Nr. 436
Aufstand der Scuddamoren Der Kampf auf Säggallo von H. G. Francis
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrs...
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Nr. 436
Aufstand der Scuddamoren Der Kampf auf Säggallo von H. G. Francis
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter. Nach der Rückkehr seines Extrasinns und seiner Befreiung als Galionsfigur er reicht Atlan wieder Säggallo. Hier, auf der Zentralwelt Chirmor Flogs, auf der sich auch alte Freunde des Arkoni den zusammenfinden, braut sich etwas zusammen, sobald Artin, der geflüchtete Scuddamoren-Anführer, dort wieder erscheint. Es kommt zum AUFSTAND DER SCUDDAMOREN …
Aufstand der Scuddamoren
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide wird als Heilkundiger angesehen.
Axton-Kennon und Razamon - Zwei alte Bekannte treffen sich auf Säggallo.
Artin - Anführer der schwarzen Scuddamoren.
Kerttel - Ein mysteriöser Zwerg.
Achtpforg - Ein Gersa-Predogg.
1. Die Lebensverlängerer Das Schott glitt zur Seite, und die düstere Gestalt eines Scuddamoren betrat den Raum, in dem der Arkonide gefangen war. Atlan ruhte auf einer Liege. Er spürte die Impulse seines Zellaktivators. Diese zeigten ihm an, daß er sich noch immer nicht ganz erholt hatte. Die Trennung von den Steuerelemen ten des Organschiffs war allzu strapaziös ge wesen. »Steh auf«, befahl der Scuddamore. »Komm.« Der Arkonide erhob sich. Er trug eine graublaue Uniformkombination, die mit kei nerlei Zierrat versehen war. Er reckte sich und ließ die Schultern kreisen, um die Mus kulatur zu lockern. »Ich habe dir einen Befehl gegeben«, er klärte der Düstere. »Muß ich dir erst noch zeigen, wie ernst es gemeint war?« »Nicht nötig«, erwiderte der Rekonvales zent gelassen. »Ich komme ja schon. Ich nehme an, wir sind auf Säggallo, und du bringst mich zum Neffen?« Der Scuddamore antwortete nicht. Er blieb an der Tür stehen und wartete, bis At lan den Raum verlassen hatte. Dann führte er ihn über einen langen Gang bis zu einer offenen Schleuse, die sich dicht über dem Boden befand. Atlan blickte hinaus. Es reg nete so heftig, daß er kaum fünfzig Meter weit sehen konnte. Dennoch erkannte er die dunklen Umrisse einiger Gebäude. Sein fo tographisches Gedächtnis bestätigte ihm, daß er sich tatsächlich auf Säggallo befand. Sieh dich vor, signalisierte der Extrasinn, der nun wieder einwandfrei funktionierte, auf Säggallo herrscht eine Schwerkraft von etwa zwei g. Damit mußt du fertig werden. Unwillkürlich blieb der Arkonide stehen.
Er besaß das Goldene Vlies nicht mehr. Das hatte er Algonkin-Yatta übergeben, um es zu retten. Chirmor Flog hatte den Auftrag er teilt, es zu vernichten, doch dazu war es glücklicherweise nicht gekommen. Jetzt aber verfügte der Arkonide auch nicht mehr über den Schutz, der ihn aus manchen Ge fahren gerettet hatte. Das Goldene Vlies be wahrte ihn nicht mehr vor dem erdrücken den Einfluß einer doppelt so hohen Schwer kraft, wie er sie gewohnt war. Und das in ei ner Situation, in der er noch nicht wieder bei vollen Kräften war. Der Scuddamore stieß ihm den Projektor seiner Strahlenwaffe in den Rücken. »Was ist mit dir?« fragte er. »Fürchtest du dich vor dem Regen?« »Durchaus nicht«, antwortete Atlan. »Dennoch hätte ich nichts dagegen, wenn wir ein paar Minuten warten würden. Bin ich nicht hier, um Chirmor Flog zu helfen? Nun gut, das kann ich besser, wenn ich mir da draußen keine Infektion hole. Ich bin ge schwächt. In meinem augenblicklichen Zu stand darf ich kein Risiko eingehen.« Ein dumpfes Lachen klang unter dem Schattenschild hervor. »Du wirst es schon überstehen«, sagte der Scuddamore. Atlan wollte bereits in den Regen hinaus gehen, als es doch noch eine Unterbrechung gab. Etwas fiel polternd hinter dem Arkoniden auf den Boden. Atlan drehte sich um. Ein zierliches Mädchen trat stolpernd auf den Gang heraus. Sie trug mehrere Töpfe und Röhren in den Händen und unter den Armen. Ein Gefäß war ihr entglitten und auf den Boden gefallen. Hier hatte es sich geöff net. Eine grünliche Flüssigkeit sickerte dar aus hervor.
4 »Seid ihr wahnsinnig geworden?« schrie sie empört. »Ich bin doch nicht zu meinem Vergnügen hier, sondern weil ich eine wich tige Aufgabe zu erfüllen habe. Aber ihr be handelt mich wie einen gefangenen Verbre cher …« Jetzt bemerkte sie Atlan. Verblüfft blickte sie ihn an. Sie war etwa einen Meter groß. Golden schimmerndes Haar umgab ihren Kopf wie eine Glocke aus Löckchen. Ihr Gesicht war schmal. Es hatte die gleiche Farbe wie ihr Haar. Das Auffallendste an ihr waren jedoch die Augen. Sie hatten dreieckige Pupillen und eine schwer bestimmbare Farbe, die zwischen rot und blau angesiedelt war. Das Mädchen kleidete sich mit einem Anzug, der aus Tausenden von grünen und blauen Plätt chen bestand, die schuppenartig übereinan der gesetzt waren und ihren Körper wie eine zweite Haut umschlossen. »Was starrst du mich so an?« fragte sie. »Luftverschwender. Energieprotz. Du bil dest dir wohl ein, etwas Besonderes zu sein, wie? Für mich bist du nichts als eine Fehl konstruktion der Natur.« Ihr Gesicht verzerrte sich. »Willst du nicht endlich den Topf aufhe ben?« schrie sie. »Du stehst da wie ein Denkmal und siehst zu, wie die Lebenssäfte des Neffen im Schmutz verrinnen.« Atlan lächelte. Er hob den Topf auf. Nur ein geringer Teil der zähflüssigen Substanz, die sich darin befand, war ausgelaufen. »Willst du ihn tragen, oder soll ich das für dich tun?« fragte er. Sie schürzte die Lippen. »Ein Kerl wie ein Büffel«, erwiderte sie verächtlich, »aber er kann noch nicht einmal einen kleinen Topf für mich tragen.« Mit hocherhobenem Kopf ging sie an ihm vorbei in den Regen hinaus. »Also los«, sagte der Scuddamore. »Hinaus mit dir.« Atlan bemerkte, daß sich ihm weitere Schattengestalten näherten. Ihm blieb nichts anderes übrig, er mußte dem Mädchen fol gen. Er verließ die Schleuse.
H. G. Francis Augenblicklich senkte sich ein schweres Gewicht auf ihn herab. Die volle Schwer kraft von Säggallo drückte ihn fast zu Bo den, während das Mädchen nichts zu spüren schien. »Sieh dir das an«, sagte sie belustigt. »Der Kerl hat weiche Knie.« Sie streckte vorsichtig eine Hand aus, um keinen der Töpfe zu verlieren. »Nun gib schon her«, sagte sie überra schend freundlich und mitfühlend, »sonst brichst du noch zusammen.« Atlan dachte nicht daran, das Gefäß abzu geben, doch sie trat rasch auf ihn zu und nahm es so entschlossen an sich, daß er nichts tun konnte. Spöttisch lächelnd drehte sie sich um. »Saurier«, sagte sie nun wieder so aggres siv wie zuvor. »Weiter nichts.« »Wie soll ich das verstehen?« fragte er, während die Impulse seines Zellaktivators fast schmerzhaft heftig kamen. »Aussterbende Spezies«, antwortete sie knapp. »Lebensuntüchtige Existenz.« »Redet nicht«, befahl der Scuddamore, der ihnen gefolgt war, »geht endlich weiter, oder wir machen euch Beine.« Atlan bemerkte, daß sich ihm weitere sie ben Schattengestalten angeschlossen hatten. Offenbar befürchtete man, daß er die Flucht ergreifen würde. Doch er wäre gar nicht da zu imstande gewesen, weil die Schwerkraft so hoch war. Mühsam setzte er die Füße voreinander. Das Wasser stand knöchelhoch auf dem Landefeld. Die Wassertropfen ka men unter dem Einfluß der hohen Schwer kraft so wuchtig herab, daß er die Hände schützend über den Kopf erhob. Die Scuddamoren trieben ihn und das Mädchen zu einem kastenförmigen Gebäude am Rand des Raumhafens. Atlan erwartete, daß dort ein Transport gleiter stehen und sie aufnehmen würde, doch er wurde enttäuscht. Eine Tür öffnete sich vor ihnen, und sie betraten eine schlecht beleuchtete Halle. Triefend vor Nässe blieb der Arkonide ne ben einer Nische stehen. Sie enthielt ein
Aufstand der Scuddamoren Bett, einen Hocker, einen Tisch und einige kleinere Gegenstände für den täglichen Ge brauch. Der Arkonide war davon überzeugt gewe sen, daß man ihn sofort nach der Ankunft zu Chirmor Flog bringen würde. Er vermutete, daß der Neffe sich in einer gefährlichen Kri se befand und die belebenden Impulse des Zellaktivators dringend benötigte. Daher konnte er sich den ihm unnötig erscheinen den Aufenthalt in dieser Halle nicht erklä ren. Erschöpft sah er sich um. An den Wänden der Halle befanden sich zahllose Nischen, die sich wie Bienenwaben übereinander erhoben. Sie waren durch pri mitive Leitern miteinander verbunden. In fast allen Nischen stand oder saß ein Lebe wesen. Viele von ihnen waren humanoid, aber auch andere, völlig fremde Gestalten waren hier untergekommen. »Hier bleibst du«, erklärte einer der Scud damoren und zeigte auf das Bett, das wenige Meter neben dem Arkoniden stand. Dem Mädchen wiesen sie eine andere Ni sche an. Atlan ließ sich aufs Bett sinken. Er schloß die Augen und schlief fast augen blicklich ein, obwohl er das Gefühl hatte, er sticken zu müssen. Oft genug war er auf Welten gewesen, auf denen die Schwerkraft über 1 g lag. Selten zuvor hatte ihn diese er höhte Schwerkraft jedoch so belastet wie dieses Mal. Als Atlan wieder aufwachte, wußte er, daß er Fieber hatte. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Kombination war naß, und er hatte das Gefühl, in einer Lache zu liegen. Undeutlich sah er das goldene Gesicht des Mädchens vor sich. Die dreieckigen Pupillen waren auf ihn gerichtet. Worte sprudelten über seine Lippen, deren Sinn er selbst nicht erfaßte. Sie fragte ihn etwas, und er merkte, daß er darauf antwortete, ohne eine Kontrol le über seine Worte zu haben. Ihre Stimme war warm und freundlich, und er glaubte, sie lächeln zu sehen. Er fühl te sich zu ihr hingezogen. Irgendwann schlief er wieder ein, und als
5 er danach erwachte, fühlte er sich besser. Je mand hatte ihn bis auf die Hose ausgezogen und ihm eine trockene Unterlage gegeben. Er erinnerte sich daran, etwas davon gesagt zu haben, daß er eine Galionsfigur gewesen war, und daß man ihn vom Fragment des Schiffes getrennt hatte. Und er wurde sich dessen bewußt, daß er etwas über den Nef fen geäußert hatte, und darüber, daß er ihm bereits begegnet war. Was hatte er sonst noch gesagt? Hatte er etwas darüber verraten, wie er wirklich dachte und welche Absichten er verfolgte? Er schloß die Augen wieder und horchte. Ein seltsames Flüstern erfüllte den Raum. Es schien aus allen Richtungen zu kommen, und es dauerte lange, bis der Arkonide be griff, daß die meisten Bewohner der Halle miteinander sprachen. Er ließ den Kopf zur Seite sinken und öff nete die Augen. Etwa drei Meter von ihm entfernt lag das Mädchen mit dem goldenen Haar. Die weit geöffneten Augen waren gebrochen. Die Ar me kreuzten sich über dem Körper. Zwi schen ihnen ragte der Griff eines Messers hervor. Atlan erschrak so sehr, daß er sich auf richtete. Stöhnend sank er wieder auf den Rücken, als er die Last der doppelten Schwerkraft spürte. Er konnte auch so se hen. Neben dem Mädchen standen einige Scuddamoren. An der Tür hielten vier weite re Schattengestalten Wache. Die zahllosen Bewohner der Halle kauerten in ihren Ni schen und blickten mit ausdruckslosen Ge sichtern auf die Tote herab. Atlan zweifelte nicht daran, daß sie ermordet worden war. Abermals richtete er sich auf. Dieses Mal aber bewegte er sich vorsichtiger, und er stützte sich mit dem Rücken an der Wand ab. Er sah, daß die Töpfe des Mädchens auf dem Boden verstreut lagen. Die meisten von ihnen waren offen. Flüssigkeiten in allen nur denk baren Farben waren aus ihnen auf den Boden gelaufen.
6 »Armes Mädchen«, sagte er leise. Die Scuddamoren nahmen die Leiche auf und trugen sie hinaus. Ein kugelförmiger Roboter, der mit allerlei tentakelförmigen Armen versehen war, nahm die Farbtöpfe auf und beseitigte, was daraus auf den Bo den gelaufen war. Dann zog auch er sich zu rück, und die Bewohner der Nischen waren mit sich allein. Einige Minuten verstrichen. Dann wurden vereinzelt Stimmen laut. Zwei humanoide Wesen kletterten an den Leitern herunter und eilten zu der Stelle, an der die Tote gele gen hatte. Sie begannen eifrig miteinander zu diskutieren. Andere Nischenbewohner gesellten sich hinzu, um ihre Meinung über den Vorfall zu äußern. Atlan bemerkte eine zwergenhafte Ge stalt, die ihn an den Terraner Sinclair Ma rout-Kennon-Axton erinnerte. Der Hominide war etwa anderthalb Meter groß, hatte einen tonnenförmigen Körper, einen auffallend großen Schädel mit schütterem, weißen Haar und hervorquellenden Augen. Er trug eine leuchtend gelbe Bluse, eine rote Hose, die von einem grünen Gürtel gehalten wurde, und blaue Schuhe. Der Zwerg versuchte, in die Reihen der anderen einzudringen, um sich zwei hochge wachsenen Männern zu nähern, die offenbar eine Führungsrolle in der Halle übernom men hatten. Doch die anderen ließen ihn nicht vorbei. Vergeblich bemühte er sich, an einem krebsähnlichen Geschöpf vorbeizu kommen, das nervös auf der Stelle tänzelte. Schließlich fiel ihm auf, daß Atlan ihn beob achtete. Er wandte sich ihm zu. Seine Augen waren weißlich wie die eines Blinden. Sie hatten punktförmige Pupillen. »Was starrst du mich so an?« fragte er. »Nur so«, antwortete der Arkonide. »Du scheinst etwas zu wissen.« Das gnomenhafte Wesen runzelte die Stirn. Es näherte sich dem Unsterblichen und kroch mit einiger Mühe auf den Hocker. »Was weiß man schon?« fragte er. »Ich habe Geräusche gehört, als es dunkel war. Das ist alles. Ich habe mich gleich gewun-
H. G. Francis dert, daß jemand in der Dunkelheit herum kriecht und dabei Kopf und Kragen ris kiert.« Er hat jemanden belauscht, der auf einer Leiter nach unten geklettert ist, stellte der Logiksektor fest, sonst würde er nicht so re den. »Und was noch?« »Nichts weiter. Keinen Schrei. Kein Rö cheln oder sowas. Die Töpfe kippten um. Aber auch das war nicht laut. Es war, als hätte sie jemand der Reihe nach vorsichtig umgestoßen, um keinen Lärm zu machen.« Das zwergenhafte Wesen fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Mein Name ist Kerttel«, sagte er mit ei nem verständnisheischenden Grinsen, als müsse Atlan der Name geläufig sein. »Wieso interessierst du dich dafür, wie die Kleine ums Leben gekommen ist?« Atlan erinnerte sich daran, daß er das Ge sicht Kerttels schon einmal gesehen hatte. Es war in deinen Fieberträumen. »Eigentlich interessiert es mich nicht«, antwortete er. »Die Kleine ist jedoch mit mir hier angekommen. Ich habe sie auf dem Raumhafen das erste Mal gesehen. Und sie hat sich wohl ein wenig um mich geküm mert, als es mir nicht gutging.« »Wir dachten nicht, daß du es schaffen würdest.« Du hast dich also nicht geirrt. Er war bei dir und hat dir geholfen. »Ich bin froh und dankbar, daß sich einige gefunden haben, die mich versorgt haben. Unter Gefangenen ist so etwas nicht gerade häufig.« »Gefangenen?« Kerttel blickte ihn über rascht an, und plötzlich begann er zu lachen, bis ihm die Tränen kamen. »Wie kommst du auf diesen verrückten Gedanken? Wir sind keine Gefangenen. Wir sind Lebensverlän gerer und hier auf Säggallo hochwillkom men.« Er wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab und blickte Atlan kopfschüt telnd an. »Du bist schon eine komische Type«, sag
Aufstand der Scuddamoren te er mit einem schiefen Lächeln. »Wie kommst du überhaupt in diesen Bau, wenn du nicht auch ein Lebensverlängerer bist?« Der Arkonide konnte mit diesen Worten nur wenig anfangen. Der Logiksektor mel dete sich nicht, um ihm helfende Hinweise zu geben. »Lebensverlängerer?« fragte er. »Wessen Leben verlängert ihr? Das des Neffen?« »Du bist scheinbar doch nicht so dumm, wie ich dachte«, erwiderte Kerttel. Er hob den Arm und zeigte auf die anderen Bewoh ner der Halle. Dabei grinste er spöttisch. »Das sind alles Experten. Jeder von ihnen behauptet, Chirmor Flog retten zu können. Vermutlich bildet sich jeder von ihnen ein, es tatsächlich zu können. Aber das ist natür lich alles Quatsch.« Er beugte sich vor und blickte Atlan for schend an. »Hoffentlich bist du nicht auch so ein He xenmeister, der meint, den Saft entdeckt zu haben, den Chirmor Flog für seine verdorr ten Adern braucht.« Atlan schüttelte den Kopf. »Keine Sorge«, erwiderte er. »Ich bin kein Konkurrent.« »Das glaube ich noch nicht ganz, aber das werden wir ja erleben. Jedenfalls ist alles ausgemachter Unsinn, was die anderen dir erzählen. Die anderen sind nicht mehr als Quacksalber.« »Nur du«, stellte der Arkonide ernsthaft fest, »hast das Elixier des Lebens gefunden. Oder etwa nicht?« Kerttel verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast also begriffen«, sagte er befrie digt. »Ich bin im Besitz einiger Beschwö rungsformeln, mit deren Hilfe ich Chirmor Flog mühelos wieder auf die Beine helfe. Die hat er doch – oder?« »Beine?« fragte Atlan überrascht. »Natürlich. Davon rede ich doch.« »Er hat Beine«, bestätigte der Arkonide.
*
7 Lebo Axton glitt aus und rutschte einen Hang hinunter. Er warf sich zur Seite und griff nach den Ästen eines verkrüppelten Baumes, um sich daran festzuhalten. Heftig atmend blickte er in die Tiefe. Er war auf Säggallo. Der Übergang von Pthor hierher war geglückt. Doch am Ende des Ein-Weg-Tunnels der Magier befand sich für ihn denkbar ungünstiges Gelände. Er war etwa fünfhundert Meter über dem Niveau des Raumhafens angekommen, der sich kaum zehn Kilometer von ihm befand. Der Hang fiel steil ab, so daß ihm ein be schwerlicher Abstieg bevorstand. Doch das störte Axton-Kennon nicht. Er dachte daran, daß es ihm endlich gelungen war, sich weit von Pthor zu entfernen und damit eine gehö rige Distanz zwischen ihm und dem recht mäßigen Eigentümer des Körpers zu schaf fen, in dem er lebte. Er kletterte über Gras und Fels in die Tiefe. Dabei dachte er an Grizzard, der in dem verkrüppelten Kennon-Körper war und ihm nicht folgen konnte. Damit war zunächst auch die Gefahr behoben, daß es zu einem Körpertausch kam. Nichts fürchtete AxtonKennon mehr, als in seinen alten Körper zu rückkehren zu müssen. Er fühlte sich wohl in dem neuen Körper, in dem er keinerlei Beschwerden hatte. Das wurde ihm wieder einmal in aller Deutlichkeit bewußt, als er sich über den Hang bewegte. Er spürte die Belastung durch die hohe Schwerkraft, die sein Körpergewicht verdoppelte, doch der GrizzardKörper war stark und jung. Er wur de damit fertig. In seinem Originalkörper wäre Axton-Kennon hier zur Unbeweglich keit verdammt gewesen. Er hätte sich nicht einmal aufrichten können, weil dieser Kör per zu schwach war. Das Wohlbefinden Ax tons stieg. Die Gedanken an den KennonKörper ver deutlichten ihm, daß Grizzard ihm nicht fol gen konnte. Somit war er auf Säggallo in seinem neuen Körper sicherer als sonst ir gendwo. Jetzt kam es darauf an, sich unter die Scuddamoren zu mischen. Axton-Ken non plante, sich bis in die Nähe von Chirmor
8 Flog vorzuarbeiten und dann ein neues Un tergrundspiel zu beginnen. Immer wieder dachte er an die Zeit zurück, als er für Atlan im Herzen des Arkonidischen Imperiums gegen Orbanaschol gekämpft hatte. Eine ähnliche Rolle wollte er jetzt übernehmen. Chirmor Flogs Macht mußte von innen her aus geschwächt werden. Lebo Axton verzichtete zunächst darauf, den Scuddamorenschild einzuschalten. Er war noch weit vom Raumhafen entfernt und damit von Scuddamoren, die ihn sehen konnten. Das Gelände war unübersichtlich und bot ihm genügend Verstecke für den Fall, daß irgend jemand in seiner Nähe auf tauchen sollte. Doch Axton rechnete gar nicht damit, daß sich so weit außerhalb des Raumhafens einer der Scuddamoren auf hielt. Tatsächlich sah er die erste Schattenge stalt erst, als er sich dem Raumhafen bis auf etwa fünfhundert Meter genähert hatte. Tief schwarze Wolken zogen über ihn hinweg, und kurz darauf begann es zu regnen. Unge heure Wassermassen stürzten herab. Er schaltete den Schild ein und war damit aus reichend gegen den Regen geschützt. Die Sicht wurde so schlecht, daß er fürchtete, die Orientierung zu verlieren. Daher blieb er un ter einem Baum stehen und wartete, bis es aufhörte zu regnen. Er beobachtete den Raumhafen, auf dem reger Betrieb herrschte. Raumschiffe lande ten und starteten. Einige brachten riesige Container, die mit Lastengleitern ins Lan desinnere abtransportiert wurden, mit ande ren kamen Hunderte von Scuddamoren an, die in die Gebäude am Rand des Raumha fens einzogen. Geduldig verharrte Axton unter dem Baum. Stunde um Stunde verstrich, ohne daß sich etwas ereignete, was ihm als beson ders bedeutungsvoll erschien. Doch das be rührte ihn nicht. Er wollte Informationen sammeln, um später so sicher wie nur irgend möglich auftreten zu können. Er wollte se hen, wie sich die Scuddamoren bewegten. Er stellte fest, daß sie offenbar über eine Kon-
H. G. Francis stitution verfügten, die genau auf die Schwerkraft von Säggallo abgestimmt war. Er schloß aus, daß sie Gravitationsneutrali satoren hatten, mit denen sie die Belastung verringern konnten. Gleichzeitig wurde er sich dessen bewußt, daß er es noch nicht riskieren konnte, sich unter sie zu mischen. Er würde schnell auf fallen, weil er sich unter dem Einfluß der hohen Gravitation zu schwerfällig bewegte. Er zog sich aus der Nähe des Raumhafens zurück, um sich einige Tage Zeit zu neh men, sich an die Schwerkraftbedingungen zu gewöhnen. Er ermüdete schnell und brauch te viel Schlaf. Wenn er wach war, ent wickelte er einen ungeheuren Appetit. Er ging auf die Jagd und erlegte einige Tiere. Das Fleisch bereitete er sich über einem of fenen Feuer am Spieß zu. Er konnte es kaum erwarten, bis es gar war, so daß er es verzeh ren konnte. Zwei Tage nach seiner Ankunft war Ax ton so erschöpft, daß er mit dem Gedanken spielte, sich den Scuddamoren zu stellen und sie zu veranlassen, ihn auf einen anderen Planeten mit geringerer Schwerkraft zu brin gen. Er verfluchte die Idee, sich von den Magi ern nach Säggallo transportieren zu lassen als die dümmste, die er je gehabt hatte. Jetzt fühlte er sich in seinem Grizzard-Körper so erbärmlich, wie er sich sonst in seinem Ori ginalkörper gefühlt hatte. Ein metallisches Klicken in seiner Nähe ließ ihn aufhorchen. Axton wälzte sich her um. Er lag in einer Mulde im Gras. In der Nähe befanden sich einige Felsbrocken, die ihm eine ausreichende Deckung verliehen. Er schob sich durch das Gras bis zu einem der Felsen, so daß er sehen konnte, was das Geräusch verursacht hatte. Ein spinnenbeiniger Roboter näherte sich ihm. Aus seinem Kugelkörper ragten zwei Antennen hervor, die sich suchend hin und her bewegten. Axton fuhr zurück. Er zweifelte nicht daran, daß der Roboter ihn entdeckt hatte.
