Nr. 411
Die falschen Scuddamoren Bondergans tödlicher Irrtum von Hans Kneifel
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimen...
15 downloads
590 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 411
Die falschen Scuddamoren Bondergans tödlicher Irrtum von Hans Kneifel
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort beginnt für Atlan und seine Gefährtin eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, der Welt der In sektoiden. Gegenwärtig sind Atlan und Thalia mit dem Organschiff SKEILAS vom Planeten Breisterkähl-Fehr entkommen, wo sie in den Händen des Meisterträumers waren. Doch die SKEILAS wird durch einen Fernimpuls vernichtet – und für die beiden Ptho rer gibt es nur eine mögliche Rettung: Sie werden DIE FALSCHEN SCUDDAMOREN …
Die falschen Scuddamoren
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer in der Maske von Scuddamoren.
Stiezy - Galionsfigur der SKEILAS.
Hehl Bondergan - Ein ScuddamorenJäger.
Säntho - Leiter eines Stützpunkts der Scuddamoren.
1. Der nächste Schock wartete schon auf die Flüchtenden. Sämtliche Antriebsaggregate arbeiteten mit schmerzhaft lauten Ge räuschen. Die Triebwerke liefen im höch sten, gefährlichen Leistungsbereich. In ra sender Geschwindigkeit stieß das Organ schiff in den rätselhaften Weltraum hinaus. Der Planet Breisterkähl-Fehr wurde kleiner. Die Halbkugel verlor ihren Glanz, verwan delte sich in eine Scheibe, und schließlich verschwand sie als Lichtpunkt im rußigen Panorama des Hintergrunds. Die Sterne der Schwarzen Galaxis erschienen wieder. Atlan und Thalia erkannten abermals schaudernd jene Aura, die bestimmend war für den Na men und die Bedeutung dieser Milchstraße. Nicht nur die beiden Pthorer wurden von der düsteren Ausstrahlung in den Bann geschla gen. Die Galionsfigur Stiezy meldete sich mit eigenartig trauriger Betonung. »Wir sind aus der unmittelbaren Gefähr dung entkommen. Aber weder die SKEILAS noch wir sind wirklich gerettet.« Atlan kannte den Kurs noch nicht, auf dem die SKEILAS in die Tiefen des Maran troner-Reviers zu entkommen versuchte. Er schrak zusammen und fragte irritiert: »Werden wir etwa verfolgt? Ich konnte während des Starts keine Scuddamoren-Schif fe entdecken!« Thalia und er waren noch nicht fähig, lei denschaftslos über ihre gräßlichen Traumer lebnisse zu denken. Die Vision, die sie von der Herrschaft des Neffen Chirmor Flog hat ten, stellte eine niederdrückende Aussicht für die Völker der Sterneninseln dar. Das Falterwesen mit den dunkelblauen Schwin gen sprach weiter: »Nein. Wir werden nicht verfolgt. Aber
ich weiß, daß fast alle Scuddamoren-Raum schiffe eine integrierte Fernvernichtungsan lage haben.« Thalia starrte durch die Kuppel hinaus in die Sterne, als gäbe es dort freundliche Ant worten. Sie verstand den Sinn der Nachricht, fuhr herum und rief: »Was bedeutet das für uns?« »Das bedeutet«, antwortete die Galionsfi gur mit Nachdruck, »daß vermutlich auch die SKEILAS durch einen Fernimpuls von Breisterkähl-Fehr aus zerstört oder zumin dest stark beschädigt werden kann. Es ist zu erwarten, daß die Scuddamoren schnell rea gieren.« Von dunklen Ahnungen erfüllt, erkundig te sich Atlan heiser: »Bist du sicher, daß die SKEILAS zu den zerstörbaren Schiffen gehört?« »Nein«, entgegnete Stiezy niedergeschla gen, »ich bin nicht sicher. Die Wahrschein lichkeit ist gegen uns. Wenn die SKEILAS zerstört werden kann, dann bleibt uns nur noch kurze Zeit.« »Ein größerer Abstand vom Planeten nützt nichts?« fragte Thalia mit geringer Hoffnung. »Nein. Sicher müssen die Scuddamoren noch die Daten unseres Schiffes finden. Eine winzige Chance haben wir noch. Sucht die Bombe oder die Ladung! Die zur Verfügung stehende Zeitspanne verringert sich aller dings von Sekunde zu Sekunde.« Atlans einschlägige Erfahrungen schienen zu erwachen. Er warf einen langen, nach denklichen Blick auf die große Plejade und sagte: »Ich habe begriffen. Kannst du uns etwas über die Art der Zerstörung sagen, Stiezy?« Die Galionsfigur war eine lebende Leiche. Sie würde auf jeden Fall sterben. Der Ver such, sie aus dem Schiff zu entfernen, tötete
4
Hans Kneifel
sie ebenso wie die ferngezündete Vernich tung des Organschiffs. Stiezys Wissen war nicht ausreichend, um die Zerstörung des Schiffes zu verhindern. Das Falterwesen er klärte: »Ich kann euch nicht viel sagen. Sucht die Bombe! Sie ist irgendwo an Bord versteckt, vermutlich voll integriert, also so eingebaut, daß sie nicht als Vernichtungsanlage zu er kennen ist. Es kann allerdings sein, daß ihr genau während der Suche in Fetzen gerissen werdet.« »Feine Aussichten«, sagte der Arkonide leise und verschluckte einen Fluch. »Jedenfalls werden wir es versuchen.« Er mußte erkennen, daß es so gut wie aus sichtslos war, dem Einfluß Chirmor Flogs auf diese Weise zu entkommen. Er nahm Thalia an der Hand und sagte: »Komm! Vielleicht haben wir ausnahms weise Glück und finden diese verdammte Bombe.« Das Schiff raste ununterbrochen weiter. Sie eilten aus der Kuppel der SKEILAS und fingen sofort an, im ersten Raum zu suchen. Es gab weder einen Hinweis noch eine ehrli che Chance, wenn die Detonationsladung nicht als solche zu erkennen war. Atlan und Thalia rissen Verkleidungen ab, suchten ent lang des Verlaufs von Leitungen und ver suchten immer wieder ergebnislos, sich in die Denkweise von Scuddamoren hineinzu finden. Sie entdeckten nichts, verließen den Raum und rannten weiter ins Schiff hinein. Je länger und hastiger sie versuchten, ihrem Schicksal zu entkommen, desto mehr wuch sen ihre Verzweiflung und Ratlosigkeit. Jeder Sekundenbruchteil konnte derjenige sein, in dem direkt vor ihnen ein Sprengkör per von unbekannter Größe und Sprengkraft detonierte und sie und das Schiff buchstäb lich in Fetzen riß.
2. Bondergans Kammer raste durch die Dun kelheit des Alls. Die Kammer war schwarz oder dunkelgrau und sah aus wie ein winzi-
ger Mond, ein umherirrender Asteroid, nicht anders als ein annähernd kugelförmiger Brocken nutzloser Fels. Bondergans Kammer war in Wirklichkeit ein steinernes Geheimnis. Gleichzeitig han delte es sich bei diesem kosmischen Irrläufer um ein Mittelding zwischen Waffe und Ver steck, zwischen Angriffsanlage und Vertei digungseinrichtung. Der Herrscher über die »Kammer« war alt, klug, einsam und von verzehrendem Haß erfüllt. Hehl Bondergan war völlig frei. Es gab für ihn und den lenkbaren Asteroiden kei nerlei Beschränkungen. Eine einzige Fessel blieb jedoch unverändert: Der Haß auf die Scuddamoren. »Im Augenblick ist es ruhig. Völlig ereig nislos. Wir haben Zeit, uns zu unterhalten, Travvnar.« Der Kleine blies eine Wolke giftgelben Dampfes aus. Gleichzeitig mit dem Ausstoß des Rauches oder Dampfes, der in Form von einzelnen, schnell aufeinanderfolgenden Ringen geschah, ertönten Geräusche, die wie das pfeifende Keuchen einer Dampf-Sy rinx klangen. Bondergan nickte. »Richtig!« stimmte er zu. »Wir sollten einmal wieder die Innensysteme der Kam mer überprüfen. Ich weiß, daß du mir helfen wirst.« Der Kleine pfiff und gab eine Anzahl blauer Ringe von sich, die ineinander über gingen und immer größer wurden, ehe sie von der starken Klimaanlage davongesaugt wurden. Auf den Bildschirmen des wertvoll eingerichteten Raumes standen nur die Ster ne derSchwarzen Galaxis und die Sonnen des Marantroner-Reviers, die in Flugrich tung funkelten. Hehl stieß ein fauchendes Gelächter aus. Sechs dünne Arme, die wie Knochen über zogen mit lackschwarzer Pergamenthaut aussahen, lagen ruhig auf den sechs Lehnen des Sessels. Er war mit einem kostbaren Go belin gepolstert, den Hehl aus der Komman dantenkabine eines Scuddamoren-Organ schiffs erbeutet hatte. Fast alles im Innern des Mondes bestand aus Beutegut. Den
Die falschen Scuddamoren größten Teil hatte der Hämische Karff ein gebracht, von dem auch die Bearbeitung des Innern herrührte – Hehl Bondergan hätte ihn selbst in den Armen gehalten und ihm ein feierliches Weltraumbegräbnis ausgerichtet. »Weit entfernt fliegen irgendwelche Scuddamoren-Schiffe«, sagte er und stand auf. Sein Körper erinnerte an einen der nächtlichen Insektenjäger, die es auf einigen Planeten noch gab; der Camagur stellte die langen Ohren auf, entfaltete sie zu großen runden Flächen. Er kontrollierte die Schall sensoren, aber, wie erwartet, zeigten sie nur leeren Weltraum. »Und wir werden früher oder später wie der ein solches Schiff kapern!« versicherte er in Garva-Guva. »Wir haben Zeit. Wir können warten.« Travvnar gab durch posaunende und hohl pfeifende Laute und durch ein neues System grüner Rauchringe seine Zustimmung zu verstehen. Er schwebte davon und ver schwand in einen runden Fallschacht, der aus der Hauptzentrale ins Innere des Mondes führte. Von dort kamen immer wieder die orgel tonähnlichen Kadenzen seiner Mitteilungsart als Echo herauf. Der alte Camagur ging zu einem einge bauten Schrank. Er nahm aus den Fächern sechs verschiedene Putzmittel und Reini gungsgeräte. In den langen Pausen zwischen den zufälligen Vergeltungsschlägen gab es nichts Besseres zu tun, als das FelsenRaumschiff auf dem besten Stand der Sau berkeit und der funktionierenden Technik zu halten. Noch niemals hatte jemand die wahre Na tur dieses Mondes erkannt. Nicht einmal die Schiffe, die hin und wieder freiwillig anleg ten und Gesteinsproben nahmen. Einmal hatte Bondergan ein Scuddamoren-Schiff deshalb erbeuten und alle Insassen töten können, weil sie Probebohrungen nieder brachten. Bondergan fing an, die Zentrale zu säubern und zu überprüfen. Seine übergroßen, stark aufgewölbten Au gen konnten nur immer das erfassen, was
5 sich direkt vor ihnen befand. Das Sichtfeld war stark eingeengt. Dadurch bearbeitete Bondergan immer nur eine Stelle, diese aber mit einer geradezu faszinierenden Ge schwindigkeit und der absoluten Gründlich keit eines erfahrenen Raumfahrers, der ge nau wußte, daß sein Leben vom Funktionie ren der Geräte und Instrumente abhing. Die sechs Arme, in Kugelgelenken mehr fach abzuwinkeln, schienen sich in rasende Schlangen zu verwandeln. Auf den Facetten augen spiegelten sich tausendfach die vielen Lichter der Kontrollanzeigen. Aus der Kli maanlage fauchte ein kühler, sauerstoffrei cher Luftstrom; vermutlich hatte Travvnar den Rezeptor des Gartens eingeschaltet. Der Kleine war mehr als nützlich, und in der Einsamkeit des Feldzugs gegen die Scudda moren war er der beste Gesprächspartner, weil er der einzige war. Ein haßerfülltes Knurren entfuhr dem kur zen Rüsselmund, als der Camagur wieder das Steuerpult erreichte. Die dreidimensionalen Bilder seiner Fa milie schauten ihn an. Er hatte diese Wiedergabe seit zwanzig Camagur-Jahren. Seit neunzehn Jahren wa ren sie alle tot, von den Scuddamoren umge bracht. Jone Bondergan, seine Frau mit dem prachtvollen braunen Haarkranz und den vielen schlanken Fingern. Fahn, der Jüngste, mit den kurzen Stelzenbeinen, Claal, der hoffnungsvolle Junge mit den auffallend langen Läuferbeinen. Einige lange, schwei gende Minuten starrten die riesigen Augen des Camagurs auf diese Bilder, und wieder flammte die Glut des Hasses auf. »Ich werde sie niemals alle vernichten können. Es sind zuviele«, sagte er heiser und leise. »Aber bis zur letzten Sekunde werde ich nicht ablassen, sie zu suchen, zu verfol gen und zu töten. Und ich bin sicher, daß ich ihr Geheimnis herausfinde.« Bondergan wußte, daß die Herrschaft der Flog-Schergen in dem Moment gebrochen war, an dem es ihm glückte, ihre Identität zu ergründen und dieses Wissen im Marantro ner-Revier zu verbreiten. Bisher waren alle
6 gefangenen Scuddamoren während der Un tersuchungen gestorben. Hehl arbeitete sorg fältig und in gemessener Geschwindigkeit weiter. Die Zentrale des Mondes war sein Lebensbereich. Hier hatte er die Jahre seit seiner Flucht verbracht, nachdem er durch einen unglaublichen Zufall auf den Asteroi den des Hämischen Karff gestoßen war. Travvnar kam zurück, zog dampfend und trompetend eine Runde um Bondergans Kopf und setzte sich auf die Lehne des schweren Steuersessels aus Mondgestein. »Wie?« fragte Hehl überrascht. »Tatsächlich?« Der Kleine schaltete die Tragschraube aus und hielt nur mit den beweglichen Dampf düsen das Gleichgewicht. Er wiederholte, et was langsamer, seine Mitteilung. »Ich verstehe«, sagte Hehl nachdenklich. Auf diesem Planeten war er nicht in Gefan genschaft gewesen. Aber er kannte Gerüch te, die von dieser Welt als dem Zentrum un vorstellbaren geistigen Schreckens sprachen. »Du warst im Archiv.« Travvnar bestätigte mit schrillen Pfiffen und purpurnem Dampf. »Ausgezeichnet«, sagte der Camagur und griff mit einer seiner sechs Hände in die Gürteltasche. Er zog einen winzigen Würfel heraus, ging trippelnd zum Sitz und legte den Würfel auf die Kante. Travvnar summte heran, griff nach dem grauen Würfel und schob ihn in eine Klappe an seinem Körper, die er sorgsam wieder verschloß. Zufrieden gab er einen giftgelben Dampfstrahl von sich. »Wir werden auch weiterhin viel Geduld haben müssen!« sagte Hehl Bondergan schließlich und blickte auf den VorausBildschirm. »Früher oder später werden wir alles wissen. Und dann wird es das ganze Revier erfahren.« Seit dem Augenblick, an dem er erkannt hatte, daß die Gesetze von Chirmor Flog Sklaverei bedeuteten, daß die Scuddamoren dazu da waren, die falschen Gesetze durch zudrücken, seit der Festnahme, der Gefan genschaft, dem Tod der Familie und seiner
Hans Kneifel Flucht wartete er auf den großen Moment. Seine Sicherheit, daß dieser Moment kommen würde, war ungebrochen. Er wußte definitiv, daß er derjenige sein würde, der die Scuddamoren enttarnte. Er hoffte, daß der Name Hehl Bondergan vom Volk der Camagurs das erste leuchtende Freiheitszei chen für das Marantroner-Revier bedeuten würde. Er kratzte eine Stelle zwischen den drei Beinpaaren und straffte die verkrümmten Hautlappen seines Rückens. Er konnte nicht fliegen. Aber seine Ge danken flogen ihm weit voraus, jagten schneller als das Licht durch den Raum und gaukelten ihm Phantasien vor. Antriebslos, aber mit gewaltiger Ge schwindigkeit, raste Bondergans Kammer weiter und auf einen fernen Punkt im All zu. Nicht einmal Bondergan konnte sich vorstel len, was ihn an diesem Punkt erwartete.
3. Als etwa neunzig Minuten später Thalia in der Nähe eines Maschinenraums einen Schrank öffnete, fiel eine raumsicher ver packte Kiste krachend direkt vor ihre Füße. Mit schnellen Griffen entfernte Thalia die isolierenden Bänder. »Atlan!« rief sie. Aus ihrer Stimme klang Panik. Es war schon zuviel Zeit vergangen, und noch immer hatten sie absolut nichts ge funden, das der Vorstellung einer Fernim puls-Bombe entsprach. »Hierher! Ich habe seltsame Fundstücke entdeckt.« Während Atlan in seinem Anzug der Ver nichtung heranstürmte, hob Thalia einen et wa handbreiten hellroten Gürtel aus Kunst stoffgewebe hoch. Die beiden Enden des Gürtels konnten mit einem kantigen Ver schluß aneinandergeheftet werden, und ver mutlich nur im Rücken. Atlan rutschte die letzten Schritte auf dem glatten Boden des Korridors und fing sich mit den Händen ab. »Was kann das sein?« fragte er, starrte zu erst Thalia und dann den auffallenden Gürtel an. In der Mitte des Gürtels befand sich eine
Die falschen Scuddamoren große, aus hellblau schimmerndem Metall hergestellte Schnalle oder Verzierung. Die Gürtel wirkten ausgesprochen bedeutungs voll, auch ihr Gewicht schien darauf hinzu deuten, daß es sich um wichtige Ausrü stungsgegenstände handeln mußte. »Keine Ahnung«, erwiderte Thalia gehetzt. Im selben Moment knisterten die Laut sprecher. Die Galionsfigur sagte: »Ich habe eben eine wichtige Information in den Speichern gefunden.« Atlan rief zu rück, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte: »Es kann nur eine neue Hiobsbotschaft sein. Sprich, Freund Stiezy!« Thalia befreite einen zweiten und dann nacheinander ein ganzes Dutzend jener Gür tel aus der luftdichten Verpackung und warf sie nebeneinander in den Korridor. »Falls der Impuls zur Fernzündung in der SKEILAS einschlägt, werde ich ihn wenige Momente zuvor registrieren können. Ich ver mag euch also zu warnen!« Atlan brüllte am Rand seiner Beherr schung: »Ich hoffe, diese Warnung kommt nie mals. Danke, Stiezy!« »Du brauchst nicht zu danken«, war die Antwort in hoffnungslosem Ton. »Unsere Schicksale sind unverrückbar miteinander verschmolzen. Aber jeder stirbt seinen indi viduellen Tod.« »Das ist kein Trost«, sagte Atlan. Er wuß te, daß ihn für gewisse Zeit das Goldene Vlies schützen würde. Thalia trug den Raumanzug, der noch während des überha steten Starts der SKEILAS neu ausgerüstet worden war. Der »König von Pthor« bückte sich, hob einen Gürtel auf und legte ihn pro beweise um. Mit einem lauten Klicken rastete der Ma gnetverschluß ein. Atlans Finger berührten die hellblaue, ovale Metallschnalle und suchten nach einem Sensor oder Schalter. Im Zentrum der Schnalle, die einer exoti schen Verzierung glich, gab ein winziges Feld nach, ein schrilles Summen ertönte. »Atlan! Du wirst unsichtbar … wie ein
7 Scuddamore!« schrie Thalia auf. Die typi sche düstere Aura der Schattenwesen, eine undurchdringliche Energieglocke, die nur die verzerrten Umrisse von Atlans Körper ahnen ließ, hatte sich sekundenschnell auf gebaut. Atlans Finger zuckte herunter. Er hatte nur kurzzeitig ein leichtes Flimmern wahr genommen, als habe er durch ein dickes Glas geblickt. »Das mag eine Chance sein«, sagte er langsam, »die wir irgendwann haben. Es mag zu einem bestimmten Zeitpunkt von Vorteil sein, wenn wir uns als Scuddamoren ausgeben können. Lege einen Gürtel um, Liebste.« Ihr Gesicht über der Halsblende des Raumanzugs wirkte schmal, angespannt und von Furcht entstellt. Schweigend nickte Tha lia, legte einen anderen Gürtel um ihre Hüf ten und hörte das harte Klicken. Aber sie schaltete das Feld des »Schattengürtels« nicht ein. Atlan selbst schüttelte den Kopf, als er merkte, wie der Energieschirm sich wieder ausschaltete. »Es ist ein halb verborgener Lichtzellen schalter«, sagte er leise, nachdem er kurz die Schnalle untersucht hatte. »Einfach zu be nutzen.« »Nichts ist einfach!« gab Thalia zurück. Im Augenblick war es völlig unwichtig, ob sie ihre wahre Identität wie jene Scudda moren hinter dem Schattenschild verstecken konnten. Mit einem Blick verständigten sie sich; es war sinnlos, weiter zu suchen. Sie hatten an Hunderten verschiedener Stellen gesucht und nicht einmal einen Hinweis ge funden. Atlan flüsterte halb zuversichtlich, halb resignierend: »Wir werden auch diese schlimmen Stun den überleben, Thalia.« Er drückte fest ihre Hand und zog Thalia mit sich in die Richtung der Galionsfigur-Kan zel. Sie hatten keine zehn Schritte zurückge legt, als Stiezys schrille, panische Stimme durch jeden Raum des Organschiffes heulte. »Atlan! Thalia! Soeben ist der Zündim
8 puls eingetroffen! Ich versuche, euch zu ret ten! Kommt schnell!« Sie reagierten so schnell wie immer. Sie rannten durch den Hauptkorridor in die Richtung der Zentrale. Als sie durch das Schott in die Kanzel sprangen, sahen sie ein jammervolles Bild der Verzweiflung. »Stiezy! Das kann nichts nützen! Es be reitet dir Schmerzen!« rief Thalia laut aus. »Ich sterbe ohnehin. Und so kann ich euch einige Zeit länger schützen. Verlaßt das Schiff«, sagte das Falterwesen. Atlan steckte die große Plejade in einer reflexhaften Bewegung ein. Stiezys Körper bäumte sich immer wieder auf. Mit allen Gliedmaßen riß das bedauernswerte Ge schöpf an den unzähligen Anschlüssen und Verbindungen, die es mit dem Schiff zu ei ner Einheit verbanden, auf Gedeih und Ver derb. Aus den Wunden quoll pulsierend die Körperflüssigkeit. Entsetzt und gebannt sa hen Thalia und Atlan zu – selbst der Gedan ke daran, helfen zu können, war sinnlos. Thalia nahm den Behälter, in den sie sämtli che Ärgetzos gepackt hatten, in beide Hän de. Die Stimme des Falterwesens wurde in demselben Maß leiser, wie seine Lebens funktionen abnahmen. Wieder empfahl er ihnen: »Ich kürze meine Leiden ab. Ich zerstöre und unterbreche große Blöcke von Schalt kreisen. Schließt eure Anzüge … jeden Mo ment zerbirst das Schiff!« Mit mechanischen Bewegungen, vollkom men im Bann dieses furchtbaren Gesche hens, gehorchten Thalia und Atlan. »Hinaus in den Raum! Die Explosion wird bestimmt jemanden an diese Stelle des Weltraums locken«, schrie mit letzter Kraft das sterbende Falterwesen. Atlan versuchte mit aller Kraft, seiner ei genen Überzeugung zuwiderzuhandeln. Er riß endlich Thalia herum und schob sie durch den Korridor auf die Schleuse zu. Un bewußt spürte er den Schutz dieses verblüf fenden goldenen Anzuges, der jetzt wie ein bequemer Raumanzug zu wirken begann.
