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Jan J.Moreno
Die falschen Portugiesen
Stumm blickte Patta den Fischerbooten nach. Sie verschwanden in ...
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Seewölfe 730 1
Jan J.Moreno
Die falschen Portugiesen
Stumm blickte Patta den Fischerbooten nach. Sie verschwanden in der sternenklaren Nacht. Ein auffrischender Südwestwind zauberte Gischtkronen auf die Wellen und verwischte den silbernen Schimmer des Mondlichts. Eins der Boote war die Jolle der Engländer. Noch erschien es nicht zu spät, Dan zurückzuhalten. Patta hätte ein schnelles Boot nehmen und ihm nachsegeln können - sie tat es nicht, denn Dan O'Flynn war nach Malakka gekommen, um seine Freunde vor dem Scheiterhaufen zu retten. Nur das zählte für ihn. Das Fischermädchen schloß für einen Moment die Augen und seufzte. Ich wünsche dir Glück! dachte sie. Bisher hat jeder von uns, der die Hand oft gegen die Portugiesen erhob, mit dem Leben bezahlt… Die Hauptpersonen des Romans: Clint Wingfield – der Moses der Arwenacks beweist, daß er ein pfiffiges Bürschchen ist. Edwin Carberry – der Profos sieht auch als portugiesischer Offizier zum Fürchten aus. Dan O'Flynn – sonst eher gelassen, hat er jetzt seine liebe Not, nicht aus der Haut zu fahren. Sam Roskill – beweist einmal mehr, daß er ein verwegener Draufgänger ist, vor allem dann, wenn es gilt, Kameraden zu befreien. Philip Hasard Killigrew – handelt nach seiner Devise: Kühl abwarten, Nerven behalten und im richtigen Moment zuschlagen.
1. „Die Landluft hat Dan nicht gut getan“, sagte Bill spöttisch. „Wird Zeit, daß er sich wieder eine Seebrise um die Nase wehen läßt. So blaß war er lange nicht mehr.“ Dan O'Flynn überhörte die Bemerkung geflissentlich. In sich zusammengesunken, kauerte er auf der Mastducht und starrte über die Wellen. Seine Mundwinkel zuckten unablässig. Bill seufzte ergeben und fuhr fort, der vor seinen Füßen kauernden Wolfshündin Plymmie den Nacken zu kraulen. Fragend wandte er sich an Don Juan: „Ein Jammertal ist diese Welt, ein Elend ohnegleichen. Was hat Dan?“ Das Segel begann zu killen. Sofort fiel Don Juan de Alcazar etwas vom Kurs ab. Die Küste und mit ihr die Lichter der Stadt Malakka verschwanden achteraus. Die Pfahlbauten von Tanjong waren schon lange nicht mehr zu sehen. Dort, entlang des Kanals zwischen Fluß und Meer, herrschte undurchdringliche Finsternis.
„He, Senor, redest du nicht mehr mit jedem?“ Bill wollte es nun offenbar wissen. Ihm war anzusehen, daß er sich in der stummen Gesellschaft unbehaglich fühlte. „Bin ich aussätzig, oder was ist los?“ „Du solltest einfach nur die Klappe halten“, schnaubte Dan. „Holla! Dem Herren ist eine Laus über die Leber gel ...“ „Bill!“ sagte der Spanier scharf und winkte ab. „Laß ihn in Ruhe. Dan hat Liebeskummer.“ „Das sieht ein Blinder“, entgegnete Bill – mit dem Erfolg, daß Dan aufsprang und am liebsten mit den Fäusten auf ihn losgegangen wäre. Plymmie knurrte zwar drohend, konnte sich aber nicht entscheiden, wen sie verteidigen sollte. Schließlich erhob sie sich und hinderte Dan daran, Bill eins auf sein „loses Mundwerk“ zu geben. Genau das wollte Dan O'Flynn nämlich tun. „Dich erwischt es auch schon mal, du Maulheld!“ rief Dan wütend. „Aber dann
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laß dir ja nicht einfallen, mich um Rat zu bitten.“ Bill grinste schief, gerade so, als könne ihm das nie passieren, oder als dürfe er in Liebesdingen längst auf die Erfahrung aller Arwenacks zurückgreifen. Don Juan räusperte sich verhalten. „Amors Pfeile sind spitz“, sagte er. „Und manchmal treffen sie ungezielt.“ Dan wandte sich derart heftig um, daß die Jolle, obwohl sie gut am Wind lag, zu schwanken begann. „Willst du damit behaupten, alles sei nur ein Strohfeuer, Senor?“ Der Spanier zuckte mit den Schultern. „Ich kenne Patta nicht näher, folglich kann ich mir kein Urteil erlauben.“ „An Männerknappheit wird es wohl nicht liegen, daß sie ausgerechnet mit Dan die letzte Nacht verbracht hat“, bemerkte Bill spitz. „Portugiesen sind genug da, außerdem habe ich mir sagen lassen, daß sie bei den malaiischen Mädchen ihre Ehefrauen vergessen. Man sieht es an der Zahl der Bastarde in Malakka.“ Dan hatte sich vorübergehend am Mast festgehalten und ließ sich nun schwer auf die Ruderbank fallen. Er wandte Bill den Rücken zu und strafte ihn mit Nichtbeachtung. Lediglich ein tiefgründiges „Neidhammel“ stieß er grollend hervor. Plymmie streckte sich wieder aus. Sie spürte, daß die Spannung zwischen den beiden Arwenacks rasch abebbte, und legte den Kopf auf die Vorderpfoten. Nur hin und wieder blinzelte sie schläfrig in die fahle Helligkeit der Laterne, deren flackernder Schein das Segel mit seltsamen Reflexen überzog. Mittlerweile waren die Fischerboote weit genug draußen. Die ersten Netze klatschten ins Wasser. Im Schein der Fackeln und Palmöllampen zeigten sich silbrig schimmernde Fischleiber dicht unter der Oberfläche. „Ich denke, unsere Freunde bringen heute nacht einen guten Fang nach Hause.“ Don Juan drehte den Docht der kleinen Laterne zurück, die neben ihm auf der Achterducht stand.
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Es war an der Zeit, daß sie sich von den Fischern absetzten und das Versteck der Schebecke aufsuchten. Niemandem würde jetzt noch das Verschwinden eines Bootes auffallen. Die Portugiesen waren weit. Als nur noch ein winziger Funke hinter den matten Glasscheiben der Laterne schimmerte, legte der Spanier die Jolle vor den Wind. Der schemenhafte, kaum mehr zu erkennende Küstenstreifen an der Kimm wanderte nach Backbord. Ein mit ebenfalls drei Männern besetztes Boot kreuzte den Kurs der Arwenacks ein Dutzend Yards voraus. „Mögen eure und unsere Götter mit euch sein!“ hallte ein Ruf in leidlich verständlichem Portugiesisch herüber. Die Stimme übertönte gerade das Rauschen der Bugwelle und das Knarren des Riggs. Obwohl er die Gesichter nicht erkannte, wäre Don Juan zu schwören bereit gewesen, daß entweder Puhan oder Pang gerufen hatte. Wenn man sie nicht sah, nur hörte, waren die beiden schwer auseinanderzuhalten. Bill winkte dem abdrehenden Fischerboot hinterher. Dann waren sie endgültig allein. Die Lichtpunkte der Fackeln und Lampen hinter ihnen, die wie ein Schwarm Glühwürmchen über dem Meer hingen, wurden rasch kleiner und verschmolzen miteinander. Aber da war noch eine andere Helligkeit. An Steuerbord voraus. Bill hielt sie zunächst für einen tief stehenden Stern. Doch der anfangs winzige Fleck wurde größer, und als er zum zweitenmal für Augenblicke erlosch und danach scheinbar heller strahlte als zuvor, wußte Bill, daß er sich geirrt hatte. Er streckte den Arm aus und deutete in die Richtung. „Voraus an Steuerbord, da ist etwas.“ Dan O'Flynn wandte sich nur flüchtig um. „Die Sterne spiegeln sich im Meer. Oder sollten einige Seejungfrauen aufgetaucht sein, dich zu trösten, weil du sonst so wenig Glück in der Liebe hast?“ Bill hielt erst die Luft an und atmete dann prustend aus.
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„Du bist schon wie dein Alter“, erwiderte er. „Das kannst du ruhig als Kompliment auffassen.“ „Genau so hätte ich es auch verstanden.“ Dan lachte leise. Anschließend richtete er sich aber doch auf und spähte nach Steuerbord. Der vermeintliche Stern war wieder ein winziges Stück größer geworden. Schattenhaft ließ er die Umrisse von Segeln erkennen. „Das ist ein Schiff mit zwei oder drei Masten, wahrscheinlich eine Karavelle.“ Wieder bewahrheitete sich, daß Dan O'Flynn die schärfsten Augen der Crew hatte. Weder Don Juan noch Bill konnten die Karavelle als solche identifizieren. „Portugiesen?“ „Wer sonst? Glaubt ihr, daß sich außer uns noch andere Engländer in diesen Gewässern herumtreiben?” Don Juan dachte und fühlte seit langem wie ein Engländer, zumindest wie ein englischer Korsar. Die Greueltaten, die im Namen der spanischen Krone und der Christenheit in der Neuen Welt begangen wurden, hatten ihm die Augen über seine Landsleute geöffnet. Jetzt sah es danach aus, als griffen die Portugiesen im Bereich der Malakkastraße kaum weniger hart durch. Mit Feuer und Schwert festigten sie ihre Positionen entlang der Küsten und scheffelten den Reichtum, der sich aus ungezählten Schiffsladungen mit den erlesensten Gewürzen ergab. Aber auch Gold, Zinn und andere wertvolle Dinge heimsten die Portugiesen ein, die das Land brutal ausbeuteten. „Egal, unter welcher Flagge die Karavelle segelt“, sagte Dan, „sie hält jedenfalls auf uns zu.“ „Die Crew kann uns unmöglich schon entdeckt haben.“ Don Juan stellte die nur noch glimmende Lampe unter die Achterducht. Nicht mal der fahlste Lichtschimmer drang über das Dollbord. Dan hatte inzwischen den Kieker aus dem Bugschapp geholt. Malaiische Fischer, als die sie sich verkleidet hatten, besaßen üblicherweise kein Fernrohr. Aber in der
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Nacht konnte niemand sehen, daß Dan ein Spektiv benutzte, und die Tarnung war ohnehin überflüssig geworden. Leise pfiff er zwischen den Zähnen hindurch. „Was ist?“ fragte Bill drängend. „Was siehst du?“ Ihre Meinungsverschiedenheit von eben war vergessen. Schließlich ging es um wichtigere Dinge. „Das Schiff ist ein Viermaster“, erklärte Dan. „Ich habe mich täuschen lassen, weil es nur unter Fock, Großsegel und Besansegel vor dem Wind liegt.“ „Einem Kahn dieser Größe sollten wir ausweichen“, sagte Don Juan. „Die fegen uns schon mit einer halben Breitseite vom Wasser, daß uns Hören und Sehen vergeht.“ Dan O'Flynn nickte zustimmend. „Ich halte die Karavelle ebenfalls für ein portugiesisches Kriegsschiff. Wahrscheinlich will der Kommandant Malakka anlaufen und ist nur infolge der Dunkelheit zu weit nach Osten geraten. Von der momentanen Position aus sieht auch der beste Ausguck kein Land.“ Knapp eine Meile betrug die Distanz noch. Der Viermaster fiel nach Backbord ab. Wahrscheinlich hatte der Kommandant oder einer der Offiziere inzwischen festgestellt, daß Malakka bereits achterlich lag. „Vorerst hat die Mannschaft genug mit sich selbst zu tun“, sagte Bill. „Uns halten sie hoffentlich für Fischer.“ Die Distanz schrumpfte bis auf eine halbe Meile. Dan, der unablässig durch den Kieker beobachtete, stellte fest, daß sich mindestens vierzig Mann an Deck befanden. Weitere Laternen wurden angesteckt. „Es sind Portugiesen. Sie führen die Farben Portugals im Topp.“ „Und sie bereiten sich darauf vor, in den Hafen von Malakka einzulaufen“, sagte Bill. „Dem Himmel sei's geklagt, aber mir gefällt die Sache nicht.“ „Keiner von uns kann daran etwas ändern“, erwiderte Don Juan. „Ein Schiff mehr vor Anker oder im Hafen – na und?“
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„Das bedeutet zweihundert Seeleute und Soldaten mehr in den Straßen.“ „Sie werden sich zuerst gründlich besaufen”, sagte der Spanier. „Jedenfalls die meisten von ihnen. Und danach suchen sie sich Frauen. Wenn mein Gefühl nicht täuscht, hat die Crew eine lange Reise über den Teich hinter sich. Entsprechend ausgehungert dürften die Kerle sein.“ „Ich frage mich“, murmelte Bill, _was Dan wohl unternimmt, wenn ...“ Als wäre er über seine eigene Äußerung erschrocken, fuhr er sich mit der Hand über den Mund und brach mitten im Satz ab. „Wenn was?“ fragte Dan O'Flynn sofort. „Nichts“, sagte Bill abwehrend. „Gar nichts. Vergiß es am besten.“ „Du meinst, daß Patta und die Portugiesen ...?“ Bill wurde verlegen und druckste plötzlich herum. „So genau weiß ich das natürlich nicht. Ich will nichts behaupten ...“ „... was du nicht beweisen kannst.“ Dan schob das Spektiv zusammen, daß es dabei fast zu Bruch ging. „Sieh dich vor, Mister, und hüte dich in den nächsten Nächten davor, mir hinterm Mast zu begegnen.“ Bill wußte, daß er zu weit gegangen war. Für die dumme Bemerkung hätte er sich selbst ohrfeigen können. Zudem war ihm nicht mal richtig klar, warum er Dan provozierte. Vielleicht, weil ihm das Fischermädchen Patta ebenfalls gefallen hatte? Er zwang sich, an andere Dinge zu denken. Das klare Wetter würde bleiben, momentan sah es jedenfalls nicht nach Regen aus. Die Karavelle steuerte jetzt Malakka an und fiel langsam hinter der Jolle zurück. Eine günstige Schußposition hatten die Portugiesen ohnehin nie innegehabt. Bald verschwand die von den Laternen ausstrahlende Helligkeit in der Ferne. * Aus dem Uferdickicht erklang ein leises Plätschern. Fische sprangen aus dem Wasser und holten sich ihren Anteil an den
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Schwärmen blutgieriger Insekten, deren Sirren das Mangrovengestrüpp erfüllte. Die winzige Bucht zwischen den Inseln lag so ruhig wie eh und je. Selten hatten sich Menschen hierher verirrt, denn die schmale Durchfahrt wies Untiefen auf, die ein sicheres Manövrieren erschwerten. Kein Portugiese würde vermuten, daß am Ende der Bucht ein Schiff vor Anker lag, ein schlanker, wendiger Dreimaster, dessen typisches Merkmal der weit vorragende Vorsteven war. Schiffe wie dieses hatten die Malakkastraßen noch nicht durchkreuzt. Arabisch-türkischen Ursprungs, wurden sie vorwiegend vor der algerischen Küste von Piraten gesegelt, gewannen aber zunehmend bei Franzosen und Portugiesen als Handelsschiff Bedeutung. Der vordere, stark bugwärts geneigte Pfahlmast sowie die erhöhte und weit ausladende Heckgalerie mit dem kleineren Besanmast waren weitere unverkennbare Merkmale der Schebecke. Der Name entsprang dem Wort „Chebec“, und das bedeutete soviel wie „kleines Schiff“, obwohl davon bei einer Länge bis zu 40 Yards und einer Breite von rund 10 Yards sowie außergewöhnlich guter Bestückung kaum noch die Rede sein konnte. Die Schebecke der Seewölfe – leider bis heute namenlos – verfügte je Seite über sechs Culverinen mit einer Rohrlänge von beachtlichen 3,70 Yards sowie vorn und achtern je zwei Drehbassen. Schon vor Tagen hatten die Seewölfe unter Philip Hasard Killigrew in die einsame Bucht verholt und harrten seitdem der Dinge, die da kommen würden. Viel zu tun gab es nicht mehr. Das Schiff war inzwischen gründlich überholt und sogar die Bilge gereinigt worden – wobei man völlig unerwartet ein Fäßchen Rum entdeckt hatte. Wie lange es im Salzwasser gelegen hatte, war unklar. Bis sich jeder an Bord davon überzeugt hatte, daß der Inhalt nicht wegen der unsachgemäßen Lagerung gelitten hatte, war von dem edlen Tropfen fast nichts mehr vorhanden.
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Edwin Carberry, der allen Ernstes behauptete, sich mit der letzten Suppe des Kutschers die Zunge verbrannt und deshalb keinen vernünftigen Geschmack mehr zu haben, staubte gerade noch einen halben Becher zusätzlich ab, ehe dem Spundloch nur noch das köstliche Aroma des Rums entwich. Sonst war an Bord der Schebecke herzlich wenig los. Lediglich die Mücken sorgten für Abwechslung. Jack Finnegan und Paddy Rogers gingen Wache, als das monotone Plätschern der Wellen entlang der felsigen Uferböschung lauter wurde. Auch der Rhythmus veränderte sich, als hätte plötzlich die Flut eingesetzt. „Seltsam“, murmelte Paddy Rogers. Im Denken war er keineswegs der schnellste. Außerdem war er kein Freund langer Reden oder großer Worte. Die Stirn in Falten gelegt, starrte er in die Nacht hinaus. An Bord der Schebecke waren alle Laternen gelöscht. Lediglich der Sternenschein und der Mond ließen die unmittelbare Umgebung des Schiffes erkennen. Die Arwenacks durften keinesfalls das Risiko eingehen, von zufällig vorübersegelnden Portugiesen entdeckt zu werden. Denn daß die Schebecke sogar am Ende einer einsamen unübersichtlichen Bucht nicht sicher war, hatten Dan, Bull und Don Juan bereits bewiesen. „Ist was?“ raunte Jack Finnegan. Er bemühte sich, leise zu sprechen, krächzte dabei aber, als hätte er soeben einen Frosch verschluckt. Paddy deutete außenbords. Mit beiden Händen ahmte er das Spiel der Wellen nach. Sein Freund legte die Stirn in Falten und kratzte nachdenklich den frisch geschabten Stoppelbart, der immer noch stachlig wie ein Kaktus wirkte. Das Kratzen, das dabei entstand, klang dementsprechend rauh. „Pst!“ sagte Paddy scharf. Er griff nach seiner Muskete, die er achtlos gegen das Schanzkleid gelehnt hatte, hob sie auf den Handlauf und spannte den Schlagbolzen.
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Diesmal sagte Finnegan eindringlich und mit überaus vorwurfsvollem Tonfall: „Pst!“ Sie lauschten in die Dunkelheit. Die Wachgänger auf Kuhl und Achterdeck hatten offenbar noch keine Veränderung bemerkt. Jack Finnegan trat nun ebenfalls ans Schanzkleid und berührte seinen Freund kurz an der Schulter. „Portugiesen?“ flüsterte er nahezu unhörbar, indem er nur die Lippen bewegte. Paddys Miene wirkte unwillig. Er hatte absolut nichts verstanden. „Sag's noch mal!“ knurrte er, bemüht, seine Stimme zu dämpfen. „Portugiesen?“ wiederholte Finnegan. Paddy Rogers schüttelte energisch en Kopf. „Glaub ich nicht, Jack.“ „Was dann?“ Höchstens noch dreißig Yards voraus zeichnete sich die vage Silhouette Bootes ab. „Das sind Malaien“, sagte Paddy Rogers. „Wir müssen die anderen wahrschauen.“ „Warte noch! Drei oder vier Kerle räumen wir doch spielend ab.“ Paddys dickliches Gesicht verzog zu einem vielsagenden Grinsen. „Da hast du recht“, bestätigte er. Die Burschen nehmen wir vierkant, bevor sie aufentern. Aber was ist, wenn ihnen weitere folgen?“ Jack Finnegan sah sich flüchtig um. Endlich waren Roger Brighton und Mac O'Higgins auf der Kuhl ebenfalls aufmerksam geworden. Gegen den fahlen Lichtschimmer, der aus dem achteren Niedergang fiel, war zu erkennen, daß Higgy unter Deck verschwand. Offenbar, um die Crew aus dem Schlaf zu purren. Im selben Moment erklang ein leiser Pfiff. Jemand hatte ihn zwischen den Zähnen hindurch ausgestoßen. Für Paddy war das der Beweis, daß weitere Malaien vor der Schebecke lauerten. Möglicherweise, das gestand er seinem Freund Jack zu, befanden sich auf dem Boot sogar Portugiesen. Die Halunken sollte der Blitz aus heiterem Himmel treffen.
