Gertraude Krell (Hrsg.) Chancengleichheit durch Personalpolitik
Gertraude Krell (Hrsg.)
Chancengleichheit durch Personalpolitik Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen und Verwaltungen Rechtliche Regelungen – Problemanalysen – Lösungen 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 3. Auflage zum (Re-)Design der Wertschöpfungskette Länderbericht und Empfehlungen 2. Auflage Mit Beiträgen von: Bernd Adamaschek, Rainer Christian Beutel, Wolfram Bremeier, Jochen Dieckmann, Leonhard Ermer, Raimund Hirschfelder, Manfred Jung, Lydia Kyas, Martin Lepper, Ingrid Nümann-Seidewinkel, Harald Plamper,
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr. Gertraude Krell ist Universitätsprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin. Für ihren Forschungsschwerpunkt „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ erhielt Gertraude Krell den Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin.
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Auflage Auflage Auflage Auflage Auflage
1997 1998 2001 2004 2008
Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Barbara Roscher | Renate Schilling Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Korrektorat und Satz: LEKTORIA Andreas Granna, www.lektoria.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0465-2
Vorwort zur 5. Auflage Seit die 1. Auflage von „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ erschienen ist, sind jetzt genau zehn Jahre vergangen. Inzwischen ist dieser Sammelband zu einem Standardwerk geworden, das zum einen die Entwicklungen in Forschung und Praxis widerspiegelt und zum anderen auch Anregungen dafür bietet. Die Beiträge decken inzwischen fast alle Handlungsfelder und Instrumente der betrieblichen Personalpolitik ab. Sie verdeutlichen, dass Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter sowohl ethischmoralisch und rechtlich geboten als auch ökonomisch vorteilhaft ist. Die von wissenschaftlichen ExpertInnen verfassten – aktualisierten – Grundlagenbeiträge sind an der bewährten Triade Recht – Probleme – Lösungen orientiert. Bei den rechtlichen Grundlagen werden auch die jeweils relevanten Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vermittelt. Auf Basis von Forschungsergebnissen werden die in den thematisierten personalpolitischen Handlungsfeldern eingesetzten Instrumente auf Diskriminierungs- und z.T. auch Gleichstellungspotenzial untersucht und daran anknüpfend Handlungsempfehlungen gegeben. Hinzu kommen Beiträge speziell zur mittelbaren Diskriminierung, zu den Konzepten Gender Mainstreaming und Diversity Management und schließlich zu theoretischen Perspektiven der Geschlechterforschung sowie zu Erkenntnissen aus empirischen Studien – und deren Konsequenzen für die Gleichstellungspolitik. In den – aktualisierten – Praxisbeiträgen werden vorbildliche Beispiele aus der Privatwirtschaft und dem Öffentlichen Dienst vorgestellt. Sie stammen überwiegend aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz. Die Befragung der Mitglieder des „Forums Frauen in der Wirtschaft“ zu Stand und Entwicklung der Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen ist ebenfalls aktualisiert worden. Neu hinzugekommen sind Grundlagenbeiträge zum AGG, zu den Handlungsfeldern Personalabbau, betriebliche Altersversorgung und Work-Life-Balance, die Praxisbeispiele IG Metall (zu Gender Mainstreaming) und Fraport (zu „Total E-Quality“-Prozess-Management) sowie schließlich die gesamte Rubrik „Initiativen und Projekte“ mit Beiträgen zu Total E-Quality Deutschland, dem genderdax, dem audit berufundfamilie® und der Charta der Vielfalt. Zielgruppe des Buches sind in erster Linie Geschäftsleitungen und Personalverantwortliche, darüber hinaus auch Lehrende und Studierende des Faches „Personal“ sowie alle gleichstellungspolitisch Engagierten in Wissenschaft und Praxis. Gertraude Krell
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Dank An der Entstehung und Entwicklung dieses Sammelbandes haben viele Personen und Institutionen mitgewirkt, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte: Durch die Förderung der Werner-Reimers-Stiftung konnte 1994 das Buchkonzept in einem Kreis von Expertinnen diskutiert werden. Deren Rückmeldungen und Anregungen haben das Vorhaben einen großen Schritt vorangebracht. Ebenfalls 1994 unterstützte mich die Freie Universität Berlin durch Sondermittel für (Literatur-)Recherchen, die von Heike Claßen, Astrid Heckmann und Andrea Schulte durchgeführt wurden. Der Schering AG und Total E-Quality Deutschland verdanke ich ‚Starthilfe‘ in Form eines Druckkostenzuschusses zur 1. Auflage. Mein Dank geht auch an die AutorInnen, die Vorauflagen durch ihre Beiträge bereichert und mit Verständnis darauf reagiert haben, dass ich bei jeder Auflage Platz für neue schaffen muss. Den in dieser 5. Auflage vertretenen AutorInnen danke ich nicht nur dafür, dass sie meiner Bitte, ihre Beiträge zu aktualisieren oder auch neue zu verfassen nachgekommen sind, sondern auch dafür, dass sie meine Überarbeitungsvorschläge wohlwollend aufgenommen haben. Für hilfreiche Rückmeldungen zu den diversen Fassungen der von mir (mit)verfassten Beiträge habe ich mehr Menschen zu danken, als ich hier nennen kann. Deshalb beschränke ich mich auf meine Ko-AutorInnen und meine (inzwischen z.T. ehemaligen) wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Astrid Gieselmann, Monika Huesmann, Rosemarie Kay, Renate Ortlieb, Heike Pantelmann und Barbara Sieben. Für ihre Unterstützung bei der Literaturbeschaffung für die 5. Auflage danke ich Kristina Riegger und Falko Warnke. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Marianne Becker, die an der Erstellung des druckfertigen Manuskripts für die ersten drei Auflagen mitgewirkt und dann ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten hat. Für die 4. Auflage gebührt der Dank Barbara Sieben, die – neben der inhaltlichen Beratung – auch Endkorrektur und Layouten aller Beiträge übernommen hat, sowie Alexandra Reiner und Birgit Voge, die sie dabei unterstützt haben. Bei der Erstellung der 5. Auflage sind diese Aufgaben ‚outgesourct‘ und an Andreas Granna vergeben worden, dem ich ebenfalls danke. Für die stets erfreuliche Zusammenarbeit danken möchte ich auch Barbara Roscher, Renate Schilling und Ute Grünberg vom Gabler-Verlag. Dankbarkeit und Freude ausgelöst hat schließlich, dass ich für mein Projekt „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ den Margherita-von-Brentano-Preis 2003 der Freien Universität Berlin erhalten habe. Diese Auszeichnung gilt im engeren Sinn diesem Sammelband, im weiteren Sinn einem meiner Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre, aus dem vielfältige Erkenntnisse und Erfahrungen in dieses Buch eingeflossen sind – und umgekehrt. Gertraude Krell
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Inhalt
MANAGEMENT DER BETRIEBLICHEN GLEICHSTELLUNGSPOLITIK Einleitung: Chancengleichheit durch Personalpolitik – Ecksteine, Gleichstellungscontrolling und Geschlechterverständnis als Rahmen ... Gertraude Krell Implikationen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) für das Personalmanagement: Wie diskriminierungsfrei sind die personalpolitischen Instrumente? ............................................................................. Walter A. Oechsler und Philipp Klarmann Was Personalverantwortliche über das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung wissen sollten .................................... Dagmar Schiek Programme und Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen von Mitte der 1990er Jahre bis 2006 – Befragungen der Mitglieder des „Forum Frauen in der Wirtschaft“ ....................... Gertraude Krell
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Diversity Management: Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbsfaktor ................................... Gertraude Krell
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Praxisbeispiel Ford-Werke GmbH, Köln: Erfolgreiche Implementierung von Diversity .......................................................... Alicia Alvarez
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Praxisbeispiel Lufthansa: Diversity – Argumente, Strategie, Maßnahmen ....................................................... Monika Rühl
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Praxisbeispiel Deutsche Telekom: Diversity als Strategie ............................................................................................... Maud Pagel und Barbara Mauz
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Gender Mainstreaming: Chancengleichheit (nicht nur) für Politik und Verwaltung ...................................... Gertraude Krell, Ulrich Mückenberger und Karin Tondorf
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Praxisbeispiel Niedersachsen: Gender Mainstreaming – Von der Implementierung zum Alltagsgeschäft .............. 115 Marion Olthoff Praxisbeispiel IG Metall: Gender Mainstreaming in der Personalpolitik .......................................................... 121 Sissi Banos und Rainer Gröbel Die Implementierung von Gleichstellungsmaßnahmen: Optionen, Widerstände und Erfolgsstrategien .......................................................... 127 Christiane Jüngling und Daniela Rastetter Praxisbeispiel Fraport AG: Chancengleichheit gestalten durch „Total E-Quality“-Prozess-Management .......... 141 Martina Rost und Brigitta Kreß Praxisbeispiel Arbeitsmarktservice Österreich: Gleichstellungscontrolling mittels Zielvereinbarungen ............................................ 147 Hilde Stockhammer Praxisbeispiel Stadt Zürich: Handlungsfelder, Strategien und Instrumente zur Umsetzung der Gleichstellung von Frau und Mann ........................................... 153 Annelise Burger Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion: Vom Nutzen theoretischer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung für die Praxis ................................................... 163 Gudrun-Axeli Knapp
PERSONALBEWEGUNGEN Gewinnung und Auswahl von MitarbeiterInnen ...................................................... 175 Rosemarie Kay Diskriminierungs- und Gleichstellungspotenzial von Leistungsbeurteilungen ........ 195 Gertraude Krell Praxisbeispiel Stadt München: Beurteilungsverfahren sind nicht geschlechtsneutral ............................................... 207 Friedel Schreyögg
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Weiterbildung von Mitarbeiterinnen ........................................................................ Hermann G. Ebner und Sandra Bausbacher Praxisbeispiel Commerzbank: Cross-Mentoring ...................................................................................................... Jutta Wolf Praxisbeispiel Axel Springer AG: Vernetzung von Sekretärinnen und Entwicklung zur Management-Assistentin ....................................................... Gudrun Dilg Personalabbau und Diskriminierungsanfälligkeit betriebsbedingter Kündigungen ............................................................................... Bettina Graue und Susanne König
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ENTGELT Anforderungsabhängige Entgeltdifferenzierung: Orientierungshilfen auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreieren Arbeitsbewertung ............................................................. Gertraude Krell und Regine Winter
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Leistungsabhängige Entgeltdifferenzierung auf dem gleichstellungspolitischen Prüfstand .......................................................... Andrea Jochmann-Döll und Karin Tondorf
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Praxisbeispiel Motorola: Diversity-orientierte Vergütung ............................................................................... Beate Keßler und André Schulz
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Betriebliche Zusatzleistungen: Analyse und Gestaltungsmöglichkeiten am Beispiel der betrieblichen Altersversorgung ...................................................... Kay Blaufus und Renate Ortlieb
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ZUSAMMENARBEIT UND FÜHRUNG „Vorteile eines neuen, weiblichen Führungsstils“: Ideologiekritik und Diskursanalyse .......................................................................... 319 Gertraude Krell Diversity-Trainings: Verbesserung der Zusammenarbeit und Führung einer vielfältigen Belegschaft .............................................................. Astrid Gieselmann und Gertraude Krell 331 Praxisbeispiel Deutsche Bank: „Vielfalt erfolgreich nutzen“ – Ein Diversity-Workshop für Führungskräfte ............................................................ 351 Aletta Gräfin von Hardenberg und Christine Wolff Gendertraining-Paradoxien: Wie die Norm der geschlechterparitätischen Zusammensetzung von Trainingsteams dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit entgegenwirkt – ein Diskussionsbeitrag ................................................................... 357 Monika Huesmann Sexuelle Belästigung und Gewalt: (K)ein Thema für Personalverantwortliche? ............................................................. 365 Bärbel Meschkutat und Monika Holzbecher Der Mobbing-Report: Relevante Ergebnisse und Gestaltungsempfehlungen .............................................. 373 Bärbel Meschkutat und Martina Stackelbeck Praxisbeispiel DB GesundheitsService GmbH: Konfliktmanagement als Mobbingprävention .......................................................... 381 Sabine Gröben River Rafting, Polonaise oder Bowling: Betriebsfeiern und ähnliche Events als Medien organisationskultureller (Re-)Produktion von Geschlechterverhältnissen .. 387 Renate Ortlieb und Barbara Sieben
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ARBEITS- UND LEBENSGESTALTUNG Reorganisation und Arbeitsgestaltung: Ansatzpunkte zur Lockerung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung ................................................................ Ellen Hilf und Heike Jacobsen
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Work-Life-Balance: Vorteile für Beschäftigte und Organisationen ........................ Nina Bessing
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Wenn Managerinnen und Manager ihre Arbeitszeit reduzieren (wollen) … ........... Günther Vedder und Margit Vedder
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Männer – Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ............................................. Stephan Höyng
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„Wenn das Kind in den Kindergarten geht, dann wird sie wiederkommen. Und das ist auch so gewünscht.“ – Wie und warum Unternehmen Kinderbetreuung fördern ........................................ Carola Busch Praxisbeispiel Commerzbank: Kids & Co. – Kinderbetreuung in Ausnahme- und Notfällen .................................. Barbara David
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INITIATIVEN UND PROJEKTE Die Charta der Vielfalt: Unternehmen entdecken die Vielfalt in ihrer Belegschaft – Diversity als Chance ............................................................................................. Hans W. Jablonski und Ursula Schwarzenbart
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TOTAL E-QUALITY: Mit Chancengleichheit zum Erfolg .................................... Eva Maria Roer
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genderdax – Top Unternehmen für hochqualifizierte Frauen .................................. Michel E. Domsch und Désirée H. Ladwig
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Das audit berufundfamilie® ...................................................................................... Artur Wollert
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Sachregister ..............................................................................................................
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XIII
Management der betrieblichen Gleichstellungspolitik
Gertraude Krell
Einleitung: Chancengleichheit durch Personalpolitik – Ecksteine, Gleichstellungscontrolling und Geschlechterverständnis als Rahmen 1. Neuere Konzepte zur Realisierung von Chancengleichheit 2. Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik 2.1 Realisierung von Chancengleichheit beim Zugang zu und in Führungspositionen und anderen männerdominierten Bereichen 2.2 Abbau von Diskriminierungen in Arbeitsgestaltung und Entgeltpolitik bei herkömmlicher „Frauenarbeit“ 2.3 Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen und Männer ohne diskriminierende Folgen 2.4 Erhöhung der Gleichstellungskompetenz und -motivation von Führungskräften
3. Gleichstellungscontrolling 3.1 3.2 3.3 3.4
Setzen von Solls Ist-Analyse Weitere Prüfschritte und Maßnahmen Erfolgskontrolle
4. Rahmensetzend und weichenstellend: Das Verständnis von Geschlecht Literatur
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] Mit dieser Einleitung wird zum einen der programmatische Rahmen dieses Buches abgesteckt und erläutert. Zum anderen werden die einzelnen Beiträge präsentiert und thematisch verortet.
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1. Neuere Konzepte zur Realisierung von Chancengleichheit Die Beiträge in diesem Sammelband verdeutlichen, dass Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter sowohl ethisch-moralisch und rechtlich geboten als auch ökonomisch vorteilhaft ist. Auf dieser Überzeugung gründen auch die vorgestellten Initiativen und Projekte: Total E-Quality Deutschland (vgl. Roer*), genderdax (vgl. Domsch/Ladwig), audit berufundfamilie® (vgl. Wollert) und – als jüngste(s) – Charta der Vielfalt (vgl. Jablonski/Schwarzenbart). Zur Realisierung von Chancengleichheit gibt es heute vor allem zwei Konzepte: x Diversity Management (im Folgenden DiM; vgl. meinen Grundlagenbeitrag und die Praxisbeispiele Ford, Lufthansa, Telekom sowie auch Motorola, Deutsche Bank und Commerzbank [von David]) und x Gender Mainstreaming (im Folgenden GM; vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf und die Praxisbeispiele Niedersachsen und IG Metall sowie auch Stadt München, Stadt Zürich und Arbeitsmarktservice Österreich). Wie auch die hier angeführten Praxisbeispiele zeigen, ist derzeit im deutschsprachigen Raum GM hauptsächlich in öffentlichen Verwaltungen und DiM hauptsächlich in privatwirtschaftlichen Unternehmen zu finden. Dennoch sind beide Konzepte für alle Arten von Organisationen geeignet, wie auch in den jeweiligen Grundlagenbeiträgen herausgearbeitet wird. Ebenfalls ausführlich dargelegt wird dort, welche ökonomischen Vorteile mittels der Konzepte realisiert werden können. Je nach der Ausgangssituation in einer Organisation und den angestrebten Zielen können eines der beiden Konzepte ausgewählt (für einen Konzeptvergleich: Krell 2004), Verbindungen vorgenommen (dazu ausführlicher: Krell 2007) oder auch Anregungen für die Entwicklung eines eigenen Programms entnommen werden. Im Vergleich zu den Frauen-Förderprogrammen der 1990er Jahre (vgl. dazu meinen Beitrag „Programme und Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen von Mitte der 1990er Jahre bis 2006“) haben GM und DiM viele Vorzüge, die im Folgenden näher erläutert werden. Dabei wird auch gezeigt, dass die Konzepte den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) entsprechen (zum AGG vgl. Oechsler/Klarmann; auch in den anderen Grundlagenbeiträgen wird jeweils auf die relevanten Regelungen des AGG eingegangen): Erstens werden als potenziell Diskriminierte nicht nur Frauen berücksichtigt. Es wird nicht stereotyp zwischen „den Frauen“ und „den Männern“ differenziert, sondern Diversity (= Vielfalt) wird als ein Aspekt von Gender (= Geschlecht) und Gender als ein Aspekt von Diversity betrachtet. Damit werden auch weitere Merkmale, die Quellen von (Mehrfach-)Diskriminierung sein können, in den Blick genommen (dazu mehr unter 4.). Das entspricht dem AGG, das in § 1 Abs. 1 „Benachteiligungen aus Gründen
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Bei allen Quellen, die im Text ohne Erscheinungsjahr angegeben sind, handelt es sich um Beiträge dieses Sammelbandes. 4
der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ verbietet. Zweitens wird Entwicklungsbedarf nicht nur oder nicht in erster Linie mit Blick auf die weiblichen Beschäftigten (bzw. bei DiM auch mit Blick auf andere sog. dominierte Gruppen) gesehen. Vielmehr sollen auch und insbesondere die Organisation insgesamt bzw. deren Kultur entwickelt werden, speziell die Personalpolitik, die Führungskräfte sowie auch andere Mitglieder der sog. dominanten Gruppe. Auch das entspricht dem AGG, denn § 2 verbietet Benachteiligungen in diversen personalpolitischen Kontexten z.B. bei der Personalauswahl (vgl. Kay), der Weiterbildung (vgl. Ebner/Bausbacher), dem Entgelt (vgl. Krell/Winter, Jochmann-Döll/Tondorf und Blaufus/Ortlieb), den Arbeitsbedingungen (vgl. Hilf/Jacobsen, Vedder/Vedder und Bessing) sowie den Entlassungsbedingungen (vgl. Graue/König). Des Weiteren sind nach § 3 AGG sexuelle und andere Belästigungen verboten, und damit auch Mobbing (vgl. Meschkutat/Holzbecher, Meschkutat/Stackelbeck sowie die Praxisbeispiele DB GesundheitsService, Ford und Stadt Zürich). Und schließlich ist Arbeitgebern nach § 12 AGG geboten, alle Beschäftigten zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligungen zu schulen (vgl. Gieselmann/Krell und das Praxisbeispiel Deutsche Bank). Drittens handelt es sich um integrative und präventive Konzepte: x integrativ, weil Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter zum Teil-Ziel und zur Querschnittsaufgabe erklärt wird und alle Aktivitäten (nicht nur) der Personalpolitik unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf dieses Ziel betrachtet, bewertet und gestaltet werden, x präventiv, weil bei einer konsequenten und dauerhaften Umsetzung der Konzepte vermieden wird, diskriminierende Regelungen und Praktiken und den damit verbundenen „Nachbesserungsbedarf“ hervorzubringen. Eine – nicht nur auf Geschlecht bezogene, sondern auch andere Merkmale berücksichtigende – integrative Ausrichtung und eine präventive Ausrichtung entsprechen ebenfalls dem AGG, denn dieses zielt nach § 1 Abs. 1 darauf, Benachteiligungen aus den o.g. Gründen „zu verhindern oder zu beseitigen“; und § 12 Abs. 1 verpflichtet Arbeitgeber dazu, „auch vorbeugende Maßnahmen“ zu ergreifen. Und schließlich bieten die Konzepte auch Orientierungshilfen zur professionellen Gestaltung der erforderlichen Veränderungsprozesse (vgl. dazu auch Jüngling/Rastetter), wie z.B. das Sechs-Schritte-Schema im Rahmen von GM oder Cox’ (2001) Modell für den kulturellen Wandel im Rahmen von DiM. Auch die in den folgenden beiden Abschnitten vorgestellten Instrumente stellen solche Orientierungshilfen dar. Die „Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik“ (s.u. 2.) fokussieren auf Geschlecht und auf die Fragen „Was sind die diesbezüglich relevanten gleichstellungspolitischen Handlungsfelder?“ und „Was ist dort zu tun?“ Das „Gleichstellungscontrolling“ (s.u. 3.) dient als Orientierungshilfe dafür, wie Gleichstellungspolitik systematisch im Managementprozess verankert werden kann. Diese Instrumente habe ich zwar schon entwickelt, bevor GM und DiM aktuell geworden sind, sie können aber auch im Rahmen der Realisierung der beiden Konzepte angewendet werden. Und sie sind ebenfalls für alle Arten von Organisationen geeignet, d.h. Unternehmen, Verwaltungen, Non-Profit-Organisationen etc. 5
2. Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik Mit Blick auf Geschlecht verdeutlichen die Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik (vgl. Abbildung 1), wo es welchen Handlungsbedarf gibt – auch wenn, um im Bild zu bleiben, im Einzelfall nicht immer „an allen Ecken“ zugleich und mit gleicher Intensität gearbeitet werden kann. Realisierung von Chancengleichheit beim Zugang zu und in Führungspositionen und anderen männerdominierten Bereichen
Abbau von Diskriminierungen in Arbeitsgestaltung und Entgeltpolitik bei herkömmlicher „Frauenarbeit“ Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik
Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen und Männer ohne diskriminierende Folgen
Erhöhung der Gleichstellungskompetenz und -motivation von Führungskräften
Abb. 1: Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik
2.1 Realisierung von Chancengleichheit beim Zugang zu und in Führungspositionen und anderen männerdominierten Bereichen Noch immer sind Frauen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert (vgl. z.B. Bischoff 2005; Die Bundesregierung 2006; Holst/Schrooten 2006). Deshalb gehört die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen – und auch anderen männerdominierten Bereichen – zum Standardrepertoire gleichstellungspolitischer Programme und Maßnahmen. Davon zeugen auch die Praxisbeispiele in diesem Buch. Die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen wird in fast allen angesprochen, speziell um eine Erhöhung des Frauenanteils auch in anderen männerdominierten Berufen geht es in den Beiträgen zu Ford, Lufthansa und Telekom. Um Chancengleichheit beim Zugang zu Führungspositionen und anderen Männerdomänen zu realisieren, ist es erforderlich, die Auswahl- und Beförderungspraxis sowie die Führungskultur auf Diskriminierung zu überprüfen und ggf. zu verändern. Bei externer Rekrutierung stehen Personalbeschaffung und -auswahl auf dem Prüfstand (vgl. Kay), bei interner Rekrutierung ist auch sicherzustellen, dass keine Aufstiegsdiskrimi-
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nierung durch Beurteilungen (vgl. z.B. Hennersdorf 1998 sowie Krell, Jochmann-Döll/ Tondorf und das Praxisbeispiel Stadt München) und/oder durch den Zugang zur Aufstiegsweiterbildung (vgl. Ebner/Bausbacher) stattfindet. Zur Überwindung von Aufstiegsbarrieren wird auch das (Cross-)Mentoring eingesetzt (vgl. das Praxisbeispiel Commerzbank [von Wolf]). Ein Karrierehindernis für Frauen ist auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (dazu der dritte Eckstein). Befragungen weiblicher Führungs(nachwuchs)kräfte zufolge (vgl. z.B. Goos/Hansen 1999; Bischoff 2005) ist dieser Faktor allerdings als Aufstiegsbarriere weniger bedeutsam als Vorurteile und mangelnde Akzeptanz aufgrund des Frau-Seins, womit die Verbindung zum vierten Eckstein hergestellt ist. Mit der Realisierung von Chancengleichheit beim Zugang zu Führungspositionen und anderen Männerdomänen ist es aber nicht getan. Denn Frauen in Führungspositionen sind eine der Gruppen, die bei Leistungsbeurteilungen diskriminiert werden (vgl. meinen Grundlagenbeitrag dazu) und – z.T. damit zusammenhängend – auch von Entgeltdiskriminierung betroffen sind. Die zu Beginn dieses Abschnitts angeführten Quellen belegen nicht nur die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen, sondern auch erhebliche Einkommensunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften – und z.T. auch Unterschiede in der Ausstattung mit MitarbeiterInnen bzw. der Leitungsspanne – die nicht (nur) durch sachliche Faktoren bedingt sind. Das zeigt auch eindrucksvoll eine österreichische Studie, in der „virtuelle Zwillingspaare“, die sich einzig und allein durch das biologische Geschlecht unterscheiden, gebildet und deren Karriereverläufe über einen längeren Zeitraum verglichen worden sind (vgl. Strunk/Hermann/Praschak 2005, S. 227ff): Nach zehn Jahren haben die Frauen im Durchschnitt ein um ein Achtel geringeres Einkommen und auch weniger unterstellte Mitarbeiterinnen als die Männer. Insofern besteht auch mit Blick auf diejenigen Frauen, „die es geschafft haben“, noch gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf.
2.2 Abbau von Diskriminierungen in Arbeitsgestaltung und Entgeltpolitik bei herkömmlicher „Frauenarbeit“ Selbst wenn es gelänge, den Frauenanteil in Führungspositionen und anderen bisher männlich dominierten Tätigkeiten und Positionen erheblich zu erhöhen und dort auch Geschlechtergerechtigkeit hinsichtlich Entgelt und anderer Faktoren herzustellen, dann würde dies an den Arbeitsbedingungen und Verdienstchancen der Frauen, die auf herkömmlichen „Frauenarbeitsplätzen“ bzw. in frauendominierten Bereichen beschäftigt sind und bleiben, nichts ändern. Aus der Perspektive des Arbeitgebers oder Dienstherren hieße das wiederum, dass die Potenziale dieser Beschäftigten nicht optimal genutzt werden. Der zweite Eckstein einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik ist deshalb der Abbau von Diskriminierungen in Arbeitsgestaltung und Entgeltpolitik bei herkömmlicher „Frauenarbeit“. Im Unterschied zu den anderen dreien wurde und wird in Unternehmen mit gleichstellungspolitischen Programmen und Maßnahmen dieser Eckstein allerdings i.d.R. eher vernachlässigt (so schon Brumlop/Hornung 1994; vgl. auch meinen Beitrag „Programme und Maßnahmen …“), während es aus dem Öffent-
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lichen Dienst einige Beispiele dazu gibt (vgl. z.B. Hülsmeier 2001 sowie zusammenfassend: Maschke/Zurholt 2006). Zur Arbeitsgestaltung: Typisches Merkmal herkömmlicher „Frauenarbeitsplätze“ ist qualitative Unterforderung, oft gepaart mit quantitativer Überforderung. Das verweist auf eine mangelhafte Arbeitsgestaltung. Um es überspitzt zu sagen: Wer die dort tätigen Mitarbeiterinnen als „Verbrauchsfaktor“ behandelt, wie dies z.B. bei Akkordarbeiterinnen der Fall ist (vgl. Krell/Tondorf 2004), agiert nicht nur inhuman, sondern verschenkt auch wertvolle Potenziale, z.B. an Erfahrungswissen. Aus beiden Gründen empfiehlt es sich, der (Re-)Organisation und (Um-)Gestaltung herkömmlicher Frauenarbeitsplätze mehr Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Hilf/Jacobsen) oder auch den dort beschäftigten Frauen Qualifizierungsangebote zur Übernahme höherwertiger Tätigkeiten zu machen (vgl. das Praxisbeispiel Axel Springer). Zur Entgeltpolitik: Hier gehe ich nur auf anforderungs- und leistungsabhängige Entgeltdifferenzierung ein. Zur anforderungsabhängigen Entgeltdifferenzierung mittels der Verfahren der Arbeitsbewertung ist festzuhalten, dass nach wie vor „Frauenarbeiten“ niedriger bewertet und bezahlt werden als „Männerarbeiten“ (vgl. Krell/Winter). Da dies den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung erfüllen kann (vgl. Schiek), muss mit Gleichwertigkeitsklagen gerechnet werden. Bei Leistungsbeurteilungen und Leistungsvergütungen kommt es ebenfalls zu Diskriminierungen in frauendominierten Bereichen (vgl. Krell und Jochmann-Döll/Tondorf). In dem Maß, in dem den Betroffenen Verletzungen der (Rechts-)Norm „Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit und Leistung“ bewusst werden, ist dies auch eine Quelle von Unzufriedenheit und Demotivation.
2.3 Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen und Männer ohne diskriminierende Folgen Beim dritten Eckstein liegt die Betonung zunächst auf Frauen und Männer. Denn Aktivitäten zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Privatleben wurden nicht nur im Kontext der „Frauenförderung“ der 1990er Jahre, sondern werden auch noch in diesem Jahrtausend als „speziell für Frauen“ kategorisiert. Das belegt z.B. eine Befragung von Führungskräften aus der Privatwirtschaft zum Thema Chancengleichheit von Frauen und Männern (vgl. Krell/Ortlieb 2004). Eine solche Position der Personalverantwortlichen bzw. Positionierung der Programme und Maßnahmen trägt zur Zementierung der Zuständigkeit von Frauen für häusliche und familiäre Aufgaben bei – und diese ist eine wesentliche Ursache der beruflichen Benachteiligung von Frauen. Hinzu kommt, dass das Modell, nach dem der Mann „die Brötchen verdient“ und Karriere macht, während die Frau sich in erster Linie um die Familie kümmert, auch für Männer mit Nachteilen verbunden ist. Viele Studien über „Karrieremänner“ zeigen, dass deren berufliche Erfolge oft auf Kosten des Privatlebens und der Gesundheit gehen (vgl. z.B. von Haacke 1999; Risch 1999 und Lauer 2001). Außerdem bleiben die Bedürfnisse und Probleme derjenigen Männer, die sich gerne stärker als aktive Väter engagieren wollen, ausgeblendet, wenn Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pri8
vatleben als „Frauensache“ gilt (ausführlicher zu Männern und Vereinbarkeit vgl. Höyng). Schließlich haben nicht nur Mütter und Väter Vereinbarkeitsprobleme (worauf schon die zuvor angesprochenen gesundheitlichen Probleme von „Karrieremännern“ verweisen) sondern auch x Beschäftigte, die für die Pflege von Erwachsenen (mit)verantwortlich sind, x Beschäftigte, die in – gemischt- oder gleichgeschlechtlichen – Partnerschaften leben, insbesondere sog. Dual Career Couples (DCCs) bzw. Doppelkarrierepaare (vgl. dazu z.B. Domsch/Ladwig 2002), und nicht zuletzt x Beschäftigte, die Singles sind, denn die brauchen ebenfalls Zeit und Kraft für Reproduktionsarbeit, Regeneration, Hobbys, ehrenamtliche Tätigkeit u.v.m. Aus all diesen Gründen sind traditionelle „Mutter-Kind-Programme“ gerade kein zielführender Beitrag zur Chancengleichheit von Frauen und Männern. Und sie werden auch den vielfältigen Situationen und Bedürfnissen der in einer Organisation Beschäftigten nicht gerecht. In der Praxis finden sich inzwischen durchaus auch „vaterfreundliche Unternehmen“ (Bittelmeyer 2003) bzw. Unternehmen, die auch und insbesondere Väter als Zielgruppe von Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit ansprechen (vgl. z.B. die Praxisbeispiele Fraport und Commerzbank [von David]). Aber auch „Eltern-Kind-Programme“, die auf die Vereinbarkeit von (traditioneller) Familie und Beruf beschränkt sind, können auf Akzeptanzprobleme stoßen (vgl. z.B. Hammers 2003). Eine Lösung bieten umfassende und an die diversen individuellen Interessen und Bedarfe angepasste Programme und Maßnahmen zur Work-Life-Balance (vgl. Bessing). Diese umfassen: x Angebote zur Arbeitszeitflexibilisierung, die z.B. in den Praxisbeispielen Lufthansa, Fraport und Arbeitsmarktservice Österreich angesprochen werden. Unter Chancengleichheitsaspekten besonders bedeutsam ist die Ermöglichung geschlechts- und statusneutraler Teilzeitarbeit, d.h. Teilzeitarbeit auch für Männer und auch in Führungspositionen (vgl. z.B. Straumann/Hirt/Müller 1996 und Vedder/Vedder), x Angebote rund um die Elternzeit (vgl. z.B. das Praxisbeispiel Axel Springer), x Angebote zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung (vgl. Busch, die Praxisbeispiele Commerzbank [von David] sowie auch IG Metall und Axel Springer), x Angebote zur Unterstützung von Elderly Care, d.h. Angebote für MitarbeiterInnen, die ihre Eltern oder andere Personen pflegen (vgl. z.B. die Praxisbeispiele Ford, Telekom und Lufthansa), x Angebote sonstiger Dienstleistungen (inkl. Information und Beratung), wie z.B. sog. Concierge-Dienste oder das „Elterncoaching“ der Telekom, x Angebote zur Gesundheitsförderung (vgl. z.B. das Praxisbeispiel IG Metall). Und schließlich ist es erforderlich, diejenigen Frauen und Männer, die von den gesetzlich und betrieblich eröffneten Möglichkeiten zur Unterbrechung ihrer beruflichen Tätigkeit oder zur Reduzierung ihrer Arbeitszeit auch tatsächlich Gebrauch machen, nicht zu benachteiligen (vgl. dazu auch Vedder/Vedder und Höyng). Denn nur wenn Be9
schäftigte, die Elternzeit und/oder Teilzeit in Anspruch nehmen, deshalb nicht mit negativen beruflichen Konsequenzen rechnen müssen, sind diese Optionen auch für (mehr) Männer und (mehr) Führungskräfte attraktiv.
2.4 Erhöhung der Gleichstellungskompetenz und -motivation von Führungskräften Generell gilt: „An den Führungskräften führt kein Weg vorbei!“ (Tondorf/Krell 1999). Denn diesen kommt bei der Realisierung von Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter eine Schlüsselrolle zu: Sie haben einen großen – und im Zuge der Dezentralisierung der Personalarbeit zunehmenden – Einfluss auf Auswahl-, Beförderungsund Vergütungsentscheidungen sowie auf den Zugang zur Weiterbildung. Aber sie haben oft auch erhebliche Wollens-, Wissens- und Könnens-Defizite in Sachen Chancengleichheit (vgl. z.B. Oppen/Wiechmann 1998; Rastetter 2005). Maßnahmen zur Erhöhung der Gleichstellungskompetenz und -motivation von Führungskräften – heute auch als Gender-Kompetenz (vgl. z.B. o.V. 2005; Lange 2006) bzw. umfassender: Diversity-Kompetenz bezeichnet – sind deshalb der vierte Eckstein. Sie gehören zum Standardrepertoire von GM und DiM und finden sich auch zunehmend in der Praxis (vgl. z.B. meinen Beitrag „Programme und Maßnahmen …“). Systematisch betrachtet, kann die Gleichstellungskompetenz und -motivation der Führungskräfte einer Organisation durch Selektion und/oder durch Modifikation erhöht werden. Selektion meint hier, dass Gleichstellungsmotivation und -kompetenz zu einem Kriterium der Führungskräfteauswahl gemacht wird (vgl. z.B. auch Europäische Kommission 2005 und das Praxisbeispiel Stadt Zürich). So können Bewerbungsunterlagen auch danach analysiert werden, ob jemand einschlägige Aus- oder Weiterbildungen absolviert bzw. Engagement und Erfahrungen in Sachen Chancengleichheit vorweisen kann. Oder in ein Assessment Center werden entsprechende Übungen eingebaut, wie das z.B. in der Landeshauptstadt München der Fall ist. Wenn Führungskräfte intern rekrutiert werden, können auch die Ergebnisse von chancengleichheits- oder diversity-orientierten Beurteilungen „sachdienliche Hinweise“ liefern (vgl. dazu meinen Beitrag zu Leistungsbeurteilungen und das Praxisbeispiel Motorola). Mit Blick auf die in einer Organisation bereits vorhandenen Führungskräfte haben Beurteilungen nicht nur eine Selektionsfunktion, sondern auch – ebenso wie Weiterbildungen – eine Modifikationsfunktion, da sie Gleichstellungskompetenz und -motivation schaffen bzw. steigern können. Beurteilungen zielen auf extrinsische Motivierung: Wenn bei der Beurteilung von Führungskräften deren Verhalten und/oder Ergebnisse in Sachen Chancengleichheit berücksichtigt werden, signalisiert die Organisationsleitung, dass dieses Ziel nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, und schafft Anreize für eine konsequente Umsetzung gleichstellungspolitischer Solls (s.u. 3.1). Das gilt sowohl für die Potenzialbeurteilung als auch für die Leistungsbeurteilung – und z.T. auch die daran geknüpfte Leistungsvergütung (vgl. dazu ebenfalls meinen Beitrag zu Leistungsbeurteilungen und das Praxisbeispiel Motorola). An dieser Stelle wird in Diskussionen oft eingewendet, extrinsische Motivierung zerstöre aber doch intrinsische Motivation. Dazu ist zweierlei zu sagen. 10
Erstens wird damit unterstellt, Führungskräfte seien heute (mehrheitlich) in Sachen Chancengleichheit schon intrinsisch motiviert, wovon aber gerade nicht ausgegangen werden kann (s.o.). Zweitens können Anreize auch intrinsische Motivation überhaupt erst erzeugen (vgl. Frey/Osterloh 1997), und das erscheint mir in diesem Zusammenhang relevanter. Die Weiterbildung von Führungskräften kann zur Erhöhung der Gleichstellungskompetenz und der intrinsischen Gleichstellungsmotivation beitragen. In Zusammenhang mit DiM sind hier Diversity-Trainings zu nennen (vgl. Gieselmann/Krell und das Praxisbeispiel Deutsche Bank), in Zusammenhang mit GM Gender-Trainings (vgl. die Praxisbeispiele Niedersachsen, Stadt Zürich und Stadt München sowie [diskriminierungs-]kritisch zur Norm, dass diese von einer Frau und einem Mann als TrainerInnenTeam angeboten werden müssen: Huesmann). Das Eckstein-Konzept ist zwar auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern fokussiert, bietet aber – ausgehend von einer Vielfalt der Geschlechter (s.u. 4.) – auch Anregungen für die Realisierung von Chancengleichheit hinsichtlich anderer Faktoren.
3. Gleichstellungscontrolling Das (Gleichstellungs-)Controlling als Verknüpfung von Planung, Vorgabe, Kontrolle und Informationsversorgung lässt sich als Regelkreis mit Rückkopplungsschleifen darstellen (vgl. Abbildung 2) und bietet eine Orientierungshilfe sowohl für die Implementierung gleichstellungspolitischer Konzepte und Programme (vgl. z.B. das Praxisbeispiel Arbeitsmarktservice Österreich) als auch für Einzelmaßnahmen (vgl. z.B. Krell 2006).
Setzen von Solls
Erfolgskontrolle
Ist-Analyse
Weitere Prüfschritte und Maßnahmen
Abb. 2: Gleichstellungscontrolling als Regelkreis
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3.1 Setzen von Solls Gleichstellungspolitische Solls existieren zunächst als Rechtsnormen auf gesetzlicher (s.a. unter 1.) und z.T. auch auf tarifvertraglicher Ebene. Seit Ende der 1980er Jahre werden dazu auch zunehmend Betriebs- und Dienstvereinbarungen abgeschlossen (vgl. z.B. Maschke/Zurholt 2006 und die Praxisbeispiele Ford, Telekom und Fraport). Eine wichtige Orientierungsgrundlage für Entscheidungen und Handlungen wird auch geschaffen, wenn in einer Organisation Chancengleichheit von Frauen und Männern oder auch Diversity als Strategie, Leitbild und/oder Ziel festgeschrieben wird (vgl. z.B. die Praxisbeispiele Lufthansa, Stadt Zürich, Arbeitsmarktservice Österreich und Motorola). Dies bietet zugleich eine Basis für Zielvorgaben oder -vereinbarungen, die auch gleichstellungspolitische Ziele enthalten.
3.2 Ist-Analyse Um Soll-Ist-Vergleiche vornehmen zu können, bedarf es einer Ist-Analyse. Im Einzelfall kann es auch sinnvoll sein, zuerst eine Ist-Analyse vorzunehmen und daran anknüpfend im zweiten Schritt konkrete Solls zu erarbeiten. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass diejenigen Organisationsmitglieder, die zunächst keinen gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf sehen, durch die Information und Kommunikation über die Ergebnisse der Ist-Analyse überzeugt werden können. Ist-Analysen gehören zum Standardrepertoire von DiM (als Diversity-Audits) und GM (als Gender-Audits/-Analysen o.Ä.). Auch die Bewerbung um das „Total E-Quality“Prädikat erfordert eine Ist-Analyse (vgl. Roer und das Praxisbeispiel Fraport). Ist-Analysen setzen zunächst eine systematische Erhebung von Personaldaten differenziert nach Geschlecht (und auch anderen Faktoren) voraus; welche Daten für die einzelnen Handlungsfelder relevant sind, wird in den jeweiligen Grundlagenbeiträgen thematisiert. Entsprechende Daten können durch Mitarbeiterbefragungen ergänzt werden, in denen erhoben wird, inwieweit aus der Sicht der Beschäftigten Chancengleichheit verwirklicht ist bzw. hinsichtlich welcher Aspekte sie Handlungsbedarf sehen oder Wünsche haben (vgl. z.B. Ebner/Krell 1997 und die Praxisbeispiele Fraport und Commerzbank [von David]). Fragen zum Vorgesetztenverhalten, sei es im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen oder auch von speziellen Aufwärts- oder Vorgesetztenbeurteilungen, können zudem, ergänzend zur üblichen Abwärtsbeurteilung, Informationen darüber liefern, ob das Verhalten der Linienvorgesetzten den Solls entspricht (vgl. meinen Beitrag zu Leistungsbeurteilungen). Generell gilt: Die im Zuge der Ist-Analyse bzw. des Soll-Ist-Vergleichs ermittelten Daten müssen der Organisationsleitung, den Führungskräften, der Interessenvertretung, ggf. den Beauftragten für Frauen, Gleichstellung, Chancengleichheit o.Ä. oder auch den Diversity-ManagerInnen und zu guter Letzt allen Organisationsmitgliedern zugänglich gemacht werden. Mit der Rückkopplung der Ergebnisse von Ist-Analysen, der gemeinsamen Problemanalyse und der Erarbeitung von Aktionsplänen erfolgt bereits der Übergang zur nächsten Phase.
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3.3 Weitere Prüfschritte und Maßnahmen Wenn, und das ist zu erwarten, sich als Ergebnis der Ist-Analyse herausstellt, dass Handlungsbedarf besteht, dann sind weitere Prüfschritte und Maßnahmen erforderlich: Die Personalpolitik ist zum einen auf ihr Diskriminierungspotenzial und zum anderen auf ihr Gleichstellungspotenzial zu prüfen und entsprechend den Ergebnissen anzupassen: x Die Prüfung des Diskriminierungspotenzials zielt darauf zu eruieren, ob die in den einzelnen Gestaltungsfeldern eingesetzten Instrumente, Kriterien, Verfahren und Praktiken bewirken, dass Beschäftigte aufgrund ihres Geschlechts (oder auch anderer Merkmale) unmittelbar oder mittelbar (vgl. Schiek) diskriminiert werden. Dafür geben das Eckstein-Konzept und die Beiträge dieses Bandes zahlreiche und vielfältige Anhaltspunkte und Anregungen. x Die Prüfung des Gleichstellungspotenzials geht noch einen Schritt weiter und fragt, ob die Instrumente, Kriterien, Verfahren und Praktiken – über eine diskriminierungsfreiere Gestaltung hinaus – zu mehr Chancengleichheit beitragen können. Bereits erwähnte Beispiele dafür sind die chancengleichheits- oder diversity-orientierte Beurteilung, die Weiterbildung von Führungskräften und die Mitarbeiterbefragung/Vorgesetztenbeurteilung. Neben Mitarbeiterbefragungen können auch andere Instrumente der Internen Kommunikation (z.B. Intranet, Firmenzeitschriften) für die Realisierung der Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter genutzt werden.
3.4 Erfolgskontrolle Das Ende und zugleich den (Neu-)Anfang des Gleichstellungscontrolling-Regelkreises bildet schließlich die Erfolgskontrolle. Hier können die gleichen Instrumente und Verfahren verwendet werden wie bei der Ist-Analyse. Je nachdem, wie das Ergebnis der Erfolgskontrolle ausfällt, x kann durch erneutes Durchlaufen der dritten Phase versucht werden zu bewirken, dass die gesetzten Ziele doch noch erreicht werden, x können evtl. auch die Ziele „zurückgeschraubt“ werden x oder können für die nächste Runde anspruchsvollere Ziele in Angriff genommen werden. Abschließend möchte ich festhalten: Wenn hier von Regelkreisen und Rückkopplungsschleifen die Rede ist, dann soll damit keinesfalls der Eindruck erweckt werden, Unternehmen, Verwaltungen und andere Organisationen ließen sich steuern wie Maschinen. Weil Organisationen interessenpluralistische Gebilde sind, spielen bei Veränderungen generell und speziell bei der Realisierung von Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter immer auch individuelle und kollektive Interessen, Widerstände und Akzeptanzprobleme eine Rolle, weshalb Verständigungs- und Aushandlungsprozesse erforderlich sind (vgl. dazu auch Rastetter 2005; Jüngling/Rastetter und das Praxisbeispiel Axel
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Springer). Ein wichtiger Gegenstand ist dabei auch das Verständnis von Geschlecht und das Verhältnis von Gender und Diversity.
4. Rahmensetzend und weichenstellend: Das Verständnis von Geschlecht Was unter Geschlecht bzw. Gender verstanden wird – und damit zusammenhängend auch, wie das Verhältnis von Gender und Diversity betrachtet und bewertet wird – setzt den Rahmen und stellt die Weichen für die Formulierung und Realisierung von Strategien, die Wahl von Konzepten und die Ausgestaltung von Maßnahmen zur Realisierung der Chancengleichheit – und damit auch für deren Erfolg. Denn jede Praxis beruht auf Theorie bzw. auf Theorien im Sinne bestimmter Annahmen über Sachverhalte und Zusammenhänge (vgl. auch Knapp). Damit ist nicht gemeint, dass die Praxis immer an expliziten Theorien orientiert ist. Vielmehr kann es sich auch um sog. implizite Theorien oder Alltagstheorien handeln. In unseren Köpfen existieren Alltagstheorien über „Geschlecht“, die und deren Wirkungen auf unser Handeln uns oft gar nicht bewusst sind. Im Kontext des Organisationskulturansatzes spricht Schein (1984) von Grundüberzeugungen, die als selbstverständlich gelten, und deshalb in der Regel nicht hinterfragt werden. Diese Grundüberzeugungen sind nicht nur Grundlage unseres individuellen Denkens und Handelns, sondern auch Grundlage von Organisationskulturen als kollektiven Denk- und Handlungsmustern (vgl. dazu auch meinen Beitrag zu Diversity Management und Ortlieb/Sieben). Und diese Grundüberzeugungen sind auch Grundlage von Programmen und Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter, die ja auf einen Wandel von Organisationen bzw. Organisationskulturen zielen (s.u. 1.). Die Frage nach dem Verständnis von Geschlecht und dessen Auswirkungen ist eine Kernfrage der Geschlechterforschung bzw. der Gender Studies (vgl. dazu z.B. auch die Beiträge in von Braun/Stephan 2000; Heintz 2001; Becker/Kortendieck 2004; Krell 2005a; Bendl 2006a; 2006b). Insofern ist die Beschäftigung mit Ansätzen der Geschlechterforschung für die gleichstellungspolitische Praxis in dreierlei Hinsicht bedeutsam. Sie kann uns Aufklärung darüber verschaffen, x dass es nicht „das“ Verständnis von Geschlecht und damit auch nicht „die“ Gender„Brille“ oder -Perspektive gibt, sondern vielfältige, gegensätzliche und konkurrierende Ansätze, x an welchen impliziten Geschlechter-Theorien wir unsere gleichstellungspolitische Praxis orientieren und x ob die expliziten Theorien bzw. Ansätze, auf die wir unsere Praxis stützen, dem aktuellen Stand der Geschlechterforschung entsprechen. Im Folgenden möchte ich deshalb skizzieren, welche Antworten von der Geschlechterforschung auf die Frage nach dem Verständnis von Geschlecht gegeben werden und welche Auswirkungen diese auf die gleichstellungspolitische Praxis haben können (vgl. auch Knapp). Zugespitzt formuliert lautet die „Gretchenfrage“: Wird von Geschlechtsunterschieden oder von Geschlechterunterscheidungen ausgegangen? Das 14
heißt: Wird angenommen, es gebe typisch oder gar spezifisch „männliche“ und „weibliche“ Qualitäten, die mit bestimmten politischen bzw. ökonomischen Implikationen verbunden sind? Oder geht es darum, Prozesse der Konstruktion von Unterschieden – und die damit verbundenen Machtwirkungen – sichtbar zu machen oder auch zu dekonstruieren? Auf Geschlechterdifferenzen – wie z.B. eine „weibliche Moral“ (vgl. z.B. Gilligan 1982) – fokussieren z.B. der sog. radikal-kulturelle Feminismus und der psychoanalytische Feminismus (vgl. zusammenfassend: Innreiter-Moser 2005). Naturgegebene Geschlechtsunterschiede behaupten im aktuellen Geschlechterdiskurs Bestseller-AutorInnen wie z.B. Höhler (2000) oder Pease und Pease (2002) und berufen sich dabei auf die Hirnforschung (zur Kritik dieses neurowissenschaftlichen Begründungsstranges vgl. z.B. Maurer 2002; Schmitz 2002 und auch Sieben 2007, insbes. Kapitel 7.2). Die Intentionen und Effekte von essenzialistischen Differenzansätzen können – je nach Wertung der angenommenen Geschlechterdifferenzen – sehr unterschiedlich sein (vgl. dazu auch Krell 2003 und die Ausführungen zur Verwobenheit von Gefühls- und Geschlechterdiskursen in Krell/Weiskopf 2006): x Wenn Frauen im Vergleich zu Männern als „schlechter“ bzw. defizitär betrachtet werden, dann dienen Differenzansätze dazu, Ungleichheiten zu rechtfertigen – womit sie dann allerdings nicht mehr den Gender Studies zuzurechnen sind, die ja, bei aller Unterschiedlichkeit, eines gemeinsam haben: das Ziel der Veränderung herrschender Geschlechterverhältnisse. x Wenn Frauen im Vergleich zu Männern als „besser“ oder auch „Weiblichkeit“ als notwendige Ergänzung zu „Männlichkeit“ angesehen werden, dann werden Differenzansätze auch als Argumente pro Chancengleichheit angeführt – so z.B., wenn die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen mit deren besonderen „weiblichen (Führungs-)Qualitäten“ begründet wird. Dass und warum dies ein gleichstellungspolitisches Danaergeschenk ist, zeige ich in meinem Beitrag dazu. Gemeinsam ist beiden Varianten, dass sie zur (Re-)Produktion von Geschlechterstereotypen beitragen – auch und insbesondere im Rahmen von Gender-Trainings (dazu ausführlicher: Frey 2004 und Huesmann) oder auch von Diversity-Trainings mit Fokus auf Gender (dazu ausführlicher: Gieselmann/Krell). Die Frage Geschlechtsunterschiede oder Geschlechterunterscheidungen steht auch im Mittelpunkt der Sex-Gender-Debatte: Für das deutsche Wort „Geschlecht“ gibt es im anglo-amerikanischen Sprachraum bekanntlich zwei Begriffe: „Sex“ und „Gender“. In den 1970er und 1980er Jahren dienten diese Bezeichnungen zur Markierung einer Trennlinie. Mit „Sex“ wurde das „biologische Geschlecht“ bezeichnet, mit „Gender“ das „soziale Geschlecht“. Mittels dieser Unterscheidung sollte verdeutlicht werden, dass die Ungleichheit der Geschlechter nicht (nur) auf natürliche Ursachen zurückzuführen, sondern (auch) historisch-gesellschaftlich hervorgebracht ist – und damit auch veränderbar. Seit den 1990er Jahren wird diese Differenzierung zwischen Sex = Natur vs. Gender = Kultur jedoch massiv kritisiert (vgl. z.B. Butler 1991; Gildemeister/Wetterer 1995; Villa 2006). Die Autorinnen verweisen darauf, dass nicht nur „Gender“, sondern auch „Sex“ – und damit zugleich „Zweigeschlechtlichkeit“ (s.u.) – kulturell bzw. sozial hervorgebracht sind.
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Wie Geschlechterunterscheidungen gemacht werden, inkl. der Voraussetzungen und Auswirkungen dieser Prozesse, ist Gegenstand (de)konstruktivistischer Ansätze: Im Mittelpunkt der konstruktivistisch orientierten Forschungen zum „Doing Gender“ (West/Zimmerman 1991) steht zunächst die interaktive Konstruktion von Geschlecht. Später werden auch die Konstruktionen von Ethnie und Klasse und die damit verbundenen (Re-)Produktionen von Ungleichheit analysiert (vgl. Fenstermaker/West 2001). Dekonstruktivistische oder auch diskursanalytische Ansätze fokussieren auf Diskurse und ihre Effekte. So versteht Foucault (1981) Diskurse als Praktiken, „die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (ebd., S. 74). Daran anknüpfend arbeitet Butler (1991) heraus, wie Geschlechterunterscheidungen diskursiv „fabriziert“ werden (ebd., S. 200) und wie diese Produktionen durch Naturalisierungen normalisierend wirken, indem sie „den Effekt des Natürlichen, des Ursprünglichen und Unvermeidlichen erzeugen“ (ebd., S. 9) – und dekonstruiert sie damit zugleich. Mit den Konstrukten der Naturalisierung und der Normalisierung ist auch bereits eine wichtige Machtwirkung von Diskursen benannt (mehr dazu in meinem Beitrag „‚Vorteile eines neuen, weiblichen Führungsstils‘: Ideologiekritik und Diskursanalyse“). Geschlechterunterscheidungen werden in diesen Ansätzen aber nicht nur zwischen Frauen und Männern analysiert, sondern auch innerhalb dieser Gruppen, womit zugleich eine Vielfalt der Geschlechter markiert wird: Aus einer konstruktivistischen Perspektive spricht z.B. Connell (2000) von einer „Vielfalt an Männlichkeiten“ bzw. einem „Geschlechterverhältnis unter Männern“ (ebd., S. 97) – z.B. zwischen heterosexuellen und homosexuellen. Aus einer dekonstruktivistischen Perspektive kritisiert z.B. Butler (1991) die Annahme, Frauen hätten einheitliche und kohärente Identitäten und Interessen, weil diese Annahme kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt hinsichtlich Identitäten und Privilegien (z.B. bedingt durch Rasse oder Klasse) ausblendet. Das Verhältnis von Geschlecht, Rasse und Klasse wird seit einiger Zeit auch unter dem Etikett Intersektionalität be- und verhandelt (vgl. Knapp). Und schließlich wird, wie schon angesprochen, der Geschlechterdualismus selbst problematisiert: Die dualen bzw. binären Geschlechterkategorien werden als Stützen der Geschlechterhierarchie sichtbar gemacht (z.B. von Butler 1991). Daran anknüpfend kritisieren Gildemeister und Wetterer (1995) die „Vorstellung einer ‚Natur der Zweigeschlechtlichkeit‘“ als etwas „objektiv Gegebenes“ und arbeiten heraus, dass es sich dabei um eine soziale Konstruktion handelt, die der Herstellung sozialer Ordnung dient (ebd., S. 230). In diesem Sinne spricht auch Lorber (2003) von Gender als einer sozialen Institution, die die Gesellschaft durchgängig hierarchisch strukturiert. Demzufolge sind Unternehmen, Verwaltungen und andere Organisationen immer schon gegendert (vgl. z.B. Acker 1990; Savage/Witz 1992; Wilz 2004). Wenn wir den aktuellen Geschlechterdiskurs betrachten, dann finden wir also auf der einen Seite essenzialistische Differenzansätze, die aus einer diskursanalytischen Perspektive als (Re-)Naturalisierungen erscheinen. Auf der anderen Seite gibt es konstruktivistische und dekonstruktivistische Ansätze, die alle vermeintlichen Gewissheiten über „Frauen“, „Männer“ und „Zweigeschlechtlichkeit“ radikal in Frage stellen.
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Vor diesem Hintergrund kritisiert z.B. Wetterer (2002) GM und DiM u.a. mit dem Argument der „Re-Aktivierung tradierter zweigeschlechtlicher Denk- und Deutungsmuster“ (ebd., S. 129). Dabei geht sie allerdings davon aus, dass GM und DiM an essenzialistischen Differenzansätzen orientiert sind, was zwar der Fall sein kann, aber nicht sein muss – und auch nicht sein sollte (vgl. dazu Krell 2005b und die Grundlagenbeiträge zu den beiden Konzepten). Erfolgversprechender ist es, wenn Programme und Aktivitäten zur Geschlechtergleichstellung die Unterschiede innerhalb der Gruppen der Frauen und der Männer und die Gemeinsamkeiten zwischen Frauen und Männern berücksichtigen. Mit anderen Worten: Diversity kann als eine Komponente von Gender betrachtet werden und Gender als eine Komponente von Diversity. Aus dieser Perspektive haben denn auch GM und DiM große Schnittmengen bzw. Gemeinsamkeiten (s.u. 1. und Krell 2004). Der Unterschied besteht in der Schwerpunktsetzung und der entsprechenden Benennung der Programme. Dies ist wiederum eine politische Entscheidung (s.u. 3., vgl. auch Krell/Riegger 2005): Neben Diversity unter dem Dach GM und Gender unter dem Dach DiM gibt es auch die Variante des „Doppelnamens“ Gender & Diversity (ausführlicher dazu: Krell 2007). Unter welchem Namen auch immer: Diversity als Komponente von Gender ist von Bedeutung sowohl für die Definition und Differenzierung von Zielgruppen (z.B. für Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben; s.u. 2.3) als auch und insbesondere für die Ausgestaltung von Gender- oder Diversity-Trainings – oder auch Handbüchern dazu. Eine Orientierung an neueren Erkenntnissen der Geschlechterforschung verhindert sowohl, dass die Unterscheidung von Sex und Gender als „gesicherte Erkenntnis“ vermittelt wird als auch, dass – sei es bewusst als Lernziel oder auch unbewusst im Rahmen des sog. „heimlichen Lehrplans“ – vermittelt wird, wie unterschiedlich Frauen und Männer angeblich „sind“, sondern, dass und wie Geschlechterunterscheidungen gemacht werden und welche diskriminierenden Effekte damit verbunden sind (vgl. Gieselmann/Krell). Eine besondere Herausforderung für Programme und Maßnahmen zur Realisierung der Chancengleichheit der Geschlechter ist die Kritik, sie reproduzierten Zweigeschlechtlichkeit und damit Gender als soziale Institution (vgl. auch das Gender-Manifest von Frey u.a. 2006). Lorber (2003) spricht hier von einem „Gender-Paradox“: „Das erste und oberste Paradox von gender ist, dass die Institution, ehe sie abgebaut werden kann, erst einmal sichtbar gemacht werden muß“ (ebd., S. 52; Herv. i.O.). Daran anknüpfend gibt Frey (2003) zu bedenken, die „schematische Erhebung von Daten entlang der ‚Mann-Frau‘-Differenzierung“ im Rahmen von Gender-Analysen könne zur Verfestigung von Gender-Strukturen beitragen (ebd., S. 125). Aber zwischen Frauen und Männern differenzierende Analysen von Daten zur Verteilung von Führungspositionen, Verdiensten, Elternzeit und Teilzeit etc. oder von Ergebnissen von Mitarbeiterbefragungen sind nun einmal unabdingbare Bestandteile von Ist-Analysen. Das gilt insbesondere dann, wenn mittelbare Geschlechtsdiskriminierung sichtbar gemacht werden soll (vgl. Schiek). Darüber hinaus basieren alle rechtlichen Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter auf der Mann-Frau-Differenzierung.
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Die von Frey in Anlehnung an Lorber vorgeschlagene Lösung besteht darin, den Beteiligten in Gender-Trainings bewusst zu machen, dass es sich bei diesen Analysen um Hilfsmittel handelt, mittels derer eben jene Differenzierungen erst einmal sichtbar gemacht werden können und müssen, damit sie in einem nächsten Schritt verringert bzw. überwunden werden können. Wenn in Gender-Trainings nicht Zweigeschlechtlichkeit reproduziert werden soll, muss schließlich auch die Norm in Frage gestellt werden, diese sollten von einem Mann und einer Frau durchgeführt werden (vgl. Huesmann). Aus alledem folgt: Gleichstellungspolitisch Engagierte können nicht einfach mit der Kategorie Gender oder Geschlecht arbeiten, sondern ein Teil der erforderlichen Arbeit besteht immer auch darin, mit dieser Kategorie (bzw. Kategorisierung) verbundene vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und zu problematisieren. Das Gleiche gilt für das Verhältnis von Gender und Diversity sowie für das Verständnis von Diversity (vgl. meinen Grundlagenbeitrag zu Diversity Management). Damit – und mit der zu Beginn des Artikels dargelegten Überzeugung, dass Chancengleichheit (nicht nur) von Frauen und Männern sowohl moralisch und rechtlich geboten als auch ökonomisch vorteilhaft ist – ist zugleich der Rahmen von „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ abgesteckt. Für die Detailarbeit innerhalb dieses Rahmens bilden die in diesem Band zusammengestellten Grundlagenbeiträge und Praxisbeispiele vielfältige Anregungen und Orientierungshilfen.
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Walter A. Oechsler und Philipp Klarmann
Implikationen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) für das Personalmanagement: Wie diskriminierungsfrei sind die personalpolitischen Instrumente? 1. Grundlegendes zum AGG 2. Einfluss auf rahmensetzende Handlungsfelder im Personalmanagement 2.1 Unternehmens- und Führungsgrundsätze 2.2 Information und Schulung
3. Einfluss auf die Gestaltung des Instrumenteneinsatzes 3.1 3.2 3.3 3.4
Personalbeschaffung und -auswahl Personalbeurteilung Entgeltfindung Personalentwicklung
4. Differenzierung, Gleichbehandlung und Diversity Management
Walter A. Oechsler, Prof. Dr., Inhaber des Lehrstuhls und Seminars für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Personalwesen und Arbeitswissenschaft der Universität Mannheim. E-Mail:
[email protected] Philipp Klarmann, Dr., Rechtsanwalt und Leiter der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht in der Konzernrechtsabteilung der SAP AG, Walldorf. E-Mail:
[email protected] 23
1. Grundlegendes zum AGG Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 18.08.2006 werden vier EURichtlinien in deutsches Recht umgesetzt (vgl. Abb. 1). Die nachfolgende Betrachtung bezieht sich auf den Rechtsstand des AGG nach der ersten Änderung durch das „Zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze“ vom 2.12.2006. Richtlinie AntirassismusRichtlinie
Umsetzungsfrist
Geschütztes Merkmal
19. Juli 2003
Rasse / ethnische Herkunft
2. Dezember 2003 (wegen Alter: 2. Dezember 2006)
• Religion / Weltanschauung • Behinderung • Alter • sexuelle Identität • Geschlecht
2000/43/EG vom 29. Juni 2000
Rahmen-Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000
Revidierte Gleichbehandlungs-Richtlinie
5. Oktober 2005
2002/73/EG vom 23. September 2002 Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter
3 Jahre nach Veröffentlichung
• Geschlecht
(21. Dezember 2007)
vom 13. Dezember 2004 [Rats-Dok. 14438/04]
Anwendungsbereich • Beschäftigung und Beruf (vor allem Arbeitsrecht) • Bildung, Gesundheits- und Sozialleistungen (Schwerpunkt im öffentlichen Recht) • Zugang zu öffentlich angebotenen Gütern und Dienstleistungen (vor allem Zivilrecht) • Beschäftigung und Beruf (vor allem Arbeitsrecht)
• Beschäftigung und Beruf (vor allem Arbeitsrecht)
• Zugang zu öffentlich angebotenen Gütern und Dienstleistungen bei Massengeschäften; privat-rechtliche Versicherungen (vor allem Zivilrecht, insbesondere Privatversicherungsrecht)
Abb. 1: Umsetzung von vier EU-Richtlinien
Zunächst die wichtigsten Regelungen des AGG im Überblick: x grundsätzliches Verbot von unmittelbaren (direkten) und mittelbaren (indirekten) Benachteiligungen bzw. Diskriminierungen aufgrund in § 1 AGG definierter Diskriminierungsmerkmale, d.h. Geschlecht, Alter, Rasse und Herkunft, Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität sowie Behinderung, x Beweislasterleichterungen für Betroffene, x Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die gegen Diskriminierungsverbote verstoßen,
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x neue Organisations- und Schulungspflichten für den Arbeitgeber, insbesondere im Bereich der Mitarbeiterwerbung (Recruiting) und x Schaffung einer Antidiskriminierungsstelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Im arbeitsrechtlich relevanten Teil des AGG wird die ungleiche Behandlung von MitarbeiterInnen wegen der o.g. Merkmale untersagt bzw. die Beseitigung von Diskriminierungen gefordert. Diskriminierung im Arbeitsleben ist allgemein die ungleiche Behandlung von ArbeitnehmerInnen ohne sachlichen Grund wegen eines der Diskriminierungsmerkmale des AGG. Im Einzelnen kann dies u.a. auch in Unterschieden aus den Vorteilen begründet sein, die ArbeitnehmerInnen aus einem Arbeitsverhältnis zufließen. Beispiele für solche ungleiche Konditionen sind (vgl. Müller-Hagedorn 1993): x Einzelne Personen werden trotz gleicher Leistung schlechter gestellt wegen Zugehörigkeit zu einer Gruppe aufgrund eines Diskriminierungsmerkmals beispielsweise nach dem Geschlecht (= unmittelbare bzw. direkte Diskriminierung). x Bestimmte Konditionen kommen nur bestimmten Gruppen zu (z.B. Vollzeitbeschäftigen). Da Teilzeitbeschäftigte überwiegend Frauen sind, können diese dadurch diskriminiert werden (= mittelbare bzw. indirekte Diskriminierung; vgl. dazu auch Schiek in diesem Band). Unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sind durch das Gesetz untersagt. Sofern sich ArbeitnehmerInnen diskriminiert fühlen, können sie sich bei einer zuständigen Stelle innerbetrieblich beschweren. Dabei stellt das Gesetz klar, dass die Rechte der Arbeitnehmervertretungen gemäß Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unangetastet bleiben. Der Arbeitgeber hat der Beschwerde nachzugehen und ein Ergebnis mitzuteilen (vgl. § 13 Abs. 1 AGG). Die Beweislast, dass er nicht diskriminiert hat, liegt beim Arbeitgeber. Wichtige Rechtsfolge aus einer ungerechtfertigen Diskriminierung ist das Entschädigungs- und Schadensersatzrecht gemäß § 15 AGG. Der Gesetzgeber hat keine Vorgaben für die Schadensersatzforderungen, die u.a. gemäß Art. 8 Richtlinie 2004/113/EG „abschreckend“ wirken sollen, gemacht. Hier ist also auf die zukünftige Rechtsprechung zu achten. Nicht jede Ungleichbehandlung stellt eine Diskriminierung dar, die rechtswidrig ist. Es kann Rechtfertigungsgründe geben, welche die Diskriminierung rechtfertigen (vgl. § 5 AGG „Positive Maßnahmen“, sowie in §§ 8-10 AGG „Erlaubnistatbestände“, deren Wirksamkeit angesichts der klaren europarechtlichen Vorgaben teils strittig ist). Vor allem der Verdacht auf mittelbare Diskriminierung kann ausgeräumt werden, indem nachgewiesen wird, dass nicht das Diskriminierungsmerkmal, sondern ein anderer Sachverhalt Ursache für die Ungleichbehandlung ist. Eine zulässige Diskriminierung liegt weiterhin vor, wenn objektiv rechtfertigbare Gründe für diskriminierende Regelungen ausschlaggebend waren (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. bspw. EuGHE, Urteil vom 09.09.1999, C-281/97 m.w.N.). Diese sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anzuerkennen, wenn das gewählte Mittel einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmers dient und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist (vgl. BAG, Entsch. v. 27.06.2006, 3 AZR 352/05 (A)).
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2. Einfluss auf rahmensetzende Handlungsfelder im Personalmanagement Die Bestimmungen des AGG berühren mehrere Handlungsfelder im Personalmanagement. Zunächst ist ein Bewusstsein für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung zu schaffen. Systematisch lässt sich dies über Unternehmens- und Führungsgrundsätze (s.u. 2.1) vermitteln. Deren Einhaltung kann strukturell abgesichert werden, indem z.B. ein Beschwerdeverfahren bei Verstößen vorgesehen wird. Aus dem AGG resultiert weiterhin die Verpflichtung zur generellen Information und speziell zur Schulung der Führungskräfte (s.u. 2.2). Schließlich besteht die Hauptforderung darin, das personalpolitische Instrumentarium so zu gestalten, dass Diskriminierung möglichst verhindert wird (s.u. 3.). Diese Handlungsfelder werden im Folgenden am Ansatz des Strategischen Human-Resource-Managements ausgerichtet (vgl. zusammenfassend: Oechsler 2006, S. 27).
2.1 Unternehmens- und Führungsgrundsätze Der erste Schritt wäre eine unternehmens- und personalpolitische Verankerung. Auf der Grundlage des Strategischen Human-Resource-Managements bedeutet das eine Berücksichtigung der Gleichbehandlung als Führungsgrundsatz, dessen institutionelle Absicherung durch ein Beschwerdeverfahren und die diskriminierungsfreie Gestaltung des personalpolitischen Instrumentariums (vgl. Abb. 2). Rechtlicher Rahmen: Art. 3 GG: Gleichbehandlungsgebot Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Unternehmenspolitik: Unternehmensgrundsätze
Unternehmen Strukturbildung: Beschwerdeweg Sanktionen
Personalpolitik: Diskriminierungs-freie Instrumente
Abb. 2: Unternehmenspolitische Verankerung
Dieses Handlungsfeld stellt eine Reaktion nicht nur auf das AGG, sondern auch auf andere Entwicklungen im rechtlichen Regelungsrahmen dar. Allgemeine rechtliche Grundlage ist der Gleichheitsartikel des Grundgesetzes (Art. 3 GG), der neben dem all26
gemeinen Gleichheitssatz auch das Gleichbehandlungsgebot und das Differenzierungsverbot umfasst. Konkretisiert wird dies weiterhin durch die Umsetzung der EURichtlinie zum Gleichbehandlungsgebot, das zunächst über § 611a und 611b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), jetzt durch das AGG in deutsches Recht transformiert wurde. Dieses Rechtsbewusstsein kann über Unternehmens- und Führungsgrundsätze in das Bewusstsein der Handelnden vermittelt werden. Dazu gehört dann noch eine institutionelle Absicherung, z.B. über die Institutionalisierung eines Beschwerdeverfahrens, über das Verstöße verfolgt und sanktioniert werden. Hierbei wird insbesondere auf die Mitteilungspflicht zu achten sein, die den Arbeitgeber verpflichtet, das Ergebnis einer Beschwerdeprüfung mitzuteilen. Beispiele für bereits etablierte Verfahren sind das Beschwerdeverfahren nach § 84 BetrVG oder auch die Arbeit der Gleichstellungsstelle bzw. Gleichstellungsbeauftragten im Öffentlichen Dienst. Daneben sind auch die Landesgleichstellungsgesetze zu erwähnen. Exemplarisch sei dabei § 1 des Chancengleichheitsgesetzes Baden-Württemberg (ChancenG) erwähnt, der die Gleichstellung von Frauen, den Abbau bestehender und die Verhinderung künftiger Diskriminierungen von Frauen als gesetzgeberischen Zweck vorsieht. Eine entsprechende Regelung für die Privatwirtschaft gibt es allerdings nicht.
2.2 Information und Schulung Das AGG sieht in § 12 Abs. 1 vor, dass der Arbeitgeber erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu ergreifen hat, und dass insbesondere die Führungskräfte mit Blick auf Gleichbehandlung geschult werden sollen (vgl. dazu auch Gieselmann/Krell in diesem Band). Das Gesetz lässt ausdrücklich offen, was inhaltlich genau vermittelt werden muss und wie die Schulungen abzulaufen haben. Hinsichtlich der Didaktik gibt es daher keine Vorgaben. Es ist zu bezweifeln, dass die Rechtsprechung diese (bewusste?) Regelungslücke insoweit ausfüllen wird, dass eine klare Abgrenzung der Schulungsmethoden erfolgt. Es bietet sich an, bei der Schulungsverpflichtung auf computergestützte Methoden der Wissensvermittlung zurückzugreifen. Insbesondere bei einer Vielzahl von Beschäftigen und ausreichender Infrastruktur ist E-Learning ein geeignetes Mittel. Beim E-Learning können die MitarbeiterInnen den Schulungsinhalt am Bildschirm in einer kompakten Form erarbeiten. Die prominenten Anbieter von E-Learning Programmen haben eine Lösung für die Schulungen gemäß § 12 AGG i.d.R. im Portfolio. Hierbei kommt der Arbeitgeber seiner Schulungsverpflichtung insofern nach, als er die Teilnahme an der E-Learning-Schulung verpflichtend per Weisung bzw. in mitbestimmten Unternehmen in Absprache mit dem Betriebsrat vorschreibt. Zu beachten ist, dass E-Learning gemäß § 87 Abs.1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig sein wird, wenn es möglich ist, dass das Verhalten bzw. die Leistung der MitarbeiterInnen damit überwacht wird. Da der Arbeitgeber die Teilnahme als Verpflichtung ausgestalten wird, schon um seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen und Haftungsrisiken zu vermeiden, wird in der Regel über die Überwachung der Teilnahme eine solche Möglichkeit bestehen. Von einem abschließenden Wissenstest ist in der 27
Regel abzuraten, um nicht gerichtsfest Wissenslücken zu dokumentieren, es sei denn, der Arbeitgeber fordert eine Bestehensquote von 100 Prozent.
3. Einfluss auf die Gestaltung des Instrumenteneinsatzes Das bisherige Vorgehen zielte darauf ab, zunächst eine Verankerung in den Köpfen zu erreichen. Wer aber vorsätzlich diskriminieren möchte, muss auf personalpolitische Instrumente treffen, die dies möglichst verhindern. Wer diskriminieren will, wird dies nämlich nicht offen machen, sondern hinter Instrumenten bzw. Verfahren verstecken. Deshalb gilt es, die wesentlichen personalpolitischen Instrumente (vgl. Abb. 3) darauf zu überprüfen, ob sie anfällig für unmittelbare und/oder mittelbare Diskriminierung sind.
Entgeltfindung
Personalauswahl
Leistungsprozesse
Personalbeurteilung
Personalentwicklung
Abb. 3: Personalpolitische Instrumente
Tendenziell kann das Diskriminierungspotenzial personalpolitischer Instrumente gesenkt werden, wenn z.B. die Kriterien der Personalauswahl und -beurteilung an objektiven Sachverhalten der Leistungsprozesse ansetzen und nicht an subjektiven, abstrakten und interpretierbaren Kriterien. Dies wird im Folgenden für die einzelnen Instrumente dargestellt.
3.1 Personalbeschaffung und -auswahl Im Rahmen der Personalauswahl bestand schon seit der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Gleichbehandlungsgebot ein Diskriminierungsverbot: Nach § 611a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer „bei einer Vereinbarung oder bei einer Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, (…) nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen“. Im § 611b BGB ist das Gebot zu geschlechtsneutraler Stellenausschreibung verankert. Diese Vorschriften sind jetzt in das AGG eingeflossen.
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Bei der Personalauswahl wird die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers insofern beschränkt, als ein Bewerber oder eine Bewerberin bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Geschlechts benachteiligt werden darf. Eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung ist nur dann zulässig, wenn dies an der Art der von der Person auszuübenden Tätigkeit anknüpft und ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für das Ausüben der Tätigkeit ist (z.B. Mannequin oder Dressman). Beispiele für unmittelbare Diskriminierung im Auswahlprozess sind dagegen (vgl. Kay in diesem Band): x Quotenvorgaben: 60% der einzustellenden Auszubildenden sollen männlich, 40% weiblich sein. x Geschlechtsspezifische Kriterien: Bei der Vorauswahl der Auszubildenden werden für männliche und weibliche unterschiedliche Noten herangezogen. Für die diskriminierungsfreie Gestaltung des Prozesses der Personalauswahl sollten folgende Punkte beachtet werden (ausführlicher dazu Kay in diesem Band): 1. geschlechtsneutrale Stellenausschreibung als Ausgangspunkt; 2. Durchführung einer Arbeitsanalyse: Dadurch sollen die für die Tätigkeit wichtigen aufgabenorientierten Merkmale ermittelt werden. Mögliche Instrumentarien könnten der Fragebogen zur Tätigkeitsanalyse oder das Tätigkeits-AnalyseInventar sein (vgl. Oechsler 2006, S. 397ff). Dadurch ergibt sich ein der Tätigkeit und den Aufgaben im Leistungsprozess entsprechendes Anforderungsprofil statt willkürlich geforderter Anforderungen, die subjektiv interpretierbar sind und dadurch diskriminierend wirken können; 3. Stellen nicht nur intern, sondern auch extern ausschreiben (bei nur interner Ausschreibung könnten sich die Proportionen der Geschlechter verfestigen); 4. Stellenausschreibungen in solchen Medien platzieren, bei denen keine geschlechterspezifische Verzerrung im Leserkreis vorliegt; 5. bei der Vorauswahl die Analyse auf tätigkeitsrelevante Anforderungen beschränken: Dies bedeutet Verzicht auf Auswertung nicht tätigkeitsrelevanter biographischer Daten; weiterhin Verzicht auf Einholen von Bewerbungsfotos; 6. Schulung von InterviewerInnen in möglichst standardisierten Interviews; 7. Dokumentation der Auswahlkriterien und Ergebnisse zur Nachprüfbarkeit. Absagen sollten möglichst neutral formuliert werden, um diskriminierendes Verhalten bei der Entscheidungsfindung zu erschweren. Der bzw. die Absagende wird mit dieser Verpflichtung indirekt darauf hingewiesen, dass er bzw. sie keine Kriterien zur Begründung anwenden soll, die diskriminierend sind. Die neutrale Formulierung bietet aber auch die Gewähr, dass keine dokumentierten Anhaltspunkte für ein diskriminierendes Auswahlverfahren erkennbar sind.
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3.2 Personalbeurteilung Der Personalbeurteilung kommt eine Schlüsselfunktion im personalpolitischen Instrumentenkreislauf zu, da von ihr sowohl Entscheidungen über die Entgelthöhe als auch über die Personalentwicklung abhängen können. Mit Blick auf Diskriminierung haben die zur Verfügung stehenden Beurteilungsverfahren Stärken und Schwächen (dazu ausführlicher: Kühne/Oechsler 2004; Oechsler 2006, S. 417ff; Krell in diesem Band). Verfahren der freien Eindruckschilderung in Form von Kurzgutachten sind wenig geeignet, Diskriminierungen vorzubeugen, da die Beurteilungskriterien und deren Gewichtung subjektivem Ermessen unterliegen und damit für Geschlechterstereotype offen sind. Auch Einstufungs- sowie Rangordnungsverfahren, bei denen eine Notenzuordnung anhand von Persönlichkeits- oder Verhaltensmerkmalen erfolgt, sind für eine diskriminierungsfreie Beurteilung ungeeignet. Abstrakte Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen müssen auf reale Leistungsprozesse transformiert werden, was Spielraum für Eigeninterpretationen und Diskriminierungen bietet. Anhand des Fallbeispiels der Landeshauptstadt München lässt sich belegen, dass abstrakte „männliche“ Beurteilungsmerkmale (z.B. Durchsetzungsfähigkeit) und entsprechende Verhaltensbeschreibungen ihren Beitrag dazu leisten, dass Frauen bei der Beurteilung diskriminiert werden. So wird z.B. die Beschreibungshilfe „hervorragend“ charakterisiert durch: „Er besitzt Autorität. Er hat einen souveränen Überblick und einen ausgeprägten Sinn für das Wesentliche“ oder „Er besitzt nicht nur Willen und Mut zu jeder Verantwortungsübernahme, sondern hat auch ein sicheres Gefühl für Verantwortung“ (Schreyögg in diesem Band). Durch solche Normierungen wird die Beurteilung auf das „männliche Handlungssystem“ gelenkt, was bei diesem Fallbeispiel eine diskriminierende Wirkung bei der Beurteilung von Frauen hatte. Derartigen Effekten kann durch Beurteilungsverfahren entgegengewirkt werden, die direkt am Leistungsprozess ansetzen. Grundsätzlich besser zur Vorbeugung gegen Diskriminierung sind Verfahren geeignet, die sich auf kritische Ereignisse der Leistungsprozesse beziehen (ausführlicher zu critical incidents: Oechsler 2006, S. 422ff). Beispielsweise könnte dies aus der Herausarbeitung erfolgskritischer Ziele, Resultate und Tätigkeitsinhalte bestehen. Dies hat den Vorteil, dass der Leistungsprozess hinsichtlich seiner erfolgskritischen Inhalte in Form von critical performance indicators analysiert wird und damit der Aufgabenvollzug im Vordergrund steht. In einem Projekt der Bertelsmann-Stiftung wurde dieses Verfahren für die Kommunalverwaltung angewandt (vgl. Adamaschek/Oechsler 2001): Im Einwohnermeldeamt ist die Richtigkeit und Aktualität des Einwohnermelderegisters der kritische Erfolgsfaktor. Ein solcher harter Faktor ist bei der Beurteilung nicht diskriminierungszugänglich. Solche methodisch aufwendigen Verfahren werden in der Praxis in der Regel nicht angewandt, sondern man verlegt sich auf die leicht zu handhabenden eigenschaftsorientierten Einstufungsverfahren. Diese Verfahren sind allerdings die methodisch schlechtesten, da eigenschaftsorientierte Merkmale willkürlich beurteilt werden können und Validitätsprobleme entstehen, wenn abstrakte Eigenschaften beurteilt werden sollen.
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Eigenschaftsorientierte Einstufungsverfahren dominieren allerdings in der Praxis und stellen damit ein gigantisches Diskriminierungspotenzial dar. Bei der Personalbeurteilung sollten deshalb Verfahren zum Einsatz kommen, die sich: x auf nachvollziehbare Leistungsprozesse beziehen, x erfolgskritische Tätigkeitsinhalte darstellen, x argumentations- und diskussionszugänglich sind, x vorwiegend zu den Methoden der kritischen Ereignisse zählen oder x aus Zielvereinbarungssystemen bestehen. Die Leistungsbeurteilung beinhaltet neben der Frauendiskriminierung noch weiteres Diskriminierungspotenzial, wie z.B. mit Blick auf die Beurteilung leistungsgeminderter oder älterer MitarbeiterInnen.
3.3 Entgeltfindung Wenn es um die Gestaltung des Entgeltsystems geht, können die in Abb. 4 (auf der folgenden Seite) dargestellten Formen der Entgeltdiskriminierung unterschieden werden. Bei der Entgeltfindung ist zu beachten, ob sich durch dringende betriebliche Erfordernisse Ungleichbehandlung rechtfertigen lässt. Als Beispiel dient der Rechtsstreit eines Warenhauskonzerns, der in unterschiedlichen Filialen verschiedene Anteile von Teilzeitarbeitskräften beschäftigt hat. Mit Blick auf die Ergebnisse der Warenhäuser wurde festgestellt, dass die Ergebnisse umso schlechter lagen, je höher der Teilzeitanteil war. Der Warenhauskonzern hat dann einen Arbeitgeberzuschuss zur Altersrente nur an Vollzeitbeschäftigte gegeben. Dies führte mittelbar zu einer Diskriminierung von Frauen, da diese vor allem in Teilzeitarbeitsverhältnissen beschäftigt waren (vgl. MüllerHagedorn 1993, S. 534ff). Als sachliche Differenzierungsgründe für die unterschiedliche Behandlung einzelner Arbeitnehmergruppen könnten beispielsweise folgende Merkmale in Betracht kommen: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Schwerbehinderteneigenschaft, Familienstand, Umfang der Arbeitszeit, berufliche Qualifikation, Aufgabenstellung im Betrieb, Arbeitsleistung, Bestand des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag, Zugehörigkeit zu einem stillgelegten Betrieb. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, bezüglich bestimmter Arbeitsbedingungen allgemeine Regeln aufzustellen. Er kann vielmehr auch Leistungen (z.B. Gratifikationen) nach individuellen Gesichtspunkten gewähren. Entschließt er sich jedoch, bei bestimmten Arbeitsbedingungen nach allgemeinen Regeln zu verfahren, so hat er den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Dies gilt ebenso bei der Bildung von Arbeitnehmergruppen. Eine Gruppenbildung allein nach geschlechtsspezifischen Merkmalen ist ihm ebenfalls untersagt. Diese Diskriminierungsprobleme beziehen sich auf die Definition von Bezugsberechtigten in einem Entgeltsystem (vgl. dazu auch Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band).
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Weitere Diskriminierungsprobleme treten bei den angewandten Verfahren zur Ermittlung einzelner Entgeltkomponenten auf.
Vereinbarung oder Maßnahme, die eine Person oder Gruppe von Entgeltbestandteilen ausschließt
Entgelt unmittelbar vom Geschlecht abhängig
Begrifflich gleichbehandelnde Regelung oder Maßnahme
Ausschließlich ein Geschlecht betroffen
Beide Geschlechter betroffen, aber: größere faktische Betroffenheit für ein Geschlecht
Geschlechtsspezifische Gründe der benachteiligenden Auswirkung (Kausalität) Unmittelbare oder direkte Diskriminierung wegen des Geschlechts
Verdeckte Diskriminierung wegen des Geschlechts
Andere Gründe der benachteiligenden Auswirkung (Alternativhypothesen)
Mittelbare oder indirekte Diskriminierung wegen des Geschlechts
Keine Diskriminierung wegen des Geschlechts
Möglicherweise Diskriminierung nach Religion, Rasse oder anderen Kriterien Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch dringende betriebliche Erfordernisse
Abb. 4: Möglichkeiten der Entgeltdiskriminierung (nach Müller-Hagedorn 1993, S. 531)
Das Entgeltsystem sieht in der Regel verschiedene Komponenten vor: x Zusatzleistungen: freiwillige Leistungen (vgl. dazu Blaufus/Ortlieb in diesem Band), x Erfolgsbeteiligung: Beteiligung anhand einer Erfolgsgröße,
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x Leistungszulage: leistungsbezogene Differenzierung durch Leistungsbeurteilungsverfahren (s. 3.2) und x Grundentgelt: anforderungsbezogene Differenzierung durch Arbeitsbewertungsverfahren. Wichtigstes personalwirtschaftliches Instrument bei der Entgeltfindung sind Arbeitsbewertungsverfahren (dazu ausführlicher: Krell/Winter in diesem Band). Mit Arbeitsbewertungsverfahren werden Stellen hinsichtlich ihres Anforderungscharakters bewertet. Am Ende dieses Prozesses stehen Stellenwerte, die ansteigenden Anforderungscharakter repräsentieren und denen entsprechend ansteigende Eurowerte als Grundentgelt zugeordnet werden. Die Arbeitsbewertungsverfahren waren lange Einfallstor für Entgeltdiskriminierung, vor allem durch die sog. Leichtlohngruppen. Das Prinzip war relativ einfach (vgl. Jochmann-Döll 1990): Bei den unteren Lohngruppen gewerblicher Arbeit hat man vor allem mit Blick auf das Anforderungsmerkmal körperliche Arbeit eine noch niedrigere Lohngruppe geschaffen, die sog. Leichtlohngruppe für Frauen, da davon ausgegangen wurde, Frauenarbeit sei generell körperlich leichtere Arbeit. Damit wurde Frauenarbeit systematisch von Männerarbeit differenziert und diskriminiert. Dies ist inzwischen nicht mehr möglich, aber dennoch lässt sich je nach Ausgestaltung des Arbeitsbewertungsverfahrens, z.B. durch die Gewichtung körperlicher Arbeit, ein Diskriminierungseffekt bei Frauen erreichen. Es gibt inzwischen aber auch Beispiele für „diskriminierungsfrei(er)e Arbeitsbewertungsverfahren“, die psycho-soziale, kommunikative und emotionale Anforderungen beinhalten (Jochmann-Döll 2005, S. 198; vgl. auch Krell/Winter in diesem Band). Der EuGH hatte festgelegt: „dass es eine Form der durch die Richtlinie verbotenen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn bei der Feststellung, inwieweit eine Arbeit beanspruchend oder belastend ist oder schwer ist, von Werten ausgegangen wird, die der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer nur des einen Geschlechts entspricht“ (zit.n. Jochmann-Döll 1990, S. 175ff). Damit wurde das Prinzip „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ bzw. das Verbot der mittelbaren Entgeltdiskriminierung eingeführt. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass aus der langjährigen Praxis von Stellenbeschreibung und Arbeitsbewertung frauenspezifische Arbeitsmarktsegmente mit nachhaltigen Entgeltbenachteiligungen für Frauen (z.B. Verkäuferinnen, Sekretärinnen) entstanden sind. Dies wird durch die nachfolgend vorgestellten Studien belegt. Die Arbeitsbewertung für Sekretariatsstellen z.B. führt zu relativ niedrigen Einkommensgruppen. Dadurch entsteht ein geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt, nämlich ein niedrig bezahlter Markt für Sekretärinnen. Die langfristige Folge solcher Prozesse ist die berufliche Segregation mit nachteiligen Auswirkungen auf die Einkommenshöhe von Frauen (vgl. Abb. 5 auf der folgenden Seite).
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Berufsgruppe
GeschäftsführerInnen, FilialleiterInnen ChemikerInnen, ChemieingenieurInnen Leitende Verwaltungsfachleute UnternehmensberaterInnen, OrganisatorInnen ElektroingenieurInnen SekretärInnen KassiererInnen VerkäuferInnen TelefonistInnen
Verdienste Männer 2001
Verdienste Frauen 2001
Frauenanteil 1997 in %
in Euro 5.765
Rangplatz 1
in Euro 3.939
Rangplatz 3
20
5.079
2
3.849
-
19
5.027
3
3.616
-
40
4.931
-
4.050
1
25
4.672 3.517 2.604 2.602 1.972
drittletzter vorletzter letzter
4.005 2.916 1.956 1.764 2.134
2 vorletzter letzter drittletzter
4 97 91 79 84
Abb. 5: Berufliche Segregation und Entgeltdifferenzen (Jochmann-Döll 2005, S. 193)
Anhand der Daten aus dieser Tabelle lassen sich folgende Beobachtungen machen: x Die Berufe mit den geringsten Einkommen sind sowohl für Frauen als auch für Männer die Berufe des Kassierers/der Kassiererin, des Verkäufers/der Verkäuferin und des Telefonisten/der Telefonistin. Der Frauenanteil dieser Berufe liegt zwischen 79% und 91%. x Die Berufe mit den höchsten Einkommen unterscheiden sich für Männer und Frauen, nur der Beruf des Geschäftsführers/der Geschäftsführerin oder des Filialleiters/der Filialleiterin gehört für Männer wie für Frauen zur Spitzengruppe. Der Frauenanteil der bei Männern am besten bezahlten Berufe liegt zwischen 19% und 40%. Der Frauenanteil der bei Frauen am besten bezahlten Berufe liegt zwischen 4% und 40%. x Die höchsten Einkommen erzielen Frauen als Unternehmensberaterinnen oder Organisatorinnen. Ihr Einkommen liegt hier jedoch immer noch knapp 900 € unter dem von männlichen Unternehmensberatern oder Organisatoren. Im Vergleich zum bestbezahlten Beruf von Männern verdienen Frauen in ihrem „Top-Beruf“ mehr als 1.700 € weniger. x Mit Ausnahme der Telefonistinnen verdienen Frauen in allen Berufen weniger als ihre männlichen Berufskollegen. Diese Befunde belegen, dass Frauen in Sektoren und Berufen arbeiten, die gering vergütet werden. In der Literatur wird hierzu durchaus kritisch vermerkt, dass es eine „Managementstrategie“ ist, niedrig bewertete und damit niedrig bezahlte frauenspezifische Arbeitsmarktsegmente zu schaffen, die dann nachhaltige Auswirkungen auf die Einkommens- und Statusentwicklung haben. Dies wird auch durch empirische Befunde belegt (vgl. Achatz/Gartner/Glück 2004; Ridgeway 2001). Eine Langzeitstudie des IAB zur Einkom34
mensentwicklung von Männern und Frauen hat ergeben, dass Frauen im gleichen Zeitraum systematisch weniger Entgelt bekamen als Männer (Dieckmann/Engelhardt/ Hartmann 1993). Erstaunlich war dabei, dass dies trotz objektiver Entwicklungsnachteile für die Männer, nämlich durch Wehr- und Zivildienst, der Fall war (vgl. auch Engelbrech 1991). Die geschlechtsspezifische Ausgestaltung von Ausbildungsstellen- und Arbeitsmärkten wurde auch in weiteren Studien belegt (vgl. Achatz/Gartner/Glück 2004). Daraus resultieren beträchtliche Einkommens- und Statusunterschiede bei jungen Männern und Frauen, die sich im weiteren Erwerbsleben verschärfen. In einer weiteren Studie auf Grundlage des Mikrozensus von 1985 ergab sich – nachdem die damals noch relevanten Unterschiede in der Humankapitalausstattung (bedingt durch den Einfluss der Eltern, antrainiertes Rollenverständnis u.a. tendierten Frauen dazu, weniger in ihre Ausbildung und damit in ihr Humankapital zu investieren) bereinigt waren – ein Einkommensdiskriminierungseffekt von Frauen. Dieser Effekt war erheblich größer als der ebenfalls erhobene Effekt der Diskriminierung nach Nationalität (vgl. Diekmann/Engelhardt/ Hartmann 1993). Auch eine neue Studie des IAB ergab, dass Frauen 28% weniger verdienen als Männer und dieser Lohnunterschied nur teilweise (ca. 8-10%) auf Humankapitaldifferenzen zurückzuführen. Dabei zeigten sich folgende Tendenzen: x Der Lohn sinkt mit zunehmendem Frauenanteil in den Berufsgruppen, was auf frauenspezifische Arbeitsmarktsegmente schließen lässt (statusniedrigere Einkommensgruppen). x Das deutsche System der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen kommt Frauen zugute: Weniger bei Tarifverträgen, aber besonders in Betriebsvereinbarungen ist ein leichter Lohnvorteil von Frauen festzustellen. Betriebsräte scheinen eine Strategie der übertariflichen Lohnvereinbarungen für frauenspezifische Arbeitsmarktsegmente zu verfolgen (vgl. Möller/Allmendinger 2003). Diese Befunde belegen, dass sich im Bereich der Entgeltfindung über die angewandten Verfahren gesellschaftliche Trends verfestigen, die einkommensdiskriminierende Effekte für Frauen haben.
3.4 Personalentwicklung Bei der Personalentwicklung gelten die Probleme bei der Wahl der Bezugsgruppen, die wir bei der Entgeltfindung genannt haben, entsprechend. Es geht dabei um die Frage, wer in den Genuss von Weiterbildungsmaßnahmen (ausführlicher dazu: Ebner/Bausbacher in diesem Band) oder einer Beförderung kommt. Als instrumentelles Problem bei der Personalentwicklung wird auch die Orientierung an männlichen Führungsbildern gesehen. Da Frauen in Führungspositionen nach wie vor sehr selten sind, hat dies zur Folge, dass die meist männlichen Personalbeurteiler mehr oder weniger darauf angewiesen sind, ihre Personalbewertungen an männlichen Führungsbildern zu orientieren (vgl. Küpper 1994): In diesem Zusammenhang wurden z.B. Assessment Center zur Personalentwicklung mit Blick auf mögliche Diskriminierungsfaktoren analysiert. Bei diesen Assessment Centern wird von männlichen Führungsidea-
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len ausgegangen. Daher wird nicht erkannt, dass Frauen mit Situationen und Verhaltensweisen anders umgehen als Männer. So fällt z.B. auf, dass sie Dominanz- und Konkurrenzspiele seltener mitspielen, eher nachfragen als angreifen, Verständnis für andere Interessen zeigen und versuchen, zu gemeinsamen Problemlösungserwägungen überzugehen. Dies passt dann nicht zu dem von Durchsetzungs- und Konfliktfähigkeit gekennzeichneten männlichen Führungsideal, für das es zwar keine empirische Fundierung gibt, die aber mit entsprechenden Anforderungsprofilen ausgestattet und mit entsprechenden Laborexperimenten abgetestet werden. Weiterhin wird bei Assessment Centern vor allem von Männern beurteilt, die divergierendes Kommunikations- und Sprachverhalten nicht entsprechend würdigen. Für eine diskriminierungsfreie Personalentwicklung sollten insofern z.B. folgende Punkte berücksichtigt werden: x Dokumentation der Entscheidungsgründe für eine Beförderung bzw. für die Ermöglichung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, x Einrichtung eines systematischen Weiterbildungs- und Beförderungsmanagements, x Sensibilisierung/Schulung von Führungskräften hinsichtlich des Führens diskriminierungsfreier Beurteilungsgespräche (siehe dazu auch 3.2) bzw. der Durchführung von Potenzialanalysen und x Überprüfung der Instrumente der Potenzialanalyse bezüglich stereotyper Beurteilungskriterien.
4. Differenzierung, Gleichbehandlung und Diversity Management Grundlegendes Prinzip einer Leistungsgesellschaft ist die Differenzierung. MitarbeiterInnen werden hinsichtlich der Eignung für bestimmte Tätigkeiten, der Leistung und auch ihres Potenzials und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten differenziert. Für diese alltäglichen Differenzierungsentscheidungen wurde mit dem AGG ein rechtlicher Rahmen geschaffen, durch den eine sachfremde Differenzierung nach Geschlecht und anderen Merkmalen unterbunden werden soll. Die dargestellten personalpolitischen Handlungsfelder und die instrumentellen Empfehlungen sollen der Personalpraxis eine Handlungsgrundlage bereitstellen, um der neuen Rechtslage zu entsprechen. Ziel der Personalpolitik sollte aber nicht nur eine rechtliche Entsprechung sein, sondern darüber hinaus, die Chancen zu nutzen, die ein Diversity Management bietet. Diversity Management stellt auf die Vielfalt in Unternehmen ab, wobei die positiven Effekte personeller Vielfalt genutzt und verstärkt, sowie die aus Heterogenität resultierenden Vorurteile und Konflikte abzubauen versucht werden. Diversity wird dabei als besondere Chance begriffen, da in der Vielfalt von Humanressourcen, Kooperationen und Märkten Wettbewerbsvorteile liegen, die im Rahmen der Personalbeschaffung, Bedienung heterogener Kundengruppen und durch ein positives Gleichbehandlungsimage ausgeschöpft werden können (vgl. Vedder 2005, S. 239 und Krell in diesem Band).
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Literatur Achatz, Juliane/Gartner, Hermann/Glück, Timea (2004): Bonus oder Bias? Mechanismen geschlechtsspezifischer Entlohnung, IAB-Discussion Paper, No. 2, 2004. Adamaschek, Bernd/Oechsler, Walter A. (2001): Leistungsabhängige Bezahlung im öffentlichen Dienst, Gütersloh. Diekmann, Andreas/Engelhardt, Henriette/Hartmann, Peter (1993): Einkommensungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland: Diskriminierung von Frauen und Ausländern, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 26. Jg., Heft 3, S. 386–398. Engelbrech, Gerhard (1991): Berufsausbildung, Berufseinstieg und Berufsverlauf von Frauen, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 24. Jg., Heft 3, S. 531-558. Jochmann-Döll, Andrea (1990): Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Ausländische und deutsche Konzepte und Erfahrungen, München/Mering. Jochmann-Döll, Andrea (2005): Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. (K)ein Thema für die Betriebswirtschaftslehre, in: Krell, Gertraude (Hg.): Betriebswirtschaftslehre und Gender Studies: Analysen aus Organisation, Personal, Marketing und Controlling, Wiesbaden, S. 185-204. Kühne, Doris/Oechsler, Walter A. (2004): Diskriminierungsfreie Beurteilung von Mitarbeiterinnen, in: Krell, Gertraude (Hg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, Wiesbaden, 4. Aufl., S.183-196. Küpper, Gunhild (1994): Personalentwicklung für weibliche Führungskräfte, in: Zeitschrift für Personalforschung, 8. Jg., Heft 2, S. 107-123. Möller, Iris/Allmendinger, Jutta (2003): Frauenförderung: Betriebe könnten noch mehr für die Chancengleichheit tun, in: IAB-Kurzbericht, Heft 12, S. 1-5. Müller-Hagedorn, Lothar (1993): Zur Feststellung von diskriminierenden Entgeltformen, in: Die Betriebswirtschaft, 53. Jg., Heft 4, S. 529-543. Oechsler, Walter A. (2006): Personal und Arbeit, Grundlagen des Human Resource Management und der Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen, 8. Aufl., München/ Wien. Ridgeway, Cecilia L. (2001): Interaktion und die Hartnäckigkeit der GeschlechterUngleichheit in der Arbeitswelt, in: Heintz, Bettina (Hg.): Geschlechtersoziologie, Sonderheft 41 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 250275. Vedder, Günther (2005): Menschen mit Familienpflichten als Zielgruppe des Diversity Management, in: Krell, Gertraude (Hg.): Betriebswirtschaftslehre und Gender Studies, Analysen aus Organisation, Personal, Marketing und Controlling Wiesbaden, S. 239-246.
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Urteile EuGHE, Urteil vom 9.9.1999, C-281/97. BAG, Entscheidung vom 27.6.2006, BAZR 352/05 (A).
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Dagmar Schiek
Was Personalverantwortliche über das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung wissen sollten 1. Einleitung 2. Rechtsgrundlagen 2.1 Recht der Europäischen Union 2.2 Nationales Recht 2.3 Verhältnis der Rechtsquellen zueinander
3. Inhalt 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Entwicklung Neutrale Regelung und benachteiligende Wirkung Objektive Rechtfertigung Beweislast Beschränkungen der Wirkung des Verbots der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung
4. Rechtsfolgen bei unzulässiger Benachteiligung 5. Praktische Beispiele 5.1 5.2 5.3 5.4
Entgelt bei Teilzeitbeschäftigung Entgelt und Dauer der Betriebszugehörigkeit Personalauswahl: Einstellungs- und Beförderungsbedingungen Objektive Rechtfertigung – insbes. budgetbezogene Argumente
6. Ausblick Literatur Entscheidungen des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts Dagmar Schiek, Dr. jur., Jean-Monnet-Professorin für Europäisches Wirtschaftsrecht, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. E-Mail:
[email protected] Fortführung des Beitrags von Ninon Colneric (Prof. Dr., ehem. Richterin am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) und Regine Winter (Dr. jur., Richterin am Arbeitsgericht, ehem. Referentin am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) aus der 3. Auflage.
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1. Einleitung Als die Personalverantwortlichen des US-amerikanischen Konzerns Duke Power Co in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem gesetzlichen Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse konfrontiert waren, mussten sie auch die Anforderung „whites only“ fallen lassen, die zuvor bei der Besetzung bestimmter Stellen galt. Stattdessen forderten sie von Bewerberinnen und Bewerbern auf eine Position, die vorher nur Weißen zugänglich war, dass diese entweder einen High School Abschluss vorwiesen oder aber bei einem „Ability Test“ bestimmte Mindestwerte erzielten. Aufgrund der Bildungssegregation erfüllten die meisten schwarzen Bewerberinnen und Bewerber diese Anforderung nicht. Einige von ihnen klagten wegen Verletzung des Diskriminierungsverbotes und hoben insbesondere hervor, dass für die ausgeschriebene Stelle das geforderte Ausbildungsniveau gar nicht notwendig war. Der US Supreme Court erkannte, dass es sich tatsächlich um Diskriminierung handelte, und zwar um mittelbare Diskriminierung. Vorsitzender Richter Berger begründete die Position der Mehrheit: „Das Ziel, das der Kongress bei der Verabschiedung der (Antidiskriminierungsgesetzgebung) verfolgte (...), war es, gleiche Beschäftigungschancen zu erreichen und die Hürden zu entfernen, die in der Vergangenheit zugunsten bestimmter Gruppen weißer Arbeitnehmer wirkten. Nach dem Gesetz dürfen Praktiken, Verfahren oder Tests nicht aufrechterhalten werden, die zwar vom Erscheinungsbild und sogar von ihrer Intention her neutral sind, sofern sie faktisch den ‚Status quo‘ der bisherigen diskriminierenden Einstellungspolitiken verstetigen. (...) Der Kongress beabsichtigte jedoch nicht, jeder Person unabhängig von ihrer Qualifikation einen Job zu garantieren. (...) Was vom Kongress verlangt wird, ist die Entfernung künstlicher, willkürlicher und unnötiger Hürden vor einer Einstellung, wenn diese Hürden gemein wirken, um auf der Basis von Rasse und anderen Merkmalen zu diskriminieren. (...) Das Gesetz verbietet nicht nur offene Diskriminierung, sondern auch Praktiken, die der Form nach fair sind, aber diskriminierend wirken. Der Prüfstein (für die Zulässigkeit diskriminierend wirkender Praktiken, DS), ist die wirtschaftliche Erforderlichkeit“ (Griggs v Duke Power Co 401 US 424 (1971) 3 FED 75, eigene Übersetzung). Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wird meist auf diese Entscheidung zurückgeführt (z.B. Steiner 1999, S. 221ff, Tobler 2005, S. 93ff). Es zielt nicht nur auf die Entlarvung verdeckter Diskriminierungen, sondern darüber hinaus darauf, Verfahrensweisen oder Kriterien, die ausgrenzend wirken, daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich rational begründbar sind. Im Rahmen der Umsetzung von Gleichheitsrecht initiiert das Verbot der mittelbaren Diskriminierung somit auch eine Effizienzkontrolle personalpolitischer Instrumente. Scheinbar geschlechtsneutrale Verfahren, Kriterien und Praktiken, die ausgrenzend wirken, ohne wirklich rational begründbar zu sein, gibt es auch gegenüber Frauen. Deswegen ist die mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts durch eine Reihe von Rechtsvorschriften verboten. Das Verbot erstreckt sich nicht nur auf alle Vergütungen, die aufgrund eines Arbeits- oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhält-
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nisses gezahlt werden, sondern auch auf den Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg, die Arbeits- und die Entlassungsbedingungen. In Europa betrafen die meisten Rechtsstreitigkeiten wegen mittelbarer Geschlechtsdiskriminierung bislang das Entgelt von Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten. In jüngerer Zeit gewinnt das Verbot einen umfassenderen Anwendungsbereich. So werden in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Beispiel Kriterien der Auswahl zur Beförderung (EuGH Gerster) und der Sozialauswahl bei Kündigungen (EuGH Kachelmann) sowie die Anforderungen beim Zugang zur Altersteilzeit (EuGH Steinicke) und der Bedeutung der Betriebszugehörigkeit bei Vergütungsregelungen (EuGH Cadman) überprüft. Aufgrund zweier EU Richtlinien aus dem Jahre 2000, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, siehe dazu Nollert-Borasio/Perreng 2006 und Schiek 2007) in deutsches Recht umgesetzt wurden, gilt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung außer bei Geschlechtsdiskriminierung auch bei Diskriminierung aus Gründen der „Rasse“ und wegen der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Verstöße gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung können erhebliche Kosten verursachen. Insbesondere bei Entgeltdiskriminierung, zu der auch die Benachteiligung bei der betrieblichen Altersversorgung gehört, sind unter Umständen rückwirkend Forderungen zu erfüllen, die sich zu einem sehr hohen Gesamtbetrag summieren, weil über einen langen Zeitraum größere Teile der Belegschaft betroffen waren. Die Deutsche Post AG errechnete in einem Fall, in dem es um den unberechtigten Ausschluss unterhälftig beschäftigter Teilzeitkräfte aus der betrieblichen Zusatzversorgung ging, eine zusätzliche Kostenbelastung in der Größenordnung von damals etwa 1 Mrd. DM. Das Bundesarbeitsgericht (BAG 3 AZR 430/96) zeigte sich unbeeindruckt, ebenso der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH Schröder). Aber nicht nur die möglichen negativen Konsequenzen einer Missachtung des Verbotes der mittelbaren Diskriminierung sollten Personalverantwortliche veranlassen, sich mit seinen Anforderungen vertraut zu machen. Mit der Öffnung aller Funktionen und Hierarchiestufen auch für Bewerberinnen geht schließlich die Chance einher, aus einem größeren Bewerberpool die Qualifiziertesten auszuwählen und durch rationale und gerechte Kriterien für den beruflichen Aufstieg die richtigen Leistungsanreize zu setzen. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zwingt nicht nur dazu, die Effizienz vorhandener personalpolitischer Instrumente zu überprüfen. Seine konsequente Anwendung trägt auch dazu bei, dass Unternehmen die Vorteile einer vielfältigen und integrierten Belegschaft auf den globaler werdenden Märkten nutzen können (vgl. dazu auch den Beitrag von Krell zu Diversity Management in diesem Band). Es folgen zunächst ein knapper Überblick über die Rechtsquellen des Verbotes der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung und ihr Verhältnis zueinander (2.) sowie eine Erläuterung des Inhalts des Verbotes aus der Perspektive des Rechts der EU (3.). Daran schließt sich eine Darstellung der Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen diese Verbote an (4.). Abschließend veranschaulichen Beispiele aus der Rechtsprechung die Reichweite und die Grenzen der dargestellten Verbotsnormen (5.).
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2. Rechtsgrundlagen 2.1 Recht der Europäischen Union Art. 141 EG sowie mehrere Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen verbieten unmittelbare und mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Art. 141 EG erwähnt das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung nicht. Nach seinem Wortlaut stellt jeder Mitgliedsstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher und gleichwertiger Arbeit sicher. Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst dies ein Verbot der mittelbaren Entgeltdiskriminierung (EuGH Bilka). Seit dem Jahre 2000 wurde das gemeinschaftsrechtliche Verbot der mittelbaren Diskriminierung ausdrücklich definiert. Für das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung im Arbeitsrecht ist RL 76/207/EG in der durch RL 2002/73/EG novellierten Fassung maßgebend, die mit Wirkung vom 15.8.2009 von der RL 2006/54/EG abgelöst wird. Nach Art. 2 Abs. 2 zweiter Spiegelstrich RL 76/207/EWG „bezeichnet der Ausdruck (...) ‚mittelbare Diskriminierung‘: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“. RL 2006/54/EG ändert inhaltlich nichts, bringt aber den deutschen Richtlinientext in eine grammatikalisch richtige Fassung. Art. 2 lautet in den relevanten Passagen: „(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck (...) ‚mittelbare Diskriminierung‘ eine Situation, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“. RL 76/207/EWG gilt für den Zugang zum Arbeitsplatz, zur Berufsbildung, zu allen Formen praktischer Berufserfahrung (also z.B. Praktika), den Aufstieg und die Arbeitsbedingungen. Für Fragen des Entgelts und damit auch der mittelbaren Entgeltdiskriminierung gilt neben Art. 141 EG die RL 75/117/EWG, die erst durch RL 2006/54/EG abgelöst wird. Damit ist das Verbot der mittelbaren Entgeltdiskriminierung in der Rechtssetzung der EG bisher nicht ausdrücklich definiert. RL 75/117/EWG spezifiziert jedoch in Bezug auf die Unterbewertung von herkömmlichen Frauenarbeiten (vgl. auch Winter 1998 und Krell/Winter in diesem Band) in Art. 1 Abs. 2 e: „Insbesondere muss dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so be42
schaffen sein, dass Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts ausgeschlossen sind“. RL 2006/54/EG wird für die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz ebenso gelten wie für entgeltbezogene Fragen. Wie erwähnt, ist das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung bislang überwiegend auf Differenzierungen zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten angewandt worden. Inzwischen ist ein Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten auch in RL 97/81/EG enthalten, so dass für die mittelbare Geschlechtsdiskriminierung möglicherweise andere Bereiche wichtiger werden könnten.
2.2 Nationales Recht Das Grundgesetz enthält in Art. 3 Abs. 3 ein Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts und in Art. 3 Abs. 2 ein Gleichstellungsgebot. Außerdem garantiert Art. 3 Abs. 1 GG die Gleichheit vor dem Gesetz. Obwohl keine dieser Vorschriften ein ausdrückliches Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung enthält, ist es aus allen dreien abgeleitet worden, vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 Abs. 3 GG. Im einfachen deutschen Recht ist das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung im Erwerbsleben in § 2 Abs. 1, 7 und § 3 Abs. 2 AGG enthalten. Nach § 2 Abs. 1 sind Ungleichbehandlungen im Erwerbsleben untersagt; § 7 wiederholt dies. Anders als das EG-Recht spricht das AGG anstatt von Diskriminierungen von Benachteiligungen. Ein Bedeutungsunterschied liegt darin nicht (Schiek, 2007, Rn. 3 zu § 1 AGG). § 3 Abs. 2 AGG definiert, eng angelehnt an das Richtlinienrecht, das Verbot der mittelbaren Diskriminierung bzw. Benachteiligung für Deutschland erstmals gesetzlich: „Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“ Zusätzlich enthält § 4 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse (TzBfG) ein Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten wegen der Teilzeit, das das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung zum Teil substituiert.
2.3 Verhältnis der Rechtsquellen zueinander Bei der Vielzahl an Rechtsquellen stellt sich die Frage ihres Verhältnisses zueinander. Wesentlicher Parameter ist die Rechtsqualität des EG-Rechts, das (anders als das sonstige Völkervertragsrecht) in der Bundesrepublik Anwendungsvorrang vor nationalem Recht genießt (EuGH Costa v E.N.E.L.). Das bedeutet, dass nationales Recht hinter den unmittelbar anwendbaren Normen des EG-Rechts zurückzutreten hat,
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sofern es ihm widerspricht. Solche Widersprüche können z.B. durch die EGrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts vermieden werden. Nicht alle Normen des EG-Rechts wirken unmittelbar. Normen des EG-Vertrags wirken unmittelbar, wenn sie eindeutig und bestimmt genug sind, um ohne weiteren innerstaatlichen Rechtsakt angewendet zu werden und wenn sie nach ihrem Zweck auf eine unmittelbare Anwendung angelegt sind. Art. 141 EG ist nach der Rechtsprechung des EuGH, obwohl er sich seinem Wortlaut nach nur an die Mitgliedstaaten wendet, auch zwischen Privatpersonen unmittelbar anzuwenden (EuGH Defrenne II). Da die Lohngleichheitsrichtlinie nach der Ansicht des EuGH nur eine legislatorische Interpretation von Art. 141 darstellt, gelten ihre Bestimmungen – bis auf die Verfahrensvorschriften – im Rahmen der Auslegung von Artikel 141 EG faktisch unmittelbar. Für die Richtlinie, die zum Sekundärrecht (dem Recht, das die Organe der EG erlassen) gehört, ergibt sich aus Art. 249 Abs. 2 EG, dass sie grundsätzlich nicht unmittelbar wirkt, denn die Mitgliedsstaaten müssen sie umsetzen. Wird die Richtlinie fehlerhaft umgesetzt, darf sich der Mitgliedsstaat allerdings nicht zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger darauf berufen. Folglich können sich diese ihrerseits gegenüber dem Staat unmittelbar auf die Richtlinienvorschriften berufen, und zwar unabhängig davon, ob er als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger handelt. Darüber hinaus gilt der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung auch für das Richtlinienrecht. Konsequenz ist z.B., dass das AGG im Einklang mit der Richtlinie 76/207/EWG auszulegen ist. Die Richtlinien zu den Diskriminierungsverboten, darunter RL 76/207/EWG, haben einen starken Bezug zu grundrechtlichen Werten der Gemeinschaft. Der EuGH hat daher in der Entscheidung Mangold zur Diskriminierung wegen des Alters ihre Wirkung verstärkt. Der Gerichtshof erkannte das Verbot der Altersdiskriminierung als eigenständigen konstitutionellen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts an. Daraus folgte im konkreten Fall, dass eine gesetzliche Vorschrift, die dem Verbot der Altersdiskriminierung zuwiderlief, auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist der relevanten Richtlinie nicht angewandt werden durfte (genauer: Schiek 2007, Rn. 30, 76f der Einleitung)
3. Inhalt Maßgebend für den Inhalt des Verbotes der Geschlechterdiskriminierung ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts das EG-Recht. Deswegen beschränkt sich die Darstellung des Inhalts des Verbotes auf dieses Rechtsgebiet.
3.1 Entwicklung Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung wurde zunächst in der Rechtsprechung des EuGH zum Entgeltgleichheitsgebot (heute: Art. 141 EG) sowie zum Verbot der Diskriminierung der Arbeitnehmer wegen der Staatsangehörigkeit eines EG-Mitgliedsstaates (heute: Art. 39 Abs. 2 EG) entwickelt. In beiden Bereichen erkannte der EuGH, dass auch eine Vorschrift, Verfahrensweise oder Richtlinie, die nicht ausdrücklich an 44
das Geschlecht oder die Staatsangehörigkeit anknüpft, gegen das Verbot der Diskriminierung verstoßen kann, nämlich dann, wenn eine neutrale Vorschrift für Angehörige eines Geschlechts bzw. einer Nationalität benachteiligend wirkt. Konnte diese Vermutung nicht durch eine sog. objektive Rechtfertigung widerlegt werden, lag nach der Rechtsprechung eine unzulässige mittelbare Diskriminierung vor. Die Prüfung des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung erforderte also zuerst die Feststellung einer benachteiligenden Wirkung und sodann die Prüfung eventueller objektiver Rechtfertigungen. Allerdings legte die Rechtsprechung des EuGH bei der Geschlechtsdiskriminierung und der Nationalitätendiskriminierung unterschiedliche Maßstäbe an. Bei der Nationalitätendiskriminierung genügten qualifizierte Vermutungen über die benachteiligende Wirkung, im Recht der Geschlechterdiskriminierung wurden stets ausführliche statistische Nachweise gefordert, (EuGH Seymour-Smith zur Geschlechtsdiskriminierung; EuGH O’Flynn zur Nationalitätendiskriminierung). Die strengere, statistisch orientierte Definition wurde 1997 für das Recht der Geschlechterdiskriminierung auch gesetzgeberisch verbindlich gemacht. Nach Art. 2 der Richtlinie über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (RL 97/80/EG) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt“. Ungeklärt war und blieb, wann ein „wesentlich höherer“ Anteil eines Geschlechts benachteiligt wurde, und auch die Feststellung der sog. statistischen Benachteiligung verlief uneinheitlich. Mit der Verabschiedung der beiden sog. Antidiskriminierungsrichtlinien im Jahre 2000, die Diskriminierung wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft (RL 2000/43/EG) sowie der Religion und Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung und einer Behinderung (RL 2000/78/EG) erfassen, wurde nochmals beraten, welche Definition ausschlaggebend sein sollte. Die Gesetzgebungsorgane der EU entschieden sich für die weniger strenge Definition aus der Rechtsprechung zur Diskriminierung aufgrund der Nationalität. Diese wurde mit der Reform der Richtlinie 76/207/EWG durch die Richtlinie 2002/73/EG auch in das Recht der Geschlechterdiskriminierung übernommen. Die Richtlinie 97/80/EG bleibt vorläufig neben dieser Definition weiter in Kraft; sie wird erst im Wirkung vom 15.8.2009 aufgehoben (Art. 34 RL 2006/54/EG). Aus der gegenwärtigen Doppelung der Definition ergibt sich, dass im Recht der Geschlechterdiskriminierung künftig die benachteiligende Wirkung einer neutral formulierten Vorschrift sowohl statistisch als auch in anderer Form nachgewiesen werden kann.
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3.2 Neutrale Regelung und benachteiligende Wirkung Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung wird nur angewendet, wenn eine Regelung nicht nach dem Geschlecht unterscheidet. Eine Unterscheidung nach dem Geschlecht liegt auch immer dann vor, wenn eine Regelung an einer Schwangerschaft oder der Anwendung des Mutterschutzgesetzes anknüpft, nicht aber, wenn eine Regelung am abgeleisteten Wehrdienst anknüpft. Zwar sind nur Männer zur Ableistung von Wehrdienst verpflichtet, dies beruht aber nicht auf biologischen Gegebenheiten, sondern auf gesetzgeberischer Entscheidung (EuGH Schnorbus). Wie erwähnt, kann die Feststellung der nachteiligen Wirkung einer formal geschlechtsneutralen Regelung künftig auf zwei Wegen erfolgen: durch einen strengen statistischen Test oder durch die Feststellung, dass das überprüfte Verfahren oder Kriterium Angehörige eines Geschlechts in besonderer Weise benachteiligen kann.
3.2.1 Statistischer Test Für den statistischen Test kommt es nach der neueren Rechtsprechung des EuGH darauf an, ob der Prozentsatz von Frauen (oder Männern), der von der Regelung nachteilig betroffen ist, wesentlich höher ist als der Prozentsatz der Männer (oder Frauen). Es genügt keinesfalls, dass die absolute Zahl der betroffenen Frauen wesentlich höher ist als die absolute Zahl der betroffenen Männer (EuGH Hill und Stapleton). Zur Durchführung des statistischen Tests sind Vergleichsgruppen zu bilden. Diese bestehen einerseits aus der Gesamtheit der Personen, auf die die Regelung angewendet wird, andererseits aus der Gesamtheit der Personen, die durch die Regelung benachteiligt werden. Innerhalb beider Gruppen wird der Anteil von Frauen und Männern verglichen. Ist der Prozentsatz der benachteiligten Frauen höher als der Prozentsatz der benachteiligten Männer, kann eine benachteiligende Wirkung vorliegen. x Beispiel 1: Nach einer britischen Verordnung hängt das Recht, eine Kündigung auf Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, davon ab, dass man mindestens zwei Jahre beim Arbeitgeber beschäftigt war. Die Gesamtgruppe, auf die die Regelung Anwendung findet, sind alle Beschäftigten im Vereinigten Königreich. Innerhalb dieser Gesamtgruppe erfüllen 68,9% der weiblichen und 77,4% der männlichen Arbeitnehmer diese Voraussetzung (EuGH Seymour-Smith, No 62-63). x Beispiel 2: Die Firma Y, die Teilzeitbeschäftigte von ihrer Versorgungsordnung ausschließt, beschäftigt 1.100 Personen, und zwar 100 Frauen und 1.000 Männer. Die Zahl der Teilzeitkräfte beträgt 175, darunter 75 Frauen und 100 Männer. 75 der insgesamt 100 Frauen = 75% der Frauen und 100 der insgesamt 1.000 Männer = 10% der Männer werden durch den Ausschluss von der Versorgungsordnung benachteiligt (in Anlehnung an EuGH Bilka, s.a. BAG 3 AZR 490/87). Aus all dem ergibt sich, dass eine mittelbare Diskriminierung von Frauen auch vorliegen kann, wenn in der begünstigten Gruppe mehr Frauen sind. Beispiel: Die Firma X, die Teilzeitbeschäftigte von ihrer Versorgungsordnung ausschließt, beschäftigt 1.100 Personen, und zwar 1.000 Frauen und
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100 Männer. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten beträgt 201; 200 Teilzeitkräfte sind Frauen. 200 der insgesamt 1.000 Frauen = 20% der Frauen und einer der insgesamt 100 Männer = 1% der Männer werden durch den Ausschluss von der Versorgungsordnung benachteiligt. Die statistischen Voraussetzungen der mittelbaren Diskriminierung sind erfüllt, obwohl 800 Frauen und nur 99 Männer in den Anwendungsbereich der Versorgungsordnung fallen.
3.2.2 Nicht-statistischer Test Wie gesagt, wird es in Zukunft genügen, dass eine Regelung überwiegend Frauen (oder Männer) benachteiligen kann. Damit entfällt die Notwendigkeit des statistischen Tests. Im Zusammenhang mit der Teilzeitbeschäftigung hat der EuGH dies bereits eingeführt. Er lässt es als ausreichend gelten, dass die überwiegende Anzahl der Teilzeitbeschäftigten Frauen ist (EuGH Steinicke Rn 55-57), wobei auch eine mittelbare Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten zur Feststellung einer Frauendiskriminierung ausreichen kann (EuGH Kachelmann Rn. 23). Weitere Beispiele für Anforderungen, von denen auch ohne statistische Tests allein aufgrund qualitativer Beurteilung angenommen werden kann, dass sie überwiegend Frauen nachteilig treffen, wurden bereits in der Rechtsprechung anerkannt. So kann die Anforderung von Flexibilität bezüglich von Arbeitszeit und -ort mit der nach wie vor überwiegend Frauen aufgebürdeten Verantwortung für die tatsächliche Versorgung von Kindern und alten Menschen kollidieren (Court of Appeal [England] Hardy & Hanson Ltd v Lax [2005] ICR 1565). In Entgeltgleichheitsfällen kann die Anforderung besonderer Körperkraft überwiegend Frauen benachteiligen (Span. Verfassungsgerichtshof 28.2.1994 58/1994 – Antonio Puig).
3.2.3 Bedeutung der benachteiligenden Wirkung Die benachteiligende Wirkung einer neutral formulierten Regelung allein bedeutet noch nicht, dass das Verbot der mittelbaren Diskriminierung verletzt wurde. Gerade in seiner jüngeren Rechtsprechung legt der EuGH Wert auf die Feststellung, dass die benachteiligende Wirkung nur eine Vermutung zugunsten einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung begründet, die entkräftet werden kann, wenn die Regelung durch Faktoren objektiv gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun haben (EuGH Seymour-Smith, No 60).
3.3 Objektive Rechtfertigung Bei der objektiven Rechtfertigung einer Regelung mit benachteiligender Wirkung sind jedoch strenge Maßstäbe anzulegen, um den Grundsatz der Gleichbehandlung von Frauen und Männern nicht seiner praktischen Wirksamkeit zu berauben. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung Bilka die wesentlichen Maßstäbe entwickelt. Danach ist eine benachteiligend wirkende Maßnahme unter drei Voraussetzungen gerechtfertigt:
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1. Die benachteiligend wirkende Maßnahme zielt auf die Befriedigung eines wirklichen Bedürfnisses des Unternehmens. 2. Sie ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. 3. Es sind keine Alternativen denkbar, die weniger benachteiligend wirken (d.h. gerade die inkriminierte Maßnahme ist zur Zielerreichung erforderlich). Darüber hinaus fordert der EuGH, dass die Differenzierung nichts mit dem Geschlecht zu tun haben darf (EuGH Hill und Stapleton, Rn. 34; EuGH Kutz-Bauer Rn. 50). Auch die Beweislastrichtlinie (RL 97/80/EG) fasst die Anforderungen an die objektive Rechtfertigung streng: Benachteiligt eine Regelung überwiegend Frauen oder Männer, so liegt eine mittelbaren Diskriminierung vor, „es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogenen sachliche Gründe gerechtfertigt“ (Art. 2 Abs. 2). Diese Anforderungen werden auch durch die neue Definition nicht geringer, wenn verlangt wird, dass „die betreffenden/diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren (…) durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel (…) zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind“ (Art. 2 Abs. 2 RL 76/207/EWG in der durch RL 2002/73/EG geänderten Fassung). Der EuGH überlässt allerdings die Entscheidung, ob eine objektive Rechtfertigung vorliegt, zunehmend den nationalen Gerichten (vgl. dazu EuGH Steinicke, Rn. 57 und 58).
3.4 Beweislast Ist eine benachteiligende Wirkung einer neutral formulierten Regelung nachgewiesen, so trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass die benachteiligende Wirkung nicht auf dem Geschlecht beruht. Der Beweis dafür kann durch den Nachweis erbracht werden, dass die Regelung auf anderen Faktoren beruht, durch die sie objektiv gerechtfertigt werden kann und die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung kann dementsprechend auch als Beweisregel aufgefasst werden. Im Fall Danfoss entschied der EuGH beispielsweise: Wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, und auf der Grundlage einer relativ großen Anzahl von Beschäftigten belegt werden kann, dass das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Beschäftigten niedriger ist als das der männlichen, dann obliegt dem Arbeitgeber der Nachweis, dass seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist. Besonders kompliziert sind die Verhältnisse bei Leistungsentlohnung (vgl. dazu auch Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Der EuGH stellte dazu im Fall Royal Copenhagen die folgenden Grundsätze auf: Bei einem Stücklohnsystem lässt allein die Feststellung, dass das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Beschäftigten, die 48
überwiegend aus Frauen, die eine bestimmte Arbeit verrichten, besteht, wesentlich niedriger ist als das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Beschäftigten, die überwiegend aus Männern besteht, die eine andersartige, als gleichwertig angesehene Arbeit verrichten, nicht den Schluss auf das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt zu. Wenn sich jedoch bei einem Stücklohnsystem, in dem die individuellen Vergütungen aus einem variablen Anteil, der sich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Beschäftigten ergibt, und einem festen Anteil, der für die einzelnen Gruppen der Beschäftigten unterschiedlich ist, bestehen, nicht feststellen lässt, welche Faktoren bei der Festsetzung der Stücklohnsätze oder der Maßeinheiten für die Berechnung des variablen Entgeltanteils von Bedeutung gewesen sind, kann von dem Arbeitgeber der Nachweis verlangt werden, dass die festgestellten Unterschiede nicht auf einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruhen.
3.5 Beschränkungen der Wirkung des Verbots der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung Im EG-Recht ist es möglich, dass ein neu entwickelter Rechtsgrundsatz in seiner Wirkung auf zukünftige Fälle beschränkt wird. So ordnete der EuGH in seiner Entscheidung Defrenne II an, dass sich Arbeitnehmerinnen nur für Fälle nach dem 17.4.1976 auf die unmittelbare Wirkung von Art. 141 EG berufen könnten. Vergleichbar entschied er in der Rechtssache Barber im Mai 1990: Zwar gilt Art. 141 EG auch für betriebliche Altersversorgungssysteme, und er untersagt auch Unterschiede beim Rentenzugangsalter für Frauen und Männer. Dieser letzte Grundsatz findet aber nur für Zeiträume nach der Entscheidung Barber Anwendung. Die Barber-Entscheidung warf eine Reihe von Auslegungsproblemen auf. Noch bevor der EuGH darüber entscheiden konnte, verordneten die Mitgliedstaaten mit dem Protokoll zu Art. 141 EG-Vertrag eine Radikallösung. Der Text dieses sog. Barber-Protokolls lautet: „Im Sinne des Artikels [141] gelten Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, außer im Fall von Arbeitnehmern oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht anhängig gemacht haben.“ Diese Beschränkungen sind jedoch als Ausnahme von dem fundamentalen Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung restriktiv auszulegen. Deswegen entschied der EuGH in den Fällen Fisscher und Vroege, das Barber-Protokoll habe keine Auswirkungen auf den Anspruch auf Anschluss an ein Betriebsrentensystem. Die Feststellung, dass der Ausschluss Teilzeitbeschäftigter von einem Betriebsrentensystem als mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts unwirksam war, hatte der EuGH 1986 in der Entscheidung Bilka getroffen, deren zeitliche Wirkung nicht beschränkt wurde. In der Entscheidung Schröder präzisierte der Gerichtshof dies dahingehend, dass es keine zeitliche Begrenzung für die Berufung auf die Entscheidung Bilka gibt. Maßgebend ist nur die zeitliche Beschränkung des Urteils Defrenne II. Der EuGH ergänzte, dass die
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gemeinschaftsrechtlichen zeitlichen Grenzen des Entgeltgleichheitsgrundsatzes den Beschäftigten keineswegs die Berufung auf Diskriminierungsverbote des nationalen Rechts abschneiden sollten. Da jedoch öffentliche Arbeitgeber wie die Rechtsvorgängerin der Deutschen Telekom seit 1957 an das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG gebunden waren, können sich Teilzeitbeschäftigte gegenüber öffentlichen Arbeitgebern rückwirkend bis zu diesem Zeitpunkt auf ihr Recht auf Anschluss an Betriebsrentensysteme berufen. Dasselbe gilt für den Ausschluss von Betriebsrentensystemen aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften, denn für diese galten seit 1955 nach der Rechtsprechung des BAG die genannten Diskriminierungsverbote ebenfalls unmittelbar.
4. Rechtsfolgen bei unzulässiger Benachteiligung Bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtliche Verbote der unmittelbaren Diskriminierung haben Frauen nach der Rechtsprechung des EuGH Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange das Gleichbehandlungsgebot nicht durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (EuGH Defrenne II). Im Falle der mittelbaren Diskriminierung treten an die Stelle von Frauen und Männern die Angehörigen der benachteiligten Gruppe und die übrigen Beschäftigten. Unanwendbar ist also nur der benachteiligende Teil einer diskriminierenden Regelung. Bisher benachteiligte Personen haben ebenso wie bisher begünstigte Anspruch auf die Vergünstigung, die ihnen bisher vorenthalten wurde (vgl. Nollert-Borasio/Perreng, 2006, Rn. 38f). Für die Zukunft kann der Normgeber allerdings diskriminierungsfreie Regelungen schaffen, die die Rechtsposition beider Gruppen verändern, wobei eine Verschlechterung nicht ausgeschlossen ist. Hat ein Tarifvertrag Teilzeitbeschäftigte bisher von einer Sozialleistung ausgeschlossen, können die Tarifvertragsparteien also z.B. eine Regelung schaffen, die die Sozialleistung einerseits auf ein niedrigeres Niveau absenkt und anderseits Teilzeitbeschäftigte in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezieht. Bis zum Inkrafttreten der neuen Regelung können die Teilzeitbeschäftigten die Leistung entsprechend dem bisherigen Niveau verlangen. Vertragliche Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot der §§ 2, 7 AGG verstoßen, sind nichtig (§ 7 Abs. 2 AGG). Entsprechend der eben erläuterten Grundsätze verbietet es das Gemeinschaftsrecht jedoch, die gesamte Vereinbarung als nichtig anzusehen. Die Nichtigkeit von Bestimmungen, die Frauen mittelbar diskriminieren, führt deswegen nicht zur Nichtigkeit des gesamten Regelwerks. Nichtig ist vielmehr nur der benachteiligende Teil. Daneben können nach § 15 AGG Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Ist das Gleichbehandlungsgebot des § 4 TzBfG verletzt, besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung von Teilzeitarbeitenden mit Vollzeitarbeitenden, von befristet Beschäftigten mit unbefristet Beschäftigten. Eine bessere Behandlung der Teilzeitarbeitenden und der befristet Beschäftigten im Vergleich zu den genannten Vergleichsgruppen wäre nach TzBfG wohl zulässig.
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5. Praktische Beispiele Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts hat, wie gesagt, einen weiten Anwendungsbereich. Die nachfolgenden Beispiele verstehen sich als Auswahl. Auf die mittelbare Entgeltdiskriminierung bei der anforderungs- und leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung gehe ich hier nicht ein, sondern verweise auf die Beiträge von Krell und Winter sowie von Jochmann-Döll und Tondorf in diesem Band.
5.1 Entgelt bei Teilzeitbeschäftigung Es besteht heute im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass das Arbeitsentgelt der Teilzeitbeschäftigten proportional zur geleisteten Arbeitszeit nach den gleichen Grundlagen zu berechnen ist wie für Arbeitnehmer, die auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz vollzeitig beschäftigt sind. Dieser sog. Pro-rata-temporis-Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG als Mindestwert gesetzlich festgeschrieben. Dementsprechend können Teilzeitbeschäftigte im Öffentlichen Dienst z.B. eine anteilige Zahlung von Beihilfe zur Krankheitsbehandlung verlangen (BAG 6 AZR 460/96). Ebenso ist es unzulässig, Teilzeitbeschäftigte von Spätarbeits- und Nachtschichtzulagen auszunehmen (BAG 3 AZR 239/97). Diese Differenzierung kann auch nicht objektiv durch die Annahme gerechtfertigt werden, die Teilzeitbeschäftigten hätten durch ihren größeren Freizeitanteil bessere Möglichkeiten, die Belastungen durch diese Arbeitszeiten auszugleichen. Teilzeitbeschäftigte können auch dann nicht von einer Zusatzversorgung ausgenommen werden, wenn ihre Arbeitszeit so gering ist, dass sie nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind (BAG 3 AZR 698/95). Der Rechtsprechung des EuGH folgend (EuGH Helmig), hat das BAG es jedoch bisher nicht für diskriminierend gehalten, Teilzeitbeschäftigten Zuschläge für Überstunden nicht bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit, sondern erst dann zu zahlen, wenn auch Vollzeitbeschäftigte Überstundenzuschläge erhalten würden (BAG 3 AZR 684/93). Der EuGH verneinte bereits eine Ungleichbehandlung. Das BAG argumentierte, dass der Zweck der Überstundenzuschläge bei den betreffenden Tarifverträgen der Belastungsschutz sei. Stark umstritten ist, ob teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, wenn sie an ganztägigen Schulungen teilnehmen, eine Vergütung, insbesondere in Form von bezahltem Freizeitausgleich, verlangen können, soweit die Zeit der Schulung über ihre individuelle Arbeitszeit hinausgeht. Eine für die teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder günstige Entscheidung des EuGH im Fall Bötel stieß auf heftigen Widerstand. Die Problematik wurde dem EuGH erneut vorgelegt (Rechtssachen Freers und Speckmann sowie Lewark). Seine Antworten überließen entscheidende Wertungen den innerstaatlichen Gerichten. Das BAG lehnte den Freizeitausgleich für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder im Anschluss an die zitierten EuGH Entscheidungen ab. Zur Begründung 51
führte es aus, die aus dem Ehrenamtsprinzip folgende Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Frauen sei zur Sicherung der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsräte hinzunehmen (BAG 7 AZR 581/92).
5.2 Entgelt und Dauer der Betriebszugehörigkeit Insbesondere im Zusammenhang mit familienbedingten Beurlaubungen sind Regelungen in Frage gestellt worden, die Entgeltbestandteile von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig machen. So hat das BAG bereits im Jahre 2002 entschieden, bei der Aufstellung eines Sozialplanes, bei dem für die Höhe der Abfindung überwiegend die Dauer der Betriebszugehörigkeit ausschlaggebend ist, dürften Zeiten eines Erziehungsurlaubs nicht außer Betracht bleiben (BAG 1 AZR 58/02). Weitergehend hat sich der EuGH im Jahre 2006 in der Rechtssache Cadman mit der Frage der sogenannten Anciennität auseinandergesetzt. Frau Cadman erhielt als Gesundheitsinspektorin ein geringeres Entgelt als männliche Kollegen, die Dienstzeiten vor 1992 aufzuweisen hatten. Diese Dienstzeiten galten unabhängig von der tatsächlich erbrachten Leistung als entgelterhöhend. Der Gerichtshof stellte fest, dass grundsätzlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein Indiz für höhere Berufserfahrung und damit auch höhere Arbeitsqualität sei. Es könne aber durchaus vorkommen, dass bei bestimmten Tätigkeiten eine länger dauernde Berufserfahrung nicht mit besserer Arbeitsqualität einhergehe. Nach dieser Entscheidung spricht eine Vermutung dafür, dass die Verwendung von Anciennitätskriterien gerechtfertigt ist, auch wenn diese Frauen überwiegend nachteilig treffen. Allerdings kann diese Vermutung widerlegt werden. Insbesondere die pauschale Berücksichtigung langer Dienstzeiten in Tätigkeiten, die mit der gegenwärtigen Aufgabe inhaltlich nichts mehr gemein haben, kann so in Frage gestellt worden. Im Öffentlichen Dienst ist es immer noch üblich, dass solche Berufserfahrung bei Beförderungen positiv gewertet wird und somit ohne konkreten Leistungsbezug zu höheren Entgelten bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit führen kann.
5.3 Personalauswahl: Einstellungs- und Beförderungsbedingungen In der Rechtsprechung des EuGH und des BAG ist das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung bisher nicht auf Fragen der Auswahl bei Einstellungen (vgl. dazu auch Kay in diesem Band) und Beförderungen angewandt worden. Es gilt aber dennoch auch für diese Bereiche, wie der eingangs zitierte Fall zur Entstehung des Verbotes mittelbarer Diskriminierung zeigt. In der britischen Rechtsprechung hat das Verbot auch in diesem Bereich eine praktische Relevanz. Eine mittelbare Diskriminierung kann zunächst zu bejahen sein, wenn Stellen nicht ausgeschrieben werden, sondern Bewerberinnen und Bewerber nur unter den persönlichen Bekannten der Betriebsangehörigen ausgesucht werden, wie der Court of Appeal in London ausdrücklich anerkannt hat ([2002] IRLR 80 [CA]).
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Auch Altersgrenzen, insbesondere Höchstaltersgrenzen, sind in der Regel geeignet, Frauen überwiegend nachteilig zu treffen. Dementsprechend entschied der Court of Appeal bereits 1983, dass Altersgrenzen, die nicht mit den spezifischen Anforderungen der Stelle gerechtfertigt werden können, unzulässig sind (Pererra v Civil Servant Commission [1983] IRLR 166). Anforderungen hinsichtlich Qualifikation oder Mobilität können gleichfalls mittelbar diskriminierend sein. So entschied das Employment Appeal Tribunal, dass ein Unternehmer die Einstellung einer Frau nicht unter Berufung auf Erfahrungen in Führungsaufgaben und die Absolvierung eines speziellen Trainings ablehnen konnte, wenn in der Stellenausschreibung die entsprechenden Qualifikationen nur als erwünscht, nicht aber als erforderlich angesehen wurden. Dies gilt natürlich nur, wenn weniger Frauen als Männer die entsprechende Qualifikation aufweisen ([1997] IRLR 560). Ausgehend von der Annahme, dass die Anforderung des mobilen Einsatzes in ganz Großbritannien weniger Frauen als Männer erfüllen können, entschied der Court of Appeal, dass eine Organisation, die ihre Mitarbeiter weit überwiegend in London einsetzt, solch eine Anforderung nicht zur Voraussetzung der Rekrutierung für jede Managementposition machen kann. Vielmehr muss jeweils spezifisch nachgewiesen werden, dass die entsprechende Position in der Tat eine solche Mobilität erfordert ([1995] IRLR 478). Mittelbar diskriminierend können Personalauswahlentscheidungen auch sein, wenn sie sich auf Tests oder andere Bewertungen stützen, bei denen Angehörige eines Geschlechts durchschnittlich schlechter abschneiden als andere. Solche Ergebnisse dürfen nicht verwendet werden, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass Bewerberinnen und Bewerber mit höheren Testergebnissen oder besseren Abschlüssen die zu besetzende Position tatsächlich besser ausfüllen können. Dieser Beweis ist schwer zu führen (unveröffentlichte Entscheidungen des Employment Appeal Tribunal Isa and Rashid v BC Cars Ltd, ET 27083/80 & 32272/79, zit.n. McColgan 2002, S. 421). Das Phänomen der Auswahlentscheidungen durch Tests ist auch in Deutschland von einiger praktischer Relevanz, so dass sich hier neue Anwendungsbereiche für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung bieten (aus betriebswirtschaftlicher Sicht: Kay 1998 und in diesem Band). Bei Beförderungen kann es mittelbar diskriminierend sein, auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit abzustellen (EuGH Gerster). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber erst seit kürzerer Zeit tatsächlich auf allen Positionen ebenso viele Frauen wie Männer beschäftigt. Dementsprechend hat das BAG im Februar 2003 anerkannt, dass im Öffentlichen Dienst das „allgemeine Dienstalter“ (also die Dauer der Zugehörigkeit zum Öffentlichen Dienst) in der Regel Frauen überwiegend nachteilig trifft und daraus abgeleitet, dass es nur begrenzt für die Auswahl zur Beförderung herangezogen werden darf (BAG 9 AZR 307/02).
5.4 Objektive Rechtfertigung – insbes. budgetbezogene Argumente Wie bereits erläutert, wird durch die wesentlich stärkere nachteilige Betroffenheit von Frauen durch eine geschlechtsneutral gefasste Vorschrift, Verfahrensweise bzw. ein neutral gefasstes Kriterium nur die Vermutung begründet, dass die Benachteiligung auf 53
dem Geschlecht basiert. Diese Vermutung kann vom Arbeitgeber durch den Nachweis einer objektiven Rechtfertigung widerlegt werden. Dies erfordert die Benennung eines rechtmäßigen Ziels, das nicht mit dem Diskriminierungsmerkmal zusammenhängen darf. Zudem muss die Differenzierung geeignet und erforderlich sein, um gerade dieses Ziel zu erreichen. An der Schwelle der Erforderlichkeit scheitern Differenzierungen, zu denen es eine weniger diskriminierende Alternative gibt. In seiner älteren Rechtsprechung hat der EuGH unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit Rechtfertigungen scheitern lassen, die sich allein auf budgetbezogene Argumente bezogen. In einer bestimmten Gruppe von Fällen können jedoch Budgetzwänge als Rechtfertigung herangezogen werden. Wenn externe Stellen den Arbeitgeber budgetbezogenen Anforderungen unterwerfen, die ihrerseits benachteiligende Effekte haben, kann die entsprechende Sparmaßnahme gerechtfertigt sein. So hatte sich der finnische Oberste Gerichtshof mit einer Diskriminierungsklage von Arbeitnehmerinnen gegen die Anordnung von „Kurzarbeit 0“ für 653 Beschäftige der Stadt Kajaani zu befassen, da hiervon Frauen überproportional betroffen waren. Die Ursache dafür lag darin, dass eine neue Struktur der Mittelzuweisung für Kommunen die Verringerung der Ausgaben im Sozialbereich, vor allem bei der öffentlichen Kinderbetreuung, vorgab. Da die Kommune an dieser Vorgabe nichts ändern konnte, wurde diese budgetbezogene Argumentation als objektive Rechtfertigung anerkannt (Urt. vom 14.6.2004, Rs 59/2004). In vergleichbarer Weise hat das BAG die Absenkung der Vergütung von Hauswirtschaftskräften durch das Diakonische Werk als objektiv gerechtfertigt angesehen, da die Kostenstruktur gerade dieses Bereichs am Markt nicht mehr durchsetzbar gewesen sei (BAG 4 AZR 171/03). Hier hätte allerdings die Frage gestellt werden müssen, ob es nicht doch eine weniger diskriminierende Alternative gegeben hätte: Da dem Diakonischen Werk keine verbindlichen Vorgaben von außen gemacht wurden, hätte es auch die Vergütung für männliche und weibliche Beschäftigte gleichermaßen absenken können, um in den hauswirtschaftlichen Dienstleistungen wieder konkurrenzfähig zu werden.
6. Ausblick Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung hat mit Blick auf die Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bereits ein Problembewusstsein und eine deutlich gestiegene Konfliktfähigkeit der Frauen geschaffen. Personalpolitisch wesentliche Bereiche wie Kriterien für die Personalauswahl bei Einstellungen und Beförderungen sowie bei Kündigungen (vgl. dazu auch Graue/König in diesem Band) haben dagegen in der deutschen Rechtsprechung bislang kaum eine Rolle gespielt, wenngleich über die Zulässigkeit gesetzlicher Vorrangregeln für Frauen mit Ausdauer gestritten wurde. Wie Erfahrungen aus anderen Rechtsordnungen zeigen, ist es aber nicht ausgeschlossen, dass das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch in diesen Bereichen Anwendung findet. Das Entwicklungspotenzial dieses Rechtsinstituts ist also noch längst nicht ausgeschöpft. Personalverantwortliche müssen sich darauf einstellen, dass das Thema „mittelbare Frauendiskriminierung“ so bald nicht ad acta gelegt werden kann. Sie können dies
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auch als Chance begreifen, herkömmliche Kriterien in der Personalpolitik unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zu überprüfen.
Literatur McColgan, Aileen (Hg.) (2002): Discrimination Law Handbook, London. Nollert-Borasio, Christiane/Perreng, Martina (2006) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Basiskommentar, Frankfurt a.M. Schiek, Dagmar (Hg.) (2007): Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – Ein Kommentar aus Europäischer Perspektive, München. Steiner, Olivier (1999): Das Verbot der indirekten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben, Basel. Tobler, Christa (2005): Indirect Discrimination. A Case Study into the Development of the Legal Concept of Indirect Discrimination under EC Law, Antwerpen/Oxford. Winter, Regine (1998): Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit – Ein Prinzip ohne Praxis, Baden-Baden.
Entscheidungen des EuGH Die Fundstelle für die im Folgenden aufgeführten Entscheidungen des EuGH ist jeweils die Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, sofern die Entscheidung dort bereits veröffentlicht ist. Die Entscheidungen können auch mit Hilfe des Aktenzeichens unter http://curia.europa.eu/de/content/juris/index.htm im Internet abgerufen werden. Für Entscheidungen ab Mitte 1997 wählen Sie „Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofes“; ältere Entscheidungen können Sie in den beiden Listen „beim Gerichtshof eingegangene Rechtssachen“ abrufen, wobei die zweite Zahl im Aktenzeichen jeweils das Jahr des Eingangs bezeichnet. (Die Entscheidung „EuGH Barber“ ist also 1988 eingegangen und folglich unter der Kategorie „1953 bis 1988“ abzufragen). EuGH Barber 17.5.1990 – Rs C-262/88, Slg. 1990, I-1889 EuGH Bötel 4.6.1992 – Rs C-360/90, Slg. 1992, I-3589 EuGH Costa v E.N.E.L. 15.6.1964 – Rs 6/64, Slg. 1964, 1251 EuGH Defrenne II 8.4.1976 – Rs 43/75, Slg. 1976, 455 EuGH Freers und Speckmann 7.3.1996 – Rs C-278/93, Slg. 1996, I-1165 EuGH Helmig 15.12.1994 – Rs C-399 u.a./92, Slg. 1994, I-5727
EuGH Bilka 13.5.1986 – Rs 170/84, Slg. 1986, 1620 EuGH Cadman 3.10.2006 – C-17/05, NZA 2006, 1205 EuGH Danfoss 17.10.1989 – Rs 109/88, Slg. 1989, 3199 EuGH Fisscher 28.9.1994 – Rs C-128/93, Slg. 1994, I-4583 EuGH Gerster 2.10.1997 – Rs C-1/95, Slg. 1997, I-5253 EuGH Hill und Stapleton 17.6.1998 – Rs C-243/95, Slg. 1998, I-3739
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EuGH Kachelmann 26.9.2000 – Rs C-322/98, Slg. 2000, I-7505 EuGH Lewark 6.2.1996 – Rs C- 457/93, Slg. 1996, I-260 EuGH Mangold 22.11.2005 - C-144/04, Slg. 2005, I-9981 EuGH Royal Copenhagen 31.5.1995 – Rs C-400/93, Slg. 1995, I-1275 EuGH Schröder 10.2.2000 – Rs C-50/96 u.a., Slg. 2000, I-743 EuGH Steinicke 11.9.2003 – Rs C-77/02, Slg. 2003, I-9027 EuGH Vroege 28.9.1994 – Rs C-57/93, Slg. 1994, I-4541
EuGH Kutz-Bauer 20.3.2003 – Rs C-187/00, NZA 2003, 506 EuGH Lewen 21.10.1999 – Rs C-333/97, Slg. 1999, I-7249 EuGH O’Flynn 23.5.1996 – Rs C-237/98, Slg. 1996, I-2617 EuGH Schnorbus 7.12.2000 – Rs C-79/99, Slg. 2000, I-10997 EuGH Seymour-Smith 9.2.1999 – Rs C-167/97, Slg. 1999, I-623 EuGH Thibault 30.4.1998 – Rs C-136/95, Slg. 1998, I-2011
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Als Fundstellen sind jeweils die amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAGE) oder die Entscheidungssammlung „Arbeitsrechtliche Praxis“ (AP) angegeben. Die Zitierung nach Aktenzeichen erleichtert das Auffinden in verschiedenen Datenbanken sowie bei neueren Entscheidungen im Internetangebot des Bundesarbeitsgerichts (http://www.bundesarbeitsgericht.de). BAG 1 AZR 58/02 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 BAG 3 AZR 239/97 15.12.1998, BAGE 90, 303 BAG 3 AZR 684/93 20.6.1995, BAGE 80, 173 BAG 6 AZR 460/96 19.2.1998, BAGE 88, 92 BAG 9 AZR 710/00 20.8.2002, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie BAG 10 AZR 138/02 4. 12.2002, AP Nr. 245 zu § 611 BGB Gratifikation BAG 4 AZR 171/03 26.1.2005 – AP Nr. 1 zu AVR Diakonisches Werk Anl. 18
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BAG 3 AZR 490/87 14.3.1989, BAGE 61, 226 (s. EuGH Bilka) BAG 3 AZR 430/96 27.1.1998, NV BAG 3 AZR 698/95 24.9.1996, NV BAG 7 AZR 581/92 5.3.1997, BAGE 85, 224 (s. EuGH Lewark) BAG 9 AZR 307/02 21.1.2003, AP Nr. 60 zu Art. 33 Abs. 2 GG BAG 10 AZR 3/94 9.11.1994, AP Nr. 33 zu § 23 a BAT
Gertraude Krell
Programme und Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen von Mitte der 1990er Jahre bis 2006 – Befragungen der Mitglieder des „Forum Frauen in der Wirtschaft“ Im Jahr 1992 schlossen sich Expertinnen für Chancengleichheit (bzw. damals Frauenund Familienpolitik; s.u. 1.) in deutschen Großunternehmen zum „Forum Frauen in der Wirtschaft“ zusammen. Das Forum dient als Netzwerk zur Unterstützung, zum Erfahrungsaustausch und zur Förderung der Chancengleichheit. Inzwischen hat es 20 Mitglieder, die vor allem aus den Bereichen Banken, Pharma sowie Transport und Logistik stammen. Dieser Beitrag berichtet über vier Befragungen der Mitglieder des Forums, die Mitte und Ende der 1990er Jahre, 2003 und 2006 stattfanden, und ermöglicht damit Einblicke in die Entwicklung gleichstellungspolitischer Programme und Maßnahmen. Dabei konzentriere ich mich auf zwei Aspekte. Erstens: Wie lauteten jeweils die Bezeichnungen der Programme bzw. Funktionen? Zweitens: Welche inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte nennen die Befragten? Angaben zu anderen Aspekten, wie z.B. rechtliche Verankerung, Ausgestaltung, Ansiedlung, Kompetenzen und Ressourcen der für Chancengleichheit zuständigen Funktion, finden sich bei Dudek-Marschaus (1998) sowie Karberg/Krell (2001; 2004).
1. Mitte der 1990er Jahre Mitte der 1990er Jahre befragte Susanne Dudek-Marschaus (1998) zehn „für die Thematik Frauen-/Familienpolitik“ zuständige Expertinnen (ebd., S. 30). Wie damit zugleich gesagt ist, lauteten die damals üblichen gängigen Funktions- und Programm-Bezeichnungen „Frauen- und/oder Familienpolitik“ oder auch „Frauenförderung“. Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] An der Fassung dieses Beitrags für die 3. und 4. Auflage war Ulrike Karberg beteiligt.
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Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzungen gab es drei Trends (ebd., S. 33): Erstens wurde „Frauenförderung“ zunehmend als Thema, das auch Männer betrifft, begriffen und bearbeitet. Zweitens wurde verstärkt auf Bewusstseinsbildung in Sachen Chancengleichheit bzw. partnerschaftliche Zusammenarbeit in Beruf und Familie hingearbeitet; die Zielgruppe solcher Maßnahmen waren Frauen und Männer. Drittens wurde (auch bedingt durch Reorganisation und Rationalisierung) die Chance gesehen, Teilzeitarbeit als status- und geschlechtneutrale Arbeitszeit zu etablieren. Dudek-Marschaus resümierte: „Insgesamt läßt sich damit ansatzweise eine Tendenz zur ‚Familien‘- statt ‚Frauenpolitik‘ feststellen sowie zur ganzheitlicheren Bearbeitung der Thematik im Sinne der Weiterentwicklung einer Frauenpolitik, die als ihre Klientel auch Männer betrachtet“ (ebd., S. 33).
2. Ende der 1990er Jahre Anfang 1999 versendete Ulrike Karberg im Rahmen ihrer von mir betreuten Diplomarbeit einen umfangreichen Fragebogen an die damals 17 Mitgliedsfirmen des Forums, von denen zehn antworteten. Die Etikettierungen der Programme und Funktionen waren inzwischen vielfältiger geworden: Neben „Frauenförderung“ oder „Frauen- und Familienpolitik“ wurden Bezeichnungen wie z.B. „Chancengleichheit“, „Diversity“ oder auch „consens“ genannt. Mit Blick auf die inhaltlichen Schwerpunkte zeigte ein Vergleich der Ergebnisse mit denen der Befragung von Dudek-Marschaus (1998), dass sich die drei dort dokumentierten Trends fortsetzten. Um die Arbeitschwerpunkte und deren Entwicklung differenzierter herausarbeiten zu können, wurden drei Handlungsfelder unterschieden, und zwar: A Maßnahmen, die unmittelbar der beruflichen Gleichstellung von Frauen dienen, B Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und C Maßnahmen zur chancengleichheitsförderlichen Zusammenarbeit und Führung. Maßnahmen zu den Handlungsfeldern A und B existierten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, in den befragten Unternehmen bereits seit der Implementierung der Chancengleichheitsprogramme, die zwischen 1989 und 1992 erfolgt war. Das Handlungsfeld C wurde dagegen erst später als ein Ansatz zur Schaffung von betrieblicher Chancengleichheit entdeckt und bearbeitet. Betrachten wir die drei Handlungsfelder genauer. Ad A) Hierzu gehören Maßnahmen zur Vermeidung von Diskriminierungen bzw. zur Förderung von Chancengleichheit bezüglich der Personalbeschaffung und -auswahl, der Aus- und Weiterbildung, des Aufstiegs, der Arbeitsbedingungen, der Entgeltpolitik usw. Hier nannten sechs Unternehmen den Abbau von Diskriminierungen bei der Personalbeschaffung und -auswahl (s.a. Kay in diesem Band), acht Unternehmen Maßnahmen 58
zur Karriereförderung von Frauen, wie z.B. Mentoring. Die Beseitigung von Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts (s.a. Krell/Winter und Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band) und die Neugestaltung von frauendominierten Arbeitsplätzen (s.a. Hilf/ Jacobsen in diesem Band) wurden dagegen nur drei bzw. zwei Mal genannt. Ad B) Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nannten dagegen alle zehn Unternehmen. Bei allen gab es Teilzeitangebote, bei sieben auch für in Führungspositionen beschäftigte Frauen und Männer (s.a. Vedder/Vedder in diesem Band). Ebenfalls je sieben Unternehmen boten Tele(heim)arbeit und eine Verlängerung des Erziehungsurlaubs (heute: Elternzeit) an, verbunden mit einer Wiedereinstiegsgarantie. Wegen der Gefahr der verringerten Wiedereingliederungschancen hatte jedoch ein Unternehmen das Angebot des verlängerten Erziehungsurlaubs wieder zurückgenommen. Als Maßnahmen zur Erleichterung der Wiedereingliederung nannten je neun Unternehmen Angebote der Qualifizierung und von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen während des (verlängerten) Erziehungsurlaubes und acht die Umwandlung einer Vollzeit- in eine Teilzeitbeschäftigung nach dem (verlängerten) Erziehungsurlaub. Und schließlich gab es bei fast allen Unternehmen Maßnahmen zur Unterstützung bei der Kinderbetreuung (s.a. Busch in diesem Band). Ad C) Hier nannten acht Unternehmen Maßnahmen zum Abbau bestehender Geschlechtsrollenstereotype, sieben Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Frauen und Männern, sechs Maßnahmen zur Verhinderung sexueller Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz (s.a. Meschkutat/Holzbecher in diesem Band) und fünf Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Vorgesetzte. Insgesamt wurde erkennbar, dass das Handlungsfeld der chancengleichheitsförderlichen Zusammenarbeit und Führung zwar noch relativ neu war, aber rasch an Bedeutung gewonnen hatte.
3. Von 2000 bis 2003 Im Frühjahr 2003 wurden, im Rahmen der Vorbereitung der vierten Auflage dieses Sammelbandes, die Mitgliedsfirmen von mir erneut angeschrieben. Damals antworteten elf Unternehmen. Mit Blick auf die Bezeichnungen der Programme und Funktionen zeigte sich, dass der Trend weg von „Frauenförderung“ (3x genannt) hin zu „Chancengleichheit“ (7x) und „Diversity“ (7x) ging. Dass die Gesamtzahl der Nennungen größer ist als elf, ist dadurch bedingt, dass fünf Unternehmen beide Bezeichnungen bzw. „Chancengleichheit und Diversity“ verwendeten. Eine – nach den oben eingeführten Kategorien – differenzierte Betrachtung der wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte von der Jahrtausendwende bis zum Frühjahr 2003 ergab: Ad A) Maßnahmen, die unmittelbar der beruflichen Gleichstellung von Frauen dienen, wurden insgesamt zehn Mal genannt. Sieben dieser Nennungen entfielen auf (Cross-) Mentoring für weibliche Führungsnachwuchskräfte (s.a. Wolf in diesem Band), je einmal genannt wurden Vernetzung und Entwicklung von Sekretärinnen (s.a Dilg in die-
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sem Band) sowie die Entwicklung von Meisterinnen und Workshops zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen in der Produktion. Ad B) Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit nannten alle Unternehmen. Diese betrafen allerdings schon damals nicht mehr nur Familie und Beruf (z.B. Angebote zur Betreuung von Kindern oder Teilnahme am „audit berufundfamilie“ (s.a. Wollert in diesem Band), sondern die Work-Life-Balance insgesamt (s.a. Bessing in diesem Band). Ad C) Maßnahmen zur chancengleichheitsförderlichen Zusammenarbeit und Führung nannten sechs der Befragten als Arbeitsschwerpunkt. Hier reichte das Spektrum von der generellen Sensibilisierung für Diversity (2x) über die Bildung von Netzwerken schwuler und lesbischer MitarbeiterInnen (2x) bis zu Gender- und Diversity-Trainings. Trainings für Führungskräfte zur Sensibilisierung mit Blick auf Geschlecht gab es bei sechs Unternehmen, mit Blick auf Ethnie bzw. Kultur bei dreien, mit Blick auf Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung bei je einem – und ebenfalls bei einem gab es umfassende Diversity-Trainings (s.a. Gieselmann/Krell und von Hardenberg/Wolff in diesem Band). Ein Unternehmen gab schließlich die Mobbing-Prävention als Schwerpunkt an (s.a. Gröben in diesem Band). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass von 2000 bis Frühjahr 2003 programmatische Erweiterungen stattfanden: zum einen von der Fokussierung auf die Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hin zu umfassenderen Work-Life-Balance-Programmen, zum anderen von „Frauenförderung“ über „Chancengleichheit“ (von Frauen und Männern) hin zu Diversity – und damit zur Berücksichtigung weiterer Merkmale, wie Alter, Kultur (im Sinne von Herkunft/Ethnie) und sexuelle Orientierung. Auch mehrere der genannten Projekte und Maßnahmen betrafen Diversity Management.