Aufstand der Scuddamoren Die Gedanken, sich den Scuddamoren zu stellen, waren verflogen. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr müde und zerschlagen. Neue Energien durchfluteten ihn, als habe ihm je mand einen Zellaktivator umgehängt. Axton kroch in fliegender Eile aus der Mulde und entfernte sich von dem Roboter. Er flüchtete hinter einen der Felsbrocken. Dann schob er sich zur Seite und bewegte sich im Bogen zurück. Schließlich blieb er hinter einem der Felsen liegen und spähte vorsichtig zur Mulde hinüber, in der er ge ruht hatte. Der Roboter hatte sie erreicht. Er fuhr eine Sonde aus und strich suchend da mit über das herabgedrückte Gras. Axton stöhnte leise. Er wollte weglaufen, aber er konnte es nicht. Er wußte, daß eine Flucht so gut wie aussichtslos war, da der Roboter sei nen Spuren mühelos folgen konnte und dar über hinaus auch schneller war als er. Doch das hinderte ihn nicht allein an einer Flucht. Entscheidend war, daß sein Gegner ein Ro boter war, und er war in diesen Sekunden unfähig, vor einer Maschine wegzulaufen. Der tiefverwurzelte Haß gegen Roboter zwang ihn, alle Muskeln seines Körpers an zuspannen und nach einem Stein zu greifen, der unter anderen Umständen viel zu schwer für ihn gewesen wäre. Jetzt aber hob er den Stein hoch. Er stemmte ihn über den Kopf. Ein Schrei kam über seine Lippen.
2. Überleben Kerttel beugte sich nach vorn. »Du bist in einem Haus voller Narren ge landet«, sagte er und zeigte mit dem Dau men über die Schulter auf die anderen Be wohner der Halle. »Jeder will sich bei Chirmor Flog einschleichen, um seine Gunst zu gewinnen.« Er kicherte und schüttelte den Kopf. »Du aber nicht«, stellte Atlan fest. »Was willst du?« »Das alles ist nur ein Geschäft«, erklärte der Zwerg in vertraulichem Ton. »Es ist doch ganz einfach. Wem es gelingt, Chirmor
9 Flogs Leben zu verlängern, der hat auch für sein Leben ausgesorgt. Er wird berühmt. Er wird den Titel Lebensverlängerer erwerben, und die Kunden werden ihm aus allen Berei chen der Galaxis zuströmen.« »Richtig«, bestätigte der Arkonide. »Du hast es erfaßt.« »Nicht wahr? Ich möchte mich nicht gera de als Genie bezeichnen, muß aber doch sa gen, daß die Klarheit meiner Gedanken Be wunderung verdient.« Er lachte und zwinkerte mit einem Auge, um Atlan anzuzeigen, daß diese Worte iro nisch gemeint waren. Dann beugte er sich erneut vor und blickte den Arkoniden for schend an. Dieser empfand es als unange nehm, die blind erscheinenden Augen auf sich gerichtet zu sehen. Er spürte, daß sich hinter der zur Schau getragenen Heiterkeit etwas verbarg. Kerttel war nicht ehrlich. Er gab sich nicht so, wie er wirklich war, son dern schauspielerte. »Du kennst Chirmor Flog also«, stellte Kerttel fest. »Erzähl mir von ihm.« Eine säulenförmige Gestalt erschien hin ter ihm. Sie war entfernt humanoid. Der un tere Teil des Körpers war unter gewölbten Röcken verborgen, der obere Teil war unbe deckt. Er war stark behaart. Dennoch konnte Atlan die mächtigen Muskelstränge sehen, die verrieten, daß dieses Wesen über gewal tige Kräfte verfügte. Die Körpersäule lief in einer bananenförmigen Spitze aus, in der ein rotes Auge leuchtete. Darunter befand sich ein Mund, der ständig zu lachen schien. Das Wesen legte Kerttel eine seiner vier Hände auf die Schulter. »Nicht doch«, sagte es mit rollendem Baß. »Wenn er etwas vom Neffen erzählt, dann nicht nur einem von uns, sondern al len.« Er stieß den Zwerg vom Hocker. Kerttel stürzte schreiend zu Boden und flüchtete auf allen vieren. »Also – ich höre«, sagte die Säule. »Ich auch«, erwiderte der Arkonide gelas sen. »Wenn ich etwas erzähle, dann nicht nur einem. Zur Zeit bin ich zu müde, den
10 Mund aufzumachen. Also gedulde dich.« Das säulenartige Wesen trat rasch an ihn heran, packte ihn mit vier Händen an den Schultern und den Hüften und riß ihn hoch. Er hob ihn bis in eine Höhe von etwa zwei Metern und sagte: »Ich könnte dich fallen lassen.« »Das würde dir fraglos nicht bekommen«, antwortete der Unsterbliche. »Du würdest nicht erfahren, was ich über den Neffen weiß, und das könnte tödlich für dich sein.« Das säulenartige Wesen zögerte einige Sekunden lang. Dann seufzte es und legte Atlan sanft aufs Bett. Kichernd tauchte Kerttel hinter ihm auf. »So ist es richtig«, sagte er lobend. »Gib's dem Rüpel. Er hat es nicht anders verdient. Und wenn du ganz genau sein willst, dann rate ich dir, schließe ihn von der Informati onsstunde aus.« Das säulenartige Wesen holte mit allen vier Armen aus und setzte zum tödlichen Schlag gegen den Zwerg an, als sich die Tür plötzlich öffnete, und meh rere Scuddamoren hereinkamen. Die Arme sanken herab. »Sie holen wieder einen von uns«, sagte Kerttel mit schwankender Stimme. »Hoffentlich noch nicht mich.« Die Scuddamoren gingen auf das Säulen wesen zu. »Du«, sagte einer von ihnen, und es schi en, als deute er mit einem seiner armähnli chen Gebilde, die unter dem Schattenschild verborgen waren, auf das Säulenwesen. Da nach wandte er sich einigen anderen Bewoh nern der Halle zu und wiederholte den Be fehl. Keiner der Angesprochenen wider sprach. Jedoch folgten sie dem Befehl der Scuddamoren nur zögernd und unwillig. Es war still in der Halle. Es schien, als warteten alle darauf, doch noch angespro chen und abgerufen zu werden. Atlan glaub te zu spüren, daß viele Angst hatten. Doch die Scuddamoren gingen hinaus, ohne noch jemanden zu benennen. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Danach wurde es laut. Jeder schien etwas zu sagen zu haben. Kerttel stand kichernd neben dem Arkoni-
H. G. Francis den. Dieser wußte weniger als zuvor, was er von ihm halten sollte. War der Zwerg nicht bei klarem Verstand, oder tat er nur so, als sei er schwachsinnig? »Ich bin froh, daß sie mich noch nicht ge holt haben«, erklärte er. »Noch bin ich nicht soweit. Verstehst du? Ich zweifle nicht an der Wirksamkeit meiner Beschwörungsfor meln. Aber jetzt bist du da. Du kennst Chirmor Flog. Mit deiner Hilfe kann ich mich auf die Begegnung vorbereiten, so daß meine Beschwörungsformeln ihre größte Wirksamkeit entfalten.« Einer der anderen in der Halle schrie auf. Kerttel senkte den Kopf und seufzte. »Schon wieder einer«, sagte er leise. Atlan erhob sich. Mühsam setzte er die Füße voreinander und verließ die Nische. Kerttel blieb gelassen auf dem Hocker sit zen. Die anderen Bewohner der Halle standen einige Meter von ihm entfernt vor der Lei che eines geflügelten Wesens. Ein Metall dorn ragte aus seiner Brust. Der Tod dieses Wesens löste nur mäßige Erregung bei den anderen aus. Er schien nicht überraschend gekommen zu sein. »Warum?« fragte der Arkonide. »Ich ver stehe das nicht. Willst du mir nicht endlich ein paar Fragen beantworten?« »Gern«, erwiderte der Zwerg. »Warum nicht?« Die Tür öffnete sich, und vier Scuddamo ren kamen herein. Die Lebensverlängerer wichen vor der Leiche zurück und machten den Schattengestalten Platz. Die Scuddamo ren nahmen den Toten auf und transportier ten ihn wortlos hinaus. Der Mord schien sie nicht im geringsten zu interessieren. »Er war ein Heilkundiger«, erklärte Kert tel. »Ein Konkurrent«, stellte Atlan fest. Er kehrte zum Bett zurück und legte sich wie der hin, da er fühlte, daß er sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte. »Das ist kein Grund, ihn zu töten.« »Der Mörder ist anderer Ansicht«, erwi derte der Zwerg. Er lächelte. »Du mußt das
Aufstand der Scuddamoren verstehen. Wir haben alle Angst, daß einer von uns dem Neffen wirklich hilft, bevor wir selbst die Chance bekommen, es zu tun. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Was würde dann wohl mit uns gesche hen? Schickt man uns zurück nach dorthin, woher wir gekommen sind? Behält man uns hier als Gefangene, bis man uns irgendwann vielleicht einmal wieder braucht? Oder bringt man uns kurzerhand um? Niemand weiß das.« Er blickte den Arkoniden forschend an. »Was ist deine Methode, mit der du dir einbildest, Chirmor Flog helfen zu können?« Der Unsterbliche hatte gewußt, daß diese Frage früher oder später kommen würde. Er streckte die Hände aus und spreizte die Fin ger. »Meine Hände können heilen«, antworte te er, während er an das Mädchen mit dem goldenen Gesicht dachte. Jetzt wußte er, was sie in den vielen Gefäßen gehabt hatte. Dar in waren selbstgebraute Arzneimittel gewe sen, mit deren Hilfe sie dem Neffen hatte neues Leben schenken wollen. »Ich habe mir so etwas gedacht«, sagte Kerttel ernst, »weil du nichts bei dir hast. Alle anderen haben irgend etwas dabei, Tu ben, Flaschen, Töpfe, Bücher, Felle, Blumen und andere Dinge mehr. Ich habe meine Be schwörungsformeln, von denen ich weiß, daß sie mit absoluter Sicherheit helfen. Du hast nichts.« »Meine Hände.« »Das wirst du beweisen müssen.« »Wem? Dir?« »Warum nicht?« »Ich erhebe meine Hände nur über Chirm or Flog«, eröffnete ihm der Arkonide. »Für ihn habe ich Kräfte gespeichert, die meine Hände erst durchfließen und verlassen wer den, wenn ich bei ihm bin.« Kerttel lachte. Es war ein eigenartig ge künstelt klingendes Lachen, hinter dem sich keine Heiterkeit verbarg. Anbiedernd zwin kerte er Atlan zu. »Ich verstehe. Du bist ein Schwindler. Das ist gut. Dann ist dein Leben nicht ge
11 fährdet. Die Mörder unter uns brauchen kei ne Angst vor dir zu haben.« »Die Mörder? Du meinst es sind mehre re?« »Bestimmt. Einer allein hat es nicht ge tan.« Er schnippte mit den Fingern. »Hoffentlich bringen Sie dich bald zu Chirmor Flog. Du kannst deine Hände ruhig über ihm erheben. Es wird sein Leben nicht verlängern. Ob deins dann noch lange währt, kann ich allerdings nicht sagen.« »Du glaubst, daß man diejenigen um bringt, die versagen?« »Es sieht so aus. Seit Tagen holen sie ei nige von uns ab. Jeden Tag vier oder fünf. Es ist nicht weit von hier bis zu Chirmor Flog. Es heißt, der Flug dauert nur eine Stunde.« Er blickte Atlan fragend an. »Stimmt«, erwiderte dieser. »Nicht viel länger, wenn man eine schnelle Maschine hat.« Der Zwerg war mit dieser Antwort zufrie den, obwohl sie im Grunde genommen gar nichts aussagte. »Es hätte schon längst mal jemand zu rückkommen müssen«, fuhr er fort. »Aber bis jetzt ist keiner zurückgekehrt.« »Hast du keine Angst, daß deine Formeln versagen?« Kerttel blickte den Arkoniden erstaunt an. »Soll das ein Witz sein?« fragte er ärger lich. »Nein. Es war eine überflüssige Frage. Selbstverständlich wirst du Erfolg haben.« »Glaubst du, ich wäre so dumm, Chirmor Flog sonst meine Dienste anzubieten?« Kerttel lachte schrill. »Ich bin doch kein Narr. Wenn ich nicht genau wüßte, daß ich Erfolg haben werde, hätte ich mich nie ge meldet.« Damit gab er dem Arkoniden eine wichti ge Information. Atlan hatte bisher stets an genommen, alle anderen in der Halle seien ebenso wie er unfreiwillig hier, zumal das Gebäude bewacht wurde. Jetzt erfuhr er, daß diese Vermutung falsch war. Chirmor Flog und seine engsten Mitarbeiter machten kei
12 nen Hehl daraus, daß es ihm schlecht ging. Sie hatten sogar öffentlich bekanntgemacht, daß er Hilfe benötigte. Diese Nachricht hatte die Lebensverlängerer auf den Plan gerufen. Das Verhalten Chirmor Flogs zeigte dem Arkoniden, daß es um den Neffen noch viel schlechter stand, als er vermutet hatte. Chirmor Flog war am Ende. Er war so ver zweifelt, daß er sich selbst vor dem Schritt in die Öffentlichkeit nicht gescheut hatte, obwohl es für ihn tödlich sein konnte, seine Ohnmacht zuzugeben. Um so erstaunlicher fand Atlan es, daß Chirmor Flog ihn nicht als ersten zu sich rief, da er die positive Wir kung des Zellaktivators aus eigenem Erleben kannte. Ein humanoides Wesen trat in die Nische. »Du hast geredet, als du Fieber hattest«, sagte er, »Daher wissen wir, daß du schon mal bei Chirmor Flog warst. Wie sieht er aus?« Kerttel wies mit dem Daumen auf den Mann, der eine lindblaue Haut und tief schwarzes Haar hatte. »Das ist Blue«, erklärte er. »Er ist so neu gierig wie niemand sonst hier.« »Mag sein«, erwiderte der Blaue gelassen. »Ich bin der berühmteste und erfolgreichste Heilkundige auf meiner Welt, aber dort habe ich es mit Menschen zu tun, deren Organis mus, Metabolismus und Psyche ich kenne. Über Chirmor Flog weiß ich nichts. Man hat mich veranlaßt, mich freiwillig zu melden.« Kerttel lächelte. »Hört euch das an«, rief er, als er bemerk te, daß weitere Lebensverlängerer heranka men. »Man mußte Blue dazu zwingen, reich zu werden.« Der Blaue blieb ernst. Er hatte große, aus drucksvolle Augen mit tintenblauen Pupil len. »Ich bewundere den Neffen«, eröffnete er dem Arkoniden. »Sein Werk ist größer und bedeutender als das aller anderen Mächtigen in dieser Galaxis. Ich wünschte, nicht nur mein Haar, auch meine Haut wäre schwarz, so daß sich durch diese Farbe dokumentiere, wie ich denke. Gerade weil es so ist, fühle
H. G. Francis ich mich verunsichert, weil ich zu wenig über Chirmor Flog weiß. Wenn ich helfen soll, muß ich mich vorbereiten können.« »Ich würde nicht so laut reden«, sagte Kerttel mühsam beherrscht. In seinem Ge sicht zuckte es. Er schloß die Augen bis auf einen schmalen Spalt. »Hier ist sonst nie mand, der deine Bewunderung teilt. Und es sind Mörder unter uns. Denen könnten deine Äußerungen mißfallen.« Blue schürzte verächtlich die Lippen. Er blickte auf den Zwerg herab. »Das beeindruckt mich nicht. Sollen die Mörder kommen. Sie wissen nicht, wohin sie das Messer richten sollen, denn bei mir sitzen die lebenswichtigen Organe ganz wo anders als bei dir.« »Das Herz ist vermutlich in der Hose zu finden«, entgegnete Kerttel. »Und mit dem Kopf wirst du fraglos demnächst versuchen, Chirmor Flog in den verlängerten Rücken zu kriechen.« Seine Worte lösten allgemeines Gelächter aus, und weitere Lebensverlängerer gesell ten sich hinzu. Einige forderten den Arkoni den lautstark auf, endlich sein Wissen über Chirmor Flog preiszugeben. »Er wird mir alles sagen, was er weiß. Ich berichte es euch dann«, antwortete Kerttel. Die anderen reagierten mit einem erneu ten Gelächter. »Das könnte dir so passen«, erwiderte Blue belustigt. »Und uns würdest du dann für jedes Wort bezahlen lassen.« »Das ist eine gute Idee«, rief der Zwerg. »Seltsam, daß ich selbst noch nicht darauf gekommen bin.« »Ich will gern sagen, was ich weiß«, er klärte der Arkonide. »Hört zu …« Er begann zu berichten, wobei er alles verschwieg, was die anderen mehr als nötig über ihn und seine Fähigkeiten informierte. Er behauptete, schon einmal wegen seiner Heilfähigkeiten zu dem Neffen gerufen wor den zu sein, bei dieser Gelegenheit jedoch keinen großen Erfolg gehabt zu haben. Er eröffnete seinen Zuhörern in aller Deutlich keit, wie Chirmor Flog aussah, und daß er in
Aufstand der Scuddamoren einem Robotgestell lebte, das ihn wie ein Gitterwerk umgab. Er spürte, sofort, daß man ihm nicht glaubte, verzichtete jedoch darauf, seine Aussage zu wiederholen und durch weitere Details zu bekräftigen. »Du lügst«, rief Blue, als er seinen Be richt beendet hatte. »Chirmor Flog kann kein so elendes Dasein führen.« »Wie du willst«, erwiderte er. »Glaube mir oder glaube mir nicht. Mir ist das gleich. Du wirst ihn bald sehen, und dann weißt du, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht.« Blue stiegen die Tränen in die Augen. Er ballte die Hände zu Fäusten und machte An stalten, sich auf den Arkoniden zu stürzen. Zwei Kunen hielten ihn zurück. »Sei kein Narr«, rief Kerttel ihm zu. »Was kann Atlan dafür, daß der Neffe so aussieht?« »Du tust mir leid«, sagte einer der ande ren Lebensverlängerer. »Für mich steht fest, daß du die Begegnung mit dem Neffen nicht lange überleben wirst, ganz gleich, was ge schieht. Wenn dich Atlans Worte schon so umwerfen, dann wird dich der Anblick des Neffen umbringen.« Blue blickte den Arkoniden an. Sein Ge sicht war von Haß gezeichnet. Du bist zu weit gegangen, konstatierte der Logiksektor. Er wird versuchen, dich umzu bringen, um sich für die Enttäuschung zu rä chen, die er erlitten hat.
* Der Roboter drehte sich blitzschnell um, doch nicht schnell genug. Axton-Kennon schleuderte den Stein mit äußerster Kraftan strengung auf die Maschine und zerschmet terte sie. Der Roboter brach zusammen. Der Kunststoffmantel der Kugel zerbrach. Blaue Blitze schossen daraus hervor. Axton fuhr herum und rannte davon, ob wohl er wußte, daß der Roboter ihm nicht mehr folgen konnte. Er war jedoch davon überzeugt, daß die Maschine noch in der La ge gewesen war, eine Alarmmeldung abzu strahlen. Der Terraner stürzte einige Male,
13 weil er zu schwach war, sich auf den Beinen zu halten. Doch er gab nicht auf. Er rannte weiter. Er hatte nur ein Ziel. Er wollte zu dem Fluß, der sich durch den Urwald am Rand des Raumhafens schlängelte, weil er hoffte, daß sich seine Spuren im Wasser ver wischen würden, so daß selbst Roboter sie nicht mehr finden würden. Die Beine wurden ihm schwerer und schwerer, aber er trieb sich mit unerbittli cher Härte voran, bis er das Wasser vor sich sah. Er ließ sich hineinfallen und von der Strömung davontragen, so daß er nicht die geringsten Spuren hinterließ. Etwa zwei Kilometer weiter schwamm er zum Ufer und kroch aus dem Wasser. Er ließ sich ins Gras fallen, um sich zu erholen. Er hatte stechende Schmerzen in den Lun gen und war so erschöpft, daß er meinte, sich fürs erste nicht mehr erheben zu kön nen. Er wälzte sich herum, als er sich einige Minuten lang ausgeruht hatte und blickte flußaufwärts. Der Fluß schimmerte silbern im Licht der Sonne. Einige Vögel strichen mit trägem Flügelschlag über das Wasser. Nirgendwo war ein Roboter zu sehen. Kennon ließ den Kopf sinken und schloß die Augen. Er war sich dessen bewußt, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte, als er den Roboter angegriffen hatte. Er vermutete, daß der Roboter ihn nicht weiter belästigt hätte, wenn er den Scudda morenschild eingeschaltet hätte. Doch nun war es zu spät. Er konnte nur hoffen, daß die Roboter seine Spuren nicht verfolgen konnten, und daß der Vorfall in Vergessenheit geriet. Als fünf Stunden vergangen waren, senkte sich die Dunkelheit herab. Roboter waren nicht erschienen. Axton-Kennon beschloß, die Nacht an gleicher Stelle zu verbringen. Er schaltete jedoch den Scuddamorenschild ein, um in seinem Schutz zu schlafen. Er wachte erst wieder auf, als die Sonne schon aufgegangen war. Erschreckt fuhr er hoch und sah sich um. Er stöhnte auf, weil heftige Schmerzen seinen Körper durchflu
14 teten. Jeder Muskel wehrte sich gegen die geringste Belastung. Aufatmend stellte Axton fest, daß sich niemand in seiner Nähe aufhielt. Die Robo ter schienen seine Spur tatsächlich verloren zu haben. Er ruhte sich noch etwas aus. Dann schal tete er den Schild aus, streifte seine Klei dung ab und kroch ins Wasser, um sich zu erfrischen. Es war kühl und klar und befreite ihn von der Last der hohen Schwerkraft. Er genoß es, im flachen Wasser zu treiben und frei atmen zu können. Er hatte das Gefühl, plötzlich auf einer anderen Welt zu sein. Er blieb fast zehn Minuten lang im Was ser, bis er zu frieren begann. Dann stieg er wieder an Land und lockerte die erstarrten Muskeln mit leichter Gymnastik. Danach fühlte er sich wohler. Er kleidete sich an und schaltete den düsteren Schild ein. Er stellte fest, daß die hohe Schwerkraft ihm nicht mehr so hart zusetzte wie am Tag zuvor. Dennoch fiel ihm jeder Schritt schwer. Je länger er sich jedoch bewegte, und je mehr seine Muskeln durchblutet wurden, desto besser ging es ihm. Er beschloß, noch wenigstens zwei Tage abzuwarten, und dann in eines der Gebäude am Raumhafen einzudringen. Er verbrachte die Tage mit der Jagd auf kleine Tiere, mit der Zubereitung der Beute, mit dem Verzehr des Fleisches und mit Schlafen. Mehrmals badete er im Fluß, um sich zu erfrischen und den Körper zu entla sten. Dann fühlte er sich für die Begegnung mit den Scuddamoren genügend vorbereitet. Als er sich dem Raumhafen näherte, be gann es zu regnen. Abermals stürzte das Wasser wolkenbruchartig herab. Axton war das nur recht. Er konnte zwar nicht weit sehen, fand aber durch den Regen andererseits auch Deckung. So konnte er hoffen, unbemerkt bis in die Nähe der Gebäude zu kommen. Hin und wieder blieb er stehen und blick te zurück. Er hinterließ deutliche Spuren, die jedoch vom Wasser bald wieder weggespült wurden.