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Wütend krümmte er den Zeigefinger um den Abzug der Muskete. Ein wenig bereute er den Umstand, daß er noch keine glimmende Lunte zur Verfügung hatte, denn beide vorderen Drehbassen waren mit gehacktem Blei geladen. Schon ein einziger Schuß hätte den Angreifern gezeigt, was sie von den Seewölfen zu erwarten hatten. Der unter anderen Umständen gutmütige Paddy Rogers sah sich schon als Held dieser Nacht. Egal, ob die Angreifer Portugiesen oder malaiische Piraten waren, er hatte sie bemerkt, und er würde dem ersten von ihnen gehörig eins auf den Pelz brennen. „Ar-we-nack!“ Der Ruf, gerade so laut, daß er auf der Schebecke zu hören war, ließ seine imposanten Vorstellungen wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er schluckte kräftig, brachte aber vor Überraschung keinen Ton hervor. Jack Finnegan war naturgemäß wieder mal schneller. „He, Paddy!“ rief er freudig. „Das sind Dan, Juan und Bill!“ Zugleich schlug er dem Freund die flache Hand zwischen die Schulterblätter. Das hätte er besser nicht getan. Paddy Rogers, von dem Schlag völlig überrascht, stieß gegen das Schanzkleid. Die aufgelegte Muskete schrammte über den Handlauf und wäre wohl ins Wasser gefallen, wenn – ja wenn er nicht geistesgegenwärtig fester zugepackt hätte. Instinktiv tat er das mit der rechten Hand, und dummerweise lag sein Zeigefinger nach wie vor am Abzug. Wann hätte er auch Zeit finden sollen, die Hand zurückzuziehen oder gar den Hahn mit dem Schwefelkies wieder in die Ausgangsstellung zu klappen? Die Folge war ein erschreckend lauter Knall, der noch dazu von beiden Ufern zurückgeworfen wurde. Funken zuckten aus der Mündung der Waffe in die Nacht. Jack Finnegan sprang einen Schritt zurück. „Du Idiot!“ fauchte er. „Willst du uns die Portugiesen auf den Hals hetzen?“
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„Warum?“ fragte Paddy, lehnte die Muskete wieder ans Schanzkleid und wandte sich aufreizend langsam, um. „Ich denke, das sind unsere Leute.“ „Natürlich sind sie es“, erwiderte Jack. „Aber vielleicht lauern die Portus in der Nähe. Den Seesoldaten ist nicht zu trauen.“ „Dann wären Dan, Bill und Juan jetzt nicht hier“, sagte Paddy Rogers mit einer Logik, die einfach keinen Widerspruch duldete. Jack und er standen sich in dem Moment wie rauflustige Kampfhähne gegenüber und funkelten einander wütend an. Das tagelange Nichtstun und Abwarten im Versteck ließ inzwischen wohl jeden gereizt reagieren. Außerdem setzte ihnen die bange Frage zu, ob es gelingen würde, Al Conroy, Stenmark, Smoky und Jan Ranse aus der Gewalt Albuquerques zu befreien. Vermutlich waren die Soldaten in Malakka darauf vorbereitet, daß die verhaßten Engländer versuchen würden, ihre Gefährten zu befreien, sobald sie von deren Schicksal erfuhren. „Wie kann man nur so dämlich sein, auf die eigenen Leute zu schießen?“ schimpfte Jack Finnegan. „Faß dich doch an die eigene Nase!“ entgegnete Paddy. „Du hast mich hinterrücks geschlagen – heimtückisch, muß ich sagen, weil du genau wußtest, was geschehen würde ...“ „Du verleumdest deinen besten Freund. Überhaupt nichts habe ich gewußt.“ Paddy achtete nicht auf den Widerspruch. Er hatte sich, was bei ihm höchst selten geschah, in Rage geredet. „... einen Schlag hast du jedenfalls wie ein auskeilender Ackergaul ...“ „Hört endlich auf, verdammt!“ Kräftige Fäuste packten die beiden und zerrten sie auseinander, bevor sie tatsächlich aufeinander losgehen konnten. Der breitschultrige, schwarzhaarige Riese, der zwischen sie trat, fixierte sie nacheinander mit durchdringendem Blick. „Sir“, sagte Paddy Rogers, „ich ...“ Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, winkte verärgert ab. „Ich will gar nicht wissen, wer dieses Höllenspektakel verursacht hat.“
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In ihrer Erregung hatten weder Jack noch Paddy mitgekriegt, daß mittlerweile die gesamte Mannschaft auf Kuhl und Back versammelt war. Die feixenden Blicke der Männer bereiteten zumindest Jack Finnegan zunehmendes Unbehagen. „Wir waren der Meinung, daß wir Portugiesen vor uns hatten“, sagte er als Versuch einer Rechtfertigung. „So, so“, erwiderte der Profos und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Das glaubtet ihr beide?“ Mit einemmal waren sie wieder ein Herz und eine Seele. Paddy Rogers nickte eifrig. „Wir hatten hinreichend Grund zu der Annahme.“ Ein blonder Haarschopf schob sich in dem Moment außenbords über die Verschanzung. Der gutaussehende Mann, der sich mit einem gekonnten Satz auf die Decksplanken schwang, war Dan O'Flynn, Old Donegals Sohn und Schwager des Seewolfs. Don Juan de Alcazar und Bill folgten ihm dichtauf. Plymmie wurde von den Männern an Deck gehievt. Paddy und Jack hatten nicht mal mehr darauf geachtet, daß die Jolle inzwischen längsseits gegangen war. „Zum Glück trefft ihr Scharfschützen sogar ein Großsegel nicht auf die Distanz von zwanzig Schritten“, sagte Dan. Jack Finnegan wollte heftig protestieren, überlegte es sich dann aber doch und ließ die schon erhobenen Arme wieder sinken. Warum schleicht ihr euch an wie Portugiesen? lag ihm als Erwiderung auf der Zunge. Es war aber zweifellos besser, die Frage nicht auszusprechen. 2. Während der nächsten Stunden dichte keiner der Arwenacks mehr an Schlaf. Zum einen belastete sie die Ungewißheit, ob der Musketenschuß möglicherweise von Portugiesen gebart und richtig gedeutet worden war, zum anderen hatte Hasard eine Lagebesprechung angeordnet. Dan und Don Juan berichteten abwechselnd, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Keiner zweifelte daran,
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daß Albuquerque seine Gefangenen öffentlich verbrennen würde. „Wenn er das tut“, sagte Edwin Carberry im Brustton der Überzeugung, „schlage ich ihn ungespitzt in den Boden. Und sollte es das Letzte sein, was ich in diesem Leben anfange.“ „Du hättest keine Chance, Ed.“ Der Spanier winkte unmißverständlich ab. „Ich bezweifle, daß einer von uns nahe genug an Albuquerque herankommen würde.“ „Unsinn“, widersprach der Profos scharf. „Zumindest auf den Abtritt geht er allein. Da ist noch jeder Herrscher allein hingegangen.“ Die Männer lachten. Die Vorstellung, Seine Durchlaucht in einer Situation zu überraschen, in der er gleichsam hilflos war, wirkte erheiternd. „Was willst du tun, Ed?“ fragte Old Donegal. „Ihm eine Flaschenbombe unter den Achtersteven legen?“ „Warum nicht gleich ein ganzes Pulverfaß?“ schlug Bob Grey vor. Der Seewolf mahnte zur Ruhe. „So können wir jedenfalls nicht vorgehen“, sagte er. „Die Frage ist: Ahnt Albuquerque, daß wir uns noch in der Nähe von Malakka aufhalten?“ „Bis wir eine Antwort darauf haben, ist es wahrscheinlich schon zu spät“, erwiderte Don Juan de Alcazar. „In der Stadt wimmelt es inzwischen wahrscheinlich von Seeleuten und Soldaten.“ „Wir fürchten keine Übermacht. Das haben wir noch nie getan.“ Der Profos rieb sich die Pranken, daß es klang, als würden Eisenspäne gefeilt. „Der direkte Angriff ist immer die beste Verteidigung. Ich schlage vor, wir laufen Malakka in der Morgendämmerung an, versenken die im Hafen liegenden Schiffe mit einem überraschenden Feuerschlag und beschießen danach Albuquerques Palast und alle portugiesischen Bauten, während ein Stoßtrupp das Gefängnis stürmt und unsere Männer befreit. Selbstverständlich übernehme ich die Führung. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen ...“ „Genau das wird es, Mister Carberry“, unterbrach ihn Don Juan. „Das Gefängnis
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ist nicht im Handstreich zu nehmen. Wir würden auf jeden Fall zuviel Zeit brauchen. Ich fürchte, bis wir die vier erreichen, sind sie längst tot.“ Der Profos wandte sich Dan zu. „Bist du derselben Meinung?“ Dan O'Flynn nickte. „Das Gefängnis scheidet aus. Jedenfalls für einen Sturmangriff. Wir haben auch keine Möglichkeit, uns einzuschmuggeln, denn die Portugiesen überprüfen jeden einzelnen und lassen nicht mal jeden malaiischen Wächter bis zu Al und den anderen vor. Abgesehen davon wurden unsere Leute in verschiedene Verliese geworfen.“ „An Albuquerques Stelle würde ich ebenfalls damit rechnen, daß die Engländer das Gefängnis zu stürmen versuchen“, sagte Batuti, der schwarzhäutige Gambiamann. „Folglich wimmelt es in den Verliesen von Soldaten, und in dem Fall stehen wir von vornherein auf verlorenem Posten.“ „Andererseits streiten wir vielleicht um des Kaisers Bart“, behauptete Jung Philipp. „Wer sagt denn, daß der Ober-Portugiese tatsächlich an uns denkt?“ „Albuquerque ist nicht dumm“, widersprach Dan O'Flynn. „Nach allem, was bisher war, kann er sich zusammenreimen, daß wir unsere Männer nicht im Stich lassen.“ „Das ist genau meine Absicht“, sagte der Seewolf und fragte übergangslos: „Wie viele Schiffe liegen im Hafen?“ „Vier Karavellen und die drei Küstenschaluppen, die an der Suche nach den Verschollenen beteiligt waren. Außerdem einige malaiische Lastensegler. Aber nur die gut bestück ten Kriegskaravellen können uns gefährlich werden.“ „Du vergißt den Viermaster, der wir vor Malakka begegnet sind Juan“, sagte Dan. „Womöglich ha Seine Durchlaucht Verstärkung an gefordert.“ „Damit stehen dann fünf groß Schiffe gegen unsere Schebecke. Ben Brighton, der Erste Offizier seufzte ergeben. „Kein besonders gutes Verhältnis.“ Carberry zuckte mit den Schulten
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„Wir haben schon ähnlich aussichtslose Gefechte überstanden. Außerdem liegen die Karavellen vor Anker, während wir unter vollen Segeln angreifen können.“ „Was ist mit den Küstenbatterien? fragte Jung Philipp. „Albuquerque hat einige schwere Stücke auf den Mauern stehen“, erwiderte Don Juan gedehnt. „Sie bestreichen nahezu den gesamten Hafenbereich. Andererseits gefährden die Kanonen die eigenen Schiffe, wenn wir nahe genug an die Karavellen heran gehen.“ „Das Problem erledigt sich also weitgehend von selbst“, sagte Ben Brighton erleichtert. „Den Rest besorgen wir mit Ferris' Rauchbomben“, schlug Big Old Shane vor, der frühere Schmied und Waffenmeister von Arwenack. „Wir nebeln uns weiträumig ein. Ich möchte den Kanonier sehen, der uns dann noch trifft.“ „Ferris?“ Der Schiffszimmermann vollführt eine zustimmende Geste. Er wußte sofort, was Hasard von ihm wollte. „Der Vorrat ist auf jeden Fall ausreichend“, antwortete er. „Sofern der Wind nicht weiter auffrischt, können wir die Rauchbomben einsetzen.“ „Auf was warten wir also?” Carberry schlug die zur Faust geballte Rechte in die linke Handfläche, daß es wie ein Kanonenschuß krachte. „Wir müssen den Anker lichten und angreifen, bevor der Tag anbricht.“ „Genau das tun wir nicht“, widersprach der Seewolf. „Du scheinst nicht zugehört zu haben, Ed.“ „Klar habe ich das, Sir.“ „Dann wüßtest du, daß wir uns wahrscheinlich die Zähne ausbeißen, sobald wir das Gefängnis zu stürmen versuchen.“ „Aber ...“ Hasard lächelte vielsagend. „Warum bestärken wir Albuquerque nicht in dem Gefühl, daß er die erste Schlacht gegen uns gewonnen hat? Zuviel Siegessicherheit stimmt unvorsichtig. Wenn seine Gefangenen erst auf dem Scheiterhaufen
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stehen, wird er keinen Angriff mehr erwarten.“ „Du riskierst ein Spiel mit dem Feuer, Dad!“ rief Jung Hasard dazwischen. „Falls wir aufgehalten werden und nicht rechtzeitig eingreifen können, brennen die vier. Und sie spielen gewiß nicht gern die Märtyrer.” „Wir sind früh genug an Ort und Stelle. Dan, Juan und Bill kennen inzwischen die Verhältnisse von Malakka.“ Der Seewolf blickte auffordernd in die Runde. „Wer ist mit von der Partie?“ „Da es gegen die Portugiesen und Albuquerque geht, vermutlich alle“, erklärte der Profos. Er behielt recht. Keiner der Männer wollte zurückstehen. Sogar Mac Pellew, der meist griesgrämige zweite Koch, verschaffte sei Ärger Luft: „Vergiften sollte man den Halunken. Mit seiner eigenen Bosheit.“ Richtig frei darüber lachen konnte jedoch keiner der Arwenacks. * Eine Stunde nach der Besprechung – es war kurz nach vier Glasen, also nur wenig später als zwei Uhr morgens – legten die beiden Jollen, voll bemannt, von der Schebecke ab. Zwanzig Arwenacks fieberten darauf, den Portugiesen einen Denkzettel zu verpassen, den diese sicher nicht so schnell vergessen würden. Bewaffnet waren sie mit Pistolen und Messern, die sich unter jeder Kleidung verbergen ließen. Musketen waren eher hinderlich, nichtsdestotrotz führten sie in jedem Boot mehrere langläufige Feuerrohre mit. Im Bugschapp vor überkommendem Seewasser gut geschützt, lagen außer den längst bewährten Höllenflaschen einige von -Ferris Tuckers neuen Rauchbomben und außerdem Pulverfässer. Bislang hatten die Männer nur eine vage Vorstellung, was sie in Malakka erwartete. Ihr weiteres Vorgehen hing von den Gegebenheiten ab, die sie antrafen. Zumindest bis zum Mittag blieb ihnen Zeit.
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Albuquerque würde seine Gefangenen nicht eher hinrichten lassen, denn für ihn bedeutete der Flammentod der englischen' Spione mehr als nur eine persönliche Genugtuung – er versprach sich zugleich eine abschreckende Wirkung auf jene Malaien, die nach wie vor seinen Herrschaftsanspruch sabotierten und den Christianisierungsversuchen der Mönche hartnäckig widerstanden. Beide Jollen waren von Will Thorne mit stark gelohten Segeln ausgerüstet worden. Das rotbraune Tuch ver- schmolz schon auf kurze Distanz nahezu völlig mit der Dunkelheit. „Wir verbergen die Boote in dem Fischerdorf Tanjong“, sagte Don Juan de Alcazar. „Von dort können wir schnell entlang des Kanals nach Malakka vordringen und, wenn es nötig wird, ebenso rasch wieder verschwinden.“ Der Spanier hatte die Führung der größeren Jolle übernommen. Die Boote kreuzten nicht nur gegen den Wind nach Westen, sie wurden zugleich kräftig gepullt. Im Sternenschein sah Don Juan die schwitzenden Gesichter der Männer. Edwin Carberry und Batuti, Bob Grey, Luke Morgan, Sam Roskill, Pete Ballie, Old Donegal und Matt Davies legten sich kräftig in die Riemen. Jeff Bowie und Clinton Wingfield beteiligten sich nicht, da zwei weitere Rudergasten den Abstand zur anderen Jolle noch schneller vergrößert hätten. Der Seewolf beobachtete durch sein Spektiv. Aber nirgendwo zeigten sich die Laternen einer möglicherweise ihren Kurs kreuzenden portugiesischen Karavelle. Die zweite Jolle wurde von Dan O'Flynn geführt. Außer ihm befanden sich Roger Brighton, Blacky, Bill, Piet Straaten und Nils Larsen sowie die Zwillinge in dem Boot. Zusammen waren also zwanzig Mann nach Malakka unterwegs. Das bedeutete, daß die Schebecke lediglich noch mit elf Arwenacks bemannt war. Obwohl das Schiff ausgezeichnete Segeleigenschaften hatte, konnte dieses kleine Häufchen schwerlich größere Manöver ausführen,
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geschweige denn mit einigen Breitseiten angreifen. Dennoch war Hasard die Entscheidung nicht schwergefallen. Er versprach sich weitaus mehr davon, wenn seine Seewölfe unerkannt in Malakka einsickerten und im richtigen Moment überraschend zuschlugen, statt im Hafen ein großes Feuerwerk zu veranstalten. Wenn sie es richtig anstellten, konnten sie den Portugiesen empfindliche Schläge zufügen. Albuquerque würde toben. „Hoffentlich platzt er“, hatte Carberry gesagt, als sie in die Boote gegangen waren, und er hatte damit jedem aus der Seele gesprochen. Ungehindert erreichten die Arwenacks die Nähe von Malakka. Über dem Meer im Osten war der heraufziehende Morgen bereits als fahle Helligkeit zu erahnen. Höchstens noch eine halbe Stunde würde es dauern, bis ein schmaler Silberstreifen an der Kimm Himmel und Meer voneinander trennte. Die Malaien fischten noch auf der Position, auf der sie zu Beginn der Nacht die Netze ausgeworfen hatten. Lediglich zwei oder drei Auslegerboote fehlten. Allem Anschein nach war ein Teil des Fanges schon an Land gebracht worden. Die Arwenacks wurden herzlich gegrüßt. Unaufgefordert nahmen die Fischer die Fremden in die Mitte und sorgten so für ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Puhan und Pang winkten aus ihrem schon tief im Wasser liegenden Boot. Sowohl Dan O'Flynn als auch Don Juan de Alcazar erwiderten den Gruß sofort. Unter vollen Segeln lief der Pulk der Küste entgegen. Für kurze Zeit lag Malakka recht voraus, wanderte dann aber aus der Peilung aus. Die Fischer passierten die Hafeneinfahrt mit rund eineinhalb Meilen Distanz. In der einsetzenden Dämmerung erkannte Dan, daß der Viermaster, dem sie am Abend begegnet waren, tatsächlich in der Nähe der anderen Kriegsschiffe an der Mole lag. Die Segel hingen sauber aufgetucht an den Rahruten. Es hatte aber nicht den Anschein, als ginge das große Schiff bald wieder in See.
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Zufrieden registrierte Dan O'Flynn, daß sich zumindest die Karavellen gegenseitig den Wind wegnehmen würden, wenn ihre Mannschaft gleichzeitig auslaufen wollten. Sobald die Schebecke vor dem Hafen erschien, um die Arwenacks wieder aufzunehmen, war das ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Mit den Schaluppen würde sogar die arg dezimierte Crew fertig werden. Immerhin blieb den Männern an Bord mehr als genügend Zeit, die Gefechtsbereitschaft noch einmal in jeder Hinsicht zu überprüfen. * Tanjong war erreicht. Während die Malaien ihre Auslegerboote auf den Strand zogen, pullten die Arwenacks ihre Jollen weiter ins Brackwasser der Flußmündung und das Gewirr verfilzter Uferpflanzen hinein bis zu dem alten Versteck bei den Fischerhütten. „Hier bleiben wir?“ fragte Hasard. „Einen besseren Platz finden wir nicht“, erwiderte Don Juan. „Puhan sagt, daß sich die Portugiesen hier nur selten sehen lassen. Offenbar sind sie in Malakka damit zufrieden, dass die Fischer nicht rebellieren und täglich ihren Fang auf dem Markt verkauf en.“ „Ist doch klar“, sagte Carberry grollend. „Ohne die Fischer wären die Portus bald gezwungen, selbst auf Fang zu gehen. Aber dafür sind die Burschen schon viel zu bequem geworden. Hauptsache, sie können ihre fetten Hinterteile ausruhen.“ Er spie in hohem Bogen ins Schilfdickicht. „Affenärsche sind sie alle miteinander.“ Puhan, Pang und Carap traten den Arwenacks entgegen. Die Fischer schienen erstaunt darüber, eine so große Zahl von Engländern zu sehen. Puhan wandte sich an den Spanier. „Was ist mit eurer Schebecke?“ fragte er besorgt. „Wir haben erwartet, daß ihr mit einem großen Schiff ...“ „Sorge dich unseretwegen nicht unnötig.“ Don Juan winkte ab - eine Geste, die überall verstanden wurde. „Wir hielten es
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für besser, im Verborgenen zu handeln. Das Erscheinen des Dreimasters vor Malakka würde uns in Zugzwang bringen. Solange wir jedoch nicht genau wissen, für wann die Hinrichtung geplant ist, haben wir Zeit, unser Vorgehen vorzubereiten.“ „Ihr wollt nach Malakka?“ Das war mehr Feststellung als Frage. Dennoch nickte der Spanier. „Viele Männer - viele Schwierigkeiten“, sagt Puhan. „Es wäre leichter, nur die Senhores Dan und Bill und dich an den Wachtposten vorbeizuschleusen.“ „Wachen?“ Don Juan legte die Stirn in Falten. „Ich habe es eben erst gehört. Selal, der Wächter, der den Gefangenen das Essen bringt, sandte seine Frau Uleel mit der Nachricht zu uns. Offenbar fürchtet Albuquerque, seine Gefangenen könnten befreit werden.“ „Er ahnt also, daß wir nicht tatenlos zusehen“, sagte Jung Hasard. „Damit mußten wir rechnen“, erwiderte sein Zwillingsbruder. Der Seewolf wandte sich an Puhan: „Hast du erfahren, wann meine Männer auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollen?“ Der Malaie zeigte ein tiefgründiges Lächeln. „Bis dahin ist noch genügend Zeit. Der Holzhändler kann nicht schnell genug liefern. Dummerweise wurden erst vor kurzem nahezu alle Vorräte auf eine Prau verladen, die Batavia anläuft. Holz in der Menge zu schlagen, wie Seine Durchlaucht verlangt, ist erst bis zum späten Nachmittag möglich. Das bedeutet, daß die Scheiterhaufen nicht vor dem Einbruch der Nacht vollständig aufgeschichtet werden können.“ „Ist das Zufall?“ fragte Don Juan. Puhans Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Er brauchte nichts zu sagen. Daß die Malaien auf der Seite der Arwenacks standen, war nun endgültig jedem klar. „Gibt es einen Weg an den Wachen vorbei?“ Hasard deutete in Richtung der Stadt. „Ich nehme an, daß die Portugiesen nicht jeden Quadratfuß Boden kontrollieren.“
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„Im Norden wird Malakka von der Festungsmauer zum Dschungel hin abgeriegelt. Auf den Wehrgängen patrouillieren Soldaten. Entlang der Flußufer wurden schon vor einiger Zeit breite Streifen gerodet und sind entsprechend leicht zu überblicken.“ „Wir sind weder Maulwürfe, die unterirdische Gänge wühlen, noch Vögel, die hin und wieder aus den Wolken fallen“, maulte der Profos. „Es gibt einen einfacheren Weg.“ „Dann heraus mit der Sprache!“ „Aber er ist nicht ganz angenehm.“ „Was ist im Leben wirklich angenehm?“ Carberry zuckte leichthin mit den Schultern. „Dan O'Flynn erwähnte schon, daß wir uns in jeder Hinsicht auf die Fischer von Tanjong verlassen können ...“ Er wurde unterbrochen. Ein freudiger Aufschrei erklang, gleich darauf bahnte sich eine junge malaiische Schönheit ihren Weg zwischen den Arwenacks hindurch. Mit Fäusten und Ellenbogen stieß sie die Männer zur Seite, die nicht sofort zurückwichen. „Dan!“ 'rief sie. „Dan O'Flynn!“ Ehe es sich Old Donegals Sohn versah, warf sie sich ihm an den Hals und küßte ihn so leidenschaftlich und langanhaltend, wie er es ihr beigebracht hatte. Daß die Seewölfe spöttisch grinsten, und zwar ohne Ausnahme, schien ihr nicht aufzufallen. Oder es störte sie nicht. Das Feuer der Leidenschaft ließ sie zittern. Vergeblich versuchte sich Dan aus Pattas Umarmung zu lösen. Sie schmiegte sich nur noch fester an ihn. Ausgerechnet Sam Roskill, der dunkelhaarige Draufgänger, der gegen Abenteuer mit Frauen nie etwas einzuwenden hatte, wandte sich an Old O'Flynn und sagte: „Du solltest besser auf deinen Sohnemann aufpassen, Donegal. Sonst verdreht er in jedem Hafen einer anderen den Kopf.“ Die Reaktion des Alten fiel indes völlig anders aus, als Sam erwartet hatte. Old Donegal winkte nämlich nur ab und erwiderte nach einem tiefgründigen Seufzer: „Stell dir vor, Mister Roskill, in
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jedem Land wüchse ein neues Geschlecht der O'Flynns heran. Manchmal wünsche ich meine Jugend zurück – ich würde diesem Hüpfer die Schönen ausspannen. Eine nach der anderen.“ Sam Roskill brachte den Mund nicht mehr zu. Alles hätte er erwartet, nur nicht, daß sich der Admiral auf seine alten Tage als Schwerenöter entpuppte. Zumeist redete er doch nur von Nixen und Seejungfrauen, aber das Geschwätz nahm schon lange niemand mehr ernst. „Und deine Mary Snugglemouse?“ fragte Sam verblüfft. Aber Old Donegal hörte ihn bereits nicht mehr, denn er hatte sich, wohl genau ahnend, welches Argument Sam Roskill bringen würde, vorsorglich abgesetzt. Puhan bat die Arwenacks in seine Hütte, die daraufhin fast aus allen Nähten platzte. Die Flechtwände aus Pflanzenfasern erwiesen sich dennoch als überraschend stabil. Einige Frauen versorgten die Mannen mit reichlich Essen und Trinken. Die Maisfladen waren ebenso frisch wie der Fisch, der dazu gereicht wurde, und der Reiswein rann durch die Kehlen, als wäre er der beste karibische Rum. In ihrer derzeitigen Situation achteten die Arwenacks gar nicht so sehr darauf, was sie tranken. Ihnen war einzig und allein wichtig, daß sie bald in die Nähe ihrer Gefährten gelangten. Die Malaien hatten in der Tat einen guten Fang eingebracht. Einen Teil der Fische nahmen sie sofort aus und bestrichen das Fleisch auf den Innenseiten mit verlockend duftenden Gewürzen. Daß die so behandelten Fische sogar roh hervorragend mundeten, mußten die Arwenacks vorbehaltlos anerkennen. Etwa eine Stunde verging. Die Sonne stand inzwischen als blendender Glutball eine Handbreite über der Kimm. Wolken, die vorübergehend aufgezogen waren, verwehten wieder mit dem Wind. „Es wird regnen“, sagte Puhan, als ihn Hasard danach fragte. „Aber ganz sicher nicht vor dem Nachmittag.“ Die Innereien der Fische warfen die Malaien in den Fluß. Ein Schwarm Möwen
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stritt sich lautstark um die asten Stücke. Außer ein paar Wasserbüffeln hielten die Bewohner von Panjong keine Tiere, denen sie die Abfälle hätten verfüttern können. Die gewürzten Filets wurden in großen Körben aufgeschichtet, wobei jeweils eine Reihe Fisch mit Palmblättern und weiteren Kräutern und Gewürzen abgedeckt wurde, von denen die Arwenacks bislang nicht mal die Namen kannten. Die Malaien beluden zwei altersschwache zweirädrige Karren. Die ausgeschlagenen Scheibenräder ließen vermuten, daß auf ihnen jede Unebenheit des Weges eine körperliche Tortur bedeutete. Aber erst, als die Fischer mehr Körbe herbeischleppten, als für den Transport erforderlich gewesen wären, ahnten die Seewölfe, auf welchem Weg sie in die Stadt gebracht werden sollten. „Danach stinken wir fünf Meilen gegen den Wind“, protestierte Luke Morgan. „Selbst wenn uns die Portugiesen nicht sehen, riechen werden sie uns allemal.“ „Abgesehen davon, daß wir zwischen den Fischen ersticken, bevor wir in Malakka sind“, sagte der Profos. „Siehst du“, ereiferte sich Luke sofort. „Genau davon rede ich.“ „Kennst du einen besseren Weg, Luke?“ Luke Morgan breitete in einer ein wenig hilflos anmutenden Geste die Arme aus. „Nein“, sagte er. „Aber ich bin überzeugt, daß wir eine Lösung finden, sobald wir intensiver darüber nachdenken.“ „Ich sage dir eins, Luke: Du wirst dich wie alle anderen auch in einem der Körbe verstecken. Ist das klar? Wenn nicht, sorge ich dafür, daß du es tust.“ Edwin Carberry stemmte so unmißverständlich die Franken in die Seite, daß es Luke vorzog, ergeben zu nicken. Patta, die nach der allzu stürmischen Begrüßung offenbar eingesehen hatte, daß sie die Nacht mit Dan nicht zurückholen konnte, brachte einen bauchigen Tonkrug und reichte ihn ihrem Freund. „Was ist das?“ fragte Jung Hasard. „Ein Liebestrank, der dich daran hindern soll, Tanjong wieder zu verlassen?“
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Dan erwiderte nichts. Vielmehr schüttete er ein wenig von dem dunkelbraunen öligen Inhalt in seine hohle Hand und begann das Zeug im Gesicht zu verreiben. „Ich weiß nicht genau, was es ist“, sagte er zu Hasard junior und den Umstehenden, die aufmerksam verfolgten, was er tat. „Das Öl wird aus einer bestimmten Nußart gewonnen, die im Regenwald wächst, und ist wohl ziemlich kostbar. Patta sagte mir, daß die Fischer nicht nur äußerliche Verletzungen damit heilen, sondern in schweren Fällen auch davon trinken.“ „Also doch ein Liebestrank“, spottete Bob Grey. „Ich habe von Eingeborenen gehört, die mit derart einfachen Mitteln für einen reichen Kindersegen sorgen.“ Er verriet aber. nicht, wann und wo er dergleichen vernommen haben wollte, und Dan fragte nicht danach. Innerhalb kürzester Zeit zog das Nußöl in seine Haut ein, die danach in einem ähnlich dunklen Ton schimmerte wie bei den Malaien. Intensiv rieb er sich Hals und Nacken, die Hände und die Arme bis hinauf zu den Schultern ein. „Die Farbe bleibt etwa einen Tag lang, verblaßt dann aber sehr schnell.“ Mehrere Frauen brachten Decken und Flechtmatten. Dan stieg als erster in einen der Körbe. Er mußte sich zusammenrollen und lag alles andere als bequem – erst recht, als ihm Patta eine der rauhen Decken überwarf und dann auf einer Matte aus Palmblättern zwei Lagen Fisch über ihm aufschichtete. Anfangs glaubte er tatsächlich, ersticken zu müssen, derart intensiv war der Geruch, der nicht nur von den frischen Fischen ausging, sondern längst schon dem Korb anhaftete. Aber nach einigen hastigen, flachen Atemzügen nahm er nur noch das Aroma der Gewürze wahr, und plötzlich konnte er wieder nahezu frei Luft holen. Die Fischer verfügten nur über zwei Karren. Auf jedem davon fanden fünf der großen Körbe Platz. Das bedeutete, daß vorerst nur die Hälfte der Arwenacks in Malakka eingeschleust werden konnte. „Gibt es noch einen anderen Weg?“ fragte der Seewolf.
