug, keinen Umweg zu wählen. Aber auch seine Achterdecksmänner waren keineswegs bereit, irgendwelche schalen Kompromisse mit dem Feind einzugehen. Und die Männer der Kuhl und des Vordecks waren der gleichen Meinung. Carberry hätte dafür seine Hand ins Feuer gelegt, sofort, auf der Stelle. Er wäre auch bereit gewesen, die Pranke in siedendheißes Wasser zu tauchen, wie's die Mönche von Formosa bei ihren Übungen taten, oder über glühende Kohlen zu laufen, so felsenfest war er vom Zusammenhalt der Crew überzeugt. „Mehr noch“, sagte der Seewolf. „Ich lenke die Verfolger absichtlich auf meine Fährte. Wir müssen sie von Formosa weglocken, damit Sun Lo und seine Glaubensbrüder für einige Zeit Ruhe vor diesen eroberungssüchtigen Kerlen haben.“ „Gute Idee“, sagte Shane. „Du glaubst also, die letzte heile Galeone aus dem portugiesischen Kriegsschiff-Verband trifft vor der Nordküste ein und fischt die Schiffbrüchigen der ,Sao Paolo` auf?“ „Ich rechne fest damit.“ Hasard wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß noch ein sechster Segler zu dem Verband zählte. Hätte er es erfahren, hätte er sich aber auch nicht gewundert. Sechs, sieben, acht Galeonen - je stärker ein
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Verband war, desto mehr Chancen hatte er, auf die Dauer gegen Piraten und Korsaren zu bestehen. Die Zahl derer, die Spanien gern etwas von seinem Reichtum entrissen, wuchs ständig, ganz abgesehen von den unterschiedlichen Motiven, aus denen die Kaperfahrten gegen die Flota unternommen wurden. Hasard trat mit seinen Männern auf das Quarterdeck hinaus. „Etwas anderes'', sagte er. „Donegal ließ es eben anklingen - bald ist Weihnachten. Ich habe Berechnungen angestellt und herausgefunden, daß heute tatsächlich schon Heiligabend ist.“ Carberry strahlte plötzlich, was seinem narbenverwüsteten Gesicht einen bedenklichen Anstrich gab. „Das muß gefeiert werden — oder, Sir?“ „Ja. Der Kutscher soll heute nachmittag Whisky und Rum auffahren -und die Kuchen, die er gebacken hat.“ 5. Am Nachmittag dieses Tages traf die „Santa Luzia“, die Lucio do Velho und Ignazio, den Mann aus Porto, tatsächlich von dem winzigen Eiland aufgenommen hatte, vor der Nordküste von Formosa ein. Lucio do Velho stand auf dem Achterdeck neben dem Kapitän Braga de Sor, als der Ausguck im Vormars die Boote entdeckte. Sein Ruf weckte Alarmstimmung. Vorsichtshalber ließ de Sor klar zum Gefecht rüsten, aber wenig später stellte sich heraus, daß es sich bei den Männern in den beiden großen Booten und der kleineren Jolle um , Landsleute handelte. Damit nicht genug: Von der „Santa Luzia“ aus erkannte man den Kapitän Nuno Goncalves, den ersten und den zweiten Offizier sowie den Bootsmann von der „Sao Paolo“. Sofort ließ der Capitan Braga de Sor alle erforderlichen Manöver für die Übernahme der Schiffbrüchigen durchführen. Die erste Frage, die de Sor seinem Rangkollegen Goncalves stellte, als dieser an Bord stieg, lautete: „Wo ist Ihr Schiff, Senhor?“
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Goncalves zuckte mit den Schultern. Redseliger wurde er, als kurze Zeit darauf ein zweites Schiff an der Stätte der Begegnung erschien - die „Bahia Blanca“, das fünfte Schiff des Verbandes. Die Verspätung, mit der sie auftauchte, war folgendermaßen zu erklären: Kapitän Vincenzo Cunhal hatte zunächst die überlebenden aus dem Gefecht mit der „Isabella“ aufgesammelt, während die „Sao Paolo“ weiter dem Schiff der englischen Korsaren gefolgt war. Zu den Männern, die sich von dem versenkten Flaggschiff „Bartolomeu Diaz“ und der dritten Galeone „Vasco da Gama“ hatten retten können, gehörte auch der Kommandant des Verbandes: Silvan da Odemira. Er hatte sofort den Befehl über die „Bahia Blanca“ übernommen und die Inseln im Norden von Formosa abgesucht, in der Hoffnung, auf die „Sao Fernao“ von Lucio do Velho und die „Santa Luzia“ des Braga de Sor zu treffen. Anschließend war er nach Süden abgelaufen, hatte jedoch zunächst die Westküste von Formosa erreicht. An Bord der „Bahia Blanca“ fand nun eine Versammlung des Kommandanten und der vier Kapitäne statt. „Der Seewolf hat die ,Sao Paolo` entführt“, sagte Nuno Goncalves niedergeschlagen. „Anders kann es nicht sein. Sie ist spurlos verschwunden. Seit dem Morgengrauen suchen wir sie — ohne Erfolg.“ „Unmöglich“, widersprach do Velho sofort. „El Lobo del Mar hat nicht genügend Kerle zur Verfügung, um auch ein zweites Schiff zu bemannen. Außerdem — wenn er eine zweite Galeone gewollt hätte, hätte er schon die ,Sao Fernao` als Prise genommen.“ „Do Velho“, wandte sich der Kommandant an den Mann mit der mimischen Begabung. „Was ist eigentlich mit Ihrem Schiff passiert?“ Do Velho schilderte, was sich in der Bucht der kleinen Insel nördlich von Formosa ereignet hatte. Er schloß mit dem Bericht über Vicentes und Carlos' Meuterei, dann sprach er noch einmal über die „Sao Paolo“: „Ich bin der Ansicht, die
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Engländerhaben sie versenkt. Ich wäre bereit, einiges darum zu verwetten.“ Silvan da Odemira stand eine Weile fassungslos da. „Vier gut armierte Kriegsgaleonen vernichtet — und auf welche Art! Es ist kaum zu glauben. Ich bin — zutiefst erschüttert.“ Die Kapitäne und die Offiziere entgegneten nichts. Sie hatten die Befürchtung, von ihrem Comandante für das ganze Mißgeschick verantwortlich gemacht zu werden. Goncalves beschloß im stillen, die Schuld für die Niederlage in der Nacht auf jeden Fall auf jene Männer der „Sao Paolo“ abzuwälzen, die feige die Flucht ergriffen hatten. Ja, darin lag seine Chance. Der Kommandant war jedoch auf etwas anderes aus. „Wir werden jetzt so vorgehen“, sagte er. „Nehmt eins der Beiboote. Bemannt es. Do Velho, Sie leiten das Unternehmen. Goncalves, Sie führen unsere Leute zu der Stelle, an der die ,Sao Paolo` vor Anker gelegen hat. Taucher sollen sich vergewissern, welche Version nun die richtige ist.“ Eine Stunde später war auch dies geschehen. Beinah triumphierend verkündete do Velho auf der „Bahia Blanca“ das Ergebnis seiner Nachforschungen. Er war selbst mitgetaucht, um Solidarität und Gründlichkeit hervorzukehren — und er hatte die „Sao Paolo“ auf dem Grund des Meeres ruhen sehen. „Wir können sie nicht bergen“, erklärte er. „Nicht so. Wir benötigen mehr Schiffe und Spezialausrüstungen.“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Nein. Ich plane nichts in der Richtung. Wir müssen den Seewolf fassen, das ist vordringlich.“ „Er ist noch auf der Insel“, stieß Goncalves hervor. „Wir müssen landen!“ Vincenzo Cunhal schrie es. „Wir schießen jeden nieder, der sich uns in den Weg stellt“, fügte Braga de Sor erbittert hinzu.
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Ihre Ausrufe rangen Silvan da Odemira nur ein freudloses Lächeln ab. „Nein“, sagte er noch einmal. „Sie irren sich, Senhores. Der Gegner Spaniens und Portugals, des Vereinigten Königreiches, ist fort. Ich ahne, wohin er unterwegs ist. Darum werden wir nicht auf Formosa landen, sondern unsere Fahrt unverzüglich fortsetzen. Ich weiß, ich weiß, das weicht erheblich von unserer ursprünglichen Order ab. Aber ich frage Sie, was ist wichtiger? Formosa zu besetzen und die Mönche zu unterwerfen — oder Killigrews schimpflichem Werk ein Ende zu setzen?“ Do Velho fand, daß der Kommandant Veranlagungen hatte, die ihm eine Karriere als Hofschauspieler gesichert hätten. Ungefähr im gleichen Tonfall und mit derselben gedrechselten Ausdrucksweise antwortete er: „Wir müssen die Spur des Seewolfs wiederfinden, mi comandante. Das Unternehmen Formosa kann zweifellos warten.“ „Richtig, do Velho. Ich weiß, daß Sie zu den fähigsten Männern zählen, die die Armada von morgen vielleicht in einen entscheidenden Kampf gegen England führen. Wohin hat sich der Feind Ihrer Meinung nach gewandt?“ „Nach den Philippinen“, erwiderte do Velho, ohne zu überlegen. „Absurd“, erwiderte Goncalves. „Er müßte ja wahnsinnig sein ...“ „Er tut immer das, was man am wenigsten von ihm erwartet“, sagte Lucio do Velho gelassen. „Ich kann nur raten, an der Ostküste von Formosa entlang zu segeln. Ja, dort stoßen wir wieder auf die ‚Isabella', nicht auf der Westseite. Der Seewolf hat den einfacheren Weg gewählt. Er weiß, daß wir nicht von ihm ablassen.“ „Das ist genau meine Meinung“, pflichtete der Kommandant des Verbandes ihm bei, obwohl er ganz und gar nicht sicher gewesen war welche Richtung er einschlagen solle. „Segel setzen!“ rief er dann. „Wir gehen auf Ostkurs, bis das Nordostkap erreicht ist.“ Lucio do Velho begab sich mit Vincenzo Cunhal zurück auf die „Bahia Blanca“.
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Dort sollte er auf da Odemiras Geheiß hin zunächst bleiben. Do Velho verging nicht vor Haß gegen den Seewolf, er spürte die alte Kaltblütigkeit und Abgefeimtheit in sich zurückkehren. Das Verlangen, sich die Belohnung zu verdienen und auf der Karriereleiter aufzusteigen, stand weit über seinen Rachegefühlen gegen Philip Hasard Killigrew und dessen Crew. Aus Berechnung war er zu einem der grimmigsten Seewolf-Hetzer geworden. Und noch etwas: Er sah sich vor der ehrenvollen Aufgabe, Manila vor dem Seewolf zu warnen und zu schützen. Silvan da Odemira überging er im Geist — er, do Velho, wollte alles daransetzen, möglicherweise vor der „Isabella“ in Manila zu sein und dort wieder eine Falle aufzubauen, eine neue, bessere Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Ob es gelang, stand noch in den Sternen. In einem aber war do Velho völlig überzeugt. Manila war das Ziel des Seewolfs. Er würde nicht daran vorbeisegeln. Niemals. Die Verlockung war zu groß. Ein Raid wie dieser mußte einen Mann von Killigrews Format reizen. Noch am späten Nachmittag dieses Tages gelangten die „Bahia Blanca“ und die „Santa Luzia“ an die Ostküste von Formosa. Von der „Isabella VIII.“ war zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Mastspitze zu sehen, weder an der östlichen noch an der südlichen Kimm. * Die Stimmung an Bord der großen Galeone war grandios. Zwölf Flaschen waren bereits entkorkt und geleert worden, und von den Kuchen, die der Kutscher schon vor Formosa in der Kombüse gebacken hatte, war kein Krümel übriggeblieben. Ja, Arwenack und Sir John hatten sogar ihre liebe Not gehabt, etwas von dem Gebäck zu ergattern. Jeff Bowie hatte inzwischen kein Fieber mehr, seine Wunde an der rechten Schulter verheilte schnell und bot laut Auskunft des Kutschers keinerlei Anlaß zu Bedenken. Al
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Conroys Gehirnerschütterung war schon gar nicht mehr der Rede wert. Stenmark hinkte zwar noch mit seinem verwundeten rechten Bein, er hatte bei dem Gefecht gegen die Portugiesen Splitter abgekriegt. Aber er war im großen und ganzen wieder auf dem Damm. Bei den Ausbesserungen im Schiff hatte auch er tüchtig mitgeholfen. Die Rippen, die er sich geprellt hatte, setzten Big Old Shane noch ein bißchen zu, aber er scherte sich den Teufel darum, bewegte sich, wie es ihm paßte, und trank Rum und Whisky. Luke Morgan wurde immer wieder aufgezogen. Er hatte sich nämlich seines Kopfverbandes entledigt –und darunter glänzte eine wunderschöne Glatze. Der Kutscher hatte ihm zu totalem „Kahlschlag“ verholfen, weil er anders die Kratzer auf Lukes Schädel nicht hätte verarzten können. Luke ließ die Witze, die die Kameraden rissen, geduldig über sich ergehen, auch Carberrys Bemerkung, Will Thorne, der Segelmacher, könne ja versuchen, dem armen Luke ein paar Bündel Garn aufs Haupt zu nähen, damit Ersatz da wäre. Was sollte Luke sonst tun? Er seufzte und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Matt Davies wischte sich die Lippen mit dem Handrücken ab. „Eine satte Weihnachtsfeier ist das. So gemütlich haben wir's schon lange nicht mehr gehabt.“ „Jetzt fehlt uns nur noch ein Fettkloß wie Nathaniel Plymson, einer, den man ordentlich durch die Mangel drehen kann“, sagte Bob Grey grinsend. Er wandte den Kopf und blickte wie zufällig zu Bill, dem Schiffsjungen. Der zog sich vorsichtshalber ein Stück zurück und suchte die Nähe Carberrys. Carberry war ein rauher Geselle, aber Bill pflegte er meistens väterlich-besorgt unter seine schützenden Fittiche zu nehmen, wenn jemand auf den Moses losging. Sam Roskill, nach gut einer Flasche Rum leidlich angeheitert, vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Brauchen wir nicht. Wir amüsieren uns auch so
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prächtig. Ja, wenn uns ein gütiger Geist einen Schwung Weiber an Bord zaubern würde, wäre das was anderes. Ho, dann würden wir hier die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen und ...“ „Es ist Weihnachten“, sagte der Kutscher. „Habt ihr das vergessen?“ „Na und?“ Sam war verblüfft. „Kein Fest zum 'rumhuren“, erklärte Matt Davies. „Das meinst du doch, Kutscher, oder?“ „Mann“, sagte Sam Roskill. „Halt die Luft an und red kein dummes Zeug, Kutscher. Kaplan hättest du werden sollen, Bordapostel, das wäre das richtige für dich gewesen.“ Der Kutscher wollte aufbrausen, was eigentlich sonst nicht in seiner Art lag. Aber der Schnaps hatte auch sein Gemüt angeheizt. Luke Morgan schien unterdessen auch auf die Palme steigen zu wollen, denn er wurde schon wieder von Stenmark und Batuti wegen seiner Glatze durch den Kakao gezogen. Bis jetzt hatte er sich zusammengenommen, aber er konnte seinen Jähzorn nun nicht mehr bremsen. Matt rieb sich die Hände. „Sehr gut, das gibt bestimmt gleich eine Keilerei. Was für eine schöne Feier.“ Old Donegal Daniel O'Flynn, der schon seit einiger Zeit mit seinen Krücken über die Kuhl stakte, blieb vor Matt stehen. „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand, Matt Davies“, sagte er. Seine Miene war mal wieder griesgrämig, was bei ihm durchaus nichts Außergewöhnliches war. „Übermut tut selten gut.“ Matt schaute auf. „He?“ „Ich sage, du sollst es nicht berufen.“ „Wie denn — was denn?“ „Hähne, die tagsüber krähen, holt am Abend der Fuchs.“ Matt grinste. „Es geht doch auf den Abend zu ...“ „Egal. Man soll nie so übermütig sein.“ „Verdirb mir nicht den Spaß am Fest, Mann“, sagte Matt Davies drohend. „Das ist unfair, Donegal. Klopf deine Sprüche woanders, meinetwegen beim Kutscher
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oder beim Moses. Aber laß mich mit deiner Unkerei in Ruhe.“ „Spiel dich nicht so auf, Matt Davies“, fauchte der Alte. „Sonst schnall ich mein Holzbein ab und laß es auf deinem Rücken tanzen.“ Matt, der keiner Rauferei aus dem Weg ging, stand vom Rand der Kuhlgräting auf. „Dann mal los. Knüppel aus dem Sack. Wollen doch mal sehen, wie weit du kommst, Old Hinkebein.“ „Paß auf, wie du sprichst, du einarmiger Hurenbock“, zischte Donegal. Carberry war zur Stelle und hieb dem Alten auf die Schulter, daß es dröhnte. Erstaunlich war, dass O'Flynn trotzdem das Gleichgewicht hielt und nicht einmal zusammenzuckte. „Los, alter Nörgelpott!“ grölte der Profos. „Wir reißen ein Faß auf, daß die ‚Isabella' wackelt.“ Er zog O'Flynn mit sich fort, und die Angelegenheit verlief im Sande. Carberry ging mit dem alten Donegal zum Seewolf aufs Quarterdeck, blieb stehen und sagte: „Sir, es ist besser, wenn wir die Rum- und Whiskyvorräte jetzt unter Verschluß nehmen. Das Ganze artet sonst in ein Besäufnis aus.“ Er selbst war stocknüchtern, obwohl er mindestens eine Viertelgallone Whisky in seinen Rachen gekippt hatte. Er konnte wüste Mengen vertragen. „Gut“, entgegnete der Seewolf. „Der Kutscher und Will Thorne sollen das übernehmen und die noch vollen Flaschen wegschaffen. Ed, du überwachst das Ganze, damit es kein Hickhack gibt.“ Hasard lächelte. Er fand die Angelegenheit amüsant, wußte gleichzeitig aber auch, wie gefährlich sie sich entwickeln konnte. Old O'Flynn atmete auf. „Endlich mal einer, der zur Vernunft kommt. Ich sage ja, bald haben wir nichts mehr zu lachen, ob ihr's nun glauben wollt oder nicht.“ Mit der rechten Krücke wies er nach Nordosten. Hasard und der Profos blickten in die angegebene Richtung und sahen, was sich über dem Horizont zusammenbraute. Schwarze und graue Wolkengebilde schoben sich klumpenförmig ineinander und türmten sich auf.
