DIE UNRUHE DES ANFANGS
PHAENOMENOLOGICA REIHE GEGRONDET VON H.L. VAN BREDA UND PUBLIZIERT UNTER SCHIRMHERRSCHAFT DER ...
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DIE UNRUHE DES ANFANGS
PHAENOMENOLOGICA REIHE GEGRONDET VON H.L. VAN BREDA UND PUBLIZIERT UNTER SCHIRMHERRSCHAFT DER HUSSERL-ARCHIVE
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TANJA STAHLER
DIE UNRUHE DES ANFANGS Hegel und Husser! tiber den Weg in die Phanomenologie
Redaktionskomitee: Direktor: R. Bernet (Husserl-Archief, Leuven) Sekretar: J. Taminiaux (Centre d' etudes phenomenologiques, Louvain-la-Neuve) Mitglieder : S. IJsseling (HusscrlArchief, Leuven) , H. Leonardy (Centre d'etudes phenomenologiques, Louvain-laNeuve), U. Melle (Husserl-Archief, Leuven), B. Stevens (Centre d'etudes phenomenologiques, Louvain-Ia-Neuve) Wissenschaftlicher Beirat: R. Bernasconi (Memphis State University) , D. Carr (Emory University, Atlanta), E.S . Casey (State University of New York at Stony Brook), R. Cobb-Stevens (Boston College), J.F. Courtine (Archives-Hus serl, Paris), F. Dastur (Universite de Nice), K. DUsing (Husserl-Archiv, Koln), J. Hart (Indiana University, Bloomington), K Held (Bergische Universitat Wuppertal), KE. Kaehler (Husserl-Archiv, Koln), D. Lohmar (Husserl-Archiv, Koln), W.R. McKenna (Miami University, Oxford, USA), J.N. Mohanty (Temple University, Philadelphia), E.W. Orth (Universitat Trier), P. Ricoeur (Paris), C. Sini (Universita degli Studi di Milano) , R. Sokolowski (Catholic University of America, Washington D.C.), B. Waldenfel s (Ruhr-Universitat, Bochum)
TANJA STAHLER
DIE UNRUHE DES ANFANGS Hegel und Husser! tiber den Weg in die Phanomenologie
KLUWER ACADEMIC PUBLISHERS DORDRECHT / BOSTON / LONDON
A C.I.P. Catalogue record for this book is available from the Library of Congress.
ISBN 1-4020-1547-X
Published by Kluwer Academic Publisher s, P.O. Box 17,3300 AA Dordrecht, The Netherlands. Sold and distributed in North, Central and South America by Kluwer Academic Publishers, 101 Philip Drive, Norwell , MA 02061 , U.S.A. In all other countries, sold and distributed by Kluwer Academic Publishers, P.O. Box 322, 3300 AH Dordrecht, The Netherlands.
Printed on acid-free paper
All Rights Reserved © 2003 Kluwer Academic Publishers No part of this work may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic , mechanical , photocopying , microfilming, recording or otherwise, without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use by the purchaser of the work.
Inhalt
Dank Einleitung
Vll
.
TElL I. DAS NATURLICHE BEWUSSTSEIN
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Kapitel i . Grundbestimmungen des natiirlichen BewuBtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Geradehineinstellung des natiirlichen BewuBtseins bei Husserl . . . . . b. Das natiirliche BewuBtsein und sein Gegenstand bei Hegel . . . . . . . . . . . . . Kapitel z, Fundamente der Wahrnehmung a. Die sinnliche GewiBheit bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Der Bereich der Passivitat bei Husserl Kapitel j , Die Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a. Die Horizonthaftigkeit der Wahrnehmung bei Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Wahrnehmung des Dinges mit Eigenschaften bei Hegel Kapitel 4. Die naturwissenschaftliche Einstellung a. Die Entdeckung von Naturgesetzen bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b. Die Einstellung der Naturwissenschaften als natiirliche Einstellung zweiter Stufe bei Husserl
21 21 23 27 27 32 41 41 52 61 62 70
TElL II . DER UBERGANG YOM NATURLICHEN ZUM PHILOSOPHISCHEN BEWUSSTSEIN . • . • • • • • . • • . . • • • . • . . . • . • • • . . • . . • . . . . . • • • • . . . • • . . • . . . • . • . . • . . . • •
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Kapitel 5. Der Sprungcharakter des Ubergangs a. Die phanomenologische Epoche bei Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das »reine Zusehen « bei Hegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Kapitel 6. Der Wegcharakter des Ubergangs a. Der Weg des BewuBtseins bei Hegel b. Die geschichtliche Einfuhrung in die Phanomenologie bei Husserl Kapitel z Die Motivationsfrage a. Das Staunen angesichts des Fremden als Motivation bei Husserl b. Negativitat, Widerspriichlichkeit und Unruhe bei Hegel
89 90 99 III III 120 137 138 146
VI
INHALT
T El L III. DAS PHILOSOPHISCHE BEWUSSTSEIN
157
Kapitel 8. Das Betrachtungsfeld der Philosophie a. Der sich selbst wissende Geist bei Hegel b. Die transzendentale Subjektivitat bei Husserl Kapitel 9. Die phanornenologische Methode und die Rolle des Ph anornenologen a. Die Idee des tr anszendentalen Phanornenologen bei Husserl. b. Die Phanom enologie der absoluten Idee bei Hegel Kapitel io. Die Gerichtetheit der Geschichte a. Vollendung der Geschichte bei Hegel b. Offene Teleologie bei Hu sserl
161 161 172 191 192 203 " 217 218 " 224
SchluB. Das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein . . . 235 Literaturverzeichnis
247
Register
255
Dank
Diese Arbeit ist an drei verschiedenen Orten entstanden: Wuppertal, Carbondale (Illinois) und Stony Brook (New York). An allen drei Orten waren viele Menschen auf unterschiedliche Weise an der Entstehung beteiligt. Meinem Doktorvater Klaus Held mochte ich besonderen Dank aussprechen fur die Unterstiitzung von der ersten Themenbesprechung bis zur griindlichen und hilfreichen Kritik an der ersten vollstandigen Fassung des Manuskripts. In dem von ihm aufgebauten Zentrum der Phanomenologie an der Bergischen Universitat Wuppertal fand ich fur mein Thema hervorragende Arbeitsbedingungen. Dank gilt auch Heinrich Huni, in dessen Vorlesung im Winter 1994/95 ich den ersten Zugang zu Hegels Phanomenologie des Geistes fand und der immer wieder die Bedeutung der Geschichtlichkeit fur die Philosophie offengelegt hat. AuBerdem mochte ich den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Phanornenologischen Kolloquiums sowie der langiahrigen Lesekreise zu Heidegger und Husserl danken. David Carr gab im Friihling 2000 ein Seminar in Wuppertal und erklarte sich bei dieser Gelegenheit bereit, diejenigen Abschnitte meiner Dissertation zu lesen, die urn die Thematik der Geschichte kreisen . So konnte ich nicht nur aus seinen Buchern, sondern auch aus personlichen Gesprachen von ihm lernen. Im Sommer 2000 versammelte Antonio Aguirre einige Husserl-Interessierte zu einem Seminartreffen in Marburg tiber Noesis und Noema. Er eroffnete mir tiefe Einsichten in die husserlschen Begriffevon noematischem Sinn und noematischem Kern, die insbesondere in das dritte Kapitel dieser Arbeit eingingen. Wie bedeutend Anthony J. Steinbock fur meine Uberlegungen gewesen ist, geht aus dem vorliegenden Text an unzahligen Stellen hervor. Neben seinem Buch Home andBeyondwaren unsere personlichen Gesprache in Carbondale und insbesondere der Lesekreis zu Husserls Krisis-Schrift iiberaus hilfreich. Seine Energie und sein philosophischer Einsatz waren im besten Sinne ansteckend. Von meinem . zweiten Doktorvater-, Edward S. Casey, habe ich in Seminaren und Gesprachen in Stony Brook vieles iiber die verschiedenen Dimensionen der Phanomenologie gelernt . Sein Vertrauen in mich und diese Arbeit bleibt unubertroffen . Die Gesprache mit Allegra de Laurentiis uber Hegels Philosophie waren immer erfrischend und erhellend, und in ihren Seminaren habe ich gelernt, was es heiBt, Hegel undogmatisch zu lesen und seine Begriffe durchgangig zu hinterfragen. Auch Donn Welton mochte ich danken; er lud einige Studierende zum Husserl-Lesekreis ein und machte auBerdem hilfreiche Lese- und Denkvorschlage
VIII
DANK
zu meiner Dissertation. Es waren viele Mitstudierende zu nennen, die zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Statt eine lange und dennoch notwendig unvollstandige Liste zu geben, danke ich beispielhaft Susan Bredlau, die mich bestandig daran erinnert hat, was es heiBt, phanomenologisch zu philosophieren. Ich danke Dieter Lohmar und den Mitarbeitern des Husserl-Archivs Koln dafur, daf sie mir Manuskripte zu den Themen der Teleologie und Geschichte zuganglich gemacht haben, und Rudolf Bernet, dem Direktor des Husserl-Archivs Leuven, fur die Erlaubnis, aus diesen Manuskripten zu zitieren . Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat diese Arbeit uber zweieinhalb Jahre hin finanziell gefordert, Besonders dankbar bin ich dafur, daB die Studienstiftung auch meine Auslandsaufenthalte immer vorbehaltlos unterstutzt hat. Den Mitgliedern meiner Prufungskommission, Klaus Held, Heinrich Huni, Edward S. Casey und Allegra de Laurentiis, danke ich dafur, daB sie sich auf die ungewohnliche Disputationsform der >transatlantischen Telekonferenz- gerne eingelassen haben und mir Fragen stellten , die fur die Oberarbeitung der Dissertation essentiell waren . Schliefslichkommt noch ein vierter Ort ins Spiel, namlich Richmond, Indiana: Meine Kollegen am Earlham College, Ferit Guven und Marya Bower, sowie der Dekan Len Clark haben durch Zustimmung zur Verringerung meiner Lehrtatigkeit im Fruhlingssemester 2002 wesentlich dazu beigetragen, daB ich Zeit und Energie zum Oberarbeiten der Dissertation fand . Indem ich diese Danksagungen noch einmal betrachte, werde ich mir erneut dessen bewufst, welch grofses Gluck ich hatte, an so verschiedenen Orten phi losophische Gesprache fuhren zu konnen, Meine Abwesenheit war nicht immer leicht fur meine Eltern Erhard und Ilse Stahler, denen ich ganz herzlich fur die Unterstutzung aus der Nahe und aus der Ferne danken mochte. Von grofser Bedeutung waren meine beiden >Korrekturleser « Ich danke meiner Freundin Christiane Thompson und meinem Onkel Helmut Sanfleber fur das geduldige und grundliche Lesen und fur die instruktiven Verbesserungsvorschlage. Ein besonderer Dank gilt Alexander Kozin, der an allen drei Orten auf die verschiedensten Weisen fur mich da war. Er wurde nie mude, mit mir tiber das Heimische und das Fremde zu sprechen, und ich verdanke es ihm, daB ich mich an so verschiedenen Orten heimisch genug gefuhlt habe, urn diese Arbeit zu schreiben.
Einleitung Weshall not cease from exploration And the end of our exploring Willbe to arrive wherewe started And to know the place for the firsttime. T.S. Eliot, » Little Gidding«, Four Quarters
Wir stehen am Ende unserer Forschungen, wenn wir dort ankommen, wo wir angefangen haben, und diesen Ort zum ersten Mal kennen-obiges Zitat trifft die Fragestellung der vorliegenden Arbeit so genau, daf es schwerlich unkommentiert stehen gelassen werden kann. Die Fragestellung lautet: Wie kommen wir in die Philosophie hinein? Wie fangt das Philosophieren an? Diese Fragen konnen nur im Riickgang auf dasjenige beantwortet werden, was vor und aufserhalb der Philosophie existiert: das natiirliche Bewufstsein. Philosophieren bedeutet, so scheint es, das natiirliche Bewufstsein zu verlassen. Doch dies ist nur die eine Seite der Bewegung . Wir verlassen unseren Ausgangsort blofs, urn ihn besser in Augenschein nehmen zu konnen. Ziel der Philosophie ist es nicht, das natiirliche Bewufstsein hinter sich zu lassen, sondern vielmehr, dieses zu erkennen. Das vor- und aufserphi losophische Bewufstsein kennt nicht nur die Philosophie nicht, sondern es befindet sich auch in Unkenntnis seiner selbst. Wenn die Philosophie dies zeigen kann, verliert sie den Anschein eines Fremden und Uberflussigen. Kann die Philosophie diesen Anspruch einlosen, dann mufste sich das natiirliche Bewufstsein gerne dar auf einlassen, sich auf den Weg in die Philosophie zu begeben. Doch das Problem besteht darin, daB sich das Ziel erst am Ende zeigt und sich auch nicht am Anfang benennen oder beschreiben laBt. Es ist die Paradoxie des Anfangs, daf wir den Anfang nur im Riickblick sehen. Aufserhalb der Philosophie konnen wir uns nicht iiber die Philosophie verstandigen, und vor der Philosophie konnen wir nur auf unphilosophische Weise anfangen-doch so gelangen wir nie in die Philosophie hinein. Das natiirliche Bewufstsein muf schon auf die Philosophie angelegt sein. Am Ende wird sich zeigen, daB natiirliches und philosophisches Bewufstsein nicht zwei verschiedene Bewufstseinte) sind: Wenn das natiirliche Bewufstsein hinter die eigene Oberflache zuruckgeht, erkennt es, daf es in seinem Wesen philosophisches Bewufstsein ist. Und das philosophische Bewulstsein kann sich mit dem natiirlichen Bewuistsein verstandigen und in ein Gesprach mit ihm eintreten, weil es selbst natiirliches Bewulstsein ist, das sich durchschaut hat . Philosophieren heiBt nicht, T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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EINLEITUNG
sich vom natiirlichen BewuBtsein wegzubewegen, sondern sich tiefer in dieses hineinzubegeben. Diese Thematik soll untersucht werden im Hinblick auf zwei Philosophen, die sich intensiv mit dem Problem einer Einleitung in die Philosophie und den Paradoxien des Anfangens auseina ndergesetzt haben: Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Edmund Hu sserl. Wie begriindet sich diese Zusammenfugung? Die Phanomenologie Edmund Hus serls ist eine der wesentli chen philosophischen Strom ungen des zwanz igsten Jahrhunderts; sie bestimmte das ph ilosophische Denken von Heidegger, Merleau-Ponty, Sartre und Levinas, urn nur einige zu nennen. Auffalligerweise tr agt eines der bedeutendsten Werke der Philosophiegeschichte ebenfalls den Titel -Phanomenologiec, namlich Hegels Phiinomenologie des Geistes. Es stellt sich, zunachst rein aufserlich, die Frage nach einem Zusammenhang. Die Bezeichnung >Phanornenologie - hat Hu sserl allerdings hochstwahrscheinlich von seinen Zeitgenossen iibernommen und nicht von Hegel. Als Quellen fur den Begriffkommen insbesondere in Frage: Hermann Lotze, Max GieBler, Carl Stumpf, Franz Brentano und Ern st Mach. ' Es gibt nur wenige Hinweise darauf, daB Hu sserl sich mit Hegels Phanomenologie des Geistes ausgiebiger b eschaftigt hab e.' Also eine bloBe Namensgleichheit? Nachdem sich die Ann ahme eines auBeren Zu sammenhanges als wahrscheinlich nicht zut reffend erwiesen hat, bleibt noch die Moglichkeit eines inneren, d. h. sachlichen Zusammenhanges. Die The se dieser Arbeit lautet, daB ein sachlicher Zu sammenhang zwischen der Phanomenologie Husserls und Hegels Phiinom enoLogie des Geistes in bezug auf die Problematik des Anfan gs der Philosophie und das Verhaltnis von naturlichem und ph ilosophischern BewuBtsein tatsachlich existiert.'
2
3
Die Seku ndar litera tur ist sich in diesem Zusammenh ang nicht ganz einig; Konsen s herr scht aber da ruber, daf der Urspru ng des Begr iffs sich n icht eindeutig klaren laBt. Spiegelberg (1982), S. 154, Anm . 52, und Schuhma nn (1984 ), S. 62, Anm. 66, favorisieren GieBler un d Lotze sowie den Kreis urn Brentan o und Stum pf insgesam t. Bokhove (1991), S. 343 f., macht anhand eines Ma nuskripts von Husserl, das noch vor dem ersten Aufta uchen des Begriffs in einem veroffent lichten Werk dat iert ist, Erns t Mach als Ursprung star k. Die Tatsache, daB Hu sserl den Termin us im vero ffentlichten Werk zum ersten Mal in einer FuBnote und oh ne weitere Erlauterung verwendet ( LU 1,212, Anm , 1), deutet meines Erachtens jedenfalls darauf hin, daf der Begriff . Phanomenologie- unter Hu sserls Zeitgenoss en gelaufig war und er ihn daher ohne Erlauter ung un d zunac hst in der von seinen Zeitgenossen ub ernommenen Bedeutung verwenden konnte. Allerdings hat Hu sserl Hegels Phiinomenologie 1884 wahrend seiner Studienzei t erwor ben (vgl. Bern et, Kern, Marbach (1996), S. 217). Es gibt auch eine Bem erkun g Hu sserls zu jenem Werk: » Hegels Phiinomenologie desGeistes: Hegel versucht dar zustellen , wie der menschliche Geist vom Stan dpunk t der naiven Welt- und Lebensauffassun g durch di e in ihr entha ltene n Widers pruche auf den Standpun kt der Ph ilosophie getr ieben wird - (H ua VII, 312). Hu sserl hat jedo ch keine Lehrve ra nsta ltungen tiber Hegel abgehalten (vgl. Bern et et al., a. a. 0 ., S. 217 ff.), h ingegen mehr ere zu Descartes und Kant, deren EinfluB auf seine eigene Ph ilosop hie er auch an vielen Stellen seine r Werke offenlegt. lch moc hte mich in diesem Zusammenh ang Frank M. Kirkland anschlielsen , der seinen sorgfa ltig abwage nden Arti kel tiber Hegel in Embrees Encyclopedia of Phenomenology mit den Worte n
EINLEITUNG
3
EssolI gezeigtwerden, daB bezuglich dieser Fragestellungen eine Nahe zwischen Hegel und Husserl besteht, aufgrund derer es fruchtbar ist, die beiden Philosophen zusammen zu lesen. »Fruchtbar « heiBt in diesem Zusammenhang zum einen, daB Aspekte der jeweiligen Philosophien zum Vorschein kommen oder deutlicher werden, die sonst verborgen oder unterbelichtet bleiben. In bezug auf Husserl heiBt dies, daf einige Themen, die vermeintlich bei ihm >fehlen Gegen stand Ruckseite - der Welt oder die -andere Seite der Medaille- ." Sowohl beim BewuBtsein als auch bei der Welt handelt es sich urn ein allumfassendes Ganzes. Es kann aber keine zwei Totalitaten geben, sondern
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Vgl. zu dieser Thematik: Held (1989) und Held (zoooa) . Die Rede von einem Standpunkt » uber - der Welt verwendet Husser! selbst in der Krisis noch (vgl. Hua VI , 155); vgl. zu dieser Th ematik Kapitel eb), Vgl. auch Beilage xx zur Ersten Philosophie: » Aber wenn die universale Subjektivitat in ihrer vollen
DER SPRUNGCHARAKTER DES UBERGANGS
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nur eine, die sozusagen unter zwei Blickwinkeln betrachtet wird. Das heiBt nicht, daB BewuBtsein und Welt vollig in eins fielen: Zu unserem BewuBtsein von der Welt gehort, daB sie uns als etwas das BewuBtsein Obersteigendes erscheint. Es kommt darauf an, den Sinn dieser Transzendenz im konsequenten Rtickgang auf das BewuBtsein aufzuklaren, Husserl kritisiert selbst im Ruckblick, daB die Rede vom reinen BewuBtsein als »Residuum «, das nach der »Ausschaltung der Welt« ubrigbliebe, besser vermieden werden solIte (vgl. Hua VIII, 432). Auch der problematische Ausdruck der Weltvernichtung ist unnotig; denn der methodische Sinn dieses Gedankenexperiments war es, zu zeigen, daf das reine BewuBtsein von ganzlich anderer Art ist als die Welt und daB es insbesondere auch verschieden ist vom empirischen leh. Es genugt daher, diesen Unterschied als Unterschied der Gegebenheitsweise im Auge zu behalten. In spateren Texten Husserls taucht diese Verschiedenheit beispielsweise unter dem Stichwort eines »Zirkels« oder einer »Paradoxie« auf, der bzw. die jedoch aufgelost werden kann." Husserl formuliert das Problem in der Krisis folgendermaBen: » Wie solI ein Teilbestand der Welt, ihre menschliche Subjektivitat, die ganze Welt konstituieren (... )?« (Hua VI, 183). Die Auflosung der scheinbaren Paradoxie erfolgt dann so, daf zugestanden wird, der Mensch sei zugleich Subjekt fur die Welt und Objekt in der Welt; doch letzeres, namlich der Mensch als Person, der Leib des Menschen etc. wird eben nach der Epoche als Phanomen betrachtet und daraufhin angesehen, wie es vorn transzendentalen Ich, das » rein nur als lehpol seiner Akte und Habitualitaten und Vermogen in Betracht « kommt, konstituiert wird (Hua VI ,
187).
Die transzendentale Subjektivitat ist die andere Seite, ist das Korrelat der Objekte, also letztlich der Welt; sie ist die fungierende, konstituierende, sich auf die Welt wendende Subjektivitat. Auf diese Subjektivitat rich ten wir uns, wenn wir reflektieren - wobei wir das BewuBtsein als gerade fungierendes nie in den Blick bekommen, sondern immer zu spat kommen, was Husserl als »Nachgewahren « bezeichnet (Hua VIII, 89). Die phanomenologische Reflexion darf jedoch nicht mit der naturlichen Reflexion verwechselt werden, so Husserl; worin liegt also der Unterschied? In der naturlichen Reflexion bin ich nicht aufdas Erscheinen gerichtet, sondern lasse das Sein des Gegenstandes in Geltung; zwar reflekt iere ich auf mein BewuBthaben des Gegenstandes-beispielsweise darauf, daf ich einen bestimmten Gegenstand jetzt gerade wunsche oder mich an ihn erinnere-, aber meine Einstellung dem Gegenstand gegentiber bleibt eben die der nattirlichen EinstelIung. Es gilt, daB »die StelIung des reflektierenden Ich (.. .) doch (eine) an dem Sein des Gegenstandes (... ) interessierte« ist (Hua VIII , 95). Oftmals liegt sogar der Grund der Reflexion dar in, daB ich besonders stark an dem Gegenstand interessiert bin
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Universalitat , und zwar als transzendentale, in rechtmaflige Geltung gesetzt wird , so liegt in ihr auf (der) Korrelat-Seite als rechtmafsig seiend die Welt selbst - (Hua VIII, 432). Vgl. z. B. Hu a VlII, 70; Hua VI, § 53.
TElL II • KAPITEL
5
und mich frage, ob ich ihn wirklich gestern gesehen habe, wann ich mich das letzte Mal an ihn erinnert habe etc. Auf diesem Weg erfahre ich aber ebensowenig tiber die Gegebenheitsweisen des Gegenstandes wie in der schlechthin wahrnehmenden oder vergegenwartigenden Einstellung; bloB die Moglichkeit der Ruckwendung als solche scheint auf. Die phanomenologische Reflexion hingegen wird erst durch die Epoche ermoglicht: erst indem wir nicht mehr auf Gegenstande gerichtet sind als zu begehrende, abzuweisende o.a., konnen wir den Blick auf das reine BewuBtsein richten und darauf, wie ihm die verschiedenen Gegenstande erscheinen. In diesem Sinne bezeichnet Husserl den Phanomenologen als »unbeteiligten « oder » uninteressierten« Betrachter." Die universale Epoche hat viele Probleme aufgeworfen, von denen einige bereits angesprochen wurden, andere in weiteren Kapiteln noch thematisiert werden. Husserl selbst erklart in der Krisis einen entscheidenden Nachteil der )cartesianischen ( Art der Einfuhrung: Dieser Weg ist kurz, und das fuhrt dazu, »daf er zwar wie in einem Sprunge schon zum transzendentalen Ego fuhrt, dieses aber, da jede vorgangige Explikation fehlen mufs, in einer scheinbaren Inhaltsleere zur Sicht bringt, in der man zunachst ratios ist, was dam it gewonnen sein soll« (Hua VI, 158). Wenn wir die Welt als ganze einklammern, tritt eine, wenn auch scheinbare, Inhaltsleere auf, die auf dem Weg phanomenologischer Analysen erst gefullt werden muB. Eine alternative Vorgehensweise, die Husserl insbesondere in den Vorlesungen zur Ersten Philosophie angewandt hat, unterscheidet sich von der universalen Epoche im Prinzip nur darin, daB die Epoche zunachst eben nicht universal, sondern sozusagen partiell durchgefuhrt wird, narnlich bezogen auf einzelne BewuBtseinsakte. Hu sserl sagt dort, daB die Forderung des Umsturzes aller Vorurteile »eine sinnvolle und notwendige Forderung, aber als Anfangsforderung auch notwendig eine vollig vage« sei (Hua VIII, 165). Indem einzelne Epochal durchgefuhrt werden, beispielsweise das Innehalten mit der Seinssetzung bezuglich eines einzeinen Wahrnehmungsgegenstandes und die Betrachtung dessen, wie dieser mir erscheint, oder auch die Betrachtung von Vergangenheits- und ZukunftsbewuBtsein, zeigt sich, was durch die Epoche gewonnen werden kann. Damit liiBtsich der Sinn der universalen Epoche besser erkennen. Man konnte freilich die Frage stelIen, warum wir der universalen Epoche dann uberhaupt noch bedurfen: Genugt es nicht, jeweils den Bereich der Epoche zu unterwerfen, der gerade Gegenstand der Betrachtung werden soll, also beispielsweise die raumzeitIichen Wahmehmungsgegenstande oder, bei spezielleren
13 Vgl. Hua Vlll , n6; Hua VI, 178, 183, 242 etc. Elisabeth Stroker weist zurecht dar auf hin, daB
die Rede vom »uninteressierten« Zuschauer oder Betrachter mifsverstandlich ist, wei! ich zwar nicht am Sein des Gegenstandes interes siert bin, mich aber der Vollzug meines Seinsglaubens als solcher gerade urn so mehr interessiert (vgl. Stroker (1971), S. 73). Fraglich ist allerdings , ob die Bezeichnung »unbeteiligt« tatsachlich geschickter ist, wie Stroker vorschlagt: denn ich bin zwar in der Tat nicht am Vollzug des Seinsglaubens beteiligt, aber sehr wohl an der Reflexion.
DER SPRUNGCHARAKTER DES UBERGANGS
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Betrachtungen, die Kunstwerke, die Naturgegenstande etc.?Als Ubergangsstadium wurde Husserl einer solchen Moglichkeit sicherlich zustimmen; letztlich kommt es ihm aber darauf an, eine Wissenschaft zu begrunden, die sich auf das Seiende im ganzen bezieht und daher zu universalen Aussagen fahig sein muB. Es ist berechtigt, zunachst anhand einzelner Gegenstande eine Epoche durchzufuhren-nicht nur gewissermaBen als Vorubung, sondern auch deshalb, weil es eine »Prioritat der einzelrealen Erfahrung vor der Welterfahrung « gibt (Hua IX, 98). Doch urn transzendentale Phanomenologie im eigentlichen Sinne zu betreiben, ist und bleibt die universale Epoche notwendig; denn nur so kann sich Phanomenologie auf die Welt beziehen. Was im Gedanken der Epoche zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, daB ein Ubergang in die Philosophie kein kontinuierlicher sein kann, sondern sozusagen einen Sprung erfordert. Dieser Sprung kann gewissermaBen von mehreren kleinen Sprungen vorbereitet werden; es kann auch auf ihn reflektiert werden, so daB sich Unzulanglichkeiten zeigen und er wiederholt werden muB. VielIeicht ist es sogar zwingend, immer wieder zu springen - aber es kann jedenfalIs nicht vermieden werden, uberhaupt zu springen. Ein Anfang kann der Kritik verfalIen und zum Ausgang eines neuen Anfangs werden," so daf wir uns womoglich im Zickzack fortbewegen, wie Husserl es schon in den Logischen Untersuchungen vorgeschlagen hat. ls Bevor weitere Probleme und Husserls Fortentwicklung einer Einleitung in die Phanomenologie zur Sprache kommen, solI ein Blickdarauf geworfen werden, wie sich der diskontinuierliche Charakter des Ubergangs in Hegels Phanomenologie darstelIt.
b. Das »reine Zusehen « beiHegel Hegel unternimmt in der Einleitung der Phanomenologie des Geistes einige Uberlegungen, die man als methodisch bezeichnen konnte und die wesentliche Einblicke in das Ganze des Vorhabens geben. 1m Rahmen dieser Dberlegungen kommt er zu der Aussage, daB in der Selbstprufung des BewuBtseins »eine Zutat von uns uberflussig« wird und uns, da wir jeder prufenden Aufgabe enthoben werden, »nur das reine Zusehen « bleibt (PhG, 77). 1m folgenden solI die These vertreten werden, daB Hegels Aufforderung zum »reinen Zusehen« eine Bewegung unsererseits nahelegt, die wesentliche Ahnlichkeiten mit der phanomenolo-
14 Vgl. Kuster (1996), S. 106£. 15 Vgl. LV uh, 17: » Die Untersuchung bewegt sich gleichsam im Zickzack; und dieses Gleichnis paBt urn so besser, als man , verrnoge der inneren Abhangigkeit der verschiedenen Erkenntnisbegriffe, immer wicder zu den ursp riinglichen Analysen zuriickkehren muB und sie an den neuen sow ie die neuen an ihnen bewahren muls «.
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TElL II • KAPlTEL
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gischen Epoche bei Hus serl aufweist. Zur Erlauterung dieser These wird in diesem Kapitel zunachst der Frage nachgegangen, was fur eine Bewegung es ist, zu der Hegel uns auffordert, und in engem Zusammenhang damit der Frage, wer »wir« sind, deren Zutat uberflussig ist. 1m Gegensatz zum naturlichen BewuBtsein sind »wir « in der Lage, Zusamrnenhange zu sehen. » Wir« stehen im Dialog mit dem naturlichen BewuBtsein und erklaren diesem, daB und wie die verschiedenen Gestalten des BewuBtseins sich auseinander ergeben. Dies heiBt jedoch nicht, daB »wir« uns notwendig bereits auf dem Standpunkt des absoluten Wissens befanden. Es ist auffallig, daB Hegels Rede vom » Wir« sich vorrangig auf die Einleitung und die drei BewuBtseinskapitel bezieht; das SelbstbewuBtsein scheint hier einen Einschnitt darzustellen. Inwieweit das SelbstbewuBtsein als Prinzip (und nicht so sehr als besondere Gestalt) in der Tat eine wesentliche Rolle spielt in dem Verhaltnis von naturlichem und philosophischem BewuBtsein, solI hier nur kurz thematisiert werden. Das SelbstbewuBtsein stellt gewissermaBen den Ubergang vom » Ich « zum »Wir« dar. Den AbschluB dieses Kapitels und die Uberleitung zur Besprechung des Wegcharakters des Ubergangs wird die Betrachtung von Hegels Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus bilden, der im Zusammenhang mit »unserer Zutat « in der Einleitung auftaucht. Dabei unterscheidet Hegel zwischen dem »sich vollbringenden Skeptizismus « und einem unvollstandigen Skeptizismus. Der »sich vollbringende Skeptizismus « ist ein Moment von Hegels eigener Philosophie, und es zeigt sich, daB er zum Einstieg besonders gut geeignet ist. 1.
Hegel sagt, daB wir es » nicht notig haben, Mafsstabe mitzubringen und unsere Einfalle und Gedanken bei der Untersuchung zu applizieren; dadurch, daB wir diese weglassen , erreichen wir es, die Sache, wie sie an und fur sich selbst ist, zu betrachten« (PhG, 77). Wahrend Hegel zunachst bloB davon spricht, daB wir es » nicht notig haben «, unsere Gedanken zur Anwendung zu bringen, zeigt der weitere Fortgang des Satzes, daB wir diese sogar weglassen mussen, urn die Sache so zu Gesicht zu bekommen, wie sie an und fur sich selbst ist. Diese Bewegung erinnert stark an Husserls Unterfangen, durch Epoche einen Anfang zu machen, der vorurteilsfrei ist und uns zu den »Sachen selbst « fuhrt. Denn nur indem wir die Sache selbst in Erscheinung treten lassen und sie nicht mit vorgefaBten Meinungen uberfallen, kann die Sache sich uns unverfalscht zeigen. DaB das Weglassen all der Meinungen, die wir naturgemaf uber das (Ansich- )Sein der Dinge haben, keine Kleinigkeit ist, hatte sich bereits in bezug auf die husserlsche Epoche gezeigt. Insofern ist leicht einzusehen, daB es sich nicht urn einen Widerspruch handelt, wenn Hegel einerseits sagt, daB jede » Zutat von uns uberflussig sei« (77), andererseits aber davon spricht, daB die Betrachtung der Sache als rei-
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nes Auffassen »unsere Zutat « (79) sei: »Wenn irgendein Lassen ein Tun ist, dann ist es das Weglassen«.16 Doch damit ist auch schon angedeutet, daB un sere Aufgabe kein Nichtstun ist und insofern genauer bestimmt werden muB. Die hier vorgeschlagene Analogie zwischen unserer Zutat des »reinen Zusehens « und der Epoche bei Husserl kann vielleicht als Hilfe dienen zu verstehen, inwiefern »uns« doch eine Aufgabe zukommt (wie ja auch bei Husserl nach der Epoche die ganze »Arbeit« des Beschreibens der Phanomene in ihren jeweiligen Erscheinungsweisen beginnt) und wir dennoch nicht verandernd und hinzufugend in die Sache eingreifen. Was wir bereits uber unsere Aufgabe erfahren haben, das ist, daB wir unsere »Einfalle und Gedanken « weglassen sollen und eben dadurch die Sache »betrachten «, wie sie selbst erscheint und wie sie an und fur sich ist. Diese »Betrachtung der Sache« ist es, »wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des BewuBtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt und welche nicht fur das BewuBtsein ist, das wir betrachten « (79). Diese Aussage enthalt zwei Auskunfte uber unsere Aufgabe: Zum einen erfolgt durch unser Tun eine Erhebung zur Wissenschaft, zum anderen sehen wir etwas, das fur das natiirliche BewuBtsein nicht sichtbar ist. Welche Bestimmungen fur Hegel einer Wissenschaft zukommen mussen, namlich unter anderem Vorurteilslosigkeit und Notwendigkeit, wird unten im Rahmen der Besprechung des Skeptizismus zur Sprache kommen. Was »wir« im Gegensatz zum natiirlichen BewuBtsein sehen, deutet jedoch bereits hin auf diese Wissenschaftlichkeit: Uns zeigt sich »der neue Gegenstand als geworden « (79); das heiBt, wir sehen den Zusammenhang und die Entwicklung, die eine notwendige ist, wahrend das naturliche BewuBtsein nur feststellt, daB ihm ein neuer Gegenstand sozusagen in den SchoB gefallen ist. In den drei BewuBtseinskapiteln wird »unser« Beitrag an verschiedenen Stellen erwahnt, Bezuglich der sinnlichen GewiBheit beispielsweise sind wir es, die zur sinnlichen GewiBheit hinzutreten, uns von ihr etwas zeigen lassen und ihre Wahrheit aufschreiben (PhG, 84 u. 88). Es findet offenbar ein Dialog statt zwischen uns und dem naturlichen BewuBtsein, und dieser Dialog erfordert hier am Anfang, wo das naturliche BewuBtsein noch ganz in seine GewiBheit versunken ist, mehr Anstofse und Fragen von unserer Seite, als dies spater der Fall sein wird. Dennoch legen wir der sinnlichen GewiBheit durch unsere Fragen keine Antworten nahe , suggerieren ihr also nichts, sondern nehmen nur zur Kenntnis, wie die sinnliche GewiBheit ihren Gegenstand selbst beschreibt. Und wenn die sinnliche GewiBheit nicht sprechen mochte, geben wir uns auch mit ihrem Zeigen zufrieden. Weitere Stellen in den ersten Kapiteln zeigen, daB wir bisweilen etwas aufnehmen und auffassen, was fur das BewuBtsein noch nicht sichtbar geworden ist, zum Beispiel die Unendlichkeit (134).
16 Heidegger, Holzwege, S. 174.
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Zu Beginn des Verstandeskapitel erklart Hegel recht ausfuhrlich einen wesentlichen Unterschied zwischen uns und dem BewuBtsein: Da das BewuBtsein noch nicht »fur sich selbst der Begriff« ist und es insofern »in jenem reflektierten Gegenstand nicht sich« erkennt, ist das Ergebnis des Durchgangs durch die Wahrnehmung fur es »in gegenstandlicher Bedeutung zu setzen« (108). Da das BewuBtsein, mit anderen Worten, noch nicht zum SelbstbewuBtsein gekommen ist, stellt das Ergebnis einer Stufe fur es nur einen neuen Gegenstand dar; es sieht nicht, daf sich auch sein eigenes Auffassen des Gegenstandes gewandelt hat. »Wir« hingegen sehen, daf sich eine ganzlich neue Gestalt des Bewufstseins gebildet hat und sich Gegenstand und Wissen, die ohnehin nur fur das naturliche BewuBtsein abgetrennt vorliegen, gemeinsam gewandelt haben bzw. »die Reflexion auf beiden Seiten dieselbe oder nur eine ist« (108). » Wir« haben also den Standpunkt verlassen, auf dem Gegenstand und Wissen sich voneinander trennen lassen und der Gegenstand das Wesentliche ist, dem ein Ansichsein zugesprochen wird . 1m letzten Kapitel, in der Besprechung des absoluten Wissens, gibt Hegel eine zusammenfassende Bestimmung dessen, was »wir « im Verlaufe der Erfahrung des BewuBtseins getan haben: Waswir hier hinzugetan, ist allein teils die Versammlung der einzelnen Momente, deren jedes in seinem Prinzipe das Leben des ganzen Geistes darstellt, teils das Festhalten des Begriffes, dessen Inhaltesich in jenen Momentenund der sich in der Form einer Gestalt des Bewufitseins schon selbstergeben hatte. (582) Unsere Aufgabe besteht demnach vor allem darin, den Gang der Erfahrung des BewuBtseins darzustellen und in dieser Darstellung Momente zu versammeln und Begriffe festzuhalten-also den Blick auf die Zusammenhange, Schritte und Ergebnisse zu rich ten, die dem naturlichen BewuBtsein verborgen sind. Denn der Gang ist fur das naturliche BewuBtsein kein notwendiger Gang, in dem sich einzelne Gestalten abgrenzen lassen, sondern eine zufallige Entwicklung, in der sich unversehens der Gegenstand anders darbietet."
17 Ich schlieBe mieh im wesentliehen Werner Marx an, der den Beitrag des »Wir « unter dem Titel
der »Rolle des Phanornenologen « genau untersucht hat (vgl. Marx (1981), S. 124-133) . Vielleieht sollte man nieht so weit gehen zu sagen, daB der »Phanomenologe« den Gang »steuert und leitet« (ebd., S. 132), obwohl dies nur richtig verstanden werden muB: Indem »wir« Resuitate zusammenfass en und als solche festhalten, Ieisten wir in der Tat einen Beitrag zur Riehtung des Ganges, aber nur dergestait, daB wir gewissermaBen den naturlichen Gang des BewuBtseins unterstutzen und betonen . Ulrieh Claesges unterliegt trotz aller sonstigen Einsichten seiner Darstellung meines Erachtens der Gefahr, die er selbst explizit formuliert, indem er fragt: »Worin besteht, wenn die Selbstprufung so sehr der Hilfe der Darstellung bedarf, eigentlieh noch die andererseits unerlafiliche Eigendynamik des BewuBtseins? « (Claesges (1981), S. 94) . Claesgeslegt Hegel dergestait aus, daB uns nieht nur die Betrachtung der sieh vollziehenden Umkehrung zukommt; fur ihn ist die Umkehrung »ebenso unsere Zutat wie die Betrachtung seiber, ja beide sind ein und dasselbe« (88) . Ich sehe nicht, warum wir dies schlieBen mussen und wie wir es
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Doch wer sind» wir«? Wir befinden uns nicht mehr aufder Stufe des natiirlichen BewuBtseins, das in sich versunken ist und keine Zusammenhange durchschaut, das also sozusagen nicht weiB, wie ihm geschieht. Man konnte meinen, wir waren bereits auf der Stufe des absoluten Wissens'v-aber obwohl dies sozusagen -fur einige von uns- gelten mag, kann nicht vorausgesetzt werden, daB der Standpunkt des» Wir« der des absoluten Wissens ist. Zum einen kann Hegel nicht verlangen, daB wir diesen Standpunkt erreicht haben, bevor wir iiberhaupt mit der Lektiire beginnen, und zum anderen ware das Buch gewissermaBen iibertliissig, wenn wir schon auf der Hohe des absoluten Wissens waren, Es ist deshalb der Vorschlag gemacht worden, wir befanden uns im Elemente vor-hegelianischer Philosophic'? oder auch, wir hatten bereits »Kant und Pichtee" gelesen. Etwas allgemeiner kann man wohl sagen, daf wir uns irgendwo auf dem Weg zwischen natiirlichem BewuBtsein und absolutem Wissen befinden. Moglicherweise sind einige von uns auch bereits »angekommen«, und moglicherweise haben andere den Standpunkt des natiirlichen BewuBtseins blof insofern verlassen, als sie einen ersten, kleinen Abstand zu ihm gewonnen haben, sich umwenden und dieses BewuBtsein als BewuBtsein erkennen. Wir befinden uns auf dem Weg, ohne daB wir uns dariiber im klaren waren, daB es sich urn einen Weg handelt oder gar wo wir uns befinden. Indem wir die Phiinomenologie lesen, durchlaufen wir die Stufen noch einmal, die wir, ohne es zu merken, durchschritten haben-und wir sehen so Zusammenhang, Notwendigkeit und Sinn. Entscheidend ist, daB wir die Leser der Phiinomenologie sind; wir sind diejenigen, die beschlossen haben, sich auf den Gang des BewuBtseins einzulassen und sich mit ihm auf den Weg zu machen. Es ist also gewissermaBen ein EntschluB unsererseits vorausgesetzt; wir machen den Versuch, »auch einmal auf dem Kopfe zu gehen« (PhG, 30), und dies ist ein entscheidender Beriihrungspunkt mit der schliefsen konnten, wenn wir doch unsere Einfalle weglassen und die Sache an und fur sich betrachten sollen. Vgl. auch Hegel in der Enzyklopiidie: »Ich denke schlecht, indem ich von dem Meinigen etwas hinzutue- (Enz. 1,84) . 18 Dies ist auch von vielen Interpreten behauptet worden; vgl. z. B. Kroner (1924), S. 369f., Hyppolite (1946), S. 29f. Kenley R. Dove kommt das Verdienst zu, die wesentlichen vor seinem Aufsatz erschienenen Positionen gesammelt und kIassifiziert zu haben (vgl. Dove (1971),S. 46-56) . Doves Einschatzung zufolge hat sich Heidegger am intensivsten mit der Frage nach dem »Wir- auseinandergesetzt und wichtige Einsichten gewonnen; nur uberdeckt Heidegger unberechtigterweise das »Wir- der Phiinomenologie mit dem Fundamentalontologen seiner eigenen Schriften (ebd ., 51f.). Ich stimme mit Doves Einschatzung uberein-iauch dahingehend, daB Heidegger nicht der Versuchung erlegen ist, unseren Standpunkt mit dem absoluten Wissen gleichzusetzen, sondern unser besonderes Verhaltnis zum Absoluten darin sieht , daf wir das Absolute sein lassen (vgl. Heidegger, Holzwege, S. 175), insofern das Absolute schon bei uns ist und sein will (vgl. PhG,69). Dies bedeutet-wenn man es in eine Ausdrucksweise bringt, die Husserls Phanomenologie naher ist -, daf es im Wesen der Dinge liegt, in Erscheinung zu treten, und wir sie deshalb dann am besten sehen, wenn wir nichts Eigenes mitbringen. 19 Vgl. Dove (1971), S. 54. 20 Harris (1997), S. 201.
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husserlschen Epoche: Wir entschliefien uns, un sere vorgefaBten Meinungen beiseite zu lassen und uns auf die Philosophie einzulassen. Dadurch erst zeigt sich uns das naturliche BewuBtsein als solches.
II. Es ist auffallig, daB das »Wir« im Text nach Erreichen der Stufe des SelbstbewuBtseins fast nicht mehr auftaucht. Mehrere Autoren haben aus guten Grunden geurteilt, daB das SelbstbewuBtsein eine entscheidende Rolle spielt in der Phiinomenologie des Geistes:" Allerdings ist das SelbstbewuBtsein als Prinzip in bezug auf das Ganze wohl bedeutsamer als die konkrete Gestalt des SelbstbewuBtseins-und dieses Prinzip taucht dann wiederum auf die eine oder andere Weise im Kapitel uber das SelbstbewuBtsein als Gestalt auf. Es gibt einige explizite Anhaltspunkte dafur, daB Hegel dem SelbstbewuBtsein eine besondere Rolleals» Wendungspunkt« zumiBt, wie er selbst sagt (PhG, 145). Am Ende der Einleitung kundigt Hegel an, das BewuBtsein werde »einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem (... ) behaftet zu sein« (81), und damit werde sein Wesen zum absoluten Wissen selbst. Nun liegt offenbar noch ein langer Weg zwischen der Gestalt des SelbstbewuBtseins und dem absoluten Wissen; doch die Auszeichnung des SelbstbewuBtseins liegt darin, daB wir mit ihm in das »einheimische Reich der Wahrheit« (138) eingetreten sind . Wir sind eingetreten in ein neues Reich, in dem wir erkennen, daB unser Gegenstand nicht »fremdartig «, sondern »einheimisch « ist bzw. daB wir selbst der Gegenstand sind . Anders ausgedruckt: Wir erkennen, daB die Welt in ihrer ganzen Reichheit nur ist als fur das SelbstbewuBtsein seiend, als auf das SelbstbewuBtsein bezogen. Doch indem wir ein neues Reich betreten haben, stehen wir eben auch erst am Anfang dieses neuen Reiches, das es nun zu erkunden und zu durchschreiten gilt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem »Wir« und dem Selbstbewufstsein: Das SelbstbewuBtsein kann ausgelegt werden als Wendepunkt vom »Ich« zum »Wir «, namlich vom »Ich« des BewuBtseins zum »Wir« des Geistes." Die entscheidende Bewegung, die sich in Hegels SelbstbewuBtseinskapitel abspielt, ist die Anerkennung eines SelbstbewuBtseins durch ein anderes in der beruhmten Herr-Knecht-Dialektik, In der Sprache Husserls ausgedriickt untersucht Hegel die Konstitution von Intersubjektivitat; wahrend es zuvor nur urn ein Verhaltnis vom leh zur Welt ging, tritt das leh nun in Beziehung zu einem anderen leh. Wichtig ist, daB das BewuBtsein fur Hegel nicht nur der Anerkennung und des Durchgangs durch ein anderes BewuBtsein bedarf, urn sich selbst zu erkennen, sondern auch, urn zu erkennen, daB die Welt auf das BewuBtsein bezogen ist. Es leuchtet unmittelbar ein, daB mir mein BewuBtsein als SelbstbewuBtsein gegeben sein mufs, 21 Vgl. z.B. Marx (1986) sowieKojeve (1988). 22 Vgl. Dove (1971), S. 55£.
