PHAENOMENOLOGICA
ULLRICH MELLE
COLLECTION FONDEE PAR H.L. VAN BREDA ET PUBLlEE SOUS LE PATRONAGE DES CENTRES D'ARCHIVE...
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PHAENOMENOLOGICA
ULLRICH MELLE
COLLECTION FONDEE PAR H.L. VAN BREDA ET PUBLlEE SOUS LE PATRONAGE DES CENTRES D'ARCHIVES - HUSSERL
91 ULLRICH MELLE
DAS WAHRNEHMUNGSPROBLEM UND SEINE VERWANDLUNG IN PHÄNOMENOLOGISCHER EINSTELLUNG
DAS WAHRNEHMUNGSPROBLEM UND SEINE VERWANDLUNG IN PHÄNOMENOLOGISCHER EINSTELLUNG Untersuchungen zu den phänomenologischen Wahrnehmungstheorien von Husserl, Gurwitsch und Merleau-Ponty .
Untersuchungen zu den phänomenologischen Wahrnehmungstheorien von Husserl, Gurwitsch und Merleau-Ponty
Comite de redaction de la collection: President: S. IJsseling (Leuven) Membres: M. Farbert (Buffalo), L. Landgrebe (Köln), W. Marx (Freiburg i. Br.), J.N. Mohanty (Oklahoma). P. Ricoeur (Paris). E. Ströker (Köln). J. Taminiaux (Louvain-La-Neuve). K.H. Volkmann-Schluckt (Köln) Secretaire: J. Taminiaux
1983 MARTINUS NIJHOFF PUBLISHERS a member of the KLUWER ACADEMIC PUBLISHERS GROUP THE HAGUE / BOSTON I LANCASTER
...
11. .~
Distributors: for the United States and Cs1tllM KIu wer, Boston, Inc. 190 Old Derby Street Hingharn, MA 02043 USA for all other countries KIuwer Academic Publishers Group Distribution Center P.O. Box 322 3300 AH Dordrecht The Netherlands
Library of Congress Cataloging in Publication Data
Helle, Ullrich. Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phHnomenologischer Einstellung.
(Phaenomenologica ; 91) Bibliography: p. 1. Husserl, Edmund, 1859-1938. 2. Herleau-Ponty, Haurice, 1908-1961. 3. Perception (Philosophy)-Hj.sto~y.--20th century. 1. Title. 11. Series. B3279.H94H44 1983 121'.3 82-14511 ISBN 90-247-2761-8
ISBN 90-247-2761-8 (this volume) ISBN 90-247-2339-6 (series)
Copyright © 1983 by Martinus Niihoff Publishers, The Hague. All rights reserved. No part ofthis publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or byany means, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without the prior permission of the publishers, Martinus Nijhoff Pu blish ers , P.O. Box 566, 2501 CN The Hage, The Netherlands. PRINTED IN THE NETHERLANDS
DANK
Mein aufrichtiger Dank gilt zunächst Univ.-Doz. Dr. Iso Kern, der durch seine Anregungen und Einwände, seine Zustimmung und seine Kritik wesentlich zur Klärung und Verdeutlichung des Gedankengangs der vorliegenden Arbeit beigetragen hat. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Prof.Dr. S. IJsseling, dem Direktor des Husserl-Archivs in Leuven, der mir als mein Vorgesetzter nicht nur die Benutzung und das Zitieren unveröffentlichter Manuskripte aus dem Husserl-Nachlass gestattete, sondern darüberhinaus meine Arbeitsbedingungen so grosszügig einrichtete, dass ich genügend Zeit für die Fertigstellung der Arbeit hatte. Meinem Freund und Kollegen Reto Parpan besten Dank dafür, dass er mir seine Transkriptionen zur Verfügung gestellt hat. Meinen herzlichen Dank auch an Frau Marianne Ryckeboer für ihren Rat und ihre Hilfe beim Korrigieren der Druckproben. Danken möchte ich schliesslich noch der Studienstiftung des dt. Volkes, die die Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert hat. Die vorliegende Arbeit wurde im WS 1980 von der Historisch-Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen.
INHALT I
Einleitung I.
DER GEGENSTAND UND DIE METHODE DER UNTERSUCHUNG 1.
Die Wahrnehmung als intentionales Erlebnis
9
9
Zur Kritik eines physikalistischen Wahrnehmungsbegriffs. Die phänomenologische Einstellung und die Bestimmung des Bewusstseins von innen.
2.
Die phänomenologische Erfahrung
19
Zur Kritik des empiristischen Immanenzbegriffs und des diesem korrelierenden Begriffs der inneren Wahrnehmung. Das Bewusstsein als zweiseitig unabgeschlossen. Phänomenologische Erfahrung als Vergegen wärtigung.
11.
DIE WAHRNEHMUNGS PROBLEMATIK IN ERKENNTNISTHEORETISCH-REDUKTIVER FRAGESTELLUNG
29
3.
29
Leibhaftigkeit und Existenz Das Gegebene ist nicht das Gemeinte. Real-gegenständliche Existenz ist kein gegebenes Datum, sondern Korrelat eines Aktes des belief.
IX
VIII
4.
Die Frage nach dem Gegebenen
9.
37
Das eigentlich Gegebene als das Erlebte
40
Husserls Schema von Auffassung und Inhalt. Die Objektivität der Erscheinung. Sinnesdaten als theoretische Konstrukte. 10.
6.
Die Wahrnehmung als Urteil
52
Die noematische Reduktion und der erkenntnistheoretische Begriff des Wahrnehmungsgegenstandes
57
Die Zweideutigkeit in der Rede von der wesentlichen Inadäquation der Dinggegebenheit. Der ontische und ästhetische Erscheinungsbegriff. Die Einführung des Interessebegriffs in die Wahrnehmungsproblematik in Husserls Vorlesung über Ding und Raum. Gurwitschs phänomenologisch nicht ausgewiesene Voraussetzung, dass der Wahrnehmungsgegenstand der objektiv bestimmte Gegenstand ist.
Der Vorrang der reflektiv-deskriptiven Methode vor der reduktiv erschliessenden. Die Begriffe Intentionalität und Konstitution ermöglichen den phänomenologischen Begriff der Immanenz.
IH. DIE FRAGE NACH DEM INTENTIONALEN INHALT DER WAHRNEHMUNG
7.
Die bedeutungstheoretische Bestimmung des Begriffs der Intentionalität
57
Der Begriff des intentionalen Inhalts in den Logischen Untersuchungen. Die intentionale Beziehung als Erlebnischarakter.
8.
Wahrnehmung und Noema Der Begriff des intentionalen Inhalts in den Ideen I. Die propositionale Struktur des Noemas. Das Problem der Vorgegebenheit des Etwas überhaupt. F llesdals bedeutungstheoretische Interpretation des Noemabegriffs. Husserl bleibt einem epistemologischen Begriff der Wahrnehmung verhaftet.
82
Gestaltpsychologie und Phänomenologie. Ein phänomenaler Begriff des Noemas. Das Wahrnehmungsnoema als der Gegenstand, so wie er erscheint. Eigentlich und uneigentlich Gegebenes als Aspekte einer Gestalt. Auch das uneigentlich Gegebene ist anschaulich gegeben. Der Gegenstand als das System seiner noema tischen Erscheinungen.
Nicht nur das Dass, sondern auch das Was des Seienden als Korrelat von Setzungen.
5.
Gurwitschs Gestaltphänomenalismus
IV
97
WAHRNEHMUNG UND LEIB
108
11.
108
Die Wahrnehmung als leibliches Bewusstsein Wahrnehmungsinteresse und konkretes, leibliches Subjekt gegenüber Verstandesinteresse und explizitem Aktbewusstsein. Die Frage nach dem ersten Wahrnehmungsbegriff als Frage nach der Leiblichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins.
66
12.
Husserls transzendentale Bestimmung des Leibes als kinästhetisches Bewusstsein Der Leib als Wahrnehmungsorgan. Die kinästhetische Beweglichkeit als transzendentale Bedingung der Möglichkeit einer raum-zeitlichen, objektiven Gegenstandswelt. Über die Möglichkeit einer reflektiven Bestimmung des leiblichen Bewusstseins.
114
x
1
13.
Der Leib als Subjekt der Wahrnehmung
120
Zur Auseinandersetzung mit Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung. Der phänomenale Leib und das leiblich-perzeptive Verhalten. Die fungierende Intentionalität gegenüber der Aktintentionalität. Der Leib als Handlungsvermögen. Im Leib vermittelt sich der Gegensatz von An-sich und Für-sich. Der Leib als angeborener Komplex. Merleau-Ponty gelangt zu keinem rein phänomenologischen Begriff der Leiblichkeit.
14.
Vom noematischen zum noetischen Begriff des leiblichen Bewusstseins Die Frage nach der Konstitution der Vorgegebenheit einer Welt mit Gegenständen. Was ist leibliches Bewusstsein in reiner Inneneinstellung betrachtet? Das leibliche Bewusstsein als noematisches Bewusstsein. Kritik an der völligen Noematisierung des leiblichen Bewusstseins. Die Widerstandserfahrung und der 'noetische' Charakter des leiblichen Bewusstseins als vorausgreifendes Tun und Können.
EINLEITUNG
131
,
Abkürzungen
134
Anmerkungen
141
Literaturverzeichnis
161
Namenregister
165
Die philosophische Frage nach der Wahrnehmung ist in der neuzeitlichen Philosophie auf das engste mit dem Problem der Rechtfertigung unseres Glaubens an eine Welt bewusstseinsunabhängiger Gegenstände verbunden, beanspruchen wir doch von der Existenz solcher Gegenstände zu wissen, weil wir sie sehen, hören oder berühren können. All unser Meinen, Sprechen und Theoretisieren, in der alltäglichen Welt wie in der Wissenschaft, über Dinge, Ereignisse und Vorgänge in der raum-zeitlich ausgedehnten Welt sieht sich auf die Evidenz der sinnlichen Erfahrung zu seiner Rechtfertigung verwiesen. Angesichts von Phänomenen wie Wahrnehmungstäuschung, Halluzination, die in sich von 'echten' Wahrnehmungen ununterscheidbar sind, sowie angesichts der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Ursachenforschung hinsichtlich unserer Wahrnehmungen ist dieser sinnliche Evidenzanspruch nicht nur in einzelnen Fällen ungünstiger Wahrnehmungsbedingungen, sondern prinzipiell fragwürdig geworden. Bei der Frage nach den Kriterien, denen gemäss wir 'echte' von 'unechten' Wahrnehmungen unterscheiden, stiess man darauf, dass die Unterscheidung zwischen Schein und Sein hinsichtlich der äusseren Objekte sich nicht auf die evidente Gegebenheit der Gegenstände berufen kann, sondern nur auf den kohärenten Zusammenhang eines Evidenzerlebnisses mit anderen Evidenzerlebnissen. 1 Man glaubte feststellen zu können, dass wir irgendwie immer im Kreis unserer Wahrnehmungen und sinnlichen Inhalte gefangen bleiben, womit sich die Frage stellt, wie dann überhaupt begründetes Wissen von der Welt und ihren Gegenständen möglich ist; wie es möglich ist, aus dem Kreise unserer sinnlichen Zustände hinaus zu den Objekten zu gelangen. 2 Woher weiss ich, und wie kann ich begründen, dass es jenseits meiner Erlebnisse noch eine von ihnen unabhängige Welt objektiver Gegenstände gibt? Könnte es nicht sein, dass meine Wahrnehmungen sind, wie sie sind, ohne dass es diese Welt überhaupt gibt, sie nichts als eine Fiktion meiner Einbildungskraft ist?3
2
Wird das Problem der Wahrnehmung in dem Problem der Rechtfertigung des Transzendenzglaubens gesehen, muss die Wahrnehmung als so etwas wie sinnliche Erkenntnis oder sinnliche Behauptung objektiver Gegenstände thematisch werden, wobei das Sinnliche im strengen Sinne nur eine Komponente des Wahrnehmens ausmacht, zu der die Komponente treten muss, die aus der Wahrnehmung eine Erkenntnis oder einen Erkenntnisanspruch macht. Von Erkenntnis und Rechtfertigung eines Erkenntnisanspruchs zu reden hat aber nur Sinn in bezug auf Logisches, Begriffliches, Urteilsmässiges: nur in Urteilen können sich Behauptungen ausdrücken. Entsprechend wird so die nicht-sinnliche Komponente der Wahrnehmung immer wieder als ein logisches Moment im Wahrnehmen aufgefasst, als Urteil, Begriff, als Konstruktion, Interpretation oder Schluss. Die Problematik dieses Wahrnehmungsbegriffs besteht darin, dass er einerseits Resultat der subjektiven Wendung Descartes' ist, andrerseits aber diese subjektive Wendung rein begrifflich bereits wieder aufhebt. Das Traumargument Descartes' ist es, das den Anspruchscharakter unserer sinnlichen Erfahrungen zu enthüllen scheint. Aber die sinnliche Erfahrung auch nur als Erkenntnisanspruch aufzufassen, setzt den Begriff eines Erkenntnisgegenstandes voraus, auf den sich dieser Anspruch richtet. Damit ich einen Gegenstand erkennen kann, muss dieser Gegenstand da sein. Für Descartes und Locke stand ein solches Vorgegebensein des Erkenntnisgegenstandes, in bezug auf die sinnliche Erfahrung des raum-zeitlich bestimmten, physikalischen Gegenstandes, der res extensa, so auch nie ernsthaft, das heisst, wenn überhaupt, so nur methodisch in Frage. Das Problem war allein, die nachkommende wissende Beziehung zwischen res cogitans und res extensa zu erklären und zu rechtfertigen. Es war Berkeley in seiner Kritik an Locke, vor allem an dessen Lehre von den primären und sekundären Qualitäten, vorbehalten, die eigentliche Bedeutung der subjektiven Wendung Descartes', ihre radikale Konsequenz darzustellen: Jede Voraussetzung eines dem Bewusstsein noch vorausgehenden, nicht auf einen Ursprung im Bewusstsein rückführbaren Seins ist vorphilosophisch naiv. Die subjektive Wendung besteht gerade darin, dem vorphilosophischen Realismus entgegen, die philosophische Einsicht in die prinzipielle Bewusstseinsrelativität allen Seins schlechthin herbeizuführen. So sind auch die den Erkenntnisleistungen vorgegebenen Gegenstände selbst noch 'im' Bewusstsein zu suchen. Wird die Wahrnehmung, die sinnliche Erfahrung als dasjenige Bewusstseinsvorkommnis bestimmt, in dem wir den eigentlichen und ursprünglichen, den originären Zugang zur realen Welt und ihren Gegenständen
3 haben, und kann es Welt und Gegenstände prinzipiell nicht ausserhalb und unabhängig von aktuellen und möglichen Wahrnehmungen geben, dann ist die wahrnehmungsmässige Zugänglichkeit Bedingung der Existenz einer Welt und ihrer Gegenstände. Bestand für Descartes und Locke das Rätsel der Transzendenz noch darin, wie ein bestimmtes Seiendes, nämlich ein Bewusstsein, zu einem von ihm getrennten, von ihm unabhängigen Seienden radikal verschiedener Seinsart, einer res extensa, eine wissende Beziehung herstellen kann, so kennt Berkeley nur noch 'ideas in the mind', und das Transzendenzproblem reduziert sich darauf, wie wir auf der Basis von solchen bewusstseinsimmanenten 'ideas' zu unseren gewöhnlichen Begriffen von Gegenstand und Gegenständlichkeit gelangen können. Übersetzen wir 'idea' mit 'Wahrnehmung', so sind für Berkeley die Welt und ihre Gegenstände nichts anderes als Zusammenhänge von bewusstseinsimmanenten Wahrnehmungen, 'collections of ideas'. Damit stehen wir vor dem eigentlichen Problem der Wahrnehmung, wie es sich in der neuzeitlichen Philosophie herausgebildet hat: Die Wahrnehmung soll sowohl originäre, anschauliche Erkenntnis der Welt und ihrer Gegenstände leisten, wie auch noch für das Vorgegebensein der Welt und ihrer Gegenstände für diese Erkenntnis aufkommen. In seiner ganzen Schärfe muss sich dieses Problem in einer philosophischen Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs stellen, die, wie die Husserls, auf den beiden Grundbegriffen Intentionalität und Konstitution aufbaut. Während Descartes und Locke mit ihrer einseitigen epistemologischen Ausrichtung gewissermassen die konstitutive Funktion der sinnlichen Erfahrung unterschlagen, gelangt Berkeley nicht über ein stoffliches Verständnis seiner 'ideas' als blosser sinnlicher Atome, als 'sense data', hinaus, dass heisst aber, ihm entgeht die intentionale Struktur unserer sinnlichen Erfahrung. Husserl versucht demgegenüber, Intentionalität und Konstitution zusammenzudenken: Wahrnehmend sind wir auf die sinnlichen Gegenstände gerichtet, ein Wahrnehmungserlebnis hat neben seinem reellen auch einen intentionalen Inhalt, andrerseits konstituieren sich die sinnlichen Gegenstände in den Erlebnismannigfaltigkeiten, sie haben keine Existenz ausserhalb aktueller und möglicher Wahrnehmungsakte. Die vorliegende Studie handelt nun nicht von den hier angedeuteten philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen. Ihr grundlegendes Interesse ist sachlich und nicht historisch und gilt der Frage nach der Möglichkeit einer Bestimmung der Wahrnehmung rein in phänomenologischer Einstellung, d.h. einer Einstellung, in welcher die Wahrnehmung
4 ausschliesslich als innerlich erfahrbare Bewusstseinsgestalt aufgefasst wird und zur Bestimmung der Wahrnehmung, wie übrigens jeder anderen Bewusstseinsgestalt auch, jeglicher Rekurs auf eine sich bewusstseinsmässig nicht darstellende Objektivität unterbleiben soll. Wie bereits angedeutet und wie der Begriff der phänomenologischen Einstellung erkennbar werden lässt, steht dieses sachliche Interesse in engstem Zusammenhang mit dem Programm der Phänomenologie, wie es durch Edmund Husserl begründet worden ist. Wird bei Descartes und im englischen Empirismus die Wahrnehmungsproblematik durch ein erkenntnistheoretisches Motiv und die metaphysischen Kategorien von res cogitans und res ex tensa beherrscht und belastet, so wird die Auseinandersetzung mit Husserls Wahrnehmungsphilosophie zeigen, dass es zwar auch ihm nicht gelingt, sich völlig frei zu machen von dieser erkenntnistheoretischen Auffassung des Wahrnehmungsproblems als eines Rechtfertigungsproblems, andrerseits aber seine Frage nach dem Wesen der Wahrnehmung, die damit verbundene deskriptive Ausrichtung der philosophischen Analyse und seine Neubestimmung der Begriffe der Immanenz und der Immanenzerfahrung, der Reflexion, Voraussetzungen für eine eigentlich phänomenologische Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs wie auch des Bewusstseinsbegriffs überhaupt schaffen. Der erste Abschnitt der vorliegenden Studie ist vor allem methodologischen Überlegungen gewidmet. Gegenüber den zunehmend erfolgreicheren Bemühungen einer Anzahl naturwissenschaftlicher Disziplinen um eine ursächliche Erforschung des Wahrnehmungsgeschehens wird es erforderlich, die Wahrnehmung zunächst als ein philosophisches Thema zu gewinnen. Im ersten Kapitel werde ich nicht allein für die Möglichkeit phänomenologischer Einstellung gegenüber der naturwissenschaftlichen Einstellung argumentieren, sondern zudem für die logische Priorität einer Bestimmung des Bewusstseins von innen gegenüber jeder Bestimmung desselben von aussen. Im Anschluss daran, im zweiten Kapitel, soll die phänomenologische Zugangsmethode zu diesem nichtnatürlichen Gegenstand der phänomenologischen Einstellung dargestellt und gegen aus der Tradition überkommene Missverständnisse gesichert werden. Die allgemeine Korrelativität von Gegenstand und Bewusstsein des Gegenstandes bringt es mit sich, dass dabei auch allgemeinste Strukturen des Bewusstseins thematisch werden. Die mit dem zweiten Abschnitt beginnenden konkreten Analysen setzen bei einer für die Wahrnehmungsproblematik grundlegenden Unterscheidung ein, der Unterscheidung zwischen Gegebenem und Gemeintem. Die Auseinandersetzung mit Husserls Einführung und
5 Begründung dieser Unterscheidung, im dritten Kapitel, sowie mit seinem Versuch, dieser Unterscheidung mit einem Schema von Auffassung und Inhalt Rechnung zu tragen, im fünften Kapitel, steht im Mittelpunkt dieses Abschnitts. Dabei wird sich zeigen, dass sowohl das Verfahren zur Aufdeckung dieser Differenz wie der an ihr orientierte Wahrnehmungsbegriff erkenntnistheoretisch motiviert sind und damit jeder phänomenologischen Analyse zuvor schon einen bestimmten Wahrnehmungsbegriff vorausgesetzt haben. Zur epistemologischen Bestimmung der Wahrnehmung gehört eine reduktiv-analytische Methode, die einerseits den Anspruchscharakter der Wahrnehmung enthüllt, andrerseits das Fundament freilegt, worauf sich dieser Anspruch stü tzt, sei es im Sinne desjenigen, was ihn motiviert oder desjenigen, was ihn begründet. Wenn Husserl die Wahrnehmung als Auffassung hyletischer Stoffe bestimmt, ist er ganz einer solch reduktivanalytischen Methode verpflichtet; in deskriptiv-reflektiver Erfahrung des wahrnehmenden Erlebens lassen sich keine gegenständliche Bestimmungen darstellende hyletischen Stoffe als Erlebnisbestandteile nachweisen. Hinsichtlich der Konstitution einer Welt raum-zeitlicher Gegenstände impliziert dieser Wahrnehmungsbegriff, so die Folgerung des fünften Kapitels, eine Reduktion dieser Welt auf biossen Gedankeninhalt oder projektive Fiktion der Einbildungskraft. Im sechsten Kapitel soll deutlich gemacht werden, dass demgegenüber Husserls eigene Konzeption von einer noetisch-noematischen Korrelationsforschung in bezug auf die Akte des Bewusstseins grundlegend für eine deskriptiv-reflektive Erforschung des Bewusstseins ist. So lässt sich Husserls Einführung des Noemabegriffs in den Ideen I als der Versuch i~terpretieren, einer solch deskriptiv-reflektiven Methode gegenüber emer reduktiv-analytischen zum Durchbruch zu verhelfen, nicht zuletzt um die Konstitu tion der Welt und ihrer Gegenstände in Bewusstseinsmannigfaltigkeiten verständlich zu machen. Die systematischen Möglichkeiten, die dieser Begriff für eine phänomenologische Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs eröffnet sollen im dritten Abschnitt erörtert werden. Der Begriff des Noemas lö;t in den Ideen den Begriff des intentionalen Wesens aus den Logischen Untersuchungen (L U) ab. Im siebten Kapitel wird Husserls einseitig bedeutungstheoretisch-noetisch ausgerichtete Aktanalyse der LU dargestellt. Indem Husserl in den Ideen am Schema Auffassung/Inhalt festhält und noch die Struktur des Noemas diesem Schema angleicht, bleibt er einem ?edeutungstheoretischen Verständnis des Noemabegriffs verhaftet. Wie lch im achten Kapitel, in dem der Begriff des Noemas in den Ideen I im
6
Horizont der Wahrnehmungsproblematik thematisch wird, zu zeigen versuche, sieht sich jedes solch bedeutungstheoretisch-intellektualistische Verständnis mit dem Problem der Vorgegebenheit des Bedeutungsgegenstandes konfrontiert. Aron Gurwitsch hat, an Husserl anknüpfend, versucht, Ergebnisse der Gestaltpsychologie für eine Phänomenologie der Wahrnehmung, vor allem in Hinsicht auf eine rein phänomenale gegenüber einer bedeutungstheoretischen Bestimmung des Noemabegriffs - das Wahrnehmungsnoema als Erscheinung - fruchtbar zu machen. Dieser Versuch wird im neunten Kapitel vorgestellt. Ihm haften eine Anzahl Widersprüche an, die aus Gurwitschs Festhalten an bestimmten Husserlschen Kategorien herrühen, die dieser gerade im Rahmen seiner mehr erkenntnis- und bedeutungstheoretisch motivierten Überlegungen in den LU geprägt hat. Ich gehe auf diese Widersprüche nicht näher ein, um mich ausschliesslich mit den Möglichkeiten einer rein phänomenalen Bestimmung des Noemabegriffs auseinanderzusetzen. Für die kritischen Einwände, die ich im zehnten Kapitel gegen Gurwitschs Gestaltphänomenalismus mache, stütze ich mich auf Husserls eigene konkrete Wahrnehmungsanalysen in seiner Vorlesung über Ding und Raum. Obwohl Husserl in dieser Vorlesung noch weitgehend den einseitig noetisch orientierten Kategorien der LU verpflichtet ist, lässt sich aus den konkreten Analysen ein eigener wesentlicher Beitrag Husserls zur phänomenalen Bestimmung des Noemabegriffs herausarbeiten. Husserls Einführung des Begriffs des Interesses in die Wahrnehmungsproblematik macht deutlich, dass die Konstitution des Wahrnehmungsgegenstandes nicht als ein anonymes Geschehen in einem anonymen Bewusstsein überhaupt aufgefasst werden kann. Wenn Gurwitsch demgegenüber am Begriff eines objektiven, an sich bestimmten Gegenstandes, dessen Konstitution in den Akten des Bewusstseins aufzuklären ist, festhält, muss ihm die noema tische Konstitution des Gegenstandes zu einer ontischen Konstitution geraten. Seine phänomenale Bestimmung des Noemas beruht auf dem Vorurteil des an sich bestimmten objektiven Gegenstandes als des Gegenstandes der Wahrnehmung und gehört so selbst noch in den Zusammenhang eines erkenntnistheoretischen Begriffes der Wahrnehmung. Der erkenntnistheoretische Begriff der Wahrnehmung setzt einen grundlegenderen Begriff der Wahrnehmung und des sinnlichen Bewusstseins voraus, den einer ersten Begegnung mit Welt und Gegenständen, in der sich das Vorgegebensein einer gegenständlichen Welt für Akte ausdrücklicher Wahrnehmungen und Erkenntnisakte allererst konsti-
7 tuiert. Nach diesem grundlegenderen Begriff der Wahrnehmung frage ich im vierten Abschnitt. Wie im elften Kapitel ausgeführt wird, ist Husserls Entdeckung eines Wahrnehmungsinteresses - was mir als optimale Gegebenheit gilt, ist abhängig von meinem konkreten Wahrnehmungsinteresse - geeignet, auf diese tieferliegende Dimension des Wahrnehmungsproblems zu führen, vorausgesetzt, der Interessebegriff wird nicht selbst wieder erkenntnis- bzw. bedeutungstheoretisch bestimmt. Ein Verständnis des Wahrnehmungsinteresses als umfassende Einstellung, Bedürfnisstruktur eines konkreten Subjekts führt auf eine Leiblichkeit des wahrnehmenden Bewusstseins. Von einer Leiblichkeit des Bewusstseins zu reden, wirft jedoch die Frage auf, wie ein phänomenologischer, d.h. in reiner Inneneinstellung gewonnener Begriff solch leiblichen Bewusstseins möglich sein soll. Im zwölften Kapitel wird Husserls transzendentaler Begriff des Leibes als kinästhetisches Vermögen vorgestellt, und ich setze mich mit zwei Einwänden gegen die Möglichkeit eines transzendentalen und phänomenologischen Leibbegriffs auseinander. Das dreizehnte Kapitel handelt von Merleau-Pontys philosophischer Bemühung um eine umfassende, über Husserls transzendentalen Leibbegriff hinausgehende Bestimmung des fungierenden Leibes und der Leiblichkeit des Bewusstseins. In seiner Phänomenologie der Wahrnehmung hat Merleau-Ponty versucht, den Regress der gegenständlichen Auffassungen im leiblichen Fungieren des Wahrnehmungssubjekts enden zu lassen. Was die Auseinandersetzung mit seiner These vom Leib als Subjekt der Wahrnehmung deutlich werden lässt, ist, dass die Wahrnehmung, aufgefasst als ausdrücklicher Akt, einer Fundierung bedarf in einem den Aktgegenstand vorgebenden Bewusstsein, dass die Konstitution der ursprünglichen Gegebenheit nicht in solch ausdrücklichen Akten stattfinden kann. Seine Unterscheidung zwischen der fungierenden Intentionalität des Leibes und der darin fundierten Aktintentionalität gibt zwar eine Antwort auf das Problem der Vorgegebenheit der in den ausdrücklichen Akten intendierten Gegenstände, wie es scheint jedoch um den Preis eines Verzichts auf eine durchgängige Bestimmung des wahrnehmenden Bewusstseins rein in phänomenologischer Einstellung. Im letzten Kapitel wird auf dem Hintergrund der vorangegangenen Darstellung von Husserls und Merleau-Pontys Analysen und Begriffen des leiblichen Bewusstseins versucht, die Frage nach einem Begriff des leiblichen Fungierens, des leiblichen Bewusstseins aus reiner, phänome-
8
nologischer Inneneinstellung zu entfalten. Die sozusagen erste Antwort auf diese Frage lässt leibliches Subjekt und gegebene Welt in einer noematischen Umwelt aufgehen. Die Widerstandserfahrung zeigt jedoch, wie ich darzustellen versuche, dass das sinnliche Bewusstsein sich nicht in einer vollkommenen Ekstase in seine Umwelt auflöst. In der sinnlichen Enttäuschung scheint die 'noetische' Komponente des leiblichen Bewusstseins auf, sein Tätigkeitscharakter. Dieses letzte Kapitel, wie übrigens der ganze letzte Abschnitt, hat einen eher explorativen Zug. Die Frage, ob und wie die allem ausdrücklichen Gegenstandsbezug zugrundeliegende leiblich fungierende Intentionalität zu fassen ist, findet keine abschliessende und systematisch ausgearbeitete Beantwortung. Eine solche würde, wie Merleau-Ponty richtig gesehen hat, die Lösung des philosophischen Fundamentalproblems von Leib und Seele und deren Verhältnis zueinander voraussetzen.
9
I. DER GEGENSTAND UND DIE METHODE DER UNTERSUCHUNG
1. DIE WAHRNEHMUNG ALS INTENTIONALES ERLEBNIS
Wird ein psychisches Phänomen zum Thema naturwissenschaftlich eingestellter Forschung, dann ist das primäre Ziel seine Erklärung mittels Gesetzen, die funktionale Abhängigkeiten zwischen physischen Vorkommnissen ausserhalb und innerhalb des Leibkörpers und den betreffenden psychischen Vorkommnissen ausdrücken. Es gilt für solche Forschung, empirisch-experimentell den geregelten funktionalen Abhängigkeiten zwischen physischen Vorgängen und unseren psychischen Erlebnissen nachzugehen. Eine naturwissenschaftliche Psychologie und Physiologie sucht diese physischen Ursachen für die psychischen Phänomene in Form physikalisch-chemischer Prozesse aufzufinden. So geht dem Wahrnehmungserlebnis in der Zeit eine ebenfalls zeitlich ausgedehnte Ursachenkette voran, deren erstes Glied der wahrgenommene Gegenstand selbst ist. Im Falle des Sehens sind dann Lichtwellen, im Falle des Hörens Schallwellen weitere kausale Faktoren, denen sich schliesslich die überaus komplizierten Vorgänge in unseren Sinnesorganen, in Nerven und Gehirn anschliessen. Da auch die Übermittlung der auf das entsprechende Sinnesorgan auftretenden Impulse zu den entsprechenden Zentren im Gehirn eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, ist die zeitliche Differenz zwischen Ursache und Wirkung auch beim Tasten gegeben. 4 Der Versuch, die Wahrnehmung zum Thema philosophischer Analyse und Bestimmung machen zu wollen, sieht sich zunächst mit der Frage konfrontiert, ob es gegenüber solch naturwissenschaftlich-kausaler Erklärung des Wahrnehmungsgeschehens überhaupt noch eine spezifisch philosophische Perspektive der Erforschung des Phänomens geben kann. Gibt die naturwissenschaftlich-exakte Erklärung nicht der vorwissensehaftlichen Erfahrung von der durchgängigen funktionalen Abhängigkeit unserer Wahrnehmungserlebnisse von den leiblichen Zuständen
10
einerseits und den dinglichen Gegebenheiten andrerseits den exakten, wissenschaftlichen Ausdruck, und konkretisiert sie damit nicht gerade die traditionelle philosophische Bestimmung des Wahrnehmungsbewusstseins als eines rezeptiven Bewusstseins? Ist es z.B. nicht im Begriff der Wahrnehmung eines Gegenstandes beschlossen, dass der jeweils wahrgenommene Gegenstand eine der Ursachen der Wahrnehmung von ihm ist? So wird eine Halluzination nicht dadurch zur Wahrnehmung, dass zufällig wirklich weisse Mäuse durch das Zimmer laufen. Da sich aber die Halluzination in diesem Fall nicht durch die reale Nicht-Existenz ihres vorgestellten Gegenstandes von einer Wahrnehmung unterscheiden lässt, bliebe zur Begründung dieser Unterscheidung nur der Rekurs darauf, dass der in der Halluzination vorgestellte Gegenstand nicht zu den kausalen Bedingungen dieser Vorstellung selbst gehört. 5 Müssen wir somit nicht die ursächliche Erklärung des Wahrnehmungsgeschehens als die, vom Begriff des Wahrnehmens geforderte, einzig adäquate wissenschaftliche Bestimmung gelten lassen? Doch wie ich im folgenden zeigen will, führt jeder Versuch einer letztgültigen Bestimmung des Wahrnehmungsgeschehens durch physikalisch-kausale Erklärung in Widersprüche, die die Möglichkeit einer anderen Einstellung zu ihm erkennbar werden lassen und fordern. Zunächst gilt es festzustellen, dass in einer physikalistischen Wahrnehmungstheorie nicht der Gegenstand, so wie er uns in der Wahrnehmung gegeben ist, so wie er uns vor Augen steht, das Anfangsglied der Ursachenkette ist, die zur Hervorbringung des Wahrnehmungserlebnisses führt. Man muss vielmehr unterscheiden zwischen dem physikalischen Gegenstand, z.B. Molekülgruppen, aus Atomverbindungen bestehend, und dem sinnlich erscheinenden Gegenstand, diesem geschlossenen, farbigen Raumkörper. Was uns in unseren Wahrnehmungen sinnlich erscheint, ist völlig relativ auf die besondere physiologische Organisation unserer körperlichen Organe, die auf die Einwirkung objektiv-physikalischer Reize, ausgehend unter anderem von dem dem sinnlich erscheinenden Gegenstand zugrundeliegenden physikalischen Gegenstand, in spezifischer Weise reagieren und so die Erscheinung all der sinnlichen Qualitäten hervorrufen, in denen unsere alltägliche Wirklichkeit gegeben ist. Eine eminente Schwierigkeit im Rahmen physikalistischer Wahrnehmungstheorie besteht nun darin, eine angemessene Bestimmung des Verhältnisses von sinnlich erscheinendem und physikalischem Gegenstand zu geben. Es liegt nahe, zunächst an ein Verhältnis der Repräsentation zwischen sinnlich erscheinendem und physikalischem Gegenstand
II
zu denken. Auf Grund der prinzipiellen Unterschiedenheit der subjektrelativen, sinnlichen Gegebenheit von dem objektiven physikalischen Gegenstand ist jede Form abbildlicher Repräsentation von vorneherein ausgeschlossen, da für die Möglichkeit einer solchen eine Ähnlichkeitsbeziehung Voraussetzung ist. 6 Soll der erscheinende Gegenstand den physikalischen Gegenstand repräsentieren, ohne Abbild desselben sein zu können, muss er den physikalischen Gegenstand symbolisch vertreten, kann der Repräsentant nur mehr Symbol oder Zeichen des Repräsentierten sein. Die sinnliche Erscheinung verträte dann den physikalischen Gegenstand so, wie die Wirkung ihre Ursache vertritt. Das Vorliegen der Wirkung ist jeweils Zeichen für das Vorhandensein der Ursache, mit der diese Wirkung gesetzmässig verbunden ist. Wird jedoch das Repräsentationsverhältnis so bestimmt, wäre das Erscheinende Zeichen nicht allein für den physikalischen Gegenstand, sondern auch für alle es verursachenden Faktoren, für die ganze Ursachenkette, der es sein Gegebensein verdankt. Diese Bestimmung würde so nicht dem besonderen Verhältnis, das zwischen sinnlich erscheinendem Gegenstand und dem ihm entsprechenden physikalischen Gegenstand besteht, gerecht werden können. Wir werden hier auf eine bemerkenswerte Ungenauigkeit in der Formulierung der physikalistischen Repräsentationstheorie der Wahrnehmung aufmerksam: Während es einerseits durchaus sinnvoll erscheint, vom physikalischen Gegenstand als einer Ursache des Wahrnehmungserlebnisses zu sprechen, so scheint andrerseits niemand explizit behaupten zu wollen , dass ebenfalls der sinnlich erscheinende Gegenstand, der Tisch vor mir, so wie ich ihn sehe, durch die physikalischen Entitäten verursacht wird, die möglicherweise das Wahrnehmen dieses mir sinnlich erscheinenden Gegenstandes bewirken. Der sinnlich erscheinende Tisch soll vielmehr auf irgendeine Weise identisch sein mit dem physikalischen Ding, er selbst ist nichts anderes als Molekülgruppen in bestimmter Anordnung. Überlegen wir, in welchem Sinn wir im Rahmen physikalistischer Wahrnehmungstheorie davon sprechen können, dass der Tisch vor mir mit bestimmten Molekülen und Atomen identisch ist. Bei den physikalischen Entitäten wie Atomen, Molekülen usw. handelt es sich prinzipiell um sekundäre Gegenstände. Sie sind theoretische, nicht originär erfahrene Gegenstände, erwachsen aus einer theoretischen Bestimmungsleistung an den sinnlich qualifizierten, in der normalen Wahrnehmung gegebenen Gegenständen, das heisst, ohne dass uns zunächst eine Welt der sinnlichen Erfahrung gegeben wäre, gäbe es 7 für uns auch keine Welt der physikalischen Entitäten.
12 Da die grösseren Moleküle gerade noch mit optischen Hilfsmitteln sichtbar sind, identifizieren wir auch die nicht mehr direkt sichtbaren physikalischen Entitäten mit dem sinnlich erfahrbaren Gegenstand, so wie wir das mit dem biossen Auge gesehene Haar mit dem ganz verschieden aussehenden Gebilde unter dem Mikroskop identifizieren. Das allgemeine Kriterium für die Identifizierung zweier Gegenstände, wie das mit dem biossen Auge Gesehene und das unter dem Mikroskop Gesehene oder auch wie Morgenstern und Abendstern, ist eine identische Raum-Zeitbestimmung. Beide Gegenstände müssen jederzeit denselben Ort einnehmen und ihre Dauer muss dieselbe Zeitstrecke ausfüllen. Da die Raum-Zeitbestimmung für individuelle, konkrete Gegenstände die identifizierende Bestimmung schlechthin ist, würden Unterschiede in den Raum-Zeitbestimmungen zwischen den zu identifizierenden Gegenständen eine Identifikation unmöglich machen. Sind nun aber der sinnlich erfahrene Tisch vor mir und der entsprechende physikalische Gegenstand, gemessen an diesem Kriterium, überhaupt identisch? Schon rein begrifflich implizieren die Begriffe von Ursache und Wirkung den Begriff der zeitlichen Sukzession, so dass wir, wenn wir von einer wie oben skizzierten kausalen Erklärung des Wahrnehmens ausgehen und uns dann das Beispiel eines Millionen von Lichtjahren entfernten Sterns vor Augen halten, zu dem Ergebnis kommen müssen, dass strikte Identität ausgeschlossen ist. Das, was erscheint, nämlich entsprechend der Dauer der Wahrnehmung eine bestimmte Phase der Dauer des physikalischen Gegenstandes, geht seiner Erscheinung immer zeitlich voran, und sei es ein noch so geringes, schon nicht mehr messbares Zeitintervall, das Ursache und Wirkung trennt. Zu Bewusstsein kommt uns dieser Sachverhalt erst bei weit entfernten Himmelskörpern, wo die zeitliche Differenz Jahrmillionen betragen kann, und wir mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass der Gegenstand, der erscheint, nicht mehr existiert, wenn er erscheint. Eine Identität im strikten Sinne zwischen Sinnesgegenstand und physikalischem Gegenstand steht so im offensichtlichen Widerspruch zu einer kausalen Erklärung der Wahrnehmung. Die Identitätsthese muss, soll Identität im strikten Sinne gemeint sein, diesen Zusammenhang unterschlagen. Sie hat auszugehen von meiner normalen, ursprünglichen Erfahrung und ihren Gegenständen, die sich in meiner näheren und weiteren Umgebung befinden, und sie hat diese Gegenstände so zu nehmen, wie die Erfahrung sie mir gibt und wie sie der Erfahrung gelten, z.B. den Tisch vor mir als realen räumlich-ausgedehnten Gegenstand mit seinen sinnlichen Eigenschaften und keineswegs als blosse Erscheinung eines
13 physikalischen Gegenstandes. Und gerade an der Stelle, wo sich der Tisch ausbreitet, befinden sich für den Physiker ebenfalls bestimmte Atomverbindungen, z.T. sogar noch mit optischen Hilfsmitteln beobachtbar, ansonsten theoretisch erschlossen und konstruiert. Da in der Regel die Gegenstände schon existierten, bevor wir sie wahrnehmen und auch fortexistieren, nachdem wir uns abgewandt haben, zudem die Zeit nur theoretisch in unendlich kleine Zeitpunkte teilbar ist, wird das Problem des zeitlichen Abstands zwischen Wahrnehmung und wahrgenommener Phase des physikalischen Gegenstandes vernachlässigt. Eine Identifizierung von Sinnesgegenstand mit physikalischem Gegenstand, die nicht im Widerspruch zu einer kausalen Erklärung der Wahrnehmung steht oder diesen Widerspruch unterschlägt, ist nur im uneigentlichen Sinne möglich. Da der physikalische Gegenstand primär nicht Ursachefaktor in bezug auf den Sinnesgegenstand ist, sondern in bezug auf die Wahrnehmung, die sinnliche Erfahrung desselben, ist das zeitliche Wirkungsereignis auch primär die betreffende Wahrnehmung des sinnlichen Gegenstandes. So besteht im Rahmen bestimmter naturwissenschaftlicher Theorien ein Erklärungszusammenhang zwischen Art und Beschaffenheit des physikalischen Gegenstandes und der Umweltbedingungen sowie Beschaffenheit der Wahrnehmungsorgane und des menschlichen Gehirns einerseits und der sinnlichen Erfahrung, der Wahrnehmung des Sinnesgegenstandes andrerseits. 8 Somit kann eine Identifizierung von sinnlich Gegebenem mit dem physikalischen Gegenstand nicht mehr in Analogie zur Identität des mit dem biossen Auge Gesehenen mit dem unter dem Mikroskop Gesehenen verstanden werden. Vielmehr muss der Sinnesgegenstand nun zum bIossen subjektiven Schein herabsinken, dem der wahre physikalische Gegenstand gegenüber steht, der das Sich-Ereignen dieses Scheins in einer sinnlichen Erfahrung mitverursacht. Dieser Schein kann nun keine andere Realität mehr haben als die eines Teils des Wahrnehmungserlebnisses selbst. Die physikalistische Repräsentationstheorie muss die intentionale Struktur der Wahrnehmung, ihre Akt-Objekt Struktur unterschlagen, was nichts anderes als eine Verdinglichung der Wahrnehmung bedeuten kann. Begründet liegt dies darin, dass physikalische Ursachen, wenn sie schon nicht ausschliesslich nur für physikalisch Seiendes aufkommen können, so doch Ursache nur für solches Seiende sein können, das dem physikalisch Seienden darin gleicht, dass es ein in sich abgeschlossenes, experimentell isolierbares und gegen andere Phänomene abgeschlossenes und abgegrenztes Ereignis ist. Die physikalischen Ursachen können somit nur, wenn überhaupt, für die Wahrnehmungserlebnisse, aufgefasst
14 als aus realen Teilen zusammengesetzte, in sich abgeschlossene Zeiteinheiten, aufkommen, aber nicht für die erscheinenden Gegenstände als den realen Inhalten entgegengesetzte, irreale, intentionale Inhalte der Wahrnehmung. Einerseits vertreten dann die sinnlich-erscheinenden Gegenstände, indem sie zu realen Bewusstseinsinhalten gemacht werden, die physikalischen Gegenstände im Bewusstsein, andrerseits verweisen sie als ein blosser Schein auf den physikalischen Gegenstand als ihr eigentliches und wahrhaftes Sein. Die Widersprüchlichkeit dieser Bestimmungen des Verhältnisses von sinnlich-erscheinendem und physikalischem Gegenstand muss zu einer widersinnigen Fassung des Rätsels der Transzendenz - des Rätsels, wie die wahrnehmend-erkennende Beziehung des Bewusstseins auf ihm transzendente Gegenstände möglich ist 9 - führen. Wenn die Gegenstände unserer Wahrnehmungen nichts anderes als reale Momente dieser Wahrnehmungen sind, wie können wir dann einerseits von transzendenten Ursachen dieser Wahrnehmungen und andrerseits von einem dem sinnlichen Gegenstand als biossem Schein zugrundeliegenden wahrhaften physikalischen Gegenstand wissen? Zumindest solange wir davon ausgehen, dass alles Wissen von Gegenständen zuletzt in sinnlicher Erfahrung gründet, von sinnlicher Erfahrung seinen Ausgang nehmen muss, stehen wir einerseits vor dem Dilemma, dass wir, sind die Kausaltheorie und ihre Implikationen wahr, im Kreis der Wirkungen, d.h. den Wahrnehmungen und ihren realen Bestandteilen, gefangenbleiben, andrerseits wir aber die Theorie und ihre Implikationen nur als wahr ausweisen könnten, wenn es uns gelänge, den Kreis der Wirkungen zu den Ursachen hin zu durchbrechen. 10 Diese Fassung des Transzendenzproblems ist widersinnig, weil das Problem, so gefasst, nur dadurch entsteht, dass in eins die intentionale Struktur des Bewusstseins geleugnet und gefordert wird. So wie bisher eine in naturwissenschaftlicher Einstellung erwachsene Wahrnehmungstheorie dargestellt wurde, sucht sie die physischen Ursachen des Wahrnehmungsbewusstseins aufzufinden. Auf diese Weise wird das Wahrnehmungserlebnis in den Zusammenhang der einen raum-zeitlich ausgedehnten, physikalisch bestimmten Natur eingeordnet. Abgesehen davon, dass diese Einordnung unvollständig und rätselhaft bleiben muss, solange dem psychischen Erlebnis noch ein Eigencharakter gegenüber den verursachenden physischen Faktoren zugestanden wird - wie soll sich an eine zeitlich ausgedehnte Kette voneinander abhängiger physischer Vorgänge plötzlich ein psychischer Vorgang anschliessen
15 können? - sind es die aufgezeigten Widersprüche, die mit einer physikalistischen Repräsentationstheorie verbunden sind, die es im Interesse einer konsistenten naturwissenschaftlichen Bestimmung des Wahrnehmungsgeschehens erscheinen lassen, dem Psychischen jedweden Eigencharakter zu bestreiten und es schlicht mit bestimmten physischen Vorgängen zu identifizieren. Hinsichtlich der Wahrnehmung bedeutete dies, die Wahrnehmung zu identifizieren mit bestimmten physikalischchemischen Vorgängen im Gehirn. Wahrnehmung wäre nichts anderes als der komplexe physikalisch-chemische Gesamtvorgang, der in unseren Sinnesorganen, Nerven und Gehirn stattfindet, welcher wiederum seine Ursachen in äusseren physikalischen Ereignissen hätte. Unmittelbar scheint sich folgender Einwand gegen die These von der Identität von psychischem Erlebnis und physikalisch-chemischem Prozess erheben zu lassen: Auch derjenige, der nie etwas von Physik und Chemie gehört hat, kann durchaus sinnvoll über sein Sehen, Hören oder Fühlen eines Gegenstandes reden. Er weiss z.B. auch um die Unterschiede zwischen den einzelnen sinnlichen Erfahrungsarten. So hat ja auch die Physiologie nicht einfach irgendwelche physikalisch-chemischen Vorgänge als Wahrnehmung bezeichnet, sondern gerade diejenigen, die auftraten, als z.B. eine entsprechende Versuchsperson angab, etwas zu sehen oder zu hören, bzw. diejenigen, bei deren experimentell angestellter Manipulation die Versuchsperson etwa angab, etwas anderes als vorher oder nichts mehr zu sehen. Die Bezeichnung solcher physikalisch-chemischen Prozesse als Wahrnehmung beruht so offenbar auf einer Bedeutungsübertragung des alltäglich anders gebrauchten Begriffs. Ist damit aber schon erwiesen, dass es ein von den physikalisch-chemischen Vorgängen zwar funktional abhängiges, nichtsdestoweniger aber unterschiedenes, wir sagen, psychisches Phänomen der Wahrnehmung gibt? Könnte nicht mein Sehen eines bestimmten Gegenstandes genauso mit einem physikalisch-chemischen Vorgang identisch sein, wie z.B. ein Blitz nichts anderes ist als eine Entladung elektrischer Teilchen, unabhängig davon, ob ich wie jedermann einen Blitz erkennen kann, ohne von Physik und Chemie etwas zu verstehen? Was nun aber die These von der Identität eines psychischen Phänomens wie der Wahrnehmung mit bestimmten physikalisch-chemischen Vorgängen betrifft, so besteht die Schwierigkeit darin, überhaupt zu verstehen, wie die behauptete Identität gemeint ist, denn ausgeschlossen erscheint es, sie, wie im Falle der Identität von sinnlich erfahrenem Gegenstand und physikalischem Gegenstand, in Analogie zur Identität des mit biossem Auge Gesehenen und des unter dem Mikroskop Gese-
16 henen zu verstehen. Soweit wir uns im Rahmen ursprünglicher, vorwissenschaftlicher Erfahrung bewegen, sind uns das Bewusstsein und seine Phänomene als seinsmässig durchaus verschieden von den sinnlichen Gegenständen gegeben. Sie sind nicht gegeben in sinnlicher Anschauung, somit auch nicht sinnlich qualifiziert, sie haben keine spezifisch materiellen Eigenschaften wie Gewicht, Grösse, räumliche Gestalt usw. Ich kann deswegen im eigentlichen Sinne nicht um das Bewusstsein herumgehen, ich kann es nicht berühren, gleichwohl ist es meinem Willen unterworfen wie kein anderer Gegenstand. Wie soll es möglich sein, solches in ursprünglicher Erfahrung als von dinglich Seiendem seinsmässig unterschiedenes Seiendes in einer theoretischen Bestimmung auf eine mit diesem gemeinsame Seinsart, nämlich die physikalische, zu reduzieren? Vom sinnlich erfahrenen Gegenstand ist ein Beobachtungsweg zum physikalischen Gegenstand zumindest immer noch denkmöglich und somit nur faktisch ausgeschlossen, wohingegen die Rede davon, dass man durch ein irgendwie geartetes genaueres Hinsehen, gar mittels bestimmter Geräte, auf einen Bewusstseinsvorgang den mit ihm identischen physikalisch-chemischen Vorgang entdecken könnte, nicht nur faktisch falsch ist, sondern erst gar keinen Sinn ergibt. Zudem, wie die fehlende Identität der Zeitbestimmung die Identifizierung des sinnlich Gegebenen mit einem physikalischen Gegenstand zum Problem machte, so ist es bei dem Versuch, den psychischen Vorgang der Wahrnehmung mit einem physikalisch-chemischen Vorgang zu identifizieren, das Kriterium der positionalen Identität, das unerfüllbar ist. Wir sehen zwar mit den Augen, tasten mit den Händen, hören mit den Ohren, deswegen ist doch das Sehen nicht in den Augen oder auch im Gehirn wie der Baum im Garten, oder das Hören ausgedehnt, noch füllt das Tasten bzw. Fühlen eine bestimmte räumliche Gestalt aus. Zwar sind Tastempfindungen, wie Schmerzempfindungen, an bestimmten Körperstellen lokalisiert, aber doch deswegen nicht eigentlich Gegenstände oder Ereignisse im Raum. Gegenstand im Raum ist der entsprechende Körper oder das entsprechende Körperteil, die Empfindung ist aber weder mit dem Körperteil identisch noch ein Teil desselben , noch ist der Schmerz mit der Wunde identisch. Die Applikation räumlicher Bestimmungen auf Wahrnehmungserle bnisse, auf psychische Phänomene überhaupt, so wie ich sie unabhängig und ausserhalb von physikalischchemischer Forschung erfahre, ist nur sekundär möglich, indem ich sie als dem jeweiligen Körper bzw. Körperteil anhaftend oder zugehörig auffasse - das Erlebnis findet dort statt, wo sich der das Erlebnis habende Mensch mit seinem Körper befindet. Was das Erlebnis an
17 räumlicher Bestimmtheit gewinnen kann, gewinnt es vermittels der räumlichen Bestimmtheit des Körpers. Nun könnte der Einwand vorgebracht werden, dass wir mit unserer Berufung auf fehlende primäre Extension und Lokalisation sowie andere angeblich spezifische Eigenschfften psychischen Erlebens den cartesianischen Dualismus von res cot(ta~s und res extensa immer schon vorausgesetzt haben, also das, was \dle Identitätsthese gerade bestreitet, dass es nämlich dieses psychische Erleben als von physikalisch-chemischen Vorgängen seinsmässig verschiedenes Seiendes gibt. Aber wenn wir auf die fehlende Extension und Lokalisation des Psychischen hinwiesen, beriefen wir uns nur auf die originäre, vorwissenschaftliche Erfahrung von Psychischem. Dass es solche Erfahrung gibt, kann sinnvoll nicht bestritten werden, da wir alle Begriffe, die sich auf Psychisches beziehen, verwenden und verstehen können, ohne dass wir von physikalischer und chemischer Forschung zu wissen brauchen. So bleibt der Identitätsthese nur, auch hier den Gegenstand der vorwissenschaftlichen Erfahrung, das Psychische, so wie es ursprünglich gegeben ist, als blosse Erscheinung des entsprechenden physikalisch-chemischen Vorgangs im Gehirn aufzufassen, analog wie vom Standpunkt einer kausalen Erklärung der Wahrnehmung der Sinnesgegenstand blosse subjektive Erscheinung des physikalischen Gegenstandes ist. Eine Erscheinung ist nun aber nicht nur relativ auf den Gegenstand, der erscheint, sondern auch auf jemanden, dem der Gegenstand erscheint. So wie sich der Schein des Sinnengegenstandes in einem Wahrnehmungserlebnis ereignet, muss sich der Schein des psychischen Erlebens ebenfalls in einer entsprechenden Erfahrung von ihm ereignen. Eine materialistische Physiologie muss somit das Bewusstsein, die originäre Erfahrung des psychischen Erlebens erklären, so wie die kausale Erklärung der Wahrnehmung von Dingen die Wahrnehmung aus ihren physischen Ursachen erklärt, das heisst aber, sie muss immer noch die Existenz des Reflexionserlebnisses, in dem sich der Schein des primären Erlebnisses ereignen kann, voraussetzen. Der drohende unendliche Regress macht die eigentliche Absurdität des Versuchs einer Identifizierung des Psychischen Erlebnisses mit einem physikalisch-chemischen Vorgang sichtbar. Rein physische Vorgänge können nicht in Erfahrungsbeziehung, Wahrnehmungsbeziehung zueinander stehen; nicht kann Physisches anderem bloss Physischem erscheinen. Vor allem aber, wie sollte es eine physische Eigenschaft geben können, die dem Reflexionsverhältnis entspricht? Man stelle sich vor, man sähe mittels Spiegel und Mikroskop in sein eigenes, offenliegendes Gehirn. Unter Voraussetzung
19
18 der Identitätsthese müsste es prinzipiell möglich sein, den bestimmten physikalisch-chemischen Vorgang aufzufinden, der identisch mit dem Sehen dieses selben physikalisch-chemischen Vorgangs ist. Wir hätten einen physikalisch-chemischen Vorgang, der sich selbst sieht! Es wird hier erkennbar, was das Reich des Psychischen und des Physischen so radikal trennt. Es ist das, was Husserl mit dem Begriff der Intentionalität fasst: "In allen reinen seelischen Erlebnissen (im Wahrnehmen von etwas, in der Erinnerung an etwas, im Sicheinbilden von etwas, im Sichfreuen an etwas, im Urteilen über etwas, im Wollen von etwas, im Hoffen auf etwas usw.) liegt von Hause aus ein Gerichtetsein auf ... Die Erlebnisse sind intentionale. Dieses Sichbeziehen-auf ... wird dem Psychischen nicht erst nachträglich und zuweilen als eine zufällige Relation angeknüpft, gleich als könnten die Erlebnisse sein, was sie sind, ohne die intentionale Beziehung. Vielmehr bekundet sich mit der Intentionalität der Erlebnisse die Wesensstruktur des rein Psychischen."ll Bewusstsein ist intentional bezogen auf Gegenstände, ist Bewusstsein von etwas und so auch die Wahrnehmung Wahrnehmung von etwas. Diese Von-Beziehung der Intentionalität ist im Reich des Physischen unmöglich, sie ist grundsätzlich unterschieden von der Beziehung zwischen den physischen Ursachen eines Erlebnisses und diesem Erlebnis selbst. Weder ist die intentionale Beziehung des Erlebnisses auf seinen Gegenstand eine sachliche Eigenschaft des Erlebnisses, wie ein Ding z.B. die Eigenschaft hat, rot zu sein oder von der und der Grösse usw., noch ist es eine Beziehung zwischen zwei biossen Sachen. Damit haben wir aber nicht nur einem physikalistischen Begriff der Wahrnehmung einen mentalistischen Begriff gegenübergestellt, wir haben nicht einfach einen psycho-physikalischen Dualismus mit all seinen Widersprüchen restituiert, sondern wir haben jeder kausalen Erklärung des psychischen Erlebens aus seinen physikalischen Ursachen mit der intentionalen Analyse eine grundlegendere Analyse und Erforschung gegenü bergestell t. So setzt jede kausale Erklärung des Wahrnehmens aus seinen physischen Ursachen die intentionale Analyse des Wahrnehmens logisch voraus, da, soll eine kausale Erklärung überhaupt möglich sein, die Wahrnehmung bereits das geleistet haben muss, wofür die Erklärung dann die Ursachen angeben will, d.i. die Gebung einer Welt mit Gegenständen. 12 Wie der physikalische Gegenstand eine theoretische Kon-
struktion ist, die einen sinnlich erfahrenen Gegenstand mit seinen sinnlichen Qualitäten, an dem das Konstruieren seinen Anhalt findet , voraussetzt, so muss der kausalen Analyse und Beschreibung des Wahrnehmens eine Analyse und Beschreibung des Wahrnehmens vorangehen, die den ursprünglichen Welt- und Wirklichkeitsbezug der Wahrnehmung verständlich macht. Danach zu fragen, wie wir Gegenstände und Wirklichkeit wahrnehmen, heisst dann nicht, nach den physikalischen Ursachen zu fragen, sondern besagt soviel, wie die Logik der Wahrnehmung in den thematischen Blick zu nehmen, danach zu fragen, wie das Bewusstsein in sich selbst beschaffen ist, dass es eine Wirklichkeit wahrnehmungsmässig gegeben hat, wie der ursprüngliche Wahrnehmungsglaube sich für das Bewusstsein selbst rechtfertigt, und was die Gegenstände ursprünglicher Wahrnehmung sind. Die Wahrnehmung zum Thema philosophischer Begriffsbildung zu machen heisst, die Wahrnehmung als intentionales Erlebnis zu thematisieren, heisst , danach zu fragen, worin das Wesen der Wahrnehmung als eines erlebten SichBeziehens auf Gegenstände besteht. 13 So wird hier die Möglichkeit einer gegenüber der naturwissenschaftlichen Einstellung veränderten Einstellung sichtbar. Wir können diese Einstellung die phänomenologische nennen, weil sie versucht, konsequent den Standpunkt des Bewusstseins einzunehmen und die "erfahrend-erkennend-Ieistende Subjektivität"14 in die Untersuchung nimmt. Bevor wir nun in die konkrete Auseinandersetzung um die Wahrnehmungsproblematik eintreten, ist im folgenden Kapitel noch zu zeigen, worauf sich solche phänomenologische Bestimmung des Bewusstseins und seiner Gestalten stützen kann, wie wir Zugang gewinnen können zu dieser erfahrenden und denkenden Subjektivität als solcher.