4. Bis 2006 Anlässlich der Vorbereitung der fünften Auflage dieses Buches wurden im Herbst 2006 erneut die für Chancengleichheit Zuständigen in den – inzwischen 20 – Mitgliedsunternehmen des Forums per E-Mail nach der aktuellen Programmbezeichnung sowie nach den drei wichtigsten Arbeitsschwerpunkten in den letzten drei Jahren gefragt. Diesmal erhielt ich 18 Antworten, für die ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchte. Hinsichtlich der (Programm-)Bezeichnungen setzte sich der schon 2003 erkennbare Trend fort: Zehn Unternehmen nannten hier „Diversity“. Zwei davon ergänzten, es werde auch „Chancengleichheit“ (von Frauen und Männern) verwendet, und zwar bei dem einen „als Teil von Diversity“ und bei dem anderen „wann immer passend“. Bei einem dritten Unternehmen lautete die Bezeichnung „Diversity & Inclusion“, und es wurde angemerkt, dabei handele es sich nicht um ein Programm, sondern eine „Funktion, die eine Veränderung der Unternehmenskultur (Personalprozesse und Verhalten) vorantreibt“. Sieben Unternehmen nannten ihre Programme „Chancengleichheit“, und eines verwendete das Etikett „Chancengleichheit und Diversity“.
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Nun zu den inhaltlichen Schwerpunkten, wiederum – zunächst – differenziert nach den o.g. Kategorien, wobei hinzuzufügen ist, dass einige Unternehmen mehr als drei Schwerpunkte angegeben haben: Ad A) Insgesamt 16 Unternehmen nannten als (mindestens) einen Arbeitschwerpunkt Maßnahmen, die unmittelbar der beruflichen Gleichstellung von Frauen dienen. An erster Stelle stand hier mit neun Nennungen das (Cross-)Mentoring (s.a. Wolf in diesem Band), wobei einmal ergänzt wurde: für Frauen und Männer. Mit deutlichem Abstand folgten mit je drei Nennungen Frauennetzwerke sowie mit je zwei Nennungen Personalentwicklung für weibliche Führungskräfte und Zielwerte bzw. -korridore für die Einstellung und Förderung von Frauen. Je einmal genannt wurden: der Girls’ Day, das Hochschulmarketing, ein Diversity-Action-Plan (als Fortführung eines Frauenförderdann Gleichstellungsplans), die Analyse der Partizipation von Frauen an Fortbildung, „Frauen in der Bank“, Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen zur Frage nach den Effekten von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Karriere von Frauen – und die Förderung von Frauen in Führungspositionen, womit zugleich die Schwerpunktsetzung innerhalb dieses Handlungsfelds benannt ist. Ad B) Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder zur Work-Life-Balance nannten 13 Unternehmen, darunter zwei, die ausschließlich auf dieses Handlungsfeld fokussierten. Sieben Mal angegeben wurde hier die Unterstützung bei der Kinderbetreuung, wie z.B. Kinderbetreuung in Notfällen (s.a. David in diesem Band) oder Verbesserung der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Vier Mal ging es um die Erleichterung der Wiedereingliederung nach der Elternzeit, z.B. durch eine verbesserte Informations- und Kommunikationspolitik währenddessen oder familienfreundliche Prozesse danach. Ebenfalls vier Mal genannt wurden Arbeitszeitmodelle, wie z.B. die Förderung von Teilzeit (1x mit dem Zusatz: „auch bei Männern“). Zwei weitere Nennungen betrafen Väter als Zielgruppe (s.a. Höyng und Rost/Kreß in diesem Band) und das „audit berufundfamilie“ (s.a. Wollert in diesem Band). Je einmal angeführt wurden Home Office und Elder Care. Umfassendere Programme zur Work-LifeBalance (s.a. Bessing in diesem Band) gab es bei drei der befragten Unternehmen. Ad C) Maßnahmen zur chancengleichheitsförderlichen Zusammenarbeit und Führung nannten neun Unternehmen, und zwar je zweimal: Trainings, Netzwerke und Interne Kommunikation bzw. Öffentlichkeitsarbeit sowie je einmal Workshops und „Fairness am Arbeitsplatz“. Wie schon 2003 betrafen diese Aktivitäten nicht nur „Geschlecht“, sondern auch andere Diversity-Dimensionen, und zwar: „Alter“/„Generationen“ (4x), kulturelle Vielfalt (3x) und sexuelle Orientierung (2x). Da nicht alle der genannten Arbeitschwerpunkte den drei bisher betrachteten Handlungsfeldern zugeordnet werden konnten, wurde ergänzend eine Kategorie „Sonstige“ eingeführt: x
Je eine der hier rubrizierten Nennungen betrafen das AGG (s.a. Oechsler/Klarmann in diesem Band), Kosten-Nutzen-Betrachtungen, die Förderung der externen Reputation (durch das Organisieren eigener Kongresse und das Referieren oder Teilneh-
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men bei anderen), die Erweiterung des „Total E-Quality“-Management-Systems (s.a. Roer und Rost/ Kreß in diesem Band) sowie den Beitritt zum Forum. x
Mit zwei Nennungen vertreten waren strukturelle Maßnahmen zur Schaffung von AnsprechpartnerInnen (1x für Chancengleichheit und Kinderbetreuung in allen Standorten in Deutschland; 1x eine Ombudsfrau mit direktem Zugang zum Personalvorstand, an die sich alle Beschäftigten wenden können, die sich benachteiligt fühlen).
x
Sechs Nennungen entfielen schließlich auf Maßnahmen zur Implementierung von Diversity Management (z.B. Implementierung von Diversity & Inclusion in Deutschland, Implementierung von Konzernleitlinien, Aufbau einer Abteilung Diversity und „Einordnung der Maßnahmen zur Chancengleichheit in die DiversityAktivitäten“).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl hinsichtlich der Bezeichnungen der Programme als auch hinsichtlich der Palette der Maßnahmen der Trend hin zu Diversity Management geht. Dieses Konzept ist Gegenstand mehrerer Beiträge in diesem Band: des folgenden einführenden Grundlagenbeitrags (von Krell), der daran anschließenden Praxisbeispiele zur Implementierung und Ausgestaltung des Konzepts aus den Unternehmen Ford (von Alvarez), Lufthansa (von Rühl) und Telekom (von Pagel/Mauz), des Praxisbeispiels Motorola speziell zur diversity-orientierten Vergütung (von Keßler/ Schulz), des Grundlagenbeitrags (von Gieselman/Krell) und des Praxisbeispiels Deutsche Bank (von von Hardenberg/Wolff) zu Diversity Trainings, des Praxisbeispiels Commerzbank speziell zur Kinderbetreuung in Ausnahme- und Notfällen (von David) sowie des Beitrags zur „Charta der Vielfalt“ (von Jablonski/Schwarzenbart).
Literatur Dudek-Marschaus, Susanne (1998): Politik der Chancengleichheit in Großunternehmen: Ergebnisse einer Befragung, in: Krell, Gertraude (Hg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 29-35. Karberg, Ulrike/Krell Gertraude (2001): Programme zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen: Eine Befragung der Mitglieder des „Forum Frauen in der Wirtschaft“, in: Krell, Gertraude (Hg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 51-57. Karberg, Ulrike/Krell Gertraude (2004): Programme und Maßnahmen zur Realisierung von Chancengleichheit in deutschen Großunternehmen von den 1990er Jahren bis 2003, in: Krell, Gertraude (Hg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 33-40.
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Gertraude Krell
Diversity Management: Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbsfaktor 1. „Was?“: Verständnisgrundlagen 1.1 Diversity bzw. Vielfalt 1.2 Diversity bzw. Diversity Management
2. „Warum?“: Diversity Management … 2.1 … ist ökonomisch vorteilhaft … 2.2 … und rechtlich geboten 2.3 Konfrontative und integrative Positionen
3. „Wie?“: Umsetzung in der Praxis 3.1 Grundlegendes zur Veränderung von Organisationskulturen 3.2 Maßnahmen und Schritte im Überblick
Literatur
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] 63
1. „Was?“: Verständnisgrundlagen Diversity Management (DiM) stammt aus den USA und hält auch im deutschsprachigen Raum zunehmend Einzug in Wissenschaft und Praxis. Gegenstand dieses Beitrags sind Grundlagen und Grundfragen des DiM. Hier geht es zunächst um das „Was“, d.h., um begriffliche und konzeptionelle Fragen, in den folgenden Abschnitten dann um das „Warum“ und das „Wie“.
1.1 Diversity bzw. Vielfalt Diversity heißt Vielfalt. In Zusammenhang mit DiM geht es um die Vielfalt der Mitglieder oder Bezugsgruppen einer Organisation. Im Kontext der Personalpolitik, die Gegenstand dieses Sammelbandes ist, steht die Vielfalt auf dem Arbeitsmarkt bzw. der in einer Organisation Beschäftigten im Mittelpunkt (für einen aktuellen Überblick zu „Workplace Diversity“ vgl. z.B. Konrad/Pushkala/Pringle 2006). Bei Organisationen wie Universitäten fokussiert DiM darüber hinaus auf die Vielfalt der StudentInnen als Organisationsmitglieder (vgl. z.B. Vedder 2007). Damit ist bereits die Schnittstelle zum Diversity Marketing angesprochen, bei dem es um die Vielfalt der KundInnen geht. Und schließlich spielt für DiM auch die Vielfalt anderer Bezugsgruppen, wie z.B. GeldgeberInnen, eine Rolle. Wie noch zu zeigen sein wird, sind diese Facetten von Vielfalt und von deren Management eng miteinander verwoben. Vielfalt als Konstrukt wird bezogen auf Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnizität, Religion, Behinderung, sexuelle Identität und Orientierung, familiäre bzw. Lebenssituation, Klasse, Ausbildung, Werte, Verhaltensmuster usw. Konzeptionell betrachtet ist die Liste möglicher Diversity-Dimensionen unendlich lang. Davon zeugt bereits das fast obligatorische „usw.“ am Ende jeder Aufzählung. Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis wird die damit verbundene Komplexität allerdings erheblich reduziert: x In den USA benennen ForscherInnen und BeraterInnen die sog. „Big 8“ (Race, Gender, Ethnicity/Nationality, Organizational Role/Function, Age, Sexual Orientation, Mental/Physical Ability, Religion) als die am häufigsten berücksichtigten Dimensionen (vgl. Plummer 2003, S. 25ff). x In der deutschen Diversity-Praxis werden, wie auch die in diesem Band dokumentierten Beispiele zeigen, i.d.R. folgende Merkmale bzw. Merkmalsausprägungen berücksichtigt: Geschlecht bzw. Frau, Kultur im Sinne von Ethnizität/Nationalität bzw. Migrationshintergrund, Alter bzw. Ältere, Behinderung und familiäre Situation bzw. Interessen und Bedürfnisse hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Schon nicht mehr zum „Standardrepertoire“ gehört sexuelle Orientierung. Während Unternehmen wie z.B. Ford (vgl. Alvarez in diesem Band) und die Deutsche Bank (vgl. von Hardenberg/Wolff in diesem Band) sowie auch die „Charta der Vielfalt“ (vgl. Jablonski/Schwarzenbart in diesem Band) diese Dimension schon integrieren, wird sie vielfach noch ignoriert oder stößt sogar auf Ablehnung (vgl. z.B. Ivanova 2003, S. 33; Belinszki 2003, S. 211).
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x In der Personalforschung zu Diversity im deutschsprachigen Raum dominieren einer Befragung von Krell, Pantelmann und Wächter (2006) zufolge zwei Dimensionen, und zwar Geschlecht, dicht gefolgt von Kultur. Den dritten „Rangplatz“, allerdings mit weitem Abstand, hat Alter inne. Auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bzw. Work-Life-Balance wird noch relativ häufig geforscht, während Behinderung sowie Religion höchst selten als (exklusive) Forschungsgegenstände genannt werden – und sexuelle Orientierung gar nicht. Bedingt durch das Thema dieses Sammelbandes wird hier der Schwerpunkt auf Geschlecht gesetzt. Dazu ist zweierlei anzumerken: Erstens wird das Verhältnis von Gender und Diversity derzeit heftig und kontrovers diskutiert (vgl. z.B. Andresen/Koreuber/ Lüdke 2007 sowie einige Beiträge in Koall/Bruchhagen/Höher 2007). Zweitens können in Zusammenhang mit Geschlecht als Diversity-Dimension die Gender Studies fruchtbar gemacht werden. Forschungsrichtungen wie z.B. Cultural Studies, Postcolonial Studies oder die Queer Theory haben weitere Diversity-Dimensionen zum Gegenstand. „Diversity Studies“ als umfassende bzw. integrierte Forschungsrichtung stecken hingegen noch „in den Kinderschuhen“ (für einen einführenden Überblick vgl. Krell u.a. 2007). Mit Blick auf Vielfalt und deren Dimensionen ist schließlich relevant, dass es in der DiM-Literatur kein einheitliches (Begriffs-)Verständnis gibt, sondern zwei Varianten: „Vielfalt als Unterschiede“ (vgl. z.B. Loden/Rosener 1991, S. 18) und „Vielfalt als Unterschiede und Gemeinsamkeiten“ (vgl. z.B. Thomas 1996, S. 5). Die Entscheidung für eine dieser beiden Varianten ist weichenstellend und folgenreich (ausführlicher dazu: Krell 2003b, S. 220ff). Die Variante „Vielfalt als Unterschiede“ lenkt zunächst den Blick darauf, dass alle Individuen unterschiedlich sind. Problematisch wird es, wenn es um Gruppen geht, deren Mitgliedern verallgemeinernd Identitäten, Interessen, Eigenschaften, Verhaltensweisen usw. zugeschrieben werden. Damit wird ausgeblendet, dass es auch innerhalb der Gruppen Unterschiede gibt (und zwischen ihnen Gemeinsamkeiten). Aufgrund ihrer Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe werden Individuen in ein „Gehäuse der Zugehörigkeit“ (Bienfait 2006) gepresst oder auch (ein)gesperrt (dazu mehr unter 2.3). Weniger anfällig für solche Fest-Schreibungen ist die Variante „Vielfalt als Unterschiede und Gemeinsamkeiten“. Sie berücksichtigt zunächst einmal, dass alle Individuen nicht nur einer der genannten Gruppen angehören, sondern immer zugleich mehreren: Personen können sich z.B. hinsichtlich des Geschlechts unterscheiden, aber der gleichen Berufs- oder Altersgruppe angehören – oder umgekehrt. Und Personen mit gleichen Gruppenmerkmalen (z.B. junge deutsch-türkische Akademikerinnen) können durchaus unterschiedliche Werte haben oder Personen unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeiten die gleichen. Hinsichtlich Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen gibt es also einerseits Unterschiede innerhalb der Gruppen und andererseits Gemeinsamkeiten zwischen diesen (vgl. auch Thomas 2001, S. 40). In die gleiche Richtung weist das Konzept der Identitätsstruktur, demzufolge Teilidentitäten, die aufgrund bestimmter Gruppenzugehörigkeiten entwickelt werden, bei verschiedenen Individuen in unterschiedlichem Maße ausgeprägt sein können (vgl. Cox 1993, S. 43ff). Cox illustriert dies am Beispiel einer Studie, der zufolge für nicht-weiße 65
Frauen die Geschlechtszugehörigkeit und die rassisch-ethnische Zugehörigkeit gleichermaßen relevant sind, während bei weißen Frauen die Geschlechtszugehörigkeit dominiert. Damit ist zugleich darauf verwiesen, dass es nicht „die“ Identität als Frau oder Mann gibt, sondern Frauen und Männer vielfältige Identitäten haben (vgl. auch Butler 1991; Connell 2000). Mehr noch: Den Erkenntnissen der poststrukturalistischen Geschlechterforschung zufolge stehen diese Identitäten nicht ein für alle Mal fest, wie es das Konzept der Identitätsstruktur suggeriert, sondern sie verändern sich situations- bzw. kontextabhängig („shifting identities“) (Butler 1991, S. 29 und S. 36). Und schließlich wird aus dieser Perspektive das duale Geschlechterschema selbst problematisiert (dazu mehr in meinem einleitenden Beitrag und bei Knapp in diesem Band). Ein Verständnis von Diversity, das nur auf Unterschiede zwischen Frauen und Männern (oder auch anderen Gruppen) fokussiert, wird dieser Komplexität nicht gerecht. Vielmehr besteht die Gefahr der Stereotypisierung bzw. „Schubladisierung“. Das gilt nicht nur, wenn Frauen stereotyp als „defizitäre Arbeitskräfte“ kategorisiert werden, sondern auch, wenn mit ihren „besonderen weiblichen“ Potenzialen oder Perspektiven argumentiert wird (dazu ausführlicher: Krell 2003a und mein Beitrag zum „weiblichen Führungsstil“ in diesem Band). Und das gilt ebenfalls, wenn versucht wird, personalpolitische Maßnahmen speziell für Frauen als Zielgruppe „maßzuschneidern“ (vgl. z.B. Blaufus/Ortlieb in diesem Band). Und schließlich sind Gruppenzugehörigkeiten nicht nur mit geschätzten oder stigmatisierten Identitäten, Qualifikationen, Verhaltensweisen o.Ä. verbunden, sondern – und damit zusammenhängend – auch mit strukturellen Bevorzugungen oder Benachteiligungen, was den Zugang zu Ressourcen (wie z.B. Ausbildungs- und Arbeitsplätzen oder Einkommen) betrifft. Auch das ist relevant für DiM – und auch hier sind Gemeinsamkeiten zwischen und Unterschiede innerhalb der (Genus-)Gruppen sowie damit verbundene (Mehrfach-)Diskriminierungen zu berücksichtigen (dazu ausführlicher: Krell 2007; speziell zur Intersektionalität von Race, Class & Gender vgl. Knapp in diesem Band).
1.2 Diversity bzw. Diversity Management „Diversity“ steht aber nicht nur für Vielfalt, sondern auch für DiM sowie die damit verbundene und verfolgte Philosophie oder Strategie (vgl. auch Stuber 2004, S. 16). Im deutschen Sprachraum sind in Lehre und Forschung eher die Etiketten „Managing Diversity“ (vgl. z.B. Krell 1996; Jung/Schäfer 2003; Wagner/Voigt 2003), „Diversity Management“ (vgl. z.B. Belinzki/Hansen/Müller 2003; Becker/Seidel 2006; Krell/ Wächter 2006) oder auch „Diversitätsmanagement“ (vgl. z.B. Bendl/Hanappi-Egger/ Hofmann 2006) gebräuchlich. In der Praxis wird dagegen eher das Etikett „Diversity“ verwendet, wie auch die Titel der diesem Beitrag folgenden drei Praxisbeispiele dokumentieren. Während also Diversity im Sinne von Vielfalt das Phänomen einer vielfältig zusammengesetzten Belegschaft oder anderer Bezugsgruppen einer Organisation bezeichnet, steht Diversity im Sinne von DiM für eine ganz bestimmte Art und Weise des Umgangs mit dieser Vielfalt. 66
Der analytische und gestaltungsorientierte Ausgangspunkt von DiM ist, dass in herkömmlichen Organisationen zwar – mehr oder weniger – Vielfalt existiert, aber auch eine sog. „dominante Gruppe“ oder ein „homogenes Ideal“ (Loden/Rosener 1991, S. 36ff) bzw. mit Blick auf Deutschland „Norm(al)arbeitnehmer“: Das sind (in den USA: weiße) heterosexuelle Männer, denen i.d.R. eine Frau Hausarbeit und Kinderbetreuung abnimmt, sodass sie ihrem Arbeitgeber „150-prozentig“ zur Verfügung stehen. Diese dominante Gruppe besetzt nicht nur die entscheidenden Positionen, sondern bestimmt auch maßgeblich die Werte, Normen und Regeln, die in der Organisation gelten, d.h., sie prägt die Organisationskultur. Deshalb wird auch von einer „monolithischen“ (Cox 1993) oder „monokulturellen“ (Krell 1996) Organisation gesprochen. Charakteristisch für eine solche Organisation(skultur) ist u.a., dass aus der Perspektive der dominanten Gruppe Vielfalt eher bedrohlich erscheint, und die übrigen Beschäftigten (wie z.B. Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund) als „anders“ oder „besonders“ kategorisiert werden, und das heißt häufig zugleich als „defizitär“. Damit wird legitimiert, dass ihnen eher Tätigkeiten zugewiesen werden, die auf den unteren Hierarchieebenen angesiedelt und schlechter bezahlt sind und auch wenig Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Zudem wird von den Mitgliedern der dominierten Gruppen erwartet, dass sie sich an die Werte und Verhaltensweisen der dominanten Gruppe anpassen. Konformitätsdruck und Benachteiligungen sind nicht nur aus moralischen oder rechtlichen Gründen problematisch bzw. für die Betroffenen selbst, sondern auch aus ökonomischen Gründen bzw. für die Organisationsleitung, weil die Betroffenen in der Entfaltung ihrer Leistungswilligkeit und -fähigkeit gehemmt werden (dazu mehr unter 2.). Durch DiM soll dagegen die Kraft bzw. Energie aller Beschäftigten „entfesselt“ (so der Untertitel von Thomas 1991) und genutzt werden, und zwar indem Bedingungen geschaffen werden, die für alle passen. Cox (1993, S. 229) spricht hier von einer „multikulturellen Organisation“, die folgende Charakteristika aufweist: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
eine Kultur, die Vielfalt fördert und wertschätzt, Pluralismus als Prozess der Akkulturation, vollständige strukturelle Integration aller MitarbeiterInnen, vollständige Integration aller MitarbeiterInnen in informelle Netzwerke, Vorurteils- und diskriminierungsfreie(re) personalpolitische Kriterien, Verfahren und Praktiken, minimale Intergruppenkonflikte durch ein pro-aktives Diversity Management.
Dieses Leitbild ist nicht unwidersprochen geblieben. Neuberger (2002, S. 793) beispielsweise findet es „idealistisch (und reichlich unpolitisch)“. Auch könnte man z.B. darüber diskutieren, ob wirklich alle Beschäftigten in alle informellen Netzwerke integriert sein müssen und wollen oder ob Intergruppen-Konflikte per se vermieden werden müssen oder überhaupt vermeidbar sind. Insofern sollte eine solche Zielbestimmung nicht als Dogma verstanden werden, sondern vielmehr als Orientierungs- und Diskussionsgrundlage zur Realisation von DiM (dazu mehr unter 3.).
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2. „Warum?“: Diversity Management … Wie auch der Titel dieses Beitrags verdeutlicht, ist das Hauptargument für DiM die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen bzw. der sog. Business Case (s.u. 2.1). Aber das ist nicht alles. Die (Entstehungs-)Geschichte des Konzepts in den USA zeigt, dass es seine Wurzeln auch – und ursprünglich – in der Menschen- bzw. Bürgerrechtsbewegung und der von ihr initiierten Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung hat (ausführlicher dazu: Vedder 2006). Mit dieser Wurzel verbunden sind demnach rechtliche Argumente oder Gebote für DiM, die es auch hierzulande gibt (s.u. 2.2). Unter 2.3 geht es schließlich um konfrontative und integrative Positionen: sowohl mit Blick auf die Relevanz der beiden Argumentationsstränge Ökonomie und Recht als auch innerhalb des Rechts- bzw. Gerechtigkeitsdiskurses.
2.1 … ist ökonomisch vorteilhaft … Hier möchte ich die von Cox und Blake (1991) vorgetragenen Argumente skizzieren, ergänzen und zugleich auf hiesige Verhältnisse übertragen. Dabei setze ich den Schwerpunkt nicht nur auf Geschlecht, sondern auch auf die private Wirtschaft. Eine Darstellung der ökonomischen (und politischen) Vorteile mit Blick auf den Öffentlichen Dienst erfolgt im Beitrag zu Gender Mainstreaming (vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf in diesem Band). Diese Aufteilung trägt der Tatsache Rechnung, dass in Deutschland derzeit DiM überwiegend in der Privatwirtschaft (dazu ausführlicher: Ivanova 2003; Süß/Kleiner 2006) und Gender Mainstreaming überwiegend im Öffentlichen Dienst umgesetzt wird. Daraus sollte aber nicht geschlossen werden, dass die Konzepte nicht auch für den jeweils anderen Sektor geeignet – und dort auch zu finden – sind. In den USA ist DiM im Öffentlichen Dienst weit verbreitet; und auch im deutschsprachigen Raum gibt es Umsetzungsbeispiele (vgl. z.B. Struppe 2006; Vedder 2007) und Modellprojekte (vgl. z.B. Nachtwey 2003; Eine Welt der Vielfalt o.J.). Im Rahmen eines Modellprojekts sind auch Führungskräfte öffentlicher Verwaltungen zu ihrer Einschätzung von DiM befragt u.a. bezogen auf die folgenden Argumente (vgl. von Dippel 2007). 1. Das Beschäftigtenstruktur-Argument Ausgangs- und Angelpunkt sind Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Der in fast allen DiM-Klassikern angeführten Studie „Workforce 2000“ (Johnston/Packer 1987) zufolge ist der Anteil der weißen Männer an der Erwerbsbevölkerung rückläufig. Auch hierzulande steigt bekanntlich der Anteil der Frauen, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund an der Erwerbsbevölkerung. Das spricht gegen eine Personalpolitik, die am vermeintlichen Norm(al)arbeitnehmer orientiert ist und Frauen – neben Älteren, Menschen mit Migrationshintergrund u.a. – als „besondere Gruppe“ oder gar Problemgruppe betrachtet und behandelt. 2. Das Kosten-Argument Wenn Frauen und andere Angehörige dominierter Gruppen nicht oder nicht richtig integriert werden, verursacht das Kosten: Die durch erfolgreiche Klagen von Diskriminierten entstandenen Kosten (vgl. z.B. Steppan 1999, S. 29) sind nur die Spitze des Eisbergs. Hinzu kommt: Diskriminierungen bewirken Demotivation (aus-
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führlicher dazu Weibel/Rota 2000); der Zwang zur Anpassung absorbiert Energien, die der Leistungserstellung zugute kommen könnten (so z.B. Thomas 1991, S. 8f). Das Kreativitäts- und Problemlösungs-Argument Homogene Gruppen können Probleme zwar schneller lösen, aber gemischt zusammengesetzte sind kreativer und kommen zu tragfähigeren Problemlösungen. Hinzuzufügen ist jedoch, dass dies nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt – und eine davon ist, dass die vielfältig zusammengesetzten Arbeitsgruppen richtig gemanagt werden (ausführlicher dazu: Rastetter 2006). Das Personalmarketing-Argument Hier geht es um Vorteile bei der Gewinnung und Bindung von MitarbeiterInnen. Unternehmen, die umfassende Diversity-Programme oder auch Teilprogramme zur Chancengleichheit der Geschlechter und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Privatleben haben – und dies auch kommunizieren, z.B. durch die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt (vgl. Jablonski/Schwarzenbart in diesem Band), die Aufnahme in den genderdax (vgl. Domsch/Ladwig in diesem Band), das Total EQuality Prädikat (vgl. Roer in diesem Band) oder das audit berufundfamilie® (vgl. Wollert in diesem Band) – haben bessere Chancen, Employer of Choice zu werden. Das Marketing-Argument Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch auf dem Absatzmarkt verspricht DiM Wettbewerbsvorteile. Mit Blick auf die Produktpolitik und auch auf andere Marketing-Instrumente wird davon ausgegangen, dass eine vielfältig zusammengesetzte und entsprechend trainierte Belegschaft besser in der Lage ist, sich auf die Bedürfnisse und Wünsche der ebenfalls vielfältigen Kundschaft einzustellen. Des Weiteren können im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit (s.o.) Programme und Erfolge in Sachen Diversity – oder auch Chancengleichheit von Frauen und Männern – kommuniziert werden, um insbesondere jene KundInnen anzusprechen, deren Kaufverhalten auch an solchen Aspekten orientiert ist. Zu guter Letzt ist hier zu erwähnen, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Einhaltung gesetzlicher Diskriminierungsverbote eine Rolle spielen kann. Das Finanzierungs-Argument Auch hier gilt: Nicht nur Kaufentscheidungen, sondern auch Anlageentscheidungen werden zunehmend an (ökologischen und) sozialen Aspekten orientiert. In den USA gibt es schon seit Längerem Fondsgesellschaften, die sich verpflichten, nur in solche Unternehmen zu investieren, die Diversity-Programme haben. Hinzu kommt: AnalysInnen beziehen das Vorhandensein von DiM zunehmend in ihre Bewertungen ein (vgl. auch Jablonski/Schwarzenbart in diesem Band). Das Flexibilitäts-Argument Aufgrund ihrer Homogenität in den Entscheidungsgremien und des hohen Konformitätsdrucks sind monokulturelle als „starke“ Organisationskulturen schlecht in der Lage, flexibel auf Veränderungen zu reagieren (vgl. z.B. Steinmann/Schreyögg 2002, S. 641). Im Gegensatz dazu versprechen multikulturelle Organisationen die Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Bedingungen. Das Internationalisierungs-Argument Wenn DiM erfolgreich praktiziert, d.h. eine multikulturelle Organisation geschaffen wird, für deren Mitglieder Offenheit gegenüber Menschen, die „irgendwie an69
ders“ sind als sie selbst und die konstruktive Zusammenarbeit mit diesen eine Selbstverständlichkeit sind, dann erleichtert das auch das Agieren in anderen Ländern oder Kulturen. Dass es sich bei den Argumenten, die auf die ökonomische Vorteilhaftigkeit von DiM verweisen, nicht um bloße oder leere Versprechungen handelt, belegen empirische Studien (vgl. z.B. Europäische Kommission 2003 und 2005).
2.2 … und rechtlich geboten In deutschen Gesetzen kommt meines Wissens der Begriff Vielfalt nicht vor. Aber es existieren zahlreiche Regelungen zu einzelnen Diversity-Dimensionen. Auf diejenigen speziell zu der hier im Mittelpunkt stehenden Dimension Geschlecht wird in den Grundlagenbeiträgen dieses Bandes jeweils ausführlich eingegangen, weshalb ich mich hier auf gesetzlichen Regelungen beschränke, die neben Geschlecht noch weitere Dimensionen bzw. Aspekte von Vielfalt berücksichtigen: x In chronologischer Reihenfolge ist hier zuerst das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) zu nennen, das in Art. 1 die Würde des Menschen und in Art. 2 die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt. In Art. 3 Abs. 2 ist nicht nur die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben, sondern der Staat verpflichtet sich auch, die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und auf die „Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken. Und Art. 3 Abs. 3 gebietet, dass niemand aufgrund des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt und niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf. x Auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält diversity-relevante Bestimmungen: § 75 „Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen“ lautet: „(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, (…) dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt. Sie haben darauf zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden. (2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.“ Und in § 80 werden unter „Allgemeine Aufgaben“ des Betriebsrats genannt: x die „Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg, zu fördern“, x die „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern“, x „Anregungen (…) der Jugend- und Auszubildendenvertretung entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinzuwirken“, x die „Eingliederung Schwerbehinderter und sonstiger besonders schutzbedürftiger 70
Personen zu fördern“, x die „Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb zu fördern“, x die „Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen“. Ähnlich lautende Bestimmungen finden sich auch im Bundespersonalvertretungsgesetz (§ 67 Abs. 1) und den Personalvertretungsgesetzen der Länder (z.B. § 67 Abs. 1 des Baden-Württembergischen und § 72 Abs. 1 des Sächsischen). x Das bislang letzte Glied in dieser Kette ist das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es ist bekanntlich aus dem europäischen Antidiskriminierungsrecht hervorgegangen, das laut Schiek (2007, S. 48) die Zielsetzung der „individuellen Entfaltung bei Achtung von Vielfalt“ verfolgt. Das AGG verpflichtet Arbeitgeber (und auch Dienstherren; vgl. § 24) „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1), verbietet in § 2 Benachteiligungen aus einem der in § 1 genannten Gründe, und zwar (vgl. § 3) sowohl unmittelbare als auch mittelbare sowie Belästigungen, inklusive sexuelle (zum AGG vgl. auch Oechsler/ Klarmann, grundlegend zur mittelbaren Benachteiligung bzw. Diskriminierung: Schiek in diesem Band). ExpertInnen gehen davon aus, dass das AGG die Implementierung von DiM in Deutschland forciert oder sogar rechtlich verpflichtend macht (vgl. z.B. Stuber 2006, S. 8).
2.3 Konfrontative und integrative Positionen Nicht nur hinsichtlich des „Was“ bzw. des Verständnisses von Vielfalt, sondern auch hinsichtlich des „Warum“ gibt es unterschiedliche Positionen: zum einen bezogen auf die Relevanz von Ökonomie und Recht bzw. die Relevanz von ökonomischen und (menschen)rechtlichen Begründungen für DiM, zum anderen auch innerhalb des Rechts- und Gerechtigkeitsdiskurses. Konfrontativ nenne ich in diesem Zusammenhang die Position derjenigen AutorInnen, die DiM von einer gesetzlich gebotenen Gleichstellungspolitik – in den USA: Equal Employment Opportunity (EEO) und Affirmative Action (AA) – kategorisch abgrenzen. So nehmen z.B. Loden und Rosener (1991, S. 198) folgende Gegenüberstellung vor: Bei EEO/AA-Programmen seien Gesetze die treibende Kraft, sie seien von der Regierung initiiert, problembezogen und reaktiv. Bei DiM dagegen sei Produktivität die treibende Kraft, es sei freiwillig initiiert, chancenbezogen und aktiv. Integrativ steht hier für eine Position, die für DiM ökonomische und rechtliche – sowie auch ethisch-moralische – Argumente anführt (vgl. z.B. Cox 1993, S. 11ff). Die von Thomas und Ely (1996) stammende und viel zitierte Unterscheidung zwischen dem (menschen)rechtlich orientierten Fairness- und Diskriminierungs-Paradigma, dem
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ökonomisch orientierten (Markt-)Eintritts- und Legitimitäts-Paradigma und dem ganzheitlichen Lern- und Effektivitäts-Paradigma kann einerseits als konfrontativ kategorisiert werden, weil sie die o.g. Gegenüberstellungen enthält, andererseits aber auch als integrativ, weil es nicht nur These und Antithese gibt, sondern auch das Lern- und Effektivitätsparadigma als Synthese, weil es rechtliche, ökonomische – und ethische – Argumente integriert (vgl. auch Vedder 2006, S. 19). Vedders Befragungen US-amerikanischer DiM-PraktikerInnen zufolge dominieren dort konfrontative Positionierungen: Er spricht von zwei „Lager(n)“, den VertreterInnen der „Business-Perspektive“ und denen der menschen- bzw. antidiskriminierungsrechtlich orientierten „Equity-Perspektive“. Beide seien überzeugte DiM-AnwenderInnen, aber eben aus unterschiedlichen Gründen, weshalb sie sich auch kritisch gegenüberstünden. Auch innerhalb des Equity- oder Gerechtigkeits-Diskurses gibt es Positionen, die – wenn auch anders akzentuiert – als konfrontativ und integrativ bezeichnet werden können: Zur Erläuterung möchte ich die Kritik von Thomas und Ely (1996; vgl. auch Ely/Thomas 2001) am Fairness- und Diskriminierungs-Paradigma aufgreifen, es basiere auf einer Ideologie der „Farbenblindheit“ und ziele auf die Assimilierung der Mitglieder dominierter Gruppen. Dass diese Kritik den Charakteristika des US-amerikanischen Antidiskriminierungsrechtes geschuldet ist, stellt Baer (2003, S. 110) heraus: Dort werde nämlich auf Gleichbehandlung und Angleichung gezielt, im deutschen Recht dagegen auf die Anerkennung von Vielfalt. Letzteres betont mit Blick auf das AGG und das europäischen Recht auch Schiek (s.u. 2.2). Mit Blick auf das Antidiskriminierungsrecht lassen sich also gegensätzliche bzw. konfrontative Positionen und Zielbestimmungen identifizieren (lt. Schiek 2007, S. 37ff): x Dem „individualistischen Verständnis“ zufolge, das in den USA dominiere, solle dieses Recht verhindern, dass eine Person im Wettbewerb (z.B. um Arbeit oder Einkommen) wegen sog. „verpönter Merkmale“ benachteiligt wird, womit eine „Ablehnung von „Zwangskollektivierungen jeder Art“ einhergehe. Dieser Perspektive entspreche das Ideal von Geschlechts-, Farben- oder sonstiger Blindheit. x In den USA habe das Antidiskriminierungsrecht aber auch eine „sozialstaatliche Dimension“, die auf den Abbau von sozialer Deprivation bzw. Inklusion ziele. Und in diesem Zusammenhang werde die Frage aufgeworfen, ob dafür der Preis der Angleichung oder Assimilierung gezahlt werden müsse. Wenn, um dies zu verhindern, Diskriminierungsschutz und Schutz von Gruppenidentitäten verbunden werden, bestehe wiederum die Gefahr, „Gruppenzugehörigkeiten zu essentialisieren“ und den Schutz von Minoritäten innerhalb von Gruppen zu vernachlässigen. Deshalb basiere das AGG auf einem „Policy Mix“: Es verbinde das Ziel der Gleichbehandlung mit dem des Schutzes vor sozialer Deprivation und mit dem „Versprechen der Inklusion bei Achtung selbst gewählter und wechselnder Identitäten“ (ebd., S. 44). Ein solcher Policy-Mix als in diesem Kontext integrative Positionierung erscheint mir auch richtungweisend für das „Was“, „Warum“ und „Wie“ des DiM. Dafür ebenfalls relevante und ähnlich akzentuierte Grundfragen wirft Fraser (2001) in ihrem Buch „Die halbierte Gerechtigkeit“ auf. Zunächst äußert sie die Befürchtung, die Vision einer multikulturellen Gesellschaft und die Forderungen nach „Anerkennung der Gruppendifferenz“ hätten die Forderungen nach sozialer Gleichheit verdrängt (ebd.,
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S. 10). Gerechtigkeit erfordere aber beides: sowohl Umverteilung als auch Anerkennung (vgl. ebd., S. 24). Dort, wo beides zugleich angestrebt werde, entstehe wiederum ein „Umverteilungs-Anerkennungs-Dilemma“: Während Ansprüche auf Umverteilung tendenziell auf eine „Entdifferenzierung von Gruppen“ zielten, würden Ansprüche auf Anerkennung oft mit Verweis auf die „vermeintliche Besonderheit“ der betreffenden Gruppe vorgebracht oder diese Besonderheit werde dadurch „sogar performativ erzeugt“. Der gegenwärtige Mainstream-Multikulturalismus sei deshalb eine „affirmative Anerkennungsstrategie“, die Gruppenidentitäten (re)produziere (ebd., S. 27 und 32f; vgl. dazu auch Bienfait 2006). Dieser „affirmativen“ stellt Fraser (2001) eine „transformative“ Annerkennungsstrategie bzw. dieser entsprechende Maßnahmen gegenüber, die darauf zielen, die Gruppendifferenzierungen zu „untergraben“ bzw. zu dekonstruieren (ebd., S. 47f und 50). Dies kann z.B. im Rahmen von DiversityTrainings geschehen – und damit kommen wir zum „Wie“.
3. „Wie?“: Umsetzung in der Praxis Da DiM auf einen Wandel der Kultur einer Organisation zielt, wende ich mich zunächst der Frage nach dem Management von Organisationskulturen zu. Anschließend gebe ich einen Überblick über Maßnahmen und Schritte zur Umsetzung von DiM.
3.1 Grundlegendes zur Veränderung von Organisationskulturen Die „Entdeckung“ des Organisationskulturansatzes in den 1980er Jahren wurde begleitet von heftigen Debatten darüber, ob Organisationskulturen überhaupt geändert werden dürfen und können (ausführlicher dazu: Krell 1991; Schreyögg 1991). Die Position, man dürfe Organisationskulturen nicht verändern, sondern müsse sie gleichsam wie ein Naturschutzgebiet behandeln, erklärt die dort vorherrschenden Werte per se für schützenswert. Dass dies mit Blick auf monokulturelle Organisationen, gelinde gesagt, problematisch ist, sollte deutlich geworden sein. Bleibt also die Frage: Kann man Organisationskulturen verändern? Und in diesem Zusammenhang geht es, genau genommen, weniger um das „Ob“ als um das „Wie“. Dass hier z.T. recht naive Vorstellungen bestehen, verdeutlicht der beliebte Witz, in dem der Manager zur Beraterin sagt: „Such a new culture is a wonderful thing. I want one next monday“. Gegen solche Extrempositionen bzw. -erwartungen richtet sich der Einwand, dass neue Kulturen nicht einfach von Beratungsfirmen oder vom Top-Management entworfen und dann implementiert werden können (vgl. z.B. Schreyögg 1991, S. 211). Dies gilt auch und insbesondere, weil es sich bei Organisationen um interessenpluralistische Gebilde handelt, in denen AkteurInnen, individuell und in Gruppen, unterschiedliche Interessen verfolgen und deshalb Gestaltungen immer auch Ergebnis von Aushandlungsprozessen sind. Das ist auch der Hintergrund, vor dem ich oben geschrieben habe, Cox’ Leitbild der multikulturellen Organisation solle nicht als Dogma, sondern als Diskussions- und Verhandlungsgrundlage begriffen werden. In den Klassikern zu DiM wird der Schwierigkeit des Unterfangens, eine Organisationskultur zu verändern, durchaus Rechnung getragen. Thomas (1991, S. 12ff) bei73
spielsweise verwendet das Modell der Kultur-Ebenen von Schein (1985), um zu zeigen, dass ein Kulturwandel nicht nur die sichtbare Ebene, z.B. dokumentierte Leitbilder oder Strategien, sondern auch und insbesondere die unsichtbare Ebene, d.h. die Grundüberzeugungen der Organisationsmitglieder, tangiert. Deshalb handele es sich bei DiM um einen fundamentalen Veränderungsprozess, der ebenso komplex wie facettenreich sei – und deshalb viel Zeit brauche. Für solch einen Veränderungsprozess ist die Unterstützung durch das Top-Management ein erfolgskritischer Faktor (dazu mehr unter 3.2). Ein reiner Top-down-Ansatz wäre aber wiederum mit dem Problem konfrontiert, dass kultureller Wandel nicht „verordnet“ werden kann, und dürfte deshalb erhebliche Widerstände hervorrufen (vgl. dazu auch Jüngling/Rastetter in diesem Band). Hinzu kommt, dass in deutschen Organisationen das Arbeitsrecht in vielen Angelegenheiten eine Mitbestimmung der Interessenvertretung der Beschäftigten vorsieht. Die zitierten diversity-relevanten Bestimmungen des BetrVG legen insofern ein Diversity Co-Management nahe (vgl. dazu auch Krell 1999). Generell wird davon ausgegangen, dass ein Kulturwandel eine umfassende Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit sowie die Partizipation der Organisationsmitglieder voraussetzt (vgl. z.B. Schreyögg 1991, S. 211). Dem entspricht auch die in der Literatur zu DiM propagierte Vorgehensweise. Allerdings wird dort – und in der Praxis – nicht nur auf Überzeugungsarbeit gesetzt, sondern auch auf Anreize.
3.2 Maßnahmen und Schritte im Überblick Welche Maßnahmen sind zentral für DiM? Dazu befragte ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis nannten die folgenden 13 (vgl. Süß/Kleiner 2006, S. 60): x x x x x x x x x x x x x
strukturelle Institutionalisierung des DiM (Schaffung einer Stelle oder Abteilung), Beratungsangebote für „Minderheiten“-Gruppen, Mentoringprogramme, Diversity-Trainings, Evaluation der Maßnahmen des DiM, diversity-orientierte Betriebsvereinbarungen, diversity-orientierte Gestaltung personalwirtschaftlicher Aufgabenfelder, diversity-orientierte Einrichtungen (z.B. Kindergärten, Gebetsräume), Verankerung von Diversity in der Unternehmenskultur, Ermittlung und Überprüfung des DiM-Bedarfs, Kommunikation der Diversity-Aktivitäten, flexible Arbeitszeiten, gemischte Teams.
Diese Liste vermittelt zwar einen Eindruck von der Breite des Spektrums an Maßnahmen, kann – und will – aber keine Orientierungshilfe dafür geben, welche Schritte in welcher Reihenfolge vorgenommen werden sollten. Eine solche bietet z.B. das Regel-
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kreis-Modell, das Cox (2001) in seinem Buch „Creating the Multicultural Organization“ vorstellt (vgl. Abbildung 1). Leadership
Follow-Up
Alignment of Management Systems
Research & Measurement
Education
Abb. 1: Ein Modell für den kulturellen Wandel (nach Cox 2001, S. 19)
„Leadership“ bezieht sich zunächst darauf, DiM in der Strategie und im Leitbild bzw. den Grundsätzen einer Organisation zu verankern – und dies auch umfassend zu kommunizieren. Eine 1999 von der Amerikanischen Gesellschaft für Human Resource Management (SHRM) bei HR-ManagerInnen der 500 größten amerikanischen Unternehmen durchgeführte Befragung hat ergeben, dass vor allem das – oft in Unternehmensgrundsätzen dokumentierte – Bekenntnis der Unternehmensleitung entscheidend für den Erfolg eines Diversity-Programms ist (vgl. Pless 2000, S. 53 vgl. auch Roberson 2003, S. 242). In diesem Zusammenhang wird auch auf die Rolle von Führungskräften, die kompetent und motiviert in Sachen DiM sind, als vorbildliche Modelle verwiesen (z.B. von Cox 2001, S. 41 und Sackmann/Bissels/Bissels 2002, S. 55). Und schließlich gehört dazu die Schaffung der Funktion einer/eines für DiM Verantwortlichen, eines Arbeitskreises o.Ä. (vgl. Cox 2001, S. 45ff). „Research & Measurement“ bezieht sich auf die Gewinnung von Daten, die für den Veränderungsprozess bedeutsam sind. Das betrifft z.B. statistische Daten über die (Veränderung der) Zusammensetzung der Gruppen der KundInnen, der ArbeitnehmerInnen und anderer Bezugsgruppen einer Organisation. Mit Blick auf die Beschäftigten geht es dabei nicht nur um deren Zusammensetzung hinsichtlich bestimmter Merkmale, sondern auch und insbesondere um die Messung des Ausmaßes der strukturellen Integration (vgl. dazu auch Vedder 2003, S. 14f; Krell 2003b, S. 225ff). Zur Ermittlung des Bedarfs an DiM im Rahmen eines „Diversity Audits“ (vgl. z.B. Gardenswartz/Rowe 1993, S. 263) können schließlich auch Daten über Fehlzeiten und Fluktuation bestimmter Personengruppen dienen. Und schließlich können Mitarbeiterbefragungen eingesetzt werden, um zu eruieren, wo die Beschäftigten selbst Handlungsbedarf sehen (vgl. z.B. Gowing/Lancaster 1996, S. 362f). All das stellt nicht nur eine wichtige Informationsgrundlage für das (Top-)Management dar. Darüber hinaus kann durch die Erhebung und Rückkopplung der Daten bei den MitarbeiterInnen Commitment erzeugt werden (vgl. Cox 2001, S. 61). „Education“ bezieht sich auf die bereits angesprochene Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Dazu werden vor allem Diversity-Trainings eingesetzt (vgl. dazu den Grundlagenbeitrag von Gieselmann/Krell sowie das Praxisbeispiel Deutsche Bank in
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diesem Band). Darüber hinaus sind hier aber auch andere Instrumente zu nennen, wie z.B. Coaching (vgl. z.B. Cox 2001, S. 21) oder Mentoring (vgl. Wolf in diesem Band). „Alignment of Management Systems“ bezieht sich bei Cox (2001, S. 21) auf alle organisationalen Politiken, Praktiken, Regeln oder Prozeduren. Ich beschränke mich hier auf die Personalpolitik. Diese ist systematisch dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie der Entwicklung hin zu einer multikulturellen Organisation entgegensteht bzw. inwieweit sie pro-aktiv dazu beitragen kann. Das heißt: Alle personalpolitischen Instrumente, Kriterien, Verfahren und Praktiken werden zum einen auf ihr Diskriminierungspotenzial und zum andern auf ihr Gleichstellungspotenzial untersucht und entsprechend den Ergebnissen angepasst. x Die Prüfung des Diskriminierungspotenzials zielt darauf zu eruieren, ob die in den einzelnen Gestaltungsfeldern eingesetzten Instrumente bewirken, dass Beschäftigte aufgrund bestimmter Merkmale diskriminiert werden. Mit Blick auf das Merkmal Geschlecht ist dies Gegenstand aller in diesem Band vorhandenen Grundlagenbeiträge, und zum Teil auch der Praxisbeispiele. Die Diskriminierungsprüfung zielt im Wesentlichen auf Schadensreduzierung. x Die Prüfung des Gleichstellungspotenzials geht noch einen Schritt weiter und fragt, ob die Instrumente – über eine diskriminierungsfreiere Gestaltung hinaus – zu mehr Chancengleichheit bzw. Diversity beitragen können. Besonders bedeutsam sind in diesem Zusammenhang Instrumente zur Erhöhung der Motivation und Kompetenz von Führungskräften. Dazu gehören nicht nur die bereits erwähnten Diversity-Trainings zur Führungskräfteentwicklung, sondern auch eine diversity-orientierte Führungskräftebeurteilung und -vergütung (vgl. dazu den Grundlagenbeitrag zur Leistungsbeurteilung von Krell und das Praxisbeispiel Motorola in diesem Band). „Follow-Up“ überlappt laut Cox (2001, S. 22, 127ff) mit allen anderen Komponenten, insbesondere mit „Research & Measurement“. Denn es geht darum, nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, und das setzt wiederum einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess voraus. Dem dient z.B. die Berücksichtigung diversity-relevanter Merkmale in der Balanced Scorecard (vgl. z.B. Aretz/Hansen 2002, S. 80ff und das Praxisbeispiel Motorola in diesem Band). Cox (2001, S. 135ff) thematisiert in diesem Zusammenhang auch Anreize, und zwar nicht nur materielle (s.o.), sondern auch immaterielle z.B. in Form von Anerkennung durch Auszeichnungen (vgl. dazu z.B. das Praxisbeispiel Telekom in diesem Band). Abschließend möchte ich festhalten, dass diese Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vielmehr soll sie Anregungen und Impulse geben. Einzelne Maßnahmen wie z.B. Trainings allein dürften allerdings nicht zum gewünschten Erfolg führen. Denn ein erfolgreiches DiM erfordert, wie auch Sackmann, Bissels und Bissels (2002, S. 48) betonen, eine Kombination von Maßnahmen, die sich auf die Organisation insgesamt, auf die Team- bzw. Gruppenebene und auf die individuelle Ebene beziehen.
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Alicia Alvarez
Praxisbeispiel Ford-Werke GmbH, Köln: Erfolgreiche Implementierung von Diversity 1. Hintergrund und Verständnis von Diversity bei Ford Bei Ford arbeiten rund 300.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in mehr als 100 Werken weltweit und fertigen Automobile und Autoteile, die in über 200 Märkten auf sechs Kontinenten verkauft werden. Diese Daten der Ford Motor Company machen die globalen Dimensionen des Unternehmens deutlich und damit die Bedeutung von Diversity. Ford sieht in der Vielfalt seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Stärke des Unternehmens und verfolgt Diversity als Strategie. Diversity bedeutet für die Ford-Werke GmbH (24.124 Beschäftigte in Deutschland) die Sensibilität im Umgang mit Menschen aus 57 Nationen sowie Wertschätzung und Respekt aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gleich welchen Geschlechts, Alters, welcher Herkunft, sexuellen Identität und Orientierung, welchen religiösen Ansichten, ob mit oder ohne Behinderung usw. Ford hat eine Vision von Diversity mit dem Ziel, ein Umfeld zu schaffen, das x eine Kultur fördert, in der jeder zum Erfolg von Ford beitragen kann, x die Unterschiede und Fähigkeiten aller Beschäftigten wertschätzt, x den Vorteil von vielfältig zusammengesetzten Arbeitsteams nutzt. Diversity steht für den ganzheitlichen Ansatz, die Unterschiedlichkeiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Chance und Potenzial für diese selbst, aber auch für das Unternehmen zu verstehen. Sichtbarer Ausdruck sind vielfältige Aktivitäten im Unternehmen, an denen sich viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aktiv beteiligen und ständig neue Ideen entwickeln, die langfristig eine Kulturveränderung bewirken werden. Diversity bei Ford unterstützt die Geschäfts- und Markenstrategie und orientiert sich an gesellschaftlichen Veränderungen. Aus wirtschaftlichen Gründen setzt Ford auf „bunt“ zusammengesetzte Teams, die gleichzeitig die Vielfalt der Kunden und Kundinnen abbilden.
Alicia Alvarez, Diversity Managerin Deutschland, Ford-Werke GmbH, Köln. E-Mail:
[email protected] 81
2. Organisatorische Eingliederung von Diversity Seit mehr als zehn Jahren ist Diversity fester Bestandteil der Unternehmensstrategie bei der Ford Motor Company und wird weltweit umgesetzt. Im Anfangsjahr 1996 wurde das „Global Diversity Council“, das höchste Entscheidungsgremium zu Diversity, gegründet, dem das gesamte globale Senior Management angehört. Ebenfalls seit 1996 gibt es Diversity Councils in Europa, aus denen sich unternehmensübergreifende Organisationen gebildet haben, die vielfach untereinander vernetzt sind. Der Aufbau der Diversity Organisation bei Ford in Europa sowie die Vernetzung untereinander und zu anderen Unternehmensbereichen sind in Abbildung 1 zu erkennen:
Diversity Organisation Europäisches Europäisches Diversity Diversity Team Team -- Europäischer Europäischer Diversity Diversity Manager Manager -- Nationale Nationale Diversity Diversity Manager Manager -- ExpertInnengruppen ExpertInnengruppen
Linienorganisation
Europäisches Europäisches Diversity Diversity Council Council
Nationale Nationale Diversity Diversity Councils Councils Mitarbeiter-Gruppen Mitarbeiter-Gruppen -- Geschlecht Geschlecht -- Migration Migration -- Sexuelle Sexuelle Orientierung Orientierung -- Elternnetzwerk Elternnetzwerk -- Arbeiten Arbeiten && Pflegen Pflegen
Funktionale Funktionale Diversity Diversity Councils Councils
Abb. 1: Diversity Organisation bei Ford in Europa
Im Europäischen Diversity Council sind die Mitglieder des Vorstandes von Ford Europa vertreten. Hier werden die Entscheidungen zu Diversity in Europa getroffen, und die Council Mitglieder fördern Projekte und Mitarbeiternetzwerke als Sponsoren. Um die Ideen und Beiträge aller Beschäftigten sichtbar und nutzbar zu machen gibt es so genannte „Employee Resource Groups“. Das sind Netzwerke, in denen sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit gleichen Hintergründen, Interessen und Perspektiven zusammenfinden. Die jeweiligen Sichtweisen werden untereinander, wie auch mit dem Unternehmen geteilt. Diese Gruppen sind unabhängig und nicht Bestandteil der Ford Organisation. Allerdings werden sie von ihren Sponsoren aus dem Senior Management unterstützt. Wenn sie nach den Ford Richtlinien anerkannt werden, dann dürfen sie Unternehmenseinrichtungen nutzen und bekommen nach Absprache ein Budget zur Verfügung gestellt. Als Mitarbeitergruppen sind in Deutschland aktiv: x Women’s Engineering Panel (WEP), x Women’s Product Panel (WPP),
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x x x x x x
Women in HR (WiHR), Women in IT, Elternnetzwerk, Turkish Resource Group (TRG), Gay, Lesbian Or Bisexual Employees (GLOBE), Arbeiten & Pflegen (s.u. 4.).
Diversity bei Ford bedeutet kein Defizitprogramm, das Benachteiligte fördert. Das spiegelt sich auch im Selbstverständnis und Ansehen der Mitarbeitergruppen wider. Sie gelten als kompetent und werden häufig um ihre Expertenmeinungen gefragt. Manche arbeiten im europäischen bzw. globalen Verbund mit Kollegen auf der ganzen Welt zusammen. Die Gruppen sind für alle offen. Es müssen keine bestimmten Anforderungen erfüllt sein, um Mitglied zu werden. Mehrere Mitgliedschaften sind möglich, so dass sich z.B. die türkische Kollegin nicht entscheiden muss, ob sie sich in der TRG oder einem Frauennetzwerk engagiert. Die Gruppen arbeiten zusammen und beraten sich gegenseitig. Übergreifende Themen können gemeinschaftlich bearbeitet werden: 2003 trafen sich beim ersten Frauen-Workshop Vertreterinnen aller Netzwerke, um Sichtweisen von Frauen mit unterschiedlicher Herkunft oder sexueller Orientierung aus Ingenieur-, Forschungs-, Fertigungs- oder Stabsbereichen einzubringen.
3. Schwerpunkt Gender: WEP, FiT und deren Projekte Nachfolgend werden das Mitarbeiterinnennetzwerk „Women’s Engineering Panel“ (WEP) sowie das Projektteam „Frauen in technischen Berufen“ (FiT) ausführlicher vorgestellt. Das WEP hat entscheidenden Anteil daran, dass die Projektarbeit des FiTTeams umgesetzt werden kann. Beide Gruppen bilden ein enges Bündnis, das Durchführung und Wirkung der spezifischen Projekte erfolgreicher werden lässt.
3.1 Das Women’s Engineering Panel (WEP) Das WEP hat sich 1993 mit dem Ziel gegründet, mehr Ingenieurinnen zu rekrutieren und somit deren Anteil bei Ford zu erhöhen. Dies geschieht einerseits, um eine vielfältigere Belegschaft zu haben, andererseits, um die Perspektive von Frauen bei Ford zu berücksichtigen. Das WEP hat zahlreiche Aktionen initiiert bzw. unterstützt: x Unterstützung von Recruiting-Aktionen, x Initiierung und Durchführung von Programmen mit Schülerinnen, x Mentoring u.a. im Rahmen des Henry-Ford-Stipendiums für Studentinnen, x Veranstaltung eines Frauenstammtisches, x Unterstützung des dualen Ausbildungsprogramms Do2, x Organisation von Netzwerkveranstaltungen, x enge Zusammenarbeit mit dem FiT-Team (s.u. 3.2).
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Das WEP hat einen hohen Bekanntheitsgrad vor allem auch im Senior Management und bekommt entsprechende Unterstützung bei den Projekten. Seit es die Arbeit aufnahm, hat sich der Frauenanteil in den Ingenieursbereichen spürbar erhöht. Das WEP ist für seine Leistungen intern wie extern mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden.
3.2 Frauen in technischen Berufen (FiT) FiT existiert seit Herbst 1999 und ist aus einem Kooperationsprojekt zwischen den Ford-Werken Köln und dem Schulverwaltungsamt der Stadt Köln entstanden. Zunächst als Modellprojekt angelegt, wird FiT – nach einigen konzeptionellen Veränderungen – seit Herbst 2002 als stetiges Angebot bei der Ford-Werke GmbH weitergeführt. Das FiT-Team besteht zurzeit aus drei Frauen: zwei Pädagoginnen und einer Energieelektronikerin. Diese arbeiten mit rund 200 Frauen und Männern aus den Werks- und Entwicklungsbereichen bei Ford zusammen. Das FiT-Team betreut Mädchen während der Praktika, gibt Informationen an sie weiter, gewährt Einblicke in unterschiedliche Arbeitsbereiche, organisiert Werksbesichtigungen etc. Besonders unterstützt wird das FiT-Team von den Frauen des WEP. Externe Kooperationen bestehen mit dem Projekt Do-Ing (RWTH Aachen), der FH Köln und der Universität Wuppertal. Diese informieren über das Studium, gewähren Einblicke in den Studienalltag oder vermitteln Absolventinnen von universitären Sommerkursen zum Praktikum. Andere Kooperationspartnerinnen sind die Regionalstellen „Frau und Beruf“, kommunale Gleichstellungsbeauftragte, die Landesinitiative ‚Miss Technik‘ und Frauenbeauftragte an Universitäten. FiT verfolgt drei Hauptziele: x die Erweiterung des Berufswahlspektrums von Mädchen in Hinblick auf gewerblichtechnische Berufe, x die Steigerung des Anteils weiblicher Auszubildender in der gewerblich-technischen Ausbildung bei Ford, x die Gewinnung von jungen Frauen für die Aufnahme eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums. Mit der Verwirklichung des FiT-Projektes verfolgte das Schulamt der Stadt Köln zum einen seinen bildungspolitischen Auftrag, Schülerinnen den Kontakt zur Arbeitswelt zu ermöglichen und so eine Grundlage für eine begründete Berufswahlentscheidung zu schaffen, und zum anderen den Auftrag zur Gleichstellung der Geschlechter. Für die Ford-Werke GmbH sind es im Wesentlichen drei Gesichtspunkte, die die Entscheidung zur Installierung und Fortführung des Projektes FiT bedingen: x Sicherung qualifizierten Nachwuchses: Mädchen erzielen in der Regel bessere und höhere Schulabschlüsse als Jungen, in Berufsausbildung und Studium zeigen sie mindestens genauso gute oder bessere Leistungen als Jungen. Ein Unternehmen, das auf qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen ist, kann es sich nicht leisten, auf die Hälfte des potenziellen Nachwuchses zu verzichten; x Diversity als Unternehmensstrategie von Ford aufgrund der Erkenntnis, dass Menschen in gemischten Teams effektiver arbeiten und Entscheidungen tragfähiger sind; 84
x der „Business Case“ von Diversity: Berücksichtigung der Ansprüche von Frauen bei der Fahrzeugentwicklung. Frauen stellen ein großes Segment des Kundenmarktes dar (ca. 30%) und entscheiden bei der überwiegenden Zahl der Kaufentscheidungen für ein Fahrzeug zumindest mit (ca. 70%). Die Einbeziehung von Facharbeiterinnen und Ingenieurinnen in Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen gewährleistet, dass die hergestellten Produkte den Ansprüchen der potentiellen Käuferinnen entsprechen. Vor dem Hintergrund des pädagogischen und soziologischen Wissensstandes zur Berufs- und Lebensplanung von jungen Frauen wurden einige grundlegende Kriterien für die durchgeführten Maßnahmen festgelegt. FiT soll: x Kontakte zwischen Mädchen und (jungen) Frauen in technischen Berufen (Auszubildende, Facharbeiterinnen, Ingenieurinnen) herstellen, x Mädchen direkte Einblicke in die Ausbildung/Arbeitswelt technischer Berufe bei Ford ermöglichen, x das Vertrauen der Mädchen in ihre handwerklich-technischen Fähigkeiten stärken, x das Interesse und den Spaß an als ‚theorie-lastig‘ geltenden Fächern wie Physik fördern, x zusätzliche Praktikumsmöglichkeiten (über das Schülerinnenbetriebspraktikum hinaus) eröffnen.
Facharbeiterinnen
Ingenieurinnen
Bei FiT wird grundsätzlich in reinen Mädchengruppen gearbeitet. Die Angebote richten sich an Mädchen der Jahrgangsstufen 7 bis 13 von Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien sowie Studentinnen – eine Ausweitung auch auf jüngere Altersgruppen ist angestrebt – und folgen einem Stufenplan (vgl. Abbildung 2).
P h ys ik zu m B e -G re ife n
T ry-In g & T e st-In g
In fo ta g Do2 T e ch n ik
H e n ry F o rd S tip e n d iu m M e n to rin g
G irls ‘ D a y P ra xis p ro je k te K e rze n h a lte r
B e s ic h tig u n g L e h rw e rk sta tt S c h ü le rin n e n • F erie n p ra k tik a • s tu d . P ra k tik a
G ym n a s ia s tin n e n
S tu d e n tin n e n
• B e r u fsin fo ta g in d e r B e r u fs a u s b ild u n g • S c h ü le rin n e n in fo ta g im E n tw ic k lu n g s z e n tru m
Abb. 2: Ford-Stufenplan für Schülerinnen und Studentinnen
Ausgehend von der Überlegung, dass die Entscheidung für einen eher untypischen Ausbildungs- und Berufsweg den Mädchen ein hohes Maß an Motivation und Überzeugung abfordert, ist der Plan so gestaltet, dass die Mädchen regelmäßig an Angeboten des FiTTeams teilnehmen können und so überprüfen, ob für sie eine technische Ausbildung bzw. ein technisches Studium in Frage kommt.
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4. Schwerpunkt Demographischer Wandel: Das Beispiel „Arbeiten & Pflegen“ Die Auswirkungen des demographischen Wandels sind auch im Unternehmen spürbar und haben Einfluss auf Leben und Arbeit. Durch die ständig steigende Lebenserwartung der Bevölkerung erhöht sich grundsätzlich das Risiko, dass wir uns als Berufstätige plötzlich um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern müssen. Dies führt zu ganz erheblichen zeitlichen, psychischen und manchmal auch finanziellen Belastungen. Viele der Gründungsmitglieder haben das selbst erlebt und sich deshalb 2003 zur Mitarbeitergruppe „Arbeiten & Pflegen“ zusammengeschlossen. Die Gruppe wird unterstützt von den Experten der Ford Betriebskrankenkasse (Ford BKK), des Ford Gesundheitsdienstes und der Personalabteilung. Ein Roll-out auf andere Standorte ist geplant, in Ford of Britain wurde bereits die Mitarbeitergruppe „Elderly Care“ als Pendant zur deutschen Gruppe gegründet. Ziele von „Arbeiten & Pflegen“ sind: x ein Mitarbeiternetzwerk zur Unterstützung von Beschäftigten mit pflegebedürftigen Angehörigen zu schaffen, x eine Basis für den Erfahrungsaustausch zu bilden, x für die bessere Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen zu sorgen, x den demographischen Wandel und seine Folgen in das Bewusstsein der Ford-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen zu rücken und x einen regelmäßigen Austausch mit anderen Ford-Standorten zum Thema „Arbeiten & Pflegen“ zu etablieren. Durch „Arbeiten & Pflegen“ konnten bisher folgende Resultate und Erfolge erzielt werden: x Die Mitarbeitergruppe trifft sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch sowie zur strategischen Auslegung des Themas innerhalb des Unternehmens. x Für Betroffene wird während der jährlichen Diversity & WorkLife Woche von Ford der Workshop zum Thema „Pflege von Angehörigen“ durchgeführt. x Ein schriftlicher Notfallplan wurde in deutscher und türkischer Sprache erstellt. x Durch individuelle Vereinbarungen werden ungeplante Abwesenheiten reduziert. x Betroffene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind motiviert, weil sie durch die Mitarbeitergruppe unterstützt werden. x Die Ford-Werke GmbH wird von der Gruppe hinsichtlich der Bedürfnisse und Anforderungen von Beschäftigten in Bezug auf den demographischen Wandel unterstützt und beraten. x Intern sowie extern erfolgt eine regelmäßige Kommunikation durch die Mitarbeitergruppe, wobei sie ihre Rolle, Verantwortlichkeit und Zielsetzung darstellt.
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„Arbeiten & Pflegen“ nutzt jede Möglichkeit, sachlich und einfühlsam über das Thema zu sprechen. Denn nur, wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Vorgesetzte sensibilisiert sind, kann es zu einer veränderten Sichtweise bezüglich der Problematik pflegebedürftiger Angehöriger kommen.
5. Schwerpunkt: Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz Für Ford Europa wurde 2002 eine einheitliche „Dignity at Work Policy“ verabschiedet. Bei der Ford-Werke GmbH in Deutschland ist diese Grundlage der seit 2002 gültigen Ford Betriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“, die Belästigungen aller Art und Diskriminierung verbietet. Bei Verstößen können disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Entlassung erfolgen. Hier besteht auch eine Verbindung zu der weltweiten „Zero Tolerance Policy“ von Ford, die seit 1997 alle, und insbesondere die Führungskräfte, auffordert, keinerlei Toleranz gegenüber jeglicher Art von Belästigung und Diskriminierung zu zeigen. Dadurch wurde ein Umfeld geschaffen, in dem Konflikte besser aufgefangen und bearbeitet werden können. Abbildung 3 verdeutlicht die in der Betriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ (BV) vorgesehenen Stufen der Behandlung von Konflikten bzw. Beschwerden darüber.
Stufen der Beschwerdebehandlung lt. BV (Eskalation bei Konflikten) Ggf. Hilfestellung für den Bereich oder den Betroffenen intern oder extern
Ggf. weiteres Vermittlungsgespräch aller Beteiligten unter Hinzuziehung des nächsthöheren Vorgesetzten
Ggf. Vermittlungsgespräch der Konfliktgegner unter Leitung eines Mitgliedes der Beratungsstelle (auf Wunsch Hinzunahme weiterer Beteiligter, wie z.B. BR, HR, Gesundheitsdienst etc.)
Ggf. Weiterleitung des Falles an die betriebliche Beratungsstelle Beschwerde bei Human Resources, Betriebsrat oder
oder
Beschwerde bei einem Mitglied der betrieblichen Beratungsstelle
Gesundheitsdienst
Abb. 3: Stufen der Beschwerdebehandlung laut Betriebsvereinbarung
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Die betriebliche Beratungsstelle wurde 2002 im Rahmen der Ford-Betriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ von der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat der Ford-Werke GmbH eingerichtet. Sie hat folgende Rolle und Aufgaben (vgl. auch Abbildung 3): x Prävention von Mobbing am Arbeitsplatz durch Information und Aufklärung, x Beratung – einzeln oder in Gruppen, x Vermittlung zwischen den Konflikt-Parteien, x Hilfe zur Selbsthilfe, x Vermittlung von interner und externer Hilfe und x professionelle Gesprächsführung (Neutralität, Objektivität und Verschwiegenheit). Die betriebliche Beratungsstelle hat acht Mitglieder, die sich ehrenamtlich bzw. nebenberuflich engagieren. Sie ist paritätisch zusammengesetzt aus Mitgliedern der Geschäftsleitung (Personalabteilung, Werksleitung und Gesundheitsdienst) und des Betriebsrates und trifft sich alle zwei Wochen zur Besprechung von aktuellen Fällen, zum Erfahrungsaustausch und zur Planung weiterer Aktivitäten. Die Zielgruppe umfasst alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (auch Vorgesetzte).
6. Ausblick Seit über zehn Jahren hat Ford nun Erfahrungen in der Umsetzung von Diversity gesammelt. Zurückblickend kann man festhalten, dass bereits vieles erreicht und noch mehr auf den Weg gebracht wurde. Diversity wird nicht mehr als „Förderprogramm für Minderheiten“ gesehen, sondern als Chance. Es wird deutlich, dass sich die Unternehmenskultur geändert hat. Die Einsicht wächst, dass es nicht um die Erfüllung von Quoten von „Frauen und Ausländern“ geht, sondern um die Kompetenz, mit den Unterschiedlichkeiten der Belegschaft produktiv umgehen zu können. Diese Kompetenz zu vermitteln ist ebenso wichtig wie die Mischung der Unterschiede in der Belegschaft, also die Repräsentanz im Unternehmen im Vergleich zu dominanten Gruppen. Bei Ford sind die Bedeutung und das Potenzial von Diversity erkannt worden. Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Rolle der Frau im (Geschäfts-)Leben, einer immer älter werdenden Bevölkerung sowie einer weiteren Internationalisierung auch durch die EU-Ost-Erweiterung, wird Diversity für alle Organisationen weiter an Bedeutung gewinnen. Für die nahe Zukunft wird auch die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinen der Europäischen Union im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ein wichtiges Thema sein, mit dem sich die Ford-Werke GmbH und insbesondere das Diversity-Büro befassen werden. Die Ford-Werke GmbH begrüßt die Zielsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, da Gleichbehandlung von jeher als integraler Bestandteil der Unternehmenskultur und Personalprozesse verstanden wird. Durch das Gesetz wird die Auffassung von Ford bestätigt, dass Gleichberechtigung und Wertschätzung der Belegschaft essenzielle Bestandteile moderner und zukunftsweisender Personalarbeit darstellen. 88
Monika Rühl
Praxisbeispiel Lufthansa: Diversity – Argumente, Strategie, Maßnahmen 1. Zum Verständnis von „Diversity“ „Diversity“ lässt sich mit „Vielfalt“ übersetzen. Marilyn Loden (vgl. 1996, S. 14ff) unterscheidet hier zwischen Primärkriterien (Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung, sexuelle Orientierung) und Sekundärkriterien (wie familiäre Situation oder Wohnort). Andere Annäherungen unterscheiden zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Differenzierungsmerkmalen. Der Diversity-Ansatz ist nicht in erster Linie rechtlich begründet, z.B. durch das deutsche Grundgesetz oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, sondern wird von Unternehmen – und insbesondere auch von der Lufthansa – eher proaktiv aufgegriffen. Die Interdependenz von Wertschätzung des Individuums und Produktivität für das Unternehmen ist offensichtlich. Damit halten sich ethische und wirtschaftliche Überlegungen die Waage. Wenn die Chancengleichheit der Geschlechter über den Diversity-Ansatz thematisiert wird, ist sie eher neutralisiert und kann im Unternehmen besser Beachtung finden. Allerdings sollte Diversity nicht auf die Geschlechterproblematik beschränkt sein, sondern den gesamten Themenkomplex umfassen. Dies entspricht schließlich auch dem Gebot der Fairness, das dem Ziel der Chancengleichheit zugrunde liegt.
2. Managing Diversity auf dem Weg von den USA nach Deutschland Der Diversity-Ansatz stammt aus den USA, wo die Bevölkerung multikultureller ist. Aber die demographische Situation in Deutschland führt zwangsläufig dazu, sich auch hier das gesamte Potenzial an Arbeitskräften erschließen zu müssen. Als Vorreiter in den USA importierten Unternehmen wie IBM, Ford oder Hewlett Packard das Thema „Diversity“ über ihre hiesigen Standorte nach Deutschland. Aber auch deutsche Großkonzerne, die mit US-amerikanischen Unternehmen fusioniert sind – z.B. DaimlerChrysler und die Deutsche Bank/Bankers Trust – haben das Thema durch den USamerikanischen Partner nach Deutschland gebracht. Lufthansa ist in Deutschland das erste Unternehmen, das ohne derartige externe Einwirkungen, d.h. von sich heraus, und aus nahe liegenden Motiven das Thema „Diversity“ bereits im Jahr 2000 aufgegriffen hat. Dafür gab es zahlreiche Ursachen. Monika Rühl, Leiterin Change Management und Diversity, Deutsche Lufthansa Aktiengesellschaft (FRA PL/M), Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] 89
3. Warum ist „Diversity“ für Lufthansa ein wichtiges Thema? Wie kaum ein anderes Unternehmen verkörpert Lufthansa Internationalität – in Bezug auf die Kunden und die Mitarbeitenden: Menschen aus 145* Nationen arbeiten bei Lufthansa, in Deutschland allein aus 117 Nationen. 99 Länder werden angeflogen, 152 insgesamt von der Star Alliance. International war das Geschäft schon immer. Heute kommen wegen der Globalisierung neue Parameter in das Geschäft: Kunden können direkt mit der Airline ein Geschäft abwickeln, die Reisebüros verlieren an Bedeutung. Der Zugang zu Kunden aus der ganzen Welt ist leichter, der Kundenmarkt für Lufthansa vielfältiger geworden. Der Gedanke der Diversifizierung findet sich auch in der Airline-Strategie der Lufthansa wieder: Für jedes Kundensegment (von Top Class bis zum Rucksacktouristen) gibt es im Portfolio Lösungen. Auch in der Beteiligungsstrategie wird dem Grundsatz der Marken-Vielfalt Rechnung getragen. Zudem kooperiert Lufthansa heute in der Star Alliance mit 17 weiteren Airlines (Air Canada, Air New Zealand, All Nippon Airways, Asiana Airlines, Austrian Airlines, British Midland, Polish Airlines, Scandinavian Airlines, Singapore Airlines, South African Airways, Spanair, SWISS, Tap Portugal, Thai Airways, United Airlines, US Airways, Varig). Nicht nur durch die Harmonisierung der Flugpläne ist Fliegen für Kunden nahtloser geworden. Hinzu kommt, dass United nicht mehr jeden Flug in Europa selbst durchführt, sondern z.B. durch Lufthansa wahrnehmen lässt. Auch dadurch steigt die Kundenvielfalt der Lufthansa. Die Internationalisierungsstrategie findet sich auch in der Human-Resource-Strategie wieder. Heute sind noch immer die Majoritäten der mittleren und oberen Führungskräfte deutsch, obwohl Lufthansa sehr international aufgestellt ist. Auch bei den Mitarbeitern in Deutschland überwiegen Menschen mit deutschem Pass – möglicherweise mit noch einem zweiten – deutlich. Auch andere „Minderheiten“ (Schwerbehinderte z.B.) sind im Konzern zwar ausdrücklich willkommen, aber Lufthansa liegt hier bei der Beschäftigungsquote mit 3,4% in Deutschland nur im deutschen Durchschnitt. Das liegt u.a. auch daran, dass gut ein Drittel aller Beschäftigten in Deutschland zum Bordpersonal gehört, wo Schwerbehinderte nur in wenigen Ausnahmefällen beschäftigt werden dürfen. Der Anteil von Frauen bei den oberen Führungskräften hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen und liegt über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Er könnte mit knapp 13% in den nächsten Jahren weiter steigen, da es inzwischen genügend qualifizierte Frauen gibt. Ein wichtiger Aspekt sind auch Engpässe bei der Rekrutierung geeigneten Mitarbeiternachwuchses. Die Anforderungen an Mitarbeitende nehmen im Hinblick auf Dynamik und Komplexität zu. Dieser Bedarf kann nicht allein durch Männer aus dem Inland gedeckt werden. Das bedeutet erhöhte Chancen für Frauen, für nicht mehr ganz Junge, Schwerbehinderte und Menschen anderer nationaler und/oder ethnischer Herkunft. Sowohl dieser Rekrutierungsengpass und die infolgedessen kreativere „work force“ als *
Sämtliche Zahlen beziehen sich auf den Stichtag 31.12.2005.
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auch die Überlegung, dass heterogene Teams bessere und nachhaltigere Ergebnisse produzieren als homogene, begünstigen eine Personalpolitik, die Diversity zwingend als Themenschwerpunkt hat. Hinzu kommt ein ethisches Motiv: Rückt man Menschen in den Vordergrund des wirtschaftlichen Tuns, muss es einem Unternehmen gelingen, Wertschätzung für jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin aufzubringen und niemanden zu benachteiligen – und dies auch von seinen Mitarbeitenden erwarten.
4. Strategie und Schwerpunkte Ob ein personalpolitisches Thema Aussicht auf Erfolg hat, hängt nicht nur von den mit der Umsetzung betrauten Personen, sondern auch vom Management Commitment ab. War das Thema Chancengleichheit bei Lufthansa zunächst eines, das vor allem von der Mitarbeitervertretung „getrieben“ wurde, ist die Initiative für „Diversity“ vom neuen Personalvorstand, Stefan Lauer und dem gesamten Vorstand, ausgegangen. Dieser Topdown-Ansatz ist erfolgversprechender als ein Bottom-up-Ansatz, denn bei Vorstandsaufträgen sind der Erfolgsdruck und die Unterstützung durch das Unternehmen wesentlich größer. Allerdings muss dann die Basis gewonnen werden. Das Thema „Diversity“ wurde im Lufthansa-Konzern bereits vor der Bündelung in einer Organisationseinheit dezentral wahrgenommen. Folglich gab es bereits eine Fülle von Konzepten und Maßnahmen, insbesondere zu den Schwerpunkten „Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern“ und „bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“. Als ein Ergebnis dieser Maßnahmen ist z.B., wie erwähnt, der Anteil von Frauen in Führungspositionen (Definition nach dem BetrVG) auf 12,7% gestiegen. Inzwischen gibt es 3,9% Frauen im Cockpit, ein bemerkenswerter Erfolg angesichts dessen, dass bis vor 17 Jahren Frauen im Cockpit überhaupt nicht zugelassen waren und bis vor Kurzem die Anzahl der Bewerbungen von Frauen bei ca. 5% pro Jahr lag und erst im Jahr 2000 auf ca. 7% gestiegen ist. In der Öffentlichkeit in Erscheinung tretende Pilotinnen als Vorbilder und die Aussicht auf eine über Managementgehältern liegende Vergütung dienen als Anreize für Frauen, diesen durchaus mit Familienpflichten zu vereinbarenden Beruf zu ergreifen. Zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind alle modernen Tools von Arbeitszeit-Flexibilität bis hin zur betrieblich geförderten Betreuung von Kindern und Älteren – auch in Ausnahmesituationen – im Unternehmen vorhanden. Auffallend ist der hohe Teilzeit-Anteil von 22% aller Mitarbeitenden, von denen über 30% Männer sind. Im Hinblick auf den Diversity-Schwerpunkt „Behinderung“ sorgen die Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen des SGB IX (Sozialgesetzbuch) – und zwar insbesondere die Anpassung der Pflichtquote (bislang 5%) zum Januar 2004 – für eine noch stärkere personalpolitische Fokussierung. Auch hier rücken neben ethischen verstärkt wirtschaftliche Überlegungen in den Mittelpunkt: Der enger werdende Arbeitsmarkt (hier vor allem für qualifizierte Menschen) gibt bisher als Randgruppen
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angesehenen Menschen eine größere Chance. Zum besseren Verständnis der Schwerbehinderten und zum Abbau von Vorurteilen erleichtert das interne Mentoring für Mitarbeitende mit Behinderung die Integration. Für Leistungsveränderte stellt „Employability“ eine hohe Anforderung an das Personalmanagement und an die Betroffenen gleichermaßen. Der Diversity-Aspekt „Alter“ rückt wegen der demographischen Entwicklung wesentlich stärker in den personalpolitischen Fokus als bisher. Der heute oft noch spürbare „Jugendkult“ wird abgelöst durch das Miteinander von Jungen und nicht mehr so Jungen – den Senior Professionals. Gerade die Kombination von Erfahrung und neuen Ideen ermöglichen eine optimale betriebliche Umsetzung von Konzepten. In diesem Kontext wird ein Konzept einer altersintegrierten Personalentwicklung umgesetzt. Für ein globales Unternehmen wie Lufthansa, das Internationalität transportiert, hat der Diversity-Schwerpunkt „Herkunft“ automatisch hohe Priorität. Für das Interagieren innerhalb und außerhalb des Unternehmens ist generell interkulturelle Kompetenz erforderlich. Diese wird im Unternehmen schon seit vielen Jahren geschult. Möglicherweise kann auch hier im face-to-face durch Mentoring das Verstehen nachhaltig gefördert werden. Internationaler Austausch und Praktika sind schon lange Praxis, müssen jedoch zahlenmäßig noch vergrößert werden. So werden die Teilnehmenden des ProTeams – dem Pool der hoch qualifizierten Führungsnachwuchskräfte – für einen Teil ihrer „Trainee“-Zeit ins Ausland entsandt. In Kooperation mit der Star Alliance gibt es Personalaustausch, der die interkulturelle Kompetenz erhöht. Auch die Entsendungen (Expatriation, Inpatriation und Drittlandentsendungen) erhöhen die cross-kulturellen Fähigkeiten des Einzelnen und des Unternehmens. Diversity hat in den letzten Jahren unsere Unternehmenskultur nachhaltig verändert. Wie bei jedem Change-Prozess war die begleitende Kommunikation ein entscheidender Faktor. Besonders hilfreich war die Unterstützung durch den Vorstand („top down“). Dabei wurde das Managementverhalten von der Orientierung „Managing Diversity“ geprägt, das heißt die vorhandene menschliche Vielfalt gewinnbringend zu nutzen. Diversity veränderte auch die Form der Arbeit: Gemischte Teams brauchen zwar mehr Zeit, einander zu verstehen und missverständnisfrei zu kommunizieren. Jedoch sind die so entstandenen Ergebnisse marktnäher und damit tragfähiger als monokulturelle Entscheidungen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Diversity mehr Chancen als Einschränkungen bietet und keine neue Managementmethode aus den USA ist, die auch wieder über kurz oder lang verschwinden wird. Vielmehr baut Diversity auf den Grundfesten jeder zivilisierten Gesellschaftsordnung auf, die Respekt für jedes ihrer Mitglieder aufbringt.
Literatur Lewis, Richard D. (2002): When Cultures Collide, London. Loden, Marilyn (1996): Implementing Diversity, New York u.a. Rühl, Monika/Hoffmann, Jochen (2001): Chancengleichheit managen – Basis moderner Personalpolitik, Wiesbaden.
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Maud Pagel und Barbara Mauz
Praxisbeispiel Deutsche Telekom: Diversity als Strategie 1. Zielsetzungen Die Grundidee ist einfach: Ein Konzern wie die Deutsche Telekom lebt von der Vielfalt seiner MitarbeiterInnen. Doch Diversity als Strategie bzw. Diversity Management meint mehr: ein umfassendes Managementkonzept, das auf gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung aufbaut und die Vielfalt der Beschäftigten strategisch nutzt – im Interesse des wirtschaftlichen Erfolgs. Ebenso vielfältig sind die Kunden- und Geschäftsbeziehungen, auf die alle Strategien ausgerichtet sind. Diversity orientiert sich dabei eng an den betrieblichen Prozessen, an den Notwendigkeiten und Bedingungen der Geschäftsfelder im Konzern und an der besonderen Situation der Deutschen Telekom auf dem Weltmarkt. Mit anderen Worten: Diversity als Managementkonzept bedeutet, Individualität zu erkennen und anzuerkennen. Es geht um die Wertschätzung einer jeden Mitarbeiterin und Kundin, eines jeden Mitarbeiters und Kunden – unabhängig von z.B. Geschlecht, Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, religiöser Glaubensprägung oder sexueller Orientierung.
2. Von Frauenförderung zu Chancengleichheit und Diversity Dem Bereich Chancengleichheit liegt eine ebenso bewegte Entwicklung zugrunde wie dem gesamten Unternehmen. Die fortschreitende Internationalisierung der Deutschen Telekom, die Veränderung der Märkte und die demographische Entwicklung führten folgerichtig zur Implementierung von Diversity. Unser schon 1992 verabschiedetes „Frauenförderkonzept“ bildete lange Zeit die Basis der Gleichstellungsarbeit. Mit Abschluss eines Tarifvertrages 2000 und einer Konzernbetriebsvereinbarung zu Gleichstellung und Chancengleichheit 2001 wurden weitere Meilensteine gesetzt. „Frauen sollen dort gefördert werden, wo sie unterrepräsentiert Maud Pagel, Leiterin Diversity im Konzern (DIV) Deutsche Telekom, Bonn. E-Mail:
[email protected] Barbara Mauz, Referentin Diversity im Konzern Deutsche Telekom, Bonn. E-Mail:
[email protected] 93
sind“ – diese Aussage aus der Konzernbetriebsvereinbarung ist nach wie vor aktuell. Frauen soll ermöglicht werden, sich zu entwickeln und ihre Perspektiven einzubringen – zum Nutzen des gesamten Unternehmens. So tritt die Deutsche Telekom frühzeitig in Kontakt zu Schülerinnen, bietet in zahlreichen Frauen-Netzwerken intensive Fördermöglichkeiten für weibliche Karrieren und setzt auf Frauen in bislang von Männern dominierten Berufsfeldern. Das Konzernleitbild „T-Spirit“ mit seinen sechs zentralen Werten bestimmt darüber hinaus unser Handeln. „Respekt“ wird u.a. durch „Diversity“ mit Leben erfüllt. An den nachfolgenden Schwerpunkten wird deutlich, wie sich aus unternehmerischen und gesellschaftlichen Erfordernissen ein Diversity Management darstellt.
3. Aktivitäten und Schwerpunkte als Beispiele 3.1 Diversity Der Realisierung von Diversity Management dienen folgende Maßnahmen: x Diversity Policy: Die 2004 vom Vorstand beschlossene Policy legt die Eckpunkte für ein „Diversity-Management“ fest. Sie unterstreicht den Willen, Verbesserungspotenziale konsequent zu identifizieren und zu nutzen. Ihre bindende Beachtung und Umsetzung trägt dazu bei, unser Konzernleitbild mit Leben zu füllen und für Beschäftigte und Unternehmen gewinnbringend einzusetzen. x Diversity Board und Diversity Councils: Mit ihnen wird der Konzern dafür sorgen, dass Strategie und Ziele von Diversity Management national und international effektiv umgesetzt werden. Dabei wird das „Diversity Board“ für die konzernweiten Ziele und die Entwicklung eines Business-Kontextes verantwortlich zeichnen. Die „Diversity Councils“ verantworten die Umsetzung der Konzernziele und der landesspezifischen Ziele. x Diversity Toolbox: Sensibilisieren, qualifizieren und informieren. Die „Diversity Toolbox“ bietet Führungskräften und allen Beschäftigten moderne Arbeits- und Kommunikationshilfen: Organisation von Workshops, Broschüren Informationsschriften, Präsentationen und Filme – um Wissenslücken zu schließen und die Chancen für die vorhandene Vielfalt auszuweiten. x Diversity Award: Aus dem „Frauenförderpreis“ entwickelte sich zunächst der „Preis für Chancengleichheit“ und 2006 erstmalig der „Diversity Award“ unter dem Motto „Living Diversity. Mehr-Werte schaffen“. Mit ihm will die Deutsche Telekom Projekte würdigen, die vorbildlich auf Diversity in Fragen des Geschlechts, der Altersstruktur, der Kultur oder der Sprache eingehen. Alle nationalen und internationalen Einheiten werden im zweijährigen Turnus zur Teilnahme aufgefordert.
3.2 Work and Life Balance Beruf und Lebensinhalte miteinander vereinbaren, dazu sollen im Konzern Deutsche Telekom die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu dient Folgendes:
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Um bundesweit Beschäftigte an vielen Standorten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen, hat der Vorstand der Deutschen Telekom die Einrichtung eines Familienfonds beschlossen. Alle Konzerneinheiten zahlen jährlich einen vereinbarten Betrag pro Beschäftigten in diesen Fonds ein. Die Mittel dienen zur Unterstützung regionaler kinder- und familienfreundlicher Maßnahmen. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit den „Lokalen Bündnissen für Familie“ zusammen. Diese bieten Maßnahmen und Projekte für ein familienfreundliches Arbeitsumfeld und stellen somit ein effektives Instrument für mehr Familienfreundlichkeit zur Verfügung. Im firmeninternen Intranetportal „Job & Familie“ können sich unsere Beschäftigten umfassend über Themen informieren, die ihr Leben erleichtern. Es geht um Dienstleistungen, die Beruf und Privatleben besser miteinander vereinbar machen, sowie den Austausch von Erfahrungen mit Dienstleistungen und Produkten, Ideen und Tipps – z.B. für Kinderbetreuung, Schulbücher, Beratung, Lieferdienste, Bügelservice und vieles mehr. Neue Kindertagesstätten-Plätze für die beschäftigungsreichsten Telekom-Standorte Bonn und Darmstadt hat der Vorstand 2005 beschlossen. Das Betreuungsangebot der Kindertagesstätten wird speziell an die Bedürfnisse berufstätiger Mütter und Väter angepasst: Lange Öffnungszeiten, eine Notfallbetreuung und die Betreuung von Kindern unter drei Jahren gehören zu den Pluspunkten. In Bonn wird die bestehende Kindertagesstätte „Buntes Rabenhäuschen“ um zwei weitere Gruppen für „Telekom-Kinder“ erweitert. In Darmstadt bestehen nun zwei Kindertagesstätten. Für Kinder unter drei Jahren sichern diese Angebote umfassende Betreuung. Bei der Vermittlung von Tagesmüttern und Betreuungsplätzen für Kinder von Telekom-Beschäftigten in Bonn kooperiert die Deutsche Telekom mit dem Netzwerk „Kinderbetreuung in Familien“. In München bleibt es bei der seit Jahren bestehenden Kita. Beim Elterncoaching erhalten Mütter und Väter das Handwerkszeug für ein ganz persönliches „Erziehungskonzept“. Im Rahmen des EU-Programms EQUAL bieten wir in Berlin diese Maßnahme für Eltern mit Kindern in der Pubertät an. Das Programm wird von unseren Beschäftigten stark nachgefragt.
3.3 EQUAL Die europäische Gemeinschaftsinitiative EQUAL, in deren Kontext die Deutsche Telekom bereits ihre zweite Kooperationspartnerschaft unterhält, richtet sich gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Die aus dem Europäischen Sozialfonds geförderten Projekte sorgen für eine weitere Verbesserung des sozialen Profils des Konzerns. Bereits mit „EQUAL I“ hat er sich hier engagiert. Bei der Abschlussveranstaltung konnte ein hervorragendes Ergebnis präsentiert werden: Sichtbarkeit und Wirksamkeit von Frauen im Unternehmen wurden in einem Development-Assessment-Center mit weiblichen Führungskräften konzernweit vorangetrieben. Es soll weiblichen Beschäftigten erleichtern, in klassische Männerdomänen vorzudringen. Erfolgreich verliefen auch das EQUAL-Cross-Mentoring und das EQUAL-Mentoring. 95
Im Rahmen von „EQUAL II“ engagiert sich die Deutsche Telekom in der Entwicklungspartnerschaft „Berlin DiverCity“. Dabei steht die „Diversity-Implementierung in einem internationalen Unternehmen“ im Vordergrund. Ein neu entstandenes Netzwerk (neben der Deutschen Telekom bestehend aus: „FrauenComputerZentrumBerlin“, „LIFE“, „Eine Welt der Vielfalt“ u.a.) will die Gedanken der Vielfalt und Integration in Berlin anhand von konkreten Schritten stärken. Ziel der Partnerschaft ist unter anderem die Entwicklung eines Audits für Diversity. Weitere Projekte in „EQUAL II“ sind „Jump in Mint“, ein Jugend-Mentoring-Portal in Mathematik, Informationstechnik, Naturwissenschaft, Technologie, Energie und Handwerk, das SchülerInnen bei der beruflichen Orientierung unterstützen soll, und das Elterncoaching (s.u. Work and Life Balance). Eine Notfallkinderbetreuung für Kinder unter 14 Jahren steht allen Telekom-Beschäftigten am Standort Berlin im Rahmen von EQUAL II zur Verfügung.
4. Netzwerke Die Arbeit des Bereichs „Diversity“ bei der Deutschen Telekom erzielt seit Langem eine Innen- und Außenwirkung. Wir engagieren uns in vielen Netzwerken und werden dadurch unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. Die Kooperationen mit Netzwerken aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erweisen sich oftmals als Multiplikatoren für Projekte u.a.: Im Rahmen des „Forums Frauen in der Wirtschaft“ entstand das „Cross-Mentoring“ (vgl. dazu auch Wolf in diesem Band). Der Verein „TeDiC“ kooperiert mit uns beim „Girls’ Day“ und KundInnen-Aktionen (wie „50plus“, „Frauen ans Netz“). Der „Global Summit of Women“ bietet für erfolgreiche Unternehmerinnen und Top-Führungsfrauen aus anderen Bereichen eine Plattform zum Austausch.
5. Fazit und Ausblick Die Organisation der Arbeit verändert sich in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts. Mehr als zehn Jahre Gleichstellungsarbeit machen den Wandel im Unternehmen und in der Gesellschaft deutlich. Ein marktwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen stellt hohe Anforderungen an Personalpolitik und Unternehmenskultur. Mehrheitlich gut ausgebildete Frauen und Männer wollen Berufs- und Privatleben leichter miteinander vereinbaren. Die ständige Auseinandersetzung mit veränderten Managementprozessen hält eine an Chancengleichheit und Diversity orientierte Personalstrategie lebendig. Davon profitieren Unternehmen, Beschäftigte sowie KundInnen gleichermaßen, und es wird die Voraussetzung geschaffen, alle Potenziale in einer fortschrittlichen Gesellschaft zu nutzen.
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Gertraude Krell, Ulrich Mückenberger und Karin Tondorf
Gender Mainstreaming: Chancengleichheit (nicht nur) für Politik und Verwaltung 1. „Was?“: Verständnisgrundlagen 1.1 Gender(ing) 1.2 Mainstream(ing) 1.3 Gender Mainstreaming
2. „Warum?“: Gender Mainstreaming ist … 2.1 … sowohl rechtlich geboten … 2.2 … als auch ökonomisch und politisch vorteilhaft … 2.3 … und das wird auch zunehmend erkannt
3. „Wie?“: Umsetzung in der Praxis 3.1 Das Sechs-Schritte-Modell 3.2 Grundzüge einer an Gender Mainstreaming orientierten Personalpolitik
Literatur
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] Ulrich Mückenberger, Dr. jur., Professor für Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht sowie Europarecht an der Universität Hamburg. E-Mail:
[email protected] Karin Tondorf, Dr. phil., Leiterin des Forschungs- und Beratungsbüros GEFA (Gender – Entgelt – Führung – Arbeit), Büro Berlin/Brandenburg. E-Mail:
[email protected], URL: http://karin-tondorf.de
Dieser Beitrag basiert ursprünglich auf einem Fortbildungskonzept, das wir im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales für die Unterrichtung des Niedersächsischen Kabinetts entwickelt haben und das von diesem Ministerium als Broschüre herausgegeben worden ist (vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf 2000).
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1. „Was?“: Verständnisgrundlagen Gender Mainstreaming (im Folgenden: GM) ist eine englische Bezeichnung, die zudem nicht leicht verständlich ist. Einen deutschen Namen dafür gibt es nicht. Am ehesten passt „Geschlechtergleichstellung als Querschnitts- oder als Gemeinschaftsaufgabe“. Das entspricht auch dem französischen „approche intégrée“ („integrierter Ansatz“) (Europarat 1998a). Unser Eindruck ist allerdings, dass die mit Verweis auf das schwer verständliche englische Etikett geäußerten Vorbehalte oft eher der Sache selbst gelten als ihrer Bezeichnung. Denn im Zusammenhang mit Begriffen wie z.B. Balanced Scorecard oder Benchmarking wird nicht dermaßen vehement protestiert. Nichtsdestotrotz ist es erforderlich, zunächst grundlegend herauszuarbeiten, was unter GM verstanden wird. Die folgenden Ausführungen sollen nicht nur zum besseren Verständnis des Begriffs, sondern auch zum besseren Verständnis des damit bezeichneten Prinzips bzw. Konzepts beitragen. Dazu scheint es uns notwendig, etwas weiter auszuholen.
1.1 Gender(ing) Für das deutsche Wort „Geschlecht“ gibt es im englischen Sprachraum zwei Begriffe: „Sex“ und „Gender“. Seit den 1970er Jahren wurde in der Frauen- und Geschlechterforschung mit „Sex“ das „biologische Geschlecht“ und mit „Gender“ das „soziale Geschlecht“ bezeichnet. Damit sollte verdeutlicht werden, dass die Ungleichheit der Geschlechter nicht (nur) auf natürliche Ursachen zurückzuführen, sondern (auch) historisch-gesellschaftlich produziert und deshalb veränderbar ist. Inzwischen wird jedoch die Gegenüberstellung eines „natürlichen Sex“ und eines „kulturellen Gender“ in Frage gestellt (vgl. dazu auch den einleitenden Beitrag von Krell). Hier genügt festzuhalten: Die Bezeichnung „Gender“ verweist darauf, dass es sich um etwas handelt, das historisch-gesellschaftlich hervorgebracht worden ist und beständig neu hervorgebracht wird. Der Prozess des Hervorbringens von Geschlecht wird auch als Gendering bezeichnet (vgl. z.B. Knapp 1993) – ein Begriff, der sich ebenfalls schlecht übersetzen lässt (hilfsweise: Vergeschlechtlichung). Sozial konstruiert bzw. diskursiv hervorgebracht werden sowohl Geschlechterhierarchisierungen als auch Geschlechterunterscheidungen als – analytisch trennbare, aber faktisch eng verwobene – Komponenten der Geschlechterordnung (ausführlicher dazu: Krell 2003): Geschlechterhierarchisierungen steht für die ungleiche Verteilung von Tätigkeiten, Positionen und Ressourcen (z.B. Rechte oder Einkommen) sowohl zwischen Frauen und Männern als auch innerhalb dieser Gruppen. Die Bezeichnung Geschlechterunterscheidungen soll den Blick darauf lenken, dass und wie Geschlecht „fabriziert“ (Butler 1991, S. 200) wird. Zur Illustration empfehlen wir die Lektüre von Karin Hausens (1976) „Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“. Dort wird herausgearbeitet, wie ab Ende des 18. Jahrhunderts das Bild vom „weiblichen Geschlechtscharakter“ (als z.B. emotional, abhängig und emsig) entworfen und dem des „männlichen Geschlechtscharakters“ (als z.B. rational, selbstständig und zielgerichtet) gegenübergestellt wurde (vgl. ebd., insbes. S. 368, 385).
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Hausen verdeutlicht zugleich die Verwobenheit von Geschlechterunterscheidungen und Geschlechterhierarchisierungen: Sie analysiert die „Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“ als „Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“ und zeigt, wie der Diskurs über die Geschlechtscharaktere sowohl Bedingung als auch Auswirkung der Zuordnung des Mannes zum beruflichen bzw. öffentlichen Bereich und der Zuordnung der Frau zum häuslichen bzw. familiären Bereich bzw. im (Not-)Fall weiblicher Erwerbstätigkeit zu bestimmten Tätigkeiten ist. Zwischenfazit: Die Geschlechterordnung ist konstitutiver Bestandteil von Gesellschaften, Institutionen und Organisationen. Zum einen ist sie Voraussetzung unseres Denkens und Handelns. Zum andern wird sie durch Diskurse und Handlungen (re)produziert – oder auch verändert.
1.2 Mainstream(ing) Wörtlich übersetzt bedeutet „Mainstream“ Hauptstrom oder -strömung. So können z.B. PolitikerInnen oder WissenschaftlerInnen im bzw. mit dem Hauptstrom schwimmen oder in Nebenströmen ein Nischendasein führen oder gegen den Strom schwimmen. Anknüpfend an das unter 1.1 Herausgearbeitete lässt sich mit Blick auf Organisationen (wie z.B. Verwaltungen) bzw. Institutionen (wie z.B. die Politik) eine paradoxe Situation diagnostizieren: Zwar ist dort aus analytischer Perspektive die Geschlechterordnung eine konstitutive Komponente. Im Alltagsverständnis der Handelnden werden aber Organisationen und Institutionen sowie Strukturen und Prozesse häufig als geschlechtsneutral angesehen. Dies ist wiederum eine wichtige Ursache der Nicht-Wahrnehmung oder Verleugnung von Geschlechtsdiskriminierung. Deshalb wird von gleichstellungspolitisch Engagierten unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung beharrlich darauf verwiesen, dass vieles, was auf den ersten Blick geschlechtsneutral erscheinen mag, faktisch Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit bevorzugen oder benachteiligen kann. Herkömmliche Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung oder zur „Frauenförderung“ beeinflussen i.d.R. den Hauptstrom gar nicht oder nur begrenzt. Damit bleibt, um ein aufschlussreiches Wortspiel aufzugreifen, der ‚Mainstream‘ ein ‚Male Stream‘, ein männlich dominierter Strom. Ziel von GM ist dagegen, den Hauptstrom zu verändern.
1.3 Gender Mainstreaming GM ist ein Prinzip bzw. Konzept zur (Um-)Gestaltung des Geschlechterverhältnisses, das seine Wurzeln in der Entwicklungspolitik hat (vgl. z.B. Frey 2003). Unzutreffend ist dagegen die Behauptung Schunter-Kleemanns (2002, S. 128), GM gehe auf Managing Diversity zurück; in der von ihr angeführten Belegquelle (Krell 2000) ist von GM überhaupt nicht die Rede. In Europa wurde GM von der Europäischen Kommission und vom Europarat aufgegriffen und ‚gepusht‘ (vgl. zusammenfassend: Klein 2006).
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Auf den Punkt gebracht bedeutet GM, dass alle Entscheidungsprozesse auf die tatsächliche Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern gerichtet sein sollen. Stiegler (2000, S. 8) veranschaulicht dies durch das Bild eines Zopfes, in den die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit durchgängig eingeflochten wird. Damit sollen die Umsetzungsdefizite der auf die Gleichheit zwischen den Geschlechtern abzielenden Rechtsnormen überwunden, und es soll zu tatsächlicher Gleichheit beigetragen werden. Allerdings sollen die kompensatorischen Programme der Diskriminierungsabwehr und „Frauenförderung“ durch GM nicht ersetzt, sondern ergänzt werden (s.u.). GM ist zwar rechtlich geboten (s.u. 2.1), jedoch liegt bislang keine rechtlich verbindliche oder politisch autorisierte Definition vor. Das europäische Dokument mit größter wissenschaftlicher Anerkennung ist der für den Europarat erstellte Sachverständigenbericht vom März 1998 (Europarat 1998a), auf den wir uns deshalb im Folgenden hauptsächlich beziehen. Von diesem Bericht zirkuliert eine deutsche Fassung vom Juni 1998 (Europarat 1998b), die aber grundlegende Übersetzungsfehler aufweist: In der französischen Fassung ist GM folgendermaßen definiert: „L’approche intégrée consiste en la (ré)organisation, l’amélioration, l’évolution et l’évaluation des processes de prise de décision, aux fins d’incorporer la perspective de l’égalité entre les femmes et les hommes dans tous les domaines et tous les niveaux par les acteurs généralement impliqués dans la mise en place des politiques“ (Europarat 1998a). Dies wurde folgendermaßen übersetzt (wir haben die fehlerhaften Begriffe bzw. Passagen durch Kursivschreibung markiert): „Gender Mainstreaming ist die (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung grundsätzlicher Prozesse, mit dem Ziel, eine geschlechterspezifische Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungsprozessen beteiligte Akteure einzubringen“ (Europarat 1998b). Die korrekte Übersetzung lautet dagegen: „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen“. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass hier nicht von einer – essenzialistisch differenztheoretisch orientierten – „geschlechterspezifischen Sichtweise“ die Rede ist, sondern vom „Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern“. Inzwischen wird allerdings auch diese Definition problematisiert (vgl. z.B. Frey 2003, insbes. S. 183), weil mit der Fokussierung auf die Gleichstellung von Frauen und Männern die Vielfalt der Geschlechter vernachlässigt und eben jene Zweigeschlechtlichkeit reproduziert werde, die gerade überwunden werden soll. Frey bezieht sich dagegen auf die englische Definition, in der an der betreffenden Stelle von „a gender equality perspective“ gesprochen wird, eine Formulierung, die sie (ebd., S. 9) mit „Gleichberechtigung der Geschlechter“ übersetzt. Damit sind wir bereits bei den einzelnen Komponenten der Definition: GM richtet sich an „die an politischer Gestaltung beteiligten AkteurInnen“. Angesprochen sind damit insbesondere gewählte haupt- und ehrenamtliche PolitikerInnen sowie an diesen Prozessen beteiligte Führungskräfte und MitarbeiterInnen in Verwaltungen.
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Im Kern geht es also darum, dass sich „auf allen Ebenen“ ein neues Denken etabliert, das den Aspekt der Gleichstellung als substanzielles Teilziel in Politik und Verwaltung integriert. Wie erwähnt gibt es Verständnisprobleme vor allem hinsichtlich der Komponente „Gleichstellung von Frauen und Männern“. Gemeint ist damit weder formale Gleichbehandlung (d.h. alle ‚über einen Kamm zu scheren‘) noch Gleichstellung im Sinne einer Anpassung (von Frauen) an unveränderte Strukturen und Verhältnisse. Vielmehr geht es (wie auch bei Diversity Management; vgl. Krell 2004) um eine Veränderung von (Organisations-)Kulturen in Richtung auf Pluralismus bzw. Wertschätzung von Vielfalt (hier: der Geschlechter). GM zielt also darauf, Bedingungen zu schaffen, die geschlechtergerecht sind bzw. niemanden aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit benachteiligen. Eine solche Politik differenziert „in allen Bereichen“ bei der Betrachtung der Ziel- und AdressatInnen-Gruppen, x zunächst zwischen Männern und Frauen, um zu vermeiden, dass sich politische Programme, Maßnahmen usw. an (bewussten oder unbewussten) einseitigen Leitvorstellungen von einer männlichen Bürgerschaft, Kundschaft oder Belegschaft orientieren; x darüber hinaus, aber auch innerhalb dieser Gruppen, um den dort vielfältigen Bedingungen und Interessen Rechnung zu tragen. Beispielhaft genannt seien hier der Vater, der von seinem Recht auf Elternzeit Gebrauch macht, oder die männliche Führungskraft, die gerne Teilzeit arbeiten möchte (s.u. unter 3.3). Im Unterschied zur in der gängigen deutschen Übersetzung verwendeten Formel von den „geschlechterspezifischen Sichtweisen“ werden so stereotype Zuschreibungen und Vorannahmen vermieden. Davon profitieren auch Männer, vor allem diejenigen, die nicht gängigen Männlichkeitsmustern entsprechen (vgl. dazu auch Höyng in diesem Band). Die Einbeziehung des Ziels der Gleichstellung der Geschlechter in alle „Fachpolitiken“ macht aber die bisherige spezifische Gleichstellungspolitik nicht überflüssig. Vielmehr ist GM Teil einer Doppelstrategie (vgl. Europarat 1998b, insbes. S. 14ff). Gleichstellung als Querschnitts- oder Gemeinschaftsaufgabe ergänzt die bisherige spezifische Gleichstellungspolitik, kann sie aber nicht ersetzen. Vielmehr braucht GM eine spezifische Gleichstellungspolitik als Basis. Während Frauen- und Gleichstellungspolitik als isolierte Maßnahme bzw. isoliertes Ressort Gefahr läuft, dass ihre Auswirkungen im ‚Nebenstrom‘ bleiben oder gar versickern, während der Hauptstrom unverändert weiter fließt, ist sie dagegen als Teil einer Doppelstrategie eine Quelle, die für den Zufluss frischen Wassers in den Hauptstrom sorgt. Dies gilt es bei der Planung und Verteilung der Ressourcen zu berücksichtigen.
2. „Warum?“: Gender Mainstreaming ist … Einiges zum „Warum“ wurde schon gesagt. Darüber hinaus wollen wir nachfolgend verdeutlichen, dass GM sowohl rechtlich geboten als auch ökonomisch und politisch vorteilhaft ist – und das auch zunehmend erkannt wird.
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2.1 … sowohl rechtlich geboten … Bei den hier aufgeführten – europäischen und deutschen – Rechtsquellen handelt es sich teilweise um unmittelbar geltendes Recht, teilweise um Berichte, Mitteilungen oder Empfehlungen. Zur europäischen Ebene: Hier war GM zunächst nur Gegenstand von Dokumenten ohne rechtsverbindlichen Charakter (vgl. z.B. Kommission 1996; 1998). Die wichtigste primärrechtliche Rechtsquelle der Europäischen Gemeinschaft für GM ist Art. 3 Abs. 2 EG-Vertrag. Sie geht auf den 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam zurück und lautet: „Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern“. Damit ist, wenn auch in allgemeiner Form, eine primärrechtliche Verpflichtung der Gemeinschaft zum GM festgelegt. Umstritten ist zwar nach wie vor, inwieweit GM als supranationales Recht auch die Mitgliedsstaaten bindet. Es gibt jedoch zwingende Gründe für zwei Annahmen. Erstens: GM bindet die Mitgliedsstaaten in den Bereichen, in denen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten gleichermaßen handlungskompetent sind (z.B. Sozial- und Beschäftigungspolitik). Zweitens: GM legt den Mitgliedsstaaten die prozedurale Pflicht auf, Geschlechtergerechtigkeit zum Gegenstand von Prüfpflichten bei Entscheidungen sowie zu entsprechenden seriösen geschlechterspezifischen Statistiken und Datenaufbereitungen zu machen (vgl. Mückenberger/Spangenberg/Warncke 2007, Kap. 2 und die dort angegebenen Quellen). Dieser Verpflichtung haben inzwischen gemeinschaftsrechtliche Dokumente weitere Konturen gegeben. Nr. 19 der beschäftigungspolitischen Leitlinien der EG für 1999 z.B. lautet: „Daher werden die Mitgliedstaaten (19) einen Gender-Mainstreaming-Ansatz bei Umsetzung der Leitlinien (…) zugrunde legen. Im Hinblick auf eine aussagekräftige Bewertung der mit dem Mainstreaming erzielten Fortschritte haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass geeignete Datenerhebungssysteme und -verfahren zur Verfügung stehen“ (zit.n. Bundesregierung 1999, S. 26). Dieser Verpflichtung trugen auch die weiteren Beschäftigungspolitischen Leitlinien, die Gemeinschaftscharta der Grundrechte und die europäische Sozialagenda vom Dezember 2000 Rechnung (vgl. Mückenberger 2001). In den letzten Jahren haben die Gleichbehandlungsinitiativen der EG weiter an Schubkraft gewonnen: Mit der Richtlinie 2002/73/EG zur Änderung der sog. Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, „aktiv das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Formulierung und Umsetzung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Politiken und Tätigkeiten“ zu berücksichtigen (neu eingefügter Art. 1 a) und die Arbeitgeber zu ersuchen, „die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz in geplanter und systematischer Weise zu fördern“ (Art. 8 b Ziff. 3; Herv. durch uns). Ebenfalls dem Prinzip des GM entspricht Art. 2 Abs. 5, demzufolge alle Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts durch vorbeugende Maßnahmen ausgeschlossen werden sollen. Erstmals wird dort auch das Prinzip des GM explizit in sekundäres Gemeinschaftsrecht eingeführt (Erwägung Nr. 4 zu RL 2002/73/EG). Diese Richtlinie (vgl. dazu auch Jochmann-Döll/Tondorf 2003) u.a. haben in Deutschland zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geführt.
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Die neu gefasste Richtlinie 2006/54/EG (Umsetzungsfrist in nationales Recht bis 15. August 2009) fasst bisherige Richtlinien zur Gleichbehandlung zusammen – u.a. die bereits erwähnten Richtlinien 76/207/EWG und 2002/73/EG – und tritt an ihre Stelle. Zur nationalen Ebene: Ausgangspunkt des bundesdeutschen Antidiskriminierungsrechts ist Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“). Die 1994 vorgenommene Ergänzung enthält zwar nicht den Begriff, aber die dem Prinzip des GM entsprechende Verpflichtung des Staates, „die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern“ und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken. Auch in dem 1997 mit dem neu geschaffenen Dritten Buch des Sozialgesetzbuches in Kraft getretenen § 8 Abs. 1 SGB III (heute: §§ 1 Abs. 1 Satz 3 sowie 8, 8a und 8b SGB III) hieß es: „Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sollen die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt fördern. Zur Verbesserung der beruflichen Situation von Frauen ist durch sie auf die Beseitigung bestehender Nachteile sowie auf die Überwindung des geschlechtsspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes hinzuwirken“, womit ebenfalls die tatsächliche Gleichstellung in den Vordergrund gestellt wurde. Das gilt auch für das 2001 verabschiedete Bundesgleichstellungsgesetz, das für die gesamte unmittelbare und mittelbare Bundesverwaltung festlegt: „Alle Beschäftigten, insbesondere auch solche mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben, sind verpflichtet, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Diese Verpflichtung ist als durchgängiges Leitprinzip in allen Aufgabenbereichen der Dienststelle sowie auch bei der Zusammenarbeit von Dienststellen zu berücksichtigen“. Hierin drückt sich auch aus, dass GM ein Prinzip darstellt, das für alle Aufgabenbereiche und Hierarchiestufen gilt. Auch im beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland vom April 1999 (vgl. Bundesregierung 1999) fand sich denn in der Säule „Gleichberechtigung der Geschlechter“ explizit ein Bezug auf GM. Eine weitergehende innerstaatliche Geltung hat GM durch das am 18.8.2006 in Kraft getretene AGG (s.o.) erlangt, das zugleich die – selbst unter europäischem Einfluss entstandenen – Geschlechterdiskriminierungsverbote des BGB ersetzt (vgl. z.B. Kittner 2007). Das AGG verfolgt einen umfassenden Diversity-Ansatz: Es begründet ein System der zulässigen und unzulässigen Benachteiligungen und schließt darin nicht nur das Arbeitsleben, sondern auch andere Zivilrechtsverhältnisse ein. Die rechtlichen Maßstäbe und Instrumente entstammen wesentlich dem Geschlechterdiskriminierungsrecht. Zusätzlich werden eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes und ein Beirat eingerichtet, der der Abwehr unzulässiger Benachteiligung Öffentlichkeit und wissenschaftliche Unterstützung geben soll. Auch wenn es alle potenziellen Benachteiligungskonstellationen einschließt, ist dies im Sinne des GM. Von dem zur Zeit der rot-grünen Koalition geplanten Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, das die Orientierung der Tarif- und Betriebspartner am Prinzip des GM verbindlich vorschreiben sollte, ist schon damals Abstand genommen worden. Dafür hat sich der familienpolitische Anspruch des GM zugespitzt, wovon die Einführung eines dem schwedischen Modell vergleichbaren Elterngeldes zeugt: Elterngeld – das normalerweise bis zu zwölf Monaten gezahlt wird – kann um zwei „Partnermonate“ verlängert werden, sofern auch der zweite Elternteil mindestens für diese beiden Monate Elternzeit in Anspruch nimmt. Gender-relevant an dieser Regelung ist u.a., dass sie die 103
geschlechtergerechtere Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit fördert. Die Neuregelung wirft allerdings massiver die für das Spannungsfeld Elternschaft – Erwerbstätigkeit – Geschlechtergerechtigkeit ausschlaggebende strategische Frage nach den institutionellen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder nach dem ersten Lebensjahr auf (vgl. Mückenberger 2004; Mückenberger/Spangenberg/Warncke 2007, S. 19ff, 195ff). Zu guter Letzt: Auch wenn in den einschlägigen europäischen und deutschen Rechtsnormen zum Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung (vgl. dazu auch Schiek in diesem Band) die Bezeichnung „Gender Mainstreaming“ nicht verwendet wird, schließen sie dieses Prinzip indirekt ein. Denn die Analyse und Abwehr mittelbarer Diskriminierung sind nur zu erreichen, wenn die betrieblichen oder tarifpolitischen Entscheidungsprozesse so (re)organisiert und evaluiert werden, dass die beteiligten Akteure und Akteurinnen in jeder Phase den Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter systematisch berücksichtigen (vgl. auch Tondorf/Ranftl 2002).
2.2 … als auch ökonomisch und politisch vorteilhaft … Hierzulande wird die Geschlechtergleichstellung oft als untragbarer Kostenfaktor, bürokratischer Hemmschuh oder zumindest überflüssiger ‚Sozialklimbim‘ betrachtet. Das US-amerikanische Konzept Diversity Management lehrt uns dagegen, dass Chancengleichheit nicht nur rechtlich – und moralisch – geboten ist, sondern auch ökonomische Vorteile verspricht. Die dazu z.B. von Cox und Blake (1991) aufgelisteten Argumente lassen sich auf deutsche Verhältnisse übertragen und ergänzen, und zwar nicht nur mit Blick auf eine am Grundsatz des GM orientierte Verwaltung(sreform) und Politik (vgl. dazu auch Krell 1999 und Tondorf 2001a), worauf hier der Schwerpunkt gesetzt wird, sondern sie sprechen – etwas modifiziert – auch für die Realisierung von Chancengleichheit in anderen Organisationen. 1. Das Beschäftigtenstruktur-Argument lautet in Kürze, dass es angesichts des wachsenden Frauenanteils unter den im Öffentlichen Dienst Beschäftigten nicht mehr angemessen ist, die Personalpolitik am sog. Norm(al)arbeitnehmer (hier: männlich, vollzeitbeschäftigt und ohne außerberufliche Verpflichtungen) zu orientieren. 2. Das Kosten-Argument besagt, dass unmittelbare und mittelbare Diskriminierung Kosten verursacht (Stichworte: Demotivation, Fehlzeiten, Eingruppierungsklagen) bzw. der optimalen Nutzung der Potenziale aller Beschäftigten entgegensteht. 3. Das Kreativitäts- und Problemlösungsargument verweist darauf, dass gemischt zusammengesetzte Gruppen kreativer sein und zu tragfähigeren Problemlösungen kommen können – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, vor allem, wenn sie entsprechend gemanagt werden (vgl. zusammenfassend: Rastetter 2006). 4. Das Personalmarketing-Argument lautet, dass Organisationen, die Chancengleichheit realisieren, Vorteile auf dem Arbeitsmarkt haben, insbesondere mit Blick auf das Segment der Fach- und Führungs(nachwuchs)kräfte. Hier gibt es hinsichtlich der Höhe des Entgelts einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Privatwirtschaft, der durch eine chancengerechte Personalpolitik (z.T.) kompensiert werden kann. 5. Das Marketing-Argument lenkt zunächst den Blick darauf, dass jede zweite ‚Verwaltungskundin‘ eine Frau ist. Aus Frauen und Männern zusammengesetzte Teams 104
können, z.B. bei der Produkt- oder Konzeptentwicklung, den Interessen und Bedürfnissen aller ‚VerwaltungskundInnen‘ besser gerecht werden (zur Illustration: Krell/ Mückenberger/Tondorf 2000, S. 18ff und Tondorf/Krell 1999, insbes. S. 67f). Dabei – das kann nicht oft genug betont werden – ist allerdings zu berücksichtigen, dass Frauen und Männer keine homogenen Gruppen sind. 6. Das Systemflexibilitäts-Argument besagt: Wenn eine bestimmte Personengruppe die Politik oder die Verwaltung(sleitung) dominiert – und das ist nicht nur quantitativ gemeint, sondern auch mit Blick auf die dort vorherrschenden Werte und Normen – führt dies zu einer Art Monokultur (ausführlicher dazu: Cox 1991). Diese ist relativ reformunfähig bzw. -willig. Etwas anders akzentuiert kann dies auch als 7. das Modernisierungspakt-Argument bezeichnet werden, denn diejenigen Frauen und Männer, die nicht zur dominanten Gruppe gehören, sowie auch die Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten können, wenn sie am Prozess der Verwaltungsmodernisierung beteiligt werden, wichtige Bündnispartnerinnen für die diesen Prozess vorantreibenden Kräfte sein (vgl. auch Woodward 2004). 8. Das (Wieder-)Wahlargument verweist schließlich darauf, dass eine Politik, die an der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter orientiert ist, zu Wählerinnen- und auch Wählerstimmen verhelfen kann. All das spricht dafür, GM zu einem fundamentalen Bestandteil einer zeitgemäßen und erfolgreichen Politik, Verwaltungs- oder auch Unternehmensführung zu machen.
2.3 … und das wird auch zunehmend erkannt Zunächst verpflichtete sich die Bundesregierung 1999 per Kabinettsbeschluss auf das Prinzip des GM. Dafür wurde die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien entsprechend geändert und eine interministerielle Arbeitsgruppe auf Leitungsebene eingerichtet, deren Aufgabe darin bestand, GM in die Arbeit aller Ressorts zu implementieren (vgl. BMI 2000; Tondorf 2001a). 2001 begannen dann alle Ministerien mit der Umsetzung: in Form von Führungskräfte-Schulungen und der Durchführung eines oder mehrerer Pilotprojekte (vgl. BMI 2002; zum aktuellen Stand der Umsetzung vgl. www.gender-mainstreaming.net/gm/Bundesregierung/umsetzungsstand.html). Umgesetzt wird GM auch in einzelnen Bundesländern, z.B. Niedersachsen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2005 und Olthoff in diesem Band) und Sachsen-Anhalt (vgl. Hofmann u.a. 2003) sowie in verschiedenen Kommunen (vgl. Deutscher Städtetag 2003). Berlin steht bundesweit an der Spitze bei der Umsetzung speziell von Gender Budgeting, das mehr Transparenz und Gerechtigkeit in öffentlichen Haushalten schaffen soll. Seit Juli 2005 ist dort für alle Senatsvorlagen eine Überprüfung ihrer Auswirkungen auf die Geschlechter (sog. Gender Check) vorzunehmen (vgl. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 2005). GM findet sich auch in Gewerkschaften (vgl. Tondorf 2001b; ver.di 2005 und Banos/ Gröbel in diesem Band) und diversen anderen Organisationen (vgl. z.B. die Beiträge in Burbach/Döge 2006 und Baer/Hildebrandt 2007): In privatwirtschaftlichen Unternehmen, die Chancengleichheit realisieren, ist zwar Diversity Management (vgl. dazu Krell
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in diesem Band) das dominierende Konzept, aber auch dort wird mit GM gearbeitet (vgl. z.B. Jung/Küpper 2001, S. 29 und ISA Consult, Hamburg 2003).
3. „Wie?“: Umsetzung in der Praxis Zur Umsetzung von GM gibt es zahlreiche Instrumente – wie z.B. Gender-Analysen, Gender Budgeting, Gender Trainings – auf die wir nicht grundlegend eingehen können (vgl. dazu z.B. Schambach/von Bargen 2004, Erbe 2004, Netzwerk Gender Training 2004). Vorstellen möchten wir hier zunächst unter 3.1 das Sechs-Schritte-Modell als eine Arbeitshilfe zur Umsetzung, die sowohl für die nach außen gerichtete als auch für die nach innen gerichtete Politik geeignet ist (ausführlicher: Krell/Mückenberger/Tondorf 2000). Unter 3.2 beschränken wir uns dann auf die nach innen gerichtete Politik und skizzieren die Grundzüge einer GM-orientierten Personalpolitik.
3.1 Das Sechs-Schritte-Modell Für eine systematische Vorgehensweise ist eine Verständigung darüber notwendig, in welchen Phasen oder Schritten sich ein GM-orientierter Entscheidungsprozess vollziehen und auf welche Weise das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter jeweils einbezogen werden soll. Dazu enthält der Bericht der vom Europarat eingesetzten ExpertInnen-Kommission nützliche Hinweise, u.a. die Leitsätze für eine Gender-Analyse, die 1995 vom neuseeländischen Ministerium für Frauenangelegenheiten entwickelt und veröffentlicht wurden (vgl. Kommission 1998, S. 66). Diesen entspricht das nachfolgend vorgestellte Sechs-Schritte-Modell (vgl. Abbildung 1 auf der folgenden Seite). Beim 1. Schritt Definition der gleichstellungspolitischen Ziele müssen die verantwortlichen AkteurInnen zunächst konkret definieren, welcher Soll-Zustand durch das zu entscheidende Vorhaben angestrebt wird. Das setzt voraus, dass a) alle dafür einschlägigen Rechtsnormen, Programme, Leitlinien usw. berücksichtigt werden sowie b) der Ist-Zustand hinreichend bekannt ist und sich hieraus der Handlungsbedarf erkennen lässt. I.d.R. werden die Verantwortlichen nicht vollständig über diese Informationen verfügen. So gehen z.B. Rechtsinformationen zu Gleichstellungsfragen über Landesund Bundesrecht hinaus; sie umfassen u.a. auch europäische Richtlinien und Empfehlungen sowie Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Fraglich ist auch, ob die zur Verfügung stehenden (oder zu stellenden) Daten das Geschlechterverhältnis hinreichend berücksichtigen; hierzu sind ‚harte Daten‘ (z.B. Statistiken) und ‚weiche Daten‘ (z.B. Befragungsergebnisse) notwendig, die nach Geschlechtern aufgeschlüsselt sind. All diese Informationen sind zu beschaffen, zu vermitteln und auszuwerten. Auch bedarf es der Klärung, wie die erforderliche Beratung und Unterstützung organisiert werden soll und welche Personen bzw. Stellen dafür verantwortlich sind.
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6 Schritte
Voraussetzungen*
1. Definition der gleichstellungspolitischen Ziele auf Basis einer IstAnalyse x Wie sieht die Ist-Situation aus? x Welcher Soll-Zustand wird durch das zu entscheidende Vorhaben angestrebt? 2. Analyse der Probleme und der Betroffenen x Welches sind die konkreten Hemmnisse auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit? (Diskriminierende Prinzipien, Verfahren, Instrumente …) x Welche Gruppen sind betroffen? 3. Entwicklung von Optionen x Welche Alternativen bestehen hinsichtlich der Realisierung? 4. Analyse der Optionen im Hinblick auf die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Gleichstellung und Entwicklung eines Lösungsvorschlags x Welche Option lässt den höchsten Zielerreichungsgrad erwarten? 5. Umsetzung der getroffenen Entscheidung 6. Erfolgskontrolle und Evaluation x Wurden die Ziele erreicht? x Ursachen für Nicht- oder Teilerreichung? x Welche Maßnahmen sind notwendig?
Informationen über Ist-Zustand, Zugrundelegung einschlägiger Rechtsnormen, Programme … Koordinierung mit allen betroffenen Bereichen
Wissen über Gleichstellungsproblematik, Zuarbeit und Unterstützung, z.B. durch Gutachten, Materialien, Schulungen
wie oben
Analyse- und Bewertungskriterien
Daten über Zielerreichung, Berichtssystem, verpflichtende Ursachenanalyse
* Erforderliche Ressourcen und Fachkenntnisse werden durchgängig vorausgesetzt. Abb. 1: Gestaltung politischer Prozesse nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming (nach Krell/Mückenberger/Tondorf 2000, S. 11)
Beim 2. Schritt Analyse der Probleme und der Betroffenen geht es um zwei Fragen: 1. Welches sind, bezogen auf das konkrete Vorhaben, die Hemmnisse auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit? Zu identifizieren sind Regeln, Verfahren, Instrumente, Praktiken usw., die Frauen und evtl. auch Männer benachteiligen. In zahlreichen Fällen wird es dabei um Formen der mittelbaren Diskriminierung gehen, die sich nicht auf den ersten Blick erkennen lassen, da sich die Benachteiligung hinter geschlechts-
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neutralen Regeln und Instrumenten verbirgt. Sowohl aus der Diskriminierungsforschung als auch aus der praktischen Arbeit mit Gleichstellungsproblemen konnten und können zahlreiche Erkenntnisse über Prozesse und Mechanismen von Diskriminierung gesammelt werden. Dieses Wissen muss den verantwortlichen AkteurInnen in den Bereichen zugänglich gemacht werden, sei es durch Fachliteratur (wie z.B. dieser Band) oder auch durch Beratung und Trainings. 2. Welche Gruppen sind von dem Vorhaben betroffen? Hierbei gilt es, wie erwähnt, nicht nur nach Frauen und Männern zu unterscheiden, sondern auch nach weiteren Merkmalen (wie z.B. Alter, Ethnizität, Nationalität, Lebenssituationen und Interessenlagen), die für das jeweilige Vorhaben von Bedeutung sind. Handelt es sich z.B. um Vorhaben im Bereich der Stadtentwicklung, ist u.a. wichtig zu wissen, ob es sich um weibliche oder männliche Kinder, Jugendliche, Menschen im Erwerbsalter, RentnerInnen handelt, inwieweit Singles, Väter/Mütter in Familien, alleinerziehende Väter/Mütter usw. betroffen sind und welche Interessen diese TeilZielgruppen haben. Auch für diese Analyse müssen die notwendigen Voraussetzungen durch Information und u.U. auch Beratung geschaffen werden. Der 3. Schritt besteht in der Entwicklung von Optionen. Um die definierten Ziele zu erreichen, stehen oftmals mehrere Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung. Auf Basis des bereichsspezifischen Fachwissens und der Ergebnisse der im 2. Schritt vorgenommenen konkreten Problemanalyse sind nun Gestaltungsoptionen zu entwickeln. Im 4. Schritt Analyse der Optionen und Entwicklung eines Lösungsvorschlags werden die im 3. Schritt entwickelten Optionen mittels zuvor festgelegter Kriterien hinsichtlich ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern untersucht und bewertet. Aus der internationalen Diskussion über relevante Prüf- bzw. Bewertungskriterien kristallisieren sich drei Gruppen von Kriterien heraus, die Aufschluss darüber geben, inwieweit die erarbeiteten Optionen einen positiven Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter liefern können: Rechtliche Gleichstellung, Gleichstellung hinsichtlich verschiedener Ressourcen und Gleichstellung hinsichtlich der Beteiligung an Entscheidungen (vgl. Abbildung 2 auf der folgenden Seite). Auch wenn die drei Kriteriengruppen nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind, gibt diese Klassifizierung Impulse für die Diskussion und Entwicklung eigener Checklisten. Auf Basis der Prüfergebnisse werden die Optionen bewertet und ein Lösungsvorschlag erarbeitet. Dieser muss sich nicht auf eine der Optionen beschränken, sondern kann auch eine Kombination aus mehreren beinhalten. Der 5. Schritt Umsetzung der getroffenen Entscheidung ist bei allen Veränderungsprozessen ein besonders kritischer Punkt. Dazu verweisen wir auf die entsprechenden Beiträge in diesem Band: generell auf den von Jüngling und Rastetter, speziell zu GM auf die von Olthoff sowie von Banos und Gröbel. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass es für das Gelingen der Umsetzung von entscheidender Bedeutung ist, die Beteiligten und Betroffenen rechtzeitig zu informieren und deren Gleichstellungskompetenz und -motivation – oder auch Gender-Kompetenz – zu erhöhen (s.u. 3.2; vgl. dazu auch Lange 2006).
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Prüfkriterien
Prüffragen
1. Rechtliche Gleichstellung
x Inwieweit tragen die jeweiligen Optionen (hier: Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Dienstvereinbarungen, Leitlinien usw.) zum Abbau mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung bei? x Inwieweit erleichtern die Optionen den Zugang zum Recht und die Inanspruchnahme von Recht?
2. Gleichstellung hinsichtlich verschiedener Ressourcen
x Inwieweit fördern die jeweiligen Optionen die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bezug auf x Einkommen x Vermögenswerte x Bildung/Ausbildung x Berufsausübung/berufliche Weiterentwicklung/Aufstieg x Zeitressourcen x Information x technische Ressourcen x Gesundheitsversorgung x Erholung x Mobilität x Persönlichkeitsentwicklung
3. Gleichstellung hinsichtlich der Beteiligung an Entscheidungen
x Inwieweit fördern die jeweiligen Optionen eine ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen?
Abb. 2: Prüfkriterien und Prüffragen zu den voraussichtlichen Auswirkungen von Optionen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern (Krell/Mückenberger/Tondorf 2000, S. 12).
Als 6. Schritt folgen schließlich Erfolgskontrolle und Evaluation (dazu generell: Behning/Sauer 2005). Leitfragen dazu sind: Wurden die definierten Ziele erreicht? Falls nicht: Welches sind die Ursachen für die Nicht- oder Teilerreichung? Welche Maßnahmen sind notwendig, um auf dem Weg zur Gleichstellung weiter voranzuschreiten? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen die erforderlichen Daten über die Zielerreichung erstellt sein. Als weitere Voraussetzungen gelten ein Berichtssystem sowie eine verpflichtende Ursachenanalyse. Zur Illustration der Vorgehensweise mittels dieses Modells verweisen wir auf die Beispiele in Krell, Mückenberger und Tondorf (2000) sowie Mückenberger, Spangenberg und Warncke (2007). 109
3.2 Grundzüge einer an Gender Mainstreaming orientierten Personalpolitik Neuere Konzepte zur Realisierung der Chancengleichheit der Geschlechter wie GM oder Diversity Management unterscheiden sich von herkömmlicher „Frauenförderung“ in mehrfacher Hinsicht: Erstens wird zwar das Geschlecht bzw. das Geschlechterverhältnis systematisch berücksichtigt. Dabei wird aber nicht stereotyp(isierend) aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit kategorisiert. So gerät z.B. ins Blickfeld, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer zu Diskriminierungsopfern werden können, wenn sie z.B. in frauendominierten Berufen beschäftigt sind (vgl. Krell/Winter in diesem Band) oder Teilzeit arbeiten (vgl. Vedder/Vedder in diesem Band). Zweitens wird Entwicklungsbedarf nicht nur mit Blick auf die weiblichen Beschäftigten gesehen, sondern auch und insbesondere x mit Blick auf die Organisation insgesamt. Während traditionelle Frauenförderung oft als Personalentwicklungsprojekt für die weiblichen Beschäftigten galt und gilt, ist die Realisierung von GM ein (Re-)Organisationsvorhaben bzw. ein Projekt geplanten organisationalen Wandels. x mit Blick auf alle „an der (personal)politischen Gestaltung beteiligten AkteurInnen“. Insbesondere Führungskräfte, und das sind überwiegend Männer, werden zu Adressaten von gleichstellungspolitischen Maßnahmen gemacht. Durch Trainings sollen ihre Gleichstellungskompetenz und -motivation erhöht werden (vgl. dazu auch Gieselmann/Krell und von Hardenberg/Wolff in diesem Band). Hier möchten wir allerdings vor Konzepten warnen, deren Zielsetzung darin besteht, dafür zu sensibilisieren, wie unterschiedlich Frauen und Männer denken, reden und handeln. Damit wird jenes Schubladendenken verfestigt, das doch gerade infrage gestellt werden müsste. Vielmehr sollte es um die kritische Auseinandersetzung mit Geschlechtsunterscheidungen, deren (Re-)Produktion – auch im eigenen Denken und Handeln – und deren Effekten gehen (vgl. dazu auch Frey 2004 und Wedl 2004). Zur extrinsischen Motivierung können auch Anreizsysteme dienen: Anstrengungen und Erfolge in Sachen Chancengleichheit können bei der Beurteilung und – falls vorhanden – der leistungsabhängigen Vergütung der Führungskräfte berücksichtigt werden (vgl. dazu den einleitenden Beitrag und den zur Leistungsbeurteilung von Krell sowie Keßler/Schulz in diesem Band). Drittens sind – wie ebenfalls schon dargelegt – diese Konzepte durch eine systematisierte Vorgehensweise charakterisiert, sei es nach dem hier vorgestellten Sechs-SchritteModell des GM oder dem Vier-Phasen-Modell des Gleichstellungscontrollings (vgl. den einleitenden Beitrag von Krell). Der vierte Aspekt folgt aus dem dritten. Es werden nicht einzelne isolierte Projekte und Maßnahmen durchgeführt, sondern Chancengleichheit wird in den Zielkatalog von Politik und Verwaltung aufgenommen. Um dieses Ziel zu realisieren, bedarf es einer konsequenten Gleichstellungspolitik, die als Querschnittsaufgabe in den Management-
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prozess integriert ist. In diesem Zusammenhang werden alle personalpolitischen Kriterien, Verfahren, Praktiken systematisch daraufhin untersucht, x ob sie Diskriminierungspotenzial enthalten. Auch hier ist eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich, die vor allem auch mittelbare Diskriminierung berücksichtigt und x ob sie Gleichstellungspotenzial enthalten. So können nicht nur die Führungskräftebeurteilung und -entwicklung in den Dienst der Chancengleichheit gestellt werden (s.o.), sondern z.B. auch die (Führungskräfte-)Auswahl, das Controlling (Stichwort: Gleichstellungscontrolling), die Leitbildentwicklung oder Mitarbeiterbefragungen (auch dazu mehr im einleitenden Beitrag von Krell). Ausgehend von den Ergebnissen dieser Analysen werden dann entsprechende Umgestaltungen vorgenommen. Für eine am Prinzip des GM orientierte (Neu-)Gestaltung der Personalpolitik bieten die in diesem Sammelband zusammengestellten Beiträge sowohl wissenschaftlich gestützte Gestaltungsempfehlungen als auch Beispiele vorbildlicher Praxis.
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Marion Olthoff
Praxisbeispiel Niedersachsen: Gender Mainstreaming – Von der Implementierung zum Alltagsgeschäft 1. Gender Mainstreaming – eine Strategie der Gleichstellungspolitik Nachdem die Europäische Kommission 1996 verbindlich zur Politik des Gender Mainstreaming übergegangen war, hatte Niedersachsen 1998 nach ihrem Vorbild als erstes Bundesland mit dessen Einführung begonnen. Anlass war ein Kabinettsbeschluss, der das bis dahin eigenständige Frauenministerium in das Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales (im Folgenden: Sozialministerium) integrierte. Diese Entscheidung markierte auch die Geburtsstunde des Gender Mainstreaming in Niedersachsen, denn fortan sollte Gleichstellung in allen Themenfeldern Eingang und Berücksichtigung finden. Es galt folgende Definition (nach Krell/Mückenberger/Tondorf in diesem Band; vgl. auch MFAS 2000), die an die des Europarats angelehnt ist: „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen“. Demnach sollen alle Vorhaben, Programme und Projekte frühzeitig und vorausschauend unter dem Blickwinkel der Gleichstellung geprüft und bewertet werden. Im Mittelpunkt stehen die jeweils für die Entscheidungsprozesse Verantwortlichen. Sie sind verpflichtet, die Gender-Prüfung durchzuführen. Diese Akzentuierung der Verantwortlichkeit bewirkt, dass nicht mehr ausschließlich das für Frauen zuständige Ministerium, eine Abteilung „Frauen“ oder die Frauenbeauftragte für Gleichberechtigung zuständig sind, sondern alle Beschäftigten für die Berücksichtigung von Gender in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich verantwortlich sind.
Marion Olthoff, Referentin im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. E-Mail:
[email protected] 115
Die Verpflichtung auf Gender Mainstreaming ersetzt allerdings nicht die spezifische Frauen- und Gleichstellungspolitik. Das Niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz, die Frauenförderprogramme, die Frauenbeauftragten u.a. haben weiterhin ihren eigenständigen Stellenwert: Frauenförderung und Gender Mainstreaming bilden zusammen eine Doppelstrategie. Nach wie vor gilt es, durch spezifische Gleichstellungspolitik vorhandene Benachteiligung und Ungleichheit zu kompensieren und abzubauen. Zusätzlich soll durch Gender Mainstreaming vorausschauend die potenzielle Benachteiligung von Frauen oder Männern erkannt, aufgezeigt und verhindert werden. Das Ziel beider Strategien ist identisch: Es geht um die Verwirklichung der Gleichstellung. Die Einführung von Gender Mainstreaming verlief zeitgleich mit der Verwaltungsreform bzw. der Staatsmodernisierung. Insofern boten sich eine Koppelung (vgl. auch Ohlde/Olthoff 2005) und die engere Kooperation mit dem für Staatsmodernisierung zuständigen Innenministerium (MI) an. Es wurde eine Reihe von Maßnahmen und Projekten entwickelt und auf den Weg gebracht, von denen einige im Folgenden vorgestellt werden.
2. Bausteine des Umsetzungsprozesses in der Landesregierung Gender Mainstreaming bot eine Chance, die Frauen- und Gleichstellungspolitik des Landes aus ihrer Isolierung im Frauenministerium herauszuholen. Gender war nicht länger das Politikkonzept nur eines Ministeriums. Es galt, überall zunächst die Führungsebene und schließlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überzeugen und zu befähigen. Dazu dienten und dienen Beschlüsse und Maßnahmen zur strukturellen Verankerung (s.u. 2.1), Informationsveranstaltungen (s.u. 2.2), die Integration des Themas in die Fortbildung, insbesondere der Führungskräfte (s.u. 2.3) sowie zahlreiche Einzel-Projekte (s.u. 2.4).
2.1 Beschlüsse und Maßnahmen zur strukturellen Verankerung Als erster Schritt – und als Vorbild für die spätere Verankerung in der „Gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien und der Staatskanzlei“ (GGO) – wurde 1998 die Berücksichtigung von Gender Mainstreaming in der Geschäftsordnung des damals federführenden Sozialministeriums, und damit formal in all seinen Geschäftsabläufen, verankert. Im Mai 2000 wurde eine Planungsgruppe eingesetzt, die bis heute den Umsetzungs- und Verstetigungsprozess des Gender Mainstreaming beobachtet, steuert und unterstützt. 2002 wurde diese in eine ressortübergreifende Steuerungsgruppe nach dem Bundesmodell umgewandelt. Das erwies sich als sinnvoll, da so der Erfahrungsaustausch über einen längeren Zeitraum sichergestellt werden kann und es ein Gremium gibt, in dem unterschiedliche Auffassungen diskutiert werden können. Die Steuerungsgruppe ist daher bewusst hochrangig angelegt und wird von der Staatssekretärin im Sozialministerium geleitet. Sie hat 2006 auch den zweiten Kabinettsbeschluss (s.u.) vorbereitet. 116
Zunächst traf im April 2003, direkt nach dem Regierungswechsel, die Landesregierung die weit reichende Entscheidung, die „Gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien und der Staatskanzlei“ (GGO) zu ändern. Seitdem heißt es dort in § 2: „Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist durchgängiges Leitprinzip. Es ist bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen zu beachten (Gender-Mainstreaming)“. § 9 schreibt vor, dass Kabinettsvorlagen eine Darlegung der Auswirkungen auf die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern enthalten müssen. Zugleich wurde dort die Prüfung der Auswirkungen auf Familien aufgenommen, die insbesondere die Vereinbarkeitsproblematik in das Blickfeld rücken soll. Die formalen Grundlagen für eine erfolgversprechende Gender-Praxis waren damit gelegt. In der Folgezeit zeigte sich allerdings, dass die Gender-Prüfung – und damit die Verpflichtung – teilweise nur unzureichend erfüllt wurde. So fanden sich in Kabinettsvorlagen Formulierungen wie z.B.: „Soweit die mit der Kabinettsvorlage vorgeschlagenen Maßnahmen Konsequenzen notwendig machen, werden diese sozialverträglich umgesetzt. Belange der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Familien (…) werden besonders beachtet“. Damit wurde nicht der Auftrag der GGO erfüllt, die verlangt, in einer Kabinettsvorlage darzulegen, welche Auswirkungen diese auf die Gleichstellung hat und inwieweit der Beschluss Frauen und Männer unterschiedlich berührt. Der Hinweis, Auswirkungen abmildern zu wollen reicht nicht aus, da die Auswirkungen bei Beschlussfassung bekannt sein müssen, um in die Entscheidungsfindung einbezogen werden zu können. Der präventive Charakter von Gender Mainstreaming wird auf diese Weise ausgehebelt. Dies widerspricht dem politischen Anliegen der Landesregierung, eben diese Auswirkungen frühzeitig erkennen zu können, um dem Anspruch einer familienfreundlichen und gleichstellungsfördernden Politik gerecht werden zu können. Gender Mainstreaming und Familienprüfung sind Frühwarnsysteme, die politische Entscheidungen treffsicher machen sollen. Das Kabinett benötigt Vorlagen, die bei der Abwägung eines Vorhabens darüber aufklären, welche Nebeneffekte damit verbunden sind. Um die Akteurinnen und Akteure in den Stand zu setzen, Kabinettsvorlagen besser auf besondere Auswirkungen auf Frauen, Männer und Familien hin zu überprüfen und mit zielführendem Inhalt zu füllen, wurde 2006 von der Steuerungsgruppe ein zweiter Kabinettsbeschluss vorbereitet. Der Beschluss zur „Umsetzung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der niedersächsischen Ministerien und der Staatskanzlei/Weiterentwicklung des Gender Mainstreaming und der Prüfung der Auswirkungen auf Familien“ vom Dezember 2006 soll der Verstetigung und Verbesserung dienen. Der Auftrag der Gender-Prüfung (Auswirkungen auf Frauen und Männer) und der Familien-Prüfung (Auswirkungen auf Familie bzw. Vereinbarkeit) in der GGO wird somit bekräftigt und durch Maßnahmen ergänzt. Insgesamt wird auf strenge Vorgaben zur Art der Umsetzung von Gender Mainstreaming verzichtet. Anstelle dessen sollen in den Ressorts Vereinbarungen getroffen werden, bei denen Maß und Methoden den jeweiligen Gegebenheiten in den Häusern entsprechend ausgehandelt werden. Vorerst in ausgewählten Bereichen der Ministerien und der Staatskanzlei muss Gender Mainstreaming weiter systematisiert angewandt werden. Ziel bleibt die flächendeckende Anwendung. Eine jährliche Erfolgskontrolle ist verpflichtend. 117
2.2 Informationsveranstaltungen Als erster Impuls zur Implementierung des Gender Mainstreaming in die Landesverwaltung fand im März 1999 eine Informationsveranstaltung mit Referentinnen aus Brüssel statt, die sich in erster Linie an alle Führungsverantwortlichen der obersten Landesbehörden und Bezirksregierungen richtete. Da alle maßgeblichen Akteurinnen und Akteure erreicht werden sollten, musste die politische Ebene sensibilisiert werden. Entsprechend wurden die Landtagsausschüsse informiert, und auch das damalige niedersächsische Kabinett wurde im Herbst 1999 in einer maßgeblich von Frau Prof. Dr. Krell, Frau Dr. Tondorf und Herrn Prof. Dr. Mückenberger gestalteten Veranstaltung über das Konzept Gender Mainstreaming und Verfahrensweisen zu dessen praktischen Anwendung unterrichtet. Die Inhalte der Veranstaltung wurden in einer Broschüre veröffentlicht (vgl. MFAS 2000) und allen Dienststellen des Landes zugänglich gemacht. Eine weitere Informationsveranstaltung wurde für alle Abteilungs- und Referatsleitungen der Ministerien durchgeführt. Im federführenden Sozialministerium gab es außerdem einen Workshop zur Information aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
2.3 Integration in die Fortbildung Als ein weiterer Schritt wurde Gender Mainstreaming in die Konzepte der Führungskräfteschulungen integriert. Auf Initiative des Sozialministeriums wurde bei der HansBöckler-Stiftung ein Projekt zur Integration der Gleichstellungsperspektive in Module von Führungskräftetrainings initiiert und mit einer Veröffentlichung abgeschlossen (vgl. Tondorf/Krell 1999). Diese enthält vier beispielhafte Fortbildungsmodule zur Verknüpfung des Themas Geschlechtergleichstellung mit fachspezifischen Themen: x Gleichstellung als Querschnittaufgabe – eine neue Anforderung an Führungskräfte, x Gleichstellung und Verwaltungsmodernisierung – Reformpotenziale von Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit, x das Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräch unter dem Blickwinkel der Chancengleichheit, x „Anmache“ im Büro – ein tabuisiertes Problem: Konstruktive Lösungsansätze für Führungskräfte. Im Dezember 2001 wurde das Programm „Train the Trainer“ ins Leben gerufen; Zielgruppe waren die Fortbildungsreferenten und -referentinnen der Landesverwaltung. In Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung wurde 2002 eine einjährige Fortbildungsreihe zum Thema „Wie bringe ich Gender Mainstreaming ins Tagesgeschäft? – Eine Qualifizierung zur Verbindung von Projektmanagement und Gender Mainstreaming“ konzipiert. Schließlich ermöglichte der o.g. Kabinettsbeschluss vom Dezember 2006 die Weiterentwicklung und Ergänzung der Fortbildungsmaßnahmen: Unter Federführung des Sozialministeriums wird ein Modul entwickelt, mit dem Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in den Ministerien auf ihre Aufgaben vorbereitet werden können. Ein E-Learning-Programm zu Gender Mainstreaming
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wird erarbeitet, das dann im Landesintranet von allen Beschäftigten abgerufen werden kann.
2.4 Von der „Aufklärung“ zum „Ausprobieren“: Projekte Erste Erfahrungen zeigten, dass trotz breit angelegter Schulung der Beschäftigten die konkrete Umsetzung meist nicht ohne weitere Hilfestellungen zu bewältigen war. Die Gleichstellungsperspektive war ein ungewohnter Blickwinkel, der für viele zunächst sachfremd erschien. Unterschiedliche Auswirkungen zu erkennen und zwischen Belangen zu differenzieren ist mühsam und erfordert oftmals, die Dinge ganz neu sehen zu lernen. Zudem war der Nutzen für das Ergebnis des Einzelvorgangs oft nicht unmittelbar ersichtlich. Der Übergang von der Phase der „Aufklärung“ zur Phase des „Ausprobierens“ wurde dadurch angestoßen, dass alle Ministerien aufgefordert wurden, konkrete Projektideen zu entwickeln und zu erproben (vgl. auch Westphal 2003, S. 25). Einige dieser Projekte wurden erstmals 2002 in einer Broschüre dokumentiert und 2005 – nach dem Regierungswechsel – aktualisiert (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2005). Zwei davon betreffen die Personalpolitik: x In dem einen Projekt wurden die Ursachen dafür untersucht, dass in Niedersachsen im höheren Justizdienst Frauen im Durchschnitt schlechter beurteilt werden als Männer. Das Ergebnis: Dies ist nicht dadurch bedingt, dass Frauen tatsächlich weniger geeignet sind oder schlechtere Leistungen erbringen. Vielmehr kommt es durch die Anwendung von Beurteilungsmerkmalen wie z.B. „Belastbarkeit“ oder „Behauptungsvermögen“ zu Beurteilungsverzerrungen. Um dem entgegen zu wirken, wurden Maßnahmen entwickelt, die zurzeit umgesetzt werden. x In dem anderen Projekt ging es um die Arbeitszeit. Angesichts akuten Personalbedarfs, der weder durch Neueinstellungen noch durch die Ausweitung konventioneller Teilzeitarbeit gedeckt werden konnte, wurden im Finanzamt Celle sechs unterschiedliche Modelle der Flexibilisierung der Arbeitzeit entwickelt und erprobt. Begleitend wurden Maßnahmen zur Erhöhung der Akzeptanz von Teilzeitbeschäftigung und der Anerkennung der – überwiegend weiblichen – Teilzeitbeschäftigten erarbeitet.
3. Ausblick Dem Anliegen, Chancen, gesellschaftliche Teilhabe, Arbeit und Einkommen fair zu verteilen, wird heute kaum jemand widersprechen können, ohne befürchten zu müssen, das Gesicht zu verlieren. Demokratie braucht Partizipation – dies gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Gender Mainstreaming ist Strategie und Methode zur Umsetzung dieses Anliegens, um das langfristig niemand in der Landesverwaltung herumkommt, ohne seine dienstlichen Pflichten zu vernachlässigen. Dennoch ist die Umsetzung und Verstetigung von Gender Mainstreaming ein langer Weg, der sowohl von Steinen wie auch von Blüten gesäumt ist. Gender Mainstreaming, so zeigt die Erfahrung, erzeugt die gleichen Vorbehalte und Widerstände wie ehemals die Frauen- und Gleichstellungspoli119
tik. Über die Gründe lässt sich unterschiedlich mutmaßen. Die Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern herzustellen, erfordert nicht nur ein Umdenken sondern auch Mut zur Veränderung. Obendrein spielen auch sehr persönliche Aspekte eine große Rolle. Diejenigen, die verstehen und an sich heranlassen, dass Gender Mainstreaming auch für Männer ein Gewinnen ist, wenn sie z.B. mehr Zeit für ihre Kinder haben, sind noch in der Minderheit. Aber es gibt auch in allen Ressorts die „Beförderer“, auf denen das kontinuierliche Wachstum des Gender-Prozesses aufbaut und die im informellen Netzwerk wichtige Funktionen einnehmen. Die anderen lassen sich drei Gruppen zuordnen: den „Gehorsamen“, die sich, z.T. notgedrungen, Gedanken zu Gender machen, um der Pflicht zu genügen, den „Erfinderischen“, die, wie oben beschrieben, Formeln entwickeln, um zumindest dem Anschein nach dem Gender-Auftrag gerecht zu werden und den „Unverbesserlichen“, die sich dem Thema entziehen. Zu allen vier Gruppen zählen übrigens Männer und Frauen. Alle, die Gender Mainstreaming vorantreiben wollen, sind mit den beschriebenen Grundtypen und Grundhaltungen konfrontiert und müssen geduldig und beharrlich mit ihnen umgehen. Dabei geht es einerseits darum, Überzeugungsarbeit zu leisten und Kompetenz und Professionalität einzubringen, andererseits gehören auch Frustrationstoleranz, Gelassenheit und ein langer Atem dazu. Der Einsatz lohnt: Im Konzept des Gender Mainstreaming steckt eine Menge innovativer Kraft, die es im Interesse einer modernen Verwaltung zu nutzen gilt.
Literatur MFAS (2000): Gender Mainstreaming – Informationen und Impulse, hg. vom Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales, verf. von Gertraude Krell, Ulrich Mückenberger, Karin Tondorf, Hannover. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (2005): Grundlagen und Beispiele: Gender Mainstreaming in Niedersachsen, Hannover. Ohlde, Kerstin/Olthoff, Marion (2005): Verwaltungsmodernisierung und Gender Mainstreaming, in: Blanke, Bernhard/von Bandemer, Stephan/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden, S. 312-322. Tondorf, Karin/Krell, Gertraude (1999): „An den Führungskräften führt kein Weg vorbei!“ Erhöhung von Gleichstellungsmotivation und -kompetenz von Führungskräften des öffentlichen Dienstes (Edition der Hans-Böckler-Stiftung, Band 23), Düsseldorf. Westphal, Ulrike (2003): Umsetzung von Gender Mainstreaming im Bereich des Landes Niedersachsen/des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales, in: Paritätischer Niedersachsen e.V. (Hg.): Gender Mainstreaming. Umsetzung in die Praxis. Dokumentation zum 3. Frauenpolitischen Forum des Paritätischen Niedersachsen e.V. am 10. März 2003 in Hannover, Hannover, S. 31-43.
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Management der betrieblichen Gleichstellungspolitik
Sissi Banos und Rainer Gröbel
Praxisbeispiel IG Metall: Gender Mainstreaming in der Personalpolitik 1. Gleichstellungspolitische Leitlinien der IG Metall Gleichstellung von Frauen und Männern ist für die IG Metall kein neues Thema: Bereits 1986 erstritten die IG-Metall-Frauen für den sog. politischen Bereich einen Frauenförderplan mit jährlicher Berichtspflicht des Personalwesens an Vorstand und Beirat. Der Frauenanteil in diesem Bereich hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Frauen stellen heute nahezu ein Viertel der politischen Hauptamtlichen der IG Metall. Seit mehr als einem Jahrzehnt findet sich das Postulat für die aktive Förderung der Gleichstellung von Frauen in Gesellschaft, Betrieb und Gewerkschaft an herausragender Stelle in der Satzung der IG Metall (§ 2). Seit dem 19. Ordentlichen Gewerkschaftstag 1999 hat sich die IG Metall zur Mindestbeteiligung von Frauen entsprechend ihres Mitgliederanteiles in allen Gremien und Organen verpflichtet. Um diesen Passus in die Satzung zu bekommen, bedurfte es mehrerer Anläufe, da er nicht nur bei Männern sondern auch unter Frauen wie auch zwischen verschiedenen Bezirken anfangs heftig umstritten war. Heute ist die Beachtung der „Quote“ gängige, und von einer eher lästigen Praxis zur gut gelittenen Routine geworden. Der Frauenanteil wird mit wenigen Ausnahmen in allen Gremien und Satzungsorganen eingehalten, in einigen liegt er inzwischen sogar weit über der Mindestuntergrenze des Mitgliederanteiles von derzeit 18 Prozent. Mit der Richtlinie Frauen- und Gleichstellungspolitik unterstrich die IG Metall 2002 nochmals deren Notwendigkeit sowie der entsprechender Frauenstrukturen und verpflichtete sich zugleich erstmalig dem Gender-Mainstreaming-Prinzip.
Sissi Banos, Gewerkschaftssekretärin, koordiniert seit 2003 das Gender-MainstreamingProjekt beim IG-Metall-Vorstand. Rainer Gröbel, Personalchef und Koordinator für Vorstandsaufgaben der IG Metall ist einer der beiden Leiter/innen des Projektes. Kontakt:
[email protected] 121
2. „Vielfalt solidarisch gestalten“: Gender Mainstreaming und die Zukunftsdebatte der IG Metall Im Vorfeld des letzten Gewerkschaftstages organisierte die IG Metall eine Zukunftsdebatte darüber, mit welchen politischen Strategien und Inhalten sie dem Strukturwandel in Wirtschaft und Unternehmen und dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen kann. Dabei ging es auch um die Frage veränderter Berufs- und Lebensentwürfe der Geschlechter. Anlass für die Diskussion mit Mitgliedern, Funktionär/innen, NichtOrganisierten, Wissenschaftler/innen und anderen Vertreter/innen der interessierten Öffentlichkeit bildete die Erkenntnis, dass die Strukturen der Mitgliedschaft zu wenig den sich wandelnden Beschäftigtenstrukturen entsprechen. Insbesondere bei jüngeren Beschäftigten, Angestellten und Frauen zeigten und zeigen sich deutliche Defizite. Die Frage der Chancengleichheit von Frauen und Männern wurde im Rahmen dieser Debatte neben dem Gerechtigkeitsaspekt erstmalig auch organisationsweit unter dem Gesichtspunkt der vermittelten (Leit-)Bilder diskutiert: sowohl hinsichtlich des Außenbildes der nach wie vor vorwiegend männlich dominierten Organisation als auch hinsichtlich der Politikangebote. Die Verpflichtung zum Gender-Mainstreaming-Prinzip und der Beschluss des Vorstandes Anfang 2003, die flächendeckende Einführung des Konzeptes durch ein entsprechendes Projekt vorzubereiten und einzuleiten, erfolgten parallel zu dieser Debatte. Bestätigt wurden die Beschlüsse zu Gender Mainstreaming auf dem 20. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall, der im Oktober 2003 unter dem Motto „Vielfalt solidarisch gestalten“ stattfand.
3. Das Gender-Mainstreaming-Projekt Mit dem Beschluss zur Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Prinzips, definiert als die systematische Einbeziehung der Geschlechterperspektiven in alle fachlichen und politischen Fragestellungen in allen Handlungsfeldern der Organisation, wurde im Frühjahr 2003 das Projekt eingerichtet. Als seine Aufgaben wurden definiert: umfassende Bestandsaufnahme, beispielhafte Erprobung des Prinzips in ausgewählten Handlungsfeldern, Entwicklung von Grundlagen für die umfassende Einführung. Das ursprünglich auf drei Jahre angelegte Projekt wurde bis Ende 2007 verlängert. Die Zusammensetzung der Projektleitung – ein geschlechtergemischtes Tandem aus dem Personalleiter und der damaligen Verantwortlichen für die politische Planung der IG Metall – machte neben der Top-down-Ansiedlung des Projektes zugleich die doppelte Ausrichtung nach innen (Personal- und Organisationspolitik) wie auch nach außen (von der Tarifpolitik bis zur gewerkschaftlichen Bildungspolitik) deutlich. Im Folgenden geht es vor allem um die „Innenpolitik“ – inklusive deren Außenwirkung.
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4. Der erste Gender-Bericht der IG Metall Mit der Bestandsaufnahme „Frauen und Männer in der IG Metall“ wurde zum ProjektStart die Ist-Situation der Chancengleichheit umfassend und differenziert untersucht: die Repräsentanz von Frauen und Männern bei den Beschäftigten der IG Metall, in den Wahl-Gremien bis hin zu Tarifkommissionen, bei den Betriebsräten in den Betrieben in ihrem Organisationsbereich wie auch die Teilnahmequoten der Geschlechter bei den Angeboten der gewerkschaftlichen Bildung. Auf den ersten Blick verwunderlich – und auf den zweiten wiederum auch nicht – war die Feststellung: Die IG Metall ist ein „Frauenbetrieb“. Wegen deren Dominanz im gewerblichen und administrativen Bereich sind fast 60 Prozent der Beschäftigten Frauen. Bei den politischen Hauptamtlichen dominieren jedoch nach wie vor Männer, auch wenn seit 2001 erstmalig die Vorgabe des Frauenförderplans, d.h. Anteil der Frauen entsprechend ihrem Mitgliederanteil, erreicht werden konnte. Auch bei den Wahlmandaten konnte der Gender-Bericht Steigerungen des Frauenanteiles feststellen, der auch hier teilweise weit über der durch die Satzung vorgegebene Marge des weiblichen Mitgliederanteiles lag. Dies traf insbesondere auch für die leitenden Gremien auf Bundesebene wie Vorstand, Beirat und Gewerkschaftstag zu, wo der Frauenanteil inzwischen 25 bis 30 Prozent erreicht hat. Als großes Manko erwies sich die nach wie vor hohe Unterrepräsentanz bei den Führungspositionen, bei denen es sich um nicht durch die Satzung abgedeckte Wahlmandate handelt. Ein weiteres wichtiges Manko ergab die differenzierte Untersuchung der Geschlechterverhältnisse auf den verschiedenen Organisationsebenen: Je näher an der Basis umso geringer der Frauenanteil. In den örtlichen Verwaltungsstellen sind die Geschlechterverhältnisse sowohl im sog. politischen Bereich als auch bei den Führungspositionen am unausgeglichensten: 2003 dominierten hier die Männer bei den sog. politischen Sekretär/innen (mit 81,8%), bei den Führungspositionen (mit 91,6%) und besonders eklatant bei den sog. Ersten Bevollmächtigten, den örtlichen Geschäftsführer/innen (mit 95,2%) – also bei den Funktionen, die vor Ort, in den Betrieben die Gewerkschaft repräsentieren und in direkten Kontakt mit (potenziellen) Mitgliedern treten. Die Ergebnisse des Gender-Berichtes lieferten wertvolle Ansatzpunkte für die Personalpolitik.