Hans Kneifel Die Schleusenschotte glitten auf. Die Atemluft, die explosionsartig aus der SKEILAS entwich, wirbelte Thalia und At lan in den Raum hinaus. Der Logiksektor meldete sich und rief beruhigend: Ihr werdet nicht umkommen! Eure Über lebensreserven sind hoch! Selbst wenn euch die Scuddamoren auffischen, habt ihr eine echte Chance! Die starke Luftströmung und der eigene Impuls schoben Atlan und Thalia langsam von der SKEILAS weg. Das Schiff schweb te als riesiger Schatten neben ihnen; nur aus der Schleuse und der warzenartigen Kanzel drang Licht. Sie sahen undeutlich die schwä cher werdenden Bewegungen der Galionsfi gur. Der Abstand zum Schiff vergrößerte sich. Atlan hielt unverändert Thalias Hand. Die beiden Körper drehten sich unendlich langsam um mehrere Achsen. Sie wurden ei ne Spur langsamer als das Organschiff. Atlan versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er umklammerte jetzt den Kasten mit dem unersetzbaren Inhalt. Er schwebte nicht zum erstenmal in sei nem langen Leben im freien Weltraum. Für ihn war dieser Umstand kein Schrecken; nur die Tatsache, daß sie beide verdursten und verhungern konnten, beschäftigte ihn jetzt. Dann erschien in der Mitte des Schiffes ein Riß, der sich in unvorstellbar großer Ge schwindigkeit verbreiterte. Blendende Licht flut ergoß sich aus dem größer werdenden Loch; es gab weder Schall noch Druckwelle, obwohl glühende Trümmer nach allen Sei ten wirbelten und sich ein greller Lichtball ausbreitete. Das Schiff war nicht völlig zerstört; die Reste des Wracks rasten auf dem einge schlagenen Kurs weiter, den fernen Sternen entgegen. Nach einer Weile sagte sich Atlan: Stiezy konnte die Vernichtung des Schif fes und sein eigenes Sterben nicht verhin dern, aber er hat beides hinausgezögert. Er rettete uns beide. Weit und breit gibt es kei nen Planeten und keine Sonne, und wir trei ben selbst von Breisterkähl-Fehr weg in un
Die falschen Scuddamoren bekannte Tiefen des Raumes. Ich sollte ei gentlich verzweifelt sein – warum bin ich so merkwürdig ruhig? Eine Schutzfunktion meines Verstandes? Wenn wir unsere Scuddamoren-Schat tenschilde einschalten, dann erfolgt eine größere Energieemission. Vielleicht sind wir leichter zu orten und werden von irgend je mandem irgendwann entdeckt. Selbst wenn wir gefangengenommen werden, ist dies eine bessere Alternative als der sichere Tod zwi schen den Sternen. Er hob die linke Hand und machte einige Gesten. Thalia begriff. Sie konnten sich innerhalb enger Grenzen verständigen. Dann schaltete der Arkonide durch eine Handbewegung den Schatten schild ein. Thalia nickte schwach hinter dem Visier des Raumanzug-Helmes und aktivier te ebenfalls ihren Schirm. Sie wurden für einander fast unsichtbar, aber jeder sah den anderen – eben so schwach, wie es das Licht der fernen Sonnen ermöglichte. Sie trieben weiter. Noch immer beschrieben die Sterne langsame Spiralen und Kurven. Irgendwann würde die Eigenbewegung der Körper aufhören. Spätestens dann, dachte Thalia, wenn wir verdurstet und verhungert oder wahnsinnig geworden sind.
* Manchmal verlor er jedes Zeitgefühl. Die Tage und Nächte kämen und gingen in steti ger Kette. Sie wurden nur durch die verän derten Zahlen der Bordchronometer versinn bildlicht. Nur ab und zu schlich sich etwas wie ein trügerischer Tag ein, dann nämlich, wenn Bondergans Kammer sich in einem Sonnenorbit befand oder die Schwerkraft ei nes Sternes ausnutzte, um ohne großen Energieverlust eine Bahnänderung herbeizu führen. Dann war fast das gesamte Innere des mondgroßen Asteroiden allein von der Lichtflut taghell erleuchtet, die von den vie len Bildschirmen herunterbrandete. Travvnar kam herangeschwebt, surrte dicht vor dem Voraus-Bildschirm vorbei
9 und gab eine Serie falsch klingender Töne im niederfrequenten Bereich von sich, ver bunden mit einer Trombe von schwarzen Rauchringen. »Du bist verrückt, Traaunar«, sagte Hehl Bondergan. Er sprach den Namen des Ge schöpfes korrekt aus; das doppelte V ent sprach einem au wie in Ducvver, der irgendwann im Lauf der vielen Jahren spurlos ver schwunden war, der Zwilling von Travvnar oder Traaunar. Der Kleine protestierte mit Trompetenstößen und weißem Dampf. »Das müßte ich gemerkt haben. Und wenn nicht ich, dann die Geräte«, sagte Hehl laut. »Die ›Kammer‹ ist nämlich eine hochs pezialisierte kosmische Station. Speziell dar auf eingerichtet, Scuddamoren aufzuspüren, gefangenzusetzen, zu verhören und zu besei tigen.« Hehl hatte aus den Speichern neue, wal lende und farbenprächtige Gewänder hervor geholt. Die Kleidungsstücke, die er vor eini gen Schiffstagen oder Asteroidentagen weg geworfen hatte, trug er, falls er sich richtig entsann, schon seit einigen Jahren, und so hatten sie auch ausgesehen. »In Ordnung«, ging er auf die Vorhaltun gen des Kleinen ein, »untersuchen wir den Fall. Aber ich sage dir schon jetzt, daß dich deine mechanische Ahnung trügt.« Sein Haß suchte ein Ziel und ein Ventil. Zu lange Zeit war vergangen, seit er sich mit den verhaßten Mördern seiner Familie zum letzten Mal auseinandergesetzt hatte. Inzwischen ahnte er, daß sie ihn suchten. Seine Spur war mitunter zu breit und zu auf fallend gewesen. Aber selbst wenn ihn die verdammten Scuddies suchten, würde er es schnell merken: Die Geräte, die er aufgrund seiner Untersuchungen selbst entwickelt hat te, waren meisterliche Werke angewandter Technik der Camagurs. »Nein? Deine Ahnung trügt nicht? Also …« Der Camagur schaltete mit seinen drei Armpaaren in einer rasenden Geschwindig keit. Voraussetzung allerdings war, daß er den Blick seiner richtungsgebundenen Au
10 gen geradeaus stellen konnte. In der Zentrale wurde es still. Es roch noch ein bißchen nach dem selbstgekochten Essen. Die Detektoren wurden eingeschaltet, ihre Leistung steigerte sich in stetem Fluß. Strahlen griffen geradeaus und in einem weiter werdenden Kegel nach allen Seiten. Langsam drehte und schwenkte ein Rechner die Suchantennen, die als winzige Augen zwischen den Felsen des Asteroiden hervor schauten. Ein scharfer Pfeifton war zu hören. Gleichzeitig begann auf einem dunklen Or tungsschirm ein Echo heftig zu blinken. Der Camagur unterbrach seine Selbstgespräche und beugte sich vor. Aufgeregt rollten sich die stielförmigen Ohren auseinander und bil deten große Reflektorflächen. »Scuddamoren. Wenigstens einer!« stieß er hervor. Dort draußen, schräg vor dem Zielpunkt des geraden Kurses, befand sich ohne jeden Zweifel ein eingeschalteter Schattenschild. Hastig überprüfte Hehl vier mal mit verschiedenen Systemen und Emp findlichkeiten die Wahrnehmung. Alle Or tungsergebnisse sagten übereinstimmend, daß fast unbeweglich in exakt ablesbarer Entfernung ein fester Körper trieb, darüber hinaus wurde dieser Körper von einem Schattenschild von beträchtlicher Feldstärke umhüllt. »Was hat ein einzelner Scuddamore im freien All zu suchen? Sollte das eine Falle für den guten alten Hehl Bondergan sein?« rief der Camagur laut. Die Haare seiner Kör perkränze und des Hinterkopfes sträubten sich. Gleichzeitig äußerte sich Travvnar posi tiv. »Also doch!« Der Camagur las die Koordinaten ab und riß einen Schutzanzug aus einem Wandfach. Dann rannte er auf seinen dünnen, an den Gelenken bereits farblos werdenden Beinen auf den Hangar des kleinen Raumboots zu. Hinter ihm surrte mit rasend drehender Tragschraube der Kleine. »Keine Sorge! Du kommst mit – obwohl
Hans Kneifel ich ungern die Kammer ohne Reservepiloten lasse!« Der Hangar wurde von einem konischen Felsbrocken verschlossen. Ausarbeitung, Gewinde und Bewegungsmechanismus stammten noch von dem alten Krejoden, dem einzigen Freund, den der Camagur je mals gehabt hatte. »Ich hole mir diesen Verbrecher!« flüster te Hehl. Jetzt zahlte es sich aus, daß er seit langer Zeit immer wieder jedes einzelne Gerät ge testet und schadhaft gewordene Teile ausge wechselt oder repariert hatte. Das kleine Raumschiff erwachte zu brummendem und tickendem Leben. Schotte schlossen sich, und die schwere Mechanik begann den Fel senkorken aus der Öffnung zu drehen. Bin nen weniger Sekunden verwandelte sich der Camagur, der ab und zu bei sich selbst die Spuren langer Einsamkeit feststellte, in eine Art organischer Maschine. Jede Schaltung war aktiviert, jeder Knopfdruck wurde mit geradezu faszinierender Perfektion ausge führt, und sogar der Kleine blieb ruhig und schwebte im Zentrum der gefluteten Steuer kabine. Endlich klappte der massive Asteroi denfels-Korken nach draußen, und das Raumboot schoß aus der Hangarschleuse hinaus und nahm direkten Kurs auf das Echo. Ortungsgeräte suchten den Weltraum ab. Es gab winzige Partikelspuren und, außer ordentlich weit entfernt, das zerfasernde Echo eines Wracks. Der Camagur erkannte die charakteristischen Linien auf seinen Schirmen. Das also war die Erklärung – ein detonierendes Organschiff hatte einen Scud damoren ins All geschleudert. »Hoffentlich lebt er noch, damit ich mei ne Untersuchungen durchführen kann!« Die Stimme des Alten war schrill und keuchend vor Erregung. Er befand sich aber mals dicht vor seinem Ziel. Wenn der Scud damore so stark war wie das Echo seines Schildes, dann würde er die Untersuchungen wohl überleben. Wieder beschleunigte das Raumboot und bremste genau vor dem Echo
Die falschen Scuddamoren ab. Travvnar gebärdete sich wie rasend. Seine Ventile klapperten ununterbrochen. Dampf wolken in allen Farben erfüllten die winzige Kabine. Die Fanfarenstöße machten Hehl fast taub. Er schrie unruhig: »Ich habe verstanden! Er lebt. Und außer dem sehe ich deutlich, daß es zwei Scudda moren sind.« Der Rest war einfach. Die Beutekammer glitt auf. Zielgeräte drehten sich. Eine Energiekanone schoß zwei carvonische Fangnetze ab. Die Netze schwebten als dicker Klumpen durch den Raum, entfalteten sich und fingen an, phosp horn aufzuleuchten. Mit wenigen Handbe wegungen dirigierte Bondergan die Netze, wickelte die zwei undeutlich sichtbaren Kör per ein und befahl die Netze wieder zurück. Die Körper prallten sacht gegen die Rück wand der Beutekammer oder Fängerschleu se. Das Außenschott glitt zu. Bondergan be schleunigte das Raumboot, flog eine Kurve und steuerte wieder den Asteroiden an, der sich inzwischen ein ganzes Stück weit ent fernt hatte. Der Camagur wurde erst wieder ruhiger, als er sah, wie sich der schwere Verschluß aus Asteroidengestein lautlos, aber eine Menge Vibrationen erzeugend, in die Gewinde zurückdrehte.
* Erst als die leuchtenden Gitternetze sich um ihre Körper legten und sie mit sanftem Druck auf das kleine Raumschiff zu dirigier ten, glaubten Atlan und Thalia, daß sie vor läufig gerettet waren. Die Aktion hatte sie völlig überrascht. Sie hatten weder das klei ne Raumschiff noch die ausgeschleuderten Netze gesehen. Erst als die Maschen aufleuchteten und sich zu großen, konkav gebogenen Gebilden auseinanderschoben, merkten die Pthorer, daß man sie entdeckt hatte. Zischend fauchte Luft in die Kammer. Ein leichter Andruck preßte Thalia und Atlan an die Wand des Raumes. Atlan prüfte vorsich
11 tig das Gasgemisch und fand es atembar. Er sagte leise und hastig: »Untereinander sprechen wir Pthora. Mit den anderen Garva-Guva. Wir sind Scudda moren. Du bist Kärdyn, ich bin Mänerg. Klar?« »Ich habe verstanden«, flüsterte sie in Pthora zurück. Dann schwiegen sie. Neu gierde und Spannung wuchsen; die Erleich terung darüber, nach relativ kurzem Ausge setztsein im freien Weltraum wieder an Bord eines Raumfahrzeugs zu sein, und die Er wartung, wer sie gerettet hatte, stritten mit einander. Das Raumschiff legte nur eine kurze Di stanz zurück. Sie merkten es deutlich an den Vibrationen der kleinen Konstruktion. Dann schleuste der Flugkörper in ein größeres Schiff oder in einen Stützpunkt ein. Die Pthorer warteten schweigend und versuchten sich vorzustellen, was sie erwartete. Beide dachten sie folgerichtig, daß in die sem Sektor des Reviers die Scuddamoren herrschten. Also konnte es nicht falsch sein, sich als Angehörige der Herrschenden aus zugeben. Nun öffnete sich das Außenschott des gepolsterten Raumes; sie sahen sich ei nem geräumigen Hangar gegenüber. Er war gepflegt und bestand aus Metallanlagen, die in schwarzen Felswänden verankert waren. Ein Mond oder Asteroid! sagte Atlans Lo giksektor. Über eine Rampe kam ein schwarzglän zendes Geschöpf in leuchtenden und farben prächtigen Kunststoffgewändern heran. Die falschen Scuddamoren erkannten einen alten Camagur, dessen skeletthafte Gliedmaßen hinter farbenfunkelnden und raschelnden Gewändern steckten. Riesige Facettenaugen starrten Atlan und Thalia an, als der Cama gur in rauhem Garva-Guva sagte: »Willkommen in meinem Satelliten, Scuddamoren! Ich bin Nehr Canderfal, der kosmische Spion. Habe ich euch gerettet?« Zwei knochige Hände streckten sich den Geretteten entgegen. Atlan half Thalia aus der Kammer des kleinen Bootes. Vielfarbige Scheinwerfer tauchten den Schleusenhangar
12 in wechselndes Licht. Im Hintergrund schwebte eine Art blauschimmerndes Me tallspielzeug in der Luft und korrigierte die Fluglage mit Dampf oder Rauchstößen aus winzigen, schwenkbaren Düsen. »Du hast uns gerettet«, sagte Atlan. »Du betreibst diese Station im Auftrag von Chirmor Flog?« Canderfal deutete mit mehreren Armen in die Richtung der flachen Rampe, die zu ei nem geschlossenen Doppelschott führte. »Richtig. Ich fliege durch das Marantro ner-Revier und sammle Informationen. Auf Abruf oder auch sonst, wenn sie wichtig ge nug sind, werden die Mitteilungen weiterge geben. Euch traf ein Unglück?« »So ist es«, erklärte Atlan. »Unsere Gali onsfigur wurde wahnsinnig, zerriß die Ver bindungen und sprengte das Schiff. Wir wurden hinausgeschleudert. Übrigens – mein Begleiter ist Kärdyn, und ich bin Mä nerg. Wir danken dir, daß du uns in deine Station geholt hast. Wie wir sehen können, ist sie hervorragend gepflegt.« Sie konnten das karge Mienenspiel des alten Camagurs nicht deuten. Es mochte sein, daß er sie ebenso anlog wie sie ihn. Aber jetzt war er beflissen und schien sich zu freuen, mit ihnen sprechen und alles erklä ren zu dürfen. Er geleitete sie durch die Schotte, die sich öffneten und schlossen. Atlan erhaschte noch einen Blick auf die einfache, aber wirkungsvolle Konstruktion des Hangarverschlusses und fragte sich, wie groß der Satellit wirklich sein mochte. »Ich bin allein und habe viel Zeit«, erklär te Nehr Canderfal. »Ich verfüge also über viel Zeit, um die Spionstation technisch in Ordnung zu halten. Ich darf euch herumfüh ren, ehe ich euch meine besten Räume zum Ausruhen überlasse?« »Wir sind geehrt!« bestätigte Thalia alias Kärdyn. Auch sie war darüber erleichtert, daß ein offensichtlich geschulter und kluger Cama gur ihnen ihre Rolle als Scuddamoren glaub te. Nehr schien begeistert zu sein, mit ande ren Mitarbeitern des Neffen zu sprechen. Er
Hans Kneifel war offensichtlich wirklich sehr lange allein. Also war ihr Entschluß, die Schattenschilde einzuschalten, doch richtig gewesen! »Hier befindet sich der wichtigste Ring korridor. Von ihm aus sind alle Räume und Zentren zu betreten. Ich bin sehr gut ausge rüstet, Flog sei Dank!« Wenn er ein Spion für Flog ist, meldete sich der Extrasinn, dann rückt die Realisie rung deines kühnen Vorhabens näher. Atlan beschäftigte sich mit dem Gedan ken, zusammen mit Nehr und in diesem Asteroiden oder Mond bis ins Hauptquartier des Neffen nach Säggallo vorzudringen. Es würde nicht einfach sein, und sicherlich ge hörten eine Menge Tricks dazu. Aber die Idee war gar nicht so abwegig, wie es im er sten Moment schien. Nehr Canderfal tappte zwischen ihnen durch den Korridor. Immer wieder öffnete er Türen und Schotte und stieß einen langen Strom von Erklärungen aus, von denen sie etwa die Hälfte verstanden. Das seltsame Gerät, etwa unterarmgroß, schwebte hinter ihnen und wurde von einer rotierenden Trag schraube in der Schwebe gehalten. Ab und zu stieß das »Ding« einen farbigen Dampf strahl zugleich mit einem posaunenartig klingenden Ton aus. Atlan suchte nach ei nem Platz, an dem er den Kasten voller Är getzos vorübergehend aufbewahren konnte. »Du bist wirklich hervorragend ausgestat tet«, bestätigte Mänerg schließlich. »Und wohin fliegt der Spion-Asteroid?« Der fliegende Begleiter entließ eine Reihe konzentrisch ineinander fließender Rauch ringe in eindringlichem Grün und dazu eine Reihe markerschütternder Töne. »Schon gut!« rief Nehr zurück. »Du hast recht!« Der Rundgang durch den Asteroiden wur de fortgesetzt. Der Camagur deutete auf das fliegende Objekt und sagte: »Das ist Traaunar, ausgeschrieben Travv nar. Ich fand ihn zwischen den Maschinen, ohne jeden Energiewürfel. Ihr müßt wissen, daß ich sonst dazu verdammt wäre, immer nur Selbstgespräche zu führen.«
Die falschen Scuddamoren »Ich verstehe«, antwortete Mänerg, der größere der beiden undeutlichen Schatten. Seine Stimme, fand Bondergan-Canderfal, klang für einen Scuddamoren gar nicht übel. »Und wohin geht nun der Kurs des kleinen Mondes?« Wieder dröhnten die Signale des Dampf spielzeugs durch den Korridor. Der Cama gur winkte mit zwei Händen ab und rief: »Die Wahrheit ist, daß es keinen Kurs gibt. Das Raumschiff aus Meteoritengestein landet niemals und beschreibt Spiralen und Orbits durch das Marantroner-Revier. Die Meldungen werden abgerufen, und ich ver sorge mich unterwegs.« Der Camagur fühlte jetzt, da er die Opfer direkt hinter sich wußte, keinen Triumph. Das Zusammentreffen war das Ergebnis lan ger Wartezeit. Der Schock für die Scudda moren war vielleicht vernichtend, wenn sie erfuhren, in wessen Falle sie gegangen wa ren. »Hier sind eure Räume«, erklärte er schließlich und öffnete ein Schott. Von ei nem kurzen Nebenstollen, meisterhaft und offensichtlich in Handarbeit aus dem massi ven Felsen geschlagen, zweigten Durchgän ge und Türen ab. »Wenn wir dich treffen wollen«, erkun digte sich der kleinere Scuddamore hinter dem Schattenschild, »so finden wir dich in der Zentrale?« »So ist es.« »Wir werden uns nur etwas frisch ma chen«, erklärte Mänerg und hob, undeutlich hinter dem Schild zu sehen, die Hand. »Dann kommen wir zu dir und können uns über den Fortgang der Reise unterhalten.« Atlan-Mänerg beobachtete den Camagur konzentriert. Er glaubte, gewisse Unsicher heiten im Verhalten dieses seltsamen We sens zu spüren. Aber es gab keinen realen Ansatzpunkt für Mißtrauen: Dieser Camagur war der Insasse des Felsklotzes und hatte sie sowohl aufgespürt als auch gerettet, weil die Detonation des Schiffes in der Nähe der Kursgeraden oder der Kursspirale stattge funden hatte.
13 Atlan wußte nicht, wie recht er hatte. Während er und Thalia sich weiter in den niedrigen, einfach ausgestatteten Raum hin einbewegten, blieb Nehr im Eingang stehen. Die Wände und die Felsdecke waren mit ei nem weichen, fellähnlichen Belag versehen, der Boden schien ebenfalls mit einer Art Teppich ausgelegt zu sein. Bondergan war tatsächlich unsicher geworden. Er hatte das Verhalten, die Sprache und alle anderen Le bensäußerungen von Scuddamoren mehr als einmal untersucht. Sein Verstand und alle seine Geräte hatten ihm ein Bild vermittelt, das sich von dem unterschied, das er heute spürte oder zu ahnen glaubte. Besonders Mänerg, der größere Schatten in der Projek tion der Energieglocke, strahlte eine fremd artige Aura aus. Im Gegensatz zu allen ande ren – jetzt toten – Scuddamoren war diese Ausstrahlung richtiggehend positiv. Bonder gan konnte den Scuddamoren jede nur denk bare Scheußlichkeit nachsagen und dies auch belegen – aber von einer positiven Ausstrahlung oder etwa einem ebensolchen Charakter hatte er in all seinen Jahren als Scuddamoren-Jäger niemals etwas gehört oder selbst bemerkt. Travvnar stieß warnende Töne aus und versteckte sich in einer grellgrünen Dampf wolke. Bondergan ging kein Risiko ein. Er griff, ohne hinzusehen, an seinen Gür tel und bewegte einen Schalter. Der Raum vor ihm veränderte sich. Er wurde strahlend hell, und aus zahllosen Projektoren bauten sich innerhalb weniger Sekunden Energie strahlen auf, die sich kreuzten und den Ku bikinhalt des Raumes halbierten. Sie waren doppelt fingerdick und strahlend gelb. Die zwei Scuddamoren waren sofort gefangen. Sie blieben erstaunlich ruhig stehen. »Was soll das?« fragte Mänerg. Seine Stimme aus dem Schleier des Schatten schilds klang verwundert. »Das ist eine Strahlensperre? Sind wir Gefangene?« »Ihr seid gefangene Scuddamoren!« be stätigte der Camagur. Seine Stimme klang schriller als bisher.