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„Solange der Wind aus Nordwesten bläst, brauchen wir uns keine grauen Haare wachsen zu lassen“, sagte Carberry. „Wir haben gute Fahrt drauf und segeln dem Wetter mühelos davon.“ „Der Wind springt bald um“, orakelte der Alte. „Hör auf ...“ „Wir kriegen was aufs Haupt. Ich schwöre euch, diesmal packt uns ein Taifun.“ Old Donegal konnte es nun mal nicht lassen. Ed Carberry stieg wieder auf die Kuhl hinunter und kümmerte sich um die „Trockenlegung“ der Crew. Ganz ohne Komplikationen lief das nicht ab. Bob Grey merkte, wie der Kutscher heimlich eine ungeköpfte Flasche Rum wegschaffen wollte. Er protestierte lautstark, und als der Profos drohend anrückte, erklärte er: „Wir brauchen doch noch was, um Lukes Glatze zu begießen. Wie sollen da sonst jemals wieder Haare sprießen?“ Carberry griff hart durch und verschaffte sich wieder den erforderlichen Respekt. Anders ging es nun mal nicht. Dies war eine Meute salzgewässerter Rauhbeine, kein frommer Verein wie Sun Los Klosterschüler. Die Beachcombers hatten sich schon lange nicht mehr richtig ausgetobt, und da war es nicht gerade einfach, sie wieder an die Kandare zu kriegen. Am besten kam Dan O'Flynn bei der Sache weg. Er hockte im Großmars und hatte die ihm zugeteilte, zumutbare Ration Rum noch nicht halb verkonsumiert – obwohl er Arwenack, den Schimpansen, an der Schluckerei teilhaben ließ. Kein Profos erschien, um die beiden um ihren Schnaps zu bringen. Und so tranken sie seelenruhig und ganz gemächlich weiter, während unten auf Deck die Crew bereits lange Gesichter hatte. Dans Vater hatte unterdessen das Ruderhaus aufgesucht und belästigte den Rudergänger Pete Ballie mit seiner Schwarzmalerei. Pete ließ es über sich ergehen. Er gab auf Old Donegals Gerede genauso wenig wie die anderen.
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Nur Hasard stand inzwischen am Schanzkleid des Hecks und spähte nach Nordosten. So ganz aus der Luft gegriffen war O'Flynns düstere Vorausschau nicht. Er wußte sie nur nicht glaubhaft vorzutragen. Die Windrichtung konnte sehr schnell wechseln, gerade hier. Mehrfach waren die Seewölfe vor den Tücken der Chinesischen See gewarnt worden, zuletzt von Sun Lo. Hasard unterschätzte diese gutgemeinten Hinweise nicht, und es tat ihm jetzt, am Spätnachmittag, fast leid, der Mannschaft einen zünftigen Umtrunk gestattet zu haben. In ihrer Euphorie neigten sie eher dazu, alles zu bagatellisieren. Mit einem Wetterumschwung rechneten sie nicht. Dazu war die Ausgelassenheit auf Deck noch viel zu groß. Aber irgendwo hört der Spaß bekanntlich immer auf. Er endete irgendwo zwischen Formosa und den Batan-Inseln, die Luzon im Norden vorgelagert waren. In der Dämmerung schralte der Wind. Er pfiff nun tatsächlich aus Nordosten – und die See wurde kabbelig. Die „Isabella“ begann in der See zu schwanken und zu taumeln, und das Wetter verschlechterte sich von Minute zu Minute. Es wurde zunehmend kälter. Im Einfallen der Dunkelheit heulte ein fast eisiger Wind in den Luvwanten und Pardunen der „Isabella“, ein Sturm, wie er schneidender nicht über den Nordatlantik hätte toben können. Die Galeone wurde geschüttelt, sie tauchte in immer tiefere Wogentäler. Ein schwerer Sturm rollte von Nordosten an und setzte das Schiff gefangen, aber er schien seinen Höhepunkt bei weitem noch nicht erreicht zu haben. Ja, der alte O'Flynn behielt wirklich recht. Die „Isabella“ geriet in einen höllischen, vernichtenden Taifun. 6. Plötzlich war die Crew stocknüchtern. Alle die abfälligen, verächtlichen Kommentare wie „Wir haben schon ganz andere Stürme abgeritten“ blieben den Männern im Hals
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stecken. Denn daß dieses Wetter nicht mit alldem zu vergleichen war, was sie bisher erlebt hatten, wurde ihnen schnell klar. Illusionen schufen sie sich nicht, dazu waren sie zu erfahren. So schnell abklingen, wie es herangerast war, würde dieses Sturmtosen ganz gewiß nicht. Dan O'Flynn auf seinem luftigen Posten hatte sich von der leeren Rumflasche getrennt, und jetzt schickte er sich an, den Großmars zu verlassen. Wild schwang der Hauptmast, Dan hatte Mühe, sich festzuklammern. Er kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen darum, nicht in die See geschleudert zu werden. Arwenack hatte ähnliche Schwierigkeiten. Er enterte klagend in den Leewanten ab. Dan hangelte dicht über ihm. Er war um die Nasenspitze herum bleich geworden. Fast hätte er den richtigen Augenblick, die letzte Chance versäumt, den Großmars zu verlassen. Jedes weitere Zögern hätte ihn den Kopf gekostet, denn im Taifun hielt sich höchstens noch ein Wunderwesen, das mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet war, in dem verdammten Großmars. Aufatmend erreichte Dan die Kuhl. Er half mit, die Manntaue zu spannen. Carberrys Gebrüll klang in diesen Sekunden richtig anheimelnd. Dan war froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Der Rum, der eben noch seinen Geist sanft umnebelt hatte, verflog wie ein Dunsthauch unter der Sonnenglut. Der Seewolf hatte mitgeholfen, Pete Ballie im Ruderhaus festzubinden. Jetzt hangelte er. an den Manntauen übers Quarterdeck. Er stieg zu Dan auf die Kuhl hinunter und rief ihm zu: „Keine Insel in Sicht, nicht wahr, Dan?“ „Keine. Sonst hätte ich es dir gemeldet.“ „Natürlich. Wir müssen uns durchboxen!“ „Ja!“ rief Ben Brighton, der oben an der Five-Rail stand. „Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Himmel, was wird das bloß?“ Keiner gab ihm eine Antwort darauf. Er hatte sie auch nicht erwartet. Der Taifun peitschte sie voran, aber wer wußte schon, wie stark dieses Orgeln und Wüten sich noch entwickelte?
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Hasard hatte seemännische Bücher, in denen ein Taifun als ein „heftiger, in der Chinesischen See vorherrschender Drehsturm“ beschrieben wurde. Das war eine geradezu milde Bezeichnung. „Taifung“, dieses Wort stammte aus dem Chinesischen und bedeutete soviel wie „großer Wind“. Aber auch das war nicht ausreichend, um die Wucht und Ungeheuerlichkeit eines solchen Wetters wiederzugeben. Ein Mann namens Coelius hatte es jüngst in einem schriftlichen Bericht bildhafter ausgedrückt: „Erschröckliche Ungestüme, die man Taifun nennt, die vierundzwanzig ganze Stunden währen.“ Jawohl - sie konnten auf etwas gefaßt sein. Wie viele Minuten waren vergangen, fünf, zehn? Hasard wußte es nicht, und er grübelte auch nicht darüber nach. Taifun und Finsternis bildeten einen grausigen Verbund und fielen wie Monstren über das Schiff und seine Mannschaft her. Die Nacht war nicht mehr der traute Verbündete der Seewölfe, es war, als wäre man einem Verrat anheimgefallen. Hasard hatte die Sturmsegel setzen lassen. Während das Deck unter ihm schlingerte und er Mühe hatte, sich zu halten, blickte er immer wieder zu den Masten auf. Sie knackten und knirschten bedrohlich, und wenn die schweren Brecher gegen die „Isabella“ krachten, tönte es bis in die tiefsten Verbände, als müsse die Galeone jeden Augenblick zerbersten. „Hölle und Teufel!“ brüllte Ferris Tucker. „Gerade haben wir den Kahn so schön instand gesetzt - und jetzt das! Das nächste Mal rühren wir keinen Finger mehr für die Scheißlady, das kommt aufs selbe heraus.“ Keiner lachte darüber. Alle hatten begriffen, welchen Ernst die Lage hatte. Es fiel auch keinem der Männer ein, noch länger über Old Donegal Daniel O'Flynn und dessen Unkerei herzuziehen. Bei der Annäherung an die „Sao Fernao“ hatte der Alte recht gehabt - es war eine Falle gewesen. Diesmal hatte er wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, hatten sie denn wirklich ernsthaft angenommen,
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er gehöre zum alten Eisen und leide unter Verkalkung? „Ben!“ schrie der Seewolf. „Shane, Ferris, Ed!“ „Sir?“ meldete sich der Profos aus der Gischt über der Kuhl. Auch Brighton, Tucker und der ehemalige Schmied von Arwenack-Castle antworte ten. „Wir bringen achtern eine Trosse aus!“ brüllte Hasard gegen das Tosen des Taifuns an. „Alle verfügbaren Männer zu mir!“ Wenig später fierten sie die armdicke Trosse durchs Hennegat ab und befestigten ihre Enden. in einem tiefliegenden Raum des Achterkastells. Die Trosse bildete im Kielwasser der „Isabella“ eine riesige Schleife. Diesen Trick hatte Hasard von seinem Pflegevater John Killigrew gelernt, und er wandte ihn nicht zum erstenmal an. Schon mehrfach hatte die Trosse im Sturm den gewünschten Erfolg gezeitigt und dem Schiff mehr Stabilität und eine ruhigere Lage in den aufgewühlten Fluten verliehen. Nicht im Taifun. Kaum hatten Hasard und seine Helfer die Trosse nach allen Regeln der Kunst um die Balken des Achterkastells belegt, da wurden sie von einer unsichtbaren Kraft gepackt und durcheinander geschleudert. Sie stießen sich die Köpfe, Gliedmaßen und Leiber, sie fluchten, was das Zeug hielt, aber an der Situation vermochten sie auch nichts zu ändern. Noch heftiger hatte der Taifun die große Galeone gepackt. Hasard rappelte sich als erster wieder auf und stürmte nach oben. Er wurde nach rechts gerissen, glitt auf den Stufen eines Niederganges aus und stürzte. Hätte er sich nicht blitzschnell mit den Händen abgestützt, wären ihm mindestens ein paar Beulen und Abschürfungen sicher gewesen. Er erhob sich wieder und taumelte nach oben. Der Weg glich dem Herumirren eines Stockbetrunkenen, eines Fallsüchtigen, der Seewolf konnte sich nicht dagegen wehren. Zu wild schlingerte die „Isabella“. Fast verzweifelt kämpfte er sich bis auf die Kuhl vor. Er hatte Glück,
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gleich eins der Manntaue zu fassen zu kriegen, sonst wäre er von einem eben über Deck rauschenden Brecher zweifellos erfaßt und außenbords gerissen worden. Ein rascher Blick in die Höhe zeigte ihm, daß die Sturmsegel in Fetzen hingen. Bedrohlich bogen sich die Maststengen im Wind. Beten, dachte Hasard, hier nutzt nur noch beten ... Im selben Moment erklang auf dem Quarterdeck ein Schrei. Hasard setzte sich wieder in Bewegung. Er klomm einen glitschigen, steilen Hang hoch und hatte kaum noch ein Empfinden dafür, daß dies das Kuhldeck, dies sein Schiff war. Es brüllte, dröhnte und donnerte, unter ihm schien die „Isabella“ ein diabolisches Eigenleben zu entwickeln, und der Hang verwandelte sich in eine gefährliche, abschüssige Landschaft. Hasard klammerte sich wieder fest, rutschte am Manntau und erreichte mit den Füßen das Backbordschanzkleid. Hier und da sah er die Gestalten von Männern aus Schaum und Gischt auftauchen. „Räumt das Deck!“ schrie er ihnen zu. „Bringt euch in Sicherheit, verdammt noch mal! Es hat alles keinen Zweck mehr!“ Mit verbissener Miene kletterte er den Niedergang zum Quarterdeck hoch. Im nachhinein war ihm später nicht mehr ganz klar, wie er das Ruderhaus erreicht hatte. Mehr kriechend als aufrecht dahinstolpernd gelangte er jedenfalls hin. Nur Pete Ballie konnte den Schrei ausgestoßen haben. Hasard fühlte, wie eine eisige Hand nach seinem Herzen griff. Das Ruderhaus war nur noch ein Trümmerhaufen. Ein besonders starker Brecher mußte es zermalmt haben, oder der elende, verfluchte Drehwind hatte an dieser Stelle solche Macht gehabt, daß er das Ruderhaus glatt zerfetzt hatte. Hasard räumte die Trümmer auseinander, er war wie besessen am Werk, riskierte, von Bord gespült zu werden, und bemerkte nicht, wie jetzt auch Ben, Ferris, Carberry und Smoky eintrafen, um ihm zu helfen. Sie legten Pete Ballie frei. Pete war immer noch festgebunden, das war sein Dilemma. Er lag unter dem
