Nr. 411
Die falschen Scuddamoren Bondergans tödlicher Irrtum von Hans Kneifel
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimen...
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Nr. 411
Die falschen Scuddamoren Bondergans tödlicher Irrtum von Hans Kneifel
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort beginnt für Atlan und seine Gefährtin eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, der Welt der Insektoiden. Gegenwärtig sind Atlan und Thalia mit dem Organschiff SKEILAS vom Planeten Breisterkähl-Fehr entkommen, wo sie in den Händen des Meisterträumers waren. Doch die SKEILAS wird durch einen Fernimpuls vernichtet – und für die beiden Pthorer gibt es nur eine mögliche Rettung: Sie werden DIE FALSCHEN SCUDDAMOREN …
Die falschen Scuddamoren
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer in der Maske von Scuddamoren. Stiezy - Galionsfigur der SKEILAS. Hehl Bondergan - Ein ScuddamorenJäger. Säntho - Leiter eines Stützpunkts der Scuddamoren.
1. Der nächste Schock wartete schon auf die Flüchtenden. Sämtliche Antriebsaggregate arbeiteten mit schmerzhaft lauten Geräuschen. Die Triebwerke liefen im höchsten, gefährlichen Leistungsbereich. In rasender Geschwindigkeit stieß das Organschiff in den rätselhaften Weltraum hinaus. Der Planet Breisterkähl-Fehr wurde kleiner. Die Halbkugel verlor ihren Glanz, verwandelte sich in eine Scheibe, und schließlich verschwand sie als Lichtpunkt im rußigen Panorama des Hintergrunds. Die Sterne der Schwarzen Galaxis erschienen wieder. Atlan und Thalia erkannten abermals schaudernd jene Aura, die bestimmend war für den Namen und die Bedeutung dieser Milchstraße. Nicht nur die beiden Pthorer wurden von der düsteren Ausstrahlung in den Bann geschlagen. Die Galionsfigur Stiezy meldete sich mit eigenartig trauriger Betonung. »Wir sind aus der unmittelbaren Gefährdung entkommen. Aber weder die SKEILAS noch wir sind wirklich gerettet.« Atlan kannte den Kurs noch nicht, auf dem die SKEILAS in die Tiefen des Marantroner-Reviers zu entkommen versuchte. Er schrak zusammen und fragte irritiert: »Werden wir etwa verfolgt? Ich konnte während des Starts keine Scuddamoren-Schiffe entdecken!« Thalia und er waren noch nicht fähig, leidenschaftslos über ihre gräßlichen Traumerlebnisse zu denken. Die Vision, die sie von der Herrschaft des Neffen Chirmor Flog hatten, stellte eine niederdrückende Aussicht für die Völker der Sterneninseln dar. Das Falterwesen mit den dunkelblauen Schwingen sprach weiter: »Nein. Wir werden nicht verfolgt. Aber
ich weiß, daß fast alle Scuddamoren-Raumschiffe eine integrierte Fernvernichtungsanlage haben.« Thalia starrte durch die Kuppel hinaus in die Sterne, als gäbe es dort freundliche Antworten. Sie verstand den Sinn der Nachricht, fuhr herum und rief: »Was bedeutet das für uns?« »Das bedeutet«, antwortete die Galionsfigur mit Nachdruck, »daß vermutlich auch die SKEILAS durch einen Fernimpuls von Breisterkähl-Fehr aus zerstört oder zumindest stark beschädigt werden kann. Es ist zu erwarten, daß die Scuddamoren schnell reagieren.« Von dunklen Ahnungen erfüllt, erkundigte sich Atlan heiser: »Bist du sicher, daß die SKEILAS zu den zerstörbaren Schiffen gehört?« »Nein«, entgegnete Stiezy niedergeschlagen, »ich bin nicht sicher. Die Wahrscheinlichkeit ist gegen uns. Wenn die SKEILAS zerstört werden kann, dann bleibt uns nur noch kurze Zeit.« »Ein größerer Abstand vom Planeten nützt nichts?« fragte Thalia mit geringer Hoffnung. »Nein. Sicher müssen die Scuddamoren noch die Daten unseres Schiffes finden. Eine winzige Chance haben wir noch. Sucht die Bombe oder die Ladung! Die zur Verfügung stehende Zeitspanne verringert sich allerdings von Sekunde zu Sekunde.« Atlans einschlägige Erfahrungen schienen zu erwachen. Er warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die große Plejade und sagte: »Ich habe begriffen. Kannst du uns etwas über die Art der Zerstörung sagen, Stiezy?« Die Galionsfigur war eine lebende Leiche. Sie würde auf jeden Fall sterben. Der Versuch, sie aus dem Schiff zu entfernen, tötete
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Hans Kneifel
sie ebenso wie die ferngezündete Vernichtung des Organschiffs. Stiezys Wissen war nicht ausreichend, um die Zerstörung des Schiffes zu verhindern. Das Falterwesen erklärte: »Ich kann euch nicht viel sagen. Sucht die Bombe! Sie ist irgendwo an Bord versteckt, vermutlich voll integriert, also so eingebaut, daß sie nicht als Vernichtungsanlage zu erkennen ist. Es kann allerdings sein, daß ihr genau während der Suche in Fetzen gerissen werdet.« »Feine Aussichten«, sagte der Arkonide leise und verschluckte einen Fluch. »Jedenfalls werden wir es versuchen.« Er mußte erkennen, daß es so gut wie aussichtslos war, dem Einfluß Chirmor Flogs auf diese Weise zu entkommen. Er nahm Thalia an der Hand und sagte: »Komm! Vielleicht haben wir ausnahmsweise Glück und finden diese verdammte Bombe.« Das Schiff raste ununterbrochen weiter. Sie eilten aus der Kuppel der SKEILAS und fingen sofort an, im ersten Raum zu suchen. Es gab weder einen Hinweis noch eine ehrliche Chance, wenn die Detonationsladung nicht als solche zu erkennen war. Atlan und Thalia rissen Verkleidungen ab, suchten entlang des Verlaufs von Leitungen und versuchten immer wieder ergebnislos, sich in die Denkweise von Scuddamoren hineinzufinden. Sie entdeckten nichts, verließen den Raum und rannten weiter ins Schiff hinein. Je länger und hastiger sie versuchten, ihrem Schicksal zu entkommen, desto mehr wuchsen ihre Verzweiflung und Ratlosigkeit. Jeder Sekundenbruchteil konnte derjenige sein, in dem direkt vor ihnen ein Sprengkörper von unbekannter Größe und Sprengkraft detonierte und sie und das Schiff buchstäblich in Fetzen riß.
2. Bondergans Kammer raste durch die Dunkelheit des Alls. Die Kammer war schwarz oder dunkelgrau und sah aus wie ein winzi-
ger Mond, ein umherirrender Asteroid, nicht anders als ein annähernd kugelförmiger Brocken nutzloser Fels. Bondergans Kammer war in Wirklichkeit ein steinernes Geheimnis. Gleichzeitig handelte es sich bei diesem kosmischen Irrläufer um ein Mittelding zwischen Waffe und Versteck, zwischen Angriffsanlage und Verteidigungseinrichtung. Der Herrscher über die »Kammer« war alt, klug, einsam und von verzehrendem Haß erfüllt. Hehl Bondergan war völlig frei. Es gab für ihn und den lenkbaren Asteroiden keinerlei Beschränkungen. Eine einzige Fessel blieb jedoch unverändert: Der Haß auf die Scuddamoren. »Im Augenblick ist es ruhig. Völlig ereignislos. Wir haben Zeit, uns zu unterhalten, Travvnar.« Der Kleine blies eine Wolke giftgelben Dampfes aus. Gleichzeitig mit dem Ausstoß des Rauches oder Dampfes, der in Form von einzelnen, schnell aufeinanderfolgenden Ringen geschah, ertönten Geräusche, die wie das pfeifende Keuchen einer Dampf-Syrinx klangen. Bondergan nickte. »Richtig!« stimmte er zu. »Wir sollten einmal wieder die Innensysteme der Kammer überprüfen. Ich weiß, daß du mir helfen wirst.« Der Kleine pfiff und gab eine Anzahl blauer Ringe von sich, die ineinander übergingen und immer größer wurden, ehe sie von der starken Klimaanlage davongesaugt wurden. Auf den Bildschirmen des wertvoll eingerichteten Raumes standen nur die Sterne derSchwarzen Galaxis und die Sonnen des Marantroner-Reviers, die in Flugrichtung funkelten. Hehl stieß ein fauchendes Gelächter aus. Sechs dünne Arme, die wie Knochen überzogen mit lackschwarzer Pergamenthaut aussahen, lagen ruhig auf den sechs Lehnen des Sessels. Er war mit einem kostbaren Gobelin gepolstert, den Hehl aus der Kommandantenkabine eines Scuddamoren-Organschiffs erbeutet hatte. Fast alles im Innern des Mondes bestand aus Beutegut. Den
Die falschen Scuddamoren größten Teil hatte der Hämische Karff eingebracht, von dem auch die Bearbeitung des Innern herrührte – Hehl Bondergan hätte ihn selbst in den Armen gehalten und ihm ein feierliches Weltraumbegräbnis ausgerichtet. »Weit entfernt fliegen irgendwelche Scuddamoren-Schiffe«, sagte er und stand auf. Sein Körper erinnerte an einen der nächtlichen Insektenjäger, die es auf einigen Planeten noch gab; der Camagur stellte die langen Ohren auf, entfaltete sie zu großen runden Flächen. Er kontrollierte die Schallsensoren, aber, wie erwartet, zeigten sie nur leeren Weltraum. »Und wir werden früher oder später wieder ein solches Schiff kapern!« versicherte er in Garva-Guva. »Wir haben Zeit. Wir können warten.« Travvnar gab durch posaunende und hohl pfeifende Laute und durch ein neues System grüner Rauchringe seine Zustimmung zu verstehen. Er schwebte davon und verschwand in einen runden Fallschacht, der aus der Hauptzentrale ins Innere des Mondes führte. Von dort kamen immer wieder die orgeltonähnlichen Kadenzen seiner Mitteilungsart als Echo herauf. Der alte Camagur ging zu einem eingebauten Schrank. Er nahm aus den Fächern sechs verschiedene Putzmittel und Reinigungsgeräte. In den langen Pausen zwischen den zufälligen Vergeltungsschlägen gab es nichts Besseres zu tun, als das FelsenRaumschiff auf dem besten Stand der Sauberkeit und der funktionierenden Technik zu halten. Noch niemals hatte jemand die wahre Natur dieses Mondes erkannt. Nicht einmal die Schiffe, die hin und wieder freiwillig anlegten und Gesteinsproben nahmen. Einmal hatte Bondergan ein Scuddamoren-Schiff deshalb erbeuten und alle Insassen töten können, weil sie Probebohrungen niederbrachten. Bondergan fing an, die Zentrale zu säubern und zu überprüfen. Seine übergroßen, stark aufgewölbten Augen konnten nur immer das erfassen, was
5 sich direkt vor ihnen befand. Das Sichtfeld war stark eingeengt. Dadurch bearbeitete Bondergan immer nur eine Stelle, diese aber mit einer geradezu faszinierenden Geschwindigkeit und der absoluten Gründlichkeit eines erfahrenen Raumfahrers, der genau wußte, daß sein Leben vom Funktionieren der Geräte und Instrumente abhing. Die sechs Arme, in Kugelgelenken mehrfach abzuwinkeln, schienen sich in rasende Schlangen zu verwandeln. Auf den Facettenaugen spiegelten sich tausendfach die vielen Lichter der Kontrollanzeigen. Aus der Klimaanlage fauchte ein kühler, sauerstoffreicher Luftstrom; vermutlich hatte Travvnar den Rezeptor des Gartens eingeschaltet. Der Kleine war mehr als nützlich, und in der Einsamkeit des Feldzugs gegen die Scuddamoren war er der beste Gesprächspartner, weil er der einzige war. Ein haßerfülltes Knurren entfuhr dem kurzen Rüsselmund, als der Camagur wieder das Steuerpult erreichte. Die dreidimensionalen Bilder seiner Familie schauten ihn an. Er hatte diese Wiedergabe seit zwanzig Camagur-Jahren. Seit neunzehn Jahren waren sie alle tot, von den Scuddamoren umgebracht. Jone Bondergan, seine Frau mit dem prachtvollen braunen Haarkranz und den vielen schlanken Fingern. Fahn, der Jüngste, mit den kurzen Stelzenbeinen, Claal, der hoffnungsvolle Junge mit den auffallend langen Läuferbeinen. Einige lange, schweigende Minuten starrten die riesigen Augen des Camagurs auf diese Bilder, und wieder flammte die Glut des Hasses auf. »Ich werde sie niemals alle vernichten können. Es sind zuviele«, sagte er heiser und leise. »Aber bis zur letzten Sekunde werde ich nicht ablassen, sie zu suchen, zu verfolgen und zu töten. Und ich bin sicher, daß ich ihr Geheimnis herausfinde.« Bondergan wußte, daß die Herrschaft der Flog-Schergen in dem Moment gebrochen war, an dem es ihm glückte, ihre Identität zu ergründen und dieses Wissen im Marantroner-Revier zu verbreiten. Bisher waren alle
6 gefangenen Scuddamoren während der Untersuchungen gestorben. Hehl arbeitete sorgfältig und in gemessener Geschwindigkeit weiter. Die Zentrale des Mondes war sein Lebensbereich. Hier hatte er die Jahre seit seiner Flucht verbracht, nachdem er durch einen unglaublichen Zufall auf den Asteroiden des Hämischen Karff gestoßen war. Travvnar kam zurück, zog dampfend und trompetend eine Runde um Bondergans Kopf und setzte sich auf die Lehne des schweren Steuersessels aus Mondgestein. »Wie?« fragte Hehl überrascht. »Tatsächlich?« Der Kleine schaltete die Tragschraube aus und hielt nur mit den beweglichen Dampfdüsen das Gleichgewicht. Er wiederholte, etwas langsamer, seine Mitteilung. »Ich verstehe«, sagte Hehl nachdenklich. Auf diesem Planeten war er nicht in Gefangenschaft gewesen. Aber er kannte Gerüchte, die von dieser Welt als dem Zentrum unvorstellbaren geistigen Schreckens sprachen. »Du warst im Archiv.« Travvnar bestätigte mit schrillen Pfiffen und purpurnem Dampf. »Ausgezeichnet«, sagte der Camagur und griff mit einer seiner sechs Hände in die Gürteltasche. Er zog einen winzigen Würfel heraus, ging trippelnd zum Sitz und legte den Würfel auf die Kante. Travvnar summte heran, griff nach dem grauen Würfel und schob ihn in eine Klappe an seinem Körper, die er sorgsam wieder verschloß. Zufrieden gab er einen giftgelben Dampfstrahl von sich. »Wir werden auch weiterhin viel Geduld haben müssen!« sagte Hehl Bondergan schließlich und blickte auf den VorausBildschirm. »Früher oder später werden wir alles wissen. Und dann wird es das ganze Revier erfahren.« Seit dem Augenblick, an dem er erkannt hatte, daß die Gesetze von Chirmor Flog Sklaverei bedeuteten, daß die Scuddamoren dazu da waren, die falschen Gesetze durchzudrücken, seit der Festnahme, der Gefangenschaft, dem Tod der Familie und seiner
Hans Kneifel Flucht wartete er auf den großen Moment. Seine Sicherheit, daß dieser Moment kommen würde, war ungebrochen. Er wußte definitiv, daß er derjenige sein würde, der die Scuddamoren enttarnte. Er hoffte, daß der Name Hehl Bondergan vom Volk der Camagurs das erste leuchtende Freiheitszeichen für das Marantroner-Revier bedeuten würde. Er kratzte eine Stelle zwischen den drei Beinpaaren und straffte die verkrümmten Hautlappen seines Rückens. Er konnte nicht fliegen. Aber seine Gedanken flogen ihm weit voraus, jagten schneller als das Licht durch den Raum und gaukelten ihm Phantasien vor. Antriebslos, aber mit gewaltiger Geschwindigkeit, raste Bondergans Kammer weiter und auf einen fernen Punkt im All zu. Nicht einmal Bondergan konnte sich vorstellen, was ihn an diesem Punkt erwartete.
3. Als etwa neunzig Minuten später Thalia in der Nähe eines Maschinenraums einen Schrank öffnete, fiel eine raumsicher verpackte Kiste krachend direkt vor ihre Füße. Mit schnellen Griffen entfernte Thalia die isolierenden Bänder. »Atlan!« rief sie. Aus ihrer Stimme klang Panik. Es war schon zuviel Zeit vergangen, und noch immer hatten sie absolut nichts gefunden, das der Vorstellung einer Fernimpuls-Bombe entsprach. »Hierher! Ich habe seltsame Fundstücke entdeckt.« Während Atlan in seinem Anzug der Vernichtung heranstürmte, hob Thalia einen etwa handbreiten hellroten Gürtel aus Kunststoffgewebe hoch. Die beiden Enden des Gürtels konnten mit einem kantigen Verschluß aneinandergeheftet werden, und vermutlich nur im Rücken. Atlan rutschte die letzten Schritte auf dem glatten Boden des Korridors und fing sich mit den Händen ab. »Was kann das sein?« fragte er, starrte zuerst Thalia und dann den auffallenden Gürtel an. In der Mitte des Gürtels befand sich eine
Die falschen Scuddamoren große, aus hellblau schimmerndem Metall hergestellte Schnalle oder Verzierung. Die Gürtel wirkten ausgesprochen bedeutungsvoll, auch ihr Gewicht schien darauf hinzudeuten, daß es sich um wichtige Ausrüstungsgegenstände handeln mußte. »Keine Ahnung«, erwiderte Thalia gehetzt. Im selben Moment knisterten die Lautsprecher. Die Galionsfigur sagte: »Ich habe eben eine wichtige Information in den Speichern gefunden.« Atlan rief zurück, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte: »Es kann nur eine neue Hiobsbotschaft sein. Sprich, Freund Stiezy!« Thalia befreite einen zweiten und dann nacheinander ein ganzes Dutzend jener Gürtel aus der luftdichten Verpackung und warf sie nebeneinander in den Korridor. »Falls der Impuls zur Fernzündung in der SKEILAS einschlägt, werde ich ihn wenige Momente zuvor registrieren können. Ich vermag euch also zu warnen!« Atlan brüllte am Rand seiner Beherrschung: »Ich hoffe, diese Warnung kommt niemals. Danke, Stiezy!« »Du brauchst nicht zu danken«, war die Antwort in hoffnungslosem Ton. »Unsere Schicksale sind unverrückbar miteinander verschmolzen. Aber jeder stirbt seinen individuellen Tod.« »Das ist kein Trost«, sagte Atlan. Er wußte, daß ihn für gewisse Zeit das Goldene Vlies schützen würde. Thalia trug den Raumanzug, der noch während des überhasteten Starts der SKEILAS neu ausgerüstet worden war. Der »König von Pthor« bückte sich, hob einen Gürtel auf und legte ihn probeweise um. Mit einem lauten Klicken rastete der Magnetverschluß ein. Atlans Finger berührten die hellblaue, ovale Metallschnalle und suchten nach einem Sensor oder Schalter. Im Zentrum der Schnalle, die einer exotischen Verzierung glich, gab ein winziges Feld nach, ein schrilles Summen ertönte. »Atlan! Du wirst unsichtbar … wie ein
7 Scuddamore!« schrie Thalia auf. Die typische düstere Aura der Schattenwesen, eine undurchdringliche Energieglocke, die nur die verzerrten Umrisse von Atlans Körper ahnen ließ, hatte sich sekundenschnell aufgebaut. Atlans Finger zuckte herunter. Er hatte nur kurzzeitig ein leichtes Flimmern wahrgenommen, als habe er durch ein dickes Glas geblickt. »Das mag eine Chance sein«, sagte er langsam, »die wir irgendwann haben. Es mag zu einem bestimmten Zeitpunkt von Vorteil sein, wenn wir uns als Scuddamoren ausgeben können. Lege einen Gürtel um, Liebste.« Ihr Gesicht über der Halsblende des Raumanzugs wirkte schmal, angespannt und von Furcht entstellt. Schweigend nickte Thalia, legte einen anderen Gürtel um ihre Hüften und hörte das harte Klicken. Aber sie schaltete das Feld des »Schattengürtels« nicht ein. Atlan selbst schüttelte den Kopf, als er merkte, wie der Energieschirm sich wieder ausschaltete. »Es ist ein halb verborgener Lichtzellenschalter«, sagte er leise, nachdem er kurz die Schnalle untersucht hatte. »Einfach zu benutzen.« »Nichts ist einfach!« gab Thalia zurück. Im Augenblick war es völlig unwichtig, ob sie ihre wahre Identität wie jene Scuddamoren hinter dem Schattenschild verstecken konnten. Mit einem Blick verständigten sie sich; es war sinnlos, weiter zu suchen. Sie hatten an Hunderten verschiedener Stellen gesucht und nicht einmal einen Hinweis gefunden. Atlan flüsterte halb zuversichtlich, halb resignierend: »Wir werden auch diese schlimmen Stunden überleben, Thalia.« Er drückte fest ihre Hand und zog Thalia mit sich in die Richtung der Galionsfigur-Kanzel. Sie hatten keine zehn Schritte zurückgelegt, als Stiezys schrille, panische Stimme durch jeden Raum des Organschiffes heulte. »Atlan! Thalia! Soeben ist der Zündim-
8 puls eingetroffen! Ich versuche, euch zu retten! Kommt schnell!« Sie reagierten so schnell wie immer. Sie rannten durch den Hauptkorridor in die Richtung der Zentrale. Als sie durch das Schott in die Kanzel sprangen, sahen sie ein jammervolles Bild der Verzweiflung. »Stiezy! Das kann nichts nützen! Es bereitet dir Schmerzen!« rief Thalia laut aus. »Ich sterbe ohnehin. Und so kann ich euch einige Zeit länger schützen. Verlaßt das Schiff«, sagte das Falterwesen. Atlan steckte die große Plejade in einer reflexhaften Bewegung ein. Stiezys Körper bäumte sich immer wieder auf. Mit allen Gliedmaßen riß das bedauernswerte Geschöpf an den unzähligen Anschlüssen und Verbindungen, die es mit dem Schiff zu einer Einheit verbanden, auf Gedeih und Verderb. Aus den Wunden quoll pulsierend die Körperflüssigkeit. Entsetzt und gebannt sahen Thalia und Atlan zu – selbst der Gedanke daran, helfen zu können, war sinnlos. Thalia nahm den Behälter, in den sie sämtliche Ärgetzos gepackt hatten, in beide Hände. Die Stimme des Falterwesens wurde in demselben Maß leiser, wie seine Lebensfunktionen abnahmen. Wieder empfahl er ihnen: »Ich kürze meine Leiden ab. Ich zerstöre und unterbreche große Blöcke von Schaltkreisen. Schließt eure Anzüge … jeden Moment zerbirst das Schiff!« Mit mechanischen Bewegungen, vollkommen im Bann dieses furchtbaren Geschehens, gehorchten Thalia und Atlan. »Hinaus in den Raum! Die Explosion wird bestimmt jemanden an diese Stelle des Weltraums locken«, schrie mit letzter Kraft das sterbende Falterwesen. Atlan versuchte mit aller Kraft, seiner eigenen Überzeugung zuwiderzuhandeln. Er riß endlich Thalia herum und schob sie durch den Korridor auf die Schleuse zu. Unbewußt spürte er den Schutz dieses verblüffenden goldenen Anzuges, der jetzt wie ein bequemer Raumanzug zu wirken begann.