14 »Aus welchem Grund? Wir danken dir, daß du uns gerettet hast«, rief Kärtyn aus. »Diese Energiekäfige hier … warum hast du uns gefangengenommen? Was sollen wir?« Der Camagur schwankte leicht auf seinen drei Beinpaaren hin und her. Leise fauchend hing über seinem Rücken jener Mechanis mus Traaunar. Krächzend sagte der Spion: »Ihr seid gefangen, das ist richtig. Und ich bin nicht Nehr Canderfal.« »Ob du Canderfal bist oder ein anderer Camagur, ist unwichtig. Schalte die Energie käfige aus.« »Ich bin Hehl Bondergan, und ihr seid Gefangene von Bondergans Kammer!« er läuterte der Camagur. Trompetend stieß Travvnar giftgelbe Dampfwolken aus. »Auch das ist nicht relevant«, sagte der größere, wuchtigere Scuddamore ungedul dig. »Was soll dieses Geständnis bedeuten?« »Ihr wißt nicht, wer ich bin?« »Nein.« »Bondergan, der flüchtige Rebell, der er barmungslose Verfolger aller Scuddamo ren«, war die haßerfüllte Antwort. Die Scuddamoren rückten etwas näher zu sammen. Atlan und Thalia waren erstaunt und ärgerlich, aber noch fühlten sie sich nicht ernsthaft gefährdet. Allerdings fragten sie sich, ob sie in der Wahl ihrer Maske nicht zu voreilig gewesen waren. Atlan frag te zurück: »Du hättest es bequemer haben können, wenn du uns nicht gerettet hättest. Warum holst du uns erst in deinen Asteroiden und tötest uns hier? Macht es dir so mehr Ver gnügen? Oder was sollen wir denken?« »Ihr müßt merkwürdige Scuddamoren sein«, sagte der Camagur. Auf Atlan wirkte sein Verhalten noch un sicherer als vor wenigen Minuten. »Denn jeder von euch kennt meinen Na men. Ich werde von Chirmor Flog und allen seinen Kreaturen seit mehr als fünfzehn Jah ren ununterbrochen gesucht und gehetzt. Mein Name sagt euch also immer noch nichts, wie?« Offensichtlich spricht er jetzt die Wahr-
Hans Kneifel heit, sagte der Logiksektor des Arkoniden. »Nein!« entgegnete Atlan wahrheitsge mäß. Sein Unbehagen wuchs. Aus der Le bensgefahr im All waren sie jetzt in die Hän de eines fanatischen Verfolgers von Flogs Schergen gefallen. »Ich wollte die Freiheit, nicht nur für mich und meine Familie. Das ist schon so lange her, daß es Flog vergessen haben muß. Ich stellte mich gegen die Gesetze des Nef fen und wurde gefangengenommen. Sie brachten meine Familie um; die Scuddamo ren stellten gräßliche Experimente mit ihnen an. Auch ich wurde gefangengenommen und gequält, aber ich konnte mit einem Raum boot fliehen. Dann fand ich den Asteroiden, der einem sterbenden Krejoden gehörte. Er schenkte ihn mir und verlangte, ich solle versuchen, Chirmor Flog zu treffen, wo im mer es möglich ist. Ich hasse ihn und euch Scuddamoren. Ich werde jeden töten, den ich zu fassen bekomme. Jetzt habe ich euch! Ob ihr wollt oder nicht, aber mit euch werde ich das Geheimnis der Scuddamoren lösen. Und wenn es Jahrzehnte dauern sollte! Eher werden eure Leichen diesen Satelliten nicht verlassen. Wenn ich das Geheimnis kenne, wird es das ganze Marantroner-Revier erfah ren. Ab diesem Tag wird eure Macht gebro chen sein, und bald darauf auch die Macht des Neffen Chirmor Flog. Aus diesem Grund seid ihr gefangen. Glaubt ihr mir jetzt?« Der Camagur hatte sich in helle Aufre gung hinein geredet. Er fuchtelte mit vier Armen und Händen vor den Gefangenen herum. Travvnar blies vielfarbigen Dampf ab und heulte auf wie eine defekte Orgel. »Halt!« sagte der wuchtigere Scuddamo re. Hehl und Travvnar schwiegen plötzlich. Hinter dem Schattenschild gab es eine kaum wahrnehmbare Bewegung, und dann erlosch die Energieaura des Scuddamoren. Ein viergliedriges Wesen stand vor Bon dergan, in einen funkelnden Anzug geklei det. In einer Hand hielt der Scuddamore ein kleines Kästchen. »Ich habe den Schattenschild abgeschal
Die falschen Scuddamoren tet«, sagte der Fremde in tadellosem GarvaGuva. »Du denkst, ich bin ein Scuddamore, das ist falsch. Ich habe mich nur mit dem Gürtel eines Scuddamoren getarnt, ebenso wie meine Begleiterin. Sieh her!« Auch der andere Gefangene schien einen Schalter zu berühren. Der Schattenschild löste sich auf. Im grellen Licht des Gefäng nisses und verursacht durch die grellen Bah nen des Energiekäfigs, leuchtete der seltsa me Schutzanzug der kleineren Gestalt und der nicht weniger merkwürdige eng anlie gende Anzug des Größeren. Der Fremde sagte: »Ein Scuddamoren-Schattenschild ist un durchdringlich. Wir können ihn anlegen und ablegen, wie es uns gefällt. Vielleicht glaubst du uns jetzt, daß wir keine Scudda moren sind?« Der Camagur taumelte zurück, dann stell te er sich auf das hinterste Beinpaar und rief: »Niemand hat jemals einen Scuddamoren ohne Schattenschild gesehen. Auch ich nicht. Niemand hat je den Körper erblickt. Ich weiß nicht, ob ihr Scuddamoren seid oder nicht. Es ist auch unwichtig, denn ich werde eure wahre Natur herausfinden.« Mänerg breitete die oberen Gliedmaßen aus. »Einverstanden«, sagte er nachdenklich. »Wir können dir im ersten Augenblick nicht beweisen, daß wir keine Scuddamoren sind. Zwar sind wir ihnen mit knapper Not von Breisterkähl-Fehr entkommen, aber auch da für gibt es keine Beweise. Jedenfalls hassen wir die Scuddamoren ebenso wie du. Wa rum arbeiten wir nicht zusammen, um das Geheimnis zu lösen?« Der Camagur stieß ein schrilles Kichern aus. »DU irrst! Wir werden zweifellos zusam menarbeiten, ihr und ich. Nur auf eine ande re Art, wie ihr sie euch vorstellt. Es gibt kei nen Zweifel.« Der Größere holte aus einer Gürteltasche eine handgroße Kugel und legte sie beinahe achtlos neben den kleinen Kasten, den er auf
15 einem Tisch abgestellt hatte. Die riesigen Augen des Camagurs richteten sich auf die polierte Steinkugel. »Ich glaube euch kein Wort. Natürlich wollt ihr euch mit dieser Lüge vor der Un tersuchung und dem Tod retten.« »Wir wollen uns retten, aber es sind keine Lügen«, rief Kärdyn aus. »Wenn du dich doch nur mit uns in Ruhe auseinandersetzen würdest!« Bondergan kam wieder auf allen sechs Füßen zu stehen und erwiderte bissig: »Es wird für euch lange Zeiten der Ruhe geben. Zwischen den Untersuchungen. Das verspreche ich euch!« Sein Haß macht ihn blind für eure Argu mente, erklärte der Logiksektor. Atlan versuchte es mit ruhigen und, wie er hoffte, vernünftigen Argumenten. Er sagte in beschwörendem Tonfall: »Vergiß für einen Moment deinen Haß auf die Scuddamoren, Hehl Bondergan! Hö re mir zu. Wir kommen auf Umwegen von der Welt Xudon, und dort haben wir diese Kugel aus reinstem Marmor gefunden. Sie heißt die ›große Plejade‹ und strahlt, wie du sicher bemerkt hast, den Widerschein der Freiheit aus. Wir haben auf einem anderen Weg dasselbe Ziel wie du, nämlich den Ty rannen zu stürzen. Wir wollen die Freiheit für das Marantroner-Revier. Du schadest dir und der Idee der Befreiung, wenn du uns weiterhin für Scuddamoren hältst. Denke scharf nach! Wenn wir die Schattenschilder wieder einschalten – und dies tun wir, wenn du deine Untersuchungen beginnst! –, ver mag keine Macht der Sterne unser angebli ches Geheimnis zu lösen. Nicht einmal du mit deinem Haß auf uns, die falschen Scud damoren.« »Zu spät!« gab das fledermausartige We sen mit raschelnder, trockener Stimme von sich. »Zu spät! Es sind bereits ein Dutzend verschiedener Geräte auf euch gerichtet. Sie messen ununterbrochen und sammeln Infor mationen. Die Bilder eurer wahren Körper werden bereits gespeichert.« »Aber es sind keine Scuddamoren-Bilder,
16 du Narr!« schrie Atlan wütend. »Von mir aus – tu, was du willst. Wir ruhen uns zuerst einmal aus. Wenn du Fragen hast, melde dich später.« Er drehte sich um und schlug den Kopfteil des Goldenen Vlieses wie eine Kapuze zu rück in den Nacken. Auch Thalia-Kärtyn öffnete den Helm des Raumanzugs und zog die Handschuhe aus. Atlan setzte sich und lehnte sich gegen die Rückwand eines unbe kannten Möbelstücks. Seine offensichtliche Mißachtung ärgerte Hehl, aber er sah scheinbar gleichgültig zu, wie der kleinere Gefangene sich neben den anderen setzte. Es war richtig: tatsächlich waren hinter und zwischen den Gitterprojektoren zahllose Sensoren, Antennen und Linsen verborgen, die jeden Quadratzentimeter der beiden Kör per einer genauen Prüfung unterzogen und alle Informationen automatisch in die Spei cher der Rechengeräte transportierten. Auch jeder Handgriff in der folgenden Minute wurde auf das Genaueste registriert und dem Versuch einer Analyse unterzogen. Mänerg und Kärtyn aßen und tranken und sprachen leise in einer unbekannten Sprache miteinander. Schließlich sagte Atlan-Mänerg ent schlossen: »Bisher hat sich der famose Anzug der Vernichtung in allen Lagen als unbezwing bar erwiesen. Ich denke, ich mache einen Versuch, um unseren unbelehrbaren Gastge ber eines Besseren zu belehren.« Thalia erwiderte leise: »Vermutlich hast du, wie so oft, wieder einmal recht. Wir sollten es versuchen. Ich denke, daß der Camagur ein recht brauchba rer Bursche ist, wenn er einmal überzeugt wurde. Wir haben als Scuddamoren bei ihm jedenfalls einen denkbar schlechten Ruf.« Atlan lachte heiser auf. »Das ist zumindest stark übertrieben. Wir befinden uns, verglichen mit der Zeit vor ei ner Stunde oder so, in vergleichsweise war mer, gemütlicher Umgebung. Ich warte nur darauf, bis der Giftzwerg mit seinen zwölf Gliedmaßen und dem dampfgetriebenen Or-
Hans Kneifel gelvogel verschwunden ist.« »Einverstanden.« Sie schienen abermals dem Tod ins Auge zu blicken. Aber jetzt glaubten sie zu sehen, daß ihnen dieser Tod ein wenig ironisch zu zwinkerte.
4. Eine Stimmung, die er nicht kannte oder an die er sich nicht mehr erinnern konnte, erfüllte Bondergan bis in das tiefste Innere. Er saß in seinem Sessel; er erinnerte sich gerade in diesem Moment seines Triumphes daran, wie er ihn selbst unter großen Mühen angefertigt hatte, denn er war Techniker und Raumfahrer, aber kein Handwerker. Vor ihm, im Halbkreis und im entsprechenden Augenabstand angeordnet, leuchteten drei Dutzend spezieller Bildschirme. Auf ihnen zeichneten sich nicht nur die Formationen der Sterne ab, nicht nur die laufenden Werte der Triebwerksleistungen und nahezu aller Versorgungseinrichtungen, sondern auch die Ziffern, Zahlen und Kombinationen der Analyse. Hier hatte er die vielen Teile; er brauchte sie nur noch richtig zusammenzu setzen. Er hörte das klagende Heulen von Travvnar, griff in die Tasche und warf einen frischen Energiewürfel senkrecht über seine Schulter in die Höhe. Der Kleine schnappte sich diese Grundlage seines präintelligenten Daseins stopfte sie in die Brennkammer und schwirrte, fröhliche blaue Wolken und leise quäkende Töne von sich gebend, in den Hin tergrund der Zentrale davon. »Mein kleiner Traaunar«, flüsterte der Ca magur, »vielleicht sind wir heute ganz nahe an unserem Ziel.« Der Camagur war nicht ohne Zweifel. Er studierte die verschiedenen Angaben und wählte aus, was er für richtig und wich tig hielt. Schließlich wollte und mußte er al le seine Erkenntnisse weitergeben. Das nächste planetare Depot der Scuddamoren, das im Bereich der Flugroute lag, war Kin ster-Hayn, und dort würden sich die Gefan genen zuerst gegen ihre Folterknechte wen
Die falschen Scuddamoren den. Trotz aller Wahrheiten, die Hehl Bonder gan hier und jetzt über die wahre Natur der Scuddamoren erfuhr, blieb er nachdenklich. Hinter den düsteren Umrissen der Schatten schilde waren Wesen zum Vorschein ge kommen, die er als Gegner ansehen mußte, die aber sicherlich ebenso handelten, emp fanden und dachten wie er. Diese Feststel lung wollte einfach nicht in das Bild passen, das er sich von den Scuddamoren gemacht hatte. Und für dieses Bild hatte er mehr Be weise, als ihm lieb war. Und keiner der Noots, Camagurs, Tamater und wie sie alle hießen, hatte jemals dieser Klassifizierung widersprochen. Die Scuddamoren waren gefühllos wie ferngesteuerte Maschinen. »Aber weder Mänerg noch Kärdyn sind ferngesteuerte Maschinen, denn hier kann ich sehen, daß sie leben und fühlen!« flüster te er. Dazu kamen seine eigenen, unverwech selbaren Feststellungen. Der Eindruck war: Sie kannten die Freiheit und schienen sie zu lieben. Sie sprachen das weiche Garva-Guva kluger Wesen, die eigene und intelligente Gedanken hatten, was ebensolche Empfin dungen voraussetzte. Und fast schmerzhaft dachte Hehl daran, welche Empfindungen er selbst beim Be trachten dieser steinernen Kugel gespürt hat te. Die große Plejade! Widerschein der Frei heit! Er erinnerte sich, irgendwann einmal einen Funkspruch eingefangen zu haben. Darin kam der Begriff Widerschein der Freiheit vor, und er schien für Chirmor Flogs Schreckensregiment eine Bedrohung zu sein. Etwas unruhiger geworden, arbeitete Hehl weiter. Immerhin gelang es ihm, wichtige Daten zu einem in sich schlüssigen Bild zusam menzustellen. Demnach kamen diese beiden Fremden aus einem System oder einer Zone des Weltraums, der bisher unbekannt war. Die Art, in der ihre Körper aufgebaut waren, blieb unbestimmbar – sie waren also absolut
17 Fremde. Der Schluß, daß Chirmor Flog sei ne Schergen an einer Stelle anheuerte, die keinem Raumfahrer innerhalb des Marantro ner-Reviers bekannt war, bewies dessen schurkischen Charakter. Die Scuddamoren waren also Söldner, die im Dienst des Herr schers standen. »Ich habe sie jedenfalls sicher hinter un durchdringbaren Energiegittern gefangen. Wenn alles vorbei ist«, murmelte der Cama gur im Selbstgespräch, während seine dün nen Finger unablässig Tasten niederdrück ten, Texte schrieben und Informationen mischten, »werden wir viel mehr wissen. Vielleicht weiß ich dann auch, was es mit der ›großen Plejade‹ auf sich hat.« Er konnte immer nur das erkennen, was auf demjenigen Bildschirm dargestellt wur de, der sich direkt in seinem Blickfeld be fand. Aber den grellen Lichtblitz, der von ganz rechts wiedergegeben wurde, nahm er wahr. Die Helligkeit dieses Energieaus bruchs war so groß, daß er zusammenzuckte und einige Sekunden lang halb geblendet war. Dann wußte er, daß die Scuddamoren sich anders verhielten als jene, die er bisher un tersuchen hatte können. Als er aufsprang und eine Zweihandwaffe aus dem Gestell riß, ahnte er, daß alle bisher gesammelten Informationen falsch waren. Grundfalsch. Diese Fremden waren ganz anders.
* Jeder einzelne Schritt ihres Vorgehens war genau besprochen worden. Da niemand innerhalb des Marantroner-Reviers je auf Pthor gewesen war, da weiterhin weder Tha lia noch Atlan sich in der Nähe eines Über setzungsgerätes unterhalten hatten, konnten sie sich in Pthora verständigen. Der Cama gur würde sie nicht verstehen, selbst wenn sie schrien. Mit einem Griff streifte Atlan die Kapuze des Goldenen Vlieses nach vorn. Augen blicklich bildete sich der Gesichtsschutz des Anzugs der Vernichtung. Atlan nickte Tha
18 lia zu, dann nahm er einen Anlauf und sprang mit ausgestreckten Armen in das Netz der Strahlen hinein. Einen Schritt, be vor er sich losschnellte, schaltete er wieder den Schattenschild ein. Der nächste Sekun denbruchteil tauchte die Umrisse des Schil des in blendend, funkensprühende Hellig keit. Der Anzug der Vernichtung reflektierte die mörderischen Strahlen des Käfigs. Es schien, als ob sie mühelos den Schatten schild durchdrungen hätten, aber Atlan spür te nichts, keinen Schmerz, nicht einmal ein Kribbeln. Er öffnete, als er auf dem weichen Boden aufprallte, die Augen und rollte sich ab. Dann sprang er nach rechts und links, er griff die Schäfte der Projektoren und riß die halbkugeligen Schalen zur Seite. Peitschen de Entladungen krachten durch den Raum und zerstörten die Reflektoren. In den Git tern aus glühenden Strahlen erschienen Lücken. Atlan duckte sich, riß ein Kabel aus einer Befestigung und beschädigte in einer Serie schneller, wütender Hiebe mit den ge schützten Fäusten andere Absperrvorrich tungen. Die Kammer füllte sich mit Rauch und Flammen. Stellen der Wandverkleidung begannen zu schmoren und zu brennen. Ät zender Rauch stieg auf. Atlan holte in der Nähe des Ausgangs tief Luft und schrie: »Los, Thalia! Zu mir her!« In seiner Gürteltasche befand sich bereits wieder der unersetzliche Stein aus den Sta pelpalästen von Xudon. Thalia umklammer te den Griff des ÄrgetzosKastens und rannte auf die flackernden Lücken in dem Energie schirm zu. Im selben Augenblick reagierte die Schutzeinrichtung des Raumes und über sprühte beide Personen und den Rest der Fläche aus Dutzenden von Hochleistungsdü sen. Ein dunkelgrüner, feiner Feuchtstaub wurde mit ungeheurer Wucht aus den Düsen herausgepreßt und tauchte den Raum in dunkle Schleier. Gleichzeitig sprangen lange und peitschende Blitze von den einzelnen Projektoren zwischen den Wänden und dem
Hans Kneifel Boden hin und her. Als Atlan mit ausgestreckten Armen Tha lia auffing und mit ihr in den Nebenkorridor hinaussprang, gab es hinter ihnen einen dumpfen, nachhallenden Schlag. Das Licht erlosch in dem halb verwüsteten Raum. Gleichzeitig begannen aus verschiedenen Richtungen Sirenen zu wimmern. »Immerhin sind wir dieser verdammten Falle entkommen«, sagte Atlan und rannte mit Thalia durch den Ringkorridor, der, wie sie wußten, in mehreren Ebenen im Zentrum des Felsbrockens verlief. »Vielleicht gelingt es uns im Lauf dieser Hetze, unseren Freund von unseren Absichten zu überzeugen.« »Auf jeden Fall«, keuchte Thalia und klammerte sich an Atlans rechtem Arm fest, »wird es nicht einfach sein. Er ist überzeugt, in uns die Bösewichter gefunden zu haben.« Der Korridor krümmte sich nach rechts. Der Boden bestand aus fein gerastetertem Stein, auf dem ihre Sohlen gut griffen. Mit jedem Schritt schnellten sie sich weiter vor wärts. Atlan beobachtete genau alle Leitun gen, Beleuchtungskörper und Klappen, sämtliche Einrichtungen an Decke und Wän den des Ganges. Noch waren sie allein und wurden offensichtlich nicht verfolgt. Aber der Vorteil war gering. »Bondergan kennt hier jeden Winkel und jedes mögliche Versteck«, sagte Atlan ge preßt und riß den Kopf hin und her, um in andere, teilweise beleuchtete Räume zu spä hen. »Und wir sind nicht bewaffnet. Wir kön nen nichts anderes tun als rennen und flüch ten«, gab Thalia zurück. »Stimmt. Vielleicht wird er eher müde als wir«, murmelte Atlan grimmig. Sie verließen die oberste Ebene und sto beneine Rampe abwärts. Sie kamen an dem schwer isolierten Schott zum Schleusenhan gar vorbei; Atlans perfektes Ortsgedächtnis ließ ihn auch hier nicht eine Sekunde lang im Stich. Während er lief, überlegte er und kam, wie schon so unendlich oft in seinem Leben zu dem Schluß, daß eine Kette von Abenteuern sich von seiner Geburt in eine
Die falschen Scuddamoren ferne, glücklicherweise unbekannte Zukunft spannte. Immer wieder lösten einander die Vorgänge ab, die im weitesten Sinn aus ei nem dauernden Rennen, Hasten und Kämp fen bestanden. Kaum war eine Frage beant wortet, tauchten die beiden nächsten Fragen auf. Noch während er mit der Lösung des naheliegenden Problems unter Aufbietung aller seiner Kräfte beschäftigt war, drangen die nächsten Probleme mit Macht auf ihn ein. Gab es irgendwann Ruhe und Frieden? Und selbst wenn er glaubte, er habe Ruhe gefunden, in sich selbst oder an einer Stelle, an der er sich weit entfernt von jeglichem Kampf zu befinden glaubte, kamen Unruhe, Kampf und Gefahren von außerhalb und schienen sich ausgerechnet immer ihn als Ziel ausgesucht zu haben. Hier und jetzt war es nicht anders. »Er wird uns töten, wenn er uns in die En ge getrieben hat«, sagte Thalia, als sie etwas langsamer geworden waren. Sie befanden sich jetzt in der Nähe großer, schwerer Maschinen, wahrscheinlich ein Teil des Antriebs. Das Summen und Brausen wurde deutlicher und lauter und kam von links. »Noch ist es nicht soweit«, sagte Atlan. »Ich suche nach einer Waffe. Ich glaube nämlich nicht, daß die Schattenschilde und der Anzug der Vernichtung unzerstörbar sind.« Nach Verlassen des Gefängnisses hatte auch Thalia dem Scuddamoren-Schatten schild mit einer Handbewegung eingeschal tet. Sie fühlte sich keineswegs vollkommen geschützt. Dies war mehr ein psychologi sches als ein technisches Problem. »Er wird nicht auf uns schießen, wenn wir uns zwischen den Elementen der Energieer zeuger oder des Asteroiden-Antriebs befin den«, meinte Atlan und zog seine Freundin in den riesigen Höhlenraum hinein. Wärme, die charakteristischen Ausstrahlungen der laufenden Maschinen und ein mildes, bron zefarbenes Licht umhüllten sie. »Trotzdem wäre mir eine Waffe lieber!« bekannte Thalia.
