Das neue Abenteuer 390
Rerbert Friedrich: Jakow und seine Frau
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
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Das neue Abenteuer 390
Rerbert Friedrich: Jakow und seine Frau
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Diese Erzählung erschien in dem Band "Im Eis" Illustrationen von Peter Israel © Verlag Neues Leben, Berlin 1979 Lizenz Nr. 303 (305/68/79) LSV 7503 Umschlag: Peter Israel Typografie: Walter Leipold Schrift: 10p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 642 798 2 DDR 0,25 M
Jakow hielt die Runde anf sie lagerten sich sofort in den Schnee, Pupka, dem Leithund folgend. Sie hechelten noch eine ganze Weile. "Pause", sagte Jakow und zog die Randschuhe aus, um sich die Pfeife zu stopfen. Seine Frau stand auf vom Schlitten und begann sich die Füße warm zu treten. Es war sehr dunkel, im Monat der großen Finsternis, Dezember, vier Tage vor Neujahrf und es war die erste Rast auf ihrer Reise. Mit Beginn der Dämmerung, gegen neun, waren sie aufgebrochen, verabschiedet vom halben Dorf. Doch selbst in der hellsten Stunde würde die Sonne nicht über den Rorizont kommen. Jakow hatte um diese Zeit bereits am Rentierfelsen sein wollen. Ringegen der Schnee, gewellt wie ein in der Bewegung erstarrtes Meer, hatte den Runden mehr abverlangt, als er geglaubt hatte. Und es war sehr kalt. Endlich hatte er mit klammen Fingern die Pfeife in Brand gesteckt. "Willst du trinken, Valentina?" rief er seiner Frau zu. Sie verneinte stumm. Ihn beunruhigte nicht der Zeitverlust. Er stellte sich mit dem Rücken zum Wind und sog den beißenden Rauch ein. Ihn irritierte eher diese Stille, die von seiner Frau ausging. Es verdroß ihn ein wenig, er konnte sich nicht helfen. Er blickte zu ihr, wie sie nach den Runden schaute. Sie tat alles wie in einer träumerischen Versonnenheit. Als sie aus dem Dorf hinausgefahren waren, hatte sie freilich gesungen. "In drei Stunden sind wir an der Blockhütte", sagte er. "Bevor die volle Nacht kommt, du brauchst dich nicht zu ängstigen." Und morgen würden sie die Agapamündung erreichen. Und übermorgen die zugeeiste Pjassina hinabjagen bis nach Tareja. Sie antwortete nichts darauff all dies hatten sie oft mit-
einander durchgesprochen, als sie die Reise geplant hatten. Sie stand beim Leithund, Jakow trat zu ihr. Der Rund Pupka reckte die Schnauze nach oben, als warte er auf Fressen. Jakow bückte sich nach dem Geschirr und schob die Rand prüfend zwischen Riemen und Flanken des Rundes, was jener winselnd als Liebkosung wertete. Nach Tareja geht es, Pupka, nach Tareja. Vielleicht verstehst du das, vielleicht freut's auch dich. Mit Valentina zusammen war der Rund Pupka letzten Sommer aus Tareja gekommen, als Rochzeitsgabe gewissermaßen, als Geschenk von Valentinas älterem Bruder. Der Schnee leuchtete immer mehr auf, der Rimmel war klar und nun heller als die Sterne. Valentina saß schon wieder auf dem Schlitten, damit beschäftigt, sich den Pelz über die Beine zu decken. Jakow spuckte in die Pfeife, um den glimmenden Tabak zu löschen. Fahren wir also. Die Runde sprangen auf, kaum daß Jakow den Schlitten bestiegen hatte. Der Mann hatte sich geirrtf sie brauchten nicht drei Stunden bis zur Blockhütte, sondern vier. Und er hätte sie nicht gefunden, hätte er sich nicht so gut ausgekannt. Sie steckte unter Schnee an einem Lärchenknieholz. Es war längst tiefe Nacht, und er mußte Valentina wecken, die auf dem Schlitten eingeschlafen war. Die Frau war steif von Schlaf und Kälte, und sie wußte einen Augenblick nicht, ob sie in Tareja sei oder in Ust an der Jenissejmündung, wo sie bei diesem Manne wohnte. Sie lächelte aber dann doch, als er ihr sagte, dies sei die Blockhütte und man sei Tareja nun schon einen vollen Tag näher. Sie nahm sich gleich den Topf mit der gefrorenen Suppe und schickte sich an, ein Feuer zu entfachen. Alles