Hans Kneifel Die Schleusenschotte glitten auf. Die Atemluft, die explosionsartig aus der SKEILAS entwich, wirbelte Thalia und Atlan in den Raum hinaus. Der Logiksektor meldete sich und rief beruhigend: Ihr werdet nicht umkommen! Eure Überlebensreserven sind hoch! Selbst wenn euch die Scuddamoren auffischen, habt ihr eine echte Chance! Die starke Luftströmung und der eigene Impuls schoben Atlan und Thalia langsam von der SKEILAS weg. Das Schiff schwebte als riesiger Schatten neben ihnen; nur aus der Schleuse und der warzenartigen Kanzel drang Licht. Sie sahen undeutlich die schwächer werdenden Bewegungen der Galionsfigur. Der Abstand zum Schiff vergrößerte sich. Atlan hielt unverändert Thalias Hand. Die beiden Körper drehten sich unendlich langsam um mehrere Achsen. Sie wurden eine Spur langsamer als das Organschiff. Atlan versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er umklammerte jetzt den Kasten mit dem unersetzbaren Inhalt. Er schwebte nicht zum erstenmal in seinem langen Leben im freien Weltraum. Für ihn war dieser Umstand kein Schrecken; nur die Tatsache, daß sie beide verdursten und verhungern konnten, beschäftigte ihn jetzt. Dann erschien in der Mitte des Schiffes ein Riß, der sich in unvorstellbar großer Geschwindigkeit verbreiterte. Blendende Lichtflut ergoß sich aus dem größer werdenden Loch; es gab weder Schall noch Druckwelle, obwohl glühende Trümmer nach allen Seiten wirbelten und sich ein greller Lichtball ausbreitete. Das Schiff war nicht völlig zerstört; die Reste des Wracks rasten auf dem eingeschlagenen Kurs weiter, den fernen Sternen entgegen. Nach einer Weile sagte sich Atlan: Stiezy konnte die Vernichtung des Schiffes und sein eigenes Sterben nicht verhindern, aber er hat beides hinausgezögert. Er rettete uns beide. Weit und breit gibt es keinen Planeten und keine Sonne, und wir treiben selbst von Breisterkähl-Fehr weg in un-
Die falschen Scuddamoren bekannte Tiefen des Raumes. Ich sollte eigentlich verzweifelt sein – warum bin ich so merkwürdig ruhig? Eine Schutzfunktion meines Verstandes? Wenn wir unsere Scuddamoren-Schattenschilde einschalten, dann erfolgt eine größere Energieemission. Vielleicht sind wir leichter zu orten und werden von irgend jemandem irgendwann entdeckt. Selbst wenn wir gefangengenommen werden, ist dies eine bessere Alternative als der sichere Tod zwischen den Sternen. Er hob die linke Hand und machte einige Gesten. Thalia begriff. Sie konnten sich innerhalb enger Grenzen verständigen. Dann schaltete der Arkonide durch eine Handbewegung den Schattenschild ein. Thalia nickte schwach hinter dem Visier des Raumanzug-Helmes und aktivierte ebenfalls ihren Schirm. Sie wurden füreinander fast unsichtbar, aber jeder sah den anderen – eben so schwach, wie es das Licht der fernen Sonnen ermöglichte. Sie trieben weiter. Noch immer beschrieben die Sterne langsame Spiralen und Kurven. Irgendwann würde die Eigenbewegung der Körper aufhören. Spätestens dann, dachte Thalia, wenn wir verdurstet und verhungert oder wahnsinnig geworden sind.
* Manchmal verlor er jedes Zeitgefühl. Die Tage und Nächte kämen und gingen in stetiger Kette. Sie wurden nur durch die veränderten Zahlen der Bordchronometer versinnbildlicht. Nur ab und zu schlich sich etwas wie ein trügerischer Tag ein, dann nämlich, wenn Bondergans Kammer sich in einem Sonnenorbit befand oder die Schwerkraft eines Sternes ausnutzte, um ohne großen Energieverlust eine Bahnänderung herbeizuführen. Dann war fast das gesamte Innere des mondgroßen Asteroiden allein von der Lichtflut taghell erleuchtet, die von den vielen Bildschirmen herunterbrandete. Travvnar kam herangeschwebt, surrte dicht vor dem Voraus-Bildschirm vorbei
9 und gab eine Serie falsch klingender Töne im niederfrequenten Bereich von sich, verbunden mit einer Trombe von schwarzen Rauchringen. »Du bist verrückt, Traaunar«, sagte Hehl Bondergan. Er sprach den Namen des Geschöpfes korrekt aus; das doppelte V entsprach einem au wie in Ducvver, der irgendwann im Lauf der vielen Jahren spurlos verschwunden war, der Zwilling von Travvnar oder Traaunar. Der Kleine protestierte mit Trompetenstößen und weißem Dampf. »Das müßte ich gemerkt haben. Und wenn nicht ich, dann die Geräte«, sagte Hehl laut. »Die ›Kammer‹ ist nämlich eine hochspezialisierte kosmische Station. Speziell darauf eingerichtet, Scuddamoren aufzuspüren, gefangenzusetzen, zu verhören und zu beseitigen.« Hehl hatte aus den Speichern neue, wallende und farbenprächtige Gewänder hervorgeholt. Die Kleidungsstücke, die er vor einigen Schiffstagen oder Asteroidentagen weggeworfen hatte, trug er, falls er sich richtig entsann, schon seit einigen Jahren, und so hatten sie auch ausgesehen. »In Ordnung«, ging er auf die Vorhaltungen des Kleinen ein, »untersuchen wir den Fall. Aber ich sage dir schon jetzt, daß dich deine mechanische Ahnung trügt.« Sein Haß suchte ein Ziel und ein Ventil. Zu lange Zeit war vergangen, seit er sich mit den verhaßten Mördern seiner Familie zum letzten Mal auseinandergesetzt hatte. Inzwischen ahnte er, daß sie ihn suchten. Seine Spur war mitunter zu breit und zu auffallend gewesen. Aber selbst wenn ihn die verdammten Scuddies suchten, würde er es schnell merken: Die Geräte, die er aufgrund seiner Untersuchungen selbst entwickelt hatte, waren meisterliche Werke angewandter Technik der Camagurs. »Nein? Deine Ahnung trügt nicht? Also …« Der Camagur schaltete mit seinen drei Armpaaren in einer rasenden Geschwindigkeit. Voraussetzung allerdings war, daß er den Blick seiner richtungsgebundenen Au-
10 gen geradeaus stellen konnte. In der Zentrale wurde es still. Es roch noch ein bißchen nach dem selbstgekochten Essen. Die Detektoren wurden eingeschaltet, ihre Leistung steigerte sich in stetem Fluß. Strahlen griffen geradeaus und in einem weiter werdenden Kegel nach allen Seiten. Langsam drehte und schwenkte ein Rechner die Suchantennen, die als winzige Augen zwischen den Felsen des Asteroiden hervorschauten. Ein scharfer Pfeifton war zu hören. Gleichzeitig begann auf einem dunklen Ortungsschirm ein Echo heftig zu blinken. Der Camagur unterbrach seine Selbstgespräche und beugte sich vor. Aufgeregt rollten sich die stielförmigen Ohren auseinander und bildeten große Reflektorflächen. »Scuddamoren. Wenigstens einer!« stieß er hervor. Dort draußen, schräg vor dem Zielpunkt des geraden Kurses, befand sich ohne jeden Zweifel ein eingeschalteter Schattenschild. Hastig überprüfte Hehl viermal mit verschiedenen Systemen und Empfindlichkeiten die Wahrnehmung. Alle Ortungsergebnisse sagten übereinstimmend, daß fast unbeweglich in exakt ablesbarer Entfernung ein fester Körper trieb, darüber hinaus wurde dieser Körper von einem Schattenschild von beträchtlicher Feldstärke umhüllt. »Was hat ein einzelner Scuddamore im freien All zu suchen? Sollte das eine Falle für den guten alten Hehl Bondergan sein?« rief der Camagur laut. Die Haare seiner Körperkränze und des Hinterkopfes sträubten sich. Gleichzeitig äußerte sich Travvnar positiv. »Also doch!« Der Camagur las die Koordinaten ab und riß einen Schutzanzug aus einem Wandfach. Dann rannte er auf seinen dünnen, an den Gelenken bereits farblos werdenden Beinen auf den Hangar des kleinen Raumboots zu. Hinter ihm surrte mit rasend drehender Tragschraube der Kleine. »Keine Sorge! Du kommst mit – obwohl
Hans Kneifel ich ungern die Kammer ohne Reservepiloten lasse!« Der Hangar wurde von einem konischen Felsbrocken verschlossen. Ausarbeitung, Gewinde und Bewegungsmechanismus stammten noch von dem alten Krejoden, dem einzigen Freund, den der Camagur jemals gehabt hatte. »Ich hole mir diesen Verbrecher!« flüsterte Hehl. Jetzt zahlte es sich aus, daß er seit langer Zeit immer wieder jedes einzelne Gerät getestet und schadhaft gewordene Teile ausgewechselt oder repariert hatte. Das kleine Raumschiff erwachte zu brummendem und tickendem Leben. Schotte schlossen sich, und die schwere Mechanik begann den Felsenkorken aus der Öffnung zu drehen. Binnen weniger Sekunden verwandelte sich der Camagur, der ab und zu bei sich selbst die Spuren langer Einsamkeit feststellte, in eine Art organischer Maschine. Jede Schaltung war aktiviert, jeder Knopfdruck wurde mit geradezu faszinierender Perfektion ausgeführt, und sogar der Kleine blieb ruhig und schwebte im Zentrum der gefluteten Steuerkabine. Endlich klappte der massive Asteroidenfels-Korken nach draußen, und das Raumboot schoß aus der Hangarschleuse hinaus und nahm direkten Kurs auf das Echo. Ortungsgeräte suchten den Weltraum ab. Es gab winzige Partikelspuren und, außerordentlich weit entfernt, das zerfasernde Echo eines Wracks. Der Camagur erkannte die charakteristischen Linien auf seinen Schirmen. Das also war die Erklärung – ein detonierendes Organschiff hatte einen Scuddamoren ins All geschleudert. »Hoffentlich lebt er noch, damit ich meine Untersuchungen durchführen kann!« Die Stimme des Alten war schrill und keuchend vor Erregung. Er befand sich abermals dicht vor seinem Ziel. Wenn der Scuddamore so stark war wie das Echo seines Schildes, dann würde er die Untersuchungen wohl überleben. Wieder beschleunigte das Raumboot und bremste genau vor dem Echo
Die falschen Scuddamoren ab. Travvnar gebärdete sich wie rasend. Seine Ventile klapperten ununterbrochen. Dampfwolken in allen Farben erfüllten die winzige Kabine. Die Fanfarenstöße machten Hehl fast taub. Er schrie unruhig: »Ich habe verstanden! Er lebt. Und außerdem sehe ich deutlich, daß es zwei Scuddamoren sind.« Der Rest war einfach. Die Beutekammer glitt auf. Zielgeräte drehten sich. Eine Energiekanone schoß zwei carvonische Fangnetze ab. Die Netze schwebten als dicker Klumpen durch den Raum, entfalteten sich und fingen an, phosphorn aufzuleuchten. Mit wenigen Handbewegungen dirigierte Bondergan die Netze, wickelte die zwei undeutlich sichtbaren Körper ein und befahl die Netze wieder zurück. Die Körper prallten sacht gegen die Rückwand der Beutekammer oder Fängerschleuse. Das Außenschott glitt zu. Bondergan beschleunigte das Raumboot, flog eine Kurve und steuerte wieder den Asteroiden an, der sich inzwischen ein ganzes Stück weit entfernt hatte. Der Camagur wurde erst wieder ruhiger, als er sah, wie sich der schwere Verschluß aus Asteroidengestein lautlos, aber eine Menge Vibrationen erzeugend, in die Gewinde zurückdrehte.
* Erst als die leuchtenden Gitternetze sich um ihre Körper legten und sie mit sanftem Druck auf das kleine Raumschiff zu dirigierten, glaubten Atlan und Thalia, daß sie vorläufig gerettet waren. Die Aktion hatte sie völlig überrascht. Sie hatten weder das kleine Raumschiff noch die ausgeschleuderten Netze gesehen. Erst als die Maschen aufleuchteten und sich zu großen, konkav gebogenen Gebilden auseinanderschoben, merkten die Pthorer, daß man sie entdeckt hatte. Zischend fauchte Luft in die Kammer. Ein leichter Andruck preßte Thalia und Atlan an die Wand des Raumes. Atlan prüfte vorsich-
11 tig das Gasgemisch und fand es atembar. Er sagte leise und hastig: »Untereinander sprechen wir Pthora. Mit den anderen Garva-Guva. Wir sind Scuddamoren. Du bist Kärdyn, ich bin Mänerg. Klar?« »Ich habe verstanden«, flüsterte sie in Pthora zurück. Dann schwiegen sie. Neugierde und Spannung wuchsen; die Erleichterung darüber, nach relativ kurzem Ausgesetztsein im freien Weltraum wieder an Bord eines Raumfahrzeugs zu sein, und die Erwartung, wer sie gerettet hatte, stritten miteinander. Das Raumschiff legte nur eine kurze Distanz zurück. Sie merkten es deutlich an den Vibrationen der kleinen Konstruktion. Dann schleuste der Flugkörper in ein größeres Schiff oder in einen Stützpunkt ein. Die Pthorer warteten schweigend und versuchten sich vorzustellen, was sie erwartete. Beide dachten sie folgerichtig, daß in diesem Sektor des Reviers die Scuddamoren herrschten. Also konnte es nicht falsch sein, sich als Angehörige der Herrschenden auszugeben. Nun öffnete sich das Außenschott des gepolsterten Raumes; sie sahen sich einem geräumigen Hangar gegenüber. Er war gepflegt und bestand aus Metallanlagen, die in schwarzen Felswänden verankert waren. Ein Mond oder Asteroid! sagte Atlans Logiksektor. Über eine Rampe kam ein schwarzglänzendes Geschöpf in leuchtenden und farbenprächtigen Kunststoffgewändern heran. Die falschen Scuddamoren erkannten einen alten Camagur, dessen skeletthafte Gliedmaßen hinter farbenfunkelnden und raschelnden Gewändern steckten. Riesige Facettenaugen starrten Atlan und Thalia an, als der Camagur in rauhem Garva-Guva sagte: »Willkommen in meinem Satelliten, Scuddamoren! Ich bin Nehr Canderfal, der kosmische Spion. Habe ich euch gerettet?« Zwei knochige Hände streckten sich den Geretteten entgegen. Atlan half Thalia aus der Kammer des kleinen Bootes. Vielfarbige Scheinwerfer tauchten den Schleusenhangar
12 in wechselndes Licht. Im Hintergrund schwebte eine Art blauschimmerndes Metallspielzeug in der Luft und korrigierte die Fluglage mit Dampf oder Rauchstößen aus winzigen, schwenkbaren Düsen. »Du hast uns gerettet«, sagte Atlan. »Du betreibst diese Station im Auftrag von Chirmor Flog?« Canderfal deutete mit mehreren Armen in die Richtung der flachen Rampe, die zu einem geschlossenen Doppelschott führte. »Richtig. Ich fliege durch das Marantroner-Revier und sammle Informationen. Auf Abruf oder auch sonst, wenn sie wichtig genug sind, werden die Mitteilungen weitergegeben. Euch traf ein Unglück?« »So ist es«, erklärte Atlan. »Unsere Galionsfigur wurde wahnsinnig, zerriß die Verbindungen und sprengte das Schiff. Wir wurden hinausgeschleudert. Übrigens – mein Begleiter ist Kärdyn, und ich bin Mänerg. Wir danken dir, daß du uns in deine Station geholt hast. Wie wir sehen können, ist sie hervorragend gepflegt.« Sie konnten das karge Mienenspiel des alten Camagurs nicht deuten. Es mochte sein, daß er sie ebenso anlog wie sie ihn. Aber jetzt war er beflissen und schien sich zu freuen, mit ihnen sprechen und alles erklären zu dürfen. Er geleitete sie durch die Schotte, die sich öffneten und schlossen. Atlan erhaschte noch einen Blick auf die einfache, aber wirkungsvolle Konstruktion des Hangarverschlusses und fragte sich, wie groß der Satellit wirklich sein mochte. »Ich bin allein und habe viel Zeit«, erklärte Nehr Canderfal. »Ich verfüge also über viel Zeit, um die Spionstation technisch in Ordnung zu halten. Ich darf euch herumführen, ehe ich euch meine besten Räume zum Ausruhen überlasse?« »Wir sind geehrt!« bestätigte Thalia alias Kärdyn. Auch sie war darüber erleichtert, daß ein offensichtlich geschulter und kluger Camagur ihnen ihre Rolle als Scuddamoren glaubte. Nehr schien begeistert zu sein, mit anderen Mitarbeitern des Neffen zu sprechen. Er
Hans Kneifel war offensichtlich wirklich sehr lange allein. Also war ihr Entschluß, die Schattenschilde einzuschalten, doch richtig gewesen! »Hier befindet sich der wichtigste Ringkorridor. Von ihm aus sind alle Räume und Zentren zu betreten. Ich bin sehr gut ausgerüstet, Flog sei Dank!« Wenn er ein Spion für Flog ist, meldete sich der Extrasinn, dann rückt die Realisierung deines kühnen Vorhabens näher. Atlan beschäftigte sich mit dem Gedanken, zusammen mit Nehr und in diesem Asteroiden oder Mond bis ins Hauptquartier des Neffen nach Säggallo vorzudringen. Es würde nicht einfach sein, und sicherlich gehörten eine Menge Tricks dazu. Aber die Idee war gar nicht so abwegig, wie es im ersten Moment schien. Nehr Canderfal tappte zwischen ihnen durch den Korridor. Immer wieder öffnete er Türen und Schotte und stieß einen langen Strom von Erklärungen aus, von denen sie etwa die Hälfte verstanden. Das seltsame Gerät, etwa unterarmgroß, schwebte hinter ihnen und wurde von einer rotierenden Tragschraube in der Schwebe gehalten. Ab und zu stieß das »Ding« einen farbigen Dampfstrahl zugleich mit einem posaunenartig klingenden Ton aus. Atlan suchte nach einem Platz, an dem er den Kasten voller Ärgetzos vorübergehend aufbewahren konnte. »Du bist wirklich hervorragend ausgestattet«, bestätigte Mänerg schließlich. »Und wohin fliegt der Spion-Asteroid?« Der fliegende Begleiter entließ eine Reihe konzentrisch ineinander fließender Rauchringe in eindringlichem Grün und dazu eine Reihe markerschütternder Töne. »Schon gut!« rief Nehr zurück. »Du hast recht!« Der Rundgang durch den Asteroiden wurde fortgesetzt. Der Camagur deutete auf das fliegende Objekt und sagte: »Das ist Traaunar, ausgeschrieben Travvnar. Ich fand ihn zwischen den Maschinen, ohne jeden Energiewürfel. Ihr müßt wissen, daß ich sonst dazu verdammt wäre, immer nur Selbstgespräche zu führen.«
Die falschen Scuddamoren »Ich verstehe«, antwortete Mänerg, der größere der beiden undeutlichen Schatten. Seine Stimme, fand Bondergan-Canderfal, klang für einen Scuddamoren gar nicht übel. »Und wohin geht nun der Kurs des kleinen Mondes?« Wieder dröhnten die Signale des Dampfspielzeugs durch den Korridor. Der Camagur winkte mit zwei Händen ab und rief: »Die Wahrheit ist, daß es keinen Kurs gibt. Das Raumschiff aus Meteoritengestein landet niemals und beschreibt Spiralen und Orbits durch das Marantroner-Revier. Die Meldungen werden abgerufen, und ich versorge mich unterwegs.« Der Camagur fühlte jetzt, da er die Opfer direkt hinter sich wußte, keinen Triumph. Das Zusammentreffen war das Ergebnis langer Wartezeit. Der Schock für die Scuddamoren war vielleicht vernichtend, wenn sie erfuhren, in wessen Falle sie gegangen waren. »Hier sind eure Räume«, erklärte er schließlich und öffnete ein Schott. Von einem kurzen Nebenstollen, meisterhaft und offensichtlich in Handarbeit aus dem massiven Felsen geschlagen, zweigten Durchgänge und Türen ab. »Wenn wir dich treffen wollen«, erkundigte sich der kleinere Scuddamore hinter dem Schattenschild, »so finden wir dich in der Zentrale?« »So ist es.« »Wir werden uns nur etwas frisch machen«, erklärte Mänerg und hob, undeutlich hinter dem Schild zu sehen, die Hand. »Dann kommen wir zu dir und können uns über den Fortgang der Reise unterhalten.« Atlan-Mänerg beobachtete den Camagur konzentriert. Er glaubte, gewisse Unsicherheiten im Verhalten dieses seltsamen Wesens zu spüren. Aber es gab keinen realen Ansatzpunkt für Mißtrauen: Dieser Camagur war der Insasse des Felsklotzes und hatte sie sowohl aufgespürt als auch gerettet, weil die Detonation des Schiffes in der Nähe der Kursgeraden oder der Kursspirale stattgefunden hatte.
13 Atlan wußte nicht, wie recht er hatte. Während er und Thalia sich weiter in den niedrigen, einfach ausgestatteten Raum hineinbewegten, blieb Nehr im Eingang stehen. Die Wände und die Felsdecke waren mit einem weichen, fellähnlichen Belag versehen, der Boden schien ebenfalls mit einer Art Teppich ausgelegt zu sein. Bondergan war tatsächlich unsicher geworden. Er hatte das Verhalten, die Sprache und alle anderen Lebensäußerungen von Scuddamoren mehr als einmal untersucht. Sein Verstand und alle seine Geräte hatten ihm ein Bild vermittelt, das sich von dem unterschied, das er heute spürte oder zu ahnen glaubte. Besonders Mänerg, der größere Schatten in der Projektion der Energieglocke, strahlte eine fremdartige Aura aus. Im Gegensatz zu allen anderen – jetzt toten – Scuddamoren war diese Ausstrahlung richtiggehend positiv. Bondergan konnte den Scuddamoren jede nur denkbare Scheußlichkeit nachsagen und dies auch belegen – aber von einer positiven Ausstrahlung oder etwa einem ebensolchen Charakter hatte er in all seinen Jahren als Scuddamoren-Jäger niemals etwas gehört oder selbst bemerkt. Travvnar stieß warnende Töne aus und versteckte sich in einer grellgrünen Dampfwolke. Bondergan ging kein Risiko ein. Er griff, ohne hinzusehen, an seinen Gürtel und bewegte einen Schalter. Der Raum vor ihm veränderte sich. Er wurde strahlend hell, und aus zahllosen Projektoren bauten sich innerhalb weniger Sekunden Energiestrahlen auf, die sich kreuzten und den Kubikinhalt des Raumes halbierten. Sie waren doppelt fingerdick und strahlend gelb. Die zwei Scuddamoren waren sofort gefangen. Sie blieben erstaunlich ruhig stehen. »Was soll das?« fragte Mänerg. Seine Stimme aus dem Schleier des Schattenschilds klang verwundert. »Das ist eine Strahlensperre? Sind wir Gefangene?« »Ihr seid gefangene Scuddamoren!« bestätigte der Camagur. Seine Stimme klang schriller als bisher.