5. Gender-Mainstreaming-Ansätze in der Personalpolitik Als ein wichtiges Thema, auch und insbesondere im Hinblick auf die Beschäftigtenstruktur, war mit dem Gender-Bericht die Frage der Work-Life-Balance insbesondere der Vereinbarkeit von Familie und Beruf benannt worden. Für den politischen Bereich wird dies zunehmend auch von den Trainees als angehenden Gewerkschaftssekretären/innen (dazu unten mehr) reklamiert. Indiz für ein Ungleichgewicht in der Balance-Frage sind die Teilzeitzahlen bei den Beschäftigten: Während in der Frauendomäne administrativer Bereich fast jede Dritte teil-
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zeitbeschäftigt ist, sind es im politischen Bereich gerade einmal vier Prozent, hier allerdings mit einem etwas stärkeren Männeranteil. Abgesehen von vertraglich geregelten Freistellungsbedingungen gibt es auf der Ebene der Vorstandsverwaltung der IG Metall seit einigen Jahren unterschiedliche Initiativen, um Beschäftigte in ihren unterschiedlichen Lebenslagen stärker in den Blick zu bekommen: Seit Herbst 2005 ist die IG-Metall-Vorstandsverwaltung aktives Mitglied im Frankfurter Lokalen Bündnis für Familie. Schon seit mehreren Jahren wird in der Vorstandsverwaltung eine Kinderweihnachtsfeier organisiert; seit zwei Jahren wird im Sommer tageweise ein Kinderferienprogramm angeboten. Die Resonanz auf diese Angebote ist groß. Von den beteiligten Eltern und anderen Beschäftigten mit Verantwortung für Kinder wird diese Form der Wertschätzung ihrer Lebenssituation als wohltuend angesehen. Hinzu kommt der unter organisationskulturellen Gesichtspunkten nicht unwichtige Effekt, dass damit auch Vorstandsmitglieder und andere Führungskräfte in ihrer Funktion als Väter und Mütter ins Bild rücken. Weitere Maßnahmen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, sind in Planung: von der Einrichtung eines Eltern-Kind-Arbeitszimmers in der Vorstandsverwaltung, Angeboten für Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen bis hin zur Verbesserung der Kommunikation zum Thema Vereinbarkeit, der Verbreitung hilfreicher Informationen wie auch von Good-Practice-Beispielen für Führungskräfte und Beschäftigte. Letzteres ist besonders wichtig für die örtlichen Verwaltungsstellen, denen umfangreiche Programme aufgrund ihrer Größe nicht möglich sind, Anregungen zur flexiblen Gestaltung des Themas dafür umso wichtiger. Auch bezüglich der Frage und Bedingungen der Vereinbarkeit von Familie und Gewerkschafter/innen-Beruf gibt es ein organisationsinternes Gefälle. Indiz dafür ist die Zahl der im politischen Bereich beschäftigten Frauen mit Kindern, die in den örtlichen Verwaltungsstellen im Vergleich zum Vorstand oder auch zu den Bildungsstätten der IG Metall tendenziell niedriger liegt. Hier Lösungen für beide Geschlechter zu finden, die jeweils mit den Repräsentanten der Mitglieder und betrieblichen Funktionär/innen als Haupt-Abnehmern der gewerkschaftlichen Dienst- und Beratungsleistungen abgestimmt sein wollen, stellt noch eine große und zugleich dringend anzugehende Herausforderung dar, um den Nachwuchs zu halten. Eine wichtige Rolle für die Work-Life-Balance gerade auch unter Gender-Gesichtspunkten spielen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, und hier insbesondere die im Rahmen des Aus- und Weiterbildungsprogramms für Hauptamtliche der IG Metall angebotenen Gesundheitsseminare. Mit ihrer Zielgruppenorientierung – spezifischen Angeboten für den frauendominierten administrativen Bereich und den männerdominierten politischen Bereich – wird zum einem dem Gedanken der Geschlechtergerechtigkeit Rechnung getragen. Darüber hinaus gibt es seit Kurzem ein Seminarangebot für örtliche Bevollmächtigte, also einen stark männlich dominierten Bereich, für den in den Seminaren behandelte Themen wie gesundheitliche Prävention oder die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bis vor nicht allzu langer Zeit noch Tabu waren. Auch diese Seminare finden äußerst positive Resonanz. Ein wichtiger Hebel zur Verbesserung der Geschlechterverhältnisse innerhalb der IG Metall ist das Traineeprogramm. Es wurde 2000 mit dem erklärten Ziel „Die IG Metall
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muss jünger und weiblicher werden“ aus der Taufe gehoben und beinhaltet ein qualitativ hohes einjähriges Ausbildungsprogramm für zukünftige Hauptamtliche im politischen Bereich. Bis heute haben es 46 Frauen und 67 Männer durchlaufen; fast alle wurden bei der IG Metall fest angestellt. Der Frauenanteil liegt weitaus höher als das, was bei der IG Metall selbst, und auch in den Betrieben in ihrem Organisationsbereich, bisher Normalität ist und trägt dazu bei, das skizzierte Außenbild der Verwaltungsstellen und anderer Bereiche „anzukratzen“. Unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit bereitet allerdings die Rekrutierung weiblicher Teilnehmerinnen Sorgen: Es gibt zu wenig Bewerbungen von Frauen und die Tendenz ist eher noch rückläufig. Über Gründe dafür kann bisher nur spekuliert werden. Hier dürfte das überwiegend männlich geprägte Außenbild der IG Metall eine wenig einladende Wirkung zeigen, verkoppelt mit dem Mythos des rund um die Uhr bereiten und kein Privatleben kennenden Gewerkschaftssekretärs, ein Leitbild, das allerdings auch immer weniger männliche junge Bewerber begeistert. Eine Befragung von Jürgen Prott (2002) unter Stipendiatinnen und Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bestätigt, dass aus diesen Gründen eine Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär/in oder überhaupt bei einer Gewerkschaft häufig nicht – oder nur als Notlösung – in Frage kommt. Eine Prüfung der Rekrutierungswege für das Traineeprogramm unter Gender-Gesichtspunkten steht noch aus. Positiv stimmt dagegen, dass die sog. Modulteilnehmer/innen, d.h. bei der IG Metall Beschäftigte, die delegiert von ihren jeweiligen Fachabteilungen oder Organisationsebenen zu ihrer Höher-Qualifizierung, ebenfalls am Traineeprogramm teilnehmen, sich im Durchschnitt je zur Hälfte aus Frauen und Männern zusammensetzen. Und schließlich ist die IG Metall auch ein klassischer Ausbildungsbetrieb, und zwar sowohl für herkömmliche Büroberufe als auch für IT-Berufe. Bei Letzteren waren die Auszubildenden wie schon die Bewerber, wie auch anderswo, bisher ausnahmslos männlich. Um das längerfristig zu ändern, nimmt die IG Metall seit einiger Zeit mit der Vorstandsverwaltung am Girls’ Day teil. Auf der anderen Seite werden in herkömmlichen Büroberufen in den letzten Jahren zunehmend auch junge Männer ausgebildet.
6. Ausblick: Vom Ausprobieren zur Policy Eine Strategie, die den differenzierten Blick auf Interessen und gleiche Teilhabe der Geschlechter in ihrer Vielfalt zum Inhalt hat, ist in einer Organisation, die – wie auch andere Gewerkschaften – historisch überwiegend durch das Leitbild des seine Familie allein ernähren könnenden Arbeiters geprägt war, nicht einfach durchsetzbar. Hinzu kommt das IG-Metall-Spezifikum eines äußerst geringen Frauenanteiles, der sowohl in den Betrieben und Unternehmen im Organisationsbereich als auch bei den Mitgliedern mit Ausnahme der textilen Branchen oder der klassischen Angestelltenbereiche fast nie mehr als 20 Prozent ausmachte, eine Größenordnung, die psychologisch gesehen eher als zu vernachlässigen gilt. Die jüngsten Entwicklungen stimmen positiv: In einigen Bereichen wie bei den politischen Sachbearbeiter/innen der Vorstandsverwaltung und den pädagogischen Mitarbei-
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ter/innen an den Bildungsstätten der IG Metall hat der Frauenanteil inzwischen die Dreißig-Prozent-Marke erreicht. Auch vor Ort, in den örtlichen Gewerkschaftsbüros, zeichnen sich positive Trends ab. Neben der stetigen Verbesserung der Geschlechterverhältnisse bei den Gewerkschaftssekretär/innen haben Frauen bei den örtlichen Führungskräften, wenn auch noch in der zweiten Reihe, kräftig aufgeholt: Bei den sog. Zweiten Bevollmächtigten, ein Amt das in etwa dem eines/r stellvertretenden/r Geschäftsführer/in entspricht, stellen sie heute jede Vierte. Wichtig ist es, bei aller Komplexität der Konzepte, Übereinstimmung darüber zu haben und immer wieder herzustellen, was die Ziele sind: die geschlechtergerechte Teilhabe und Ansprache der Menschen – organisationsintern wie auch nach außen – und der Wunsch, mit den Mitgliederstrukturen der Vielfalt auch der Metaller/innen-Betriebswelt besser als früher gerecht zu werden. Aus den bisherigen Erfahrungen mit der Integration der Geschlechterperspektiven sprechen gute Gründe dafür: Die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Lebenslagen von Frauen und Männern in ihrer Vielfalt trägt dazu bei, dass sich die Menschen in der Organisation wohler fühlen und fördert die Bindung und Gewinnung von Beschäftigten und Mitgliedern.
Literatur IG-Metall-Vorstand (2003): Frauen und Männer in der IG Metall. Erster GenderBericht der IG Metall, Frankfurt a.M. Prott, Jürgen (2002): Gewerkschaftssekretär als Beruf (Arbeitspapier 56 der HansBöckler-Stiftung), Düsseldorf.
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Christiane Jüngling und Daniela Rastetter
Die Implementierung von Gleichstellungsmaßnahmen: Optionen, Widerstände und Erfolgsstrategien 1. Was veranlasst Gleichstellungspolitik? 2. Wirkungen und Nebenwirkungen – eine Bilanz 3. Gleichstellungspolitische Erfahrungen: Widerstand hat Gründe 4. Die Logik des Gelingens 5. Wege zum Erfolg Literatur
Christiane Jüngling, Dr., Diplompsychologin, Psychotherapie, systemisches Coaching, Supervision und Weiterbildung, Hamburg. E-Mail:
[email protected] Daniela Rastetter, Prof. Dr., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personal, Organisation und Gender Studies, Universität Hamburg, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. E-Mail:
[email protected] 127
1. Was veranlasst Gleichstellungspolitik? Seit den 1980er Jahren stehen Unternehmen und Verwaltungen vor der Aufgabe, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verbessern. Anlass dazu geben erstens gesetzliche Vorgaben und andere politische Impulse, zweitens wirtschaftliche Entwicklungen und drittens innerbetriebliche Bedingungen: 1) Gesetzliche Vorgaben und politische Impulse: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das seit 18.8.2006 in Kraft ist, schreibt keine konkreten Maßnahmen zwingend vor, abgesehen von der Verpflichtung, für die MitarbeiterInnen geeignete Schulungen zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung durchzuführen. Die europäischen Richtlinien zum „Gender Mainstreaming“ (vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf in diesem Band), auf die sich mit dem Amsterdamer Vertrag von 1999 alle Mitgliedstaaten der EU verpflichtet haben, betreffen in erster Linie öffentliche Organisationen. In der Privatwirtschaft ist das Konzept „Gender Mainstreaming“ bisher wenig verbreitet (vgl. z.B. Andresen 2002). Im gesellschaftlichen Umfeld von Unternehmen versuchen verschiedene Organisationen, Unternehmen zu Gleichstellungsmaßnahmen zu motivieren, allen voran die Gewerkschaften, z.B. ver.di mit dem Gender-Mainstreaming-Prinzip in der Tarifarbeit (vgl. Skrabs 2002). Die „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“ (2001) stellt ein Beispiel für politischen Druck zu betrieblichen Gleichstellungsaktivitäten jenseits rechtlicher Vorschriften dar (die sich damals nicht durchsetzen ließen). Seit dem Regierungswechsel 2005 wird von politischer Seite verstärkt für eine familienfreundliche Personalpolitik geworben, die sich im Programm „Allianz für Familie“ (2006) niederschlägt und die auch finanziell unterstützt wird (z.B. durch die finanzielle Förderung des Arbeitsministeriums in Brandenburg für kleine und mittlere Unternehmen, die sich dem Audit Beruf und Familie unterziehen, vgl. Wollert in diesem Band). Möglicherweise wird die Nachfrage nach mehr Arbeitszeitflexibilität für Väter durch das neue Elterngeldgesetz positiv beeinflusst. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung erscheint der Fokus auf die Familie nachvollziehbar, es ist jedoch zu befürchten, dass dadurch andere Gleichstellungsziele (z.B. Lohngerechtigkeit) in den Hintergrund rücken. 2) Wirtschaftliche Entwicklungen: Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass Gleichstellungsaktivitäten eher im wirtschaftlichen Aufschwung als in wirtschaftlichen Krisenzeiten als relevant erachtet und angegangen werden. Zum einen stehen dann mehr Ressourcen für die Investition in Gleichstellungsmaßnahmen zur Verfügung, zum anderen steigt der Arbeitskräftebedarf, sodass eher auf „stille Reserven“ wie weibliche Arbeitskräfte zurückgegriffen wird. Die derzeitige Konjunkturentwicklung könnte sich positiv auf Gleichstellungspolitik auswirken, da von Unternehmen ein zunehmender Fachkräftemangel beklagt wird, der die Förderung qualifizierter Frauen notwendig erscheinen lässt (vgl. z.B. DIHK 2005). Zudem erfordern heterogene und individualisierte Arbeits- und Karrieremuster mehr betriebliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Gleichzeitig wird jedoch ein weiterer Rückgang der Stellen für gering qualifizierte Arbeitskräfte prognostiziert, unter denen der Frauenanteil erheblich (vgl. Cornelissen 2005). Gleichstellungspolitik einschließlich familienfreundlicher Personalpolitik wird sich deshalb vermutlich nach wie vor auf gut qualifizierte Personen konzentrieren.
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Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Organisationen mit Expansionsstrategie und erhöhtem Arbeitskräftebedarf gegenüber Gleichstellungsmaßnahmen aufgeschlossener sind. Im Zuge von Internationalisierung und einer erhöhten Vielfalt der Belegschaft sind jedoch in den letzten Jahren Diversity-Management-Strategien (vgl. Krell in diesem Band und Krell/Wächter 2006) verbreiteter als (enger gefasste) Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung. 3) Innerbetriebliche Bedingungen: Aus Sicht der Betriebe kann Veränderungsdruck entstehen, wenn die Belegschaft selbst oder engagierte BetriebsrätInnen Klagen und Unzufriedenheiten bezüglich mangelnder Chancengleichheit äußern, wenn eine hohe Fluktuation unter Arbeitnehmerinnen, zu lange Elternzeiten oder die Abwanderung hoch qualifizierter Frauen zu verzeichnen sind. Unternehmen und andere Organisationen reagieren umso sensibler auf solche Probleme, je stärker diese ihre Ziele gefährden. Zwar haben die eingeleiteten Maßnahmen nicht immer gleichstellungspolitische Ziele, prinzipiell ist aber die Bereitschaft zu Gleichstellung umso höher, je innovationsfreundlicher und wandlungsfähiger ein Unternehmen ist (sog. „lernende Organisation“). Bei den bislang realisierten Gleichstellungsmaßnahmen, die in einigen Unternehmen und Verwaltungen mittlerweile seit über 15 Jahren praktiziert werden, führte jeweils eine ganz spezifische Konstellation von äußeren und innerbetrieblichen Anlässen zur Einführung solcher Integrationsinstrumente. Wie sich durch einen Politikwechsel von der Gleichstellungspolitik zur Familienpolitik die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Teilbereich der Aktivitäten zur Förderung der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf verschiebt, lässt sich derzeit gut beobachten. Auf Organisationsebene war die besondere Akzeptanz solcher Maßnahmen bereits an den ersten Evaluationsergebnissen von Gleichstellungsmaßnahmen abzulesen.
2. Wirkungen und Nebenwirkungen – eine Bilanz Die Evaluation von Gleichstellungspolitik ist ein schwieriges Untersuchungsfeld. Zum einen werden Effekte von Gleichstellungsmaßnahmen durch parallele betriebliche Veränderungsprozesse überlagert. Zum anderen geht es um Neuerungen mit komplexen Wirkungen auf Individuen, Prozesse, Strukturen und Systeme (vgl. die Überlegungen zum Gleichstellungs-Controlling im einleitenden Beitrag von Krell in diesem Band). Man kann die Wirkungen von Gleichstellungsmaßnahmen anhand verschiedener statistischer Indikatoren betrachten, z.B. anhand des Frauenanteils. Oder man kann danach fragen, wie stark solche Programme verbreitet sind und welche Maßnahmen besonders häufig ergriffen werden. Nimmt man die Anteile an Beschäftigtengruppen als Indikatoren für die Wirksamkeit von Gleichstellungsvorhaben, so zeigt sich, dass diese Maßnahmen nur begrenzt zu einer Verbesserung der Beschäftigungschancen von Frauen beitragen. Die erste Gesamtuntersuchung von Frauenfördermaßnahmen in Großunternehmen (vgl. Brumlop/ Hornung 1994, Schumm 2000) weist nach, dass sich während der Laufzeit dieser Programme durch Umstrukturierungen und Beschäftigungsabbau in Organisationsbereichen mit hohen Frauenanteilen ausgeprägte Verluste bei Arbeitsplätzen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen ergeben haben, was zu einer Abnahme des Gesamtanteils 129
an weiblichen Beschäftigten geführt hat. Positive Entwicklungen zeichnen sich nur in Bereichen ab, in denen der Anteil der weiblichen Beschäftigten gering ist. Zwar hat der Anteil von Frauen an Fach- und Führungskräften zwischen 2000 und 2003 weiter leicht zugenommen (vgl. Holst 2005), beträgt aber in den größten Unternehmen Deutschlands nach wie vor nur ca. 10 Prozent. Die Daten zur Verbreitung von Gleichstellungsmaßnahmen zeigen: Je nach Stichprobe geben zwischen 80 und 90 Prozent der Unternehmen im Jahr 2003 an, ein oder zwei personalpolitische Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit durchzuführen (vgl. Krell/Ortlieb 2004 sowie Flüter-Hoffmann/Solbrig 2003). Rund 25 Prozent der befragten Betriebe planten weitere Maßnahmen. Nur bei einem knappen Viertel der Unternehmen waren statistische Basisdaten für eine differenzierte Planung vorhanden. Bei einer Wiederholung der Repräsentativbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft im Jahre 2006 wurden keine neuen Daten zur Verbreitung von Gleichstellungsmaßnahmen erhoben, hinsichtlich der Familienfreundlichkeit ergibt sich eine deutliche Veränderung: 95 Prozent der Unternehmen geben an, mindestens eine familienfreundliche Maßnahme (Arbeitszeitflexibilisierung, Kinder- und Angehörigenbetreuung, Serviceangebote, Elternförderung, Wiedereinstieg) zu praktizieren, im Jahr 2003 hatte noch jedes fünfte Unternehmen keinerlei familienfreundliche Angebote. Als Motive nannten mehr als 80 Prozent der Befragten die Erhöhung der Arbeitszufriedenheit sowie die Gewinnung und Erhaltung qualifizierter Mitarbeiter, also Ziele, welche die Attraktivität als Arbeitgeber steigern sollen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2006). Die Akzeptanz für das Thema Familienfreundlichkeit scheint somit in den letzten zwei Jahren deutlich gestiegen zu sein. Solange solche Regelungen allerdings – wie bisher – beinahe ausschließlich von weiblichen Beschäftigten in Anspruch genommen werden, bleibt die traditionelle geschlechtstypische Arbeitsteilung erhalten. Unter Gleichstellungsgesichtspunkten sind deshalb nur Konzepte weiterführend, die flexible Arbeitszeitregelungen zur Vereinbarung von Beruf und Familie für beide Elternteile und auch in qualifizierten Positionen ermöglichen und aktiv fördern (vgl. z.B. Peinelt-Jordan 2004 und Vedder/ Vedder in diesem Band). Besondere „Väterförderung“ geben 2006 immerhin knapp 10 Prozent der Unternehmen an (2003: 3,5 Prozent). Daten zur selektiven Nutzung der Gleichstellungskonzepte ergeben ein relativ einheitliches Bild: Die Privatwirtschaft hat die Vereinbarkeit von Beruf und Familie programmatisch von Anfang an zum Schwerpunktthema gemacht, diese Entwicklung setzt sich fort. Eine Befragung von Expertinnen von Großunternehmen, in denen Frauen- und Familienpolitik Mitte der 1990er Jahre als Bestandteil der Personalpolitik fest etabliert war, zeigt drei Trends: Die Fokussierung auf die Zielgruppe Frauen wird durch Angebote für männliche Beschäftigte erweitert, die Bewusstseinsbildung für Chancengleichheit und partnerschaftliche Zusammenarbeit beider Geschlechter wird verstärkt und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit wird als Chance für Gleichstellung bewertet (Dudek-Marschhaus 1998, S. 33). Als häufigste Aktivitäten oder Ziele für wietere Maßnahmen wurden in einer Befragung 2003 die Bereiche Arbeitszeitflexibilisierung, Verankern von Chancengleichheit in der Unternehmensphilosophie sowie die aktive Gestaltung der Elternzeit genannt (Karberg/Krell 2004).
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Was lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten? Es zeigt sich deutlich, dass aus den systematischen Gleichstellungsprogrammen von Anfang an vorzugsweise die Förderung von Führungskräften sowie Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgewählt wurden. Diese Themenbereiche – auch als Work-Life-Balance individualisiert (vgl. Bessing in diesem Band) – sind offenbar in den Unternehmen am ehesten vermittelbar und lassen sich gut in geschlechtsunabhängige Innovationsvorhaben zur Arbeitszeitflexibilisierung integrieren. Ebenso offensichtlich ist die weitgehende Ausklammerung strukturell bedingter Ungleichheiten in Arbeitsgestaltung sowie der Lohn- und Gehaltsverteilung. Im Hinblick auf eine Beschäftigungssicherung für Frauen lassen sich nur Effekte in qualifizierten Tätigkeitsbereichen feststellen. Frauenspezifische Maßnahmen stoßen auf starke Widerstände, Ansätze, die beide Geschlechter ansprechen und auch in der positiven Benennung („Diversity“ oder „Familienfreundlichkeit“) keine Geschlechterkampf-Assoziationen wecken, erfahren größere Anerkennung. Akzeptanz ist also der wesentliche Faktor für Erfolg. Aber Akzeptanz ist selbst bei einer positiven Ausgangskonstellation in den aktiven Unternehmen nicht selbstverständlich. Hier kommt dem Bewusstseinswandel in Unternehmen – und Verwaltungen – große Bedeutung zu. Wie lässt sich Akzeptanz für Gleichstellungsmaßnahmen schaffen? Der erste Schritt besteht darin, die Widerstände gegen Gleichstellung zu verstehen.
3. Praxiserfahrungen: Widerstand hat Gründe Ein pluralistisches Organisationsmodell erleichtert das analytische Verständnis von Widerständen bei Veränderungsprozessen. Organisationen kann man als komplexe Systeme teils konkurrierender, teils koalierender Einzelpersonen, Interessengruppierungen oder Organisationseinheiten betrachten. Entscheidende Voraussetzungen für und gleichzeitig Bestandteile von Politik sind die vorhandenen Machtressourcen (z.B. rechtliche Regelungen, formale Entscheidungskompetenzen und Budgets, aber auch informelle Kontakte, Expertenwissen, Status), die darauf gerichteten Interessen und die während der Realisierung dieser Interessen auftretenden Konflikte. Ressourcenknappheit verschärft die Konflikte und damit die Politisierung. Geht man davon aus, dass Macht und Politik wesentliche Dimensionen aller Vorgänge in Organisationen sind, lassen sich Entscheidungen nur aus dem jeweiligen Meinungs- und Interessenpluralismus erklären, der bei einem bestimmten Sachvorhaben auf den Plan tritt. Die spezifische Interessenkonstellation wirkt wie ein Filter, sie entscheidet wesentlich darüber, ob und in welcher Form bestehender Veränderungsdruck (z.B. durch schlechte Ertragslage oder Gesetzesauflagen) von einem Betrieb oder einer Behörde aufgenommen und verarbeitet wird. Hier unterscheiden sich Gleichstellungs-, Chancengleichheits-, Gender-Mainstreamingoder Diversity-Projekte nicht von anderen Innovationsvorhaben. Nun ließe sich einwenden, ProtagonistInnen von organisationalem Wandel müssten durch ihre Position, formale Kompetenzen oder mächtige Vorgesetzte nur genug Macht bekommen, um ihre Ziele auch gegen Widerstände durchzusetzen. Dies spielt sicherlich eine wichtige Rolle (s.u.) und einzelne Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte ohne Positionsmacht haben einen besonders schwierigen Stand. Aber sie haben dennoch
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Spielräume, denn die Machtverteilung in Organisationen entspricht nicht einfach der formalen Hierarchie. Stellenbeschreibungen und Machtkompetenzen sind unscharf. Auch mächtige Vorgesetzte sind zur Erreichung ihrer Ziele auf Verhandlungen und Tauschgeschäfte mit Untergebenen angewiesen (vgl. z.B. Küpper/Ortmann 1988). Betriebliche Entscheidungsprozesse sind somit nicht vorrangig sachrational, sondern vor allem aus ihrer sozialen Rationalität heraus nachvollziehbar. Programme zur Gleichstellung von Frauen und Männern sind komplexe Instrumente der Organisations- und Personalentwicklung. Sie erfordern vielschichtige organisationskulturelle und individuelle und vor allem auch emotionale Lernprozesse, insbesondere bei männlichen Mitarbeitern und in hohem Maße auch bei Führungskräften. Die Organisationsforschung zeigt, dass Organisationsentwicklungsmaßnahmen häufig scheitern, weil die damit einhergehenden realen oder angenommenen Veränderungen bei den betroffenen Organisationsmitgliedern auf Ablehnung stoßen, die sich aus zwei Quellen speist: auf der einen Seite aus einer eher diffusen Angst vor Änderungen an sich, auf der anderen Seite aus der Sorge vor negativen Konsequenzen von Änderungen, z.B. Verschlechterungen in Einkommen, Prestige, Arbeitsplatzsicherheit oder Zusammenarbeit (vgl. z.B. Schreyögg 2003). Deshalb wissen OrganisationsberaterInnen: Veränderung ohne Widerstand gibt es nicht. Und: Das Ignorieren des Widerstands führt zu Blockaden des gesamten Entwicklungsprozesses (vgl. z.B. Doppler 2005). Einzelpersonen reagieren typischerweise mit Fixierungen auf das Gewohnte, fühlen sich in ihrer Arbeitsleistung entwertet oder befürchten, zu den Verlierern des Wandels zu gehören. Ähnliche Reaktionsmuster sind auch bei Abteilungen oder der gesamten Organisation zu beobachten, etwa das Festhalten an Traditionen und Werten („strukturelle Trägheit“) oder die Ablehnung jeglicher Vorgaben von außen („Nicht-hier-erfundenSyndrom“), was vor allem die Umsetzung gesetzlicher und politischer Maßnahmen erschwert. Deshalb ist es sehr plausibel, dass die Organisationsforschung als Hauptursache des Misserfolgs von organisatorischen Veränderungsvorhaben die mangelnde Mitwirkung der betroffenen Organisationsmitglieder identifiziert hat (vgl. z.B. Schreyögg 2003). Bereits klassische Studien von Lewin (1958) belegen die Notwendigkeit, die betroffenen Personen von Anfang an in den Prozess der Veränderung mit einzubeziehen. Sein bekanntes Modell „Auftauen – Verändern – Stabilisieren“ veranschaulicht diesen Prozess: Soll ein gefrorenes Produkt verändert werden, muss es erst auftauen, bevor es bearbeitet und in der veränderten Form wieder eingefroren wird. Übertragen auf Organisationen gelingt demnach Veränderung nur, wenn die Betroffenen selbst die Schwachstellen und Bedarfe im Unternehmen erkennen und gemeinsam Maßnahmen zu deren Veränderung planen. Gegen die „strukturelle Trägheit“ ganzer Organisationen hilft nur die Einsicht, dass ohne Veränderung das Erreichen betrieblicher Ziele gefährdet ist. Zudem müssen die eingeführten Maßnahmen zum Zweck der „Stabilisierung“ permanent evaluiert und auf ihren Zielerreichungsgrad hin überprüft werden. Das Thema Gleichstellung weist eine zusätzliche Besonderheit auf: Es ist mehr als andere organisationale Ziele moralisch bzw. ethisch aufgeladen. Offener Widerspruch erscheint als politisch nicht korrekt und wird vermieden. Es gilt die ungeschriebene Regel: Gegen Gleichstellung wehrt man sich nur verdeckt. Damit wird die rationale und offene Auseinandersetzung um den Sinn von Maßnahmen erschwert, es besteht die Gefahr, dass sich Lager bilden, die nicht mehr miteinander kommunizieren. Indizien für
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verdeckte Widerstände sind beispielsweise dauernde Terminverschiebungen, geringe Gewichtung der Priorität der Thematik und mangelnde Teilnahme an diesbezüglichen Veranstaltungen (vgl. die Beispiele aus EP NORA/Tenschert 2005). Besonders hartnäckige Abwehr gegen Gleichstellungsaktivitäten findet sich in Männerdomänen wie in technisch-gewerblichen Bereichen und den meisten höheren Führungsebenen. Motive der männlichen Führungskräfte lassen sich als eine Mischung aus interessegeleiteter Bewahrung traditioneller Privilegien und Ressourcen und diffuser Unsicherheit im sozialen Umgang mit den neuen Kolleginnen beschreiben (vgl. z.B. Lange 2004; Rastetter 2005). Wirksame Abwehrstrategien der „old boys’ networks“ manifestieren sich in Informationszurückhaltung, fehlender informeller Integration der Kolleginnen in die Gruppe oder in einer sexistischen Kommunikationskultur (vgl. Rastetter 2006). In jedem Fall ist bei Gleichstellungspolitik davon auszugehen, dass Ängste vor Verlusten oder Verschlechterungen aufkommen, und sei es nur der Missmut darüber, sich künftig in der Herrenrunde anders benehmen zu müssen, weil zwei neue Kolleginnen aufgenommen werden. Solche internen Prozesse können dazu führen, dass selbst eine von der Unternehmensleitung ernst gemeinte Gleichstellungspolitik nicht gelingt, weil sie im Team weder akzeptiert noch umgesetzt wird.
4. Die Logik des Gelingens Die Implementierung von Gleichstellungsmaßnahmen ist Organisationsentwicklung. Und: Jede erfolgreiche Organisationsentwicklung ist erfolgreiche Politik (vgl. u.a. Jüngling 1993 und 1999b; Riegraf 1996; Edding 2000). Sie vollzieht sich in einem widersprüchlichen und konfliktreichen Prozess, für den lange Zeiträume eingeplant werden müssen. Aus dieser Perspektive setzt die Planung und Implementierung konkreter Maßnahmen eine strategische Analyse der bestehenden Interessenkonstellationen voraus. Die in den empirischen Studien vorgefundenen Organisationsformen für Akteure der Gleichstellung sind vielfältig: In den Unternehmen gibt es Stabsstellen für Chancengleichheit mit oder ohne MitarbeiterInnen, Stellen oder Abteilungen im Personalbereich mit Spezialfunktion, ProjektleiterInnen, paritätisch besetzte Arbeitskreise, Arbeitskreise unter der Leitung von Frauenbeauftragten etc. (Karberg/Krell 2001, S. 53). Diese Verantwortlichen stehen bei der Auswahl von Zielbereichen, Zielgruppen und der Planung konkreter Projekte vor der Aufgabe, immer wieder neu zu überlegen, welche Interessen die jeweiligen Akteure mit Gleichstellungsmaßnahmen verbinden könnten, welche innovatorischen Alternativen bestehen und welche Koalitionspartner sich aufgrund dieser Interessenlage ergeben. Auch eine differenzierte Widerstandsdiagnose ist hilfreich (so auch Edding 2000, S. 187ff). Der Organisationsberater Lange (2004) ist der Meinung, dass nur durch das Einbeziehen der Männer in den Lernprozess und deren Überzeugung, persönlichen Gewinn aus der Veränderung zu ziehen, ein Scheitern des Projekts vermieden werden kann. Aber auch weibliche Beschäftigte sehen nicht unbedingt den Sinn einer Maßnahme ein, wenn diese ohne ihr Mitwirken verordnet wird. Da jedes Gremium und jede Projektgruppe wieder eine neue Interessenkonstellation repräsentiert, müssen bei allen Einzelprojekten Kontakte geknüpft, Informationen eingeholt, Vorgespräche geführt und Absprachen getroffen werden (quid pro quo). PromotorInnen von Gleichstellungspolitik müssen sich darauf einstellen, ihre Macht-
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potenziale immer wieder neu zu erarbeiten. Dabei gilt das Prinzip: Austauschverhältnisse sind dann am stabilsten, wenn alle Beteiligten davon profitieren. Gemäß diesem Grundprinzip formulieren Rudolph und Grüning bereits 1994 die Regel: „Es darf keine Verlierer geben“. Dies erscheint beim Thema Gleichstellung auf den ersten Blick paradox, denn Ziel von Gleichstellungsprogrammen ist es ja, ungleiche Ressourcenverteilungen ausgeglichener zu gestalten. Aus Sicht der Forschungen über Politik und Macht in Organisationen ist dieser Ansatz allerdings sehr plausibel. Ohne Auseinandersetzung mit möglichen Geschlechterkonflikten gerät das Win-win-Prinzip jedoch zur Floskel. Die Themen Macht und mögliche Macht-, Status- und Ressourcenverluste dürfen nicht ausgeklammert werden (vgl. Cortolezis 2005a, S. 58). Zentral für den Erfolg von Gleichstellungsvorhaben bleibt immer die Frage, mit welchen Strategien gleichstellungspolitische Lösungen gefunden werden können, bei denen in den ausgewählten Zielgruppen alle – Frauen und Männer – gewinnen, denn das ist der positive Kern jedes erfolgreichen Veränderungsansatzes. Dabei ist zwischen der Ebene der Zielbereiche und der Ebene der Implementationsprozesse zu unterscheiden. Welche Zielbereiche von Gleichstellungspolitik sind besonders vielversprechend? Sicherlich lassen sich hier keine generellen Antworten finden, allerdings sollten – ausgehend von den jeweiligen betrieblichen Bedingungen – anfangs Vorhaben verfolgt werden, die es ermöglichen, rasch positive Ergebnisse und damit Erfolge zu präsentieren. Denn solche „quick wins“ beflügeln den Einstieg in schwierigere Projekte. Betriebliche oder behördliche Vereinbarungen können als gemeinsame Ausgangsbasis fungieren. Dabei hat sich gezeigt, dass weniger Programm manchmal mehr oder zumindest genauso viel Wirkung haben kann wie ein detaillierter Plan. Die Ableitung von konkreten Projekten und Gleichstellungsmodulen setzt eine Analyse der speziellen Umsetzungsbedingungen voraus. Idealtypisch haben Krell, Mückenberger und Tondorf (in diesem Band) im Kontext des Gender Mainstreaming hierfür ein 6-Schritte-Programm zur Organisationsentwicklung vorgeschlagen, das in der Praxis öffentlicher Verwaltungen rasch aufgegriffen wurde. Unter der Prämisse positiver Wirkungspotenziale für Frauen und Männer sind für jede Organisation spezifische gleichstellungspolitische Konzepte zu entwickeln. Gleichstellungspolitik ist in der Regel ein Projekt einer einflussreichen Minderheit. Wer in einer Minderheitsposition etwas verändern will, muss klug und an möglichst vielen Ansatzpunkten Einfluss nehmen. Als Brücke zur Integration von Gleichstellungsvorhaben können andere Modernisierungsprojekte hilfreich sein, die im Unternehmen akzeptiert sind. Hierzu eignet sich die Strategie des „strategischen Framings“: Strategisches Framing wird definiert als Versuch, bereits bestehende Frames [Bezugsrahmen; A.d.Ü.], Übereinkünfte und inhaltliche Überzeugungen und Handlungsoptionen und die Bezugsrahmen der AkteurInnen politischer Veränderung zusammenzuführen. Beim Gender Mainstreaming kann oft festgestellt werden, dass Akteure strategisches Framing benutzen, um Gender Mainstreaming als effizientes Mittel zu einem Zweck zu ‚verkaufen‘, der von PolitikerInnen und anderen Politikbetreibenden verfolgt wird (Verloo 2006, S. 5). Strategisches Framing nutzt die Logik einer doppelten Agenda: Die im Unternehmen oder der Verwaltung anerkannten Werte, Ziele und Entwicklungsoptionen werden durch
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Gleichstellungsziele erweitert. Dabei ist die Benennung, das „Labelling“, strategisch wichtig. In international agierenden Konzernen bietet der Diversity-Ansatz besonders gute Chancen, das Thema Gleichstellung aufzunehmen. Auch aus der Perspektive des Organisationslernens scheint es notwendig, an vorhandene Wissensbestände und gültige Handlungstheorien der Organisation („theory-in-use“) anzuknüpfen (Riegraf 2000). Strategisches Framing kann eine Öffnung gegenüber Gleichstellungsprojekten erleichtern, birgt aber die Gefahr, dass die entsprechenden Ziele im Konfliktfall schnell fallen gelassen werden, wenn sie auf wenig Interesse stoßen oder gegebene Macht- und Interessenverhältnisse in Frage stellen. Mit einem sehr flexiblen Beratungsansatz hat das Projekt „DIVA“ in mehreren privaten und öffentlichen Dienstleistungsunternehmen in Hamburg versucht, das Konzept des Gender Mainstreaming in ein strategisch bedeutsames Handlungsfeld der Personal- und Organisationsentwicklung zu integrieren. Dabei hat sich das Projektteam explizit von dem ursprünglich vorgegebenen Thema „Diskriminierungsfreie Bewertung von Arbeit und Qualifikation“ gelöst und nach dem Bedarf der beteiligten Unternehmen gerichtet (vgl. ISA Consult 2003). Ähnlich sind Projekte des österreichischen Netzwerkes A-GENDER bei Projekten zum Gender Mainstreaming im Rahmen des europäischen Förderprogrammes EQUAL vorgegangen (EP NORA/ Tenschert 2005). Die tatsächlichen Effekte eines derart ergebnisoffenen Vorgehens sollten allerdings kritisch reflektiert werden. Ein erfolgreicher Implementierungsprozess setzt bestimmte Rahmenbedingungen voraus. Beinahe schon eine Plattitüde, aber dennoch nicht zu vernachlässigen: Es gilt, die Betroffenen dort abzuholen, wo sie sind. Dafür gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Daher werden strategische Alternativentscheidungen „top down“ oder „bottom up“ der Wirklichkeit in Organisationen nicht gerecht. Zur erfolgreichen Umsetzung von Gleichstellungsprojekten ist beides nötig: Machtvolle Unterstützung durch die Organisationsleitung (also „top down“), und zwar nicht nur als öffentlichkeitswirksames Lippenbekenntnis, sondern als tatkräftige, verlässliche und konfliktfähige (Macht-) Ressource für die ProtagonistInnen des Veränderungsprozesses, und Interesse und Engagement von weiblichen und männlichen Beschäftigten sowie überzeugende Beteiligungsmöglichkeiten auf allen Ebenen („bottom up“). Bei dem unstrittigen und regelhaften Widerstandspotenzial gegen Veränderungsprozesse zur Gleichstellung liegt es auf der Hand, dass geliehene Macht von oben nicht hinreichend sein kann, sondern dass für die Planung und Umsetzung von Gleichstellungsvorhaben möglichst viele PromotorInnen und MultiplikatorInnen, besonders auch auf mittleren und unteren Ebenen des Managements gewonnen werden müssen (vgl. dazu auch Edding 2000 und Gieselmann/Krell in diesem Band). Denkbar wäre, im Sinne des Partizipationsprinzips von männlichen Mitarbeitern selbst Vorschläge erarbeiten zu lassen, etwa zur Frage, wie ihre Geschlechtsgenossen zu motivieren sind, Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Einige Organisationen setzen auch auf Anreize für Führungskräfte, um deren Motivation zur Umsetzung von Gleichstellungsprogrammen zu erhöhen. Aufgrund der bestehenden Arbeitsbeziehungen und der sozialpolitischen Implikationen von Gleichstellung spielt schließlich die Zusammenarbeit mit der Mitarbeitervertretung (Betriebsund Personalrat, Sprecherausschuss) eine wichtige Rolle für ihren Erfolg. Die Umsetzung von Gleichstellungszielen ist folglich eine Querschnittsaufgabe, die kooperative Verhandlungsprozesse in ressortübergreifenden Gremien wie Arbeitskreisen
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oder Projektgruppen, zwischen Organisationsleitung und Mitarbeitervertretung, verschiedenen Hierarchieebenen und ebenso zwischen weiblichen und männlichen Akteuren erfordert (vgl. z.B. auch das Praxisbeispiel Axel Springer in diesem Band). Pilotoder Modellprojekte können die Veränderungsspielräume ausloten. Es hat sich gezeigt, dass bei keiner Beschäftigtengruppe, auch nicht bei den weiblichen Beschäftigten, eine einheitliche Interessenlage vorausgesetzt werden kann. Auch unter weiblichen Promotoren wie Frauenbeauftragten, Diversity-Managerinnen und Betriebsrätinnen können Konkurrenzen und wechselseitige Blockaden entstehen, durch die die Regel „Keiner darf verlieren“ zur machtpolitischen Maxime „Keine darf gewinnen“ abgewandelt wird. Konfliktlinien entwickeln sich potenziell auch zwischen Eltern und Nicht-Eltern, Singles und Verheirateten, Älteren und Jüngeren, höher Qualifizierten und weniger Qualifizierten, was zeigt, dass bei Gleichstellung nicht nur mit Geschlechterkonflikten zu rechnen ist. Durch diese Vielzahl an Beteiligten und möglichen Konflikten entstehen besondere Schwierigkeiten. Die eindeutige Zuweisung von Verantwortlichkeiten an Betriebs- bzw. Personalrat oder Organisationsleitung kann hier strukturierend wirken, externe Moderation oder Beratung ist bei so komplexen Umsetzungsprozessen zu empfehlen (Burbach/Schlottau 2001). Wenn wie bisher spezielle Frauen-, Gender- oder Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt werden, muss ihr Tätigkeitsprofil klar definiert sein, und sie müssen mit ausreichenden Ressourcen, Kompetenzen und Beschäftigungssicherheit (Kündigungsschutz) ausgestattet werden (Sander/Müller 2005). Auf der Mikroebene führen die Komplexität der Zielvorstellungen und die ethische Dimension von Gleichstellung leicht zu emotionalisierten und wenig sachbezogenen Auseinandersetzungen (vgl. Jüngling 1995). Die offene, konfrontative Aushandlung konkurrierender Ansprüche zwischen den Geschlechtern ist oft ein Tabu. Grundlegende Überzeugungen („core beliefs“) über die Bedeutung von Geschlecht in der Organisation, z.B. „bei uns geht es nur um Leistung“, sind besonders schwierig zu verändern. Es nützt wenig, Vorbehalte und Ängste als irrational oder unbegründet abzutun, vielmehr sollten sie auf der Grundlage eines positiven Konfliktverständnisses in einem geschützten Rahmen thematisiert und bearbeitet werden.
5. Wege zum Erfolg „Sie braucht die Kondition einer Marathonläuferin und die Gerissenheit eines Politikers. Sie muss genügsam sein und in puncto Ermutigung eine Selbstversorgerin“. So charakterisiert Cornelia Edding (2000, S. 142) das Kompetenzprofil einer „Agentin des Wandels“ für mehr Chancengleichheit in einem Chemieunternehmen. Die beschriebene Frauenbeauftragte hatte keine Positionsmacht, konnte ihre Vorhaben aber dennoch mit Zweckbündnissen und Koalitionen auf Zeit hartnäckig und einflussreich weiterverfolgen. Das muss nicht das einzige Modell sein. Unterschiedlichste Konstellationen von Multiplikatoren und Kräfteverhältnissen können jeweils ein anderes betriebliches Szenario entstehen lassen. Gemeinsamkeiten zeigen sich jedoch hinsichtlich der notwendigen Kompetenzen und Strategien: Taktische Rationalität und organisationsberaterische Professionalität sowie eine in konkreten Fragen konfliktfähige und strategisch konsensorientierte Strategie, wohl wissend, dass zur Entwicklung eines tragfähigen 136
Kompromisses die Definition von Positionen und Interessen gehört (vgl. Riegraf 1996; Jüngling 1999b). Es erfordert Mut, Meinungen auf den Punkt zur bringen, Widerstände zu benennen und Einstellungsänderungen durch Dialog und Konfrontation mit den betroffenen Männern anzustoßen. Strategien und Professionalität müssen nicht mehr wie bei der von Edding beschriebenen Frauenbeauftragten im mühsamen Alleingang in einem „Learning by Doing“-Prozess erworben werden. Inzwischen gibt es vorbereitende Fortbildungen (z.B. Lehrgänge für „Gender Agents“, Cortolezis 2005b), die auf den vorliegenden Erfahrungen aufbauen und auf das Wissen der Organisationsforschung zurückgreifen. Edding (2000, S. 174) entwirft ein „Kompetenzprofil eines Change Agent ohne Positionsmacht“, das auch bei günstigeren Umsetzungsbedingungen als Basiskompetenz nützlich ist: x Der Change Agent sollte sich nicht mit Tunnelblick auf sein Vorhaben fixieren, sondern den Blick unternehmensweit schweifen lassen. (…) x Er braucht (…) ein gut funktionierendes Kontakt- und Informationsnetz, über das er rechtzeitig von Vorhaben und Plänen erfährt, denn anhängen kann man sich nur in frühen Stadien einer Projektentwicklung. (…) x Die Projektbeteiligten sind eher bereit, mit ihm zu sprechen, wenn er persönlich geachtet ist und im Unternehmen einen guten Ruf als ehrlicher Makler hat. x Wenn der Change Agent von einem geeigneten Projekt erfahren hat und wenn er Zugang gefunden hat zu den Projektverantwortlichen, dann muss er sein eigenes Anliegen noch erfolgreich verkaufen. (…) x Es beruhigt die Verantwortlichen ungemein, wenn sie nicht nur keinen Schaden fürchten müssen, sondern sogar hoffen können, zusätzliche Lorbeeren zu ernten. x Der Change Agent braucht in besonderem Maße die Kompetenz, (…) die richtigen Allianzpartner einzubinden. x Je genauer der Change Agent das Problem benennen und je klarer er beschreiben kann, was er von seinem Allianzpartner erwartet, desto größer sind seine Chancen, Unterstützung zu bekommen. (…) Insgesamt geht es also um eine Erweiterung der Perspektive und der Möglichkeiten: Beim Blick nach innen erweisen sich Gleichstellungsmaßnahmen als umso erfolgreicher, je plausibler sie mit anderen Modernisierungsvorhaben in Unternehmen und Behörden verknüpft werden können, und je mehr attraktive Aussichten sie für beide Geschlechter bieten. Mit Blickrichtung nach außen eröffnen Konzepte zur Vernetzung von einzelbetrieblichen Gleichstellungsprojekten mit regionalen und europäischen Beschäftigungsförderungsprogrammen Optionen für weitere Unterstützungspotenziale.
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Martina Rost und Brigitta Kreß
Praxisbeispiel Fraport AG: Chancengleichheit gestalten durch „Total E-Quality“-Prozess-Management 1. Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit: Die Fraport AG als ein „Leuchtturm“ für Chancengleichheit Der Nachhaltigkeitsindex Dow Jones Sustainability Index (DJSI World) dient Anlegerinnen und Anlegern weltweit als Orientierung für ökologisch, sozial und wirtschaftlich vertretbare Geldanlagen. Im Jahr 2006 waren insgesamt 20 deutsche Unternehmen dabei, u.a. als Neuzugang die Fraport AG. Diese verweist in ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2005 deutlich auf die Erfolge des nachfolgend beschriebenen „Total E-Quality“Prozesses (vgl. Fraport AG 2005a, S. 49). Dieser Erfolg war nur möglich aufgrund eines klaren Bekenntnisses zum prozesshaften Engagement. Hinzu kommt: Verantwortung für das Ganze kann nur empfinden, wer sich selbst auch als Teil des Ganzen wahrnimmt. Als größte lokale Arbeitsstätte Deutschlands zählt die Fraport AG zu den zehn bedeutendsten Luftverkehrsdrehkreuzen der Welt mit Allianzen an ca. 90 Standorten weltweit. Im Konzern gibt es ca. 60.000 Beschäftigte, bei der Fraport AG 12.735. Davon sind 2.412 (= 18,9%) Frauen; ihr Anteil in den Führungsebenen 1-5 beträgt 18%. 1.016 Beschäftigte arbeiten Teilzeit (ohne Altersteilzeit), 108 sind in Elternzeit, davon 5 Väter. Fraport hat sich ein Image als attraktiver Arbeitgeber erarbeitet: u.a. durch öffentliche Zertifizierungen, Qualitätsgütesiegel und die damit verbundene Presse. Bezüglich der Förderung von Chancengleichheit bot sich nach der Gründung des Vereins Total EQuality (vgl. auch Roer in diesem Band) im Jahr 1996 das gleichlautende Prädikat als ein Qualitätsbewertungsinstrument an, das nicht nur nach Tiefe und Breite personalpolitischer Maßnahmen fragt, sondern auch die individuellen Handlungsspielräume der einzelnen Unternehmen respektiert und schließlich breit anerkannt ist. Im Jahr 2007 bewirbt sich die Fraport AG zum vierten Mal um diese Auszeichnung. Der Prozess der Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern findet seit 1998 unter dem Titel „Total E-Quality“-Prozess (TEQ-Prozess) statt. In diesem Rahmen gibt es zahlreiche Maßnahmen und Projekte, wie z.B. die Zertifizierung der Beruf und Martina Rost, Dipl.-Pädagogin, Vorstandsbeauftragte für Chancengleichheit im Konzern Fraport AG. E-Mail:
[email protected] Brigitta Kreß, Dipl.-Soziologin, balancing consult – Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] 141
Familie GmbH der Hertie-Stiftung (vgl. auch Wollert in diesem Band) ab 2007, die beiden Kinderbetreuungseinrichtungen, ein Bündel an Angeboten zur Arbeitszeitflexibilisierung und Work-Life-Balance. Eine Analyse der Prognos AG ergab: Durch Förderung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern sowie durch weitere familienfreundliche Maßnahmen entsteht der Fraport AG ein Kosteneinsparpotenzial von deutlich über einer Mio. € pro Jahr (vgl. Prognos AG 2003). Die Zusammenarbeit mit der Prognos AG und die Mitgliedschaft im „genderdax“ (vgl. auch Domsch/Ladwig in diesem Band) – beides über das Bundesfamilienministerium gefördert – haben darüber hinaus gezeigt, dass personalpolitisches Engagement bezüglich Chancengleichheit auch gesellschaftliche Anstöße bewirkt.
2. Das TEQ-Prozess-Management 2.1 Die Leitgedanken Die Vielfalt der Menschen, die an einem Flughafen arbeiten, als Ressource zu nutzen, gelingt nur, wenn entsprechende Struktur- und Steuerungselemente wirksam werden. TEQ dient als ein solches Steuerungselement. Wie auch bei Gender Mainstreaming (vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf in diesem Band) soll der Blick aller nicht nur für mögliche Diskriminierungen, sondern auch für den Mehrwert von Chancengleichheit geschärft werden. Jeder Arbeitsplatz sollte automatisch auch dieser Qualitätskontrolle unterzogen werden, und zwar ohne das Alltagsgeschäft zu beeinträchtigen. Einmal installiert und einem regelmäßigen Update unterzogen, verursacht das keine Mehrarbeit mehr. Dabei bildet das Merkmal „Geschlecht“ das wesentlichste Ordnungsprinzip. Zum einen werden, so die sozialpsychologische Forschung (vgl. zusammenfassend Stiegler 2005), in den frühen Entwicklungsstufen der Menschen an diesem Modell der Umgang mit dem „Anderen“ geprägt und Toleranz, Abgrenzung oder Akzeptanz für alle andere Formen des Andersseins eingeübt. Zum anderen betreffen auch weitere Diversity-Parameter, wie Religion, Alter, Herkunft usw., jeweils Frauen und Männer auch unterschiedlich. Wenn ein global agierendes Unternehmen auf nachhaltige Entwicklung – auch im Personalwesen – Wert legt, ist es gut beraten, wenn es sich dabei auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse der Geschlechterforschung stützt (vgl. dazu auch Knapp in diesem Band). Der TEQ-Prozess bei Fraport baut, mithilfe externer Fachberatung, auf dieser theoretischen Basis auf, bleibt dabei aber stets flexibel und offen für neue Erkenntnisse und Methoden.
2.2 Engagement und Ressourcen Die Bildung von Gremien und Steuerungsgruppen als Konsolidierungsinstrumente ist in einem Unternehmen nicht ohne die entsprechenden Zielvorgaben und Aufträge durch die Unternehmensleitung, hier dem Vorstand Arbeitsdirektor, möglich. So gibt es, neben einer Betriebsvereinbarung zur Chancengleichheit von Frauen und Männern, vom
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Vorstand einen offiziellen Auftrag zur Umsetzung an die Vorstandsbeauftragte für Chancengleichheit. Dieser Auftrag bezieht sich mittlerweile nicht nur auf das Mutterunternehmen, sondern auch auf Tochterunternehmen, also auf den gesamten Konzern. Inzwischen wurden zehn TEQ-Teams gebildet – acht in der Mutter und zwei in Konzerntöchtern – die aus vier bis acht Mitgliedern bestehen. Der Zeitaufwand pro Mitglied für die TEQ-Arbeit liegt pro Jahr bei ca. 20 Arbeitsstunden. Pro Team finden durchschnittlich vier Termine im Jahr à zwei Stunden statt. Für alle Mitglieder der Teams werden, neben anderen Veranstaltungsangeboten, jährlich vier Workshops à zwei Stunden zur Fortbildung in Sachen Chancengleichheit durchgeführt. Dort werden u.a. Informationen über internationale bis regionale Entwicklungen zu Chancengleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie Diversity (vgl. auch Krell in diesem Band) vermittelt. Veränderungen in Gesetzeslagen, neue Statistiken oder relevante strategische Entwicklungen bei anderen Unternehmen werden vorgestellt und diskutiert. Hinzu kommen Übungen zur Sensibilisierung. Die Vorstandsbeauftragte für Chancengleichheit steuert den Gesamtprozess, der aus den folgenden sieben Elementen besteht.
2.3 Die sieben Elemente 1) Die Basisbefragung: Jedes Team startet mit einer standardisierten Fragebogenerhebung bei allen Beschäftigten des jeweiligen Bereiches, die von Betriebsrat und Datenschutz genehmigt wurde. Erfragt und geschlechtsspezifisch ausgewertet wird der Stand der Chancengleichheit bezogen auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere von Frauen, und Einschätzung des Betriebsklimas unter dem Aspekt „fairer Umgang der Geschlechter miteinander“, worin die Themen Leistungsanerkennung, Arbeitsbelastung und Zusammenarbeit von Frauen und Männern enthalten sind. Die Befragung wird vom Bereich Marketing ausgewertet und die Ergebnisse werden dem jeweiligen TEQ-Team vorgestellt. Es analysiert sie und bildet eine Rangfolge der zu bearbeitenden Themen. Die Befragung bildet also die Grundlage für erste Ziele und Maßnahmen, mit deren Umsetzung im Laufe des Jahres begonnen wird. Die Befragung kann zu Schwerpunktthemen erneut und vertieft durchgeführt werden und sollte mindestens alle drei bis vier Jahre wiederholt werden. 2) Die Teambildung: Die Teams bestehen aus vier bis acht Personen. Die Zusammensetzung soll geschlechterparitätisch erfolgen, und die verschiedenen Bereichstätigkeiten sollen vertreten sein. In jedem Team soll mindestens eine Führungskraft sein (faktisch sind es meist mehrere). Die Mitglieder sollen persönliches Interesse und Engagement für das Thema Chancengleichheit mitbringen. Die Teams haben sich im Laufe der Jahre verändert. Manche Mitglieder sind schon seit 1999 dabei, andere sind, auch bedingt durch Umstrukturierungen, neu hinzugekommen. 3) Der Infomarkt: Einmal jährlich werden im Rahmen eines Infomarktes Stand der Arbeit, Ziele und Produkte aller TEQ-Teams veröffentlicht. Jeder Infomarkt steht unter einem Motto und wird durch einen aktuellen Vortrag bzw. eine Podiumsdiskussion ergänzt. Der Vorstand Arbeitsdirektor eröffnet die Veranstaltung und begleitet sie. Die Teams präsentieren die Strukturdaten ihres Bereiches und ihre Ja143
hresergebnisse an Stellwänden. Die Veranstaltung dient dazu, die Ergebnisse der Arbeit der TEQ-Teams sichtbar zu machen sowie deren Austausch und Vernetzung untereinander zu fördern. 4) Der Strategiekreis: Dieser trifft sich zweimal im Jahr, um „über den Tellerrand hinauszublicken“ und den TEQ-Prozess mit seiner Ausrichtung in größeren Zusammenhängen zu betrachten. Dabei werden strategische Planungen gestaltet und Ideen und Projekte bereichsübergreifend angegangen. Der Strategiekreis besteht aus vier bis sechs Personen (je eine Vertretung aus einem Team), bei denen es sich um engagierte Beschäftigte mit Erfahrungen im TEQ-Prozess handelt. 5) Die Workshops: Pro Jahr finden vier zweistündige Workshops statt, zu denen alle Mitglieder der TEQ-Teams eingeladen sind. Jeder Workshop steht unter einem aktuellen Thema und enthält zwei Standardpunkte: Qualifizierung (Genderkompetenz) und Statistik (geschlechterdifferenzierte Datenlage). Ein wesentliches Ziel ist die Herstellung von Synergien durch den Austausch zwischen den Mitgliedern der unterschiedlichen Bereiche sowie mehr Verständnis für einen ganzheitlichen Ansatz der Chancengleichheit in der Personalpolitik. 6) Die Kennzahlenanalyse (KZA): Unterstützt durch eine externe Expertin führt jedes Team jährlich eine KZA durch, eine systematisierte Qualitätskontrolle, bei der die Ziele für ein Jahr neu diskutiert und definiert werden. Es wird ein Ranking durchgeführt. Das bereits Erreichte wird bewertet. Qualitative Merkmale können quantifiziert werden. Die ermittelte Kennzahl drückt in der Momentaufnahme den Stand der Zielerreichung aus. Kennzahlen und Ziele der Teams können untereinander verglichen werden. 7) Die Prädikatsbewerbungen: Wie schon angesprochen, bewirbt sich die Fraport AG nicht nur um das „Total E-Quality“-Prädikat, sondern auch um andere Zertifizierungen wie z.B. das Audit der Beruf & Familie GmbH.
3. Ziele und Ergebnisse ausgewählter Teams Zur Illustration werden hier exemplarisch Ziele und Ergebnisse einiger Teams vorgestellt. Im Bereich Bodenverkehrsdienste soll durch ein regelmäßiges Feedback der Führungskräfte die Kultur von Lob und Anerkennung verbessert werden. Die Potenziale von Frauen und Männern in operativen Feldern sollen besser erkannt und gefördert, ihre Entwicklungsperspektiven transparent gemacht werden. Für die Berücksichtigung auch familiärer Belange wurde das Pilotprojekt „Wunschdienstpläne“ durchgeführt. Im Bereich Controlling, Finanzen, Rechnungswesen wurden innovative Entwicklungswege für Frauen entwickelt und transparent gemacht. „Musterkarrieren“ wurden aufgezeigt und der Informationsaustausch wurde angeregt. Im Bereich Immobilien und Facility Management soll die fachliche Anerkennung der Leistung von Frauen verbessert werden. Zu diesem Zweck wurden bereichs- und fachspezifische Fortbildungsangebote für Assistenz, Sachbearbeitung und Sekretariat an-
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geboten und die Mitgestaltung an Maßnahmen und Projekten gefördert. Darüber hinaus wurden die Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verbessert. Im Bereich Informations- und Kommunikationsdienstleistungen wird eine Erhöhung des Frauenanteils angestrebt. Deshalb werden Stellenanzeigen gezielt auf Geschlechtsneutralität analysiert. Ein Frauennetzwerk wurde aufgebaut. Für Führungskräfte wurde ein Flyer zum Thema „Wertschätzung durch Führungskräfte“ aufgelegt. Im Bereich Personalserviceleistungen sollen berufliche Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen transparenter gemacht werden. Es wird darauf geachtet, dass die Verteilung von verantwortungsvollen Tätigkeiten zwischen Frauen und Männern gerechter wird. In Gesprächsrunden wurden die Themen „Wertschätzung und Anerkennung“ diskutiert. Im Bereich Unternehmenskommunikation wurde überprüft, inwieweit § 7 der Betriebsvereinbarung, „Chancengleichheit von Frauen und Männern“, der besagt, dass der zeitgemäßen Situation der Geschlechter Rechnung zu tragen ist, bezüglich der Sprache und des Bildmaterials in den hauseigenen Broschüren auch tatsächlich umgesetzt wird.
4. Ausblicke Die Betriebsvereinbarung, „Chancengleichheit von Frauen und Männern“ gibt den Rahmen für die Zielsetzung und mögliche Themenfelder vor. Die demographische Entwicklung, die sich auch im Konzern niederschlägt, zeigt seit Jahren eine deutliche Tendenz: Immer mehr jüngere, gut ausgebildete Frauen rücken nach, während die Anzahl älterer, männlicher Führungspersonen allmählich abnimmt. Als Erfolg zu verzeichnen ist bereits ein Anstieg des Frauenanteils in den Führungspositionen aller Bereiche insgesamt auf 18%. Demographische Entwicklungen, Rollenwandel bei Frauen und Männern sowie das neue Elterngeldgesetz machen es des Weiteren notwendig, zu einer Unternehmenskultur zu kommen, die es im Alltag auch Männern ermöglicht, Neuland zu betreten (vgl. dazu auch Höyng in diesem Band). Deshalb begann die Fraport AG im Jahr 2006 mit der Aktivierung der Zielgruppe „Väter“. Am Anfang stand der Aufbau eines Netzwerkes. Mit diesem Väter-Netzwerk wurde dann eine Auftakt-Veranstaltung zum Thema „Neue Väter hat das Land – Rollenwandel auch bei Fraport“ durchgeführt. Es geht um Ermutigung und um Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen. Zum Beispiel gilt es hier, das Verhalten von Führungskräften dahingehend zu verändern, dass neue Möglichkeiten gesehen werden können. Weitere individuelle Arbeitszeitmodelle sowie andere Rahmenbedingungen müssen noch einmal angedacht werden, wenn vermehrt auch Väter ihre Erziehungsverantwortung übernehmen. Und: Auch bei den Väteraktivitäten müssen vor allem die Vorteile für das Unternehmen herausgearbeitet werden. Ausgehend von der Vision, dass Chancengleichheit der Geschlechter in allen personalpolitischen Themen selbstverständlich mitgedacht und integriert ist, gilt es nun, dieses Ziel im Fraportkonzern weiter zu verfolgen. Für die Konzerntöchter wird der geschilderte TEQ-Prozess derzeit in die Wege geleitet, was bedeutet, dass bei ihnen zunächst
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durch Überzeugungsarbeit bei Geschäftsführung und Personalleitung eine Basis geschaffen werden muss. Die Basisbefragungen, die Bildung von TEQ-Teams sowie die Verzahnung des Themas mit den jeweiligen betrieblichen Entwicklungen bei der Mutter sollten gewährleistet sein, indem der Kommunikations- und Informationsfluss nicht unterbrochen wird. Darüber hinaus ist eine Ausweitung des TEQ-Prozess-Managements auf andere deutsche und gegebenenfalls auch internationale Flughäfen denkbar. Längerfristig gilt es, die Weiterentwicklung von sogenannten „weichen Faktoren“ und deren Instrumente und Messbarkeit fortzusetzen sowie deren Aufwertung im Ranking der wirtschaftlichen Standortfaktoren zu erwirken.
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Hilde Stockhammer
Praxisbeispiel Arbeitsmarktservice Österreich: Gleichstellungscontrolling mittels Zielvereinbarungen 1. Aufgaben, Organisation, Personalstruktur des AMS Das Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich wurde 1994 aus der staatlichen Verwaltung ausgegliedert und besteht seither als selbstständiges Dienstleistungsunternehmen öffentlichen Rechts. Ziel der Ausgliederung war vor allem die Verstärkung der Serviceorientierung und KundInnen-Nähe. Die Kernaufgaben des AMS bestehen darin, Arbeitsuchende zu beraten und sie auf geeignete Arbeitsplätze zu vermitteln bzw. offene Stellen in Unternehmen zu besetzen. Um auf die regionalen Besonderheiten des Arbeitsmarkts flexibel reagieren zu können, ist das AMS dezentral in neun Landesorganisationen und eine Bundesorganisation gegliedert. Letztere legt die arbeitsmarktpolitischen Jahresziele fest, verteilt das Budget und erstellt Richtlinien für eine einheitliche Bereitstellung der Dienstleistungen, der arbeitsmarktpolitischen Förderungen und auch für das Personalmanagement. Das AMS hat österreichweit rund 4.500 Beschäftigte, 62% davon sind Frauen. Über alle Führungsebenen hinweg sind aktuell 35,7% aller Führungspositionen mit Frauen besetzt. Wesentlich für die Arbeitsorganisation sind die äußerst flexiblen Arbeitszeitregelungen sowie das garantierte Recht auf Teilzeitarbeit und auf Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung. 24% aller MitarbeiterInnen sind teilzeitbeschäftigt, davon 5% Männer. Dreizehn weibliche und acht männliche Führungskräfte arbeiten in Teilzeit.
2. Gleichstellungspolitischer Rahmen Die Gleichstellungspolitik des AMS folgt dem Prinzip des Gender Mainstreaming und basiert auf gesetzlichen Grundlagen. In Österreich gibt es je ein eigenes Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft und für den staatlichen Sektor (Bundesdienst). Beide enthalten den Grundsatz der gleichen Entlohnung für gleichwertige Arbeit und
Hilde Stockhammer, Abteilungsleiterin für den Bereich Arbeitsmarktpolitik für Frauen, Gleichbehandlungsbeauftragte im Arbeitsmarktservice Österreich, Bundesgeschäftsstelle Wien. E-Mail:
[email protected], URL: www.ams.or.at
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verbieten Diskriminierung bei der Personalauswahl, beim Zugang zu betrieblicher Ausund Weiterbildung und beim beruflichen Aufstieg. Das Bundesgleichbehandlungsgesetz geht noch einen Schritt weiter und gibt eine Frauenbeschäftigungsquote von mindestens 40% auf allen Qualifikations- und Funktionsebenen als Ziel vor. Solange Frauen auf den jeweiligen Hierarchieebenen unterrepräsentiert sind, ist verbindlich ein Förderungsprogramm zu erstellen, und es sind Frauen – bei gleicher Qualifikation wie männliche Mitbewerber – zu bevorzugen. Das AMS unterliegt auch nach der Ausgliederung dem Bundesgleichbehandlungsgesetz. Die Initiative für eine Personalpolitik zur Gleichstellung war damit eindeutig legitimiert und nicht allein vom Goodwill des Managements abhängig. Außerdem wurde durch die – gesetzlich geforderte – Bestellung von Gleichbehandlungsbeauftragten eine Struktur für die Entwicklung und Beobachtung der Gleichstellungsinitiativen institutionalisiert. Die Gleichbehandlungsbeauftragten im AMS werden direkt vom Vorstandsvorsitzenden für fünf Jahre bestellt. Sie haben die Aufgabe, (potenziell) diskriminierende Regelungen aufzuzeigen und Gleichstellung fördernde Vorgehensweisen vorzuschlagen. Sie können zwischen 20 und 30% ihrer Arbeitszeit für diese Funktion einsetzen. Analog zur Aufbauorganisation des AMS gibt es in jeder der neun Landesorganisationen eine Gleichbehandlungsbeauftragte. Diese sind wiederum Teil einer Arbeitsgruppe, die in der Bundesorganisation angesiedelt ist und von der dort bestellten Gleichbehandlungsbeauftragten geleitet wird. Für jeweils sechs Jahre wird ein Gleichstellungs- und Frauenförderungsplan verabschiedet. Wesentliche Grundlagen für den ersten, im Jahr 1996 erstellten Plan waren die Durchführung einer Mitarbeiterinnenbefragung und die Vorlage eines ersten „Gleichbehandlungsberichts“ mit konkreten Daten über die geschlechtsspezifische Beschäftigungsstruktur. Erstmals war mit „harten“ Fakten belegbar, dass die Chancen auf eine Führungsposition trotz gleicher Qualifikationsvoraussetzungen zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt waren und dies von den Mitarbeiterinnen auch so wahrgenommen und kritisiert wird. Bei einem Mitarbeiterinnenanteil von über 60% führt an den berechtigten Forderungen und Anliegen der Frauen kein Weg vorbei, weil das Unternehmen nicht auf dieses Potenzial verzichten kann – so begründet mittlerweile der Vorstandsvorsitzende den Gleichstellungs- und Frauenförderungsplan des AMS. Hinzu kommt, dass das AMS auch in der Arbeitsmarktpolitik zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern verpflichtet ist. Die innerbetrieblichen Gleichstellungsziele korrespondieren mit den EU-weit vorgegebenen arbeitsmarktpolitischen Zielen der Erhöhung der Frauenbeschäftigung und Verbesserung der Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen von Frauen. Eine gleichstellungsorientierte Personalentwicklung im Unternehmen AMS hat einerseits Vorbildwirkung und bildet andererseits bei den eigenen MitarbeiterInnen die Haltung aus, die für die gleichstellungsorientierte Beratungs- und Vermittlungstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt notwendig ist – und auch zum arbeitsmarktpolitischen Erfolg des AMS beiträgt. Als zentraler Gender-Gap steht die Beteiligung von Frauen an Führungsverantwortung im Mittelpunkt der Gleichstellungsinteressen: 1995 waren insgesamt 23,2% aller Führungskräfte weiblich. Beide Vorstandspositionen und alle neun Top-Positionen in den
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Ländern waren männlich besetzt. 2006 werden zwei Landesorganisationen von Frauen gemanagt, vier von neun stellvertretenden Landesgeschäftsführerinnen sind weiblich. Die „gläserne Decke“ hat Sprünge bekommen. Im Folgenden werden die Maßnahmen vorgestellt, die für diese personalpolitischen Erfolge ausschlaggebend waren.
3. Zielvereinbarungen zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen Vorausgeschickt sei: Die Bestellung der Führungskräfte liegt im Bereich der jeweiligen Landesorganisation. Die Landesgeschäftsführung und der Vorstand selbst werden vom Verwaltungsrat für sechs Jahre bestellt. Der Verwaltungsrat ist ein Organ der Bundesorganisation, in das VertreterInnen der Bundesministerien und der Organisationen der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen entsandt werden. Seit 1996 werden zwischen dem Vorstand des AMS und den neun LandesgeschäftsführerInnen für jeweils zwei Jahre quantitative Zielvereinbarungen über die geplante Anhebung des Frauenanteils in Führungspositionen getroffen. Dies findet im Rahmen der Konferenzen der LandesgeschäftsführerInnen statt. Die Gleichbehandlungsbeauftragte der Bundesgeschäftsstelle und Leiterin der Gleichbehandlungsarbeitsgruppe bereitet auf Basis der aktuellen Personaldaten gemeinsam mit den Personalverantwortlichen die Entscheidungsgrundlagen auf und erstellt einen Zielvorschlag für jede Landesorganisation. Grundlage dafür sind die jeweils zu erwartende Fluktuation durch Pensionierungen, die bisherige durchschnittliche Gesamtfluktuationsrate infolge von Arbeitsplatzwechsel und der aktuelle Frauenanteil, sprich der bisher erreichte Platz im österreichweiten Ranking. Weiters wird das Potenzial an Nachwuchskräften berücksichtigt und dabei auch festgestellt, ob durch rechtzeitige Förderungsmaßnahmen oder durch überregionale Besetzungsstrategien genügend qualifizierte Bewerberinnen realisierbar sind. Auf Einladung des Vorstandsvorsitzenden trägt die Gleichbehandlungsbeauftragte ihren begründeten Vorschlag vor, der mit dem Vorstand abgesprochen ist. Im Anschluss daran nehmen die LandesgeschäftsführerInnen dazu Stellung und stimmen dem Vorschlag zu oder beantragen eine Änderung, wenn sie der Meinung sind, diese Vorgaben nicht erreichen zu können. Häufig wird argumentiert, dass für bestimmte Positionen keine geeignete Frau zur Verfügung stehe oder die Planzahlen bezüglich der erwarteten Fluktuation nicht zutreffen. In diesem Aushandlungsprozess gilt es für die Gleichbehandlungsbeauftragte, gut vorbereitet zu sein. Hier ist das Netzwerk der LandesGleichbehandlungsbeauftragten enorm wichtig, denn mit deren Hintergrundinformationen lassen sich manche Gegen-Argumente entkräften, vor allem, wenn es um das Potenzial an weiblichem Führungskräftenachwuchs geht. Wesentlich ist auch die genaue Analyse, welche Führungsjobs zu besetzen sind. Der Großteil der AMS-Geschäftsstellen hat eine ähnliche Führungsstruktur: Es gibt eine Geschäftsstellenleitung und – je nach Größe – mehrere Abteilungen. Der oder die StellvertreterIn kommt aus dem Kreis der AbteilungsleiterInnen und nimmt beide Funktionen wahr. Da in der Regel intern besetzt wird, zieht die Bestellung einer neuen Regio149
nalgeschäftsstellenleitung durch einen Abteilungsleiter oder eine Abteilungsleiterin jedenfalls ein bis zwei weitere Besetzungsvorgänge nach sich. Zumindest eine Abteilung und häufig auch die Stellvertretung der Regionalgeschäftsstellenleitung sind in der Folge neu zu besetzen. So kommt es manchmal zu durchaus kontroversen und spannenden Diskussionen, in die auch eine Bewertung der bisherigen Besetzungsstrategien und der Transparenz der Auswahlprozesse der jeweiligen Landesorganisation einfließt. Auch die bisherige Zielerreichung kann zu einem Kriterium werden, bzw. die Frage, ob es ernsthafte Ansätze einer längerfristigen Personalentwicklung und Förderung des weiblichen Führungskräftenachwuchses gibt. Wenn gar keine Einigung zu erzielen ist, gibt es letztlich eine Nachverhandlung zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und der betreffenden Landesorganisation. Gegenstand der Zielvereinbarungen sind zum einen die absoluten Zuwächse an Führungsfrauen, zum anderen der prozentuale Anteil der Frauen in Führungspositionen. Außerdem wird auch ein Gesamtziel für das AMS Österreich vereinbart. Damit besteht eine gemeinsame Verantwortung für die Erreichung der Ziele. Ein Erfolg wird nur dadurch erreicht, dass alle Landesorganisationen ernsthafte Anstrengungen unternehmen. Dadurch entsteht auch Spielraum, wenn in einer Geschäftsstelle erwartete Besetzungen mit Frauen nicht gelingen und dafür in anderen Geschäftsstellen mehr Positionen besetzt werden können. Insgesamt wird die Identifikation mit den Zielvereinbarungen gestärkt und die Debatte über das Thema – auch mittels solidarischer Kritik – gefördert. Rückblickend betrachtet hat das Verhandlungsverfahren im Rahmen der Zielvereinbarungen an Qualität gewonnen. Wurde in den ersten Verhandlungsrunden teilweise noch augenzwinkernd um Quoten gefeilscht, hat die Diskussion der Ziele zunehmend eine verbindliche Form angenommen. Dazu trägt auch bei, dass beide Verhandlungsseiten einander mittlerweile kennen und eine durchaus pragmatische und dabei wertschätzende Umgangsweise miteinander pflegen. Hinzu kommt, dass die Zielvereinbarungen den internen Wettbewerb zwischen den LandesgeschäftsführerInnen entfacht haben. Niemand will das „Schlusslicht“ in Sachen Zielerreichung sein. Wichtig war auch, dass das Konzept sich als erfolgreich erwiesen hat und der Anteil weiblicher Führungskräfte sukzessive steigt.
4. Prozessbegleitendes Controlling erhöht die Verbindlichkeit Zielvereinbarungen für jeweils zwei Jahre zu treffen, hat zum einen den Vorteil, dass das Gesamtziel von 50% Beteiligung von Frauen quer durch alle Führungspositionen in kleinere Zwischenschritte zerlegt wird, zum anderen gibt die Spanne von zwei Jahren ausreichend Spielraum für Personalentwicklungsmaßnahmen. Insgesamt wird die neue Gleichstellungsstrategie, die in wesentlichen Bereichen ein Umdenken der AkteurInnen erfordert und bisherige Besetzungsstrategien in Frage stellt, damit für die Organisation und speziell auch die männlichen Kollegen leichter „verdaulich“.
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Nach dem ersten Jahr schien das AMS die Ziele allerdings so gut verdaut zu haben, dass überhaupt keine Veränderung wahrzunehmen war und eine Erhöhung des Frauenanteils, wenn überhaupt, nur rein statistisch infolge von Nicht-Nachbesetzungen gelang. Nachdem die Gleichbehandlungsbeauftragte entsprechende Daten vorgelegt und an konkreten Fallbeispielen die Verhinderung von Frauenkarrieren geschildert hatte, wurde vom Vorstand ein vierteljährlich begleitendes Controlling angeordnet. Seither sind Auswahlund Besetzungsverfahren für Führungspositionen, Maßnahmen zur Karriereförderung, Motivationsstrategien zur Erhöhung der Bewerbungen und das Ranking der Landesorganisationen bei der Zielerreichung regelmäßig Gegenstand der Diskussion bei Management-Tagungen. Auch Kritiker, die ursprünglich die Ansicht vertraten, dass die Beteiligung von Frauen an Verantwortung und Entscheidung mit der Zeit und von allein durch die besseren Bildungsvoraussetzungen der Frauen entstehen wird, befürworten mittlerweile die Zielquoten des AMS als adäquates Steuerungsmittel, weil diese durch die Betonung der Qualifikation bei der Auswahlentscheidung zur Verbesserung der Führungsqualität beitragen.
5. Umfassender Equality Check Die regelmäßige Diskussion der Zielsetzung „Mehr Frauen in Führung“ hat die Diskussion und Entwicklung von Maßnahmen der Personalentwicklung generell gefördert, was auch den männlichen Beschäftigten zugutekommt. So wurde das Auswahlprocedere für Führungsaufgaben neu und für alle BewerberInnen transparent gestaltet. Alle neu zu besetzenden Positionen werden intern veröffentlicht. Das zugrunde liegende Anforderungsprofil ist bekannt, ein neues Kriterium ist Gender-Kompetenz. Mentoring, ursprünglich als Instrument der Frauenförderung entwickelt, ist nun Teil der allgemeinen Führungskräfteentwicklung. In einem auf höchster Managementebene unterstützten Projekt wurden die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für „Teilzeitführung“ evaluiert. Im ersten Jahr haben mehr Männer als Frauen dieses Angebot in Anspruch genommen. Die Ursachen differierten allerdings: Männer reduzierten ihre Arbeitszeit öfter wegen politischer Funktionen als wegen familiärer Betreuungsaufgaben. Als ein Ergebnis des Gleichstellungscontrollings wurden die bestehenden regionalen Unterschiede in der Wirkung und Erreichung der Gleichstellungsziele sichtbar. Im neuen Gleichstellungs- und Frauenförderungsplan wird daher ein Schwerpunkt darauf gelegt, die Verbindlichkeit der zwischen Vorstand und LandesgeschäftsführerInnen vereinbarten Ziele und Maßnahmen für alle Geschäftsstellen zu erhöhen. Weiters wird die besondere Verantwortung der Führungskräfte betont, an der Verwirklichung einer gleichstellungsorientierten Unternehmenskultur mitzuarbeiten. Durch regelmäßige Überprüfung auf regionaler Ebene soll chancengerechte Personalführung Teil des Qualitätsmanagements des AMS werden. Einmal pro Jahr wird in allen Geschäftsstellen im Rahmen eines Equality Check Bilanz über die Umsetzung der Gleichstellungsmaßnahmen gezogen. Aufgrund der regionalen Analysen werden Stärken und Verbesserungspotenziale identifiziert, die einerseits als Good Practice kommuniziert und aus
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denen andererseits konkrete Ziele abgeleitet werden. Alle MitarbeiterInnen werden darüber informiert. Das Projekt „Karriereförderung neu“ ist ein konkretes Ergebnis des Zusammenspiels aus quantitativer (Zielcontrolling) und qualitativer Überprüfung. 2003 und 2005 konnten die Zielvereinbarungen nicht zur Gänze erreicht werden, unter anderem, weil der Anteil der Bewerberinnen unterdurchschnittlich blieb. Aber durch die Analyse im Equality Check konnten die Barrieren, die Frauen abhalten, sich zu bewerben, identifiziert und die Nachwuchsförderung für die nächsten Jahre auf Frauen konzentriert werden. Die Führungskräfte in den einzelnen Geschäftsstellen übernehmen die Verantwortung für die Förderung des weiblichen Führungskräftepotenzials, indem sie geeignete Mitarbeiterinnen benennen und in Verantwortung einbinden, ihnen z.B. die Leitung von Projekten oder Vortragstätigkeit übertragen wird. Frauen mit Führungspotenzial werden auf diese Weise sowohl sichtbar als auch ermutigt. Zielvereinbarungen und prozessbegleitendes Controlling haben die Transparenz der Personalentwicklung und die offene Diskussion im Unternehmen gefördert. Gleichzeitig war die Einbeziehung der MitarbeiterInnen in die Entwicklung von Maßnahmen bzw. die Identifizierung der Bereiche, wo solche gefragt waren (Vereinbarkeit, Wiedereinstieg, Weiterbildung für alle Beschäftigtengruppen, Bewerbungscoaching für Frauen etc.), ein Anliegen und auch wesentliche Unterstützung für die Gleichbehandlungsbeauftragten. Die hohe Zustimmung zur Gleichstellungsorientierung des AMS, die sich in den Ergebnissen der regelmäßigen Befragungen aller MitarbeiterInnen zeigt, bestärkt das Unternehmen darin, einen erfolgreichen Weg fortzusetzen.
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Annelise Burger
Praxisbeispiel Stadt Zürich: Handlungsfelder, Strategien und Instrumente zur Umsetzung der Gleichstellung von Frau und Mann Die Stadt Zürich zählt mit rund 21.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den größten (öffentlichen) ArbeitgeberInnen der Schweiz. Der Frauenanteil beträgt 51%. Seit 1987 setzt sich die Fachstelle für Frauenfragen (FFF) bzw. seit 2005 die Fachstelle für Gleichstellung (ZFG) konsequent und wirkungsvoll für eine innovative, integrative Personalpolitik zur nachhaltigen Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann ein. Geschlechtergleichstellung wird bei der Arbeitgeberin Stadt Zürich als betrieblicher Innovationsprozess, als Managementaufgabe verstanden und über Ziele und Wirkungen gesteuert. Sie ist als Querschnittsaufgabe in allen wichtigen personalpolitischen Erlassen, Reglementen, Konzepten und Projekten formell integriert. Eine weitgehend geschlechtergerechte Sprache prägt die Kultur der Stadtverwaltung. Departemente und Dienstabteilungen leisten aufgrund des Gleichstellungsreglements mit maßgeschneiderten Projekten und Maßnahmen ihre spezifischen Beiträge zum Gesamtergebnis der städtischen Gleichstellungspolitik, wie sie im Personalrecht von 1993 definiert und im neuen von 2001 bekräftigt worden ist. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind eine Kampagne zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere auch für Männer, die geschlechterdifferenzierte Analyse des Personalaufwands, die Integration der Genderperspektive in das neue städtische Lohnsystem (SLS) sowie die Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Aspekte und Stolpersteine im Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch (ZBG).
1. Chronologie 1987 Der Stadtrat schafft die FFF mit „innenpolitischem“ Auftrag als erste kommunale Gleichstellungsstelle der Schweiz. 1989 Es wird ein zunächst frauenspezifisches, ab 1991 auch an beide Geschlechter gerichtetes, Gleichstellung förderndes Bildungsangebot für das städtische Personal aufgebaut. Annelise Burger, Fürsprecherin, Stv. Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. E-Mail:
[email protected], URL: www.stadt-zuerich.ch/ gleichstellung 153
1990 Im Oktober nimmt das neu geschaffene Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (BfG) mit „außenpolitischem“ Auftrag seine Tätigkeit auf. 1993 Parlament und Stadtrat beschließen das konsequent geschlechtergerecht formulierte neue Personalrecht mit Zielen und Grundsätzen zur Personalpolitik. Diese messen der Gleichstellung von Frau und Mann vorrangige Bedeutung bei und enthalten einen breiten Fächer Gleichstellung fördernder Maßnahmen. 1994 Der Stadtrat beschließt Zielvorgaben und flankierende Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in den Fachkommissionen, die er wählt. Ein zentraler Kredit zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen wird geschaffen. Das Reglement für die sprachliche Gleichstellung wird für die ganze Stadtverwaltung verbindlich. 1995 Geschlechtergerechtigkeit wird als zentraler Anspruch an die Verwaltungsreform der Stadt Zürich anerkannt. 1996 Der Stadtrat erlässt ein Reglement über die Umsetzung der Gleichstellung von Frau und Mann in der Stadtverwaltung Zürich, das sog. Gleichstellungsreglement (s.u. 2.), das gleichzeitig mit dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann am 1. Juli 1996 in Kraft tritt. Beschlossen wird auch, dass die Gleichstellung von Frau und Mann und insbesondere deren Integration in den Führungsalltag in der Weiterbildung zu thematisieren sind, und dass Gleichstellung förderndes Verhalten eine der qualifikationswirksamen Anforderungen an Führungskräfte ist. 1997 Die erste der jährlichen Dachtagungen (s.u. 3.2) findet statt. 1998 In den Legislaturzielen 1998-2002 nennt der Stadtrat in der Präambel die Gleichstellung von Frau und Mann als Daueraufgabe. Aufgrund des Berichtes der FFF über die Frauenförderungsprogramme der 1. Vierjahresperiode erteilt er den Abteilungen den Auftrag, die Projektorganisation mit Blick auf die Wirkungen der Frauenförderungsprogramme zu überprüfen, gegebenenfalls anzupassen und Synergien mit anderen Innovationsprozessen wie der Verwaltungsreform zu nutzen. Die Departementsvorstehenden verpflichten sich, künftig in den Geschäftsberichten über Fortschritte im Gleichstellungsprozess in ihren Zuständigkeitsbereichen Bericht zu erstatten. 1999 Der Stadtrat beschließt, das neue Führungsinstrument „Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch ZBG“ (s.u. 4.) zum 1.1.2001 einzuführen. 2001 Gestützt auf den Evaluationsbericht der FFF über die departementsspezifischen Anstrengungen aufgrund des Gleichstellungsreglements 1996-2000 bekräftigt der Stadtrat seine ziel- und ergebnisorientierte betriebliche Gleichstellungspolitik. Zugleich beauftragt er die Departemente und Dienstabteilungen, bis Ende Juni 2002 für die 2. Vierjahresperiode mindestens ein konkretes Gleichstellung förderndes Ziel und entsprechende Maßnahmen zu formulieren bzw. weiterzuführen und dafür die nötigen personellen und finanziellen Ressourcen bereitzustellen. 2002 Im Februar erklärt der Stadtrat, nach vorausgegangener Fachtagung für das oberste Kader, Gender Mainstreaming zum Leitprinzip des Verwaltungshandelns für alle Politikfelder. Am 1. Juli tritt das neue Personalrecht in Kraft. Damit werden die fortschrittliche betriebliche Gleichstellungspolitik fortgeführt, bezüg154
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lich Lohngleichheit für Frau und Mann wichtige Fortschritte bewirkt und der Schutz bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz verstärkt. Dazu wird ein niederschwelliges Angebot von Vertrauenspersonen installiert, für dessen Qualitätssicherung die FFF verantwortlich ist. Auf Initiative der FFF beteiligt sich die Arbeitgeberin Stadt Zürich an dem auf der Studie von Fried/Wetzel/Baitsch (2000) aufbauenden Projekt „Zwei tun das Gleiche. Kommunikation zwischen Frauen und Männern im Betriebsalltag“ (vgl. Baitsch/Steiner 2004). In den Legislaturschwerpunkten 2002-2006 nennt der Stadtrat die Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann – neben Nachhaltigkeit und Verwaltungseffizienz – als übergeordnetes Ziel. Im August beschließt der Stadtrat die Durchführung einer geschlechterdifferenzierten Budgetanalyse. In einer Pilotphase werden für die Voranschläge 2003 und 2004 in drei Bereichen flächendeckende Grobanalysen durchgeführt, u.a. bezüglich des Personalaufwands. Die Leitung des entsprechenden Teilprojekts liegt bei der FFF. Fazit aus der Pilotphase: Verzicht auf flächendeckende Grobanalysen, Detailanalysen bei Bedarf möglich und aus Gleichstellungsperspektive wünschenswert. Die geschlechterdifferenzierte Analyse des Personalaufwands wird im Rahmen des Personal-Controllings und des Gleichstellungs-Controllings vom damaligen Personalamt, heute HR Stadt Zürich, fortgeführt und vertieft. Im Juni beschließt der Stadtrat im Rahmen des Legislaturziels „Gesunde Finanzen“, zum 1. April 2005 die FFF und das BfG zur Fachstelle für Gleichstellung (ZFG) zusammenzuführen. Dies soll die Gleichstellungsarbeit stärken – eine Anlaufstelle für die Bevölkerung und das städtische Personal, ein Kompetenzzentrum für alle Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann – und jährliche Einsparungen von 150.000 Franken bewirken. Im Rahmen eines mit Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz unterstützten Projekts werden primär visuelle Kampagnematerialien zur Prävention sexueller Belästigung am Arbeitsplatz entwickelt, die auch fremdsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansprechen (sollen). Die von Studierenden zweier Hochschulen im Rahmen eines Wettbewerbs entwickelten Entwürfe bilden im Sommer 2005 das Herzstück einer Ausstellung im Stadthaus zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Die professionell (weiter)entwickelten Kampagnematerialien (Plakate, Rotair, Dispenser, Informationsfaltblatt in sechs Sprachen) werden in vier Abteilungen der Verwaltungen von Stadt und Kanton Zürich erprobt und der Materialeinsatz differenziert evaluiert. Da die 2002 eingeführte Besoldungsrevision sich als nicht finanzierbar herausgestellt hat und deshalb 2003 gestoppt worden ist, erlässt der Gemeinderat ein neues städtisches Lohnsystem (SLS). Im Hinblick darauf beschließt der Stadtrat die „Einführung des überarbeiteten Rahmensystems Zielvereinbarungs- und Beurteilungsbogen, Leitfaden ZBG“ per 1. Januar 2007. Das SLS tritt am 1. Juli in Kraft. Die Genderperspektive ist im Projektleitfaden zur Umsetzungsphase des SLS und im sog. 3-stufigen SLS-Controllingkonzept integriert. Im Sommer sollen die Kampagnematerialien zur Prävention sexueller Belästigung am Arbeitsplatz einer breiten Öffentlichkeit für den Transfer in andere öffentliche Verwaltungen und in die Privatwirtschaft vorgestellt und verwaltungsintern deren flächendeckender Einsatz lanciert werden.
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2. Kernpunkte des Gleichstellungsreglements Das Gleichstellungsreglement (GlR) bezweckt die Förderung und Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung der bei der Stadtverwaltung Zürich beschäftigten Frauen und Männer. Es bestimmt die Organisation, Planung, Realisierung und Evaluation von Frauenförderungsprogrammen und Gleichstellungsprojekten sowie die ergebnisorientierte Steuerung des Gleichstellungsprozesses. In Übereinstimmung mit den Zielsetzungen der Verwaltungsreform beschränkt es sich auf die Festlegung der ‚Leitplanken‘. Damit trägt es den spezifischen, aufgabenbedingt äußerst heterogenen Situationen der Abteilungen Rechnung und eröffnet diesen Handlungsspielräume. x Das GlR verpflichtet alle Organisationseinheiten der Stadtverwaltung Zürich, die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren strategischen Zielen zu verankern und jeweils für eine Periode von vier Jahren Frauenförderungsprogramme mit konkreten, mess- und beobachtbaren Zielen zu planen, zu realisieren und zu evaluieren. x Organisation und Steuerung des Gleichstellungsprozesses richten sich nach den Grundsätzen des Projektmanagements und der Organisationsentwicklung. In den Projektgremien ist eine möglichst paritätische Geschlechtervertretung zu gewährleisten. x Die ZFG berät und unterstützt die Organisationseinheiten bei der Ausarbeitung, Umsetzung und Auswertung der Programme. Sie stellt die Information und den Erfahrungsaustausch über den Gleichstellungsprozess in der gesamten Stadtverwaltung sicher. x Die für das Controlling zu erhebenden personalstatistischen Daten werden von HR Stadt Zürich im Einvernehmen mit der ZFG bestimmt und gesamtstädtisch ausgewertet. x Den Departementsvorstehenden ist jährlich Bericht zu erstatten über die Ergebnisse, über Hindernisse bei der Zielerreichung und deren Ursachen sowie über zusätzliche Maßnahmen. Sie leiten die Frauenförderungsprogramme und die jährlichen Berichte an die ZFG weiter. x Die Organisationseinheiten informieren die Mitarbeitenden jährlich über den Stand der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann und die konkreten Maßnahmen zu deren Verwirklichung in ihrem Zuständigkeitsbereich. x Nach Ablauf jeder Vierjahresperiode werten die Organisationseinheiten die Wirksamkeit der Frauenförderungsprogramme aus und leiten daraus die Ziele und Maßnahmen für die nächste Periode ab. Darüber erstatten sie den Departementsvorstehenden Bericht. Diese leiten die Berichte an die ZFG weiter, welche die gesamtstädtische Auswertung vornimmt und dem Stadtrat zuleitet.
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3. Die Umsetzungshilfen: „Werkzeugkasten und Begleitangebot zum Gleichstellungsreglement“ Zur Unterstützung der Abteilungen beim Umsetzen der Aufträge aus dem Gleichstellungsreglement erarbeitete die FFF 1996 einen „Werkzeugkasten und Begleitangebot zum Gleichstellungsreglement. Eine Dienstleistung der FFF an alle, die sich in den Departementen, Abteilungen und Betrieben der Stadtverwaltung Zürich für die Gleichstellung engagieren“. Das Angebot umfasst die folgenden vier Bausteine.
3.1 Der „Werkzeugkasten Gleichstellung“ Dieser ist als Lose-Blatt-Sammlung konzipiert, damit er als Kopiervorlage weiterverwendet und aktualisiert werden kann. Die Aktualisierung ist auf die jeweils aktuellen Bedürfnisse der Abteilungen abgestimmt und folgt dem Rhythmus der Vierjahresperioden der Frauenförderungsprogramme. Die Themen werden unter Berücksichtigung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse kompakt, leicht verständlich und umsetzungsorientiert behandelt. Mit Einführung einer eigenen Intranetseite bietet die ZFG seit Sommer 2005 die Informationen elektronisch an.
3.2 Die jährlichen Dachtagungen Diese finden seit März 1997 statt. Zielgruppen sind Führungskräfte, Personal- und Bildungsverantwortliche, Gleichstellungsbeauftragte und weitere Mitglieder von Gleichstellungsprojekten. Die Dachtagungen dienen folgenden Zielen: x Vermitteln und Vertiefen von Gleichstellungs-Know-how, Professionalisierung der Gleichstellungsarbeit in der Stadtverwaltung Zürich, x Informations- und Diskussionsforum für Projekte, Fragen und aktuelle Entwicklungen, x Plattform für Erfahrungsaustausch, Networking, Lobbying, für abteilungsübergreifende Kooperationen. Die Themen werden abgestimmt auf den aktuellen Stand des Gleichstellungsprozesses und anderer betrieblicher Veränderungsprozesse oder gleichstellungsrelevanter Projekte in der Stadtverwaltung Zürich, wie z.B. Personalrechts- oder Besoldungsrevisionen. Themenschwerpunkte der bisherigen Dachtagungen waren u.a.: x Programmentwicklung, Projektorganisation, Projektmanagement, x Gleichstellung von Frau und Mann: eine nicht delegierbare Führungsaufgabe, x Umgang mit („männlichem“) Widerstand, x Gleichstellungscontrolling / Evaluation der Gleichstellungsprozesse, x Teilzeit und Job Sharing in der Praxis, insbesondere auf Kaderstufe, x Organisationskultur und Geschlechtergleichstellung. 157
3.3 Maßgeschneiderte Beratung Das Beratungsangebot der ZFG umfasst u.a. Projektberatung, Referats- und Moderationsservice, Mitarbeit in Projekt- und Reviewgruppen sowie Vermittlung von externen Beraterinnen und Beratern mit Gleichstellungsfachwissen.
3.4 Gleichstellungsbezogene Weiterbildung Die FFF bzw. seit 2005 die ZFG räumt der betrieblichen Bildung hohe Priorität ein. Sie wirkt seit ihrem Bestehen auf eine innovative städtische Bildungspolitik hin, in der die Gleichstellung von Frau und Mann integriert ist. Das Bildungsangebot enthält Themen aus allen Bereichen und ist adressiert an MitarbeiterInnen aus allen Hierarchiestufen, Funktionen und Bereichen, vor allem aber auch an Führungskräfte und Personalverantwortliche. Zur Illustration vier Beispiele aus den Bildungsangeboten 2006 und 2007: x Reden – verhandeln – sich durchsetzen (Seminar für Frauen), x Gender Working. Wie Besonderheiten von Männern und Frauen optimal genutzt werden können (Workshop für Frauen und Männer), x Typisch männlich – typisch weiblich? Die kleinen Unterschiede im Führungsalltag (Seminar für Führungskräfte), x Spannungsfeld Beruf – Familie (Seminar für Väter und zukünftige Väter). Weitere wichtige gleichstellungspolitische Bildungsprojekte sind x die jährlichen Weiterbildungstage für alle Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung zu aktuellen Projekten und Fragen der Erwerbstätigkeit von Frauen und der Gleichstellungsförderung. 2006 wurden – zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie – erstmals auch Männer eingeladen, x die jährlichen Foren für die Vertrauenspersonen sowie x abteilungs- und verwaltungsübergreifende praxisorientierte Projekte, wie z.B. die mit Finanzhilfen nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützten Projekte „Lernen entdecken – Lernstatt Hauswirtschaft“ (arbeitsplatzbezogenes Deutschlernen für fremdsprachige an- oder ungelernte Mitarbeiterinnen im Hauswirtschaftsbereich; vgl. Mantovani Vögeli 2001), „Informations- und Sensibilisierungsmaterialien zur Prävention sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ sowie „Gleichstellungsgesetz aufs Netz, Internet-Dokumentation von Entscheiden und Urteilen zum Gleichstellungsgesetz“ (www.gleichstellungsgesetz.ch; vgl. Datenbank des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann mit praxiserprobten Gleichstellungsprojekten, einzusehen unter www.topbox.ch).
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4. Die Integration der Gleichstellung von Frau und Mann in das „Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch ZBG“ Im Hinblick auf die Erarbeitung eines neuen Lohnsystems für die Stadtverwaltung Zürich, welches u.a. dem verfassungsmäßigen Grundsatz „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ entsprechen und eine leistungsorientierte Lohnsteuerung ermöglichen soll, sowie auf die flächendeckende Einführung der Verwaltungsreform entwickelte 1997 bis 1999 eine departementsübergreifende Projektgruppe unter Mitwirkung der Leiterin der FFF im Auftrag des Stadtrates ein Instrument (Beurteilungsbogen und Leitfaden) zur Leistungserfassung: das „Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch ZBG“. Die im neuen gesamtstädtischen Rahmensystem als eine prioritäre Zielsetzung verankerte Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann zieht sich wie ein roter Faden durch die Unterlagen. Im „Zielvereinbarungs- und Beurteilungsbogen“ erscheint sie prominent auf der Titelseite unter „Zweck/Idee des Gesprächs“ und später unter „Kompetenzen/Verhalten“ der Führungskräfte. Mit dem Beschluss zur Einführung des ZBG als neues Führungsinstrument beauftragte der Stadtrat das damalige Personalamt (heute HR Stadt Zürich), entsprechende Schulungsmaßnahmen zu organisieren. Im Januar 2000 erschien die vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann geförderte wissenschaftliche Studie zur geschlechterdiskriminierungsfreien Personalbeurteilung (vgl. Fried/Wetzel/Baitsch 2000). Über deren Erkenntnisse informierte die FFF den Stadtrat, die Führungskräfte und Personalverantwortlichen. Ferner wirkte sie auf eine breite Verteilung des auf der Studie basierenden Leitfadens für Frauen und Vorgesetzte „Früh übt sich, wer eine Meisterin werden will“ hin sowie auf dessen Einsatz in den Schulungen zum ZBG. Mit „Zwei tun das Gleiche – Kommunikation zwischen Frauen und Männern im Berufsalltag“ inkl. DVD mit Kurzfilmbeispielen (vgl. Baitsch/Steiner 2004), an deren Entwicklung HR Stadt Zürich und die FFF mitbeteiligt waren, standen ab 2004 weitere die Gleichstellung fördernde Schulungsmaterialien zur Verfügung. Im November 2006 beschloss der Stadtrat im Hinblick auf die Inkraftsetzung des neuen städtischen Lohnsystems zum 1. Juli 2007 das überarbeitete Rahmensystems zum Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch (ZBG) mit ZBG-Bogen und Leitfaden auf den 1. Januar 2007 einzuführen. Die Genderperspektive ist nach wie vor integriert, allerdings nicht mehr so prominent wie vorher. Mit der März-Besoldungsabrechung 2007 erhielten alle Beschäftigten eine Informationsbroschüre zum neuen städtischen Lohnsystem nach Hause zugestellt, in welcher u.a. auf die geschlechtsspezifischen Stolpersteine im ZGB und die diesbezüglichen weiterführenden Informationen auf der ZFGIntranetseite hingewiesen wird.
5. Bilanz und Ausblick Im Frühling 2000 zeichnete der Schweizerische Kaufmännische Verband das Tiefbauund Entsorgungsdepartement und das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich – und damit auch indirekt die FFF – mit dem erstmals verliehenen Prix Egalité aus.
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Von 1986 bis 2006 konnte der Frauenanteil am städtischen Personal (ohne Lehrkräfte und Personal in Ausbildung) von 41% auf 51% erhöht werden. Beträchtliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen aber nach wie vor bezüglich Beschäftigungsumfang sowie Vertretung im ober(st)en Kader: Während bei den Männern der Großteil (84,5%) Vollzeit arbeitet, sind es bei den Frauen nur knapp 40%. Der Frauenanteil nimmt mit Anstieg der 18 Funktionsstufen (18 ist die höchste) stark ab. In den Funktionsstufen 1 bis 5 beträgt er 63%, in den Funktionsstufen 16 bis 18 hingegen nur noch 10,4%. Das Gleichstellungsreglement aktivierte und beschleunigte den Gleichstellungsprozess wirkungsvoll. Alle Stadträtinnen (3 von 9 Stadtratsmitgliedern) erklärten die Gleichstellung von Frau und Mann in ihren Departementen zur Chefinnensache und initiierten und steuerten den Gleichstellungsprozess engagiert, abteilungsübergreifend, ziel- und ergebnisorientiert. Im September 2000, d.h. am Schluss der ersten Vierjahresperiode gemäß GlR, hatten gut 60% der Abteilungen Gleichstellungsprojekte bzw. -maßnahmen (partiell) umgesetzt. Für die zweite Förderperiode 2000-2004 setzten sich die Departemente und Dienstabteilungen insgesamt 81 Ziele und ergriffen 123 Maßnahmen, um diese umzusetzen. Inhaltliche Schwerpunkte lagen in der Erhöhung des Frauenanteils allgemein und in Führungspositionen. Hier konnten Fortschritte durch konkrete Maßnahmen in der Personalgewinnung, -auswahl und -förderung erzielt werden. Auch bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen wurden Teilerfolge erreicht (Wiedereinstieg ermöglicht, Anstieg der Teilzeitarbeit). Andererseits gibt es auch hier ‚Knacknüsse‘ wie die Teilzeitarbeit für Männer und in Führungspositionen durch arbeitsorganisatorische und kulturelle Maßnahmen zu überwinden. Die Geschlechtergleichstellung ist heute in allen wichtigen städtischen personalpolitischen Erlassen und Projekten (wie Personalrecht, Bildungsreglement, ZBG, SLS-Controllingkonzept) integriert. Die Installierung des Vertrauenspersonen-Systems ist ein wichtiger Baustein zur Prävention sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, dessen Qualität es zu sichern gilt. Weitere Bausteine sind anzufügen, z.B. der möglichst flächendeckende Einsatz der von der ZFG im Rahmen eines mit Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz unterstützten Gemeinschaftsprojekts entwickelten PräventionsKampagnematerialien. Das 2001 ins Personalrecht integrierte neue Lohnsystem trug maßgeblich zum Abbau der Lohndiskriminierung in den frauendominierten Pflege- und Sozialberufen bei. Der Stadtrat ist entschlossen, mit der Einführung des SLS im Jahr 2007 und den für dessen Umsetzung vorgesehenen flankierenden Maßnahmen diese Entwicklung zur Lohngleichheit für Frau und Mann beschleunigt voranzutreiben. Die konsequente Anwendung des SLS-Controllingkonzepts wird die dazu nötigen Steuerungsinformationen liefern. Entscheidende Erfolgsfaktoren für diese Entwicklungen sind vor allem die strukturelle und rechtliche Verankerung, die Kontinuität, die ziel- und wirkungsorientierte, integrative Ausrichtung der ganzheitlichen städtischen Gleichstellungspolitik, das aktive Einstehen von Departementsvorstehenden für die Gleichstellung von Frau und Mann, die periodische Ergebniskontrolle, das Gleichstellungsreglement, die Umsetzungshilfen, die strategische Steuerungsunterstützung und kontinuierliche Informations- und Sensibilisierungsarbeit der FFF bzw. seit 2005 der ZFG.
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Trotz der erfolgreichen Entwicklung in Richtung auf die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann besteht auch in der Stadtverwaltung Zürich weiterhin Handlungsbedarf: vor allem bezüglich der Repräsentanz von Frauen in Kader- und Projektleitungsfunktionen, betrieblicher Kindertagesbetreuungsangebote, einer aktiven und effektiven Beteiligung der Männer – namentlich der Führungskräfte – am Gleichstellungsprozess, einer nachhaltigen Integration der Geschlechtergleichstellungsperspektive in die Managemententwicklung und Kaderschulung sowie der Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen zu einer aktiven Work-Life-Balance-Politik.
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Gudrun-Axeli Knapp
Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion: Vom Nutzen theoretischer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung für die Praxis 1. Plädoyer für eine theoretisch reflektierte Gleichstellungspolitik 2. Dilemmata der Frauenförderung 3. Frauenforschung als kritisches Korrektiv 4. Neuere Entwicklungen – Ausblick Literatur
Gudrun-Axeli Knapp, Prof. Dr., Professorin am Psychologischen Institut der Universität Hannover. E-Mail:
[email protected] 163
1. Plädoyer für eine theoretisch reflektierte Gleichstellungspolitik Diejenigen, die sich in der Praxis mit Gleichstellungspolitik befassen, tun dies in der Regel auf der Basis von pragmatischen Zielformulierungen und Erfahrungswissen. Vergleichsweise selten wird auf theoretische Diskussionen und empirische Befunde aus der Frauen- und Geschlechterforschung zurückgegriffen. Diese Distanz zur Wissenschaft hat viele Gründe. Der nächstliegende ist vielleicht, dass PraktikerInnen anderes dringlicher zu tun haben, als sich mit Theorieentwicklungen und Forschungsergebnissen zu befassen. Oft versprechen sie sich davon auch nicht viel, weil die wissenschaftlichen Erkenntnisse als zu praxisfern und abgehoben erachtet werden. Dieser Beitrag ist ein Plädoyer für eine theoretisch reflektierte Praxis. Die verbreitete Entgegensetzung von (abstrakter) Theorie und (konkreter) Praxis ist irreführend und falsch. Irreführend ist sie, weil in der Entgegensetzung unterstellt wird, Theorie sei unpraktisch. Dabei erweisen sich oft genug politische Sackgassen als Zeichen eines Theoriedefizits und damit verbundener mangelnder kritischer Distanz zur eigenen Praxis. Falsch ist die Entgegensetzung deshalb, weil jede Praxis auf bestimmten Vorannahmen beruht, also theoriehaltig ist, auch wenn sie es sich selber nicht eingesteht. Am Beispiel der Diskussion der Konzepte Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion soll gezeigt werden, dass theoretische Einsichten in den Zusammenhang dieser drei Konzepte und der damit verbundenen gleichstellungspolitischen Orientierungen ein wichtiges Korrektiv für die Praxis der Gleichstellung sein können. Sie können helfen, die Paradoxien und Dilemmata klarer zu erkennen, in denen sich Gleichstellungspolitik bewegt und derer sie sich bewusst sein muss, wenn sie etwas bewegen will. Um keine falschen Hoffnungen zu wecken: Wissenschaftliche Einsichten zum Geschlechterverhältnis und Aufklärung über die soziostrukturellen und historisch-kulturellen Bedingungen der Benachteiligung von Frauen sind nicht als Rezepturen für „richtige“ Gleichstellungspolitik zu haben. Der Zusammenhang von Frauen- bzw. Geschlechterforschung und gleichstellungspolitischer Praxis ist eher ein ständiger Lernund Aneignungsprozess, in dem die bisherigen Erkenntnisse und Positionen auf sich verändernde Kontexte und Erfahrungen hin überprüft, evaluiert und neu formuliert werden. In einem solchen Prozess wurde vor einigen Jahren an der Universität Hannover für den Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften von einer Arbeitsgruppe, der ich als Frauenbeauftragte der Fakultät angehörte, ein Frauenförderplan entwickelt, der an den konzeptionellen Eckpunkten Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion orientiert ist. In bisherigen konzeptionellen Diskussionen zur Gleichstellung der Geschlechter wurden diese drei Perspektiven als konkurrierende, oder gar einander ausschließende Orientierungen behandelt. Die Arbeitsgruppe kommt dagegen, gestützt auf Überlegungen von Regina Becker-Schmidt, zu dem Ergebnis, dass es sich nicht nur um einander allenfalls punktuell ergänzende Aspekte handelt, sondern um Perspektiven, die aufeinander angewiesen sind (vgl. Becker-Schmidt 1996; Niedersächsisches Ministerium 1994; Knapp 1997).
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Gerade in Zeiten, in denen der Gegenwind stärker weht, ist eine reflektierte und institutionell abgesicherte Gleichstellungspolitik unverzichtbar. Dabei liegt auf der Hand, dass an den Universitäten ein besonders enges Verhältnis zwischen Frauenförderung und Frauenforschung besteht. Dies gilt auch für die Zielstellung des o.g. Frauenförderplans. Er verknüpft die Frage des Abbaus von Disparitäten zwischen den Geschlechtern (Personalstruktur) sowie die Beseitigung der im Hochschulwesen für Frauen bestehenden Nachteile gleichgewichtig mit der Integration von Fragen des Geschlechterverhältnisses in Forschung und Lehre. Dieser Doppelorientierung liegt die Erfahrung zugrunde, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen Aufklärung und Selbstaufklärung über die sozio-kulturellen Hintergründe der Struktur des Geschlechterverhältnisses in Wissenschaft und Gesellschaft und den praktischen Chancen der Initiativen zur Gleichstellung. Der Begriff der „Frauenförderung“ selbst gibt immer wieder Anlass zu Fehlinterpretationen, weil er Defizite der Frauen suggeriert, wo es um unausgewogene Verhältnisse und institutionelle Gewohnheiten geht, die Diskriminierung produzieren. Wenn Frauenförderung dann als Bevorzugung weiblicher Bewerberinnen aufgefasst wird, so ist das die Kehrseite derselben Problematik: einer ungenügenden Einsicht in die soziostrukturellen Bedingungen und den historischen Kontext der Benachteiligung von Frauen. Hier ist die Wissenschaft, insbesondere die Frauen- und Geschlechterforschung, gefordert, ihrem gesellschaftlichen Aufklärungsauftrag zu entsprechen. Wenn auch die Institution Universität für solche Verknüpfungen von Frauenforschung und Frauenförderung prädestiniert ist, so lassen sich doch die aus der Theoriediskussion stammenden konzeptionellen Überlegungen auch für die Praxis in anderen Organisationen in Wirtschaft und Verwaltung produktiv machen. Im Folgenden sollen zunächst die drei Konzepte und ihr Wechselverhältnis dargestellt werden, abschließend folgen einige Bemerkungen zum Spannungs- und Anregungsverhältnis von Theorie und Praxis. Und schließlich gehe ich ausblickend auf neuere Entwicklungen ein.
2. Dilemmata der Frauenförderung Frauenförderpolitik auf der Grundlage differenztheoretischer Ansätze tendiert in der Regel dazu, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervorzuheben und die Besonderheiten von Frauen, ihren Erfahrungen und Fähigkeiten zu betonen. Sie verfolgt eine Politik der Positivierung des „Weiblichen“. Als „weiblich“ geltende Erfahrungen, Qualifikationen und Interessen sollen als Potenziale gewichtet und in berufliche Bewertungskriterien einbezogen werden (z.B. Personenbezogenheit, Einfühlsamkeit, Intuition); Familienarbeit soll aufgewertet werden usw. Ein Beispiel dafür ist die Begründung der Forderung nach der Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen mit Verweis auf einen typisch weiblichen Führungsstil, der für modernes Management besonders gut geeignet sei (vgl. dazu Krell in diesem Band). Einwände gegen derartige „Differenz“-Positionen heben in der Regel zwei Kritikpunkte hervor: Zum einen würden diese die häusliche Arbeitsteilung und geschlechtstypische Kompetenzverteilungen nicht antasten, sondern im Gegenteil zementieren; zum anderen würden sie mit der Betonung weiblich-mütterlicher Eigenschaften Gefahr laufen, Weiblichkeit zu „ikonisieren“. Damit würden klischeehafte Vorstellungen der Kompetenzen
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von Frauen tradiert, die schon immer dazu hergehalten haben, Frauen von gesellschaftlichen Machtpositionen fernzuhalten und ihre gleichberechtigte Integration in die Berufswelt zu behindern. Die „Paradoxien“ der Frauenförderung, auf die Gildemeister und Wetterer (1992) in einem grundsätzlichen Sinn hingewiesen haben, betreffen differenztheoretische Positionen besonders. Durch die ständige diskursive Dramatisierung der Geschlechterdifferenz wird das bipolare Koordinatensystem „männlich“/ „weiblich“ fortgeschrieben, anstatt es außer Kraft zu setzen oder zu „dekonstruieren“. Frauenförderpolitik, die sich an Konzepten von Gleichheit orientiert, lehnt dagegen jeden Bezug auf natürliche oder kulturelle Differenz zu ihrer Begründung ab. Im Zentrum diesbezüglicher Konzepte stehen die Asymmetrien zwischen den Geschlechtern und ungleich verteilte Chancen auf soziale Partizipation und Geltung. Gleichstellung beinhaltet für diese Ansätze, die sich vorwiegend im linksliberalen politischen Spektrum finden, konsequente Verfolgung einer Politik der Antidiskriminierung in allen Bereichen, egalitäre Verteilung der Familienarbeit und Quotierung von politischen und beruflichen Positionen. Einwände von differenztheoretischer Seite gehen in der Regel dahin, dass sich Gleichheitspositionen in ihren Bewertungsmaßstäben an die Normen einer männlich geprägten politischen Kultur und Gesellschaft anpassen und die Besonderheiten weiblicher und männlicher Sozialisation und Vergesellschaftung ausblenden. Die Auseinandersetzung mit dem Für und Wider beider Positionen hat die feministische Diskussion der 1980er Jahre geprägt, wobei zunehmend Licht auf die dilemmatische Struktur beider Positionen geworfen wurde. Das Gleichheits-Dilemma besteht darin, dass die Gleichbehandlung von Ungleichem Ungleichheit fortschreibt: Gleichheit vor dem Gesetz garantiert nicht Gleichheit nach dem Gesetz. Und umgekehrt gilt für Differenz-Positionen: Wenn Politik ausschließlich über Aspekte der Differenz begründet wird, so mündet dies in Fortschreibung und Verstärkung des Stigmas der Abweichung. Als Ausweg aus diesen Dilemmata wird in Teilen der feministischen Diskussion „Dekonstruktion“ als Perspektive propagiert, wobei sich unter diesem Etikett sehr unterschiedliche theoretische Strömungen sammeln (vgl. Bruhns 1995; Knapp 1997, Wetterer 1995). Gemeinsam ist ihnen die Kritik identitätspolitischer Fundierungen, d.h. die Ablehnung jeglicher Legitimation gleichstellungspolitischer Positionen über die Konstruktion von Gruppeneigenschaften. Die theoretische Aktivität dekonstruktivistisch orientierter Feministinnen ist dementsprechend darauf orientiert, die Reproduktion des blau-rosa Codes der Zweigeschlechtlichkeit zu unterlaufen, auch und besonders dort, wo er als Frauenforschung bzw. Frauenförderung auftritt und ihn lediglich verdoppelt. Zwischen dekonstruktivistischen Positionen auf der einen und gleichheits- und differenztheoretischen Positionen auf der anderen Seite wird häufig eine radikale Unvereinbarkeit behauptet. Dabei wird davon ausgegangen, dass dekonstruktivistische Positionen mit ihrem Angriff auf den Geschlechterdualismus und ihrer gleichzeitigen Betonung der sozialen Unterschiede und Interessenkonflikte innerhalb der Gruppe der Frauen auch die kollektive Basis von Frauenpolitik untergraben. Sie fragen – zugespitzt – danach, was die Arbeiterin, die lesbische Studentin, die Direktorengattin und ihre türkische Putzfrau eigentlich verbindet, worin bestehen ihre gemeinsamen Interessen „als Frauen“? Dies wäre das Dekonstruktions-Dilemma: Radikal dekonstruktivistische
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Politik greift den Rahmen an, in dem überhaupt noch verallgemeinernde Aussagen über „Frauen“ und deren Problemlagen und Konfliktkonstellationen gemacht werden können. Deshalb wird im Zusammenhang mit Dekonstruktion häufig von „Postfeminismus“ gesprochen. Obwohl ich mit dem radikalen Impetus der auf Derrida zurückgehenden philosophischen Dekonstruktion (vgl. dazu Menke 1995) sympathisiere, scheint mir in Bezug auf die Gleichstellungspolitik nur eine pragmatische Lesart von Dekonstruktion nahe liegend und sinnvoll zu sein. Eine so verstandene Dekonstruktion zielt darauf ab, das System geschlechtstypisierender Zuschreibungen zu destabilisieren; sie problematisiert jede Form von Identitätspolitik und vermeidet den verbreiteten Fehler subordinierter Gruppen, ihre Politiken unter Rückgriff auf vorgebliche Kontrasttugenden zu fundieren. Sie setzt an bei der Verschiebung von Geschlechtsbedeutungen, der Kritik an stereotypisierenden Auffassungen von dem, was Frauen und Männer „sind“, „können“ und „wollen“. Diese eher pragmatische Sicht von Dekonstruktion hat allerdings eine Grenze, über die sie aus sich heraus nicht hinauskommt. Es würde im Zeichen einer so verstandenen Dekonstruktion zwar aufgehört, Gleichstellungspolitik weiterhin über Geschlechtseigenschaften zu begründen, der strukturelle Zusammenhang des Geschlechterverhältnisses, die in der Geschlechterstruktur von Institutionen und deren Verflechtungen geronnene Geschichte von Diskriminierungen, Differenzierungen und Hierarchisierungen würde dadurch jedoch noch nicht angetastet (vgl. Becker-Schmidt 1996). Dekonstruktion ist, um langfristig greifen zu können, angewiesen auf die präzise Kritik von Ungleichheitslagen im Geschlechterverhältnis – und dazu bedarf es des Rückgriffs auf Analysen, die soziale Ungleichheitslagen und Konfliktkonstellationen in den Blick nehmen können. Hier aber kommen wir in den Einzugsbereich der Politiken von Gleichheit und Differenz. So verdeutlicht Regina Becker-Schmidt (1996) aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive, dass aus historischen Gründen eine dialektische Beziehung zwischen Gleichheit und Differenz besteht. Eine Politik, die Gleichstellung der Geschlechter durchsetzen will, kann demnach nicht auf das Argument der Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung in der Gegenwart verzichten und muss dennoch historisch entstandene soziale Differenzen zwischen den Genus-Gruppen berücksichtigen. Das heißt: Der Bezug auf Gleichheit kann nicht im liberalistischen Sinne einer abstrakten Durchsetzung des Gleichheitsprinzips als individuelle Gleichbehandlung gefasst werden. Stattdessen gilt es zu zeigen, dass die Realisierung gleicher Partizipationschancen an die Berücksichtigung von genus-gruppenspezifischen Ausgangsbedingungen, d.h. an die Einbeziehung struktureller Differenz, gebunden ist. Im Zuge der historischen Entwicklung sind Benachteiligungen von Frauen entstanden, die nur durch besondere Förderung kompensiert werden können. Die Beachtung des Gebotes der Chancengleichheit, das sich gegen aktuelle Diskriminierung richtet, muss also flankiert sein von der Berücksichtigung jener strukturellen Besonderheiten, die aus historischen Gründen weibliche Lebenszusammenhänge bis heute charakterisieren, wie z.B. geschlechtstypische Schließungen, Strukturierungen und Hierarchisierungen im Ausbildungssystem und am Arbeitsmarkt, Familienverpflichtungen, stereotype Zuschreibungen usw.
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Gleichstellung und Frauenförderung beinhalten somit prinzipiell eine dreifache Perspektive, in der Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion verknüpft sind: 1. Sie richten sich aktuell auf die Herstellung von Chancengleichheit und strikte Gleichbehandlung in jedem Einzelfall und damit gegen individuelle Benachteiligung. Die Geschlechtszugehörigkeit soll für eine Entscheidung irrelevant sein (Gleichheit als Politik der Antidiskriminierung, die sich gegen die Bevorzugung von Männern richtet). 2. Sie formulieren Strukturdefizite korrigierende Programme als kollektive Förderung für Frauen. Diese Förderung trägt strukturellen Besonderheiten Rechnung, die aus historischen Gründen weibliche Lebenszusammenhänge bis heute besonders charakterisieren (Differenzperspektive als kompensatorische Förderung, die auf Strukturdefizite reagiert). Dazu gehören z.B. Sonderprogramme, die sich ausschließlich an Frauen richten, Regelungen, die die typischen Umwege in weiblichen Biographien berücksichtigen, etwa bei der Anwendbarkeit von Altersbegrenzungen usw. Der Begriff der Frauenförderung im strikten Sinne bezieht sich nur auf solche Programme, die darauf zielen, die schlechteren Ausgangsbedingungen für die Gruppe „Frauen“ kollektiv in Rechnung zu stellen und einen punktuellen „Ausgleich“ zu schaffen. 3. Sie vermeiden Identitätskategorien zur Fundierung ihrer Politik und kritisieren Stereotypisierungen (Dekonstruktion als Kritik der Vereigenschaftlichung von Geschlechterdifferenz, als De-Legitimierung von pauschal polarisierenden Eigenschaftszuschreibungen). Gruppenbezüge werden in diesem Zusammenhang nicht im Sinne einer Identitätspolitik formuliert, die identische Erfahrungen, Prägungen und Orientierungen unterstellt, sondern als strukturelle. Das heißt: Fluchtpunkte der Argumentation sind nicht die Geschlechtskategorie „Frauen“ und Eigenschaften der Personen, die darunter fallen, sondern das in Strukturen der Arbeits- und Machtverteilung sedimentierte hierarchische Verhältnis zwischen den Genus-Gruppen und damit einhergehende Benachteiligungen, die qua Geschlechtszugehörigkeit eher Frauen als Männer betreffen. Um diese Strukturen und ihre Veränderungen genauer analysieren zu können, bedarf es einer sozialwissenschaftlichen Forschung, die in der Lage ist, diese Probleme überhaupt wahrzunehmen. Die herkömmlichen Geistes- und Sozialwissenschaften haben diesbezüglich auf breiter Front versagt. Es hat sich sogar gezeigt, dass sie zu einem guten Teil Legitimationswissen produziert haben, mit dessen Hilfe die Ausgrenzung von Frauen aus gesellschaftlich anerkannten Bereichen und ihre Abordnung in untergeordnete Praxisfelder gerechtfertigt wurde.
3. Frauenforschung als kritisches Korrektiv Die Ausdifferenzierung der modernen wissenschaftlichen Fachdisziplinen hat sich bekanntlich weitgehend unter Ausschluss von Frauen vollzogen. Die Folgen dieses Ausschlusses betreffen nicht nur die nach wie vor einseitige personelle Besetzung des
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Berufsfelds Wissenschaft, auf deren Behebung der Gleichstellungsauftrag an den Universitäten zielt. Damit historisch verbunden ist die inhaltliche Ausblendung eines breiten Spektrums gesellschaftlich und wissenschaftlich relevanter Erfahrungen: Zentrale Bereiche, Problemlagen und Verfasstheiten von Kultur und Gesellschaft werden nicht oder unzureichend erforscht. Dass dies allzu lange kein Thema war, ist Zeichen mangelnder Objektivität und mangelnder Selbstreflexion des Wissenschaftsanspruchs, der insbesondere in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern zu Buche schlägt. Gleichstellung der Geschlechter an den Universitäten kann sich daher nicht in einer gerechteren Zusammensetzung der Personalstruktur erschöpfen; sie muss darüber hinaus hinwirken auf eine entsprechende Umstrukturierung des Themenkanons und eine verstärkte Selbstreflexion in den Fächern. Auch davon können Impulse für eine Demokratisierung ausgehen, die über das Wissenschaftssystem hinaus in andere gesellschaftliche Bereiche reichen. Dass dies auch über den engeren Kontext der Frauenforschung hinaus von Bedeutung ist, zeigt z.B. der Bericht einer internationalen WissenschaftlerKommission, die unter dem Titel „Die Sozialwissenschaften öffnen“ Vorschläge für deren Neustrukturierung vorlegt. Kern des Berichts ist die Aufforderung, die Chancen von Objektivität zu verstärken, indem an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen Strukturen geschaffen werden, die inklusiv sind bezüglich der Rekrutierung des wissenschaftlichen Personals, der Offenheit gegenüber vielfältigen kulturellen Erfahrungen und der Spannweite legitimer Gegenstände der Forschung (vgl. Wallerstein u.a. 1996). In der Frauen- und Geschlechterforschung der verschiedenen Disziplinen ist inzwischen ein erheblicher Bestand an Einsichten entstanden, die zu einer solchen Korrektur des sozialwissenschaftlichen Wissens beitragen können. Die verbreitete Auffassung von Frauenforschung als „Forschung von Frauen, für Frauen, über Frauen“, die sich auf Formulierungen aus den frühen 1970er Jahren beruft, als diese Parole als politische Reaktion auf die Geschlechtsblindheit der Wissenschaften formuliert wurde, entspricht nicht mehr dem Selbstverständnis der Frauen- und Geschlechterforschung, das sich – davon ausgehend – erheblich ausdifferenziert hat. Frauen- und Geschlechterforschung bezeichnet demnach keine Pseudo-Disziplin oder Nischen-Forschung, deren unspezifischer Gegenstand alles – und nur das – wäre, was mit „Frauen“ und „Geschlechtsrollen“ zusammenhängt. Vielmehr wird sie betrieben von WissenschaftlerInnen, die der Bedeutung und den Auswirkungen von Geschlechterverhältnissen im Kontext ihrer jeweiligen Fachgebiete besondere Aufmerksamkeit widmen und sich kritisch mit den Folgewirkungen der sozialen Homogenität und der männlichen Monokultur unseres Wissenschaftssystems auseinandersetzen. Insofern bezeichnet Frauen- und Geschlechterforschung ein breites Perspektivenspektrum innerhalb disziplinärer Lehre und Forschung. Gleichzeitig ist in dem vieldimensionalen Fokus „Geschlechterverhältnis/Geschlechterdifferenz“ ein organisierendes Moment enthalten, das auf Umgruppierung überkommener Analyseperspektiven und Revision wissenschaftlicher Arbeitsteilungen drängt. Die komplexen Verflechtungen der in Geschlechterverhältnissen jeweils realitätsmächtigen Faktoren bilden einen nur interdisziplinär zu erschließenden Zusammenhang (vgl. Becker-Schmidt/Knapp 1995). Das in der Frauen- und Geschlechterforschung entstandene Wissen über derartige Ver-
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flechtungen tangiert auch die Einschätzung der Möglichkeiten von Gleichstellungspolitik und Frauenförderung: Sie kann eingreifender werden, weil bzw. wenn sie in ihrem spezifischen Praxisbereich genauer und kompetenter ansetzen kann. Sie kann realistischer werden in dem Sinne, dass man sich keine Illusionen über ihre Reichweite macht. Mit dem Bewusstsein ihrer Partikularität und Begrenztheit ist zugleich aber ein Stachel verbunden. Er erinnert an den utopischen Überschuss, dem sich Gleichstellungspolitik historisch selbst verdankt und hält damit den Anspruch auf substanzielle Veränderungen im Gedächtnis, der durch Frauenförderung allein nicht abgegolten werden kann.
4. Neuere Entwicklungen – Ausblick Abschließend und ausblickend ist daran zu erinnern, dass sowohl das Wissen, das von der Frauen- und Geschlechterforschung zur Verfügung gestellt wird, als auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Gleichstellungspolitik praktiziert wird, historischem Wandel unterliegen. Nicht zuletzt im Zuge der Europäisierung der Gleichstellungspolitik und der Internationalisierung der Diskussion um Antidiskriminierung sind neue Problemstellungen auf die Agenda gesetzt worden und werden ältere Themen auf neue Weise aktuell. Zu den Entwicklungen in der feministischen Theoriediskussion, deren weitreichende Bedeutung auch im deutschen Sprachraum zunehmend bewusst wird, gehört die Diskussion um „Achsen der Differenz“ (Knapp/Wetterer 2003). Schon seit längerem war die Triade von „Race, Class und Gender“ im englischen Sprachraum gebräuchlich als Kürzel zur Bezeichnung von Ungleichheit unter Frauen. Bereits 1987 prägte die US-amerikanische Jura-Professorin Kimberlé Crenshaw den Begriff, der heute zur Etikettierung dieser Entwicklung gebräuchlich ist: Intersektionalität (Crenshaw 1991). Intersection heißt wörtlich übersetzt „Kreuzung“. Das Bild der Kreuzung verweist auf die Überschneidungen und Beziehungen zwischen unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit und multiplen Formen der Diskriminierung. Es liegt nahe, dass in den USA als einem multikulturellen Einwanderungsland mit einer gleichzeitig ausgeprägten und deutlich rassistischen Struktur sozialer Ungleichheit die Frage der unterschiedlichen Positionierung von Frauen im System gesellschaftlicher Ungleichheitsrelationen schon früher Probleme nicht nur für die feministische Theorie, sondern auch für die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik aufwarf und intensiv diskutiert wurde. Heute steht der Terminus als Catchword für eine paradigmatische Erweiterung der Frauen- und Geschlechterforschung. Es gibt zunehmend mehr Publikationen, zumeist auf Englisch, die sich mit der Komplexität von Ungleichheit und Diskriminierung zwischen den und innerhalb der Genus-Gruppen auseinander setzen (z.B. Collins 1999; Phoenix/Pattynama 2006; Knapp 2005; Kleinger/Knapp 2005). Die amerikanische Ungleichheitsforscherin Leslie McCall (2005) hat eine Unterscheidung vorgeschlagen, die hilfreich ist für eine Sondierung dieses Feldes, insbesondere weil sie sich sehr gut in Beziehung setzen lässt zur Diskussion um Gleichheit, Differenz und Dekonstruktion. McCall unterscheidet im Feld der intersektionellen Forschung drei unterschiedliche Zugangsweisen: x anti-kategoriale Zugangsweisen, die sie vor allem im dekonstruktivistischen und poststrukturalistischen Spektrum vertreten sieht (s.o.); 170
x intra-kategoriale Zugangsweisen, die Fragen von Differenz und Ungleichheit im Rahmen einer der jeweiligen Kategorien (Geschlecht, Ethnizität, Klasse) in den Blick nehmen. In diese Gruppe gehört die Frage nach Ungleichheit und Differenz unter Frauen. Und drittens nennt McCall noch die x inter-kategoriale Zugangsweise, die die Verhältnisse und Wechselwirkungen zwischen den Kategorien zu analysieren suchen. Auch hier gilt, dass die drei Perspektiven sich nicht gegenseitig ausschließen. Aber nur in einer inter-kategorialen Perspektive kann ein theoretischer Rahmen formuliert werden, der die zwangsläufigen Engführungen der intra-kategorialen Perspektiven und die Gefahr der Beliebigkeit der anti-kategorialen Perspektive (Dekonstruktions-Dilemma), überwinden kann. In der internationalen Frauen- und Geschlechterforschung hat eine intensive theoretische und methodologische Diskussion darüber begonnen, wie die intersektionelle Programmatik im Blick auf komplexe Formen der Ungleichheit umzusetzen sei. Dabei scheint sich ein Konsens herauszubilden wonach beides, die Definition der Eigenständigkeit bzw. Eigentümlichkeit der jeweiligen Verhältnisbestimmungen von Geschlecht, Klasse, Ethnizität usw. und die Bestimmung ihres Zusammenhangs zugleich erfolgen sollte (Risman 2004). Obendrein sollte dies in einer Weise geschehen, die länderspezifischen Konstellationen und Institutionenregimes Rechnung trägt. Das stellt für die Frauen- und Geschlechterforschung und die feministische Theorie eine ebenso große Herausforderung dar wie die Frage der Übersetzung einer intersektionellen Perspektive ins Feld der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik. In beiden Hinsichten bleibt noch viel zu tun. Auch wenn in dieser Debatte häufig von der De-Zentrierung von Geschlecht die Rede ist, sollte man sich davon nicht irritieren lassen. Ungleichheitslagen im Geschlechterverhältnis haben sich nicht aufgelöst, sondern allenfalls in bestimmten Aspekten verändert – teilweise im Zuge von Erfolgen, die durch die Frauenbewegung und Gleichstellungspolitik selbst erstritten wurden. Nach wie vor gibt es aber auch die leidigen und altbekannten Formen der Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen, die zum Alltagsgeschäft der Gleichstellungsbeauftragten gehören. Insofern bleiben die oben skizzierten Politikstrategien ebenso auf der Tagesordnung wie die Notwendigkeit, sich mit den damit verbundenen Dilemmata auseinander zu setzen. Das Konzept der Intersektionalität erinnert jedoch daran, dass Frauen in unterschiedlichen Ungleichheitsverhältnissen positioniert sind. Aus der intersektionellen Forschung kann Gleichstellungspolitik daher etwas über ihre Reichweite lernen, vielleicht auch über die Notwendigkeit von Programmspezifikationen im Hinblick auf gruppenspezifische Problemlagen, mit Sicherheit wird sich dabei aber auch ihre Unverzichtbarkeit bestätigen.
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Personalbewegungen
Rosemarie Kay
Gewinnung und Auswahl von MitarbeiterInnen 1. Einführung 2. Relevante Rechtsnormen 3. Der (idealtypische) Auswahlprozess 3.1 Anforderungsanalyse 3.2 Personalgewinnung 3.3 Personalauswahl 3.3.1 Analyse der Bewerbungsunterlagen 3.3.2 Testverfahren und Arbeitsproben 3.3.3 Einstellungsgespräche 3.3.4 Assessment Center 3.4 Auswahlentscheidung
4. Fazit Literatur
Rosemarie Kay, Dr. rer. pol., Projektkoordinatorin am Institut für Mittelstandsforschung Bonn. E-Mail:
[email protected] 175
1. Einführung Der Gewinnung und Auswahl von MitarbeiterInnen ist aus gleichstellungspolitischer Sicht große Bedeutung beizumessen, weil hier die Weichenstellung für den Zugang von Frauen zu Unternehmen und Verwaltungen überhaupt, aber vor allem auch zu geschlechtsuntypischen Positionen vorgenommen wird. Es handelt sich dabei um einen aus mehreren aufeinander aufbauenden Schritten bestehenden Prozess (vgl. Abbildung 1). Anforderungsanalyse Arbeitsanalyse Merkmalsanalyse
Personalgewinnung
Wahl/Modifikation der Auswahlinstrumente
Einsatz der Auswahlinstrumente Analyse der Bewerbungsunterlagen Tests Interview Assessment Center
Auswahlentscheidung
Abb. 1: Schritte eines idealtypischen Auswahlprozesses
Ausgangspunkt ist die sog. Anforderungsanalyse, in der festgestellt wird, welche Voraussetzungen BewerberInnen aufweisen müssen, um einen bestimmten Arbeitsplatz zur Zufriedenheit des einstellenden Arbeitgebers ausfüllen zu können. Das Ergebnis dieser Analyse dient als Grundlage sowohl für die Personalgewinnung als auch für die darauf folgende Auswahl. Denn ohne Kenntnis des gewünschten Bewerberprofils kann
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keine angemessene Entscheidung über Wege und Mittel der Personalbeschaffung, aber auch nicht über einzusetzende Auswahlinstrumente getroffen werden. Sind diese Entscheidungen gefallen und hat sich eine ausreichende Zahl an Personen beworben, können die für die spezifische Auswahlsituation passenden Auswahlinstrumente eingesetzt werden. In aller Regel wird anhand einer Durchsicht der Bewerbungsunterlagen eine Vorauswahl getroffen; die verbliebenen BewerberInnen werden einem Einstellungstest, einem -interview und/oder einem Assessment Center unterzogen. Seltener ist der Einsatz von Biographischen Fragebogen und graphologischen Gutachten. Vor der endgültigen Auswahlentscheidung steht häufig noch eine medizinische Untersuchung (vgl. Schuler/Frier/Kauffmann 1993, S. 34). An dieser Struktur des Auswahlprozesses orientiert werden im Folgenden, beginnend mit der Anforderungsanalyse und endend bei der Auswahlentscheidung, zum einen mögliche Quellen einer Benachteiligung von Frauen, zum anderen adäquate Lösungswege herausgearbeitet. Vorangestellt sind die aktuell relevanten Rechtsnormen.
2. Relevante Rechtsnormen Bei der Gewinnung und Auswahl von MitarbeiterInnen ist eine Reihe von nationalen Rechtsnormen zu berücksichtigen, die die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sicherstellen sollen: insbesondere die §§ 2, 3, 7, 8 und 11 AGG, § 80 BetrVG, § 68 BPersVG, §§ 6 bis 9 BGleiG sowie entsprechende §§ in den Gleichstellungsgesetzen der Länder (zu den Landesgesetzen vgl. Schiek u.a. 2002). Die §§ 2, 3 und 7 AGG regeln u.a. das Verbot der mittel- und unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses. § 11 AGG schreibt einem Arbeitgeber vor, Stellen betriebsintern und -extern geschlechtsneutral auszuschreiben (ähnlich § 6 BGleiG und entsprechende §§ in fast allen Landesgleichstellungsgesetzen). Nach § 80 Abs. 1 S. 2a BetrVG bzw. § 68 Abs. 1 S. 5a BPersVG ist es Aufgabe des Betriebsrates bzw. der Personalvertretung, die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch bei der Einstellung zu fördern. § 8 BGleiG schreibt den Dienststellen vor, Frauen bei der Besetzung von Arbeitsplätzen bevorzugt zu berücksichtigen, sofern sie in einzelnen Bereichen unterrepräsentiert sind und die gleiche Eignung, Befähigung und fachliche Leistung nachweisen können wie männliche Mitbewerber. Ähnliche Regelungen gibt es in den meisten Bundesländern. Zentral ist das Verbot der mittel- und unmittelbaren Diskriminierung nach § 3 AGG. Unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Frau weniger günstig behandelt wird als ein Mann und umgekehrt (§ 3 Abs. 1 AGG). Hier einige wesentliche Beispiele zum Auswahlzusammenhang: x Eine Vorselektion oder die endgültige Auswahlentscheidung wird damit begründet, dass nur Angehörige des einen Geschlechts für die Stelle in Betracht kommen (abgesehen von den Arbeitsplätzen, für die ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung ist [§ 8 Abs. 1 AGG]).
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x Für Bewerber und Bewerberinnen gelten unterschiedliche Anforderungen. Z.B. dienen im Rahmen der Vorauswahl von Auszubildenden je nach Geschlecht unterschiedliche Schulnoten als Ausschlusskriterium (vgl. Pfarr/Bertelsmann 1989, S. 165). x Bei der Auswahl von BewerberInnen ist ein bestimmtes Geschlechterverhältnis einzuhalten. Z.B. sollen 30% der Auszubildenden Frauen und 70% Männer sein. Dies ist in aller Regel nur dann zu erreichen, wenn die Geschlechter unterschiedlichen Anforderungen genügen müssen oder die Auswahl vollends willkürlich vorgenommen wird. x Als Ausschlusskriterium wird die Absolvierung des Bundeswehr- oder Zivildienstes herangezogen (verdeckte unmittelbare Diskriminierung). Mittelbare Diskriminierung (vgl. dazu auch Schiek in diesem Band) differenziert dagegen „nicht nach dem Geschlecht, sondern unterscheidet nach Merkmalen, die bei Männern und Frauen jeweils vorliegen können. Tatsächlich ist ihre Verteilung auf die Geschlechter jedoch ungleich, so dass sich die Unterscheidung im Ergebnis deutlich zum Nachteil eines Geschlechts auswirkt“ (Schlachter 1993, S. 151). Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind dann nicht mittelbar benachteiligend, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (§ 3 Abs. 2 AGG). Mittelbare Diskriminierung im Auswahlzusammenhang (vgl. dazu ausführlich Kay 1998, S. 36ff) bedeutet, dass ein oder mehrere Bestandteil(e) des Auswahlverfahrens so gestaltet sind, dass sie zwar nicht explizit auf das Geschlecht der BewerberInnen abstellen, dass sie sich aber für die Angehörigen eines Geschlechts häufiger als Ausschlusskriterium erweisen als für die Angehörigen des anderen Geschlechts – allerdings nur, wenn sich diese Bestandteile nicht mit den Anforderungen des Arbeitsplatzes begründen lassen. Wenn z.B. während eines Auswahlverfahrens die BewerberInnen aufgefordert sind, einen Sandsack von 80 kg aus dem 4. Stockwerk eines Hauses bis vor dessen Haustür zu tragen, dürfte wahrscheinlich der Anteil der Bewerber, die diese Aufgabe erfolgreich absolvieren können, deutlich höher sein als der der Bewerberinnen. Liegt hier nun ein Fall mittelbarer Diskriminierung vor? Wenn es sich um eine Stelle bei der Berufsfeuerwehr handelt, bei der bewegungsunfähige Menschen aus einem brennenden Haus gerettet werden müssen, wohl nicht. Wenn in dem auszuübenden Job nie Gewichte über 10 kg zu bewegen sind, dann ja. Dieser Auslegung steht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86) entgegen, nämlich dass ein Arbeitgeber „die Anforderungen an die Qualifikation für eine bestimmte Stelle grundsätzlich nach seinem Belieben festlegen darf“ (o.V. 1994, S. 503). Zwar sind völlige „Willkür und Beliebigkeit“ (Herrmann 1996, S. 28) unzulässig, aber die Sinnhaftigkeit der formulierten Qualifikationsanforderungen steht außer Frage. Wenn jedoch während eines laufenden Verfahrens Auswahlkriterien geändert oder zusätzlich aufgestellt werden, dann fordert das Bundesverfassungsgericht eine besondere Rechtfertigung. Nach dieser grundsätzlichen Darstellung sollen noch einige konkrete Gesichtspunkte diskutiert werden, die zu einer Benachteiligung von Frauen bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses führen können. Ich denke dabei an folgende Fragen, die – trotz
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rechtlicher Unzulässigkeit – gelegentlich in Personalfragebogen oder Einstellungsgesprächen gestellt werden: nach einer bestehenden Schwangerschaft, dem Familienstand, einem zukünftigen Heirats- oder Kinderwunsch und der Zahl bereits vorhandener Kinder (vgl. Borgaes 1985, S. 98 und entsprechende Regelungen in den Landesgleichstellungsgesetzen). Diese Fragen sind unzulässig, weil sie zum einen keinen inhaltlichen Zusammenhang mit einem zu besetzenden Arbeitsplatz aufweisen und zum anderen zur unmittelbaren bzw. mittelbaren Diskriminierung von Frauen führen können. Besondere Aufmerksamkeit hat seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland immer wieder die Diskussion um die Zulässigkeit der Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft gefunden, die sich in sieben Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes widerspiegelt. Gegenwärtig gilt, dass diese Frage grundsätzlich unzulässig ist (siehe auch § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG), auch dann, wenn sich ausschließlich Frauen beworben haben (BAG-Urteil vom 15.10.1992 – 2 AZR 227/92) oder wenn eine unbefristet eingestellte Arbeitnehmerin die vereinbarte Tätigkeit während der Schwangerschaft wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots zunächst nicht ausüben kann (BAG-Urteil vom 6.2.2003 – 2 AZR 621/01). Zur Klarstellung sei noch hinzugefügt, dass auch BetriebsärztInnen diese Frage nicht stellen dürfen; selbstverständlich dürfen sie auch keinen Schwangerschaftstest durchführen. Da die genannten Fragen unzulässig sind, darf eine Bewerberin sie falsch beantworten, womit sie den Arbeitgeber nicht rechtswidrig, arglistig täuscht, so dass dieser den Arbeitsvertrag nicht anfechten kann.
3. Der (idealtypische) Auswahlprozess 3.1 Anforderungsanalyse Die Anforderungsanalyse ist nicht nur Ausgangspunkt und Leitlinie für die inhaltliche Ausgestaltung des gesamten Auswahlprozesses, sie liefert auch die Begründung dafür, ob ein Auswahlkriterium oder -instrument als mittelbar diskriminierend einzustufen ist oder nicht. Trotz dieser unbestrittenen Bedeutung führt die Anforderungsanalyse in der bundesdeutschen Praxis ein Schattendasein. Aber auch der Forschungsstand ist wenig befriedigend. Die Anforderungsanalyse setzt sich aus zwei Schritten, der Arbeits- und der Merkmalsanalyse, zusammen. Im ersten Schritt geht es – kurz gesagt – darum, systematisch alle Informationen über einen Arbeitsplatz, die für die Personalauswahl von Bedeutung sind, zu ermitteln und auszuwerten. Auf diesen Informationen aufbauend werden im zweiten Schritt die für eine zufriedenstellende Aufgabenerfüllung notwendigen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und sonstigen Personmerkmale nach Art und Höhe der Ausprägung festgelegt. Die Mehrzahl der gängigen Arbeitsanalyseverfahren (einen umfassenden Überblick liefert Gael 1988) basiert auf der Beobachtung und Befragung von StelleninhaberInnen und/oder deren direkten Vorgesetzten durch ArbeitsanalytikerInnen. Gegenstand der Analyse sind entweder die konkreten Aufgaben an einem Arbeitsplatz oder die Verhaltensweisen, die mit der Tätigkeit in Verbindung stehen; diese werden zusätzlich nach verschiedenen Kriterien, z.B. Häufigkeit des Auftretens oder Wichtigkeit, beurteilt.
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Ein Teil dieser Arbeitsanalyseverfahren verfügt über Procedere zur Merkmalsanalyse, in anderen Fällen muss auf merkmalsorientierte Arbeitsanalyseverfahren zurückgegriffen werden. Gemeinsamer Kern dieser Verfahren ist, dass sog. ExpertInnen die für einen Arbeitsplatz erforderlichen Personmerkmale entweder von den Verhaltensweisen oder den Arbeitsaufgaben ausgehend festlegen müssen (vgl. Abbildung 2). Diesen Ableitungen liegen komplexe Informationsverarbeitungs- und Beurteilungsleistungen zugrunde, die nicht offen gelegt werden (können). Der Merkmalsanalyse wohnt also ein mehr oder minder großes subjektives Moment inne. AUFGABENBEREICH
aufgabenorientierte Variablen
Arbeitnehmer übt seine Arbeit aus
BEREICH DER ARBEITNEHMERTÄTIGKEITEN
Deduktion der Tätigkeiten des Arbeitnehmers
MERKMALSBEREICH
Deduktion der und Bericht über die erforderlichen Merkmale
erforderliche Merkmale
Beobachtung der Arbeitsausübung
Deduktion der und Bericht über die relevanten Tätigkeiten des Arbeitnehmers
verhaltensorientierte Variablen
Deduktion der und Bericht über die erforderlichen Merkmale
Abb. 2: Schematische Zergliederung der Anforderungsanalyse (vgl. Smith/Robertson 1993, S. 29)
Die wenigen vorliegenden Forschungsergebnisse sind widersprüchlich in der Beantwortung der Frage, ob die Resultate der Arbeitsanalyse vom Geschlecht der StelleninhaberInnen oder dem ihrer Vorgesetzten beeinflusst werden. Vermutlich ist von größerer Bedeutung, und dies gilt in noch stärkerem Maße für die Merkmalsanalyse, ob der zu analysierende Arbeitsplatz mehrheitlich von Männern besetzt ist. Weder StelleninhaberInnen noch deren Vorgesetzte noch andere „Experten“ haben eine exakte Abbildung eines Arbeitsplatzes im Kopf. Nach einer Beschreibung eines Arbeitsplatzes und der dort notwendigen Personmerkmale gefragt, greifen sie auf sog. Schemata dieses Arbeitsplatzes und entsprechender StelleninhaberInnen zurück. Ein solches Schema von InhaberInnen eines bestimmten Jobs umfasst typische Verhaltensweisen und Eigenschaften, wobei das Merkmal Geschlecht Bestandteil dieses Schemas sein kann (vgl. Perry u.a. 1994, S. 792ff). Bei der Ableitung von erforderlichen Merkmalen fließen mit großer Wahrscheinlichkeit direkte und indirekte Geschlechtermerkmale ein (vgl. Baron/Janman 1996, S. 68). Im Rahmen der Führungsforschung konnte z.B. nachgewie-
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sen werden, dass diejenigen Eigenschaften, die (vermeintlich) gute ManagerInnen auszeichnen, Männern zugeschrieben werden (vgl. u.a. Rustemeyer/Thrien 1989). Die Gefahr, dass die Ergebnisse der Anforderungsanalyse eine solche Geschlechterverzerrung aufweisen, ist noch größer, wenn die Analyse nicht auf den angesprochenen Verfahren basiert. Im betrieblichen Alltag geht der Merkmalsanalyse selten eine systematische Arbeitsanalyse voraus; auch liegt häufig keine aktuelle Arbeitsplatzbeschreibung vor. Im Bedarfsfall zieht sich die mit der Personalauswahl betraute Person auf ihre Erfahrung zurück und benennt mehr oder weniger intuitiv die wesentlichen Personmerkmale. Gelegentlich wird dieses Vorgehen durch das Heranziehen beliebig zusammengestellter Merkmalslisten unterstützt. Es ist unwahrscheinlich, dass auf diesem Wege ein vollständiges, wirklichkeitsnahes und unverzerrtes Anforderungsprofil gewonnen werden kann, das die Chancen von Frauen nicht unberechtigt verringert. Mit dem Verzicht auf eine systematische Arbeits- und Merkmalsanalyse ist ein zweites, wesentliches Problem verbunden: Über diese Instrumente wäre nämlich der Nachweis zu führen, ob das Vorhandensein eines Personmerkmals tatsächlich für die Aufgabenerfüllung notwendig ist oder nicht. Hier kann und muss die Verknüpfung von Arbeitsaufgaben und Personmerkmalen vorgenommen werden. Ohne eine entsprechende Anforderungsanalyse ist es nicht möglich zu prüfen, ob ein Auswahlverfahren mittelbar diskriminierend ist. Wenn es körperliche Anforderungen (Größe, Kraft) sind, denen Frauen nicht im gleichen Maße wie Männer genügen, dann ist eine Arbeitsanalyse umso notwendiger. Denn auch in diesem Fall kann nur mit Hilfe dieses Instruments festgestellt werden, ob durch eine eher geringfügige Modifikation der Arbeitsmittel die Anforderung gesenkt oder ob anderweitig Abhilfe geschaffen werden kann. Sofern ein Unternehmen über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügt, empfiehlt es sich, einen systematischen Arbeitsanalyseprozess im Unternehmen in Gang zu setzen, der im Wesentlichen aus sechs Schritten besteht, die hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden können (vgl. Gatewood/Feild 1990, S. 258ff). Auf folgende Aspekte sei besonders hingewiesen: x Die Anforderungsanalyse sollte von Personen durchgeführt werden, die sowohl die entsprechende Ausbildung als auch Erfahrung für diese Aufgabe mitbringen. x In das mit der Anforderungsanalyse betraute Projektteam ist, sofern vorhanden, die Gleichstellungsbeauftragte aufzunehmen, damit sie über die Einhaltung der gleichstellungspolitischen Ziele wachen kann (vgl. KGSt 1992, S. 18). x Wenn nicht alle Arbeitsplätze eines Unternehmens untersucht werden können, dann zumindest diejenigen, die in überwiegendem Maße von Männern besetzt werden. x Bei der Auswahl derjenigen Personen, die Auskunft über den Arbeitsplatz bzw. die notwendigen Arbeitnehmermerkmale geben sollen, ist auf eine angemessene Berücksichtigung von Frauen zu achten. x Als Arbeitsanalyseinstrument sollte ein sorgfältig entwickeltes, standardisiertes Verfahren eingesetzt werden. Zu denken wäre beispielsweise an das Task Analysis Inventory (vgl. u.a. Gatewood/Feild 1990, S. 296ff) oder den Fragebogen zur Arbeits-
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analyse (vgl. Frieling/Hoyos 1978), der deutschen Version des Position Analysis Questionnaire. x Falls mit der Arbeitsanalyse kein Verfahren zur Merkmalsanalyse verknüpft ist, sollte bei der Merkmalsanalyse auf eine theoretisch gestützte Taxonomie von Personmerkmalen zurückgegriffen werden, denen Beurteilungsskalen mit Ankerpunkten zugeordnet sind. Als Beispiel seien die Ability Requirement Scales genannt (vgl. u.a. Fleishman/Quaintance 1984, S. 306ff). x Auch um den Nachweis führen zu können, dass alles getan wurde, um die Diskriminierung von Frauen zu vermeiden, empfiehlt es sich, alle Tätigkeiten, Schritte, Entscheidungen und Daten des Anforderungsanalyseprojektes zu dokumentieren. Auf eine Arbeitsanalyse kann notfalls verzichtet werden, wenn eine aktuelle Arbeitsplatzbeschreibung vorliegt und diese auch als Grundlage für die Ableitung von Anforderungen geeignet ist. Falls eine solche Arbeitsplatzbeschreibung nicht verfügbar ist, könnte über die Wahl der Analysemethode der personelle und damit finanzielle Aufwand verringert werden. Akzeptabel erschiene es mir, strukturierte, auf Arbeitsaufgaben gerichtete Interviews mit ausgewählten StelleninhaberInnen und deren Vorgesetzten durchzuführen, wobei die InterviewerInnen in diesen Dingen erfahren sein sollten. In einer zweiten Stufe könnte in diesem Kreis dann die Merkmalsanalyse mittels theoretisch gestützter Merkmalslisten (s.o.) vorgenommen werden.
3.2 Personalgewinnung Mit dem Anforderungsprofil ist die Entscheidung über Beschaffungswege und -mittel vorgezeichnet; bei einer weniger systematischen Vorgehensweise wird die Entscheidung hierüber entweder erfahrungsgeleitet, intuitiv oder anderen Zielen folgend getroffen. Personal kann von drei zu unterscheidenden Arbeitsmärkten beschafft werden, dem internen, dem erweiterten internen und dem externen Arbeitsmarkt. Bei dem ersten handelt es sich um die bereits im Unternehmen befindlichen ArbeitnehmerInnen, bei dem zweiten um solche Personen, die im persönlichen Kontakt zu Unternehmensmitgliedern stehen, also deren sozialen Netzwerken angehören; dem dritten Arbeitsmarkt werden alle anderen potenziellen ArbeitnehmerInnen zugerechnet. Als wesentliche Beschaffungsmittel sind die Stellenausschreibung und die Ansprache durch Vorgesetzte für den internen Arbeitsmarkt, die Stellenanzeige (in Zeitungen oder internetbasierten Jobbörsen), der Rückgriff auf ungezielt eingesandte Bewerbungen, das Durchsuchen von internetbasierten Bewerberbörsen und die Einschaltung des Arbeitsamtes oder privater Stellenvermittler für den externen Arbeitsmarkt zu nennen. ArbeitnehmerInnen wurden in der Vergangenheit wesentlich häufiger vom (erweitert-)internen als vom externen Arbeitsmarkt angeworben (vgl. Windolf 1990, S. 3f). Diese Relation dürfte sich angesichts der verschärften Arbeitsmarktsituation in den 1990er Jahren eher noch weiter zu Lasten des externen Arbeitsmarktes verschoben haben. Dieser Trend hat sich, vermutlich ausgelöst durch die knappen Personalbestände vieler Unternehmen, in den letzten Jahren jedoch wieder umgekehrt. Rund die Hälfte der Positionen für Führungs- und
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Führungsnachwuchskräfte in gewerblichen Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigten wurden extern ausgeschrieben (vgl. Kay 2007, S. 66f). Die Entscheidung über Beschaffungswege und -mittel ist im Zusammenhang möglicher Diskriminierung von Frauen von erheblicher Bedeutung, weil auf diesem Wege darüber entschieden wird, ob Bewerberinnen weniger stark angesprochen werden (sollen) als Bewerber. Als problematisch können folgende vier Vorgehensweisen genannt werden: x keine geschlechtsneutrale Ausschreibung von Stellen trotz des Verbotes durch § 611b BGB bzw. neuerdings durch § 11 AGG; dies traf auf gut ein Drittel der von Michel E. Domsch und Uta B. Lieberum (1996, S. 77) analysierten Stellenanzeigen für Fach- und Führungspositionen zu. Solche Stellenanzeigen können von potenziellen Bewerberinnen als Signal aufgefasst werden, als Frau keine Chance im Auswahlverfahren zu haben, woraufhin sie sich gar nicht erst bewerben; x interne Beschaffung: Sofern der Frauenanteil an den bereits Beschäftigten unterproportional ist, wird dieser Zustand bei einer internen Beschaffung zwangsläufig aufrechterhalten. Während Frauen früher seltener über diesen Kanal rekrutiert wurden als Männer (vgl. Windolf 1990, S. 7), hat dies allerdings heute zumindest für weibliche Führungskräfte keine Gültigkeit mehr (vgl. Kay 2007, S. 82f). Dies nimmt dem Problem die Schärfe; x Rekrutierung über den erweiterten internen Arbeitsmarkt. Dies könnte ebenfalls zu einem Geschlechterungleichgewicht im Bewerberpool führen, denn Frauen werden seltener als Männer über informelle Kanäle rekrutiert (vgl. Kirnan u.a. 1989); x Aufgeben von Stellenanzeigen in solchen Publikationen, die regelmäßig seltener von Frauen als von Männern gelesen werden (vgl. Kania/Merten 2007, S. 10). Um den Anteil von Frauen im Bewerberpool zu erhöhen, stehen mehrere Maßnahmen zur Verfügung, die in zwei Kategorien zusammengefasst werden können: erstens die weitest mögliche Bekanntmachung offener Stellen (vgl. auch Kay 2007, S. 68f) sowie zweitens die Ermutigung von Frauen, sich zu bewerben. Die Wirkung dieser Maßnahmen lässt sich erhöhen, indem sie (je nach Unternehmenssituation und der zu besetzenden Stelle) miteinander kombiniert werden. In die erste Kategorie fallen die folgenden Maßnahmen: x Stellen immer (auch) extern ausschreiben; x bei entsprechender Größe der Organisation und hohen Anforderungen an die BewerberInnen Stellenanzeigen (auch) in überregionalen Zeitungen/Zeitschriften schalten; x Alternative (nicht nur) für kleinere Unternehmen: Einschaltung der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit; deren Zentralstelle für Arbeitsvermittlung wie der Fachvermittlungsdienst für HochschulabsolventInnen sind auch überregional tätig; x mehrere Rekrutierungskanäle gleichzeitig nutzen: Neben den bereits genannten kommen in Abhängigkeit von der zu besetzenden Stelle Personalberatungsunternehmen und andere private Vermittlungsagenturen, die Nutzung von Job- und Bewerberbörsen sowie Kontakte zu Bildungseinrichtungen infrage. Zweitens können Frauen auf verschiedene Weise ermutigt werden, sich zu bewerben:
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x bei interner Rekrutierung: aktive Ansprache von potenziell geeigneten Frauen durch Vorgesetzte und/oder die Personalabteilung; x bei internen wie auch externen Stellenausschreibungen: Hinzufügen der besonderen Aufforderung an Frauen, sich zu bewerben; x im Rahmen des Personalmarketings: Schaffung eines frauenfreundlichen Images.
3.3 Personalauswahl In Kenntnis des Anforderungsprofils ist zu entscheiden, mittels welcher Auswahlinstrumente das Vorhandensein welcher Merkmale bei BewerberInnen sinnvollerweise überprüft werden kann. Das auswählende Unternehmen muss anschließend klären, ob es über diese Auswahlinstrumente verfügt und ggf. vorhandene modifizieren oder neue entwickeln (lassen). Denn standardisierte, für alle zu besetzenden Arbeitsplätze anwendbare Auswahlinstrumente kann es naturgemäß nicht geben. Solch ein idealtypisches Vorgehen ist allerdings in der Praxis äußerst selten anzutreffen. Meist werden vorhandene Instrumente ungeprüft übernommen. Beim Einsatz der verschiedenen Auswahlinstrumente kann die Diskriminierung von Frauen weitgehend vermieden werden, wenn mit ihnen nur solche Personmerkmale überprüft werden, die als relevant für den Arbeitsplatz ermittelt wurden. Diese Arbeitsplatzrelevanz ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine diskriminierungsarme Personalauswahl. Mit den im Anschluss an die Analyse der einzelnen Auswahlinstrumente abgegebenen Gestaltungsempfehlungen soll der Grundsatz der Arbeitsplatzrelevanz konkretisiert werden, sprich: Welche Merkmale sollen nicht berücksichtigt werden und wie müssen die Instrumente ausgestaltet sein, um zu verhindern, dass irrelevante Aspekte in die abschließende Beurteilung einfließen.
3.3.1 Analyse der Bewerbungsunterlagen Bewerbungsunterlagen, das sind i.d.R. das Anschreiben, der Lebenslauf, Schul-, Ausbildungs- und Arbeitszeugnisse, ein Portraitfoto sowie ggf. Referenzen und Arbeitsproben, geben nur in geringem Umfang Auskunft über die BewerberInnen, weil viele der im Anforderungsprofil festgelegten Merkmale mit diesem Instrument nicht erfasst werden. Sichere Schlüsse lassen sich meist nur über formale Kriterien ziehen, die mittels Zertifikaten nachgewiesen werden. Darüber hinausgehende Schlussfolgerungen über Fähigkeiten und Eigenschaften können aus verschiedenen Gründen sehr stark fehlerbehaftet sein. Dies hinderte viele Unternehmen in der Vergangenheit nicht daran, Bewerbungsunterlagen nach vielfältigen Kriterien durchzusehen, auch immer noch nach dem Geschlecht der BewerberInnen (vgl. Knoll/Dotzel 1996, S. 349). Inwieweit sich durch das AGG die Zusammensetzung und der Umgang mit den Bewerbungsunterlagen verändern werden, bleibt abzuwarten. Aber auch, wenn das Geschlecht kein bewusst angelegtes Beurteilungskriterium ist, fließt es gelegentlich in die Bewertung anderer Auswahlkriterien ein.