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damit ich die Bezogenheit der Welt aufjenes erkennen kann-dies ist sozusagen die notwendige Bedingung. Urn das Fur-das-Bewufstsein-Sein der Welt konkret und in seinem ganzen Ausmaf zu erfassen, muf dann freilich auch noch der Durchgang durch die Welt geschehen. Auf der Stufe des SelbstbewuBtseins erkenne ich mich als ein Ich, das im Zusammenhang und im Gesprach mit anderen solchen SelbstbewuBtseinen steht, das also einem »Wir« zugehort, Dieses »Wir« ist nun prasent fur das BewuBtsein selbst-und deshalb muB nicht mehr ein »Wir« von auBen hinzutreten, urn sich mit dem BewuBtsein zu besprechen und dessen Gang darzustellen. Das BewuBtsein ist eingegangen in das »Wir«, das ihm in den ersten drei Kapiteln gegentiberstand. Gleichzeitig hat der Standpunkt des »Wir « eine weitere Bestimmung erfahren: »Wir« befinden uns in der Tat irgendwo zwischen naturlichem BewuBtsein und absolutem Wissen, mindestens aber auf der Stufe des SelbstbewuBtseins. Und wenngleich sich keine eindeutige Grenze des naturlichen BewuBtseins ausmachen laBt, da letztlich erst im absoluten Wissen Begriff und Gegenstand einander vollstandig entsprechen, so stellt doch das SelbstbewuBtsein einen entscheidenden Markstein dar, der es uns errnoglicht, auf den bisherigen Gang zuruckzublikken und das entscheidende Wesensmerkmal des naturlichen BewuBtseins dort zu erkennen - namlich die ausdruckliche Getrenntheit und Fremdheit von Wissen und Gegenstand." Man konnte sogar behaupten, daB der Weg des BewuBtseins sich in zwei Abschnitte teilen laBt, einen vor, einen nach Erreichen des Selbstbewufstseins;" doch unabhangig von der Frage, ob es erforderlich ist, sich dieser These anzuschlieBen, zeigt sich, daB Hegels Weg nicht kontinuierlich ist, sondern daB ihm ein Moment der Diskontinuitat einwohnt. Eben dieses sprungartige Moment ist es, was Hegels Vorgehen mit der husserlschen Epoche verbindet. III.
An anderer Stelle, namlich in der Enzyklopiidie, bringt Hegel das Moment der Diskontinuitat zur Sprache, indem er sagt, ein moglicher Weg in die Wissenschaft bestunde »in dem Entschlufs, reindenkenzu wollen« (Enz. I, § 78). Eskann hier nicht naher darauf eingegangen werden, worin »reines Denken«, das Hegel zunachst bloB als Abstraktion von allem Empirischen bestimmt, bestunde, Worauf es in unserem Zusammenhang ankommt, ist neben der Tatsache, daf Hegel eine Art Sprung in die Philosophie nahelegt (ohne daB es dabei dann bleiben konnte), 23 Insofern kann Werner Marx die These aufstellen, daB das Selbstbewufstsein eine entscheidende Mittelstellungzwischen dem natiirlichen BewuBtsein und der Wissenschaft ausmacht und letztere beiden dadurch verbunden sind, daB ihnen das Element der Reflexion gemeinsam ist (vgl. Marx (1981), S. 53ff.)-wenngleich immer im Auge behalten werden muB, daB die philosophische Reflexion wesentlich unterschieden ist von der des natiirlichen BewuBtseins, da letztere das Se1bst als einen Gegenstand wie andere Gegenstande auffafst. 24 Vgl. Dove (1971), S. 56.
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die Nahe zu Husserl beziiglich dessen, daB dieser Sprung auf einem Entschluf beruht, wie er schon oben in bezug auf das »Wir« angesprochen wurde. Dariiber hinaus ist das Bemerkenswerte an diesem Paragraphen der Enzyklopiidie, daf Hegel den Entschlufs, rein denken zu wollen, gleichsetzt mit der Forderung nach einem »vollbrachten Skeptizismus«. Da Hegel in der Einleitung zur Phiinomenologie den Skeptizismus mehrfach anspricht und dabei ausdriicklich sagt,» unsere Zutat« bilde denselben Umstand, von dem bezuglich des Skeptizismus die Rede gewesen sei (PhG, 79), solI der Skeptizismus hier in einiger Ausfiihrlichkeit behandelt werden. Es gibt zwei weitere Griinde dafur, den Skeptizismus an dieser Stelle aufzugreifen: Zum einen waren wir im Zusammenhang der Epoche bei Husserl schon auf die antike Skepsis gestofien, und letztere bildet nicht nur einen entscheidenden Beriihrungspunkt zwischen Hegel und Husserl, sondern die Auseinandersetzung mit ihr ist unerlafslich, wenn so etwas wie eine Epoche im Denken Hegels aufgewiesen werden solI. Zum anderen bestimmt Hegel in den Vorlesungen tibet die Geschichte der Philosophie das in obigen Zitaten anklingende Verhaltnis des Skeptizismus zum spekulativen Idealismus ausdriicklich dergestalt, daB das Negative des Skeptizismus der »positiven Philosophie« nicht entgegengesetzt, sondern »ein Moment derselben« sei (GPh II, 359). Im folgenden solI gezeigt werden, daB der Skeptizismus in der Tat Hegels Philosophie innewohnt, wenn man ihn als »sich vollbringenden Skeptizismus«, das heilst, als Skeptizismus, der sein Prinzip vollstan dig zur Ausfiihrung gebracht hat, nimmt. Die These, daB der Skeptizismus ein der Philosophie innewohnendes Prinzip sei, taucht implizit auch in der Einleitung zur Phiinomenologie des Geistes auf. Es werden dort zwei Arten von Skeptizismus unterschieden: einerseits der »sich vollbringende Skeptizismus« (PhG, 72), andererseits Skeptizismus als »eine der Gestalten des unvollendeten Bewulstseins« (74). Skeptizismus als blofse Gestalt ist noch nicht zur vollstandigen Erkenntnis seiner selbst gelangt und hat sein Prinzip nicht vollstandig ausgefiihrt. Als zwischen dem Stoizismus und dem sogenannten »unglucklichen Bewufstsein« angesiedelte Gestalt ist der Skeptizismus »an sich das Negative« und vernichtet das Sein der Welt (PhG, 159).25 Was der Skeptizismus in dieser unvollstandigen Form nicht erkennt und was zu seinen inneren Widerspriichen fuhrt, ist die Tatsache, daB das aus der Negation entspringende Nichts kein blofses Nichts ist: Es ist das Nichts dessen, woraus es entspringt; »es ist hiermit selbst ein bestimmtes und hat einen lnhalt « (PhG, 74). Eben dieses Prinzip der bestimmtenNegation ist es, was dem unvollstandigen Skeptizismus noch nicht zur Verfiigung steht, was jedoch den entscheidenden Wesenszug des sich vollbringenden Skeptizismus darstellt. Indern das aus der Negation hervorgehende Nichts durch das bestimmt ist, was in ihm negiert, aber gleichzeitig aufbewahrt und auf eine hohere Stufe gehoben ist, entsteht eine neue BewuBtseinsgestalt.
25 Vgl. zur doppelten Funktion des Skeptizismus als Gestalt und als Prinzip: Claesges (1996) .
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Hegel kommt das Verdienst zu, den Geschichts- und Entwicklungscharakter der Philosophie hervorgehoben zu haben, wie im nachsten Kapitel genauer untersucht wird. Daher ist der »Entschlufs, rein denken zu wollen«, nicht hinreichend, sondern nur ein erster Schritt. Die Frage ist, wie die Bewegung weitergeht, und der Skeptizismus liefert keine Antwort auf diese Frage, solange er bloB negativ ist. Im folgenden soll zuerst kurz Hegels Kritik am Skeptizismus zusammengefaBt werden; anschlieBend wird eine Form von Skeptizismus betrachtet, die von dieser Kritik nicht getroffen wird, namlich der »sich vollbringende Skeptizismus«, so daB wir schlieBlich festhalten konnen, inwiefern das skeptische Prinzip Hegels Philosophie selbst innewohnt. Die beiden Hauptkritikpunkte, die Hegel gegen den Skeptizismus vorbringt, lauten: Erstens ist der Skeptizismus bloB negativ und ubersieht das der Negation zukommende affirmative Element; zweitens ist dem Skeptizismus Zufalligkeit eigen. Diese beiden Aspekte fuhren dazu , daB der Skeptizismus sich nicht zur Wissenschaft eignet. Indem der Skeptizismus nicht uber das Prinzip der bestimmten Negation verfugt, ist er bloB destruktiv und kann nicht fortschreiten. Daruber hinaus muB einer Philosophie Notwendigkeit eigen sein und keine Zufalligkeit, wenn sie Wissenschaft sein will. Fur den Skeptizismus jedoch gilt-und hier faBt Hegel beide Kritikpunkte zusammen: Er »ist eben diese alles sich vernichtende Bewegung, in der ihm ganz gleichgultig ist, was ihm vorkommt, ganz zufallig, was sich ihm darbiete « (GPh II, 401). Was dam it gemeint ist, laBt sich beispielsweise an den zehn fruheren Tropen der pyrrhonischen Skepsis aufzeigen : Es werden dort einige zufallige Kennzeichen des naturlichen BewuBtseins aufgegriffen und ihre inn ere Widerspruchlichkeit gezeigt. Worauf es aber ankame, ware, das naturliche BewuBtsein in seinem Wesen zu bestimmen, die Widerspruchlichkeit dieser wesentlichen Zuge aufzuzeigen und dam it zu einer anderen Gestalt des BewuBtseins fortzuschreiten. Urn zu verstehen, inwiefern Hegel dem Skeptizismus einmal Unwissenschaftlichkeit vorwerfen , ihn andererseits aber als Moment seiner Philosophie bezeichnen kann, muB auf die bereits erwahnte Unterscheidung von »sich vollbr ingendem Skeptizismus « und unvollstandigern Skeptizismus zuruckgegangen werden. Wie verhalten sich diese beiden Formen des Skeptizismus zueinander? Es handelt sich nicht urn eine bloBeNamensgleichheit, sondern in beiden liegt dasselbe Prinzip vor; der »sich vollbringende Skeptizismus « ist nicht ein anderer Skeptizismus, sondern ein Skeptizismus, in dem eben jenes Prinzip vollstandig erkannt und ausgefuhrt ist. In Hegels Begrifflichkeit konnte man den unvollstandigen Skeptizismus auch als Skeptizismus »an sich « im Gegensatz zum sich vollbringenden Skeptizismus als Skeptizismus »an und fur sich « bezeichnen. In diesem Sinne kann man das Verhaltnis dieser beiden Formen des Skeptizismus mit dem Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein vergleichen: Wir haben es nicht mit zwei verschiedenen BewuBtseinen zu tun, sondern wenn das natiirliche BewuBtsein sich in seinem Wesen erfaBt hat, ist es philosophisches BewuBtsein geworden.
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Der sich vollbringende Skeptizismus erfullt die an eine Wissenschaft gestellten Anforderungen, weil er nieht nur tiber das Prinzip der bestimmten Negation verfugt, sondern auch seinen Ausgangspunkt gezielt auswahlt, anstatt bloB aufzu greifen, was sieh darbietet. Der Ausgangspunkt muB die sinnliche GewiBheit in ihrer Unmittelbarkeit sein;" wenn von dieser ausgezeichneten Gestalt ausgegangen und mittels der bestimmten Negation fortgesehritten wird, gilt: »Die Vollstiindigkeit der Formen des nieht realen BewuBtseins wird sieh dureh die Notwendigkeit des Fortganges und Zusammenhanges selbst ergeben « (PhG, 73). Indem die pyrrhonisehe Skepsis hingegen zufallige Eigensehaften des naturlichen BewuBtseins aufgreift, kann sie nie zur Vollstandigkeit gelangen. Der sieh vollbringende Skeptizismus wird nieht nur den Anforderungen der Wissensehaft gereeht, sondern er eignet sieh aueh besonders gut als Einst ieg in die Philosophie, und zwar wegen seiner Voraussetzungslosigkeit: Er bringt keine eigene Theorie mit, sondern dient als Prinzip zur Aufdeekung von Widerspruchen, die er dergestalt negiert, daB er sieh von ihnen aus fortbewegt. Weildas skeptisehe Prinzip dem spekulativen Idealismus von Anfang an innewohnt, unterliegt Hegels Philoso phie nieht der Kritik, die von der Skepsis gegen die Philosophie vorgebraeht wird, wie Hegel in den Vorlesungen uber die Geschichte der Philosophie betont: »Soviel Kraft nun aber aueh diese Momente seiner [seil. des Skeptizismus] negativen Dialektik gegen das eigentlieh dogmatische VerstandesbewuBtsein haben, so unkriiftig ist er gegen das Spekulative «, und zwar deshalb, weil die spekulative Philosophie »das absolut Negative an ihr selbst« hat (GPh II, 396f.). Doeh das, was der spekulativen Philosophie einwohnt, ist nieht der antike Skeptizismus als solcher, sondern nur dessen Prinzip. DaB Hegel nur das skeptische Prinzip aufnimmt und aufnehmen kann, hat im wesentliehen zwei Grtinde: Der erste Grund besteht darin, daB der antike Skeptizismus das skeptische Prinzip nieht vollstandig durchsehaut und zur Ausfuhrung gebraeht hat; obwohl er darin weiter gekommen ist als der neuzeitliehe Skeptizismus," ist er doch nieht zum »sich vollbringenden Skeptizismus« gelangt. Der zweite Grund liegt in der Gesehiehtliehkeit der Philosophie: Den antiken Skeptizismus in seiner konkreten Form aufzunehmen, wiirde voraussetzen, daB die Stufe des BewuBtseins unverandert geblieben
26 BestimmteWesensziigedes Skeptizismus lassensich in HegelsDarstellungder sinnlichen GewiBheit aufweisen (vgl. Diising (1973)). Der Vorlaufer von Hegels Beispiel »Ietzt ist Nacht - findet sich bei Sextus Empiricus: »Es ist Tag« (GPS, S. 181). Dariiber hinaus ist die Konfrontation der
Aussage »Ietzt ist Nacht- mit der Aussage »Ietzt ist Mittag« eine Anwendung des skeptischen Prinzips. Wahrend die Antwort der antiken Skepsis auf diese Gegeniiberstellung von Aussagen, denen ein gleiches Rechtzukommt, die Ausfiihrungder Epoche und damit die Urteilsenthaltung ware, resultiert die Gegeniiberstellung bei Hegel in einem Fortschritt zur nachsten Stufe gernafs der bestimmten Negation. 27 Vgl. dazu HegelsRezension von Gottlob Ernst Schulzes Buch Kritik derTheoretischen Philosophie: » Verhaltnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellungseiner verschiedenenModifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten. . (Bd. 2, S. 213-272).
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ware, aber dies kann nie der Fall sein. Was konkret den antiken Skeptizismus anbelangt, so erforderte er eine bestimmte }Unbeschwertheit < des Bewulstseins, die uns heute nicht mehr eigen ist." Das skeptische Ziel eines Erreichens von Ataraxia bedeutete eine Ruckkehr des BewuBtseins, namlich eine Ruckkehr zu seiner Einfachheit (vgl. GPh II, 371/342). Die These der Skepsis lautet, daf Anspannung und Ruhelosigkeit aufkommen, wenn das BewuBtsein sich an etwas bindet; dies wird manifest im Dogmatismus. Wenn die Nutzlosigkeit dogmatischer Sinngebung einmal eingesehen wurde, kehrt das BewuBtsein zu seinem ursprunglichen Stand zuruck; es orientiert sich an den erscheinenden Gegenstanden, ohne deren Sein zu befragen, und greift die Sitten und Gewohnheiten auf, die ihm uberliefert wurden. Dies ist fur uns nicht mehr moglich: Die geschichtliche Ebene des BewuBtseins ist kein Stadium der Unbeschwertheit, und wir sind nicht von Sitten und Gewohnheiten umgeben, die wir einfachhin aufgreifen konnten: der Subjektivismus der Neuzeit fordert uns auf, alle uberlieferten Gewohnheiten radikal in Frage zu stellen und nichts als selbstverstandlich hinzunehmen. Die geschichtliche Entwicklung des BewuBtseins hat sich fortgesetzt, und wir konnen keine Ruhe finden, indem wir auf eine vergangene Stufe zuruckfallen. Deshalb schalt Hegel aus dem Skeptizismus das skeptische Prinzip hera us, bringt es zur vollstandigen Ausfuhrung und nimmt es in seine eigene Philosophie auf.
Hegel kritisiert die antike Skepsis dafur, daB sie nicht gesehen habe, wie sich von einer Negation aus fortschreiten laBt, und dafur, daB sie ihren Ausgangspunkt nicht gezielt und mit Notwendigkeit auswahlt, sondern blof zufallig aufgreift. Damit kommt der antiken Skepsis keine Wissenschaftlichkeit zu. Auch Husserl unterscheidet sich von der antiken Skepsis dadurch, daf er eine Wissenschaft begrunden mochte, Sowohl Hegel als auch Husserl geht es also urn eine Herauskristallisierung und Vertiefung der skeptischen Grundgedanken mit dem Ziel der Begrundung einer Wissenschaft. Husserl legt dabei den Schwerpunkt auf den Kern der skeptischen Lehre, namlich die Epoche, und gewinnt hier die phanomenologischen Grundmomente der Urteilsenthaltung und der Blickwendung auf das Erscheinen. Fur Hegel ist die Epoche zwar auch wichtig; noch mehr kommt es ihm aber auf die Negation an, deren positives Moment von den Skeptikern ubersehen wurde. Aus husserlscher Sicht geht Hegel gewissermaBen zu weit, indem er sich auf die bestimmte Negation konzentriert, anstatt zu sehen, daB eine Negation keine Urteilsenthaltung, sondern das Fallen eines Urteils ist. Husserl erliegt dieser .Negationsversuchung- in seiner fruhen Philosophie selbst, wenn er beispielsweise vom Gedankenexperiment der Weltvernichtung spricht. Aus Hegels Perspektive be-
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Vgl. Han s Friedrich Fulda (1965), S. 51.
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trachtet ist aber die bestimmte Negation nichts, was »wir « unternehmen wiirden (wahrend die Vorstellung der Weltvernichtung unser Gedankenexperiment ist) . Vielmehr ist die bestimmte Negation in der Wirklichkeit immer schon am Werk, und wir sind in der Lage,dies zu beobachten, wenn es uns gelingt, unsere Meinungen beiseite zu lassen und »reines Zusehen « zu praktizieren. Hegel und Husserl sehen Vorurteilslosigkeit als entscheidendes Erfordernis fur eine Wissenschaft an - und was sie der antiken Skepsis trotz deren Unwissenschaftlichkeit zugute halten, ist, daf diese keine eigenen Annahmen mitbringt, sondern nur als Prinzip dient, aIleAnnahmen kritisch aufWiderspruchlichkeit hin zu befragen. Die Skepsis zeigt den wesentlichen Schritt, der am Anfang des Philosophierens stehen mufs: die Bereitschaft, aIlevorgefalsten Meinungen und Theorien beiseite zu lassen. Doch auf diesen Sprung muS noch ein Weg folgen, oder der Sprung muf in einen Weg integriert werden. Zu dieser Einsicht kommt nicht nur Hegel, sondern auch Husserl, der in seiner spaten Philosophie die im vergangenen Kapitel angesprochenen Probleme der ursprunglichen Konzeption der Epoche-e insbesondere ihre Unmotiviertheit und die sich daraus ergebende Inhaltsleere-zu uberwinden sucht.
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Der Wegcharakter des Ubergangs Die Frage des Warum ist ursprunglich Frage nach der »Geschichte«, Husserl, Hua xv, 420.
Der Sprungcharakter des Ubergangs weist aus sich heraus auf seine Unzulanglichkeiten hin: Blof zu springen, kann nie genugen, sondern wir mussen uns geduldig auf die Entwicklung der Philo sophie einlassen. Hegel lehrt uns, daf wir eine Sache nur begreifen, wenn wir ihre Entwicklung kennen, und dies gilt vor allern bezuglich der Philosophie. Philosophie ist geschichtlich, weil der Geist notwendig in der Zeit erscheint und sich in ihr verwirklicht-dies gilt es zu verstehen. Eine Verstandnishilfe ist die »Geschichte« des Individuums, die in gewisser Hinsicht die Geschichte im GroBen, die Geschichte im eigentlichen Sinne widerspiegelt. Die Zeitlichkeit des BewuBtseins ist es auch, die Husserl auf den Weg zur Geschichte bringt. Indem er bei seiner konsequenten Erforschung des Bewufstseins einsieht, daB die Zeitlichkeit, die Entwicklung des BewuBtseins notwendig einbezogen werden mufs, bildet er seine Philosophie weiter und erforscht im Gefolge dessen mehrere Wege in die Phanornenologie, darunter auch einen geschichtlichen Weg, der verschiedene Formen annehmen kann. Der Anlaf fur Husserl, sich auf die Geschichte zu besinnen, namlich das Bedurfnis, die gegenwartige Krisensituation aufzuklaren, ist zwar unhegelianisch. Doch sein Ergebnis, daf wir geschichtliche Wesen sind und uns nur im Ruckgang auf die Geschichte verstehen konnen, die letztlich gemeinschaftliche, sich uber die Generationen hinweg erstreckende Geschichte ist, bringt ihn in zunehmend grofsere Nahe zu Hegel.
a. Der Weg des Bewufitseins beiHegel Hegel hat uns dazu verholfen, die Philosophie als durch und durch geschichtlich und die Geschichte als gerichtete Entwicklung und nicht blof aulserliches Ablaufen von Zeit zu verstehen. Er war es, der »das geschichtliche Denken zum ersten Mal in die Philosophie alssolche eingefuhrt hat «, was bedeutet, daB die Philo sophie »nicht T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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nur eine Geschichte hat, sondern geschichtlich ist«: Die entscheidende Frage, die Hegel in der Einleitung zu seinen Vorlesungen tiber die Geschichte der Philosophie stellt, ist die Frage, »wie es kommt, daB die Philosophie als eine Entwicklung in der Zeit erscheint und eine Geschichte hat « (GPh I , 51). Die Antwort auf diese Frage lautet, daB das Sein des Geistes die Tat ist, die darin besteht, sich zu wissen (vgl. ebd.). Die Tatigkeit des Geistes liegt darin, aus sich heraus zu gehen, sich zu veraufserlichen, und zugleich zu sich zu kommen. Eine Weise der AuBerlichkeit ist die Zeit. Da der Geist aber »nicht nur als einzelnes, endliches BewuBtsein, sondern als in sich allgemeiner, konkreter Geist « (52) ist, entfaltet er sich nicht etwa im ZeitbewuBtsein eines Individuums, sondern seine Entwicklung ist die ganze Wirklichkeit: die Geschichte. Diese Antwort jedoch ist nicht nur schwierig nachzuvollziehen, sondern sie laBt auch gleich den Verdacht aufkommen, hier werde etwas »gesetzt e--namlich ein Geist, dem bestimmte Wesenszuge eigen sind - , und die Maxime der Voraussetzungslosigkeit werde damit massiv verletzt. Doch in der Phiinomenologie des Geistes, die vom naturlichen BewuBtsein ausgehen will und von uns fordert, aIle vorgefaBten Meinungen beiseite zu lassen, ist das Vorgehen eben auch ein anderes: Der Geist steht erst am Ende bzw. taucht im fortgeschritteneren Teil der Phiinomenologie auf, da er am Anfang zwar dem Begriffenach und an sich bereits vorhanden, aber noch nicht zu sich gekommen ist. Wenngleich die Geschichtlichkeit der Philosophie sich aus den Wesenszugen des Geistes notwendig ableiten laBt, besteht eine nachvollziehbarere Vorgehensweise (und auch diejenige, von der Hegel ausgeht) wohl darin, die Frage nach dem Zusammenhang von Geschichte und Philosophie zunachst gewissermaBen intuitiv zu betrachten: 1st die Geschichte etwas der Philosophie AuBerliches? Konnen wir, sozusagen im Kleinen, Anhaltspunkte dafur finden, daB das Vorkommen von Ereignissen in der Zeit mehr bedeutet, als ihnen blof eine Stelle in einer Chronologie zuzuweisen? Nach der Betrachtung einiger intuitiver Beispielewie der Entwicklung des Menschen vorn Saugling zum Erwachsenen kommt die Geschichte des Individuums genauer in den Blick: Die Bewegung des SelbstbewuBtseins bildet ein Paradigma, welches sich auf der Ebene der Geschichte im eigentlichen Sinne in modifizierter Form wiederholt. Das SelbstbewuBtsein ist zuerst ein einzelnes, welches einen Gegenstand begehrt. Dann sucht es Anerkennung von einem zweiten SelbstbewuBtsein, bis schlieBlich beide im allgemeinen SelbstbewuBtsein aufgehoben werden. Hier beginnt der Geist und vollzieht eine Variation derselben Bewegung. Der Geist geht durch die Selbstentfremdung hindurch, urn zu erkennen, daB er allum-
Lowith (1969), S. zff Ubrigens gab es natiirl ich vor und neben Hegel Philosophen, die das geschichtliche Denken in die Philosophie einfuhrten, z. B. Kant, Fichte und Schelling; doch sie riickten das geschichtliche Denken nicht in den Mittelpunkt ihres Philosophierens, und sie stellten nicht klar hera us, welcher Stellenwert ihm zukommt.
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fassend ist. Es stellt sich heraus, daB Geschichte ein geordneter Verlauf ist und diese Ordnung als bestimmte Negation bezeichnet werden kann.
1. Ein erstes Beispiel, das Hegel in der Vorrede zur Phiinomenologie verwendet, ist das des mathematischen Beweises: Wir halten denjenigen, der die Theoreme des Euklid auswendig aufsagen kann, ohne ihre Beweise zu kennen, nicht fur einen Geometer (PhG, 42). Allgernein ausgedruckt heiBt dies zunachst, daf wir eine Sache besser kennen, wenn wir wissen und verstehen, wo sie herkommt und was ihre Entwicklung ist-wenn wir also mit ihrer Genese vertraut sind. Dies gilt, so Hegel, in noch viel starkerem MaB fur die Philosophie: Der mathematische Beweis ist »ein der Sache iiufierliches Tun « (ebd.) und betrifft nur das Verhaltnis zum Denkenden, wahrend sich in der Philosophie das Resultat nicht von seiner Entstehung abtrennen laBt. Die Natur philosophischer Wahrheiten laBt es nicht zu, »daf das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist oder auch der unmittelbar gewuBt wird, bestehe« ; alles andere ist »Dogmattsmus der Denkungsart « (41). Ein weiteres Beispiel, mit dem Hegel seinen Begriff von Entwicklung (den er im wesentlichen von Aristoteles ubernimmt) veranschaulicht, ist die Entwicklung von Pflanzen und von Menschen. Hegel mochte erklaren, wieso es kein Widerspruch ist, daB »die Idee sich erst zu dem mach en muB, was sie ist « (GPh I, 39). Das, was hier Entwicklung heiBt, laBt sich namlich nur verstehen, wenn man zwei »Zustande« unterscheidet: den der »Anlage«, des »Ansichseins« oder der dynamis aufder einen und den der » Wirklichkeit«, des» Fursichseins « oder der energeia auf der anderen Seite (ebd.). Das, was die Pflanze wirklich und fur sich ist, ist im Keirn der Pflanze an sich schon angelegt. In diesem Beispiel kommen zwei weitere Wesenszuge zum Vorschein , die »irn GroBen « auch fur die Entwicklung des Geistes gelten. Erstens »will« der Keirn sich entwickeln, hat den Trieb, aus sich herauszutreten und sich in der Pflanze und schlieBlich in der Frucht zu verwirklichen - wobei der Keirn dabei insofern »zu sich selbst zuruckkehrt «, als die Pflanze eben an sich schon in ihm angelegt war. Zweitens gilt, daB das Ansich die Entwicklung »regiert« bzw. daB die Pflanze »sich nicht in bloBe ungemessene Veranderung« verliert (GPh I, 40 f.). Die Entwicklung ist keine planlose, ungeregelte, sondern wir konnen ihr ansehen, daB sie Entwicklung auf ein Ziel hin ist. Analoges gilt fur den Menschen: »Das Kind ist auch ein Mensch, es hat aber nur das Vermogen, die reale Moglichkeit der Vernunft « (39). Da sich im Falleder Geschichte eines Individuums manches besser sehen laBt als an der Geschichte als Geschichte des Geistes,' soll zunachst kurz die Bewegung des
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GewissermaBen in Umkeh rung von Platons Behauptung, daB sich im GroBen vieles besser erkennen lasse als im Kleinen (Politeia 368d), wahlt Hegel in der Phiinomenologie das Fortschreiten vom Ind ividuum zum Geist, vom Abstrakten zum Konkr eten .
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einzelnen Selbstbewufstseins betrachtet werden. Es ist eine entscheidende Einsicht Hegels, daf das Selbstbewufstsein keine statische Einheit, sondern »Bewegung« ist (PhG, 138).3 Das Selbstbewufstseinskapitel, in dem diese Bewegung ausfuhrlich erarbeitet wird, ist wohl dasjenige Kapitel der Phiinomenologie, dem am meisten Aufmerksamkeit zugewendet worden ist und das den grofsten EinfluB auf andere Philosophen gehabt hat. Diese Einflusse konnen hier nicht behandelt werden; ebenso wenig wird das Selbstbewufstseinskapitel in seiner Tiefe und Breite zum Thema. In unserem Zusammenhang ist blof entscheidend, inwiefern das Selbstbewufstsein, das aus sich heraustritt und zu sich zuriickkommt- und zwar notwendigerweise-, eine Bewegung vollzieht, die der Geist dann gewissermafsen aufgreift. II. Das SelbstbewuBtsein, dem Hegel dieses Kapitel widmet, ist nicht das, was wir gewohnlicherweise unter SelbstbewuBtsein verstehen: DaB ich reflektieren und mir dessen bewufst werden kann, daB ich einen Gegenstand wahrnehme, erinnere etc., weif schon das Bewufstsein: selbst die sinnliche GewiBheit unterscheidet schon das Ich yom Dieses. Der entscheidende Punkt in all diesen Formen des Bewufstseins vorn Ich ist, daB das Ich dem Gegenstand gegeniibergestellt wird . Das Ich ist sozu sagen der Ort des Wissens , der Gegenstand das davon getrennte GewuBte. Ausgezeichnetes Merkmal des Selbstbewufstseins in Hegels Sinne ist aber, wie bereits erwahnt, daB es sich im Gegenstand erkennt bzw. daB es erkennt, daB der Gegenstand nur als auf es bezogener ist. In diesem Sinne macht das Selbstbewufstsein den Wendepunkt der Phiinomenologie aus und bezeichnet den Eintritt in das »einheimische Reich der Wahrheit«. Das Selbstbewufstsein ist also nicht von vornherein da, sondern es ist da als »Aufhebung einer Selbstentfremdung« oder als »Gegenstof gegen eine uns sonst einhullende Vergessenheit «.' Zwar hat sich am Ende des Verstandeskapitels ergeben, daB alles BewuBtsein von Anderem notwendig Selbstbewufstsein ist, doch das SelbstbewuBtsein ist noch nicht an und fur sich seiend; es weif sich noch nicht als solches und hat sich nicht in seinem Wesen erkannt. Deshalb ist es unruhig und auf der Suche: Das Wesen des SelbstbewuBtseins besteht zunachst darin, Begierde zu sein; es ist Begierde, wei! es noch nicht zu sich selbst gekommen ist, sondern sich seiner selbst nur gewif sein kann, indem es anderes sich einverleibt und vernichtet (vgl. PhG, 143). Die Begierde ist Ausdruck jenes Mangels . Anfanglich ist das Selbstbewufstsein auf selbstandige Gegenstande gerichtet, die es vernichtet. Doch in solchen Gegenstanden kann die Begierde keine wirkliche Befriedigung finden, da sie den Prozef des Aufhebens der 3 4
Manfred Riedel erlautert, inwiefern dies »der ent scheidende Schritt tiber Kant und die gesamte bisherige Philosophie hinaus « ist (Riedel (1973), S. 400). Fink (1977), S. 169.
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Gegenstande unablassig wiederholen muf, Wir essen, doch wir werden immer wieder hungrig. Das SelbstbewuBtsein ist somit auf die Gegenstande, die es begehrt, angewiesen und muB sie immer wieder erzeugen, urn sie dann zu vernichten. Dieser Kreislaufkann nur durchbrochen werden, wenn das SelbstbewuBtsein solches findet, das ihm ahnlicher ist als die Gegenstande, namlich solches, das selbst diese Bewegung der Negation vollzieht und nicht bloB Gegenstand der Negation ist. »Das SelbstbewuBtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewufstsein « (PhG, 144). Wenn zwei, welche eine gleichartige Bewegung vollziehen, da beide SelbstbewuBtsein sind, zueinander in Beziehung treten, ergibt sich eine interessante Dynamik, ein »Spiel«, das sich aber letztlich als Kampf erweist, als »Kampf auf Leben und Tod « (149) . Das SelbstbewuBtsein kann sich seiner selbst nur gewiBwerden, kann nur zum an und fur sich seienden SelbstbewuBtsein werden, wenn es die Anerkennung eines anderen SelbstbewuBtseins gewinnt. Es findet also ein Kampf urn Anerkennung statt; denn obwohl es zunachst so scheint, als konnten die beiden Beteiligten sich in symmetrischer Weise gegenseitig anerkennen, zeigt sich, daB sich das Anerkennen fur das SelbstbewuBtsein notwendig als ungleich und asymmetrisch darstellt. Iedes SelbstbewuBtsein kennt zunachst nur seine eigene Perspektive und will anerkannt werden, nicht Anerkennung geben. Urn sich als SelbstbewuBtsein zu beweisen und die Anerkennung zu gewinnen, muf das SelbstbewuBtsein bereit sein, auf alles auBer sich selbst zu verzichten. Zu zeigen, daf es nichts auBer ihm gibt, ware jedoch der Tod des SelbstbewuBtseins; wer es wagt, diesem am nachsten zu kommen und sein Leben aufs Spiel zu setzen, gewinnt den Kampf. Aus dem Kampf geht also dasjenige SelbstbewuBtsein als Herr hervor, das dem Tod am nachsten gekommen ist; das andere ist der Knecht, der sich an das Sein geklammert hat und nicht bereit war, vom Leben zu lassen. Der Herr ist nun zum fur sich seienden SelbstbewuBtsein geworden, da dieses SelbstbewuBtsein mit sich vermittelt ist, und zwar in doppelter Weise: Der Herr bezieht sich auf den Knecht mittelbar durch das Sein, an das der Knecht gehalten ist, und auf das Sein durch den Knecht (vgl. PhG, 151). Der Knecht namlich ist an das gegenstandliche Sein gebunden wie an eine »Kette«, da er im Kampf nicht von ihm absehen konnte; nun muB der Knecht die Dinge bearbeiten, wahrend der Herr sie rein genieBen kann. Doch es zeigt sich, daB der Herr nicht wirklich das gewonnen hat, was er dachte, sich erkampft zu haben, namlich die Anerkennung eines selbstandigen SelbstbewuBtseins: Der Knecht reicht dem Herrn als Anerkennung nicht zu, da er an das gegenstandliche Sein gebunden und so nicht wirklich selbstandig ist. Zudem ist der Herr nicht wirklich frei, da er aufden Knecht und dessen vermittelnde Arbeit angewiesen ist. Der Knecht hingegen erfahrt Anerkennung von Seiten der Dinge; wenngleich diese Anerkennung sozusagen auf einer niedrigeren Stufe erfolgt, gilt fur das knechtische BewuBtsein: »Durch die Arbeit kommt es aber zu sich selbst « (PhG,153).
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Der Knecht befindet sich in einem besonderen Verhaltnis zum gegenstandlichen Sein, das er bearbeitet: Zum einen handelt es sich urn eben jenes Sein, von dem er nicht lassen konnte und urn das er in der » Furcht des Todes « gezittert hat, wahrend der Herr nur »einige Angst ausgestanden « hat (153 ff.). Zum anderen kann er dieses gegenstandliche Sein, mit dem ihn eine so innige Beziehung verbindet, bearbeiten, formen und bilden. Das geformte Ding tragt die Zuge des Knechts, und so findet dieser seine Anerkennung. Der Knecht kommt »zur Anschauung des selbstandigen Seins alsseiner selbst«, und gleichzeitig kann er an dem Herrn das Fursichsein als BewuBtsein anschauen (154f.). In einer Art dialektischer Umkehrung hat sich das knechtische BewuBtsein als der wahre Sieger des Kampfes erwiesen. Was ist also das Resultat dieses Prozesses, der hier nur in gedrangter Form dargestellt werden konnte? Das SelbstbewuBtsein bedarf des anderen SelbstbewuBtseins, urn sich zu erkennen; ein SelbstbewuBtsein kann es gar nicht geben, sondern es verlangt von sich her nach Verdoppelung. SelbstbewuBtsein ist nichts Unmittelbares, sondern ist alsSelbstbewuBtsein erst , wenn es einen ProzeB der Vermittlung durchlaufen hat. Hegel ubt hiermit in gewisser Weise Kritik an Descartes, der . meineSelbstgewiBheit als Fundament nimmt. Diese GewiBheit ist mir laut Descartes unmittelbar gegeben; Hegel weist aber im Zusammenhang seiner Besprechung des cartes ischen Cogito in der Enzyklopiidie darauf hin, daB das unmittelbare Wissen »Produkt und Resultat des vermittelten Wissens « sei (Enz. I, § 66). Hegel zufolge ist nicht die SelbstgewiBheit eine stabile Basis, auf der man dann das Postulat eines Schopfergottes postulieren und schlieBlich die Existenz der AuBenwelt »beweisen« konnte, sondern SelbstbewuBtsein im eigentlichen Sinne habe ich erst durch die Vermittlung des anderen SelbstbewuBtseins. Bemerkenswert ist, daB selbst Husser! trotz seiner starken Anlehnung an Descartes mindestens andeutet, daB ich zum Erkennen meines eigenen BewuBtseins des FremdbewuBtseins bedarf.' Urn die Bewegung des SelbstbewuBtseins zusammenzufassen und einen Vorblick auf den Fortgang zu gewinnen, sei hier auf die Kurzdarstellung des SelbstbewuBtseins in Hegels Enzyklopiidie verwiesen : Die erste Stufe ist das »einzelne SelbstbewuBtsein« als unmittelbares und auf den aufseren Gegenstand bezogenes; es ist begehrendes SelbstbewuBtsein. Die zweite Stufe besteht darin, daB das SelbstbewuBtsein zu einem anderen SelbstbewuBtsein ins Verhaltnis tritt und der ProzeB des Anerkennens stattfindet; hier »beginnt schon eine Vereinigung von Einzelheit und Allgemeinheit«. Drittens schlieBlich bildet sich das »allgemeine Selbstbewufitsein«, indem die Andersheit der beiden Selbste aufgehoben wird (Enz. III, §425 Zusatz) . Die Anerkennung findet ihre Vollstandigkeit erst in diesem allgemeinen SelbstbewuBtsein, das den Geist darstellt'Geist < ist die dialektische Entfaltung dieser Struktur zu jenem GesamtbewuBtsein, das Hegel zur Erklarung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt und ihrer Veranderung benutzt- (Riedel (1973), S. 400).
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dar in besteht, » sein Selbstbewuj3tsein mit seinem Bewuj3tsein auszugleichen « (584). Die Erwahnung der Arbeit ruft Anklange an die Arbeit des Knechts im SelbstbewuBtseinskapitel hervor, der das gegenstandliche Sein formt und sich so in ihm wiederfindet; in ahnlicher Weise formt wohl auch der Geist die Natur und findet sich in ihr wieder. Diese Arbeit bringt die »wirkliche Geschichte« hervor (586). Den Zusammenhang von Geist und Zeit faBt Hegel in einem sehr dichten Satz zusammen: Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem BewuBtsein vorstellt; deswegen erscheint der Geist notwendig in der Zeit, und er erscheintso langein der Zeit,als er nicht seinen reinen Begriff erfafit, d. h. nicht die Zeit tilgt. (PhG, 584) Das, worum es in der Wissenschaft geht , ist der Begriff, der letztlich das Sichbegrei fen des Geistes ausmacht. Dieser Begriffist aber in seinem Dasein nichts anderes als die Zeit; er ist also notwendig Bewegung, Entwicklung, Werden. Nach der Bewegung des Begriffs hat sich die Philosophie zu rich ten; sie darf zu ihm nichts Eigenes hinzufugen, sondern geht nur dieser Bewegung nach (vgl. PhG, 51). Da der Geist sich bilden, also sich entaufsern und im Riickgang aus der Entaufserung begreifen muB, erscheint er notwendig in der Zeit; doch dies gilt nur so lange, bis der Geist sich selbst vollig begriffen hat und damit die Zeit» tilgt «, In der Phiinomenologie des Geistes haben wir es mit dem entaufserten, erscheinenden Geist zu tun, also mit dem Geist, der sich in der Zeit bewegt bzw, der selbst das Bewegende der Geschichte ist (vgl. Enz. III, § 549). In der Wissenschaft derLogik erlautert Hegel das Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik, indem er erklart, in der Phiinomenologie habe er das BewuBtsein darzustellen versucht, welches »der Geist als konkretes, und zwar in der AuBerlichkeit befangenes Wissen « sei oder auch » der erscheinende Geist, welcher sich auf seinem Wege von seiner Unmittelbarkeit und aufserlichen Konkretion befreit « (WdL 1,17). Die Phiinomenologie zeichnet diesen Weg des BewuBtseins als des erscheinenden Geistes nach, auf dessen Vollendung die Logik folgt. Was es heiBen konnte, daB mit der Riickkehr des Geistes zu sich die Geschichte aufgehoben wird, muB in Kapitel ioa) bedacht werden. Was den Geist und damit auch das BewuBtsein als Erscheinungsseite des Geistes bewegt, das ist die absolute Negativitat des Begriffes (Enz. I, § 381 f.). In der Phiinomenologie wird von der Negativitat gesagt, daB sie bewegende Kraft sei (vgl. PhG, 26). Das Negative tritt zunachst als Unterschied zwischen BewuBtsein und ihm aufserlichen Gegenstand auf, und dieser Unterschied » kann als der Mangel beider angesehen werden « (PhG, 39): Dem Wissen fehit sein Gegenstand, da er auBer ihm ist und sich nicht vollig einverleiben laBt, und dem Gegenstand fehlt das Wissen, das Subjektsein, das er nicht selbst aufbringen kann. Doch dieser Unterschied ist tatsachlich das Bewegende des BewuBtseins, indem es versucht,
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den Unterschied durch Negation aufzuheben. DaB die Negation in der Tat ein Fortschreiten veranlaBt und die Bewegung nicht abbricht (bis der Geist zu sich gekommen ist und alle Unterschiede, alle Negativitat aufgehoben hat), liegt daran, daB Negation in ihrem Wesen bestimmte Negation ist, wie bereits erwahnt wurde. Hegel sagt, es verstehe sich von selbst, daB in dem aus der Negation sich ergebenden Resultat das enthalten ist, woraus dieses resultiert; denn sonst konnte gar nicht von einem Resultat gesprochen werden (vgl. WdL I, 49) . »Indern das Resultierende, die Negation bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt«; sie enthalt den ursprunglichen Begriff und dessen Negation, »ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten« (ebd.). Urn kurz an das Beispiel der sinnlichen GewiBheit zu erinnern: Indem das Ietzt, wenn es gezeigt wird , schon vergangen ist, ist es gewesenes Ietzt und damit Nicht - Ietzt, Damit sind wir jedoch nicht zu einem bloBen Nichts gekommen, sondern zum verflieBenden Ietzt, zur Einheit von Ietzt und Nicht-Ietzt, zum Werden. Weil der Geist sich gemaB dem Prinzip der bestimmten Negation entwickelt hat, ist seine Bewegung als notwendige und vernunftige fur uns nachvollziehbar. Damit ergibt sich auch eine neue Auffassung von der Geschichte der Philosophie, und die zu Beginn dieses Kapitels wiedergegebenen Aussagen aus den Vorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie werden verstandlich. Die gelaufige Vorstellung uber die Geschichte der Philosophie erweist sich als irrig: In der Geschichte der Philosophie geht es nicht urn einen » Vorrat von philosophischen Meinungen «, einen Vorrat von zufalligen Gedanken, die in der Zeit aufeinander folgen (GPh I, 29). Wenn es in der Geschichte der Philosophie urn eine solche » Galerie von Meinungen« ginge, ware sie bloB eine Sache der Gelehrsamkeit und damit eine » uberflussige und langweilige Wissenschaft « (GPh I, 30). Vielmehr gilt, daB die Philosophie als Entwicklung des Geistes notwendig zusarnmenhangend und notwendig eine ist; denn der Geist ist einer, und damit ist auch die Philosophie eine (vgl. Enz. I, §14) . Da der Geist sich in cler Geschichte entaufsert, ist das Studium der Geschichte der Philosophie »Studium der Philosophie selbst « (GPh I, 49) . Hegel behauptet, daB man den logischen Fortgang des Geistes selbst zu Gesicht bekommt, wenn man die in der Geschichte der Philosophie auftretenclen Systeme von dem befreit, was ihre empirische Gestalt oder ihre faktische Besonderheit ist. Wenn die Philosophie wesentlich eine und die Geschichte der Philosophie som it Einheit und Zusammenhang ist, dann wird offenkundig, warum die Geschichte der Philosophie fur uns heute bedeutsam ist. Auf den ersten Blick scheinen die geschichtlichen Vorgange eine Sache der Vergangenheit zu sein und jenseits unserer gegenwartigen Wirklichkeit zu liegen. » In der Tat aber, was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich « (GPh, 21) - das geschichtliche Werden stellt nicht das Werden uns fremder Dinge dar, sondern unser Werden. Was wir heute sind, verdanken wir der »Tradition« und der »Erbschaft« der Geschichte (ebd .). In der Geschichte der Philosophie haben wir es nicht mit Vergangenem, Abgeschlossenem zu tun, sondern mit solchem, was unser eigenes Sein und Werden bestimmt.
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b. Diegeschichtliche Einfuhrung in die Phiinomenologie beiHusserl Wahrend es bei Hegel nur einen Weg des natiirliehen BewuBtseins in die Philosophie gibt, namlich den in der Phiinomenologie dargestellten, hat Husserl in seiner spaten Philo sophie ausgehend von seiner Kritik am eartesianisehen Weg versehiedene andere Wege der Einfuhrung teils ausgearbeitet, teils angedaeht. Im letzten und systematisehen Teil der Krisis entwiekelt Husserl einerseits einen Weg von der vorgegebenen Lebenswelt aus (in dem das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt angeregt wird, weshalb dieser Weg als ontologiseher bezeiehnet werden kann), andererseits einen Weg von der Psyehologie aus (vgl. Hua VI, Teil III A U. III B) . Iso Kern kann sich daher auf eine eindeutige Textbasis bei Husserl stiitzen, wenn er drei Wege der Einfuhrung in Husserls Phanomenologie unterseheidet, namlich die beiden eben genannten und den eartesianisehen Weg."Demgegeniiber erseheint es zunachst befremdlieh, wenn Rudolf Boehm in seiner Einleitung zum zweiten Teil der Vorlesung Erste Philosophie eine Vielzahl von Wegen unterseheidet und sich dabei nicht auf eine genaue Zahl festlegen will," Doeh bei genauerem Zusehen zeigt sieh, daB Husserl in den erganzenden Texten zur Vorlesung Erste Philosophie in der Tat viele Wege benennt, die zum Teil Misehformen aus den drei bereits genannten darsteIlen, zum Teil aus jener Systematik herauszufallen seheinen. Gleichzeitig ist der ontologisehe Weg, wie unten noeh besproehen werden wird, keineswegs nur ein Weg, sondern hat viele versehiedene Spielarten. Wenn man dies im Auge behalt, ist es dennoeh gereehtfertigt, vom » ontologisehen Weg « zu spreehen, da es bestimmte Wesensziige gibt, die alle verschiedenen, unter jenem Stichwort zusammengefaBten Wege teilen .
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Vgl. Bernet, Marbach, Kern (1996) sowie Kern (1964), wo Kern detailliert untersucht, welcher Weg in welchem Werk Hu sserls beschritten wurde. Dabei wird deutlich, daB in ein und demselben Werk oftmals mehrere Wege vermischt oder nacheinander begangen werden; allerdings mochte ich der Aussage Kerns widersprechen, » in reinster Form « werde der cartes ianische Weg in der VoriesungErstePhilosophie begangen (Kern (1964), S. 201). Meines Erachtens liegt die reinste Form des cartesianischen Weges in den Ideen I vor, in denen es keine Alternative zu jenem Weg gibt, die Anforderungen der zu gewinnenden neuen Wissenschaft schon auf der ersten Seite benannt werden und der cartesianisch e Weg in der »Phanom enologischen Fundamentalbetrachtung« dann in exemplarischer Form beschritten wird. Hingegen muB beachtet werden, daB die in der Ersten Philosophie vorfindlichen cartesianischen Elemente erst etwa ab der 32. Vorle sung ins Spiel kornmen, wahrend zuvor ein ideengeschichtlicher Weg und nachher ein Weg tiber die Psychologie vorgeschlagen werden. Vgl. Hua VIII, Einleitung des Herausgebers. Boehm sagt in bezug auf die erganzenden Texte des Bandes VIII deutlich: » Dabei ist es selbstverstandlich nicht etwa so, daf ein jeder der abgedruckten Texte einen von im Ganzen acht moglichen ,Wegen ( abhandelte. Aber auch die , genaue Zahl ( der Wege ist nicht anzugeben , nicht jeder von ihnen kann (.. .) mit einem Namen bezeichnet werden, und eine -Systematik- der verschieden en Wege zu konstruieren oder nachzukonstruieren, ist schwer, wenn nicht sogar unmoglich « (Boehm (1968), S. 206).