Nötige entnahm sie dem Schlitten, den Jakow inzwischen in den Vorraum gezerrt hatte, in dem auch die Runde lagen. Schnee hatte es in den Vorraum geweht, und die Balken glitzerten vor Frost. Doch das Feuer wärmte bald, und der Geruch gekochten Fleisches ließ Jakow doppelt seinen Runger spüren. Er verschloß die Außentür und vergewisserte sich, ehe er sich zu Valentina setzte, daß jeder Rund seinen Teil zu fressen hatte. Er setzte sich mit dem Gefühl eines Mannes ans Feuer, der sein Tagewerk und noch ein Stück darüber hinaus vollbracht hatte. Die würzige Fleischsuppe hatte Valentina in Ust vor der Abreise gekocht und dann gefrieren lassen, in Jakows Rause, das kaum mehr Staat hermachte als diese Blockhütte, so winzig war es. Jakows Raus, das waren zwei rauchgebeizte Räume, in denen man kochen konnte, schlafen konnte, viel Wärme vom Ofen her gab es, ungefüge Möbel, Stühle, Tisch und Schrank, eine Bank unter dem Fenster entlang, das sie fast nur als zugefroren oder zugeweht kannte. Am besten hatten ihr die Rängelampe gefallen mit ihrem gedämpften, warmen Licht und die Pendeluhr. Ein Schuppen gehörte zum Raus, in dem Jakows Vater Fischereigerätschaften aufbewahrt hatte. Jakow hatte das meiste verbranntf er fuhr auf einem Kutter, neue Schuppen standen am Fluß, der eisige Jenissej war seine Welt, der Fisch aus den Wassern seine Beute. Der Sommer an der Mündung war gut, wenn sich die Boote auf der meerweiten Fläche tummelten, wenn die Frachtschiffe südwärts nach Dudinka zogen. Aber dann, wenn alles in Kälte erstarrte, wenn man sich die drei Dutzend Räuser von Ust wegdachte und die hundert Werst entfernten Städte vergaß, blieb nichts als eine einzige Eiswüste. So mochten die ersten Ankömmlinge an der Mün-
dung das Land erblickt haben. Mit kleinen Schiffen waren sie den Strom heraufgekommen, hatten die Schiffe an Land gezogen und abgewrackt, um sich Rütten aus dem Schiffsholz zu bauen und den Rest an ihren Feuern zu verbrennen. Jakow hatte es Valentina erzählt, und solange sie in Jakows Rütte gesessen, hatte sie diese Behausung als Schiff angesehen, das lebendig den Jenissej entlanggeschwommen war und nun in der ewigen Dämmerung vereiste. Sie aßen schweigend die Suppef Jakow blies auf den Löffel, um sich nicht die borkigen Lippen zu verbrennen, betroffen von der Stille, die von seiner Frau ausging. Was hat sie, sie hat doch was, dachte er unablässig und hörte die Runde den Fisch hinunterschlingen. Im Juni hatten sie in Tareja geheiratet, wo all ihre Leute wohnten, der Meteorologe, der ihr Vater warf der kleine Bruder, für den sie nun ein rotes Reitpferd auf dem Schlitten liegen hattenf die Mutter, die im Magazin von Tareja vielleicht ebenfalls rote Kinderpferde verkauftef der große Bruder mit seiner vierköpfigen Familie, der Jakow den Rund Pupka geschenkt hatte. Gefeiert unter der Mitternachtssonne die Rochzeit von Valentina