H. G. Francis Als Axton bereits befürchtete, die Rich tung verloren zu haben, wuchs plötzlich eine schwarze Wand vor ihm auf. Er blieb stehen und blickte sich um. Die Sicht reichte nur wenige Meter weit. Sie wurde durch den Schild noch zusätzlich getrübt. Nirgendwo war eine Wache zu sehen. Der Terraner ging weiter. Er dachte nicht daran, das erste beste Gebäude zu betreten, das er erreichte. Er wollte zunächst beobachten und sich dann entscheiden. Hinter einigen abgestellten La stengleitern blieb er stehen, um von hier aus die Vorgänge auf dem Raumhafen zu beob achten. Einige Minuten vergingen. Dann eil ten zwölf Schattengestalten an ihm vorbei. Sie verschwanden im Regen. Kurz darauf kam aus der entgegengesetzten Seite eine Gruppe von fünf Scuddamoren. Auch sie zog vorbei, ohne ihn zu bemerken. Axton erkannte, daß er nicht länger war ten durfte. Seit er den Raumhafen beobachtete, hatte er noch nicht ein einziges Mal einzelne Scuddamoren gesehen. Stets waren mehrere Schattengestalten beieinander gewesen. Axton beschloß, sich so bald wie möglich einer Gruppe anzuschließen. Der Regen ließ ein wenig nach. Der Ter raner sah ein flaches Gebäude, zu dem meh rere Gruppen von Scuddamoren strebten. Die Reihe der Lastengleiter reichte bis dort hin. Axton bückte sich und eilte in der Deckung der Lastenmaschinen weiter, bis er nur noch wenige Meter von seinem Ziel ent fernt war. Er hörte, wie sich die Scuddamo ren unterhielten. Sie sprachen über Belang losigkeiten, wie über die Verpflegung oder den Regen. Er war nahe genug, so daß er sie verstehen konnte. Die Satzfetzen, die er auf fing, machten ihm deutlich, daß die Magier ihm genügend Garva-Guva beigebracht hat ten, so daß er sich verständigen konnte. Er wartete einige Minuten ab. Dann nä herte sich ihm eine Gruppe von mehr als zwanzig Scuddamoren. Axton schob sich an einem Gleiter vorbei und schloß sich dann der Gruppe als letzter an. Er marschierte
Aufstand der Scuddamoren hinter dem letzten Scuddamoren her, ohne daß dieser ihn bemerkte. Jetzt mußte eine Vorentscheidung fallen. Eine Tür öffnete sich vor ihm, und er be trat eine Halle, in der zahlreiche Maschinen standen, von denen die meisten durch Fließ bänder miteinander verbunden waren. Er schätzte, daß weit über zweihundert Scudda moren in der Halle an den Maschinen arbei teten. Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle wanderten Großcontainer auf einer Gleitschiene herein. Roboter öffneten und entluden sie. Die Transportgüter wurden auf verschiedene Bänder verteilt und den Ma schinen zugeführt, wo sie weiterverarbeitet wurden. Die Schattengestalten, mit denen Axton gegangen war, eilten zu den Maschinen, um die dort arbeitenden Scuddamoren abzulö sen. Er zögerte keine Sekunde. Er wußte, daß er sich augenblicklich ver raten hätte, wenn er gezeigt hätte, daß er nicht wußte, wohin er sich zu wenden hatte. Daher ging er mit den anderen Scuddamo ren, bis er eine Maschine fand, die offenbar keine Bedienung benötigte. Hier verharrte er und tat so, als kontrolliere er die Schaltun gen. Sein Verhalten fiel offenbar niemandem auf.
3. Geheimnisvolle WARQUIENT Kerttel tauchte unversehens in der Nische Atlans auf. Er rüttelte an seiner Schulter. »Wach auf«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Gleich holen sie wieder welche von uns.« Atlan schlug die Augen auf. Er blieb auf dem Bett liegen. »Woher weißt du das?« fragte er. »Ich weiß es eben.« Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als sieben Scuddamoren hereinkamen. Sie for derten fünf nichthumanoide Wesen aus der Halle auf, ihnen zu folgen. Doch dieses Mal zeigte sich Widerstand. Das geheimnisvolle
15 Verschwinden aller, die aus der Halle geholt wurden, verunsicherte die Heilkundigen. Die fünf Auserwählten flüchteten nach oben in höher gelegene Nischen. »Das hilft euch nichts«, rief einer der Scuddamoren. »Wenn ihr Chirmor Flog nicht freiwillig helfen wollt, werden wir euch dazu zwingen.« »Wir wollen wissen, warum die anderen nicht zurückkommen«, schrie Kerttel mit schriller Stimme. Er trat aus der Nische her aus und ging auf die Scuddamoren zu. »Wo sind sie? Habt ihr sie umgebracht?« »Was für ein Unsinn«, erwiderte der Kommandant der Scuddamorengruppe. »Sie befinden sich in einem anderen Gebäude in der Zentrale.« »Das wollen wir sehen«, erklärte der Zwerg herausfordernd. »Einer von uns soll sich davon überzeugen, daß die anderen noch leben, und uns berichten, was er gese hen hat. Wenn ihr damit nicht einverstanden seid, werden wir Chirmor Flog nicht hel fen.« »Ihr habt keinen Grund, Chirmor Flog zu mißtrauen«, sagte die Schattengestalt gleich mütig. Der Widerstand der Heilkundigen er regte sie nicht. »Tut, was wir von euch ver langen, und alles ist gut. Ihr alle werdet reich belohnt werden.« Die Lebensverlängerer zogen sich bis in die äußersten Winkel ihrer Nischen zurück. Die Stimmung war umgeschlagen, seitdem bekannt war, wie der Neffe aussah. Bisher mochten die meisten von ihnen an ein strah lend schönes Wesen geglaubt haben, das Be wunderung allein aufgrund seines Äußeren verdiente. Jetzt wußten sie, daß Chirmor Flog nicht mehr als ein verstümmeltes Etwas war, das ohne ein Hochleistungs-Überle benssystem gar nicht mehr existieren konn te. Einer der Scuddamoren richtete eine Waf fe nach oben. Atlan konnte sie durch den dunklen Energieschirm erkennen, er sah je doch nicht, wie sie ausgelöst wurde. Plötz lich brach einer der ausgewählten Heilkun digen zusammen. Er stürzte aus fünf Metern
16 Höhe in die Tiefe. »Der ist tot«, sagte Kerttel teilnahmslos. »Einen solchen Sturz überlebt keiner.« Die anderen ausgewählten Heilkundigen erkannten, daß die Scuddamoren keine Rücksicht nehmen würden und daß Ver handlungen sinnlos waren. Sie gaben den Widerstand auf und kletterten über die Lei tern herab. Die Schattengestalten wählten ein insektoides Wesen als Ersatz für den Toten aus. Dieses folgte ihnen widerspruchs los. Kerttel kicherte leise, als sich die Tür hin ter den Scuddamoren schloß. »Wir haben noch einmal Glück gehabt«, stellte er fest. »Aber die Chancen werden schlechter. Wir sind nur noch knapp fünfzig, und es kommt kein Nachschub mehr. In spä testens zehn Tagen müssen wir uns der Auf gabe stellen oder …« Er fuhr sich mit dem Finger quer über die Kehle. »Entweder reich und berühmt oder tot«, fuhr er fort. »Plus oder Minus. So ist das nun mal im Leben.« Atlan schwieg. Er konnte sich das Ge schehen nicht erklären. Weshalb hatte Chirmor Flog die Heilkundigen auf Säggallo zusammengerufen, wenn er die beste Chan ce für sich selbst nicht nutzte? Kerttel richtete sich auf und horchte. Hitzige Diskussionen entstanden. Die Heilkundigen, die das Leben Chirmor Flogs retten und verlängern sollten, waren nicht mit den Methoden der Scuddamoren einver standen. Sie machten sich Gedanken dar über, wie sie ausbrechen konnten. »Wir müssen unsere Chancen verbes sern«, sagte der Zwerg leise. »Dazu ist es nötig, daß wir uns gegenseitig helfen. Weg laufen ist sinnlos. Ich bleibe. Ich nutze mei ne Chance, an die ich immer noch glaube. Ich werde dir Einblick in meine Beschwö rungsformeln geben, wenn du mir etwas mehr über Chirmor Flog berichtest. Be schreibst du mir noch einmal, wie er aus sieht?« »Warum nicht?« erwiderte Atlan und
H. G. Francis setzte sich aufrecht aufs Bett. »Der Neffe lebt in einem Gestell, das ich als Vollprothe se bezeichnen möchte. Es ist eine unglaubli che Kombination von Geh und Greifwerk zeugen, von Händen und Füßen. Chirmor Flog selbst ist nur noch ein Torso. Ich ver mute, daß er irgendwann einmal in ein Feuer geraten und bis auf diesen Rest verbrannt ist. Es heißt, daß dieser Vorfall mit einem Vul kanausbruch im Zusammenhang steht. Aber das weiß ich natürlich nicht genau.« »Weiter, weiter«, sagte Kerttel drängend, als der Arkonide nachdenklich schwieg. »Chirmor Flog ist kaum mehr als ein Rie senschädel mit zwei übergroßen Augen. Vom Kopf gehen mehrere organische Gebil de aus zu den verschiedenen Teilen der Pro these.« »Das ist nicht genug«, erklärte der Zwerg. »Ich muß mehr wissen. Wie sehen zum Bei spiel die Augen aus? Du sagtest, daß der Neffe zwei Augen hat.« »Das ist für die Therapie nicht wichtig.« »Vielleicht doch. Wenn meine Formeln wirken sollen, dann muß ich alles wissen. Ich kann mich nicht mit Halbheiten abge ben. Wie sehen die Augen aus? Sind sie groß? Sind sie klein? Gibt es etwas besonde res an ihnen? Sieh dir meine Augen an. Sind sie nicht anders?« »Das stimmt«, antwortete der Arkonide. »Die Pupillen sind auffallend. Solche Pupil len habe ich noch nie gesehen.« »Wie sind sie? Verdammt, laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen«, herrschte Kerttel ihn an. Atlan lächelte. »Ungewöhnlich sind sie. Jedes Auge hat drei Pupillen. Eine Pupille ist jeweils rot und rund, die zweite ist gelb und dreieckig, und die dritte ist schwarz und viereckig.« Kerttel seufzte. Er schlug die Hände vors Gesicht. »Dachte ich es mir doch«, entfuhr es ihm. »Wie bitte?« Der Zwerg rutschte von dem Hocker, auf dem er gesessen hatte, und eilte wortlos da von.
Aufstand der Scuddamoren Narr. Du bist ihm auf den Leim gegan gen. Er wußte, daß die Augen Chirmor Flogs ungewöhnlich sind. Du hast ihm eine Information gegeben, die ihm wichtiger war als alles andere. Die Augen! durchfuhr es Atlan. Kerttel wußte offenbar, was die seltsamen Pupillen zu bedeuten hatten. Er hatte deut lich auf die Beschreibung der verschiedenen Formen reagiert. Sie hatte ihn erschüttert. Für einen kurzen Moment hatte der Arkoni de das Gefühl gehabt, bis auf den Grund der Seele Kerttels sehen zu können. Nichts Hei teres war mehr an dem Zwerg gewesen. Kerttel hatte so traurig und erschüttert aus gesehen, als habe er nun auch die letzte sei ner Hoffnungen verloren. Der Arkonide verließ seine Nische und sah sich suchend um. Er wußte nicht, welche Nische Kerttel bewohnte. Er wollte ihn auf suchen, um mit ihm zu reden. Kerttel war jedoch offensichtlich nicht be reit, mit irgend jemandem zu sprechen. Er kauerte mit untergeschlagenen Beinen am Rand seiner Nische, die in einer Höhe von etwa fünf Metern unter dem Dach der Halle lag. Er hatte die Leiter hochgezogen, über die er nach oben gestiegen war, so daß ihm niemand folgen konnte. Selbst wenn er es nicht getan hätte, dürf test du nicht hinaufklettern. Bei den herr schenden Gravitationsverhältnissen könntest du ein solches Risiko nicht eingehen. Atlan kehrte in seine Nische zurück und legte sich aufs Bett. Doch dann richtete er sich plötzlich wieder auf und blickte zu dem Zwerg hoch. Er dachte an das Mädchen mit dem golde nen Gesicht, das einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war. Sie hatte dreieckige Pu pillen gehabt. Dreieckige und gelbe Pupil len. Bestand ein Zusammenhang zwischen ihr, Chirmor Flog und Kerttel? Atlan konnte es sich nicht vorstellen. Es gibt einen Zusammenhang, stellte der Extrasinn nüchtern fest. Der Arkonide horchte in sich hinein. Er
17 hoffte, daß der Logiksektor ihm weitere Er läuterungen geben würde, doch vergebens. Der Extrasinn schwieg. Ein Zusammenhang konnte durch die dreieckigen Pupillen gegeben sein. Viel leicht war das Mädchen aus diesem Grund ermordet worden? Hatte Chirmor Flog von ihr und ihrem Aussehen erfahren und daher ihren Tod verfügt? Und was hatte Kerttel damit zu tun? Atlan fand keine Antworten auf diese Fra gen, so sehr er auch darüber nachdachte.
* Axton stellte überrascht fest, daß die mei sten Güter, die über die Fließbänder glitten, Nahrungsmittel waren, die in einfache Zube reitungsgeräte verpackt wurden. Er vermute te, daß mit ihnen die Machtzentrale Chirmor Flogs versorgt wurde. Auf Säggallo schien es keine Produkti onsstätten für Nahrungsmittel zu geben. Al les, was die Scuddamoren benötigten, mußte importiert werden. Dabei bot dieser Planet eine Fülle von Möglichkeiten für die Selbst versorgung. Wenn Chirmor Flog sie hätte ausschöpfen wollen, hätten Scuddamoren oder Roboter allerdings landwirtschaftliche Nutzflächen anlegen müssen. Der einzige Nachteil derartiger Kulturen wäre gewesen, daß sie jedem anfliegenden Raumfahrer ver raten hätten, daß Säggallo erschlossen war. Das aber wollte der Neffe offenbar nicht zei gen. Für ihn mochte dieser Planet nicht nur Machtzentrale, sondern auch ein Versteck sein. Lebo Axton schob diese Gedanken von sich. Sie waren nicht mehr als eine Spekula tion. Ihm fehlten weitere Informationen, um die wahren Hintergründe für das Verhalten der Führungsmacht auf Säggallo enthüllen zu können. Axton hielt sich etwa zehn Mi nuten lang an der Maschine auf, an die er sich gleich zu Anfang gestellt hatte. Dann bemerkte er, daß ein Arbeitsplatz in seiner Nähe frei wurde, weil sich ein Scuddamore zurückzog. Er wechselte zu dem Platz hin über, an dem er nichts weiter zu tun hatte,
18 als einige Instrumente zu beobachten. Er war einen Moment unaufmerksam. Eine Schattengestalt tauchte neben ihm auf. »Du hast wohl deinen faulen Tag heute, wie?« fragte sie. Der Terraner erschrak, fing sich jedoch augenblicklich. »Das kann man wohl sagen«, erwiderte er offen. »Du weißt aber auch, daß der gestrige Tag für mich ziemlich anstrengend war.« »Anstrengend? Das kann man ja wohl wirklich nicht behaupten.« »Für mich schon.« Der andere lachte und gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. »Na schön. Lassen wir das. Du wirst draußen benötigt. Geh mit dem Vierund zwanzigsten raus. Die WARQUIENT ist ge kommen. Es heißt, daß ein wichtiger Gefan gener an Bord sein soll.« »Gut. Ich gehe.« Axton behielt den anderen sorgfältig im Auge, als er an ihm vorbeiging. Er befürch tete, daß er eine falsche Antwort gegeben hatte, und daß es so etwas wie militärische Bestätigungsformeln gab. Doch das war nicht der Fall. Der Scuddamore wandte sich ab und ging davon. Alles schien in Ordnung zu sein. Axton sah, daß sich am Eingang einige Schattengestalten gruppierten. Er schloß daraus, daß dies diejenigen waren, denen er sich anschließen sollte. Er hoffte, daß er sie erreichte und mit ihnen die Halle verlassen hatte, bevor dem Schatten, der ihm den Be fehl erteilt hatte, die Verwechslung auffiel. Früher oder später mußte er auf denjenigen stoßen, mit dem er gesprochen zu haben glaubte. Das war jedoch nicht weiter gefähr lich, wenn Axton draußen war. Er ging zu der Gruppe. Er hatte sie gerade erreicht, als sich die Tür öffnete und ein an derer Scuddamore zur Eile drängte. Es regnete nicht mehr. Die Wolken waren abgezogen. Heiß brannte die Sonne herab. Das Wasser verdunstete auf der Landeflä che, und Nebelschwaden stiegen auf.
H. G. Francis Axton zählte siebenundzwanzig Raum schiffe der unterschiedlichsten Formen. La stengleiter und andere Transportfahrzeuge umgaben die meisten von ihnen, so daß auf den ersten Blick zu erkennen war, daß die Raumschiffe Versorgungsgüter brachten. Ein Schiff aber stand weit abseits von den anderen. Kleinere Einheiten bewachten es mit schußbereiten Energiekanonen, und Hunderte von Schattengestalten hatte in sei ner Nähe Position bezogen. »Wieso wird der Raumer so bewacht?« fragte Axton seinen Nebenmann, während sie sich dem Raumschiff näherten. Sie muß ten gehen, obwohl genügend Gleiter unmit telbar vor der Halle parkten. »Du hast wohl geschlafen, wie?« fragte der andere. »Stimmt«, antwortete Axton. »Ich war to tal weg.« »Es ist die WARQUIENT«, erwiderte die Schattengestalt in einem Ton, als sei damit alles gesagt. »Aha«, machte Axton. »Du scheinst wirklich keine Ahnung zu haben.« »Habe ich auch nicht. Ich hatte einen Son derauftrag und weiß daher von nichts.« Das akzeptierte die Schattengestalt neben ihm nach einigem Zögern. »Also, hör zu«, sagte sie. »Wir haben einen wichtigen Gefangenen gemacht. Er ist an Bord der WARQUIENT.« »Weißt du, wer es ist?« »Allerdings. Es ist ein Vertrauter des Nef fen Duuhl Larx aus dem Rghul-Revier. Wir hoffen, daß diesem Verräter bald der Prozeß gemacht wird.« Axton konnte mit dieser Information nicht viel anfangen. Er konnte sich nicht erklären, warum ein einzelner Gefangener derart be wacht wurde. Befürchtete man, daß die WARQUIENT unter die Kontrolle dieses Gefangenen geraten und fliehen könnte? Anders war der Aufwand kaum zu erklären. Je näher der Terraner dem Raumschiff kam, desto mehr fühlte er sich herausgefordert. Er wollte das Geheimnis jenes Vertrauten von
Aufstand der Scuddamoren Duuhl Larx lösen. Er beschloß, bei der er sten sich ihm bietenden Möglichkeit an Bord der WARQUIENT zu gehen und Verbin dung mit dem Gefangenen aufzunehmen. Bald aber merkte er, daß er sich etwas vorgenommen hatte, was unmöglich zu sein schien. Das Raumschiff mit dem geheimnis vollen Gefangenen an Bord wurde so scharf bewacht, daß niemand das Schiff verlassen konnte. Es konnte aber auch niemand an Bord gehen. Alle Schleusen waren geschlos sen. Der Kommandant der Scuddamoren über nahm die Wache von einer anderen Einheit, die einen Teil des Schiffes umstellt hatte. Axton bezog zwischen einigen anderen Schattengestalten Position – und wartete. »Hoffentlich lassen Sie uns nicht zu lange hier stehen«, sagte ein Scuddamore, der et wa fünf Meter von ihm entfernt war. »Wenn Chirmor Flog sich bald entscheidet, brau chen wir uns nicht zu quälen.« »Wir werden's erleben«, erwiderte Axton. Er erkannte, daß er in eine bedenkliche Lage gekommen war. Er wußte nicht, wie lange die Wache dauerte. Auf dem Weg von der Halle mit den Fließbändern und der Nahrungsmittelverarbeitung bis hierher hätte er sich ohne weiteres absondern können. Das wäre nicht aufgefallen. Es war jedoch sein Ziel gewesen, sich dem Raumschiff so weit wie nur irgend möglich zu nähern. Das hatte nun zur Folge, daß er an seinen Platz gebunden war und hier bleiben mußte, bis er abberufen wurde. Schon nach wenigen Minuten wurde ihm klar, daß die außerordentliche Belastung durch die hohe Gravitation zur Gefahr für ihn wurde. Seine Muskeln schmerzten. Er hatte sich noch nicht ausreichend auf die Be dingungen von Säggallo umgestellt. Daher wußte er nicht, ob sein Kreislauf der stun denlangen Tortur standhalten würde. Bisher war es so gewesen, daß er sich hatte hinle gen können, wenn die Anstrengungen zu groß wurden. Er hatte sich ins Wasser flüch ten und sich dort der hohen Gravitation ent ziehen können.
19 Jetzt aber stand er in glühender Hitze auf dem Landefeld und mußte warten, bis man ihn aus seiner Aufgabe entließ. Als etwa zwei Stunden verstrichen waren, wußte Axton, daß er nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit durchhalten würde. Er beobachtete die anderen Scuddamoren. Die Schattengestalten standen so still, als lebten sie nicht. Für sie waren 2 g normal. Ihr Kreislauf litt nicht unter der Belastung. Axton fluchte vor sich hin. Immer wieder sagte er sich, daß er die Situation hätte vor hersehen müssen, in der er sich nun befand. Er wollte sich bücken, um den Kopf mög lichst weit nach unten zu bringen. Dann wä re wieder Blut ins Gehirn geströmt und hätte es mit Sauerstoff versorgt. Doch er durfte sich nicht bücken, weil er sich damit verra ten würde. Warum unternahm Chirmor Flog nichts? Wollte er tatsächlich eine Entscheidung treffen? Und war der Gefangene wirklich so wichtig, wie es den Anschein hatte? Axton merkte, daß es ihm immer schwe rer fiel, sich zu konzentrieren. Er wurde so müde, daß er die Augen kaum noch offen halten konnte. Die Beine wurden ihm schwer. Einige Male war er nahe daran, das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen, doch er fing sich jedesmal noch rechtzeitig wieder. Er atmete besonders tief und kräftig durch, um die Lungen vollzupumpen. Das half ein wenig. Als jedoch fast fünf Stunden verstrichen waren, spürte Axton den Zusammenbruch kommen. Die Beine schmerzten so stark, daß er hätte schreien können. Er konnte sich nicht mehr gerade halten, weil sich die ge samte Rückenmuskulatur verkrampfte. Er machte sich die heftigsten Vorwürfe. In seiner Angst vor einem Körpertausch mit Grizzard hatte er Pthor verlassen, ohne sich ausreichend auf Säggallo vorbereitet zu ha ben. Damit hatte er gegen seine eigenen Grundprinzipien verstoßen. Die Situation, in der er sich nun befand, war die logische Folge seiner Versäumnisse. Die WARQUIENT verschwamm vor sei
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nen Augen.