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In diesem Kapitel soll die These vertreten werden, daf es auch den Typus eines geschichtlichen bzw. ideengeschichtlichen Weges gibt;" dieser Weg kann eben falls verschiedene Formen annehmen, den en aber bestimmte Merkmale gemeinsam sind. Husserl bezeichnet den ersten Teil der Vorlesung Erste Philosophie als »ideengeschichtliche Einleitung in die phanomenologische Philosophie« (Hua VIII, 3), und in der Einleitung zu seinen in der Zeitschrift Philosophia veroffentlichten ersten beiden Teile der Krisis spricht Husserl davon, daB die» teleologischhistorische Besinnung« einer »eigenstandigen Einleitung in die transzendentale Phanornenologie« zugehore." Der geschichtliche Weg steht zwar, wie ebenfalls gezeigt werden soll, dem ontologischen Weg naher als den anderen Wegen, aber die beiden sind doch nicht identisch. Ein einfacher Beleg dafur ist die Tatsache, daB es beispielsweise moglich ware, auf dem Wege geschichtlicher Besinnungen zur Einsicht in die Notwendigkeit transzendentalphanomenologischer Analysen zu gelangen, ohne eine Ontologie der Lebenswelt oder regionale Ontologien zu betrachten. Umgekehrt ware es moglich, das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt durchzufuhren, indem blof auf die Strukturen der Lebenswelt reflektiert wurde, ohne die Geschichtlichkeit der Lebenswelt einzubeziehen. Eine so geartete Ontologie der Lebenswelt ware statisch, wiirde also nicht einmal eine genetische, geschweige denn eine generative Phanomenologie erfordern. Freilich fuhrt das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt, wenn man es konsequent zu Ende fuhrt, dahin, daB Fragen der Zeitlichkeit und selbst der Geschichte einbezogen werden mussen; doch dies ist kein Widerspruch, da Husserls Unternehmen einer statischen Phanomenologie zwar uber sich hinaustreibt, er die in seiner fruhen Zeit entwickelten Wege aber dennoch fur in sich vollstandig halt." Im Gefolge dessen, daf eine statische Phanomenologie, wenn sie konsequent durchgefuhrt wird, selbst auf ihre Mangel verweist (und daB selbst eine genetische Phanornenologie noch tiber sich hinausfuhrt), lassen sich Anhaltspunkte dafur finden, daB die Phanomenologie in gewisser Weisenotwendig zu einer geschichtlichen Besinnung hinleitet. Die beiden wohl wichtigsten Aspekte, die in die Richtung einer
Kern sagt in einer Fufsnote, daB die ideengeschichtliche Einleitung einen vierten Wegtypus ausmachen konnte (vgl. Bernet, Marbach, Kern (1996),5.63 Fn. 15). 11 Vgl. Hua VI , 5. XIV Fn. 3. 12 Vgl. Bemerkungen in Hua VIII (5. 259f£.),wo der cartesianische Weg als Moglichkeit aufrechterhalten wird . Vgl. auch das Nachwort zu den Ideen I aus dem Jahre 1930: »Ich habe in vieljahrig ern Nachdenken verschiedene gleichmogliche Wege eingeschlagen (.. . )« (Hua v, 148). In der Krisis findet sich als Belegfur die Moglichkeit aller Wege die etwas naiv anmutende Formulierung: » Das alles wird sich bestatigen, wenn ich nun (. . .) den Versuch mache, den zum Nachverstehen Willigen einen der Wege zu fuhr en, die ich wirklich gegangen bin, der somit als wirklich begangener sich auch als jederzeit wieder begehbarer Weg darbietet« (Hua VI, 123). Zum einen heiBt dies noch nicht, daB es auch tatsachlich moglich ware, Husser! aufdem von ihm wirklich gegangenen Weg zu folgen, zum anderen konnte eine ungeschickte Darstellung seines Weges, wie er sie streckenweise in den Ideen I vorgenommen hat und im nachhinein selbst kritisiert, gewissermaBen die Spuren des von ihm begangenen Weges verwischen.
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Hinwendung zur Geschichte weisen, sind zum einen die Zeitproblematik und die damit verbundene Entwicklung der genetischen Phanomenologie, zum anderen die Problematik der Intersubjektivitat ." Der Aufbau dieses Kapitels spiegelt diese beiden Aspekte wider: Zunachst wird kurz das Verhaltnis von statischer und genetischer Phanomenologie untersucht. AnschlieBend kommen die verschiedenen Wege zur Sprache; daB Husserl den Weg tiber die phanornenologische Psychologie und den ontologischen Weg entwickelt, hangt wesentlich mit der Frage nach der Intersubjektivitat zusammen. Der cartesianische Weg, der bereits in Kapitel6a) in seinen Starken und Schwachen besprochen wurde, ist kein Weg im eigentlichen Sinne, da es ihm an einer kontinuierlichen Entwicklung mangelt. Vielmehr betont die cartesianische Vorgehensweise den Sprung- und Diskontinuitatscharakter des Ubergangs. Der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg sollen hier nur skizzenhaft angeschnitten werden, bevor das Hauptthema, der ideengeschichtliche Weg, behandelt wird. DaB bezuglich der beiden anderen Wege nur Hinweise gegeben werden, laBt sich zum einen damit begrunden, daB diese beiden Wege in der Literatur ausfuhrlich behandelt worden sind." Zum anderen - und dieser Punkt ist der eindeutig wichtigere-ist der geschichtliche Weg gerade derjenige, der zeigt, inwiefern sich Husserl in der Nahe von Hegels Philosophie bewegt." Daruber hinaus maB Husserl dem geschichtlichen Weg groBe Bedeutung zu; dies wird nicht nur darin offenkundig, daB er diesen Weg in der Krisis und in den Vorlesungen Erste Philosophie beschreitet, sondern auch darin, daB er in verschiedenen Manuskripten explizit auf die Bedeutung des geschichtlichen Weges reflektiert. Die beiden anderen Wege werden hier jedoch nicht bloB aus Grunden der Vollstandigkeit skizziert, sondern weil der geschichtliche Weg auf ihnen basiert bzw. aus ihnen hervorgeht. I. In einem Manuskript aus dem Jahre 1921 besinnt sich Husserl auf die methodischen Unterschiede zwischen statischer und genetischer Phanomenologie: In gewisser Weise scheidet sich also »erklarende« Phanomenologie als Phanomenologie der gesetzmafsigen Genesis und »beschreibende« Phanomenologie als Phanornenologie der moglichen, wie immer gewordenenWesensgestalten im reinen BewuBtsein (...). In den Vorlesungen sage ich nicht »beschreibende«, sondern »statische« Phanornenologie. (Hua XI , 340)
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Vgl.Carr (1974), S. 68. Vgl.Bernet, Marbach, Kern (1996) , Welton (2000) , Steinbock (1995), Aguirre (1970) usw. DieUnterschiedezwischenHegels und HusserlsGeschichtskonzeption werden im zehnten KapiteI aufgegriffen.
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Genetische Phanomenologie wird also hier von Husserl als »erklarende « Phanomenologie im Gegensatz zur blofs » beschreibenden «, statischen Phanomenologie eingefuhrt, Der Begriff des Erklarens bedeutet fur die genetische Phanornenologie jedoch nicht so sehr die Frage nach dem »Warum «, sondern vielmehr die nach dem »Woher« oder »Woraus « einer bestimmten Erscheinung. Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, daB sich in der Genesis des BewuBtseins bestimmte Gesetze ausmachen lassen; die genetische Phanomenologie will diese Gesetze aufweisen. Diese Absicht ist nicht mit einer Entwicklungsgeschichte des BewuBtseins zu verwechseln, wie sie zum Beispiel Gegenstand der Entwicklungspsychologie ist. In gewisser Weise geht es allerdings doch urn die Geschichte der Entwicklung des BewuBtseins, wenn man diese Ausdrucke neu und wortlich zu verstehen bereit ist: Eine entscheidende Einsicht von Husserls Analyse der Wahrnehmung besteht darin, daB wir immer in Zusammenhangen wahrnehmen. Diese Zusammenhange sind nicht nur die Horizonte, die Verweisungszusammenhange, in den en der Gegenstand begegnet, sondern auch Zusammenhange auf seiten unseres BewuBtseins. Wir haben schon ahnliche oder vielleicht sehrverschiedene, in Kontrast zum aktuell Wahrgenommenen stehende Gegenstande gesehen; wir setzen das aktuell Wahrgenommene in Beziehung zu dem, was wir fruher wahrgenommen haben, zum wahrnehmungsmafsig Erworbenen. Ieder Wahrnehmungsakt ist ein geschichtl icher:" deshalb spricht Husserl von der » >Geschichte - des BewuBtseins« (Hua XI, 339). DaB Husserl »Geschichte« hier in Anfuhrungszeichen setzt, hat einen guten Grund: Es handelt sich noch nicht urn Geschichte im eigentlichen Sinne, Geschichte, die Intersubjektivitat-ssogar tiber Generationen hinweg-einschlieBen muB. Genauer gesprochen ist das, was die genetische Phanomenologie im Vergleich zur statischen neu in Betracht zieht, die Zeitlichkeit des BewuBtseins, und zwar im konkreten, die Inhalte und ihre Zusammenhange einbeziehenden Sinne. Husserl sagt in den Ideen I, daB Zeit »ein Titel fur eine vollig abgeschlossene Problemsphiire und eine solche von ausnehmender Schwierigkeit « sei, die man» in unseren vorbereitenden Analysen auBer Spiel lassen « konne, ohne die »Strenge« dieser Analysen in Gefahr zu bringen (Hua III, § 81). Dennoch spricht Husser! an dieser Stelle kurz vom ZeitbewuBtsein, von Impression, Retention und Protention. In seinen spateren Untersuchungen stellt er jedoch fest, daB Zeit nicht nur nicht »aufser Spiel« gelassen werden kann, sondern daB es nicht hinreicht, abstrakt ihre Strukturen festzuhalten. Die Besinnung auf die bloBen Wesensstrukturen der Zeit ist selbst noch statisch. Gegenstande stehen in Verhaltnissen der Gleich- oder Nachzeitigkeit; »aber was dem jeweiligen Gegenstand inhaltliche Einheit gibt, (. ..) das sagt uns die Zeitanalyse allein nicht, da sie ja eben von dem Inhaltlichen abstrahiert« (Hua XI, 128). Die Synthesen des ZeitbewuBtseins sind die grundlegendsten, aber eben auch nur die grundlegendsten
16 Vgl. Aguirre (1970), S. 156.
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Synthesen der Passivitat; damit sich Gegenstandlichkeit konstituiert, mussen die Gesetze der Modalisierung, der Erfullung und Enttauschung und der Assoziation in Geltung sein, wie sie Hu sserl in den Analysen zur passiven Synthesis untersucht." Die Wesensgesetze der passiven Synthesis liegen aller iehlichen Aktivitat zugrunde. Das heiBt aber nicht, daf es nur passive Genesis gibt: Husser! unterscheidet aktive und passive Genesis, wobei aktive Genesis »alle Leistungen der in einem weitesten Sinne praktischen Vernunft« umfaBt (Hua I, m); das Praktische ist hier so weit gefafst, daf es auch das Logische und damit mathematische Erkenntnisse einschlieBt. Leistungen der aktiven Genesis liegen dann vor, wenn neue Gegenstande im weitesten Sinne, also auch »ideale« Gegenstande, auf dem Boden bereits vorgegebener Gegenstande konstituiert werden. Solche Leistungen bezeiehnet Husser! als » Urstiftungen « (Hua I, 113). Urstiftungen entspringen einer Gemeinschaft, einer geschichtlichen Sprach- oder Kulturgemeinschaft; darauf weist Husser! hin, wenn er die Leistungen der aktiven Genesis als Leistungen der »Sozialitat« in einem noch genauer zu bestimmenden Sinne beschreibt (m) . Die Hervorkommnisse der aktiven Genesis schlagen sich im Ich nieder. Sie werden habitualisiert, so daB wir immer wieder auf sie zuruckgreifen konnen. Die Erzeugnisse der aktiven Vernunft stromen in die Passivitat ein, und insofern kann Husser! sagen, daf die passive Genesis teils der Aktivitat voranliegt (namlich in Form von Gesetzliehkeiten des inneren Zeitbewufstseins, der Assoziation usw.), teils die Aktivitat wieder umgreift (vgl. Hua I, 113). Aktive und passive Genesis lassen sieh unterscheiden, jedoch nicht trennen: Ohne die Vorkommnisse der passiven Synthesis gabe es keine aktiven Hervorbringungen. Umgekehrt gilt, daB die Ergebnisse der aktiven Genesis in den passiven Bereich einfliefsen und daf die Passivitat immer schon von Aktivitat durchsetzt ist: Die Vorzeichnung der passiven Synthesis »ist nieht eine blinde und im Grunde sinnlose Vorzeichnung von auBen her, sondern eine dem Bewufstseins-Ich in Form der Erkenntnis zugangliche « (Hua XI, 21s)-was sich beispielsweise im Fall der Assoziation darin zeigt, daB ich oftmals reflektierend nachvollziehen kann, welche Vorstellung mich an eine andere vermittels einer bestimmten Ahnliehkeit erinnert hat. Der Vorgang der Habitualisierung impliziert freilich nicht, daf wir uns jener Niederschlage bewuBt waren : Nicht umsonst handelt Husser! jenc Gcschehnisse unter dem Titel der Passivitat ab, und wo er tiber Assoziationen und reproduktive Weckung spricht, bemerkt er: »Ich brauche nicht zu sagen, daB diesen ganzen Betrachtungen, die wir durchfuhren, auch ein beruhmter Titel gegeben werden kann, der des) Unbewufsten ( «, Und gleieh darauf, ganz explizit: »Es handelt sieh also urn eine Phanomenologie dieses sogenannten Unbewufsten « (Hua XI, IS4),,8
17 Vgl.in dieserArbeit Kapitel zb). 18 Anthony J. Steinbockerlautert das UnbewuBte bei Husserlals Nullpunkt der affektiven Kraft. 1m
Reichdes UnbewuBten ubt die Gegenstandlichkeit keinen Reizauf mich aus, und doch ist immer die Moglichkeit der (erneuten) Weckungeines Reizes gegeben. Vgl.Steinbock (2002) .
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Die in diesem »sogenannten UnbewuBten «geltenden Gesetze des Zusammenhangs will Husserl aufklaren;'? entscheidend ist, daB es sich bei der Genesis des BewuBtseinsstroms nicht urn ein blofses » Nacheinander «, sondern urn ein »Auseinander«, »ein Werden nach Gesetzen notwendiger Folge« handelt (Hua XI, 339). Ware der BewuBtseinsstrom eine bloBe Folge zufalliger Erlebnisse, so ware eine genetische Phanomenologie sinnlos. DaB der Fortgang zielgerichtet ist, daB wir bestimmte Erwartungen haben und daB un sere Erlebnisse nach einsehbaren Gesetzen (z, B. Assoziationsgesetzen) zusammenhangen, das teilt die . Geschichte- des BewuBtseins mit Husserls Auffassung von Geschichte im eigentlichen Sinne, wie sich unten zeigen wird. Die Analysen der genetischen Phanomenologie betreffen das Ich nicht als abstraktes (also beispielsweise die BewuBtseinsstrukturen, die sich ergeben , wenn man von allern Inhalt abzusehen versucht), sondern das konkrete, zeitigende leh. Indem die Genesis des lehbewuBtseins untersucht wird, kommt das Ich als indivi duelles, von anderen unterschiedenes in den Blick, und hierfur verwendet Husserl den Begriffder Monade: »Endlich haben wir die Phanomenologie der monadischen Individualitat, darin beschlossen die Phanomenologie einer zusammenhangenden Genesis, in der Einheit der Monade erwachst, in der die Monade ist, indem sie wird« (Hua XIV, 38).20 Bezuglich der Monaden spricht Husserl auch vom »Erbe der Vergangenheit« und von der »Einheit C..) ihrer Geschichte « (Hua XIV, 36), doch selbst einer Gemeinschaft von Monaden kommt noch keine Geschichte im eigentlichen Sinne zu: Zwar ist eine Monadengemeinschaft intersubjektiv, doch im Rahmen von Hus serls genetischer Phanomenologie ist letztlich nur eine Gemeinschaft von Zeitgenossen, von zeitgenossischen Monaden moglich, Dies liegt daran, daB seine Analyse in der v. Cartesianischen Meditation wesentlich die Einfuhlung voraussetzt und keine sprachliche Mitteilung einbezieht. Einfuhlung setzt voraus, daB mir die Korper der Anderen leibhaftig gegeben sind, und kann sich so nicht tiber vergangene und zukunftige Generationen hin erstrecken. Husserl sagt in der v. Cartesianischen Meditation ausdrucklich, daB mit dieser Untersuchung die »Probleme von Geburt und Tod und Generationszusammenhang der Animalitat nicht beruhrt sind, die offenbar einer hoheren Dimension angehoren und eine so ungeheure auslegende Arbeit der unteren Spharen voraussetzen, daB sie noch lange nicht zu Arbeitsproblemen werden konnen« (Hua I, 169). Erst in dieser hoheren Dimension, der Dimension einer generativen Phanomenologie," gibt es Geschichte im eigentlichen Sinne.
Es ware eine eigene Aufgabe zu unte rsuchen, wie sich Husserls genetische Phanomenolog ie zur Psychoanalyse verhalt , die zu Beginn des zwanzigsten Iahrhunderts autkommt. 20 Gemeinsamkeiten und Unte rschiede zu Leibniz' Begriff der Monade konnen hier nich t betrachtet werden . 21 Vgl. Steinbock (1995) . Vgl. in vorliegcndcr Arbeit Kapitel za) .
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Bevor wir uns Husserls geschichtlicher Einfuhrung in die Phanomenologie zuwenden, sollen hier kurz der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg untersucht werden, den en beiden eigentiimlich ist, daf sic der Intersubjektivitat Rechnung tragen wollen. II.
Der Weg tiber die phanomenologische Psychologie als Vorgestalt der transzendentalen Phanomenologie wird von Husserl in den 1920er Iahren entwickelt, und er geht diesen Weg auch noch in Teil III B der Krisis. 1m 1927 verfaBten Artikel fur die Encyclopaedia Britannica entwirft er diesen Weg, indem er die phanomenologische Psychologie als »propadeutische Vorstufe« einfuhrt (Hua IX, 277), welche »immerhin doch die Zuganglichkeit aller positiven Wissenschaften« habe (295f.). In der phanornenologischen Psychologie wird der Blick rein auf das Subjektive gerichtet, und die Gegenstande werden bereits im Wie ihres Erscheinens betrachtet, aber das BewuBtsein wird zunachst noch als welthaft, »rnundan« aufgefaBt. Indem der Wissenschaftler erkennt, daB eine solche Auffassung von der Seinsweise des BewuBtseins zu Widerspruchen fuhrt, muB er den Ubergang zur Transzendentalphilosophie voIlziehen und erkennen, daB das BewuBtsein transzendental ist. Eine konsequent durchdachte phanomenologische Psychologie muB laut Husserl von selbst in die transzendentale Phanomenologie einmunden." Der Vorteil des Weges tiber die Psychologie besteht im wesentlichen darin, daB sich die beiden Grundschwierigkeiten der Einfuhrung in die Phanomenologie, erstens das Verstandnis »innerer Erfahrung «, zweitens die Einsicht in die Transzendentalitat des BewuBtseins, »in diese zwei Stufen verteilen « (Hua IX, 296). Ein weiterer Vorteil des Weges tiber die Psychologie besteht darin, daf sich die Epoche nicht nur auf meine Seele, sondern auf» aIle Seelen« bezieht (Hua VI, 256), und wir nach der Epoche »nicht eine Vielheit von getrennten Seelen, jede auf ihre eigene Innerlichkeit reduziert «, sondern einen »allheitlichen Zusammenhang aller Seelen« vor uns haben (258). Leider erlautert Husserl nicht genauer, wie dies moglich sein solI und wie dieser allheitliche Seelenzusammenhang sich dazu verhalt, daB zunachst doch immer ich die Epoche vollziehen mufs, Ein weiterer Mangel dieses Weges besteht darin, daB die phanornenologische Psychologie als Psychologie eine Einzelwissenschaft, eine Partialwissenschaft ist; wird nun die transzendentale Phanomenologie mit der reinen Psychologie identifiziert, wie es jedenfalls in der Krisis der Fall ist, so bleibt unverstandlich, wie eine
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Vgl. auch Husserls str ikte Darstellung in der Krisis: »Eine reine Psychologie als positive Wissenschaft (. .. ) gibt es nicht. (. .. ) Also reine Psychologie in sich selbst ist identisch mit Transzendentalphilosophie als Wissenschaft von der transzendentalen Subjektiv itat, Daran also ist nicht zu rutteln« (Hua VI, 261) .
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solche, obzwar gereinigte Einzelwissenschaft den Anspruch der Phanomenologie erfullen konnte, universale Wissenschaft zu sein." Inwiefern der Weg tiber die Psychologie letztlich nicht zum Ziel fuhren kann , zeigt sich auch, wenn man ihn mit dem ontologischen Weg vergleicht. Der ontologische Weg taucht in verschiedenen Formen auf: Er kann ausgehen von einer Kritik an der formalen Logik," von einer Kritik an den positiven Wissenschaften, oder aber er kann mit einer Ontologie der Lebenswelt beginnen. Wahrend die Kritik an den positiven Einzelwissenschaften bedeutet, daB sogenannte »regionale« Ontologien zum Ausgang genommen werden -also Ontologien, die sich auf einen bestimmten Bereich des Seienden bzw. auf ein bestimmtes Gebiet der Lebenswelt beziehen -, muB die Ontologie der Lebenswelt sich aufdas Ganze der Welt beziehen und dieses in seinen Strukturen untersuchen. Husser! sagt, daB die Aufgabe einer Ontologie der Lebenswelt dar in bestehe , eine »konkret allgemeine Wesenslehre« alles Seienden der Lebenswelt zu leisten (Hua VI, 145). Geht man hingegen von einer Einzelwissenschaft aus, so kann diese nur als Leitfaden fungieren; tiber die Kritik an einer Einzelwissenschaft konnen Einsichten in die Notwendigkeit der Phanomenologie gewonnen werden, so daB dadurch die universale Epoche als radikaler Einstellungswechsel motiviert wird. Hier zeigt sich jedoch gleich eine weitere Schwierigkeit des Weges tiber die Psychologie: Wenn man die Einsichten des ontologischen Weges ernst nimmt, ist deutlich, daB die Psychologie als positive Einzelwissenschaft nicht geradlinig in die transzendentale Phanornenologie einmunden kann, auch nicht tiber einen » Vorzeichenwechsel «,25 wie Husser! es beabsichtigt. Die Psychologie muB in ihrem Wesen als positive Wissenschaft aufgeklart werden, und zwar in Form einer radikalen Kritik; geschieht dies aber, und fungiert die Psychologie >bloB Flache- « und ubersehen die» Tiefendimension« (121 f.). Anhand des Bildes von der Flache und der aufzudeckenden Tiefendimension laBt sich ein wesentlicher Vorteil des ontologischen Weges gegenuber der cartesianischen Vorgehensweise erkennen: Der ontologische Weg geht aus von der Fulle der Welt, von der Fulle des objektiv Gegebenen, und stoBt auf die Subjektivitat als immer zugrundeliegende, aber ubersehene Dimension. Das BewuBtsein tritt also hier nicht als »Residuum« auf den Plan, das ubrig bleibt, wenn man alles Bezweifelbare wegdenkt, sondern als dasjenige, was sich zeigt, wenn man das Gegebene grundlich befragt, also sozusagen immer tiefer in das Gegebene hineingeht. Husserl bezeichnet diese Vorgehensweise selbst als Umkehrung des cartesianischen Ansatzes, da nun die Lebenswelt das Erste ist und den Ausgangspunkt, den Leitfaden der Analyse bildet (vgl. Hua VI, 175). Aus dieser umgekehrten Vorgehensweise ergibt sich ein weiterer Vorteil des ontologischen Weges, namlich in bezug auf die Problematik der Intersubjektivitat: Die Objektivitat der Welt wird nicht ausgeschaltet (urn dann auf einem sicheren Fundament neu errichtet zu werden), sondern befragt. Husserl bringt dies kurz und deutlich zum Ausdruck, indem er sagt: »Es gilt nicht, Objektivitat zu sichern, sondern sie zu verstehen« (Hua VI, 193). Das heifst aber, daB auch Intersubjektivitat immer schon im Spiel ist und bleibt; denn Objektivitat setzt voraus, daB ich mich intersubjektiv mit den Anderen tiber das Gegebene verstandigen kann. Auch der ontologische Weg enthalt als wesentliches Moment die universale Epoche. Doch zum einen ist die Epoche nun besser vorbereitet und motiviert, zum anderen stellt sich ihr Sinn deutlicher dar: Es geht urn eine »totale Anderung der naturlichen Einstellung« (Hua VI, 151), im Gefolge derer wir die Welt auf ihre Tiefendimension hin befragen. Das Gegebene wird betrachtet im Hinblick auf seine Gegebenheitsweisen; es wird betrachtet als Korrelat der konstituierenden Subjektivitat. Da wir, wie die Kritik ergeben hat, tief in der Denkweise der positiven Wissenschaften verwurzelt sind, ist es aufserst schwierig, die neue Einstellung einzunehmen und durchzuhalten. Die phanomenologische Einstellung ist daher eine Einstellung der standigen Spannung, die sich selbst, die naturliche Einstellung und das Verhaltnis beider befragen mufs, Eskann nicht darum gehen, die naturliche Einstellung abzuschaffen, sondern diese zu befragen und ihre Tiefendimension aufzudecken, urn so zur transzendentalen Subjektivitat vorzudringen. Die Gefahr besteht darin, in die Einstellung der positiven Wissenschaften zuruckzufallen und die transzendentale Subjektivitat aufdiese Weiseerklaren zu wollen. Davor muf die Phanornenologie sich huten - und eben in dieser Enthaltung besteht die universale Epoche.> 26 Vgl.Kern (1964), S. 220. KernfaBt den ontologischenWegin Abhebungvon den anderen Wegen
pragnant zusammen: » Die Epoche hinsichtlichder positivenGehung erfolgt also nicht deshalb,
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Der geschichtliche oder, genauer, ideengeschichtliche Weg, der nun zum Thema werden soIl, steht mit dem ontologischen Weg in enger Verbindung, ist jedoch, wie ersichtlich werden wird, nicht mit ihm identisch. III. Husserl schreibt 1937 in einem Manuskript, das der Kritik der Ideen I dienen solI, zum Thema einer philosophischen Beschreibung der Lebenswelt: Wir werden sehen, daB diese Lebenswelt (allzeitlichgenommen) nichts anderes ist alsdie historischeWelt.Esistvon da aus fuhlbar, daBeine vollstandigesystematische Einleitung, die in die Phanomenologie [einfuhrt], als ein universales historisches Problem anfangt und durchzufiihren ist. Wenn man die Epoche einfuhrt ohne die geschichtliche Thematik, so kommt das Problem der Lebenswelt bzw. der universalen Geschichtehinten nacho Die Einleitung der Ideen behalt zwar ihr Recht, aber ich halte den geschichtlichen Weg jetzt fur prinzipieller und systematischer. (Hua XXIX, 426)
Es gibt zugegebenermaBen nur wenige Stellen, an denen Husserl einen geschichtlichen bzw. ideengeschichtlichen Weg ausdrucklich erwahnt, aber an dieser Stelle spricht er sich jedenfalls sehr deutlich fur jenen Weg aus. Was ist unter dem gesehiehtlichen Weg zu verstehen? Wie im FaIle des ontologischen Weges, so gibt es auch bezuglich des geschichtlichen Weges verschiedene Spielarten, wobei bestimmte Momente in allen Spielarten vorkommen-was es rechtfertigt, von einem geschichtliehen Weg zu sprechen. Es lassen sich im wesentliehen drei Ausformungen des geschichtlichen Weges unterscheiden: a. Geschichtliche Besinnungen, wie Husserl sie in den Vorlesungen Erste Philosophie und in der Krisis vornimmt, gehoren in jedem Fall zum gesehichtlichen Weg. Mehr noeh: In jenen beiden Werken erachtet Husserl offenbar geschichtliehe Besinnungen als notwendig fur eine Einfuhrung in die transzendentale Phanomenologie; allerdings erganzt er sie in beiden Werken durch einen systematischen Teil, in dem sich der Weg tiber die Psychologie (Erste Philosophie) oder wahlweise der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg (Krisis) an die geschichtlichen Betrachtungen anschlieBen. David Carr zeigt, daB Husserl zufolge die geschichtlichen Besinnungen jedem der beiden systematischen Wege in der Krisis entweder vorangehen oder den Weg begleiten mussen; fur Carr stellt der geschichtliche Weg jedoch keine eigenstandige Alternative wei! dieser Geltung die Apodiktizitat mangelt (vgl. den Cartesianischen Weg), auch nicht deshalb, wei! ich mich nur fur das Subjektive interessiere und mich am Sein der Welt desinteressiere (vgl. den Weg tiber die Psychologi e), sondern wei! ich sehe , dass es ein Widersinn ist, das transzendentale Leben durch positive Setzungen zu -erklaren - « (ebd.).
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dar," In diesem Kapitel soll dennoch die Moglichkeit eines geschichtlichen Weges aufgezeigt werden, als eines moglichen Weges (in verschiedenen Spielarten) unter anderen. Husserl selbst scheint immer an der Existenz verschiedener moglicher Wege festgehalten zu haben, und selbst der cartesianische Weg ist fur ihn noch moglich, muf dann aber nachtraglich in eine geschichtliche Betrachtung einmiinden (vgl. obiges Zitat) . Insofern scheint es eher mit Husserls Philosophie konform, die Moglichkeit eines geschichtliehen Weges zu erproben, als die Notwendigkeit geschichtlieher Besinnungen vor einem systematischen Teil aufzuzeigen. Geschiehtliche Besinnungen konnen in den Weg uber die Psychologie einmiinden oder in einen ontologischen Weg, oder sie konnen durch geschiehtliehe Besinnungen fortgefuhrt werden, die dann konsequenterweise auch in die transzendentale Phanomenologie fuhren wurden. b. Die Geschichtswissenschaften konnen als Leitfaden dienen, urn in die transzendentale Phanomenologie einzufuhren, Eine Kritik an den Geschiehtswissenschaften wiirde zur Einsieht in die Notwendigkeit einer phanomenologischen Betrachtung der Geschiehte fuhren, da sich bei genauerer Betrachtung zeigt, daB die geschichtlichen Ereignisse eine aufsere Betrachtung zwar zulassen, sie ihnen aber nieht gerecht wird. Urn Geschiehte wirklieh zu verstehen, muf auf die leistende Subjektivitat zuriickgegangen werden, die der Geschichte ihren inneren Zusammenhang gibt (vgl. Hua VIII, 238ff.). In gewisser Weise ware dies eine Form des ontologischen Weges, namlich der Kritik einer positiven Wissenschaft; da es sieh aber urn eine sehr spezifische Wissenschaft handelt, die es nicht mit einer bestimmten Region der Lebenswelt zu tun hat , und da eine solche Kritik begleitet wiirde von geschiehtlichen Besinnungen," sollhier argumentiert werden, daB es sieh nieht einfach urn eine Spielart des ontologischen Weges handelt-zumal Ontologie ja an keiner Stelle eine Rolle spielt. c. Die Aufgabe einer Ontologie der Lebenswelt kann durchgefuhrt werden als Ontologie der geschichtlichen Lebenswelt; denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dafs » die Lebenswelt niehts anderes ist als die historische Welt« (Hua XXIX, 426) .
Carr (1974), S. 66 . Obwohl dam it gesagt wird, daB es keinen eigenstandigen geschichtlichen Weg gibt, handelt es sich urn eine sehr starke und, je nach Perspektive, sogar starkere Aussage: Carr zufolge ist zwar der geschichtlich e Weg keine unabhangige Alternative zu den anderen Wegen; gleichwohl sind die geschichtlichen Besinnungen notwendiger Bestandteil der anderen Wege. Es wurde sich dann nicht urn einen eigenstandigen, moglichen Weg, sondern urn einen unselbstandigen, aber notwendigen Bestandteil handeln. 28 Wie es zum Beispiel in den Vor!esungen Erste Phi/osophie geschieht, in deren Zusammenhang die Abhandlung »Das Unzureichende der positiven Wissenschaften und (die) Erste Philosophie « (Hua VIII, 229 ff.) gehort, in der Husser! die Geschichtswissenschaften kritisch untersucht. 27
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Diese drei Formen des geschichtlichen Weges konnen ineinandergreifen oder einzeln durchgefuhrt werden. Welches sind nun die oben angekiindigten Wesenszuge, die den verschiedenen Formen gemeinsam sind? Gemeinsam ist jeweils, daB ausgegangen wird von der gegenwartigen geschichtlichen Situation, in der wir die Erfahrung einer Krise machen. Hier zeigt sich gleich ein wesentlicher Vorteil des geschichtlichen Weges: Er antwortet namlich auf die Frage nach unserem Beweggrund zum Philosophieren, daB die Krisenerfahrung uns dazu bringen kann, geschichtliche Reflexionen vorzunehmen. Diese Besinnungen fuhren uns auf den Urstiftungssinn der Philosophie bei den Griechen, universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung zu sein. Diesem Urstiftungssinn, so zeigen die geschichtlichen Betrachtungen weiter, ist die Philosophie nie wirklich gerecht geworden; laut Husserl ist die transzendentale Phanomenologie in der Lage, diesen Urstiftungssinn endlich zu erfullen. Diese Bewegung sol1 nun etwas ausfiihrlicher dargeste11t werden, damit Husserls Behauptungen nicht vollig leer bleiben. Naturgemaf kann die Frage nach unserer Geschichte sich nur aus der Frage ergeben: Wo stehen wir heute? Diese Frage beantwortet Husserl dahingehend, daB unsere gegenwartige Erfahrung die einer Krise, namlich einer Krise der Wissenschaften sei. Diese Krise erfahren wir darin, daB die Wissenschaft auf un sere wesentlichen, uns in un serer Existenz betreffenden und bewegenden Fragen keine Antworten gibt, sondern sich von diesen Fragen ganz bewuBt abkehrt, da sie nach ganzlicher Objektivitat strebt und alle das Subjekt betreffenden Fragen ausklammert. Diese Krise ist jedoch nicht bloB eine Krise der Wissenschaften, da wir in einer Zeit leben, in der die Wissenschaften unser Dasein im ganzen bestimmen. Die Wissenschaften sagen uns, wer wir sind, und, so sagt Husserllapidar, »blofse Tatsachenwissenschaften machen bloBe Tatsachenmenschen« (Hua VI, 4). In der Philosophie macht sich diese Krise bemerkbar in der Zersplitterung der gegenwartigen Philosophie sowie in ihrer »ratlosen Betriebsamkeit « (Hua I, 46) . Urn die Ursachen dieser Krise aufzufinden, miissen wir uns auf unsere Geschichte besinnen; wir miissen uns besinnen auf die Entstehung von Philosophie und Wissenschaft und auf den Sinn, den sie bei ihrer Entstehung, ihrer Urstiftung hatten. Der Urstiftungssinn von Philosophie und Wissenschaft, die bei den Griechen in einer Einheit auftraten, bestand darin, universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung zu sein. Husserls These ist, daB der Urstiftungssinn in der bisherigen Philosophie durch gewisse Einseitigkeiten fehlgeleitet und verdeckt wurde. Die geschichtliche Besinnung soll daher den urspriinglichen Sinn aufweisen und die Griinde dafur suchen, daB ihm nicht geniigt wurde. Den Hauptgrund fur die gegenwartige Krise, also fur das Scheitern der neu zeitlichen Wissenschaften, sieht Husserl in ihrem Objektivismus: Sie vergessen, daB Wissenschaft immer eine Leistung der Subjektivitat ist. In ihrer »Lebensweltvergessenheit « iibersehen die Wissenschaften, daB die alltagliche, subjekt-relative Lebenswelt immer ihr Sinnesfundament bildet und daB die Ergebnisse der Wissen-
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schaften in die Lebenswelt einfliefsen , »einstromen «. Notig ist daher eine Besinnung auf die leistende Subjektivitat und darauf, wie aus der Subjektivitat die Wissenschaft entspringt, wie sie konstituiert wird (vgl. Hua VIII, 356); dies ist genau die Fragestellung der transzendentalen Phanomenologie. Eine »historische Ruckbesinnung der in Rede stehenden Art « ist »eine tiefste Selbstbesinnung« auf das, was ich bin; denn ich bin ein »historisches Wesen« (Hua VI, 73). So mundet die Besinnung in jedem Fall in eine geschichtliche Besinnung ein, unabhangig von der eingeschlagenen Fragerichtung: Ich kann von der Geschichte im eigentlichen Sinne ausgehen, von der gemeinschaftlichen Geschichte, und dann fuhrt mich die Krisenerfahrung auf den Weg der geschichtlichen Besinnung, wobei ich schliefslich die Vergessenheit der subjekt-relativen Lebenswelt diagnostiziere und auf die Befragung der transzendentalen Subjektivitat als Intersubjektivitat zuruckgefuhrt werde. Doch auch wenn ich mich zunachst fur die gemeinschaftliche Geschichte nicht interessiere und >blofs . wissen will, wer ich bin, muf ich einsehen, daB ich ein geschichtliches Wesen bin und mich nur verstehen kann, indem ich auf die Geschichte zuruckfrage, die sich tiber meine individuelle Lebensgeschichte hinaus erstreckt. In diesem Zirkel von geschichtlicher Besinnung und Selbstbesinnung bewegen wir uns, und in ihm erkennen wir uns als letztverantwortliche geschichtliche Wesen . Wie jedoch sieht die geschichtliche Besinnung aus? Dies zeigt sich konkret in den Anal ysen der Vorlesung Erste Philosophie und in der Krisisi" gleichzeitig lassen sich anhand eines Manuskriptes aus dem Jahre 1921 (Hua VIII, 238ff.) allgemeinere Zuge einer phanornenologischen geschichtlichen Besinnung erkennen. In diesem Manuskript hebt Husserl eine geschichtliche Besinnung in seinem Sinn von einer geschichtswissenschaftlichen Besinnung im traditionellen Sinne abo Der entscheidende Unterschied wird am pragnantesten dadurch benannt, daf Husserl seine Uberlegungen als »ideengeschichtlich « bezeichnet; das Stichwort » Idee « steht dabei im Kontrast zur (aufserlichen) »Tatsache «. Die objektiven Wissenschaften betrachten die Welt als eine »wenn auch geregelte, so doch sinnlose Tatsache « (Hua VIII, 230). Die geschichtlichen Ereignisse lassen, so Husserl, in ihrer Abfolge zwar auch eine auBere Betrachtung zu, doch worauf es ankommt, ist eine Betrachtung des inneren Zusammenhangs, der inneren Einheit. Es kommt darauf an , den Sinn zu verstehen, der in dem Werden liegt (vgl. Hua VIII, 238 f.). Wenngleich es das Entscheidende an der Geschichte ist, daB sie nicht in unserer Macht steht, heiBt dies nicht, daf es sich urn eine blinde Abfolge von Ereignissen handeln wurde. In der Geschichte zeigen sich wirksame Ziele und Absichten, die erfullt wurden oder auch nicht; die Geschichte ist getragen von solchen inneren Zusammenhangen. Ahnlich spricht Husserl sich in der Krisis aus: Wenn die Geschichte zum Thema der Philosophie wird, dann geht es »um den .Sinn-, urn die Vernunft in der 29 Vgl.als Beispiel die Ausfiihrungen zum Galilei-Paragraphen und zur Idealisierung in Kapitel ab)
dieser Arbeit.
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Geschichte «, und uberstiegen wird »die Welt als Universum der bloBen Tatsachen « (Hua VI, 7). Bei den Betrachtungen der Krisis handelt es sich daher nicht urn historische Betrachtungen im herkommlichen und gewohnlichen Sinne, sondern darum, die » Teleologie e" im geschichtlichen Werden verstandlich zu machen (Hua VI, 71). Eine ideengeschichtliche Einleitung vollzieht sich im Hinblick auf die in der Geschichte wirksamen Absichten und leitenden Ziele, die der Geschichte innere Einheit und Zusammenhang verleihen. Diese Ziele konnen abgewandelt werden, und es konnen neue Ziele autkommen; Husserl unterscheidet beispielsweise hinsichtlich des von ihm befragten Urstiftungssinnes der Philosophie zwischen absoluter Urstiftung bei den Griechen und relativer Urstiftung bei Descartes (Hua XXIX, Nr.33)·
AbschlieBend sollen einige Vorteile des geschichtlichen Weges angesprochen werden: Der geschichtliche Weg ist ein Weg im ausgezeichneten Sinne; er hat eine Erstreckung, und wir werden mitgenommen auf den Weg, indem wir die geschichtlichen Besinnungen mitvollziehen. Es ist daher kein plotzlicher, unmotivierter Einstellungswechsel notig, Im Falle des cartesianischen Weges bleibt die Frage der Motivation vollig offen; es wird vorausgesetzt, daB wir das Ziel einer absoluten Wissenschaft haben, aber wieso sollte dies fur das naturliche BewuBtsein gelten? Im Falle des geschichtlichen Weges hingegen wird ausgegangen von unserer gegenwartigen geschichtlichen Krisensituation, und wir fragen zuruck, urn diese besser zu verstehen: Wie sind wir dahin gekommen, wo wir heute sind? Wie der ontologische Weg gegenuber dem cartesianischen Weg den wesentlichen Vorteil hat, daB er von der Pulle der Welt ausgeht und nicht von einem BewuBtsein, das zunachst den Anschein der Leere erweckt, so geht auch der geschichtliche Weg von einer Fulle aus. Diese Fulle ist die unserer geschichtlichen Situation, in der wir uns als Erben der Vergangenheit finden. Der Begriff des Erbes ist ein wichtiger Begriff in der Krisis; schon im ersten Teil spricht Husserl davon, daB wir als Philosophen »Erben der Vergangenheit « sind (Hua VI, 16), und spater spricht er vom »geistigen Erbe «, aus dem sich un sere Aufgaben und Fragestellungen ergeben (72). Die Philosophen, die laut Husserl »Funktionare der Menschheit « sind, indem sie durch radikales Infragestellen Verantwortung fur ihr eigenes Sein und fur das der Menschheit ubernehmen, konnen diesem Anspruch nur gerecht werden, wenn sie sich konsequent als Erben der Vergangenheit verstehen und dieses Erbe befragen." Wenn wir das Erbe der Philo sophie befragen, zeigt sich, worauf die Philosophie hinauswollte und inwiefern sie diesem Sinn nie wirklich gerecht wurde. Das Ziel der Universalitat weist dann beispielsweise auf die Aufgabe einer Ontologie
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Zum Teleologiebegriffbei Husser! vgl. Kapitel iob) , Eine andere, interessante Frage ware die nach dem Verhaltnis des Erbes bei Husser! zum Begriff des Erbes bei Heidegger, der in den Paragraphen tiber die Geschichtlichkeit in Sein und Zeit aufkommt. Heidegger stellt dort implizit die These auf, daB »alles -Gute- Erbschaft ist « (SuZ, 383).
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der Lebenswelt. Die Probleme, die sich aus der immer wieder gestellten und nie wirklich zufriedenstellend geklarten Frage nach dem Ansichsein der Welt ergeben, motivieren eine Epoche im Sinne der Skepsis, die nun endlich als konsequente Urteilsenthaltung durchzufiihren ware. Die Paradoxien, die aus der Verwechslung von empirischem und transzendentalem Ich entstehen, verlangen nach einer Klarung dieses Unterschiedes durch eine transzendentale Phanomenologie-iund so weiter. Eine transzendentale Phanomenologie, die unsere Geschichtlichkeit ernst nimmt, muB freilich ihren Wissenschaftscharakter neu bedenken. Zum einen andert sich der Status der Subjektivitat, auf die sie zuruckfragt, Wir selbst, die Philosophierenden, sind geschichtlich situiert (vgl. Hua VI, 196); wir konnen uns nicht uber die Welt erheben und einen absolut festen Standpunkt einnehmen. Insofern ist Husserls Rede davon, daB ich nach Durchfiihrung der Epoche iiber der Welt stunde," mifsverstandlich, da sie impliziert, daB ich einen Standpunkt auBerhalb der geschichtlich werdenden Welt einnehmen konnte. Zum anderen andert sich der Charakter des Wissens: »Eine Geschichte, die uberzeitlich-endgultig feststellen konnte, .wie es wirklich gewesenLehrersanscheinend darauf, dem . Schuler - hier und da eine Frage vorzulegen und ihn so zum Selbstdenken anzuregen. Idealiter ist dies wohl der Fall- und der Dialog, der sich in der Phiinomenologie zwischen naturlichem und philosophischem BewuBtsein abspielt, ist im wesentlichen ein solcher . idealer - Dialog. Hegel kennt jedoch aufgrund vielfaltiger personlicher Erfahrungen die padagogische Realitat wie kaum ein anderer Philosoph, und er ist sich daruber im klaren, daB das >real auftretende < naturliche BewuBtsein gewissermaBen den Stand der Unschuld verlassen hat und ihm durch angeeignete Meinungen und Vorurteile der reine Blick verstellt wurde. Interessant ist, daB Hegel ausdrucklich den »Geist der Iugend« lobt, der »noch nicht in dem Systeme der beschrankten Zwecke der Not befangen« und ebenso »noch unbefangen von dem negativen Geiste der Eitelkeit« ist (Antrittsvorl., 314) . Hegel setzt sich in verschiedenen Dokumenten sehr konkret mit der Bildungssituation seiner Zeit auseinander, und wenngleich diese Dokumente zum Verstandnis der Phanomenologie nicht unbedingt als relevant erscheinen mogen, sollen hier doch kurz einige Ergebnisse Hegels angesprochen werden, die allgemeine Einsichten in die Vorbedingungen und Beweggrunde zum Philosophieren erlauben. In einem Text aus dem Jahre 1822 tiber den Unterricht in der Philosophie an Gymnasien hebt Hegel mehrfach hervor, welche padagogische Zielrichtung er strikt ablehnt: die blofse »Abrichtung« der Studenten auf das »Brotstudium« (Bd. 11,32 u. 41). Die Verhaftung im Stofflichen ist jeder philosophischen Betatigung schadlich; es kann nicht philosophiert werden, wenn die Studenten von vornherein blof auf bestimmte Ziele ausgerichtet sind und keine anderen Gedanken verfolgen als diejenigen, die ihrem Broterwerb dienlich sind. Es kommt daraufan, den Studierenden zu zeigen, »daf es ein Reich des Gedankens fur sich gibt « (Bd. 11, 37); deshalb schlagt Hegel vor, Logik zu einem Hauptunterrichtsgegenstand zu machen. Dieser Gedanke ist entscheidend: Philosophie bedeutet, sich aus der alltaglichen Beschaftigung mit diesem und jenem einzelnen Seienden zu losen . Mit dieser Einsicht befindet sich Hegel in der Nahe von Husserl, der betont, daB Philosophieren das Ausbrechen aus der Geradehineinstellung auf Einzelseiendes und das Infragestellen der alltaglichen Selbstverstandlichkeiten bedeutet. Gleichzeitig besagt Hegels Gedanke, daB Philosophieren nur dann moglich ist, wenn wir es uns erlauben konnen, auf anderes als auf die Beschaffung des Lebensnotwendigen ausgerichtet zu sein-ein Gesichtspunkt, der auch hinsichtlich des geschichtlichen Anfangs der Philosophie eine Rolle spielt. Hegels Aussage darf jedoch nicht miBverstanden werden: Das Aufzeigen eines »Reiches des Gedankens fur sich « heiBt nicht, daf die Philosophen sich von der Wirklichkeit abkehren und in bloBen Gedankenspielen verlieren durften oder gar sollten. Denken im eigentlichen Sinne des Wortes ist fur Hegel immer auf die Wirklichkeit und ihren geschichtlichen Gang bezogen. Damit es aber moglich ist, den Blick auf
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groBere und allgemeinere Zusamrnenhange zu richten, mussen den Studierenden gewissermaBen die Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, frei zu denken. DaB den Lernenden solche Mittel vorgestellt werden, bedeutet nicht, daf ihnen das eigene Denken verstellt wiirde. Es ist ein Vorurteil, so betont Hegel in einem fruheren Gutachten tiber den Vortrag der Philo sophie an Gymnasien (1812), daB »das Lernen dem Selbstdenken entgegengesetzt sei« (Bd. 4,422). Er sagt ausdrucklich: »Die Philosophie muf gelehrt und gelernt werden « (Bd. 4, 411), und zwar deshalb, weil es einen »Schatz von erworbenem (... ) Inhalt « gibt, also sozusagen ein Erbe, und es vollig vermessen ware zu glauben, daf ein junger Mensch »das resultierende Erzeugnis der Arbeit der denkenden Genies aller Zeiten« aus sich heraus und ohne Hilfe erreichen konnte (412). Das philosophische Erbe muf also gelehrt werden - aber nicht als Erzahlung zufalliger, chronologisch angeordneter Meinungen, sondern als die Bewegung des einen philosophischen Gedankens in seinen verschiedenen Ausformungen bzw. als Geschichte des Geistes . Deshalb ist das Studium der Logik, also des Denkens, zunachst wichtiger als das Studium der Geschichte der Philosophie (vgl. Bd. 11,36). In jenem Text aus dem Jahre 1812 finden sich weitere aufschlufsreiche Ausfuhrungen Hegels tiber die Richtung des Weges in die Philosophie: »Man kann namlich entweder vom Sinnlichen, Konkreten anfangen wollen « und von dort aus zum Abstrakten fortschreiten und »so - wie es scheint-den naturgemiifien Gang nehmen « (Bd. 4, 413).20 Die andere Moglichkeit besteht darin, vom Abstrakten aus zu beginnen, und das ist der Weg, den Hegel in diesem Text fur den geeigneteren halt: Der erste Weg ist »naturgemafser«, aber er ist deshalb auch der »unwissenschaftliche Weg«, und er ist der »schwerere«, obwohl er auf den ersten Blick leichter zu sein scheint (ebd.). Grab vereinfachend kann man sagen, daf Hegel in der Phiinomenologie den ersten, also den naturgemafsen, unwissenschaftlicheren und schwereren Weg wahlt, in der Enzyklopiidie und in der Wissenschaft der Logik hingegen den zweiten Weg. Gleichwohl ist der in der Phanomenologie begangene Weg nicht ganzlich unwissenschaftlich; denn es wird zwar vom Konkreten ausgegangen, aber der Aufstieg erfolgt gernaf logischer Begriffe." In der Phiinomenoiogie stellt sich das Verhaltnis von Individuum und allgemeinem Geist daher wie folgt dar: »Der Einzelne muf auch dem Inhalte nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist « (PhG, 32). Der Anfang der Bildung besteht fur das Individuum darin, sich »aus der Unmit-
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Die Ausdriicke »konkret« und »abstrakt« verwend et Hegel hier so, wie sie in der Alltagssprache gebraucht werden ; im Sinne von Hegels eigenen Begriffeh ist das Sinnliche nicht das Konkr ete, sondern das Abstrakte. Diese Bemerkungen Hegels werfen ein Licht darauf, wie sich seine Uberzeugung zum Thema einer geeigneten Darstellung seiner Philosophie nach dem Verfassen der Phanomenologie gewandelt haben; vgl. auch die Einleitung dieser Arbeit.