und Jakow im entlegenen Tareja am Ufer der Pjassina. Und dann waren sie in den Rubschrauber gestiegen und geradenwegs nach Ust geflogen, wo Jakows Raus wartete. Valentina hätte lachen müssen, da es nun das erstemal wieder nach Tareja ging. Sie hatte tatsächlich gelacht, als der Gedanke zu dieser Reise geboren worden war, und keiner hätte nun mehr sagen können, stammte der Plan von Jakow oder von Valentina. Rechtzeitig zum Neujahrsfest wird man dasein. Wodka genug schleppte der Schlitten mit, daß man anstoßen konnte auf die Gesundheit aller
Leute von Tareja. Perlenbesetzte Rausschuhe aus Rentierfell für die Mutter, Rollschinken, Obstkonserven, Mützen und Randschuhe für allef die Magazine von Ust hatten etwas zu bieten, ein weißbärtiges Väterchen Frost, das rote Pferd für Tolja, das wiehert, wenn man an einer Schnur an seinem Ralse zieht . Ein Vergnügen war es gewesen, sich zu überlegen, was man den Verwandten zum Neujahrsfest schenkte, alles herbeizuschleppen, bei den Nachbarn die Runde auszulernen. (Den Leithund hatte man selber.) Was für ein Spaß, den Schlitten herzurichten! Valentina hatte den Jakow umhalst. Und nun sie ausgefahren waren, war ihre Freude verstummt, als wäre all ihr Vorrat daran aufgebraucht. Jakow griff nach Valentinas Rand, die sich eisig anfühlte. "Na, was ist. Bist du krank, Frau?" "Nur müde." Sie entzog ihm mit Bestimmtheit ihre Rand und erhob sich, um die Töpfe zu säubern, aus denen sie gegessen hatten. Er hörte sie im Vorraum herumwirtschaften und spürte dann an der Zugluft, daß sie ins Freie gegangen war. Der weitere Weg beschäftigte ihn. Wo die Agapa in die Pjassina mündete, kannte er Pelztierjäger, die dort eine Rütte hatten. Auf dem Eis der Pjassina konnten sie dann mühelos Tareja erreichen. Valentina kam herein, sagte irgend etwas Belangloses und breitete die Pelze aus. Ihre Augen glänzten fiebrig, und er fragte, ob sie friere. "Nein." Sie streckte sich aus, nahe dem Feuer, in dem er noch ein wenig herumstocherte. Dann legte er sich neben sief dabei rückte er dicht heran, um die Wärme auszunützen. Nicht einmal da fühlte er sie atmen. Draußen fiepten leise die Runde.
Er war gerade im Einschlafen, als ihn ein Knall hochschreckte. Jakow setzte sich auf, drehte die Lampe größer und sah zu Valentina, die ihn anblickte. "Ich geh raus", sagte er und griff sich das Gewehr. Die Runde schlugen an, und etwas quietschte, als bewege sich die Tür. Die Außentür stand wirklich offen und bewegte sich quietschend im Wind, der den Schnee hereinstiebte. Die Runde saßen alle und reckten ihre Schnauzen der Tür zu. Vorsichtig ging Jakow hinaus, schwarz stand das Lärchenknieholz. Es schneite nicht, der Wind nur wehte den lockeren Schnee über die Weitef es gab aber auch keine Sterne, und es schien ihm wärmer, als es tagsüber gewesen war.
Der Mann stand eine Weile mit dem Gewehr in der Rand, witterte nach den Lärchen und musterte den Schnee vor sich, ob er Spuren entdecke. Er fand nichts. Nach einer Weile ging er wieder hinein und stemmte einen Stock hinter den Türpfosten, damit sie nicht wieder aufspränge. "Der Wind hat die Tür aufgerissen", erklärte er seiner Frau. Sie blickte so, als nähme sie es als Vorwurf, daß sie die Tür nicht richtig verschlossen hätte. "Es gibt mehr Wind", sagte er, als er wieder lag, und wirklich bildete er sich ein, daß er ihn kräftiger höre. "Jakow", sprach sie, "ich hab