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„Vielleicht“, antwortete Puhan. „Aber die Portugiesen würden euch eher entdecken. Wir fahren hin und wieder zweimal am Tag Fische auf den Markt von Malakka, das ist nicht ungewöhnlich. Die Männer, die jetzt zurückbleiben, bringen wir in die Stadt, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat. Dann läßt auch meist die Wachsamkeit der Soldaten nach.“ 3. Hasard verzichtete darauf, die Musketen mitzunehmen. Lediglich zwei Pulverfäßchen ließ er auf den Karren verstauen, ebenso einige Rauchbomben und Höllenflaschen. Old Donegal und Matt Davies sollten als Wachen bei der Jolle zurückbleiben und auch bei der zweiten Fahrt nach Malakka nicht mit dabei sein. Da anzunehmen war, daß die Portugiesen die Arwenacks verfolgen würden, kam es vermutlich auf jeden Handgriff an. Es galt, die Jollen rechtzeitig flottzukriegen, und einige überraschende und gut gezielte Musketenschüsse aus dem Hinterhalt konnten die Soldaten möglicherweise für kurze Zeit aufhalten. Lange genug jedenfalls, um den Seewölfen Zeit zur Flucht zu verschaffen. Außer Hasard und natürlich Don Juan hatten sich die Zwillinge, Bill, der Profos, Bob Grey, Sam Roskill, Pete Ballie und der Däne Nils Larsen mehr recht als schlecht in den Fischkörben zusammengekrümmt. Mittlerweile war es später als sonst geworden. Puhan fürchtete, daß die Portugiesen nach dem Grund fragen würden. Womöglich ließen sie sich dazu hinreißen, die Fischer ausgiebig zu kontrollieren. Auch zu normalen Zeiten waren die Malaien nie vor besonderen Schikanen sicher. Und zur Zeit, solange die vier englischen Spione nicht öffentlich hingerichtet worden waren, herrschten bestimmt keine „normalen Zustände“. In aller Eile wurden die Wasserbüffel vor die Karren gespannt, indem einfach nur Ledergurte um ihre Körper geschlungen
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und rechts und links mit den Deichselstangen verbunden Die schlimmsten Befürchtungen der Arwenacks, was die vom Glück nur kurze Fahrt in die Stadt betraf, wurden noch übertroffen. Das Poltern der Scheibenräder dröhnte schlimmer als ein lang anhaltendes Gewitter in den Ohren der Männer, und jeder noch so kleine Stein schlug durch. Wahrscheinlich würden sie am Ziel nicht nur steif und voller Blutergüsse sein, sondern unfähig, ihre Verstecke sofort zu verlassen. Um wie viel bequemer wäre doch ein Transport mit den Auslegerbooten gewesen. Aber Albuquerque hatte den Einheimischen jeden Bootsverkehr auf dem Fluß im Bereich der Stadt untersagt. Auch das war ein Hinweis darauf, daß er einen Angriff der Arwenacks fürchtete oder ihn zumindest in Erwägung zog. Die Körbe waren nicht allzu straff geflochten. Der Seewolf – und wahrscheinlich auch alle anderen Arwenacks – stellte ziemlich bald fest, daß er mit einiger Mühe erkennen konnte, was um ihn herum geschah. Er mußte mit den Augen nur unmittelbar an die Lücken heran, was eine weitere Biegsamkeit der Wirbelsäule vor allem im Nackenbereich erforderte. Zunächst sah er nichts anderes als zwei Körbe und die halbhohe Seitenwand des Karrens. Aber nach einer Zeitspanne, die er schlecht abzuschätzen vermochte – höchstens eine Viertelstunde –, hielten die Malaien plötzlich an. „Portugiesen!“ raunte einer der Fischer. Sie hatten also die Wachen am Stadtrand erreicht. Jetzt würde sich zeigen, ob das Versteck gut gewählt war. Unwillkürlich tastete der Seewolf nach dem Griff des hinter seinem Gürtel steckenden sechsschüssigen Radschloßdrehlings. Danach wagte er nicht mehr, sich zubewegen. Stimmengemurmel war zu hören. Zwei Seesoldaten erschienen in seinem Sichtkreis. Aus dem, was die Fischer sagten, hörte Hasard deutlich ihre Verärgerung heraus. Zwangsläufig redeten sie mit den Wachen portugiesisch.
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„Niemand darf in die Stadt hinein oder hinaus, der nicht überprüft wurde.“ „Verrückt.“ Das war Puhans Stimme. „Wir bringen unsere Fische jeden Tag auf den Markt. Wenn der Fang gut war, sogar zweimal. Heute ist das der Fall. Du kennst uns, Soldat, und weißt, daß ich die Wahrheit sage.“ „Und wennschon. Ihr verlaustes Pack sucht doch immer nach einem Anlaß, euch aufzulehnen.“ „Das ist nicht wahr.“ „Halt's Maul, du Mondgesicht!“ schnaubte der zweite Portugiese. Der andere fuhr ungerührt fort: „Habt ihr ein fremdes Schiff gesehen? Heute nacht vielleicht? Seine Durchlaucht erwartet die englischen Spione.“ „Ein großes Schiff mit vier Masten“, sagte Puhan. „Es segelte an Malakka vorbei ostwärts.“ „Das war die ,Mar Tenebroso`,“ erklärte der zweite Soldat schroff, „eine unserer Karavellen.“ „Sonst ist uns nichts aufgefallen.“ „Wir sollten die Wahrheit aus dir herausprügeln, du Heide.“ „Selbst dann kann ich euch nichts anderes sagen.“ „Herr heißt das!“ ereiferte sich der Portugiese. „Du hast vergessen, mich mit Herr anzureden.“ Puhan war bestimmt nicht der Mann, der sich demütigen ließ. Für einen Moment, als plötzlich Stille einzog, fürchtete Hasard, er würde die Soldaten noch weiter reizen. Aber dann sagte der Fischer in demütigem Tonfall: „Verzeih, Herr, es lag nicht in meiner Absicht, dich zu kränken.“ „Vielleicht bist du doch den Spionen begegnet. Ihre Schebecke liegt womöglich ganz in der Nähe vor Anker.“ „Nein, Herr, gewiß nicht.“ „Vielleicht habt ihr die Halunken in euren Körben verborgen.“ Hasard stockte der Atem. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug des Radschloßdrehlings. Sie würden kämpfen müssen. Viel eher als erwartet. In dem Fall wäre Carberrys Plan, mit der Schebecke
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anzugreifen und das Gefängnis zu stürmen, doch nicht so schlecht gewesen. „Wir bringen die Fische auf den Markt. Wie jeden Tag.“ „Natürlich“, höhnte der Portugiese. „Aber wie würde es dir gefallen, wenn wir heute den Fraß in die Gosse kippen? Nur so, um zu sehen, ob du wirklich die Wahrheit gesagt hast?“ „Dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken, Herr.“ Der Soldat – er schickte sich gerade an, den ersten Korb vom Wagen zu wuchten – hielt unvermittelt inne. „Willst du mir drohen, du stinkender Fischerlümmel?“ fauchte er und riß den Degen aus der Scheide. „Das wird dir verdammt schlecht bekommen.“ Nur noch undeutlich sah Hasard, daß der Portugiese Puhan die Spitze der Klinge an die Kehle setzte. Er erwartete, jeden Moment ein ersticktes Gurgeln zu hören, das bewies, daß der Soldat zugestoßen hatte. Aber offenbar gefiel sich der Mann in der Rolle des Überlegenen, und er bereitete sich einen Spaß daraus, den Malaien zu Tode zu ängstigen. „Du schüttest jetzt deine Fische selbst in den Dreck! Warum soll ich mir die Hände beschmutzen? Danach überlege ich, ob ich dich töte oder noch einmal laufenlasse.“ „Senhor Albuquerque wird das wenig gefallen, fürchte ich“, erwiderte Puhan unerschrocken. „Für dich immer noch Seine Durchlaucht!“ brüllte der Portugiese. Das Denken setzte bei ihm erst ein wenig später ein, als er merklich verunsichert fragte: „Was soll das Geschwätz?“ „Senhor Albuquerque hat die Fischlieferung über seinen Ersten Sekretär bestellt“, erwiderte Puhan. „Jacinto da Foz verlangte, daß wir zehn Körbe sofort zu dem großen Schiff bringen. ,Meer der Finsternis', glaube ich, hast du es genannt.“ Puhan hätte durchaus ein Arwenack sein können, so unverfroren log er. Hasard beglückwünschte Dan, Juan und Bill insgeheim, daß sie gerade bei den Fischern von Tanjong Unterstützung gefunden hatten. Und nicht nur das. Das Bild, wie
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Patta Donegals Sohn leidenschaftlich umarmt hatte, entstand wieder vor seinem inneren Auge. Der Portugiese stieß den Degen in die Scheide. Hasard hätte viel dafür gegeben, sein Gesicht sehen zu können, doch der Mann war aus seinem arg begrenzten Blickfeld verschwunden. Nur das unmißverständliche Geräusch war zu hören, das entstand, als er die Waffe heftig zurückgleiten ließ. „Ihr könnt passieren!“ erklang es gleich darauf. Rumpelnd und holpernd setzte sich das Gefährt wieder in Bewegung. Kurze Zeit später nahm Hasard den Finger vom Abzug des Radschloßdrehlings. * Dom Otelo Saraiva de Carvalho, der Kommandant der „Serra da Estrela“ – der Name bedeutete „Sternengebirge“ –, hatte in dieser Nacht erstmals wieder durchgeschlafen, ohne von Alpträumen gepeinigt aufzuschrecken. Ohnehin hager und von der Schöpfung mit einem Geiergesicht ausgestattet, hatte er während der vergangenen Tage die letzten Fettpolster verloren und glich nun mehr denn je einem wandelnden Gerippe. Erst allmählich hörte er auf seinen gesunden Menschenverstand, der ihm sagte, daß der schreckliche Tod des Ersten Offiziers nicht seine Schuld war. Niemand konnte ihm daraus einen Vorwurf bereiten. Francisco Salazar hatte sich eindeutig über seinen Befehl hinweggesetzt, als es darum gegangen war, die flüchtigen vier Kerle zu stellen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Salazar war immer ein Heißsporn gewesen. Sein Streben nach mehr Macht hatte sein Verhängnis besiegelt. Sobald Otelo Saraiva die Augen schloß, hörte er wieder das Poltern der Steinlawine, von welcher der Erste Offizier überrollt und zerquetscht worden war. Auch der Reiswein, den er seit der Ankunft in Malakka in sich hineinschüttete, half ihm nicht, zu vergessen.
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Francisco Salazar hatte das Kommando über die „Serra da Estrela“ an sich reißen wollen – und er war weiß Gott nicht mehr weit davon entfernt gewesen, ihn, Dom Otelo, auszubooten. Was halfen alle Verdienste um Portugal gegen Salazars Ehrgeiz und seine Beziehungen zur Admiralität? „... er hätte niemals ein Kriegsschiff richtig führen können“, stieß de Carvalho gepreßt und im Selbstgespräch zwischen den Zähnen hervor. „Dazu hatte er nicht das Zeug.“ Er brauchte sich nicht zu rechtfertigen. Nicht wegen Francisco Salazar, der sogar Albuquerque in seine Intrigen einbeziehen wollte. Das zufällig belauschte Gespräch zwischen den beiden hatte ihm endlich die Augen geöffnet. Von der Koje aus tastete er nach dem Krug mit dem Reiswein, den er am Abend nur halb geleert hatte. Doch der Krug war umgefallen und bis auf wenige Tropfen ausgelaufen. Sein Inhalt hatte sich über die Dielen ergossen und war in den Plankennähten versickert. Prüfend sog der Kommandant die Luft ein. Erst jetzt fiel ihm auf, daß es in seiner Kammer erbärmlich stank. Das Aroma des vergorenen Reisweins rief Kopfschmerzen hervor. Dom Otelo schwang sich von der Koje, fluchte, als er auf die am Boden liegende Pistole trat, und griff nach dem einzigen Fensterflügel, der sich öffnen ließ. Durch die verschmutzten Butzenscheiben hindurch hatte er lediglich erkennen können, daß inzwischen heller Tag war. Dem Stand der Sonne nach war es kurz vor sechs Glasen, also schon sieben Uhr. Dom Otelos Blick streifte die im Hafen wartenden Schaluppen und wanderte weiter zu den anderen Karavellen, die wohl nur deshalb nicht an der Jagd auf die Engländer teilnahmen, weil Albuquerque fürchtete, die Spione könnten inzwischen Malakka heimsuchen. Auch für die „Serra da Estrela“ hatte Seine Durchlaucht angeordnet, daß sie zur weiteren Verwendung im Hafen bleiben sollte.
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Dom Otelo Saraiva de Carvalho wunderte sich über das bewegte Treiben entlang der Hafenmauer. Ungewöhnlich viele Seeleute und Soldaten waren unterwegs. Einige der Männer zeigten sich auf recht schamlose Weise mit Malaiinnen, andere schienen betrunken zu sein. Noch vor wenigen Jahren, dachte Dom Otelo, hätte ein solches Benehmen unweigerlich eine Bestrafung nach sich gezogen. Aber der allgemeine Verfall der Disziplin war nicht mehr aufzuhalten. Zum Teil lag das sicher daran, daß die großen Entdeckungen früherer Jahrzehnte bereits der Vergangenheit angehörten und den Seeleuten keine wirklichen Aufgaben mehr gestellt wurden. Ärgerlich wandte sich der Kommandant wieder vom Fenster ab. Er verstand die Welt und sich selbst nicht mehr. Auch er hatte davon geträumt, eines Tages neue ferne Küsten zu entdecken und den Ruhm dieser Tat für sich und Portugal in Anspruch zu nehmen. Aber stattdessen versauerte er in der Straße von Malakka, die nur deshalb Bedeutung erlangt hatte, weil sie den Heimweg der portugiesischen Gewürzschiffe verkürzte. Alfonso Albuquerque, der Enkel des einstigen Eroberers, fürchtete das allmählich erwachende Interesse Englands und Hollands an diesem Seeweg. Dom Otelo Saraiva de Carvalho war wütend auf sich selbst. Er hatte zu lange gewartet, seine Träume in die Realität umzusetzen. Eine Verwünschung auf den Lippen, schleuderte er mit weit ausholender Bewegung den Reisweinkrug in die nächste Ecke. Der gebrannte Ton zerbarst klirrend, und zurück blieb ein verstreuter Scherbenhaufen, der Dom Otelos Gemütszustand verblüffend ähnlich war. Der Kommandant bückte sich nach der Pistole, überzeugte sich davon, daß sie geladen war, und schob sie hinter seinen Gürtel. Danach nahm er den Degen von der Wand und schnallte ihn um. Er verließ die Kammer und trat in den engen, stickigen Niedergang hinaus, der aufs Achterdeck führte.
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In der Takelage und an Deck herrschte bereits die gewohnte Geschäftigkeit. Die Männer hatten viel zu tun. Knapp eine Kabellänge vor der „Serra da Estrela“ lag ein Viermaster. Das Schiff mußte während der Nacht eingelaufen sein. Obwohl es offensichtlich eine lange Reise hinter sich hatte, wirkte es imposant und auf gewisse Weise furchteinflößend. Die Masten überragten die der anderen Schiffe um ein beachtliches Stück, die Zahl und Anordnung der Stückpforten auf zwei Decks ließ vermuten, daß zum Teil schwere Kaliber mitgeführt wurden. „Das ist eine schwimmende Festung, Capitan“, sagte der Stückmeister Jose Faria unaufgefordert. Er wußte den sinnenden Blick des Kornmandanten richtig zu deuten. Dom Otelo drehte sich auf dem Absatz um. „Ich kann mich nicht entsinnen, um Ihre Meinung gebeten zu haben, Faria“, sagte er scharf. Aber schon im nächsten Moment, ehe der Stückmeister darauf reagieren konnte, fragte er: „Was ist das für ein Schiff? Von wo kommt es?“ „Die ,Mar Tenebroso`, Capitan. Mehr weiß ich leider nicht.“ Dom Otelo nickte stumm und gab Faria mit einer fahrigen Handbewegung zu verstehen, daß er sich entfernen solle. Rückwärtsgehend, zog sich der Stückmeister bis zum Niedergang zurück und enterte zur Kuhl ab. Auf eine Weise, für die er keine Erklärung wußte, wurde ihm der Kommandant plötzlich unheimlich. De Carvalho hatte nie so verbissen dreingeschaut wie im Augenblick. Jose Faria wußte nichts von dem Gespräch zwischen dem ehemaligen Ersten Offizier und Albuquerque, das de Carvalho heimlich mit angehört hatte. Salazar hatte von einer Kriegsgaleone gesprochen, die in Kürze Malakka anlaufen würde, und deren Kommandant von der Admiralität beauftragt sei, Salazars Ernennung zum Kommandanten der „Serra da Estrela“ zu überbringen. Dom Otelo sollte abberufen und an Land versetzt werden. Vielleicht
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war der Viermaster, obwohl keine Galeone, dieses erwartete Schiff. Während Otelo Saraiva de Carvalho zu der Anlegestelle starrte und die Hände zu Fäusten ballte, ging drüben ein Trupp Uniformierter an Land: der Kommandant des Schiffes und mehrere Seeoffiziere. Sie schritten geradewegs auf die „Serra da Estrela“ zu. Der Augenblick, den Dom Otelo unbewußt fürchtete, war also da. Längst vergessen geglaubte Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Als junger Offizier hatte er einen Vorgesetzten im Duell getötet. Die Ehre einer Frau war der Anlaß des Streites gewesen. Dom Otelo hatte das Recht auf seine Seite gewähnt, doch die Admiralität hätte ihm beinahe einen Strick daraus gedreht und die Angelegenheit als Meuterei behandelt. Sich im Laufe zweier Jahrzehnte zu rehabilitieren und doch noch ein eigenes Kommando zu erhalten, hatte ihn unendlich viel Schweiß und Blut gekostet. Daß er quasi um die halbe Welt herum abgeschoben worden war, damit mußte er leben, und bis heute hatte er sich recht gut in sein Schicksal eingewöhnt. Inzwischen fragte er sich jedoch, ob Salazar irgendwie von der Sache Wind gekriegt hatte. Der Erste Offizier war jung, ungeduldig und ehrgeizig gewesen. Aber Francisco Salazar lebte nicht mehr. Dom Otelo straffte sich. Er hatte nichts zu befürchten. Niemand konnte ihm mangelnde Loyalität vorwerfen. Und auf keinen Fall durfte er sich Unsicherheit anmerken lassen. Die Offiziere erreichten die „Serra da Estrela“. Sie trugen tadellos sitzende Uniformen und blank polierte, fein ziselierte Degenscheiden. Die Federn ihrer Hüte leuchteten in einheitlichem Gelb und Rot. Im Vergleich zu den Achterdecksherrschaften der vor Malakka liegenden anderen Schiffe wirkten sie wie frisch aus dem Ei gepellt. Hier legte niemand mehr großen Wert auf sein Äußeres, die Malaien waren mit funkelnden Helmen ohnehin nicht zu beeindrucken.
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Zwei Männer bezogen beiderseits der Stelling Posten, die anderen schritten über die Planken an Bord. Sie dachten gar nicht daran, vorher um Erlaubnis zu bitten. Dom Otelo gewann den Eindruck, daß sie ihn noch nicht entdeckt hatten. Immerhin war er bis hinter den Besanmast zurückgewichen. „Bootsmann!“ rief der Kommandant der „Mar Tenebroso“ dröhnend. „Ich bin Dom Miguel Esteves Pessoa, Gesandter der Admiralität. Ich wünsche, daß der Erste Offizier und Capitan de Carvalho vor mir erscheinen.“ Also doch! Otelo Saraiva de Carvalho trat zur Querbalustrade vor, ehe der angesprochene Bootsmann zu einer Erwiderung ansetzen konnte. „Dom Miguel, welche Mission führt Sie und Ihre Männer an Bord meines Schiffes?“ „Das werde ich Ihnen in Gegenwart Ihres Ersten Offiziers mitteilen.“ „Warum diese Geheimniskrämerei?“ Miguel Esteves Pessoa zog einen versiegelten Umschlag unter seinem Wams hervor. „Das hier betrifft Sie beide, Capitan.“ „Mir soll's recht sein“, sagte Dom Otelo und zuckte mit den Schultern. Im selben Atemzug wandte er sich an den Bootsmann: „Sie haben es gehört, Pedro. Holen Sie Senhor Soares an Deck!“ Um Pessoas Mundwinkel erschien ein unwilliger Zug. „Halt!“ donnerte er. „Ich habe den Eindruck, wir verstehen uns nicht richtig.“ „Der Irrtum liegt offenbar bei Ihnen, Dom Miguel. Cardoso Soares ist Erster Offizier der ,Serra da Estrela’.“ „Francisco Salazar ...?“ „... hat ein Begräbnis auf See erhalten, wie es seinem Rang entsprach.“ „Er ist tot?“ „Sagte ich das nicht?“ fragte Dom Otelo in der plötzlichen Gewißheit, daß ihm nun niemand mehr den Rang streitig machen konnte. Der Gedanke, daß Miguel Esteves Pessoa samt seinem Kriegsschiff unverrichteter Dinge wieder abziehen mußte, bereitete ihm sogar Genugtuung.
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„Ich' nehme an“, sagte er, „Sie werden mir nun das Schreiben aushändigen.“ Unschlüssig hielt Pessoa den Brief in Händen. „Francisco war ein guter Freund von mir. Wie ist er gestorben?“ Da Dom Miguel und die beiden Offiziere keine Anstalten trafen, zum Achterdeck aufzuentern, blieb de Carvalho keine andere Wahl, als zu ihnen auf die Kuhl hinunterzusteigen. „Englische Spione haben ihn getötet“, sagte er. „Niemand konnte es verhindern.“ Fordernd streckte er die Hand aus. „Was ist mit den Engländern?“ fragte Pessoa. „Wir haben sie gefangengenommen. Vier verstockte Burschen, denen offenbar niemand mehr als Lügen entlocken kann. Sie sollen auf dem Marktplatz verbrannt werden.“ Dom Miguel hielt den Brief noch immer zurück. „Wie standen Sie und Francisco zueinander, Capitan?“ Der Kommandant, obwohl selbst keineswegs kleinwüchsig, mußte zu seinem Gegenüber aufsehen. „Ich verstehe nicht, was die Frage bezwecken soll“, erwiderte er. „Francisco Salazar bezichtigte Sie der Unfähigkeit, Capitan.” De Carvalho zuckte mit den Schultern. „Er ist tot. Wir werden seine Meinung dazu nicht mehr hören.“ „Haben Sie seinen Tod zu verantworten, Dom Otelo?“ Das klang lauernd und angriffslustig zugleich. Aber darauf achtete der Kommandant nicht. Er hatte eine ähnliche Frage erwartet. „Ihre Unterstellung ist eine Unverschämtheit“, stieß er gallig hervor. „Ich muß annehmen, daß Sie nur erschienen sind, mich zu beleidigen.“ „Wollen Sie mich zum Duell fordern, Capitan?“ „Warum sollte ich?“ Indigniert zog Miguel Esteves Pessoa die Brauen hoch. „Weil es nicht das erste Mal wäre, daß Sie einen anderen Offizier grundlos töten. Ich glaube nicht, daß ich in
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der Hinsicht Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen muß.“ Demonstrativ verschränkte Dom Otelo die Arme vor der Brust. Er hatte nicht vor, sich provozieren zu lassen. Auf eine solche Reaktion wartete Pessoa womöglich. „Sie werden ausfallend“, sagte er deshalb nur. „Gehen Sie, Senhores, verlassen Sie mein Schiff!“ Die Mannschaft gab sich zwar den Anschein größter Geschäftigkeit, aber in Wirklichkeit war jeder nur bemüht, kein Wort zu versäumen. De Carvalho fragte sich, ob die Männer, falls es auf Hieb und Stich ging, auf seiner Seite standen. Unzufriedene gab es immer und überall, aber ihn Interessierte, wie sich die Mehrheit verhalten würde. „Lesen Sie das!“ Endlich reichte ihm Pessoa das versiegelte Schreiben. Dom Otelo gab sich Mühe, seine Erregung zu verbergen, konnte indes nicht verhindern, daß seine Hände zitterten, als er das Siegel mit dem Wappen Portugals aufbrach. Nur wenige Sätze standen da. Dom Otelo überflog sie und knüllte danach wütend das Schreiben zusammen. Er wurde abberufen und auf einer der miesesten Posten an Land versetzt, den ihm die Admiralität bieten konnte. „Francisco Salazars bedauerliches Ableben ändert natürlich nichts an den Gegebenheiten“, sagte Dom Miguel spöttisch. „Mein Auftrag lautet, Sie nach Portugal zurückzubringen. Wer Ihr Nachfolger wird, entscheide ich noch heute. Außerdem erwarte ich, daß Sie sich bis zwei Uhr nachmittags an Bord der ,Mar Tenebroso` einfinden, Senhor. Ich hoffe, wir haben uns richtig verstanden.“ „Als Kommandant eines Kriegsschiffes verlange ich... „ „Sie waren Kommandant.“ Pessoa wandte sich abrupt ab. Von seinen Offizieren flankiert, verließ er die Karavelle über die Stelling. 4.