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telbarkeit des substantiellen Lebens « herauszuarbeiten, sieh also zu befreien aus dem Stoffiiehen, Sinnliehen, Unmittelbaren - und zwar durch Erwerb »allgemeiner Grundsatze und Gesiehtspunkte « (PhG, 13f.). Doch der Gang der Bildung, der sich aus der Sieht des Individuums in dieser Weise zeigt, stimmt uberein mit dem Werden des Geistes, der in dieser Bildung zu sich kommt. Bildung hat eine subjektive und eine objektive Seite," und es ist eine Frage der Perspektive, Bildung auf die eine oder andere Weise zu beschreiben. In unserem »padagogischen Fortschreiten « werden wir »die wie im Schattenrisse nachgezeichnete Geschiehte der Bildung der Welt erkennen « (32). Es gibt somit keine Zufalligkeit im Fortschreiten der Bildung des Individuums, sondern diese Bildung folgt dem Gang des Geistes, der sich nach logischen, fur uns nachvollziehbaren Grundsatzen entwickelt. Wenn wir diese Grundsatze und insbesondere das Prinzip der bestimmten Negation durchschaut haben, brauchten wir eigentlich keine -Lehrer- mehr. DaB wir im Normalfall dennoch weiterhin Lehrer benotigen, liegt an der Tragheit unseres individuellen Geistes, der stehenbleiben mochte oder sieh jedenfalls d ie Gedanken Heber vordenken laBt, wenn er die Moglichkeit dazu hat. Prinzipiell ist aber nur ein anfanglicher AnstoB notig, III. Wenn das natiirliche BewuBtsein normalerweise einen AnstoB von auBen bekommt, der es zum Philosophieren anregt, und zwar einen Anstofs, der von der bereits bestehenden Philosophie bzw. von denjenigen, die mit dieser Philosophie vertraut sind, ausgeht, dann stellt sich die Frage, wie Philosophie zuallererst entstanden ist. Der erste Anfang der Ph ilosophie ereignete sich fur Hegel wie auch fur Husserl in der antiken griechischen Welt. Zwar kann zugegebenermaBen die Frage nach dem Anfang der Philosophie nie nur den historischen Anfang betreffen, sondern vorrangig den Anfang fur uns. Doch Ruckblicke auf die Bedingungen des griechischen Anfangs konnen Einsichten in das gewahren, was auch uns zum Philosophieren bewegen bzw. das Philosophieren begunstigen konnte -wenn es sieh, wie in Hegel s Vorlesungen ubet die Geschichte der Philosophie, urn philosophische Ruckblicke handelt. Fur einen Denker, der die Geschiehtliehkeit der Philosophie in den Mittelpunkt stellt, kann die Frage nach dem geschichtlichen Anfang der Philosophie keine Nebenfrage sein. Hegel setzt nicht einfach voraus, daB die Philosophie im antiken Griechenland begonnen hat (und noch weniger stellt er die These auf, daB sie irgendwo anders begonnen habe), sondern er fragt, was iiberhaupt Philosophie heiBt, urn dann erkunden zu konnen, wo sieh dies zum ersten Mal ereignet hat. Eine Aussage uber das Wesen der Philosophie zu machen, ist jedoch mit grofsen
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Vgl. Maurer (1980), S. 49£.
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Schwierigkeiten verbunden; denn die Philo sophie macht sich nicht »Gedanken uber etwas, einen Gegenstand, der schon vorher als Substrat zugrunde liegt« (GPh I, m). Wenn trotzdem eine vorlaufige Aussage tiber den Inhalt gemacht werden soll-eine Antwort, die ihre Konkretion erst im Verlauf gewinnt-, so kann gesagt werden, daB der Inhalt der Philosophie der Gedanke ist oder das Allgemeine (vgl. GPh I, 115). Die Philosophie fangt da an, »wo das Allgemeine als das allumfassende Seiende aufgefaBt wird oder wo das Seiende in einer allgemeinen Weise gefaBt wird « oder dort, wo das Denken uber sich selbst nachzudenken beginnt (115 f.). Ein sokhes Denken, das sich vom einzelnen Seienden lost und das Ganze des Seienden zu erfassen sucht, kommt zum Ausdruck in Aussagen wie: Der Urgrund aller Dinge ist »das Wasser, oder das Feuer, oder der Gedanke « (116). Daher kann Hegel mit Recht behaupten: »Erst im Abendlande geht diese Freiheit des SelbstbewuBtseins auf, das natiirliche BewuBtsein in sich unter und damit der Geist in sich nieder « (GPh I, 121). In diesem Satz taucht der Begriff auf, der in Hegels Uberlegungen zum Anfang der Philosophie entscheidend ist: Freiheit. Die Freiheit, die Voraussetzung der Philosophie ist, hat viele Seiten. Die Freiheit des Gedankens bedeutet, daB der Geist sich trennen, sich befreien muB »von seinem natiirlichen Wollen, Versenktsein in den Stoff« (117). Das natiirliche BewuBtsein ist unfrei, da es im Stofflichen verhaftet ist und einzelnes Seiendes will; sokhes natiirliche Wollen kann nie wirklich befriedigt werden, da es sich seinen Gegenstand aneignet und dann nach mehr verlangt, also nie zur Ruhe kommt. Hegel beschreibt diese Unfreiheit, indem er Willkiir vorn Willen unterscheidet: Die Willkiir geht auf ein Besonderes, so daB ich abhangig von einem Anderen und somit unfrei bin . Der Wille hingegen geht auf ein Allgemeines, beispielsweise auf das Gute . Indem ich dieses Allgemeine will, bin ich frei, da ich dieses Allgemeine denke und verstehe und mich durch dieses Wollen in einem Verhaltnis zu Anderen befinde, die mir gleich und somit auch frei sind (vgl. 122). Die praktische Seite dieser Freiheit ist die politische Freiheit, die ebenfalls im antiken Griechenland aufbluht - freilich mit einem klein en Schonheitsfehler behaftet, den Hegel nicht verschweigt: In Griechenland war die reale Freiheit »mit einer Einschrankung behaftet, da es noch Sklaven gab « (122). Die Einsicht in die Freiheit aller Menschen war also noch nicht zur Vollendung gelangt, aber dennoch machten die Griechen im Bedenken und Festschreiben politischer Freiheit einschneidende Fortschritte, die es rechtfertigen, hier von einem Anfang zu sprechen. Hegel ist ebenso wie Husserl der Meinung, daB die Entstehung der Philo sophie im antiken Griechenland keineswegs ein Zufall ist. Es gibt aufsere Bedingungen, die das Philosophieren begiinstigen oder iiberhaupt erst moglich machen. Die notwendige Bedingung ist, so sagt Hegel unter Berufung auf Aristoteles, daB die Not des Lebens so weit befriedigt ist, daf es moglich ist, »an allgemeine Gegenstande zu denken « (GPh I , 70). Dariiber hinaus setzt auch Hegel eine Krisensituation als auBere Bedingung an, die zum Philosophieren fuhren kann. Dort, »wo ein
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Bruch eingetreten ist zwischen dem inneren Streben und der auBeren Wirklichkeit«, kann es geschehen, daB der Geist sich »ein Reich des Gedankens « bildet (71). Der Bruch, den eine solche Krisensituation bedeutet, fiihrt dazu, daf das naturliche BewuBtsein aus der zufriedenen Versunkenheit in das Sinnliche herausgerissen wird. Das Selbstverstandliche muf aufgebrochen werden, dam it das Denken beginnt. So lebten beispielsweise Sokrates und Platon in einer Zeit, in der das Staatsleben Athens sich in einer Krise bzw. im Untergang befand (vgl. 72). Und seine eigene Zeit bezeichnet Hegel in der Vorrede zur Phanomenologie als »Zeit der Geburt und des Ubergangs zu einer neuen Periode « (PhG, 18). Es gibt also Ubereinstimmungen zwischen Hegel und Husserl hinsichtlich des Gedankens, daB eine Krise zum Philosophieren fuhren kann. Doch hier muf genauer zugesehen werden: Auf den ersten Blick scheint ein wesentlicher Unterschied darin zu bestehen, daB Husserl nicht die Situation im antiken Griechenland als Krise beschreibt, sondern die gegenwartige Lage Europas, wahrend Hegel seine Epoche zwar zum Zeitpunkt der Verfassung der Phanomenologie noch als im Ubergang befindlich betrachtete, den spateren Aufstieg Preufsens aber dann vielmehr als Vollendungszustand ansah." Es ware jedoch zu einfach, Husserl die Sicht einer Verfallsgeschichte, Hegel hingegen die einer Fortschrittsgeschichte zuzuschreiben. Fur Husserl ist die gegenwartige Krise in der antiken Urstiftung bereits angelegt und geht aus einer einseitigen Konzentration auf die Suche nach dem irrelativen Ansichsein der Dinge hervor. AuBerdem haben wir oben bereits gesehen, daB es verschiedene Formen der Krisenerfahrung geben kann. Obwohl Husserl bezuglich des antik-griechischen Anfangs der Philosophie nicht von einer Krise spricht, laBt sich die Begegnung mit dem Fremden und die daraus hervorgehende radikale Verunsicherung der heimischen Auffassungen auch als Krise beschreiben, die jedoch von der gegenwartigen Krise verschieden ist. Die gegenwartige Krise betrifft gewissermaBen die Wissenschaften im Inneren, in ihrem Kern; sie ist daher (insbesondere angesichts der grofsen Bedeutung der Wissenschaften) besonders bedrohlich. Welcher Art war die Krise, von der Hegel spricht? Es handelt sich weder urn ein Infragestellen des Heimischen durch das Fremde noch urn eine inn ere Krise der Wissenschaften (die ja zu jener Zeit erst aufkamen). Vielmehr spricht Hegel von einem Bruch zwischen der Welt des Gedankens und der aufseren Wirklichkeit, ein Bruch, der sich insbesondere in der prablematischen politischen Lage manifestiert. Diese Krise ist gewissermaBen eine Krise innerhalb der Heimwelt. Man konnte die problematische politische Situation der Griechen jedoch auch so auslegen, daB sie nicht unabhangig von der Begegnung mit den Fremdwelten ist. Dann ware die von Hegel attestierte Krisenerfahrung zwar nicht identisch, aber 23 Vgl. Karl-Heinz Volkmann-Schluck, der zum Verhaltnis von Phanomenologie und Enzyklopiidie schreibt: Die Phiinomenologie »ist eine -fruhe Arbeit « fruher in einem wesenhaften Sinne und nicht nur als blofse Zeitabfolge verstand en; denn inzwischen hat sich das Zeitalter gewandelt:
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doch verwandt mit dem von Husser! besprochenen Staunen, welches selbst krisenhaften Charakter hat. DaB die politischen Probleme der Griechen mit ihrem Dasein als Handelsnation zusammenhingen, dafur sprechen nicht nur die diversen Kriege, die definitiv mit der politischen Lage in Wechselwirkung standen, sondern auf philosophischer Seite das Interesse an den verschiedenen Staatsverfassungen. Mit anderen Worten, die griechische politische Lage wird nicht zuletzt deshalb als krisenhaft und im Bruch mit der inneren Wirklichkeit stehend erfahren, weil die Griechen sich dessen bewufst wurden, daB verschiedene Staaten ihre Verfassungen unterschiedlich konzipieren und die eigene Verfassung daher nicht als selbstverstandlich hingenommen werden kann. Dies fuhrt im weiteren zu Besinnungen auf die beste mogliche Verfassung-und sei diese eine Utopie.
Zusammenfassend laBt sich sagen, daB Hegel keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Beweggrund zum Philosophieren gibt. Gewisse auBere Bedingungen begunstigen das Philosophieren. Wenn das naturliche BewuBtsein scharfsinnig genug ist, mufste es seine Widerspruchlichkeit im Prinzip selbst erkennen; da dies jedoch fur das individuelle BewuBtsein im allgemeinen nicht gilt, bedarf es eines AnstoBes von auBen. Und falls das BewuBtsein zu trage, eitel oder empfindlich ist, den Weg weiter zu verfolgen, bedarf es noch weiterer Anstofse. Wie trage, eitel oder empfindlich das BewuBtsein ist und ob es den Entschluis, sich yom Stofflichen loszureifen und dem Gedanken zuzuwenden fassen wird - dies hangt wohl nicht zuletzt auch von der geschichtlichen Situation abo Sowohl Hegel als auch Husser! sehen, daB dem naturlichen BewuBtsein eine Tendenz innewohnt, auf seinem Standpunkt verbleiben zu wollen . Ein Anstofs von auBen kann hilfreich sein - doch er bietet nie eine Garantie. Fur Hegel ist der Anstof letztlich die dem Bewufstsein selbst innewohnende Widerspruchlichkeit und Negativitat, die allerdings, so gibt Hegel zu, dem BewuBtsein moglicherweise erst vor Augen gefuhrt werden mufs, Husser! beschreibt in seiner fruhen Philosophie den Ubergang als Willens akt, stellt aber insbesondere im Rahmen einer geschichtlichen Einfuhrung in die Philo sophie die Frage nach einer rnoglichen Motivation, die auch erklaren mufs, warum die Philosophie gerade bei den antiken Griechen aufkam. Wenngleich das Staunen nicht gerade die originellste Antwort auf die Frage nach einem Motivationsgrund darstellt, so laBt sich doch zeigen, daB das durch die Begegnung mit einer Fremdwelt hervorgerufene Staunen einerseits eine plausible Erklarung ange-
Das Absolute ist aus seiner abstrakten Herrschaft in die Einheit und Freiheit seines Wesens zuriickgekehrt, dergestalt, daB es sich nun als System der Wissenschaft in seinem eigenen Element auszubreiten vermag « (Volkmann-Schluck (1998), S. 136).
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siehts der gesehiehtlichen Situation der Grieehen darstellt und andererseits auf einer allgemeineren Ebene Husserls spate Theorie der Intersubjektivitat beleuehtet und bereiehert. In jedem Fane gilt, daB es keine zwingenden Griinde fur den Dbergang in die Philosophie gibt. Erst im naehhinein zeigt sieh, daB der Ubergang gegluckt ist; erst aus der Perspektive des philosophisehen BewuBtseins, das im nachsten Teil zum Thema wird, kann der Weg des natiirliehen BewuBtseins naehverfolgt werden.
TElL III
DAS PHILOSOPHISCHE BEWUSSTSEIN
Einfuhrende Bemerkungen
Im dritten Teil dieser Arbeit sollen WesenszOge des ph ilosophischen BewuBtseins untersucht werden. Husser! und Hegel stim men uberein, daB die Uberwindung der strikten Trennung von Erkennen und Erkanntem die entscheidende Aufgabe der Philosophie ist. Wir mussen begre ifen, daB Sein im mer Sein-fur-Bewulitsein ist oder, wie Hegel es ausdruckt, daB das Ansichsein das Fursichsein ist. In Husser!s Philosophie spiegelt sich diese Einsicht darin wider, daB das transzendentale BewuBtsein zum Forschungsgebiet wird-und zwar das transzendentale BewuBtsein mit allem, was in ihm in Erscheinung tritt, und das bedeutet letztlich, mit der Welt als erscheinender. BewuBtsein und Welt sind im Prinzip zwei Seiten derselben Sache, und so geht in der Phanornenologie nichts vom Reichtum der Welt ver!oren. Die Stufe der Philo sophie in Hegels Phiinomenologie des Geistes ist die des absoluten Wissens, das heiBt, des Geistes, der vollstandig zu sich gekommen ist und sich selbst weiB. Die fruheren Stufen, die Hegel auch als Abstraktionen des Geistes bezeichnet, sind im Geist aufgehoben und damit nicht nur uberwunden, sondern auch bewahrt. Die Bewegung, in der der Geist zu sich kommt, faBt Hegel im Bild des Kreises, der in sich zurOckgeht und seinen Anfang vorausssetzt, ihn aber erst im Ende erreicht. Das Bild des Kreises impliziert zweier!ei: Zum einen eine Abgeschloss enheit der Bewegung, zum anderen die Erkenntnis, daB erst am Ende der Anfang vollstandig sichtbar wird, gleichzeitig aber das Ende des Anfangs bedarf und aus ihm seine Richtung erfahrt. Letztere Einsicht teilt Husserl, erstere hingegen nicht. Husserl zufolge sind wir das, was wir heute sind, als Erben einer »Urstiftung «, namlich der ursprOnglichen Stiftung von Wissenschaft und Philosophie im antiken Griechenland. Die Urstiftung bestimmter Aufgaben und Ziele hat der europaischen Geistesgeschichte eine bestimmte Richtung gegeben, so daB sie sich als teleologische Geschichte zeigt. Das, woraufPhilosophie eigentlich» hinauswollte «, wird laut Husser! erst in der » Endstiftung « offenbar. Die Rede von einer Endstiftung bedeutet jedoch nicht, daB Husser! von einer Vollendung der Geschichte ausgeht, sondern bezieht sich auf die Etablierung eines zukunftigen Ziels, das erst den Ursprung als solchen zum Vorschein bringt. Solche Ziele konnen vorlaufig sein und transformiert werden. Laut Husser! ist der Urstiftungssinn der Philosophie gerade nicht erreicht worden; ganz im Gegenteil ist unsere Erfahrung die einer Krise. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen Husser!s und Hegels Geschichtsphilosophie: FOr Hegel ist die Gegenwart die Vollendung der Philosophie, fur Husserl
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ist die Gegenwart krisenhaft und bedarf daher gerade der Philosophie, die einen neuen Anfang wagt, urn dem Urstiftungssinn endlich gerecht zu werden.' Dieser unterschiedlichen Einschatzung des Verhaltnisses von Philosophie und Geschichte korrespondiert eine unterschiedliche Einschatzung der Rolle, die dem Phanomenologen zukommt. Der Phanomenologe in Husserls Spatphilosophie ist nicht nur selbst im geschichtlichen Prozefs inbegriffen (und kann insofern keinen auBergeschichtlichen Standpunkt einnehmen, wie es Husserl in seiner fruhen Philosophie wohl noch vorschwebte), sondern er hat auch teil an der Kritik und Erneuerung seiner geschichtlichen Welt. Durch ihren Bruch mit der naiven Selbstverstandlichkeit des Lebens und kraft ihrer kritischen Besinnungen auf die Geschichte werden die Philosophen, so Husserl, zu »Funktionaren der Menschheit «, die allen Menschen zu einem neuen Selbstverstandnis verhelfen. Der Philosoph in Hegels Phiinomenologie des Geistes hingegen solI sich rein beschreibend und nicht bewertend verhalten; eine Kritik seiner Gegenwart erubrigt sich freilich, da in ihr die Philosophie vollendet und der Geist in die Wirklichkeit getreten ist. In diesem Teil der Arbeit wird es demgemaf nicht nur urn das philosophische Bewufstsein im engeren Sinne gehen, sondern auch urn Fragen der Methode, urn die Rolle der Phanomenologen und urn die Gerichtetheit der Geschichte. Diese Fragekomplexe stehen in Beziehung zueinander, so wird hier behauptet. Inwiefern Husserls Auffassung des philosophischen BewuBtseins sich von derjenigen Hegels unterscheidet und unterscheiden mufs, wird besser verstandlich angesichts der Frage, wie sich Husserls Phanomenologie der offenen Horizonte beispielsweise in seinem Verstandnis von Geschichte widerspiegelt. Hegels System der Philosophie entspricht naturgernafs ein anderes Bild von Geschichte.
Dies ist, wie bereits erwahnt, nicht mit der Behauptung zu verwechseln, Hegel betrachte Geschichte als Fortschritt, Husser! als Verfall. Die Krise ist in der Urstiftung bereits angelegt, und daher muB der Urstiftungssinn selbst genauestens unter die Lupe genommen werden , wenn es der Phanomenologie urn eine Oberwindung der Krise geht.
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Das Betrachtungsfeld der Philosophie Das Wesen der Phanornenologie (sowohl der Hegelschen wie aller modernen Phanomenologien) istes, Immanenz und Offenheit untrennbar miteinander zu verbinden: die eine iststets dieKehrseite der anderen. Merleau-Ponty, Vorlesungen
I,
239.
Am Ende der Phiinomenologie des Geistes steht der sich selbst wissende Geist; nach Durchfuhrung der Epochebei Husserleroffnetsich uns das Felddes transzendentalen BewuBtseins mit seinem gesamten Inhalt. Gemeinsam ist beiden Philosophien, daB sie den untrennbaren Zusammenhang von Immanenz und Welt enthiillen: Die eine ist die Kehrseite der anderen. Gleichwohl ist der hegelsche Geist nicht identisch mit der husserlschen transzendentalen Subjektivitat. Doch die transzendentale Subjektivitat, wie Husserl sie erforscht, ist dem hegelschen Geist naher als gemeinhin angenommen wird; auch fur Husserl spielt die Gemeinschaft eine entscheidende Rolle (sowohlim Sinne der Selbstvergemeinschaftung des BewuBtseins alsauch im Sinneder Gemeinschaftvon Bewufstseinen), und er erlautert sogar ausfuhrlich die Moglichkeit eines iiberpersonalen, gemeinschaftlichenBewuBtseins.
a. Dersich selbst wissende Geist beiHegel
Wie sich das philosophische BewuBtsein fur Hegeldarstellt, soll hier anhand einer Auslegung des letzten Kapitels der Phiinomenologie gezeigt werden. Das absolute Wissen bildet insofern eine Antwort auf die Frage nach dem philosophischen BewuBtsein, als es in der Tat am Wegende der Erfahrung des BewuBtseins steht, also am Ende des Weges des natiirlichen BewuBtseins in die Philosophie. Lautet die Frage jedoch, welches Betrachtungsfeld sich der Philosophie nach dem Weg eroffnet, dann muB auch das Verhaltnis von Geist und BewuBtsein sowie, in gewissem Grade,das Verhaltnisvon Phiinomenologie und Systemoder Wissenschaft der Logik angesprochen werden. Dies kann hier nur in skizzenhafter Weise und immer auf dem Boden des letzten Kapitels der Phiinomenologie geschehen. Die Stufe des absoluten Wissens weist einige Besonderheiten auf, durch die sie sich von allen anderen Stufen unterscheidet. Das absolute Wissen ist keine T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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BewuBtseinsgestalt im eigentlichen Sinne, da sie aIle bisherigen Gestalten in sich versammelt; sie ist das Ganze, das nicht uber sich hinausweist. Als Standpunkt des Ganzen muf das absolute Wissen in irgendeiner Weise schon am Anfang vorhanden sein, bevor das Absolute sich in einzelne Momente trennt und als solche zeigt: Das Absolute will bei uns sein. Wir stoBen hier auf eine eigentiimliche Gegenlaufigkeit; denn einerseits setzt das absolute Wissen das Durchlaufen der Momente voraus, andererseits setzen die Momente das Absolute voraus. Diese Problematik des Friiheren und des Spateren greift Hegel im Kapitel iiber das absolute Wissen auf, und wir werden darauf zuriickkommen. 1m absoluten Wissen laufen alle Faden zusammen; nur das absolute Wissen weif urn seine Entstehung und weiB sich als Resultat. Deshalb ist die Rekapitulation des Bisherigen in diesem Kapitel der Phiinomenologie so wichtig, obwohl es auch zu Beginn friiherer Kapitel Zusammenfassungen des durchlaufenen Weges gab; erst jetzt eroffnet sich der Blick auf den Weg in seiner Vollstandigkeit, 1m weiteren soll einer Reihe von Fragen nachgegangen werden, denen Hegel sich im letzten Kapitel zuwendet - wenngleich nicht unbedingt in zusammenhangender und systematischer Weise-, da sie sich notwendig am Ende der Phiinomenologie stellen. Zunachst muf geklart werden, wie das absolute Wissen sich aus der vorhergehenden Gestalt, der Religion, ergibt: Warum und inwiefern ist das religiose BewuBtsein unvoIlkommen im Vergleich zum absoluten Wissen? Es zeigt sich, daf die Religion bereits das Absolute zu ihrem Inhalt hat, jedoch in der falschen » Form «, also auf die falsche Weise: Sie stellt das Absolute vor, wahrend die Philosophie es begreift. Wenn sich das absolute Wissen als Aufhebung der Religion ergeben hat, dann muf deutlich werden, inwiefern dieses Wissen der in der Einleitung ausgesprochenen Forderung nach Obereinstimmung von Begriff und Gegenstand entspricht: Wie ist die Obereinstimmung von Begriff und Gegenstand zu denken, und insbesondere, wie ist sie zu denken, ohne in ein blofses Einerlei oder eine blof abstrakte Identitat zu verfaIlen? Die Obereinstimmung ist insofern kein Einerlei, als dennoch immer zwei Seiten oder Dimensionen existieren: Substanz und Subjekt. Das Verhaltnis dieser beiden Seiten muf genauer betrachtet werden; denn letztlich handelt es sich bei dem, was Hegel hier vorschlagt, urn die Einheit von Gegensatzen, Schliefslich folgen einige Uberlegungen zum Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik sowie zum Verhaltnis von Geist und Zeit - einem Thema, dem Hegel sich am Ende seines Kapitels zuwendet und das in dieser Arbeit im zehnten Kapitel noch einmal aufgegriffen wird. I. Obwohl das absolute Wissen sich als Resultat des gesamten Weges ergibt und inso fern aIle anderen Gestalten in ihm aufgehoben sind, so ist doch das Verhaltnis von Religion und absolutem Wissen besonders wichtig zum Verstandnis von letzterem.
DAS BETRACHTUNGSFELD DER PHILOSOPHIE
Die Religion geht dem absoluten Wissen unmittelbar voraus, und beide haben eine wichtige Gemeinsamkeit: ihren Inhalt. Der Inhalt des religiosen BewuBtseins ist bereits der absolute Geist, und »es ist allein noch urn das Autheben dieser bloBen Form zu tun « (PhG, 575), namlich der Form des Vorstellens . Der wesentliche Mangel der Religion besteht in der Form ihres Wissens, also darin, wie sie ihren Gegenstand auffaBt: Sie stellt das Absolute vor. Vorstellen bedeutet, daB mir etwas als von mir Getrenntes gegeniibersteht. Diese Trennung ist das, was iiberwunden werden muB. Die Trennung von BewuBtsein und Gegenstand ist allen unvollkommenen Gestalten gemeinsam, und deshalb kommt es darauf an zu sehen, wie sie sich gerade hier, auf der Stufe der Religion, ausspielt. Wichtige Kontrastausdriicke sind dabei die Vorstellung im Gegensatz zum Begriff sowie das Fiihlen im Gegensatz zum Anschauen (vgl. PhG, 574f.). In der Religion geht es urn das »Vorstellen eines Anderen «, wahrend der Begriff das » Tun des Selbst « ist (582). Was letzteres heilst, wird uns noch beschaftigen: zunachst geht es urn die Fremdheit des Gegenstandes der »religiosen Gemeinde « (586), wobei die Gemeinde das kollektive , oder, wie Hegel sagt, das allgemeine SelbstbewuBtsein der Religion ausmacht. Die Fremdheit besteht oberflachlich betrachtet zunachst darin, daB Gott die Welt erschaffen hat, nicht wir. Doch die Fremdheit bleibt nicht in dieser einfachen Form bestehen: Gott macht sich selbst zum Menschen und offenbart sich als solcher. Im Ereignis der Auferstehung gehen die Gegensatze von Mensch und Gott ineinander tiber: Gott, der sich in seiner Allgemeinheit zum Einzelnen, Endlichen gemacht hat, stirbt-doch dann nimmt der sterbende Einzelne wiederum den Charakter des Allgemeinen an, indem Christus aufersteht.' Dennoch wissen wir urn diesen Prozef als urn denjenigen Gottes und nicht unseren eigenen; das Wissen urn diesen Vorgang erscheint als ein Geschenk Gottes, also einer frernden Quelle entspringend.! Dies spiegelt sich wieder in der Form des christlichen BewuBtseins, in der wir dem Absoluten am nachsten kommen: im Gefuhl, welches das Gefuhl der Vereinigung der Gegensatze in der Auferstehung ist. Fuhlen jedoch ist unvermittelte Nahe, und Fiihlen ist die Auffassungsweise, in der wir uns am aufnehmendsten, am rezeptivsten verhalten. Obwohl der Mensch sich in der Vereinigung mit Gott gerade als Ebenbild Gottes und damit als autonom erfahren sollte, spurt er seine Autonomie im Uberkommenwerden von diesem Gefuhl gerade am wenigsten. Zwar sind Gott und Mensch inhaltlich eins, aber die Form, namlich das Gefuhltwerden, widerspricht dem : Das Gefuhl enspringt einem Anderen, mir Fremden. Es folgt, daB der Inhalt des religiosen BewuBtseins von
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Vgl. PhG, 565f.: »Denn in dieser Bewegung stellt es sich als Geist dar; das abstrakte Wesen ist sich entfremdet, es hat naturliches Dasein und selbstische Wirklichkeit ; dies sein Andersse in oder seine sinnliche Gegenwart wird durch das zweite Andersw erden zur iickgenommen und als aufgehobene, als allgemeine gesetzt; (. . .) dieser Tod ist dah er sein Erstehen als Geist « , Vgl. hierzu und zum folgende n Miller (1998), S. 429 .
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sich aus danach verlangt, daB die Form des Vorstellens und Fiihlens iiberwunden wird, damit der Inhalt zu seinem Recht kommt-im absoluten Wissen. Die angemessene Form ist allerdings auch bereits aufgetaucht, auf einer fruhe ren Stufe, namlich derjenigen der »schonen Seele«, also der letzten Stufe innerhalb des Abschnitts uber den seiner selbst gewissen Geist bzw. die Moralitat. Denn was zur Aufhebung des religiosen BewuBtseins notig ist, das ist der Ubergang vom gegenstandsorientierten BewuBtsein zum SelbstbewuBtsein, natiirlich auf allerhochster Ebene. Der schonen Seele ist die »einfache Einheit des Begriffs« eigen (PhG, 580), und damit hat sie die Form des absoluten Wissens, doch es mangelt ihr an Inhalt. Die schone Seele ist ein Moment des Gewissens; das Gewissen aber hat zum Inhalt die eigene GewiBheit des eigenen Selbst und auch die leere Pflicht und den leeren Willen (vgl. PhG, 466). Das Gewissen mochte ganz frei sein, unabhangig von jedem bestimmten Inhalt, der eine Fremdbestimmung bedeuten wiirde; doch eine solche Selbstbestimmung kann schlieBlich nur leer in sich selbst kreisen. Was als absolute Freiheit begann, erweist sich als Armut, die in sich selbst zusammenfallt. Das BewuBtsein »versinkt in diesem Begriffe seiner selbst« (482), und die vollendete Form der SelbstgewiBheit niitzt gar nichts, wenn sie nicht mit einem Inhalt vereinigt werden kann. »Die wirklichkeitslose schone Seele (... ) zerflieBt in sehnsiichtiger Schwindsucht« (491) .3 Indem jedoch die Form der schon en Seele und der Inhalt der offenbaren Religion vereinigt werden, gelangen wir zum absoluten Wissen. Das religiose BewuBtsein erkennt, daB das Absolute nicht im Jenseits zu suchen ist, und es geht dazu uber, dieses Absolute in einer selbstgewissen Weise zu wissen. Das Absolute ist nichts von uns Getrenntes, sondern es weiB sich in und durch uns. II. Wie faBt nun das absolute Wissen den Geist auf? Wie ist die angekundigte Ubereinstimmung von BewuBtsein und Gegenstand einerseits plausibel zu machen und andererseits davor zu bewahren, in eine unterschiedslose Identitat zu verschmelzen? Wer von diesem letzten Kapitel der Phiinomenologie einen iiberzeugenden und einleuchtenden Beweis fur Hegels These von der Ubereinstimmung von Begriff und Gegenstand erwartet hatte, der wird enttauscht. Im wesentlichen sagt Hegel: DaB es diese Ubereinstimmung gibt, haben wir ja inzwischen gelernt. Und dies ist schlieBlich auch nur konsequent: Wenn es moglich ware, das absolute Wissen in einem einzigen Schritt und aus sich heraus zu erklaren, dann ware der Gang des BewuBtseins bis hierher nur uberflussiges Beiwerk bzw. hubsche Ausschmuckung
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Vgl. zu den philosophischen und literarischen Urspriingen der »schonen Seele«: Harris (1997), S. 479 If.
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gewesen. Statt dessen muB fur jede einzelne Gestalt eingesehen werden, daB die Trennung der Seiten nicht aufrechtzuerhalten ist. Alles andere ware eine bloB logische Ableitung der Ubereinstimmung, urn die es mindestens in diesem Werk nicht zu tun ist. Hegel will, daB wir konkret sehen, warum sich beispielsweise Wahrnehmung nicht verstehen laBt, wenn wir alles Gewicht auf den Gegenstand oder alles Gewicht auf das Wahrnehmen legen. Und auch wenn fur die geschichtliche Epoche der Neuzeit die Trennung von Subjektivitat und Objektivitat die mafsgebliche Trennungsgestalt ist, so reicht es doch nicht, diesen Gegensatz zu betrachten, sondern es muB aufgezeigt werden, wie es dahin gekommen ist. Insofern kommt es bei der Lekture dieses letzten Kapitels vielleicht sogar weniger darauf an, die Ubereinstimmung zu erklaren, als vielmehr zu zeigen, inwiefern dies kein unterschiedsloses lneinsfallen bedeutet. Dazu muB beachtet werden, daB wir es nach wie vor immer mit zwei Seiten, beispielsweise mit Subjekt und Substanz, zu tun haben. Zum Verstandnis der Gleichheit-und des Unterschieds-gibt Hegel uns mehrere Hilfen an die Hand: Zunachst rekapituliert er in groben Zugen den bisherigen Gang des BewuBtseins. Diese Rekapitulation ist jedoch weniger inhaltlicher als vielmehr logisch-systematischer Art, und sie dient unter anderem dazu, das Verhaltnis von Ding und Ich zu klaren. Die Ubereinstimmung von Ding und Ich, die sich in der Bewegung von Entaufserung und Erinnerung vollzieht, ist eine Seite des absoluten Wissens, die wir verstehen mussen. SchlieBlich und eigentlich aber kommt es darauf an, Fursich und Ansich, Form und Inhalt, Subjekt und Substanz in ihrem jeweiligen Wesen und in ihrem wahren Verhaltnis zueinander zu begreifen. Hegels Ruckblick auf die ersten drei Kapitel zeigt, daB das Ding sich yom unmittelbaren Sein als Gegenstand der sinnlichen GewiBheit uber das Verhaltnis (oder das Sein fur Anderes) als Gegenstand der Wahrnehmung bis hin zum Wesen oder Allgeme inen als Gegenstand des Verstandes entwickelt hat (vgl. 576). Interessanterweise macht Hegel uns hier bereits darauf aufmerksam, daB die Bewegung als eine solche von der Allgerneinheit uber die Bestimmtheit zur Einzelheit oder auch umgekehrt betrachtet werden kann. Die Entwicklung vollzieht sich also nie nur in eine Richtung; was Hegel immer wieder als Kreis beschreibt, der in seinem Ende in den Anfang zuruckkehrt, gilt nicht nur fur das Ganze, sondern auch fur klein ere Einheiten: Wir erreichen, wenn auch auf hoherer Stufe, immer wieder unseren Ausgangspunkt. Auch gibt es Einzelheit und Allgemeinheit uberhaupt nur in ihrem Verhaltnis zueinander, und deshalb ware es kurzschlussig zu denken, daB wir die Einzelheit zugunsten der Allgemeinheit hinter uns lieBen. Wir haben in den ersten drei Kapiteln der Phanomenologie gelernt, daB der Gegenstand nichts dem BewuBtsein Fremdes ist, oder, anders gesagt: »DasDingist Ich; (... ) es ist nichts an sich; es hat nur Bedeutung im Verhaltnisse, nur durch Ich und seine Beziehung aufdasselbe « (577). Die nachste Gestalt, das SelbstbewuBtsein, erfaBt die Identitat von Denken und Gegenstand, aber in bloB unmittelbarer Weise, narnlich ohne den Reichtum der Substanz in sich aufzunehmen. Von dieser
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Anreicherung erfahren wir in den Kapiteln tiber Vernunft und Geist: Die Vernunft beispielsweise findet in den Gegenstiinden der Natur sich selbst, und indem sie in ihr Extrem geht und sich das Ich selbst zum Gegenstand erwahlt, findet sie, »daf das Sein des Ich ein Ding ist« (577) . Eigentlich hat die Vernunft in der Erforschung der Natur namlich nur sich selbst gesucht, und die Suche ist zwar erfolgreich, aber sie fuhrt zum Ich als einem Fremden, einem blofen Ding. Die Aussage, daB das Ich ein Ding ist, ist in ihrer Unmittelbarkeit geistlos, sagt Hegel; doch sie ist darauf angelegt, zum Geistreichsten zu werden, wenn sie mit Inhalt bereichert und mit dem anderen Moment, daB das Ding Ich ist, versohnt wird . Indem das SelbstbewuBtsein den Weg der Bildung geht und durch die Aufklarung hindurch zum moralischen Gewissen kommt, reichert sich das Wissen, daB der Gegenstand nichts anderes ist als sein reines Wissen von sich selbst, immer mehr mit Substanz an. Wir erkennen im Ruckblick, daf das Selbst sich in aIle Dimensionen des Seins hinein entaufsert hat. Das BewuBtsein bringt nun die beiden Thesen, daB das Ich ein Ding und daB das Ding Ich ist, zusammen und urteilt: Ich =Ich. In diesem Urteil sind die Gegensiitze aufgehoben, und das einzelne Selbst weiB sich als aIlgemeines oder als aIle AIlgemeinheit in sich enthaltend (vgl. 579). Doch es kommt darauf an zu verstehen, daf »diese Gleichheit als absolute Negativitat der absolute Unterschied ist «, der » als die Zeit auszusprechen ist« (586f.). Entscheidend ist zunachst, daf das Ich immer einen Inhalt hat, den es von sich unterscheidet; das Ich =Ich bedeutet keine Inhaltsleere, und dam it bedeutet es auch kein unterschiedsloses Einerlei. Hegel erlautert dies durch die Begriffe von Subjekt und Substanz: Das Werden des Geistes besteht in der Verwancllungder Substanz in das Subjekt. In der Vorrede findet sich der bekannte Satz, in dem Hegel gegen Spinoza betont, es komme »alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrucken « (PhG, 22f.). Spinoza hat in seiner Lehre von der Substanz zwar etwas Wahres gedacht, dabei aber ubersehen, so Hegel, daB die Substanz als in sich lebendig bzw. als Subjekt gedacht werden muf (vgl. GPh III, 166). Die Substanz ist fur Hegel, grob gesagt, die trage Wirklichkeit oder das beharrliche Sein. In der reinen , unbegeisteten Substanz gibt es keine Unterschiede (vgl. PhG, 587). Die Substanz ist dafur verantwortlich, daB sich der Geist nur langsam und trage bewegen kann: Das Selbst hat »diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen« (PhG, 590). Das Subjekt ist das Selbst oder Selbstbewufstsein, welches die Substanz durchdringt, sich aneignet und eben dadurch belebt. Hegel bezeichnet diese Durchdringung der Substanz durch das Subjekt auch als Verwandlung des Ansich in das Pursich (vgl. PhG, 585), wodurch ebenfalls auf die Bewegung des Aneignens und In-Beziehung-Setzens verwiesen wird. Der Seite des Subjekts gehort die Kraft des Unterscheidens an; das Subjekt macht Unterschiede oder deckt die in der Substanz verborgenen Unterschiede auf. Zu Beginn des Kapitels tiber den Geist wird das Verhaltnis wie folgt beschrieben: » Als die Substanz ist der Geist die unwankende,
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gerechte Sichselbstgleichheit; aber als Fiirsichsein ist sie das aufgeloste, das sich aufopfernde gut ige Wesen (... ) « (PhG, 325). Das Subjekt ubernimmt gewissermaBen die Aufgabe, die Substanz zu verflussigen und in Bewegung zu bringen. Doch letztlich mach en beide Seiten Zugestandnisse; Versohnung heiBt, daB zwei von ihrer Einseitigkeit ablassen: Das Subjekt als » In-sich-in-seiner-Einzelheit-Sein« gibt sein Fursichsein auf und »entaufsert, bekennt sich «; die Substanz in ihrer abstrakten Allgemeinheit entsagt ihrer Harte, Unlebendigkeit und Unbeweglichkeit (582). Substanz und Selbst erganzen sich, und dadurch erst kommt der Geist in sein wahres Wesen. Das Subjekt »entaufs ert « sich in die Substanz; das SelbstbewuBtsein setzt sich als Gegenstand- und weiB damit urn die Unselbstandigkeit des Dinges. Der fur das gesamte Kapitel maBgebliche Begriff der Entaufserung wird erganzt und vervollstandigt durch die Er-Innerung, in der das Subjekt in sich zuruckgeht, dabei aber die Substanz mitnimmt und zu seinem Gegenstand und Inhalt macht. Die Erinnerung ist das Insichgehen, in dem das Subjekt vollstandig wissen will, was es ist-das aber kann es nur, wenn es seine Substanz weiB, die es daher in sich aufbewahrt (vgl. 590). Damit ist die Er-Innerung »die hohere Form der Substanz « (591), oder genauer: Die er-innerte Substanz ist die hohere Form der Substanz. Wenngleich Er-Innerung so wortlich wie moglich gehort werden muB und es dabei urn eine Bewegung der Entaufserung und Verinnerlichung zwischen Subjekt und Substanz geht, so kann es doch hilfreich sein, auch unseren alltaglichen Begriff von Erinnerung als Hintergrund im Blick zu behalten: Obwohl Erinnerungen scheinbar etwas rein Subjektives und Immaterielles sind, kann es keine Erinnerungen geben, in denen nicht etwas yom Reichtum der Welt aufbewahrt ware, an die sie so immer ruckgebunden bleiben . Die Versohnung von Subjekt und Substanz ist der Geist. Das absolute Wissen ist dann »der sich in Geistsgestalt wissende Geist oder das begreifende Wissen « (582), wobei Begreifen heiBt: im Anderssein bei sich selbst sein. Die Kraft des Geistes ist es, in der Entaufserung sich gleich zu bleiben (vgl. PhG, 588). Der Geist entaufsert sich in die Ausdehnung der Substanz, und er er-innert sich in die Tiefe des Subjekts; weder in der Weite noch in der Tiefe verliert er sich. Dabei werden aber auch nicht » die Unterschiede in den Abgrund des Absoluten« geworfen, sondern » das Wissen besteht vielmehr in dieser scheinbaren Untatigkeit, welche nur betrachtet, wie das Unterschiedene sich an ihm selbst bewegt und in seine Einheit zuruckkehrt« (588).
Die Gegensatze verlieren nicht ihren Gegensatzcharakter; vielmehr kommen sie durch die verbindende Einheit erst in ihr volles Wesen als Gegensatze, Diesen Gedanken gibt es schon bei Heraklit, den man nur dann als Denker der Gegensatze bezeichnen darf, wenn man dabei im Auge behalt, daB es ihm wesentlich auf die Einheit der Gegensatze ankommt. Beispielhaft ausgedruckt findet sich dieser Gedanke in Heraklits Fragment B 57: » Lehrer aber der meisten ist Hesiod. Von ihm sind sie uberzeugt, am meisten wisse er. Er, der doch Tag und Nacht nicht erkannte.
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Sind sie doeh eins! «4 Dieses Fragment will nieht zum Ausdruek bringen, daB Tag und Naeht ineinander iibergehen, ineinander einmiinden, sondern daB der Tag die aufgehellte Naeht ist so wie die Naeht der verdunkelte Tag.' Hegel hat Heraklits Philo sophie sehr zu schatzen gewuBt;6 gleiehwohl kommt es Hegel darauf an, den Gedanken der Einheit der Gegensatze nieht nur an Einzelbeispielen festzumaehen, sondern aufden Grundgegensatz, der fur Hegel derjenige von Subjekt und Substanz ist, auszuweiten. In der Versohnung von Subjekt und Substanz erseheint der an und fur sieh seiende Geist. Indem der Geist seinen Begriffvon sieh gewonnen hat, entfaltet er sieh in diesem Element und bewegt sieh somit in der Wissensehaft. Wie aber verhalt sieh der Geist zum Bewufstsein, urn dessen Erfahrung es doeh in der Phiinomenologie des Geistes mindestens aueh geht? Das BewuBtsein ist der un mittelbar existierende Geist, oder, in der Spraehe der Enzyklopadie ausgedriiekt, das BewuBtsein ist »nur das Erscheinen des Geistes« (Enz. III, §414)-deshalb haben wir es hier mit einer »Phanomenologie «des Geistes zu tun. Die Beifugung »nur« deutet daraufhin, daB das Erseheinungshafte ein Mangel ist. In der Tat werden Wesen und Erseheinung in der Wirkliehkeit aufgehoben (und damit freilieh aueh bewahrt): »das hohere als die bloBe Erseheinung ist zunachst die Wirklichkeit« (Enz. I, 263). Doeh Hegel wiirdigt aueh die Bedeutung des Erseheinungshaften in einem Satz, der ihn im Gegensatz zu den sonstigen Erklarungen iiber die Einseitigkeit der Erseheinungen wieder in die Nahe Husserls bringt: Die Erseheinung ist uberhaupt eine sehr wiehtige Stufe der logisehen Idee, und man kann sagen, daB die Philosophie sich vom gemeinen BewuBtsein dadurch unterscheidet, daB sie dasjenige, was diesem als ein Seiendes und Selbstandiges gilt, als blofse Erscheinung betrachtet. (Enz. I, 262)
Aueh in der Phiinomenologie betont Hegel im letzten Kapitel, daB der » Obergang des Begriffsins Bewufitsein« (PhG, 589) als der Erseheinungsseite des Geistes notwendig sei. Wie die Phanomenologie uns zum absoluten Wissen gefuhrt hat, so fuhrt uns dieses zuriiek zur Erfahrung des BewuBtseins. Das Verhaltnis von BewuBtsein und Geist, das nur aus einem griindliehen Studium der Enzyklopadie heraus verstandlich wird , urn das es hier nieht gehen kann, laBt sieh aueh mit den Begriffen von Subjekt und Substanz in Verbindung bringen: In der Systematik der Enzyklopadie, deren dritter Teil- die Philo sophie des Geistes-sieh in subjektiven, objektiven und absoluten Geist gliedert, gehort die » Phanomenologie des Geistes « dem subjektiven Geist an . Dem steht der objektive Geist gegeniiber, der sieh eine Wirkliehkeit ersehafft, sieh in eine Welt hinein ver4 5 6
Obersetzung nach Volkmann-Schluck (1992). Vgl. C. Hochkeppel (1997), S. 46. Hegel schreibt uber Heraklit: »Das Dunkle dieser Philosophie Iiegt aber hauptsachl ich darin, daB ein tiefer, speku lativer Gedanke in ih r au sgedruckt ist- (GPh 1,323).