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Qualifikationen oder demographische Merkmale beispielsweise erfahren eine unterschiedliche Einschätzung je nach Geschlecht der BewerberInnen. x Das Alter verringert – wenn überhaupt – nur im Zusammenwirken mit anderen Merkmalen in der Person oder deren Lebensumständen – z.B. kein kontinuierliches Arbeitsleben – die Einstellungschancen von Frauen im Vergleich zu Männern. x Die Aspekte Familienstand, vorhandene und geplante Kinder wirken sich unterschiedlich auf die Einstellungschancen von Frauen und Männern aus, insbesondere wenn es um die Besetzung von höher qualifizierten Positionen durch Personen jüngeren und mittleren Alters geht. Mit diesen Kriterien verknüpft sich die Angst, die Mitarbeiterin verursache zusätzliche Kosten und/oder bliebe dem Betrieb nicht ausreichend lange erhalten. Dass gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen ein Unternehmen häufiger verlassen als gut qualifizierte Arbeitnehmer, lässt sich empirisch nicht nachweisen. Auch die aus Schwanger- und Mutterschaft resultierenden Kosten sind im Normalfall von einem Unternehmen verkraftbar; kleine Unternehmen mit nicht mehr als 20 Beschäftigten werden über eine Entgeltfortzahlungsversicherung entlastet. Die noch immer verbreiteten Ängste von Personalverantwortlichen sind großteils nicht berechtigt. x Bei der Analyse von Lebensläufen wird der beruflichen Kontinuität eine relativ große Bedeutung beigemessen. Lebensläufe von Frauen weisen wesentlich häufiger Unterbrechungen und/oder Brüche auf, so dass dieses Analysekriterium die Einstellungschancen von Frauen deutlich reduziert. Wenn die berufliche Kontinuität gleichbedeutend mit Berufserfahrung ist und Letztere für den zu besetzenden Arbeitsplatz in dem geforderten Maße notwendig ist, dann ist dieses Kriterium nicht als diskriminierend zu bewerten. Anders sieht es aus, wenn aus ihm andere Eigenschaften abgelesen werden sollen. x Aus den beigefügten Zeugnissen können Schlüsse über vorhandene Qualifikationen gezogen werden. Zwar haben die jüngeren Frauengenerationen das früher bestehende Qualifikationsdefizit hinsichtlich des Niveaus der Abschlüsse mehr als ausgeglichen. Deutliche Unterschiede sind aber nach wie vor bei den Ausbildungsrichtungen zu registrieren. Ob aus den hieraus resultierenden geringeren Einstellungschancen von Frauen bei eher männertypischen Arbeitsplätzen Diskriminierung abgeleitet werden kann, hängt von den notwendigen Qualifikationen ab. Gerade hier ist eine fundierte Anforderungsanalyse notwendig; ansonsten kann mit dem Qualifikationsargument jede Diskriminierung von Bewerberinnen begründet und somit vertuscht werden. Von besonderem Interesse ist, ob Bewerber und Bewerberinnen mit gleichen Qualifikationen gleichbehandelt werden. Aus den vorliegenden Studien kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Männer grundsätzlich begünstigt würden (vgl. z.B. Powell 1987). Wenn eine Benachteiligung von Frauen festzustellen ist, dann vor allem, wenn sich der Personalverantwortliche zwischen einem Mann und einer Frau entscheiden muss. Studien, in denen die Reaktion von Unternehmen auf – fiktive – Bewerbungen von gleich qualifizierten BewerberInnen auf reale Stellenausschreibungen untersucht wird, stützen diesen Befund, zeigen zugleich aber auch, dass andere Merkmale (ethnische Zugehörigkeit, Geschlechtsrollenstereotype oder Geschlechtstypisierung der zu besetzende Stelle) teils von größerer Bedeutung für eine
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diskriminierende Vorauswahlentscheidung sind als das Geschlecht (vgl. z.B. Akman u.a. 2005; Weichselbaumer 1999; Riach/Rich 1995). In nahezu allen Stellenanzeigen wird ein Bewerbungsfoto angefordert, obwohl ihm weder relevante Informationen zu entnehmen sind, noch sonstige Funktionen zugeordnet werden können. Bedeutsamer ist jedoch, dass aufgrund des Fotos ein Urteil über die körperliche Attraktivität der BewerberInnen getroffen wird, das in die Einstellungsentscheidung einfließt: Attraktive BewerberInnen werden als qualifizierter eingestuft als unattraktive BewerberInnen. Diese Begünstigung gilt i.d.R. für Personen beiderlei Geschlechts. Wenn sich ein attraktiver Bewerber und eine attraktive Bewerberin gegenüberstehen, wird, wenn es überhaupt zu einer Bevorzugung kommt, der Bewerber begünstigt (vgl. z.B. Dipboye 1992, S. 68f). Ebenso werden unattraktive Bewerber unattraktiven Bewerberinnen vorgezogen (vgl. Graves 1999, S. 154).Weder das Geschlecht der auswählenden Person, noch ihr Geschlechterstereotyp oder ihre Geschlechtsrollenorientierung wirken sich auf die Auswahlentscheidung aus. Von größerer Bedeutung könnte der Frauenanteil am Bewerberpool sein; wenn er etwa 25% nicht überschreitet, kann eine schlechtere Beurteilung von Frauen nicht ausgeschlossen werden. Gleiche Chancen für Männer und Frauen, die Hürde der Vorauswahl zu nehmen, können mit Hilfe folgender Maßnahmen hergestellt werden: x inhaltliche Beschränkung der Analyse auf die Anforderungen, die als wesentlich ermittelt wurden und für die die Bewerbungsunterlagen das geeignete Diagnoseinstrument darstellen, also hauptsächlich Überprüfung formaler Kriterien; x dies bedeutet: Verzicht auf die Auswertung nicht arbeitsplatzrelevanter Lebenslaufdaten, wie Familienstand, vorhandene Kinder, Hobbys, Herkunftsfamilie usw., d.h. Unkenntlichmachung beim Eingang der Unterlagen; x Verzicht auf das Einholen von Bewerbungsfotos (außer bei solchen Berufen, bei denen es tatsächlich auf das Aussehen ankommt, nämlich bei SchauspielerInnen und Models). Falls dennoch ein Foto mitgeschickt wird, Entfernung des Fotos vor Durchsicht der Unterlagen; x Dokumentation der Auswahl, indem auf einem Übersichtsbogen die relevanten Kriterien samt den Ausprägungen der einzelnen KandidatInnen abgetragen werden. Die Beschränkung auf wenige Auswahlkriterien kann dazu führen, dass zu viele Bewerbungen für den weiteren Auswahlprozess übrig bleiben. Um zu verhindern, dass arbeitsplatzirrelevante Kriterien in die Beurteilung einfließen, böte es sich an, aus den verbliebenen Bewerbungen die gewünschte Anzahl von Bewerbungen zu losen. Diese Vorgehensweise hat den Vorzug, wenig zeit- und kostenaufwendig zu sein. Strebt eine Organisation eine stärkere Frauenförderung an (wie es in einigen Landesgleichstellungsgesetzen festgelegt ist), könnte das Verfahren in der Weise modifiziert werden, dass alle Bewerbungen von Frauen, die die Voraussetzungen erfüllen, berücksichtigt werden und nur noch aus den Bewerbungen der Männer gelost wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, vor dem Losen eine zu erreichende Quote festzulegen. Zu bedenken bleibt bei diesen Vorgehensweisen jedoch, dass ihre rechtliche Zulässigkeit nicht abschließend geklärt ist.
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3.3.2 Testverfahren und Arbeitsproben Die vielen psychologischen Testverfahren, die in der Berufseignungsdiagnostik eingesetzt werden, können in drei Kategorien eingeteilt werden: Leistungs-, Intelligenz- und Persönlichkeitstests. Arbeitsproben werden gelegentlich den Leistungstests zugeordnet, aber auch als eigenständige Kategorie eignungsdiagnostischer Verfahren aufgefasst. Schul- und Berufseignungstests waren es, die Mitte der 1960er Jahre in den USA die Diskussion darüber auslösten, ob sie oder andere eignungsdiagnostische Verfahren fair gegenüber Angehörigen von Minderheitengruppen sind. Infolge der teils sehr heftigen Debatte wurden Berufseignungstests immer seltener verwendet. Nach über 30 Jahren Forschung muss jedoch festgestellt werden, dass die Tests (mit Ausnahme einer Vielzahl von Persönlichkeitstest) – zumindest in Bezug auf ihre Fairness – zu Unrecht in Misskredit geraten sind. Eine Benachteiligung von Frauen durch die in den USA untersuchten Tests (gemessen an ihrer Prognosevalidität) konnte jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Für die Bundesrepublik Deutschland liegen m.W. keine vergleichbaren Untersuchungen im berufseignungsdiagnostischen Bereich vor (vgl. Wacker 1983, S. 32). Dass in diesem Lande eine völlig andere Situation vorliegen könnte, darauf weist nichts hin. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder vorhandene Test bedenkenlos eingesetzt werden könnte. Um Missverständnissen vorzubeugen bzw. um Hilfestellung bei der Klärung der Frage zu leisten, ob ein vorliegender Test Frauen diskriminiert, folgende grundsätzliche Überlegungen: Tests bzw. Testergebnisse als solche können nicht unfair sein oder diskriminieren, sondern nur ihre Anwendung. Unterschiedliche Testergebnisse von Frauen und Männern können zwei Ursachen haben: Entweder spiegeln sie die wahren Unterschiede wider oder sie sind durch eine Verzerrung des Tests künstlich hervorgerufen. Diese Frage kann mittels einer Validitätsuntersuchung geklärt werden. Verfügt der Test über eine vergleichbare Prognosevalidität für Männer und Frauen, dann sind die durch den Test festgestellten Unterschiede tatsächlich vorhanden; andernfalls stellen sie ein Artefakt dar (das eine Modifikation des Tests oder unterschiedliche Schwellenwerte für Frauen und Männer erfordert). Ein unverzerrter Test kann dennoch (mittelbar) diskriminierend wirken, nämlich dann, wenn mit seiner Hilfe Fähigkeiten geprüft werden, die für den in Frage stehenden Arbeitsplatz irrelevant sind. Arbeitsproben erfreuen sich wegen ihres sichtbaren Bezugs zum Arbeitsplatz einer hohen Akzeptanz bei BewerberInnen und stehen – sofern sie repräsentativ für die Arbeitstätigkeit und mit angemessenen Beurteilungsverfahren verbunden sind – in dem Ruf, nicht diskriminierend zu wirken (vgl. Robertson/Kandola 1982). Die Fairness von Tests kann durch entsprechende Maßnahmen bei der Entwicklung und bei der Anwendung von Tests erhöht werden (vgl. u.a. Feltham/Smith 1993). Bei der Entwicklung von Tests sind folgende Empfehlungen nacheinander zu berücksichtigen: x Entwicklung von Tests nur durch solche Personen, die sowohl die entsprechende Ausbildung als auch Erfahrung für diese Aufgabe mitbringen; x inhaltliche Beschränkung des Tests auf die Merkmale, die als wesentlich ermittelt wurden und für die Tests das geeignete Diagnoseinstrument darstellen;
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x Durchsicht der entwickelten Testaufgaben (und -anweisungen) von einem gemischtgeschlechtlichen Team dahingehend, ob sie ein Geschlecht begünstigen; ggf. entsprechende Veränderungen vornehmen; x angemessene Repräsentanz von Frauen in der sog. Analysestichprobe (dies ist eine möglichst repräsentative Stichprobe der zukünftigen TestteilnehmerInnen, die die vorläufige Testversion bearbeitet); x Auswertung der Testergebnisse (sog. Aufgabenanalyse): Vergleich der Testergebnisse von Frauen und Männern mittels entsprechender statistischer Verfahren (vgl. z.B. Angoff 1982); diejenigen Testaufgaben, die ein Geschlecht begünstigen, werden aus dem Test entfernt (sog. Aufgabenselektion); x Normierung der endgültigen Testversion, nachdem eine neue repräsentative Personengruppe (sog. Eichstichprobe), in der Frauen wiederum angemessen vertreten sein sollten, diese bearbeitet hat: entweder Festlegung geschlechtsspezifischer Normen oder Festlegung geschlechtsspezifischer Normen unter Hinzuziehung der Prognosevalidität der beiden Geschlechtergruppen (vgl. Hartigan/Wigdor 1989, S. 261 ff); x Dokumentation aller Tätigkeiten, Schritte, Entscheidungen und Daten der Testentwicklung, auch um den Nachweis führen zu können, dass alles getan wurde, um die Diskriminierung von Frauen zu vermeiden, vor allem aber, um den späteren TestanwenderInnen einen fairen Gebrauch des Tests zu ermöglichen. Bei der Anwendung von Tests sind folgende Aspekte zu beachten: x grundsätzlicher Verzicht auf projektive Persönlichkeitstests (z.B. Rohrschachtest); x Überprüfen, ob der einzusetzende Test die Merkmale misst, die für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sind und ob er nur diese Merkmale erfasst. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte dieser Test nicht zum Einsatz kommen; x Überprüfen der Prognosevalidität, und zwar differenziert nach Geschlecht der Testpersonen. Falls der Test keine ausreichende Validität für den zu besetzenden Arbeitsplatz aufweist, ist auf seine Anwendung zu verzichten; falls eine unterschiedliche Validität für Männer und Frauen festgestellt wird (was nicht sehr wahrscheinlich ist), ist eine Anpassung der Schwellenwerte notwendig. Viele Konstrukteure deutschsprachiger Tests haben dem Nachweis der Validität für die angegebenen Einsatzzwecke nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Wacker 1983, S. 7), so dass eine Befolgung der letztgenannten Empfehlung nahezu unmöglich ist. Da der Nachweis der Validität eines Tests nicht nur in Hinsicht auf die Diskriminierung von Frauen von grundlegender Bedeutung ist, sollte ein entsprechender Druck auf die Testkonstrukteure ausgeübt werden. Andernfalls ist ein Einsatz von Tests kaum zu rechtfertigen.
3.3.3 Einstellungsgespräche Einstellungsgespräche sind selten als standardisierte Auswahlinstrumente konzipiert; meist werden sie in eher freier Form durchgeführt. Dies führte seitens der Forschung zu harscher Kritik, die der Beliebtheit des Interviews in der Praxis jedoch nichts anhaben
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konnte. Freie oder auch teilstandardisierte Interviews sind – unabhängig von der Anzahl der daran beteiligten Personen –, so liegt es nahe zu vermuten, für Beurteilungsverzerrungen (auch nach dem Geschlecht der BewerberInnen) anfällig. Diese Vermutung kann durch die aus dem englischsprachigen Raum vorliegenden Studien (die in aller Regel jedoch keine freien Interviews zum Gegenstand hatten) nicht bestätigt werden; die Mehrzahl der Untersuchungen zeitigte keine Unterschiede in den Bewertungen von Kandidaten und Kandidatinnen. Und den Studien, die eine Begünstigung von Männern zum Ergebnis hatten, steht eine gleich große Anzahl von Studien gegenüber, in denen Frauen bevorzugt wurden. Unterschiede, die sich jedoch nicht auf die abschließende Entscheidung auswirken, sind eher in vorgelagerten Beurteilungsstufen feststellbar (vgl. Kay 1998, S. 220ff). Das Geschlecht der InterviewerInnen, das von ihnen gehaltene Geschlechtsrollenstereotyp, ihr Alter oder die Gleichheit des Geschlechts von InterviewerInnen und BewerberInnen sind unerheblich für die Auswahlentscheidung. Lediglich für hochautoritäre InterviewerInnen konnte eine Bevorzugung von Bewerbern festgestellt werden (vgl. Simas/McCarrey 1979). Freie Interviews – also wenn die InterviewerInnen sich an keine Vorgaben hinsichtlich Inhalt und Reihenfolge der Fragen oder der Bewertung von Antworten halten müssen – bieten fraglos Möglichkeiten, Frauen (wohl eher bewusst) zu diskriminieren, z.B. indem Fragen nach Schwangerschaft oder Kindern gestellt werden oder indem bestimmte Fragen, die dazu geeignet sind, die Qualifikation deutlich in Frage zu stellen, ausschließlich an Frauen gerichtet werden. Zwar konnten nur wenige Hinweise für eine dem Einstellungsgespräch innewohnende Diskriminierungsanfälligkeit gefunden werden. Empfehlungen für eine methodische Verbesserung des Einstellungsinterviews sollen hier dennoch gegeben werden (vgl. u.a. Dipboye 1992, S. 200ff): x inhaltliche Beschränkung des Interviews auf die Anforderungen, die als wesentlich ermittelt wurden und für die das Einstellungsgespräch das geeignete Diagnoseinstrument darstellt; x Beschränkung der InterviewerInnen auf solche Informationen aus den Bewerbungsunterlagen oder anderen vorgelagerten Auswahlinstrumenten, die sich auf die Anforderungen beziehen, die im Interview überprüft werden sollen; x weitestgehende Standardisierung des Inhalts und der Reihenfolge der zu stellenden Fragen. Minimierung von Anschlussfragen, um zu verhindern, dass auf diesem Wege nicht arbeitsplatzrelevante Aspekte in die Beurteilung einfließen; x Orientierung der Frageformulierung an den Gegebenheiten der Stelle (Arbeitsplatzbezug). Wenn z.B. sog. situative Fragen gestellt werden, sollten die mit den Fragen simulierten Situationen am betreffenden Arbeitsplatz auch auftreten; x Strukturierung der Bewertung der einzelnen KandidatInnen mit Hilfe von Beurteilungsskalen, die mit Beispielen versehen werden können, oder verhaltensverankerter Skalen. Trennung von Informationssammlung und -bewertung, indem die InterviewerInnen die Antworten der BewerberInnen während des Gesprächs aufzeichnen und erst nach Beendigung des Gesprächs bewerten;
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x Beteiligung mehrerer InterviewerInnen an dem Gespräch, die sinnvollerweise sowohl der Fach- als auch der Personalabteilung entstammen sollten. In Hinsicht auf die Gesprächsatmosphäre ist die Beteiligung beider Geschlechter als förderlich anzusehen; x Öffentlicher Dienst: Hinzuziehung der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten, die während des Gesprächs ihre Kontrollfunktion wahrnehmen kann; x Auswahl fähiger InterviewerInnen (mittels eines entsprechenden Personalauswahlverfahrens) mit gering ausgeprägten Geschlechterstereotypen; Schulung dieser Personen auch mit dem Ziel, sie für die Problemlage zu sensibilisieren.
3.3.4 Assessment Center Assessment Center (AC) werden aufgrund des mit ihnen verbundenen hohen Aufwandes überwiegend zur Auswahl und Potenzialbeurteilung von Führungs- und Führungsnachwuchskräften eingesetzt. AC sind durch ihre Mehrdimensionalität gekennzeichnet, d.h. mehrere BewerberInnen werden gleichzeitig von mehreren Personen beobachtet und beurteilt, während sie verschiedene Übungen durchlaufen. Solche AC dauern in etwa zwei bis drei Tage an und sollen, wie alle anderen Auswahlinstrumente auch, auf die Anforderungen des auswählenden Unternehmens und der zu besetzenden Positionen ausgerichtet sein. In ein AC können letztlich alle eignungsdiagnostischen Verfahren integriert werden. Die zwei am häufigsten eingesetzten Übungen sind die sog. Postkorbübung und die führerlose Gruppendiskussion (vgl. Schuler 2000, S. 122). Neben weiteren Gruppenübungen, Rollenspielen, Arbeitsproben sowie Vorträgen und Präsentationen finden auch Interviews und Tests Eingang ins AC. Eine Untersuchung des AC hinsichtlich einer möglichen Diskriminierung von Frauen kann an dem AC als Ganzem oder an den einzelnen Verfahrensbestandteilen ansetzen. Alle dazu vorliegenden Studien belegen durchgängig, dass Kandidatinnen im AC gleich oder sogar besser beurteilt werden als Kandidaten (vgl. z.B. Moses/Boehm 1975). Vorausgesetzt, die KandidatInnen wären gleich qualifiziert, was aufgrund des Feldcharakters der meisten Studien nicht genau festgestellt werden kann, deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass die untersuchten AC fair sind. Dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein, denn die einzelnen Verfahrensbestandteile könnten in sich unfair sein, sich aber in der Summe ausgleichen. Bedauerlicherweise liegen zu den einzelnen Übungen kaum Untersuchungen vor. Helen Baron und Karen Janman (1996, S. 74f) halten es nach Auswertung verwandter Untersuchungen für möglich, dass Frauen bei der Postkorbübung aufgrund ihres stärker ausgeprägten schriftlichen Präsentations- und Ausdrucksvermögens begünstigt werden. Eine geringfügige Benachteiligung von Frauen könnte bei Übungen auftreten, die in Gruppen stattfinden, in denen Frauen deutlich unterrepräsentiert sind; sie zeigen dann ein schwächer ausgeprägtes Führungsverhalten als üblicherweise (vgl. Baron/Janman 1996, S. 77). Zu Einstellungsinterviews und Tests als Bestandteil eines AC liegen keine Untersuchungen vor; es müssen folglich die allgemeinen Ergebnisse übertragen werden, und die 190
sprechen für eine eher geringfügige Benachteiligung von Frauen durch diese Instrumente. Das Geschlecht der BeobachterInnen spielt – wie bei der Durchsicht der Bewerbungsunterlagen oder dem Einstellungsinterview – eine geringe Rolle. Auch die Höhe des Teilnehmerinnenanteils an einem AC macht sich nur sehr geringfügig bemerkbar (vgl. Schmitt 1993, S. 320f). Die in den erwähnten Studien untersuchten Assessment Center haben sich als kaum frauendiskriminierend erwiesen. Damit auch von anderen, in der Praxis eingesetzten AC ein solch geringes Diskriminierungspotenzial ausgeht, sollten folgende Empfehlungen berücksichtigt werden (vgl. auch Schuler 2000, S. 129f): x kein blinder Rückgriff auf vorhandene AC; stattdessen für die Anforderungen, die als wesentlich ermittelt wurden, passende Übungen/Aufgaben auswählen oder entwickeln; x Verwendung einer möglichst großen Zahl an Aufgaben, wobei Tests und strukturierte Interviews nicht fehlen sollten; x Orientierung der Übungen an den Gegebenheiten der zu besetzenden Position (Arbeitsplatzbezug). Häufig wird dieser nur postuliert; x Auswahl fähiger BeobachterInnen mit gering ausgeprägten Geschlechterstereotypen; dies sollten neben Führungskräften des Unternehmens auch PsychologInnen sein. Hinsichtlich der Atmosphäre während des AC erscheint eine angemessene Beteiligung von Beobachterinnen als förderlich; Schulung der BeobachterInnen auch mit dem Ziel, sie für die Problemlage zu sensibilisieren.
3.4 Auswahlentscheidung Nach dem Einsatz der Auswahlinstrumente liegt eine Vielzahl quantitativer und qualitativer Daten über die einzelnen BewerberInnen vor, die miteinander verknüpft werden müssen, um zu einem endgültigen Eignungsurteil zu kommen. Liegt dieses vor, steht die letztliche Auswahlentscheidung an. Idealerweise sollte diese auf rationalen Entscheidungsregeln beruhen; die Gefahr unfairer Diskriminierung von Frauen ist dann nur schwach ausgeprägt. Problematisch wird es dann, wenn, wie bereits angesprochen, nur eine Stelle besetzt werden soll und es mehrere gleichermaßen geeignete Bewerber und Bewerberinnen gibt. Aber auch in einem solchen Fall helfen rationale Entscheidungsregeln: Entweder wird gelost oder die Bewerberin wird bewusst bevorzugt, sofern Frauen in dem einzustellenden Bereich unterrepräsentiert sind. Letzteres schreibt eine Reihe von Landesgleichstellungsgesetzen vor.
4. Fazit Die Analyse der einzelnen Schritte des Personalauswahlprozesses hat deutlich gemacht, dass sich an vielen Stellen eine Diskriminierung von Frauen einschleichen kann. Zwar hat sich auch gezeigt, dass den einzelnen Instrumenten der Personalauswahl als solchen kein allzu starkes Diskriminierungspotenzial innewohnt. Im Zusammenwirken dieser 191
Instrumente, insbesondere bei Missachtung der Anforderungsanalyse und einer nicht ausreichenden Ansprache von Frauen bei der Personalgewinnung, kann sich dennoch eine nachhaltige Benachteiligung von Frauen ergeben. Die Ursachen dieser Benachteiligung liegen jedoch nicht in dem Personalauswahlverfahren. Dieses ist nur ein Ausdruck dieser Ursachen. Als ganz wesentlich sehe ich zwei Gesichtspunkte an, die Geschlechtstypisierung von Arbeitsplätzen und die weiterhin vorherrschende Zuweisung der Familienarbeit an die Frauen. Diese beiden Gesichtspunkte sind in den Köpfen von Personalverantwortlichen verankert. Sie verfügen über ein großes Beharrungsvermögen und können nicht mittels eines verbesserten Personalauswahlverfahrens verändert werden. Dennoch: Eine Offenlegung aller Schritte und Entscheidungen innerhalb eines solchen Verfahrens, verbunden mit einer methodisch abgesicherten Vorgehensweise, objektiviert die Entscheidungen und verringert die mikropolitischen Einflussmöglichkeiten der an der Entscheidung beteiligten Personen. Vor diesem Hintergrund ist die Verabschiedung der DIN 33430 „Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen“ im Jahre 2002 zu begrüßen, deren verstärkte Anwendung nicht nur zu einer deutlichen Reduzierung der beklagten Mängel in der eignungsdiagnostischen Praxis, sondern – da in ihr wesentliche in diesem Beitrag genannte Gestaltungsempfehlungen enthalten sind – auch zu einer Verringerung des Diskriminierungspotenzials führen könnte.
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Gertraude Krell
Diskriminierungs- und Gleichstellungspotenzial von Leistungsbeurteilungen 1. Funktionen von Leistungsbeurteilungen 2. Gesetzliche Regelungen 2.1 … zum Diskriminierungspotenzial 2.2 … zum Gleichstellungspotenzial
3. Diskriminierungspotenzial erkennen und reduzieren 3.1 Erkenntnisse aus Problemanalysen 3.2 Lösungsvorschläge
4. Gleichstellungspotenzial erkennen und aktivieren 5. Schlussbemerkung Literatur
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] 195
1. Funktionen von Leistungsbeurteilungen In der Fachliteratur werden zwei Varianten von Personalbeurteilungen unterschieden: die rückwärtsgerichtete Leistungsbeurteilung und die vorwärtsgerichtete Potenzial- oder Verwendungsbeurteilung (vgl. z.B. Becker 2003, S. 160f). In diesem Beitrag geht es nur um die erstgenannte Variante, die gleichstellungspolitisch besonders bedeutsam ist. Die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung beeinflussen sowohl die „Verwendung“ bzw. Selektion von MitarbeiterInnen – z.B. im Hinblick auf Weiterbildung (s.a. Ebner/ Bausbacher in diesem Band), Aufstiegspositionen (s.a. meinen einleitenden Beitrag in diesem Band), aber auch Personalabbau (s.a. Graue/König in diesem Band) – als auch die Verteilung leistungsabhängiger Entgeltbestandteile (s.a. Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Eine weitere wichtige Funktion, ihre Motivationsfunktion, können Leistungsbeurteilungen nur erfüllen, wenn sie von den Beurteilten als fair empfunden werden. Hinzu kommen gesetzliche Regelungen, die vorschreiben, dass Leistungsbeurteilungen nicht diskriminierend sein dürfen (s.u. 2.1). All das spricht dafür, vorhandene oder geplante Leistungsbeurteilungen auf ihr Diskriminierungspotenzial zu untersuchen und dieses ggf. zu reduzieren (s.u. 3.). Wenn über die Reduzierung von Diskriminierungspotenzial hinaus das Gleichstellungspotenzial von Leistungsbeurteilungen erkannt und aktiviert wird, können diese auch die Gleichstellungsmotivation, insbesondere von Führungskräften, erhöhen. Auch dazu werden gesetzliche Regelungen (s.u. 2.2) und Gestaltungsvorschläge vorgestellt (s.u. 4.).
2. Gesetzliche Regelungen 2.1 … zum Diskriminierungspotenzial In deutschen Gesetzen, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten bzw. die Gleichbehandlung oder -stellung von Frauen und Männern gebieten, werden Leistungsbeurteilungen i.d.R. nicht explizit thematisiert. Eine Ausnahme bilden einige gesetzliche Regelungen für den Öffentlichen Dienst. Dort ist allerdings, wenn von Beurteilungen die Rede ist, nicht erkennbar, ob Leistungs- und/ oder Potenzialbeurteilungen gemeint sind. So heißt es z.B. in § 3 Abs. 2 des Niedersächsischen Landesgleichstellungsgesetzes (LGG): „Frauen dürfen durch die Anwendung von Auswahl- und Beurteilungsmerkmalen weder unmittelbar noch mittelbar diskriminiert werden“. In die gleiche Richtung gehen Vorschriften, was bei der Feststellung der „Qualifikation“ (hier verstanden als Oberbegriff für Eignung, Leistung und Befähigung) berücksichtigt werden darf und was nicht. So bestimmt z.B. § 9 Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), dass sich die Feststellung der Qualifikation „ausschließlich nach den Anforderungen der zu besetzenden Arbeitsplätze (bestimmt)“. Bei einer „vergleichenden Bewertung“ nicht berücksichtigt werden dürfen u.a. Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit, Reduzierung der Arbeitszeit aufgrund der Wahrnehmung von Familienpflichten sowie zeitliche Belastungen durch familiäre Betreuungsaufgaben
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oder die Absicht, von der Möglichkeit der Arbeitsreduzierung Gebrauch zu machen (ähnlich: § 4 Abs. 4 des Bremer und § 8 Abs. 3 und 4 des Berliner LGG). Aber auch in Gesetzen, in denen nicht explizit von (Leistungs-)Beurteilungen die Rede ist, finden sich dafür relevante Bestimmungen, und zwar: x erstens – aufgrund der o.g. Funktionen – Verbote der Diskriminierung bzw. Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, die den Zugang zur Weiterbildung, den beruflichen Aufstieg und das Arbeitsentgelt betreffen, wie z.B. § 2 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Dementsprechend wird in Handlungsanleitungen zu dessen Umsetzung auch explizit auf die Leistungsbeurteilung eingegangen (vgl. z.B. Oechsler/Klarmann in diesem Band; Stuber 2006, S. 86, 141); x zweitens generelle Verbote der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die sich an Arbeitgeber und/oder die Interessenvertretung der Beschäftigten richten, wie z.B. die §§ 1 und 7 AGG, § 75 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und § 67 Abs. 1 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG). Ebenso wie das erwähnte Niedersächsische LGG verbietet das AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierung bzw., wie es dort heißt: Benachteiligung, aufgrund des Geschlechts (u.a. Merkmale): Eine unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung liegt dem AGG zufolge vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts „eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Fall einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor“ (§ 3 Abs. 1). Eine mittelbare (Geschlechts-)Diskriminierung „liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes (u.a. Geschlecht, G.K.) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ (§ 3 Abs. 2). Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass mit Blick auf Leistungsbeurteilungen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verboten ist. Daraus folgt, dass auch scheinbar geschlechtsneutrale Kriterien, Verfahren und Praktiken einer Diskriminierungsprüfung unterzogen werden müssen. Noch einmal explizit erwähnt und betont werden sollen schließlich auch die gesetzlich fixierten Mitbestimmungsrechte des Betriebs- bzw. Personalrates (vgl. z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und § 76 Abs. 3 Nr. 3 BPersVG).
2.2 … zum Gleichstellungspotenzial Regelungen dazu finden sich in den Gleichstellungsgesetzen einiger Länder (für einen kommentierten Überblick vgl. Schiek u.a. 2002; für eine aktuellere Zusammenstellung: de.wikipedia.org/wiki/Landesgleichstellungsgesetz#Geschlechter-Gleichstellung):
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§ 17 des Bremer LGG heißt explizit „Leistungsbeurteilung“. Er lautet: „Im öffentlichen Dienst sind Erfolge und Misserfolge bei der Umsetzung dieses Gesetzes im Rahmen der Leistungsbeurteilung der in den Dienststellen für die Umsetzung dieses Gesetzes verantwortlichen leitenden Personen zu berücksichtigen“. In § 3 Abs. 1 des Berliner LGG heißt es, die Erfüllung der Gleichstellungsverpflichtung sei besondere Aufgabe der Dienstkräfte mit Leitungsfunktionen „und bei der Beurteilung ihrer Leistung einzubeziehen“ (ähnlich: § 4 Abs. 2 des Brandenburger LGG). Solche Regelungen zeugen davon, dass das Gleichstellungspotenzial von Leistungsbeurteilungen erkannt und aktiviert worden ist. Wie dies gestalterisch umgesetzt werden kann, wird unter 4. skizziert. Im folgenden Abschnitt geht es zunächst um das Erkennen und Reduzieren des Diskriminierungspotenzials von Leistungsbeurteilungen.
3. Diskriminierungspotenzial erkennen und reduzieren Erkenntnisse über das Diskriminierungspotenzial von Leistungsbeurteilungen können aus Statistiken über die Verteilung der Beurteilungsergebnisse auf Frauen und Männer gewonnen werden. Ergänzend kann durch Mitarbeiterbefragungen eruiert werden, inwiefern die Beschäftigten die Leistungsbeurteilung fair finden – und ob es hier Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. Das alles muss jeweils im Einzelfall geschehen. Hier referiere ich Erkenntnisse dazu aus der (Personal-)Forschung, die zugleich Ansatzpunkte für gegensteuernde Maßnahmen aufzeigen.
3.1 Erkenntnisse aus Problemanalysen Erhebungen zu den Verteilungen der Ergebnisse von Leistungsbeurteilungen lenken den Blick auf die folgenden drei Beschäftigtengruppen als potenziell Diskriminierte: 1) Frauen in männerdominierten Tätigkeiten/Bereichen Eine Metaanalyse von Studien zur Rolle des Geschlechts bei der Leistungsbeurteilung von Führungskräften aus den USA ergibt, dass weibliche Führungskräfte generell etwas schlechter beurteilt werden als äquivalente männliche, und dass dieser Effekt verstärkt wird, wenn die Beurteilenden Männer und die beurteilten Frauen in als typisch männlich geltenden Funktionen/Branchen tätig sind (vgl. Eagly/Makhijani/Klonsky 1992). Eine Untersuchung der Begutachtungspraxis des schwedischen Medical Research Council (MRC) trägt den bezeichnenden Titel „Vetternwirtschaft und Sexismus im Gutachterwesen“ (Wennerås/Wold 2000); auch andere Studien belegen die Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen bei der Leistungsbeurteilung (vgl. zusammenfassend Martin 1994, S. 412ff; Heintz 2004, S. 63). Analysen der Beurteilungen der bei der Stadt München tätigen BeamtInnen und Angestellten zufolge werden dort insbesondere im höheren Dienst weibliche Beschäftigte deutlich schlechter beurteilt als männliche (vgl. Schreyögg 1996 und in diesem Band). Eine Untersuchung zur Beurteilung von Frauen und Männern im höheren Justizdienst des Landes Niedersachsen ergab, dass die Beurteilungsergebnisse der Richterinnen und Staatsanwältinnen schlechter ausfallen als die ihrer männlichen Kollegen (vgl. Nie-
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dersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2005, S. 16ff). Wenn man nicht davon ausgeht, dass Männer in diesen Berufen/Bereichen durchschnittlich bessere Leistungen erbringen als Frauen, dann deuten solche Befunde auf Diskriminierungspotenzial bzw. Diskriminierung hin. 2) Frauen und Männer in frauendominierten Tätigkeiten/Bereichen Das zeigt z.B. eine britische Studie über drei Unternehmen und eine Verwaltung (vgl. Bevan/Thompson 1994). In München wurde ebenfalls festgestellt, dass die Beurteilungen in Berufsgruppen mit hohen Frauenanteilen im Durchschnitt deutlich schlechter ausfallen als in solchen mit hohen Männeranteilen (vgl. Schreyögg 1998). Das (be)trifft nicht nur Frauen, sondern auch die dort beschäftigten Männer. 3) Teilzeitbeschäftigte Dass Teilzeitbeschäftigte tendenziell relativ schlechter beurteilt werden als Vollzeitbeschäftigte belegen z.B. die britische Studie (Bevan/Thompson 1994) sowie Analysen der Beurteilungsergebnisse der bei der Stadt München beschäftigten Angestellten und BeamtInnen generell (vgl. Schreyögg in diesem Band) und speziell der Lehrkräfte (vgl. Schreyögg 1998). Eine neuere Untersuchung zu verschiedenen Bereichen der privaten Wirtschaft und des Öffentlichen Dienstes in Deutschland fördert darüber hinaus Regelungen zutage, die Teilzeitbeschäftigte von der Leistungsbeurteilung und -vergütung ausschließen (vgl. Tondorf/Jochmann-Döll 2005; s.a. Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Bei all diesen Befunden besteht der Verdacht auf mittelbare (Entgelt-)Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – und deshalb müssten im Fall einer Klage die Arbeitgebenden nachweisen, dass die schlechtere Beurteilung der Teilzeitbeschäftigten bzw. deren Ausschluss von der Leistungsvergütung sachlich gerechtfertigt sind (s.a. Schiek in diesem Band). Auch hier sind die Benachteiligten überwiegend Frauen, aber betroffen sind auch Männer. Nun noch beispielhaft das Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung: Mitte der 1990er Jahre gaben 50% der weiblichen Beschäftigten des (damaligen) Bezirksamts Schöneberg von Berlin an, in ihrem Arbeitsbereich sei die Chancengleichheit bei der Beurteilung nicht gewährleistet (vgl. Ebner/Krell 1997, S. 71). Auch das weist auf Handlungsbedarf hin. Um geeignete Maßnahmen zur Reduktion des Diskriminierungspotenzials der Leistungsbeurteilung ergreifen zu können, muss genauer geprüft werden, welches im Einzelfall die Ursachen für die aufgezeigten Diskriminierungen sind. Dem Stand der Forschung zufolge gibt es hier diverse Möglichkeiten: Beurteilungskriterien und -verfahren: Mit Blick auf die Kriterien und Verfahren der Arbeitsbewertung hat Regine Winter (1998; vgl. auch Krell/Winter in diesem Band) auf Basis des EU-Rechts Kriterien für eine Diskriminierungsprüfung erarbeitet. Da sich das rechtliche Diskriminierungsverbot auf alle Entgeltbestandteile bezieht (s.a. JochmannDöll/Tondorf in diesem Band), können diese Prüfkriterien auch auf die Leistungsbeurteilung als Grundlage der Leistungsvergütung übertragen werden. Sie lauten dann: x Leistungsbeurteilungssysteme müssen durchschaubar sein, d.h. objektive Kriterien enthalten, damit die Differenzierung nachvollziehbar und überprüfbar ist.
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x Die Beurteilungskriterien müssen einheitlich sein, d.h., für die Beurteilung der Leistungen von Frauen und von Männern müssen die gleichen Kriterien verwendet werden. x Die Kriterien dürfen nicht diskriminierend sein bzw. dürfen nicht diskriminierend ausgelegt werden. x Die Kriterien müssen in ihrer Gesamtheit der Art der zu verrichtenden Leistung angemessen sein. Bei freien Beurteilungen und summarischen Rangordnungsverfahren existieren die Beurteilungskriterien nur in den Köpfen der Beurteilenden. Ob sie für diese selbst transparent sind, muss hier offen bleiben. Für die Beurteilten sind sie es definitiv nicht. Hinzu kommt die Gefahr, dass bei der Beurteilung von Frauen und Männern – unbewusst oder auch bewusst – unterschiedliche Kriterien und/oder Maßstäbe angewendet werden. Die in der Praxis dominierenden (vgl. z.B. Becker 2003, S. 261) merkmalsorientierten Einstufungsverfahren mit überwiegend eigenschaftsbezogenen Kriterien sind ebenfalls besonders diskriminierungsanfällig, denn solche Kriterien sind Einfallstore für Beurteilungsverzerrungen durch Geschlechter(rollen)stereotype (vgl. z.B. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2005, S. 18; Tondorf/ Jochmann-Döll 2005, S. 119ff; für eine Zusammenstellung besonders problematischer Kriterien s.a. Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Eine Diskriminierungsquelle können auch Beschreibungshilfen sein, die bei Einstufungsverfahren den Beurteilenden als Hilfsmittel dienen sollen. Das war z.B. in der Stadt München der Fall. Eine Zusammenstellung, die Friedel Schreyögg (in diesem Band) vorgenommen hat, zeigt eindrucksvoll, dass die Beschreibungen für die „Spitzengruppe“ Merkmale enthalten, die eher männlichen Führungskräften zugeschrieben werden, und die für das „Mittelfeld“ solche, die eher Frauen zugeschrieben bzw. eher mit „frauentypischen“ Tätigkeiten assoziiert werden. Als weiterer Faktor kommen unbewusste Beurteilungsverzerrungen in Frage. Neben den schon genannten Beispielen sind hier „klassische“ Beurteilungsverzerrungen zu nennen, die mit der Geschlechterordnung bzw. mit Geschlechter(rollen)stereotypen verbunden sind (vgl. auch Hennersdorf 1998, S. 80ff; Fried u.a. 2000). Dazu drei Beispiele: x Der Similar-to-me-Effekt bewirkt, dass Personen, die als ähnlich wahrgenommen werden, besser beurteilt werden als solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Wenn bzw. weil die beurteilenden Führungskräfte überwiegend männlich sind, wirkt sich dieser Effekt zum Nachteil von Frauen als Beurteilten aus. x Der Hierarchie-Effekt bewirkt, dass in der Hierarchie höher angesiedelte Personen generell besser beurteilt werden – und dies sind überwiegend Männer. Dies leistet auch einen Beitrag zur Erklärung der Unterbewertung der Leistungen von Frauen (und Männern), die in frauendominierten Bereichen tätig sind. x Der Kleber-Effekt bewirkt, dass Personen, die länger nicht befördert worden sind, schlechter beurteilt werden. Wenn Frauen – ungerechtfertigt – nicht befördert worden sind, dann kann das durch diesen Effekt im Nachhinein legitimiert werden – und damit für die Betroffenen ein Teufelskreis entstehen.
200
Auch bewusste Beurteilungsverzerrungen zuungunsten von Frauen sind möglich, z.B. weil Beurteilende Quoten bzw. Vorzugsregelungen, die sie ungerecht finden, kompensieren wollen. Solche Effekte sind jedoch durch Studien relativ schwer nachzuweisen. Als ein weiteres Problem kommt schließlich hinzu, dass das Diskriminierungspotenzial von Leistungsbeurteilungen in der Praxis noch nicht oder kaum wahrgenommen wird (vgl. z.B. Bevan/Thompson 1994, S. 85; Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 35).
3.2 Lösungsvorschläge Ausgehend von den Ergebnissen der jeweils konkreten Ist- und Ursachen-Analyse können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Maßnahmen ergriffen werden (s.a. Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band): Angesichts des erwähnten mangelnden Problembewusstseins ist es zunächst erforderlich, durch Information und Kommunikation aufzuklären und zu sensibilisieren: x Dies kann u.a. durch Ist-Analysen zur Verteilung von Beurteilungsergebnissen und deren Veröffentlichung in organisationseigen Publikationen oder Workshops geschehen, was z.B. in München der Fall war (vgl. Schreyögg in diesem Band). Gleiches gilt für die organisationsinterne Veröffentlichung der Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen. x Auch übergreifende Maßnahmen sind möglich: Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität zu Berlin organisierte im Dezember 2005, zwei Monate nachdem der neue Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in Kraft getreten war, eine Fachtagung zum Thema „Diskriminierungsfreie Leistungsbewertung im öffentlichen Dienst“ (Baer/Englert 2006) und erstellte in Zusammenhang mit dem im August 2006 abgeschlossenen Tarifvertrag für das Leistungsentgelt für die Beschäftigten des Bundes (LeistungsTV-Bund) – hier legt § 18 TVöD nur Leitlinien fest – Empfehlungen für eine „Gleichstellungsorientierte Umsetzung der Leistungsbezahlung im öffentlichen Dienst“ (GenderKompetenzZentrum 2007). x Und schließlich trägt es auch zur Sensibilisierung bei, wenn in Regelungen oder Leitfäden ausdrücklich auf Diskriminierungsfreiheit bzw. (Geschlechter-)Gleichstellung als Ziel hingewiesen wird (s.u.). Eine weitere Maßnahme ist die Schulung der Beurteilenden. Auch hier geht es zunächst darum, die Problematik erst einmal bewusst zu machen. Ein weiteres wichtiges Lernziel ist, dass sich die Beurteilenden – generell und insbesondere bei eigenschaftsorientierten Kriterien – nicht von Geschlechterstereotypen (ver)leiten lassen. Dazu existieren z.B. ein Trainingsfilm der Telekom (vgl. Ihlefeld-Bolesch 1998), der auch in der Stadt München eingesetzt wurde, oder Lernprogramme im Internet (vgl. z.B. Dulisch 2006a). Empfohlen (vgl. z.B. GenderKompetenzZentrum 2007, S. 16f) und praktiziert (z.B. bei der Stadt München; vgl. Schreyögg in diesem Band) werden auch Aufklärung und Unterstützung der Beurteilten (z.B. durch Informationsbroschüren).
201
Erforderlich sein kann schließlich auch eine Veränderung der Kriterien und Verfahren (i.e.S.): Aufgrund der o.g. Probleme wird in der Fachliteratur generell (vgl. z.B. Becker 2003, S. 347, 378) sowie speziell mit Blick auf die Reduzierung von Diskriminierungspotenzial (vgl. z.B. Bevan/Thompson 1994; Kühne/Oechsler 2004) empfohlen, eigenschaftsbezogene Kriterien durch aufgaben- und ergebnisbezogene Kriterien sowie eigenschaftsorientierte Einstufungsverfahren durch aufgaben- und/oder zielorientierte Verfahren zu ersetzen. Weitere, ebenfalls auf der Verfahrensseite (i.w.S.) ansetzende Maßnahmen sind: x (die bereits angesprochenen) Bekenntnisse zur Diskriminierungsfreiheit bzw. Geschlechtergleichstellung in Regelungen oder Empfehlungen: So ist z.B. in der Präambel des LeistungsTV-Bund das „Leitprinzip der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gender-Mainstreaming)“ festgeschrieben. Und laut „Leitfaden Leistungsbewertung“ des BMI (2006, S. 3) soll diese u.a. „diskriminierungsfrei“ erfolgen; x Vorgaben, die sicherstellen, dass bei der Leitungsbeurteilung und -vergütung keine Beschäftigtengruppen ausgeschlossen werden (vgl. z.B. Leist 2006, S. 42); x Vorgaben, dass Leistungsentgelte auf alle Entgeltgruppen verteilt werden sollen (vgl. z.B. § 10, Abs. 2 LeistungsTV-Bund), um zu verhindern, dass durch den o.g. Hierarchie-Effekt die im Zuge der Arbeitsbewertung höher eingruppierten, und das sind eher männliche Beschäftigte (vgl. Krell/Winter in diesem Band), auch noch bei der Leistungsbeurteilung und -vergütung bevorzugt werden; x Beschwerderegelungen, die es Beschäftigten, die sich ungerecht beurteilt fühlen, erleichtern, dagegen vorzugehen (vgl. z.B. § 13 LeistungsTV-Bund); x eine regelmäßige Verfahrens- und Ergebniskontrolle durch eine paritätisch besetzte Kommission (vgl. z.B. § 14 LeistungsTV-Bund). Wie auch in Zusammenhang mit der Arbeitsbewertung (vgl. Krell/Winter in diesem Band) wird hier empfohlen, dass diese Kommissionen arbeitgebenden- und arbeitnehmendenseitig i.d.R. zur Hälfte mit Frauen und mit Männern besetzt sein sollten (vgl. GenderKompetenzZentrum 2007, S. 19). Damit sollte deutlich geworden sein, dass i.d.R. sowohl bei den Kriterien und Verfahren (im engeren und weiteren Sinne) als auch bei den beteiligten und betroffenen Personen angesetzt werden kann und muss.
4. Gleichstellungspotenzial erkennen und aktivieren Die Prüfung des Gleichstellungspotenzials geht noch einen Schritt weiter als die des Diskriminierungspotenzials. Hier wird eruiert, ob die personalpolitischen Instrumente – über eine diskriminierungsfreiere Gestaltung hinaus – zu mehr Chancengleichheit beitragen können und ggf. wie dieses Potenzial durch eine entsprechende Ausgestaltung aktiviert werden kann. Wie unter 2.2 schon beschrieben worden ist, zeugen zunächst einige Landesgleichstellungsgesetze davon, dass dort die Legislative das Gleichstellungspotenzial der Leistungsbeurteilung (von Führungskräften) erkannt und aktiviert hat. Mit Blick auf die 202
Unternehmenspraxis ergab z.B. eine Anfang der 1990er Jahre in Hamburg durchgeführte Befragung von 149 Mittel- und Großbetrieben, dass bei 16% die Umsetzung des Chancengleichheitsgrundsatzes ein Kriterium für die Beurteilung der Führungskräfte war (vgl. Domsch/Hadler/Krüger 1994, S. 82). Das Gleichstellungspotenzial von Beurteilungen – nicht nur, aber auch und insbesondere mit Blick auf Führungskräfte – zu realisieren, wird schließlich auch in Zusammenhang mit Diversity Management (s.a. meinen Beitrag in diesem Band) propagiert und praktiziert. Z.B. liegt es dem Unternehmensberater Michael Stuber (2004, S. 210) zufolge nahe, die Diversity-Kompetenzen der MitarbeiterInnen (inklusive Führungskräfte) in die Systeme der Leistungsbewertung und -vergütung zu integrieren. In der Fachliteratur aus dem angelsächsischen Raum wird schon länger empfohlen, die (Nicht)Erreichung diversity-orientierter Ziele zum Kriterium der Führungskräftebeurteilung zu machen (vgl. z.B. Morrison 1992, S. 92ff; Gardenswarz/Rowe 1993, S. 213). Unternehmen, die Diversity Management bzw. Diversity als Strategie realisieren, folgen dieser Empfehlung – und machen von den Beurteilungsergebnissen z.T. auch die leistungsabhängige Vergütung ihrer Führungskräfte abhängig (vgl. z.B. Pless 2000, S. 54; Stahrenberg 2001; Keßler/Schultz in diesem Band). Wie kann nun eine solche an Diversity – oder auch an Gender Mainstreaming, Geschlechtergleichstellung, Chancengleichheit o.Ä. – als Grundsatz oder Strategie orientierte Beurteilung (von Führungskräften) konkret ausgestaltet werden? x Als Beurteilungskriterien kommen in Frage: einschlägige Fach-Kenntnisse, die bereits erwähnten Diversity-Kompetenzen, die neben dem Können auch das Wollen einschließen können, das „Diversity Mindset“, d.h. die geistige Haltung, das an Diversity als Wert des Unternehmens orientierte Verhalten (bei Führungskräften vor allem gegenüber MitarbeiterInnen, aber auch gegenüber Gleichgestellten oder KundInnen [s.u.]) und schließlich auch und insbesondere diversity-orientierte Ziele bzw. das Ausmaß, in dem diese erreicht worden sind. Dort, wo kein umfassendes Diversity Management realisiert wird, gilt dies entsprechend für Gender Mainstreaming oder Chancengleichheit. Um hier ein konkretes Beispiel zu nennen: Bei der Deutschen Rentenversicherung wird „hervorragende Mitarbeiterführung“ folgendermaßen beschrieben: „fördert aktiv und engagiert die Chancengleichheit von Frauen und Männern, berücksichtigt angemessen berechtigte familiäre Verpflichtungen der Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter, insbesondere bei der Zeit- und Arbeitsorganisation“ (zit.n. Dulisch 2006b, S. 73). x Was die Verfahren betrifft, reicht das Spektrum der grundsätzlich geeigneten von merkmalsorientierten Einstufungsverfahren über verhaltensorientierte Beurteilungsskalen bis hin zu zielorientierten Verfahren. x Hinsichtlich des Kreises der Beurteilenden bzw. der Beurteilungsrichtung ist auch hier zunächst die klassische – und in der Praxis am weitesten verbreitete – Abwärtsbeurteilung durch Vorgesetzte zu nennen. Taylor Cox (1991, S. 43) z.B. schlägt in diesem Zusammenhang deren Ergänzung durch eine Vorgesetzten- oder Aufwärtsbeurteilung durch die unterstellten MitarbeiterInnen vor (vgl. auch Kühne/ Oechsler 2004, S. 193f). Als unmittelbar Betroffene können diese ein gutes Bild davon vermitteln, in welchem Ausmaß ihre Vorgesetzten diversity- oder gleichstellungsorientiert 203
handeln. Und schließlich können auch Gleichgestellte, KundInnen oder andere Bezugsgruppen, und nicht zuletzt die zu beurteilende Person selbst, als Beurteilende in Frage kommen. Werden mehrere Beurteilungsrichtungen kombiniert, spricht man auch von einer 360-Grad-Beurteilung (vgl. z.B. Stahrenberg 2001).
5. Schlussbemerkung Leistungsbeurteilungen enthalten sowohl Diskriminierungspotenzial als auch Gleichstellungspotenzial. Beide Aspekte sind einerseits noch immer nicht hinreichend bekannt, beachtet und bearbeitet. Andererseits gibt es aber durchaus auch schon richtungweisende wissenschaftliche Erkenntnisse und Praxisbeispiele. Sie sind in diesem Artikel vorgestellt worden, um zur – verstärkten – Beachtung und Bearbeitung der Thematik beizutragen.
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206
Friedel Schreyögg
Praxisbeispiel Stadt München: Beurteilungsverfahren sind nicht geschlechtsneutral 1. Einleitung Die Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München hat das Beurteilungssystem ihrer Stadtverwaltung untersucht, Verbesserungsvorschläge zum Abbau der systemimmanenten Benachteiligung von Frauen entwickelt und in einem langjährigen Reformprozess durchgesetzt. Anlass dafür waren die Bedeutung der dienstlichen Beurteilung für die Personalentwicklung sowie Beschwerden weiblicher Beschäftigter. Mit Hilfe einer systematischen Auswertung der Statistiken der Beurteilungsergebnisse, der Beurteilungsrichtlinien und deren Umsetzung, der Schulungsmaßnahmen und der Arbeitshilfen zum Verfassen der Beurteilungen ist es gelungen, die Behauptung, das Beurteilungsverfahren sei geschlechtsneutral, zu widerlegen.
2. Analyse der Ist-Situation Nach § 48 der Verordnung über die Laufbahnen der bayerischen Beamten (LBV) sind BeamtInnen mindestens alle vier Jahre dienstlich zu beurteilen. 1978 beschloss der Münchner Stadtrat, auch die Angestellten der Stadtverwaltung ab Tarifgruppe VI a in das System der Regelbeurteilung mit einzubeziehen. Laut § 49 LBV werden die Merkmale Eignung, Befähigung und fachliche Leistung für die zurückliegenden vier Jahre in freier Beschreibung bewertet. Zusätzlich ist eine Potenzialeinschätzung vorzunehmen. Nach § 52 LBV ist ein Gesamturteil zu erstellen. Dafür waren sieben Bewertungen vorgesehen, 2001 wurde die Zahl auf fünf reduziert. Sie wurden für die Statistik mit den Zahlen 1 bis 7 bzw. 5 vercodet. Das Beurteilungsverfahren der Stadt ist durch eigene Richtlinien geregelt. Zur Unterstützung der BeurteilerInnen beim Abfassen der Beurteilungstexte gibt es Beschreibungshilfen. Die dienstliche Beurteilung hat Einfluss auf die Personalentwicklung, die Personalauswahl und die Gewährung einer vorgezogenen Leistungsstufe. Die Zulassung von BeamtInnen zum Aufstieg vom mittleren in den gehobenen bzw. vom gehobenen in den höheren Dienst ist abhängig vom Beurteilungsergebnis. Über die Einschätzung des Potenzials der zu Beurteilenden für die Übernahme höherwertiger Stellen werden AufstiegsFriedel Schreyögg, Leiterin der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München. E-Mail:
[email protected] 207
chancen gesteuert. Seit der Reform der Ausschreibungsrichtlinien 1991 ist die dienstliche Beurteilung aber nur noch ein Kriterium für die Vorauswahl. Die Prüfung der fachlichen und persönlichen Eignung erfolgt i.d.R. durch eine Vorstellungsrunde. Für die Vergabe von Leistungsentgelt spielt die Regelbeurteilung keine Rolle. Wegen seines Stellenwerts für das berufliche Fortkommen der Beschäftigten war eine kritische Auseinandersetzung mit dem Beurteilungswesen eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik. Auf Wunsch des Oberbürgermeisters wurde die Gleichstellungsstelle 1985 Mitglied der gesamtstädtischen Kommission, die die Beurteilungsergebnisse überprüft. Und schon bald nachdem wir unsere Arbeit aufgenommen hatten, erreichten uns erste Beschwerden von weiblichen Beschäftigten, die sich wegen ihres Geschlechts ungerecht beurteilt fühlten. Für uns hatte dies eine hohe Plausibilität, nicht aber für die damals noch homogen männliche Führung. Es war deshalb notwendig, die Benachteiligung von Frauen statistisch nachzuweisen. Glücklicherweise konnten wir auf eine nach Geschlecht differenzierte Statistik der Ergebnisse der dienstlichen Beurteilung zurückgreifen, die ein fortschrittlicher SPD-Stadtrat bereits in den 1980er Jahren beantragt hatte. Diese Statistik war zwar ein relativ grobes Instrument, sie beruhte auf Durchschnittswerten, die auf Ebene von Fachreferaten (Dezernaten) ermittelt werden. Trotzdem ließ sich eindrucksvoll nachweisen, dass weibliche Beschäftigte im Durchschnitt schlechter beurteilt werden als männliche – insbesondere im höheren Dienst (vgl. Abbildung 1).
Laufbahn
Frauen
Männer
Differenz
gehobener Verwaltungsdienst
2,90
2,70
0,20
höherer Verwaltungsdienst
2,20
1,66
0,54
mittlerer technischer Dienst
3,23
3,08
0,15
gehobener technischer Dienst
3,29
2,85
0,44
mittlerer sonstiger Dienst
3,83
3,20
0,63
höherer sonstiger Dienst
2,99
2,38
0,61
Abb. 1: Beurteilungsdurchschnitte für Laufbahngruppen, in denen Frauen schlechter beurteilt werden als Männer, Stadtverwaltung München, Beurteilungsjahr 1987 (Beurteilungsstatistik Stadtverwaltung München)
Mit der sorgfältigen Analyse der Beurteilungsstatistik war ein erster Durchbruch geschafft. Die Forderung der Gleichstellungsstelle, das Beurteilungswesen grundlegend zu reformieren, wurde nun von der Stadtspitze, dem Personalreferat und dem Gesamtpersonalrat unterstützt. Ohne die Aktivitäten der Gleichstellungsstelle wären aber der Einsicht in den Handlungsbedarf keine Taten gefolgt. Zur Erarbeitung von Reformkonzepten gingen wir daran, uns das Beurteilungsverfahren selbst und dessen Umsetzung genauer anzuschau-
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en. Zuerst prüften wir: Was wird überhaupt beurteilt? Nach welchen Kriterien gehen die BeurteilerInnen vor, was beobachten, was bewerten sie und mit welcher Gewichtung? Die Richtlinien gaben dazu wenig Auskunft. Doch es gab so etwas wie den geheimen Lehrplan: die Beschreibungshilfen aus dem Jahr 1971, die BeurteilerInnen für das Abfassen von Beurteilungstexten zur Verfügung gestellt wurden. Und diese waren geprägt von einer traditionell männlichen Verwaltungskultur (vgl. Abbildung 2).
Hervorragend / sehr tüchtig
Übertrifft erheblich / übertrifft die Anforderungen
Er ist außerordentlich produktiv, kein Arbeitspensum ist ihm zu groß, er leistet mehr als jeder andere.
Er erledigt stets das verlangte Arbeitspensum, auch bei lang andauernden Spitzenbelastungen.
Er ist mit zündenden Ideen immer zur Stelle und weiß diese mit großer Dynamik auch durchzusetzen.
Er sucht überall nach neuen Anregungen.
Er ist stets auf gute Zusammenarbeit mit Kollegen bedacht, weiß, wann er sich einordnen und wann er sich durchsetzen muss.
Er denkt daran, wie er anderen bei ihrer Arbeit helfen kann, stellt seine eigenen Interessen um der Zusammenarbeit willen zurück.
Er steht im Umgang mit Menschen immer über der Situation.
Er ist im Umgang mit Kollegen einfühlend, entgegenkommend und liebenswürdig.
Er besitzt Autorität.
Zu seinen Mitarbeitern hat er ein gutes, persönliches Verhältnis und sorgt stets für gute Zusammenarbeit in seinem Bereich.
Er hat einen souveränen Überblick und einen ausgeprägten Sinn für das Wesentliche.
Er urteilt schnell und intuitiv, trifft aber immer das Richtige.
Er ist unermüdlich und unerschütterlich bei der Sache mit nie erlahmender Schaffenskraft.
Er wird auch bei starker Belastung weder müde noch nervös oder unlustig.
Er ist sehr diplomatisch und überzeugend im Verhandeln, ein sehr versierter, gewitzter Gesprächspartner.
Er verfügt über gutes Einfühlungsvermögen, stellt sich gut auf den Partner ein, geduldig, aber sehr zielstrebig.
Seine Freizeit verwendet er zu einem erheblichen Teil für die Weiterbildung.
Er ist bestrebt, sich möglichst vielseitig auszubilden.
Abb. 2: Auszug aus den Beschreibungshilfen von 1971
Das Beurteilungsverfahren war zudem für die Betroffenen wenig transparent. Die Beschäftigten, egal, ob männlich oder weiblich, verstanden häufig nicht, wie ihr Beurteilungsergebnis zustande gekommen war. Beurteilungsgespräche, in denen das Ergebnis den Betroffenen erläutert wurde, fanden nur in Ausnahmefällen statt. Eine Mitwirkung der Betroffenen war nicht vorgesehen. Widerspruch konnte nur als formelle Klage ein-
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gereicht werden. Die weiblichen Beschäftigten der Stadt München entschieden und entscheiden sich allerdings sehr viel seltener für den Rechtsweg als die männlichen. Zur Praxis gehörte, obwohl in den Beurteilungsrichtlinien nicht vorgesehen, die Festlegung von Quoten. Vor Beginn eines Beurteilungsjahrs wurde den Führungskräften für ihren Zuständigkeitsbereich mitgeteilt, wie viele Prädikatsurteile maximal vergeben und welche Durchschnittswerte nicht überschritten werden dürfen. Solche Vorgaben führen zu leistungsfremden Entscheidungen. Jüngere Dienstkräfte, der mittlere Dienst und Frauen, vor allem Teilzeitbeschäftigte, gehörten zu den „Quotenopfern“. Ein weiteres Problem waren die Schulungsmaßnahmen für BeurteilerInnen. Geschult wurde schwerpunktmäßig ein formal korrekter, „wasserdichter“ Vollzug der Richtlinien zur dienstlichen Beurteilung. Die Forderung der Gleichstellungsstelle, BeurteilerInnen sollten ihre Beurteilungspraxis kritisch reflektieren und das auch noch geschlechtsdifferenziert, stieß deshalb zunächst auf großes Unverständnis.
3. Reformmaßnahmen Mit der Praxis der dienstlichen Beurteilung waren, wie erwähnt, nicht nur Frauen, sondern die Mehrheit der Beschäftigten sehr unzufrieden. Die von uns breit gestreuten Berichte – unser wichtigstes Informationsmedium ist die Zeitschrift der Münchner Gleichstellungsstelle „fiff“, die vierteljährlich erscheint und in der ganzen Münchner Stadtverwaltung verteilt wird – über unsere Analysen der Beurteilungsstatistiken und des -verfahrens fanden deshalb große Aufmerksamkeit. So konnten wir einen erheblichen Reformdruck erzeugen, der bei den Verantwortlichen schließlich zum Handeln führte. Die Reform war ein Prozess, der insgesamt über 10 Jahre dauerte und von der Gleichstellungsstelle, die viele der Reformkonzepte maßgeblich mitgestaltete, intensiv begleitet wurde. Dies kann im Folgenden nur stichpunktartig dargestellt werden. Die erste Maßnahme war, die ideologisch einseitigen Beschreibungshilfen 1991 offiziell außer Kraft zu setzen. Das zeigte jedoch wenig Wirkung, da die BeurteilerInnen im Formulieren eigener Texte nicht geübt waren und sich die Standardformulierungen gut für eine formale Prüfung von Beurteilungsentwürfen durch Vorgesetzte eigneten. Dies behinderte den Vollzug der Dienstanweisung der Zentrale. Erst durch das Angebot neuer Beschreibungshilfen im Beurteilungsjahr 1995 verschwanden die alten aus den Schubladen. Im neuen Text werden nicht Personen, sondern Anforderungen zu einzelnen Beurteilungsmerkmalen, wie Auffassungsgabe, verantwortliches Handeln, Kenntnisse zur Aufgabenerfüllung, Eigeninitiative oder Führungsverhalten erläutert und beschrieben. Wirksam war auch die Integration des Themas „geschlechtersensibel beurteilen“ in die allgemeine Fortbildung von BeurteilerInnen. Die entsprechenden Schulungen werden seit 1990 von Mitarbeiterinnen der Gleichstellungsstelle durchgeführt. Schwerpunkte sind: die Reflexion des Einflusses von Geschlechtsrollenstereotypen auf das eigene Verhalten (vgl. auch Schreyögg 1998), die kritische Selbstbeobachtung der BeurteilerInnen beim Beobachten von Arbeitsleistung, die Analyse des eigenen Kommunikationsverhaltens am Arbeitsplatz sowie der eigenen Bewertungsmuster im Hinblick auf den Ge-
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schlechteraspekt. Das stellt hohe fachliche und vor allem persönliche Anforderungen an die TeilnehmerInnen. Im ersten Schulungszyklus 1990 schlug den Mitarbeiterinnen der Gleichstellungsstelle in den einzelnen Kursen noch ziemlich viel Abwehr entgegen. Im dritten Schulungszyklus, der 1998 begann, waren das Interesse an dem Thema und die Offenheit bei vielen BeurteilerInnen deutlich gewachsen. Zur Umsetzung des „Gleichstellungskonzepts Leitsätze 2000“, der Fortschreibung des Frauenförderplans auf Grundlage der Gender-Mainstreaming-Strategie, wird der Erwerb von Genderkompetenz städtischer Beschäftigter verstärkt gefördert. Mit Erfolg: Im Durchschnitt hatte sich das Qualifikationsniveau der Nachwuchsführungskräfte, die an den Schulungen für das Beurteilungsjahr 2003 teilnahmen, im Vergleich zu den vorangegangenen Zyklen verbessert. Etwa 10 bis 15% der TeilnehmerInnen an den Fortbildungsveranstaltungen verfügten bereits über fundierte Genderkenntnisse. Die Bereitschaft, sich offen und aktiv mit Gleichstellungsfragen auseinander zu setzen, kann aber insgesamt nur als mittelmäßig eingestuft werden. Rund ein Drittel der TeilnehmerInnen dokumentierte im Bewertungsbogen des Seminars seine Ablehnung des Themas. Jüngere Frauen und Männer vertreten oft die Meinung, in ihrer Generation sei die Gleichstellung verwirklicht. Einer kritischen Analyse unterziehen sie diese Tatsachenbehauptung i.d.R. nicht. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Einführung des Entwurfsgesprächs. Vor der Reform war es üblich, dass die direkten Vorgesetzten, die den Beurteilungsentwurf für ihre MitarbeiterInnen erstellten, diesen den Betroffenen nicht erläutern durften. Der Entwurf durchlief die Hierarchie, wurde in der Geschäftsleitung des jeweiligen Fachreferats (Dezernat) geprüft und kam dann als fertige Beurteilung, mit Unterschrift des Fachreferenten, an die Abteilungsleitungen zurück. Nicht die direkten Vorgesetzten, sondern Vorgesetzte, eine oder mehrere Hierarchiestufen darüber, eröffneten den Betroffenen das Beurteilungsergebnis. Im Beurteilungsjahr 1995 wurde das Entwurfsgespräch eingeführt. Seither sind die direkten Vorgesetzten verpflichtet und berechtigt, ihren Beurteilungsentwurf dem oder der Betroffenen zu erläutern und als Kopie auszuhändigen. Die Betroffenen haben drei Wochen Zeit, um etwaige Einwände vorzutragen. Kommt es zwischen Vorgesetzten und Beurteilten zu keiner Einigung, findet auf der nächst höheren Ebene ein Vermittlungsgespräch statt, zu dem die Beurteilten eine Personalrätin oder einen Personalrat ihrer Wahl hinzuziehen können. Die Gleichstellungsstelle entwickelte sowohl für die Vorgesetzten als auch für die Beschäftigten eine umfangreiche Reflektionshilfe zur Vorbereitung auf dieses Entwurfsgespräch. Uns ging es darum, dass Frauen gut vorbereitet und aktiv in ein solches Gespräch gehen, um ihre Vorstellungen schlüssig vortragen und den Gesprächsverlauf mitgestalten zu können. Diese Reflektionshilfe wurde in den Beurteilungsjahren 1995 und 1999 von je mehreren Hundert weiblichen und einigen männlichen Beschäftigten angefordert. Im Beurteilungsjahr 2003 konnte der Verbreitungsgrad über das städtische Intranet noch erheblich gesteigert werden. Und: Wir erhalten immer wieder die Mitteilung von Kolleginnen, ihnen sei es durch die Gesprächsvorbereitung mithilfe des Leitfadens gelungen, ihr Beurteilungsergebnis zu verbessern. Die Vorgabe von Quoten für Prädikatsurteile und von Beurteilungsdurchschnitten pro Abteilung ist seit dem Beurteilungsjahr 1995 nicht mehr zulässig. Die Einhaltung der entsprechenden Anweisung des Oberbürgermeisters wurde, soweit möglich, überprüft.
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Diese Maßnahme kam – wie erwartet – vor allem jüngeren Dienstkräften und Frauen zugute. Bei den Teilzeitbeschäftigten war der Effekt geringer. Zum Beurteilungsjahr 1999 ist es schließlich gelungen, den auf die Beschreibung klassischer Verwaltungstätigkeit ausgerichteten und zudem sehr detaillierten Beurteilungsbogen durch einen einfacheren zu ersetzen, der nur nach folgenden Punkten gegliedert ist: x Voraussetzungen und Kenntnisse; x Arbeitserfolg (Qualität und Quantität) der Sachaufgaben und Führungs- und Leitungsaufgaben (soweit zutreffend); x Zusammenarbeit, Kommunikationsfähigkeit; x Fortbildung, berufliche Weiterentwicklung. Mit dieser offenen Form erhielten die Dienststellen mehr Spielraum, um die Leistungen der Beschäftigten arbeitsplatzbezogen zu beschreiben und zu bewerten. Vor allem von MitarbeiterInnen im sozialen Bereich sowie in anderen verwaltungsuntypischen Tätigkeiten wurde diese Neuerung begrüßt. Die Fiktion der Vergleichbarkeit von Beurteilungen wurde aufgegeben. Mehr Bedeutung erhält die Potenzialeinschätzung. Vor der Reform enthielten Beurteilungen meist nur den lapidaren Satz: „X ist für Position Y geeignet“. Nun muss die Eignung der Beurteilten für Aufstiegspositionen, insbesondere für Führungsaufgaben, sorgfältig begründet werden. Für das Jahr 2003 wurde der Erhebungsbogen für die Beurteilungsstatistik um den Punkt „Aufstiegsvermerk“ ergänzt. Dieser Vermerk ist die Voraussetzung für den Aufstieg von einer Laufbahnstufe in die nächst höhere. Die Leistung von Beschäftigten arbeitsplatznah mit eigenen Worten zu beschreiben und ihre Bewertung gegenüber den MitarbeiterInnen zu begründen, fällt vielen BeurteilerInnen schwer. Es ist zu hoffen, dass sich durch die verschiedenen Reformanstrengungen der Münchner Verwaltung in den nächsten Jahren die Qualifikation der BeurteilerInnen verbessert. Im Rahmen von Mitarbeitergesprächen, Projektmanagement und Produktplänen werden das Vereinbaren von Zielen, die Definition von einzelnen Schritten zur Zielerreichung und das Prüfen und Reflektieren der Ergebnisse geübt. Das zwingt zu mehr Präzision bei der Beobachtung und Bewertung von Arbeitsleistung. Die Gleichstellungsstelle versucht, bei all diesen Reformschritten auf mehr Geschlechtersensibilität hinzuwirken. Durch die Fokussierung der Beurteilung auf die konkreten Anforderungen und Ziele des jeweiligen Arbeitsplatzes erwarten wir, dass sich der Einfluss von Geschlechtsrollenstereotypen verringert. Eine Evaluierung der Umsetzung durch eine Analyse von Beurteilungstexten wurde allerdings bisher mit dem Hinweis Datenschutz abgelehnt. Erstmals für das Beurteilungsjahr 1999 wurde auf Initiative der Gleichstellungsstelle die Statistik nach den einzelnen Beurteilungsstufen aufgeschlüsselt ausgewertet. Ziel war die durch die Beschränkung der Auswertung auf Durchschnittswerte möglicherweise verschleierten Formen von Diskriminierung aufzudecken. 2003 erfolgte die Erfassung der Ergebnisse mit einem einheitlichen, vom statistischen Amt ausgearbeiteten Bogen. Die differenzierte Auswertung erwies sich bereits im Versuchslauf als ein wichtiges
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Instrument für das Gleichstellungscontrolling, da nun genaue Informationen darüber vorliegen, wie sich die Prädikatsurteile auf Frauen und Männer verteilen.
4. Erfolge der Reformmaßnahmen Die Reformmaßnahmen greifen. Die Benachteiligungen von Frauen durch das Beurteilungswesen der Stadt sind weitgehend abgebaut. Ein Vergleich der Ergebnisse von 1999 und 2003 ist zwar nur eingeschränkt möglich, da, wie eingangs erwähnt, die bislang gültige siebenstufige Beurteilungsskala 2003 auf fünf Stufen reduziert wurde, aber es wird dennoch sichtbar: Die positiven Trends haben sich stabilisiert. Im mittleren und gehobenen Dienst ist die Verteilung der verschiedenen Beurteilungsstufen zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten 2003 wie schon 1999 weitgehend ausgeglichen, unabhängig davon, ob es sich um den technischen, den sonstigen oder den Verwaltungsdienst handelt. Deutliche Unterschiede gibt es nach wie vor im höheren Dienst. Im höheren Verwaltungsdienst hat sich durch die neue Skala der Hierarchieeffekt sogar noch verstärkt. Der Abstand zwischen Frauen und Männern hat sich dort von 18% (1999) auf 22% (2003) erhöht. Dagegen hat er sich im technischen Dienst von 19% auf 15 % und im sonstigen höheren Dienst von 9% auf 5% reduziert. Die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten hat sich abgeschwächt. Es besteht aber nach wie vor Handlungsbedarf, insbesondere im höheren Dienst. Der Abstand zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten in der Stufe 1 betrug 2003 immer noch 29%. Gute bis sehr gute Beurteilungen sind heute im Gegensatz zu früher für Teilzeitbeschäftigte zwar erreichbar, aber in der Verteilung liegen sie immer noch erheblich hinter den Vollzeitbeschäftigten zurück. Rollenstereotype Verhaltenserwartungen, Zuschreibungen und Vorbehalte wirken sich auf die Beurteilung der Arbeitsleistung von teilzeitbeschäftigten Frauen noch stärker aus als auf die von vollzeitbeschäftigten. Ein weiterer Grund ist die geringe Teilzeitquote bei den Führungskräften. Benachteiligt werden Teilzeitbeschäftigte auch bei dem Vermerk in der Beurteilung, ob eine BeamtIn für den Aufstieg in die nächst höhere Laufbahn geeignet ist. Von den Vollzeitkräften im mittleren und gehobenen Dienst erhielten 39%, von den Teilzeitkräften nur 25% einen Aufstiegsvermerk. Insgesamt betrachtet erhielten allerdings mehr Frauen als Männer einen Aufstiegsvermerk, und zwar im gehobenen Dienst 38% der Frauen und 32% der Männer, im mittleren Dienst 38% der Frauen und 34% der Männer. Die Beurteilungskommission hat die möglichen Ursachen der Defizite in der Beurteilung von Frauen und Männern im höheren Dienst und von Teilzeitbeschäftigten (vgl. dazu auch den Grundlagenbeitrag von Krell in diesem Band) in Arbeitsgruppen untersucht. Hintergrund für den Abstand zwischen Frauen und Männern sowie Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten im höheren Dienst ist die Struktur der Beschäftigten der Stadt. Der höhere Verwaltungsdienst setzt sich zu 47% aus AufstiegsbeamtInnen und zu 53% aus JuristInnen und wenigen VertreterInnen anderer Berufsgruppen zusammen. Nur 11% der AufstiegsbeamtInnen sind Frauen. Für den Aufstieg ist eine hervorragende Beurteilung erforderlich, die meist in die höhere Laufbahn mitgenommen wird. Ein weiterer Aspekt ist der Führungskräfteanteil, der bei der Gruppe der AufstiegsbeamtInnen höher
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ist als bei den JuristInnen mit einem hohen Anteil an jüngeren Beschäftigten. Zur Erinnerung: Bei den Beurteilungsergebnissen im gehobenen Dienst gibt es keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern und die Aufstiegseignung wird mehr Frauen als Männern zuerkannt. Die Beamtinnen hätten also gute Voraussetzungen für den Aufstieg. Das Problem ist, dass die Familiengründungsphase in die Zeit fällt, in der, von der Laufbahnentwicklung her betrachtet, die Weichen für den Aufstieg in den höheren Dienst gestellt werden müssen. Durch familienbedingte Beurlaubungen und Teilzeitarbeit fallen Frauen hinter die gleichaltrigen Kollegen ohne Familienpflichten zurück. Außerdem schrecken die zeitlichen Anforderungen für den Besuch der erforderlichen Lehrgänge Frauen mit Familienpflichten ab. Damit bleibt in hohem Maße Begabungspotenzial ungenutzt. Die Rahmenbedingungen für den Aufstieg wirken sich mittelbar diskriminierend (vgl. dazu auch Schiek in diesem Band) aus und sollen in einem eigenen Projekt in den nächsten Jahren gezielt angegangen werden. Der Zugang zum höheren technischen Dienst wie zum sonstigen höheren Dienst erfolgt vorwiegend über den Universitätsabschluss, der Aufstieg vom gehobenen in den höheren Dienst spielt eine geringere Rolle. Hier hängt der Abstand zwischen Frauen und Männern vor allem mit dem höheren Männeranteil in Führungspositionen zusammen. Durch den steigenden Frauenanteil in Führungspositionen als Ergebnis der betrieblichen Gleichstellungspolitik der Stadt München hat sich in beiden Laufbahnen der Abstand zwischen Frauen und Männern bei den Prädikatsurteilen verringert. Wie die Umfrage in einem großen Fachreferat der Stadt im Jahr 2002 zeigt, sind bei der Stadt München Frauen, ob in Teilzeit oder Vollzeit, heute genauso aufstiegsorientiert wie Männer. Frauen wissen, dass die dienstliche Beurteilung dafür eine wichtige Weichenstellung ist und mischen sich deshalb aktiv ins Geschehen ein. Sie nehmen die Beurteilung ernst und wollen mitgestalten. Die Reflektionshilfe der Gleichstellungsstelle für weibliche Beschäftigte zur Vorbereitung auf das Beurteilungsgespräch wurde im Beurteilungsjahr 2003 wieder stark nachgefragt, weil Frauen in der Praxis erlebt haben, dass eine gute Vorbereitung ihre Verhandlungsposition verbessern kann. Insgesamt haben die Aktivitäten der Gleichstellungsstelle die Reform des Beurteilungswesens der Stadt München die die Qualität und die Leistungsgerechtigkeit von dienstlichen Beurteilungen nicht nur für Frauen, sondern für alle Beschäftigten der Stadt verbessert. In den nächsten Jahren geht es darum, die erreichte Qualität zu sichern.
Literatur Schreyögg, Friedel (1996): Die Rolle der Kategorie Geschlecht in Personalbeurteilungsverfahren – eine Untersuchung der Praxis in der Münchener Stadtverwaltung, in: Zeitschrift für Personalforschung, 10. Jg., Heft 2, S. 155-175. Schreyögg, Friedel (1998): Der Einfluss von Geschlechtsrollenstereotypen auf die Beurteilung von Arbeitsleistung, in: OSC – Organisationsberatung, Supervision, Clinical Management, 5. Jg., Heft 1, S. 27-46.
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Hermann G. Ebner und Sandra Bausbacher
Weiterbildung von Mitarbeiterinnen 1. Betriebliche Weiterbildung – ein gleichstellungspolitisches Handlungsfeld 2. Chancengerechtigkeit in der betrieblichen Weiterbildung als Gegenstand arbeitsrechtlicher Regelungen 2.1 2.2 2.3 2.4
Europäische Union Deutschland: Übergreifende Regelungen Deutschland: Privatwirtschaft Deutschland: Öffentlicher Dienst
3. Chancengerechtigkeit in der betrieblichen Weiterbildung: Gestaltungsempfehlungen 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Die Bereitschaft zum prüfenden Blick Aufbau eines Berichtssystems ‚Weiterbildung‘ Frauen für den Aufstieg werben Uneingeschränkte Beteiligung von Teilzeitbeschäftigten Rückkehr unterstützen Frauenspezifische betriebliche Weiterbildung?
4. Schlussbemerkung Literatur
Hermann G. Ebner, Prof. Dr., Sandra Bausbacher, Dipl.-Hdl., Universität Mannheim, Fakultät für Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik. Kontakt:
[email protected] 215
1. Betriebliche Weiterbildung – ein gleichstellungspolitisches Handlungsfeld In vielen Unternehmen gilt die Weiterbildung der Beschäftigten als wichtiges personalpolitisches Handlungsfeld. Dies spiegelt sich nicht zuletzt darin, dass gut acht von zehn Betrieben in die Qualifizierung ihres Personals investieren und die in der Bundesrepublik tätigen Unternehmen – nach eigenen Angaben – sich die Weiterbildung im Jahr 2004 im Schnitt 1.072 Euro je MitarbeiterIn kosten ließen (davon 706 Euro für die Personalausfallszeit). Insgesamt haben die Unternehmen in Deutschland demnach 2004 rund 26,8 Milliarden Euro für Qualifizierung ausgegeben (vgl. IWD 2006). Allerdings existiert kein verbindlicher Kriterienkatalog, was als ‚Weiterbildung‘ gilt, und somit bleibt oft unklar, was dieses Etikett im Einzelnen bezeichnet. Letztlich hängt es von den jeweiligen betrieblichen Entscheidungen ab, welche Maßnahmen (z.B. Lehrgänge, kurzzeitige Einarbeitungshilfen), Leistungen (z.B. Herstellung von Handbüchern) oder Ausfälle (z.B. in der Produktion) in der eventuell zu erstellenden Kostenrechnung berücksichtigt werden. Da mit ‚betriebliche Weiterbildung‘ unterschiedliche Vorstellungen verbunden werden (vgl. auch Becker 2002; Oechsler 2006), ist es hilfreich, zumindest die wichtigsten Elemente des jeweiligen Verständnisses kenntlich zu machen. In diesem Text werden als ‚betriebliche Weiterbildung‘ alle betrieblichen Maßnahmen bezeichnet, die ausdrücklich mit der Zielsetzung eingerichtet sind oder durchgeführt werden, die Qualifikationsentwicklung von (nicht in einem Ausbildungsverhältnis stehenden) MitarbeiterInnen zu ermöglichen. Betriebliche Weiterbildung gilt als eine Maßnahme der Personalentwicklung, deren Ausgestaltung wiederum als ein Merkmal organisationaler Entwicklungskultur begriffen wird. In Abbildung 1 auf der folgenden Seite werden die Beziehungen der wichtigsten Begriffe graphisch dargestellt. Neben der vordergründigen Information über die Relation der im Text verwendeten Begriffe werden in dieser Abbildung zwei weitere Aspekte angezeigt: x Ein großer Teil der Weiterbildung der Beschäftigten findet in Deutschland unter der Regie der Betriebe statt. Damit kommt den Regeln, nach denen dort über die Teilnahme entschieden wird, eine erhebliche Bedeutung zu. Aus der Perspektive der Gleichstellungspolitik ist es notwendig, diese – häufig impliziten – Regeln und die aus deren Anwendung resultierenden Effekte zu identifizieren. x Die betriebliche Weiterbildungspraxis ist eingebettet in die Außenbeziehungen und Binnenverhältnisse der jeweiligen Organisation. Damit ist sie zugleich verbunden mit den anderen gleichstellungspolitisch relevanten organisationalen Handlungsfeldern, und zwar sowohl auf der Gestaltungs- als auch auf der Wirkungsseite.
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Weiterbildung insgesamt
Berufliche Weiterbildung
Organisationale Umweltbedingungen
Berufliche Weiterbildung von Erwerbstätigen
Allgemeine Weiterbildung
Berufliche Weiterbildung von Arbeitslosen
(Marktsituation, Normenvorgaben)
Organisationale Binnenverhältnisse (Produkt, Formen der Leistungserstellung, Wissen)
Organisationale Entwicklungskultur Implementierte Maßnahmen der Personalentwicklung
Betriebliche Weiterbildung
Individuelle berufliche Weiterbildung
Abb. 1: Begriffsnetz Weiterbildung
In ihrem Weißbuch „Lehren und Lernen – Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ unterstreicht die Europäische Kommission (1996, S. 21) die Bedeutung der allgemeinen und der beruflichen Bildung sowie des lebensbegleitenden Lernens, da durch x die Herausbildung der Informationsgesellschaft, x die wissenschaftlich-technische Zivilisation und x die Globalisierung der Wirtschaft die Bedingungen der Wirtschaftstätigkeit und das Funktionieren der Gesellschaften tief greifend und nachhaltig verändert würden. Für interessant halten wir, dass im Zusammenhang mit der Suche nach Antworten, wie diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen sei, als eines der herausragenden Ziele angeführt wird, es gelte, „die Ausgrenzung zu bekämpfen“ – z.B. die er Berufsrückkehrerinnen (ebd., S. 67). Denn zu den Voraussetzungen, die Risiken mindern und an den positiven Möglichkeiten der Veränderungen aktiv teilhaben zu können, gehöre, dass die erforderlichen Qualifikationen erworben werden können bzw. das relevante Wissen zur Verfügung steht. Prinzipiell wird von den meisten Betrieben der Nutzen von Weiterbildung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und für die Steigerung der Arbeitseffizienz durchaus gesehen, und die eingangs referierten Angaben der Unternehmen über die Höhe ihres fi-
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nanziellen Engagements scheinen hierfür auch ein Beleg zu sein. Werden jedoch weitere Indikatoren herangezogen, dann zeichnen sich einige der Herausforderungen ab, vor denen die berufliche – und speziell die betriebliche – Weiterbildung in Deutschland stehen: Zunächst gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass bei der betrieblichen Weiterbildung die Beteiligungsquote von Beschäftigten in Deutschland deutlich unter jener in den meisten anderen EU-Staaten liegt (vgl. Europäische Kommission 2003). Darüber hinaus zeigen sich zwischen den Unternehmen beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des tatsächlichen Weiterbildungsengagements und dessen Ausgestaltung (vgl. Dobischat/Seifert 2001). An den für die Weiterbildungsstatistiken oder im Rahmen von Untersuchungen erhobenen Daten lässt sich – seit Jahren im Wesentlichen unverändert – ablesen, dass x in der Mehrzahl der Betriebe kein systematisch entwickeltes und dokumentiertes Weiterbildungskonzept (inklusive Erfolgskontrolle) vorliegt, x Großbetriebe sich stärker engagieren als Kleinbetriebe, x die betriebliche Weiterbildung im Öffentlichen Dienst im Vergleich zu den meisten Branchen der Privatwirtschaft höhere Beteiligungsquoten aufweist, x an der betrieblichen Weiterbildung die verschiedenen Beschäftigtengruppen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt sind und für sie aus der Teilnahme auch ein verschieden hoher Nutzen resultiert. In gleichstellungspolitischer Perspektive ist der letzte Punkt von besonderem Interesse: Sitzen Frauen noch immer in der ‚zweiten Reihe‘, wenn es um die betriebliche Weiterbildung geht? Aktuellen Statistiken ist zu entnehmen, dass weibliche Beschäftigte inzwischen eine annähernd gleiche Beteiligungsquote und Anzahl von Teilnahmestunden pro TeilnehmerIn aufweisen wie ihre Kollegen (vgl. z.B. Europäische Kommission 2003; Leber 2002). Auf den ersten Blick erscheint die Gleichstellungspolitik im Handlungsfeld ‚Betriebliche Weiterbildung‘ als Erfolgsgeschichte und Maßnahmen wie z.B. die Formulierung von Grundsätzen der Gleichbehandlung von Frauen und Männern haben wohl auch dazu beigetragen, die Partizipationschancen der weiblichen Beschäftigten zu erhöhen. Auf den zweiten Blick jedoch zeigt sich zum einen, dass diese Angleichung auf einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen Niveau realisiert wird (s.o.). Zum andern konnten die ‚klassischen‘ Probleme noch nicht zufriedenstellend gelöst werden: x Noch immer sind Teilzeitbeschäftigte in Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung unterrepräsentiert. Da Frauen den größten Teil dieser Beschäftigtengruppe ausmachen, sind sie gerade von dieser Schlechterstellung besonders betroffen. x Erst wenige Unternehmen bieten MitarbeiterInnen in der Elternzeit spezielle Programme an, um ihre Qualifikation aktualisieren zu können oder einfach Kontakt zu halten. Da Elternzeit weit überwiegend von Frauen wahrgenommen wird (vgl. Statistisches Bundesamt 2006), sind sie auch davon am stärksten betroffen. x Eine Benachteiligung gegenüber den Männern erfahren Frauen auch in der beruflichen Weiterbildung insgesamt (vgl. Büchel/Pannenberg 2004): Sie erhalten seltener eine finanzielle Unterstützung vom Arbeitgeber, und sie können die Maßnahmen zu geringeren Teilen während der Arbeitszeit absolvieren.
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Die Befunde aus den Erhebungen zur Weiterbildungsbeteiligung der weiblichen Beschäftigten stimmen zwar – u.a. wegen unterschiedlicher Fragestellungen und methodischer Vorgehensweisen – nicht in allen Punkten überein, zeigen aber dennoch: Auch wenn hinsichtlich der Beteiligungsquote kaum noch Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten festzustellen sind, haben bestimmte Gruppen von Beschäftigten doch deutlich schlechtere Chancen, in den Genuss betrieblicher Weiterbildung zu gelangen – und Frauen stellen einen Großteil von deren Mitgliedern. Da die noch bestehenden Benachteiligungen nicht auf Differenzen in der Eingangsqualifikation zurückzuführen sind, wird mit dieser Praxis nicht nur gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (s.u. 2.) verstoßen, sondern ebenso gegen die mit HumanResource-Ansätzen verknüpfte Zielsetzung, vorhandene Potenziale besser zu nutzen. Letzteres lässt sich sicherlich nicht durch einfache Rechenoperationen zweifelsfrei nachweisen, und bisherige Bemühungen um ein umfassendes Weiterbildungscontrolling haben gezeigt, dass ein solches – nicht zuletzt unter Kostengesichtspunkten – schwierig zu entwickeln und zu handhaben ist. Gleichwohl erstaunt es, dass nur in wenigen Betrieben die Ausgrenzungspraxis gegenüber den weiblichen Beschäftigten zur Kenntnis genommen und versucht wird, die „Ausschlussmechanismen“ (so treffend Stut 1992, S. 31) zu identifizieren und zu beseitigen, da einige Nachteile für die betriebliche Leistungserstellung auch ohne aufwendige Prüfverfahren erkennbar sind: Die Nicht-Beteiligung einer großen Gruppe der Beschäftigten an Weiterbildungsmaßnahmen begrenzt das in der Organisation verfügbare Wissen sowie dessen weiteren Ausbau auf ein Niveau unterhalb dessen, was aufgrund des Potenzials möglich wäre. Damit verfügen solche Organisationen gerade nicht über die Entwicklungskultur einer Lernenden Organisation, denn diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Lernen all ihrer Mitglieder ermöglicht und sich kontinuierlich verändert (vgl. z.B. Pedler/Burgoyne/Boydell 1991). Im Folgenden stellen wir anhand ausgewählter Regelungen dar, welche rechtlichen Normierungen bislang vorgenommen worden sind, um die Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern in Bezug auf die Beteiligung an der betrieblichen Weiterbildung herbeizuführen und zu gewährleisten. Im abschließenden dritten Teil geht es um Gestaltungsempfehlungen: Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Benachteiligung der Frauen in diesem Bereich abzubauen.
2. Chancengerechtigkeit in der betrieblichen Weiterbildung als Gegenstand arbeitsrechtlicher Regelungen 2.1 Europäische Union Art. 141 Abs. 3 des EG-Vertrages von 1999 („Amsterdamer Vertrag“) behandelt speziell die Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ausführlicher dazu: Arndt 2006, S. 175f). In Abs. 4 wird die Durchführung von speziellen Begünstigungsmaßnahmen, z.B. Frauenförderprogramme, legitimiert, um damit gegebenenfalls das unterrepräsentierte Geschlecht zu unterstützen.
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Die bereits 1976 verabschiedete Richtlinie (76/207/EWG) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die sonstigen Arbeitsbedingungen wurde 2002 durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat vollständig überarbeitet (2002/73/EG). In Art. 3 ist festgelegt, dass, bei der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung unmittelbare und mittelbare Diskriminierung im Hinblick auf das Geschlecht verboten sind. Hinsichtlich dieser Regelungen ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in nationales Recht umgesetzt werden (vgl. Europäische Kommission 2005, S. 7ff), und dass ihre tatsächliche Einhaltung nicht oder nur unzureichend überprüft wird (vgl. von Friesen/Rühl 2002).
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Deutschland: Übergreifende Regelungen
Im August 2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten, das der Umsetzung von vier Richtlinien zur Gleichbehandlung der Europäischen Union in deutsches Recht dient (vgl. z.B. Wolff 2006) und sowohl die Beschäftigten der Privatwirtschaft als auch die des Öffentlichen Dienstes vor Benachteiligungen u.a. wegen des Geschlechts schützt (vgl. z.B. Ricardi 2006). Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen (…) des Geschlechts (…) zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1), und zwar – laut § 3 – sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Laut § 2 Abs. 1 Ziff. 3 sind Benachteiligungen beim Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung, verboten. Eine unmittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts liegt gemäß § 3 Abs. 1 auch vor, wenn eine Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft bei betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen benachteiligt wird. § 12 verpflichtet die Arbeitgeber alle notwendigen Maßnahmen vorzunehmen, um Benachteiligungen zu verhindern, u.a. durch Weiterbildungsmaßnahmen zur Information über rechtliche Regelungen und präventive Aktionen. Die §§ 13 bis 16 eröffnen betroffenen Beschäftigten wichtige Rechte, mittels derer sie gegen Benachteiligungen vorgehen können. § 17 Abs. 1 verpflichtet Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Interessenvertretung, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken. Aufgrund des AGG muss die Personalpolitik geprüft und gegebenenfalls entsprechend geändert werden. Wie die Anpassung vorgenommen werden soll, schreibt das Gesetz nicht vor, sondern lässt den ArbeitgeberInnen Spielräume zu entscheiden, welche Maßnahmen eingeführt werden, um Benachteiligungen zu verhindern (vgl. auch Stuber 2006).
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2.3 Deutschland: Privatwirtschaft Im Jahr 2001 wurde das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) umfassend reformiert und dabei hinsichtlich der Förderung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im Betrieb durch Änderung des § 80 in Abs. 1 Ziff. 2a festgelegt, dass es zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats gehört, die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg zu fördern. Darauf wird in § 92 nochmals Bezug genommen: So hat der Betriebsrat nach Abs. 1 ein Informationsund Beratungsrecht bei der Personalplanung, und gemäß Abs. 2 kann er dem Arbeitgeber deren Einführung vorschlagen. Entsprechend Abs. 3 gelten diese beiden Bestimmungen insbesondere für die Aufstellung und Durchführung von Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Gemäß § 92a Abs. 1 kann der Betriebsrat Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung machen, bspw. betriebliche Qualifizierungsmaßnahmen und der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin muss über diese mit dem Betriebsrat beraten und im Falle einer Ablehnung Begründungen anführen. Gemäß § 96 Abs. 1 kann der Betriebsrat eine Prüfung des Berufsbildungsbedarfs im Unternehmen verlangen und dazu eigene Vorschläge machen, z.B. kann er eine geschlechtsdifferenzierte Bedarfsanalyse empfehlen. Arbeitgeber und Betriebsrat haben bei betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen auch die Belange älterer Arbeitnehmer, Teilzeitbeschäftigter und von Arbeitnehmern mit Familienpflichten zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 2). Fehlen Fortbildungsangebote zur Verhinderung von Qualifizierungsdefiziten, hat der Betriebsrat nach § 97 Abs. 1 ein Initiativrecht bei der Einführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen. Dieses kann eingesetzt werden, um bspw. Weiterbildungsmaßnahmen für MitarbeiterInnen in Elternzeit anzubieten. Wenn sich die Tätigkeiten im Unternehmen durch technische oder organisatorische Neuerungen ändern und die bisherigen Kenntnisse der Beschäftigten für die Aufgabenerfüllung nicht mehr ausreichen, hat der Betriebsrat laut § 97 Abs. 2 ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Maßnahmen der Berufsbildung. Nach § 98 Abs. 1 hat der Betriebsrat bei der Art der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht. Damit kann er auch entsprechende Vorkehrungen treffen, damit die Weiterbildungsmaßnahmen sowohl Frauen als auch Männer ansprechen. Zudem kann er Einfluss auf die Rahmenbedingungen (z.B. Zeit und Ort der Fortbildung) nehmen, um der jeweiligen Zielgruppe die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen zu erleichtern. Ist das Aus- und Weiterbildungspersonal fachlich oder persönlich nicht geeignet, kann er, nach § 98 Abs. 2, einer Bestellung widersprechen oder eine Abberufung verlangen. Gemäß § 98 Abs. 3 kann der Betriebsrat sicherstellen, dass Frauen entsprechend ihrem Anteil oder gegebenenfalls einer festgelegten Quote an den Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen können: Führt der Arbeitgeber betriebliche Maßnahmen der Berufsbildung durch oder stellt er für außerbetriebliche Maßnahmen der Berufsbildung Arbeitnehmer frei oder trägt er die durch die Teilnahme von Arbeitnehmern an solchen Maßnahmen entstehenden Kosten ganz oder teilweise, so kann der Betriebsrat Vorschläge für die Teilnahme von Arbeitnehmern oder Gruppen von Arbeitnehmern des Betriebs an diesen Maßnahmen der beruflichen Bildung machen. Be-
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züglich der Bildungsmaßnahmen leitender Angestellter besitzt der Betriebsrat nach § 105 lediglich ein Informationsrecht. Die Berücksichtigung von teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bei der betrieblichen Weiterbildung ist im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) aus dem Jahr 2000 vorgeschrieben. Dort heißt es in § 10: Der Arbeitgeber hat Sorge zu tragen, dass auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Entwicklung und Mobilität teilnehmen können, es sei denn, dass dringende betriebliche Gründe oder Aus- und Weiterbildungswünsche anderer teilzeit- oder vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen. Neben den gesetzlichen Regelungen wurden sowohl auf tarifvertraglicher als auch auf betrieblicher Ebene Vereinbarungen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in der betrieblichen Weiterbildung getroffen. Dazu jeweils ein Beispiel: x Mit § 9 Ziff. 7 des Tarifvertrags für das private und öffentliche Bankgewerbe (Stand 2002) wird dem Bestreben Ausdruck verliehen, die Partizipationschancen von Teilzeitbeschäftigten zu erhöhen (vgl. BMFSFJ 2005): Teilzeitbeschäftigte sollen in Fragen der beruflichen Entwicklung sowie im Bereich der Weiterbildung wie Vollzeitkräfte entsprechend den betrieblichen und persönlichen Möglichkeiten sowie den Anforderungen des Arbeitsplatzes gefördert werden. x In einer Betriebsvereinbarung zur Gleichstellung von Männern und Frauen der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) aus dem Jahr 2003 sind die Belange von Frauen, Beschäftigten mit Familienpflichten und Teilzeitkräften berücksichtigt (vgl. BMFSFJ 2006): Unter Pkt. 3 wird festgelegt, dass MitarbeiterInnen während der Elternzeit regelmäßig weitergebildet und mit Informationen versorgt werden. Im Bedarfsfall können auch Aushilfstätigkeiten vereinbart werden. Pkt. 6 betrifft die Qualifikationsförderung von Frauen und ArbeitnehmerInnen mit Familienpflichten: Die Führungskräfte des Unternehmens sind verpflichtet, das Interesse und die Bereitschaft entwicklungsfähiger Frauen an Qualifikationsfördernden Maßnahmen zu unterstützen und diesen Frauen eine Begleitung bei ihren Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten. Das Unternehmen berücksichtigt bei der zeitlichen Planung von Fortbildungsveranstaltungen die besonderen Belange der Beschäftigten mit Familienaufgaben. Bei Teilzeitbeschäftigten übernimmt die Gesellschaft die Kosten der Kinderbetreuung, die anlässlich der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen entstehen. (…) Die Mitarbeiter/-innen des Personalbereichs sind wie alle Führungskräfte des Unternehmens verpflichtet, sich über Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu informieren; der Besuch entsprechender Fortbildungsveranstaltungen gehört in diesen Zusammenhang. Diese Regelungsbeispiele spiegeln die Bemühungen, identifizierte Schlechterstellungen zu beseitigen. Entscheidend ist, inwieweit es gelingt, sie in der betrieblichen Praxis umzusetzen und die angestrebten Effekte zu erzielen. Dazu gibt es allerdings kaum Evaluationen. Eine Ausnahme ist die von der Hans-Böckler-Stiftung 2006 durchgeführte Erhebung: Im Qualifizierungstarifvertrag für die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie vom 19.06.2001 wird allen Beschäftigten das Recht eingeräumt, mindestens einmal jährlich ein Qualifizierungsgespräch mit dem Arbeitgeber zu führen, um den Bedarf an Weiterbildung festzustellen. Nach Angaben von Führungskräften und Be222
triebsrätInnen wird jedoch das Qualifizierungsgespräch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich im Elternurlaub befinden, nur „ganz selten wahrgenommen“ (Bahnmüller/Fischbach/Jentgens 2006, S. 73). Damit liegt ein Indiz vor, dass die Regelung nicht hinreichend greift, und es wäre der Frage nachzugehen, welche Hindernisse der Wahrnehmung des Angebots entgegenstehen.
2.4 Deutschland: Öffentlicher Dienst In Deutschland sind das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) aus dem Jahr 2001 und die 16 Gleichstellungsgesetze der Länder grundlegend für die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Öffentlichen Dienst. Hinsichtlich der Paragraphen zu Frauenförderung bzw. Gleichstellung in der Weiterbildung, die alle diese Gesetze enthalten, unterscheiden Dagmar Schiek u.a. (2002) vier Regelungsfelder: x Fortbildung als Bestandteil einer geschlechtergerechten Personalentwicklung, x Einbindung von Frauen und Männern mit Familienpflichten und beurlaubten Beschäftigten in Fortbildungsmaßnahmen, x Nutzung von Fortbildungsveranstaltungen zur Vermittlung der Gleichstellungsrechte (insbesondere im Rahmen von Führungskräfte-Schulungen) und x Anbieten von speziellen Fortbildungsmaßnahmen für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte (z.B. fachbezogene Schulungen, damit eine effektive Aufgabenerfüllung gewährleistet werden kann). Bevor ein Regelungsbeispiel angeführt wird, gilt es noch eine Sprachregelung zu erläutern: In den Gesetzestexten finden sich die Bezeichnungen ‚Fortbildung‘ oder ‚Fortund Weiterbildung‘. ‚Weiterbildung‘ wird als Oberbegriff für die berufliche Fortbildung, die politische Bildung und die allgemeine Weiterbildung gebraucht. In der Kombination ‚Fort- und Weiterbildung‘ fungiert ‚Weiterbildung‘ eher als Sammelbegriff für die allgemeine und die politische Weiterbildung (vgl. Schiek u.a. 1996). Unter ‚Fortbildung‘ wird die enger berufsbezogen ausgerichtete Qualifizierung verstanden. Nun zum Regelungsbeispiel § 10 BGleiG. Dieser umfasst die folgenden Punkte: (1)Die Dienststelle hat durch geeignete Maßnahmen die Fortbildung von Frauen zu unterstützen. Bei der Einführungs-, Förderungs- und Anpassungsfortbildung sind Frauen mindestens entsprechend ihrem Anteil an der jeweiligen Zielgruppe der Fortbildung zu berücksichtigen. (2)Die Dienststelle muss Beschäftigten mit Familienpflichten die Teilnahme in geeigneter Weise ermöglichen. Soweit erforderlich sind zusätzliche Veranstaltungen anzubieten, die den räumlichen und zeitlichen Bedürfnissen von Beschäftigten mit Familienpflichten entsprechen. Möglichkeiten der Kinderbetreuung sollen im Bedarfsfall angeboten werden. (3)Fortbildungskurse, die Frauen den beruflichen Aufstieg, insbesondere auch aus den unteren Besoldungs-, Vergütungs- und Lohngruppen sowie den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit nach einer Unterbrechung der Berufstätigkeit zur Wahrnehmung
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von Familienpflichten erleichtern, sind in ausreichendem Maße anzubieten. Absatz 2 gilt entsprechend. (4)Beschäftigte der Personalverwaltung und alle Vorgesetzten sind verpflichtet, sich über Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu informieren. Sie sollen entsprechende Fortbildungsveranstaltungen besuchen. (5)Der Gleichstellungsbeauftragten und ihrer Stellvertreterin ist Gelegenheit zur Fortbildung insbesondere im Gleichstellungsrecht und in Fragen des öffentlichen Dienst-, Personalvertretungs-, Organisations- und Haushaltsrechts zu geben. (6)Frauen sind verstärkt als Leiterinnen und Referentinnen für Fortbildungsveranstaltungen einzusetzen. In § 24 BGleiG wird darüber hinaus festgelegt, dass von der Dienststelle jährlich die Zahl der Männer und Frauen bei Fortbildung zu erfassen ist und die Daten der obersten Bundesbehörde mitzuteilen sind. Ähnliche Regelungen, aber auch eigene Akzentsetzungen, finden sich in den Landesgleichstellungsgesetzen. Auch dazu einige Beispiele: x In Berlin sollen die Fortbildungsgrundsätze der Verwaltungsakademie regelmäßig daraufhin überprüft werden, wie frauenspezifische Inhalte besser berücksichtigt und die Förderung von Frauen verbessert werden können. x In Niedersachsen wird ein zahlenmäßig ausgeglichener Einsatz von Referenten und Referentinnen angestrebt. x Brandenburg u.a. legen fest, dass die Plätze für Fortbildungsveranstaltungen zur Hälfte mit Frauen besetzt werden sollen. In Baden-Württemberg sollen dagegen Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Zielgruppe berücksichtigt werden. x In Baden-Württemberg ist der Frauenvertreterin nicht nur die Teilnahme an spezifischen Fortbildungsveranstaltungen, sondern auch die Gelegenheit zur Beteiligung bei der Auswahl der TeilnehmerInnen an Fortbildungsveranstaltungen zu ermöglichen. x In Sachsen u.a. sollen Teilzeitbeschäftigte die gleichen beruflichen Fortbildungsmöglichkeiten haben wie Vollzeitbeschäftigte. x In Hamburg sind in das zentrale Fortbildungsprogramm Veranstaltungen für beurlaubte Beschäftigte zur Vorbereitung auf den beruflichen Wiedereinstieg aufzunehmen. Schließlich unterscheiden sich die Landesgesetze auch hinsichtlich des gewählten Verbindlichkeitsgrades: So besteht § 10 des Frauengleichstellungsgesetzes von BadenWürttemberg überwiegend aus Empfehlungen, während § 11 des Gleichstellungsgesetzes Hamburgs Formulierungen aufweist, aus denen sich eine Verpflichtung ergibt. Im Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) sind die Rechte und Pflichten der Personalvertretungen im Bundesdienst geregelt. Nach § 68 Abs. 1 Ziff. 5a hat die Personalvertretung die Aufgabe, die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg, zu fördern. Der Personalrat hat außerdem 224
ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Angestellte und Arbeiter (§ 75 Abs. 3 Nr. 7) bzw. für Beamte (§ 76 Abs. 2 Nr. 1), soweit keine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung dazu besteht. Ebenso hat der Personalrat ein Mitbestimmungsrecht beim Einsatz von Maßnahmen, welche die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von weiblichen und männlichen Beschäftigten unterstützen (§ 76 Abs. 2 Nr. 10). Insgesamt dokumentieren die rechtlichen Regelungen das Bemühen, dem Grundsatz der Gleichbehandlung in der von Arbeitgeber- bzw. Dienstherrenseite getragenen beruflichen Weiterbildung Geltung zu verschaffen. Die positiven Auswirkungen auf Frauen und deren Gleichstellung sind – so die verbreitete Einschätzung – im Öffentlichen Dienst auch erkennbar (vgl. z.B. von Friesen/Rühl 2002). Insbesondere seien die Frauenquoten in hierarchisch höheren Positionen gestiegen. Damit bieten diese Regelungen eine solide Grundlage, an der weitere Entwicklungen orientiert werden können.
3. Chancengerechtigkeit in der betrieblichen Weiterbildung: Gestaltungsempfehlungen Für das Vorankommen auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern bei Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung sind traditionelle Stereotype aufzugeben. Zugleich sind Aufmerksamkeit und Phantasie gefragt, um Problembereiche identifizieren, neue Ideen generieren und verwirklichen zu können. Mit den nachfolgenden Hinweisen werden einige Orientierungspunkte für diesen Weg gesetzt.
3.1 Die Bereitschaft zum prüfenden Blick Dort, wo der „Mythos geschlechtsneutraler Personal- und Organisationsentwicklung“ (Goldmann/Meschkutat/Tenbensel 1993, S. 68) ungebrochen herrscht, bleiben geschlechtstypische Ausschlussmechanismen bzw. selektive Effekte unerkannt. Die im ersten Teil dieses Beitrags berichtete Angleichung der Teilnahmequoten von Frauen und Männern kann als Indiz gewertet werden, dass die unmittelbare Benachteiligung bzw. Diskriminierung des weiblichen Personals im Bereich der betrieblichen Weiterbildung nicht mehr auf die oberste Position der zu lösenden Probleme gesetzt werden muss. Eine Vielzahl kontinuierlicher Veränderungsprozesse in der Gesellschaft sowie in Unternehmen und Verwaltungen hat dazu beigetragen, dass genderorientierte Regelungen entwickelt werden konnten – und ist von diesen in der Folge wiederum angestoßen oder beschleunigt worden. Die nächsten Herausforderungen für ein gleichstellungspolitisch aufgeklärtes Weiterbildungsmanagement liegen im weiteren Ausbau von Maßnahmen, mit denen die mittelbare Diskriminierung weiblicher Beschäftigter (vgl. dazu auch Schiek in diesem Band) überwunden werden kann. Da Formen der mittelbaren Benachteiligung häufig weniger offensichtlich sind als unmittelbare, ist es i.d.R. auch aufwendiger sie aufzuspüren. Hier voranzukommen, setzt voraus, dass in dieser Herausforderung ein ernst zu nehmendes Aufgabenfeld der Personalpolitik gesehen wird und dafür geeignete Instrumente verfügbar sind und auch eingesetzt werden. 225
Zu solchen Instrumenten gehört das nachfolgend umrissene Berichtssystem ‚Weiterbildung‘.
3.2 Aufbau eines Berichtssystems ‚Weiterbildung‘ Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Datenlage bezüglich der betrieblichen Weiterbildung unbefriedigend sei. Diese Kennzeichnung gilt nicht nur hinsichtlich der öffentlichen Verfügbarkeit, sondern ebenso für betriebsinterne Belange: Aussagefähiges statistisches Material über die betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen ist in den Unternehmen nur in Ausnahmefällen vorhanden. Und auch einige Vorschläge bezüglich der zu erfassenden Daten (z.B. Wuppertaler Kreis 1992, S. 130) scheinen uns nicht hinreichend, da sie – im Unterschied zum Folgenden – nicht geeignet sind, mittelbare Diskriminierung zu erfassen. Da die oben vorgeschlagene (ständige) Überprüfung der Weiterbildungspraxis jedoch nur auf der Basis differenzierter Daten erfolgen kann, sollten Statistiken geführt werden, in denen möglichst die folgenden Indikatoren berücksichtigt sind (vgl. dazu auch die Anregungen von TOTAL E-QUALITY Deutschland bzw. Roer in diesem Band und Stiegler 2000): (1) Zweck der Maßnahme (z.B. Einarbeitung, Führungsnachwuchsförderung, Anpassungsqualifizierung) (2) Thema (3) Zielgruppe (Funktionsbezeichnung(en), Abteilung(en)) (4) Gesamtzahl der Beschäftigten in der Zielgruppe (5) Frauenanteil in der Zielgruppe (6) Beschäftigungsverhältnisse in der Zielgruppe, getrennt nach Geschlecht ausgewiesen (7) Anzahl der TeilnehmerInnen (8) Frauenanteil in der Gruppe der TeilnehmerInnen (9) Beschäftigungsverhältnisse in der Gruppe der TeilnehmerInnen, getrennt nach Geschlecht ausgewiesen (10) Durchführungsart (z.B. Seminar, Unterweisung am Arbeitsplatz, Qualitätszirkel, job rotation) (11) Zeit (Datum, Dauer pro Sequenz, Anzahl der Sequenzen, Lage) (12) Ort (intern, extern) (13) Unterstützende Begleitmaßnahmen (z.B. Kinderbetreuung) (14) Direkte Kosten pro TeilnehmerIn (z.B. Seminargebühren, Unterbringung, Verpflegung) (15) Initiative (z.B. Vorgesetzte(r), TeilnehmerIn). Um ein realistisches Bild zu erhalten, ist es wichtig, alle Maßnahmen zu erfassen, die, wie oben in der Definition beschrieben, mit dem Ziel der Qualifikationsentwicklung durchgeführt werden. Dazu gehört die vertretungsweise Übernahme der Vorgesetzten-
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funktion genauso wie die Mitarbeit in einer Projektgruppe im Rahmen einer OE-Maßnahme. Eindrucksvolle Beispiele für ein solch erweitertes Verständnis von Weiterbildung beschreiben Barbara Dürk (1996) für den Öffentlichen Dienst und Edelgard Kutzner (1995) für die Privatwirtschaft.
3.3 Frauen für den Aufstieg werben Diese Empfehlung resultiert aus zwei verschiedenen, jedoch in beiden Fällen für die weiblichen Beschäftigten nachteiligen, Bedingungskonstellationen: (a) Oftmals wird erwartet, dass an Weiterbildung und Aufstieg interessierte Beschäftigte dies gegenüber Vorgesetzten kundtun. Das führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Benachteiligung des weiblichen Personals, da viele Frauen betrieblichen Karrierewegen reservierter gegenüberstehen als Männer. Diese Distanz darf jedoch weder mit der Weigerung, Karriere zu machen, gleichgesetzt werden, noch lässt sich daraus ein – im Vergleich zu Männern – geringeres Interesse an individueller beruflicher Entwicklung ableiten. Vielmehr sind Frauen genauso daran interessiert, herausfordernde Aufgaben übertragen zu bekommen wie ihre Kollegen. Vielen Frauen ist jedoch wichtig, dass die Aufstiegsmöglichkeit ihnen angeboten wird und sie damit weniger das Gefühl haben müssen, ihren Aufstieg auf Kosten anderer durchgesetzt zu haben. Die letztere Konstellation stellt für viele eine Hürde dar. (b) Während in Kleinst- bzw. Kleinbetrieben mit bis zu 9 bzw. 49 MitarbeiterInnen der Anteil der Frauen auf Stellen der oberen und obersten Führungsebenen zwischen 20 und 25 Prozent beträgt, sind Frauen auf den obersten Hierarchiestufen von Großbetrieben nur mehr in einer Größenordnung von deutlich unter 10 Prozent anzutreffen (vgl. Bundesregierung 2006). Mit diesen Werten liegt Deutschland im europäischen Vergleich weit unter dem Durchschnitt (vgl. Pagel/Stange 2003; Mudra 2004). Die Barrieren für den Aufstieg der Frauen sind keine explizit gesetzten, sondern resultieren vor allem aus sozialen, psychischen und kulturellen Mustern (Rollenzuschreibungen oder Stereotypisierungen), die schwierig zu identifizieren und nicht für alle Beteiligten transparent sind und im Ergebnis eine Art unsichtbare Grenze, eine ‚gläserne Decke‘ (glass ceiling) bilden (vgl. dazu z.B. Osterloh/Littmann-Wernli 2002; Falk/Voigt 2006). So haben – aufgrund ihrer stärkeren Präsenz in den oberen Hierarchieebenen – vorwiegend männliche Beschäftigte Einfluss auf Auswahl-, Beförderungs- bzw. Vergütungsentscheidungen und den Zugang zur betrieblichen Weiterbildung. Dies kann dazu beitragen, dass Frauen bei für den Aufstieg maßgeblichen betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen nicht in angemessenem Maße berücksichtigt und weniger häufig auf karriereförderlichen Positionen eingesetzt werden. Ein Beitrag zur Realisierung der Chancengerechtigkeit in diesem Zusammenhang besteht demnach darin, die praktizierten Formen der Meldung zur Teilnahme an Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung zu überprüfen und, neben den traditionellen Formen betrieblicher Weiterbildung, auch neue Instrumente, wie z.B. Mentoring-Pro-
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gramme (vgl. z.B. Haasen 2002; Peters/Schmicker/Weinert 2004 und Wolf in diesem Band) zu erproben.
3.4 Uneingeschränkte Beteiligung von Teilzeitbeschäftigten Durchgängig wird in den Studien berichtet, dass teilzeitbeschäftigte MitarbeiterInnen in Bezug auf betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen geringere Beteiligungschancen haben, womit der Verdacht auf mittelbare Diskriminierung besteht. Diese Chancenminderung ist Frauen auch bewusst, während Männer die aus der Teilzeitbeschäftigung resultierende Schlechterstellung wesentlich seltener erkennen, so das Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung in einem Berliner Bezirksamt (Ebner/Krell 1997). Ähnliche Diskrepanzen in den Einschätzungen und Wahrnehmungen ihrer beruflichen Entwicklungschancen von Frauen und Männern werden auch aus anderen Untersuchungen berichtet. Betriebliche Aufklärungsarbeit scheint hier erforderlich, und zwar vermutlich auf allen Ebenen. Darüber hinaus geht es darum, die teilzeitbeschäftigten MitarbeiterInnen bei der Maßnahmenplanung besonders zu berücksichtigen und durch gezielte Werbemaßnahmen zur Beteiligung zu ermutigen.
3.5 Rückkehr unterstützen Die Überlegungen zu Teilzeitbeschäftigten lassen sich im Wesentlichen auch auf die Situation der vorübergehend aus der Erwerbstätigkeit ausscheidenden MitarbeiterInnen übertragen. Auch hier handelt es sich (noch) mit großem Abstand um weibliche Beschäftigte, die Elternzeit in Anspruch nehmen und während dieser Zeit die Unterstützung seitens des Betriebes benötigen, um ihre Qualifikation auf dem Stand der Entwicklung halten zu können. Einem auf Förderung bedachten und zugleich ökonomisch sinnvollen – weil das organisationsspezifische Wissen erhaltenden – Weiterbildungsmanagement kommt die Aufgabe zu, diese Brücken zu stabilen Verbindungen auszubauen. Dies bedeutet z.B. Bedingungen zu schaffen, die es den in Elternzeit befindlichen MitarbeiterInnen ermöglichen, Kontakt zu halten, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen und in den erforderlichen Informationsfluss einbezogen zu bleiben. Beispiele einer darauf ausgerichteten Weiterbildungspraxis finden sich schon bei Carola Busch (1994).
3.6 Frauenspezifische betriebliche Weiterbildung? Mehrere AutorInnen schlagen vor, frauenspezifische Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen. Damit sind Veranstaltungen gemeint, in denen spezielle Themen für Frauen behandelt werden oder/und die ausschließlich Frauen offen stehen (vgl. z.B. Dilg in diesem Band). In ihrer Befragung weiblicher und männlicher Führungsnachwuchskräfte erhalten Christine Autenrieth, Karin Chemnitzer und Michel Domsch (1993, S. 151ff)
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kein einheitliches Bild: Die Frauen sehen generell wenig Bedarf für frauenspezifische Angebote, am ehesten noch in thematischen Bereichen wie „Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen“ oder „frauenspezifischer Erfahrungsaustausch“. Im Rahmen der Studie zur Verbesserung der beruflichen Chancen der Frauen in Hamburger Unternehmen kommen Michel Domsch, Antje Hadler und Detlev Krüger (1994, S. 78) zu dem Schluss, dass „die Mitarbeiterinnen offenbar nicht immer Interesse an Weiterbildungsangeboten nur für Frauen“ haben, jedoch auch die Vermutung nahe liege, dass „ein betriebliches Informationsdefizit hinsichtlich der Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen“ vorliegen könne. Der Frauenpolitische Dienst (Folge 128, vom 23.02. 1994) berichtet von einer Mitteilung des DIHT, wonach eine Bestandsaufnahme bei 500 Weiterbildungsanbietern ergeben habe, dass es sowohl außer- wie auch innerbetrieblich kaum frauenspezifische Weiterbildung gibt. Wiltrud Gieseke (1993, S. 80f) verweist auf Lernformen und -strategien, die insbesondere Frauen eigen seien, was für frauenspezifische Weiterbildungsmaßnahmen spräche. Christiane Schiersmann (1997, S. 288) plädiert für geschlechtshomogene Lerngruppen, soweit es frauenspezifische Lernanlässe und auch – zumindest in einigen Bereichen – deutlich unterschiedliche weibliche bzw. männliche Lernkulturen gibt. Insgesamt spricht vieles dafür, den weiblichen Beschäftigten weder frauenspezifische Weiterbildungsmaßnahmen aufzunötigen, noch ihnen die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit speziellen Themen unter von ihnen bestimmten Rahmenbedingungen zu verwehren. Beides entspräche nicht dem Leitbild einer offenen und individuelle Bedürfnisse berücksichtigenden Lernkultur.
4. Schlussbemerkung Betriebliche Weiterbildung von Mitarbeiterinnen ist so etwas wie der Paradefall des Diversity Management (vgl. Krell in diesem Band): Aneignung und Nutzung beruflichen Wissens gelingen am ehesten dort, wo eine betriebliche Lernkultur den verschiedenen Individuen und Gruppen in der Organisation die ihnen gemäßen Entwicklungsbedingungen bietet.
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Personalbewegungen
Jutta Wolf
Praxisbeispiel Commerzbank: Cross-Mentoring 1. Mentoring – alte Idee, neues Konzept Der Ursprung des Begriffes „Mentoring“ wird auf die griechische Mythologie zurückgeführt. Dort heißt es, dass Odysseus den Gelehrten Mentor gebeten hat, sich während seiner Abwesenheit um die Erziehung seines Sohnes Telemachos zu kümmern. Der Begriff Mentor wurde damit zum Synonym für einen allgemein geachteten und gebildeten Menschen, der für einen jüngeren und weniger erfahrenen Menschen als verantwortungsbewusster Ratgeber fungiert (vgl. Haasen 2002, S. 103). Mentoring als Prinzip wurde in den folgenden Jahrhunderten in den „Old Boys’ Networks“ aufgegriffen, um ausgewählten jungen Männern das Hineinwachsen in eine immer komplexer werdende Arbeitswelt zu erleichtern. Vielen Nachwuchskräften und vor allem Frauen blieb der Zugang zu solchen Netzwerken verwehrt. In den 1970er Jahren wurden im Wirtschaftsbereich erstmals in den USA und dann in den skandinavischen Ländern formale Mentoring-Programme eingeführt, in Deutschland Mitte der 1990er Jahre (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1998, S. 17). In diesen Programmen steht Mentoring für einen Prozess, in dem eine berufserfahrene Persönlichkeit (Mentor/in) die Karriere und die Entwicklung einer weniger berufserfahrenen Person (Mentee) über einen festgelegten Zeitraum gezielt begleitet. Kernstück des Mentoring ist die personale Begegnung zweier Menschen. Inhalte und Methoden sind facettenreich und unterliegen keiner Normgebung. Sie werden bestimmt von den Erwartungen der Mentees und den Möglichkeiten der Mentoren. Dabei geht es nicht um die Vermittlung von Fachwissen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Weitergabe von Erfahrungen und Informationen, die i.d.R. nicht in Büchern nachzulesen sind. Genau darin liegt auch die Bedeutung dieser Maßnahme für Frauen. Ihnen fehlt nicht die notwendige Qualifikation, um Karriere zu machen, sondern die Unterstützung, die Männer über Jahrzehnte durch informelle Netzwerke erhalten haben. Sie haben i.d.R. keinen Zugang zu den Netzwerken der Männer, in denen Erfahrungen weitergegeben und Kontakte geknüpft werden, die für ein berufliches Fortkommen notwendig sind.
Jutta Wolf, Zentraler Stab Personal – Diversity, Projektleiterin Cross-Mentoring, Commerzbank AG, Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] 233
Mentoring für Frauen ist eine Möglichkeit, festgefahrene Strukturen aufzubrechen, um alle Beschäftigen gemäß ihren Kompetenzen zu fördern und weiterzuentwickeln. Unabhängig davon, ob Mentoring für Frauen und/oder Männer angeboten wird, unterscheidet man zwischen internen und externen Mentoring-Programmen. Bei den internen Konzepten ist das Tandem, bestehend aus Mentor/in und Mentee, aus demselben Unternehmen. Bei den externen Mentoring-Programmen sind Mentor/in und Mentee aus jeweils unterschiedlichen Unternehmen oder Institutionen; hierzu gehört auch das Programm Cross-Mentoring, das Gegenstand des nachfolgenden Erfahrungsberichtes ist.
2. Projektbeginn Die Idee für das Cross-Mentoring entstand 1998 im „Forum Frauen in der Wirtschaft“ (vgl. dazu auch Krell in diesem Band) und war damals bundesweit einmalig. Ausschlaggebend für die Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Projekt war der Wunsch aller Mitgliedsunternehmen, Know-how zu bündeln und ein Programm zu entwickeln, das weibliche Nachwuchskräfte in ihrer beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung unterstützt. Auslöser hierfür war der geringe Anteil an Frauen in gehobenen Fach- und Führungspositionen, der sich trotz annähernd gleicher Zahlen bei weiblichen und männlichen Studienabgängern und in der Regel sehr guten Bildungsabschlüssen der Frauen nur marginal verändert hatte. Mit einem unternehmensübergreifenden Mentoring sollten qualifizierte Frauen durch erfahrene Führungskräfte unterstützt und ihre Fähigkeiten und Potenziale sichtbar gemacht werden. Für die Teilnahme an einem Pilotprojekt entschieden sich – neben der Commerzbank – die Deutsche Bank, die Deutsche Lufthansa und die Deutsche Telekom. Innerhalb von einem halben Jahr wurden Informationen gesammelt (z.B. mit Hilfe des Deutschen Jugendinstituts), Erfahrungen aus bereits bestehenden Programmen eingeholt und ein Konzept für ein unternehmensübergreifendes Mentoring-Programm erarbeitet. In diesem ersten Konzept wurden vor allem die Ziele, die Spielregeln und die Auswahlkriterien für Mentees und Mentor/innen festgelegt sowie die Zuständigkeiten der beteiligten Firmen beschrieben. In dieser halbjährigen Vorlaufszeit gelang es allen Projektverantwortlichen, die Zustimmung der Vorstände einzuholen und das Rahmenprogramm abzustimmen. Für die Pilotphase (Oktober 1998 bis November 1999) wurden von jedem Unternehmen je drei Mentees ausgewählt, die jeweils einen Mentor bzw. eine Mentorin aus einem anderen Unternehmen bekamen. Aufgrund der positiven Rückmeldungen im Rahmen verschiedener Workshops und einer abschließenden anonymen schriftlichen Befragung wurde die Fortsetzung von Cross-Mentoring beschlossen. Seit dem zweiten Programmzyklus beteiligen sich jedes Jahr je acht Unternehmen mit insgesamt maximal 50 Tandems an dem Programm.
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3. Programm Im Folgenden werden die Kernpunkte des Konzeptes Cross-Mentoring beschrieben. Sie sind für alle Beteiligten transparent und dienen zur Umsetzung eines erfolgreichen Programms.
3.1 Ziele des Cross-Mentoring Als Kernziel wurde im Konzept die persönliche und berufliche Weiterentwicklung von weiblichen Führungs- und Nachwuchskräften festgehalten. Daneben soll Cross-Mentoring auch x den Wissenstransfer von Mentor/in zu Mentee (und umgekehrt) ermöglichen, x den Dialog zwischen den Generationen/Hierarchien fördern, x qualifizierte und kompetente Frauen sichtbar machen, x Unternehmenskulturen transparent werden lassen und x Netzwerke initiieren.
3.2 Aufgaben der Mentees und Mentor/innen Mentoring ist Lernen im Dialog. Die Gestaltung der direkten Beziehung zwischen Mentor/innen und Mentees erfolgt individuell. Wichtig ist, dass die Mentees zu Beginn klare und realistische Ziele für ihre Weiterentwicklung formulieren und sich mit ihren Mentor/innen darüber verständigen. Die Mentees müssen eigeninitiativ sein, Feedback einfordern und ihre Mentor/innen dort fordern, wo sie Unterstützung wünschen. Ziel ist es, die eigenen Kompetenzen, Qualitäten sowie Verbesserungspotenziale zu erkennen und daran zu arbeiten. Die Mentor/innen müssen sich auf Rollen einlassen, die keiner sozialen Normgebung unterliegen. So kann die erfahrene Führungskraft z.B. Ratgeber, Coach, Vorbild oder Türöffner sein. Wichtig ist, dass die Mentor/innen die Mentees darin ermutigen, die eigene (Führungs-)Persönlichkeit zu entwickeln, den eigenen Entscheidungen zu vertrauen und sich im Unternehmen sichtbar zu machen. Dabei ist es hilfreich, wenn die Mentor/innen von den Strategien und Verhaltensweisen berichten, die für die eigene Karriere von Bedeutung waren bzw. sind und Unterstützung beim Aufbau informeller Kontakte leisten.
3.3 Spielregeln und Empfehlungen Die Spielregeln im Cross-Mentoring sind die Basis für eine vertrauensvolle und wertschätzende Zusammenarbeit innerhalb der Tandems und zwischen den Unternehmen. Hierzu gehören Offenheit, Vertraulichkeit, Freiwilligkeit und ein Abwerbeverbot inner235
halb von zwei Jahren. Die Freiwilligkeit beinhaltet zum einen die freiwillige Teilnahme am Programm, zum anderen aber auch die Möglichkeit der Tandems, die Zusammenarbeit zu beenden und auf Wunsch eine andere Mentee bzw. einen anderen Mentor oder eine andere Mentorin zugeordnet zu bekommen. Dies kann z.B. notwendig werden, wenn sich Mentor/in und Mentee nicht sympathisch sind und kein Vertrauen zueinander aufbauen können. Die Spielregeln werden ergänzt durch die Empfehlungen des Projektteams. Diese geben den Rahmen an, der einen größtmöglichen Nutzen aus dem Programm gewährleisten soll. Zu den Empfehlungen gehört, dass zu Beginn die gegenseitigen Erwartungen genannt und abgeglichen werden. Ferner wird empfohlen, gemeinsame Ziele zu vereinbaren, die am Ende eine Erfolgsmessung möglich machen. Damit sich Mentor/in und Mentee regelmäßig austauschen, werden weiterhin Treffen im zeitlichen Abstand von vier bis sechs Wochen vorgeschlagen.
3.4 Auswahlkriterien und Matching Ungefähr ein halbes Jahr vor der Auftaktveranstaltung eines neuen Programmzyklus wählt jedes Unternehmen seine Mentees aus. Die Anzahl in den Unternehmen ist unterschiedlich und wird im Vorfeld abgestimmt. Als Mentees im Programm kommen Mitarbeiterinnen in Frage, die x mindestens zwei Jahre im Unternehmen tätig sind, x kurz vor der Übernahme einer ersten Führungsaufgabe (alternativ Projektleitung) stehen oder bereits erste Erfahrungen in einer solchen Aufgabe sammeln konnten und x Potenzial für eine berufliche Weiterentwicklung gezeigt haben. In persönlichen Gesprächen informieren die Projektverantwortlichen die ausgewählten Mentees und befragen sie zu ihren Erwartungen und Wünschen. Diese Informationen sind, neben einem standardisierten Lebenslauf von der Mentee und einem Fragebogen, wichtige Basis bei der Auswahl eines geeigneten Mentors. Beim eigentlichen Matching treffen sich alle Unternehmensvertreter/innen mit den Angaben zu den ausgewählten Mentees und legen fest, welches Unternehmen für welche Mentee einen Mentor bzw. eine Mentorin suchen darf. Bei der Zuordnung der Unternehmen spielt die räumliche Nähe zur Mentee eine wesentliche Rolle. Ungefähr zwei bis drei Monate verbleiben, um geeignete Mentor/innen für die Mentees auszuwählen. Dabei kommt es darauf an, Personen im Unternehmen zu finden, die an anderen Menschen interessiert sind und eine wichtige Aufgabe darin sehen, junge Talente zu fördern. Führungskräfte sind als Mentor/innen geeignet, wenn sie langjährige Berufserfahrung haben und über viele Kontakte verfügen. Ferner müssen sie bereit sein, offen über ihre Erfahrungen zu berichten und ihre Mentee zu neuen Leistungen anzuspornen. Ganz wesentlich ist, dass sich die Mentor/innen hierfür ausreichend Zeit nehmen können und wollen.
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Beim Matching mit der jeweiligen Mentee wird außerdem darauf geachtet, dass zwischen Mentee und Mentor/in ein Altersabstand gegeben ist und der Mentor bzw. die Mentorin ein oder zwei Führungsebenen über der Mentee positioniert ist. Vor der Auftaktveranstaltung erhalten Mentees wie Mentor/innen die Lebensläufe ihrer Sparringspartner. Das persönliche Kennenlernen findet i.d.R. bei der Auftaktveranstaltung statt.
3.5 Rahmenprogramm Noch vor dem eigentlichen Programmstart finden in den Unternehmen Informationsveranstaltungen für die Mentees statt. Hier werden die Mentees auf ihre Rolle vorbereitet, erhalten die Lebensläufe ihrer Mentoren bzw. Mentorinnen und bekommen die wichtigsten Informationen zum Programm. Das Briefing der Mentoren bzw. Mentorinnen erfolgt im Rahmen persönlicher Gespräche. Am Programmbeginn steht die eintägige Auftaktveranstaltung. Hier lernen sich Mentees und Mentor/innen kennen, erhalten Informationen zum Programm und haben die Möglichkeit, ihre Fragen von erfahrenen Mentees und Mentor/innen beantwortet zu bekommen. Nach einem halben Jahr findet eine Zwischenveranstaltung statt, bei der die bisherigen Erfahrungen ausgetauscht werden. Außerdem präsentieren die Mentees ihre Unternehmen in Form von Unternehmensständen und Vorträgen. Die Abschlussveranstaltung setzt einen Schlusspunkt hinter den einjährigen Programmzyklus. Hier werden die Ergebnisse aus der Nutzenerhebung (s. 3.6) vorgetragen und letzte Feedbacks eingeholt. Die Mentees werden zu zwei weiteren Veranstaltungen eingeladen. Ziel dieser MenteeTreffen ist, den Netzwerkgedanken zu verstärken und ergänzend interessante Themen (z.B. Persönlichkeitsprofil, Selbst-PR) anzubieten. Die Veranstaltungen finden in den Unternehmen statt und werden jeweils von einem Unternehmen organisiert und finanziell getragen. Dabei wird darauf geachtet, dass sich die Kosten pro Unternehmen entsprechend der Anzahl der Mentees adäquat verteilen.
3.6 Nutzenerhebung Nach jedem Programmzyklus folgt eine anonyme Erhebung mittels Fragebogen. Zuständig hierfür ist jeweils das Unternehmen, das die Abschlussveranstaltung durchführt. Die Kernfragen beziehen sich auf die Zufriedenheit mit den Mentoring-Partner/innen und dem Programm, auf den Nutzen, den die Beteiligten durch das Cross-Mentoring hatten, und auf Verbesserungsmöglichkeiten. Der größte Nutzen, den die Mentees für sich aus dem Cross-Mentoring ziehen, ist die persönliche Weiterentwicklung. An der Spitze der genannten Entwicklungen rangiert ein gestiegenes Selbstbewusstsein, gefolgt von einer größeren Eigeninitiative. Den Nutzen im beruflichen Umfeld sehen die Mentees darin, dass sie durch ein höheres Selbstbewusstsein ihre eigenen Fähigkeiten und Schwächen besser einschätzen und sich 237
dadurch anders behaupten können. Die Eigeninitiative schlägt sich in einer aktiveren und zielorientierten Gestaltung der eigenen Karriere nieder und trägt dazu bei, dass sich die Mentees stärker sichtbar machen. Positiv bewerten die Mentees auch das Kennenlernen von Frauen und Männern aus unterschiedlichen Hierarchieebenen und Unternehmen. Dies ermöglicht den Aufbau von Netzwerken und ist mit der Chance verbunden, auch über das Programm hinaus Erfahrungen auszutauschen. Interessant ist auch, dass durch Cross-Mentoring die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen steigt und die Arbeitsmotivation zunimmt. Beide Effekte sind unmittelbar einem Unternehmensnutzen zuzurechnen. Einige Mentees entwickeln sich bereits während der Teilnahme am Cross-Mentoring beruflich weiter, zwei Drittel der Mentees innerhalb von drei Jahren nach Beendigung des Programms. Viele der Mentees erklären, dass die Teilnahme am Cross-Mentoring, die Unterstützung des Mentors bzw. der Mentorin Anteil am beruflichen Erfolg hat. Die Mentor/innen sehen ihren Nutzen insbesondere darin, dass sie andere Unternehmens- und Führungskulturen kennen lernen, dadurch Vergleiche ziehen können und Anregungen für ihr eigenes Arbeitsumfeld bekommen. Als Bereicherung erleben sie auch die Kontakte, die zu Führungskräften der anderen Unternehmen entstehen. Ebenfalls häufig sehen sie einen Nutzen dadurch, dass sie durch die Mentees neue Impulse für die eigene Arbeit, insbesondere für ihr Führungsverhalten erhalten.
4. Fazit Die Ergebnisse und Erfahrungen über die Jahre bestärken uns in der Einschätzung, dass Mentoring durch den prozessualen Charakter sowie den individuellen und bedarfsorientierten Ansatz ein optimales und preiswertes Personalentwicklungsinstrument ist. Die Qualität des Mentorings steigt mit der gezielten Auswahl der Mentees und Mentor/innen sowie einem erfolgreichen Matching. Mentoring ist kein Selbstläufer, sondern erfordert von den Beteiligten hohes Engagement, die Bereitschaft Vertrauen aufzubauen und Zeit zu investieren. Mentoring ist dann nicht nur eine personenbezogene Nachwuchsförderung, die insbesondere Frauen neue Perspektiven eröffnet, sondern kann langfristig betrachtet einen wesentlichen Beitrag zur Qualitätsentwicklung von Organisationen leisten.
Literatur Deutsches Jugendinstitut e.V. München (1998): Mentoring für Frauen in Europa, 3. Aufl., München. Haasen, Nele (2002): Tandem für die Karriere, in: ManagerSeminare, o.Jg., Heft 52 (Januar), S. 100-106.
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Gudrun Dilg
Praxisbeispiel Axel Springer AG: Vernetzung von Sekretärinnen und Entwicklung zur Management-Assistentin 1. Der Weg zur Chancengleichheit in der Axel Springer AG Im April 1999 wurde die Axel Springer AG zum ersten Mal für ihre an Chancengleichheit orientierte Personalpolitik in der Betriebsstätte Hamburg mit dem „Total EQuality“-Prädikat ausgezeichnet. 2002 hatte auch die Zweitbewerbung Erfolg, und 2005 erhielt das Unternehmen gemeinsam mit dem „Forum Frauen in der Wirtschaft“ den Sonderpreis der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Wettbewerb „Erfolgsfaktor Familie“. Um diese Ziele zu erreichen, mussten wir jedoch einen langen Weg zurücklegen: Schon im Jahr 1982 griffen die Betriebsräte der Axel Springer AG in einer Betriebsversammlung erstmals das Thema „Chancengleichheit“ auf. Die folgenden zehn Jahre waren geprägt durch Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Wir hatten noch nicht gelernt, dass es sehr wohl möglich ist, Interessengegensätze und Meinungsverschiedenheiten gelten zu lassen, ohne gemeinsame Visionen und Ziele aus dem Auge zu verlieren. Zwar bestritt niemand gesellschaftliche und betriebliche Defizite zu Lasten der Frauen. Doch über die Notwendigkeit eines speziellen betrieblichen Programms war zunächst keine Einigung zu erzielen. Im Personalentwicklungskonzept von 1992 taten wir einen deutlichen Schritt nach vorn: Die Vorrangigkeit von Fördermaßnahmen für Mitarbeiterinnen wurde erkannt und in Maßnahmen wie z.B. einem Baustein zur Frauenförderung in Führungskräfteworkshops festgehalten. Die kontroverse Diskussion, ob denn wirklich besondere Frauenfördermaßnahmen nötig seien – schließlich wären in der Personalentwicklung die Frauen überall „mitgemeint“ – war damit allerdings noch nicht zu Ende. Im Prinzip war uns allen klar, dass die Ermutigung und Motivation von qualifizierten Frauen ein Gewinn für beide Seiten sein kann, und dies voraussetzt, dass „Frauenförderung“ in den Köpfen und Herzen aller im Unternehmen gewollt sein muss.
Gudrun Dilg, freigestellte Betriebsrätin Hamburg und Mitglied des Paritätischen Arbeitskreises „Chancengleichheit“ (AKC) in der Axel Springer AG Hamburg. E-Mail:
[email protected] 239
Doch wie sollten wir uns praktisch annähern, wie unsere Differenzen zu Gunsten eines gemeinsamen übergeordneten Ziels hintanstellen? Dazu holten sich Geschäftsleitung und Betriebsrat schließlich Hilfe von außen. Zwei neutralen Moderatorinnen gelang es 1995, beide Seiten einander näher zu bringen. Wir erkannten, dass ein Frauenförderprogramm als Bestandteil der unternehmerischen Leitlinien des Axel Springer Verlags Vorteile für alle hat: Produktivkraftstärkung und Standortvorteil zum einen, Motivationsschub und Beitrag zur Aufhebung von Ungerechtigkeiten zum anderen. 1997 bildete sich dann in Hamburg der Arbeitskreis Chancengleichheit (AKC). Dieser ist paritätisch zu besetzen mit jeweils vier Mitgliedern des Geschäftsführungsbereichs Personal und Recht sowie vom Betriebsrat. Das Motto der Zusammenarbeit lautet „Konsens statt Konfrontation“. Vorbehalte und Meinungsverschiedenheiten gibt es nach wie vor. Wie sollte es auch anders sein! Allerdings werden diese stets vor dem Hindergrund eines gemeinsamen Ziels geführt: Den gleichen Chancen von Frauen und Männern im Verlag. Seit 1999 ist die Axel Springer AG als erstes – und bis heute einziges – Medienunternehmen Mitglied im „Forum Frauen in der Wirtschaft“, einem Zusammenschluss von namhaften deutschen Großunternehmen, die sich verbindlich zur Verwirklichung von Chancengleichheit in ihren Unternehmen bekennen (vgl. dazu auch Krell in diesem Band).
2. Inhaltliche Schwerpunkte Heute ist die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein fester Bestandteil der Personalpolitik in der Axel Springer AG. Schwerpunkte unserer Aktivitäten sind: x die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf u.a. durch Teilzeit- und Kinderbetreuungsangebote; seit 2001 gibt es die verlagsgestützten und auch räumlich verlagsnahen Einrichtungen „Company Kids“ in Hamburg und „Kinderinsel Berlin“ bzw. „Kids Company“ in Berlin, x spezielle Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Beschäftigte in Elternzeit, x die gezielte Förderung weiblicher Führungsnachwuchskräfte, hier existiert schon seit längerem ein Netzwerk für Frauen in Fach- und Führungspositionen in Hamburg und Berlin, x ein Inhouse-Mentoring-Programm und x die Vernetzung und Entwicklung von Sekretärinnen Das zuletzt genannte Projekt soll nun ausführlicher vorgestellt werden.
Mitglieder seitens der Geschäftsleitung sind: Elisabeth Händel, Leiterin Personalentwicklung, Astrid Westermann, Leiterin Koordination Personalentwicklung, Thomas Wendt, Personalleiter Hamburg, Frank Schäffler, Leiter Personalabteilung Berlin. Mitglieder seitens des Betriebsrats: Ulrich Liedke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Hamburg, Gudrun Dilg (s.o.), Susanne Erd, Betriebsrätin Berlin, und Jürgen Fischer, freigestellter Betriebsrat Berlin.
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3. Das Sekretärinnen-Projekt Seit dem Sommer 2002 hat sich die Berufswelt für Sekretärinnen bei Axel Springer in Hamburg entscheidend verändert. Oder besser gesagt: Die Kolleginnen haben ihre berufliche Welt selbst verändert. Sie haben beschlossen, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Und sie haben ihre Welt substanziell erweitert, um diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Wie kam es dazu? Im AKC wurde der Gedanke kreiert, im Hamburger Haus Axel Springers nicht nur etwas für die weiblichen Führungsnachwuchskräfte zu tun, sondern auch für die große Anzahl der Frauen, deren Schicksal es zu sein scheint, vornehmlich diskret im Hintergrund zu wirken, um den – meist männlichen – Chefs den Rücken frei und den Laden „am Laufen zu halten“. Vorausgegangen war ein Erfahrungsaustausch dazu im „Forum Frauen in der Wirtschaft“. Projektleiterinnen und Chancengleichheitsbeauftragte aus den Mitgliedsfirmen stellten fest: Der Beruf der Sekretärin steht, wie viele andere Berufe auch, vor einschneidenden Veränderungen. In dem Maße, in dem mehr Kreativität, mehr Kundenorientierung und mehr Verkaufsorientierung im Management gefragt sind, stellt sich diese Anforderung auch verstärkt an jene, die an der Seite ihrer Vorgesetzten den beruflichen Alltag ihrer Abteilungen organisieren. Dabei beschreibt der Begriff „Sekretärin“ das Arbeitsspektrum dieser Berufsgruppe nur unzureichend und erscheint deshalb nicht mehr zeitgemäß. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Gründung des Sekretärinnen-Netzwerks Hamburg. Sie fand im Sommer 2002 statt und stand unter dem Motto „Zusammenkunft ist ein Anfang. Zusammenhalt ein Fortschritt. Zusammenarbeit ist ein Erfolg“. Seither sind ca. 100 Frauen im Netzwerk Hamburg und 140 im Netzwerk Berlin, das 2003 gegründet wurde, aktiv. Die Kolleginnen treffen sich im Schnitt einmal im Quartal, um sich auszutauschen; nicht nur über ihre tägliche Arbeit, sondern auch über ihre Erfahrungen bei verlagsspezifischen Fortbildungsmaßnahmen und über ihr berufliches Weiterkommen. In Workshops und Seminaren wurde der Fortbildungsbedarf der Teilnehmerinnen fachkundig ermittelt. In der Ergebnisanalyse wurde deutlich, dass ein Qualifizierungsprogramm zur Management-Assistentin als maßgeblicher Schritt nach vorn eingeschätzt wurde. Dazu wurde eine Fortbildung entwickelt. Um das Verständnis betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge zu vertiefen, wurde der inhaltliche Schwerpunkt dieser Fortbildung auf die drei Fächer Managementlehre, Personalwirtschaft sowie Information und Kommunikation gelegt. Hinzu kommen verlagsspezifische Module. Die Fortbildung dauert insgesamt sechs Monate. Sie endet mit einer Prüfung an der Akademie für Sekretariat – Assistenz – Kommunikation e.V. (SAK) in Zusammenarbeit mit der Axel Springer AG. Das so erworbene Zertifikat ist bundesweit anerkannt.
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Der Unterricht findet in der Freizeit statt, einmal die Woche drei Stunden abends und jeden zweiten Samstag von 9.00 bis 16.00 Uhr. Für die eventuell nötige Kinderbetreuung ist dank der Einrichtung „Company Kids“ gesorgt. Die Kosten von zurzeit 1.500 Euro trägt der jeweilige Arbeitsbereich. Das Engagement und die Motivation der beteiligten Frauen sind beeindruckend: Neben dieser Fortbildung wurden und werden im Rahmen der Netzwerktreffen eigeninitiativ viele weitere Bildungsmaßnahmen in Angriff genommen, z.B. zu Themen wie Etatbegleitung, Stimmtraining oder Informationsmanagement. Hinzu kommen Informationsveranstaltungen, z.B. zum Thema Stressbewältigung, und Besichtigungen von Betriebsteilen. Die Kolleginnen sind sich heute einig: Es wurde mehr Transparenz im Haus geschaffen. Sie haben gelernt, abteilungsübergreifend zu denken. Der Informationsfluss, auch der informelle, ist besser geworden, man bzw. frau informiert und unterstützt sich effektiv auf kurzen, schnellen Wegen. Einige Kolleginnen konnten bereits ihre Chancen optimal nutzen und sich in einer weiterführenden Tätigkeit beweisen. Für alle gilt, dass sie ihre Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt auch in diesen unsicheren Zeiten erheblich verbessert haben. Mehr Qualifikation, mehr Offenheit, mehr Selbstbewusstsein und mehr Mut können die Sekretärinnen und frischgebackenen Management-Assistentinnen an sich feststellen. Sie erfahren mehr Wertschätzung in ihrem komplizierter werdenden Beruf und sie werden – endlich! – „gesehen“. Möglich gemacht hat diese überaus positive Entwicklung die in der Axel Springer AG schon bewährte gute Zusammenarbeit von Personalentwicklung, Betriebsrat und Personalabteilung. Ob der paritätisch besetzte AKC, das Netzwerk für Frauen in Fach- und Führungspositionen oder das Sekretärinnen-Netzwerk Hamburg: Wir haben verstanden, wir sind für die Zukunft gerüstet. Die Zukunft, davon sind wir überzeugt, gehört denen, die sich unternehmenskulturell Chancengleichheit und lebenslanges Lernen auf die Fahnen geschrieben haben. Wir freuen uns auf die Zukunft.
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Bettina Graue und Susanne König
Personalabbau und Diskriminierungsanfälligkeit betriebsbedingter Kündigungen 1. Einführung 2. Diskriminierungspotenziale im rechtlichen Rahmen 2.1 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen 2.1.1 Mittelbare Diskriminierung und Vergleichbarkeit der ArbeitnehmerInnen 2.1.2 Diskriminierungspotenzial der Herausnahme von LeistungsträgerInnen aus der Sozialauswahl 2.1.3 Mittelbare Diskriminierungspotenziale der Sozialauswahlkriterien 2.2 Veränderter Diskriminierungsschutz bei betriebsbedingten Kündigungen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz?
3. Betriebliche Praxis und diskriminierungsfreier Personalabbau? 3.1 „Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten“ als Lösung? 3.2 „Sicherung der ausgewogenen Personalstruktur“ als Lösung? 3.3 Auswahlrichtlinien als Lösung?
4. Fazit und Ausblick Literatur
Bettina Graue, Dr. jur., wissenschaftliche Mitarbeiterin für Arbeitsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät II, Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. E-Mail:
[email protected] Susanne König, Dr. rer. pol., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Organisation und Personal an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät II, Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. E-Mail:
[email protected] 243
1. Einführung Es ist schon ein gewohntes Bild: Mehren sich die wirtschaftlichen Krisenanzeichen, mehren sich aus den Reihen von Wirtschaft und AnteilseignerInnen auch die Rufe nach einem strikten Sparkurs in den Unternehmungen. In der Folge werden radikale Kostensenkungsprogramme eingeleitet – oft, aber nicht immer, begleitet von entsprechenden Personalabbau-Maßnahmen. In Deutschland sind seit Mitte der 1990er Jahre ca. zwei Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen (vgl. Badura/Schellschmidt/Vetter 2006, S. V). In einer breit angelegten, aber nicht repräsentativen Erhebung benannten die befragten Personalverantwortlichen als häufigste Ursachen für Personalabbau den Wettbewerbsdruck, die fortschreitende Automatisierung bzw. den technischen Fortschritt, die gestiegene Effizienz des Personaleinsatzes, eine rückläufige Nachfrage sowie eine Strukturkrise in der Branche (vgl. Marr/Steiner 2003, S. 146ff). Gemäß den Ergebnissen einer repräsentativen Telefonumfrage unter 2.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus dem Jahr 2005 zur Einschätzung ihrer Arbeitsplatzsicherheit gaben knapp 44% aller Befragten an, dass in ihrem Betrieb bzw. Unternehmen im letzten Jahr Personal abgebaut wurde; betroffen waren vor allem auch Großbetriebe (vgl. Zok 2006, S. 149f). Auch wenn sich in jüngster Zeit ein „Silberstreifen“ am Horizont zeigt, so betreffen positive Anzeichen in der Arbeitsmarktbilanz weniger den Kernbereich der sozialversicherungspflichtigen ArbeitnehmerInnen, als vielmehr die „Ränder“ der Erwerbstätigkeit wie z.B. die geringfügig Beschäftigten (vgl. Rudolph 2006, S. 35ff). Von einer Trendwende des andauernden Personalabbaus kann derzeit noch nicht die Rede sein. Zum Ziel „Abbau von Personalüberhängen“ führen dabei verschiedene Wege. Eine Vielzahl der Möglichkeiten kommt ohne Entlassungen aus, indem z.B. Überstunden oder Leiharbeit abgebaut, befristete Verträge nicht verlängert, frühzeitige Pensionierungsangebote offeriert oder Einstellungsstopps verhängt werden. Im Mittelpunkt dieses Artikels stehen die sog. betriebsbedingten Kündigungen im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Auf betriebsbedingte Kündigungen entfällt knapp die Hälfte aller Abbaumaßnahmen (vgl. Abbildung 1). Ihre Zahl hat seit dem Ende der 1970er Jahre, in denen die wirtschaftlichen Rahmendaten günstiger und die Arbeitslosenzahlen niedriger waren als heute, erheblich zugenommen (vgl. Pfarr u.a. 2003, S. 13). Offenbar gibt es hierbei betriebsgrößenspezifische Unterschiede zu beachten: In kleineren Unternehmen mit bis zu 500 ArbeitnehmerInnen spielen betriebsbedingte Kündigungen eine relativ große Rolle (vgl. ebd., S. 10ff). Bei größeren Unternehmen wird das zur Verfügung stehende Instrumentarium reichhaltiger genutzt, d.h. Maßnahmen wie das Ausnutzen natürlicher Fluktuation, Altersteilzeit oder sonstige Vorruhestandsregelungen kommen weitaus häufiger zum Einsatz (vgl. Marr/Steiner 2003, S. 261).
244
Natürliche Fluktuation
89,6
Nichtverlängerung befrist. Arbeitsverträge
70,8
Abschluss von Aufhebungsverträgen
70,1
Sonstige Vorruhestandsregelungen
66,0
Einstellungssperre
56,9
Betriebsbedingte Kündigung
47,2
Nichtübernahme von Auszubildenden
38,9
Kündigung von Leih-/Zeitarbeitsverträgen
36,1
Altersteilzeit
34,7
Änderungskündigungen
32,6
Einführung von Teilzeit
31,3
Entlassung auf Zeit
2,1 0,0
10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0
Prozent der Nennungen (Mehrfachantworten; n = 830 Antworten)
Abb. 1: Maßnahmen zur Reduzierung der Beschäftigungsverhältnisse bei ArbeitnehmerInnen (Marr/Steiner 2003, S. 155)
Üblicherweise wird der Personalabbau nach dem Motto „Hinter jedem Familienvater steht auch eine Familie“ betrachtet und betrieben. Deutlich wird dies bei der in Abschnitt 2 vorgenommenen Auseinandersetzung mit den rechtlichen Regelungen, die bei betriebsbedingten Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zur Anwendung kommen: Scheinbar neutrale Vorschriften erweisen sich als mittelbar diskriminierend für Frauen, insbesondere mit Blick auf die Personalauswahl. Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat dabei die Situation für die Arbeitnehmerinnen nicht grundlegend verbessert. Auch die Akteure in der betrieblichen Praxis entwickeln nur unzureichend Verfahren und Kriterien, die Diskriminierungspotenzialen vorzubeugen in der Lage sind, wie in Abschnitt 3 gezeigt wird. Insgesamt weist der Artikel auf eine Vielzahl von Problemen hin, die gleichzeitig Ansatzpunkte zur Überwindung der Benachteiligung von Frauen beim Personalabbau sein können.
2. Diskriminierungspotenziale im rechtlichen Rahmen 2.1 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen Anders als personen- und verhaltensbedingte Kündigungen, die auf Gründen aus der Sphäre der ArbeitnehmerIn beruhen, knüpfen betriebsbedingte Kündigungen an den Wegfall des Arbeitsplatzes an und kommen demnach aus der Sphäre der ArbeitgeberIn (Junker 2004, S. 212 Rn. 371). So dient der Kündigungsschutz des KSchG bei betriebsbedingten Kündigungen dem Ausgleich der Interessen von ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn. Dabei stehen sich die UnternehmerInnen-Freiheit einerseits und der Arbeitsplatzschutz andererseits gegenüber. Es handelt sich tatsächlich um eine Grat245
wanderung im Rahmen der Güterabwägung, welche Interessen jeweils höher zu gewichten sind (vgl. Hromadka 2002, S. 388). Die Dringlichkeit des betrieblichen Erfordernisses im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG verdeutlicht darüber hinaus das UltimaRatio-Prinzip der Kündigung, die lediglich dann durchgesetzt werden kann, wenn andere (mildere) Mittel und Wege wie z.B. die Weiterbeschäftigung der ArbeitnehmerIn auf einem anderen Arbeitsplatz innerhalb des Betriebs ausgeschöpft sind (vgl. Linck in Schaub* 2005, § 131 Rn. 16). Dringende betriebliche Erfordernisse, die eine betriebsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen, können sich sowohl aus inner- als auch außerbetrieblichen Umständen ergeben. Der Grundsatz der freien UnternehmerInnen-Entscheidung, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) in ständiger Rechtsprechung aus den Art. 2 Abs. 1, 12 und 14 GG hergeleitet hat (vgl. BAG v. 30.4.1987; BAG v. 26.9.2002), unterliegt allerdings nur einer Willkür- bzw. Missbrauchskontrolle. Eine Inhaltskontrolle, die auch die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der unternehmerischen Entscheidung überprüft, findet nicht statt. Vielmehr wird nur danach gefragt, ob die Entscheidung der ArbeitgeberIn, Personal durch Kündigungen abzubauen, offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich gewesen ist (vgl. Gallner in Fiebig u.a. 2004, § 1 Rn. 599f m.w.N.). Begründet wird diese Einschränkung mit dem wirtschaftlichen Risiko der ArbeitgeberIn, die allein für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung des Betriebs verantwortlich ist. Die Arbeitsgerichtsbarkeit wäre, so wird argumentiert, überfordert, wenn sie der ArbeitgeberIn eine bessere wirtschaftliche Organisation vorschreiben wollte (BAG v. 17.6.1999). Tatsächlich wird nur der Wegfall eines Arbeitsplatzes bzw. der rechnerische Überhang von Arbeitskräften festgestellt. Ob dabei aber der konkrete Arbeitsplatz der gekündigten ArbeitnehmerIn weggefallen ist, spielt in dieser Logik keine Rolle (Junker 2004, S. 212f Rn. 371). Dies wird vielmehr im Rahmen der Sozialauswahl relevant, denn hier wird eine personelle Konkretisierung der zur Kündigung führenden dringenden betrieblichen Erfordernisse vorgenommen (vgl. Linck in Schaub 2005, § 132 Rn. 1). Liegt nun ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung vor und fehlen im Betrieb und/oder Unternehmen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, so stellt § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG klar, dass eine betriebsbedingte Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt ist, wenn die ArbeitgeberIn bei der Auswahl der zu kündigenden ArbeitnehmerInnen soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind in diese Sozialauswahl jedoch die sog. LeistungsträgerInnen, d.h. Personen, deren Weiterbeschäftigung aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen für den Betrieb im berechtigten Interesse liegt, nicht einbezogen. Die Prüfung der Sozialauswahl erfolgt in drei Schritten: 1. Feststellung der ArbeitnehmerInnen, die im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar sind, 2. Feststellung der ArbeitnehmerInnen, die nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG von der Sozialauswahl auszunehmen sind, *
Bei der Zitierung juristischer Handbücher und Kommentare werden im Folgenden die VerfasserInnen der jeweiligen Paragraphen (hier: Linck) kursiv gesetzt. Im Literaturverzeichnis finden sich die HerausgeberInnen des Gesamtwerkes (hier: Schaub).
246
3.
Vornahme der Sozialauswahl auf der Basis der vier Sozialauswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung innerhalb des verbleibenden Personenkreises. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, bestehen bei allen drei Prüfungsschritten Diskriminierungsanfälligkeiten.