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Al Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, war hundemüde, fand aber keinen Schlaf. Sein linker Knöchel, den er sich auf der Flucht vor den Häschern vertreten hatte, schmerzte wieder, obwohl er den Fuß so gut wie gar nicht belastete. Stinkendes, vergammeltes Stroh sollte ihm als Lager dienen. Er hatte es kurzerhand in einer Ecke des Verlieses aufgehäuft. Lieber lag er auf dem nackten Lehmboden als inmitten des vielen Ungeziefers, von dem es in dem Stroh nur so wimmelte. Sein Rücken war ohnehin bereits völlig zerstochen und juckte heftig. Nur mühsam beherrschte er sich. Sobald das Viehzeug Blut roch, würde alles nur noch schlimmer werden. Al beschränkte sich darauf, mangels anderer sinnvoller Tätigkeit den schmerzenden Knöchel zu massieren. Sollte der Seewolf das Gefängnis stürmen, wollte er niemandem zur Last fallen. Der kurze Kontakt mit Don Juan, der ihm aus der Höhe einige Steinchen auf den Kopf geworfen hatte, hatte ihn mit neuer Zuversicht erfüllt. Die Freunde warteten bei den Inseln vor Malakka. Das Verlies war stickig und feucht, der richtige Ort, sich die Schwindsucht zu holen. Durch das enge Loch in der Decke fiel ein Streifen fahler Heiligkeit herein. Al Conroy hatte zwar keine Ahnung, wo die Sonne stand, aber er schätzte, daß mittlerweile später Vormittag war. Wiederholt ertappte er sich dabei, daß er aufmerksam lauschte. Doch von draußen drangen nur undeutliche, gedämpfte Geräusche herein. Geschützdonner, das Blaffen von Musketen und das Klirren von Blankwaffen sehnte er vergeblich herbei. „Hasard läßt uns nicht im Stich“, murmelte er im Selbstgespräch. Wann würden die Portugiesen erscheinen und ihn zum Scheiterhaufen führen? Sollte, wenn es nach Albuquerques Willen ging, dieser Tag schon sein letzter sein? Oder blieb ihm noch eine Nacht voller Qualen und Verzweiflung? Ein Rascheln und Quietschen aus dem Strohhaufen unterbrach seine
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Überlegungen. Zwei abgemagerte Ratten stritten sich um eine mickrige Kakerlake. Bislang hatte er geglaubt, das Verlies sei zumindest von Ratten frei, Jetzt mußte er erkennen, daß sie doch irgendwo einen Durchschlupf gegraben hatten. Wenn Hunger die Biester trieb, würden sie auch ihn attackieren. Spontan griff er nach dem Zinnteller, auf dem ihm der Malaie Selal das Essen gebracht hatte. Nicht die kleinste Krume war übriggeblieben. Aus dem Handgelenk heraus schleuderte er den Teller, der krachend zwischen den Ratten aufschlug und eins der Biester noch am Kopf erwischte. Im Nu jagten die Ratten auseinander. Die eine verschwand tiefer im Strohhaufen, die andere sprang Al an. Gerade noch rechtzeitig schnellte er die Arme hoch und schlug das Tier zurück. Doch so schnell gab die Ratte nicht auf. Sie überschlug sich zwar in der Luft, landete aber auf allen vieren und griff sofort wieder an. Diesmal verbiß sie sich im Hemd Al Conroys. Der Stückmeister packte instinktiv zu – später konnte er sich selbst nicht erklären, wie es ihm möglich gewesen war, das flinke Vieh tat sächlich zu erwischen. Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Hand. Die Ratte wehrte sich. Wohl jede Kreatur, die plötzlich in Gefangenschaft geriet, verteidigte ihre Freiheit. Al Conroy sah plötzlich rot. Mit aller Kraft schmetterte er die Ratte an die rauhe Steinwand, bis sie schlaff zwischen seinen Fingern hing. Er war wie von Sinnen und hielt erst inne, als Blut aus dem aufgerissenen Fell über seine Finger rann. Angewidert schleuderte er den Kadaver von sich. Erst nach einer Weile wurde ihm bewußt, welche Gedanken ihn bewegt hatten. Er hatte die Ratte getötet, weil sie mehr Freiheit hatte als er, weil sie sein enges Verlies betreten und verlassen konnte, wie sie wollte. Handelte nicht auch Alfonso Albuquerque ähnlich, wenn er die Engländer daran hinderte, in seinem Reich
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ein und aus zu gehen, wie es ihnen beliebte? Wo Ratten ein Loch gegraben hatten, schaffte er es vielleicht auch. Der Stückmeister nahm die sich ihm bietende Chance wahr, dem quälenden Warten zu entfliehen. Mit Händen und Füßen räumte er den Strohhaufen beiseite. Obwohl ihm der sich ausbreitende Gestank nach Moder und Verwesung schier den Atem raubte, hielt er keinen Augenblick inne, bis er das wenig mehr als faustgroße Loch fand, das in Bodennähe und nahezu horizontal durch die Wand führte. Auf den Knien rutschend, benützte er den Zinnteller als Grabwerkzeug. Aber schon nach dem vierten oder fünften wuchtigen Schlag gegen die gemauerte Wand verbog sich das weiche Zinn und brach. Die scharfen Kanten eigneten sich jedoch, den Mörtel aus den Fugen zu kratzen. Mindestens eine halbe Stunde lang wühlte und kratzte der Stückmeister wie besessen. Danach konnte er gerade einen Quaderstein von annähernd Kopfgröße aus der Wand lösen. Um auf diese Weise den engen, feuchten und stinkenden Raum zu verlassen, würde er Tage brauchen. Schon jetzt spürte er, daß ihm die Arme schwer wurden. Sein Rücken schmerzte wegen der unnatürlich gebückten Haltung. Außerdem hatte sich das Zinn abgewetzt. Als er beide Tellerhälften aneinanderhielt, klaffte zwischen ihnen bereits ein fingerbreiter Spalt. Ein leises Pochen ließ ihn aufmerken. Zuvor, als er mit dem Graben beschäftigt gewesen war, hatte er es nicht hören können, doch jetzt horchte er auf. Festzustellen, woher das Geräusch erklang, fiel allerdings schwer. Bumm, bumm – bumm – bumm Die Abstände wiederholten sich in monotoner Gleichmäßigkeit: zweimal lang. Sofort hob Al den herausgebrochenen Stein auf und stieß ihn kraftvoll gegen die Wand. Das Pochen verstummte daraufhin für eine Weile, begann danach aber von neuem. Es erklang von der anderen Seite der Mauer. Für diese Feststellung hätte der
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Stückmeister jetzt den letzten Fetzen Stoff verwettet, den er noch am Leib trug. Bäuchlings schob er sich so nahe wie möglich an das Loch. Die Dicke der Mauer abzuschätzen, war unmöglich, aber was immer auf der anderen Seite lag, es war mindestens fünf Fuß entfernt. Al wartete, bis das Pochen erneut verstummte. „He!“ rief er dann in seiner Muttersprache. „Wer ist da?“ Ein nur schwer verständliches Flüstern antwortete ihm. Der Gang, den die Ratte gegraben hatte, verlief anscheinend nicht geradlinig, sondern in vielfachen Windungen. „Bist du's, Sten?“ fragte Al Conroy. „Smoky“, klang es zurück. „Haben dich Albuquerques Schergen auch allein eingesperrt?“ „Was dachtest du?“ „Wie sieht es bei dir aus?“ „Wahrscheinlich ähnlich bescheiden wie bei dir. Ohne Hilfe von außen schaffen wir es nicht, von hier zu verschwinden.“ „Don Juan war da ...“ „Bei mir auch. Ich hoffe, er hat die Schebecke erreicht.“ „Du meinst ...?“ „Wir müssen alles in Erwägung ziehen.“ Smoky schwieg für eine Weile. Als er sich wieder meldete, sagte er: „Diesmal sitzen wir gehörig in der Tinte.“ „Bis zum Hals”, bestätigte Al Conroy. „Allein können wir da nicht wieder heraus.“ * Perai, die Köchin, hatte zwei altersschwache Hühner geschlachtet und gerupft und war im Begriff, sie auszunehmen und zu zerlegen, als Selal die Küche betrat. Kopfschüttelnd blieb der Malaie stehen. „Ist das alles?“ fragte er und deutete auf den über dem Herdfeuer hängenden Kessel, in dem allmählich das Wasser zu brodeln begann.
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„Erwartest du mehr?“ erwiderte die Frau kurz angebunden. „Gefangene brauchen kein fürstliches Mahl.“ „Das sagst du?“ Selal musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. „Albuquerques Erster Sekretär behauptet das“, erwiderte die Köchin. „Aber was Jacinto da Foz sagt, muß nicht unbedingt richtig sein.“ „Das ist es auch nicht“, bestätigte Selal, dem die Aufsicht über die Gefangenen ebenso wie die Essensausgabe oblag. Schweigend sah er zu, wie Perai die Hühnerschenkel ins kochende Wasser warf. Etliche Brotfladen und einige Handvoll der verschiedensten Gewürze sowie geschnittene Zwiebeln wanderten ebenfalls in den Suppentopf. „Steh nicht bloß da und starr mich an“, schimpfte die Köchin. „Wenn ich zu wenig Vorräte erhalte, kann ich nicht mehr daraus zaubern als heiße Brühe mit wenigstens etwas Geschmack. Seine Durchlaucht verschwendet nichts an Spione, die er ohnehin in wenigen Stunden hinrichten läßt.“ Sie blickte plötzlich auf und fixierte Selal. „Wann ist es soweit?“ „Heute nicht mehr, denke ich. Die Holzlieferung läßt auf sich warten. Aber morgen mittag ...“ Unter seinem viel zu weiten, verwaschenen Hemd, das er vor mehreren Monden einem Portugiesen gegen zwei Krüge besten Reisweins abgehandelt hatte, zog er ein Stoffbündel hervor und warf es auf den Tisch. Perai wickelte es sofort auf. Vier große, schon ausgenommene und gewürzte Fische erschienen. „Ich brauche wohl nicht zu fragen, für wen die sind“, sagte die Köchin. Selal lächelte. „Tu mir den Gefallen. Die Engländer müssen bei Kräften bleiben. Albuquerques Vergnügen wird sicherlich leiden, wenn er nur schwindsüchtige Spione hinrichten kann.“ Ohne weiteren Kommentar schob Perai eine große Eisenpfanne aufs Feuer. Nachdem sie Butter geschmolzen und verschiedene Zutaten beigemischt hatte, waren die Fische an der Reihe. Wenig später durchzog ein köstliches Aroma nach
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gebratenem Meeresfisch die dampfende Küche. Selal war zuversichtlich, was das weitere Schicksal der Engländer betraf. Was in seiner Macht stand, hatte er getan. Alles weitere war jetzt Sache der Fischer von Tanjong. Sie würden Mittel und Wege finden müssen, die Arwenacks an den Stadtwachen vorbeizuschleusen. „Ich brauche Holz“, sagte Perai. Selal schleppte ihr einige Körbe voll grob gehackter Scheite heran und kippte alles neben den Herd. Anschließend holte er noch getrockneten Dung, der zwar einen stechenden Geruch verströmte, dafür aber umso besser brannte. Die Köchin hatte inzwischen begonnen, die Krüge mit der dünnen Brühe zu füllen, die sie Suppe nannte. Kein Portugiese hätte diesen Fraß essen wollen – was die Gefangenen damit anstellten, war ihre eigene Sache. Die Brühe hatte so lange gekocht, daß sich das Hühnerfleisch von den Knochen löste. Perai fischte jeden Brocken heraus. Kopfschüttelnd schaute Selal zu. „Am Ende bleibt wirklich nur heißes Wasser übrig“, sagte er. „Anordnung von da Foz“, erklärte die Köchin. „Offenbar glaubt er, daß die Gefangenen gesprächiger werden, wenn sie Hunger leiden. Er war ziemlich aufgebracht.“ „Ich kann mir vorstellen, daß seine Verhörmethoden bei den Engländern wenig Wirkung zeigen.“ Der Malaie wickelte die knusprig gebratenen Fischhälften in Palmblätter und schob sie wieder hinter seinen Hosenbund. Das locker fallende Hemd kaschierte seine plötzliche Leibesfülle. Mit den Krügen und einem Stapel Eßnäpfen zog er los. Nicht nur rings um das Stadtgebiet waren die Wachen verdreifacht worden, auch das Gefängnis glich inzwischen mehr und mehr einem Heerlager. Sogar Männer, die ihn seit Jahren kannten, stellten sich ihm in den Weg.
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„Halt! Wohin?“ Ausgerechnet der Soldat, dessen Hemd er trug, hinderte ihn am Betreten des Hauptgebäudes. „Ich bringe das Essen für die Gefangenen, Senhor Pires. Wie gewöhnlich.“ „Laß sehen!“ Unmißverständlich richtete Pedro Pires seine Pike auf den Malaien. über die Krüge, damit die Suppe nicht zu schnell abkühlte, hatte Perai ein Leinentuch gebreitet. Der Soldat warf es achtlos in den Dreck. Als er die Brühe sah, auf der ein paar einsame Fettaugen schwammen, rümpfte er die Nase. „Ist das alles?“ „Was sonst?“ fragte Selal zurück. Zum erstenmal hatte er die Zusatzration für die Engländer nicht in dem Tragekorb versteckt. Er gab sich Mühe, sich seine Erleichterung darüber nicht anmerken zu lassen. „Du kannst weitergehen.“ Prüfend sog Pires die Luft durch die Nase ein. „Der Fraß riecht ganz passabel nach Fisch, obwohl er nicht danach aussieht.“ „Was du riechst, Senhor, haftet mir an“, sagte Selal. „Die Köchin hat für sich selbst ein Fischgericht zubereitet. Im übrigen kann ich wieder einige Krüge besten Reisweins besorgen.“ „Was willst du dafür?“ „Nichts. Ich habe doch dein Hemd.“ Pedro Pires lachte schallend. „Das ist die richtige Einstellung, die leider den meisten von euch schlitzäugigen Halunken abgeht. Vergiß es nicht, Selal.“ „Bestimmt nicht“, versicherte der Malaie. Niemand hinderte ihn mehr daran, das Gebäude zu betreten. über die enge Wendeltreppe mit ihren ausgetretenen schmalen Steinstufen stieg er in die unteren Gewölbe hinunter. Die Wege in diesem Teil des Verlieses waren unübersichtlich und verwinkelt. Nur wer sich hier unten auskannte, hatte eine Chance, schnell und ohne sich mehrmals zu verlaufen, wieder hinauszufinden. Die ersten Verliese waren lediglich vergittert. Zehn, teilweise sogar bis zu zwanzig Malaien drängten sich in den engen Zellen. Niemand hatte sich der
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Mühe unterzogen, Männlein und Weiblein getrennt einzusperren. Jacinto da Foz hielt das sogar für eine besondere Strafe. Selal kannte die meisten Gefangenen, die zum Teil seit Monaten auf ihren Urteilsspruch warteten. Großer Verbrechen hatte sich keiner schuldig gemacht – sofern es nicht als Verbrechen angesehen wurde, den eigenen Hunger zu stillen. Mehr als die Hälfte der Männer und Frauen hatte den im Überfluß schwelgenden Portugiesen Nahrungsmittel gestohlen. Die anderen waren so ungeschickt gewesen, sich zu Beschimpfungen oder gar Drohgebärden hinreißen zu lassen, obwohl jeder Widerstand von den Soldaten bereits im Keim erstickt wurde. Letztlich hatte das dazu geführt, daß sich im Verborgenen kleine Gruppen bildeten, die Albuquerque und seinem Troß lieber heute als morgen den Kris an die Kehle gesetzt hätten. Mit jedem Tag fiel es Selal schwerer, seinen von Krankheiten und Siechtum gezeichneten Landsleuten, die das Dasein von Tieren fristeten, zu begegnen. Matte, verschwollene Augen starrten ihn an, blutleere Lippen öffneten sich zu immer denselben Flüchen, und knochige, an den Wänden aufgeschürfte Finger versuchten, ihm das Essen aus den Händen zu reißen. Selal wollte es vor sich selbst nicht zugeben, aber er fürchtete diese Menschen. Sollten sie ihm je ohne die trennenden Eisengitter gegenüberstehen“ würden sie ihn mit bloßen Händen töten. Für sie war er ein Verräter, ein schäbiger Handlanger der Portugiesen, der für ein Stück Brot sein Volk verriet. Sie wußten es nicht besser, denn aus Furcht vor Entdeckung hatte er ihnen nie gesagt, daß er auf ihrer Seite stand. Und heute durfte er es nicht mehr wagen, abgesehen davon, dass sie ihm nicht glauben würden. Selal schreckte zusammen, als sich eine dürre Hand in seinem Hemd verkrallte. Der Angriff erfolgte so überraschend, daß er kaum Zeit fand, zu reagieren. Zwei Männer griffen gleichzeitig nach seinem
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Korb, die Eßnäpfe klirrten auf den Boden, und ein Suppenkrug zerbarst mit dumpfem Geräusch. Die Gefangenen verursachten einen Höllenlärm. „Gebt Ruhe!“ brüllte Selal. „Oder ihr erhaltet heute nichts mehr zu essen!“ Ebenso gut hätte er eine Wand anschreien können. Er sah zu Fratzen verzerrte Gesichter hinter den Gitterstäben, und immer mehr Hände grabschten nach ihm. Dann schlug er zu. Er tat es ungern, aber ihm blieb keine andere Wahl. Mit aller Kraft drosch er auf die ihm entgegen gereckten Arme ein und befreite sich aus dem härter werdenden Griff. Die Gefangenen heulten enttäuscht auf. Außer Reichweite der aufgebrachten Männer und Frauen füllte Selal dennoch einige Näpfe mit der heißen Brühe und schob sie vorsichtig auf die Zelle zu. Gerade so weit, daß die Gefangenen danach greifen konnten, sobald sie sich wieder beruhigt hatten. „Ich kann euch verstehen“, sagte er. „Sehr gut sogar. Aber euer Angriff trifft den Falschen. Denkt darüber nach.“ Er wußte nicht, ob überhaupt jemand auf seine Worte achtete. Nach wie vor wurde heftig an den Gittern gerüttelt, die tief in den Boden und die Decke eingelassen waren. Auf diese Weise würde sich aber nie der Weg in die Freiheit öffnen. 5. Das Lärmen der Gefangenen verfolgte den Malaien noch eine Weile, bis es endlich abebbte. Schon oft war er nahe daran gewesen, alles hinzuschmeißen und Malakka zu verlassen, aber nie zuvor hatte er es ähnlich schlimm empfunden wie jetzt. Er haßte die Portugiesen.. Schon aus dem Grund half er den Engländern. Und er hoffte, daß sie Malakka von der Herrschaft Albuquerques befreien würden, obgleich er wußte, daß dieser Wunsch ein schöner Traum bleiben würde. Nur mit einem einzigen Schiff hatten die Arwenacks nicht die geringste Chance. Wahrscheinlich würden sie ihre Freiheit nutzen – wenn es den vier Männern
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überhaupt gelang, dem Scheiterhaufen zu entrinnen –, um unter vollen Segeln zu fliehen. Selal hätte ihnen eine solche Handlungsweise nicht verübeln können. Die Luft wurde stickiger. Den vorderen Bereich des Verlieses erfüllte zwar schon ein fürchterlicher Mief, aber am Ende der Gewölbegänge hatte man unweigerlich das Gefühl, daß sich eine schwere Last auf den Brustkorb legte. Zeitweise war es, als ziehe sich ein eiserner Reif zusammen, der das Atmen erschwerte. Die hier untergebrachten Gefangenen blieben niemals lange, sie starben durch den Strick, wurden erschossen oder auf dem Marktplatz verbrannt. Das war die Strafe für tätliche Angriffe auf portugiesische Seeleute. Hin und wieder war auch schon mal eine Frau dabei, die sich den Zudringlichkeiten der Seeoffiziere mit dem Dolch widersetzt hatte. Die Zellen waren mit massiven Bohlentüren verschlossen. Es passierte, daß Selal diese besonderen Gefangenen nie sah. Das Essen schob er lediglich durch eine schmale, mit einer Eisenplatte und stabilen Riegeln verschlossene Öffnung in der Tür. Der Versuch, durch diese Luke ins Innere des Verlieses zu schauen, scheiterte an den schlechten Lichtverhältnissen. Zumeist fiel Helligkeit nur durch die Luftabzugslöcher in der Decke herein. Selal kannte die Engländer. Er hatte kurz mit ihnen geredet, als sie noch in einer Zelle untergebracht gewesen waren. Sofort hatte er gespürt, daß sie anders waren als die Portugiesen, und er hatte ihnen Grüße von „Daan', „Schu-An“ und „Pilli“ ausgerichtet, ihren drei Gefährten, die bei den Fischern Unterschlupf gefunden hatten. Die Zeit wurde knapp. Vielleicht waren es wirklich nur noch Stunden, bis die Scheiterhaufen brannten. Er begegnete Maraes, dem Wächter, dessen dunkle Augen ihn wie sooft mißtrauisch anstarrten. Diesmal erschien es ihm, als musterte ihn der Portugiese besonders eindringlich. War ihm aufgefallen, daß sein Körperumfang zugenommen hatte?
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„Die Gefangenen sind aufsässig?“ fragte der Wächter. Natürlich hatte er den Lärm nicht überhört. „Sie waren mit dem Essen unzufrieden“, erwiderte Selal. Warum er log, wußte er selbst nicht. „Ich sollte sie die Peitsche spüren lassen.“ Der Portugiese grinste erwartungsvoll und zog die Schnüre der Siebenschwänzigen, die an seinem Gürtel baumelte, durch die hohle Hand. „Warum erneut für Unruhe sorgen, Herr?“ sagte Selal – eine Spur zu schnell, wie er sofort feststellte. In Maraes Miene erschien nämlich jener Ausdruck lauernder Wachsamkeit, die er an dem Mann so sehr haßte. „Du bist zu weichherzig, Selal. Ist es nicht so? Ich sollte Jacinto da Foz vorschlagen, dich gegen einen Mann auszutauschen, dem ich mehr vertrauen kann.“ „Die Entscheidung liegt bei dir, Herr. Aber wenn du schon mir grundlos mißtraust, wie willst du einem anderen ...?“ „Das laß meine Sorge sein.“ Der Portugiese setzte seinen Weg fort. Nach zehn Schritten verschwand er hinter einer Biegung des Ganges. Die Begegnung gab Selal zu denken. Ahnte der Wächter etwas? Aber dann hätte er sich bestimmt nicht gezeigt, sondern ihn unbemerkt beobachtet. Hinter der übernächsten Tür schmachtete der erste der Engländer. Es war der mit dem verfilzten Bart. Seinen Namen hatte Selal vergessen. Namen waren unwichtig, nur Taten zählten. Selal ließ sich Zeit. Während er bedächtig das Eßgeschirr füllte, lauschte er in die Tiefe des Ganges. Aber Maraes' Schritte waren verklungen. Entschlossen öffnete er die Klappe und stieß den Napf in die Zelle. Mit blitzschnellem Griff zog er danach eins der Palmblätter mit dem darin eingewickelten Fisch unter dem Hemd hervor und schob die Ration hinterher. Von innen erklang ein dankbares Seufzen, gefolgt von der Frage: „He, bist du's?“
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Selal war dem Mann dankbar, daß er keinen Namen nannte. Schließlich konnte man nie wissen. „Eure Freunde sind unterwegs“, raunte er, ebenfalls auf portugiesisch. „Ich hab's von den Fischern erfahren.“ „Und Albuquerque?“ „Heute unternimmt er nichts mehr. Es mangelt noch an genügend Holz.“ Der Engländer lachte leise. „Seine Überheblichkeit hat ausreichend Schiffe im Hafen liegen. Warum wrackt er die nicht ab?“ „Ich verstehe nicht, Senhor.“ Das Lachen verstummte. „Vergiß die Frage. Sie war nicht ernst gemeint. Nur ein Spaß, wenn du weißt, was das ist.“ Selal verstand zwar, was der Engländer damit sagen wollte, andererseits begriff er nicht, wie ein Mann in seiner Situation noch lachen konnte. Ihm selbst wäre wahrscheinlich hundeelend zumute gewesen. „Mann“, sagte der Gefangene, „dem Tod müssen wir alle mal ins Auge sehen. Das hindert mich aber nicht daran, mir eines Tages im biblischen Alter ein schönes Fleckchen Erde zu suchen. Ein Jan Ranse läßt sich nicht so leicht unterkriegen.“ Hatte der Mann wirklich keine Angst vor dem Sterben? Oder versuchte er nur, sich selbst Mut zuzureden? „Ich werde euch auch heute abend mehr zu essen bringen.“ Selal schloß die Klappe und ging zur nächsten Tür weiter. Auch dort schob er zunächst die inzwischen erkaltete Suppe und danach den Fisch hindurch. Nur ein verhaltenes Stöhnen erklang. War der Mann erkrankt? Im ersten Moment wußte Selal nicht, wie er reagieren sollte. Wenn ein Arzt gebraucht wurde, mußte der Erste Sekretär Seiner Durchlaucht informiert werden, der letztlich die Entscheidung traf, was zu geschehen hatte. Daß da Foz die Engländer lieber heute als morgen tot sah, war inzwischen ein offenes Geheimnis. Zweifellos würde er nichts unternehmen und seinen Zorn höchstens noch an demjenigen abreagieren, der ihn mit solchen Dingen behelligte.