14 »Aus welchem Grund? Wir danken dir, daß du uns gerettet hast«, rief Kärtyn aus. »Diese Energiekäfige hier … warum hast du uns gefangengenommen? Was sollen wir?« Der Camagur schwankte leicht auf seinen drei Beinpaaren hin und her. Leise fauchend hing über seinem Rücken jener Mechanismus Traaunar. Krächzend sagte der Spion: »Ihr seid gefangen, das ist richtig. Und ich bin nicht Nehr Canderfal.« »Ob du Canderfal bist oder ein anderer Camagur, ist unwichtig. Schalte die Energiekäfige aus.« »Ich bin Hehl Bondergan, und ihr seid Gefangene von Bondergans Kammer!« erläuterte der Camagur. Trompetend stieß Travvnar giftgelbe Dampfwolken aus. »Auch das ist nicht relevant«, sagte der größere, wuchtigere Scuddamore ungeduldig. »Was soll dieses Geständnis bedeuten?« »Ihr wißt nicht, wer ich bin?« »Nein.« »Bondergan, der flüchtige Rebell, der erbarmungslose Verfolger aller Scuddamoren«, war die haßerfüllte Antwort. Die Scuddamoren rückten etwas näher zusammen. Atlan und Thalia waren erstaunt und ärgerlich, aber noch fühlten sie sich nicht ernsthaft gefährdet. Allerdings fragten sie sich, ob sie in der Wahl ihrer Maske nicht zu voreilig gewesen waren. Atlan fragte zurück: »Du hättest es bequemer haben können, wenn du uns nicht gerettet hättest. Warum holst du uns erst in deinen Asteroiden und tötest uns hier? Macht es dir so mehr Vergnügen? Oder was sollen wir denken?« »Ihr müßt merkwürdige Scuddamoren sein«, sagte der Camagur. Auf Atlan wirkte sein Verhalten noch unsicherer als vor wenigen Minuten. »Denn jeder von euch kennt meinen Namen. Ich werde von Chirmor Flog und allen seinen Kreaturen seit mehr als fünfzehn Jahren ununterbrochen gesucht und gehetzt. Mein Name sagt euch also immer noch nichts, wie?« Offensichtlich spricht er jetzt die Wahr-
Hans Kneifel heit, sagte der Logiksektor des Arkoniden. »Nein!« entgegnete Atlan wahrheitsgemäß. Sein Unbehagen wuchs. Aus der Lebensgefahr im All waren sie jetzt in die Hände eines fanatischen Verfolgers von Flogs Schergen gefallen. »Ich wollte die Freiheit, nicht nur für mich und meine Familie. Das ist schon so lange her, daß es Flog vergessen haben muß. Ich stellte mich gegen die Gesetze des Neffen und wurde gefangengenommen. Sie brachten meine Familie um; die Scuddamoren stellten gräßliche Experimente mit ihnen an. Auch ich wurde gefangengenommen und gequält, aber ich konnte mit einem Raumboot fliehen. Dann fand ich den Asteroiden, der einem sterbenden Krejoden gehörte. Er schenkte ihn mir und verlangte, ich solle versuchen, Chirmor Flog zu treffen, wo immer es möglich ist. Ich hasse ihn und euch Scuddamoren. Ich werde jeden töten, den ich zu fassen bekomme. Jetzt habe ich euch! Ob ihr wollt oder nicht, aber mit euch werde ich das Geheimnis der Scuddamoren lösen. Und wenn es Jahrzehnte dauern sollte! Eher werden eure Leichen diesen Satelliten nicht verlassen. Wenn ich das Geheimnis kenne, wird es das ganze Marantroner-Revier erfahren. Ab diesem Tag wird eure Macht gebrochen sein, und bald darauf auch die Macht des Neffen Chirmor Flog. Aus diesem Grund seid ihr gefangen. Glaubt ihr mir jetzt?« Der Camagur hatte sich in helle Aufregung hinein geredet. Er fuchtelte mit vier Armen und Händen vor den Gefangenen herum. Travvnar blies vielfarbigen Dampf ab und heulte auf wie eine defekte Orgel. »Halt!« sagte der wuchtigere Scuddamore. Hehl und Travvnar schwiegen plötzlich. Hinter dem Schattenschild gab es eine kaum wahrnehmbare Bewegung, und dann erlosch die Energieaura des Scuddamoren. Ein viergliedriges Wesen stand vor Bondergan, in einen funkelnden Anzug gekleidet. In einer Hand hielt der Scuddamore ein kleines Kästchen. »Ich habe den Schattenschild abgeschal-
Die falschen Scuddamoren tet«, sagte der Fremde in tadellosem GarvaGuva. »Du denkst, ich bin ein Scuddamore, das ist falsch. Ich habe mich nur mit dem Gürtel eines Scuddamoren getarnt, ebenso wie meine Begleiterin. Sieh her!« Auch der andere Gefangene schien einen Schalter zu berühren. Der Schattenschild löste sich auf. Im grellen Licht des Gefängnisses und verursacht durch die grellen Bahnen des Energiekäfigs, leuchtete der seltsame Schutzanzug der kleineren Gestalt und der nicht weniger merkwürdige eng anliegende Anzug des Größeren. Der Fremde sagte: »Ein Scuddamoren-Schattenschild ist undurchdringlich. Wir können ihn anlegen und ablegen, wie es uns gefällt. Vielleicht glaubst du uns jetzt, daß wir keine Scuddamoren sind?« Der Camagur taumelte zurück, dann stellte er sich auf das hinterste Beinpaar und rief: »Niemand hat jemals einen Scuddamoren ohne Schattenschild gesehen. Auch ich nicht. Niemand hat je den Körper erblickt. Ich weiß nicht, ob ihr Scuddamoren seid oder nicht. Es ist auch unwichtig, denn ich werde eure wahre Natur herausfinden.« Mänerg breitete die oberen Gliedmaßen aus. »Einverstanden«, sagte er nachdenklich. »Wir können dir im ersten Augenblick nicht beweisen, daß wir keine Scuddamoren sind. Zwar sind wir ihnen mit knapper Not von Breisterkähl-Fehr entkommen, aber auch dafür gibt es keine Beweise. Jedenfalls hassen wir die Scuddamoren ebenso wie du. Warum arbeiten wir nicht zusammen, um das Geheimnis zu lösen?« Der Camagur stieß ein schrilles Kichern aus. »DU irrst! Wir werden zweifellos zusammenarbeiten, ihr und ich. Nur auf eine andere Art, wie ihr sie euch vorstellt. Es gibt keinen Zweifel.« Der Größere holte aus einer Gürteltasche eine handgroße Kugel und legte sie beinahe achtlos neben den kleinen Kasten, den er auf
15 einem Tisch abgestellt hatte. Die riesigen Augen des Camagurs richteten sich auf die polierte Steinkugel. »Ich glaube euch kein Wort. Natürlich wollt ihr euch mit dieser Lüge vor der Untersuchung und dem Tod retten.« »Wir wollen uns retten, aber es sind keine Lügen«, rief Kärdyn aus. »Wenn du dich doch nur mit uns in Ruhe auseinandersetzen würdest!« Bondergan kam wieder auf allen sechs Füßen zu stehen und erwiderte bissig: »Es wird für euch lange Zeiten der Ruhe geben. Zwischen den Untersuchungen. Das verspreche ich euch!« Sein Haß macht ihn blind für eure Argumente, erklärte der Logiksektor. Atlan versuchte es mit ruhigen und, wie er hoffte, vernünftigen Argumenten. Er sagte in beschwörendem Tonfall: »Vergiß für einen Moment deinen Haß auf die Scuddamoren, Hehl Bondergan! Höre mir zu. Wir kommen auf Umwegen von der Welt Xudon, und dort haben wir diese Kugel aus reinstem Marmor gefunden. Sie heißt die ›große Plejade‹ und strahlt, wie du sicher bemerkt hast, den Widerschein der Freiheit aus. Wir haben auf einem anderen Weg dasselbe Ziel wie du, nämlich den Tyrannen zu stürzen. Wir wollen die Freiheit für das Marantroner-Revier. Du schadest dir und der Idee der Befreiung, wenn du uns weiterhin für Scuddamoren hältst. Denke scharf nach! Wenn wir die Schattenschilder wieder einschalten – und dies tun wir, wenn du deine Untersuchungen beginnst! –, vermag keine Macht der Sterne unser angebliches Geheimnis zu lösen. Nicht einmal du mit deinem Haß auf uns, die falschen Scuddamoren.« »Zu spät!« gab das fledermausartige Wesen mit raschelnder, trockener Stimme von sich. »Zu spät! Es sind bereits ein Dutzend verschiedener Geräte auf euch gerichtet. Sie messen ununterbrochen und sammeln Informationen. Die Bilder eurer wahren Körper werden bereits gespeichert.« »Aber es sind keine Scuddamoren-Bilder,
16 du Narr!« schrie Atlan wütend. »Von mir aus – tu, was du willst. Wir ruhen uns zuerst einmal aus. Wenn du Fragen hast, melde dich später.« Er drehte sich um und schlug den Kopfteil des Goldenen Vlieses wie eine Kapuze zurück in den Nacken. Auch Thalia-Kärtyn öffnete den Helm des Raumanzugs und zog die Handschuhe aus. Atlan setzte sich und lehnte sich gegen die Rückwand eines unbekannten Möbelstücks. Seine offensichtliche Mißachtung ärgerte Hehl, aber er sah scheinbar gleichgültig zu, wie der kleinere Gefangene sich neben den anderen setzte. Es war richtig: tatsächlich waren hinter und zwischen den Gitterprojektoren zahllose Sensoren, Antennen und Linsen verborgen, die jeden Quadratzentimeter der beiden Körper einer genauen Prüfung unterzogen und alle Informationen automatisch in die Speicher der Rechengeräte transportierten. Auch jeder Handgriff in der folgenden Minute wurde auf das Genaueste registriert und dem Versuch einer Analyse unterzogen. Mänerg und Kärtyn aßen und tranken und sprachen leise in einer unbekannten Sprache miteinander. Schließlich sagte Atlan-Mänerg entschlossen: »Bisher hat sich der famose Anzug der Vernichtung in allen Lagen als unbezwingbar erwiesen. Ich denke, ich mache einen Versuch, um unseren unbelehrbaren Gastgeber eines Besseren zu belehren.« Thalia erwiderte leise: »Vermutlich hast du, wie so oft, wieder einmal recht. Wir sollten es versuchen. Ich denke, daß der Camagur ein recht brauchbarer Bursche ist, wenn er einmal überzeugt wurde. Wir haben als Scuddamoren bei ihm jedenfalls einen denkbar schlechten Ruf.« Atlan lachte heiser auf. »Das ist zumindest stark übertrieben. Wir befinden uns, verglichen mit der Zeit vor einer Stunde oder so, in vergleichsweise warmer, gemütlicher Umgebung. Ich warte nur darauf, bis der Giftzwerg mit seinen zwölf Gliedmaßen und dem dampfgetriebenen Or-
Hans Kneifel gelvogel verschwunden ist.« »Einverstanden.« Sie schienen abermals dem Tod ins Auge zu blicken. Aber jetzt glaubten sie zu sehen, daß ihnen dieser Tod ein wenig ironisch zuzwinkerte.
4. Eine Stimmung, die er nicht kannte oder an die er sich nicht mehr erinnern konnte, erfüllte Bondergan bis in das tiefste Innere. Er saß in seinem Sessel; er erinnerte sich gerade in diesem Moment seines Triumphes daran, wie er ihn selbst unter großen Mühen angefertigt hatte, denn er war Techniker und Raumfahrer, aber kein Handwerker. Vor ihm, im Halbkreis und im entsprechenden Augenabstand angeordnet, leuchteten drei Dutzend spezieller Bildschirme. Auf ihnen zeichneten sich nicht nur die Formationen der Sterne ab, nicht nur die laufenden Werte der Triebwerksleistungen und nahezu aller Versorgungseinrichtungen, sondern auch die Ziffern, Zahlen und Kombinationen der Analyse. Hier hatte er die vielen Teile; er brauchte sie nur noch richtig zusammenzusetzen. Er hörte das klagende Heulen von Travvnar, griff in die Tasche und warf einen frischen Energiewürfel senkrecht über seine Schulter in die Höhe. Der Kleine schnappte sich diese Grundlage seines präintelligenten Daseins stopfte sie in die Brennkammer und schwirrte, fröhliche blaue Wolken und leise quäkende Töne von sich gebend, in den Hintergrund der Zentrale davon. »Mein kleiner Traaunar«, flüsterte der Camagur, »vielleicht sind wir heute ganz nahe an unserem Ziel.« Der Camagur war nicht ohne Zweifel. Er studierte die verschiedenen Angaben und wählte aus, was er für richtig und wichtig hielt. Schließlich wollte und mußte er alle seine Erkenntnisse weitergeben. Das nächste planetare Depot der Scuddamoren, das im Bereich der Flugroute lag, war Kinster-Hayn, und dort würden sich die Gefangenen zuerst gegen ihre Folterknechte wen-
Die falschen Scuddamoren den. Trotz aller Wahrheiten, die Hehl Bondergan hier und jetzt über die wahre Natur der Scuddamoren erfuhr, blieb er nachdenklich. Hinter den düsteren Umrissen der Schattenschilde waren Wesen zum Vorschein gekommen, die er als Gegner ansehen mußte, die aber sicherlich ebenso handelten, empfanden und dachten wie er. Diese Feststellung wollte einfach nicht in das Bild passen, das er sich von den Scuddamoren gemacht hatte. Und für dieses Bild hatte er mehr Beweise, als ihm lieb war. Und keiner der Noots, Camagurs, Tamater und wie sie alle hießen, hatte jemals dieser Klassifizierung widersprochen. Die Scuddamoren waren gefühllos wie ferngesteuerte Maschinen. »Aber weder Mänerg noch Kärdyn sind ferngesteuerte Maschinen, denn hier kann ich sehen, daß sie leben und fühlen!« flüsterte er. Dazu kamen seine eigenen, unverwechselbaren Feststellungen. Der Eindruck war: Sie kannten die Freiheit und schienen sie zu lieben. Sie sprachen das weiche Garva-Guva kluger Wesen, die eigene und intelligente Gedanken hatten, was ebensolche Empfindungen voraussetzte. Und fast schmerzhaft dachte Hehl daran, welche Empfindungen er selbst beim Betrachten dieser steinernen Kugel gespürt hatte. Die große Plejade! Widerschein der Freiheit! Er erinnerte sich, irgendwann einmal einen Funkspruch eingefangen zu haben. Darin kam der Begriff Widerschein der Freiheit vor, und er schien für Chirmor Flogs Schreckensregiment eine Bedrohung zu sein. Etwas unruhiger geworden, arbeitete Hehl weiter. Immerhin gelang es ihm, wichtige Daten zu einem in sich schlüssigen Bild zusammenzustellen. Demnach kamen diese beiden Fremden aus einem System oder einer Zone des Weltraums, der bisher unbekannt war. Die Art, in der ihre Körper aufgebaut waren, blieb unbestimmbar – sie waren also absolut
17 Fremde. Der Schluß, daß Chirmor Flog seine Schergen an einer Stelle anheuerte, die keinem Raumfahrer innerhalb des Marantroner-Reviers bekannt war, bewies dessen schurkischen Charakter. Die Scuddamoren waren also Söldner, die im Dienst des Herrschers standen. »Ich habe sie jedenfalls sicher hinter undurchdringbaren Energiegittern gefangen. Wenn alles vorbei ist«, murmelte der Camagur im Selbstgespräch, während seine dünnen Finger unablässig Tasten niederdrückten, Texte schrieben und Informationen mischten, »werden wir viel mehr wissen. Vielleicht weiß ich dann auch, was es mit der ›großen Plejade‹ auf sich hat.« Er konnte immer nur das erkennen, was auf demjenigen Bildschirm dargestellt wurde, der sich direkt in seinem Blickfeld befand. Aber den grellen Lichtblitz, der von ganz rechts wiedergegeben wurde, nahm er wahr. Die Helligkeit dieses Energieausbruchs war so groß, daß er zusammenzuckte und einige Sekunden lang halb geblendet war. Dann wußte er, daß die Scuddamoren sich anders verhielten als jene, die er bisher untersuchen hatte können. Als er aufsprang und eine Zweihandwaffe aus dem Gestell riß, ahnte er, daß alle bisher gesammelten Informationen falsch waren. Grundfalsch. Diese Fremden waren ganz anders.
* Jeder einzelne Schritt ihres Vorgehens war genau besprochen worden. Da niemand innerhalb des Marantroner-Reviers je auf Pthor gewesen war, da weiterhin weder Thalia noch Atlan sich in der Nähe eines Übersetzungsgerätes unterhalten hatten, konnten sie sich in Pthora verständigen. Der Camagur würde sie nicht verstehen, selbst wenn sie schrien. Mit einem Griff streifte Atlan die Kapuze des Goldenen Vlieses nach vorn. Augenblicklich bildete sich der Gesichtsschutz des Anzugs der Vernichtung. Atlan nickte Tha-
18 lia zu, dann nahm er einen Anlauf und sprang mit ausgestreckten Armen in das Netz der Strahlen hinein. Einen Schritt, bevor er sich losschnellte, schaltete er wieder den Schattenschild ein. Der nächste Sekundenbruchteil tauchte die Umrisse des Schildes in blendend, funkensprühende Helligkeit. Der Anzug der Vernichtung reflektierte die mörderischen Strahlen des Käfigs. Es schien, als ob sie mühelos den Schattenschild durchdrungen hätten, aber Atlan spürte nichts, keinen Schmerz, nicht einmal ein Kribbeln. Er öffnete, als er auf dem weichen Boden aufprallte, die Augen und rollte sich ab. Dann sprang er nach rechts und links, ergriff die Schäfte der Projektoren und riß die halbkugeligen Schalen zur Seite. Peitschende Entladungen krachten durch den Raum und zerstörten die Reflektoren. In den Gittern aus glühenden Strahlen erschienen Lücken. Atlan duckte sich, riß ein Kabel aus einer Befestigung und beschädigte in einer Serie schneller, wütender Hiebe mit den geschützten Fäusten andere Absperrvorrichtungen. Die Kammer füllte sich mit Rauch und Flammen. Stellen der Wandverkleidung begannen zu schmoren und zu brennen. Ätzender Rauch stieg auf. Atlan holte in der Nähe des Ausgangs tief Luft und schrie: »Los, Thalia! Zu mir her!« In seiner Gürteltasche befand sich bereits wieder der unersetzliche Stein aus den Stapelpalästen von Xudon. Thalia umklammerte den Griff des ÄrgetzosKastens und rannte auf die flackernden Lücken in dem Energieschirm zu. Im selben Augenblick reagierte die Schutzeinrichtung des Raumes und übersprühte beide Personen und den Rest der Fläche aus Dutzenden von Hochleistungsdüsen. Ein dunkelgrüner, feiner Feuchtstaub wurde mit ungeheurer Wucht aus den Düsen herausgepreßt und tauchte den Raum in dunkle Schleier. Gleichzeitig sprangen lange und peitschende Blitze von den einzelnen Projektoren zwischen den Wänden und dem
Hans Kneifel Boden hin und her. Als Atlan mit ausgestreckten Armen Thalia auffing und mit ihr in den Nebenkorridor hinaussprang, gab es hinter ihnen einen dumpfen, nachhallenden Schlag. Das Licht erlosch in dem halb verwüsteten Raum. Gleichzeitig begannen aus verschiedenen Richtungen Sirenen zu wimmern. »Immerhin sind wir dieser verdammten Falle entkommen«, sagte Atlan und rannte mit Thalia durch den Ringkorridor, der, wie sie wußten, in mehreren Ebenen im Zentrum des Felsbrockens verlief. »Vielleicht gelingt es uns im Lauf dieser Hetze, unseren Freund von unseren Absichten zu überzeugen.« »Auf jeden Fall«, keuchte Thalia und klammerte sich an Atlans rechtem Arm fest, »wird es nicht einfach sein. Er ist überzeugt, in uns die Bösewichter gefunden zu haben.« Der Korridor krümmte sich nach rechts. Der Boden bestand aus fein gerastetertem Stein, auf dem ihre Sohlen gut griffen. Mit jedem Schritt schnellten sie sich weiter vorwärts. Atlan beobachtete genau alle Leitungen, Beleuchtungskörper und Klappen, sämtliche Einrichtungen an Decke und Wänden des Ganges. Noch waren sie allein und wurden offensichtlich nicht verfolgt. Aber der Vorteil war gering. »Bondergan kennt hier jeden Winkel und jedes mögliche Versteck«, sagte Atlan gepreßt und riß den Kopf hin und her, um in andere, teilweise beleuchtete Räume zu spähen. »Und wir sind nicht bewaffnet. Wir können nichts anderes tun als rennen und flüchten«, gab Thalia zurück. »Stimmt. Vielleicht wird er eher müde als wir«, murmelte Atlan grimmig. Sie verließen die oberste Ebene und stobeneine Rampe abwärts. Sie kamen an dem schwer isolierten Schott zum Schleusenhangar vorbei; Atlans perfektes Ortsgedächtnis ließ ihn auch hier nicht eine Sekunde lang im Stich. Während er lief, überlegte er und kam, wie schon so unendlich oft in seinem Leben zu dem Schluß, daß eine Kette von Abenteuern sich von seiner Geburt in eine
Die falschen Scuddamoren ferne, glücklicherweise unbekannte Zukunft spannte. Immer wieder lösten einander die Vorgänge ab, die im weitesten Sinn aus einem dauernden Rennen, Hasten und Kämpfen bestanden. Kaum war eine Frage beantwortet, tauchten die beiden nächsten Fragen auf. Noch während er mit der Lösung des naheliegenden Problems unter Aufbietung aller seiner Kräfte beschäftigt war, drangen die nächsten Probleme mit Macht auf ihn ein. Gab es irgendwann Ruhe und Frieden? Und selbst wenn er glaubte, er habe Ruhe gefunden, in sich selbst oder an einer Stelle, an der er sich weit entfernt von jeglichem Kampf zu befinden glaubte, kamen Unruhe, Kampf und Gefahren von außerhalb und schienen sich ausgerechnet immer ihn als Ziel ausgesucht zu haben. Hier und jetzt war es nicht anders. »Er wird uns töten, wenn er uns in die Enge getrieben hat«, sagte Thalia, als sie etwas langsamer geworden waren. Sie befanden sich jetzt in der Nähe großer, schwerer Maschinen, wahrscheinlich ein Teil des Antriebs. Das Summen und Brausen wurde deutlicher und lauter und kam von links. »Noch ist es nicht soweit«, sagte Atlan. »Ich suche nach einer Waffe. Ich glaube nämlich nicht, daß die Schattenschilde und der Anzug der Vernichtung unzerstörbar sind.« Nach Verlassen des Gefängnisses hatte auch Thalia dem Scuddamoren-Schattenschild mit einer Handbewegung eingeschaltet. Sie fühlte sich keineswegs vollkommen geschützt. Dies war mehr ein psychologisches als ein technisches Problem. »Er wird nicht auf uns schießen, wenn wir uns zwischen den Elementen der Energieerzeuger oder des Asteroiden-Antriebs befinden«, meinte Atlan und zog seine Freundin in den riesigen Höhlenraum hinein. Wärme, die charakteristischen Ausstrahlungen der laufenden Maschinen und ein mildes, bronzefarbenes Licht umhüllten sie. »Trotzdem wäre mir eine Waffe lieber!« bekannte Thalia.