2. DIE PHÄNOMENOLOGISCHE ERFAHRUNG
Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass es die intentionale Struktur des Bewusstseins ist, die eine von physikalisch-physiologischer Ursachen forschung unterschiedene Erforschung des Bewusstseins und seiner Gestalten fordert. Wird in phänomenologischer Einstellung nach der Wahrnehmung gefragt, gilt das Interesse somit der spezifischen Weise wahrnehmender Intention; das Wesen der Wahrnehmung muss in einer spezifisch von anderen Formen gegenständlichen Gerichtetseins
20 unterschiedenen Art intentionalen Bezogenseins auf Gegenstände bestehen. Bisher besitzen wir jedoch nur ein vages Verständnis vom Wesen der intentionalen Beziehung, das sich vor allem aus der Abgrenzung des intentionalen Seins gegenüber dem naturwissenschaftlich bestimmten Sein herleitete. Worauf soll aber nun die konkrete Erforschung des Bewusstseins als intentionalem gegründet werden, wie gelangt man zu den präzisen und geklärten Begriffen von Bewusstsein, Intention, Wahrnehmung usw., kurz, was ist die Methode philosophisch-phänomenologischer Begriffsbildung? Wenn wir von philosophischer Begriffsbildung sprechen, meinen wir mehr als das Bemühen um in irgendeiner Hinsicht nur brauchbare Definitionen. 15 Zwar können die Ergebnisse philosophischer Begriffsbildung zur Einführung einer neuen Konvention hinsichtlich der Bedeutung eines bestimmten Wortes führen, dies geschieht dann aber nicht allein aus pragmatischer Absicht, sondern weil der neue Begriff der Sache ein wahrer Begriff derselben ist. Philosophischer Begriffsbildung geht es ausschliesslich darum, einen wahren Begriff der jeweils thematischen Sache zu gewinnen. Dies schliesst ebenfalls aus, dass sie bei einer Analyse und Beschreibung der gewöhnlichen Sprache stehenbleibt. Auch wenn solche Analyse durchaus von begrenztem Nutzen sein mag für die philosophische Begriffsbildung, so kann sie selbst doch nur empirische Aussagen darüber ergeben, wie ein bestimmter Begriff im gewöhnlichen Leben faktisch verwendet wird. Gerade die Alltagsbegriffe sind aber in besonderem Masse vage und unbestimmt, so dass eine Analyse der gewöhnlichen Sprache erst dann philosophische Relevanz gewinnt, wenn sie in Absicht auf eine wahre Begriffsbestimmung und damit eine philosophische Klärung und Präzisierung der alltäglichen Begriffe geschieht. Die philosophische Begriffsbildung ist jedoch auch nicht ohne jedwede Anknüpfung an vor- oder ausserphilosophische Begriffsbildung möglich. Sie bedarf dieser Anknüpfung an vorphilosophische Begriffe als Richtungshinweis, als Anzeige der gesuchten Phänomene und ihrer Bestimmungen. Nur so kann, was die philosophische Bestimmung des intentionalen Seins und seiner Gestalten betrifft, eine Art Zirkel im Bestimmen vermieden werden. Bei der Frage nach der die zu bestimmenden Phänomene vorgebenden Erfahrung sieht man sich nämlich vor folgende Schwierigkeit gestellt: Der gewöhnliche und allgemein anerkannte Begriff der Erfahrung ist derjenige der Erfahrung von raumzeitlich ausgedehnten und situierten Dingen und Ereignissen. Wir haben aber gerade das Bewusstsein, in phänomenologischer Einstellung be-
21 trachtet, als seinsmässig radikal verschieden bestimmt von allem dinglich Seienden, was auf Grund der allgemeinen Korrelativität von Seinsund Erfahrungsart nichts anderes besagt, als dass das Bewusstsein und seine Gestalten nicht erfahrbar sind in äusserlicher, gewöhnlicher raum-zeitlicher, dinglicher Erfahrung. Die Schwierigkeit scheint nun jedoch zu sein, dass gerade auf Grund des Korrelationsverhältnisses, das zwischen Seins- und Erfahrungsart besteht, sich über die Art der Erfahrung nichts ausmachen lässt, ohne über einen gültigen Begriff der korrelativen Seinsart zu verfügen, wobei wir aber zu einem solchen gültigen Begriff der Seinsart nur durch Erfahrung von Seiendem dieser Seinsart gelangen können. Dieser Zirkel im Bestimmen würde aber nur dann ein unlösbares Problem darstellen, wenn wir über keinerlei Vorgriff auf die zu bestimmenden Phänomene verfügten. Gerade in unseren alltäglichen Begriffen besitzen wir aber einen solchen, wenn auch noch ungeklärten Vorgriff. Die philosophische Begriffsbildung lässt sich dann geradezu als Klärung bereits vorgegebener, aber unklarer, vieldeutiger, vager Begriffe durch genaue Anpassung des Inhalts dieser Begriffe an die durch sie bezeichneten Sachen auffassen. So sind wir bereits im natürlichen Leben mit der Möglichkeit einer von sinnlich-äusserlicher Erfahrung verschiedenen Erfahrung unserer wie wir sagen, 'inneren Zustände' und Erlebnisse vertraut, noch ohn~ uns über ihre innere Struktur und Leistungsfähigkeit Rechenschaft geben zu können. Und genauso haben wir immer schon einen allerdings vagen und unbestimmten Begriff von der radikalen Unterschiedenheit erl~bnismässiger Beziehung auf Gegenstände und realer Beziehung ZWIschen Gegenständen. Daran müssen wir anknüpfen, indem wir wechselseitig, einerseits durch das Einleben in solche von uns schon immer vollzogene 'innere' Erfahrung und die Besinnung darauf die Seinsart des Bewusstseins und seiner Gestalten auslegen , sowie andrer. selts von den erkannten und fixierten Seins bestimmungen des Bewusstseins her einen adäquaten Begriff innerer Erfahrung gewinnen. Die Gefahr, der dabei zu wehren gilt, besteht darin, mit einem ungeprüften Begriff von innerer Erfahrung auf Grund der Korrelation von Seinsund Erfahrungsart auch einen Begriff von Bewusstsein vorauszusetzen d.er :on vornherein den philosophischen Erkenntnisfragen eine wider~ smmge Fassung gibt. Zunächst liegt es nämlich nahe, in Analogie zur äusseren Wahrneh~ung, die Reflexion als innere Wahrnehmung zu bestimmen. 16 Wie uns I~ der äusseren Wahrnehmung die räumlich situierten Dinge gegeben smd, so in der inneren Wahrnehmung die sogenannten Bewusstseins-
22 tatsachen. 17 Wie die äussere Wahrnehmung Bewährungsinstanz für die Erfahrungswissenschaften vom physischen Sein ist, so würde die innere Wahrnehmung als Bewährungsinstanz für eine Erfahrungswissenschaft vom Bewusstsein und seinen Erlebnissen fungieren. Hinsichtlich von physischen wie mentalen Gegebenheiten von Wahrnehmung zu reden, birgt die Gefahr in sich, dass der das Physische und Mentale trennende Seinsunterschied nicht mehr gesehen wird, dass das mentale Sein verdinglicht wird. Erlebnisse werden dann zu eigenen mentalen Gegenständen, die zwar nicht räumliche Gestalt besitzen, und um die wir so z.B. auch nicht herumgehen können, um sie von allen Seiten zu Gesicht zu bekommen, die aber dennoch individuelle, in sich abgeschlossene Zeiteinheiten sind, an denen sich Eigenschaften abheben lassen gerade so wie an den sinnlichen Gegenständen. Ist das Bewusstsein aber eine solch abgeschlossene Quasi-Welt, in der sich die Bewusstseinstatsachen so vorfinden lassen, wie die Dinge in der räumlich verfassten Welt, in der sich abgeschlossene Erlebniseinheiten wie individuelle Gegenstände quasi-wahrnehmen lassen? Gegen diesen Bewusstseinsbegriff kann angeführt werden, dass wir, indem wir das Bewusstsein als intentionales Sein von allem bloss dinglichen Sein unterschieden haben, es gerade durch eine ihm wesentliche Unabgeschlossenheit definierten. 18 Die Bewusstseinsphänomene sind nicht bloss in sich selbst abgeschlossene Einheiten von Eigenschaften und Bestimmungen, die zu anderen solchen Einheiten nur in äusserlicher Beziehung stehen, sondern in sich selbst sind die Bewusstseinsphänomene gerichtet auf einen ihnen nicht als Teil oder Eigenschaft zugehörigen Inhalt, das heisst in der Terminologie Husserls, die Bewusstseinsphänomene haben nicht nur einen reellen, sondern auch einen intentionalen Inhalt. 19 Der intentionale Inhalt eines Erlebnisses ist von seinem reellen Inhalt darin unterschieden, dass er nicht Teil hat an der Individuierung des Erlebnisses. Zwei individuell verschiedene Erlebnisse können einen identischen intentionalen Inhalt haben, aber sie können nicht numerisch dieselben reellen Teile oder Momente gemeinsam haben. So ist eine äussere Wahrnehmung, sofern sie von der Seinsart Bewusstsein ist, notwendig auf einen Gegenstand bezogen, auf welchen auch andere, individuell verschiedene Wahrnehmungen bezogen sein können. Wahrnehmung ist immer Wahrnehmung von etwas, und gerade das Wie des Gegenstandsbezugs der Wahrnehmung ist das vornehmliche Thema einer Phänomenologie der Wahrnehmung und darüberhinaus das Wie des Gegenstandsbezugs der verschiedenen Erlebnisse Thema der Phänomenologie des Bewusstseins. Eine Wissenschaft vom Bewusstsein,
23 die von den intentionalen Gegenständen des Bewusstseins absehen würde, ist somit unmöglich. Ob eine immanente Wahrnehmung ebenso unmöglich ist, hinge davon ab, ob es reelle Inhalte des Bewusstseins gibt, die nicht bloss unselbständige Momente und abstrakte Komponenten intentionaler Erlebnisse sind. Absurd scheint es jedenfalls, hinsichtlich der intentionalen Momente und Inhalte von der Möglichkeit immanenter Wahrnehmung reden zu wollen, da dies gerade ihre Unterscheidung von den reellen Momenten aufheben würde. Der empiristische Begriff einer nur auf die reell-realen 20 Teile und Momente des Bewusstseins gerichteten Wahrnehmung muss notwendig zu einem widersinnigen Begriff von der intentionalen Struktur des Bewusstseins und seinen intentionalen Inhalten führen, wonach die Gegenstände, auf die sich das Bewusstsein bezieht, soweit sie nicht Gegenstände innerer Wahrnehmung sind, ausserhalb des reell-realen Bewusstseinszusammenhangs sind und deshalb auch nicht erfahrbar sind in innerer Wahrnehmung. Nun soll aber die Beziehung des Bewusstseins auf einen Gegenstand keine bloss äusserliche sein, keine, die bloss einem aussenstehenden Beobachter zugänglich ist, sondern in sich selbst, in seinem eigenen immanenten Zusammenhang soll das Bewusstsein bezogen sein auf ihm transzendente Gegenstände. Muss das nicht so verstanden werden, dass an den reellen Momenten und Inhalten des Bewusstseins die intentionale Beziehung auf transzendente Gegenstände ein deskriptivaufweisbarer Charakter ist? Ist aber die intentionale Beziehung eines Erlebnisses auf einen ihm transzendenten Gegenstand ein blosser Charakter, ein biosses Merkmal dieses Erlebnisses als eines Zusammenhangs von es reell ausmachenden Teilen und Momenten, so ist damit die intentionale Beziehung wieder auf ein reelles Erlebnismoment reduziert worden, und sie bleibt eine äusserliche Beziehung zwischen zwei voneinander unabhängigen Sachen, von denen die eine nur den allerdings merkwürdigen Charakter des Sich-Beziehens auf die andere Sache besitzt. Dies muss dann die widersinnige Fassung des Transzendenzproblems implizieren, wie aus einer äusserlichen Beziehung zwischen zwei umeinander unbekümmerten Sachen die innere Beziehung von Erkennen und Erkanntem, Wahrnehmung und Wahrgenommenem, Denken und Gedachtem werden soll. Es sind die empiristischen Begriffe von Bewusstsein und innerer Wahrnehmung, die zu einem Dualismus von zwei Welten oder genauer, einem Dualismus von Welt und Quasi-Welt führen. 2 I An die Stelle falsch verstandener innerer Wahrnehmung muss eine Phänomenologische Erfahrung treten, die Bewusstsein als intentionales
24 zugänglich macht, d.h. die ihm über seine es eventuell reell ausmachenden Bestandstücke und Momente hinaus wesentlich zugehörigen intentionalen Inhalte, ohne welche es nicht Bewusstsein im vollgültigen Sinn sein kann. Obwohl diese intentionalen Inhalte prinzipiell keine reellen Erlebnisbestandteile sein können, denn mehrere individuell verschiedene Erlebnisse können denselben intentionalen Inhalt haben, müssen sie doch in einer nicht als innere Wahrnehmung zu missdeutenden Reflexion auf die Erlebnisse als besondere Art von Inhalten und als von den Erlebnissen unabtrennbar vorfind lieh sein. Sie können dann als den Erlebnissen transzendent bezeichnet werden, sofern sie kein reelles Moment derselben sind, sie sind ihnen aber in einem weiten Sinne immanent, sofern sie dennoch den Erlebnissen als eine besondere Form von Inhalt in der phänomenologischen Erfahrung entnommen werden können. Gesprochen wurde bisher von der Unabgeschlossenheit des Bewusstseins, die darin besteht, dass es ein wesentlich intentionales ist, dass es, um Bewusstsein sein zu können, einer besonderen Art von Inhalten, die wir intentionale nannten, bedarf. Weiterhin wurde der empiristische Begriff von innerer Wahrnehmung kritisiert, gerade weil er dazu führt, diese wesentliche Unabgeschlossenheit zu negieren und die intentionalen Inhalte auf reelle Momente der Erlebnisse zu reduzieren. Muss das Bewusstsein aber nicht noch in einer weiteren Hinsicht als unabgeschlossen gelten, und lässt diese Art Unabgeschlossenheit nicht jede Art von Erfahrung des Bewusstseins problematisch werden? Die Frage ist, ob, abgesehen von ihrer Unabgeschlossenheit in intentionaler Richtung, die Erlebnisse nicht auch in ihrem ausschliesslich reellen Zusammenhang unabgeschlossen sind. Finden sich im Bewusstsein überhaupt gegeneinander abgeschlossene Erlebniseinheiten, so wie sich in der raum-zeitlichen Erfahrungswelt selbständige Dinge finden? Gleicht das Bewusstsein nicht eher einem unaufhörlichen Strömen, in dem ein jedes Jetzt unmittelbar in ein Soeben übergeht, um einem neuen Jetzt Platz zu machen - "dass das Reich der Bewusstseinsphänomene so recht das Reich Heraklitischen Flusses ist"22 - und muss nicht, um in diesem beständigen Fluss voneinander aus der Gegenwart sich verdrängender Phasen abgeschlossene Erlebniseinheiten betrachten zu können, immer schon ein Prozess der Abstraktion und der Vergegenständlichung hinsichtlich des einheitlichen Bewusstseinsstromes, in dem die Erlebnisse fliessend ineinander übergehen, vollzogen sein? Müsste ich nicht in diesem unaufhörlichen Strömen erst Grenzen und Markierungspunkte setzen und eine Gliederung des Gesamtzusammenhangs des Bewusstseins
25 in einzelne, voneinander abgetrennte Erlebnisse vornehmen, um ein einzelnes Erlebnis von den anderen losgelöst betrachten zu können?23 Auch wenn das Bewusstsein ein andersartiges gegenständliches Feld ist als die raum-zeitlich geordnete Welt der äusseren Erfahrung, so muss es uns doch als ein Feld von Gegenständen gegeben werden, soll eine Beschreibung und Bestimmung seiner Phänomene möglich sein; denn wie vage auch immer die beschreibenden Ausdrücke sein mögen, sofern sie überhaupt beschreiben, müssen sie etwas beschreiben, was nichts anderes heissen kann, als dass sie von einem Gegenstand bestimmte Eigenschaften, Merkmale, Beschaffenheiten aussagen. Die Reflexion muss die Einheiten des Bewusstseins als Gegenstände setzen, als Bestimmungssubstrate, weil anders eine denkend-sprachliche Bestimmung unmöglich ist. Bleibt aber die Gültigkeit der Analysen und Beschreibungen durch solch notwendige Vergegenständlichung unberührt? Wird das Bewusstsein nicht in seiner eigentlichen, radikal ungegenständlichen Gestalt, in seinem Fluss- oder Vollzugscharakter notwendig verfehlt? Zunächst gilt es diesen Fragen gegenüber deutlich zwischen dem Problem der Möglichkeit einer phänomenologischen Sprache und dem der Möglichkeit einer phänomenologischen Erfahrung zu unterscheiden. Wenn denkend-sprachliche Bestimmung nicht anders denn als Prädikation möglich, und d.h. ohne den Begriff von gegenständlicher Einheit undenkbar ist, so scheint dies zunächst nicht die Möglichkeit einer Erfahrung von nicht-gegenständlichen Phänomenen auszuschliessen. Und woher weiss ich denn auch von dem radikal ungegenständlichen Flusscharakter des Bewusstseins und seiner Phänomene? Muss es nicht zumindest eine Art 'innerer Erfahrung', eine Art 'inneren Bewusstseins' geben, das sich dieses Charakters des Bewusstseins selbst inne wird? Nur darf eben dieses sich seiner selbst Inne-Sein kein selbst bezüglicher Setzungsakt sein, d.h. keine prädikative Struktur besitzen. 24 Solches innere Bewusstsein, das, da ihm jeder setzende Abstand zu dem, dessen es sich in ne ist, dem Bewusstsein, fehlt, identisch ist mit dem, dessen es sich in ne ist,2 5 kann allerdings nicht die phänomenologische Erfahrung sein, auf die sich eine begriffliche Bestimmung der wesentlichen Gestalten des Bewusstseins gründen lässt. Jede philosophische Betrachtung des Bewusstseins, die sich auf diese Art inneren Bewusstseins gründen will, muss notwendig am Problem der Sprache scheitern. Um das, was unmittelbar gegeben ist, ausdrücken zu können, muss ich immer schon einen denkenden Abstand zu ihm einnehmen, wobei ich jedoch die Unmittelbarkeit und damit die mit ihr verbundene Evidenz wieder verlieren würde. An Stelle der Beschreibung könnte nur eine Art sprach-
26 licher Anzeige und Aufforderung treten, sich den Gegebenheiten des inneren Bewusstseins hinzugeben. Nun könnte aber selbst eine vom biossen sich seiner selbst Inne-Sein des Bewusstseins noch unterschiedene, weil setzende, innere Wahrnehmung nicht die gesuchte in eins adäquate und zu sprachlich-begrifflicher Bestimmung taugliche phänomenologische Erfahrung sein. Wäre die phänomenologische Erfahrung innere Wahrnehmung, würde sich der strömende Bewusstseinsfluss nur in merkwürdiger Weise verdoppeln, die Wahrnehmung, nur auf gegenwärtiges Erleben bezogen, würde mit diesem unmittelbar in die Vergangenheit verfliessen und einer neuen Wahrnehmung eines neuen Erlebens, eines neuen Vollzugs weichen. Die phänomenologische Erfahrung soll aber eine Enthüllung des Bewusstseinslebens leisten, es soll die verschiedenen aktuellen und inaktuellen Momente der Erlebnisse entdecken und einer beschreibenden Auslegung zugänglich machen. Damit die phänomenologische Erfahrung diese Enthüllung leisten kann, muss ihr Gegenstand seiner augenblicklich-unmittelbaren Vernichtung durch das Austreten aus der Gegenwartsphase in die Vergangenheit in gewisser Weise entzogen sein. Diese über die momentan-aktuelle Existenz hinausreichende Verfügbarkeit über das Erlebnis kann nur die Vergegenwärtigung, insbesondere die Wiedererinnerung, leisten. 26 Wird der Gegenstand der als innere Wahrnehmung aufgefassten phänomenologischen Erfahrung auf das jeweilige aktuelle Jetzt beschränkt, dürfte selbst die bloss hin weisende Geste dieses Jetzt schon nicht mehr erreichen, da es bereits in die Vergangenheit übergegangen ist. 27 Es sei angemerkt, dass die Möglichkeit von so etwas wie innere Wahrnehmung noch in einer weiteren Hinsicht problematisch ist. Da es begrifflich widersprüchlich ist, davon zu reden, einen vergangenen, nicht mehr existierenden Gegenstand wahrzunehmen, weil der Begriff der Wahrnehmung die Begriffe der Vergegenwärtigung und Erinnerung analytisch ausschliesst, und ich so, soll es innere Wahrnehmung geben können, in der Lage sein müsste, ein aktuell sich vollziehendes Erleben in mir wahrzunehmen, müsste ich z.B. fähig sein, in eins und zugleich eine äussere Wahrnehmung und eine innere Warhnehmung dieser äusseren Wahrnehmung zu vollziehen. Das scheint aber unmöglich. Um eine äussere Wahrnehmung selbst betrachten zu können, darf ich nicht mehr, sie vollziehend, in ihr leben. Ich kann nicht in demselben Augenblick in einem Aktvollzug leben und ihn zum Gegenstand eines auf ihn gerichteten Aktvollzuges machen, da letzteres bedeutet, nicht in ihm zu leben. 28 Es scheint somit schlechterdings unmöglich, sich solche phänomenologische Erfahrung, zumal wenn sie mit denkend-sprachlicher
27 Bestimmung einhergehen soll, anders denn als eine Form der Vergegenwärtigung vorzustellen. 29 Kann nun aber die phänomenologische Erfahrung als Vergegenwärtigung die ursprüngliche, präphänomenale Gestalt des Bewusstseins anschaulich erfassen? Muss nicht auch sie einen setzenden und damit objektivierenden Abstand zwischen sich und dem Erfassten schaffen, der skeptische Einwände gegen ihre objektive Gültigkeit ermöglicht? 3 0 Doch es ist nicht ohne weiteres einsichtig, wieso die vergegenwärtigende Erfahrung notwendig von einer solchen Struktur sein soll, dass . en t Zle . h en muss. 31 D er sich ihr der Vollzugscharakter des Bewusstsems setzende und objektivierende Abstand, den sie schafft, kann als der rein zeitliche Abstand zwischen dem Jetzt der Vergegenwärtigung und der Vergangenheit des Vergegenwärtigten begriffen werden. Und könnte man auf Grund der bisherigen Ausführungen nicht mit einigem Recht sagen, dass nur auf Grund des zeitlichen Abstands, den die Vergegenwärtigung zum reflektierten Erlebnis schafft, der Vollzugscharakter des Bewusstseins überhaupt erfahrbar werden kann? Dass wir den Vollzugscharakter nur mittels gegenständlicher Einheiten supponierender Prädikate andeuten und umschreiben können, ist solange kein Argument gegen die Möglichkeit von phänomenologischer Erfahrung dieses Vollzugscharakters, wie im Begriff der Erfahrung nicht schon der Begriff des prädikativen Urteils mitgedacht wird. Vom Fluss- und Vollzugscharakter des Bewusstseins zu reden, darf überdies nicht dazu führen, dass das Bewusstsein als ein völlig ungegliedertes , in sich undifferenziertes Sein missdeutet wird. Es ist zwar . richtig, dass jede Antwort auf die Frage danach, wann genau ~me bestimmte Wahrnehmung zu Ende ist und eine neue anfängt, von emer gewissen Willkürlichkeit bestimmt ist. Das ist aber für die Phänomenologie der Wahrnehmung deshalb ohne Belang, weil für eine Wahrnehmung keine bestimmte Dauer konstitutiv ist. Vielmehr haben wir in jedem Moment, in jeder Phase eines Wahrnehmungszusammenhangs bereits eine volle Wahrnehmung, an der sich all die für eine Wahrnehmung konstitutiven Momente aufweisen lassen. 32 Zwar gibt es auch die für einen Wahrnehmungszusammenhang konstitutiven Momente, aber auch hier gehört keine bestimmte Dauer zu diesen Momenten, vielmehr gehören diese zu jeder beliebigen Dauer überhaupt. Darüberhinaus gliedert sich aber eben der Bewusstseinsstrom noch in typisch voneinander unterschiedene Erlebnisse, z.B. eben noch blickte ich aus dem Fenster in den Garten, jetzt erinnere ich mich an das gestrige Seminar. Auf eine Wahrnehmung folgte eine Erinnerung, und diese
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28 beiden Erlebnisse sind in sich typisch unterschieden. Unterscheide ich zwei aufeinander folgende, dauernde Erlebnisse desselben Typs, so kann ich dies nur mit bezug auf ihre Gegenstände tun: Ich blickte eine Weile auf den Baum im Garten, dann wandte ich den Blick meinem Schreibtisch zu. Anstatt so zwei Wahrnehmungen zu unterscheiden, könnte ich mit gleichem Recht sagen: Zunächst blickte ich auf den Stamm des Baumes, dann wanderte mein Blick zu den Ästen um sich schliesslich dem Schreibtisch zuzuwenden - also drei Wahr~ehmungen. Anders im Fall zweier typisch unterschiedener Erlebnisse, denn zwischen einer Wahrnehmung und einer Erinnerung z.B. gibt es keinen kontinuierlichen Übergang, wenn ich von einer Wahrnehmung zu einer Erinnerung übergehe, wechsle ich die Erlebnisart, ich vollziehe ein Erlebnis von einem anderen Typus, und dies ist unabhängig davon, ob die Gegenstände beider Erlebnisse dieselben oder verschiedene sind. Was Bewusstsein genannt wird, ist demnach keineswegs als ein in sich struktur- und gestaltloses, rein zeitliches Sich-V erströmen aufzufassen, das seine innere Gliederung allein in der Reflexion darauf und von den Gegenständen her, auf die es sich bezieht, empfangen würde. Die Überlegungen in diesem Kapitel zusammenfassend, lässt sich sagen, dass die in phänomenologischer Einstellung zu leistende phi1o~o phische Begriffsbildung den in den Alltagsbegriffen liegenden Vorgnff auf die intentionale Seinsweise des Bewusstseins und der einzelnen Erlebnisarten in phänomenologischer Erfahrung und durch eine rein deskriptive Auslegung des in ihr Gegebenen in einen klaren, eindeutigen und vollständigen Begriff des Bewusstseins und seiner Gestalten zu verwandeln sucht. Die phänomenologische Erfahrung ist nur als Vergegenwärtigung möglich. Wird sie, wie im Empirismus, in einer Analogie zur äusseren Wahrnehmung als innere Wahrnehmung aufgefasst, muss dies zu einer Naturalisierung des Bewusstseins führen. Weder der Intentionalität noch dem Flusscharakter des Bewusstseins, d.h. eben seiner radikal undinglichen Gestalt, seiner präphänomenalen Seinsweise, kann so Rechnung getragen werden.
11. DIE WAHRNEHMUNGSPROBLEMATIK IN ERKENNTNISTHEORETISCH-REDUKTIVER FRAGESTELLUNG
3. LEIBHAFTIGKElT UND EXISTENZ Den phänomenologischen Reflexionsstandpunkt einzunehmen heisst, die bewussten und erlebten Gegenstände sozusagen ausschliesslich durch die Brille des Aktes zu betrachten, in dem sie erlebte sind, heisst die verschiedenen Formen intentionalen Erlebens zu erforschen, ohne etwas zu supponieren hinsichtlich der Gegenstände dieser Erlebnisse, was nicht aus diesen Erlebnissen selbst entnommen ist. Soweit wir in natürlicher Einstellung verbleiben, was in unserem Zusammenhang nichts anderes besagen soll, als im Vollzug lebendiger Wahrnehmung aufzugehen, gilt uns die räumlich verfasste Welt mit ihren Gegenständen und Ereignissen als vorgegeben und unser Wahrnehmen als ihrer Existenz ausserwesentlich. 33 Für das Wahrnehmen selbst sind die Welt und ihre Gegenstände, wie wir sagen, 'draussen' , dem Wahrnehmen transzendent, die Wahrnehmung versteht sich selbst als Wahrnehmung von Transzendentem. Und die Transzendenz des Gegenstandes besteht eben wesentlich darin, dass das Erlebnis, das auf den Gegenstand gerichtet ist, die Existenz des Gegenstandes nicht durch seine eigene Existenz verbürgt, das heisst, der Gegestand ist kein realer Teil des Erlebnisses. Im vorphilosophischen Leben, sowohl der alltäglichen Praxis wie der Wissenschaft, gilt uns die gewöhnliche Wahrnehmung als dasjenige Erlebnis, in dem uns die transzendente Wirklichkeit unmittelbar anschaulich, wie Husserl sagt, leib haft präsent ist. "Der Gegenstand steht in der Wahrnehmung als leibhafter da, er steht, genauer gesprochen, als aktuell gegenwärtiger, als selbstgegebener im aktuellen Jetzt da."34 Husserl hat in den Logischen Untersuchungen die Gesamtheit der intentionalen Akte in zwei allgemeinste Aktarten unterteilt. Diese
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beiden Aktarten sind einander nicht nebengeordnet, sondern die Akte der einen fundieren die Akte der anderen Art, das heisst, letztere sind ohne erstere nicht möglich. Bei den fundierenden Akten handelt es sich um die objektivierenden Akte, die Akte, die ein Objekt geben unter Ausschluss jedweder subjektiv-praktischen Interessenahme. Es sind dies die 'primären Intentionen', in denen alle 'sekundären Intentionen' als Akte einer subjektiven Interessenahme am Gegenstand fundiert sind. "So haben die objektivierenden Akte eben die einzigartige Funktion, allen übrigen Akten die Gegenständlichkeiten zuallererst vorstellig zu machen, auf die sie sich in ihren neuen Weisen beziehen sollen."3 5 Auf einen Gegenstand kann sich ein Wünschen Werten, Fürchten nur richten, wenn er dem Bewusstsein in einem Vorstellungsakt gegeben ist. 3 6 Die objektivierenden Akte wiederum lassen sich, Husserl zufolge, zum einen in setzende und nicht-setzende Akte unterscheiden "Jedem Akt des belief entspricht als Gegenstück eine 'biosse' Vorstellung, welche dieselbe Gegenständlichkeit und in genau gleicher Weise, d.i. auf Grund einer identischen Materie vorstellig macht wie jener Akt des belief, und welche sich von ihm nur dadurch unterscheidet, dass sie die vorgestellte Gegenständlichkeit statt sie in der Seinsmeinung zu setzen, vielmehr dahingestellt sein lässt." 37 _ zum anderen in signifikative und intuitive Akte: "Durch eine fundamentelle Einteilung zerfallen die objektivierenden Intentionen in die signifikativen und intuitiven."3 8 Hierbei entspricht die Unterscheidung zwischen Signifikation und Intuition der traditionellen Unterscheidung zwischen Denken und Anschauen, zwischen Begriff und Anschauung. Die signifikativen Akte beziehen sich mittels Bedeutungen, Gedanken auf den Gegenstand, in ihnen kommt der Gegenstand nicht eigentlich, d.h. nicht anschaulich zur Gegebenheit, sondern sie stellen ihn nur leer vor. 39 Die Realisierung dieser Beziehung geschieht durch die intuitiven Akte. Sie sind diejenigen Akte, die die blosse Bedeutungsintention erfüllen. "Der Akt des puren Bedeutens findet in der Weise einer abzielenden Intention seine Erfüllung in dem veranschaulichenden Akte."40 Unter den intuitiven Akten wiederum haben die Wahrnehmungsakte eine vorzügliche Stellung inne. Sie sind die gegenstandsgebenden Akte par excellence. In ihnen kommt der Gegenstand zu unmittelbarer, eigentlicher, leibhafter und anschaulicher Selbstgegeben-
heit. "Wahrnehmung, ganz allgemein gesprochen, ist Originalbewusstsein."41 In allen anderen Arten intuitiver Akte kommen zwar auch Gegenstände zu anschaulicher Gegebenheit, aber sie sind in ihnen nicht selbst da. Alle anderen Arten intuitiver Akte sind nur verschiedenartige Modifikationen der Wahrnehmung, sie verweisen in sich auf je verschiedene Weise auf Wahrnehmungen als originales Gegenstandsbewusstsein. So z.B. die Akte der Imagination, des abbildlichen Bewusstseins von einem Gegenstand, die auf Wahrnehmung des nur im Abbild angeschauten Gegenstandes auch als eine Art von Erfüllung ihrer abbildlichen Intention verweisen. Wie verhält sich nun aber die Differenzierung der objektivierenden Akte in signifikative und intuitive zu ihrer Unterscheidung in setzende und nicht-setzende? Es ist evident, in welcher Weise signifikative Akte sowohl setzend wie nicht-setzend sein können. Propositionale Akte beziehen sich eben nur indirekt, durch einen Satzgedanken vermittelt, auf ihre Gegenstände. So kann ich in dem Glauben, dass p der Fall ist, urteilen, dass p, und ich kann den Gedanken p vollziehen, ohne in irgendeiner Hinsicht Stellung zu nehmen, was die Wahrheit und Falschheit von p betrifft, ich kann mich sozusagen mit dem Gedanken selbst begnügen, ohne ihn auf eine ihm jenseitige Wirklichkeit überschreiten zu müssen. Für die sprachanalytische Philosophie drücken sich Akte, in denen ich mich einer setzenden Stellungnahme enthalten kann, die, wie Husserls es nennt, neutralisierbar sind, in intensionalen Sätzen aus. Diese sind von extensionalen Sätzen vor allem durch die drei folgenden sprachlogischen Merkmale unterschieden: 1) Einfache Behauptungssätze sind intensional, wenn aus ihnen oder ihrem kontradiktorischen Gegenteil nichts hinsichtlich der Existenz oder Nicht-Existenz des in ihnen indirekt gemeinten Gegenstands folgt. Weder aus dem Satz 'Er sucht nach dem Nibelungenschatz' noch aus seinem kontradiktorischen Gegenteil folgt etwas über Existenz oder Nicht-Existenz des Nibelungenschatzes. 2) Nichtzusammengesetzte Sätze, die einen Objektsatz enthalten, sind intensional, wenn weder aus ihnen noch aus ihrem kontradiktorischen Gegenteil folgt, sei es, dass der Objektsatz wahr, sei es, dass er falsch ist. Aus dem Satz 'Er denkt, dass Siegfried Hagen erschlug' folgt ebensowenig etwas über die historische Wirklichkeit eines gewissen Siegfried und der Tötung eines gewissen Hagen durch ihn wie aus seinem kontradiktorischen Gegenteil. 3) Einfache Behauptungssätze und nichtzusammengesetzte Sätze, die einen Objektsatz enthalten, sind intensional, wenn ihr Wahrheitswert
32 unter anderem davon abhängig ist, mit welchem der dem indirekt gemeinten Gegenstand gleichermassen zugehörigen Namen oder mit welcher der von ihm gleichermassen zutreffenden Beschreibungen ich auf diesen indirekt gemeinten Gegenstand verweise. So kann der Satz 'Ich glaube, dass der Gärtner der Mörder ist' wahr sein, während der Satz 'Ich glaube, dass der Chauffeur der Mörder ist' falsch ist, auch wenn in diesem Fall ein und dieselbe Person Gärtner und Chauffeur ist. 42 Die Frage ist dann, ob Wahrnehmungsakte, insofern sie die von aller indirekten Beziehung auf Gegenstände zu ihrer Möglichkeit und Verifikation vorausgesetzte direkte Beziehung leisten sollen, nicht als extensionale Kontexte ausgedrückt werden müssen.43 Dieser Sachverhalt wird scheinbar auch an der Logik der Wahrnehmungsverben erkennbar. So wird z.B. hinsichtlich einer Wahrnehmung die Rede von deren Wahrheit und Falschheit gewöhnlich als nicht sinnvoll empfunden, da die Verwendung eines Wahrnehmungsverbs für uns in der Regel die Existenz des wahrgenommenen Gegenstandes logisch verbürgt. 44 Demgegenüber haben die propositionalen Akte einen Inhalt, den Satzgedanken, der wahr oder falsch sein kann. Diese sprachanalytische Unterscheidung zwischen zwei Arten von sprachlichen Kontexten leistet jedoch nur wenig für eine Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs im allgemeinen und für die Beantwortung unserer engeren Frage, wie sich die Unterscheidung der objektivierenden Akte in signifikative und intuitive zu ihrer Unterscheidung in setzende und nicht-setzende verhält. Dass ich aus dem extensionalen Satzverhalt 'Ich sehe den Baum' schliessen kann, dass es in der raumzeitlichen Wirklichkeit einen Baum gibt, den ich sehe, ist Sache blosser sprachlicher Konvention. Ob es jedoch eine Art von Erlebnissen gibt, die in sich so beschaffen sind, dass sie die reale Existenz des in ihnen Vermeinten garantieren, darüber kann durch sprachliche Konvention nieh t entschieden werden. 45 Wie die Möglichkeiten von Wahrnehmungstäuschungen offenbar zeigen, garantiert eine Wahrnehmung, auch wenn ihr kein Satzgedanke zugrunde liegt, hinsichtlich dessen Geltung man urteilend Stellung beziehen oder eine Stellungnahme unterlassen könnte, und auch wenn sie ihren Gegenstand leibhaft, als selbst da präsentiert, nicht die reale Existenz des Gegenstandes im Sinne raum-zeitlicher Wirklichkeit. Wir können zwar in Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch mittels sprachlicher Definition die reale Existenz der Gegenstände durch den Wahrnehmungsakt garantieren - wir nennen eben nur
33 die Akte Wahrnehmung, deren gegenständliche Gegebenheit real existiert und entziehen diesen Titel den Akten, deren gegenständliche Gegebenheit sich im Fortgang der Erfahrung als blosser Schein erwiesen hat und bezeichnen diese Akte dann als Halluzination oder sinnliche Täuschungen -, das ändert aber nicht, dass das in Wahrnehmung und Halluzination oder sinnlicher Täuschung Gegebene im ursprünglichen Vollzug der Akte sich gleichermassen als leibhaft selbst da präsentierte; zumindest ist der Begriff einer Halluzination, die von einer Wahrnehmung nur hinsichtlich der realen Existenz des Gegenstandes und somit nicht hinsichtlich der reellen und intentionalen Charaktere und Inhalte, dessen, was beide Erlebnisse als individuelle Erlebniseinheiten in sich selbst sind, unterschieden ist, ein logisch möglicher Begriff. Dieser Sachlage einer möglichen inneren Ununterscheidbarkeit von echter und unechter Wahrnehmung trägt Husserl Rechnung, indem er zwischen Leibhaftigkeit und Glaubhaftigkeit unterscheidet. Die Leibhaftigkeit ist ihm zufolge ein wesentlicher Charakter des in einer Wahrnehmungsvorstellung Gegebenen, und dass uns ein Gegenstand leibhaft gegeben ist, gilt uns im gewöhnlichen Wahrnehmungsleben als gleichbedeutend damit, dass er uns als realiter daseiend gegeben ist. Aber das Gegebensein der realen raum-zeitlichen Existenz geht im Unterschied zur Leibhaftigkeit zurück auf eine Stellungnahme, einen Glauben, ein 'Für-wahr-Nehmen' des Wahrnehmungssubjekts. "So scheidet sich im Wesen der Wahrnehmung im gemeinen Sinne die . Leibhafigkeit, die der Wahrnehmung als solcher grundwesentlich ist, und die Glaubhaftigkeit, die hinzutreten und fehlen kann."46 Der Charakter der Leibhaftigkeit des Gegebenen in der Wahrnehmung . garantiert nicht nur nicht die reale Existenz des Gegebenen, er scheint darüberhinaus noch nicht einmal notwendig mit einem Glauben an die reale Existenz des leib haft Gegebenen verbunden. So gibt es neben den Phänomenen der Halluzination und der sinnlichen Täuschungen auch die Fälle, wo ich mir im Haben der anschaulichen Vorstellung, auf Grund eines aus anderen Quellen erworbenen Wissens, bewusst bin, dass der gegebene Gegenstand nicht existiert oder anders beschaffen ist, als ieh ihnjetzt sehe, wo ich somit um den Trugcharakter der Wahrnehmungsvorstellung hinsichtlich der Existenz oder Beschaffenheit des gleichwohlleibhaft Erscheinenden weiss. 47 Oder ich beginne plötzlich daran zu zweifeln, ob das mir bisher als seiend und soseiend Geltende nicht vielleicht gar nicht existiert oder anders beschaffen ist, als es mir da leib haft erscheint. Der Unterscheidung zwischen Leibhaftigkeit und Glaubhaftigkeit
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entspricht dann bei Husserl die Unterscheidung zwischen einem engeren und einem weiteren Begriff der Wahrnehmung. Während ersterer die blosse Wahrnehmungsvorstellung meint "Öfters wird der Begriff der Wahrnehmung so beschränkt, dass er das eigentlich so zu nennende Für-wahr-Nehmen (geschweige denn das wirkliche Wahr-Nehmen) ausschliesst, nämlich ausschliesst den Charakter des Glaubens, den Charakter des in glaubhafter Weise Dastehens."48 _ , gilt letzterem auch das Moment des belief, des das Gegebene in irgendeinem Seinsmodus Setzens und Vermeines als zur vollen Wahrnehmung gehörig. Wir waren ausgegangen von der Frage, wie sich die Unterscheidung aller objektivierenden Akte in setzende und nicht-setzende auf die Wahrnehmungsakte anwenden lässt. Die Antwort, die durch Husserl nahegelegt wird, würde lauten: Auf den engeren Begriff der Wahrnehmung lässt sich diese Unterscheidung nicht anwenden, gemäss dem weiteren Begriff der Wahrnehmung jedoch, insofern er ein Moment des belief umfasst, können auch Wahrnehmungsakte setzend und nichtsetzend sein. Im letzteren Fall würden wir einfach die Wahrnehmungsvorstellung hinnehmen, ohne irgend eine Stellungnahme zum Seinsmodus des in ihr Gegebenen zu vollziehen. 49 Das Prinzip der phänomenologischen Einstellung verbietet es, von einer realen Transzendenz des wahrgenommenen Gegenstandes einen dogmatischen Gebrauch zu machen. Wie die Möglichkeit der totalen sinnlichen Täuschung jedoch zu zeigen scheint, ist reale Existenz kein Datum am Gegebenen, nichts sinnlich Wahrnehmbares. 5o Etwas kann mir leibhaft gegenwärtig sein und dennoch kann sich im Fortgang der Erfahrung seine reale Nicht-Existenz herausstellen. Im phänomenologischen Begriff der Wahrnehmung dürfen wir demnach von der realen Existenz des Wahrnehmungsgegenstandes nur als Korrelat eines Glaubens, als Korrelat einer Setzung oder Vermeinung der realen Existenz Gebrauch machen. Der Unterschied zwischen signifikativen und intuitiven Akten, von denen wir uns auf die Wahrnehmungsakte beschränkt haben, müsste ausschliesslich in den zugrundeliegenden Vorstellungen gesucht werden. Während der Wahrnehmung eine Wahrnehmungsvorstellung zugrundeliegt, d.h. eine anschauliche Vorstellung, gründet sich der signifikative Akt auf eine gedankliche Vorstellung. 51 Beide Arten verbinden sich
dann mit gegen ihre Verschiedenheit gleichgültigen Akte des belief. Der Akt des belief wäre das, was, sei es zu einer gedanklichen oder sei es zu einer anschaulichen Vorstellung hinzutreten müsste,um ihr eigentliche gegenständliche Referenz zu sichern. Nun kann man fragen, ob der so resultierende Begriff der Wahrnehmung nicht dem widerspricht, was eine vorurteilslose Reflexion auf die lebendige Wahrnehmung bewusst macht, und was der Begriff der Leibhaftigkeit hinsichtlich des Gegebenen in der Wahrnehmung so bildkräftig ausdrückt: Im naiven Wahrnehmungsvollzug leben wir nicht in einer ästhetischen Distanz zum Gegebenen, sondern wir sind im alltäglichen Umgang und Hantieren unmittelbar bei den konkreten, opaken Dingen als dem Gegebenen. Das Gegebene selbst, die Gegenstände sind wirklich, nicht machen wir sie erst durch einen hinzutretenden Glaubensakt zu wirklichen. 52 Schon im §27 der V. LU, diskutiert Husserl das Problem, ob es sich bei der Unterscheidung des gegebenen Gegenstandes von seinem Seinsmodus um einen realen Unterschied zweier Komponenten des Wahrnehmungserlebnisses handeln kann. Als Ergebnis hält er bereits dort fest: "Darnach scheint die deskriptive Analyse keineswegs die Ansicht zu bevorzugen, die vielen fast selbstverständlich erscheint, nämlich dass jede Wahrnehmung eine Komplexion sei, in welcher ein Moment des belief, der das Qualitative des Wahrnehmens ausmache, sich auf einen vollen, also mit eigener Qualität begabten Akt der 'Wahrnehmungsvorstellung' aufbaue."53 In dem Masse wie Husserl die einseitig noetische Ausrichtung seiner frühen Bewusstseinsanalysen überwindet, lehnt er auch die Vorstellung davon ab, dass der Wahrnehmungsakt aus zwei Komponenten realiter zusammengesetzt sei. Eine blosse Wahrnehmungsvorstellung, die dem engeren Begriff von Wahrnehmung entsprechen würde, ist demnach unmöglich. "Wenn im Wahrnehmungserlebnis ein Gegenstand leib haft erscheint und dabei in dem oder jenem Seinsmodus charakterisiert ist, so sagt das nicht, dass die Wahrnehmung aus zwei Stücken oder Schichten besteht, von denen die eine den Gegenstand in seiner Leibhaftigkeit konstituiert und die zweite, sich darauf bauend, dem Gegenstand das 'seiend' oder das 'nicht-seiend' usw. zuer-
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teilt."S4 Im lebendigen Vollzug der Wahrnehmung findet sich keine solche Unterscheidung zwischen Gegebenem und belief. Die uns gegebenen Gegenstände sind uns immer in irgend einem Seinsmodus gegeben, bei der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungsgegenstand und modaler Gegebenheitsweise handelt es sich um einen irrealen Unterschied am Gegebenen selbst. Aber wenn sich auch die Klangfarbe eines Tones real nicht vom Ton trennen lässt, genauso wenig wie die Oberfläche eines Gegenstandes von diesem Gegenstand, so ist für Husserl doch eine abstrakte, analytische Unterscheidung möglich. Wie es jedoch zu einer solchen Unterscheidung, z.B. zwischen der Klangfarbe eines Tones und dem Ton selbst, nur kommt, wenn zwei Töne mit verschiedener Klangfarbe zusammen oder nacheinander gehört werden, so ist es, Husserl zufolge, der Bruch der Einstimmigkeit im Wahrnehmungsverlauf, die Modalisierung eines schlichten Glaubens, die Sinn und Modalität als abstrakte Momente in einer Reflexion auf den Wahrnehmungsgegenstand hervortreten lassen. "Erst der Übergang in Unstimmigkeiten und damit in modalisierende Wandlungen lässt Sinn und Modalität des Seins im Kontrast sich voneinander abheben, so rückblickend am Wahrnehmungsgegenstand, wie er vor dem Bruch gegeben war, ebenso dann auch an den nebenher gegebenen und bestrittenen Gegenständen. Genau besehen wird da unter dem Titel 'blosser' Gegenstandssinn etwas gegenständlich, was vorher nicht, in der Schlichtheit des Wahrnehmungsbewusstseins selbst nicht gegenständlich war."s 5
aber die Erscheinungen selbst, das Gegebene selbst kann doch nicht als zweifelhaft oder unmöglich gegeben sein. s 6 Die Rede von verschiedenen möglichen Seinsmodalitäten hinsichtlich des Wahrnehmungsgegenstandes ist somit nur sinnvoll, wenn das in der Wahrnehmung Gemeinte nicht mit dem in ihr Gegebenen identisch ist. Seinsmodal qualifiziert ist demnach weder der objektiv-reale Gegenstand, der äussere Wahrnehmungsgegenstand, noch die Wahrnehmungsvorstellung im Sinne der sinnlichen Erscheinung, sondern allein der in der Wahrnehmung über die sinnliche Erscheinung hinaus als ihr transzendent gemeinte Gegenstand - das, was Husserl den gegenständlichen Sinn des Aktes nennt. Diese Unterscheidung zwischen Gegebenem und Gemeintem muss zunächst noch unverständlich sein. Denn was gegebene sinnliche Erscheinung genannt wurde, ist ja nicht etwas vom erfahrenen Gegenstand völlig Verschiedenes. Vielmehr ist es der Gegenstand, der erscheint, sich anschaulich, wie man sagt, ins Bild setzt, das heisst, mit der Erscheinung ist offenbar in gewissem Sinne auch der Gegenstand gegeben. Ja, der gewöhnliche Begriff der Gegebenheit ist eben der gegenständlicher Gegebenheit. Im folgenden Kapitel will ich versuchen zu zeigen, wie man von diesem Begriff gegenständlicher Gegebenheit zu einem Begriff eigentlicher Gegebenheit gelangt, und welche Funktion dem Vermeinen als setzender Leistung des Bewusstseins durch diesen Über- oder besser Rückgang von gegenständlicher zu eigentlicher Gegebenheit zukommt.