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zerborstenen Ruderrad begraben und stieß die unflätigsten Verwünschungen aus. Hasard zog sein Messer, zerschnitt das Haltetau und half seinem Rudergänger, aus der lebensgefährlichen Falle zu kriechen. „Hast du dir was gebrochen?“ schrie Ben Brighton. „Weiß ich nicht!“ brüllte Pete keuchend zurück. „Das mußt du doch wissen!“ schrie der Profos. „Ich hab mich noch nicht gefragt!“ rief Pete Ballie, und es klang verzweifelt. Dann leuchtete ihm ein, was für einen Witz er losgelassen hatte, und er lachte mit Hasard und den anderen. Ja, sie lachten, im mörderischsten Taifun wollten sie sich plötzlich ausschütten vor Lachen. Es war ein wildes, fast irrsinniges Lachen, das ihre Gefühle freilegte. Die Seewölfe heulten gegen das Orgeln der entfesselten Naturgewalten an, aber sie hatten keine Hoffnung mehr, aus dem Chaos zu entkommen. Sie arbeiteten sich auf Hasards Wink hin zum Niedergang und krochen auf die Kuhl hinunter. Das Quarterdeck war ein gefährlicher Platz, auf dem sie sich auf die Dauer nicht halten konnten. Die Kuhl bot kaum größere Chancen, den Hieben von Sturm und See zu trotzen, aber von dort aus gelangte man durchs Schott ins Achterkastell. Unter Deck lag die letzte Hoffnung. Sie hieß, nicht allein inmitten der Fluten zu ersaufen, sondern mit der „Isabella VIII.“, ihrer guten alten, vertrauten Lady mit dem verzierten Hintern. „Schockschwerenot!“ röhrte Carberrys Organ. „Wenn ich das hier heil überstehe, saufe ich eine Pulle Rum ohne abzusetzen aus.“ „Und im Stehen!“ schrie Ferris Tucker. „Worauf du einen lassen kannst!“ „Wie wär's mit zwei Flaschen?“ rief Ben Brighton mit aller Macht –nur, um die aufsteigende Panik irgendwie zu bekämpfen. „Der Vorrat ist noch groß genug, wir brauchen ihn bloß zu plündern.“
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„Mister Brighton!“ brüllte der Profos. „Das ist undiszipliniertes Verhalten, verstanden? Das ist ja schon fast ein Aufruf zur ...“ Das Wort Meuterei blieb ihm in der Kehle stecken, denn er hatte einen Schwall Wasser in den Mund gekriegt. Prustend stieß er ihn wieder aus. Sie lagen auf Deck und Niedergang, klammerten sich an den Manntauen fest und warteten, bis der Brecher über sie hinweggerast war. Fluchend schoben sie sich weiter, rappelten sich auf und trachteten, das Achterdecksschott zu erreichen. Die „Isabella“ krängte wieder nach Backbord. Ein Ächzen lief durch den Schiffskörper. Hasard registrierte als erster, was sich plötzlich auf der Kuhl abspielte, und er hatte das Gefühl, ein Hagel von Eispickeln ginge auf seinem Rücken nieder. Eine der Culverinen auf der Backbordseite der Kuhl hatte sich halb gelöst. Sie wurde nur noch von der einen Brook gehalten, die ein Zurückrollen über Deck verhindern sollte. Im Vorwärtspoltern wurde sie nicht mehr gebremst. Sie donnerte voran und rammte sich mit ihrem vollen Gewicht in die Stückpforte des Oberdecks, daß der Lukensüll fast herausbrach. Die ganze Zeit über hatte der Seewolf mit etwas Derartigem bereits gerechnet. Er hielt sich mit aller Macht an den Manntauen fest und hangelte auf dem stark abschüssigen Deck auf den 17-Pfünder zu. Er konnte den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen. Wenn die „Isabella“ zur anderen Seite krängte, konnte auch das zweite Brooktau reißen. Dann raste die Culverine wie ein Riesengeschoß quer über die Kuhl und zerschmetterte an Steuerbord das Schanzkleid, und falls in diesem Augenblick ein Mann im Wege stand, mußte es ihn zermalmen. Hasard hatte den schweren 17Pfünder erreicht. Immer noch lag die „Isabella“ auf ihrer Backbordseite, als müsse sie jeden Moment kentern. Hasard arbeitete mit fliegenden Fingern und versuchte, das lose Brooktau wieder zu belegen. Aber das stieß auf unverhoffte Schwierigkeiten. Das Tauwerk war an
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zwei Stellen gebrochen. Es war unmöglich, es durch Knoten wiederherzustellen und sich gleichzeitig am Manntau festzuhalten. Hasard fluchte. Eine Gestalt sauste plötzlich an ihm vorbei - die von Ben Brighton. Es sah so aus, als würde der eigene Schwung den Bootsmann und ersten Offizier über die Oberkante des Schanzkleides befördern. Hasard stieß einen Ruf aus und streckte die Hand aus. Ben stand ohne Halt für zwei, drei Sekunden auf dem überfluteten Schanzkleid. Er ruderte mit den Armen. Ein Tau hatte er sich um die Hüften geschlungen. Zweifellos wollte er dem Seewolf helfen. „Ben!“ brüllte der Seewolf. Ben brachte seinen Oberkörper in Richtung Deck, packte Hasards Hand, zerrte daran und konnte sich neben ihn befördern. Er atmete auf. Sie hingen in den Manntauen, rollten in aller Eile das von Ben mitgebrachte Tau auseinander und schlangen es um die Hinterpartie der Kanone zwischen Bodenstück und Lafette. Noch steckte der 17-Pfünder in der Stückpforte festgeklemmt. Noch! Aber dann krängte die „Isabella“ nach Steuerbord. Als sich das Deck in der Waagerechten befand, begann das Geschütz sich aus dem Süll zu lösen. Hasard sprang auf das Schanzkleid zu, warf sich herum, stemmte sich mit den Füßen fest und packte das Brooktau, das die Rückwärtsbewegung der Culverine aufhalten sollte. Er zerrte daran und verhinderte auf diese Weise, daß die Culverine in Schwung geriet. Sie rollte nur noch ein Stück auf den Hartholzrädern ihrer Lafette in Richtung Kuhlgräting. Dann stand sie. Ben hatte den Augenblick ebenfalls genutzt und das neue Tau an der Deckshalterung belegt. Man hätte das Tauende in den soliden Augbolzen verspleißen sollen, um ganze Arbeit zu leisten, aber dazu war keine Zeit. Ben zurrte das Tau fest, so gut es ging, Hasard unterstützte ihn. Dann mußten sie von der Culverine ablassen und auf das
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Achterdecksschott zustürzen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ein Brecher, der alle bisherigen übertraf, wuchs so gigantisch wie eine Kathedrale neben der „Isabella“ hoch und fuhr auf sie zu. Querzuschlagen drohte das Schiff unter dem niederschmetternden Wasserberg, und doch geschah es nicht. Irgendetwas hielt die „Isabella“ immer noch, vielleicht die achtern ausgebrachte Trosse, vielleicht das, was man eine glückliche Fügung nennt. Stöhnend richtete sie sich wieder auf. Sie glitt auf einen schäumenden Wogenkamm hinauf und raste dann wieder in eine Schlucht hinunter, dem schwarzgähnenden Abgrund der Hölle entgegen. Wie lange stand sie das noch durch? Hasard stellte sich diese Frage nicht. Er wußte, daß es der Beginn der Kapitulation sein würde. Durchhalten, dachte er deshalb, nicht grübeln, durchhalten! Er lag im finsteren Achterdecksgang und hatte das Gefühl, seine Knochen einzeln zusammensuchen zu müssen. Den Niedergang war er hinuntergestürzt, danach hatte ihn die Schiffsbewegung ein beträchtliches Stück schliddern lassen. Ben Brighton — wo steckte er? „Ben?“ schrie der Seewolf. Keine Antwort gellte zurück. Hasard schaute zum Schott auf und sah, daß es offenstand. Ein Wasserschwall gischtete herein. Er zischte auf ihn nieder, konnte ihn aber nicht noch mehr durchweichen. Naß bis auf die Haut war der Seewolf, die Kleider klebten ihm am Leib. Er kroch auf dem Gang entlang. Hin und her warf ihn die Sturmgewalt, aber er hielt nicht an, sondern kletterte die Stufen des Niederganges wieder hoch. Eine furchtbare Ahnung trieb ihn voran. Zweimal rief er Ben Brightons Namen noch. Eine Erwiderung hörte er nicht. Dann kauerte er oben, in dem offenen Schott, und starrte erschüttert in das Inferno auf Deck. Schwarze Fluten, grau durchsetzt, brodelten auf ihn zu und hüllten ihn ein. Er stemmte sich in dem Viereck fest, brüllte noch einmal Bens Namen — und plötzlich, wie aus weiter Ferne, aus einer unbekannten Region, die weit hinter
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dem Wüten des Taifuns lag, schien die Stimme des Bootsmanns zu ertönen. Hasard wußte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er wartete das Abrauschen des Brechers ab, beugte sich dann so weit wie irgend möglich vor — und gewahrte Ben, der sich draußen am offenen Schott festgeklammert hatte. Das Schott schwang hin und her. Ben krachte immer wieder mit der Schulter gegen die Querwand der Hütte, konnte aber nichts weiter tun, als sich an seinem Halt festzukrallen. „Ben, hierher!“ Hasard hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. Dankbar packte der durchnäßte Mann zu. Seine Augen waren geweitet, in seinen Zügen stand deutlich zu lesen, daß er mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Hasard riß ihn vom Schott weg, zerrte ihn zu sich in den Gang, kriegte dann das Schott zu fassen und rammte und riegelte es zu. Im Stockdunkeln polterten sie die Stufen hinunter, taumelten durch den Gang und stießen fast mit den Köpfen zusammen. „Hölle, Mister Brighton!“ rief der Seewolf. „Du scheinst es ja darauf angelegt zu haben, heute nacht auf irgendeine Weise zu krepieren. Was ist dir lieber, außenbords zu gehen oder dir sämtliche Knochen zu brechen?“ „Die Wahl fällt mir schwer!“ schrie Ben zurück. 7. Alles konnte man den Seewölfen nehmen, nur ihren Galgenhumor nicht. Auf der Suche nach den Kameraden hörten Hasard und Ben nicht auf, sich anzustänkern. Gab es denn eine andere Möglichkeit, die immer wieder aufsteigende Verzweiflung zu bezwingen? Im Achterdeck waren die Kameraden nicht zu entdecken, weder in der Kapitänskammer noch in den anderen Kammern. Hasard und Ben mußten in die Frachträume hinunterklettern und unter Lebensgefahr zwischen den unsagbar wertvollen Ladegütern hindurchturnen, die
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im Begriff zu sein schienen, sich zu verselbständigen. Es hatte wenig Sinn, die Schatztruhen, die Barren und kostbaren Einzelstücke zusätzlich festzurren zu wollen. In dieser Situation wäre es eine reine Idiotenarbeit gewesen. Bis ins Vorschiff mußten Hasard und Ben vordringen. Hier, im Mannschaftslogis, stießen sie endlich auf die Männer. Carberry versuchte immer wieder, eine Öllampe in Betrieb zu setzen, aber länger als ein paar Sekunden hielt sich die Flamme nicht. Die Männer waren dicht zusammengerückt. Ein bißchen Wasser war eingedrungen, es plätscherte hin und her, und draußen war das Brüllen der entfesselten See. „Wir befinden uns im Zentrum des Taifuns!“ rief Shane. „Die Spanier nennen es das Zyklonenauge“, erwiderte der Seewolf, während er nach Halt suchte. „Bildet euch bloß nicht ein, daß wir da ungeschoren wieder 'rauskommen.“ „Und das zu Weihnachten!“ brüllte der Profos. „Kutscher, zum Teufel mit deinem Kuchen!“ Der Kutscher war bemüht, nicht von der Koje losgerissen zu werden, an der er sich festhielt, er wäre sonst unweigerlich quer durchs Logis gerollt. „Was kann denn mein Kuchen dafür?“ begehrte er auf. „Er hat den Scheiß-Taifun ausgelöst ...“ „Du hast ja nicht alle!“ „Wer war das?“ brüllte der Profos in die Tintenschwärze des Raumes. „Ich!“ rief der Kutscher. „Nein, das war O'Flynn!“ brüllte Carberry. „Ich hab die Stimme genau erkannt.“ „Laß mich bloß in Ruhe!“ fuhr ihn der alte O'Flynn an. „Ich bin auch so schon sauer genug.“ Carberry wollte entgegnen, daß er nicht den Alten, sondern dessen Sproß gemeint hatte, aber er ließ es bleiben, weil auch er genug damit zu tun hatte, sich Halt zu verschaffen.