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Deshalb zögerte Selal. Dann verstummte das Stöhnen. Die nachfolgende Stille behagte dem Malaien nicht. Er räusperte sich, aber eine Antwort blieb aus. Stattdessen glaubte er, das Geräusch gepreßter Atemzüge zu vernehmen. Der Gefangene stand unmittelbar hinter der Bohlentür –die Suppe und den Fisch nahm er jedenfalls an sich. Selal wollte schon die Luke schließen und weitergehen, hielt aber doch noch einmal inne. „Brauchst du etwas?“ fragte er halblaut. „Wenn es mir irgend möglich ist, versuche ich, dir zu helfen.“ Das Stöhnen wurde lauter und irgendwie drängend. Selal wußte plötzlich, daß ihm ein Fehler unterlaufen war, zumal gleichzeitig die schwere Tür von innen her aufgestoßen wurde. Spontan lief er los. Aber schon im nächsten Moment erkannte er, daß seine Flucht aussichtslos war. Soldaten traten ihm entgegen. Ihre Degen blitzten im Schein der Öllampen. Er zweifelte nicht daran, daß sie ihn niederstechen würden, wenn er versuchte, an ihnen vorbeizugelangen. Auch hinter ihm waren Soldaten. Sie verließen gerade die Zeile des Engländers. Selal begriff, daß ihm die Portugiesen eine Falle gestellt hatten. Er fragte sich, warum, denn ihm war nicht bewußt, daß er den Soldaten Anlaß zum Mißtrauen gegeben hätte. Perai wäre die einzige gewesen, die ihn verraten haben könnte, doch der Köchin vertraute er selbst jetzt noch bedingungslos. Widerstand zu leisten, hatte keinen Sinn. Wenn Allah wollte, daß ihn die Portugiesen überwältigten, hatte er wohl genügend Gründe dafür. Nichts geschah ohne tiefere Bedeutung. Selal ergab sich in sein Schicksal. Mit hängenden Schultern stand er da. Die Soldaten packten ihn hart an, zerrten ihm die Arme auf den Rücken und stießen ihn vorwärts. „Maraes' Verdacht war also begründet“, sagte einer. „Wahrscheinlich paktieren
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noch mehr Malaien mit den englischen Hunden.“ „Warum machen wir mit dem Gesindel nicht kurzen Prozeß? Hängt den Kerl an den nächsten Baum!“ „Hast du vergessen, daß Jacinto mit ihm reden will?“ Der Angesprochene grinste schräg. „Du hast recht“, sagte er. „Das gibt ein Vergnügen besonderer Art. Schade, daß wir nicht dabei sind, wenn der Erste Sekretär dem Burschen die Würmer aus der Nase zieht.“ Selal hatte keine Ahnung, was es bedeutete, die „Würmer aus der Nase zu ziehen“, aber er konnte sich vorstellen, daß eine wenig angenehme Prozedur gemeint war. Er erhaschte einen Blick in die noch offene Zelle des Gefangenen. Die Soldaten hatten dem großen, schlanken Mann mit den blonden Haaren übel zugesetzt. Er lag zusammengekrümmt auf dem Boden und versuchte gar nicht erst, sich aufzurichten. Aus einer Platzwunde auf der Stirn tropfte Blut auf den Lehmboden. Für einen kurzen Moment ruhten ihre Augen ineinander. Selal erkannte den trotz allem ungebrochenen Willen des Mannes, und er gewann den Eindruck, daß der Mann bewußt den Blickkontakt gesucht hatte – um ihm den Mut zu geben, durchzuhalten. Die Freunde der vier waren schließlich bereits in Malakka. Dröhnend fiel die schwere Tür ins Schloß. „Na los, geh endlich weiter!“ herrschten ihn die Soldaten an. „Oder willst du, daß wir dich tragen?“ Sie lachten schallend. Selal ging lange genug in dem Gefängnis ein und aus und wußte, daß nur Tote hinausgetragen wurden. Ein harter Schlag zwischen die Schulterblätter ließ ihn taumeln. Aber nicht ein Schmerzenslaut drang über seine Lippen. Die Zähne zusammengebissen, stolperte er weiter. Wenigstens wußte er jetzt, daß er Maraes seine Gefangennahme verdankte. Die mißtrauischen Blicke des Wächters hätten ihn früher warnen sollen.
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Jacinto da Foz, der Erste Sekretär Albuquerques, war ein hochgewachsener, hagerer Mann, kräftig und mit breiten Schultern, aber unverhältnismäßig lang geratenen Armen. Sobald er sich etwas vornüberbeugte und die Arme baumeln ließ, hatte er etwas Affenartiges an sich, was dazu führen konnte, daß ihn Gegner unterschätzten. Seine angeborene Schläue riet ihm, diesen Eindruck nicht zu korrigieren. Sonst stand er in seinem äußeren Erscheinungsbild Alfonso Albuquerque in nichts nach. Sein sorgfältig frisiertes, dunkelbraunes Haar war ebenso wie der kantige Kinnbart und der Schnurrbart von grauen Strähnen durchsetzt. Die großen, dunkelbraunen Augen und das längliche, knochig wirkende Gesicht drückten Machtstreben und den dazu unerläßlichen starken Willen aus. Jacinto da Foz erwartete Selal nicht in seiner Bibliothek, wo er zuletzt die vier Männer verhört hatte. Für den Malaien genügte ein spärlich eingerichteter Nebenraum, dessen Mobiliar sich in einem hochlehnigen Sessel und einem kleinen Schreibtisch erschöpfte. Da Foz stand hinter dem Tisch und stützte sich mit beiden Händen auf die aus Intarsien gefertigte Platte auf, als Selal von zwei Soldaten in den Raum gestoßen wurde. Durchdringend starrte er den Gefangenen an, doch der zeigte sich unbeeindruckt. Da Foz gab den Soldaten einen Wink, woraufhin einer Selal in die Kniekehlen trat. Der Malaie schaffte es nicht, aufrecht stehen zu bleiben. Einen Schmerzenslaut ausstoßend, sank er vornüber auf die Knie. Der Erste Sekretär schürzte die Lippen. „Du weißt, daß Verräter keine Milde zu erwarten haben“, sagte er in drohendem Tonfall. „Ich habe nichts getan, Herr, was den Interessen Portugals zuwiderläuft.“ Jacinto da Foz warf den Soldaten lediglich einen auffordernden Blick zu. Sie drückten den Malaien bäuchlings auf den nackten
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Steinboden und hielten ihn in der unbequemen Lage fest. Eine hochnotpeinliche Befragung des Gefangenen war nicht Aufgabe des Sekretärs. Aber so weit gedachte er im Moment auch nicht zu gehen. Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, daß viele Malaien schnell einzuschüchtern waren. „Meine Geduld ist rasch erschöpft“, sagte er. Er stellte einen Fuß auf das Sitzpolster des Sessels und stützte die Ellenbogen auf dem Knie ab. Das Kinn auf die Handflächen aufgelegt, musterte er Selal durchdringend. „Der Wächter Maraes sprach von einer eindeutigen Situation. Du wolltest den Ingles zur Flucht verhelfen?“ „Nein, Herr, bestimmt nicht.“ „Es wäre besser für dich, ein Geständnis abzulegen. Oder willst du mit den Spionen verbrannt werden?“ Selal wurde blaß. Er hatte ohnehin Mühe, den Kopf so zu drehen, daß er da Foz sehen konnte. „Ich habe nur versucht, mich ins Vertrauen der Inglesi einzuschleichen“, sagte er stockend. „Ich wollte herausfinden, wo sich ihre Kumpane mit dem Schiff verstecken.“ „Natürlich!“ höhnte da Foz. „Und –was hast du erfahren?“ „Deine Männer haben meinen Plan durchkreuzt.“ „Ich glaube dir nicht.“ Der Sekretär versetzte dem Sessel einen Tritt, daß er polternd umfiel. Die Arme vor der Brust verschränkt, schritt er auf den Malaien zu: „Es gibt Mittel und Wege, dich zum Sprechen zu bewegen.“ „Was willst du noch hören?“ „Die Wahrheit!“ rief da Foz schrill und mit sich beinahe überschlagender Stimme. „Wo verbergen sich die anderen Spione? Was ist mit ihrem Schiff? Haben sie vor, Malakka anzugreifen?“ „Ich weiß es nicht, Herr.“ „Natürlich weißt du es.“ Jacinto da Foz trat ihn in die Seite. „Bis jetzt hast du mich noch gnädig gestimmt erlebt. Aber treibe es nicht zum Äußersten, du würdest deine
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Verstocktheit sehr schnell bereuen. Und nicht nur du. Also – ich warte.“ Selal krümmte sich wie ein Wurm. Vergeblich versuchte er, sich den eisenharten Fäusten der Soldaten zu entziehen, die ihn unnachgiebig fest auf den Boden preßten. Sein Nacken begann steif zu werden, und ein gräßliches Prickeln wie von tausend Ameisen breitete sich über seinem Rücken aus. Er stöhnte leise. „Ich sage dir, Herr, was ich erfahren habe. Aber ich fürchte, du wirst damit nicht zufrieden sein. Die Engländer glauben nicht. daß ihre Gefährten sie befreien werden. Sie sprachen davon, daß das Schiff auf der Flucht vor den Karavellen nach Osten gesegelt sei, nach Batavia vielleicht. Oder nach Surabaja.“ „Wie schön“, spottete da Foz. „Wir haben also keinen Grund zu der Annahme, daß die Hinrichtung ausfallen müßte.“ „Die Inglesi haben sich bestimmt aus der Straße von Malakka zurückgezogen.“ Jacinto da Foz hob die Augenbrauen. „Ich frage mich“, sagte er gedehnt, „ob dein Weib derselben Meinung ist.“ Selal zuckte zwar zusammen, schwieg aber. Ungerührt fuhr der Sekretär fort: „Uleel wird deinen Starrsinn verfluchen. Uleel ist doch deine Frau, nicht wahr?“ Er lachte über die Hilflosigkeit des Malaien. „Die Folter wird ihre Zunge lösen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ebenso dumm ...“ „Hör auf!“ rief Selal heiser. „Sie weiß nichts.“ Jacinto da Foz setzte ihn demonstrativ einen Fuß in den Nacken. „Bist du sicher?“ fragte er. Der Malaie ächzte. Seine Antwort war ein kaum verständliches „Ja“. „Aber du weißt mehr.“ Wieder folgte dieses Ächzen. Selal rang nach Luft. „Ich höre“, sagte da Foz. Der Malaie schluckte schwer. Nur aus Sorge um Uleels Wohlergehen redete er. Die Vorstellung, was die Portugiesen mit ihr anstellen würden, trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.
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„Die Engländer hoffen auf ihre Gefährten. Sie glauben, daß das Schiff Malakka angreifen wird und die Männer das Gefängnis stürmen werden.“ „Wir haben genügend Soldaten in der Stadt zusammengezogen und können jedem Angriff widerstehen.“ „Das sagte ich den Inglesi ebenfalls. Sie glauben dennoch, daß ihre Freunde sie aus dem Verlies befreien werden.“ „Na also.“ Da Foz wirkte endlich zufrieden. „Ich wußte doch, daß ich genau das hören würde. Wollen die Bastarde Malakka stürmen?“ „Ich weiß es nicht, Herr, und die Gefangenen wissen es ebenso wenig.“ „Womöglich sind die Engländer schon in der Stadt.“ Der Erste Sekretär Albuquerques schaute den Malaien fragend an. „Was meinst du, Selal?“ „Ich glaube nicht. Niemand hat ihr Schiff vor der Küste gesehen.“ Jacinto da Foz nickte bedächtig. „Also sind sie schon da. Ich habe etwas Ähnliches befürchtet. Obwohl ich wissen möchte, wie es ihnen gelungen ist, sich an den Wachen vorbeizuschmuggeln.“ Er begann eine kurze, unruhige Wanderung quer durch den Raum, blieb schließlich vor dem Schreibtisch stehen und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. „Schafft mir den Kerl aus den Augen!“ donnerte er. „Und dann sagt den Offizieren, daß ich sie sprechen will. Wir müssen gegen die Engländer vorgehen. Sie werden lästig.“ 6. „Die Burschen schauen uns nicht mehr hinterher“, raunte Puhan. „Ich denke, wir haben das Schlimmste überstanden.“ Der zweirädige Karren ächzte und knarrte, als breche er jeden Augenblick auseinander. Aber dann wurde der Weg endlich besser. Die Scheibenräder polterten über groben Schotter hinweg. „Wir fahren am Marktplatz vorbei, wo wir immer die Fische verkaufen“, sagte Puhan. „Ein Freund wird uns helfen, die Körbe in
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sein Haus zu tragen. Dort seid ihr vorerst in Sicherheit.“ Hasard und die anderen in den Fischkörben versteckten Arwenacks verzichteten auf eine Antwort. Puhan wußte auch so, daß sie ihn verstanden hatten und zunächst so schnell wie möglich dem betäubenden Fischgeruch entrinnen wollten. Während der nächsten Tage würden sie ohnehin keinen anderen Geruch mehr in der Nase haben. Nach einer Weile erklang vielfältiges Stimmengewirr. Puhan und der zweite Mann aus Tanjong überquerten mit ihren Karren den Platz vor dem Hafen. Jetzt, kurz vor dem Mittag, boten viele Händler ihre Waren feil. Die meisten versuchten, sich zumindest an Lautstärke gegenseitig zu übertreffen, wobei keineswegs sicher war, daß diejenigen, die am lautesten brüllten, auch wirklich die besten Waren hatten. Viel erkennen konnte der Seewolf aus seinem Versteck heraus nicht. Er fragte sich jedoch, ob das Verhalten der Fischer tatsächlich so unauffällig war, wie Puhan glaubte. Womöglich wunderte sich der eine oder andere Portugiese, warum sie ihren Fang nicht sofort verkauften. Aber gleich darauf erreichten sie das Haus, von dem Puhan gesprochen hatte, und die Karren wurden entladen. Anschließend vergingen nur noch wenige Minuten, bis die oben auf den Körben liegende Fische, Palmblätter und Flechtmatten abgeräumt waren. Puhan grinste den Seewolf zufrieden an. „Nun“, fragte er, „habe ich zuviel versprochen?“ Hasard atmete erst einmal tief ein. Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar und zog danach den Fischer spontan an sich. „Der Anfang ist gemacht. Allerdings muß ich eingestehen, ich wäre froh, hätten wir schon wieder die Planken der Schebecke unter den Füßen.“ Sein Blick fiel auf einen Malaien, der sich im Hintergrund hielt und den er noch nicht kannte. Das konnte nur der Mann sein, von dem Puhan gesprochen hatte.
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„Ich bin Murangh“, sagte er in nahezu akzentfreiem Portugiesisch. „Ich freue mich, daß es endlich jemand wagt, diesem Hundesohn Albuquerque die Stirn zu bieten.“ Hasard bedachte ihn mit einem überraschten Blick. Murangh war kaum größer als fünf Fuß, wirkte aber zäh und kräftig. Er lächelte, und in seinem runden Gesicht stand mindestens ebensoviel Offenheit zu lesen, wie sie die Arwenacks bei den Fischern von Tanjong gefunden hatten. Für einen Moment zögerte der Seewolf und überlegte, ob es womöglich besser sei, zu der Feststellung zu schweigen, aber dann sagte er: „Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich habe nicht vor, mit Albuquerque und seinen Soldaten einen Kleinkrieg anzufangen. Meine Männer und ich wollen lediglich die vier Gefangenen befreien, bevor sie auf dem Scheiterhaufen sterben. Aber wir haben kein Interesse daran, ein verwüstetes Malakka hinter uns zurückzulassen.“ „Das meinte ich auch nicht“, erwiderte Murangh. „Ich bin schon zufrieden, wenn Seine Durchlaucht erkennt, daß er nicht unbesiegbar ist. Viele kleine Nadelstiche ergeben in ihrer Summe große Veränderungen.“ In seiner Stimme schwang Verbitterung mit. Hasard vermutete, daß ihn persönliche Erlebnisse geprägt hatten. Da Murangh aber nicht von sich aus darüber sprach, drang er nicht weiter in ihn. Der Malaie hatte sicher seine Gründe, warum er sich auf Andeutungen beschränkte. Edwin Carberry kletterte soeben aus seinem Korb. Er massierte sein Kinn, streckte sich und stöhnte unterdrückt. „Ich dachte schon, der Törn nähme überhaupt kein Ende. So was von eng und ungemütlich hätte ich mir nicht träumen lassen.“ Den Zwillingen war anzusehen, daß sie eine Erwiderung auf den Lippen hatten. Aber statt den Profosen zu verärgern, halfen sie lieber, die Fische wieder in die Körbe zu packen. Die Menge war erschreckend gering. Was zuvor scheinbar
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zehn Körbe gefüllt hatte, fand nun in dreien Platz. „Das gibt heute keine besonders guten Geschäfte“, prophezeite Bob Grey. „Wir haben noch eine Fahrt vor uns“, antwortete Puhan. Der Reihe nach musterte er die Engländer, deren von Nußöl getönte Haut sie fast schon wie Malaien aussehen ließ. Sinnend schüttelte er den Kopf. „Etwas fehlt“, sagte er. „Es ist nicht eure Größe, die euch von der Menge abhebt – auch bei uns gibt es hochgewachsene Menschen. Desgleichen eure Kleidung: viele in Malakka tragen inzwischen Hemden und Hosen wie die Portugiesen. Aber beides zusammen, das stört mich.“ Er nahm seinen ausgefransten, von der Sonne gebleichten Strohhut und setzte ihn dem Seewolf auf. „Wie ein Suppentopf“, kommentierte Jung Philip. Einige lachten, aber Puhan nickte zufrieden. Er wandte sich an Murangh: „Hast du mehr Hüte? Und alte Kleidungsstücke?“ „Für zwei oder drei von ihnen reicht's. Den Rest muß ich erst besorgen.“ „Tu das!“ riet Puhan. „Je unauffälliger sich unsere Freunde bewegen können, desto besser ist es auch für uns.“ Murangh sagte: „Ich werde dafür sorgen, daß nicht mal mehr ihre Mütter diese Männer wiedererkennen.“ Der Fischer nickte zufrieden. Gemeinsam schleppten sie die Körbe wieder nach draußen und wuchteten sie auf die Karren. Unter der Tür blieb Puhan noch einmal stehen. „Was hört man eigentlich Neues?“ fragte er. „Ich habe mit dem Holzhändler gesprochen“, sagte Murangh. „Bis zum späten Nachmittag ist alles geliefert. Dann werden die Scheiterhaufen fertig aufgeschichtet.“ „Was bedeutet das für uns?“ erkundigte sich Juan de Alcazar. „Daß eure Freunde morgen, sobald die Sonne den höchsten Stand erreicht hat,
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ihren letzten Gang antreten“, erklärte Puhan. „Uns bleibt also ausreichend Zeit für Vorbereitungen.“ Hasard rief Puhan noch einmal zurück, der gerade im Begriff war, mit seinem Karren loszufahren. „Du wirst nicht alle meine Männer von Tanjong nach Malakka bringen. Sage Batuti und Jeff Bowie, sie sollen zur Schebecke segeln und Bescheid geben, daß sich Ben Brighton morgen mittag bereithalten muß. Kannst du dir die Namen merken?“ „Ich denke schon.“ Puhan nickte „Batu-Ti, Schef Bohi Ben Breiton.” * Für die Seewölfe war die Lage von Muranghs Haus ideal. Höchstens zweihundert Schritte von den ersten Anlegestellen entfernt, erhob es sich am östlichen Ende des freien Platzes zwischen den Kais und einer im Bau befindlichen Stadtmauer. Der Dicke der Fundamente nach zu urteilen, würde die Mauer sogar schweren Breitseiten aus Schiffsgeschützen widerstehen. Daß sich Albuquerque dermaßen einigelte, hatte zweifellos nichts mit den vermeintlichen englischen Spionen zu tun. Beides – sowohl der Mauerbau als auch seine Voreingenommenheit gegenüber den Arwenacks – war eher Ausfluß seiner Politik. Er ahnte, daß die portugiesischen Besitztümer entlang der Straße von Malakka nicht mehr lange unangetastet bleiben würden. Andere seefahrende Völker wollten an dem Reichtum, den das Gewürzmonopol der Portugiesen bedeutete, teilhaben. „Ideal wäre es, könnten wir von hier aus auch die Scheiterhaufen sehen“, sagte der Profos, während er, mit einigem Abstand vom Fenster, das Treiben im Hafen beobachtete. „Das ist unmöglich“, erklärte Murangh. „Der Platz, an dem die Hinrichtungen stattfinden, ist mindestens ebenso weit entfernt wie das Hafenbecken. Außerdem nehmen uns die Häuser die Sicht. Von hier
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aus können wir bestenfalls den aufsteigenden Rauch erkennen.“ Was er als Häuser bezeichnete, war eine Reihe windschiefer, halb verfallener Hütten, vor denen Dutzende Kinder im Straßenstaub herumtollten. Allem Anschein nach spielten sie Soldaten, denn die größeren von ihnen marschierten in Zweierreihe und fielen schließlich wie auf ein geheimes Kommando über die Kleineren her. Überlagert von den vielfältigen anderen Geräuschen waren „Ingles“- Ruf e zu vernehmen. „Das ist auch eine Art, sich die Zeit zu vertreiben“, bemerkte Bill. „Du hättest natürlich etwas weitaus Besseres vor“, sagte Jung Hasard sofort. Bill bedachte ihn dafür mit einem irritierten Seitenblick. Offensichtlich verstand er nicht, auf was der Sohn des Seewolfs anspielte. Philip junior schlug in die gleiche Kerbe wie sein Zwillingsbruder: „Wenn ich an Dan und Patta denke ... Dan hat behauptet, dir wäre der Neid vom Gesicht abzulesen gewesen.“ „Ich ...?“ Bill verfärbte sich. „Das ist alles erstunken und erlogen.“ Den Seewölfen war anzusehen, daß allmählich die Anspannung von ihnen abfiel, unter der sie gestanden hatten. Nun, da sie wirklich wußten, daß ihnen bis zum Mittag des nächsten Tages Zeit blieb, brauchten sie nichts zu überstürzen und konnten sich mit den Örtlichkeiten vertraut machen. Dazu gehörte, daß Murangh ihre Maske vervollständigte. Der kleine Malaie verschwand für mehr als eine halbe Stunde. Als er zurückkehrte, brachte er genügend alte Kleidungsstücke und abenteuerlich anmutende Kopfbedeckungen mit. Natürlich hatte er die Arwenacks nicht ganz sich selbst überlassen, sondern ihnen drei große, bis zum Rand mit Reiswein gefüllte Krüge hingestellt. „Komm her, Freund!“ sagte Edwin Carberry. „Du hast die Arbeit, und wir haben das Vergnügen. Deshalb trink einen Schluck mit uns.“