19 »Mir auch.« Sie huschten zwischen Blöcken, Röhren, riesigen Kabelbündeln und Schaltkästen oder ähnlichen Einrichtungen hindurch. Auch an dieser Stelle waren Fels und Metall eine handwerklich bemerkenswerte Verbin dung miteinander eingegangen. »Ich wundere mich, daß Bondergans Spielzeug noch nicht aufgetaucht ist und gellende Laute von sich gibt.« Atlan hielt mitten im Lauf an, als er im Zentrum der vielen wuchtigen Anlagen so etwas wie eine Kanzel entdeckte. Er sprang in rasender Eile die Stufen hoch, riß eine Tür auf und sah quer über einem aktiven Schaltpult etwas Metallisches liegen, das ei nem schweren Strahler nicht unähnlich sah. Er hob das schwere Gerät auf und entdeckte Projektoren, ein stechend rot brennendes Kontrollicht, Stellschrauben und Abzüge. Sein Logiksektor wisperte: Zweifellos eine Waffe! »Wie schön«, brummte der Arkonide und rannte wieder hinunter zu Thalia. Er drehte an den Reglern und richtete den Lauf probe weise an die Decke. Als er nach einigen Se kunden weiterer Prüfung den Abzug drück te, fuhr ein knisternder, weißglühender Strahl in den Fels und erzeugte dort einen kleinen Krater. Glühende Tropfen fielen her unter und zerspritzten auf den Abdeckungen der Geräte. »Jetzt sind wir bewaffnet!« stellte Atlan grimmig fest und nickte Thalia zu. Sie duck ten sich, den heller ausgeleuchteten Eingang zu der Maschinenhalle im Blickfeld, in den tiefen Schatten zwischen riesigen Maschi nenteilen. Flüsternd bemerkte die Tochter Odins: »Hoffentlich sieht der Camagur ein, daß ein Gefecht im Innern seines Mondes für ihn tödlich werden kann.« »Ich glaube es nicht«, entgegnete Atlan. »Auf mich macht er den Eindruck, als wäre er völlig uneinsichtig.« Versteckt im Dunkeln, geschützt durch ih re Anzüge und die Energieglocken der Schattenschilde, warteten sie einige Zeit. Sie
20 konnten sicher sein, daß der Camagur wie der versuchen würde, sie einzufangen. Seine Meinung, daß sie Scuddamoren waren, stand absolut fest. Sekunden später geisterten drei dünne, kalkweiße Lichtstrahlen durch das Halbdun kel der Felsenhalle. Das technische Gerät, dessen Zweck sie noch immer nicht genau kannten, kam hereingeflogen. Die Trag schraube surrte, einzelne Dampfstöße fauch ten auf, und die Scheinwerfer wurden su chend bewegt. Ihre Lichtkegel zuckten hin und her, glitten über die staubigen Flanken der Maschinen, rissen Teile der Decke aus der Finsternis und schwenkten schließlich gemeinsam herum. Das Licht fiel auf die beiden Schattenschilde. Die Energieglocken schluckten einen Teil der Helligkeit. Travv nar gab eine Reihe aufgeregter Fanfarenstö ße ab, hüllte sich in ein neues System weißer Ringe und drehte sofort ab. Die Scheinwer fer erloschen, in rasendem Flug summte das Gerät zurück in den Ringkorridor. Atlan stand auf und sagte entschlossen: »Versuchen wir, in den Steuerstand oder die Zentrale zu kommen. Dazu müssen wir praktisch den gesamten Ringkorridor ent langlaufen.« »Vielleicht können wir in der Zentrale endlich vernünftig mit Hehl Bondergan re den«, pflichtete Thalia ein. Nebeneinander verließen sie die Maschinenhalle. Von Travvnar war nichts mehr zu sehen. Nur in großer Entfernung hörten sie sein aufgereg tes Blasen und Trompeten. Immer wieder nach hinten sichernd, liefen sie den Ringkorridor entlang. Fels wechselte mit Metallgittern ab. Der Asteroid war ein geteilt in ein System von Kammern, das in kein bekanntes Schema einzuordnen war. Hohlraum auf Hohlraum schien willkürlich nacheinander in den Fels hineingesprengt worden zu sein. Ab und zu entdeckten Atlan und Thalia Ansätze künstlerischer Bearbei tung, die sie an die Marmorwaren in dem of fenen Markt von Danjitter-Tal erinnerte. »Er ist wieder hinter uns!« sagte Atlan nach einer Weile und zog Thalia, als sie an
Hans Kneifel eine Abzweigung kamen, hastig in eine Ni sche. »Ich höre ihn!« gab sie flüsternd zurück. Atlan hob die Waffe und wartete. Wie ein Geschoß raste Travvnar an ihnen vorbei und verschwand auf der anderen Seite des Korri dors. Das Tappen und Rascheln der sechs Füße wurde lauter und schneller. Dann blieb Bondergan stehen, er mußte sich unmittelbar vor ihnen befinden. Ein Geräusch ertönte, das wie ein verzerrtes Kichern klang. Es gab ein Klicken, dann kippte etwas un ter den Füßen der Pthorer. Sie verloren den Halt und stürzten senkrecht nach unten. Eine Klappe oder Falltür hatte sich geöffnet und ließ sie durch einen engen Schacht fallen. Das Kichern des Camagurs wurde lauter und hallte in ihren Ohren nach. Atlan spreizte Arme und Beine und ver suchte nach einer kurzen Schrecksekunde, Thalia festzuhalten. Der Fall dauerte nicht lange. Die Wände des Schachtes – er war rund – waren völlig glatt. »Verdammt!« stöhnte Atlan. Sie fielen schätzungsweise zehn Meter tief. Dann hörte der Schacht auf, und beide Körper sackten ohne jeden Halt durch die Luft und landeten in einem Netz oder auf ei ner federnden Matte. Es war völlig dunkel, weder Thalia noch Atlan konnten etwas er kennen. Während die junge Frau vor Schrecken und teilweise auch Erleichterung leise aufschrie, fluchte der Arkonide und zog den Abzug der Waffe durch. Die grelle Glut der Schußbahn leuchtete für Sekunden bruchteile ihr neues Gefängnis aus. Wieder eine hohlkugelförmige Ausspa rung im Fels. In halber Höhe spannte sich ein Netz aus dünnen Metallseilen. Jetzt gab es nach und senkte sich in der Mitte. Es ver wandelte sich langsam in einen Sack, der die Bewegungen der beiden Pthorer zusehends behinderte. Atlan erkannte das Prinzip; in ganz kurzer Zeit würden sie sich nicht mehr rühren können und waren gefangen wie große Fische im Netz. Er warf sich herum und richtete den Pro jektor der Waffe auf die Stellen der Wand,
Die falschen Scuddamoren an denen einige Spannseile befestigt waren. Nacheinander peitschten sechs Schüsse auf und zerschnitten die Seile, ließen den Fels aufglühen und rissen die Verankerung her aus. Das Netz senkte sich auf einer Seite, beide Körper fingen zu rollen an und kipp ten zur Seite. Wieder dröhnten peitschend drei Schüsse, und Atlan durchtrennte die letzten entscheidenden Verbindungen. Die glühenden Flächen der Wand und die leuch tenden Bahnen der Energiefinger schufen so viel Helligkeit, daß Thalia und Atlan sehen konnten, wo sie sich befanden, und wie sich ihre Lage darstellte. Jetzt rutschten sie aus dem halb zerstörten Gitternetz auf den Bo den und blieben stehen. Atlan sagte wütend: »Der verdammte Asteroid ist voller Fal len.« »Vermutlich hat Hehl schon früher Scud damoren jagen müssen. Sie werden sich kaum freiwillig seinen Untersuchungen zur Verfügung gestellt haben«, erwiderte Thalia. Sie tasteten um sich und schlichen entlang der gekrümmten Wand auf einen Ausgang zu, der so schmal war, daß nur einer von ih nen sich durchschieben konnte. Noch immer standen sie im Dunkeln und versuchten zu erraten, was als nächstes passieren würde. Einige ereignislose Sekunden verstrichen. Dann erschien wieder jener merkwürdige Partner des Einsiedlers. Diesmal strahlte nur ein Scheinwerfer des Fluggeräts. Fauchend und leise vor sich hinblasend schwirrte Travvnar durch einen schmalen Nebenkorri dor und kam auf die Pthorer zu. Atlan hob die Waffe und zielte, aber er brachte es nicht fertig, auf diese harmlose und nicht unorigi nelle Konstruktion zu schießen. Vermutlich hatte der sterbende Krejode aus Langeweile das Spielzeug angefertigt. Als der Lichtkegel die beiden Schatten er tastete, kehrte Travvnar um und verschwand in einer aufgeregten Wolke aus farbigem Dampf und mit schallenden Blasgeräuschen. Atlan zog sich zurück und sagte: »Gleich wird Hehl herankommen, wieder kichern und uns in eine neue Falle jagen.« »Vielleicht solltest du ihm zeigen, daß un
21 ser Bedarf an Späßen dieser Art gedeckt ist?« schlug Thalia vor. »Ich bin dazu entschlossen«, erwiderte Atlan. »Mittlerweile ist meine Geduld tat sächlich erschöpft.« Er tastete nach Thalias Hand und ging langsam in die Richtung, in der Travvnar verschwunden war. Es herrschte völlige Stil le. Jeder Atemzug und das Geräusch der Sohlen wurden unnatürlich laut. Der Fels um Atlan und Thalia herum war warm und vibrierte unmerklich. Schritt um Schritt gin gen sie vorwärts und merkten, daß der Bo den leicht anstieg. Ihre Wut nahm zu, weil sie nicht einsehen konnten, daß zwischen ih nen und dem halsstarrigen Camagur echte Gegnerschaft herrschen mußte. Hehl Bondergan schien lange zu brau chen, bis er sie erreichte. Während sie hofften, nicht wieder in eine neue Falle zu tappen, näherten sich die be kannten Laute von Bondergans Füßen. Er schien sich in heller Panik zu befinden. Er raste förmlich durch den schwarzen, lichtlo sen Gang heran. Atlan und Thalia lehnten sich an das rauhe Gestein und warteten schweigend und voller Spannung. Dann stach ein breiter Lichtbalken um eine Ecke des Korridors und erfaßte Armaturen, Schal ter und nicht aktivierte Bildschirme. Der Ca magur kam herein. Atlan senkte die Waffe und gab einen ungezielten Warnschuß ab. Die Energie schlug in irgendwelche Gerä te ein, ließ einen Bildschirm in einer knal lenden Explosion bersten und erzeugte einen gewaltigen Funkenregen. In dem blitzähn lich zuckenden Lichtschein erkannten die Pthorer, daß der Camagur in höchster Ge schwindigkeit heranlief, kurz anhielt, sich verwirrt umsah und sich dann duckte. Eine harte Erschütterung durchlief Teile des Gesteins. Dann lösten sich an verschiedenen Stellen der Felswand riesige Metallkonstruktionen. Auch sie schienen Teile einer Falle zu sein. Alles ging viel zu schnell vor sich, und die Pthorer konnten nicht genau erkennen, was wirklich passierte. Es gab dröhnende und
22 donnernde Geräusche, ein gewaltiges Klir ren erschütterte diesen Teil des Asteroiden, und dann sah Atlan erschrocken, wie Gitter aus armdicken Metallstäben auf Hehl Bon dergan herabstürzten und ihn unter sich halbwegs begruben. Gleichzeitig schalteten sich lange Reihen von großen Scheinwerfern an und strahlten genau das Zentrum der Fal le an. Das letzte herausgeklappte Gitter befand sich direkt vor Atlan und Thalia. Als das schwere Metallteil den Körper des Cama gurs berührte, stieß er einen kreischenden Schrei aus. Die Stäbe und Verbindungen klirrten gegeneinander und gruben sich tief in seinen Körper. Die Pthorer sprangen ent setzt vorwärts und sahen den bewegungslo sen Körper unter den Teilen der Falle. »Er ist in eine seiner Fallen gerannt!« sag te Atlan, spannte seine Muskeln an und zerr te ein kleineres Gitter zur Seite und stellte es hochkant gegen die Wand. Hehl stöhnte und streckte zitternde Arme und Hände aus. »Ich war unachtsam«, stieß er gequält aus. »Du hast uns nicht geglaubt«, sagte Atlan, schaltete den Schattenschild ab und versuch te, zusammen mit Thalia, das riesige Gitter hochzuheben. Er schaffte es nicht; die Falle schien nicht richtig funktioniert zu haben. Wieder stöhnte Bondergan auf und rief leise und keuchend: »Ihr könnt mir nicht helfen. Ich bin töd lich getroffen. Alles in meinem Körper ist zerbrochen und zerrissen. Ihr seid merkwür dige Scuddamoren.« Auch Thalia schaltete den ScuddamorenSchild aus und zerrte an dem riesigen Teil stück. »Wir sind wirklich keine Scuddamoren. Jetzt wirst du es glauben. Sage uns, wie wir die Falle auseinanderreißen können.« »Sie hat nicht funktioniert. Jetzt muß ich euch wohl glauben«, stöhnte und keuchte der schwerverwundete Camagur. »Das scheint zu spät zu sein. Wir wollen dir helfen!« »Noch niemals habe ich … so etwas von einem Scuddamoren gehört«, war die
Hans Kneifel stockende Antwort. »Abermals ein Beweis. Verdammt! Sage uns, wie wir die Falle beseitigen können!« schrie der Arkonide wütend und stemmte seine Schulter unter eine Ecke des schwer sten Brockens. »Es ist unnötig«, antwortete der sterbende Camagur. »Wenn auch ihr die Scuddamoren haßt, müßt ihr meinen Auftrag weiterfüh ren.« »Das war, was wir dir stets vorschlagen wollten«, sagte Atlan. »Ihr könnt als falsche Scuddamoren … in die Reihen der Spezialeinheiten eindringen. Niemand wird euch erkennen.« »Das haben wir vor!« bestätigte Thalia. Unter dem flach an den Boden gedrückten Körper des Camagurs breitete sich eine dunkle Flüssigkeit aus. Hehl atmete keu chend und in winzigen, hektischen Zügen. Wieder setzte er mehrmals zum Sprechen an und brachte schließlich hervor: »Traaunar wird es euch zeigen. In den Speichern sind die Daten von Kinster-Hayn, ein paar Lichtjahre entfernt.« »Was sollen wir dort?« »Ein kleines Planetendepot. Eine Ausbil dungsstätte voller Lehranlagen. Ich habe im mer davon geträumt, den zweiten Planeten anzugreifen. Ihr seid jünger und kräftiger. Greift an! Zerstört den Stützpunkt!« »Wir werden es zumindest versuchen«, antwortete Atlan und stellte seine nutzlosen Bemühungen ein. Jeder Ruck an dem schweren Gitter schien Hehl Schmerzen zu verursachen. Der Alte sprach weiter. »Nehmt meine Leiche mit. Mein Name ist bekannt. Ihr müßt sagen, ihr hättet mich ge tötet. Sagt, ihr seid ein Suchkommando. Ich weiß, daß viele unterwegs sind, um mich zu fangen. Man kann nicht jeden einzelnen von ihnen ständig … überwachen.« Seine Augen überzogen sich mit einem kalkigen Weiß. Es begann an den Außenrän dern und bedeckte Facette um Facette. Die Menge der Körperflüssigkeit unter den far benfrohen Gewändern wurde größer. Hehl atmete noch schwächer, seine Finger zitter
Die falschen Scuddamoren ten wie im Fieber. Er verfiel zusehends. »Sagt, daß euer Schiff mit Bondergans Kammer zusammengestoßen ist. Ihr habt überlebt und seid eingedrungen. Ihr habt mich getötet, sagt es ihnen. Dann seid ihr nach Kinster-Hayn geflogen.« »Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Ge schichte durchkommen«, murmelte Atlan und starrte den sterbenden Camagur an. Al les hätte ganz anders enden können. »Jedenfalls befolgen wir deinen Rat.« »Das ist gut. Ich habe immer nur gegen die Scuddamoren gekämpft und für die Frei heit. Helft den Völkern im Marantro …« Ein schwaches Zittern durchlief seinen Körper. Seine Ohren rollten sich auf, als wollten sie ein unermeßlich leises Geräusch auffangen. Dann starb Hehl Bondergan. At lan richtete sich auf und sah im grellen Licht seine Gefährtin an. »Das war unnötig«, sagte er und senkte den Kopf. »Auf seine Art war er sicherlich ein ganz verträglicher alter Bursche. Er tut mir leid.« »Jedenfalls scheint er in dem Bewußtsein gestorben zu sein«, sagte Thalia, »daß wir Feinde der Scuddamoren und Verteidiger der Freiheit sind. Sein Haß ist vorbei, und Bondergan wird einer der Namen bleiben, die einen Ruf als Gegner von Chirmor Flog hatten.« »Und wir – beziehungsweise die Scudda moren Mänerg und Kärdyn – sind diejeni gen, die ein Freiheitssymbol oder einen Re bellen getötet haben«, schloß Atlan. »Suchen wir Werkzeuge und so etwas wie eine Kältekammer.« Sie fanden einen ande ren Weg zurück in den Ringkorridor. Travv nar war verschwunden, und sie hörten nicht einmal seine Signale. Der Felsbrocken raste lautlos und in unterlichtschnellem Flug durch den leeren Weltraum. Die Situation hatte sich binnen kurzer Zeit abermals grundlegend geändert. Leichte Ratlosigkeit überfiel Atlan, als er die Zentrale betrat und die große Menge von Geräten und Steuerpulten sah. »Ich glaube, ab jetzt sind wir Traaunars
23 Kenntnissen ausgeliefert«, sagte er in GarvaGuva und öffnete den goldenen Anzug der Vernichtung.
* Einige Stunden später hatten sie Hehl Bondergans Körper in einige silberglänzen de Folien eingewickelt und in einer Kühl kammer deponiert, deren Felswände von weißem Rauhreif dick gepanzert waren. Ein ausgedehnter Rundgang hatte ihnen den Rest des relativ kleinen Mondes gezeigt und bewiesen, daß sie allein waren. Außer dem Spielzeug Travvnar war niemand mehr an Bord, nicht einmal Labortiere. Atlan und Thalia legten die Anzüge ab, deponierten die große Plejade und den Ka sten mit den unersetzlichen Ärgetzos in ei nem leeren Fach der Zentrale und versuch ten, nachdem sie sich erfrischt und ausge ruht hatten, die Technik des Asteroiden ken nenzulernen. »Inzwischen haben wir eine Menge Er fahrung in diesem Teil des Weltraums, uns als exotische Wesen auszugeben, die wir nicht sind«, stellte Atlan fest und schaffte es langsam, die Bildschirme umzuschalten. Jetzt zeigten sie nicht mehr die gespeicher ten Untersuchungsergebnisse der »Fremden« beziehungsweise der falschen Scuddamoren. Die Speicherinhalte zu lö schen gelang dem Arkoniden nicht. Mehr und mehr Sterne der Umgebung er schienen auf den Schirmen. Atlan entdeckte Ortungseinrichtungen von beträchtlicher Qualität und aktivierte diejenigen, die noch nicht arbeiteten. »Bei der Menge von Scuddamoren, die wir allein festgestellt haben«, unterstützte ihn Thalia, »können wir mit unserer Maske tatsächlich Erfolg haben. Besonders die Lei che des Scuddamoren-Jägers wird uns glaubhaft sein lassen.« »Wir können nur hoffen, daß man uns nicht allzu viele Fragen stellt«, sagte der Ar konide. »Nicht alle Antworten können so allgemein gehalten werden, wie wir es tun
24 müssen. Wir gehen jedenfalls ein erhebli ches Risiko ein.« »Das tun wir, seit wir Pthor verlassen ha ben!« meinte die Odinstochter. Während sie arbeiteten und den Asteroiden immer besser zu beherrschen lernten, entwickelten sie die Teile ihrer Geschichte, stellten Fragen, die zu erwarten waren und konstruierten darauf Antworten, die wahrscheinlich und überzeu gend klangen. Es war tatsächlich so, daß Hehl Bonder gans Vorschlag die einzige Alternative dar stellte. Falls sie auf Kinster-Hayn überleb ten, würde es sie ein großes Stück in der freiwillig gewählten Richtung weiterbrin gen. Plötzlich hörten sie hinter sich das klagen de Hupen und Trompeten von Travvnar. Das metallene Ding erschien, summte an Atlans Kopf vorbei und entließ mehrere Ringe aus rotem Dampf. Atlan sagte halblaut: »Ich verstehe kein Wort oder vielmehr keinen Ton. Du sollst uns zeigen, wo wir die Koordinaten von Kinster-Hayn finden. Von dir sollen wir lernen, wie wir einen über lichtschnellen Sprung dorthin ausführen können.« Thalia blickte das Ding, das einem bizar ren Insekt sehr ähnlich sah, mit hochgezoge nen Brauen an. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »er braucht neuen Treibstoff.« Ein langgezogener, lauter Akkord und ei ne gelbe Rauchwolke schienen die Richtig keit des Einwands zu bestätigen. Travvnar stieß im Sturzflug auf ein Pult zu und ver harrte dicht darüber. Atlan ging an die be zeichnete Stelle und klappte schließlich einen abgegriffenen Deckel hoch. Das Fach war gefüllt mit kleinen grauen Würfeln, so groß wie ein halber Daumen. Atlan sah zu, wie Travvnar einen Würfel ergriff, an sei nem Körper eine Klappe öffnete und den Würfel hineinfallen ließ. Dann gab er einige fröhliche Fanfarenstöße und hellblaue Ringe von sich und flog zurück zu den Steuergerä ten im unmittelbaren Bereich des Sessels,
Hans Kneifel dessen Form allerdings für Atlan höchst un gewohnt und unbequem war. Schritt für Schritt entwickelten sie den Kurs, beziehungsweise die verschiedenen Schaltungen und Manipulationen der Ma schinen. Der Umstand, daß die Technik des Asteroiden ihre eigene, erkennbare Logik besaß, half Atlan entscheidend. Die Geschwindigkeit des Asteroiden er höhte sich; der Felsbrocken beschleunigte und stürzte sich auf sein fernes Ziel zu. Kin ster-Hayn lag direkt voraus.