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gegenstandlicht. Diese Verwirklichung des objektiven Geistes nimmt die Formen an von Recht, Moralitat und schliefslich Sittlichkeit in den drei Abschnitten der Familie, der biirgerlichen Gesellschaft und des Staates. Hegel sagt vom objektiven Geist auch, er sei »die absolute Idee, aber nur an sich seiend « (Enz. III, §483). Das BewuBtsein als Element des subjektiven Geistes beschreibt die» unendliche Beziehung des Geistes auf sieh, aber als subjektive, als Gewifiheit seiner selbst« (Enz. III, §413). Dem Bewufstsein mangelt es an Substanz; wichtiges Element des Bewufstseins in der Enzyklopiidie ist der Ubergang zum Selbstbewufstsein, zur vollbrachten SelbstgewiBheit. Gegeniiber den vorhergehenden Formen des subjektiven Geistes, namlich der natiirliehen und der fuhlenden Seele, zeichnet sich das BewuBtsein als SelbstbewuBtsein dadurch aus, daf hier die Seele ihrer selbst bewufst wird bzw. zum Ich erwaeht. Diese kurzen Andeutungen zeigen bereits, daB es in der Phiinomenologie des Geistes nicht blof um Erfahrung des BewuBtseins geht; in der Phiinomenologie wird auch der Gang des objektiven Geistes durehlaufen, und am Ende gelangen wir in der Tat zum absoluten Geist als Versohnung von Subjekt und Substanz. Es laBt sich kaum bestreiten, daf die Phiinomenologie Wissensehaft des BewuBtseins ebenso wie des Geistes ist;? gleiehwohl ist die Phiinomenologie nieht im gleichen Sinn Wissensehaft des Geistes wie die Wissenschaft derLogik. III.
Das Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik oder Phiinomenologie und »Wissensehaft«, wie Hegel es ausdriiekt, solI hier rein aus der Sieht der Phiinomenologie betraehtet werden, so daB sieh nur einige wenige, auf un sere Problematik bezogene Gesichtspunkte ergeben. In der Phiinomenologie geht es nieht um ein Wissen als »reines Begreifen des Gegenstandes «-dies ware Inhalt der Logik-, sondern um das Werden des Wissens oder um das Wissen in Form von BewuBtseinsgestalten (PhG, 576). Der BewuBtseinsgestalt als blofsem Moment einer Totalitat steht die Totalitat als ganze gegeniiber, die nicht in Momente aufgelost ist. Die Logik hat es mit dieser Totalitat oder mit der »geistigen Wesenheit« zu tun (ebd .). SolI dies nun heiBen, daB es in der Logik ausschliefslich um das Ganze und nie um seine Momente geht? Wie solI die Totalitat als Totalitat iiberhaupt denkbar sein? Nun, in der Logik geht es aueh um Momente, aber dergestalt, daB in jedem Moment das Ganze prasent ist. In den Anfangsgestalten der Phiinomenologie haben wir es tatsachlich mit den bloBen Momenten zu tun, und das philosophisehe Bewufstsein, das schon weils, wo es lang geht, wird gezwungen, sich so weit wie moglich im Hintergrund zu halten . Die Momente hingegen, die in der Logik auftauehen, sind keine Gestalten des
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Vgl. z.B. Marx (1981), S. 70.
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BewuBtseins mehr, sondern » bestimmte Begriffe«, deren » in sich selbst gegriindete Bewegung« betrachtet wird (PhG, 589). Hegel sagt auch, das Moment trete in der Wissenschaft »nicht als diese Bewegung auf«, sondern in seiner »reinen Bestimmtheit « (ebd.). Dies klingt nun beinahe, als waren statische Begriffe Gegenstand der Logik, wah rend die Phanomenologie bewegte, dynamische Begriffe zum Inhalt hatte-vaber Hegel wiirde sich selbst untreu, wenn er sich mit statischen Begriffen begnugen wiirde. Auch die Begriffe der Logik bewegen sich; doch sie bewegen sich vielleicht eher im Verhaltnis zueinander, als daB sie in sich selbst bewegt waren, Wenn man freilich jene vielzitierte Stelle heranzieht, es gehe in der Logik urn die »Darstellung Gottes (. .. ), wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes « ist (WdL 1, 44), dann wird offenkundig, daB Hegel hier in der Tat von der sich in Raum und Zeit befindlichen Wirklichkeit weiter entfernt ist als in der Phiinomenologie, so daB Bewegung in der Logik jedenfalls keine raumzeitliche, sondern eine rein begriffliche sein wird. Urn ein kurzes Beispiel zu betrachten: Das Sein, das am Anfang der Wissenschaft derLogik steht, weist nicht zufallig bedeutende Ahnlichkeiten mit dem Gegenstand der sinnlichen GewiBheit auf. Dem reinen Sein kommt unbestimmte Unmittelbarkeit zu, und auch der Gegenstand der sinnlichen GewiBheit war vor allem ein unmittelbarer, von dem die GewiBheit nur dies wuBte, daB er ist. Aber hier taucht gleich ein wichtiger Unterschied auf: Dem unmittelbaren Sein am Anfang der Logik wird kein Wissen gegeniibergestellt, sondern es wird rein als Kategorie betrachtet." Wahrend die Phiinomenologie den Unterschied von Wissen und Wahrheit ken nt , der in jeder Gestalt im Spiel ist, so enthalt hingegen die Wissenschaft diesen Unterschied nicht, sondern in ihr treten »die gegenstandliche Form der Wahrheit und des wissenden Selbst in unmittelbarer Einheit « auf (PhG, 589 ). Am Ende der Phiinomenologie sind aIle Momente in sich verbunden, und das absolute Wissen stellt die Einheit jener Momente dar. Wenngleich die Phiinomenologie gewissermaBen den Vorlauf zur Logik darstellt und auf dem Standpunkt des absoluten Wissens von dieser abgelost wird," so ist die Phiinomenologie doch alles andere als uberflussig: »Die Wissenschaft enthalt in ihr selbst diese Notwendigkeit, der Form des rein en Begriffs sich zu entaufsern, und den Ubergang des Begriffs ins Bewufitsein« (PhG, 589). Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, daB wir eben zunachst wissendes Selbst sind und noch keine Wissenschaftler; das Absolute
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Vgl. zu diesem Beispiel und uberhaupt zum Verhaltnis von Phanomenologie und Logik ausfiihr Iicher: Hyppolite (1946), S. 553 tf. Hegel sagt in der Wissenschaft der Logik deutlich, daB die Phanomenologie des Geistes den Begritf der Wissen schaft zu ihrem Resultat habe , und : »Der Begritf der reinen Wissenschaft und seine Deduktion wird in gegenwartiger Abhandlung also insofern vorausgesetzt, als die Phanomenologie des Geistes nichts anderes als die Ded uktion desselben ist « (WdL 1, 43). Vgl. auch die Diskussion in der Sekundarliteratur, die ich in der Einleitung erwahnt habe und in der meines Erachtens Fuldas Position uberzeugend ist, die der Phanomenologie auch nach Entwic klung des EnzyklopiidieSystems eine wichti ge Rolle als Einleitung zumi Bt.
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aber will bei uns sein und sich durch uns wissen- und uns erkennen lassen, daB wir letztlieh nieht von ihm getrennt sind, sondern in Einheit mit ihm stehen. Obwohl die Logik am Ende der Phiinomenologie steht, sind die BewuBtseinsgestalten doch nicht bloBe Vorlaufer der bestimmten Begriffe, mit denen es die Logik zu tun hat: Iedem »abstrakten Momente der Wissenschaft« entsprieht »eine Gestalt des erscheinenden Geistes uberhaupt « (589). Doch welche Bedeutung haben »fruher« und »spater« im Hinblick auf Phiinomenologie und Logik uberhaupti Hegel sagt, daB die Wissenschaft »in der Zeit und Wirklichkeit« nieht eher erscheint, »als bis der Geist zu diesem BewuBtsein tiber sich gekommen ist« und sein SelbstbewuBtsein mit seinem BewuBtsein ausgeglichen hat (PhG, 583).10 Vorher, so sagt Hegel ganz ausdrucklich, war Wissenschaft nicht anderswo, sondern es gab sie nicht. Wie aber kann ein uberzeitliches absolutes Wissen zeitliehe Bedingungen in der Geschiehte haben?" Wohl nur dergestalt, daB dieses Wissen nieht uberzeitlich ist - und die Bedingungen nicht bloB konkrethistorische sind . GleiehwohllaBt Hegel keinen Zweifel daran, daB der Geist sich erst an sieh, als Weltgeist, vollendet haben muB, bevor er sich als selbstbewuBter Geist vollendet (PhG, 585). Hier wird eine bestimmte, festgelegte Reihenfolge angesprochen. Zu Beginn des Abschnitts tiber den Geist gibt Hegel eine Erklarung, die fur die gesamte Phiinomenologie Gultigkeit hat und aufschluBreich ist: Aile bisherigen, also vor dem Geist-Kapitel behandelten Gestalten des BewuBtseins sind »Abstraktionen desselben «, namlich des Geistes, und das »Isolieren solcher Momente hat ihn selbst zur Voraussetzung und zum Bestehen « (PhG, 325) . Der Geist ist das konkrete Ganze, und die BewuBtseinsgestalten sind Abstraktionen von diesem Ganzen. Aristotelisch gesprochen ist der Geist das proteron te physei, das den Gestalten vorhergeht und zugrundeliegt. Fur uns aber sieht die Sache anders aus: Das proteron pros hemas ist die unmittelbarste Gestalt, die sinnliehe GewiBheit. Es ist ein trugerischer Schein, daf die Momente selbstandig bestunden; der Geist ist ihr Grund, und die Phanomenologie bewegt sich damit in jene Richtung zuruck, aus der die Momente ursprunglich entsprangen. In diesem Sinn sagt Hegel auch im Kapitel tiber das absolute Wissen, daB dem SelbstbewuBtsein von der Substanz zunachst nur die abstrakten Momente angehoren, bis es die ganze Substanz in sieh aufgenommen und aus sieh heraus wiederhergestellt hat. Der Geist hat den Weg schon durchlaufen, doch das SelbstbewuBtsein muf diesem Weg Stuck fur Stuck nachgehen, sich in jeder Gestalt wiederfinden und sie aus sich hera us noch einmal hervorbringen. Fur das SelbstbewuBtsein sind die Momente 10
Int eressanterweise auBert sich Hu sser! in einem Manuskript aus den 1930er Iahren sehr ahnl ich: »Nachdern die Wissenschaft in der Welt als Kulturgestalt erwach sen ist, hat die Welt die Gestalt einer Welt angenommen, die sich selbst erkennt. (. ,,) 1m Erwachen zur Vernunft und zur universalen Philosophie erwachst das Monadenall zum Selbstwissen , das stufenweise emporsteigt, und damit ist auch von der konstituierten Welt zu sagen, sie sei eine Welt, die zum Selbstbewufstsein etc. erwacht ist « (Manuskript K 11 5/11, zitiert nach Luft (1999), 114). So fragt Hyppolite (1946), S. 575.
s.
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fruher als das Ganze; im »Bewufstsein dagegen ist das Ganze, aber unbegriffene, fruher als die Momente « (584). Das BewuBtsein steht hier als unbegriffenes dem SelbstbewuBtsein gegeniiber und reprasentiert die Seite der Substanz. Solange der Geist in seine Momente unterschieden ist, hat er seine Substanz noch nicht erreicht und ist noch nicht an sich selbst absolutes Wissen. Dieser Unterschied, der im Laufe des Weges aufgehoben wird-das ist die Zeit (vgl. 587). Der Geist erscheint notwendig so lange in der Zeit , bis er seinen reinen Begriff erfafst, d. h. die Zeit tilgt (vgl. 584). DaB jedoch im ab soluten Wissen die Unterschiede nicht vernichtet sind, sondern erst in ihr wahres Wesen kommen, deutet bereits darauf hin, daf das Tilgen der Zeit nicht schlechthin ihre Abschaffung bedeuten kann. Auf dieses Thema werden wir im zehnten Kapitel zuruckkommen,
b. Die transzendentale Subjektivitiit beiHusserl Das philosophische BewuBtsein bei Husserl ist reines bzw. transzendentales BewuBtsein; was das heifst, muf untersucht werden. Wie wir im zweiten Teil der Arbeit gesehen haben, entwickelt Husserl verschiedene Wege der Einfuhrung in die Phanomenologie. Irn Prinzip haben zwar alle diese Wege das gleiche Ziel: In der Epoche richtet sich der Blick nicht mehr geradehin auf die Gegenstande, sondern auf ihr Erscheinen im BewuBtsein. Das BewuBtsein - mit all seinen Inhalten - wird damit zum Untersuchungsfeld der Phanomenologie. Doch das Ziel ist nicht unabhangig yom Weg. Wir haben es hier nicht mit zwei fixen Punkten im Raum zu tun, die gleichsam durch verschiedene Linien verbunden werden konnen (was schon insofern nicht moglich ist, als naturliches und transzendentales BewuBtsein nicht zwei verschiedene BewuBtsein(e) sind), sondern der Weg bestimmt, was wir zu sehen bekommen, welche Erkenntnisse wir auf dem Weg gewinnen und wie »reich « insofern unser Betrachtungsfeld ist. Das Wesen der transzendentalen Subjektivitat andert sich im Laufe von Husserls Denken, oder vielmehr, es treten Wesensziige an den Tag, die vorher verdeckt blieben, wenngleich sie implizit bereits vorhanden waren. Zunachst haben wir es mit dem transzendentalen Ich zu tun; dann enthullt sich die transzendentale Subjektivitat als transzendentale Intersubjektivitat, und im Rahmen von Husserls teleologischem Geschichtsdenken zeigt sich schliefslich ein noch hoheres Absolutes, namlich Gott. Diese Entwicklungen sollen hier in gewisser Ausfiihrlichkeit untersucht werden-aus folgendem Grund: Husserl ist oftmals der Vorwurf gemacht worden, daf er trotz aller gegenteiligen Versuche eine solipsistische Philosophie entwickelt habe. Dieser Vorwurf wurde im allgemeinen aus Sicht der franzosischen Phanomenologie gemacht, und er ist von der Husserl-Literatur mittlerweile entkraftet worden. Aus hegelianischer Sicht wurde der entsprechende Vorwurflauten, daB Husserl den Dimensionen der Intersubjektivitat, der Geschichte und des sozialen oder politi-
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schen Bereichs nicht gerecht wird. Insbesondere, so konnte man behaupten, fehlen bei Husserl all diejenigen Bereiche, die Hegel unter den Begriffen des objektiven und des absoluten Geistes bespricht. In diesem Kapitel solI gezeigt werden, daf Husserl diese vermeintlich fehlenden Dimensionen behandelt; allerdings tut er dies auf phanomenologische, nicht auf metaphysische Weise, soweit dies moglich ist. Indem Husserl die transzendentale Subjektivitat untersucht, wird er gleichsam von selbst tiber ein einzelnes BewuBtsein hinausgefuhrt. Urn mein BewuBtsein zu erkennen, muf ich immer schon mehr als mein BewuBtsein in den Blick nehmen (und auch auf diese Weise werde ich keine vollkommene Erkenntnis erlangen). Ein Leitfaden bei dieser Untersuchung der transzendentalen Subjektivitat ist die Frage nach einem Absoluten im wortlichen Sinne: einer Ebene, die losgelost, selbstandig ist. Diese Suche fuhrt - wie sol1te es anders sein -schlieBlich zur Frage nach Gott. Im folgenden wird zunachst herausgestellt, inwiefern die Seinsweise des transzendentalen Ich problematisch ist: In seinem Fungieren ist das transzendentale Ich uns unzuganglich. Es wird sich zeigen, daB das Fremdich eine Hilfe darstel len kann, urn die eigentumliche Geeintheit des transzendentalen Ich zu verstehen. Sowohl beim fungierenden Ich als auch bei der Gemeinschaft von Ich und Fremdich handelt es sich urn eine Einheit-in-Mannigfaltigkeit, die nicht in meiner Hand liegt. Die Subjektivitat fuhrt zur Intersubjektivitat. Daruber hinaus bespricht Husserl sogar ausfuhrlich die Moglichkeit eines uberpersonalen BewuBtseins; er nennt dies eine »Personalitat hoherer Ordnung«. Der Status dieser Personalitaten hoherer Ordnung muf untersucht werden, insbesondere im Verhaltnis zu Heimwelt und Fremdwelt. Von besonderer Bedeutung sind solche Subjektgemeinschaften auch insofern, als Husserl in ihnen ein konkreteres und hoheres (wenngleich vielleicht nicht hochstes) Absolutes im Vergleich zum Einzelich sieht. 1.
In den Ideen I tritt das reine Bewufstsein in den Blick als Antwort auf die Frage, wie Phanomenologie als Wissenschaft moglich sein soll, wenn die Epoche radikal durchgefuhrt wird und damit aIle Seinssetzungen unmoglich werden. Wenn das BewuBtsein als Forschungsfeld von der Epoche ausgenommen werden solI, ohne die Universalitat der Epoche aufzuheben, muf gezeigt werden, daB das Sein des BewuBtseinsvon grundsatzlich anderer Art ist als das Sein der Welt. Das BewuBtsein ist kein Seiendes in der Welt; zugleich kann es aber nichts neben oder auBerhalb der Welt sein, da die Welt als Universalhorizont alles umfafst. Es bleibt nur ein Ausweg: Das BewuBtsein ist die Welt, aber sozusagen von einer anderen Seite betrachtet; BewuBtsein und Welt sind zwei Seiten derselben Sache. Dies aber bedeutet, daf das vom naturlichen BewuBtsein geglaubte Ansichsein der Welt nichts anderes ist als das Erscheinen der Welt fur das BewuBtsein. JeglichesAnsichsein ist ein Erscheinen
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fur das BewuBtsein-dies ist der phanomenologische Idealismus . »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den BewuBtsein und BewuBtseins-Ich nichts anginge « (Hua III, 112). Die Korrelation, die unaufhebbare Bezogenheit von Welt und BewuBtsein ist der Kerngedanke der husserlschen Phanornenologie. Unglucklicherweise wird dieser Gedanke in den Ideen I dadurch verdunkelt, daB Husserl, wie bereits erwahnt," das Sein des BewuBtseins von dem der Welt unterscheiden will, indem er das Gedankenexperiment der Weltvernichtung durchfuhrt. Statt dessen wurde es zur Betonung der unterschiedlichen Seinsweise genugen, immer den Korrelationsgedanken im Auge zu behalten, demgemaf das BewuBtsein die Kehrseite der Welt ist. Entscheidend ist, was Husserl auch schon in den Ideen I betont: »Wir haben eigentlich nichts verloren, aber das gesamte absolute Sein gewonnen, das, recht verstanden, aIle weltliche Transzendenzen in sich birgt , sie in sich -konstituiert c« (Hua III, 119) . Die »Konstitutionsanalyse «der Phanomenologie bedeutet auch, daB Husserl im Gegensatz zu Kant die »Dinge an sich« nicht als unerkennbar aus der Forschung ausschlieBt, sondern gerade danach fragt, wie das BewuBtsein jeweils das Setzen eines Ansichseins vollzieht. Dies ist also ein wichtiger Punkt, in dem Husserl Kritik an Kant ubt. Was den Begriff »transzendental« angeht, den Husserl zur Kennzeichnung des reinen BewuBtsein verwendet, so verandert sich auch hier der Sinn gegenuber der ursprunglichen Bedeutung bei Kant;" in gewisser Weise stellt sich Husserl jedoch in die Nachfolge Kants und betreibt Transzendentalphilosophie dergestalt, daB er die Gegenstande nicht geradehin, sondern im Wie ihres Erscheinens betrachtet und damit nach deren Erkenntnisart fragt." Husserl erklart in der Krisis, er gebrauche den Begriff »transzendental« im weitesten Sinne fur die Verfolgung des neuzeitlichen Motivs, namlich des Motivs »des Ruckfragens nach der letzten Quelle aller Erkenntnisbildungen, des Sichbesinnens des Erkennenden auf sich selbst und sein erkennendes Leben « (Hua VI , 100) . Es geht also insbesondere urn die Ruckfrage nach dem Ort, an dem die Konstitution aller Objektivitat stattfindet. In diesem Sinne bestimmt Husserl an anderer Stelle das Transzendentale auch als dasjenige, welches die Transzendenz der Welt konstituiert (vgl. Hua I, 65); »transzendental« versteht sich also aus der Korrelation zur » Transzendenz«, DaB Husserl seine Philosophie ausdrucklich in der Nachfolge Kants entwickelt, zeigt sich auch in der Bedeutung, die Husserl dem transzendentalen Ich beimiBt. Ahnlich dem » Ich denke « der transzendentalen Apper zeption bei Kant" br ingt das transzendentale Ich den »Strorn« meiner Erlebnisse zu einer Einheit. Obwohl die
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Vgl. Kapitel sa) .
13 Auf diese Unterschiede kann hier nicht genau er eingegangen werden; vgl. dazu Kern (1964). 14 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 25: »Ich nenne aile Erkenntnis transzendental, die sich nicht
sowohl mit Gegenstanden, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenstanden, insofern diese a priori moglich sein soli, uberhaupt beschaftigt«. 15 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B131, B 136.
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Seinsweise des transzendentalen Ich selbst problematiseh bleiben mufs, »irnmer mit einem Rest, der unthematiseh, der sozusagen in Anonymitat bleibt« (Hua VI, in), stellt das transzendentale Ich den (unruhigen) Boden und Zusammenhalt aller Erfahrung und Wahrnehmung dar. Das transzendentale Ich geht aus der Paradoxie, daf wir einerseits Objekt in der Welt, andererseits die Welt konstituierendes Subjekt sind, dergestalt hervor, daB es sieh vorn empirisehen Ich, welches Objekt in der Welt ist, nieht nur unterseheidet, sondern jenes konstituiert-denn es konstituiert die Welt, der das empirisehe Ich zugehort, Mein empirisehes Ich kann zum Objekt fur mieh werden, es kann Gegenstand meiner Betraehtung werden, indem ieh meiner so bewuBt werde, wie andere Mensehen mieh sehen. Wenngleieh ieh einen direkteren Zugang zu mir habe, als es anderen Mensehen moglich ist, so handelt es sieh doeh urn eine prinzipielle Ubereinstimmung in der Betrachtungsweise." Das transzendentale Ich ist bestimmt als Subjekt, das nie Objekt werden kann. In diesem Sinne sprieht Husser! von der »Einzigkeit« und »Undeklinierbarkeit« des transzendentalen Ich, das aueh noeh seine eigene Deklinierbarkeit (narnlich das empirisehe Ich) konstituiert (Hua VI, 188). Doeh wie solI dann tiber das transzendentale Ich gesproehen werden? Husser! erklart, daB das reine Ich zum Objekt der Betraehtung werden kann, wenn wir unter einem Objekt nieht mehr einen Gegenstand in der Welt verstehen (vgl. Hua IV, 101). Es wird sieh jedoeh zeigen, daB das transzendentale Ich ein Gegenstand sehr eigentumlicher Art ist, der nur in einem eingeschrankten Sinne wirklieh zum Untersuehungsgegenstand werden kann. Die Seinsweise des transzendentalen Ich solI im folgenden untersueht
werden." Grundlegender Wesenszug des Ich ist seine Intentionalitat, sein dynamisehes
Gerichtetsein-auf." Demgemaf kann Husser! das Ich als »Zentrum« besehreiben, von dem Strahlen der Aufmerksamkeit ausgehen und in das Strahlen der Affektion eingehen: »Das -Gerichtetsein auf (... ) birgt notwendig in seinem Wesen dies, daf es eben ein ,YOn dem Ich dahin- oder im umgekehrten Riehtungsstrahl -zum Ich hin- ist-und dieses Ich ist das reine« (Hua III, 195). Wenn Intentionalitat so verstanden wird, ergibt sieh aueh, daB Konstitution der Welt keineswegs besagen kann, daB ieh die Welt in ihrer Existenz hervorbringe, sondern vielmehr, daB die
16 Vgl. Carr (1999), S. 116ff.Carr betont, daB viele Aspekte meines empirischen Ich auch mir selbst nicht zuganglich sind; beispielsweise kann ich keine vollstandige Kenntnis meines Charakters und meines psychischen Zustandes erlangen . 17 Bezuglich dieser Fragestellung bildet Klaus Helds Buch Lebendige Gegenwart die entscheidende Grundlage. In jener Arbeit sind auch die Manuskriptstellen zitiert, auf den en Helds systematische Auslegung beruht. Held beleuchtet vielfaltige Dimensionen der Problematik, die in vorliegender Arbeit ausgeklammert werden mussen, da hier nur aufgenommen werden kann, was fur die Fragestellung unmittelbar von Bedeutung ist. Bei einer Arbeit, deren Argumentationsgang so k1ar und dicht ist wie der von Lebendige Gegenwart, fuhrt eine solche selektive Wiedergabe unvermeidlich zu spurbaren Lucken. 18 Vgl. KapiteJ zb),
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Welt von mir ihren Sinn erhalt ." Dies muf immer im Auge behalten werden, insbesondere im Hinblick auf die Absolutheit des transzendentalen BewuBtseins: Das transzendentale Ich ist absolut, da es der Welt Sinn gibt und letztere insofern relativ, auf das BewuBtsein bezogen oder in ihrem Sinn von ihm abhangig ist. Keineswegsjedoch ist sie relativ zum BewuBtsein hinsichtlich ihrer Existenz: Das transzendentale Ich ist kein Schopfergott ." Das transzendentale Ich ist, vorlaufig gesagt, das Zentrum seines Konstituierens von Welt. Es ist normalerweise auf die Welt bezogen und bleibt verdeckt; erst durch Epoche und Reduktion kommt das immer schon stattfindende Fungieren des transzendentalen Ich zum Vorschein. Der MusterfaIl aller Welthabe ist fur Husserl, wie oben besprochen, die Wahrnehmung in ihrer Horizonthaftigkeit. Das transzendentale BewuBtsein ist immer bezogen auf Welt, und wenn man den Begriff der Intentionalitat ernstnimmt, muf man sogar sagen, daB das tran szendentale BewuBtsein nichts anderes ist als eben dieser Weltbezug." Wir haben oben gesehen, daf der Grundzug des BewuBtseins die Synthesisbildung ist, die sich auf aktiver und passiver Ebene vollzieht und deren grundlegendste Form die Synthesen des ZeitbewuBtseins sind. Will man tiber diese Grundzuge hinaus die Seinsweise des transzendentalen Ich in den Blick nehmen, so ist eine besondere Art der Ruckwendung erforderlich, eine Reflexion, die noch tiber die phanornenologische Reduktion im weiteren Sinne hinausgeht-denn die phanomenologische Reduktion fuhrt nur zu den bereits genannten Strukturen und nicht zum Ich als Zentrum aIles Intendierens. Es bedarf daher einer Radikalisierung der Reduktion, die uns auf das transzendentale Ich in seiner Absolutheit fuhrt ." Die Synthesen des ZeitbewuBtseins, die aIle Wahrnehmung und damit alle Erfahrung uberhaupt fundieren, bilden aus der Mannigfaltigkeit von Retention, Urimpression und Protention eine Einheit. Auf der Grundlage dieser Einheitsbildung konnen wir dann Gegenstande als einheitliche wahrnehmen, indem wir ihre verschiedenen Erscheinungsweisen zusammennehmen. Das Feld dessen, was mir gegenwartig gegeben ist, hat also immer schon eine gewisseAusdehnung oder Breite; das Ganze von Retention, Urimpression und Protention nennt der spate Husserl »Iebendige Gegenwart«." Urn zum Zentrum oder Kern dieser lebendigen Gegenwart vorzudringen, mussen Vergangenheits- und Zukunftshorizont einge-
19 Vgl. Held (1966), S. 4. David Carr weist daraufhin, daf Husserls Begriffder »hyletischen Daten «, welcher sich in seinen fruhen Schriften findet, irrefuhrend ist: »If in transcendental philosophy th e mind does not create the world, it is not because some kernel of uncreated, pre-given stuff is required for the mix. It is because what the mind genuinely does produce is not existence but meaning- (Carr (1999), S. 108). 20 Wir werden sehen, daB Husserl die Absolutheit Gottes als Absoluth eit anderer Art bezeichnet -ob er dabe i einen Schopfergott im Sinn hat , ist eine andere und schwierige Frage. 21 Vgl. Carr (1999), S. 106. 22 Vgl. Held (1966), S. 62ff. 23 Vgl. Held (1966), S. 19.
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klammert werden ; es bleibt das »reine Da « als Gegenwart. In dieser radikalisierten Reduktion stoBe ich einerseits auf einen sich durchhaltenden, verharrenden Kern, mache aber gleichzeitig die Erfahrung, daB dieser Kern im standigen Stromen begriffen ist und sich insofern immer entzieht. Den merkwurdigen Doppelcharaktervon Stehen und VerflieBenkennen wirvom zweifachen Sinn des» [etzt«;» Ietzt« bezeichnet einerseits die sich durchhaltende Form der Anwesenheit, andererseits eine Mannigfaltigkeit von mitwandernden Zeitstellen." Diese ursprungliche Form von Einhe it-in-Mannigfaltigkeit bildet die Grundlage dafur, daB mir ein Ding als Identisches begegnen kann. Den Zusammenhang von bleibender einheitlicher Form und verstromender Mannigfaltigkeit stellt Held anschaulich dar: »Das Ietzt als stehende und bleibende Form aktueller Anwesenheit pragt jegliches durch es HindurchflieBende, druckt ihm gleichsam den Stempel der einen Gegenwart auf und bewirkt auf diese Weise, daB das autgepragte Ietzt sich sogleich in ein Zeitstellenjetzt verwandelt «.25 Es gilt also, dieses Zusammenspiel von Stehen und Stromen zu bedenken. Interessant ist, daB Reflexion uberhaupt nur auf der Grundlage jenes merkwurdigen Doppelcharakters moglich ist, so daB es nicht urn eine Oberwindung jener Spannung gehen kann. Reflektieren ist namlich nur moglich als Uberbrucken von Abstand, setzt also eine Spaltung voraus zwischen dem reflektierenden Ich und dem Ich, auf das reflektiert wird. Gleichzeitig muB die Einheit des Ich dabei bewahrt werden; denn das Ziel der Reflexion ist ja eben dieses Ich selbst." Die Breite des Prasenzfeldes ermoglicht diese Einigung auf Abstand: Infolge des Strornens des Feldes habe ich immer schon einen Abstand von mir, und doch liegt aufgrund der wesensmafsigen Breite des Feldes ein Zusammenhang vor. Fur die Reflexion gilt einerseits , daB ich immer zu spat komme und das Ich nie wirklich aktuell in seinem Fungieren erfasse: »Immer ist zu scheiden der urlebendige Pol im urlebendigen Akte (... ) und der zum Gegenuber gewordene und als das nicht mehr lebendige Pol, der fur einen neuen, urlebendigen Pol da ist «." Andererseits kann ich nur aufgrund dieses Zuspatkommens uberhaupt reflektieren: Ohne Distanz sehen wir geradezu noch weniger als in der Nacht, in der aile Kuhe schwarz sind. Damit gilt, daB das Ich nur deshalb aufsich zuruckkommen kann, weil es bestandig fortstromt, und es sich nur deshalb mit sich identifizieren kann, weil es in der beharrenden Standigkeit des Ich schon mit sich geeint ist." Die lebendige Gegenwart ist notwendig vorzeitlich; denn sonst wurden wir in einem unendlichen Regref der Ruckfrage nach der ihr zugrundeliegenden
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Vgl. Hu sserl, EU , 467f. Held (1966), S. 32. Vgl. Held (1966), S. 80f. Ms. E 1II 2, S. 27 (1920/21),zitiert nach Held (1966), S. 121. Held hat aus einleuchtenden Grunden die Reihenfolge der Worter, die im Original »nicht mehr als das- lautete, geandert, 28 Vgl. Held (1966), S. 96.
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Zeitigung geraten. Dies macht noch einmal und in verscharfter Weise deutlich, daf wir des letztfungierenden Ich nicht habhaft werden konnen: Sobald wir es zum Untersuchungsgegenstand in einem noch so weiten Sinne machen, betrachten wir es als etwas Zeitliches und verfehlen damit sein Wesen: »( ... ) im Grunde ist die Urzeit (=die stromende Gegenwart [K. Held]) noch nicht ernstlich Zeit, sondern nur Vorstufe der Zeit als Koexistenzform «." Trotz Stellen wie den hier zitierten hat Husserl im allgemeinen die Tendenz , das Ich als letztlich doch zuganglich zu denken, den Aspekt des Stehens starker zu betonen als den des Strornens und die Vorzeitlichkeit eher als ein Noch-nicht-in-der-Zeit-Sein denn als ein Aufser-derZeit-Sein zu betrachten." Doch urn dem Phanomen gerecht zu werden, mussen Stromen und Stehen als gleich entscheidende Wesensztige angesehen werden, die beide konstitutiv fur die Moglichkeit jeder Selbstreflexion sind . DaB das fungierende Ich sich letztlich der Betrachtung entzieht, kann als seine »Anonymitat « beschrieben werden:" Das letztfungierende Ich kann sich selbst nicht reflexiv einholen; es lernt sich sozusagen nie wirklich kennen. Indem es jeder Erfahrung eines gezeitigten Gegenstandes vorausgeht, kann dieses anonyme Ich auch als »Faktum « oder »absolutes Faktum « bezeichnet werden." Gibt es dann tiber das bisher Gesagte hinaus irgendeine Moglichkeit, sich dem transzendentalen Ich weiter zu naherni Eine mogliche Strategie bestunde darin, die anderen Ich in die Betrachtung einzubeziehen; interessanterweise kann tatsachlich der in Husserls Phanomenologie zweifelsohne nicht unproblematische Bereich der Intersubjektivitat zu weitergehenden Einsichten verhelfen. Diese Vorgehensweise erinnert an Hegels Theorie des SelbstbewuBtseins; doch bei Husserl kommt es nicht zu einem Kampf von Herr und Knecht.
II. An der Stelle der Krisis, an der Husserl sich mit der Auflosung der Paradoxie von Ich als Objekt in der Welt und Ich als weltkonstituierendem Subjekt beschaftigt, sagt er zum Thema der transzendentalen Intersubjektivitat, daf das transzendentale Ich »von sich aus und in sich die transzendentale Intersubjektivitat konstituiert, der es sich dann zurechnet « (Hua VI , 188). Die Rede vom »von sich aus und in sich « ist in der Tat problematisch. Selbstverstandlich rnuf auch hier berticksichtigt werden, daf die Anderen mir nicht ihre Existenz verdanken, sondern ich ihnen Sinn gebe; aber mindestens gleichursprunglich verdanke ich mich doch auch der Sinngebung der Anderen!? Wir werden sehen, daf Husserl in der Tat diese Moglichkeit nicht nur offengelassen, sondern sich in manchen Texten auch in dieser Richtung geau-
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Ms. c 7 I, S. 17 (1932), zitiert nach Held (1966), S. 1l6. Vgl. Held (1966), S. 75 und 1l7. Vgl. Held (1966), S. 131ff. Ms. C 1, S. 4 (1934), zitiert nach Held (1966), S. 149.
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Bert hat. Aber, so betont Husserl: Selbst wenn ich behaupte, daB ich mich als Ich den Anderen verdanke (wie es beispielsweise in Hegels Theorie der Anerkennung der Fall ist), so gilt doch, daB ich der Ort bin, an dem dieser Sachverhalt ans Licht kommt. Ich bin die Instanz von allem, was ich tiber meine Abhangigkeit sagen kann : »Methodisch kann nur vom ego aus und der Systematik seiner transzendentalen Funktionen und Leistungen die transzendentale Intersubjektivitat und ihre transzendentale Vergemeinschaftung aufgewiesen werden « (Hua VI , 189). Dieser methodische Vorrang der Ichinstanz bildet auch die Grundlage dafur, daB Husserl dem transzendentalen Ich Einzigkeit zuspricht. Die Einzigkeit des Ich ist keine numerische Einzigkeit, sondern verweist vielmehr auf die Moglichkeit anderer einziger Ich: »Das einzige Ich-das transzendentale. In seiner Einzigkeit setzt es )andere < einzige transzendentale Ich - als )andere c, die selbst wieder in Einzigkeit andere setzen «." Die Moglichkeit einziger anderer Ich ist damit eindeutig zugestanden; doch in welchem Sinn verhelfen mir die anderen Ich, wie angekundigt, zu vertieften Einsichten in mein Ich? Da wir nach der Seinsart des transzendentalen Ich fragen, kann es nicht darum gehen, daB die Anderen mir etwas tiber meinen Charakter, mein Temperament oder meine Gestimmtheit verraten . Vielmehr ist dem transzendentalen Ich eine eigentumliche Geeintheit eigen, die besser verstanden werden kann, wenn man sie damit in Verbindung bringt, wie Andere mir gegeben sind. Das transzendentale Ich als stehend-strornendes ist in sich gewissermaBen die Einheit einer Pluralitat; denn das Ich, auf das ich reflektiere, geht dem reflektierenden Ich immer schon voraus, und doch bilden beide eine Einheit. Urn zu erlautern, wie intersubjektive Erfahrung moglich ist, vergleicht Husserl die Fremderfahrung gerne mit der Wiedererinnerung (vgl. Hua I, § 55). Die Gemeinsamkeit besteht darin, daB wir es sowohl in der Wiedererinnerung als auch in der Intersubjektivitat mit einer Vielheit von Erfahrungen desselben Gegenstandes zu tun haben, einmal in der Form des zeitlichen Nacheinanders, das andere Mal in der Form der Gleichzeitigkeit. Vermittelnder Bezugspunkt ist in beiden Fallen die Identitat des Gegenstandes. DaB das andere Ich mir als anderes Ich begegnet, liegt daran, daB ich es mittels der gemeinsam erfahrenen Welt als fungierendes, konstituierendes Ich auffasse. Es bestehen freilich auch entscheidende Unterschiede zwischen Wiedererinnerung und Fremderfahrung; denn die Erlebnisse der Anderen sind mir prinzipiell nur im Modus der Unzuganglichkeit zuganglich, wahrend meine vergangenen Erlebnisse zum gleichen BewuBtseinsstrom gehoren wie meine gegenwartigen ." Gleichwohlkonnte essein, daBgerade die Unzuganglichkeit des anderen Ich mir etwas daruber sagt, daB auch mein vergangenes Ich mir in gewisser Weise fremd ist. In diesem Fall dient nicht nur die uns vertraute, sich »in uns «abspielende Wiedererinnerung zur Erhellung der vermeintlich unverstandlicheren Erfahrung 33 Ms. B I 14 XI, S. 24, zitiert nach Held (1966), S. 161. 34 Vgl. Steinbock (1995), S. 51ff.
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des anderen Ich, sondern auch umgekehrt verrat uns die intersubjektive Erfahrung etwas tiber die Seinsweise unseres eigenen transzendentalen Ich. Husserl redet von der » Gerneinschaft« des gegenwartigen mit dem vergangenen Ich und entleiht somit eindeutig einen Begriff aus dem intersubjektiven Bereich: »In der Einfuhlung, im sie ursprunglich Verstehen und sie als Personen in Mitgegenwart Haben bin ich mit ihnen in Puhlung als Ich mit dem Du, mit dem anderen Ich, ahnlich wie ich in der Erinnerungsdifferenz in Fuhlung bin, in BewuBtseinsgemeinschaft mit dem vergangenen leh«.35 Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist Freilich: 1st der Ausdruck »Gemeinschaft«, der eine Se1bstvergemeinschaftung des Ich mit seinem vergangenen Ich impliziert, bloB ein anderer Begriff fur »Einigung« oder »Synthesis«, oder gibt es Grunde in der Sache selbst, die dafur sprechen, diesen Ausdruck zu verwenden? Helds Antwort lautet, daB dieser Begriffin demjenigen Bereich, in dem wir es bereits mit gezeitigten Monaden zu tun haben, in der Tat nur ein anderes Wort fur Einigung ist. 1m Bereich des vor-zeitlichen absoluten Ich ist der Ausdruck der Se1bstvergemeinschaftung jedoch aufschluBreich: » Der Gedanke der Selbstgegenwart als Se1bstvergemeinschaftung im einzigen -Ich fungiere- kann wesenhaft nur in eins und zusammen mit dem Gedanken der Mitgegenwart gedacht werden; denn die Aussage ist wortlich zu nehmen, daB das letztfungierende Ich seine eigene anonyme und einzige Vorgegebenheit in gleicher Weise hinnimmt wie die Gegebenheit des Andern, - obwohl- und darin liegt dann das Unterscheidende von Selbst- und Mitgegenwart-es dabei sein Erste-Person-Sein niemals aufgibt«." Es handelt sich also urn eine Vergemeinschaftung nicht nur dergestalt, daB eine Pluralitat zusammengenommen wird, sondern diese Einheit-in-Mannigfaltigkeit liegt nicht in meiner Hand; sie ist mir ebenso vorgegeben, wie die Anderen mir vorgegeben sind. Diese Ubereinstimmung in der Gegebenheitsweise ist gleichwohl, wie der Ausdruck schon sagt, immer eine Gegebenheit fur das leh . Held weist selbst daraufhin, daB Husserl sich mit der Einsicht, das Ich sei tatsachlich keine statische Identitat, sondern das Geschehnis einer Selbstunterscheidung und Selbstvergemeinschaftung, in der Nahe von Hegel bewegt-doch Held warnt vor vorschnellen Vergleichen, die wegen der grundsatzlich unterschiedlichen Denkweise gefahrlich sind." Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daB fur Husserl jede Intersubjektivitat zuletzt immer aufdas Ich zuruckfuhrt, dem sie gegeben ist, wah rend fur Hegel dem Wir nicht nur BewuBtsein, sondern ein hoheres BewuBtsein als dem Ich zukommt. Doch auch Husserl sagt ausdrucklich, daB transzendentale Subjektivitat notwendig zur Intersubjektivitat fuhrt, und es findet sich bei ihm sogar der Gedanke eines uberindividuellen BewuBtseins: Er spricht von »Personalitaten hoherer Ord35 Ms. E III 9, S. 84 (1931),zitiert nach Held (1966), S. 166. 36 Held (1966), S. 168. 37 Vgl. Held (1966), S. 170.
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nung « (Z. B. Hua VI , 191 f.; Hua I, § 5S). Das Konzept der Personalitat hoherer Ordnung entwickelt Husserl, nachdem er zugesteht, »daf Subjektivitat nur in der Intersubjektivitat ist, was sie ist: konstitutiv fungierendes Ich« (Hua VI , 175). Noch deutlicher heiBt es in einem Manuskript zur Intersubjektivitat: »So erweitert sich die transzendentale Subjektivitat zur Intersubjektivitat oder vielmehr, eigentlich gesprochen, erweitert sie sich nicht , sondern es versteht sich selbst nur die transzendentale Subjektivitat besser« (Hua xv, 17). Diese Stelle bewegt sich in erstaunlicher Nahe zu den Grundgedanken Hegels: Indem die Subjektivitat zu besserem Selbstverstandnis kommt, indem sie also zu sich kommt, entdeckt sie sich als Intersubjektivitat; es handelt sich gewissermaBen urn eine Bewegung vom Ansich zum Fursich. Wenn die Subjektivitat zu ihrem Selbstverstandnis als Intersubjektivitat gekommen ist, dann wird offenkundig, daB es Einheiten von Subjekten gibt, die mehr sind als eine bloBe Summe ihrer Mitglieder. Es muB allerdings unterschieden werden zwischen »losen Gesellschaften «, den en eine ubergreifende Personalitat fehlt (beispielsweise Gruppen von Menschen, die sich bloB zufallig oder gezwungenermaBen am gleichen Ort befinden) und solchen Einheiten, den en Merkmale der individuellen Person zukommen, wenngleich in bloB analoger Form (Hua XIV, 405 f.). Husserl nennt die Familie, den Verein und das Staatsvolk als Beispiele-sehr ahnlich zu Hegels Betrachtung der verschiedenen Institutionen der Sittlichkeitund erklart, daB in einem Staat der Staatswille verschieden vom Burgerwillen ist. Insofern ist es gerechtfertigt, von der »Einheit eines uberpersonalen Bewusstseins« (Hua XIV, 199) und von einer »Gemeinschaftsperson« (203) zu sprechen. Husserl vergleicht das Verhaltnis von individuellen Person en und einer Gemeinschaftsperson bzw. Personalitat hoherer Ordnung mit dem Verhaltnis zwischen Zellen und einem aus Zellen gebildeten Organismus. Ein Organismus ist offensichtlich mehr als ein bloBer Zellhaufen; er fungiert als spezifische Einheit, und ihm ist eine inn ere Organisation eigen. Gibt es eine Antwort auf die Frage, ob der Organismus der Zelle vorangeht oder umgekehrt? Ohne in biologische Debatten zu geraten, laBt sich wohl festhalten, daB fur unseren Fall der Organismus den Zellen vorhergeht, daB wir also zuerst und normalerweise dem Organismus begegnen . Widerspricht Husserl damit Hegel, der die Institutionen wie Familie, burgerliche Gesellschaft und Staat spater behandelt als das Individuum, da sie zwar das an sich fruhere, aber fur uns spatere sind? Wohl kaum. Zum einen sollten aus Husserls Bild vom Organismus nicht zu viele Schlusse gezogen werden, da es sich lediglich urn ein Bild handelt und er es kaum entwickelt. Zum anderen wurde auch Hegel zustimmen, daB ich mich immer schon in Familie, burgerlicher Gesellschaft und Staat bewege-bloB erfasse ich die Begriffe dieser Institutionen erst spater, erst nachdem ich beispielsweise ein BewuBtsein meiner selbst gewonnen habe. Damit von einer Personalitat hoherer Ordnung gesprochen werden kann, muB es in ihr eine »verharrende Habitualitat« geben, ahnlich der des Individuums (Hua XIV, 405). Mit anderen Worten, eine Personalitat hoherer Ordnung muB
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durch eine gemeinsame Geschichte geeinigt sein. Schon allein deshalb kann eine Gruppe von Personen, die sieh an einer Bushaltestelle versammelt hat, keine Personalitat hoherer Ordnung sein -auch wenn der Bus lange auf sich warten laBt. Damit sich ein uberindividuelles BewuBtsein bilden kann, muB es »gemeingeistige Erinnerungen«, muB es eine Tradition geben (Hua XIV, 205). Gleichwohl gibt es sehr verschiedene Arten der Einigung, und Personalitaten hoherer Ordnung muss en unterschieden werden von» bloss kommunikativen Gemeinschaften, Wirkungsgemeinschaften; eine Sprache entsteht nieht so wie eine Staatsverfassung im parlamentarischen Staat« (Hua XIV, 201). Damit ist nieht ausgeschlossen, daf einer Sprachgemeinschaft ein ubergreifendes BewuBtsein eigen sein kann; doch es genugt nieht, ausschlieBlich die Sprache zu teilen . Die Franzosen sind geeint durch eine gemeinsame Verfassung, und die bloBe Tatsache, daB ein Teil der belgischen Bevolkerung die franzosische Sprache verwendet, heifst noch lange nieht, daB es eine Personalitat hoherer Ordnung gabe, die aus den Franzosen und einem Teil der Belgier bestiinde. Wie laBt sieh allgemein die Einigung einer Personalitat hoherer Ordnung bestimmen? Husserls Behandlung der Intersubjektivitat hat gezeigt, daB die Begegnung mit den Anderen immer durch die Begegnung mit der gemeinsamen Welt oder dem gemeinsamen Gegenstand vermittelt ist. Umgekehrt gibt es Welt nur als intersubjektive: In der Wahrnehmung wird die Objektivitat des Gegenstandes erst dadurch gewahrleistet, daB andere diesen Gegenstand auch wahrnehmen und ich mich mit ihnen tiber diesen Gegenstand verstandigen kann." Im Fall einer »Gemeinschaftsperson« ist das Paradigma der gemeinsamen Erfahrung nicht so sehr der wahrgenommene Gegenstand als vielmehr das gemeinsame Handeln, das gemeinsame Verwirklichen." Indem die Gruppe eine gemeinsame Absicht hat-sei es eine so spezielle Absicht wie das Auffuhren eines Theaterstiicks, sei es eine umfassendere Absieht wie das geregelte Zusammenleben in einem Staat - konstituiert sie
38 Vgl. dazu Kapitel ja); vgl. genauer Zahavi (1996), der zeigt, daf die einheitliche Gegebenheit eines raumzeitlichen Gegenstandes iiberhaupt nur als intersubjektive moglich ist. 39 Vgl. Carr (1987),S. 27f. Carr untersucht ausfiihrlich, inwiefern der vermeintlich unphanomenologische Begriff der Personalitat hoherer Ordnung sich doch phanomenologisch ausweisen laEt. Dabei ist wiederum entscheidend, von meiner Zugehorigkeit zu einer Gruppe auszugehen und nicht von einer mir gegeniiberstehenden Gruppe (vgl. in dieser Arbeit Kapitel za), Carr behauptet, ein wichtiger Unterschied zwischen Husser! und Hegel bestiinde darin, daE fur Hegel die Ziele der Gruppe dem Individuum unbekannt sein konnen, wahrend fur Husser! die Mitglieder der Gruppe sich der gemeinsamen Absichten immer bewuEt seien (vgl. Carr (1987),S. 273). Dieser Auffassung Carrs widersprechen Aussagen Husser!s wie die folgende : »Meine geistige Wirkung pflanzt sich fort , ohne meine Absicht, in unbekannte Personen und Umgebungen, die auch von mir nichts zu wissen brauchen (personale Wirkungsgemeinschaften ohne Einheit einer umspannenden Gemeinschaftswollung und-handlung)« (Hua XIV, 195). Nachdem die personale Gemeinschaft einmal geeinigt worden ist, durch welche gemeinsame Absicht, Aufgabe oder Erfahrung auch immer, besteht sie gewissermaEen durch Habitualisierung fort , ohne daf noch ein gemeinsamer Wille oder ein ind ividuelles BewuEtsein auszumachen waren.