4. Rückkehrer Artin konnte es kaum erwarten, bis sich die Schleuse des Raumschiffs öffnete. Dann betrat er zusammen mit zwanzig anderen Scuddamoren den Boden des Raumhafens von Säggallo, dessen Kommandant er bis vor wenigen Wochen gewesen war. Er blieb neben der Schleuse stehen und sah sich um, während die anderen Scudda moren weitergingen. Zahlreiche Raumschiffe parkten auf dem Landefeld. Einige wurden entladen, andere für den Start vorbereitet. Ihm fiel ein Raumer auf, der abseits stand und von anderen Raumschiffen und von Wachen umzingelt wurde. »Du stehst im Weg«, sagte eine Schatten gestalt, die an der Schleuse stand. »Wir ha ben zu tun.« Artin ging wortlos weiter. Er wollte sich auf keine Auseinandersetzung einlassen. Er dachte nicht daran, sich sofort wieder zum Kommandanten aufzuschwingen und sich durchzusetzen, sondern er wollte zunächst einmal abwarten und sich informieren. Er fürchtete, seinen Feinden ins offene Messer zu laufen, wenn er unvorsichtig taktierte. Daher verzichtete er darauf, der Wache zu sagen, wer er war. Er hatte Säggallo unter ziemlich unrühm lichen Umständen verlassen, war jedoch nicht abgesetzt worden. Daher glaubte er, sich als Kommandant wieder behaupten zu können, sobald sich das als zweckdienlich erwies. Der Koordinator Tolfex hatte ihm dazu verholfen, nach Säggallo zurückzukehren. Tolfex war davon überzeugt, daß mit Chirm or Flog etwas nicht stimmte. Er hatte Artin alles geglaubt, was dieser ihm vorgetragen hatte. Mit ihm war er der Ansicht, daß die roten Scuddamoren zurück gedrängt und entmachtet werden mußten. Sie machte er dafür verantwortlich, daß Chirmor Flog sich in letzter Zeit so rätsel-
haft verhielt. Daher hatte Tolfex Artin eine Waffe mit gegeben, wie sie nur die Koordinatoren ver teilen konnten – den Programmschlüssel für den Gersa-Predogg. Diese kastenförmigen Roboter waren Be rater und Nachrichtenübermittler des Nef fen. Sie kamen aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Auch Chirmor Flog hat te einen solchen Gersa-Predogg. Mit Hilfe des Programmschlüssels sollte Artin sich mit diesem Roboter verbünden und die alten Zustände auf Säggallo wiederherstellen. Das war das einzige Ziel, das der ehemali ge Kommandant von Säggallo verfolgte. Er war ein erklärter Anhänger von Chirmor Flog, und er war bereit, alles zu tun, was diesem dienen konnte. Dazu war jedoch nicht notwendig, daß er sich gleich bei seiner Ankunft auf Säggallo als Kommandant ausgab. Artin wollte erst die Lage sondieren. Er wollte wissen, wer sein Nachfolger war, und was inzwischen im Machtzentrum des Neffen geschehen war. Er war fest entschlossen, den Angriff auf die roten Scuddamoren erst dann zu begin nen, wenn er sicher war, daß er Erfolg haben würde. Niemand stellte sich ihm in den Weg, als er das Hauptgebäude des Raumhafens betrat. Die robotischen Sicherheitseinrichtungen identifizierten ihn und ließen ihn passieren. Ihre Programmierung war noch nicht geän dert worden. Artin lachte. Wenn er der Kommandant der roten Scuddamoren gewesen wäre, dann hätte er nach dem Kampf um die Topeya-Wiege au genblicklich Maßnahmen ergriffen, die zu grundlegenden Änderungen am Raumhafen geführt hätten. Er hätte die Macht über alle Scuddamoren auf Säggallo an sich gerissen, um weitere Kämpfe zwischen den verschie denen Einheiten unmöglich zu machen. Artin betrat wenig später die Computer zentrale, in der Dutzende von Scuddamoren arbeiteten. Die Spezialisten saßen an den Computereinheiten, während andere Scud
Aufstand der Scuddamoren damoren ihnen Informationsmaterial zutru gen oder beschriftete Bögen von ihnen ent gegennahmen und in andere Räume des Ge bäudes transportierten. Artin überragte alle anderen Scuddamoren deutlich. Er hätte ei gentlich jedem im Raum sofort auffallen müssen, doch niemand achtete auf ihn. An eine Gefahr schien niemand zu denken. Artin ging zu einem freien Sessel und setzte sich vor ein Peripheriegerät. Er schal tete es ein und rief eine Reihe von Informa tionen ab, um zu klären, was in seiner Ab wesenheit auf Säggallo geschehen war. Nie mand hinderte ihn daran. Er stellte fest, daß der Raumhafen prak tisch führungslos war. Ein Nachfolger für ihn war nicht ernannt worden. Eine diesbe zügliche Anweisung von Chirmor Flog war nicht eingetroffen. Artin stutzte. Warum schwieg der Neffe? Stand er derart unter dem Einfluß von Skaddos, dem Kommandanten der roten Scuddamoren, daß er keine Befehle mehr übermitteln konnte? Was war in der TopeyaWiege geschehen, nachdem er zusammen mit Atlan geflohen war? Artin fröstelte bei dem Gedanken, daß Skaddos die Gelegenheit genutzt haben könnte, Chirmor Flog zu entmachten und seine Stelle einzunehmen. Das hielt er nicht für unmöglich. Er erhob sich und verließ die Zentrale, um sich in seinen Arbeitsraum zu begeben, von dem er annahm, daß er unbesetzt war. Tat sächlich hielt sich niemand darin auf, und auf dem Tisch lagen noch jene Papiere, an denen er vor dem Angriff auf die roten Scuddamoren gearbeitet hatte. Schreibgerä te, Kleinrechner und elektronische Siegel bildeten noch das gleiche Durcheinander, das er hinterlassen hatte. Daneben stand ein Becher, der noch halb gefüllt war. Das syn thetische Getränk hatte Schimmel angesetzt. Artin fluchte leise, nahm den Becher und warf ihn in den Müllschacht. Wochen waren vergangen. In dieser Zeit hätte längst jemand für Ordnung sorgen
21 müssen. Er durchquerte das Büro und öffnete die Tür zum Nebenzimmer. Dort hatte sein Stellvertreter Elles gesessen. Doch dessen Stuhl war leer. Neben dem Arbeitstisch stand ein kleiner Scuddamore. Obwohl Artin den Energieschild mit seinen Blicken nicht durchdringen konnte, sah er sofort, daß dies nicht Elles war. »Wo ist Elles?« fragte er. »Elles?« entgegnete der Scuddamore. »Er ist bei den Kämpfen an der Topeya-Wiege gefallen. Ebenso wie Artin.« »Schon gut.« Der Kommandant schloß die Tür. Die Tatsache, daß Elles tot war, berührte ihn nur am Rande. Er hatte ihn als fähigen und dis ziplinierten Mitarbeiter geschätzt, aber kaum mehr in ihm gesehen als ein Werkzeug, des sen er sich bedienen konnte, wann immer er es wollte. Daß ihm dieses Werkzeug nun fehlte, erregte seinen Unwillen. Er wußte nicht, an wen er sich wenden sollte und wen er für Elles als Stellvertreter auswählen soll te. Er setzte sich an seinen Arbeitstisch und überlegte. Er wollte auf keinen Fall den Fehler ma chen, sich zu früh zu melden, um seine Machtansprüche geltend zu machen. Damit, so fürchtete er, würde er Skaddos nur unnö tig auf sich aufmerksam machen. Artin schaltete den Computer auf seinem Arbeitstisch ein und rief alle gespeicherten Informationen über das Raumschiff ab, das am Rand des Raumhafens gelandet war und auffallend scharf bewacht wurde. Er wollte vor allem wissen, wer den Befehl gegeben hatte, die WARQUIENT in dieser Weise ab zusichern. Die Anweisung war von Skaddos gekom men, und dieser hatte erklärt, einen Befehl von Chirmor Flog weitergegeben zu haben. Artin lehnte sich in seinem Sessel zurück. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Haßge fühle gegen Skaddos stiegen in ihm auf. Er war versucht, sich bei seinen Untergebenen zu melden und sie zum sofortigen Angriff
22 auf Skaddos zu formieren. Doch dann schob er diese Gedanken wie der von sich. Er wußte, daß jeder unbedach te Schritt ein Fehler war. Seine Blicke richteten sich durch das Fen ster auf die WARQUIENT. Hatte wirklich Chirmor Flog befohlen, sie in dieser Weise zu bewachen? Artin konnte es sich nicht vorstellen. Ein Bruchteil der militärischen Macht, die Skaddos hatte auffahren lassen, hätte ausgereicht, die WARQUIENT an ei ner Flucht zu hindern. Ohne sich zu erkennen zu geben, nahm er die Verbindung mit der Informationszentrale der roten Scuddamoren auf. Diese war mit subalternen Kräften besetzt, ebenso wie es hier am Raumhafen war. Artin erbat weitere Anweisungen bezüglich der WARQUIENT. »Warten Sie«, antwortete die Informati onszentrale. »Chirmor Flog wird eine Ent scheidung treffen. Bis dahin ist die WAR QUIENT am Start zu hindern.« »Wann trifft er eine Entscheidung?« frag te Artin ungeduldig. »Das entzieht sich un serer Kenntnis.« »Chirmor Flog pflegt Entscheidungen nicht hinauszuziehen.« »Bitte, warten Sie.« Artin merkte, daß er am Rand seiner Beherrschung war. Er brach das Gespräch ab, um sich nicht durch eine unbedachte Bemerkung zu verraten. Wieder richteten sich seine Blicke auf die WARQUIENT. Wer war an Bord dieses Schiffes? Es mußte eine Persönlichkeit von ganz beson derer Bedeutung sein. Artin erhob sich und holte sich etwas aus dem Automaten zu trinken. Ihm fiel auf, daß er einen Fehler gemacht hatte. Es war durchaus nicht so, daß die WARQUIENT eine besonders wichtige Per sönlichkeit an Bord haben mußte. Maßgeb lich war vielmehr, daß Chirmor Flog eine Entscheidung treffen sollte, von welcher Be deutung auch immer, aber offensichtlich nicht in der Lage war, das zu tun. Für Artin bestand kein Zweifel mehr dar an, daß Skaddos den Neffen abblockte und
H. G. Francis damit die Kommunikation zwischen ihm und seiner Umwelt unmöglich machte. Darauf konnte es nur eine Antwort geben. Er mußte angreifen und Chirmor Flog be freien. Die Macht von Skaddos mußte end lich gebrochen werden. Der Programmschlüssel für den GersaPredogg würde ihm eine entscheidende Hil fe geben. Daß er ihn besaß, mußte Skaddos völlig überraschen. Artin bedauerte nur, daß dieser Schlüssel nicht über eine größere Entfernung hinweg wirkte. Er konnte ihn nicht von hier aus an wenden, sondern mußte mit ihm bis zur To peya-Wiege vordringen.
* »He, schläfst du?« fragte eine dunkle Stimme. Axton fuhr auf. Verwirrt blickte er auf die Schattengestalt, die vor ihm stand. »Ich war einen Moment weggetreten«, er widerte er, während er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. »Wir haben Befehl, abzuziehen«, fuhr der Scuddamore fort. »Wenn du dir die Beine in den Bauch stehen willst, tu das. Das ist dann dein Privatvergnügen.« Der andere ging an ihm vorbei. Axton drehte sich um. Jede Bewegung fiel ihm schwer und erforderte höchste Konzentrati on. Er konnte die Füße kaum heben und fürchtete bei jedem Schritt zu stolpern. Zu gleich aber belebte sich mit jedem Schritt sein Kreislauf mehr und half somit, die Kri se zu überwinden. Axton sah, daß die ande ren Scuddamoren schon einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatten. Er ging schnel ler, um aufzuholen. Überrascht stellte er fest, daß die Sonne bereits unterging. Er wußte nicht, wie er die letzten Stunden über standen hatte. Jetzt erschien es ihm wie ein Wunder, daß er nicht zusammengebrochen war. Er merkte, daß er taumelte, als ob er betrunken sei. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Unwillkürlich stellte er sich vor, daß je mand ihn beobachtete, und sah, daß er etwa
Aufstand der Scuddamoren dreißig Meter hinter den anderen Scuddamo ren ging und sich dabei noch so auffällig be wegte. Er zwang sich mit aller Kraft zur Konzentration. Er lief, obwohl er die Beine kaum noch heben konnte, bis er Anschluß an die Gruppe der Schattengestalten gefunden hatte. Sein Atem ging laut und keuchend. Dann schritt er wiederum wie in Trance hin ter den anderen her, bis sie die Gebäude er reichten. Er folgte ihnen jedoch nicht ins In nere, sondern trennte sich von ihnen. Er eilte im Deckungsschutz einiger geparkter Gleiter bis zum Rand des Raumhafens. Hier blieb er einige Minuten lang unter einem Baum ste hen, bis er sicher war, daß ihn niemand ver folgte. Dann wandte er sich um und kämpfte sich Schritt für Schritt vor, bis der Fluß vor ihm lag. Er schaltete den Energieschild aus, legte den Projektor ab und ließ sich ins Was ser fallen. Nie zuvor im Leben war er so erschöpft gewesen.
* Atlan erwachte, weil sich in seiner Nähe etwas bewegte. Er schlug die Augen auf, blieb jedoch ru hig liegen. Er horchte, und er glaubte, je manden atmen zu hören. Es war so dunkel in der Halle, daß der Ar konide nichts erkennen konnte. Gefahr, signalisierte der Extrasinn. Je mand versucht, dich umzubringen. Der Unsterbliche richtete sich vorsichtig auf, wobei er darauf achtete, daß er nicht das geringste Geräusch verursachte. Als er auf dem Bett saß, schob er sich Zentimeter um Zentimeter zum Fußende hin. Er fragte sich, welchen Grund irgend je mand haben könnte, ihn anzugreifen. Er er innerte sich nicht daran, jemandem eine An griffsfläche geboten zu haben. Flüchtig dachte er an den zwergenhaften Kerttel. Ihm hatte er etwas über die dreiecki gen Pupillen des Neffen gesagt, aber diese Information konnte kein Mordmotiv sein. Mit weit geöffneten Augen blickte er in
23 die Dunkelheit. Er war ruhig und gefaßt, als könne ihm nichts geschehen. Häufig genug hatte er sich in ähnlichen Situationen befun den. Doch dann stürzte sich plötzlich jemand auf ihn. Etwas traf ihn an der Schulter und warf ihn um. Atlan hörte, daß sich die Klin ge eines Messers in die Tücher auf dem Bett bohrte. Er wich abermals aus. Der andere fuhr herum und stach mit dem Messer nach ihm, verfehlte ihn jedoch. At lan spürte lediglich, daß die Klinge seine Hand berührte, ohne sie zu verletzen. Jetzt schlug er mit aller Kraft zu. Seine Faust prallte auf einen gespannten Muskel und warf den Gegner zurück. Der Arkonide hörte, daß der andere stürzte. Dann war es still. Einige Minuten verstrichen. Der Arkonide bewegte sich nicht. Ein leises Scharren ver riet ihm, daß der andere sich zurückzog. »Habt ihr das gehört?« fragte jemand, der sich irgendwo hoch über ihm in einer Nische befand. »Da unten versucht schon wieder ei ner, einen Konkurrenten umzubringen.« Ein anderer Heilkundiger antwortete mit schrillem Gelächter. Atlan glaubte, die Stim me Kerttels erkennen zu können. Er verharrte in angespannter Stellung und streckte die Arme leicht vor, um einen An greifer sofort abwehren zu können. Doch der Unbekannte schien aufgegeben zu haben. Eine Lampe blitzte auf, und ein Licht strahl durchbrach die Dunkelheit. Er tastete sich an den Arkoniden heran und erfaßte diesen, als dieser sich erhob. »Licht aus, du Narr«, schrie Kerttel. Jetzt erkannte Atlan die Stimme wieder. Das Licht erlosch. Der Arkonide sprang zur Seite und preßte sich mit dem Rücken an die Wand. Dicht neben ihm schlug ein Mes ser ein. Er hörte, wie sich die Klinge durch den Kunststoffrahmen des Bettes bohrte und vibrierend darin stecken blieb. Das Licht ging an. Die Tür öffnete sich, und fünf Scuddamoren kamen herein. Sie eilten bis zur Mitte der Halle. Hier blieben
24 sie stehen und bildeten einen Kreis. Einer von ihnen befahl den Heilkundigen, ruhig zu sein. Atlan trat aus der Nische hervor. Sofort richtete eine der Schattengestalten eine Waf fe auf ihn. Er ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. »Keine Sorge«, sagte er. »Ich möchte nur sehen, wer mich angegriffen hat.« Er blickte in die benachbarte Nische. Dort lag ein Wesen, das halb humanoid, halb in sektoid war. Die Facettenaugen ließen nicht erkennen, ob sie etwas wahrnehmen. Keiner der anderen Lebensverlängerer be fand sich außerhalb seiner Nische. Kerttel lachte laut auf. »Du hast wohl schlecht geträumt, wie?« schrie er von oben herunter. »Ihr werdet getrennt«, erklärte einer der Scuddamoren mit hallender Stimme. »Die meisten von euch kommen noch heute zu Chirmor Flog. Dort können sie beweisen, daß sie wirklich fähige Heilkundige sind.« »Das wird aber auch Zeit«, antwortete Kerttel. »Ich habe es langsam satt, Gefange ner zu sein.« Die anderen äußerten sich in gleicher Weise. Alle schienen froh zu sein, aus dieser Halle entlassen zu werden. »Laßt das Licht brennen«, sagte der Arko nide, »wenn ihr schon nicht für meine Si cherheit sorgen könnt.« »Wir schalten es nicht wieder aus«, ent gegnete der Sprecher der Scuddamoren. Er kam zu Atlan und zog das Messer aus dem Bettrahmen. Dann ging er mit den an deren hinaus. Kerttel kletterte wieselflink nach unten. Er eilte zu dem Arkoniden, der sich mittlerweile wieder aufs Bett gelegt hat te. Atlan fühlte sich erheblich gestärkt. Die gesundheitliche Krise war weitgehend über wunden, und er hatte sich auch recht gut auf die Belastung durch die hohe Schwerkraft eingestellt. Der Zwerg stieg auf einen Hocker. Die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen, und die knopfförmigen Pupillen richteten sich auf den Arkoniden, während er auf die
H. G. Francis Stelle zeigte, an der das Messer gesteckt hat te. »Das war knapp, Weißhaar«, stellte der lächelnd fest. Der Mordanschlag schien ihn zu erheitern. »Du hast wohl nicht besonders gut geträumt, wie?« »Ich kann mir das nicht erklären«, entgeg nete Atlan. »Wieso versucht jemand, mich umzubringen?« »Du hast gelogen«, antwortete der Zwerg. »Das ist Grund genug.« »Das mußt du mir schon erklären, wenn ich es begreifen soll.« »Die Scuddamoren haben noch einen Heilkundigen gebracht, als du geschlafen hast. Er hat dich wiedererkannt. Er hat dich gesehen, als du in der Topeya-Wiege warst. Er behauptet, daß du ganz ausgezeichnete Heilerfolge gehabt hast und daß Chirmor Flog durch dich zu Kräften gekommen ist. Er sagt, das habe mit Handauflegen aber nichts zu tun gehabt. Willst du mir nicht er klären, wie du es geschafft hast, Chirmor Flog zu helfen?« »Ich erinnere mich nicht daran, daß du mir deine Beschwörungsformeln verraten hast«, erwiderte Atlan gelassen. »Jeder hat sein Geheimverfahren, und dabei soll es auch bleiben.« Kerttel lächelte. Die Absage schien ihn nicht zu ärgern. Er schloß die Augen und dachte eine Weile nach. Dann zuckte er mit den Schultern, um Atlan zu verstehen zu ge ben, daß dieser eine Entscheidung getroffen hatte, die er nicht guthieß. »Wie du willst. Behalte für dich, was wir nicht wissen sollen. Von jetzt an aber mußt du ständig damit rechnen, daß jemand dir ein Messer in den Leib rammt.« »Ist das eine Drohung?« »Natürlich nicht. Ich habe keinen Grund, dir zu drohen. Aber ich bin wesentlich län ger hier als du. Ich habe mehr als einen Heil kundigen sterben sehen, weil seine Behand lungsmethode aussichtsreich erschien.« Atlan setzte sich aufrecht und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Seltsam nur, daß Chirmor Flog das zu
Aufstand der Scuddamoren läßt«, stellte er fest. »Warum greift er nicht ein? Er müßte doch daran interessiert sein, daß die Heilkundigen mit den besten Be handlungsmethoden zuerst zu ihm kom men.« »Vielleicht lebt er gar nicht mehr?«
5. Vorstoß zur WARQUIENT Lebo Axton erholte sich schnell, nachdem er einige Stunden geschlafen hatte. Als der Morgen graute, fühlte er sich schon wieder frisch und gekräftigt. Sein Kreislauf hatte sich stabilisiert. Um sich dennoch eine wei tere Erholungspause zu gönnen, stieg er noch einmal ins Wasser. Anschließend kleidete er sich an, schaltete den Energieschirm ein und kehrte zum Raumhafen zurück. Hier herrschte trotz der frühen Stunde lebhafter Betrieb. Sieben Raumschiffe mit Versorgungsgütern waren gelandet und wurden entladen. Bei der WARQUIENT hatte sich nichts verändert. Das Raumschiff wurde noch im mer scharf bewacht, so daß es nicht starten konnte. Axton ging im Schatten eines Lagerhau ses zum Hauptgebäude hinüber. Einige Scuddamoren kamen ihm entgegen, beachte ten ihn jedoch nicht. Er wollte das Hauptgebäude betreten, merkte jedoch noch rechtzeitig, daß sich am Eingang ein Kontrollcomputer befand. Die ser stellte ein unüberwindliches Hindernis für ihn dar, wenn er ihn nicht zerstören woll te. Axton überlegte kurz. Dann betrat er die Eingangshalle und schaltete den Energie schirm aus. Er war allein. Er nahm den Gür tel mit dem Schildprojektor ab, drückte ihn an den Computer, stellte sich dicht daneben und schaltete den Projektor wieder ein. Das schwarze Energiefeld baute sich auf und griff durch die Verkleidung in den Computer hinein. Es hatte eine verheerende Wirkung auf die Schwachstromelemente. Axton hörte es einige Male hinter der Stahl verkleidung des Computers klicken. Er schaltete den Projektor wieder aus, legte den
25 Gürtel um und schützte sich wieder mit dem Schild. Dann eilte er an dem nunmehr zer störten Kontrollgerät vorbei und bog in einen Gang ein. Er war noch keine zehn Schritte weit gekommen, als er hörte, daß sich mehrere Scuddamoren aus einem ande ren Gang näherten. Eine Schrift an einer Tür zeigte ihm an, daß er sich vor einem der Rechenzentren des Raumhafens befand. Er öffnete die Tür und trat ein, während die Scuddamoren zum Computer gingen und ihn überprüften. Axton lächelte. Sollten sie sich ruhig mit dem Gerät be fassen. Sie würden so leicht nicht feststellen, was den Schaden verursacht hatte. Im Rechenzentrum arbeiteten zwölf Schattengestalten. Sie saßen an den Periphe riegeräten der Anlage und steuerten von hier aus die Abfertigung der Raumschiffe. Lebo Axton verhielt sich ähnlich wie zu vor Artin. Er ging zu einem Sessel und setz te sich an einen Computer. Er schaltete ihn ein und tippte einige Tasten. Er wußte nicht, wie er das Gerät zu bedienen hatte, und war gezwungen, einige Experimente zu machen. Er war überzeugt davon, daß keiner der an deren Scuddamoren auf ihn achten würde, solange er sich so verhielt, als sei er berech tigt, sich hier aufzuhalten und Informationen einzuholen. Er benötigte fast zehn Minuten, bis er so gut mit dem Computer umgehen konnte wie die anderen Scuddamoren im Raum. Jetzt wollte er sich der wirklich wichtigen Infor mationssuche zuwenden, nachdem er bis da hin kaum mehr als Arbeitsanweisungen für den Computer abgefordert hatte. Plötzlich näherte sich ihm ein Scuddamo re. Axton war versucht, die Arbeit abzubre chen, aufzustehen und wegzugehen. Doch er behielt die Nerven. Er blieb. »Was machst du da?« fragte die Schatten gestalt. Die Gedanken des Terraners überschlugen sich. Im ersten Augenblick wußte er nicht, was er antworten sollte. Dann tippte er eini ge Tasten auf dem Bedienungspult des Com
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puters. »Ich will herausfinden, ob Informationen über die WARQUIENT gespeichert sind«, erwiderte er. »Informationen über die WARQUIENT«, sagte der andere verächtlich. »Das Raum schiff war nie zuvor hier auf Säggallo.« Auf dem Bildschirm erschien eine Schrift. Der Computer wies unter dem Stichwort WARQUIENT eine Reihe von Einzelinfor mationen über das Raumschiff aus, das auf dem Landefeld von Säggallo stand. »Das ist eine echte Überraschung«, sagte der Scuddamore. »Damit hat niemand ge rechnet. Es ist beachtlich, daß du diesen gu ten Einfall gehabt hast. Wie heißt du?« Axton war in der Klemme. Er kannte die hier üblichen Namen nicht. Er wußte nicht, ob die Scuddamoren sich nur mit Nummern bezeichneten, ob es eine gewisse Rangfolge gab, die sich in den Namen ausdrückte und ob sie Einzel oder Doppelnamen hatten. »Lebo«, antwortete er in der Hoffnung, nichts falsch zu machen. »Lebo«, wiederholte der Scuddamore. »Seltsamer Name. Ich werde ihn mir mer ken. Gib mir die Informationen zum FünfFünf rüber.« Er entfernte sich und setzte sich an ein an deres Peripheriegerät des Zentralcomputers. Lebo Axton blickte auf die Tastatur vor sich. Wiederum mußte er antworten, ohne genau zu wissen, was gemeint war.