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Der Profos meinte es wörtlich. Murangh war sichtlich erstaunt, daß tatsächlich nicht mehr als ein kleiner Schluck übrig war. Aber dann grub er irgendwo in seinem Haus noch einen vollen Krug aus. „Das ist der letzte“, erklärte er. „Teilt ihn euch ein.“ Hasard zog eine Silbermünze aus dem Fach in seinem Gürtel hervor und gab sie ihm. „Wir wollen nichts geschenkt“, sagte er lächelnd. „Schon deine Hilfe ist für uns unbezahlbar.“ Danach tauschten sie ihre Plünnen gegen die malaiischen Kleidungsstücke, die nicht gerade ein Muster an Sauberkeit waren. Sie verwandelten sich in Feldarbeiter und Bettler. „Wenn wir zurück sind, kriegt der Kutscher jede Menge Arbeit“, spottete Nils Larsen. „Ich gehe jede Wette ein, daß mindestens an den Strohhüten jede Menge Nissen kleben.“ „Und wenn schon“, erwiderte Sam Roskill. „Wie ich unseren Feldscher kenne, ist er rigoros und schneidet jedem die Haare ab. Das ist ja schließlich nichts, was nicht wieder nachwachsen würde.“ Er untersuchte seinen Hut dann allerdings peinlich genau. Sie hatten sich auf Englisch unterhalten, weil sie ihren Gastgeber nicht beleidigen wollten. Als Murangh interessiert fragte, erklärte Hasard, daß sie ihm für alles dankbar seien und hofften, die Malaien könnten bald das Joch der portugiesischen Unterdrückung abschütteln. Inzwischen war die Mittagsstunde angebrochen. Don Juan stellte fest, daß die zweite Lieferung der Fischer erstaunlich lange auf sich warten ließ. Doch er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da entdeckte Bill die heranrumpelnden Karren auf der Uferstraße. Puhan war diesmal nachdrücklicher kontrolliert worden als bei der ersten Fahrt. Jedoch hatte er es verstanden. den Wachen zwei der vier randvoll mit Fischen gefüllten Körbe unterzuschieben. „Ein drittes Mal möchte ich die Fahrt nicht riskieren“, gestand er. „Dann müßten wir
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uns einen anderen Weg einfallen lassen, in die Stadt zu gelangen.“ Hasards Entscheidung, vier seiner Männer in Tanjong zurückzulassen, erwies sich damit nachträglich als richtig. Er sah es an den Gesichtern der Neuankömmlinge. Eine Entdeckung durch die Portugiesen hätte zwangsläufig zu einer überstürzten Befreiungsaktion geführt, deren Ausgang schwer vorauszusagen gewesen wäre. Roger Brighton, Dan O'Flynn, Luke Morgan, Blacky, Piet Straaten und der Moses Clinton Wingfield wurden ebenfalls neu eingekleidet. Vor allem Clint, dessen blonde Haarwirbel unter einem übergroßen Strohhut verschwanden, war danach von einem Malaien nicht mehr zu unterscheiden. * Murangh versorgte die Arwenacks mit Essen. Es gab Fisch und eine Art Fladenbrot, das über glühenden Steinen gebacken wurde. Als die Seewölfe feststellten, daß der Malaie alle Arbeiten allein erledigen mußte, gingen ihm Bill, Clinton und die Zwillinge zur Hand. Murangh redete nicht viel. Trotzdem fanden sie nach und nach heraus, daß er bis vor wenigen Monaten mit einer Frau zusammengelebt hatte. Nachdem auf die Weise der Anfang gemacht war, ließ er seiner Verbitterung endlich freien Lauf. Die Portugiesen hatte er nie gemocht, aber Grund, sie zu hassen, hatte ihm vor allem Jacinto da Foz gegeben. Der Erste Sekretär Albuquerques war ein Mann ohne Skrupel, der sich, ohne zu fragen, nahm, was ihm gefiel, und Cumbila, Muranghs junge Frau, hatte es ihm von Anfang an angetan. Eines Abends hatte er sie von Soldaten abholen lassen. Murangh war nicht zu Hause gewesen, aber Nachbarn hatten ihm alle Einzelheiten berichtet. Seine verzweifelten Versuche, Cumbila zurückzuholen, waren im Sand verlaufen. Er schaffte es nicht, bis zu da Foz, geschweige denn zu Albuquerque vorzustoßen und wurde stets vorher
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abgefangen, verspottet und ausgelacht. Die Demütigung war vollkommen. Inzwischen wußte er, daß Cumbila das Haus des Sekretärs nicht verlassen durfte. Er bezahlte sie sogar für ihre Dienste – mit lumpigen, nahezu wertlosen Kupfermünzen. Eines Tages, wenn er ihrer überdrüssig wurde, würde er sie vielleicht zurückschicken. „Dafür töte ich ihn“, sagte Murangh. „Ich habe es geschworen.“ Während die einen aßen, standen die anderen vor den Fenstern und beobachteten das Geschehen im Hafen. Sie bemerkten ziemlich schnell, daß es plötzlich überall von Soldaten wimmelte. Die Portugiesen hielten jeden an, der ihnen über den Weg lief. Außerdem drangen kleine Trupps in die Häuser ein, die sie erst nach einer Weile wieder verließen. „Sir“, sagte Piet Straaten. „Die Portus lassen niemanden aus. Ich will verdammt sein, wenn die nicht nach englischen Spionen suchen.“ „Und?“ murmelte Edwin Carberry, während er seelenruhig einen Brotfladen in seiner Futterluke verschwinden ließ. „Sind hier etwa Spione?“ Er wischte die Finger an seiner Kleidung ab und massierte sich danach demonstrativ das Rammkinn. „Wir räumen die Kerle eben ab, falls sie hier erscheinen. Ich kann nicht glauben, daß sie ausgerechnet nach uns suchen.“ „Womöglich haben sie Puhan erwischt“, sagte Bill. „Inzwischen sind es mindestens zwei Hundertschaften“, sagte Piet Straaten. „Sie tragen Musketen und Piken.“ „Laß sehen!“ Der Profos schob ihn kurzerhand zur Seite. Er verzog das Narbengesicht zu einer abschreckenden Grimasse. „Tatsächlich“, sagte er grollend. „Diese Rübenschweine durchsuchen jedes Haus. Wir müssen kämpfen.“ Im selben Atemzug entwickelte, er auch schon einen Plan: „Sam, Piet und ich warten an der Tür auf die Kerle. Bevor die wissen, was los ist, schlägt bei ihnen der Donner ein. Bob, du hältst dich mit deinen Wurfmessern im Hintergrund, die anderen klarieren die
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Flaschenbomben.“ Er wandte sich an den Seewolf. „Sir, ich bin bereit, das Gefängnis zu stürmen. Wir haben nur verdammt wenig Zeit.“ „Zwei Pulverfäßchen zu mir!“ bestimmte Hasard. „Sam, Piet und die Zwillinge begleiten uns. Bob hätte ich ebenfalls gern dabei. Vergeßt nicht, Rauchbomben mitzunehmen.“ Draußen fielen Schüsse. Schreie waren zu hören. „Die Portus haben einen Malaien niedergeschossen, der sich der Kontrolle entziehen wollte“, meldete Piet Straaten vom Fenster. „Sieht so aus, als hätten sie jetzt mächtigen Ärger.“ Die Wuhling, keine fünfzig Schritte vor Muranghs Haus, war perfekt. Mindestens zwanzig Malaien bewarfen die Soldaten mit Steinen. Zwei Portugiesen sanken blutend zu Boden, die anderen formierten sich, brachten die Musketen in Anschlag und feuerten in die Menge. Wütendes Geheul brandete auf, flutete über den freien Platz hinweg wie eine alles verschlingende Woge und schwappte aus den Seitengassen zurück. Diejenigen Portugiesen, die ihre Musketen abgeschossen hatten, traten zurück und gaben das Schußfeld für die anderen frei. Währenddessen setzten sie neue Ladungen. Mindestens ein halbes Dutzend Malaien lagen entweder tot oder schwer verwundet auf dem Pflaster. Die Menge tobte. Steine flogen jetzt von allen Seiten heran, und immer mehr Krummdolche blitzten auf. Die Soldaten jagten die nächste Salve ungezielt in die Menge. Wieder gab es Tote. Aber inzwischen wagten sich einige Malaien bis an die Soldaten heran. Ebenso kompromißlos wie die Portugiesen, stachen sie mit ihren Dolchen zu. „An diesem Gemetzel tragen irgendwie auch wir die Schuld“, sagte Don Juan erbittert. „Warum stehen wir dann wie die Ölgötzen herum und greifen nicht ein?“ „Es würde nichts ändern, Senhor“, erklärte Murangh. „Viele von uns hassen die Unterdrücker, und hin und wieder entlädt sich dieser Haß. Dann werden Portugiesen mit durchgeschnittener Kehle gefunden,
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und Albuquerque läßt für jeden Toten fünf von uns hinrichten. Das da draußen wäre auch ohne eure Ankunft geschehen, nur eben nicht heute oder morgen.“ Ununterbrochen fielen Schüsse. Das Gebrüll der Malaien verstummte rasch, dafür hallten die Kommandos der Seeoffiziere über den Platz. In breiter Front drangen die Soldaten vor. Die Menge floh und verlief sich in den verwinkelten, unüberschaubaren Gassen der Altstadt. Zurück blieben außer den Toten etliche Verwundete, die bald vor einem erbarmungslosen Richter stehen würden. „Das wäre zumindest unsere Chance gewesen, unbemerkt das Gefängnis zu erreichen“, sagte Bill. Rund zwei Drittel der Soldaten beteiligten sich nicht an der Verfolgung des Mobs. Sie fuhren fort, die Häuser zu überprüfen. „Helft mir!“ forderte Murangh die Arwenacks auf. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen eine wuchtige Truhe, hatte aber Mühe, sie zu bewegen. Der Profos langte nur kürz mit zu. Nachdem auch noch der dünne Teppich verschoben war, konnten die Arwenacks auf den rohen Dielenbrettern die Umrisse einer quadratischen Falltür erkennen. Murangh zog die Klappe auf. Schale, modrige Luft schlug den Männern entgegen. „Wohin führt der Gang?“ fragte Hasard. „Nirgendwohin“, erwiderte der Malaie. „Da unten gibt es lediglich einen versteckten Vorratsraum, den schon der Vater meines Vaters anlegte, als noch der andere Alfonso Albuquerque seinen Eroberungsgelüsten freien Lauf ließ. Nur wenig hat sich in all den Jahrzehnten seither verändert.“ Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn, der ihm plötzlich in den Augen brannte und ihn zum Blinzeln zwang. „Der Raum ist groß genug für euch alle, die Portugiesen haben ihn nie entdeckt.“ Die ersten Arwenacks huschten die enge, steile Treppe hinunter. Ihnen blieb kaum noch Zeit, denn sie hörten die Soldaten
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schon im Nachbarhaus. „Vergeßt das Pulver nicht“, mahnte Dan O'Flynn. Der Seewolf schwang sich als letzter in die Luke. Ein trübes Halbdunkel empfing ihn. Er sah von Kerzenruß und Öllampen geschwärztes Mauerwerk und eiserne Halterungen neben der Treppe, aber dann hüllte ihn völlige Finsternis ein, da Murangh sofort die Klappe schloß und die Truhe wieder an ihren alten Platz wuchtete. Nur Augenblicke später, das dumpfe Poltern war soeben verstummt, erklangen schwere Schritte aus der Höhe. Unwillkürlich hielt der Seewolf den Atem an. Er spürte, daß es den Männern in seiner unmittelbaren Nähe ebenso ging. Sie waren auf engstem Raum zusammengepfercht, hatten kaum Platz, sich zu strecken, und das Gefühl, der schlechten Luft wegen ersticken zu müssen. Innerhalb weniger Augenblicke waren ihre Plünnen durchgeschwitzt. Durch den Fußboden und die unter den Dielen liegende Ascheschüttung gedämpft, drangen portugiesische Laute zu ihnen. Die Soldaten sprangen mit Murangh nicht eben sanft um. Hasard ertappte sich dabei, daß er die Schritte schwerer Stiefel über sich zu lokalisieren versuchte. Einer der Kerle blieb unmittelbar neben der Truhe stehen, die er offenbar inspizierte. Immerhin war sie groß genug, daß sich ein Mann darin verbergen konnte. Enttäuscht, nichts gefunden zu haben, warf er den Deckel zu. Das Krachen klang in dem darunterliegenden Gewölbe wie ein Culverinenschuß aus allernächster Nähe. „Affenärsche!“ raunte Carberry. Vorübergehend entstand Unruhe. Hasard wurde angerempelt und hätte sich, da er noch auf der Leiter stand und der herrschenden Enge wegen nicht weiter nach unten konnte, beinahe den Kopf an der Luke gestoßen. „Du zerquetschst mir den Fuß, Mister!“ schimpfte Luke Morgan, immerhin so leise, daß er oben gewiß nicht zu hören war. „Ed hat einen Tritt wie eine Elefantenkuh“, bestätigte Roger Brighton. „Möchte nur
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wissen, warum er hier herumstampft. He, was soll das?“ „Maul halten!“ zischte der Profos. „Ich spüre was.“ Glas klirrte. Danach herrschte wieder Stille. Nur von oben drangen noch die Stimmen der Portugiesen zu ihnen. Sie durchwühlten in der Tat jeden Winkel nach den vermeintlichen englischen Spionen. „Ed läßt sich inzwischen vollaufen“, flüsterte Piet Straaten. „Ich weiß nicht mal, welcher Fusel in der Flasche ist“, widersprach Carberry. Das Warten darauf, daß die Soldaten endlich wieder abzogen, wurde zur Qual. Die Wände des Gewölbes waren nur teilweise gemauert, der Rest bestand aus naturbelassenem Erdreich, durch das ständig Wasser sickerte. Entsprechend kühl war die Luft. Obwohl draußen nahezu tropische Temperaturen herrschten, fröstelten die Arwenacks. Endlich verstummte das Poltern über ihnen. Doch die Klappe blieb geschlossen, weil niemand die Truhe verschob. „Unser Freund hat uns vergessen“, sagte Jung Hasard. „Oder die Portugiesen haben ihn mitgenommen“, sagte sein Bruder. Die Luft wurde zunehmend schlechter. Es war klar, daß sechzehn Mann mehr verbrauchten, als durch die winzigen Ritzen in der Decke nachströmte. Dem Erstickungstod waren sie jedoch noch lange nicht nahe. „Klappe halten und am besten gar nicht mehr atmen!“ befahl Carberry. „Damit du das neue Fläschchen allein lenzen kannst?“ widersprach Bob Grey. „Das kommt überhaupt nicht in Frage.“ Der Profos seufzte abgrundtief. „Sir“, sagte er, „was meinst du?. Versuchen wir mal, die Falltür aufzuwuchten?“ In dem Moment hörten sie wieder Schritte. Jemand rückte die Truhe zur Seite. Als endlich die Luke aufglitt, hielten einige Arwenacks ihre Pistolen in Händen. Aber nur Murangh erschien in der Öffnung.
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„Ich wollte warten, bis die Portugiesen endgültig weg sind“, sagte er entschuldigend. Der Profos hielt ihm die erbeutete Flasche hin. Es war, wie sich erst jetzt herausstellte, guter, abgelagerter Rum. „Ich verstehe nicht, warum du uns den besten Tropfen vorenthalten wolltest.“ Carberry ..entkorkte die hoffnungslos verstaubte Buddel mit den Zähnen und roch genießerisch daran. „Hoffentlich gibt es noch mehr davon.“ „Allah möge verhüten, daß ich von dem Rum trinke.“ Murangh wehrte entschieden ab. „Ich habe nur vergessen, das Teufelszeug zu vernichten. Dabei hätte ich es längst tun sollen.“ „Das holen wir jetzt für dich nach“, versprach der Profos glaubwürdig. 7. Der Himmel über Malakka war trist und grau. Ein schneidender Westwind trieb schwarze Wolkenbänke über das Firmament, daß die Sonne innerhalb kürzester Zeit ihren Glanz verlor. Staub und Unrat wirbelten auf und sanken überall dort, wo sich der Wind brach, wieder zu Boden. Auch die Hafenbucht war betroffen. Der Wellengang wurde merklich höher. Von Gischt gekrönte Wogen klatschten gegen die Kais und spritzten in hohem Bogen über die Uferstraße. Die Portugiesen hatten alle Hände voll zu tun, ihre Schiffe sicherer zu vertäuen. In weniger als einer Viertelstunde wuchs sich der Sturm zu voller Stärke aus. Sein Heulen und Toben war für die Arwenacks eine einschmeichelnde Melodie, denn kein Portugiese würde sich bei dem Wetter ein paar verdreckte Malaien genauer ansehen als unbedingt nötig. Überhaupt waren plötzlich überraschend wenige Soldaten unterwegs. „Das ist die richtige Zeit für Erkundungen“, sagte der Seewolf. „Ed und Sam, ihr geht mit mir. Die anderen bilden ebenfalls Dreiergruppen. Seht euch genau um. Wo stehen Geschütze, die uns
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gefährlich werden könnten? Welche Fluchtwege bleiben uns zum Hafen und nach Tanjong offen?“ „Sir!“ rief der Moses. „Darf ich Sie begleiten?“ Hasard wollte zuerst abwehren, überlegte es sich dann aber doch anders. Clinton sah wirklich aus wie ein halbwüchsiger Malaie. Außerdem erregte er am wenigsten Verdacht. Bestimmt rechnete kein Portugiese damit, daß die Engländer ein Kind nach Malakka brachten. Wingfield strahlte übers ganze Gesicht, als der Seewolf zustimmend nickte. „Danke, Sir!“ Es goß in Strömen, als die Arwenacks nacheinander Muranghs Haus verließen. Niemand beachtete sie. Die letzten Händler hatten inzwischen ihre Waren auf Handkarren verladen und waren mit sich selbst beschäftigt. Für den Rest des Tages erwarteten sie kein Geschäft mehr, zumal nach dem blutigen Zwischenfall mit den Soldaten die Käufer ohnehin ausblieben. Der Regen peitschte den Arwenacks entgegen, als sie in westliche Richtung eilten. Rechterhand, am Ende einer Seitenstraße, erkannte der Seewolf für kurze Zeit den wuchtigen Gefängnisbau. Die Mauern waren zu dick, um sie mit wenigen Pulverfässern zu sprengen. Überhaupt hatten die Portugiesen das Stadtbild von Malakka längst entscheidend geprägt. Wohl die Hälfte aller Gebäude wirkte unverkennbar europäisch. Dazwischen erhoben sich die alten Bauten der Malaien wie ärmliche Hütten, die langsam, aber sicher dem Zahn der Zeit anheimfielen. Es sah nicht so aus, als würden noch die erforderlichen Reparaturen durchgeführt. Hasard verharrte im Schutz eines uralten Mangobaumes, dessen dichte Krone den Regen leidlich abhielt, und wartete darauf, daß der Profos, Sam Roskill und der Junge zu ihm aufschlossen. „Der Platz mit den Scheiterhaufen liegt zwischen der Kirche und dem Gefängnis“, sagte Carberry. „Wenn alle Gassen, die von dort wegführen, so verdammt eng sind wie die hier, werden wir wohl
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Schwierigkeiten haben, schnell genug zu verschwinden.“ Der Seewolf zuckte mit den Schultern. „Das gilt für unsere Verfolger ebenfalls, Ed. Wenn wir die Rauchbomben richtig zünden, sehen die Portus für eine Weile nicht mal mehr die Hand vor Augen.“ „Der Sturm verliert in den Gassen an Stärke“, sagte Clinton. „Zumindest peitscht er den Regen dort weniger heftig an die Wände.“ „Gut beobachtet, Junge“, lobte Sam Roskill und legte in einer väterlichen Geste dem Moses eine Hand auf die Schulter. Weiter westlich begrenzten Gräben und tief ausgeschachtete Löcher für massive Fundamente das Hafenviertel. Einige schon stehende Mauern ließen erkennen, daß festungsartige Wehrtürme errichtet werden sollten. Zwei Soldaten patrouillierten entlang der sich allmählich in einen schlammigen See verwandelnden Straße nach Tanjong. Noch waren sie nicht aufmerksam geworden, deshalb zog es Hasard vor, zum Hafen zurückzukehren. Der Regen ließ nach. Als gleich darauf die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken brachen, erinnerte Malakka mehr und mehr an eine dampfende Kombüse. Im aufsteigenden Dunst verschwanden die traurig auf mehreren Gebäuden flatternden portugiesischen Fahnen. Auch die Schiffe entlang der Kais wurden zu schemenhaften Gebilden. Seltsam verzerrt erklangen die grölenden Stimmen betrunkener Seeleute aus dem Nebel. „Weiß der Teufel, was die zu feiern haben“, sagte Carberry. „Jedenfalls tun sie gerade so, als sei der Hafen uneinnehmbar.“ „Es wäre leicht, die Schiffe jetzt zu versenken“, erwiderte der Seewolf. „Mit unseren paar Pulverfässern könnten wir Albuquerque ein Schauspiel liefern, das er sein Leben lang nicht mehr vergißt.“ „Das ist wirklich schade.“ Der Profos seufzte. „So eine Gelegenheit erhalten wir so schnell nicht wieder. Stell dir vor, die Schebecke würde aus dem Nebel
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auftauchen und zugleich aus allen Rohren feuern.“ „Kein Wort mehr! Wir sehen uns die Schiffe an, und dabei bleibt es. Albuquerque eine Lehre zu erteilen, werden wir morgen noch genügend Gelegenheit haben.“ Wahrscheinlich waren die Karavellen an dem Angriff auf die Schebecke beteiligt gewesen. Hasard fragte sich, wie viele Schiffe noch immer auf der Suche nach den Engländern die Malakkastraße durchkreuzten. Von Deck des zweiten Dreimasters aus wurden die Arwenacks angerufen. „He, ihr, was wollt ihr?“ „Wer?“ antwortete der Profos in gekonnt holperigem Portugiesisch. „Wir?“ „Siehst du sonst noch jemanden?“ „Nein, ich glaube nicht.“ Die Bordwache stieß eine ungehaltene Verwünschung aus. Es wurde klar, daß der Mann die vier Arwenacks für dumme Bauerntölpel hielt. Das vorletzte Schiff am Kai war der Viermaster, dem Dan, Bill und Don Juan während der vergangenen Nacht begegnet waren. Die Kriegskaravelle wirkte in der Tat imposant. Ihre über zwei Decks verteilten Stückpforten waren blutrot gestrichen, jedoch waren Teile der Farbe inzwischen vom Salzwasser zerfressen. „ ,Mar Tenebroso` „, las Sam Roskill den Schiffsnamen. „ ,Meer der Finsternis', das klingt alles andere als verheißungsvoll.“ „Ich möchte wissen, ob der übergroße Schlorren wegen uns Malakka angelaufen hat“, sagte der Profos. Er verstummte, denn vom Achterdeck klangen Schritte und Stimmen herüber. Gleich darauf verließen mehrere Offiziere und Soldaten das Schiff über die Stelling. Die Soldaten, mit wallendem Federschmuck auf den Hüten, formierten sich zur Marschordnung. Ohne die Arwenacks zu bemerken, die sich hinter mehrere Poller zurückgezogen hatten, stampften sie in Richtung Stadtmitte davon. Hasard blickte hinter ihnen her, bis sie vom Dunst verschluckt wurden.