nachgedacht. Wenn wir nun nach Tareja fahren - ich komm nicht wieder mit dir zurück nach Ust." Es traf ihn völlig unerwartetf er schnaufte, und er mußte sich Wort für Wort in Gedanken nachbilden, um sich ins Bewußtsein zu rücken, was sie wirklich gesagt hatte. Er faßte sie an der Schulter. "Das meinst du doch nicht im Ernst." "Ich tu dir weh, ich weiß, und ich hab es dir nicht sagen wollen, bevor wir dort sind." Ihre Stimme klang belegt. "Ich wollte dir nichts verderben. Aber dann - ich komm mir vor wie eine Verräterin: Du bringst mich dorthin, und du weißt nicht, daß es für endgültig ist." Er lachte auf. Bitternis würgte in seinem Rals. Er hatte keine Worte. "Dann war es also falsch, daß wir geheiratet haben?" brachte er endlich heraus. Sie antwortete lange nicht. Dann sagte sie: "Ich weiß nicht." Er spürte einen beklemmenden Druck in der Kehle, so daß ihm Worte nur schwer über die Lippen kamenf hilflos kam er sich vor, wie ein plumper, gefangener Bär, den man
übertölpelt hatte. Fort wollte sie von ihm, und er brachte sie noch selber zurück! Und er hatte es vorgeschlagen, diese Neujahrsfahrt zu ihren Verwandten zu unternehmen. Jetzt, ja jetzt hatte er schwören können, daß er es gewesen war, der das vorgeschlagen hatte! Und in seinem Zorn gegen sie, die so still neben ihm gelebt hatte, ohne daß er sie kannte, ohne daß sie ihm ihr Fühlen offenbart hätte, mischte sich nun kräftig Zorn gegen sich selbst. Er Tölpel, er. Er brachte sie selber zurück. Die Freude ist wie eine Schneeflockef kommt ein Wind, fliegt sie auf. Vom ganzen Dorf holte er sich die Runde zusammen, um seiner Frau das Gute anzutun, ihre Verwandten zu besuchen. "Paß auf, Jakow, daß kein Ründchen verlorengeht." Die Frau ist verlorengegangen, wird er sagen, wenn er wieder mit dem Rundegespann in Ust einfährt. Er stellte sich das Gelächter vor, Geschwätz wird von Raus zu Raus hüpfen wie die Vögel von Erdscholle zu Erdscholle. Er besann sich, versuchte, sich zu beherrschen, sagte: "Rör mal, Frau, ich weiß nicht, was du hast." Und: "Das kann man hier doch nicht so einfach sagen: Ich bleib in Tareja." Verließ man so seinen Mann? Von einem guten Wirt läuft kein Rund fort, sagten die Alten in den Dörfern. War er Valentina kein guter Mann gewesen? Er merkte erst später, daß sie etwas redete, Beteuerungen, daß es ihr wirklich ernst sei, in Tareja zu bleiben. Er kam sich machtlos vor wie die Tundramaus vorm Wolf. "Mir fehlen die Kinder", sagte sie. Ein eigenes hatten sie nicht. Und wenn sie ein eigenes besessen hätten, nie hätte sie dann gesagt: "Ich bleib in Tareja." Das glaubte er zu wissen. Und er holt das rote Pferd im Magazin zum Neujahrsfest für Valentinas Bruder, und er klemmt es sich unter den Arm und trägt es nach Rause in seiner großen
Freude. Und auch das Dorf hat seine Freude, lacht über den Mann mit dem roten Kinderpferd, rechnet nach, wann Valentina Einzug gehalten hat in der Rütte, die einmal ein Schiffchen gewesen war. Ist denn die Zeit schon um, Jakow? Neun Monate sollten schon vorüber sein? Jakow plant Großes: Sein Kind ist noch nicht auf der Welt, da schenkt er ihm schon 'nen Gaul! Und alles wiehert wie das Pferd, und ihre Kapuzen rutschen. Die im Dorf hatten wohl Jakow gekannt, aber nicht Valentina und nicht das zwischen Jakow und Valentina. Und vielleicht wird sie nie Kinder haben. "Mir fehlen die Kinder", sagte Valentina. "Ich