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sich als Gruppe durch das gemeinsame Gerichtetsein-auf Wie das Wahrnehmen, ja sogar offensichtlicher noch als jenes, ist das Handeln intentional. Dem uberindividuellen BewuBtsein ist wesentlich Erinnerung an eine Vergangenheit und dynamische Gerichtetheit auf eine Zukunft inne. Wenngleich die ursprungliche Absicht der Gruppe nach einer gewissen Zeit nicht mehr notwendig prasent sein mufs, so fungiert sie doch noch als habitualisierte. In der Tat spricht Husserl also bestimmten Gruppen ein uberindividuelles BewuBtsein zu; doch was ist der Status dieser Personalitaten hoherer Ordnung, und inwiefern lassen sie sich oder lassen sie sich nicht mit Hegels Begriff des Geistes in Verbindung bringen?
III. DaB Husserl jene durch ein gemeinsames Bewufstsein vereinten Gruppen als »Personalitaten hoherer Ordnung« bezeichnet, ist ohne Zweifel eine etwas umstandliche Sprechweise, durch die aber gewisse Charakteristika der Intersubjektivitat zum Ausdruck kommen. Wie verhalten sich »Personalitaten hoherer Ordnung« zu den im siebten Kapitel betrachteten Heimwelten und Fremdwelten? Es gibt wohl keine Heimwelt, der Husserl nicht zumindest ein habitualisiertes uberindividuelles Bewufstsein zusprechen wurde, und ebenso ist keine uns zugehorige Personalitat hoherer Ordnung vorstellbar, die uns nicht als geschichtlich gewordene so vertraut ware, daf wir uns nicht in irgendeinem Sinne in ihr heimisch fuhlen wurden . Letztlich scheint es sich also urn dasselbe Phanomen zu handeln. Zwar finden sich keine AuBerungen Husserls, in denen er diese Dbereinstimmung ausdrucklich bekunden wurde, aber in Paragraph 58 der Cartesianischen Meditationen, in dem Husserl die »Personalitaten hoherer Ordnung« einfuhrt, spricht er zur Erlauterung ausfuhrlich von» Kulturwelten « und davon, daB meiner Kulturwelt eine fremde gegeniibersteht. Man darf vermuten, daB der Terminus» Heimwelt« erstens einem spateren Abschnitt husserlschen Forschens zugehort und deshalb vorrangig im letzten der drei Intersubjektivitatsbande auftaucht (Hua xv), wahrend von den Personalitaten hoherer Ordnung vor allem im mittleren Band die Rede ist (Hua XIV). Zweitens werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Indem die Bedeutung der Geschichte in Husserls Denken zunimmt und er auBerdem den Begriff der Lebenswelt zum Zentrum seines Denkens macht, sind» Heimwelt « und »Fremdwelt « geeignete Ausdrucke fur solche geschichtlichen, sich wechselseitig konstituierenden Welten. Der Ausdruck »Personalitaten hoherer Ordnung « ist aber nicht nur einfach ein fruherer, weniger ausgereifter Begriff,sondern in ihm spiegelt sich einerseits Husserls Ausgangspunkt wider, namlich das individuelle personale BewuBtsein, mit dem das uberindividuelle BewuBtsein bestimmte Wesensziige teilt; zum anderen druckt »hoher« eine Hoherstufigkeit aus, welche die Fortentwicklung von Husserls Philosophie ankundigt.
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Husser! bezeichnet die »generativen Probleme von Geburt und Tod« als Probleme der »hoheren Dimension «, hoher im Vergleich zum individuellen Ego und seinem inneren ZeitbewuBtsein (Hua I , 169). Es geht ihm dabei urn Phanornene der sozialen Vergemeinschaftung im allgemeinen, also insbesondere auch urn die Bildung von Personalitaten hoherer Ordnung. »Hoherstufigkeit« bei Husser! meint gewiB keine Aufhebung im hegelschen Sinne-wenngleich das individuelle BewuBtsein tatsachlich im iiberindividuellen BewuBtsein aufbewahrt, negiert und auf eine hohere Stufe gehoben wird. Ein entscheidender Unterschied besteht, wie be reits angesprochen, darin, daf bei Husser! alle Phanornene letztlich wieder auf das einzelne BewuBtsein riickbezogen werden rnussen. Gleichwohl gibt es eine weitere interessante Ubereinstimmung zwischen Hegel und Husserl, wenn man »hoherstufig« in Verbindung zur Thematik von »abstrakt « und »konkret« bringt. Husser! erklart: Die Konstitution einer verharrenden Mitmenschlichkeit, allgemeinen Gesellschaftlichkeit in korrelativer Bezogenheit zu einer praktischen Umwelt, kann abstrakt schon vor der Generation behandelt werden, und so liegtverrnoge der Art der Zeitigung dieser praktischen Umweltals personal bedeutsamer schon eine abstrakte Historizitat darin beschlossen. Wird die Generation ins Spiel gesetzt, so ist dieser Fortschritt in der Konkretion auch eine Konkretisierung der bleibenden Mitmenschlichkeiten, Mutter bzw. Eltern und Kind etc., und zugleich haben wir eine konkreter, generativgeformte Zeitigung und historischeUmwelt. (Hua xv, 138 Fn. 2)
Generative Phanomene sind also die konkreteren im Vergleich zu statischen und genetischen Phanornenen. In ahnlicher Weise hat Husser! zuvor die genetische Phanomenologie von der statischen durch einen Fortschritt in der Konkretion unterschieden, da erstere sich mit der konkreten Monade beschaftigt und mit dem konkreten Ich, das aus abstrakten Elementen aufgebaut ist (vgl. Hua XIV, 34, 43, 47).40 Wir finden also eine Bewegung ahnlich wie bei Hegel: Das Abstrakte ist das proteron pros hemas; am Ende der Betrachtungen kommen wir zum Konkreten, welches proteron te physei ist. Es zeigt sich am Ende, daB alle friiheren Gestalten Abstraktionen des sich absolut wissenden Geistes waren. So zeigt sich auch bei Husserl, daf wir mit der statischen Phanomenologie anfangen, diese sich aber letztlich als die abstrakteste erweist : Genetische Phanomenologie abstrahiert von der geschichtlichen Dimension, und statische Phanomenologie stellt eine weitere Abstraktion dar, die von allem zeitlichen Werden absieht." Interessant ist, daB wir mit diesem Fortschreiten auch ein neues Absolutes erhalten: Nicht mehr das transzendentale Ich ist das letzte Absolute, sondern »konkret genommen ist absolut: diese Vielheit als eine Vielheit von Subjektpolen, 40 Vgl. Steinbock (1998), S. 183. 41 Vgl. Steinbock (1998), S. 183f.
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Polenfur ein jedemsolchen Pol gesondert zugehoriges konkretes Leben,konkretes Meinen,Erfahren, (.. .)« (Hua XIV, 276, Hervorhebung T.S.).Nachdemsichgezeigt hat, daB das transzendentale Ich nur Welterfahrung im eigentlichen Sinne haben kann, indem es mit anderen seinesgleichen in Gemeinschaft ist (vgl. Hua I , 166), muB die Absolutheitder Gemeinschaft zugesprochenwerden und nicht mehr dem einzelnen Ich. Dan Zahavi erlautert die Absolutheit der Monadengemeinschaft, indem er auf die Relativitat von Ich und Fremdichhinweist: » Fremdich«istin jedem Fallein Relationsbegriff; die Redevon einem Fremdichsetzt immer den Ruckbezug auf das Eigenich voraus, dem jenes andere Ich fremd ist. DaB das transzendentale Ich in gewisser Weise auch sich selbst fremd ist, wie wir oben gesehen haben, andert daran nichts. Zum einen hatte sichdie Fremderfahrung dort alsMoglichkeit gezeigt, mehr uber das Wesen des transzendentalen Ich zu erfahren, und in diesem Sinne ist sie ursprunglicher, Zum anderen nimmt das letztfungierende Ich seine Vorgegebenheit zwarebenso hin wiedie Gegebenheit anderer,doch der Ruckbezug auf das Ich wird dabei nie aufgegeben, und insofern konnen wir die Erfahrung der Anderen nie mit der Erfahrung unserer selbst verwechseln. Das Fremdich ist also Fremdichfur mich; uber dasAnsichsein desFremdichwird dabeinichts ausgesagt. 42 Gleichzeitig ist aber auch das Ich ein Relationsbegriff: Gabe es kein Du, dann gabe es kein Ich im Gegensatz dazu:" gabe es kein Fremdes,dann gabe es kein Eigenes. SowohlEigenich als auch Fremdich haben also die Seinsart der Relativitat. Daher gilt, daB erst die Monadengemeinschaft im eigentlichenSinne absolut ist: Absolut ist die »intersubjektive Aufeinanderbezogenheit absoluter Subjektivitaten « (Hua XIII,
480) .
Auch Zahavi weist darauf hin, daB Husserls Darstellung dieser Problematik an Hegels Idealismus erinnert, bezieht sich aber dann auf Fink zuruck, der betont hat, daB Husserls Auffassung keine »metaphysische Konstruktion« sei." Dies erklart auch Husser!selbst: » PhanomenologischeAuslegung ist also wirklich nichts dergleichen wie metaphysische Konstruktion und nicht, weder offen noch versteckt, ein Theoretisieren mit ubernommenen Voraussetzungen oder Hilfsgedanken aus der historischen metaphysischen Tradition« (Hua I, 177). Husserl hebt immer wieder hervor, daB seine Ergebnisse uber die Intersubjektivitat auf » BewuBtseinstatsachen« zuruckgehen und daBdie Verbindungvon Einzelsubjekten zu Personalitaten hoherer Ordnung »unmittelbarste Tatsache « der Erfahrung sei (Hua XIV, 197, 405). Gleichzeitig aber sagter,daBseine Ergebnisse metaphysisch sind, »wenn eswahr ist, daB letzteSeinskenntnisse metaphysische zu nennen sind« (Hua I, 166). Auf die Fragen nach der Moglichkeit und Notwendigkeit metaphysischer Erkenntnisse und auf die Unterschiede zwischen Hegels absolutem Idealismus und 42 Vgl. Zahavi (1996), S. 98. 43 Vgl. Zaha vi (1996), S. 65; vgl. Hua 44 Vgl. Zahavi (1996), S. 96.
XIII ,
6.
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Husserls transzendentalem Idealismus werden wir in den folgenden beiden Kapite1n zuruckkomrnen, An dieser Stelle soIlen nur kurz einige von Husserl aufgeworfene metaphysische Fragen genannt werden, bevor abschlieBend die Verschiedenheit von Hege1s und Husserls Auffassung bezuglich Subjektivitat und Intersubjektivitat betrachtet wird. Husserl uberlegt, we1cheWesensziige dem Monadenall uber seine Absolutheit hinaus zukommen: » Absolut selbstandig ist, wird man ansetzen, das Monadenall « (Hua XIV , 295). Es ist nahe1iegend, dem absoluten Monadenall Selbstandigkeit zuzuschreiben; doch Husserls Formulierung zeigt seine Vorsicht: » man « wird so ansetzen, aber das heiBt noch nicht, daB es sich wirklich urn einen aufweisbaren Sachverhalt hande1t. Letztlich laBt Husserl die Frage nach der Selbstandigkeit des Monadenalls offen, ebenso wie die Fragen danach, ob das Monadenall eine Substanz ist und ob ihm SelbstbewuBtsein zukommt (vgl. Hua XIV, 295 f.). Er ist sich der Schwierigkeit dieser Fragen und ihrer komplexen metaphysischen Implikationen bewuBt und versucht daher nicht einmal, Antworten zu geben." Was Husserls Verhaltnis zum spekulativen Idealismus angeht, so kritisiert er diesen dafur, die Subjektivitat zu uberspringen (vgl. Hua VI, 272). Es ist fraglich, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist; die Frage ware zunachst, ob Husserl hier die einze1ne oder die gemeinschaftliche Subjektivitat im Auge hat. In ersterem Fall stellt das SelbstbewuBtsein jedenfalls eine entscheidende Stufe der Phiinomenologie des Geistes dar-auch wenn sie uberwunden werden muB, so kann sie doch nie iibersprungen werden. In diesem Sinne konnte Husserl hochstens sagen, daB Hegel nicht bei der Subjektivitat stehenbleibt bzw. nicht immer wieder darauf zuriickkommt. Ist jedoch eine hohere Stufe der Subjektivitat geme int, dann muB beachtet werden, daB gerade Hegel betont, das Absolute rnusse ebenso als Subjekt wie als Substanz gedacht werden. Hegel geht es allerdings darum, die neuzeitliche Entzweiung von Subjektivitat und Objektivitat zu versohnen. Wenngleich auch Hu sserl diese Spaltung durch das Korrelationsprinzip und die Intentionalitat des BewuBtseins uberwindet, so ist es fur Husserl doch unumganglich, immer wieder zur konstituierenden Subjektivitat zuruckzukehren. Das Wir wird fur Husserl vorn transzendentalen Ich konstituiert und muB sich immer dort ausweisen lassen. Trotz dieses Unterschiedes gibt es im Rahmen von Husserls Betrachtung der Personalitaten hoherer Ordnung interessante AuBerungen uber die »Leiblichkeit « dieser Personalitaten, in denen Husserl gewissermaBen die Notwendigkeit betont, daf jene gemeinschaftlichen BewuBtseinsformen sich verobjektivieren: Eine Sub-
45 Vgl. Hua XIV, Beilage XXXVII , die mit den Satzen endet : »Verstehen wir unter einer >Monade der Mon aden «eine solche absolut selbstandige Verknupfung vieler Mon aden, so wurden wir sagen, nur eine .Monade der Monaden «kann (als absolut selbstandige) den hoh eren Substanzbegriff erfullen im Sinn Descartes'. Es kann dann nur eine solche Substanz geben, well, wenn es zwei waren, die Moglichkeit offen stunde, dass eine fur die andere sei, dass sie in Beziehung und in Wechselbeeinflussun g traten etc." (Hua XIV, 296).
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jektivitat wird nur dadurch allgemein erfahrbar, daf sie sich in einer Leiblichkeit bekundet, und so gibt es eine » gewisse Prioritat « des » Physischen, und zwar als physische Leiblichkeit, in der Erfahrung der objektiven Welt« (Hua XIV , 404 So gilt fur die Personalitaten hoherer Ordnung, »dass, sage ich, auch der >Mensch im grossen ( so etwas wie Leiblichkeit hat und eine physische Umwelt als eine Welt leiblich vermittelter Wirkungen « (Hua XIV, 206) . Auch wurdigt Husserl in deutlichen Worten den idealistischen Begriff des Gemeingeistes: »Die unter dem Einfluss des deutschen Idealismus vor mehr als einem Iahrhundert begrundete neue Geisteswissenschaft sprach gern vorn Gemeingeist. Nichts ist gewohnlicher, als dass diese Rede als Mystik oder als eine bloss fiktive herabgewurdigt wird . Das ist aber grundverkehrt (.. .) « (Hua XIV, 404). Obwohl Husserl den hegelschen Begriff des Geistes aufgreift (und sich sogar des Ursprungs dieses BegriffesbewuBt istl), gibt es tiber das bereits Angesprochene hinaus weitere entscheidende Unterschiede. Wir haben im vorhergehenden Kapitel gesehen, daB und wie das absolute Wissen aus dem religiosen BewuBtsein hervorgeht, mit dem es den Inhalt, aber nicht die Form teilt. Der hegelsche Geist ist mehr als ein bloBes KollektivbewuBtsein; er fangt als Wir-BewuBtsein an, doch wenn er sich selbst wirklich durchschaut, erkennt er sich als Gott, der bei uns sein will und sich in uns erkennt. Die Gottesfrage taucht in Husserls Werk in verwickelter Form auf; an dieser Stelle konnen nur zwei Gedankenstrange kurz verfolgt werden. Eine Moglichkeit, die sich bei Husserl aber blof in Form von Fragen angedacht findet, liegt darin , die Suche nach dem Absoluten im Sinne des Nichtrelativen weiter zu verfolgen. Unser letztes Ergebnis war, daf nicht das transzendentale Ich, sondern das Monadenall, nicht die transzendentale Subjektivitat, sondern die transzendentale Intersubjektivitat absolut ist. Doch inwiefern ist das Monadenall wirklich absolut? Inwiefern gibt es nach Entdeckung der Struktur von Heimwelt und Fremdwelt iiberhaupt noch ein Monadenall? Das Verhaltnis von Heimwelt und Fremdwelt ist ein relatives; obwohl sich die Grenzen der jeweiligen Welten wandeln und verschieben konnen, bleibt die Struktur als solche immer bestehen. Heimwelt und Fremdwelt lassen sich nicht in eine Welt aufheben, und damit kommt die Frage nach einem Absoluten auf, das eine hohere Stufe bildet und gewissermaBen die Struktur der verschiedenen Welten als solche bezeichnet. Ware dies etwas Gottlichesi Die Frage muf offenbleiben. Fraglich ist auch, ob es dem Charakter von Husserls Phanomenologie uberhaupt gerecht wird, tiber die Pluralitat der Welten hinaus nach einem einheitlichen Grundzug zu suchen. Andererseits hat Husserl selbst definitiv diese, gewissermaBen monotheistische, Tendenz. Eine andere, von Husserl in vielen Manuskripten angesprochene, jedoch kaum ausfuhrlicher erlauterte oder begrundete Moglichkeit ist es, tiber die teleologische Struktur der Geschichte zu einem Gottlichen zu kommen. Darauf wird in den nachsten beiden Kapiteln zuruckzukommen sein; vorgreifend sei hier nur gesagt, daB auch an dieser Stelle ein Unterschied zwischen Hegel und Husserl zum Vorschein kommt: Insofern sich erweisen wird, daB der teleologischen Gestalt
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der Geschichte bei Husserl eine wesensmafsige Offenheit bzw. UnabschlieBbarkeit eigen ist, so daf das Ziel der Geschichte im Unendlichen liegt, ist auch Gott weitaus weniger »greifbar « als bei Hegel. Dies fuhrt auf eine sehr wichtige Verschiedenheit: Bei Hegel kommt der Geist im absoluten Wissen zu sich selbst und gelangt zu vollstandiger Selbsterkenntnis. Husserls Denken hingegen laBt so etwas wie vollige Durchsichtigkeit nicht zu, und zwar nicht nur aufgrund der unabschlieBbaren Teleologie der Geschichte, sondern bereits aufgrund der Horizonthaftigkeit aller Erfahrung. Diese Horizonthaftigkeit bezeichnet gewissermaBen die teleologische Struktur im Kleinen , namlich die nie abbrechende Dynamik von Intention und Erfullung oder Enttauschung. In der Intentionalitat gibt es nie vollstandige, universale Klarheit . Etwas entzieht sich immer, und was ich klar erkenne, ist umgeben von einem Horizont der dunklen Unbestimmtheit, welcher sich zwar verschiebt, indem ich meinen Blick in ihn hineinschicke, welcher sich aber damit gleichzeitig nur zuruckzieht. Diese Dunkelheit wird nie autgehoben." Husserls Kritik an den positiven Wissenschaften beruht wesentlich auch darauf, daB diese falschlicherweise annehmen, zu volliger Klarheit kommen zu konnen, wodurch sie die unaufhebbare Unbestimmtheit der Lebenswelt ubersehen, Auf der Subjektseite entspricht der Horizonthaftigkeit das vorzeitliche Stromen, in dem ich meiner nie ganz habhaft werden kann, so daB jedes reflektierende Nachgewahren zu spat kommt. Damit waren wir wieder beim Beginn dieses Kapitels angekommen - Husserls Vorgehensweise entsprechend, gemaB der er immer auf die Subjektivitat zuruckkommt, Husserl selbst erklart gegen Ende seiner Betrachtungen zur Intersubjektivitat in der v. Cartesianischen Meditation : »Der Schein eines Solipsismus ist aufgelost , obschon der Satz die fundamentale Geltung behalt, daB alles, was fur mich ist, seinen Seinssinn ausschlieBlich aus mir selbst, aus meiner Bewufstseinssphare schopfen kann « (Hua l , 176).
In diesem Kapitel hat sich gezeigt, daB auch Husserl der gemeinschaftlichen Dimension genauestens nachgeht. Wie in der Philosophie Hegels, so bildet auch bei Husserl die Frage nach dem Absoluten in dieser Hinsicht einen Leitfaden : Die Gemeinschaft stellt ein hoheres und konkreteres Absolutes dar. Wenngleich Husserl betont, nicht mit metaphysischen Konstruktionen zu arbeiten, muf er doch zugeben, daB Fragen wie diejenige nach dem Absoluten ihn unweigerlich in metaphyische Gewasser fuhren. Ein Versuch, den festen Boden unter den FuBen nicht zu verlieren, ist Hu sserls Forderung, daB aIle besprochenen Phanomene dem BewuBtsein gege46 Starker noch ist dieser Gedanke bei Heidegger zu linden, in seinen Besinnungen auf die Wahrheit als aletheia, als Un-verborgenheit. Die Unverborgenheit entstammt einer urspriinglichen Verborgenheit, welche nie beseitigt wird (vgl. z:B. Vom Wesen der Wahrheit).
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ben sein und alle Behauptungen sich anhand von Erscheinungen im BewuBtsein bekunden lassen mussen. Sowohl bei Hegel alsauch bei Husserlhaben wir esletztlichmit einer Bewegung )von auBen nach innen Fest< bezeichnet gewissermaBen das Gegenteil von Beliebigkeit, und es bedeutet, daB ich meine Handlungsmafsstabe zu einem gegebenen Zeitpunkt formulieren kann, wenn ich darum gebetenwerde,wenn ichalsoRechenschaft ablegenmuG. 1mLaufe der Zeit konnen oder mussen sich meine Zieleaber durchaus wandeln und andern. Auf die Gemeinschaft, den » Menschen im groBen « ubertragen (der in den Kaizo-Aufsatzen eine bedeutende Rolle spielt), heiBen Mafsstabe, die diesen bestimmt-wandelbaren Charakter haben, Normen . Normen entwickeln sich tiber die Zeit, und dies macht es notwendig, daB wir uns tiber sieverstandigenkonnendank unserer Teilhabe am Logos. Eine Norm ist das, waszu einem gegebenenZeitpunkt » normal « ist- normal jedoch nicht einfachim SinnedesDurchschnittlichen, sondern im husserlschenSinnevon normal: Normal kann einstimmig, typisch,vertraut oder optimal heilien." 1mRahmen der Wahrnehmung ist zunachst vor allem das Normale alseinstimmigbedeutsam, wahrend eine ethischeNorm vertraut und optimal sein sollte. 1steine Norm nur noch vertraut, aber nicht mehr optimal, dann sollte eine Umwertung stattfinden. Wir sind durchaus bereit, das zuvor Anomale
11 Vgl. Bernet (1998), S. 108. 12 Vgl. Man uskript E 111 4, » Teleologie «, S. 12a: » Absolut e Ziele ( .. .) sind so, daB ich mich nur lieben kann, wenn ich ihnen folge«. Ich danke dem Direktor des Hu sserl-Archivs in Leuven, Prof. Dr. Rudolf Bernet , fur die Genehmigung, aus diesem Manuskript und aus dem Manuskript E 111 1zu zitieren. 13 Vgl. Steinbock (1995), Kapitel B, 9, 10.
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als neue Norm anzuerkennen, wenn es sich als optimal erweist. Die Durchsetzung neuer Normen kann gleichwohl zunachst Unwillen hervorrufen, wie im Falle eines Kindes mit Zahnschmerzen, das von den Eltern zum Zahnarzt gebracht wird, damit dieser eine neue , optimale Norrnalitat herstellt." Urn die Entstehung und Entwicklungvon Normen zu betrachten, kann eine statische Vorgehensweise nicht zureichen; eine »dynamisch-genetische « Sichtweise ist notig (Hua XXVII , 55).15 Doch Husserl betrachtet in den Kaizo-Aufsatzen nicht blof die Genesis von Normen, wie er es in den verschiedenen Manuskripten zur Normalitat tut. Insbesondere der Aufsatz »Formale Typen der Kultur in der Menschheitsentwicklung«, der als funfter und letzter Aufsatz abgedruckt ist (Hua XXVII, 59-94), besteht aus geschichtlichen Betrachtungen, die zum einen das Bestehen und die Veranderung von Normen tiber die Generationen hinweg betreffen, zum anderen die unterschiedliche Rolle von Normen in Antike, Mittelalter und Moderne untersuch en. Insofern gehen Teile der Betrachtungen tiber eine genetische Phanomenologie hinaus und gehoren einer geschichtlich-generativen Phanomenologie an .
III. Normen haben den merkwurdigen Doppelcharakter, daB sie von uns . gemacht -, gestaltet, hervorgebracht werden und wir sie gleichzeitig ubernehmen und immer schon ubernommen haben. Dieser Doppelcharakter verlangt nach einer geschichtlichen Betrachtung. Man konnte meinen, daB Husserls Forderung nach »Rationalisierung«, nach vernunftiger Kritik, ihn naturgemaf dazu bringen wurde, ein kritisches Hinterfragen aller Normen anzustreben, dergestalt, daB keine Norm unbefragt ubernommen wurde. Diese moderne, vom Geist der Aufklarung inspirierte Tendenz ist wohl in der Tat die in Husserls Denken vorherrschende-aber sie wird begleitet von einem BewuBtsein fur den Wert » -altehrwu rdiger - Tradition « (Hua XXVII, 58). Die Tradition ist zwar nicht unantastbar, verlangt aber eine besondere Achtung, und zwar deshalb, weil Normen nicht nur immer schon von uns ubemommen worden sind, sondern weil diese Habitualisierung notwendig ist fur ethisches Handeln: Wir konnen nicht in jeder gegebenen Situation die Normen in Frage stellen und eine kritische Entscheidung treffen. Dies wurde nicht bloB zu viel Zeit in Anspruch nehmen (also schnelles Handeln unmoglich machen), sondern uns auch hoffnungslos uberfordern. Nur indem gewisse Normen uns zur »zweiten Natur « geworden sind (37), ist ethisches Handeln moglich.
14 Husser! selbst zieht bevor zugt ein bestimmtes medizinisches Beispiel heran, namlich eine Augenoperation oder das Tragen einer Brille, wodurch der Sehsinn optimiert wird . Hier wird eine neu e Norm etabl iert, die dem Betroffenen zuvor als solche unbekannt war (vgl. Ms. D 13 II, 206b, in: Steinbock (1995), S. 146 u. 297). 15 Die ersten beiden Kaizo-Aufsatze gehoren der statischen Phanomenologie an: im dritten Aufsatz
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Wahrend das kritische Hinterfragen, wie bereits erwahnt, eine neuzeitliche Errungenschaft ist, die allerdings gewisse Wurzeln in der griechischen Antike aufweist, findet Husser! eine besonders ausgepragte Form der Habitualisierung von Normen in der religiosen Kultur. Die »Stufe religioser Kultur « und die »Stufe wissenschaftlicher Kultur« sollen nun kurz skizziert werden. Husser! sagt, daB wir in jeder »hoherentwickelten Kultur « eine Kulturform der »Religion« finden (60).16 In Religionen haben bestimmte Gesetze den Status absoluter Normen, also solcher Normen, die nicht nur faktisch, unter der Herrschaft eines bestimmten Machthabers oder zu einer bestimmten Zeit gelten, sondern derer wir uns als unbedingt geltende bewuBt sind . Die Festsetzer dieser absoluten Normen sind die transzendenten Machte, die in dieser Religion als Gottheiten gelten. Eine Religion enthalt demgemaf ein System absoluter Geltungen. Solange die Vorherrschaft der Religion unangestastet bleibt, deckt sich das normale Leben mit dem religiosen (vgl. Hua XXVII , 61). Husser! faBt die religiosen Verhaltnisse in folgender lakonischen Bemerkung zusammen: »Eine Spannung zwischen Autoritat und Freiheit kann es nicht geben , so wenig wie es fur den Traumenden ein BewuBtsein der Illusion gibt; es setzt eben das Erwachen voraus« (ebd .). Auch wenn wir aus der Religion etwas tiber die Existenz unbedingter Sollensanspruche und tiber die Habitualisierung von Normen erfahren konnen und wenngleich ein solches Leben zunachst in sich konsistent ist und ein friedliches Zusammenleben ermoglicht, ist das Erwachen doch unumganglich. Dies liegt nicht zuletzt daran, daf die religiosen Kulturen zumeist hierarchische waren und sind ; Husser! spricht explizit von der »imperialistischen « Gemeinschaft der Priester im Mittelalter (90). Eine hierarchische Kultur hat unvermeidlich den Charakter der Unfreiheit (vgl. 63);damit aber steht sie gerade unserem ethischen Vermogen, unserem Verrnogen kritischer Stellungnahme entgegen, das nichts anderes ist als unsere Freiheit. So erwachst der Religion zwangslaufig eine religiose Freiheitsbewegung. Es ist bemerkenswert, daB Husser! sich auf die aus der Religion selbst hervorgehende Bewegung der Kritik konzentriert, auf die immanente Kritik also, anstatt den Blick auf die von Philo sophie und Wissenschaft ausgehende externe Kritik zu rich ten . Er sagt vielmehr, daf sich die religiose Freiheitsbewegung und jene anderen Freiheitsbewegungen kreuzen, also zusammenspielen, daB die Selbstkritik der Religion und ihre Umgestaltung aber sehr wohl ein eigener, sich tatsachlich vollziehender Vorgang ist (Hua XXVII, 67). Die Betonung dieses Sachverhalts ist ein weiterer Beleg fur die Wertschatzung, die Husser! der Religion und damit im weiteren Sinne einer Habitualisierung von Normen entgegenbringt.
fuhrt Husserl, wie er selbst erklart, eindeutig eine genetische Analyse durch. Vgl. auch Welton (1991), S. 586. 16 Warum Husserl nur von »h oherenrwickelten- Kulturen spr icht, soli hi er dahingestellt bleiben. Moglicherweise ist diese Beschrankung in seinem Begriff von Religion begrundet, der die Existenz einer in gewissem MaBe ausg earbeiteten Lehre impliziert.
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Dem steht die Stufe wissenschaftlicher Kultur gegenuber, die »Stufe einer sich selbst und ihre Umwelt aus rein autonomer Vernunft und naher aus wissenschaftlicher Vernunft gestaltenden Kulturmenschheit « (73). Obwohl Philosophie und Wissenschaft ihre Urstiftung im antiken Griechenland erfahren haben , findet die Stiftung einer Ethik auf der Grundlage »rein autonomer Vernunft « erst in Kants Philosophie statt. Kant spielt daher eine wichtige, wenngleich nicht immer eindeutige Rolle in den Kaizo-Aufsatzen. Husserl spricht an vielen Stellen vorn kategorischen Imperativ, der fur jeden Menschen in Geltung ist, so daB ein Mensch nur dann ein »wahrer « Mensch ist, das heifst, dem Ideal entspricht, wenn er sich und sein Handeln dem kategorischen Imperativ unterstellt. Gleichwohl will Husserl mit dem Ausdruck des kategorischen Imperativs nicht »die Kantische Formulierung und die Kantische Begriindung, kurz die Kantischen Theorien ubernehmen, nur das eine sei gesagt, daB der einzelne Mensch ein Leben lebt, das, nicht in beliebiger Weise dahingelebt, einen Wert hat « (44). Diese Erklarung schafft zugegebenermaBen nicht allzuviel Klarheit. Worum es Husserl eigentlich geht, wird im weiteren Zusammenhang der Aufsatze deutlich: Den kategorischen Imperativ versteht Husserl vor allem wortlich, als einen unbedingten, also absoluten Sollensanspruch, dem wir unterstehen und den wir zur Grundlage unseres Handelns mach en konnen, Ziel ist ein Leben der Selbstreflexion, der Selbstbestimmung aus reiner Vernunft. »Die absolut rationale Person ist also hinsichtlich ihrer Rationalitat causa sui «, sagt Husserl (Hua XXVII, 36). Damit bewegt er sich nah an Kants Forderung, nicht bloB der Pflicht gemafs, sondern aus Pflicht zu handeln bzw. den kategorischen Imperativ nicht nur zum principium diiudicationis (Entscheidungsprinzip), sondern auch zum principium executionis (Ausfuhrungsprinzip) zu erheben . In der Neuzeit streben Religion und Philosophie notwendig auseinander. Dies besagt nicht, daB der Glaube als solcher und seine Inhalte verworfen werden-die Vorherrschaft autonomer Vernunft bedeutet jedoch, daB nichts aufgrund kirchlicher Autoritat ungepruft hingenommen werden kann (vgl. 92). Damit richtet sich die Neuzeit insbesondere gegen das Mittelalter. Dort hatte die Herrschaft der Religion so dogmatische und imperialistische Formen angenommen, daB die Neuzeit sich zu einem radikalen Gegenschlag gezwungen sah. Dabei wurden die Vorzuge vorneuzeitlicher Kultur iibersehen bzw. gingen in den Reformbewegungen unter. Husserl zufolge unterscheidet sich die neuzeitliche Philosophie von der antiken insbesondere darin, daB sie samtliche traditionelle Wissenschaften der radikalen Vernunftkritik unterwirft, welcher schlieBlich nur die Mathematik standhalten kann (vgl. ebd.). Indem Husserl die Vorzuge der religiosen Kultur ebenso wie ihre Nachteile hervorhebt, macht er darauf aufmerksam, daB dort Einsichten zu finden sind, die nicht vorschnell verabschiedet werden sollten. Ein solche Einsicht ist die der Habitualisierung von Normen. Damit einhergehend steht der neuzeitlichen Indi-
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vidualisierungstendenz, also der Tendenz, das Gewieht auf das Gewissen und die Vernunft der handelnden Person zu legen, eine alteuropaische Tradition vergemeinsehafteter Normen gegenuber, Trotz der vielfaehen Bezugnahmen auf Kant weieht Husserl daher von der kantisehen Ethik insofern ab, als eine ethisehe Handlung fur Husserl keinen spontanen Neuanfang bedeutet. Im Rahmen von Husserls Philosophie ist ein ethiseher unbe dingter Neuanfang schon insofern nieht rnoglich, als die intentionale Grundstruktur von Erwartung und Erfullung oder Enttauschung aIle Bereiehe durehdringt. Fur die Ethik heiBt dies, daB bestimmte Erwartungen an uns herangetragen werden, zu denen wir uns auf versehiedene Weise verhalten konnen. Egal, was wir tun und wie wir im konkreten Fall handeln (und sei es, daB wir allen expliziten und impliziten Erwartungen widerspreehen): Unser Handeln steht in Beziehung zu diesen Erwartungen. Auf welche Weise die vorneuzeitliehen Einsiehten in das neuzeitliehe Konzept der Vernunftautonomie aufgenommen oder mit diesem vermittelt werden konnten, erklart Husserlleider nieht genauer. Er gibt allerdings zwei wiehtige Hinweise. Erstens sprieht Husserl von einer Urstiftung ethisehen Lebens, die jede Person fur sieh vollziehen muB, indem sie sieh besinnt und den EntsehluB faBt, ein ethisehes Leben zu fuhren und sieh unbedingten Sollensanspruchen zu unterstellen (vgl. 43). Auf diese Urstiftung folgt die Habitualisierung der kritisehen Einstellung, so daB eine »habituelle kritisehe Stellungnahme «gebildet wird (63). Der Entschlufs, kritiseh zu leben und zu handeln, muB damit nieht immer wieder von neuem gefaBt werden. Gleiehzeitig besteht die Moglichkeit, daB ieh eine gewisse Norm fur mieh dergestalt iibernehme, daB ich sie gewissermaBen intuitiv in bestimmten Situationen zur Anwendung bringe, ohne jedes Mal wieder .von vorn anzufangen ( und die Norm zu reehtfertigen. Damit haben wir aber die Ebene des Individuums noeh nieht verlassen. Der zweite Punkt bezieht sieh darauf, daB Normen »den Charakter eines verfugbaren Besitzesund Gutes «annehmen konnen, »fur das einzelne Individuum, aber aueh fur die Gemeinschaft « (Hua XXVII, 75). Die verniinftige Begriindung der Norm muB zwar prinzipiell moglich sein, wird aber fur die faktisehe Anwendung der Norm nieht notwendig durehgefuhrt; denn die Norm gehort sehlieBlieh einem »verfugbaren Besitz« an. Doeh dam it die Norm zu einem solchen uberlieferten Besitz wird, sollten sieh versehiedene Person en uber langere Zeit hinweg ihrer Vernunftigkeit versiehern, und die Person, welche die Norm zur Anwendung bringt, muB jene der Moglichkeit naeh, wenn aueh nieht zwangslaufig der Wirkliehkeit naeh begrunden. Gibt Husserl uns damit einen MaBstab an die Hand fur die Festlegung bestimmter normativer Gesetze? Alle Begrundung von spezifisehen Gesetzen, so sagt er, gehort »zum Aufbau der Individualethik selbst und nieht mehr zum Entwurf ihrer prinzipiellen Richtlinien « (43). Dies ist nur konsequent im Sinne von Husserls Absiehten in diesen Aufsatzen und bewahrt ihn zudem davor, sieh in die Untiefen
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der Ausarbeitung einer Ethik zu begeben. Es ist nicht Husserls Anliegen, eine vollstandige ethische Theorie zu entwickeln und einen Standort in der kontroversen Diskussion solcher Theorien einzunehmen. Gleichwohl konnen mindestens aus seinen Analysen von Heimwelt und Fremdwelt bestimmte Schlusse gezogen werden, was die Anerkennung von Grenzen betrifft. Darauf werden wir im nachsten Kapitel zuruckkommen. Was die Rolle des Phanornenologen oder der Phanomenologin angeht, so laBt sich festhalten, daB diese Rolle keineswegs blof deskriptiv, sondern vielmehr normativ iSt. 17 »Die Philosophen sind die berufenen Reprasentanten des Geistes der Vernunft, das geistige Organ, in dem die Gemeinschaft (... ) zum Bewufstsein ihrer wahren Bestimmung (ihres wahren Selbst) kommt« (54). Die Philosophen gehen gewissermaBen mit gutem Beispiel voran, indem sie ein kritisches Leben der Selbstbesinnung und Selbstbefragung fuhren. Husserl geht sogar so weit, den Philo sophen als »echten Menschen « und dam it als Ideal des ethischen Strebensprozesses zu bezeichnen (89). Husserls Philo sophie sieht nicht vor, daf die Phanornenologen blof die bestehenden Verhaltnisse und ihre Veranderungen konstatieren, sondern ihre Aufgabe ist es, Krisen ebenso wie Verbesserungen wahrzunehmen und im Fall einer Krise durch kritische Besinnung eine Diagnose vorzunehmen. Damit stellt sich freilich die Frage, wie die Philosophen eine Krisensituation erkennen. Doch Husserl zufolge ist dies keine wirkliche Schwierigkeit: Eine Krisensituation macht sich durch Unzufriedenheit im Bewufstsein der Gemeinschaft bemerkbar, wie es zur Zeit der Abfassung der Kaizo-Aufsatze der Fall war und wie es in anderer Weisebeispielsweise im Mittelalter geschah. Der Phanomenologe hat demnach die Aufgabe, solchen Stimmungen gegeniiber aufmerksam zu sein. Er muf also mit der Gemeinschaft in enger Beruhrung bleiben, was auch die Voraussetzung fur jede positiv-kritische Beeinflussung der Gemeinschaft durch den Philosophen ist. Diese Feststellungen werfen ein Licht aufbestimmte Bedingungen des Verhaltnisses von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein, urn das es im Schlufsteil dieser Arbeit gehen wird .
b. Die Phiinomenologie der absoluten Idee beiHegel Hegel unterscheidet seinen absoluten Idealismus vorn subjektiven Idealismus Kants und Fichtes; er wirft beiden vor, daf in ihren Philosophien alle Objektivitat letztlich Subjektivitat ist. An Husserls Phanomenologie hatte Hegel voraussichtlich dieselbe Kritik geubt, Dies ware insofern ungerechtfertigt, als Husserl ebenso wie Hegel den kantischen Abgrund zwischen Ding als Erscheinung und Ding an sich ablehnt und sein transzendentaler Idealismus realistische Elemente enthalt, Gerechtfertigt ware
17 Vgl. Steinbock (1998).
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die Kritik aber insofern, als Husserl immer auf die transzendentale Subjektivitat zuruckgeht, und sei sie auch als transzendentale Intersubjektivitat verstanden. Hegels Denken dagegen ist Denken des Absoluten. Das Absolute ist Einheit von Subjektivitat und Objektivitat; es ist damit die Einheit zweier Entgegengesetzter und birgt die Negation in sich." In der Phiinomenologie des Geistes beobachten wir, wie das Absolute zu sich kommt. Damit bleibt un s anscheinend nicht viel zu tun. Im folgenden soU nach einigen einleitenden Oberlegungen zur hegelschen Methode untersucht werden, ob das Zusehen des Phanomenologen bei Hegel ganzlich unwirksam bleiben muf in bezug auf die Wirklichkeit. Dazu ist es notig, Hegels oftmals als reaktionar kritisierte Oberlegungen zum Verhaltnis von Moralitat und Sittlichkeit zu bedenken. Dieses Verhaltnis steUtsich in der Phiinomenologie anders dar als in der Rechtsphilosophie; eine Frage lautet daher, warum in der Phiinomenologie die Sittlichkeit der Moralitat vorangeht. Diese Betrachtung fiihrt auf das Gewissen als Kern des Moralitatskapitels in der Phiinomenologie. Anhand der Parallelitat zwischen sinnlicher GewiBheit und Gewissen soU der Gang des Gewissenskapitels skizziert werden .
1. Genauere Ausfiihrungen uber die hegelsche Methode finden sich im funften, sechsten und achten Kapitel der vorliegenden Arbeit. Hier seien drei Wesenszuge hervorgehoben, die aus verschiedenen Aufsatzen tiber Hegels Methodik entliehen worden sind: a. Hegels Methode in der Phiinomenologie des Geistes ist deskriptiv-phanornenologisch, nicht dialektisch." Dialektisch ist die Erfahrung des BewuBtseins selbst, die wir phanomenologisch betrachten. Unsere Aufgabe ist es, uns ganz auf die Entwicklung unseres Gegenstandes einzulassen und diese zu verfolgen. Dieses Sicheinlassen unterscheidet den Phanomenologen im hegelschen Sinne von einem ganzlich unbeteiligten Analytiker, der aUes Leben in dem auseinanderzulegenden Gegenstand abtotet. Unser Gegenstand ist nicht tot, sondern in lebendiger dialektischer Entwicklung begriffen. DaBdie Erfahrung des Bewufstseins dialektisch ist, hangt wesentlich mit der bedeutenden RoUe der Sprache zusammen: BewuBtsein ist Dialog, Dialog zwischen natiirlichem und philosophi schem Bewufstsein, Dialog zwischen solchen, die einander widersprechen und einander damit herausfordern, den eigenen Standpunkt zu bedenken, zu begrunden und in Frage zu steUen.
Vgl. Volkrnann-Schluck (1998), S. 10 f. Volkmann-Schluck sagt: »Das Absolute, die Einheit Entgegengesetzter, birgt also die Negation in sich. Und das ist eine une rhorte Neuerung innerhalb der Denkgeschichte«. 19 Vgl. Dove (1971). Vgl. zu Hegels phanomenologischer Methode auch Pippin (1975).
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b. Hegels Philosophie ist ein Idealismus, aber auch ein Realismus. Genauer gesagt ist sein Idealismus ein epistemologischer Realismus, wie Kenneth R. Westphal in subtilen Analysen aufgewiesen hat, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann." Beispielsweise ist der Begriff nicht etwas aufserhalb der Welt Befindliches, sondern besteht nur als die Verbindung von Dingen und ihren Eigenschaften in der Welt." Es gibt kein den Erscheinungen transzendentes Ansichsein, sondern das Wirkliche ist wesensmafsig auf das Erscheinende bezogen. Der Gegenstand des Erkennens ist die Welt selbst. Das Bewufstsein ist die Realitat, und die Realitat ist das Bewufstsein- hierdurch erhalt nicht nur die Realitat ihre Bestimmung (im Sinne eines Idealismus), sondern auch das Bewulstsein die seine (im Sinne eines Realismus). Hegel erklart in der Einleitung der Phanomenologie, daf die Prufung der Wahrheit des Bewufstseinsdarin besteht zu sehen, ob der Begriff dem Gegenstand oder der Gegenstand dem Begriff entspricht (vgl. PhG, 77). Der erste Weg war traditionell die Prufrichtung der Realisten, der zweite die der Idealisten - Hegel zeigt auf, daB beides dasselbe ist.22 c. Hegels Methode ist deskriptiv, nicht normativ," Wir werden in der Einleitung aufgefordert, unsere Auffassungen beiseite zu lassen und blof zuzusehen, wie das Bewufstseinsich entwickelt. Der Phanomenologe bzw. die Phanomenologin im hegelschen Sinne beobachtet, ohne selbst Stellung zu beziehen. Die Besonderheit oder die Faktizitat des Phanornenologen gehen nicht in die Betrachtung ein. Der hegelsche Phanomenologe kann sich rein deskriptiv verhalten und die Entwicklung der Weltgeschichte beschreiben, weil diese sich vollendet und damit die Zeit getilgt hat. Damit nimmt der Philosoph im hegelschen Sinne einen Standort aufserhalb der Geschichte ein und beschreibt im Riickblick, wie sie sich ereignet hat - freilich nicht im Sinne einer Tatsachenbeschreibung, sondern im Hinblick auf die logische Entwicklung des Geistes selbst. Dennoch bleibt das Problem bestehen, daf der Hegelianer nicht an der Entwicklung von geschichtlichen Bedeutungen teilhat, da er eben nicht in dieser Geschichte steht bzw. sich am Vollendungspunkt der Geschichte befindet. Vollendung der Geschichte bedeutet dabei nicht, daB sich nichts mehr ereignet, sondern vielmehr, daB die wesentlichen Gestalten ausgeschopft sind. Die Gestalten konnen in besonderer Form wieder und wieder auftreten, aber es kommt keine wesentlich neue Gestalt hinzu; dazu mehr im nachsten Kapitel.
20 VgI. Westphal (1989) . 21 VgI. Westphal (1989), S. 144. 22 Vgl. Dove (1971). 23 Vgl. hier zu und zum folgend en Steinbock (1998), S. 176.