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„Seeoffiziere sind über jeden Zweifel erhaben“, sagte er nachdenklich. „Ist es nicht so?“ Er blickte den Profos an, der sich –mangels anderweitiger Gelegenheit –das Rammkinn massierte. „Für gewöhnlich hast du recht“, erwiderte Carberry nach einigem Nachdenken. „Wenn du aber meinst, daß uns ihre Uniformen gut zu Gesicht stünden, muß ich dir widersprechen. Die Portugiesen kennen sich untereinander zu gut, als daß sie auf diesen ältesten aller Tricks hereinfallen würden.“ „Und wenn die ,Mar Tenebroso` ein Schiff ist, das bisher keiner kennt, das zum erstenmal in die Malakkastraße eingelaufen ist?“ Ein breites Grinsen huschte über Carberrys Narbengesicht. „Ja“, sagte er. „Warum eigentlich nicht? Wir schnappen uns ein paar von den Burschen und schmücken uns sozusagen mit fremden Federn. Die Frage ist nur, wie gelangen wir an sie ran, ohne Aufsehen zu erregen?“ „Wenn sie wirklich, wie wir annehmen, monatelang auf See waren, für was sind sie dann wohl besonders empfänglich?“ fragte Sam Roskill. „Frauen“, murmelte Carberry. „Das sage ich aber nur, weil ich dich kenne.“ „Vergessen wir's.“ Sam Roskill drehte sich einmal um sich selbst, als halte er nach geeigneten Personen Ausschau. „Mister Killigrew, Sir“, sagte der Moses. „Lassen Sie mich das übernehmen,“ „Was willst du tun?“ „Ich verkaufe meine Schwester“, erklärte Clint. „Alt genug bin ich, mir auf diese Weise ein paar Rupiahs zu verdienen.“ „Klingt nicht schlecht“, bestätigte Sam Roskill. „Ich möchte den sehen, der Clinton die Geschichte nicht abnimmt.“ * Dem Liegeplatz der „Mar Tenebroso“ gegenüber erhoben sich gemauerte Magazine. Nur noch zwei oder drei der ursprünglich hölzernen Lagerschuppen
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waren erhalten geblieben, jedoch ragten sie inzwischen derart windschief auf, daß anzunehmen war, einer der nächsten Monsunstürme würde sie endgültig umwerfen. Die Schuppen waren leer und ein idealer Unterschlupf für die vier Arwenacks, von dem aus sie das Kriegsschiff gut im Auge behalten konnten. Sie warteten über eine Stunde, ohne daß sie mehr zu tun hatten, als die Schläge der Schiffsglocken zu zählen. Inzwischen begann sich der Nebel zu lichten und in die Höhe zu steigen. Trotzdem wurde es nur unwesentlich heller, denn die Abenddämmerung war nahe. Wahrscheinlich stand die Sonne schon tief über dem Meer. „Das wird nichts mehr“, sagte Carberry. „Wenn wir länger warten, erreichen wir höchstens, daß sich Murangh und die anderen unnötig sorgen. Ich nehme an, inzwischen sind alle zurückgekehrt.“ Urplötzlich sprang Clinton auf. „Ich erledige das“, raunte er dem Seewolf zu und rannte davon, ehe ihn einer zurückhalten konnte. „Diese kleine Kröte!“ schimpfte der Profos. „Die Hosen sollte man ihm strammziehen ...“ „Laß ihn!“ sagte Hasard. „Seine Eigenmächtigkeit bringt uns bestimmt nicht in Teufels Küche. Er weiß hoffentlich, was er riskieren kann.“ Der Junge wurde erst in einigen Monaten dreizehn Jahre alt, hatte aber schon mehrfach bewiesen, daß er keine Gefahr scheute. Er war ein aufgewecktes, pfiffiges Bürschchen, zeitweise mit ausgefallenen Ideen, und die Arwenacks hatten ihn längst ins Herz geschlossen. Die letzten paar Yards bis zur Viermastkaravelle ging er langsam, danach stand er unschlüssig vor der Stelling und schien darauf zu warten, daß etwas geschah. „Die Portus ignorieren ihn“, stellte Carberry fest. „Es dauert nicht lange, dann hat er die Nase voll und kehrt zurück.“
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Aber da irrte der Profos. Clinton Wingfield dachte gar nicht daran, aufzugeben. Kurz entschlossen enterte er die Stelling auf. Ungläubig schüttelte Carberry den Kopf. „Das gibt es doch nicht, Leute“, ante er. „In seinem Übereifer bringt uns Clint alle noch an den Galgen.“ * Der Moses hatte sich sein Vorgehen in der Tat leichter vorgestellt. Die Wachen auf Kuhl und Achterdeck des Kriegsschiffs beachteten ihn nicht, für sie war er wie die vielen anderen schmutzigen Gassenjungen, die läufig auf der Suche nach brauchbaren Abfällen die Karavelle umlagerten. Nach einer Weile verlor Clint die Geduld. Wenn er nicht den Rest des Abends vor dem Schiff verbringen wollte, mußte er handeln. Er entsann sich, daß sein Vater stets gesagt hatte, auch gute Waren müsse man anpreisen wie saures Bier, da sonst die Kunden ausblieben. Und etwas Wahres war an dem Ausspruch, andernfalls wäre das elterliche Geschäft für Schiffsausrüstungen in London sicher nicht so gut gelaufen. Konkurrenz gab es schließlich genug. Clinton nahm all seinen Mut zusammen. Er ballte die Hände und lief einfach los, die Stelling hinauf und durch die Pforte im Schanzkleid der „Mar Tenebroso“. Eine Pike stoppte seinen Eifer. Er spürte die plattförmige Klinge an seinem Bauch und stieß einen schrillen Aufschrei aus. „Da ist wieder eine dieser Hafenratten“, sagte die Wache. „Man sollte euch Burschen das Fell über die Ohren ziehen.“ Mit hängenden Schultern stand Clint da und starrte furchtsam die Waffe an, die ihn jeden Moment durchbohren konnte. Aber dann handelte er blitzschnell, packte den Schaft der Pike mit der linken Hand unterhalb der Eisenspitze und stieß sie von sich, während er zugleich mit einer geschickten Drehung ans Schanzkleid zurückwich. Der Portugiese wurde davon völlig überrascht. Er versuchte zwar noch, dem Jungen die Pike zwischen die Beine zu
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werfen und ihn zu Fall zu bringen, doch Clinton war abermals schneller und erreichte mit wenigen Sätzen den Niedergang zum Achterdeck. „Bleib stehen, du Ratte!“ brüllte die Wache. Clinton lachte hell. Aus den Augenwinkeln heraus hatte er bemerkt, daß ein zweiter Soldat seinen Posten auf dem Vorschiff verließ, um einzugreifen. Auf dem Achterdeck, allerdings auf Höhe des Bonaventuramastes, stand ein dritter Wachgänger. Eigentlich saß er in der Falle und hätte sich mit einem Sprung über Bord retten müssen. Der Zugang zum erhöhten Achterdeck war ihm verwehrt, und die Verfolger hasteten beide Niedergänge hoch. Aber Clint hatte andere Absichten. „Mir nichts tun!“ schrie er in gerade noch verständlichem Portugiesisch, das den Gassenjungen glaubhaft erschienen ließ. „Ich Freund!“ Als die Männer trotzdem näher rückten, bewaffnete er sich mit etlichen Belegnägeln. „Ich will Geschäft machen!“ rief er. Die Soldaten dachten nicht daran, ihn anzuhören. Bis auf zehn Schritte ließ er sie an sich heran, ehe er die Belegnägel warf. Er zielte absichtlich daneben, weil er die Männer nicht unnötig gegen sich aufbringen wollte. Dumpf dröhnend krachten die mit aller Kraft geschleuderten Hölzer auf die Planken. In den Offizierskammern konnte der Lärm gar nicht zu überhören sein. Die Wachen versuchten, ihn einzukreisen. Clint blieb keine andere Wahl, als sich in die Besanwanten zu schwingen, wobei er noch einmal drei Belegnägel an sich raffte. Mit affenartiger Geschicklichkeit enterte er auf und ließ die Hölzer aus einer Höhe von fast dreißig Fuß fallen. Der Mann, der ihn schon mit der Pike bedroht hatte, legte nun die Pistole auf ihn an. Den Lauf am linken Unterarm abgestützt, würde er auf die kurze Distanz sicher treffen. „Komm runter, oder ich hol dich mit einer Kugel!“
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„Nicht schießen, Senhor!“ krächzte Clinton. „Bitte nicht. Ich tue Ihnen nichts.“ Weitaus langsamer als zuvor hangelte er in die Tiefe. Sein Herz vollführte einen wahren Luftsprung, als endlich zwei Offiziere unter dem erhöhten Achterdeck hervortraten. Schweigend sahen sie zu, wie Clint am Schanzkleid von den Wachen gepackt und nach mittschiffs gestoßen wurde. „Du wolltest stehlen?“ herrschte einer von ihnen den Jungen an. „Nein, Senhor“, erwiderte Clint. „Lüg nicht!“ Heftig schüttelte Wingfield den Kopf. Der kegelförmige Strohhut aus Muranghs Bestand saß fest wie angewachsen. „Meine Schwester, Senhor ...“ Der Offizier musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Was ist mit deiner Schwester?“ „Sie ist eine Schönheit, Herr, gerade zwanzig Lenze alt. Und sie hat es gern, wenn stattliche Offiziere ...“ Wieder brach Clint mitten im Satz ab, als scheue er sich davor, in Gegenwart der Soldaten deutlicher zu werden. Das Grinsen der Männer war ohnehin eindeutig. Er verstand zwar noch nicht, welche Gefühle sie bewegten, aber der plötzliche Glanz ihrer Augen verriet ihm genug. Ein dritter Mann betrat das Achterdeck. Er war groß und hager, hatte ein Geiergesicht und tiefschwarze Ringe unter den Augen. „Ein wenig beherrsche ich die Sprache der Malaien“, sagte er. „Wird meine Hilfe benötigt?“ „Der Junge spricht leidlich portugiesisch, Dom Otelo“, erwiderte der größere der Offiziere. „Wir kommen schon klar mit ihm.“ Unwillkürlich hielt Clint die Luft an. Daß ihn einer der Männer auf malaiisch anreden könnte, hatte er nicht erwartet. Prompt wandte sich Dom Otelo auch an ihn. Er sagte zwar nur wenige Worte, doch deren Sinn blieb dem Moses der Arwenacks völlig rätselhaft. Jetzt ist alles aus dachte Clint bestürzt. Aber dann nahm er seinen ganzen Mut
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zusammen und antwortete in einem fürchterlichen Mischmasch aus indischen und malaiischen Begriffen, die er außerdem um eigene Wortschöpfungen erweiterte. Dabei beobachtete er den hageren Portugiesen genau. Dom Otelo wirkte für einen Moment irritiert, zuckte dann aber ergeben mit den breite Schultern. „Tut mir leid, Senhores“, sagte er. „Ich lebe im Gegensatz zu Ihnen zwar schon seit Jahren in diesem Teil der Welt, aber den Jungen verstehe ich trotzdem noch nicht. Die Sprache ist schwer zu erlernen.“ Lag da wirklich ein flüchtiges Aufblitzen in seinen Augen? Clint war sich seiner Beobachtung nicht sicher. Auch das spöttische Grinsen, das Dom Otelos Mundwinkel umspielte, war nur von kurzer Dauer. Die Offiziere schickten die Wachgänger zurück auf ihre Posten. Danach packten sie den Jungen an den Armen und zogen ihn mit sich, den Niedergang zur Kuhl hinunter. „Es ist gut, Dom Otelo“, sagte einer. „Wir brauchen Ihre Hilfe nicht mehr.“ Der andere wandte sich an Wingfield: „Wie ist das mit deiner Schwester? Ist sie wirklich so schön, wie du behauptest?“ „Ich lüge nicht, Senhor. Aber Patta will zwei Rupiahs.“ Er setzte eine geschäftstüchtige Miene auf. „Von jedem natürlich.“ Die Kerle konnten es tatsächlich nicht erwarten. Als sie gemeinsam die Stelling betraten, nahm sich der Moses fest vor, demnächst herauszufinden, was das für ein Gefühl war, das sogar Offiziere in eine so plumpe tappen ließ. 8. Er führte die ahnungslosen Portugiesen geradewegs zu dem Lagerschuppen, wo der Seewolf, Sam Roskill und der Profos seinetwegen schon Ängste ausstanden. Die beiden Offiziere folgten ihm wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt wurden. Clinton Wingfield war sich seiner Wichtigkeit bewußt. Er war stolz darauf,
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zu den Seewölfen zu gehören, und er würde alles tun, daß es auch in Zukunft so blieb. Irgendwann mußte er es schaffen, nicht nur als einfacher Moses, sondern als vollwertiges Crewmitglied unentbehrlich zu werden. „Gleich sind wir da“, sagte er. „Patta wartet schon auf uns.“ „In dem Lagerschuppen?“ fragte der ältere Portugiese. „Habt ihr kein vernünftiges Haus?“ „Magazin schaut nur von außen schäbig aus“, behauptete Clint. Offenbar wurden die Portus nun doch mißtrauisch. Sie zogen ihre Pistolen, während der Junge eine nur angelehnte Seitentür öffnete. Das Knarren der rostigen Angeln ging durch und durch. „Geh du voran, Bursche!“ Clint stieß die Tür weit genug auf, daß die Offiziere das dämmerige Innere des Schuppens wenigstens teilweise überblicken konnten. Bis auf einige undefinierbare Statuen und Kisten war der Raum leer. Unvermittelt spürte der Moses eine kräftige Hand, die seine linke Schulter umklammerte. „Sie tun mir weh, Senhor“, ächzte er. „Ich will nur vermeiden, daß du plötzlich verschwindest. Was hast du vor? Das mit deiner Schwester ist doch nur ein Vorwand?“ „So ist es, Euer Gnaden.“ Die Stimme hinter ihnen ließ die Portugiesen herumfahren. In der Türöffnung stand ein mordshäßlicher Riese mit Narbengesicht und gewaltigem Kinn. Daß er noch gewaltigere Fäuste hatte, sollte der erste der Offiziere sofort spüren. Nur .ein lautes Patschen war zu vernehmen, dann sank er wie ein nasser Sack in sich zusammen. Clint reagierte sofort, rammte dem anderen Seeoffizier die kleinen Fäuste in die Magengrube und biß zu. Wie eine Wildkatze schnappte er mit den Zähnen nach dem Handgelenk des Gegners, der keine Gelegenheit fand, seine Pistole abzufeuern. Ein Schuß hätte alles verraten.
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Der Kerl schrie auf und schlug mit aller Kraft zu. Clint konnte seiner raust nicht ausweichen, in seinem Schädel dröhnte es, als hätte er den Großbaum der Schebecke gerammt. Vergeblich kämpfte er gegen die aufwallende Übelkeit an. Durch einen dichter werdenden Schleier hindurch sah er noch, daß der Profos Gleiches mit Gleichem vergalt. Dann war nichts mehr außer dem Gefühl, in einen endlos tiefen Schacht zu stürzen. Irgendwann verlangsamte sich der Sturz. Wie ein Ertrinkender schlug Clinton Wingfield mit Armen und Beinen um sich. Jemand berührte seine Stirn. „Beruhige dich, Söhnchen. Außer einem gehörigen Brummschädel hast du zum Glück nichts abgekriegt. War schon toll, wie du die Offiziere angeschleppt hast.“ Er wollte sich aufraffen, doch der Profos drückte ihn sanft zurück. „Bleib liegen, Clint. Du bist noch nicht wieder gut auf den Beinen. Dich hat's umgeworfen wie einen Flaggenstock beim größten Orkan.“ Wenigstens klärte sich sein Blick wieder. Mehrmals hintereinander atmete er tief ein. Er sah die beiden portugiesischen Seeoffiziere. Einer lag in seltsam verrenkter Haltung am Boden, den anderen hatte Sam Roskill unter den Achseln gefaßt und halb hochgehoben. Der Mann wirkte wenig imposant in seiner reichlich grauen Leinenunterwäsche. Edwin Carberry, der Profos der Arwenacks, hatte sich ebenfalls verwandelt, jedoch zu seinem Vorteil. Er trug jetzt die weite Pluderhose und die mit Spitzenmanschetten versehen Stulpenstiefel. Während er mit der Hose keine Probleme hatte, schienen die Stiefel, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, etwas zu klein geraten zu sein. Das bestickte Wams und die ebenso kostbar wirkende Schärpe, die er sich um die Hüfte geschlungen hatte, verwandelten ihn in einen Mann von hoher Geburt. Mit einer Miene, als wolle er nacheinander alle Soldaten der vor Malakka liegenden Karavellen zum Duell fordern, prüfte er die Biegsamkeit des erbeuteten Degens. Daß
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ihm Sam als letztes Kleidungsstück den mit wallenden Federn geschmückten Hut hinhielt, übersah er zunächst. Der Seewolf beteiligte sich nicht an der Maskerade. Er zog den anderen Portugiesen aus, fesselte und knebelte ihn, daß er sich während der nächsten zwanzig Stunden bestimmt nicht selbst befreien konnte, und schleppte ihn in den hintersten Winkel des Magazins. Zwischen Kisten und anderem Gerümpel verborgen, würde ihn vorerst niemand entdecken, ganz abgesehen davon, daß der Lagerschuppen wohl nicht mehr sehr oft benutzt wurde. Kurze Zeit später waren Sam Roskill und Edwin Carberry kaum mehr wiederzuerkennen. Der Profos hatte die Hutkrempe so weit nach vorn gezogen, daß sie sein markantes Profil weitgehend verdeckte. „Entledigt euch der Plünnen, bevor ihr wieder an Bord der Schebecke geht“, sagte Hasard mit einem unverkennbaren Augenzwinkern. „Sonst kann ich für nichts garantieren.“ * Die Nacht senkte sich schnell über Malakka. Bis auf Philip Hasard Killigrew und seine Begleiter waren inzwischen alle Arwenacks zu Muranghs Haus zurückgekehrt. Sie brachten wertvolle Informationen mit. Insbesondere die Zwillinge hatten zwei Geschützstände mit jeweils drei weitreichenden 24-Pfündern erkundet, deren Gefährlichkeit nicht zu leugnen war. Es handelte sich um einen bereits fertig gestellten Teilabschnitt der neuen Festungsmauer, der wegen der noch gelagerten Baumaterialen von außerhalb aber schlecht einzusehen war. Auch die Sicht aus der Höhe wurde von erst halb abgebauten Gerüsten eingeschränkt. „Die Stellung sprengen wir, Bruderherz“, sagte Jung Philip zuversichtlich. „Im Morgengrauen sollten wir Pulver und Lunten anbringen.“ „Ob bei der Stärke der Mauer jeweils ein Faß ausreicht?“
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„Wir müssen die Löcher nur richtig verdämmen. Sand und Kalk gibt's im Überfluß, Steine auch. Außerdem sollten wir das Pulver unterhalb der Mauerkrone verbergen. Über die Gerüste schaffen wir es gerade noch bis da hinauf.“ „Wie lange brennt eine Zündschnur von ungefähr zwölf Yards?“ „Lange genug, daß euch keiner der Mauerbrocken auf den Kopf fällt“, sagte Dan O'Flynn. Murangh hatte die beiden einzigen, ebenerdig liegenden Fenster mit Decken verhängt und zündete Kerzen an. Draußen herrschte mittlerweile finstere Nacht, die nur vom Mond, der sich fahl in der Hafenbucht spiegelte, und den Laternen der Karavellen spärlich erhellt wurde. Die innere Unruhe der Arwenacks, die sich nicht erklären konnten, warum Hasard und seine Begleiter noch ausblieben, steckte den Malaien an. Immer öfter spähte er durch die alles verzerrenden Scheiben nach draußen. Deshalb sah er die Portugiesen rechtzeitig, die sich zielstrebig dem Haus näherten. Seine Warnung traf die Arwenacks nahezu unvorbereitet. Mit einer erneuten Durchsuchung hatten sie nicht gerechnet. „Wir steigen wieder in den Keller hinunter“, sagte Don Juan. „Vergiß es“, erwiderte Bill, der neben den Malaien ans Fenster trat. „Die wissen diesmal, warum sie hier sind. Es sieht so aus, als hätten sie Clinton erwischt.“ „Und Dad und die anderen?“ fragte Jung Hasard schnell. Bill schüttelte nur den Kopf. „Bis jetzt sind es nur zwei Offiziere“, sagte Murangh. „Das ist eine Finte“, widersprach Roger Brighton. „Sobald die Portus wissen, wo sie uns finden können, bieten sie bestimmt alles auf, was sie haben.“ „Geht weg vom Fenster!“ befahl Don Juan. „Und schießt nicht zu früh! Clint darf nicht verletzt werden. Er ist der einzige, der berichten kann, was geschehen ist.“ Wieder sah es so aus, als müßten sie ihre Pläne umstoßen. Wenn sie zum Kämpfen gezwungen wurden, blieb nicht viel Zeit,
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die Gefangenen zu befreien. Was in einem solchen Fall zu tun war, hatten sie inzwischen gründlich durchgesprochen. Die Zwillinge kümmerten sich um das Pulver, Dan, Blacky und Piet Straaten waren für. Höllenflaschen und Rauchbomben verantwortlich. Egal, was geschah, an dem Kampf gegen die Soldaten durften sie sich auf keinen Fall beteiligen. Die sich nähernden Schritte verhielten kurz vor dem Haus, dann wurde die Tür aufgestoßen. Ein hochgewachsener, überaus kräftiger Seeoffizier polterte herein. Unmittelbar hinter ihm folgte Clinton. Der Moses stieß einen überraschten Aufschrei aus, als er sich unerwartet gepackt und zur Seite gezerrt fühlte. Der Offizier vor ihm wirbelte zwar noch herum, um ihm beizustehen, hatte aber plötzlich selber alle Hände voll zu tun. „Nein!“ schrie Clinton. „Nicht ...“ „Ihr Affenärsche!“ schnaubte der Offizier und brachte allein damit den Angriff zum Stehen. Nils Larsen und Roger Brighton, die seine Fäuste schon gespürt hatten, brauchten ein wenig länger, bis sie begriffen, daß sie sich beinahe mit ihrem Profos angelegt hätten. Dann gab es aber doch ein ziemlich großes Hallo, zumal hinter Carberry und Roskill endlich auch der Seewolf erschien. Er wollte nur nicht mit den beiden zusammen gesehen werden und hatte sich deshalb auf Distanz gehalten. * Jacinto da Foz haßte nichts mehr, als zu nachtschlafender Zeit von unangemeldeten Besuchern gestört zu werden. Wenn diese ungebildeten Tölpel hartnäckig auf einer Unterredung bestanden, hätte er sie am liebsten ohne Rücksicht auf Person, Stand und ihr Begehren ins Gefängnis werfen lassen. Besonders schlimm wurde es, wenn ihn diese angeblich unaufschiebbaren Amtsgeschäfte von der notwendigen Zerstreuung in Cumbilas Armen fernhielten.
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„Dom Otelo Saraiva de Carvalho“, wiederholte er grimmig den Namen, den ihm sein Diener katzbuckelnd nannte. „Was will er?“ „Ich weiß es nicht, Herr.“ „Dann sag ihm, er soll sich zum Teufel scheren!“ Kurze Zeit später erschien der Diener zum zweitenmal. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, daß er sich lieber in einer Ecke verkrochen hätte, als da Foz zu überbringen, was ihm der hartnäckige Störenfried aufgetragen hatte. „Dom Otelo soll verschwinden!“ sagte der Sekretär Albuquerques ungehalten. „Hast du nicht verstanden?“ „Der Capitan sagt, Herr, der Teufel wird dich in die Hölle holen, wenn du ihn nicht anhörst.“ Jacinto da Foz kniete in einem Meer zerwühlter Kissen. Daß er nahezu unbekleidet war, störte ihn wenig, doch de Carvalhos Unverfrorenheit sorgte dafür, daß er sich mehrmals hintereinander verfärbte. Erst schoß ihm die Zornesröte ins Gesicht, danach wurde er bleich wie eine frisch gekalkte Wand. „Dom Otelo wurde seines Kommandos über die ,Serra da Estrela` enthoben. Ich kann es ihm nicht zurückgeben, wenn er das verlangt.“ „Er sagt, Herr, wenn du ihn nicht anhörst, werden dich die englischen Spione um Kopf und Kragen bringen.“ Da Foz benutzte den nächstbesten Gegenstand als Wurfgeschoß. Daß er ausgerechnet einen Zinnpokal erwischte und sich der noch darin befindliche Rotwein über die Kissen ergoß, trieb ihn zur Weißglut. Der Diener, der mit einer knappen Drehung ausgewichen war, stellte den Pokal auf ein Tischchen und fragte unterwürfig: „Soll ich den Capitan in die Bibliothek führen, Herr?“ „Tu das!“ schnaubte da Foz. „Aber sollte die Unterredung länger als eine Viertelstunde dauern, schaff die Hunde herbei.“ Er ließ sich Zeit beim Ankleiden, achtete aber auch nicht mehr auf Cumbila, die
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ziemlich hastig einen vollen Becher Rotwein leerte. Manchmal hatte er das Gefühl, daß sie seine Nähe nur mit genügend Alkohol ertrug. Mit einer heftigen Handbewegung wischte er die unangenehmen Überlegungen beiseite und schob die Schuld daran Dom Otelo zu. Letztlich führte das dazu, daß er in die Bibliothek stürmte, als wolle er de Saraiva eigenhändig erwürgen. Der ehemalige Capitan hatte sich schon auf einen der hochlehnigen Sessel gesetzt. Er deutete nur eine knappe Verbeugung an, als da Foz den Raum betrat. „Also“, forderte der Erste Sekretär, „schießen Sie los! Meine Zeit ist knapp bemessen.“ „Wenn Sie hören, was ich zu sagen habe, haben Sie vermutlich alle Zeit der Welt für mich.“ „Sie wollen, daß ich Sie wieder zum Kommandanten der ,Serra da Estrela` ernenne? – Nein!“ „Auch nicht, wenn ich Ihnen die englischen Spione ausliefere?“ „Was wissen Sie schon?“ „Mehr als genug. Mir ist bekannt, daß sich eine Handvoll Ingles in Malakka aufhält. Was das bedeutet, Senhor da Foz, können Sie wohl selbst ermessen.“ Der Erste Sekretär fixierte ihn eindringlich. „Wie sicher ist Ihre Information, Dom Otelo?“ Der Kommandant antwortete mit einer Gegenfrage: „Die Straße von Malakka ist mir beinahe ans Herz gewachsen. Haben Sie wirklich kein Interesse mehr an meinen Diensten?“ „Ich werde mich bei Seiner Durchlaucht für Sie einsetzen“, versprach da Foz. „Dann sollten wir nicht zögern, den Spionen das Handwerk zu legen. Ich kenne ihren Unterschlupf. Es war verhältnismäßig leicht, ihnen zu folgen.“ * Die Arwenacks warteten nur bis kurz nach Mitternacht, ehe sie wieder aufbrachen. Nach einem leichten Regenschauer hatte sich das Wetter beruhigt, und vom nahezu
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wolkenlosen Himmel erstrahlten die Sterne in gewohntem Glanz. Die Zwillinge luden sich jeder ein Fäßchen Pulver auf die Schultern, versorgten sich mit entsprechend langen Lunten und verschwanden wie Schatten in der Nacht. Hilfe hatten sie abgelehnt, da anzunehmen war, daß Wachgänger bei den Geschützen patrouillierten. Jeder weitere Mann hätte die Gefahr der Entdeckung vergrößert. Die Gassen und Plätze Malakkas lagen verlassen vor ihnen. Nur noch streunende Katzen schienen die Stadt zu bevölkern, gelegentlich kläffte in einer der Hütten ein Hund. Nur einmal waren die Zwillinge gezwungen, sich nach einer Deckung umzusehen, als ihnen ein Trupp von sechs Soldaten entgegenrückte. Die Männer kehrten offenbar auf ihr Schiff zurück. Sie lachten und zerrissen sich die Mäuler über das Land, in dem nur die Gewürze wertvoll waren. Als die Stimmen verklungen waren, setzten die Arwenacks ihren Weg fort. Die halbfertige Mauer und ein Wehrturm ragten als dunkler Wall nahezu fünfzehn Yards hoch vor ihnen auf. Zwischen den Zinnen war der Schein von Laternen sichtbar, gelegentlich auch der Schatten eines Wachgängers, dessen Aufmerksamkeit aber ausschließlich der Bucht von Malakka galt und nicht dem Gebäude unterhalb der Geschützstellungen. Philip schwang sich als erster auf das Gerüst. Es knarrte leise und schabte an der Mauer, aber der von See her wehende leichte Wind übertönte die Geräusche. Weit oben, knapp vier Yards unterhalb des Wehrganges, klafften noch Höhlungen in der Wand, die an Stückpforten erinnerten. Vielleicht sollten dort eines Tages weitere Kanonen aufgestellt werden. Philip verstaute das erste Pulverfaß sorgfältig und verdämmte es mit Steinen, die sein Zwillingsbruder in die Höhe reichte. Anschließend verschmierte er das Ganze mit zähem Mörtel, der bis zum Mittag wohl einigermaßen aushärten würde.