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„Donegal!“ schrie Matt Davies. „Spuck bloß nicht so große Töne. Du hast es gerade nötig!“ Ein Grollen sprang gegen die „Isabella“ an, ein Beben schüttelte das Schiff von oben bis unten durch, und Matt schwieg entsetzt. Dann aber, als das scheußliche Zittern wieder aufgehört hatte, fuhr er fort: „Eigentlich habe ich es ja immer gesagt, daß du ein Jonas bist. Einer, der hinter den Horizont schauen kann. Einer, der uns Unglück bringt, nichts als Unglück.“ „Matt Davies, wenn das dein Ernst ist ...” „Mein voller Ernst, was denn sonst?“ „Warte, ich kriege dich zu fassen und schlag dir mit dem Holzbein den verdammten Schädel ein, daß das ganze Stroh 'rauskommt!“ brüllte Old Donegal. „Dazu mußt du mich erst mal gefunden haben!“ rief Matt im Orgeln des Sturmes. Hasard zwang seine Männer nicht zum Schweigen, damit hätte er alles nur noch verschlimmert. Die „Isabella“ trieb ruderund führungslos, mit zerfetzten Segeln und berstenden Masten in der wirbelnden See, und da konnte man nur noch beten, fluchen oder reden, reden, reden, um den Ernst der Stunde zu überspielen. Eine Rauferei, dachte Matt Davies, eine richtig schöne Keilerei, das wäre genau das richtige, bevor wir pünktlich zu Weihnachten mit unsrer liederlichen Lady absaufen... * Das Wetter tobte nicht vierundzwanzig Stunden, wie es der Chronist Coelius über einen anderen Taifun zu berichten gewußt hatte - nein, fast vierzig Stunden dauerte er an, bis zum zweiten Weihnachtstag 1584. Hasards Männer glaubten ernsthaft daran, den langen Sprung über die dunkle Schwelle bereits vollführt zu haben. Sie waren ein ramponierter, zerschundener Haufen geworden, der sogar den Geschmack am Meckern und Höhnen verloren hatte. Nein, diesmal war es ganz und gar ausgeschlossen, dem Leibhaftigen ein Schnippchen zu schlagen. Sie befanden sich in seiner Gewalt.
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Der Seewolf war es dann, der als erster eine gewisse Veränderung feststellte. Immer noch schienen Giganten an dem Schiff zu rütteln, aber das Abschwächen des Heulens und Tosens schien nicht nur in Hasards Einbildung zu existieren. Er wagte es, sich an Oberdeck zu begeben. Nach ungezählten Stunden des Dahindämmerns unter Deck drückte er das Querschott des Vordecks auf und schob sich ins Freie. Sofort peitschte ihm Wasser entgegen, sofort mußte er sich wieder festklammern. Aber er brachte es doch fertig, bis auf die Back zu klettern. Unter den schwersten Bedingungen im Zentrum des Taifuns war dies schier unmöglich gewesen. Jetzt aber konnte er sich halten und nach allen Seiten Ausschau halten. Rundum kochte und brodelte es, als wolle es nie wieder aufhören. Hasard wollte entmutigt wieder zu den Kameraden zurückkehren, da sah er noch einmal voraus - und stieß einen Schrei aus. Blasse Formationen wuchsen aus dem Sturm hervor. Überkommende Seen raubten dem Seewolf die Sicht, aber er harrte aus und stellte schließlich fest, daß er keiner Halluzination erlegen war. Das da - das war wirklich Land! Festland? Wer konnte darauf schon antworten? Jedenfalls drückte der Wind die „Isabella“ genau auf das flache Ufer zu. Noch nie war der Seewolf froh darüber gewesen, in Richtung Legerwall befördert zu werden - jetzt lachte er vor Begeisterung. Wahrscheinlich würde sein Schiff stranden, vielleicht auf ein Riff laufen und sich den Rumpf aufschlitzen, aber was bedeutete das schon? Land, eine Insel vielleicht, das hieß Rettung vor der endgültigen Vernichtung, das war fast zu unglaublich, um wahr zu sein! Tatsächlich lief die „Isabella“ eine Viertelstunde später auf Grund. Aber sie holte sich kein Leck weg, ihr Vorsteven und Kiel hatten sich in sandigen Meeresboden gebohrt. Später, sehr viel später stellte der Seewolf anhand einiger Berechnungen fest, daß sie
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die' Insel Babuyan nördlich von Luzon' erreicht hatten. Ein Wunder schien geschehen zu sein. Die Männer der „Isabella“ bekreuzigten sich immer wieder und dankten dem Himmel für diese Fügung. Sie schämten sich nicht einzugestehen, daß der Taifun eine Nummer zu groß für sie gewesen war beziehungsweise eine halbe Nummer, wie Carberry ziemlich großspurig verkündete. Babuyan - hier leckten die Seewölfe im Abklingen des Taifuns ihre Wunden. Hier begannen sie vor Jahreswende, ihr Schiff wieder flottzumachen und in eine geschützte Bucht zwischen seichten, sandigen Ufern zu verholen. Sie konnten wieder einmal mit dem Instandsetzen der „Isabella“ beginnen. * Die „Bahia Blanca“ hatte den Taifun nicht überstanden. Lucio do Velho hatte von Bord der „Santa Luzia“ aus noch gesehen, wie die Galeone in Seenot geraten war, doch Braga de Sor und er sowie die Mannschaft der „Santa Luzia“ hatten nichts mehr für die andere Besatzung unternehmen können. Sie hatten selbst alle Hände voll zu tun gehabt, um die „Santa Luzia“ im Wetter zu halten. Die „Bahia Blanca“ war verschwunden von der wahnwitzigen, gefräßigen See vertilgt worden. Mit ihr hatte es den Kommandanten Silvan da Odemira, den Kapitän Vincenzo Cunhal, den Kapitän Nuno Goncalves sowie gut vierzig Mann getroffen. Auf der „Santa Luzia“ befanden sich außer Lucio do Velho und Braga de Sor die Stamm-Mannschaft des Schiffes und einige Seeleute und Soldaten, die zu den Überlebenden der „Bartolomeu Diaz“, der „Vasco da Gama“ und der „Sao Paolo“ zählten. Ignazio, der Mann aus Porto, stand treu do Velho zur Seite. Im wildesten Taifun hatte dann ein Brecher den Kapitän Braga de Sor von Bord gespült - und mit ihm ein paar Decksleute. Lucio do Velho hatte das Kommando
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übernommen. Viel Chancen hatte er sich auch nicht mehr ausgerechnet. Doch dann hatte er geradezu sagenhaftes Glück gehabt. Er hatte den Dreimaster „Santa Luzia“ nach Y'ami steuern können, zu einer Insel der Batan-Gruppe. Mit einigen Schäden am Schiff und erschöpften, teils verletzten Männern an Bord war er in eine kleine, geschützt liegende Bucht eingelaufen. So war er glimpflich davongekommen. Als der Taifun in seinen letzten Zügen lag, trat Ignazio ergriffen zu seinem Kapitän aufs Achterdeck und sagte: „Das hätte ich nie gedacht. Wir haben dem Tod ins Antlitz gesehen, aber dank Euch hat er uns nicht gepackt. Mi Capitan, das wird man Euch in Manila hoch anrechnen.“ Do Velho nickte gnädig. „Ja, ich schätze auch, daß man mich zumindest belobigen wird. Ignazio, wir haben wieder ein Schiff. Wir reparieren es und laufen aus, sobald die See es zuläßt.“ „Was mag aus den anderen geworden sein?“ „Von wem sprichst du? Von de Sor und den armen Teufeln, die mit ihm in die Fluten gerissen worden sind?“ „Auch. Und von dem Comandante, der ‚Bahia Blanca' ...“ Do Velho räusperte sich. Er holte zu einer theaterreifen Geste aus, seinem Auftreten mangelte es nicht an der notwendigen Grandezza. „Mein lieber Ignazio, man muß im Leben beweglich sein, sich auf neue Situationen rasch einzustellen wissen. Kannst du mir folgen?“ „Ich glaube, Capitan.“ „Welchen Sinn hat es, wenn wir uns unnötigen Gedanken um die bedauernswerten Verblichenen hingeben? Dadurch retten wir sie nicht mehr.“ „Ihr meint ...“ „Natürlich sind sie alle ertrunken.“' „Seid Ihr da ganz sicher?“ Do Velho hob den Kopf etwas an, sein tadelnder Blick bohrte sich in Ignazios Augen. „Zweifelst du etwa an mir? Dios, das hätte ich nach allen Beteuerungen nicht von dir erwartet.“
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„Verzeiht“, beeilte sich der Mann aus Porto zu sagen. „Selbstverständlich kann keiner von ihnen dem Taifun entgangen sein. Es gibt kein Boot, kein Stück Treibholz, das einem Schiffbrüchigen in so einem Höllensturm hilft.“ „Jetzt denkst du endlich in den richtigen Bahnen“, erwiderte der Kapitän milde. „Vielleicht ernenne ich dich zu meinem ersten Offizier und persönlichen Berater, obwohl dir die nötige Bildung fehlt. Aber ich muß mir das noch genau überlegen.“ Ignazio holte ein paarmal kräftig Luft. Das alles war für ihn zuviel auf einmal. „Mich interessiert jetzt nur noch eins“, fuhr Lucio do Velho fort. „Wie ist es der verfluchten ‚Isabella' ergangen? Hat der Taifun ihr und ihrer Besatzung zugesetzt wie der ,Bahia Blanca' - oder hat sie sich verholen können wie wir?“ „Ich wünsche mir, daß diese Bastarde allesamt kläglich ersoffen sind“, sagte Ignazio pflichtschuldigst. Sein Blick huschte zu do Velho, seine Miene verlangte förmlich nach Beifall. „Das hoffe ich auch. Von ganzem Herzen“, versetzte der Kapitän. „Aber auf Hoffnungen, auf bloße Theorien über das Schicksal der Korsaren dürfen wir uns nicht verlassen.“ „Das heißt - Ihr glaubt, die Hunde sind noch am Leben?“ „Das müssen wir herausfinden.“ „Wie?“ „Wir warten ab, bis es ruhiger wird. Solange bleiben wir hier in der Bucht und bessern unsere Galeone aus. Ich will ein tadellos wiederhergestelltes, seetüchtiges Kriegsschiff unter den Füßen haben, wenn wir die Insel verlassen.“ „Und dann?“ erkundigte sich der Mann aus Porto begriffsstutzig. „Dann suchen wir wieder nach dem Seewolf, du Narr. Nichts kann mich davon abbringen.“ Do Velho ließ seinen Blick über die Kuhl und die Back der „Santa Luzia“ schweifen. Genug Männer hatte er noch, er konnte sich, falls er den Seewolf tatsächlich stellte, auf offener See in ein Gefecht begeben, ohne sich von vornherein unterlegen fühlen zu müssen.
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„Ich stelle den Hund, ich schwöre es dir, Ignazio“, murmelte er. „Am vorteilhaftesten wäre es, ihn in Manila zu erwischen. Dort könnte ich unseren Landsleuten und den Spaniern, die sich soviel auf ihr Können einbilden, eine Demonstration dessen liefern, was ich unter der totalen Vernichtung eines Staatsfeindes verstehe.“ Er wünschte sich ein Publikum herbei, das seinen Worten die richtige Bedeutung beimaß und ihm entsprechend Applaus zollte. Stattdessen war da nur das törichte Schiffsvolk, ein Haufen wilder, zerzauster, völlig heruntergekommener Kerle. Lucio do Velho beschloß, diesen Burschen innerhalb der nächsten Tage den nötigen Respekt und Schliff beizubringen. Er hieß nicht Braga de Sor. De Sor, dieser Versager, lag auf dem Grund des Chinesischen Meeres und war nur noch einem Zweck dienlich. Wahrscheinlich würden sich die Haie an ihm gütlich tun. * Noch vor Jahresbeginn 1585 war die „Isabella VIII.“ soweit ausgebessert und hatte die Crew sich so gut erholt, daß die große Galeone die Bucht von Babuyan verlassen konnte. Bei fast ruhiger See, die nur durch eine leichte Dünung gekräuselt wurde, und mit raumem Wind segelte sie nach Süden. Ein neues Ruderhaus war von Ferris Tucker auf dem Quarterdeck errichtet worden. An der Ruderanlage selbst hatte der findige Schiffszimmermann einige Veränderungen vorgenommen Verbesserungen, die von Hasard begutachtet und als hervorragend befunden worden waren. So etwas erfüllte den Rothaarigen mit Stolz, er hatte daraufhin ein Ruderrad gebastelt, das größer und schöner als das vorherige war. Obwohl Ferris sonst nicht viel für Schnörkelkram übrig hatte, hatte er das Rad mit einigen kunstvollen Intarsien versehen. Einige der Seekarten waren im Taifun verlorengegangen. Hasard war aber froh, die hundert Jahre alte Karte des Sun Lo
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gerettet zu haben. Ein bißchen mitgenommen sah sie zwar aus, aber er hatte sie sorgsam getrocknet und geglättet und heftete sie nun wieder an der Innenwand des Ruderhauses fest. Binnen kurzer Zeit hatte er den neuen Kurs festgelegt. Er trat neben Pete Ballie und sah zu Ben, Ferris, Shane, Smoky, dem Profos und Old O'Flynn hinaus, die ihn vom Quarterdeck aus fragend anblickten. „Wenn der Wind weiter handig bleibt und nicht dreht, erreichen wir Luzon noch heute abend“, erklärte er. „Wie ist das?“ sagte Shane. „Gehen wir dort schön brav und sittsam vor Anker, oder passieren wir die Insel im Westen und laufen nach Süden ab?“ Die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Tja“, meinte Hasard versonnen. „Wie ist das denn, Männer? Traut ihr euch schon wieder was zu, oder kaut ihr noch an den Nachwehen des Taifuns herum?“ Carberry stieß einen Laut aus, der an ein leises Ächzen erinnerte. „Die was? Die Nachwehen? Sir, äh, ich meine, daß wir keine alten Waschweiber sind. Verdammt, wenn's darum geht, den Dons eins aufs Haupt zu hauen, sind wir alle voll dabei.“ Er wandte den Kopf und blickte die anderen prüfend an. „Oder will einer dagegen anstinken? Was, wie?“ „Ed“, sagte Ferris Tucker. „Bis jetzt hat noch keiner davon gesprochen, daß wir Luzon oder gar Manila anlaufen. Bislang war immer nur die Rede davon, daß wir versuchen, so schnell wie möglich in den Indischen Ozean und von dort aus nach England zu gelangen.“ „Ach ...“ „Es sei denn, Hasard hat seine Pläne geändert“, warf Old O'Flynn ein. „Könnte ja sein.“ „Ja, ihr Himmelhunde“, sagte Hasard lachend. „Ihr wißt schon, auf was ich hinauswill. Ich kann an Manila nicht vorbei, ohne den Spaniern und Portugiesen einen guten Tag gewünscht zu haben. Ich finde, das gehört sich einfach.“ Der Profos rieb sich grinsend das Rammkinn. „Irgendwie erinnert mich das
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an Panama. An dem Nest haben wir auch nicht vorbeigekonnt, ohne den Dons, eine eine Höflichkeitsvisite abgestattet zu haben.“ „Gut hast du das ausgedrückt“, sagte Smoky. „Aber du weißt doch auch, daß wir uns in Manila den Hintern versengen können, oder?“ „Kerl, bin ich etwa ein blutiger Anfänger?“ fragte der Profos. „Natürlich müssen wir geschickt vorgehen, wenn wir nicht selbst aufs Kreuz gelegt werden wollen. Aber ich schätze, Hasard findet schon den richtigen Dreh heraus.“ Sir John ließ sich aus den Besanwanten auf Carberry fallen, fing den Sturz mit ausgebreiteten Schwingen ab und landeteauf der ausladenden Profos-Schulter. „Alle Mann an Deck ! Klar bei Kartuschen!“ schrie er. Carberry wischte mit der Hand über die Schulter, aber der karmesinrote Aracanga wich ihm gekonnt aus. „Halt den Rand, du gerupfte Krähe!“ zischte Carberry. „Soweit sind wir noch nicht.“ Die Männer lachten. Während des Taifuns hatte der Papagei eine Heidenangst gehabt. Ausnahmsweise hatte er sogar mit Arwenack Burgfrieden geschlossen und sich in dessen schützenden Pfoten zusammengekuschelt - obwohl der Affe selbst wie Gelee geschlottert hatte. Jetzt aber hatte Sir John wieder mächtig Oberwasser. Die Crew ertrug sein Gezeter und Gefluche, sie war ja froh, daß er und der Schimpanse den Sturm überlebt hatten. „Ed“, sagte der Seewolf. „Du scheinst ja mächtig viel Vertrauen in deinen Kapitän zu setzen.“ Carberry war überrascht. „Also, Sir. Ich will mir auf der Stelle die Hand abhacken lassen, wenn du nicht schon wieder was ausgeheckt hast.“ „Das habe ich“, erwiderte Hasard. „Und Sun Los Karte von den Philippinen hat mir dabei große Hilfe geleistet.“ Sie segelten im Verlauf des Tages an der Insel Calayan vorbei, dann zwischen Dalupiri und Fuga hindurch, während Camiguin weit Backbord achteraus
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zurückblieb. Sämtliche Inseln, die zur Babuyan-Gruppe gehörten, waren auf Sun Los Karte eingezeichnet, auch die winzigsten. Das Kap Bojeador befand sich nur noch etwa zwanzig Meilen entfernt, wie Hasard nach kurzer Berechnung feststellte. Er ließ abfallen, und die „Isabella“ legte sich platt vor den Nordostwind. An diesem Vormittag wärmten Sonnenstrahlen das Oberdeck der großen Galeone. Nur hin und wieder trieben weiße Wolkenfetzen durch das Kobaltblau des Himmels. Man war wegen des herrlichen Wetters versucht, eher an Ostern als an das eben erst vergangene Weihnachtsfest zu denken. Es war - wie die Männer sagten ein Tag „um Jungfrauen zu verführen“. Feindliche Schiffe tauchten vorerst nicht auf. Dan O'Flynn hielt zwar nach allen Himmelsrichtungen Ausschau, konnte jedoch keine Mastspitzen an der Kimm oder in der Nachbarschaft der Inseln erkennen. Gary Andrews war auf Hasards Befehl hin als Ausguck in den Vormars aufgeentert. Ein zusätzlicher Ausguck konnte jetzt, in der unmittelbaren Nähe der Philippinen, nicht schaden. So gut Dans Augen auch waren, vier Augen sahen mehr als zwei. Hasard dachte an die eine Galeone der Portugiesen, die er nach dem Anschlag auf die „Sao Paolo“ immer noch als Verfolger hinter sich vermutet hatte. Was war aus dem Schiff geworden? Und der Kapitän der „Sao Fernao“? War der noch am Leben? Hasard wußte, daß er sich mit drei Männern von Bord des brennenden Schiffes hatte retten können auf das winzige Eiland nördlich von Formosa. Wenn dieser Mann noch lebte, dessen war der Seewolf sicher, würde er alles daransetzen, ihn, Philip Hasard Killigrew, wieder zu hetzen. So, wie Hasard ihn einschätzte, mußte dieser Mann, dessen Namen er nicht wußte, ein beispielloser Fanatiker und Karrierehengst sein. 8.