sitz in den Treibhäusern von Ust und seh zu, wie die Gurken wachsen. Oder ich zähl Fische in Bottiche, wenn ihr den Fang anlandet. Und in Tareja warten auf mich die Kinder." "Das hast du gewußt, als wir geheiratet haben: Ust hat kein Schulinternat." "Manches denkt sich leichter." Ihr feines Gesicht war nun rot überhaucht, und er merkte ihr an, daß sie keineswegs gern diese Auseinandersetzung führte. Sie sprach von sich. Lehrerin ist sie gewesen mit Leib und Seele, ganz Tareja hat auf sie geblickt, und wie kann sie die Kinderaugen vergessen, wie sie an ihr gehangen haben, wenn sie am Pult stand, an der Tafel zeichnete, Märchen vorlas. Die stolzen Kinderstimmen, die vom Rentierschlitten aus der Lehrerin die Spuren erklärten: Das war ein Zobel! Er stand auf, setzte sich vor das glimmende Feuer, mühsam beherrscht, seine Gedanken zu ordnenf er war wie zerschlagen. Dabei müßte man doch schlafen, dachte er. Morgen die Fahrt, die ihre Kräfte beanspruchen würde, und immer daran denken: Du bringst sie weg . Er hätte
schreien mögen. Er hörte sie reden, sie war ihm aber nun sehr fern, wie sie dort saß und ihn anblicktef sehr kalt war sie. Er wollte sie rütteln. Re, was macht dich so fremd, blieb aber vor dem Feuer. Er wußte, daß sie eine gute Lehrerin war, jetzt aber kam er sich vor wie ihr Schüler, der zurechtgewiesen wird. Nichts Vertrautes war mehr in ihrer Stimme. Dabei hatte er keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln: daß ihr das Leben in Ust wenig behage, daß sie ihre Arbeit wie vordem bitter benötige. Kein anderer Mann steckte da dahinter, nein, nein, gewiß nicht. Bitter jedoch war, daß sie ihre Arbeit mehr brauchte als ihren Mann. "Denk an dein Raus in Ust, Jakow", sagte sie leise, während ihn die Wände dieser Blockhütte einengten. "Als lebendiges Schiff ist es den Jenessej herabgeschwommen, und nun liegt es fest und vereist, für alle Zeit. So angekettet komme ich mir vor in diesem Ust, nachdem ich vorher so beweglich gewesen bin." Sie verstand natürlich, daß ihn all dies, was sie zu sagen hatte, schmerzen müßte, und insofern bedauerte sie ihn. Sie sagte, daß der Gedanke, für immer in Tareja zu bleiben, erst allmählich in ihr herangereift wäre, als sie diese Reise geplant hätten. Jeden Tag ein Stück weiter gedacht hatte sie, mit leichtein Erschrecken vor der letzten Konsequenz. Wenn man in Tareja bleiben könnte . Und schließlich: Warum denn kann man nicht dort bleiben? Man kann, sehr wohl . Auch das glaubte er ihr allesf es machte ihm das nicht leichter. Er schaute auf seine verarbeiteten Fischerhände, griff nach der Pfeife, ließ sie dann stecken, hörte die Runde sich bewegen und dachte: Mein Gott, man müßte doch schlafen. Mit dem Kutter kannte er sich aus, mit den Net-
zen, sogar mit den Maschinchen, nicht der schlechteste Maschinenwärter war er gewesen an Bord der "Norilsk"! Mit den Runden kannte er sich aus, mit Schnee und Schlitten. Aber mit der Frau? Daß seine Frau ihn verlassen wollte, konnte er nicht als Realität begreifen. Später war er doch eingeschlafen, erwachte wie aus Krankheit, auf dem Lager neben seiner Frau, die noch schlief. Plötzlich überfiel ihn alles wieder, und er hörte den Wind. Was trieb ihn nun nach Tareja? Unlustig fachte er das Feuer an. Er hatte Zeit, hatte sehr viel Zeit nun. Sein Stolz regte sichf hatte er Grund, sie zu bitten, bei ihm am Jenissej zu bleiben? Geh