4. DIE FRAGE NACH DEM GEGEBENEN Das seinsmodal Qualifizierbare, d.h. dasjenige, an dem verschiedene Seinsmodi auftreten können, kann nun nicht Gegebenes im Sinne eines real existierenden Gegenstandes sein. Ein real existierender Gegenstand hat selbstverständlich nur den einen Seinsmodus des Seiend, bzw. er ist eben nichts anderes als mit dem Seinsmodus realer Existenz Gegebenes. Dass ein real existierender Gegenstand, d.h. ein Gegebenes mit dem Seinsmodus realer Existenz, den Seinsmodus z.B. der anschaulichen Möglichkeit habe, ist analytisch widersinnig. Aber auch für das Gegebene i~ Sinne bestimmter Erscheinungen oder sinnlicher Vorstellungsinhalte gIlt, dass es nur den einen Seinsmodus des Seiend besitzt. Es mag zwar in Frage sein, ob z.B. bestimmten Erscheinungen eine reale gegenständliche Existenz entspricht, oder es mag gewiss sein, dass ihnen keine entspricht,
Der Begriff des Gegebenen ist für die Wahrnehmungsproblematik von fundamentaler Bedeutung. Zunächst heisst nach dem Gegebenen zu fragen nichts anderes, als nach den Gegenständen der Wahrnehmung zu fragen. Die erste Antwort auf diese Frage besteht in einem schlichten Verweis auf die sinnlich qualifizierten Gegenstände unserer Alltagswelt. Nun führte aber die Einsicht in die prinzipielle Möglichkeit einer totalen sinnlichen Täuschung - sei es einer Halluzination, sei es eines Traumes -, die in sich von einer echten Wahrnehmung ununterscheidbar ist, darauf, dass ich, wenn ich in phänomenologischer Einstellung ausschliesslich den Standpunkt des in seiner Wahrnehmung oder Hal-
38 luzination lebenden Bewusstseins einnehme, keinen Unterschied zwischen dem gegenständlich Gegebenen von echter und unechter Wahrnehmung machen darf. Soweit diese in sich ununterscheidbar sind, was nichts anderes heisst, als dass jede Unterscheidung mit bezug auf die objektive Existenz oder Nicht-Existenz des Gegenstandes nachträglich und daher von ausserhalb des gerade in dem jeweiligen Akt lebenden Bewusstseins erfolgt, müssen auch ihre Gegebenheiten, ihre intentionalen Inhalte ununterscheidbar sein. Weil sich echte und unechte Wahrnehmung innerlich, d.h. in phänomenologischer Einstellung und Erfahrung, nicht unterscheiden lassen, muss der wirkliche Gegenstand, auf den sich die echte Wahrnehmung bezieht, auf den intentionalen Inhalt, den diese mit einer inhaltlich gleichen Halluzination gemeinsam haben kann, reduziert werden. Echter und unechter Wahrnehmung gemeinsam ist die sinnlich leib hafte Präsenz eines Gegenstandes, und zwar ausschliesslich in dem Sinn, dass sich ihnen etwas ins Bild setzt, was sie als einen real existierenden Gegenstand vermeinen, was ihnen als ein solcher gilt. Dass die Realität keine am gegenständlich Gegebenen vorfindliche sinnliche Qualität ist, impliziert aber nun nicht, dass das gegenständlich Gegebene kein real existierender Gegenstand ist. Wir erlauben uns nur nicht, von der realen Existenz des Gegebenen einen dogmatischen Gebrauch zu machen. Sofern diese sich nicht im Erlebnis bekundet, darf sie nicht zur Charakterisierung des Erlebnisses herangezogen werden. Aus dem gleichen Grund verbietet das Prinzip der phänomenologischen Einstellung jedoch auch, das gegenständlich Gegebene als nicht real Existierendes zu bestimmen. Mit der phänomenologischen Einstellung ist eben jede ontologische Interpretation des dem Bewusstsein gegenständlich Gegebenen unverträglich, die nicht den Erfahrungsakten des Bewusstseins selbst entnommen ist, die sich als eine den Erfahrungsakten verborgene Wahrheit über den seinsmodalen Status des ihnen gegebenen Gegenstandes ausgibt. Versuchen wir die Problematik an einem Beispiel zu verdeutlichen: Nach einer tagelangen Wüstenwanderung sehe ich plötzlich am Horizont eine Palme. Sie ist mir leib haft gegenwärtig. Da ich jedoch um den Effekt von Luftspiegelungen auf durstige Wüstenwanderer weiss, bezweifele ich die reale Existenz dessen, was ich da sehe. Ich zweifle, dass dort, wo ich es sehe, wirklich eine Palme steht. Nun sei aber mein Zweifel unbegründet gewesen, es befindet sich wirklich eine Palme dort, wo ich sie sah. Auf die Frage, was ich ursprünglich gesehen habe, wird man zunächst antworten, die Palme, die dort steht, den ding-
39 lich-realen Baum. Es wäre aber denkbar, dass diese real existierende Palme zwar gerade dort steht, wo ich eine Palme sah, die Palme, die ich gesehen habe, aber nichtsdestoweniger Produkt einer Luftspiegelung war. Die wirkliche Palme wurde vielleicht gerade von einem Sandsturm verdeckt. Im einen Fall sehe ich einen real existierenden Gegenstand, im anderen jedoch ein biosses Phantom. Vom Standpunkt des im ursprünglichen Erlebnis des leibhaft Gegenwärtighabens des Gegenstandes Lebenden jedoch war, wie der Zweifel zeigte, eine begründete Entscheidung, welcher der beiden Fälle vorlag, nicht möglich. 5 7 Da keine Wahrnehmung die reale Existenz ihres Gegenstandes verbürgt, da zu jeder Wahrnehmung eine ihr inhaltlich genau entsprechende Halluzination zumindest denkbar ist, sind wir nach Vollzug der phänomenologischen Einstellung in bezug auf jede einzelne Wahrnehmung überhaupt offenbar in der Situation des Wüstenwanderers. Wir als phänomenologische Betrachter sollen nicht entscheiden über die Seinsweise des Gegenstandes, wir beschränken uns darauf zu konstatieren, als was das Gegebene dem erlebenden Bewusstsein gilt. Auf dem Hintergrund des obigen Beispiels präzisiert sich die Frage nach dem Gegebenen beinahe zwingend zur Frage nach dem eigentlich Gegebenen. Gefragt wird danach, was als eigentliches Wahrnehmungskorrelat übrigbleibt, wenn von den Momenten am gegenständlich Gegebenen, am sich phänomenal Darbietenden abgesehen wird, die auf subjektive Stellungnahmen und Interpretationsleistungen zurückgehen. Wenn auch nur implizit und ohne uns Rechenschaft darüber zu geben, haben wir dabei bereits eine bestimmte Methode zur Unterscheidung der auf subjektive Stellungnahme zurückgehenden Momente am gegenständlich Gegebenen und dem Gegebenen als eigentlich Gegebenes in Anwendung gebracht. Das doxische Moment, der Realitätsindex am gegenständlich Gegebenen, musste als Resultat einer Setzungsleistung bestimmt werden, weil in Halluzination und echter Wahrnehmung das gegenständlich Gegebene in identischem doxischem Modus erlebt ist, gleichwohl es doch als Halluziniertes und als in echter Wahrnehmung Wahrgenommenes entgegengesetzte Seinsmodi hat. Die Methode zur Freilegung des eigentlich Gegebenen besteht darin, von all dem am gegenständlich Gegebenen abzusehen, was Gegenstand skeptischen Zweifels sein kann, denn als Bezweifelbares verweist es auf subjektive Geltungsvollzüge. Das eigentlich Gegebene dagegen ist schlicht da, der vorgegebene Kern aller aus den Geltungsvollzügen des Subjekts stammenden Momente. Nun lässt sich aber in einer Wahrnehmung nicht nur der jeweils
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40 erlebte Seinsmodus hinsichtlich seiner objektiven Gültigkeit bezweifeln. Neben der totalen sinnlichen Täuschung als einer Täuschung, die die reale Existenz des Gegenstandes betrifft, gibt es sinnliche Täuschung hin sich tlich der Beschaffenheit eines real existierenden Gegenstandes. 5 8 Wir vermeinen, dass der Gegenstand bestimmte Eigenschaften hat, die er in Wirklichkeit nicht hat - der Gegenstand hat z.B. eine andere Farbe als die, die wir ihm auf Grund unserer Wahrnehmung zuschreiben - oder wir fassen den Gegenstand als Gegenstand einer bestimmten Art auf, während er in Wirklichkeit Gegenstand einer anderen Art ist wir sehen dort einen Menschen, wo sich in Wirklichkeit nur ein Baum befindet - wobei diese letzte Art von falscher Vermeinung auf die falsche Vermeinung von Eigenschaften zurückführbar ist, und zwar von solchen Eigenschaften, die jeweils einen bestimmten gegenständlichen Begriff definieren. Einem Gegenstand werden bestimmte Eigenschaften zugesprochen, er wird aufgefasst als von der und der Art. Unserer Reduktionsmethode gemäss wäre so nicht bloss der Seinsmodus des gegenständlich Gegebenen, sondern auch dessen Bestimmtheit Resultat von Setzungsleistungen und Geltungsvollzügen des wahrnehmenden Ich. Was bleibt dann aber noch als eigentlich Gegebenes, wenn alle Bestimm~?eit überhaupt Resultat von subjektiver Setzung ist? In Ubereinstimmung mit der Tradition beantwortet Husserl diese Frage zunächst so, dass er das eigentlich Gegebene in der äusseren Wahrnehmung als erlebte stoffliche Daten bestimmt, die in ebenfalls erlebten subjektiven Auffassungsleistungen zu Erscheinungen von :aum-zeitlichen Gegenständen beseelt werden. Im folgenden Kapitel soll 1m Anschluss an eine Darstellung dieses Schemas von Auffassung und Inhalt gezeigt werden, dass es sich vor allem beim Begriff des hyletischen Datums weniger um einen phänomenologischen Beschreibungsbegriff als um ein theoretisches Konstrukt handelt.
5. DAS EIGENTLICH GEGEBENE ALS DAS ERLEBTE
Nach Husserl lässt sich hinsichtlich jedes Bewusstseinsaktes zwischen dessen reellem und intentionalem Inhalt unterscheiden. Reelle Inhalte und Momente des Erlebnisses sind die Bestände, die das Erlebnis als individuelle, konkrete Erlebniseinheit im Bewusstseinsfluss ausmachen.
"Unter dem reellen phänomenologischen Inhalt eines Aktes verstehen wir den Gesamtinbegriff seiner, gleichgültig ob konkreten oder abstrakten Teile, mit anderen Worten, den Gesamtinbegriff der ihn reell aufbauenden Teilerlebnisse. "59 Das psychische Sein unterscheidet sich vom physischen Sein der Dinge durch den Charakter der Intentionalität. Ein Erlebnis hat neben seinen es als Erlebnisindividuum aufbauenden Teilen und Momenten einen intentionalen Inhalt, den es mit anderen Erlebnissen gemeinsam haben kann und der auf Grund dieser Identität kein reelles Moment des Erlebnisses sein kann. Zu jeder Wahrnehmung eines raum-zeitlichen, äusseren Gegenstandes gehört nach Husserl notwendig als reelles Moment ein bestimmter sinnlicher Gehalt, gewisse stoffliche Daten, gewisse Empfindungen, an die sich eine Auffa~sungsleistung an.knüpft, um so dem Erlebnis seine Konkretion zu verleIhen, und zwar mcht nur als in sich abgeschlossenen reellen Erlebniszusammenhang, sondern auch hinsichtlich seiner intentionalen Bestimmungen. "Die intentionalen Erlebnisse stehen da als Einheiten durch Sinngebung ... , Sinnliche Daten geben sich als Stoff für intentionale Formungen oder Sinngebungen verschiedener Stufe" .60 Die Empfindungen, unabhängig von einer sich mit ihnen verknüpfenden Apperzeptionsleistung, sind keine intentionalen Akte. "Empfindung ist kein Akt, kein intentionales Erlebnis."61 Es lässt sich nicht, obwohl dies durch die Sprache nahegelegt wird, zwischen einem Akt des Empfindens und einer gegenständlichen Empfindung unterscheiden. Das Empfinden ist von seinem Inhalt nicht zu trennen, wie die Reflexion auf eine Schmerzempfindung deutlich zeigt. "Zwischen dem erlebten oder bewussten Inhalt und dem Erlebnis selbst ist kein Unterschied. Das Empfundene z.B. ist nichts anderes als die Empfindung."62 Die reellen Inhalte eines Wahrnehmungsaktes sind im Vollzug dieser Wahrnehmungen nicht gegenständlich bewusst, erst in einem nachkommenden Reflexionsakt auf das jeweilige Erlebnis können die reellen Inhalte selbst zu Gegenständen werden. "Es ist höchst wichtig, sich darüber klar zu werden, dass die Empfindungen in der äusseren Wahrnehmung erlebt, aber nicht wahrgenommen sind, und dass, wenn wir auf sie hinblicken, dies in neuen Wahrnehmungen geschieht, die einen total anderen Charakter haben wie die ursprünglichen, die äusseren Wahrnehmungen."63
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Was wir in einern Akt äusserer Wahrnehmung wahrnehmen, d.h. gegenständlich bewusst haben, wird bestimmt durch die in ihm erlebte Empfindungskomplexion und die sich daran anknüpfende, dadurch motivierte Auffassungsleistung, wobei Husserl das Verhältnis von sinnlichen Daten und gegenständlichen Bestimmungen als Darstellungsverhältnis, als Verhältnis der Präsentation des Gegenstandes durch die Empfindungskomplexion bestimmt. Demnach ist es die wesentliche Leistung des durch einen bestimmten Empfindungsverlauf motivierten Apperzeptionsaktes, die erlebten sinnlichen Daten als gegenständliche nicht reell erlebte Bestimmungen darstellende Erlebnisinhalte auf~ zufassen. "Die Empfindungskomplexion in sich ist noch kein intentionales Erlebnis. Die Intention kommt erst hinein durch den Charakter der Auffassung, den Charakter der Präsentation. Dadurch werden die sinnlichen Inhalte zu Präsentanten entsprechender Momente des Gegenstandes."64 Gegenüber den erlebten Empfindungsinhalten bewahrt sich die Auffassungsfunktion jeweils eine gewisse Freiheit, einen gewissen Spielraum, was die zu erdeutenden gegenständlichen Bestimmungen betrifft was aber nicht heisst, dass diese Freiheit schrankenlos ist. Die jeweils erlebten Empfindungsinhalte sind nicht mit jeder Auffassung verträglich. "Gegebene präsentierende Inhalte können wir also nicht in jedem Sinn wahrnehmungsmässig auffassen, und bei gegebenem Sinn können wir nicht jederlei präsentierende Inhalte annehmen."6 5 Nach Husserl handelt es sich bei der Auffassungsfunktion um ein noetisches Moment um 'vernünftige Sinngebung'. ' "Zugleich ist es nicht unwillkommen, dass das Wort Nus an eine seiner ausgezeichneten Bedeutungen, nämlich eben an 'Sinn' erinnert, obschon die 'Sinngebung', die in den noetischen Momenten sich vollzieht, vielerlei umfasst und nur als Fundament eine dem prägnanten Begriff von Sinn sich anschliessende 'Sinngebung'."66 Dieses noetische Moment ist dem Bewusstsein als intentionalem wesentlich, denn Erlebnisse beziehen sich intentional auf Gegenstände durch Sinngebung. "Der Strom des phänomenologischen Seins hat eine stoffliche und eine noetische Schicht."67 Das phänomenologische Sein
als in diesem allgemeinen Sinn vernünftiges zu bestimmen, jegliche Sinngebung als Vernunftleistung zu begreifen,68 braucht zunächst nicht mehr zu besagen, als jedwedes naturalistische, quasi-mechanistische Verständnis des Zusammhangs von Stoff und intentionaler Formung abzuweisen. Aus diesen Bestimmungen folgt, dass alle intentionalen Inhalte des Erlebnisses erdeutete Auffassungskorrelate, d.h. in einern bestimmten Sinn von Meinung, gemeinte und nicht gegebene Inhalte sind. "Dieser Unterschied zwischen dem erlebten Inhalt und der objektiven Bestimmung, die zwar gemeint, aber nicht erlebt ist, die nur in der 'Auffassung', 'Deutung' des erlebten Inhalts erscheint dieser Unterschied lässt sich in jeder Wahrnehmungsrichtung verfolgen und an unzähligen Beispielen bestätigen."6 9 In einern strikten Sinn, d.h. eigentlich gegeben, sind demnach nur die reellen Bestandteile und Momente der Erlebnisse, d.s. die sinnlichen Daten, die Auffassungsleistungen und die Setzungen. In welchem Sinn aber ist dasjenige, was wir wahrnehmen, bloss Gedeutetes oder besser Erdeutetes? Zunächst müssen wir auf eine Äquivokation im Begriff der Auffassung aufmerksam machen. Das Verständnis, das der Begriff als terminus technicus der Erkenntnistheorie unmittelbar nahelegt, ist das der begrifflichen Auffassung von etwas als etwas, in der Regel in der Form eines prädikativen Satzgedankens, in dem der Subjektausdruck ein Name ist, der Gegenstand, auf den der Subjektausdruck referiert, also schon eigenschaftlich bestimmter ist, und dem im vorliegenden Prädikationsakt nur eine weitere Bestimmung zugesprochen wird, wie z.B. in 'Dieses Auto ist teuer' oder 'Diese Blume ist rot'. Dann gibt es Fälle, wo ich in einer ersten Begegnung mit einern mir bisher unbekannten Gegenstand allererst den passenden Namen für diesen Gegenstand finden muss. Ich referiere dann auf ihn mit einer biossen Zeigegeste, sei es sprachlich mittels Demonstrativpronomina, sei es durch eine körperliche Zeigebewegung: 'Dies ist ein Baum', im Sinne von 'Ich fasse dies auf als einen Gegenstand der Art Baum'. Es scheint offensichtlich, dass hinsichtlich der hyletischen Daten nicht von Auffassung in diesem Sinn gesprochen werden kann, denn die hyletischen Daten werden nicht als von der und der Art oder als die und die Eigenschaften besitzend aufgefasst. Gerade in diesem Sinn werden sie als in Akten nur erlebte Inhalte nicht aufgefassCo Als erlebte Inhalte
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44 sind sie nur Gegenstände möglicher innerer Erfahrung im Sinne einer nachkommenden Reflexion auf das Erlebnis. Würden wir in der äusseren Wahrnehmung die hyletischen Daten selbst begrifflich auffassen, implizierte dies die Absurdität, dass jede äussere Wahrnehmung eine innere Wahrnehmung als Teil beinhaltete. Hyletische Daten werden demgegenüber aufgefasst als etwas darstellend, was sie nicht selbst sind, nämlich gegenständliche Bestimmungen. "Naiv den äusseren Gegenstand wahrnehmend gelten die Empfindungen als Präsentanten für Eigenschaften des Gegenstandes, also für etwas anderes, als sie selbst sind."71 Die Auffassung von etwas als etwas anderes darstellend oder auf etwas Abwesendes hinweisend begegnet uns im Bild- oder Zeichenbewusstsein, so dass wir uns scheinbar notwendig darauf verwiesen sehen, das Verhältnis von hyletischen Daten, Auffassung derselben und gegenständlich Aufgefasstem entweder in Analogie zum Bildbewusstsein zu begreifen oder dem Zeichenbewusstsein zu assimilieren. Husserl verwirft zwar die Repräsentations- und Abbildtheorien der Wahrnehmung als phänomenologisch widersinnig - "Aber die Empfindung ist nicht Gegenstand, der Repräsentant ist für einen anderen Gegenstand. Wir erleben im Deutungsbewusstsein die Beziehung auf einen einzigen Gegenstand."72 - sieht sich aber immer wieder gezwungen, zur Charakterisierung dieses Verhältnisses auf Formulierungen zurückzugreifen, die den verworfenen Theorien zumindest sehr ähnlich klingen. So, wenn er von einer Präsentation bzw. Repräsentation durch Ähnlichkeit spricht: "Alle Abschattung hat repräsentativen Charakter, und zwar repräsentiert sie durch Ähnlichkeit, ... "73 "Die eigentliche Präsentation ist ein Vermeinen, in dem im Ähnlichen das Ähnliche vermeintlich selbst erscheint."74 " ... der eigentlichen Präsentation, die den Charakter einer Präsentation durch Ähnlichkeit hat, ... "75 "Unter einer normalen Wahrnehmung verstehen wir eine solche , in welcher der präsentierende Empfindungskomplex der eigentlich präsentierten Erscheinung (dem direkt präsentierten Merkmalskomplex) ähnlich ist, ... "76
" der in der Wahrnehmung erlebte Komplex sinnlicher Inhalte (ich meine die präsentierende Empfindungskomplexion) ein korrektes, angemessenes Abbild für den präsentierten Komplex von Bestimmtheiten, ... "77 Muss aber nicht jede Auffassung von etwas als etwas anderes darstellend fundiert sein in einer Auffassung von etwas als etwas? Dies ist jedoch hinsichtlich der Auffassung der hyletischen Daten durch ihr biosses Erlebtsein als reelle Inhalte ausgeschlossen, da Auffassung von etwas als etwas ein gegenständliches Bewusstsein desjenigen, das als etwas Bestimmtes aufgefasst wird, voraussetzt. Die Interpretation, die durch die Rede von einer objektivierenden Auffassung hyletischer Daten nahegelegt wird, ist die, dass die Auffassung der hyletischen Daten in eins eine Auffassung einer gegenständlichen Gegebenheit als Gegenstand einer bestimmten Art ist. Wie soll auch eine Auffassung von hyletischen Daten als bestimmte gegenständliche Bestimmungen darstellend möglich sein, ohne dass wir ein Bewusstsein von diesen gegenständlichen Bestimmungen als diesen gegenständlichen Bestimmungen haben? Ein von Husserl, allerdings in einem anderen Problemkreis, häufig gewähltes Beispiel entspricht genau dieser Interpretation: Husserl zufolge ist uns dort, wo wir wahrnehmend schwanken und zweifeln, ob das uns gegenständlich Gegebene eine Puppe oder ein Mensch ist, eine identische Empfindungskomplexion gegeben, und unser Schwanken ist ein Schwanken in der Auffassung dieser Empfindungskomplexion. Einerseits ist hier von Auffassung und Apperzeption der Empfindungsdaten die Rede, andrerseits aber ebenso deutlich von der Subsumption unter einen Begriff. 7 8 Kann man aber die Apperzeption der Empfindungsdaten und die prädizierend-begriffliche Bestimmung eines Gegenstandes so einfach in eins setzen? Wie ist es z.B. in Fällen, wo uns etwas gegeben ist, wir es aber nicht auf den Begriff bringen können? Hätte hier nicht eine Apperzeption von Empfindungsdaten stattgefunden, ohne dass aber eine prädizierend-begriffliche Auffassung des Gegenstandes als so und so bestimmter vollzogen wurde? Nun, unter irgendeinen ganz allgemeinen, ganz formalen Begriff eines Dinges überhaupt oder sogar nur eines Etwas überhaupt müssen wir vielleicht alles, was uns gegenständlich gegeben ist, immer schon gefasst haben. Ist aber eine Auffassung von hyletischen Daten denkbar, die ganz unbestimmt ist, die keine bestimmte gegenständliche Bestimmung erdeutet, sondern nur so etwas wie ein Etwas überhaupt? Kann es hyletische Daten als
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reelle und damit konkrete Erlebnisbestandteile geben, die nur ein Etwas überhaupt präsentieren, ohne jede nähere Bestimmung? Die Auffassung der hyletischen Daten, deren Beseelung kann sich doch nicht völlig frei machen von der inhaltlichen Konkretion der hyletischen Daten, von dieser völlig absehen, um sie als ein biosses Etwas überhaupt präsentierend aufzufassen. Diese Überlegungen und Fragen scheinen auf eine gewisse Unverträglichkeit der Bestimmungen der hyletischen Daten als reelle Erlebnisbestandteile mit der Bestimmung der Auffassungsfunktion als eines noetischen Moments hinzudeuten. Wenn die hyletischen Daten als reelle Erlebnisbestandteile bestimmt werden, kann es sich dann bei der Auffassungsleistung noch um eine spontane, in gewissen Grenzen freie Vernunftfunktion, d.h. prädizierende Sinngebung, handeln, oder muss diese Auffassungsfunktion nicht vielmehr als ein völlig unbewusstes, mirakulöses Geschehen in den Tiefen unserer Seele aufgefasst werden? Die beseelende Auffassung der hyletischen Daten wäre dann etwas, was sich sozusagen hinter unserem Rücken vollzieht, während sich vor unseren Augen das Feld gegenständlicher Gegebenheit ausbreitet, das wir in prädikativen, in Wollens- und Wertakten bestimmen und bewerten. So scheint die Bestimmung der hyletischen Daten als reelle Erlebnisinhalte notwendig mit einer quasi-mechanistischen Vorstellung von der Auffassungsfunktion in dem Sinn verbunden zu sein, dass die Auffassung etwas wäre, das ebenso bloss in uns abläuft wie die Gehirnvorgänge der Physiologie. Von solcherart hyle tischen Daten als Bedingung der Möglichkeit gegenständlicher Gegebenheit könnten wir jedoch in phänomenologischer Einstellung genausowenig Gebrauch machen wie von physiologischen Gehirnvorgängen als kausalen Bedingungen unserer Erfahrungen. Halten wir demgegenüber daran fest, dass im Wahrnehmen eine wenn auch gebundene, also nicht völlig autonome gegenständliche Bestimmung leistende Spontaneität wirksam ist, bedürfte es dann nicht einer Gegebenheit, die bereits eine gewisse gegenständliche Objektivität besitzt, an der sie als Auffassungsleistung tätig werden kann? Bei Husserl selbst scheint es zwei mögliche Kandidaten für solche, den Auffassungsleistungen vorgegebenen quasi-gegenständlichen Objektivitäten zu geben, die Abschattung als reell-transzendente Erscheinung und die reell immanente Objektivität der Erscheinung. Der Begriff der Abschattung ist nichts anderes als ein auf ein räumlich situiertes Subjekt, das sich wahrnehmend auf räumlich Seiendes bezieht, angewendeter Begriff von Erscheinung. Der räumliche Gegen-
47 stand schattet sich perspektivisch ab. "Zu jeder Wahrnehmungsphase gehört z.B. notwendig ein bestimmter Gehalt an Farbenabschattungen, Gestaltabschattungen usw. Sie rechnen zu den 'Empfindungsdaten', Daten einer eigenen Region mit bestimmten Gattungen, die sich innerhalb je einer solchen Gattung zu konkreten Erlebniseinheiten sui generis (den Empfindungs-'Feldern') zusammenschliessen; die ferner, in hier nicht näher zu beschreibender Weise, in der konkreten Einheit der Wahrnehmung durch 'Auffassungen' beseelt sind, und in dieser Beseelung die 'darstellende Funktion' üben, bzw. in eins mit ihr das ausmachen, was wir 'Erscheinen von' Farbe, Gestalt usw. nennen." 7 9 Obwohl Husserl im auf den zitierten Text folgenden Satz die Abschattung qua Empfindungsdatum zum reellen Bestand der Wahrnehmung zählt - "Das macht, noch mit weiteren Charakteren sich verflechtend, den reellen Bestand der Wahrnehmung aus"80 -, hat er selbst wiederholt auf eine gewisse Objektivität der Erscheinung hingewiesen, die eigentlich unverträglich mit ihrer reellen Immanenz ist. " ... , jeder Mensch hat an derselben Raumstelle vom selben Ding 'dieselben' Erscheinungen - wenn alle, wie wir annehmen können, die gleiche Sinnlichkeit haben - und daher objektiviert sich auch der 'Anblick' eines Dinges; jeder hat von derselben Raumstelle bei derselben Beleuchtung denselben Anblick, z.B. einer Landschaft."81 Die Objektivität der Erscheinung besteht somit darin, dass verschiedene Wahrnehmungssubjekte oder auch nur ein einzelnes Wahrnehmungssubjekt zu verschiedenen Zeiten eine identische Erscheinung haben können, was die Möglichkeit ausschliessen würde, dass die Erscheinung reeller Erlebnisbestandteil ist. Husserl spricht noch in einem anderen Zusammenhang von der Objektivität von Erscheinungen, wobei diese Objektivität nicht unvereinbar sein soll mit der reellen Immanenz der Erscheinung, es sich also um eine reell immanente Objektivität handelt. Als solche ist die Erscheinung eine sich in den zeitlichen Phasen des absoluten Bewusstseinsflusses abschattende, d.h. objektivierte immanente zeitliche Einheit, eine im zeitlichen Wechsel identische Einheit der Dauer, in der ein äus-
48 serer Gegenstand erscheint. "Wir haben überall zu unterscheiden: Bewusstsein (Fluss), Erscheinung (immanentes Objekt) und Gegenstand."82 Die Wahrnehmung von transzendenten Gegenständen ist demzufolge selbst ein immanent konstituierter Gegenstand. Sowohl Empfindung wie Auffassung derselben sind Einheiten im ursprünglichen Zeitbewusstsein, sind konstituiert "durch die Mannigfaltigkeit von Jetztphasen und Retentionen".83 Diese Einheiten sind reell immanente Einheiten, sofern sie kein identischer intentionaler Inhalt einer Mehrzahl von eigenen und fremden Wahrnehmungsakten sein können. In ihrer aktuellen Existenz sind sie an das einmalige Auftreten in einem je-eigenen Bewusstseinsstrom gebunden. Sie sind objektive nur als Einheiten je-eigener Wiedererinnerungsakte. "Nur in der Wiedererinnerung kann ich einen identischen Zeitgegenstand wiederholt haben."84 Fragt man nach dem Verhältnis zwischen diesen beiden Arten von Objektivität, ist es evident, dass die Objektivität der Erscheinung im Sinne der Identität gegenüber einer möglichen Mannigfaltigkeit von Wahrnehmungsakten etwas völlig Verschiedenes von der immanenten Objektivität der Empfindungen und Auffassungen ist. Wie sollte auch ein reell-immanenter, in seiner Existenz an einen je-eigenen Bewusstseinsstrom und seine Akte der Wiedererinnerung gebundener Gegenstand zugleich eine in verschiedenen Wahrnehmungen verschiedener oder auch nur desselben Subjekts identische Erscheinung sein können? Näh~r läge die Vermutung, dass, wie der Begriff der Abschattung, so der Begnff von der Objektivität der Erscheinung im Sinne der Selbigkeit in e~ner Mannigfaltigkeit von Wahrnehmungen vor allem der Analyse Visueller Wahrnehmung entstamme, während der Begriff einer reellimmanenten Objektivität der Erscheinung als Empfindung und der yersuch, die Erscheinung als objektivierte Empfindung zu begreifen, ihren Anhalt vorrangig an taktuellen Phänomenen fänden. So kann ich mich beim Tasten scheinbar jederzeit von den ertasteten gegenständlichen Bestimmungen zuruckwenden auf ihnen korrelierende Drucke~pfindungen, wobei in dem Masse, wie sie mir als körperliche Empfm~ungen ~ewusst werden, ihre gegenständliche Bedeutung unartikuherter wrrd, so dass sich sagen liesse, dass dort, wo idealiter ihre gegenständliche Auffassung ganz fortfiele, sie als reelle hyletische Daten übrigbleiben würden. Die Tastempfindungen erlangten dabei eine immanente Objektivität, indem sie sich im Bewusstseinsfluss zeitlicher Modifikationen als identische Einheiten der Dauer konstituieren. ~emgeg~nüber sei beim Sehen von Gegenständen eine Um wendung auf ugendwle den gegebenen gegenständlichen Bestimmungen korrelierende
49 Empfindungen offensichtlich nicht möglich, solche Empfindungen seien phänomenal einfach nicht nachweisbar. Es treten zwar beim Sehen körperliche Empfindungen in Gestalt von kinästhetischen Empfindungen auf, aber in der objektivierenden Auffassung, die sie möglicherweise erfahren, werden sie nicht zu Darstellungen der spezifisch visuellen Erscheinungen, denen eine gewisse Objektivität zukommt, insofern einem anderen an meiner Stelle unter denselben Bedingungen oder mir selbst in wiederholten Wahrnehmungen dieselbe und nicht nur inhaltlich gleiche Erscheinung vom Gegenstand gegeben wäre. Diese Analyse kann jedoch nicht befriedigen. Zunächst ist die Frage, ob Tastempfindungen und Tasterscheinungen wirklich nur zwei Namen sind für eine identische Sache, die nicht mehr als einen Unterschied in der Hinsicht auf diese Sache ausdrucken. Ist nicht die Tastempfindung als körperliche Empfindung, als Schmerz, der nicht wehtut, etwas anderes, sozusagen ein anderer Gegenstand, als die Tasterscheinung der Härte oder Kälte eines Gegenstandes?85 Und kann bei den Tasterscheinungen nicht ebenso wie bei den visuellen Ansichten von einer Objektivität im Sinne einer den je-eigenen Bewusstseinsfluss transzendierenden, d.h. nicht bloss immanenten, gesprochen werden? Wenn zwei Subjekte denselben Gegenstand unter identischen Bedingungen nacheinander ertasten oder wenn ich selbst einen Gegenstand zweimal in derselben Weise abtaste, haben wir oder ich dann nicht jeweils dieselben Tasterscheinungen? Nur wenn wir Tasterscheinungen mit Tastempfindungen identifizieren, ist dies ausgeschlossen. Dann sind die Tasterscheinungen eben vom selben Status wie Kopfschmerzen. Doch dass das Wahrnehmen in biosses Empfinden umschlagen kann, beweist keineswegs, dass das Wahrnehmen immer schon nur biosses Empfinden war. Auch beim Sehen könnte man von einem Umschlagen in eine Art biosses Empfinden sprechen, z.B. wenn ich einen Schlag auf das Auge erhalte und nur noch ein biosses Flimmern im Auge habe, wenn ich durch ein grelles Licht geblendet werde oder wenn ich nur das Auge mit meinem Finger beruhre und drucke. Gleichwohl, es scheint da doch ein gewisser Unterschied zwischen Tasten und Sehen zu bestehen, was das Verhältnis zwischen Empfindung und Erscheinung betrifft. Während das Flimmern im Auge und die visuelle Erscheinung eines Gegenstandes etwas völlig Heterogenes sind, besteht zwischen taktuellen Empfindungen und taktueller Erscheinung offenbar ein wesentlich innigeres Verhältnis, was es eben nahelegt, hier Von einem gegenständlichen Auffassen der Empfindungen oder einem Repräsentationsverhältnis zu sprechen. 86
50 Immerhin, sowohl für das Sehen wie das Tasten (und für das Hören liesse es sich auch zeigen) lässt sich durchaus sinnvoll von Abschattungen im Sinne objektiver Erscheinungen reden. Offensichtlich ist nun aber, dass diese objektiven Erscheinungen nicht die Inhalte sein können, an die die objektivierenden Auffassungen anknüpfen und von denen sie motiviert werden, muss doch mit der objektiven Erscheinung notwendig auch ein in ihr erscheinender Gegenstand gegeben sein, welche gegenständliche Gegebenheit aber gerade durch die objektivierende Auffassung erst ermöglicht werden sollte. Das führt auf die Überlegungen in den beiden vorangegangenen Kapiteln zurück. Die Frage nach dem eigentlich Gegebenen in der Wahrnehmung als Frage danach, was als rein Gegebenes übrigbleibt, wenn von allen Setzungsleistungen und Auffassungen des Subjekts abgesehen wird, lässt sich nicht durch Verweis auf irgend welche vorgegebenen konkreten Objektivitäten, weder die immanent-objektiven Empfindungen, noch die irreell-objektiven Erscheinungen beantworten. Das analytisch-reduktive Absehen von diesen Auffassungsleistungen kann nicht mit dem Umschlagen des Wahrnehmens ins Empfinden gleichgesetzt werden. Es führt weder auf konkrete Empfindungen, noch auf konkrete Erscheinungen, sondern auf gewisse abstrakte Entitäten , die wir mit der Tradition Sinnesdaten nennen könnten. Sinnesdaten sind demnach keine Empfindungen. Sie sind blosse Konstrukte einer bestimmten methodischen Verrichtung an den wahrgenommenen Gegenständen und ihren Erscheinungsweisen. Indem man von aller gegenständlichen Bedeutung der Erscheinungen und des in ihnen Erscheinenden abzusehen versucht, glaubt man, auf eine immanente, je-eigene Welt von uninterpretierten, aber interpretierbaren Daten zu stossen, an die sich gegenständliche Auffassungen knüpfen können. Die Wahrnehmung von äusseren Gegenständen als objektivierende Auffassung, Deutung oder Beseelung von hyletischen Daten in diesem Sinn zu begreifen, lässt jedoch nur die Wahl zwischen zwei Wahrnehmungstheorien, die beide gleichermassen einer Rechtfertigung aus phänomenologischer Erfahrung unzugänglich sind. Sind das in der Wahrnehmung eigentlich Gegebene Sinnesdaten, dann ist entweder alles gegenständlich Bewusste als Auffassungskorrelat blosse gedankliche Konstruktion, eine blosse Bedeutung - die sinnlichen Daten gelten als eine Art Zeichen - oder wir erklären das anschauliche Gegebensein der Gegenstände, ihre leibhafte Präsenz in unseren Wahrnehmungsakten aus einer Projektionsleistung 87 zugrundeliegender verborgener Tätigkeiten der Seele an irgendwelchen ebenfalls verborgenen Stoffen. Beide
51 Wahrnehmungstheorien bleiben einem vorphänomenologischen Bewusstseinsbegriff verhaftet, wonach das Bewusstsein ein in sich abgeschlossener Seinszusammenhang und alles, was diesen Seinszusammenhang transzendiert, entweder identisch-idealer Gedankeninhalt oder anschauliche Projektion oder eine Mischung aus beidem ist. Wie sollte auch das Bewusstsein als reell-immanenter Zusammenhang allein aus reell immanenten Stoffen und reell immanenten Auffassungen eine andere als eine ideale Wirklichkeit hervorbringen? Es kann die Stoffe auffassen als etwas anderes darstellend, sei es symbolisch oder abbildlich, das ist ein Gedanke, es kann sie selbst auffassen als transzendente Gegenstände, das ist eine Fiktion. Von Husserls Unterscheidung zwischen Leibhaftigkeit und Glaubhaftigkeit des wahrnehmungsmässig Gegebenen ausgehend, stiessen wir auf die grundlegende Differenz zwischen Gegebenem und Gemeintem in den Akten der Wahrnehmung. In diesem Kapitel wurde Husserls Versuch dargestellt, dieser Differenz mit einem Schema von Auffassung und Inhalt Rechnung zu tragen, wobei das als Inhalt eigentlich Gegebene hyletische Daten sein sollen, an die sich gegenständliche Bestimmtheit leistende Auffassungen anknüpfen. Wie ich im Anschluss an diese Darstellung versucht habe zu zeigen, impliziert dieses Schema jedoch einen phänomenologisch nicht ausweisbaren Wahrnehmungsbegriff. Die hyletischen Daten sind keine konkret aufweisbaren, seien es reellimmanente, seien es transzendente Gegebenheiten. Sie sind vielmehr blosse Konstrukte und als solche Resultat einer bestimmten methodischen Verrichtung an der Wahrnehmung. Dieses Schema ist nur ein, und zwar sozusagen der traditionelle Aspekt von Husserls Wahrnehmungsanalysen. Bevor mit dem Begriff des Noemas ein anderer Aspekt thematisch wird, ist die erkenntnistheoretische Motivation der Frage nach dem eigentlich Gegebenen herauszustellen und zu zeigen, dass der erkenntnistheoretische Begriff der Wahrnehmung noch kein Begriff aus phänomenologischer Einstellung und Erfahrung ist.
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52 6. DIE WAHRNEHMUNG ALS URTEIL
In der Analyse des Wahrnehmungsgeschehens scheint man notwendig auf eine prinzipielle Differenz zu stossen zwischen dem in einer WahrnehmunKVermeinten und dem in einer Wahrnehmung in einem strikten Sinn Gegebenen, wobei es diese Differenz ist, die sich als der eigentliche Grund für die Möglichkeit sowohl partieller wie totaler Wahrnehmungstäuschung darstellt. Ist diese Differenz aber eine Differenz, die die Wahrnehmung selbst setzt? Ist die Wahrnehmung, sei es auch nur implizit, sich dieser Differenz bewusst, und zwar als aus zwei sie selbst, die Wahrnehmung, konstituierenden Momenten bestehend, wovon das eine Moment dem anderen, wenn nicht zeitlich, so doch logisch vorangehen muss? Gilt der lebendigen Wahrnehmung selbst nicht das Gegebene als das Vermeinte und das Vermeinte als das Gegebene? Erweist sich im Fortgang der Wahrnehmung eine vorangegangene Wahrnehmung als unecht, so wird nicht nur deren Vermeinung durchstrichen, während das in ihr Gegebene als unbezweifelbares Datum in Geltung bleibt, sondern es heisst, dass das gegenständlich Gegebene nur ein vermeintlich Wahrgenommenes, in Wirklichkeit aber Halluziniertes gewesen sei, oder dass das gegenständlich Gegebene andere Eigenschaften hat, als wir wahrzunehmen vermeinten, wobei das Gegebene wie das Vermeinte nichts anderes sind als die gewöhnlichen Gegenstände unserer alltäglichen Erfahrungswelt. Wenn wir uns auf den Standpunkt der lebendigen Wahrnehmung stellen, erscheint diese Unterscheidung von unmittelbar und eigentlich Gegebenem einerseits und mittelbar Vermeintem andrerseits als eine blosse an das Wahrnehmungsgeschehen von aussen herangetragene Konstruktion. Vom Standpunkt der lebendigen Wahrnehmung aus scheint ein Wahrnehmungsakt ein unteilbarer Bewusstseinsakt zu sein, in dem sich nicht zwei solche Komponenten voneinander unterscheiden lassen. Besinnen wir uns auf die Gründe, die auf diese Unterscheidung geführt haben, so waren dies vor allem die Phänomene der sinnlichen Täuschung und damit verbunden die Frage nach dem in einem Wahrnehmungsakt unbezweifelbar Gegebenen. Es sind somit die Rechtfertigungsprobleme, die die Unterscheidung von unmittelbar Gegebenem und vermeintem Gegenstand motivieren. Die Unterscheidung ist demnach letztlich eine erkenntnistheoretisch motivierte, und das Verhältnis zwischen unmittelbar gegebenen sinnlichen Daten und gegenständlich Vermeintem stellt sich dann als ein logisches Begrün-
dungsverhältnis dar. Das Wahrnehmen baut sich zwar nicht irgend wie real auf einem Bewusstsein sinnlicher Daten auf, es richtet sich vielmehr direkt und unmittelbar auf die Gegenstände, aber es tut dies in einer Erkenntnisabsicht, indem es den Gegenständen zunächst Existenz, dann bestimmte Eigenschaften zuspricht. Diese Setzungen und Prädikationen der Wahrnehmung haben ihre RechtfertigungsgTÜnde bzw. Widerlegungsgründe in Form von einfachen und schlichten Beschreibungen des im strikten Sinne jeweils sinnlich Präsenten. Der Unterscheidung zwischen dem im strikten Sinne Präsenten und dem darüberhinaus in der Wahrnehmung Beanspruchten liegt der Begriff der Wahrnehmung als eines rechtfertigungsbedürftigen Erkenntnisgebildes zu Grunde. Nun bestätigen wir aber im gewöhnlichen Wahrnehmungsgeschehen einen Wahrnehmungsglauben nicht durch Rekurs auf unmittelbar gegebene sinnliche Daten, sondern z.B. durch ein genaueres Hinsehen auf den Gegenstand, was unterstreicht, dass es sich bei der behaupteten Struktur der Wahrnehmung nicht um einen konkreten Befund am Wahrnehmungsgeschehen selbst handelt, sondern um eine Art idealtypische Konstruktion eines logischen Begründungszusammenhangs, der jede gegenständliche Setzung und Prädikation mit einer offenen Anzahl reiner Beschreibungen des in einer Wahrnehmung unbezweifelbar Gegebenen verbindet. Die Frage nach dem in einem Wahrnehmungsakt unbezweifelbar Gegebenen ist nicht allein in einer vorurteilslosen Beschreibung des in phänomenologischer Erfahrung gegebenen Erlebnisses zu beantworten. Hierzu bedarf die Methode der Reflexion der Ergänzung durch eine Methode der Reduktion, wobei sich die Erlebnisreflexion allererst aus der reduktiven Bewegung ergibt. Aus erkenntnistheoretischer Motivation suche ich das in einem Wahrnehmungsakt unbezweifelbar Gegebene durch ein reduktives Absehen von dem, was sich bezweifeln lässt, und das heisst, was künftiger Erfahrung möglicherweise nicht standhält. Künftige Erfahrung kann aber sowohl das Sein wie das Sosein des wahrgenommenen Gegenstandes aufheben, und zwar nicht in dem Sinn, dass sie einen gewesenen und so gewesenen Gegenstand plötzlich vernichtet, sondern vielmehr so, dass sie Sein und Sosein als biossen Anspruch, blosse Setzung des Wahrnehmungssubjekts erweist. Der real existierende Gegenstand verfällt so einer reduktiven Ausschaltung. An seine Stelle treten die Setzungen des wahrnehmenden Bewusstseins womit die reduktive Bewegung in eine reflektive einmündet. ' Was die hyle tischen Daten betrifft, so partizipieren sie als reell-
54 immanente an der Unbezweifelbarkeit des reflexiv erfahrenen Erlebnisses und sind die den auffassenden Prädikatsthesen und Seinssetzungen zugrundeliegenden und diese bestimmenden Gegebenheiten. Ihre Existenz ist nicht eigentlich phänomenologisch-reflexiv erfahren als reduktiv erschlossen. Wie die doxischen Thesen einer Gegebenheit, bedürfen die Prädikatsthesen eines stofflichen Anhalts, der ihren Inhalt bestimmt. Der konstruktive Charakter des Sinnesdatenbegriffs zeigt sich darin, dass es die Beschaffenheiten des stofflichen Anhalts sein sollten, die die Prädikatsthesen bestimmen, dass aber erst von den erfolgten Prädikatsthesen her sich etwas über die Bestimmtheit der hyletischen Daten ausmachen lässt. Die reduktive Methode ist es, die letztlich eine Restitution des empiristischen Immanenzbegriffs und des diesem korrelierenden Begriffes der Reflexion mit sich führt, was entweder zur Auflösung der Transzendenz in diese verengte Immanenz oder zur völligen Unerreichbarkeit des transzendent Seienden für das wahrnehmende und erkennende Bewusstsein führt. Entweder die Ausschaltung von Sein und Sosein der transzendenten Gegebenheiten bleibt eine methodische, dann entsteht das unlösbare Problem, wie sich dieses Sein und Sosein jemals in rein subjektiv-immanenten Thesen und ihren ebenfalls subjektiv-immanenten stofflichen Grundlagen ausweisen soll, oder die Ausschaltung wird zu einer metaphysischen fortgebildet, dann wird unsere raum-zeitliche Welt mit ihren Gegenständen zu einem biossen Gedanken oder einer anschaulichen Projektion der im eigentlichen Sinn allein seienden Setzungen und Stoffe des Bewusstseins. Die Wahrnehmung aufzufassen als prädikativ-setzenden Erkenntnisanspruch, dessen ihn berechtigende Erkenntnisgründe aufzuweisen sind, führt auf die reduktive Methode, in der es gilt, die Prämissen dieses Anspruchs in Form von unbezweifelbar gegebenen Daten aufzufinden, um die Gültigkeit gewisser, ebenfalls unbezweifelbar gegebener Setzungsakte zu bestimmen. Vorausgesetzt, und damit phänomenologisch nicht ausgewiesen, ist dabei immer schon, wenn nicht die reale Existenz einer Welt objektiver Gegenstände, so zumindest deren Begriff. Erkenntnis bedarf einerseits des Vorgegebenseins des Erkenntnisgegenstandes und andrerseits der Erkenntnisgründe. Einen Gegenstand wahrzunehmen hiesse demnach, ihn in seinem An-sich-Sein zu erkennen beanspruchen, wobei sich diese Erkenntnis, nach Gründen befragt, auf das Gegebensein subjektiv-immanenter Daten berufen könnte. Die Wahrnehmung wird so, als sinnliche Behauptung aufgefasst, zu einem Urteilsgebilde, wobei sie sich von allen anderen Urteilen darin unter-
55 scheiden würde, dass sie fundiert in sinnlichen Daten ist. Allerdings wären diese nicht das, was Gegenstand oder Inhalt des Urteils ist, sei es als Subjekt, sei es als Prädikat, d.h. weder als Beurteiltes noch als Geurteiltes, sondern allein das, was die Begründung des Urteils leisten soll. Gegen diesen intellektualistisch-epistemologischen Begriff der Wahrnehmung lässt sich aber folgender Regresseinwand erheben: Die fundamentale Struktur eines Urteils ist die der Prädikation, einem singulären Gegenstand wird eine Eigenschaft zugesprochen. Damit ich einem Gegenstand eine Eigenschaft zusprechen kann, muss mir dieser Gegenstand zunächst gegeben sein. Individuelle Raum-Zeit-Gegenstände werden mir ursprünglich in sinnlicher Erfahrung, in Wahrnehmung gegeben. Ist nun jede Erfahrung, in bezug auf individuelle RaumZeit-Gegenstände also die Wahrnehmung selbst, von der Struktur Fa, ist ein unendlicher Regress unvermeidlich. Einen solchen Regress zuzulassen, impliziert aber einen Skeptizismus hinsichtlich der Möglichkeit ursprünglicher Gegebenheit der raum-zeitlichen Wirklichkeit überhaupt, sofern nämlich jedes Urteil zurückverweist auf ein Vorgegeben sein seines Subjektgegenstandes, es aber keinen anderen Modus des Gegebenseins als den des Urteils gibt. Die Leugnung der Möglichkeit unvermittelter Gegebenheit leugnet jedoch in eins die Möglichkeit vermittelter Gegebenheit, da letztere rein begrifflich erstere voraussetzt. Wahrnehmungsurteile bedürfen vorgängiger Gegebenheit dessen, worüber sie urteilen, nicht genügt das Gegebensein reell-immanenter Daten als Urteilsprämissen. Alle Urteile über die raum-zeitliche Wirklichkeit verweisen, sowohl was ihre Möglichkeit wie ihre Rechtfertigung betrifft, letztlich auf so etwas wie das, was Russell 'knowledge by acquaintance,g g nennt. Wollen wir zu einer wesentlichen Bestimmung des Begriffes der Wahrnehmung rein aus den Gegebenheiten phänomenologischer Erfahrung gelangen, ist die reduktive Methode und ihre erkenntnistheoretische Motivation von der Methode der Reflexion fernzuhalten. Es gilt nicht dogmatisch vorauszusetzen, dass die Beziehungsart zwischen Wahrnehmung und Wahrnehmungsgegenstand die einer Erkenntnisrelation ist. Ob die Wahrnehmung Erkenntnis ist, entscheidet sich allein in der reflektiven Betrachtung der Wahrnehmung selbst. Die hinsichtlich solcher dogmatischen Voraussetzungen zunächst neutralen Begriffe sind die der Intentionalität und der Konstitution. Die phänomenologische Erfahrung gibt einen Zusammenhang der Intentionalität, in dem sich in subjektiven Mannigfaltigkeiten objektive Einheiten konstituieren. Die
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Wahrnehmung als dasjenige Bewusstsein, in dem uns die Welt und ihre Gegenstände ursprünglich und leibhaft zugänglich sind, ist so ein komplexes erlebnismässiges Gebilde, in dessen Mannigfaltigkeiten ein weltlicher Gegenstand zur originären Gegebenheit kommt. Diese gegenstandsgebende Leistung nennt Husserl Konstitution: "Die Gegenständlichkeit konstituiert sich in den Erlebnissen."89 Das Verständnis von der Intentionalität des Bewusstseins als einer biossen Binnenstruktur der Immanenz, die noch nicht den erfolgreichen Transgressus von der Immanenz zur Transzendenz garantiert, ist dem phänomenologischer Reflexion entzogenen Vorurteil der objektiven Welt zuzuschreiben. In phänomenologischer Reflexion lasse ich keine anderen Gegenstände gelten als solche, die Gegenstände wirklichen oder möglichen Bewusstseins sind, und zwar eines die Gegenstände selbst gebenden Bewusstseins. Eine Transzendenz als dem Bewusstsein in seinen Akten schlechterdings unerreichbare kann sich nicht bewusstseinsmässig konstituieren, denn der Begriff der Konstitution macht gerade den Begriff einer Beziehung schlechthinniger Unbezogenheit unmöglich. In diesem Sinne ist dem Bewusstsein in der Tat alles immanent. Aber hier noch von Immanenz zu sprechen ist sinnlos geworden, da es nicht nur faktisch zu ihr keine Transzendenz mehr gibt, sondern schon der blosse Begriff einer Transzendenz gegenüber dieser Immanenz ein unmöglicher ist. Nachdem die bisherigen Betrachtungen die Wahrnehmung vor allem als eine reell-immanente Bewusstseinsgestalt zum Thema hatten, gilt es im folgenden Abschnitt nach ihrem intentionalen Inhalt zu fragen. Wie sich zeigen wird, kann unter dem intentionalen Inhalt der Wahrnehmung grundsätzlich zweierlei verstanden werden: der noematische Sinn und die Erscheinung. Durch die Darstellung und Auseinandersetzung mit Husserls und Gurwitschs Noemabegriff sollen im folgenden die Voraussetzungen und Konsequenzen beider Begriffe von intentionalem Inhalt deutlich gemacht werden.