2.1.1
Mittelbare Diskriminierung und Vergleichbarkeit der ArbeitnehmerInnen
Grundsätzlich sind nur die ArbeitnehmerInnen miteinander vergleichbar, die austauschbar sind. Der oder die ArbeitnehmerIn, die von der betriebsbedingten Kündigung bedroht ist, muss in der Lage sein, die Arbeit der/des jeweils anderen auszuüben. Damit wird vor allem an arbeitsplatzbezogene Merkmale angeknüpft, wobei nicht unbedingt gleiche Qualifikationen oder Arbeitsaufgaben entscheidend sind, sondern die Fähigkeit, eine andere gleichwertige Tätigkeit zu verrichten (Gallner in Fiebig u.a. 2004, § 1 Rn. 724). Fraglich ist jedoch, wie unterschiedliche Arbeitszeiten von ansonsten miteinander vergleichbaren ArbeitnehmerInnen zu behandeln sind. Nach der Rechtsprechung des BAG können im Rahmen der Sozialauswahl nämlich nur jeweils Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsplätze miteinander verglichen werden (BAG v. 12.8.1999). Das bedeutet, dass bei der betriebsbedingten Kündigung einer Teilzeitkraft vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen nicht in die soziale Auswahl einbezogen sind und umgekehrt. Dies ist in der Praxis von hoher Relevanz. Denn seit Jahren steigt die Teilzeitquote kontinuierlich an und umfasste 2003 bereits 9,3 Mio. ArbeitnehmerInnen, davon mehr als 80% Frauen (vgl. Allmendinger/Eichhorst/Walwei 2005, S. 169). Für den Fall, dass ein Unternehmen beschließt, Teilzeitarbeitsplätze zu streichen, wären die zumeist in Vollzeit tätigen männlichen Kollegen nicht in den Kreis der auszuwählenden ArbeitnehmerInnen aufzunehmen, so dass daraus eine mittelbare Diskriminierung von Frauen (zur mittelbaren Diskriminierung vgl. auch Schiek in diesem Band) bei betriebsbedingter Kündigung resultieren kann. Zwar waren in der Untersuchung von Marr und Steiner (2003, S. 144ff) überdurchschnittlich mehr Vollzeit- gegenüber Teilzeitkräften von betriebsbedingten Kündigungen betroffen. Die AutorInnen führten das darauf zurück, dass die relative „Sicherheit“ der Teilzeitkräfte in ihrem Flexibilisierungspotenzial begründet liegt (vgl. ebd., S. 145). Dies relativierte sich jedoch mit zunehmender Größe der Unternehmen. Mit der Frage der mittelbaren Diskriminierung und der Vergleichbarkeit von vollzeitund teilzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen nach § 1 Abs. 3 KSchG hatte sich der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Kachelmann/Bankhaus Hermann Lampe KG zu beschäftigen (EuGH v. 26.9.2000). Die Klägerin, eine im Umfang von 30 Wochenarbeitsstunden tätige Bankangestellte, hatte eine mittelbare Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG (alte Fassung) durch ihre betriebsbedingte Kündigung geltend gemacht, da in die Sozialauswahl eine in Vollzeit beschäftigte Kollegin nicht einbezogen worden war. Der EuGH lehnte im Ergebnis eine mittelbare Diskriminierung von Frauen durch § 1 Abs. 3 KSchG ab. Er stellte zwar in Rechnung, dass bei der Streichung von Teilzeitarbeitsplätzen Frauen im Nachteil sein könnten, weil sie schwerer einen vergleichbaren
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Arbeitsplatz fänden, jedoch sei dieser Nachteil durch objektive Faktoren gerechtfertigt, wenn sie legitimen sozialpolitischen Zielen dienten, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten. Die objektive Rechtfertigung sah der EuGH hier darin, dass § 1 Abs. 3 KSchG einerseits dem ArbeitnehmerInnen-Schutz verpflichtet sei, andererseits aber auch die zwingenden funktionalen und wirtschaftlichen Erfordernisse des Unternehmens berücksichtige. Bei der Frage nach der Vergleichbarkeit der ArbeitnehmerInnen sei der tatsächliche Inhalt der Arbeitsverträge maßgeblich, denn es komme darauf an, ob der/die ArbeitnehmerIn, dessen bzw. deren Arbeitsplatz betriebsbedingt wegfalle, nach den beruflichen Qualifikationen und bisher im Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten die andere, aber gleichwertige Tätigkeit verrichten könne. Würden hier Teilzeit- mit Vollzeitbeschäftigten vergleichbar sein, so käme dies einer Bevorzugung der Teilzeitbeschäftigten gleich, da ihnen nämlich bei der Streichung ihres Arbeitsplatzes ein Vollzeitarbeitsplatz anzubieten wäre, obwohl sie darauf nach ihrem Arbeitsvertrag keinen Anspruch hätten (EuGH v. 26.9.2000, Rn. 32f). Über eine solche Bevorzugung könne nur die nationale Gesetzgeberin entscheiden, die hier allerdings durch Erwägungen, die nichts mit dem Geschlecht der ArbeitnehmerInnen zu tun hätten, einen billigen Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen gefunden habe (EuGH v. 26.9.2000, Rn. 34). Der am Verfahren beteiligte Generalanwalt war anders als der EuGH der Auffassung, dass § 1 Abs. 3 KSchG eine mittelbare Diskriminierung von Frauen darstellt (GA Saggio, Schlussanträge v. 14.3.2000, Rn. 33). Die Arbeitszeit sei im Rahmen der Vergleichbarkeit zweier ArbeitnehmerInnen zwar ein wichtiger Gesichtspunkt, aber nur eines von mehreren Kriterien neben der Art der auszuübenden Tätigkeit etc. Darüber hinaus müsse die Sozialauswahl den Interessengegensatz zwischen dem Recht der ArbeitgeberIn auf freie Organisationsentscheidung einerseits und dem Recht der Teilzeitbeschäftigten (hier der Frauen) auf Gleichbehandlung andererseits berücksichtigen. So könne nur im Einzelfall entschieden werden, welches Recht jeweils schutzbedürftiger und vorrangig sei. Von Bedeutung ist außerdem die Bezugnahme auf die Rechtssache Sievers & Schrage (EuGH v. 10.2.2000, Rn. 57). Denn hier hatte der EuGH klargestellt, dass der wirtschaftliche Zweck des Art. 141 EG-Vertrag, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen in den Mitgliedstaaten zu beseitigen, gegenüber dem sozialen Ziel dieser Vorschrift, die Ausdruck des Grundrechts auf Gleichbehandlung (der Geschlechter, die Verf.) sei, nachrangig sei (GA Saggio, Schlussanträge v. 14.3.2000, Rn. 33 Fn. 12). Im Ergebnis ließ der Generalanwalt keinen Zweifel daran, dass die Beschränkung der Sozialauswahl allein auf Teilzeitbeschäftigte den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter verletzt. Die Aussagen des Generalanwalts verdeutlichen die Grundrechtsdimension der Gleichberechtigung der Geschlechter, auf die der EuGH mit keinem Wort eingegangen ist. Teilzeitbeschäftigte in der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG pauschal auf ihresgleichen zu beschränken, wird der sozialen Zielsetzung der Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung nicht gerecht, die von Art. 141 EG-Vertrag gefordert wird. Vielmehr bedarf es der konkreten Prüfung jedes Einzelfalls und einer Güterabwägung, welches Interesse – Unternehmerentscheidung oder aber Gleichbehandlung der Geschlechter – jeweils den Vorrang genießt. Festzuhalten ist demnach, dass § 1 Abs. 3 KSchG bereits bei der Frage nach der Vergleichbarkeit der ArbeitnehmerInnen mit
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unterschiedlichen Arbeitszeiten bei der Sozialauswahl mittelbar diskriminierende Auswirkungen zeigt.
2.1.2 Diskriminierungspotenzial der Herausnahme von LeistungsträgerInnen aus der Sozialauswahl Die von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG vorgesehene Herausnahme der LeistungsträgerInnen aus der Sozialauswahl kann ebenfalls zur Diskriminierung von Frauen beitragen, denn diese Vorschrift verlangt u.a., Personen von der Sozialauswahl auszunehmen, die sich als besonders kenntnisreich, befähigt oder leistungsstark erwiesen haben. In diesem Zusammenhang liegt die Vermutung nahe, dass die Feststellung der LeistungsträgerInnenEigenschaft weitgehend auf subjektiven Wahrnehmungen der ArbeitgeberIn beruht. Insbesondere die Befähigung bietet sich hier als Einfallstor für Diskriminierungen an, denn Führungsqualitäten, vielseitige Verwendbarkeit, besondere fachliche Eignung für spezielle Aufgaben, die nach Gallner (in Fiebig u.a. 2004, § 1 Rn. 763) unter den Begriff der Befähigung fallen, sind Kriterien, die auf individueller Einschätzung beruhen. Dabei ist es ein „alter Hut“, dass Frauen bei der Beurteilung ihrer Führungsqualifikationen und ihrer vielseitigen Verwendbarkeit im Durchschnitt eher schlechter als die männlichen Kollegen abschneiden. Untersuchungen zur strukturellen Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben (vgl. z.B. Ducki 2004, S. 13ff; Holst 2005; BMFSFJ 2005; Bundesregierung/IAB 2006) zeigen, dass Geschlechtsstereotype die Vorstellungen der ArbeitgeberInnen und damit die betriebliche Personalauswahl und -beurteilung prägen. Auch Karrierehindernisse von Frauen beim beruflichen Aufstieg, insbesondere durch Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, unterschiedliche Zugänge zu Machtressourcen, unzureichende (innerbetriebliche) Netzwerke, männlich geprägte Wertekulturen im Unternehmen etc. lassen den Schluss zu, dass Frauen seltener als Leistungsträgerinnen gehandelt werden und demzufolge eher von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen sein können. Dabei geht es hier zunächst nicht um die mittelbare Diskriminierung, die lediglich den Einzelfall im Blickfeld hat und als Verbotstatbestand gefasst ist (vgl. Epiney 1995, S. 206), sondern um sozial begründbare Defizite der Gleichbehandlung von Frauen im Berufsalltag (vgl. Graue 2004, S. 74), deren Folgewirkungen sich dann aber bei der Herausnahme der LeistungsträgerInnen in der Sozialauswahl manifestieren und schließlich mittelbar diskriminierend für einzelne Frauen sein können. Die unter dem Gesichtspunkt der geschlechtsbedingten Diskriminierung problematische Herausnahme der LeistungsträgerInnen wurde bereits unter der Geltung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes von Oktober 1996 bis Ende Dezember 1997, das laut Gallner (in Fiebig u.a. 2004, § 1 Rn. 710a) der reformierten Fassung des KSchG von 2004 sehr ähnlich gewesen ist, von verschiedenen AutorInnen angemerkt (vgl. z.B. Bader 1996, S. 1125, S. 1130; Horstkötter/Schiek 1998, S. 227, 229). Bis heute stehen allerdings empirische Untersuchungen dazu aus, ob Frauen bei der Feststellung der LeistungsträgerInnen-Eigenschaft tatsächlich schlechter gestellt sind.
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2.1.3 Mittelbare Diskriminierungspotenziale der Sozialauswahlkriterien Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 wurde die mittelbar diskriminierende Wirkung der von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Sozialauswahlkriterien – Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten – auf Frauen diskutiert (vgl. Horstkötter/Schiek 1998, S. 227; Mückenberger 1996, S. 343, 345). Die Reform des KSchG von 2004 hat diese Problematik nicht aus der Welt geschafft. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ergibt sich nicht ausschließlich aus der Zugehörigkeit zum Beschäftigungsbetrieb, sondern wird maßgeblich durch den ununterbrochenen rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses zur selben ArbeitgeberIn bestimmt (vgl. Gallner in Fiebig u.a. 2004 § 1 Rn. 747). Zeiten der Berufsausbildung werden dabei genauso angerechnet wie Zeiten bei einem Rechtsvorgänger, z.B. vor einem Betriebsübergang. Ebenso unproblematisch sind gesetzlich anrechenbare Zeiten wie § 10 Abs. 2 Mutterschutzgesetz und § 6 Abs. 2 Arbeitsplatzschutzgesetz. Andere Unterbrechungen der Beschäftigungszeit sind dann unbeachtlich, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang existiert – je länger allerdings die Unterbrechung andauert, umso weniger kann dieser Zeitraum auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit angerechnet werden (vgl. Zwanziger 2004, S. 11). Dies stellt sich zunächst als geschlechtsneutral dar. Das verändert sich jedoch schlagartig unter dem Blickwinkel typischer Erwerbsbiographien von Frauen, die durch Familienpausen, u.a. durch die Betreuung von minderjährigen Kindern oder aber die Pflege von Angehörigen, gekennzeichnet sind (vgl. Beblo/Wolf 2003, S. 564). Hinzu kommt nach Horstkötter und Schiek (1998, S. 230) ein weiteres typisch weibliches Arbeitsmarktrisiko: Frauen sind häufiger und länger als Männer arbeitslos. Die Betriebszugehörigkeitszeiten von Frauen sind demnach deutlich niedriger als die von Männern (vgl. auch WSI-Tarifarchiv 2003). Dies führt bei der Sozialauswahl zu einer schwächeren Position. Gleiches gilt im Hinblick auf die Unterhaltspflichten: Zu ihnen gehören die vom Gesetz in den §§ 1360ff BGB (Ehegattenunterhalt), §§ 1569ff BGB (Geschiedenenunterhalt) und in den §§ 1601ff BGB (Kindesunterhalt) verankerten Unterhaltspflichten. In Bezug auf die Diskriminierungsfrage gilt der Kindesunterhalt als unproblematisch, da hier Männer und Frauen in gleichem Maße verpflichtet sind, sei es durch Bar- oder aber Naturalunterhalt (vgl. Zwanziger in Kittner/Däubler/Zwanziger 2004, § 611a Rn. 50; Horstkötter/Schiek 1998, S. 230f). Anders sieht es für den Ehegattenunterhalt aus, denn Männer verdienen in der Regel mehr als Frauen, so dass die Berücksichtigung der (höheren) Unterhaltslasten für die geschiedene bzw. die nicht getrennt lebende Ehefrau im Rahmen der Sozialauswahl Männer begünstigt. Horstkötter und Schiek (1998) machen auf weitere Aspekte des Problems aufmerksam, indem sie auch die hinzuverdienende teilzeitbeschäftigte Ehefrau (zumeist mit Steuerklasse V) in die Überlegungen einbeziehen. Durch das Sozialauswahlkriterium der Unterhaltspflichten wird außer Acht gelassen, dass Frauen in dieser Lage ihren Unterhaltsverpflichtungen aus § 1360 Abs. 2 BGB nicht nur über den Bar-, sondern auch über den Naturalunterhalt nachkommen, der in der Haushaltsführung und Betreuungsarbeit zum Ausdruck kommt. Die Autorinnen schließen daraus konsequenterweise, dass die hinzuverdienende Ehefrau zwar in familienrechtlicher Hinsicht dieselbe Unterhaltslast trägt 250
wie ihr Mann, diesem Umstand aber durch das Kündigungsschutzrecht keine Rechnung getragen wird, da sie hier als nicht unterhaltspflichtig gilt (vgl. ebd., S. 230). Aber auch Alleinerziehende, wiederum in der Hauptsache Frauen, trifft das Kriterium der Unterhaltsverpflichtungen anders bzw. negativ: Sie sind i.d.R. nur ihren Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Der verheiratete Mann mit Kindern, dessen Frau entweder gar nicht oder in Teilzeit beschäftigt ist, erhält bei der Verteilung Sozialpunkte sowohl für die Kinder als auch für die Ehefrau und stellt sich damit in der Sozialauswahl besser (vgl. Horstkötter/Schiek 1998, S. 229). Dies wird auch in der Rechtsprechung des BAG deutlich. Eine kirchliche ArbeitgeberIn hatte die Unterhaltspflichten durch zusätzliche Sozialpunkte für das „Verheiratetsein“ höher gewichtet. Dies hielt das BAG wegen der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz der Familie und §§ 1360ff BGB für nicht zu beanstanden (BAG v. 5.12.2002, S. 795). Eine offene Interpretation der Unterhaltspflichten, die dem Umstand des Alleinerziehens ein größeres Gewicht im Einzelfall verleihen könnte (so Däubler 2004, S. 181), scheint vor dem Hintergrund dieser Entscheidung kaum Aussichten auf Erfolg zu haben.
2.2 Veränderter Diskriminierungsschutz bei betriebsbedingten Kündigungen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz? Betriebsbedingte Kündigungen sind von der Anwendung des 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das u.a. auch geschlechtsbedingte Diskriminierungen im Arbeitsleben verhindern will, gemäß § 2 Abs. 4 AGG herausgenommen. Nach dieser Vorschrift sollen für Kündigungen ausschließlich die allgemeinen und besonderen Bestimmungen zum Kündigungsschutz gelten. Damit ist der gesamte Bereich der Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts aus dem Kündigungsschutzrecht ausgeklammert, obwohl die vom AGG umgesetzte Richtlinie 2002/73/EG zur Änderung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG in ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c ausdrücklich auch die Anwendung auf die Entlassungsbedingungen vorsieht. Auch das zuvor in § 611a BGB verankerte und durch das AGG abgelöste geschlechtsbedingte Diskriminierungsverbot war ausdrücklich auf Kündigungen anwendbar. Die Intention der Gesetzgeberin, den Kündigungs- und Diskriminierungsschutz als zwei strikt voneinander zu trennende Rechtsgebiete zu behandeln, die sich nicht gegenseitig beeinflussen (Friton/Bug 2006, S. 8), kann schon angesichts der aufgezeigten Diskriminierungsprobleme bei betriebsbedingten Kündigungen keinen Bestand haben. Mittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts bei betriebsbedingten Kündigungen wären nach alter Rechtslage über § 611a BGB i.V.m. § 134 BGB unwirksam gewesen, auch wenn die Kündigung allein auf der Basis des KSchG als sozial gerechtfertigt anzusehen gewesen wäre. Wegen § 2 Abs. 4 AGG scheitert die Anwendung von § 134 BGB auf die Diskriminierungstatbestände des AGG und es bleibt nur der Weg, geschlechtsbedingt diskriminierende Kündigungen über die Generalklausel des § 242 BGB zu erfassen. Folge ist die Verschlechterung des Kündigungsschutzes von Frauen (Friton/Bug 2006, S. 10). Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht in seinem „Maschinenschlosserinbeschluss“ aus dem Jahr 1993 klargestellt, dass eine verbotene geschlechtsbedingte Diskriminierung im Sinne von § 611a BGB auch dann vorliegt, wenn das Geschlecht nur eines von mehreren Motiven gewesen ist (BVerfGE 89, S. 276). 251
Nach aktueller Rechtslage führt § 2 Abs. 4 AGG dazu, dass betriebsbedingte Kündigungen, die gerade nicht bzw. nicht ausschließlich wegen des Geschlechts ausgesprochen worden sind, stets wirksam sind, da andere, nach dem KSchG zulässige Gründe die Kündigung (sozial) rechtfertigen (vgl. auch Diller/Krieger/Arnold 2006, S. 890). In der Gesamtschau stellt sich § 2 Abs. 4 AGG als europarechtswidrig dar, denn diese Regelung verstößt gegen die eindeutigen Vorgaben aus der Richtlinie 2002/73/EG, die das AGG in deutsches Recht umzusetzen hatte (Däubler in Däubler/Bertzbach 2007, § 2 Rn. 261). Hinzu kommt aber auch ein Verstoß gegen das allgemeine primärrechtliche Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages (Art. 13). Dies hat der EuGH erst kürzlich in der Rechtssache Chacón Navas (EuGH v. 11.7.2006, Rn. 56) zu den Grundrechten und als integralen Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gezählt. Missachtet die Gesetzgeberin aber das im EG-Vertrag niedergelegte primäre Gemeinschaftsrecht, so genießt das Europarecht Vorrang vor nationalen Rechtsvorschriften und § 2 Abs. 4 AGG bleibt außer Anwendung (EuGH v. 15.7.1964, S. 1269; Däubler in Däubler/Bertzbach 2007, § 2 Rn. 263). Damit sind auch betriebsbedingte Kündigungen vom Diskriminierungsschutz des AGG erfasst (vgl. Schiek in Schiek 2007, S. 103f, Rn. 13) – mittelbare Diskriminierungen von Frauen bei der Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG sind demnach gemäß §§ 1, 3 Abs. 2 und 7 AGG verboten und nach § 134 BGB unwirksam. Schließlich ist auf einen letzten Punkt hinzuweisen: § 611a BGB (alte Fassung) hat eine grundrechtliche Schutzpflicht erfüllt und war im Lichte des Art. 3 Abs. 2 GG so auszulegen und anzuwenden, dass ArbeitnehmerInnen wirksam vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts geschützt sind (BVerfG 89, S. 276, 1. und 2. Leitsatz). Art. 3 Abs. 2 GG zielt auf die Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung der Geschlechter im Arbeitsleben und in der Gesellschaft. Nach wie vor existierende Benachteiligungen, z.B. bei betriebsbedingten Kündigungen, sind zu beseitigen und dürfen von der Gesetzgeberin nicht durch Regelungen wie § 2 Abs. 4 AGG verfestigt bzw. gefördert werden.
3. Betriebliche Praxis und diskriminierungsfreier Personalabbau? Trotz der problematischen rechtlichen Lage wäre denkbar, dass die Akteure in der betrieblichen Praxis Verfahren und Kriterien entwickeln, die in der Lage sind, den aufgezeigten Diskriminierungspotenzialen vorzubeugen. Drei mögliche Ansatzpunkte sollen hier beispielhaft herausgegriffen und erörtert werden: 1. die betriebsverfassungsrechtliche Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, 2. die vorbeugende Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur und 3. das Mittel der betriebsverfassungsrechtlichen Auswahlrichtlinien.
3.1 „Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten“ als Lösung? Auf betrieblicher Ebene haben die BetriebsrätInnen nach § 102 BetrVG ein nicht unerhebliches Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht. Die komplexe Norm kann hier nicht 252
vollständig erörtert werden. Für unsere Zwecke ist wichtig zu wissen, dass BetriebsrätInnen sog. ordentlichen Kündigungen u.a. dann widersprechen können, wenn x eine Weiterbeschäftigung der Betroffenen an anderen Arbeitsplätzen (ggf. in Zweigniederlassungen) möglich wäre oder x die Weiterbeschäftigung ggf. nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmöglichkeiten möglich wäre (vgl. § 102 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BetrVG). Entscheidend ist, ob diese Prüfungen tatsächlich vorgenommen werden. Wie Abbildung 2 zeigt, ist dies nicht immer der Fall, vor allem in Betrieben kleinerer Größenklassen. Insbesondere die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach Umschulungen bzw. Fortbildungen findet in mehr als 40% der Betriebe mit weniger als 300 Beschäftigten nicht statt.
Angaben in v. H. Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten (allgemein) Ja teils/teils Nein weiß nicht/keine Angabe Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach Umschulung/Fortbildung Ja teils/teils Nein weiß nicht/keine Angabe
Bejahungen in den Betriebsgrößenklassen (nach Beschäftigtenzahl) Durchschnitt300 – 1.001 – 5.001 – < 300 1.000 5.000 10.000 10.001 lich n=44 n=188 n=85 n=26 n=17 n=16
43,18 34,09 18,18 4,55 100,00
63,53 27,06 7,06 2,35 100,00
50,00 30,77 0 19,23 100,00
64,71 29,41 0 5,88 100,00
75,00 25,00 0 0 100,00
57,98 29,26 7,45 5,32 100,01
22,73 29,55 40,91 6,82 100,01
30,59 38,82 25,88 4,71 100,00
23,08 46,15 11,54 19,23 100,00
41,18 41,18 11,76 5,88 100,00
56,25 37,50 6,25 0 100,00
30,85 37,77 24,47 6,91 100,00
Abb. 2: Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei Kündigungen (n=188; vgl. König 2003a, S. 80)
Derzeit wird demnach die Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nur unzureichend realisiert und erscheint deshalb auch nicht als Ausweg, um mittelbaren Diskriminierungen bei Entlassungen vorzubeugen.
3.2 „Sicherung der ausgewogenen Personalstruktur“ als Lösung? Die Personalverantwortlichen, die Marr und Steiner (2003, S. 168f) befragt haben, schildern den Personalabbauprozess als ein sich in eher kleinen Schritten vollziehendes, vergleichsweise gut durchgeplantes Projekt nach einem festgelegten Zeitplan, dem in 65% der Fälle eine umfassende Aufgabenanalyse und Personalplanung zugrunde liegt (vgl. Marr/Steiner 2003, S. 168f). Ergebnisse anderer Studien zur „Personalplanung“ stimmen skeptischer. Zwar scheint sich die Zahl jener Betriebe, die über eine schriftlich fixierte Personalplanung verfügen, seit den 1970er Jahren von 25 auf knapp 49% nahe253
zu verdoppelt zu haben (vgl. Falke u.a. 1981, S. 170ff; König 2003a, S. 32). Gleichwohl ist zu beachten, dass kleinere Betriebe, die nach der Studie von Marr und Steiner (2003) besonders häufig das Instrument der betriebsbedingten Entlassungen nutzen, nur unterdurchschnittlich Personalplanungen schriftlich fixieren (vgl. Abbildung 3). Ähnliches gilt für das Vorhandensein von sog. Personalplanungsausschüssen, in denen (ggf. gemeinsam mit VertreterInnen der Beschäftigten) Personalentscheidungen diskutiert und vorbereitet werden könnten; derartige Gremien sind in kleineren Betrieben nur in Ausnahmefällen institutionalisiert. Um eine vorausschauende Personalplanung betreiben zu können, ist es erforderlich, sich einen Überblick zu verschaffen: über vorhandene und zukünftig benötigte Stellen sowie die Anforderungen, die Beschäftigte hierauf erfüllen müssen. Wichtige personalplanerische Hilfsmittel dafür sind zunächst Stellenpläne und Stellenbesetzungspläne. Diese werden in 52% aller Betriebe eingesetzt, wobei die Zahl in größeren Betrieben über dem Durchschnitt liegt. In kleineren und mittleren Betrieben jedoch, in denen betriebsbedingte Kündigungen eine größere Rolle spielen, liegt der Wert nur bei ca. 22% (vgl. Abbildung 3). Noch schlechter sehen die Zahlen bei den Anforderungsprofilen aus: Nicht einmal jeder zehnte Betrieb mit weniger als 300 Beschäftigten arbeitet mit diesem Instrument. Zusammenfassend weisen die bisherigen Indikatoren zur Personalplanung darauf hin, dass bei den planerischen Grundlagen bereits Defizite bestehen, die daran zweifeln lassen, dass Personalabbau-Prozessen eine langfristig-vorausschauende Personalplanung vorausgeht, die ihren Namen wirklich verdient.
Angaben in v. H. Personalplanung schriftlich fixiert Personalplanungsausschuss vorhanden Stellen(besetzungs)pläne vorhanden ArbeitgeberIn erstellt Anforderungsprofile
Bejahungen in den Betriebsgrößenklassen (nach Beschäftigtenzahl) 300 – 1.001 – 5.001 – < 300 1.000 5.000 10.000 10.001 n=45 n=99 n=37 n=26 n=29 31,11 50,51 40,54 61,54 68,97 4,44 17,17 24,32 38,46 44,83 22,22 51,52 62,16 88,46 58,62 8,89 34,34 18,92 46,15 55,17
Durchschnittlich n=236 48,73 21,61 52,54 30,93
Abb. 3: Ausgewählte Aspekte der Personalarbeit – differenziert nach der Betriebsgröße (vgl. König 2003a, S. 32ff)
Fehlt es an einer langfristigen und vorausschauenden Personalplanung, dürfte in Abbauprozessen das Ziel einer ausgewogenen Personalstruktur, deren Erhalt bei betriebsbedingten Kündigungen durch die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG im Übrigen nicht konterkariert werden darf, nur schwer erreichbar sein. Leider wurde in der Studie zum Personalabbau von Marr und Steiner (2003) nach diesem Ziel nicht explizit gefragt. Doch deuten die Zielerreichungsgrade anderer, ggf. damit zusammenhängender Items darauf hin, dass die Einflussnahme auf die Personalstruktur in Abbauprozessen schwerer ist als angenommen. So erreichte z.B. nicht einmal jedes fünfte Unternehmen das Ziel „Veränderung der Qualifikationsstruktur“ und nur knapp die Hälfte das Ziel „Verjüngung der Belegschaftsstruktur“ (ebd., S. 190). In ihrer Ergebnisinterpretation zu letzterem verweisen die AutorInnen zum einen auf die Sozialauswahlkriterien, die (bekanntermaßen) Personen mit längerer Betriebszugehörigkeit bevorzugen. Zum anderen äußern sie die Vermutung, dass ältere ArbeitnehmerInnen mit längerer Zugehö254
rigkeit einen besseren Draht zu den EntscheidungsträgerInnen haben könnten (vgl. ebd., S. 191). Berücksichtigt man zusätzlich, dass Frauen in Entscheidungspositionen weitgehend unterrepräsentiert sind, wären weibliche Beschäftigte nach dieser Interpretation u.U. doppelt benachteiligt. Um eine ausgewogene Personalstruktur zu erreichen, die Frauen angemessen berücksichtigt, wären außerdem nach Geschlecht differenzierende Personalstatistiken erforderlich. Geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte Personalstatistiken werden zwar immerhin von mehr als 60% aller Großbetriebe geführt, bei Betrieben mit weniger als 300 Beschäftigten sind es aber nur noch knapp 23% (vgl. Abbildung 4).
Angaben in v. H. Führung von Personalstatistiken davon geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselt: Frauenbeauftragte vorhanden Betriebsvereinbarung zur Frauenförderung vorhanden
Bejahungen in den Betriebsgrößenklassen (nach Beschäftigtenzahl) Durchschnitt300 – 1.001 – 5.001 – < 300 1.000 5.000 10.000 10.001 lich n=45 n=99 n=236 n=37 n=26 n=29 48,89 71,72 89,19 96,15 96,55 75,85 22,73
35,21
39,39
60
64,29
42,46
11,11
9,09
16,22
30,77
31,03
15,68
0
4,04
5,41
30,77
24,14
8,9
Abb. 4: Gleichstellungsrelevante Aspekte der Personalarbeit – differenziert nach der Betriebsgröße (König 2003a, S. 49)
Noch schlechter fallen die Zahlen zu den Items „Frauenbeauftragte“ bzw. „Betriebsvereinbarung zur Frauenförderung vorhanden“ aus. Damit fehlen derzeit in vielen Betrieben aus gleichstellungspolitischer Perspektive wichtige Arbeitsgrundlagen, um auf eine ausgewogene Personalstruktur hinzuwirken.
3.3 Auswahlrichtlinien als Lösung? Auswahlrichtlinien im klassischen Sinne haben den Zweck, Personalführung und Selektionsentscheidungen transparenter zu machen und ein einheitliches, kontinuierliches Verhalten der beteiligten Instanzen und Organe sicherzustellen. Sie regeln die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen. Nach § 95 Abs. 1 BetrVG bedürfen sie der Zustimmung der BetriebsrätInnen. Überschreiten die Betriebe einen Schwellenwert von 500 ArbeitnehmerInnen (bis 2001 lag die Grenze bei 1.000), gesteht § 95 Abs. 2 BetrVG den Interessenvertretungen sogar ein Initiativrecht zu, dessen inhaltliche Reichweite jedoch in der juristischen Literatur umstritten ist (vgl. zusammenfassend König 2003b, S. 124ff). Auswahlrichtlinien wären ein geeigneter Ort, um z.B. Diskriminierungsverbote ausdrücklich zu verankern. Dazu müssten aber mehrere Anforderungen erfüllt sein: x sie müssten in der Praxis weit verbreitet sein, x sie müssten sich explizit mit betriebsbedingten Kündigungen auseinandersetzen und
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x die Verantwortlichen müssten sich der Diskriminierungspotenziale der Sozialauswahlkriterien bewusst sein und diese soweit wie möglich durch die Inhalte reduzieren. Ältere Zahlen zu klassischen Auswahlrichtlinien differieren beträchtlich und deuten auf einen Verbreitungsgrad von 20 bis maximal 40% hin (vgl. Rummel 1978, S. 150; Gmählich 1983, S. 42; Diekmann 1985, S. 7). Obwohl seither das Phänomen der betriebsbedingten Kündigungen erheblich an Relevanz gewonnen hat, hat sich damit der Verbreitungsgrad nicht nennenswert erhöht. Zwar verfügt jedes zweite Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten über klassische Auswahlrichtlinien, über alle Größenklassen sind dies im Schnitt jedoch nur ca. 27% (vgl. König 2003a, S. 40). Erschwerend kommt hinzu, dass sich möglicherweise seit den 1970er Jahren der Fokus von Auswahlrichtlinien verschoben hat: Hatte damals eine große Zahl von Vereinbarungen zum Ziel, Kündigungsentscheidungen der ArbeitgeberIn einer gewissen Regulierung zu unterziehen, deutet sich heute eher an, dass durch Auswahlrichtlinien der innerbetriebliche Arbeitsmarkt intensiviert werden soll. Die Erschwerung von Kündigungsvoraussetzungen und die bei der Sozialauswahl oft praktizierte Festlegung von Punktekatalogen zur Gewichtung von fachlichen, persönlichen und sozialen Gesichtspunkten werden als Reglungsinhalte weit weniger häufig genannt als z.B. der Grundsatz „intern vor extern“ oder die „Auswahlkriterien für Führungskräfte“ (vgl. König 2003b, S. 137ff). Sofern soziale Kriterien in Auswahlrichtlinien genannt werden (oft schon im Baustein „Einstellungen“ verankert), wiederholen sie oft unkritisch die oben als problematisch herausgestellten Kriterien „Betriebszugehörigkeit“ oder „Unterhaltspflichten“. Viele Auswahlrichtlinien enthalten außerdem keinen eigenen Baustein zu Kündigungen (vgl. König 2003b, S. 215f). Um durch Auswahlrichtlinien Diskriminierungen bei betriebsbedingten Kündigungen zu vermeiden, scheint die Ausgangslage damit nicht „rosig“.
4. Fazit und Ausblick Der Personalabbau durch betriebsbedingte Kündigungen weist erhebliche Diskriminierungspotenziale auf, die sich vor allem unter den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung fassen lassen. Mittelbar diskriminierende Kündigungen von Frauen sind nach dem AGG jedoch eine verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und damit unzulässig. Im Rahmen der Sozialauswahl hat nicht nur bei der Frage nach der Vergleichbarkeit der ArbeitnehmerInnen, sondern auch bei der Herausnahme der LeistungsträgerInnen und der Anwendung der Sozialauswahlkriterien eine Einzelfallprüfung stattzufinden, die einerseits dem Recht der ArbeitgeberIn auf freie Organisationsentscheidung innerhalb der unternehmerischen Freiheit und andererseits dem Recht der betroffenen Frauen auf Gleichbehandlung Rechnung trägt. Generalanwalt Saggio hat an dieser Stelle bereits im Jahre 2000 eine klare Richtung gewiesen, indem er § 1 Abs. 3 KSchG im Lichte des (europäischen) Grundrechts auf Gleichbehandlung der Geschlechter interpretiert hat (GA Saggio v. 14.3.2000, S. 7517). Unabhängig davon kann auf der betrieblichen Ebene eine langfristige und vorausschauende Personalplanung dem Erhalt einer ausgewogenen Personalstruktur dienen, zu der auch ein angemessenes Verhältnis von Frauen und Männern gehört. Hierfür lassen sich 256
etwa die betriebsverfassungsrechtlichen Leitvorschriften (§§ 75 und 80 BetrVG) als Begründung heranziehen. Ein weiterer Aspekt zur geschlechtergerechteren Lösung bietet sich über die Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten vor dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen an. An dieser Stelle ist insbesondere der Betriebsrat gefordert, seine Widerspruchsmöglichkeiten nach § 102 BetrVG zu nutzen. Schließlich eröffnen Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG die Möglichkeit, durch die Aufnahme von Diskriminierungsverboten Kündigungsentscheidungen mit Blick auf die Sozialauswahl geschlechtergerecht und -sensibel auszugestalten. Auch wenn diese wichtigen „Stellschrauben“, wie gezeigt, derzeit noch unzureichend genutzt werden, um Benachteiligungen von Frauen entgegenzuwirken, so bieten sie doch Ansatzpunkte dafür.
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Fundstellen der zitierten Rechtsprechung BAG v. 30.4.1987
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BAG v. 17.6.1999
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BAG v. 12.8.1999
NZA 2000, S. 30
BAG v. 26.9.2002
NZA 2003, S. 549
BAG v. 5.12.2002
NZA 2003, S. 791
EuGH v.15.7.1964
Slg. 1964, S. 1251 Rs. 6/64 Costa/E.N.E.L.
EuGH v. 10.2.2000
Slg. I-2000, S. 929 Rs. C-270/97 Sievers & Schrage
EuGH v. 26.9.2000
Slg. I-2000, S. 7519 Rs. C-322/98 Kachelmann/ Bankhaus Hermann Lampe KG
Generalanwalt Saggio, Schlussanträge v. 14.3.2000
Slg. I-2000, S. 7507 Rs. C-322/98 Kachelmann/ Bankhaus Hermann Lampe KG
EuGH v. 11.7.2006
EuZW 2006, S. 472 Rs C-13/05 Sonia Chacón Navas/Eurest Colectividades SA
BVerfG v. 16.11.1993
BVerfGE 89, S. 276
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Entgelt
Gertraude Krell und Regine Winter
Anforderungsabhängige Entgeltdifferenzierung: Orientierungshilfen auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreieren Arbeitsbewertung 1. Diskriminierung bei der Grundentgeltdifferenzierung – ein ebenso altes wie aktuelles Problemfeld 2. Rechtsnormen und sich daraus ergebende Handlungsorientierungen 2.1 Rechtsnormen im Überblick 2.2 Handlungsorientierungen für die Tarifpolitik 2.3 Handlungsorientierungen für die betriebliche Personalpolitik
3. Mittelbare Diskriminierung durch Arbeitsbewertung 3.1 Verfahren im Überblick 3.2 Summarische Verfahren auf dem Prüfstand 3.3 Analytische Verfahren auf dem Prüfstand
4. Gestaltungsempfehlungen für eine diskriminierungsfreiere Arbeitsbewertung 4.1 Diskriminierungsfreiere Verfahrensgestaltung: Bedingungen und Beispiele 4.2 Weitere Aspekte
5. Schlussbemerkungen Literatur Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] Regine Winter, Dr. jur., Richterin am Arbeitsgericht, derzeit Rechtsreferentin am Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union, Luxemburg. E-Mail:
[email protected] 263
1. Diskriminierung bei der Grundentgeltdifferenzierung – ein ebenso altes wie aktuelles Problemfeld Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt deutlich weniger als Männer. Dem neuesten Bericht des Internationalen Arbeitsamtes zufolge beträgt der Abstand im europäischen Durchschnitt 15% (vgl. IAA 2007, S. 22). Deutschland gehört zu den Ländern, in denen die Differenz überdurchschnittlich groß – und von ca. 19% im Jahr 1999 auf ca. 23% im Jahr 2004 sogar wieder gewachsen – ist (vgl. ebd., S. 25). Obgleich die Entgeltdiskriminierung eines der ersten gleichstellungspolitischen Handlungsfelder war, für die in der Bundesrepublik Deutschland explizite rechtliche Regelungen geschaffen wurden, lässt sich festhalten: x In der Privatwirtschaft werden diese Vorschriften sowohl auf tariflicher Ebene (vgl. z.B. Degen/Tondorf 1998; Pfarr 2004) als auch auf betrieblicher Ebene (vgl. z.B. Carl/Krehnke 2004) bislang nicht hinreichend umgesetzt. x Für den öffentlichen Sektor gilt: Obwohl der deutsche Staat als Mitglied der EU und als Arbeitgeber bzw. Dienstherr doppelt zur Herstellung von Entgeltgleichheit verpflichtet ist (vgl. Winter 1998, S. 177f) und die Europäische Kommission (vgl. 1996, S. 4) ihm eine Schrittmacherfunktion bei der Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts zuschreibt, nahm er in der Vergangenheit diese Aufgaben weder als Tarifpartei noch als Arbeitgeber wahr (vgl. z.B. mit Blick auf den ehemaligen Bundesangestelltentarifvertrag [BAT] Winter 1997; Krell/Carl/Krehnke 2001). Ob er im Rahmen der inzwischen erfolgten Tarifreform den genannten Anforderungen besser gerecht geworden ist, wird sich in zukünftiger Praxis und Forschung zum neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der seit dem 1. Oktober 2005 in Kraft ist, zeigen. In anderen Staaten wurde dagegen schon sehr viel mehr getan und z.T. auch erreicht (vgl. z.B. Jochmann-Döll 1990; Winter 1998; Ranftl u.a. 2002; IAA 2007, S. 82ff). Die Erfahrungen sowohl in Deutschland als auch in schon fortgeschritteneren Ländern zeigen, dass die Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf gleiches Entgelt für Frauen und Männer eines der schwierigsten gleichstellungspolitischen Handlungsfelder ist. Das liegt zunächst daran, dass die Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern durch ein ganzes Bündel von Faktoren verursacht sind. Deshalb ist es grundsätzlich schwer zu erkennen, inwieweit diese Differenzen Ergebnis von Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts und inwieweit sie durch andere Faktoren bedingt sind. Dennoch herrscht Einigkeit darüber, dass ein nicht unerheblicher Teil diskriminierungsbedingt ist (vgl. z.B. Ziegler 2005, S. 243f, 289ff; IAA 2007, insb. S. 82). Hinzu kommt, dass Diskriminierung bei der Entgeltpolitik unterschiedliche Entgeltbestandteile betreffen kann: a) das Grundentgelt (also Lohn, Gehalt, Vergütung und Besoldung), das in der Regel mithilfe der Arbeitsbewertung anforderungsorientiert differenziert wird. Nur darum geht es in diesem Beitrag. Programme und Aktivitäten zur Herstellung von Entgeltgleichheit – sei es auf tariflicher oder betrieblicher Ebene – greifen jedoch zu kurz,
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wenn sie sich nur darauf beschränken, denn Entgeltdiskriminierung kann auch die anderen Entgeltbestandteile betreffen, d.h. b) die leistungsabhängigen Entgeltbestandteile (vgl. dazu z.B. Tondorf/Jochmann-Döll 2005; Winter 2006a, S. 465ff; Baer/Englert 2006 und Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band) und c) die sonstigen Entgeltbestandteile (vgl. z.B. Winter 2006a, S. 520 sowie Schiek und Blaufus/Ortlieb in diesem Band). Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts zu erkennen und zu reduzieren bzw. von vornherein zu vermeiden, wird auch dadurch erschwert, dass diese heute i.d.R. nicht mehr unmittelbar erfolgt (wie z.B. durch Frauenlohngruppen oder -abschlagsklauseln bei gleicher Arbeit in bundesrepublikanischen Tarifverträgen bis Anfang der 1970er Jahre; vgl. z.B. Jochmann-Döll/Krell 1993), sondern mittelbar. Das betrifft ebenfalls alle Entgeltbestandteile, soll hier aber nur mit Blick auf die Grundentgeltdifferenzierung erläutert werden. Das entscheidende Problem besteht heute darin, dass Frauen für gleichwertige Arbeit geringer bezahlt, also mittelbar diskriminiert werden (s.a. 2.1 sowie Colneric 1999 und Schiek in diesem Band). Das Erkennen mittelbarer Diskriminierung bei der Grundentgeltdifferenzierung wird wiederum dadurch erschwert, dass Arbeitsplätze nicht in einem ersten Schritt hoch oder niedrig bewertet werden, und in einem zweiten Schritt dann die Zuweisung an eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts erfolgt – oder umgekehrt. Vielmehr sind die Etikettierung als typischer Frauen- oder typischer Männerarbeitsplatz, auch als „Gendering“ von Arbeitsplätzen bezeichnet (vgl. z.B. Knapp 1993), und die Arbeitsbewertung eng miteinander verknüpfte soziale Konstruktionen: „Frauen verdienen weniger, weil sie Frauenarbeiten verrichten und Frauenarbeiten werden geringer bezahlt, weil sie von Frauen ausgeübt werden“ (Shepela/Viviano 1984, S. 47, Übersetzung von uns; für aktuelle empirische Belege vgl. z.B. Jochmann-Döll 2005, S. 192f). Bei der Analyse mittelbarer Diskriminierung durch Arbeitsbewertung sind zwei Ebenen zu trennen: Zum einen ist zu prüfen, ob die Arbeitsbewertungsverfahren selbst diskriminierend sind. Da diese i.d.R. auf tariflicher Ebene gestaltet werden, ist damit die Tarifpolitik angesprochen. Zum anderen ist zu prüfen, ob es bei der Anwendung der Verfahren, d.h. bei der Einstufung einer Arbeit bzw. der Eingruppierung einer Person, zu Diskriminierungen kommt. Damit ist die Personalpolitik in Unternehmen und Verwaltungen angesprochen. Bei der Überprüfung von Eingruppierungen muss jedoch wiederum berücksichtigt werden, dass die Verfahren selbst diskriminierend sein können. Obwohl bereits vor mehr als 30 Jahren ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes arbeitswissenschaftliches Gutachten ergeben hat, dass die Verfahren der Arbeitsbewertung nicht diskriminierungsfrei sind (vgl. Rohmert/Rutenfranz 1975), besteht über mittelbare Diskriminierung durch Arbeitsbewertung in Deutschland noch immer kein hinreichend verbreitetes und ausgeprägtes Problembewusstsein. Das gilt u.a.: x für die Rechtsprechung, wo strukturelle Entgeltdiskriminierung durch Arbeitsbewertung in kollektiven Entgeltsystemen ein wenig beachtetes und bearbeitetes Feld ist (vgl. z.B. Pfarr 2004; Winter 2006b). So verwendet z.B. das Bundesarbeitsgericht
265
(BAG) noch 2005 die Formel der „objektiven Maßstäbe der Arbeitsbewertung“ (vgl. z.B. BAG vom 26.01.2005 - 4 AZR 171/03); x für die AkteurInnen auf betrieblicher Ebene: Nach einer in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in der Metall- und Chemieindustrie durchgeführten Studie waren, mit wenigen Ausnahmen, Führungskräfte, BetriebsrätInnen und Beschäftigte nicht über Diskriminierung durch Arbeitsbewertung informiert (vgl. Carl/Krehnke 2004). Noch Ende der 1980er Jahre galt das auch für die Tarifparteien (vgl. Jochmann-Döll 1990, S. 173ff). Hier sind inzwischen Fortschritte zu verzeichnen. Vor allem bei einigen Gewerkschaften hat ein Prozess der Auseinandersetzung mit Entgeltdiskriminierung in Tarifverträgen und damit zugleich des Hinterfragens der Objektivität der Arbeitsbewertung begonnen. Das gilt z.B. für die IG Metall (vgl. Degen/Tondorf 1998) und die damalige ÖTV (vgl. Winter 1997; Krell/Carl/Krehnke 2001). Ver.di unterstützte zwei Projekte zur Entgelt(un)gleichheit bei der Vergütung von Hochschulsekretärinnen (vgl. Stefaniak u.a. 2002) und von Beschäftigten im Einzelhandel (vgl. SFS 2003), veranstaltete 2002 eine Tagung zum Thema „Entgeltgleichheit – Arbeitsbewertung auf dem Prüfstand“ (vgl. ver.di o.J.) und installierte 2003 eine Homepage, die auch Materialien zur Diskriminierung durch Arbeitsbewertung enthält (http://entgeltgleichheit.verdi.de). Auch im „Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern“ (2001, S. 165ff) der Bundesregierung – und auf einer 2002 folgenden Internationalen Konferenz (vgl. BMFSFJ 2003) – wurde auf die Arbeitsbewertung als Ursache von (mittelbarer) Entgeltdiskriminierung eingegangen. Abzuwarten bleibt, in welchem Maße sich die mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Bundes dieser Thematik annehmen wird. Trotz aller Fortschritte besteht noch immer Informations- und Verständigungsbedarf. Wir wollen deshalb im Folgenden einen Überblick über einschlägige Rechtsnormen und diesen zu entnehmende Handlungsorientierungen geben (s.u. 2.), zeigen, dass und wie mittels der Verfahren der Arbeitsbewertung diskriminiert werden kann und wird (s.u. 3.) und Empfehlungen für die diskriminierungsfreiere Gestaltung geben (s.u. 4.).
2. Rechtsnormen und sich daraus ergebende Handlungsorientierungen 2.1 Rechtsnormen im Überblick Das rechtliche Verbot der Entgeltdiskriminierung gilt u.a. hinsichtlich des Geschlechts, der Staatsangehörigkeit, der ethnischen Herkunft, des Alters oder einer Behinderung (ausführlich: Winter 2006a, S. 493ff). Bezüglich des Geschlechts ist dieses Verbot besonders ausgestaltet, und zwar durch den Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit, der in verschiedenen Rechtsnormen niedergelegt und präzisiert ist (vgl. ebd.; Winter 1998 und Schiek in diesem Band). Er steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.
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Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts der EU ist dieser Grundsatz in Artikel 141 EGVertrag niedergelegt und wird derzeit durch die Richtlinien 75/117/EWG sowie 2006/54/EG präzisiert. Für die anforderungsabhängige Entgeltdifferenzierung sind dazu des Weiteren einige wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH; www.curia.europa.eu) ergangen, insbesondere die in den Fällen Rummler (Rs. 237/85), Danfoss (Rs. 109/88), Enderby (Rs. C-127/92), JämO (Rs. C-236/98), Brunnhofer (Rs. C-381/99), Lawrence (Rs. C-320/00), Nikoloudi (Rs. C-196/02) und Cadman (Rs. C-17/05). Hingegen betreffen die Maßstäbe, die in der EuGH-Entscheidung Royal Copenhagen (Rs. C-400/93) entwickelt wurden, nicht die Arbeitsbewertung, sondern die Leistungsbewertung und -vergütung (vgl. Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Auf der Ebene des nationalen Rechts enthält, nach Streichung von § 612 Abs. 3 BGB, nur noch § 8 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine ausdrückliche Regelung zur Entgeltgleichheit bei gleicher und gleichwertiger Arbeit von Männern und Frauen, die jedoch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht genügt. Die in Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 75/117/EWG enthaltenen Bestimmungen und Präzisierungen zum Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, sind derzeit im deutschen Recht weder im AGG noch in einer anderen Bestimmung umgesetzt (ausführlicher dazu: DJB 2007). Durch direkte Anwendung und im Wege richtlinienkonformer Auslegung wirkt das oben angesprochene Gemeinschaftsrecht trotzdem in vollem Umfang. Nationale Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG), liegt bisher nur zu einigen Facetten der Entgeltdiskriminierung vor (vgl. dazu Krell 1990; Krell/Winter 1995; Thüsing 2000; Winter 1998; 2001; 2006a). Die hier besonders interessierende mittelbare (Entgelt-)Diskriminierung bzw. Benachteiligung aufgrund des Geschlechts liegt nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG in ihrer aktuellen Fassung sowie nach § 3 Abs. 2 AGG dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
2.2 Handlungsorientierungen für die Tarifpolitik Den genannten Rechtsnormen, insbesondere auch einigen Entscheidungen des EuGH und des BAG, lassen sich folgende Handlungsorientierungen für die Tarifpolitik entnehmen (ausführlicher Winter 1994a, S. 149f und 2006a, S. 508): a) Tarifverträge müssen durchschaubar sein, d.h. sie müssen objektive Kriterien enthalten, damit die vorgenommene Differenzierung nachvollziehbar und überprüfbar ist. b) Für die Bewertung von frauendominierten Tätigkeiten müssen die gleichen Kriterien verwendet werden wie für die Bewertung von männerdominierten Tätigkeiten. c) Die einzelnen Kriterien müssen diskriminierungsfrei ausgelegt werden.
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d) Die Kriterien müssen in ihrer Gesamtheit der Art der zu verrichtenden Arbeit Rechnung tragen. Diese Prinzipien sind die Grundlage einer jeden rechtskonformen, diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung und bieten eine Handlungsorientierung sowohl für die diskriminierungskritische Prüfung bestehender tariflicher Regelungen als auch für die diskriminierungsfreiere Gestaltung von (nicht nur) tariflich fixierten Arbeitsbewertungsverfahren.
2.3 Handlungsorientierungen für die betriebliche Personalpolitik Dort, wo Arbeitsbewertungsverfahren auf der betrieblichen Ebene entwickelt werden, gilt das für die Tarifpolitik Gesagte. Mit Blick auf die Überprüfung von Einstufungen bzw. Eingruppierungen bei Verdacht auf mittelbare Diskriminierung enthalten die Urteile des EuGH und des BAG ebenfalls Maßstäbe und Handlungsanleitungen, die hier nur skizziert werden können (ausführlicher Schiek in diesem Band; Winter 1998, S. 178ff, 300ff; 2001; 2006a, S. 493ff). Zunächst ist (i.d.R. durch Bildung von Vergleichsgruppen) zu prüfen, ob eine Regelung zur Arbeitsbewertung ein Geschlecht benachteiligt bzw. benachteiligen kann. Es gilt das Prinzip einer im ersten Schritt erleichterten Darlegungs- und Beweislast zur wirksameren Durchführung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Wenn die klagende Partei Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, muss die beklagte Partei, also die Arbeitgeberseite, darlegen und ggf. beweisen, dass die angegriffene Regelung keine Ungleichbehandlung darstellt oder durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, das mit angemessenen und erforderlichen Mitteln erreicht werden soll. Wenn ArbeitgeberInnen Demotivation aufgrund als ungerecht empfundener Eingruppierungen oder Klagen wegen Entgeltdiskriminierung vermeiden wollen, können sie diesen Prüfprozess präventiv vornehmen. Im Falle einer Klage kann die Arbeitgeberseite vor Gericht zu ihrer Rechtfertigung nicht damit argumentieren, dass für die Klägerin andere tarifliche Bestimmungen gelten als für die zum Vergleich herangezogene männerdominierte Tätigkeit. Der EuGH hat im Fall Enderby (Rs. C-127/92) entschieden, dass getrennte Tarifverhandlungen derselben Parteien zu verschiedenen Tätigkeitsbereichen keine ausreichende Rechtfertigung für einen Entgeltunterschied darstellen können. Ebenso wie die bloße Existenz getrennter Tarifteile kein Vergleichshindernis darstellt, sind unter Art. 141 EG-Vertrag auch Vergleiche zwischen den tariflichen Regelungen für Angestellte und den gesetzlichen für Beamte möglich. So hat z.B. das BAG die Arbeit von Sozialarbeiterinnen und Ingenieuren verglichen, also von Beschäftigtengruppen, deren Vergütung in unterschiedlichen Tarifteilen des früheren BAT geregelt war (BAG vom 10.12.1997 – 4 AZR 264/96). Das LAG Schleswig-Holstein hat die Frage nach der Gleichwertigkeit der Arbeit einer Schreibkraft der Bundeswehr (damals vergütet nach BAT) und eines Soldaten (besoldet nach Bundesbesoldungsgesetz) gestellt (LAG Schleswig-Holstein vom 17.11. 1992 – 1 Sa 39/92). Der EuGH hat im Urteil Lawrence (Rs. C-320/00) festgestellt, dass eine Si-
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tuation erst dann nicht mehr unter Art. 141 Abs. 1 EG-Vertrag fällt, wenn sich die bei den Entgeltbedingungen für Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, festgestellten Unterschiede nicht auf ein und dieselbe Quelle zurückführen lassen (vgl. Colneric 2005). Da somit ArbeitgeberInnen Gefahr laufen, sich mit der Anwendung diskriminierender Tarifverträge auf der betrieblichen Ebene erhebliche Probleme einzuhandeln, ist es in ihrem Interesse, auf ihre Tarifpartei dahingehend einzuwirken, dass rechtskonforme tarifliche Regelungen zur Entgeltdifferenzierung vereinbart werden.
3. Mittelbare Diskriminierung durch Arbeitsbewertung Die diskriminierungskritische Arbeitsbewertungsforschung (im englischsprachigen Raum unter den Etiketten „Comparable Worth“ oder „Pay Equity“) zeigt seit Langem auf, dass und wie die Arbeitsbewertung zur Unterbewertung von „Frauenarbeiten“ und damit zur mittelbaren Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts beitragen kann und auch beiträgt. Um diese Erkenntnisse nachvollziehbar aufbereiten zu können, müssen zunächst die gängigen Verfahren vorgestellt werden.
3.1 Verfahren im Überblick Vorangestellt sei: Der Logik der Arbeitsbewertung zufolge wird von der Person, die eine Arbeit verrichtet, abstrahiert bzw. eine normalleistende Person unterstellt. Ermittelt und verglichen werden sollen nur die mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen bzw. Tätigkeiten verbundenen Anforderungen (deshalb auch synonym: Anforderungsermittlung). Dass die Arbeitsbewertung als personen- und damit auch geschlechtsneutral gilt, ist eine wesentliche Ursache für das Nicht-Erkennen ihres Diskriminierungspotenzials. Es werden vier Verfahren der Arbeitsbewertung unterschieden (vgl. Abbildung 1): Analytik
Summarik
Reihung
Rangreihenverfahren
Rangfolgeverfahren
Stufung
Stufen(wertzahl)verfahren
Entgeltgruppen- bzw. Katalogverfahren
Abb. 1: Die Verfahren der Arbeitsbewertung
Bei den summarischen Verfahren (Summarik) wird die Tätigkeit als Ganze betrachtet und bewertet. Dabei können bestimmte, vorab definierte Kriterien verwendet werden, z.B. die erforderliche Ausbildung und die Schwere der Arbeit. Diese werden aber nicht unabhängig voneinander betrachtet, wie dies bei den analytischen Verfahren der Fall ist. Bei der Analytik wird zunächst für jedes Kriterium eine gesonderte Betrachtung und Bewertung vorgenommen, deren Ergebnis ein sog. Teilarbeitswert ist; dann erfolgt die Ermittlung des Gesamtarbeitswerts. Die Bewertung kann durch Reihung oder Stufung erfolgen. Im ersten Fall werden alle Arbeitsplätze nach ihrer Arbeitsschwierigkeit in eine Rangfolge gebracht (Summarik)
269
bzw. werden Rangreihen für jedes einzelne Merkmal erstellt (Analytik). Im zweiten Fall werden die Tätigkeiten vorher definierten Entgeltgruppen (Summarik) bzw. jedes Merkmal einem Stufenschema (Analytik) zugeordnet. Generell ist bekannt, dass bei der Gestaltung der Verfahren der Arbeitsbewertung große (Ver-)Handlungsspielräume bestehen (vgl. z.B. schon Bartölke u.a. 1981). Diese sind, wie im Folgenden herausgearbeitet wird, zugleich Einfallstore für mittelbare Diskriminierung.
3.2 Summarische Verfahren auf dem Prüfstand Beim Rangfolgeverfahren werden die einzelnen Arbeitsplätze (durch Paarvergleiche) nach der ihnen zugeschriebenen Wertigkeit gereiht. Das Ergebnis spiegelt die Vorstellungen über den Wert einer Tätigkeit bzw. über Wertdifferenzen zwischen Tätigkeiten wider. Diese Vorstellungen existieren jedoch nur – und z.T. unbewusst – in den Köpfen der Bewertenden, und sind damit entgegen dem unter 2.2 genannten Prinzip nicht durchschaubar. Und: Zwar soll personenunabhängig verfahren werden, aber Arbeiten sind in den Köpfen der Bewertenden geschlechtstypisch zugeordnet (s.u. 1.). Das führt dazu, dass aufgrund der gesellschaftlichen Geringschätzung von „Frauenarbeiten“ diese eher am unteren Ende einrangiert werden. Mehr noch: Da es um die Verteilung von Geld geht, werden von männlich dominierten Bewertungskommissionen (s.u. 4.2) evtl. auch interessengeleitete Bewertungen vorgenommen. Aus diesen Gründen ist das Rangfolgeverfahren besonders diskriminierungsanfällig (so schon Walker/Bowey 1982, S. 92) – und deshalb grundsätzlich abzulehnen. Bei Entgeltgruppenverfahren werden gemäß der zugeschriebenen Arbeitsschwierigkeit Lohn-, Gehalts-, Vergütungs- oder Besoldungsgruppen gebildet. Die jeweiligen Merkmalskataloge (und Tätigkeitsbeispiele als Einstufungshilfe) werden i.d.R. auf der tariflichen Ebene erstellt und dienen als Basis für die Einstufungen der Arbeitsplätze bzw. die Eingruppierungen der dort tätigen Personen auf der betrieblichen Ebene. Die Diskussion um die Unterbewertung frauendominierter Tätigkeiten durch Entgeltgruppenverfahren konzentrierte sich zunächst auf den gewerblichen Bereich und dort insbesondere auf die sog. Leichtlohngruppen sowie – darüber hinaus gehend – auf die Frage, ob Frauenarbeit generell leichtere Arbeit ist. Für beides gilt: Weil Frauen sowohl im Alltagsverständnis als auch in der Arbeitswissenschaft als geeignet für leichte Arbeiten gelten, wird der Umkehrschluss gezogen, Frauenarbeit sei leichte Arbeit (vgl. Krell 1984, S. 76). Dabei wird „Arbeitsschwere“ mit schwerer dynamischer Muskelarbeit gleichgesetzt. Andere Formen, die bedeutsam für Frauenarbeitsplätze in der Produktion sind, wie einseitig dynamische Muskelarbeit (z.B. bei der Montage kleiner Teile) und statische Muskelarbeit (z.B. Stehen) werden vernachlässigt. Dies gilt ebenso für die geistig-nervliche Belastung (z.B. durch Arbeit unter Zeitdruck) oder emotionale Belastungen. Diese Praxis verstößt gleich gegen zwei der o.g. Prinzipien. Zum einen wird das Merkmal „Arbeitsschwere“ nicht diskriminierungsfrei ausgelegt, zum anderen werden für „Frauenarbeitsplätze“ wesentliche Anforderungen nicht berücksichtigt.
270
Dieses Problem stellt sich auch im Hinblick auf das in Entgeltgruppenverfahren verwendete Kriterium der „Ausbildungs-“ bzw. „Anlernzeit“. Hier besteht die Gefahr, dass Kenntnisse, die zwar zur Verrichtung der Aufgabe erforderlich sind (und auch vorausgesetzt werden), aber nicht in formalen Qualifizierungsprozessen erworben worden sind, unberücksichtigt und damit unbezahlt bleiben. Das Paradebeispiel dafür sind Qualifikationen, die in hausarbeitsnahen Berufen gefordert sind. Die Europäische Kommission (vgl. 1996, S. 7) nennt hier die Fertigkeit im Nähen. Eine österreichische Studie zeigt, dass dort in Kollektiverträgen (= Tarifverträgen) der Textilindustrie „Handhäkeln, Handstricken und Bedienen von Handstrickapparaten mit Hakennadeln“ als „Hilfsarbeiten leicht“ in die Lohngruppe 1 eingestuft wird (vgl. Österreichischer Gewerkschaftsbund/Gewerkschaft Metall-Textil 2003, S. 43). Aber auch bei formalisierten Ausbildungen gleicher Dauer und/oder Stufe kommt es zu Diskriminierungen. So wurden z.B. im BAT Techniker höher eingestuft als Erzieherinnen, obwohl beide Tätigkeiten einen Fachschulabschluss erfordern (vgl. Winter 1994b, S. 256f). Bei den in jüngerer Zeit stärker beforschten Verwaltungs- und Dienstleistungstätigkeiten stellt sich zudem das Problem, dass die in Entgeltgruppenverfahren berücksichtigten Kriterien in ihrer Gesamtheit nicht der Art der zu verrichtenden Tätigkeit Rechnung tragen (vgl. z.B. Krell/Carl/Krehnke 2001; Stefaniak u.a. 2002). Da sich das Problem der Kriterienauswahl auch und insbesondere bei der Analytik stellt, gehen wir dort näher darauf ein. Mit Blick auf die Summarik ist hier noch auch die Gefahr hinzuwiesen, dass aufgrund von Stereotypisierungen (wie z.B. „Frauenarbeit = leichte Arbeit“ oder „Angestelltentätigkeit = geistige Arbeit“) bei der Bewertung einer Tätigkeit nicht zum Stereotyp passende Merkmale (wie z.B. die körperliche Belastung von Arbeiterinnen oder in Angestelltenberufen) generell ausgeblendet bleiben. Oder bestimmte Merkmale werden zwar berücksichtigt, aber nicht systematisch für alle Beschäftigten, sondern nur in bestimmten Entgeltgruppen (vgl. z.B. Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern 2001, S. 168ff), womit gegen das o.g. Prinzip der für alle gleichen Kriterien verstoßen wird. Hinzu kommt, dass – ähnlich wie auch beim Rangfolgeverfahren – bei Entgeltgruppenverfahren erhebliche Spielräume existieren, die hier bei der Einstufung bzw. Eingruppierung auf der Ebene eines Unternehmens oder einer Verwaltung zur Diskriminierung von Frauen führen können – und auch führen (vgl. z.B. Rohmert/Rutenfranz 1975, S. 21; Stiegler 1994; Carl/Krehnke 2004). Aufgrund dieser Probleme sind sich ExpertInnen weitgehend einig, dass die Summarik für eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung ungeeignet ist (mehr dazu unter 4.1).
3.3 Analytische Verfahren auf dem Prüfstand Wie erwähnt, werden bei der Analytik nicht nur einzelne Anforderungsarten als Bewertungskriterien unterschieden, sondern diese werden auch jeweils gesondert betrachtet. Grundlage für die Auswahl bzw. Differenzierung von Anforderungsarten ist bis heute das aus den 1950er Jahren stammende Genfer Schema (vgl. Abbildung 2).
271
Können
Belastung
1. Geistige Anforderungen
X
X
2. Körperliche Anforderungen
X
X
3. Verantwortung
–
X
4. Umgebungseinflüsse
–
X
Abb. 2: Anforderungsarten nach dem Genfer Schema (nach REFA 1987, S. 43).
Dieser Anforderungskatalog kann weiter ausdifferenziert werden (vgl. z.B. REFA 1987, S. 45). Steht fest, welche Merkmale berücksichtigt werden sollen, wird für jedes einzelne – durch Reihung oder Stufung – ein Teilarbeitswert gebildet. Die Ermittlung des Gesamtarbeitswertes erfolgt nicht einfach durch Addieren der Teilarbeitswerte, sondern die Anforderungsarten werden vorher gewichtet. Damit dürfte deutlich geworden sein, welches hier die Haupteinfallstore für mittelbare Diskriminierung sind: erstens die Auswahl der Merkmale und zweitens deren Gewichtung. Zunächst zur Auswahl der Anforderungsarten: Einerseits sind die in gängigen Katalogen enthaltenen Merkmale oft nicht überschneidungsfrei, was zu Verzerrungen durch Doppel- und Mehrfachbewertungen führt (vgl. z.B. Katz/Baitsch 1996, S. 35f). Andererseits fehlen relevante Kriterien, was zu Verzerrungen durch deren Nicht-Bewertung führt. Schon Rohmert und Rutenfranz (vgl. 1975, S. 21) haben auf eine Vernachlässigung von „Aufmerksamkeit“ und „Geschicklichkeit“ in Tarifverträgen für den gewerblichen Bereich hingewiesen. Im Angestelltenbereich wiederum, wo Frauen als Serviererinnen, Kassiererinnen oder Krankenpflegerinnen oft körperliche Schwerarbeit leisten, spielt das Kriterium „körperliche Belastung“ kaum eine Rolle. Damit kommen wir auf das schon in Zusammenhang mit der Summarik angesprochene Problem der Bewertung von Dienstleistungstätigkeiten zurück (ausführlicher dazu: Krell 2001). Charakteristisch insbes. für personenbezogene Dienstleistungsarbeit ist, dass die „Arbeitsgegenstände“ Menschen sind. Daraus folgt, dass erstens nicht nur körperliche und geistige Arbeit, sondern auch Emotionsarbeit geleistet wird und es sich zweitens um Interaktionsarbeit handelt, weil die Kundschaft oder Klientel an der Erstellung der Dienstleistung mitwirkt. Beides wird jedoch im Genfer Schema und den darauf aufbauenden analytischen Verfahren (inklusive dem zur Dienstpostenbewertung der KGSt [vgl. 1982 und 1998]) nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt, d.h. die Kriterien tragen in ihrer Gesamtheit nicht den Charakteristika der zu bewertenden Arbeit Rechnung. Nun zur Gewichtung: Vorauszuschicken ist, dass diese die Durchschaubarkeit des Verfahrens grundsätzlich – und bei bestimmten Varianten verstärkt – erschwert (ausführlicher dazu: Krell/Carl/Krehnke 2001, S. 29f). In der arbeitswissenschaftlichen Literatur wird darauf verwiesen, die Gewichtung sei generell methodisch nicht exakt bestimmbar (vgl. z.B. REFA 1987, S. 87f). Bestimmungsgrößen für eine vorzunehmende Gewichtung seien u.a. soziologische Wertungen sowie Arbeitsmarktfragen und sozialpolitische Notwendigkeiten. Empfohlen wird schließlich, die Gewichtung am bestehenden Lohn- und Gehaltsgefüge zu orientieren. Was dabei herauskommt, lässt sich unschwer vorstellen: Für „Männerarbeitsplätze“ typische Anforderungen und Belastungen werden hoch, für „Frauenarbeitsplätze“ typische niedrig gewichtet (so schon Rohmert/ 272
Rutenfranz 1975, S. 21). Damit wird die gewachsene diskriminierende Entgeltstruktur nicht nur reproduziert, sondern durch das aufwendige Verfahren auch noch legitimiert. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass nicht nur die summarischen, sondern auch die herkömmlichen analytischen Verfahren nicht diskriminierungsfrei sind.
4. Gestaltungsempfehlungen für eine diskriminierungsfreiere Arbeitsbewertung Aus der Analyse des Diskriminierungspotenzials der Verfahren der Arbeitsbewertung ergeben sich zugleich Hinweise für eine diskriminierungsfreiere Verfahrensgestaltung (s.u. unter 4.1). Gegenstand von 4.2 sind weitere, über die Verfahrensgestaltung im engeren Sinn hinausgehende Aspekte.
4.1 Diskriminierungsfreiere Verfahrensgestaltung: Bedingungen und Beispiele Ausgehend von den Rechtsnormen und dem Stand der Forschung lassen sich drei Bedingungen für eine diskriminierungsfreiere Verfahrensgestaltung formulieren: Das Verfahren muss erstens einheitlich und zweitens analytisch sein sowie drittens den Charakteristika der zu bewertenden Tätigkeiten Rechnung tragen. Diese Bedingungen sollen nachfolgend erläutert werden. Zugleich werden beispielhaft neuere Arbeitsbewertungsverfahren vorgestellt, die die ersten beiden Bedingungen erfüllen und hinsichtlich der dritten richtungweisend sind. Ad 1) Zur Bedingung „einheitliches Verfahren“: Traditionell existier(t)en für ArbeiterInnen und Angestellte unterschiedliche Regelungen und Verfahren. Im deutschen Öffentlichen Dienst kommen noch die BeamtInnen hinzu, deren Besoldung nicht tariflich, sondern gesetzlich geregelt ist. Dass mit der Existenz solcher getrennter Regelungen Entgeltungleichheiten nicht gerechtfertigt werden können, wurde bereits angesprochen. In Großbritannien z.B. wurde deshalb 1997 in den lokalen Verwaltungen die Unterscheidung zwischen Regelungen für ArbeiterInnen und für Angestellte aufgehoben (vgl. Rubery/Fagan 1998, S. 165f). In diesem Zusammenhang wurde auch ein neues einheitliches (und analytisches) Arbeitsbewertungsverfahren entwickelt, das explizit zur Entgeltgleichheit beitragen soll (s.u. unter 4.1.3). In Deutschland wurden 2005 mit dem TVöD für die ArbeiterInnen und Angestellten des Bundes und der Kommunen erstmals einheitliche Regelungen geschaffen. Ad 2) Zur Bedingung „analytisches Verfahren“: Einheitliche Verfahren sind notwendig, aber nicht hinreichend. Hinzu kommt, dass das Verfahren analytisch sein sollte bzw. muss. Darüber herrscht unter ExpertInnen schon lange Einigkeit (vgl. z.B. die bei Jochmann-Döll 1990, S. 72 angegebenen Quellen und IAA 2007, S. 83), und in Ländern mit längerer Tradition in Sachen Entgeltgleichheitsaktivitäten wird dabei i.d.R. die Analytik verwendet (vgl. z.B. Katz/Baitsch 2006, S. 29) – z.T. auch gesetzlich gestützt (vgl. z.B. Winter 1998, S. 327). Denn, wie erläutert, stellt nur die Analytik sicher, dass tatsächlich
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für alle Tätigkeiten die gleichen Maßstäbe angewendet werden, weil jede Tätigkeit systematisch und weitgehend transparent nach jedem im Verfahren enthaltenen Merkmal analysiert und bewertet wird. Ad 3) Zur Bedingung „… das den Charakteristika der zu bewertenden Tätigkeiten Rechnung trägt“: Ein analytisches Verfahren ist jedoch wiederum nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, denn, wie gezeigt, kann auch die Analytik diskriminierend sein. Sie ist es nicht, wenn die Auswahl und die Gewichtung der Bewertungskriterien in ihrer Gesamtheit den Charakteristika der zu bewertenden Arbeit entsprechen. Zunächst etwas ausführlicher zur Auswahl der Anforderungsarten: Hier wurde schon darauf verwiesen, dass bei den gängigen analytischen Verfahren, die auf dem Genfer Schema aufbauen, die emotionale Komponente von Arbeit (bezüglich Können und Belastungen) ausgeblendet bleibt. Damit ist zugleich gesagt, dass ein diskriminierungsfrei(er)es Verfahren entsprechende Bewertungskriterien enthalten muss. Dazu zwei Beispiele: x Das aus der Schweiz stammende Verfahren Abakaba (ursprünglich: ABAKABA = Analytische Bewertung von Arbeitstätigkeiten nach KATZ und BAITSCH), das Mitte der 1990er Jahre im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann entwickelt (vgl. Katz/Baitsch 1996) und inzwischen überarbeitet (vgl. Katz/Baitsch 2006) wurde, berücksichtigt im sog. „psycho-sozialen Bereich“ zum einen für Emotionsarbeit erforderliche Qualifikationen wie z.B. „Einfühlungsund Überzeugungsvermögen“, zum anderen Belastungen wie z.B. „Konfrontation mit Problemen und Leid anderer Personen“ (vgl. Katz/Baitsch 2006, S. 38). x Das o.g. einheitliche analytische Verfahren für ArbeiterInnen und Angestellte in britischen lokalen Behörden (National Joint Council for Local Government Services 1997, o.S.; vgl. auch Hastings 2002) enthält: x unter Können u.a. „Interaktive und kommunikative Fähigkeiten“, x unter Belastungen u.a. „Emotionale Belastungen“, x unter Verantwortung u.a. „Verantwortung für Menschen“, definiert als „Verantwortung (…) für das körperliche, geistige, soziale, ökonomische und auf die Umgebung bezogene (i.O.: ‚environmental‘) Wohlbefinden von Menschen, einschließlich ihrer Gesundheit und Sicherheit“ x unter Arbeitsbedingungen u.a. alle durch die Arbeit mit Menschen verursachten unangenehmen Bedingungen („aus welcher Quelle auch immer“), wie z.B. das Risiko von Aggressionen seitens KlientInnen oder von Verletzungen durch diese. Auch wenn Bedingungen, wie das Risiko von Belästigungen, Aggressionen oder Verletzungen durch KlientInnen oder KundInnen nur z.T. durch die Dienstleistenden beeinflussbar sind, ist damit bereits die Interaktionsarbeit angesprochen. Zu deren Berücksichtigung ebenfalls zwei Beispiele: x Das Stellenbewertungsverfahren der KGSt enthält ein Merkmal „Schwierigkeitsgrad der dienstlichen Beziehungen“ (KGSt 1982, S. 27). Erläutert wird: „Dienstliche Beziehungen (…) erfordern neben Sprachverständnis insbesondere Kontaktfähigkeit, kooperatives und bürgerfreundliches Verhalten, Überzeugungsvermögen und Ver-
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handlungsgeschick“ (ebd.). Als eine der interaktionsbedingten Bestimmungsgrößen des Schwierigkeitsgrads der dienstlichen Beziehungen werden die Konfliktmöglichkeiten genannt. x In einem „Verfahren zur Analyse von Arbeit im Haushalt“ (AVAH-Verfahren) werden mit Blick auf die Kinderbetreuung in Abhängigkeit vom Alter der Kinder drei Stufen der Betreuungsintensität unterschieden (vgl. Resch 1999, S. 127f). Eine Differenzierung nach Kategorien von „Arbeitsgegenständen“ entspricht aber dem Charakteristikum Interaktionsarbeit nur bedingt, denn mehr oder weniger schwer zu bearbeiten oder ‚widerspenstig‘ sein kann auch Material. Den Besonderheiten von Menschen als „Arbeitsgegenständen“ und InteraktionspartnerInnn und der damit einhergehenden person- und situationsbedingten Vielfalt gerecht zu werden, stellt die Arbeitbewertung vor immense Herausforderungen und erschüttert ihr methodisches Fundament (ausführlicher dazu: Krell 2001). Nun zur Gewichtung als für die mithilfe der Arbeitsbewertung hervorgebrachte Entgeltstruktur „entscheidenden Stellgröße“ (Ridder 2004, Sp. 201): Hier ist klarzustellen, dass sich die in der arbeitswissenschaftlichen Literatur getroffene Aussage, die Gewichtung sei nicht methodisch bzw. wissenschaftlich bestimmbar, nur auf die Verfahrenslogik der Arbeitsbewertung bezieht. Damit wird eingestanden, dass hier Konventionen und Kompromisse eine entscheidende Rolle spielen (wovon im Übrigen auch die diesbezüglich bei Abakaba vorgenommenen Veränderungen zeugen; vgl. Katz/Baitsch 1996, S. 40f; S. 35). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Gewichtung beliebig vorgenommen werden kann. Vielmehr gelten hier ebenfalls die unter 2.2 dargelegten Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung: sowohl für die Gestaltung der Gewichtung als auch für deren (gerichtliche) Überprüfung.
4.2 Weitere Aspekte Die bislang behandelte Ausgestaltung der Verfahren ist zwar besonders bedeutsam, um mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Grundentgeltdifferenzierung entgegenzuwirken. Darüber hinaus gibt es aber weitere Aspekte, die für die Realisierung der Rechtsnorm des gleichen Entgelts für gleiche und gleichwertige Arbeit relevant sind. Um die soll es im Folgenden gehen, wobei hier jeweils zunächst das Problem skizziert und daran anknüpfend die Gestaltungsempfehlung umrissen wird. Der erste hier anzusprechende Aspekt ist die Zusammensetzung der Bewertungskommission: Da sowohl bei der Ausgestaltung als auch bei der Anwendung der Verfahren Handlungsspielräume bestehen, haben die jeweils Beteiligten einen großen Einfluss auf die Bewertungsmaßstäbe und -ergebnisse. Deshalb spielt die Zusammensetzung der Bewertungskommission auf tariflicher und betrieblicher Ebene eine entscheidende Rolle. Rein männlich besetzte oder männlich dominierte Kommissionen können – unbewusst oder bewusst – zur Unterbewertung frauendominierter Tätigkeiten beitragen. Zum einen können wichtige Merkmale übersehen oder unterbewertet werden, weil männliche Bewerter nur vage oder falsche Vorstellungen von den zu bewertenden Tätigkeiten haben (so schon Fonda u.a. 1979, S. 35). Zum anderen kann eine bewusste
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Interessenpolitik im Sinne einer männlichen Besitzstandswahrung betrieben werden. Deshalb ist eine angemessene Beteiligung von Frauen sicherzustellen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine ‚Alibi‘-Frau allein ist keine befriedigende Lösung. Der Europäische Rat fordert in seiner Entschließung 91/C 142/01 von 1991 die Sozialpartner auf, bei Tarifverhandlungen auch die Frage der Beseitigung der geschlechtsbedingten Diskriminierung in den Entlohnungssystemen anzugehen sowie alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Vertretung der Frauen in den Entscheidungsgremien aktiv zu fördern. So hat z.B. die Gewerkschaft ver.di eine Quotierung (nicht nur) von Tarifkommissionen in der Satzung festgelegt. Mit Blick auf betriebliche Bewertungskommissionen fordert das IAA (2007, S. 83), diese sollten paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein und fügt noch hinzu, dass nicht alle Frauen aus den unteren Hierarchieebenen und alle Männer aus den oberen stammen sollten. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Schulung der Kommissionsmitglieder (vgl. dazu auch IAA 2007, S. 83): In der kanadischen Provinz Ontario (in Kanada sind die Provinzen arbeitsrechtlich weitgehend selbstständig) wird diese in einer Gerichtsentscheidung zu einer der Voraussetzungen eines diskriminierungsfreien Bewertungsprozesses erklärt (Winter 1998, S. 333). Informiert werden müssen die Mitglieder einer Kommission zunächst über die grundlegenden Erkenntnisse der diskriminierungskritischen Arbeitsbewertungsforschung. Handelt es sich um für die Gestaltung von Verfahren zuständige Kommissionen (z.B. Tarifkommissionen) gehören auch die Bedingungen für eine diskriminierungsfreiere Verfahrensgestaltung dazu. Bei zum Zwecke der Einstufung bzw. Eingruppierung eingesetzten Kommissionen kommt hinzu, dass die Kommmission eingearbeitet und u.U. beratend begleitet werden muss, damit sie das Verfahren richtig versteht und korrekt anwendet. Dabei ist insbesondere auf eine diskriminierungsfreie Auslegung der Bewertungskriterien zu achten. Schließlich ist den Kommissionsmitgliedern immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass die Arbeiten, d.h. die Arbeitsplätze oder Tätigkeiten, bewertet werden – und nicht die Personen, die diese innehaben oder ausführen (zur Illustration vgl. Krell/Carl/Krehnke 2001). Weiterhin ist durch geeignete Verfahren (z.B. grundsätzlich verdeckte Abstimmungen und Bewertungen ohne Handzeichen) oder/und Prozesse der Supervision zu gewährleisten, dass Bewertungsergebnisse nicht durch die Gruppendynamik innerhalb der Kommission beeinflusst und verfälscht werden (vgl. Winter 1998, S. 333). Ein Seminarkonzept zur Schulung von (nicht nur) Kommissionsmitgliedern ist im Auftrag des DGB erarbeitet worden (vgl. Tondorf/Jochmann-Döll 2003). Ein weiterer fundamentaler Aspekt ist die Arbeitsbeschreibung: Schon bei diesem ersten und für die Bewertung weichenstellenden Schritt kann es zu Verzerrungen kommen. Werden Anforderungen und/oder Belastungen vernachlässigt oder ‚aufgebauscht‘, ist die Unter- oder Überbewertung der Tätigkeit programmiert (vgl. z.B. Dürk 1994, S. 123). Dazu beitragen dürfte, dass sowohl bei den summarischen als auch bei den herkömmlichen analytischen Verfahren keine wissenschaftlich gestützten Verfahren der Arbeitsanalyse verwendet, sondern nur Arbeitsbeschreibungen vorgenommen werden (so schon Bartölke u.a. 1981, S. 19 und – 15 Jahre später – Katz/Baitsch 1996, S. 33). Positiv gewendet folgt daraus (vgl. auch Tondorf/Ranftl 2002, S. 35): Die Arbeitsbeschreibung sollte nach einer für alle Beschäftigten einheitlichen Systematik durchgeführt werden, wie sie z.B. Abakaba enthält. Die verwendete Systematik sollte umfas-
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send sein, d.h. alle für Frauenarbeitsplätze relevanten Tätigkeitsinhalte, Anforderungen und Belastungen berücksichtigen. Die Beschreibung sollte sachlich sein, d.h. rein beschreibend und nicht schon Bewertungen vorwegnehmend. Auch wenn völlig „objektive“ Beschreibungen eher utopisch erscheinen, so kann doch durch eine Mehrperspektiven-Analyse bewirkt werden, dass keine groben Verzerrungen auftreten. Damit die Beschäftigten in der Lage sind, an ihrer Arbeitsbeschreibung mitzuwirken oder diese zumindest zu überprüfen, sollte die verwendete Sprache für alle verständlich sein. Auch beim letzten Schritt, der Umwandlung der Bewertungsergebnisse in Entgelt, existieren erhebliche Spielräume und damit Einfallstore für Diskriminierungen. So ist z.B. beim summarischen Rangfolgeverfahren zunächst zu entscheiden, welche Rangplätze jeweils zu einer Entgeltgruppe zusammengefasst werden (vgl. z.B. Bartölke u.a. 1981, S. 28). Weiterhin ist hier – und bei den summarischen Entgeltgruppenverfahren – festzulegen, wie groß die Entgeltabstände zwischen den einzelnen Entgeltgruppen sein sollen. Analog dazu wird bei der Analytik das Verhältnis von Arbeitswerten und relativer Lohnhöhe durch den Verlauf der Entgeltkurve bestimmt. Diese kann linear, progressiv, degressiv oder in einer Mischform verlaufen (vgl. z.B. Ridder 2004; Sp. 201). Auch hier kann mittelbare Diskriminierung erfolgen, wenn z.B. die Kurve so gestaltet ist, dass die Steigung im Bereich der unteren Entgeltgruppen, wo sich überwiegend Frauen (be)finden, geringer ist als im Bereich der oberen, wo sich überwiegend Männer (be)finden (vgl. z.B. Lappe 1981, S. 154ff, 294). Daraus folgt: Die Entgeltkurve sollte nicht so verlaufen, dass die bestehende Einkommensdifferenz noch vergrößert wird. Wenn dagegen Maßnahmen zur Verkleinerung der Abstände zwischen Frauen- und Männerentgelten ergriffen werden sollen, empfiehlt sich (auch bei Tarifverhandlungen) ein vergleichsweise höherer Anstieg im Bereich der unteren Entgeltgruppen. Letzteres gilt nicht nur für die Analytik, sondern auch für die Summarik. Der letzte relevante Aspekt, der hier angesprochen werden soll, ist eine regelmäßige Anwendungs- und Verfahrenskontrolle. Diese entspricht generell einem professionellen Gleichstellungscontrolling (vgl. den einleitenden Beitrag von Krell in diesem Band). Die Anwendungskontrolle bezieht sich auf die konsequente und korrekte Umsetzung des Verfahrens. Geeignet dazu sind sowohl Prozesskontrollen (z.B. durch externe ExpertInnen, die die Bewertungskommissionen schulen bzw. moderieren) als auch Ergebniskontrollen. Letztere können zum einen durch nach Geschlecht differenzierende Eingruppierungsstatistiken erfolgen, zum anderen durch Mitarbeiterbefragungen, die bei entsprechender Ausgestaltung und Auswertung (vgl. z.B. Ebner/Krell 1997) Aufschluss darüber geben, ob sich die Beschäftigten anforderungsgerecht bezahlt fühlen. Wenn die Ergebniskontrolle Diskriminierungen zutage fördert, dann muss wiederum geklärt werden, ob bzw. inwieweit diese durch eine mangelhafte Anwendung oder durch eine mangelhafte Ausgestaltung des Verfahrens verursacht sind. Auch unabhängig davon sollte in gewissen Abständen eine Verfahrenskontrolle vorgenommen werden, z.B. um zu prüfen, ob das Verfahren neuen Rechtsnormen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht oder eine Überarbeitung erforderlich geworden ist.
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5. Schlussbemerkungen Mit den vorangehenden Ausführungen haben wir Handlungsbedarf aufgezeigt und zugleich Orientierungshilfen für den Weg zu einer diskriminierungsfreieren Arbeitsbewertung gegeben. Als ganz entscheidende Voraussetzung muss der Wille hinzukommen, die existierenden Missstände entschieden anzugehen und zu beseitigen. Um im Bild zu bleiben: Es sind die auf politischer, tariflicher und betrieblicher Ebene jeweils Verantwortlichen, die sich in Bewegung setzen müssen. Ein halbherziger oder gar widerwilliger Aufbruch dürfte allerdings nicht zum Ziel führen. Und: Da es sich um eine ‚Gruppenreise‘ handelt, ist es auch erforderlich, dass sich alle Teilnehmenden darüber einigen, welche Ausrüstung zweckdienlich ist und wo genau es langgehen soll. Auch wenn der Weg lang und mühsam ist: Eine diskriminierungsfrei gelungene Tarifreform bringt beiden Parteien etwas: den Gewerkschaften Glaubwürdigkeit in den Augen der weiblichen Beschäftigten (bzw. anderer von Diskriminierung betroffenen Beschäftigtengruppen), den Arbeitgebenden Schutz vor eventuellen Klagen und damit verbundenen Kosten sowie eine zu erwartende Motivationssteigerung bei den betroffenen Beschäftigten. Auf betrieblicher Ebene ist allerdings die Beseitigung von Entgeltdiskriminierung bzw. die Auf-Wertung frauendominierter Arbeitsplätze – z.B. durch Höhergruppierung im Rahmen bestehender tariflicher Regelungen – nach wie vor nicht als gleichstellungspolisch relevantes Handlungsfeld erkannt worden (vgl. den einleitenden Beitrag von Krell in diesem Band). Das gilt auch für die Gestaltung frauendominierter Arbeitsplätze (vgl. dazu auch Hilf/Jacobsen in diesem Band), die weichenstellend für deren Bewertung ist. Denn mit der Arbeitsgestaltung wird über die mit der gestalteten Tätigkeit verbundenen Anforderungen entschieden, z.B. darüber, welche Kenntnisse erforderlich sind oder welche Belastungen auftreten. Um die bestehenden Einkommensdifferenzen bei den Grundentgelten zu beseitigen, muss deshalb auch bei der Arbeitsgestaltung angesetzt werden. Und nur durch die Neugestaltung und Aufwertung derzeit frauendominierter Tätigkeiten kann bewirkt werden, dass diese auch für Männer attraktiv werden.
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Andrea Jochmann-Döll und Karin Tondorf
Leistungsabhängige Entgeltdifferenzierung auf dem gleichstellungspolitischen Prüfstand 1. Einleitung: Ein bislang vernachlässigtes Forschungs- und Handlungsfeld 2. Rechtliche Diskriminierungsverbote 3. Systematik der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung 4. Diskriminierungsgefahren bei der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung 4.1 Überblick 4.2 Ausschluss von der Regelung 4.3 Leistungsfremde Prinzipien 4.3.1 Vorgabe statistischer Größen 4.3.2 Hierarchieeffekt 4.3.3 Teilzeiteffekt 4.4 Kriterienauswahl und -definition 4.5 Diskriminierungsanfällige Verfahren 4.6 Intransparenz und Uneinheitlichkeit
5. Gestaltungsempfehlungen 6. Schlussbemerkungen Literatur Andrea Jochmann-Döll, Dr. rer. pol., Beraterin, Trainerin und Wissenschaftlerin mit den Schwerpunkten diskriminierungsfreie Entgeltsysteme, Organisationsberatung und -entwicklung, Personalentwicklung. E-Mail:
[email protected] Karin Tondorf, Dr. phil., Wissenschaftlerin und Beraterin zu den Arbeitsschwerpunkten Modernisierung von Entgeltsystemen, Gleichstellung und Verwaltungsreform. E-Mail:
[email protected], URL: www.karin-tondorf.de Beide leiten das Forschungs- und Beratungsbüro GEFA (Gender – Entgelt – Führung – Arbeit).
Fortführung des Beitrags von Gertraude Krell und Karin Tondorf aus den Vorauflagen.
283
1. Einleitung: Ein bislang vernachlässigtes Forschungs- und Handlungsfeld Im Vergleich zu der Fülle von international und national gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der anforderungsabhängigen Differenzierung der Grundentgelte (vgl. Krell/Winter in diesem Band) ist der Stand der Forschung zur leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung bislang eher dürftig geblieben. In den letzten Jahren sind jedoch einige neue Forschungsarbeiten zu verzeichnen, die die zunehmende Bedeutung von leistungsbezogenen Vergütungen in privatwirtschaftlichen Branchen und im öffentlichen Sektor belegen (vgl. z.B. Bahnmüller 2001; Jochmann-Döll/Tondorf 2004, Tondorf 2007) und zugleich deren Diskriminierungspotenziale untersuchen (vgl. z.B. Tondorf/Jochmann-Döll 2005). Angesichts der europäischen Rechtsnormen zur Entgeltgleichheit, die alle Entgeltbestandteile einschließen, und angesichts der wachsenden Bedeutung leistungsabhängiger Bezahlung in Wirtschaft und Verwaltung scheint es dringend erforderlich, die Diskriminierungsproblematik dieses Entgeltbestandteils näher zu beleuchten. Wir möchten mit diesem Beitrag Rechtsgrundlagen und neuere Forschungsergebnisse zum Thema Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung handlungsorientiert aufbereiten – und darüber hinaus Denkanstöße für Praxis und Forschung geben.
2. Rechtliche Diskriminierungsverbote Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen u.a. aufgrund des Geschlechts verbietet (vgl. § 1) nennt als Anwendungsbereich auch das Arbeitsentgelt (vgl. § 2, Abs. 1). Nach europäischem Recht, aus dem das AGG hervorgegangen ist, umfasst dieses Diskriminierungsverbot alle Entgeltbestandteile. x Art. 141 EG-Vertrag lautet: „Unter Entgelt im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistung zahlt“ (Herv. von uns). x Art. 1 der Entgeltgleichheitsrichtlinie 75/117/EG fordert: „(…) die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen“ (Herv. von uns; s.a. Art. 3, Abs. 1c der RL 2002/73/EG und neuerdings: Art. 2 e der RL 2006/54/EG). x Im Hinblick auf leistungsabhängige Entgelte enthält Art. 141 Abs. 2 EG-Vertrag eine Vorgabe für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit. Hierbei muss das Entgelt „aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt“ werden. Diese Vorgabe dürfte auch auf vergleichbare Systeme der Leistungsmessung zutreffen, soweit Frauen und Männer die gleiche Tätigkeit verrichten. Auch der Europäische Gerichtshof hat bereits einige wichtige Entscheidungen getroffen, die sich auf unterschiedliche Aspekte der leistungsabhängigen Bezahlung beziehen:
284
x Zu gleichen Verdienstchancen für Frauen und Männer: Bei Ausübung verschiedener, jedoch gleichwertiger Tätigkeiten muss die jeweilige Maßeinheit objektiv geeignet sein, den verschiedenen Beschäftigten(gruppen) gleich hohe Gesamtvergütungen zu gewährleisten (vgl. Entscheidung „Royal Copenhagen“ v. 31.5.1995, Rs. C-400/93). x Zur Transparenz von Leistungsentgeltsystemen: Leistungsbezogene Entgeltsysteme müssen durchschaubar sein. Die Beschäftigten müssen überprüfen können, worauf Unterschiede beim Leistungsentgelt zurückzuführen sind. Der Arbeitgeber muss angeben, wie er die Zulagekriterien angewendet hat (vgl. Entscheidungen „Danfoss“ v. 17.10.1989, Rs. 109/88). x Zu Leistungskriterien: Die Leistungskriterien müssen für die Arbeit der Beschäftigten von Bedeutung sein (analog zu Entscheidung „Rummler“ v. 1.7.1986, Rs. 237/85). Sie dürfen nicht zu einer systematischen Benachteiligung eines Geschlechts führen. Möglich wäre dies u.a. bei dem Kriterium der Flexibilität (vgl. Entscheidung „Danfoss“ v. 17.10.1989, Rs. 109/88), da Beschäftigte mit Familienpflichten dieses Kriterium in der Regel schwerer erfüllen können als Beschäftigte ohne diese Pflichten. x Zur Festlegung von Leistungsentgelten: Leistungsbezogene Entgelte dürfen nicht willkürlich aufgrund von Annahmen über zu erwartende Leistungen festgesetzt, sondern müssen auf Basis tatsächlich erbrachter und festgestellter Leistung bestimmt werden (vgl. Entscheidung Brunnhofer v. 26.6.2000, Rs. C-381/99).
3. Systematik der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung In der betrieblichen Praxis findet sich eine Vielfalt von Modellen der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung. Wir machen nachfolgend den Versuch einer Systematisierung und Klärung der wichtigsten Begriffe. Dabei beschränken wir uns auf Modelle der Leistungsbezahlung, die sich auf die individuelle Leistung oder auf Gruppenleistung beziehen. Ausgeklammert werden damit Formen der materiellen Beteiligung am Kapital und/oder am Erfolg (als Gesamtleistung des Unternehmens). Um das Entgelt nach Leistung zu differenzieren, können verschiedene Entgeltgrundsätze und -methoden gewählt werden (vgl. Abbildung 1). Zunächst zu den Entgeltgrundsätzen: Hier kann zwischen den Grundsätzen „Leistungsentgelt“ (herkömmlich als Leistungslohn bezeichnet) und „Zeitentgelt“ (herkömmlich: Zeitlohn, Gehalt) plus Leistungszulage (hier zunächst als Sammelbegriff für unterschiedlich bezeichnete zusätzliche leistungsbezogene Entgeltkomponenten verwendet) unterschieden werden.
285
Entgeltgrundsätze und Verfahren der Leistungsvergütung
Entgeltmethoden/mögliche Methoden der Leistungsfeststellung Zählen/Messen Beurteilen
Leistungsentgelt - Akkordlohn
X
- Prämienlohn
X
- Pensumlohn
X
- Zielentgelt
X
X
Zeitentgelt mit Leistungsprämie oder -zulage … … auf der Basis von
Verfahren der Leistungsvergütung
- Entscheidungen von Vorgesetzten
Freie Verfahren der Leistungseinschätzung
X
- Merkmalen
Merkmalorientierte Leistungsbeurteilung
X
- Aufgaben
Aufgabenbezogene Leistungsbewertung
- Kennzahlen
Kennzahlenverfahren
- Zielen
Zielvereinbarung
X
X X
X
X
Abb. 1: Eine Systematik der Leistungsentgelte
x „Leistungsentgelt“: Hierzu zählen der Akkord- und Prämienlohn als klassische Formen sowie als neuere der Pensumlohn und das Zielentgelt, das in jüngerer Zeit zunehmend vereinbart wird (z.B. in der Metall- und Elektroindustrie). Die klassischen Formen zielen darauf, dass die Normalleistung bzw. das Soll überschritten wird. Dagegen orientieren sich Pensumlohn und Zielentgelt an einer anzustrebenden Soll-Leistung. Das Leistungsentgelt ergibt sich aus einem Vergleich zwischen erreichten und vereinbarten Zielen. Vielfach werden hierbei outputorientierte Zielkriterien verwendet, die operationalisierbar sind und somit gemessen oder gezählt werden können. Teilweise findet sich aber auch eine Mischung von messbaren und beurteilbaren Zielkriterien (z.B. Verhaltensziele). x „Zeitentgelt plus Leistungszulage“: Bezugsgrößen der Leistungszulage können Leistungsmerkmale, Aufgaben, Leistungskennzahlen oder Leistungsziele sein. Leistungsmerkmale beziehen sich häufig auf Verhalten, Eigenschaften oder Potenziale von Beschäftigten, die nur subjektiv einschätzbar sind. Anstelle von Merkmalen kann auch die Erfüllung von Aufgaben durch Einzelne oder Gruppen zum Gegenstand der Beurteilung gemacht werden. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Höhe der Leis-
286
tungszulage von der Erreichung von Kennzahlen (z.B. Mengen, Zeiten) abhängig zu machen. In jüngerer Zeit werden zunehmend Ziele vereinbart, die messbar oder auch nur beurteilbar sind, wobei die Höhe der Leistungszulage in Relation zum Zielerreichungsgrad gezahlt wird. Hinsichtlich des Zahlungsmodus wird unterschieden zwischen Leistungszulagen (in engerem Sinne) als monatlich gezahlte Beträge und Leistungsprämien als Einmalbeträge. x Neben diesen beiden Entlohnungsgrundsätzen zeichnet sich in den letzten Jahren der Trend ab, auch bei der Grundentgeltdifferenzierung eine Leistungskomponente zu verankern. Beschäftigte können z.B. je nach individueller Leistung schneller oder langsamer innerhalb einer Entgeltgruppe aufsteigen. Ebenfalls ist zu beobachten, dass Anteile des Zeitentgelts leistungsbezogen variabilisiert werden. Das bislang geltende Prinzip der ausschließlich anforderungsbezogenen Grundentgeltdifferenzierung wird damit um leistungsbezogene Elemente ergänzt. Systematisch betrachtet handelt es sich jedoch weiterhin um Verfahren der Grundentgeltdifferenzierung. Nun zu den Entgeltmethoden: Wie schon angesprochen wurde, werden zur Feststellung und Bewertung von Leistungen unterschiedliche Methoden angewendet. x Messen/Zählen: Hierbei handelt es sich um die Ermittlung von quantitativen Daten, wie Mengen, Zeiten oder spezifische Qualitätskennzahlen. In Verwaltungs- und Dienstleistungsbereichen werden z.B. die Anzahl der bearbeiteten Anträge oder Wartezeiten als Kennzahlen genutzt. x Beurteilen: Bei der Beurteilung handelt es sich um eine subjektive und wertende Meinungsäußerung, die an keinen objektiv quantifizierbaren Maßstab gebunden ist und sich stets in Form des Beschreibens vollzieht. Grundsätzlich lässt sich zwischen freien Verfahren und standardisierten Verfahren, meist merkmalorientierten Beurteilungsverfahren, unterscheiden.
4. Diskriminierungsgefahren bei der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung 4.1 Überblick Auch wenn tarifliche oder betriebliche Regelungen zum Leistungsentgelt auf den ersten Blick geschlechtsneutral erscheinen, weil sie das Geschlecht der Beschäftigten, die die Leistung erbringen, nicht erwähnen, so lohnt doch ein zweiter, genauerer Blick. Denn die Höhe und Verteilung der Leistungsentgelte als Ergebnis der geschlechtsneutral formulierten Regelungen können sich für Frauen und Männer als mittelbar diskriminierend (vgl. dazu auch Schiek in diesem Band) herausstellen. Diskriminierungsgefahren können bei der leistungsabhängigen Entgeltdifferenzierung in verschiedenen Bereichen lauern: x Bestimmte Beschäftigte(ngruppen) werden von der Leistungsvergütung ausgeschlossen.
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x Leistungsfremde Prinzipien beeinflussen Zahlung und Höhe des Leistungsentgelts. x Leistungskriterien können auf diskriminierende Weise ausgewählt und definiert werden. x Es kann ein besonders diskriminierungsanfälliges Verfahren gewählt werden. x Intransparenz und Uneinheitlichkeit können eine Überprüfung der Diskriminierungsfreiheit erschweren oder gar unmöglich machen. In den folgenden Abschnitten werden die genannten Diskriminierungspotenziale näher erläutert.
4.2 Ausschluss von der Regelung Eine wesentliche Voraussetzung für die Chancengleichheit beim Leistungsentgelt ist die gleiche Möglichkeit für Frauen und Männer, bei entsprechender Leistung überhaupt ein Leistungsentgelt zu erhalten. Dies ist bei verschiedenen Regelungen in der Praxis nicht der Fall. Im Einzelnen finden sich folgende Mechanismen der Ausgrenzung bestimmter Beschäftigtengruppen (ausführlicher dazu: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 65ff): x Direkter Ausschluss bestimmter Beschäftigtengruppen von der Regelung: Im Geltungsbereich tariflicher oder betrieblicher Regelungen wird festgelegt, für wen die jeweiligen Bestimmungen gelten. Dabei werden manche Beschäftigtengruppen auch explizit von den Regelungen ausgenommen. Im Falle von Leistungsvergütungssystemen kommt dies vor für – Teilzeitkräfte, – befristet Beschäftigte und Saisonkräfte, – geringfügig Beschäftigte, – Reinigungskräfte sowie – Küchen- und Kantinen(hilfs)personal. x Stichtagsregelungen: Die Leistung der Beschäftigten wird meist zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr festgestellt bzw. bewertet. Im Anschluss daran werden Leistungsvergütungen zu einem bestimmten Stichtag gezahlt. Anspruch auf Leistungsfeststellung und -vergütung haben ausschließlich Beschäftigte, die zu dem Stichtag im Unternehmen beschäftigt sind. Diese Voraussetzung ist für befristet Beschäftigte und Saisonkräfte nicht immer zu erfüllen. x Dezentralisierung von Entscheidungen über die Anwendung des Leistungsvergütungssystems: Erfahrungen aus dem Bereich der Leistungsvergütungen für Beamte und Beamtinnen zeigen, dass einige Verordnungen die Entscheidung über die Anwendung des Leistungsvergütungssystems in das Ermessen von Führungskräften der einzelnen Verwaltungen und Behörden stellen. Deren Entscheidungen orientieren sich jedoch in der Regel nicht an den Grundsätzen der Gleichbehandlung, sondern an konkreten Möglichkeiten der Finanzierung. Dies könnte zur Folge haben, dass bestimmte frauen- oder männerdominierte Bereiche in unterschiedlichem Ausmaß von den Regelungen profitieren können.
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Bei den genannten Ausschlussregelungen kann dann eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes vorliegen, wenn zu den ausgegrenzten Beschäftigtengruppen überwiegend Beschäftigte eines Geschlechts gehören.
4.3 Leistungsfremde Prinzipien 4.3.1 Vorgabe statistischer Größen Das Budget für Leistungsvergütungen ist in Betrieben und Verwaltungen üblicherweise begrenzt. Deshalb werden häufig Regelungen vereinbart, um einerseits die Zahl der potenziellen EmpfängerInnen von Leistungsentgelten zu begrenzen und andererseits die angestrebte Leistungsanreizwirkung zu erhalten. Hierzu werden verschiedene statistische Größen vorgeschrieben, die bei der Verteilung des Leistungsentgeltes einzuhalten sind, wie z.B. Quoten der EmpfängerInnen von Leistungsentgelt, quotenabhängige Budgetberechnung oder die Vorgabe einer Normalverteilung. Aus gleichstellungspolitischer Sicht sind diese Vorgaben problematisch. Denn es entsteht in der betrieblichen Praxis häufig die Situation, dass mehr Beschäftigte eine honorierenswerte Leistung erbracht haben, als es die statistische Vorgabe erlaubt. Da die tariflichen und betrieblichen Regelungen für diese Situation keine Vorgaben machen, ziehen Vorgesetzte zwangsläufig leistungsfremde Kriterien heran, um über die Vergabe der Leistungsentgelte zu entschieden. Hierbei können Geschlechterstereotype einfließen, die zu einer Benachteiligung von Frauen führen (vgl. Tondorf/JochmannDöll 2005, S. 69f). Im Folgenden einige der häufig angeführten Argumente, die bei der Auswahlentscheidung eine Rolle spielen (können): x Hinzuverdienerin-Argument: Die Mitarbeiterin ist nur Hinzuverdienerin und hat das Leistungsentgelt weniger nötig als der Mitarbeiter. x Konfliktvermeidungs-Argument: Die Mitarbeiterin wird es eher hinnehmen als der Mitarbeiter, wenn sie kein Leistungsentgelt erhält. Möglicherweise lässt er es zu einem Konflikt kommen, der schwer zu lösen sein wird und die Zusammenarbeit belastet. x Berufsorientierungs-Argument: Die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterin wird weniger darunter leiden, wenn sie keine Leistungsvergütung erhält, denn sie ist weniger beruflich orientiert und zieht deshalb ihr Selbstwertgefühl weniger aus der Anerkennung beruflicher Leistungen. x Doppelbelastungs-Argument: Die Mitarbeiterin ist durch Familienpflichten doppelt belastet und deshalb im Zweifelsfall weniger belastbar und leistungsfähig als der Mitarbeiter. x Flexibilitäts-Argument: Die Mitarbeiterin ist alles in allem nicht so leistungsfähig, da sie aufgrund ihrer Familienpflichten zeitlich in geringerem Maße verfügbar und flexibel ist.
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4.3.2 Hierarchieeffekt Der Hierarchieeffekt ist als Beurteilungsfehler oder -verzerrung in Untersuchungen zum Beurteilungswesen seit Längerem bekannt (vgl. z.B. Fried/Wetzel/Baitsch 2000; Schreyögg 1996 und in diesem Band). Dienen Beurteilungen (oder merkmalorientierte Leistungsbewertungen) der Zahlung von Leistungsentgelten, so hat dieser Beurteilungsfehler unmittelbare finanzielle Auswirkungen für die Beschäftigten. Der Hierarchieeffekt führt dazu, dass Beschäftigte finanziell begünstigt werden, die aufgrund ihrer höherwertigen Tätigkeit die Chance haben, Leistungen zu erbringen, die für die Gesamtorganisation einen höheren Stellenwert haben. Es handelt sich hierbei um Tätigkeiten, die ein höheres Maß an Qualifikation, Handlungsspielraum und Verantwortung erfordern – dies alles sind Anforderungen, die bereits im Rahmen der Arbeitsbewertung und Eingruppierung berücksichtigt werden, mit dem Grundentgelt abgegolten sind und nun nochmals im Rahmen der Leistungsvergütung entgeltwirksam werden. Das mögliche Ausmaß des Hierarchieeffektes zeigen Daten aus einem Versorgungsunternehmen (vgl. Abbildung 2). Während im Jahr 2002 in den Entgeltgruppen 1 – 4 nur 37% des für Leistungsentgelte zur Verfügung stehenden Budgets ausbezahlt wurden, profitierten die Entgeltgruppen 13 – 15 mit einer Budgetausschöpfung von 169%. Das heißt: Mittel, die in den unteren Gruppen, die zu 70% mit Frauen besetzt waren, eingespart wurden, kamen den oberen Gruppen, mit einem Männeranteil von 80 – 95%, zugute. Entgeltgruppen
Budgetausschöpfung 2002
Budgetausschöpfung 2003
1–4
37%
54%
5–8
63%
85%
9 – 10
107%
93%
11 – 12
140%
93%
13 – 15
169%
95%
Abb. 2: Hierarchieeffekte im Vergleich: bei Nichtbindung (2002) und Bindung (2003) der Budgetausschüttung an die Entgeltgruppen (Quelle: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 75)
Daraufhin wurden die Bestimmungen für das folgende Jahr 2003 dahingehend geändert, dass das für die jeweiligen Entgeltgruppen errechnete Budget ausschließlich an Angehörige dieser Gruppen ausgezahlt werden darf. Der Hierarchieeffekt konnte daraufhin zwar verringert werden, blieb aber immer noch deutlich nachweisbar.
4.3.3 Teilzeiteffekt Teilzeitkräften wird häufig eine geringere Leistungsfähigkeit unterstellt mit der Begründung, sie seien weniger berufs-, sondern stärker familien- und freizeitorientiert. Dies habe eine geringere Motivation, Flexibilität sowie Bereitschaft zu Überstunden und 290
Weiterbildung zur Folge. Auch leide ihre Leistungsfähigkeit unter der geringeren Anwesenheit im Unternehmen, wodurch sie keinen direkten Zugang zu wesentlichen Vorgängen und Informationen hätten. Dem steht die Beobachtung entgegen, dass Teilzeitkräfte in der vereinbarten Arbeitszeit oft produktiver arbeiten als Vollzeitkräfte, u.a. da bei ihnen weniger Ermüdungseffekte auftreten. Eine Reihe von Beurteilungsstatistiken zeigt eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten (vgl. Schreyögg 1996). Da die überwiegende Zahl der Teilzeitbeschäftigten weiblich ist, hat dieser ‚Teilzeiteffekt‘ gleichstellungspolitische Bedeutung. Das mögliche Ausmaß des Teilzeiteffektes zeigen Daten aus einem Unternehmen der Telekommunikation in Abbildung 3. In dem Unternehmen stellen Teilzeitbeschäftigte knapp ein Drittel der Beschäftigten. Es handelt sich überwiegend um Frauen. Sie schnitten im Vergleich zu Vollzeitkräften bei den Beurteilungen um durchschnittlich einen Punkt schlechter ab. Während nur 27% der Vollzeitbeschäftigten unter 10 Punkten (von 20 möglichen Punkten) blieben, beträgt dieser Anteil bei Teilzeitbeschäftigten 45%. Anteil der Beschäftigten zwischen 9 u. 11 Punkten
Geschlecht
Arbeitszeit Punkte
Punkte
Anteil der BeschäftigMittelwert Mittelwert ten unter VZ = Vollzeit 2004 2003 TZ = Teilzeit 10 Punkten
alle
VZ/TZ
10,47
10,53
männlich
VZ
10,69
10,80
weiblich
VZ
10,36
10,96
männlich/weiblich VZ
10,86
10,88
27%
47%
männlich/weiblich TZ
9,61
9,57
45%
58%
Abb. 3: Verteilung der Beurteilungsergebnisse eines Telekommunikationsunternehmens 2003 und 2004 (Quelle: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 81)
Über den beschriebenen Teilzeiteffekt hinaus besteht eine weitere Gefahr der Benachteiligung von Teilzeitkräften in der üblichen Regelung, dieser Beschäftigtengruppe bei Leistungszulagen oder -prämien maximal einen anteiligen Betrag entsprechend ihrer vertraglichen Arbeitszeit zu gewähren. Das bedeutet: Arbeitet eine Teilzeitbeschäftigte 50% der üblichen Voll-Arbeitszeit, ist ihre maximale Leistungszulage oder -prämie ebenfalls auf 50% begrenzt. Würde also beispielsweise einem Vollzeitbeschäftigten eine maximale Leistungszulage von 1.400 € pro Jahr gezahlt, hätte eine Teilzeitbeschäftigte derselben Entgeltgruppe bei 50%-iger Arbeitszeit einen Anspruch auf maximal 700 €. Diese Verfahrensweise wäre gerecht, wenn die Teilzeitbeschäftigte eine Leistung erbringt, die im Ergebnis der Hälfte der Leistung des Vollzeitbeschäftigten entspricht. Mitunter können Teilzeitbeschäftigte in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit jedoch eine proportional höhere Leistung erbringen, als es ihrem Arbeitszeitanteil entspricht, z.B. 60%. In diesen Fällen wäre eine Gleichbehandlung nicht gewährleistet.
291
Die Teilzeitbeschäftigte muss deshalb Anspruch auf ein Leistungsentgelt haben, das ihrer tatsächlichen Leistung entspricht, d.h. im angeführten Beispiel 840 €.
4.4 Kriterienauswahl und -definition Für die Wahrnehmung einer anderen Person hat deren Geschlechtszugehörigkeit stets eine große Bedeutung. Deshalb spielen Geschlechterstereotype auch bei der Beurteilung der Leistung von Frauen und Männern eine große Rolle (vgl. dazu auch Krell in diesem Band). Beurteilende können sich ihre Aufgabe ‚erleichtern‘, indem sie mehr oder weniger bewusst auf vermeintlich sichere Pauschalurteile zurückgreifen, die eigenen Normen entsprechen und auf Geschlechterstereotypen beruhen können. Manche Leistungskriterien sind besonders anfällig für den Einfluss von Geschlechterstereotypen. Einige Beispiele hierfür sind in Abbildung 4 zusammengestellt. Kriterium
Geschlechterstereotype
Belastbarkeit
Männer sind nervenstärker und belastbarer. Vor allem doppelt belastete Frauen können ‚nicht ihren Mann stehen‘.
Intellektuelle Fähigkeiten
Männer sind rationaler und weisen eine höhere theoretische und technische Intelligenz auf.
Durchsetzungsfähigkeit
Frauen sind konfliktscheuer und nachgiebiger, während Männer eher zäh, hartnäckig und konsequent ihr Ziel verfolgen.
Entscheidungsfähigkeit
Frauen entscheiden emotional und intuitiv, Männer rational. Frauen benötigen unangemessen viel Zeit und Abstimmung.
Soziale Kompetenz
Frauen haben mehr Einfühlungsvermögen und kommunikative Fähigkeiten, sie sind kooperativer.
Abb. 4: Leistungskriterien und Geschlechterstereotype (Quelle: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 90f)
Doch auch Kriterien, die weniger anfällig für Geschlechterstereotypen sind, können einen benachteiligenden Effekt für Frauen haben. Es handelt sich hierbei um Kriterien, die für Beschäftigte mit familiären Verpflichtungen schwerer zu erfüllen sind als für Beschäftigte ohne solche Verpflichtungen. Da Familienarbeit, Kinderbetreuung und die Pflege kranker oder alter Angehöriger immer noch im Wesentlichen von Frauen geleistet werden, betrifft sie diese Benachteiligung stärker als Männer. Die folgende Abbildung 5 zeigt am Beispiel ausgewählter Beurteilungskriterien in einer Bank, wie Kriterien und Definitionen Beschäftigte mit Familienpflichten benachteiligen können.
292
Kriterium
Definition
Frage
Beratungskompetenz
Richtet seine Beratung an den Erwar- Auch dann, wenn Kunden außertungen und Bedürfnissen seiner halb der üblichen Arbeitszeit beraKunden aus ten werden wollen?
Belastbarkeit
Stellt sich bewusst veränderten Be- Auch zeitlich und räumlich verändingungen und anspruchsvollen derten Bedingungen? Tätigkeiten
Flexibilität
Ist bereit, sich in Bezug auf seine Räumliche Veränderung als Chance Aufgabe und auch räumlich zu ver- für schulpflichtige Kinder und ändern, sieht dies als Chance an pflegebedürftige Angehörige?
Fachwissen
Investiert selbst in den Erhalt und den Was? Geld? Zeit? Freizeit? Ausbau seiner professionellen Fähigkeiten
Abb. 5: Schwer erfüllbare Kriterien für Beschäftigte mit Familienpflichten (Quelle: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 85)
4.5 Diskriminierungsanfällige Verfahren Einige der gängigen Verfahren zur Leistungsvergütung halten einer gleichstellungspolitischen Prüfung nicht stand. Dies sind insbesondere jene Verfahren, bei denen die Leistung subjektiv durch Vorgesetzte beurteilt wird. Doch auch zielorientierte Verfahren müssen kritisch geprüft werden. (1) Freie Verfahren der Leistungseinschätzung – ungeeignet! Hier werden nicht nur die Leistungskriterien, sondern auch die Maßstäbe durch die jeweiligen Vorgesetzten definiert. Es bleibt in ihrem Ermessen, welche MitarbeiterInnen eine Leistungsvergütung erhalten und wie hoch diese ausfällt. Geschlechterstereotype und leistungsfremde Prinzipien können so starken Einfluss nehmen und eine uneinheitliche Vergütungspraxis bewirken. (2) Merkmalorientierte Verfahren der Leistungsbeurteilung – problematisch! Weit verbreitet sind merkmalorientierte Verfahren, bei denen verschiedene Leistungskriterien nach ihrem Ausprägungsgrad eingestuft werden. Gegenüber den freien Verfahren haben diese Verfahren zwar den Vorteil, dass sie Leistungsmerkmale bzw. -kriterien und Maßstäbe benennen. Allerdings sind diese nicht immer verbindlich und/oder abschließend geregelt, sodass durch diese Unverbindlichkeit Einfallstore für Diskriminierungen geöffnet werden. Und selbst verbindlich geregelte Merkmale können durch ihre hohe Anfälligkeit für Subjektivität und ihre Auswahl und Definition diskriminierende Wirkungen zeigen (vgl. Abschnitt 4.4). Merkmalorientierte Beurteilungsverfahren enthalten also insgesamt eine Reihe von Defiziten, die Diskriminierung möglich machen. Sie sind zusammenfassend in Abbildung 6 aufgelistet.
293
Verfahrensbedingte Schwächen von merkmalorientierten Beurteilungen
Geschlechteraspekt
Î Sie beruhen auf Beobachtungen. Sie sind damit abhängig von der Beobachtungsintensität und …
Vollzeitbeschäftigte sind meist häufiger beobachtbar als Teilzeitbeschäftigte, die zeitlich geringer präsent sind. Unterstützungs- und Assistenzleistungen, die oftmals von Frauen erbracht werden, fallen weniger auf als Leistungen von Vorgesetzten bzw. Beschäftigten in Front-Bereichen.
Î … der individuellen Wahrnehmung der beurteilenden Person.
Das Geschlecht kann bei der Wahrnehmung von Personen nicht ausgeblendet werden. Wahrnehmungen erfolgen selektiv und werden so gesteuert, dass vorhandene Einschätzungen und Geschlechterstereotype bestätigt werden.
Î Sie sind abhängig von Werten, sozialen Normen, (Vor-)Urteilen und Sympathien der beurteilenden Person.
Werden Verhaltensweisen oder Eigenschaften einer Person beurteilt, können Geschlechter(rollen)stereotype wirksam werden und zu Beurteilungsverzerrungen führen.
Î Sie sind abhängig von der Sensibilität der Qualifikation der beurteilenden Person.
Beurteilungsergebnisse sind abhängig von der subjektiven Fähigkeit der beurteilenden Person, Vorurteile im Hinblick auf das Geschlecht zu reflektieren und abzubauen.
Î Sie enthalten keinen allgemein gültigen, sondern immer einen subjektiven Leistungsmaßstab.
Leistungen von Personen in höheren Positionen können wichtiger eingeschätzt werden als in mittleren und unteren (überwiegend Frauen).
Î Sie betonen das hierarchische Verhältnis zwischen Vorgesetzten und MitarbeiterInnen …
… und damit auch die bestehende Geschlechterhierarchie, da Vorgesetzte überwiegend Männer sind.
Abb. 6: Schwächen von merkmalorientierten Beurteilungsverfahren (Quelle: Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 120)
(3) Zielorientierte Verfahren – ja, wenn … Zielvereinbarungen sind eher als merkmalorientierte Beurteilungen geeignet, Entgeltgleichheit zu gewährleisten. Denn erstens ist meist geregelt, dass ein Leistungsmaßstab im Konsens zwischen Vorgesetzten und einzelnen oder Gruppen von Beschäftigten definiert wird. Auf Basis einer Ausgangsleistung werden gemeinsam Zielleistungen bestimmt. Zweitens erlaubt dieses Verfahren eine größere Objektivität bei der Leistungsfeststellung und -bewertung, wenn mess- und zählbare Zielkriterien ausgewählt werden. Zielorientierte Verfahren sind jedoch nicht per se diskriminierungsfrei. Hierzu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. ausführlicher Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 121ff; Jochmann-Döll 2006, S. 32ff):
294
x Chancengleichheit beim Zugang zu Zielvereinbarungen, x diskriminierungsfreie Auswahl der Zielkriterien, x Vereinbarung der Ziele, x Chancengleichheit bei der Vereinbarung des Leistungsmaßstabs, x Berücksichtigung der Leistungsbedingungen.
4.6 Intransparenz und Uneinheitlichkeit Zu guter Letzt: Nur transparente Leistungsentgeltsysteme ermöglichen es den Beschäftigten nachzuprüfen, worauf Unterschiede bei Leistungszulagen oder -prämien beruhen. Solche Vergleichsbetrachtungen über die Gewährung von Leistungsvergütungen sollten nicht nur für das Merkmal Geschlecht durchgeführt werden, sondern nach geltendem Gleichbehandlungsrecht auch für Belegschaftsgruppen mit anderen Merkmalen, die eine Diskriminierung begründen können (z.B. Alter, Herkunft, Behinderung). Für Undurchschaubarkeit sind verschiedene Regelungs- und Praxisdefizite verantwortlich (vgl. ausführlicher Tondorf/Jochmann-Döll 2005, S. 92ff; Jochmann-Döll 2006, S. 14ff): x fehlende Kriterien, x unverbindliche Kriterienkataloge, x Systemvielfalt innerhalb eines Unternehmens, x Tabuisierung von Leistungsvergütungen, x unklare Bezüge zwischen festgestellter Leistung und Leistungsentgelt, x fehlende Auswertung der Vergabepraxis. Damit sind zugleich Ansatzpunkte für Veränderungen aufgezeigt.
5. Gestaltungsempfehlungen Wesentliche Gestaltungsempfehlungen für eine diskriminierungsfreie leistungsbezogene Entgeltdifferenzierung ergeben sich bereits aus der Vermeidung der in Abschnitt 4 genannten Diskriminierungsgefahren. Doch auch darüber hinaus können Hinweise zur Förderung der Entgeltgerechtigkeit gegeben werden (vgl. ausführlicher Tondorf/Jochmann-Döll 2005; Jochmann-Döll 2006): x Grundsätzliches Bekenntnis zur Diskriminierungsfreiheit: Eine entsprechende Präambel in der tariflichen oder betrieblichen Regelung bietet Orientierungs- und Interpretationshilfen bei der Anwendung des Systems. x Geschlechtsneutrale Sprache: Dies sollte mittlerweile eine Selbstverständlichkeit darstellen, soll aber dennoch nochmals erwähnt werden.
295
x Geschlechtergerechte Finanzierung: Im Sinne einer gerechten Verteilung von Beiträgen und Nutzen muss geprüft werden, wie das Budget für die Leistungsentgelte gebildet wird und ob und für welche Personengruppe dies finanzielle Einbußen bedeutet bzw. welche Personengruppe den größeren finanziellen Nutzen genießt. x Flächendeckende Geltung: Alle Beschäftigtengruppen sollten die Chance haben, bei entsprechender Leistung ein Leistungsentgelt zu erhalten (vgl. Abschnitt 4.2). x Geschlechtergerechte Bewertungs- und Verteilungsregeln: Die Relation von Leistung und Leistungsentgelt muss für alle Beschäftigten mit gleichen Leistungskriterien oder -zielen gleich sein. Auf eine prozentuale Anbindung des Leistungsentgelts an das Grundentgelt sollte verzichtet werden, um sicherzustellen, dass Diskriminierungen beim Grundentgelt nicht im Leistungsentgelt fortgeschrieben werden. x Diskriminierungsfreie Auswahl und Definition der Leistungskriterien: Leistungskriterien sollten sich nicht auf Merkmale der Person oder Persönlichkeit beziehen, sondern auf das Arbeitsergebnis oder die wirtschaftliche Erledigung der Aufgaben. Sie sollten messbar, zählbar oder anderweitig objektiv nachweisbar sein (vgl. Abschnitt 4.4). x Diskriminierungsfreie Verfahren und Methoden: Die Verfahren müssen auf messund zählbaren Zielen, Kennzahlen oder anderen mess- und zählbaren aufgabenbezogenen Merkmalen beruhen (vgl. Abschnitt 4.5). x Wirkungsvolle Beschwerde- und Reklamationsregelungen: Zu bedenken sind hierbei die individuellen Beschwerderechte von Beschäftigten, die kollektiven Rechte von Betriebs- und Personalräten sowie die Informations- und Beteiligungsrechte von Gleichstellungsbeauftragten nach Bundes- und Länderrecht. x Beteiligung von Frauen an Entscheidungen und in Kommissionen: Eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern kann nur gewährleistet werden, wenn beide Gruppen ihre Interessen in allen Phasen des Verhandlungs- und Einführungsprozesses und bei der späteren Anwendung einbringen können. x Information, Sensibilisierung und Training von Verhandlungsparteien, Beschäftigten und Führungskräften: Das Wissen über Mechanismen der Geschlechterdiskriminierung bei der Leistungsvergütung ist eine Grundvoraussetzung dafür, diese Gefahren bei der Gestaltung und Anwendung der Systeme abwenden zu können. Dieses Wissen sowie eine entsprechende Sensibilität in der Anwendung der betrieblichen Regelungen benötigen Verhandlungsparteien, Beschäftigte und Führungskräfte gleichermaßen (vgl. hierzu Dulisch 1999; Jochmann-Döll/Tondorf 2003; Tondorf/Krell 1999). x Controlling des Leistungsvergütungssystems: Hierzu gehören nicht nur eine umfassende Dokumentation und Auswertung von Leistungs(entgelt)daten, sondern auch die Steuerung weiterer Aspekte und Wirkungen des Leistungsvergütungssystems, wie z.B. Akzeptanz, Optimierungsbedarf, Effekte im Hinblick auf Personalentwicklung und Führung(skultur) (vgl. Bevan/Thompson 1992, S. 86 und Krell in diesem Band).
296
6. Schlussbemerkungen Angesichts der zahlreichen Diskriminierungsgefahren durch leistungsabhängige Entgeltdifferenzierung erscheint es von großer Wichtigkeit, den Mythos der Geschlechtsneutralität von Leistungsvergütungssystemen zu entlarven und die Debatte zur Entgeltgerechtigkeit zwischen Frauen und Männern auf das Leistungsentgelt auszudehnen. Hierzu soll der vorliegende Beitrag anregen. Eine solche Debatte muss auch deshalb dringend geführt werden, da in einigen großen Wirtschaftsbereichen (z.B. Öffentlicher Dienst, Metall- und Elektroindustrie) Leistungsentgeltsysteme zurzeit neu eingeführt oder umgestaltet werden. Hier gilt es, die Diskriminierungsgefahren aufzudecken und zu umgehen sowie die Chance zu einer geschlechtergerechten Gestaltung zu nutzen. Wo Leistungsvergütungssysteme eingeführt werden, ändert sich auch die Organisationsund Führungskultur. Dieser Veränderungsprozess kann und sollte genutzt werden, um gleichzeitig eine Erhöhung der Gender-Kompetenz und -Sensibilität bei allen Beteiligten zu erzielen. Dies kann weitere Schritte auf dem Weg zur Chancengleichheit erleichtern oder sogar initiieren.
Literatur Bahnmüller, Reinhard (2001): Stabilität und Wandel der Entlohnungsformen, München/Mering. Bevan, Stephen/Thompson, Marc (1992): Merit Pay, Performance Appraisal and Attitudes to Women’s Work, Final Report of a Study by the Institute for Employment Studies for the Equal Opportunities Commission, erhältlich bei: Institute for Employment Studies, Mantell Building, University of Sussex, Brighton BN1 9RF, UK. Dulisch, Frank (1999): Lernprogramm Beurteilungspsychologie, http://home.t-online.de/ home/Frank.Dulisch/index.htm Fried, Andrea/Wetzel, Ralf/Baitsch, Christof (2000): Wenn zwei das Gleiche tun … – Diskriminierungsfreie Personalbeurteilung, hg. vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, Zürich. Jochmann-Döll, Andrea (2006): Geschlechtergerechte Leistungsvergütung im öffentlichen Dienst, Hamburg, www.dashoefer.de/cgi-bin/landing_site?sitename= ED-GLEIST&wa=GLB06A-33 Jochmann-Döll, Andrea/Tondorf, Karin (2003): Entgeltgleichheit für Frauen und Männer – Ein Seminarkonzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin. Jochmann-Döll, Andrea/Tondorf, Karin (2004): Monetäre Leistungsanreize im öffentlichen Sektor, Bestandsaufnahme – Analysen – Gestaltungsempfehlungen (Edition 119 der Hans-Böckler-Stiftung), Düsseldorf. Krell, Gertraude (2001): Chancengleichheit und Fairness in der Leistungsbeurteilung, in: Personalführung, 34. Jg., Heft 11, S. 38-43. Schreyögg, Friedel (1996): Die Rolle der Kategorie Geschlecht in Personalbeurteilungsverfahren – eine Untersuchung der Praxis in der Münchener Stadtverwaltung, in: Zeitschrift für Personalforschung, 10. Jg., Heft 2, S. 155-175.
297
Tondorf, Karin (2007): Tarifliche Leistungsentgelte – Chance oder Bürde? Berlin. Tondorf, Karin/Jochmann-Döll, Andrea (2005): (Geschlechter-)Gerechte Leistungsvergütung? Vom (Durch-)Bruch des Leistungsprinzips in der Entlohnung, Hamburg. Tondorf, Karin/Krell, Gertraude (1999): „An den Führungskräften führt kein Weg vorbei!“ Erhöhung von Gleichstellungsmotivation und -kompetenz von Führungskräften des öffentlichen Dienstes (Edition 23 der Hans-Böckler-Stiftung), Düsseldorf.
298
Beate Keßler und André Schulz
Praxisbeispiel Motorola: Diversity-orientierte Vergütung 1. Diversity in der Unternehmenskultur Das Unternehmen Motorola wurde 1928 durch zwei Brüder der Familie Galvin in Schaumburg/Illinois (USA) gegründet. Bereits damals wurden Grundpfeiler der Unternehmenskultur gesetzt, die noch heute verbindlich für alle Mitarbeiter/innen als sogenannte Management Principles gelten: x Respekt („Constant respect for people“) und x Integrität („Uncompromising integrity“). Motorola ist ein international führendes Fortune-100-Kommunikationsunternehmen, das mit Seamless-Mobility-Produkten und -Lösungen nahtlose Mobilität über die Bereiche Breitband, eingebettete Systeme und drahtlose Netzwerke hinweg ermöglicht. Menschen und Informationen sind dadurch jederzeit und überall erreichbar – zuhause, im Auto, im Büro und überall dazwischen. Durch die Verschmelzung verschiedener Technologien macht Seamless-Mobility-Kommunikation intelligenter, schneller, kosteneffizienter und flexibler. Der Motorola-Umsatz lag 2006 weltweit bei 42,9 Milliarden US-Dollar. In Deutschland ist das Unternehmen durch die Motorola GmbH präsent. Zu ihr zählen die Bereiche Mobiltelefone (Mobile Devices), Regierungs- und Geschäftskunden (Networks and Enterprise) sowie Breitband (Connected Home). Die Gesellschaft erzielte 2005 mit über 2.500 Mitarbeiter/innen einen Umsatz von rund 5,5 Milliarden Euro. Der Hauptsitz der Motorola GmbH ist in Taunusstein. Die Entwicklung des Unternehmens und der Mitarbeiter/innen hat stets auf Basis der bei Unternehmensgründung gewählten Grundwerte stattgefunden. Die Verwirklichung dieser unternehmensspezifischen Grundwerte wird seit mehreren Jahrzehnten durch Diversity Management umgesetzt, seit 2006 unter dem Titel „Inclusion & Diversity“. Dies beinhaltet das Erkennen und das Wertschätzen individueller Unterschiede und ist ein wichtiger Bestandteil der strategischen Unternehmensführung mit dem Ziel der Erhaltung der Innovations- und Zukunftsfähigkeit. Beate Keßler, geb. Allner, Employee Relations, Inclusion & Diversity. André Schulz, Rewards, Motorola GmbH Taunusstein. Kontakt:
[email protected] 299
Maßnahmen zur Implementierung von Diversity im Unternehmen sind beispielsweise die Berücksichtigung diversity-relevanter Merkmale bei der jährlich aktualisierten Balanced Scorecard sowie bei der Gestaltung der Instrumente zur Unternehmens- und Personalführung, insbesondere auch in dem unternehmensinternen Zielvereinbarungs- und Leistungsbeurteilungssystem. Diversity Management wird im Unternehmen als Wettbewerbsvorteil geschätzt und gefördert, z.B. zur Gewinnung, Bindung und Förderung einer entsprechenden Mitarbeiter-Population, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes sowie bei der Definition und Umsetzung entsprechender Marktstrategien. Schließlich ist Diversity auch ein wichtiger Bestandteil der Evaluierung und Auswahl von Lieferanten. In den USA wird Motorola als Equal Opportunity/Affirmative Action Employer geführt, entsprechende Diversity Business Councils (BC) vertreten spezifische Mitarbeitergruppen: Asian; Black; Gay, Lesbian, Bisexual, and Transgender; Latino; Women; People with Disabilities. Der Women’s Business Council ist seit 2006 weltweit vertreten. Außerhalb der USA wird Diversity durch landesspezifische Aktionspläne umgesetzt, um die Berücksichtigung regionaler Diversity-Bedürfnisse zu ermöglichen.
2. Diversity als Komponente der Unternehmensziele Das Konzept von Diversity gehört seit Jahren zu den stetigen und übergeordneten globalen Unternehmenszielen. Die Wertschätzung von Diversity ist ein wesentlicher Bestandteil der jährlichen Ziel-Definition in allen unternehmerischen Bereichen. Es gibt eine globale Strategie zur Umsetzung von Inclusion & Diversity sowie eine gleichnamige globale Funktion, die entsprechende Aktivitäten in allen Regionen unterstützt.
The Global Inclusion Model at Motorola The Global Inclusion Journey
2006 A
2007 Integration
2008 Sustainability
Promote our commitment to inclusion through product strategies, supplier relationships, employer brand, and community involvement.
Create an inclusive culture where all Motorolans thrive, working how they work best.
Embed inclusive practices into talent management processes, including attraction, retention, and development.
Abb. 1: Motorolas Inclusion & Diversity Strategie (2006)
300
Für den langfristigen Unternehmenserfolg kommt dem gelungenen Diversity Management eine wichtige Rolle zu. Insbesondere die Führungskräfte des Unternehmens in allen Funktionen und auf allen Ebenen werden hierzu besonders verpflichtet, um Diversity gleichzeitig global und lokal umzusetzen. Die Förderung von Diversity ist eingebettet in die für alle Führungskräfte verbindlichen Management-Prinzipien und gilt daher als wichtige Kernkompetenz einer erfolgreichen Führungskraft. Der sichtbare praktische und erfolgreiche Einsatz dieser Kompetenz ist z.B. ein – an alle Führungskräfte des Unternehmens kommuniziertes – relevantes Kriterium für eine mögliche Beförderung einer Führungspersönlichkeit. Für die Personalfunktionen in der Unternehmensorganisation gilt dies besonders, eines ihrer in der Balanced Scorecard verankerten Ziele ist die kontinuierliche Belebung und Erneuerung von Diversity.
3. Integration von Diversity in Personalführungsinstrumente Diversity als wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und -ziele findet sich auch in den Personalführungsinstrumenten wieder, z.B. in der individuellen Zielvereinbarung sowie der Leistungsbeurteilung und dem darauf aufbauenden unternehmensweiten leistungs- und marktorientierten Vergütungssystem.
3.1 Zielvereinbarung: Performance Management Die Unternehmensziele bilden die Grundlage für das Personalführungsinstrument der individuellen Zielvereinbarungen (Performance Management genannt), die jährlich zwischen Mitarbeiter/innen und Vorgesetzten zu Beginn eines Geschäftsjahres (Kalenderjahr) getroffen werden. Die Erreichung der vereinbarten Ziele wird regelmäßig in sogenannten Checkpoints überprüft und am Ende des Jahres in einer Leistungsbeurteilung zusammengefasst. Die Zielvereinbarung besteht aus verschiedenen Komponenten: x geschäftliche Ziele (z.B. erfolgreicher Abschluss eines Projekts), x individuelle Entwicklungs- und Trainingspläne sowie x mittel- und langfristige Karriereziele.
3.2 Erweiterte Leistungsbeurteilung Die Leistungsbeurteilung am Ende des Geschäftsjahres findet auf der Grundlage der Zielerreichung (Performance-Management-Ergebnisse) statt. Hierbei werden die Erreichung der fachlichen Ziele sowie der individuellen Entwicklungsziele gleichwertig behandelt. Als Maßstab für die Beurteilung der Verhaltensziele werden neben den individuellen Komponenten unternehmensweite Standards herangezogen: x Code of Conduct: allgemeine Verhaltensregeln: „The Code of Business Conduct reaffirms what each Motorola employee stands for: Doing the right thing. Every day. No excuses“ (Ed Zander, CEO).
301
x Values: Wertekanon x Customers x Innovation x Principles x Performance x One Motorola In beiden Standards, dem Code of Conduct sowie den Values, findet sich das Konzept von Inclusion & Diversity wieder. In den Bereichen Code of Conduct, Innovation und Principles wird es sogar als wesentlicher Bestandteil einer gelungenen Umsetzung betrachtet. Die Leistungsbeurteilung erfolgt auf der Basis der individuell vereinbarten Ziele in vier Stufen global definierter Leistungsqualitäten: Outstanding, Excellent, Valued Performer, Needs Improvement. Weltweit wird eine vorgegebene prozentuale Verteilung der Leistungsqualitäten angestrebt, um eine echte Differenzierung der Leistungsbeurteilung zu erreichen, d.h., es wird der Wahrscheinlichkeit Rechnung getragen, dass es bei objektiver Beurteilung echte Leistungsunterschiede gibt und diese sollen entsprechend kenntlich gemacht werden, um auf der einen Seite die Leistungsträger des Unternehmens entsprechend fördern zu können, und auf der anderen Seite Verbesserungspotenziale dort erschließen zu können, wo es notwendig erscheint. Die Förderung von Diversity sowie das Zeigen von diversity-förderlichen Verhaltensweisen stellen in diesem Modell mögliche und wichtige Beurteilungskriterien der individuellen Leistung dar.
3.3 Jährliche Gehaltsüberprüfung: Rewards Planning System Die Ergebnisse der standardisierten Leistungsbeurteilung finden direkten Eingang in die jährlich stattfindende Überprüfung der Vergütung zur Verwirklichung eines leistungsorientierten Vergütungsmodells und der Schaffung entsprechender Anreize. Das Ergebnis der Leistungsbeurteilung und die geschäftlichen Ergebnisse sowie Marktvergleichsdaten setzen den Rahmen der möglichen Gehaltsentwicklung für jede/n Mitarbeiter/in fest, ebenso wie den Spielraum für die Vergabe von Aktienoptionen und die leistungsbasierten Bonus-Auszahlungen. Da die Leistungsbeurteilung die Güte und Ausprägung des diversity-relevanten Verhaltens direkt beinhaltet, hat die erfolgreiche Anwendung von Diversity Management in allen Funktionsbereichen und auf allen Ebenen einen direkten Einfluss auch auf die gehaltlichen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Mitarbeiter/innen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten. Je höher die Leistung und die Güte des gezeigten Diversity Managements eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin beurteilt werden, desto größer kann der Anreiz durch das Vergütungssystem ausfallen. Das gilt entsprechend auch für den gegenteiligen Fall, d.h. die negative Leistungsbeurteilung. Die Personalführungsinstrumente werden direkt miteinander verbunden, sodass die Berechnung der möglichen individuellen Veränderung der Vergütungsbestandteile durch ein Datenbanksystem unterstützt wird. Die jähr302
liche Überprüfung und Anpassung der individuellen Vergütung bildet zusätzlich zur Zielvereinbarung, Leistungsbeurteilung und anderen Management-Systemen Anreize zur Förderung von Diversity in allen Unternehmensbereichen.
3.4 Besondere Bonuszahlungen: BRAVO! Award Zusätzlich zu der jährlich wiederkehrenden Überprüfung der individuellen Vergütung im Unternehmens-, Markt- und Leistungskontext bietet das Vergütungsmodell die Möglichkeit, besonders herausragende Leistungen mit einem gesonderten Bonus anzuerkennen. Auch dieser Bonus kann auf der Grundlage einer besonderen fachlichen Leistung, aber auch als Anerkennung für gezeigtes, beobachtbares herausragendes Verhalten auf der Basis der definierten Verhaltensdimensionen und Grundwerte gegeben werden. Das Vorschlagswesen für dieses Bonussystem steht jedem/r Mitarbeiter/in offen, d.h. jede/r kann jede/n anderen empfehlen und die Empfehlung im System entsprechend erläutern. Diese Bonuszahlungen können einen zusätzlichen Anreiz bilden und helfen, diversityförderliches Verhalten und damit einhergehende fachliche Leistungen, z.B. herausragende Mitwirkung an einem diversity-relevanten Projekt, zu benennen und auszuzeichnen.
4. Weitere Maßnahmen zur Förderung von Inclusion & Diversity Die Förderung von Diversity als integralem Bestandteil des täglichen Lebens im Unternehmen wird durch ein vielseitiges Maßnahmenpaket getragen und weiter entwickelt. Neben den dargestellten Instrumenten der Personalführung und darauf aufbauenden Vergütungssystemen gehören hierzu x das Hervorheben von Diversity als unternehmerischen Grundsatz in allen Bereichen des unternehmerischen Schaffens und die entsprechende regelmäßige Kommunikation dieses Grundsatzes durch das Top-Management und die Führungskräfte auf allen Ebenen des Unternehmens, x Trainings zur Erläuterung des Diversity-Konzepts und Vermittlung individueller Kompetenzen, die eine praktische Umsetzung von Diversity unterstützen, x die Schaffung strukturell förderlicher Bedingungen für Diversity, z.B. durch die Wahl einer Ländergrenzen und funktionale Gruppen überschreitenden Organisationsform, um die internationale Zusammenarbeit – ein Aspekt von Diversity – täglich aktiv im Unternehmen zu fördern, x Mitarbeiternetzwerke, die sogenannten Business Councils mit ihren globalen, regionalen und lokalen Aktivitäten.
303
Das gelungene Zusammenspiel aller Diversity-Maßnahmen bildet die Basis für erfolgreiches Diversity-Management im Sinne des Erkennens, Benennens und Wertschätzens individueller Unterschiede im Unternehmenszusammenhang.
Quellen Allgemeine Unternehmensinformationen: www.motorola.com Geschäftsbericht Motorola weltweit (2006): http://library.corporate-ir.net/library/90/908/90829/items/233764/MOT200610K.pdf Motorola Diversity Homepage; Übersicht und Erläuterung der Grundwerte der Unternehmenskultur: www.motorolacareers.com/moto.cfm?cntry=USADiversity&page=1
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Kay Blaufus und Renate Ortlieb
Betriebliche Zusatzleistungen: Analyse und Gestaltungsmöglichkeiten am Beispiel der betrieblichen Altersversorgung 1. Betriebliche Zusatzleistungen 2. Betriebliche Altersversorgung für Frauen und Männer 2.1 Verbreitung 2.2 Rechtlicher Rahmen
3. Ausgestaltung einer betrieblichen Altersversorgung 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Zielgruppen Durchführungsweg Finanzierung Zusageform Verhandlung mit dem Betriebsrat Einführung und Information
4. Ausblick Literatur
Kay Blaufus, Dr. rer. pol., Juniorprofessor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Finanzierung, Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Betriebswirtschaftliche Prüfungs- und Steuerlehre. E-Mail:
[email protected] Renate Ortlieb, Dr. rer. pol., wissenschaftliche Assistentin am Institut für Management, Arbeitsbereich Personalpolitik, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Freie Universität Berlin. E-Mail:
[email protected] Für hilfreiche Kommentare danken wir Miriam Beblo.
305
1. Betriebliche Zusatzleistungen Betriebliche Zusatzleistungen sind eine weit verbreitete und wichtige Entgelt-Komponente. Darunter verstanden werden materielle Leistungen wie z.B. Weihnachtsgratifikationen, Dienstwagen und betriebliche Altersversorgung oder immaterielle Leistungen wie z.B. persönlichkeitsfördernde Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung oder betriebliche Gesundheitsförderung. Betriebliche Zusatzleistungen sollen insbesondere als Anreiz dienen: zum einen, um potenzielle Mitarbeiter/innen zu gewinnen, und zum anderen um die Loyalität und die Bindung von aktuell beschäftigten Mitarbeiter/innen zu erhöhen. Neben einer Anreizfunktion können sie auch eine Fürsorgefunktion erfüllen, daher werden sie auch als betriebliche Sozialleistungen bezeichnet (vgl. z.B. die Überblicke von Alewell 2004; Kolb 2004; Lutz 2005). Unter den vielfältigen Arten von betrieblichen Zusatzleistungen nimmt die betriebliche Altersversorgung einen besonderen Stellenwert ein: Sie ist neben Sonderzahlungen die mit Abstand am weitesten verbreitete (vgl. z.B. Lutz 2005, S. 438ff). Für dieses Beispiel erläutern wir im Folgenden zunächst die Ausgangssituation hinsichtlich der Verbreitung sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen. Daran anschließend zeigen wir auf, wo bei der Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung Diskriminierungsgefahren und Gleichstellungspotenziale liegen und geben Empfehlungen für einen adäquaten Umgang damit. Dabei konzentrieren wir uns auf privatwirtschaftliche Unternehmen. Die Praktiken und rechtlichen Rahmenbedingungen im Öffentlichen Dienst unterscheiden sich von denen in der Privatwirtschaft verhältnismäßig stark – einige der folgenden Argumente und Vorschläge lassen sich allerdings auch auf den Öffentlichen Dienst übertragen.
2. Betriebliche Altersversorgung für Frauen und Männer Nach der Legaldefinition des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 21.06.2002 (kurz: Betriebsrentengesetz; BetrAVG) wird von betrieblicher Altersversorgung gesprochen, wenn „einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt“ werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Die betriebliche Altersversorgung soll in Deutschland als sog. „zweite Säule“ die gesetzliche Rentenversicherung (= erste Säule) und die private Altersvorsorge (= dritte Säule) ergänzen. Da das Niveau der Versorgungsleistungen aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der demographischen Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten weiterhin sinken wird, fördert der Staat seit der Rentenreform von 2001 verstärkt die betriebliche (wie auch die private) Altersversorgung. Arbeitgeber können hiervon profitieren (vgl. auch Sadowski/Pull 1997): zum einen in finanzpolitischer Hinsicht durch verschiedene Steuer- und SozialversicherungsbeitragsErsparnisse, und zum anderen in personalpolitischer Hinsicht durch ein steigendes Interesse der Beschäftigten an der betrieblichen Altersversorgung, womit wiederum die o.g. Anreizwirkungen verbunden sind. Diesen Vorteilen stehen allerdings einige Risiken gegenüber (vgl. Paffenholz u.a. 2005, S. 50ff) sowie aufgrund der Komplexität der 306
steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen ein gewisser Aufwand, der insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ins Gewicht fällt. Vorteile für die Beschäftigten können ebenfalls in Steuer- und Sozialversicherungsbeitrags-Ersparnissen liegen sowie oftmals in einer höheren Rendite, verglichen mit einer privaten Kapitalanlage (vgl. zu weiteren Details Veil 2002, S. 155).
2.1 Verbreitung Im Juni 2004 hatten rund 60% der Beschäftigten in der deutschen Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst Anwartschaften auf Betriebsrenten aufgebaut (vgl. BMAS 2005, S. 22). Allerdings sind Frauen seltener an der betrieblichen Altersversorgung beteiligt als Männer (31% der Frauen gegenüber 41% der Männer nach der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung; vgl. Leiber 2005, S. 319, bzw. 42% der Frauen gegenüber 47% der Männer nach der TNS-Infratest-Arbeitgeberbefragung; vgl. Kortmann/Haghiri 2005, S. 37). Eine ähnliche Schieflage weist auch die Verteilung der entsprechenden Leistungen auf, wie der aktuelle Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeigt (BMAS 2005, Anhangtabelle B.3). So erhalten in der Privatwirtschaft Frauen seltener als Männer Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung (6% der Frauen gegenüber 26% der Männer) und geringere Leistungen (184 € pro Monat; Männer: 470 €). Damit erreicht die Höhe der Betriebsrenten für Frauen im Durchschnitt nur 39% der für Männer. Zurückzuführen ist diese Verteilung im Wesentlichen auf die unterschiedlichen Erwerbsbiographien – insbesondere in Hinblick auf Erwerbsunterbrechungen. In den Genuss von Betriebsrenten kommen außerdem insbesondere Beschäftigte in den Wirtschaftszweigen Industrie/Energiewirtschaft und Banken/Versicherungen, in großen Unternehmen, in Positionen mit höheren Qualifikationsanforderungen und Führungsaufgaben sowie mit einer längeren Betriebszugehörigkeitsdauer (vgl. BMAS 2005, Anhangtabelle B.9.1; Leiber 2005, S. 317; Paffenholz u.a. 2005, S. 63ff) – also überwiegend Segmente, in denen Frauen unterrepräsentiert sind (vgl. dazu Bothfeld u.a. 2005).
2.2 Rechtlicher Rahmen Die betriebliche Altersversorgung ist – gerade auch wegen ihrer sozialpolitischen Bedeutung – Gegenstand eines sehr komplexen Regelwerkes (vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Drols 2005; Hanau u.a. 2006; Kerschbaumer/Perreng 2005). Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die wichtigsten Grundlagen sowie auf solche Regelungen, die in gleichstellungspolitischer Hinsicht besonders relevant sind. Begründet wird ein Anspruch auf betriebliche Altersversorgung durch verschiedene rechtliche Grundlagen: So haben Arbeitnehmer/innen nach § 1a BetrAVG einen gesetzlichen Anspruch auf Entgeltumwandlung. Tarifliche Regelungen haben allerdings Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch: Sofern ein Tarifvertrag gilt, muss dieser eine Entgeltumwandlung vorsehen oder per Öffnungsklausel zulassen (§ 17 Abs. 5 BetrAVG). Auf betrieblicher Ebene sind Betriebsvereinbarungen möglich (freiwillige im Sinne des § 88 Betriebsverfassungsgesetz [BetrVG]), außerdem Gesamtzusagen (einseitige Er307
klärungen des Arbeitgebers an alle Beschäftigten oder an bestimmte Gruppen) oder einzelvertragliche Zusagen. Ferner kann auch aus betrieblicher Übung ein Anspruch entstehen, wenn also ein Unternehmen seit mehreren Jahren den Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung gewährt und die Beschäftigten darauf vertrauen können, dass dies auch weiterhin erfolgt. Für die Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung ist zu beachten, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat, auch bei der Form und der Verwaltung des Versorgungssystems (nicht aber bei der Wahl des Durchführungswegs, der Dotierung und der Finanzierung). Mit den verschiedenen Ausgestaltungsformen sind außerdem teilweise unterschiedliche steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen verbunden, auf die wir in Abschnitt 3.2 näher eingehen. In Bezug auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist zunächst relevant, dass die betriebliche Altersversorgung i.d.R. als Entgelt angesehen wird (Körner 2004, S. 10ff) und damit – wie für alle Entgeltbestandteile – auch hier das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Grundgesetz (GG) sowie das Verbot der Entgeltdiskriminierung gemäß Art. 141 EG gelten (vgl. Hanau u.a. 2006, S. 313ff sowie die Beiträge von Schiek, Krell/Winter und Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band). Umstritten ist hingegen, ob auch das Benachteiligungsverbot des § 7 des seit 18.08.2006 geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) unmittelbar gilt (vgl. zur Diskussion Bezani/Richter 2006, S. 12f, Däubler/Bertzbach 2007, § 2 Rn. 127ff; Nollert-Borasio/Perreng 2006, § 2 Rn. 52 ff; Schiek 2007, § 2 AGG Rn. 9). Selbst wenn § 7 AGG nicht unmittelbar gelten sollte, sind die Regelungen des Betriebsrentengesetzes jedoch an den insoweit vorrangigen EG-rechtlichen Diskriminierungsverboten zu messen. Insofern stellen etwa vorgezogene Altersgrenzen für Frauen oder eine Witwenversorgung nur für weibliche Hinterbliebene eine unzulässige unmittelbare Benachteiligung dar (vgl. Nollert-Borasio/Perreng 2006, § 2 Rn. 53f). Darüber hinaus ist das Verbot der mittelbaren Benachteiligung zu beachten. So ist der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von betrieblichen Versorgungssystemen unzulässig, wenn dadurch ein wesentlich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Arbeitnehmer betroffen ist und dies nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann (vgl. Däubler/Bertzbach 2007, § 2 Rn. 157). Das Gleichbehandlungsgebot für den Bereich der Teilzeitarbeit ergibt sich zudem aus § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz. Unterschiedliche Beitragsleistungen, die wegen geschlechtsspezifisch verschiedener Berechnungsfaktoren eine gleich hohe Versorgung gewährleisten, hielt die Rechtsprechung hingegen bisher für zulässig (EuGH 22.12.1993 – C-152/92). Demgegenüber sieht nun Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/113/EG vor, dass ab 21.12.2007 bei der Berechnung von Prämien und Leistungen das Geschlecht unberücksichtigt zu lassen ist (sog. Unisextarife). Allerdings können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie vor dem 21. Dezember 2007 beschließen, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Dies hat Deutschland mit der Vorschrift des § 20 Abs. 2 AGG und der Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) getan. Kosten in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutter308
schaft dürfen dabei in keinem Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Ein Versicherungsunternehmen, das unterschiedliche Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer vorsieht, muss die versicherungsmathematischen und statistischen Daten veröffentlichen, aus denen die Berücksichtigung des Geschlechts als Faktor der Risikobewertung abgeleitet wird (§ 10 a Abs. 2 VAG). Hierbei ist insbesondere darauf abzustellen, dass die veröffentlichten Daten auch relevant sind. So dürften Hinweise auf die allgemeinen Sterbetafeln nicht ausreichen, um eine unterschiedliche Lebenserwartung von Frauen und Männern bei der Prämien- bzw. Leistungsermittlung zu rechtfertigen, da im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung nicht die Lebenserwartung aller Personen, sondern die der Erwerbstätigen relevant ist. Für die betriebliche Altersversorgung sind Unisextarife damit nur zwingend vorgeschrieben, wenn keine relevanten Daten veröffentlicht werden. (anders bei privaten Altersvorsorgeverträgen, die der Riester-Förderung unterliegen: Hier sind nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz stets Unisextarife vorgeschrieben.)
3. Ausgestaltung einer betrieblichen Altersversorgung Im Rahmen der Ausgestaltung einer betrieblichen Altersversorgung gilt es eine Vielzahl von Aspekten zu klären (vgl. z.B. Grawert 1998, S. 57f; Recktenwald 2006). Nahezu jedes Detail birgt Diskriminierungsgefahren wie auch Gleichstellungspotenzial. Im Folgenden gehen wir auf die unserer Ansicht nach wichtigsten Aspekte ein. Vernachlässigt werden spezielle Bereiche wie z.B. die Überleitung von alten in neue Systeme, die Homogenisierung von Systemen nach Unternehmenszusammenschlüssen, die Gestaltung von Versorgungssystemen für Geschäftsführer/innen sowie der gesamte finanzpolitische Bereich.
3.1 Zielgruppen Arbeitgeber/innen können grundsätzlich frei entscheiden, welchen Beschäftigten(-gruppen) sie eine betriebliche Altersversorgung in welcher Ausgestaltung anbieten. Die entsprechenden Gruppen müssen allerdings durch ein sachlich begründetes, objektives Kriterium abgrenzbar sein (vgl. Dommermuth/Mayerhofer 2000, S. 154). Die oben erläuterten rechtlichen Rahmenbedingungen schränken diese Freiheit lediglich in Hinblick auf die drei folgenden Aspekte ein: Allen Beschäftigten muss eine Entgeltumwandlung ermöglicht werden, Teilzeitbeschäftigte dürfen nicht aus dem Angebot ausgeschlossen werden, und die geltenden tariflichen Bestimmungen müssen beachtet werden. In der Praxis sind häufig außertariflich Angestellte, also insbesondere Fach- und Führungskräfte, die zentrale Zielgruppe (vgl. Lutz 2005, S. 441ff), da sich ein entsprechender Aufwand für deren Gewinnung, Loyalität und Bindung aus Arbeitgeber-Sicht besonders lohnt. Diese Gruppe hat zumeist auch ein großes Interesse an einer betrieblichen Altersversorgung, weil ihre Versorgungslücke (die Differenz zwischen dem letzten Nettoentgelt bzw. den angestrebten Alterssicherungsleistungen und den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung) im Vergleich mit anderen, einkommensschwä309
cheren Gruppen besonders groß ist (vgl. z.B. Grawert 1998, S. 62). Da der durchschnittliche Frauenanteil an dieser Zielgruppe eher gering ist, kommen insgesamt Frauen seltener in den Genuss einer betrieblichen Altersversorgung als Männer. Von einer mittelbaren Diskriminierung ist hier allerdings nicht auszugehen, da diese Differenzierung mit der Rechtfertigung durch ein sachliches Ziel begründet werden kann. Vor dem Hintergrund gleichstellungspolitischer Zielsetzungen erscheint gleichwohl eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf andere Beschäftigtengruppen zumindest als wünschenswert, wenn nicht sogar als notwendig. Um einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen, empfiehlt es sich, die Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung nicht nur auf die Unternehmens- und die Personalstrategie abzustimmen, sondern auch auf die Bedürfnisse der Beschäftigten. Für deren Ermittlung sind Mitarbeiterbefragungen ein geeignetes Instrument. Dabei können gleichzeitig wichtige Informationen über verschiedene Varianten der betrieblichen Altersversorgung vermittelt werden. Zu beachten ist außerdem, dass Vorteile durch Steuer- und Sozialversicherungsbeitrags-Ersparnisse, die mit den unterschiedlichen Ausgestaltungsformen verbunden sind, je nach individueller Arbeits- und Lebenssituation unterschiedlich groß sind. Idealerweise sollte ein Arbeitgeber daher verschiedene Varianten sowie eine individuelle Beratung anbieten, so dass sich die Beschäftigten die für sie vorteilhafteste Lösung auswählen können. Wer allerdings versucht, spezielle Produkte und Konzepte für Frauen zuzuschneiden, wird enttäuscht werden: In mehreren empirischen Studien konnten keine signifikanten geschlechterbezogenen Unterschiede hinsichtlich der Präferenzen für eine bestimmte Ausgestaltung identifiziert werden – die Heterogenität der Bedürfnisse innerhalb der Gruppe der Frauen scheint genauso groß zu sein wie die zwischen Frauen und Männern (vgl. Clark/Pitts 1999; Dulebohn u.a. 2000; Gunderson/Luchak 2001).
3.2 Durchführungsweg Die betriebliche Altersversorgung kann über fünf verschiedene Durchführungswege – Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds, Direktzusage oder Unterstützungskasse – erfolgen (vgl. z.B. Hanau u.a. 2006, S. 11ff; Paffenholz u.a. 2005, S. 18ff; Recktenwald 2006, S. 500ff). Am häufigsten wird den Arbeitnehmern die Direktversicherung angeboten (vgl. Leiber 2005, S. 318; Paffenholz u.a. 2005, S. 73ff). Dabei handelt es sich um eine Lebensversicherung, die der Arbeitgeber bei einem Versicherungsunternehmen auf das Leben des Arbeitnehmers abschließt. Pensionskassen und Pensionsfonds sind Versicherungsunternehmen, die gegenüber dem Arbeitnehmer ein Versorgungsversprechen abgeben. Die Besonderheit des Pensionsfonds besteht in der größeren Anlagefreiheit gegenüber den Pensionskassen oder Direktversicherungen. Bei der Direktzusage erbringt der Arbeitgeber selbst die Versorgungsleistung und muss daher Pensionsrückstellungen bilden. Unterstützungskassen unterscheiden sich von der Direktzusage dadurch, dass nicht der Arbeitgeber, sondern meist eingetragene Vereine Träger der Einrichtung sind. Der Unterschied zur Pensionskasse und zum Pensionsfonds besteht darin, dass bei Unterstützungskassen kein Rechtsanspruch auf ihre Leistungen besteht.
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Eine Entgeltumwandlung ist in allen fünf Durchführungswegen möglich. Wenn sie erfolgt, besteht bis zum Jahr 2008 Sozialversicherungsfreiheit für die Beiträge (allerdings max. bis zu 4% der Beitragbemessungsgrenze in der Gesetzlichen Rentenversicherung). Wird die Versorgungszusage hingegen vom Arbeitgeber finanziert, besteht zeitlich und der Höhe nach unbeschränkt Sozialversicherungsfreiheit. Wird die sogenannte Riester-Förderung in Anspruch genommen, was nur bei den Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds möglich ist, sind die Beiträge allerdings stets sozialversicherungspflichtig. Die Betriebsrenten unterliegen in der Auszahlungsphase bei allen Durchführungswegen grundsätzlich der Kranken- und Rentenversicherung. Mit den Durchführungswegen können auch unterschiedliche steuerliche Konsequenzen verbunden sein. So erfolgt die Besteuerung bei den Varianten Direktzusage und Unterstützungskasse stets voll nachgelagert, d.h., Steuern fallen erst bei Rentenauszahlung an. In den versicherungsförmigen Varianten (Direktzusage, Pensionskasse und Pensionsfonds) erfolgt die Besteuerung hingegen nur dann voll nachgelagert, wenn die Beiträge steuerfrei oder Riester-gefördert wurden. Die Riester-Förderung besteht in einem Sonderausgabenabzug der Beiträge oder einer Zulagengewährung. Riester-Förderung und Steuerfreiheit der Beiträge sind allerdings an bestimmte Betragsgrenzen und Produktvoraussetzungen gebunden. Soweit diese Betragsgrenzen überschritten oder die Produktvoraussetzungen nicht erfüllt werden, unterliegen die Beitragszahlungen der vollen Besteuerung. Die Betriebsrenten sind grundsätzlich nicht voll, sondern nur mit dem Ertragsanteil (in der Regel 18%) zu versteuern (vorgelagerte Besteuerung). Die unterschiedliche Abgabenbelastung der Durchführungswege sowie die Unterschiede zur Behandlung der privaten Altersvorsorge führen dazu, dass die Wahl des richtigen Durchführungsweges sowie die Vorteilhaftigkeit der betrieblichen Altersversorgung von den persönlichen Lebens- und Einkommensverhältnissen abhängen. So nimmt beispielsweise der Vorteil aus dem Sonderausgabenabzug bzw. der Steuerfreiheit der Beiträge mit steigenden individuellen Grenzsteuersätzen zu. Daher profitieren insbesondere Beschäftigte mit eigenem hohem Einkommen oder verheiratete Beschäftigte mit hohem Einkommen des Partners bzw. der Partnerin. Um Anreize zur Altersversorgung auch für Bezieher/innen niedriger Einkommen zu schaffen, ist bei der Riester-Förderung die Gewährung von Zulagen eingeführt worden. Die Zulagengewährung führt dazu, dass der Vorteil von Riester-Verträgen gegenüber anderen Anlageformen für Beschäftige mit niedrigem Einkommen und/oder Zulageanspruch für Kinder sehr ausgeprägt ist (vgl. Kiesewetter 2002). Allerdings ist hier zu beachten, dass der Abschluss eines privaten Riestervertrages möglicherweise günstiger ist, da in diesem Fall die Rentenzahlungen nicht sozialversicherungspflichtig sind, wohingegen bei der betrieblichen Altersversorgung Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung anfallen (vgl. Riedlbauer/Kovar 2005, S. 305). Auch die individuelle Lebenserwartung beeinflusst die Höhe des Vorteils aus der Altersvorsorge. So sinkt der Vorteil einer nachgelagerten Besteuerung regelmäßig mit steigender Lebenserwartung (und damit steigender Rentenbezugsdauer). Dieser Effekt wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Ausgestaltung der Ertragsanteilsbesteuerung im Rahmen der vorgelagerten Besteuerung für diejenigen vorteilhaft ist, deren Lebenserwartung höher ist. 311
Pauschale Aussagen über geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Vorteilhaftigkeit der einzelnen Durchführungswege bzw. bezüglich der Vorteilhaftigkeit der betrieblichen Altersversorgung lassen sich aus den angestellten Überlegungen jedoch nicht ohne Weiteres ableiten, da bisher keine empirischen Daten vorliegen, aus denen die Grenzsteuersätze und die Lebenserwartung erwerbstätiger Frauen und Männer hervorgehen. Vor diesem Hintergrund sind Aussagen über die generelle „Frauenfreundlichkeit“ (Prognos 2006, S. 47) etwa der Riester-Förderung mit Vorsicht zu betrachten.