5. Die Galionsfiguren der sieben Organ schiffe verständigten sich untereinander. Es war nicht der erste Einsatz dieser Art. Zuerst glitten die Schiffe des kleinen Verbandes fä cherförmig auseinander, dann begannen sie das Ziel einzukesseln. Die Organschiffe bremsten stark ab, als sie die überaus starken Ortungsimpulse ausmachten. Genau zwischen ihnen trieb das zerfetzte Wrack der SKEILAS. Zur selben Zeit, als der Scuddamore Yär ling den Kode des zerstörenden Fernimpul ses an den Spezialsender gegeben hatte, war der Startbefehl an die Organschiffe ergan gen. Yärling wußte, daß der Impuls die SKEILAS sprengen, die Insassen und die abtrünnige Galionsfigur töten und den An trieb zerstören würde. Das Wrack entkam ihm nicht. Und mit dem Wrack die unersetzlichen zweihundertfünfzig Ärgetzos. »Es ist das Ende, wenn die Ärgetzos nicht gefunden werden. Und zwar mein Ende«, hatte er laut ausgesprochen. Niemand in seiner Umgebung zweifelte daran. Die Scuddamoren erkannten einander an den Schwingungen der Stimmen, die aus den Schattenschildern hervordrangen; diese Fähigkeit war angeboren und niemals ge schult worden. Ranghöhere Scuddamoren besaßen einen Schild, dessen düstere Aus strahlung stärker war. Sie verbarg den Kör per hinter der Energieglocke noch stärker,
Die falschen Scuddamoren wahrte also die Anonymität des Bedeutungs volleren besser. Dann schrie Yärling: »Wagt es nicht, ohne die Ärgetzos zu rückzukommen! Sie sind für eine Ewigkeit die absolut letzten, die Chirmor Flog be kommen kann. Eure Vorstellungskraft reicht nicht aus, um die Folgen zu erkennen.« Die Schiffe waren gestartet, hatten ohne Schwierigkeit das Wrack geortet und entlie ßen jetzt, nachdem sie die Richtung und die Fluggeschwindigkeit angeglichen hatten, die Suchkommandos. Das Wrack wurde in großer Schnelligkeit geentert. Mächtige Scheinwerfer blitzten auf. Die Scuddamoren-Suchmannschaften drangen durch die zahlreichen Löcher und Risse ins Wrack ein. Sie fanden die Spuren der Verwüstungen, sie sahen die furchtbar entstellte Leiche der Galionsfigur und die herausgerissenen Verbindungen und An schlüsse. Die Leichen der beiden Fremden fanden sie nicht. Sofort wurde ein Funkspruch zu Yärling abgesetzt. Er hörte die Meldung und dachte lange nach. Schließlich sagte er in einer un natürlich wirkenden Ruhe: »Durchsucht jeden Winkel des Schiffes. Der Behälter muß gefunden werden. Es gibt keinen Zweifel, daß die Fremden mit ihm geflohen sind, und er muß sich also im Wrack befinden. Sucht weiter!« Die Suche wurde mit doppelter Gründ lichkeit noch einmal von vorn begonnen. Yärlings Entsetzen wuchs. Der Kadaver von Stiezy, der Galionsfigur der SKEILAS, war der einzige Überrest an Bord. Die Fremden waren buchstäblich spurlos verschwunden. Ein neuer Funkspruch zuckte hinaus zu der dahintreibenden Flotte. »Sucht das umliegende Raumgebiet ab. Beginnt an den Koordinaten, an denen das Schiff gesprengt wurde. Ihr müßt die zwei Fremden und den Behälter finden!« »Verstanden.« Yärling wartete in wachsender Verzweif lung. Er lebte so gern wie jeder andere.
25 Noch war sein Bericht an Chirmor Flog nicht abgeschickt worden, aber er konnte ihn nicht mehr lange aufschieben. Wenn er nicht binnen kurzer Zeit die zwei merkwürdigen Fremden fand und mit ihnen die letzten Är getzos im Marantroner-Revier, würde nicht nur er sterben. Oder noch schlimmer von Chirmor Flog bestraft werden. Er war sogar bereit, die Suche nach den Fremden einzu stellen – wenn er nur die Ärgetzos fand. Sie waren nicht im Wrack der SKEILAS. Er rechnete zwar damit, daß man sie oder ihre erstarrten Körper entlang der Route des Wracks fand. Aber ebenso konnte es möglich sein, daß sie auch dort nicht gefunden wurden. Wo konnte er noch nach ihnen forschen und suchen? Wo konnten sie sich, die Totgeglaubten, verstecken? Yärling wartete. Seine Verzweiflung wuchs. Sein Entsetzen erreichte einen Höhe punkt, als die Suche ergebnislos abgebro chen wurde. Es war nach allen Erfahrungen sicher, daß sich die Körper der Fremden auch nicht im Weltraum befanden. Sie schienen direkt im Kern der Detonation ge standen zu haben, und das Feuer hatte sie zu Molekülen zerrissen. Und mit ihnen den un ersetzlichen Schatz an Ärgetzos.
6. Selbst im Reigen der exotischen Welten im Vorfeld der Schwarzen Galaxis galt Kin ster-Hayn als ein Planet mit bemerkenswer ten Oberflächen-Eigenschaften. Nur wenige Schiffe flogen ihn an; seine Koordinaten und Daten waren verschollen und wurden ge heimgehalten. Um eine hellrote Sonne zogen zwei Planeten ihre Bahnkreise, und der wei ter entfernte war die Wasser-Halbeis-Welt Kinster-Hayn. Das rote Licht der Sonne strahlte nicht auf riesigen Meeren oder weißen Brandungslini en, sondern lag auf den Flanken riesiger Ge birge. Die Berge zeichneten ein annähernd netzförmiges Muster auf die Planetenober
26 fläche und bestanden aus einem Felskern und mächtigen, oft kilometerdicken Eis schichten. Dieses Eis schmolz langsam, aber es gab kaum Gletscher. Schmelzwasser speiste Rinnsale, Bäche und Flüsse, die sich zu mächtigen Strömen verbanden. Die Ströme verdunsteten in Form von flachen Seen in eisbedeckten Ebenen und zwischen den schmalen Vegetationsstreifen. Der Berg, der das Hauptquartier der Scud damoren beherbergte, war ein Gigant unter Riesen und hatte, was in der seltsamen ge sellschaftlichen Struktur der Scuddamoren eine Seltenheit bedeutete, einen Manen. Es war der Bandär. Bandär war ein Begriff mit vielen Bedeutungen; selbst in Garva-Guva konnte er als Festung, Heimstatt, Quelle von Wärme und Bedeckung, Höhle oder Unter schlupf verstanden werden. Säntho, der Oberste Verantwortliche, gönnte sich einige Minuten der Entspan nung. Er ging hinaus auf die Kanzel aus blaugrünem Eis und blickte das Panorama an. Das kirschrote Sonnenlicht verwandelte alle Kanten und Linien und sogar Teile der Ebene in Bildausschnitte, die Sänthos Erin nerungen anregten. Er fühlte sich auf uner klärliche Weise wohl, als er die Reihen von Organschiffen zwischen den Flüssen und Bächen des ebenen großen Lande-Platzes sah. Es war heute ungewöhnlich warm; ein feuchter Wind fuhr den langen, zackigen Hang der Bandär herunter und kräuselte das Gras, das an jedem nicht von Eis bedeckten Fleck bis in Scuddamoren-Größe wuchs und wucherte. Ein herrlicher Tag, sagte sich Säntho. Die Ruhe, die ich jetzt fühle, wird nicht lange anhalten. Ich kenne diese Spannung in mir. Sicher sorgt Chirmor Flog wieder für eine seiner berüchtigten Überraschungen. Jedermann hier kannte Säntho. Sein Schattenschild war groß und energi eintensiv. Der grau schimmernde Schild würde jedem Versuch widerstehen können, das Aussehen und die wahre Identität des Scuddamoren herauszufinden. Ein Faktor
Hans Kneifel von geradezu unwichtiger Bedeutung – wer sollte dies jemals versuchen? Aber noch an dere Eigenschaften zeichneten den Chef aus. Solche, die seine Untergebenen kannten und andere, die seine Privatsache blieben. Er war seiner Aufgabe unbedingt treu und würde keinen Millimeter von seinen Überzeugun gen abweichen, aber besaß die Fähigkeit, selbständig zu denken. An seiner Schulter summte ein kleines Gerät schrill auf. Säntho sagte mit einer überraschend weichen Stim me: »Ich komme.« Er ließ sich Zeit. Nichts war derart wich tig, daß er zu laufen beginnen müßte. Er war nicht nur ein präzise funktionierendes In strument im Dienst Chirmor Flogs, sondern ein reifer Scuddamore, der genau wußte, daß das Leben irgendwann anfing und irgendwann aufhörte, und der ahnte, daß sein Le ben sozusagen zweimal angefangen hatte. Alle seine Erinnerungen wiesen auf diesen Punkt hin, aber sie blieben unverändert un deutlich und ungewiß. Vielleicht hatte er die Chance, dies herauszufinden. Vielleicht. Bis zu diesem Zeitpunkt würde er tun, was man ihm auftrug, und nach wie vor blie ben die Maximen des Handelns die Gesetze des Dunklen Neffen Chirmor Flog. Wieder summte das Rufgerät. »Ich bin schon da!« sagte Säntho und schloß sorgfältig die dick isolierten Türen zwischen den Innenräumen und der feuchten Wärme draußen. Der Bildschirm, der ein Endpunkt einer stehenden Verbindung zwi schen den Flotten im Orbit und der Boden station im Bandär war, befand sich im Zen trum des Raumes. Der Kommandant der Flotte spiegelte sein Rufzeichen auf den Schirm, und als Säntho es dekodiert hatte, sagte er laut: »Hier Chef Säntho. Was gibt es?« »Ein kleiner Asteroid, annähernd kugel förmig, befindet sich im Anflug. Er hat laut Auskunft von Mänerg und Kärdyn den Ei gennamen Bondergans Kammer. Der Leich nam eines Scuddamoren-Jägers ist steifge froren an Bord. Hat das Raumschiff Lande
Die falschen Scuddamoren erlaubnis auf der Ebene Bandär?« Säntho erinnerte sich blitzartig. Er kannte den Namen. Bondergan hatte, als er vor ei ner Ewigkeit geflüchtet war, deutliche Dro hungen ausgestoßen. Niemals hatte man ihn wieder gefunden oder gesehen, aber es hieß, daß Hunderte Scuddamoren von ihm getötet worden waren. »Landeerlaubnis ist erteilt. Zwei Schiffe sollen den Asteroiden eskortieren.« »Ich habe verstanden.« Das Bild des Schattenschilds und die Ko denummer verschwanden vom Bildschirm. Sofort schaltete der Funker um. Im Licht der roten Sonne schob sich der Asteroid auf die Linsen zu. Schweigend stand der Chef da und überlegte. Bondergans Kammer! Also mußte sich der Scuddamoren-Jäger irgendwann in den Besitz dieses Felsbrockens ge setzt haben. Die Namen Mänerg und Kärdyn waren ihm nicht bekannt – möglich, daß er sie schon einmal in einem anderen Zusam menhang gehört hatte. »Ich sollte wohl diese Meldung weiterge ben, direkt und auf schnellstem Weg nach Säggallo«, meinte Säntho und überlegte. Nein! Zuerst wollte er sich die zwei erfolg reichen Scuddamoren etwas näher ansehen. Er bevorzugte es, nur weitestgehend geklärte Vorkommnisse weiter zu berichten, beson ders zur Hofhaltung des Neffen. Er kontrollierte die anderen Einrichtungen auf den Schirmen der Zentrale. Sie war tief im Eis eingegraben und Teil eines gewalti gen Höhlensystems. Teilweise unterhalb der dicken Eisschicht herrschte zwischen der BandärEbene und dem Fuß des Berges stän diger Verkehr an Waren, Gütern und Orga nismen. Säntho drückte einen anderen Schalter und fragte: »Gibt es besondere Meldungen von den Ausbildungsstätten?« Unregelmäßig um die Flächen der Raum schiff-Landeplätze verteilt, ebenfalls zwi schen Eishängen, den Grasebenen und den vielen Ufern von Flüssen und Bächen, lagen ausgedehnte Gebäudekomplexe. Dort wur
27 den ständig neue Scuddamoren ausgebildet. Es gab viel zu lernen, und auch das Gehor chen mußte konditioniert werden. Kein nicht vollkommen ausgebildeter Scuddamore hat te je, solange der Chef hier Dienst machte, den Planeten verlassen. »Dir sind die Meldungen der heutigen Morgenuntersuchung zugeleitet worden, Säntho?« Wieder konferierte der Chef mit einem Schatten und einer Kodenummer auf dem Bildschirm. »Ja. Ich habe sie durchgearbeitet.« »Sonst gibt es keinerlei Neuigkeiten.« »Ausgezeichnet. Verständige die Untersu chungssektion. Der Körper von Hehl Bon dergan kommt angeblich tot und tiefgekühlt. Ein Trupp der Kadetten soll ihn abholen und in die Laborabteilung bringen. Das ist ein hervorragendes Stimulans. Endlich haben wir Bondergan gefaßt.« »Wer brachte ihn zur Strecke?« Der Chef sagte: »Zwei Scuddamoren, Mänerg und Kärdyn. Sie sollen einem Suchkommando angehören. Ich kenne sie nicht.« »Sind mir auch nicht bekannt. Wird sich wohl ändern, denn das Ereignis muß doku mentiert werden.« »Zutreffend. Ich werde mit ihnen selbst sprechen. Du erledigst alles andere direkt nach der Landung.« »Selbstverständlich.« Säntho schaltete sich aus der Verbindung. Er konnte sich darauf verlassen, daß jeder seiner Befehle in jedem Fall unverzüglich und sinngetreu ausgeführt wurde. Er wartete nur kurze Zeit, dann sah er auf einem stark vergrößernden Sucher-Bildschirm, wie zwei kleinere Organschiffe aus dem Orbit herun terstießen. Sie flankierten einen riesigen Körper, der tatsächlich sekundenlang wie ein vernichtend abstürzender, rot aufglühender Mond aus schwarzem Fels aussah. Erst in den untersten Schichten der Lufthülle und im direkten Vergleich zum Landeplatz und zu den umgebenden Bergen wurde die rela tiv geringe Größe des Mondes deutlich. Es
28 war ein kugelförmig aussehender Riesenme teorit oder Asteroid. Das seltsame Raumschiff aus Felsen und Stahl bremste seine Fahrt vorsichtig ab und landete außerordentlich präzise. Es setzte weich auf und blieb wie eine weggeworfene Kugel am Rand eines Landefeldes liegen. Säntho murmelte vor sich hin: »Die beiden unbekannten Scuddamoren scheinen überdies hervorragende Raumfah rer zu sein. Vermutlich sind sie direkt dort unten irgendwo ausgebildet worden. Meine Schule!« Es war nicht anzunehmen, daß sich ausge rechnet im Asteroiden des Scuddamoren-Jä gers Hehl Bondergan eine Galionsfigur be fand. Säntho sagte leidenschaftslos zu einem seiner zahlreichen Scuddamoren-Adjutan ten: »Ich bin ab jetzt in meinem Büro zu errei chen. Wenn das Entladekommando fertig ist, bringt ihr die beiden Scuddamoren zu mir. Sie scheinen von höchster Qualifikation zu sein.« »Selbstverständlich, Säntho«, erwiderte der Scuddamore. »Unter Bewachung?« Der schwache Schatten hinter dem mäch tigen Schattenschild schien sich vor dem Untergebenen auszubreiten und stärker zu werden. »Was soll diese Frage? Es gibt nicht den geringsten Grund für diese Maßnahme!« »Ich habe verstanden, Chef.« »Dann führe aus, was ich angeordnet ha be.« Säntho wandte sich wortlos ab und verließ die Zentrale. Von seinem Büro aus betrat er durch ein ausgeklügeltes System von Kam mern und Schleusen einen aus dem Eis ge schmolzenen Gang. Das Licht ließ das seit Jahrhunderten gefrorene Wasser weiß und geheimnisvoll aufschimmern. Abermals fühlte der riesige Scuddamore den drängen den Einfluß einer undeutlichen, aber starken Erinnerung. Es schien Zeiten gegeben zu ha ben, in einem früheren Leben, in denen auch er in einer hellen, glitzernden Höhle wie die-
Hans Kneifel ser gelebt hatte. Jene Zeiten schienen glück licher oder zumindest entkrampfter gewesen zu sein. Unwillig schob er die störenden Gedan ken zur Seite und öffnete ein gesichertes Schott. Nur er und wenige andere Scudda moren auf diesem Planeten kannten den Kode, der die schweren Schlösser öffnete und eine Selbstzerstörung verhinderte. Ein kleiner, hervorragend ausgestatteter Beob achtungsraum lag hinter dem Schott. Der Chef setzte sich auf einen Hocker, der ebenfalls aus dem Eis herausgeschmolzen war. Große Bildschirme zeigten die Bilder des Innern der Tiefen Höhlung. Sie war im Berg Bandär versteckt; niemand kannte die genauen Koordinaten. Der Metamorphose-Schlag wurde in die ser Höhle vorbereitet! Hinter dem Schattenschild funkelten die Augen Sänthos auf. Sein Blick wanderte langsam und kontrollierend über die Einzel heiten, die ihm seit langem vertraut waren. Nur er und wenige andere auf dieser Welt kannten die wahren Hintergründe des Vor habens. Viele Scuddamoren arbeiteten an den verschiedenen Stationen. Die Tiefe Höhlung wirkte auch heute auf ihn noch wie eine Mischung zwischen Labor und Kraft station, wie ein Geheimnis, das nur die reife Technik hervorbringen konnte. Säntho erinnerte sich noch genau an die Zeit und an den riesigen Aufwand, als man die Gänge in das Eis geschmolzen, die Ma schinen, Geräte und Anlagen hineinge schafft und dann nahezu alle Gänge und Korridore wieder mit eiskaltem Wasser ge flutet hatte. Binnen erstaunlich kurzer Zeit war das Wasser zu beinhartem Eis gefroren und hatte jeden Winkel und jeden Nebenkor ridor für alle Zeiten wieder verschlossen, als habe es ihn niemals gegeben. In der von Helligkeit durchfluteten Tiefen Höhlung bewegten sich Scuddamoren hin und her, sprachen miteinander, bildeten Gruppen und lösten sich wieder auf. Vor dem hellen und strahlenden Hintergrund des durch Hitze geformten Eises wirkten die
Die falschen Scuddamoren Schattenschilde wie unwirkliche Schemen, wie Wesen, die sich der Fixierung durch Blicke entziehen wollten. Jeder arbeitete an diesem Projekt. Keiner hielt sich mit unnötigen Pausen auf. Eine zielstrebige Rastlosigkeit erfüllte sie alle. Keiner legte jemals seinen Schatten schild ab beziehungsweise schaltete ihn aus; die Sicherheit der relativen Anonymität bot ihnen allen den erwünschten und notwendi gen Schutz. »Ausgezeichnet. Wir werden nicht mehr lange brauchen, dann sind die Vorhaben rea lisiert!« bemerkte der Chef zu sich selbst. Zwar haßte er es, ununterbrochen mit ande ren kommunizieren zu müssen, aber manch mal wünschte er sich auch, sein Wissen mit anderen diskutieren zu können. In diesem Augenblick summte wieder das Rufgerät auf seiner schuppigen Schulter, über dem isolierenden Umhang. »Ja?« fragte er, aus seinen Gedanken ge rissen. »Die zwei Scuddamoren Mänerg und Kärdyn warteten in deinem Büro, Säntho.« Er schaltete systematisch einen Beobach tungsschirm nach dem anderen aus und er widerte: »Sie sollen es sich bequem machen. Ich bin sofort bei ihnen.« »Verstanden.« Ein merkwürdiges Gefühl ergriff ihn, ge mischt aus Mißtrauen, Bewunderung und der Treue zu den Maximen Chirmor Flogs. Als er durch die kühlen, hellen Gänge und Korridore schritt, sagte er sich, daß Neid auf raumfahrende Scuddamoren ein schierer Un sinn war; sie alle waren gleich qualifiziert und gleich wichtig, denn sie dienten aus nahmslos alle dem Neffen. Er öffnete das letzte Schott zu seinem Dienstzimmer und sah sich zwei Scuddamoren gegenüber. »Ich heiße euch willkommen«, sagte er nachdenklich. Die Schattenschilde der bei den Fremden strahlten durchschnittliche Mengen Intensität aus. »Ihr also seid die bei den Kämpfer, die Hehl Bondergan in seiner Kammer getötet haben?«
29 Der größere Inhaber des Schattenschilds erwiderte gemessen: »Es war weniger dramatisch, als du ver mutest, Säntho. Du bist hier der oberste Ver antwortliche?« »Ja. Wie seid ihr in den kleinen Mond hineingekommen?« Kärdyn, der kleinere Schatten hinter dem Schild, besaß eine hellere, ebenso kühle Stimme. Er sagte: »Wir wurden als Suchkommando vor ei nigen Jahren ausgeschickt. Es war mehr als ein Zufall, daß unser Schiff den Asteroiden rammte oder vielmehr umgekehrt. Hehl Bondergan merkte, daß er ein ScuddamorenOrganschiff getroffen hatte, schleuste ein Boot aus und holte uns an Bord. Wir waren die einzigen Überlebenden und stellten uns tot. Als wir innerhalb des Mondes waren, entspann sich ein Kampf. Wir blieben Sieger und verbrachten lange Zeit damit, die Tech nik des Mondes beherrschen zu lernen. In zwischen können wir ganz gut mit dem raumschiffähnlichen Asteroiden umgehen. Wir können wieder zu anderen Arbeiten oder für andere Aufgaben eingesetzt wer den.« Säntho musterte die beiden Schatten. Sie hoben sich, wie auch er und alle übrigen Scuddamoren im Bandär, scharf gegen das weiße, schimmernde Eis der Wände ab. Ein Hauch von Erfahrung ging von ihnen aus, eine Art Aura, die jene besaßen, die zwi schen den Sternen reisten und lange allein waren. »Wer war Bondergan?« fragte Säntho schließlich. »Ein alter, eigentümlich reagierender Ca magur. Er besaß als Dialogpartner ein dampfgetriebenes Spielzeug von geringer mechanischer Intelligenz«, sagte der Scud damore, der sich als Mänerg vorgestellt hat te. »Sein Asteroid ist voller Fallen für Scud damoren. Bondergan schien zu planen, unser Geheimnis herauszufinden und es im Be reich des Marantroner-Reviers kundzutun.« Säntho deutete auf einen Bildschirm. »Nicht nur ich bin froh, daß Bondergan
30 tot ist. Viele von uns gehen auf sein verderb liches Konto. Ich werde eure Tat nach Säg gallo durchfunken und bin sicher, daß sich Chirmor Flog lobend äußert.« »Es ist nicht denkbar, daß er uns zu sich nach Säggallo ruft und persönlich sich be richten läßt?« fragte Mänerg. Er schien von dieser Aussicht seltsam bewegt zu sein. »Alles ist möglich«, gab Säntho zurück. Er fühlte ein unbestimmtes Mißtrauen die sen beiden Scuddamoren gegenüber. Sie schienen frei und gedanklich unabhängig zu sein, weitaus freier, als er es sich vorstellen konnte. Sachzwänge, die ihn einschränkten, schienen sie nicht zu kennen. »Aber ich den ke, Chirmor Flog will ungestört bleiben und wird euch deshalb nicht empfangen. Ich kann mich nicht entsinnen, daß jemals ein Scuddamore wegen solcher Taten persönlich empfangen wurde. Sicher, es ist allgemein bekannt, daß der Neffe, laut werde sein Na me ausgesprochen, an allem gebührenden Anteil nimmt. Aber eine private Audienz – ich meine, das werdet ihr nicht erleben!« Ohne hörbares Bedauern antwortete Mä nerg: »Es war auch nur eine flüchtige Idee. Wir werden unsere Aufgaben nicht weniger be geistert erfüllen, wenn wir nicht den Schat tenschild des Neffen persönlich sehen kön nen. Wir sind hier, und wir haben Bonder gans Leiche abgeliefert. Was geschieht jetzt mit uns?« »Bondergan wurde bereits in die Labors gebracht. Er und sein Asteroid werden auf das Genaueste untersucht. Zusammen mit der Erwähnung eurer kühnen Tagen werden die ersten Untersuchungsergebnisse nach Säggallo durchgegeben. Auf euch warten si cherlich weitere interessante Aufgaben – im Moment weiß ich jedenfalls nichts Neues. Ihr könnt euch im Innern des Bandär zu nächst erholen und an den Segnungen unse rer Gemeinschaftseinrichtungen teilneh men«, erklärte Säntho. Die reifen Scuddamoren hatten eine Mei sterschaft darin entwickelt, aus den gering sten Schwingungen der Stimmen von Un-
Hans Kneifel zahl von Informationen zu entnehmen. Sänthos Begabung versagte in diesem Fall ganz; auch der Akzent, in dem diese beiden Männer Garva-Guva sprachen, irritierte ihn und machte ihn unsicher. Sie waren … an ders. Das war der richtige Ausdruck. Anders als alle Scuddamoren, die er kannte, und die Anzahl jener war riesengroß. »Wir danken dir. Allerdings haben wir nicht die geringste Ahnung, wie es im Ban där aussieht und wie es sich leben läßt.« »Mein Adjutant wird euch alles zeigen und jede nötige Auskunft erteilen«, sagte Säntho. »Mich entschuldigt ihr sicher. Ich habe viel zu tun.« »Selbstverständlich.« Ein Knopfdruck rief einen weiteren, weni ger intensiv ausstrahlenden Scuddamoren herein. Atlan und Thalia begriffen, daß die Scuddamoren nicht einmal unter sich und in nerhalb ihres Gemeinwesens die Schatten schilde abschalteten. Dies mußte einen au ßerordentlich wichtigen Grund haben; es würde vielleicht herauszufinden sein. Sie trauten diesem Säntho nicht, obwohl seine Freundlichkeit echt zu sein schien. Er war voller Nachdenklichkeit und Unsicherheit. Sie rechneten damit, von ihm auf das Ge naueste überprüft zu werden. Der Chef wandte sich an den Helfer und sagte: »Bringe Mänerg und Kärdyn in gute, schöneingerichtete Quartiere. Sie sollen al les haben, was sie brauchen und was der Bandär hergibt. Klar?« »Ich dachte bereits, daß die Bezwinger von Bondergan entsprechend untergebracht werden«, versicherte der Adjutant. »Kommt mit mir.« Als sie sich unmittelbar vor dem Schott befanden, rief Säntho: »Mänerg! Noch eine Frage.« Abwartend blieben sie stehen. Atlan war sicher, daß der Reigen unangenehmer Fra gen noch lange nicht beendet war. »Wie hieß das Schiff, das als Suchkom mando ausgeschickt wurde?« Atlan hatte bereits einen Namen erfunden.