* Kerttel betrat die Nische Atlans. Er setzte sich auf den Hocker, auf dem er jedesmal gesessen hatte, wenn er hier war, und blickte den Arkoniden an. »Was ist los?« fragte dieser, als einige Minuten verstrichen waren, ohne daß der Zwerg etwas gesagt hatte. »Ich muß mit dir reden, Atlan.« Der Arkonide lächelte verwundert. »Nur zu, Kerttel.« »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll.« Er ist verzweifelt. Er hat Angst davor, zu
Chirmor Flog zu kommen. Er braucht deine Hilfe. Atlan horchte in sich hinein. Er glaubte, sich getäuscht zu haben. Kerttel hatte bisher ganz und gar nicht den Eindruck auf ihn ge macht, daß er sich nicht selbst helfen konn te. Er spürte jedoch, daß sich hinter der Fas sade des so selbstsicher erscheinenden Man nes eine in sich zerrissene Persönlichkeit verbarg. Er blickte den Zwerg durchdringend an. »Was ist los?« fragte er. »Sie werden uns trennen. Sie haben es ge sagt. Noch heute. Aber ich muß mit dir zu sammenbleiben. Unbedingt.« »Was verbindet uns?« fragte Atlan. »Warum mußt du bei mir bleiben? Wir sind auch hier nicht zusammen.« »Ich muß zu Chirmor Flog«, erklärte Kerttel mit stockender Stimme. Er sprach sehr leise. »Ich bin ihm so nahe. Nur noch der letzte Schritt fehlt. Ich muß ihn errei chen, und nur du kannst mir dazu verhel fen.« Er will ihn umbringen, stellte der Logik sektor fest. Er ist nicht hier, um das Leben Chirmor Flogs zu verlängern, sondern um es zu beenden. Er gibt nur vor, ein Heilkun diger zu sein. Er ist keiner. »Ich verstehe«, erwiderte der Arkonide. »Du hast gehört, daß ich den Neffen schon einmal behandelt habe. Du glaubst, daß ich in der ersten Gruppe sein werde, die zu ihm gebracht wird. Und du hast Angst, daß da nach kein anderer mehr zu ihm gehen wird, weil das nicht mehr notwendig ist. Dann aber wird dein Plan undurchführbar.« Kerttel senkte den Kopf. »Wirst du dafür sorgen, daß wir zusam menbleiben?« »Bevor ich das beantworte, habe ich noch eine Frage«, erklärte der Arkonide. »Wirst du versuchen, mich umzubringen, wenn ich nein sage – ebenso wie du es mit den ande ren gemacht hast?« Kerttel fuhr erschrocken auf. Seine Augen weiteten sich, und die Kinnlade sank ihm nach unten.
Aufstand der Scuddamoren »Ich habe die anderen nicht getötet«, ent gegnete er fassungslos. »Ich habe nur einen einzigen Menschen getötet, weil es nicht an ders ging. Ich hatte keine andere Wahl.« »Wer war es?« Kerttel preßte die Lippen zusammen und schwieg. »Es war das Mädchen, nicht wahr?« frag te der Arkonide. »Es war das Mädchen mit dem goldenen Gesicht und den dreieckigen Pupillen.« Kerttel rutschte vom Hocker. Er wollte sich entfernen. Atlan hielt ihn fest. »Ich will eine Antwort«, erklärte er. »Es gibt nichts mehr zu sagen«, erwiderte der Zwerg. »Zwischen uns ist es aus. Ich will mit dir nichts zu tun haben.« »Dann wirst du Chirmor Flog nie errei chen. Du kannst dir den Gedanken aus dem Kopf schlagen, daß du ihn umbringen kannst. Den letzten Schritt wirst du nicht tun, weil du nicht in seine Nähe kommst.« »Du willst mich verraten?« »Ich denke gar nicht daran.« Kerttel streifte die Hand des Arkoniden ab. »Ich mußte es tun«, sagte er flüsternd. »Es war entsetzlich, und ich hasse mich für das, was ich getan habe, aber ich hatte keine andere Wahl. Sie hätte mich verraten, und alles wäre verloren gewesen. Sie wußte, daß ich kein Heilkundiger bin.« Er preßte die Hände vor das Gesicht und stöhnte gequält. Die Tür öffnete sich. Zwanzig Scuddamo ren betrafen die Halle.
* Artin verbrachte einen Tag und eine Nacht in seinem Arbeitszimmer, ohne daß es irgend jemand bemerkte. Dabei stellte er fest, daß alle Anordnungen, die er früher ge troffen hatte, strikt befolgt wurden. Eine Reihe von Entscheidungen, die hätten ge troffen werden müssen, waren ausgesetzt worden. Noch funktionierte der technische und militärische Betrieb des Raumhafens,
27 aber eine schwerwiegende Krise zeichnete sich ab. Diese konnte zum totalen Zusam menbruch führen, wenn er nicht eingriff. Dazu fühlte er sich jetzt in der Lage. Er hatte alle Informationen, die er benötig te, um sicher genug auftreten zu können. Er schaltete die Kommunikationsanlage auf sei nem Arbeitstisch ein, nachdem er etwa eine Stunde lang in einem der Sessel geschlafen hatte. »Stero«, sagte er, als sich eine Schat tengestalt auf dem Bildschirm abzeichnete. »Kommen Sie in mein Büro.« »Ihr Büro?« fragte der Hauptabteilungs leiter. »Sie meinen das Büro von Artin?« »Das Büro von Artin«, erwiderte er. »Und sagen Sie niemandem ein Wort. Das ist ein Befehl.« »Ich komme sofort.« Artin wandte sich an seinen nächsten Mitarbeiter. Ein Gefühl des Wohlbehagens überkam ihn. Er spürte den Respekt, den seine Untergebenen vor ihm hatten. Er war ihm eine Bestätigung für sei nen Machtanspruch. Er dachte an Skaddos, den Kommandan ten der roten Scuddamoren. Er haßte ihn, wie er nie zuvor jemanden gehaßt hatte. Skaddos machte er nicht nur für die Schwä che Chirmor Flogs verantwortlich, sondern auch für seine eigene Situation. Er fühlte sich durch ihn gedemütigt. Skaddos hatte ihn als Kommandanten der TopeyaWiege abgelöst und damit aus der Nähe des Neffen verbannt. Der Auszug aus der TopeyaWiege war für ihn eine unerträgliche Erniedrigung gewesen, die durch nichts aufzuwiegen war. Da er Chirmor Flog stets treu gedient hat te, war er davon überzeugt, daß er ein Opfer der Intrigen von Skaddos geworden war. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als Skaddos im direkten Kampf zu töten. Er war entschlossen, den Kampf aufzu nehmen und erneut mit militärischer Unter stützung die Topeya-Wiege anzugreifen. Dabei wußte er, daß diese so abgesichert war, daß sie sich gegen jeden Angriff vertei digen konnte, der mit Hochenergie oder Atomwaffen geführt wurde. Doch er war nicht allein auf solche Waffen und auf die
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Kampfkraft der Scuddamoren angewiesen, er hatte den Programmschlüssel für den Ger sa-Predogg. Artin war überzeugt davon, daß Skaddos ihm dieses Mal nichts entgegenzusetzen hat te und daß er die roten Scuddamoren aus der Topeya-Wiege vertreiben würde. Die Vorbereitungen liefen. Die Hauptabteilungsleiter betraten sein Büro. Zögernd blieben sie an der Tür stehen. Sie sahen eine Schattengestalt, die wesent lich größer war als sie selbst, und sie wuß ten, daß Artin ein besonders hochgewachse ner Kommandant war. Sie konnten nicht erkennen, ob er es wirk lich war, doch schon seine ersten Worte überzeugten sie. Sie erkannten seine Stimme wieder. »Nehmen Sie Platz«, befahl Artin. »Ich bin seit Tagen hier in meinem Büro, ohne daß mich jemand bemerkt hat. Ich habe mich über alles informiert, was hier inzwi schen geschehen ist. Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Es geht um etwas anderes. Wir werden die TopeyaWiege an greifen und den verräterischen Skaddos nie derwerfen. Ich will also nichts über den de solaten Zustand des Raumhafenbetriebs von Ihnen hören, sondern lediglich militärische Fragen mit Ihnen erörtern, damit dieser An griff nicht scheitert.«
* Er tippte zweimal die Fünf ein und be rührte einen Knopf, der mit einem sternför migen Symbol versehen war. Dann blickte er zu dem Peripheriegerät FünfFünf hinüber. Das Glück war auf seiner Seite. Dort drü ben leuchtete der Bildschirm auf, und das gleiche Schriftbild erschien wie auf dem Bildschirm an seinem Pult. Axton bemerkte, daß der Scuddamore zu frieden war und sich in die Aufzeichnungen vertiefte. Der Terraner glaubte, nun den Rücken frei zu haben. Er wandte sich den Informationen über die WARQUIENT zu. Der Computer berichtete nicht eben viel
über das Organschiff, doch Axton war schon mit dem wenigen zufrieden, was er erfuhr. Besonders wertvoll erschien ihm, daß der Computer auch einen Lage und Bauplan des Schiffstyps lieferte, zu dem die WARQUI ENT gehörte. Er konzentrierte sich ganz auf diesen Plan, weil er sich von ihm am meisten ver sprach. Er konnte ihm zwar keine exakten Werte liefern, weil er nur den allgemeinen Schiffstyp betraf, war aber dennoch wertvol ler als alles andere. Als Axton glaubte, genügend erfahren zu haben, erhob er sich und verließ den Raum. Zögernd näherte er sich dem Ausgang. Er rechnete damit, daß der Kontrollroboter re pariert war und ihn aufhalten würde. Doch zu seiner Erleichterung sah er, daß mehrere Scuddamoren noch immer damit beschäftigt waren, einen neuen Roboter einzubauen. Ungehindert ging er an ihnen vorbei. Vor dem Gebäude blieb er stehen und blickte zur WARQUIENT hinüber. Am liebsten wäre er schon jetzt zu dem Raumschiff gegangen, doch er glaubte nicht, daß irgend jemand ihm erlauben würde, an Bord zu gehen. Er mußte noch einige Stunden warten, bis es dunkelte. Er beschloß, die Zeit am Flußufer abzu warten, weil er dann die Möglichkeit hatte, hin und wieder ins Wasser zu gehen und sich der Schwerkraft zu entziehen. Der Tag verging schnell und ereignislos. Als es dunkelte, brach Axton auf. Er ging auf direktem Weg zur WARQUIENT, und er scheute sich nicht, im Schutz der Dunkel heit über das offene Landefeld zu gehen. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Die Lage war unverändert. Nach wie vor wurde die WARQUIENT scharf bewacht. Es erschien unmöglich, sich dem Schiff überhaupt ungesehen zu nähern. Zahlreiche Scheinwerfer tauchten die WARQUIENT in helles Licht. Axton ging weiter. Er erreichte einen Kampfgleiter, der mit mehreren Scuddamo ren besetzt war. Vorsichtig schob er sich an ihm vorbei bis in die Nähe einer Kette von
Aufstand der Scuddamoren Wachen. Die Scuddamoren bildeten einen weiten Kreis um das Organschiff. Sie stan den jeweils etwa zwanzig Meter voneinan der entfernt. Axton trennten nun noch etwa hundert Meter von der WARQUIENT. Zwischen ihm und ihr stand noch ein weiterer Kampf gleiter. Der Terraner eilte zum Heck der Maschi ne, neben der er gestanden hatte, und tastete es ab, bis er die Verschlüsse einer Klappe gefunden hatte. Er öffnete sie lautlos und zog die Klappe herunter. Dahinter lag das Werkzeugfach. Es war mit allen Geräten ge füllt, die zur Ausrüstung der Kampfgleiter gehörte. Die Ausstattung entsprach in allen Einzelheiten der Beschreibung, die Axton vom Zentralcomputer erhalten hatte. Er nahm ein Desintegratormesser heraus, das etwa so lang war wie seine Hand, und schloß die Klappe wieder. Dann kehrte er zum Bug des Kampfgleiters zurück. Er trennte ein Stahlplastikrohr durch, von dem er wußte, daß darin eine Leitung verborgen war. Diese führte zu den beiden Scheinwer fern über dem Dach der Maschine. Zwi schen dem Gleiter und der WARQUIENT befand sich nun ein dunkler Korridor. Axton wußte, daß er nur für Sekunden bestehen würde, aber das genügte ihm. Vornüber gebeugt lief er los. Er hoffte, daß ihn der schwarze Energieschirm in der Dunkelheit unsichtbar machen würde. Er spürte die Last der hohen Schwerkraft. Er kam bei weitem nicht so schnell voran wie erhofft. Er hörte die Rufe der Wachen. Türen klappten. Ein Scheinwerfer schwenkte her um, erfaßte ihn jedoch nicht. Als er an dem Kampfgleiter vorbeilief, der sich noch zwi schen ihm und dem Raumschiff erhob, sprangen einige Scuddamoren heraus, ent fernten sich jedoch in entgegengesetzter Richtung. Axton durchbrach die Kette der Wachen unbemerkt und erreichte wenig später eines der Landebeine der WARQUIENT. Und abermals stellte er fest, daß die Informatio
29 nen, die er dem Computer entnommen hatte, richtig waren. Auf der Innenseite der tele skopartigen Beine waren kleine Mulden, in denen er genügend Halt für Hände und Füße fand. Sie bildeten eine Art Leiter, an der er nach oben kletterte. Axton bewegte sich langsam. Er wußte, daß jede überhastete Bewegung riskant war. Wenn er auch nur einmal abrutschte, stürzte er unweigerlich in die Tiefe. Unter den ge gebenen Schwerkraftverhältnissen mußte aber schon ein Fall aus geringer Höhe kata strophale Folgen haben. Als er etwa fünf Meter über dem Boden war, flammten zwei Zusatzscheinwerfer an einem der Gleiter auf und füllten die ent standene Lichtlücke wieder auf. Axton preßte sich an das Landebein, das in dieser Höhe einen Durchmesser von fast drei Metern hatte und ihm daher ausreichen den Sichtschutz bot. Er horchte. Näherte sich ihm jemand? Hatten die Scuddamoren Verdacht ge schöpft? Kamen sie, um das Raumschiff von unten zu inspizieren? Er kletterte weiter. Noch trennten ihn et wa acht Meter von der Organmasse, die den Schiffskörper umhüllte. Er kam langsamer voran als zuvor. Seine Kräfte erlahmten, und es fiel ihm immer schwerer, sich in den Mulden zu halten. Er blickte nicht nach unten, sondern kon zentrierte sich nur auf den Aufstieg. Er vernahm Stimmen. »Ich könnte schwören, daß ich jemanden gesehen habe«, sagte ein Scuddamore mit dunkler Stimme. »Du hast dich geirrt«, entgegnete ein an derer. »Wer könnte so verrückt sein, hierher zu laufen? Du glaubst doch wohl nicht, daß jemand so töricht ist und versucht, ins Schiff zu kommen?« Die beiden Wachen waren unter ihm. Ax ton kletterte weiter. Er befand sich im Schat ten und war daher schwer auszumachen. »Hier ist niemand«, stellte einer der bei den Scuddamoren fest. Der Terraner erreichte die Organmasse.
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Er klammerte sich an einer daraus hervorra genden Stahlstrebe fest und blickte nach un ten. Er konnte die beiden Schattengestalten sehen, da sie im Licht standen. Er schob sich zu einem Träger hinüber, wo er sicheren Halt hatte, und wartete. Eini ge Minuten verstrichen, dann entfernten sich die Scuddamoren wieder. Axton tastete sich auf dem Träger in Richtung Schiffsmitte vor, bis er eine Falte in der Organmasse entdeckte, die durch qua dratische Metallplatten unterbrochen wurde. Er fuhr mit der matt schimmernden Energie klinge des Desintegratormessers an den Kanten von einer dieser Platten entlang, bis sie sich löste. Er ließ sie herabgleiten und legte sie auf den Träger. Dann stieg er in die Öffnung, die er freigelegt hatte. Er befand sich in der WARQUIENT. Sein Gewicht reduzierte sich auf etwa die Hälfte des vorherigen Wertes. Er atmete auf. Er hatte das Gefühl, end lich wieder frei atmen zu können.
* Artin trieb die Vorbereitungen für den Kampf gegen Skaddos energisch voran. Gleichzeitig aber traf er auch eine Reihe von Maßnahmen für den Betrieb des Raumha fens, um hier einen Zusammenbruch zu ver hindern. Er gönnte sich keine Ruhepause. Als eine der wichtigsten Aufgaben sah er an, die Sicherheitsorgane des Raumhafens zu reorganisieren. Die ersten Erfolge zeigten sich schon kurz darauf. Seiner aktivierten Raumhafenpolizei gelang es, vier Agenten von Skaddos zu entlarven und unschädlich zu machen. Kurz darauf wurden zwei weite re enttarnt gefangengesetzt. Artin sorgte da für, daß sie keine Alarmmeldung zur Tope ya-Wiege abgeben konnten. Er ließ sie gna denlos verhören, wobei er Foltern ausdrück lich genehmigte, bis er den Geheimcode kannte, unter dem sie sich in regelmäßigen Abständen bei Skaddos zu melden hatten. Er ordnete an, die Zeichen beizubehalten, um Skaddos in Sicherheit zu wiegen.
Dann rief er seine zuverlässigsten Mitar beiter in seinem Büro zusammen. Ein Pro jektor warf einen Lageplan der Festung Chirmor Flogs an die Wand. »Ich bin skeptisch«, meldete sich Stero, der als neuer Stellvertreter eingesetzt wor den war. »Die Schlucht erscheint mir unein nehmbar. Skaddos hat mehr und stärkere Waffen als wir.« »Uneinnehmbar ist ein Wort, das ich nicht akzeptiere«, erwiderte Artin. »Mag sein, daß wir hohe Verluste einkalkulieren müssen, aber das ist nicht zu ändern. Wir werden die ses Opfer für Chirmor Flog bringen. Ihm müssen wir helfen. Darum geht es. Das dür fen wir niemals aus den Augen verlieren.« Der Kommandant begründete seine Zu versicht auf den Programmschlüssel für den Gersa-Predogg. Doch das sagte er seinen Untergebenen nicht. Artin war eitel. Er woll te seine Scuddamoren von seinem strategi schen Genie überzeugen, und er fürchtete, daß ihre Anerkennung nicht ganz so groß sein würde wie erhofft, wenn sie erfuhren, daß er eine derart überlegene Waffe hatte. Er wollte den Programmschlüssel während der Schlacht um die Topeya-Wiege einsetzen, und er freute sich schon jetzt auf die Reak tionen seiner Truppen. »Wir müßten den ersten Vorstoß so über raschend führen, daß wir zumindest einen kleinen Vorsprung für uns herausarbeiten«, bemerkte ein anderer Offizier. »Das wäre möglich«, sagte Stero. »Wir haben die Heilkundigen, die Chirmor Flog helfen sollen. Schubweise bringen wir sie zur Topeya-Wiege. Was dort mit ihnen ge schieht, entzieht sich unserer Kenntnis. Auf jeden Fall bringen wir sie hin.« Artin ließ sich kurz über die Heilkundigen informieren, von denen er bisher nichts ge wußt hatte. »Eine gute Idee«, lobte er anschließend. »Wir können sie ins Feuer schicken. Skad dos wird abgelenkt. Da die Heilkundigen Chirmor Flog dienen sollen, kann er sie nicht einfach umbringen. Er müßte schon versuchen, sie in Sicherheit zu bringen. Das
Aufstand der Scuddamoren könnte uns in der Tat einen Vorsprung von mehreren Minuten verschaffen. In dieser Zeit können wir die Macht der Roten bre chen.« »Und wenn die Heilkundigen dabei drauf gehen?« fragte Stero. »Dann gehen sie drauf«, antwortete der Kommandant gleichgültig. Moralische Be denken kannte er nicht. »Sie sollen Chirmor Flog helfen«, gab Stero zu bedenken. »Und wenn schon. Wir helfen ihm viel mehr, wenn wir ihn aus den Klauen von Skaddos befreien. Wahrscheinlich braucht er die Heilkundigen danach gar nicht mehr.« »Wann beginnen wir?« fragte Stero. »In spätestens einer Stunde«, erwiderte der Kommandant. »Bis dahin müssen die Besatzungen der Kampfgleiter zusammen gestellt sein.« Er wies auf die Projektion der Festungs anlage. »Üblicherweise nähern sich die Gleiter der Steilwand mit dem Schott zur TopeyaWiege auf dem Wege durch die Schlucht. Das werden dieses Mal nur einige der Glei ter tun. Die anderen pirschen sich seitlich an die Schlucht heran.« »In den Bergen gibt es eine Reihe von Ra darstationen, denen wir nicht ausweichen können«, wandte Stero ein. »Ich habe eine kleine Überraschung für sie«, sagte Artin triumphierend. »Seit eini gen Stunden sind mehrere Einheiten unter wegs, die diese Ortungsstationen angreifen und ausschalten werden. Die Kämpfer dieser Gruppen werden keine Energieschilde tra gen. Sie können daher auch nicht geortet werden. Ich habe bereits die Meldung vor liegen, daß vier Ortungsstationen in unserer Hand sind. Auf ein Funksignal hin werden sie vernichtet. Dieser Befehl wird kommen, wenn die Heilkundigen gelandet sind und wir angreifen. Dann stoßen wir mit allem, was wir haben, von den Seiten vor und drin gen in die Schlucht ein. Wir werden siegen. Ich habe nicht die geringsten Zweifel. Die Verluste werden hoch sein, aber das spielt
31 keine Rolle. Es geht um Chirmor Flog, und das ist wichtiger als alles andere.« Damit beendete er die Konferenz.