19 »Mir auch.« Sie huschten zwischen Blöcken, Röhren, riesigen Kabelbündeln und Schaltkästen oder ähnlichen Einrichtungen hindurch. Auch an dieser Stelle waren Fels und Metall eine handwerklich bemerkenswerte Verbindung miteinander eingegangen. »Ich wundere mich, daß Bondergans Spielzeug noch nicht aufgetaucht ist und gellende Laute von sich gibt.« Atlan hielt mitten im Lauf an, als er im Zentrum der vielen wuchtigen Anlagen so etwas wie eine Kanzel entdeckte. Er sprang in rasender Eile die Stufen hoch, riß eine Tür auf und sah quer über einem aktiven Schaltpult etwas Metallisches liegen, das einem schweren Strahler nicht unähnlich sah. Er hob das schwere Gerät auf und entdeckte Projektoren, ein stechend rot brennendes Kontrollicht, Stellschrauben und Abzüge. Sein Logiksektor wisperte: Zweifellos eine Waffe! »Wie schön«, brummte der Arkonide und rannte wieder hinunter zu Thalia. Er drehte an den Reglern und richtete den Lauf probeweise an die Decke. Als er nach einigen Sekunden weiterer Prüfung den Abzug drückte, fuhr ein knisternder, weißglühender Strahl in den Fels und erzeugte dort einen kleinen Krater. Glühende Tropfen fielen herunter und zerspritzten auf den Abdeckungen der Geräte. »Jetzt sind wir bewaffnet!« stellte Atlan grimmig fest und nickte Thalia zu. Sie duckten sich, den heller ausgeleuchteten Eingang zu der Maschinenhalle im Blickfeld, in den tiefen Schatten zwischen riesigen Maschinenteilen. Flüsternd bemerkte die Tochter Odins: »Hoffentlich sieht der Camagur ein, daß ein Gefecht im Innern seines Mondes für ihn tödlich werden kann.« »Ich glaube es nicht«, entgegnete Atlan. »Auf mich macht er den Eindruck, als wäre er völlig uneinsichtig.« Versteckt im Dunkeln, geschützt durch ihre Anzüge und die Energieglocken der Schattenschilde, warteten sie einige Zeit. Sie
20 konnten sicher sein, daß der Camagur wieder versuchen würde, sie einzufangen. Seine Meinung, daß sie Scuddamoren waren, stand absolut fest. Sekunden später geisterten drei dünne, kalkweiße Lichtstrahlen durch das Halbdunkel der Felsenhalle. Das technische Gerät, dessen Zweck sie noch immer nicht genau kannten, kam hereingeflogen. Die Tragschraube surrte, einzelne Dampfstöße fauchten auf, und die Scheinwerfer wurden suchend bewegt. Ihre Lichtkegel zuckten hin und her, glitten über die staubigen Flanken der Maschinen, rissen Teile der Decke aus der Finsternis und schwenkten schließlich gemeinsam herum. Das Licht fiel auf die beiden Schattenschilde. Die Energieglocken schluckten einen Teil der Helligkeit. Travvnar gab eine Reihe aufgeregter Fanfarenstöße ab, hüllte sich in ein neues System weißer Ringe und drehte sofort ab. Die Scheinwerfer erloschen, in rasendem Flug summte das Gerät zurück in den Ringkorridor. Atlan stand auf und sagte entschlossen: »Versuchen wir, in den Steuerstand oder die Zentrale zu kommen. Dazu müssen wir praktisch den gesamten Ringkorridor entlanglaufen.« »Vielleicht können wir in der Zentrale endlich vernünftig mit Hehl Bondergan reden«, pflichtete Thalia ein. Nebeneinander verließen sie die Maschinenhalle. Von Travvnar war nichts mehr zu sehen. Nur in großer Entfernung hörten sie sein aufgeregtes Blasen und Trompeten. Immer wieder nach hinten sichernd, liefen sie den Ringkorridor entlang. Fels wechselte mit Metallgittern ab. Der Asteroid war eingeteilt in ein System von Kammern, das in kein bekanntes Schema einzuordnen war. Hohlraum auf Hohlraum schien willkürlich nacheinander in den Fels hineingesprengt worden zu sein. Ab und zu entdeckten Atlan und Thalia Ansätze künstlerischer Bearbeitung, die sie an die Marmorwaren in dem offenen Markt von Danjitter-Tal erinnerte. »Er ist wieder hinter uns!« sagte Atlan nach einer Weile und zog Thalia, als sie an
Hans Kneifel eine Abzweigung kamen, hastig in eine Nische. »Ich höre ihn!« gab sie flüsternd zurück. Atlan hob die Waffe und wartete. Wie ein Geschoß raste Travvnar an ihnen vorbei und verschwand auf der anderen Seite des Korridors. Das Tappen und Rascheln der sechs Füße wurde lauter und schneller. Dann blieb Bondergan stehen, er mußte sich unmittelbar vor ihnen befinden. Ein Geräusch ertönte, das wie ein verzerrtes Kichern klang. Es gab ein Klicken, dann kippte etwas unter den Füßen der Pthorer. Sie verloren den Halt und stürzten senkrecht nach unten. Eine Klappe oder Falltür hatte sich geöffnet und ließ sie durch einen engen Schacht fallen. Das Kichern des Camagurs wurde lauter und hallte in ihren Ohren nach. Atlan spreizte Arme und Beine und versuchte nach einer kurzen Schrecksekunde, Thalia festzuhalten. Der Fall dauerte nicht lange. Die Wände des Schachtes – er war rund – waren völlig glatt. »Verdammt!« stöhnte Atlan. Sie fielen schätzungsweise zehn Meter tief. Dann hörte der Schacht auf, und beide Körper sackten ohne jeden Halt durch die Luft und landeten in einem Netz oder auf einer federnden Matte. Es war völlig dunkel, weder Thalia noch Atlan konnten etwas erkennen. Während die junge Frau vor Schrecken und teilweise auch Erleichterung leise aufschrie, fluchte der Arkonide und zog den Abzug der Waffe durch. Die grelle Glut der Schußbahn leuchtete für Sekundenbruchteile ihr neues Gefängnis aus. Wieder eine hohlkugelförmige Aussparung im Fels. In halber Höhe spannte sich ein Netz aus dünnen Metallseilen. Jetzt gab es nach und senkte sich in der Mitte. Es verwandelte sich langsam in einen Sack, der die Bewegungen der beiden Pthorer zusehends behinderte. Atlan erkannte das Prinzip; in ganz kurzer Zeit würden sie sich nicht mehr rühren können und waren gefangen wie große Fische im Netz. Er warf sich herum und richtete den Projektor der Waffe auf die Stellen der Wand,
Die falschen Scuddamoren an denen einige Spannseile befestigt waren. Nacheinander peitschten sechs Schüsse auf und zerschnitten die Seile, ließen den Fels aufglühen und rissen die Verankerung heraus. Das Netz senkte sich auf einer Seite, beide Körper fingen zu rollen an und kippten zur Seite. Wieder dröhnten peitschend drei Schüsse, und Atlan durchtrennte die letzten entscheidenden Verbindungen. Die glühenden Flächen der Wand und die leuchtenden Bahnen der Energiefinger schufen so viel Helligkeit, daß Thalia und Atlan sehen konnten, wo sie sich befanden, und wie sich ihre Lage darstellte. Jetzt rutschten sie aus dem halb zerstörten Gitternetz auf den Boden und blieben stehen. Atlan sagte wütend: »Der verdammte Asteroid ist voller Fallen.« »Vermutlich hat Hehl schon früher Scuddamoren jagen müssen. Sie werden sich kaum freiwillig seinen Untersuchungen zur Verfügung gestellt haben«, erwiderte Thalia. Sie tasteten um sich und schlichen entlang der gekrümmten Wand auf einen Ausgang zu, der so schmal war, daß nur einer von ihnen sich durchschieben konnte. Noch immer standen sie im Dunkeln und versuchten zu erraten, was als nächstes passieren würde. Einige ereignislose Sekunden verstrichen. Dann erschien wieder jener merkwürdige Partner des Einsiedlers. Diesmal strahlte nur ein Scheinwerfer des Fluggeräts. Fauchend und leise vor sich hinblasend schwirrte Travvnar durch einen schmalen Nebenkorridor und kam auf die Pthorer zu. Atlan hob die Waffe und zielte, aber er brachte es nicht fertig, auf diese harmlose und nicht unoriginelle Konstruktion zu schießen. Vermutlich hatte der sterbende Krejode aus Langeweile das Spielzeug angefertigt. Als der Lichtkegel die beiden Schatten ertastete, kehrte Travvnar um und verschwand in einer aufgeregten Wolke aus farbigem Dampf und mit schallenden Blasgeräuschen. Atlan zog sich zurück und sagte: »Gleich wird Hehl herankommen, wieder kichern und uns in eine neue Falle jagen.« »Vielleicht solltest du ihm zeigen, daß un-
21 ser Bedarf an Späßen dieser Art gedeckt ist?« schlug Thalia vor. »Ich bin dazu entschlossen«, erwiderte Atlan. »Mittlerweile ist meine Geduld tatsächlich erschöpft.« Er tastete nach Thalias Hand und ging langsam in die Richtung, in der Travvnar verschwunden war. Es herrschte völlige Stille. Jeder Atemzug und das Geräusch der Sohlen wurden unnatürlich laut. Der Fels um Atlan und Thalia herum war warm und vibrierte unmerklich. Schritt um Schritt gingen sie vorwärts und merkten, daß der Boden leicht anstieg. Ihre Wut nahm zu, weil sie nicht einsehen konnten, daß zwischen ihnen und dem halsstarrigen Camagur echte Gegnerschaft herrschen mußte. Hehl Bondergan schien lange zu brauchen, bis er sie erreichte. Während sie hofften, nicht wieder in eine neue Falle zu tappen, näherten sich die bekannten Laute von Bondergans Füßen. Er schien sich in heller Panik zu befinden. Er raste förmlich durch den schwarzen, lichtlosen Gang heran. Atlan und Thalia lehnten sich an das rauhe Gestein und warteten schweigend und voller Spannung. Dann stach ein breiter Lichtbalken um eine Ecke des Korridors und erfaßte Armaturen, Schalter und nicht aktivierte Bildschirme. Der Camagur kam herein. Atlan senkte die Waffe und gab einen ungezielten Warnschuß ab. Die Energie schlug in irgendwelche Geräte ein, ließ einen Bildschirm in einer knallenden Explosion bersten und erzeugte einen gewaltigen Funkenregen. In dem blitzähnlich zuckenden Lichtschein erkannten die Pthorer, daß der Camagur in höchster Geschwindigkeit heranlief, kurz anhielt, sich verwirrt umsah und sich dann duckte. Eine harte Erschütterung durchlief Teile des Gesteins. Dann lösten sich an verschiedenen Stellen der Felswand riesige Metallkonstruktionen. Auch sie schienen Teile einer Falle zu sein. Alles ging viel zu schnell vor sich, und die Pthorer konnten nicht genau erkennen, was wirklich passierte. Es gab dröhnende und
22 donnernde Geräusche, ein gewaltiges Klirren erschütterte diesen Teil des Asteroiden, und dann sah Atlan erschrocken, wie Gitter aus armdicken Metallstäben auf Hehl Bondergan herabstürzten und ihn unter sich halbwegs begruben. Gleichzeitig schalteten sich lange Reihen von großen Scheinwerfern an und strahlten genau das Zentrum der Falle an. Das letzte herausgeklappte Gitter befand sich direkt vor Atlan und Thalia. Als das schwere Metallteil den Körper des Camagurs berührte, stieß er einen kreischenden Schrei aus. Die Stäbe und Verbindungen klirrten gegeneinander und gruben sich tief in seinen Körper. Die Pthorer sprangen entsetzt vorwärts und sahen den bewegungslosen Körper unter den Teilen der Falle. »Er ist in eine seiner Fallen gerannt!« sagte Atlan, spannte seine Muskeln an und zerrte ein kleineres Gitter zur Seite und stellte es hochkant gegen die Wand. Hehl stöhnte und streckte zitternde Arme und Hände aus. »Ich war unachtsam«, stieß er gequält aus. »Du hast uns nicht geglaubt«, sagte Atlan, schaltete den Schattenschild ab und versuchte, zusammen mit Thalia, das riesige Gitter hochzuheben. Er schaffte es nicht; die Falle schien nicht richtig funktioniert zu haben. Wieder stöhnte Bondergan auf und rief leise und keuchend: »Ihr könnt mir nicht helfen. Ich bin tödlich getroffen. Alles in meinem Körper ist zerbrochen und zerrissen. Ihr seid merkwürdige Scuddamoren.« Auch Thalia schaltete den ScuddamorenSchild aus und zerrte an dem riesigen Teilstück. »Wir sind wirklich keine Scuddamoren. Jetzt wirst du es glauben. Sage uns, wie wir die Falle auseinanderreißen können.« »Sie hat nicht funktioniert. Jetzt muß ich euch wohl glauben«, stöhnte und keuchte der schwerverwundete Camagur. »Das scheint zu spät zu sein. Wir wollen dir helfen!« »Noch niemals habe ich … so etwas von einem Scuddamoren gehört«, war die
Hans Kneifel stockende Antwort. »Abermals ein Beweis. Verdammt! Sage uns, wie wir die Falle beseitigen können!« schrie der Arkonide wütend und stemmte seine Schulter unter eine Ecke des schwersten Brockens. »Es ist unnötig«, antwortete der sterbende Camagur. »Wenn auch ihr die Scuddamoren haßt, müßt ihr meinen Auftrag weiterführen.« »Das war, was wir dir stets vorschlagen wollten«, sagte Atlan. »Ihr könnt als falsche Scuddamoren … in die Reihen der Spezialeinheiten eindringen. Niemand wird euch erkennen.« »Das haben wir vor!« bestätigte Thalia. Unter dem flach an den Boden gedrückten Körper des Camagurs breitete sich eine dunkle Flüssigkeit aus. Hehl atmete keuchend und in winzigen, hektischen Zügen. Wieder setzte er mehrmals zum Sprechen an und brachte schließlich hervor: »Traaunar wird es euch zeigen. In den Speichern sind die Daten von Kinster-Hayn, ein paar Lichtjahre entfernt.« »Was sollen wir dort?« »Ein kleines Planetendepot. Eine Ausbildungsstätte voller Lehranlagen. Ich habe immer davon geträumt, den zweiten Planeten anzugreifen. Ihr seid jünger und kräftiger. Greift an! Zerstört den Stützpunkt!« »Wir werden es zumindest versuchen«, antwortete Atlan und stellte seine nutzlosen Bemühungen ein. Jeder Ruck an dem schweren Gitter schien Hehl Schmerzen zu verursachen. Der Alte sprach weiter. »Nehmt meine Leiche mit. Mein Name ist bekannt. Ihr müßt sagen, ihr hättet mich getötet. Sagt, ihr seid ein Suchkommando. Ich weiß, daß viele unterwegs sind, um mich zu fangen. Man kann nicht jeden einzelnen von ihnen ständig … überwachen.« Seine Augen überzogen sich mit einem kalkigen Weiß. Es begann an den Außenrändern und bedeckte Facette um Facette. Die Menge der Körperflüssigkeit unter den farbenfrohen Gewändern wurde größer. Hehl atmete noch schwächer, seine Finger zitter-
Die falschen Scuddamoren ten wie im Fieber. Er verfiel zusehends. »Sagt, daß euer Schiff mit Bondergans Kammer zusammengestoßen ist. Ihr habt überlebt und seid eingedrungen. Ihr habt mich getötet, sagt es ihnen. Dann seid ihr nach Kinster-Hayn geflogen.« »Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Geschichte durchkommen«, murmelte Atlan und starrte den sterbenden Camagur an. Alles hätte ganz anders enden können. »Jedenfalls befolgen wir deinen Rat.« »Das ist gut. Ich habe immer nur gegen die Scuddamoren gekämpft und für die Freiheit. Helft den Völkern im Marantro …« Ein schwaches Zittern durchlief seinen Körper. Seine Ohren rollten sich auf, als wollten sie ein unermeßlich leises Geräusch auffangen. Dann starb Hehl Bondergan. Atlan richtete sich auf und sah im grellen Licht seine Gefährtin an. »Das war unnötig«, sagte er und senkte den Kopf. »Auf seine Art war er sicherlich ein ganz verträglicher alter Bursche. Er tut mir leid.« »Jedenfalls scheint er in dem Bewußtsein gestorben zu sein«, sagte Thalia, »daß wir Feinde der Scuddamoren und Verteidiger der Freiheit sind. Sein Haß ist vorbei, und Bondergan wird einer der Namen bleiben, die einen Ruf als Gegner von Chirmor Flog hatten.« »Und wir – beziehungsweise die Scuddamoren Mänerg und Kärdyn – sind diejenigen, die ein Freiheitssymbol oder einen Rebellen getötet haben«, schloß Atlan. »Suchen wir Werkzeuge und so etwas wie eine Kältekammer.« Sie fanden einen anderen Weg zurück in den Ringkorridor. Travvnar war verschwunden, und sie hörten nicht einmal seine Signale. Der Felsbrocken raste lautlos und in unterlichtschnellem Flug durch den leeren Weltraum. Die Situation hatte sich binnen kurzer Zeit abermals grundlegend geändert. Leichte Ratlosigkeit überfiel Atlan, als er die Zentrale betrat und die große Menge von Geräten und Steuerpulten sah. »Ich glaube, ab jetzt sind wir Traaunars
23 Kenntnissen ausgeliefert«, sagte er in GarvaGuva und öffnete den goldenen Anzug der Vernichtung.
* Einige Stunden später hatten sie Hehl Bondergans Körper in einige silberglänzende Folien eingewickelt und in einer Kühlkammer deponiert, deren Felswände von weißem Rauhreif dick gepanzert waren. Ein ausgedehnter Rundgang hatte ihnen den Rest des relativ kleinen Mondes gezeigt und bewiesen, daß sie allein waren. Außer dem Spielzeug Travvnar war niemand mehr an Bord, nicht einmal Labortiere. Atlan und Thalia legten die Anzüge ab, deponierten die große Plejade und den Kasten mit den unersetzlichen Ärgetzos in einem leeren Fach der Zentrale und versuchten, nachdem sie sich erfrischt und ausgeruht hatten, die Technik des Asteroiden kennenzulernen. »Inzwischen haben wir eine Menge Erfahrung in diesem Teil des Weltraums, uns als exotische Wesen auszugeben, die wir nicht sind«, stellte Atlan fest und schaffte es langsam, die Bildschirme umzuschalten. Jetzt zeigten sie nicht mehr die gespeicherten Untersuchungsergebnisse der »Fremden« beziehungsweise der falschen Scuddamoren. Die Speicherinhalte zu löschen gelang dem Arkoniden nicht. Mehr und mehr Sterne der Umgebung erschienen auf den Schirmen. Atlan entdeckte Ortungseinrichtungen von beträchtlicher Qualität und aktivierte diejenigen, die noch nicht arbeiteten. »Bei der Menge von Scuddamoren, die wir allein festgestellt haben«, unterstützte ihn Thalia, »können wir mit unserer Maske tatsächlich Erfolg haben. Besonders die Leiche des Scuddamoren-Jägers wird uns glaubhaft sein lassen.« »Wir können nur hoffen, daß man uns nicht allzu viele Fragen stellt«, sagte der Arkonide. »Nicht alle Antworten können so allgemein gehalten werden, wie wir es tun
24 müssen. Wir gehen jedenfalls ein erhebliches Risiko ein.« »Das tun wir, seit wir Pthor verlassen haben!« meinte die Odinstochter. Während sie arbeiteten und den Asteroiden immer besser zu beherrschen lernten, entwickelten sie die Teile ihrer Geschichte, stellten Fragen, die zu erwarten waren und konstruierten darauf Antworten, die wahrscheinlich und überzeugend klangen. Es war tatsächlich so, daß Hehl Bondergans Vorschlag die einzige Alternative darstellte. Falls sie auf Kinster-Hayn überlebten, würde es sie ein großes Stück in der freiwillig gewählten Richtung weiterbringen. Plötzlich hörten sie hinter sich das klagende Hupen und Trompeten von Travvnar. Das metallene Ding erschien, summte an Atlans Kopf vorbei und entließ mehrere Ringe aus rotem Dampf. Atlan sagte halblaut: »Ich verstehe kein Wort oder vielmehr keinen Ton. Du sollst uns zeigen, wo wir die Koordinaten von Kinster-Hayn finden. Von dir sollen wir lernen, wie wir einen überlichtschnellen Sprung dorthin ausführen können.« Thalia blickte das Ding, das einem bizarren Insekt sehr ähnlich sah, mit hochgezogenen Brauen an. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »er braucht neuen Treibstoff.« Ein langgezogener, lauter Akkord und eine gelbe Rauchwolke schienen die Richtigkeit des Einwands zu bestätigen. Travvnar stieß im Sturzflug auf ein Pult zu und verharrte dicht darüber. Atlan ging an die bezeichnete Stelle und klappte schließlich einen abgegriffenen Deckel hoch. Das Fach war gefüllt mit kleinen grauen Würfeln, so groß wie ein halber Daumen. Atlan sah zu, wie Travvnar einen Würfel ergriff, an seinem Körper eine Klappe öffnete und den Würfel hineinfallen ließ. Dann gab er einige fröhliche Fanfarenstöße und hellblaue Ringe von sich und flog zurück zu den Steuergeräten im unmittelbaren Bereich des Sessels,
Hans Kneifel dessen Form allerdings für Atlan höchst ungewohnt und unbequem war. Schritt für Schritt entwickelten sie den Kurs, beziehungsweise die verschiedenen Schaltungen und Manipulationen der Maschinen. Der Umstand, daß die Technik des Asteroiden ihre eigene, erkennbare Logik besaß, half Atlan entscheidend. Die Geschwindigkeit des Asteroiden erhöhte sich; der Felsbrocken beschleunigte und stürzte sich auf sein fernes Ziel zu. Kinster-Hayn lag direkt voraus.