Die falschen Scuddamoren Er hoffte, daß diese oder eine täuschend ähnliche Kombination von Buchstaben zu der Flotte der Scuddamoren-Organschiffen gehörte. »Es war die GANIER. Ein kleines, altes Schiff, sehr schnell und von einer erfahrenen Galionsfigur gesteuert.« »Sie fand den Tod?« fragte der Chef so fort zurück. »Beim Zusammenstoß mit Bondergans Kammer. So nannte er seinen Satelliten. Es war ein grünes Wesen mit Schlangenhals und Saugnäpfen, das sich, glaube ich, Sxal cal nannte.« Wenn diese Angaben einer genauen Über prüfung unterzogen wurden, sagte sich der Arkonide, dann würde vermutlich der Be trug nur teilweise herauskommen. Abermals gab es für sie in diesem Fall eine kleine Gnadenfrist. Er blieb mäßig optimistisch und erkundigte sich: »Gibt es weitere Unklarheiten? Wir möchten dich nicht zu lange aufhalten, Säntho!« »Nicht im Augenblick. Sicher werden sich einige wichtige Fragen ergeben. Ich ge statte mir in diesem Fall, eure Ruhe zu stö ren.« »Du wirst uns stets bereit finden, im Inter esse von Flogs Gesetzen zu handeln. Verfü ge über uns!« sagte Kärdyn unbeeindruckt. »Mit Sicherheit«, versprach der Chef. Es war und blieb völlig unklar, ob die Antworten zufriedenstellend ausgefallen wa ren. Der Adjutant führte Mänerg und Kärdyn durch einige Gänge, eine Rampe aufwärts und in die Zimmer, die entgegen Sänthos Anspielungen äußerst einfach ge halten waren. Alles wirkte eintönig und auf äußerste Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Die Scuddamoren waren zweifellos ameisenhaft gleichgeschaltete Massenwesen, die nur ei ner Idee gehorchten und keinen Luxus oder nicht einmal Bequemlichkeit brauchten, um mit der Perfektion organischer Maschinen zu funktionieren. Je mehr Atlan und Thalia von den Scuddamoren sahen und zu verste hen glaubten, desto mehr kamen sie notwen
31 digerweise zu dieser Ansicht. Sie waren alle so anonym und gleichartig wie ihre projizierten Schattenschilde. »Fühlt euch wohl!« empfahl ihnen der Scuddamore höflich und ließ sie allein. Sie befanden sich in einer geräumigen Ausspa rung im weißen, wie dickes Milchglas wir kenden Eis. Der Boden war von einem dicken Teppich bedeckt, der aus organischer Materie zu bestehen schien. Obwohl sich der Raum im Mittelpunkt eines Eisbergs befand, war es einerseits angenehm warm, anderer seits gab es nicht einmal Schmelzwasser an den Wänden. Atlan flüsterte: »Jetzt wissen wir es genau. Keiner der Scuddamoren legt jemals seinen Schatten schild ab. Nicht einmal, wenn sie allein und unter sich sind. Wir sind einem Geheimnis auf der Spur.« »Es ist unbequem und unpraktisch«, sagte Thalia nachdenklich und ebenso leise, »also hat es etwas mit einem Ritus zu tun, oder mit einer Konditionierung. Vermutlich sind sie alle so abstoßend häßlich; daß einer vor dem anderen erschrecken würde, wenn er ihn ohne Schild sähe.« »Das ist eine durchaus mögliche und sinn volle Erklärung«, antwortete Atlan. »Wir sollten aber wirklich die angebotene Ruhe pause nutzen.« Noch wußten sie nicht, ob Scuddamoren aßen, tranken oder sich duschten – alles im Schutz des Schattenschildes. Sie gingen dar an, dieses Wissen durch die Benutzung der Einrichtung zu erwerben und waren sicher, abgehört oder beobachtet zu werden. Sie be wegten sich also so ungezwungen wie mög lich. Nach einer Weile hatten sie festgestellt, daß durch die Schattenschilde hindurch eine normale Versorgung durchaus und fast un problematisch möglich war. Also besaßen die Schilde über die Abwehr und Schutz funktion hinaus offensichtlich noch eine so zialhygienische Funktion. »Ruhen wir uns aus, Liebste«, sagte Atlan in Pthora. »Ich bin sicher, daß die nächste
32 Aufregung nicht lange auf sich warten läßt.« Eine zutreffende Vorstellung, sagte lako nisch der Extrasinn. Thalia streckte sich unter dem düsteren Schutz des Energieschildes auf einer einfa chen Liege aus und bemerkte, daß dieses Möbel für weitaus länger gewachsene We sen hergestellt worden war. Also gab es (außer denen, die sie bereits gesehen hatten, und die mehr oder weniger die gleiche Grö ße gehabt hatten) sehr unterschiedliche An gehörige der Flog-Truppen; nicht nur in der Körpergröße. Die Tochter Odins sagte: »Säntho wird auch nicht lange auf sich warten lassen. Ich denke, er stellt so etwas wie ein Verhör mit uns an.« »Ich warte bereits auf ihn«, murmelte At lan. »Aber er ist anders als alle Scuddies, die wir bisher getroffen haben.« »Du hast recht. Ich weiß nicht, was es ist, aber er scheint weniger ameisenhaft, weni ger roboterähnlich zu sein. Wenigstens wirkt er so auf mich.« Atlan hatte keinen Grund, der intuitiven Feinfühligkeit seiner Gefährtin zu mißtrau en. Es stimmte, was sie sagte. Leise und schnell, wie zufällig, unterhielten sie sich weiter in Pthora. Sie hatten schon vorher ausgemacht, daß dies die Sprache gewesen war, angeblich, in der sie sich mit Bonder gan zu verständigen versucht hatten, als sie einander in den Gängen des Asteroiden ge hetzt hatten. Atlan sagte nach einer Weile, in der er seine Schläfrigkeit bekämpfte: »Hier einen Fluchtversuch zu unterneh men, wird nicht schwer sein.« »Der Anzug der Vernichtung?« fragte Thalia ebenso schläfrig zurück. »Ja. Ich fühle, wie er mich wärmt. Beim Kontakt mit dem Eis wird er sich in eine Art Exkavator verwandeln, der uns einen Schlupfweg durch die Eismassen bahnt.« »Es ist gut, dies zu wissen«, entgegnete sie. Innerhalb des Asteroiden und auf dem Flug hierher hatten sie sich gut erholt. Sie hatten Travvnar/Traaunar mit einem größe-
Hans Kneifel ren Vorrat an Energiewürfeln kurz vor der Landung durch eine winzige Luke entfliehen lassen und versucht, ihm beizubringen, daß die Scuddamoren ihn erbarmungslos in Ein zelteile zerlegen würden, wenn sie ihn in Bondergans Kammer fänden. Traurig heu lend, posaunend und vielfarbige Dampfringe ausstoßend, war Travvnar davongesurrt und irgendwo im Land zwischen den Bächen und Eisblöcken verschwunden. Thalia stellte die Schale mit dem Essen zur Seite. Es war ein offensichtlich synthe tisch hergestellter Nahrungsbrei, der grau und abstoßend aussah und ebenso schmeck te. Aber er rief wenigstens ein deutliches Gefühl der Sättigung hervor. An der Hüfte Atlans hing der Beutel mit der großen Pleja de; der Stein drückte unangenehm. Noch be saßen sie den Kasten, der die Ärgetzos ent hielt – vielleicht verbarg Atlans Schatten schild diesen unersetzlichen Besitz auch vor den Augen Sänthos. Falls dieser Oberste Scuddamore über Augen verfügte, sagte sich Atlan. Das leichte Schott öffnete sich, ohne daß jemand geklopft hätte oder ein Signal ertönt wäre. Ein untergeordneter Scuddamore sah her ein. »In wenigen Momenten wird euch Säntho besuchen. Er ist bisher wegen der Vorberei tungen zum Metamorphose-Schlag aufge halten worden.« Ohne sich zu bewegen, sagte Atlan: »Wir sind bereit. Was aber ist der MetamorphoseSchlag?« Die Antwort erfolgte ohne Zögern und ohne hörbare Veränderung der Stimme. »Tief innen im Bandär befindet sich eine Station. Es ist eine riesige Anlage. Dort be reiten besonders ausgesuchte, wissenschaft lich gebildete Scuddamoren eine Waffe ge gen einen mächtigen Gegner Chirmor Flogs vor.« »Das interessiert uns brennend«, erklärte Thalia. »Wir sind gegen jeden, der sich ge gen Chirmor Flog aufzulehnen wagt.« Zögernd blieb der unbekannte Scuddamo
Die falschen Scuddamoren re im Eisrahmen des Schottes stehen. Er war offensichtlich bereit, so viel zu sagen, wie er wußte. Viel war es nicht. »Nur wenige von uns kennen die genaue Lage des Höhlensystems tief im Berg. Und fast niemand weiß, worum es wirklich geht. Es scheint ein Züchtungsversuch zu sein, der eine Waffe hervorbringt, die alle starken Ei genschaften vereinigt, die wir Scuddamoren kennen.« »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Und nur Säntho weiß alles.« »Sänthos Verantwortung ist gewaltig. Er ist der wichtigste Scuddamore im Bereich des Bandär. Natürlich weiß und kennt er al les und jeden. Er hat auch maßgeblich an dem Plan für den Metamorphose-Schlag mitgewirkt und kontrolliert nun alles. Mehr weiß ich auch nicht, denn alle Zugänge zu diesem Wissen sind mit kodierten Schlös sern versehen und zerstören sich selbst, wenn man unbefugt weiter eindringen will. Wie gesagt: Ihr solltet Säntho erwarten.« »Geht in Ordnung, Kumpel«, meinte Kärdyn gönnerhaft. »Du kannst uns verlas sen.« Wortlos schloß der Scuddamore das Schott von außen. Die Verwirrung der bei den Pthorer stieg. Gab es zwischen den Scuddamoren ein geheimes System der Er kennung? Kurze Zeit später meinte Mänerg leise: »Auf alle Fälle sollten wir uns um das ge heime Höhlensystem und den Metamorpho se-Schlag kümmern.« »Er könnte nützlich sein. Vielleicht führt uns dieser Kämpfer für den Neffen direkt zu Chirmor Flog und somit zur Lösung der Pthor-Fragen? Wer weiß?« wandte Kärdyn ein, aber sie glaubte selbst nicht ernsthaft daran. »Durchaus möglich«, sagte Mänerg und versuchte sich vorzustellen, was hinter dem geheimnisvollen Höhlensystem und dem Metamorphose-Schlag stecken konnte. Me tamorphose, dies war die Verwandlungsket te bei Insekten, die verschiedene Stadien mit jeweils eigenen Erscheinungsformen durch
33 lief. Mitten in diese müßigen Überlegungen hinein öffnete sich abermals das Schott. Diesmal war es unverkennbar Säntho. Er blieb zwischen beiden Lagern stehen und sah zu, wie sich Mänerg und Kärdyn auf richteten. Atlan dachte wieder an den Kasten voller Ärgetzos. Konnte Säntho ihn ent decken? »Um die Schwierigkeiten eures Einsatzes richtig würdigen zu können«, begann er, »und um den Neffen einen zutreffenden Be richt geben zu können, fehlen mir ein paar Antworten auf Fragen.« »Stelle deine Fragen«, sagte Mänerg. »Aber bedenke, daß wir Scuddamoren kein Aufhebens von schwierigen Abenteuern ma chen.« Säntho stieß einen undefinierbaren Laut aus und rief: »Wer wüßte dies besser als ich! Wie lan ge war die GANIER unterwegs, ehe sie auf Bondergans Kammer stieß?« »Vier Jahre, und wir erledigten in dieser Zeit andere Einsätze.« Die Fragen werden präziser, sagte der Logiksektor beunruhigt, und von den Ant worten kann euer Leben abhängen! »Wie groß war die Besatzung?« Diesmal antwortete Kärdyn: »Es waren außer uns noch fünfzehn Scud damoren an Bord. Das Schiff war frisch ge wartet worden. Wir wissen nicht, von wel chem Einsatz es zurückkam, als wir es betra ten. Die Mannschaft wurde im Hafen von Danjitter-Tal auf Xudon ausgewechselt. Was willst du mehr wissen?« »Woher habt ihr die Koordinaten von Kinster-Hayn?« »Ein Scuddamore der getöteten Besatzung nannte sie uns, und außerdem fanden wir sie in den Speichern von Bondergans Kammer.« »Du hast sicher schon nachgesehen und festgestellt«, fügte Kärdyn hinzu, »daß unser letzter Kurssprung mit vorhandenen Daten programmiert wurde.« »Auch das wird in meiner Meldung an den Neffen stehen, weithin erstrahle sein Glanz«, versicherte Säntho undurchdring
34 lich. »Wir obduzieren gerade Bondergan. Wie habt ihr ihn getötet?« Wahrheitsgemäß versicherte Mänerg: »Wir trieben ihn im Lauf einer langen, ge fahrvollen Hetze in eine seiner Fallen, die wir rechtzeitig erkannt hatten. Er wurde von schweren metallischen Gittern und Stacheln erschlagen und zermalmt.« »Warum erfolgte die Kollision der GA NIER mit dem kleinen Mond des Bonder gan?« »Beide Raumkörper befanden sich kurz nach einem überlichtschnellen Manöver auf direktem Kollisionskurs. Es blieb keine Zeit mehr, auszuweichen. Unser Schiff wurde natürlich von der Galionsfigur gesteuert, die als erste starb. Wir waren in einem Raum, der nicht zerrissen wurde.« Weder Mänerg noch Kärdyn hatten den geringsten Hinweis darauf, ob ihnen Säntho glaubte oder nicht. Was er selbst glaubte, war erst in zweiter Li nie wichtig; was sich nachprüfen lassen wür de, zählte. »Sie starben rasch, die anderen?« lautete die nächste Frage. »Wir sahen sie nicht sterben«, erwiderte Mänerg. »Über die Schnelligkeit ihres Todes erfuhren wir nichts. Nur Bondergan sagte, daß er einen Körper gefunden und seziert habe, einen Scuddamoren mit abgelegtem Schattenschild. Vielmehr schrie er es uns voller Haß über die Lautsprecher seines Asteroiden nach.« »Eure Erzählung ist sicherlich spannend und aufregend«, bekannte Säntho. »Besonders für einen Scuddamoren in lei tender Funktion, der nur selten Gelegenheit hat, den Weltraum zu befahren. Wenn sie auch noch in allen Teilen stimmt, dann sehe ich vor mir zwei Scuddamoren, die beispiel haft gehandelt haben.« Mänerg versuchte zu bluffen und erklärte frei heraus: »Du willst und wirst sicher alle Einzelhei ten nachprüfen. Ich denke, daß die verschie denen Untersuchungen bereits eingeleitet sind. Und du wirst erkennen müssen, daß wir nicht den geringsten Grund haben, dich
Hans Kneifel anzulügen, ausgerechnet dich als den Vertre ter des verehrungswürdigen Neffen.« »Ich will es hoffen«, erklärte Säntho und ging langsam auf den Ausgang zu. »Ihr könnt euch weiterhin hier erholen. Der Nef fe oder ich werden über den nächsten Ein satz oder die nächste Aufgabe entscheiden.« »Alles liegt in eurer Hand«, bekannte Mä nerg. Der große Scuddamore mit dem funkelnd reflektierenden Schattenschild blieb, die wuchtige Zuhaltung des Schotts verdeckend, stehen. »Es mag sein, daß ich euch im Rahmen des Metamorphose-Schlages beschäftigen kann. Aber darauf kommen wir in Kürze noch zu sprechen.« »Wir warten!« Säntho schmetterte das Schott hinter sich zu. Er glitt den Gang entlang und ließ sich in seinem Büro vor dem Arbeitstisch nieder. Noch immer war er unsicher; die Untersu chungsergebnisse waren noch nicht einge troffen, und die Nachprüfung der Antwor ten, die über sein Schultergerät an die betref fenden Stellen gesendet worden waren, lief noch immer. Entweder waren diese beiden Scuddamoren kühne Schwindler, die ein At tentat planten, oder sie blieben, was er von ihnen gedacht hatte, nämlich eiskalte Kämp fer. Er wartete ungeduldig. In der letzten Zeit gab es unkontrollierte, fast geheimnisvolle Störungen innerhalb des Marantroner-Re viers, die nach allem, was man wußte, von außen kamen. Die unmittelbare Folge für die Planetenvölker des Reviers und für Chirmor Flogs Herrschaft war, daß die Störungen übergriffen und deutliche Unruhe hervorrie fen. Die Völker, die von dieser Unruhe heim gesucht wurden, gingen daran, die strengen Gesetze des Neffen zu mißachten. Sie schri en nach Freiheit. Nach Loslösung aus dem straff geführten Verband. Die Vorfälle mehrten sich, in denen die Scuddamoren rücksichtslos durchgreifen mußten. Wenn der Spaltpilz der Autarkiebestrebungen ein
Die falschen Scuddamoren mal zu wuchern begann, würden Krieg und ununterbrochen geführte Befriedigungsein sätze an der Tagesordnung sein. Es galt, den Anfängen zu wehren. Säntho stieß einen grimmigen Laut aus. Er wünschte sich an eine andere Stelle des Universums, weit weg von allen diesen Pro blemen. Er ahnte, daß noch weitaus größere Probleme auf ihn zukommen würden, und eine innere Stimme sagte ihm, daß er mit dieser Ahnung durchaus richtig lag. In die ser Sekunde trafen die ersten Ergebnisse der angeordneten Prüfung ein. Sie waren sehr aufschlußreich.