6. Der Gefangene. »Es geht los«, sagte Kerttel. »Wir müssen zusammenbleiben.« Er stellte sich so dicht neben den Arkoni den, daß seine Schulter dessen Oberschenkel berührte. »Keine Sorge«, entgegnete Atlan. »Es wird schon klappen.« Er hoffte, daß er bei der ersten Gruppe sein würde, die zu Chirmor Flog gebracht wurde. Zunächst sah es nicht so aus. Die Schat tengestalten wählten eine Reihe von anderen Gefangenen aus und befahlen ihnen, die Halle zu verlassen. Dann wandten sie sich Atlan und dem Zwerg zu. Kerttel hielt den Atem an. Doch seine Nervosität war unbe gründet. Die Scuddamoren befahlen Atlan und ihn zum Ausgang. »Jetzt kommt es darauf an«, sagte der Zwerg. »Chirmor Flog wird sein blaues Wunder erleben.« Sie verließen die Halle. Draußen parkten mehrere Kampfgleiter. Die Scuddamoren lenkten sie zu einer kleinen Maschine, in der nur zehn Mann Platz hatten. Sie startete als erste. Neugierig stellte Kerttel sich auf einen Sitz, um aus dem Fenster sehen zu können. Atlan interessierte sich nicht für die Land schaft. Er war diese Strecke schon einmal geflogen. Er tippte Kerttel an, als sie in die Schlucht flogen, an deren Ende der Eingang zur Fe stung lag, in der Chirmor Flog herrschte. »In ein paar Minuten wirst du den Neffen se hen«, sagte er. Doch der Arkonide war nicht so ruhig, wie er sich gab. Er spürte, daß et was nicht in Ordnung war. Warum folgten ihnen mehrere schwere Kampfgleiter? Hätte es nicht genügt, die wenigen Heilkundigen mit einer kleinen Maschine zu transportie
32 ren? »Irgend etwas stimmt nicht«, bemerkte Kerttel mit überkippender Stimme. Er setzte sich neben den Arkoniden und lehnte sich zurück. »Was haben die mit uns vor?« Er blickte zu den Energiegeschützen hoch, die aus den Steilwänden der Schlucht ragten. »Mir ist, als sei ich auf dem Weg zu mei ner eigenen Hinrichtung.« Atlan antwortete nicht. Das Gefühl des Unbehagens wuchs. Der Gleiter näherte sich dem Ende der Schlucht. Er setzte vor dem Eingang der To peya-Wiege zur Landung an. Der Arkonide sah, daß zahlreiche Scuddamoren in rot schimmernden Energieschilden aus Bunkern und Kampfständen kamen. Er schätzte, daß es weit über hundert Rote waren. Das sind zehnmal so viele, wie für einen Empfang unter normalen Umständen not wendig wären, stellte der Logiksektor fest. Der Gleiter landete. Einer der schwarzen Scuddamoren in der Maschine erhob sich. »Aussteigen«, befahl er. Atlan gehorchte. Es drängte ihn zum Aus gang. In der Kabine des Gleiters kam es ihm plötzlich so eng vor, daß er meinte, ersticken zu müssen. Die anderen Gefangenen zöger ten noch. Nur Kerttel schloß sich ihm sofort an, weil er Angst hatte, von ihm getrennt zu werden. Atlan verließ den Gleiter. Er blickte zu der großen Steilwand hinüber, die den Ab schluß der Schlucht bildete. In ihr erhob sich ein gewaltiges Schott. Es war der Eingang zur Topeya-Wiege, der subplanetarischen Festung des Neffen. Davor standen eine Rei he von Gebäuden, die von stationären Kampfrobotern umgeben waren. Überall wölbten sich die buckelförmigen Energie feldprojektoren, die zusätzliche Sicherheit für die Verteidiger der Anlage boten. Zwi schen den Gebäuden und auf Landeplattfor men an den Steilwänden parkten Hunderte von Kampfgleitern und Kleinstraumschiffen, die eine Kampfkraft repräsentierten, die tau sendfach höher war als die der Panzergleiter, die vom Raumhafen gekommen waren.
H. G. Francis »Du kannst beruhigt sein«, sagte Atlan zu Kerttel. Er fühlte, daß die Spannung von ihm abfiel, da er sich nicht vorstellen konn te, daß die Kampfgleiter der schwarzen Scuddamoren die Festung angreifen würden. »Hier passiert nichts.« Diese Worte waren kaum über seine Lip pen gekommen, als es bei einem der schwar zen Panzergleiter aufblitzte. Ein armdicker Energiestrahl zuckte zu einem der Gebäude hinüber, bohrte sich hinein und zerfetzte es. Im nächsten Augenblick brach die Hölle los. Sirenen heulten auf. Energiegeschütze feuerten. Der Boden warf sich unter der Wucht der Explosionen auf. Kerttel schrie vor Angst und Entsetzen. Die Heilkundigen standen mitten im Feu er.
* Lebo Axton gönnte sich nur eine kurze Erholungspause. Dann drang er weiter in das Organschiff ein. Er hatte sich sorgfältig vor bereitet und wußte daher genau, welchen Weg er einzuschlagen hatte. Er glaubte zu wissen, wo er den geheimnisvollen Gefange nen suchen mußte. Dafür kamen seiner An sicht nach nur drei eng begrenzte Abschnitte des Raumers in Frage. Er fühlte sich wohl. Aktionen wie diese lagen ihm. Er wollte die Gefahr nicht herausfordern, aber er woll te ihr auch nicht ausweichen. Er hatte sich vorgenommen, seine Fähigkeiten als USOSpezialist voll auszuspielen. Er war KosmoKriminalist, und er hatte ein besonderes Ge spür für jene Dinge und Zusammenhänge, die bei einem Fall wichtig waren. Oft genug war es ihm gelungen, unlösbar erscheinende Fälle aufzuklären, weil er instinktiv oder mit seinem kriminalistischen Gespür genau an der Stelle angesetzt hatte, an der seine Ge genspieler Fehler gemacht hatten oder Schwächen zeigten. Auch jetzt zweifelte er nicht eine Sekunde lang daran, daß er auf dem richtigen Weg zu dem Gefangenen war. Er war sich dessen si
Aufstand der Scuddamoren cher, daß er in dem Bereich des Raumers, in dem er sich befand, auf niemanden stoßen würde, der ihm gefährlich werden würde. Er schnitt eine Öffnung in die Wand und hob eine Stahlplatte heraus. Dann blickte er in den Maschinenraum des Organschiffs. Eini ge Aggregate liefen. Sie versorgten das Schiff mit Energie. Überwachungs- und Re paraturroboter bewegten sich lautlos durch die Halle, die etwa vierzig Meter lang, zwanzig Meter breit und fünfzehn Meter hoch war. Axton kletterte durch die Öff nung. Er setzte die Platte wieder ein und verschweißte sie. Dazu verwendete er das umgepolte Desintegratormesser. Dann durchquerte er den Maschinenraum. Er rechnete damit, von den Robotern aufge halten zu werden, doch das war nicht der Fall. Keine der Maschinen reagierte auf sei ne Anwesenheit. Er verließ die Halle und trat durch ein Panzerschott auf einen Gang hinaus. Auch hier hielt sich niemand auf. Axton eilte den Gang entlang zum nächsten Schott. Er wußte, daß dahinter ein Hauptein gang lag, der bis zur Schiffsspitze führte. Auf ihm würde es nicht so leer sein. Axton hatte jedoch keine andere Wahl. Er mußte das Schott öffnen und den Gang über queren, wenn er jenen Bereich betreten wollte, in dem er den geheimnisvollen Ge fangenen vermutete. Er berührte das rot gekennzeichnete Feld neben dem Schott. Die Tür glitt zur Seite und gab den Blick auf den Gang frei. Axton beugte sich vor sichtig nach vorn. Einige Meter von ihm entfernt stand ein Wesen, das Axton wahrhaft riesig erschien, zumal es bei aller Körpergröße auch noch ungewöhnlich dicke Kleider trug. Es war mehr als 2,20 Meter groß und hatte einen kastenförmigen Körper mit zwei kurzen und stämmigen Beinen. Es arbeitete an einem Schaltinstrument, das in die Wand eingelas sen war. Seine Arme befanden sich nicht seitlich, sondern vor dem Körper. Auf dem Rumpf erhob sich eine Art organischer Kö cher, der etwa dreißig Zentimeter hoch war
33 und an seiner breitesten Stelle auch etwa diesen Durchmesser erreichte. Daraus ragten einige Fühler hervor, die sich heftig beweg ten. Der Terraner zweifelte nicht daran, daß es die Wahrnehmungsorgane dieses Wesens waren. Sie waren ihm so fremd, daß er nicht erkennen konnte, ob das Wesen ihn bemerkt hatte oder nicht. Da jedoch keine Reaktion erfolgte, ging er davon aus, daß es ihn noch nicht entdeckt hatte. Er überquerte den Gang und kam dabei so nahe an dem anderen vorbei, daß er diesen fast berührte. Dann glitt ein Schott vor ihm zur Seite, und Axton betrat einen Gang, auf dem er allein war. Jetzt trennten ihn nur noch wenige Schrit te von den Räumen, in denen er den Gefan genen vermutete. Axton trat an eine Tür her an. Sie hatte das vom Computer beschriebe ne elektronische Schloß, das sich nur von außen betätigen ließ. Er drückte seine Hand dagegen. Das Schott glitt lautlos zur Seite. Axton sah den Gefangenen. Seine Augen weiteten sich vor Überra schung. »Razamon«, sagte er verblüfft. Er schaltete den schwarzen Energieschild aus, um sich dem Freund zu erkennen zu ge ben.
* »Sie bringen uns um«, schrie Kerttel ent setzt. Er warf sich auf den Boden, um dem Energiefeuer zu entgehen. Atlan packte ihn am Kragen und riß ihn hoch. »Nicht doch, du Narr«, rief er. »Wenn wir hier bleiben, ist alles aus. Komm.« Kerttel blickte ihn hilflos an. In seinem Gesicht zuckte es. Die Angst lähmte ihn. »Wohin?« fragte er mit schwankender Stimme. »Es gibt doch nur eine Möglichkeit«, ant wortete der Arkonide, während er hinter dem Gleiter Schutz vor dem Energiefeuer suchte. Er zeigte auf das Schott in der Steil wand. »Nur dort sind wir in Sicherheit.«
34 Er riß das zwergenhafte Wesen mit sich. Sie stiegen über die regungslosen Körper ei niger Heilkundiger hinweg, die dem Feuer zum Opfer gefallen waren. Jetzt ging ein Ruck durch Kerttel. Er begriff, daß er nur noch eine Chance hatte, wenn er um sein Leben rannte. Er stürmte neben Atlan her auf das Schott zu. Immer wieder zuckten sonnenhelle Energiestrahlen an ihnen vor bei. Explosionen erschütterten den Boden, und die ihnen folgenden Druckwellen war fen den Arkoniden und seinen zwergenhaf ten Begleiter mehr als einmal zu Boden. Überall brannten Feuer. Die Wracks der zer störten Gleiter verbreiteten eine glühende Hitze. Atlan sah etwas Dunkles über sich. Er blickte nach oben. Mehr als zwanzig riesige Kampfgleiter schossen über die Kanten der Steilhänge und senkten sich herab. Sie grif fen die Bastion Chirmor Flogs an. Die Scud damoren in den roten Energieschilden war fen sich ihnen schießend entgegen. Sie ver teidigten die Festung mit höchster Einsatz bereitschaft. Kerttel stürzte über einige herabgefallene Gleitertrümmer. Atlan packte ihn am Arm und half ihm wieder auf. Nur noch wenige Meter trennten sie von dem riesigen Schott, an dessen Basis sich mehrere kleine Eingän ge befanden. Einer von ihnen war offen. »Wir haben es gleich geschafft«, rief er. »Sie werden uns abknallen, wenn wir hin eingehen«, erwiderte Kerttel. »Hier draußen lassen sie uns erst recht nicht leben.« Er zerrte den Zwerg mit sich durch das Schott. Kaum hatte er es durchschritten, als es sich hinter ihm schloß. Es war, als habe man nur auf sie gewartet. Mehrere Scudda moren in roten Energieschirmen eilten je doch an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. »Weiter«, sagte der Arkonide drängend. »Nur nicht stehenbleiben.« Sie eilten über einen Gang. Als sie etwa zwanzig Meter weit gekommen waren, senk te sich ein roter Energieschirm auf den Gang herab und versperrte ihnen den Weg.
H. G. Francis Atlan fuhr herum. Auch hinter ihnen erhob sich eine Ener giewand, die sie nicht durchbrechen konn ten. Sie waren gefangen. »So etwas habe ich mir gedacht«, sagte Kerttel keuchend. Sein Gesicht war bleich. Er sah so erschöpft aus, daß Atlan befürchte te, daß er zusammenbrechen würde. Er hat ungeheuerliche Strapazen hinter sich, stellte der Logiksektor fest. Er hat alles gegeben, was in ihm war. Er empfand eine gewisse Sympathie für Kerttel, obwohl er wußte, daß dieser einen Mord begangen hatte. Noch wußte er nicht, welches das tatsächliche Motiv gewesen war. Er konnte sich nicht vorstellen, daß der Zwerg nur gemordet hatte, weil er sich vor Verrat gefürchtet hatte. Er war überzeugt da von, daß sich hinter der Tat noch viel mehr verbarg. Die Wand neben ihnen teilte sich. Zwei Scuddamoren traten auf den Gang heraus. Sie waren in rote Energieschirme gehüllt. »Wenn ihr Waffen habt, gebt sie lieber gleich her«, sagte einer von ihnen, »sonst lebt ihr nicht mehr lange.« »Waffen?« erwiderte Kerttel hysterisch lachend. »Ich wollte, ich hätte eine, damit ich mich in diesem Hexenkessel behaupten kann. Man hat uns hierhergebracht, weil wir Chirmor Flog helfen sollen. Und was ge schieht? Alle Welt versucht uns zu ermor den.« Ein Roboter rückte heran und untersuchte Atlan und Kerttel nach Waffen. Als er keine fand, zog er sich wieder zurück. »Und was jetzt?« fragte der Zwerg. »Kommt mit«, befahl einer der Scudda moren. »Wohin bringt ihr uns?« forschte Kerttel. Einer der beiden Energieschirme, der ihnen den Weg versperrt hatte, erlosch. Atlan und Kerttel gingen vor den rot schimmernden Gestalten her. »Zu Chirmor Flog? Werden wir ihn endlich sehen? Ich möchte ihm hel fen. Ich weiß, daß ich es kann, und ich kann es kaum erwarten, bis ich das endlich bewei sen kann.«
Aufstand der Scuddamoren »Sei nicht so geschwätzig«, sagte der Ar konide. »Seit Wochen bin ich am Raumhafen als Gefangener eingesperrt gewesen«, erwiderte das zwergenhafte Wesen hitzig. »Ich habe unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben müssen. Keiner hat Rücksicht darauf genommen, wer ich bin. Niemand hat beach tet, daß ich auf eine ehrenvolle Behandlung ein Anrecht habe. Und das alles nur, weil ich mich bereiterklärt habe, dem Neffen zu hel fen und sein Leben zu verlängern. Und jetzt gibt man mir nicht einmal eine Auskunft?« Die beiden Scuddamoren schwiegen. Sie führten Atlan und seinen Begleiter über den Gang bis in das riesige Gewölbe, in dem die Topeya-Wiege lag. Erstaunt blickte Kerttel zur Decke hoch, die sich blau und schimmernd wie der Him mel über ihnen erstreckte. Ein sanfter Wind strich über die Hügellandschaft, die keinerlei Spuren der Kämpfe mehr zeigte, die zwi schen den Scuddamoren getobt hatten und die sich jetzt wiederholten. Alle dabei ent standenen Schäden waren behoben worden. Dennoch sah die Landschaft jetzt ganz an ders aus als vor einigen Wochen. Sie war nicht mehr gepflegt. Überall wucherte Un kraut. Abfälle lagen herum. Deutlich war zu sehen, daß eine ordnende Hand fehlte. »Es geht zu Chirmor Flog«, sagte der Ar konide. »Du weißt, daß ich schon einmal hier gewesen bin. Wir werden ihn bald se hen.« »Hoffentlich lohnt es sich noch«, entgeg nete der Zwerg, als der Boden unter ihren Füßen unter der Wucht der Explosionen er zitterte. »Wenn die schwarzen Scuddamoren hier einziehen, ist vielleicht alles zu spät.« Diese Worte waren kaum über seine Lip pen gekommen, als mit ohrenbetäubendem Krach eine Felswand zusammenbrach, die etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt war. »Schneller«, brüllten die beiden Scudda moren wie aus einem Mund. »Lauft.«
*
35 Artin fühlte, daß ihn die Begeisterung über die ersten Erfolge in der Schlacht zu übermannen drohte. Nur mühsam beherrsch te er sich. Die Angriffsaktionen liefen per fekter ab, als angenommen. Die Scuddamo ren erwiesen sich als außerordentlich diszi pliniert und mutig. Keiner von ihnen verwei gerte den Befehl, als er sie nach vorn schick te. Auch dann nicht, als deutlich war, daß dieser Befehl ein Todesurteil war. Stero, der zusammen mit dem Komman danten in dem Panzergleiter saß, wandte sich an Artin. »Eine Meldung vom Raumhafen«, sagte er. »Die Wachmannschaften haben beobach tet, daß sich bei der WARQUIENT etwas tut.« Unwillig drehte sich Artin herum. Nur noch etwa hundert Meter trennten ihn vom Eingang der Schlucht. Aus dieser stiegen schwarze Rauchwolken auf. Blitze zuckten in den Himmel. »Was ist das für eine Meldung?« fragte er ärgerlich. »Was, zum Teufel, tut sich? Ent weder bekomme ich eine exakte Aussage oder gar keine.« Stero zögerte verlegen. »Ich habe selbst auch nur eine Meldung vorliegen, die nicht eindeutig ist«, erwiderte er mit schleppender Stimme. »Hier heißt es: man glaubt beobachtet zu haben, daß je mand an Bord gegangen ist.« Artin lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Könnte die Meldung von Skaddos kom men? Könnte es sein, daß er uns damit ab lenken will?« »Auf keinen Fall.« »Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Die WARQUIENT wird gestürmt.« »Wollen Sie nicht abwarten, bis Chirmor Flog sich entscheidet?« fragte der Stellver treter des Kommandanten. »Die WARQUIENT wird gestürmt«, wie derholte Artin. »Das Risiko gehe ich ein. Ich bin sicher, daß der Neffe die Aktion guthei ßen wird.« Stero gehorchte. Er gab den Befehl durch, die WARQUIENT zu stürmen.
36 »Der Gefangene ist von Bord zu holen und sicher unterzubringen«, fügte der Kom mandant hinzu. »Ihm darf nichts gesche hen.« Der Panzergleiter schob sich weiter vor. Er näherte sich der Schlucht, die den Ein gang zu den subplanetarischen Anlagen der TopeyaWiege bildete. Artin drehte sich zu den anderen Scudda moren im Gleiter um. Sie saßen an den Funk und Ortungsleitständen. Sie standen unun terbrochen mit den kämpfenden Truppen in Verbindung. Auf einem riesigen Bildschirm am Heck der Maschine zeichnete der Com puter einen Situationsbericht der Kämpfe, so daß Artin genau verfolgen konnte, wie weit seine Scuddamoren vorgerückt, und wie weit die roten Kräfte von Skaddos bereits zurückgedrängt worden waren. Er konnte die Schwachstellen erkennen, und er konnte ausmachen, wo zu starke Einheiten kämpf ten, so daß er an einigen Stellen Kräfte ab ziehen und sie an anderen wieder in die Schlacht werfen konnte. Die Vorbereitungen für die Auseinander setzungen mit Skaddos waren dieses Mal optimal gewesen. Artin war es gelungen, das Risiko auf ein Mindestmaß herabzudrücken. Die vorentscheidenden Kämpfe waren abge schlossen. Der Eingang zu den festungsähn lichen Anlagen war frei. Jetzt konnte der Vorstoß gegen das Zentrum der Topeya-Wie ge erfolgen. »Wir haben es geschafft«, sagte Artin. »Dies wird eine schwarze Stunde für Skad dos.« Er lachte dröhnend, als er sich der doppel ten Bedeutung seiner Worte bewußt wurde. Seine Blicke richteten sich auf den Pro grammschlüssel für den Gersa-Predogg. Der Kommandant war sich dessen sicher, daß der Gersa-Predogg derjenige war, der die Abwehrschlacht tatsächlich leitete. Skaddos war nur ausführendes Organ. Ihn aber haßte er aus ganzem Herzen. Von ihm fühlte er sich gedemütigt und verfolgt. An ihm wollte er sich rächen. Er war versucht, ohne die Hilfe des Programmschlüssels weiterzu-
H. G. Francis kämpfen, doch dann sagte er sich, daß die Niederlage für Skaddos um so schmerzlicher sein mußte, je deutlicher sie war. Mit Hilfe des Programmschlüssels konnte er sich den Gersa-Predogg zu einem Verbündeten ma chen und Skaddos dadurch eine vernichten de Niederlage beibringen.
* Razamon begrüßte Axton-Kennon gera dezu herzlich. Die Überraschung lag auf bei den Seiten. Keiner der beiden hatte damit gerechnet, jemanden zu treffen, der ihm be kannt war. Beide schilderten, wie es dazu gekommen war, daß sie auf Säggallo waren. Razamon lachte, als er hörte, daß AxtonKennon die Absicht hatte, die Macht Chirm or Flogs durch geheime Aktionen von innen heraus zu untergraben. »Ich will mich in sein Vertrauen schlei chen, so ähnlich wie ich es bei Orbanaschol gemacht habe. Dann werde ich ihm ein Bein stellen und einen seiner Freunde nach dem andern aus seiner Nähe entfernen, bis er al lein ist und sich nicht mehr halten kann«, er klärte Axton. »Mein Plan ist nicht viel anders«, sagte Razamon. Ein flüchtiges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Allerdings scheinen meine Aussichten nicht besonders gut zu sein. Chirmor Flog hat bisher nicht das geringste Interesse gezeigt. Er läßt uns aber auch nicht wieder starten.« Axton zeigte auf die Tür, die bis auf einen winzigen Spalt geschlossen war. »Draußen ist die Rede davon, daß sich ein außerordentlich wichtiger Gefangener an Bord befindet«, erklärte er. »Nun steckst du hinter einer Tür, die nur von außen zu öff nen ist. Das läßt darauf schließen, daß du wirklich ein Gefangener bist – und nicht nur ein Gefangener jener Scuddamorenstreit kräfte da draußen, sondern auch ein Gefan gener der Besatzung der WARQUIENT.« »Die Besatzung besteht aus Kunen und Trugen«, erwiderte der Berserker. »Sie steht
Aufstand der Scuddamoren treu zu Duuhl Larx, einem Konkurrenten Chirmor Flogs im Kampf um die Macht. Ich habe diesen Duuhl Larx beschwatzt, mich als Spion zu Chirmor Flog zu schicken. Ich habe ihm vorgeschlagen, Chirmor Flog mit einigen Sabotageakten das Leben schwer zu machen. Auf diese Weise wollte ich dem Oheim zeigen, daß Duuhl Larx der bessere der beiden Neffen ist und damit an erster Stelle der Rangfolge stehen müßte. Das habe ich Duuhl Larx jedenfalls gesagt. Und er hat mich losgeschickt, nachdem er erfahren hat, daß der Oheim Chirmor Flog den Vorzug gibt. Aber er ist ein überaus mißtrauischer Mann. Er läßt mich auf Schritt und Tritt überwachen. Und zur Zeit scheint es der Be satzung sicherer zu sein, mich gefangenzu halten, als sich meinem Kommando zu beu gen und damit womöglich einen Konflikt mit Duuhl Larx heraufzubeschwören.« »Ein Konkurrenzkampf unter den Neffen des Oheims«, sagte Axton. Er lächelte. »Das klingt gut. Ich sehe bereits zahllose Mög lichkeiten, den Hebel für meine Intrigen an zusetzen.« »Vorher müssen wir erst einmal von Bord kommen«, entgegnete Razamon. »Wir könnten fliehen. Es ist nicht schwer, das Schiff auf dem gleichen Weg zu verlas sen, auf dem wir gekommen sind. Wenn wir erst einmal draußen sind, müssen wir uns al lerdings den Scuddamoren stellen. Was da nach wird, kann ich noch nicht sagen.« Die Tür öffnete sich. Die riesige Gestalt eines Trugen trat ein. Sie richtete einen Energiestrahler auf die beiden Männer. »Danach wird gar nichts«, sagte der Tru ge. Axton und Razamon reagierten wie auf ein geheimes Kommando. Aus dem Stand heraus schnellten sie sich auf den Trugen. Razamon schlug mit einem gewaltigen Hieb die Klauen mit dem Energiestrahler zur Sei te, während der Terraner sich gegen die mächtige Gestalt warf und sie aus dem Gleichgewicht brachte. Er klammerte sich an sie, damit sie Razamon nicht angreifen konnte.
37 Der Berserker versuchte, die Waffe aufzu nehmen, die zu Boden gefallen war. Doch der Truge trat ihm in den Rücken und schleuderte ihn quer durch den Raum. Axton fühlte sich von zwei Armen um klammert, die ihn zu zerquetschen drohten. Er griff mit beiden Händen nach den Füh lern des Trugen. Dieser schrie gepeinigt auf, als er sie berührte. Er zog seinen Kopf ein. Verblüfft beobachtete der Terraner, daß der trichterförmige Kopf zu mehr als der Hälfte in einer Hautfalte verschwand. Er schlug zu und traf die Hautfalte. Seine Faust traf auf unerwartet harten Widerstand. Der Truge taumelte. Er stöhnte laut auf. Im gleichen Moment stürzte sich Razamon von hinten auf ihn, schob ihm einen Hocker hin ter die Beine, packte ihn am Kragenwulst seiner Uniform und riß ihn nach hinten. Der Truge wollte ein Bein nach hinten setzen, um das Gleichgewicht zu halten, stieß dabei aber gegen den Hocker und fiel hin. Raza mon schmetterte ihm die Handkanten kräftig an den Kopfwulst und betäubte ihn damit. Seufzend streckte sich die mächtige Gestalt auf dem Boden aus. Axton atmete auf. Razamon lächelte flüchtig. »Man sieht verdammt schlecht aus, wenn man nicht weiß, wohin man schlagen soll, nicht wahr?« sagte er. »Bei unsereins weiß man immerhin, daß die Kinnspitze ein ziem lich empfindliches Ding ist, aber bei so ei nem Koloß kann der Punkt, an dem man an setzen muß, überall sitzen. Man hämmert auf die Brust ein, ohne zu ahnen, daß eine leichte Berührung an anderer Stelle schon genügen würde. So ist das nun mal.« »Hoffentlich schläft er wenigstens solan ge, bis du ausgeredet hast«, entgegnete Ax ton.