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Noch vor der Mittagsstunde hatten sie die Nordküste von Luzon erreicht. Wenig später rundeten sie Cabo Bojeador im Nordwesten der großen Insel, und Hasard tastete sich von hier ab praktisch an der Küste entlang nach Süden. Mit der Geographie der Insel war er vertraut, als wäre er früher schon einmal hier gewesen. Diesen Umstand hatte er der ausgezeichneten Karte des Mönches von Formosa zu verdanken. Minuziös gab das Zeichenwerk auch die kleinsten Einzelheiten wieder. Hinzu kamen die Hinweise, die Sun Lo dem Seewolf mündlich mitgeteilt hatte. Sun Lo hatte die Philippinen vor vielen Jahren einmal bereist, als sie noch nicht Felipinas hießen. Viele wertvolle Details hatte er zu schildern gewußt, die Beschaffenheit der Landschaft auf den Inseln, die Wesensart der Menschen, die hier als rechtmäßige Ureinwohner lebten, Dinge, die Hasard in seinem Gedächtnis unauslöschlich festgehalten hatte. Die „Isabella“ war von jetzt an ständig gefechtsbereit. Jede Minute konnten sich spanische oder portugiesische Schiffe zeigen. Ganze Verbände, die aufkreuzten, um den Eindringling zu kontrollieren. Hasard war darauf vorbereitet und gewappnet. Seine Crew natürlich auch. „Vielleicht schießen sie uns die Lady bald wieder kurz und klein“, meinte Matt Davies auf der Kuhl zu Al Conroy. „Es wäre schön, wenn man Segelschiffe aus Eisen statt aus Holz bauen könnte.“ „Aber wie soll so was schwimmen?“ „Das frag ich mich auch, Al.“ Conroy hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Auf die Zeit, in der solche Schiffe erfunden werden, können wir noch lange warten, glaube ich.“ Der Seewolf wahrte die Distanz zur Insel Luzon, aber durch das Spektiv konnte er stets jenen flachen schwarzen Streifen erkennen, der die Küste darstellte. Laoag, eine Siedlung, lag bereits nördlich querab, sie zogen jetzt an Vigan, einem anderen, ziemlich unbedeutenden Ort. vorbei.
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Häfen hatten diese Siedlungen aber allesamt, und deswegen war der Seewolf höllisch auf der Hut. Eine einzige Schaluppe mit nur einem getakelten Mast, aber mit einer zu neugierigen Besatzung konnte ihm und seinen Männern zum Verhängnis werden. Er legte allergrößten Wert darauf, vor Manila nicht entdeckt zu werden. Was dann folgte, stand auf einem anderen Blatt. In Manila änderte sich die Taktik grundlegend. Am Nachmittag war San Fernando erreicht, und die „Isabella“ segelte nun vor dem Nordostwind am Golf von Lingayen vorbei. Der Großteil der Strecke, die sie noch von Manila trennte, war zurückgelegt. Südlich des Golfes erstreckte sich ein Stück recht gerader Küste, das sich nach vierzig, fünfzig Meilen zur Bahia de Manila öffnete. Hasard fragte sich, was er in Manila wohl vorfinden wurde. Kriegsschiffe, das war sicher. Aber wartete dort auch wirklich Beute auf ihn? Auf die Ladungen, die portugiesische Schiffe von Kanton nach Manila schafften, war der Seewolf nicht sonderlich scharf. Seide, Brokat, Elfenbein, Porzellan, Federn, Parfüm, Gewürze wie Ingwer, Nelken und Muskat, Zimt und Pfeffer — was sollte er damit anfangen? Tee hatte er ohnehin schon an Bord. Etwas anderes war es, wenn er Juwelen fand. Oder kostbare Kunstwerke. Auch diese Güter trafen auf portugiesischen Galeonen in der Hauptstadt der Philippinen ein, und sie wurden auf die spanischen Schiffe verfrachtet, die regelmäßig durch die Südsee nach Neu-Spanien, nach Acapulco und Panama segelten. Das berühmteste dieser Schiffe war die Manila-Galeone, die „Nao de China“ gewesen. Hasard hatte sie aufgebracht, aber die Spanier würden natürlich nicht aufhören, ihre Konvois auszurüsten und auf die Reise zu schicken. Und noch etwas. Aus der Neuen Welt kehrten dieselben Schiffe mit anderer Ladung zurück - mit der Bezahlung für die exotischen Waren aus China, Indien und
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Japan. Gold, Silber und Juwelen aus allen Kolonien der Neuen Welt, unermeßliche Reichtümer - darauf war Hasard am meisten erpicht. Nur einen Teil einer solchen Fracht den Spaniern in Manila zu entreißen, das wäre ein Raid, der sich lohnte. Auf die Gefahr hin, die „Isabella VIII.“ hoffnungslos zu überladen und sich den „Achtersteven zu verbrennen“- er wollte es wagen. Südlich von Olongapo stießen die Seewölfe am Abend dieses Tages auf eine langgezogene, fast fjordähnlich ins Land greifende Bucht. Hasard zögerte nicht. Er ließ anluven und in die Bucht steuern. Während die große Galeone sich leise und gespenstisch zwischen zwei grünbewachsene Ufer schob, die sanft zu Hügelkuppen aufstrebten, traf Hasard an Bord alle Vorbereitungen für die Durchführung seines Planes. Als Freiwillige hatten sich am Nachmittag alle Männer gemeldet -nachdem Hasard ihnen auseinandergesetzt hatte, was er vorhatte, waren sie sofort Feuer und Flamme gewesen, und jeder wollte selbstverständlich den abenteuerlichsten Part übernehmen. Hasard hatte dann aber nur sechs Männer ausgewählt. Blacky, Al Conroy, Sam Roskill, Luke Morgan, Dan O'Flynn und Matt Davies traten in ihrer Verkleidung vor den Seewolf hin. Dan hatte sich vorsichtshalber die Haare dunkel gefärbt, obwohl es ja auch blonde Spanier und Portugiesen gab, unter denen man mit einem hellen Schopf nicht unbedingt aufzufallen brauchte. Aber besser war es so. Sechs schwarzhaarige Kerle, die wie echte spanische Zivilisten von der Kategorie der anständigen Bürger gekleidet waren - das war der Landtrupp, der nach Manila vorstoßen sollte. „Ihr wißt, was ihr im einzelnen zu tun habt“, sagte Hasard. „Falls noch jemand Fragen hat — bitte.“ „Keine“, erwiderte Blacky. „Unsere Waffen haben wir so gut versteckt, daß man uns schon ausziehen muß, um sie zu entdecken. Und das kann höchstens
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passieren, wenn uns auf dem Weg nach Manila ein paar knusprige, knackige Senoritas über den Weg laufen.“ „Ihr habt sie zu ignorieren, Blacky.“ „Aye, Sir!“ „Ich bitte mir den nötigen Ernst aus.“ Blacky räusperte sich und fuhr fort: „Wir tun so, als wären wir spanische Siedler, die Einkäufe in Manila tätigen wollen. Falls uns jemand nach unseren Reit- und Packtieren fragt, sagen wir, man hätte uns unterwegs überfallen und uns alles abgenommen. Wir versuchen, auf die leise Tour in Manila einzudringen und arbeiten uns zum Hafen vor.“ Hasard sah zu Luke Morgan. Eigentlich hatte er ihn nicht mit auswählen wollen wegen seiner Glatze. Aber Luke gehörte zu den besten Spanisch-Sprechern der „Isabella“, und das gab den Ausschlag. Auch ein mißtrauischer Gegner würde ihn im Zweifelsfall für einen Landsmann halten. Luke verstand sich vorzüglich darauf, den Dialekt von Katalonien zu imitieren, das machte ihm nicht einmal Ben Brighton nach, der ja schon bei den Dons gefahren war. Luke hatte sich eine Mütze übergestülpt und fast bis zu den Ohren heruntergezogen. Unter dem Rand der Kopfbedeckung lugten schwarze Haare hervor. „Du hast also nach wie vor keine Bedenken, Luke?“ fragte ihn Hasard. „Warum wohl, Sir?“ erwiderte Luke. „Sieht man mir den Kahlschlag etwa noch an?“ „Nein“, stieß jetzt der Profos verdutzt aus. „Sag mal, wie sind dir denn so schnell die Haare nachgewachsen, du Hering?“ „Der Kutscher hat geholfen ...“ „Wie denn? Mit einer seiner Wundersalben?“ rief Carberry. „Oder hat er dir Garn aufgenäht? das wäre doch Will Thornes Arbeit gewesen!“ Luke preßte die Lippen zusammen. Er war jähzornig veranlagt und konnte leicht aus der Haut fahren, aber er wußte auch, daß er es nicht tun durfte. Nicht Carberry gegenüber. Nicht in diesem Moment. Es gab Wichtigeres. Deshalb antwortete er
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mühsam beherrscht: „Die Haare sind am inneren Mützenrand angeklebt.“ „Sind das echte?“ wollte Jeff Bowie wissen. „Mann, woher habt ihr die bloß gekriegt? Wem habt ihr die ausgerissen?“ „Sei still!“ fuhr Sam Roskill ihn an. „Laß Luke in Ruhe.“ Damit war die Sache vorerst erledigt. Der Seewolf ließ alle Segel aufgeien und so Fahrt aus dem Schiff nehmen. Als die „Isabella“ in der Bucht im Wind lag, fierten Bob, Jeff, Stenmark und der Gambia-Mann an Steuerbord ein Beiboot ab. Wenig später enterten der Schwede und Batuti mit Blacky, Al, Sam, Luke, Dan und Matt Davies an einer Jakobsleiter ab, setzten sich in das Boot und pullten zum Ufer. Die an Bord Zurückbleibenden sahen ihnen nach. Ihre Mienen waren ernst, sie wußten, daß sie die Kameraden vielleicht nie wiedersehen würden — wenn etwas schiefging. Insgeheim drückten sie die Daumen, daß das nicht geschah, sondern daß alles zumindest halbwegs glatt verlief. Die sechs waren an Land und stiegen den nächstliegenden Hang hinauf. Ihre Gestalten verschmolzen mit der zunehmenden Dunkelheit. Sie erreichten eine Kuppe, winkten Hasard und den anderen auf der „Isabella“ noch einmal zu, dann waren sie verschwunden. Stenmark und Batuti kehrten mit dem Boot zur Galeone zurück. Jeff drehte sich unterdessen zum Kutscher um und sagte: „'raus mit der Sprache, Kutscher, jetzt kannst du ja auspacken. Woher stammen Lukes neue Haare?“ Der Kutscher druckste eine Weile herum, aber dann rückte er doch damit heraus. „Ich habe eben nur mal kurz Arwenack in die Kombüse geholt und kräftig abgebürstet. Da kam allerhand zusammen.“ Die Männer krümmten sich vor Lachen. Jeff Bowie prustete mit hervorquellenden Augen, hatte aber das Pech, in der Nähe von Carberry zu stehen und ausgerechnet dem ins Gesicht zu prusten. Der Profos wischte sich mit der Hand übers Gesicht. „Bowie, du Wasserspeier,
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reiß dich am Riemen“, herrschte er den Hakenmann an. „Ich brauche deine Spucke nicht. Wenn ich baden will, kann ich das allein besorgen. Los, ihr Heringe, hievt das Beiboot hoch! Was steht ihr 'rum und haltet Maulaffen feil? Wird's bald, ihr Rübenschweine, ihr triefäugigen Wanderratten?“ Er fuhr in seiner Aufzählung zoologischer Beinamen fort, und die Crew begann, sich um das Beiboot zu kümmern. Stenmark und der schwarze Goliath waren auf geentert und halfen jetzt mit, die Jolle hochzuhieven und binnenbords zu schwenken. Vorläufig blieb die „Isabella“ in der langgezogenen Bucht liegen. Hasard ließ seinen sechs Männern an Land die Zeit, die sie benötigten, um sich durch das Hügelland bis nach Manila zu pirschen. Eine Stunde ließ er verstreichen, dann segelte die große Galeone, langsam wieder aus der Bucht. Nur das Großsegel und die Fock wurden gesetzt, dann noch die Blinde, um besser den Kurs halten zu können. Langsam schlich der Todfeind Spaniens vor dem immer noch aus Nordosten wehenden Wind an der Küste von Luzon entlang. * Der Marsch durch das vegetationsreiche Hügelland von Luzon verlief ohne Komplikationen. Aber als die sechs Seewölfe nach etwa einer Stunde eine bewaldete Kuppe erreicht hatten, von der aus sie die Stadt unter sich liegen sahen, mußten sie feststellen, daß es doch eine Schwierigkeit gab. Die einzige bisher, aber sie veranlaßte Matt Davies zu dem Ausspruch: „Hölle, da gibt es eine verdammt harte Nuß für uns zu knacken.“ Sie versammelten sich zwischen den Baumstämmen und betrachteten ausgiebig, was sich dort unten dem Auge darbot. Ein Bild der Harmonie, die zum Verweilen einlud, zweifellos. Beleuchtet lag die Stadt am östlichen Rand der großen Bucht, die Lichttupfer verbanden sich am Ufer zu