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Aus der Tatsache, daf keine neuen Gestalten mehr auftreten und der hegelsche Philosoph vom Vollendungszustand aus zuruckblickt, leitet Steinbock einen wichtigen Unterschied zwischen Husserl und Hegel ab:24 Der Phanomenologe im hegelschen Sinne erfahrt keine Krisen, wahrend Krisenerfahrungen wesentlicher Bestandteil der husserlschen Phanomenologie sind und sogar eine diese Philosophie motivierende Rolle spielen. DaB es in Hegels Philosophie keine Krisenerfahrungen gibt, heiBt nicht , daB es keine miBlichen Entwicklungen gibt. Eine Krise jedoch bezieht sich auf das Ganze und bedeutet, daf auf dieses Ganze bezogene Reformen notwendig sind. Nun ist der Vorwurf, daB Hegels Philosophie keine Kritik an der geschichtlichen Situation einschlieBt und insofern konservativ im wortlichen Sinne ist, keineswegs neu, und er fordert schon allein aufgrund seiner Popularitat dazu auf, ihn mit Vorsicht zu betrachten. Gleichzeitig laBt sich vermuten, daB der Vorwurf eine gewisse Berechtigung hat; zumal AuBerungen dieser Art nicht nur pauschal, sondern durchaus im Blick auf und unter Kenntnisnahme von Details hegelscher Philosophie geaufsert wurden." Eine Stelle,an der Hegel sich ganz deutlich daruber auBert, daf er nicht sagen will, was sein soll, ist folgender Abschnitt aus der Vorrede der Rechtsphilosophie: So soli denn diese Abhandlung, insofern sie die Staatswissensehaft enthalt, nichts anderes sein als der Versuch, den Staat alsein in sich Vernunftiges zu begreifen und darzustellen. Als philosophisehe Sehrift mug sie am entferntesten davon sein, einen Staat, wie ersein soli, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nieht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soli, sondern vielmehr, wie er, das sittliehe Universum, erkannt werden solI. (...) Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist aueh die Philosophie ihre
Zeit in Gedanken erfaflt. (RPh, 26)
Diese Stelle ist so eindeutig, daB sie wohl kaum der Interpretation bedarf. Urn zu sehen, inwiefern Hegel durchaus auch Uberlegungen dazu einbringt, wie das gemeinschaftliche Leben der Menschen verbessert werden kann, mussen wir tiefer in die Problematik von Moralitat und Sittlichkeit eindringen. Hier nur so viel: Ein Grund dafur, warum Hegel sich gegen eine Darstellung des Staates, »wie er sein soll «, ausspricht, ist, daB eine solche Darstellung in willkurliche Phantaste24 Steinbo ck (1998). 25 Urn nur ein Beispiel zu geben, das aufgrund seiner Relevanz fur die betrachtete Problematik ausgewahlt worden ist, sei hier Tugendhat zitiert : »Die Moglichkeit eines selbstverantwortlichen, krit ischen Verhaltnisses zum Gemeinwesen, zum Staat, wird von Hegel nicht zugelassen, vielmehr horen wir: die bestehenden Gesetze haben eine absolute Autor itat: was vom Ind ividuum zu tun ist, steht in einem Gemeinwesen fest; das eigene Gewissen des Einzelnen hat zu verschwinden , und an die Stelle der Reflexion tritt das Vertrauen ; das ist es, was Hegel mit der Aufhebung der Moralitat in Sittlichkeit meint - (Tugendhat (1979),S. 349).
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rei munden konnte, Wer sich davon last, wie der Staat ist, verliert die Realitat aus den Augen - und Hegel ist, wie oben kurz angesprochen, durchaus auch ein Realist. Hegel sagt selbst, daB es nicht darum gehen kann, den ideal en Staat zu »konstruieren «. Es kommt aber auch nicht nur darauf an, das Bestehende zu betrachten, sondern darauf zu untersuchen, wie der Staat »erkannt werden soll «. Dies ist entscheidend; denn damit ist gesagt, daB es verschiedene Moglichkeiten gibt, dies zu tun, und wir in Abhangigkeit von der Erkenntnisweise auch Unterschiedliches erkennen. Wenn wir den Staat vernunftig ansehen, werden wir auch Vernunft in ihm tinden. Daruber hinaus ist die uns gegebene Wirklichkeit von solchem Reichtum, daB sie uns vieles sagen kann, wenn wir sie nur zu lesen wissen. Die Wirklichkeit selbst kann uns sagen, was wir tun sollen, namlich tun sollen angesichts dieser Wirklichkeit (und nicht im -Iuftleeren Raum-) . II. DaB wir die Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren sollen, ist eine banale, aber gleichwohl wichtige Feststellung, die in Hegels Ausfuhrungen uber Moralitat und Sittlichkeit ihre Konkretion erhalt, In der Phanomenologie tauchen Moralitat und Sittlichkeit zwar auf; doch das Verhaltnis beider ist nicht so deutlich und systematisch entwickelt wie in Hegels spaterem Werk und vor allem in der Rechtsphilosophie. Es sollen hier einige kurze Bemerkungen zum allgemeinen Verhaltnis dieser beiden Begriffe gemacht werden-so allgemein, daB sie auch dem Verstandnis der Phiinomenologie dienlich sein konnen, in der das Zusammenspiel beider angelegt ist. Grab gesagt bezieht sich Moralitat auf ein individuelles BewuBtsein, wah rend Sittlichkeit immer mit einer Gemeinschaft zu tun hat: Es gibt nicht -rneine- Sitte, sondern es muf sich mindestens urn die Sitte einer kleinen Gemeinschaft wie einer Familie handeln (»In unserer Familie ist es Sitte, zu Weihnachten ... «}, Den Begriff der Moralitat ubernimmt Hegel von Kant, der ihn mit der Legalitat kontrastiert hatte: Dem blof pflichtgemafsen Handeln steht das Handeln aus Pflicht gegenuber, Die Moralitat ist vernunftig und frei. Sie entspricht dem Geist der Moderne, der das Subjekt zum obersten Prinzip erhebt und kein Gesetz ungepruft iibernimmt. Auf dem Standpunkt der Moralitat ist es das hochste Recht des Subjekts, »nichts anzuerkennen, was ich nicht als verniinftig einsehe « (RPh, §132). Es handelt sich somit urn eine hohere Geistesstufe als die Stufe der antiken Sittlichkeit: In der Antike lebte der Einzelne nach den Gesetzen der Gemeinschaft, ohne diese in Frage zu stellen. Es herrschte Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft."
26 Es versteht sich von selbst, daB Ausnahmen hiervon existiert en-aber fur Hegels Betrachtungen
kommt es auf den Geist an, der die Zeit durchdrang, und nicht darauf, ob es einige Zweifler oder gar Revolution are gab.
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Der Zustand der Moralitat ist damit ein Entzweiungszustand, in dem das Individuum seinen eigenen Willen als den Gesetzen der Gemeinschaft gegenuberstehend und unter Umstanden mit diesen im Konflikt befindlieh erkennt. Ein Hauptkritikpunkt Hegels am Standpunkt der Moralitat nach Kant ist die Inhaltsleere, die sieh daraus ergibt, daB das Subjekt sich seine Gesetze selbst gibt. Es deutet sich bereits an, daB die Moralitat als Entzweiungsgestalt aufgehoben werden mufs, Dies geschieht in einem Zustand, den Hegel als Sittlichkeit bezeichnet; freilieh handelt es sich nieht mehr urn die unmittelbare Sittlichkeit der antiken Welt. An die Stelle der Identitat von individuellem Willen und gemeinschaftlichen Gewohnheiten und Sitten tritt ein Verhaltnis beider, so daB das Individuum die Sitten aus Uberzeugung iibernimmt. Diese Form der Sittlichkeit ist im christliehen europaischen Staat
verwirklicht." In diesen vorlaufigen Uberlegungen tritt bereits eine gewisse Schwierigkeit des Verhaltnisses von Moralitat und Sittlichkeit zutage : Historisch betrachtet geht die Sittlichkeit der Moralitat voraus und folgt ihr auch nach oDie unmittelbare Form der Sittliehkeit finden wir in der Antike, die vermittelte Form in den europaischen Staaten der Zeit Hegels. Die vermittelte Form der Sittlichkeit hatte Hegel zur Zeit der Abfassung der Phiinomenologie noch nicht durchdacht (-wie sieh auch sein Staat noch im Umbruch befand). Dies ist, ganz grab gesagt, der Grund dafur, daB in der Phiinomenologie die Sittlichkeit (narnlich die antike Sittlichkeit) der Moralitat vorhergeht und die Moralitat dann gleieh in die Religion einmundet," wahrend in der Rechtsphilosophie die Sittlichkeit auf die Moralitat folgt." In der Enzyklopiidie findet sich eine besonders klare Definition der Sittlichkeit: Diese Einseitigkeiten aufgehoben, so ist die subjektive Freiheit als der an und fur sich allgemeineverniinftige Wille, der in dem BewuBtseinder einzelnen Subjektivitat sein Wissen von sich und die Gesinnung wie seine Betatigung und unmittelbare allgemeine Wirklichkeit zugleich als Sitte hat,-die selbstbewuBte Freiheit zur Natur geworden. (Enz. III, § 513)
27 » [Dlie Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willku r und die Wahrheit hat ihr Ienseits und ihr e zufallige Gewalt abgestreift, so daB die wahrhafte Versohnung objektiv geworden, welche den Staat zum Bilde und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet (. . . ) « (RPh, § 360) - Das germanische Reich ist der Rechtsphilosophie zufolge die Versohnung von Subjektivitat und Objektivitat, Das griechische Reich war noch bestimmt durch die Einheit von Subjekt ivitat und Objektivitat: in ihm herrschte die Verkliirung zur »freien und heiteren Sittlichkeit « (RPh, §356) . 1m rom ischen Reich findet die Zerreifsung des sittlichen Lebens in die Extreme privaten SelbstbewuBtseins und abstrakter Allgemeinhe it statt (RPh, § 357),die im germanischen Reich au fgehoben werden muB.Vgl. zu den Problemen dieser Position, die solche Staaten auBer acht liiBt, in denen sich noch kein vernunftiger Freiheit sbegriffverwirklicht hat : Siep (1982), S. 92. 28 Eine andere Frage ware die danach, inwiefern die Religion gewisse strukturelJe Ahnlichkeiten mit der entwickelten Form der Sittlichkeit aufweist und die Gemeinde den Charakter einer sittlichen Gemeinschaft hat . 29 Innerhalb des Teils »Die Sittlichkeit- kann man dann freilich nochmal unterscheiden zwischen
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Die Sittlichkeit ist die Aufhebung der vorhergehenden Einseitigkeiten, der Entzweiung von subjektiver Freiheit und allgemeiner Sitte. Die subjektive Freiheit wird zum an und fur sich seienden Willen; sie hat Wissen von sich selbst, aber sie hat auch eine auBere Wirklichkeit, namlich als Sitte. Die Freiheit muB zur Natur werden, also zur allgemeinen Wirklichkeit, aber auch zur zweiten Natur des Individuums, das die Gesetze verinnerlicht und habitualisiert und nicht jede s Mal von neuem eine Entscheidung trifft (denn sonst kame es nie zum Handeln). An der zitierten Stelle deutet sich bereits an, daB Sittlichkeit nicht als eine bloBe Ubernahme bestehender Gesetze und Sitten zu verstehen ist. Ludwig Siep zeigt, inwiefern die Aufhebung der Moralitat in Sittlichkeit bedeutet, daB der Moralitat auf der Ebene der Sittlichkeit immer noch ein gewisses Recht eingeraumt wird." Es sind verschiedene Stufen der Sittlichkeit zu unterscheiden, und wenn wir uber den Standpunkt der unmittelbaren Sittlichkeit hinausgegangen sind, kommen wir zu einer durch »Reflexion« und »Einsicht durch Grunde « vermittelten Sittlichkeit (RPh, §147). Siep beschreibt den Zustand der Sittlichkeit bei Hegel treffend, indem er sagt: »Das Zutrauen, daB meine private und offentliche Selbstverwirklichung in einem autonomen Rechts-, Sozial-, und Kulturstaat im groBen und ganzen gesichert ist, darfalso nicht mit blindem Vertrauen in jede Art staatlicher Autoritat, Gesetz oder gar Befehl verwechselt werden «.31 Gleichwohl weist Siep auf Problerne des hegelschen Standpunkts in der Rechtsphilosophie hin: Hegel sieht zum Beispiel keine Anderungen von Verfassungen auf der Grundlage der sich wandelnden offentlichen Meinung vor, wie er sie in seiner [enaer Philosophie vertreten harte." Zur Zeit der Abfassung der Phiinomenologie waren Hegels Uberlegungen weniger systematisch ausgearbeitet, enthielten aber vielleicht gerade dadurch mehr Spielraum fur Veranderung. Das Verhaltnis von Moralitat und Sittlichkeit in der Phanomenologie solI hier kurz skizziert werden. Obwohl in der Phiinomenologie die Sittlichkeit (namlich als antike, unmittelbare Sittlichkeit) der Moralitat vorangeht, stellt sich bei genauem Zusehen die Sachlage komplexer dar: Der Standpunkt Kants-und damit in gewisser Weise der Standpunkt der Moralitat, obwohl nicht als solcher bezeichnet- findet sich schon einmal vor der Sittlichkeit, namlich am Ende des Vernunftkapitels. Unter den Uberschriften der gesetzgebenden und gesetzprufenden Vernunft kritisiert Hegel Widerspruche, die er in Kants Theorie finder ." Die gesetzgebende Vernunft, so
der Pamilie, die eher die unmittelbare Form der Sittlichkeit rep rasentiert, der burgerlichen Gesel!schaft als Entzweiungsform, die dahe r Elemente der Moralitat aufweist, und dem Staat als vol! entwickelter Sittlichkeit. 30 Vgl. Siep (1982). 31 Vgl. Siep (1982), S. 92. 32 Vgl. Siep (1982), S. 92. 33 Inwiefern diese Kritik der kantischen Theorie gerecht wird, kann hier nicht untersucht werden. Hegels Einwande sind jedoch relativ aufserlich, so daB sie wahrscheinlich im Sinne Kants entkraftet werden konnen. Der grundsatzliche Einwand gegen die Inhaltsleere und Subjektivitat der
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Hegel, sagt nicht das, was sie wirklich meint. Wenn sie sagt » Ieder solI die Wahrheit sprechen «, so meint sie eigentlich: »... wenn er die Wahrheit weiB« (PhG, 313) . Damit erhalt der allgemeine Satz einen besonderen Inhalt. Die Vernunft kann sich nicht durchhalten-wir treten in das Reich des Geistes ein; »der Geist aber ist diesittliche Wirklichkeit « (PhG, 325). Die unmittelbare, harmonische Sittlichkeit, wie wir sie historisch im antiken Griechenland finden, geht in der »forrnalen Allgemeinheit des Rechts « unter (326f.). Es stehen sich als entzweite Formen Bildung und Glauben gegenuber, die durch die Aufklarung revolutioniert werden. Es kommt zur Ruckkehr in das moralische SelbstbewuBtsein und damit zur Wiederkehr von Kants Theorie, allerdings auf hoherer Stufe. Nun geht es nicht mehr urn das Geben und Prufen von mehr oder weniger allgemeinen Gesetzen, sondern urn das gemeinschaftliche Zusammenleben, in dem beispielsweise das Problem des Verhaltnisses von Moralitat und Gluckseligkeit auftaucht (vgl. 445). Das Postulat der Ha rmonie von Moralitat und Gluckseligkeit ist problematisch, weil damit unreine Motive an das moralische BewuBtsein kommen. Angesichts dieser widerspruchlichen Motive zieht das moralische SelbstbewuBtsein sich »rnit Abscheu in sich zuruck « (464) und wird zum reinen Gewissen. Der Standpunkt des Gewissens solI nun in gewisser Ausfuhrlichkeit behandelt werden; die dabei zugrundeliegende These ist, daf wir in der Phiinomenologie aufgrund der im Vergleich zur Rechtsphilosophie noch nicht so streng ausgearbeiteten Systematik eine grofere Offenheit der Gedanken und mehr Raum fur Kritik an der Wirklichkeit finden . III. Das Gewissen weist gewisse Ahnlichkeiten mit der sinnlichen GewiBheit auf." Freilich befinden wir uns jetzt auf einer ganzlich anderen, fortgeschrittenen Stufe: Wir haben es mit dem Geist zu tun, wahrend es zuvor urn die sinnliche GewiBheit des Individuums ging. Doch daB die sinnliche GewiBheit ihren Standpunkt nicht aufrechterhalten konnte, hing wesentlich damit zusammen, daf wir uns immer schon in der Gemeinschaft anderer und insbesondere im Gesprach mit anderen befinden. Die Gestalt des Gewissens wiederum kehrt, wie wir sehen werden, in gewisser Weise zum Individuum zuruck, obwohl wir uns schon im Bereich des Geistes befinden. Auch hier ist es letzlich das Gesprach mit den anderen, in dem sich Moralitat trifft schon eher den Kern der Theorie. 34 Hegel selbst erwahnt die sinnliche GewiBheit implizit durch Verwendung bereits bekannter Formulierungen sowie explizit in einem Vergleich am Anfan g der Gewissensanalyse (PhG, 467). H. S. Harris weist daraufhin, daf wir es in der moralischen Welt mit Handlungen als » Dingen « zu tun haben -mit vielfachen Aspekten von Handlungen etc.-, wahrend das Gewissen zum Anfang zuruck geht (vgl. Harris (1997), S. 460) . Dariiber hinaus vergleicht Harris den Standpunkt des Gewissens mit der » moral sense«-Philosophievon Shaftesburyund and eren : Das Handeln griindet in einem mo ralischen Gefuhl.
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das Gewissen aufhebt-jedoch nicht ohne zuvor noch einen Versuch zu machen, tiefer in sich hineinzugehen und den Standpunkt des Gewissens aufrechtzuerhalten, indem alle einander in ihrem Recht anerkennen und das Gewissen zur schonen Seele wird. Eine weitere Verbindung zwischen der sinnlichen GewiBheit und dem Gewissen besteht darin, daB beiden ein Anfangscharakter eigen ist: Die sinnliche GewiBheit steht am Anfang des Gangs des BewuBtsein, und das Gewissen steht in gewisser Weise am Anfang der Ethik. Zwar handelt Hegel das Gewissen nicht direkt zu Beginn seiner Betrachtungen von Sittlichkeit und Moralitat ab; doch wenn wir vom genauen Gang der Phiinomenologie des Geistes fur einen Moment absehen, zeigt sich das Phanomen des Gewissens als ein >fruhes ( Phanornen: Beispielsweise wird es oftmals vom naturlichen BewuBtsein zur Erklarung herangezogen." Hegels Analyse des Gewissens entlarvt-ebenso wie seine Analyse der sinnlichen GewiBheit-, daB es keine unbedingten Anfange gibt und daB der vermeintlich unbedingte Anspruch des Gewissens nicht im luftleeren Raum statt findet. Die Ahnlichkeiten zwischen sinnlicher GewiBheit und Gewissen sollen hier als Strukturierungshilfe dienen, da die sinnliche GewiBheit im zweiten Kapitel ausfuhrlich besprochen wurde. Es wiirde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, der Gewissensanalyse in ihrer ganzen Komplexitat nachzugehen. Urn kurz den Vorlauf zur Moralitat und dann zum Gewissen zu rekapitulieren: Zu Beginn des Geist-Kapitels haben wir es bereits mit einem Gesetz zu tun, das ist -aber eben als ein dem BewuBtsein vorgegebenes Gesetz, dem jenes sich unterworfen hatte. Nach dem Durchgang durch die Entfremdung des Geistes in Bildung und Aufklarung handelt es sich nun urn ein Gesetz, dessen Sein in der GewiBheit der inneren Welt grundet.36 Das Gewissen als in sich zuruckgekehrter, »konkteter moralischer Geist « (PhG, 466) ist die unmittelbare Einheit von sich verwirklichendem moralischem Wesen und Handlung als konkreter moralischer Gestalt. Durch die Handlung steht das BewuBtsein in Verbindung mit der Wirklichkeit. Konkret existiert das Gewissen , indem es »nicht diese oder jene Pflicht« erfullt, sondern »das konkrete Rechte « weiB (467). Aus dieser erneuten Kritik an Kants Moralphilosophie geht als positives Resultat hervor, daB das Gewissen den Widerspruch der moralischen Weltanschauung auflost, indem es handelt, anstatt dem Widerstreit verschiedener Ptlichten hilf- und tatenlos gegenuberzustehen, Das Gewissen weiB, daB es in einer einzigartigen Situation steht und ihm keine Kasuistik helfen kann. Indem das Gewissen handelt, steht es in der Gemeinschaft mit anderen; der Tat kommt Wirklichkeit zu, und so kann sie von anderen anerkannt oder verworfen werden. Genauer gesagt wird die Handlung gerade dadurch wirklich, daB sie in 35 Man denke an Erklarungen wie » Ich habe es nicht getan , weil ich sonst ein schlechtes Gewissen gehabt hatte- usw. 36 Vgl. Harr is (1997), S. 457.
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der Moglichkeit der Anerkennung steht und nach jener verlangt: Das Tun ist das Obersetzen des Einzelnen in das Allgemeine (vgl. 470). Gut ist also nicht der gute Wille (der sich nicht realisiert und so nicht anerkannt werden kann), sondern die gute Tat. Gleichwohl weiB das Gewissen um die Schwierigkeit des Handelns, die sich daraus ergibt, daB es unzahlige Handlungsumstande gibt, die ihm nicht in ihrer Gesamtheit bekannt sein konnen. Die Umstande breiten sich »ruckwarts in ihre Bedingungen, seitwarts in ihrem Nebeneinander, vorwarts in ihren Folgen « unendlich aus (472)-ahnlich dem Reichtum der sinnlichen GewiBheit, der im Raum und in der Zeit keine Grenzen kennt. Aufgrund dieser UnermeBlichkeit ubersieht das Gewissen zwangslaufig einige fur sein Handeln entscheidende Gesichtspunkte und ist damit immer schon schuldig. Der Fall des Odipus konnte als Extrembeispiel zur Veranschaulichung dienen. Da das Gewissen nicht zum vollstandigen Wissen kommen kann, gilt ihm sein Wissen als hinreichend vollkommenes Wissen-wie sich ja auch die sinnliche GewiBheit auf ihr Meinen beruft und ihren jeweiligen Gegenstand als die Wahrheit nimmt. Andernfalls kame das Gewissen nie zum Handeln: Das Problem der moralischen Weltanschauung bestand gerade darin, daB sie zu sehr mit der Mangelhaftigkeit ihrer Anschauung beschaftigt war, um jemals zum Handeln fortzuschreiten. Die moralische Weltanschauung hatte es mit dem Widerstreit von Ptlichten zu tun, von Ptlichten, die letztlich inhaltslos waren; das Gewissen legt in die Ptlicht seinen jeweiligen Inhalt ein, den es aus seiner Individualitat nimmt (vgl. 476) . Indem das Handeln in Verbindung mit der Wirklichkeit und mit den Anderen steht, scheint eine Ungleichheit an das Tun des Gewissens zu kommen: Die Handlung ist eine bestimmte, »ungleich mit dem Elemente des SelbstbewuBtseins Anderer, also nicht notwendig anerkannt« (477). Das Gewissen ist nie ein bloBes Privaturteil, sondern verlangt nach allgemeiner Anerkennung. Es stehen sich verschiedene Gewissen gegenuber; denn jede(r) hat ein Gewissen-ahnlich wie sich in der sinnlichen GewiBheit herausstellte, daB jede(r) ein Ich ist. Wir wissen nicht, ob die anderen Gewissen moralisch gut oder bose sind. Vielmehr mussen wir das Gewissen des Anderen fur bose nehmen: Nur dadurch konnen wir unser eigenes Selbst behaupten (vgl. 477f.); wie die sinnliche GewiBheit sind wir nur von unserer eigenen Wahrheit uberzeugt, Doch es ist notwendig, daB wir unsere Oberzeugung ausprechen. Die Tat spricht nicht fur sich selbst, sondern wir geben Grunde an, rechtfertigen uns gegen die uns unterstellte bose Absicht. »Wir sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes « (478). Mit der Sprache kommen die Anderen wirklich ins Spiel, so daB wir es erst hier mit dem Geist im eigentlichen Sinne zu tun haben, wahrend das moralische BewuBtsein noch »stumrn« war (479). Die Sprache-und nicht die Handlung-ist die eigentliche Verbindung mit der Welt; durch Sprache wird die Entfremdung aufgehoben. Die Sprache verbindet das eine SelbstbewuBtsein mit dem anderen. Sprache ist die Moglichkeit der Verstandigung, der Rechtfertigung
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und der Anerkennung. Dies erinnert an die besondere Bedeutung des Logos bei Husserl: Wir teilen mit den anderen den Logos als Sprache, die es uns errnoglicht, Griinde fur unser Handeln anzugeben, also uns zu rechtfertigen (logon didonai) . Das Moment der Anerkennung ist bei Husserl nur implizit vorhanden; er legt den Schwerpunkt auf die Annaherung an das ethische Ideal, und wenn uns diese Annaherung gelingt, erfahren wir die Anerkennung der vernunftigen Anderen. Das Gewissen sucht zwar im Grunde nach der Anerkennung der Anderen, aber letztlich ist es doch davon iiberzeugt, daB es immer Recht hat; es weiB am besten Bescheid, weil nur es selbst die Situation genau kennt. Die Anderen konnen zwar nach einer Rechtfertigung fragen, aber schliefslichschulden sie dem Gewissen Respekt. Als »Genialitat « hebt das Gewissen den Unterschied von abstraktem SelbstbewuBtsein und seinem eigenen SelbstbewuBtsein auf, geht in sich zuriick und wird zu seiner arrnsten Gestalt (482). Auf diese Gestalt der »schonen Seele«, die ihre »Herrlichkeit« nicht mit der Wirklichkeit »beflecken « will, solI hier nicht ausfuhrlicher eingegangen werden, zumal Hegel sich auch nur vergleichsweise kurz tiber sie aufsert." Die schone Seele ist kraftlos, da sie der Entaulserung ermangelt. Die Sprache zerfallt damit in die Ungleichheit des einzelnen Fiirsichseins . Die beobachtende Gemeinschaft ist aber doch noch da, und sie klagt das Gewissen der Heuchelei an. Das Gewissen gesteht sich als bose ein, indem es nach seinem eigenen Gesetz handelt; denn damit handelt es gegen die Anderen und »rnilihandelt« sie (486). Doch nicht nur das Bewufstsein, das sich sein eigenes Gesetz gibt, sieht ein, daB es bose ist, sondern auch das beurteilende Bewufstsein muf seine eigene Bosheit erkennen, weil es die Handlung teilt. Handelndes und beurteilendes BewuBtsein sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille; das Beurteilen handelt nicht, doch es weiB, daf gehandelt werden mufs. Insofern ist es mitschuldig. Indem das beurteilende BewuBtsein sich dem handelnden gleich macht, wird es von diesem als identisch erkannt. Beide erkennen, daB sie nicht »objektiv« sein und aIle Aspekte in Betracht ziehen konnen. Dies ist die Erkenntnis, daf jedem zunachst das eigene Wohlergehen am Herzen liegt-und wir dies einander verzeihen konnen. Das Eingestandnis der Selbstsucht eroffnet die Moglichkeit der Besserung. Durch das Zugeben der Schuld und das Anerkennen des Anderen wird das Gewissen zum Ausdruck der Moglichkeit eines besseren Lebens." Die beiden BewuBtseinsformen verzeihen einander, versohnen sich und erkennen einander als ein und dasselbe Ich (vgl. 494). Mit dieser Erkenntnis kommt Hegels phanornenologische Analyse des Gewissens zum Schlufs: und in der Tat sind wir damit vertraut, daf das Phanomen des Gewissens von merkwiirdig gedop-
37 Die »scho ne Seele« wurde bereits in Kapitel8a ) kurz erortert-- Harriswirft die Frage auf, ob diese Gestalt wirklich zwangslaufig durchlaufen werden muB oder ob es rnoglich ist, direkt die Stufe der Versohnung zu erreichen (vgl. Harris (1997),S. 457). Meines Erachtens waren abgeschwachte Versionen der »schonen Seele - denkbar. 38 Vgl. Harris (1997), S. 502.
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peltem Wesen ist: Es ist die Natur des Gewissens, einen Dialog im individuellen BewuBtsein zu fuhren, in dem ich mich gewissermaBen von mir distanziere und meine eigenen Vorsatze, mein eigenes Handeln beurteile. Ich tue dies nicht freiwillig, sondern es stoBt mir in gewisser Weise zu; dies verstarkt den Eindruck, daB sich eine mir auBerliche Stimme einmischt. Das Gewissen ist kein solipsistisches Phanomen; es steht nicht bloB im Monolog mit sich selbst: Nur indem wir uns mit Anderen in einer Gemeinschaft befinden, haben wir Gewissen. Gewissen ist notwendig das Zusammenspiel von Einzelheit und Allgemeinheit. Ein Gewissen allein hat keine Moglichkeit zu entscheiden, was gut ist. Damit befinden wir uns in der Nahe zu dem, was Hegel in der Fortentwicklung seiner Philosophie als Sittlichkeit bezeichnet, namlich der Aufnahme von allgemeinen Gesetzen, die gleichwohl nicht ungepruft iibernommen werden, und der Habitualisierung solcher Gesetze, so daB sie zur zweiten Natur werden. Gleichwohl gibt es in der Phiinomenologie des Geistes die entwickelte Form der Sittlichkeit, wie sie sich insbesondere in der Rechtsphilosophie findet, noch nicht. Die Stelle der Phanomenologie, in der Hegel dem Standpunkt der Rechtsphilosophie vielleicht am nachsten kommt, lautet: Aber das wirkliche Gewissen ist nicht dieses B,eharren auf dem Wissen und Willen, der dem Allgemeinen sich entgegensetzt, sondern das Allgemeine ist das Element seines Daseins, und seine Sprache sagt sein Tun als die anerkannte Pflicht aus. (PhG,486)
Das »wirkliche Gewissen« befindet sich nicht im Konflikt, sondern in Ubereinstimmung mit dem Allgemeinen. Dennoch tibernimmt es das Allgemeine nicht blind; denn es liegt in der Natur des Gewissens, alles seinem eigenen Urteil zu unterwerfen. Das wirklich verniinftige Gewissen wird laut Hegel von der Kraft des allgemeinen Gesetzes iiberzeugt, nicht iiberredet. In der Rechtsphilosophie ist von einem »wahrhaften Gewissen« die Rede. Dieses »wahrhafte Gewissen« entspricht dem »wirklichen Gewissen« der Phiinomenologie insofern, als es sich jeweils urn die zur Vollendung gebrachte Gestalt des Gewissens handelt, die dem Allgemeinen nicht mehr entgegengesetzt ist. Das wahrhafte Gewissen ist die »Gesinnung, das, was an und fur sich gut ist, zu wollen« (RPh, § 137); es hat feste Grundsatze, welche die objektiv geltenden Bestimmungen sind. Das wahrhafte Gewissen ist in der Rechtsphilosophie erst auf dem Standpunkt der Sittlichkeit vorhanden, und insofern unterscheidet es sich vom »wirklichen Gewissen« der Phanomenologie, da hier noch keine Sittlichkeit im spateren Sinne auftaucht. Der Sache nach aber handelt es sich urn dasselbe Phanomen, das erst sparer genauer entwickelt wurde ."
39 Gleichwohl sagt Hegel in der Rechtsphilosophie wenig tiber das wahrhafte Gewissen; dies hat beigetragen zu der oben referierten Auffassung, Hegel ginge es nur urn die Manifestierung des Vorhandenen. Dahlstrom (1993) richtet sich gegen jene Auffassung und untersucht das wahrhafte
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Dadurch, daB Hegel in der Phanomenologte eine weniger systematisch entwikkelte Darstellung von Moralitat und Sittlichkeit vorlegt, bieten sich mehr Moglichkeiten zur Veranderung und Kritik. Die entscheidende Rolle kommt der Sprache zu, also auch der Verstandigung mit den Anderen. Diese Verstandigung bewegt sich in dem durch Schuld, Verurteilung oder Anerkennung und Versohnung eroffneten Spielraum, und man konnte meinen, es stiinde noch zur Entscheidung, wohin uns das Durchlaufen dieses Spielraums fuhrt. Pur Hegel jedoch fuhrt es eindeutig in die Religion, zur Gemeinde: Im Wort der Versohnung ist Gott anwesend, da es nicht an uns ist, vollstandig zu verzeihen.
In der Ethik haben wir es mit einem Zusammenspiel von freien Vernunftentscheidungen und habitualisierten Gesetzen zu tun. Dieses Zusammenspiel hat in der Geschichte verschiedene Formen angenommen, und zu unterschiedlichen Zeiten ist das eine oder das andere Element in den Vordergrund getreten. Wahrend Husserl eher der neuzeitlich-kantischen Sichtweise zuneigt, betont Hegel die notige Versohnung von SelbstbewuBtsein und allgemeinem Gesetz, in der das Gesetz mir zur zweiten Natur wird - dies ist die gelaufige Auslegung der beiden Philosophien, und ihr kommt ein gewisses Recht zu. Beachtet werden muB jedoch, daB Hegel und Husserl jeweils beide Aspekte der Ethik, den der Moralitat und den der Habitualisierung betonen. Das husserlsche Vernunftpathos laBt bisweilen iibersehen, daB er in seinen geschichtlichen Besinnungen natiirlich auch die Bedeutung der Tradition und des Erbes (in seinen verschiedenen Ausformungen) betont. Die Kaizo-Aufsatze sind daher hier mit Schwerpunkt auf einen Bereich gelesen worden, der auf den ersten Blick nicht im Zentrum der Aufsatze zu stehen scheint: die »Stufe religioser Kultur «. DaB hiermit aber nicht ein untergeordneter Aspekt ins Rampenlicht geriickt wurde und Husser! Hegel zuliebe gegen den Strich gelesen worden ware, zeigt sich darin, daB Habitualisierung und Sedimentierung Grundthemen der hus serlschen Phanomenologie sind. In volligem Einklang mit Husserls Grundtendenz steht daher auch die Idee der Urstiftung eines ethischen Lebens auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene. Ebenso entsprechen die Besinnungen auf das Wesen von Normen als vertraut-optimalen Mafsstaben und die Rolle der Phanomenologen im Wahrnehmen von Krisen und im Befragen von (rnoglicherweise nicht mehr optimalen) Normen dem >Geist esin den Taghinein zu leben -. DaB wir Zukunft haben und uns urn unsere Zukunft sorgen, unterscheidet uns von den Tieren, so Husserl." Diese Sorge grundet in der »Schicksals- und Todesstruktur der Welt«26- und eben dieser Struktur begegnet der Mensch mit seinerVernunft,mit vernunftigem Planen.WielaBtsichdieVernunftaufweisen, wie tritt sie in Erscheinung? Im Zusammenhang der Kaizo-Aufsatze zeigtesich bereits, daf Husserl Vernunft im Sinne des griechischen Logos versteht, der dasjenige bezeichnet, an dem die Menschen teilhaben." Das, was die Menschen teilen, findet einen Ausdruck im Logos als Sprache. Dies deutet auf die entscheidende Rolle der Intersubjektivitat im Rahmen von Husserls teleologischem Geschichtsdenkenhin. Gleichzeitig zeigt sich das Phanomen der Sprache nicht alsetwasEinheitliches, sondern wir haben es normalerweise
Vgl. Manuskript E III 4, »Teleologie«, 3a: »Das Leben des Tieres als Leben in der konkreten Gegenwart, mit ihrem kleinen Bestand von Zukunft. Das Menschenleben als Leben in eine weite Lebenszukunft hinein, als Leben in der Vorsorge, die zur universalen Sorge fur die ganze Lebenszukunft wird. . 26 E III 4, ioa. 27 Vgl. Kapitel oa). 25
DIE GERICHTETHEIT DER GESCHICHTE
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mit einer Muttersprache, eventuell einigen halbwegs vertrauten Fremdsprachen und vielen ganz fremden Sprachen zu tun. Husserls Intersubjektivitatstheorie erhalt im Rahmen einer Phanomenologie der Geschichte eine neue Form, die wesentlich durch das Verhaltnis von heimischen und fremden Welten bestimmt ist. Daraus ergeben sich bestimmte ethische Forderungen hinsichtlich dessen, wie die Grenzen zwischen Heimischem und Fremdem uberschritten werden konnen, ohne daB sie miBachtet oder verletzt wurden." Die Grenzen zu achten heiBt zum einen, daB die Standorte von Heimischem und Fremdem nicht austauschbar sind: Heimwelt und Fremdwelt befinden sich in einem Verhaltnis der unauflosbaren Asymmetrie. Wir bleiben immer an unsere heimische Welt ruckgebunden und konnen nur von dort aus die Grenzen uberschreiten; es gibt fur uns keine »Vogelperspektive«, von der aus wir die Welten uberschauen konnten." DaB es keine solche Vogelperspektive gibt, heiBt zum anderen, daB Heimwelt und Fremdwelt sich nicht in eine hohere Einheit auflosen lassen. Wenngleich die Grenzen von Heimwelt und Fremdwelt sich verandern konnen und dies unablassig tun, so werden sich die Grenzen der Heimwelt doch nie zur einen Welt hin ausdehnen lassen. Der Standpunkt einer moglichen einen Welt kann mit gutem Recht als Imperialismus bezeichnet werden, und zwar deshalb , weil wir immer von unserer heimischen Welt ausgehen mussen und hochstens deren Grenzen ausdehnen konnen: wir konnen nicht alle Grenzen uberspringen und auf diese Weise eine einheitliche Welt gewinnen. Husserls Rede von der allzeitlichen Vernunft erweckt den Eindruck, als gebe es die eine Vernunft, die allen Menschen gemeinsam ist. DaB es eine solche Vernunft gebe, war wohl auch Husserls Uberzeugung - doch muB unterschieden werden zwischen der )Idee- einer solchen Vernunft, die sich auf verschiedene Weise verwirklicht, und dem Postulat einer wirklich existierenden einheitlichen Vernunft. Obwohl manche Formulierungen Husserls so klingen, als vertrete er die zweite dieser heiden Auffassungen, so kann er im Sinne seiner Phanornenologie doch nur die erste vertreten." Erneut hilft es, Vernunft als Logos zu denken: Wenngleich es keinen homogenen Boden der Verstandigung zwischen den Menschen gibt, so gehen wir dennoch davon aus, daB Verstandigung moglich ist. Wir konnen unsere Meinung dem Anderen »ansinnen «,31 mussen dabei jedoch immer im Auge behalten, daB Mifsverstandnisse moglich sind und es keine Garantie gibt. Konkret spiegelt sich diese Situation im Logos wider, der sich in verschiedenen Sprachen realisiert: Ubersetzung ermoglicht die Verstandigung zwischen Heimischem und Fremdem, und doch sind Mifsverstandnisse nie ausgeschlossen. 28 Vgl. Steinbock (1995), S. 250ff. Vgl. auch Waldenfels (1991), S. 39: »Die Achtung vor dem Gesetz entspringt, wie Kant durchaus wufste. nicht selbst dem Gesetz. Anstatt Grenzerfahrungen vorweg zu moralisieren, sollte man vielmehr versuchen, so etwas wie ein Ethos von Grenzachtung und Grenzverletzung her zu denken «. 29 Vgl. Held (2000b), S. 11. 30 Vgl. auch Ladr iere (1960), S. 187. 31 So formuliert Held im Anschluf an Kants dritte Kritik: Held (2000b), S. 12 .
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TElL III • KAPITEL 10
Diese Zusamrnenhange werfen ein neues Licht auf die These von der einen Philosophie: Sicherlich haben wir eine einheitliche Idee von Philosophie, dergemaB wir Philosophisches von Nichtphilosophischem unterscheiden. Aber ist uns nicht Philosophie konkret immer gegeben in Form solcher Philosophien, die uns naher und vertrauter, und solcher, die uns weniger nah sind, je nachdem, woher wir kommen? Ist nicht fur die Phanomenologen beispielsweise die analytische Philosophie etwas wenn auch nicht Unzugangliches, so doch zunachst Fremdes? Dennoch konnen wir das Fremde, in gewissen Grenzen, verstehen . Dies hangt damit zusammen, daf sich auch im Eigenen schon etwas Fremdes findet . Beispielsweiseist mein transzendentales letztfungierendes Ich mir nicht vollig zuganglich, sondern entzieht sich." Diesem Entzugscharakter hatte Husser! mehr Recht zukommen lassen sollen. Dem Entzug entspricht auf der anderen Seite das Kommen einer Zukunft, die letztlich nicht in unserer Hand ist. Zwar ist es -gut-, daB wir planen und entwerfen und nach Vernunftverwirklichung streben." Doch wir mussen uns dessen bewuBt sein, daB dies nicht alles ist, und daB manches gerade dann gluckt, wenn wir es nicht .intendiert - hatten. Husser! hat gewisse, bisweilen personlich anmutende Schwierigkeiten mit dem, was unverfugbar ist; an einer Manuskriptstelle fragt er, beinahe verzweifeIt: »Wie kann ich aber leben, wenn dieses [i. e. das Leben unter der Idee der Echtheit] unerreichbar ist?« 34 Die Antwort kann nur lauten, daB die Herausforderung gerade darin besteht, trotzdem zu leben und nach dem Telos zu streben, auch wenn es keine einfachen Losungen und Auswegegibt. Die wesentlichen Fragen lassen sich nie endgultig entscheiden . So erklart Husser! im gleichen Manuskript selbst: »Ich kann nur gut werden und nicht gut sein «." Im Wesen der Horizonte liegt, daf sie begrenzt sind, wenngleich sie wandelbare Grenzen haben. In ihrem Wesen liegt auch, daf immer Horizonte im Dunkel liegen. Horizonthaftigkeit aller Erkenntnis und Erfahrung bedeutet, daB wir nie alle Zusammenhange uberschauen, »daf keine Sache ganz isoliert ist«, und so »schreitet die Erkenntnis (.. .) fort «, sich immer mehr erweiternd (Hua XXVII, 79).
32 Vgl. Kapitel 8b). So argumentiert auch Bernet in seinem uberzeugenden Aufsatz » Encounter with the Stranger: Two Interpretations of the Vulnerabilit y of the Skin«, in dem er die Starken der husserlschen Interpretation im Vergleichzu Levinas' Interpretat ion aufzeigt: » Sticking to the First Interpretation and its conception of an analogous apprehension of the Other, one would then have to say that there must be a strangeness in myself the understanding of which guides me in my apprehension (or appre sentation) of the Other's strangeness. Several texts of Husserl seem to be willing to go as far as this « (Bernet (1998), S. 97). 33 Vgl. Trawny (2000) , S. 18. 34 Manu skript E III 1, )} Metaphysik, Teleologie«, jb, 35 Ebd.
DIE GERICHTETHEIT DER GESCHICHTE
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Wir haben es jeweils mit verschiedenen heimischen und fremden Horizonten zu tun, nicht mit einer einheitlichen Welt. Ebenso laBt sich Geschichte nicht auf eine abschlieBbare Einheit reduzieren, sondern offene Horizonte erstrecken sich in die Zukunft hinein.
Die Unterschiede zwischen der Teleologie Hegels und derjenigen Husserl wurzeln in ihren verschiedenen Auffassungen vom Telos der Geschichte: FOr Hegel ist das Ziel erreichbar und unwandelbar; fur Husserl ist es unerreichbar, und es kann im Laufe der Geschichte umgewandelt werden. Aufgrund dieser Moglichkeit der Umwandlung des Zieles kommt den Phanornenologen bei Husserl eine normative, bei Hegel jedoch eine deskriptive Rolle zu. Wenngleich man meinen konnte, daB eine teleologische Geschichtsauffassung folgerichtig eine besondere Gewichtung der Zukunft mit sich bringen wurde, ist dies weder fur Hegel noch fur Husserl der Fall. FOrHegel ist die Gegenwart Vollendung der teleologischen Entwicklung. 1m Fall Husserls ist die Gegenwart insofern entscheidende Zeitdimension, als sie die Schnittstelle ist zwischen dem Urstiftungssinn der Vergangenheit und den Zielen der Zukunft. Unsere Erwartungen und Ziele fur die Zukunft sind uns in der Gegenwart (teilweise) bewulst, wenn sie auch nicht erfullt sind; ob sie sich in der Zukunft erfullen, bemifst sich im Vergleich zu diesen Erwartungen. Obwohl es, wie in diesem Kapitel besprochen, berechtigt ist, eine Uberraschung phanomenologisch als dasjenige zu beschreiben, was unseren Erwartungen zuwiderlauft, legt Husserl doch zu wenig Gewicht auf den )positiven ( und nicht blof durchstreichenden Aspekt dessen, daf Zukunft als uberraschend und neu auf uns zukommt. Somit gilt, daB Hegel und Husserl- wenngleich auf verschiedene Weise- in ihrer Geschichtsauffassung dem Phanomen der Zukunft kein hinreichendes Recht zukommen lassen. 1m Falle Hegels ist diese Unzulanglichkeit im Wesen seiner Philosophie begrundet, wahrend Husserls Phanomenologie prinzipiell mehr Raum laBt fur das Kommen der Zukunft. Hegel halt also im Einklang mit seiner Philosophie, Husserl jedoch gegen die Moglichkeiten seiner Phanomenologie am Vorrang der Gegenwart fest. Dies zeigt sich auch auf der Ebene der gemeinschaftlichen Geschichte: Husserls Bestrebungen, die verschiedenen Heimwelten und Fremdwelten auf die eine Welt hin zu ubersteigen, laufen seiner eigenen Philosophie zuwider. Auch widmet Husserl den Beschreibungen der Heimwelt bedeutend mehr Raum als den en der Fremdwelt. Zugegeben, eine Phanomenologie des Fremden hat grundsatzlich anderen Charakter als die des Heimischen; hier mufste von den verschiedenen Formen des Bruches mit der heimischen Erfahrung, von verschiedenen Weisen des Infragestellens die Rede sein. Husserl will gewissermaBen den sicheren, heimischen Boden so lange als moglich unter den FOBen bewahren; dabei hat er doch selbst
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TElL III • KAPlTEL 10
bereits eingesehen, daf das Heimische immer von Fremdem durchdrungen ist, und daf selbst das vermeintlich selbstgewisse transzendentale Ich sich entzieht. In einem ahnlichen Sinne kritisiert Sartre Hegel, hier bezuglich der Intersubjektivitat, indem er ihn cines ontologischen und epistemologischen Optimismus' anklagt: Hegel nehme den Gesichtspunkt des Ganzen ein und habe sich damit aufserhalb des BewuBtseinsbegeben; er versuche, die» Pluralitat « aufdie » Totalitat « hin zu uberschreiten." Doch es ist uns nicht moglich, den Standpunkt der Totalitat einzunehmen: »Kein logischer oder epistemologischer Optimismus kann also diesen Skandal der Pluralitat der BewuBtseine beenden. Wenn Hegel das geglaubt hat, so deshalb, weil er nie die Natur jener besonderen Seinsdimension erfafst hat, die das BewuBtsein (von) sich ist«." Der Wunsch, den Blickpunkt einer umfassenden Totalitat einzunehmen, ist verstandlich und menschlich. Eine Zukunft gewinnen wir jedoch nur um den Preis dessen, daB wir die vollige Durchsichtigkeit aufgeben.
36 Sartre, DasSein und dasNichts, S. 441. 37 Sartre, DasSein und dasNichts, S. 442.
SCHLUSS
Das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem Bewulstsein Soweit als moglich verbindet Hegels Text die Philosophie und die Nicht-Philosophie. Die Philosophie dringt in die Nichtphilosophie, d.h. in das Leben der Nicht-Philosophen ein. Merleau-Ponty, Vorlesungen
I, 240.
Keiner ist je gerettet,und keiner ist je ganz verloren. Merleau-Ponty, Phiinomenologie der Wahr-
nehmung, 204.
Hegel und Husserl sind sich daruber einig, daB natiirliches und philosophisches BewuBtsein keine zwei verschiedenen BewuBtsein(e), sondern zwei Weisen ein und desselben BewuBtseins sind. Das natiirliche BewuBtsein ist auf das philosophische BewuBtsein hin angelegt, und wenn es sich in seinem Wesen durchschaut hat, ist es in der Philosophie. Dies bedeutet einerseits, daB wir uns nie in der Sicherheit wahnen durfen, nun ein fur allemal in der Philosophie angekommen zu sein. Andererseits bedeutet es aber auch, daf wir nicht befurchten mussen, jemals ganz den Boden unter den FuBen zu verlieren und nicht mehr zuruckzufinden. Wir verlassen das natiirliche BewuBtsein nie ganz; doch wenn die Philosophie sich einmal gezeigt hat, bleibt das Wissen urn diese Moglichkeit, und wir kehren nie wieder vollstandig dorthin zuruck, woher wir gekommen sind. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe der Philosophie, fortlaufend ihr Verhaltnis zur Nichtphilosophie zu bedenken und sich nicht etwa von dieser abzuwenden . Philosophie muB ein »konsequentes Verhaltnis-Denken«! sein. Sie darf sich weder mit einem Uberlegenheitsanspruch auf ihre eigene Position zuruckziehen, noch sich selbst zunichte machen, indem sie sich ganz der nichtphilosophischen Seite hingibt, dem Leben, der Existenz, der Alltagssprache o. a. Vielmehr muB sie das Verhaltnis dieser beiden Seiten bedenken; denn erst in diesem VerhaltnisDenken zeigen sich beide Seiten in ihrem Wesen.'