7. Achtpforg Atlan und Kerttel rannten vor den beiden Scuddamoren her. Der Arkonide blickte über die Schulter zurück. Eine Staubwolke wuchs vor der Stelle auf, an der die Fels
38 wand zusammengebrochen war. Aus ihr stürmten mehrere Scuddamoren in schwar zen Energieschilden hervor. Schüsse fielen. Am Himmelsgewölbe schwebten dra chenartige Gebilde. Aus ihnen ertönte eine aggressive Musik mit vielen schrillen Tö nen. Es schien, als wolle der verantwortliche Musikregisseur mit ihr die Konzentration der Kämpfer mindern und so ihre Kampf kraft herabsetzen. Atlan atmete auf, als sie so weit gelaufen waren, daß einige Hügel zwischen ihnen und den schwarzen Scuddamoren lagen. Nun konnten sie von diesen nicht mehr beschos sen werden. Er zweifelte jedoch daran, daß sie in der Topeya-Wiege noch ausreichend Schutz finden würden. Ihre Flucht schien sinnlos geworden zu sein. »Was ist das?« rief Kerttel atemlos, als sie ein kleines Tal erreichten, in dessen Mitte eine riesige Blüte wuchs. Herden von antilo penartigen Tieren rasten in panischer Angst durch das Tal. »Dieses Mittelding zwischen einer Blüte und einer Frucht ist die Topeya-Wiege«, antwortete Atlan. Das Gebilde sah im unteren Teil wie eine angeschnittene Ananasfrucht, im oberen wie eine Kreuzung aus einer Tulpe und einer Nelke aus. Zahlreiche Lianen in zarten Far ben sprossen aus seinen Seiten. Es war etwa fünfzig Meter hoch und an seiner breitesten Stelle achtzig Meter breit. »Es ist der Sitz von Chirmor Flog«, fügte er hinzu. Zwischen Büschen und Bäumen, die die Topeya-Wiege umgaben, standen Scudda moren in rot schimmernden Energiefeldern. Weitere Soldaten des Neffen kamen aus ver borgenen Unterständen hervor. Sie eilten den Angreifern entgegen und ließen Atlan, Kerttel und ihre Begleiter wortlos passieren. Die beiden Scuddamoren führten den Arko niden und den Zwerg über eine Treppe unter das pflanzliche Gebilde und dann über eine Wendeltreppe wieder nach oben. Ein betäu bender, süßlicher Geruch schlug ihnen ent gegen. Er war so intensiv, daß Kerttel
H. G. Francis schwindelte und er zu taumeln begann. At lan kannte diesen Geruch schon. Er ließ sich nicht überraschen. »Wir tun so, als seien wir hier ganz si cher«, sagte der Zwerg, während er sich an den Wand abstützte, um nicht zu fallen. »Dabei werden wir gleich wieder zwischen den Fronten sein.« »Die Schwarzen kommen nicht bis hier her«, erklärte einer der Scuddamoren. Er führte sie über einen gewundenen Gang in den gleichen Raum, in dem Atlan schon ein mal gewesen war. Dieser enthielt drei Hocker, eine Liege, einen Tisch und einige Regale mit allerlei getrockneten und präpa rierten Pflanzen. Atlan erwartete, daß man sie nach Waffen durchsuchen würde. Doch das war nicht der Fall. Die beiden Scudda moren verließen den Raum. »Wo ist Chirmor Flog?« fragte der Zwerg ungeduldig. »Du hast gesagt, daß er hier ist.« »Dies ist sein Sitz«, erwiderte der Arkoni de. Er streckte sich auf der Liege aus. Der Sturmlauf bis zur TopeyaWiege hatte ihn so angestrengt, daß er sich nun kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er spürte die Im pulse des Zellaktivators, der ungewöhnlich heftig arbeitete. »Als ich hier war, war auch Chirmor Flog hier. Nur wenige Räume weiter bin ich ihm begegnet. Allerdings mußte ich mehr als zehn Stunden warten, bis man mich zu ihm gebracht hat. Du mußt also Geduld haben.« »Mehr als zehn Stunden«, sagte Kerttel stöhnend. Er kletterte auf einen Hocker. »Das ertrage ich nicht. Ich muß zu ihm. So fort.« Er rutschte vom Hocker und eilte zur Tür. Wütend rüttelte er am Verschluß. »Chirmor Flog«, schrie er. »Wo bist du?« »Du solltest vorsichtig sein«, sagte Atlan. »Hier haben die Wände Ohren.« Kerttel zuckte zusammen. Er drehte sich langsam um. Seine Blicke glitten über die Wände. Sie waren weiß und glatt. »Mikrophone?« fragte der Zwerg. »Natürlich. Ich hätte selbst daran denken
Aufstand der Scuddamoren müssen.« Er kehrte zum Hocker zurück. Dann be merkte er etwas, was ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Entsetzt preßte er die Hände vor das Gesicht. Die Wand neben der Tür veränderte sich. Auf dem weißen Untergrund zeichnete sich deut lich ein rotes Ohr ab. Es hatte exakt die Form der Ohren Kerttels. Es war oval und hatte seitlich auffallend weit vorspringende Ohrläppchen. »Die Pflanze hat mich gehört«, sagte Kerttel. Erneut glitt er vom Hocker. Er flüchtete zu dem Arkoniden und klammerte sich an seinen Arm. »Ist sie Chirmor Flog? Ich meine, sind Chirmor Flog und die Pflan ze identisch?« »Nein«, antwortete der Arkonide. Er wollte sich noch weiter über die seltsame Pflanze auslassen, doch die Tür öffnete sich, und zwei Scuddamoren in roten Energie schilden kamen herein. »Du da«, sagten sie zu Atlan. »Komm mit.« Kerttel ging ihnen entgegen. Er war bleich vor Erregung. »Und ich? Ich will auch zu Chirmor Flog. Ich muß mit ihm reden. Ich kann ihn retten. Deshalb bin ich hier. Warum laßt ihr mich warten?« Sie stießen ihn zur Seite und führten At lan hinaus. Kerttel sprang wieder auf und eilte ihnen nach. Doch plötzlich bildete sich eine Schwelle auf dem Boden. Kerttels Füße stießen dagegen, und er stürzte. Die Tür schloß sich vor ihm, und der Bo den glättete sich wieder. Der Zwerg zog sich furchtsam auf die Liege zurück. Er hatte Angst vor der Pflanze, die ihn umgab. Er dachte an Atlan, und er verfluchte die Tatsache, daß er nun doch von ihm getrennt worden war. Er hatte das Gefühl, sein Spiel verloren zu haben. Der Arkonide war unruhig. Er wußte nicht, was vor ihm lag. Besorgt fragte er sich, was in der Zwischenzeit mit Chirmor Flog geschehen war und wie dieser auf die hinter ihnen liegenden Ereignisse reagieren
39 würde. Er zweifelte nicht daran, daß der Neffe versuchen würde, den Zellaktivator an sich zu bringen. Doch dieser ruhte nicht mehr auf einer Metallplatte vor der Brust, sondern war mittlerweile in der Brust ver schwunden. Nur operativ konnte er wieder herausgeholt werden. Atlan wußte noch nicht, was er sagen sollte, wenn Chirmor Flog nach dem Aktivator fragte. Das wollte er von der jeweiligen Situation abhängig machen. Er konnte dem Neffen erklären, das eiförmige Gerät sein ihm abhanden gekom men, doch dann riskierte er, daß Chirmor Flog ihn in seiner Wut und Enttäuschung kurzerhand umbrachte. Unvorhersehbar aber war auch die Reakti on des Neffen, wenn er erfuhr, daß der Zel laktivator in der Brust des Arkoniden war. Die Scuddamoren führten Atlan in einen Raum, der etwa zwanzig Meter lang und zehn Meter breit war. Auch hier war er schon gewesen. Es war der größte Raum in der Pflanze. Er war vollkommen leer. Seine Wände waren besonders stark und schön ge masert. In diesem Raum war Atlan dem Nef fen begegnet. Die Scuddamoren ließen ihn allein. Er wartete. Er war überzeugt davon, daß Chirmor Flog in seinem Robotgestell herein kommen würde. Etwa eine halbe Stunde verstrich. Dann öffnete sich ihm gegenüber eine Tür. Un willkürlich richtete er sich auf. Seine linke Hand glitt zu der Stelle der Brust, unter der der Zellaktivator pulsierte. Doch Chirmor Flog kam nicht. An seiner Stelle trat ein kastenförmiger Roboter ein. Er lief auf vier kurzen Beinen. Mehrere Arme ragten aus dem Rumpf her vor. An der Oberseite des Kastens befanden sich mehrere Wahrnehmungsorgane. Das Ding eilte auf Atlan zu. Etwa zwei Meter vor ihm blieb es stehen. Es war nur etwa halb so groß wie er. Linsen, die an der Spitze von teleskopartigen Armen saßen, richteten sich auf ihn. »Ich bin Achtpforg«, erklärte der Roboter mit knarrender Stimme. »Ich bin der persön
40 liche Berater des Neffen Chirmor Flog. Ich kenne dich also. Ich weiß alles, was gesche hen ist, als du das letzte Mal hier warst, wenngleich du mich nicht gesehen hast.« »Wo ist Chirmor Flog?« fragte der Arko nide. »Warum spreche ich nicht mit ihm? Ich bin hier, weil ich ihm helfen soll. Ist sein Gesundheitszustand so schlecht, daß er sich nicht zeigen kann?« »Der Gesundheitszustand Chirmor Flogs wurde unmittelbar vor deiner Ankunft auf Säggallo so kritisch, daß er nicht mehr in der Lage war, die notwendigen Befehle zu ge ben. Ich, Achtpforg, sein Gersa-Predogg und persönlicher Berater, habe festgestellt, daß er geistig umnachtet war. Sein Tod stand un mittelbar bevor. In dieser Situation mußte ich alles tun, was möglich war, ihn zu ret ten.« »Was hast du getan?« fragte Atlan, als der Roboter nicht fortfuhr. Achtpforg schien der Ansicht zu sein, daß er bereits alles gesagt hatte, was notwendig war. Atlan konnte nicht beurteilen, ob der Roboter wirklich in der Lage gewesen war, den Gesundheitszu stand des Neffen richtig zu beurteilen, und ob er gar feststellen konnte, daß dieser gei stig umnachtet war. »Ich habe mich mit dem Zentrum der Schwarzen Galaxis in Verbindung gesetzt, um mich beraten zu lassen. Von dort erhielt ich den Rat, Chirmor Flog so schnell wie möglich nach Pthor bringen zu lassen.« »Nach Pthor?« fragte der Arkonide über rascht. Er glaubte, sich verhört zu haben. »Das Zentrum der Galaxis hofft, daß die Magier Chirmor Flog noch helfen können.« »Aber – wie hast du den Neffen dorthin gebracht? Hier in der Topeya-Wiege kann kein Raumschiff starten, ohne bemerkt zu werden.« »Ich habe Chirmor Flog heimlich zum Raumhafen bringen lassen. In einem Contai ner, der für Versorgungsgüter vorgesehen ist, habe ich ihn transportiert. Am Raumha fen hat niemand etwas bemerkt. Chirmor Flog gelangte an Bord eines Raumschiffs. Er hat Säggallo längst verlassen.«
H. G. Francis Der Unsterbliche war fassungslos. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht da mit, daß der Neffe nicht mehr auf diesem Planeten weilte. Du weißt jetzt, weshalb viele Entschei dungen nicht gefällt wurden, und weshalb Wartezeiten entstanden sind. Schlagartig wurde dem Arkoniden alles klar. Chirmor Flog hat sich nicht seltsam ver halten. Er konnte gar nicht reagieren, weil er nicht da war. »Und was geschieht jetzt?« fragte der Ar konide. »Warum bin ich hier? Was ist mit den anderen Heilkundigen? Wo sind Sie? Unter den Gefangenen am Raumhafen geht das Gerücht um, daß sie alle umgebracht worden sind.« »Für ein organisches Wesen wäre dies vermutlich die Stelle, an der es lachen wür de«, erwiderte Achtpforg. »Ich bin kein or ganisches Wesen. Ich bin ein Gersa-Pre dogg, und ich kann nicht lachen. Deine Be fürchtungen sind absurd. Selbstverständlich wurde kein einziger der sogenannten Le bensverlängerer getötet. Das widerspräche jeder Logik, da es doch darum geht, das Le ben des Neffen um jeden Preis zu erhalten. Sie sind alle nach Pthor gebracht worden, damit sie dem Neffen helfen können, falls sich das als notwendig erweisen sollte.« »Dann werde auch ich nach Pthor ge bracht?« Atlan zögerte, bevor er den Namen des Dimensionsfahrstuhls aussprach. Er tat so, als habe er ihn nie zuvor gehört. »Auch du kommst nach Pthor«, antworte te der Roboter. »Noch heute.« »Warum hat man mich dann erst hierher gebracht? Warum sind wir nicht am Raum hafen geblieben und gleich von dort gestar tet?« »Diese Frage kannst du dir auch selbst be antworten. Niemand auf Säggallo soll wis sen, daß der Neffe nicht mehr hier ist. Du siehst, welches Chaos bereits dadurch ent steht, daß einige Entscheidungen nicht ge troffen worden sind. Die schwarzen Scudda moren greifen uns an. Wir vermuten, daß
Aufstand der Scuddamoren Artin, ihr Kommandant, nach Säggallo zu rückgekehrt ist, obwohl sich dafür mathema tisch nur geringe Wahrscheinlichkeitswerte ergeben. Wenn die Scuddamoren unter dem Kommando von Skaddos wüßten, daß der Neffe auf Pthor ist, würden sie vielleicht den Gehorsam verweigern und nicht mehr kämp fen.« Atlan hatte Mühe, seine Freude zu verber gen. Er jubelte innerlich. Es zog ihn nach Pthor zu den Freunden zurück, und er war überzeugt davon, daß Chirmor Flog dort nicht die ersehnte Heilung finden würde.
* Razamon ging zur Tür und öffnete sie ganz. »Was nun?« fragte Axton-Kennon. »Gehen wir von Bord, oder bleiben wir hier?« »Ich schlage vor, daß wir zunächst versu chen, das Schiff an uns zu bringen«, erwi derte der Berserker. »Die Besatzung ist nicht sehr groß. Wir haben eine Waffe. Damit können wir uns einen nach dem anderen schnappen und einsperren.« »Und dann?« »Dann müssen wir uns mit denen da drau ßen einigen. Unser Ziel ist, Chirmor Flog das Leben schwer zu machen. Dazu müssen wir mit seinen Helfern zusammenarbeiten.« Axton nickte. Er war der gleichen An sicht, hätte es jedoch vorgezogen, die WAR QUIENT auf dem gleichen Weg zu verlas sen, auf dem er in sie eingedrungen war. Die beiden Freunde traten auf den Gang hinaus. Hier hielt sich niemand auf. Raza mon schloß die Tür hinter sich. Er wußte, daß der Truge nun keine Möglichkeit mehr hatte, sich mit den anderen Besatzungsmit gliedern in Verbindung zu setzen. Das Arm bandfunkgerät hatte er ihm abgenommen. Er warf es in einen Abfallschacht. Als sie die Stelle erreichten, an der Axton vorher einen Trugen hatte arbeiten sehen, zögerte Razamon plötzlich. »Was ist los?« fragte der Terraner.
41 Der Berserker zeigte auf den Schaltka sten, der noch nicht wieder geschlossen war. »Hier hat jemand gearbeitet«, erwiderte er. »Sogar eine Bodenplatte ist entfernt wor den.« Axton blickte verblüfft auf den Boden. Er sah, daß der Truge eine Platte gelöst hatte. Darunter lagen einige Kabelstränge und Rohre. »Ja – und?« »Ich habe eine Idee«, antwortete der Ber serker und lächelte vergnügt. »Mal sehen, ob es klappt.« Er kniete sich hin und griff nach einem Kabelstrang. Dieser ließ sich leicht herauslö sen. Er führte zum Schaltkasten und lief da nach hinter der Wandverkleidung weiter. Razamon öffnete das Schott, durch das sie gekommen waren, und entfernte daneben ei ne Wandplatte. »Hier ist der Strang«, erläuterte er und zog daran. Axton sah, daß die Kabel sich aus dem Boden hoben, und mit einem Mal be griff er. Er lachte. »Der Hocker hat dich auf die Idee ge bracht«, sagte er. »Du willst jemandem so zusagen ein Bein stellen. Nun gut. Ich bin dabei.« Er eilte über den Gang davon und öffnete das nächste Schott, das etwa zehn Meter ent fernt war. Wenige Schritte dahinter befan den sich zwei Trugen. Sie arbeiteten am Be lüftungssystem. Offenbar machte sich die Besatzung wenig Sorgen über die Belage rung durch die Streitkräfte Chirmor Flogs. Man wartete gelassen ab. Der normale Schiffsbetrieb wurde nicht gestört. Routine arbeiten wurden wie gewohnt erledigt. Axton fuhr herum. Er tat, als ob er er schrocken sei, und er flüchtete auf den Gang zurück. Die beiden Trugen fielen auf den Trick herein. Sie rannten wortlos hinter ihm her. Da er sich nicht allzu schnell bewegte, mein ten sie, ihn bald einholen zu können. Als sie sich Razamon näherten, der im Seitengang verborgen war, zog dieser am Kabelstrang und hob ihn damit aus dem Bo
42 den heraus. Die beiden Trugen bemerkten ihn zu spät. Ihre Füße schlugen dagegen. Sie verloren das Gleichgewicht und stürzten zu Boden – Razamon vor die Füße. Der Berserker beugte sich nach vorn. Er hielt den erbeuteten Energiestrahler in der Hand. Damit schlug er zweimal kräftig zu. Er traf die beiden Trugen am Kopf und be täubte sie. Axton kehrte lächelnd zu ihm zurück. »Das erinnert mich an Jugendstreiche, die andere gemacht haben, und an denen ich mich nie beteiligen konnte«, sagte er. Razamon blickte ihn erstaunt an. »Du konntest dich nicht beteiligen? Wa rum nicht?« Das Gesicht Axtons verdüsterte sich. Sei ne gute Laune verflog. Razamon begriff. »Entschuldige«, sagte er. »Daran habe ich nicht gedacht.« Axton-Kennon hatte eine schwere Jugend gehabt. Aufgrund seines verkrüppelten Kör pers waren ihm viele Dinge unmöglich ge wesen, die für andere Kinder selbstverständ lich gewesen waren. »Faß mit an«, bat der Berserker. »Wir bringen sie zu dem anderen.« Die beiden Männer schleiften die betäub ten Trugen über den Boden bis zu jenem Raum, in dem Razamon vorher gefangen war. Der Berserker stellte sich der Tür gegen über an die Wand. Er richtete die entsicherte Energiestrahlwaffe auf die Tür. »Vorsicht«, sagte er. »Unser Freund könnte mittlerweile wach geworden sein.« Axton öffnete die Tür. Der Truge warf sich ihm entgegen. Er wich jedoch augenblicklich zurück, als er die Waffe in der Hand des Berserkers be merkte. »Gut, daß du wieder munter bist«, sagte Axton-Kennon belustigt. »Mir sind die bei den Burschen sowieso zu schwer. Komm, Freund, trage sie zu dir in die gute Stube.« Zögernd gehorchte der Truge. »Wir brauchen unsere Kräfte für drau ßen«, erklärte der Terraner, als sich die Tür
H. G. Francis wieder geschlossen hatte. »Auf Säggallo herrschen fast zwei g. Das fordert einem al lerhand ab.« Axton eilte zu der Stelle zurück, an der sie die beiden Trugen überwältigt hatten. »Mal sehen, ob ich noch jemanden in die Falle locken kann«, sagte er und bog in den Gang ein. Er sah vier humanoide Wesen. Sie waren noch größer als die Trugen. Einer von ihnen erreichte mit dem Kopf fast die Decke des Ganges, die über zweieinhalb Meter hoch war. Die Fremden wirkten zerbrech lich. Sie hatten Stielaugen, die etwa zwei Zentimeter weit vorstanden. Sie trugen sch lichte Uniformen, die einen Teil ihrer mit grauen Borsten überzogenen Arme und Beine frei ließen. Furchtlos ging Axton auf sie zu. Sie stan den an der Stelle, an der die beiden Trugen gearbeitet hatten. Als der Terraner sie fast erreicht hatte, blieb er stehen und hustete. Sie fuhren erschreckt herum. Einer von ihnen schrie einen Befehl. Er griff zur Waffe. »Nicht«, rief Axton. »Ich bin unbewaff net.« Er wich rückwärts schreitend vor den Ku nen zurück. Diese folgten ihm langsam und zögernd. Ihre Stielaugen waren auf ihn ge richtet. Axton näherte sich dem versteckten Razamon. Er wußte, daß dieser nur eine Chance hatte, die Kunen zu überwältigen, wenn sie liefen. Deshalb drehte er sich um, und rannte so schnell er konnte davon. »Ich schieße«, brüllte einer der Kunen. »Bleib stehen.« Der Terraner blickte zurück. Erleichtert sah er, daß die humanoiden Wesen ihm mit weit ausgreifenden Schritten folgten. Er dachte nicht daran stehenzubleiben. Seinen Verfolgern erging es nicht anders als vorher den Trugen. Razamon ließ den Kabelstrang hochschnellen und brachte sie damit zu Fall. Dann stürzte er sich auf sie und entwaffnete sie. Zornig schreiend sprangen sie auf, grif fen ihn jedoch nicht an, da er mit einem Energiestrahler auf sie zielte. Eine der er beuteten Waffen warf er Axton zu. Dieser
Aufstand der Scuddamoren fing sie auf und dirigierte die Gefangenen damit zu dem Raum, in dem die Trugen ein gesperrt waren. »Jetzt sind nur noch wenige übrig«, sagte Razamon. »Die schnappen wir uns direkt. Komm mit.« Als sie das offene Kabel erreichten, das sich als so hilfreich erwiesen hatte, erschüt terte eine schwere Explosion das Schiff. Se kundenbruchteile später heulte eine Alarmpfeife auf. Schreie hallten durch den Organraumer. Bestürzt blickten die beiden Männer sich an. »Die Scuddamoren stürmen das Schiff«, sagte Axton. »Die Waffen weg.« Er schleuderte den Energiestrahler von sich. Razamon ließ seine Waffe in das Loch im Boden fallen. Die beiden Freunde waren sich dessen bewußt, daß sich die Lage plötz lich gefährlich verschärft hatte. Keiner von ihnen konnte sagen, wie die Scuddamoren reagieren würden, wenn sie sie sahen. »In den Maschinenraum«, sagte Axton. »Wir dürfen auf keinen Fall in die Kämpfe verwickelt werden.« Weit vor ihnen im Gang blitzte es auf. Danach krachte es ohrenbetäubend. Axton hörte die Schmerzensschreie von einigen Besatzungsmitgliedern. Eilig zog er sich mit dem Berserker in den Maschinenraum zu rück. Hier warteten sie. Der Kampf dauerte unerwartet lange. Fast eine Stunde verstrich. Immer wieder erzitter te das Schiff unter der Wucht von Explosio nen. Dann endlich wurde es ruhig. Axton zweifelte nicht daran, daß die Scuddamoren gesiegt hatten. »Ich verstehe nicht, daß die Besatzung sich so lange gewehrt hat«, sagte er. »Sie muß doch gesehen haben, daß sie weit unter legen ist. Selbst wenn es ihr gelungen sein sollte, die Scuddamoren von Bord zu ver treiben, kann sie das Schiff nicht starten.« Razamon zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur vermuten«, entgegnete er. »Es sind Männer, die Duuhl Larx treu erge