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einer Kette, die diesen Teil des Küstenstreifens goldgerahmt erscheinen ließen. Gegenüber, auf einer Landzunge, waren weitere Häuser errichtet worden. Alles in allem schien Manila ein Platz des Frohsinns und großer Betriebsamkeit zu sein. Vor den Hafenanlagen, der Kaimauer und den Piers mit Schaluppen, Pinassen und Booten waren auf der Reede die Silhouetten der großen Segler zu erkennen. Dort waren sie, die Galeonen, auf die der Seewolf es abgesehen hatte, und dort drüben, im Westen, erstreckte sich die Mole, die die Zufahrt der Bahia de Manila zur See hin abschloß. Ein Bollwerk gegen wildwütende Stürme, gegen die Unbill der Natur. Nur gegen die? Befestigungsanlagen umkränzten auch die Stadt. Da war ein hoher Wall errichtet worden, der sich an den vier Ecken zitadellenähnlich hochtürmte. Eine kontinuierlich verlaufende Mauer, eine hermetische Abriegelung - wie sollte ein Ungebetener dort hineingelangen? „Der Teufel soll die Dons holen“, flüsterte Luke Morgan. „Meinst du, Verwünschungen bringen uns irgendwie weiter?“ sagte Dan O'Flynn. „Nein. Aber ich muß mir Luft machen. Was unternehmen wir jetzt?“ Blacky wies nach Nordosten. „Ich kann da etwas erkennen, ganz schwach nur, aber ich glaube, das ist eine Straße, die auf eins der Stadttore zuführt.“ „Gehen wir 'runter?“ fragte Sam Roskill. „Na sicher“, erwiderte Al Conroy. „Ich kann mir schon denken, was Blacky vorhat. Hochklettern können wir an der Stadtmauer nicht, und einfach an ein Tor klopfen und sagen ,Hallo, da sind wir' geht auch nicht.“ „Mit einem Trick könnten wir uns schon einschleichen“, widersprach Luke Morgan. „Es muß uns nur etwas Vernünftiges einfallen.“ „Vielleicht haben die Wachen die Anweisung erhalten, alle Fremden auf Waffen zu durchsuchen“, sagte Dan O'Flynn. „Was dann, du Schlauberger?“
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Da wußte Luke Morgan mit seinem Latein auch nicht weiter. Er wartete darauf, welche Aktion Blacky ihnen vorschlagen würde. Binnen weniger Minuten hatten sie den Hügel verlassen und kauerten sich eine halbe Meile vom Nordosttor der Stadtmauer entfernt in ein Mangrovengebüsch. Blacky hatte sein Ohr auf den Untergrund gepreßt und lauschte. Nach Minuten, die wie kleine Ewigkeiten verstrichen. richtete er sich auf und sagte: „Da kommt was. Augen auf, Waffen 'raus und die Ohren gespitzt. Luke, hör zu, ich erkläre dir, was du zu tun hast.“ Auf dem Kutschbock des von zwei weißen Büffeln gezogenen Zweiradkarrens, der sich kurz darauf dem Versteck der Seewölfe näherte, saßen zwei spanische Soldaten in Helm, Brustpanzer und Kürbishosen. Auf der Ladefläche transportierten sie den letzten Schub Mais, der an diesem Abend von den Feldern nahe der Stadt in die Stallungen der Kommandantur befördert wurde, Mais als Nahrung für Schlachtvieh. Die Soldaten entdeckten die auf dem Weg liegende Gestalt gleichzeitig. Der links sitzende Soldat hielt die Büffel an. Gehorsam verhielten die wuchtigen Tiere den Schritt und blickten stumpfsinnig auf den Mann hinunter, der da reglos auf der Seite ruhte. „Santa Madre de Dios, was ist denn mit dem passiert?“ sagte der rechts auf dem Bock befindliche Soldat. „Ist der betrunken?“ „Sehen wir nach“, entgegnete der erste. „Der Kleidung nach ist es ein feinerer Bürger. Wir könnten Ärger kriegen, wenn wir ihm nicht helfen.“ Er sprach reines Katalonisch. Seine Wiege hatte in Barcelona gestanden. Er kletterte vom Kutschbock, schritt auf den augenscheinlich bewußtlosen Fremden zu und beugte sich über ihn. Er wollte ihn auf den Rücken drehen, um nachzusehen, um wen es sich handele, aber da erwachte der Mann zu ungeahnter Aktivität. Luke Morgan knallte dem Überraschten die Faust unters Kinn.
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Der zweite Soldat fuhr vom Kutschbock hoch und versuchte, seine Pistole zu zücken. Doch auch das wurde vereitelt. Jemand sprang ihn von der Seite an, jemand, der auf den hohen Zweiradkarren zugekrochen war, während der Spanier sein ganzes Augenmerk auf die Szene vor sich auf der Straße gerichtet hatte. Blacky hieß dieser Jemand. Er schlug dem Soldaten etwas auf die Nackenpartie, und zwar mit der Handkante, wie Sun Lo es ihm beigebracht hatte. Sofort kippte der Mann ihm entgegen, ohne auch nur noch einen Laut von sich zu geben. Auf Blackys Wink hin schlüpften Al, Sam. Dan und Matt aus dem Gebüsch hervor. Schnell waren die überwältigten Soldaten hinter die Mangroven geschleppt, gefesselt und geknebelt. Die weißen Büffel standen unterdessen mit gesenkten Häuptern da und forschten auf dem staubigen Weg vergeblich nach Gräsern, die sie abrupfen konnten. Der Karren rollte wieder an, als Luke Morgan in der Uniform des Katalonen auf dem Kutschbock saß und die Peitsche knallen ließ. Blacky, angetan mit der Montur des zweiten Soldaten, hatte sich neben ihn gesetzt. Die anderen vier waren unter die Ladung des Karrens gekrochen. Der Mais verdeckte ihre Gestalten. „Na, so kannst du ja wenigstens auf die Affenhaare verzichten“, sagte Blacky zu Luke. Er warf dem Kameraden einen Seitenblick zu. Unter dem spanischen Helm war von Lukes Glatze wirklich nichts zu ahnen. „Ja“, erwiderte Luke Morgan. „Und wenn wir das Nordosttor vor uns haben und die Wachen uns anquatschen, brauche ich bloß im schönsten Katalonisch zu antworten. Drück die Daumen, daß sie keine Parole von uns verlangen.“ Blacky drückte die Daumen, und zehn Minuten später gelangten sie tatsächlich unerkannt durch das Tor ins Innere der Stadt Manila. 9.
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Nein, Hasard hatte die große Hecklaterne seiner „Isabella“ diesmal nicht löschen lassen. Hoch am Wind glitt das Schiff in die Bucht von Manila, an der Hafenmole vorbei, auf den Lichterglanz der Stadt zu. Munter flackerte die Achterlaterne vor sich hin, ein sichtbares Signal für jeden, der die „Isabella“ zu kontrollieren gedachte. Frech steuerte der Seewolf seinen Feinden in den Rachen, frech und gottesfürchtig. Hasards Blick löste sich von der Mole, die Steuerbord achteraus zurückblieb. „Wenn sich dort Wachen befinden, hätten wir sie alarmiert, indem wir ohne Licht eingelaufen wären“, sagte er zu Ben Brighton. „Aber noch scheint alles ruhig zu sein.“ „Vergiß nicht, daß die ‚Isabella' bekannt geworden ist wie ein bunter Hund“, wandte Ben ein. Hasard grinste. In seinen Zügen spiegelte sich die ganze Tollkühnheit und Kaltblütigkeit, die der Einsatz von ihm verlangte. „Ich denke immer daran, Ben. Ständig. Aber in der Nacht müssen die Dons uns erst mal erkennen.“ Ben starrte den Seewolf plötzlich an. „He, da ist etwas, das wir ganz vergessen haben. Heute ist doch Silvester. Heute nacht geht es hier wahrscheinlich drunter und drüber.“ „Eben“, entgegnete Hasard mit unverändertem Gesichtsausdruck. „Das wird eine tolle Feier, und wir haben die große Ehre, daran teilzunehmen. Auf unsere Art.“ Er schaute voraus. Mit verminderter Fahrt schob sich die große Galeone auf die Reede von Manila. Und da lag sie nun, die festungsartig erbaute Stadt, die 1565 von einem gewissen Lopez de Legaspi gegründet worden war. Eigentlich waren Manila und die Felipinas nach Tordesillas den Portugiesen zugefallen, aber man hatte es mit der Einteilung der Meridiane nicht so genau gehalten, und deswegen hatten die Spanier von jeher die Kolonisation der Inseln betrieben. Das Gepräge allen Schaffens, die Brandmarke, die die Gefolgschaft Philipps II. der Hauptstadt aufgepreßt hatte, schien denn auch typisch spanisch zu sein.
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Ben Brighton hatte die Schiffe auf der Reede gezählt. „Neun Galeonen“, raunte er Hasard zu. „Dicke Brocken. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir drei Kriegsschiffe und sechs Handelssegler vor uns.“ „Das ist das richtige Verhältnis“, antwortete der Seewolf. * Mit der gleichen Verwegenheit, mit der er die Einfahrt der Bucht passiert hatte, wandte sich der Seewolf nun der Reede zu. Natürlich hatte er die spanischen Hoheitszeichen gesetzt, die Flagge der spanischen Galeonen mit einem gekrönten schwarzen Adler und dem Band des Ordens vom Goldenen Vlies. Trotzdem rechnete er damit, daß man ihn identifizieren könnte. Seine Männer standen auf den Gefechtsstationen bereit. In den Kupferbecken, die neben den Geschützen aufgestellt worden waren, glomm das Holzkohlefeuer zum Anzünden der Lunten. Kübel und Pützen mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer standen bereit, und der Kutscher und Bill hatten auf Oberdeck Sand ausgestreut, der den Männern im Gefecht einen festeren Stand auf den Planken sicherte und den .Ausbruch von Feuer verhindern sollte. Das Großsegel wurde als letztes Segel aufgegeit. Allmählich blieb die „Isabella.“ stehen. Hasard hatte nun auch noch die Dreistigkeit, den Buganker werfen zu lassen. „Damit das Ganze echter aussieht“, erklärte er seinen Männern auf dem Achterdeck. Gary Andrews meldete sich vom Vormars aus. Seine Stimme klang gedämpft, war auf Deck aber trotzdem gut zu verstehen. Vorsichtshalber sprach er spanisch. „Eine einmastige Schaluppe ist von einer der Piers losgesegelt“, verkündete er. „Ah“, sagte der Seewolf. „Das ist das Empfangskomitee.“ „Ihr braucht nicht mit den Ohren zu schlackern“, meinte der alte O'Flynn zu den anderen. „Das ist ein gutes Zeichen.
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Sie haben uns immer noch nicht erkannt. Sonst hätten sie uns nämlich einen Schuß vor den Bug gesetzt, jawohl.“ „In Ordnung“, sagte Ferris Tucker leise. „Die Burschen in der Schaluppe wollen von uns wissen, wer wir sind, woher wir kommen, welches unsere Reiseroute und Ladung ist. Na, die werden sich freuen.“ „Ob Blacky und die fünf anderen es wohl geschafft haben?“ fragte Big Old Shane. „Nun, wir haben keine Gelegenheit, es festzustellen. Es ist, sagen wir mal; der einzige Unsicherheitsfaktor in unserem Spielchen.“ „Der einzige?“ Smoky lachte auf. „Na, du bist vielleicht ein Optimist.“ Hasard begab sich auf die Kuhl. „Eine Jakobsleiter an Backbord ausbringen“, sagte er zum Profos. „Benehmt euch anständig, Männer, wir wollen bei diesen Dons einen guten, nachhaltigen Eindruck hinterlassen.“ Carberry grinste wild und sah im schummrigen Licht der Achterlaterne ungefähr so aus, wie man sich den Teufel vorstellt. Er veranlaßte alles Erforderliche, dann packte er Sir John und stopfte ihn sich ins Wams. Der Papagei war nämlich durchaus in der Lage, im unpassendsten Augenblick auf englisch loszuzetern. Die Schaluppe hatte Großsegel und Fock gesetzt und pflügte mit dem Nordostwind direkt auf die „Isabella VIII.“ zu. In einer Schleife, die man nicht anders als elegant nennen konnte, drehte sie bei, ging in den Wind, verlor an Fahrt und ging längsseits der großen Galeone. „Daß die nicht Lunte riechen“, wisperte Jeff Bowie: „Die hohen Masten unserer Lady, die flachen Decks - die müssen uns doch erkennen.“ „Sei still“, zischte Will Thorne zurück. „Vielleicht haben sie ja schon ein paar Gallonen Wein intus, in Vorfreude auf den Jahresbeginn. Wäre das nicht herrlich?“ Hasard beugte sich übers Backbordschanzkleid und wechselte eiskalt und scheinbar völlig gelassen ein paar Worte mit den Männern der Schaluppe. Sie enterten daraufhin auf.