5. Die Galionsfiguren der sieben Organschiffe verständigten sich untereinander. Es war nicht der erste Einsatz dieser Art. Zuerst glitten die Schiffe des kleinen Verbandes fächerförmig auseinander, dann begannen sie das Ziel einzukesseln. Die Organschiffe bremsten stark ab, als sie die überaus starken Ortungsimpulse ausmachten. Genau zwischen ihnen trieb das zerfetzte Wrack der SKEILAS. Zur selben Zeit, als der Scuddamore Yärling den Kode des zerstörenden Fernimpulses an den Spezialsender gegeben hatte, war der Startbefehl an die Organschiffe ergangen. Yärling wußte, daß der Impuls die SKEILAS sprengen, die Insassen und die abtrünnige Galionsfigur töten und den Antrieb zerstören würde. Das Wrack entkam ihm nicht. Und mit dem Wrack die unersetzlichen zweihundertfünfzig Ärgetzos. »Es ist das Ende, wenn die Ärgetzos nicht gefunden werden. Und zwar mein Ende«, hatte er laut ausgesprochen. Niemand in seiner Umgebung zweifelte daran. Die Scuddamoren erkannten einander an den Schwingungen der Stimmen, die aus den Schattenschildern hervordrangen; diese Fähigkeit war angeboren und niemals geschult worden. Ranghöhere Scuddamoren besaßen einen Schild, dessen düstere Ausstrahlung stärker war. Sie verbarg den Körper hinter der Energieglocke noch stärker,
Die falschen Scuddamoren wahrte also die Anonymität des Bedeutungsvolleren besser. Dann schrie Yärling: »Wagt es nicht, ohne die Ärgetzos zurückzukommen! Sie sind für eine Ewigkeit die absolut letzten, die Chirmor Flog bekommen kann. Eure Vorstellungskraft reicht nicht aus, um die Folgen zu erkennen.« Die Schiffe waren gestartet, hatten ohne Schwierigkeit das Wrack geortet und entließen jetzt, nachdem sie die Richtung und die Fluggeschwindigkeit angeglichen hatten, die Suchkommandos. Das Wrack wurde in großer Schnelligkeit geentert. Mächtige Scheinwerfer blitzten auf. Die Scuddamoren-Suchmannschaften drangen durch die zahlreichen Löcher und Risse ins Wrack ein. Sie fanden die Spuren der Verwüstungen, sie sahen die furchtbar entstellte Leiche der Galionsfigur und die herausgerissenen Verbindungen und Anschlüsse. Die Leichen der beiden Fremden fanden sie nicht. Sofort wurde ein Funkspruch zu Yärling abgesetzt. Er hörte die Meldung und dachte lange nach. Schließlich sagte er in einer unnatürlich wirkenden Ruhe: »Durchsucht jeden Winkel des Schiffes. Der Behälter muß gefunden werden. Es gibt keinen Zweifel, daß die Fremden mit ihm geflohen sind, und er muß sich also im Wrack befinden. Sucht weiter!« Die Suche wurde mit doppelter Gründlichkeit noch einmal von vorn begonnen. Yärlings Entsetzen wuchs. Der Kadaver von Stiezy, der Galionsfigur der SKEILAS, war der einzige Überrest an Bord. Die Fremden waren buchstäblich spurlos verschwunden. Ein neuer Funkspruch zuckte hinaus zu der dahintreibenden Flotte. »Sucht das umliegende Raumgebiet ab. Beginnt an den Koordinaten, an denen das Schiff gesprengt wurde. Ihr müßt die zwei Fremden und den Behälter finden!« »Verstanden.« Yärling wartete in wachsender Verzweiflung. Er lebte so gern wie jeder andere.
25 Noch war sein Bericht an Chirmor Flog nicht abgeschickt worden, aber er konnte ihn nicht mehr lange aufschieben. Wenn er nicht binnen kurzer Zeit die zwei merkwürdigen Fremden fand und mit ihnen die letzten Ärgetzos im Marantroner-Revier, würde nicht nur er sterben. Oder noch schlimmer von Chirmor Flog bestraft werden. Er war sogar bereit, die Suche nach den Fremden einzustellen – wenn er nur die Ärgetzos fand. Sie waren nicht im Wrack der SKEILAS. Er rechnete zwar damit, daß man sie oder ihre erstarrten Körper entlang der Route des Wracks fand. Aber ebenso konnte es möglich sein, daß sie auch dort nicht gefunden wurden. Wo konnte er noch nach ihnen forschen und suchen? Wo konnten sie sich, die Totgeglaubten, verstecken? Yärling wartete. Seine Verzweiflung wuchs. Sein Entsetzen erreichte einen Höhepunkt, als die Suche ergebnislos abgebrochen wurde. Es war nach allen Erfahrungen sicher, daß sich die Körper der Fremden auch nicht im Weltraum befanden. Sie schienen direkt im Kern der Detonation gestanden zu haben, und das Feuer hatte sie zu Molekülen zerrissen. Und mit ihnen den unersetzlichen Schatz an Ärgetzos.
6. Selbst im Reigen der exotischen Welten im Vorfeld der Schwarzen Galaxis galt Kinster-Hayn als ein Planet mit bemerkenswerten Oberflächen-Eigenschaften. Nur wenige Schiffe flogen ihn an; seine Koordinaten und Daten waren verschollen und wurden geheimgehalten. Um eine hellrote Sonne zogen zwei Planeten ihre Bahnkreise, und der weiter entfernte war die Wasser-Halbeis-Welt Kinster-Hayn. Das rote Licht der Sonne strahlte nicht auf riesigen Meeren oder weißen Brandungslinien, sondern lag auf den Flanken riesiger Gebirge. Die Berge zeichneten ein annähernd netzförmiges Muster auf die Planetenober-
26 fläche und bestanden aus einem Felskern und mächtigen, oft kilometerdicken Eisschichten. Dieses Eis schmolz langsam, aber es gab kaum Gletscher. Schmelzwasser speiste Rinnsale, Bäche und Flüsse, die sich zu mächtigen Strömen verbanden. Die Ströme verdunsteten in Form von flachen Seen in eisbedeckten Ebenen und zwischen den schmalen Vegetationsstreifen. Der Berg, der das Hauptquartier der Scuddamoren beherbergte, war ein Gigant unter Riesen und hatte, was in der seltsamen gesellschaftlichen Struktur der Scuddamoren eine Seltenheit bedeutete, einen Manen. Es war der Bandär. Bandär war ein Begriff mit vielen Bedeutungen; selbst in Garva-Guva konnte er als Festung, Heimstatt, Quelle von Wärme und Bedeckung, Höhle oder Unterschlupf verstanden werden. Säntho, der Oberste Verantwortliche, gönnte sich einige Minuten der Entspannung. Er ging hinaus auf die Kanzel aus blaugrünem Eis und blickte das Panorama an. Das kirschrote Sonnenlicht verwandelte alle Kanten und Linien und sogar Teile der Ebene in Bildausschnitte, die Sänthos Erinnerungen anregten. Er fühlte sich auf unerklärliche Weise wohl, als er die Reihen von Organschiffen zwischen den Flüssen und Bächen des ebenen großen Lande-Platzes sah. Es war heute ungewöhnlich warm; ein feuchter Wind fuhr den langen, zackigen Hang der Bandär herunter und kräuselte das Gras, das an jedem nicht von Eis bedeckten Fleck bis in Scuddamoren-Größe wuchs und wucherte. Ein herrlicher Tag, sagte sich Säntho. Die Ruhe, die ich jetzt fühle, wird nicht lange anhalten. Ich kenne diese Spannung in mir. Sicher sorgt Chirmor Flog wieder für eine seiner berüchtigten Überraschungen. Jedermann hier kannte Säntho. Sein Schattenschild war groß und energieintensiv. Der grau schimmernde Schild würde jedem Versuch widerstehen können, das Aussehen und die wahre Identität des Scuddamoren herauszufinden. Ein Faktor
Hans Kneifel von geradezu unwichtiger Bedeutung – wer sollte dies jemals versuchen? Aber noch andere Eigenschaften zeichneten den Chef aus. Solche, die seine Untergebenen kannten und andere, die seine Privatsache blieben. Er war seiner Aufgabe unbedingt treu und würde keinen Millimeter von seinen Überzeugungen abweichen, aber besaß die Fähigkeit, selbständig zu denken. An seiner Schulter summte ein kleines Gerät schrill auf. Säntho sagte mit einer überraschend weichen Stimme: »Ich komme.« Er ließ sich Zeit. Nichts war derart wichtig, daß er zu laufen beginnen müßte. Er war nicht nur ein präzise funktionierendes Instrument im Dienst Chirmor Flogs, sondern ein reifer Scuddamore, der genau wußte, daß das Leben irgendwann anfing und irgendwann aufhörte, und der ahnte, daß sein Leben sozusagen zweimal angefangen hatte. Alle seine Erinnerungen wiesen auf diesen Punkt hin, aber sie blieben unverändert undeutlich und ungewiß. Vielleicht hatte er die Chance, dies herauszufinden. Vielleicht. Bis zu diesem Zeitpunkt würde er tun, was man ihm auftrug, und nach wie vor blieben die Maximen des Handelns die Gesetze des Dunklen Neffen Chirmor Flog. Wieder summte das Rufgerät. »Ich bin schon da!« sagte Säntho und schloß sorgfältig die dick isolierten Türen zwischen den Innenräumen und der feuchten Wärme draußen. Der Bildschirm, der ein Endpunkt einer stehenden Verbindung zwischen den Flotten im Orbit und der Bodenstation im Bandär war, befand sich im Zentrum des Raumes. Der Kommandant der Flotte spiegelte sein Rufzeichen auf den Schirm, und als Säntho es dekodiert hatte, sagte er laut: »Hier Chef Säntho. Was gibt es?« »Ein kleiner Asteroid, annähernd kugelförmig, befindet sich im Anflug. Er hat laut Auskunft von Mänerg und Kärdyn den Eigennamen Bondergans Kammer. Der Leichnam eines Scuddamoren-Jägers ist steifgefroren an Bord. Hat das Raumschiff Lande-
Die falschen Scuddamoren erlaubnis auf der Ebene Bandär?« Säntho erinnerte sich blitzartig. Er kannte den Namen. Bondergan hatte, als er vor einer Ewigkeit geflüchtet war, deutliche Drohungen ausgestoßen. Niemals hatte man ihn wieder gefunden oder gesehen, aber es hieß, daß Hunderte Scuddamoren von ihm getötet worden waren. »Landeerlaubnis ist erteilt. Zwei Schiffe sollen den Asteroiden eskortieren.« »Ich habe verstanden.« Das Bild des Schattenschilds und die Kodenummer verschwanden vom Bildschirm. Sofort schaltete der Funker um. Im Licht der roten Sonne schob sich der Asteroid auf die Linsen zu. Schweigend stand der Chef da und überlegte. Bondergans Kammer! Also mußte sich der Scuddamoren-Jäger irgendwann in den Besitz dieses Felsbrockens gesetzt haben. Die Namen Mänerg und Kärdyn waren ihm nicht bekannt – möglich, daß er sie schon einmal in einem anderen Zusammenhang gehört hatte. »Ich sollte wohl diese Meldung weitergeben, direkt und auf schnellstem Weg nach Säggallo«, meinte Säntho und überlegte. Nein! Zuerst wollte er sich die zwei erfolgreichen Scuddamoren etwas näher ansehen. Er bevorzugte es, nur weitestgehend geklärte Vorkommnisse weiter zu berichten, besonders zur Hofhaltung des Neffen. Er kontrollierte die anderen Einrichtungen auf den Schirmen der Zentrale. Sie war tief im Eis eingegraben und Teil eines gewaltigen Höhlensystems. Teilweise unterhalb der dicken Eisschicht herrschte zwischen der BandärEbene und dem Fuß des Berges ständiger Verkehr an Waren, Gütern und Organismen. Säntho drückte einen anderen Schalter und fragte: »Gibt es besondere Meldungen von den Ausbildungsstätten?« Unregelmäßig um die Flächen der Raumschiff-Landeplätze verteilt, ebenfalls zwischen Eishängen, den Grasebenen und den vielen Ufern von Flüssen und Bächen, lagen ausgedehnte Gebäudekomplexe. Dort wur-
27 den ständig neue Scuddamoren ausgebildet. Es gab viel zu lernen, und auch das Gehorchen mußte konditioniert werden. Kein nicht vollkommen ausgebildeter Scuddamore hatte je, solange der Chef hier Dienst machte, den Planeten verlassen. »Dir sind die Meldungen der heutigen Morgenuntersuchung zugeleitet worden, Säntho?« Wieder konferierte der Chef mit einem Schatten und einer Kodenummer auf dem Bildschirm. »Ja. Ich habe sie durchgearbeitet.« »Sonst gibt es keinerlei Neuigkeiten.« »Ausgezeichnet. Verständige die Untersuchungssektion. Der Körper von Hehl Bondergan kommt angeblich tot und tiefgekühlt. Ein Trupp der Kadetten soll ihn abholen und in die Laborabteilung bringen. Das ist ein hervorragendes Stimulans. Endlich haben wir Bondergan gefaßt.« »Wer brachte ihn zur Strecke?« Der Chef sagte: »Zwei Scuddamoren, Mänerg und Kärdyn. Sie sollen einem Suchkommando angehören. Ich kenne sie nicht.« »Sind mir auch nicht bekannt. Wird sich wohl ändern, denn das Ereignis muß dokumentiert werden.« »Zutreffend. Ich werde mit ihnen selbst sprechen. Du erledigst alles andere direkt nach der Landung.« »Selbstverständlich.« Säntho schaltete sich aus der Verbindung. Er konnte sich darauf verlassen, daß jeder seiner Befehle in jedem Fall unverzüglich und sinngetreu ausgeführt wurde. Er wartete nur kurze Zeit, dann sah er auf einem stark vergrößernden Sucher-Bildschirm, wie zwei kleinere Organschiffe aus dem Orbit herunterstießen. Sie flankierten einen riesigen Körper, der tatsächlich sekundenlang wie ein vernichtend abstürzender, rot aufglühender Mond aus schwarzem Fels aussah. Erst in den untersten Schichten der Lufthülle und im direkten Vergleich zum Landeplatz und zu den umgebenden Bergen wurde die relativ geringe Größe des Mondes deutlich. Es
28 war ein kugelförmig aussehender Riesenmeteorit oder Asteroid. Das seltsame Raumschiff aus Felsen und Stahl bremste seine Fahrt vorsichtig ab und landete außerordentlich präzise. Es setzte weich auf und blieb wie eine weggeworfene Kugel am Rand eines Landefeldes liegen. Säntho murmelte vor sich hin: »Die beiden unbekannten Scuddamoren scheinen überdies hervorragende Raumfahrer zu sein. Vermutlich sind sie direkt dort unten irgendwo ausgebildet worden. Meine Schule!« Es war nicht anzunehmen, daß sich ausgerechnet im Asteroiden des Scuddamoren-Jägers Hehl Bondergan eine Galionsfigur befand. Säntho sagte leidenschaftslos zu einem seiner zahlreichen Scuddamoren-Adjutanten: »Ich bin ab jetzt in meinem Büro zu erreichen. Wenn das Entladekommando fertig ist, bringt ihr die beiden Scuddamoren zu mir. Sie scheinen von höchster Qualifikation zu sein.« »Selbstverständlich, Säntho«, erwiderte der Scuddamore. »Unter Bewachung?« Der schwache Schatten hinter dem mächtigen Schattenschild schien sich vor dem Untergebenen auszubreiten und stärker zu werden. »Was soll diese Frage? Es gibt nicht den geringsten Grund für diese Maßnahme!« »Ich habe verstanden, Chef.« »Dann führe aus, was ich angeordnet habe.« Säntho wandte sich wortlos ab und verließ die Zentrale. Von seinem Büro aus betrat er durch ein ausgeklügeltes System von Kammern und Schleusen einen aus dem Eis geschmolzenen Gang. Das Licht ließ das seit Jahrhunderten gefrorene Wasser weiß und geheimnisvoll aufschimmern. Abermals fühlte der riesige Scuddamore den drängenden Einfluß einer undeutlichen, aber starken Erinnerung. Es schien Zeiten gegeben zu haben, in einem früheren Leben, in denen auch er in einer hellen, glitzernden Höhle wie die-
Hans Kneifel ser gelebt hatte. Jene Zeiten schienen glücklicher oder zumindest entkrampfter gewesen zu sein. Unwillig schob er die störenden Gedanken zur Seite und öffnete ein gesichertes Schott. Nur er und wenige andere Scuddamoren auf diesem Planeten kannten den Kode, der die schweren Schlösser öffnete und eine Selbstzerstörung verhinderte. Ein kleiner, hervorragend ausgestatteter Beobachtungsraum lag hinter dem Schott. Der Chef setzte sich auf einen Hocker, der ebenfalls aus dem Eis herausgeschmolzen war. Große Bildschirme zeigten die Bilder des Innern der Tiefen Höhlung. Sie war im Berg Bandär versteckt; niemand kannte die genauen Koordinaten. Der Metamorphose-Schlag wurde in dieser Höhle vorbereitet! Hinter dem Schattenschild funkelten die Augen Sänthos auf. Sein Blick wanderte langsam und kontrollierend über die Einzelheiten, die ihm seit langem vertraut waren. Nur er und wenige andere auf dieser Welt kannten die wahren Hintergründe des Vorhabens. Viele Scuddamoren arbeiteten an den verschiedenen Stationen. Die Tiefe Höhlung wirkte auch heute auf ihn noch wie eine Mischung zwischen Labor und Kraftstation, wie ein Geheimnis, das nur die reife Technik hervorbringen konnte. Säntho erinnerte sich noch genau an die Zeit und an den riesigen Aufwand, als man die Gänge in das Eis geschmolzen, die Maschinen, Geräte und Anlagen hineingeschafft und dann nahezu alle Gänge und Korridore wieder mit eiskaltem Wasser geflutet hatte. Binnen erstaunlich kurzer Zeit war das Wasser zu beinhartem Eis gefroren und hatte jeden Winkel und jeden Nebenkorridor für alle Zeiten wieder verschlossen, als habe es ihn niemals gegeben. In der von Helligkeit durchfluteten Tiefen Höhlung bewegten sich Scuddamoren hin und her, sprachen miteinander, bildeten Gruppen und lösten sich wieder auf. Vor dem hellen und strahlenden Hintergrund des durch Hitze geformten Eises wirkten die
Die falschen Scuddamoren Schattenschilde wie unwirkliche Schemen, wie Wesen, die sich der Fixierung durch Blicke entziehen wollten. Jeder arbeitete an diesem Projekt. Keiner hielt sich mit unnötigen Pausen auf. Eine zielstrebige Rastlosigkeit erfüllte sie alle. Keiner legte jemals seinen Schattenschild ab beziehungsweise schaltete ihn aus; die Sicherheit der relativen Anonymität bot ihnen allen den erwünschten und notwendigen Schutz. »Ausgezeichnet. Wir werden nicht mehr lange brauchen, dann sind die Vorhaben realisiert!« bemerkte der Chef zu sich selbst. Zwar haßte er es, ununterbrochen mit anderen kommunizieren zu müssen, aber manchmal wünschte er sich auch, sein Wissen mit anderen diskutieren zu können. In diesem Augenblick summte wieder das Rufgerät auf seiner schuppigen Schulter, über dem isolierenden Umhang. »Ja?« fragte er, aus seinen Gedanken gerissen. »Die zwei Scuddamoren Mänerg und Kärdyn warteten in deinem Büro, Säntho.« Er schaltete systematisch einen Beobachtungsschirm nach dem anderen aus und erwiderte: »Sie sollen es sich bequem machen. Ich bin sofort bei ihnen.« »Verstanden.« Ein merkwürdiges Gefühl ergriff ihn, gemischt aus Mißtrauen, Bewunderung und der Treue zu den Maximen Chirmor Flogs. Als er durch die kühlen, hellen Gänge und Korridore schritt, sagte er sich, daß Neid auf raumfahrende Scuddamoren ein schierer Unsinn war; sie alle waren gleich qualifiziert und gleich wichtig, denn sie dienten ausnahmslos alle dem Neffen. Er öffnete das letzte Schott zu seinem Dienstzimmer und sah sich zwei Scuddamoren gegenüber. »Ich heiße euch willkommen«, sagte er nachdenklich. Die Schattenschilde der beiden Fremden strahlten durchschnittliche Mengen Intensität aus. »Ihr also seid die beiden Kämpfer, die Hehl Bondergan in seiner Kammer getötet haben?«
29 Der größere Inhaber des Schattenschilds erwiderte gemessen: »Es war weniger dramatisch, als du vermutest, Säntho. Du bist hier der oberste Verantwortliche?« »Ja. Wie seid ihr in den kleinen Mond hineingekommen?« Kärdyn, der kleinere Schatten hinter dem Schild, besaß eine hellere, ebenso kühle Stimme. Er sagte: »Wir wurden als Suchkommando vor einigen Jahren ausgeschickt. Es war mehr als ein Zufall, daß unser Schiff den Asteroiden rammte oder vielmehr umgekehrt. Hehl Bondergan merkte, daß er ein ScuddamorenOrganschiff getroffen hatte, schleuste ein Boot aus und holte uns an Bord. Wir waren die einzigen Überlebenden und stellten uns tot. Als wir innerhalb des Mondes waren, entspann sich ein Kampf. Wir blieben Sieger und verbrachten lange Zeit damit, die Technik des Mondes beherrschen zu lernen. Inzwischen können wir ganz gut mit dem raumschiffähnlichen Asteroiden umgehen. Wir können wieder zu anderen Arbeiten oder für andere Aufgaben eingesetzt werden.« Säntho musterte die beiden Schatten. Sie hoben sich, wie auch er und alle übrigen Scuddamoren im Bandär, scharf gegen das weiße, schimmernde Eis der Wände ab. Ein Hauch von Erfahrung ging von ihnen aus, eine Art Aura, die jene besaßen, die zwischen den Sternen reisten und lange allein waren. »Wer war Bondergan?« fragte Säntho schließlich. »Ein alter, eigentümlich reagierender Camagur. Er besaß als Dialogpartner ein dampfgetriebenes Spielzeug von geringer mechanischer Intelligenz«, sagte der Scuddamore, der sich als Mänerg vorgestellt hatte. »Sein Asteroid ist voller Fallen für Scuddamoren. Bondergan schien zu planen, unser Geheimnis herauszufinden und es im Bereich des Marantroner-Reviers kundzutun.« Säntho deutete auf einen Bildschirm. »Nicht nur ich bin froh, daß Bondergan
30 tot ist. Viele von uns gehen auf sein verderbliches Konto. Ich werde eure Tat nach Säggallo durchfunken und bin sicher, daß sich Chirmor Flog lobend äußert.« »Es ist nicht denkbar, daß er uns zu sich nach Säggallo ruft und persönlich sich berichten läßt?« fragte Mänerg. Er schien von dieser Aussicht seltsam bewegt zu sein. »Alles ist möglich«, gab Säntho zurück. Er fühlte ein unbestimmtes Mißtrauen diesen beiden Scuddamoren gegenüber. Sie schienen frei und gedanklich unabhängig zu sein, weitaus freier, als er es sich vorstellen konnte. Sachzwänge, die ihn einschränkten, schienen sie nicht zu kennen. »Aber ich denke, Chirmor Flog will ungestört bleiben und wird euch deshalb nicht empfangen. Ich kann mich nicht entsinnen, daß jemals ein Scuddamore wegen solcher Taten persönlich empfangen wurde. Sicher, es ist allgemein bekannt, daß der Neffe, laut werde sein Name ausgesprochen, an allem gebührenden Anteil nimmt. Aber eine private Audienz – ich meine, das werdet ihr nicht erleben!« Ohne hörbares Bedauern antwortete Mänerg: »Es war auch nur eine flüchtige Idee. Wir werden unsere Aufgaben nicht weniger begeistert erfüllen, wenn wir nicht den Schattenschild des Neffen persönlich sehen können. Wir sind hier, und wir haben Bondergans Leiche abgeliefert. Was geschieht jetzt mit uns?« »Bondergan wurde bereits in die Labors gebracht. Er und sein Asteroid werden auf das Genaueste untersucht. Zusammen mit der Erwähnung eurer kühnen Tagen werden die ersten Untersuchungsergebnisse nach Säggallo durchgegeben. Auf euch warten sicherlich weitere interessante Aufgaben – im Moment weiß ich jedenfalls nichts Neues. Ihr könnt euch im Innern des Bandär zunächst erholen und an den Segnungen unserer Gemeinschaftseinrichtungen teilnehmen«, erklärte Säntho. Die reifen Scuddamoren hatten eine Meisterschaft darin entwickelt, aus den geringsten Schwingungen der Stimmen von Un-
Hans Kneifel zahl von Informationen zu entnehmen. Sänthos Begabung versagte in diesem Fall ganz; auch der Akzent, in dem diese beiden Männer Garva-Guva sprachen, irritierte ihn und machte ihn unsicher. Sie waren … anders. Das war der richtige Ausdruck. Anders als alle Scuddamoren, die er kannte, und die Anzahl jener war riesengroß. »Wir danken dir. Allerdings haben wir nicht die geringste Ahnung, wie es im Bandär aussieht und wie es sich leben läßt.« »Mein Adjutant wird euch alles zeigen und jede nötige Auskunft erteilen«, sagte Säntho. »Mich entschuldigt ihr sicher. Ich habe viel zu tun.« »Selbstverständlich.« Ein Knopfdruck rief einen weiteren, weniger intensiv ausstrahlenden Scuddamoren herein. Atlan und Thalia begriffen, daß die Scuddamoren nicht einmal unter sich und innerhalb ihres Gemeinwesens die Schattenschilde abschalteten. Dies mußte einen außerordentlich wichtigen Grund haben; es würde vielleicht herauszufinden sein. Sie trauten diesem Säntho nicht, obwohl seine Freundlichkeit echt zu sein schien. Er war voller Nachdenklichkeit und Unsicherheit. Sie rechneten damit, von ihm auf das Genaueste überprüft zu werden. Der Chef wandte sich an den Helfer und sagte: »Bringe Mänerg und Kärdyn in gute, schöneingerichtete Quartiere. Sie sollen alles haben, was sie brauchen und was der Bandär hergibt. Klar?« »Ich dachte bereits, daß die Bezwinger von Bondergan entsprechend untergebracht werden«, versicherte der Adjutant. »Kommt mit mir.« Als sie sich unmittelbar vor dem Schott befanden, rief Säntho: »Mänerg! Noch eine Frage.« Abwartend blieben sie stehen. Atlan war sicher, daß der Reigen unangenehmer Fragen noch lange nicht beendet war. »Wie hieß das Schiff, das als Suchkommando ausgeschickt wurde?« Atlan hatte bereits einen Namen erfunden.