du, geh, dachte erf meine Rütte ist für dich viel zu schade. Und wenn ich dich nunmehr nach Tareja bring, dann deshalb, weil ich dich verstoß! Er ging zu den Runden, die sich alle dicht aneinandergelegt hatten, griff sich den Pupka heraus, der ihn klug anschaute. Ein Rund war der Pupka, das war ein Rund! Einem ausgewachsenen Wolf glich er, und ging es auf Fahrt, strebte er von allein ins Geschirr. Der Mann Jakow hatte den Pupka nie lieber besessen als jetzt. Aber er sagte sich: Auch Pupka kriegt ihr zurück. Die Frau und den Pupka. Jakow braucht keine Frau von euch und keinen Rund. In grimmiger Freude dachte er daran, wie er den Rund ausspannen würde. Noch einen Trittf nun scher dich zum Teufel, Pupka. Den grauen Sneg würde er an die Stelle des Leithundes setzenf der hatte sowieso den Pupka nur unwillig ertragen. Ein Platz im Geschirr würde leer bleibenf belanglos war das. Vielleicht konnte man in Tareja einen Rund leihen oder kaufen. Aber auch auf dem Schlitten bliebe ja ein Platz unbesetzt: Da pfeif auf den Rund! Als der Mann die Tür auf stieß, sprang Pupka sofort auf
die Beine. Der Wind riß Jakow fast die Tür aus der Randf er lehnte sich dagegen, hielt sie mit seinem ganzen Körpergewicht und knöpfte sich den Pelz zu. Durch Finsternis und Schneetreiben hindurch erkannte er kaum das Lärchengehölz. Er zog die Unterlippe einf der Wind kam mit viel Böen von dort, wo sie hinmußten, und es sah nicht aus, als höre es bald auf zu wehen. Es war ihm zu warm, keine zehn Grad Kälte schätzte er, und auch das gefiel ihm nicht. Er band den Sack mit den Fischen auf und fütterte die Runde. Als er zum Feuer kam, saß seine Frau davor, stand aber sofort auf und griff sich die Töpfe. "Es ist schon ziemlich spät für uns", sagte sie. Er dachte: Ich habe Zeit. Auch während des Essens erwähnte sie nichts von dem, was sie in der Nacht geäußert hatte. Er wußte aber, daß sie daran dachte, und sah ihr an, daß sie keinesfalls anderen Sinnes geworden war. Sie war irgendwie freier, rascher in den Bewegungen, da sie nun alles von der Seele herunter hatte. Geradezu heiter war sie in ihrer großen Freude auf Tarejaf Schweigend aß er die Suppe hinein. Er bemühte sich, wieder an den Weg zu denken. Das Erreichen der Agapamündung war kein einfaches Stück. Der Wind kam von dort mit dichtem Schnee, und sie hatten eine Strecke an den Bergen entlangzufahren, durch die sich der Fluß dann brach. Er hätte lieber einen heiteren Rimmel dazu gehabt und eine heitere Seelef aber er hatte doch Zeit, warum mußte er denn die Agapamündung erreichen. Später richtete er dennoch den Schlitten in der gewohnten Schnelle her. Dabei erwog er, mit feiner Witterung wiederum den Böen lauschend, daß es besser sei, einen Tag in der Blockhütte auszuharren, als haargenau dahin zu
fahren, wo jener mächtige Wind zu entspringen schien. Freilich, fast war es ihm vergällt, einen Tag noch zwischen diesen ungefügen Balken auszuharren, allein mit der Frau, bei dem, was zwischen ihnen stand. Und trotzdem, vielleicht würde es dann wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als sie noch gesungen hatte und ihm entgegengerannt war, wenn er vom Strom kam. Einen, zwei Tage noch in dieser Blockhütte, und er wäre nicht der Mann Jakow, wenn es ihm dann nicht gelänge, die Frau wiederzugewinnen. So fährt man doch nicht nach Tareja, zu den Verwandten, was ihnen vorspielen, wie ihre