43 ben sind. Sie wollen Chirmor Flogs Leuten nicht unterliegen. Sie wehren sich bis zum bitteren Ende, weil es für sie kein Zurück mehr gibt. Als Gefangene Chirmor Flogs wird es ihnen denkbar schlecht ergehen, und zu Duuhl Larx können sie nach diesem Zwi schenfall auch nicht so ohne weiteres zu rück. Sie müssen damit rechnen, hart be straft zu werden, weil sie sich haben über rumpeln lassen.« Axton nahm den Gurt mit dem Schirm feldprojektor ab und versteckte ihn unter der Kleidung. Er wollte den Projektor nicht an Bord lassen. Kurz darauf betraten fünf Scuddamoren den Maschinenraum. Razamon und Axton standen vor einem Generator. Sie hoben die Hände, um anzuzeigen, daß sie nicht kämp fen wollten. »Ich bin der Gefangene«, erklärte Raza mon. »Ich konnte mich mit Hilfe meines Freundes befreien. Wir wollten gerade von Bord gehen, als Sie mit Ihrem Angriff be gannen. Wir sind froh, daß sie hier sind. Das erspart uns viele Mühen.« »Kommt mit«, befahl einer der Scudda moren. »Laßt euch nicht einfallen, wegzu laufen. Wir schießen wenn ihr nicht ge horcht.« »Wir denken gar nicht daran, wegzulau fen«, entgegnete der Berserker. »Ich habe Nachrichten für Chirmor Flog.« »Das hat Zeit.« Razamon und Axton gingen an den düste ren Gestalten vorbei und verließen den Ma schinenraum. Die Scuddamoren führten sie zu einer Schleuse, vor der ein Panzergleiter schwebte. Sie betraten die Maschine und fühlten augenblicklich, wie die Last der ho hen Schwerkraft von Säggallo sie erfaßte. Axton sah, daß die WARQUIENT brannte. Roboter waren dabei, das Feuer zu löschen. Der Gleiter startete und flog zu einem der Gebäude am Rand der Start und Landebahn. Scuddamoren betraten die Maschine, als sie gelandet war, und holten Axton und Raza mon heraus. Sie gaben ihnen zu verstehen, daß sie sie als Gefangene betrachteten. We
44 nig später betraten die beiden Freunde eine Halle, an deren Seitenwänden sich zahlrei che Nischen befanden. Diese erhoben sich wie Bienenwaben übereinander. Axton zähl te sieben Gefangene, die sich darin aufhiel ten. Die Tür schloß sich hinter ihnen. »Geändert hat sich eigentlich nichts«, sag te Razamon. »Ich war Gefangener in der WARQUIENT, und ich bin es jetzt auch hier.« Einer der anderen Gefangenen kam auf sie zu. Er war humanoid, hatte jedoch einen Vogelkopf mit seitlich sitzenden Augen und einem etwa dreißig Zentimeter langen und spitzen Schnabel. Er wirkte leicht und zer brechlich. Axton wunderte sich, daß er sich so mühelos bewegte. Er glaubte nicht, daß dieses Wesen von Säggallo stammte, son dern von einer Welt mit wesentlich geringe rer Schwerkraft. Doch das konnte täuschen. »Seid mir willkommen, Heilkundige«, sagte das Wesen mit krächzender Stimme. Es strich sich die Federn glatt, die seinen Kopf bedeckten. »Ihr seht aus wie jener, der heute zu Chirmor Flog aufgebrochen ist. Wollt ihr mir nicht sagen, von welcher Welt ihr kommt?« Razamon und Axton blickten sich an. Sie wußten nicht, was sie von den Worten des Vogelwesens halten sollten. »Wir sehen aus wie der andere?« fragte Axton-Kennon. Der Kosmokriminalist spür te, daß diese beiläufig erscheinende Bemer kung wichtig für ihn war. »Wie sah der an dere denn aus? Doch nicht genau so wie wir?« Das Vogelwesen öffnete den Schnabel. Es lachte mit menschlich klingender Stimme. »Nein, natürlich nicht«, erwiderte es. Die anderen sechs Gefangenen kamen neugierig heran. »Er hatte weißes Haar, das ihm bis auf die Schultern herabreichte. Seine Augen waren rötlich, und sie tränten, wenn er erregt war.« »Atlan«, entfuhr es dem Berserker. »Das muß Atlan gewesen sein.« »Er nannte sich Atlan«, bestätigte das ge-
H. G. Francis fiederte Wesen und lachte abermals. »Ich wußte doch, daß ihr etwas mit ihm zu tun habt.« »Wo ist Atlan?« fragte Axton. »Bei Chirmor Flog. Vielleicht rettet er ihm gerade jetzt das Leben.«
8. Geheimnisvolle Dreiecke Artin hatte Mühe, seine Befriedigung zu verbergen. Im Überschwang der Gefühle wäre er am liebsten von einem seiner Unter gebenen zum anderen gelaufen, um ihm sei ne Freude mitzuteilen. Die schwarzen Scuddamoren zerschmet terten den Widerstand der Streitkräfte, die Skaddos aufzubieten hatte. Das Eingangs schott war durchstoßen. Die schwarzen Truppen näherten sich der TopeyaWiege. Die Scuddamoren in roten Energieschilden fluteten zurück. Sie leisteten kaum noch Wi derstand. Artin beschloß, unter diesen Umständen auf den Einsatz des Programmschlüssels zu verzichten. Den wollte er sich als großen Überraschungseffekt bis zum Schluß aufhe ben. »Wir starten«, befahl er. »Ich will die Fe stung endlich wieder betreten.« Stero gab den Befehl an den Piloten des Gleiters weiter. Die gepanzerte Maschine stieg auf. Sie verharrte einige Sekunden lang über dem Felsplateau, auf dem sie gestanden hatte, dann schoß sie vorwärts und senkte sich kurz darauf in die Schlucht. Artin ging nach vorn zum Piloten. Er blickte durch die Fenster hinaus. Die Gebäu de vor dem großen Schott zur Topeya-Wie ge brannten. Überall lagen ausgeglühte Glei ter und Raumschiffswracks. Die Raumschif fe gehörten zu einem Typ, mit dem Starts in den Weltraum und Operationen am Rand der Atmosphäre möglich waren. Niemand hätte mit ihnen in die Weite des Alls entfliehen können. Und jetzt war es ohnehin zu spät für Skaddos oder irgend jemanden anderen, der sich absetzen wollte. Der Panzergleiter des Kommandanten landete vor dem großen
Aufstand der Scuddamoren Schott. Etwa fünfzig Scuddamoren in schwarzen Energieschilden bewachten es. Sie stellten sich augenblicklich in militäri scher Ehrenordnung auf, als sie Artin sahen. Sie wollten ihm damit ihren Respekt erwei sen. Artin fühlte sich geschmeichelt. Er sprach einige lobende Worte zu ihnen, bevor er die Topeya-Wiege betrat. Auch hier wa ren die Spuren der schweren Kämpfe allge genwärtig. Kampfroboter führten eine Grup pe von Scuddamoren ab, denen man die Pro jektoren für die roten Energieschirme ge nommen hatte. Gleichgültig betrachtete Ar tin die bleichen Gestalten, die unter den Schilden verborgen gewesen waren. Es wa ren unförmige, unbeholfen wirkende Kreatu ren. Sie wirkten abstoßend auf ihn, obwohl er selbst nicht viel anders aussah. Einige von ihnen bewegten sich auf zwei Beinen, andere auf tentakelähnlichen Extre mitäten, als ob sie Abkömmlinge von Kra ken seien. Das waren sie jedoch nicht. Artin wußte, daß sie in einem gesteuerten Meta morphoseprozeß zu dem geworden waren, was sie jetzt waren. »Bringt sie zum Raumhafen«, befahl der Kommandant. »Wir werden sie umerziehen, damit sie in Zukunft wissen, wem sie zu ge horchen haben.« Dann wandte er sich an seinen Stellvertre ter Stero, der ihm gefolgt war. »Ich will Skaddos haben«, sagte er. »Schafft ihn mir her.« »Er soll bei der Topeya-Blüte sein«, erwi derte Stero. »Unsere Truppen sind nur noch zweihundert Meter von ihr entfernt, und wir sind sicher, daß wir sie bald erobert haben.« »Wir müssen vorsichtig sein«, erwiderte Artin. »Falls Skaddos ihn nicht ermordet hat, muß der Neffe in der Blüte sein. Wir dürfen ihn auf keinen Fall gefährden.« »Skaddos leistet uns bei der Blüte den größten Widerstand«, stellte Stero fest. »Überall sonst finden nur noch kleine Ge fechte statt. Der Gegner weicht überall zu rück, nur nicht bei der Blüte.« »Also gut«, sagte Artin. »Ab sofort stop pen wir den Vormarsch an allen anderen
45 Fronten. Wir konzentrieren alle Kräfte auf die Blüte, sonst halten wir nur die Stellun gen, die wir erobert haben.« »Ich habe verstanden«, antwortete der Stellvertreter. »Großoffensive auf die Tope ya-Wiege.« »Skaddos will ich lebend«, sagte Artin. »Mit ihm will ich gesondert abrechnen.«
* Der Boden zitterte und schwankte unter den Füßen des Arkoniden. Die Druckwellen der Explosionen erschütterten die Blüte, die Chirmor Flogs Reich gewesen war. Für Atlan war klar, daß die Kämpfe nicht mehr lange dauern würden. Der Gersa-Predogg Achtpforg zog sich wortlos aus dem Raum zurück. Zugleich tra ten zwei Scuddamoren ein. Sie führten Atlan in den Raum, in dem Kerttel auf ihn wartete. Dieser befand sich in einem beklagens werten Zustand. Atlan sah in erst, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Kerttel steckte bis zu den Hüften in der Wand. Er war bleich, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Kerttel«, rief der Arkonide bestürzt. »Was ist geschehen?« »Diese Bestie«, erwiderte er keuchend. »Dieses Ungeheuer.« Er trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. Er war völlig hilflos. Die Pflanze hat te ihn bis zur Hüfte verschlungen, und er konnte sich nicht mehr aus ihr lösen. Atlan sah sich nach einem Werkzeug um, mit dem er Kerttel befreien konnte. Er fand nur einen Hocker, versprach sich jedoch nicht viel von ihm. Dennoch nahm er ihn auf und schmetterte ihn mit voller Kraft gegen die Wand. Doch diese hatte sich so verhär tet, daß der Hocker daran zersplitterte. Atlan sank vor dem Zwerg auf die Knie. Er legte ihm die Hände an die Schultern und blickte ihn mitfühlend an. »Was ist geschehen?« fragte er abermals. »Das Biest hat mich gehört«, erklärte Kerttel und wehrte sich verzweifelt gegen
46 die Pflanze, die ihn wie ein Sumpf aufsog. Atlan konnte deutlich erkennen, daß der Körper des Zwerges langsam in der Wand versank. »Ich wollte den Raum verlassen. Ich wollte Chirmor Flog suchen. Er sollte mir meine Augen wiedergeben.« Der Arkonide glaubte, sich verhört zu ha ben. Unter dem Eindruck der Qualen, die er litt, schien der Zwerg den Verstand verloren zu haben. »Chirmor Flog ist nicht mehr auf Säggal lo«, sagte Atlan. »Er hat den Planeten ver lassen. Wir werden ihm folgen.« Kerttel schüttelte den Kopf. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Ich nicht mehr, Freund«, erwiderte er flüsternd. »Ich war so töricht, laut zu reden. Die Pflanze hat mich gehört. Sie hat mich dafür bestraft.« »Was ist mit deinen Augen, Kerttel?« »Chirmor Flog hat sie gestohlen.« »Ich weiß, aber ich weiß nicht, wie so et was möglich ist. Du hast noch Augen. Wie so kann er sie gestohlen haben?« »Er hat es getan«, erklärte der Zwerg, der jedes Wort aus sich herauszwingen mußte. »Er wollte die Vollkommenheit.« Atlan war ratlos. Er wußte nicht, wie er dem Gequälten helfen sollte. Narr – du kannst ihm nicht helfen, stellte der Extrasinn fest. Die Pflanze gibt ihn nicht mehr frei. Sie ist der engste Verbündete Chirmor Flogs. Stelle dich nicht gegen sie. Du würdest sie nicht lebend verlassen. Kon zentriere dich auf das, was er über seine Au gen gesagt hat. Es könnte wichtig sein. Er hatte dreieckige Pupillen, ebenso wie das Mädchen mit dem goldenen Gesicht. Kerttel war bis zur Brust in der Wand ver schwunden. Auch seine linke Hand steckte im pflanzlichen Material. Die Topeya-Wie ge sog ihn gnadenlos in sich auf. »Erzähle mir von deinen dreieckigen Pu pillen«, bat Atlan leise. »Ich muß wissen, was sie sehen. Warum hat Chirmor Flog sie dir gestohlen? Was sieht er jetzt damit? Was, Kerttel?« Kerttel blickte ihn mit geweiteten Augen
H. G. Francis an. »Du weißt alles«, erwiderte er. »Ja, es stimmt. Es sind die dreieckigen Pupillen, die der Neffe mir gestohlen hat. Damit hat er mich von meiner Welt ausgeschlossen. Ich kann nicht zu ihr zurück, weil ich den Zu gang zu ihr nicht mehr sehen kann.« Er verstummte. Seine Lippen zuckten. »Was sieht er mit diesen Augen, Kerttel?« forschte der Arkonide drängend. »Bitte, sage es mir. Was sieht er? Was macht diese Au gen für ihn so wichtig?« Kerttel versuchte zu antworten, doch in diesem Moment bildete die Topeya-Pflanze einen Pseudoarm. Dieser hob sich aus der Wand und legte sich über das Gesicht des Zwerges. Atlan sprang auf. Er packte den Arm und versuchte, ihn wegzubiegen. Er stemmte sich mit beiden Füßen gegen die Wand und setzte seine ganze Kraft ein, doch vergeb lich. Das pflanzliche Gebilde war stärker. Es drückte sich so fest gegen Kerttel, daß dieser erstickte. Der Zwerg versank nun rasend schnell in der Wand. Atlan konnte das Ende nicht aufhalten. »Mörder«, schrie er und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. »Das hättest du nicht tun dürfen.« Die Topeya-Pflanze antwortete, doch At lan verstand sie nicht. An der Wand bildeten sich zwei faust große Dreiecke. Sie sahen aus wie die drei eckigen Pupillen Chirmor Flogs. »Das ist nicht genug«, sagte der Unsterb liche. »Damit kann ich nichts anfangen. Ich muß mehr wissen. Was willst du mir mittei len?« Die Dreiecke verschwanden. Die Wand wurde wieder weiß, als sei nichts geschehen. Der Arkonide war ratlos.
* Lebo Axton versteckte den Projektor für den schwarzen Energieschild in einer der Nischen unter dem Bett. Dann zog er sich zu Razamon in eine der anderen Nischen zu
Aufstand der Scuddamoren rück. »Es ist besser, wenn ich das Ding nicht bei mir habe«, sagte er. »Wer weiß, wie die Scuddamoren reagieren, wenn sie es bei mir finden.« »Das Risiko müssen wir eingehen«, erwi derte der Berserker. »Ich bin der Meinung, daß wir so schnell wie möglich von hier ver schwinden sollten. Wir müssen uns einen Gleiter schnappen und damit zu Chirmor Flog fliegen. Wenn Atlan schon hier ist, dann müssen wir zu ihm. Und zwar bald. Morgen könnte es schon zu spät sein.« Ax ton lächelte. Er hatte Razamon selten so lan ge reden hören. Der Berserker pflegte sich sonst nur auf knappe Bemerkungen zu be schränken. Daß er nun so ausführlich wurde, zeigte an, für wie wichtig er es ansah, zu dem Arkoniden zu kommen. »Du meinst also, daß ich den Schild tra gen und weiterhin als Scuddamore auftreten sollte, sobald es uns gelungen ist, die Halle zu verlassen?« »Das ist unsere einzige Chance.« Die beiden Freunde diskutierten leise über die Schritte, die sie zu ihrer Befreiung unter nehmen wollten. Die anderen Gefangenen hatten das Interesse an ihnen weitgehend verloren. »Ich habe das Desintegratormesser noch«, sagte Axton. »Damit können wir die Tür öff nen, wann immer wir wollen.« »Bald wird es hell«, erwiderte Razamon. »Dann ist es zu spät.« Axton erhob sich wortlos. Er eilte zu der Nische, in der er den Projektor versteckt hat te, und holte das Gerät zurück. Er schnallte es sich um. Razamon gab er das Desintegra tormesser. Der Berserker nahm es dankbar entgegen. Er ging zur Tür. »He, he«, rief das Wesen mit dem Vogel kopf. »Ihr wollt doch wohl nicht verschwin den?« Es kam aus seiner Nische hervor und eilte zu ihnen. »Mir scheint, ihr wollt nicht zu Chirmor Flog«, stellte es mit krächzender Stimme
47 fest. Es legte den Kopf zur Seite und blickte Axton durchdringend mit einem Auge an. »Gerade dorthin wollen wir«, antwortete der Terraner. »Wir sehen jedoch nicht ein, daß wir wochenlang warten sollen. Wir ge hen sofort.« »Ich habe keine große Sehnsucht nach ihm, weil ich das Gefühl habe, daß meine Dienste nicht mehr benötigt werden«, erklär te das Vogelwesen mit so lauter Stimme, daß die anderen Gefangenen aufmerksam wurden. »Ich bleibe bei euch, jedenfalls bis wir draußen sind. Dann versuche ich, mich an Bord eines Schiffes zu schleichen. Ich werde euch nicht zur Last fallen.« »Von mir aus«, sagte Razamon. Ihm wäre es lieber gewesen, die anderen Gefangenen hätten ihren Fluchtversuch nicht bemerkt. Jetzt war es zu spät. Er konnte niemanden abweisen, weil dann die Gefahr bestand, daß die Zurückgewiesenen sie verrieten. Die übrigen sechs Gefangenen verließen die Nischen und kamen heran. Axton er mahnte sie, ruhig zu sein, als sie allzu laut fragten, was los war. Keiner von ihnen ver spürte noch Lust, zum Neffen gebracht zu werden. Alle glaubten, daß es ein Flug in den Tod sein würde. Sie wollten lieber das Risiko auf sich nehmen, bei einer Flucht an Bord eines Raumschiffs gefaßt und danach abgeurteilt zu werden. Das erschien ihnen immer noch besser, als Chirmor Flog ausge liefert zu sein. »Ich öffne die Tür«, erklärte Razamon. »Danach stürzen wir uns auf die Wachen, die wahrscheinlich draußen stehen.« Er schaltete das Desintegratormesser ein. Das blasse Energiefeld senkte sich in die Tür und zerstörte lautlos alles, was es be rührte. Die Verschlußelektronik fiel aus. Leise klickend löste sich das Schloß. Lebo Axton, der den Schirmfeldprojektor eingeschaltet hatte, öffnete die Tür und ver ließ die Halle. Draußen war es dunkel. Keine Lampe er hellte das Vorfeld der Halle. Axton blieb stehen und sah sich um, als er sich einige Schritte von der Tür entfernt hatte.
48 »Es ist keine Wache da«, rief er den ande ren mit gedämpfter Stimme zu. »Ihr könnt herauskommen.« Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Scuddamoren den Wachdienst so nachlässig versehen würden. Die Schattenwesen schie nen der Ansicht zu sein, daß die Gefangenen absolut sicher in der Halle aufgehoben wa ren. Axtons Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Ihm fiel auf, daß nur noch wenige Gleiter vor den Gebäuden parkten. Der Raumhafen machte einen fast verlasse nen Eindruck, obwohl noch mehrere Raum schiffe auf dem Start und Landefeld standen. »Es sieht aus, als ob die Scuddamoren ab gezogen sind«, sagte Razamon. Die anderen Gefangenen verabschiedeten sich leise von Axton und dem Berserker und hasteten in verschiedenen Richtungen da von. »Komm«, sagte Axton. »Wir nehmen den Gleiter dort drüben vor dem Hauptgebäude. Hoffentlich ist in seiner Elektronik verzeich net, wo der Stützpunkt Chirmor Flogs ist, sonst muß ich in den zentralen Computer raum und mir dort die nötigen Informationen holen.« Er schaltete den Energieschild aus, weil er es unter den gegebenen Umständen als über flüssig ansah, sich zu tarnen. In diesem Mo ment griffen die anderen Gefangenen an. Sie schnellten sich aus dem Dunkel heraus auf die beiden Freunde und warfen sie zu Bo den. Axton schlug wild um sich. Er wollte den Energieschild wieder einschalten, doch ein Schnabelhieb traf ihn an der Schläfe. Er verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, zeigte sich ein erster Silberstreif am Horizont. Axton brauchte einige Minuten, bis sich seine Be nommenheit so weit gelegt hatte, daß er sich wieder an das erinnerte, was geschehen war. Er wälzte sich herum. Einige Schritte von ihm entfernt lag Raza mon auf dem Kunststoffbeton des Lande felds. Er bewegte sich nicht. Axton kroch auf allen vieren zu ihm hin.
H. G. Francis Er rüttelte an seiner Schulter. Stöhnend schlug der Berserker die Augen auf. »Diese Hunde«, sagte er leise. »Sie haben uns betrogen.« Axtons Hand fuhr zum Bauch. »Der Gurt mit dem Energieschirmprojek tor ist weg«, berichtete er. »Sie haben ihn mir abgenommen. Sollen sie. Wir werden auch so klarkommen.« »Meinst du?« Razamon richtete sich müh sam auf. »Mir fehlt das Desintegratormes ser. Wir müssen verdammt viel Glück ha ben, wenn wir einen Gleiter ohne dieses Ding knacken wollen.« »Wir schaffen es«, sagte Axton eindring lich. »Wir müssen uns nur beeilen. Es wird bald hell. Wenn wir noch lange hier herum liegen, fischen die Scuddamoren uns auf und sperren uns wieder ein.« Razamon nickte. Er erhob sich. Ächzend legte er die Hände an den schmerzenden Schädel. »Diese Lumpen«, sagte er zornig. »Wir befreien sie aus diesem Loch, und sie haben nichts besseres zu tun, als uns eins über den Schädel zu geben und uns unsere Ausrü stung zu stehlen.« »Ich kann es ihnen nicht verdenken«, er widerte Axton gelassen, während sie durch die Dunkelheit zu einem kleinen Gleiter eil ten, der vor dem Zentralgebäude parkte. Sie hofften, daß er keine Panzerung besaß, so daß sie ihn aufbrechen konnten. »Sie haben eine schwierige Flucht vor sich. Seit Wo chen waren sie Gefangene. Sie haben nun al le Chancen genutzt, die sich ihnen boten.« »Dafür haben sie unsere Chancen dra stisch verringert, und daß paßt mir gar nicht«, sagte Razamon ärgerlich. Sie erreichten den Gleiter. Es war eine Maschine, die nur zwei Insassen Platz bot. Sie war denkbar gut für Axton und Razamon geeignet. Vergeblich versuchte der Terraner, die Tür neben den Steuerelementen zu öffnen. Sie war zu gut gesichert. Razamon zögerte nicht lange. Er sah, daß
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in der Nähe einige Werkzeuge auf dem Bo den lagen. Er nahm eines von ihnen auf und zerschlug die Heckscheibe der Maschine. »Hoffentlich regnet es nicht«, sagte Axton. Er kletterte in die Kabine und setzte sich auf den Beifahrersitz. Razamon folgte ihm. Er sah, daß etwa hundert Meter von ihnen ent fernt fünf Scuddamoren aus einem der La gerhäuser kamen. Er ließ sich in den Sessel hinter den Steuerelementen sinken. »Noch haben sie nichts gemerkt«, sagte er leise, als könnten die Scuddamoren ihn hö ren, »aber das wird sich wohl gleich än dern.« Er schaltete das Triebwerk ein und starte
te. Der Gleiter gehorchte seinen Befehlen. Er stieg auf und beschleunigte. Lebo Axton blickte nach unten. Die Scuddamoren rea gierten nicht. Entweder hatten sie den Start nicht bemerkt, oder ihnen war völlig gleich gültig, was mit der Maschine geschah »Besser hätte es nicht kommen können«, be merkte Razamon. »Sieh dir das an. Der Computer zeigt an, daß wir uns bereits auf dem Kurs zur Topeya-Wiege und damit zu Chirmor Flog befinden.«
ENDE
Weiter geht es in Band 437 von König von Atlantis mit: Duell der Symbionten von H. G. Francis