Die falschen Scuddamoren Er hoffte, daß diese oder eine täuschend ähnliche Kombination von Buchstaben zu der Flotte der Scuddamoren-Organschiffen gehörte. »Es war die GANIER. Ein kleines, altes Schiff, sehr schnell und von einer erfahrenen Galionsfigur gesteuert.« »Sie fand den Tod?« fragte der Chef sofort zurück. »Beim Zusammenstoß mit Bondergans Kammer. So nannte er seinen Satelliten. Es war ein grünes Wesen mit Schlangenhals und Saugnäpfen, das sich, glaube ich, Sxalcal nannte.« Wenn diese Angaben einer genauen Überprüfung unterzogen wurden, sagte sich der Arkonide, dann würde vermutlich der Betrug nur teilweise herauskommen. Abermals gab es für sie in diesem Fall eine kleine Gnadenfrist. Er blieb mäßig optimistisch und erkundigte sich: »Gibt es weitere Unklarheiten? Wir möchten dich nicht zu lange aufhalten, Säntho!« »Nicht im Augenblick. Sicher werden sich einige wichtige Fragen ergeben. Ich gestatte mir in diesem Fall, eure Ruhe zu stören.« »Du wirst uns stets bereit finden, im Interesse von Flogs Gesetzen zu handeln. Verfüge über uns!« sagte Kärdyn unbeeindruckt. »Mit Sicherheit«, versprach der Chef. Es war und blieb völlig unklar, ob die Antworten zufriedenstellend ausgefallen waren. Der Adjutant führte Mänerg und Kärdyn durch einige Gänge, eine Rampe aufwärts und in die Zimmer, die entgegen Sänthos Anspielungen äußerst einfach gehalten waren. Alles wirkte eintönig und auf äußerste Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Die Scuddamoren waren zweifellos ameisenhaft gleichgeschaltete Massenwesen, die nur einer Idee gehorchten und keinen Luxus oder nicht einmal Bequemlichkeit brauchten, um mit der Perfektion organischer Maschinen zu funktionieren. Je mehr Atlan und Thalia von den Scuddamoren sahen und zu verstehen glaubten, desto mehr kamen sie notwen-
31 digerweise zu dieser Ansicht. Sie waren alle so anonym und gleichartig wie ihre projizierten Schattenschilde. »Fühlt euch wohl!« empfahl ihnen der Scuddamore höflich und ließ sie allein. Sie befanden sich in einer geräumigen Aussparung im weißen, wie dickes Milchglas wirkenden Eis. Der Boden war von einem dicken Teppich bedeckt, der aus organischer Materie zu bestehen schien. Obwohl sich der Raum im Mittelpunkt eines Eisbergs befand, war es einerseits angenehm warm, andererseits gab es nicht einmal Schmelzwasser an den Wänden. Atlan flüsterte: »Jetzt wissen wir es genau. Keiner der Scuddamoren legt jemals seinen Schattenschild ab. Nicht einmal, wenn sie allein und unter sich sind. Wir sind einem Geheimnis auf der Spur.« »Es ist unbequem und unpraktisch«, sagte Thalia nachdenklich und ebenso leise, »also hat es etwas mit einem Ritus zu tun, oder mit einer Konditionierung. Vermutlich sind sie alle so abstoßend häßlich; daß einer vor dem anderen erschrecken würde, wenn er ihn ohne Schild sähe.« »Das ist eine durchaus mögliche und sinnvolle Erklärung«, antwortete Atlan. »Wir sollten aber wirklich die angebotene Ruhepause nutzen.« Noch wußten sie nicht, ob Scuddamoren aßen, tranken oder sich duschten – alles im Schutz des Schattenschildes. Sie gingen daran, dieses Wissen durch die Benutzung der Einrichtung zu erwerben und waren sicher, abgehört oder beobachtet zu werden. Sie bewegten sich also so ungezwungen wie möglich. Nach einer Weile hatten sie festgestellt, daß durch die Schattenschilde hindurch eine normale Versorgung durchaus und fast unproblematisch möglich war. Also besaßen die Schilde über die Abwehr und Schutzfunktion hinaus offensichtlich noch eine sozialhygienische Funktion. »Ruhen wir uns aus, Liebste«, sagte Atlan in Pthora. »Ich bin sicher, daß die nächste
32 Aufregung nicht lange auf sich warten läßt.« Eine zutreffende Vorstellung, sagte lakonisch der Extrasinn. Thalia streckte sich unter dem düsteren Schutz des Energieschildes auf einer einfachen Liege aus und bemerkte, daß dieses Möbel für weitaus länger gewachsene Wesen hergestellt worden war. Also gab es (außer denen, die sie bereits gesehen hatten, und die mehr oder weniger die gleiche Größe gehabt hatten) sehr unterschiedliche Angehörige der Flog-Truppen; nicht nur in der Körpergröße. Die Tochter Odins sagte: »Säntho wird auch nicht lange auf sich warten lassen. Ich denke, er stellt so etwas wie ein Verhör mit uns an.« »Ich warte bereits auf ihn«, murmelte Atlan. »Aber er ist anders als alle Scuddies, die wir bisher getroffen haben.« »Du hast recht. Ich weiß nicht, was es ist, aber er scheint weniger ameisenhaft, weniger roboterähnlich zu sein. Wenigstens wirkt er so auf mich.« Atlan hatte keinen Grund, der intuitiven Feinfühligkeit seiner Gefährtin zu mißtrauen. Es stimmte, was sie sagte. Leise und schnell, wie zufällig, unterhielten sie sich weiter in Pthora. Sie hatten schon vorher ausgemacht, daß dies die Sprache gewesen war, angeblich, in der sie sich mit Bondergan zu verständigen versucht hatten, als sie einander in den Gängen des Asteroiden gehetzt hatten. Atlan sagte nach einer Weile, in der er seine Schläfrigkeit bekämpfte: »Hier einen Fluchtversuch zu unternehmen, wird nicht schwer sein.« »Der Anzug der Vernichtung?« fragte Thalia ebenso schläfrig zurück. »Ja. Ich fühle, wie er mich wärmt. Beim Kontakt mit dem Eis wird er sich in eine Art Exkavator verwandeln, der uns einen Schlupfweg durch die Eismassen bahnt.« »Es ist gut, dies zu wissen«, entgegnete sie. Innerhalb des Asteroiden und auf dem Flug hierher hatten sie sich gut erholt. Sie hatten Travvnar/Traaunar mit einem größe-
Hans Kneifel ren Vorrat an Energiewürfeln kurz vor der Landung durch eine winzige Luke entfliehen lassen und versucht, ihm beizubringen, daß die Scuddamoren ihn erbarmungslos in Einzelteile zerlegen würden, wenn sie ihn in Bondergans Kammer fänden. Traurig heulend, posaunend und vielfarbige Dampfringe ausstoßend, war Travvnar davongesurrt und irgendwo im Land zwischen den Bächen und Eisblöcken verschwunden. Thalia stellte die Schale mit dem Essen zur Seite. Es war ein offensichtlich synthetisch hergestellter Nahrungsbrei, der grau und abstoßend aussah und ebenso schmeckte. Aber er rief wenigstens ein deutliches Gefühl der Sättigung hervor. An der Hüfte Atlans hing der Beutel mit der großen Plejade; der Stein drückte unangenehm. Noch besaßen sie den Kasten, der die Ärgetzos enthielt – vielleicht verbarg Atlans Schattenschild diesen unersetzlichen Besitz auch vor den Augen Sänthos. Falls dieser Oberste Scuddamore über Augen verfügte, sagte sich Atlan. Das leichte Schott öffnete sich, ohne daß jemand geklopft hätte oder ein Signal ertönt wäre. Ein untergeordneter Scuddamore sah herein. »In wenigen Momenten wird euch Säntho besuchen. Er ist bisher wegen der Vorbereitungen zum Metamorphose-Schlag aufgehalten worden.« Ohne sich zu bewegen, sagte Atlan: »Wir sind bereit. Was aber ist der MetamorphoseSchlag?« Die Antwort erfolgte ohne Zögern und ohne hörbare Veränderung der Stimme. »Tief innen im Bandär befindet sich eine Station. Es ist eine riesige Anlage. Dort bereiten besonders ausgesuchte, wissenschaftlich gebildete Scuddamoren eine Waffe gegen einen mächtigen Gegner Chirmor Flogs vor.« »Das interessiert uns brennend«, erklärte Thalia. »Wir sind gegen jeden, der sich gegen Chirmor Flog aufzulehnen wagt.« Zögernd blieb der unbekannte Scuddamo-
Die falschen Scuddamoren re im Eisrahmen des Schottes stehen. Er war offensichtlich bereit, so viel zu sagen, wie er wußte. Viel war es nicht. »Nur wenige von uns kennen die genaue Lage des Höhlensystems tief im Berg. Und fast niemand weiß, worum es wirklich geht. Es scheint ein Züchtungsversuch zu sein, der eine Waffe hervorbringt, die alle starken Eigenschaften vereinigt, die wir Scuddamoren kennen.« »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Und nur Säntho weiß alles.« »Sänthos Verantwortung ist gewaltig. Er ist der wichtigste Scuddamore im Bereich des Bandär. Natürlich weiß und kennt er alles und jeden. Er hat auch maßgeblich an dem Plan für den Metamorphose-Schlag mitgewirkt und kontrolliert nun alles. Mehr weiß ich auch nicht, denn alle Zugänge zu diesem Wissen sind mit kodierten Schlössern versehen und zerstören sich selbst, wenn man unbefugt weiter eindringen will. Wie gesagt: Ihr solltet Säntho erwarten.« »Geht in Ordnung, Kumpel«, meinte Kärdyn gönnerhaft. »Du kannst uns verlassen.« Wortlos schloß der Scuddamore das Schott von außen. Die Verwirrung der beiden Pthorer stieg. Gab es zwischen den Scuddamoren ein geheimes System der Erkennung? Kurze Zeit später meinte Mänerg leise: »Auf alle Fälle sollten wir uns um das geheime Höhlensystem und den Metamorphose-Schlag kümmern.« »Er könnte nützlich sein. Vielleicht führt uns dieser Kämpfer für den Neffen direkt zu Chirmor Flog und somit zur Lösung der Pthor-Fragen? Wer weiß?« wandte Kärdyn ein, aber sie glaubte selbst nicht ernsthaft daran. »Durchaus möglich«, sagte Mänerg und versuchte sich vorzustellen, was hinter dem geheimnisvollen Höhlensystem und dem Metamorphose-Schlag stecken konnte. Metamorphose, dies war die Verwandlungskette bei Insekten, die verschiedene Stadien mit jeweils eigenen Erscheinungsformen durch-
33 lief. Mitten in diese müßigen Überlegungen hinein öffnete sich abermals das Schott. Diesmal war es unverkennbar Säntho. Er blieb zwischen beiden Lagern stehen und sah zu, wie sich Mänerg und Kärdyn aufrichteten. Atlan dachte wieder an den Kasten voller Ärgetzos. Konnte Säntho ihn entdecken? »Um die Schwierigkeiten eures Einsatzes richtig würdigen zu können«, begann er, »und um den Neffen einen zutreffenden Bericht geben zu können, fehlen mir ein paar Antworten auf Fragen.« »Stelle deine Fragen«, sagte Mänerg. »Aber bedenke, daß wir Scuddamoren kein Aufhebens von schwierigen Abenteuern machen.« Säntho stieß einen undefinierbaren Laut aus und rief: »Wer wüßte dies besser als ich! Wie lange war die GANIER unterwegs, ehe sie auf Bondergans Kammer stieß?« »Vier Jahre, und wir erledigten in dieser Zeit andere Einsätze.« Die Fragen werden präziser, sagte der Logiksektor beunruhigt, und von den Antworten kann euer Leben abhängen! »Wie groß war die Besatzung?« Diesmal antwortete Kärdyn: »Es waren außer uns noch fünfzehn Scuddamoren an Bord. Das Schiff war frisch gewartet worden. Wir wissen nicht, von welchem Einsatz es zurückkam, als wir es betraten. Die Mannschaft wurde im Hafen von Danjitter-Tal auf Xudon ausgewechselt. Was willst du mehr wissen?« »Woher habt ihr die Koordinaten von Kinster-Hayn?« »Ein Scuddamore der getöteten Besatzung nannte sie uns, und außerdem fanden wir sie in den Speichern von Bondergans Kammer.« »Du hast sicher schon nachgesehen und festgestellt«, fügte Kärdyn hinzu, »daß unser letzter Kurssprung mit vorhandenen Daten programmiert wurde.« »Auch das wird in meiner Meldung an den Neffen stehen, weithin erstrahle sein Glanz«, versicherte Säntho undurchdring-
34 lich. »Wir obduzieren gerade Bondergan. Wie habt ihr ihn getötet?« Wahrheitsgemäß versicherte Mänerg: »Wir trieben ihn im Lauf einer langen, gefahrvollen Hetze in eine seiner Fallen, die wir rechtzeitig erkannt hatten. Er wurde von schweren metallischen Gittern und Stacheln erschlagen und zermalmt.« »Warum erfolgte die Kollision der GANIER mit dem kleinen Mond des Bondergan?« »Beide Raumkörper befanden sich kurz nach einem überlichtschnellen Manöver auf direktem Kollisionskurs. Es blieb keine Zeit mehr, auszuweichen. Unser Schiff wurde natürlich von der Galionsfigur gesteuert, die als erste starb. Wir waren in einem Raum, der nicht zerrissen wurde.« Weder Mänerg noch Kärdyn hatten den geringsten Hinweis darauf, ob ihnen Säntho glaubte oder nicht. Was er selbst glaubte, war erst in zweiter Linie wichtig; was sich nachprüfen lassen würde, zählte. »Sie starben rasch, die anderen?« lautete die nächste Frage. »Wir sahen sie nicht sterben«, erwiderte Mänerg. »Über die Schnelligkeit ihres Todes erfuhren wir nichts. Nur Bondergan sagte, daß er einen Körper gefunden und seziert habe, einen Scuddamoren mit abgelegtem Schattenschild. Vielmehr schrie er es uns voller Haß über die Lautsprecher seines Asteroiden nach.« »Eure Erzählung ist sicherlich spannend und aufregend«, bekannte Säntho. »Besonders für einen Scuddamoren in leitender Funktion, der nur selten Gelegenheit hat, den Weltraum zu befahren. Wenn sie auch noch in allen Teilen stimmt, dann sehe ich vor mir zwei Scuddamoren, die beispielhaft gehandelt haben.« Mänerg versuchte zu bluffen und erklärte frei heraus: »Du willst und wirst sicher alle Einzelheiten nachprüfen. Ich denke, daß die verschiedenen Untersuchungen bereits eingeleitet sind. Und du wirst erkennen müssen, daß wir nicht den geringsten Grund haben, dich
Hans Kneifel anzulügen, ausgerechnet dich als den Vertreter des verehrungswürdigen Neffen.« »Ich will es hoffen«, erklärte Säntho und ging langsam auf den Ausgang zu. »Ihr könnt euch weiterhin hier erholen. Der Neffe oder ich werden über den nächsten Einsatz oder die nächste Aufgabe entscheiden.« »Alles liegt in eurer Hand«, bekannte Mänerg. Der große Scuddamore mit dem funkelnd reflektierenden Schattenschild blieb, die wuchtige Zuhaltung des Schotts verdeckend, stehen. »Es mag sein, daß ich euch im Rahmen des Metamorphose-Schlages beschäftigen kann. Aber darauf kommen wir in Kürze noch zu sprechen.« »Wir warten!« Säntho schmetterte das Schott hinter sich zu. Er glitt den Gang entlang und ließ sich in seinem Büro vor dem Arbeitstisch nieder. Noch immer war er unsicher; die Untersuchungsergebnisse waren noch nicht eingetroffen, und die Nachprüfung der Antworten, die über sein Schultergerät an die betreffenden Stellen gesendet worden waren, lief noch immer. Entweder waren diese beiden Scuddamoren kühne Schwindler, die ein Attentat planten, oder sie blieben, was er von ihnen gedacht hatte, nämlich eiskalte Kämpfer. Er wartete ungeduldig. In der letzten Zeit gab es unkontrollierte, fast geheimnisvolle Störungen innerhalb des Marantroner-Reviers, die nach allem, was man wußte, von außen kamen. Die unmittelbare Folge für die Planetenvölker des Reviers und für Chirmor Flogs Herrschaft war, daß die Störungen übergriffen und deutliche Unruhe hervorriefen. Die Völker, die von dieser Unruhe heimgesucht wurden, gingen daran, die strengen Gesetze des Neffen zu mißachten. Sie schrien nach Freiheit. Nach Loslösung aus dem straff geführten Verband. Die Vorfälle mehrten sich, in denen die Scuddamoren rücksichtslos durchgreifen mußten. Wenn der Spaltpilz der Autarkiebestrebungen ein-
Die falschen Scuddamoren mal zu wuchern begann, würden Krieg und ununterbrochen geführte Befriedigungseinsätze an der Tagesordnung sein. Es galt, den Anfängen zu wehren. Säntho stieß einen grimmigen Laut aus. Er wünschte sich an eine andere Stelle des Universums, weit weg von allen diesen Problemen. Er ahnte, daß noch weitaus größere Probleme auf ihn zukommen würden, und eine innere Stimme sagte ihm, daß er mit dieser Ahnung durchaus richtig lag. In dieser Sekunde trafen die ersten Ergebnisse der angeordneten Prüfung ein. Sie waren sehr aufschlußreich.