2
Held (1980), S. 4. Indem die Phanornenologie Husserls es sich zur Maxime gemacht hat, -die Sachen selbst . zu
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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SCHLUSS
Was aber ist ein Verhaltnisi In einem Verhaltnis halt sich zweierlei oder mehreres so, daB es jeweils nur in diesem Halten das ist, was es ist. Ein Verhaltnis kann auch ein Streit sein , ja ist notwendig immer ein Streit in dem Sinne, daB die m iteinander im Verhaltnis Stehenden auseinanderstreben (oder besser: gegeneinanderstreben); solches, was dem anderen nichts entgegenzuhalten hat, fallt in eins. In dem streitenden Verhaltnis eroffnet sich ein Zwischenraum, ein Spielraum. Wir bewegen uns gewissermaBen fortlaufend zwischen beiden BewuBtseinsformen hin und her. Dies zeigt sich im Dialog jener beiden BewuBtseinsformen in Hegels Phiinomenologie des Geistes, der in dem sich eroffnenden )Zwischen < stattfindet. Ebenso ist Husserls Phanomenologie der Lebenswelt ein Ausdruck dieses Dialogs; denn die Lebenswelt ist die Welt des naturlichen Bewufstseins, in die gleichzeitig unablassig Erkenntnisse der Philosophie und Wissenschaft »einstrornen «, Die Schwierigkeit, daB das naturliche BewuBtsein sich erst aus der Sicht des philosophischen BewuBtseins zeigt und Philosophie doch immer mit dem naturlichen BewuBtsein anfangen muf, bestimmt Hegels Phiinomenologie des Geistes: »Wir « lassen alle Annahmen beiseite und verfolgen das naturliche BewuBtsein auf seinem Weg, und doch sind wir dem naturlichen BewuBtsein immer schon ein Stuck voraus. Ahnliche Schwierigkeiten werden in der Struktur vorliegender Arbeit deutlich - Querverweise und Ruckverweise sind unerlafslich, Das Fortschreiten kann kein streng lineares sein, sondern wir mussen uns gewissermaBen vorwarts, ruckwarts und seitwarts bewegen, wenn wir uns den Phanomenen nahern und Verbindungen aufweisen wollen. Im Verhaltnis von naturlichem BewuBtsein und philosophischern BewuBtsein zeigt sich die Bedeutung von Geschichtlichkeit: Das Verhaltnis ist kein statisches, in dem zuerst das eine, dann das andere BewuBtsein existieren wurde, so daB, abgesehen von dem kurzen Moment des Ubergangs, Zeit keine Rolle spielte. Wir haben vielmehr notwendig immer wieder die Moglichkeit, zuruckzugehen und hin- und herzugehen. Gleichzeitig ist mein Weg in die Philosophie nie nur mein Weg, und BewuBtsein ist nie bloB individuelles BewuBtsein: Wir haben es immer schon mit einem Erbe von Ideen zu tun. Es hat sich in dieser Arbeit gezeigt, daB der Weg des natiirlichen BewuBtseins in die Philosophie ein geschichtlicher Weg ist. Das Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein laBt sich nicht verstehen, ohne auf die Geschichte einzugehen. Die Beleuchtung bestimmter Wesens ziige des Phanomens Geschichte kann daher helfen, jenes Verhaltnis besser zu verstehen. Gleichzeitig
Wort kommen zu lassen und dam it das aufierphilosoph isch sich Darbietende so hinzunehmen, wie es sich uns zeigt, verpflichtet sie sich selbst, »das eigene Vorgehen imm er wieder auf seine Unbefangenheit gegeniiber dem sich von sich selbst her Zeigenden zu uberprufen - (Held (1980), S·5) ·
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wirft die Problematik des Anfangs der Philosophie ein Licht auf die Geschichte: Wenn Geschichte in ihrem Wesen eine Geschichte von Ideen ist und damit eine Geschichte der Philosophie, dann muf ein angemessener Begriff von Geschichte diejenigen Momente widerspiegeln, die sich im Verlauf dieser Arbeit als fur das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem Bewufstsein wesentlich gezeigt haben. Damit wird gleichzeitig die Schwierigkeit, einen geeigneten Begriff von Geschichte zu finden, offenbar. Folgende Momente sind zum Vorschein gekommen: Der Ubergang zum philosophischen Bewufstsein hat den Charakter eines Sprunges; das philosophische ist keine kontinuierliche Fortsetzung des naturlichen Bewufstseins (vgl. Kapitel s). DaB es Einschnitte und Sprunge gibt, ist auch fur das Phanomen der Geschichte wesentlich. Der Name fur die geschichtlichen Einheiten, die durch soIehe Einschnitte entstehen, hat interessanterweise denselben Ursprung wie Husserls Bezeichnung fur den Sprungcharakter des Ubergangs: Epoche stammt von »epoche « bzw. »epechein« . In der Geschichte gibt es Momente des Innehaltens im Fluf; Philosophie bedeutet nach dem Erscheinen von Kants Kritikderreinen Vernunft nicht mehr dasselbe wie zuvor. Analoges gilt fur einschneidende politische und soziale Ereignisse, welche die Kontinuitat durchbrechen (besonders deutlich im Fall von Revolutionen) oder fur entscheidende Erkenntnisse in den Wissenschaften, fur die Namen wie Einstein, Darwin oder Freud einstehen. Von Hegel erfahren wir freilich, daf es sich dabei nicht urn isolierte Taten Einzelner handelt, sondern daB diese einzelnen Personen Entwicklungen des Weltgeistes zum Ausdruck bringen und ihre Zeit in Gedanken (im Fall der Philosophie) oder in Taten oder Formeln fassen. Husserl stellt die These auf, daB die »Bruchstellen in der Geschichte « zusammenfallen mit entscheidenden Entwicklungen in der Philosophie, da sie die Stellen sind, »an denen eine Motivation zu neuer, radikalster Besinnung merklich wird « (Hua XXIX, 417). Als Beispiel verweist er auf den Ubergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Hegel betont ebenfalls, daf Bruchstellen-oder genauer, Stellen, »wo ein Bruch eingetreten ist zwischen dem inneren Streben und der aufseren Wirklichkeit « (GPh I, 71)-das Philosophieren begunstigen. Hegel zufolge treten Bruche in der Geschichte dann auf, wenn der Geist seine innere Weiterentwicklung noch nicht in die Tat, also in die Wirklichkeit umsetzen konnte; die Wirklichkeit hinkt gewissermafsen hinterher, so daf ein Sprung oder StoB notig ist. Geschichte ist kein Kontinuum, ebensowenig wie der Ubergang in die Philosophie es ist. DaB zwei Ereignisse einen Abstand von zwanzig Iahren haben, bedeutet nicht dasselbe, wenn in der Mitte dieser zwanzig Jahre ein Weltkrieg stattgefunden hat, wie wenn es sich urn eine verhaltnismafsig ruhig verlaufende Zeitspanne von zwanzig Iahren im Mittelalter handelt. Geschichtliche Zeit ist also keine objektive Zeit, laBt sich nicht in [ahren messen . Ebenso handelt es sich aber auch nicht urn die subjektive Zeit eines Individuums. Fur Hegel ist es die Zeit des Weltgeistes; auch 1.
238
SCHLUSS
bei Husserl finden sich Ansatze zu der Idee eines uberpersonalen BewuBtseins, dem dann eine eigene Zeitlichkeit zukame.' Der Ubergang zum philosophischen BewuBtsein hat den Charakter eines Weges; der Ubergang gelingt nicht auf einen Schlag (vgl. Kapitel 6). Es gibt Vorlaufe, Ruckschlage, Umwege und neue Versuche. Gleichzeitig ist die Bewegung immer eine gerichtete, d. h. teleologische, oder sie weicht ab von dieser Gerichtetheit, was sich aber ebenfalls am MaBstab der Richtung bemiBt. Die Gerichtetheit zeigt sich freilich erst aus der Perspektive des philosophischen BewuBtseins . Das naturliche BewuBtsein scheint auf ganz andere Dinge ausgerichtet zu sein als auf die Philosophie; doch wenn es nicht das Telos Philosophie schon in sich truge, konnte es nie dort ankommen. Anzeichen dieser Ausrichtung im nattirlichen BewuBtsein sind beispielsweise sein Unbehagen, wenn es in Widerspruche gerat, sowie die Tendenz, sich selbst und andere nach Grunden zu fragen. Analoges gilt fur die Bewegung der Geschichte: Es gibt Ausrichtungen und Abweichungen von diesen Ausrichtungen. Ereignisse wie beispielsweise der Holocaust stellen kein Argument gegen die Teleologie dar: Zum einen war auch hier eine-besonders heimtuckische-Planmafsigkeit am Werk; zum anderen zeigt gerade unser Entsetzen, daB es sich hierbei urn eine erschreckende Abweichung handelt von dem, was wir erwartet oder mindestens erhofft hatten, namlich eine verstarkte Durchsetzung der Vernunft im zwanzigsten Iahrhundert. Es genugt freilich nicht, solche Ereignisse als Abweichungen zu beschreiben; und doch werden sie zunachst einmal augenfallig als solches, was radikal von dem Erwarteten abwe icht. Noch etwas Entscheidendes zeigt sich hier: Erst im Ruckblick erkennen wir das wahre Ausmaf des Schreckens. Erst im Ruckblick erkennen wir, wie sehr vom Gang der Vernunft abgewichen wurde und wie sehr doch eine Planmafsigkeit am Werk war, die womoglich so etwas wie die dunkle Ruckseite der Vernunft ausmacht.' Auch mogliche Ursachen-wenngleich, in diesem Falle, keine Rechtfertigungen-zeigen sich erst im nachhinein. Die Gerichtetheit der Geschichte kommt erst wirklich zum Vorschein, wenn wir uns umwenden; so wie sich die Richtung des naturlichen BewuBtseins erst aus der Sicht des philosophischen zeigt. Oder, wie Husserl sagen wurde: Erst in der Endstiftung offenbart sich die Urstiftung (vgl. Hua VI, 74).
2.
3. Wir kommen immer wieder auf das naturliche BewuBtsein zuruck, und dennoch handelt es sich nicht mehr urn das gleiche naturliche BewuBtsein, das den allerersten Ausgangspunkt gebildet hatte. Wir kommen zuruck, doch wir fallen
3 4
Heideggers » Seinsgeschichte«, die hier nicht naher erlautert werden kann , stellt einen anderen Ansatz dar, Phanornenen der beschrieben en Art gerecht zu werden. Das, was hier ganz unzure ichend mit der Bezeichnung dunkle Riickseite der Vernunft betitelt wird, kommt zugegebenermaBen sowohl bei Hegel als auch bei Husserl fast gar nicht vor, Eine
YOM NATURLICHEM UND PHILOSOPHISCHEM BEWUSSTSEIN
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nicht wieder ganz zuruck, Insofern kann man mit Hegel sagen, daB es sich urn eine Ruckkehr auf hoherer Stufe handelt, und insofern eignet sich das Bild der Spirale zur Veranschaulichung der Bewegung. Derartige Bewegungen des Zuruckkommens auf hoherer Stufe finden wir auch in der Geschichte, wie Hegel uns zu Recht vor Augen fuhrt. Bestimmte Grundstrukturen tauchen immer wieder auf, aber in verwandelter Form. DaB die Beispiele, die zuerst in den Sinn kommen, solche von Unterdruckung und Krieg sind, konnte auch ein Grund dafur sein, daB Hegels Kapitel tiber Herrschaft und Knechtschaft so vielfaltig rezipiert worden ist. »Auf hoherer Stufe « heiBt dabei nicht unbedingt, daB die Menschheit gelernt hat-zumindest nicht notwendig in dem Sinne, daB sie -besser- geworden ist und immer .besser - wird. Es heifst vielmehr, daB die einmal gemachten Erfahrungen integriert, einverleibt werden. Es wird nicht genau derselbe Fehler wiederholt-aber vielleicht kann die Verfeinerung des Fehlers in gewisser Weise auch eine Verschlimmerung bedeuten. Es gilt damit, daB die Bewegung der Geschichte nicht linear verlauft, ebensowenig wie die Bewegung zwischen naturlichem und philosophischem BewuBtsein. Wenn wir die drei bisher ausgefuhrten Wesensztige in ein Bild fassen wollten, kamen wir zu einer -Spirale mit Sprungen -. Die Geschichtsauffassung, die sich bis hierhin ergeben hat, ist derjenigen Hegels sehr nahe, impliziert jedoch nicht, daB es notwendig zu einer Vollendung kommt. In der Tat stellt sich bezogen auf das philosophische BewuBtsein die Frage, ob wir jemals zu einer vollendeten Gestalt der Philosophie kommen, und ob dies uberhaupt erstrebenswert ware? Warum sollte denn die Philosophie ihren Namen ablegen, Liebe zum Wissen zu sein? Zu Recht hat doch zum Beispiel Platon betont, daB die Philosophie in enger Verbindung mit dem Eros steht: Wir streben nach Wissen. Die Hybris, die im hegelschen Gedanken der Inbesitznahme von wahrem Wissen enthalten ist, sei hier beise ite gelassen; ganz abgesehen davon ist es fraglich, ob ein Kreisen in sich ein Zustand des Glucks oder nicht eher der Langeweile ware. Diese Einwande andern jedoch nichts daran, daB Hegel entscheidende Grundzuge der Geschichtlichkeit und des Verhaltnisses von naturlichern und philosophischem BewuBtsein aufgewiesen hat-und gezeigt hat, wie jenes Verhaltnis notwendig ein geschichtliches ist! Husserls Geschichtsauffassung ist Yager, weniger ausgearbeitet als diejenige Hegels; doch auch sie enthalt auf die eine oder andere Weise die drei aufgefuhrten Grundzuge. Wo Husserl in bezug auf Entschiedenheit und Eindeutigkeit hinter Hegel zuruckfallt, da ist er letzterem doch gleichzeitig mit der Einsicht in die Horizonthaftigkeit aller Erfahrung voraus. Es ist hier insofern berechtigt, von
interessante Aufgabe ware es, be ide Philo sophen im Hinblick auf das Problem des Bosen zu lesen . Es sollte in diesen knappen Ausfuhrungen aber deutlich geworden sein, daB es unangemessen ist, wenn man meint, Hegel und Husser! seien mit dem Verweis auf den Holocaust schon wide rlegt .
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SCHLUSS
einem Zuruckfallen zu sprechen, als Husserl in der Tat ahnliche Ziele wie Hegel hatte und er auch ein System seiner Philosophie entwickeln wollte. Es liegt jedoch im Wesen der husserlschen Phanomenologie, daB sie keine Systembildung zulaBt: Wie sollte dies mit dem Gedanken der offenen Horizonte vereinbar sein? Husserl selbst hat diese SchluBfolgerung allerdings nicht gezogen, sondern dies haben erst andere Phanomenologen nach ihm getan . Der Grundgedanke der Horizonthaftigkeit zeigt insbesondere, wie es zu verstehen ist, daB sich Erfahrung in offener, aber doch nicht unkontrollierter Weise fortsetzt. Das Stichwort hierfur lautet »bestimmte Unbestimmtheit«. Die Verweisungen zwischen den Horizonten sind keine beliebigen, sondern es verweist der Schreibtisch auf das sich daraufbefindliche Photo, das Photo auf den abwesenden Freund etc.-und doch ist es nicht von vornherein bestimmbar, welchen Verweisungen ich nachgehe: Lasse ich mich dar auf ein, an den abwesenden Freund zu denken, oder verweist mich das Photo darauf, daB ich dringend einmal staubwischen mtiBte und das Photo ohnehin besser im Schrank aufgehoben ware, wo es weder verstaubt noch mich an den Freund erinnert? Durch die Horizonthaftigkeit der Erfahrung werden wir tiber das Auffassen von Zustandlichkeiten und das Wahrnehmen von Einzelgegenstanden hinausgefuhrt (Kapitel 1-3). Das einzelne Ding weist tiber sich hinaus auf den Zusammenhang, in dem es erscheint, und ist nur aus diesem heraus verstandlich. Hegel bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck, wenn er sagt, daB das Ding nur im Verhaltnis zu anderen Dingen dieses bestimmte Ding sein kann: Es ist fur sich, indem es fur andere, und fur andere, indem es fur sich ist. Das Ding begegnet uns als Ding aus der Welt heraus; der Zusammenhang als Welt ist es, dessen die Naturwissenschaften sich annehmen wollen . Die Naturwissenschaften gehen zu einer ubersinnlichen Welt tiber, die sie als vollstandig bestimmbare Totalitat ansehen, und messen die Erscheinungswelt an dieser idealen Welt. Damit sind sie vermeintlich dem natiirlichen BewuBtsein uberlegen, wahrend sie tatsachlich nicht nur dieselbe Voraussetzung der Trennung von BewuBtsein und Gegenstand machen, sondern auch die Subjektivitat vergessen sowie dem Charakter der Welt als universalem Horizont nicht an gemessen Rechnung tragen konnen (Kapitel a). Horizonte sind offen und doch begrenzt. Die Horizonte von Heimwelt und Fremdwelt sind konkreter, aber auch komplexer als die Innen- und AuBenhorizonte eines Gegenstandes. Wo Husserl tiber das innere ZeitbewuBtsein hinausgeht und sich der Geschichte zuwendet, werden seine Ausfuhrungen notwendig andeutungsund luckenhafter, Die Geschichte ist eben nicht wirklich am Modell des inneren ZeitbewuBtseins zu verstehen, und dies liegt wesentlich daran, daB sie intersubjektiv ist. Dadurch gibt es zwangslaufig immer mehr, als ich erfassen kann. Und damit ergibt sich ein vierter Wesenszug von Geschichte: die Zukunft als Einbrechen von Neuem (Kapitel io). Auch dieser Wesenszug findet sich im Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein:
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4. Der Ubergang in die Philosophie ereignet sich notwendig als etwas Uberraschendes, Unerwartetes. Die Philosophie ist nicht festlegbar, nicht antizipierbar. Deshalb ist die Motivation der Philosophie ein so problematisches Thema (vgl. Kapitel 7): Wenn der Ubergang geschieht, ist er da, aber wir konnen ihn nicht herbeifiihren. Die Uberraschung, welche die Philosophie darstellt, laBt sich jedoch nur im Verhaltnis zum natiirlichen BewuBtsein und dessen Erwartungen feststellen. Der Ubergang kann in den husserlschen Begriffen von Norrnalitat und Anomalitat beschrieben werden," Vor der Philosophie macht das natiirliche BewuBtsein die Normalitat aus-vertraut, einstimmig und verlafilich . Die Anomalitat des philosophischen BewuBtseins durchbricht diese Vertrautheit. Doch indem sich herausstellt, daB das philosophische BewuBtsein eine Verbesserung darstellt hinsichtlich der Selbstbesinnung und Selbsterforschung des BewuBtseins, etabliert sich das philosophische BewuBtsein als .uber c-normales oder optimales-analog der neuen optimalen Sichtweise des Kurz- oder Weitsichtigen, der eine Brille bekommt." So gibt es auch in der Geschichte Entwicklungen, die in kleineren oder groBeren MaBen vom Vertrauten abweichen und deshalb die Menschen zunachst mit MiBtrauen erfullen. Dieses MiBtrauen ist berechtigt, wenn es ebenso von Offenheit begleitet ist: Erweist sich das Neue als ein Optimum oder als Verschlimmerung, Ruckfall usw.? 1m Ruckblick laBt sich dies feststellen, ruckblickend sehen wir die Verbindungen, die wir nicht im Vorblick zu erkennen verrnogen.' Entscheidend ist, daB Geschichte solche Uberraschungen fur uns bereithalt und daB Geschichte ohne Einbrechen von Neuem keine Geschichte ware . Ebenso ware Philosophie keine Philosophie, wenn sie sich fur das naturliche BewuBtsein nicht als grundlegend Neues, Unerwartetes zeigte.
Wenn wir die drei ausgefiihrten Wesenszuge der Geschichte urn diesen vierten erganzen, ist spatestens hier keine angemessene Verbildlichung mehr mogl ich. Eine Verbildlichung gelingt vielleicht ruckwirkend, im Ruckblick auf die Vergangenheit, aber nicht vorblickend auf die Zukunft. Geschichte aber umfaBt alle diese Dimensionen, und daher muB eine Philosophie, die der Geschichtlichkeit gerecht werden will, ein sehen, daB sie es nicht zu vollendeter Durchsichtigkeit und Systematizitat bringen kann. Husserl muBte dies, wenn er seiner Einsicht in die Horizonthaftigkeit gerecht wird, zugestehen.
5 6 7
Vgl. Steinbock (zoooa) . Vgl. Kapitel e, FuBnote 14. Vgl. Husserls Ausfuhrungen in einem Manuskript aus dem Jahre 1935 unter dem Tite! »Einstromen «: »Ruckgewendet - fur die Menschen bestanden diese Erkenntnismoglichkeiten fruher nicht, aber Apper zeption der fruheren Realitaten und fruheren Welt wird nun notwendig und hat ihre Weisen, indirekt sich zu bestimmen und in der Bestimmtheit zu bewahren oder entwahren « (Hua XXIX ,
83).
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SCH LUSS
Zwei Philosophen, deren Denken sowohl von Hegel als au ch von Husserl wesentlich gepragt wurde und die besonderes Gewicht darauf legen, daB es kein vollsta ndiges Zu-sich-kommen, keine vollendete Durchsichtigkeit gibt, sind Hei degger und Merl eau- Ponty. Bei Heidegger spricht sich diese Einsicht unter anderem darin aus, daB er betont, Wahrheit sei im Sinne der griechische n aletheia zu denken , also im Sinne einer Un- verborgenheit, die einer ursprunglichen und nicht aufhebbaren Verborgenheit entspringt. Merl eau-Ponty erklart mit Bezug auf Hus serls Philosophie, da B es einen Schatten gibt , der »nicht bloB die fakti sche Abwesenheit zukun ftigen Licht s ist «." Bezuglich Husserls Spatphilosophie heiBt dies, daB er die Leben swelt kon sequent als dasjenige denken mufst e, das sich wesensm afsig ni cht vollstandig erhellen laBt. Husserl erkennt zwar der doxa ein eigenes Recht zu im Vergleich zur episteme; das bedeutet auch, daB Philosophieren nicht darin besteht, da s naturliche BewuBtsein hinter sich zu lassen , sondern darin, tiefer in da s naturliche BewuBtsein einzudringen. Gleichwohl strebt Husserl ebenso wie Hegel danach, aile Dunkelheit zu erhellen und zu uberwinden, Der kurze Hinweis auf Heid egger und Merleau-Ponty soli daran erinnern, daB da s Verhaltnis von Hegel und Hu sserl ein fruchtbares Arbeitsfeld fur viele Philosophen und Philosophinnen geboten hat, insbesondere im Bereich der deutschen und fran zosischen Phan orn en ologie. In dieser Arb eit geht es ebe nso urn da s Verhaltnis von naturlichern und philosophischem Bewu Btsein wie urn das Verhaltnis von Hegel und Husser!. Es ist der Versuch gemacht wor den, Hegel und Husserl im Hinblick auf die Frage nach dem Anfang de s Ph ilosophi eren s miteinander, inei na nder und gegeneina nde r zu lesen. He gels Denken fordert eine rseits zum Durchbrechen seiner Systematik auf, zieht un s aber andererseits immer wieder in seine ersta unliche n Beobachtungen und Analysen hinein ; und wen n es ein fach ware , seine System atik zu widerlegen, kehrten wir nicht immer wiede r zu ihr zuruck. Eine Starke der hegelsch en Phil osophie ist ihre KompromiBiosigkeit und das Betonen dessen , da B es in der Philosophie auf Verbindlichkeit anko m m t. Eine weitere Starke ist die Ged uld, m it der Hegel sich allen Stufen des Bewu Btseins, auch den ersten und -untersten- , zuwendet. »Aufhebung « bedeutet eben nicht, diese Stu fen hinter sich zu lassen; sondern wenn wir nicht wirklich verstehen, was sich auf diesen Stufen abspielt, bleibt Hegel s Philosophie unzuganglich. Mit anderen Worten: Wenn wir un s nicht voll und ganz auf das naturliche BewuBtsein einl assen, seinen Standpunkt ern stne hm en und im einzelnen untersuchen, ist un s das philosophische BewuBtsein vers chlossen.
8
Merleau- Ponty, Signes, S. 225. Vgl. auch Fink (1957), S. 325: »Das SO umgangig Verbra uchte, Durc hdachte, aber nicht eigens Bedacht e eines ph ilosoph ierenden Denkens nenn en wir die ope rativen Begriffe. Sie sind - bildlich gesprochen - der Schatten einer Philosophie. (... ) Das philosoph ische Denken ist nie AIl-Wissenheit. (. . .) Fur die Philosophie selbst ist dies ein sta ndiges Argernis und eine beirre nde Unr uhe . Sie versucht imm er wieder, tiber ihren eigenen Schatten zu springen «,
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Gleichzeitig sind Hegels Analysen der Wahrnehmung, des Verstandes etc. so interessant und aufschlulsreich, daB es verfuhrerisch ist, sie herauszulosen und sie als »phanomenologische Betrachtungen « im husserlschen Sinne zu lesen. Dies lauft jedoch den hegelschen Absichten streng zuwider: Wer Hegels Philosophie und damit sein System ernstnimmt, muf sich das Verbot auferlegen , » ihm Begriffe zu entnehmen oder isolierte Aussagen zu manipulieren und durch ihre Ubertragung in das Element eines ihnen fremden Diskurses Effekte zu erzeugen « .9 Die Herausforderung besteht darin, den Bewegungen der hegelschen Philo sophie nachzugehen und sich auf den von ihr erhobenen Anspruch einzulassen. Ebenso verlangt Husserls Philosophie, auf ihren Anspruch, strenge Wissenschaft zu sein, einzugehen. Husserls Denken unterliegt Wandlungen, Modifikationen , Selbstkorrekturen - und doch bleibt es sich im Wesen treu. Damit eroffnet sich die Phanomenologie als konsistente Methode mit Moglichke it zur Wandlung . Auf den ersten Blick stellt sie denjenigen, die sich ihr widmen wollen, mehr Freiheitsspielraum zur Verfiigung als Hegels System. Doch letztlich ist vielleicht das geduldige Abklopfen der Moglichkeiten und der Versaumnisse husserlscher Phanomenologie auf seine Weise ebenso muhsam wie das Sichabarbeiten an den deutlicheren Widerstanden der hegelschen Philosophie. Es kann hier nicht urn eine Entscheidung tiber Dialektik versus Phanomenologie gehen . Eine solche Entscheidung ist auch insofern nicht angebracht, als Hegel, wie oben erlautert worden ist (vgl. Kapitel o), in der Phiinomenologie des Geistes keine dialektische, sondern eine phanomenologische Methode in Anschlag bringt. In gewisser Weise ist er dam it .phanomenologischer . als Husserl selbst, namlich im Sinne der fruhen Phanomenologie als blofser Beschreibung des Erscheinenden . Indem Husserl seine Phanomenologie weiterentwickelt, radikalisiert er das Beschreiben und geht dam it immer mehr tiber ein blofses Beschreiben hinaus; er betont die Verantwortung der Philosophie gegenuber der Nichtphilosophie. Die Phanornenologen im hegelschen Sinne hingegen geben sich weitestgehend unbeteiligt - wenngleich es offenkundig sein sollte, daB sie selbst der von ihnen beschriebenen Bewegung zugehoren und ihre Beschreibung insofern nicht folgenlos bleiben kann. Urn an zwei weitere wesentliche Unterschiede zu erinnern: Hegels Philosophie ist keine Transzendentalphilosophie, und die Frage danach, wem das Erscheinende erscheint, kann und soll damit nicht bis in Letzte geklart werden (vgl. Kapitel S), Husserls Philosophie wiederum stoBtan ihre Grenzen, wo sie metaphysische Fragen beruhrt wie die Frage nach einem letzten Absoluten oder nach einer teleologischen Geschichte der Durchsetzung der Vernunft; sie kann hier phanomenologische Anhalte und Hinweise in Anschlag bringen, aber keine letztgultigen Antworten
9
Derrida, Die Schriftund die Differenz, S. 382.
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SCHLUSS
geben - was auch nicht unbedingt ein Problem fur eine Phanomenologie darstellen mufste, ware da nicht der husserlsche Anspruch auf Letztbegrundung. Husserl untersucht den griechischen Urstiftungssinn und fragt, wie dieser im Laufe der Geschichte miBverstanden bzw. fehlgeleitet wurde ; doch er fragt nicht, ob in diesem Urstiftungssinn moglicherweise schon eine Paradoxie enthalten und somit ein Mifsverstandnis angelegt ist. Husserl zufolge besteht der Urstiftungssinn darin, daB die Philosophie universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung sein will. Wenn Lebenswelt jedoch eine notwendige Unbestimmtheit mit sich fuhrt, die beispielsweise die Naturwissenschaften ubersehen, dann ist im Urstiftungssinn eine Spannung angelegt, der sich die Philosophie immer wieder aussetzen muB . Philosophic gibt es nur im Verhaltnis zur Nichtphilosophie bzw. in der Spannung von Licht und Dunkelheit. Die Philosophie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Dunkelheit aufzuhellen; wie erfolgreich sic dabei ist, hangt nicht zulctzt auch davon ab, inwiewcit sie im Auge behalt, daB es keine vollstandige Durchsichtigkcit gibt. In der Phanomenologie geht es urn das Erscheinen-und jcgliches Erscheinen setzt einen Abstand voraus, eine Differenz. Das philosophische BewuBtsein erscheint dem naturlichen BewuBtsein, und umgekehrt. Es ist nicht verwunderlich, daB gerade in der Phanomenologie (sei es die Phanomenologie Hegels, Husserls, oder eine andere) die Frage nach dem Verhaltnis von naturlichem und philosophischem BewuBtsein im Mittelpunkt steht; denn wenn Philosophie als Phanomenologie eine Lehrc vom Erscheinen ist, dann muB die Philosophie in einer Differenz zur Nichtphilosophie stehen, damit sie erscheinen und dam it ihr etwas erscheinen kann. Gleichzeitig deutet sich hier bereits die entscheidende Schwierigkeit an: Das Erschcinen kann nicht vollstandig sein. Das philosophische BewuBtsein kann dem naturlichen nicht ganzlich erscheinen; denn sonst bliebe dem naturlichen BewuBtsein keine Natiirlichkeit bestehen, sondern es ware schon ganz philoso phisches BewuBtsein. Das naturliche BewuBtsein kann aber auch-und dies ist vielleicht iiberraschender-dem philosophischen nicht vollstandig erschcinen; es bleibt immer ein Rest, der sich nicht in die Philosophie aufheben liiBt. Ware dem nicht so, dann gabe es wiederum keincn Unterschied. Weder Hegel noch Husserl widmen der Verborgenheit im Erscheinen hinreichende Aufmerksamkeit. Insofern teilen sie gewissermaBen die gleichc Blindheit gegenuber einer wesensmafsigen Verborgcnheit in der Philosophic. Husserl nahert sich dieser Verborgenheit in seinen Betrachtungen der Lebenswelt weiter an als Hegel dies tut. Doch auch Husserl geht den Schritt nicht , den Heidegger dann unternimmt, namlich die Frage nach dem Nichterschcinenden im Erscheinen zu stellen." 10
Vgl. Sein undZeit, Paragraph 7, S. 35: » Was ist es, was in einem ausgezeichneten Sinne .Phanomen ( genannt werden muB? (... ) Offenbar solches, was sich zun achst und zumei st gerade nicht zeigt, was gegeniiber dem, was sich zun achst und zumeist zeigt, verborgen ist, aber zugleich etwas ist,
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Es hat sich gezeigt, daB die Frage nach dem Anfang eigentlich die Frage nach der Geschichte ist. Der Anfang steht nicht wirklich am Anfang der Geschichte, sondern in der Geschichte. Der Geschichte kommt das merkwiirdige Wesen zu, soIche Anfange zu errnoglichen bzw. Diskontinuitaten in der Kontinuitat zu erlauben. Philosophie hat einmal angefangen, so daf wir wieder mit ihr anfangen konnen. Oder, urn eine paradox anmutende Formulierung Heideggers aufzugreifen: Ein wahrer Anfang ist immer einmalig und immer wiederholbar," Was offenkundig geworden sein sollte, das ist, daf die Fragen nach dem Anfang, nach der Geschichte und nach dem Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein wesentliche Fragen der Philosophie darstellen, die in untrennbarem Zusammenhang stehen. Darin kommen die Philosophien Hegels und Husserls iiberein. Beide stellen vielleicht letztlich zu hohe (im Sinne von : nicht einlosbare) Anspriiche in bezug aufVerbindlichkeit, Durchsichtigkeit, Vollstandigkeit und Letztbegriindbarkeit-aber urn dies zu sehen, muf man damit einen Anfang machen, sich ihren Anspriichen zu stellen. Wenn wir dam it anfangen, zeigt sich auch, daB der Anfang letztlich nicht in unserer Hand liegt, da wir geschichtliche Wesen sind: Wir sind die, die immer schon angefangen haben.
11
was wesenhaft zu dem, was sich zunachst und zumeist zeigt, gehort, so zwar, daB es seinen Sinn und Grund ausmacht.« Vgl. Beitriige zur Philosophie (Vom Ereignis), S. 55.
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Register
absolut, Absolutes, 7 f., 25,62, 92 f., 96,100,103 ,131,161-66 ,172 £., 176, 184-88, 191, 201, 203f., 228 f., 243 abstrakt, 7, 11, 25, 28, 30, 35,113Fn, 117, 123,125,15°,171,184 Aguirre , Antonio F., 94Fn, 122(Fn)f. Allgemeines, Allgemeinheit, 29 ff., 52ff., 116, 152, 165 f., 214 Andere , der/das, 36-39,56 f., 64f., 70, 114,117,125,128,135,142,147,152, 163,178 ff., 182, 185, 212-15, 228f., 231 Anfang, 1, 5, 8f., 12, 18, 27f., 99, 110, 135-39,144 f., 147, 150 ff., 159, 211, 216 f., 226, 245 Aristotele s, 50, 113, 139, 152, 196 Aufhebung, 34, 114, 162, 164,184, 209, 242 Bapt ist, Gabriella, 219Fn Becker,Werner, 30Fn Benjamin, Walter, 217 Bernet , Rudolf, 2Fn, 46 f., 50Fn, 12oFn, 121Fn, 122Fn, 198Fn, 228Fn, 232Fn Bewufstsein natisrliches, 1,17-25, 28, 30, 43f., 49, 87, 90, 95, 101 f., 107, 136 ff., 146- 49, 151-5 4, 235f., 238, 241 f., 244 philosophisehes, 1,12, 18, 87, 107, 161, 169, 172, 235, 239, 241 f., 244
Boehm, Rudolf, 120,134Fn Bokhove, Niels W., 2Fn Caponigri, Robert A., 219Fn Carr, David, 122Fn, 129, 130Fn, 134Fn,141Fn, 175Fn, 176Fn, 182Fn cartesianischer Weg in die Phanomenologie, 90-98, 120, 122, 128, 130, 133 Claesges, Ulrich, 72Fn, 79Fn, 102Fn, 106Fn Dahlstrom, Daniel 0., 214Fn Depraz, Natalie, 50Fn Derrida, Jacques, 243Fn Descartes, Rene, 2Fn, 90-93, 116, 133, 186Fn,227 deskriptiv, 191, 203ff., 217, 233 Dialektik, dialektisch, 34, 108, 116, 192, 204,243 Dialog, 39, 100f., 146, 149, 204, 214, 236 Ding, 42, 46, 48, 51, 53,58, 66 f., 70, 74, 76, 83, 116, 140, 165 f., 177, 240 an sich, 42, 44, 47, 67, 203
mit Eigensehaften, 52-58 Dove, Kenley R., 5Fn, 103(Fn) ff., 204(Fn) f. Dusing, Klaus, 108Fn Einstromen, 61, 78f., 83,132, 236, 241Fn
REGISTER
Einzelnes, Einzelheit, 29, 52 ff., 116, 165ff., 214, 224 Endstiftung, 135Fn, 138, 144, 159, 238 Entwicklung, 9, 75, 111-118, 122 f., 140, 165, 204 f., 217ff., 226 f. Epoche, 12, 87, 89-101, 105 f., 109 f., 126-29, 134, 138, 145, 161,172f., 176, 193,237 Erbe, 11, 125, 133,150, 159, 215f., 236 Erdboden, 80, 141 Ewigkeit, 219ff. Fink, Eugen, 4Fn, 29(Fn) ff., 57, 62Fn, 65Fn, 67Fn, 69Fn, 114Fn, 138, 143ff., 148, 185, 242Fn Flay, Joseph c, 65Fn, 69Fn Fulda, Hans Friedrich, 6Fn, 7, 109Fn, 170Fn Fundieren, 26 f., 30, 32, 38 f., 50, 79
sinnliche Gewifiheit, 26-33, 36, 39, 52-55, 64, 101, 108, 114,119, 165, 170 f., 204, 210 ff., 221 Gott, 43, 92, 116,163, 170, 172f., 176, 187f., 197,200, 215, 219 f., 224 Habitualisierung, 10, 97, 124, 181,183, 199-202,209, 214ff. Harris, H.S., 63Fn, 65Fn, 103Fn, 164Fn, 21O(Fn) f., 213Fn, 221Fn Heidegger, Martin, 2 ff., 7 f., 17Fn, 25Fn, 30Fn, 39, 50 f., 54Fn, 65Fn, 77Fn, 80Fn, 101Fn, 103Fn, 133Fn, 139Fn, 188Fn, 189, 197Fn, 222Fn, 228Fn, 238Fn, 242, 244f. Held, Klaus, 35Fn, 43, 49Fn, 72Fn, 81Fn, 93Fn, 96Fn, 127Fn, 141Fn, 142(Fn) ff., 175-79Fn, 180, 231Fn, 235(Fn) f.
Gadamer, Hans-Georg, 69Fn
Herr-Knecht-Dialektik, 4, 104, 115 f.,
Galilei, 76 f. Gegenwart, 43, 159f., 176-80, 217-22, 225,228,233 Geist, 6 ff., 102, 104, 111-14, 116-19,
118,135, 178, 239 Hochkeppel, Christiane, 168Fn Holenstein, Elmar, 35Fn Horizont, 10, 41 f., 47 f., 50 f., 57, 76-82, 90, 92, 123, 140 f., 160, 173, 176, 188, 224 f., 232 f., 239 ff. Innen- und Aufienhorizont, 48, 77,
135f., 149-53, 159-64, 166-73, 183, 187 f., 203, 207, 210 ff., 218-23, 237 Geometrie, 76 Geschichte, 3, 9, 12f., 32, 111 ff., 118 f., 123, 125, 129-36, 140, 144, 150 f., 153,159 f., 17If., 182f., 188, 205,215-27, zjo f., 233, 236-41, 243ff. Geschichtlichkeit, 8 f., 13,108, 112, 121, 133Fn, 134f., 140, 151, 216, 236, 239, 241 Gesellschaft, 12, 169, 181,184, 207 Gewissen, 3, 164 ff., 198, 202, 204, 210-16 GewiBheit, 7, 27, 64, 91f., 101, 116, 164 f., 169, 222
24° Hyppolite, Jean, 69Fn, 103Fn, 170 f., 170Fn Ich, 22, 31f., 38, 43, 51, 83, 97, 100, 104 f., 114,124 f., 134, 141, 148, 165f., 169, 179, 212f. transzendentales Ich, 173-80, 184-87,234 Idealismus, 12, 83, 106, 174, 186 f., 191 transzendentaler, 186, 191ff. absoluter, 185,191, 204 f. Idee, 46 f., 56, 58, 74 f., 82, 113, 132,141, 169, 191f., 195, 224, 227, 231f.
257
REGISTER
Intentionalitat, 33f., 175 f., 186,188 f., 228f. Intersubjektivitat, 4f., 11, 36, 41, 51, 104, 122 f., 126, 128, 132, 135, 138, 141 f., ISS, 172 f., 178-83, 185-88, 204,229-31
Janssen, Paul, 226Fn, 228Fn Kaizo-Aufsatze, 195-203 Kant, Immanuel, 2Fn, 30 f., 65, 67, 103,112Fn, 114Fn, 148Fn, 174, 196, 201 ff., 207-11, 215 f., 231Fn, 237 Kern, Iso, 73Fn, 120,121(Fn)f., 127(Fn) f., 174Fn Kohler, Dietmar, 222Fn Kojeve, Alexandre, 104Fn konkret, 11, 108,112, 118, 139, 150, 184f., 188,211, 240 Krise, 62, 70 ff., 82, 111, 127, 131 ff., 138, 144f., 152ff., 159 f., 194, 203, 206, 215, 225, 227 Kroner, Richard , 103Fn Kuster, Friederike , 99Fn Ladriere, Jean, 5Fn, 231Fn Landgrebe, Ludwig, 5Fn, 55Fn, 92, 223 f. Lebenswelt, 61, 63,71-75, 78-83, 120f., 127-34, 141, 183, 188, 226 f., 236,242, 244 Ontologie der, 72, 79, 120f., 127, 130, 141 Vergessenheit der, 71, 81f., 131 f. Levinas, Emmanuel, 2, 39, 196, 228f., 232Fn Lowith, Karl, 112Fn Logos, 192,196, 198, 213, 230f. Luft, Sebastian , 171Fn, 194Fn
Marx , Werner, 102Fn,104(Fn ) f., 169Fn
Maurer, Reinhart K., 151Fn Merleau-Ponty, Maurice, 2, 4, 49Fn, 161, 189,235, 242 Methode, 4f., 18,61,160, 189,191-94, 204f., 229, 243 Miller, Mitchell H., 219Fn Monade, 10f., 125, 135, 171Fn, 180, 184-87 Monolog, 37, 214 Moralitat, 164,169, 204, 206-11 Motivation, 88, 91, 110, 128, 133, 13639,142 f., 145 f., 154, 206, 237, 241 Naturwissenschaften, 8, 11, 61-65, 69, 71,73f., 77f., 80-83, 240, 244 Negation, 34f., 66, 91,106-10, 113, 115, 119, 149, 204, 220
Noema.aaf noematischer Sinn, 45 noematischer Kern , 45 normativ, 191 f., 202f., 205, 216 f., 233 Norm, 192,198-202, 215 f. Ontologie
ontologischer Gottesbeweis, 30 ontologischer Weg in die Phiinomenologie, 120-30,
133
derLebenswelt, vgl. Lebenswelt Passivitat, 26 f., 32 f., 35-39, 41ff., 124 und Aktivitat, 26, 33,38, 41, 43, 124 Peperzak, Adriaan, 219Fn Personalitaten hoherer Ordnung, 173, 180,182-87 Phanomenologie, 2, 8 f., 21, 82, 90 f., 96, 161, 168, 170,172, 191, 194, 204, 224,230 f., 240, 243f. generative, 10f., 121, 125, 140,184, 194,199 genetische, 10f., 121-23, 125, 135, 184,193, 199
REGISTER
statische, 10f., 49 f., 66, 121-23, 135, 184,193, 199 Pippin, Robert B., 204Fn Platon, 27, 94Fn, 113Fn, 139, 148, 153, 196, 224, 239 Poggeler, Otto, 6Fn, 222Fn Protention, 35, 43, 48, 123, 176 Religion, 11, 162-64, 200 f., 208, 215 Retention, 35f., 43, 48, 123, 176 Ricoeur, Paul, 5Fn, 8Fn Riedel, Manfred, 114Fn, 117Fn Rockmore, Tom, 5Fn Sartre, Jean-Paul, 2, 4, 228, 234 schone Seele, 164, 213 Schuhmann, Karl, 2Fn, 4Fn SelbstbewuBtsein, 53, 63,70, 83, 100,102,104 f., 112, 114-18, 152, 164f., 166f., 169,171 f., 178, 186, 212f. Sextus Empiricus, 89, 94f., 108Fn Siep, Ludwig, 116Fn, 208Fn, 209 Sinn, 34 f., 45 f., 72, 74, 80, 127, 131 f., 140,144,176,178,193,225 noematischer Sinn, vgl. Noema Sittlichkeit, 169, 181, 204, 206-11, 214f. Skepsis, Skeptizismus, 12, 89f., 93-96, 100ff., 106-10, 134 Soffer, Gail, 227Fn Solipsism us, 172, 188, 214 Spiegelberg, Herbert, 2Fn Sprache, 27ff., 31, 33, 37, 39, 135, 142, 182, 196, 204, 212-15, 230f. Sprung, 11 f., 87f., 93, 98f., 105 f., 110 f., 122,237 Staunen, 137-39,143-47, 154, 217 Steinbock, Anthony J., 5Fn, lO(Fn) f., 13Fn,35Fn, 37Fn, 49Fn, 72Fn, 79Fn, 122Fn, 124(Fn) f., 140(Fn) f., 143Fn,179Fn, 184Fn,198(Fn) f., 203Fn, 205Fn, 206, 231Fn, 241Fn
Stirnmung (Pathos), 138 f., 145, 147 Straker, Elisabeth, 98Fn Subjektivitat, 7,63, 70 f., 81, 97,127 f., 130 ff., 134, 136, 140, 161, 165, 172 f., 180f., 186 ff., 191, 203f., 240 Synthesis, 33ff., 38, 43, 48, 52, 123 f., 140, 176, 180 System, 5-9, 13, 160, 194, 210,218 ff., 223 f., 240-43 Teleologie, 133, 188, 217, 224f., 227f., 233,238 transzendental, 79, 94, 96, 121, 126-32, 134,138,141,145,159,161,172-76, 178-81,185-87,191-93,204,226, 228,243 Trawny, Peter, 220Fn, 223Fn, 232Fn Tugendhat, Ernst, 206Fn unmittelbar, Unmittelbares, 27ff., 39, 108,116,118,151,165 f., 168,170f., 208-11,222 Unruhe, 28, 70, 146,148, 242Fn Urstiftung, 10, 124, 131, 133, 135, 138 ff., 144f., 153, 159 f., 201 f., 215, 225-28, 230, 233, 238, 244, 253 Vergangenheit, 35f., 98, 119, 125, 133 f., 176, 183, 222f., 230, 233, 241 Vernunft, 10, 58, 63f., 113, 124,132, 147, 166,192,195 ff., 201 ff., 206 f., 209f., 215,224, 227f., 230ff., 238, 243 Verstand, 41,52f., 57f., 62-71, 82f., 102,114, 165 Volkrnann-Schluck, Karl-Heinz, 7, 29Fn, 153(Fn) f., 168Fn, 204Fn Waelhens, Alphonse de, 5Fn Wahrheit, 7,18, 21, 24ff., 28f., 31 f., 36, 53-56, 62, 66, 95, 101, 104, 113 f., 134, 139, 170,205, 210, 212, 219, 222, 242
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REGISTER
Wahrnehmung, 10 ff., 23, 27-59, 62, 64, 67, 74, 81-83, 90 , 98, 102, 119, 123, 161, 165, 172, 182, 198, 229 Waldenfels, Bernhard, 141Fn, 231Fn Welt, 22-23, 37,47, 51, 58, 61-64,66-73, 76-83,90-93,96-99, 104,145,159, 173-76,189,193,2°5,220,231,24° Heimwelt, Fremdwelt, 140-44, 183, 187,203, 225, 231, 233, 240 verkehrte Welt, 62, 68 f., 83 Weltvernichtung, 92, 97, 109 f., 128-30, 133-36, 174 Welton, Donn, 81Fn, 122Fn, 195Fn, 200Fn Westphal, Kenneth R., 52Fn, 205
Westphal, Merold, 30Fn, 57Fn Wissenschaft, Philosophie als, 6-9, 17f., 28, 91, 93, 96, 99, 107 ff., 131, 145, 148, 169 ff., 173, 243f. Yamaguchi, Ichiro, 37Fn Zahavi, Dan, 37Fn , 93Fn, 182Fn, 185 Zeit, 10, 27, 29, 32, 39, 76, III f., 118 f., 123,166, 170 ff., 178, 205 f., 218-25, 236f. Zickzack, 99 Zukunft, 217, 222 ff., 228-34, 240 f. Zweifel , 91 f., 128
Phaenomenologica
I.
2.
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Phaenomenologica
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