Fragen ertragen? Für wen hatten sie also das Gerümpel auf dem Schlitten zusammengeschleppt? Nein, nie träte er vor ihre Leute, wenn er so nach Tareja fahren mußte! Diesen Tag in der Blockhütte hätte er brennend gern noch gehabt. Aber vernünftiger als dieser eine Tag in der Blockhütte schien ihm, die Runde anzuspannen und zu fahren und zu fahren, mit geschwungener Peitsche, und zwar dorthin, woher sie gekommen waren, den Wind im Rücken, vor dem Wind her gewissermaßen, mit dem Wind um die Wette, auf der Flucht vor dem großen Schnee. Das wäre das vernünftigste, der Frau zu sagen: Valentina, wenn wir nun nach Tareja fahren, geraten wir in den Sturm! Wir müssen zurück nach Ust, so schnell es geht. Er aber wußte in seinem Innersten, daß er hier einen Sturm vorschieben wollte, nur um sie erst einmal wieder in seinem Dorf zu haben. "Nun?" fragte sie. Sie stand neben dem fertig gepackten Schlitten. Er zögerte. "Es bläst mächtig heute. Es wird arg werden." Sie sah ihn an, mit so viel Verächtlichem im Blick, daß er darauf verzichtete, ihr vorzuschlagen, zurück nach Ust zu jagen oder in der Rütte zu bleiben. Sein Stolz ließ
es nicht zu, ihr etwas zu sagen, das den Anschein erweckte, er wolle sie zurückschleppen. Willst du nach Tareja, so sollst du nach Tareja. Laß dir den Wind um die Nase wehen. Es würde ihm ein galliges Vergnügen sein, zu sehen, wie der Sturm sie überrannte. Dennoch sagte er im Aufstoßen der Tür: "Es wäre besser, wir blieben." Er hing einen Fluch anf die Runde schossen an ihm vorbei, der Schlitten rutschte los, nicht später als am Vortag. Die Frau schwang sich auf den Schlitten. Er wuchtete die Rüttentür zu, rannte hinterher, wobei er im weichen Schnee versank. Fluchend erreichte er den Schlitten und lenkte ihn dorthin, wo der Schnee fest war. Es war ziemlich hellf die mit Schnee vermischte Luft ergab ein diffuses Licht. Die buschigen Schwänze der Runde huschten vor ihm über den Schnee, er brauchte die Peitsche nicht. Er zog sich den Schal vor den Mundf die Frau saß geschützt hinter seinem Rücken. Das erste Sichtzeichen aus aufgeschichteten flachen Steinen erkannte er baldf er führte den Schlitten näher heran, naß war der Schal vor seinem Mund, und er hätte gern geraucht. Er dachte daran, wie er die Schlittenkufen über dem Feuer gehärtet hatte. Das Ofenrohr in seinem Raus war dabei herausgestoßen worden. Er hatte gelacht. Diesen Schlitten aus Birkenholz hatte er hellgrün gestrichen . Das nächste Sichtzeichen konnte er nur ahnen. Die Runde jagten über den Schnee, den der harte Wind in sie hineinblies. Einmal sprang der Mann ab, lief ein langes Stück nebenher, spürte, wie sich die Füße erwärmten. Er zwang auch die Frau zu laufen, was sie heiter tat. Schnee hing in ihren Brauen, und sie lachte, als er einmal stolperte. Lange saßen sie dann auf dem Schlitten, der über den Schnee schaukelte. Es war ziemlich finster. Der
Wind fuhr unter den Pelz und ließ das Mundtuch gefrieren. Die Sicht verschlechterte sich durch den dichten Flockenfall. Der Mann hielt die Augen zusammengekniffen, sie brannten, so sehr blies der Sturm. Der Schnee klebte als eisiger Ring zwischen Gesichtshaut und Kapuze, und noch rannten die Runde.
Später trieb er den Bremsstock in den Schneef der Schlitten rutschte seitlichf die Runde wandten sofort ihre Schnauzen vom Wind ab. "Das Kreuz fehlt", sagte er zu seiner Frau. "Welches Kreuz?"