7. Auch der Bandär bestand aus einzelnen Schichten und Blöcken Eis, das Jahrtausende alt war. Diese Teile verschoben sich im Lauf der Zeit. Die Planetologen der Scuddamoren hatten die Trennlinien festgestellt und die verschiedenen Bezirke des Eisberginneren in unterschiedlichen Zonen untergebracht. Größere Zerstörungen waren fast völlig ausgeschlossen. Die Gebiete waren durch große Hallen oder elastische Korridorverbindungen voneinander getrennt. Wenn sich Niveauunterschiede herausstellten, schmolzen kleine Kommandos das knackende und knisternde Eis und ließen es an den Übergangsstellen wieder gefrieren. In sämtlichen Gängen, Korridoren und Hallen war es wohltuend warm. Nur dicht an den Eiswänden bildete sich immer eine kalte Zone. Mächtige Maschinen wälzten die erwärmte Luft ständig um. Das dumpfe Summen der Verdichter und das sausende Geräusch aus den Kanälen erfüllte Tag und Nacht das Innere des Bandar. Atlans Plan war einfach und versprach schnellen Erfolg. Allerdings rechnete der Pthorer mit der Unaufmerksamkeit der Bewacher, als er sagte: »Ich denke, wir sollten die Untersuchungsergebnisse unseres wuchtigen Freundes nicht abwarten.« »Du bist sicher, daß sie uns belasten?«
35 fragte Kärdyn und wußte die Antwort. »Ganz sicher. Es sei denn, die Scuddamoren sind völlig desorientiert und wissen über ihre Ausrüstung und die Einsätze nicht Bescheid.« »Nur ein Narr kann dies annehmen.« »Du hast recht. Wir sind keine Narren. Wie auch immer, es wird schwierig sein, uns zu finden. Es bleibt uns noch immer das Mittel, durch provoziertes Chaos eine nachhaltige Verwirrung hervorzurufen.« »Und wenn wir etwas Glück haben«, sagte Kärdyn, »dann können wir vielleicht mit Bondergans Kammer flüchten. Der Asteroid ist so gut wie ein eigenes Raumschiff.« »Daran dachte ich auch«, sagte Mänerg, stand auf und befestigte den Kanister mit den Ärgetzos an seinem Gürtel. Er glitt quer durch die Kammer und riß mit wenigen Handgriffen die Verkleidung um einen Luftkanal ab. Glattes, glänzendes Eis starrte ihm entgegen. Direkt vor sich sah der Pthorer, wie das Eis sofort zu schmelzen anfing. Breite Bäche dampfenden Wassers rannen die Wand abwärts. Der Anzug der Vernichtung, das Goldene Vlies, strahlte nach vorn und nach allen Seiten offensichtlich direkte Hitze aus. Mänerg flüsterte: »Ich habe es erwartet. Es geht schneller, als ich dachte.« »Ich komme, wenn der Gang tief genug ist«, gab Kärdyn zurück, verblüfft über die neu entdeckte Wirkung dieses erstaunlichen Anzugs aus irgendeiner mysteriösen Vergangenheit des unglücklichen Pthor. Binnen weniger Sekunden, in denen sich Mänerg langsam, Schritt um Schritt, entlang dem Warmluftkanal vorarbeitete, schmolz der Anzug sich selbst einen etwa zwei Meter hohen und knapp einen Meter breiten Gang ins Eis. Das Wasser unter Atlans Füßen gefror in bizarren Mustern, als gehorche es unsichtbaren Kraftlinien. Als der Gang fünf Meter tief war, folgte KärdynThalia und befestigte von innen im gefrierenden Wasser wieder die Verkleidungsplatte. Es war eine flüchtige Lösung, die jedem Scuddamoren
36 nach dem zweiten Blick auffallen mußte. Abermals vertrauten die beiden Fremden auf ihr Glück, das ihnen bisher trotz aller widrigen Umstände treu geblieben war. Sechs Meter … sieben, zehn … zwanzig Meter weit brannte sich Atlan-Mänerg seinen Weg durch die massive Eismasse. Er folgte genau dem runden Kanal der Warmluft, die ihm entgegenkam und einen Geruch nach feuchten Wiesen mit sich brachte. Sein Kopf befand sich innerhalb der Belüftungs und Heizungsröhre, der Körper bewegte sich durch die kristallen weiße Masse wie durch ein sirupartig träges Medium. Er drehte sich um; der Schattenschild, hinter dem sich Thalia-Kärdyn verbarg, folgte ihm in geringem Abstand. »Hoffentlich schaffen wir es, bis in die bewußte Zone vorzudringen«, sagte Mänerg in den brausenden heißen Luftstrom hinein. Nicht einmal seine Gesichtshaut brannte, so gut schirmte das Goldene Vlies die äußeren Einflüsse ab. »Du meinst den Bezirk, in dem der vielzitierte Metamorphose-Schlag vorbereitet wird?« »Genau diesen meine ich. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie wir genau an diese Stelle kommen können.« »Es gibt sicherlich irgendwelche Hinweise!« meinte sie. »Möglich, aber unwahrscheinlich.« Etwa eine Stunde lang folgten sie diesem System. Hinter ihnen stand das warme, sich rasch abkühlende Wasser und gefror einige Minuten später zu einer kompakten Masse. Das umgebende Eis knackte protestierend und laut. Mänerg versuchte, zu vergessen, daß er sich im Zentrum einer wahrhaft gigantischen Masse von Eis befand, das so kompakt wie gewachsener Fels war. Er stapfte weiter. Schließlich, nach unbestimmbarer Zeit, kam er an eine Stelle, an der viele Tunnels mit geringerem Querschnitt in eine riesige Röhre mündeten. Durch Bewegungen, als wolle er eine Treppe ersteigen, schmolz sich Mänerg einige Stufen ins Eis und befand sich schließlich
Hans Kneifel in der Hauptröhre. Sie war so groß, daß er ohne Schwierigkeiten aufrecht darin stehen und gehen konnte. Er drehte sich um und zog Kärdyn hoch. »Jetzt geht es wesentlich schneller«, sagte er. »Und auf alle Fälle nähern wir uns der Heißluftzentrale dieses sagenhaften Berges.« Während er Kärdyn an der Hand ergriff und mit sich zog, spürte er die große Plejade, die ununterbrochen gegen seinen Oberschenkel schlug. Auf der anderen Seite hing schwer der Kasten mit den verjüngenden Kugeln, die dem Neffen langes oder gar zeitlich unbeschränktes Leben garantierten. Sie rannten, rutschend und schlitternd, gegen den heißen Luftstrom ankämpfend, durch den großen, vollkommen runden Kanal. Eine Unterhaltung war fast unmöglich; sie mußten schreien, um gegen den summenden, brausenden Luftstrom anzukommen. Irgendwann nach schätzungsweise einer halben Stunde, blieben sie stehen. Sie befanden sich in einem Abzweigepunkt, in den mindestens zwanzig dieser mächtigen Kanäle mündeten. Hier war der Wind der heißen Luft zu einem kleinen Orkan angeschwollen. Mänerg schmolz sich mit Füßen und Händen griffähnliche Vertiefungen in das leicht schmutzige Eis und schrie: »Wir müssen uns entscheiden!« »Wohin?« Sie blickten sich um. Mänerg sagte sich, daß das Zentrum im Berg mit einiger Wahrscheinlichkeit besonders gut versorgt werden mußte. Also sollten sie, um in die Labors zu kommen, den Kanal mit dem größten Querschnitt entlang laufen. »Hier entlang!« brüllte er. »Ich komme!« Sie hasteten, nachdem sie um eine Ecke geschlittert waren, mit dem Druck der heißen Luft im Rücken weiter. Sie dachten nicht an Säntho und dessen Mißtrauen, sondern daran, daß es noch immer keinen Hinweis darauf gab, daß man sie verfolgte. Der Schacht führte leicht bergauf und in einer weiten Kurve weiter und tiefer ins Berginne-
Die falschen Scuddamoren re hinein. Schließlich blieben sie stehen und blickten schweigend durch die breiten Schlitze eines gitterähnlichen Luftdurchlasses. Mänerg berührte Kärdyn an der Schulter und deutete geradeaus. Das ist es! sagte der Extrasinn. Der Extrasinn konnte sich irren, aber es sah so aus, als habe er Recht. Unter den Augen der Fremden lag eine vergleichsweise riesige Halle, größer als alles andere, was sie bisher gesehen hatten. Sie war hell erleuchtet, und es gab dank der Spiegelung durch das Eis nur wenige Schatten oder dunkle Zonen. Unzählige Scuddamoren, selbstverständlich mit eingeschalteten Schattenschilden, arbeiteten an langen Labortischen und an seltsam wirkenden Geräten. Trotz der heulenden Geräusche des rasenden Luftstroms hörten Kärdyn und Mänerg das Summen von Unterhaltungen und die Geräusche der Maschinen und Geräte. Mänerg schrie: »Dies könnte die Geheimstation sein!« Eine neue, seltsam wirkende Erregung packte ihn. Er brannte darauf, herauszufinden, was sich dort abspielte. Es schien sehr wichtig zu sein. Die Szene jenseits des Lüftungsgitters strahlte Aufregung und Wichtigkeit aus. Die Anordnung der Geräte und der Ausrüstung wirkte halb wie in einer Klinik, halb wie in einem Laboratorium. »Ich bin sicher, daß es das Zentrum des Metamorphose-Schlages ist!« gab Kärdyn zurück. Der Boden der großen Halle war geformt wie ein Teil einer Hohlkugel. Im Zentrum der gesamten Anlage, umgeben von unzähligen Schläuchen, Leitungen, Kabelbündeln und Röhren verschiedenen Durchmessers, befand sich, verankert in einem Podest aus weißem Eis, eine Art Trommel. Sie drehte sich sehr langsam und ließ undeutliche Formen erkennen. »Alle Scuddamoren konzentrieren ihre Tätigkeit um die zylindrische Form im Mittelpunkt!« rief Kärdyn. »Sie ist in diesem Raum das Wichtigste.«
37 Der Dom innerhalb des Eises wies einen Durchmesser von nicht weniger als zweihundert Metern auf. An langen, schwarzen Kabeln hingen schätzungsweise hundert schalenförmige Leuchtkörper von der Decke. Sie verteilten eine gewaltige Lichtflut über das unterste Drittel der Halle. In ihrem Lichtdampften vielfarbige Wolken irgendwelcher Gase. Durchsichtige Leitungen und Kolben transportierten Flüssigkeiten und große Blasen hin und her. Die Trommel in der Mitte, sorgfältig beobachtet von Linsen und unbekannten Testgeräten, drehte sich unaufhörlich. Ihr Boden war von einer schäumenden, sich träge bewegenden Masse ausgefüllt. »Wir haben den richtigen Raum gefunden«, rief Kärdyn aus. »Die Scuddies scheinen das Gebilde anzubeten oder zumindest mit größter Sorgfalt zu behandeln. Säntho wird diesen Raum unausgesetzt beobachten lassen«, rief Mänerg zurück. »Wollen wir eindringen?« »Noch nicht.« »Gut. Einverstanden. Wir beobachten, was hier geschieht. Von einem anderen Standort aus.« »Vielleicht läßt uns Säntho bereits suchen.« »Dieses Risiko müssen wir eingehen!« Die Eindringlinge fanden eine Abzweigung, rannten durch den Schacht im Eis und blieben immer dann, wenn sie die Aussparungen einer Warmluftzufuhr oder eine Absaugvorrichtung sahen, stehen und spähten hindurch. Im wesentlichen wurden ihre ersten Beobachtungen und Mutmaßungen bestätigt. Es gab verschiedene Ebenen in der Halle dort unten. Eindeutig konzentrierten sich alle Arbeiten und das gesamte Interesse der Anwesenden auf den Zylinder im Zentrum. »Auf mich wirkt die Versuchsanordnung wie eine Brutapparatur«, erklärte Kärdyn an einem Punkt, der eine weitaus leisere Unterhaltung ermöglichte. »Es ist eine solche Apparatur!« meinte Mänerg entschieden.
38 Aus dem protoplasmaartigen Bodensatz der Trommel begann sich ein seltsames Geschöpf zu bilden. Es sah selbst in den Augen des Arkoniden exotisch und höchst fremdartig aus. Der Körper war ab der Oberkante der basisbildenen Protoplasmamasse mit kurzen und grauen Borsten bedeckt. Das Wesen war im Prozeß seiner Entwicklung rund zweieinhalb Meter groß geworden, eher einige Handbreit weniger groß. Eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Flasche bestand, obwohl es Gliedmaßen gab, die annähernd so wirkten, als gehörten sie einem Pthorer. Die Innenflächen von Händen und Füßen waren frei von den grauen Borsten, die sich jetzt bewegten wie selbständige Wesen. Kärdyn keuchte verblüfft auf: »Das Ding … es hat ein Gesicht!« Dieses Ding war noch unfertig. Es bewegte sich schwach in einer transparenten Flüssigkeit. Irgendwann, in Stunden, Tagen oder Wochen, würde es fertig ausgebildet sein. Trotzdem besaß es schon jetzt eine bestimmte eigene Form, die die Fremden erschreckte. Es wirkte schlank und zerbrechlich wie ein Gebilde aus grauen Korallen mit roten und rosafarbenen Teilen. Das »Gesicht« war rund und klein und besaß stielartige Augen oder Sinnesorgane, die wie Augäpfel auf Schneckenstielaugen wirkten. »Was immer dort aus der Protoplasmamasse entsteht«, sagte Mänerg überzeugt, »ist noch unfertig. Es wird geformt oder umgeformt, soviel ist mir klar.« »Ich glaube, das Ding wird größer oder deutlicher strukturiert«, meinte Kärdyn und versuchte, die widerstrebenden Eindrücke in Worte zu fassen. »Der Kamm auf dem Kopf bewegte sich, als wäre er schon lebendig.« Auf dem runden Kopf, fertig oder noch unfertig, saß ein Gebilde aus fadenartigen Haaren, die goldfarben schimmerten und im grellen Licht funkelten und wie Metallfäden strahlten. »Um feststellen zu können, ob dieses Wesen lebt oder nicht, müssen wir unbedingt näher herangehen«, erklärte Mänerg.
Hans Kneifel »Wenn wir unseren Platz verlassen«, unter brach Kärdyn sofort, »setzen wir uns der unmittelbaren Entdeckung aus.« »Wenn wir uns nicht in diese Gefahr begeben«, konterte Mänerg, »werden wir niemals erfahren, was aus der Protoplasma-Masse in der Trommel hervorgeht. Mir ist inzwischen klarer geworden, was die Scuddamoren mit dem Begriff Metamorphose-Schlag meinen könnten, auch wenn er nicht meiner eigenen Erklärung entsprechen sollte.« Je mehr er sah, je länger er die Betriebsamkeit rund um die Trommel und das neu entstehende Wesen innerhalb der biologischen Form betrachtete und zu analysieren versuchte, desto sicherer wurden seine Vorstellungen. Hier wurde ein Wesen umgeformt oder erschaffen – wobei der Ausdruck Metamorphose auf die erstere der beiden Möglichkeiten hindeutete –, das eine andere Identität vortäuschen sollte. Offensichtlich besaß es die Wesenszüge dieser Identität nicht und wurde modifiziert und umgewandelt. Eine Waffe gegen einen Feind des Neffen Chirmor Flog? Körperbau und Aussehen des entstehenden Wesens ließen den Schluß zu, daß ein intelligentes und sowohl körperlich wie auch geistig bewegliches Individuum anderer Art simuliert werden sollte. In diesem Augenblick bewegte eine kleine Strömung innerhalb der Trommel den goldfarbenen Kamm, und das Ding wirkte, als würde es lebendig werden und den Zylinder verlassen. Deutliche Aufregung bemächtigte sich der umstehenden und arbeitenden Scuddamoren. Gebannt sahen Mänerg und Kärdyn zu. Schließlich hob Mänerg die Hand und erkannte im gleichen Moment, daß diese Geste nichts bedeutete. Sie war hinter dem Schattenschirm nicht sichtbar und für Thalia ohne jede Bedeutung. Also sagte er: »Vielleicht war das arme Geschöpf dort einmal ein Scuddamore?« Aber wenn sich hinter den Schattenschilden verschiedenartige Individuen verbargen, was bedeutete dann dieser Gattungsbegriff
Die falschen Scuddamoren wirklich? Mänerg entschloß sich schließlich, etwas zu unternehmen. Er sagte: »Wir sehen uns den Verteidiger von Chirmor Flog genauer an. Und zwar auf unsere Weise.« »Also durch das Eis hindurch?« »So versuchen wir es, ja.« Wieder verwandelte sich der Anzug der Vernichtung in eine Art Hitzelanze. Dampf wallte auf und wurde von der Heißluft weggerissen. Langsam versanken Kärdyn und Mänerg im Eis und bildeten, als sie sich nach kurzer Zeit vorwärts bewegten, abermals einen schräg abwärts führenden Tunnel aus. Kärdyn schloß, als das warmgewordene Wasser an ihr hochkletterte, den Raumanzug. Die neu geschmolzene Öffnung folgte dem Verlauf des stufenförmig ausgebildeten Bodenteils. Mänerg versuchte abzuschätzen, wie lange sie brauchten; er hatte sich bereits ein Ziel herausgesucht, durch das sie vermutlich sogar ungesehen in die domartige Halle hineinkommen konnten. Waren sie erst einmal dort, waren sie von den anderen Scuddamoren äußerlich nicht zu unterscheiden. Das Eis um sie herum bebte und vibrierte leicht. Zahllose Maschinen und Geräte erzeugten diese Schwingungen. Über ihnen schienen sich Schatten zu bewegen. Die Anker der Geräte und Laboranordnungen bildeten schwarze, wurzelförmige Inseln in der Eismasse. Kabelstränge verliefen schattenhaft vor den Eindringlingen. Sie duckten sich und schlüpften in zeitlupenhaft langsamen Bewegungen darunter hindurch. Dann bemerkte Mänerg eine große Menge von Trägern und tellerförmigen Verankerungen und richtete seinen Weg aufwärts. Eine Handbreit hinter ihm stapfte Kärdyn durchs Wasser, und über ihren Köpfen hatten sich kleine Hohlräume gebildet, die feuchtwarme und stinkende Luft enthielten. Etwa zehn Meter weit ging es schräg aufwärts. Sie standen im Innern einer kantigen Säule aus milchweißem Eis. Langsam schob
39 sich Mänerg nach vorn. Das Eis vor seinem Gesicht wurde dünner und durchsichtiger. Schließlich entstand vor seinen Augen ein kleines Loch, aus dem die heiße Luft pfiff und es erweiterte. Mänerg spähte hinaus. Alle Scuddamoren, die er sah, beschäftigten sich intensiv mit ihren Geräten. Niemand war in der Nähe. Also gab er sich einen Ruck, schmolz das letzte Stück Eishindernis vor sich nieder und zerrte Kärdyn mit einem schnellen Ruck ins Freie hinaus. Sobald ihre Füße den Boden berührten, paßten sich die Eindringlinge der Schnelligkeit der anderen Scuddamoren an. Sie gingen auf den Zylinder zu. Die Flächen zwischen den Maschinen und Arbeitsplätzen waren mit einem halb durchsichtigen, gerasterten Belag versehen, der jedoch nicht aus Eis bestand. »Zuerst zum metamorphosierten Wesen«, bestimmte Kärdyn. Um sie herum glitten andere Scuddamoren hin und her, die Maschinen summten und surrten, und jedermann schien ganz genau zu wissen, was er zu tun hatte. »Es ist nicht mehr weit. Dort, um den Block herum und die Rampe hinauf.« Wenig später standen sie vor der durchsichtigen Trommel. Aus unmittelbarer Nähe wirkte dieses Geschöpf noch fremdartiger und irgendwie drohend in seiner Leblosigkeit. Weder die Zerbrechlichkeit noch die grauen Borsten an den fertigen Körperstellen minderten diesen Eindruck. »Was haben die Scuddamoren mit dieser Kreatur vor?« murmelte Kärdyn und ging mit langsamen Bewegungen um die Trommel herum. Eine breite Rampe führte von der anderen Seite der Anlage bis zu einem Ausgang, der aus schwer gesicherten Panzertoren bestand. Regungslos standen vier Scuddamoren neben dem Tor; natürlich sah man nicht, ob sie bewaffnet waren. »Das kann nur ein großes und sehr wichtiges Vorhaben sein. Niemand beschäftigt sich für einen harmlosen Versuch mit einer solchen Intensität«, gab Mänerg seine Mei-
40 nung preis. Sie versuchten, zusätzliche Einzelheiten zu erkennen und blickten in die unbeweglichen Augen auf den langen, starren Stielen. Es gab keinerlei Reaktion. Aber auf ihrem Weg zwischen den Pulten und Kontrollgeräten schienen sie in eine verbotene Zone eingedrungen zu sein. Plötzlich umstanden sie zehn oder mehr Scuddamoren und schrien aufgeregt. Sie schoben und zerrten die Eindringlinge hastig aus dem Bereich hinaus. »Ihr müßt wissen, wie gefährlich das ist!« schrie eine helle Stimme. Eine andere polterte: »Ihr ruiniert das Experiment!« »Der Neffe wird euch verfluchen!« »Hinaus mit euch! Wachpersonal hat hier nichts zu suchen! Das ist wissenschaftlicher Bereich.« Sie wurden in größter Eile über die breite, leicht ansteigende Rampe geschoben. Die Posten verließen ihre Plätze neben dem Portal und rannten heran. Aus den Schattenschilden bohrten sich plötzlich die Projektorspitzen unbekannter Geräte. Mänerg und Kärdyn wußten, daß es Waffen sein mußten, ohne jeden Zweifel. »Hierher!« Hinter ihnen schrie einer der Forscher oder Wissenschaftler: »Paßt gefälligst besser auf euer Personal auf! Sie sind hier aufgetaucht und stören unsere Konzentration. Wozu steht ihr hier und bewacht das Portal?« Aus dem Schattenschild der großgewachsenen Wache ertönte eine barsche, kommandogewohnte Stimme: »Sie gehören nicht zu uns. Säntho hat sie suchen lassen. Es sind die Töter des Feindes Bondergan.« Atlan-Mänerg sagte blitzschnell in Pthora: »Wir sind nicht durch das Eis, sondern durch Korridore und zwar zufällig hierhergekommen. Klar?« »Verstanden«, kam es ebenso leise und schnell zurück. Dann sagte Mänerg laut: »Niemand sagte uns, daß wir uns nicht umsehen könnten. Wir sind einfach aus den
Hans Kneifel Ruheräumen hinaus und hierher spaziert. Kein Scuddamore hielt uns auf.« Der Kommandant sagte scharf: »Kommt mit. Wir bringen euch zu Säntho. Er hat euch suchen lassen und ist wütend, weil ihr euch aus den zugewiesenen Räumen entfernt habt.« »Keine Sorge«, meinte Kärdyn. »Wir hatten nicht vor, Kinster-Hayn zu verlassen, ohne Säntho zu fragen.« »Das macht keinen Unterschied. Ihr werdet zu Säntho gebracht.« Immerhin habt ihr gesehen, was ihr sehen wolltet, kommentierte der Extrasinn. Neben dem großen Portal öffnete sich ein kleines Mannschott. Zwei ScuddamorenWachtposten gingen vor den »Gefangenen«, zwei hinter ihnen. So lange niemand entdeckte, auf welchem Weg sie in die Geheimstation eingedrungen waren, hatten sie noch alle Chancen für einen sicheren Fluchtversuch. Es ging ein kurzes Stück geradeaus. Dann wechselten die Bewacher und blieben zurück, nach Passieren einer eisernen Schleuse übernahm eine andere Gruppe. Eine Treppe führte abwärts, abermals versperrte eine schleusenartige Abriegelung den Weg. Mänerg merkte sich jeden Schritt, um sich später herausreden zu können. Er hatte den Eindruck, daß der Weg in die Geheimstation länger gewesen war als die Strecke, die sie jetzt unter Bewachung zurücklegten. Schließlich öffnete eine letzte Gruppe von Posten ein breites Tor. Nur noch wenigeSchritte, dann standen sie in einem großen, einfach eingerichteten Büro voller Bildschirme und Kommandogeräte. Hinter dem Tisch stand unverkennbar Säntho. Er schien die beiden schweigend zu mustern, schließlich sagte er: »Laßt mich mit Mänerg und Kärdyn allein.« Die Wachtposten und der Adjutant verließen den Raum. Säntho bewegte sich. Aus dem Schattenschild des Obersten Verantwortlichen wuchs wie ein Dolch die Spitze eines Projektors hervor. Noch immer schwieg Säntho. Um seinen Gefangenen je-
Die falschen Scuddamoren den Zweifel an seiner Entschlossenheit zu nehmen, feuerte er zwischen ihnen hindurch einen Schuß in die Wand. Der Glutstrahl schmolz einen Krater ins Eis und erzeugte eine Wolke kochenden Dampfes. »Schaltet eure Schilde ab!« Es gab in diesem Moment keine Wahl. Mänerg und Kärdyn unterbrachen den einfachen Kontaktschalter. Die Schilder erloschen, und sie standen förmlich nackt vor Säntho. Sie hätten viel darum gegeben, seine Reaktion zu erkennen, aber ihn verbarg der Schattenschild. Die Waffe wurde in die Energieglocke zurückgezogen. Ein unangenehmes Schweigen voller Spannung herrschte. Ohne einen Laut stellte Säntho ihr – für ihn – fremdartiges Aussehen fest. Das Schweigen dauerte an. Endlich, nach einigen Minuten, sagte Säntho mit einer unfreundlich knarrenden Stimme: »Es hat niemals ein Schiff namens GANIER gegeben. Niemals wurde eine Scuddamoren-Suchmannschaft auf Xudon ausgewechselt. Andere Angaben sich ebenfalls unzutreffend. Ich erkenne jetzt, daß ihr gelogen habt. Und ich ahne, daß ihr einen guten Grund dafür hattet, Fremdlinge. Woher kommt ihr?« Mänerg gab die Antwort. »Aus einem Teil des Weltalls, das weder du noch ein anderer Scuddamore kennt. Es ist sinnlos, zu versuchen, dir dies zu erklären. Du würdest es nicht verstehen.« »An deinem Gürtel, Mänerg, befindet sich ein Behälter. Er ist der meistgesuchte Behälter dieses Sektors. Stelle ihn hierher. Schnell!« Der Ton der Drohung war entscheidend dafür, daß Mänerg wortlos gehorchte und den Spezialbehälter auf den Tisch stellte, mitten zwischen die Kommandogeräte und andere Utensilien. Säntho öffnete ihn, stieß einen leisen Laut der Überraschung aus und verschloß ihn wieder. Offensichtlich drückte er einen Rufschalter, denn Sekunden später kam der Adjutant herein. Säntho sagte, abermals in einem Ton, der
41 keinen Widerspruch duldete: »Dies sind die gesuchten Ärgetzos für Chirmor Flog. Nimm sie und bringe sie zum Raumhafen. Bevor du gehst, lasse ein Organschiff bereitstellen. Der Behälter soll unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und auf dem schnellsten Weg direkt nach Säggallo gebracht werden. Wiederhole!« Der Adjutant wiederholte den Befehl fast wörtlich, nahm den Behälter und verließ das Büro in beängstigender Geschwindigkeit. Säntho trat auf die Fremden zu und erklärte: »Genug der Fragen und Antworten! Ich habe verschiedene Maßnahmen angeordnet, die euch betreffen. Du, Fremder, Mänerg, mit dem goldenen Anzug und du, Kärdyn, mit dem raumsicheren Schutzanzug, ihr werdet gefangengesetzt. Legt die Schattenschild-Gürtel ab, die ihr euch angeeignet habt.« Kärdyn bemerkte scheinbar gelassen: »Dafür, daß wir dir Bondergans Kammer und den toten Scuddamoren-Jäger gebracht haben, scheinst du bemerkenswert wenig dankbar zu sein, Säntho.« »Dankbarkeit ist nicht meine Sache«, erklärte er ungerührt, aber mit einer geringfügig weniger aggressiv klingenden Stimme. »Nur die Vorsicht und darüber hinaus der Gedanke, euch noch irgendwie einsetzen zu können, haben euch bisher am Leben erhalten. Ihr werdet kein zweitesmal Gelegenheit haben, die Geheimstation zu betreten.« Mänerg hob wenig beeindruckt die Schultern, und Kärdyn schwieg, als sich eine Masse von Wachen ins Büro schob und sie abführte. Sie wurden einen breiten Korridor entlang geführt, in dem lebhafter Verkehr herrschte. Sie sahen ausnahmslos Scuddamoren, weder Roboter noch eines der ihnen bekannten Wesen aus dem Marantroner-Revier. Nach hundert Schritten stieß man sie in eine kleine Kammer. Diesmal handelte es sich um eine Gefängniszelle mit schwerer Tür und einer grauen Wandverkleidung. Krachend schlossen sich die Riegel des Schotts. Leise sagte Mänerg:
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»Die Ärgetzos sind wir leider losgeworden. Chirmor Flog wird sich über die Verlängerung seines Daseins freuen, und wir besitzen ein Druckmittel weniger, das uns für Pthor helfen hätte können.« Sie besaßen weder Waffen noch Schattenschilde, aber noch war die große Plejade nicht entdeckt und angetastet worden. Kärdyn deutete auf die dünne Verkleidung und fragte: »Flüchten wir sofort oder erst später?« Mänerg dachte kurz nach und entgegnete: »Später. Warten wir erst den nächsten Schachzug Sänthos ab. Er plant etwas mit uns. Und ich kenne immerhin ein Mittel, mit dem wir ihm zusetzen können.« »Welches Mittel?« »Lasse dich überraschen. Entspanne dich. Irgendwann werden wir wieder an einem Punkt sein, von dem aus wir das Schicksal Pthors günstig beeinflussen können. Noch sind wir nicht unter der Herrschaft der Schwarzen Galaxis.« »Es fällt mitunter sehr schwer, optimistisch zu bleiben«, bemerkte sie, setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken gegen die Wand. Sie schwiegen und warteten. Von draußen drang weder ein Geräusch noch irgend eine andere Information herein. Die Wartezeit dauerte mehrere Stunden.