IH. DIE FRAGE NACH DEM INTENTIONALEN INHALT DER WAHRNEHMUNG
7. DIE BEDEUTUNGSTHEORETISCHE BESTIMMUNG DES BEGRIFFS DER INTENTIONALITÄT
Was die Erlebnisse und Akte wesentlich von Quasi-Dingen in einem Feld der Immanenz unterscheidet, ist, dass sie neben ihren sie als konkrete immanente Einheiten aufbauenden Teilen und Momenten noch einen Inhalt eigener Art haben: Sie beziehen sich intentional auf Gegenstände, und diese Art von Beziehung ist radikal verschieden von allen weltlichrealen Beziehungsarten. Wir sahen, dass Husserl diese intentionale Bezogenheit der Erlebnisse als Resultat eines den reellen Inhalt des Erlebnisses mitausmachenden noetischen Vollzugs gilt. Das Erlebnis, sagt Husserl, hat einen Sinn, es bezieht sich durch Sinngebung auf einen Gegenstand. Für jedes Akterlebnis ist ein noetisch-noematischer Parallelismus konstitutiv. "Überall entspricht den mannigfaltigen Daten des reellen, noetischen Gehaltes eine Mannigfaltigkeit in wirklich reiner Intuition aufweisbarer Daten in einem korrelativen 'noematischen Gehalt', oder kurzweg im 'Noema,."9o Der Begriff des intentionalen Inhalts blieb in unseren bisherigen Überlegungen im vagen Halbdunkel vorausgesetzter, auch irgendwie verständlicher, letztlich aber ungeklärter Begriffe. Der prominenteste Husserlsche Terminus für den intentionalen Inhalt eines Aktes ist der des Noemas. Nachdem wir bereits Gründe und Motive dafür angegeben und aufgewiesen haben, dass in den Wahrnehmungsanalysen der sinnlichen Anschauung immer wieder eine propositionale Struktur und ihren gegenständlichen Gegebenheiten der Status idealer Denkinhalte zugesprochen wird, ist es im folgenden unsere Absicht zu prüfen, wie weit die durch die Einführung des Noemabegriffs in den Ideen I angezeigte Perspektive eines noematisch orientierten Wahrnehmungsbegriffs geeignet ist, eine Alternative zu der epistemologisch-intellektualistischen Bestimmung des Wahr-
58 nehmungsgeschehens zu ermöglichen. Wie die gegensätzlichen Interpretationen von Fc{>llesdal und Gurwitsch zeigen, ist aber. der .Noemabegriff selbst sowohl einer bedeutungstheoretischen, d.h. elller llltellektualistischen, wie einer phänomenalen Interpretation zugänglich. Die bedeutungstheoretische Interpretation kann sich dabei vor allem auf Husserls bedeutungstheoretische Bestimmung des Begriffes der Intentionalität in den LU berufen. In den LU hat Husserl die allgemeine Struktur und der an ihr beteiligten Momente einer intentionalen Beziehung auf Gegenstände durch Analyse einer bestimmten Art von Beziehung des Bewusstseins auf einen Gegenstand gewonnen: der des sprachlichen Bedeutungsbewusstseins, genauer, der Referenz auf einen Gegenstand mittels bedeutsamer sprachlicher Zeichen. . In der I LU versucht Husserl, die konstitutiven Momente ellles bedeutsamen sprachlichen Ausdrucks aufzuweisen und voneinander zu scheiden. Hierzu bedarf es zunächst einer durch die Aquivokationen vom Ausgedrücktsein verdeckten dreifachen Unterscheidung. Vom Ausgedrücktsein durch den sprachlichen Ausdruck kann gesprochen werden hinsichtlich der psychischen Erlebnisse, sei es der bedeutungsgebenden, sei es der bedeutungserfüllenden, hinsichtlich der Bedeutungen und schliesslich hinsichtlich der bedeuteten Gegenständlichkeit. Zum sprachlichen Ausdruck selbst als konstitutives Moment gehört davon nur die Bedeutung, die weder mit dem bedeutungsgebenden Akt, dem Nenn- oder Urteilsakt, noch mit dem in diesen Akten mittels der Bedeutung gemeinten Gegenstand identifiziert werden darf. Die Bedeutung ist im sprachlichen Zeichen gebunden an ein bestimmtes Lautgebilde. Das sprachliche Zeichen ist eine zweiseitige Einheit aus Bedeutung und Lautgebilde. Den eigentlichen Grund für die prinzipielle Unterschiedenheit von Bedeutung und bedeutungsgebendem Akt einerseits und Bedeutung und bedeutetem Gegenstand andrerseits sieht Husserl im von allem Realen, allem zeitlich, zeitlich-räumlich Individuierten unterschiedenen ontologischen Status der Bedeutungen als allgemeine Gegenstände. In welchem Sinn aber sind Bedeutungen allgemeine Gegenstände? Wenden wir uns zunächst der Unterscheidung und dem Verhältnis von Bedeutung und Gegenstand zu! Mit einem bedeutsamen Ausdruck sich auf einen Gegenstand zu beziehen heisst, diesen entweder als etwas anzusprechen, z.B. als Baum oder als rot, das heisst, ihn unter einen Begriff zu subsumieren oder auf ihn mittels eines Eigennamens oder okkasionellen Ausdrucks direkt und
59 unvermittelt zu verweisen. Eine Identifizierung von Bedeutung und Gegenstand ist von vornherein ausgeschlossen, wo es sich um begriffliche Bedeutungen, um Gattungsnamen handelt. In einem begrifflichsignitiven Akt beziehe ich mich nicht auf den Gegenstand schlechthin in allen seinen mir bekannten und unbekannten Bestimmungen, sondern ich beziehe mich auf ihn notwendig immer unter einer bestimmten Hinsicht. Der Gegenstand hat so jeweils noch andere Bestimmungen als die, die ich ihm gerade zuspreche, das heisst, ich kann mich auf denselben Gegenstand mit einer Vielzahl von Bedeutungen beziehen. Andrerseits ist jede begriffliche Bedeutung auf eine mögliche unendliche Mannigfaltigkeit von Gegenständen, die ihren Begriffsumfang ausmacht, anwendbar. Eine Identifizierung von begrifflicher Bedeutung und Gegenstand ist somit dadurch ausgeschlossen, dass sie unabhängig voneinander variieren können: Mit derselben Bedeutung kann ich mich auf verschiedene, mit verschiedenen Bedeutungen auf denselben Gegenstand beziehen. Wenn aber die Allgemeinheit der Bedeutung darin bestehen soll, dass sie einen Begriffsumfang hat, wie steht es dann mit der Bedeutung der Eigennamen und der okkasionellen Ausdrücke wie 'dies', 'hier' usw.? Nennen diese sprachlichen Ausdrücke ihre Gegenstände nicht direkt, also ohne sie unter einen Begriff zu subsumieren, und ist hier nicht die Bedeutung des Ausdrucks der Gegenstand selbst als solcher in allen seinen Bestimmungen? Husserl versucht nun jedoch, die Differenz von Bedeutung und Gegenstand als eine prinzipielle Differenz, die für alle sprachlichen Ausdrücke, einschliesslich der Eigennamen und okkasionellen Ausdrücke,91 gültig ist, zu begreifen. Eigennamen und okkasionelle Ausdrücke unterscheiden sich aber von den Gattungsnamen darin, dass ich mich mit ihnen nicht mit identischem Sinn auf eine Mannigfaltigkeit von Gegenständen beziehen kann, dass sie also keinen Begriffsumfang haben. Worin kann dann die Allgemeinheit der Wortbedeutungen der Eigennamen und okkasionellen Ausdrücke bestehen? Husserl weist darauf hin, dass Eigennamen und okkasionelle Ausdrücke zwar nicht auf eine Mannigfaltigkeit von Gegenständen sinnesidentisch anwendbar sind, dafür aber doch auf eine mögliche Mannigfaltigkeit von Anschauungen bzw. Erscheinungen des jeweils benannten Gegenstandes, so dass die Allgemeinheit der Wortbedeutung der Eigennamen und okkasionellen Ausdrücke darin bestehen würde, "dass zu einem individuellen Objekt eine Synthesis möglicher
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60 Anschauungen gehört, die Eins sind durch einen gemeinsamen intentionalen Charakter, nämlich durch den Charakter, der, unbeschadet der sonstigen phänomenalen Unterschiede zwischen den einzelnen Anschauungen, einer jeden Beziehung auf denselben Gegenstand verleiht."92 Wie eine begriffliche Bedeutung können so auch die Bedeut~ngen ?er Eigennamen und okkasionellen Ausdrucke in eine ErkenntmsfunktlOn treten. Im Wechsel der Erscheinungen desselben Gegensta~de~ erke~ne ich diesen als identischen, und diese Erkenntnis drückt s1ch m memer Verwendung seines Eigennamens aus. "So hat das .nenn~nd~ Wort Erkenntnisbeziehung zu einer unbegrenzten Manmgfaltlgkeit von Anschauungen, deren einen und selben Gegenstand es erkennt und dadurch nennt."93 . Daraus dass ich mittels eines Eigennamens einen Gegenstand 1m Wechsel s~iner Erscheinungen identifiziere, folgt nun aber allein keineswegs die Allgemeinheit der Bedeutung der Eigennamen und so scheinbar auch nicht die Differenz von Bedeutung und benanntem Gegenstand denn die Erscheinungen fallen ja nicht unter die Bedeutung des Eigen'namens, so wie die Gegenstände unter die begriffliche Bedeutung des Gattungsnamens fallen. . . . Die Bedeutung aller sprachlichen Ausdrucke als allgememe 1m Smne der spezifischen Allgemeinheit aufzufassen, wirft die Frage ..nach ?en unter diese Allgemeinheit fallenden Besonderungen auf. Zunachst hegt es nahe mit Blick auf die Gattungsnamen, diese Besonderungen als unter die Bedeutung fallende Gegenstände aufzufassen. An den Eige~ namen und okkasionellen Ausdrucken wird jedoch erkennbar, dass d1e spezifische Allgemeinheit der Wortbedeutung zu unterscheid~~ is~ von der Allgemeinheit der Spezies von Gegenständen und gegenstandhchen Bestimmungen. 94 Die Bedeutung des Wortes 'rot' ist so nicht identisch mit der eigenschaftlichen Spezies Röte, die Bedeutung 'rot' vereinzelt sich nicht in den roten Gegenständen, wie die Spezies Röte sich in ihnen vereinzelt. Den Analysen der LU zufolge vereinzeln sich die Bedeutungen als spezifische Allgemeinheiten vielmehr in den Akten des Bedeutens, und das gilt für alle Wortbedeutungen, auch die eigennamentlichen und okkasionellen. 95 Die Bedeutung eines Namens ist so nichts anderes als der allgemeine Charakter des diesen Namen beseelenden und ihn damit allererst über seine Existenz als bloss physisches Lautgebilde hinaus zu einem bedeutsamen Ausdruck erhebenden Aktes, wobei dieser allgemeine Aktcharakter selbst erst wieder in einem neuen
Akt, der demgegenüber dann abermals seinen unthematischen Charakter hat, thematisch werden kann. Was trägt nun die Bestimmung des Bedeutungsbegriffs als eines Reflexionsbegriffs bei zur Lösung des Rätsels der Transzendenz, d.h. des Rätsels, wie erfahrendes Bewusstsein von etwas dem Bewusstsein nicht reell Zugehörigen zustandekommt? Dieses Rätsel besteht in der Rätselhaftigkeit einer in der natürlichen Welt der Dinge nicht vorkommenden Relationsart. Der Versuch, die Beziehung zwischen Bewusstsein und bewusstem Gegenstand in Analogie zu Beziehungsweisen, die zwischen den Dingen in der Welt bestehen, zu verstehen, führt immer erneut in das Dilemma, Bewusstsein und Gegenstand koinzidieren lassen zu müssen, d.h. den Gegenstand als realen Teil oder reales Moment des Bewusstseins von ihm zu begreifen, oder Bewusstsein und Gegenstand in eine rein äusserliche Beziehung auseinandertreten zu lassen, sei es in eine Beziehung räumlicher und zeitlicher Kontiguität, sei es in eine solche von Ursache und Wirkung. Ist uns der Gegenstand im ersten Fall zu nahe, so ist er im zweiten zu fern, um ein Bewusstsein von ihm haben zu können. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die sich mittels einer Bedeutung auf einen Gegenstand beziehenden bedeutungsgebenden, signifikativen Akte nicht die eigentlich gegenstandsgebenden Akte sind. In ihnen ist der Gegenstand nur leer gedacht, zur die Bedeutungsintention erfüllenden Gegebenheit kommt der Gegenstand erst in einer Anschauung, einem intuitiven Akt. Erkenntnis des Gegenstandes besteht, Husserl zufolge, dann im Bewusstsein dieser Erfüllung des signifikativen Aktes durch den intuitiven Akt. Wo sich die Bedeutungsintention in einer Anschauung erfüllt, wird das angeschaute Objekt zum erkannten Objekt. Der wichtige Fortschritt in bezug auf das Transzendenzproblem, der in dieser Unterscheidung zwischen bedeutungsgebendem, intuitivem und erkennendem Akt liegt, insofern sie nämlich impliziert, dass unsere erste Begegnung mit Gegenständen noch keine erkennende Beziehung ist, kann sich jedoch nicht voll auswirken, weil Husserl in seinen Analysen der intuitiven Akte bedeutungstheoretisch orientiert bleibt und die an den Akten des Bedeutens gewonnenen Unterscheidungen auf die intuitiven Akte überträgt. Dies zeigt sich deutlich daran, wie Husserl in den LUden Begriff des intentionalen Inhalts bestimmt. Im § 16 der V. LU unterscheidet er drei Begriffe von intentionalem Inhalt: "Wir werden vorerst drei Begriffe von intentionalem Inhalt unter-
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62 scheiden müssen: den intentionalen Gegenstand des Aktes, seine intentionale Materie (im Gegensatz zu seiner intentionalen Qualität), endlich sein intentionales Wesen."96 Der zweite Begriff ist dabei Teilinhalt des dritten Begriffs. Als das intentionale Wesen gilt Husserl nämlich die Einheit aus der intentionalen Materie und der intentionalen Qualität des Aktes. "Sofern uns nun ... Qualität und Materie als die durchaus wesentlichen und daher nie zu entbehrenden Bestandstücke eines Aktes gelten müssen, würde es passend sein, die Einheit beider, die nur einen Teil des vollen Aktes ausmacht, als das intentionale Wesen des Aktes zu bezeichnen."97 Die Materie ist dabei dasjenige, was einem Akt Beziehung auf einen Gegenstand verschafft und zwar so, dass dieser Gegenstand jew~ils in einem bestimmten Wie, d.h. unter einer bestimmten Beschreibung, gegeben ist. "Die Materie... ist die im phänomenologischen Inhalt liegende Eigenheit desselben, die es nicht nur bestimmt, dass der Akt d~e jeweilige Gegenständlichkeit auffasst, sondern auch als was er Sie auffasst, welche Merkmale, Beziehungen, kategorialen Formen er in sich selbst ihr zumisst."9 8 Die Qualität eines Aktes besteht dagegen in der Weise, in der sich der Akt auf den Gegenstand bezieht, in der Weise der gegenständlichen Beziehung. Der in einer jeweiligen Bestimmtheit gegebene Gegenstand ist notwendig in einer bestimmten Weise als so bestimmter gegeben, z.B. als vorgestellter oder gewünschter, als seiender oder bezweifelter usw. "... der Unterschied zwischen dem allgemeinen Charakter des Aktes, der ihn je nachdem als bloss vorstellenden, oder als urteilenden, fühlenden, begehrenden usw. kennzeichnet, und seinem 'Inhalt', der ihn als Vorstellung dieses Vorgestellten, als Urteil dieses Geurteilten usw. kennzeichnet."9 9 Der Begriff des intentionalen Wesens als der Einheit von Materie und Qualität bezeichnet eine allen Akten des Bewusstseins, sowohl den signifikativen wie den intuitiven Akten, notwendige Struktur. Den
Akten des Bedeutens eine terminologische Sonderstellung gebend, nennt Husserl ihr intentionales Wesen bedeutungsmässiges Wesen. "Soweit es sich nämlich um Akte handelt, die als bedeutungsverleihende Akte bei Ausdrücken fungieren oder fungieren könnten, ... soll spezieller von dem bedeutungsmässigen Wesen des Aktes gesprochen werden."l 00 Bemerkenswert ist nun, dass das bedeutungsmässige Wesen eines Aktes noch nicht mit seiner Bedeutung identisch sein soll. Diese geht aus dem bedeutungsmässigen Wesen vielmehr erst durch verallgemeinernde Abstraktion hervor. "Seine ideierende Abstraktion ergibt die Bedeutung in unserem idealen Sinn."l 0 1 Entgegen der durch den Begriff Wesen nahegelegten Deutung wäre so das intentionale Wesen die individuelle Aktstruktur, die Vereinzelung einer allgemeinen Bedeutung in einem singulären Akt. Der zweite und dritte Begriff von intentionalem Inhalt, der intentionale Inhalt als Materie und intentionales Wesen, sind so keine intentionalen Inhalte im Sinne eines gemeinten Gegenstandes. Sie gehören vielmehr zum reellen Inhalt des Aktes, und als intentionale Inhalte werden sie nur bezeichnet, weil sie die für die intentionale Gegenstandsvermeinung bestimmenden, diese konstituierenden Momente des Aktes sind. Zum reellen Inhalt eines singulären Aktes gehören eine bestimmte Materie und Qualität, so wie ein singulärer sinnlich erfahrbarer Gegenstand eine bestimmte Farbe und Gestalt besitzt. Notwendig muss in einer vollständigen Beschreibung eines Aktes eine Objektnennung oder -beschreibung und die Nennung einer Weise von gegenständlicher Beziehung vorkommen, so wie in einer vollständigen Beschreibung eines sinnlich erfahrbaren Gegenstandes notwendig eine bestimmte Farbe und eine bestimmte Gestalt genannt werden müssen. Genauso aber wie Farbe und Gestalt als abstrakte Momente eines individuellen Gegenstandes jederzeit als niederste allgemeine Differenzen von bestimmten Arten von Farben und Gestalten und zu höchst von Farbe und Gestalt überhaupt auffassbar sind - hierzu genügt allerdings nicht, Husserls Analysen der verschiedenen Abstraktionstheorien in der II. LU zufolge, ein blasses Absehen von den individuierenden Bestimmungen, vielmehr bedarf es einer eigenen Weise der Intention, um ein individuelles Merkmal als spezifisches Attribut gegeben haben zu können -, so gewinne ich Materie und Qualität eines singulären Aktes als niederste allgemeine
64 Differenzen letztlich der Begriffe von Materie und Qualität überhaupt durch Absehung vom individuell bestimmten Akt, dessen Materie und Qualität sie sind. Als abstrakte Momente eines individuellen Aktes können zwei individuell verschiedene Akte eine identische Materie und Qualität besitzen, so wie zwei individuell unterschiedene sinnlich erfahrbare Gegenstände eine identische Farbe besitzen können. Genausowenig wie Farbe und Gestalt sind so Materie und Qualität einen Gegenstand individuierende Bestimmungen. Von Materie und Qualität als dem intentionalen Wesen eines Aktes kann allerdings noch in einem anderen Sinn gesprochen werden. Demnach sind Materie und Qualität die einem Akt wesentlich zukommenden, ihn als Akt definierenden Bestimmungen, "die durchaus wesentlichen und daher nie zu entbehrenden Bestandstücke eines Aktes."1 02 Nun lässt sich allerdings dariiber spekulieren, ob Husserl mit der Unterscheidung zwischen bedeutungsmässigem Wesen und Bedeutung nicht mehr beabsichtigte, als nur den Unterschied zwischen dem abstrakten Moment eines individuell bestimmten Bedeutungsaktes und diesem abstrakten Moment unter Absehung von seiner Vereinzelung in einem solchen individuellen Akt terminologisch zu fixieren. Anlass zu solchen Mutmassungen gäbe z.B. der § 5 der VI LU in dem Husserl eine Unterscheidung zwischen der allgemeinen, an den Wortlaut gebundenen Bedeutung und der jeweils intendierten Bedeutung trifft, wobei die an den Wortlaut gebundene Bedeutung gewissermassen den jeweiligen Bedeutungsakten vorgegeben ist, und letztere sich entweder in dieser voll oder nur teilweise ausprägen können. Den Weg vom bedeutungsmässigen Wesen zur Bedeutung könnte man sich als den Weg einer noch über eine blosse Abstraktion hinausgehenden Idealisierung, die vom Bezug auf Akte überhaupt absieht, vorstellen, ein Weg, der zu den Bedeutungen im gewöhnlichen Sinn als fixe sprachliche Bedeutungen, als an Wortlaute gebundene Bedeutungen führt. Ein Problem hierbei wäre allerdings, dass auf diesem Weg irgendwie die Qualität ausgeschieden werden müsste, denn wenn Weisen der gegenständlichen Beziehung Inhalt sprachlicher Bedeutungen sind, dann doch nur als bedeutete Gegenstände. Wichtig für unseren Problemzusammenhang ist nun, dass der zweite und der dritte der von Husserl unterschiedenen Begriffe von intentionalem Inhalt ausschliesslich das Akterlebnis als reell-immanente Einheit betreffen. Es ist ein dem Erlebnis als reell-immanenter Zusammenhang eigentümlicher Charakter, sich auf einen Gegenstand in bestimmter Weise zu beziehen.
65 "Das sich auf den Gegenstand Beziehen ist eine zum eigenen Wesensbestande des AkterIebnisses gehörige Eigentümlichkeit, und die Erlebnisse, die sie zeigen, heissen (nach Definition) intentionale Erlebnisse oder Akte. Alle Unterschiede in der Weise der gegenständlichen Beziehung sind deskriptive Unterschiede der bezüglichen intentionalen Erlebnisse."1 0 3 Dass in einem Wahrnehmungserlebnis ein Gegenstand wahrgenommen wird, ist somit ein deskriptiver Charakter dieses Erlebnisses selbst. Was aber kann ein blosser Erlebnischarakter zur Aufklärung der Möglichkeit der Beziehung zwischen Akt und Gegenstand beitragen? Der intentionale Gegenstand muss doch dem Erlebnis völlig äusserlich bleiben, wenn das Erlebnis den Charakter der Intentionalität besitzt so wie ein Ding eine bestimmte Farbe. Um nicht in den Widersinn einer Abbild- oder Repräsentationstheorie der Wirklichkeitserfahrung zu geraten, identifiziert Husserl den intentionalen Gegenstand der Wahrnehmung mit dem wirklichen und transzendenten Gegenstand: " ... jedermann muss anerkennen: dass der intentionale Gegenstand der Vorstellung derselbe ist wie ihr wirklicher und gegebenenfalls ihr äusserer Gegenstand, und dass es widersinnig ist, zwischen beiden zu unterscheiden. Der transzendente Gegenstand wäre gar nicht Gegenstand dieser Vorstellung, wenn er nicht ihr intentionaler Gegenstand wäre."! 04 (Hervorhebungen von mir.) Aber wenn Husserl auch Recht zu geben ist in seiner Kritik der Abbildund Repräsentationstheorien der Wahrnehmung und wenn anzuerkennen bleibt, dass gerade der Begriff der Intentionalität ein nicht vom Widersinn der abgelehnten Theorien behaftetes Verständnis des Wahrnehmungsgeschehens möglich machen sollte, so führen die Bestimmungen dieses Begriffes und der in ihm enthaltenen Momente in den LU dazu, dass Husserl in gewissem Sinn noch hinter die sich in Abbildund Repräsentationstheorie einen allerdings falschen Ausdruck suchenden Einsichten zuriickfällt, dass es einer Art von Vermittlung Von Bewusstsein und Gegenstand bedarf, die einerseits die Koinzidenz von Bewusstsein und Gegenstand verhindert, ohne andrerseits ihr innerliches Aufeinanderbezogensein aufzuheben. Die Bedeutung als Aktwesen bestimmt, d.h. als Reflexionsbegriff aufgefasst, kann solcherart Vermittlung 1 05 nicht leisten, da sie ganz auf
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die eine Seite des zu vermittelnden Gegensatzes gehört, ohne an der anderen Seite irgendeinen Anteil zu haben. Gleiches muss auch für die bedeutungserfüllenden Akte der Wahrnehmung gelten, sofern sie dieselbe Struktur wie die bedeutungsgebenden haben. Die bedeutungstheoretische Bestimmung des Begriffes der Intentionalität ist einer Bestimmung der Wahrnehmung als objektivierender Auffassung von sinnlichen Daten angemessen. Hier wie dort ist noch ein vorphänomenologischer Bewusstseinsbegriff wirksam, dem ein reellimmanenter Bewusstseinszusammenhang als individueller und in seinen allgemeinen Strukturen als das einzig eigentlich Gegebene gilt, von dem aus dann erst der Überschritt zu einem Transzendenten in seiner Möglichkeit und Berechtigung aufzuklären ist.
8. WAHRNEHMUNG UND NOEMA
Husserl selbst versucht, die einseitig noetische Ausrichtung seiner Strukturanalysen in den LU zu überwinden, indem er in den Ideen an die Stelle der Begriffe von Materie, Qualität und intentionalem Wesen den Begriff des Noemas und seiner Strukturen treten lässt. Der Begriff des Noemas ist zwar auch ein Reflexionsbegriff, aber nicht mehr einer Reflexion, die als innere Wahrnehmung der reellen Erlebnisbestandteile und -momente aufgefasst werden könnte. Solche Wahrnehmung von reell-immanenten Erlebnismomenten ist vielmehr nur nachkommende Thematisierung einer Komponente des Gegenstandes der ursprünglichen und eigentlichen Reflexion, deren Gegenstand, den Bewusstseinsakten, neben ihrem reellen Inhalt notwendig noch eine andere Art von Inhalt, d.i. ein intentionaler oder noematischer Inhalt zukommt. Ist der Noemabegriff aber überhaupt ein Reflexionsbegriff, dann impliziert dies, dass das Noema nicht der thematische Gegenstand des reflektierten Aktes ist. Im Wahrnehmen bin ich jetzt z.B. auf den Baum dort im Garten gerichtet, ich sehe ihn dort mit seinen Blüten und Blättern stehen, das Noema dieses Wahrnehmungsaktes wird mir jedoch erst in einer reflektiven Umwendung auf mein Wahrnehmungserlebnis zugänglich, in einer noematischen Reflexion, wenn ich am gegenständlichen Korrelat und nicht am reell-immanenten Erlebniszusammenhang, insbesondere nicht an den Noesen interessiert bin. Was ist das nun für eine merkwürdige Entität, für ein merkwürdiger Erlebnisinhalt, das Noema?
An dem vollen Noema lässt sich, Husserl folgend, zunächst eine grundwesentliche Unterscheidung zwischen dem noematischen Sinn oder Kern und den noematischen Charakteren treffen, womit wir in terminologischer Verwandlung den Begriffen des intentionalen Wesens, der Materie und der Qualität eines Aktes wiederbegegnen. " ... dass allzeit und notwendig ein noematischer Kern, ein 'Gegenstandsnoema' , bewusst ist, das irgend wie charakterisiert sein muss, und zwar nach diesen oder jenen (sich ihrerseits ausschliessenden) Differenzen ausjeder Gattung." 106 Der noematische Sinn ist demnach der objektive Gehalt des Noemas: "ein mit lauter objektiven Ausdrücken zu Beschreibendes."107 Er ist dasjenige am Noema, das dem Akt Beziehung auf einen Gegenstand als so und so bestimmten gibt. Die noematischen Charaktere gehen zurück auf die unterschiedlichen Anschauungs- und Vorstellungsarten einerseits und die unterschiedlichen Glaubensarten andrerseits, was aber nicht besagt, dass die noematischen Charaktere Reflexionsprädikate sozusagen zweiter Potenz wären, sie sind vielmehr "vorfindlieh in der Blickrichtung auf das noema tische Korrelat und nicht in deIjenigen auf das Erlebnis und seinen reellen Bestand."108 Und zwar sind sie vorfindlieh am noematisehen Korrelat als eine bestimmte Gegebenheitsweise, der noematische Sinn ist z.B. gegeben als vergegenwärtigt, und als ein bestimmter Seinscharakter, der noematische Sinn steht z.B. da als gewiss seiend. Der Begriff des noematischen Sinnes soll nun leisten, was mit dem Begriff der Bedeutung in den LU nicht gelang, nämlich die Möglichkeit der gegenständlichen Beziehung eines Bewusstseinsakts aufzuklären. "Das phänomenologische Problem der Beziehung des Bewusstseins auf eine Gegenständlichkeit hat vor allem seine noema tische Seite. Das Noema in sich selbst hat gegenständliche Beziehung, und zwar durch den ihm eigenen 'Sinn'."109 Der Versuch einer noema tischen Bestimmung der Beziehung des Bewusstseins auf einen Gegenstand muss einer Zweifachen Beziehung Rechnung tragen, einerseits der von Noesis oder reell-immanentem Erlebnisgehalt und Noema und andrerseits der von Noema und Gegenstand. Der noematische Sinn ist zunächst ebenso eine Identitätsstruktur, wie es die Materie in den LU war: Der identische objektive Gehalt kann in einer Mannigfaltigkeit von noema tischen Charakteren auftreten. "Dasselbe 'S ist P', als noematischer Kern, kann 'Inhalt' einer Gewiss-
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68 heit, eines sich als möglich Anmutens oder eines Vermutens usw. sein."110 Das volle Noema ist jeweils verschieden, sofern es aus noematischem Sinn und noematischem Charakter besteht, der noematische Sinn aber wäre eine identische Einheit in den mannigfaltigen vollen Noemata. Dem entspräche etwa folgendes Schema:
noematischer Sinna
noemat. Charakterr
volles Noemara
noemat. Charakters
volles Noema sa
noemat. Charaktert
volles Noemata
Wie tritt nun diese ausschliesslich noematische Struktur zu den noetischen Aktvollzügen in Beziehung? Sowohl den Gegebenheitsweisen, den noema tischen Charakteren, wie dem noematischen Sinn, dem objektiven Gehalt im Noema, korrelieren subjektive, d.i. reell-immanente Vollzüge und Momente. In bezug auf die noematischen Charaktere sind dies doxische Stellungnahmen und Weisen gegenständlichen Gerichtetseins. In bezug auf den noematischen Sinn sind es Apperzeptionen von hyietischen Daten. Husserl betont wiederholt den Parallelismus zwischen Noesis und Noema. "Denn jedem noetischen Moment, speziell jedem thetisch noetischen, entspricht ein Moment im Noema." 111 Das legt es nahe, das obige Schema vorerst in der folgenden Weise zu ergänzen:
Apperz· a' 1 Stnahme r '
Akt a, 1r'
~
volles Noemara
nC r
Apperz· a' 2 Stnahme s'
Akta , 2 s'
~
volles Noema sa
nC s
Apperz· a' 3 Stnahmet'
Akt a '3 t' ~
volles Noemata
nCt
noemat. Sinna
Wir hätten individuell verschiedene Erlebnisse, die sich auf einen identischen Gegenstand in identischen Bestimmungen aber in verschiedener Weise, d.h. in jeweils anderen Stellungnahmen und Erlebnismodis, beziehen. Die Apperzeptionen sind dabei jedoch nur inhaltlich gleich. Sie können keine Identitätsstruktur wie der ihnen korrelierende noema tische Sinn sein, da sie zu den reellen Bestandteilen des Erlebnisses gehören und durch diese individuiert werden. Das Schema kompliziert sich nun dadurch, dass ich mich, Husserl zufolge, in verschiedenen Erlebnissen auf denselben Gegenstand in identischen Bestimmungen beziehen kann, obwohl die hyletischen Daten, deren Apperzeption der noematische Sinn korreliert unterschieden sind. Der Parallelismus besteht also nicht zwischen de~ Akten als Ganzes, d.h. mit den hyletischen Inhalten, und dem vollen Noema, so dass wir oben im Schema die Bezeichnung 'Akt' in die Bezeichnung 'noetische Aktkomponente' umwandeln müssen. Wenn wir von diesem Schema ausgehen, stellt sich unmittelbar die Frage, was in ihm eigentlich die Identität des noematischen Sinnes verbürgt? Wieso trifft auf den noematischen Sinn nicht zu, was auf die parallelen Apperzeptionen zutrifft, d.h. individuell verschieden, aber inhaltlich gleich zu sein? Inwiefern können überhaupt unterschiedene volle Noemata ein identisches Moment, nämlich einen identischen noematischen Sinn haben? Es ist ohne weiteres einsichtig, dass es gerade diese Identität ist, die das Noema bzw. seinen Sinn kein reelles Moment des Erlebnisses sein lässt, aber damit ist sie noch nicht begründet. Wenden wir uns jetzt, unter anderem um eine Antwort auf diese Frage zu finden, der Beziehung von Noema und Gegenstand zu, die eine Beziehung des Noemas auf den Gegenstand ist. "Jedes Noema hat einen 'Inhalt', nämlich seinen 'Sinn', und bezieht sich durch ihn auf 'seinen' Gegenstand."112 In welcher Weise hat der noematische Sinn selbst gegenständliche Beziehung? Im Noema bzw. noematischen Sinn selbst gilt es, nach Husserl, eine Unterscheidung zwischen Inhalt und Gegenstand zu treffen, wonach es ein innerstes Moment im Kern des Noemas, "der notwendige Zentralpunkt des Kerns"113 ist, der die gegenständliche Referenz leistet. Der noematische Sinn eines Aktes ist nichts anderes als ein im Wie bestimmter Bestimmtheiten aufgefasster Gegenstand, so dass die formale Struktur des Sinnes sich ausdrücken lässt als 'etwas als etwas Bestimmtes'. Der 'noematische Gegenstand schlechthin' ist demnach ein pures Etwas, ein völlig unbestimmtes Dies, "das pure X in Abstraktion von allen Prädikaten." 114
70 Unser obiges Schema würde sich damit weiter komplizieren: Wir haben individuell verschiedene Erlebnisse, die sich auf einen identischen Gegenstand in identischen oder verschiedenen Bestimmmungen in identischen oder verschiedenen Weisen beziehen, wobei korrelativ die Apperzeptionen inhaltlich gleich oder verschieden sind, und die Empfindungsinhalte bei gleichen Bestimmungsapperzeptionen gleich oder verschieden sein können, ebenso wie sie auch bei verschiedenen apperzipierten Bestimmungen gleich oder verschieden sein können. l1 5 Indem Husserl die formale Struktur des noema tischen Sinnes als etwas als etwas Bestimmtes und damit als Urteilsstruktur bestimmt, muss sich nun abermals das Problem der Vorgegebenheit des Urteilsgegenstandes stellen: Wie differenziert und individuiert sich eine Vielheit von X als eine Mannigfaltigkeit individueller Gegenstände? Muss Husserls Bestimmung der Struktur des noema tischen Sinnes nicht zu der absurden Konsequenz fUhren, dass entweder alle noematischen Sinne, damit alle Noemata und damit alle Bewusstseinsakte sich auf denselben allgemeinen Gegenstand beziehen, d.i. auf etwas überhaupt, und diesem Gegenstand nur jeweils andere Bestimmungen zusprechen oder dass es soviele Gegenstände wie Bestimmungen gibt, dass jeder Gegenstand nur eine einzige Bestimmung hat, Gegenstand und Bestimmung also eins sind. Wie es scheint, muss die Individuation vorausgesetzt werden, da nicht vorstellbar ist, wie anders der noema tische Sinn sich auf einen individuellen Gegenstand soll beziehen können als dadurch, dass der 'noematische Gegenstand schlechthin', das pure Etwas im Kern, auf einen 'wirklichen' Gegenstand, z.B. durch eine Zeigegeste oder Verwendung eines Demonstrativpronomens, bezogen wird. Erst von solcher Vorgegebenheit her wäre die Identität des noematischen Sinnes im Wechsel von individuell verschiedenen, wenn auch, was die noetischen Momente betrifft, inhaltlich gleichen Akten zu begründen. Ohne solche Vorgegebenheit ist nicht einzusehen, wieso die Akte nicht das pure Etwas im noema tischen Sinn individuieren, so dass wir in den Akten mit gleicher Apperzeption auch inhaltlich gleich bestimmte, aber individuell verschiedene Gegenstände gegeben hätten, so wie es z.B. in Akten der Halluzination der Fall ist. Soll demgegenüber der noematische Sinn in Akten mit gleicher Apperzeption sich auf denselben Gegenstand beziehen, dann müsste dieser Gegenstand irgendwie unabhängig vom jeweiligen noematischen Sinn und seiner Struktur gegeben sein. Da wir in phänomenologischer Einstellung keinen subjektfreien Zugriff auf Gegenstände supponieren dürfen, der Begriff des noematischen Sinnes
71 jedoch eine universale Aktstruktur, also eine Struktur, die jedem Akt qua Akt notwendig zukommt, bezeichnen soll, sehen wir uns einem endlosen Regress der noematischen Sinne ausgesetzt, so wie wir uns bei einer Bestimmung der Wahrnehmung als Urteil auf einen endlosen Regress der Urteile verwiesen sehen. l1 6 Über diese unbefriedigende, nach wie vor einer intellektualistischen Interpretation des Wahrnehmungsgeschehens verpflichteten Position scheint Husserl jedoch hinauszustreben, wenn er feststellt, dass wir in der Abwendung von dem geradehin Thematischen in einer Wahrnehmung und der Zurückwendung auf den intentionalen Akt des Wahrnehmens selbst weder allein auf einen bloss reell-immanenten Erlebniszusammenhang noch bloss auf einen solchen Zusammenhang und bestimmte Bedeutungsbestimmungen, Gedanken, Urteile als Korrelate von dem reell-immanenten Zusammenhang zugehörigen Auffassungen stossen, sondern dass der ursprünglich thematische Wahrnehmungsgegenstand in einer gewissen Weise in seiner sinnlichen Präsenz dem Wahrnehmungserlebnis immanent, und zwar noematisch immanent ist, was nichts anderes besagt, als dass das Erscheinen des Gegenstandes in seinen sinnlichen Qualitäten zum Aktinhalt, zu dem, was Gegenstand der Reflexion im erweiterten Sinne wird, gehört. "Auch das phänomenologisch reduzierte Wahrnehmungserlebnis ist Wahrnehmung von 'diesem blühenden Apfelbaum, in diesem Garten usw.', und ebenso das reduzierte Wohlgefallen an diesem selben. Der Baum hat von allen den Momenten, Qualitäten, Charakteren, mit welchen er in dieser Wahrnehmung erscheinender, 'in' diesem Gefallen 'schöner', 'reizender' u.dgl. war, nicht die leiseste Nuance eingebüsst."117 Aber wie verträgt sich Gegenständlichkeit, und zwar raum-zeitlich bestimmte, weltliche Gegenständlichkeit mit Zugehörigkeit zum Aktinhalt? Gehört der Gegenstand, so wie er in der Welt vorkommt, zum Aktinhalt, oder ist seine Gegenständlichkeit irgend wie trügerisch, erweist sich die Vermeinung, einen raum-zeitlich transzendenten Gegenstand zu erfahren, in der überlegenen Erkenntnis der phänomenologischen Erfahrung als prinzipiell irrtümlich -- in Wirklichkeit ist der Gegenstand nur, wenn auch nicht reeller, so doch noematischer Aktinhalt? Wird Welt- und Gegenstandserfahrung streng in phänomenologischer Einstellung betrachtet und bestimmt, dann kann die Bewusstseins-
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relativität der erfahrenen Gegenstände nicht unverträglich sein mit ihrer raum-zeitlichen Transzendenz. Gerade die Einführung des noematischen Aktinhaltsbegriffs soll verständlich machen, was ein allein reeller Aktinhaltsbegriff nicht verständlich machen konnte: dass Bewusstseinsrelativität und Transzendenz sich nicht ausschliessen, dass sie vielmehr unauflöslich zusammengehören. Im Widerspruch hierzu scheint allerdings Husserls Bestimmung des Verhältnisses von noematischem Sinn und Gegenstand zunächst nur die Wahl zu lassen zwischen einer Interpretation, wonach Husserl in die vermeintlich naivste aller Wahrnehmungstheorien, die Abbildtheorie, zurückfallen würde und einer anderen Interpretation, der zufolge er auf der Position der LU beharren würde. An einer berühmt gewordenen Stelle in den Ideen I bestimmt er das Verhältnis von noematischem Sinn und wirklichem Gegenstand wie folgt: "Der Baum schlechthin, das Ding in der Natur, ist nichts weniger als dieses Baumwahrgenommene als solches, das als Wahrnehmungssinn zur Wahrnehmung und unabtrennbar gehört. Der Baum schlechthin kann abbrennen, sich in seine chemischen Elemente auflösen usw. Der Sinn aber - Sinn dieser Wahrnehmung, ein notwendig zu ihrem Wesen Gehöriges - kann nicht abbrennen, er hat keine chemischen Elemente, keine Kräfte, keine realen Eigenschaften." 118 Muss dies nicht entweder als die Substitution eines Bewusstseinsbildes für den wirklichen Gegenstand, den Gegenstand da draussen, oder als die Bestimmung des Wahrnehmungssinns als die ideale Bedeutung verstanden werden? Doch möglicherweise erweist sich das als eine vorschnelle Beurteilung, wenn man sich den Gesamtzusammenhang der Überlegungen, in den diese Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungsnoema und wirklichem Gegenstand gehört, vergegen wärtigt. Husserls Absicht ist es, zunächst die noetisch-noematischen Strukturen des Bewusstseins unabhängig von allen erkenntnistheoretischen Fragen zu bestimmen, das heisst, die Frage nach den Akten, die wahrhaft gegenstandsgebend sind, und das Problem ihrer Unterscheidung von den Akten der Halluzination, der biossen Phantasie, des Traumes usw., deren Gegenstände eben halluzinierte, phantasierte oder geträumte sind, ist eine zweite Frage, der voraus die Exposition der allen Akten gemeinsamen Strukturen liegt.
"Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heisst Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenschaft des Bewusstseins aus alle phänomenologischen Probleme, selbst die hyletischen o~dnen sich ihm ein. Somit beginnt die Phänomenologie mit Problemen der Intentionalität; aber zunächst in Allgemeinheit und ohne die Fragen des Wirklich- (Wahrhaft-) seins des im Bewusstsein Bewussten in ihren Kreis zu ziehen." 11 9 Wenn ich jetzt aus dem Fenster schauend im Garten dort einen Baum sehe dann gehört es wesentlich zu diesem Erlebnis, dass mir etwas in bestimmter Weise sinnlich Qualifiziertes vor Augen steht, eine bestimmte Position in meinem Gesichtsfeld einnimmt usw., das heisst, in einer vollständigen Beschreibung dieses Erlebnisses muss als Komponente eine 'Objekt' beschreibung vorkommen, wobei die Anführungszeichen dabei zu erkennen geben sollen, dass die Beschreibung keinen anderen Existenzanspruch impliziert als den, dass das Beschriebene mir vor Augen steht, in meinem Gesichtsfeld vorkommt. Von einer anderen Art der Existenz, d.i. einer realen, ist in der Erlebnisbeschreibung nur die Rede, soweit zu dem Erlebnis bestimmte Stellungnahmen, ein bestimmter Akt des belief gehört. In einer allgemeinen Strukturanalyse des Bewusstseins vor jeder spezifischen Rechtfertigungsfrage lässt sich die Beschreibung des Aktes in noetischer wie noematischer Hinsicht zunächst völlig unabhängig von einer möglichen Beschreibung irgend'.velcher real-existierender Gegenstände überhaupt durchführen. Zur Verdeutlichung können wir hier nochmals unser Beispiel des Wüstenwanderers heranziehen, in dessen Gesichtsfeld sich deutlich Palmen abzeichnen. Indem wir methodisch davon absehen zu fragen, ob es dort real existierende Palmen gibt und wie sich unser Glaube darin bestätigen liesse, sondern rein diese Erfahrung und ihre Inhalte beschreiben, ist es für diese Beschreibung völlig irrelevant, ob es dort real existierende Palmen gibt und was mit ihnen eventuell geschieht. Sie brennen z.B. ab, und die Erfahrung bleibt inhaltlich völlig identisch und ungeändert. Ihre Gegebenheiten können nicht abbrennen wie ein reales Ding abbrennt, da wir sie alle wie halluzinierte weisse Mäuse behandeln. In meinem Gesichtsfeld kann ich Palmen oder weisse Mäuse haben, und ich kann dieses Faktum beschreiben, ohne dafür interessiert zu sein, ob in einer realen Wirklichkeit Palmen vom Wind bewegt werden, abbrennen oder ich vor nicht all zu langer Zeit nichts oder zu viel getrunken habe. Gleichwohl, eine
74 Realität muss ich dem Gegebenen zuschreiben, eben die, die es besitzt, sofern es eine bestimmte Stelle in meinem Gesichtsfeld ausfüllt. Solche strukturelle Gleichstellung des wahrgenommenen Gegenstandes mit einem als real existierend vermeinten halluzinierten Gegenstand wirft nun allerdings das Problem der Identität des Gegenstandes im Wechsel der auf ihn bezogenen Akte auf: Kann ich sinnvoll sagen, dass ich in zwei individuell verschiedenen Halluzinationen dieselben Gegenstände halluziniere, oder ist dieser Identitätsgedanke nicht vielmehr nur eine Illusion des Halluzinierenden? Nur, solange wir uns auf eine allgemeine noetisch-noematische Strukturbeschreibung des intentionalen Bewusstseins beschränken, d.h. von allen Geltungsfragen und deren möglicher Entscheidung absehen, gelten uns eben auch die Identitätsvermeinungen des wahrnehmenden und halluzinierenden Subjekts gleichviel. Durch die Vorwegnahme einer solch allgemeinen Strukturbeschreibung muss sich das Transzendenz- und Wirklichkeitsproblem als ein spezifisches Rechtfertigungsproblems in einer ganz bestimmten Form stellen. Die Frage ist, zugespitzt formuliert, wie wir von einer halluzinierten zu einer wahrhaften, wirklichen Welt kommen, von privaten, letztlich aktprivaten Gegenständen zu, gegenüber einer Mannigfaltigkeit Akte , identischen , seien zunächst meiner, dann auch anderer Sub;ekte J es dingliche oder nicht-dingliche Gegenstände, gelangen. "Wann ist, kann überall gefragt werden, die noematisch 'vermeinte' Identität des X 'wirkliche Identität' statt 'bloss' vermeinter, und was besagt überall dieses 'bloss vermeint'?"120 In einer bestimmten Hinsicht sind wir selbstverständlich immer schon bei einer solchen Welt und solchen Gegenständen, eben als in unseren Akten vermeinten, unseren Akten gesetzten, gefürchteten, bewerteten usw. Die Frage ist somit nicht die, ob einem bewusstseinsimmanenten Bild eine bewusstseinstranszendente Wirklichkeit entspricht oder das immanent Gegebene solche jenseitige Wirklichkeit auf symbolische Weise repräsentiert, sondern ausschliesslich die, was diese Setzungen, diesen Weltglauben als gültig ausweist, was den Transzendenz- und Wirklichkeitsanspruch hinsichtlich des Gegebenen begründet. Da wir in phänomenologischer Einstellung zur Beantwortung dieser Frage uns auf nichts anderes als eben unsere Akte und ihre Inhalte stützen können, kann der Wirklichkeitsanspruch eines Aktes hinsichtlich des in ihm Gegebenen nur durch einen anderen Akt und seinen Inhalt Rechtfertigung erfahren, es bleibt mithin nur der Zusammenhang des Aktlebens als dasjenige, aus dem der Realitätsanspruch seine Kraft erhalten kann.