3.3 Finanzierung Beiträge zum Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung können entweder von den Beschäftigten alleine (im Rahmen der Entgeltumwandlung) oder vom Arbeitgeber alleine oder von beiden gemeinsam geleistet werden. In der Praxis ist die gemeinsame Finanzierung am weitesten verbreitet (Paffenholz u.a. 2005, S. 67ff). Mit Blick auf Frauen – und zwar insbesondere gering verdienende – sind hier drei Punkte wünschenswert: erstens, dass sich der Arbeitgeber überhaupt beteiligt, da gerade gering Verdienende über wenig Mittel für ihre Altersversorgung verfügen, zweitens, dass bei gemeinsamer Finanzierung der Arbeitgeber-Anteil nicht an den Arbeitnehmer/innen-Anteil gekoppelt wird, aus demselben Grund, und drittens schließlich, dass der Arbeitgeber – analog zur gesetzlichen Rentenversicherung – auch während Mutterschutz- und Erziehungszeiten weiterhin Beiträge leistet.
3.4 Zusageform Nach dem Betriebsrentengesetz sind drei Formen der Leistungszusage möglich (vgl. auch Grawert 2005, S. 187f; Recktenwald 2006, S. 502ff): Bei der klassischen Leistungszusage sagt der Arbeitgeber den Beschäftigten für den Versorgungsfall eine bestimmte Leistung zu. Dagegen sagt er bei der Beitragszusage lediglich den Beitrag zu, den er für den Aufbau der individuellen Altersversorgung aufwenden wird. Das Anlagerisiko tragen damit die Beschäftigten. Um dieses Risiko abzumildern, gibt es für die versicherungsförmigen Durchführungswege auch die Möglichkeit der Beitragszusage mit Mindestleistung, bei der der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, im Versorgungsfall zumindest die Summe der Beiträge zu leisten. Neben der Entscheidung über die Leistungs- oder Beitragszusage sind die Leistungsfälle, (z.B. Erreichen einer Altersgrenze, Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeit oder Todesfall/Hinterbliebenenversorgung) und die Auszahlungsform (z.B. einmalige Kapitalzahlung oder lebenslängliche Leibrente) festzulegen. Über das in Abschnitt 2.2 erläuterte Diskriminierungsverbot in Hinblick auf die Wahl des Pensionierungsalters sowie die Vorschriften zu geschlechtsspezifischen bzw. Unisextarifen hinaus ist Folgendes zu beachten: Alle drei Zusageformen können gestaffelt werden, z.B. nach Betriebszugehörigkeitsdauer, Bruttoentgelt oder beruflicher Statusgruppe. Dadurch fallen Leistungen für Personen mit diskontinuierlichen Erwerbs- und Karriereverläufen (auch Teilzeitbeschäftigung und Erziehungszeiten) geringer aus. Auch wenn der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung hier nicht erfüllt ist, da sich 312
die Leistungs- bzw. Beitragsstaffelung sachlich begründen lässt, sollte doch sorgfältig geprüft werden, inwieweit Frauen durch solche Staffelungen benachteiligt werden und ob dies tolerierbar ist. Darüber hinaus besteht eine besondere Gefahr bei der Koppelung der Beiträge an das Entgelt: Sofern nämlich dessen anforderungs- und/oder leistungsabhängige Bestimmung nicht diskriminierungsfrei erfolgt (vgl. die Beiträge von Krell/ Winter und Jochmann-Döll/Tondorf in diesem Band), wird diese Diskriminierung mit der betrieblichen Altersversorgung fortgeschrieben und sogar verstärkt.
3.5 Verhandlung mit dem Betriebsrat Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BetrVG das Recht, im Falle einer Entgeltumwandlung zu prüfen, ob die Vorschriften des BetrAVG, geltende Tarifverträge sowie der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten worden sind. Er ist vom Arbeitgeber umfassend über das geplante Versorgungssystem bzw. dessen Änderung zu informieren. Neben einem Überblick über die Wirkungen für die gesamte Belegschaft sind ihm Beispielrechnungen für einzelne Musterpersonen darzulegen (vgl. Recktenwald 2006, S. 514). Hier bietet sich für den Betriebsrat die Möglichkeit, spezielle Beispielrechnungen für Frauen in unterschiedlichen familiären Konstellationen bzw. in unterschiedlichen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Situationen anzufordern. Auf dieser Basis können dann Frauen diskriminierende oder benachteiligende Elemente des Versorgungssystems umgestaltet werden bzw. können die Elemente so gestaltet werden, dass die Versorgungssituation der Frauen verbessert wird. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, die Zusagen des Arbeitgebers möglichst detailliert in einer Betriebsvereinbarung zu fixieren, um Unsicherheiten und möglicherweise daraus resultierende künftige Konflikte zu vermeiden (vgl. Nienhüser/Magnus 2003, S. 5f).
3.6 Einführung und Information Für die erstmalige Einführung wie auch für die Änderung einer bereits bestehenden betrieblichen Altersversorgung spielt die begleitende Kommunikation eine zentrale Rolle (vgl. Paffenholz u.a. 2005, S. 79ff). Geeignete allgemeine Informationsquellen für Arbeitgeber und Beschäftigte sind z.B. die Internet-Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (www.bmas-bund.de), Arbeitgeberverbände, Steuerberatungsbüros, spezielle Altersversorgungs-Dienstleister oder auch einschlägige Volkshochschulkurse, die mittlerweile bundesweit angeboten werden (www.altersvorsorge-macht-schule.de). Auch hier können geschlechterbezogene Aspekte berücksichtigt werden: Empirische Studien zeigen, dass Frauen im Durchschnitt ein größeres Bedürfnis nach fundierten Informationen haben als Männer (vgl. Summers u.a. 2005). Häufig fühlen sie sich nicht ausreichend über Alternativen der Altersversorgung und deren Konsequenzen informiert (vgl. ebd.; DIA 2001, S. 62ff). Außerdem überschätzen sie ihre zukünftigen Alterseinkünfte häufig (vgl. DIA 2001, S. 43). Aufklärung (z.B. im Rahmen von Be313
triebsversammlungen, durch Broschüren oder das Intranet) sowie eine möglichst individuelle Beratung sind daher wichtige Instrumente zur Förderung der Chancengleichheit. Auch hier kann der Betriebsrat tätig werden, der in der Praxis eine wichtige Informationsquelle für die Beschäftigten darstellt (vgl. Müller/Müller-Peters 2005, S. 55).
4. Ausblick Was wird die Zukunft in Hinblick auf die betriebliche Altersversorgung bringen? Zum einen werden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen konkretisieren: So muss der Gesetzgeber entscheiden, ob – wie derzeit diskutiert – die Sozialversicherungsfreiheit in der Ansparphase auch über das Jahr 2008 hinaus bestehen bleiben soll. Aufgabe der Rechtsprechung wird es sein, die Anwendbarkeit des AGG sowie die Verpflichtung zu Unisextarifen zu klären. Zum anderen weisen die jüngeren Entwicklungen darauf hin, dass die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung weiterhin zunehmen wird, und zwar mit einem Trend zu Arbeitnehmer/innen-Finanzierung einerseits und beitragsorientierten Zusagen andererseits (vgl. BMAS 2005, S. 187ff; Leiber 2005, S. 316ff). Arbeitgeber werden vermutlich weiterhin anstreben, Versorgungsrisiken auf die Beschäftigten zu übertragen. Umso wichtiger ist es daher, dass letztere über die notwendigen Informationen und Kompetenzen verfügen, um von den Vorteilen der betrieblichen Altersversorgung auch tatsächlich profitieren zu können.
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Zusammenarbeit und Führung
Gertraude Krell
„Vorteile eines neuen, weiblichen Führungsstils“: Ideologiekritik und Diskursanalyse 1. Einleitung: Verlockende Verheißungen 2. „Neue Führung“: Mythen und Fakten 3. Ergebnisse der geschlechtervergleichenden Forschung: Darstellung und Diskussion 3.1 3.2 3.3 3.4
„Frauen führen schlechter“ „Frauen führen nicht anders“ „Frauen führen besser“ Als Zwischenfazit: Plädoyer für einen Perspektivenwechsel
4. Analyse der Auswirkungen 4.1 … auf die (Personal-)Managementpraxis 4.2 … auf weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte
5. Fazit Literatur
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Institut für Management. E-Mail:
[email protected] 319
1. Einleitung: Verlockende Verheißungen Seit geraumer Zeit wird in der Managementliteratur eine Kulturrevolution in den Führungsetagen verkündet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ogger (1992) entwirft als Alternative zu den geschmähten „Nieten in Nadelstreifen“ die Vision des neuen Managers: „Er hat eine Witterung für profitable Geschäfte, kann strategisch denken und mit Menschen umgehen“ (ebd., S. 242). Unter der Überschrift „Frauen an die Macht“ betont der Autor einige Seiten später, „daß viele Frauen gerade jene Eigenschaften mitbringen, die jetzt und in den kommenden Jahren in den Entscheidungszentren der Wirtschaft benötigt werden. Also die Fähigkeit zu ganzheitlichem, vernetztem Denken oder zur offenen Kommunikation mit Menschen unterschiedlichster Herkunft. Auch Wesenszüge wie ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, Kreativität und die Fähigkeit zur Teamarbeit gehören dazu“ (ebd., S. 255). Daraus, dass das proklamierte Anforderungsprofil der „neuen Führungskraft“ eine große Schnittmenge mit gängigen Weiblichkeitsstereotypen hat, wird geschlossen, Frauen seien die Führungskräfte der bzw. mit Zukunft. Solche verlockenden Verheißungen sollen mit diesem Beitrag kritisch hinterfragt werden. Dazu verwende ich zwei theoretische Perspektiven: die Ideologiekritik und die Diskursanalyse. In aller Kürze (ausführlicher: Hirseland/Schneider 2001 und die dort angegebenen Quellen): Die Ideologiekritik zielt darauf, zwischen Fakten und ideologisch verzerrenden Aussagen zu unterscheiden und zu untersuchen, welche Interessen hinter Ideologien stecken. Die Diskursanalyse fragt danach, wie ein bestimmtes Bild der bzw. als „Wirklichkeit“ konstruiert wird und welche Konsequenzen dieses hat. Aus einer ideologiekritischen Perspektive kann also gefragt werden, ob bestimmte Aussagen die „Wirklichkeit“ verschleiern. Aus einer diskursanalytischen Perspektive ist dagegen die Frage, wie es „wirklich“ ist, falsch gestellt, weil davon ausgegangen wird, dass Diskurse ihren Gegenstand überhaupt erst hervorbringen – und dabei zugleich den Effekt des Natürlichen bzw. Normalen erzeugen. Daran anknüpfend wird untersucht, welche (Macht-)Wirkungen Diskurse haben. Beide Perspektiven lenken demnach den Blick darauf, wie bestimmte Phänomene – ideologisch oder diskursiv – legitimiert werden. Im folgenden zweiten Abschnitt werden zunächst das Bild der „neuen Führung“ und die damit verbundenen Anforderungen an Führungskräfte aus einer ideologiekritischen Perspektive betrachtet. Im dritten Abschnitt geht es dann um die Bilder „weiblicher Führung“: Ergebnisse der geschlechtervergleichenden Forschung zu Führungseigenschaften, -verhalten und -erfolg werden dargestellt und diskutiert, und im Ergebnis wird für einen Perspektivenwechsel plädiert. Daran anknüpfend werden im vierten Abschnitt Auswirkungen des Diskurses über die „Vorteile weiblicher Führung“ auf die (Personal-) Managementpraxis und auf weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte untersucht. Im fünften Abschnitt folgt ein kurzes Fazit.
2. „Neue Führung“: Mythen und Fakten Betrachten wir zunächst die anforderungsbezogene Dimension des Bildes der „neuen Führung“. Aus einer ideologiekritischen Perspektive stellt sich hier zunächst die Frage,
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ob dieses Bild zutreffend ist: Hat sich die Führungskultur tatsächlich grundlegend verändert? Ist das von einer der Protagonistinnen der Vorteile weiblicher Führung prophezeite „Ende der Krieger“ (Helgesen 1991, S. 218) schon da oder zumindest in Sicht? Zunächst ist die Annahme, es gebe einen zeitgemäßen und (deshalb) effizienten Führungsstil, per se äußerst fragwürdig. Denn es ist eine Binsenweisheit der Führungsforschung, dass es keinen „one best way“ der Führung gibt (vgl. z.B. Neuberger 2002, S. 432). Auch ist davon auszugehen, dass zu jeder Zeit faktisch eine große Vielfalt an Führungsstilen existiert. Dennoch kann versucht werden, Entwicklungstendenzen zu eruieren. Betrachten wir also einschlägige Untersuchungen. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wird in einer Studie der Wirtschaftswoche und des Geva-Instituts ermittelt, welche Eigenschaften von Führungskräften mit einer positiven und welche mit einer negativen Abweichung vom Durchschnittsgehalt einhergehen (Brors 1994). An erster Stelle auf der Positivseite steht Durchsetzungsvermögen, gefolgt von Entscheidungskraft und Leistungsorientierung. Teamfähigkeit und Einfühlungsvermögen finden sich dagegen auf der Negativseite. Der Projektleiter schlussfolgert, die neuen Anforderungen an Führungskräfte seien nur ein Lippenbekenntnis. Der Typ des „alten Haudegens“ stehe noch immer hoch im Kurs (ebd., S. 100). Auch Hadler (1995) kommt zu dem Ergebnis, die Führungswirklichkeit in den von ihr untersuchten Unternehmen sei weit entfernt von den Darstellungen „moderner Führung“ (ebd., S. 184). Allerdings geht die Mehrheit der von Hadler Befragten davon aus, dies werde sich in den nächsten zehn Jahren ändern. Eine im Jahr 2000 durchgeführte Expertenbefragung zur Veränderung der Anforderungen an Top-Führungskräfte seit 1990 (Holtmann/Matiaske/Weller 2003, S. 33) kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen: An Bedeutung verloren hätten im letzten Jahrzehnt, so die Experten, einerseits Merkmale wie soziale Verantwortung, andererseits aber auch solche wie Autorität zu zeigen; an Bedeutung gewonnen und einen „Spitzenplatz“ erzielt hätte das Merkmal Teamfähigkeit. Dagegen schätzen die 191 weiblichen und 143 männlichen Führungskräfte aus dem mittleren Management, die Bischoff (2005) befragt, die zukünftige Bedeutung von Teamfähigkeit, kooperativer Führung und kommunikativen Fähigkeiten für erfolgreiches Führen deutlich geringer ein als dies noch Ende der 1990er Jahre – in einer früheren Befragung der gleichen Autorin – der Fall war (ebd., S. 286). Die 2005 von der German Consulting Group (2005) befragten 220 männlichen Führungskräfte bekunden gar mehrheitlich, Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Begeisterungsfähigkeit u.Ä. seien nur für den Aufstieg ins mittlere Management erforderlich. Für das Top-Management unerlässlich seien dagegen Entschlussfähigkeit, Durchsetzungskraft, Risikobereitschaft usw. Und, was wir schon ahnten: Die für (den Aufstieg in) das Top-Management nicht relevanten Merkmale werden als „typisch weiblich“ und die dafür relevanten als „typisch männlich“ kategorisiert. Dieser „Streifzug“ durch mehr als zehn Jahre empirische Forschung verdeutlicht zweierlei: Zum einen scheint es sich bei dem Bild „neuer Führung“ wohl eher um einen Mythos – oder eben: eine Ideologie – zu handeln. Zum anderen wird bei der
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Formulierung von Anforderungen oder Kompetenzen das Geschlecht immer schon mitgedacht.
3. Ergebnisse der geschlechtervergleichenden Forschung: Darstellung und Diskussion Betrachten wir nun die person- bzw. geschlechtsbezogene Dimension des Bildes etwas genauer, vor allem die Behauptung, Frauen würden in besonderem Maße dem Idealtyp der „neuen Führungskraft“ entsprechen. Aus einer ideologiekritischen Perspektive stellt sich hier wiederum erst einmal die Frage, ob solch eine Behauptung empirisch gestützt wird. Zunächst fällt auf, dass sich empirische Bestätigungen für drei widersprüchliche Aussagen finden: „Frauen führen schlechter“, „Frauen führen nicht anders“ und „Frauen führen besser“. Bevor ich diese drei Varianten darstelle und diskutiere, möchte ich zeigen, dass es bei aller Unterschiedlichkeit auch Gemeinsamkeiten gibt: Erstens verweisen die gebräuchlichen Formulierungen darauf, dass bei allen dreien die männliche Führungskraft als Norm(al)person bzw. „maskuline“ Führung als Maßstab gesetzt wird. Zweitens wird bei allen dreien unterstellt, Männer führten „maskulin“ und Frauen „feminin“. Im Gegensatz dazu gehen VertreterInnen des Androgyniekonzepts davon aus, dass Frauen auch „maskulin“, Männer auch „feminin“ und beide „androgyn“ (im Sinne von „maskulin“ und „feminin“) sein bzw. führen können (ausführlicher zur Darstellung und Kritik „androgyner Führung“: Krell 1999; 2003).
3.1 „Frauen führen schlechter“ Nach empirischen Studien, die diese Aussage bestätigen, wird weiblichen Führungskräften u.a. angekreidet, sie seien kleinlich, pedantisch und schwer zufriedenzustellen, sie delegierten nicht, sie behinderten die Entwicklung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie würden alles persönlich nehmen etc. (vgl. z.B. die bei Preuss 1987, S. 387ff angegebenen Quellen). „Mängellisten“ wie z.B. zu emotional, unberechenbar u.Ä. finden sich auch noch in neueren Studien (z.B. bei Bischoff 2005, S. 267) – allerdings als Bewertung einer Minderheit der Befragten. Kanter (1977) betont, das in Zusammenhang mit der Aussage „Frauen führen schlechter“ gezeichnete Bild sei eines von Menschen mit relativ wenig Macht (ebd., S. 202). Von Kanter stammt auch der Hinweis, dass und wie die Wahrnehmung des Verhaltens weiblicher Führungskräfte durch deren Status als „Token“, d.h. als einzige Frau oder Minderheit unter vielen Männern, beeinflusst wird (ebd., S. 210f; Kanter/Stein 1980). Bedingt durch diese Konstellation werden seitens der Mehrheit der männlichen Führungskräfte die Unterschiede zwischen ihrem Verhalten und dem der Kollegin überbetont. Die Kollegin wird nicht als Individuum wahrgenommen, sondern als typisch für die Gruppe der Frauen bzw. der weiblichen Führungskräfte. Sie steht im „Rampenlicht“ und wird zum „Testfall“ gemacht („Ist eine Frau der Position als Führungskraft überhaupt gewachsen?“ oder: „Wie führt eine Frau?“). Damit ist zugleich gesagt, dass 322
der Token-Status weiblicher Führungskräfte für diese mit erheblichen Belastungen verbunden ist und eine stereotypisierende Wahrnehmung ihres Verhaltens verstärkt. Diese Ausführungen zum Token-Status und dessen Effekten gelten im Übrigen auch für die Behauptung „Frauen führen besser“ (s.u. 3.3). Negativzuschreibungen wie „zu emotional“ zeugen zudem davon, wie verwoben Gefühls- und Geschlechterdiskurse und wie ambivalent die damit verbundenen Bewertungen sind (dazu ausführlicher: Krell/Weiskopf 2006, S. 73ff; Sieben/Krell 2007). Denn, wie wir sehen werden, taucht bei den Positivzuschreibungen u.a. „einfühlsam“ auf.
3.2 „Frauen führen nicht anders“ In der Mehrzahl der seit den 1970er Jahren in den USA durchgeführten Untersuchungen werden hinsichtlich Führungsverhalten und -erfolg keine Geschlechtsunterschiede festgestellt (zusammenfassend: Friedel-Howe 1990; Powell 1996). Auch nach – z.T. neueren – Studien aus dem deutschsprachigen Raum gibt die Mehrheit der Befragten an, hinsichtlich Führungsverhalten und -qualität keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern wahrzunehmen (z.B. bei Autenrieth u.a. 1993, S. 141ff; Hadler 1995, S. 190ff; Wunderer/Dick 1997; Bischoff 2005, S. 257ff, 278ff).
3.3 „Frauen führen besser“ Dennoch wird auch die These vertreten, Frauen führten generell besser. Die Aussagen, es gebe „typisch weibliche“ Führungseigenschaften, „natürliche Fähigkeiten weiblicher Manager“ (Loden 1988, S. 69), werden hier mit einer Aufwertung von „Weiblichkeit“ verbunden. Nach Rosener (1990) beschreiben sich Männer eher als „transaktionale“ Führer, Frauen eher als „transformationale“ Führerinnen. Damit ist gemeint: Charakteristisch für männliche Vorgesetzte als „transaktionale“ Führer sei – bei gegebenen Bedürfnissen und Erwartungen der Geführten – ein Stil des Austauschs von Anerkennung und Belohnung gegen Leistung. „Transformationale“ Führerinnen dagegen seien in der Lage, die Bedürfnisse und Werte ihrer MitarbeiterInnen zu verändern – und damit zugleich Organisationskulturen (ebd., S. 120). Als weitere Vorteile eines typisch weiblichen Führungsstils werden benannt (bei Bischoff handelt es sich wiederum nur um eine Minderheit der Befragten), dass weibliche Führungskräfte: x Informationen weitergäben (Rosener 1990, S. 122ff; Helgesen 1991, S. 39ff), x MitarbeiterInnen zur Partizipation ermutigten (Rosener 1990, S. 120ff), x das Selbstwertgefühl der MitarbeiterInnen steigerten (Rosener 1990, S. 123ff), x Atmosphäre schafften (Helgesen 1991, S. 205ff; Bischoff 2005, S. 265), x einfühlsamer, verständnisvoller, sozial kompetenter seien (Bischoff 2005, S. 265),
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x kooperativeres Verhalten und Verhandeln praktizierten (Helgesen 1991, S. 215ff; Loden 1988, S. 176ff; Bischoff 2005, S. 265). Loden (1988, S. 128) und Helgesen (1991, S. 53) behaupten zudem, bei weiblichen Führungskräften trete das Netz an die Stelle der Hierarchie (dazu kritisch: Krell 1994). Hier möchte ich an zwei Beispielen zeigen, dass Studien mit dem Ergebnis „Frauen führen generell besser“ methodisch ausgesprochen fragwürdig sind. Helgesens (1991) schon im Buchtitel verkündeter Befund „Frauen führen anders“ basiert auf der Beobachtung von vier weiblichen Führungskräften je einen Arbeitstag lang. Die Ergebnisse werden denen von Mintzberg (1973) gegenübergestellt, der fünf männliche Führungskräfte beobachtet hat. Abgesehen von der schmalen empirischen Basis wirft diese Vorgehensweise die Frage auf, inwieweit die festgestellten Differenzen dem Geschlechts- oder dem Zeitunterschied geschuldet sind, was Helgesen immerhin auch selbst anspricht (ebd., S. 31). Loden (1988) hat für ihr Buch „Als Frau im Unternehmen führen“ Interviews mit 50 Männern und 200 Frauen geführt. Dies ist zwar eine deutlich breitere empirische Basis, die Beschreibung der Vorgehensweise weckt aber den Verdacht, dass eine interessengeleitete Auswahl der Interviewten stattgefunden hat, um Lodens Hypothese, es existiere ein maskulines und ein feminines Führungsmodell, zu bestätigen. Die Befragung der Frauen führt nämlich zunächst nicht zum gewünschten Ergebnis: „In der ersten Testwoche beharrten (! G.K.) einige der von mir interviewten Frauen auf ihrer Ansicht, daß es die von mir identifizierten Unterschiede gar nicht gebe. (…) Als sich schon Entmutigung einstellen wollte, traf ich auf Managerinnen, die (…) viele meiner Meinungen und Erfahrungen teilten“ (ebd.). Mit anderen Worten: Die Stichprobe der weiblichen Befragten ist erweitert worden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Aufgrund dieser gravierenden methodischen Mängel sind die Ergebnisse der Studien äußerst fragwürdig.
3.4 Als Zwischenfazit: Plädoyer für einen Perspektivenwechsel Dass Studien zu „Frauen führen besser“ methodisch mangelhaft sind, und dass die Forschung zu Geschlechtsunterschieden in Führungseigenschaften, -verhalten und -erfolg insgesamt zu widersprüchlichen Ergebnissen kommt, könnte den Schluss nahe legen, wie bräuchten mehr und bessere Studien. Aber auch durch mehr und bessere Studien können dazu keine „gesicherten Erkenntnisse“ gewonnen werden. Denn sowohl Führungsverhalten (und -erfolg) als auch Geschlecht, und damit beide Komponenten des Forschungsgegenstandes, sind Konstrukte, die mit interessengeleiteten Wahrnehmungen, Zuschreibungen und Bewertungen verbunden sind. Was die Forschung zum Führungsverhalten generell betrifft, weist Neuberger (2002) auf die „Unmöglichkeit einer ‚objektiven‘ Erfassung von Führungsverhalten“ hin (ebd., S. 418). Er arbeitet heraus, „dass soziales Verhalten nur in seiner Einbettung in Zusammenhänge und Erfahrungen, Interessen und Absichten zu verstehen (!) ist; Führungsakte sind davon nicht ausgenommen“ (ebd., S. 425). Das gilt auch und insbeson-
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dere, wenn es um das Thema „Führungsverhalten und Geschlecht“ geht – und ist auch eine Erklärung für die Widersprüchlichkeit der skizzierten Befunde. Dass Erwartungen, Erfahrungen, Interessen und Absichten im Spiel sind, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass diejenigen Frauen und Männer, die überhaupt davon ausgehen, es gebe einen geschlechtstypischen Führungsstil, diesen unterschiedlich beschreiben und bewerten. Betrachten wir dazu noch einmal die Ergebnisse der unter 3.2 angeführten Studien. In dreien davon (Authenrieth u.a. 1993, S. 141ff; Hadler 1995, S. 190ff; Wunderer/Dick 1997, S. 68f) bescheinigen Frauen ihren Geschlechtsgenossinnen eher positive Eigenschaften und Verhaltensweisen („Frauen führen besser“), während die negativen Attributionen („Frauen führen schlechter“) fast durchweg von Männern stammen. Hier sei auch noch einmal an die Studie der GCG (2005) erinnert, der zufolge die befragten männlichen Führungskräfte mehrheitlich den Frauen die für den Aufstieg in das Top-Management erforderlichen Eigenschaften absprechen. Nur bei Bischoff (2005) ergibt sich ein anderes Bild: Hier sind es mehr Männer (21%) als Frauen (14%), die ihre weiblichen Vorgesetzten besser bewerten als ihre männlichen, bzw. deutlich weniger Männer (13%) als Frauen (26%), die angeben, mit weiblichen Vorgesetzten schlechtere Erfahrungen gemacht zu haben (ebd., S. 258). Bemerkenswerterweise ändert sich das, wenn es um die Bewertung gleichgestellter oder untergeordneter weiblicher Führungskräfte geht: Diese schneiden bei Frauen deutlich besser ab als bei ihren männlichen Kollegen (ebd., S. 262ff), was darauf verweist, dass auch die Blickrichtung in der Hierarchie eine Rolle spielt. Weil Wahrnehmung und Bewertung des Führungsverhaltens von Frauen und Männern durch Interessen u.a. Faktoren beeinflusst werden (ein weiterer ist der o.g. Token-Status) können auch durch mehr oder bessere Forschung nicht die „wahren“ Geschlechtsunterschiede in Führungseigenschaften, -verhalten und -erfolg herausgefunden werden. Wie eingangs schon erwähnt, kann es aus einer diskursanalytischen Perspektive auch gar nicht darum gehen, die „Wahrheit“ über einen Forschungsgegenstand zu ergründen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Diskurse „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 1981, S. 74). Anknüpfend an die Arbeiten Foucaults hat vor allem Butler (1991) herausgearbeitet, dass und wie Geschlechterunterscheidungen „fabriziert“ („fabricated“) werden, was sowohl „hergestellt“ als auch „erfunden“ bedeutet (ebd., S. 200), und dass und wie dabei zugleich der „Anschein des Natürlichen“ erzeugt wird (ebd., S. 164). Ein Paradebeispiel dafür, wie Geschlechterunterscheidungen und im selben Atemzug der Anschein des Natürlichen „fabriziert“ werden, ist das Buch „Wölfin unter Wölfen“ (Höhler 2000), das ich an anderer Stelle (Krell 2003) ausführlicher analysiere. Hier nur soviel: Höhler (2000, S. 19f) schreibt, die entscheidende Erkenntnis der „neuen Hirnforschung“ sei, dass beide Geschlechter mit unterschiedlichen, eben männlichen und weiblichen, Identitäten geboren werden. Mehr noch: Die Autorin behauptet, dass die „beiden Varianten Mann und Frau (…) Ergebnisse eines unerbittlichen Optimierungsprozesses sind (…). Hinter diese Optimierung zurückzufallen oder die physischpsychisch verankerten Identitäten von Männern und Frauen nachgeburtlich umzubauen, wegzutrainieren oder abzudressieren, erscheint dann als ein ebenso einfältiges wie hybrides Unterfangen“ (ebd., S. 31). Mit dem Verweis auf „die Natur“ werden hier „männ-
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liche Identität“ und „weibliche Identität“ ein für alle Mal unverrückbar fest-geschrieben. Höhlers Ausführungen sind auch ein anschauliches Beispiel dafür, „dass der Rückgriff auf das Natürliche (…) stets politisch ist“ (Butler 1991, S. 187). Dieser Hinweis markiert wiederum eine Gemeinsamkeit zwischen Diskursanalyse und Ideologiekritik. Aus einer ideologiekritischen Perspektive stellt sich auch hier zunächst die Frage, ob Höhlers Darstellung der Erkenntnisse der Hirnforschung überhaupt zutreffend ist. Die Antwort lautet eindeutig: „nein“ (vgl. z.B. Maurer 2002; Schmitz 2002). Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Denn die hier dargestellten und diskutierten Geschlechterunterscheidungen sind Teile eines „Macht- und Praxisfeldes“ (Dreyfus/Rabinow 1994, S. 232). Mit dieser Feststellung soll der Blick darauf gelenkt werden, dass Geschlechterunterscheidungen Bedingungen und Effekte organisationaler Praktiken sind und so ihre Machtwirkungen entfalten (s.a. Ortlieb/Sieben in diesem Band). Das kann wiederum nicht nur diskursanalytisch, sondern auch ideologiekritisch untersucht werden. Das heißt: Sowohl mit Blick auf Diskurse als auch mit Blick auf Ideologien stellt sich die Frage nach deren Auswirkungen.
4. Analyse der Auswirkungen Welche Auswirkungen Diskurse bzw. Ideologien über Geschlechterunterscheidungen hinsichtlich Führungseigenschaften, -verhalten und -erfolg haben (können), soll im Folgenden zunächst bezogen auf die (Personal-)Managementpraxis und dann bezogen auf weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte analysiert werden.
4.1 … auf die (Personal-)Managementpraxis Wenn in Organisationen Führungspositionen besetzt werden, dann erfordert eine professionelle Vorgehensweise, dass ein Anforderungsprofil erstellt und mit den Qualifikationsprofilen derer, die sich beworben haben, verglichen wird, um deren Eignung zu prüfen (s.a. Kay in diesem Band). Bei einer – bewussten oder unbewussten – Orientierung an den dargestellten Geschlechterunterscheidungen wird dagegen das Geschlecht zum Auswahlkriterium erhoben und Frauen und Männern werden generalisierend unterschiedliche Führungseigenschaften, -stile und -erfolge unterstellt. Das ist diskriminierend und steht einer professionellen Personalauswahl entgegen.
4.2 … auf weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte Für weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte ist die beschriebene Aufwertung von „Weiblichkeit“ ein Danaergeschenk. Darunter wird in der griechischen Mythologie eine Gabe verstanden, mit der für die Beschenkten erhebliche Probleme verbunden sind: das Trojanische Pferd. Wenn die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen mit dem Argument „Frauen führen besser“ begründet wird, folgen auf dem Fuß entsprechende Erwartungen
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an diejenigen Frauen, die tatsächlich Führungspositionen innehaben oder dies anstreben. Aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit werden sie für das Humane bzw. Soziale zuständig gemacht. Sie sollen das Betriebsklima verbessern, die Unternehmen und Verwaltungen humanisieren. Damit wird ihnen eine Art „Mutter-(Theresa-)Rolle“ zugeschrieben. Auch wenn von Minderheiten – und das sind ja Frauen in Führungspositionen trotz aller Beschwörungen der „Vorteile weiblicher Führung“ nach wie vor (vgl. z.B. Bischoff 2005; Die Bundesregierung 2006; Holst/Schrooten 2006) – durchaus Impulse zu Veränderungen ausgehen können, scheint es doch geradezu absurd, einer solchen Minderheit die Verantwortung aufzubürden, herrschende Zu- oder gar Missstände zu verändern. Dadurch entsteht eine neue Form der Mehrfachbelastung. Für Frauen in Führungspositionen wird „Frauen führen besser“ zu einer Zusatzanforderung, die kaum erfüllbar ist. Bei derart hochgesteckten Erwartungen dürfte die Enttäuschung programmiert sein. Aus der Perspektive aufstiegswilliger Frauen stellt sich zudem die Frage, warum ihr Anspruch auf Chancengleichheit bei der Besetzung von Führungspositionen damit begründet werden muss, dass sie besser führen als ihre männlichen Kollegen. Schließlich kann der Diskurs über „weibliche Führung“ auch als Machtausübung durch Subjektivierung analysiert werden (vgl. Foucault 1999; Dreyfus/Rabinow 1994). Machtausübung durch Subjektivierung erfolgt über „Identitätsangebote“. Dies arbeitet z.B. Rieder (1999) eindrucksvoll am Beispiel der Krankenpflege heraus. Dort und in anderen Tätigkeiten, die als „typisch weiblich“ gelten, passen die angebotenen Berufsund Geschlechtsrollenidentitäten zusammen. Wenn dagegen Frauen in männlich dominierte und als „maskulin“ kategorisierte Tätigkeitsbereiche „eindringen“, wie dies bei Führungspositionen der Fall ist, dann ist genau das Gegenteil der Fall, denn zahlreichen Studien zufolge wird die „ideale Führungskraft“ von der Mehrheit der Befragten nach wie vor als „männlich“ charakterisiert (vgl. zusammenfassend: Gmür 2004). Insofern gab und gibt es nicht ein „Erfolgsmodell“ als identitätstiftendes Angebot, sondern mehrere. Weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte hatten und haben die Qual der Wahl: zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Leitbild der erfolgreichen Führungskraft, zwischen „Gleichheit“ und „Differenz“ (s.a. Knapp in diesem Band), und wenn sie sich für Differenz entscheiden, zwischen „schlechter als Männer“ und „besser als Männer“. Von diesem Dilemma zeugen z.B. auch x eine historische Studie von Eifert (2005) über deutsche Unternehmerinnen, in der illustriert und analysiert wird, wie die Selbstdarstellung dieser Frauen zwischen Gleichheitsbekundungen und der Rhetorik vom besonderen „weiblichen Führungsstil“ hin und her pendelt, sowie x die Ratgeberliteratur: So verspricht z.B. Harragan (1977) in „Games Mother Never Taught You“ per Buchtitel ihren Leserinnen, ihnen die für den beruflichen Erfolg erforderlichen (Männer-)Spiele beizubringen. Und Westerholt (1995) schreibt, dass es Frauen schwer fällt „auch einmal autoritär zu handeln, sie vermeiden gern offene Konflikte, und es liegt ihnen oft nicht, mit anderen zu konkurrieren. Weibliche Führungskräfte müssen auf diesen Gebieten dazulernen“ (ebd., S. 33). Dagegen rät Dobner (1997): „Sie sind eine ‚weibliche Führungskraft‘? Dann gleichen Sie ihr Verhalten nicht den männlichen Führungsstilen an!“ (ebd., S. 5).
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Für eine „Passungsprüfung“ und – bei Abweichung – Selbstentwicklung (dazu ausführlicher: Laske/Weiskopf 1996) existieren damit unterschiedliche und auch widersprüchliche Vorlagen.
5. Fazit Die viel beschworene Passung der Anforderungen „moderner Führung“ einerseits und der Eigenschaften und Fähigkeiten „der Frauen“ andererseits ist fragwürdig, und zwar zunächst sowohl mit Blick auf das propagierte Anforderungsprofil als auch mit Blick auf die diesem Anforderungsprofil gegenüber gestellten Führungsqualifikationen von Frauen. Ideologieverdächtig erscheint die Aufwertung „weiblicher Führung“ auch insofern als sie sich nicht in einer deutlichen Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen niederschlägt (dazu ausführlicher: Krell/Weiskopf 2006, S. 80). Hinzu kommt, dass eine Orientierung an derartigen Stereotypen einer professionellen Personalmanagementpraxis entgegensteht. Die auf den ersten Blick so verheißungsvolle These „Frauen führen besser“ erweist sich bei genauerer Hinsicht als ein Danaergeschenk. Die widersprüchlichen Identitätsangebote können zur Verwirrung und Verunsicherung beitragen, und das betrifft nicht nur die weiblichen Führungs(nachwuchs)kräfte, sondern auch ihre männlichen Kollegen. Wenn diese Widersprüchlichkeit eher als bedrohlich empfunden wird, dann dürfte der Wunsch nach einer klaren Orientierung verstärkt werden (was auch eine Erklärung für die aktuelle Attraktivität der Hirnforschung bietet). Wenn diese Widersprüchlichkeit eher als Chance erlebt wird, dann kann sie dagegen zum Aufbrechen von bzw. Ausbrechen aus vor- und festgeschriebenen Verhaltensmustern führen.
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Astrid Gieselmann und Gertraude Krell
Diversity-Trainings: Verbesserung der Zusammenarbeit und Führung einer vielfältigen Belegschaft 1. Zur Bedeutung von Diversity-Trainings 2. Gestaltungsvariablen 2.1 Trainingsbedarf 2.2 Trainingsinhalte 2.2.1 Merkmalsspezifische oder merkmalsübergreifende Trainings 2.2.2 Awareness- und Skill-Building 2.2.3 Fokussierung auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten 2.3 Trainingsmethoden 2.4 TrainerInnen 2.5 Erfolgskontrolle
3. Vor Risiken und Nebenwirkungen wird gewarnt … Literatur Anhang
Astrid Gieselmann, Dr. rer. pol., geb. Emmerich, war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin und arbeitet inzwischen in der Führungskräftebetreuung und -entwicklung im RWE-Konzern, E-Mail:
[email protected] Gertraude Krell, Dr. rer. pol., Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik an der Freien Universität Berlin, Institut für Management, E-Mail:
[email protected] 331
1. Zur Bedeutung von Diversity-Trainings Das Konzept Diversity Management stammt aus den USA und zielt darauf, eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft gewinnbringend zu managen. In aller Kürze (ausführlicher: vgl. Krell in diesem Band): Vielfalt bezieht sich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der in einer Organisation Beschäftigten hinsichtlich Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnizität, Religion, sexuelle Orientierung, Behinderung, Werthaltungen, Ausbildung, Familien- bzw. Lebenssituation usw. Ungemanagt oder falsch gemanagt kann diese Mischung zu Spannungen, Konflikten sowie Diskriminierungen und damit zu Produktivitätseinbußen führen. Mittels Diversity Management soll dagegen eine Organisationskultur geschaffen werden, die nicht nur für die dominante Gruppe bzw. das homogene Ideal der „weißen Männer“, sondern für alle passt und niemanden aufgrund bestimmter Merkmale ausschließt oder diskriminiert. In einer solchen „multikulturellen Organisation“ (Cox 2001) wird Vielfalt zu einer Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Während Diversity-Trainings in den USA die in Zusammenhang mit Diversity Management am häufigsten genutzten Instrumente – und insgesamt sehr weit verbreitet – sind (vgl. z.B. Roberson 2003, S. 238; Kossek/Lobel/Brown 2006, S. 63; Thomas/Davis 2006, S. 76), erzielten sie bei einer Studie, in der Unternehmen in Deutschland gefragt wurden, ob und ggf. mit welcher Intensität sie 13 „zentrale“ Maßnahmen des Diversity Management ergreifen, überraschend den niedrigsten Wert bzw. landeten auf dem letzten Platz (vgl. Süß/Kleiner 2006, S. 59ff). Einer etwas älteren Befragung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung mbH (DGFP) zufolge finden sie sich allerdings schon bei 50% der international tätigen Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten (vgl. Ivanova 2003, S. 45 und zusammenfassend: Ivanova/Hauke 2003). Hier wird jedoch der Begriff weit gefasst und es werden z.B. auch Kooperations- und Kommunikationstrainings dazu gezählt (vgl. Ivanova 2003, S. 48). Auf der anderen Seite ist wiederum zu berücksichtigen, dass in Deutschland solche Trainings nicht nur im Zusammenhang mit der Realisierung von Diversity Management und unter der entsprechenden Bezeichnung (vgl. z.B. das Praxisbeispiel Deutsche Bank in diesem Band) durchgeführt werden, sondern auch unabhängig von diesem Konzept und unter anderen Namen. Das gilt z.B. für Gender-Trainings im Kontext des Gender Mainstreaming (s.a. Krell/Mückenberger/Tondorf; Huesmann und das Praxisbeispiel Niedersachsen in diesem Band), für interkulturelle Trainings zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt sowie für Trainings gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Und schließlich ist davon auszugehen, dass das im August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine stärkere Verbreitung von Diversity-Trainings bewirken wird. Das AGG (vgl. dazu auch Oechsler/Klarmann in diesem Band) verpflichtet Arbeitgeber, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1). Zu den in § 12, Abs. 2 angeführten „Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers“ gehört auch und insbesondere, „im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass diese unterbleiben“.
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Die folgenden Ausführungen bieten Anregungen für die Ausgestaltung von DiversityTrainings, und zwar sowohl für solche, durch die ‚nur‘ im Sinne des AGG Benachteiligungen verhindert oder beseitigt werden sollen als auch für solche, durch die darüber hinaus auch die mit einer „multikulturellen Organisation“ verbundenen ökonomischen Vorteile realisiert werden sollen. Zunächst werden die wesentlichen Gestaltungsvariablen solcher Trainings dargestellt und erörtert. Anschließend werden mögliche Risiken und Nebenwirkungen aufgezeigt.
2. Gestaltungsvariablen Ob bzw. in welchem Ausmaß Diversity-Trainings tatsächlich einen Beitrag zur Realisierung der Chancengleichheit aller Beschäftigten bzw. zur Entwicklung einer multikulturellen Organisation leisten, hängt davon ab, wie sie konkret ausgestaltet sind. Und dazu gibt es keine Patentrezepte, sondern jede Organisation muss die für ihre spezifische Situation passenden Gestaltungsmodi finden. Die folgenden Ausführungen sollen dafür eine Orientierungshilfe bieten.
2.1 Trainingsbedarf Am Anfang einer Konzeption von Diversity-Trainings sollte, wie bei jeder Bildungsmaßnahme, die Bedarfsermittlung stehen. Die Ermittlung des Trainingsbedarfs umfasst generell eine sachliche und eine personelle Komponente. Mit der sachlichen Komponente werden Trainingsziele und -inhalte definiert. Mit der personellen Komponente werden die (Gruppen von) MitarbeiterInnen festgelegt, für die die Trainings geplant und durchgeführt werden sollen. Bezüglich der sachlichen Komponente stellt sich den Verantwortlichen erst einmal folgende Frage: Wie können sie erkennen, ob in einer Organisation überhaupt ein Bedarf an Diversity Management besteht? Mögliche Anzeichen dafür sind beispielsweise (vgl. auch Ellis/Sonnenfeld 1994, S. 82): x Produktivitätseinbußen in Bereichen, in denen eine besonders ausgeprägte Heterogenität innerhalb der Belegschaft besteht, x geringe Arbeitszufriedenheit, hohe Fluktuationsraten und/oder Fehlzeiten bei denjenigen, die nicht zur dominanten Gruppe gehören, x geringere Aufstiegsmöglichkeiten für diejenigen, die nicht dem homogenen Ideal entsprechen. Wenn diese oder andere Anzeichen darauf schließen lassen, dass grundsätzlich Bedarf an Maßnahmen des Diversity Management besteht, kann im Rahmen eines DiversityAudits der konkrete Bedarf an Diversity-Trainings ermittelt werden. Dazu können zunächst schriftliche oder mündliche Befragungen der MitarbeiterInnen der Organisation sowie Gruppendiskussionen eingesetzt werden. Ein vornehmlich für die schriftliche Befragung entwickelter Fragebogen ist in Abbildung 1 wiedergegeben.
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Fragebogen zur Ermittlung des Bedarfs an Diversity-Trainings Die folgenden Statements sind mit „eher zutreffend“ oder „eher unzutreffend“ zu kennzeichnen: 1. Ich arbeite gern mit Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeit oder mit einem anderen kulturellen Hintergrund zusammen. (A) 2. Ich wundere mich manchmal über das Verhalten von Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund. (K) 3. Ich habe Schwierigkeiten, Menschen mit starkem Akzent zu verstehen. (S) 4. Es widerstrebt mir, Minderheiten zu widersprechen, weil mir dann Voreingenommenheit vorgeworfen werden könnte. (A) 5. Ich bin mir über meinen eigenen kulturellen Hintergrund im Klaren und weiß, wie dieser mein Verhalten beeinflusst. (K) 6. Ich bin in der Lage, Konflikte mit KollegInnen zu lösen, die sich hinsichtlich des kulturellen Hintergrundes, der Geschlechtszugehörigkeit, der ethnischen Zugehörigkeit oder des Lebensstils von mir unterscheiden. (S) 7. Mein Verhalten ist durch Geschlechtsunterschiede beeinflusst. (A) 8. Jeder Mensch hat Vorurteile. (K) 9. Es macht mir nichts aus, über ethnische Zugehörigkeit, kulturelle Unterschiede oder sexuelle Orientierung zu sprechen. (S) 10. Ethnisch bedingte und kulturelle Unterschiede beeinflussen mein Verhalten. (A) 11. Stereotype gibt es im Hinblick auf jede Gruppe. (K) 12. Ich weiß oft nicht, welche Bezeichnungen ich für andere Gruppen wählen soll. (S) 13. Mein Verhalten ist durch Unterschiede in der sexuellen Orientierung beeinflusst. (A) 14. Ich erkenne, wie meine KollegInnen durch ihre verschiedenen kulturellen Hintergründe beeinflusst sind. (K) 15. Es ist frustrierend, mit Menschen zu kommunizieren, die nur gebrochen deutsch sprechen. (S) 16. Am liebsten verbringe ich meine Zeit mit Menschen, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben wie ich. (A) 17. Das Verhalten mancher Menschen anderer kultureller Zugehörigkeit finde ich irritierend. (K) 18. Ich habe Angst, die Mitglieder anderer Gruppen zu verletzen, indem ich etwas Falsches sage. (S) 19. Die Mitglieder verschiedener Gruppen werden unterschiedlich behandelt, weil sie sich unterschiedlich verhalten. (A) 20. Ich frage mich manchmal: „Warum verhalten die sich nicht so wie wir?“ (K) 21. Es gelingt mir gut, Probleme mit KollegInnen zu lösen, die anders sind als ich. (S) 22. Meine Vorurteile sind mir bewusst. (A) 23. Manche Verhaltensweisen von anderen Gruppen gehen mir auf die Nerven. (K)
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24. Ich bin in der Lage, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die zu mir passen, unabhängig davon, wie unterschiedlich wir sind. (S) 25. Ich wünschte, wir würden uns alle nicht so sehr voneinander unterscheiden. (A) 26. Ich verstehe einige der Gründe, die zwischen kulturell unterschiedlichen Gruppen zu Konflikten führen. (K) 27. Wenn es um „anders sein“ geht, kann ich mich ganz gut in die Lage anderer hineinversetzen. (S) 28. Die Unterschiede zwischen den KollegInnen empfinde ich als Bereicherung. (A) 29. Ich kann mir meine Reaktionen auf die „Andersartigkeit anderer“ erklären. (K) 30. Ich erkenne viele Ähnlichkeiten zwischen mir und meinen vielfältigen KollegInnen. (S) Auswertung: Für alle Statements 1, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 21, 22, 24, 26, 27, 28, 29 und 30, die als „eher zutreffend“ und für die Statements 2, 3, 4, 12, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 23 und 25, die als „eher unzutreffend“ gekennzeichnet wurden, gibt es jeweils 1 Punkt. Je weiter die Punktzahl in den Kategorien Awareness (A), Knowledge (K) und Skills (S) von 10 entfernt ist, desto höher ist der (diesbezügliche) Bedarf an DiversityTrainings. Abb. 1: Gardenswartz/Rowe (1993, S. 286ff; Übersetzung von uns)
Die Vorteile einer schriftlichen Befragung sind, dass sich viele Beschäftigte – unter Umständen sogar alle – äußern können und dass sie anonym bleiben. Dem steht jedoch die Gefahr gegenüber, dass die gewonnenen Erkenntnisse nur die Oberfläche spiegeln. Im Gegensatz dazu bieten mündliche Befragungen und/oder Gruppendiskussionen die Möglichkeit, auf einzelne Probleme vertiefend einzugehen. Wegen der erforderlichen Offenheit der Befragten sollten insbesondere die mündlichen Varianten durch externe BeraterInnen durchgeführt werden. In jedem Fall sollte berücksichtigt werden, dass die Einbeziehung der Organisationsmitglieder bereits eine Sensibilisierung für die Thematik zur Folge hat und Erwartungen hervorruft. Wenn z.B. MitarbeiterInnen in Befragungen oder Diskussionen auf Diskriminierungen hinweisen und anschließend seitens des Managements keine Anstrengungen unternommen werden, diese Diskriminierungen zu reduzieren, werden die Probleme eher verstärkt als reduziert. Alternativ oder auch ergänzend zu Mitarbeiterbefragungen können Analysen z.B. von Beschwerden oder von Ergebnissen von Mitarbeiterbeurteilungen Auskunft über den Bedarf an Diversity-Trainings geben (vgl. z.B. Thiederman 1991, S. 170f). Clements und Jones (2006, S. 79) empfehlen, darüber hinaus zu prüfen, ob Diskriminierungen oder andere Probleme, die durch die Bedarfsermittlung ans Licht gebracht worden sind, auch tatsächlich (nur oder am Besten) durch Trainings bekämpft werden können. Darauf kommen wir zum Schluss noch einmal zurück. Nach Feststellung des grundsätzlich in einer Organisation bestehenden Trainingsbedarfs ist die Auswahl der Teilnehmenden vorzunehmen, womit die personelle Komponente der Bedarfsermittlung angesprochen ist. Hier ist erstens zu entscheiden, für welche Be-
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schäftigten(gruppen) Diversity-Trainings durchgeführt werden sollen. Zweitens muss entschieden werden, wie die Trainingsgruppe(n) zusammengesetzt werden sollen, um das Lernziel bestmöglich zu erreichen. Zum Ersten: Da die Umsetzung des Diversity-Gedankens in einer Organisation entscheidend von den Einstellungen des Top-Managements abhängt, wird immer wieder die Bedeutung des Trainings der Mitglieder der oberen Führungsebenen hervorgehoben (so z.B. schon Watts 1987, S. 53). Inwieweit auch weiter unten in der Hierarchie Angesiedelte am Training teilnehmen sollen, hängt von verschiedenen Kontextfaktoren ab und ist nicht zuletzt eine Frage der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Beispielsweise berichteten Dass und Parker (1999, S. 76f) über eine Regelung bei Motorola in den USA, nach der alle Beschäftigten im Rahmen ihres Kontingents von 40 Trainingsstunden pro Jahr auch Trainings belegen können, die in das Thema Diversity einführen – wie z.B. „The Spirit of Diversity“. Daneben gibt es spezielle Trainings für bestimmte Zielgruppen, z.B. Zwei-Tages-Seminare für das Top-Management sowie Trainings zum Thema Sexuelle Belästigung (vgl. dazu auch Meschkutat/Holzbecher in diesem Band) für die restlichen Führungskräfte. In der Literatur wird dafür plädiert, auf jeden Fall zuerst das Management zu trainieren und erst danach das Training auf den unteren hierarchischen Ebenen fortzusetzen (vgl. z.B. Loden/Rosener 1991, S. 204). Eine besondere Bedeutung wird schließlich, insbesondere bei hohen Fluktuationsraten, dem Training neuer MitarbeiterInnen beigemessen (vgl. Cox 1993, S. 244f). Zum Zweiten: Werden mehrere Diversity-Trainings parallel durchgeführt, so sind weiterhin Entscheidungen über die Zusammensetzung der Trainingsgruppen zu treffen. Während einige Organisationen Trainings speziell für soziale Minoritäten wie Frauen oder MigrantInnen anbieten, sehen andere Unternehmen gerade die Mischung von Teilnehmenden aus verschiedenen (Merkmals-)Gruppen als wesentlichen Erfolgsfaktor an. Obgleich Heterogenität dem Grundgedanken des Diversity Management besonders gerecht wird, birgt diese Konstellation auch gewisse Gefahren in sich. Zum einen können einzelne TeilnehmerInnen sich isoliert fühlen und zum anderen können sie zum „Token“ werden. Der Begriff „Token“ wird von Kanter (1977, S. 210f; vgl. auch Kanter/Stein 1980) im Zusammenhang mit dem Status als Minderheit verwendet, z.B. als Frau in einer Gruppe von Männern (oder auch als „Ossi“ in einer Gruppe von „Wessis“ oder …). Bedingt durch ihren Token-Status steht diese Person im ‚Rampenlicht‘ und wird zum Sprachrohr für diese Gruppe gemacht („Wie sehen sie das als Frau?“, „… als Ossi“ etc.). Hinzu kommt, dass seitens der Mehrheit die Unterschiede zwischen ihrer Eigengruppe („wir Männer“ bzw. „wir aus dem Westen“) und der Minderheit als Fremdgruppe („die Frauen“ oder „die Ossis“) überbetont werden. Das „Token“ wird dann nicht als Individuum wahrgenommen, sondern als typisch für die Gruppe (der Frauen oder der Ossis), was zu Stereotypisierungen führt. Deshalb wird empfohlen, darauf zu achten, dass in einer Trainingsgruppe immer mehrere Mitglieder einer bestimmten Merkmalsgruppe und insgesamt in etwa gleiche Anteile der einzelnen Beschäftigtengruppen vertreten sind (vgl. z.B. Ellis/Sonnenfeld 1994, S. 86). Als weitere Gefahrenquellen einer aus verschiedenen Minoritäten- oder Interessen-Gruppen zusammengesetzten Trainingsgruppe werden genannt, dass VertreterInnen einzelner Gruppen sich zu dominant verhalten oder dass die Probleme der verschiedenen Gruppen zu unterschiedlich sind. Haight (vgl. 1990, S. 26f) empfiehlt deshalb einen Beginn mit
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jeweils separat trainierten Interessen- oder Minoritäten-Gruppen und eine spätere Zusammenführung. Wenn Diversity-Trainings nicht nur für Führungskräfte angeboten werden, ist des Weiteren zu entscheiden, ob die Teilnehmenden verschiedenen hierarchischen Ebenen angehören sollen oder eher eine „hierarchische Homogenität“ hergestellt werden soll. Eine in dieser Hinsicht heterogene Gruppenzusammensetzung scheint nur dann sinnvoll, wenn die Lernziele für alle Teilnehmenden die gleichen sind. Soll z.B. mit dem Training die Zusammenarbeit in einzelnen Arbeitsgruppen oder Organisationseinheiten realitätsnah und problemorientiert verbessert werden, bietet es sich an, die Mitglieder einer Einheit gemeinsam zu trainieren (vgl. Ferdman/Brody 1996, S. 296). In diesen Gruppen können Führungskräfte und MitarbeiterInnen sich zunächst gegenseitig ein Feedback darüber geben, inwieweit ihr Verhalten im Arbeitsalltag dem Leitbild der multikulturellen Organisation entspricht und wo noch Entwicklungsbedarf besteht. In einem zweiten Schritt können dann gemeinsam Maßnahmen geplant und vereinbart werden. Schließlich geht es noch darum, ob die Teilnahme an den Diversity-Trainings freigestellt oder obligatorisch sein soll. Hier gibt es ebenfalls kein Patentrezept, sondern diese Entscheidung ist in Abhängigkeit von Faktoren wie der jeweils spezifischen Organisationskultur und den Lernzielen zu treffen. Grundsätzlich hat eine obligatorische Teilnahme den Vorteil, dass die ernsten Absichten der Organisationsleitung demonstriert werden, während die freiwillige Teilnahme dazu führt, dass weniger Widerstand oder gar Sabotage-Absichten zu erwarten sind. Besonders mit Blick auf Organisationen, die noch weit von der multikulturellen Organisation entfernt sind, wird befürchtet, dass die obligatorische Teilnahme aller Organisationsmitglieder Reaktanz hervorruft und Vorurteile eher verstärkt als abgebaut werden (vgl. z.B. Joplin/Daus 1997, S. 35f).
2.2 Trainingsinhalte 2.2.1 Merkmalsspezifische oder merkmalsübergreifende Trainings Hier besteht grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten (vgl. dazu auch Cox 2001, S. 80ff): Zum einen können Trainings zu spezifischen Kriterien, wie z.B. Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung angeboten werden, und zwar sowohl mit Schwerpunkt auf Anti-Diskriminierung (vgl. z.B. die Beiträge in Adams/Bell/Griffin 1997) als auch darüber hinausgehend bezogen auf deren ökonomische Relevanz. Zum anderen kann ein allgemeiner Ansatz gewählt werden. Cox (2001, S. 81) spricht hier von einem „phenomena-based curriculum“. Im Rahmen eines solch allgemeinen Ansatzes können beispielsweise folgende Phänomene zum Gegenstand von DiversityTrainings gemacht werden: x Auswirkungen des Minoritätenstatus (= Status als Minderheit und/oder als minderwertig kategorisiert),
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x Kategorisierungen, Stereotypisierungen, Vorurteile und deren Effekte, x ökonomische und rechtliche Aspekte des Diversity Management, x Orientierungshilfen zur Implementierung von Managing Diversity. Dieser allgemeine Ansatz kann an die Situation der jeweiligen Organisation bzw. der Teilnehmenden angepasst werden, und es kann in verschiedenen Kontexten beispielhaft auf Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Ethnizität eingegangen werden. Und schließlich sind auch Kombinationen aus beiden Ansätzen möglich.
2.2.2 Awareness- und Skill-Building Je nach Ergebnis der im Vorfeld durchgeführten Bedarfsanalyse kann bei den DiversityTrainings die Erzielung von „Awareness“ oder „Skill-Building“ im Vordergrund stehen. Die Unterscheidung zwischen Awareness- und Skill-Building-Trainings ist jedoch eher eine analytische, in der Praxis werden häufig beide Varianten kombiniert. Awareness-Trainings sind, wie der Name schon sagt, bewusstseinsbildende Maßnahmen. Ausgangspunkt dieser Variante ist, dass Führungskräfte und MitarbeiterInnen erst einmal dafür sensibilisiert werden müssen, dass und hinsichtlich welcher Merkmale in ihrem Unternehmen Vielfalt existiert und dass diejenigen, die nicht zur dominanten Gruppe gehören, mit Benachteiligungen rechnen müssen (vgl. z.B. Ferdman/Brody 1996, S. 292f). Deshalb sollen die Teilnehmenden in Awareness-Trainings: x Kenntnisse über die derzeitige und zukünftige Zusammensetzung der Beschäftigten erwerben, x für das Vorhandensein von Vielfalt – auch jenseits der ‚klassischen‘ Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit oder Geschlecht – sensibilisiert werden, x sich darüber bewusst werden, welche Werte sie haben und welche Einstellungen gegenüber Menschen, die anders sind als sie selbst, und wie diese jeweils ihr Verhalten beeinflussen, x dafür sensibilisiert werden, welche Rolle ‚Anderssein‘ in ihrem Arbeitsumfeld spielt und zu welchen Benachteiligungen es führen kann, und x erkennen, welche Bedeutung Diversity Management für den Erfolg der Organisation haben kann. Im Gegensatz dazu geht es bei Skill-Building-Trainings um den Erwerb konkreter Fähigkeiten, die für die Zusammenarbeit und Führung einer vielfältigen Belegschaft oder im Kontakt mit einer anderen (Landes-)Kultur erforderlich sind (vgl. Ferdman/Brody 1996, S. 293). Die Teilnehmenden sollen dabei z.B. lernen: x ihre Kommunikation mit Menschen anderer kultureller Zugehörigkeit zu verbessern, x effektiver mit auftretenden Konflikten umzugehen und x flexibel zu agieren, um angesichts sich ständig verändernder Bedingungen anpassungsfähig zu bleiben. Skill-Building kann sich auch auf spezifische Komponenten der Führung von MitarbeiterInnen beziehen, wie z.B. Trainings zur Vermeidung von Diskriminierungen
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aufgrund des Geschlechts (oder anderer Merkmale) bei der Beurteilung von MitarbeiterInnen (vgl. dazu auch die Beiträge von Krell, Schreyögg und JochmannDöll/Tondorf in diesem Band). Schließlich können Skill-Building-Trainings die Teilnehmenden in der Planung ihres individuellen Veränderungsprozesses zur Verwirklichung einer multikulturellen Organisation unterstützen. Sie können z.B. eine Hilfestellung dabei bieten, für sich selbst realistische Ziele zu setzen und effektive Maßnahmen zu ergreifen.
2.2.3 Fokussierung auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten Besonders in Awareness-, aber auch in Skill-Building-Trainings ist ein zentraler Erfolgsfaktor darin zu sehen, inwieweit es gelingt, Stereotypisierungen und Vorurteile bewusst zu machen und nicht zu reproduzieren oder gar zu verstärken (vgl. dazu auch von Bergen/Soper/Foster 2002, S. 245f und umfassender Petersen/Dietz 2006). So besteht z.B. die Gefahr, dass in Gender-Trainings, die an essenzialistischen Differenzansätzen orientiert sind, den Teilnehmenden beigebracht wird, dass (alle) Frauen fürsorglich und konsensorientiert sind, (alle) Männer dagegen autoritär, hierarchisch und konfrontationsorientiert (vgl. von Bergen/Soper/Foster 2002, S. 246 und auch den einleitenden Beitrag von Krell sowie Knapp in diesem Band). Weichenstellend dafür, ob Stereotype problematisiert oder reproduziert werden, ist zunächst das Verständnis von Vielfalt (vgl. dazu auch Krell 2003b, S. 220ff): Wir haben eingangs Vielfalt als Unterschiede und Gemeinsamkeiten definiert. Eine solche Definition verwendet z.B. auch Thomas (1996, S. 5). Andere verstehen aber unter Vielfalt nur Unterschiede zwischen den Beschäftigten (z.B. Loden/Rosener 1991, S. 18). Die Variante „Vielfalt als Unterschiede und Gemeinsamkeiten“ ist weniger anfällig für Stereotypisierungen. Sie lenkt zunächst den Blick darauf, dass alle Individuen nicht nur einer Merkmalsgruppe angehören, sondern immer zugleich mehrerer dieser Gruppen. Daraus folgt, dass zwei Personen sich z.B. hinsichtlich des Merkmals „Nationalität“ unterscheiden, aber der gleichen Altersgruppe angehören können. Hinzu kommen – auch bei gleicher gruppenbezogener Merkmalskonstellation – individuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede, z.B. bezogen auf Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte. Hinsichtlich der Einstellungen und Verhaltensweisen gibt es also einerseits Unterschiede innerhalb der Beschäftigtengruppen und andererseits Gemeinsamkeiten zwischen den Beschäftigtengruppen (vgl. auch Thomas 2001, S. 40). In die gleiche Richtung weist das Konzept der Identitätsstruktur von Cox (1993), demzufolge die aufgrund bestimmter Merkmale (wie z.B. Geschlecht, rassisch-ethnische Zugehörigkeit, Alter, Ausbildung, Beruf, Geschlecht etc.) entwickelten Teilidentitäten bei verschiedenen Individuen in unterschiedlichem Maße ausgeprägt sein können. Cox illustriert dies am Beispiel einer Studie in einem großen, international tätigen Unternehmen. Diese ergab, dass für nicht-weiße Frauen die Geschlechtszugehörigkeit und die rassisch-ethnische Zugehörigkeit gleichermaßen relevant sind (vgl. ebd., S. 43ff). Damit ist zugleich angesprochen, dass es nicht „die“ Identität als Frau oder Mann gibt, sondern dass Frauen und Männer vielfältige Identitäten haben (vgl. dazu auch Butler 1991; Connell 2000). Hinzu kommt, dass diese Identitäten nicht ein für alle Mal feststehen, wie es
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Cox’ Konzept der Identitätsstruktur suggeriert, sondern sich kontextabhängig verschieben können („shifting identities“) (vgl. Butler 1991, S. 29, 36). Bei einem Verständnis von „Vielfalt als Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ kann all dies zum Trainingsinhalt gemacht werden. Ein Verständnis von Diversity, das nur auf Unterschiede fokussiert, wird dagegen dieser Komplexität nicht gerecht. Das Herausarbeiten von Unterschieden kann zwar positive Effekte haben, z.B. den der Sensibilisierung für die Situation Homosexueller – die immer mit der Heterosexualitätserwartung als Norm konfrontiert werden (vgl. dazu z.B. Knoll/Edinger/Reisbeck 1997, S. 12ff). Aber es besteht eben auch die Gefahr, dass Frauen und Männern, Weißen und Farbigen usw. unterschiedliche – und damit zugleich innerhalb der Gruppen homogene – Interessen, Identitäten, Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben und damit Stereotype und Vorurteile reproduziert oder gar verstärkt werden. Eine Neurahmung bzw. ein Perspektivenwechsel findet dagegen statt, wenn im Mittelpunkt von Diversity-Trainings nicht die Frage nach „gegebenen“ Unterschieden zwischen Personengruppen steht, sondern die Frage, wie Unterscheidungen hervorgebracht werden. Das möchten wir noch einmal am Beispiel „Geschlecht“ erläutern. Der gängige Begriff „Geschlechtsunterschiede“ evoziert die Vorstellung von etwas, das gegeben ist. Dagegen verwendet Theweleit (1978, S. 278) die Bezeichnung „Geschlechterunterscheidungen“, um hervorzuheben, dass es sich eben nicht um etwas Gegebenes, sondern um etwas historisch-gesellschaftlich Hervorgebrachtes handelt. Bekannter geworden ist Butlers (1991, S. 8) Auseinandersetzung mit den „Geschlechter-Kategorien (als) scheinbar ontologischen Kategorien“. Sie spricht davon, dass die Geschlechterunterscheidungen „fabriziert“ (fabricated) sind, was sowohl „hergestellt“ als auch „erfunden“ bedeutet (ebd., S. 200). Zur Illustration empfehlen wir Hausens (1976) Artikel „Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“. Dort wird herausgearbeitet, dass noch bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts angenommen wurde, Frauen und Männer seien je nach Stand und Land ganz unterschiedlich. Erst im letzten Drittel jenes Jahrhunderts wurde das Bild vom „weiblichen Geschlechtscharakter“ (als z.B. emotional, abhängig und emsig) entworfen und dem des „männlichen Geschlechtscharakters“ (als z.B. rational, selbstständig und zielgerichtet) gegenübergestellt (ebd., insbes. S. 368, 385). Derartige Schemata beeinflussen seither sowohl das Selbstbild bzw. das Auftreten („Als Frau darf ich nicht zu dominant sein“ oder „Als Mann darf ich nicht weinen“) als auch das Fremdbild bzw. die Zuschreibungen anderer („Weil sie eine Frau ist, ist sie bestimmt sehr emotional“ oder „Er ist kein richtiger Mann, weil er weint“). Diese Geschlechterunterscheidungen sind wiederum eng verwoben mit den Geschlechterhierarchisierungen (vgl. dazu auch Krell 2003a). Diese Bezeichnung steht dafür, dass Mitgliedern einer Gesellschaft oder einer Organisation aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit unterschiedliche Tätigkeiten, Positionen – und damit verbunden auch Ressourcen (z.B. Rechte oder Einkommen) – zugewiesen bzw. zugestanden werden. Die in diesem Zusammenhang relevanten Fragen lauten z.B.: Wie kommt es, dass Berufe – im Sprachgebrauch, aber auch faktisch – in Frauen- und Männerberufe aufgeteilt werden?
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Warum wird diesen eine unterschiedliche Wertigkeit zugeschrieben bzw. werden diese unterschiedlich bezahlt (vgl. auch Krell/Winter in diesem Band)? Dass und wie Geschlechtsunterscheidungen und Geschlechterhierarchisierungen miteinander zusammenhängen, kann auch sehr gut am Beispiel von Hausens (1976) Studie verdeutlicht werden. Dort wird die „Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“ als „Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“ analysiert: Es wird gezeigt, wie der Diskurs über die Geschlechtscharaktere sowohl Bedingung als auch Auswirkung der Zuordnung des Mannes zum beruflichen bzw. öffentlichen Bereich und der Zuordnung der Frau zum häuslichen bzw. familiären Bereich – bzw. im (Not-)Fall weiblicher Erwerbstätigkeit der Zuordnung zu bestimmten Tätigkeiten (wie z.B. personenbezogenen Dienstleistungen) – war und immer noch ist. Auch für die Diskussion um die Eignung von Frauen für Führungspositionen spielen Geschlechterunterscheidungen eine wichtige Rolle (vgl. dazu Krell in diesem Band). Wissen über (Geschlechter-)Unterscheidungen zielt auf die Bewusstmachung und Problematisierung von Kategorisierungen, Stereotypisierungen und Vorurteilen sowie deren Auswirkungen auf z.B. die Auswahl oder Beurteilung von MitarbeiterInnen. In einem dementsprechend orientierten Diversity-Training geht es nicht darum, die (überwiegend männlichen und weißen) Führungskräfte dafür zu sensibilisieren, wie „anders“ Frauen (oder Schwarze) sind, sprechen, fühlen, handeln, sondern darum, sie dafür zu sensibilisieren, wie anders Frauen (oder Schwarze) betrachtet und behandelt werden, und zwar oft unbewusst, und welche Effekte dies hat. Zur Illustration und Sensibilisierung können Ergebnisse von Experimenten zu Auswirkungen von Kategorisierungen und Vorurteilen verwendet werden – z.B.: x auf die Personal(vor)auswahl: Hier bieten sich Studien an, die mittels des sog. Correspondence Testing untersuchen, ob bestimmte Kriterien zu Benachteiligungen führen. So versendete z.B. Weichselbaumer (1999) an österreichische Firmen gleichwertige Bewerbungen, die sich nur im Hinblick auf das Geschlecht der fiktiven BewerberInnen und die Geschlechtsrollenorientierung der sich bewerbenden Frauen unterschieden. Die jeweils unterschiedliche Anzahl von Einladungen zu Vorstellungsgesprächen zeigte, dass „traditionelle Geschlechternormen“ für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt noch immer bedeutsam sind (ebd., S. 102). Eine neuere deutsche Studie zum Stellenwert von Migrationshintergrund und Geschlecht bei Bewerbungen von Führungsnachwuchskräften (vgl. Akman u.a. 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass beide Kriterien diskriminierungsrelevant sind; x im Auswahlgespräch (vgl. Word/Zanna/Cooper 1974): Teil 1: Eine Videoaufzeichnung ergab: Bei schwarzen Bewerbern setzten sich die (weißen) Interviewer etwas weiter weg, machten mehr Fehler und beendeten das Gespräch früher (nach drei Viertel der Zeit) als bei weißen Bewerbern. Teil 2: Weiße Bewerber, die wie Schwarze behandelt wurden, waren im Vorstellungsgespräch nervöser und weniger erfolgreich als diejenigen, die wie Weiße behandelt wurden. Trotz der Konstruiertheit und Vielfalt der Geschlechter (und anderer Gruppen): Wenn es darum geht, strukturelle Diskriminierung, auch und insbesondere durch die Kriterien und Verfahren der betrieblichen Personalpolitik, bewusst zu machen, dann ist es erforderlich, zwischen Frauen und Männern als Gruppen zu differenzieren. So kann z.B. in
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Awareness-Trainings darüber informiert werden, wie hoch der Frauenanteil in Führungspositionen ist, wie groß das Gefälle zwischen den durchschnittlichen Einkommen von Frauen und Männern ist, wie hoch der Männeranteil an den Teilzeitbeschäftigten oder Elternzeitnehenden ist – und es kann darüber diskutiert werden, welche Ursachen dies hat. Mit Blick auf solche (Gender-)Analysen und die Rückkopplung ihrer Ergebnisse, z.B. in Trainings, werden aber von Geschlechterforscherinnen auch Bedenken formuliert. So wirft z.B. Frey (2003) die Frage auf, ob die gängige „schematische Erhebung von Daten entlang der ‚Mann-Frau‘-Differenzierung nicht zur Verfestigung von Geschlechterstrukturen beitragen“ kann (ebd., S. 125). Und Wetterer (2002) kritisiert Managing Diversity (und Gender Mainstreaming) unter anderem mit dem Argument der „Re-Aktivierung tradierter zweigeschlechtlicher Denk- und Deutungsmuster“ (ebd., S. 129) – was z.B. die nach Frauen und Männern differenzierenden (Gender-)Analysen betrifft. Aber solche Analysen sind nun einmal erforderlich, zum einen, um den Bedarf an Managing Diversity generell oder speziell an Trainings zu ermitteln, zum anderen, um in Trainings (oder mittels Medien der Internen Kommunikation) für bestehende Benachteiligungen zu sensibilisieren. Die von Frey (2003, S. 178) vorgeschlagene Lösung besteht darin, den Beteiligten in Gender-Trainings bewusst zu machen, dass es sich bei diesen Analysen um Hilfsmittel handelt, mittels derer eben jene Differenzierungen erst einmal sichtbar gemacht werden können und müssen, damit sie verringert bzw. überwunden werden können.
2.3 Trainingsmethoden Im Rahmen von Diversity-Trainings können vielfältige Methoden eingesetzt werden (für einen Überblick inklusive der Auflistung der jeweiligen Vor- und Nachteile vgl. z.B. Clements/Jones 2006, S. 116ff). Nach dem Ausmaß der Einbeziehung der Teilnehmenden kann dabei zwischen aktiven und passiven Methoden unterschieden werden. Zu den passiven Methoden gehören z.B. Vorträge und Lehrvideos, die sich besonders dafür eignen, Informationen über die Heterogenität der Belegschaft oder über die Zielsetzungen, die mit Managing Diversity verfolgt werden, zu vermitteln (vgl. z.B. Loden/ Rosener 1991, S. 203). Zu den aktiven Methoden zählen u.a. Rollenspiele oder Übungen zur Selbstreflexion. Im Rollenspiel erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihr Verhalten gegenüber anderen zu reflektieren und Verhaltensänderungen zu erarbeiten oder zu üben. Nicht zwangsläufig so interaktiv sind Übungen zur Selbstreflexion. Diese können helfen, sich die eigenen Werte und Einstellungen bewusst zu machen (z.B. durch die im Anhang wiedergegebene Übung „Life Values“) oder zu erkennen, was ‚Anderssein‘ in einer am homogenen Ideal orientierten Organisation bedeutet (siehe hierzu die im Anhang wiedergegebene Übung „Being Different“, die immer noch hochaktuelle Broschüre „The Tale of ‚O‘“ von Kanter/Stein 1980, in der anschaulich und eindrucksvoll erzählt wird, wie es dem einzigen „O“ unter den vielen „X“-en ergeht oder auch das im Internet zu bestellende Lehrvideo „A Peacock in the Land of Penguins“, das sich besonders für eine erste Sensibilisierung eignet).
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Der Trainingserfolg hängt maßgeblich davon ab, ob die richtige Kombination aus aktivem und passivem und auch aus kognitivem und emotionalem Lernen gefunden worden ist. Bezüglich Letzterem plädieren Loden und Rosener (1991, S. 204) dafür, dass sowohl „Erleuchtung“ als auch „Erhitzung“ hervorgebracht werden müssen.
2.4 TrainerInnen Hier geht es zunächst um generelle Anforderungen an Personen, die Diversity-Trainings durchführen (vgl. z.B. Thiederman 1991, S. 172; Ellis/Sonnenfeld 1994, S. 85, 100; Clements/Jones 2006, S. 52). Bei der Auswahl der TrainerInnen ist zu gewährleisten, dass diese sowohl fähig sind, die Lerninhalte zu vermitteln, als auch die Kompetenz zum Umgang mit individuellen Widerständen und gruppendynamischen Prozessen mitbringen. Als Grundanforderung wird deshalb neben Fachkenntnissen eine hohe Sensibilität für das Thema und vor allem für die Betroffenheit der Teilnehmenden genannt. Die TrainerInnen müssen fähig sein, die Reaktionen der einzelnen Teilnehmenden und der gesamten Gruppe auf die Trainings zu beobachten und zu erkennen, ob die gewünschte „Erhitzung“ in kontraproduktive „Überhitzung“ umschlägt – sowie gegebenenfalls gegensteuernd einzugreifen. Es gehört wenig Phantasie dazu sich vorzustellen, zu welchen Problemen und Konflikten (insbesondere bei heterogenen Gruppen) die „Erhitzung“ – oder gar eine „Überhitzung“ – führen kann. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass die TrainerInnen beispielsweise Techniken der Konfliktbearbeitung und -lösung beherrschen. Da durch TrainerInnen, denen es an den entsprechenden Fähigkeiten mangelt, ein erheblicher Schaden angerichtet werden kann, kommt ihrer Auswahl eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Des Weiteren ist zu entscheiden, ob als TrainerInnen Interne oder/und Externe rekrutiert werden sollen. Da beide Varianten Vor- und Nachteile haben (Interne können ‚betriebsblind‘ sein, Externe die internen Verhältnisse zu wenig durchschauen), wäre nach Cox (vgl. 1993, S. 236) ein – vielfältiges – Team aus Externen (BeraterInnen und TrainerInnen) und Internen ideal. So können auf den Bedarf der jeweiligen Organisation abgestimmte Trainings konzipiert und durchgeführt werden. In von Externen geleiteten Train-the-Trainer-Workshops können den Internen die erforderlichen Qualifikationen vermittelt werden. Der Zusatz „vielfältig“ verweist auf einen weiteren Aspekt, der insbesondere im Zusammenhang mit Gender-Trainings bedeutsam ist. Hier hat sich die Norm etabliert, dass diese von einem Team bzw. Tandem durchgeführt werden sollten, das aus einer Frau und einem Mann besteht. Dass damit jedoch in mehrfacher Hinsicht problematische Effekte verbunden sind, arbeitet Huesmann (in diesem Band) heraus.
2.5 Erfolgskontrolle Wir votieren für eine prozessbegleitende Kontrolle, die dem Grundsatz folgt, dass Qualität nicht erkontrolliert, sondern erproduziert werden soll (vgl. Abbildung 2).
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Kontrollphasen
Kontrollobjekte x Entscheidungstatbestände bei der Konzeption von Diversity-Trainings: z.B. Teilnehmende, Inhalte, Methoden, TrainerInnen
Input
Throughput
x Befindlichkeit der Teilnehmenden x Prozess der Einstellungsänderung x Prozess des Wissens- und Fähigkeitserwerbs
Unmittelbar:
Output in Folge:
x Veränderte Einstellungen x Verbesserte Kenntnisse und Fähigkeiten x Verhaltensänderungen: z.B. Beförderungen und Neueinstellungen von Minderheiten, Produktivitätserhöhung
Abb. 2: Prozessbegleitende Kontrolle von Diversity-Trainings
Wenn in der Literatur zu Diversity-Trainings überhaupt über Evaluationen berichtet wird, werden dagegen häufig nur Bewertungen der Trainings durch die Teilnehmenden aufgeführt (vgl. dazu auch Ellis/Sonnenfeld 1994, S. 102). Diese werden unmittelbar nach der Veranstaltung über ihre persönliche Einschätzung des Seminarerfolgs befragt. Damit ist allerdings noch nichts über die mehr oder weniger erfolgreiche Bewältigung des Transferproblems bekannt. Ellis und Sonnenfeld plädieren deshalb für eine Erfolgskontrolle durch die Messung konkreter Veränderungen im Umgang mit MitarbeiterInnen. So könnte z.B. geprüft werden, inwieweit sich nach der Seminardurchführung die Beförderungen, Beurteilungen und Neueinstellungen von Minderheiten verändert haben. Ebenso wird vorgeschlagen, Auswirkungen auf die Produktivität zu untersuchen. Hier wird es jedoch, wie bei allen Evaluationen von Personalentwicklungsmaßnahmen, schwierig sein, eindeutige kausale Bezüge herzustellen. Letztlich entziehen sich Diversity-Trainings, wie alle ‚weichen‘ Maßnahmen, einer exakten Erfolgsmessung. Dennoch können Qualität und Wirksamkeit verbessert werden, wenn die Erfolgskontrolle nicht auf den Output beschränkt bleibt, sondern auf den Input und den Throughput ausgedehnt wird. So können mit Blick auf den Input z.B. TrainerInnen danach ausgewählt werden, ob sie maßgeschneiderte Angebote machen und eine Liste der Organisationen vorlegen, für die sie bereits gearbeitet haben und die bereit sind, über ihre Erfahrungen mit dem jeweiligen Trainer oder der jeweiligen Trainerin zu berichten (vgl. dazu auch von Bergen/Soper/Foster 2003, S. 248). Und die von ihnen angebotenen Trainingsinhalte und -methoden können daraufhin überprüft werden, ob sie an theoretischen Erkenntnissen über die Veränderung von Wahrnehmungen und Verhalten orientiert sind (vgl. Kulik/Bainbridge 2006, S. 44f) und ob sie eine Reproduktion von Stereotypen verhindern. Die sorgfältige Auswahl der TrainerInnen ist auch deshalb wichtig, weil diese die Kontrolle in der Phase des Throughputs vornehmen: durch Be-
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obachten und Einfühlen oder auch durch Einholen von Zwischenfeedbacks (z.B. mittels eines „Blitzlichts“).
3. Vor Risiken und Nebenwirkungen wird gewarnt … In Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen und ihrer konkreten Ausgestaltung können Diversity-Trainings nicht nur die gewünschten positiven, sondern auch negative Auswirkungen haben: x Wenn die Zusammenarbeit ihrer Meinung nach bereits gut funktioniert, können die Mitglieder der dominanten Gruppe die Durchführung von Diversity-Trainings als ungerechtfertigte Schuldzuweisung ansehen (vgl. z.B. DuBrin 1994, S. 279). x Damit eng verbunden ist die Gefahr, dass sich die Mitglieder der dominanten Gruppe grundsätzlich verunsichert oder sogar bedroht fühlen, insbesondere wenn es im Training zum so genannten „white male bashing“ (einem „Einschlagen“ auf die weißen Männer) kommt (vgl. dazu Day 1995). x Auf der anderen Seite können aber auch die Erwartungen und Ansprüche der Minderheiten so unrealistisch hochgeschraubt werden, dass die Enttäuschung programmiert ist. x Wenn Schulungen im Rahmen des AGG vor allem auf negative Sanktionen im Falle von Diskriminierung fokussieren, die Teilnehmenden aber bereits intrinsisch motiviert sind, nicht zu diskriminieren, dann kann das dazu führen, dass diese intrinsische Motivation verdrängt oder gar zerstört wird (generell zu diesem Effekt vgl. Frey/ Osterloh 1997). Dagegen kann bei Personen mit offenen Vorurteilen gegenüber „Anderen“ die Drohung mit negativer Sanktionierung durchaus erfolgreich sein (vgl. Dietz/Petersen 2005, S. 263). x Angesichts des durch das AGG verursachten Schulungsbedarfs zu warnen ist auch vor schlecht geplanten ‚Blitzaktionen‘ oder vor unwirksamen ‚Alibiveranstaltungen‘. x Auf die Gefahr, dass vorhandene Stereotype und damit zusammenhängende Spannungen noch verstärkt oder gar neue geschaffen werden, wurde bereits hingewiesen. Diese Gefahr besteht auch und insbesondere, wenn die Teilnehmenden aufgefordert werden, ihre Stereotype und Vorurteile über bestimmte Gruppen zu äußern und der folgende Schritt der Bearbeitung dieser Vorurteile nicht gelingt (vgl. z.B. Caudron 1993, S. 58). Das kann sogar zu einer Verschlechterung der Zusammenarbeit führen. x Im Unterschied zu vielen anderen Entwicklungsmaßnahmen besteht bei DiversityTrainings die besondere Herausforderung darin, dass das Erkennen des Trainingsbedarfs durch die einzelnen Teilnehmenden oft erst im (Awareness-)Training selbst stattfindet. Gelingt dies nicht, so könnte sich bei einigen Teilnehmenden die Auffassung festigen, dass es sich bei dem Thema „Diversity“ lediglich um eine neue Managementmode oder bei den Trainings um eine gesetzlich auferlegte Pflichtübung handele, die für ihre Organisation nicht wirklich von Bedeutung seien. Um die Teilnehmenden schon im Vorfeld zu motivieren, sich auf die Maßnahme einzulassen, ist es daher wichtig, dass nicht nur Organisationsleitung und Personalabteilung, sondern auch die Linienvorgesetzten hinter der Durchführung des Vorhabens stehen.
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Doch auch wenn es gelingt, alle Risiken und Nebenwirkungen weitestgehend zu vermeiden, darf das Diversity-Training nicht als Allheilmittel zur Schaffung einer multikulturellen Organisation (miss)verstanden werden. Vielmehr bleibt festzuhalten: Trainings sind nur ein Instrument des Diversity Management, und das verweist darauf, dass auch das bestmöglichste Training nur begrenzte Effekte haben kann (so auch Sackmann/Bissels/Bissels 2002, S. 52). Mit anderen Worten: Die Wirksamkeit von Trainings kann und sollte auch dadurch erhöht werden, dass diese nicht als Einzelmaßnahme, sondern als einer von vielen Bausteinen eines umfassenden Diversity Management (vgl. dazu Krell in diesem Band) durchgeführt werden.
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Anhang „Being Different“ und „Life Values“ (nach Bateman/Zeithaml 1993, S. 399ff; Übersetzung von uns) sind Beispiele für im Rahmen von Diversity-Trainings durchgeführte Übungen.
Being Different ZIELE DER ÜBUNG: x Erhöhung der Sensibilität gegenüber dem Gefühl ‚anders zu sein‘ x Verstehen von Zusammenhängen des Andersseins VORGEHENSWEISE: I. Einzelarbeit Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie sich in letzter Zeit ‚anders als andere‘ empfunden haben. Beantworten Sie hierzu die folgenden Fragen: 1. Wie lässt sich diese Situation beschreiben? 2. Wie fühlten Sie sich? 3. Was taten Sie als Reaktion darauf, anders zu sein? Inwiefern haben Sie also Ihr Verhalten durch das Gefühl des Andersseins geändert? 4. Wie haben sich die anderen in der Situation verhalten? Was denken Sie, wie diese die Situation empfunden haben? 5. Wie endete die Situation schließlich? 6. Was hat diese Situation in Ihnen bewirkt? Würden Sie sich in Zukunft anders verhalten? II. Kleingruppenarbeit 1. Vergleichen Sie Ihre Antworten auf die o.g. Fragen mit denen der anderen Gruppenmitglieder. 2. Beantworten Sie gemeinsam die folgenden Fragen: a) Haben Gruppenmitglieder Erfahrungen des Andersseins geschildert, die für Sie überraschend waren? b) Wie würden Sie ‚anders sein‘ definieren? III. Plenumsdiskussion zu den Ergebnissen der Gruppenarbeit
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Life Values ZIELE DER ÜBUNG: x Bewusstmachung der persönlich bedeutsamen Werte x Erkennen von Wertunterschieden als Quelle von Vielfalt VORGEHENSWEISE: I. Einzelarbeit Erstellen Sie ein persönliches Ranking der folgenden Werte: - Frieden - Zufriedenheit mit der eigenen Leistung - Freiheit - Weisheit - Glück - Freundschaft/Liebe - Gleichheit - Selbstverwirklichung - religiöse bzw. spirituelle Erfüllung - Vergnügen II. Kleingruppenarbeit 1. Vergleichen und diskutieren Sie die individuellen Rankings, und einigen Sie sich auf ein gemeinsames Ranking. 2. Beantworten Sie gemeinsam die folgenden Fragen: a) Für welche Werte waren die Rankings besonders unterschiedlich? Welche Werte wurden ähnlich eingestuft? b) Wie erklären Sie sich die Wertunterschiede? III. Plenumsdiskussion zu den Ergebnissen der Gruppenarbeit
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Aletta Gräfin von Hardenberg und Christine Wolff
Praxisbeispiel Deutsche Bank: „Vielfalt erfolgreich nutzen“ – Ein Diversity-Workshop für Führungskräfte Die Deutsche Bank hat in den vergangenen Jahren ein Diversity-Training für Führungskräfte unter dem Titel „Vielfalt erfolgreich nutzen“ entwickelt und in der Bank weltweit umgesetzt. Inzwischen haben über 4.800 Führungskräfte an dem Training teilgenommen. Im Folgenden werden zunächst die Rahmenbedingungen erläutert, die für die nachhaltige Einführung eines Diversity-Trainings in einem globalen Unternehmen erforderlich sind. Des Weiteren gibt der Artikel einen Überblick über die zentralen Ziele und Inhalte des Trainings und stellt außerdem die angewandten Methoden und Modelle sowie deren Umsetzung vor.
1. Diversity-Training als Bestandteil der Diversity-Strategie Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg jeder Diversity-Maßnahme, besonders aber eines Diversity-Trainings, ist die Verankerung in einer übergeordneten DiversityStrategie. Ein Diversity-Training ist grundsätzlich nur dann sinnvoll, wenn es im Unternehmen als ein Baustein in dem komplexen Veränderungsprozess des „Mainstreaming Diversity“ verstanden wird. Daher soll einleitend kurz die Diversity-Strategie der Deutschen Bank vorgestellt werden. Bei der Deutschen Bank ist Diversity Management bereits seit 1999 Bestandteil der globalen Unternehmensstrategie. Ein globales Team, welches sich mit den Themen Organisationsentwicklung, Kultur und Diversity befasst, steuert von New York, Frankfurt a.M., London und Singapur aus zahlreiche bereichsübergreifende DiversityInitiativen, wie z.B. die Gründung und Betreuung einer Vielzahl von Mitarbeiter-Netzwerken und Mentoring-Programmen. Dieses Diversity-Team berät zusätzlich auch die einzelnen Geschäftsbereiche, wie bereichsspezifische Diversity-Initiativen idealerweise umgesetzt werden können.
Aletta Gräfin von Hardenberg, CoE OD, Diversity and Culture in der Deutschen Bank, Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] Christine Wolff, Development Specialist in der Deutschen Bank, Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] 351
Während die Geschäftsstruktur der Deutschen Bank aufgrund zahlreicher Unternehmensakquisitionen zunehmend globaler wird, führen auch die demographischen Entwicklungen zu einer immer stärkeren Vielfalt bei der Kunden- und Mitarbeiterstruktur. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der Deutschen Bank, im Rahmen eines effektiven Diversity Managements die Vielfalt unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu fördern, um die Kundschaft, die in Struktur und Zusammensetzung ebenfalls immer vielfältiger wird, optimal bedienen und betreuen zu können. Diversity Management leistet auch einen bedeutenden Teil an der Positionierung als attraktiver Arbeitgeber für die besten Talente am Markt. Um die vielfältigen Talente aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern und zu halten, soll ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld geschaffen werden, in dem alle ihr volles Leistungspotenzial entfalten können. Die übergreifende Diversity-Strategie der Bank wird jährlich von dem globalen Steuerungsgremium der Bank, bestehend aus dem Konzernvorstand und den für die globalen Geschäftsbereiche Verantwortlichen, verabschiedet und kommuniziert. Im Rahmen der Diversity-Strategie für das Jahr 2003 wurde die Entwicklung und die globale Umsetzung eines Diversity-Trainings für Führungskräfte als ein wesentliches Ziel festgeschrieben und an alle Geschäftsbereiche kommuniziert, um hier Führungskräfte gezielt bei der Umsetzung der Diversity-Strategie zu unterstützen.
2. Konzeption des Diversity-Trainings 2.1 Global einheitliche Ziele und Zielgruppe Da unsere Geschäftsbereiche und damit auch unsere Diversity-Strategie global ausgerichtet und organisiert sind, war auch eine global einheitliche Entwicklung des Trainings erforderlich. Entsprechend wurde ein Projektteam mit Vertretern aus allen regionalen Diversity-Teams beauftragt, ein globales Trainingsdesign unter Berücksichtigung lokal und regional erforderlicher Anpassungen zu entwickeln. Dieses Projektteam war gleichzeitig für die Steuerung des Roll-out in den einzelnen Regionen verantwortlich. Das Projektteam formulierte zunächst folgende Trainingsziele: x Hauptaufgabe der Trainings ist es, den Führungskräften die globale Diversity-Strategie, den Business Case und deren wirtschaftliche Einbindung in der Deutschen Bank sowie ihre Rolle bei der Umsetzung zu vermitteln, x den Einfluss ihrer persönlichen Ansichten zum Thema Diversity auf ihr Führungsverhalten zu reflektieren, x ihre Rolle bei der Gestaltung eines vorurteilsfreien Arbeitsumfeldes für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verstehen, den Umgang mit vielfältigen Kundinnen und Kunden zu lernen sowie die rechtlichen Grundlagen zu kennen und schließlich x Kompetenzen zu entwickeln, die für ein effektives Diversity Management erforderlich sind.
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Die Trainings richten sich an Führungskräfte mit Personalverantwortung. Um hier auch schon in der Zusammensetzung der Teilnehmergruppen eine möglichst breite Vielfalt erlebbar zu machen, bieten wir das Training teilweise auch bereichsübergreifend an.
2.2 Auswahl des Trainingsunternehmens Die Entscheidung, ein global einheitliches Design mit regional angemessener Durchführung zu verbinden, setzte hohe Anforderungen an die Auswahl des geeigneten Trainingsunternehmens. Das Projektteam hat sich entschieden, mit einem externen Trainingsanbieter zusammenzuarbeiten, der ein globales Netz von Trainerinnen und Trainern zur Verfügung stellen konnte und der auf Diversity-Training spezialisiert ist. Um ihre Akzeptanz zu erhöhen, sollten die Trainer das Training in der jeweiligen Muttersprache der Teilnehmer durchführen und selbst Muttersprachler sein. Wichtig war für uns ebenso, dass die DiversityTrainer über berufliche Erfahrung als Führungskräfte in Unternehmen verfügten, um dadurch eigene Erfahrungen im Umgang mit dem Diversity-Management im Führungsalltag einbringen können. Es werden der Business Case sowie anonymisierte Fallbeispiele diskutiert, dies erhöhte auch die Glaubwürdigkeit, in der Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
2.3 Zeitlicher Umfang und Gruppengröße Unter Berücksichtigung der Trainingskultur in der Deutschen Bank und der starken zeitlichen Belastung der Führungskräfte wurde das Training als vierstündiger Workshop konzipiert. Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollte pro Workshop zehn bis zwölf nicht überschreiten, um eine möglichst hohe Interaktivität zu gewährleisten.
3. Trainingsdesign – Inhalte und Methoden Das Trainingsdesign kombiniert Awareness mit Skill-Building. Im Folgenden werden die eingesetzten Methoden und Instrumente näher vorgestellt.
3.1 Awareness-Training Am Anfang steht das „Awareness-Training“, also das Heranführen der Führungskräfte an das Diversity-Konzept sowie die Vorstellung und Diskussion der Diversity-Strategie der Deutschen Bank. Ein Kernziel des Trainings ist die Vermittlung des DiversityKonzepts mit seinen Teildimensionen der Vielfalt, zu denen u.a. Geschlecht, Alter oder sexuelle Identität, aber auch interkulturelle Unterschiede zählen. Die Trainingsteilnehmer sollen verstehen, dass die vielfältigen Talente aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Ressource sind, die optimal genutzt werden muss.
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Um gleich zu Beginn auch die Emotionen anzusprechen und „Anderssein“ erlebbar zu machen, nutzten wir die „Being-Different-Übung“ (s.a. Gieselmann/Krell in diesem Band), die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit gibt, eigene Erfahrungen mit Situationen, in denen sie sich ausgegrenzt fühlten, zu reflektieren und in der Gruppe vorzustellen. Um die Vielfalt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlebbar zu machen und um zu zeigen, dass diese Vielfalt einen Platz im Arbeitsleben hat und zum Geschäftserfolg beiträgt, wird deshalb ein kurzer interner Diversity-Trailer gezeigt. Dieser erläutert u.a. die Geschichte eines homosexuellen Mitarbeiters, der sich im Rahmen einer dienstlichen Situation „outet“. In der anschließenden Diskussion werden die Führungskräfte anhand des sog. „EisbergModells“ dafür sensibilisiert, dass nur einige Diversity-Aspekte wie z.B. Geschlecht, Alter oder ethnische Zugehörigkeit in der Regel auf den ersten Blick sichtbar sind. Gerade die nicht sofort sichtbaren Unterschiede, die „unter der Wasseroberfläche liegen“, wie z.B. interkulturelle Unterschiede in Arbeitsstilen oder Zeitverständnis, bergen dagegen hohes Konfliktpotenzial in der Zusammenarbeit und Führung von Mitarbeitern. Im Rahmen unserer Diversity-Beratung kommt es häufig vor, dass bei den Führungskräften erheblicher Diskussionsbedarf zur Umsetzung der Diversity-Vision und -Strategie in ihrem Geschäftsalltag besteht. Diesem Diskussionsbedarf Raum zu geben, ist ebenfalls Kernziel des Trainings. Anhand des Films, der bewusst eine visionäre Situation beschreibt, diskutieren die Teilnehmer mögliche Wege und Initiativen für die Umsetzung in ihren Geschäftsbereichen. In diesem Stadium ist es wichtig, den Führungskräften die ökonomische Notwendigkeit – den „Business Case“ – für Diversity deutlich sichtbar zu machen und aufzuzeigen, dass die bewusste Nutzung der vielfältigen Talente ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Voraussetzung für einen nachhaltigen Geschäftserfolg ist.
3.2 Skill-Building zu Diversity Management im Führungsalltag Um konkrete Hilfen und Anregungen für ein erfolgreiches Diversity Management zu geben, wird im zweiten Teil Diversity mit den konkreten Führungsaufgaben wie z.B. Mitarbeitereinstellung, -beförderung, -beurteilung und -entwicklung verknüpft und die Weiterentwicklung der dafür notwendigen Kompetenzen thematisiert. Voraussetzung für ein gutes Diversity Management ist die Fähigkeit der Führungskraft, über ihr eigenes Verständnis von Diversity zu reflektieren. Diese Selbstreflexion wird im Training anhand der sog. „Attitude towards Differences“-Skala (ATD-Skala®) ermöglicht. Die Skala zeigt auf, welche Bandbreite an Reaktionsmöglichkeiten auf ein Anderssein bei Mitmenschen, in diesem Fall bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besteht. Diese kann von Vermeidung und Ablehnung über Toleranz und Akzeptanz bis hin zu Wertschätzung reichen. Führungskräfte sollen hier verstehen, dass ihre allgemeine Grundeinstellung zu einem „Anderssein“ sich auf ihren Umgang mit Mitarbeitern auswirken kann, die sich – sei es durch Geschlecht, Nationalität oder auch Arbeitsstil oder Sprache – von ihnen selbst unterscheiden.
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Hierbei wird auch der sogenannte „Sympathieeffekt“ bzw. „Similar-to-me-Effekt“ thematisiert, der dazu führen kann, dass Führungskräfte Mitarbeiter, die ihnen sehr ähnlich sind, stärker fördern als andere. Basierend auf der Selbstreflexionsübung analysieren die Teilnehmer dann in Kleingruppen sogenannte „critical incidents“. Das sind Praxis-Beispiele von Führungssituationen mit Diversity-Elementen in der Deutschen Bank. Hier empfiehlt es sich, reale Fälle zu diskutieren, da nur so glaubwürdig vermittelt werden kann, dass die alltägliche Führungsaufgabe im Unternehmen einen Diversity-Bezug hat und ein gutes DiversityManagement daher zu den Führungskompetenzen einer jeden Führungskraft gehören muss. Neben vorbereiteten Fällen sollte hier auch Raum für eigene Erfahrungen gegeben sein. Im Zentrum der Analyse stehen dabei das Verhalten der Führungskräfte in der jeweiligen Situation und die Entwicklung möglicher Handlungsalternativen. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie durch die konsequentere Umsetzung von bereits vorhandenen Diversity-Grundsätzen oder Betriebsvereinbarungen ein besseres Diversity-Management erreicht werden kann. Ebenso werden die Fälle dahingehend analysiert, welche Kompetenzen eine Führungskraft gerade im Umgang mit Konflikten mit Diversity-Bezug benötigt. Hierzu zählen u.a. die Reflexion eigener Ansichten, Veränderungsbereitschaft, interkulturelle Kompetenz, Umgang mit Andersartigkeit und Unsicherheit. Die erarbeiteten Kompetenzen werden dann anhand von kurzen Rollenspielen vertieft, z.B. bei der Nachstellung eines Entwicklungsgesprächs mit einer Mitarbeiterin bzw. einem Mitarbeiter oder eines Konfliktgesprächs mit einem interkulturellen Team.
4. Globales Roll-out und Evaluation 4.1 Pilotveranstaltungen und Globales Roll-out Mit gleichzeitig durchgeführten Pilotveranstaltungen in New York, London und Frankfurt a.M. wurden die Trainings weltweit gestartet. Im Anschluss an diese Pilotveranstaltungen ist umfangreiches Feedback von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eingeholt worden, und zwar über Gruppenfeedback, Einzelgespräche und eine nachfolgende schriftliche Befragung. Das Feedback war grundsätzlich sehr positiv. Das Diversity-Training wird als wertvolles Angebot im Rahmen der Führungskräfteausbildung bewertet. Die Präferenz der Teilnehmer geht dabei vor allem zur Diskussion von Diversity-Management in der täglichen Praxis, während das Interesse an theoretischen Erklärungsmodellen etwas schwächer ausgeprägt ist. Überaus positiv wurde auch die bereichsübergreifende Zusammensetzung der Teilnehmergruppe bewertet. Auf dieser Grundlage wurde anschließend das Design entsprechend angepasst. Nach der erfolgreichen Durchführung der Pilotveranstaltungen wurde das Training global in allen Geschäftsbereichen implementiert. Die Geschäftsbereiche bestimmen den genauen Zeitpunkt der Trainings, da diese auch in die Diversity-Strategie der Bereiche eingebettet sein müssen.
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Vor dem Roll-out in Deutschland wurde das Training dem Konzernbetriebsrat vorgestellt und dessen Zustimmung eingeholt.
4.2 Evaluation und Erfolgskontrolle Um Nachhaltigkeit und Effektivität sicherzustellen, wird das Training von einem Evaluationsprozess begleitet. Wie bei jeder Diversity-Maßnahme ist erfahrungsgemäß auch die Effektivität eines Diversity-Trainings sehr schwer zu messen. Grundsätzlich wird für alle Trainingsmaßnahmen der in der Bank übliche und bewährte Feedbackprozess eingesetzt, der ein direktes Feedback unmittelbar am Ende des Trainings sowie ein strukturiertes Feedback mit einem gewissen zeitlichen – und emotionalen – Abstand umfasst. Daneben nutzen wir weiterführende Maßnahmen zur übergreifenden Messung des Erfolges von Diversity-Maßnahmen. Hierzu zählen u.a. die Aufbereitung und Auswertung statistischer Daten, wie z.B. die Zahl der Mitarbeiterabgänge (Turn-over) der einzelnen Bereiche oder der Anteil von Frauen in Führungspositionen. Darüber hinaus haben wir einen Diversity-Index in unsere regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen eingefügt, der unter anderem die Frage nach der Qualität des Diversity-Managements der Führungskraft enthält.
5. Resümee Zusammenfassend empfehlen wir, ein Diversity-Training grundsätzlich nur als Bestandteil einer übergreifenden Diversity-Strategie einzusetzen. Dem muss die volle Unterstützung des Senior Managements vorausgehen, um einen nachhaltigen Veränderungsprozess sicherzustellen. Das Design des Trainings sollte in globalen Unternehmen grundsätzlich global einheitlich sein, aber z.B. in den Fallbeispielen Raum für die jeweiligen lokalen und regionalen Besonderheiten lassen. Als besonders wichtig hat sich auch erwiesen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Raum für die Auseinandersetzung mit der Diversity-Strategie des Unternehmens im Spannungsverhältnis zu ihren Alltagserfahrungen zu geben. Beim Trainings-Design sollte außerdem der Schwerpunkt in Anbetracht knapper Zeitressourcen der Führungskräfte unbedingt auf dem SkillBuilding und der praktischen Anwendung des Erlernten liegen.
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Zusammenarbeit und Führung
Monika Huesmann
Gendertraining-Paradoxien: Wie die Norm der geschlechterparitätischen Zusammensetzung von Trainingsteams dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit entgegenwirkt – ein Diskussionsbeitrag 1. Einleitung 2. Die Norm paritätisch besetzter Gendertraining-Teams: Eine Gender-Analyse 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Der Markt für Gendertrainings Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trainerinnen und Trainern Unterschiedliche Arbeits- und Einkommenschancen Unterschiedliche Qualifikations- und Qualitätsanforderungen Erfahrungen in der Praxis
3. Fazit und Ausblick Literatur
Monika Huesmann, Diplomkauffrau, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Management, Arbeitsbereich Personalpolitik, Freie Universität Berlin. E-Mail:
[email protected] 357
1. Einleitung Gender Mainstreaming ist ein neuer Ansatz zur Gleichstellung der Geschlechter. Sein Grundprinzip ist, dass der Gender-Aspekt bzw. die Frage der Geschlechtergerechtigkeit nicht nur Aufgabe einzelner Abteilungen oder Funktionen ist, sondern in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden soll (vgl. z.B. Holzleithner 2002, S. 142f und Krell/Mückenberger/Tondorf in diesem Band). Mit der Verankerung von Gender Mainstreaming als Umsetzungsstrategie zur Gleichstellung von Frauen und Männern ist auch in Deutschland die Nachfrage nach Gendertrainings deutlich gewachsen. In öffentlichen Verwaltungen werden dafür zunehmend Gelder über Haushaltsbudgets zur Verfügung gestellt. In EU-Projekten werden Gender Mainstreaming und daran gekoppelt auch Gendertrainings zur Bedingung der Finanzierung gemacht. Damit ist der Trainingsmarkt im Bereich Gender ein auch wirtschaftlich interessantes und vor allem lukratives Betätigungsfeld geworden. Gender Mainstreaming lenkt den Blick darauf, dass Entscheidungen und Maßnahmen nicht geschlechtsneutral wirken und dass deshalb deren Auswirkungen auch und gerade in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit analysiert werden müssen (vgl. z.B. Erhardt 2003, S. 16). Eine solche Analyse soll hier im Hinblick auf die Teams, die Gendertrainings durchführen, erfolgen. Es wird häufig gefordert, diese Teams geschlechterparitätisch zusammenzusetzen (vgl. z.B. Ewert/Drägestein 2002, S. 63; Blickhäuser/von Bargen 2003, S. 7). Diese Norm bildet den Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Gender-Analyse: Die Analyse ihrer Effekte auf dem Markt für Gendertrainings wird zeigen, dass diese Norm der Geschlechtergerechtigkeit nicht entgegenkommt, sondern vielmehr entgegenwirkt.
2. Die Norm paritätisch besetzter Gendertraining-Teams: Eine Gender-Analyse 2.1 Der Markt für Gendertrainings Als Markt werden in der Betriebswirtschaftslehre üblicherweise die Menge der aktuellen und potenziellen Nachfragenden, die Menge der aktuellen und potenziellen Anbietenden sowie die Beziehungen zwischen Anbietenden und Nachfragenden verstanden (vgl. z.B. Meffert 1998, S. 35). Bei dem hier betrachteten Markt handelt es sich um einen Markt, auf dem Gendertrainings als Dienstleistungen angeboten und nachgefragt werden. Als Nachfragende auf dem Markt für Gendertrainings agieren Institutionen, wie Verwaltungen oder Unternehmen, sowie Einzelpersonen. Diese wählen aus dem (ihnen bekannten) Angebot das für sie passende Produkt bzw. die für sie passende Dienstleistung nach bestimmten Kriterien aus. Ein für die Nachfragenden wichtiges Auswahlkriterium ist der Preis. Aber auch die Qualität des Angebots, die Qualifikation der TrainerInnen oder das Renommee der Anbietenden sind relevant. Diese Kriterien entscheiden häufig
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über den Markterfolg und damit über die Wettbewerbsfähigkeit von Anbietenden (vgl. dazu z.B. Porter 1999, S. 32). Den Nachfragenden stehen als Anbietende die Gendertrainerinnen und -trainer gegenüber. Im Folgenden gehe ich von selbstständig erwerbstätigen TrainerInnen aus, die als ArbeitskraftunternehmerInnen im Sinne von Günter Voß (1998, S. 477ff) kategorisiert werden können. Die Ergebnisse meiner Analyse können aber größtenteils auch auf abhängig beschäftigte TrainerInnen übertragen werden. Betrachtet man die Angebotsseite differenziert nach Geschlecht, dann wird Folgendes sichtbar: Durch die historische Entwicklung (von Frauenförderung über Chancengleichheit zu Gender Mainstreaming) hat es lange Zeit fast ausschließlich Trainerinnen gegeben. Erst seit einigen Jahren ist eine deutliche Zunahme des Männeranteils zu beobachten. Zurzeit kann nach der Schätzung eines Experten* davon ausgegangen werden, dass der Markt aus einem Viertel Trainer und drei Viertel Trainerinnen zusammengesetzt ist. Mit dieser Schätzung ist der Anteil der Trainer eher hoch angesetzt. Aufgrund dieses Geschlechterverhältnisses auf der Angebotsseite hat die Norm zur geschlechterparitätischen Zusammensetzung der Trainingsteams folgende Effekte: Ein Abhängigkeitsverhältnis wird geschaffen, Arbeits- und Einkommenschancen sind unterschiedlich verteilt und es bestehen unterschiedliche Qualifikations- und Qualitätsanforderungen. Diese drei Effekte hängen zwar faktisch eng zusammen, sollen aber im Folgenden analytisch getrennt betrachtet werden.
2.2 Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trainerinnen und Trainern Um ein Gendertraining, das die Norm der Geschlechterparität erfüllt, anbieten zu können, müssen sich ein Trainer und eine Trainerin zu einem Tandem oder Team formieren. Die geschätzte Zusammensetzung des Marktes führt dazu, dass drei Trainerinnen um einen Trainer konkurrieren, bzw. ein Trainer mit einer von drei Trainerinnen zusammenarbeiten kann. Durch die unterschiedliche Zahl von Trainerinnen und Trainern auf dem Markt wird somit ein Abhängigkeitsverhältnis begründet. Daraus folgt zunächst, dass es für Trainerinnen schwieriger ist, einen Mann als CoTrainer zu finden. Dies kann bedeuten, dass eine Trainerin bei der Entscheidung, mit einem Trainer zusammen zu arbeiten, weniger hohe Ansprüche an diesen stellen kann bzw. Konzessionen machen muss. Hinzu kommt: Das gilt nicht nur für die erstmalige Formierung eines Tandems oder Teams, sondern auch für die weitere Zusammenarbeit. Und es gilt schließlich auch für die Frage, ob die Kooperation beendet werden soll. Denn der Ausstieg aus einem Tandem ist für eine Trainerin schwieriger als für ihren Co-Trainer, weil dann das Spiel mit den ungleich verteilten Chancen von vorne beginnt. Das heißt: Aufgrund des Geschlechterverhältnisses auf der Angebotsseite entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis zuungunsten der Trainerinnen. Die Trainer erlangen dadurch *
Ich danke Henning von Bargen, Stabsstelle Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung, für seine Hilfe bei der Einschätzung der Marktzusammensetzung bei GendertrainerInnen.
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eine dominante Position, und zwar sowohl auf dem Markt als auch im Binnenverhältnis eines Trainings-Tandems bzw. -Teams.
2.3 Unterschiedliche Arbeits- und Einkommenschancen Ungleich ausgeprägt sind auch die Arbeits- und Einkommenschancen von Trainerinnen und Trainern: Vor dem Hintergrund des Verhältnisses von einem Trainer zu drei Trainerinnen können, statistisch betrachtet, Trainer im Vergleich zu Trainerinnen die dreifache Zahl von Gendertrainings durchführen. Ausgehend von der Annahme, dass der Verdienst für ein Training zwischen der Trainerin und dem Trainer zu je 50 Prozent aufgeteilt wird, kann ein Trainer so das dreifache Einkommen erzielen. Die Arbeits- und Einkommenschancen sind aber auch von der Entwicklung des Marktes abhängig: x In einem expandierenden Markt werden in der Regel mehr Gendertrainings nachgefragt als angeboten. Hier ist die Zahl der Gendertrainings durch die Zahl der anbietenden Trainer limitiert, da kein Training ohne Co-Trainer angeboten werden kann. Da durch die steigende Nachfrage nach Gendertrainings idealtypischerweise alle Trainer ausgelastet sind, wird ein Anreiz für andere Männer geschaffen, als Anbieter in diesen Markt einzutreten. Dies ist auch relativ gut möglich, da keine hohen Markteintrittsbarrieren, z.B. durch erforderliche Sachinvestitionen, existieren. Erforderlich ist „nur“ Know-how. Wenn die Zahl der Trainerinnen konstant bliebe, dann würde dieser Zustrom von Trainern zu einem Ausgleich des Geschlechterverhältnisses führen. Davon ist jedoch nicht auszugehen, denn im Falle eines expandierenden Markts ist dieser auch für Trainerinnen attraktiv. Deshalb ist auch ihrerseits mit einem Zustrom zu rechnen, weshalb es nicht zu einem tendenziellen Ausgleich des Geschlechterverhältnisses kommt. x Wenn der Markt für Gendertrainings nicht weiter wächst, sondern die Nachfrage konstant bleibt oder sogar zurückgeht, dann kann nicht mehr von einer Vollbeschäftigung aller anbietenden Trainer und Trainerinnen ausgegangen werden. Auch in diesem Fall werden aber durch die Norm der Geschlechterparität die Arbeits- und Einkommenschancen als verfügbare Ressourcen zu je 50 Prozent auf die Marktsegmente der Trainer und der Trainerinnen verteilt. Dies führt entweder dazu, dass eine Trainerin ca. ein Drittel des Verdienstes eines Trainers erzielen kann oder dazu, dass sie aufgrund der geringeren Verdienstchancen aus dem Markt austreten muss, also kein Gendertraining mehr anbieten kann. Trainer hingegen haben bessere Einkommenschancen als Trainerinnen, und daher ist es wahrscheinlicher, dass sie in diesem Markt verbleiben. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Norm der Geschlechterparität dazu führt, dass Trainer bereits in einem expandierenden Markt bessere Arbeits- und Einkommenschancen haben als Trainerinnen. Bei stagnierendem Marktwachstum verschlechtern sich dagegen die Arbeits- und Einkommenschancen der Trainerinnen stärker als die der Trainer. Die Gefahr einer Marktverdrängung ist dann für Trainerinnen höher.
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2.4 Unterschiedliche Qualifikations- und Qualitätsanforderungen Bisher war beim Vergleich der Arbeits- und Einkommenschancen der Trainerinnen und Trainer noch nicht bzw. nur am Rande von deren Qualifikation und der – damit eng zusammenhängenden – Qualität des Trainingsangebots die Rede. Nun sollen diese Faktoren genauer betrachten werden. Die Norm der Geschlechterparität erinnert auf den ersten Blick an Quotierungsforderungen, mittels derer geschlechtergerechte Bedingungen geschaffen werden sollen. Aber bei genauerem Hinsehen wird ein fundamentaler Unterschied deutlich. Bei quotierten Einstellungen und/oder Beförderungen sollen bei gleicher Qualifikation Frauen so lange bevorzugt werden, bis sie angemessen repräsentiert sind. Das heißt: Die Qualifikation ist das erste und wichtigste Entscheidungskriterium, erst an zweiter Stelle folgt das Geschlecht. Bei der Norm der geschlechterparitätischen Teambesetzung ist es dagegen genau umgekehrt. Hier ist das Geschlecht das vorrangige Kriterium und erst an zweiter Stelle kommt die Qualifikation ins Spiel. Für Trainer ist demnach aufgrund ihrer „Knappheit“ ihr Geschlecht der wichtigste Wettbewerbsfaktor, und erst in zweiter Linie sind ihre Qualifikation und die Qualität ihres Trainingsangebots entscheidend. In den Marktsegmenten der Trainer und der Trainerinnen herrschen also unterschiedliche Anpassungs- und Ausleseeffekte. Bedingt durch die höhere Zahl der Trainerinnen ist in ihrem Marksegment der Qualifizierungsdruck und der Qualitätswettbewerb, und damit der Konkurrenzdruck, ungleich höher als im Marktsegment der Trainer. Dies hat zur Folge, dass sie eine höhere Qualifikation benötigen und eine bessere Qualität der angebotenen Dienstleistung liefern müssen als die Trainer, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Das ist noch nicht so stark zu spüren, wenn die Nachfrage nach Gendertrainings das Angebot übersteigt und die Nachfragenden aufgrund der Knappheit des Angebots nicht so hohe Qualitätsanforderungen an die Anbietenden stellen können. Wenn aber die Nachfrage stagniert, dann wird der Wettbewerbsdruck deutlich höher, und die Trainerinnen sind einem stärkeren Auslesedruck und Verdrängungswettbewerb ausgesetzt als die Trainer.
2.5 Erfahrungen in der Praxis Die zuvor ausgeführten Überlegungen werden empirisch gestützt durch Befragung zum Verhältnis von Gender-Trainerinnen und Gender-Trainern von Eva Engelhardt-Wendt (2004). Zwar sind aufgrund der geringen Zahl der Befragten (sechs Trainerinnen und fünf Trainer) die Ergebnisse nur bedingt verallgemeinerbar. Dennoch unterstreichen sie die folgenden Aspekte: Insgesamt verfügten die Trainerinnen über mehr theoretisches Wissen und mehr Erfahrungen mit dem Konzept des Gender Mainstreaming sowie mit dessen Realisierung und der Gestaltung von Trainings (vgl. ebd., S. 228f). Hier bestätigt sich, dass sich Trainer mit geringerer Qualifikation als Trainerinnen auf dem GenderTrainingsmarkt behaupten können. Auch mit Blick auf die Arbeitsteilung in Gendertraining-Teams zeigen sich entsprechende Strukturen: Trainerinnen übernehmen, ihren Angaben zufolge, überwiegend die Akquise, von ihnen wird weitgehend der kontinuierliche theoretische Input geleistet, das Training wird vor allem von den Trainerinnen kon-
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zipiert, organisiert und vorbereitet. Die Trainer übernehmen vor allem in der Durchführung die allgemeine Moderation und in wenigen Fällen auch einzelne Module. Nur die Aufteilung des Honorars erfolgt zu gleichen Teilen (vgl. ebd., S. 233). Überraschend an den Ergebnissen dieser Befragung ist, dass in Gendertraining-Teams doch ausgesprochen traditionelle Muster gelebt werden. Zwar übernehmen die Trainerinnen mehr den theoretisch-konzeptionellen Bereich, während die Trainer sich der allgemeinen Moderation und Gesprächsführung zuwenden, eine Arbeitsteilung, die auf den ersten Blick geschlechterstereotypen Zuschreibungen widerspricht. Aber die Trainerinnen übernehmen auch mehr Aufgaben, wie z.B. Akquise, theoretische Fundierung und Konzeption, und diese Mehrarbeit wird bei der Honorarverteilung nicht berücksichtigt. Auch wenn diese Befragung nicht repräsentativ ist, so wird doch deutlich, dass, zumindest bei den befragten Trainerinnen und Trainern, die Qualifikationen unterschiedlich ausgeprägt sind, während die Einkommenschancen der Trainer im Verhältnis zu Qualifikation und Arbeitsaufwand ungleich höher sind.
3. Fazit und Ausblick Die Institutionalisierung der Norm der Geschlechterparität führt für Trainer und Trainerinnen zu einer eklatanten Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Wenn diese Norm eingehalten wird, dann entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trainern und Trainerinnen. Durch die Knappheit der Trainer dominieren diese die Entscheidungen der Teambildung und -auflösung. Trainerinnen haben schlechtere Arbeits- und Einkommenschancen und sind einem höheren Qualifizierungs- und Qualitätsdruck sowie einem stärkeren Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Der zweite und der dritte Effekt werden wiederum verstärkt durch den ersten. Denn auch die Arbeits- und Einkommenschancen der qualifiziertesten Trainerin stehen und fallen damit, ob es ihr gelingt, einen Co-Trainer als Kooperationspartner zu gewinnen. Kurz gesagt: Für Männer wird ihr Geschlecht zu einem Wettbewerbsvorteil, für Frauen zu einem Wettbewerbsnachteil. Bemerkenswert ist auch, dass diese Norm zur Reproduktion von bereits überwundenen oder zumindest bekämpften Problemen führt: Frauen „brauchen einen Mann“, um wirtschaftlich erfolgreich sein zu können. Sie benötigen eine höhere Qualifikation als Männer, um beruflich bestehen zu können. Sie sind einem stärkeren Konkurrenzdruck ausgesetzt. Sie haben geringere Einkommenschancen als Männer. Damit wirkt die Norm der Geschlechterparität in Trainingsteams dem mittels Gender Mainstreaming verfolgten Ziel der Chancengleichheit bzw. Geschlechtergerechtigkeit entgegen. Mit anderen Worten: Die gleichstellungspolitische Intention der Normbegründung und -institutionalisierung und die dadurch hervorgebrachten Effekte sind widersprüchlich. Insofern kann hier von einem „Gender-Paradox“ im Sinne Judith Lorbers (vgl. 2003) gesprochen werden: Die Norm der geschlechterparitätischen Zusammensetzung von Trainingsteams bewirkt als paradoxen Effekt Geschlechterungerechtigkeit. 362
Um dem entgegenzuwirken, sollten alternative Möglichkeiten gesucht und analysiert werden. Darüber hinaus sollten die Argumente zur Begründung der Norm der geschlechterparitätischen Besetzung der Teams (vgl. z.B. Blickhäuser/von Bargen 2003, S. 5; Burbach 2002, S. 57) noch einmal genauer hinterfragt werden: x Inwieweit brauchen Männer als Trainingsteilnehmer Männer als Vorbilder zum Lernen am Modell und zur Identifikation? Diese Frage stellt sich vor allem auch deshalb, weil Geschlecht nur ein Merkmal neben anderen ist, wie z.B. Nationalität, Ethnizität, Kultur, Religion, sexuelle Orientierung, Alter usw. (vgl. dazu auch die Beiträge von Krell zu Diversity Management und von Gieselmann/Krell zu Diversity-Trainings). x Gerade auch angesichts der Entwicklungen und Erkenntnisse der Geschlechterforschung, die auf die soziale Konstruiertheit der Polarisierung der Geschlechter, inklusive der Zweigeschlechtlichkeit selbst, verweisen (vgl. dazu auch den einleitenden Beitrag von Krell in diesem Band), erscheint es problematisch, davon auszugehen, dass ein Mann und eine Frau das Geschlechterverhältnis repräsentieren müssen. Gerade diese Norm, dass Gendertrainings von einer Frau und einem Mann durchgeführt werden sollen, wird auch im Gender-Manifest als kontraproduktiv bezeichnet, da sie „bereits selber eine zu hinterfragende Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit ist“ (Frey u.a. 2006, S. 3). Damit ist diese Norm ein Paradebeispiel sowohl für die „Re-Aktivierung tradierter zweigeschlechtlicher Denk- und Handlungsmuster“, die Angelika Wetterer (2002, S. 129) mit Blick auf Gender Mainstreaming insgesamt kritisiert, als auch für die schematische Orientierung an der Mann-FrauDifferenzierung, die Regina Frey (2003, S. 125, 174) bezogen auf Gender-Analysen bemängelt. Alles in allem erscheint die Norm der geschlechterparitätischen Zusammensetzung von Gendertraining-Teams nicht nur wegen der bewirkten paradoxen Effekte für Trainerinnen, sondern auch im Hinblick auf die vorgebrachten Begründungen fragwürdig.
Literatur Blickhäuser, Angelika/von Bargen, Henning (2003): Qualitätsstandards bei Genderberatung und Gendertrainings. Arbeitspapier der Fachkonferenz Gender-MainstreamingPraxis. Anforderungen an nachhaltige Implementierungsprozesse. 27.-28. Oktober 2003, Berlin. Burbach, Christiane (2002): Gender-Trainings im Führungsbereich, in: Burbach, Christiane/Schlottau, Heike (Hg.): Abenteuer Fairness. Ein Arbeitsbuch zum Gender-Training, Göttingen, S. 55-61. Ehrhardt, Angelika (2003): Gender Mainstreaming – wo es herkommt, was es will und wie es geht, in: Jansen, Mechthild M./Röming, Angelika/Rohde, Marianne (2003): Gender Mainstreaming. Herausforderung für den Dialog der Geschlechter, München, S. 13-33.
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Engelhardt-Wendt, Eva (2004): Zum Verhältnis von Gender Trainerinnen Gender Trainer, in: Netzwerk Gender Training (Hg.): Gechlechterverhältnisse bewegen. Erfahrungen mit Gender Training, Königstein i.Ts., S. 227-239. Ewert, Christel/Drägestein, Bernd (2002): Gender-Training: Position beziehen – Begegnung erleben, in: Burbach, Christiane/Schlottau, Heike (Hg.): Abenteuer Fairness. Ein Arbeitsbuch zum Gender-Training, Göttingen, S. 62-66. Frey, Regina (2003): Gender im Mainstreaming. Geschlechtertheorie und -praxis im internationalen Diskurs, Königstein i.Ts. Frey, Regina/Heilmann, Andreas/Nordt, Stephanie/Hartmann, Jutta/Kugler, Thomas/ Smykalla, Sandra (2006): Gender-Manifest. Plädoyer für eine kritisch reflektierende Praxis in der genderorientierten Bildung und Beratung. www.gendermainstreaming.org (6.9.2006). Holzleithner, Elisabeth (2002): Gender mainstreaming, in: Kroll, Renate (Hg.): Metzler Lexikon. Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar, S. 142-143. Lorber, Judith (2003): Gender-Paradoxien, 2. Aufl., Opladen. Meffert, Heribert (1998): Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele, 8. Aufl.,Wiesbaden. Porter, Michael E. (1999): Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt, Wien/Frankfurt a.M. Voß, Günter (1998): Die Entgrenzung von Arbeit und Arbeitskraft, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 31. Jg., Heft 3, S. 473-487. Wetterer, Angelika (2002): Strategien rhetorischer Modernisierung. Gender Mainstreaming, Managing Diversity und die Professionalisierung der Gender-Expertinnen, in: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien, 20. Jg., Heft 3, S. 129-148.
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Bärbel Meschkutat und Monika Holzbecher
Sexuelle Belästigung und Gewalt: (K)ein Thema für Personalverantwortliche? 1. Einleitung 2. Was wird überhaupt unter sexueller Belästigung verstanden? 3. Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt 4. Die Rechtslage 5. Prävention – ein wichtiger Schritt zum Abbau des Problems Literatur
Bärbel Meschkutat, Dipl.-Pädagogin, Supervisorin, wissenschaftliche Angestellte der Sozialforschungsstelle, Zentralwissenschaftliche Einrichtung der Universität Dortmund, E-Mail:
[email protected] Monika Holzbecher, Dipl.-Psychologin, Mitinhaberin einer psychotherapeutischen Praxis, Seminarleiterin/Wissenschaftlerin und Psychotherapeutin im Kontext von psychosozialen Konflikten am Arbeitsplatz, E-Mail:
[email protected] 365
1. Einleitung Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist für viele ein Reizwort, dessen Thematisierung sofort zu kontroversen und emotionalen Diskussionen führt. Das Problem selbst ist nicht neu; es existiert, seit Frauen erwerbstätig sind. Die zunehmende Berücksichtigung dieses Themenfeldes im Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz ist wesentlich auf die umfangreichen wissenschaftlichen Studien zur sexuellen Belästigung zurückzuführen, die seit den 1980er Jahren veröffentlicht wurden. Bereits 1987 belegte eine vom Europäischen Rat in Auftrag gegebene Untersuchung, die in den Mitgliedstaaten durchgeführt wurde, die Existenz und den hohen Verbreitungsgrad sexueller Belästigung (Rubenstein 1987). Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass „sexuelle Belästigung ein schwerwiegendes Problem für die arbeitenden Frauen in der Europäischen Gemeinschaft darstellt und ein Hindernis für die angemessene Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ist“ (Europäischer Rat 1991). Die daraufhin von der Sozialforschungsstelle Dortmund im Auftrag des Bundesfrauenministeriums durchgeführte empirische Untersuchung und andere bundesdeutsche Studien haben gezeigt, dass das EU-weit anerkannte Problem sexueller Schikanen auch an deutschen Arbeitsplätzen weit verbreitet ist (Holzbecher u.a. 1991; Schneble/Domsch 1991).
2. Was wird überhaupt unter sexueller Belästigung verstanden? Bei der Diskussion über sexuelle Belästigung erscheint meist die Definition und Abgrenzung das zentrale Problem. Sexuelle Belästigung meint nicht den „Flirt“ oder eine beidseitig gewollte „erotische“ Annäherung. Bei Grenzverletzungen geht es um etwas ganz anderes, nämlich um ein sexuell bestimmtes, einseitiges Verhalten, das von den Betroffenen nicht gewünscht wird und geeignet ist, sie als Person herabzuwürdigen. Sexuelle Belästigung kann sich in Worten, Handlungen oder Gesten ausdrücken. Auch Männer können betroffen sein. In der Regel sind die Opfer jedoch Frauen. Sexuelle Belästigungen stellen keine Ausnahmeerscheinungen dar: 72% von 4.200 der von Holzbecher u.a. (1991) befragten Frauen gaben an, am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein: x Jede Zweite der Befragten musste sich anzügliche Bemerkungen über ihre Figur und ihr Privatleben anhören. x Jede Dritte hat unerwünschte Einladungen mit eindeutiger Absicht erhalten, kennt Po-Kneifen bzw. Klapse oder pornographische Bilder am Arbeitsplatz. x Fast jeder vierten Frau ist schon mindestens einmal an die Brust gefasst worden. x 5% der betroffenen Frauen sind berufliche Nachteile angedroht worden, wenn sie sexuelle Handlungen verweigerten.
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x 3% der betroffenen Frauen wurden an ihrem Arbeitsplatz zu sexuellen Handlungen gezwungen. Unsere während der Seminartätigkeit zu diesem Thema gesammelten Erfahrungen lassen vermuten, dass sich nach Veröffentlichung dieser Studie und den daraus resultierenden Diskussionsprozessen einerseits ein größeres Unrechtsbewusstsein ausgebildet hat. Andererseits bewirkt die weiterhin angespannte Arbeitsmarktlage jedoch ein raues, durch Konkurrenz geprägtes Arbeitsklima, was wiederum das Vorkommen sexueller Grenzverletzungen begünstigt, so dass weiterhin ein Regelungs- und Handlungsbedarf besteht.
3. Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt Die Auswirkungen sexueller Belästigungen sind fatal: Betroffene fühlen sich seelisch und körperlich beeinträchtigt, angespannt und ausgeliefert. Dies kann zu typischen Stresssymptomen, Ängsten und Depressionen führen. Der Verlust des Arbeitsplatzes, der Abbruch der Karriere und Arbeitslosigkeit können Auswirkungen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sein. Sexualisierte und sexuelle Angriffe am Arbeitsplatz erweisen sich somit als Instrument, Frauen im Erwerbsleben einzuschränken, ihr Selbstbewusstsein und ihre Motivation zu untergraben, ihre Karrieren zu behindern und sie auf die unteren Plätze in der Hierarchie zu verweisen (vgl. Holzbecher u.a. 1991; Plogstedt/Degen 1992; Gerhart u.a. 1992). Sexuelle Belästigung ist für die Unternehmensführung von Relevanz. Eine diskriminierende Arbeitsatmosphäre beeinträchtigt das Betriebsklima. Motivationsverluste, höhere Krankenstände und steigende Fluktuationsraten können die Folgen sein. US-amerikanische Studien aus den 1980er und 1990er Jahren verweisen auf Kosten in Millionenhöhe (vgl. zusammenfassend Rastetter 1994, S. 185). Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen sehr deutlich, dass zwischen dem hohen Ausmaß der sexuellen Belästigung und der Unterstützung, die Betroffene in ihrem betrieblichem Umfeld erfahren, eine erhebliche Lücke klafft. Das Problem wird von den Betroffenen meist verschwiegen, von den Verursachern geleugnet und von den Vorgesetzten nicht wahrgenommen. Unserer Studie zufolge werden die Belästiger in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen: Nur 0,4% der Täter wurden entlassen. Aber 6% der belästigten Frauen haben ihren Arbeitsplatz infolge sexueller Belästigung gekündigt, 3% wurden auf einen – meist schlechteren – Arbeitsplatz versetzt, 2% erhielten schlechtere Zeugnisse (Holzbecher u.a. 1991). Wer sich gegen sexuelle Belästigung wehrt, läuft noch immer Gefahr, nicht ernst genommen zu werden und im Arbeitsumfeld auf Kritik und Ablehnung zu stoßen. Vielfach kommt es sogar zu einer Stigmatisierung der Belästigungsopfer, denen häufig die Schuld zugeschoben wird. Unterstellt wird, dass sie die Übergriffe durch Provokation selbst herbeigeführt oder harmlose Scherze oder Flirtversuche missverstanden haben. Auch in unseren Fortbildungen zeigt sich immer wieder, dass Frauen bei einer Themati-
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sierung auf massive Widerstände stoßen und z.B. als „humorlos“ und „prüde“ und somit als „Verursacherinnen“ des resultierenden Konfliktes abgestempelt werden. Belästigte werden oft in doppelter Hinsicht zum Opfer: zum einen durch die Belästigung selbst, zum anderen durch die negativen Konsequenzen, die sie erleben, wenn sie sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren versuchen. Die fehlende Unterstützung oder gar Stigmatisierung durch Vorgesetzte und Kolleg/inn/en führen dazu, dass Betroffene eher schweigen, als sich offensiv zu beschweren. Hier schließt sich ein fataler Kreislauf: Die fehlenden Beschwerden lassen in den Unternehmen den Eindruck entstehen, dass sexuelle Belästigung eine Ausnahmeerscheinung im betrieblichen Alltag ist. Somit ist die Dunkelziffer sehr hoch. Die Publikation der oben skizzierten Befunde bewirkte einen Sensibilisierungseffekt und damit verbunden eine Vielzahl von Aktivitäten. In vielen Organisationen des Öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft wurden Dienstanweisungen bzw. Betriebsvereinbarungen zur sexuellen Belästigung abgeschlossen (vgl. Honsa/Paasch 2004). Gleichwohl ist der betriebliche Umgang mit sexueller Belästigung weiterhin problematisch. Eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie, die die Rechtswirksamkeit des Beschäftigtenschutzgesetzes (s.u. 4.) und mögliche Probleme bei dessen Umsetzung untersucht hat, kam u.a. zu folgenden Ergebnissen: Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz vor sexueller Belästigung bestehen noch erhebliche Defizite. Beim Thema sexuelle Belästigung dominieren neben Geschlechtsrollenstereotypen weiterhin Abwehr und Unwissen. Die im Rahmen der Studie durchgeführte repräsentative Befragung in 1.000 Unternehmen ergab, dass das Gesetz nur unzureichend bekannt ist und auch – entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung – eine firmeninterne Aufklärung durch entsprechende Informationen ausbleibt. Auch fehlen in vielen Betrieben weiterhin Ansprechstellen und Beschwerdeverfahren (vgl. Pflüger u.a. 2002).
4. Die Rechtslage Der Schutz vor sexuellen Übergriffen ist in der Bundesrepublik im Strafrecht seit Jahrzehnten gesetzlich vorgeschrieben und modifiziert worden, und zwar als Sexualbeleidigungsdelikt (§ 185 StGB), als Körperverletzungsdelikt (§ 223 StGB) und als Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB). Strafrechtlich relevant sind darüber hinaus § 177 StGB (Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung), §§ 183 und 183a StGB (Exhibitionistische Handlungen) sowie § 184 StGB (Verbreitung pornographischer Schriften) (vgl. Degen/Geisweid 1997). Auch nach dem Arbeitsrecht sind sexuelle Belästigungen verboten. Der Arbeitgeber ist im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verantwortlich dafür, dass die Persönlichkeitsrechte auf sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (Art. 2 Grundgesetz) beachtet werden. Er ist verpflichtet, den Betriebsfrieden zu wahren und kann (sexuell) unerwünschtes verbales und körperliches Verhalten nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen sanktionieren. Nach § 618 BGB soll der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis so regeln, dass die Arbeitnehmer/innen vor Gefahr für Leib und Gesundheit geschützt sind. Dazu zählt auch die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der guten Sitten
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und des Anstands. Die Geschlechterdiskriminierung ist nach § 611a BGB a.F. und § 67 Abs.1 Bundespersonalvertretungsgesetz verboten. Trotz dieser bereits existierenden Rechtgrundlagen zeigte sich bei der Beschwerderegelung von sexuellen Grenzverletzungen eine deutliche Lücke. Abgesehen von den schwer zu erbringenden Beweisen gelten die meisten sexuellen Grenzverletzungen als nicht „schwerwiegend“ genug, um nachhaltige Sanktionen aussprechen zu können. Zudem konnte eine beschuldigte Person nur dann für ein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie sich des Unrechts der Handlung bewusst war. Angesichts der üblichen Problemleugnung halten die meisten Betroffenen eine Beschwerde für aussichtslos. Bei den „niederschwelligen“ sexuellen Belästigungen, die keine offensichtliche Gewaltanwendung erfordern, reichten die genannten rechtlichen Grundlagen somit zumeist nicht aus. Auf gesetzlicher Ebene ist daher in den letzten Jahren an einer kontinuierlichen Verbesserung der Beschwerdemöglichkeiten gearbeitet worden. Der Gesetzgeber hatte mit dem seit 1. September 1994 in Kraft getretenen „Beschäftigtenschutzgesetz“ erstmals explizit ein Regelungsbedürfnis für den Problembereich der sexuellen Belästigung – über die bereits bestehenden Schutzgesetze hinaus – deutlich gemacht. Das Gesetz gilt für alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst von Bund, Ländern und Gemeinden sowie in der freien Wirtschaft. Die arbeits- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen gegenüber den belästigenden Personen reichen von der Abmahnung über die Versetzung bis zur Kündigung. Aber auch hier gibt es in der Umsetzung noch Defizite (s.u. 3.). Im Runderlass des NRW-Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (IIB3-2382), der für die Landeseinrichtungen verpflichtend gilt, wurden die im Beschäftigtenschutzgesetz verankerten Regelungen seit August 2002 konkretisiert, z.B. die Führungsverantwortung der Vorgesetzten bei der Gestaltung des Arbeitsklimas betont und Beschwerdewege aufgezeigt. In einigen Bundesländern existieren schon seit längerer Zeit Regelungen zum Umgang mit sexueller Belästigung, die Bestandteil der jeweiligen Landesgleichstellungsgesetze, Frauenförderpläne o.Ä. sind (vgl. dazu Schiek u.a. 2002). Einen weiteren Grund für Arbeitgeber bzw. Dienstherren, sich aktiver gegen sexuelle Belästigung zu engagieren, stellt die am 1. August 2002 in Kraft getretene Zweite Änderung des Schadensersatzrechts dar. Kernpunkt dieser Vorschrift ist die Ausweitung der Ansprüche auf Schmerzensgeld. Die vorherige Regelung sah lediglich vor, dass vom Arbeitgeber nur dann Schmerzensgeld verlangt werden konnte, wenn ein schwerwiegendes Fehlverhalten von ihm selbst begangen wurde. Nunmehr besteht die Möglichkeit, auch dann Schmerzensgeld einzuklagen, wenn der Arbeitgeber Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung in seinem Unternehmen nicht verhindert bzw. nicht dagegen vorgeht. Auch Vertragsverletzungen des Arbeitgebers, wie z.B. Verletzung seiner Schutzpflichten, können jetzt erstmals Schmerzensgeldansprüche begründen. Zukünftig werden sich Unternehmen noch stärker mit der Problematik befassen müssen. In dem am 18.08.2006 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes zur Gleichbehandlung (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz [AGG]) sind mit Verzögerung einige der noch vorhandenen Lücken in der rechtlichen Verankerung geschlossen worden. Sexuelle Belästigung wird in § 3
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dieses Gesetzes definiert als Benachteiligung, „wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere, wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“. Neben einer Beweislasterleichterung (es genügen Indizien, die auf eine sexuelle Belästigung hinweisen) zielt das Gesetz auf eine umfassendere Schulung und Aufklärung ab. In § 12 heißt es dazu: „Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben“.
5. Prävention – ein wichtiger Schritt zum Abbau des Problems Die Probleme liegen also somit weniger im Mangel an formalen Handlungsmöglichkeiten – sondern vielmehr in der konkreten Anwendung und Umsetzung der bereits existierenden Regelungen in der betrieblichen Praxis (vgl. bereits Buhr/KleinSchonnefeld 1996). Die oben beschriebene Gesetzeslage verdeutlicht die Verantwortung des Arbeitgebers und einen daraus resultierenden Handlungszwang im Falle von sexueller Belästigung. Diese Regelungen gilt es zu nutzen, d.h. auf der betrieblichen Ebene umzusetzen und „mit Leben zu füllen“. Die im Folgenden vorgestellten Strategien basieren auf Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis. Sie haben sich als hilfreiches Instrument im Umgang mit sexueller Belästigung erwiesen und bieten Arbeitgebern bzw. dem Management Hilfestellung, um ihrer Verpflichtung und Verantwortung im Sinne des Gesetzes nachzukommen. Expert/inn/en sind sich darüber einig, dass sexueller Belästigung in erster Linie präventiv zu begegnen ist. Das Hauptziel sollte darin bestehen, Verhaltensweisen und Einstellungen zu verändern und möglichst sicherzustellen, dass sexuelle Belästigungen überhaupt nicht vorkommen (vgl. z.B. Holzbecher u.a. 1991; Sadrozinski 1993). Um eine Arbeitsatmosphäre und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die allen Beschäftigten gerecht werden, ist es notwendig, Maßnahmen zu entwickeln, die von möglichst allen Organisationsmitgliedern mitgetragen werden (vgl. Buhr/Klein-Schonnefeld 1996). Dazu ist eine Aufklärung der betrieblichen Öffentlichkeit erforderlich. Als Maßnahmen, die diesem Ziel dienen, bieten sich an: x Verdeutlichung des Ausmaßes, Aufzeigen negativer betriebswirtschaftlicher Konsequenzen (vermuteter hoher Krankenstand, Ausfall-/Fehlzeiten, demotivierte Mitarbeiter, Verschlechterung des Betriebsklimas), 370
x Thematisierung von tradierten Denkgewohnheiten und Vorurteilen, die eine Abwehr und Verharmlosung des Themas bewirken, x Befassen mit dem Problem auf Personal-/Betriebsversammlungen, x Informationen zum Thema in Firmenzeitschriften, durch Aushänge, Rundschreiben, Faltblätter, Broschüren usw. Ein wesentliches Element der Prävention ist eine eindeutige Position des Arbeitgebers. Dazu ist eine eindeutige Philosophie und Politik der in der Organisation Handelnden erforderlich. Voraussetzungen dafür sind wiederum Sensibilität und Taktgefühl sowie ein klarer Wille, die Problematik offen zu diskutieren. Im Rahmen einer solchen Politik ist x ein klares Beschwerdesystem zu installieren, das sowohl formelle Wege vorgibt als auch Möglichkeiten offen lässt, in bestimmten Situationen informelle Wege zu wählen, x professionelle Hilfestellung seitens des Arbeitgebers bereitzustellen, d.h. für Belästigungsopfer speziell geschulte Ansprech- oder Kontaktpersonen zu benennen oder Beratungsstellen mit adäquat qualifiziertem Personal einzurichten, x die Problematik in Schulungen für alle Organisationsmitglieder, aber vor allem für Personalverantwortliche, Betriebs- und Personalratsmitglieder und Personen mit Ausbildungsfunktion zu behandeln (vgl. bereits Meschkutat u.a. 1993). Insbesondere Fortbildungsangebote, in denen Vorgesetzte und potenzielle Ansprechpersonen sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen und u.a. ihre Beratungs- und Konfliktlösungskompetenz überprüfen können, haben sich als erfolgreiche Maßnahmen erwiesen, um eine dauerhafte Klimaveränderung einzuleiten. Als geeignete Strategie hat sich beispielsweise bewährt, die Schulungen für Vorgesetzte als verpflichtenden Baustein zur Stärkung der sozialen Kompetenz in die bestehenden Fortbildungskonzepte zu integrieren. Auf Grund des unzureichend ausgeprägten Problembewusstseins und der oftmals hohen Arbeitsauslastung werden Seminarangebote eher angenommen, wenn eine Teilnahme von der Unternehmensleitung ausdrücklich erwünscht ist. Es empfiehlt sich daher, Maßnahmen und Verfahrensweisen zum Umgang mit sexueller Belästigung (evtl. im Zusammenhang mit Mobbing; vgl. dazu den folgenden Beitrag von Meschkutat und Stackelbeck) in eine betriebliche Gesamtstrategie einzubetten und formal zu regeln, z.B. durch den Abschluss von Dienst oder Betriebsvereinbarungen. Dies schafft – gegenüber einzelnen Maßnahmen – mehr Transparenz und bietet praktikablere Durchsetzungsmöglichkeiten als verbale Willensbekundungen und Absichtserklärungen.
Literatur Buhr, Kornelia/Klein-Schonnefeld, Sabine (1996): Kommentierung des Beschäftigtenschutzgesetzes und ähnlicher Vorschriften in Landesgesetzen, in: Schiek, Dagmar/
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Dieball, Heike/Horstkötter, Inge/Seidel, Lore/Vieten, Ulrike M./Wankel, Sibylle: Frauengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder, Köln, S. 861-957. Degen, Barbara/Geisweid, Heike (1997): Rechtsratgeber Frauen im Beruf, Reinbek bei Hamburg. Europäischer Rat (1991): Entschließung zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, abgedruckt in: STREIT (Feministische Rechtszeitschrift), 9. Jg., Heft 4, S. 147. Gerhart, Ulrike/Heiliger, Anita/Stehr, Anette (Hg.) (1992): Tatort Arbeitsplatz. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, München. Honsa, Hans-Jürgen/Paasch, Ernst-Günther (2004): Mobbing und sexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst: Ursachen – Auswirkungen – Bekämpfungsstrategien, Berlin. Holzbecher, Monika/Braszeit, Anne/Müller, Ursula/Plogstedt, Sibylle (1991): Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Bd. 260), Stuttgart. Meschkutat, Bärbel/Holzbecher, Monika/Richter, Gudrun (1993): Strategien gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Konzeption – Materialien – Handlungshilfen, Köln. Pflüger, Almut/Baer, Susanne/Schlick, Gabriele/Büchs, Milena/Kalender, Ute (2002): Beschäftigtenschutzgesetz in der Praxis, München/Berlin. Plogstedt, Sibylle/Degen, Barbara (1992): Nein heißt nein! DGB-Ratgeber gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, München. Rastetter, Daniela (1994): Sexualität und Herrschaft in Organisationen. Eine geschlechtervergleichende Analyse, Opladen. Rubenstein, Michael (1987): The Dignity of Women at Work. A Report on the Problem of Sexual Harassment in the Member States of the European Communities, Brüssel. Sadrozinski, Renate (Hg.) (1993): Grenzverletzungen – sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag, Frankfurt a.M. Schiek, Dagmar/Dieball, Heike/Horstkötter, Inge/Seidel, Lore/Vieten, Ulrike M./Wankel, Sibylle (2002): Frauengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder. Kommentar für die Praxis zum Bundesgleichstellungsgesetz und zu den Gleichstellungsgesetzen, Gleichberechtigungsgesetzen und Frauenfördergesetzen der Länder, 2., überarb. und aktualisierte Aufl., Frankfurt a.M. Schneble, Andrea/Domsch, Michael E. (1990): Sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. Eine Bestandsaufnahme zur Problematik – bezogen auf den Hamburger Öffentlichen Dienst, München/Mering.
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Bärbel Meschkutat und Martina Stackelbeck
Der Mobbing-Report: Relevante Ergebnisse und Gestaltungsempfehlungen 1. Einleitung 2. Von Gemobbten und Mobbenden 3. Mobbinghandlungen und -folgen 4. Ursachen von Mobbing 5. Empfehlungen Literatur
Bärbel Meschkutat, Dipl.-Pädagogin, Supervisorin, wissenschaftliche Angestellte der Sozialforschungsstelle, Zentralwissenschaftliche Einrichtung der Universität Dortmund. E-Mail:
[email protected] Martina Stackelbeck, Dipl. Volkswirtin, wissenschaftliche Angestellte der Sozialforschungsstelle Zentralwissenschaftliche Einrichtung der Universität Dortmund. E-Mail:
[email protected] 373
1. Einleitung Konflikte, Auseinandersetzungen und Streit am Arbeitsplatz werden von Beschäftigten wie Führungskräften als unliebsam und sogar lästig empfunden. Angesichts steigender Arbeitsintensität und Zeitdruck gelten sie als Störfaktoren des betrieblichen Ablaufs bzw. des Betriebsklimas. Sie kosten Zeit, Energie und Nerven. Die Folge ist eine Neigung zum „Ignorieren und Aussitzen“. Die Bereitschaft zu frühzeitigem, aktivem Konfliktmanagement existiert dagegen selten. Diese defensive Haltung verstärkt sich, wenn ein Mobbingvorwurf geäußert wird. In der Mehrzahl der Betriebe fehlt es an Hintergrundwissen, Kompetenzen und Erfahrungen im Umgang mit Mobbing. Daraus resultierende Unsicherheiten verstärken die ohnehin vorhandene Tendenz, Konfliktfälle nicht offensiv zu bearbeiten: Der potenzielle „Mobbingfall“ wird verdrängt und tabuisiert. Eine adäquate Umgangsweise mit Mobbing setzt voraus, dass weder verharmlost noch überdramatisiert wird. Voraussetzung dafür ist eine präzise Kenntnis des Phänomens. Im Folgenden werden – unter besonderer Berücksichtigung des Geschlechts – ausgewählte Daten und Fakten zu Ausmaß, Folgen und Ursachen von Mobbing am Arbeitsplatz vorgestellt, die einen Beitrag zur Sensibilisierung von Führungskräften darstellen sollen. Sie basieren auf den Ergebnissen der ersten bundesweiten Repräsentativstudie, veröffentlicht als Mobbing-Report (Meschkutat/Stackelbeck/Langenhoff 2002).
2. Von Gemobbten und Mobbenden Der Begriff Mobbing stammt aus dem Englischen und bedeutet sinngemäß anpöbeln, bedrängen, attackieren. Festzustellen ist, dass oftmals eine unangemessene Verwendung des Begriffs stattfindet. Kleine Reibereien, Sticheleien oder Kritik an der Arbeit werden vorschnell als Mobbing bezeichnet. Dies ist für die Betroffenen zwar ärgerlich oder unangenehm, dabei handelt es sich jedoch nicht um Mobbing. Mobbing ist ein Angriff auf die Würde und den Respekt eines Individuums. Es beinhaltet, dass eine bestimmte Person regelmäßig, systematisch und über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert und ausgegrenzt wird. Diese Feindseligkeiten und Attacken können von Einzelpersonen, aber auch von Gruppen ausgehen. Dem Mobbing-Report (ebd., S. 23ff) zufolge waren zum Zeitpunkt der Untersuchung insgesamt 2,7% der Erwerbstätigen von Mobbing betroffen, darunter beide Geschlechter, Angehörige jeder Alters- oder Berufsgruppe, alle Branchen und Betriebsgrößenklassen, Statusgruppen oder Tätigkeitsniveaus. Es gibt also keine Personengruppen oder Bereiche, die verschont bleiben. Allerdings existieren Konstellationen persönlicher und struktureller Rahmenbedingungen, mit denen eine erhöhte Mobbinggefährdung verbunden ist: Die Quote von Frauen liegt mit 3,5% deutlich über der von Männern (2,0%). Das heißt: Frauen haben ein um 75% höheres Mobbingrisiko. In Bezug auf das gesamte Erwerbsleben relativiert sich der Unterschied der Quote: 12,9% der Frauen und 9,6% der Männer sind einmal oder mehrmals in ihrem Erwerbsleben gemobbt worden. Damit zeigt sich für Frauen im erwerbsfähigen Alter ein um 34% höheres Gesamtrisiko. Für die Differenz zwischen der aktuellen und der langfristigen Mobbingquote von Frauen
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sind insbesondere ihre diskontinuierlichen Beschäftigungsverläufe verantwortlich (ebd., S. 26f). Wie es zu dem erhöhten Risiko von Frauen kommt, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Sowohl eine höhere Dunkelziffer bei der Betroffenheit von Männern als auch eine real höhere Betroffenheit von Frauen können ursächlich dafür sein: Unsere Hypothese zur vermuteten Dunkelziffer bei Männern lautet, dass es nicht mit ihrem Selbstbild zu vereinbaren ist, als Betroffener von Mobbing in eine Opfer- bzw. Verliererrolle zu geraten. Sich dies selbst einzugestehen, fällt Männern sozialisationsbedingt eher schwer. Die inneren Widerstände erhöhen sich, wenn sie sich gegenüber anderen – in diesem Fall den Interviewer/inne/n der Studie – mitteilen sollen und reduzieren die Auskunftsbereitschaft. Gründe für die real höhere Betroffenheit von Frauen können in der geschlechtshierarchischen Arbeitsrealität liegen. Einfluss haben beispielsweise auch die weniger etablierte Stellung von Frauen in Organisationen, die hohe Anzahl gering abgesicherter Arbeitsverhältnisse und ihre Absenz in Führungspositionen. Zudem zeigt sich bei Berufsgruppen mit hohem Mobbingrisiko (z.B. Mitarbeiter/innen in sozialen Berufen, Verkaufspersonal und Fachleuten aus Banken und Versicherungen) ein hoher Frauenanteil (ebd., S. 30f). Welcher Faktor hier Ursache, welcher Wirkung ist, lässt sich nicht abschließend beantworten. Systematische Feindseligkeiten können potenziell von allen Hierarchieebenen ausgehen (vgl. ebd., S. 64ff): In 38,2% der Fälle wird Mobbing ausschließlich von Vorgesetzten betrieben. In weiteren 12,8% mobben die Vorgesetzten gemeinsam mit anderen Kolleg/inn/en. Insgesamt findet also in etwas mehr als der Hälfte der Fälle Mobbing unter Vorgesetztenbeteiligung statt. Mobbing durch Kolleg/inn/en geht in 22,3% der Fälle von einer Einzelperson und in 20,1% von einer Gruppe aus. Werden hierzu die Mobbingfälle addiert, in denen Kolleg/inn/en und Vorgesetzte gemeinsam mobben, resultiert eine Quote von 55,2%. Die Quote von Mobbing mit Kolleg/inn/en-Beteiligung liegt damit nur gering über der mit Vorgesetztenbeteiligung. Damit sind die Vorgesetzten unter den Mobbern überrepräsentiert. Mobbing „von unten nach oben“ kommt eher selten vor: In nur 2,3% der Fälle gaben die Befragten an, von einer Person gemobbt worden zu sein, die auf einer niedrigeren Hierarchieebene beschäftigt ist. Nun zu den Geschlechterverhältnissen: Männer sind in höherem Maße von Vorgesetztenmobbing betroffen, Frauen hingegen mehr von Mobbing durch einen einzelnen Kollegen bzw. eine einzelne Kollegin (ebd., S. 69). Männer werden zu 18,3% von Frauen und zu 81,7% von Männern gemobbt. Für sie ist das Risiko, von einem männlichen Mobber attackiert zu werden, somit annähernd fünfmal so groß als das, von einer Frau gemobbt zu werden. Frauen werden zu 57,1% von Frauen und zu 42,9% von Männern gemobbt. Für sie ist die Wahrscheinlichkeit demnach etwas höher, von einer Mobberin angegriffen zu werden als von einem Mobber. Dies bedeutet: Männer sind insbesondere durch Männer gefährdet, Frauen hingegen durch Frauen und Männer (ebd., S. 68f).
3. Mobbinghandlungen und -folgen Das Spektrum an Mobbinghandlungen ist breit. Beispiele sind das Verbreiten von Gerüchten und Unwahrheiten oder die Zuschreibung von Unfähigkeit. Beide Geschlechter 375
sind davon in etwa gleichem Maße betroffen. Mobbinghandlungen im sozialen Kontext wie Ausgrenzung und Isolierung, Beleidigungen, Sticheleien und Hänseleien erleben überproportional häufig Frauen, denn diese Formen üben insbesondere Kolleg/inn/en aus. Mit Mobbinghandlungen im fachlichen Kontext, z.B. ungerechte Kritik an der Arbeit und Arbeitsentzug, Zweifel an der Leistungsfähigkeit und Verweigerung fachlicher Anerkennung, werden überwiegend Männer konfrontiert, denn diese Varianten praktizieren überwiegend Vorgesetzte (ebd., S. 39ff). Die Massivität von Mobbing – die Häufigkeit der Attacken und die Dauer des Prozesses – ist für die Betroffenen von zentraler Bedeutung. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen werden im Vergleich zu Männern intensiver mit Mobbinghandlungen konfrontiert: Knapp zwei Drittel der weiblichen, aber weniger als die Hälfte der männlichen Gemobbten sind jeden Tag bzw. mehrmals in der Woche feindseligen Handlungen ausgesetzt. Bei der Dauer der Mobbingprozesse zeigen sich hingegen keine Geschlechterdifferenzen (ebd., S. 59f). Mobbing hat sowohl individuelle als auch betriebliche Folgen. Nahezu alle Betroffenen (98,7%) berichten von negativen Veränderungen ihres Arbeits- und Leistungsverhaltens. Sie sind demotiviert, nervös und verunsichert, ziehen sich zurück oder kündigen innerlich. Es kommt zu Leistungs- und Denkblockaden, Konzentrationsproblemen, vermehrter Fehlerhäufigkeit und Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten. Geschlechterdifferenzen sind hier nicht erkennbar (ebd., S. 77). Signifikante Auffälligkeiten zeigen sich jedoch bei den krankheitsbedingten Fehlzeiten. Zwar werden Frauen wie auch Männer durch Mobbing krank, der Anteil der Frauen ist jedoch weitaus höher: Von den weiblichen Mobbingbetroffenen fehlt ca. jede zweite krankheitsbedingt, von den männlichen ca. jeder dritte. Auffällig ist zudem, dass Frauen mehr als doppelt so häufig wie Männer freiwillig den Arbeitsplatz im Betrieb wechseln oder kündigen, um den Attacken zu entkommen. Eine Ausnahme stellen „Erwerbsunfähigkeit oder Frührente“ und „zwangsweise Versetzung“ dar: Hier sind die Quoten der männlichen Gemobbten etwa doppelt so hoch wie die der weiblichen (ebd., S. 81f). Frauen entziehen sich demnach deutlich häufiger als Männer der belastenden Arbeitssituation, sei es aktiv, z.B. durch eigene Kündigung, oder passiv, z.B. durch Krankheit. Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass Frauen weniger belastbar sind als Männer. Zu vermuten ist vielmehr, dass männliche Mobbingbetroffene sich am tradierten Ideal des Belastbaren und Durchsetzungsstarken orientieren. Dies bewirkt, dass sie die Mobbingsituation am Arbeitsplatz länger ertragen (wollen) und durchhalten „bis zum Umfallen“. Davon zeugt auch die hohe Männerquote bei „Erwerbsunfähigkeit oder Frührente“. Darüber hinaus stellt für viele Männer eine freiwillige Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keine Lösung dar, wenn ihr Anteil am Familieneinkommen unverzichtbar ist. Auch Reaktionen der Arbeitgeber, wie z.B. die Entlassung von Mobbingbetroffenen, orientieren sich an diesem Leitbild: Gemobbte Männer werden seltener gekündigt als gemobbte Frauen.
4. Ursachen von Mobbing Die Auslöser oder Ursachen von Mobbing sind nicht leicht aufzuspüren, denn die Arbeitswelt ist ein komplexes Geflecht aus persönlichen Beziehungen und institutionellen
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Rahmenbedingungen. Die Entwicklung eines Mobbingprozesses ist abhängig von der Persönlichkeit der involvierten Parteien, der personellen Zusammensetzung in Teams, dem Führungsstil der Vorgesetzten und der Organisation der einzelnen Abteilungen oder des Gesamtunternehmens. Von Bedeutung hierbei sind z.B. die Handlungsspielräume der Beschäftigten, die Art und Weise des Informationsflusses, Kompetenzverteilungen, Kooperationserfordernisse. Auch die konjunkturelle Entwicklung in der jeweiligen Branche übt Einfluss aus. Übergreifend fördern die angespannte Arbeitsmarktsituation gekoppelt mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust sowie zunehmender Stress und Leistungsdruck ein Klima, in dem sich Spannungen verstärken. In der Regel sind es mehrere dieser Faktoren, die den Mobbingprozess auslösen und seine Entwicklung beeinflussen. Es ist möglich, dass ein und derselbe Konflikt unter günstigen Bedingungen schnell gelöst werden kann, wohingegen er unter ungünstigen Bedingungen zu Mobbing eskaliert. Um herauszufinden, welche betrieblichen Rahmenbedingungen Mobbing begünstigend sind, haben wir auch nach der betrieblichen Situation zum Zeitpunkt des Mobbing gefragt (vgl. ebd., S. 123ff): An erster Stelle steht ein schlechtes Arbeitsklima (65,3%). Ebenso haben Defizite im Führungsverhalten erheblichen Einfluss auf Entstehung und Entwicklung von Mobbingprozessen: An zweiter Stelle folgt die mangelnde Gesprächsbereitschaft von Vorgesetzten (60,9%). Intransparente Entscheidungen (50,3%) vernachlässigen die Wünsche und Interessen der Beschäftigten nach Information und Beteiligung und sind somit oftmals Auslöser von Unzufriedenheiten – einem Nährboden von Mobbing. Auch mangelt es Vorgesetzten an Kompetenz in Konfliktmanagement (42,2%). Resultat ist z.B., dass Notwendigkeiten zur Intervention nicht gesehen werden. Eine Folge dessen ist, dass Spannungen unter Mitarbeiter/inne/n in die Privatsphäre verwiesen werden. Dabei übersehen Vorgesetzte, dass zwischenmenschliche Konflikte häufig nicht nur auf individuelle Probleme der Beteiligten reduziert werden können. Auch Unklarheiten in der Arbeitsorganisation bzw. unklare Verantwortungsbereiche (55,0%) befördern Mobbing. Sie führen zu vermehrten Missverständnissen, erlauben das Negieren von Verantwortung sowie das Abwälzen von Fehlern und Schuldzuweisungen auf andere Beschäftigte. Das heißt, sie machen viele Mobbinghandlungen erst möglich. Neben strukturellen Schwachstellen und Defiziten im Führungsverhalten sind auch personen- und leistungsbezogene Faktoren Auslöser für das Entstehen von Mobbing (ebd., S. 113ff). So gaben die Befragten z.B. an, gemobbt worden zu sein, weil sie unerwünscht Kritik geäußert haben (60,1%), als Konkurrenz empfunden wurden (58,9%), die Mobbenden neidisch auf sie waren (39,7%) oder es Spannungen zwischen ihnen und ihren Vorgesetzten gegeben hat (39,4%). Als Gründe genannt wurden auch ihre vermeintlich starke (37,3%) bzw. schwache (23,3%) Leistung(sfähigkeit) oder ihr von der Norm abweichender Arbeitsstil (28,5%). Deutlich seltener angeführt wurden die Geschlechtszugehörigkeit (12,5%), die Nationalität (3,8%) und die sexuelle Orientierung (2,2%). Bei einer geschlechterdifferenzierten Betrachtung ist auffällig, dass Konkurrenz als Mobbingauslöser von fast zwei Drittel der Frauen, aber nur gut der Hälfte der Männer genannt wird. Gravierende Unterschiede zeigen sich zudem bei der Frage, ob die Geschlechtszugehörigkeit mit eine Ursache für das Mobbing war. Frauen vermuten mehr 377
als drei Mal so häufig wie Männer, dass ihr Geschlecht von zentraler Bedeutung für das Mobbing war. Demgegenüber werden Spannungen in der Arbeitsbeziehung zum Vorgesetzten von signifikant mehr Männern (ca. jeder zweite) als Frauen (ca. jede dritte) als Mobbingmotiv angeführt. Auch bei „Abweichungen des Arbeitsstils“ und „angeblich unzureichende Leistung“ überwiegen die Quoten der männlichen Betroffenen. Vieles spricht dafür, dass Rahmenbedingungen einer Organisation wie z.B. Arbeitsstrukturen, Kultur und Führungsverhalten bei der Entstehung von Mobbing eine höhere Bedeutung haben, als vermeintlich in der Person der Betroffenen liegende Defizite. So gab es in annähernd zwei Drittel der Betriebe, aus denen die im Mobbing-Report Befragten kamen, bereits vorher und in drei von fünf Fällen zeitgleich weitere Mobbingfälle.