7. Auch der Bandär bestand aus einzelnen Schichten und Blöcken Eis, das Jahrtausen de alt war. Diese Teile verschoben sich im Lauf der Zeit. Die Planetologen der Scudda moren hatten die Trennlinien festgestellt und die verschiedenen Bezirke des Eisberginne ren in unterschiedlichen Zonen unterge bracht. Größere Zerstörungen waren fast völlig ausgeschlossen. Die Gebiete waren durch große Hallen oder elastische Korridor verbindungen voneinander getrennt. Wenn sich Niveauunterschiede herausstellten, schmolzen kleine Kommandos das knacken de und knisternde Eis und ließen es an den Übergangsstellen wieder gefrieren. In sämt lichen Gängen, Korridoren und Hallen war es wohltuend warm. Nur dicht an den Eis wänden bildete sich immer eine kalte Zone. Mächtige Maschinen wälzten die erwärmte Luft ständig um. Das dumpfe Summen der Verdichter und das sausende Geräusch aus den Kanälen erfüllte Tag und Nacht das In nere des Bandar. Atlans Plan war einfach und versprach schnellen Erfolg. Allerdings rechnete der Pthorer mit der Unaufmerksamkeit der Be wacher, als er sagte: »Ich denke, wir sollten die Untersu chungsergebnisse unseres wuchtigen Freun des nicht abwarten.« »Du bist sicher, daß sie uns belasten?«
35 fragte Kärdyn und wußte die Antwort. »Ganz sicher. Es sei denn, die Scuddamo ren sind völlig desorientiert und wissen über ihre Ausrüstung und die Einsätze nicht Be scheid.« »Nur ein Narr kann dies annehmen.« »Du hast recht. Wir sind keine Narren. Wie auch immer, es wird schwierig sein, uns zu finden. Es bleibt uns noch immer das Mittel, durch provoziertes Chaos eine nach haltige Verwirrung hervorzurufen.« »Und wenn wir etwas Glück haben«, sag te Kärdyn, »dann können wir vielleicht mit Bondergans Kammer flüchten. Der Asteroid ist so gut wie ein eigenes Raumschiff.« »Daran dachte ich auch«, sagte Mänerg, stand auf und befestigte den Kanister mit den Ärgetzos an seinem Gürtel. Er glitt quer durch die Kammer und riß mit wenigen Handgriffen die Verkleidung um einen Luft kanal ab. Glattes, glänzendes Eis starrte ihm entgegen. Direkt vor sich sah der Pthorer, wie das Eis sofort zu schmelzen anfing. Breite Bä che dampfenden Wassers rannen die Wand abwärts. Der Anzug der Vernichtung, das Goldene Vlies, strahlte nach vorn und nach allen Seiten offensichtlich direkte Hitze aus. Mänerg flüsterte: »Ich habe es erwartet. Es geht schneller, als ich dachte.« »Ich komme, wenn der Gang tief genug ist«, gab Kärdyn zurück, verblüfft über die neu entdeckte Wirkung dieses erstaunlichen Anzugs aus irgendeiner mysteriösen Ver gangenheit des unglücklichen Pthor. Binnen weniger Sekunden, in denen sich Mänerg langsam, Schritt um Schritt, entlang dem Warmluftkanal vorarbeitete, schmolz der Anzug sich selbst einen etwa zwei Meter hohen und knapp einen Meter breiten Gang ins Eis. Das Wasser unter Atlans Füßen ge fror in bizarren Mustern, als gehorche es un sichtbaren Kraftlinien. Als der Gang fünf Meter tief war, folgte KärdynThalia und be festigte von innen im gefrierenden Wasser wieder die Verkleidungsplatte. Es war eine flüchtige Lösung, die jedem Scuddamoren
36 nach dem zweiten Blick auffallen mußte. Abermals vertrauten die beiden Fremden auf ihr Glück, das ihnen bisher trotz aller widrigen Umstände treu geblieben war. Sechs Meter … sieben, zehn … zwanzig Meter weit brannte sich Atlan-Mänerg sei nen Weg durch die massive Eismasse. Er folgte genau dem runden Kanal der Warm luft, die ihm entgegenkam und einen Geruch nach feuchten Wiesen mit sich brachte. Sein Kopf befand sich innerhalb der Belüftungs und Heizungsröhre, der Körper bewegte sich durch die kristallen weiße Masse wie durch ein sirupartig träges Medium. Er drehte sich um; der Schattenschild, hinter dem sich Tha lia-Kärdyn verbarg, folgte ihm in geringem Abstand. »Hoffentlich schaffen wir es, bis in die bewußte Zone vorzudringen«, sagte Mänerg in den brausenden heißen Luftstrom hinein. Nicht einmal seine Gesichtshaut brannte, so gut schirmte das Goldene Vlies die äußeren Einflüsse ab. »Du meinst den Bezirk, in dem der vielzi tierte Metamorphose-Schlag vorbereitet wird?« »Genau diesen meine ich. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie wir genau an diese Stelle kommen können.« »Es gibt sicherlich irgendwelche Hinwei se!« meinte sie. »Möglich, aber unwahrscheinlich.« Etwa eine Stunde lang folgten sie diesem System. Hinter ihnen stand das warme, sich rasch abkühlende Wasser und gefror einige Minuten später zu einer kompakten Masse. Das umgebende Eis knackte protestierend und laut. Mänerg versuchte, zu vergessen, daß er sich im Zentrum einer wahrhaft gi gantischen Masse von Eis befand, das so kompakt wie gewachsener Fels war. Er stapfte weiter. Schließlich, nach unbestimm barer Zeit, kam er an eine Stelle, an der viele Tunnels mit geringerem Querschnitt in eine riesige Röhre mündeten. Durch Bewegungen, als wolle er eine Treppe ersteigen, schmolz sich Mänerg eini ge Stufen ins Eis und befand sich schließlich
Hans Kneifel in der Hauptröhre. Sie war so groß, daß er ohne Schwierigkeiten aufrecht darin stehen und gehen konnte. Er drehte sich um und zog Kärdyn hoch. »Jetzt geht es wesentlich schneller«, sagte er. »Und auf alle Fälle nähern wir uns der Heißluftzentrale dieses sagenhaften Berges.« Während er Kärdyn an der Hand ergriff und mit sich zog, spürte er die große Pleja de, die ununterbrochen gegen seinen Ober schenkel schlug. Auf der anderen Seite hing schwer der Kasten mit den verjüngenden Kugeln, die dem Neffen langes oder gar zeitlich unbeschränktes Leben garantierten. Sie rannten, rutschend und schlitternd, ge gen den heißen Luftstrom ankämpfend, durch den großen, vollkommen runden Ka nal. Eine Unterhaltung war fast unmöglich; sie mußten schreien, um gegen den sum menden, brausenden Luftstrom anzukom men. Irgendwann nach schätzungsweise ei ner halben Stunde, blieben sie stehen. Sie befanden sich in einem Abzweigepunkt, in den mindestens zwanzig dieser mächtigen Kanäle mündeten. Hier war der Wind der heißen Luft zu ei nem kleinen Orkan angeschwollen. Mänerg schmolz sich mit Füßen und Hän den griffähnliche Vertiefungen in das leicht schmutzige Eis und schrie: »Wir müssen uns entscheiden!« »Wohin?« Sie blickten sich um. Mänerg sagte sich, daß das Zentrum im Berg mit einiger Wahr scheinlichkeit besonders gut versorgt wer den mußte. Also sollten sie, um in die La bors zu kommen, den Kanal mit dem größ ten Querschnitt entlang laufen. »Hier entlang!« brüllte er. »Ich komme!« Sie hasteten, nachdem sie um eine Ecke geschlittert waren, mit dem Druck der hei ßen Luft im Rücken weiter. Sie dachten nicht an Säntho und dessen Mißtrauen, son dern daran, daß es noch immer keinen Hin weis darauf gab, daß man sie verfolgte. Der Schacht führte leicht bergauf und in einer weiten Kurve weiter und tiefer ins Berginne
Die falschen Scuddamoren re hinein. Schließlich blieben sie stehen und blickten schweigend durch die breiten Schlitze eines gitterähnlichen Luftdurchlas ses. Mänerg berührte Kärdyn an der Schulter und deutete geradeaus. Das ist es! sagte der Extrasinn. Der Extrasinn konnte sich irren, aber es sah so aus, als habe er Recht. Unter den Au gen der Fremden lag eine vergleichsweise riesige Halle, größer als alles andere, was sie bisher gesehen hatten. Sie war hell erleuch tet, und es gab dank der Spiegelung durch das Eis nur wenige Schatten oder dunkle Zo nen. Unzählige Scuddamoren, selbstver ständlich mit eingeschalteten Schattenschil den, arbeiteten an langen Labortischen und an seltsam wirkenden Geräten. Trotz der heulenden Geräusche des rasenden Luft stroms hörten Kärdyn und Mänerg das Sum men von Unterhaltungen und die Geräusche der Maschinen und Geräte. Mänerg schrie: »Dies könnte die Geheimstation sein!« Eine neue, seltsam wirkende Erregung packte ihn. Er brannte darauf, herauszufin den, was sich dort abspielte. Es schien sehr wichtig zu sein. Die Szene jenseits des Lüf tungsgitters strahlte Aufregung und Wichtig keit aus. Die Anordnung der Geräte und der Ausrüstung wirkte halb wie in einer Klinik, halb wie in einem Laboratorium. »Ich bin sicher, daß es das Zentrum des Metamorphose-Schlages ist!« gab Kärdyn zurück. Der Boden der großen Halle war geformt wie ein Teil einer Hohlkugel. Im Zentrum der gesamten Anlage, umgeben von unzähli gen Schläuchen, Leitungen, Kabelbündeln und Röhren verschiedenen Durchmessers, befand sich, verankert in einem Podest aus weißem Eis, eine Art Trommel. Sie drehte sich sehr langsam und ließ undeutliche For men erkennen. »Alle Scuddamoren konzentrieren ihre Tätigkeit um die zylindrische Form im Mit telpunkt!« rief Kärdyn. »Sie ist in diesem Raum das Wichtigste.«
37 Der Dom innerhalb des Eises wies einen Durchmesser von nicht weniger als zwei hundert Metern auf. An langen, schwarzen Kabeln hingen schätzungsweise hundert schalenförmige Leuchtkörper von der Decke. Sie verteilten eine gewaltige Licht flut über das unterste Drittel der Halle. In ih rem Lichtdampften vielfarbige Wolken ir gendwelcher Gase. Durchsichtige Leitungen und Kolben transportierten Flüssigkeiten und große Blasen hin und her. Die Trommel in der Mitte, sorgfältig beobachtet von Lin sen und unbekannten Testgeräten, drehte sich unaufhörlich. Ihr Boden war von einer schäumenden, sich träge bewegenden Masse ausgefüllt. »Wir haben den richtigen Raum gefun den«, rief Kärdyn aus. »Die Scuddies scheinen das Gebilde an zubeten oder zumindest mit größter Sorgfalt zu behandeln. Säntho wird diesen Raum un ausgesetzt beobachten lassen«, rief Mänerg zurück. »Wollen wir eindringen?« »Noch nicht.« »Gut. Einverstanden. Wir beobachten, was hier geschieht. Von einem anderen Standort aus.« »Vielleicht läßt uns Säntho bereits su chen.« »Dieses Risiko müssen wir eingehen!« Die Eindringlinge fanden eine Abzwei gung, rannten durch den Schacht im Eis und blieben immer dann, wenn sie die Ausspa rungen einer Warmluftzufuhr oder eine Ab saugvorrichtung sahen, stehen und spähten hindurch. Im wesentlichen wurden ihre er sten Beobachtungen und Mutmaßungen be stätigt. Es gab verschiedene Ebenen in der Halle dort unten. Eindeutig konzentrierten sich alle Arbeiten und das gesamte Interesse der Anwesenden auf den Zylinder im Zen trum. »Auf mich wirkt die Versuchsanordnung wie eine Brutapparatur«, erklärte Kärdyn an einem Punkt, der eine weitaus leisere Unter haltung ermöglichte. »Es ist eine solche Apparatur!« meinte Mänerg entschieden.
38 Aus dem protoplasmaartigen Bodensatz der Trommel begann sich ein seltsames Ge schöpf zu bilden. Es sah selbst in den Augen des Arkoniden exotisch und höchst fremdar tig aus. Der Körper war ab der Oberkante der basisbildenen Protoplasmamasse mit kurzen und grauen Borsten bedeckt. Das Wesen war im Prozeß seiner Entwicklung rund zweieinhalb Meter groß geworden, eher einige Handbreit weniger groß. Eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Flasche be stand, obwohl es Gliedmaßen gab, die annä hernd so wirkten, als gehörten sie einem Pthorer. Die Innenflächen von Händen und Füßen waren frei von den grauen Borsten, die sich jetzt bewegten wie selbständige We sen. Kärdyn keuchte verblüfft auf: »Das Ding … es hat ein Gesicht!« Dieses Ding war noch unfertig. Es beweg te sich schwach in einer transparenten Flüs sigkeit. Irgendwann, in Stunden, Tagen oder Wochen, würde es fertig ausgebildet sein. Trotzdem besaß es schon jetzt eine bestimm te eigene Form, die die Fremden erschreck te. Es wirkte schlank und zerbrechlich wie ein Gebilde aus grauen Korallen mit roten und rosafarbenen Teilen. Das »Gesicht« war rund und klein und besaß stielartige Augen oder Sinnesorgane, die wie Augäpfel auf Schneckenstielaugen wirkten. »Was immer dort aus der Protoplasma masse entsteht«, sagte Mänerg überzeugt, »ist noch unfertig. Es wird geformt oder um geformt, soviel ist mir klar.« »Ich glaube, das Ding wird größer oder deutlicher strukturiert«, meinte Kärdyn und versuchte, die widerstrebenden Eindrücke in Worte zu fassen. »Der Kamm auf dem Kopf bewegte sich, als wäre er schon lebendig.« Auf dem runden Kopf, fertig oder noch unfertig, saß ein Gebilde aus fadenartigen Haaren, die goldfarben schimmerten und im grellen Licht funkelten und wie Metallfäden strahlten. »Um feststellen zu können, ob dieses We sen lebt oder nicht, müssen wir unbedingt näher herangehen«, erklärte Mänerg.
Hans Kneifel »Wenn wir unseren Platz verlassen«, un ter brach Kärdyn sofort, »setzen wir uns der unmittelbaren Entdeckung aus.« »Wenn wir uns nicht in diese Gefahr be geben«, konterte Mänerg, »werden wir nie mals erfahren, was aus der Protoplasma-Mas se in der Trommel hervorgeht. Mir ist inzwi schen klarer geworden, was die Scuddamo ren mit dem Begriff Metamorphose-Schlag meinen könnten, auch wenn er nicht meiner eigenen Erklärung entsprechen sollte.« Je mehr er sah, je länger er die Betrieb samkeit rund um die Trommel und das neu entstehende Wesen innerhalb der biologi schen Form betrachtete und zu analysieren versuchte, desto sicherer wurden seine Vor stellungen. Hier wurde ein Wesen umgeformt oder erschaffen – wobei der Ausdruck Metamor phose auf die erstere der beiden Möglichkei ten hindeutete –, das eine andere Identität vortäuschen sollte. Offensichtlich besaß es die Wesenszüge dieser Identität nicht und wurde modifiziert und umgewandelt. Eine Waffe gegen einen Feind des Neffen Chirmor Flog? Körperbau und Aussehen des entstehen den Wesens ließen den Schluß zu, daß ein intelligentes und sowohl körperlich wie auch geistig bewegliches Individuum anderer Art simuliert werden sollte. In diesem Augen blick bewegte eine kleine Strömung inner halb der Trommel den goldfarbenen Kamm, und das Ding wirkte, als würde es lebendig werden und den Zylinder verlassen. Deutliche Aufregung bemächtigte sich der umstehenden und arbeitenden Scuddamoren. Gebannt sahen Mänerg und Kärdyn zu. Schließlich hob Mänerg die Hand und er kannte im gleichen Moment, daß diese Ge ste nichts bedeutete. Sie war hinter dem Schattenschirm nicht sichtbar und für Thalia ohne jede Bedeutung. Also sagte er: »Vielleicht war das arme Geschöpf dort einmal ein Scuddamore?« Aber wenn sich hinter den Schattenschil den verschiedenartige Individuen verbargen, was bedeutete dann dieser Gattungsbegriff
Die falschen Scuddamoren wirklich? Mänerg entschloß sich schließlich, etwas zu unternehmen. Er sagte: »Wir sehen uns den Verteidiger von Chirmor Flog genauer an. Und zwar auf un sere Weise.« »Also durch das Eis hindurch?« »So versuchen wir es, ja.« Wieder verwandelte sich der Anzug der Vernichtung in eine Art Hitzelanze. Dampf wallte auf und wurde von der Heißluft weg gerissen. Langsam versanken Kärdyn und Mänerg im Eis und bildeten, als sie sich nach kurzer Zeit vorwärts bewegten, aber mals einen schräg abwärts führenden Tunnel aus. Kärdyn schloß, als das warmgewordene Wasser an ihr hochkletterte, den Rauman zug. Die neu geschmolzene Öffnung folgte dem Verlauf des stufenförmig ausgebildeten Bodenteils. Mänerg versuchte abzuschätzen, wie lan ge sie brauchten; er hatte sich bereits ein Ziel herausgesucht, durch das sie vermutlich sogar ungesehen in die domartige Halle hin einkommen konnten. Waren sie erst einmal dort, waren sie von den anderen Scuddamo ren äußerlich nicht zu unterscheiden. Das Eis um sie herum bebte und vibrierte leicht. Zahllose Maschinen und Geräte er zeugten diese Schwingungen. Über ihnen schienen sich Schatten zu be wegen. Die Anker der Geräte und Laboran ordnungen bildeten schwarze, wurzelförmi ge Inseln in der Eismasse. Kabelstränge ver liefen schattenhaft vor den Eindringlingen. Sie duckten sich und schlüpften in zeitlupen haft langsamen Bewegungen darunter hin durch. Dann bemerkte Mänerg eine große Menge von Trägern und tellerförmigen Ver ankerungen und richtete seinen Weg auf wärts. Eine Handbreit hinter ihm stapfte Kärdyn durchs Wasser, und über ihren Köp fen hatten sich kleine Hohlräume gebildet, die feuchtwarme und stinkende Luft enthiel ten. Etwa zehn Meter weit ging es schräg aufwärts. Sie standen im Innern einer kantigen Säu le aus milchweißem Eis. Langsam schob
39 sich Mänerg nach vorn. Das Eis vor seinem Gesicht wurde dünner und durchsichtiger. Schließlich entstand vor seinen Augen ein kleines Loch, aus dem die heiße Luft pfiff und es erweiterte. Mänerg spähte hinaus. Alle Scuddamoren, die er sah, beschäftig ten sich intensiv mit ihren Geräten. Niemand war in der Nähe. Also gab er sich einen Ruck, schmolz das letzte Stück Eishindernis vor sich nieder und zerrte Kärdyn mit einem schnellen Ruck ins Freie hinaus. Sobald ihre Füße den Boden berührten, paßten sich die Eindringlinge der Schnelligkeit der anderen Scuddamoren an. Sie gingen auf den Zylin der zu. Die Flächen zwischen den Maschi nen und Arbeitsplätzen waren mit einem halb durchsichtigen, gerasterten Belag ver sehen, der jedoch nicht aus Eis bestand. »Zuerst zum metamorphosierten Wesen«, bestimmte Kärdyn. Um sie herum glitten andere Scuddamo ren hin und her, die Maschinen summten und surrten, und jedermann schien ganz ge nau zu wissen, was er zu tun hatte. »Es ist nicht mehr weit. Dort, um den Block herum und die Rampe hinauf.« Wenig später standen sie vor der durch sichtigen Trommel. Aus unmittelbarer Nähe wirkte dieses Geschöpf noch fremdartiger und irgendwie drohend in seiner Leblosig keit. Weder die Zerbrechlichkeit noch die grauen Borsten an den fertigen Körperstel len minderten diesen Eindruck. »Was haben die Scuddamoren mit dieser Kreatur vor?« murmelte Kärdyn und ging mit langsamen Bewegungen um die Trom mel herum. Eine breite Rampe führte von der anderen Seite der Anlage bis zu einem Ausgang, der aus schwer gesicherten Panzertoren bestand. Regungslos standen vier Scuddamoren ne ben dem Tor; natürlich sah man nicht, ob sie bewaffnet waren. »Das kann nur ein großes und sehr wichti ges Vorhaben sein. Niemand beschäftigt sich für einen harmlosen Versuch mit einer solchen Intensität«, gab Mänerg seine Mei
40 nung preis. Sie versuchten, zusätzliche Einzelheiten zu erkennen und blickten in die unbewegli chen Augen auf den langen, starren Stielen. Es gab keinerlei Reaktion. Aber auf ihrem Weg zwischen den Pulten und Kontrollgerä ten schienen sie in eine verbotene Zone ein gedrungen zu sein. Plötzlich umstanden sie zehn oder mehr Scuddamoren und schrien aufgeregt. Sie schoben und zerrten die Eindringlinge hastig aus dem Bereich hinaus. »Ihr müßt wissen, wie gefährlich das ist!« schrie eine helle Stimme. Eine andere pol terte: »Ihr ruiniert das Experiment!« »Der Neffe wird euch verfluchen!« »Hinaus mit euch! Wachpersonal hat hier nichts zu suchen! Das ist wissenschaftlicher Bereich.« Sie wurden in größter Eile über die breite, leicht ansteigende Rampe geschoben. Die Posten verließen ihre Plätze neben dem Por tal und rannten heran. Aus den Schatten schilden bohrten sich plötzlich die Projek torspitzen unbekannter Geräte. Mänerg und Kärdyn wußten, daß es Waffen sein mußten, ohne jeden Zweifel. »Hierher!« Hinter ihnen schrie einer der Forscher oder Wissenschaftler: »Paßt gefälligst besser auf euer Personal auf! Sie sind hier aufgetaucht und stören un sere Konzentration. Wozu steht ihr hier und bewacht das Portal?« Aus dem Schattenschild der großgewach senen Wache ertönte eine barsche, komman dogewohnte Stimme: »Sie gehören nicht zu uns. Säntho hat sie suchen lassen. Es sind die Töter des Feindes Bondergan.« Atlan-Mänerg sagte blitzschnell in Pthora: »Wir sind nicht durch das Eis, sondern durch Korridore und zwar zufällig hierher gekommen. Klar?« »Verstanden«, kam es ebenso leise und schnell zurück. Dann sagte Mänerg laut: »Niemand sagte uns, daß wir uns nicht umsehen könnten. Wir sind einfach aus den
Hans Kneifel Ruheräumen hinaus und hierher spaziert. Kein Scuddamore hielt uns auf.« Der Kommandant sagte scharf: »Kommt mit. Wir bringen euch zu Säntho. Er hat euch suchen lassen und ist wütend, weil ihr euch aus den zugewiesenen Räumen entfernt habt.« »Keine Sorge«, meinte Kärdyn. »Wir hat ten nicht vor, Kinster-Hayn zu verlassen, oh ne Säntho zu fragen.« »Das macht keinen Unterschied. Ihr wer det zu Säntho gebracht.« Immerhin habt ihr gesehen, was ihr sehen wolltet, kommentierte der Extrasinn. Neben dem großen Portal öffnete sich ein kleines Mannschott. Zwei ScuddamorenWachtposten gingen vor den »Gefangenen«, zwei hinter ihnen. So lange niemand ent deckte, auf welchem Weg sie in die Geheim station eingedrungen waren, hatten sie noch alle Chancen für einen sicheren Fluchtver such. Es ging ein kurzes Stück geradeaus. Dann wechselten die Bewacher und blieben zurück, nach Passieren einer eisernen Schleuse übernahm eine andere Gruppe. Ei ne Treppe führte abwärts, abermals versperr te eine schleusenartige Abriegelung den Weg. Mänerg merkte sich jeden Schritt, um sich später herausreden zu können. Er hatte den Eindruck, daß der Weg in die Geheim station länger gewesen war als die Strecke, die sie jetzt unter Bewachung zurücklegten. Schließlich öffnete eine letzte Gruppe von Posten ein breites Tor. Nur noch wenigeSchritte, dann standen sie in einem großen, einfach eingerichteten Büro voller Bildschir me und Kommandogeräte. Hinter dem Tisch stand unverkennbar Säntho. Er schien die beiden schweigend zu mustern, schließlich sagte er: »Laßt mich mit Mänerg und Kärdyn al lein.« Die Wachtposten und der Adjutant verlie ßen den Raum. Säntho bewegte sich. Aus dem Schattenschild des Obersten Verant wortlichen wuchs wie ein Dolch die Spitze eines Projektors hervor. Noch immer schwieg Säntho. Um seinen Gefangenen je
Die falschen Scuddamoren den Zweifel an seiner Entschlossenheit zu nehmen, feuerte er zwischen ihnen hindurch einen Schuß in die Wand. Der Glutstrahl schmolz einen Krater ins Eis und erzeugte eine Wolke kochenden Dampfes. »Schaltet eure Schilde ab!« Es gab in diesem Moment keine Wahl. Mänerg und Kärdyn unterbrachen den einfa chen Kontaktschalter. Die Schilder erlo schen, und sie standen förmlich nackt vor Säntho. Sie hätten viel darum gegeben, seine Reaktion zu erkennen, aber ihn verbarg der Schattenschild. Die Waffe wurde in die Energieglocke zurückgezogen. Ein unange nehmes Schweigen voller Spannung herrschte. Ohne einen Laut stellte Säntho ihr – für ihn – fremdartiges Aussehen fest. Das Schweigen dauerte an. Endlich, nach einigen Minuten, sagte Säntho mit einer unfreund lich knarrenden Stimme: »Es hat niemals ein Schiff namens GA NIER gegeben. Niemals wurde eine Scudda moren-Suchmannschaft auf Xudon ausge wechselt. Andere Angaben sich ebenfalls unzutreffend. Ich erkenne jetzt, daß ihr gelo gen habt. Und ich ahne, daß ihr einen guten Grund dafür hattet, Fremdlinge. Woher kommt ihr?« Mänerg gab die Antwort. »Aus einem Teil des Weltalls, das weder du noch ein anderer Scuddamore kennt. Es ist sinnlos, zu versuchen, dir dies zu erklä ren. Du würdest es nicht verstehen.« »An deinem Gürtel, Mänerg, befindet sich ein Behälter. Er ist der meistgesuchte Behäl ter dieses Sektors. Stelle ihn hierher. Schnell!« Der Ton der Drohung war entscheidend dafür, daß Mänerg wortlos gehorchte und den Spezialbehälter auf den Tisch stellte, mitten zwischen die Kommandogeräte und andere Utensilien. Säntho öffnete ihn, stieß einen leisen Laut der Überraschung aus und verschloß ihn wieder. Offensichtlich drückte er einen Rufschal ter, denn Sekunden später kam der Adjutant herein. Säntho sagte, abermals in einem Ton, der
41 keinen Widerspruch duldete: »Dies sind die gesuchten Ärgetzos für Chirmor Flog. Nimm sie und bringe sie zum Raumhafen. Bevor du gehst, lasse ein Or ganschiff bereitstellen. Der Behälter soll un ter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und auf dem schnellsten Weg direkt nach Säg gallo gebracht werden. Wiederhole!« Der Adjutant wiederholte den Befehl fast wörtlich, nahm den Behälter und verließ das Büro in beängstigender Geschwindigkeit. Säntho trat auf die Fremden zu und er klärte: »Genug der Fragen und Antworten! Ich habe verschiedene Maßnahmen angeordnet, die euch betreffen. Du, Fremder, Mänerg, mit dem goldenen Anzug und du, Kärdyn, mit dem raumsicheren Schutzanzug, ihr wer det gefangengesetzt. Legt die Schatten schild-Gürtel ab, die ihr euch angeeignet habt.« Kärdyn bemerkte scheinbar gelassen: »Dafür, daß wir dir Bondergans Kammer und den toten Scuddamoren-Jäger gebracht haben, scheinst du bemerkenswert wenig dankbar zu sein, Säntho.« »Dankbarkeit ist nicht meine Sache«, er klärte er ungerührt, aber mit einer geringfü gig weniger aggressiv klingenden Stimme. »Nur die Vorsicht und darüber hinaus der Gedanke, euch noch irgendwie einsetzen zu können, haben euch bisher am Leben erhal ten. Ihr werdet kein zweitesmal Gelegenheit haben, die Geheimstation zu betreten.« Mänerg hob wenig beeindruckt die Schul tern, und Kärdyn schwieg, als sich eine Masse von Wachen ins Büro schob und sie abführte. Sie wurden einen breiten Korridor entlang geführt, in dem lebhafter Verkehr herrschte. Sie sahen ausnahmslos Scudda moren, weder Roboter noch eines der ihnen bekannten Wesen aus dem Marantroner-Re vier. Nach hundert Schritten stieß man sie in eine kleine Kammer. Diesmal handelte es sich um eine Gefängniszelle mit schwerer Tür und einer grauen Wandverkleidung. Krachend schlossen sich die Riegel des Schotts. Leise sagte Mänerg:
42
Hans Kneifel
»Die Ärgetzos sind wir leider losgewor den. Chirmor Flog wird sich über die Ver längerung seines Daseins freuen, und wir besitzen ein Druckmittel weniger, das uns für Pthor helfen hätte können.« Sie besaßen weder Waffen noch Schatten schilde, aber noch war die große Plejade nicht entdeckt und angetastet worden. Kärdyn deutete auf die dünne Verkleidung und fragte: »Flüchten wir sofort oder erst später?« Mänerg dachte kurz nach und entgegnete: »Später. Warten wir erst den nächsten Schachzug Sänthos ab. Er plant etwas mit uns. Und ich kenne immerhin ein Mittel, mit dem wir ihm zusetzen können.« »Welches Mittel?« »Lasse dich überraschen. Entspanne dich. Irgendwann werden wir wieder an einem Punkt sein, von dem aus wir das Schicksal Pthors günstig beeinflussen können. Noch sind wir nicht unter der Herrschaft der Schwarzen Galaxis.« »Es fällt mitunter sehr schwer, optimi stisch zu bleiben«, bemerkte sie, setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken gegen die Wand. Sie schwiegen und warteten. Von draußen drang weder ein Geräusch noch ir gend eine andere Information herein. Die Wartezeit dauerte mehrere Stunden.