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Husserl greift in seiner Bestimmung des Begriffes der vernünftigen Ausweisung zunächst auf den bereits in den LU eingeführten Unterschied zwischen Akten biossen Bedeutens und intuitiven Akten zurück. In den Ideen unterscheidet er erfüllten von nicht-erfülltem Sinn bzw. Satz: Das Gemeinte kommt einmal zu originärer Gegebenheit, das anderemal ist es bloss unanschaulich Vorgestelltes bzw. Gedachtes. Die Wahrnehmung als originäre Anschauung eines raum-zeitlich bestimmten Gegenstandes unterscheidet sich so von dem biossen Gedanken dieses Gegenstandes durch das leibhaftige Gegenwärtigsein desselben, ihr Sinn ist dadurch ein erfüllter. "In der Einstellung auf das Noema finden wir den Charakter der Leibhaftigkeit (als originäre Erfülltheit) mit dem puren Sinne verschmolzen, und der Sinn mit diesem Charakter fungiert nun als Unterlage des noematischen Setzungscharakters, oder was hier dasselbe sagt: des Seinscharakters."1 21 Jede Setzung nun, jeder Akt des belief, der auf Grund eines, was äussere Wahrnehmung betrifft allerdings immer nur mehr oder weniger erfüllten Sinnes, eines leib haften Gegenwärtigseins seines Gegenstandes vollzogen wird, ist, Husserl zu fo1ge, vernünftig, da die Setzung in diesem Fall vernünftig motivierte ist. Nun könnte man im Anschluss an das bisher Ausgeführte einwenden, dass mir auch in einem realistischen Traum Gegenstände durchaus leib haft gegenwärtig sein können, und meine diesbezüglichen Akte des belief somit vernünftig motiviert wären, vernünftige Motivation in diesem Sinne also noch nichts über die Geltung der Setzungen aussagen würde. Aber vernünftige Motivation in ihrer Funktion als Rechtfertigung und Geltungsausweisung ist nicht so sehr in einem einzelnen Akt selbst zwischen dessen Gegebenheitsweise und dessen doxischer Setzung wirksam als vielmehr in den Bewusstseinszusammenhängen einer Vielzahl von Akten. Allerdings gewährt jeder solche Bewusstseinszusammenhang vernünftiger Motivation in bezug auf eine doxische Setzung eines äusseren Gegenstandes immer nur ein relatives Recht, andere Bewusstseinszusammenhänge bleiben immer denkbar, die eine der ursprünglichen Setzung widersprechende Setzung vernünftiger erscheinen lassen. Es soll nun jedoch, wie Husserl behauptet, einen Fall geben, in dem der Vernunftcharakter einer Setzung die absolute Geltung der Setzung impliziert, und zwar dann, wenn der gesetzte Gegenstand in dem betreffenden Akt vollständig, mit allen Bestimmungen gegeben ist,
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76 wenn der Setzung der vollständig bestimmte Gegenstand in originärer leibhafter Gegebenheit zu Grunde liegt. "Dieser Vernunftthesis wäre der Gegenstand nicht unvollständig, nicht bloss 'einseitig' gegeben. Der ihr als Materie unterliegende Sinn würde für das bestimmbare X nach keiner auffassungsmässig vorgezeichneten Seite irgendetwas 'offen' lassen: keine Bestimmbarkeit, die noch nicht feste Bestimmtheit, kein Sinn, der nicht vollbestimmter, abgeschlossener wäre."12 2 Offensichtlich ist hier aber nicht mehr von der Seinsthesis, sondern nur noch von der Prädikatsthesis die Rede. Ist jedoch dadurch, dass ein Gegenstand in allen seinen Bestimmungen in einem singulären Akt originär, leib haft gegenwärtig ist, 'vor Augen steht', auch bereits der doxische Anspruch dieses Aktes, dass sein Gegenstand ein wirklich existierender Gegenstand ist, ausgewiesen? Endgültig ausgewiesen bzw. falsifiziert wäre doch durch eine solch umfassende Gegebenheit des Gegenstandes allein jede nur mögliche Prädikatssetzung hinsichtlich dieses Gegenstandes. In jedem Wahrnehmungsakt treten scheinbar zwei miteinander verflochtene Arten von Ansprüchen auf: zum einen das, was wir mit Husserl Akt des belief, Setzung nannten, und der Bestimmungsanspruch, in dem wir für die Bestimmungen, die wir dem Gegenstand zuschreiben, objektive Realität beanspruchen. Entsprechend gibt es zwei Arten von Wahrnehmungstäuschung: die Halluzination, die totale sinnliche Täuschung - der Gegenstand existiert überhaupt nicht oder: der Gegenstand existiert zwar, aber er hat andere Bestimmungen als die ihm im Akt zugesprochenen. Das Problem der Existenzwahrheit ist dem Problem der Bestimmungswahrheit logisch vorgeordnet, prädikative Täuschung impliziert In-Geltung-Bleiben des Existenzanspruchs, da sich hinsichtlich eines halluzinierten Gegenstandes nur in uneigentlichem Sinn von prädikativer Täuschung reden lässt. Bin ich mir der realen Existenz eines vor Augen stehenden Gegenstandes nicht gewiss, bleibt mir, wenn ich den Rekurs auf Wahrnehmungen anderer Subjekte ausschliesse, um mich dieser realen Existenz zu vergewissern, nichts anderes übrig, als das mir vor Augen Stehende einer Vielzahl von Tests zu unterwerfen, um es herumzugehen, mich ihm zu nähern, es anzufassen, aufzuheben, zu beklopfen usw., welche Tests jeweils die verschiedenartigsten Eigenschaften und Charaktere des Gegenstandes zu erkennen geben. Gleichwohl, es geht nicht allein darum festzustellen,
dass das Gegebene bestimmte Eigenschaften, Momente und Charaktere wirklich besitzt, dessen wäre ich ja gewiss, wenn der Gegenstand in einem Akt mit allen seinen Bestimmungen, Momenten und Charakteren gegeben wäre, und dennoch würde eben daraus nicht seine reale Existenz folgen, sondern der Bestimmung raum-zeitlicher Transzendenz gemäss müssen sich zumindest einige Bestimmungen für einige Zeit im Erkundungsprozess durchhalten, müssen eine gewisse Widerständigkeit gegenüber den verschiedenartigen Erfahrungstests zeigen. Ich muss auf sie in wiederholenden Wahrnehmungen zurückkommen können. Sie müssen als identische, möglicherweise sich auch verändernde, aber nie unaufhörlich und in allen Richtungen sich verändernde in den Erfahrungsprozessen gegeben sein. Dass es solche Bestimmungen für uns geben kann, setzt aber voraus, dass die Gegebenheiten der Erfahrungen bestimmten formalen und inhaltlichen Regeln gemäss miteinander harmonieren und einen Zusammenhang bilden. Die Rechtfertigung des Existenzanspruchs ist also eng verbunden mit der Möglichkeit, einem Gegenstand Bestimmungen zusprechen zu können, was wiederum Kontinuität, Harmonie, geregelten Zusammenhang zwischen den Erfahrungsgegebenheiten voraussetzt. Wo für die Begriffe von Ähnlichkeit, Gleichheit, Identität, Fundierung usw. keinerlei Anwendungsmöglichkeit bestünde, kämen wir weder dazu, einem Gegenstand Bestimmungen zuzusprechen, noch einen solchen Gegenstand als Substrat von Bestimmungen als seiend zu setzen. Die bisher weitgehend in erkenntnistheoretischer Terminologie durchgeführte Analyse konstitutionstheoretisch ausgedrückt, heisst dies, dass allein, wenn dasjenige, was die Fülle des noema tischen Sinnes ausmacht, nach bestimmten formalen und inhaltlichen Regeln einen Zusammenhang miteinander bildet, es zur Apperzeption von gegenständlichen Bestimmungen und nur so auch zur Erfahrung einer gegenständlich bestimmten Realität kommen kann. Diesem Sachverhalt trägt Husserl mit seinem Gedanken einer möglichen Weltvernichtung Rechnung: Wenn sich die Welt und ihre Gegenstände in unseren Erfahrungsakten konstituieren, dann muss es eine Denkmöglichkeit sein, dass die Erfahrungsakte dadurch aufhören Erfahrungsakte zu sein, d.h. ihre konstitutive Leistungsfähigkeit einbüssen, dass ihre Inhalte sich in keinen Zusammenhang mehr schicken, der eine Apperzeption gegenständlicher Bestimmungen noch möglich machen würde. " ... es ist denkbar, dass es im Erfahren von unausgleichbaren und
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79 nicht nur für uns, sondern an sich unausgleichbaren Widerstreiten wimmelt, dass die Erfahrung mit einem Male sich gegen die Zumutung, ihre Dingsetzungen einstimmig durchzuhalten, widerspenstig zeigt, dass ihr Zusammenhang die festen Regelordnungen der Abschattungen, Auffassungen, Erscheinungen einbüsst - dass es keine Welt mehr gibt."123
Unseren Ausführungen zufolge wäre die Bedingung der Möglichkeit des Ins-Spiel-Kommens der noematischen Struktur des etwas als etwas Bestimmtes in bezug auf die Wahrnehmungsgegebenheiten das harmonische Auftreten und die geregelte Abfolge bestimmter anschaulicher Inhalte. Zunächst kann man sich am Beispiel einer Halluzination versuchen klarzumachen, was diese Inhalte sind: das, was sich da anschaulich ins Bild setzt. Nun ist aber deutlich, dass das, was sich da anschaulich ins Bild setzt, schon die noematische Struktur von etwas als etwas Bestimmtes besitzt, nur, dass ich eben dieses etwas als etwas Bestimmtes halluziniere. Der Gedanke der Weltvernichtung ist so auch nicht der widersinnige Gedanke, dass meine Erfahrungen sein könnten, wie sie sind, und dennoch die Welt nicht zu existieren brauchte,! 24 dass der Gesamtzusammenhang meiner Erfahrung ein solcher der Halluzination oder des Traumes sein könnte, sondern vielmehr der Gedanke, dass die noematische Struktur des etwas als etwas Bestimmtes überhaupt keinen Anhalt mehr findet an den Erfahrungsinhalten, sich auf Grund der Beschaffenheit dieser Inhalte gar nicht mehr etablieren könnte. Damit muss Husserl aber auf einen hyletischen Begriff des Inhalts zurückfallen, denn was sozusagen übrigbleibt, nachdem das Gegebene aller phänomenalen Bestimmtheit verlustig gegangen ist, kann eben nur noch die präphänomenale Mannigfaltigkeit der hyletischen Daten sein. Nur wenn die hyletischen Mannigfaltigkeiten so und so ablaufen, sich so und so wandeln, erscheint ein Gegenstand in dauernden oder wechselnden Bestimmungen. " ... dass der Gegenstand Baum in einer Wahrnehmung überhaupt als objektiv so bestimmter, wie er in ihr erscheint, nur dann erscheinen kann, wenn die hyletischen Momente (oder falls es eine kontinuierliche Wahrnehmungsreihe ist - wenn die kontinuierlichen hyletischen Wandlungen) gerade die sind und keine anderen." 125 Husserl hält so am Schema von Auffassung und Inhalt als noetischem
Korrelat der Struktur des Noemas fest, so dass in den Ideen der Noemabegriff keineswegs an die Stelle des Schemas von Auffassung und Inhalt tritt sondern dieses nur anfüllt, ergänzt. Das macht dann auch eine rein b~deutungstheoretische Interpretation des Noemabegriffs, wie sie Fllesdal gegeben hat, möglich. Gerade an dieser Interpretation z~igt sich jedoch nochmals deutlich der problematische Charakter emes bedeutungstheoretisch motivierten Wahrnehmungsbegriffs. . . Fllesdal stützt sich auf Husserls Lehre von der ApperzeptIOn smnlicher Daten , wenn er das Noema als ein komplexes System von . Bestimmungen und den Begriff des Noemas aus einer Verallgememerung des Bedeutungsbegriffs hervorgehend auffasst. "Das Noema ist ein komplexes System von solchen Bestimmungen (Ideen I, 93), die eine Vielzahl von visuellen, taktuellen und anderen Daten Erscheinungen ... . . eines Objekts sein lassen (op. cit., 173-174)."126 Was Fllesdal jedoch letztlich zu dieser InterpretatIOn fuhrt, 1st d~e Frage nach der Seinsweise des intentionalen Objekts, die sich notwend1g stellt wenn sowohl Wahrnehmung wie Halluzination sich qua Bewusstseins~kte auf Gegenstände richten sollen. Der Versuch, diese Frage zu beantworten, stellt uns nach Fllesdal vor das Dilemma, dass einerseits das intentionale Objekt nicht mit dem wirklichen Objekt identifiziert werden kann, weil dies den Status von fiktiven Objekten unerklärt Hesse andererseits aber eine Unterscheidung von intentionalem und wirklichem Objekt nur auf die widersinnige Abbild- oder Repräsentationstheorie der Wahrnehmung hinauslaufen würde. " ... während die Ansicht, dass die Objekte der Akte wirklich sind, zu Schwierigkeiten führt im Falle von Zentauren und Halluzinationen, ... die Ansicht dass die Objekte unwirklich sind, was immer das bedeuten soll, ... zu Schwierigkeiten im Fall von vielen anderen Akten, z.B. Akten normaler Wahrnehmung: es scheint, dieser Ansicht zufolge, dasjenige, was wir sehen, wenn wir einen Baum sehen, nicht der wirkliche Baum vor uns zu sein, sondern etwas anderes, welches wir auch gesehen hätten, hätten wir halluziniert." 127 Das Noema darf so, Fllesdal zufolge, nicht als eine sinnliche Gegebenheit verstanden werden, es ist selbst kein Wahrnehmungsgegenstand (zumindest kein Gegenstand sinnlicher, äusserer Wahrnehmung). "Das Noema eines Aktes ist nicht der Gegenstand des Aktes (d.h. der Gegenstand , auf den der Akt gerichtet- ist)"1 2 8 Das Noema ist vielmehr nichts .
80 anderes als die Bedeutung des Aktes, dasjenige, was dem Akt seine Richtung auf einen bestimmten, mit den und den Bestimmungen gemeinten Gegenstand gibt. Auch wenn Ffj>llesdal die Bedeutung nicht wie Husserl in den LU als allgemeines Aktwesen, sondern im Anschluss an Frege als eine abstrakte Entität auffasst, wird mit dieser bedeutungstheoretischen Interpretation das Problem des intentionalen Gegenstandes einer Halluzination nicht gelöst. So scheint es nicht zufällig, dass Ffj>llesdal bei der Exposition der Auflösung des 0 ben genannten Dilemmas nicht mehr von Halluzination sondern von Denkakten spricht. "Wenn wir an einen Zentauren denken' hat unser Denkakt ein Noema, aber es hat kein Objekt, es existiert kei~ Objekt, an das wir denken."! 29 (Hervorhebungen von mir) Das Problem des Status des halluzinierten Gegenstandes ist aber darin von dem Problem des Status gedachter fiktiver Objekte unterschieden dass mir in einer Halluzination der Gegenstand 'vor Augen steht,' sinnlich gegenwärtig ist, leibhaftig erscheint, gerade so wie ein wirk~ licher Gegenstand in einer Wahrnehmung, das heisst, es ist eine Beschreibung des gegebenen Inhalts einer Halluzination und der Gegebenheitsweise einer Halluzination möglich, die sich nicht von der des gegebene~ Inha~.ts und der Gegebenheitsweise einer Wahrnehmung unterscheIden wurde. Wahrnehmung und Halluzination sind somit nicht derart unterschieden, dass die Halluzination nur ein Noema hätte aber keinen Gegenstand, die Wahrnehmung demgegenüber nicht n~r in b~stimmter Weise auf einen Gegenstand gerichtet wäre, d.h. nicht nur em Noema hätte, sondern dass ihr darüberhinaus der Gegenstand auch anschaulich gegeben wäre. Verstehe ich das Noema ausschliesslich als Sinn oder Urteil, dann bleibt mir nichts anderes übrig als entweder das Gegebensein einer anschaulichen Wirklichkeit vorausz~setzen oder diese auf den Status eines propositionalen Sinnes zu reduzieren. Das erste widerspricht dem Programm der Phänomenologie, die Konstitution der Erfahrungswirklichkeit in den Akten der Erfahrung aufzuklären das ' zweite führt zu einer Idealisierung der Realität. Wir haben gesehen, wie Husserl selbst dieser intellektualistischen I~terpretation. des Noemabegriffs Vorschub leistet. Es wird Aufgabe des nachsten KapItels sein, durch eine Auseinandersetzung mit Gurwitschs ge.~ta~tthe~retischer Interpretation der Husserlschen Analysen die MoghchkeIten eines rein phänomenalen Noemabegriffs zu erkunden Zu.vor sei jedoch noch eine Zusammenfassung der Überlegungen in de~ belden letzten Kapiteln gegeben. Die Wahrnehmung ist ein intentionaler Akt, so dass für eine Klärung
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des Wahrnehmungsbegriffs eine Bestimmung des Begriffes der Intentionalität Voraussetzung ist. Der Begriff der Intentionalität drückt die nicht-reale, nicht-äusserliche Beziehung des Bewusstseins in seinen Akten auf Gegenstände aus. Der Gegenstand ist weder realer Teil des Aktes, noch steht er zu ihm in einer bloss räumlichen, zeitlichen oder kausalen Beziehung, die intentionale Beziehung ist weder Koinzidenz noch reines Aussereinander. In bezug auf die Wahrnehmung wurde die innerliche Aufeinanderbezogenheit von Bewusstsein und Gegenstand in der Tradition vor allem als abbildliehe oder signitive Repräsentation vermittels sinnlicher Daten aufgefasst. Dieser Begriff der Wahrnehmung ist jedoch mit unaufhebbaren Widersprüchen belastet. Ein anderer und für die Rolle des Vermittlers zwischen Bewusstsein und Gegenstand zunächst geeigneter scheinender Kandidat ist die Bedeutung. Die Bedeutung ist weder ein reelles Aktrnoment, da sie identische ist in einer Mannigfaltigkeit von Akten, noch ist sie mit dem Gegenstand identisch, da sich von einem Gegenstand in vielen Bedeutungen und mit einer identischen Bedeutung von vielen Gegenständen reden lässt. Der ursprüngliche Ort, an dem Bedeutungen auftreten, sind jedoch Akte des Bedeutens, die Denkakte, die den Anschauungsakten gerade dadurch entgegengesetzt sind, dass in ihnen der Gegenstand nur als bedeutungsmässig gemeinter und nicht anschaulich gegebener intendiert ist. Die Verallgemeinerung des Bedeutungsbegriffs und seine Übertragung auch auf die Akte der Anschauung, insbesondere der Wahrnehmung, wirft das Problem des die Wahrnehmung definierenden Merkmals auf. Der Begriff der Fülle löst das Problem noch nicht, sondern gibt nur die Richtung an, in der die Lösung zu suchen ist. Erst der in den Ideen eingeführte Noemabegriff eröffnet die Möglichkeit einer echt phänomenologischen, d.h. von dogmatischen Voraussetzungen freien Bestimmung der intentionalen Beziehung des Aktes auf seinen Gegenstand. Das Noema ist reeller Immanenz gegenüber transzendent und raum-zeitlicher, dinglicher Transzendenz gegenüber immanent. Es ist wesentlich bezogen auf sein noetisches Korrelat, aus dessen Auffassungsleistung es überhaupt ist. Als identischer Sinn in möglichen Mannigfaltigkeiten von Gegebenheitsweisen und Seinscharakteren und ihnen korrelierenden Aktvollzügen ist es gleichwohl dem singulären Akt transzendent. Die wie auch immer näher zu bestimmende Reduktion des Gegenstandes auf noematische Gegebenheit bringt diesen in einen innerlichen Bezug zum Aktbewusstsein, ohne seine Transzendenz diesem gegenüber aufzuheben. Indem er aber dem noematischen Sinn eine propositionale Struktur
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82 zuschreibt, wonach der Gegenstand als Urteilssubjekt ein pures Etwas ist, dem, dem jeweiligen Sinn entsprechend, Bestimmungen zugesprochen werden, bleibt Husserl jedoch in seiner Bestimmung des Noemabegriffs durchaus einer epistemologischen Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs verpflichtet. Doch die Wahrnehmung als Erkenntnis und Urteil zu begreifen, macht es letztlich unmöglich, das leib hafte Gegebensein realer Gegenstände in einer realen Welt zu verstehen. Denn wird alle Bestimmtheit des uns gegebenen Gegenstandes als Resultat einer Bestimmungsleistung, einer Prädikation aufgefasst, dann muss sich unser unmittelbarer, ursprünglicher Kontakt mit der Wirklichkeit auf das Gegebensein eines völlig unbestimmten Stoffes oder eines reinen Etwas reduzieren, das Gegenstand zu nennen, wir erst im nachhinein nach erfolgter Bestimmungsleistung berechtigt wären.
9. GURWITSCHS GESTALTPHÄNOMENALISMUS
In zahlreichen Artikeln und in seinem umfangreichen Werk Das Bewusstseinsfeld hat A. Gurwitsch versucht, durch eine gestalttheoretische Interpretation der phänomenologischen Methode und des Noemabegriffs den dem traditionellen und auch Husserls Wahrnehmungsbegriff inhärenten Dualismus von Stoff und Form, von vorgegebenen Daten und subjektiver Interpretation oder Auffassung derselben zu überwinden. Gurwitsch zufolge lässt sich die Gestaltpsychologie in ihrer Betonung der logischen Priorität einer unvoreingenommenen Beschreibung der psychischen Gegebenheiten vor deren kausaler Erklärung als eine Psychologie in phänomenologischer Einstellung auffassen. Die der Gestaltpsychologie vorangegangene Wahrnehmungspsychologie gründete auf der Konstanz-Hypothese, die einen bestimmten Reiz mit einem bestimmten physiologischen, in den leiblichen Organen lokalisierten Prozess und diesen mit einem bestimmten sinnlichen Eindruck ursächlich verband. Diese Konstanz-Hypothese nötigte zur Annahme unbemerkter sinnlicher Eindrücke sowie ebenfalls unbemerkter Interpretationsleistungen oder sonstiger verfälschender und abwandelnder Faktoren in all den Fällen, wo das uns sinnlich Erscheinende von dem auf Grund der Beschaffenheit des physikalischen Reizes ursächlich Geforderten abweicht. Wo dieser entsprechende physikalische
Reiz auf ein entsprechendes physiologisches Substrat einwirkt, muss ein so und so bestimmter sinnlicher Eindruck hervorgerufen werden. Erlebt das betreffende Subjekt einen davon abweichenden Eindruck, so muss es einen verfälschenden oder verdeckenden Faktor geben, der diese Abwandlung des ursprünglichen Eindrucks erklärt. Diesem Operieren mit physikalischen Hypothesen setzt die Gestaltpsychologie ein strikt deskriptives Verfahren entgegen. Es gilt das Gegebene so zu nehmen und beschreibend zu fixieren, wie es sich selbst gibt. 130 Die Ablehnung der Konstanz-Hypothese in der Gestaltpsychologie entspricht unserer Kritik des physikalistischen Wahrnehmungsbegriffs. Was Wahrnehmung eigentlich ist und was die Gegenstände der Wahrnehmung sind, ist in phänomenologischer Reflexion allein dem wahrnehmenden Bewusstsein selbst zu entnehmen. 131 Nun gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Konstanz-Hypothese und dualistischer Wahrnehmungstheorie. Insofern Wahrnehmung mehr als das blosse Haben oder Erleben sinnlicher Eindrücke ist, für dieses 'Mehr' der physikalische Reiz jedoch nicht aufkommt, bedarf es der Annahme einer subjektiven Produktions-und Interpretationsleistung, die die erlebten Empfindungsdaten zur Wahrnehmung vollbestimmter Objekte anreichert. Gurwitsch und der Gestaltpsychologie zufolge ist diese dualistische Struktur der Wahrnehmung jedoch kein deskriptiver Befund einer Beschreibung der unmittelbaren Erfahrungen und ihrer Gegenstände. Am Gegebenen der Erfahrungen lassen sich nicht eine Schicht Sinnesdatenqualitäten und eine Schicht Produktions-oder Interpretationsqualitäten unterscheiden. Das heisst nicht, dass die Rede von Bedingungen in bezug auf Wahrnehmungen überhaupt ausgeschlossen wird, nur lässt sich die Wahrnehmung nicht in zwei Komponenten differenzieren, wobei jede Komponente für sich auf eine ihr spezifische Ursache zurückgeführt werden könnte. "Nach der Gestalttheorie müssen Wahrnehmungen als homogene Ganzheiten genommen werden, die von der Gesamtheit aller mitwirkenden Bedingungen abhängig sind."132 Die Aufgabe einer erklärenden Psychologie der Wahrnehmung kann so nicht in einer Erforschung isolierter Kausalzusammenhänge bestehen, vielmehr ist es ihre Aufgabe, den komplexen Bedingungszusammenhängen, den funktionalen Abhängigkeiten des Bewusstseinslebens von äusseren und inneren Bedingungen in ihrer Gesamtheit nachzugehen. Muss nun aber nicht die der erklärenden Psychologie logisch vorgeordnete beschreibende Psychologie identisch sein mit der Phänome-
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nologie? Gurwitsch unterscheidet beide dadurch, dass er der Phänomenologie eine ihr spezifische Absicht, ein spezifisches Forschungsinteresse zuspricht. "Sie trachtet nach einer letzten Klärung und Rechtfertigung sowohl der theoretischen und wissenschaftlichen Erkenntnis im eigentlichen Sinne, als auch jenes vortheoretischen und vorwissenschaftlichen Wissens, von dem wir in unserem Alltagsleben geleitet werden und aus dem die wissenschaftliche theoretische Erkenntnis erwächst." 133 Diese epistemologische Ausrichtung der Phänomenologie führt bei Gurwitsch nun aber nicht unmittelbar zu einer Interpretation der Wahrnehmung als Urteil oder Erkenntnis. Die Wahrnehmung als eine Art vortheoretischen Wissens zum Thema der Phänomenologie zu machen impliziert zunächst nur soviel, wie die Wahrnehmung als gegenstandsgebenden Bewusstseinsvollzug einer rein beschreibenden Analyse zu unterwerfen. "Die Phänomenologie befasst sich vielmehr mit jenen Prozessen und Operationen, denen die Wahrnehmung ihre objektivierende Funktion verdankt."134 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht die epistemologische Bestimmung der Absicht der Phänomenologie eine Voraussetzung einführt, die zunächst nicht deskriptiv aufgewiesen wird. Eine erkenntnistheoretische Fragestellung setzt notwendig einen Begriff des Erkenntnisgegenstandes voraus. Frage ich nach der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt, so ist diese Frage nur sinnvoll, wenn ich einen Begriff von dem habe, dessen Erkenntnismöglichkeit eben in Frage steht. Da Gurwitsch die 'objektivierende Funktion' der Wahrnehmung auf dem Hintergrund einer epistemologischen Ausrichtung der Phänomenologie zum Thema macht, setzt er im Begriff des realen Dinges voraus, was überhaupt Gegenstand der Wahrnehmung ist. "Allerdings beschränkt sich die Phänomenologie nicht auf deskriptive Analysen einzelner Wahrnehmungen. Ihr letztes Ziel ist es, das objektive, reale Ding von der Subjektivität her, d.h. vom Wahrnehmungsnoema aus aufzuklären." 135 Es ist selbstverständlich nicht auszuschliessen, dass sich solche Voraussetzung im nachhinein an den reinen Beschreibungen der Gegebenheiten des Bewusstseins ausweist, aber es besteht ebenso die Gefahr, dass diese Voraussetzung die Reinheit der Beschreibungen trübt, indem mit dieser Voraussetzung bereits über das Ergebnis der beschreibenden Analyse entschieden wird.
Von Sein und Sosein der Gegenstände weiss ich nur durch Anschauungsakte meines Bewusstseins. 136 Die phänomenologische Einstellung vollziehend und den Standpunkt des in seinen Erfahrungsakten lebenden Bewusstseins einnehmend, versuchen wir rein beschreibend festzustellen, was uns im jeweiligen Akt gegeben ist, wie ein Gegenstand in seinem Sein und Sosein sich im jeweiligen Akt und den jeweiligen Aktzusammenhängen darbietet. Der wahrgenommene Gegenstand ist ausschliesslich so zu beschreiben, wie er sich im jeweiligen Wahrnehmungsakt darstellt. Das, was da beschrieben wird, der Gegenstand, so wie er erscheint, ist nun nach Gurwitsch nichts anderes als ein Wahrnehmungsnoema. "Husserl folgend bezeichnen wir mit 'Wahrnehmungsnoema' das wahrgenommene Ding, so wie es sich in einem gegebenen Wahrnehmungsakt darbietet ... Wahrnehmungsnoema bezeichnet das Ding als von einem gegebenen Standpunkt, in einer bestimmten Orientierung zum wahrnehmenden Subjekt, unter einem bestimmten Aspekt usw. wahrgenommen. "137 Das deskriptive gegenständliche Korrelat eines singulären Wahrnehmungsaktes ist die Erscheinung eines Gegenstandes nicht im Sinne eines Abbilds oder sinnlichen Repräsentanten desselben, sondern im Sinn einer einseitigen Präsentation des Gegenstandes selbst, den wir in einem Akt des Sehens sehen, in einem Akt des Tastens fühlen, nur dass er uns immer und unaufhebbar einseitig gegeben ist, dass er sich vor dem in einem singulären Akt lebenden Bewusstsein nicht in allen seinen Bestandteilen, Seiten und Momenten ausbreitet. Das Noema eines Wahrnehmungsaktes ist dann gerade der Gegenstand in einseitiger Gegebenheit, der Gegenstand von dieser Seite, aus dieser Entfernung, unter künstlichem Licht usw. gesehen. Bei dieser Bestimmung des Wahrnehmungsnoemas ist es evident, dass das Noema vom Akt unterschieden werden muss, dass es kein reeller Teil des Aktes sein kann. Wie der Wahrnehmungsgegenstand, so ist auch das Noema eine identische Einheit gegenüber einer möglichen Vielzahl von individuellen Wahrnehmungsakten: Ich verändere nicht meinen ~tandpunkt, auch das Ding mir gegenüber bleibt völlig unverändert, und Ich schliesse und öffne die Augen mehrmals hintereinander, dabei erscheint mir das Ding jeweils von derselben Seite, die Erscheinung desselben ist in den individuell verschiedenen Wahrnehmungsakten eine identische. 138
86 Diese Identität ist aber zunächst nicht mehr als blosser Anspruch, wobei dieser Anspruch in dem anderen Identitätsanspruch, nämlich dem, der sich auf den Gegenstand bezieht, gründet. Wenn, während wir die Augen geschlossen hatten, an die Stelle des ursprünglich gegebenen Dinges ein anderes, inhaltlich gleiches getreten ist oder, wenn es verschieden bestimmt ist, es zumindest hinsichtlich der uns zugewandten Seite von dem vorigen ununterscheidbar ist, so müssen, Gurwitschs Bestimmung des Noemabegriffs zufolge, die Noemata der beiden Akte zwar als inhaltlich gleich, aber individuell verschieden gelten, denn anders hätten wir identische Erscheinungen bei individuell verschiedenen Gegenständen und damit einen Widerspruch zu der Bestimmung, wonach die Erscheinung nichts anderes ist als der Gegenstand aus einer bestimmten Perspektive von einem bestimmten Standpunkt aus wahrgenommen. Das Problem, das sich so stellt, besteht darin, dass wir der Identität der Noemata nur gewiss sein können, wenn wir der Identität des Gegenstandes gewiss sind, des Seins und Soseins von Gegenständen sind wir aber nur durch ihr Gegebensein in noematischen Erscheinungen gewiss. Damit ist das Problem einer noematisch aufgefassten transzendentalen Konstitution angesprochen: Wie konstituiert sich in einer Mannigfaltigkeit von noematischen Erscheinungen, von Noemata, ein identisches reales Ding? Bei seiner Analyse der Beziehung zwischen Wahrnehmungsnoema und realem Gegenstand beruft sich Gurwitsch terminologisch und sachlich vor allem auf die Husserlschen Ausführungen in den LU und den Ideen I. Es fragt sich jedoch, ob die Husserlschen Bestimmungen sich ohne weiteres in Einklang bringen lassen mit seiner Bestimmung des Noemabegriffs. Husserl folgend, bestreitet er die Identität des Noemas mit dem realen Gegenstand, unterscheidet einen noema tischen Kern als ideale Bedeutungseinheit von den möglichen Charakteren, in denen er auftreten kann, und darüberhinaus gilt ihm das Gegebensein des noematischen Kerns eines Wahrnehmungsnoemas für unabhängig von der Existenz des ihm entsprechenden Gegenstandes.! 39 Stehen diese Husserlschen Bestimmungen aber nicht im Widerspruch mit Gurwitschs Bestimmung des Noemabegriffs, wonach das Noema eines Wahrnehmungsaktes nichts anderes ist als der Gegenstand, so wie er im Akt erscheint? Impliziert diese Bestimmung nicht gerade eine Art Identifizierung von Noema und Gegenstand: Das Noema ist der Gegenstand unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet? Diese Identifizierung
87 soll aber nicht implizieren, dass das Gegebensein des Noemas bzw. das Gegebensein des noematischen Kerns eines Wahrnehmungsnoemas die reale Existenz des Gegenstandes verbürgt. Nur wenn dieser Kern mit dem Wahrnehmungscharakter gegeben ist, garantiert er, Gurwitsch zufolge, die reale Existenz des Gegenstandes. Der noema tische Kern als abstrakte Schicht eines Wahrnehmungsnoemas kann derselbe in anderen Arten von Anschauungsakten sein.!40 Wenn aber ein Gegenstand in völlig gleicher noematischer Erscheinung in Akten der Wahrnehmung, der Imagination oder der Erinnerung gegeben sein kann, dann ist auch Gurwitsch vor das Problem gestellt, die Unterschiede in den noematischen Charakteren zu begründen. Kommt einem noematischen Kern der Wahrnehmungscharakter zu, wenn der Gegenstand realiter existiert, und zwar im Moment des Aktvollzugs, und kommt ihm der Halluzinations- oder Imaginationscharakter zu, wenn dies nicht der Fall ist, dann sehen wir uns ein weiteres Mal vor der Schwierigkeit, noematische Unterscheidungen mit bezug auf die Gegenstände zu treffen, wo doch alles, was von den Gegenständen gesagt werden kann, nur vermittels ihrer noematischen Gegebenheit soll gesagt werden können. Dass Gurwitschs Bestimmung des noema tischen Kerns als ideale Bedeutungseinheit in unmittelbarem Widerspruch zu seiner phänomenalen Bestimmung des Wahrnehmungsnoemas steht, sollte nach unseren bisherigen Ausführungen evident sein.!4! Da in Gurwitschs konkreter Exposition des Wahrnehmungsproblems ihm als Wahrnehmungsnoema ausschliesslich der Gegenstand so, wie er gerade erscheint, gilt, und unser sachliches Interesse gerade auf die systematischen Möglichkeiten, die ein solcher Begriff des Noemas zur phänomenologischen Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs bietet, geht, begnügen wir uns mit der Feststellung dieser begrifflichen Widersprüche, ohne auf deren historische oder sachliche Gründe einzugehen. Wie steht es nun ausschliesslich im Rahmen einer phänomenalen Bestimmung des Noemas mit der Beziehung von Noema und Gegenstand? Es ist eine der grundlegenden Thesen von Gurwitschs Phänomenologie der Wahrnehmung, dass das Ding nicht mit einem einzelnen Wahrnehmungsnoema identisch ist, sondern vielmehr mit der Gesamtheit aller sich auf es beziehenden Noemata, aller noema tischen Erscheinungen von ihm, "dass das Ding selbst sich als die umfassende systematische Gruppe seiner Erscheinungen erweist."! 42 Ein zwingender Grund dafür, dass das einzelne Wahrnehmungsnoema nicht mit dem wahrgenommenen Gegenstand identisch sein kann , scheint durch die Möglichkeit, denselben Gegenstand in verschiedenen
88 noema tischen Erscheinungen wahrnehmen zu können, gegeben. Ich kann den Gegenstand immer wieder von anderen Seiten, aus anderen Perspektiven wahrnehmen. GI~ichwohl, von allen Seiten, in allen Perspektiven ist es der Gegenstand selbst in seiner Leibhaftigkeit, den wir wahrnehmen. Für eine Abbild- oder Sinnesdatentheorie der Wahrnehmung, der zufolge das eigentlich, wenn auch vielleicht nur implizit Gegebene Abbilder oder Sinnesdaten sind, ist die Nicht-Identität von eigentlich Gegebenem und wahrgenommenem Ding geradezu konstitutiv. Wie aber für eine Wahrnehmungstheorie, die gerade den unvermittelten Zugang der Wahrnehmung zu den Gegenständen gegenüber aller Repräsentationsund Abbildtheorie behauptet, die aber zugleich am Begriff der Intentionalität festhält, d.h. am Begriff einer innerlichen und wesentlichen Bezogenheit der Gegenstände auf gegenstandsgebende Erlebnisse, welche Bezogenheit jedoch die Transzendenz des Gegenstandes nicht aufheben soll. Husserls Lösung schien immer wieder auf eine Angleichung des Noemabegriffs an den Bedeutungsbegriff, eine Idealisierung des Akt und Gegenstand vermittelnden Noemas hinauszulaufen. Indem Gurwitsch das Wahrnehmungsnoema als den Gegenstand im Wie einer jeweiligen Ansicht von ihm definiert, setzt er der idealisierenden eine phänomenale Bestimmung des Noemabegriffs entgegen. Das Wahrnehmungsnoema ist jedoch auch kein Sinnesdatum, sei es einer im empiristischen Sinn isolierten Impression oder in der Art eines Gestaltdatums. Was das Noema von einem Sinnes- oder Gestaltdatum unterscheidet, scheint aber gerade nichts anderes zu sein als seine allerdings spezifische Art von Identität mit dem Gegenstand. Wenn mir ein Gegenstand in einem Akt des Sehens in einer bestimmten noematischen Erscheinung gegeben ist, von einer bestimmten Seite und aus einer bestimmten Perspektive, dann sind mir nicht allein die mir zugewandte Seite des Gegenstandes und deren Bestimmungen gegeben. Ich sehe vielmehr, in einem durchaus berechtigten Sinn des Wortes 'sehen', auch die anderen Seiten des Gegenstandes, ich sehe seine taktuellen Eigenschaften, die Härte des Holzes, die Kühle des Wassers. "Das Gesehene erscheint im Lichte des Unsichtbaren; - und dieses Ganze des Gesehenen und Nicht-Gesehenen macht den besagten Wahrnehmungssinn aus."143 Eine Strukturbeschreibung des Noemas unterscheidet sehr wohl zwischen dem eigentlich Gegebenen in einem Wahrnehmungsakt und dem Mitgegebenen, dem nicht selbst Gegebenen, sondern durch das Selbstgegebene nur Angezeigten, aber die Einheit von eigentlich Gege-
89 benem und Mitgegebenem ist das Frühere gegenüber ihrer analytischen Unterscheidung. 144 Das eigentlich Gegebene ist ein biosses Strukturmoment des Gegebenen, ausserhalb des Gegebenen, also des Zusammenhangs mit dem ihm Mitgegebenen, ist es nichts. Das einzelne Wahrnehmungsnoema bereits ist eine Gestalt im Sinne der Gestaltpsycho10gie. 14s Die Seite ist eben, wie schon Husserl betont hat, kein selbständiger Wahrnehmungsgegenstand, genausowenig wie eine allgemeine Bestimmung. 146 Die möglichen noematischen Erscheinungen eines Gegenstandes unterscheiden sich demnach darin, dass jeweils eine andere Seite vom Gegenstand eigentlich gegeben ist, und somit auch andere Seiten bloss mitgegeben sind. Was in dem einen Wahrnehmungsnoema eigentlich gegeben ist, ist in den anderen noema tischen Erscheinungen desselben Gegenstandes nur mitgegeben. Worin unterscheiden sich aber die Gegebenheitsweisen des eigentlich Gegebenen und des bloss Mitgegebenen? Husserl konnte im Rahmen seines Stoff/ Auffassungsschemas zumindest ein eindeutiges Kriterium für das, was eigentlich gegeben ist, vorbringen: Das ist jeweils eigentlich gegeben vom Gegenstand, was durch Empfindungsinhalte im Erlebnis repräsentiert ist, was sich empfindungsmässig darstellt. 147 Für Gurwitsch muss dieses Kriterium als ein phänomenologisch unaufgelöster Rest der physikalistischen Konstanzhypothese gelten: Nur von der Seite, die uns der Gegenstand zuwendet, gehen Reize aus und wirken auf den physiologischen Sinnesapparat ein, um dort bestimmte Empfindungen hervorzurufen. Verzichtet man auf einen Rekurs auf irgend welche repräsentierende oder darstellende Daten zur Bestimmung des eigentlich Gegebenen, muss man sich jedoch offensichtlich mit vagen oder nur hinweisenden Umschreibungen begnügen: Eigentlich gegeben ist jeweils 'das, was sich mir vor Augen stellt', was mir sinnlich präsent ist, usw. Einig ist sich Gurwitsch mit Husserl darin, dass die nicht eigentlich gegebenen Seiten des Gegenstandes keinesfalls durch die Wahrnehmung der eigentlich gegebenen Seite begleitende Vergegenwärtigungen, seien es Phantasieoder Erinnerungsvorstellungen, mitgegeben sind. Die Wahrnehmung des Gegenstandes ist nicht zusammengesetzt aus einer eigentlichen Wahrnehmung der Vorderseite und einer Phantasievorstellung der Rückseite. Denn für die Phantasievorstellung eines Gegenstandes als eines quasianschaulichen Aktes gilt dasselbe, was auch für die Wahrnehmung gilt: Sie stellt ihre Gegenstände nur einseitig vor. In einer Phantasievorstellung tritt also ebenfalls der Unterschied zwischen eigentlich gegebener Vorderseite und nur uneigentlich gegebener Rückseite auf.
90 Imaginiere ich zu einer eigentlich gegebenen Vorderseite die Rückseite was eine evidente Möglichkeit ist, so kann ich sie als Rückseite de~ Gegenstandes nur ansprechen vom Standpunkt meiner Wahrnehmung der Vorderseite, das heisst, nur soweit die Vorderseite zu ihrer Ergänzung nicht noch eine Vorderseite, sondern eine Rückseite fordert. Vom Standpunkt der Imagination und des in ihr Gegebenen ist die Rückseite die Vorderseite und die eigentlich wahrgenommene Vorderseite die uneigentlich imaginierte Rückseite. Damit wird deutlich dass die Imagination des Gegenstandes nichts anderes ist als die Imagi~ nation des Gegenstandes als ein von einer bestimmten Seite, aus einer bestimmten Perspektive wahrgenommener Gegenstand, woraus folgt, "dass die Perzeption auch ohne Phantasie eine volle Vorstellung abgibt, nämlich als Darstellung der Vorderseite mit hinausweisenden Komponenten."148 Was das in einer jeweiligen Wahrnehmung über das eigentlich Gegebene, die mir zugewandte Seite, hinaus Mitgegebene betrifft, muss man zwischen einer extensionalen und einer intensionalen Bestimmung des Begriffes des Mitgegebenseins und damit der Wahrnehmung überhaupt unterscheiden. In extensionaler Bestimmung sind mir, so ich, vermittels der Ansicht einer Seite, das Ding selbst wahrnehme, schlechterdings alle Seiten, alle Bestimmungen, die das betreffende Ding über die Bestimmung der eigentlich gegebenen Seite hinaus hat, mitgegeben auch diejenigen, von denen ich nie etwas gewusst habe oder wissen ~erde wie z.B. sein atomarer Aufbau. Die Wahrnehmung in phänomeno~ logischer Einstellung zu betrachten schliesst solche extensionale Bestimmung des Begriffes des Mitgegebenseins aus denn nur das was sich . " mirgendeiner Weise im Bewusstsein und seinen wahrnehmenden Akten selbst zeigt, in ihnen gegeben ist, darf in einer Beschreibung des gegenstä~?lichen Korrelats der Wahrnehmung vorkommen. In einem jewelhgen Akt der Wahrnehmung mitgegeben ist uns das was über das . ' eIgentlich Gegebene hinaus mitbewusst ist. Was aber ist in einem jeweiligen Akt mitbewusst? Und ist alles Mitbewusste jeweils in gleicher Weise mitbewusst? Ist Mitbewusstsein ein einheitlicher nicht weiter differenzierbarer Bewusstseinsmodus? Zunächst muss m~n hinsichtlich de~ in einem Akt gegenständlicher Wahrnehmung Mitgegebenen ZWIschen dem unterscheiden, was zum in der betreffenden Wahrnehmung thematischen Gegenstand gehört und was zur raum-zeitlichen Umgebung des Gegenstandes. Es gilt mit Husserl einen Innen- von einem Aussenhorizont zu unterscheiden.! 49 Ein Gegenstand wird nie isoliert wahrgenommen, sondern erscheint immer in einem raum-
91 zeitlichen Zusammenhang mit anderen Gegenständen. Dieser raumzeitliche Zusammenhang fällt nie als Ganzes in mein Wahrnehmungsfeld, sondern erstreckt sich in einer vagen Unendlichkeit über den Umkreis meines Blickes und Tastens hinaus. Wenn ich in einem Wahrnehmungsakt einen Gegenstand in meinem Wahrnehmungsfeld fixiere, z.B. den Baum vor mir im Garten, dann sind mir auch die angrenzenden Büsche und ein Stück des Gartenweges noch visuell gegenwärtig, wenn sie auch unbeachtet sind.! 50 Schon der Versuch, diese Art des Mitgegebenseins der unmittelbaren raum-zeitlichen Umgebung des thematischen Gegenstandes genauer zu bestimmen, sieht sich auf eine dispositionelle Interpretation verwiesen. Ich weiss, dass ich ohne meine Wahrnehmungsorgane bewegen zu müssen, nur durch eine Richtungsänderung meines Aufmerksamkeitsstrahls ein anderes Ding, z.B. den Busch neben dem Baum, wahrnehmen kann. In diesem dispositionellen Sinn sind mir dann auch Gegenstände mitgegeben, die ich durch Bewegungen meines Kopfes, das Wenden meines Leibes und schliesslich durch sein Fortbewegen zur Gegebenheit bringen kann.! 5! Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht näher auf die Aussenhorizontstrukturen eingehen, gilt unser Interesse doch dem Begriff der noematischen Erscheinung eines thematischen Gegenstandes. Was heisst hier uneigentliche Gegebenheit, Horizontgegebenheit? Wir sprachen von eigentlich gegebener und mitgegebenen Seiten des Gegenstandes. Von der Seite einer Sache können wir aber in zwei Bedeutungen sprechen. Im wörtlichen Sinn verstehen wir unter der S~ite einen Teil der Oberfläche eines geschlossenen räumlichen Körpers, emes Dinges. In diesem Sinn ist der Begriff keineswegs auf alle Wahrnehmungsgegebenheiten anwendbar. Töne haben keine Oberfläche der Wind hat ebenfalls keine. Auch hinsichtlich eines Regenbogens ~der Schattens lässt sich nicht sinnvoll von Seiten in diesem wörtlichen Sinn reden. Offensichtlich sind es nur visuell und taktuell erfahrbare Dingkörper, die Seiten in diesem Sinn haben können. In einem übertragenen Sinn und in besonderen Zusammenhängen meinen wir mit den Seiten einer Sache manchmal auch ihr zugehörige Charaktere, Eigenschaften. Wir sprechen z.B. von der Seite des Gegenstandes, die ihn uns erstrebenswert macht und meinen z.B. seinen Geldwert. Wenn sich mir ein Ding von einer bestimmten Seite im eigentlichen Sinn zeigt, das heisst, ich einen Teil der Oberfläche von ihm im Blick habe, impliziert die Beschreibung des in meinen Blick Fallenden als Teil der Oberfläche eines Dinges das Vorhandensein sowohl eines ergänzenden Teiles wie auch eines die Oberfläche tragenden Körpers, da
92 Seiten in diesem Sinn abstrakte Momente, Teile des Gegenstandes sind, die keiner selbständigen Existenz fähig sind und somit wechselseitig aufeinander als ihre Existenz bedingend hinweisen. Dingkonstitutiv sind aber nicht nur Seiten als abstrakte Teile, sondern auch Seiten im Sinn von Bestimmungen und Charakteren. Alles, was raum-zeitliche, reale Existenz hat, muss irgendwie sinnlich bestimmt sein, soll es Gegenstand der Wahrnehmung sein können. Das gilt also nicht nur für Dinge im engeren Sinn, sondern für alle Wahrnehmungsgegenstände überhaupt. Spreche ich jedoch einen wahrgenommenen Gegenstand als Ding. an, dann impliziert dies wiederum, dass dieser Gegenstand BeschaffenheIten bestimmter Arten von Bestimmungen besitzt, z.B. Farbigkeit oder einen Grad der Härte, einen Grad der Schwere usw. Um aber zu wissen, welche Bestimmungen dem jeweiligen Ding zukommen, muss ich wissen, um welche Art von Ding es sich handelt, zu welchem Dingtypus es gehört. Spreche ich ein Ding als Baum oder Tomate an, so schreibe ich ihm eine bestimmte Farbe, Glätte, taktuelle Oberflächenbeschaffenheit, Schwere, Härte usw. zu. Wie sind nun aber die ungesehenen Seiten, das Innere des Gegenstandes und die ihnen zugehörigen Charaktere in der einseitigen Wahrnehmung des Dinges gegeben? Evident scheint es, dass sie nur auf Grund, vermittels der eigentlich gegebenen Seite und ihren Charakteren gegeben sein können, doch es ist gerade dieser Vermittlungszusammenhang, der immer erneut Sinnesdaten- und dualistische Interpretation des Wahrnehmungsgeschehens hervorbringt. Demnach fassen wir auf Grund der Beschaffenheit des eigentlich Gegebenen, das allerdings erst im Nachhinein als eigentlich Gegebenes und Seite eines Dinges anzusprechen ist, das Gegebene einerseits als Ding auf - und damit sind ungesehene Rückseite und Inneres gefordert - andrerseits als Ding einer bestimmten Art, z.B. der Art Baum - und damit sind bestimmte sinnliche Charaktere gefordert, z.B. Härte, Rauhigkeit der Oberfläche usw. Das, was über das eigentlich Gegebene hinaus mitbewusst ist, wäre nur mitgegeben in der Weise begrifflicher Implikation. Wie ist aber in einer reinen Beschreibung des lebendigen Wahrnehmungsgeschehens dieser nicht zu bestätigende, gleichwohl sich immer wieder aufdrängende Dualismus von Datum und Begriff bzw. Urteil zu überwinden? Offensichtlich setzt dies voraus, dass die Begriffe des Mit-Bewusstseins und Mit-Bewussten in einer Weise bestimmt werden, die an der Anschaulichkeit des Gegebenseins des nicht eigentlich Gegebenen festhält. Genau eine solche Bestimmung scheint aber eine unvoreingenommene Reflexion auf das Wahrnehmen zu bestätigen! In der bestimmten Röte,
93 die wir sehen, in der Weise, wie sich diese jeweils abschattet, sehen wir unmittelbar auch die Oberflächenbeschaffenheit, z.B. die Glätte des Dinges. "Ein Körper, den man nur sieht, aber nicht hebt, kann sehr wohl in seiner rein visuellen Erscheinung schwer oder leicht 'aussehen'."!52 Zwar verweist die Rede von eigentlichem und uneigentlichern, bloss mitbewusstem Gegebensein auf einen Unterschied zwischen der gesehenen Farbe und der gesehenen Glätte, doch dieser Unterschied ist nicht der zwischen gesehener Farbe und nur begrifflich gedachter Glätte, sondern eben der zwischen eigentlicher und uneigentlieher Anschauung. Eine eigentliche Anschauung, als eine sozusagen letztausweisende Erfahrung der Glätte, kann ich nur im Betasten der Oberfläche haben, und dass die Farbe mir die Glätte visuell anschaulich vermittelt, ist nur möglich, wenn die Farbe diese 'Bedeutung' in einer ursprünglichen Erfahrung des Zusammenhangs dieser metallnen Farbe und der Glätte gewonnen hat. Kann ich nun diese, wenn auch uneigentliehe Anschaulichkeit ebenso für das Gegebensein der völlig unsichtigen Rückseite beanspruchen?!53 Und wenn ich das Rot als das einer Tomate sehe, sind mir dann der weiche Inhalt, die Kerne in der gleichen Weise wie die Glätte der Vorderseite gegeben? Nach Husserls Lehre in den LU lässt sich in jeder gewöhnlichen äusseren Wahrnehmung ein intuitiver Gehalt von einem nur signitiven Gehalt abscheiden. !54 Was durch andere Objekte vom Gegenstand verdeckt ist, seine unsichtige Rückseite, sein Inneres sind demnach nur durch sich auf die intuitiv gegebenen Momente des Gegenstandes stützende Bedeutungsintentionen vorstellig gemacht. Diese Unterscheidung zwischen intuitivem und signitivem Gehalt einer Wahrnehmung folgt aus Husserls Theorie der Repräsentation, wonach bestimmte stoffliche Inhalte entweder als gegenständliche Bestimmungen intuitiv darstellend (bzw. abbildend) oder als blosse Zeichen aufgefasst werden.! 55 Durch hyle tische Stoffe dargestellt ist aber in der äusseren Wahrnehmung nur das unmittelbar in die Augen Fallende, die mir zugewandte Seite des Gegenstandes. Die Rückseite wie das Innere des Gegenstandes können so nur uneigentlich, leer, signitiv-gedankenhaft gemeint sein,! 56 wo bei die darstellenden Inhalte der Gesamtwahrnehmung in der signitiven Vorstellung der unsichtigen Seiten für diese nicht als darstellende Inhalte, sondern nur als hinweisende Zeichen aufgefasst werden.! 57 Wird diese Repräsentationstheorie als Folge einer phänomenologisch nicht verantworteten und nicht verantwortbaren Übernahme der Konstanzhypothese kritisiert und abgelehnt,!58 entfällt der Zwang,
94 zwischen einem intuitiven und signitiven Gehalt in der Wahrnehmung zu unterscheiden, um das Gegebensein der unsichtigen Seiten des Gegenstandes verständlich zu machen. Gurwitschs Gestaltinterpretation des Noemas zufolge bilden eigentlich und uneigentlich Gegebenes einen funktionalen Zusammenhang, nicht nur verweist ein sinnlich qualifiziertes Datum vermittels einer Erinnerung an vergangene Erfahrung auf mitgegebene Daten, sondern das, was eigentlich gegeben ist, hat seine phänomenale Beschaffenheit nur aus dem Zusammenhang mit dem jeweils Mitgegebenen. Die vorliegende Rotschattierung in ihrer jeweiligen Abschattung, wie sie eine in den Blick fallende, sich krümmende Fläche bedeckt, lässt so unmittelbar anschaulich eine Tomate erscheinen und verweist damit potentiell auf all das, was wir in vergangener Erfahrung als Beschaffenheiten an Gegenständen dieser Art erfahren haben. Unmittelbar sehe ich eine Tomate, das heisst alles, was ich eigentlich sehe, ist durch und durch tomatenhaft. Ich sehe dem mir Gegebenen die Schmackhaftigkeit wie sein weiches Inneres an, es wäre nicht dieses Rot, wenn es nicht das schmackhafte-weiches-Innere-glatte Rot einer Tomate wäre. 1s 9 Was nun dem eigentlich Gegebenen einen Vorzug gibt vor dem uneigentlich bloss Mitgegebenen, ist das Mass an Bestimmtheit, in dem es gegeben ist. Das Rot des Teiles der Oberfläche, der in meinen Blick fällt, ist ein bestimmtes, konkretes Rot, die Schmackhaftigkeit, die ich sehe, dagegen ein bloss typischer Charakter dieser Art Gegenstände, dem noch jede Konkretion fehlt. Diese gewinnt er erst in der originären Erfahrung dieses Charakters, das heisst, wenn ich die Tomate esse. Allen mitgegebenen Bestimmungen des Gegenstandes eignet so eine engere oder weitere Unbestimmtheit, die aufzuheben nur einer originären Erfahrung derselben möglich ist. 16 0 Dabei ist es unbestritten, dass es grosse Klarheitsunterschiede hinsichtlich der Bestimmtheit der in die eigentliche visuelle Erscheinung fallenden taktuellen Bestimmungen und der visuellen wie taktuellen Bestimmungen der ungesehenen wie ungetasteten Seiten des Gegenstandes gibt. 161 Aber dass wir ihm die Rückseite nicht so ansehen wie die Glätte oder Rauhigkeit der Vorderseite, bezeichnet keinen prinzipiellen, sondern nur einen graduellen Unterschied, der die Klarheit des Gegebenseins, d.h. noematisch ausgedrückt, den Grad der Unbestimmtheit des Gegebenen betrifft. Die Gestaltinterpretation des Noemas konstruiert den Gegensatz von eigentlich und uneigentlich Gegebenem in der Wahrnehmung nicht als Dualismus von gegebenem Datum und begrifflichem Gedanken, sondern beschreibt ihn als einen bloss gra-
95 duellen Unterschied der Bestimmtheit des anschaulich Gegebenen. Diese Interpretation des Noemas muss als weiterhin intensionale Bestimmung des Noemabegriffs eine Identifizierung des jeweiligen Noemas mit dem an sich seienden, an sich bestimmten Objekt ausschliessen. Das I Ding selbst hat nicht mehr oder weniger bestimmte Bestimmungen, und es hat auch in der Regel mehr Bestimmungen, als wir von ihm erfahren haben. Wie aber ist diese Differenz von Noema und Ding im Wahrnehmungsbewusstsein selbst gegenwärtig? Wie konstituiert sich ein an sich eindeutig bestimmter Gegenstand, der jede seiner Bestimmungen in voller Konkretion besitzt, in Noemata, in denen die Beschaffenheiten des Gegenstandes in unterschiedlichen Graden der Bestimmtheit gegeben sind? Im Noema selbst muss diese Differenz irgendwie angezeigt sein. Das Noema ist aber nichts anderes als der Gegenstand, so wie er erscheint, d.h. eine funktionale Gesamtheit, in der eigentlich Gegebenes und Mitgegebenes wechselseitig aufeinander verweisen in ihren Charakterisierungen. Die Differenz von Noema und Ding kann so nur auf den Gegensatz von eigentlich und uneigentlich Gegebenem im Noema gegründet werden. Das 'uneigentlich' drückt ein Defizit an Bestimmtheit des so Gegebenen gegenüber dem Grad an Bestimmtheit des eigentlich Gegebenen aus, es verweist so auf einen solchen Grad an Bestimmtheit. Die Möglichkeit und das Wissen um die Möglichkeit der Überführung des unei~ent lich Gegebenen in die eigentliche Gegebenheit ist nun nichts anderes, ist äquivalent mit dem Begriff eines voll bestimmten Gegenstandes: Grundsätzlich kann ich alles unbestimmt Gegebene am Gegenstand in völlig bestimmte Gegebenheit überführen. Die Gesamtheit der von einem Ding möglichen noema tischen Erscheinungen ist dann in der Tat insofern identisch mit dem Ding, als alle Bestimmungen desselben in völliger Konkretion in dieser Gesamtheit gegeben sind. Im eigentlichen Sinn dürfte das Ding allerdings nur mit dem in der Gesamtheit der noema tischen Erscheinungen jeweils eigentlich Gegebenen identisch sein. Die Einheit dieser Gesamtheit noematischer Erscheinungen, die in phänomenologischer Einstellung nichts anderes als das Ding selbst ist, lässt sich dann ebenfalls gestalttheoretisch bestimmen, und zwar als funktionaler Zusammenhang, in dem die Elemente, d.s. die noematischen Erscheinungen, wechselseitig aufeinander hinweisen, insofern sie sich darin unterscheiden, was in ihnen eigentlich und uneigentlich gegeben ist, und das in ihnen uneigentlich Gegebene auf eigentliche Gegebenheit in den anderen Noemata desselben Gegenstandes hinweist. "Damit
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mannigfaltige Wahrnehmungsnoemen als verschiedene Erscheinungen eines identischen Dinges erlebt werden, müssen die Noemen ein System bilden, dessen Organisationsprinzip Gestaltkohärenz ist." 162 Aus dieser Gestaltinterpretation der dingkonstituierenden Einheit einer Mannigfaltigkeit noematischer Erscheinungen leitet Gurwitsch dann auch die Bedingungen gegenständlicher Existenz ab: Wenn Wahrnehmungsnoemata sich in eine funktionale Ganzheit einfügen, wenn sie harmonieren gemäss den Gesetzen dieser Ganzheit, die wohlgemerkt keine von aussen auferlegte, sondern eine immanente, eine in den wechselseitigen funktionalen Verweisungen und Forderungen sich ausdrückende Gesetzmässigkeit ist, ist der entsprechende Gegenstand in seiner Existenz möglich. "Die Einstimmigkeit und die gegenseitige Fortsetzung der Erscheinungen sind transzendentale Bedingungen des Dinges, d.h. Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung eines identischen Dinges." 1 6 3 Da die Noemata selbst keine Existenz haben ausserhalb und unabhängig von Akten der Wahrnehmung, ist die hinreichende Bedingung der Existenz eines bestimmten Dinges der Ablauf derjenigen Wahrnehmungsakte, deren noematische Erscheinungen die funktionale Ganzheit bilden, die in phänomenologischer Einstellung mit dem betreffende Ding identisch ist. Den noematischen Verweisungen entspricht dann noetisch auf der Seite des subjektiven Erlebens ein Erfüllungsbewusstsein. Im Fortgang der Wahrnehmung erfüllen und bereichern sich die vordem nur uneigentlich gegebenen Seiten und Bestimmungen des Gegenstandes. "Die gegenseitige Bestätigung der Einzelwahrnehmungen, die einander im Laufe des Wahrnehmungsprozesses folgen, ist die zureichende transzendentale Bedingung der Existenz realer Dinge. 16 4 Wie weit ist nun diese Interpretation des Ding- und Wahrnehmungsbegriffs geeignet, die Konstitution des Wahrnehmungsgegenstandes in den Wahrnehmungsakten verständlich zu machen? Jede phänomenalistische Wahrnehmungstheorie, gleichgültig ob sie als empiristische die Realität auf Sinneseindrücke oder als gestalttheoretische auf noema tische Erscheinungen reduziert, impliziert eine Revision unserer gewöhnlichen ontologischen Vermeinungen. Wie eine physikalistische Bestimmung der Realität lässt sie sich auf die Formel bringen: die gewöhnlichen Sinnendinge sind nichts anderes als... Im Gegensatz jedoch zur physikalistischen Substruktion rein theoretisch konstruierter Entitäten für die gewöhnlichen anschaulichen Dinge und im Gegensatz auch zu den methodisch bloss erschlossenen Sinnes-
97 daten des Empirismus beansprucht die gestalttheoretische Reduktion der Gegenständlichkeiten auf noema tische Erscheinungen ein phänomenologisch ausweisbares Recht. Im folgenden Kapitel werde ich zu zeigen versuchen, dass die gestaltphänomenalistische Reduktion diesem Anspruch nicht gerecht wird, da auch sie noch auf einer phänomenologisch nicht ausgewiesenen Voraussetzung beruht. Hierbei werde ich mich auf Teile von Husserls konkreten Wahrnehmungsanalysen, wie sie in seiner Vorlesung über Ding und Raum von 1907 vorliegen, stützen. In eins mit der von diesen Analysen inspirierten Kritik am gestaltphänomenalistischen Wahrnehmungsbegriff wird sich dann eine Umwandlung der Wahrnehmungsproblematik vorbereiten.