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Eine Delegation, die der Hafenkapitän geschickt hatte - drei Offiziere, vier Soldaten. Zwei Soldaten blieben unten und paßten auf, daß die Schaluppe nicht abtrieb. Sie bereiteten Hasard am meisten Kopfzerbrechen. Aber er bewahrte seine Ruhe und Berechnung. Mit einem feinen Lächeln ließ er die Offiziere und die beiden anderen Soldaten erst einmal über den Rand des Schanzkleides klettern und auf Deck treten. Der Wortführer des kleinen Trupps, offenbar ein Teniente oder sogar noch mehr, blieb stehen und schaute sich verwundert um. „Sand? Holzkohlefeuer?“ sagte er verblüfft. „Por Dios, Senores, haben Sie zum Krieg gerüstet?“ Hasard trat dicht vor ihn hin und nahm zur Kenntnis, daß der gute Mann wirklich eine Weinfahne hatte. Das war es. Manila wiegte sich bereits im Taumel der Silvesterfreuden. Wenn ein Korsar das nicht ausnutzte! „Wir haben Angst, angegriffen zu werden“, entgegnete der Seewolf mit Verschwörermiene. „Mein Name ist Diaz de Veloso, ich bin Kapitän auf diesem Schiff, und Sie können mir glauben, wir haben Entsetzliches hinter uns.“ Diaz de Veloso - so hatte er sich gelegentlich schon drüben, in der Neuen Welt, genannt. Fiel auch dieser Don darauf herein? Hasard schielte zum Schanzkleid hinüber auch die Soldaten befanden sich nun auf Deck. Hasard nickte, zog die Faust von unten herauf und setzte sie dem leicht angeheiterten Teniente rammbockartig unters Kinn. Die anderen „Senores“ von der „Isabella“ waren neben den vier weiteren Dons und fällten sie mit ein paar Hieben, die auch der hohen Schule des Sun Lo entstammten. Kein Warnruf, kein verräterisches Stöhnen oder Poltern war zur Schaluppe hinuntergedrungen. Noch schöpften die beiden Soldaten unten keinerlei Verdacht. Hasard beschloß, das kaltblütig auszunutzen. Er hatte seine Abgeklärtheit immer noch nicht verloren.
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„Bueno!“ rief er im edelsten Kastilisch aus. „Gut, dann entere ich jetzt in die Schaluppe ab, Teniente. Ganz wie Sie wünschen. Selbstverständlich habe ich nichts dagegen einzuwenden, mit Ihnen und Ihren Männern an Land zu gehen und persönlich beim Hafenkapitän vorzusprechen.“ Während er pausenlos weiterredete, glitt er über die Handleiste des Backbordschanzkleides, stieg an den Sprossen der Jakobsleiter abwärts, gelangte in die Schaluppe und wandte sich den etwas verdutzten Soldaten zu. „Meine Freunde“, sagte er in öligem Tonfall. „Treten Sie näher, ich möchte auch Sie begrüßen und Ihnen einen Gruß der Nation überbringen.“ Sie rückten tatsächlich näher. Den einen brachte er mit einem Faustschlag zu Fall, dem anderen hieb er den linken Fuß unter die Kinnlade. Als sie ohnmächtig wurden, ergänzte der Seewolf: „Einen Gruß der englischen Nation natürlich.“ Er blickte sich um. Vom Hafen aus konnte der Zwischenfall unmöglich beobachtet worden sein. Vor der Bordwand und auf der Kuhl der „Isabella“ war es viel zu dunkel, um ein Verfolgen von Land aus zuzulassen. Boote befanden sich auch nicht in der unmittelbaren Nähe - die Luft war rein. Hasard schaute auf und gab seinen grinsenden Männern einen Wink. Sie fingen daraufhin an, den wackeren Teniente, die anderen beiden Offiziere und die Soldaten an der Jakobsleiter hinunterzuschaffen. Sieben Mann stark war die Besatzung der einmastigen Schaluppe gewesen - sieben Mann stark wollte Hasard sie auch erhalten. Er hatte seine Gruppe rasch zusammengesetzt: Ferris Tucker, Ed Carberry, Smoky, Gary Andrews, Jeff Bowie und Bob Grey begleiteten ihn. Neun Mann blieben nun noch an Bord der „Isabella“ zurück. Ben Brighton übernahm das Kommando von Hasard. Ihm zur Seite standen Big Old Shane, Batuti, der Kutscher, Pete Ballie, der alte O'Flynn, Will Thorne, Stenmark und Bill.
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Nicht viel Zeit war verstrichen, und die Schaluppe löste sich wieder von der Bordwand der „Isabella“. Hasard ließ von seinen Männern das Großsegel und die Fock setzen, wählte raumen Kurs und steuerte auf die Halbinsel im Süden zu. Unterwegs waren sie rege damit beschäftigt, den Spaniern die Kleidungsstücke auszuziehen und sich selbst damit auszustaffieren. Nicht alles wollte passen, aber darüber gingen die Seewölfe großzügig hinweg. Unter dem schützenden Dunkel der Nacht fanden sie einen Platz am Ufer der Halbinsel, der recht üppig mit Büschen und Bäumen bewachsen war. Außerdem hatte dieser Ort den unschätzbaren Vorteil, daß sich niemand Ungebetenes an ihm herumtrieb. Rasch hatten Hasard und seine Begleiter die bewußtlosen Spanier an Land geschafft. Ebenso flink hatten sie sie gefesselt und geknebelt. Danach kehrten sie zu der Schaluppe zurück und segelten weiter. Ihr Ziel war die größte, dickste und tiefliegendste aller Handelsgaleonen im Hafen von Manila. * Sie enterten die Galeone unter dem offiziellen Siegel eines Kontrollbesuchs. Die Besatzung der Galeone nahm ihnen dies unbesehen ab, sie hielt die Seewölfe auch dann noch für Abgeordnete des Hafenkapitäns, als sie gemächlich auf die Kuhl kletterten. Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ standen unterdessen an den Geschützen bereit, um jederzeit eingreifen zu können. Ihre Anspannung wuchs fast ins Grenzenlose, sie mußten die größte Selbstkontrolle aufbringen und sich immer wieder beherrschen - was nicht einfach war, weil sie ja nicht wußten, wie es Hasard und den sechs anderen erging. „Santa Elena“ hieß die stolze, prächtige Galeone mit dem erstaunlichen Tiefgang. Hasard schritt auf die Spanier zu, die mit gemischten Gefühlen zu ihm blickten. Nur
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ein Teil der Mannschaft befand sich an Bord, der Rest hatte Landgang, stellte der Seewolf fest. Ein junger, nach allem Dafürhalten noch unerfahrener Offizier der unteren Rangklasse stelzte gewichtig auf Hasard zu. „Wer sind Sie, und was wünschen Sie?“ begann er. „Ich kenne Sie nicht. Was will der Hafenkapitän zu dieser Stunde von uns? Die Formalitäten sind doch erledigt.“ Hasard tat schnell zwei Schritte auf ihn zu und drückte ihm die Mündung seiner doppelläufigen Reiterpistole gegen den Bauch. „Nur eine kleine Aufmerksamkeit verlangen wir“, sagte er leise und drohend. „Das kostet Sie nichts, mein Freund. Es sei denn, Sie wollen heute, am Silvesterabend, den Helden spielen.“ „Ich - nein ...“ „Rufen Sie die Wachen. Alle. Sie sollen herkommen. Wird's bald?“ Der junge Offizier tat, wie ihm befohlen wurde. Er fuhr auf einem Handelsschiff, nicht auf einem Kriegssegler. Sein Schneid war knapp bemessen. Außerdem stand er dem drohenden Tod zum erstenmal auf du und du gegenüber, und das war keine angenehme Sache für ihn. Ferris, Carberry und die anderen traten in Aktion, als die komplette Decksmannschaft versammelt war. Urplötzlich gingen sie auf die Spanier los und streckten sie nieder. Nein, Gewissensbisse hatten sie dabei nicht, denn sie wandten ja immer Schläge und Griffe an, die einem Menschen nur Besinnungslosigkeit, nicht den Tod bescherten. Hasard schickte den jungen Offizier mit einem der bewährten Handkantenschläge ins Reich der Träume. Er gab Smoky durch eine Gebärde zu verstehen, er solle die Ohnmächtigen bewachen, dann schlich er mit Ferris, Ed, Gary, Jeff und Bob durch das Schiff. Kurze Zeit darauf hatten sie den Frachtraum entdeckt, in dem das Gesuchte lagerte. Hasard zündete ganz ungeniert zwei Öllampen an. Sie begutachteten die
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Ladung und öffneten immer neue Kisten, Truhen, Säcke. „Gold- und Silberschmuck, mit Diamanten besetzt“, flüsterte Ferris Tucker. „Reines Gold und Silber in Barren. Mann o Mann, das Zeug kann doch wohl nur aus der Neuen Welt stammen. Vielleicht ist es vorgestern oder erst gestern eingetroffen und wartet darauf, gelöscht zu werden.“ Hasard schloß eine der größten Truhen wieder zu. „Zweifellos haben wir eine zweite Manila-Galeone vor uns. Sie ist aus Acapulco oder aus Panama eingetroffen und bringt die Bezahlung für die Güter, die von hier aus nach Neu-Spanien hinübergeschafft worden sind.“ Carberry rieb sich die schwieligen Pranken. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Fangen wir an?“ „Ja“, sagte Hasard und grinste. Sie mannten die Kisten und Truhen, die ihnen am ertragreichsten erschienen, an Oberdeck und hievten sie von dort aus in die Schaluppe hinab. Nur das Beste vom Besten, nur das Lohnendste nahmen sie sich und pullten es zur „Isabella“ hinüber. Nach ihrer letzten Überfahrt blieb die Besatzung der „Santa Elena“ als jammervoller, gefesselter und geknebelter Haufen in einem der Beiboote des stolzen Dreimasters zurück. Das Boot dümpelte von der „Santa Elena“ fort, irgendwohin, zur Halbinsel hinüber, vielleicht aberwitzigerweise zu den rechtmäßigen Inhabern der Schaluppe hin. Die dickbäuchige Manila-Galeone aber füllte sich allmählich mit Wasser, weil Ferris Tucker sie von innen angebohrt hatte. „Weiter“, sagte der Seewolf. Er hielt die Ruderpinne der Schaluppe und hatte sich bereits die nächste Galeone ausgesucht. Sie trug den frommen Namen „Asuncion“, aber das konnte den Seewolf nicht abschrecken. An Bord der „Asuncion“ wurde schon kräftig gefeiert, und auch hier hatten sie nur einen Teil der eigentlichen Mannschaft vor sich. Prallvoll mußten die Kneipen in der Stadt sein, hoch mußte es in den Hurenhäusern zugehen, denn ein starker, vergnügungssüchtiger Trupp spanischer
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Seeleute und Soldaten bewegte sich da, um auf jeden Fall sturzbetrunken und befriedigt das neue Jahr zu beginnen. Der zweite Überfall lief fast nach dem Muster des ersten ab. In den Frachträumen der Galeone entdeckten die sieben Männer der „Isabella“ diesmal aber kein Gold und Silber, keine Edelsteine — sie stießen auf Gewürze, Seide und Brokat, wie Hasard befürchtet hatte. Allerdings stöberte er schließlich auch noch Kunstgegenstände aus dem Reich der Mitte auf — Statuetten, Ringe, Armreife, mit größter Akribie gemalte Miniaturen und Gemälde auf Reispapier — sowie eine kleine Truhe voller Perlenketten. Auch diese Beute konnten sie in der Schaluppe verstauen. Und Ferris brachte es auch diesmal fertig, den Boden der Galeone anzubohren, damit die „Asuncion“ auf Nimmerwiedersehen auf dem Grund der Reede von Manila verschwand. Die gut verpackte Wachmannschaft schaukelte in ihrem Beiboot davon — und dann, ja, dann gellte ein Schrei über den Hafen. „Ab durch die Mitte“, sagte Hasard. „Jemand hat spitzgekriegt, daß die ,Santa Elena` absäuft.“ Sie enterten in aller Hast in die Schaluppe ab, stießen sich von der Bordwand der „Asuncion“ ab und begannen zu pullen. Sie näherten sich der nächsten Handelsgaleone, und als sie am Bug, der „Asuncion“ vorbei waren, gewahrten sie die Segelpinasse, die sich geradezu bedrohlich nahe auf die „Santa Elena“ zugeschoben hatte. Jemand hatte sich im Bug der Pinasse aufgerichtet, schrie nach der Deckswache, die sich nicht melden konnte, und stimmte einen immer größeren Radau an. „Der Bastard schreit Zeter und Mordio“, stieß Carberry finster hervor. „Ich hätte Lust, ihm den Hals umzudrehen. Wer ist das bloß?“ „Vielleicht gehört die Pinasse auch dem Hafenkapitän“, sagte Gary Andrews grinsend. Carberry fixierte ihn. „Ja, lach du bloß. Aber wir kriegen hier gleich ein
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Feuerwerk, das sich sehen lassen kann. Dagegen ist der ganze Feuerzauber der Zopfmänner reiner Humbug.“ „Übertreib doch nicht so“, sagte Ferris Tucker. Bob Grey hatte sich umgewandt. Der Mann im Bug der Pinasse brüllte Alarm, immer wieder Alarm, und plötzlich war überall hektisches Leben — auf den Kriegsschiffen, auf den Piers, am Kai, in der Stadt. „Ich glaube, der Profos hat recht“, sagte Bob. Er konnte nicht verhindern, daß seine Stimme in diesem Augenblick belegt klang. „Wir dürfen keine Zeit verlieren“, raunte der Seewolf. „Los, zum nächsten Schiff, bevor man uns entdeckt. Nein, die Galeone dort nehmen wir uns nicht vor. Ich will zu dem Kriegsschiff, das gleich dahinter ankert.“ „Verwirrung stiften?“ fragte Carberry. „Und wie ...“ Ferris grinste seinen Kapitän an und zog zwei Flaschen unter der einen Ducht hervor. „Wie gut, daß ich meine Höllenflaschen mitgenommen habe, was, Sir?“ Er hatte kaum ausgesprochen, da fiel der erste Schuß. An der Bordwand der einen Kriegsgaleone — sie lag weiter nach Südwesten versetzt und gar nicht weit von der „Isabella“ entfernt — blitzte es grellrot auf, dann puffte Qualm hoch, und eine Eisenkugel heulte zu Hasards Schiff hinüber. Sie klatschte der „Isabella“ vor den Bug. Dies war die erste und letzte Warnung. Die Spanier hatten die „Isabella“ jetzt identifiziert, alles konzentrierte sich auf die feindliche Galeone mit den hohen Masten, während der Seewolf und seine sechs Gefährten weiter zwischen den spanischen Schiffen dahinpirschten. Der nächste Kanonenschuß krachte, Donner wälzte sich schwer über das Wasser und auf die Mole zu. Von dem spanischen Kriegssegler aus orgelte eine zweite Kugel auf die „Isabella“ zu, und sie ging nur deshalb fehl, weil sie schlecht gezielt war.