8. Die schwere Tür schwang nach außen auf. Mänerg hob den Kopf und sah hinaus in den glitzernden Eisgang. In einem offenen Viereck von Wachtposten, die ausnahmslos die Waffen auf die Fremden gerichtet hielten, standen zwei große Scuddamoren mit ausgeprägten Schattenschilden. Einer von ihnen war Säntho, der andere war zweifellos ebenso bedeutend, denn auch seine Energieaura war stark und beeindruckend. Er warf einen langen Blick – wenigstens dachte Mänerg dies – in die Zelle, dann sagte er langsam: »Ja, das sind die Gesuchten.« Mänerg und Kärdyn erkannten die Stimme im selben Augenblick. Der Extrasinn
meldete sich synchron zu dieser Erkenntnis und rief: Das ist Yärling von Breisterkähl-Fehr! Ein Posten schloß die Tür sofort wieder. Atlan stand auf und murmelte: »Er muß beim ersten Verdacht, den Säntho hatte, sofort hierher geflogen sein, um diesen Verdacht zu bestätigen oder nicht. Ausgerechnet unser Freund Yärling! Es hätte nicht schlimmer kommen können.« »Unsere Gnadenfrist geht drastisch zu Ende«, sagte Kärdyn und ergriff Mänergs Hand, um sich hochziehen zu lassen. »Flucht?« »Ja. Sofort. Yärling und Säntho werden jetzt noch einige Dinge zu klären haben, dann werden sie sich entschließen, die Gefahr zu beseitigen. In diesem Fall sind wir die Gefahr.« Er streckte die Hand im Fäustling des Goldenen Vlieses aus und riß mit einer einzigen, wütenden Bewegung ein großes Stück der Verkleidung ab. Dahinter lag der Luftschacht. Mänerg stellte sich dicht an die dahinter erkennbare Eiswand und bemerkte wieder, daß der Anzug der Vernichtung wie ein denkendes Wesen handelte. Er erzeugte erneut eine Hitzeflut, die den Gefangenen einen Weg durch das Eis bahnte. Nach wenigen Momenten war die Zelle überflutet, und die beiden befanden sich mehrere Meter tief im Eis. Sie drangen geradeaus ein, tappten langsam weiter und weiter. Nichts hielt sie auf – ihr Weg führte durch massives Eis, das sich in kochendes, schnell abkühlendes und hinter ihnen gefrierendes Wasser verwandelte. »Irgendwo werden wir das Eis verlassen und in einen Raum einbrechen. Niemand weiß, was das für eine Anlage sein kann«, sagte sich Mänerg und hoffte auf eine Lösung in seinem Sinn. Unbestimmte Zeit verging, während sie sich einem ungewissen Ziel zubewegten. Und plötzlich brachen sie durch die letzte Schicht Eis hindurch, fielen nach vorn und stolperten. Sie rutschten aus und schlitterten über eine kurze Treppe hinunter. Keine fünf-
Die falschen Scuddamoren zig Schritt vor ihnen befanden sich die Einzelheiten der inzwischen vertrauten Umgebung der Geheimstation. Mänerg kam sofort auf die Füße und rannte, noch ehe einer der vielen Scuddamoren richtig reagierte, auf die Trommel der Metamorphose-Experiments zu. Er blieb am Sockel stehen und wartete, bis Kärdyn heran war. Fast schlagartig hörten alle Versammelten zu arbeiten auf. Sie kamen näher heran oder blickten aufmerksam herüber. Die Haltung der Schattenschirme ließ keine andere Deutung zu. Mänerg streckte eine Hand aus und berührte einen Teil des Sockels. Augenblicklich begann das Eis zu schmelzen, und ein breiter Bach Wasser floß um seine Füße. »Halt. Stehenbleiben. Das gilt für alle. Nicht bewegen!« schrie Mänerg, so laut er konnte. Er wechselte schnell seine Stellung und berührte mit der anderen Hand eine Säule, in die zahlreiche Apparaturen eingebettet waren. Sofort floß auch hier wieder Wasser, und einige Verbindungen lockerten sich zusehends. Mänerg, neben dessen rechter Schulter Kärdyn stand, konnte sicher sein, daß diese Geheimstation unter unausgesetzter Kontrolle von Säntho stand. Jetzt würde auch Yärling die bestürzenden Bilder sehen. Um seine Position zu stärken, schrie der Fremde: »Ich werde nicht zögern, die Trommel mit dem entstehenden Wesen zu zerstören. Ich verwandle die halbe Halle in einen See und kann das Experiment vernichten. Ich will mit Säntho sprechen. Und zwar ohne Verzug.« Von den Posten, die zuerst herangerannt und dann erschrocken auf halbem Weg stehengeblieben waren, rief ein Scuddamore: »Was sind deine Forderungen, Mänerg?« »Ich werde sie nur mit Säntho diskutieren«, rief der Eindringling und lehnte sich an einen niedrigen Sockel, der teilweise ebenfalls wegschmolz. Jetzt zeigten sich die Ein-
43 dringlinge in ihrer wirklichen Gestalt, und dieser Umstand wiederum rief unter den Scuddamoren noch größere Verwirrung hervor. Der Posten gab nach kurzer Zeit zurück: »Säntho und Yärling kommen hierher.« »Ich habe nichts anderes erwartet. Zurück!« Der letzte Ruf galt einer Gruppe von Schattenschilden, die sich in der Deckung von Werkbänken aus Eis herangeschlichen hatten. Mänerg packte einige der Kabel oder Schläuche, die in die durchsichtige Trommel mündeten und rief drohend: »Ich schlage die Trommel in Stücke und zerstöre die Geräte. Ich sagte, Stehenbleiben, und das gilt für alle.« Der Schrecken der Scuddamoren war absolut. Jetzt rührte sich keiner mehr. Alle wandten sich dem hochgewachsenen Wesen im goldschimmernden, hitzeverströmenden Anzug zu und seinem schweigsamen Gefährten. Dort, wo beide standen, gefror das Wasser wieder auf dem Boden und in den Ecken und Vertiefungen. Aber es sah so aus, als könnte der Goldene augenblicklich wieder wahre Fluten von Schmelzwasser und hochbrodelndem Dampf hervorrufen. »Wo ist Säntho? Ich warte nicht mehr lange!« schrie Mänerg und schob sich in unverhüllter Drohung wieder an die Trommel heran. Entsetzte Geräusche ertönten von allen Seiten. Die Posten rührten sich und rissen schließlich auf ein unhörbares Kommando die kleinere Schleuse auf. Säntho und Yärling kamen in die Eishalle hinein und blieben ebenfalls zwischen Schott und der Versuchsanlage stehen. Säntho rief donnernd: »Ihr habt gerufen. Es sieht im Moment so aus, als hättet ihr einen kleinen Vorteil.« Mänerg gab augenblicklich zurück: »Nicht nur für den Moment, Säntho. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir sind entschlossen, das Experiment des Metamorphose-Schlages zu unterbrechen. Ich stelle
44 nur eine Bedingung.« »Wir sind nicht zu erpressen!« schrie Yärling auf. Mänerg hob den Arm mit den ums Handgelenk geschlungenen Kabeln und Verbindungen und tat, als zöge er daran. Von allen Seiten ertönte jetzt ein wahres Geheul des Schreckens. Die Scuddamoren wagten es, vor Schrecken oder Spannung einige Schritte näher heranzukommen. »Wollen wir es darauf ankommen lassen?« erkundigte sich Mänerg in gleicher Lautstärke. »Halt. Ich verhandle«, versprach Säntho. Er schien weitaus souveräner zu sein als Yärling und jeder andere hier. »Es war höchste Zeit«, rief Mänerg und ließ den Arm wieder sinken. »Wir verlangen, freigelassen zu werden. Wir haben nichts getan, um euch zu schädigen, sondern nur unsere Freiheit verteidigt.« Dieses Argument war einigermaßen fragwürdig, aber nicht grundfalsch. Säntho gab zu bedenken: »Ihr seid im Marantroner-Revier völlig fremd. Kinster-Hayn ist nicht eure Heimat. Was wollt ihr anfangen auf diesem Planeten, wenn ich euch freilasse?« Mänerg stimmte ein schallendes Lachen an und gab zu: »Wir wollen freien und ungehinderten Abflug von Kinster-Hayn. Offensichtlich zögerst du noch, Säntho?« »Wir sind deswegen nicht zu erpressen«, sagte der Verantwortliche und kam näher auf Mänerg zu, »weil der MetamorphoseSchlag an mehreren Stellen des Reviers zur gleichen Zeit und mit gleicher Versuchsanordnung vorbereitet wird. Wenn du dieses Wesen vernichtest, haben wir noch andere in Reserve; so klug planen wir immerhin. Trotzdem mache ich dir einen Vorschlag. Höre gut zu!« »Sprich!« Er kommt zur Sache, sagte der Logiksektor. Schraube deine Forderungen nicht zu hoch. »Ihr seid erkennbar fremd. Keiner von
Hans Kneifel euch gleicht einem Angehörigen eines der vielen Planetenvölker des Marantroner-Reviers. Wir führen diesen MetamorphoseSchlag gegen den Neffen des Dunklen Oheims, der Duuhl Larx heißt und im Rghul-Revier herrscht. Er ist der erklärte Feind von Chirmor Flog. Ihr beide wäret geeignet, einen Spion ins Rghul-Revier zu bringen. Auf diese Weise verlaßt ihr Kinster-Hayn, wir wahren unser Gesicht und können unser Wort halten, und endlich ist eure Anwesenheit noch einer positiven Lösung zugeführt worden. Wir werden nicht wortbrüchig. Seid ihr einverstanden?« Mänerg und Kärdyn wechselten einen langen, schweigenden Blick. Dann flüsterten sie einige Sätze miteinander. Rätselhafterweise vertraute Mänerg diesem verantwortlichen Scuddamoren so weit, daß er ihm glaubte; allerdings nur einigen seiner Behauptungen. Vielleicht versuchten sie wieder, das Raumschiff zu sprengen. Nicht, wenn der Spion an Bord ist, wisperte der Extrasinn. »Wir sind mit Einschränkungen einverstanden«, rief Mänerg schließlich. »Wer garantiert uns, daß Säntho sein Wort hält und uns nicht umbringt, sobald ich mich von dem zukünftigen Spion entferne?« »Allein die Wahrscheinlichkeit unterstützt unsere Aussage«, rief Säntho. »Alle hier hören es mit. Meine Integrität steht auf dem Spiel. Wir sind der Meinung, daß ihr die geeigneten Personen seid, um den Spion ins fremde Revier zu bringen.« »Vor kurzer Zeit waren wir noch Todeskandidaten!« »Mitunter ist es wichtig, seine Überzeugung den veränderten Umständen anzupassen«, versicherte Säntho. »Ich denke etwa folgendes: Wenn unser Unternehmen, also der Versuch des Metamorphose-Schlages, entdeckt werden sollte, wärt ihr beide unverfänglich. Natürlich werdet ihr für diesen Einsatz noch auf Säggallo ausgebildet. Nachdem ihr es schafftet, Bondergan zu töten, wird euch die Aufgabe nicht überfor-
Die falschen Scuddamoren dern. Wir bilden euch so gut aus, daß selbst der Neffe Duuhl Larx glaubt, ihr steht in seinem Dienst.« Die Aussicht, nach Säggallo zu gelangen, änderte einiges an Mänergs Vorbehalten und beseitigte etliche seiner Zweifel. Überdies hatten sie, wenn sie einmal den Tank hier verließen, wirklich kaum eine echte Chance. Sie konnten nicht so lange hierbleiben, bis sich abermals die Situation änderte. »Wir werden auf Säggallo ausgebildet?« »In einem speziell für solche Vorhaben eingerichteten Zentrum. Viele Fremde kommen im Lauf der Zeit ins Marantroner-Revier.« »Wann erfolgt der Abflug?« »In Kürze. Ein Schiff steht bereit, allerdings wartete es nicht auf euch. Du kannst beruhigt sein; ich breche mein Wort nicht. Dazu bedarf es einer größeren und wichtigeren Gelegenheit.« Mänerg mußte grinsen. Er ließ die Verbindungsschläuche los und sagte trocken: »Deine Güte beschämt mich, Säntho. Einverstanden. Wir geben auf und gehen für dich als Spione zu Duuhl Larx.« Beim Rghul-Revier konnte es sich nur um eine andere Sterneninsel handeln, die der Schwarzen Galaxis vorgelagert war. Mänerg und Kärdyn verließen das Zentrum der Geheimstation und schlossen sich der Gruppe von Wächtern um Säntho und Yärling an. Man öffnete für sie sogar das große Portal. Mänerg flüsterte, wieder in ihrer »Geheimsprache«: »Wenn unser Freund auch nur halb die Wahrheit spricht, dann sind wir schneller auf Säggallo, als wir es uns jemals vorgestellt hatten.« »Wenn nicht die andere Hälfte seiner Wahrheit bedeutet, daß er etwas ganz anderes plant. Ich zweifle allerdings auch nicht daran«, entgegnete Kärdyn, »daß wir Kinster-Hayn verlassen dürfen.« Noch besaßen sie die große Plejade. Die Marmorkugel war eine Art Geheimkode, der ihnen in vielerlei Hinsicht nützen konnte, vermutlich sogar in Chirmor Flogs
45 Hauptquartier. Jedes versklavte Wesen war zumindest für die Idee der persönlichen, individuellen Freiheit zu begeistern, und im Marantroner-Revier kannten neun von zehn Wesen nichts anderes als Sklaverei. Das war ihre bisherige Erfahrung gewesen. Möglicherweise gab es auch begeisterte Sklaven oder solche, die weder den einen noch den anderen Begriff definieren konnten. Diese Erfahrung stand Atlan und Thalia noch bevor.
* Die Wachen brachten sie nicht mehr in eine Gefängniszelle. Sie brauchten auch die sogenannten Erholungsräume nicht mehr aufzusuchen. Ein Gleiter, von zwei Scuddamoren gesteuert, brachte sie aus dem System des Bandär hinaus und hinunter auf die Ebene. Deutlich sahen sie vom Boden aus Bondergans Kammer liegen. Fahrbare Gerüste oder ähnliche Plattformen waren herangebracht worden, und Scuddamoren schienen den Asteroiden einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Gestalten wirkten winzig wie Ameisen und undeutlich wie Schemen. »Ich würde mich, nebenbei gesagt, dafür interessieren, was aus Travvnar geworden ist«, brummte Mänerg ein wenig gedankenvoll. »Vermutlich wird er, wenn ihm die Energietabletten ausgehen, im Eis landen und verrosten«, erklärte Kärdyn. Der Gleiter schwebte auf ein Schiff am äußersten Rand der Landefläche zwischen zwei flachen Flußbetten zu. Das Wasser war milchiggrün und stammte von den Hängen des Bandär. Als sie den Berg aus Eis verließen, war es später Nachmittag. »Säntho hat es eilig, uns an Bord des Schiffes zu bringen«, meinte Kärdyn nach einer Weile. »Immerhin hält er sein Wort. Bis jetzt ist uns noch nichts geschehen.« Das Gerät mit den zwei schweigsamen Scuddamoren schwebte entlang des Flußu-
46 fers, bog ab und glitt über eine flache Brücke und hielt schließlich in der Nähe eines Organtransporters. »Eine merkwürdige Form hat dieses Schiff«, bemerkte Mänerg und schüttelte den Kopf. Es begann unangenehm kalt zu werden. »Es ist die KNIEGEN«, bemerkte der Scuddamore an der Steuerung ungefragt. Die KNIEGEN hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Halbkugel, die verbeult und ramponiert aussah. Die Außenhaut und deren Struktur ähnelten denjenigen Schiffen, die den Fremden bisher bekannt geworden waren. Der Durchmesser der Grundplatte, die sich über ausgefahrenen Stützen erhob, war kaum geringer als hundertzwanzig Meter. Die Stützen umgaben den untersten Rand wie ein Kranz metallischer Spinnenbeine. Mänerg hob den Kopf und sah an der obersten Stelle der Rundung, also am oberen »Pol«, die durchsichtige Kanzel der lebenden Galionsfigur. Mehrere Schleusen, die rund um den unteren Rand angeordnet waren, standen offen und waren durch Rampen und Gangways mit dem Grasboden verbunden. Mänerg fragte: »Die KNIEGEN fliegt mit uns nach Säggallo?« »Nicht nur mit euch«, lautete die in gleichmütigem Ton gegebene Antwort. »Sondern mit einer ganzen Anzahl anderer Individuen, die diesem oder jenem Zweck nachgehen werden.« »Das heißt, daß wir jetzt an Bord gehen sollen?« »Säntho hat angeordnet, daß ihr unverzüglich an Bord gehen und dort ein Quartier suchen sollt. Richtig.« Mänerg und Kärdyn stiegen aus. Sie dachten an die große Plejade und hofften, daß man sie auch jetzt nicht durchsuchen würde, denn diese Kugel war für sie und viele andere von unschätzbarer Wichtigkeit. Sie schritten langsam auf eine der Rampen zu und gingen nach oben. Im näheren Umkreis der KNIEGEN schien es, von den an-
Hans Kneifel deren »Passagieren« abgesehen, keine Scuddamoren zu geben. Sie sahen innerhalb der Schleusen und Lukenöffnungen kleine Roboter, deren Formen und Zweck ihnen nur teilweise bekannt waren. Mitten auf der Rampe, wo sie niemand hören konnte, blieb Mänerg stehen und sagte skeptisch: »Vielleicht erleben wir auch jetzt dieselbe Lösung wie nach der Flucht von Breisterkähl-Fehr. In diesem Fall wird Säntho das Schiff mit einem Fernzündungsimpuls vernichten.« »Das ist durchaus möglich, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Ich kann keinen Grund angeben, warum ich so und nicht anders denke, aber in diesem Punkt vertraue ich Säntho.« »Aber …?« »Ich bin sicher, daß er auf diese oder andere Weise eine Teufelei mit uns und den anderen vorhat. Warten wir es ab. Unser erster Gang sollte nach dem Start in die Kanzel der Galionsfigur sein.« »Nichts anderes hatte ich vor.« Sie betraten das Schiff und nannten einem Roboter ihre Scuddamoren-Namen und das Ziel ihres Fluges. Die Maschine rollte vor ihnen durch die Schiffskorridore und öffnete die Schotte zu zwei kleinen, benutzt aussehenden, aber keineswegs ungemütlichen Räumen. »Oder läßt die Galionsfigur die KNIEGEN in eine Sonne stürzen?« fragte Kärdyn und setzte sich. »Du bist wirklich ein wahrer Optimist«, versuchte Mänerg zu scherzen. »Aber du hast recht – ich glaube auch nicht an einen planmäßigen Ablauf des Fluges.« Und wieder einmal warteten sie. Warten war zweifellos ein wesentlicher Teil ihres jetzigen Lebens. Es gab in den folgenden Minuten viele Geräusche. Das Schiff schien sich zu bevölkern. Ihnen erschien es als sicher, daß an Bord Scuddamoren waren, die von Säntho genaue Anweisungen erhalten hatten, ausgerechnet jenen Fremden im Auge zu behalten, dessen goldener Anzug
Die falschen Scuddamoren
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ihn vor allen denkbaren Einflüssen zu schützen schien. Endlich startete die KNIEGEN. Mänerg sagte: »Das ist der Moment. Ich versuche, in die Kuppel vorzudringen und die Galionsfigur mit der großen Plejade in unserem Sinn zu beeinflussen.« »Viel Glück, Liebster!« sagte Kärdyn. Sie hob die Hand und winkte ihm zärtlich zu. Das Schott mit den abgegriffenen Rändern schloß sich hinter ihm. Noch lebten sie beide, aber die nächsten Stunden würden mit
Sicherheit alles andere als ein geruhsamer Raumflug sein. Sie wußten nichts. Sie ahnten vieles, und mit Bestimmtheit konnten sie sagen, daß dieser Flug nicht nach Säggallo ging. Sie wären noch mehr erschrocken, wenn sie das nächste Ziel der KNIEGEN gekannt hätten. Es war die Welt ohne Namen.
ENDE
Weiter geht es in Band 412 von König von Atlantis mit: Welt ohne Namen von Hans Kneifel