10. DIE NOEMATISCHE REDUKTION UND DER ERKENNTNISTHEORETISCHE BEGRIFF DES WAHRNEHMUNGSGEGENSTANDES
Da es in einer Bestimmung der Wahrnehmung in phänomenologischer Einstellung um ein rein deskriptives Verständnis ihrer wesentlichen Strukturmomente und nicht um eine Kritik an ihren expliziten oder impliziten Vermeinungen geht, ist der gestaltphänomenalistische Wahrnehmungsbegriff nur dann ein echt phänomenologischer Begriff der Wahrnehmung, wenn die durch ihn behauptete Identität von transzendentem Gegenstand und der Gesamtheit der möglichen Erscheinungen von ihm verträglich ist mit unserem gewöhnlichen Wahrnehmungsglauben, das heisst, zumindest eine implizite ontologische Vermeinung der Wahrnehmung selbst ist. Was jedoch dagegen zu sprechen scheint, dass unsere gegenständlichen Vermeinungen in der Wahrnehmung eine solche Identifizierung implizieren, ist unser Bewusstsein von der prinzipiell unaufhebbaren Unabgeschlossenheit der Wahrnehmung eines raum-zeitlich bestimmten Gegenstandes. Die Perspektiven, aus denen ich ein bestimmtes Ding wahrnehmen kann, sind grundsätzlich unerschöpflich, was bei einer phänomenalen Bestimmung des Noemabegriffs mit der Möglichkeit gleichbedeutend ist, eine unendliche Anzahl noematischer Erscheinungen desselben Dinges haben zu können. Die vollkommene Gegebenheit eines raum-zeitlich bestimmten Dinges als Gegenstand äusserer Wahrnehmung ist, wie
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Husserl sagt, eine blosse 'Idee'. " ... als 'Idee' (im Kantischen Sinn) ist gleichwohl die vollkommene Gegebenheit vorgezeichnet - als ein in seinem Wesenstypus absolut bestimmtes System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens bzw. als Feld dieser Prozesse ein apriori bestimmtes Kontinuum von Erscheinungen mit verschiedenen aber bestimmten Dimensionen, durchherrscht von fester Wesensgesetzlichkeit,"165 Die Rede von der notwendig inadäquaten Gegebenheit eines Dinges ist jedoch äquivok, wobei diese Zweideutigkeit detjenigen im Begriff der Seite eines Dinges entspricht. Ein Ding ist zunächst in dem Sinn prinzipiell inadäquat gegeben, dass es immer nur von einer Seite gegeben ist und immer noch andere Seiten hat, die wir noch nicht wahrgenommen haben, was nichts anderes heisst, als dass die Perspektiven, aus denen wir ein Ding wahrnehmen können, unerschöpflich sind. Davon zu unterscheiden wäre aber eine prinzipielle Unerschöpflichkeit des Individualwesens des Dinges, unter welchem seine ihm als diesem so und so bestimmten Ding wesentlich zukommenden Bestimmungen zu verstehen sind. Jedes Individuum hat einen ihm als diesem Individuum wesentlichen Bestand an Bestimmungen und Eigenschaften. 166 Das Individualwesen ist so die Gesamtheit der das Individuum ausmachenden Bestimmungen. Husserl weist nun mit Recht daraufhin, dass die unaufhebbare Einseitigkeit, in der ein Ding wahrgenommen wird, auch eine Inadäquation der Bestimmungsgegebenheit, d.h. der Gegebenheit des Individualwesens, impliziert: "Mit anderen Worten, ob es sich um das Wesen eines Dingindividuums handelt oder um das regionale Wesen Ding überhaupt, keinesfalls langt eine einzelne Dinganschauung oder eine endlich abgeschlossene Kontinuität oder Kollektion von Dinganschauungen zu, um in adäquater Weise das gewünschte Wesen in der ganzen Fülle seiner Wesensbestimmtheiten zu gewinnen."16 7 Indem ich dem Ding eine bestimmte Beschaffenheit zumeine oder es unter einen Typus von Ding ordne, meine ich auch der ungesehenen Rückseite des Dinges bestimmte Beschaffenheiten zu. Diese Meinung kann sich nicht auf das eigentliche Gegebensein des Gemeinten, die Beschaffenheit der ungesehenen Seiten, sondern nur auf das eigentliche Gegebensein der Beschaffenheit der uns zugewandten Seite und ver-
gangener Erfahrung, in der wir entsprechende Dinge von allen Seiten gesehen haben und wo solche Vorderseite sich mit einer bestimmt beschaffenen Rückseite zur Oberfläche eines Dinges ergänzte, berufen. Kommt die Rückseite zu eigentlicher Gegebenheit, kann sie sich als anders beschaffen erweisen, als es die auf Grund der zunächst eigentlich gegebenen Vorderseite erfolgte Dingvermeinung implizierte. Indem ich das Ding auf Grund der Ansicht, die es mir von einer Seite bot, und auf Grund vergangener Erfahrung ähnlicher Dinge als gleichmässig rot gefärbt glaubte, nun aber im Herumgehen sich herausstellt, dass es an einer Stelle blau gefärbt ist, ist das Ding als ganzes anders beschaffen als vermeint. Es war vermeint als 'durchgängig rot', in Wirklichkeit aber ist es 'rot mit einer Stelle blau'. 16 8 Was aus dieser in der Einseitigkeit des Wahrnehmens begründeten Inadäquation der Bestimmungsgegebenheit jedoch nicht folgt, ist die Unerschöpflichkeit des Individualwesens in einer endlichen Anzahl von Bestimmungsauffassungen, d.h. noema tischen Sinnen, in denen einem gegenständlichen X jeweils die und die Bestimmungen zugesprochen werden. Wie Husserl selbst einmal bemerkt, schliesst diese Inadäquation in der anschaulichen Gegebenheit noch nicht einmal aus, dass in einem einzelnen noematischen Sinn alle Bestimmungen des betreffenden Dinges gegeben sind. "Denkbar ist (so kann ich jede Wahrnehmung schliesslich umgewandelt denken) eine Wahrnehmung, die den Gegenstand vollbestimmt meint über das hinaus, was von ihm eigentlich wahrgenommen ist." 169 Was die Einseitigkeit der Wahrnehmung impliziert, ist die prinzipielle Unmöglichkeit einer endgültigen anschaulichen Verifikation der Bestimmungsauffassung. "Es ist eine Wesenseinsicht, dass jede Wahrnehmung und Wahrnehmungsmannigfaltigkeit erweiterungsfähig, der Prozess also ein endloser ist; demgemäss kann keine intuitive Erfassung des Dingwesens so vollständig sein, dass eine weitere Wahrnehmung ihr nicht noema tisch Neues beifügen könnte."1 70 Da ich das Ding immer noch aus einer anderen Perspektive betrachten kann, ist die Notwendigkeit einer Revision meiner bisherigen Auffassungen der Dingbestimmung nie restlos auszuschliessen. Aber dass die Dinggegebenheit prinzipiell unabgeschlossen ist, ist nicht gleichbedeutend damit, dass auch das Ding selbst hinsichtlich seiner Bestimmungen unabgeschlossen ist, dass die Anzahl seiner Bestimmungen
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unendlich ist. l7 ! Genausowenig folgt daraus, dass ich ein Ding aus unendlich vielen Perspektiven immer wieder von einer anderen Seite wahrnehmen kann, dass also in seiner Gesamtoberfläche unendlich viele Teile abhebbar sind, dass diese Oberfläche selbst unendlich ausgedehnt sein muss. Ein in seinem Eigenwesen durch eine begrenzte Anzahl primärer Bestimmungen eindeutig definiertes Ding könnte so unter unbegrenzt vielen Hinsichten betrachtet werden. Ein solcher Gegenstand mit endlich vielen Bestimmungen, aber unendlich vielen Seiten könnte in einem prinzipiell unabschliessbaren Wahrnehmungsprozess zur Gegebenheit kommen dadurch, dass jeder Bestimmung des Wahrnehmungsgegenstandes und jedem abstrakten wie konkreten Teil von ihm eine mögliche unendliche Anzahl von Erscheinungen korreliert. Die Une ndlichkeitsdimension im Wahrnehmen wäre somit nicht notwendig ein Reflex einer Unendlichkeitsdimension im Wahrnehmungsgegenstand. Schon eine einzelne Beschaffenheit desselben käme nicht nur in einem einzelnen Anblick, in einer einzelnen Erscheinung oder Abschattung zur Gegebenheit, sondern in möglicherweise unendlichen Reihen von verschiedenen Erscheinungen.! 72 Da diese Darstellung dem deskriptiven Befund der konkreten Husserlschen Wahrnehmungsanalysen in seiner Dingvorlesung! 73 entspricht, wollen wir uns jetzt deren in vielfacher Hinsicht bemerkenswertem Gedankengang zuwenden. Sechs Jahre vor dem Erscheinen der Ideen I gehalten, fehlt in ihr noch die eigentlich noematische Perspektive der Ideen I, obgleich der Begriff des Sinnes eines Aktes bereits durchaus eine Rolle spielt. Im Vordergrund der Strukturanalysen der Wahrnehmung steht noch ganz der Dualismus von präempirischem Empfindungsmaterial und seiner gegenständlichen Apperzeption. Das Erstaunliche jedoch ist, dass seine in den Begriffen dieses Dualismus durchgeführten konkreten Analysen mit einem phänomenalen Begriff des Noemas überaus gut verträglich scheinen. Wenn Husserl im § 14 der dinglichen Qualität die Empfindungsqualität als dem Erlebnis reell-immanenten Empfindungsinhalt gegenübersetzt, dann fehlt hier offensichtlich noch der vermittelnde Begriff des Noemas. Andrerseits wird die Differenz zwischen der dem wahrgenommenen Objekt im Erlebnis korrelierenden Empfindungskomplexion und diesem Objekt auf genau die gleiche Weise bestimmt wie in den Ideen I oder bei Gurwitsch die Differenz von Noema und wirklichem Gegenstand: Ich kann mich mit mannigfachen, inhaltlich verschiedenen Empfindungskomplexionen auf einen identischen Gegenstand be-
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ziehen.! 74 Und wenn für Husserl dieser Tatbestand nichts anderes ausdrückt, als dass jede Wahrnehmung ihren Gegenstand prinzipiell nur von einer Seite gibt - "An solchen Beispielen zeigt es sich, dass jede der verschiedenen Wahrnehmungen zwar Wahrnehmung desselben Gegenstandes ist, dass aber jede den Gegenstand nur von einer 'Seite' und jede ihn von einer 'anderen Seite' zeigt,"!75 - ,dann liegt es nahe, im Begriff der Empfindungskomplexion nichts anderes als einen phänomenalen Begriff des Noemas auszumachen. Doch es wird sich zeigen, dass dieser auf den Begriff der Empfindungdskomplexion aufbauende Begriff des Wahrnehmungsnoemas sich sowohl von dem bedeutungstheoretischen wie dem gestalttheoretischen Noemabegriff unterscheiden würde. Den Wahrnehmungsanalysen in Husserls Dingvorlesung zu Grunde liegt die Einsicht, dass das Wahrnehmen durch und durch ein dynamisches Geschehen ist. Einen Gegenstand zu sehen heisst nicht, einen zeitlosen Akt bIossen Anstarrens zu vollziehen, vielmehr ist es ein sich kontinuierlich entfaltender Bewusstseinsvorgang, innerhalb dessen sich einzelne Phasen nicht nur rein zeitlich durch die jeweiligen Jetztpunkte, sondern auch durch ihre inhaltliche Verschiedenheit unterscheiden lassen. Auf dem Hintergrund unserer bisherigen Ausführungen liegt es nahe, dies so zu verstehen, dass ich innerhalb der Gesamtwahrnehmung eines Objekts die Phase, in der ich seine Vorderseite gesehen habe, von derjenigen, in der mir seine Rückseite gegeben ist, unterscheiden kann, die inhaltliche Unterscheidung der Phasen so relativ auf die verschiedenen gegenständlichen Gegebenheiten ist. Diese Interpretation jedoch rechtfertigte nicht die Rede von einer Dynamisierung des Wahrnehmungsgeschehens, da die Phasen einer so verstandenen Gesamtwahrnehmung selbst mögliche selbständige Wahrnehmungen sind - ich kann ein Ding ohne weiteres nur von einer Seite betrachten, um mich dann anderen Dingen zuzuwenden - die Gesamtwahrnehmung somit nur eine Einheit von möglichen selbständigen Wahrnehmungen ist. Husserl gilt nun aber diese einzelne Wahrnehmung selbst, dieser Anblick des Dinges von nur einer Seite als ein sich in Phasen gliedernder, inhaltlich kontinuierlich verändernder Bewusstseinsvorgang. Die Inhalte, die sich hier verändern, können keine gegenständlichen Inhalte mehr sein, denn es ist dieselbe Seite in derselben Bestimmung, von welcher das Ding gegeben ist. Was sich kontinuierlich ändert, sind die Empfindungskomplexionen, in denen sich durch die gegenständliche Apperzeptionsleistung die Seite und ihre Bestimmungen und durch diese das Ding kontinuierlich abschatten. Zu jeder in die eigentliche Erscheinung fallenden Seite und ihren Bestimmungen gehört so
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102 eine Kontinuität von Abschattungen. "Es ist nicht eine Abschattung da, einmal und nicht wieder. Vielmehr gehört zu dem Quadrat eine Kontinuität von Abschattungen, die 'stetig' ineinander übergehen, also ein Verlauf niederster Differenzen innerhalb einer und derselben Gattung."176 Wenn ich meinen Blick von meinem Schreibtisch aus auf den Baum im Garten fallen lasse, stellt sich mir, selbst ohne dass ich Kopf oder Rumpf bewege, der Baum in kontinuierlich veränderten Abschattungen dar. Selbst wenn ich meine Augen nicht bewusst und forschend den Stamm oder die Krone abtasten lasse, erstarrt mein Blick nie völlig. Und auch die Wahrnehmungsbedingungen, wie z.B. das Licht für das Sehen, verändern sich, sei es auch kaum merklich, beständig. Die in den Blick fallende Seite des Gegenstandes selbst ist somit Einheit in einer Mannigfaltigkeit von Abschattungen, d.h. in phänomenologischer Einstellung: Sie konstituiert sich in einer Mannigfaltigkeit von Abschattungen, nur wenn eine entsprechende Abschattungsmannigfaltigkeit abläuft, kann uns ein bestimmter Gegenstand von einer bestimmten Seite in bestimmten Bestimmungen gegeben sein. "Es muss gerade eine so geartete Abschattungsmannigfaltigkeit stetig zum Ablauf kommen, damit sich erscheinungsmässig im Fortgang der erscheinenden Bewegung das Bewusstsein herausstellen kann: 'dasselbe unveränderte Hexaederquadrat' ."177 Was sich bei meinem Blick auf den Baum kontinuierlich ändert, sind die darstellenden Inhalte, die jedoch von Phase zu Phase gleich aufgefasst sind. Die stetig ineinander übergehenden Abschattungen sind auf einen identischen Gegenstand und eine identische Seite desselben bezogen, in Husserlscher Terminologie: Sie stehen im Verhältnis der Sinnesidentität. 178 Die in einer Wahrnehmung anschaulich gegebene Seite des Gegenstandes ist als Teil der Oberfläche desselben ein abstraktes Moment des Dinges selbst. "Diese Seite ist ein Objektives am Ding, die Seite des Dinges." 179 Andrerseits jedoch ist sie relativ auf die Perspektive, aus der das Subjekt das bestimmte Ding wahrnimmt. Was als Seite gegeben ist, ist abhängig von der Stellung, der Orientierung des Dinges zum Subjekt. Die Seite ist, wie Husserl sagt, subjektiv-objektiv. "Die Seite ist etwas Subjektives, es ist 'meine Wahrnehmungserscheinung' , die mir
zugehört, wofern ich diese und diese Stellung zum Ding einnehme. Und sie ist etwas Objektives. Sie gehört zum Ding, in ihr erscheint das Ding, in ihr kommt es zur Gegebenheit des 'Selbst-da' ."180 Wir können so, eine Bemerkung Husserls zu seinen Vorlesungen aufgreifend, von einer ontischen Erscheinung des Gegenstandes sprechen. 181 Während nun Gurwitschs phänomenale Bestimmung des Noemabegriffs auf einem solchen Begriff der ontischen Erscheinung aufbaut das Ding erscheint in der von ihm eigentlich gegebenen Seite - zeigt Husserl, dass die Seite als ontische Erscheinung des Gegenstandes selbst noch einmal in einer Mannigfaltigkeit von ästhetischen Erscheinungen sich abschattet. "Die ästhetische Erscheinung ist nicht die erscheinende Seite des Gegenstandes selbst, sondern diese 'so wie sie gerade da erscheint' ."182 Kann man nun aber nicht einfach die ontische Erscheinung, die in den Blick fallende Seite des Gegenstandes, auf die Gesamtheit der ihr entsprechenden ästhetischen Erscheinungen reduzieren? Das Ding wäre dann nichts anderes als ein System von Systemen von Erscheinungen. Abgesehen aber davon, dass dies im Rahmen der Husserlschen Bestimmungen die Reduktion der gegenständlichen Gegebenheit auf den Status reeller Immanez bedeutete - Husserl gelten in Ding und Raum die Abschattungen qua apperzipierte Empfindungskomplexe noch als reelle Erlebnisbestandteile -, ist die Art der Einheit des Dinges in der Mannigfaltigkeit der ihm zugehörigen ontischen Erscheinungen prinzipiell verschieden von der Art der Einheit der ontischen Erscheinungen in einer korrelierenden Mannigfaltigkeit ästhetischer Erscheinungen. Die ästhetischen Erscheinungen sind keine abstrakten Teile oder Bestimmungen der gegebenen Seite, sondern sie sind verschiedenartige Darstellungen der jeweils erscheinenden Seite und damit der diese Seite qualifizierenden Bestimmungen. So stehen z.B. dem Rot dieses Bucheinbandes von dieser Seite gesehen, also der Rotqualifizierung dieses Teiles der Oberfläche des Dinges, eine Mannigfaltigkeit von Rotschattierungen gegenüber, nämlich je nach der Beleuchtung, die herrscht, aber auch z.B. eine Violettschattierung oder sogar eine Schwarz schattierung, wenn Dunkelheit herrscht. Es mag zwar möglich sein, aus der Gesamtheit dieser Farbschattierungen und einer vollständigen Kenntnis aller diese Farbschattierungen mitbedingenden Wahrnehmungsumstände die gegenständliche Farbe, das bestimmte Rot dieses Einbandes bzw. dieses Teiles der Oberfläche des Einbandes zu deduzieren, das heisst jedoch keineswegs, dass die gegenständliche Farbe identisch sei mit der, nichts anderes sei als die Gesamtheit dieser Farbschattierungen.
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104 Muss es aber nicht, wenn nicht eine einzige, so eine beschränkte Anzahl von Abschattungen geben, in der sich die Farbe, so wie sie gegenständliche Bestimmung ist, darstellt, muss es nicht einen Bereich maximaler Darstellungen geben sowohl der Seite wie ihrer Bestimmungen? Das Rot dieses Einbandes ist doch sinnlich erlebtes und nicht so etwas wie ein prinzipiell unsinnlicher physikalischer Gegenstand, der bloss eine Erklärungsfunktion für die erlebten Farbschattierungen hat. Aber sowie wir überhaupt das gegenständliche Moment, die Seite oder Bestimmung als Einheit einer Mannigfaltigkeit von inhaltlich verschiedenen Abschattungen auffassen, wäre auch eine phänomenalistische Reduktion ausgeschlossen, da anders das betreffende Moment durch sich ausschliessende Bestimmungen charakterisiert sein müsste. Wie aber können der Gegenstand und seine Momente, seien es Seiten oder Bestimmungen, in sinnlicher Erfahrung unverstellt, so wie sie an sich beschaffen sind, zur Gegebenheit kommen, wenn nicht in einer Erscheinung, die sie genauso darstellt, wie sie sind? Auch wenn dem eigentlich Gegebenen, im Sinne des in den Blick Fallenden vom Gegenstand, selbst nochmals eine Mannigfaltigkeit ästhetischer Erscheinungen korreliert, so muss es doch eine optimale Erscheinung geben, oder der Gegenstand selbst wird, für die Wahrnehmung zunächst, zu einem unerfahrbaren Ding an sich. 183 Husserls Antwort auf dieses Problem lautet: Es gibt optimale Gegebenheit im Wahrnehmungsprozess und alle Wahrnehmung zielt letztlich auf optimale Gegebenheit - "Dieses eigentlichste Gegebenheitsbewusstsein ist das Ziel der Wahrnehmungsbewegung."184 -, aber optimale Gegebenheit heisst nicht Koinzidenz von ästhetischer und ontischer Erscheinung, d.h. ist keine adäquate Gegebenheit. Was als optimale Erscheinung gilt, ist jeweils abhängig davon, mit welchem Interesse ich dem Gegenstand zugewendet bin. "Das natürliche Interesse an einer Blume ist anders als das des Botanikers, und so sind beiderseits die besten Erscheinungen andere, und die volle Gegebenheit, in der sich das Interesse befriedigt, ist beiderseits eine sehr verschiedene." 185 Die optimale Erscheinung ist dann aber nicht eine individuelle, singuläre Erscheinung des Gegenstandes bzw. des gegenständlichen Moments, sondern eine mehr oder weniger grosse Anzahl von singulären Erscheinungen, die alle gleichermassen das herrschende Interesse befriedigen, obwohl sie inhaltlich durchaus in gewissen Grenzen, die ebenfalls durch
das herrschende Interesse festgelegt sind, variieren können. "Die Differenzen, die jede der Maximalgegebenheitserscheinungen erfahren, sind durchaus merklich, gelten aber als irrelevant; sie sind hinsichtlich der Steigerung oder Minderung der Vollkommenheit ohne Bedeutung."186 Je spezifischer das Interesse, ich will z.B. nicht nur erfahren, ob der Gegenstand rot oder blau ist, sondern welche Tönung das Rot oder Blau hat, desto enger sind die Grenzen für die noch erlaubte inhaltliche Variation der Erscheinungen, die als optimale Erscheinungen sollen gelten können. Auf dem Hintergrund dieser Husserlschen Analysen wird die eigentliche Schwäche des gestalttheoretischen Wahrnehmungsbegriffs merklich. Auch Gurwitschs Gestaltphänomenalismus bleibt der Voraussetzung des an sich bestimmten Gegenstandes als des Gegenstandes der Wahrnehmung verhaftet, und, wie sich jetzt zeigt, nicht nurprogrammatisch durch seine, was die Phänomenologie der Wahrnehmung betrifft, epistemologische Zielsetzung. Wird das in der noematischen Erscheinung gegenüber dem nur Mitgegebenen eigentlich Gegebene als adäquate Selbstgegebenheit eines Moments, einer Seite des Gegenstandes aufgefasst, liegt dem die Voraussetzung eines an sich bestimmten Gegenstandes zu Grunde. Die Gesamtheit aller noematischen Erscheinungen beinhaltet das Individualwesen des Dinges, den Gegenstand, so wie er in sich selbst beschaffen ist, vermittels des in jeder noematischen Erscheinung eigentlich Gegebenen. Im Durchlaufen der nach einem jeweiligen inneren Gestaltprinzip organisierten Mannigfaltigkeit von Noemata entfaltet sich dieses Individualwesen des Dinges selbst, und in dem korrelativen Erfüllungsbewusstsein konstituiert sich die reale Existenz desselben. Um das Rätsel der Transzendenz des Wahrnehmungsgegenstandes als die Frage nach der Möglichkeit bewusstseinstranszendenten Seins, das gleichwohl erfahren ist, aufzulösen, bedarf es der Einsicht in und des Verständnisses der Möglichkeit einer Beziehung zwischen Bewusstsein und Gegenstand, die weder Bewusstsein und Gegenstand koinzidieren noch in eine rein äusserliche, dingliche Beziehung auseinandertreten lässt. Die gestaltphänomenalistische Interpretation des Noemabegriffs lässt das Bewusstsein jeweils nur mit einem Moment, einer Seite des Gegenstandes koinzidieren. Der Gewinn dieser Interpretation würde darin bestehen, dass sie ein Verständnis der Erfahrung von Transzendenz zu
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ermöglichen scheint, das nicht mehr auf irgend welche vom erfahrenen Gegenstand unterschiedene vermittelnde Entitäten angewiesen ist. Es ist der Gegenstand selbst, der sich dem Bewusstsein vermittelt durch eine seiner Seiten. Der Gegenstand ist sowohl im Bewusstsein mit einer seiner Seiten wie ausserhalb desselben mit allen anderen. Die Transzendenz des Gegenstandes ist nichts anderes als sein Mehr-Sein gegenüber dem von ihm jeweils eigentlich Gegebenen, und die Erfahrung der Transzendenz ist nichts anderes als das Wissen um die Möglichkeit, sich die anderen Seiten von ihm im Fortgang der Wahrnehmung zu Gesicht bringen zu können. Ist aber diese Interpretation des Ding- und Erfahrungsbegriffs in einer phänomenologischen Erfahrung und Beschreibung des Wahrnehmungsbewusstseins ausweisbar? Wie soll es möglich sein, dass eine Seite des Gegenstandes als abstraktes Moment desselben im Bewusstsein gegeben ist, ohne dass auch die ihn notwendig ergänzenden Seiten gegeben sind? "Kann ein vom Ding unabtrennbares Moment allein zu adäquater Gegebenheit kommen."187 Wie steht es mit der Möglichkeit totaler sinnlicher Täuschung? Verbürgt die adäquate Gegebenheit eines Moments des Gegenstandes nicht die reale Existenz des Gegenstandes? "Wie soll das Moment reell immanent sein und das davon unabtrennbare überhaupt nicht sein?"188 Gurwitschs gestaltphänomenalistische Wahrnehmungstheorie betont die innerliche Einheit des jeweils eine Gegenständlichkeit konstituierenden Systems noematischer Erscheinungen. Die einzelne noematische Erscheinung ist innerlich und funktional bezogen auf alle anderen mit ihr zusammen den Gegenstand konstituierenden Erscheinungen. Gerade dieser gestalthaften Einheit des einen Gegenstand ausmachenden Systems von Erscheinungen wird Gurwitsch aber nicht gerecht, wenn er versucht, im Begriff des Wahrnehmungsnoemas und der noematischen Erscheinung die Wahrnehmung sowohl als extensionalen wie als obliquen Zusammenhang zu beschreiben. Extensional beschreibt er die Wahrnehmung, insofern in ihr ein Moment des Gegenstandes direkt, als es selbst und eigentlich gegeben ist; als obliquen Zusammenhang beschreibt er sie, insofern in ihr das Mitgegebene in unterschiedlichen Graden der Bestimmtheit vermeint ist. Beides ist miteinander unverträglich: Beschreibe ich die Wahrnehmung des eigentlich gegebenen Moments vom Gegenstand als extensionalen Kontext , dann gehören die nicht-eigentlich gegebenen Momente, die das eigentlich gegebene Moment zu einer konkreten gegenständlichen Einheit ergänzen müssen, notwendig mit in diesen Kontext. Andrerseits, wird die Wahrnehmung als intensionaler Kontext, d.h. als Auffassungs- oder
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Bestimmungsakt, ausgedruckt, dann sind ihr vom Gegenstand allein aufgefasste Momente und Bestimmungen gegeben. Zu Grunde liegt diesem Widerspruch aber die in phänomenologischer Reflexion nicht ausgewiesene Voraussetzung, dass der Wahrnehmungsgegenstand der natürliche, d.h. der objektive, raum-zeitlich transzendente, an sich bestimmte Gegenstand ist, dessen Erfahrungserkenntnis die Wahrnehmung leistet - in konstitutionstheoretischer Terminologie ausgedruckt: den die Wahrnehmung in einem fortlaufenden Prozess von Antizipationen und Erfüllungen von Antizipationen, denen ein funktionaler Zusammenhang von noematischen Erscheinungen korreliert, in seinem Sein und So-Sein aufbaut und entfaltet. Mit der Kritik am gestaltphänomenalistischen Wahrnehmungsbegriff beginnt sich eine Umgestaltung der Wahrnehmungsproblematik abzuzeichnen. Die Bestimmung des noematischen Sinnes als Bedeutungsstruktur, als propositionales Schema, in dem etwas als etwas Bestimmtes aufgefasst wird, warf das Problem der Vorgegebenheit des bestimmbaren Gegenstandes auf. Dieser konnte kein biosses X sein. Die phänomenale Bestimmung des Noemas als der Gegenstand selbst von einer bestimmten Seite gesehen, beruhte dagegen auf dem phänomenologisch nicht ausgewiesenen Vorurteil, dass der Gegenstand der Wahrnehmung der an sich bestimmte objektive Gegenstand sei, der sich in eins in der Wahrnehmung konstituieren und in ihr erkannt werden soll. Die Wahrnehmung als theoretisches Erkenntnisstreben, als Abzielung auf objektive, anschauliche Erkenntnis der raum-zeitlichen Gegenstände kann nicht die ursprungliche Gestalt des wahrnehmenden Bewusstseins sein. Ihr voran muss eine erste Begegnung mit Gegenständen liegen, die allem Erkenntnisstreben erst seine Ziele vorgibt. Diese ursprüngliche Gegebenheit ist weder ein Etwas überhaupt noch ein an sich bestimmter, objektiver Gegenstand. Die phänomenologische Frage nach der Wahrnehmung muss versuchen, diese erste Begegnung mit raumzeitlichen Gegenständen, mit weltlichen Gegenständen frei von allen erkenntnistheoretischen Prämissen in den Blick zu bekommen.
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IV. WAHRNEHMUNG UND LEIB
11. DIE WAHRNEHMUNG ALS LEIBLICHES BEWUSSTSEIN
Die phänomenologische Einstellung, in der wir eine Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs zu leisten versuchen, schloss für eine solche Bestimmung jeden Rekurs auf rein körperliche Vorgänge aus. Aller Bestimmung der Wahrnehmung als physikalisch-chemischem Geschehen voran sollte ihre Bestimmung als intentionales Bewusstsein liegen. Der epistemologische Begriff der Wahrnehmung als erfahrend-erkennender Zugang zu bewusstseinstranszendenten, an sich bestimmten Dingen und Ereignissen war zwar insofern ein philosophischer Begriff der Wahrnehmung, als er von keinerlei physikalischen Bestimmungen Gebrauch machte, gleichwohl beruhte er noch auf in phänomenologischer Reflexion nicht eingelösten Voraussetzungen und verwies dadurch auf einen grundsätzlicheren Begriff der Wahrnehmung. An Husserls Einsicht in die prinzipielle Unmöglichkeit adäquater Gegebenheit des Gegenstandes oder eines seiner Momente sowie die damit verbundene Einführung des Begriffs des Interesses anknüpfend, soll jetzt gezeigt werden, wie die Frage nach diesem grundlegenderen Begriff der Wahrnehmung auf eine Leiblichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins führt. Setzt man eine Differenz zwischen Mannigfaltigkeit ästhetischer Erscheinungen und Einheit der ontischen Erscheinung in solcher Mannigfaltigkeit, gibt man mithin den Gedanken an adäquate Gegebenheit in der äusseren Wahrnehmung nicht nur hinsichtlich des Gegenstandes, sondern auch jeden Moments, jeder Seite desselben auf, und begreift man eigentliche Gegebenheit als relativ auf ein jeweils herrschendes Interesse, scheint sich in den wahrnehmenden Akten des Bewusstseins kein an sich bestimmter, höchstens noch auf eine anonyme, transzendentale Subjektivität relativer Gegenstand mehr konstituieren zu können. Wenn es im lebendigen Wahrnehmen kein des-
interessiertes Streben nach originärer Erfahrungserkenntnis eines an sich bestimmten Gegenstandes als Streben nach einer selbstgebenden Erfahrung der einem Etwas überhaupt an sich zukommenden Bestimmtheiten gibt, sondern wenn alles Streben nach optimaler Gegebenheit des Gegenstandes und seiner Momente seine Richtung und sein Ziel von einem bestimmten Interesse empfängt, dann muss mir der Gegenstand als ein Gegenstand dieses Interesses vorgegeben werden, z.B. als biologisches Sein, als Essbares, als ästhetisch Geniessbares usw., das heisst, das Interesse selbst wäre konstitutiv, ginge in den Sinn der Auffassung des Gegenstandes ein; die konstituierende Subjektivität ist eine jeweils so und so interessierte. Es könnte dabei durchaus zugegeben werden, dass es Wahrnehmung im Dienst von wissenschaftlicher Erkenntnis der Welt gibt. Das theoretisch-wissenschaftliche Erkenntnisstreben ist eben ein mögliches Interesse, mit dem ich mich der Welt und ihren Gegenständen wahrnehmend zuwenden kann. Nur, der erkenntnistheoretische Vorrang, der ihm zugesprochen wird, kommt ihm von einem dem lebendigen Wahrnehmungsgeschehen selbst externen Gesichtspunkt aus zu. Damit scheinen wir aber nur bei einem bedeutungstheoretischen Begriff des Wahrnehmungsnoemas, einer intellektualistischen Interpretation der Wahrnehmung als einer Apperzeptionsleistung an in eins bewusstseinsfremden wie bewusstseinsimmanenten Stoffen stehen zu bleiben. Abhängig von einem jeweiligen Interesse fassen wir demnach die sinnlich gegebenen Daten als Erscheinungen eines so und so bestimmten Gegenstandes auf. Das Noema des Aktes ist nichts anderes als der Sinn, in dem ein Etwas als biologisches Sein, Essbares, ästhetisch Geniessbares usw. bestimmt wird. Die Wahrnehmung ist ein bedeutungsgebender Akt, insofern ihre Gegenstände nicht bedeutungslos sind, das heisst, die ihr gegebenen Gegenstände bedeuten dem wahrnehmenden Subjekt etwas. Dass der Wahrnehmungsgegenstand für das Wahrnehmungssubjekt eine Bedeutung hat, ist zwar ursprünglich nicht gleichbedeutend damit, dass er gewisse Bestimmungen hat, denn die Bedeutung, die er hat, kommt ihm als so und so bestimmten zu. Andrerseits muss das nicht besagen, dass uns im Wahrnehmen zunächst ein reiner Gegenstand mit seinen auf jede konkrete Subjektivität irrelativen Bestimmungen gegeben ist, und wir diesen dann jeweils unter das eine oder andere Interesse subsumieren, da die Reinheit und An-sichBestimmtheit selbst als eine Bedeutung, die dem Gegenstand in Relation zu einem Interesse zukommt, begriffen werden kann. Worin aber kann die Bedeutung dieser Überlegungen, die Einführung
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eines Begriffs des Interesses, für das Transzendenzproblem und die Bestimmung des Begriffes des Noemas als des Trägers der Beziehung des Bewusstseins auf seine Gegenstände bestehen? Selbst wenn man die konstitutive Abhängigkeit des Wahrnehmungsgegenstandes von einem bestimmten Interesse des Wahrnehmungssubjekts, von einer bestimmten Einstellung zum Gegenstand zugibt, ist doch damit noch nicht Descartes' Traumargument widerlegt oder das Problem der Geltung, der sei es auch gegenständlich interessierten Vermeinung gelöst. Die Wahrnehmung wird doch weiterhin als Auffassungsleistung bestimmt, jetzt zwar weniger als die eines reinen Bestimmungsvermögens, gleichwohl hat aber der Gegenstand eine Bedeutung, er gilt mir als etwas. Ein mir in der Wahrnehmung gegenständlich Begegnendes begegnet mir als etwas, als Essbares z.B. Doch im Übergang in den durch dieses Interesse definierten Bereich optimaler Erscheinung kann sich herausstellen, dass ich mich getäuscht habe, der Gegenstand befriedigt das Interesse nicht, weil ihm hierzu die nötige Beschaffenheit mangelt - er ist z.B. ungeniessbar, wo ich ihn für essbar hielt. Immer noch scheint die Wahrnehmung als propositionaler Akt aufgefasst zu sein. Solange sie jedoch als solcher gilt, bleibt das Problem der Vorgegebenheit des Gegenstandes ungelöst und ein unendlicher Regress ist unvermeidlich. 1 89 Die Wahrnehmung als propositionalen Akt aufzufassen heisst, sie als komplexen Akt auffassen zu müssen, wobei die eine Komponente des Aktes die Gegebenheit des Etwas leisten muss, das durch die andere Komponente als etwas bestimmt wird. Auch wenn man die Konstitution des Wahrnehmungsgegenstandes in den Wahrnehmungsakten des Bewusstseins nicht mehr als Konstitution eines an sich bestimmten, subjekt-irrelativen Gegenstandes aus Leistungen einer desinteressierten, anonymen Subjektivität begreift, ist damit noch keineswegs jede epistemologische Bestimmung des Wahrnehmungsbegriffs ausgeschlossen. Um zu einer solchen Bestimmung zu gelangen, bedarf es nur einer ebenfalls epistemologischen Interpretation des Interessebegriffs, wonach jedes Interesse, ob theoretisches oder praktisches, eben ein Erkenntnisinteresse ist. Wird das Interesse bloss als interessierte Aufmerksamkeit bestimmt, dann stellt sich hier ebenso unweigerlich das Problem der Vorgegebenheit, d.i. der ersten Gegebenheit des Gegenstandes. Diese selbst müsste als noch unberührt von jedem Interesse, alsjeder interessierten Zuwendung zum Gegenstand vorausgehend, auch von jeder Bedeutung, die relativ auf ein solches ist, frei sein. Gelangen wir so nicht erneut bei einem noch völlig unbestimmten Etwas an? Wie können wir aber an einem unbestimmten
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Etwas überhaupt interessiert sein? Den Erkenntnisleistungen wie den Interessen des Ich ist nicht ein biosses Etwas überhaupt vorgegeben, sie richten sich vielmehr auf konkrete Gegenstände und Ereignisse. Der Gegenstand weckt ein Interesse an ihm, weil er eine bestimmte Gestalt, ein bestimmtes Aussehen, einen bestimmten Geruch usw. hat. Und diese Gestalt, dieses Aussehen, diesen Geruch hat er in Akten der Wahrnehmung, die allen Erkenntnisleistungen und spezifischen Interessen allererst den Gegenstand vorgeben. Sie geben den Gegenstand aber nicht durch eine Bestimmungsleistung, ein Urteilen vor, sondern allein dadurch, dass in ihnen ein Gegenstand erscheint, in Leibhaftigkeit gegenwärtig ist. Dieser Gegenstand, der da in den Wahrnehmungsakten ursprünglich erscheint, kann jedoch nicht der so beschaffene Gegenstand sein, wie er erst Resultat sich an dem vorgegebenen Gegenstand vollziehender Bestimmungsleistungen ist: Wir dürfen also nicht zurückkehren zu einer extensional-realistischen Interpretation der Wahrnehmung, der zu folge die Wahrnehmung die Existenz eines in ihr wahrgenommenen objektiven Gegenstandes als eines Substrats von Bestimmungen, welche wiederum Bedeutungen von Prädikaten sind, garantiert. Zu fragen ist vielmehr nach dem Gegenstand, so wie er vor aller Bestimmungsleistung in propositionalen Akten vorgegeben ist. Zu fragen ist nach dem eigentlichen Wahrnehmungsgegenstand im Gegensatz zum Bestimmungsgegenstand eines prädizierenden Verstandes. Der Gegenstand prädizierender Verstandesleistung ist dabei notwendig fundiert im Wahrnehmungsgegenstand, insofern er nichts anderes als das konstitutive Resultat von Bestimmungsleistungen an demselben ist. Der Wahrnehmungsgegenstand ist das Etwas, das als etwas aufgefasst, bestimmt wird und darin zum Gegenstand des Verstandes wird. Nur ist dieser vorgegebene Gegenstand kein reines Etwas mehr, kein biosses, selbst noch bestimmungsloses Substrat, dem alle Bestimmtheit erst aus den prädizierenden Leistungen zuwächst. Der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Verstandesgegenstand entsprechend müsste auch zwischen Wahrnehmungs- und Verstandesinteresse unterschieden werden. Unserem gewöhnlichen Begriff des Interesses als einer selektiven, aufmerksamen Zuwendung zu einem vorgegebenen Gegenstand, dessen individuelles Wesen sich nicht in den Bestimmungen erschöpft, an denen das jeweilige Interesse interessiert ist, entspricht dabei ausschliesslich das Verstandesinteresse. Unter dem Wahrnehmungsinteresse könnte demgegenüber so etwas wie eine allgemeine und umfassende Einstellung, eine Modalität des wahr-
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nehmenden gegenständlichen Gerichtetseins überhaupt, die bestimmt sein kann z.B. durch die Struktur der vitalen Bedürfnisse, aber auch durch kulturell-historische Prägungen des Subjekts, verstanden werden. Man kann dann sagen, dass das Wahrnehmungsinteresse als eine das konkrete Sein des Wahrnehmungssubjekts ausdrückende, jeder besonderen Wahrnehmung zugrundeliegende, allgemeine Weise, den Gegebenheiten zu begegnen, konstitutiv ist für diese Gegebenheiten als Gegebenheiten der Wahrnehmung, insofern es von der Art des Wahrnehmungsinteresses des jeweiligen Wahrnehmungssubjekts abhängig ist, was der Gegenstand der Wahrnehmung ist. So wie es für augenlose Wesen keine visuellen Gegebenheiten gibt, gäbe es für Wesen, die z.B. keinen Schlaf benötigten, keine Schlafstellen. Nun kann man zwar erneut einwenden, dass dadurch, dass diese Wesen entsprechende Gegenstände nicht als Schlafstellen wahrnehmen, diese Gegenstände nicht verschwinden, sondern mit ihren übrigen Eigenschaften fortexistieren, aber auch dieser Einwand beruht nur wieder auf dem Vorurteil von der Existenz eines an sich bestimmten Gegenstandes. Denn wie es für augenlose Wesen, rein als Wahrnehmungssubjekte, keine Regenbogen oder Sterne geben kann, so könnte man sich vorstellen, dass auch die Bedürfnisstrukturen des jeweiligen Wesens notwendige Existenzbedingungen implizieren für die Gegenstände, die ihm in Wahrnehmungen zugänglich sein können. Was den Streit darum betrifft, ob die Wahrnehmung als intensionaler oder extensionaler Zusammenhang auszudrücken ist, so ist es nach unseren Ausführungen evident, dass sie notwendig immer dann als intensionaler Zusammenhang ausgedrückt werden muss, wenn sie und ihre gegenständliche Gegebenheit am Mass des Verstandesgegenstandes gemessen werden, das heisst, der in gültigen propositionalen Akten bestimmte Gegenstand als der wahrhaft seiende Gegenstand gilt. Von neuem stellt sich diese Frage nun jedoch rein in bezug auf das Wahrnehmen in sich selbst, als die Vorgegebenheit jeglichen weltlichen Gegenstandes leistend. Wird nicht mit dem nicht-propositionalen Begriff der Wahrnehmung jegliche Geltungsproblematik dem Bereich des Verstandes zugewiesen? Dabei fragt es sich jedoch, ob wir nicht auch hinsichtlich der Begriffe von Geltung, Irrtum, Wahrheit, Evidenz usw. einen Wahrnehmungs- von einem Verstandessinn unterscheiden müssen, wobei auch hier der Verstandessinn die uns geläufige Bedeutung ist, und es den spezifischen Wahrnehmungssinn der Begriffe erst zu entdecken gälte. So ist auch der Noemabegriff jetzt zwei Bestimmungen zugänglich, die sich nur dann wechselseitig auszuschliessen scheinen ,
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wenn vergessen wird, dass jede Bestimmung relativ auf einen verschiedenen Standpunkt der Betrachtung ist. In bezug auf den Verstandesgegenstand als den in seinem wahrhaften, d.i. objektiven, subjektirrelativen Sein bestimmten Gegenstand ist der Wahrnehmungsgegenstand radikal subjektiv. Da diese Subjektivität in seiner Sinnbezogenheit auf ein konkretes Wahrnehmungssubjekt besteht, kann der Wahrnehmungsgegenstand vom Standpunkt des Verstandes aus als subjektive Erscheinungsweise eines objektiven Gegenstandes aufgefasst werden. Die Wahrnehmungswirklichkeit erhält in der Verstandesbetrachtung noematischen Status, sie ist subjekt-relatives Sinngebilde. Vom Standpunkt der Wahrnehmung jedoch erscheint die Wahrnehmungswirklichkeit als die einzig wahrhafte, weil erfahrbare, konkrete Wirklichkeit, und die Verstandeswirklichkeit wird zu einer unerfahrbaren Konstruktion, einem biossen Bedeutungsgebilde. Wenn dem Begriff des objektiven, an sich bestimmten Gegenstandes der Begriff eines in Akten der Prädikation erkennenden bzw. Erkenntnis intendierenden Bewusstseins korreliert, so stellt sich die Frage nach dem, dem Wahrnehmungsgegenstand als aller Erkenntnisleistung vorgegebenen Gegenstand korrelierenden Bewusstsein. Im Begriff des Bewusstseins muss sich ein Verstandes- von einem Wahrnehmungssinn unterscheiden lassen, wobei ebenso wie bei den anderen Begriffen, die in diesem Sinne zweideutig sind, der Begriff gewöhnlich ausschliesslich im Verstandessinn gebraucht werden dürfte. Bewusstsein ist demnach für uns ein aufmerkendes, sich seiner selbst bewusstes Gerichtetsein auf einen Bewusstseinsgegenstand, sei er real, irreal oder ideal. Bewusstsein ist immer irgend wie tätig an seinen Gegenständen und alle Tätigkeit desselben ist logische Tätigkeit, Setzen, Bestimmen, Vergleichen, Verallgemeinern usw. Das Problem in bezug auf die raum-zeitliche Wirklichkeit war aber nun, dass Bewusstsein in diesem Sinn nur möglich ist, wenn es Bewusstsein noch in einem anderen Sinn gibt. Zunächst muss ein Gegenstand vorgegeben sein, um an ihm logisch tätig werden zu können. Mit den Prinzipien phänomenologischer Einstellung und Methode unvereinbar und in sich widersprüchlich ist es, für diese Vorgegebenheit irgendwelche physikalisch-physiologischen Vorgänge in der gegenständlichen Wirklichkeit, sei es ausserhalb oder innerhalb des Leibkörpers und seiner Organe, verantwortlich zu machen. Das wahrnehmende Bewusstsein als der Ort ursprünglicher Gegebenheit einer raumzeitlichen Welt mit Gegenständen löst sich weder in einen rein äusserlichen Kausalzusammenhang auf, noch ist ihm, wie dem Verstand, ein
114 Gegenstand, von dem es sich und seine Leistungen als bloss nachkommend unterscheidet, bereits bewusstseinsmässig vorgegeben. Gleichwohl, im Begriff des wahrnehmenden Bewusstseins muss die Wahrheit die sich in der physikalistischen Erklärung einen falschen . Ausdruck sucht, wonach die Wahrnehmung passives Empfangen ihr vorausgehender gegenständlicher Affektionen, Reize ist, mit ihrem Bewusstseinscharakter, wonach sich in ihr die ursprüngliche Gegebenheit von Gegenständen erlebnismässig konstituiert, zusammengedacht werden. Die scheinbare Widersprüchlichkeit dieser Bestimmung aufzulösen, ist nur möglich, wenn das Wahrnehmungssubjekt weder. als bloss physikalisch-chemischer Gegenstand, auf den andere phYSIkalisch-chemische Gegenstände und Vorgänge einwirken - wie sollte es dann den Wahrnehmungsgegenstand konstituieren können? - noch als urteilender und erkennender Verstand - wie sollte es für die für alle Urteils- und Bestimmungsleistung vorausgesetzte Vorgegebenheit des Gegenstandes aufkommen können? - aufgefasst wird. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung des Wahrnehmungsbewusstseins vom explizit-setzenden und prädizierenden Aktbewusstsein führten wir den Begriff des konkreten Subjekts ein. Das Wahrnehmungsinteresse gilt uns, im Gegensatz zu bloss aufme~kenden Hinsichten auf zu bloss einzelne Bestimmungen herausmemenden Auffassungen, ;ls so etwas wie die vitale Bedürfnisstruktur, wi~ eine allgemeine und umfassende Einstellung eines konkreten Subjekts. In diesen Begriffen von einem konkreten Subjekt zu sprechen kann aber offensichtlich nur heissen, von einem leiblichen Subjekt zu sprechen. Bedürftig ist nicht ein reines Aktbewusstsein, sondern ein leibliches Subjekt. Die epistemologische Bestimmung des Wesens der Wahrnehmung, so müssten wir jetzt sagen, wird der Leiblichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins nicht gerecht. Auch wenn es Wahrnehmung als Gestalt des logischen Bewusstseins geben mag, als so etwas wie ausdrückliche Wahrnehmung, Wahrnehmung im Interesse theoretischer Erkenntnis, so ist ein grundlegenderer Begriff der Wahrnehmung gefordert, ein Begriff der Wahrnehmung als leibliches Bewusstsein.