5. Empfehlungen Der hohe individuelle Schaden sollte für Arbeitgeber bzw. Führungskräfte bereits Grund genug sein, aktiv gegen Mobbing vorzugehen. Hinzu kommen die Kosten, die den Betrieben entstehen: durch krankheitsbedingte Ausfälle, Qualitäts- und Produktivitätsrückgänge, Produktionsstörungen, Versetzungen, Aushilfskräfte, Kündigungen, Neueinstellungen und Einarbeitungen. Handlungsbedarf ergibt sich darüber hinaus aufgrund gesetzlicher – u.a. rechtlicher – Regelungen (vgl. dazu auch: Esser/Wolmerath 1998; Wolmerath 2001; Honsa/Paasch 2004; Heidenreich 2007): x Kernpunkt der am 01.08.2002 in Kraft getretenen Zweiten Änderung des Schadensersatzrechtes ist die Ausweitung der Ansprüche auf Schmerzensgeld bei Schädigungen der Gesundheit. Wurden zuvor Schmerzensgeldansprüche vom Arbeitgeber nur zugestanden, wenn von ihm selbst ein schwerwiegendes Fehlverhalten, wie z.B. Mobbing, ausging, besteht seither ein Recht auf Schmerzensgeld auch dann, wenn der Arbeitgeber Mobbing durch andere nicht verhindert (www.bma.de). x Das am 18.08.2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet in § 3 nicht nur sexuelle Belästigung (vgl. dazu Meschkutat/Holzbecher in diesem Band), sondern auch Belästigung als Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Identität, der ethnischen Herkunft, einer Behinderung u.a., definiert als „unerwünschte Verhaltensweisen, die (…) bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“. Neben einer Beweislasterleichterung zielt das Gesetz auf eine umfassendere Schulung und Aufklärung ab. In § 12 heißt es dazu: „Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben“. Mobbing wird sich vermutlich nie ganz vermeiden lassen. Aber: Die betrieblichen Rahmenbedingungen sind so gestaltbar, dass das Vorkommen minimiert werden kann. Eine große Chance, Mobbing zu reduzieren, liegt in der Prävention, also der Vorsorge, Ver378
hütung, Vorbeugung oder Risikominimierung (vgl. dazu auch den Beitrag von Gröben in diesem Band). Für originäre Präventionsmaßnahmen bieten sich die Reduzierung der Mobbing begünstigenden betrieblichen Faktoren, Sensibilisierung und Aufklärung über die Problematik sowie der institutionalisierte Umgang mit Mobbing an. Nahe liegend ist, dass Maßnahmen, die auf der betrieblichen Ebene präventiv wirken sollen, an den Punkten ansetzen müssen, die sich als Mobbing begünstigend herausgestellt haben. Dies bedeutet: Schaffen klarer arbeitsorganisatorischer Strukturen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten, offensive Information und beteiligungsorientierte Gestaltung von Planungs- und Entscheidungsprozessen, Transparenz von Entscheidungen. Festgestellte Schwachstellen im Führungsverhalten können durch Schulungen zur Mitarbeiterführung, Motivation, Kommunikation und Kooperation sowie Konfliktmanagement bearbeitet werden. Der zweite Regelungsbereich umfasst das Thema Sensibilisierung und Aufklärung. Hierdurch soll erreicht werden, dass sich Verhaltensweisen und Einstellungen verändern. Gefordert sind die Unternehmensleitung, ebenso die Vorgesetzten und Personalbzw. Betriebsräte, nicht zuletzt aber auch jede einzelne Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter. Um das Thema Mobbing in der betrieblichen Öffentlichkeit zu verankern und Diskussionsprozesse anzuregen, bieten sich Informationen im Rahmen von Betriebs-/ Personalversammlungen, in Firmenzeitschriften, als Aushänge etc. an. Auch Schulungen der betrieblichen Akteure, insbesondere der Vorgesetzten und der Interessenvertretung tragen zur Sensibilisierung und zu einem besseren Umgang mit dem Problem bei. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorbildfunktion der Vorgesetzten: Eindeutige Stellungnahmen, dass Mobbing kein adäquates Mittel im Umgang mit Konflikten ist und von ihrer Seite nicht toleriert wird, haben prägenden Einfluss auf das Verhalten der Beschäftigten. Darüber hinaus wird das Thema aufgewertet, wenn spezielle Arbeitskreise, die sich mit Mobbing befassen, eingerichtet werden. Eine konkrete Aktion von Seiten der Betriebsleitung stellt die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen dar. Hierbei können – neben anderen Themen, wie z.B. zur Arbeitszufriedenheit oder zu Arbeitszeitwünschen – Fragen zu Mobbing Bestandteil sein. In der betrieblichen Praxis hat sich gezeigt, dass Mobbing im Zusammenhang mit übergreifenden Themen bearbeitet werden kann. Da es zum Kontext des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes zählt, kann es z.B. in Gesundheitszirkeln aufgegriffen werden. Auch bei der Gestaltung von Leitbildern oder Grundsätzen der Zusammenarbeit kann ein besonderer Fokus auf Regelungen zum fairen Umgang gelegt werden. Der dritte Regelungsbereich umfasst Instrumente, die den Umgang mit Mobbing im konkreten Fall festlegen, aber gleichzeitig auch eine präventive Wirkung haben. Hierzu zählen z.B. der Abschluss von Betriebs- oder Dienstvereinbarungen gegen Diskriminierung oder speziell gegen Mobbing, die Entwicklung von Schlichtungsmodellen für konkrete Mobbingfälle oder das Installieren eines klaren Beschwerdeweges für Betroffene. Auch für Führungskräfte, die in ihrem Verantwortungsbereich einen Mobbingfall vermuten oder erkennen, ist eine Unterstützungsstruktur hilfreich, die ihnen Sicherheit für ein problemadäquates Handeln bietet. Hierzu zählen etwa betriebliche Ansprechpersonen, die Rat im Umgang mit Mobbingfällen geben können sowie klare Verfahrenswege zur Behandlung des Falls. Als Angebot für Betroffene bietet sich professio-
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nelle Hilfe durch interne Mobbingbeauftragte oder – in größeren Betrieben – durch interne Mobbingberatungsstellen an. Diese institutionalisierten Anlaufstellen müssen mit adäquat ausgebildeten Ansprechpersonen besetzt sein. Auch externe Unterstützung durch Supervision und Mediation dienen der Prävention bzw. der Lösung akuter Konfliktfälle.
Literatur Esser, Axel/Wolmerath, Martin (1998): Mobbing – Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung, Frankfurt a.M. Esser, Axel/Wolmerath, Martin/Niedl, Klaus (1999): Mobbing – Der Ratgeber für Betroffene, Frankfurt a.M. Heidenreich, Jürgen (2007): Kostenfaktor Mobbing – wie Manager Ursachen erkennen und erfolgreich vorbeugen, Weinheim. Honsa, Hans-Jürgen/Paasch, Ernst-Günther (2004): Mobbing und sexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst – Ursachen – Auswirkungen – Bekämpfungsstrategien, Berlin. Holzbecher, Monika/Meschkutat, Bärbel (1998): Mobbing am Arbeitsplatz – Informationen, Handlungsstrategien, Schulungsmaterialien (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin, Sonderschrift S 49), Bremerhaven. Kollmer, Norbert (2003): Mobbing im Arbeitsverhältnis, Heidelberg. Meschkutat, Bärbel/Stackelbeck, Martina/Langenhoff, Georg (2002): Der MobbingReport. Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin, Forschung Fb 951), Bremerhaven. von Eisenhart Rothe, Beate/Böcker, Thomas (Hg.) (2003): Wenn plötzlich die Chemie nicht mehr stimmt … – Mobbing als heimlicher Kostenfaktor, Eschborn. Wolmerath, Martin (2000): Mobbing – Fallbeispiele, Rechtsfolgen, Lösungsansätze, Kissing. Wolmerath, Martin (2001): Mobbing im Betrieb – Rechtsansprüche und deren Durchsetzbarkeit, Baden-Baden. Zapf, Dieter (2004): Mobbing in Organisationen – Wissenschaftliche und konzeptionelle Grundlagen, in: Schwickerath, Josef/Carls, Winfried/Zielke, Manfred/Hackhausen, Winfried (Hg.): Mobbing am Arbeitsplatz – Grundlagen, Beratungs- und Behandlungskonzepte, Lengerich, S. 11-35.
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Sabine Gröben
Praxisbeispiel DB GesundheitsService GmbH: Konfliktmanagement als Mobbingprävention Die Arbeitswelt entwickelt sich in immer rasanterem Tempo weiter. Neue Technologien, Organisationsstrukturen und Produktionsprozesse fordern Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Führungskräfte in hohem Maße. Insbesondere in Phasen der Neustrukturierung greifen eingespielte Verhaltensmuster nicht mehr, häufig müssen Spielregeln des Umgangs neu miteinander verhandelt werden. Gerade dann ist es wichtig, die fast zwangsläufig auftretenden Konflikte konstruktiv und offen anzugehen. Klare Führung und ein offener Umgang mit Konflikten sind wichtige Voraussetzungen dafür, Mobbing gar nicht erst entstehen zu lassen. Die DB GesundheitsService GmbH unterstützt Unternehmen durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen sowohl bei der Prävention als auch bei der Intervention.
1. Die Ausgangslage Die Ergebnisse der ersten deutschen repräsentativen Studie zu Mobbing, des MobbingReports (vgl. Meschkutat u.a. 2002 sowie den Beitrag von Meschkutat/Stackelbeck in diesem Band), verdeutlichen leider, dass Mobbing in der heutigen Arbeitswelt ein sehr aktuelles und auch dringliches Thema ist. Die Ursachen von Mobbing sind vielfältig und je nach Fall verschieden und einzigartig. Häufig handelt es sich dabei um ein komplexes Geflecht aus institutionellen Rahmenbedingungen und individuellen Beziehungen. Neben zunehmendem Konkurrenz- und Leistungsdruck sowie Defiziten in der Arbeitsorganisation, wie z.B. ungeklärten Zuständigkeiten, Überforderung oder Stress, können auch Defizite im Führungsstil Mobbing begünstigen. Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte unter Kollegen oder zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten gehören zum Arbeitsleben und können allein noch nicht als Mobbing bezeichnet werden. Probleme oder unterschiedliche Interessenslagen müssen gegeneinandergestellt werden. Eine dauerhaft aggressive Ansprache, ein barscher Umgangston, Gerede oder Gerüchte sind allerdings oft genug Anzeichen eines schlechten Betriebsklimas, unter denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leiden und krank werden Sabine Gröben, Bereichsleiterin Psychologie und Soziales, DB GesundheitsService GmbH, Frankfurt a.M. E-Mail:
[email protected] Dieser Beitrag wurde unverändert aus der 4. Auflage übernommen.
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können. Unter solch ungünstigen Bedingungen sind Menschen häufig nicht mehr in der Lage, adäquat mit Konflikten umzugehen und die Situation konstruktiv zu lösen, sodass sie ihrerseits zur „Lösung“ des Konflikts auf unfaire Mittel und Schikanen zurückgreifen. Dies kann zu Verhärtungen und Eskalationen führen, sodass eine Lösung kaum noch möglich erscheint. Um tatsächlich von Mobbing sprechen zu können, müssen mehrere der folgenden beispielhaft aufgeführten Kriterien zusammenkommen und über einen längeren Zeitraum systematisch auftreten: x Eine Person wird vom Team ausgegrenzt und isoliert, x er oder sie wird für die Probleme im Team verantwortlich gemacht, x persönliche Grenzen werden verletzt, x es wird „kein gutes Haar“ an dem Betroffenen gelassen, x wichtige Informationen werden vorenthalten, x Arbeitsergebnisse werden manipuliert. Da Mobbing sowohl gravierende gesundheitliche Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer als auch enorme finanzielle Einbußen für das betroffene Unternehmen zur Folge haben kann (vgl. Leymann 1993), haben sich mittlerweile viele Unternehmen dazu entschlossen, Mobbing vorzubeugen und im akuten Fall von Mobbing schnell und gezielt einzugreifen. Auch die frühzeitige Bearbeitung von Konflikten spielt dabei eine zunehmende Rolle. Die Auflösung und Beseitigung von Konflikten erfordert in der Regel ebenso viel Energie und Zeit wie deren Entwicklung. Daher ist ein frühzeitiger, konstruktiver Umgang mit Konflikten bzw. deren Vorbeugung nicht zuletzt auch ein wesentlicher wirtschaftlicher Aspekt (vgl. Steinmetz 2001). Der Bereich Psychologie und Soziales der DB GesundheitsService GmbH hat aufgrund dieser Erkenntnisse zahlreiche Angebote und Konzepte entwickelt, die Unternehmen bei einem erfolgreichen Umgang mit Konflikten – vom Alltagskonflikt bis hin zu eskalierenden Mobbing-Prozessen – unterstützen (vgl. dazu Redlich 1997; Redlich/Elling 2000).
2. Die DB GesundheitsService GmbH Die DB GesundheitsService GmbH ging 2001 als Partnerunternehmen der Deutschen Bahn und dem Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS) aus dem Konzern der Deutschen Bahn AG hervor. Insgesamt verfügt die DB GS GmbH über etwa 200 Mitarbeiter, davon über 70 Ärzte im Servicebereich Medizin, 20 Psychologen im Servicebereich Psychologie sowie 18 Sozialarbeiter/Sozialpädagogen im Servicebereich Betriebliche Sozialberatung. Als größtes Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen für Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie in Europa sind wir an über 60 Standorten in ganz Deutschland vertreten.
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Die Servicebereiche Psychologie und Sozialberatung bieten eine breite Palette psychosozialer Dienstleistungen für Unternehmen aller Branchen an. Zu diesen Dienstleistungen gehören beispielsweise die professionelle Personalauswahl und Personalentwicklung, Maßnahmen der Organisationsentwicklung, die Beratung und Betreuung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in schwierigen Lebenssituationen sowie Trainings- und Informationsveranstaltungen zu verschiedenen Themen des betrieblichen Gesundheitsmanagements, wie z.B. zur betrieblichen Suchtprävention, Work-Life-Balance oder Professioneller Gesprächsführung im Outplacementprozess. Durch unsere flächendeckende Präsenz in ganz Deutschland können wir kundennah und individuell auf die Bedürfnisse der Kunden vor Ort eingehen. Die DB GesundheitsService GmbH hat im Bereich der Mobbing-Prävention und -Intervention bereits für verschiedene Kunden gearbeitet, allen voran die Deutsche Bahn AG, aber auch für weitere Dienstleistungsunternehmen, insbesondere aus dem Bankenbereich.
3. Angebote zur Prävention Aufgrund unserer Erfahrungen hat sich gezeigt, dass vor allem klare betriebsinterne Regelungen, z.B. in Form einer Betriebsvereinbarung, ein wichtiges Mittel sind, um präventiv gegen Mobbing vorzugehen. Die Existenz und Kenntnis einer solchen Betriebsvereinbarung schafft häufig ein breiteres Problembewusstsein und kann für Betroffene der Anlass sein, sich frühzeitig an entsprechende Stellen zu wenden – in dem Bewusstsein, dass der Betrieb dieses Thema ernst nimmt. Ebenso bezieht der Betrieb auf diese Weise deutlich Stellung gegen Mobbing und sonstige Diskriminierungen und vermittelt, dass dieses Verhalten kein „Kavaliersdelikt“ darstellt und nicht ohne Konsequenzen bleibt. Wesentlich ist dabei auch eine klare Definition der verwendeten Begrifflichkeiten, um Mobbing klar von anderen konfliktbedingten Handlungen abgrenzen zu können. Ein Beispiel für eine derartige Regelung ist die am 1.5.1999 bei der Deutschen Bahn AG in Kraft getretene Rahmenkonzernbetriebsvereinbarung „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“. Darin verpflichtet sich das Unternehmen, Mobbing, Diskriminierung, sexuelle Belästigung sowie anderweitige benachteiligende und/oder diskriminierende Handlungen zu ahnden und zu unterbinden sowie Maßnahmen zum Erhalt eines partnerschaftlichen Klimas zu fördern. Dies soll durch vorbeugende Maßnahmen, Beseitigung von Ursachen des Fehlverhaltens sowie im akuten Fall durch Ahndung des zuwiderlaufenden Verhaltens und Unterstützung der Betroffenen in ihren Rechten geschehen. Beschäftigte haben das Recht, sich bei Mobbing, Diskriminierung oder sexueller Belästigung bei den zuständigen Stellen des Betriebes zu beschweren. Diese sind laut Vereinbarung verpflichtet, die Beschwerde zu prüfen und eine Sachverhaltsaufklärung herbeizuführen. Sie haben im Einvernehmen mit der betroffenen Person Maßnahmen zur Konfliktlösung zu ergreifen. Beschwerden von Betroffenen sollen vertraulich behandelt und Betroffene vor allen Nachteilen, die aus der Beschwerde entstehen können, konsequent und wirksam geschützt werden. Welche Maßnahmen konkret zu ergreifen sind, wird ebenfalls exakt angegeben.
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Eine solche Betriebsvereinbarung stellt für unsere präventive und beratende Tätigkeit eine wichtige Grundlage dar, denn sie ermöglicht, dass dem Phänomen Mobbing nicht nur durch Einzelmaßnahmen, sondern durch ein umfassendes Gesamtprogramm sinnvoll begegnet werden kann. Ein weiteres wichtiges Präventivangebot stellt die Beratung von Mitarbeitern in schwierigen Lebenssituationen dar. Durch deren Unterstützung können Konflikte oftmals bereits in den Anfängen entschärft und situationsangemessene Lösungen erarbeitet werden. Darüber hinaus bieten wir zahlreiche Seminare an, in denen die Mitarbeiter ihre Konfliktmanagementfähigkeiten ausbauen können, mehr über die Themen Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung erfahren und damit besser in der Lage sind, derartige Situationen zu verhindern bzw. im akuten Fall adäquat einzugreifen. Zu unserem Trainingsangebot zählen beispielsweise x Trainings zum Thema Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung: In diesen Trainings geht es vorrangig um eine Sensibilisierung bzgl. der Themen Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung sowie um eine Vermittlung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten. Die Teilnehmer erfahren in diesen Trainings viele Fakten, lernen neue Handlungsmöglichkeiten kennen und können anhand von Rollenspielen ihre Gesprächstechniken im Umgang mit Betroffenen verfeinern. Die Rückmeldungen der Teilnehmer zu diesen Trainings sind vielfach sehr positiv, da der Begriff „Mobbing“ im Alltag zwar häufig gebraucht, aber selten konkret definiert wird und die Trainings Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen beseitigen sowie Handlungsstrategien aufzeigen. x Seminare zum konstruktiven Umgang mit Konflikten: In diesen Trainings geht es darum, Konflikte als Möglichkeit zu Entwicklungs- und Veränderungsprozessen zu begreifen und die individuelle Konfliktkompetenz zu entwickeln. Wie wird dies erreicht? Die Teilnehmer dieser Seminare analysieren Konflikte bzw. deren Verläufe sowie ihre eigene Rolle im Konfliktgeschehen. Darüber hinaus werden Techniken der Selbstkontrolle in emotional belastenden Situationen trainiert und Strategien der Konfliktbewältigung vertieft und aktiv geübt. Durch diese Stärkung der individuellen Konfliktkompetenz wird die Gesundheit des Einzelnen stabilisiert und ein konstruktives Austragen von Konflikten am Arbeitsplatz gefördert. x Deeskalationstrainings: Unter Deeskalation verstehen wir eine geplante und kontrollierte Selbstbeeinflussung und die Beeinflussung anderer zur Gewaltverhinderung. Ziel dieser Veranstaltungen ist es daher, die Teilnehmer dabei zu unterstützen, ihre Handlungskompetenzen zur Stressbewältigung, Konfliktlösung und Kommunikation im Sinne deeskalierender Strategien zu erweitern. Typische Konfliktsituationen aus dem Berufskontext werden reflektiert und deren mögliche Ursachen erarbeitet. Zur Konfliktbewältigung werden anschließend Gesprächsführungstechniken und Konfliktmanagement im Sinne von Deeskalation bearbeitet. Ein Schwerpunkt liegt zusätzlich auf dem eigenen Umgang mit Stress in schwierigen Situationen. Neben kommunikativen Techniken werden auch Distanzierungstechniken und der Einsatz von Körpersignalen und -sprache erarbeitet. Die Umsetzung dieser deeskalierenden Strategien wird anhand von Rollenspielen mit Videofeedback eingeübt. 384
x Stressmanagement: Auch unsere Seminare zur Stressbewältigung leisten einen Beitrag zur Mobbing-Prävention, da sie die Teilnehmenden befähigen, den Druck, der auf ihnen lastet, zu vermindern oder besser zu bewältigen. Hier lernen die Teilnehmenden die Zusammenhänge von Stressor, Gedanken, Körperreaktionen und Verhalten kennen. Zudem sollen sie lernen, ihr Verhalten und ihre Gedanken in Stresssituationen bewusster wahrzunehmen und zu überdenken. Zu diesem Zweck werden ihre aktuellen Stressverarbeitungsstrategien besprochen und weitere Möglichkeiten des Stressmanagements gemeinsam erarbeitet. x Coaching und Teamentwicklungsmaßnahmen: Coaching und Teamentwicklungsmaßnahmen stellen weitere wichtige präventive Werkzeuge gegen ein schlechtes Arbeitsplatzklima dar. Bestehende Konflikte können aufgegriffen und gelöst werden. Die hierbei erlernten Strategien helfen auch bei zukünftigen Problemen.
4. Angebote zur Intervention Neben der Prävention nimmt natürlich auch die adäquate Intervention in Konflikt- und Mobbingsituationen einen wichtigen Stellenwert ein. x Einzelberatung für Betroffene: Im Erstgespräch wird eine Bestandsaufnahme und Situationsklärung durchgeführt; die Eigenverantwortung und die Ziele des oder der Betroffenen werden definiert. In der Folgeberatung werden gemeinsam mit dem Klienten Rahmenbedingungen geklärt sowie Handlungskompetenzen und Lösungsmöglichkeiten entwickelt. Wichtig ist dabei die Berücksichtigung der Eskalationsstufe, in der sich der Prozess jeweils befindet. Je nach Eskalationsgrad können für die Betroffenen unterschiedliche Themen im Vordergrund stehen. Bei einem beginnenden Konflikt kann eine gemeinschaftliche Lösung mit allen Beteiligten das Ziel sein, sodass z.B. eine Konfliktmoderation mit der beteiligten Personengruppe angebracht sein kann. In einem fortgeschrittenen Mobbing-Prozess kann es aber auch darum gehen, den Betroffenen bei einer für ihn persönlich adäquaten Lösungsfindung zu unterstützen; das heißt auch, ihn hinsichtlich der Bewältigung möglicher Folgeerkrankungen zu beraten, also z.B. geeignete Ärzte, Kliniken oder Psychotherapeuten zu vermitteln. Eine umfassende Situationsklärung ist daher eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Beratungsprozess. Hierbei ist auch zu beachten, dass „Mobbing“ als Modewort oft auch für Konfliktkonstellationen verwendet wird, die keinen eigentlichen Mobbingcharakter haben, sodass sich der Auftrag des Klienten im Laufe der Beratung auch ändern kann. x Teamgespräche/Konfliktmoderation: Konfliktmoderation kann nicht nur eine wichtige Präventionsmaßnahme sein, um einen auftretenden Konflikt vor einer Eskalation zu bewahren. Sie kann auch in einem Mobbing-Prozess dazu beitragen, die jeweilige Verantwortung zu erkennen und wieder in einen Dialog zu treten. Diesen Gruppengesprächen, an denen alle Betroffenen bzw. Beteiligten teilnehmen, können im jeweiligen Fall Einzelgespräche vorausgehen, um die vorliegende Problematik zuerst aus der Sicht der einzelnen Teammitglieder zu erfassen und dann im Team unter
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qualifizierter Anleitung (Konfliktmoderation) zusammenzuführen. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft aller Beteiligten, aktiv an einer Konfliktlösung mitzuwirken.
5. Ausblick In der Praxis zeigt sich, dass eine Konzentration auf betroffene Personen nicht ausreicht. Um Konflikten oder Mobbing langfristig positiv zu begegnen, muss der Blick auch auf die jeweiligen Team- und Arbeitsstrukturen gerichtet werden. Idealerweise sollten Maßnahmen entwickelt, umgesetzt und eingeübt werden, die Mobbing schon im Ansatz verhindern. In diesem Zusammenhang sind alle Strategien von Nutzen, die Menschen in Betrieben befähigen, konstruktiv mit Problemen, Stress und Konflikten umzugehen. Aber auch Unternehmenskultur und Führungsverständnis sollten einen fairen Umgang untereinander unterstützen und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ermöglichen, an der Entwicklung der Unternehmen zu partizipieren. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die von uns betreuten Unternehmen tatsächlich auch über die Einzelberatung hinaus die Probleme umfassend angehen. Die Maßnahmen, die wir zur Prävention und zur Intervention anbieten, werden dabei als gute Hilfestellung bewertet.
Literatur Meschkutat, Bärbel/Stackelbeck, Martina/Langenhoff, Georg (2002): Der MobbingReport. Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin, Forschung Fb 951), Bremerhaven. Leymann, Heinz (1993): Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann, Reinbek bei Hamburg. Redlich, Alexander (1997): KonfliktModeration, Hamburg. Redlich, Alexander/Elling, Jens R. (2000): Potential: Konflikte: Ein Seminarkonzept zur KonfliktModeration und Mediation für Trainer und Lerngruppen, Hamburg. Steinmetz, Susanne (2001): Perspektiven und neue Aufgabenfelder Betrieblicher Sozialarbeit, in: Jente, Charlotte/Judis, Frank/Meier, Ralf/Steinmetz, Susanne/Wagner, Stefan F. (Hg.): Betriebliche Sozialarbeit, Freiburg i.Br., S. 207-215.
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Renate Ortlieb und Barbara Sieben*
River Rafting, Polonaise oder Bowling: Betriebsfeiern und ähnliche Events als Medien organisationskultureller (Re-)Produktion von Geschlechterverhältnissen 1. Einleitung 2. (Organisations-)Kultur, Symbole und Geschlechterverhältnisse 3. Analyse von Betriebsfeiern und ähnlichen Events, oder: Wie kommen Geschlechterverhältnisse ins Spiel? 4. Und nun? Augen auf und feiern! Literatur
Renate Ortlieb, Dr. rer. pol., wissenschaftliche Assistentin am Institut für Management, Arbeitsbereich Personalpolitik, Freie Universität Berlin. E-Mail:
[email protected] Barbara Sieben, Dr. rer. pol., Juniorprofessorin für Human Resource Management mit dem Schwerpunkt Diversity am Institut für Management, Freie Universität Berlin. E-Mail:
[email protected] *
Wir danken all denen herzlich, die uns im Rahmen der Recherche zu diesem Beitrag eingehende Blicke in die betriebliche Praxis haben nehmen lassen, namentlich Martin Doblhofer, Tina Kornfeld, Andreas Mack, Sabina Prüser, Alexandra Reiner, Birgit Schreiber, Alexandra Schröder-Hohensee und Renata Sprick.
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1. Einleitung Stellen Sie sich folgendes Szenario vor (beschrieben von van Maanen und Kunda 1989, S. 44): An einem malerischen, üblicherweise ruhigen Strand auf Hawaii versammeln sich zwei- bis dreihundert Frauen und Männer im einheitlichen, weißen Sportdress, auf dem Unternehmensinsignien prangen. Uniformierte Kellner servieren Erfrischungsgetränke. Männer im roten Sportdress organisieren Teamspiele wie Eierlaufen, Sackhüpfen und Wetttrinken. Drei Stunden lang wird lauthals gesungen und gespielt. Trophäen werden verteilt und in Empfang genommen. Dann löst sich die Menschenmasse ebenso wohlgeordnet und zügig wieder auf, wie sie sich formiert hat. Der Spuk ist vorüber. Ein neugieriger Tourist fragt einen der Beteiligten, was hier geschieht. Er erhält die Antwort: „Oh, we’re just working on our culture“. „Kulturarbeit“ mittels Betriebsfeiern und ähnlicher Events: Darum geht es in diesem Beitrag. Und zwar betrachten wir einen bestimmten Aspekt von „Kulturarbeit“, nämlich dass dabei auch – mehr oder weniger bewusst und mehr oder weniger offensichtlich – an Geschlechterverhältnissen „gearbeitet“ wird. Dazu ein weiteres Beispiel, das in den US-amerikanischen Klassikern zur Organisationskultur immer wieder beschrieben wird (z.B. von Drennan 1993, S. 183): Als Höhepunkt der dreitägigen Auszeichnungsfeier von Mary Kay Cosmetics gilt das Krönungszeremoniell der „Mary-Kay-Königinnen“, bei dem weiblichen Spitzenkräften, angetan mit Samtschleife, Nerzmantel, Diamantring und Diadem, die „Kronjuwelen“ überreicht werden, eine Anstecknadel in Form einer diamantenen Hummel. Dieses Ritual wie auch insbesondere die Anstecknadel (die Hummel, die trotz ihres dafür im Grunde zu schweren Körpers zu fliegen vermag) soll die Ideologie der Gründerin symbolisieren: dass „Frauen über ihre kühnsten Träume hinaus Erfolg haben können“ (Trice/Beyer 1984, S. 660). Betriebsfeiern zählen generell zu symbolträchtigen, vielerlei Botschaften sendenden Praktiken der Zusammenarbeit und Führung. Bereits die Tatsache, dass überhaupt gefeiert wird, aber auch, wie gefeiert wird, lässt ein Bild von der Organisation entstehen, von ihren Mitgliedern und von deren Zusammenwirken. Darüber hinaus illustriert insbesondere das zweite der oben geschilderten Beispiele, dass auch Vorstellungen über geschlechtstypisches Verhalten, typische Vorlieben etc. in die Ausgestaltung von solchen betrieblichen Veranstaltungen eingehen. Wie auf diesem Wege Geschlechterverhältnisse in Organisationen reproduziert werden können, zeigen wir in den folgenden Abschnitten anhand von ausgewählten Beispielen aus der betrieblichen Praxis auf. Damit verfolgen wir im Wesentlichen das Ziel, den Blick für die (Neben-)Wirkungen von bestimmten Praktiken zu schärfen.
2. (Organisations-)Kultur, Symbole und Geschlechterverhältnisse Organisationskultur verstehen wir in Anlehnung an Edgar H. Schein (1984) als einen in der Organisation herrschenden Komplex aus Basisannahmen, Werten und Normen. Die unsichtbaren und oft unbewussten Basisannahmen (z.B. über das Wesen des Menschen,
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über menschliches Handeln oder über soziale Beziehungen) gehen in Normen (z.B. Richtlinien oder Verbote) ein und äußern sich in Symbolen und symbolischen Praktiken. Schein nennt z.B. Sprache, Rituale, Kleidung und Umgangsformen. Auch Betriebsfeiern zählen hierzu: Der gesamte Event mit seinem oft rituellen Charakter, aber auch einzelne Elemente wie die Form der Ankündigung, Begrüßungszeremonien, der Einsatz von Farben, Licht und räumlichen Anordnungen können als inszenierte Sinnbilder aufgefasst werden, die vielfältige Botschaften senden (vgl. dazu Neuberger 1994, insb. S. 33ff). In ihnen kommt Organisationskultur zum Ausdruck und sie prägen diese gleichzeitig. Organisationsleitungen können solche Symbole und symbolische Praktiken mehr oder weniger gezielt einsetzen, um Botschaften zu senden wie „Wir sind eine moderne Organisation“ oder „Leistungen werden bei uns honoriert“. Symbole und symbolische Praktiken sind allerdings mehrdeutig und interpretationsbedürftig; ihre Interpretation geschieht auf einer breiten Grundlage von Erfahrungen aus dem beruflichen und dem weiteren Lebensalltag, von Kenntnissen, Wertungen und Einstellungen. Nur vor einem entsprechenden Hintergrund können solche Botschaften gesendet und empfangen werden, und teils werden auch andere als die beabsichtigten empfangen. Zu den (nicht nur) organisationskulturell verankerten Basisannahmen zählen auch solche über Geschlechter und Geschlechterverhältnisse (vgl. Gherardi 1995, insb. S. 11ff), wie z.B. die Differenzierung zwischen „weiblich“ und „männlich“ mitsamt den zugeordneten Eigenschaften, Verhaltensweisen und deren Bewertung. So gelten etwa Sanftmut, Schwäche, Einfühlsamkeit, Kooperation, Anpassungsfähigkeit und Passivität als „weiblich“, Durchsetzungsfähigkeit, Stärke, Rationalität, Wettbewerbsorientierung und Aktivität dagegen als „männlich“ (ausführlicher zu solchen polarisierenden Zuordnungen und ihrer Fortschreibung vgl. z.B. Hausen 1976; Krell 2003a). Solche Muster von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ betreffen zunächst nicht konkrete Frauen und Männer, jedoch gründen auf ihnen Erwartungen, wie sich Frauen bzw. Männer (in bestimmten Positionen und Situationen) verhalten sollten, auch in der Interaktion mit anderen Frauen bzw. Männern (in bestimmten Positionen und Situationen). Damit übernehmen sie gleichzeitig eine wahrnehmungs- und handlungsleitende Funktion. Mit Vorstellungen darüber, wie unterschiedlich Frauen und Männer angeblich sind und handeln (was also als „weiblich“ bzw. „männlich“ gilt), werden zunächst Unterscheidungen vorgenommen. Diese bilden gleichzeitig geschlechtstypische Normen des Seins und Handelns, denen sich Einzelne nur mit Mühe entziehen können. Des Weiteren sind solche Unterscheidungen mit Wertungen, Klassifizierungen und Rangordnungen verbunden, und zwar in der Regel mit (heterosexueller) „Männlichkeit“ als dominanter Norm (vgl. Rastetter 1994, S. 40f). Solche Geschlechterunterscheidungen und Geschlechterhierarchisierungen sind allgegenwärtig, und das heißt, sie gehen als miteinander verwobene Komponenten der Geschlechterverhältnisse auch in Organisationen und organisationale Praktiken ein (vgl. dazu genauer Krell 2003a sowie den einleitenden Beitrag von Krell in diesem Band). Solche unterscheidenden und hierarchisierenden Geschlechterstereotype und Grundüberzeugungen werden nun nicht nur herangezogen, um Symbole zu interpretieren. Vielmehr werden sie teilweise durch Symbole erst geschaffen, in jedem Fall aber durch
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Symbole transportiert und auch verfestigt. Mit anderen Worten: Symbolträchtige Praktiken wie Betriebsfeiern sind nicht nur geprägt durch Geschlechterverhältnisse, sondern prägen sie gleichzeitig und vermögen sie so auch zu (re)produzieren.
3. Analyse von Betriebsfeiern und ähnlichen Events, oder: Wie kommen Geschlechterverhältnisse ins Spiel? Mit Betriebsfeiern und ähnlichen Events meinen wir hier grundsätzlich Veranstaltungen außerhalb des üblichen Arbeitskontextes, also auch Betriebsausflüge, Incentive-Reisen, mit Eventcharakter versehene Teamtage und Ähnliches mehr (vgl. Nienhüser 2005). Gemeinsam ist solchen Veranstaltungen, dass sie darauf zielen, verbindliche Gemeinschaft zu präsentieren und zu befördern (dazu kritisch: Krell 1994; 2003b). Sie sollen verschiedene Funktionen erfüllen, beispielsweise die Motivation der MitarbeiterInnen und ihre Identifikation mit dem Unternehmen verstärken, Anerkennung vermitteln u.v.m. Solche Funktionen sind jedoch immer auch mit teilweise unerwünschten und nur bedingt steuerbaren Wirkungen verknüpft (vgl. Arbeiter/Sieben 2006). Ambivalente Wirkungen dieser Medien von „Kulturarbeit“ resultieren vor allem daraus, dass sie gleichzeitig eine Inszenierung darstellen, in der Organisationskultur in vielen symbolträchtigen Details zum Ausdruck kommt. Dazu zählen auch Aspekte von Geschlechterverhältnissen: Sowohl Veranstaltungen als Ganzes als auch einzelne Elemente davon können vor dem Hintergrund von Geschlechterstereotypen als „weiblich“ oder „männlich“ wahrgenommen werden. Bestimmte Aufgabenverteilungen, Körperlichkeit, Intimität und Erotik bzw. Sexualität sind weitere Aspekte, an denen Geschlechterunterscheidungen und Geschlechterhierarchisierung sichtbar werden. Dies arbeiten wir in der nun folgenden Analyse anhand von Beispielen heraus, die wir – selektiv, aber keinesfalls überzeichnet – dem Angebot von Event-Agenturen und Berichten über die betriebliche Praxis entnommen haben. Zunächst zur Wahrnehmung von Veranstaltungen und einzelnen Elementen als „weiblich“ oder „männlich“: Viele Aktivitäten und Veranstaltungselemente transportieren Vorstellungen über „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“: So entspricht beispielsweise der gemeinsame Besuch auf der Kart-Bahn – das riskante Um-die-Wette-Flitzen eingehüllt in Motorenlärm und Benzingeruch – durch und durch dem Stereotyp von Männlichkeit. Ähnlich verhält es sich mit dem River Rafting, einer Bootsfahrt für Gruppen, bei der nach dem Grundprinzip einer Achterbahnfahrt mehr oder weniger gefährliche Flüsse und Bäche befahren werden. Die Zielgruppe für River Rafting wird in den Angeboten kommerzieller Veranstalter ganz prägnant abgebildet: sportliche junge Männer. Weitere Elemente von Veranstaltungen, die dem Stereotyp von „Männlichkeit“ entsprechen, sind beispielsweise der ausufernde Genuss von Alkoholika (insbesondere von Bier) sowie kräftiges, schweres Essen vom Typ Hausmanns(!)kost. Dem Stereotyp von „Weiblichkeit“ entspricht demgegenüber zum Beispiel die geruhsame Ausflugsdampferfahrt in beschaulicher Umgebung, während der in Maßen Pro-
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secco genossen wird, eher leichte, fruchtige und süße Speisen angeboten werden und großer Wert auf die Dekoration des Schiffs, des Buffets usw. gelegt wird. Solche Aktivitäten und Elemente von Veranstaltungen, die mit Vorstellungen über „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ verknüpft sind, vermögen Geschlechterunterscheidungen zu (re)produzieren. Das heißt unter anderem, dass sie Normen setzen. Sie können identitätsbildend wirken, denn der Druck, sich solchen geschlechtstypischen Normen anzupassen, ist hoch: Andernfalls wird eine Ablehnung durch andere riskiert. Werden Aktivitäten und Orte diesen Vorstellungen entsprechend ausgewählt, so kann es allerdings auch dazu kommen, dass sich nicht nur Angehörige des jeweils anderen Geschlechts, sondern auch Angehörige des Geschlechts der (vermeintlichen) Zielgruppe, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen, übergangen fühlen. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass diese Personen erst gar nicht teilnehmen oder aber, wenn sie teilnehmen, dem Druck, die Normen zu erfüllen, nicht nachgeben wollen. Beides geht auf Kosten des (erwünschten) Gemeinschaftsgefühls. Wie eng Geschlechterunterscheidungen mit Geschlechterhierarchisierungen verknüpft sind, illustrieren die folgenden Beispiele. Dabei arbeiten wir heraus, dass Aufgabenverteilungen sowie Körperlichkeit, Sexualität und Intimität – auch oft miteinander verschränkt – als weitere symbolische Anker für Geschlechterverhältnisse dienen. Geschlechtstypische Aufgabenverteilungen sind bei betrieblichen Events präsent, und zwar in zweierlei Hinsicht: Teils werden sie zum Zuschauen präsentiert, teils werden sie beim aktiven Mitmachen vorgenommen. Eine prototypische Konstellation zum Zuschauen spielt sich bei bühnenmäßigen Inszenierungen ab: Der Geschäftsführer ernennt den „Mitarbeiter des Monats“ und zeichnet ihn aus, die Assistentin reicht die dazu gehörenden Utensilien an. Ähnliche Konstellationen zum Mitmachen ergeben sich in Spielen: So geht es beispielsweise bei der so genannten „Spinne“ darum, ein Gruppenmitglied auf dem optimalen Weg und rasch durch die unterschiedlich groß geknüpften Maschen eines aufgespannten Netzes zu befördern. Der üblicherweise eingeschlagene Lösungsweg ist, dass starke Personen eine leichte und schlanke Frau waagerecht liegend durch das Netz heben. Bei Klettertouren, insbesondere bei Felsbesteigungen mittels Abseiltechnik, lässt sich häufig das Muster „Frauen werden von Männern gezogen und gestemmt“ beobachten. Solche Konstellationen spiegeln altbekannte Muster von Geschlechterverhältnissen in Arbeits- und anderen Lebenssphären wider. Das weibliche Muster der Zuarbeiterin (vgl. z.B. Holtgrewe 1997), ebenso das der eher passiven, sich unterordnenden, unterstützenden Teampartnerin wie auch verschiedene Bilder von „Weiblichkeit“ wie das der eher schwachen und zierlichen, der geschickten und körperbewussten oder das der ungelenken und eher plumpen Person werden aufgerufen. Gleichzeitig spiegeln sich Muster von „Männlichkeit“ (Aktivität, Überordnung, Kraft etc.) wie auch von Geschlechterverhältnissen. Das Beispiel der Ernennung zum „Mitarbeiter des Monats“ illustriert, dass oftmals vermeintliche Selbstverständlichkeiten inszenatorisch unterstrichen und vor Augen geführt werden; ist es doch nun einmal die Aufgabe der Assistentin, dem Geschäftsführer zur Hand zu gehen. Dadurch, dass solche Positionen und Tätigkeiten nach Geschlecht segmentiert sind, tragen entsprechende Inszenierungen – und zwar durch
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ihren symbolisch aufgeladenen rituellen Charakter – einmal mehr dazu bei, Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren. Insbesondere bei den Beispielen zu Aufgabenverteilungen, die nicht nur zur Schau gestellt, sondern von den Teilnehmenden selbst vorgenommen werden, wird deutlich, dass Wertungen ins Spiel kommen: Mit den aufgerufenen Mustern von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ sind Normen verbunden, an denen die Einzelnen sowohl sich selbst wie auch andere messen. Damit wirken sie identitätsbildend und möglicherweise -bedrohend. Nicht nur das eigene, sondern auch das Bild der Kollegin oder des Kollegen und des Verhältnisses zueinander wird angereichert – und dies nicht immer zum Vorteil der eigenen Persönlichkeit oder zum Vorteil der anderen Person. Dass Körper und Kraft in besonderem Maße mit Geschlechterverhältnissen assoziiert sind, lässt sich ebenso an Aktivitäten zeigen, die einen weniger sportlichen Körpereinsatz verlangen. Dies verdeutlichen wir am Beispiel des gemeinsamen Besuchs einer Bowling-Bahn. Bowling gilt gemeinhin als eine Aktivität, die Frauen und Männer gleichermaßen anspricht und bei der auch weniger Geübte sportliche Erfolge erzielen können. Was zunächst nach Chancengleichheit aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als eine Veranstaltung, die zu den deutlich Geschlechter unterscheidenden Praktiken zählt: So sind die dunklen, schweren Bowlingkugeln größeren Durchmessers den Männern zugedacht, die leichten, kleineren Kugeln, meist pink oder orange, gelten als „Frauenkugeln“. Im Durchschnitt erzielen Männer bessere Ergebnisse als Frauen, wovon sich alle Teilnehmenden permanent anhand der an großen Anzeigetafeln prangenden Punktestände überzeugen können. Egal, ob nun nach Geschlechtern getrennte oder gemischte Teams gebildet werden: Die grundsätzliche Überlegenheit der Männer ist während der gesamten Veranstaltung – leicht verständlich in Punktwerten skaliert – präsent. Die bei diesem Spiel offensichtliche Symbolik der unterschiedlichen Kugeln und digital angezeigten Punktestände verdeutlicht wieder einmal Geschlechterunterscheidungen und -hierarchisierung, und zwar insbesondere im Hinblick auf Kraft und Leistung. Eng verwandt mit Körperlichkeit ist die Intimität zwischen Personen, die z.B. im Zusammenhang mit den bereits geschilderten und ähnlichen sportlichen Aktivitäten eine Rolle spielt: Bei der „Spinne“ wird die Person, die durch das Netz bugsiert wird, am ganzen Körper angefasst. Diejenigen, die bei der Klettertour Schwierigkeiten haben, müssen damit rechnen, dass die anderen kräftig zupacken, an welchem Körperteil auch immer. Das klassische Gesellschaftsspiel Polonaise lebt vom kollektiven Körperkontakt, und zwar zwischen den Geschlechtern. Man denke nur an den bekannten Schlager „Polonaise Blankenese“: „Wir ziehen los, mit ganz großen Schritten, und Erwin fasst der Heide von hinten an die … Schultern; das hebt die Stimmung, ja da kommt Freude auf“. Auch das gemütliche Zusammensitzen in fröhlicher Runde hat körperliche Komponenten: Es wird auf Schultern und Schenkel geklopft, umarmt und Brüder(!)schaft getrunken. Insbesondere mit dem vertraulichen „Du“ kommt eine andere Art von Intimität (teils erschwerend) hinzu. Es wird möglich, über ansonsten unübliche oder tabuisierte Themen zu sprechen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass lockere Heiterkeit und kör-
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perliche Nähe ab einem bestimmten Moment „kippen“, so dass sie nicht mehr als angenehm und wünschenswert empfunden werden, sondern im Extremfall gar den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen können (vgl. dazu Meschkutat/Holzbecher in diesem Band). Körperlichkeit und Intimität kommen ebenso wie die oben angesprochenen Aufgabenverteilungen nicht nur beim Mitmachen ins Spiel, sondern auch beim Zuschauen. In Showeinlagen wie Bauchtanz, Männerstrip oder Travestieshow werden nicht nur Körper zur Schau gestellt und eine erotische Atmosphäre erzeugt, sondern sie symbolisieren gleichzeitig Geschlechterverhältnisse – und zwar insbesondere deren heterosexuelle Prägung. Betriebsfeiern gelten als Rahmen, innerhalb dessen Intimität gepflegt wird: Sie wird zugelassen oder ist sogar erwünscht (vgl. Neuberger/Kompa 1987, S. 168; Krell/Weiskopf 2006, S. 92). Dabei ist zunächst interessant, was erlaubt ist und was als Entgleisung gewertet wird. An unserem Beispiel der Polonaise: Wie wird es wahrgenommen, wenn der Erwin der Heide wirklich nicht nur an die Schulter fasst, ohne dass die Heide dies wollte? Ob dies als Zeichen guter Stimmung gilt, als Kavaliersdelikt übersehen oder als zu ahndende Belästigung behandelt wird, ist auch ein Ausdruck von Organisationskultur. Normen des Berührens (Wer berührt wen, wo und wie?) variieren genauso wie Gesprächsnormen (Wer spricht mit wem worüber?) je nach Organisationskultur und Art der Veranstaltung. Zudem stehen diese Normen in enger Verbindung mit Status und Positionsverteilungen, und sie sind in jedem Fall mit Aspekten von Geschlechterverhältnissen verknüpft (vgl. Billing/Alvesson 1994, S. 236f). Sowohl Gesten des Berührens als auch Körperteile, die berührt werden, sind häufig gegendert (vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in Benthien/Wulf 2001). Dasselbe gilt für Gesprächsnormen, und zwar für die Themen genauso wie für die Art, in der über sie gesprochen wird (vgl. dazu Althans 2003). Dabei folgen nicht nur die Normen, sondern auch die Mechanismen ihrer (Re-)Produktion einem geschlechterhierarchischen Muster.
4. Und nun? Augen auf und feiern! „Kulturarbeit“ mittels Betriebsfeiern hat viele Facetten – dies illustrieren die in den vorangegangenen Abschnitten erläuterten Beispiele. Wir haben in diesem Beitrag insbesondere die Facette „Arbeit an Geschlechterverhältnissen“ beleuchtet. Gestreift haben wir die positiven Wirkungen eines identitätstiftenden Gemeinschaftsgefühls. Eher im Schatten geblieben sind dabei der Spaß, den Feiern bereiten können, die Wohltat körperlicher Aktivitäten, ästhetischer Arrangements oder ausgewählter Speisen und Getränke. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich unterstrichen: Wir sehen Betriebsfeiern und ähnliche Events keinesfalls nur als problematisch an, und wir wollen niemandem den Spaß am Feiern nehmen. Vielmehr ging es uns zunächst darum, geschlechterbezogene Symboliken aufzuzeigen und herauszuarbeiten, wie Geschlechterverhältnisse mittels Betriebsfeiern und ähnlicher Events reproduziert werden können. Vieles von dem, was wir beschrieben haben, wird
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Ihnen bekannt vorkommen. An solch gängigen Alltagserfahrungen haben wir angeknüpft, um Ihren Blick dafür zu schärfen, dass x Vorstellungen über Geschlecht und Geschlechterverhältnisse kulturell verankert sind, und zwar sowohl auf organisationaler wie auch auf breiterer gesellschaftlicher Ebene, x Geschlechterverhältnisse – als Zusammenspiel von Geschlechterunterscheidungen und Geschlechterhierarchisierungen – allgegenwärtig sind und somit x Geschlechterverhältnisse auch in symbolische Praktiken wie Betriebsfeiern eingehen, x symbolische Praktiken wiederum vor dem Hintergrund von Geschlechterverhältnissen wahrgenommen und gedeutet werden und letztlich x Geschlechterverhältnisse auf diesem Wege (re)produziert werden können. Um noch einmal die zu Beginn geschilderten Beispiele aufzugreifen: Am Strand auf Hawaii fungieren Männer als Spielleiter, Körpereinsatz wird verlangt, Trinkwettkämpfe werden ausgetragen. Während des gesamten Krönungszeremoniells bei Mary Kay wird „Weiblichkeit“ inszeniert. Solche Praktiken müssen nicht problematisch sein, sie können es aber sein – nämlich immer dann, wenn sie Geschlechterunterscheidungen und -hierarchisierungen verstärken. Zudem setzen sie Normen, die wiederum sozialen Druck erzeugen können. Nun sind derartige Probleme, wie oben herausgearbeitet, niemals vollständig auszuschließen. Sie können jedoch abgeschwächt werden. Zwei Ansatzpunkte halten wir dabei für wichtig: Erstens Vielfalt berücksichtigen und zweitens hierzu passende Botschaften senden! Zunächst zur Vielfalt: Personelle Vielfalt bedeutet nicht nur, dass es unterschiedliche Interessen und Vorlieben gibt (die keineswegs eindeutig durch Geschlechtszugehörigkeit bestimmt sind), sondern ebenso unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe oder Distanz. Auch wenn es im Sinne einer Betriebsfeier oder eines ähnlichen Events ist, einzelne Personen zur Teilnahme zu animieren und „Stimmung zu machen“, so sollte dies doch nicht zum Zwang werden. Vielmehr gilt es zu respektieren, dass das Bedürfnis Distanz zu wahren unterschiedlich ausgeprägt ist, und zwar sowohl im Hinblick auf körperliche Nähe als auch im Hinblick auf Intim- und Privatsphäre. Um vielfältige Bedürfnisse zu berücksichtigen, liegt es nahe, bereits in die Planung möglichst viele Beteiligte einzubinden. Dass Partizipation allerdings auch kein Allheilmittel ist, illustriert folgendes Beispiel (vgl. Wittel 1996): Anlässlich des Abschieds ihres Vorgesetzten organisieren die Abteilungsmitglieder eine Überraschungsfeier, für die sie sich gemeinsam eine Reihe von Darbietungen ausgedacht haben. Unter anderem führen zehn Sekretärinnen, leicht bekleidet wie Revuegirls, einen Tanz zu dem marschartigen Stimmungslied „Live is life“ von Opus auf (vgl. ebd., S. 248f). Eine der Beteiligten bereut später ihre Teilnahme: Im Grunde habe sie sich nicht derartig zur Schau stellen wollen, sie konnte sich jedoch dem Druck der Kolleginnen nicht entziehen. Sie „wollte eben kein Spielverderber sein“ (ebd., S. 252; i.O. herv.). Ein persönliches Unbehagen äußern zu dürfen, ohne zum „Spielverderber“ abgestempelt zu werden, halten wir für eine zentrale Komponente des Ansatzpunktes „Vielfalt berücksichtigen“.
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Dies leitet zu unserem zweiten Ansatzpunkt über, den Botschaften, die die Organisation sendet. Wenn Vielfalt bei der Ausgestaltung von Feiern im eben skizzierten Sinne berücksichtigt wird, kann das organisationsweite Programme zur Förderung der Chancengleichheit bzw. ein Diversity Management (vgl. dazu auch den Beitrag von Krell in diesem Band) stärken – und zwar nicht nur auf der Ebene verbaler Kommunikation, sondern auch und gerade dadurch, dass deren Leitideen inszenatorisch unterstrichen und letztlich auch gelebt werden. Demgegenüber können bestimmte Praktiken eindeutig kontraproduktiv wirken. Führen Sie sich hierzu noch einmal das Bild einer ausgelassenen, alkoholschwangeren Feier vor Augen: Kommt es dort zu unerwünschten Übergriffen, so steht ein augenzwinkerndes Einverständnis, wie es etwa der Liedtext zu „Polonaise Blankenese“ nahe legt, im krassen Widerspruch zu einer Kampagne gegen sexuelle Belästigung und hebelt diese aus. Bedenkenswert ist all dies nicht zuletzt, da Betriebsfeiern und ähnliche Events schließlich auch den Stoff liefern für die Geschichten, die später immer wieder gerne erzählt werden. Die Symbolkraft des Ortes, der Aktivitäten und einzelner Vorkommnisse mit den daran geknüpften – beabsichtigten wie unbeabsichtigten – Botschaften werden zudem auch außerhalb der Organisation wahrgenommen, sei es vermittelt durch Fotos im Verkaufsraum, durch Presseberichte oder weil sie von zufälligen Beobachterinnen und Beobachtern registriert werden. Betriebsfeiern und ähnliche Events prägen somit das Bild der Organisation, ihrer Mitglieder und deren Zusammenwirken weit über die einzelne Begebenheit hinaus. Also, nicht nur zur Vermeidung negativer Nebenwirkungen, sondern auch und gerade wegen der möglichen positiven langfristigen Innen- und Außenwirkungen: Mit frisch geschärftem Blick auf zur nächsten Feier!
Literatur Althans, Birgit (2003): Klatschrituale, in: Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hg.): Rituelle Welten. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Band 12, Heft 1 und 2, S. 470-487. Arbeiter, Linda/Sieben, Barbara (2006): Funktionen und Wirkungen von Betriebsfeiern. Eine Analyse am Beispiel von „Die Firma“ und „Die Blume der Hausfrau“, Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, Betriebswirtschaftliche Reihe, 2006/18, Berlin, www.wiwiss.fu-berlin.de/ wiwiss/area/199.html (23.03.2007). Benthien, Claudia/Wulf, Christoph (Hg.) (2001): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Hamburg. Billing, Yvonne Due/Alvesson, Mats (1994): Gender, Managers, and Organizations, Berlin/New York.
Wegen deren Flüchtigkeit verzichten wir hier auf eine Auflistung der Internet-Seiten von Event-Agenturen und anderen Unternehmen, die uns eine Basis für die Analyse geliefert haben. Durch eine eigene Internet-Recherche (z.B. mit Hilfe der Suchmaschine „Google“) können entsprechende Belege für unsere Beispiele jedoch leicht rekonstruiert werden.
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Drennan, David (1993): Veränderung der Unternehmenskultur, London u.a. Gherardi, Silvia (1995): Gender, Symbolism and Organizational Cultures, London u.a. Hausen, Karin (1976): Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart, S. 363-393. Holtgrewe, Ursula (1997): Frauen zwischen Zuarbeit und Eigensinn. Der EDV-Einzug in Kleinstbetriebe und die Veränderungen weiblicher Assistenzarbeit, Berlin. Krell, Gertraude (1994): Vergemeinschaftende Personalpolitik. Normative Personallehren, Werksgemeinschaft, NS-Betriebsgemeinschaft, Betriebliche Partnerschaft, Japan, Unternehmenskultur, München/Mering. Krell, Gertraude (2003a): Die Ordnung der ‚Humanressourcen‘ als Ordnung der Geschlechter, in: Weiskopf, Richard (Hg.): Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analysen auf Management und Organisation, Opladen, S. 6590. Krell, Gertraude (2003b): Symbole, Rituale und Zeremonien als Praktiken vergemeinschaftender Personalpolitik, in: Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hg.): Rituelle Welten. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Band 12, Heft 1 und 2, S. 524-538. Krell, Gertraude/Weiskopf, Richard (2006): Die Anordnung der Leidenschaften, Wien. Neuberger, Oswald (1994): Zur Ästhetisierung des Managements, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter (Hg.): Dramaturgie des Managements. Laterale Steuerung. Managementforschung 4, Berlin/New York, S. 1-70. Neuberger, Oswald/Kompa, Ain (1987): Wir, die Firma. Der Kult um die Unternehmenskultur, Weinheim/Basel. Nienhüser, Werner (2005): Betriebsfeste, in: Weber, Wolfgang/Mayrhofer, Wolfgang/ Nienhüser, Werner/Kabst, Rüdiger: Lexikon Personalwirtschaft, 2., überarb. u. komplett aktualisierte Aufl., Stuttgart, S. 66-67. Rastetter, Daniela (1994): Sexualität und Herrschaft in Organisationen. Eine geschlechtervergleichende Analyse, Opladen. Schein, Edgar H. (1984): Coming to a New Awareness of Organizational Culture, in: Sloan Management Review, 25. Jg., Heft 2, S. 3-16. van Maanen, John/Kunda, Gideon (1989): „Real Feelings“: Emotional Expression and Organizational Culture, in: Research in Organizational Behavior, Band 11, S. 43103. Trice, Harrison M./Beyer, Janice M. (1984): Studying Organizational Cultures through Rites and Ceremonials, in: Academy of Management Review, 9. Jg., Heft 4, S. 633669. Wittel, Andreas (1996): Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie. Eine ethnographische Fallstudie, Berlin.
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Arbeits- und Lebensgestaltung
Ellen Hilf und Heike Jacobsen
Reorganisation und Arbeitsgestaltung: Ansatzpunkte zur Lockerung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung 1. Einleitung 2. Kaufmännisch-verwaltende Funktionen: Frauen und Männer in aufgabenintegrierten und dezentralisierten Arbeitsformen 3. Arbeit in der Produktion: Chancen für Frauen durch Gruppenkonzepte 4. Einzelhandel: Frauenarbeitsplätze im Widerspruch zwischen Dezentralisierung und traditioneller Personalpolitik 5. Schlussfolgerungen Literatur
Ellen Hilf, stellvertretende geschäftsführende Direktorin, Sozialforschungsstelle Dortmund an der Universität Dortmund. E-Mail:
[email protected] Heike Jacobsen, Dr., wissenschaftliche Geschäftsführerin, Sozialforschungsstelle Dortmund an der Universität Dortmund. E-Mail:
[email protected] 399
1.
Einleitung
Einkommen, Beschäftigungsperspektiven und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten hängen zu einem großen Teil davon ab, wie im Prozess der betrieblichen Arbeitsorganisation Tätigkeiten definiert, zu Arbeitsplätzen zusammengefasst und gegen andere Arbeitsplätze abgegrenzt werden. Für die Förderung der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern auf betrieblicher Ebene ist deshalb die Gestaltung der Arbeit selbst ein zentrales Feld. Sie muss in den Blick genommen werden mit dem Ziel, für Frauen sowohl in vertikaler wie in horizontaler Richtung eine höhere Durchlässigkeit zu erreichen. Der Veränderungsdruck in Unternehmen und Verwaltungen bietet Ansatzpunkte für die Reorganisation der Arbeit auch unter einer solchen auf Chancengleichheit zielenden Perspektive. Denn beim Abbau und Umbau von Arbeitsplätzen wird zugleich das betriebliche Verhältnis der Geschlechter tangiert. Dies gilt sowohl für die Frage, welche Bereiche und Arbeitsplätze bei den Rationalisierungsbemühungen ausgelagert bzw. abgebaut werden, als auch für die (potenziellen) Auswirkungen einer Restrukturierung der verbleibenden Arbeitsplätze auf die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen. Denn der Prozess der Arbeitsgestaltung von der Konzeptentwicklung bis zur Implementation ist keineswegs technisch determiniert in dem Sinne, dass sich die Arbeitsorganisation mehr oder weniger von selbst aus den technischen Gegebenheiten ergibt, sondern ist immer auch Gegenstand sozialer Aushandlungsprozesse im Betrieb. Diese Prozesse wiederum sind nicht geschlechtsneutral. Die Frauenforschung hat gezeigt, dass sich geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht „naturwüchsig“ entwickelt, sondern in Prozessen des „Gendering“ von Tätigkeiten, also ihrer geschlechtsspezifischen Typisierung, (immer wieder) hergestellt wird. Die Teilung der Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern ist dabei meistens nicht wertneutral, sondern beinhaltet ein hierarchisches Verhältnis zu Ungunsten der Frauen. In Prozessen sozialer Schließung und Zuschreibung wird die Dualität der Geschlechter tendenziell auf immer wieder anderem Niveau zu einer Geschlechterhierarchie (vgl. Knapp 1993; 1995; Gildemeister/Wetterer 1992, zusammenfassend: Gottschall 1998; Müller 1999; Kuhlmann u.a. 2002). In vielen Reorganisationskonzepten steht die Verringerung der Arbeitsteilung durch Integration von Aufgaben entlang der Geschäftsprozesse im Vordergrund. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, Entscheidungskompetenzen näher an den Ort des Geschehens zu bringen und demzufolge weniger starke hierarchische Differenzierungen vorzusehen. Erreicht werden sollen „lernende Unternehmen“, die kundenorientiert, flexibel und anpassungsfähig unter wechselnden Umweltbedingungen agieren können. Wesentliche Zielsetzungen sind die Reduktion von Informations- und Zeitverlusten an diversen Schnittstellen und damit die Verbesserung von Durchlaufzeiten, Qualitätsstandards und Kundenorientierung. Auf der Ebene der Arbeit bedeutet dies tendenziell eine Aufhebung rigider tayloristischer Arbeitsorganisation zugunsten einer (teilweisen) (Re-)Integration vormals arbeitsteilig ausgeführter Aufgaben in teamorientierten Strukturen. Damit hat sich eine gewisse Parallelität der Diskussion um moderne Konzepte zur betrieblichen Reorganisation mit der Diskussion um Ziele humaner Arbeitsgestaltung herausgebildet. In beiden Diskussionen wird der Integration von Aufgaben und kooperativen Arbeitsstrukturen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die Humanisierungsdebatte
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betont die Möglichkeiten, die sich damit für eine Verbesserung der Arbeitssituation der Beschäftigten im Sinne persönlichkeitsförderlicher Arbeitsgestaltung eröffnen. Eine Verringerung der Arbeitsteilung und wachsende Kooperationserfordernisse könnten auch die Chancen auf eine Verminderung geschlechtshierarchischer Differenzierungen von Tätigkeiten erhöhen (vgl. dazu auch Goldmann 1993; 1995; Kutzner 2003). Bislang ist allerdings erst wenig darüber bekannt, welche neuen Formen geschlechtsspezifischer Typisierungen sich in weniger taylorisierten und hierarchisierten Organisationskonzepten durchsetzen können (vgl. Regenhard 1997; Wilz 2002). Eine betriebliche Gleichstellungspolitik, die die Arbeitsorganisation als Handlungsfeld berücksichtigt, kann Anregungen aus den Erfahrungen mit Arbeitsstrukturierung und Arbeitsgestaltung auf der Basis arbeitspsychologischer Gestaltungsziele gewinnen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Verbesserung der Arbeitssituation in typischen Fraueneinsatzbereichen und der Lockerung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bzw. Segmentation. Die „klassischen“, dem Humanisierungsgedanken verpflichteten Konzepte der Arbeitsstrukturierung sind: x Abbau von Zeitzwängen – Schaffung von Zeitpuffern, x Job Rotation – Wechsel zwischen Arbeitsplätzen ähnlichen Zuschnitts, x Job Enlargement – Erweiterung des Tätigkeitsspektrums um zusätzliche Tätigkeiten ähnlichen Niveaus, x Job Enrichment – Erweiterung des Aufgabenspektrums um planende, steuernde und kontrollierende Aufgaben, x teilautonome Gruppenarbeit. Diese Maßnahmen wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten häufig erprobt und umgesetzt. Paradigmatisch für die Praxis waren dabei solche Arbeitsplätze in der industriellen Produktion, die als besonders „restringiert“ anzusehen waren und deshalb am drängendsten nach „Humanisierung“ verlangten. Es wurden jedoch nur sehr wenige Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen an typischen Frauenarbeitsplätzen in der Produktion bekannt. Dabei waren und sind diese Arbeitsplätze z.B. in der Elektromontage als sehr belastend durch Monotonie, minimale Handlungsspielräume, Zeitdruck usw. anzusehen (vgl. Bednarz-Braun 1983). Typisch für die wenigen dokumentierten frauenrelevanten Humanisierungsvorhaben, wie sie im Rahmen des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens“ der Bundesregierung seit 1976 gefördert wurden, waren Projekte in Schreib- und Datenerfassungsabteilungen großer Unternehmen und Verwaltungen sowie in der Routinesachbearbeitung. Durch Job Enlargement und Job Enrichment zu sog. Mischarbeit wurden die einseitig beanspruchenden Tätigkeiten des Schreibens und der Datenerfassung ergänzt um weitere „Infrastruktur“-Tätigkeiten im Büro. Zunehmend kamen dabei auch fachlich anspruchsvollere sachbearbeitende Tätigkeiten ins Spiel, sodass den betroffenen Beschäftigten Korridore in qualifiziertere Tätigkeitsbereiche geöffnet wurden. Damit erfüllen sie bereits z.T. die weitergehenden Anforderungen an Maßnahmen, die über die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in typischen Fraueneinsatzbereichen hinaus Möglichkeiten zur Lockerung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung eröffnen. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre tritt dieser Aspekt noch stärker in den Vordergrund, und zwar bei solchen Maßnahmen, die die Integration von Aufgaben auf der Ebene von Arbeitsgruppen und auf der Ebene qualifizierter Arbeitsplätze in den Mittelpunkt stellen. Durch Gruppenarbeit und Aufgabenintegration auf
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berufsfachlichem Niveau können die Anforderungen an die fachlichen Qualifikationen, an methodische und soziale Kompetenzen steigen. Diesen Anforderungen – auch mit Hilfe entsprechender Qualifizierungsmaßnahmen – gerecht zu werden, verbessert nicht nur die aktuelle Arbeitssituation, sondern kann darüber hinaus Perspektiven auch für künftige individuelle berufliche Entwicklung eröffnen. Ob die gegenwärtigen Umbrüche in der Organisation der Arbeit in vielen Unternehmen und Verwaltungen in Anknüpfung an diese Erfahrungen eine Chance bieten, zugleich die Arbeitssituation von Frauen zu verbessern und die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zu verringern, kann nicht pauschal entschieden werden. Im Folgenden werden deshalb Beispiele für Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen in drei sehr unterschiedlichen, für die Frauenbeschäftigung wichtigen Erwerbsfeldern vorgestellt: Die kaufmännischverwaltenden Tätigkeiten gehören zu den wenigen Bereichen, in denen Frauen und Männer auf Basis gleicher Qualifikationen tätig sind und z.T. um die attraktiveren Arbeitsplätze konkurrieren. In der industriellen Produktion hingegen arbeiten Frauen überwiegend in stark abgespaltenen Bereichen, die besonders häufig bei der Reorganisation „vergessen“ werden und nur selten im direkten Vergleich mit Männerarbeitsbereichen stehen. Im Einzelhandel schließlich sind ganz überwiegend Frauen beschäftigt, und die Traditionen des Personaleinsatzes in dieser Branche erschweren es sehr, gleichstellungspolitische Ziele auch durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen zu verfolgen.
2.
Kaufmännisch-verwaltende Funktionen: Frauen und Männer in aufgabenintegrierten und dezentralisierten Arbeitsformen
In der kaufmännischen und verwaltenden Sachbearbeitung sind derzeit rund sechs Millionen Personen erwerbstätig. Die Routinesachbearbeitung – soweit es sie noch gibt – ist heute eine Frauendomäne, die qualifizierte Sachbearbeitung hingegen eines der wenigen gemischtgeschlechtlichen Arbeitsfelder. Historisch war auch die Büroarbeit zunächst männlichen Arbeitskräften vorbehalten. Im Zuge der Abspaltung von zuarbeitenden Aufgaben und ihrer Technisierung fanden Frauen Eingang in die Büros (vgl. Gottschall 1990). Mit dem Aufholen des Bildungsrückstandes und mit der Ausdehnung des Bedarfes an Sachbearbeitungskräften konnten Frauen hier auch in qualifizierte und vergleichsweise gut bezahlte Positionen vordringen. Auch heute noch gibt es innerhalb der Unternehmen und Verwaltungen typischerweise vorwiegend mit Frauen besetzte Bereiche und solche, in denen Frauen nur selten beschäftigt sind, wie z.B. in den marktnahen und den fertigungssteuernden Abteilungen in der Industrie. Auch in Leitungsfunktionen sind sie nach wie vor unterrepräsentiert. Ihnen gelang es jedoch in der kaufmännischen und verwaltenden Sachbearbeitung in wesentlich höherem Maße als in vielen anderen Beschäftigungsbereichen, untere und mittlere Führungspositionen zu erreichen. Sachbearbeitung umfasst ein breites, heterogenes Spektrum von Aufgaben und Tätigkeiten, das von der klassischen Buchhaltung über die Bearbeitung von Anträgen in der öffentlichen Verwaltung bis zum Einkauf von Rohstoffen in Industriebetrieben reicht. Sachbearbeitung ist notwendig zur internen Regulierung der Geschäftstätigkeit und zur Umsetzung von Anforderungen von Kunden und Lieferanten in Aufträge nach innen.
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Nachdem Automatisierung und technische Steuerung seit Längerem Einzug in die Routinesachbearbeitung gehalten haben und dort schon viele Arbeitsplätze verloren gegangen sind, ist inzwischen auch die qualifizierte Sachbearbeitung in großem Umfang von Rationalisierungsbestrebungen betroffen. Unter den Zielen solcher Reorganisationsmaßnahmen kommt neben Effizienzgewinnen der Erschließung neuer strategischer Potenziale die wichtigste Rolle zu: x Kundeninteressen sollen intensiver ermittelt und zur Anregung von Innovationen genutzt werden, x im Unternehmen vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen sollen umfassender und rascher genutzt werden, um Abläufe und Produkte bzw. Leistungen zu verbessern, x in Kooperationsbeziehungen mit anderen Unternehmen sollen Synergieeffekte durch betriebsübergreifende Prozessketten entstehen. Diese Ziele sind häufig nur zu erreichen, wenn die kaufmännischen, verwaltenden und technischen Funktionen umfassend reorganisiert werden. Das umfasst auch einen veränderten Zugriff auf die Arbeitskraft der Beschäftigten, der auch als „Mitarbeiterorientierung“ diskutiert wird. In der Zusammenschau der vorliegenden Erfahrungen lassen sich verschiedene Konzepte aufgabenintegrierender Arbeitsorganisation identifizieren (vgl. Hilf u.a. 1996): x Gruppenarbeit als eine Option der Gestaltung von Routinesachbearbeitung, x „Rundum-Sachbearbeitung“ für Aufgaben mit engem Kundenkontakt, x funktionsübergreifende Teamarbeit für Aufgabenstellungen, die zu ihrer Erfüllung die Fachkompetenzen verschiedener SpezialistInnen benötigen, x teamförmige Integration von Assistenz und Sachbearbeitung. In der Routinesachbearbeitung hat sich über die Jahrzehnte eine hochgradig arbeitsteilige Organisation herausgebildet, sodass einfache Sachbearbeitung Ähnlichkeiten mit tayloristisch organisierter Produktionsarbeit aufweist. Wie dort finden sich auch hier vor allem Tätigkeiten auf Anlernniveau, die fast durchgängig von Frauen ausgeübt werden. Die Probleme dieser Organisationsform sind neben der hohen Belastung der Beschäftigten und den damit einhergehenden Krankheits- und Fluktuationsquoten sowie eingeschränkter Motivation vor allem mangelnde Flexibilität, Verzögerungen und Qualitätsverluste durch Fehleranfälligkeit. Gruppenarbeit bietet hier Möglichkeiten, die eine rein technisch orientierte Rationalisierung nicht eröffnet. Ein Beispiel hierfür ist die Belegbearbeitung im Inlandszahlungsverkehr einer Bank (vgl. Brater/Büchele 1993). Die Einführung von Gruppenarbeit ging hier einher mit einer breiten inhaltlich-fachlichen wie auch sozial-kommunikativen und kooperationsbezogenen Qualifizierung der beschäftigten Frauen. Während die Mitarbeiterinnen vorher nur für jeweils einen Arbeitsschritt zuständig waren, wurde in der neuen Arbeitsorganisation die Gruppe für die gesamte Belegverarbeitung verantwortlich, wobei „alle alles“ können und zwischen den einzelnen Tätigkeiten rotieren. Als zusätzliche Aufgabe kam die Beratung der (internen) „Kunden“ (also der Zweigstellen) in Belegfragen hinzu. Durch die Gruppenarbeit wurden erhebliche Produktivitätsgewinne erreicht; gleichzeitig stieg die Motivation und Qualifikation der Beschäftigten. Die Höherqualifizierung wurde zertifiziert („Zahlungsverkehrssachbearbeiterin“) und so für die Frauen – neben der damit verbundenen Höhergruppierung – für ihre weitere berufliche Ent-
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wicklung „verwertbar“. „Rationalisierungsverliererinnen“ waren hier die vormaligen unteren Führungskräfte; ihre Positionen wurden abgebaut. Durch die Produktivitätsgewinne einerseits und die Ausweitung von Datenträgeraustausch andererseits reduzierte sich außerdem die Anzahl der Gruppen und damit der Arbeitsplätze. Die dort beschäftigten Frauen konnten jedoch durch die Qualifizierung in andere Bereiche der Bank wechseln. Durch die Umgestaltung arbeitsteiliger Organisation zur vorgangsorientierten Bearbeitung oder „Rundum-Sachbearbeitung“ soll in der qualifizierten Sachbearbeitung Zeit gewonnen und mehr Kundenorientierung erreicht werden. Jeder Geschäftsvorgang – z.B. eine Angebotserstellung oder ein Versicherungsabschluss – wird als Einzelfall in seiner Gesamtheit behandelt. Das Aufgabenspektrum der SachbearbeiterInnen umfasst alle Tätigkeiten, die zur Erledigung der verschiedenen Aufgabenstellungen nötig sind. Eine Form der Arbeitsorganisation besteht darin, Sachbearbeitungsgruppen zu bilden, die den Rahmen für die mengenmäßige Verteilung der Arbeit bieten. Diese vorgangsorientierte Bearbeitung „in einer Hand“ hat allerdings eine wesentliche Voraussetzung: Die zu bearbeitenden Vorgänge müssen prinzipiell auch von einer Person bearbeitbar sein, dürfen also von ihrem fachlichen Zuschnitt her nicht zu komplex sein. Es hat sich gezeigt, dass es in der qualifizierten Sachbearbeitung kaum möglich ist, Spezialistentum ganz aufzuheben. An Geschäftsprozessen orientierte Aufgabenintegration umfasst auch Aufgaben und Tätigkeiten, die von ihrer Breite und Tiefe her eine Einzelperson – auch bei umfassender Qualifizierung – überfordern würden oder die bisher von verschiedenen Fachabteilungen oder -bereichen bearbeitet wurden. Eine solche am Geschäftsprozess orientierte Aufgabenintegration kann auf die Kompetenz von qualifizierten SpezialistInnen nicht verzichten, will aber die Nachteile funktional getrennter Bearbeitung überwinden. Für die qualifizierte Sachbearbeitung kann eine Lösung für dieses Problem „Teamarbeit“ – hier in Abgrenzung zu „Gruppenarbeit“ begriffen als funktionsübergreifende Kooperation von SpezialistInnen – eine Organisationsvariante darstellen. Zentrales Ziel solcher Teamkonzepte ist die Reduktion von Reibungsverlusten in der Bearbeitung von Geschäftsvorgängen an den diversen Schnittstellen zwischen Abteilungen und zu den Kunden. „Schnittstellenmanagement“ ist dementsprechend eine wesentliche Aufgabe der Teams. Die wenigen dokumentierten praktischen Erfahrungen mit dieser strukturverändernden Arbeitsorganisation beziehen sich auf von Männern dominierte Bereiche. So wurde die Auftragsbearbeitung eines stahl verarbeitenden Betriebes, also ein marktnaher Sachbearbeitungsbereich, in diese Richtung umgestaltet. Die Teams wurden aus Sachbearbeitern verschiedener Fachabteilungen zusammengesetzt und bekamen die Verantwortung für bestimmte Produktbereiche. Dies war verbunden mit der Ausweitung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, z.B. in der Preisgestaltung. Frauen waren als Assistenzkräfte von der Reorganisation betroffen. Sie profitierten von der Arbeitserleichterung und Arbeitsanreicherung durch die Integration in die Teams, ihre grundsätzlich untergeordnete Position im Vergleich zu den qualifizierten männlichen Sachbearbeitern blieb jedoch erhalten (vgl. Thienel/Richter 1990). Über aufgabenintegrierende, funktionsübergreifende Teamkonzepte in gemischtgeschlechtlich besetzten Sachbearbeitungsbereichen ist bisher wenig bekannt. Ob und wie
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sich möglicherweise in der Zusammenarbeit qualifizierter Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter alte oder neue geschlechtsspezifische Formen der Arbeitsteilung herausbilden, ist deshalb bislang eine noch weitgehend offene Frage, deren Klärung weiterer – prozessorientierter – Forschung bedarf. So zeigt die Untersuchung von Wilz (2002), dass in gemischt-geschlechtlich besetzten Sachbearbeitungsbereichen auf horizontaler Ebene keine formale oder informelle Geschlechtersegregation zu erkennen ist. Es lassen sich weder in Arbeitsstil noch Aufgabenwahrnehmung Unterschiede zwischen Frauen und Männern finden. Anders sieht es jedoch mit Blick auf die Karrieremöglichkeiten von Frauen aus: In Entscheidungssituationen über Beförderungen oder Stellenbesetzungen kann Geschlecht relevant gemacht werden, indem variabel Geschlechterstereotype unterschiedlichster Art zur Entscheidungsbegründung herangezogen werden. Generell ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung von Frauen das Verhältnis zwischen qualifizierter und z.T. spezialisierter Sachbearbeitung und routinisierter Zuarbeit bzw. Assistenz besonders sensibel. Traditionell wird für die meist weiblichen Zuarbeiterinnen Mischarbeit, also die Anreicherung des Tätigkeitsspektrums um weitere Aufgaben auf ähnlichem Niveau, als Gestaltungsoption vorgeschlagen. Mit fortschreitender Technisierung und Aufgabenintegration in der qualifizierten Sachbearbeitung wird jedoch das Spektrum der verbleibenden, weiterhin arbeitsteilig organisierten Routinetätigkeiten tendenziell kleiner. Dadurch sind die Arbeitsplätze der betroffenen, einfach qualifizierten Angestellten gefährdet, und es entsteht die Notwendigkeit, das Verhältnis von Zuarbeit und qualifizierter Sachbearbeitung neu zu bestimmen. In diesem Prozess können bei entsprechender Gestaltung die fast ausschließlich weiblichen Zuarbeitskräfte deutliche Gewinne an qualifizierten Aufgaben realisieren. Klassisches Beispiel für die Umgestaltung des Verhältnisses von qualifizierter Sachbearbeitung und Zuarbeitstätigkeiten war das ASTEX-Projekt, in dem erstmals der Begriff der „qualifizierten Assistenz“ für die notwendigen Infrastrukturleistungen der Zuarbeitskräfte geprägt wurde (vgl. Kiesmüller u.a. 1987). Die Vorteile assistenzgestützter Sachbearbeitung werden auch von Rüppell und Köchling (1993) herausgestellt. Problematisch ist allerdings, dass sich an der grundsätzlichen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nichts ändert: Die Männer bleiben auf den – jetzt noch komfortableren, „assistenzgestützten“ – qualifizierten Sachbearbeitungspositionen, die Frauen arbeiten ihnen weiter – wenn auch qualifizierter – zu. Immerhin haben diese Modellvorhaben aber die Unentbehrlichkeit solcher Infrastrukturleistungen wie qualifizierter Assistenz deutlich gemacht und diese Arbeitsbereiche dem Status der gering bewerteten, nicht weiter differenzierten „Schreibarbeit“ enthoben. Für die Beschäftigten wird die Arbeit in den beschriebenen neuen Formen der Organisation von Sachbearbeitung tendenziell fachlich anspruchsvoller und vielseitiger. Es wird ein breiteres Spektrum von Qualifikationen abgefragt, bzw. es wird notwendig, sich weitere Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Jedoch wird die Arbeit intensiver, weil „Reibungsverluste“ verringert werden und mehr „Fälle“ bearbeitet werden können. Durch diese Leistungsverdichtung und die fast immer daran geknüpfte enge Anbindung an den Bildschirm und die Tastatur als wichtigste Arbeitsmittel können neue Belastungen und neue Gefährdungen der Gesundheit entstehen. Unter dem Gesichtspunkt der Lockerung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung ist der qualifikationsgerechtere und persönlichkeitsförderlichere Arbeitseinsatz und somit die Verbreiterung bzw. der Erhalt der beruflichen Perspektiven posi-
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tiv hervorzuheben. Die generell zunehmende Beschäftigungsunsicherheit wird damit zwar nicht aufgehoben, jedoch vergrößern sich tendenziell die individuellen – internen und externen – Arbeitsmarktchancen der Frauen. Eine neuere Form der Rationalisierung von Sachbearbeitung besteht in der Abspaltung von Routinearbeiten und Zuarbeiten in Call Centern. Durch die technische Integration von Telefon und EDV können Arbeitsplätze (intern oder extern) ausgelagert werden, die die qualifizierte und „teure“ Sachbearbeitung von Routinetätigkeiten im Kundenkontakt, Störungen durch „einfache“ Kundentelefonate und Dateneingabe entlasten (vgl. u.a. Kleemann/Matuschek 2003). Ob sich in diesem neuen und sich schnell entwickelnden Dienstleistungsfeld „alte“ Strukturen des Geschlechterverhältnisses reproduzieren oder Frauen und Männer gleiche Chancen auf berufliche Entwicklung erhalten, kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden. Erste Erkenntnisse zeigen, dass es auch in Call Centern darauf ankommt, die Arbeitsgestaltung unter Beteiligung der weiblichen Beschäftigten zu entwickeln, wenn sich nicht „naturwüchsig“ eine neue Geschlechterhierarchie herausbilden soll (vgl. Kutzner/Kock 2003).
3.
Arbeit in der Produktion: Chancen für Frauen durch Gruppenkonzepte
Rund ein Fünftel aller erwerbstätigen Frauen arbeitet in der Industrie. Davon sind ca. die Hälfte (1,2 Millionen) Arbeiterinnen, die weit überwiegend als Angelernte beschäftigt sind. Die Arbeits- und Beschäftigungssituation vieler Produktionsarbeiterinnen ist auch heute noch gekennzeichnet durch eine Reihe von physisch und psychisch hochgradig belastenden Faktoren. Geringe Qualifikationsanforderungen, kurzzyklische Arbeitstakte und Monotonie zählen ebenso zu den Merkmalen der meisten dieser Tätigkeiten wie einseitige Körperhaltungen und -belastungen. Aufgabenbezogene Kooperation und Kommunikation sind selten gefordert, und die Möglichkeiten für nicht direkt arbeitsbezogene Kommunikation äußerst begrenzt. Hinzu kommen häufig Lärm, Hitze oder Kälte, Staub bzw. Dreck sowie Gefahrstoffe und Unfallrisiken, Zeitdruck (nicht nur im Akkord) und belastende Arbeitszeitregimes (Schichtarbeit). Die Arbeiterinnen „bezahlen“ ihre Erwerbstätigkeit in diesen Bereichen mit starkem gesundheitlichen Verschleiß und einer im Vergleich zu anderen Arbeitenden deutlich niedrigeren Lebenserwartung (vgl. Frerichs/Steinrücke 1989, S. 19). Zudem sind diese Frauenarbeitsplätze mit einer weitaus höheren Beschäftigungsunsicherheit behaftet, als dies für Angestellte oder auch männliche Arbeiter gilt. Trotz hoher körperlicher und psychischer Belastungen werden Frauentätigkeiten in der Produktion niedrig bewertet und dementsprechend gering entlohnt. Die Bezahlung von Arbeiterinnen liegt in der Regel mehrere Lohngruppen unter der der männlichen Arbeiter. Diese Geringbewertung der Frauenarbeit (vgl. dazu auch Krell/Winter in diesem Band) wurde nicht zuletzt von der Arbeitswissenschaft mit einem biologistischen und traditionellen Frauenbild unterstützt. Kennzeichnend für Frauenarbeit in der Produktion ist die fast durchgängige geschlechtsspezifische Trennung zwischen weiblichen Maschinenbedienerinnen einerseits und männlichen Maschineneinrichtern andererseits bzw. weiblichen Angelernten und männlichen Facharbeitern und das Fehlen weiblicher Beschäftigter in Leitungsfunktio-
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nen oberhalb der VorarbeiterInnen-Position (und auch Vorarbeiterinnen gibt es nur in frauendominierten Bereichen). Physische und psychische Doppelbelastung schlägt bei den in der Produktion beschäftigten Frauen besonders zu Buche. Dennoch liegt ihre Motivation zur Erwerbstätigkeit nicht nur im materiellen Zwang der Existenzsicherung. Die Arbeiterinnen formulieren ebenso wie andere Beschäftigte Interessen an gesellschaftlich anerkannter Arbeit, an Kontakten, Leistungsanerkennung und Produzentinnenstolz und wollen sich nicht aus der Erwerbsarbeit verabschieden. Angesichts der herrschenden Verhältnisse mit ihren hohen Belastungen und der fast alleinigen Zuständigkeit für die private Haus- und Familienarbeit ist die Lebenssituation der Arbeiterinnen allerdings in hohem Maße von Ambivalenzen gekennzeichnet, die jeweils individuell und subjektiv ausgehalten werden müssen (vgl. die klassische Studie von Becker-Schmidt u.a. 1983; 1984). Die Interessen der Arbeiterinnen richten sich dementsprechend auf folgende Dimensionen: Arbeitsplatzsicherheit, Lohngerechtigkeit, körperliche Unversehrtheit, anständige Behandlung und sinnvolle Arbeit (vgl. Frerichs/Steinrücke 1989). Eine gleichstellungsorientierte Arbeitsgestaltung in der Produktion muss deshalb v.a. auf eine Verringerung der Belastungen zielen. Dazu bieten die aktuellen betrieblichen Reorganisationsstrategien, insbesondere die Ablösung hochgradig tayloristischer Strukturen durch Aufgabenintegration und Gruppenarbeit, im Prinzip Ansatzpunkte. Bisher scheinen die Diskussion und Praxis moderner Managementkonzepte, scheinen Aufgabenintegration, Dezentralisierung, Enthierarchisierung und Gruppenarbeit jedoch Frauenarbeitsbereiche in der Produktion so gut wie gar nicht berührt zu haben. Gegenstand betrieblicher Reorganisationsbemühungen in dieser Richtung sind bislang fast ausschließlich Männerarbeitsplätze. Frauenarbeitsbereiche gelten meistens von vornherein als nicht reorganisationsfähig bzw. fallen nicht in den Blick möglicher Gestaltungsbestrebungen. Auch wenn sie nicht ausdrücklich ausgeklammert werden, besteht die Gefahr, dass im Verlauf von Restrukturierungsprozessen die Gestaltung von Frauenarbeitsplätzen verschoben oder „vergessen“ wird (vgl. z.B. Rothe 1993). Begünstigt wird dies dadurch, dass Frauen meistens in solchen Bereichen arbeiten, in denen noch herkömmliche Technik mit einem hohen Anteil an „Handarbeit“ eingesetzt wird, und dass an- und ungelernte weibliche Beschäftigte als nicht qualifizierungsfähig gelten. Bezogen auf diese Bereiche werden Rationalisierungsstrategien dann vor allem in der Auslagerung oder der technischen Substitution gesehen, was jeweils den Abbau von Frauenarbeitsplätzen zur Konsequenz hat. Empirische Untersuchungen in Produktionsbetrieben zeigen, dass mit der Einbeziehung von Frauenarbeitsplätzen in die Reorganisation Verbesserungen in der Entlohnung, der Aufgabenqualität, dem Arbeitseinsatz sowie der Qualifizierung erreicht werden können (vgl. Goldmann u.a. 1994; Goldmann 1995; Kutzner 1995a; 1995b; 2001; 2003). Positive Effekte aufgabenintegrierender Arbeitskonzepte sind nach den Erkenntnissen dieser Studien Belastungsminderung und die Förderung der Qualifikation der Beschäftigten. Dabei ist Job Rotation nur dann als belastungsmindernde Gestaltungsmaßnahme zu sehen, wenn sie mit Job Enrichment, also der Integration planender, prozessvorbereitender und kontrollierender Funktionen in die Gruppenaufgabe, verbunden ist. Damit eröffnen sich auch den bisher auf den unteren Ebenen angesiedelten Frauen Möglichkeiten zu qualifizierterer, vormals FacharbeiterInnen vorbehaltener Arbeit. Wichtig ist 407
hier die Übernahme von Einrichtungs- und Rüstarbeiten durch die Maschinenbedienerinnen. Dadurch entstehen auch Ansprüche auf höhere Bezahlung, und zwar nicht mehr nur für ausgebildete FacharbeiterInnen, sondern auch für Angelernte. Die gruppenorientierte Bezahlung zusammen mit der Neuverteilung von vormals „typischer Frauenarbeit“ bzw. „Männerarbeit“ zwischen den Geschlechtern stellt einen sehr wichtigen Ansatz zur Lockerung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung dar. Im Zuge von Enthierarchisierungsmaßnahmen werden einfache Führungspositionen bzw. herausgehobene Funktionen wie z.B. die der Gruppensprecherin für die Arbeiterinnen leichter erreichbar. Diese Möglichkeiten werden allerdings zum Teil konterkariert durch Prozesse geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in gemischtgeschlechtlich zusammengesetzten Gruppen, in denen „unter der Hand“ alte oder neue Trennungen hergestellt werden. Auch die flachere Hierarchie ist für Arbeiterinnen – zumindest in frauendominierten Bereichen – eine zweischneidige Sache, denn es entfallen gerade die wenigen unteren Führungspositionen, auf denen bislang überhaupt in nennenswertem Umfang Frauen zu finden waren. Noch immer hält sich in vielen Betrieben hartnäckig das Vorurteil, dass an- und ungelernte Arbeiterinnen nicht qualifizierungsfähig seien. Demgegenüber wurde in den Untersuchungsbetrieben diese Beschäftigtengruppe im Rahmen der Reorganisation erstmals auch in Qualifizierungsmaßnahmen einbezogen. Vor dem Hintergrund jahrelanger Abstinenz und dequalifizierenden Arbeitseinsatzes sowie bislang fehlender Verwertungsmöglichkeiten von Qualifizierungsanstrengungen und häufig hoher Belastung mit privaten Verpflichtungen nimmt eine (anfängliche) Zurückhaltung mancher Arbeiterinnen bei betrieblichen Qualifizierungsangeboten nicht wunder. Es zeigte sich aber, dass bei entsprechenden Rahmenbedingungen und motivierenden Angeboten die Zahl der Interessentinnen stieg und die Frauen die Maßnahmen auch erfolgreich absolvierten. Während in der Mehrzahl der Untersuchungsbetriebe die arbeitsorganisatorischen Veränderungen top down durchgesetzt wurden, wenn auch in Kooperation mit der betrieblichen Interessenvertretung, finden sich auch Beispiele einer Bottom-up-Arbeitsgestaltung. So hatten sich in einem Fall Produktionsarbeiterinnen selbst in Gruppenarbeit organisiert und – z.T. gegen die Widerstände von Vorgesetzten – Arbeitsanreicherung, Qualifizierung und Höhergruppierung durchgesetzt (vgl. Kutzner 1995a). Den Maschinenbedienerinnen gelang es in diesem Prozess, das Rüsten und Einrichten der Maschinen in Eigenregie zu übernehmen. Die zuvor von zwei Männern besetzten Einrichterpositionen entfielen, stattdessen wurde eine VorarbeiterIn-Position geschaffen, die von einer Frau aus der Gruppe eingenommen wurde. In einem anderen Fall löste die Forderung nach Qualifizierung von Maschinenbedienerinnen zu Maschinenführerinnen eine weitreichendere Umstrukturierung zu Gruppenarbeit in der Produktion aus. Angelernte Frauen wurden qualifiziert und höhergruppiert, die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung wurde tendenziell aufgelöst (vgl. Kutzner 2001; 2003). Die wenigen bisher vorliegenden Erkenntnisse zur Beteiligung von Arbeiterinnen an modernen Arbeitsorganisationsformen zeigen, dass aufgabenintegrierende Gruppenkonzepte unter bestimmten Bedingungen für weibliche Beschäftigte Chancen zur Verbesserung ihrer Arbeitssituation bieten können (vgl. Kutzner 2001; 2003). In der betrieblichen Praxis besteht ein erheblicher Nachholbedarf in der Einbeziehung von Frauenarbeitsbereichen in die laufenden Reorganisationsvorhaben. Für den größten Teil der Produktions408
arbeiterinnen kennzeichnen damit die Angst um den (belastenden) Arbeitsplatz und fehlende Entwicklungsperspektiven weiterhin den beruflichen Alltag.
4.
Einzelhandel: Frauenarbeitsplätze im Widerspruch zwischen Dezentralisierung und traditioneller Personalpolitik
Der Einzelhandel hat eine lange Tradition als typische Frauenbranche. Jede sechste erwerbstätige Frau ist in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt, insgesamt sind dies mehr als zwei Millionen. Gerade weil der Handel eine der ersten Frauenbranchen war, haben sich hier stabile Traditionen geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung herausbilden können. Sie zeigen sich in der geschlechtsspezifischen Zuweisung von planenden und steuernden Funktionen einerseits und ausführenden Funktionen andererseits sowie in der geschlechtstypisierten Hierarchie der Warenbereiche. Und schließlich besteht im Handel wie in anderen Branchen auch eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Anteil der Frauen an den Beschäftigten insgesamt und ihrer Repräsentanz in Führungspositionen. Auf der Basis strikter Arbeitsteilung hat sich ein Anforderungsprofil herausgebildet, das ein besonderes Passungsverhältnis zwischen den verlangten Kompetenzen und „typisch weiblichen“ Fähigkeiten und Eigenschaften nahe legt. So scheinen im Verkauf insbesondere Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und ein „ansprechendes“ Äußeres gefragt. Eindeutig berufsfachliche Qualifikationen treten hinter diesen fachunspezifischen Anforderungen tendenziell zurück. Auch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten hat in den letzten Jahren mit dazu beigetragen, den dominanten Servicetypus im Handel weiter zu Ungunsten berufsfachlicher Qualifikationen im Verkauf zu verändern (vgl. Jacobsen/Hilf 1999; 2000). Der konkrete Zuschnitt der Verkaufsarbeitsplätze unterscheidet sich je nach Größe der Verkaufsstätte, Vertriebsform und Branche. Generell zu unterscheiden sind drei Konstellationen aus Anforderungen, Entscheidungsspielräumen, Belastungen, Einkommens- und Entwicklungschancen (vgl. Jacobsen/Sczesny 1994): Konstellation I: Arbeitsplätze mit nur geringen berufsfachlichen Qualifikationsanforderungen und Entscheidungsspielräumen bei z.T. sehr großen Belastungen – etwa im Verkauf und an der Kasse in SB-Warenhäusern, Verbrauchermärkten und Discountern. Ein Unterhalt sicherndes Einkommen kann an diesen Arbeitsplätzen nur im Ausnahmefall erzielt werden, weil sie fast ausschließlich als Teilzeit- und Pauschalarbeitsverhältnisse besetzt werden. Die Berufsperspektiven sind ungünstig, weil aufgrund der hohen Belastungen und des dequalifizierenden Einsatzes Verschleißerscheinungen drohen und weil kaum Zugänge zu betrieblichen bzw. beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Diese Arbeitsplätze sind fast ausschließlich mit weiblichen Beschäftigten besetzt. Für viele bilden sie die Alternative zum Ausschluss aus Erwerbsarbeit im Status der Hausfrau, Erwerbslosen, Rentnerin oder Studentin. Zunehmend sind diese Arbeitsplätze aber auch für einschlägig Qualifizierte die einzige Chance, im Handel erwerbstätig zu bleiben. Konstellation II: Arbeitsplätze mit mittleren berufsfachlichen Qualifikationsanforderungen, eng begrenzter Verantwortung und mittleren Belastungen – etwa im Verkauf in Waren-/Kaufhäusern und Fachmärkten, in der Abteilungsleitung in SB-Warenhäusern
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und Verbrauchermärkten, in der Filialleitung von Discountern. An diesen Arbeitsplätzen bringen die Beschäftigten häufig ein breites Spektrum berufsfachlicher Kompetenzen ein, die jedoch häufig nur sehr einseitig abgefordert werden, sodass auf Dauer gesehen Deprofessionalisierung droht und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten sich eher verschlechtern. Die Situation der männlichen und die der weiblichen Beschäftigten in dieser Konstellation unterscheiden sich zum einen in der Zugehörigkeit zu verschiedenen Branchen und zum anderen durch die Stellung in der Hierarchie: Männer sind häufiger in Sortimenten mit höherwertigen Waren eingesetzt, während fast nur Frauen den Verkauf geringwertiger Waren bestreiten. Diese Branchendifferenzierung hat insofern weitreichende Folgen, als z.B. Verkaufsprämien auf höherwertige Güter bessere Möglichkeiten zum Einsatz verkäuferischer und kaufmännischer Kompetenzen bieten, wodurch wiederum die Chancen zu weitergehender beruflicher Entwicklung verbessert werden. Auch sind im Verhältnis mehr Männer in dieser Beschäftigtengruppe mit (begrenzten) Führungsaufgaben betraut. Die Frauen – sofern sie keine Führungsaufgaben haben – werden in ihrer sozialen Situation häufig dadurch verunsichert, dass ihnen Stundenreduzierungen ohne Lohnausgleich nahe gelegt werden, um den Personaleinsatz zu flexibilisieren. Konstellation III: Arbeitsplätze, an denen hohe fachliche Qualifikationsanforderungen vorwiegend kaufmännischer Art, mittlere bis hohe Verantwortung und mittlere bis hohe Belastungen (Arbeitszeit, Mobilität) die Regel sind, z.B. Abteilungsleitung in Warenbzw. Kaufhäusern, Filialleitung in Fachmärkten, SB-Warenhäusern, Verbrauchermärkten und kleineren Kaufhäusern, Bezirksleitung in Discountunternehmen. Sie bieten den Beschäftigten teils ein sehr vielseitiges Tätigkeitsspektrum mit guten Einkommenschancen und weiteren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Kehrseite liegt in der Gefahr von Aufgabenverlusten durch Verlagerung von Funktionen und in der dauernden Überlastung durch einen klassischen „1½-Personen-Beruf“. Diese Beschäftigten sind z.T. die einzigen Vollzeitkräfte in ihren Verkaufsstellen und entwickeln leicht die Haltung eines „Allrounders“, der für alles und jedes letztlich allein zuständig ist. Sie stehen unter hohem Leistungsdruck und scheinen häufig in den Erträgen der Verkaufsstelle vorwiegend ihre eigene Leistung abgebildet zu sehen. Diese Arbeitsplätze sind weit überwiegend von Männern besetzt, vor allem aufgrund der zeitlich sehr hohen Beanspruchung sind sie für Frauen mehrheitlich unattraktiv. Die unterschiedlichen Konstellationen erfordern z.T. verschiedenartige Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Generell besteht im Handel ein gewisses Defizit bei der Umsetzung sowohl belastungmindernder als auch qualifikationsorientierter Humanisierungs- und Gestaltungsmaßnahmen. Investitionen in ergonomisch gestaltete Kassenarbeitsplätze, technische Unterstützung von Hebe- und Transportvorgängen, Maßnahmen zum Schutz vor Zugluft, angemessene Pausenräume usw. sind in dieser Frauendomäne absolut keine Selbstverständlichkeit. Profitieren würden davon v.a. die Frauen an den besonders belastenden Arbeitsplätzen der ersten Konstellation. Ihnen käme es auch zugute, wenn verstärkt „Mischarbeit“ ermöglicht würde, sodass z.B. eine Kassiererin mit der Hälfte ihrer Arbeitszeit an der Kasse beschäftigt und mit der anderen Hälfte im Verkauf eingesetzt wird. Ansatzpunkte für die Verbesserung der Arbeitssituation im Sinne eines qualifikationsgerechteren und persönlichkeitsförderlichen Einsatzes, von denen v.a. die Beschäftigten
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der zweiten und dritten Konstellation profitieren können, stehen im Zusammenhang mit Reorganisationskonzepten von Handelsunternehmen, die auf Dezentralisierung, Enthierarchisierung und Aufgabenintegration gerichtet sind (vgl. Goldmann/Jacobsen 1994). Dezentralisierung setzt im Handel auf einem sehr hohen Niveau vorgängiger Zentralisierung an, die seit Anfang der 1980er Jahre mit der Nutzung von Warenwirtschaftsund Informationssystemen vorangetrieben wurde. Im Zuge dieses Prozesses gewann innerbetrieblich der Einkauf gegenüber dem Verkauf ein höheres Gewicht. Informationen und Kompetenzen wurden aus dem Verkauf heraus in die zentralen Unternehmensverwaltungen verlagert. Betroffen von der Entwertung des Verkaufs waren und sind im Prinzip alle Beschäftigten in den Verkaufsstätten. Unmittelbar relevant für das Anforderungsprofil wurde die Zentralisierung der wichtigsten kaufmännischen Funktionen jedoch für die Filialleitungen, also je nach Vertriebsform für die Beschäftigten der zweiten und dritten Konstellation. Ihre Positionen wurden dadurch in einigen Unternehmen soweit entfunktionalisiert, dass sie angesichts besserer Alternativen für Männer (und sicher auch für einzelne Frauen) nicht mehr attraktiv waren. Auf der anderen Seite wurden die nunmehr entwerteten Führungspositionen für Frauen leichter zugänglich. Inzwischen wurden die Grenzen der Zentralisierung deutlich, und einige Maßnahmen zur (Re-)Dezentralisierung lassen Potenziale zur Aufwertung der kaufmännischen Kompetenzen im Verkauf erkennen. Dabei geht es z.B. um Limits zur filialindividuellen Preisgestaltung und Nachbestellung, um Module für filialindividuelle Sortimente, um die Regionalisierung der Bewirtschaftung besonders komplexer Warengruppen, um die Beteiligung von Filialbeschäftigten in zentralen Gremien der Sortimentsgestaltung und um die Möglichkeit, Waren auf Kundenwunsch von einer Filiale in eine andere zu verlagern, ohne die Zustimmung der Zentrale einholen zu müssen. Von diesen Dezentralisierungsmaßnahmen profitiert die Aufgabenwahrnehmung des fachbezogen eingesetzten Verkaufspersonals und der Verkaufs- und Abteilungsleitungen. Im Einzelfall entstehen dadurch neue Qualifizierungsnotwendigkeiten, weil sich die höheren Anforderungen und größeren Entscheidungsspielräume nicht umstandslos unter Rückgriff auf einmal in der Berufsausbildung erworbene Kenntnisse bewältigen lassen. Für die Chancen der Frauen, im Zuge von Dezentralisierungsvorhaben zu qualitativ befriedigenderen Arbeitsplatzzuschnitten zu kommen, ist die personalpolitische Umsetzung dieser Vorhaben entscheidend. Die Praxis zeigt, dass die Tradition der geschlechtsspezifischen Arbeitskraftnutzung in dieser Branche auch in dieser Situation für die Frauen nachteilige Pseudolösungen nahe zu legen scheint: Es kann nur als eine solche Pseudolösung betrachtet werden, wenn die im Zuge von Dezentralisierungsmaßnahmen aufgewerteten unteren und mittleren Führungspositionen mit fast noch jugendlichen „Blitzstartern“ männlichen Geschlechts besetzt werden, während an der Basis weiterhin Frauen aller Altersgruppen das alltägliche Geschäft betreiben. Solche Personalstrategien beschwören nicht nur Führungskonflikte herauf, sondern bergen auch die Gefahr, dass die Kompetenzen der oft langjährig berufserfahrenen weiblichen Beschäftigten entwertet werden. „Enthierarchisierung“ in Form von Verringerung der Hierarchieebenen und Abbau von Führungspositionen trifft in den traditionellen Vertriebsformen des Handels auf stark ausgeprägte hierarchische Strukturen. In Warenhäusern sind bis zu fünf Hierarchieebenen innerhalb der Verkaufsstätten vorgesehen. Im Zuge von Reorganisationsmaßnahmen werden die unteren Ebenen dieser Hierarchie infrage gestellt,
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während die oberen weitgehend unangetastet bleiben. Das hat zum einen zur Folge, dass die sich auf den unteren Hierarchieebenen konzentrierenden Frauen Statusverluste hinnehmen müssen, während die sich auf den oberen Hierarchieebenen konzentrierenden Männer davon weniger betroffen sind. Zum anderen ermöglicht die Einebnung hierarchischer Differenzierungen auf den unteren Ebenen den Verkaufskräften ohne Führungsaufgaben Anforderungs- und Kompetenzgewinne. Den extrem hierarchisierten Strukturen in den traditionellen Vertriebsformen stehen z.T. außerordentlich wenig strukturierte Organisationsformen in neueren Vertriebsformen, etwa Fachmärkten, gegenüber. Diese geringere hierarchische Differenzierung eröffnet Möglichkeiten für informelle Formen der Arbeitsteilung. In der Tendenz ist die sich herausbildende informelle Arbeitsteilung in „typisch weiblichen“ Bereichen weniger hierarchisch als in „typisch männlichen“ Bereichen. D.h., unter männlichen Verkaufskräften ist ein deutlicheres Bemühen um hierarchische Differenzierung zu beobachten als unter weiblichen Verkaufskräften. Die für den Verkauf fundamentale Qualifikation des „Blicks für das Ganze“, also die Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung auch für Aufgaben außerhalb des „eigenen“ unmittelbaren Zuständigkeitsbereiches zu übernehmen, ist bei den weiblichen Verkaufskräften tendenziell stärker ausgeprägt. In ausschließlich weiblichen Belegschaften kann auf dieser Basis eine gefügeartig ineinandergreifende Arbeitsteilung mit relativ breiten Einsatzmöglichkeiten für die Einzelnen entstehen. Den „Preis“ für diese egalitären Strukturen zollen die Frauen dadurch, dass sie kaum Ansprüche auf höhere Gratifikationen und Aufstiegschancen geltend machen können. In vorwiegend männlich besetzten Bereichen werden tendenziell stärker fach- bzw. warenbezogene Kompetenzen zum Kriterium der Arbeitsteilung. Dadurch entstehen deutlicher voneinander abgrenzbare Zuständigkeiten und mehr informelle Hierarchie. In gemischtgeschlechtlich besetzten Bereichen entsteht eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung vielfach gewissermaßen aus äußeren Gründen: Die Frauen sind häufig in Teilzeit beschäftigt und haben deshalb weniger Möglichkeiten, ihre Position gegenüber den praktisch immer vollzeitbeschäftigten Männern zu behaupten. Dieses Problem ließe sich durch personalpolitische Maßnahmen entschärfen, z.B. indem Teilzeitstellen auch mit Männern besetzt und umgekehrt Frauen mehr Vollzeitarbeitsplätze angeboten werden, die zudem durch innovative Arbeitszeitmodelle attraktiver zu gestalten wären. Die wenigen bekannten Fälle, in denen Team- und Gruppenarbeitskonzepte im Verkauf umgesetzt wurden, knüpfen an vorgängig nur informell hierarchisierte Organisationsformen an. D.h., durch diese Konzepte wurden nicht vorher hierarchische Strukturen demokratisiert, sondern vorher formell unstrukturierte Organisationsformen erhielten einen am Team- bzw. Gruppengedanken orientierten Rahmen. Unter der Voraussetzung, dass der Gruppe ein hinreichend komplexes Aufgabenfeld zugewiesen wird, also umfassende warenbezogene und kaufmännische Kompetenzen in die Gruppenverantwortung gegeben werden, ermöglicht Gruppenarbeit im Verkauf im Prinzip sehr anspruchsvolle Arbeitsplatzzuschnitte für Frauen wie für Männer. Voraussetzung für den Nutzen dieser Konzepte auch für die Frauen ist vor allem, dass ihnen nicht durch geschlechtsspezifisch differenzierende Personalpolitik von vornherein die Chance zur gleichberechtigten Teilhabe genommen wird. Das bedeutet vor allem, dass sie nicht auf Teilzeitstellen festgelegt werden, um so das Flexibilitätspotenzial der Gruppe insgesamt zu erhöhen. Voraussetzung ist weiter, dass die Gruppenmitglieder Chancen zur Erweiterung
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ihrer fachlichen Qualifikationen, vor allem aber auch Angebote zur Weiterentwicklung methodischer und sozialer Kompetenzen wahrnehmen können. In diesem Zusammenhang sollten auch die Fähigkeiten zu nicht geschlechtshierarchischer Kooperation thematisiert und entwickelt werden. Neuere Modernisierungskonzepte im Einzelhandel betreffen die Kooperation mit der Industrie. Unter dem Stichwort „Efficient Consumer Response“ werden Konsumentenwissen und Sortimentsgestaltung in den Mittelpunkt gerückt. Damit einher gehen Veränderungen an der Schnittstelle zwischen Industrie und Handel und innerhalb der Einzelhandelsunternehmen. Erste empirische Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies erneut zu Autonomie- und Kompetenzverlusten in den Filialen führen könnte (vgl. Möll/Jacobsen 2002). Ob und wie diese Veränderungen für die beschäftigten Frauen und Männer ähnliche oder unterschiedliche Konsequenzen haben werden, ist noch zu untersuchen. Möglicherweise stehen Kompetenz- und Qualifikationsverlusten auf Filialebene „Gewinne“ an qualifizierten Arbeitsplätzen auch für Frauen in den administrativen und logistischen Abteilungen der Unternehmen gegenüber.
5.
Schlussfolgerungen
Die vorliegenden Erfahrungen zeigen, dass die Arbeitssituation von Frauen in verschiedenen Beschäftigungsbereichen durch Umstrukturierung der Arbeitsorganisation verbessert werden kann. Integration von Aufgaben, größere Entscheidungsspielräume, mehr Möglichkeiten zur individuellen und kollektiven Selbstregulation und weniger hierarchieorientierte Strukturen ermöglichen – selbstverständlich, möchte man hinzufügen – auch Frauen einen qualifikations- und persönlichkeitsförderlicheren Arbeitseinsatz. Probleme liegen weniger in den Konzepten selbst als vielmehr in den Entscheidungen über die in die Reorganisation einzubeziehenden Bereiche und in einigen nicht beabsichtigten längerfristigen Wirkungen. In den betrieblichen Entscheidungen über die Einbeziehung einzelner Funktionen in die Reorganisation werden die typischerweise mit Frauen besetzten Bereiche, z.B. in der Produktion und auf der unteren Ebene im Verkauf, häufig erst mit Verzögerung, nur am Rande oder gar nicht berücksichtigt. Darin setzt sich die Tradition geschlechtshierarchischen Arbeitseinsatzes fort: Frauenarbeitsplätze scheinen so marginal, dass ihre Reorganisation nicht für notwendig erachtet wird. Natürlich drückt eine solche Einschätzung nicht einfach eine frauenfeindliche Haltung der Verantwortlichen aus; tatsächlich sind im Laufe der Segmentierung des Arbeitsmarktes viele Fraueneinsatzfelder weitgehend marginalisiert worden. In den 1970er und 1980er Jahren fand für dieses Phänomen der Begriff der „Restarbeitsplätze“ Eingang in die sozialwissenschaftliche Forschung. Inzwischen haben sich die Perspektiven jedoch verschoben: So wie mit aller Vorsicht von einer gewissen Kompatibilität der klassischen Humanisierungskonzepte mit einigen der aktuellen Managementkonzepte gesprochen werden kann, so kann der teilweise oder völlige Ausschluss einzelner Funktionsbereiche aus der betrieblichen Reorganisation nur als krasser Widerspruch zu den erklärten Absichten umfassenden „Redesigns“ betrachtet werden. Wo es darum geht, alle Funktionen entlang der Geschäftsprozesse neu zu organisieren und dabei mehr Raum für die Nutzung der Beschäf-
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tigten als strategisches Potenzial zu gewinnen, kann auf die Einbeziehung von typischerweise mit Frauen besetzten Bereichen nicht verzichtet werden. Reorganisationsmaßnahmen in Unternehmen beinhalten – gewollt oder ungewollt – immer auch Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Interessengruppen und Akteuren. Sollen die Möglichkeiten genutzt werden, die neue Formen der Arbeitsorganisation auch für eine Verbesserung der beruflichen Situation von Frauen bieten können, müssen weibliche Beschäftigte in diese Prozesse einbezogen werden. Dies bedeutet, dass die Projektorganisation von Reorganisationsmaßnahmen Gleichstellung als Zielsetzung und Prinzip umfassen muss. Unter dieser Perspektive gehören gleichstellungspolitische Zielsetzungen in das „Pflichtenheft“ dieser Konzepte. Bei der Besetzung von Lenkungskreisen und Projektgruppen müssen auch Vertreterinnen frauendominierter Arbeitsbereiche berücksichtigt werden. Damit kann der Tendenz entgegengewirkt werden, dass auf informeller Ebene sich sehr schnell wieder geschlechtsspezifische Disparitäten im Restrukturierungsprozess herausbilden, also Frauen nicht einbezogen werden in Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, in Qualifizierungsangebote und Personalentwicklungsprogramme, bzw. sich „naturwüchsig“ wieder geschlechtshierarchische Arbeitsteilungsstrukturen herstellen. Ein erheblicher Teil der Potenziale, die flexiblere, aufgabenintegrierende und kooperative Arbeitsformen für die Betriebe bergen können, bliebe dann ungenutzt.
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Nina Bessing
Work-Life-Balance: Vorteile für Beschäftigte und Organisationen 1. Einleitung 2. Vorstellung der Grundkonzepte und Maßnahmen 3. Eine an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie orientierte Arbeitsorganisation und Führungskultur als Erfolgsfaktor 4. Fazit Literatur
Nina Bessing, M.A., Projektleiterin und Trainerin an der EAF – Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, Berlin. E-Mail:
[email protected] 417
1. Einleitung Die Vereinbarkeit von oder Balance zwischen Berufs- und Privatleben ist heute mehr denn je eine Herausforderung. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre stellte der Soziologe Helmut Schelsky (1972) fest: „Unser Berufssystem ist nicht familienkonform und umgekehrt unsere Familien- und Haushaltsstruktur ist nicht berufskonform; die an der Wurzel der industriellen Gesellschaft liegende Trennung von Dienst- und Privatleben wird hier zum strukturellen Widerspruch“ (ebd., S. 34). Der Gegensatz des Arbeits- und Familiensystems, der mit der industriellen Gesellschaft entstand, wurde flankiert durch das Modell der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in der „Einverdiener-Familie“: Der ununterbrochen und Vollzeit erwerbstätige Alleinernährer, dem die Ehefrau durch unbezahlte Familien- und Hausarbeit den Rücken frei hielt, konnte sich ohne größere Beeinträchtigungen durch familiäre oder private Verpflichtungen ganz seinem Beruf widmen – so zumindest der Idealtypus. Dieses Rollenmodell entspricht immer weniger der Realität und damit wird die Vereinbarkeitsfrage wichtiger als je zuvor. Laut Mikrozensus (2005) waren in Deutschland bei 51% der verheirateten Paare mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren beide Elternteile berufstätig. Die Erwerbstätigkeit von Frauen, ob in Teilzeit oder Vollzeit, nimmt stetig zu und ebenfalls der Wunsch von Männern, aktiv an der Familie teilzuhaben (vgl. dazu auch Höyng in diesem Band). Befragungen zu den Wünschen von Männern mit Kindern lassen vermuten, dass diese Entwicklungen weiter fortschreiten werden: In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2005) gaben 69% der befragten Männer an, dass man sich als Vater genauso intensiv um die Kinderbetreuung kümmern sollte, wie die Mutter. Die befragten Männer gaben aber ebenfalls an, aus finanziellen Gründen, und – an zweiter Stelle – aus Angst um Benachteiligungen im Beruf, dies nicht immer realisieren zu können. Und noch eine Entwicklung sorgt dafür, dass die Integration von unbezahlter Familienund Hausarbeit und bezahlter Erwerbsarbeit für immer mehr Menschen zum Problem wird: Eine der, in erster Linie aufgrund von Scheidungen, am schnellsten wachsenden sozialen Gruppen sind alleinerziehende Mütter und Väter (vgl. Mikrozensus 2005). Und schließlich haben auch jene Beschäftigten ein Privatleben und damit Vereinbarkeitsbedarf, die nicht Mütter oder Väter sind (s.u. sowie den einleitenden Beitrag von Krell). Auf der anderen Seite steigen auch die beruflichen Anforderungen. Am Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stehen Unternehmen und andere Organisationen heute vor der Herausforderung, die Innovationsfähigkeit und die Produktivität ihrer Arbeitsteams ständig zu steigern. Einsatzbereitschaft, Kreativität und lebenslange Lernbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind entscheidende Wettbewerbsfaktoren. Damit verbunden sind hohe Anforderungen an die Beschäftigten. Das wird auch in der Fachliteratur thematisiert: Titel wie „Stress ohne Ende – Die neue Krankheit der modernen Welt“ (Mai/Ruess 2007), „Müde Manager handeln wie Betrunkene“ (Fryer 2006) oder „Ausweitung der Arbeitszone“ (Werle 2007) sprechen für sich. Es gibt Berechnungen, dass heute bereits jeder zehnte Fehltag auf das Konto von Stress geht. Stress ist die Hauptursache (auch) arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen – und deren Zahl steigt stetig: Zwischen 1997 und 2004 haben sie um 70% zugenommen (Statistisches Bundesamt 2004, zit.n. Mai/Ruess 2007). Die Weltgesundheitsorganisation 418
(WHO) hat Stress – unabhängig ob verursacht durch Berufs- oder Privatleben – zu „einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts“ erklärt (zit.n. ebd.). Erhöht wird der Handlungsdruck für Unternehmen und andere Organisationen auch durch die demographische Entwicklung und die daraus abgeleiteten politischen Weichenstellungen: Längere Lebensarbeitszeiten bedeuten, dass Beschäftigte heute länger leistungsfähig sein müssen. Zusätzlich kommt der Pflege älterer Angehöriger eine wachsende Bedeutung bei den Aufgaben im Privatleben zu. Last, but not least, wird der sich jetzt bereits ankündigende Fachkräftemangel den Handlungsdruck verstärken. Unternehmen stehen damit heute vor der Aufgabe, Wege zu finden, welche die gewachsenen Anforderungen in Beruf und Privatleben berücksichtigen und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten erhalten bzw. fördern.
2. Vorstellung der Grundkonzepte und Maßnahmen Das, was früher Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben genannt wurde, heißt heute ‚neudeutsch‘ Work-Life-Balance. Diese Bezeichnung ist insofern etwas unglücklich gewählt als sie einen Gegensatz zwischen Arbeit (Work) und Leben (Life) suggeriert. Gemeinsam ist beiden Etiketten, dass sie ein Spannungsfeld bzw. einen Balance-Bedarf zwischen Berufsarbeit (oder auch -leben) einerseits und Privatleben (oder auch häuslicher, familiärer u.a. Arbeit) andererseits markieren, das es zu bewältigen gilt. Konzepte zur besseren Balance zwischen Berufs- und Privatleben lassen sich in Ansätze unterteilen, die vor allem die individuellen Kompetenzen der einzelnen Beschäftigten stärken sollen, und in Ansätze, welche vor allem die Organisation und ihre Management- und Führungsmethoden fokussieren. Beide Ansätze sollen hier kurz skizziert werden, wobei ich betonen möchte, dass sie nur in Kombination wirksam sind. Zunächst zum individuellen Ansatz: Hier wird davon ausgegangen, dass die Balance zwischen Berufs- und Privatleben ein wesentlicher Einflussfaktor darauf ist, ob wir Herausforderungen als belastend oder bereichernd empfinden. In transkulturellen Studien (vgl. zusammenfassend: Seiwert/Tracy 2002, S. 29ff) sind vier Bedürfnis-Bereiche festgestellt worden, die in eine individuelle Balance gebracht werden müssen, um körperliche und seelische Erkrankungen zu vermeiden, und für die mit Blick auf westliche Industriegesellschaften diese Rangfolge ermittelt worden ist: 1. Leistung: In unserer Gesellschaft steht das Leistungsprinzip an erster Stelle. Auf die Erfüllung von Leistungszielen – zumeist im Beruf – entfallen schätzungsweise 50-70% unserer wachen Zeit. 2. Gesundheit: Unser Körper bzw. dessen Gesundheit ist ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf die Balance zwischen Berufs- und Privatleben (und umgekehrt). Oft werde er aber als Mittel zum Zweck der Leistungsoptimierung gesehen und erst dann als wichtiger Einflussbereich wahrgenommen, wenn er bereits beeinträchtigt ist. 3. Soziale Kontakte und Beziehungen: Zeiten für Beziehungen und soziale Kontakte z.B. in der Familie oder auch in weiteren sozialen Zusammenhängen sind ebenfalls wichtig. Sie werden in unserer Leistungsgesellschaft jedoch oft als Restgröße behandelt.
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4. Sinngebung in unserem Leben: Die Fragen nach dem Sinn unseres Lebens und unserer Aktivitäten, nach der Zukunft der Menschheit oder auch Fragen des Glaubens gehören zum vierten wichtigen Einflussbereich. Mit Blick auf diese vier Einflussbereiche wird einerseits davon ausgegangen, dass die mangelnde Bedürfnisbefriedigung in einem der Teilbereiche nicht durch eine ‚Übererfüllung‘ der Bedürfnisse in einem anderen kompensiert werden kann. Andererseits muss Balance nicht bedeuten, dass wir unsere Lebenszeit gleichmäßig auf die vier Bereiche verteilen (vgl. Seiwert/Tracy 2002, S. 31). Demnach ist es also durchaus denkbar, dass eine Managerin mit einer 60-Stunden-Woche in Balance leben kann, wenn bzw. weil ihr der Beruf sowohl das Sinnstreben als auch eine Vielzahl bereichernder sozialer Kontakte ermöglicht. Damit ist zugleich gesagt, dass es kein Standardrezept für alle gibt, sondern jede und jeder für sich eine individuelle Balance finden kann – und sollte. Im Rahmen dieses individuellen Ansatzes ist eine Reihe von Selbstmanagementtechniken entwickelt und vermittelt worden, die uns dabei helfen sollen, bezüglich der verschiedenen Lebensbereiche die eigene Balance zu bestimmen und im Alltag umzusetzen (vgl. ebd. S. 40-90): Sie reichen von der Setzung und Überprüfung selbst formulierter Ziele, über systematische Arbeits- und Zeitplanung bis hin zu der Fähigkeit Prioritäten zu setzen. Der individuelle Ansatz stößt aber sehr schnell an seine Grenzen, wenn seitens der Organisation die Work-Life-Balance der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als deren reine Privatangelegenheit betrachtet wird. Damit komme ich zum organisationalen Ansatz. Vor dem Hintergrund der in der Einleitung skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen und aufgrund der begrenzten Möglichkeiten des individuellen Ansatzes entstand in den USA in den 1990er Jahren ein Management-Ansatz, der für einen Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Organisationen eintrat. Stewart Friedman, Perry Christensen und Jessica DeGroot (1998) postulierten in der Harvard Business Review „the end of the zero-sum game“ zwischen privaten und beruflichen Anforderungen. Im Rahmen einer Studie, in der sie verschiedene Managementstile von Führungskräften untersucht hatten, stellten sie fest: Wenn Führungskräfte im Rahmen ihres (Personal-)Managements die privaten und beruflichen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten gleichermaßen berücksichtigen, steigt die Produktivität und Flexibilität des Teams. Daraus schlussfolgerten sie, dass berufliche Arbeit und Privatleben keine konkurrierenden Bereiche sein müssen, sondern Führungskräfte, die die Kunst „ganzheitlicher Führung“ beherrschen, eine Win-win-Situation für die Organisation und die Beschäftigten schaffen können. Es wird ein Erfolgskreislauf in Gang gesetzt: Führungskräfte befördern zum einen Veränderungsprozesse in Unternehmen hin zu mehr Selbstverantwortung in dezentralen Teams, einer höheren Flexibilität und einer effizienten Arbeitsorganisation. Zum anderen wertschätzen die Beschäftigten die Unterstützung der Vorgesetzten und der Organisation bei der Entwicklung ihrer persönlichen Work-Life-Balance. Dies stärkt wiederum die Loyalität, die Verantwortungsbereitschaft im Team und die Bereitschaft, sich auch in Belastungssituationen für die Organisation einzusetzen.
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Die beiden skizzierten Grundkonzepte zur Work-Life-Balance sind auch im Zusammenhang mit Fragen der betrieblichen Gesundheitsförderung bzw. des Gesundheitsschutzes relevant. Der Gesundheitsschutz gehört in Deutschland neben der Arbeitssicherheit zu den Unternehmerpflichten nach dem Arbeitsschutzgesetz. Er beschäftigt sich mit den langfristigen Auswirkungen der Arbeit auf die Gesundheit der Beschäftigten und zielt auf die Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen und Berufskrankheiten. In diesem Zusammenhang wird der individuelle Ansatz auch als Verhaltensprävention, der organisationale Ansatz auch als Verhältnisprävention bezeichnet. Dem organisationalen Ansatz im weiteren Sinne sind auch Maßnahmen, wie Angebote zur Integration von Beschäftigten während und nach der Elternzeit, Angebote zur betrieblich geförderten Kinderbetreuung (vgl. auch Busch und David in diesem Band) Angebote zur Arbeitszeitflexibilisierung u.a. Angebote zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben der in einer Organisation Beschäftigten zuzurechnen (vgl. dazu auch den einleitenden Beitrag von Krell). Ob und inwieweit die Angebote zur Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit, zur Reduzierung der Arbeitszeit oder auch zur Flexibilisierung des Arbeitsortes denn auch tatsächlich genutzt werden – z.B. auch von Männern und von Führungskräften – ist wiederum eine Frage der Organisations- und Führungskultur (dazu mehr unter 3.). An dieser Stelle sei noch eine grundsätzliche Anmerkung zur aktuellen Debatte und Praxis bezüglich der Vereinbarkeitsproblematik in Deutschland erlaubt: Vereinbarkeit wird hier vor allem unter dem Aspekt der Familienfreundlichkeit gesehen. Dass dies ein wichtiges Thema ist, steht außer Frage. Doch in unserer Arbeit mit vielen und verschiedenen Organisationen wurde deutlich, dass eine Arbeits- und Führungskultur, die WorkLife-Balance berücksichtigt, einen fairen Interessensausgleich nicht nur zwischen Unternehmen und Beschäftigten, sondern auch zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen praktizieren sollte. Um eine Kultur des fairen „Gebens und Nehmens“ im Team etablieren zu können, ist es wichtig, im Arbeitsalltag nicht nur Kinderbetreuungsbedürfnisse oder -pflichten zu berücksichtigen. Bedürfnisse nach Weiterbildungszeiten, Sabbaticals für soziales Engagement oder die lang erträumte Weltreise sind ebenfalls wichtige Themen für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Ebenso ist es in diesem Sinne wichtig, allen Formen von Familienverpflichtungen – sei es die Sorge um ältere Angehörige oder um den kranken Lebenspartner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft – Rechnung zu tragen. Insofern stellen die im Folgenden thematisierten Maßnahmen zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Handlungsfeld von Programmen und Maßnahmen zur Work-Life-Balance – und auch speziell zu dem Teilbereich der Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – dar.
3. Eine an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie orientierte Arbeitsorganisation und Führungskultur als Erfolgsfaktor Dieser Abschnitt basiert auf den Erkenntnissen aus drei Projekten:
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Das erste ist eine Befragung von 23 deutschen Unternehmen mit familienfreundlichen Maßnahmen durch das Staatsinstitut für Familienforschung (2004). 16 der Betriebe gaben an, diese Maßnahmen hätten die Effizienz und Produktivität gesteigert (vgl. ebd., S. 147). Das zweite ist das Modellprojekt „Entwicklung und Stärkung von Führungskräften in der Familienphase“, das die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) – u.a inspiriert durch den Work-Life-Balance-Ansatz – von 2003 bis 2004 durchgeführt hat (vgl. BMFSFJ 2004). Es fand im Rahmen einer Kooperation mit der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, heute: Deutsche Rentenversicherung Bund [DRB]) statt und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Im Rahmen des Projekts wurde in der BfA ein Organisationsentwicklungsprozess zum Thema familienfreundliche Arbeitsorganisation und Führungskultur in Gang gesetzt und evaluiert. Zusätzlich wurden Befragungen in fünf Unternehmen durchgeführt, die Erfahrungen mit Programmen und Maßnahmen zur Work-Life-Balance vorweisen konnten. Die Ergebnisse bestätigten, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben eine hohe Relevanz für die Produktivität einer Organisation hat. Denn: Treten bei den Beschäftigten Konflikte zwischen persönlichen und beruflichen Prioritäten auf, so ist dies eine Art Frühwarnsystem für Ineffizienzen. Bei der Analyse der Ursachen für eine mangelnde Work-Life-Balance der Beschäftigten werden in der Regel organisationale Schwachstellen sichtbar und damit veränderbar (vgl. ebd., S.12). Bei dem dritten Projekt, „Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort für Führungskräfte“ handelt es sich um ein Anschluss-Projekt an das zweite: Bei der DRB sind, neben einigen anderen Maßnahmen, 26 Führungskräfte mit Familienpflichten inklusive ihrer Vorgesetzten bei der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort von der EAF begleitet und beraten worden (vgl. EAF 2007). Diese Projekte – und auch andere (vgl. z.B. Prognos AG 2003) – zeigen zunächst, dass sich eine familienfreundliche Personalpolitik generell rechnet. Darüber hinaus verweisen die hier skizzierten Projekte darauf, wie vorteilhaft für Beschäftigte und Organisationen die nachfolgend dargestellten Bestandteile einer flexiblen Arbeitsorganisation und einer ganzheitlichen Führungskultur sind: x
Förderung jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters als ganze Person statt Ausblendung der privaten Seite Um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten – und damit der Organisation – zu fördern, ist es notwendig, dass Führungskräfte die ganze Person im Blick haben. Zu hohe Belastungen im Beruf können negative Auswirkungen auf das Privatleben haben oder umgekehrt. Langfristig wirkt sich dies negativ auf die Leistungsfähigkeit im Betrieb aus. Umgekehrt können im Privatleben neu erworbene Fähigkeiten, wie z.B. soziale Kompetenzen durch die Erziehung von Kindern, positive Auswirkungen auf die berufliche Qualifikation und Tätigkeit haben.
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Vielfalt an flexiblen Arbeitsmodellen statt Standardlösungen Arbeitszeiten können grundsätzlich bezüglich der Lage und/oder der Dauer variieren. Zusätzlich kann der Arbeitsort gewechselt werden. Die Möglichkeit, Arbeit z.B. fallweise oder regelmäßig zuhause zu verrichten, spart Zeit für Anfahrtswege
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und ermöglicht u.U. ein ruhigeres Arbeiten am heimischen Schreibtisch. Arbeitsteams, die Flexibilitätsspielräume optimal zu nutzen verstehen, experimentieren kontinuierlich mit der Art und Weise, wie die Arbeit im Team erledigt wird. Solche Teams sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, die kostbare Ressource Arbeitszeit so effizient wie möglich zu nutzen. Dass dabei die Interessen des Betriebs und der Beschäftigten berücksichtigt werden, ist aber kein automatisch oder selbstverständlich miterzeugtes ‚Kuppelprodukt‘. Vielmehr ist es eine Managementaufgabe, den Interessenausgleich im Blick zu behalten. Das ist auch deshalb wichtig, weil durch Beschäftigte selbst gesteuerte Arbeitszeiten im Kontext steigender Leistungsanforderungen und schrumpfender Belegschaften die Gefahr von Überlastungen dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärken können. Vereinbarungen zum Arbeitszeitausgleich (z.B. durch Arbeitszeitkonten) bleiben daher auch bei Flexibilisierung und selbst gesteuerter Arbeitsorganisation eine wichtige betriebliche Aufgabe (vgl. dazu auch Munz 2006). x
Ergebnis- statt Präsenzorientierung Bei einer ergebnisorientierten Arbeits- und Teamkultur wird die Arbeitsqualität und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten nicht an einem Maximum an Präsenz im Betrieb gemessen, sondern an den Ergebnissen der Arbeit. Wo die Arbeit abgeleistet wird, ist nachrangig. Dies ermöglicht sehr flexible Modelle, in denen z.B. sechs Stunden im Betrieb gearbeitet werden, dann nachmittags die Kinder zuhause betreut und abends am häuslichen Computer wieder Arbeitsaufgaben erledigt werden.
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Teamorientierte Arbeitsweise statt hierarchisch strukturierte Arbeitsorganisation Schnelle Reaktionen auf Kunden- und neue Marktanforderungen werden vor allem durch die Förderung von Selbststeuerungsprozessen in dezentralen Arbeitsteams gefördert. In den letzten Jahren ist daher ein Wandel hin zu teamorientierten Strukturen und Prozessen zu beobachten. Dazu gehört auch, dass Führungskräfte lernen, Aufgaben zu delegieren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Selbstständigkeit und Weiterentwicklung zu fördern. Die geringe Halbwertszeit und die wachsende Komplexität von erfolgsrelevanten Wissensbeständen führen dazu, dass Führungskräfte nicht mehr länger als ‚einsame Helden‘ (oder auch Heldinnen) agieren können, sondern die Fach- und Methodenkompetenz ihres Teams benötigen, um schnell auf neue Marktanforderungen reagieren zu können.
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Flexible Arbeitsplanung statt „Ad-hoc-Kultur“ Die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation setzt voraus, dass Kapazitäten sowie An- und Abwesenheiten in Abhängigkeit von Kundenanforderungen, betrieblichen Notwendigkeiten und der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Belangen geplant werden. Durch eine „Ad-hoc-Kultur“, also ständige spontane Besprechungen, ständige spontane ortsgebundene Arbeitsaufträge sowie häufige informelle Informationsflüsse wird die notwendige Flexibilität, in wirklich wichtigen Fällen auf überraschende Kundenanforderungen zu reagieren, eingeschränkt. Hier sollte genau geprüft werden, ob eine solche „Ad-hoc-Kultur“ sachlich und aufgabenbedingt notwendig ist oder ob sie nur auf überkommenen Gewohnheiten basiert.
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Lebensphasenangepasste Karrieremodelle auch für Führungskräfte statt das „one fits all“-Modell Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist für Führungskräfte vielfach noch ein Tabuthema. Denn an Führungskräfte werden deutlich höhere Erwartungen an Präsenz, Einsatzbereitschaft und zeitliche Verfügbarkeit gestellt als an andere Beschäftigte. Sie tragen die Verantwortung für das Produkt, das Team und den Erfolg. Doch die EAF hat in ihrer Beratung von Organisationen die Erfahrung gemacht, dass auch Führungskräfte Arbeitszeit und Arbeitsort abgestimmt auf ihre jeweilige Lebensphase flexibilisieren können – und sie können sogar Arbeitszeit reduzieren. Auch für Führungskräfte sind an ihre jeweilige Lebensphase angepasste Karrieremodelle praktizierbar. Stärker als bei Beschäftigten ohne Führungsaufgaben ist aber zu prüfen, in welchem Umfang für Personalführungsaufgaben Präsenz notwendig ist und welche Arbeiten delegierbar sind. Generell haben die Ergebnisse der Projekte „Entwicklung und Stärkung von Führungskräften in der Familienphase“ und „Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort für Führungskräfte“ aber gezeigt, dass vollzeitnahe Teilzeitmodelle (70-90% der regulären Arbeitszeit) oder Job Sharing für Führungskräfte durchaus praktizierbare Modelle sind (vgl. dazu auch Vedder/Vedder in diesem Band).
Wird in einer Organisation das Flexibilisierungspotenzial nur für Beschäftigte ohne Führungsaufgaben genutzt, konterkariert dies die Entstehung einer ergebnisorientierten Team- und Arbeitskultur. Denn das Signal lautet: Für Leistungsträger gilt nach wie vor die Präsenz- und nicht die Ergebniskultur. Wenn Karrieremöglichkeiten nach wie vor an eine lebenslange Erwerbstätigkeit ohne Unterbrechungen oder Reduzierungen aufgrund von familiären oder anderen privaten Verpflichtungen (oder auch Interessen) gekoppelt sind, wird sich die Leitkultur in der Organisation nicht verändern und kostbare Produktivitätspotenziale werden verschenkt.
4. Fazit Durch Programme und Maßnahmen zur Förderung der Balance oder Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben können Organisationen auch ökonomische Erfolge erzielen. Speziell durch die unter 3. geschilderten Maßnahmen kann der Prozess hin zu mehr Selbstverantwortung in dezentralen Teams, Flexibilität und einer effizienten Arbeitsorganisation gefördert werden. Die Arbeitsproduktivität kann gesteigert werden, indem Ergebnisorientierung unterstützt und durch die in Aussicht gestellte bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben auch mit Anreizen für die Beschäftigten versehen wird. Insbesondere Beschäftigte in Teilzeit besitzen eine hohe Sensibilität für ‚Zeitfresser‘ und ineffiziente Arbeitsabläufe. Reorganisationsprozesse sowie neue Formen der Arbeitsorganisation werden auf diese Weise nachhaltig gefördert. Diese positiven Effekte können allerdings nur erzielt werden, wenn eine nachhaltige Veränderung der Organisations- und insbesondere der Führungskultur erfolgt.
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Literatur BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) (Hg.): Führungskräfte und Familie. Wie Unternehmen Work-Life-Balance fördern können – Ein Leitfaden für die Praxis, Bonn. EAF – Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin (2007): Bericht zum Projekt „Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort für Führungskräfte“, Berlin (Veröffentlichung in Vorbereitung). Friedman, Stewart/Christensen, Perry/DeGroot, Jessica (1998): Work and Life: The End of the Zero-sum Game, in: Harvard Business Review, o.Jg., Heft November/Dezember, S. 63-80. Fryer, Bronwyn (2006): Müde Manager handeln wie Betrunkene, in: Harvard Business Manager, o.Jg., Heft 12, S.83-94. Institut für Demoskopie Allensbach (2005): Einstellungen junger Männer zu Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlichkeit im Betrieb, Allensbach. Prognos AG (2003): Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen – Kosten-Nutzen-Analyse, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Köln. Mai, Jochen/Ruess, Anette (2007): Stress ohne Ende – Die neue Krankheit der modernen Welt, in: Wirtschaftswoche, 61. Jg., Heft 12, S. 56-68. Mikrozensus (2005): Leben und Arbeiten in Deutschland – Sonderheft 2: Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Bonn. Munz, Eva (2006): Mehr Balance durch selbst gesteuerte Arbeitszeiten?, in: WSI Mitteilungen, 59. Jg., Heft 9, S. 478-484. Schelsky, Helmut (1972): Die Bedeutung des Berufs in der modernen Gesellschaft, in: Luckmann, Thomas/Sprondel, Walther M. (Hg.): Berufssoziologie, Köln, S. 34-43. Seiwert, Lothar J./Tracy, Brian (2002): Lifetime-Management, Mehr Lebensqualität durch Work-Life-Balance, Offenbach. Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (2004): Work-LifeBalance – neue Aufgaben für eine zukunftsorientierte Personalpolitik, Bamberg. Werle, Klaus (2007): Ausweitung der Arbeitszone, in: Manager Magazin, 37. Jg., Heft 2, S. 44-50.
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Günther Vedder und Margit Vedder
Wenn Managerinnen und Manager ihre Arbeitszeit reduzieren (wollen) … 1. … dann halten das einige Personalverantwortliche für nicht realisierbar 2. … dann gibt es rechtliche Regelungen, die dieses Vorhaben unterstützen 3. … dann sind sie eine oder einer von vielen 4. … dann kann davon auch der Arbeitgeber profitieren 5. … dann werden an die Beteiligten spezifische Anforderungen gestellt 6. … dann sind mit diesem Schritt Vor- und Nachteile verbunden 7. … dann ist besonders auf Chancengleichheit zu achten Literatur
Günther Vedder, Dr., Diplom-Kaufmann, Diplom-Soziologe, wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Arbeit, Personal, Organisation, Universität Trier. E-Mail:
[email protected] Margit Vedder, Diplom-Psychologin, war Frauenreferentin an der Universität Trier, ist inzwischen Mitarbeiterin bei Caritasverband Region Trier und dem Kreiswehrersatzamt Trier. E-Mail:
[email protected] 427
Wenn Managerinnen und Manager ihre Arbeitszeit reduzieren (wollen) … … dann können sie, wie ein Blick in die Literaturliste zu diesem Beitrag zeigt, inzwischen auf eine ganze Reihe von Publikationen zum Thema zurückgreifen. In den letzten 15 Jahren haben Journalistinnen diverse Einzelfälle porträtiert, Wissenschaftler die Machbarkeit des Vorhabens analysiert, Ministerien Handbücher für Personalverantwortliche herausgegeben, Organisationsberaterinnen die Grundlagen einer erfolgreichen Einführung beschrieben sowie Unternehmen ihre Erfahrungen mit dem Arbeitszeitmodell veröffentlicht. All diese unterschiedlichen Zugänge führten immer wieder zu dem gleichen Befund: Teilzeitarbeit für Führungskräfte ist organisierbar, schon weiter verbreitet, als man gemeinhin denkt und mit besonderen Chancen, aber auch Risiken verbunden. In diesem Artikel werden die zentralen Argumente der Diskussion um die Arbeitszeitreduktion im Management dargestellt und die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen benannt. Die Ergebnisse mehrerer empirischer Erhebungen sollen vor allem zur Beantwortung folgender Frage beitragen: Welche Vor- und Nachteile können sich aus der Einführung von Teilzeitarbeit für hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte ergeben? Obwohl die Perspektive der an einer Arbeitszeitveränderung interessierten Managerinnen und Manager im Vordergrund steht, werden auch die Interessenlagen der Vorgesetzten, Kolleginnen, Mitarbeiter und nicht zuletzt des Arbeitgebers näher beleuchtet. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der (fehlenden?) Chancengleichheit zwischen voll- und teilzeitarbeitenden Führungskräften. Denn eine weitere Verbreitung reduzierter Arbeitszeiten im Management wird vor allem davon abhängen, wie es den Zeitpionieren in Unternehmen und anderen Organisationen ergeht und ob Karriere in Zukunft trotz Teilzeitphasen möglich sein wird.
1. … dann halten das einige Personalverantwortliche für nicht realisierbar Im Frühjahr 1995 wurden von der Universität Trier über 100 deutsche Großunternehmen schriftlich um Angaben zur Verbreitung von flexiblen Arbeitszeitmodellen im außertariflichen Bereich gebeten (Details dazu s.u. 3.). Bei dieser Erhebung war besonders auffällig, wie viele Kontaktpersonen sich telefonisch zurückmeldeten, um entweder ihr spezielles Interesse an der Thematik zu bekunden oder auf die Brisanz der Fragestellungen hinzuweisen. Die Rücklaufquote der Fragebögen lag letztendlich bei 51% und hätte noch höher ausfallen können, wenn einige Unternehmen nicht großen Wert darauf gelegt hätten, auf keinen Fall mit ihren vereinzelten Kompromisslösungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie standen den flexiblen Arbeitszeiten für Führungskräfte sehr skeptisch gegenüber und hatten sich nur deshalb auf individuelle Lösungen eingelassen, weil ansonsten erfahrene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verloren gegangen wären. Wer Informationen zur Teilzeitarbeit im Management erheben möchte,
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trifft auch heute noch auf ein breites Spektrum: von sehr aufgeschlossenen Unternehmen (z.B. Bahlsen, Commerzbank), die ihre entsprechenden Angebote aktiv vermarkten, über kritische Arbeitgeber, die sich allenfalls im Einzelfall überreden lassen, bis hin zu ganzen Branchen (z.B. Bergbau), in denen das Thema überhaupt nicht diskutiert wird. Nachdem diverse Publikationen zu einem positiven Gesamturteil über die flexibel arbeitenden Führungskräfte gekommen sind (vgl. z.B. BMfFJ 1993, S. 17ff; Domsch u.a. 1994, S. 294f; Straumann u.a. 1996, S. 173; BMfFSFJ 1999, S. 23ff), wird die Kritik inzwischen eher hinter vorgehaltener Hand geäußert. Das war Anfang der 1990er Jahre noch ganz anders, wie folgendes Zitat des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens belegt: „Wer um 18 Uhr gehen will, sollte Tarifangestellter bleiben“ (Fix 1991, S. 67). Andere Personalverantwortliche sahen das Thema etwas differenzierter, kamen allerdings zum gleichen, ablehnenden Ergebnis: „Natürlich ist alles machbar – aber warum sollen wir uns solche Probleme machen, solange es Leute gibt, die voll arbeiten“ (Fischer 1989, S. 266). Neben diversen Teilzeit-Pionieren, die über ihr selbst ausgehandeltes Arrangement auch öffentlich berichteten, gab es eine Reihe von Einzelkämpferinnen, deren Erfahrungen in den Artikeln anonymisiert wurden (vgl. Fix 1991, S. 72ff). Natürlich trugen auch vor 15 Jahren schon aufgeschlossene Vorgesetzte mit dazu bei, den Bedürfnissen ihrer hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu entsprechen. Allerdings war es mit deren Toleranz und Progressivität häufig dann vorbei, wenn auf die Teilzeitfähigkeit der eigenen Position abgezielt wurde (vgl. Neujahr-Schwachulla/Bauer 1993, S. 92). In einem 1997 von Pietschmann erhobenen Stimmungsbild unter Führungskräften verschiedener Branchen wurden die nach wie vor verbreiteten, kritischen Einstellungen von möglichen Interessentinnen und Interessenten auf den Punkt gebracht: x ‚Teilzeit behindert Karriere‘, x ‚Teilzeit ist eine Lösung nur für Frauen‘, x ‚Teilzeit ist für Führungskräfte nicht möglich‘, x ‚Teilzeit führt zu spürbaren Gehaltseinbußen‘ (vgl. Pietschmann 1997, S. 350). Die genannten Zitate und Einwände vermitteln einen guten Eindruck davon, mit welchen Vorurteilen eine an Teilzeit interessierte Führungskraft unter Umständen auch heute noch zu rechnen hat und welche Problembereiche bei der Arbeitszeit-Umstellung in der Tat besonders beleuchtet werden müssen. Den kritischen Stimmen steht jedoch eine große Aufgeschlossenheit der Politik gegenüber, die sich bereits in vielfältigen gesetzlichen Vorschriften niedergeschlagen hat.
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2. … dann gibt es rechtliche Regelungen, die dieses Vorhaben unterstützen Diverse Gesetze, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Frauenförderpläne enthalten Regelungen zur Teilzeitarbeit (auch oder speziell im Management). Zum einen soll dadurch der Zugang zu dieser besonderen Arbeitszeitregelung erleichtert werden, zum anderen steht die Gleichbehandlung bereits existierender Teilzeit-Arbeitsverhältnisse im Mittelpunkt der Vorschriften. Ein Großteil der Paragraphen ließ sich lange Zeit nur auf die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes anwenden. Mit dem zu Beginn des Jahres 2001 in Kraft getretenen Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse steht erstmals auch vielen Führungskräften im privatwirtschaftlichen Bereich eine gesetzliche Grundlage zur Verfügung, auf die sie sich bei der Reduktion ihrer Arbeitszeit berufen können. Einige relevante Details des neuen Gesetzes werden weiter unten aufgegriffen. Zunächst soll es jedoch um rechtliche Regelungen gehen, die im Öffentlichen Dienst schon seit Jahren die Position der an Arbeitszeitreduzierung interessierten Führungskräfte stärken, indem sie eine Prüfungspflicht für jeden einzelnen Fall vorschreiben. Das Zweite Gleichberechtigungsgesetz (2. GleiBG) des Bundes von 1994 greift die Themen ‚Arbeitszeiten‘ und ‚Beurlaubung‘ in den §§ 9 bis 12 auf. Es sieht die Möglichkeit vor, Beschäftigten mit Familienpflichten geänderte tägliche und wöchentliche Arbeitszeiten einzuräumen. Dabei muss zwischen dem Bedarf der Einzelperson und den dienstlichen Gegebenheiten abgewogen werden. In § 10 Abs. 1 des 2. GleiBG findet sich folgende Formulierung: Unter Berücksichtigung der dienstlichen Möglichkeiten sowie des Bedarfs hat die Dienststelle ein ausreichendes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen, auch bei Stellen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben, zu schaffen. Den Anträgen von beamteten Führungskräften mit Familienpflichten auf Teilzeitbeschäftigung ist nach § 72a Abs. 4 bis 6 des Bundesbeamtengesetzes entweder zu entsprechen, oder die Ablehnung muss im Einzelfall begründet werden. Familienpflichten liegen dann vor, wenn mindestens ein Kind unter 18 Jahren betreut oder ein nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftiger Angehöriger versorgt werden muss. Vergleichbare Regelungen fanden sich in § 15b des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) und in § 15 des Manteltarifvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter. Auf Länderebene gehen die Forderungen der Landesgleichstellungs- und Landesbeamtengesetze häufig noch weiter. In Rheinland-Pfalz z.B. sieht § 11 Abs. 2 LGG vor, dass zusätzliche Teilzeitstellen, auch mit Vorgesetzten- oder Leitungsaufgaben, zu schaffen sind. Wer einen Antrag zur Reduzierung der Arbeitszeit einreicht, muss schriftlich auf die beamten-, dienst- und versorgungsrechtlichen Folgen hingewiesen werden. Lehnt die Dienststellenleitung den Antrag ab, so muss sie die konkreten ‚zwingenden dienstlichen Gründe‘ ebenfalls schriftlich darlegen. „Dabei ist eine allgemein gehaltene Begründung in dem Tenor, dass die Funktionsfähigkeit der Verwaltung hierdurch gefährdet sei, nicht ausreichend“ (MfKJFF 1997, S. 112). Nach § 11 Abs. 5 LGG sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorrangig bei der Besetzung gleichwertiger Vollzeitarbeitsplätze zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Betroffenen keine arbeitsvertraglichen Ansprüche auf eine Vollzeitbeschäftigung haben. § 10 Abs. 1 LGG sieht vor, dass frei werdende Stellen (auch mit Vorgesetzten- und 430
Leitungsaufgaben) in Teilzeitform auszuschreiben sind, soweit keine zwingenden dienstlichen Belange entgegenstehen. Im Landesbeamtengesetz Rheinland-Pfalz enthält § 80a Abs. 1 die Option, dass aus arbeitsmarktpolitischen Gründen (in Bereichen mit außergewöhnlichem Bewerberüberhang) zuvor angesparte Langzeiturlaube, bis zu 15 Jahren Teilzeitarbeit und ab dem 55. Lebensjahr Altersteilzeit beantragt werden können. Vergleichbare Regelungen finden sich auch in den Landesgesetzen anderer Bundesländer; sie werden in Dienstvereinbarungen und Frauenförderplänen teilweise noch weiter präzisiert. Im privatwirtschaftlichen Bereich gab es lange Zeit keine gesetzlichen Vorschriften dieser Art, auf die sich interessierte Führungskräfte berufen konnten. Auf Tarifvertragsebene waren meist nur die Rahmenbedingungen der Teilzeitarbeit geregelt, allerdings existierten in diversen Unternehmen einschlägige Betriebsvereinbarungen, die auch den Arbeitszeitwünschen von Fach- und Führungskräften Rechnung trugen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse (TzBfG) zum 1.1.2001 ist hier eine neue Ausgangsposition entstanden. Wer in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmern (§ 8 Abs. 7 TzBfG) tätig ist, kann auch in leitender Position (§ 6 TzBfG) einen Teilzeitanspruch geltend machen (§ 8 Abs. 1 TzBfG). Der Arbeitgeber muss die gewünschte Verringerung der Wochenarbeitszeit mit dem Ziel erörtern, zu einer Vereinbarung zu gelangen. Er kann dem Wunsch (nur dann) nicht entsprechen, wenn die Verringerung der Wochenarbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder wenn sie unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht (§ 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG). Wie die notwendige Abwägung der beiderseitigen Interessen in den Unternehmen in Zukunft ausfallen wird, lässt sich derzeit nur schwer prognostizieren. Welslau kommt zu folgender negativen Einschätzung: „Der Hinweis auf die Leitungspositionen ist sicherlich gut gemeint, wird aber in der Praxis häufig in die Leere gehen, auch wenn selbst in diesem Bereich Teilzeit durchaus möglich sein sollte“ (Welslau 2001, S. 72). Das neue Gesetz könnte aber auch die Verbreitung von Teilzeitarbeit im Management deutlich fördern, da es erstmals einen einklagbaren Anspruch auf Teilzeitarbeit festschreibt.
3. … dann sind sie eine oder einer von vielen Die Zahl der teilzeitarbeitenden Führungskräfte in Deutschland lässt sich nicht exakt feststellen. In mehreren Statistiken wird diese Personengruppe entweder überhaupt nicht oder nur mit sehr geringen Werten erfasst. Selbst die Personalabteilungen sind häufig nicht in der Lage, die entsprechenden Zahlen für das eigene Unternehmen anzugeben. Kritiker der Arbeitszeitreduzierung im Management gehen daher nach wie vor davon aus, dass es sich bei den veröffentlichten Beispielen um ausgewählte Einzelfälle handelt. Bereits ein kurzer Blick in die einschlägigen Publikationen (siehe Literaturverzeichnis) vermittelt allerdings ein anderes Bild. Es gab und gibt im deutschsprachigen Raum mehrere tausend Führungskräfte, die Erfahrungen mit den unterschiedlichsten TeilzeitModellen gesammelt haben. Für nahezu jede Hierarchieebene (Gruppenleitung bis Top-
431
Management), jeden Tätigkeitsbereich (Forschung, Verwaltung, Vertrieb, …), für Positionen mit geringer oder umfangreicher Personalverantwortung, für Stellen mit oder ohne direkten Kundenkontakt wurden diverse Beispiele dokumentiert. Natürlich sind das gemessen an der Gesamtzahl aller qualifizierten Fach- und Führungskräfte immer noch sehr geringe Zahlen, doch das Stadium der ‚Erprobung im Einzelfall‘ ist bereits abgeschlossen. Obwohl bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse die günstigeren rechtlichen Voraussetzungen ohne Zweifel im Öffentlichen Dienst vorlagen, lässt sich auch im privatwirtschaftlichen Bereich ein Trend zu mehr Teilzeitarbeit im Management nachweisen. In Abbildung 1 werden zunächst die wichtigsten Befunde von zwei umfangreichen Unternehmensbefragungen zum Thema dargestellt:
Unternehmensbefragung 1 (vgl. Straumann u.a. 1996)
Unternehmensbefragung 2 (vgl. Vedder 1999)
Erhebungsjahr
1993
1995
Räumliche Begrenzung
Nordwestschweiz
Deutschland
Teilnehmende Organisationen
53 Unternehmen (Rücklaufquote: 87%)
54 Großunternehmen (Rücklaufquote: 51%)
Beschäftigte insgesamt
53.165 Personen
888.285 Personen
darunter
16.361 Führungskräfte
103.816 AT-Beschäftigte
davon auf Teilzeitstellen davon
14% Frauen
86% Männer
642 Führungskräfte
8% Frauen
92% Männer
1.495 AT-Beschäftigte
70% Frauen 30% Männer 34% Frauen 66% Männer
Abb. 1: Vergleich zentraler Daten zweier Erhebungen zur Teilzeitarbeit im Management
x Die beiden quantitativen Erhebungen aus den Jahren 1993 bzw. 1995 kamen zusammen auf 2.137 Teilzeitstellen für qualifizierte Fach- und Führungskräfte. Je höher die Stellen in der Hierarchie angesiedelt waren, desto unwahrscheinlicher war eine reduzierte Arbeitszeit. x Während in der Nordwestschweiz 70% der teilzeitarbeitenden Führungskräfte Frauen waren, lag der entsprechende Wert in den deutschen Großunternehmen bei 34%. In beiden Erhebungen setzte sich die jeweilige Referenzgruppe ‚qualifizierte Fach- und Führungskräfte‘ (Straumann u.a. 1996) bzw. ‚AT-Beschäftigte‘ (Vedder 1999) zu über 85% aus Männern zusammen. x Durchschnittlich lag der Umfang der flexiblen Teilzeitregelungen bei 30 Stunden (Nordwestschweiz) bzw. 25 Stunden (Deutschland) pro Woche. In der Schweiz
432
kamen bei 67% der Teilzeit-Managerinnen und bei 43% der Teilzeit-Manager regelmäßige Überstunden (durchschnittlich 7 Wochenstunden) hinzu. x Gleitende Berufseinstiege und Altersteilzeitregelungen waren in deutschen Großunternehmen häufiger anzutreffen als Job-Sharing-Modelle, Jahresarbeitszeiten oder Sabbaticals. x Die Partner der weiblichen Teilzeit-Führungskräfte in der Schweiz gingen in 86% der Fälle einer Vollzeittätigkeit nach und beteiligten sich nur marginal an der Hausund Familienarbeit. Etwas häufiger engagierten sich die qualifizierten TeilzeitMänner im privaten Bereich, deren Partnerinnen in 56% der Fälle ebenfalls teilzeitbeschäftigt waren. x Das Gros der deutschen Teilzeit-Stellen im Management war in folgenden vier Beschäftigungsfeldern angesiedelt: (1) Stabsstellen, (2) Stellen in Personalabteilungen – z.B. Leiter Personalcontrolling, Leiterin Soziale Dienste, (3) Stellen in der Informatik – z.B. Systemanalytikerin, Programmierer und (4) Marketing-Stellen – z.B. Vertriebsbeauftragte, Graphiker, Texter. In Deutschland war der überwiegende Teil der Stellen in großen, in Ballungsgebieten angesiedelten Automobil-, Chemie- und Elektronikunternehmen, sowie im Dienstleistungsbereich zu finden. Diese eindeutige Konzentration veranlasste uns im Frühjahr 1999 zu einer ‚Gegenprobe‘ in den überwiegend Klein- und Mittelbetrieben des strukturschwachen Regierungsbezirks Trier. Diese dritte Studie ergab: Von den 400 größten Arbeitgebern der Region meldeten die 95 teilnehmenden Organisationen lediglich 35 Teilzeitstellen im Management (19 Frauen, 16 Männer) zurück. Die Führungskräfte arbeiteten überwiegend im Öffentlichen Dienst (Arbeitsamt, Krankenhäuser, Wohnungsverwaltung, Sparkassen), im Dienstleistungssektor (Krankenkassen, Pflegedienst, Apotheke) und nur selten in Produktionsbetrieben. Mehrere Arbeitgeber registrierten entweder keine entsprechende Nachfrage oder lehnten die Einrichtung solcher Stellen grundsätzlich ab („dann muss er halt woanders arbeiten“). In den Jahren 2001 und 2002 wurden im Rahmen eines psychologischen Projekts an der Universität Freiburg teilzeitarbeitende Führungskräfte im Öffentlichen Dienst untersucht (Mücke 2005). Aus einer Gruppe von 115 Amtsleitern und Abteilungsleiterinnen in Teilzeit, die von 25 Stadt- sowie 24 Landkreisverwaltungen gemeldet waren worden, wurde eine Stichprobe von 17 Personen gezogen (15 Frauen und 2 Männer). Diese hatten zum Erhebungszeitpunkt ihre Arbeitszeit bereits seit zwischen vier Monaten und 16 Jahren reduziert und arbeiteten überwiegend in den Bereichen Personal/Organisation, Kultur/Sport/Freizeit sowie Recht/Allgemeine Verwaltung. Ihnen waren im Durchschnitt 14 Mitarbeitende unterstellt, wobei die Spanne von einer bis zu 65 Personen reichte. Am häufigsten gab es die Arbeitszeitregelungen „4 Tage vormittags/1 freier Tag“ (für 50%-Stellen) und „4 Tage ganztags/1 freier Tag“ (für 80%-Stellen). Dazu kamen im Schnitt noch 5,6 Überstunden pro Woche, die nur teilweise ausgeglichen werden konnten. Als Motiv für die Reduzierung ihrer Arbeitszeit nannten die Befragten mehrheitlich Kinderbetreuung (12mal) oder gesundheitliche Gründe (3mal). 13 von 17 Führungskräften würden diesen Schritt wieder genau so gehen wollen („Das was das Beste, was mir je eingefallen ist.“), die anderen vier würden den Teilzeitumfang heute anders wählen. 433
4. … dann kann davon auch der Arbeitgeber profitieren Die Motive und Zielsetzungen der Arbeitgeber bei der Einführung von Teilzeitregelungen im Management können sich deutlich unterscheiden. Teils wollen die Unternehmensleitungen einzelne Managerinnen und Manager mit besonderen Arbeitszeitwünschen unbedingt halten, teils soll die Attraktivität des Unternehmens für Nachwuchsführungskräfte insgesamt gesteigert werden (vgl. Keese 1996, S. 15f). In manchen Fällen dient die Teilzeitarbeit dem gleitenden Einstieg in eine neue Position, bei älteren Führungskräften häufig dem gleitenden Ausstieg aus dem Berufsleben. In kritischen Phasen des Unternehmens kann eine kollektive Arbeitszeitreduktion auch als Alternative zum Personalabbau herangezogen werden (vgl. BMfFSFJ 1999, S. 28f). Einige Arbeitgeber stellen die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie (für Frauen und Männer) in den Mittelpunkt des Interesses, während in anderen Unternehmen die Schaffung von Teilzeitstellen im Management als reine Maßnahme der Frauenförderung verstanden wird. Unabhängig von diesen Motiven erhoffen sich die Unternehmens- und Verwaltungsleitungen von der Arbeitszeitreduktion folgende positive Wirkungen, die in mehreren Studien auch belegt werden konnten (vgl. Domsch u.a. 1994, S. 56; Dellekönig 1995, S. 72f; Straumann u.a. 1996, S. 153f; Mücke 2005, S.64ff): x Die relative Zeitknappheit der Teilzeit-Führungskräfte erfordert eine sorgfältigere Arbeitsplanung und bessere Selbstorganisation. Diese Managerinnen und Manager werden zur Konzentration auf das Wesentliche und zu einem effizienten Arbeitsverhalten gezwungen, was zu einer höheren Arbeitsproduktivität führt. x Trotz der Arbeitsverdichtung sind die Betroffenen häufig sehr motiviert und mit ihren Arbeitsbedingungen insgesamt zufrieden, weil die Arbeitszeiten ihren persönlichen Bedürfnissen entgegenkommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich einzelne ‚Zeitpioniere‘ ihre höhere Zeitsouveränität hart erkämpfen mussten. x Die unproduktiven Arbeitsphasen reduzieren sich bei einer Arbeitszeitverkürzung pro Tag in der Regel ebenso wie die Kurzfehlzeiten durch Arztbesuche oder Behördengänge. Es gibt Hinweise darauf, dass auch die krankheitsbedingten Ausfalltage unter Teilzeitbedingungen abnehmen (vgl. Domsch u.a. 1994, S. 57 und BMfAS 1995, Kapitel 2). x Wenn es gelingt, durch das Angebot von Teilzeitarbeit im Management erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, die ansonsten gehen würden, dann sinken die Fluktuationskosten (für Personalsuche, Einarbeitung, Qualifizierung, …) entsprechend. Natürlich müssen diesen positiven Effekten auch zusätzliche Kosten, die z.B. durch mehr Personal oder einen höheren Abstimmungsbedarf entstehen, gegenübergestellt werden. Dennoch vermitteln diese Effekte einen Eindruck davon, welcher Nutzen aus der Teilzeitarbeit im Management resultieren kann, wenn bestimmte Spielregeln bei der Einführung beachtet werden.