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Die zerstörerische Wirkung des explodierenden Pulvers sollte nicht größtenteils verpuffen, sondern ein ansehnliches Loch in die Mauer reißen. Noch größere Sorgfalt verwandte er auf die Befestigung der langen Lunten, die er in Mauerfugen bis dicht über den Boden führte. Ungefähr eineinhalb Stunden vergingen, bis beide Fässer zur Zufriedenheit der Zwillinge untergebracht waren. Mehrmals hatten sie die Arbeit unterbrechen müssen, weil die Wachgänger ausgerechnet über ihnen stehenblieben und sich unterhielten. Die für den Mittag vorgesehene Hinrichtung der vier Gefangenen war einziger Gesprächsstoff der Portugiesen. Die beiden Arwenacks hatten gerade erst den Rückweg angetreten, als aus Richtung Stadtmitte Schüsse erklangen. Jung Hasard hielt seinen Bruder zurück. „Was mag da los sein?“ fragte er. „Das erfahren wir nur, wenn wir weitergehen“, erwiderte Philip. „Was ist, wenn die Portus welche von uns erwischt haben?“ Philip schüttelte den Kopf. „Das wäre zwar fatal, aber wir könnten es nicht ändern.“ Die Schüsse wiederholten sich nicht. Vielleicht hatten sie aufständischen Malaien gegolten, die während der Nacht Vergeltung für das Blutbad des vergangenen Tages suchten. Philip und Hasard beschäftigten sich in Gedanken schon mit der Befreiungsaktion, als sie plötzlich von Soldaten umringt wurden. Die Portugiesen hatten ihnen aufgelauert. Gegen zehn schußbereite Musketen hatten die Zwillinge keine Chance. Anfangs hielten die Soldaten sie wohl noch für Malaien, aber dann entdeckten sie die Pistolen, die beide in ihrem Hosenbund stecken hatten. „Abführen!“ befahl der kommandierende Offizier. Für die Arwenacks bestimmt, fügte er hinzu: „Auf dem Scheiterhaufen wird es vielleicht ein wenig eng werden, dafür aber schön heiß.“ 9.
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Edwin Carberry war zusammen mit Dan O'Flynn und Bob Grey aufgebrochen, um die nähere Umgebung der Scheiterhaufen in Augenschein zu nehmen. Der Platz war groß genug für eine mehrhundertköpfige Menschenmenge, sogar aus den Seitengassen bot sich noch ein einigermaßen guter Blick auf die Hinrichtungsstätte. Die Häuser ringsum waren aus Stein gebaut und wurden von dem kantigen Gefängnisblock überragt. Die überwiegend flachen oder nur sanft geneigten Dächer konnten leicht von einem einzigen Mann verteidigt werden – notfalls sogar gegen ein kleines Heer, falls diesem einen die richtigen Waffen zur Verfügung standen. Carberry deutete in die Höhe. „Ich denke, heute mittag lasse ich mich da oben von der Sonne braten. Vier oder fünf Höllenflaschen und Rauchbomben genügen, um Albuquerques Soldaten zurückzuhalten. Wir dürfen nicht unterschätzen, welche Auswirkungen unser Angriff auf die Schaulustigen haben wird. Wahrscheinlich sind innerhalb kürzester Zeit alle Gassen hoffnungslos verstopft.“ „Bis dahin müssen wir weg sein“, sagte Dan. „Sind wir“, versprach der Profos. „Ich will mir nur noch den Platz von oben anschauen. Helft mir mal!“ Er dirigierte Dan und Bob Grey an den nächsten fensterlosen Abschnitt einer Hauswand und stieg auf ihre Schultern. Wenn er die Arme ausstreckte, konnte er gerade noch einen vorspringenden Dachbalken erreichen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß ihn der Balken auch wirklich aushielt, zog er sich daran in die Höhe. Das letzte Stück überwand er mit einem kraftvollen Aufschwung. Ehe er zum benachbarten Dach übersetzte, bedeutete er seinen Begleitern mit einem flüchtigen Wink, daß sie zu den Scheiterhaufen gehen sollten. „Was hat er davon?“ fragte Grey. „Keine Ahnung“, erwiderte Dan. „Womöglich nimmt er jetzt schon genau Ziel. Ist doch schade um das viele Holz,
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das Albuquerque so sinnlos verbrennen läßt.“ „Haben wir eigentlich noch ein Pulverfäßchen übrig?“ Dan schüttelte den Kopf. „Ist alles verplant. Warum?“ „Nur so. Ich dachte nur eben, was es für ein schönes Feuerwerk gäbe, wenn wir Pulver zwischen den Holzstößen verstecken würden.“ Nacheinander verließen sie die Gasse und traten auf den Platz hinaus. Etwa auf halbem Weg wandten sie sich um und versuchten, den Profos zu entdecken. „Wenn du ihn nicht siehst“, sagte Bob Grey, „wer sollte ihn dann da oben bemerken?“ „Am Tag hat er es nicht ganz so leicht“, erwiderte Dan. „Andererseits werden alle abgelenkt sein.“ „Mist!“ schimpfte Grey. Von zwei Seiten näherten sich Soldaten im Laufschritt. Es war klar, daß sie die Arwenacks entdeckt hatten. Gleichzeitig fielen Schüsse. Die Kugeln klatschten aufs Pflaster und sirrten als Querschläger davon. „Sieben gegen zwei“, raunte Bob Grey. „Laß sie heran.“ Es hatte wenig Sinn, wenn sie zu fliehen versuchten. Wahrscheinlich würden die Soldaten dann die halbe Stadt alarmieren. Doch ganz so unbedarft, wie Bob gehofft hatte, zeigten sich die Portugiesen nicht. Während drei von ihnen mit ihren Musketen die Arwenacks in Schach hielten, traten die anderen hinter sie und banden ihnen die Arme auf den Rücken. Nicht einen Moment lang hatten sie eine Chance, sich zur Wehr zu setzen, ohne fürchten zu müssen, daß sie sofort erschossen wurden. „Du wolltest dir die Scheiterhaufen genau ansehen“, sagte Dan ohne jeden Vorwurf in der Stimme. „Ich denke, dazu erhalten wir bald ausreichend Gelegenheit.“ Widerstrebend folgten sie den Befehlen der Portugiesen und setzten sich in Bewegung. Aber schon Augenblicke später mußten sie wieder anhalten.
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„Ich übernehme die Gefangenen!“ erklang eine befehlsgewohnte Stimme. „Wer hat das Kommando?“ „Ich Senhor. Laurenco Seao.“ „Gut. Nimm deine Männer und ab im Laufschritt. Auf der anderen Seite des Gefängnisses wurden vor kurzem weitere Engländer gesehen. Wir dürfen sie nicht entwischen lassen.“ Seao salutierte knapp, was Carberry zu einem großzügigen Nicken veranlaßte. „Euch Gesindel werde ich das Fürchten lehren!“ herrschte er die Gefangenen an. „Bewegt euch gefälligst, und nicht so lahm!“ Sie folgten den Soldaten, jedoch weitaus langsamer, und als diese endlich außer Sicht waren, durchtrennte Carberry die Fesseln mit wenigen Schnitten. „Wo wärt ihr bloß ohne euren Profos“, sagte er kopfschüttelnd. „An dir ist wirklich ein General verlorengegangen“, antwortete Dan. Carberrys forschendem Blick hielt er mühelos stand. Der Profos hätte nämlich zu gern gewußt, wie der Ausspruch gemeint war. * Clinton, der am Fenster stand und unentwegt die Straße beobachtete, wandte sich nur kurz um. „Jemand kommt“, raunte er. „Sieht aus, als wäre es ein Malaie. Oder eine Frau.“ Die etwas gebückt gehende Gestalt huschte unter Ausnutzung jeder Deckungsmöglichkeit von Haus zu Haus. Mehrmals hielt sie inne und blickte sich um, als fürchte sie, verfolgt zu werden. „Das ist Perai“, sagte Murangh schließlich überrascht. „Sie ist Köchin im Gefängnis.“ „Weiß sie, daß du uns aufgenommen hast?“ fragte Hasard. „Falls Selal es ihr gesagt hat ...“ Hasard nickte knapp. Bevor Perai klopfen konnte, öffnete Murangh die Tür. Die Köchin war merklich außer Atem. Mit einem raschen Blick musterte sie die versammelten Engländer.
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„Ihr müßt fort“, sagte sie hastig. „Da Foz kann jeden Moment mit seinen Soldaten hier eintreffen. Ich habe zufällig mit angehört, wie ihm einer der Kapitäne das Versteck verraten hat. Beeilt euch.“ „Was wird aus dir?“ „Mich trifft kein Verdacht. übrigens – zwei Karavellen sollen noch in der Nacht auslaufen. Da Foz vermutet, daß euer Schiff nahe Malakka ankert.“ „Perai“, sagte Hasard. „Danke.“ Die Köchin schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln und verschwand ebenso schnell und lautlos, wie sie erschienen war. Augenblicke später folgten ihr die Arwenacks. Darauf, daß noch nicht alle von ihnen zurück waren, durften sie keine Rücksicht nehmen. Sie konnten nur hoffen, daß die Zwillinge, Carberry und seine Begleiter sowie Piet Straaten und Luke Morgan nicht ausgerechnet den Portugiesen in die Hände liefen. „Wo wir den Rest der Nacht verbringen, ist egal“, sagte Don Juan. „Es gibt bestimmt viele Plätze, an denen uns die Portugiesen nicht vermuten. Wir könnten auf den Dächern schlafen. Oder in den Baugruben. Wichtig ist, daß keiner weiß, wie viele wir sind.“ Perai war gerade noch rechtzeitig erschienen. Die Arwenacks hatten den Platz vor Muranghs Haus kaum überquert, als mindestens vierzig Soldaten aufmarschierten. * Edwin Carberry, Dan O'Flynn und Bob Grey hatten Glück oder einen guten Riecher, was in ihrem Fall dasselbe bedeutete. „Falls die Jagd auf Spione eröffnet ist, wissen sie wohl auch, wo wir uns verstecken“, sagte der Profos warnend. Entsprechend vorsichtig näherten sie sich der Hafengegend und beobachteten Muranghs Haus aus sicherer Entfernung. Sie waren schon nahe daran, ihre Befürchtungen als Hirngespinste abzutun, als plötzlich ein Soldat aus der Tür trat und in Richtung Gefängnis davoneilte.
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„Sind wir die letzten, die sie noch nicht erwischt haben?“ fragte Bob Grey. „Auf jeden Fall sind wir ab sofort auf uns allein gestellt“, erwiderte Dan. „Es wäre Zufall, würden wir mit den anderen zusammentreffen. Falls sie es ebenfalls geschafft haben“, fügte er einschränkend hinzu. Die Frage nach dem Wohin erübrigte sich. Sie wollten rechtzeitig an Ort und Stelle sein, und eine Nacht auf einem Hausdach zu verbringen, war sicher nicht anders als an Deck eines Schiffes. Sie schliefen bis weit in den neuen Tag hinein, ohne zu bemerken, daß unter ihnen schon frühzeitig ein reges Treiben herrschte. Die Sonne kitzelte die drei wach, als sie gut eine Handbreite über dem Horizont stand. Flach auf dem Bauch liegend, spähte Carberry zu den Scheiterhaufen hinüber, an denen soeben letzte Hand angelegt wurde. Die Holzstöße mit den dicken, fest verankerten Pfählen in der Mitte würden vermutlich stundenlang brennen. Enttäuschend war, daß sich die Situation weitgehend verändert hatte. Anstelle eines ausreichenden Waffenbestands verfügten die drei lediglich über zwei Höllenflaschen und zwei Rauchbomben. Schließlich hatte niemand ahnen können, daß es ihnen unmöglich sein würde, sich Nachschub zu beschaffen. Hoffentlich hatten nicht die Portugiesen alles andere erbeutet. „Gebt mir eure Messer“, bat Bob Grey. „Ich kann damit am besten umgehen.“ Nahezu den ganzen Vormittag über spähten sie vom Dachrand in die Gasse hinunter, glaubten aber nur einmal, zwei Arwenacks in der Menge entdeckt zu haben. Zumindest sahen die beiden aus wie Blacky und Pete Ballie. Die Entfernung war jedoch zu groß, um sie irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Vom Hafen hallte der Klang der Schiffsglocken herüber. Bei sechs Glasen, also elf Uhr, hatte sich bereits eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Die drei Arwenacks gewannen den Eindruck, daß längst nicht alle Malaien freiwillig dem zu erwartenden Spektakel
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beiwohnten. Soldaten trieben die Menge nach vorn auf den Platz und sorgten dafür; daß möglichst viele Zuschauer aus den Häusern nachrückten. Es wurde Zeit, daß sich Dan und Bob Grey ebenfalls unter die Leute mischten. In gebückter Haltung huschten sie über die angrenzenden Dächer bis zu einer Art Hinterhof, den sie schon am Morgen entdeckt hatten. Niemand bemerkte sie. Auch als sie die Umzäunung verließen und auf eine Seitengasse hinaustraten, erregten sie kein Aufsehen. Soldaten forderten sie auf, sich den anderen anzuschließen. Kein Portugiese dachte noch daran, sie näher in Augenschein zu nehmen. Die Suche nach den Engländern schien beendet zu sein. „Das kann nur bedeuten, daß sie einige von uns erwischt haben“, sagte Dan ahnungsvoll. Wenig später mußten sie sich mit Fäusten und Ellenbogen einen Weg durch die Menge bahnen, um möglichst weit vorn zu sein. „Ich bete, daß wir nicht allein sind“, flüsterte Bob Grey. „Was glaubst du, tue ich schon den ganzen Vormittag über?“ erwiderte Dan ebenso leise. „Mit zwei doppelläufigen Pistolen und drei Dolchen können wir die Gefangenen nicht befreien.“ Heiß brannte die Sonne vom Firmament. Nicht eine Wolke zeigte sich, die Linderung versprochen hätte. Eingekeilt in die Menge, warteten die Arwenacks darauf, daß sich ihre schlimmsten Befürchtungen als unwahr erwiesen. Bis es endlich soweit war, hatten sie keinen trockenen Faden mehr am Leib. Vier Reiter zogen der seltsamen Prozession voran, die sich die kurze Entfernung vom Gefängnis heranwälzte. Hinter ihnen gingen Jesuiten und Dominikaner, die große Holzkruzifixe trugen. Danach folgten Pikeniere und, im Anschluß, die Gefangenen. Dan mußte sich den Kopf verrenken, damit er sie sehen konnte. „Acht“, sagte er erleichtert. „Es sind nur acht Mann.“
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Außer Al Conroy, Smoky, Stenmark und Jan Ranse hatten die Portugiesen Luke Morgan, Piet Straaten und die Zwillinge erwischt. Hinter ihnen marschierten weitere Soldaten, die Mehrzahl mit Musketen bewaffnet. Insgesamt waren es wohl an die hundert Uniformierte – ohne jene, die sich schon unter die Menge gemischt hatten. „Wir müssen improvisieren“, raunte Bob Grey. Dan O'Flynn nickte knapp. „Ich hoffe, daß Ben mit der Schebecke rechtzeitig eingreift.“ Die Reiter scherten nach Norden aus und zügelten ihre Pferde auf der anderen Seite der Scheiterhaufen. Die Mönche bildeten eine Gasse, durch welche die Gefangenen auf den Richtplatz getrieben wurden. Die Arwenacks trugen knielange weiße Büßergewänder, die Hände waren ihnen auf den Rücken gefesselt. Zusätzlich hatten die Portugiesen sie mit Stricken aneinandergebunden. Den Eindruck reuiger Sünder erweckten sie nicht, als sie hocherhobenen Hauptes durch die Menge schritten. Bevor sie an die Pfähle gebunden wurden, trat ein Dominikaner-Mönch vor sie hin. Dan verstand nicht, was er sagte, aber die Art, wie er den Verurteilten das Kreuz entgegenhielt, konnte nur bedeuten, daß er von ihnen verlangte, wenigstens im Angesicht des Todes von ihren Sünden abzulassen. Luke Morgan, der ehemalige Deserteur, spuckte ihm verächtlich ins Gesicht. Soldaten packten die Verurteilten und zerrten sie auf die Holzstöße. Erst da entdeckte Dan O'Flynn Albuquerque und seinen Ersten Sekretär. Zumindest nahm er an, daß der Mann an der Seite Seiner Durchlaucht da Foz war. Die beiden standen nicht mehr als fünfzig Schritte von ihm entfernt an der Spitze eines Trupps Soldaten. Mit einem gut gezielten Pistolenschuß hätte er sie an künftigen Schandtaten hindern können. Aber dann kam Dan nicht mehr dazu, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Alles geschah viel zu schnell.
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Als Edwin Carberry das leise Rascheln hinter sich vernahm, war es schon fast zu spät. Daß er dem Degenhieb des Angreifers entging, verdankte er nur seiner schnellen Reaktion und der Tatsache, daß er sich sofort zur Seite wälzte. Der Gegner holte wieder aus, aber da traf ihn Carberrys Stiefelspitze am Handgelenk. Der Degen wurde ihm aus der Hand gewirbelt und verschwand in der Tiefe. Der Profos kannte den Mann. Laurenco Seao, der Soldat, dem er seine Gefangenen auf elegante Weise abgejagt hatte, hatte offenbar die richtigen Schlüsse gezogen. Nur schaffte er es nicht mehr, sich für die Schmach zu revanchieren. Der Profoshammer trieb ihm jeden Gedanken an Rache aus dem Leib. Für die Soldaten sah es so aus, als prügele sich ein Offizier mit einem seiner Untergebenen. Bis sie endlich begriffen und einige ihre Musketen abfeuerten, lag der Profos schon wieder bäuchlings auf dem Dach und war für ihre Kugeln unerreichbar. „Steckt die Scheiterhaufen in Brand!“ brüllte Alfonso Albuquerque mit sich überschlagender Stimme. Er schätzte wohl als einziger sie Situation richtig ein. „Und bringt mir die Engländer, tot oder lebendig!“ Statt die Holzstöße von allen Seiten in Brand zu stecken, warfen die Offiziere die Fackeln nur zwischen die mächtigen Scheite. Sie hatten wahrlich andere Aufgaben zu erfüllen. Weitere Schüsse fielen, aber niemand wußte, wer geschossen hatte und auf wen. Die Reiter hatten Mühe, ihre Pferde zu zügeln, die vor den auflodernden Flammen und dem plötzlichen Lärm gleichermaßen scheuten.' Die Hölle brach los, und mittendrin stand Albuquerque wie eine dämonische Gestalt und brüllte immer noch Befehle, die niemand mehr verstand oder befolgte.
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Verzweifelt versuchte Dan, sich gegen den Strom der fliehenden Malaien einen Weg zu bahnen. Bob Grey war einige Yards vor ihm, aber auch er hatte Mühe, überhaupt einen sicheren Stand zu bewahren. die Panik der Menge, die sie vorhergesehen hatten, drohte ihnen nun zum Verhängnis zu werden. Zwei kurz hintereinander erfolgende dumpfe Explosionen übertönten das Geheul der Menge. In den Reihen der Soldaten, die hinter den Malaien drängten und schoben, entstand Wuhling. Dan wußte sofort, daß jemand zwei mit Pulver und Grobschrot gefüllte Höllenflaschen geworfen hatte. Von links kämpfte sich ein Offizier zu den brennenden Scheiterhaufen durch. Erst als er zwei Soldaten mit Pistolenschüssen niederstreckte, erkannte Dan Sam Roskill unter der Verkleidung. Der verwegene Draufgänger war in seinem Element. Ohne nur einen Moment innezuhalten, entriß er einem Soldaten die Pike, parierte den ihm zugedachten tödlichen Hieb eines anderen und schmetterte ihm die leergeschossene Pistole ins Gesicht. Mit wehender Schärpe schwang er sich auf den ersten Holzstoß und verschwand hinter den mittlerweile mannshoch lodernden Flammen. Nur sein Hut wirbelte ins Feuer und verglühte. Wieder detonierten zwei Flaschenbomben und vergrößerten das Chaos. Der Seewolf tauchte aus der Menge auf. Sein sechsschüssiger Radschloßdrehling spie Tod und Verderben. Soldaten, die sich ihm entgegenstellten, begriffen nicht mehr, wieso die Waffe in seiner Hand noch immer geladen war. In dem Moment grollte von der Bucht her das Dröhnen von Schiffsgeschützen. Das konnte nur die Schebecke sein. Dan O'Flynn hörte sich laut „Arwe-nack!“ brüllen, den Schlachtruf der Seewölfe, und unmittelbar neben ihm erklang ein zweiter Ruf. Zwei portugiesische Seeleute, die sich ihm entgegenstellten, streckte er mit Fausthieben nieder. Einer von ihnen trug eine Pistole im Hosenbund. Instinktiv
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bückte er sich nach der Waffe, während gleichzeitig ein Offizier mit dem Degen angriff. Dan ließ sich fallen. Die Klinge zersplitterte neben ihm auf dem Boden. Er spürte die Pistole in seiner Rechten, spannte den Schnapphahn und drückte ab. Die Waffe war tatsächlich geladen. Weiter! hämmerte es in ihm. Laß den Portus keine Zeit, sich zu besinnen. Er sah Murangh, den Malaien, bei dem sie Unterschlupf gefunden hatten, und erkannte ihn sofort wieder. Der Mann bahnte sich unerbittlich einen Weg zu da Foz und benutzte eine erbeutete Muskete als Prügel. „Da Foz!“ schrie er. „Stell dich, du Hund!“ Rauch hüllte ihn ein. Dan wußte nicht, ob er von den brennenden Holzstößen ausging, oder ob eine der. Rauchbomben die Ursache war. Der Qualm wurde innerhalb kürzester Zeit dichter. „Ar-we-nack!“ brüllte jemand. Dan folgte dem Klang. Er sah Flammen auflodern und erkannte, daß er auf die Scheiterhaufen zulief. Soldaten, die eben noch ungezielt in die Menge schossen, wurden wie von einer unsichtbaren Faust durcheinandergewirbelt. Augenblicke später packte ihn Roger Brighton am Arm und zerrte ihn mit sich. „Das war meine letzte Flaschenbombe. Laß uns endlich verschwinden.“ „Die Gefangenen ... ?“ „Ich glaube, wir haben alle. Nimm die Beine in die Hand, Dan!“ „Nach Tanjong?“ „Irgendwie schaffen wir auch das.“ Das Dröhnen einer Schiffsbreitseite fegte über die Stadt hinweg. Unmittelbar darauf erfolgten die Einschläge. Dan konnte es nicht sehen, hatte aber das Gefühl, daß das Gefängnis getroffen wurde. Andere Geschütze antworteten. Vermutlich hatten die Mannschaften der im Hafen liegenden Karavellen ihre Überraschung überwunden und beantworteten nun den Angriff der Schebecke. Fast gleichzeitig erschütterte eine heftige Explosion den Hafen. Teile der neuen Festungsmauer
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brachen in erschreckender Langsamkeit auseinander. „Das war Clintons Werk!“ schrie Roger Brighton! „Er hat die Pulverfässer der Zwillinge gezündet.“ Allmählich blieb das Lärmen hinter ihnen zurück. Sie erreichten den nach Tanjong führenden Kanal. Entlang des gerodeten Uferstreifens gelangten sie gut voran. Dan blickte nur kurz zurück. Im Hafen loderte ein zweites Feuer, das dem der Scheiterhaufen kaum nachstand. Eine der Karavellen brannte bereits bis über die Toppen. * Am Kanalufer lagen die beiden Jollen. Dan und Roger Brighton waren die letzten, die erwartet wurden. Noch war keine Zeit, ihrer Freude nachzugeben, denn kaum hatten die beiden ihre Plätze eingenommen, legten die Boote ab. Die Männer pullten, was das Zeug hielt. Als die Fischerhütten von Tanjong seitlich vorbeiglitten, wurden die Segel gesetzt. Dan hielt nach Patta Ausschau, konnte sie
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aber nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich waren die Fischer ebenfalls gezwungen worden, der Hinrichtung der englischen Spione beizuwohnen. „Wo ist Juan?“ fragte er nach einer Weile, als ihm endlich auffiel, daß der Spanier fehlte. „Wahrscheinlich schon auf der Schebecke“, antwortete der Seewolf. „Ihm verdanken wir das Feuer im Hafen, das uns wenigstens vorerst die Verfolger vom Hals hält. Ein Fäßchen Pulver ist manchmal eben wertvoller als Gold.“ Die Schebecke segelte dicht unter Land. Trotzdem dauerte es geraume Zeit, bis die Jollen längsseits Bingen. und die Arwenacks unter großem Hurra aufenterten. Sie verzichteten vorerst darauf, die Boote an Deck zu hieven, sondern nahmen sie in, Schlepp. Al Conroys erster Gang führte zu den Culverinen, die niemand nachgeladen hatte. „Bill, Philip, Hasard, helft mir, die Geschütze zu klarieren! Es gibt viel zu tun. Diese überheblichen Portugiesen sind wir noch lange nicht los ...“
ENDE