12. HUSSERLS TRANSZENDENTALE BESTIMMUNG DES LEIBES ALS KINÄSTHETISCHES BEWUSSTSEIN Für Husserl ist die konstituierende, d.i. transzendental fungierende Leiblichkeit zunächst nichts anderes als kinästhetisches Bewusstsein,
115 wobei die Selbstbeweglichkeit meines Leibes Bedingung der Möglichkeit einer Wahrnehmung raum-zeitlicher Körper ist. "Zunächst ist der Leib das Mittel aller Wahrnehmung, er ist das Wahrnehmungsorgan, er ist bei aller Wahrnehmung notwendig dabei."190 Als selbstbewegliches System von Wahrnehmungsorganen hat er durch seine Bewegungen eine gewisse Macht über die Erscheinungsabläufe, in denen die Gegenstände sich darstellen; sind diese in der Ordnung ihrer Abfolge doch abhängig von der Bewegungsrichtung, die ich mit meinem Leib einschlage. Durch die Bewegungen meiner Wahrnehmungsorgane und meines Leibes als Gesamtsystem dieser Wahrnehmungsorgane inszeniere ich gewissermassen den Erscheinungsablauf. Husserl hat wiederholt versucht, den funktionalen Zusammenhang zwischen meinen Leibesbewegungen und den Erscheinungsabläufen als Motivationsverhältnis zwischen Abläufen zweier Arten von Empfindungen zu bestimmen. Der Ablauf der kinästhetischen Empfindungen als nicht gegenständlich apperzipierbarer Empfindungen soll den Ablauf der Merkmalsempfindungen, also der hyletischen Daten, die als objektive gegenständliche Bestimmungen darstellend apperzipiert werden, motivieren. "Diejenigen Empfindungen, die extensionale Auffassungen (zu dinglich extendierten Merkmalen) erfahren, sind in ihren wirklichen und möglichen Abläufen motivierte und apperzeptiv bezogen auf motivierende Reihen, auf Systeme von kinästhetischen Empfindungen, die frei in ihrem wohlvertrauten Ordnungszusammenhang ablaufen, derart: wenn ein freier Ablauf dieses Systems statthat (eine beliebige Augen- oder Fingerbewegung statthat), so muss aus dem als Motivat mitverflochtenen Mannigfaltigen die entsprechende Serie in motivierter Weise ablaufen."1 91 Diese Lehre von einem Motivationsverhältnis zwischen zwei Reihen von Empfindungsabläufen lässt sich als Husserls Versuch verstehen, die Frage, was den Leibesbewegungen als objektiven Geschehnissen in der raum-zeitlichen Welt in phänomenologischer Innenbetrachtung entspricht, innerhalb seines Schemas von Auffassung und Inhalt zu beantworten. Nun sind kinästhetische Empfindungen, wie z.B. die Druckund Spannungsempfindungen, die ich beim tastenden Bewegen meiner Hände verspüre, aber keineswegs das Bewegungsbewusstsein, so wie ich es von innen erlebe. Im gewöhnlichen leiblich-perzeptiven Fungieren bin ich mir dieser kinästhetischen Empfindungen einerseits gar nicht
116 bewusst, und wenn ich mich, von den erfahrenen Gegenständen abwendend, auf diese Empfindungen hinwende, so erfahre ich andrerseits auch sie noch als hervorgerufen, als motiviert in Husserls Terminologie, durch meine leiblichen Bewegungen. Druckempfindungen brauchen zwar nicht notwendig durch Selbstbewegung hervorgerufen zu sein, in einer Motivationsbeziehung zum Leib und seiner Stellung stehen sie aber immer. In Texten aus den zwanziger Jahren bezeichnet Husserl den Leib als "Voraussetzung eines jeden 'An-sich'." 192 Das An-sich des Seins eines natürlichen Objekts besteht darin, dass es existiert, auch wenn ich es nicht wahrnehme, sein Sein selbst aber besagt die Möglichkeit, es wahrzunehmen. Diese Möglichkeit ist eine kinästhetische Vermöglichkeit: Ich kann hingehen, um es zu sehen und anzufassen. Im objektiven Sinn bewegt sich allerdings mein fungierender Leib überhaupt nicht. "Der körperliche Leib ist in seiner Gegebenheitsweise als Nullkörper im ganzen genommen einer Stellungsänderung, einer Orientierungsänderung nicht zugänglich, im orientierten Raume weder in Ruhe noch in Bewegung, ungleich allen anderen Objekten."l 9 3 Mit meinem Leib befinde ich mich immer im Orientierungszentrum, vor meinem Blick eröffnet sich der auf dieses Zentrum hin orientierte Raum. Diesen Nullpunkt der Orientierung verlasse ich nie, und wie ein objektiver Körper bewegt sich mein Leib nur, wenn ich mir vorstelle, wie er einem anderen Subjekt von einem anderen Orientierungsnullpunkt aus erscheint. Die gehende Kinästhese hat, wie Husserl sagt, "nur inneren Funktionssinn, aber keinen Sinn einer wirklichen Ortsveränderung des Leibes im Raume."194 Diese gehende oder lokomotive Kinästhese kommt bei Husserl für die Konstitution von Raumlage und Bewegung der erfahrenen Objekte auf. Durch sie erweitert sich das zweidimensionale Feld zum dreidimensionalen Raum. "Der Raum konstituiert sich im Übergang von Nahraum zu Nahraum durch Fernkinästhesen."19s Neben die die Räumlichkeit und räumliche Bestimmtheit der Erfahrungswelt und ihrer Objekte eröffnenden Kinästhesen treten die Gestalt konstituierenden. "Jede eigentlich perzeptive Kinästhese ist entweder Gestalt konstituierende oder annähernde und entfernende." 196 Das intentionale Korrelat dieses leiblich-perzeptiven Bewusstseins ist die Welt anschaulicher Erfahrung. Diese ist relativ auf normal fungierende Leiblichkeit. Der Existenz dieser Welt entspricht auf der Seite des Subjekts, wie Husserl sagt, ein Gesamtsystem orthologischer Wahrnehmungen. "Solange wir festhalten ein Subjekt, das sich gegenüber die
117 eine und selbe raumzeitliche Welt als identisch reale Welt behält , müssen wir ihm ein System orthologischer Wahrnehmungen von Anfang bis Ende zuschreiben." 197 Alle heterologischen Wahrnehmungen auf Grund anomal fungierender Wahrnehmungsorgane ergeben auf dem Hintergrund des Systems orthologischer Erfahrungen subjektiven Schein. In der modemen Naturwissenschaft ist jedoch dieses Gesamtsystem orthologischer Mannigfaltigkeiten und ihr in tentionales Korrelat, die sinnenanschauliche Welt, selbst noch zu einer bloss subjekt-relativen Erscheinung der ausschliesslich quantitativ bestimmten wahren Natur geworden. "Dabei ist unter dem Titel 'wahres' oder 'objektives' Ding noch ein Doppeltes zu verstehen: I) Das Ding, wie es sich mir unter 'normalen' Bedingungen darstellt, demgegenüber alle anderen dingartigen Einheiten - die unter 'anomalen' Bedingungen konstituierten - zum 'biossen Schein' herabsinken; 2) der identische Bestand an Qualitäten, der sich unter Absehung von aller Relativität herausarbeiten und logisch-mathematisch fixieren lässt: das physikalische Ding."19 8 Nicht deutlich ist, wie sich der Raumbegriff bei Husserl in diese zweifache Differenz von subjektiv und objektiv einordnet. In den Ideen II unterscheidet Husserl den objektiven Raum, den Raum der Physik, als "eine formale Einheit der zu den wechselnden Qualitäten gehörigen Identifizierungen"199 von einem phänomenalen Raum, einem subjektiven Raum, womit Husserl scheinbar den je-eigenen Orientierungsraum meint. Die Frage ist, ob nicht der erste objektive Raum selbst noch ein anschaulicher Raum ist, eben der Raum der sinnenanschaulichen Welt als Korrelat orthologischer Wahrnehmungsmannigfaltigkeiten.20o Der fungierende Leib ist nun aber nicht reine Spontaneität. Das Hervorbringen der Erscheinungsabläufe ist kein absolutes Erzeugen derselben und der darin erscheinenden gegenständlichen Einheiten. Der subjektiv gelebte Leib ist ein Lokalisationsfeld für Empfindungen, das heisst, "zum Leib wird er nur durch das Einlegen der Empfindungen im Abtasten, durch das Einlegen der Schmerzempfindungen usw., kurzum durch die Lokalisation der Empfindungen als Empfindnisse.''201 Um wahrnehmen zu können, muss ich meinen Leib als System von Wahrnehmungsorganen Affektionen aussetzen. Dieses Aussetzen ist meine kinästhetische Vermöglichkeit.
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"Das Subjekt, das sich als Gegenglied der materiellen Natur konstituiert, ist ... ein Ich, dem als Lokalisationsfeld seiner Empfindungen ein Leib zugehört; es hat das 'Vermögen' ('ich kann'), diesen Leib bzw. die Organe, in die er sich gliedert, frei zu bewegen, und mittels ihrer eine Aussenwelt wahrzunehmen.''202 Was Husserl mit diesen Analysen und Bestimmungen zu fassen sucht, ist ausschliesslich der fungierende Leib in reiner Innenbetrachtung, noch ohne jede phänomenale Selbstvorstellung. 203 Für Husserl ist es ein eigenes Problem, wie dieser fungierende Leib dazu kommt, sich selbst als Teil der Wahrnehmungswelt zu erfahren. Die Frage ist, ob ein solcher transzendentaler Begriff der Leiblichkeit des wahrnehmenden Bewusstseins phänomenologischer Rechtfertigung überhaupt zugänglich ist. Ein erster Einwand dagegen könnte so lauten: Auch wenn man noch akzeptieren kann, dass es so etwas wie subjektiv-private, rein immanente Denkerlebnisse gibt, wie z.B. Urteile oder Erinnerungen, muss es doch absurd anmuten, von so etwas wie subjektiv-privaten, rein immanenten leiblichen Bewegungen zu sprechen. Und spricht man stattdessen von einem subjektiv-privaten Bewegungsbewusstsein, so fragt sich, was damit anderes gemeint sein kann als ein Bewusstsein von Bewegung, als Bewegungsvorstellung. Gegen diesen Einwand kann man zunächst darauf verweisen, dass sich die Frage, wie ich mein sinnlich-leibliches Fungieren ohne Rekurs auf phänomenale Selbstvorstellung fassen kann, in analoger Weise in gewissem Sinn auch in bezug auf das Denken stellen liesse: Wie soll ich das Denken fassen können, ohne auf seinen sprachlichen Ausdruck zu rekurrieren? Selbst wenn ich privat denke, vollzieht sich mein Denken offenbar nicht ohne sprachlichen Ausdruck. Und wenn ich den sprachlichen Ausdruck wegnehme, was bleibt dann vom Denken eigentlich übrig? Alle diese Fragen implizieren jedoch eine verkehrte Auslegung des Sinnes der phänomenologischen Einstellung, denn diese einnehmen zu wollen muss keineswegs bedeuten, an die Möglichkeit eines reinen, sprachfreien Denkens oder eines sozusagen fleischlosen transzendentalen Leibes zu glauben. In phänomenologischer Einstellung soll der Vollzugscharakter des Bewusstseins und seiner Gestalten zur Geltung gebracht werden, das Bewusstsein, so wie es in sich selbst beschaffen ist, wie es sich selbst vollzieht. Hierfür soll von seiner Aussenbestimmtheit, von seiner phänomenalen Aussenansicht kein Gebrauch
gemacht werden. Deshalb sind das prä phänomenale Bewusstsein und seine phänomenale Erscheinung aber nicht zwei völlig verschiedene Sachen, die miteinander nichts oder nur zufällig etwas zu tun hätten. Sie stehen vielmehr im Verhältnis der intentionalen Korrelation zueinander, und dieses kann so beschaffen sein, dass bei der so und so bestimmten Struktur des Bewusstseins, bei seiner so und so bestimmten Tätigkeitsweise die und die phänomenale Aussenansicht als intentionales Korrelat sich konstituiert. Ein zweiter, weit gewichtigerer Einwand gegen die Möglichkeit, so etwas wie leibliches Bewusstsein phänomenologisch zu bestimmen, würde darauf verweisen, dass wir selbst niemals rein leibliches Bewusstsein sind bzw. dass, wenn wir rein leibliches Bewusstsein sind, dies eher eine Form des Unbewusstseins für uns ist wie bei allem bloss 'automatischen' Tun. Werde ich mir nachträglich solchen Tuns bewusst, erscheint es mir immer in seiner phänomenalen Gestalt: Ich erinnere mich, wie meine Hand die Tasse zum Mund führte, wie meine Beine die Pedalen traten usw. Husserl selbst gibt in einem anderen Zusammenhang einen Hinweis darauf, wie man sich eine Überwindung dieser Schwierigkeit denken könnte. Ihm zufolge können wir uns die Umwelt niederer Lebewesen durch Abbau unserer vollen Naturerfahrung vergegenwärtigen. "Wir können unsere volle Erfahrung (die Wahrnehmung, die originäre Erfahrungsapperzeption) in gewisser Weise systematisch abbauen, wir können uns überlegen, wie die Wahrnehmung ihren Horizonten nach beschaffen sein müsste, wenn wir gewisse Erfahrungen aus der Genesis ausschalten, also annehmen, dass gewisse Gruppen von Erfahrungen nie möglich gewesen wären.''204 Indem wir alle logischen Momente abstraktiv aus unseren gewöhnlichen Erfahrungen entfernen, würden wir das rein sinnlich-leibliche Bewusstsein übrigbehalten. 20 5 Damit führte man allerdings doch ein konstruktives, ja reduktives Moment in die phänomenologische Analyse des Bewusstseins ein. Das muss aber nicht notwendig die Aufgabe der phänomenologischen Einstellung bedeuten, vorausgesetzt, wir haben einen nicht konstruierten, sondern einen aus phänomenologischer Erfahrung gewonnenen Begriff des logischen Bewusstseins. Was sich bei Husserl kinästhetisch konstituiert, ist die sinnenanschauliche Welt mit dem objektiven Raum. In ihrer inhaltlichen
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Bestimmtheit ist diese relativ auf die Beschaffenheit der Wahrnehmungsorgane. Solange jedoch der Leib allein als Gefüge von Wahrnehmungsorganen im Blick ist, spricht man von ihm nur als einem biossen Erkenntniswerkzeug; die Sinne geben uns Kunde über die anschauliche Beschaffenheit der Welt und ihre Gegenständlichkeiten. Wie das vorangegangene Kapitel andeutete, steht aber das leibliche 'Ich tue' und 'Ich kann tun' zunächst nicht im Dienst theoretischer, sondern praktisch-vitaler Interessen. Was sich im leiblich-perzeptiven Fungieren ursprünglich konstituiert, ist keine bloss auf normale Sinnesorgane relative Sinnenwelt, sondern eine durch die leiblichen Bedürfnisse des Subjekts in vitale Bedeutsamkeiten gegliederte Umwelt und Lebenswelt. Von Husserls Analysen mitinspiriert hat Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung versucht, die Leiblichkeit des Subjekts in diesem umfassenden Sinn zu thematisieren. Dabei hat er jedoch, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, den Boden der Husserlschen Analysen, die phänomenologische Einstellung, verlassen.
13. DER LEIB ALS SUBJEKT DER WAHRNEHMUNG
In kritischer Auseinandersetzung mit den Versuchen empiristischnaturwissenschaftlicher Erklärung des Wahrnehmungsgeschehens und seiner intellektualistischen, epistemologischen Interpretation als einer Leistung des Verstandes glaubt Merleau-Ponty, die Einseitigkeit beider Wahrnehmungsbegriffe überwinden zu können, ohne deren eben zu einseitigem und deshalb falschem Ausdruck kommenden Wahrheiten aufgeben zu müssen, indem er im Leib das Subjekt der Wahrnehmung endeckt: "Da der Leib, mit dem wir wahrnehmen, gleichsam ein natürliches Ich und selbst das Subjekt der Wahrnehmung ist."206 Nach den bisherigen Ausführungen versteht es sich von selbst, dass Merleau-Ponty mit dem Wort Leib nicht ein biosses Aggregat von Sinnesorganen, Nervenzellen und -leitern, einem Gehirn, von körperlichen Organen also, die in einer physikalistischen Wahrnehmungstheorie ihre Rolle spielen, meinen kann. Nicht der Leib als objektives Ding naturwissenschaftlicher Bestimmbarkeit, sondern ein phänomenaler Leib ist ihm zufolge das Subjekt der Wahrnehmung. "Das Auge ist nicht der Geist, sondern ein materielles Organ. Wie vermöchte es jemals wem dann auch 'Rechnung zu tragen'? Es
vermag es nur, wenn wir dem objektiven Körper den phänomenalen Leib zur Seite stellen, ihn als erkennenden Leib begreifen, und als Subjekt der Wahrnehmung an die Stelle des Bewusstseins die h· . Existenz, d.h. das Zur-Welt-Sem-durc -emen- L·b el se t zen. "207 In seinem frühen, seiner Phänomenologie der Wahrnehmung vorangehenden Werk Die Struktur des Verhaltens versucht Merleau-Ponty zu zeigen, dass es so etwas wie einen phänomenalen Leib gibt, in de~ er im Anschluss an Einsichten und Erkenntnisse der Gestaltpsychologie und der modernen biologischen Verhaltensforschung nachzuweisen sucht, "dass es zwischen blindem Mechanismus und intelligentem Verhalten eine gerichtete Tätigkeit gibt, die in den klassischen Formen des Mechanizismus und des Intellektualismus keine Berücksichtigung findet."20ß So ist für ihn, im Gegensatz zu den Bestimmungen des empiristischen Physikalismus und Behaviorismus, das Verhalten eines Lebewesens nicht blosser Komplex isolierter Reaktionen, die von isolierten objektiven Reizen automatisch hervorgerufen werden, sondern es hat einen bestimmten Sinn, eine Bedeutung, die relativ ist auf die artspezifischen Absichten und Bedürfnisse des Lebewesens. Damit etwas ein Stimulus sein kann, muss es in Beziehung zum Aktionsprogramm des Tieres stehen. Ein Frosch z.B. nimmt nur fliegende Insekten wahr, nur diese stimulieren ihn. Jeder Organismus prägt so den ihm begegnenden Reizen einen spezifischen biologischen Wert auf, so dass der Zusammenhang von Organismus und Umwelt nicht der einer linearen, sondern zirkularen Kausalität ist. Der Organismus hängt nicht ab von objektiven Reizen, sondern bringt die Reizgestalten in gewissem Sinn selbst hervor. "Da alle Bewegungen des Organismus stets durch äussere Einflüsse bedingt sind, kann man durchaus, wenn man so will, das Verhalten als eine Wirkung der Umwelt behandeln. Doch da alle Reize, die der Organismus aufnimmt, ihrerseits erst ermöglicht wurden durch die vorausgehenden Bewegungen, die schliesslich das Rezeptionsorgan den äusseren Einflüssen aussetzen, könnte man gerade so gut sagen, das Verhalten sei die Primärursache aller Reize. So wird die Reizgestalt durch den Organismus selbst geschaffen, durch seine eigentümliche Art und Weise, sich den äusseren Einwirkungen auszusetzen."2 09
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Die Reaktionen des Organismus sind so keine aus elementaren Bewegungen bestehenden Bewegungsabfolgen, sondern innerlich sinnhaft geeinigte Gesamtbewegungen. Und von Sinn und Bedeutung eines Verhaltens zu sprechen, heisst immer auch von seiner Allgemeinheit zu sprechen, so dass sich auch die mechanistische Lerntheorie des bedingten Reflexes als unhaltbar erweist. Der Organismus ist in seinen Reaktionen nicht an konkrete Anstösse und Reize kausal gebunden, er reagiert vielmehr auf Situationen, Reizgestalten, die bei durchaus möglicher Verschiedenheit im einzelnen eine typische Struktur gemeinsam haben. "Die Erfahrung besteht beim Organismus nicht in der Registrierung und Fixierung bestimmter wirklich ausgeführter Bewegungen: Sie bildet Fähigkeiten aus, d.h. ein allgemeines Vermögen, auf Situationen eines bestimmten Typs mit variablen Reaktionen zu antworten, die nur den Sinn gemeinsam haben. Die Reaktionen sind also keine Folge von Ereignissen, sie haben als solche eine ihnen 'innewohnende Verständlichkeit'. So verbinden sich Situation und Reaktion von innen her durch ihre gemeinsame Teilhabe an einer Struktur, in der sich die eigentümliche Tätigkeitsweise des Organismus ausprägt."2 I 0 So hat auch die Situations- und Reizgestalt einen auf den Organismus und sein artspezifisches Wesen relativen Sinn, eine typische Reaktion folgt auf eine typische Affektion. Nun ist es evident, dass diese für die Wissenschaft der Biologie und Psychologie durchaus bedeutsamen Einsichten zur Beantwortung der Wesensfrage nach der Wahrnehmung keineswegs hinreichen. Das Lebewesen und sein Verhalten, die Situationen, in denen es sich befindet und auf die es reagiert, sind wenn auch nicht physikalische Gegenstände, so doch Gegebenheiten in der raum-zeitlichen Welt, die der Biologe wahrnimmt und in ihren Gesetzmässigkeiten und Strukturen zu erforschen sucht. Die phänomenologische Einstellung verpflichtet uns aber, den Begriff der Wahrnehmung allein aus phänomenologischer Erfahrung und Reflexion auf das wahrnehmende Bewusstsein, die Wahrnehmungserlebnisse zu schöpfen. Blieben wir bei einer Bestimmung des leiblichen Bewusstseins als sinnhaftes und gerichtetes Verhalten eines Lebewesens stehen, dann hätten wir noch keinen eigentlichen phänomenologischen Wahrnehmungsbegriff. Merleau-Ponty sieht sich nun jedoch selbst im Rahmen seiner Analysen von der Aussenbetrachtung auf eine Innenbetrachtung ver-
wiesen. Was das Verhalten von einem bloss äusserlich-mechanischen Vorgang in Raum und Zeit unterscheiden soll, ist seine sinnhafte, gestalthafte Einheit, seine Bedeutsamkeit. Verhalten und Verhaltensumwelt bilden einen Strukturzusammenhang, nicht lässt sich ihre Bezogenheit aufeinander rein mechanisch in Kausalverhältnisse auflösen. Sinn, Gestalt, Bedeutung, Struktur sind aber wesentlich noematische Begriffe, das heisst, Sinn existiert nicht schlicht in der Welt, sondern nur für ein sinnstiftendes und sinneriebendes Bewusstsein, womit sich die Frage nach dem Bewusstsein stellt, dem so etwas wie ein bedeutsames und sinnhaft geeinigtes Verhalten gegeben ist. Dieses Bewusstsein ist nun für Merleau-Ponty kein anderes als das Wahrnehmungsbewusstsein selbst. "Die Gestalt ist keine physikalische Realität, sondern ein Wahrnehmungsobjekt."211 Bevor wir an sich seiende Dinge, physikalische Gegenständlichkeiten erkennen, sind uns in einer ersten Wahrnehmung menschliche Bedeutsamkeiten in Form von Gesten, leiblichem Ausdruck und Verhalten sowie auf menschliche Tätigkeit verweisende Gebrauchscharaktere der umweltlichen Gegenstände unmittelbar gegeben. "Man ist versucht, zu behaupten, dass nach dem menschlichen Leib die vom Menschen geschaffenen Gebrauchsgegenstände es sind, die das Feld der beginnenden Wahrnehmung ausmachen. "212 Damit aber muss die Wahrnehmung in einem zweiten Sinn thematisch werden. Gründet das Studium des zunächst als leibliche Intentionalität bestimmten menschlichen und tierischen Verhaltens in Wahrnehmung dieses Verhaltens, so fragt sich, ob diese Wahrnehmung selbst wieder als bloss leibliches Verhalten bestimmt werden kann. Die Identifikation dessen, was ich wahrnehme, ein bedeutsames Verhalten, mit dem, was ich tue, wenn ich ein bedeutsames Verhalten wahrnehme, setzt eine reflektive Selbsterkenntnis voraus. Diese reflektive Selbsterkenntnis als Selbstwahrnehmung von aussen aufzufassen, würde aber bedeuten, einen unendlichen Regress herbeizuführen, und die Selbsterkenntnis, die solche Identifizierung allein rechtfertigen kann, muss eine Erfahrung des Verhaltens bzw. des Wahrnehmens von innen sein. 213 Zu solch einer Innenbetrachtung des leiblich-perzeptiven Verhaltens geht Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung über. "Die Funktion des lebendigen Leibes kann ich nur verstehen, indem ich sie selbst vollziehe, und in dem Masse, in dem ich selbst dieser einer Welt sich zuwendende Leib bin."214 Diese Reflexion kann für ihn nun aber nicht zurückführen auf ein reines Aktbewusstsein, von dem die Gegenständlichkeiten als blosse
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Konstitutionsresultate seiner Geltungsvollzüge unterscheidbar sind. Solcherart Reflexion scheitert gerade am je-eigenen Leib. "So widersetzt sich die Erfahrung des eigenen Leibes der Bewegung der Reflexion, die das Objekt vom Subjekt, das Subjekt vom Objekt lösen will, in Wahrheit aber uns nur den Gedanken des Leibes, nicht die Erfahrung des Leibes, den Leib nur in der Idee, nicht in Wirklichkeit gibt."215 Die Reflexion auf den gelebten Leib führt nicht auf reine Bewusstseinsgestalten einer res cogitans, sondern auf einen phänomenalen Bereich, in dem Innen und Aussen untrennbar verschmolzen sind. "Dieses Feld der Phänomene ist keine 'Innenwelt', die 'Phänomene' selbst sind keine 'Bewusstseinszustände' oder 'psychische Tatsachen', die Erfahrung der Phänomene ist keine Introspektion oder Intuition im Sinne Bergsons.''216 In seiner Phänomenologie der Wahrnehmung versucht Merleau-Ponty darzustellen, wie Aktbewusstsein als vorstellendes und explizit setzendes, als objektivierendes Bewusstsein fundiert ist in diesem phänomenalen Bereich, den der Leib in seinem Fungieren eröffnet und zu dem er selbst gehört, und wie dieses Fundiertsein sozusagen die unaufhebbare Schwäche des Aktbewusstseins ist, die es verhindert, dass dieses sich jemals zu einem absoluten Bewusstsein, dem alles Seiende biosses Korrelat seiner Setzungen ist, abschliesst. Ohne dieses Fundament in einer fungierenden Leiblichkeit wäre die gegenständliche Konstitution des Aktbewusstseins absolute Erzeugung des Gegenstandes als eines bloss irrealen Gedankens- bzw. Vorstellungsinhalts, einer blossen Bedeutung. Allem Aktbewusstsein, allem Stellungnehmen und Setzen zuvor ist uns jedoch eine Welt mit Gegenständen gegeben, auf welche dieses sich richten kann, und zwar durch eine leiblich fungierende Intentionalität, bei der kein Gefälle der Seinsgeltung zwischen Intendierendem und Intendiertem besteht, so dass das Intendierte nicht mehr ein auf ein absolutes Sein bloss relatives Sein ist. Es handelt sich um "eine Form der Sinnstiftung, die nicht die eines universalen konstituierenden Bewusstseins ist."217 Merleau-Ponty spricht so von der 'Kommunion' zwischen Empfinden und empfundener Qualität oder von der 'Synchronisation' des Empfindungssubjekts mit seinem Milieu: "Das Subjekt der Empfindung ist weder ein von einer Qualität Kenntnis nehmender Denker noch ein träges Milieu, das von einer
solchen affiziert und modifiziert wird, sondern ein Vermögen, das mit jedem Existenzmilieu in eins entspringt und mit ihm sich synchronisiert." 218 Leib und Welt bilden für ihn ein System, eine Gestalt, 219 in der das eine vom anderen unabtrennbar ist und keines den Vorrang, sei es des logischen, des kausalen oder konstitutiven Ursprungs besitzt. "Ding und Welt sind mir gegeben mit den Teilen meines Leibes, nicht dank einer 'natürlichen Geometrie', sondern in lebendiger Verknüpfung, vergleichbar mit der, die zwischen den Teilen meines Leibes selbst herrscht."2 20 Durch das Gebundensein an einen Leib ist das Bewusstsein immer schon in einer Welt situiert, ehe es sich zu dieser in seinen Akten eigens verhält. Uns selbst als verständige Wesen voraus hat uns unser Leib an eine Stelle in der Welt versetzt. Merleau-Ponty nennt so den Leib "das Vehikel des Zur-Welt-Seins"221 oder auch "das Vermögen dieser Welt."222 Der Leib als Anhaltsvermögen an der Welt ist kein Vorstellungsvermögen. Seine Intentionalität realisiert sich in seinen Bewegungen, Tätigkeiten, Verhaltensweisen. Gleichwohl, es ist eine Intentionalität, der Leib bringt Welt und Gegenstände zur Gegebenheit in der Weise ihrer V erfügbarkeit für die praktischen und theoretischen Tätigkeiten des Subjekts. "Die Bewegungserfahrung unseres Leibes ist kein Sonderfall einer Erkenntnis; sie eröffnet uns eine Weise des Zugangs zur Welt und zu den Gegenständen, eine 'Praktognosie', die es als eigenständig, ja vielleicht als ursprünglich anzuerkennen gilt."223 Aufgabe einer Philosophie der Wahrnehmung ist es für Merleau-Ponty nicht , Kriterien zu finden für die Unterscheidung von Wahrnehmung und Illusion, sondern allein diesen ursprünglichen Weltbezug, diese ursprüngliche Welterfahrung gegenüber allen sie verdeckenden empiristischen oder rationalistischen Rekonstruktionsversuchen zur Erscheinung zu bringen und beschreibend auszulegen. "Es gilt das Bewusstsein mit seinem eigenen präreflexiven lebendigen Beisein bei den Dingen zu konfrontieren, es zu seiner eigenen vergessenen Geschichte zu erwecken."224
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In seinen konkreten Beschreibungen dieses leiblichen Zur-Welt-Seins schliesst sich Merleau-Ponty Husserls Bestimmung dieses ersten Bewusstseins als eines 'Ich kann' -Bewusstseins an. Der Leib ist für ihn jedoch mehr als kinästhetisches Vermögen, als Wahrnehmungsorgan. Leiblich zur Welt sein heisst zunächst, handelnd sich in seiner Umwelt einzurichten, der Leib ist mir ursprünglich als Vermögen zu bestimmten vitalen Handlungen gegeben. "So kann ich also durch das Mittel meines Leibes als Vermögen einer Anzahl vertrauter Handlungen in meiner Umgebung als Sammlung von manipulanda mich einrichten, ohne Leib und Umgebung erst als Objekte im Kantischen Sinn zu nehmen .... "225 Entsprechend tritt bei Merleau-Ponty an die Stelle des Husserlschen Orientierungsraumes der Situationsraum. Die Räumlichkeit des Leibes ist keine Positions-, sondern eine Situationsräumlichkeit, "die Verankerung des aktiven Leibes in einem Gegenstand, die Situation des Körpers seinen Aufgaben gegenüber."226 Die Leibesglieder sind nicht bloss Wahrnehmungsorgane, sondern eine Art Werkzeuge, die jeweils verschiedene Bedeutung für die verschiedenen zu bewältigenden Aufgaben besitzen. Körperraum und Aussenraum bilden zusammen 'ein praktisches System'22 7 und die Räumlichkeit des Leibes vollzieht sich im Handeln. Mit dem Begriff des Körperschemas versucht Merleau-Ponty dieses Bewusstsein meines Leibes als eines Gefüges von praktischen Vermöglichkeiten zu fassen. Es ist nicht nm ein Gesamtbewusstsein von der jeweiligen Stellung und Zuordnung der Körperteile, sondern eine aktive Einordnung derselben entsprechend ihrer Relevanz für die jeweils vorliegende Aufgabe, die jeweilig zu verwirklichende Absicht. "Mein Leib erscheint mir als Bereitstellung für diese oder jene wirkliche oder mögliche Aufgabe."228 Die Spontaneität des fungierenden Leibes beschränkt sich somit nicht auf das Inszenieren von Erscheinungsabläufen, sondern besteht in einem aktiven Eingreifen, einem praktischen Sich-Aneignen der umweltlichen Gegebenheiten. In den Analysen dieses leiblichen Aneignungsprozesses von Welt erhält sich bei Merleau-Ponty nun jedoch eine grundsätzliche Zweideutigkeit hinsichtlich der Seinsweise des fungierenden Leibes. Auch wenn diese Analysen in reflektiver Vergegenwärtigung vollzogen sind, so bleibt für Merleau-Ponty der gelebte Leib, der Eigenleib ein phänomenaler Leib. "Nie ist es unser objektiver Körper, den wir bewegen,
sondern stets unser phänomenaler Leib."229 Da für ihn das Wahrnehmungsproblem sich auf das engste mit dem Problem des leibseelischen Dualismus verbindet und es ihm darum geht, die "Unterscheidung zwischen dem Leib als Mechanismus-an-sich und dem Bewusstsein als Sein-für-sich zu überwinden,"23 0 fällt er immer wieder auf den Bereich der Phänomenalität als vermeintlich Mittleres zwischen An-sich und Für-sich zurück. Nun ist aber der fungierende Leib als perzeptives Verhalten eine phänomenale Gegenständlichkeit und als solche in einer wie auch immer von naturwissenschaftlicher Erforschung unterscheidbaren Aussenbetrachtung gegeben. Der fungierende Leib als Aktbewusstsein im engeren Sinn phänomenale Gegenständlichkeiten vorgebender ist dagegen eine wie auch immer vom propositionalen, prädizierenden, logischen Bewusstsein unterscheidbare Weise des Bewusstseins, und in phänomenologischer Einstellung, so wie wir sie bestimmten, müsste der fungierende Leib als eine Weise des Bewusstseins der erste Leib sein, auf den der phänomenale Leib als intentionales Korrelat relativ ist. Merleau-Ponty bestreitet aber gerade die Möglichkeit solch einer Unterscheidung zwischen einem ersten und einem zweiten Leib beim Eigenleib. Für ihn soll der Begriff des fungierenden Leibes gerade die Aufhebung dieses Gegensatzes von Aussen und Innen, von An-sich und Für-sich leisten. Für ihn ist das Zur-Welt-Sein in eins Bewusstsein und phänomenales Verhalten, für ihn sind Phänomenalität und Transzendentalität bloss zwei gleichberechtigte und gleichursprüngliche abstrakte Aspekte dieses Seins zur Welt. Diese Einheit von Transzendentalität und Phänomenalität bin ich selbst durch meinen Leib. Insofern mein Leib für mich das Mittel der Kommunikation mit der Welt ist - "Bewusstsein ist Sein beim Ding durch das Mittel des Leibes."231 -, d.h. transzendentale Bedingung der Gegebenheit einer phänomenalen Welt mit Gegenständen, ist er zwar im ursprünglichen Leibbewusstsein niemals ein Gegenstand wie jeder andere, aber er ist doch auch ein Gegenstand: "Ich erfasse meinen Leib als SubjektObjekt, als fähig zu 'sehen' und zu 'leiden'! "2 32 Es ist eben ein Gegenstand, bei dem ich abstandslos gegenwärtig bin, den ich von innen lebe und bewege, wobei Merleau-Ponty das Verhältnis zwischen Entschluss und Leibesbewegung ein magisches nennt. 23 3 Für Merleau-Ponty macht offenbar allein unser Eingelassensein in einen phänomenalen Leib eine ursprüngliche, nicht begrifflich setzende Begegnung mit gegenständlichen Phänomenen möglich. Uns muss selbst ein Moment der Phänomenalität eigen sein, damit uns eine phänomenale Welt
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gege ben sein kann. 234 Eine der Bestimmungen, die Merleau-Ponty für den Leib gibt, zielt besonders deutlich auf dessen phänomenalen Charakter, und zwar die des Leibes als angeborener Komplex. 235 Mit dieser Bestimmung wird der Leib als biologisches Sein, als Organismus, in dem unsere persönliche Existenz fundiert ist, angesprochen. Merleau-Ponty greift damit auf Überlegungen aus seinem früheren Werk Die Struktur des Verhaltens zurück. Dort glaubt er, gemessen an dem Kriterium wie weit ein Verhaltenssubjekt jeweils in der konkreten Verhaltenssituation untertaucht, drei Typen von Verhalten unterscheiden zu können. 236 Im synkretistischen Verhalten, als einem reinen Instinktverhalten, bleiben die verschiedenen Verhaltensweisen als feste Verhaltensmechanismen jeweils an ganz bestimmte, inhaltlich unveränderte Situationen, Reizzusammenhänge als Auslöser gebunden, wobei den gleichen Reaktionen auf einen gleichen Reizkomplex kein auch nur prä-prädikatives Wiedererkennen dieser Situation als von einem bestimmten Typus zu Grunde liegt. Die biologischen Gesetze des jeweiligen Organismus lassen bestimmte Situationen in seinem Milieu als relevant , d.h. nützlich, gefährlich usw. erscheinen und schreiben für diese Situation jeweils ganz bestimmte, feste Reaktionen vor. Das Verhalten der höher entwickelten Tiere, ein Verhalten, das ablösbare Formen kennt, hat bereits eine erste Form von Allgemeinheitsbewusstsein, es ist zu typischem Verhalten fähig, es kennt typische Situationen. Was es von einem menschlichen Verhalten unterscheidet , ist seine Unfähigkeit, sich völlig aus der jeweilig gegenwärtigen Situation zu befreien und durch reine Vergegenwärtigung sich in eine fiktive Situation zu versetzen. 237 Das Tier kennt keine Symbole, ihm wird niemals etwas Gegebenes zur Darstellung, zur Vergegenwärtigung eines Nicht-Gegenwärtigen. Die Fähigkeit zu symbolischem Verhalten, so Merleau-Ponty, ist die Bedingung der Möglichkeit von Kognition und Freiheit, wobei die Freiheit in nichts anderem besteht, als der Fähigkeit seiner jeweiligen augenblicklichen Erfahrung gegenüber eine Distanz zu behalten, nicht aufzugehen in ihr und sich von ihr als ein von ihr Unberührter zu unterscheiden. 238 Und es ist diese Freiheit, der der Begriff einer Sache korreliert, die identisch ist in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen und der Mannigfaltigkeit der Situationen, in denen sie auftritt die unberührt von jedem Auftreten in einer konkreten Situation ein iI~mer identisch bleibendes individuelles Wesen besitzt, das einer theoretischen Erkenntnis, die von allen Situationswerten abstrahiert, zugänglich ist. 239
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In der Phänomenologie der Wahrnehmung spricht Merleau-Ponty dann von der Zweideutigkeit des Zur-Welt-Seins, die darin besteht, dass ich nicht nur persönliche Existenz bin, sondern auch einen vorpersönlichen Organismus besitze, vermittels dessen ich einer bloss physischen Natur angehöre. "Zumeist verdrängt die persönliche Existenz den Organismus, ohne ihn je überwinden, noch auch je auf sich selbst verzichten zu können, ohne je ihn auf sich oder sich auf ihn reduzieren zu können."24o Die biologischen Funktionen werden so nicht gänzlich überwunden in der persönlichen Existenz, sondern von dieser nur angeeignet. Um persönlich existieren zu können, darf mich keine Augenblickssituation ganz gefangen nehmen. Ich darf nicht in Gegenwärtigung aufgehen. Diese Freiheit gegenüber dem Zwang des Augenblicks besitze ich, weil stabile, festgewordene Verhaltensweisen meines Organismus mich von diesem Zwang entlasten. "So gewinnt der Mensch durch den Verzicht auf einen Teil seiner Spontaneität, in einer Welt~erhaftung durch stabile Organe und vorgebildete Kreisläufe, den ~eistigen Raum, der ihn von seiner Umwelt grundsätzlich löst und sie sehen lässt."241 Was nun sowohl die Analysen in seinem frühen Werk wie die in der Phänomenologie der Wahrnehmung so problematisch macht, ist die Unklarheit darüber, in welcher Perspektive der Betrachtung die Begriffe gewonnen wurden. Diese Schwierigkeit besteht auch schon in bezug auf die Unterscheidung dreier Verhaltensweisen in Die Struktur des Verhaltens, denn die Begriffe, in denen Merleau-Ponty den dritten, menschlichen Verhaltenstypus fasst, sind eigentlich keine Verhaltensbegriffe mehr. Deutlich wird dies in der Terminologie der Phänomenologie der Wahrnehmung, wo der Begriff des persönlichen Existierens offensichtlich für den Begriff des Bewusstseins eintritt, wobei die Einführung dieses neuen Begriffs dazu dienen würde, die Vorstellung einer reinen Innerlichkeit des Bewusstseins abzuwehren, Die Begriffe des Organismus bzw. des Leibes als eines angeborenen Komplexes wären es, die für so etwas wie eine unaufbebbare Aussenbestimmtheit dieses personalen Bewusstseins stünden. Die Wahrnehmungstätigkeit, das leibliche Fungieren sind in diesem Begriffsrahmen vorbewusste und nicht-ichliche Geschehnisse, wir könnten sagen, Verhaltensweisen. "Nicht ich bin es, der berührt, sondern mein Leib."242 An anderer Stelle aber spricht dann Merleau-Ponty wiederum von einem "am Rande meines personalen Lebens und meiner eigentlichen Akte gegebenen Bewusstseinslebens"243 (Hervorhebung von mir), von den Wahrnehmungsorganen als natürlichen Ich. 244
130 Wenn Merleau-Ponty feststellt, dass in der lebendigen Wahrnehmung der Leib niemals ein Gegenstand ist, so meint er immer den Leib als objektiv bestimmtes Ding, als "Muskel- und Knochenmaschine."245 Grundsätzlich unklar bleibt, ob für den Leib als Phänomen dasselbe gelten soll. Eine mögliche und, wie mir scheint, wahrscheinliche Interpretation der zweideutigen Stellungnahmen Merleau-Pontys könnte so lauten: Wie immer ein bloss leiblich-perzeptives Verhalten, ein synkretistisches Verhalten oder ein solches, das ablösbare Formen kennt, sich von innen erlebt, wenn ich, der ich persönlich existiere, auf mein vorpersonales, sinnliches Leben reflektiere, treffe ich auf meinen Leib als ein von innen gelebtes Phänomen, etwas, an dem ich als persönliche Existenz noch innerlich Anteil habe, das ich aber auch und vielleicht zunächst als eine Ansicht meiner selbst von aussen erfahre. Die unbeantwortete Frage ist, wie sich die Aussenbestimmtheit des Bewusstseins in einer seiner Gestalten mit der Immanenz seiner übrigen Gestalten zusammendenken lässt, ohne dass entweder alles Bewusstsein überhaupt zum bloss leiblichen Fungieren wird oder die Aussenbestimmtheit in einer seiner Gestalten zum biossen intentionalen Korrelat der anderen Gestalten. Ungeachtet dessen, dass viele seiner Analysen und Beschreibungen sich als Beiträge zu einem phänomenologisch-transzendentalen Begriff der Wahrnehmung betrachten lassen, bleibt Merleau-Pontys Wahrnehmungsbegriff, sein Begriff des wahrnehmenden und leiblichen Bewusstseins kontaminiert von einer Aussenbetrachtung und damit auch deren Widersprüchlichkeiten. Die Frage bleibt, wie das sinnlichleiblich fungierende Bewusstsein in reiner Inneneinstellung zu bestimmen ist. Im folgenden und abschliessenden Kapitel soll ein erster Schritt zur Beantwortung dieser Frage getan werden, und zwar vermittels einer kritischen Auseinandersetzung mit einem rein noematischen Begriff der Leiblichkeit des Subjekts.
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14. VOM NOEMATISCHEN ZUM NOETISCHEN BEGRIFF DES LEIBLICHEN BEWUSSTSEINS
Das Wesen der Wahrnehmung wie das der übrigen Bewusstseinsgestalten in phänomenologischer Einstellung rein aus phänomenologischreflektiver Erfahrung zu bestimmen bedeutet, alle Aussenbestimmtheit des Bewusstseins, sei es als physikalisch-chemischen Gehirnvorgang, sei es als wahrnehmbares Verhalten eines Leibes, als bloss gegenständliche Korrelate des sie denkenden oder erfahrenden Bewusstseins zu nehmen. Nicht wird die Existenz subjekt-irrelativer Gegenstände vorausgesetzt und nach der Möglichkeit und den Bedingungen der Möglichkeit einer nachkommenden Erkenntnisbeziehung des Bewusstseins zu diesen Gegenständen gefragt, vielmehr wird alles Seiende auf die Weisen seines Gegebenseins und Vermeintseins in den Akt- und Erlebniszusammenhängen des Bewusstseins korrelativ zurückbezogen - die gegenständlichen Einheiten konstitutieren sich in Mannigfaltigkeiten des Bewusstseins. Der Versuch einer diesen Prinzipien phänomenologischer Einstellung entsprechenden Bestimmung des Begriffes der Wahrnehmung sieht sich nun aber vor eine Paradoxie gestellt: Wahrnehmend leben wir in einer Welt, die uns vorausgeht, die unseren nur wahrnehmenden Zuwendungen hinsichtlich ihrer Existenz und Beschaffenheit nichts zu verdanken scheint; wir erfahren uns im Wahrnehmen als schon vorhandene Gegenstände in ihrem Eigenwesen bloss hinnehmend. Auch wenn wir bereits unabhängig von philosophischer Betrachtung um den subjekt-relativen Charakter mancher Bestimmtheit unserer Umwelt wissen und wenn uns gar die physikalische Forschung sagt, dass alle sekundären Qualitäten der Gegenstände in dem Sinne bloss subjektiv seien, dass ihre Existenz abhängig ist von einer Vielzahl anderer Faktoren als bloss dem Gegenstand selbst und einer dieser Faktoren die physiologische Verfassung unseres Leibes und seiner Sinnesorgane ist, so bleibt davon unsere Überzeugung unberührt, dass es zumindest einen Kern gegenständlicher Gegebenheit und Bestimmtheit gibt, der unseren Wahrnehmungszuwendungen vorangeht und diesen transzendent ist, wobei die Wahrnehmung dann diejenige Erlebnisart ist, die uns einen originären Zugang zu dieser raum-zeitlich-transzendenten Welt und ihren Gegenständen verschafft. Nun kann eine phänomenologische Bestimmung des Bewusstseins aber kein Seiendes ausserhalb einer Korrelation zu aktuellen und
132 möglichen Bewusstseinsmannigfaltigkeiten belassen. Die Vorgegebenheit der Welt und ihrer Gegenstände, d.h. aber zunächst ihr in bezug auf das sie erfahrende Bewusstsein a-korrelativer Charakter, müsste so selbst noch auf einen konstitutiven Ursprung in Mannigfaltigkeiten des Bewusstseins zurückgeführt werden. Es ist dieser Zusammenhang, der uns auf eine fundamentale Zweideutigkeit im Begriff der Wahrnehmung aufmerksam macht. Offensichtlich ist es, dass die Wahrnehmung als prädizierender Akt verstanden, als Vollzug einer expliziten gegenständlichen Vermeinung oder Auffassung, der ein entsprechend aufgefasster Gegenstand korreliert, für die Vorgegebenheit der Welt und ihrer Gegenstände nicht aufkommen kann. Das wahrnehmende Aufmerken auf einen Gegenstand, das an seinem Beschaffensein interessierte Hinblicken oder Hinhören leistet Gegebenheit dieses Gegenstandes, ich blicke auf ihn hin und habe ihn im Blick und kann nun dieses und jenes an ihm bemerken, aber diese Gegenstandsgebung setzt eben ein Vorgegebensein des Gegenstandes voraus, denn die Gegenstandsgebung bringt den Gegenstand nicht erst hervor, erzeugt ihn nicht allererst. 246 Von Wahrnehmung in einem ganz anderen Sinn als dem des gegenstandsgebenden Auffassungsaktes sprechen wir, wenn wir die Konstitution der Vorgegebenheit der Welt und ihrer Gegenstände in den Bewusstseinsmannigfaltigkeiten meinen. Das Vorgegebensein als eine Art Gegebensein vor dem expliziten Gegebensein versteht sich als ein Verfügbarsein für aktuell vollziehbare Akte der gebenden Zuwendung, und dieses Verfügbarsein selbst gälte es noch als Korrelat subjektiver Mannigfaltigkeiten zu begreifen. Doch was sollen diese subjektiven Mannigfaltigkeiten sein, in denen sich die Vorgegebenheit der Welt konstituiert? Merleau-Ponty unterschied von der Vorstellungsintentionalität eine dieser zugrundeliegende, dieser erst ihre möglichen Richtungsziele vorgebende, fungierende Intentionalität. Die Wahrnehmung als aufmerksames, beobachtendes, letztlich auf praktische oder theoretische Erkenntnis abzielende Erfassung der weltlichen Gegenstände ist demnach fundiert in unserem leiblichen Bei-den-Gegenständen- und In-der-WeltSein, in unserem alltäglichen Umgang mit den Gegenständen einem leiblichen Fungieren, das allererst die allen Welt- und Wahrnehmungszweifel ermöglichende Unterscheidung von Traum und Realität vorgibt, damit aber solchen Zweifel auch immer schon widerlegt hat. Das Problem war nun, ob solch leiblich-fungierende Intentionalität überhaupt noch in phänomenologischer Einstellung und Erfahrung, so
133 wie wir sie bestimmten, fassbar ist. Hierbei sind jedoch drei Fragen voneinander zu unterscheiden. Zunächst muss die Frage, ob es diese leibliche Intentionalität als eine ursprüngliche Gestalt des Bewusstseins überhaupt gibt, unterschieden werden von der Frage, ob wir sie als eine solche vergegenwärtigen können, ohne auf eine Aussenbetrachtung rekurrieren zu müssen. So könnte eine Antwort auf die erste Frage lauten, dass diese leiblich fungierende Intentionalität notwendig eine phänomenale Selbstvorstellung impliziert, ich in all meinem Tun immer ein Bewusstsein meines Leibes als eines phänomenalen Gegenstandes besitze. Damit würde diese Intentionalität letztlich zu einer Form des Vorstellungsbewusstseins. Davon zu unterscheiden wäre eine mögliche Antwort auf die zweite Frage, die behauptet, dass wir nur durch Wahrnehmung eines phänomenalen Verhaltens das Erleben dieses Verhaltens von innen vergegenwärtigen können. Nur diese zweite Antwort wird durch unsere Einwände gegen jegliche Aussenbetrachtung des Bewusstseins getroffen: Die Vergegenwärtigung des sinnlichen Bewusstseins durch Einfühlung und phänomenologische Interpretation des phänomenalen Verhaltens setzt eine innerliche Vergegenwärtigung, eine phänomenologische Erfahrung dieses sinnlichen Bewusstseins voraus. 247 Eine dritte Frage schliesslich ist die nach der Tauglichkeit der gewöhnlichen Sprache für die Beschreibung dieses sinnlich-leiblichen Bewusstseins. Diese ist sozusagen Sprache der Phänomenalität, der Aussenbetrachtung, und wird sie für eine Innenbetrachtung benutzt, scheint das Ergebnis begrifflicher Widersinn zu sein. So mutet es widersinnig an, von Bewegung zu sprechen, ohne auch von einem gegenständlichen Substrat der Bewegung zu reden. Oder: Wie soll ich einen Gesichtspunkt einnehmen können, ohne selbst sichtbar zu sein? Was sollen Wahrnehmungsorgane anderes sein als Augen und Ohren die ich . ' an emem Lebewesen sehen kann? Aber auf den Inhalt der sprachlichen Begriffe sich zu berufen und so die phänomenologische Betrachtung des begrifflichen Widersinns zu überführen hat keinerlei argumentative Kraft, denn der Inhalt der sprachlichen Begriffe ist ihr gewöhnlicher, und dieser ist einem völlig anderen Bereich abgewonnen als dem der phänomenologischen Erfahrung. Man kann allein versuchen den phänomenologischen Gehalt der Begriffe durch Anpassung ;n die Gegebenheiten der phänomenologischen Erfahrung zu gewinnen. Was ist aber nun dieses leiblich-sinnliche Bewusstsein, wie ist diese leiblich-perzeptive Intentionalität in reiner Inneneinstellung zu bestimmen? Orientieren wir uns zunächst an der Analyse einer bestimmten Weise, wenn auch nicht unbedingt perzeptiver, so doch leiblicher
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Intentionalität, einem zornigen Verhalten. In Aussenbetrachtung, im Wahrnehmen sehe ich einem Anderen seinen Zorn unmittelbar an. Sein Verhalten gibt sich mir als zorniges. Ich schliesse nicht von seinen leiblichen Ausdrucksbewegungen auf einen dahinterliegenden inneren Zorn. Was ist nun dieser Zorn von innen gelebt, mein je-eigener Zorn? Es ist zweifelsohne nicht die Wahrnehmung meines eigenen zornigen Verhaltens. Ist es dann eine gewisse Hitze im Kopf, sind es bestimmte Spannungsempfindungen, ein erhöhter Pulsschlag usw.? Aber genausowenig wie ich im Zorn auf mein äusseres Verhalten achte, ist der Zorn eine Art Schmerz, so etwas wie eine Gemütsempfindung. Wenn ich im Zorn aufgehe, meinen Zorn auslebe, spüre ich die Hitze im Kopf nicht mehr als eine besondere Empfindung auf dem Hintergrund meines gewöhnlichen Empfindungszustandes. Erst wenn ich mich z.B. zu beherrschen trachte, spüre ich die Wellen durch meinen Kopf schlagen und das Zucken in den geballten Fäusten. Wenn ich im Zorn aufgehe, bin ich ganz draussen beim Anlass meines Zorns. Ich habe kein Bewusstsein mehr meiner selbst, weder als gesehenes Verhalten noch als Empfindender. Gilt dies für leibliches Bewusstsein überhaupt, so wäre das gewöhnliche leiblich-perzeptive Fungieren ichloses bzw. ich-vergessenes Bei-denGegenständen- und In-der-Welt-Sein, ganz hingegeben an die Strukturen und vitalen Bedeutsamkeiten seiner Umwelt. Wenn das sinnliche Bewusstsein sich völlig an die Phänomene seiner Umwelt verliert, sich seiner selbst weder als phänomenales Verhalten noch als kinästhetisch oder sonstwie empfindendes bewusst ist, scheint sich dieses Bewusstsein in diese gegenständlichen Phänomene selbst aufzulösen, das sinnliche Bewusstsein wäre ein rein noema tisches Bewusstsein, "eine Strukturform meiner noematischen Umwelt."248 In letzter Konsequenz muss dieser Gedanke dann zur Identifizierung von konkretem leiblichem Subjekt und noematischer Welt führen. 249 Das leibliche Bewusstsein zu vergegenwärtigen hiesse, eine sinnhaft strukturierte Lebenswelt zu vergegen wärtigen. Mit dieser Noematisierung des sinnlichen Bewusstseins würde MerleauPontys Ansatz noch radikalisiert, das leibliche Subjekt ist die phänomenale Welt, nicht nur sind beide Aspekte einer Gestalt. So verlockend die Aussicht sein mag, auf diese Weise endgültig den das Wahrnehmungsproblem noch bei Merleau-Ponty beherrschenden Dualismus von Innen und Aussen zu überwinden, es machen sich doch schwerwiegende Bedenken geltend gegen diese Bestimmung des leiblichen Bewusstseins. Von vornherein fraglich zu sein scheint es, ob man alles Bewusstsein
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überhaupt, auch jedes vorstellende Aktbewusstsein, rein noematisch auffassen, mit Charakteren und Strukturen der von uns erlebten Welt identifizieren kann. Aber auch wenn wir das eigentliche Aktbewusstsein von solcher Identifizierung ausnehmen, bleibt noch die Frage, in welchem Sinn überhaupt noch von noematischer Konstitution der vorgegebenen Welt gesprochen werden kann. Wenn, was wir subjektive Bedingungen der Konstitution nennen, bloss Strukturen und Momente des Resultats einer solchen sind, was haben wir dann mehr als eine faktisch so und so strukturierte, mit den und den Beschaffenheiten versehene, unseren auffassenden Akten vorgegebene Welt? Von Konstitution in phänomenologischer Bedeutung zu reden heisst, von subjektiven Mannigfaltigkeiten, von Erscheinungen im weitesten Sinn zu reden, in denen sich der betreffende Gegenstand konstituiert. Erscheinung jedoch in keiner Weise auf ein Subjekt zurückzubeziehen, muss notwendig zu einer Ontifizierung derselben führen. Ist die vorgegebene Welt ein Bedeutungszusammenhang und keine Welt an sich, so kann diese ihre Bedeutsamkeit nicht bloss eine Subjektivität ausdrücken, was immer das heissen soll, sondern sie muss auf eine Subjektivität als ihren konstitutiven Ursprung verweisen, anders ist diese Bedeutsamkeit selbst nur wieder ein An-sich, und die noema tische Konstitution wäre eine ontische Konstitution. Die Frage ist, ob das Sich-Verlieren des sinnlichen Bewusstseins an die Gegenstände, sein Sich-selbst-Vergessen um der gegenständlichen Phänomene willen, die völlige Auflösung in diese gegenständlichen Phänomene bedeutet. Wie es scheint, ist diese vollkommene Ekstase, wenn überhaupt, so nur für kurze Zeit möglich, nur solange nämlich, wie das leibliche Fungieren nicht auf Widerstand trifft, nicht an einem Widerstand scheitert. Das umweltliche Fungieren und Tun kennt Brüche und Enttäuschungen - was aus der Ferne wie ein schmackhafter Apfel aussah, erweist sich in meiner Hand als ein verfaulter oder wurmstichiger Apfel, was ein fester Weg schien, gibt beim Betreten nach, es war eine Falle usw. Erweist sich nicht an diesen Fällen der Widerstandserfahrung, der sinnlichen Täuschung der im Rahmen des Husserlschen Schemas 'noetische' Charakter des Leibbewusstseins? Das leibliche Fungieren ist demnach ein vorausgreifendes Tun. 250 Es antizipiert zwar nicht im Sinne einer vergegenwärtigenden Vorstellung, aber es antizipiert als Tätigkeit sozusagen sein eigenes Gelingen, seinen reibungslosen, ungehemmten Fortgang. Dieser antizipative Zug, der rein im Tun als solchem liegt, zeigt sich in der Erfahrung, dem Erlebnis eines Widerstands, bzw. das Erlebnis einer Hemmung gibt es nur für ein Tun auf
136 Grund dieses ihm inhärenten antizipativen Moments. Dieses Auftreten einer Hemmung des Tuns hat durchaus auch sein noema tisches Korrelat, aber bei einer völligen Noematisierung des Bewusstseins müsste diese Hemmung als eine blosse Veränderung der noematischen Welt interpretiert werden - was vorher schmackhafter Apfel war, ist jetzt verfaulter Apfel, was vorher fester Weg war, ist jetzt Falle, usw. Aber diese Veränderung hat eben ihr 'noetisches' Korrelat in einem vorgreifenden Tun, das sich getäuscht sieht. Auch wenn in solcher Widerstandserfahrung der Keim eines Selbstbewusstseins angelegt sein mag, so impliziert sie keineswegs ein Bewusstsein meiner selbst als eines phänomenalen Gegenstandes, noch muss dabei das leibliche Tun ins Empfinden umschlagen. Das leibliche Bewusstsein bleibt dabei durchaus draussen bei den phänomenalen Gegebenheiten, ohne dass es aber in einer vollkommenen Ekstase in der phänomenalen Welt aufgeht. Die Auseinandersetzung mit dem epistemologischen Begriff der Wahrnehmung hat auf das Problem der Vorgegebenheit der Welt für alle ausdrücklichen Akte geführt. In Frage stand dabei ein Begriff der Konstitution, dem zufolge diese weder in einer absoluten Hervorbringung des Gegenstandes noch in einer bloss gegenständlich gerichteten, prädizierenden Auffassung als etwas, und sei es nur als existierend, besteht. Konstitutiv ist auch dieses auffassende Gerichtetsein auf einen Gegenstand: dem Gegenstand wachsen neue Bestimmungen zu. Aber alle auffassende Konstitution setzt das Vorgegebensein des Auffassungsgegenstandes voraus. Die Frage war, wie man dieses Vorgegebensein einer Welt von Gegenständen noch konstitutiv aufklären kann, so dass Welt und Gegenstände sich als Korrelat von subjektiven Mannigfaltigkeiten, Erscheinungen, als Einheiten, die man aus solchen Mannigfaltigkeiten entnehmen kann, erweisen, ohne dass aber der Gegenstand identisch ist mit diesen Mannigfaltigkeiten. Aus den Überlegungen der beiden vorangegangenen und dieses Kapitels folgt, dass man hierzu auf ein Tun und Können als ursprüngliche Weisen des Bewusstseins, eines gegenwärtigenden Bewusstseins, reflektiv zurückgehen muss. Wertvolle Anfangsstücke einer deskriptiven Auslegung dieses leiblichen Bewusstseins finden sich sowohl bei Husserl wie bei Merleau-Ponty.251 Aber erst wenn alle methodologischen Probleme befriedigend gelöst sind und eine vollständige Deskription gelungen ist, kann sich zeigen, ob damit die Frage nach der Vorgegebenheit der Welt ihre Antwort gefunden hat, das Problem von Ich und Welt gelöst ist, und erst dann entscheidet sich letztlich, ob, was die Be-
137 stimmung des Bewusstseins betrifft, die phänomenologische Einstellung mehr als eine methodische Einstellung neben anderen möglichen Einstellungen ist und damit, ob die Behauptung zutrifft, dass alle Bestimmung des Bewusstseins von aussen prinzipiell nur Derivat einer Bestimmung desselben von innen, d.h. aus phänomenologischer Einstellung, ist.