8. Die schwere Tür schwang nach außen auf. Mänerg hob den Kopf und sah hinaus in den glitzernden Eisgang. In einem offenen Vier eck von Wachtposten, die ausnahmslos die Waffen auf die Fremden gerichtet hielten, standen zwei große Scuddamoren mit ausge prägten Schattenschilden. Einer von ihnen war Säntho, der andere war zweifellos eben so bedeutend, denn auch seine Energieaura war stark und beeindruckend. Er warf einen langen Blick – wenigstens dachte Mänerg dies – in die Zelle, dann sagte er langsam: »Ja, das sind die Gesuchten.« Mänerg und Kärdyn erkannten die Stim me im selben Augenblick. Der Extrasinn
meldete sich synchron zu dieser Erkenntnis und rief: Das ist Yärling von Breisterkähl-Fehr! Ein Posten schloß die Tür sofort wieder. Atlan stand auf und murmelte: »Er muß beim ersten Verdacht, den Säntho hatte, sofort hierher geflogen sein, um diesen Verdacht zu bestätigen oder nicht. Ausgerechnet unser Freund Yärling! Es hätte nicht schlimmer kommen können.« »Unsere Gnadenfrist geht drastisch zu En de«, sagte Kärdyn und ergriff Mänergs Hand, um sich hochziehen zu lassen. »Flucht?« »Ja. Sofort. Yärling und Säntho werden jetzt noch einige Dinge zu klären haben, dann werden sie sich entschließen, die Ge fahr zu beseitigen. In diesem Fall sind wir die Gefahr.« Er streckte die Hand im Fäustling des Goldenen Vlieses aus und riß mit einer ein zigen, wütenden Bewegung ein großes Stück der Verkleidung ab. Dahinter lag der Luft schacht. Mänerg stellte sich dicht an die da hinter erkennbare Eiswand und bemerkte wieder, daß der Anzug der Vernichtung wie ein denkendes Wesen handelte. Er erzeugte erneut eine Hitzeflut, die den Gefangenen einen Weg durch das Eis bahnte. Nach weni gen Momenten war die Zelle überflutet, und die beiden befanden sich mehrere Meter tief im Eis. Sie drangen geradeaus ein, tappten langsam weiter und weiter. Nichts hielt sie auf – ihr Weg führte durch massives Eis, das sich in kochendes, schnell abkühlendes und hinter ihnen gefrierendes Wasser verwandel te. »Irgendwo werden wir das Eis verlassen und in einen Raum einbrechen. Niemand weiß, was das für eine Anlage sein kann«, sagte sich Mänerg und hoffte auf eine Lö sung in seinem Sinn. Unbestimmte Zeit verging, während sie sich einem ungewissen Ziel zubewegten. Und plötzlich brachen sie durch die letzte Schicht Eis hindurch, fielen nach vorn und stolperten. Sie rutschten aus und schlitterten über eine kurze Treppe hinunter. Keine fünf
Die falschen Scuddamoren zig Schritt vor ihnen befanden sich die Ein zelheiten der inzwischen vertrauten Umge bung der Geheimstation. Mänerg kam sofort auf die Füße und rannte, noch ehe einer der vielen Scuddamo ren richtig reagierte, auf die Trommel der Metamorphose-Experiments zu. Er blieb am Sockel stehen und wartete, bis Kärdyn heran war. Fast schlagartig hörten alle Versammelten zu arbeiten auf. Sie kamen näher heran oder blickten aufmerksam herüber. Die Haltung der Schattenschirme ließ keine andere Deu tung zu. Mänerg streckte eine Hand aus und be rührte einen Teil des Sockels. Augenblick lich begann das Eis zu schmelzen, und ein breiter Bach Wasser floß um seine Füße. »Halt. Stehenbleiben. Das gilt für alle. Nicht bewegen!« schrie Mänerg, so laut er konnte. Er wechselte schnell seine Stellung und berührte mit der anderen Hand eine Säule, in die zahlreiche Apparaturen eingebettet wa ren. Sofort floß auch hier wieder Wasser, und einige Verbindungen lockerten sich zuse hends. Mänerg, neben dessen rechter Schulter Kärdyn stand, konnte sicher sein, daß diese Geheimstation unter unausgesetzter Kontrol le von Säntho stand. Jetzt würde auch Yär ling die bestürzenden Bilder sehen. Um sei ne Position zu stärken, schrie der Fremde: »Ich werde nicht zögern, die Trommel mit dem entstehenden Wesen zu zerstören. Ich verwandle die halbe Halle in einen See und kann das Experiment vernichten. Ich will mit Säntho sprechen. Und zwar ohne Ver zug.« Von den Posten, die zuerst herangerannt und dann erschrocken auf halbem Weg ste hengeblieben waren, rief ein Scuddamore: »Was sind deine Forderungen, Mänerg?« »Ich werde sie nur mit Säntho diskutie ren«, rief der Eindringling und lehnte sich an einen niedrigen Sockel, der teilweise eben falls wegschmolz. Jetzt zeigten sich die Ein
43 dringlinge in ihrer wirklichen Gestalt, und dieser Umstand wiederum rief unter den Scuddamoren noch größere Verwirrung her vor. Der Posten gab nach kurzer Zeit zurück: »Säntho und Yärling kommen hierher.« »Ich habe nichts anderes erwartet. Zu rück!« Der letzte Ruf galt einer Gruppe von Schattenschilden, die sich in der Deckung von Werkbänken aus Eis herangeschlichen hatten. Mänerg packte einige der Kabel oder Schläuche, die in die durchsichtige Trommel mündeten und rief drohend: »Ich schlage die Trommel in Stücke und zerstöre die Geräte. Ich sagte, Stehenbleiben, und das gilt für alle.« Der Schrecken der Scuddamoren war ab solut. Jetzt rührte sich keiner mehr. Alle wandten sich dem hochgewachsenen Wesen im goldschimmernden, hitzeverströmenden Anzug zu und seinem schweigsamen Ge fährten. Dort, wo beide standen, gefror das Wasser wieder auf dem Boden und in den Ecken und Vertiefungen. Aber es sah so aus, als könnte der Goldene augenblicklich wie der wahre Fluten von Schmelzwasser und hochbrodelndem Dampf hervorrufen. »Wo ist Säntho? Ich warte nicht mehr lan ge!« schrie Mänerg und schob sich in unver hüllter Drohung wieder an die Trommel her an. Entsetzte Geräusche ertönten von allen Seiten. Die Posten rührten sich und rissen schließlich auf ein unhörbares Kommando die kleinere Schleuse auf. Säntho und Yär ling kamen in die Eishalle hinein und blie ben ebenfalls zwischen Schott und der Ver suchsanlage stehen. Säntho rief donnernd: »Ihr habt gerufen. Es sieht im Moment so aus, als hättet ihr einen kleinen Vorteil.« Mänerg gab augenblicklich zurück: »Nicht nur für den Moment, Säntho. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir sind entschlossen, das Experiment des Metamor phose-Schlages zu unterbrechen. Ich stelle
44 nur eine Bedingung.« »Wir sind nicht zu erpressen!« schrie Yär ling auf. Mänerg hob den Arm mit den ums Hand gelenk geschlungenen Kabeln und Verbin dungen und tat, als zöge er daran. Von allen Seiten ertönte jetzt ein wahres Geheul des Schreckens. Die Scuddamoren wagten es, vor Schrecken oder Spannung einige Schrit te näher heranzukommen. »Wollen wir es darauf ankommen las sen?« erkundigte sich Mänerg in gleicher Lautstärke. »Halt. Ich verhandle«, versprach Säntho. Er schien weitaus souveräner zu sein als Yärling und jeder andere hier. »Es war höchste Zeit«, rief Mänerg und ließ den Arm wieder sinken. »Wir verlan gen, freigelassen zu werden. Wir haben nichts getan, um euch zu schädigen, sondern nur unsere Freiheit verteidigt.« Dieses Argument war einigermaßen frag würdig, aber nicht grundfalsch. Säntho gab zu bedenken: »Ihr seid im Marantroner-Revier völlig fremd. Kinster-Hayn ist nicht eure Heimat. Was wollt ihr anfangen auf diesem Planeten, wenn ich euch freilasse?« Mänerg stimmte ein schallendes Lachen an und gab zu: »Wir wollen freien und ungehinderten Abflug von Kinster-Hayn. Offensichtlich zögerst du noch, Säntho?« »Wir sind deswegen nicht zu erpressen«, sagte der Verantwortliche und kam näher auf Mänerg zu, »weil der MetamorphoseSchlag an mehreren Stellen des Reviers zur gleichen Zeit und mit gleicher Versuchsan ordnung vorbereitet wird. Wenn du dieses Wesen vernichtest, haben wir noch andere in Reserve; so klug planen wir immerhin. Trotzdem mache ich dir einen Vorschlag. Höre gut zu!« »Sprich!« Er kommt zur Sache, sagte der Logiksek tor. Schraube deine Forderungen nicht zu hoch. »Ihr seid erkennbar fremd. Keiner von
Hans Kneifel euch gleicht einem Angehörigen eines der vielen Planetenvölker des Marantroner-Re viers. Wir führen diesen MetamorphoseSchlag gegen den Neffen des Dunklen Oheims, der Duuhl Larx heißt und im Rghul-Revier herrscht. Er ist der erklärte Feind von Chirmor Flog. Ihr beide wäret geeignet, einen Spion ins Rghul-Revier zu bringen. Auf diese Weise verlaßt ihr Kinster-Hayn, wir wahren unser Gesicht und können unser Wort halten, und endlich ist eure Anwesenheit noch einer po sitiven Lösung zugeführt worden. Wir wer den nicht wortbrüchig. Seid ihr einverstan den?« Mänerg und Kärdyn wechselten einen langen, schweigenden Blick. Dann flüsterten sie einige Sätze miteinander. Rätselhafter weise vertraute Mänerg diesem verantwortli chen Scuddamoren so weit, daß er ihm glaubte; allerdings nur einigen seiner Be hauptungen. Vielleicht versuchten sie wie der, das Raumschiff zu sprengen. Nicht, wenn der Spion an Bord ist, wis perte der Extrasinn. »Wir sind mit Einschränkungen einver standen«, rief Mänerg schließlich. »Wer ga rantiert uns, daß Säntho sein Wort hält und uns nicht umbringt, sobald ich mich von dem zukünftigen Spion entferne?« »Allein die Wahrscheinlichkeit unterstützt unsere Aussage«, rief Säntho. »Alle hier hö ren es mit. Meine Integrität steht auf dem Spiel. Wir sind der Meinung, daß ihr die ge eigneten Personen seid, um den Spion ins fremde Revier zu bringen.« »Vor kurzer Zeit waren wir noch Todes kandidaten!« »Mitunter ist es wichtig, seine Überzeu gung den veränderten Umständen anzupas sen«, versicherte Säntho. »Ich denke etwa folgendes: Wenn unser Unternehmen, also der Versuch des Metamorphose-Schlages, entdeckt werden sollte, wärt ihr beide unver fänglich. Natürlich werdet ihr für diesen Einsatz noch auf Säggallo ausgebildet. Nachdem ihr es schafftet, Bondergan zu tö ten, wird euch die Aufgabe nicht überfor
Die falschen Scuddamoren dern. Wir bilden euch so gut aus, daß selbst der Neffe Duuhl Larx glaubt, ihr steht in sei nem Dienst.« Die Aussicht, nach Säggallo zu gelangen, änderte einiges an Mänergs Vorbehalten und beseitigte etliche seiner Zweifel. Überdies hatten sie, wenn sie einmal den Tank hier verließen, wirklich kaum eine echte Chance. Sie konnten nicht so lange hierbleiben, bis sich abermals die Situation änderte. »Wir werden auf Säggallo ausgebildet?« »In einem speziell für solche Vorhaben eingerichteten Zentrum. Viele Fremde kom men im Lauf der Zeit ins Marantroner-Re vier.« »Wann erfolgt der Abflug?« »In Kürze. Ein Schiff steht bereit, aller dings wartete es nicht auf euch. Du kannst beruhigt sein; ich breche mein Wort nicht. Dazu bedarf es einer größeren und wichtige ren Gelegenheit.« Mänerg mußte grinsen. Er ließ die Ver bindungsschläuche los und sagte trocken: »Deine Güte beschämt mich, Säntho. Ein verstanden. Wir geben auf und gehen für dich als Spione zu Duuhl Larx.« Beim Rghul-Revier konnte es sich nur um eine andere Sterneninsel handeln, die der Schwarzen Galaxis vorgelagert war. Mänerg und Kärdyn verließen das Zentrum der Ge heimstation und schlossen sich der Gruppe von Wächtern um Säntho und Yärling an. Man öffnete für sie sogar das große Portal. Mänerg flüsterte, wieder in ihrer »Geheimsprache«: »Wenn unser Freund auch nur halb die Wahrheit spricht, dann sind wir schneller auf Säggallo, als wir es uns jemals vorge stellt hatten.« »Wenn nicht die andere Hälfte seiner Wahrheit bedeutet, daß er etwas ganz ande res plant. Ich zweifle allerdings auch nicht daran«, entgegnete Kärdyn, »daß wir Kin ster-Hayn verlassen dürfen.« Noch besaßen sie die große Plejade. Die Marmorkugel war eine Art Geheim kode, der ihnen in vielerlei Hinsicht nützen konnte, vermutlich sogar in Chirmor Flogs
45 Hauptquartier. Jedes versklavte Wesen war zumindest für die Idee der persönlichen, in dividuellen Freiheit zu begeistern, und im Marantroner-Revier kannten neun von zehn Wesen nichts anderes als Sklaverei. Das war ihre bisherige Erfahrung gewe sen. Möglicherweise gab es auch begeisterte Sklaven oder solche, die weder den einen noch den anderen Begriff definieren konn ten. Diese Erfahrung stand Atlan und Thalia noch bevor.
* Die Wachen brachten sie nicht mehr in ei ne Gefängniszelle. Sie brauchten auch die sogenannten Erholungsräume nicht mehr aufzusuchen. Ein Gleiter, von zwei Scudda moren gesteuert, brachte sie aus dem System des Bandär hinaus und hinunter auf die Ebe ne. Deutlich sahen sie vom Boden aus Bon dergans Kammer liegen. Fahrbare Gerüste oder ähnliche Plattformen waren herange bracht worden, und Scuddamoren schienen den Asteroiden einer gründlichen Untersu chung zu unterziehen. Die Gestalten wirkten winzig wie Ameisen und undeutlich wie Schemen. »Ich würde mich, nebenbei gesagt, dafür interessieren, was aus Travvnar geworden ist«, brummte Mänerg ein wenig gedanken voll. »Vermutlich wird er, wenn ihm die Ener gietabletten ausgehen, im Eis landen und verrosten«, erklärte Kärdyn. Der Gleiter schwebte auf ein Schiff am äußersten Rand der Landefläche zwischen zwei flachen Flußbetten zu. Das Wasser war milchiggrün und stammte von den Hängen des Bandär. Als sie den Berg aus Eis verlie ßen, war es später Nachmittag. »Säntho hat es eilig, uns an Bord des Schiffes zu bringen«, meinte Kärdyn nach einer Weile. »Immerhin hält er sein Wort. Bis jetzt ist uns noch nichts geschehen.« Das Gerät mit den zwei schweigsamen Scuddamoren schwebte entlang des Flußu
46 fers, bog ab und glitt über eine flache Brücke und hielt schließlich in der Nähe ei nes Organtransporters. »Eine merkwürdige Form hat dieses Schiff«, bemerkte Mänerg und schüttelte den Kopf. Es begann unangenehm kalt zu werden. »Es ist die KNIEGEN«, bemerkte der Scuddamore an der Steuerung ungefragt. Die KNIEGEN hatte eine gewisse Ähn lichkeit mit einer Halbkugel, die verbeult und ramponiert aussah. Die Außenhaut und deren Struktur ähnelten denjenigen Schiffen, die den Fremden bisher bekannt geworden waren. Der Durchmesser der Grundplatte, die sich über ausgefahrenen Stützen erhob, war kaum geringer als hundertzwanzig Me ter. Die Stützen umgaben den untersten Rand wie ein Kranz metallischer Spinnen beine. Mänerg hob den Kopf und sah an der obersten Stelle der Rundung, also am oberen »Pol«, die durchsichtige Kanzel der leben den Galionsfigur. Mehrere Schleusen, die rund um den un teren Rand angeordnet waren, standen offen und waren durch Rampen und Gangways mit dem Grasboden verbunden. Mänerg fragte: »Die KNIEGEN fliegt mit uns nach Säg gallo?« »Nicht nur mit euch«, lautete die in gleichmütigem Ton gegebene Antwort. »Sondern mit einer ganzen Anzahl anderer Individuen, die diesem oder jenem Zweck nachgehen werden.« »Das heißt, daß wir jetzt an Bord gehen sollen?« »Säntho hat angeordnet, daß ihr unver züglich an Bord gehen und dort ein Quartier suchen sollt. Richtig.« Mänerg und Kärdyn stiegen aus. Sie dachten an die große Plejade und hofften, daß man sie auch jetzt nicht durchsuchen würde, denn diese Kugel war für sie und viele andere von unschätzbarer Wichtigkeit. Sie schritten langsam auf eine der Rampen zu und gingen nach oben. Im näheren Um kreis der KNIEGEN schien es, von den an-
Hans Kneifel deren »Passagieren« abgesehen, keine Scud damoren zu geben. Sie sahen innerhalb der Schleusen und Lukenöffnungen kleine Ro boter, deren Formen und Zweck ihnen nur teilweise bekannt waren. Mitten auf der Rampe, wo sie niemand hören konnte, blieb Mänerg stehen und sagte skeptisch: »Vielleicht erleben wir auch jetzt dieselbe Lösung wie nach der Flucht von Breister kähl-Fehr. In diesem Fall wird Säntho das Schiff mit einem Fernzündungsimpuls ver nichten.« »Das ist durchaus möglich, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Ich kann keinen Grund angeben, warum ich so und nicht an ders denke, aber in diesem Punkt vertraue ich Säntho.« »Aber …?« »Ich bin sicher, daß er auf diese oder an dere Weise eine Teufelei mit uns und den anderen vorhat. Warten wir es ab. Unser er ster Gang sollte nach dem Start in die Kan zel der Galionsfigur sein.« »Nichts anderes hatte ich vor.« Sie betraten das Schiff und nannten einem Roboter ihre Scuddamoren-Namen und das Ziel ihres Fluges. Die Maschine rollte vor ihnen durch die Schiffskorridore und öffnete die Schotte zu zwei kleinen, benutzt ausse henden, aber keineswegs ungemütlichen Räumen. »Oder läßt die Galionsfigur die KNIE GEN in eine Sonne stürzen?« fragte Kärdyn und setzte sich. »Du bist wirklich ein wahrer Optimist«, versuchte Mänerg zu scherzen. »Aber du hast recht – ich glaube auch nicht an einen planmäßigen Ablauf des Fluges.« Und wieder einmal warteten sie. Warten war zweifellos ein wesentlicher Teil ihres jetzigen Lebens. Es gab in den fol genden Minuten viele Geräusche. Das Schiff schien sich zu bevölkern. Ihnen erschien es als sicher, daß an Bord Scuddamoren waren, die von Säntho genaue Anweisungen erhal ten hatten, ausgerechnet jenen Fremden im Auge zu behalten, dessen goldener Anzug
Die falschen Scuddamoren
47
ihn vor allen denkbaren Einflüssen zu schüt zen schien. Endlich startete die KNIEGEN. Mänerg sagte: »Das ist der Moment. Ich ver suche, in die Kuppel vorzudringen und die Galionsfigur mit der großen Plejade in unse rem Sinn zu beeinflussen.« »Viel Glück, Liebster!« sagte Kärdyn. Sie hob die Hand und winkte ihm zärtlich zu. Das Schott mit den abgegriffenen Rän dern schloß sich hinter ihm. Noch lebten sie beide, aber die nächsten Stunden würden mit
Sicherheit alles andere als ein geruhsamer Raumflug sein. Sie wußten nichts. Sie ahn ten vieles, und mit Bestimmtheit konnten sie sagen, daß dieser Flug nicht nach Säggallo ging. Sie wären noch mehr erschrocken, wenn sie das nächste Ziel der KNIEGEN ge kannt hätten. Es war die Welt ohne Namen.
ENDE
Weiter geht es in Band 412 von König von Atlantis mit: Welt ohne Namen von Hans Kneifel