434
5. … dann werden an die Beteiligten spezifische Anforderungen gestellt Die Einführung von Teilzeitarbeit auf Managementpositionen greift fast immer in etablierte Arbeitsabläufe und gewachsene Abteilungs-Gleichgewichte ein. Meist sind mehrere Personen von den daraus resultierenden Veränderungen betroffen und müssen von der Vorteilhaftigkeit der Entwicklung überzeugt werden. Nahezu jede Publikation zum Thema mahnt in dieser Situation ein sensibles Change Management an, um mögliche Konflikte von vornherein zu entschärfen (vgl. z.B. Domsch u.a. 1994, S. 284ff; Dellekönig 1995, S. 125ff; Keese 1996, S. 74ff; BMfFSFJ 1999, S. 70ff; Zölch u.a. 2002, S. 80f.). Insbesondere ist zu prüfen, ob die Erwartungshaltung und typische Arbeitsweise der Beteiligten denn ‚teilzeitgeeignet‘ ist (s.u.) und an welchen Stellen in Zukunft umgedacht werden muss. Folgende betroffene Personen und Gruppen stehen im Mittelpunkt der Anpassungsbemühungen: die Unternehmensleitung, die Vorgesetzten, die Kollegen und Kolleginnen, die Führungskraft selbst sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unternehmens- bzw. Verwaltungsleitungen interessieren sich häufig aus völlig unterschiedlichen Beweggründen für die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen (s.u. 4.). Teilweise reagiert das Top-Management nur auf Einzelanfragen, teilweise regt es selbstständig größere Veränderungsprojekte an. Für den Erfolg der Maßnahmen ist von besonderer Bedeutung, dass sich das Interesse der Unternehmensleitung nicht auf Lippenbekenntnisse beschränkt. Die Signale von oben sollten eindeutig positiv sein und sich auch auf die zukünftigen Karrieremöglichkeiten der Teilzeit-Führungskräfte beziehen. Im Idealfall geht mit den konkreten arbeitsorganisatorischen Veränderungen ein entsprechender Wandel der Unternehmenskultur einher. „Basis eines Bewusstseinswandels bei Fragen der Ausweitung der Zeitsouveränität in Führungspositionen muss deshalb die glaubwürdige Selbstverpflichtung des Top-Managements sein“ (Dellekönig 1995, S. 135). Dabei handelt es sich um eine notwendige, aber für den Erfolg der Maßnahme noch nicht hinreichende Rahmenbedingung, die insbesondere durch ein angemessenes Vorgesetztenverhalten ergänzt werden muss. Wesentlich stärker als das Top-Management bekommen die direkten Vorgesetzten der teilzeitarbeitenden Führungskräfte die aus dem neuen Arbeitszeitmodell resultierenden Veränderungen zu spüren. Eine häufige Abwesenheit vom Arbeitsplatz (die allerdings auch bei Vollzeit-Managerinnen und -Managern aufgrund von Dienstreisen, Sitzungen etc. in größerem Umfang gegeben ist) erschwert die spontane Aufgabenverteilung und erfordert eine genauere Vorausplanung. Insbesondere für unvorhersehbare Problemfälle müssen die Zuständigkeiten vorab geklärt werden. Die Aufgaben der Teilzeitstelle sollten entsprechend der Arbeitszeitreduktion eingeschränkt und umverteilt werden, was zu Konflikten mit anderen Führungskräften führen kann. Werden diese Probleme dadurch vermieden, dass bei der Aufgabenzuordnung ‚alles beim Alten bleibt‘, droht mit der Arbeitsverdichtung eine permanente Überlastung der Teilzeit-Beschäftigten einherzugehen (vgl. Keese 1996, S. 75). Unter Umständen werden die direkten Vorgesetzten auch ihr Kontrollverhalten verändern und die Personalbeurteilung an neuen Kriterien festmachen (müssen). Statt einer Orientierung an Input-Größen (Anwesenheit am
435
Arbeitsplatz, Länge der Wochenarbeitszeit) bieten sich unter Teilzeitbedingungen eher Ergebniskontrollen und die Bewertung des Erreichens vorab vereinbarter Ziele an. Die auf der gleichen Hierarchieebene arbeitenden Kollegen und Kolleginnen der in Teilzeit arbeitenden Führungskräfte sind nicht nur durch mögliche Arbeitsumverteilungen von der Veränderung betroffen. Auch muss der Informationsfluss in horizontaler Richtung sichergestellt und müssen klare Vertretungsregelungen definiert werden. Da die Möglichkeiten kurzfristiger, informeller Absprachen eingeschränkt sind, kommt den regelmäßigen Arbeitsbesprechungen eine besondere Bedeutung zu. Es bedarf einer zunehmenden Institutionalisierung und Straffung der Kommunikation in Organisationseinheiten, um die kürzeren Anwesenheitszeiten effizient nutzen und stets auf die Anfragen interner oder externer Kunden reagieren zu können. In großen Unternehmen ist es häufig schon schwierig genug, für eine größere Anzahl von (über)vollzeitarbeitenden Führungskräften gemeinsame Besprechungstermine festzulegen. Diese Probleme werden durch die Arbeitszeitreduktion einzelner Manager und Managerinnen noch verschärft bzw. schränken deren zeitliche Wahlfreiheit deutlich ein. Alle bisher genannten Anforderungen gelten in besonderer Weise auch für das Verhältnis der in Teilzeit arbeitenden Führungskraft zu ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die meist zwingend notwendige Delegation von Teilaufgaben setzt ein großes Vertrauen in die Fach- und Problemlösungskompetenz der Untergebenen voraus. Sind diese entsprechend qualifiziert und zur Übernahme von mehr Verantwortung bereit, ergeben sich besondere Chancen des Job Enrichments und der Nachwuchsförderung. Auch im ‚Binnenverhältnis‘ ist ein offenes und strukturiertes Informationsverhalten (Schriftlichkeit geht vor mündlichen Absprachen) unabdingbar. Domsch u.a. schlagen eine umfangreiche Vorab-Analyse der Leitungsposition und eine gezielte Vorbereitung des Arbeitsumfelds durch Schulungen und Trainings vor, um die möglichen Risiken der Arbeitszeitumstellung aufzufangen (vgl. Domsch u.a. 1994, S. 289). Finanzielle Investitionen in der Umstellungsphase können dazu beitragen, die Effizienz und Qualität der Arbeitsleistungen, die Kontinuität und Einheitlichkeit der Aufgabenerfüllung sowie die Arbeitszufriedenheit aller Beteiligten auch unter veränderten Rahmenbedingungen sicherzustellen.
6. … dann sind mit diesem Schritt Vor- und Nachteile verbunden Die Vor- und Nachteile der Einführung von Teilzeitarbeit im Management lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven herausarbeiten (vgl. Kohn/Breisig 1999, S. 168ff). Die von der betrieblichen Veränderung betroffenen Personengruppen können, je nachdem, ob die Hauptakteure den besonderen Anforderungen mehr oder weniger gerecht werden, zu ganz unterschiedlichen Gesamteinschätzungen kommen. Wir wollen uns hier auf die teilzeitarbeitenden Führungskräfte selbst und deren direkte Vorgesetzte konzentrieren. Die folgenden Angaben basieren auf 10 Fallstudien (davon drei mit JobSharing-Teams), die im Rahmen mehrerer Diplomarbeiten an der Universität Trier dokumentiert wurden. Aus Abbildung 2 wird das Spektrum der dort vertretenen Branchen, Hierarchieebenen und des jeweiligen Umfangs der Personalverantwortung deut436
lich. Alle Befragten waren vor dem Übergang zur Teilzeitregelung in einem VollzeitArbeitsverhältnis beschäftigt und brachten im Durchschnitt 10 Jahre Berufserfahrung mit. Nr.
Branche/ Bereich
Beruf/Titel
Arbeitszeitmodell
Führungsverantwortung
1
Automobil
Systemanalytikerin
Teilzeitarbeit
Nein
2
Automobil
Systemanalytikerin
Teilzeitarbeit
Nein
3
Automobil
Systemanalytikerin
Teilzeitarbeit
Nein
4
Automobil
Systemanalytikerin
Teilzeitarbeit
Nein
5
Bank
Gruppenleiterin
Teilzeitarbeit
Ja (7 Personen)
6
Bank
Gruppenleiterin
Teilzeitarbeit
Ja (14 Personen)
7
Bank
Direktorin
Teilzeitarbeit
Ja (45 Personen)
8
Elektronik Dienststellenleiterin
Job-Sharing
Ja (11 Personen)
9
Elektronik Dienststellenleiterin
Job-Sharing
Ja (11 Personen)
10
Öff. Dienst
Referentin
Job-Sharing
Nein
11
Öff. Dienst
Referent
Job-Sharing
Nein
12
Öff. Dienst
Dezernatsleiterin
Job-Sharing
Ja (3 Personen)
13
Öff. Dienst
Dezernatsleiter
Job-Sharing
Ja (3 Personen)
Abb. 2: Übersicht zu den interviewten teilzeitarbeitenden Führungskräften
Die Teilzeit-Führungskräfte waren mit der Reduktion ihrer Arbeitszeit insgesamt zufrieden und würden diesen Weg jederzeit wieder einschlagen. Das positive Gefühl, Beruf und persönliche Interessen auf diesem Weg miteinander vereinbaren zu können, überwog die ebenfalls wahrgenommenen Nachteile. Im Vergleich zu früher kam es zwar häufiger zu arbeitsbedingten Stressphasen, die allerdings kürzer ausfielen und schneller in eine Erholungsphase mündeten. Alle Befragten waren bereit, in Problemsituationen auch Überstunden zu leisten bzw. die Lage ihrer Arbeitszeit dem besonderen Arbeitsanfall anzupassen. Sie verzichteten am Arbeitsplatz weitgehend auf Erholungspausen sowie informelle Gespräche und legten sämtliche Arzttermine in die Freizeit. Die Arbeitsverdichtung wurde nicht unbedingt negativ bewertet – es überwog der Stolz, das enorme Pensum auch in kürzerer Zeit bewältigen zu können. Wesentlich negativer fiel die Bewertung der eigenen Karrierechancen aus. Nur zwei der 13 Interviewten wurden aus der Teilzeitarbeit heraus befördert und erklärten sich im Rahmen dieses Aufstiegs zu einer Stundenzahlerhöhung bzw. zu einem sehr flexiblen Umgang mit der Arbeitszeit bereit. Ein weiteres Problem stellte die nicht optimale Einbindung in informelle Netze und die ständige Notwendigkeit zur umfassenden Informationsweitergabe dar. Obwohl die Führungskräfte die Probleme erkannt hatten und diverse Gegenstrategien erprobten (Schriftlichkeit, Überlappungszeiten, Schulungen zum Kommunikationsverhalten), wollten sie nicht ausschließen, dass Aufgaben manchmal doppelt bearbeitet würden oder liegen blieben. Jene Zeitpioniere, die
437
ihr innovatives Zeitmodell nicht wegen familiärer Verpflichtungen erprobten, sondern einfach mehr Eigenzeit zur Verfügung haben wollten, nahmen eine geringe(re) Akzeptanz der Kollegen und Kolleginnen wahr. Die Aufgabendelegation und die Einführung von Vertretungsregelungen ‚bei Abwesenheit‘ gestalteten sich hingegen unproblematischer als erwartet. In Fällen mit Führungsverantwortung wurden die besonderen Chancen der Förderung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, des grundsätzlichen Überdenkens von Abteilungsabläufen und der klaren Abgrenzung von Zuständigkeiten positiv herausgestellt. Auch die befragten Vorgesetzten kamen zu einer positiven Gesamteinschätzung des Arbeitszeitarrangements. Diese Kurzbeschreibung der Fallstudienergebnisse gibt Hinweise darauf, in welchem Umfang sich alle Beteiligten umstellen mussten, um einerseits (aus Sicht des Arbeitgebers) die erfahrenen Führungskräfte zu halten und andererseits (aus deren Sicht) trotz privater Verpflichtungen weiter berufstätig sein zu können. Insbesondere die Manager und Managerinnen waren den Unternehmen weit entgegengekommen und hatten ohne Zweifel die Hauptlast der Vereinbarungen zu tragen. Sie bewerteten allerdings ihre Chance, den Anforderungen aus verschiedenen Lebensbereichen gerecht werden zu können, deutlich höher als die offensichtlichen Nachteile.
7. … dann ist besonders auf Chancengleichheit zu achten Abschließend wollen wir uns der Frage annähern, warum es trotz der insgesamt positiven Erfahrungen von Zeitpionieren im Management nicht bereits deutlich mehr teilzeitarbeitende Führungskräfte in Deutschland gibt. Nur am mangelnden Angebot entsprechender Stellen kann es nicht liegen, denn zumindest im Öffentlichen Dienst gibt es entsprechende Stellenangebote: Eine umfangreiche Stellenanzeigen-Analyse in vier deutschen, überregionalen Tageszeitungen (vgl. Herbers 1999, S. 27) kam zu dem Ergebnis, dass 1996 insgesamt 1.962 Stellen für hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte entweder nur in Teilzeit, oder mit den Formulierungen ist teilzeitgeeignet bzw. ist grundsätzlich teilbar ausgeschrieben wurden. Fast alle diese Positionen waren im Öffentlichen Dienst zu besetzen; mehr als 50% davon im wissenschaftlichen Bereich. Grundsätzlich besteht auch ein Interesse seitens der Nachfrager, denn die Arbeitszeitwünsche vieler Manager und Managerinnen tendieren in Richtung ‚Verkürzung‘. Dazu zwei Befunde: x Die Ergebnisse einer Erhebung von Domsch und Ladwig zeigen, dass sich insbesondere die Altersgruppe der 41- bis 50-Jährigen, etwas mehr Frauen als Männer sowie eher Personen im unteren und mittleren Management, Teilzeitlösungen für drei bis fünf Jahre vorstellen kann (vgl. Domsch/Ladwig 1999, S. 40f). Selbst von den insgesamt am wenigsten Interesse zeigenden 31- bis 40-Jährigen wollte noch jede vierte Führungskraft auf jeden Fall ihre Arbeitszeit reduzieren. x Im Rahmen der Studie von Bischoff „Männer und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland“ von 1998 wollten 29% der 183 befragten männlichen und 39% der 165 befragten weiblichen Führungskräfte in Teilzeit arbeiten, während nur 438
20% bzw. 32% diesen Wunsch an ihrem Arbeitsplatz für realisierbar hielten (vgl. Bischoff 1999, S. 107). Zwischen 1986 und 1998 halbierte sich zudem der Anteil jener Vollzeitmanager, die mehr als 60 Stunden pro Woche arbeiteten, und der Anteil der unter 50 Wochenstunden arbeitenden Führungskräfte stieg auf 50% (vgl. ebd., S. 25). Was also behindert eine schnellere Verbreitung von Teilzeitstellen im Management? Ein Hinderungsgrund könnte sein, dass die Arbeitszeitwünsche einiger Interessenten nicht zu einer konkreten Teilzeit-Nachfrage führen, etwa weil die Führungskräfte letztendlich vor den damit einhergehenden Einkommensverlusten zurückschrecken, die aufgrund der Steuerprogression allerdings prozentual geringer ausfallen als die Arbeitszeitreduktion (vgl. BMfFSFJ 1999, S. 141). Die langsame Verbreitung könnte auch damit zusammenhängen, dass sich nach wie vor in konkreten Einzelfällen die Vorgesetzten oder das ganze Unternehmen vehement gegen eine solche Veränderung sträuben. Doch diese Konstellation dürfte, wenn man das positive öffentliche Meinungsbild zur Teilzeitarbeit im Management berücksichtigt, immer seltener werden. Der von Fachautoren und -autorinnen immer wieder herausgestellte und vielleicht gravierendste Grund ist jedoch die fehlende Chancengleichheit zwischen Teilzeit- und Vollzeitführungskräften, wenn es um weitere Karriereschritte geht. Teilzeitarbeit im Management ist zwar organisierbar, führt aber allzu oft auf dem Weg nach oben in eine Sackgasse (vgl. z.B. Bischoff 1999, S. 157ff). Es reicht offensichtlich nicht aus, den Nachweis zu erbringen, dass eine Funktion ohne Effizienzverluste für das Unternehmen auch bei häufiger Abwesenheit ausgefüllt werden kann (vgl. Friedel-Howe 1993, S. 418). Auch die wahrnehmbaren Vorteile einer Teilzeitlösung, wie z.B. eine kreativere und produktivere Aufgabenbearbeitung, die besonderen Chancen zur Nachwuchsförderung oder die verbesserten Möglichkeiten des Personalmarketings (vgl. Stratemann 1993, S. 430ff), können den Nachteil, als Teilzeitkraft seltener zur Verfügung zu stehen, nicht völlig ausgleichen (vgl. BMfFJ 1993, S. 47f). Die direkten Vorgesetzten tun sich mit den in Punkt 5 beschriebenen Forderungen nach mehr Vorausplanung, Arbeitsstrukturierung und Termineinhaltung schwer. Viele von ihnen präferieren Ad-hoc-Entscheidungen und die Verlagerung ihrer Hauptarbeitsphasen in die ruhigeren Abendstunden (vgl. Dellekönig 1995, S. 136ff). Sie sind häufig auf kurzfristige Zuarbeiten der Untergebenen angewiesen, die von teilzeitarbeitenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nur in weitaus geringerem Umfang zu leisten sind als von ihren vollzeitarbeitenden Kollegen. Einige Vorgesetzte mögen auf diesem Weg auch Machtmotive befriedigen, denn natürlich geht es um Macht, wenn erfolgreiche Führungskräfte ihrem Chef so lange wie möglich zur Verfügung stehen sollen. Es bereitet den Vorgesetzten in der Regel große Probleme, bei der Beurteilung der Mitarbeiterleistung von dem Input-Faktor ‚zeitliche Verfügbarkeit‘ weitgehend abzusehen und sich ganz auf die Qualität der Arbeitsergebnisse oder die Erreichung vereinbarter Ziele zu konzentrieren (vgl. Domsch u.a. 1994, S. 63ff). Wer häufiger greifbar ist und an der Problemlösung mitwirken kann, wird in der Regel auch besser bewertet und bei Aufstiegsentscheidungen bevorzugt. Wenn von Chancen(un)gleichheit im Bereich der Personalentwicklung die Rede ist, dann wird meist auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder Familien und
439
Singles abgestellt. Nach unserer Überzeugung verläuft eine eindeutigere ‚Trennlinie‘ entlang der beruflichen und privaten Zeitverwendung unterschiedlicher Gruppen von Führungskräften. Gute Karrierechancen hat in erster Linie, wer neben überdurchschnittlichen Arbeitsleistungen auch eine extreme zeitliche Flexibilität zugunsten der Berufsarbeit und eine hohe Mobilitätsbereitschaft aufweist. Die Teilzeit-Manager und Managerinnen signalisieren mit ihrer Entscheidung zur Verkürzung der Arbeitszeit, dass ihnen neben ihrem hohen beruflichen Engagement auch noch andere Verpflichtungen (Kinderbetreuung, Pflege) oder Interessen (Ehrenämter, Hobbys) wichtig sind. Sie konkurrieren allerdings meist mit (über-)vollzeitarbeitenden Nachwuchskräften um die knappen Aufstiegspositionen, und daraus ergibt sich schnell ein entscheidender Nachteil. Diese indirekte Diskriminierung trifft besonders Frauen, die Familienaufgaben übernehmen wollen oder müssen. Allerdings finden sich engagierte Väter, vollzeitarbeitende Männer mit ehrenamtlichen Verpflichtungen oder auch weibliche Singles, die mehr Eigenzeit für sich beanspruchen, ebenfalls in dieser unbefriedigenden Karrieresituation wieder. Abbildung 3 soll die besondere Rolle des Faktors ZEIT bei der Verteilung von Aufstiegschancen noch einmal verdeutlichen. In der rechten Hälfte des ‚Karrierespielfeldes‘ findet man sehr wohl Männer und Frauen, Singles und Verheiratete, Kinderlose und Eltern – aber so gut wie keine teilzeitarbeitenden Führungskräfte. Diese müssen sich mit weit überdurchschnittlichen Leistungen einen Vorteil verschaffen und auf die Fairness bzw. Zeit-Neutralität der Schiedsrichter (hier Vorgesetzten) hoffen.
Abb. 3: Zur Ausgangslage teilzeitarbeitender Führungskräfte im ‚Karrierematch‘
Wer Teilzeitarbeit im Management fördern will, muss insbesondere Chancengleichheit zwischen Personen mit unterschiedlichen Arbeitszeitarrangements herstellen. Wenn der innerbetriebliche Aufstieg auch jenseits tradierter Zeit- und Karrieremuster möglich ist,
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dann werden sich mehr Nachwuchskräfte trauen, ihre Arbeitszeitwünsche auch tatsächlich zu realisieren. Es bedarf eines teilzeitfreundlichen Betriebsklimas, Promotoren und Promotorinnen der Idee auf höchster Hierarchieebene und vor allen Dingen sensibler Vorgesetzter, um die Teilzeitarbeit für weitere Gruppen von Führungskräften attraktiv zu machen. Erst dann werden Unternehmen und Verwaltungen die aus der Teilzeitarbeit von hochqualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erwachsenden Produktivitätsund Motivationspotenziale umfassend ausschöpfen können.
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Stephan Höyng
Männer – Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben 1. Hegemoniale Männlichkeit und männerbündische Arbeitskultur im Berufsleben 2. Veränderung von Berufsarbeit, Lebensformen und Bedürfnissen 3. Differenziert: Männer im Umgang mit den heutigen Anforderungen 4. Hindernisse und Chancen für eine Neupositionierung 5. Herausforderungen einer neuen Arbeitskultur Literatur
Stephan Höyng, Dr. phil., Professor für Jungen- und Männerarbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, wissenschaftlicher Leiter des EU-Forschungsprojektes Work Changes Gender (2001-2005) bei Dissens e.V., www.work-changesgender.org. E-Mail:
[email protected] 443
1. Hegemoniale Männlichkeit und männerbündische Arbeitskultur im Berufsleben Männer, die den Beruf nicht mehr unumschränkt in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen, z.B. mehr Zeit für ihr Familienleben haben wollen, haben häufig zu Recht Angst um den Erhalt ihrer Arbeitsplatzes, ihre berufliche Anerkennung und Karrierechancen. Trotz aller Umbrüche herrscht in den Führungsetagen vieler Organisationen der privaten Wirtschaft und des Öffentlichen Dienstes eine Arbeitskultur, die zum traditionellen Lebensmodell von Führungskräften passt. Diese sind informellen männerbündischen Netzwerken verbunden, die Berufswelt ist ihre einzige Lebenswelt und sie sind daher ständig für den Beruf verfügbar. Das spiegelt sich auch in ihren Normen und Definitionen wider, etwa von Leistung. Unter Leistung verstehen sie Verfügbarkeit, Belastbarkeit und Engagement. Sie erwarten – unhinterfragt – vor allem eine Arbeitszeit weit über dem Üblichen, effizientes Engagement in kürzerer Arbeitszeit wird dagegen kaum wahrgenommen und honoriert (vgl. z.B. Höyng/ Puchert 1998, S. 270ff). Diese Kultur zeigt sich in Strukturen, Werten und Normen gerade hierarchischer und konkurrenzorientierter Organisationen. An vielen Arbeitsplätzen sind die Strukturen, Informationsflüsse, Entscheidungsabläufe und Leistungsdefinitionen auf die zugeschnitten, die viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen. Trotz einiger Anfechtungen ist diese männerbündische Arbeitskultur eine „Leitkultur“ auch unserer Gesellschaft, sie und die entsprechende Männlichkeit werden allgemein als normal oder erstrebenswert dargestellt. Auch staatliche Sozial- und Sicherungssysteme gehen davon aus, dass Männer sich in diese Form der Erwerbstätigkeit einfügen. Stellt man einen Zusammenhang zwischen Arbeitskultur und Lebensweise von Männern her, lässt sich mit Connells (1999, S. 92ff) Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“ ein vorherrschendes System von kulturellen, sozialen und individuellen Vorteilen beschreiben. Für Europa benennt Holter (vgl. 2003) hegemoniale Männlichkeitsstandards folgendermaßen: Männer sollten erwerbsorientiert und Familienernährer sein, karriereorientiert, immer verfügbar für den Arbeitsmarkt, als funktionierende Über-Erfüller über die eigenen Grenzen hinaus die gestellten Aufgaben lösen, dagegen sollten Männer keine Erziehungs-, Pflege- und Reproduktionsarbeiten übernehmen. Dieses vorherrschende Verständnis von Männlichkeit wirkt sich darauf aus, wie Männer und Frauen Beruf und Privatleben vereinbaren. Weil führende Männer ihre Interessen mit denen der Arbeitsstelle verbinden und dabei Ausgrenzungen von Menschen, die noch private Interessen haben, kaum wahrnehmen, wird die Vereinbarkeit dieser Bereiche meist durch die alltägliche Praxis der Organisationen behindert. Andererseits hat die europäische Untersuchung „Work Changes Gender“ (Puchert/Gärtner/Höyng 2005) anhand von Datenanalysen und Befragungen von 140 Männern in Norwegen, Spanien, Deutschland, Österreich, Bulgarien und Israel durchaus Teilkulturen finden können, die Erwerbsarbeit und Männlichkeit nicht in einen engeren Zusammenhang bringen. Die Beispiele verdeutlichen Connells (1999) Theorie, dass sich neben der vorherrschenden Männlichkeit und ihrer Art der Verknüpfung von Erwerbstätigkeit mit dem sozialen Leben noch andere Männlichkeiten finden (vgl. ebd., S. 97ff). Die Untersuchungen zeigen aber auch, dass weniger Erwerbstätigkeit von Männern in Familien nicht zwangsläufig zu einer gerechteren Verteilung von Arbeit und Belastungen führt. 444
2. Veränderung von Berufsarbeit, Lebensformen und Bedürfnissen Durch die globalen „Verschiebemöglichkeiten“ der Wirtschaft ist Erwerbsarbeit in den letzten Jahrzehnten ein knappes Gut geworden, und ihre Bedeutung, Funktion und Form verändert sich. Zur Verdeutlichung sollen einige Beispiele langfristiger Entwicklungen in der Europäischen Union angeführt werden (vgl. Höyng/Puchert/Holter, 2005, S. 21ff [aufbauend auf Daten von Eurostat]): Waren 1988 noch 30,7% der Männer und 58,2% der Frauen zwischen 15 und 65 Jahren ökonomisch nicht aktiv, waren dies 2002 schon 34% und 52,4%. Während 1988 von den erwerbsfähigen Männern 8,2%, den Frauen aber 12,8% erwerbslos waren, waren es 2002 nur noch 6,9% der Männer und 8,6% der Frauen. Auch wenn in der Europäischen Union im Jahr 2002 immer noch nur 6,6% der Männer und 33,4% der Frauen Teilzeit arbeiten, hat sich die Zahl der Männer zwischen 1988 und 2002 von 3,1 auf 6,1 Millionen verdoppelt. In befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiteten 1988 6,9% der Männer und 9,1% der Frauen, 2002 9,8% der Männer und 12,6% der Frauen. Deutlich wird: die Zahlen der Männer und der Frauen nähern sich an. Deutlich wird auch: Mehr als 50% der erwerbsfähigen Männer in Europa und auch in Deutschland arbeiten nicht (mehr) in dem sog. „Normalarbeitsverhältnis“, d.h. einer unbefristeten Vollzeitanstellung. Die Lebenssituation der meisten Männer entspricht also gar nicht mehr dem Bild des Familienernährers, der mit seinem regelmäßigen Einkommen die Familie versorgt. Die veränderten Arbeitsbedingungen gehen einher mit einer größeren Vielfalt von Lebensformen und Geschlechterverhältnissen. Bei den empirischen Untersuchungen von „Work Changes Gender“ reichten die Lebensformen von Alleinerziehenden und Singles über Lebensgemeinschaften wie Wohngemeinschaften, zusammenlebenden Paaren (homo- und heterosexuell) bis zu „Living-apart-together-Paaren“ mit und ohne Kindern (vgl. Scambor/Schwerma/Abril 2005, S. 134f). Und auch das Geschlechterverhältnis in Paarbeziehungen hat sich geöffnet. Viele Männer möchten längst nicht mehr in Berufsund Familienverhältnissen mit herkömmlichen Rollen leben. In den unterschiedlichen Haushaltsgemeinschaften werden die verschiedensten Formen von Arbeitsverteilung ausgehandelt. Daraus resultieren auch andere, neue Wünsche an die Vereinbarung von privatem Leben und Berufsarbeit (vgl. auch Holter/Riesenfeld/Scambor 2005). Auch das Selbstbild der meisten Männer entspricht nicht (mehr) der hegemonialen Männlichkeit. Berufsarbeit soll nicht mehr der einzige Lebensinhalt sein. In Deutschland wünscht sich eine große Mehrheit der vollzeittätigen Frauen und Männer eine andere Balance von Beruf und Leben. Sie möchten gern mindestens vier oder fünf Wochenstunden weniger arbeiten, als gegenwärtig – auch wenn dies Lohneinbußen zur Folge hätte (vgl. Bielenski/Bosch/Wagner 2001). Deutlich wird der Wandel bei jungen Vätern, von denen ca. 70% das Vaterschaftsmodell „Erzieher“ gegenüber dem „Ernährer“ bevorzugen (vgl. Fthenakis/Minsel 2001, S. 7). Auch in den Befragungen von „Work Changes Gender“ betonen Männer, dass sie sich weiterentwickeln und um Berufliches ebenso wie um Emotionales kümmern wollen. Sie möchten mehr Zeit und Möglichkeiten für Partnerschaften, für die Wahrnehmung von Betreuungspflichten oder -wünschen, für soziales Engagement oder einfach für die Wahrnehmung des „ganzen Lebens“ haben (Scambor/Schwerma/Abril 2005, S. 137f). 445
3. Differenziert: Männer im Umgang mit den heutigen Anforderungen Im Spannungsfeld zwischen den beruflichen Rahmenbedingungen und den eigenen Lebensformen, Wünschen und Bedürfnissen ließen sich im Rahmen von „Work Changes Gender“ verschiedene Männlichkeiten identifizieren. Von den über 120 Männern, deren Interviews für eine Korrespondenzanalyse aufbereitet wurden, war etwa die Hälfte in Normalarbeitsverhältnissen tätig, die andere Hälfte hatte, meist freiwillig, ihre Erwerbsarbeit reduziert. In der Korrespondenzanalyse (vgl. Halrynjo/Holter 2005, S. 105ff) waren die signifikantesten Unterscheidungsmerkmale der Befragten die Themenfelder häusliche Kinderbetreuung und Arbeitszeit. Das Spannungsfeld zwischen geringer und hoher Arbeitszeit hängt zusammen mit den Karriereaussichten und der beruflichen Position, die wiederum eng verbunden mit Bildung und sozialem Status sind. Das Spannungsfeld Betreuung versus Berufsarbeit polarisiert Kinderbetreuung, Betreuung von anderen als Hauptfreizeitaktivitäten, Elternzeit und Arbeitszeitreduktion aus Betreuungsgründen und alle andere Freizeitaktivitäten. An diesen beiden Themenfeldern richten sich die beiden Achsen der graphischen Darstellung der Korrespondenzanalyse aus. In der Mitte der – von mir hier stark vereinfachten – Graphik (vgl. Abbildung 1) finden sich die Merkmale eines typischen guten Ernährers, in den vier von den Achsen gebildeten Feldern konzentrieren sich die Merkmale von vier Typen von Männlichkeit, die vom Ernährer abweichen: alternativ Patch worker
keine Kinderbetreuung keine Elternzeit
•Freiberuflicher Erwerb unter 20 Std./W. •einige Freizeitaktivitäten •schlechte berufliche Sicherheit und Chancen •große Zufriedenheit insgesamt
•Erwerbszeit von 46-75 Std./W. •Freizeitbeschäftigung: Arbeit •Gute Karrierechancen •Unzufriedenheit mit Arbeitszeit und Sozialleben traditonell Guter Ernährer
Verkürzte Arbeitszeit, geringe Bildung und berufliche Stellung
Karriereorientiert Übererfüller
Vollzeitarbeit, hohe berufliche Bildung, beruflich etabliert
•Erwerbszeit zwischen 40-45 Std./W •Erwerbsszeit unter 40 Std./W
•Freizeit: Kinder, Hausbau /-renovierung
•Freizeit: Kinder und Familie
•Sichere Arbeit mit geringen Aufstiegschancen
•Geringe berufliche Sicherheit und Chancen •große Zufriedenheit insgesamt Genderpionier fürsorglich
•hohe Zufriedenheit mit Partnerschaft und insgesamt, unzufrieden mit Beruf und Sozialleben
Kinderbetreuung Elternzeit
Fürsorge und Karriere privilegiert
Abb. 1: Masculinities (vgl. Halrynjo/Holter 2005, S. 111)
In Abbildung 1 werden unterschiedliche Umgangsweisen mit der Veränderung der beruflichen und sozialen Lebenswelt sichtbar. Mit dem verwendeten Forschungsverfahren lassen sich somit die verschiedenen Arten und Weisen, in denen Männer heute Beruf und Privatleben vereinbaren, in denselben fünf bis sechs Männlichkeiten charakterisieren, die in den letzten Jahren auch schon in anderen Studien (mit qualitativen Verfahren) identifiziert wurden. Zu den traditionellen Männlichkeiten zählen: 446
x „Gute Ernährer“ Der gute Ernährer ist typischerweise mit seiner Partnerin verheiratet und lebt mit ihr und Kindern zusammen. Auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagiert er nicht. Weiterhin versteht er sich selbst als männlich, weil er das Geld für seine Familie verdient. Das Einkommen der Frau wird ggf. als Zusatzverdienst wahrgenommen. Er versteht das Ertragen der beruflichen Belastungen als seinen Beitrag zum Familienleben und übernimmt im familiären Alltag keine Verantwortung (vgl. Höyng/Puchert 1998; Fthenakis/Minsel 2001). x „Karrieremänner“ oder „Übererfüller“ Bei Karrieremännern kommen sehr lange Arbeitszeiten, Führungsposition, hohe Arbeitsplatzsicherheit und weitere Karriereerwartung zusammen (vgl. Halrynjo/ Holter 2005, S. 111). Dies sind auch die wesentlichen Merkmale des Übererfüllers (vgl. Höyng/Puchert 1998, S. 262), für den ein Familienzusammenhang, auch Kinder, nur möglich ist, soweit eine Partnerin diesen Bereich als Hausfrau und Mutter lückenlos abdeckt. Der Übererfüller ist bereit, seine gesamte Person in seinen Beruf zu investieren, um zu den Gewinnern der sozialen Polarisierung zu gehören, denn er definiert seine Männlichkeit über den beruflichen Erfolg. Er passt fast alle Bedürfnisse ins Berufsleben ein und hat nur einen sehr reduzierten privaten Lebensbereich (vgl. Gärtner/Gieseke/Beier 2006, S. 32ff). Die Lebenswelt des Übererfüllers ist gekennzeichnet einerseits durch langjährige kameradschaftliche berufliche Beziehungen und einem daraus resultierenden Zugehörigkeitsgefühl, andererseits durch internen Druck, Karriereorientierung und Abgrenzung von anderen. Ein wichtiges Merkmal für die Minderheit von Männern, die eine andere Männlichkeit lebten, war die freiwillige Reduktion der Arbeitszeit ihrer festen Stelle, Hörning, Gerhardt und Michailow (1990) prägten dafür den Begriff „Zeitpionier“. Im Beruf sind dem Zeitpionier ein gutes Arbeitsklima und inhaltliche Herausforderungen wichtig. Daneben hat er aber noch andere Schwerpunkte und Interessen im Leben: Dabei ist die Pflege und Erziehung von Angehörigen nur ein Grund für freiwillig reduzierte Erwerbsarbeit, andere häufig vertretene Gründe sind Studium und mehrere Jobs, vereinzelt mehr Lebensqualität. Seine Reduktion von Berufsarbeit ist nicht in Zusammenhang zu setzen mit mehr Beteiligung an Hausarbeit, aber mit mehr Beteiligung an häuslicher Pflege von Kindern oder anderen. In der Korrespondenzanalyse von „Work Changes Gender“ können heute die Männer, die ihr Selbstverständnis in Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen neu formieren, anhand des Umgangs mit Beruf und Betreuung genauer unterschieden werden: x „Patchworker“ Patchworker sind aus verschiedenen Gründen weniger berufstätig, öfter Single, mit männlichem Partner oder bei den Eltern lebend oder in Ausbildung, die Einzigen die nennenswerte Freizeitaktivitäten anführen können. Diese Lebensweise wird oft als Übergangsphase von der Bildung und Ausbildung ins Erwerbsleben bezeichnet (vgl. z.B. Falter/Flückiger/Silber 1998), aber Halrynjo und Holter (2005, S. 111) erkennen keinen engen Zusammenhang zu einem jüngeren Lebensalter. x „Fürsorgliche Männer“ Die Männer, die aufgrund von Kinderbetreuung weniger oder gar nicht berufstätig
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sind, oft in Form von Elternzeit, übernehmen Aufgaben, die bislang mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. Diese Männer nennen Halrynjo und Holter (2005) „Pioniere im Geschlechterverhältnis“ (ebd., S. 113). x „Hausmänner“ Nur zwischen fünf und sieben Prozent der Männer in Paarhaushalten leisten mehr Hausarbeit als ihre Partnerinnen. Sie sind typischerweise nach 1951 geboren und hoch gebildet. Sie sind aber „nur“ als Facharbeiter mit einem befristeten Arbeitsvertrag und einem geringen Einkommen erwerbstätig, während ihre Ehefrau hoch qualifiziert erwerbstätig ist. Dies wurde von Ramos (2005) erstmals mit empirischen Daten aus der britischen Haushaltsbefragung (BHPS) belegt (ebd., S. 265ff). Dieses Ergebnis deutet auf eine pragmatische Kultur im Umgang mit Arbeitsbelastungen hin, die auch eine Gleichverteilung von Berufs- und Hausarbeit fördert. Einen solchen Pragmatismus findet Meuser (1998, S. 246ff) in einer Gruppenbefragung in Deutschland bei jungen Facharbeitern – nicht aber in den Mittelschichten. x „Privilegierte Pioniere“ Männer, die Karrierestreben mit familiären Pflichten (Kinderbetreuung) verbinden, arbeiten sowohl zuhause als auch im Beruf mehr als der Durchschnitt der Männer. Es sind häufig gleichstellungsorientierte Männer mit einer Karrierefrau als Partnerin. Sie stehen unter der klassischen Doppelbelastung an der Grenze zur Selbstüberforderung. Da sie teilweise auch in privilegierten Positionen arbeiten, können sie die Forderung einer besseren Vereinbarkeit am ehesten in die Organisationen der Berufswelt tragen (Halrynjo/Holter 2005, S. 114).
4. Hindernisse und Chancen für eine Neupositionierung Erwerbsorientierte Männlichkeit wird von der Kultur, den Strukturen und Institutionen unserer Gesellschaft in vielfältiger Weise gestützt, gefördert und gefordert, andere Lebensentwürfe und Männlichkeiten dagegen fallen immer wieder durch alle Raster. Die Dominanz der hegemonialen Männlichkeit lässt scheinbar nur bei wenigen Männern eine gelingende Verknüpfung von Sicherheitsbedürfnissen und Vielfalt in Berufsarbeit und Leben zu. In Betrieben und Verwaltungen werden Männer, die Teilzeit arbeiten oder ihre Erwerbsarbeit unterbrechen, unabhängig von ihren Leistungen häufig als Aussteiger behandelt und abqualifiziert. Ein deutscher Bankangestellter in Teilzeit erläutert: „In dem Moment, wo du entscheidest, auf Teilzeit zu gehen, bist du – karrieremäßig – tot. Es wäre naiv, anders darüber zu denken, zu glauben, dass du immer noch eine Chance hättest“ (Holter/Riesenfeld/Scambor 2005, S. 103). Aber es gibt auch „Silberstreifen am Horizont“ (vgl. dazu Vedder/Vedder in diesem Band). Die große Spannung zwischen ihren Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Bedingungen schlägt sich oft in widersprüchlichem Verhalten nieder, gerade bei den Männern, die sich um Veränderung bemühen. Eltern leben real oftmals mit einer traditionellen Aufteilung von Haushalt und Erwerbsarbeit nach Geschlecht (vgl. Cornelißen 2006 S. 9), obwohl beispielsweise eine Mehr448
heit junger Paare andere Lebensentwürfe als das Ernährermodell anstrebt. In der Analyse von „Work Changes Gender“ zeigt sich, dass Männer, die sich für die Betreuung von Kindern entscheiden, im beruflichen, aber auch in ihrem privaten Umfeld als Exoten und Ausnahmen wahrgenommen werden. Reaktionen aus dem nahen Umfeld, die das Besondere ihres Verhaltens betonen, und abwertenden Äußerungen aus dem weiteren Umfeld („Gehst Du jetzt nach Hause und gibst dem Jungen die Brust?”) können sie stark verunsichern. Sie fühlen sich deplatziert (Misplacement) und in ihrem Selbstverständnis als Mann verunsichert („ich und die anderen Mütter“). Um dies zu bewältigen, verändern manche Männer nach einiger Zeit ihre sozialen Kontakte und Netzwerke und reflektieren einige Männlichkeitsklischees. Sie verstehen sich aber nicht als „neue Männer“, die meisten Befragten stützten ihr Selbstbild vielmehr auf Elementen alter und neuer Vorstellungen von Männlichkeit (vgl. Scambor/Schwerma/Abril 2005, S. 142ff). Ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich trotz solcher Hindernisse Männlichkeiten neu formieren, ist die Vielzahl der Wünsche und die Vielfältigkeit der „Exoten“, der Abwiechungen vom Hegemonialen. Die privilegierten Pioniere, die Fürsorge und Erziehung trotz Doppelbelastung verbinden, zeigen schließlich, dass eine Veränderung von Männlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Und in dieser veränderten Haltung liegt eine Chance. So gut wie allen Männern in der Studie „Work Changes Gender“ ist gemeinsam, dass sie sich mit ihrer Partnerschaft deutlich zufriedener zeigen als mit ihrem sozialen Leben. Vergleichen wir herkömmliche und sich entwickelnde Männlichkeiten, so ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal die Zufriedenheit mit der Arbeitszeit. Halrynjo und Holter (2005) belegen einen engen Zusammenhang zwischen langer beruflicher Arbeitszeit und einer geringeren Zufriedenheit mit dem alltäglichen Leben, kürzere Berufsarbeitszeiten sind dagegen mit höherer Zufriedenheit verknüpft (vgl. ebd., S. 108). Zum selben Ergebnis kommt eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Arbeitsbedingungen (vgl. EWCO 2006, S. 11). Teilzeit arbeitende Männer betonten in Interviews, sie empfänden die Arbeitszeitreduzierung trotz betrieblicher Widerstände und mancher privaten Irritation als Gewinn von Lebensqualität – obwohl sie der Verlust an beruflichen Perspektiven schmerzt (vgl. Scambor/Schwerma/Abril 2005). Und trotz der Doppelbelastungen lassen auch die privilegierten Pioniere eine hohe Zufriedenheit mit ihrem Leben erkennen. Die Zufriedenheit mit einer Betreuungsphase wie der Elternzeit sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es langfristig für Männer ebenso wie für viele Frauen selten eine zufriedenstellende Perspektive ist, nur Erzieher oder Hausmann zu sein, ist doch das Bezugsmodell hegemonialer Männlichkeit auch für sie Maßstab der „Abweichung“. Sofern sie Familie wollen, ist es also für viele Männer eine besonders zufriedenstellende Lebensweise, sich für Beruf und für Familie zu engagieren. Nicht nur Betriebe, die spezialisierte und schwer einzuarbeitende Mitarbeiter benötigen, haben Vorteile davon, diese dabei zu unterstützen, einen Umgang mit den gesellschaftlichen Veränderungen zu finden.
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5. Herausforderungen einer neuen Arbeitskultur Der Wandel der Ökonomie ist schon immer verknüpft mit einem Wandel von Bedürfnissen und Lebensformen. Diese Faktoren beeinflussen auch, wie sich die Arbeitskultur in der Sphäre der Berufsarbeit verändert. Die heutige Dynamik verlangt auch schnelle staatliche Reaktionen auf die veränderten Lebenslagen und Bedürfnisse. Sehr spät hat der deutsche Staat zumindest auf die Betreuungswünsche von Vätern reagiert und seit 2007 das Elternzeitgesetz dem der nordeuropäischen Länder angenähert. In Norwegen z.B. müssen Väter Familienengagement nicht mehr extra begründen und es kann ihnen kaum noch zum beruflichen Nachteil gereichen (vgl. z.B. Holter 2003). Die hohe Zufriedenheit von Männern, die trotz verschiedener Widerstände Erwerbsunterbrechungen oder Teilzeit gewählt haben, muss von Betrieben als ein wesentlicher beruflicher Motivationsfaktor erkannt werden, der Produktivität und Effektivität beeinflusst (vgl. auch Peinelt-Jordan 2004, S. 303). Nicht nur Kinder betreuende Mütter und Väter, sondern die breite Masse der Männer und Frauen in unserem Land wollen keinen höheren Lebensstandard für einzelne, sondern mehr Lebensqualität für sich und andere. Sie wünschen ausgeglichenere Formen der Verteilung von Berufs-, Haus- und Betreuungsarbeit. Warum sollten Betriebe sich dem entgegenstellen? Die Lebensform der Mitarbeiter sollte für Betriebe nur insofern relevant sein, als es Wege zu finden gilt, sie mit den betrieblichen Erfordernissen zu vereinbaren. Mit Modellrechnungen weist z.B. das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach, dass sich die Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen grundsätzlich rechnet (BMFSFJ 2003, S. 6). Bei arbeitnehmergerechter Zeitpolitik sind die Erwerbstätigen weniger überlastet, zufriedener, gesünder und engagierter. Dies spart Kosten für Fehlzeiten (vgl. ebd., S. 19) und erleichtert die Rekrutierung von MitarbeiterInnen (vgl. ebd., S. 14ff). Wenn Umsetzungsmaßnahmen zur Vereinbarkeit auch Männer einbeziehen wollen, kann es nicht bei Einzelmaßnahmen bleiben. Solche Maßnahmen zielen vielmehr auf grundsätzliche Veränderungen der Arbeitskultur, mit der sich Betriebe an die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung anpassen: x Männer und Frauen in Teil-, Elternzeit oder anderen Beschäftigungsverhältnissen werden gleich behandelt und genauso wie in Vollzeit Tätige abgesichert und gefördert. x Die Ressourcen, die aus anderen Lebensbereichen in die Berufsarbeit eingebracht werden, werden wahrgenommen und wertgeschätzt. x Die Arbeitskultur der Organisation wird, einschließlich Haltung und Habitus der Führungskräfte, als stetig zu entwickelnde Ressource verstanden (vgl. Lange 2006, S. 116ff). x Die Kriterien für die Leistungsbeurteilung werden transparent gemacht, Benachteiligungen wird nachgegangen (zur Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter bei der Leistungsbeurteilung vgl. auch Krell in diesem Band).
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Vereinbarkeit für Frauen und Männer zu unterstützen und das eigene Leitbild dem Wandel der Ökonomie und der Bedürfnisse anzupassen, wird für Unternehmen mittelfristig keine Frage der „Mildtätigkeit“, sondern der Wettbewerbsfähigkeit sein.
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Carola Busch
„Wenn das Kind in den Kindergarten geht, dann wird sie wiederkommen. Und das ist auch so gewünscht.“ – Wie und warum Unternehmen Kinderbetreuung fördern 1. Warum fördern Unternehmen Kinderbetreuung? 1.1 Geschichtlicher Rückblick 1.2 Aktueller Diskussionsstand
2. Wie können Betriebe Kinderbetreuung fördern? 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Einzelbetriebliche Kindertagesstätte Überbetriebliche Kooperation mehrerer Unternehmen Betriebsnahe Einrichtung auf Stadtteilebene Erwerb von Belegrechten in bestehenden Einrichtungen Von Unternehmen geförderte Elterninitiativen Kooperationsverbund zur Verbesserung der Infrastruktur zur Kinderbetreuung
3. Fazit Literatur
Carola Busch, zuständig für Berufsbildungsforschung und Förderung des Ausbildungsumfeldes im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Beteiligt an JOBLAB & Diversity und Mitentwicklerin des Computerplanspiels JOBLAB. Mitbegründerin von TOTAL E-QUALITY Deutschland e.V. und langjährige Vorsitzende von Jury und Beirat. E-Mail:
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1. Warum fördern Unternehmen Kinderbetreuung? Immer mehr Unternehmen setzen sich mit den Möglichkeiten betrieblicher Unterstützung von Kinderbetreuung auseinander. Angestrebt wird dabei Mitarbeiterinnen, und zunehmend auch Mitarbeitern, den Wiedereinstieg nach einer Familienphase zu erleichtern. Wieso aber erwägen Betriebe, sich an Aufgaben zu beteiligen, die nicht ihrem originären betriebswirtschaftlichen Arbeitsgebiet angehören, sondern gesamtgesellschaftlicher Natur sind? Was bewegt also Personalverantwortliche, sich auf soziales Terrain zu begeben, und welche Möglichkeiten des Engagements sind aus ihrer Sicht praktikabel?
1.1 Geschichtlicher Rückblick Neu ist das Engagement von Unternehmen auf dem Sektor Kinderbetreuung nicht. Es reicht zurück bis in die Anfänge der Industrialisierung. Damals war die betriebseigene Einrichtung das präferierte Modell. Erste Betreuungseinrichtungen für Kinder der Beschäftigten erbaute Jakob Fugger bereits im 16. Jahrhundert im Rahmen seiner „Fuggerei“. Schon damals wurde festgestellt, dass die Eltern, wenn sie ihre Kinder gut versorgt wissen, konzentrierter und letztlich effektiver arbeiten. Mit zunehmender Industrialisierung und damit einhergehender Verstädterung wurden außerfamiliäre Betreuungsformen immer wichtiger. Infolge der Umstrukturierung der Familie standen Verwandte zur Beaufsichtigung der Kinder immer weniger zur Verfügung. Daher nahmen viele Mütter aus der Not heraus und weil die einzige Alternative darin bestand, die Kinder unbeaufsichtigt alleine zu Hause zu lassen, ihre Kinder mit an den Arbeitsplatz. Dies hatte jedoch gleich mehrere Nachteile. Zwar waren die Kinder in der Nähe ihrer Mütter und unter Aufsicht, doch waren sie damit auch den Unfallgefahren in den großen Fabrikhallen ausgesetzt, und die Konzentration der Beschäftigten auf ihre Tätigkeit wurde durch die Anwesenheit der Kinder merklich eingeschränkt. Außerdem zeigte sich, dass ihre tägliche Anwesenheit in den Fabriken zu gesundheitlichen Schäden führte. Analog der Einschränkung und dem späteren Verbot von Kinderarbeit wurde das Mitbringen von Kindern an den Arbeitsplatz dann zusehends eingeschränkt. Als Alternative boten viele Unternehmen ihren Arbeiterinnen die Möglichkeit, die Kinder in eigens dafür bereitgestellten Räumen betreuen zu lassen. Schon damals wurde eine direkte Verbindung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit von Frauen deutlich. Sowohl ein striktes Verbot, Kinder mit an den Arbeitsplatz zu bringen, als auch ein Arbeitsverbot für Mütter ließen sich nicht realisieren, denn, so begründete das Gewerbeaufsichtsamt des Regierungsbezirks Breslau: „Eine solche Maßnahme würde die Industrie bei dem herrschenden Mangel an Arbeiterinnen und der Notwendigkeit, sich die manuelle Geschicklichkeit der Arbeiterinnen zu Nutze zu machen, so schwer schädigen, dass die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Industriestaaten, die bisher kein solches Verbot kennen, auf das Schwerste leiden würde“ (Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten und Bergbehörde für das Jahr 1899, Berlin 1900, zit.n. Kurschilgen 1993, S. 25).
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Die in den Fabriken bestehenden Betreuungseinrichtungen hatten ursprünglich hauptsächlich eine bewahrende Funktion. Oftmals wurden die Kinder von einer Familienangehörigen der Firmeninhaber beaufsichtigt und beschäftigt. Mit größerer Verbreitung dieser „Fabrikkindergärten“ ging man jedoch dazu über, Fachpersonal einzustellen. Damit einher ging auch eine Änderung von der reinen „Bewahranstalt“ hin zum „Kindergarten“. In diesem Zusammenhang fand eine Umgewichtung von dem Aspekt der Betreuung hin zur Erziehung statt. Die beiden Aspekte von Betreuen und Bilden wurden in den betrieblichen Kindergärten, die im Rahmen der Betriebswohlfahrtspflege Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, zusammengefasst. Kinderbetreuung wurde vom Unternehmen als soziale Leistung für die Mitarbeiter/innen bereitgestellt. Dadurch konnten die negativen Auswirkungen, die die Betreuungsproblematik auf den Einsatz der Beschäftigten hatte, ausgeglichen werden. Die Entlastung von der Sorge um ihre nicht beaufsichtigten Kinder zeigte sich bei den Arbeitnehmerinnen in erhöhter Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Als positiver Aspekt für die Kinder war, neben der Verhinderung von Verwahrlosung und Unfällen, ein gehobenes Bildungsniveau bedeutsam. Das Unternehmen schuf sich mit dieser wie auch mit anderen sozialen Leistungen ein soziales Image, was speziell in Zeiten knapper Arbeitskräfteressourcen positive Auswirkung auf Einstellung und Fluktuation hatte. So kam es, dass zwar überwiegend Branchen mit hoher Frauenbeschäftigung, insbesondere die Textilbranche, aber auch andere Industriezweige Kinderbetreuungseinrichtungen eröffneten. Die Einrichtungen standen im Betrieb tätigen Müttern und auch Vätern zur Verfügung und hatten an deren Arbeitszeiten angepasste Öffnungszeiten. Kinder wurden ab dem Säuglingsalter aufgenommen und betreut. Anfang des vorigen Jahrhunderts betrug der Anteil dieser betrieblichen Einrichtungen an der Kleinkindbetreuung und erziehung z.B. in den Städten des Ruhrgebiets 30%.
1.2 Aktueller Diskussionsstand Schon damals waren also die Berufstätigkeit der Mütter, das Fehlen anderer Betreuungskapazitäten sowie erhöhte Arbeitseffizienz und steigende Motivation ausschlaggebend für das Engagement von Unternehmen. Die Beweggründe der Wirtschaft sind also im Wesentlichen schon bekannt. Betrachten wir sie nun im aktuellen Argumentationsrahmen. Auch derzeit ist die Erwerbstätigkeit der Mütter im Ansteigen und zu einem unverzichtbaren Faktor in der Personalpolitik geworden. Die Gründe der Frauen, Familie und Beruf vereinbaren zu wollen, liegen zum einen in ihrer gestiegenen beruflichen Qualifikation, zum anderen im Wunsch – und in vielen Fällen auch in der Notwendigkeit – nach finanzieller Eigenständigkeit. Steigende Scheidungszahlen und die wachsenden Anforderungen an das Familienbudget lassen vielen Frauen keinen Entscheidungsspielraum. Sie müssen erwerbstätig werden, wollen sie nicht auf soziale Unterstützung angewiesen sein, was immer einen gesellschaftlichen Statusverlust beinhaltet. Mit steigender Qualifikation nimmt einerseits die Zahl der Frauen ab, die ihre Berufstätigkeit wegen Kindern unterbrechen. Andererseits beabsichtigen die Frauen, die Erziehungszeiten beanspruchen, möglichst bald wieder in ihren Beruf zurückzukehren (vgl. z.B. Bien/Rauschenbach/Riedel 2006).
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Diese Vorstellungen harmonieren bestens mit den Personalplanungsgrößen von Unternehmen. Das Ausscheiden einer qualifizierten Fachkraft stellt für Betriebe immer einen Verlust dar. Betriebsbezogenes Wissen, das über viele Jahre angeeignet wurde, geht verloren, dies gilt ebenso für geleistete Investitionen in Aus- und Weiterbildung. Das betrifft Klein- und Mittelbetriebe in verschärfter Form: „Ich wäre dafür, dass sie gar nicht so lange ausscheiden müssten, wenn es die Kombinationsmöglichkeit gäbe. Denn der Betrieb investiert in den Mitarbeiter. Er muss angelernt werden, er braucht einen betrieblichen Einblick, er muss die betrieblichen Strukturen kennen lernen, er muss die betriebliche Organisation kennen und, wenn er Kundenkontakt hat, muss er die Kunden kennen lernen. Das ist ein Prozess, der nicht innerhalb von 2 oder 3 Monaten abgeschlossen ist, das dauert in der Regel 1 Jahr oder 2 bis 3 Jahre“, so fasst ein mittelständischer Unternehmer (zit.n. Busch 1993, S. 78) die betrieblichen Erfahrungen und Überlegungen zusammen. Für Großunternehmen, die auf einen größeren Personalpool zurückgreifen können, ist das Ausscheiden einer Fachkraft oft weniger schmerzlich als für einen Klein- oder Mittelbetrieb, der nur begrenzt Personal beschäftigen kann, vielfach betriebsbezogenes Spezialwissen benötigt und zudem in der Konkurrenz um Nachwuchskräfte gegenüber Großbetrieben im Nachteil ist. Hinzu kommt, dass längeres Ausscheiden einer Mitarbeiterin in der Regel einhergeht mit einem Qualifikationsverlust und eine schwer zu handhabende Größe in der Personalplanung darstellt. Auch hier sind mittelständische Unternehmen, die meist keine langfristigen Personalstrategien entwickeln können, in besonderem Maße mit Problemen konfrontiert. Der „Leidensdruck“, qualifizierte und eingearbeitete Fachkräfte möglichst langfristig einsetzen zu können, ist also im Mittelstand stärker. Die Möglichkeiten, dies sicherzustellen, sind allerdings geringer als in Großbetrieben. Was steht nun eigentlich dem Wunsch der Frauen nach baldigem Wiedereinstieg und dem Interesse der Unternehmen an stringenter Beschäftigung im Wege? Das Problem ist in der Praxis bekannt: „Es scheitert meist an der Kinderbetreuung, denn die Frauen wollen ja auch nicht so lange daheim bleiben. Und für uns wäre das auch nicht gut, es entwickelt sich zu viel weiter! Sie versäumen zu viel“ (zit.n. Busch 1993, S. 76). Um einen nahtlosen Wiedereinstieg nach der Familienphase zu gewährleisten, wurde ab 1996 das Recht auf einen Kindergartenplatz gesetzlich verankert. Trotz aller Bemühungen der öffentlichen Hand, diesen Rechtsanspruch zu verwirklichen, bleiben noch einige Lücken zu schließen, will man Müttern eine kontinuierliche Berufstätigkeit ermöglichen. So ist eine Rückkehr in den Beruf vor dem Kindergartenalter aufgrund fehlender Krippenplätze immer noch schwierig. In dieser Altersgruppe klaffen Bedarfszahlen und Angebot weit auseinander. Besteht nicht die Möglichkeit, eine Tagesmutter oder Kinderfrau zu beschäftigen, was meist mit hohen Kosten und der Schwierigkeit, eine geeignete Person zu finden, verbunden ist, müssen Mütter ihre beruflichen Pläne erst einmal ad acta legen. Dass das Recht auf einen Kindergartenplatz nicht auf einen Ganztagsplatz, sondern auf einen klassischen Halbtagsplatz konzipiert ist, stellt eine weitere Einschränkung dar. Als Lösung müssen zusätzliche flankierende Betreuungsdienste gefunden und organisiert werden, will man die Kinder nicht unbeaufsichtigt lassen. Haben Eltern dann endlich einen Betreuungsplatz gefunden, währt auch diese Freude nicht lange. Mit Eintritt der Kinder in die Grundschule beginnt das Dilemma von neuem und in zugespitzter Form. Die Schulzeiten der Grundschulkinder sind in den 456
ersten Jahren meist auf wenige Stunden täglich begrenzt, Ganztagsschulen und das Modell Betreute Grundschule noch selten. Die Zahl der Hortplätze ist noch geringer als die der Krippenplätze. Das bedeutet für Mütter und für Betriebe in vielen Fällen, das Beschäftigungsverhältnis ein weiteres Mal unterbrechen zu müssen. Und schließlich gibt es noch akute Ausnahme- oder Notsituationen, in denen Eltern dann doch ohne Betreuung dastehen. Im Interesse von Unternehmen und Beschäftigen kann durch eine Unterstützung der Kinderbetreuung eine kontinuierliche Berufstätigkeit ermöglicht werden, was die Personalplanung und -entwicklung erleichtert und einen effizienten und dauerhaften Einsatz qualifizierter Fachkräfte garantiert. Dass Mütter und Väter, die ihre Kinder gut betreut wissen, ihren Arbeitsbereich motiviert und engagiert ausfüllen, ist heute so aktuell wie vor 200 Jahren. Weitere positive Effekte betreffen das Image, das die Unternehmen mit ihrem familienfreundlichen Engagement erwerben (vgl. dazu auch Wollert in diesem Band). Dies stimuliert nicht nur das Kundenverhalten, sondern fördert auch die Attraktivität des Betriebes als potenzieller Arbeitgeber für qualifizierte Nachwuchskräfte (zu den Kosten-Nutzen-Aspekten vgl. Busch/Engelbrech 2000; BMFSFJ 2003 sowie Rost/Kreß und David in diesem Band).
2. Wie können Betriebe Kinderbetreuung fördern? Welche Möglichkeiten der Unterstützung diskutiert und umgesetzt werden, wird im Folgenden an sechs Modellen vorgestellt (s.a. BMFSFJ 2001; 2002a; 2002b und zu Erfahrungen der Betriebe: Busch/Engelbrech 2000; BMFSFJ 2003).
2.1 Einzelbetriebliche Kindertagesstätte Die Kinderbetreuungseinrichtung wird vom Unternehmen für die Kinder der Mitarbeiter/innen bereitgestellt. Einrichtung und Betreiben obliegen dem Betrieb, der dabei, wie alle Einrichtungen zur regelmäßigen Betreuung von Kindern, der Fachaufsicht der zuständigen Landesjugendbehörde untersteht. Aufnahmebedingungen und Elternbeiträge werden von Betriebsseite festgelegt. Die Kosten trägt allein das Unternehmen, das die Einrichtungen vielfach als soziale Leistung für die Beschäftigten versteht. Die Eltern zahlen den üblichen Betreuungssatz (mit sozialer Einkommensstaffelung). Der klassische Betriebskindergarten ist uns schon aus der Geschichte bekannt. Die Einrichtungen verfügen durchweg über eine sehr gute Ausstattung und arbeiten als eigenständige Einheiten und nach hohen pädagogischen Standards. Hoch sind allerdings auch die Kosten für einen Betreuungsplatz. Dies resultiert im Wesentlichen aus den zusätzlichen Personalkosten, die durch die längeren Öffnungszeiten und das dadurch erforderliche zusätzliche Personal entstehen; außerdem werden die Betreuungskräfte in aller Regel nach den jeweiligen Haustarifen vergütet. Gering ist dagegen die Fluktuation der Kinder. Unterschiedlich ist die Aufnahme der Altersgruppen, meist sind jedoch die Bereiche Krippe, Kindergarten und Hort integriert. Die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten sind den Arbeitszeiten der Eltern angepasst.
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Positive Effekte des Kinderbetreuungsangebots sind im Bereich der Personalbindung festzustellen, ebenso in puncto Arbeitszufriedenheit und Engagement der Mitarbeiter/ innen am Arbeitsplatz. Als problematisch hat sich die Betriebsnähe erwiesen. Ist bei kleineren Kindern die Nähe zum Arbeitsplatz der Eltern eindeutig positiv zu sehen, kann mit nahendem Schulalter die damit verbundene Wohnortferne eine Entwurzelung für die Kinder beinhalten. Variante Vereinsgründung: Unabhängig, jedoch in Anbindung an das Unternehmen, gründet sich ein Verein, der für die Belange der Betreuungseinrichtung zuständig ist. Der Verein ist gemeinnützig und zum Wohngebiet geöffnet. So ist die Kita in die Landesförderung einbezogen und erhält den landesüblichen Zuschuss. Dadurch reduzieren sich die Kosten für das Unternehmen. Die Erfahrungen entsprechen denen betriebseigener Einrichtungen. Aufnahmekriterien und Elternbeiträge werden vereinsintern festgelegt. Ein Vertreter oder eine Vertreterin des Unternehmens ist Mitglied des Vereins.
2.2 Überbetriebliche Kooperation mehrerer Unternehmen Mehrere Unternehmen finanzieren gemeinsam eine Kinderbetreuungseinrichtung. Die Kosten entsprechen denen betriebseigener Einrichtungen und werden anteilig getragen. Eine öffentliche Förderung erfolgt bislang nur in einigen Bundesländern. Die Einrichtung liegt meist in Betriebsnähe oder zentral und in verkehrsgünstiger Lage. Die Eltern zahlen einen der Kommune angelehnten Kostensatz. Das Modell des überbetrieblichen Verbundes ist nach allen bisherigen Erfahrungen schwierig in der Umsetzung. Dies betrifft vor allem die Fragen der Kontaktaufnahme und Initiative sowie die der anteiligen Kostenübernahme bzw. der Bereitstellung von Immobilien. Die Umsetzung des Modells setzt voraus, dass eine Person oder ein Unternehmen die Koordination übernimmt und das gesamte Projekt maßgeblich vorantreibt. Ist dies gewährleistet, können auch kleine und mittlere Unternehmen sich zusammentun, um gemeinsam einen Kindergarten zu betreiben.
2.3 Betriebsnahe Einrichtung auf Stadtteilebene Ein oder mehrere Unternehmen betreiben in Kooperation mit der Kommune oder einem freien Träger eine Kindertagesstätte. Die Aufnahme von Stadtteilkindern ist anteilig. Das Unternehmen beteiligt sich an den Kosten der Einrichtung durch die Bereitstellung von Immobilien und/oder die Übernahme eines Teils der Betriebskosten und/oder Ausbau und/oder Ausstattung der Kita und/oder der Zahlung regelmäßiger Festbeträge. Die Eltern zahlen die üblichen Betreuungskosten. Die Vorzüge für die Betriebe bestehen darin, dass betriebsfremde Aufgaben an fachkompetente Träger delegiert werden können. Für die Sicherstellung pädagogischer Standards bedeutet dies, dass Konzepte und Inhalte der Arbeit in der Einrichtung durch pädagogische Fachkräfte gewährleistet sind.
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2.4 Erwerb von Belegrechten in bestehenden Einrichtungen Ein Unternehmen erwirbt Belegrechte in der Einrichtung einer Kommune oder eines freien Trägers durch die Zahlung eines Beitrages oder aufgrund sonstiger Vereinbarungen. Die Erstattung kann über einen Fixbetrag oder über Spenden erfolgen. Die Eltern zahlen die üblichen Betreuungssätze. Angebot und Nachfrage können variieren und bieten auch Betrieben mit schwankender oder nur geringer Nachfrage, speziell kleinen und mittelständischen Betrieben, die Möglichkeit der Unterstützung ihrer Mitarbeiter/innen. Unterschiedliche Varianten können mehr auf eine Wohnortnähe der Unterbringung ausgerichtet sein oder eher den Ansatz der Betriebsnähe präferieren. Das Modell ist auch für Träger und insbesondere für Kommunen interessant. Eine Beteiligung der ansässigen Wirtschaft würde es vielen Gemeinden erleichtern, bei der anstehenden Planung ein annähernd bedarfsgerechtes Angebot bereitzustellen. Daher gehen etliche Kommunen auf die Unternehmen ihrer Industriegebiete zu. Wichtig ist hervorzuheben, dass durch die finanzielle Unterstützung der Betriebe zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen. Eine für Unternehmen und Betreuungseinrichtungen attraktive Unterstützung besteht in der Übernahme von Kosten, die für verlängerte und flexible Öffnungszeiten anfallen.
2.5 Von Unternehmen geförderte Elterninitiativen Ein Unternehmen unterstützt Mitarbeiter/innen, die sich in Elterninitiativen für den Aufbau und das Betreiben einer Kinderbetreuungseinrichtung engagieren. Die Unterstützung kann auf viele Arten erfolgen, z.B. durch die Bereitstellung von Immobilien, die Übernahme von Kostenanteilen, Spenden, technisches und/oder organisatorisches Know-how, Rechtsbeistand und/oder Rechtsvertretung, Kreditaufnahme oder als „graue Eminenz“ im Hintergrund. Der Elternverein ist rechtlich und organisatorisch unabhängig vom Unternehmen und offen für interessierte Eltern des Wohnumfeldes. In die Kindertagesstätte werden „Vereinskinder“ aufgenommen. Über Altersgruppe, Elternbeitrag und das pädagogische Konzept bestimmt der Elternverein. Die Initiative der Eltern wird unterstützt, und ein die öffentliche Betreuung ergänzendes Erziehungsangebot kann entwickelt werden, z.B. für Krabbel- und Hortkinder. Die Erziehungsvorstellungen der Eltern kommen im pädagogischen Konzept zum Tragen, und qualitative Ansprüche an Erziehung können umgesetzt werden. In aller Regel befindet sich die Einrichtung in Wohnortnähe. Insgesamt ist das Interesse der Eltern an einer wohnortnahen Betreuung für ihre Kinder groß. Außerdem ist vielfach ein hohes Maß an Bereitschaft vorhanden, sich für ein solches Angebot zu engagieren. Häufig fehlen jedoch die notwendigen Kenntnisse zur Verwirklichung. Hier können Betriebe mit Informationen, Unterstützung und Rat eine große Hilfe bieten und bedarfsgerechte Angebote in ihrer Entwicklung fördern.
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2.6 Kooperationsverbund zur Verbesserung der Infrastruktur zur Kinderbetreuung Unternehmen fördern und unterstützen Institutionen und Aktivitäten, die an der Erweiterung des örtlichen Betreuungsangebots arbeiten, mit dem Ziel, die Infrastruktur zur Kinderbetreuung in der Region quantitativ und qualitativ zu verbessern. Stichwort ist hierbei das „social sponsoring“. Kinderbüro oder Familienservice haben die Aufgabe, Eltern der beteiligten Unternehmen bei der Entscheidung für eine Betreuungsform zu beraten und Betreuungsplätze zu vermitteln. Ziel ist es, ein Netzwerk zur Kinderbetreuung im Gemeinwesen und der Region zu bilden. Diese Unterstützung erleichtert nicht nur den Wiedereinstieg, sie hilft auch Beschäftigten, die neu ins Unternehmen kommen oder firmenintern an einem neuen Standort eingesetzt werden. Die Kosten für die Betreuung werden von den Eltern getragen. Es gibt Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen und Betreuungsdiensten für den kurzfristigen oder außergewöhnlichen Bedarfsfall, wie z.B. BabysitterDienst, Notmütter-Dienst, Kurzzeitunterbringung und den ansässigen Tagesmüttervereinen. Beratungs- und Vermittlungsinstitutionen für Unternehmen und ihre Beschäftigten haben sich in unterschiedlichen Kontexten entwickelt, häufig als Angebot von Mütterzentren, als kommunales Netzwerk oder als Kooperationsprojekt mit betrieblichem Sponsoring. Etliche Betriebe haben ein Beratungs- und Vermittlungsangebot für die Mitarbeiter/innen im eigenen Unternehmen angesiedelt. In Großbetrieben ist dies vielfach der Personal- und Sozialabteilung angehörig. In mittelständischen Unternehmen kann oft eine zusätzliche Kraft – teilweise eine Berufspraktikantin – kompetente Hilfe leisten. Dieses Modell bietet die Möglichkeit der individuellen Hilfe und Unterstützung, zugeschnitten auf den jeweiligen Betreuungsbedarf der Familien. So kann eine Vielfalt gewährleistet werden, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Eltern und auch der Kinder gerecht wird. Unternehmen können Mitarbeiter/innen gezielte Unterstützung anbieten, ohne durch die Entscheidung für ein Modell eine Vorauswahl getroffen zu haben. In der Regel ist diese Form der Förderung in den Betrieben eingebunden in ein Gesamtkonzept zur Chancengleichheitspolitik und Familienförderung. Die Unterstützung der Kinderbetreuung wird dabei als ein Mosaikstein verstanden, der ergänzt wird durch andere Ansätze im Bereich der flexiblen und familienfreundlichen Arbeitszeitgestaltung und der Förderung von Frauen innerhalb des Unternehmens. Erklärtes Ziel ist dabei, einen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu leisten und so die Chancengleichheit von Frauen in der Berufswelt zu erhöhen. Mit dieser Zielsetzung fördern auch die regionalen Bündnisse für Familie die Betreuungsinfrastruktur vor Ort (vgl. dazu auch Banos/Gröbel in diesem Band). Variante Betreuung im Ausnahmefall (vgl auch den folgenden Beitrag von David): Bei Ausfall des regulären Betreuungsarrangements, während der Ferienzeiten oder bei außergewöhnlichen Arbeitseinsätzen der Eltern können Kinder in einer flexiblen Einrichtung untergebracht werden. Pädagogisch besonders geschulte Fachkräfte betreuen dort in kleinen Gruppen Kinder unterschiedlichster Altersstufen. Die Öffnungszeiten
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sind an die Arbeitszeiten angepasst, in Ausnahmefällen auch an Wochenenden. Die Finanzierung erfolgt teils durch ein Unternehmen für den Bedarf der eigenen Belegschaft oder in Kooperation durch mehrere Unternehmen für Beschäftigte eines Standorts. Die Betreuung kann mehrmals in Anspruch genommen werden, darf jedoch keine regelmäßige Betreuungsform darstellen. Betreiber der Einrichtung ist ein Träger, der den Auflagen der Landesjugendbehörde untersteht. Variante Tagesmüttermodell: Betriebe und/oder Gemeinden bieten Frauen, die zusätzlich zu ihren eigenen weitere Kinder in Tagespflege aufnehmen wollen, Unterstützung durch Weiterbildung, Supervision und finanzielle Zuwendungen. Dies können Beiträge zur Rentenversicherung, zur Sozialversicherung und Anteile der notwendigen Versicherungen für die Kinder sein. Ein Anspruch auf Beratung in Erziehungsfragen durch das Jugendamt ist im Kinder- und Jugendhilferecht für alle Tagespflegeeltern festgelegt. Geeignet ist die Tagespflege besonders für kleine Kinder und solche, die einen hohen Grad an Zuwendung brauchen. Weitere Vorteile der Tagesmütter sind ihre Flexibilität bezüglich der Öffnungszeiten und die wohnortnahe Unterbringung. Probleme entstehen im Krankheitsfall der Tagesmutter, wenn keine Vertretung bereitsteht. Einige Initiativen beschäftigen daher eine „Springerin“, die im Krankheitsfall die Betreuung übernimmt.
3. Fazit „Im Grunde ist es ja ein Abwägen, ich kann entweder sagen, meine bewährte Mitarbeiterin geht jetzt in die Familienphase und ich muss eine neue Kraft suchen, muss sie einarbeiten, denn die andere nimmt ja ihre Berufserfahrung mit, zunächst einmal. Oder ich sage, um die Mitarbeiterin möglichst schnell wieder in den Betrieb zu bekommen, biete ich diese Kinderbetreuung an und muss dafür eine weniger qualifizierte Aushilfe für die Zeit beschaffen“ (zit.n. Busch 1993, S. 48). Angebot und Nachfrage an Kinderbetreuung sind nicht im Gleichgewicht. Daher müssen viele Frauen ihr berufliches Engagement auf Jahre unterbrechen. Unternehmen sind aber am möglichst kontinuierlichen Einsatz der zunehmend besser qualifizierten und beruflich ambitionierten Frauen interessiert. Ein möglichst früher Wiedereinstieg wird von beiden Seiten gewünscht. Unterstützung bei der Kinderbetreuung ist daher eine betriebswirtschaftliche Erwägung. Den Verlusten durch Ausscheiden und Wiedereinarbeiten sowie den Kosten für eine Vertretungskraft stehen kalkulierbare Kosten für Kinderbetreuung gegenüber. Erleichtert wird dies durch die Entscheidung, Aufwendungen des Arbeitgebers für Kinderbetreuung als steuerfrei anzuerkennen. Die Unterstützung kann unterschiedliche Formen annehmen, muss sich jedoch an den Bedürfnissen der Mütter, zunehmend auch der Väter (vgl. dazu auch Höyng in diesem Band), und ihrer Familien sowie an den Gegebenheiten der Betriebe orientieren. Ein Lösungsmodell für alle gibt es nicht. Die Vielfalt der Ansätze hält allerdings ein auf jeden Bedarfsfall zugeschnittenes Instrumentarium bereit und kommt so den unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen der Beschäftigten entgegen. Auf jeden Fall wird das Unternehmen als Arbeitgeber attraktiver: „Wenn ich heute eine Kraft suchen müsste und eine gute Kraft, die sich zu entscheiden hätte zwischen mehreren Angeboten, und ich könnte sagen, also
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wir haben auch eine qualifizierte Kinderbetreuung, die die Berufstätigkeit eventuell erst ermöglicht, da wäre ich als Unternehmen im Vorteil“ (zit.n. Busch 1993 S. 48).
Literatur Bien, Walter/Rauschenbach, Thomas/Riedel, Birgit (Hg.) (2006): Wer betreut Deutschlands Kinder? DJI-Kinderbetreuungsstudie, Weinheim. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2001): Familienfreundliche Maßnahmen im Betrieb. Eine Handreichung für Unternehmensleitungen, Arbeitnehmervertretungen und Beschäftigte, Berlin. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2002a): Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung. Konzepte und Praxisbeispiele, Berlin. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2002b): Kinder in Tageseinrichtungen und Tagespflege, 6. Aufl., Berlin. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2003): Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen – Kosten-NutzenAnalyse, Berlin. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2004): Erwartungen an einen familienfreundlichen Betrieb. Erste Auswertung einer repräsentativen Befragung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Kindern oder Pflegeaufgaben, Berlin. Busch, Carola (1993): Frauen haben viel zu bieten. Effizienter Personaleinsatz durch Frauenförderung im Mittelstand, hg. vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bonn/Frankfurt a.M. Busch, Carola (1998): Kinderbetreuung gesucht? Leitfaden für Betriebe zur Förderung von Kinderbetreuung, hg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn. Busch, Carola/Engelbrech, Gerhard (2000): „Wir brauchen die Besten!“ Warum und mit welchem Erfolg fördern Unternehmen Chancengleichheit? – Endbericht zum Projekt „Evaluation TOTAL E-QUALITY – Entwicklung einer Kosten-Nutzen-Analyse“, Bad Bocklet (auch in Englisch erschienen). Busch, Carola/Dörfler, Mechthild/Seehausen, Harald (1991): Frankfurter Studie zu Modellen betriebsnaher Kinderbetreuung, Eschborn bei Frankfurt a.M. DIHT – Deutscher Industrie- und Handelskammertag/BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/berufundfamilie gGmbH (Hg.) (2006): Familienorientierte Personalpolitik. Checkheft für kleine und mittlere Unternehmen, Berlin. Kurschilgen, Uta (1993): Betriebliche Kinderbetreuung Gestern und Heute. Zur Entwicklung der Kinderbetreuung als betriebliche Sozialleistung. Unveröff. Diplomarbeit am FB Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, Berlin.
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Arbeits- und Lebensgestaltung
Barbara David
Praxisbeispiel Commerzbank: Kids & Co. – Kinderbetreuung in Ausnahme- und Notfällen Die Commerzbank ist eine internationale Universalbank mit mehr als 1.000 Niederlassungen in Deutschland. Zum Konzern gehört darüber hinaus ein weltumspannendes Netz von Repräsentanzen, Filialen und Tochtergesellschaften. Sitz der Zentrale ist Frankfurt am Main. Die mehr als 36.000 Mitarbeiter/innen betreuen insgesamt 8 Mio. Kund/inn/en. Die Konzernbilanzsumme beläuft sich auf rund 615,8 Mrd. Euro (Stand 30.6.2006). Unter dem Namen Kids & Co. bietet die Commerzbank in Kooperation mit dem Familienservice seit Dezember 1999 die Möglichkeit einer spontanen und kurzzeitigen Betreuung der Kinder von Mitarbeiter/inne/n an. Kids & Co. ist ein Baustein im Rahmen des Projekts Diversity. Vor der ausführlicheren Vorstellung von Kids & Co. wird zunächst das Gesamtprojekt skizziert.
1. Wettbewerbsfaktor „Vielfalt“ Seit Anfang der 1990er Jahre arbeiten in der Commerzbank mehr Frauen als Männer – der aktuelle Anteil der Frauen beträgt 51%. Unter den Auszubildenden befinden sich über 50% junge Frauen, und der Anteil weiblicher Hochschultrainees hat sich seit vielen Jahren auf über 40% eingependelt. Dieser Anzahl zum Teil hervorragend ausgebildeter Mitarbeiterinnen steht ein Anteil von knapp 26% Frauen im außertariflichen Bereich mit Projekt- oder Führungsverantwortung gegenüber. Die Commerzbank engagiert sich seit Ende der 1980er Jahre im Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, denn wir sind davon überzeugt, dass es uns – neben der Verantwortung den Mitarbeiter/inne/n gegenüber – auch Wettbewerbsvorteile bringt. Knapp 7% unserer Mitarbeiterinnen befinden sich in der Familienphase. Viele dieser Frauen werden zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr schwanger. Das heißt, es handelt sich nicht nur um gut ausgebildete Frauen, sondern auch um Mitarbeiterinnen mit einem breiten Erfahrungswissen. Viele der Mütter kehren sehr schnell – zum Teil bereits während der Elternzeit – mit genauen Vorstellungen in die Bank zurück. Barbara David, M.A., Zentraler Stab Personal, Leiterin Diversity, Commerzbank AG. E-Mail:
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Immer mehr Väter suchen ebenfalls nach Wegen, Familie und Beruf ausgewogener zusammenzubringen. Noch ist der Anteil von Vätern, die tatsächlich Elternzeit nutzen oder Teilzeit arbeiten, gering. Im Rahmen einer Commerzbank-Studie wurde deutlich, dass der Wunsch nach einer aktiveren Familienphase besteht, die Möglichkeiten flexibler zu arbeiten in der Bank auch gegeben sind, ein nach wie vor stark ausgeprägtes Rollendenken auf allen beteiligten Seiten jedoch oftmals die Realisierung verhindert. Vorteile im Wettbewerb hängen in jedem Dienstleistungsunternehmen von der Ressource Mensch ab. Die Motivation zu hoher Leistungsbereitschaft wird durch Vergütung und betriebliche Zusatzleistungen beeinflusst. Kreativität und Innovation – wichtige Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg – entstehen jedoch in aller Regel dort, wo Menschen sich wertgeschätzt fühlen und ihre persönlichen Vorstellungen von Privatleben und Beruf umsetzen können. Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen, haben darüber hinaus Einfluss auf die Rekrutierung von Nachwuchskräften. Viele junge, gut ausgebildete Menschen berücksichtigen bei ihrer Entscheidung für ein bestimmtes Unternehmen zunehmend den Grad der Partnerschaftlichkeit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Vor diesem Hintergrund ist in der Commerzbank ein Bausteinsystem entstanden, das unterschiedliche Zielgruppen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt. In den ersten Jahren wandten sich die Projekte lediglich an die Zielgruppe Frauen. Es zeigte sich jedoch sehr bald, dass sich immer mehr Männer an diesem Prozess hin zur Chancengleichheit direkt beteiligen wollen. Ende der 1990er Jahre wurde der Bereich Chancengleichheit zu Diversity erweitert. Heute stellen wir die Vielfalt unserer Mitarbeiter/ innen, die sich neben dem Genderaspekt und verschiedenen Familienkonstellationen aber auch über Alter, Nationalität, sexuelle Orientierung, Religion und Behinderung widerspiegelt, in den Mittelpunkt. Folgende Handlungsfelder haben sich etabliert: x Familie und Beruf – Kids & Co. – spontane Kinderbetreuung (bundesweit an 14 Standorten über den Familienservice) – Kids & Co. – Kindertagesstätte in Frankfurt a.M. mit Schwerpunkt Krippe – Familienservice (Beratungs- und Vermittlungsleistungen) – Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten (abhängig vom Familieneinkommen) – Regelung zur Pflege erkrankter Kinder – Projekt „Fokus Väter“ – Schulkooperationen x Frauen in der Bank x Fairness am Arbeitsplatz x Unterstützung von Mitarbeiter-Netzwerken x Generationen x sexuelle Orientierung x kulturelle Vielfalt x „miteinander arbeiten“ – schwerbehinderte Menschen in der Bank x Veranstaltungs- und Workshop-Reihe /forum diversity/ für Mitarbeiter/innen.
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In regionalen und überregionalen Veranstaltungen, Workshops und Gesprächen werden unterschiedliche Themenschwerpunkte aufgegriffen. Ziel ist es, allen Führungskräften und Mitarbeiter/inne/n den Nutzen von Diversity deutlich zu machen.
2. Das Problem Das Thema Familie und Beruf hat zwar in der Commerzbank eine lange Tradition. Flexible Arbeitsmöglichkeiten, Zuschüsse zu den Kinderbetreuungskosten und die langjährige Zusammenarbeit mit dem Familienservice hatten dazu beigetragen, die Vereinbarkeit beider Bereiche zu erleichtern. Dennoch gab es bis 1999 Lücken in der Kinderbetreuung. Normalerweise werden die Kinder der Mitarbeiter/innen von Eltern, Großeltern, Tagesmüttern, in Kinderkrippe oder -garten bzw. im Hort betreut. Der Tagesablauf der Kinder ist geregelt, und die Eltern können beruhigt ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Dennoch gibt es Situationen, in denen vor allem bei kleineren Kindern eine Betreuungslücke entsteht, beispielsweise, wenn x die Haushalt führende Person oder die Tagesmutter erkrankt sind, Kindergarten oder Hort geschlossen haben oder das Au-pair ausfällt, x unerwartet berufliche Termine wahrgenommen werden müssen (Mehrarbeit, Samstagsarbeit, unvorhergesehene Dienstreisen, Kundentermine, …), x zeitlich begrenzte Arbeitseinsätze übernommen werden (beispielsweise ein Vertretungseinsatz im Rahmen des Wiedereinstiegs), x Mitarbeiter/innen einen Telearbeitsplatz haben und für die Zeit ihrer Präsenz in der Bank keine Betreuung finden, x Mitarbeiter/innen an einer Fortbildung oder an Informationsveranstaltungen der Bank teilnehmen, x Eltern keine geeignete Ferienbetreuung für ihre Kinder finden. All dies kann zu Ausfällen oder zu weniger konzentriertem Arbeiten führen.
3. Kids & Co. als Lösung Um Commerzbank-Eltern in diesen Problemsituationen geeignete Hilfe anbieten zu können, wurde gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut und dem Familienservice Frankfurt – mit beiden Institutionen arbeiten wir seit vielen Jahren erfolgreich zusammen – nach einer passenden Lösung gesucht. Entstanden ist die Kinderbetreuungseinrichtung Kids & Co., die sich auf die spontane und kurzzeitige Betreuung von Kindern in Ausnahme- oder Notfällen konzentriert. Alle Commerzbank-Eltern des Großraums Frankfurt, für die diese Form der Kinderbetreuung sinnvoll ist, können den Service kostenfrei nutzen.
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3.1 Ein Ort für Kinder von 9 Wochen bis zu 12 Jahren Kids & Co. Back-up gibt es seit Dezember 1999. Betreut werden dort Kinder im Alter von 9 Wochen bis zu 12 Jahren, und zwar stunden- oder tageweise, in Ausnahmefällen auch wochenweise. Die Betreuung erfolgt montags bis freitags (nach Absprache auch am Wochenende) in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Die Räume wurden so gestaltet, dass sich sowohl Babys als auch Schulkinder schnell wohl und sicher fühlen. Auch das Spielmaterial spricht die unterschiedlichen Altersgruppen an. Ob Kletterburg oder Aquarium, Verkleidungskiste, Bastelmaterial oder Leseecke: Bei Kids & Co. können sich die betreuten Kinder abwechslungsreich beschäftigen – oder auch ausruhen. Commerzbank-Eltern können die Betreuung bis zu 30 Tage pro Jahr kostenfrei in Anspruch nehmen.
3.2 Professionelle Betreuung Ein Team von geschulten Pädagogen und Pädagoginnen betreut die Kinder, die in kleinen, altersgerechten Gruppen zusammengefasst sind. Das pädagogische Konzept greift auf Erfahrungen zurück, die in anderen flexiblen Kinderbetreuungseinrichtungen gesammelt wurden. Die Erzieher/innen sind mit der Betreuung von wechselnden Kindergruppen vertraut. Sie gehen individuell auf jedes Kind ein, sodass es sich schnell an die neue Umgebung gewöhnt. Kids & Co. versucht, zeitlich sehr flexibel auf die Betreuungswünsche einzugehen. Diese Flexibilität können wir bieten, indem ein Teil der Betreuer/innen in Rufbereitschaft zur Verfügung steht. Um eine passende Kinderbetreuung zu organisieren, wurde für Kids & Co. eine Hotline eingerichtet, die von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr zur Verfügung steht. Außerhalb dieser Zeiten können auf einem Anrufbeantworter Betreuungswünsche hinterlassen werden. Am einfachsten ist es natürlich, wenn Mitarbeiter/innen so rechtzeitig wie möglich Bescheid sagen, wann sie eine Betreuung für ihr(e) Kind(er) brauchen. Kids & Co. versucht aber gerade auch dann Unterstützung anzubieten, wenn schnell – auch noch am gleichen Tag – eine Lösung gefunden werden muss.
3.3 Sicherheit wird groß geschrieben Das Thema Sicherheit ist besonders wichtig. Deshalb liegen die Sicherheitsvorkehrungen auch über den üblichen Standards. Das bezieht sich sowohl auf die Einrichtung der Räume als auch auf die Abholpraxis. Es wird genau festgelegt, wer ein Kind abholen darf. Darüber hinaus besteht strikte Ausweispflicht. Die Kinder sind während der Zeit, die sie bei Kids & Co. verbringen, haftpflicht- und unfallversichert. Während der Betreuung sollten die Eltern prinzipiell erreichbar sein. Die Betreuung von Kindern reicht in die persönliche Privatsphäre. Deshalb werden alle Informationen, die die Betreuung der Kinder betreffen, absolut vertraulich behandelt. Sie verbleiben nur zwischen den Eltern und dem Familienservice. 466
3.4 Kids & Co. zum „Schnuppern“ Kinder mögen keine Ausnahmen. Sind in solchen Situationen auch noch fremde Menschen im Spiel, stößt dies vor allem bei jüngeren Kindern zunächst auf Ablehnung. Darauf sind die Betreuer/innen eingestellt. Am besten klappt es, wenn die Kinder zunächst einmal „schnuppern“. Wir bieten unter der Woche nach Absprache, ansonsten an jedem ersten Samstag im Monat Schnuppertermine an. Hier können die einzelnen Betreuer/innen kennen gelernt, die Räume angeschaut, die Spielsachen ausprobiert und die Wege abgelaufen oder abgefahren werden. Als nächsten Schritt empfehlen wir, die Kinder einmal zum Spielen vorbeizubringen. Am besten an einem Tag, an dem alles normal verläuft und eigentlich keine zusätzliche Betreuung gebraucht wird. Die Kinder werden häufig für ein paar Stunden oder einen Tag lang zu Kids & Co. gebracht. Eltern und Kinder können so in Ruhe ausprobieren, was zu einem späteren Zeitpunkt weiterhelfen könnte. Gerade bei kleineren Kindern sollte dies regelmäßig gemacht werden, um sie dann, wenn es die Situation erfordert, problemlos bei Kids & Co. betreuen zu lassen.
3.5 Kids & Co. – auch ein Kommunikationszentrum für Eltern In den Räumen von Kids & Co. werden in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen zu familienorientierten Themen organisiert. Dies sind z.B. Vorträge und Diskussionsrunden, die interne Angebote (z.B. Wiedereinstieg, flexibles Arbeiten) oder allgemeinere Sachverhalte wie beispielsweise Kindererziehung oder Schuleintritt aufgreifen. Ziel ist es, mit diesem Kommunikationszentrum interessierten Eltern ein Forum anzubieten, über das sie Informationen erhalten, innerhalb dessen sie sich vor allem aber austauschen und vernetzen können.
3.6 Alle profitieren Die Ausnahmebetreuung Kids & Co. ist 2004 zum zweiten Mal wissenschaftlich evaluiert worden. Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass die Bank auf diesem Wege nicht nur helfen kann, Ausfälle zu vermeiden. Viele Eltern berichten, dass sie sehr viel konzentrierter und motivierter an ihre Aufgaben herangehen, wenn sie ihre Kinder gut betreut wissen. Die befragten Eltern vertreten die Meinung, dass das Angebot sich insgesamt förderlich und erleichternd auf den Arbeitsplatz auswirkt, das Betriebsklima positiv beeinflusst, den familiären Alltag erleichtert und Stress reduziert. Das kommt nicht zuletzt auch unseren Kund/inn/en zugute. Ferner konnte gezeigt werden, dass sich das Angebot von Kids & Co. rechnet. Im Jahr 2003 haben 254 Commerzbank-Eltern ihre Kinder bei Kids & Co. betreuen lassen. Der Service wurde durchschnittlich an 9 Tagen und gut 6 Stunden in Anspruch genommen; dies entspricht einer Gesamtzahl von 13.716 Stunden. 50% der Eltern gaben an, dass sie ohne Kids & Co. nicht zur Arbeit hätten kommen können. Dies entspricht einem Volumen von 350.000 Euro. Diesem Betrag stehen Betriebskosten von 210.000 Euro gegen467
über. Somit konnten alleine in der Einrichtung in Frankfurt durch das familienbewusste Instrument „Kinderbetreuung in Ausnahmefällen“ Kosten von 140.000 Euro vermieden werden. In dieser Berechnung nicht berücksichtigt wurden die schwer zu erfassenden Motivations- und Leistungseffekte, weshalb er Gewinn für die Bank von uns noch weit höher eingeschätzt wird. Der pme Familienservice, der pädagogische Träger von Kids & Co., hat mittlerweile an insgesamt 14 Standorten ähnliche Einrichtungen etabliert. Die Commerzbank ist dort an Platzkontingenten beteiligt, die der Größe des jeweiligen Standortes entsprechen.
4. Schlussbemerkung Aufgrund des großen Erfolgs von Kids & Co. hat die Commerzbank 2005 eine Kindertagesstätte mit dem Schwerpunkt einer regelmäßigen Betreuung von Krippenkindern in Frankfurt initiiert. Auf 96 Vollzeitplätzen werden im Platzsharingverfahren derzeit 120 Kinder betreut. Das Thema „Familie und Beruf“ wurde und wird – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen – mit diesem und anderen Projekten ständig weiter entwickelt. Wir glauben, dass Mitarbeiter/innen, die sich wertgeschätzt und als Menschen mit beruflichen und privaten Interessen begriffen fühlen, das hohe Maß an Leistungsbereitschaft bringen, das dem Unternehmen Commerzbank zum Erfolg verhilft. Broschüren zu den Themen x Das Modellprojekt Kids & Co. – Kinderbetreuung in Ausnahmefällen – Evaluationsstudie x Kids & Co. – Betreuung für Kids von 0 bis 6 x Commerzbanker – In der Regel die Ausnahme können unter folgender Adresse bestellt werden: Commerzbank AG, Zentraler Stab Personal, Anja Ploch, Neue Mainzer Str. 37-39, 60261 Frankfurt a.M. Weitere Infos unter www.diversity.commerzbank.de
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Initiativen und Projekte
Hans W. Jablonski und Ursula Schwarzenbart
Die Charta der Vielfalt: Unternehmen entdecken die Vielfalt in ihrer Belegschaft – Diversity als Chance Wir können wirtschaftlich nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt erkennen und nutzen. Dies betrifft die Vielfalt unserer Belegschaft, als auch die vielfältigen Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden und Geschäftspartner. (Aus der Präambel der Charta der Vielfalt)
1. Die Geschichte der Charta der Vielfalt Die Charta der Vielfalt ist ein Bekenntnis der unterzeichnenden Organisationen zu Fairness und Wertschätzung verbunden mit der Selbstverpflichtung, Aktivitäten zur Anerkennung und Integration von Vielfalt zu ergreifen. Sie ist ein offizieller deutscher Beitrag zum „Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle“. Impulsgebend für die deutsche Initiative war eine ähnliche in Frankreich: Die 2003 entstandene „Charte Diversité“, die sich speziell auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund bezieht (www.egalitedeschances.gouv.fr) und die inzwischen ca. 3.000 Unternehmen unterzeichnet haben. Diese Anregung wurde von der Deutschen BP aufgegriffen, die dann mit der Deutschen Bank, der Deutschen Telekom und DaimlerChrysler im Laufe des Jahres 2006 den Text der Charta formulierte und weitere Schritte zu deren Verbreitung unternahm. Die Bundeskanzlerin zeigte sich begeistert. Sie übernahm die Schirmherrschaft und betonte in Ihrem Grußwort, dass sie den „wichtigen Beitrag [der Charta] zu einer Kultur der Vielfalt und des Zusammenhalts unserer Gesellschaft auf der Basis wechselseitiger Akzeptanz und gegenseitigen Vertrauens“ sieht. Zusammen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Staatsministerin im Kanzleramt wurden weitere Aktivitäten für eine nachhaltige Bekanntmachung und Akzeptanz der Charta in Deutschland ergriffen. Neben den o.g. Erstunterzeichnenden haben bei einer Auftaktveranstaltung im Frühjahr 2007 bereits 33 Unternehmen die Charta unterschrieben. Weitere Informationen zur Charta unter www.charta-der-vielfalt.de. Hans W. Jablonski, Organisationsberatung – Diversity Management & Coaching, Köln. E-Mail:
[email protected], Internet: www.hans-jablonski.de Ursula Schwarzenbart, Director Global Diversity, DaimlerChrysler AG, Stuttgart. E-Mail:
[email protected] 471
2. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Hintergründe der Charta der Vielfalt Unternehmen aller Größen in Deutschland arbeiten auf globalen Märkten. Dies erfolgreich zu tun, erfordert nicht nur Kenntnisse der Kultur der Geschäftspartner, sondern auch eine (Welt-)Offenheit in den Führungsetagen und in der Belegschaft. Auch der demografische Wandel erfordert eine Unternehmenskultur, die das Engagement unterschiedlicher Menschen fördert und damit zum Unternehmenserfolg beiträgt: Männer wie Frauen unterschiedlicher Generationen, Fähigkeiten, Herkunft, Weltanschauung, Religion und sexueller Ausrichtung. Im Idealfall spiegelt sich in der Belegschaft die Vielfalt der Kundschaft u.a. Bezugsgruppen bzw. der Gesellschaft wider. In vielen Großunternehmen haben die Entdeckung und der produktive Umgang mit Vielfalt schon unter den Namen „Diversity Management“ oder „Diversity & Inclusion“ Einzug gehalten. Dort gibt es z.B. Trainings, um das Bewusstsein für und die Fähigkeiten zur besseren Führung und Zusammenarbeit einer vielfältigen Belegschaft zu entwickeln (vgl. dazu auch Gieselmann/Krell und das Praxisbeispiel Deutsche Bank in diesem Band). Trotzdem sind der Begriff „Diversity“ und die damit verbundenen Aktivitäten in Deutschland noch wenig bekannt und verbreitet. Die Charta will dafür werben und an Beispielen, auch aus kleinen und mittleren Unternehmen, zeigen, wie das Konzept auf die Situation in Deutschland sowie in einzelnen Unternehmen angepasst werden kann. Ein Austausch sowohl zwischen Unternehmen aller Größen als auch mit Politik und Wissenschaft soll forciert werden. Die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt ist auch ein Bekenntnis des Unternehmens zu Fairness und Chancengleichheit im Rahmen seiner gesellschaftlichen Verpflichtung (Corporate Social Responsibility [CSR]). Die Charta soll dazu beitragen, die Wertschätzung von Vielfalt auf breiter Basis gesellschaftlich zu verankern. Bei allen Vorteilen gesellschaftlicher Art steckt hinter dem Gedanken der „Vielfalt“ ein klarer wirtschaftlicher Nutzen für Unternehmen, der sog. Business Case (zu den Wettbewerbsvorteilen im Detail vgl. den Beitrag von Krell zu Diversity Management in diesem Band). Analysten haben dies schon lange erkannt und beziehen die Aktivitäten von Unternehmen zu „Vielfalt und Wertschätzung“ in ihre Bewertung mit ein. Und schließlich entspricht ein Unternehmen, das Aktivitäten im Sinne der Charta der Vielfalt entwickelt und umgesetzt hat, den rechtlichen Ansprüchen und dem Geist des neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) (vgl. dazu auch Oechsler/Klarmann in diesem Band). Alles in allem gibt es viele Aspekte, wie sich ein Nutzen der Charta für Unternehmen darstellen kann. Ob und inwieweit dieser Nutzen im Einzelfall realisiert wird, hängt von der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung und deren nachhaltigen Umsetzung ab.
3. Die Charta im Detail Wie erwähnt, hat die Charta der Vielfalt den Charakter eines grundlegenden, öffentlichen Bekenntnisses zu Anerkennung und Wertschätzung der Vielfalt verbunden mit der Verpflichtung, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Vorurteilen ist. Denn nur
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dann können alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – unabhängig von Geschlecht, Rasse, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität – zum Erfolg beitragen. Der Charta liegt dabei ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde: Einzelne Vielfaltsmerkmale werden nicht separiert betrachtet und im Sinne einer „Betroffenheitsarbeit“ aufgegriffen, sondern Vielfalt wird in ihrer gesamtgesellschaftlichen Komplexität behandelt. Die Charta selbst besteht aus einer Präambel und sechs konkreten Verpflichtungen, wie das Thema Vielfalt in den Unternehmen vorangebracht werden kann. Letztere werden im Folgenden wiedergegeben und erläutert. 1. Eine Unternehmenskultur pflegen, die von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung jedes Einzelnen geprägt ist. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Vorgesetzte wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Werte erkennen, teilen und leben. Dabei kommt den Führungskräften bzw. Vorgesetzten eine besondere Verpflichtung zu. Hier geht es um die grundsätzliche Stellungnahme zu Vielfalt. Manche Unternehmen haben im Rahmen ihrer deklarierten Werte, Visionen, Grundsätze o.Ä. eine Stellungnahme abgegeben und in Unternehmensrichtlinien (Verhaltenscodex) bis hin zu Betriebsvereinbarungen z.B. zur Chancengleichheit von Frauen und Männern, zum partnerschaftlichen Verhalten oder zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund verbindlich gemacht. Für die Umsetzung ist essenziell, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und allen voran die Führungskräfte, ein Bewusstsein für das Thema entwickelt, die Chancen erkannt haben und entsprechend handeln können. Dies kann im Rahmen existierender Informations- und Entwicklungsmaßnahmen deutlich gemacht und entsprechende Kompetenzen können trainiert werden. Die Beschäftigten erkennen oft intuitiv, ob eine Kultur von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt ist – z.B. daran, ob und wie talentierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Unternehmen gebunden und gefördert werden oder welche Sanktionen bei Verstößen gegen den Verhaltenskodex ergriffen werden. 2. Unsere Personalprozesse überprüfen und sicherstellen, dass diese den vielfältigen
Fähigkeiten und Talenten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie unserem Leistungsanspruch gerecht werden. Bei der Personalauswahl und -entwicklung ist sicherzustellen, dass die Prozesse nicht durch Stereotypen und Vorurteile geprägt sind, sondern allen Bewerberinnen und Bewerbern bzw. Kandidatinnen und Kandidaten gerecht werden. Entsprechende Sensibilisierungen für das Interview-Team bzw. Auswahlgremium sind hier hilfreich. Weichenstellend für faire Chancen ist schon die Stellenausschreibung (vgl. dazu auch Kay in diesem Band). Bei Auswahl-, Beurteilungs- und Entwicklungsprozessen sollten in die Entscheidungsfindung unterschiedliche Perspektiven einfließen – z.B. durch die Beteiligung von mindestens einem Vertreter der jeweiligen Diversity-Gruppe. 3. Die Vielfalt der Gesellschaft innerhalb und außerhalb des Unternehmens anerkennen, die darin liegenden Potenziale wertschätzen und für das Unternehmen gewinnbringend einsetzen. Die Definition von Vielfalt hängt davon ab, in welchem Umfeld ein Unternehmen wirtschaftet. Ein Vergleich interner demographischer Daten hinsichtlich z.B. Geschlecht,
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Alter und Migrationshintergrund mit externen Daten über die jeweilige Talent- bzw. Kundenbasis gibt Aufschlüsse über Handlungsbedarf. Zielkorridore, die sich mess- und nachvollziehbar an der Gruppe ausrichten, die ein Unternehmen aus strategischen Gründen fördern möchte, können deutliche Signale nach innen und nach außen senden. 4. Die Umsetzung der Charta zum Thema des internen und externen Dialogs machen. Hier geht es um die interne und externe Unternehmenskommunikation zum Thema Diversity, sei es im Rahmen der üblichen Maßnahmen und Medien oder auch in Form von speziellen Dialogmöglichkeiten wie Intranet-Seiten, Intranet-Foren, Netzwerken u.a. zum Thema Vielfalt. Inhaltlich kann es dabei um Stereotype und deren Einfluss auf das Geschäftsleben oder den Business Case gehen – oder auch darum zu kommunizieren, dass Diversity als Strategie kein Selbstzweck und keine Erlaubnis ist, alles zu tolerieren, sondern einen klaren Auftrag und eine klare Zielrichtung braucht. 5. Über unsere Aktivitäten und den Fortschritt bei der Förderung der Vielfalt und Wertschätzung jährlich öffentlich Auskunft geben. Der jährliche Aktivitätennachweis (z.B. im Rahmen eines Jahresberichtes oder Nachhaltigkeitsberichtes) soll ermöglichen nachzuvollziehen, wie sich ein Unternehmen zu dem Thema entwickelt. Er kann auch als Werbung für neue Talente bzw. die eigene Reputation genutzt werden. Unterstützend wirken hier Zertifizierungen oder Auszeichnungen zu einzelnen Diversity-Dimensionen, wie z.B. das „Total E-Quality“-Prädikat (zu Gender; vgl. Roer in diesem Band), das „audit berufundfamilie“ (zu Gender & Worklife; vgl. Wollert in diesem Band) oder der „Max-Spohr-Preis“ (zu sexueller Orientierung). Dadurch können darüber hinaus bereits eingeleiteten Maßnahmen auf den Prüfstand gestellt und weitere initiiert werden. 6. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Diversity informieren und sie bei der Umsetzung der Charta einbeziehen. Für eine schnelle und effektive Umsetzung der Charta bzw. ihres Anliegens ist die Einbeziehung der gesamten Belegschaft unerlässlich. Auch die Interessenvertretung ist in vielen Fällen in die Umsetzung der Charta erfolgreich eingebunden oder sogar zum Sponsor für das Thema geworden. Dabei ist neben der internen Kommunikation, die sich über alle geeigneten Medien an die Beschäftigten wendet, eine Mitarbeiterbefragung, bei der auch Fragen zum Diversity Management integriert sind, ein geeignetes Mittel, einen Eindruck zum Stand von Maßnahmen im Rahmen der Wertschätzung von Vielfalt zu bekommen. Oft ist damit zugleich eine breite Basis geschaffen, auf der Maßnahmen generiert und umgesetzt werden können.
4. Ausblick Es geht darum, den Geist der Charta der Vielfalt weiter zu verbreiten: zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, zum Ausdruck des sozialen Engagements in Deutschland und als Zeichen der Integration von Vielfalt zum Vorteil aller. Eingeladen sich den Unterzeichnenden anzuschließen sind Unternehmen aller Größen und Branchen u.a. Organisationen, auch des Öffentlichen Dienstes, die sich dazu öffentlich bekennen wollen.
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Eva Maria Roer
TOTAL E-QUALITY: Mit Chancengleichheit zum Erfolg „In zehn Jahren wollen wir in Deutschland bei Wachstum, Beschäftigung und Innovation in Europa wieder ganz vorn sein. Um das zu erreichen, brauchen wir alle – Frauen und Männer. Gleichstellung in Politik, Gesellschaft und Arbeitswelt muss selbstverständlich werden“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Imagebroschüre TOTAL EQUALITY 2006). Dieses anspruchsvolle, aber durchaus realistische Ziel braucht die Motivation und die Tatkraft jedes Einzelnen. TOTAL E-QUALITY will mit seiner Arbeit im Rahmen von Best Practise daran mitwirken.
1. Was ist TOTAL E-QUALITY und wofür steht es? TOTAL E-QUALITY Deutschland e. V. verfolgt das Ziel, Chancengleichheit in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu etablieren und nachhaltig zu verankern. Dieses Ziel ist erreicht, wenn Begabungen, Potenzial und Kompetenz von Frauen gleichberechtigt (an)erkannt, einbezogen und gefördert werden. Zukunftsweisendes Personalmanagement ist deshalb immer auch TOTAL E-QUALITY Management. Der Begriff leitet sich ab aus Total Quality Management, explizit bereichert um den Begriff der Chancengleichheit. Aus TQM wird so TEQM. Qualitätsmanagement braucht Chancengleichheit, wenn beste Qualität nachhaltig erreicht werden soll. Deshalb honoriert der Verein praktizierte Chancengleichheit mit dem TOTAL E-QUALITY Prädikat. In den zehn Jahren seines Bestehens wurden weit mehr als 100 Organisationen aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft mit mehr als zwei Millionen Beschäftigten ausgezeichnet – ein Erfolg auch des ehrenamtlichen Engagements.
Eva Maria Roer, Vorsitzende des Vorstands von TOTAL E-QUALITY Deutschland e.V., www.total-e-quality.de. E-Mail:
[email protected] 475
2. Die Bewerbung um das TOTAL E-QUALITY Prädikat Die Bewerbung für das Prädikat und die Selbstverpflichtung zur Förderung der Chancengleichheit erfolgen auf freiwilliger Basis. Eine kostenpflichtige Auditierung findet nicht statt. Bewerben können sich Organisationen aller Art mit mehr als 15 Beschäftigten, die sich nachweislich und langfristig in ihrer Personalpolitik für Chancengleichheit einsetzen. Dazu gehören neben Wirtschaftsunternehmen auch Institutionen und Verwaltungen sowie Wissenschaftseinrichtungen. Organisationen, die durch die Gesetzgebung zur Gleichstellung verpflichtet sind, können durch freiwillige Maßnahmen, die über das gesetzlich Vorgegebene hinausgehen, das TOTAL E-QUALITY Prädikat erwerben. Grundlage der Bewerbung ist das Selbstbewertungsinstrument in Form einer Checkliste, das zugleich Anregungen und Unterstützung bei der Implementierung von Aktivitäten zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern bieten soll. Die Checkliste umfasst neben statistischen Angaben und Grundaussagen zur Personalarbeit unter dem Aspekt der Chancengleichheit auch Maßnahmen aus den Aktionsbereichen: 1. Beschäftigungssituation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 2. Personalbeschaffung, Stellenbesetzung und Nachwuchswerbung, 3. Weiterbildung/Personalentwicklung, 4. Vereinbarkeit von Beruf und Familie, 5. Förderung partnerschaftlichen Verhaltens am Arbeitsplatz, 6. Institutionalisierung. Der Schwerpunkt liegt also nicht nur auf der Vereinbarkeitsfrage, sondern der Blickwinkel der Checkliste ist umfassend.
3. Die Vergabe des TOTAL E-QUALITY Prädikats Die Bewerbungsunterlagen werden von einer Jury geprüft, die die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und die Verschiedenheit der Organisationen berücksichtigt. Entscheidendes Kriterium ist, dass die Organisationen einen erfolgreichen Konsens zwischen wirtschaftlichen Belangen und den Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch geeignete Personalstrategien zur Umsetzung von Chancengleichheit erzielen. Die Auszeichnung soll die Eigeninitiative der Organisationen fördern. Das Prädikat wird für drei Jahre verliehen. Danach erfolgt eine erneute Auszeichnung, wenn die wiederholte Bewerbung nachhaltiges Engagement bzw. weitere Erfolge auf dem Weg zur Chancengleichheit zeigt. Das Prädikat besteht aus einer Urkunde. Natürlich werben die Prädikatsträger mit ihrer Auszeichnung innerhalb der Organisation und in allen Außenbeziehungen. Sichtbares Zeichen ist das zu Beginn des Beitrags abgebildete TOTAL E-QUALITY Logo.
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4. TOTAL E-QUALITY als Erfolgsfaktor „Organisationen, die eine an Chancengleichheit orientierte Personalpolitik verfolgen, haben im Wettbewerb um die besten Köpfe einen entscheidenden Vorteil. Sie werden belohnt durch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit ihrer Organisation identifizieren und sich langfristig an sie binden wollen. So entsteht eine klassische Win-win-Situation: Für die Organisationen erhöhen sich Leistungskraft und Konkurrenzfähigkeit. Organisationen ohne Frauen in Entscheidungspositionen werden es immer weniger schaffen, im Wettbewerb einer durch Pluralismus gekennzeichneten Gesellschaft bestehen zu können. Es wird in unserer hochkomplex entwickelten Arbeitswelt die Vielfalt sein, die uns in allen Arbeitsbereichen und auf allen Entscheidungsebenen weiter bringt“ (Auszug aus einer Rede von Dr. Bernhard Heye und Barbara David, Commerzbank AG, anlässlich der Prädikatsvergabe 2003). Je souveräner die Vorgesetzten mit der Vielfalt ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehen, umso erfolgreicher kann das Team sein. Von großer Bedeutung sind gerade die unterschiedlichen Blickwinkel auf Produkte, Kundenbeziehungen und Strukturen. Alle Prädikatsträger sind lebendige Beispiele dafür, dass der Erfolg größer und vor allem nachhaltiger ist, wenn das weibliche Potenzial voll integriert ist. Es entsteht eine produktive Unruhe, eine Aufbruchstimmung, wenn Männer und Frauen gemeinsam Zukunft gestalten. Die Förderung der Chancengleichheit wird somit gleichzeitig ihre Wirkung bei der gesellschaftspolitischen Entwicklung nicht verfehlen.
5. Ausgewählte Best-Practise-Beispiele Die Allianz Deutschland AG setzt sich für eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Dies ist Voraussetzung dafür, dass Frauen in verantwortungsvollen Positionen tätig sein können. Daneben helfen Mentoring-Programme, Weiterbildung und viele weitere Maßnahmen, die Anliegen zu realisieren. Die Deutsche Post ist einer der größten Arbeitgeber Deutschlands für Frauen. Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, setzt das Unternehmen bereits seit 2002 erfolgreich auf Mentoring-Programme für Frauen in Deutschland. Im Rahmen der konzernweiten Unternehmenskultur soll 2007 ein internationales Mentoring-Programm gestartet werden. Im Zentrum für Weiterbildung gGmbH und der GFFB gGmbH in Frankfurt a.M. sind Chancengleichheit und Diversity Unternehmensgrundsätze. Parameter, wie individuelle Arbeitszeitmodelle (70% Frauenanteil auf Führungsebene), Notfall-Kinderbetreuung und flexible Bildungsmöglichkeiten im Computer-Fitnesscenter erleichtern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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6. Rückblick und Ausblick Mitte der 1990er Jahre entwickelte das Total Quality Management eine starke Dynamik – national wie international. In diesem Umfeld wurde TQM zur Basis von TEQM – getragen von der Überzeugung: Quality without equality is no lasting quality, oder: Qualitätsmanagement braucht Chancengleichheit! Das Logo von TOTAL E-QUALITY zeigt die Intention des Vereins so deutlich, dass es zu sprechen scheint. Das „E“ von Equality stellt die Basis des „Q“ also des Qualitätsmanagements, dar – oder auch: die Stufenleiter zum Erfolg. Europa war von der ersten Stunde an der Rahmen, in dem wir auszeichnen wollten. Ein Prädikat sollte es von Anfang an sein, kein Zertifikat. Auditoren gibt es bei TOTAL EQUALITY nicht. Der Weg heißt: Selbstbewertung auf der Basis von Vertrauen und Auszeichnung der Besten. In ihrer „2. Bilanz Chancengleichheit: Frauen in Führungspositionen“, die auf die 2001 getroffene freiwillige Vereinbarung, die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft zu verbessern, zurückgeht, empfehlen auch die Bundesregierung und die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die Unterstützung des Vereins TOTAL E-QUALITY zur Förderung der Chancengleichheit zu nutzen (vgl. Die Bundesregierung 2006, S. 54). Die zweite Dekade von TOTAL E-QUALITY will sich auf die mittelständischen Unternehmen konzentrieren. Viele „Hidden Champions“ sollen TOTAL E-QUALITY finden und mitmachen. Aber, daran sei hier noch einmal erinnert: TOTAL E-QUALITY hat nicht nur die Wirtschaft im Fokus, sondern alle Organisationen in unserer Gesellschaft.
Literatur Die Bundesregierung (2006): 2. Bilanz Chancengleichheit: Frauen in Führungspositionen, Rostock. TOTAL E-QUALITY Deutschland e.V. (2006): „Mit Chancengleichheit zum Erfolg“, Bad Bocklet.
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Michel E. Domsch und Désirée H. Ladwig
genderdax – Top Unternehmen für hochqualifizierte Frauen genderdax – eine neue Informationsplattform für hoch qualifizierte Frauen – ist im Frühjahr 2005 an den Start gegangen. genderdax richtet sich insbesondere an Hochschulabsolventinnen, weibliche Fach- und Führungskräfte, weibliche Nachwuchskräfte und Wiedereinsteigerinnen. Für diese Zielgruppe bietet genderdax einen umfassenden Überblick über Beschäftigungsmöglichkeiten und Entwicklungschancen bei in den genderdax ausgewählten Großunternehmen und mittelständischen Betrieben in Deutschland. Mithilfe einer Suchmaske können die Benutzerinnen sich über die in den genderdax aufgenommenen Unternehmen in Deutschland einen Überblick verschaffen. Die Informationsübersicht der gelisteten Unternehmen bietet weitere detaillierte Angaben. Vorteile bietet genderdax aber nicht nur für hoch qualifizierte Frauen, sondern auch für die ausgewählten Unternehmen. Diese x können ihre Attraktivität für hoch qualifizierte Frauen steigern, x gewinnen und sichern weibliches Führungs- und Fachkräfte-Potenzial, x verbessern ihr Image in den Bereichen Chancengleichheit und Diversity und x profitieren vom Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen.
1. Projektverlauf Entwickelt und aufgebaut wurde genderdax an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg im I.P.A. Institut für Personalwesen und Internationales Management in Kooperation mit dem Verein Taten statt Worte e.V. Gefördert wird genderdax vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das im Oktober 2004 einen Michel E. Domsch, Prof. Dr., Leiter des I.P.A. Instituts für Personalwesen und Internationales Management der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. E-Mail:
[email protected] Désirée H. Ladwig, Prof. Dr., Geschäftsführerin des MDC Management Development Centers an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. E-Mail:
[email protected] Gemeinsam leiten sie das genderdax-Projekt. E-Mail:
[email protected] 479
ersten genderdax-Infotext im Internet veröffentlichte, um bundesweit auf das Projekt aufmerksam zu machen. genderdax wurde beim Deutschen Patentamt als Wortmarke angemeldet und geschützt. Anfang März 2005 erfolgte im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin die Freischaltung der genderdax-Website www.genderdax.de. Anfang 2006 wurde die Zielgruppe von „karriereorientierte Frauen“ auf „hoch qualifizierte Frauen“ erweitert. Gleichzeitig wurde der genderdax auf mittelständische Firmen ausgeweitet und für diese ein spezielles Bewerbungsverfahren entwickelt (s.u.). Schließlich wurden Sonderbereiche für Großforschungseinrichtungen und kleine Unternehmen eingeführt. Inzwischen ist genderdax auch im EU-Projekt WIST (Women in Science and Technology) vorgestellt und bei internationalen Unternehmen eingesetzt worden.
2. Bewerbung Für die Aufnahme in den genderdax können sich alle Unternehmen in Deutschland bewerben, die im Rahmen ihrer Personalpolitik und speziell in den unter 3. genannten Bewertungsbereichen weibliche Fach- und Führungskräfte fördern. Das genderdaxTeam geht auch gezielt auf Unternehmen zu. Dafür wichtig sind Vernetzungen wie z.B. mit www.frauenmachenkarriere.de. Zudem werden bestehende Kontakte genutzt, wie z.B. zu den Mitgliedsfirmen des genderdax-Kooperationspartners Taten statt Worte e.V., zu Total E-Quality e.V. (vgl. auch Roer in diesem Band) und der berufundfamilie gGmbH – einer Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung (vgl. auch Wollert in diesem Band) sowie zu vielen weiteren in- und ausländischen Organisationen. Die Bewerbung ist kostenlos, und die Aufnahmebedingungen gelten für Großunternehmen (> 500 Mitarbeiter) und mittelständische Unternehmen (< 500 Mitarbeiter). Obwohl grundsätzlich in beiden Kategorien Best Practices aufgenommen werden, wird natürlich darauf geachtet, dass die Förderung qualifizierter Frauen im Mittelstand nach Art, Umfang und Intensität nicht immer mit denen von Großunternehmen verglichen werden kann. Großunternehmen finden unter www.genderdax.de einen Bewerbungsbogen in deutscher und englischer Sprache zum Downloaden und Ausfüllen. Für mittelständische Unternehmen erfolgt die Bewerbung über ein Interview, das anhand eines Bewerbungsbogens dokumentiert wird. Großforschungseinrichtungen und kleine Unternehmen sind als Sonderbereiche aufgenommen worden.
3. Bewertung Die eingegangenen Bewerbungen werden innerhalb von vier bis sechs Wochen von dem Expertengremium ausgewertet. Die Einschätzung der Bewerbung erfolgt anhand von Bewertungsbereichen, die in drei Sektoren eingeteilt sind:
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I. Input-Sektor: z.B. Strategien, Leitlinien, Vereinbarungen, Information & Kommunikation, Personalbeschaffung & -entwicklung, Bezahlung und Vereinbarkeit; II. Promotion-Sektor: z.B. Vorstand/Geschäftsführung, Personalbereich, Kommissionen & Projekte, Beauftragte (Gleichstellung/Diversity), Interessenvertretung der Beschäftigten, Personalentwickler, externe Netzwerke/NGOs/Öffentlichkeit und die Zielgruppe; III. Output-Sektor: z.B. Ergebnisse aus Audits/Wettbewerben sowie Einschätzung der Ergebnisse durch verschiedene Gruppen. Die Informationen werden ihm Rahmen des genderdax-Bewertungsmodells (vgl. Abbildung 1) sowohl quantitativ als auch qualitativ analysiert.
Input 1
0.3
Promotoren
60
Output
5
Planung
6%
0.1
6
0,2
0.6
Auditierungen
18 %
180
0,3
Promotoren 2 3%
3
30
12 %
0,1
8
Systeme
12 %
4
7
Information
120
6%
0,4
9
Vereinbarkeit
9%
90
10 %
0,3
100
1,0
24 %
Selbsteinschätzung 120
0,2
Rückmeldungen 60
0,1
Zahlen 240
0,4 1
Abb. 1: genderdax-Bewertungsmodell
Das Expertenteam entscheidet auf dieser Basis über die Aufnahme in den genderdax. Ist diese erreicht, werden die Unternehmensdaten auf der Informations-Plattform genderdax im Internet (www.genderdax.de) detailliert kostenlos veröffentlicht. Außerdem wird das genderdax-Logo zu Informations- und Werbezwecken zur Verfügung gestellt.
4. Fazit und Ausblick genderdax hat sich von Beginn an als neues, erklärungsbedürftiges Produkt auf einem schwierigen Markt durchgesetzt. Die Resonanz in der Öffentlichkeit, bei Veranstaltungen und bei den Unternehmen war sehr positiv und ist es bis heute. Wirtschaftliche 481
Schwierigkeiten, Stellenabbau oder Einstellungsstopp führten zwar bei einigen Unternehmen zu der Entscheidung, sich aktuell nicht stärker mit dem Thema Chancengleichheit auseinanderzusetzen und sich deshalb nicht bei genderdax zu bewerben. Im Jahr 2006 zog die Nachfrage aber erfreulicherweise deutlich an (+ 54%) – verursacht unter anderem von der Präsenz von namhaften Unternehmen im genderdax, vom neuen Flyer, vom gesteigerten Bekanntheitsgrad und einem erweiterten deutsch- und englischsprachigen Internetauftritt. Ende 2006 präsentierte der genderdax bereits 30 Unternehmen und Forschungszentren, die im Rahmen ihrer Gender-und-Diversity-Maßnahmen karriereorientierte Frauen (und Männer) besonders fördern, darunter Allianz, BMW, Booz Allen Hamilton, Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Fraport, Flughafen Hannover-Langenhagen, Lufthansa, Randstad, Robert Bosch GmbH, Siemens, SV (Deutschland) GmbH, Vattenfall, VW, WestLB, ZMD; die mittelständischen Unternehmen CoreMedia, DEG, Engel AG, Freescale Halbleiter Deutschland, MAZeT, Vaude, Windwärts Energie und Yamaichi; die kleinen Unternehmen AB@Media und promeos GmbH sowie die Forschungszentren Fraunhofer-Gesellschaft und GeoForschungsZentrum Potsdam. Eine Vielzahl weiterer Unternehmen befindet sich derzeit in der Bewerbungsphase. Das I.P.A. Institut für Personalwesen und Internationales Management sowie das neu gegründete MDC Management Development Center werden das Projekt an der HelmutSchmidt-Universität weiterführen.
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Artur Wollert
Das audit berufundfamilie® 1. Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung zählt zu den größten privaten Stiftungen Deutschlands und versucht als Reformstiftung, Anreize für Veränderung zu schaffen. Deswegen hat sie sich auch dem Thema „Mit Familie zum Unternehmenserfolg“ gewidmet. In den Augen der Stiftung ist familienbewusstes Verhalten ein harter Standortfaktor. Sie führte deshalb von 1995 bis 1998 ein entsprechendes, mit fast sechs Mio. DM ausgestattetes Projekt durch. An ihm wirkte ein größeres Team aus erfahrenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis mit. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projektes gründete die Stiftung die berufundfamilie gGmbH, die seitdem für alle ihre Aktivitäten in diesem Themenfeld verantwortlich zeichnet. Eine Haupterkenntnis der empirischen Forschung aus Groß- wie aus Kleinunternehmen war, dass nicht so sehr hohe Investitionen in Infrastruktur und Sozialbudget zur besseren Vereinbarkeit beitragen, sondern insbesondere Führungskompetenz und flexible Gestaltung der Arbeitsorganisation (vgl. Gemeinnützige Hertie-Stiftung 1998). Vor allem aber geht es um eine Änderung des Bewusstseins aller Beteiligten. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die notwendige Sensibilität des Unternehmens für die familiären Belange der Mitarbeiter. Angestrebt werden sollte eine Unternehmenskultur, in der der einzelne Mitarbeiter in seiner Ganzheit gesehen und respektiert wird, in der man dessen Verantwortung für andere Lebensbereiche ernst nimmt und überlegt, wie die dort erworbenen Kompetenzen für den Arbeitsplatz nutzbar gemacht werden können. Beispielsweise ist unbestritten, dass das Management von Erziehung, Familie und Haushalt ganzheitliches Denken und Planen schult, lehrt, Prioritäten zu setzen und ergebnisorientiert zu handeln. Man muss eigentlich alle Qualitäten zeigen, die gemeinhin guten Führungskräften zugeschrieben werden: zuhören können, motivieren, schlichten, integrieren, entscheiden, Werte setzen, Vorbild sein.
Artur Wollert, Dr. oec. publ., Honorarprofessor an der Universität Karlsruhe, ehem. Mitglied des Vorstandes und Arbeitsdirektor der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH; Mitglied des Kuratoriums der berufundfamilie gGmbH. E-Mail:
[email protected] 483
2. Das audit berufundfamilie® Im Rahmen des Gesamtprojekts wurde auch ein eigenständiges audit berufundfamilie® entwickelt (siehe: www.beruf-und-familie.de). Es hat sich mittlerweile als das maßgebende Gütesiegel für Familienbewusstsein in der deutschen Wirtschaft etabliert. Durch den ausschließlichen Einsatz speziell qualifizierter und lizensierter Auditoren ist die kontinuierliche hohe Qualität in der Durchführung des audits gewährleistet. Bei der Auditierung wird ein Kriterienkatalog verwendet, der in acht Handlungsfeldern die klassischen Bereiche der Personalpolitik abdeckt (vgl. Abbildung 1). Das gewährleistet, dass für alle Unternehmen individuell passende Ziele und Maßnahmen entwickelt werden. Handlungsfeld 1 Arbeitszeit
2 Arbeitsorganisation
3 Arbeitsort
4 Informationsund Kommunikationspolitik 5 Führungskompetenz
6 Personalentwicklung
7 Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen 8 Service für Familien
Kurzbeschreibung x Maßnahmen flexibler Arbeitszeitgestaltung hinsichtlich Umfang, Zeitpunkt und Abrechnungszeitraum x Freistellungsregelungen x Bausteine und Methoden (etwa Mitarbeiterbeteiligung oder Teamarbeit) der flexiblen Gestaltung und Verteilung von Arbeitsaufträgen x Möglichkeiten eines flexiblen Arbeitsortes (etwa zu Hause, im Büro oder auf Reisen) und seine Anbindung an den Betrieb x unternehmensinterne Informations- und Öffentlichkeitsarbeit über familienunterstützende Aktivitäten des Betriebes x familienorientiertes Verhalten der Führungskräfte x aktive Unterstützung familienorientierter Vereinbarungen x Förderung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit x Fortbildungs- und Förderungsmöglichkeiten für Beschäftigte mit Familie x positive Beurteilung von Laufbahnen, die „aus dem Rahmen fallen“ x finanzielle und soziale Unterstützung für Beschäftigte mit Familie
Nutzen flexibler Einsatz von Personalressourcen
x Versorgungsarrangements für Kinder oder pflegebedürftige Familienangehörige
Reduzierung von Wiedereinarbeitungskosten, Amortisation der Aus-, Fort- und Weiterbildungsinvestitionen
Abb. 1: Kriterienkatalog der Auditierung
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multifunktionaler Personaleinsatz
Zeit- und Kosteneinsparungen Unterstützung der Wirksamkeit personalpolitischer Maßnahmen Kompetenzentwicklung, -erweiterung der Führungskräfte
Qualifikationserhalt und -ausbau sowie Nutzung von in der Familie erworbenen Kompetenzen Vielfältige finanzielle Hilfestellungen
Den Nutzen des audits sehen die Firmen zumeist in folgenden Faktoren: x Identifizieren von Stärken und Schwächen ihrer familienbewussten Maßnahmen, x Vernetzung vorhandener familienbewusster Maßnahmen, x Gewinnen neuer Impulse für neue Handlungsstrategien, x Erfassen und Darstellen der tatsächlichen Unternehmenskultur, x Steigerung der Motivation der Mitarbeiter und x Vorteile beim Personalmarketing. Der Auditierungsprozess wird in folgenden Schritten durchgeführt: Die Auditierung beginnt mit dem Strategieworkshop, an dem der Auditor oder die Auditorin und die Entscheidungsträger des Unternehmens teilnehmen. Es wird eine Projektgruppe gebildet, die das Unternehmen in seinen hierarchischen, organisatorischen und sozialen Strukturen repräsentiert. Aufgrund einer eingehenden Analyse des Ist-Zustandes stellt die Projektgruppe im Auditierungsworkshop den konkreten Handlungsbedarf fest und erarbeitet gemeinsam mit dem Auditor Ziele und weiterführende Maßnahmen für eine familienbewusste Personalpolitik. Diese Ziele und Maßnahmen als innerhalb von drei Jahren zu realisierender Soll-Zustand werden mit der Unternehmensleitung abgestimmt und von ihr schriftlich bestätigt. Der Auditor dokumentiert die Durchführung des audits und schlägt das auditierte Unternehmen der berufundfamilie gGmbH zur Grundzertifizierung vor. Das entscheidende Kriterium für die Vergabe des Grundzertifikats ist nicht das bereits bestehende Angebot familienbewusster Maßnahmen, sondern der jetzt begonnene kontinuierlich weiterlaufende Prozess, in dem sich das Unternehmen ab der Durchführung des audits befindet. Die berufundfamilie gGmbH überprüft die praktische Umsetzung der vereinbarten Ziele anhand eines jährlich angeforderten Zwischenberichtes. Eine Re-Auditierung nach drei Jahren stellt fest, inwieweit die Ziele erreicht wurden und definiert weiterführende Ziele und Maßnahmen. Nur im Falle einer erfolgreichen Re-Auditierung erhalten die Unternehmen ihr eigentliches Zertifikat zum audit berufundfamilie® und dürfen dieses Gütesiegel bis zur nächsten Überprüfung nach weiteren drei Jahren führen. Das Interesse an einer Auditierung ist in den letzten Jahren stark gestiegen, und zwar nicht nur seitens der Wirtschaft. Seit 2001 gibt es auch das audit familiengerechte Hochschule (vgl. Vedder 2004). Hier werden alle wichtigen Handlungsfelder zur Vereinbarkeit von Arbeiten, Studieren und Familie bearbeitet. Generell hat das audit als ein strategisches Managementinstrument seine Effizienz in unterschiedlichen Branchen und Betriebsgrößen, in Industrie und Gewerbe, in privatwirtschaftlichen Unternehmen und öffentlichen Institutionen nachgewiesen. Die berufundfamilie gGmbH ist Teil eines Netzwerks renommierter Partner geworden. Seit 2001 wird das audit von den Spitzenverbänden der Deutschen Wirtschaft (DIHK, BDA, BDI, ZDH) empfohlen. Mehrmals jährlich lädt die berufundfamilie gGmbH die auditierten Unternehmen zu einem Erfahrungsaustausch mit Fachvorträgen und Workshops ein.
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3. Familienbewusste Personalpolitik – ein Erfolgsfaktor Das Thema „Vereinbarkeit“ ist in den letzten Jahren sicher auch aus bevölkerungspolitischen Gründen so populär geworden. Jede Generation ist ein Drittel kleiner als die vorhergehende. Zählte man 1960 noch 2,4 Kinder pro Frau, so sind es heute 1,3. Besonders dramatisch: 40 bis 45% der akademisch ausgebildeten Frauen bleiben zeitlebens kinderlos. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann hier sicher eine Besserung herbeiführen. Sie hilft, dass die Alternative Karriere oder Familie sich so nicht mehr stellt. Aber der Hintergrund familienbewusster Personalpolitik geht darüber hinaus. „Vereinbarkeit“ berücksichtigt die Belange des Einzelnen und erkennt an, dass jeder in und für unterschiedliche Lebensbereiche Verantwortung trägt. Sie will erreichen, dass eine Frau sowohl gute Mutter wie akzeptierte Führungskraft und ein Mann sowohl anerkannter Manager wie vorbildlicher Vater sein können. Durch einen verbesserten Ausgleich unterschiedlicher Interessen werden betriebliche Abläufe leichter optimiert und ein stärkeres Engagement bzw. eine engere Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen erreicht. Eine derartige Politik wirkt auch positiv nach außen. Ein guter Ruf fördert die Kundenbindung und steigert die Attraktivität als Arbeitgeber. Letztlich verbessert familienbewusste Personalpolitik die Wettbewerbsposition eines Unternehmens. Zusammengefasst: Je besser es allen Beteiligten gelingt, Ungleichgewichte zwischen den Lebensbereichen der Mitarbeiter zu vermeiden, desto eher erreichen wir eine Winwin-Situation. In dieser sind sowohl das Individuum, wie das Unternehmen und die gesamte Gesellschaft zufriedene Profiteure. Daher ist richtig verstandene und praktizierte familienbewusste Personalpolitik eine gute Basis für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität.
Literatur BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2003): Prognos Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen, Bonn. DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag/BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): berufundfamilie Familienorientierte Personalpolitik, Rostock. Faber, Christel/Borchers, Uwe (1999): Familie oder Beruf oder Beruf und Familie?, München. Gemeinnützige Hertie-Stiftung (1998): Mit Familie zum Unternehmenserfolg, Köln. Knauth, Peter/Hornberger, Sonia/Olbert-Bock, Sibylle/Weisheit, Jürgen (2000): Erfolgsfaktor familienbewußte Personalpolitik, Frankfurt a.M. Vedder, Günther (2004): Familiengerechte Hochschule, Frankfurt a.M. Wingen, Max (1995): Familie – ein vergessener Leistungsträger?, Grafschaft. Wollert, Artur (2001): Führen, Verantworten, Werte schaffen, Frankfurt a.M.
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Sachregister A Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) V, 4f, 24ff, 29, 36, 41, 43f, 50, 52, 61, 71f, 88, 102f, 177ff, 183f, 197, 220, 245, 251f, 256, 266f, 284, 308, 314, 332f, 345, 369, 378, 472 Alter 4, 24, 31, 41, 44f, 53, 60f, 64f, 68, 71, 81, 88f, 91f, 93f, 108, 136, 142, 145, 185, 189, 221, 247, 254, 266, 275, 292, 295, 332, 338f, 353f, 363, 374, 419, 434, 447, 455ff, 464, 466, 473f (s.a. Generationen) Altersteilzeit 41, 141, 244f, 431, 433 Altersversorgung V, 24, 41, 49ff, 306ff, 311f Akkord 8, 284, 286, 406 (s.a. Leistungslohn) Anforderungsanalyse (im Rahmen der Personalauswahl) 29, 176ff Anforderungsermittlung/-arten/-profile (im Rahmen der Arbeitsbewertung) 33, 36, 151, 210, 254, 269ff, 320, 326ff, 409ff Androgynie 322 Anreiz(gestaltung) 10f, 41, 74, 76, 91, 289, 302f, 306, 424 Arbeits- u. Merkmalsanalyse (s. Anforderungsanalyse) Arbeitsbewertung 8, 33, 35, 135, 165f, 184, 196, 199, 202f, 212, 264ff, 289 Arbeitsorganisation/-gestaltung 6ff, 131, 147, 203, 278, 377, 381, 400ff, 413f, 420, 422ff, 483f Arbeitsgruppen (s. Teams) Arbeitsschutz (s. Gesundheitsschutz/-förderung) Arbeitsstrukturierung 378f, 386, 400ff, 439 Arbeitszeit(-gestaltung, -flexibilisierung) 9, 31, 47, 51, 58, 61, 74, 91, 119, 128, 130f, 142, 145, 147f, 151, 160, 196, 247ff, 291, 306, 379, 406,
410, 412, 421ff, 428ff, 444, 446f, 449, 455, 460f, 477, 484 (s.a. Teilzeit) Assessment Center (AC) 10, 35f, 95, 176f, 190f Audit 481 (s.a. Total E-Quality) – berufundfamilie V, 4, 60f, 69, 128, 144, 474, 483ff – Diversity-Audit 12, 75, 96, 333 – Gender-Audit/-Analyse/-Check/Prüfung 12 105f, 115, 117, 342, 358, 363 Aufstieg 6f, 41f, 58, 70, 109, 145, 148, 196f, 207f, 212ff, 220f, 223f, 227, 249, 321, 325, 327, 333, 412, 437, 439f, 446 (s.a. Beförderung) Aufwärtsbeurteilung (s. Vorgesetztenbeurteilung) Ausbildung 29, 35, 40, 64, 66, 70, 83ff, 103, 109, 125, 167, 178, 181, 184f, 187, 220, 245, 250, 269, 271, 332, 339, 355, 371, 411, 447, 463 Ausländische ArbeitnehmerInnen (s. Migrationshintergrund, Menschen mit) Auswahl (s. Personalauswahl u. Führungskräfteauswahl) Auszubildende (s. Ausbildung)
B Balanced Scorecard 76, 98, 300f Beauftragte für Frauen/Chancengleichheit/Gleichstellung/Gleichbehandlung 12, 27, 84, 105, 115f, 131, 133, 136f, 148f, 151f, 157, 164, 171, 181, 190, 223f, 241, 255, 296, 481 Beförderung 6, 10, 35f, 41, 52ff, 200, 227, 301, 344, 354, 361, 405, 437 (s.a. Aufstieg)
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Behinderung, Menschen mit 4, 24, 31, 41, 45, 60, 64f, 70f, 81, 89ff, 93, 247, 266, 295, 332, 378, 464f, 473 Benachteiligung (s. Diskriminierung) Belästigung 5, 59, 71, 87, 274, 378 (s.a. Sexuelle Belästigung) Beschäftigtenschutzgesetz (BSchutzG) 368f, 371 Betreuung – von Angehörigen (allgemein) 86, 130, 151, 196f, 250, 292, 440, 445 – von Kindern 9, 54, 59f, 61f, 67, 91, 95f, 104, 142, 161, 222f, 226, 240, 242, 250, 275, 292, 418, 421, 433, 440, 446, 448ff, 454ff, 463ff, 477 – von Älteren/Elderly Care 9, 61, 86, 91, 292 Betriebsausflüge/-feiern 388ff Betriebsklima 143, 327, 367, 369ff, 374, 377, 381, 383, 385, 441, 447, 467 Betriebsrat 27, 35, 51f, 70, 87f, 123, 129, 135f, 143, 177, 197, 221ff, 239f, 252f, 255, 257, 266, 296, 307f, 313f, 356, 371, 379 Betriebsrente(nsystem) (s. Altersversorgung) Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) 25, 27, 70, 74, 91, 177, 197, 221, 252f, 255, 257, 308, 313 Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung 12, 25, 28, 35, 50, 74, 86ff, 93f, 109, 117, 142, 145, 222, 255f, 308, 313, 355, 368, 371, 379, 383f, 423, 430f, 473 Beurteilung (s. Personalbeurteilung Leistungsbeurteilung, Potenzialbeurteilung, Führungskräfte-Beurteilung, Vorgesetztenbeurteilung) Bürgerrechtsbewegung 68 Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) 103, 177, 196, 223f (s.a. Landesgleichstellungsgesetze) Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) 71, 177, 197, 224, 369
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(s.a. Personalvertretungsgesetze der Länder) Business Case 68, 85, 352ff, 472, 474
C Chancengleichheitsbeauftragte (s. Beauftragte für …) Charta der Vielfalt V, 4, 62, 64, 69, 471ff Comparable Worth 269 Controlling von Gleichstellungsmaßnahmen/-programmen (s. Gleichstellungscontrolling) Cross-Mentoring 7, 59, 61, 95f, 233ff (s.a. Mentoring)
D Dekonstruktion 15f, 73, 164ff Demotivation 8, 68, 104, 268, 370, 376 Dienstleistungsarbeit/-orientierung 54, 135, 145, 147, 271f, 287, 341, 433, 464 Dienstvereinbarung (s. Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung) Differenz/-ansätze/-theorien 15ff, 36, 100, 164ff, 327, 339, 342, 363 Diskriminierung/Benachteiligung V, 4f, 6f, 8f, 27, 29f, 32f, 35f, 40ff, 50, 52ff, 58, 66ff, 70f, 83, 87f, 91, 95, 99, 101, 103f, 107, 116, 128, 142, 148, 164ff, 171, 177f, 182ff, 190ff, 196f, 199, 201f, 207f, 212f, 218ff, 227, 245, 247, 249, 251f, 255, 257, 264, 266f, 271ff, 284f, 289, 291ff, 306, 308f, 313, 332f, 335, 337f, 341f, 369f, 378, 383f, 418, 421, 450 – unmittelbare 24ff, 29, 109, 177ff, 197, 220, 225 – mittelbare V, 8, 17, 24ff, 33, 40ff, 108, 111, 177ff, 197, 220, 247ff, 256, 265, 268ff, 289, 310, 313 – statistische 45ff Diskriminierungspotenzial 13, 28, 31, 76, 111, 191f, 196, 198f, 201f, 204,
225f, 245, 249f, 252, 256, 269, 273, 284, 288 Diskurs(analyse) 15f, 68, 71f, 99, 320, 325f, 341 Diversity als (personelle) Vielfalt 4, 17f, 58ff, 64ff, 81, 89, 94, 131, 143, 303, 351 Diversity als Strategie (s. Diversity Management) Diversity-Audit (s. Audit) Diversity Council 82, 94, 300 Diversity-Kompetenz 10 (s.a. Gleichstellungskompetenz) Diversity Management (DiM) V, 4f, 10ff, 14, 17, 36, 60, 62, 64ff, 81ff, 89ff, 92ff, 99, 101, 103ff, 129, 135, 142, 203, 229, 299ff, 332ff, 342, 351ff, 395, 463ff, 471ff, 477, 479, 481f Diversity Manager/in 12, 136 Diversity Marketing 64 Diversity Training/Workshop 11, 15, 17, 60, 62, 73f, 75, 332ff, 349, 351ff Diversity Studies 65 Doing Gender 16 Doppelkarrierepaare bzw. Dual Career Couples (DCC) 9 Duales Geschlechterschema (s. Zweigeschlechtlichkeit)
E Ecksteine einer erfolgversprechenden Gleichstellungspolitik 5ff Eingruppierung 104, 202, 265, 268, 270f, 276f, 290 Elderly Care (s. Betreuung von Älteren) Eltern 9, 35, 82f, 95, 104, 124, 130, 136, 418, 440, 447, 449, 454, 456f, 465ff (s.a. Mütter u. Väter) Eltern-Coaching 9, 95f Elterngeld 103, 128, 145 Elternzeit 9, 17, 59, 61, 101, 103, 129f, 135, 141, 218, 221ff, 228, 240, 341, 421, 446, 448ff, 463f Emotion (s. Gefühl)
Emotionsarbeit 272, 274 Entgeltdifferenzierung 34, 48f, 51f – anforderungsabhängige 8, 264ff – leistungsabhängige 8, 196, 201f, 208, 284ff Entgeltdiskriminierung 7, 31ff, 41, 51, 59, 199, 264ff (s.a. Gleiches Entgelt) E-Quality (s. Total E-Quality) Equal Pay (s. Pay Equity) Equality Check 151f (s.a. Gleichstellungscontrolling) Equity 72 Ethik V, 4, 71f, 89, 91, 132, 136 Ethnie/Ethnizität/ethnische Herkunft 4, 16, 24, 41, 45, 60, 54f, 71, 89f, 93, 108, 171, 185, 266, 332, 334, 338f, 354, 363, 378, 473 (s.a. Migrationshintergrund, Menschen mit) Events, betriebliche 388ff
F Familienpolitik 57f, 103, 129f Fehlzeiten 75, 104, 333, 370, 376, 434, 450 Feminismus 15, 166f, 170f Firmenzeitschriften (s. Interne Kommunikation) Forum Frauen in der Wirtschaft V, 57ff, 96, 234, 239ff Fortbildung (s. Weiterbildung/Fortbildung) Frauenbeauftragte (s. Beauftragte für …) Frauenförderung 8, 57ff, 93f, 99f, 110, 116, 121, 123, 129, 148, 151, 154, 156f, 164ff, 186, 211, 219, 223, 239f, 255, 359, 369, 430f, 434 Frauen- und Geschlechterforschung (s. Geschlechterforschung) Führungsgrundsätze 26f (s.a. Leitbilder u. Unternehmensgrundsätze/-philosophie) Führungskräfte 5f, 8, 10ff, 27, m60f, 68, 75f, 87, 90, 74f, 110, 116, 118, 124, 489
126, 132f, 147ff, 158f, 222f, 320ff, 336ff, 351ff, 420ff, 428ff – Auswahl (u. Rekrutierung) 10, 111, 256 – Beurteilung 10, 76, 111, 198, 200, 202f – Entwicklung 13, 26, 36, 76, 105, 111, 131 – Vergütung (auch: Einkommensunterschiede) 7, 76 Führungskultur (s. Organisationskultur) Führungsnachwuchskräfte 7, 59, 92, 104, 149f, 183, 190, 211, 226, 228, 233, 240f, 320, 326ff, 341, 434 Führungspositionen 6f, 9, 15, 17, 35, 59, 61, 91, 123, 145, 147ff, 160, 165, 183, 214, 234, 240, 242, 326f, 341, 356, 375, 402, 408f, 411, 435, 438, 447, 477 Führungsstil/-verhalten 165, 190, 210, 238, 320ff, 352, 377ff, 381
G Gefühl 15, 323, 349, 354, 437, 447 Gehirn (s. Hirnforschung) Gender(ing) 14ff, 64ff, 83, 98, 115f, 123, 170, 265, 400 Gender Budgeting 106 genderdax V, 4, 69, 142, 479ff Gender-Audit/-Analyse/-Check/ -Prüfung (s. Audit) Gender-Gap 148 (s.a. Geschlechterverhältnis) Gender-Kompetenz 10, 108, 144, 151, 211, 297 (s.a. Gleichstellungskompetenz) Gender Mainstreaming (GM) V, 4f, 10ff, 17, 68, 98ff, 115ff, 121ff, 128ff, 142, 147, 154, 202, 211, 332, 342, 358ff Gender-Manifest 17, 363 Gender-Paradox(ien) 17, 362 Gender Studies (s. Geschlechterforschung) Gender-Training o.Ä. 11, 15, 18, 60, 106, 118, 332, 339, 342f, 358ff 490
Generationen 61, 235, 464, 472 Geschlecht (Verständnis von) 14f Geschlechterforschung V, 14f, 17, 65f, 98f, 142, 164ff, 363, 400 Geschlechterdifferenz(ierung) 15f, 110, 166ff, 324f, 334, 340, 376f (s.a. Geschlechter(rollen)stereotype) Geschlechterdualismus (s. Zweigeschlechtlichkeit) Geschlechterhierarchisierung 16, 98f, 294, 340, 375, 389ff, 400ff (s.a. Geschlechterordnung) Geschlechterordnung 15f, 110, 98f, 200, 324f, 334, 340 (s.a. Geschlechterverhältnis) Geschlechter(rollen)stereotype 4, 15, 30, 59, 66, 110, 167f, 185f, 189ff, 200f, 210, 212, 227, 249, 271, 289, 292ff, 320, 336ff, 362, 368, 389f, 405 (s.a. Geschlechterdifferenz(ierung)) Geschlechterverhältnis 15f, 99, 106, 110, 123f, 126, 164ff, 359f, 375, 388ff, 406, 445, 448 (s.a. Geschlechterordnung) Geschlechtscharaktere 98f, 340f Geschlechtsunterschiede bzw. -unterscheidungen (s. Geschlechterdifferenz(ierung) u. Geschlechterordnung) Gesundheit 8f, 274, 368, 378, 384, 405, 419, 454 Gesundheitsschutz/-förderung 52, 124, 306, 379, 382, 421 Gleichbehandlungsgesetz (Österreich) 147f Gleiches Entgelt (s. a. Entgeltdiskriminierung) – für gleiche oder gleichwertige Arbeit 8, 33, 42, 52, 147, 159, 264f, 266f, 273, 275 – für gleiche oder gleichwertige Leistung 8, 284ff Gleichstellungsbeauftragte (s. Beauftragte für …)
Gleichstellungscontrolling 5, 11, 13, 110f, 129, 147ff, 155ff, 213, 277 Gleichstellungsgesetze der Länder (s. Landesgleichstellungsgesetze) Gleichstellungsgesetz (Schweiz) 155, 158, 160 Gleichstellungskompetenz 6, 10f, 108, 110 (s.a. Diversity-Kompetenz, GenderKompetenz) Gleichstellungsmotivation 10f, 196 Gleichstellungspotenzial V, 13, 76, 111, 196ff, 202ff, 306, 309 Gleichstellungsreglement 153ff Gleichstellungsreferat/-stelle (s. Beauftragte für …) Grundgesetz (GG) 26f, 43, 50, 70, 89, 103, 246, 251f, 308, 368 Gruppenarbeit 401, 403f, 407f, 412
H Heterosexualität (s. Sexuelle Orientierung/Identität) Hirnforschung 15, 325f, 328 Homosexualität (s. Sexuelle Orientierung/Identität) Human Resource Management (HRM) 26, 75, 90, 219
I Ideologie(kritik) 72, 320ff Implementierung (von Programmen/Maßnahmen zur Chancengleichheit/Gleichstellung/Gender Mainstreaming/Diversity Management) 11, 58, 62, 71, 74, 81, 93, 96, 115, 118, 133, 135, 300, 338, 476 Interne Kommunikation 13, 61, 342, 474, 484 Intersektionalität 16, 66, 170f
K Karriereförderung 59, 151f Kinderbetreuung (s. Betreuung von Kindern)
Klasse/Class 16, 64, 66, 170f Kommunikationspolitik (s. Interne Kommunikation bzw. Öffentlichkeitsarbeit) Konflikt(management) 36, 67, 87f, 131, 134ff, 166f, 275, 289, 313, 327, 332, 343, 354f, 366ff, 371, 374, 377, 379, 381ff, 435
L Landesgleichstellungsgesetze (LGG) 27, 177, 179, 186, 191, 196ff, 202, 223f, 369, 430f (s.a. Bundesgleichstellungsgesetz) Leistungsbeurteilung 7f, 10, 31, 33, 159, 196ff, 286f, 290f, 300ff, 450 (s.a. Personalbeurteilung, Führungskräfte-Beurteilung, Vorgesetztenbeurteilung u. Entgeltdifferenzierung, leistungsabhängige) Leistungslohn 48f, 285f (s.a. Entgeltdifferenzierung, leistungsabhängige) Leistungsvergütung 8, 10, 199, 286ff, 293ff (s.a. Führungskräfte-Vergütung u. Entgeltdifferenzierung, leistungsabhängige) Leistungszulagen 33, 285ff, 291, 295 (s.a. Entgeltdifferenzierung, leistungsabhängige) Leitbilder bzw. Unternehmensgrundsätze/-philosophie 12, 26, 67, 73ff, 94, 111, 125, 130, 327, 337, 371, 379, 477 (s.a. Führungsgrundsätze)
M Managing Diversity (s. Diversity Management) Männerbünde 444 Marketing 61, 69, 104, 433 Materielle Beteiligung 32, 285
491
Mentoring 59, 74, 76, 83, 85, 92, 95f, 151, 227, 233ff, 240, 351, 477 (s.a. Cross-Mentoring) Merkmalsanalyse (s. Anforderungsanalyse) Migrationshintergrund, Menschen mit 64, 67ff, 341, 471, 473f (s.a. Ethnie/Ethnizität/ethnische Herkunft) Mischarbeit 401, 405, 410 Mitarbeiterbefragung 12f, 17, 75, 111, 198ff, 228, 277, 310, 335, 356, 379, 474 Mitarbeitergruppen (s. Netzwerke) Mobbing 5, 60, 371, 374ff, 381ff Moral V, 4, 15, 18, 67, 71, 104, 132 Motivation/Motivierung 6, 8, 10f, 75f, 85f, 108, 110, 128, 130, 135, 151, 196, 238, 239ff, 278, 290, 345, 367, 379, 390, 403, 407f, 441, 450, 455, 457, 464ff, 477, 483ff Mutterschutz 46, 179, 250, 312 Mütter 9, 95, 108, 124, 418, 447, 450, 454ff, 463, 486 (s.a. Eltern)
P
Nationalität (s. Migrationshintergrund, Menschen mit) Netzwerke 57, 60f, 67, 82f, 86, 94ff, 120, 135, 145, 149, 182, 233ff, 249, 299f, 303, 351, 444, 449, 460, 464, 474, 481
Pay Equity 269 Personalabbau V, 196, 244f, 252ff, 256, 434 Personalauswahl 5, 28f, 52ff, 148, 179ff, 190ff, 207, 245, 249, 326, 383, 473 (s.a. Führungskräfte-Auswahl) Personalbeschaffung/-gewinnung 6, 28, 36, 58, 160, 176ff, 182, 192, 476, 481 (s.a. Führungskräfte-Rekrutierung) Personalbeurteilung 28, 30f, 159, 184, 189, 207ff, 249, 341, 354, 435 (s.a. Führungskräfte-Beurteilung Leistungsbeurteilung, Potenzialbeurteilung, u. Vorgesetztenbeurteilung) Personaldaten 12, 149 Personalentwicklung 28, 30, 35f, 61, 92, 110, 132, 148ff, 207, 216f, 223, 238, 239ff, 296, 344, 383, 414, 439, 476, 484 (s.a. Führungskräfte-Entwicklung sowie Weiterbildung/Fortbildung u. Diversity- bzw. Gender-Training) Personalmarketing 69, 104, 184, 439, 485 Personalrat/-vertretung 71, 135f, 177, 197, 208, 211, 224f, 296, 307, 369, 371 Personelle Vielfalt (s. Diversity) Potenzialbeurteilung 10, 190, 192, 207 Praktikum 84f
O
Q
Öffentlichkeitsarbeit 61, 69, 484 Organisationales Lernen bzw. organisationaler Wandel (s. Organisationsentwicklung u. Organisationskultur) Organisationsentwicklung 132ff, 156, 351, 383, 422 Organisationskultur 6, 14, 67, 69, 73f, 124, 132, 157, 238, 297, 320, 323, 332, 337, 388ff, 393, 421f, 425
Qualifizierung (s. Weiterbildung/Fortbildung; s.a. Diversity-Training, Gender-Training sowie Personalentwicklung bzw. Führungskräfte-Entwicklung)
N
492
R Rasse/Race 4, 16, 24, 32, 40f, 45, 64, 66, 70f, 170, 332, 473
Religion 4, 24, 32, 41, 45, 64f, 70f, 142, 332, 363, 464, 472f Reorganisation 58, 400ff, 411ff, 424 (s.a. Umstrukturierung)
S Schulung (s. Weiterbildung/Fortbildung) Sex-Gender-Unterscheidung bzw. Debatte 15, 17, 98 Sexuelle Belästigung 5, 59, 71, 153, 155, 158, 160, 336, 366ff, 378, 383f, 393, 395 Sexuelle Orientierung/Identität 4, 16, 24, 41, 45, 60f, 64f, 67, 70f, 81ff, 89, 93, 300, 332, 337, 340, 353f, 363, 377, 389, 393, 445, 464, 472ff Sprecherausschuss 135 Sozialleistungen 24, 50, 306 (s.a. Zusatzleistungen) Stereotype/Stereotypisierung 4, 36, 66, 101, 110, 167f, 225, 271, 323, 328, 336ff, 390, 474 (s.a. Geschlechter(rollen)stereotype) Strategie bzw. strategische Ausrichtung 12, 14, 26, 34f, 66, 73ff, 81ff, 89ff, 93ff, 101, 104, 115f, 119, 122, 125, 129, 133ff, 143f, 149ff, 156, 160, 171, 203, 211, 229, 235, 299f, 310, 320, 351ff, 358, 370f, 384ff, 403, 407, 411, 414, 456, 474, 476, 485 (s.a. Leitbild u. Führungsgrundsätze) Stress 242, 367, 377, 381, 384ff, 418f, 437, 468
T Tarifvertrag(liche Regelungen)/Tarifpolitik 12, 35, 50f, 93, 103f, 122f, 201, 220, 222, 225, 264ff, 270ff, 287ff, 295, 307, 309, 313, 430f Team(arbeit) 69, 74, 76, 81ff, 91f, 104, 133, 143f, 181, 188, 313, 236, 320f, 337, 343, 351ff, 358ff, 377, 382, 385f, 388, 390ff, 401, 403f, 412, 418, 420f, 423f, 436, 477, 484
Teilzeit(beschäftigte) 9, 17, 25, 31, 41, 43, 46f, 49ff, 58ff, 91, 101, 110, 119, 123f, 141, 147, 151, 157, 160, 199, 210, 212ff, 218, 221f, 224, 228, 240, 245, 247f, 250f, 288, 290f, 308f, 313, 341, 409, 412, 418, 424, 428ff, 445, 448ff, 464 (s.a. Arbeitszeit(-gestaltung, -flexibilisierung)) Tele(heim)arbeit 59, 465 Total E-Quality V, VII, 4, 12, 62, 69, 141, 144, 226, 239, 474, 475ff, 480 Total Quality Management (TQM) 475ff Traineeprogramm 124f Training (s. Diversity-Training bzw. Gender-Trainings; s.a. Weiterbildung/Fortbildung sowie Personalentwicklung bzw. FührungskräfteEntwicklung)
U Umstrukturierung 129, 143, 169, 408, 413, 454 (s.a. Reorganisation) Unisextarife 308f, 313f Unternehmensgrundsätze/-philosophie (s. Leitbilder u. Führungsgrundsätze) Unternehmenskultur (s. Organisationskultur)
V Väter 8f, 61, 95, 101, 108, 124, 128, 130, 141, 145, 158, 245, 418, 440, 445, 450, 455, 457, 461, 464, 486 (s.a. Eltern) Verantwortliche für Chancengleichheit/Gleichstellung bzw. Diversity Management (s. Beauftragte für … u. Diversity Manager/in) Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatleben 6ff, 17, 58ff, 69f, 86, 91, 95, 117, 123f, 129ff, 143, 145, 152f, 158, 160, 222, 224, 240, 249, 418ff, 434, 444, 448, 450f, 460,
493
463ff, 476f, 481, 485f (s.a. Work-Life-Balance) Vergütung (s. Führungskräftevergütung, Entgeltdifferenzierung; s.a. Leistungslohn u. -zulagen) Verwaltungsmodernisierung/-reform 105, 116, 118, 154, 156, 159 Vielfalt (s. Diversity) Vorgesetztenbeurteilung 12f, 203 Vorurteile 7, 36, 67, 92, 294, 334, 337, 339ff, 345, 371, 408, 429, 472f (s.a. Stereotype/Stereotypisierung u. Geschlechter(rollen)stereotype)
W
(s.a. Diversity-Training, GenderTraining, Personalentwicklung u. Führungskräfte-Entwicklung) Weltanschauung 4, 24, 41, 45, 71, 332, 472f Werte 44, 64f, 67, 73, 105, 132, 134, 249, 294, 323, 332, 338f, 343, 350, 388, 444, 473, 483 Wiedereinstieg/-eingliederung 59, 61, 130, 152, 154, 160, 223f, 454, 456, 460f, 465, 467, 479, 484 Work-Life-Balance V, 9, 60f, 65, 94, 96, 123f, 131, 142, 161, 383, 419ff (s.a. Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben)
Weiterbildung/Fortbildung 5, 7, 10f, 13, 25ff, 35f, 51, 58, 61, 70, 105, 107, 116, 118f, 124, 128, 137, 143, 145, 148, 152, 154, 158f, 161, 190, 196f, 201, 207, 209ff, 216ff, 240f, 253, 276f, 332, 345, 367, 370f, 378f, 436f, 456, 461,465, 476f, 484
Zielvereinbarungen/-vorgaben 12, 31, 149ff, 153ff, 159, 286, 294f, 300f, 303 Zweigeschlechtlichkeit 15ff, 66, 100, 166, 342, 363, 400
494
Z