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ABKÜRZUNGEN·
Hua I-IV, IX-XI, XIII-XVI
Husserl, die entsprechenden Bände der Husserliana
LU II/i, LU II/2
Husserl, Logische Untersuchungen, Zweiter Band, 1. und 2. Teil
Bewusstseins/eid
Gurwitsch, Das Bewusstseinsfeld
PdW
Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung
SdV
Merleau-Ponty, Struktur der Verhaltens
* Nähere Angaben zu den Titeln sind im Literaturverzeichnis angeführt.
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ANMERKUNGEN
EINLEITUNG 1. "Alle Scheidungen, die ich mache zwischen echter und trügender Erfahrung, und in ihr zwischen Sein und Schein, verlaufen in meiner Bewusstseinssphäre selbst, ... " (Hua I, S. 115). 2. "Wie kann ich, der jeweils Erkennende, rechtmässig über die mir allein unmittelbar evident gegebenen eigenen Erlebnisbestände hinaus?" (Hua IX, S. 329). 3. "It is evident the mind knows not things immediately, but only by the intervention of the ideas it has of them. Our knowledge, therefore, is real only so far as there is a confirmaty between our ideas and the reality of things. But what shall be here the criterion? How shall the mind, when it perceives nothing but its own ideas, know that they agree with things themselves?" (J. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, S. 298).
I.
DER GEGENSTAND UND DIE METHODE DER UNTERSUCHUNG
1.
Die Wahrnehmung als intentionales Erlebnis 4. "There is a time gap between the impact of the external stimulus on our sense-organs and the arrival of a message from them in the brain' .... So even when we touch something there is still a lapse of time between its coming into contact with our organs of touch and the corresponding brainevent which is, or immediately causes, our perception of the object touched. In every perception, then, the perceiving itself c1early occurs later than the event or state of a material object that is taken to be perceived." (A. Quinton, The Nature of Things, S. 199).
142
143 5. Vgl. H.P. Grice, "The Causal Theory ofPerception", S. 85. 6. So lässt sich Berkeleys Einwand gegen Lockes Lehre von der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten so verstehen, dass der Irrtum, dem Locke unterliegt, wenn er den sinnlichen Vorstellungen von den primären Qualitäten objektive Realität zuspricht, den Vorstellungen von den sekundären diese aber abspricht, darin besteht, dass er die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten gleichsetzt mit der Unterscheidung von physikalischen und sinnlichen Qualitäten. Müssen aber nicht die erscheinenden Qualitäten, gleichgültig, ob es sich um primäre oder sekundäre handelt, da sinnlich, prinzipiell verschieden sein von physikalischen Qualitäten, ebenfalls gleichgültig, ob es sich dabei um primäre oder sekundäre handelt, insofern diese unsinnliche sind? Andrerseits aber: Ist es wirklich undenkbar, d.h. ein logischer Widerspruch, dass eine Bestimmung in unveränderter Bedeutung von Gegenständen verschiedener Seinsarten prädiziert wird? " ... the doctrine of categories that tells us that items in different categories are onta in different senses does not tell us that items in different categories cannot exemplify (even necessarily) one and the same property - that a predicate attaching (even necessarily) to items in different categories cannot be univocal." (1.L. Ackrill, "Aristotle on God and the Categories", S. 21). 7. " ... dass die schlichte Erfahrung, die unmittelbare Wahrnehmung, Erinnerung usw. ihr die Dinge gibt, die sie nur abweichend von der gewöhnlichen Denkweise theoretisch bestimmt." (Hua XVI, S. 6). 8. "Thus we conc1ude that lightning is nothing but a motion of electrical charges, because we know that a motion of electrical charges through the atmosphere, such as occurs when lightning is reported, gives rise to the type of visual stimulation which would lead an ob server to report a flash of lightning." (U .T. Place, "Is Consciousness a Brain Process?", S. 48). 9. " ... die Bedenklichkeit der Transzendenz, die Frage: wie kann Erkenntnis über sich hinaus, wie kann sie ein Sein treffen, das im Rahmen des Bewusstseins nicht zu finden ist?" (Hua II, S. 5). 10. "We have given a 'scientific' account of the conditions of perception, and yet if this very ac count is true, we could never have known that it is true." (1. Hospers, An Introduction into Analytic Philosophy, S. 504(505). 11. Hua IX, S. 258. Vgl. auch ebd., S. 32: " ... dass die Intentionalität der deskriptiv zu erfassende Wesenscharakter des spezifisch Psychischen sei." Damit ist ein positives Wesensmerkmal des Psychischen im Unterschied zum physisch Seienden gefunden, das Psychische nicht nur, wie Ryle kritisch meint, durch Negation der Wesensbestimmungen des Physischen bestimmt. Vgl. G. Ryle, The Concept of Mind, S. 21. 12. "It is only because I can, through perception, independently establish the fact that the table is in front of me, that I can subsequently explain my seeing it in terms of its effects upon me." (AJ. Ayer, The Central Ques-
tions of Philosophy, S. 87). Dem entspricht Husserls Feststellung, dass psycho-physische Forschung nur auf dem Grunde einer reinen Psychologie, d.h. einer phänomenologischen und nicht naturwissenschaftlichen Psychologie möglich ist. S. Hua IX, S. 242. 13. " ... science only professes to tell us what are the causes of seeing and touching. But we want to know what seeing and touching themselves are." (H.H. Price, "The Given", S. 110) 14. Hua XIII, S. 43.
2.
Die phänomenologische Erfahrung 15. "On phenomenological grounds c1arification is not to be expected from 'formal' procedures that is, by setting up a tentative definition which is then progressively amended, corrected and refined so as to meet certain demands and requirements, however plausible and well-founded. Neither can the desired c1arification be expected from an analysis of the use of the mentioned terms in ordinary discourse, since it is just as they are used in ordinary discourse that those terms are in obvious need of c1arification." (R. Schmitt, "Phenomenology and Analysis", S. 105). 16. "Our observations, employed either about external sensible objects, or about the internaioperations of our minds perceived and reflected on by ourseIves, ... " (1. Locke, An Essay Conceming Human Understanding, S. 33). 17. Wobei dieses "wie-so" selbstverständlich nicht als eine Gemeinsamkeit in der Erfahrungsart gemeint ist, sondern nur die Gemeinsamkeit in der Leistung der Gebung der jeweiligen Gegenstände bezeichnet. 18. "Turning to and concentrating upon the life of consciousness, one does not disco ver occurrences that take place in a c10sed domain and merely succeed upon one another, as Hume's theory of the mind would have it. Rather one encounters apprehensions of meanings, perceptions ofhouses, trees, fellow human beings; ... " (A. Gurwitsch, "Husserl's Theory of Intentionality of Consciousness in Historical Perspective", S. 51). 19. "Unter dem reellen phänomenologischen Inhalt eines Aktes verstehen wir den Gesamtinbegriff seiner, gleichgültig ob konkreten oder abstrakten Teile, mit anderen Worten, den Gesamtinbegriff der ihn reell aufbauenden Teilerlebnisse." (L U lI/I, S. 397). "Inhalt im reellen Sinn ist die schlichte Anwendung des allgemeinsten, in allen Gebieten gültigen Inhaltsbegriffs auf die intentionalen Erlebnisse." (Ebd., S. 399). 20. Die Rede von reell-realen Teilen des Bewusstseins besagt hier nur, dass der empiristische Bewusstseinsbegriff das Bewusstsein naturalisiert, die, im Husserlschen Sinn, reellen Bestandteile als reale Bestandteile auffasst.
145
144 21. Diese Zwei-Welten-Lehre hat G. Ryle in The Concept of Mind unter dem Titel des Dogmas vom Geist in der Maschine einer treffenden Kritik unterzogen. Die Frage bleibt, ob diese Kritik ihre Kraft behält gegenüber wesentlich modifizierten Begriffen von innerer Erfahrung und Immanenz. Vgl. ebd., S. 13-26. 22. Hua I, S. 86. 23. "Es ist also zu scheiden, das präphänomenale Sein der Erlebnisse, ihr Sein vor der reflektiven Zuwendung auf sie, und ihr Sein als Phänomen. Durch die aufmerkende Zuwendung und Erfassung bekommt das Erlebnis eine neue Seinsweise , es wird zum 'unterschiedenen', 'herausgehobenen', und dieses Unterscheiden ist eben nichts anderes als das Erfassen, und Unterschiedenheit nichts anderes als Erfasst-sein, Gegenstand der Zuwendung sein." (Hua X, S. 129). 24. "Jeder Akt ist Bewusstsein von etwas, aber jeder Akt ist auch bewusst. Jedes Erlebnis ist 'empfunden', ist immanent 'wahrgenommen' (inneres Bewusstsein), wenn auch natürlich nicht gesetzt, gemeint (wahrnehmen heisst hier nicht meinend-zugewendet-sein und erfassen)." (Hua X, S. 126). 25. "'Wahrnehmen', das ist hier nichts anderes als das zeitkonstituierende Bewusstsein mit seinen Phasen der fliessenden Retentionen und Protentionen." (Ebd., S. 127). 26. "Reflektierte Tätigkeit (reflektiertes Bewusstsein) ist nie unmittelbare Gegenwart. Es ist deshalb widersinnig, die Aktreflexion als eine Wahrnehmung anzusprechen." (I. Kern, Idee und Methode der Philosophie, S. 248). Vgl. auch Hua XIII, S. 170, Anm. I: "Und äussere Transzendenzen sind wiederholt wahrnehmbar, immanente Objekte sind nicht wiederholt wahrnehmbar, sondern nur Einheiten wiederholter Wiedererinnerung und überhaupt Vergegenwärtigung." 27. "Wollte man sich beschränken auf die Gegebenheit der cogitatio als absolut zweifellose Gegebenheit, di. als Wahrnehmungsgegebenheit, wie sie aus der phänomenologischen Reduktion und Reflexion während des Vollzugs der dauernden cogitation erwächst, so könnten wir immerfort nur sagen: 'dies', aber wie eine wissenschaftliche Erkenntnis hier zustandekommen sollte, wäre nicht abzusehen." (Ebd., S. 167). 28. "It is clear that we cannot concentrate on a problem and observe ourselves at the same time." (K. Popper und J. Eccles, The Self and its Brain, S. 107). 29. "Wir sind als Aktsubjekte (Ich-Subjekte) ausgerichtet auf die thematischen Objekte in Modis des primär und sekundär und zudem eventuell noch nebenbei Gerichtet-seins. Die Akte selbst sind in dieser Beschäftigung mit den Objekten unthematisch. Aber wir vermögen auf uns selbst und unsere jeweilige Aktivität nachkommend zu reflektieren, sie wird nun thematischgegenständlich in einem neuen, seinerseits nun unthematischen, dem lebendig fungierenden Tun." (Hua VI, S. 111).
30. "Es war Bergsons Irrtum, zu glauben, das meditierende Subjekt vermöge mit dem Gegenstand seiner Meditation zu verschmelzen, das Wissen sich zu erweitern, indem es sich ins Sein selbst auflöse; der Irrtum der Reflexionsphilosophie ist der Glaube, das meditierende Subjekt vermöge seinerseits den Gegenstand seiner Meditation gänzlich zu absorbieren und restlos zu erfassen, unser Sein also sich in unser Wissen aufzulösen. Doch nie sind wir als Meditierende das unreflektierte Subjekt, das wir zu kennen suchen; und ebensowenig vermögen wir je gänzlich Bewusstsein zu werden, uns auf das transzendentale Bewusstsein zu reduzieren." (M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (PdW), S. 879. 31. "The fact that I cannot at the same time and in the same respect act and reflect on this acting by no means signifies that the acting reflected-on is no longer the same acting which I actually performed." (R.M. Zaner, The Problem ofEmbodiment, S.11 0). 32. "In jeder dinglichen Wahrnehmung findeR wir also ein prä phänomenales Ganzes, das im Sinne präphänomenaler Zeitlichkeit teilbar ist wieder in Wahrnehmungen. Aus der Wahrnehmung lassen sich Wahrnehmungen abstücken. Die Wahrnehmung eines Dinges, obschon eine ungebrochene Einheit, ist eine kontinuierliche Einheit von Wahrnehmungsstücken, Wahrnehmungsphasen, die selbst den Charakter haben von Wahrnehmungen und alle Momente somit in sich enthalten, die wir an Wahrnehmungen unterschieden haben." (Hua XVI, S. 62).
II. DIE WAHRNEHMUNGSPROBLEMATIK IN ERKENNTNISTHEORETISCHREDUKTIVER FRAGESTELLUNG
3.
Leibhaftigkeit und Existenz 33. "In dieser Einstellung ist uns die reale Welt aus beständiger Erfahrung vorgegeben als die selbstverständlich seiende, immerzu vorhandene, vom jeweils Wahrgenommenen aus in fortschreitender Erfahrung kennenzulernende und theoretisch zu erforschende." (Hua IX, S. 331). 34. Hua XVI, S. 14. 35. LU lI/I, S. 494. 36. "Acts of evaluation, volition, emotion, and all other intentional acts are intentional only because they are built upon objectivating acts." (R. Sokolowski, The Formation of Husserl's Conception of Constitution, S. 46). 37. LUlI/l,S.487. 38. LU lI/2, S. 53.
146 39. "Seine [des Bedeutungsaktes] gegenständliche Beziehung ist unrealisiert." (E. Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, S. 48). 40. LU II/2, S. 32. 41. Hua XI, S. 4. 42. Vgl. hierzu R. Chisholm, Perceiving, S. 170f. 43. " ... that perception, ... , does go straight to the fact and not through the proposition." (B. Russell, "The Philosophy of Logical Atomism", S. 337f.). 44. "A sentence employing 'see', 'perceive', 'remember' implies the existence of the objects of these verbs." (D. Carr, "Intentionality", S. 26). 45. In Analogie zu extensionalen Satzverhalten von extensionalen Erlebnisverhalten sprechen zu wollen heisst letztlich, die phänomenologische Einstellung aufzugeben. 46. Hua XVI, S. 16. 47. Die Frage ist allerdings, ob man hier noch von Wahrnehmung im eigentlichen Sinn sprechen soll. Auch kann von Trugcharakter nur im uneigentlichen Sinn gesprochen werden. Es besagt nur soviel wie, dass ich möglicherweise auf den Trick hereingefallen wäre, hätte ich nicht gewusst, dass ... Wenn man aber einmal von der Frage absieht, ob das Ganze aus sinnlicher Vorstellung und Enthaltung von der Seinssetzung auf Grund bestimmter Informationen über die Situation als Wahrnehmung gelten kann, so kann dieser Fall doch zur Exemplifizierung eines engsten Begriffes von Wahrnehmung - Wahrnehmung als blosse anschauliche Vorstellung - herangezogen werden. 48. Ebd. 49. "Wenn wir im naiven Wahrnehmen zweifelhaft werden, ob denn wirklich sei, was wir wahrzunehmen glaubten oder ob uns Sinnenschein betrüge, dann enthalten wir uns vielleicht der inneren Entscheidung." (K I 66, 18). 50. "Das Sein ist nichts im Gegenstand, kein Teil desselben, kein ihm einwohnendes Moment, keine Qualität oder Intensität, aber auch keine Figur, keine innere Form überhaupt, kein wie immer zu fassendes konstitutives Merkmal. ... , dass hiermit gleich gesagt und konstatiert ist, das Sein sei schlechthin nichts Wahrnehmbares." (L U 11/2, S. 137f.). 51. " ... und der Prädikation liegen als solcher gedankliche Vorstellungen zu Grunde. Davon ist bei der Wahrnehmung keine Rede. Jedenfalls wird in ihr der wahrgenommene Gegenstand für seiend gehalten, nur so, dass nicht nur kein Satzgedanke, sondern überhaupt kein Gedanke zu Grunde liegt. Mit anderen Worten: Der Wahrnehmung liegt eine anschauliche Vorstellung zu Grunde." (K I 66, 17f.). Vgl. auch ebd., 42: "Wahrnehmung ist ein für-seiend-Halten auf Grund einer anschaulichen Vorstellung." 52. "Im phänomenologischen Aspekt des Wahrgenommenen und in seinem inneren Sinn müssen wir den Index der Existenz vorfinden, da das Wahrgenommene als real erscheint." (M. Merleau-Ponty, Die Struktur des Ver-
147 haltens [SdV], S. 200). 53. LUII/i,S.444. 54. Hua XI, S. 226. 55. Ebd., S. 229. 56. "Zweifelhaft ist der äussere Gegenstand, der da vermeint ist, seinem Sein nach, nicht aber in der Reflexion die Erscheinung, die ganz gewiss seiend ist, schlechthin seiend: Die Reflexion lehrt für alle Erlebnisse, dass die Erscheinungsgehalte überhaupt nie solche Modalitäten tragen können." (Ebd., S. 352).
4.
Die Frage nach dem Gegebenen 57. Dass ich einmal eine real existierende Palme, das andere Mal ein biosses Phantom gegenwärtig habe, dürfte in phänomenologischer Einstellung natürlich nicht als ein subjekt-irrelatives Faktum angenommen werden, sondern hätte sich selbst in einem einstimmigen bzw. nicht-einstimmigen Erlebnisverlauf auszuweisen. In die Sprache der phänomenolgischen Einstellung übersetzt, ging es dann in unserem Beispiel darum, zu zeigen, dass vom Standpunkt eines singulären Erlebnisses allein nicht endgültig zu entscheiden und manchmal vielleicht gar nicht zu entscheiden ist, ob der weitere Erlebnisverlauf einstimmig oder unstimmig verlaufen wird hinsichtlich der Setzungen dieses Erlebnisses. Und jeder geschehene Erlebnisverlauf ist selbst als ein extendiertes singuläres Erlebnis auffassbar, für das dann hinsichtlich des zukünftigen Erlebnisverlaufs dasselbe gälte. 58. Vgl. hierzu die Unterscheidung von 'illusion' und 'delusion' in J.L. Austin, Sense and Sensibilia, S. 22ff. Austin weist daraufhin, dass die Unterscheidung zwischen 'illusions' - wir sehen etwas Reales, das nur anders aussieht, als es in Wirklichkeit ist - und 'delusions' - wir halluzinieren etwas völlig Irreales - nicht immer völlig eindeutig und z.T. abhängig von bestimmten Theorien ist. Wenn wir einen Geist sehen, kann dies einerseits physiologisch oder psychologisch als 'illusion' aufgefasst werden - wir sprechen Schatten, Spiegelungen oder Ähnlichem Eigenschaften zu, die sie nicht haben - oder als 'delusion' - nervöse Störungen im Subjekt rufen eine Halluzination hervor.
5.
Das eigentlich Gegebene als das Erlebte
59. LU II/i, S. 397. Vgl. ebd., S. 399: "Inhalt im reellen Sinn ist die schlichte Anwendung des allgemeinsten, in allen Gebieten gültigen Inhaltsbegriffs auf die intentionalen Erlebnisse." Ebenso Hua XI, S. 394: "Nennen wir alles, was an einem Erlebnis phänomenologisch-zeitlich gebunden ist, ein
148
149 reelles Moment des Erlebnisses." Hua m,l, S. 193. FI9,21b. LUIIjl,S.352. F I 9, 19b. Ebd., 9b. Ebd., 34b. Hua m,l, S. 194. Ebd., S. 196. Husserls üblicher und eigentlicher Begriff der Vernunft ist allerdings wesentlich spezifischer. Nicht alle Sinngebung ist demnach vernünftig, sondern nur die erfüllte, auf originärer Gegebenheit beruhende. Vgl. hierzu Hua m,l, S. 314ff. 69. KI66,27. 70. " ... 'erlebt' ist nicht ohne weiteres bewusst im Sinne irgendeines Bewusstseins." (Hua XVI, S. 48). 71. F I 9, 19b. Vgl. auch ebd., 13b, wo Husserl die erkennenden Akte von ihrem Fundament, der Auffassung des jeweiligen Inhalts, der gedeutet wird, unterscheidet. Dazu findet sich dort die Randbemerkung: "Das ist freilich erkennende, deutende Auffassung in anderem Sinn. Der Inhalt ist ja nicht Gegenstand, die erkennende Deutung im zweiten und gewöhnlichen Sinn setzt voraus, dass ein Gegenstand 'gegeben' ist, der klassifiziert wird." 72. A VIII I, 78b. Vgl. auch LU IIj 1, S. 42lff. 73. LUIIj2,S.117. 74. F I 9, 27b. 75. Ebd., 29a. 76. Ebd., 69aj66b. 77. Ebd. 78. Vgl. demgegenüber Anm. 71, oben. 79. Hua m,l, S. 85f. 80. Ebd., S. 86. 81. Hua IV, S. 168f. Vgl. auch Hua XIII, S. 117 u. 377. 82. Hua X, S. 317. Vgl. ebd., S. 391. 83. Ebd., S. 90. 84. Ebd., S. 107f. 85. "Im Betasten rein als solchem habe ich keine Empfindungen, ich spüre nichts in meinen Fingern, nichts in meinem Leib, sondern es erscheint mir nur das so und so seiende Ding." (I. Kern, Idee und Methode der Philosophie, S. 104). 86. Vgl. hierzu Husserls Ausführungen über die besondere Rolle des Tastsinns für die Konstitution der Leiblichkeit in Hua IV, § 36 u. 37. Husserl glaubt hier beim Abtasten eines Objekts von Empfindungen in dreifachem Sinn
sprechen zu können: 1) als Merkmalsempfindung, d.h. als repräsentierende Empfindung, die zu einem Merkmal objektiviert wird, 2) als Bewegungsempfindung und 3) als Berührungsempfindung, die er Empfindnis nennt. Wobei es identisch dasselbe sein soll, an dem sich diese drei Aspekte unterscheiden lassen. Beim Sehen jedoch gelten ihm zumindest Empfindungen im Sinne repräsentierender Empfindungen und im Sinne von Empfindnissen als zweierlei, d.h. nicht nur als Aspekte desselben, sondern als voneinander unterschiedene Vorkommnisse. "Man wird nicht die Beziehung der gesehenen Dingfarbe auf das sehende Auge, 'mit' dem wir sehen, das 'Gerichtetsein' des offenen Auges auf das gesehene Ding, den Rückweis auf diese Ausrichtung, der im Haben der Gesichtserscheinung liegt, und dann das Verhältnis der Farbempfindungen zum Auge, das daraus erwächst, vermengen mit dem Gegebenhaben dieser Empfindungen in der Weise eines lokalisierten 'Empfindnisses' ." (Hua IV, S. 148f.). 87. Man beachte Husserls Rede von projizierender Darstellung in seinen Vorlesungen über Ding und Raum. "Soll materiell erfüllter Raum objektiv erscheinen, so muss er sich gleichsam in einem Bilde darstellen. Empfindungsklassen, die keine Felder haben, zu deren Konkretion ursprünglich keine 'Extension' gehört, sind also zu projizierender Darstellung unfähig." (Hua XVI, S. 160).
60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.
6.
Die Wahmehmungals Urteil 88. "We shall say that we have acquaintance with anything of which we are directly aware, without the intermediary of any process of inference or any knowledge of truths." (B. Russell, The Problems of Philosophy, S. 25). Bei Russell allerdings sind die gewöhnlichen Dinge gerade keine Gegenstände eines Wissens 'by acquaintance', sondern sie können immer nur vermittels eines solch unmittelbaren Wissens von Sinnesdaten (sense data) 'by description' erkannt werden. Vgl. ebd., S. 26: "There is no state of mind in which we are directly aware of the table; all our knowledge of the table is really knowledge of truths, and the actual thing which is the table, is not, strictly speaking, known to us at all. We know adescription, and we know that there is just one object to which this description applies, though the object itself is not directly known to us." Auch bei Russell hat so die Wahrnehmung im gewöhnlichen Sinn propositionale Struktur, so dass auch auf ihn unsere Kritik Anwendung findet. 89. Hua XVI, S. 20. Vgl. ebd., S. 139: "Abgesehen ist es auf ein analytisches Verständnis der Konstitution des Dingobjektes in der Wahrnehmung, das ist auf ein Verständnis der ihr zugehörigen Intentionalität, des in ihr stattfindenden Ding-Gegebenseins."
150
151
III. DIE FRAGE NACH DEM INTENTIONALEN INHALT DER WAHRNEHMUNG
7.
Die bedeutungstheoretische Bestimmung des Begriffs der Intentionalität 90. 91. 92.
93. 94.
95.
96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105.
8.
Hua 111,1, S. 203. VgI.LUII/2, § 7, S. 26ff. LU II/2, S. 31. Ebd. "It is important, for example, to bear in mind the distinction between the meaning of 'Redness' and the essence Redness." (J.N. Mohanty, "Husserl's Thesis of the Ideality of Meanings", S. 78). "Die Bedeu tung verhält sich also zu den jeweiligen Akten des Bedeutens ... wie etwa die Röte in specie zu den hier liegenden Papierstreifen, die alle diese selbe Röte haben." (L U lI/I, S. 100). LUII/i, S. 399. Ebd., S. 417. Ebd., S. 415/416. Ebd., S. 411. Ebd., S. 147. Ebd. Ebd. Ebd., S. 413. Ebd., S. 425. Das Verständnis des Wortes 'Vermittlung' muss sich ausschiesslich an den hier gegebenen Kontext halten. Anders könnte es scheinen, dass wir aus der phänomenologischen Einstellung herausfallen und den Gegenstand, der vermittelt werden soll, dogmatisch voraussetzen.
Wahrnehmung und Noema 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115.
Hua III,l, S. 238. Ebd., S. 233. Ebd. Ebd., S. 296. Ebd.,S.219. Ebd., S. 299. Ebd.,S.297. Ebd., S. 299. Ebd., S. 302. " ... dass in den Stoffen selbst, ihrem Wesen nach, die Beziehung auf die objektive Einheit nicht eindeutig vorgezeichnet ist, vielmehr derselbe
116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123.
124.
125. 126.
127.
128. 129.
stoffliche Komplex mehrfache, diskret ineinander überspringende Auffassungen erfahren kann, denen gemäss verschiedene GegenständIichkeiten bewusst werden." (Ebd., S. 230). Vgl. oben S. 55. Ebd., S. 204. Ebd., S. 205. Ebd.,S.337. Ebd., S. 313. Ebd.,S.315. Ebd., S. 329. Ebd., S. 103. Vgl. auch Hua XI, S. 106: " ... kann nicht die weitere Erfahrung mit ihren immer neuen Selbstgebungen schliesslich doch fortlaufen, wie sie will? Gegen alle und jede Erwartung, gegen alle noch so kräftigen Voraussetzungen, Wahrscheinlichkeiten? Kann sie nicht so fortlaufen, dass alles zu einem wirren Durcheinander wird, dass alle wahrnehmungsmässige Weltordnung sich zerstört, dass diese Welt sich als Einheit der Erfahrung gar nicht mehr durchhält ... " "Denken wir uns das Ich mit einem Verlauf von Empfindungsdaten und schon Auffassungen ausgestattet, wie ich sie habe, und denke ich mir, dass alles so zusammenstimmt, wie das in meiner universalen Erfahrung der Fall ist, also innerhalb meines immanent dahinströmenden Lebens, so ist es klar, dass alles erfüllt ist, um mich zu zwingen, diese erscheinende Welt als wirklich zu setzen ... .Ich kann nicht zweifeln, wo ich konsequent so erfahre und darin das Erfahrene immerzu bewähre ... " (Hua XIV, S. 442). Hua III,l,S. 227. "The noema is a complex system of such determinations (Ideen I, 93) which make a multitude of visual, tactile and other data be appearances of one object (op.cit., 173-174)." (D. FlPllesdal, "Husserl's Notion of Noema", S. 686). (Die Übersetzungen im Haupttext sind von mir). " ... whereas the view that the 0 bjects of acts are real leads to difficulties in the case of centaurs and hallucinations, the view that the objects are unreal, whatever that may mean, leads to difficulties in the case of many other acts, e.g., acts of normal perception: it seems that, on that view, what we see when we see a tree is not the real tree in front of us, but something else, which we would also have seen if we were hallucinating." (Ebd., S. 680). "The noema of an act is not the object of the act (i.e. the object toward which the act is directed)." (Ebd., S. 612). "When we think of a centaur, our act of thinking has a noema, but it has no 0 bject; there exists no object of which we think." (Ebd., S. 681).
152 9.
153
Gurwitschs Gestaltphänomenalismus 130. "Gestalt theory gives an absolute primacy to immediate observation as opposed to every theoretical consideration. The question no lo;ger concerns what ought to be given (in terms of a certain theoretical conception, however well-founded it may be) but rather concerns what is actually given, what is accessible to direct observation. In the domain of consciousness no distinction between reality and appearance can be admitted; it is even the essential characteristic of this domain that the distinction mentioned is utterly alien to it." (A. Gurwitsch, "Some Aspects and Developments of Gestalt psychology", S. 23). 131. "Ein deskriptiver Leitfaden der Analyse von Bewusstsein unter dem Aspekt der präsentativen Funktion desselben besagt, dass der Gegenstand so genommen werden muss, wie er sich darbietet, ohne dass ihm irgendetwas eingelegt oder zugeschrieben wird, was nicht durch die jeweils in Rede stehenden Akte selbst gegeben ist." (A. Gurwitsch, Das Bewusstseins/eid, S. 4) 132. Ebd., S. 84. 133. Ebd., S. 130. 134. Ebd., S. 33. 135. Ebd., S. 138. 136. "We have no way of access to objects, beings, objectivity or existence other than through acts of consciousness and experience ... " (A. Gurwitsch, "The Problem of Existence in Constitutive Phenomenology", S. 117). 137. Bewusstseins/eid, S. 142. 138. "Das Wahrnehmungsnoema ist das, was die vielfältigen Wahrnehmungen in einem gewissen Sinne 'gemeinsam' haben. Besser gesagt, es ist dasjenige, hinsichtlich dessen die vielfältigen Wahrnehmungen miteinander übereinstimmen. Aus diesem Grunde kann das Wahrnehmungsnoema offenbar kein realer Bestandteil eines Gliedes dieser Vielheit sein." (Ebd., S. 143). 139. "Was das Wahrnehmungsnoema betrifft, so bedeutet dessen Invarianz die Unabhängigkeit des zentralen noematischen Kerns hinsichtlich des Seins oder Nicht-Seins des wahrgenommenen Dinges. Es darf nicht einmal gesagt werden, dass das Noema als Sinn oder Bedeutung der entsprechenden Wahrnehmung die eventuelle Zerstörung des wahrgenommenen Dinges überlebt, da der zentrale noematische Kern des Wahrnehmungsnoemas als eine objektive ideale Einheit in keiner Weise von den Veränderungen des wahrgenommenen Dinges betroffen wird." (Ebd., S. 147/148). 140. "In bezug auf die Wahrnehmung haben wir gesehen, dass dasselbe Ding in derselben Erscheinungsweise dargeboten sowohl wahrgenommen als auch erinnert, bloss vorgestellt usw. werden kann." (Ebd., S. 147). 141. "If the noema is interpreted as an atemporaI, aspatial, nonsensuous,
142.
143. 144.
145.
146.
147.
148. 149.
abstractable, ideal entity in Husserl's sense, there is no way to understand how a system of such entities could ever be said to be a perceptual object. But if we take the noema as a specific illustration of such an abstract entity - a sensuous perceptual presentation - from which objects could be made up, there is no way how this percept can be said to be ideal in Husserl's understanding of the term." (H. Dreyfus, "The Perceptual Noema: Gurwitschs Crucial Contributation", S. 164). Bewusstseins/eid, S. 150. Vgl. ebd., S. 183: "Dass der Gegenstand das Korrelat einer Mannigfaltigkeit von Akten bildet, bedeutet, dass er der systematisch organisierte Verband der den Akten entsprechenden Noemen ist, welche das 'Bewusstseinsäquivalent' des betreffenden Gegenstandes darstellen." Ebenso A. Gurwitsch, "Beitrag zur phänomenologischen Theorie der Wahrnehmung", S. 428: "Damit präzisiert sich das Verhältnis von Noema und Gegenstand als das zwischen einem Glied eines Systems und diesem System als ganzem." Und A_ Gurwitsch, "Husserl's Theory of Intentionality of Consciousness in Historical Perspective", S. 53: " ... the thing proves to be the group, more precisely put, the systematically organized totality of adumbrational presentations." Bewusstseins/eid, S. 187. "Jede Wahrnehmungserscheinung enthält einen Kern, der aus dem in direkter Sinneserfahrung Gegebenen besteht; diesen Kern begleiten Verweisungen auf das in dieser ausgezeichneten Weise nicht Gegebene, aber die Wahrnehmungserscheinung dennoch Mitbestimmende." (Ebd., S. 193). "Man kann sagen, dass die funktionale Bedeutsamkeit jeder konstitutiven Komponente von der Gesamtstruktur abhängt; man kann aber auch sagen, dass jede Komponente vermöge ihrer funktionalen Bedeutsamkeit zur Gesamtorganisation beiträgt. Beide Formulierungen drücken denselben Sachverhalt aus." (Ebd., S. 98). "Eine Seite aber ist nur eine Seite des vollen Gegenstandes. Sie ist nichts für sich, als ein Fürsichsein nicht denkbar. Diese Evidenz besagt: Die eigentliche Erscheinung ist nichts Abtrennbares." (Hua XVI, S. 51). "In der eigentlichen Erscheinung haben wir vereinigt den gesamten Empfindungskomplex der Wahrnehmung, der Darstellungsfunktion trägt, den Gesamtbegriff der in ihr empfindungsmässig fungierenden physischen Data ... " (Ebd., S. 54)_ Vgl. auch K I 66, 42: "Direkt präsentiert sind im einzelnen Wahrnehmungsakte alle diejenigen Konstituentien des Dinges, die in dem präsenten Empfindungsgehalt ihren speziell präsentativen Grund haben." Hua XVI, S. 56f. So hat also jeweils die anschaulich gewordene Seite des Wahrnehmungsobjekts das, was wir Innenhorizont nennen; ihn kontrastieren wir mit dem Aussenhorizont." (Hua IX, S. 433).
154 150. "Ich habe jeweils eine Gesamtwahrnehmung, die meiner vollen wahrnehmungsmässigen Weltgegenwart, und innerhalb dieser haben wir als spezifisches und eigentliches Wahrnehmungsfeld einen Bereich von wirklich original wahrgenommenen Realitäten und darüberhinaus einen Bereich (obschon einen offenen und inhaltlich unbestimmten) von Mitwahrgenommenem, wahrnehmungsmässig mitgegenwärtigen, aber nicht in eigentlicher Selbstgebung verwirklichten Realitäten," (Hua XV, S. 122). 151. "Diese mitgemeinte Gegenwart aber ist ein Bereich der Wahrnehmbarkeit all das, was ich in leiblicher Fortbetätigung wahrnehmen kann ode: könnte." (Ebd., S. 124). 152. Bewusstseins/eid, S. 188. 153. "Demnach zerfällt die uneigentliche Erscheinung in zwei Momente oder Teile: 1) Der eine umfasst das, was vom Gegenstand überhaupt nicht in die eigentliche Erscheinung fällt; 2) der andere das, was zwar visuell in die eigentliche Erscheinung fällt, aber nicht taktuell." (Hua XVI, S. 74). 154. Vgl. LU II/2, § 23, S. 79ff. 155. Vgl. ebd., § 26, S. 90ff. 156. " ... dass Anschauung statthaben kann, wo ganze Seiten und Teile des gemeinten Objekts gar nicht in die Erscheinung fallen, d.h. die Vorstellung ist mit einem intuitiven Inhalt ausgestattet, der von diesen Seiten und Teilen keine darstellenden Repräsentanten enthält, so dass sie nur mittels eingewobener signitiver Intentionen 'uneigentlich' vorgestellt sind." (Ebd., S. 97). 157. " ... in der gemischten Anschauung fungiert der repräsentierende Inhalt nach einem Teile der Materie als intuitiver, nach dem ergänzenden als signitiver Repräsentant." (Ebd., S. 93). 158. Husserl selbst hat sich bereits in einer im Wintersemester 1904/05 gehaltenen Vorlesung über Wahrnehmung von dieser Lehre distanziert. Zunächst spricht er noch davon, dass sich an die erlebten Empfindungen zweierlei Auffassungscharaktere knüpfen ~ neben den direkter Präsentation tritt derjenige, dem die direkt präsentierte Bestimmung als Zeichen für eine nicht wirklich präsentierte Bestimmung gilt ~ um dann zu sagen: "Doch ist es besser, hier nicht von Zeichen zu sprechen, da nicht ein 'Gegenstand' auf etwas hinzeigt." (F I 9, 29a). An Stelle dessen spricht.. Husserl dann von Präsentation durch Kontiguität gegenüber der durch Ahnlichkeit. 159. Vgl. M. Merleau-Ponty, PdW, S. 23. 160. "Unbestimmtheit des Innenhorizonts bedeutet vielmehr Vieldeutigkeit hinsichtlich der besonderen Art und Weise, in der ein gewisser Stil, ein gewisser Typus verwirklicht ist." (Bewusstseinsfeld, S. 197). 161. "Expliziert man eine ... Wahrnehmungserscheinung und versucht man, Bilder der in aktueller Sinneserfahrung nicht gegebenen Konstituentien
155 wachzurufen, so erhält man im allgemeinen nur Bilder generischer und schematischer Art ... " (Ebd., S. 193). Vgl. auch Hua XVI, S. 74: "Die angesehene, nämlich der visuell erscheinenden Vorderseite angesehene Rauhigkeit der Feile ist gewissermassen da in der eigentlichen Erscheinung, aber doch nur angesehen, fast als wie gesehen und doch nicht gesehen: eine unvergleichlich grössere Klarheit des Gegebenseins als die der Rückseite." 162. Bewusstseins/eid, S. 178. 163. Ebd., S. 232. 164. Ebd., S. 233.
10. Die noematische Reduktion und der erkenntnistheoretische Begriff des Wahrnehmungsgegenstandes 165. Hua III, 1, S. 331. 166. "Ein individueller Gegenstand ist nicht bloss überhaupt ein individueller, ein Dies da!, ein einmaliger, er hat als 'in sich selbst' so und so beschaf· fener seine Eigenart, seinen Bestand an wesentlichen Prädikabilien, die ihm zukommen (als 'Seiendem, wie er in sich selbst ist'), damit ihm andere, sekundäre, relative Bestimmungen zukommen können." (Ebd., S.13). 167. Ebd. S. 345. Vgl. auch Hua XVI, S. 138. 168. " ... die Vorderseite entscheidet ihrem Wesen nach nicht für die Rückseite. Die Rückseite des Dinges ist immer 'anders' denkbar bzw. anschaubar, als sie in der Vorderseite mitaufgefasst wurde." (Hua XVI, S. 98). 169. Hua m,2, S. 623. 170. Hua m,l, S. 347. 171. Das Individualwesen eines Dinges ist unerschöpflich in einer endlichen Anzahl noematischer Sinne, wenn man vom phänomenalen Begriff des Noemas ausgeht, insofern eben ein Ding prinzipiell aus unendlich vielen Perspektiven wahrnehmbar ist. Daraus folgt aber keineswegs die Unerschöpflichkeit des Individualwesens in einer endlichen Anzahl von bedeutungstheoretisch als Zusprechung von Bestimmungen verstandenen noematischen Sinnen. 172. "Es ist, was es ist, nur als das Identische in der systematischen Einheit dieser Abschattungen oder Abschattungsmöglichkeiten." (Hua XVI, S. 104). 173. Unter dem Titel Ding und Raum in Hua XVI veröffentlicht. 174. " ... dass viele nach der Empfindungskomplexion wesentlich verschiedene Wahrnehmungen Wahrnehmungen eines und desselben Gegenstandes, z.B. eines Hauses, sind und sein können." (Hua XVI, S. 43).
156
157 175. 176. 177. 178.
179. 180. 181. 182.
183.
184. 185. 186. 187. 188.
Ebd., S. 44. Ebd., S. 101. Ebd., S.10lf. " ... dass die zu einer eigentlich erscheinenden Bestimmtheit gehörigen und wesentlich zu einer Kontinuität sich verschmelzenden Darstellungen durchherrscht seien von kontinuierlicher Sinneseinheit." (Ebd., S. 102). Ebd., S. 145. Ebd., S. 148. Ebd.,S.399ad78,11. F I 9, 32a. In der VI LU zeigt sich auch Husserl noch davon überzeugt, dass in jeder Wahrnehmung ein Moment adäquater Gegebenheit steckt, d.h. ein Moment des Gegenstandes ist in der Wahrnehmung selbst da. "Danach gilt uns ... manches Element der Fülle als endgültige Präsentation des entsprechenden gegenständlichen Elementes: es gibt sich als mit ihm identisch, nicht als sein blosser Repräsentant, sondern als es selbst im absoluten Sinne." (L U II/2, S. 117). "In der eigentlichen Erscheinung haben wir überall Gegebenheitsbewusstsein hinsichtlich dessen, was da eigentlich erscheint. Aber die eigentlichen Erscheinungen nuancieren sich in solche einer Erscheinungsreihe im Sinne einer Steigerung, und wir laufen in Grenzpunkte oder Grenzsphären aus, wo das Steigerungsziel erreicht, wo die Gegebenheit eine vollkommene ist, als solche dasteht." (Hua XVI, S. 126). Ebd. Ebd., S. 128. Ebd., S. 127. Ebd., S. 123f. Ebd., S. 124.
192. Hua XIV, Beilage LVI, S. 453f. Vgl. auch ebd., S. 541. 193. Hua XV, S. 269. Vgl. Hua XIV, S. 541: "Mein Leib ist gewissermassen das unbewegliche Objekt, kinästhetisch gelangt er in jeden Raum hinein, sofern ich ihn verwirkliche, und dann eben durch kontinuierliche Eigenbewegung als Kinästhese." 194. Hua XV, S. 280. 195. HuaXIV,S.546. 196. Ebd., S. 552. 197. Hua XIII, S. 367. 198. Hua IV, S. 77f. 199. Ebd.,S.87. 200. Wir stossen hier natürlich auch auf die Probleme der intersubjektiven Konstitution, die aus unserer Betrachtung aber ausgeschlossen bleiben. 201. Ebd., S. 151. 202. Ebd., S. 152. 203. "Die objektive Welt ist Welt der Objekte und beschliesst die Subjekt-Objekte. Fungierend ist das Subjekt aber nicht Subjekt-Objekt, sondern eben Subjekt-Subjekt, fungierendes Subjekt." (Hua XIV, S. 74). 204. Ebd., S. 115. 205. So spricht auch I. Kern, der in seinem Buch Idee und Methode der Philosophie Sinnlichkeit und Vernunft bzw. Verstand aus reiner Reflexion zu bestimmen versucht, davon, dass die menschliche Sinnlichkeit völlig verdeckt wird durch den Verstand und erst durch eine methodische Abstraktion von allem Verstandesmässigen rein gefasst werden könne. Vgl. ebd., S. 55.
13. Der Leib als Subjekt der Wahrnehmung
IV_ WAHRNEHMUNG UND LEIB
11. Die Wahrnehmung als leibliches Bewusstsein
189. Vgl. oben, S. 55.
12. Husserls transzendentale Bestimmung des Leibes als kinästhetisches Bewusstsein
190. Hua IV, S. 56. 191. Ebd.,S.58.
PdW, S. 243. Ebd., S. 358 Anm. 19. SdV, S. 43. Ebd., S. 14. Ebd., S. 148. Ebd., S. 164. Vgl. auch ebd., S. 143: "Die Struktur des Verhaltens, so wie sie sich der Wahrnehmungserfahrung darbietet, ist weder Ding noch Bewusstsein, und eben das macht sie undurchsichtig für den Intellekt." 212. Ebd., S. 192. Vgl. auch ebd., S. 190: "Die beginnende Wahrnehmung hat eine doppelte Eigentümlichkeit: Sie zielt eher auf menschliche Intentionen ab als auf Naturobjekte oder auf die reinen Qualitäten (warm, kalt, weiss, schwarz), deren Träger sie sind, und sie erfasst sie eher als erfahrene Realitäten denn als wahre Objekte." 213. " ... all relationship verified by third-person-sentences are relative, that is,
206. 207. 208. 209. 210. 211.
159
158
214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222.
223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232.
their validity presupposes first-person-sentences which validity cannot be related to an observed relation." (S. Kvale und C.E. Grenness, "Skinner and Sartre: Towards a Radical Phenomology of Behavior?", S. 146). PdW, S. 99. Ebd., S. 234. Ebd., S. 81. Ebd., S. 177. Ebd., S. 249. " ... die Gestalt ist Identität des Inneren und des Äusseren." (Ebd., S. 85). Ebd., S. 241. Ebd., S. 106. Ebd., S. 401. Vgl. auch ebd., S. 405: "Meinen Leib erfahre ich als Vermögen gewisser Verhaltensweisen und einer gewissen Welt, ich bin mir selbst nicht anders gegeben denn als ein gewisser Anhalt an der Welt." Ebd., S. 170. Ebd., S. 53. Ebd., S. 130f. Ebd., S. 125f. Ebd., S. 128. Ebd., S. 125. Ebd., S. 131. Ebd., S. 168. Ebd., S. 167f. Vgl. auch ebd., S. 176: "Der Leib ist unser Mittel überhaupt eine Welt zu haben." Ebd., S. 120. Man bemerke den Unterschied zu Husserl, der von SubjektSubjekt sprach in bezug auf das fungierende Subjekt. Vgl. oben Anm. 202. In bezug auf das Problem des alter ego und die Überwindung des Solipsismus schreibt Merleau-Ponty: "Ich muss mein Äusseres sein, und der Leib des Anderen muss er selbst sein. Dies Paradox, diese Dialektik von ego und alter ist möglich nur, wenn Ich wie der Andere aus der Situation, nicht unabhängig von jeglicher Bindung sich definieren, m.a.W. wenn die Philosophie sich nicht vollendet im Rückgange auf das Ich, wenn vielmehr die Reflexion nicht allein mein Zugegen-sein-bei-mir-selbst, sondern ebensosehr die Möglichkeit eines 'fremden Betrachters' entdeckt." (Ebd., S. 9). Vgl. auch Vorlesungen I, S. 127: die Idee einer Leiblichkeit als zweigesichtiges oder zweiseitiges Sein ... : Der Leib ist ein Empfundenes und ein 'Empfindendes', er ist gesehen und sieht sich selbst, er wird berührt und berührt sich." "Das Verhältnis zwischen meinem Entschluss und meinem Leib in der Bewegung ist ein magisches." (PdW, S. 119). "Auf dem Grunde einer Natur, die ich mit dem Sein gemein habe, bin ich fähig, in bestimmten Anblicken des Seins einen Sinn zu entdecken, ohne ihn ihnen selbst kraft einer konstituierenden Leistung erst verliehen zu H •••
233. 234.
haben." (Ebd., S. 254). Vgl. G. Brand, Die Lebenswelt, S. 195: "Mein Leib ist aus gleichem Fleisch wie die Welt, er ist ein Wahrgenommenes. Die Welt nimmt am Fleisch meines Leibes teil. Dieser reflektiert die Welt, die Welt greift auf ihn über und der Leib auf sie. Beide stehen zueinander in einer Beziehung des gegenseitigen Überschreitens und des Ineinander." 235. PdW, S. 109. 236. SdV, § 19,5.119ff. 237. "11 traite toute situation comme reelle, bien qu'il s'avere capable de reconnaitre a travers d'innombrables situations, toutes reelles, un certain scheme par quoi il est permis de trouver achacune une solution concrete." (A. de Waelhens, Une Philosophie de l'Ambiguite, S. 27). 238. " ... la faculte de n'etre pas rive a l'actuel est constitutive de l'homme normal." (Ebd., S. 146). 239. SdV, § 29, S. 200ff. 240. PdW, S. 109. 241. Ebd., S. 112. 242. Ebd., S. 366. 243. Ebd., S. 253. 244. Ebd., S. 254. Vgl. auch ebd., S. 243: " ... da der Leib, mit dem wir wahrnehmen, gleichsam ein natürliches Ich und selbst das Subjekt der Wahrnehmung ist." 245. Ebd., S. 131.
14. Vom noematischen zum noetischen Begriff des leiblichen Bewusstseins 246. " ... actual awareness requires originally the 'givenness' of an independently existing object in order that consciousness may have anything to intend at all." (H. Chapman, Sensations and Phenomenology, S. 102). 247. "Es gibt also zwei Arten philosophischer Erkenntnis: Eine solche, die nur auf reiner Reflexion beruht, und eine solche, die aufgrund der reinen Reflexion die phänomenale Empirie interpretiert. Die transzendentale Interpretation ist nur möglich aufgrund der reinen Reflexion ... " (I. Kern, Idee und Methode der Philosophie, S. 50). 248. "Vielmehr erfahre ich meinen fungierenden Leib nur 'draussen in der Welt' oder genauer gesagt, als eine Strukturform meiner noematischen Umwelt ... " (H.-U. Hoche, Handlung, Bewusstsein und Leib, S. 248). Vgl. auch R.M. Zaner, The Problem of Embodiment, S. 86: "The-body-foritself is ... the order of the world revealed by its specific placement and involvement .... It is the physiognomy of the objects which reveals the body -for-itself." 249. " ... für eine rein noematische Phänomenologie ist das Bewusstsein durch und durch noematisch und als solches von der noematischen Umwelt, die
160 ja nicht auf das Aggregat der biossen noematischen 'Einheits-Pole' ('Gegenstände schlechthin') zusammenzustreichen ist, überhaupt nicht zu unterscheiden." (H.-V. Hoche, Handlung, Bewusstsein und Leib, S. 226f.). 250. "Tätigkeit ist Sich·Zukunft·vorhalten, und Sich-Zukunft-vorhalten ist Bewusstsein. Bewusstsein und Tätigkeit sind äquivalente Begriffe: Jede Tätigkeit ist Bewusstsein, jedes Bewusstsein ist Tätigkeit." (I. Kern, Idee und Methode der Philosophie, S. 93). 251. Einen jüngsten, an HusserI und Merleau-Ponty anknüpfenden Versuch einer Bestimmung des sinnlich-leiblichen Bewusstseins in reiner Inneneinstellung hat I. Kern innerhalb seiner Studie über die Idee und Methode der Philosophie unternommen.
161
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