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Ben Brighton ließ zurückfeuern. Dumpf wummerten die Culverinen der „Isabella“. Der Tanz war eröffnet. 10. Im Brüllen der Kanonen und dem Schreien der Spanier schob sich die einmastige Schaluppe an dem dritten¬ Handelsfahrer vorbei. Ungehindert erreichte sie den Bug, oben, auf Deck der Galeone, war Betrieb, aber .e Mannschaft blickte nur zur Reede und schenkte der Schaluppe keinerlei Beachtung. Weiter segelte die Schaluppe. Sie lief an der Galeone vorbei, und der Seewolf hatte den Blick frei auf das große Kriegsschiff. Dort traf man Anstalten, die Anker zu lichten und i den Kampf einzugreifen, ehe überhaupt alle richtig wußten, was eigentlich geschah. „Nur ein paar Yards noch“, flüstert der Seewolf. „Wir schaffen es.“ „Schneller“, stieß der Profos immer wieder hervor. „Himmel, geht denn das nicht schneller?“ Nein, schneller lief die Schaluppe r nicht, denn sie lag hart, ganz hart am Nordost. Aber sie glitt doch an der Bordwand des Feindes entlang, bei r die Spanier ihre Gegner auch in dem Fahrzeug des Hafenkapitäns c ten konnten. Ferris Tucker hatte schon immer davon geträumt, seine Höllenflaschen mal in fremde Kanonenläufe 1 fördern zu können. Jetzt erhielt er c Gelegenheit dazu. Die Stückpforten der oberen und unteren Batterie der Kriegsgaleone öffneten sich, die Geschütze rumpelten aus —die Schaluppe befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft schwerer 17-PfünderCulverinen. Ferris arbeitete mit Eifer, Gary, Jeff und Bob assistierten ihm. Da wurden Explosionsflaschen mit langen Lunten gezündet und weitergereicht. Der rothaarige Riese ließ sie sanft in die gähnenden Mündungen gleiten, ohne daß im Schiff jemand ahnte, was gespielt wurde. Dann gab Ferris ein Zeichen.
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Im Weitergleiten der Schaluppe hatte er fast alle Höllenflaschen verteilt. Jetzt ging es darum, schleunigst zu verschwinden. Rasch verlor die Schaluppe den Kontakt mit der Galeone — und nach wie vor schöpfte keiner der Spanier den Verdacht, sie könne etwas mit dem Gegner zu tun haben. Ihr Vorbeilaufen an dem Kriegsschiff schien etwas Zufälliges, nicht Beabsichtigtes zu sein, und jetzt segelte sie, die Schaluppe des Hafenkapitäns, zu der am weitesten nördlich liegenden Pier des Hafens. Wenn sie auch zuvor nie hier gewesen waren, Hasard hatte mit Blacky und dem Landtrupp vereinbart, sich an dem Punkt des Hafens zu treffen, der am weitesten nach Norden versetzt lag. An dieser Pier legten sie nun an und warteten. Es gehörte mehr als Hartgesottenheit dazu. Von der Stadt her näherten sich Soldaten und Zivilisten, ausnahmslos bewaffnete Leute. Die Stadtgarde verschaffte sich Platz und stürmte die Piers, als könne sie von hier aus etwas ausrichten. Jeden Augenblick konnten die Seewölfe entdeckt werden, in Sekundenschnelle konnte ihre Maske fallen und ihr gefährliches Spiel aufgedeckt werden. * Den hochrädrigen Karren hatten sie im Innenhof der Stadtkommandantur stehen lassen, und von hier aus war es für Blacky, Al, Sam, Luke, Dan und Matt keine Schwierigkeit mehr gewesen, zur Hafenfeste zu gelangen. Hier befand sich das Hauptquartier des Hafenkapitäns - ihr Ziel. Hasard hatte ihnen aufgetragen, den biederen Amtsstuben der noch verstaubteren Beamten und Offiziere einen „Höflichkeitsbesuch“ abzustatten. Er versprach sich etwas davon. Blacky und Luke Morgan in der Verkleidung spanischer Soldaten betraten das wuchtige, klotzartig aus großen Quadern errichtete Gebäude, als im Hafen
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der Feuerzauber losging. Sie blieben stehen und sahen sich an. An ihnen vorbei stürmte plötzlich ein Pulk Soldaten. „Alarm!“ schrie jemand, wer, ließ sich nicht mehr feststellen. „Ein Überfall auf den Hafen! Zwei Schiffe sinken!“ „Nichts wie hin!“ rief Luke, der vermeintliche Katalone. Sie ließen die Kompanie an sich vorbei, dann schlüpften sie in das festungsgleiche Haus. Al Conroy und Sam Roskill folgten ihnen auf einen Wink Blackys hin. Dan O'Flynn und Matt Davies standen draußen Wache. Alle sechs hatten sie ihre bislang vorzüglich verborgenen Pistolen gezückt. Jeder führte zwei mit, darunter auch die kostbaren Modelle, die Dan von der „Sao Paolo“ mitgenommen hatte. Blacky, Luke, Al und Sam genossen in den Amtsstuben der Hafenverwaltung nahezu Narrenfreiheit. Jetzt, da die Wache abgerückt war, brachen sie Schränke, Pulte, Truhen und Kästen auf. Leider ohne Erfolg. Blacky lief auf einen Flur hinaus, entdeckte eine Treppe und nahm die Stufen, ohne zu zögern. Das große Zimmer, in das er wenig später im Obergeschoß eindrang, barg mehrere Überraschungen zugleich. Da war einmal der bärtige Mann, der gerade in seine Uniform stieg und fürchterlich fluchte. Seiner Montur nach konnte er nur der Hafenkapitän von Manila sein. Blacky und die hinter ihm hereinstürmenden Luke, Al und Sam verzichteten darauf, sich vorzustellen. Sie hatten viel mehr für die zarten Ladys übrig, die sich gerade kreischend zurückzogen - drei an der Zahl. Sie waren die zweite Überraschung - leicht und offenherzig gekleidete, von der Natur großzügig bediente Mätressen für die Silvesternacht. Die dritte Überraschung war ein Vitrinenschrank, der Schriftrollen barg. Blacky hielt den erstarrenden Kapitän in Schach. Luke warf den davoneilenden Frauenzimmern noch einen entsagungsvollen Blick nach, seufzte ein langgezogenes „Schade“ und trat dann vor den verglasten Schrank. Er wollte auf das
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Schloß feuern, aber Al Conroy bremste ihn. Blacky hob die Pistole und zielte auf die Stirn des Hafenkapitäns. „Den Schlüssel, Caballero“, sagte er. Wenig später untersuchten sie den Inhalt des Vitrinenschrankes und steckten sich die größten und ausführlichsten Karten zu, als die sich ein Teil der sorgsam gehüteten Dokumente entpuppt hatte. Luke Morgan schlug den Capitan nieder, dann ergriffen sie alle vier die Flucht. Unten in der Gasse vor dem Gebäude trafen sie sich mit Dan und Matt, und gemeinsam hetzten sie zum Hafen, um die nördlichste Pier zu suchen. Blacky und Luke konnten sich dank ihrer Kostümierung durch eine Menschenmenge boxen, die den Zugang zum Hafen verstellte. Immer dichter ballte sich die Traube aus Leibern zusammen, selten hatte es in der Silvesternacht in Manila eine derartige Vorstellung gegeben. Auf der Reede duellierten sich die Galeonen, zwei Spanier gegen einen tolldreisten, offenbar wahnsinnigen Eindringling. Der dritte Spanier wollte auch eingreifen, aber er schickte sich kaum zum Auslaufen auf die offene Reede an, da zuckte ein Stakkato von Feuerblitzen von seiner Bordwand auf, mischte sich mit schwarzen Rauchschwaden, mit Gebrüll und wirbelnden Trümmern, Geschützfragmenten, Menschenteilen. Vor dieser Kulisse gelangten Blacky und seine fünf Begleiter an die nördlichste Pier. Sie sahen die Schaluppe liegen und erkannten Hasard und die anderen, aber ein Trupp Soldaten rückte soeben auf die Kameraden los. Blacky reagierte augenblicklich. Er feuerte seine Pistolen ab, duckte sich und gab auch Al, Sam, Luke, Dan und Matt die Möglichkeit, auf die Gegner zu schießen. Im Krachen der Waffen sanken die Spanier auf der hölzernen Pier zusammen. Blacky ließ die fünf Kameraden an sich vorbei und sprang als letzter in die zum Ablegen bereite Schaluppe. Die Stadtgarde rollte ein leichtes Geschütz heran, als sie Distanz zwischen sich und die Pier legten. Nicht schnell genug schob
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der Nordostwind die Seewölfe auf ihre „Isabella“ zu, der Schuß der Garde mußte sie vorher erwischen. Hasard zündete einen der Brandsätze, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte. Es zischte, weißes Feuer verließ die Schaluppe und tanzte wie ein Irrwisch auf den Anleger zu. Mitten in die Menge der Widersacher stob das verheerende Feuer, und die Seewölfe entkamen. * Ben Brighton ließ auf die Spanier feuern und manövrierte die „Isabella“ hin und her, aber er hatte die ganze Zeit über Bedenken, die Kameraden in der Schaluppe zu gefährden. Erst als Hasard und die zwölf unter Ausnutzung der Verwirrung, die die Explosion auf der dritten Kriegsgaleone gesät hatte, glücklich zur „Isabella“ zurückgelangten und hastig an Bord aufenterten, konnte Ben sämtliche Register ziehen. Mit vereinten Kräften heizten die Seewölfe ihrem erklärten Todfeind ein. Der Himmel über Manila färbte sich dunkelrot. Zwei Handelsschiffe sanken, ein Kriegssegler mit hervorragender Armierung brannte lichterloh und ging ebenfalls unter, indem er nach Backbord krängte und flutweise Wasser aufnahm – dann, schließlich, loderte noch eine Kriegsgaleone, weil Shane und Batuti sie mit Brand- und Pulverpfeilen beschossen hatten. An diesem Punkt des Gefechts wandte sich die „Isabella“ der Ausfahrt der Bucht zu. Hasard wollte in die Nacht fliehen, bevor sein in kurzer Zeit zum zweiten Male gründlich repariertes Schiff lädiert wurde. Als sie auf die Mole zurauschten, gab es jedoch eine herbe Überraschung. Von See her näherte sich ein großer Schatten, ein schnittiges, gut bestücktes Schiff, dessen Kapitän sich ihnen tollkühn entgegenwarf und versuchte, ihnen den Fluchtweg zu versperren. Hasard kannte das Schiff nicht, er hatte es nie zuvor gesehen. Und er ahnte auch nicht, wer sich zum Kapitän dieser Dreimast-Galeone ernannt
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hatte — Lucio do Velho. Er war bereit, die „Santa Luzia“ und die komplette Mannschaft samt Ignazio, dem Mann aus Porto, zu opfern, wenn er dadurch nur den verhaßten Gegner zur Strecke bringen konnte — Spaniens Feind Nummer eins. * „Drehbassen!“ schrie Hasard. Smoky und Al Conroy begrüßten den Ankömmling mit zwei gezielten Schüssen. Danach trat Batuti vom Vormars aus in Aktion und sandte Brandpfeile zur „Santa Luzia“ hinüber. Do Velho, dem das Grollen der Kanonen und der Feuerschein über Manila von weitem bereits gezeigt hatten, daß er zu spät erschien, um die Obrigkeiten zu warnen — do Velho ließ abfallen und präsentierte dem Gegner die Backbordbreitseite. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet — der Seewolf hatte die Festung Spaniens auf den Philippinen angegriffen. Eine bodenlose Dreistigkeit, die dem Portugiesen aber selbstverständlich genau recht war. Jetzt konnte er beweisen, welche Fähigkeiten in ihm steckten, wie er einen Korsaren Englands abservieren würde! Aber von der „Isabella“ huschte plötzlich etwas Gleißendes, Flirrendes zu der „Santa Luzia“ herüber. Ein Brandsatz aus den geheimen Werkstätten am Hof des Großen Chan, von dessen Werden und Existenz, Beschaffenheit und Funktion do Velho bisher nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Mitschiffs schlug das Geschoß bei der Galeone „Santa Luzia“ ein, und sofort rasten gefräßige Flammenbündel weiß, grell und heiß über das Oberdeck. Fassungslos begriff do Velho unter dem Schreien seiner Männer, daß er den Seewolf wieder unterschätzt hatte. Der „Isabella“ gelang der Durchbruch, obwohl einige beherzte Portugiesen trotz des himmelan fauchenden Feuers noch an die Geschütze zurückstürzten und sie zündeten.
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Keine Kugel traf die „Isabella.“ Sie verließ die Bahia de Manila endgültig, ging an den Wind und verschwand in südlicher Richtung in der Nacht. * Hasards Schiff konnte alle Verfolger abhängen. Ein langer Törn begann. Er führte die Seewölfe über Palawan, die südwestlichste Philippinen-Insel, bis hinunter nach Borneo, nach Tandjung Datu. Hier mußten Trinkwasser und Proviant an Bord gemannt werden, hier gönnte der Seewolf sich und seinen Männern endlich wieder eine Ruhepause. Verspätet holten sie jetzt, im Januar 1585, die Silvester- und Neujahrsfeier nach, vergaßen Manila und dachten an daheim, unter anderem auch an Plymouth, die „Bloody Mary“ und den speckigen Nathaniel Plymson. In Manila hatte ein zorniger Lucio do Velho den Obrigkeiten berichtet, was sich seit Formosa zugetragen hatte. Er, der geborene Mime, brachte dies alles so überzeugend vor, daß man ihm eine Sondervollmacht aushändigte, die ihn
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fortan als Seewolf-Jäger Nummer eins auswies. Er erhielt ein großes, neues Schiff, eine hervorragend ausgerüstete Galeone. Zum Kommandanten wurde er befördert, und auch Ignazio, der Mann aus Porto, stieg ein paar Sprossen auf der Leiter der Hierarchie auf. Do Velhos Auftrag lautete, den Seewolf weiterhin zu jagen, zu stellen und dem Oberkommando der Armada zu überführen - tot oder lebendig. Do Velho wußte, daß er diese Aufgabe mit Ehrgeiz und Eifer weiterverfolgen würde. Einmal hatte er dem Seewolf bereits eine tödliche Falle gestellt, die dem Mann und seiner Crew fast den Tod gebracht hatte. Vielleicht gelang es beim zweiten Male besser. Philip Hasard Killigrew wußte von dieser Entwicklung nichts, gleichwohl war ihm aber klar, daß er immer mehr Feinde im Nacken sitzen haben würde. Die Dinge spitzten sich zu, der Feind war bis zur Weißglut gereizt - wie auch im fernen Europa der Konflikt zwischen England und Spanien immer rascher seinem explosiven Höhepunkt entgegenstrebte.
ENDE