"Das Kreuz für die Verschollenen." Er schaute um sich, bemüht, dem Wind standzuhalten. Alles um ihn herum wogte weiß, ein einziger weißer Ozean war das, aus dem die Kälte herauskroch. Es beunruhigte ihn, daß er das Kreuz nicht gesehen hatte. Und wenn es ein Kreuz für Verschollene war, dann hieß das, daß das hier schon eine windige Ecke war, in der manches verlorengehen konnte. Er lief dreißig Schritte vom Schlitten weg, bis er ihn kaum noch erkannte, und rannte dann in die andere Richtung, bis er sich nur noch am Kläffen der Runde orientieren konnte. Langsam stapfte er zurück. Er hätte sich wohler gefühlt, wenn er gewußt hätte, ob sie das Kreuz schon passiert hatten. Die Frau blickte ihn fragend an. Er nahm die Peitsche und trieb die Runde in der Richtung, von der er annahm, daß sie die richtige sei. Nach einer Weile brachte er sie erneut zum Ralten. Er war sich nun im klaren, daß etwas mit dem Kreuz nicht stimmte. Noch sagte er es seiner Frau nicht. Der Schnee trieb jetzt waagerecht über die wellige Fläche, es wehte wie weiße Tücher und mit solcher Kraft, daß sie sich eng an den Schlitten preßten. Das heulte und fauchte heran wie tausend Wölfef die Runde blieben von selber stehen und wühlten sich in den Schnee. Die Frau kroch hinter den Schütten, um sich zu schützen. Jakow fiel der Länge lang hin und robbte sich an den Schlitten heran, wobei ihm der Schnee in die Ärmel kroch. Es war schwer, zu atmenf der Sturm schien ihnen die Luft vor der Nase wegzureißen. "Wie weit mag es sein bis zur Agapamündung", keuchte die Frau, die weiß überstäubt hinter dem Schlitten lag. "Zwei Stunden", sagte er aufs Geratewohl, bemüht, diese brüllende Luft zu übertönen. Ein Schneewall schob sich
vor dem Schlitten auf. Einmal wagte er einen Blick nach den Runden, aber er sah sie nicht mehr. Um die Tiere ängstigte er sich am wenigsten. Schnee wärmt, und sie handeln instinktiv, indem sie sich vergraben. Unangenehmer war, daß er das Kreuz der Verschollenen nicht gesehen hatte. Er zurrte einen Riemen am Schlitten auf und zog die Felldecken herunter, warf sie über die Frau und kroch dann zu ihr. Er spürte ihre Wärme. Zwei Stunden bis zur Agapamündung, das ist keine Zeit. Das sagte sie. Sie redete unablässig, wohl um nicht auf den Wind hören zu müssen. Durkin wird an der Agapamündung auf seinen Pelzen sitzen und sich über den Wodka freuen, den sie ihm mitbringen. So sagte sie. Der Mann schwieg. Er wußte nicht mehr, wo die Agapamündung zu finden sei. Sie lehnte an seiner Schulter. Du bist mir doch nicht böse wegen gestern. Auch das sagte sie. Aber sie sei nun mal Lehrerin. Und wenn ein Mensch mal was falsch gemacht hat, dann wäre das kein Grund, es immer weiter falsch zu machen. Und das Falsche wäre eben das Dörflein Ust für sie gewesen. Und wenn sie jetzt schon mal nach Tareja fahre, dann sei es das klügste, gleich dort zu bleiben. Er wußte nicht, wo das Kreuz der Verschollenen stand, an dem er sich hätte orientieren können. "Wir müssen weiter", sagte er, "einen besseren Platz suchen. Rier sind wir dem Wind ausgeliefert." Ohne ihre Meinung abzuwarten, warf er die Decke ab. Er atmete leichterf es wehte weniger heftig. Mit einer starken Bewegung zog er den Schlitten aus dem Schnee. Wirklich brachte er auch die Runde in die Röhe. "Rilf schieben", sagte er der Frau und stemmte sich gegen den Schlitten, bis die Runde ihn wieder in Fahrt hatten. Dann half er Valentina hinauf. Sie kamen schwer voran, doch der Wind
hatte seine erste Kraft verausgabt. Der Mann versuchte einzuschätzen, wie schnell sie vorrückten, und begann die Schritte zu zählen, wobei er unablässig dachte, wo denn das Kreuz geblieben sei. Er gewahrte auch kein anderes Sichtzeichen mehr. Und wenn sich jetzt die Sicht noch verschlechterte, dann lag das weniger an den Flocken als daran, daß es bereits wieder finsterer wurde. Die hellste Tageszeit ging zur Neige. Jakow hatte viermal hundert Schritte gezählt, da schälte sich aus dem dunklen Nebel etwas, was man für eine Renherde hätte halten können. Es war ein Zwergbirkengestrüpp, Jakow wurde es leichter. Er lenkte den Schlitten heran, an eine Nische zwischen den starren, verhutzelten Bäumchen. "Wir müssen hier bleiben." "Rier?" fragte die Frau. "Über Nacht." Das hieß: achtzehn Stunden. "Der Wind ist nicht so, daß man nicht fahren könnte", sagte sie, "keine Angst, ich halt durch." "Bis Tareja", sagte er gallig. "Du hast die Agapamündung eine Stunde vor der Nase und willst hier liegenbleiben." Das war der Ton der Lehrerin, es schnitt ihm ins Rerz. Reftiger, als er wollte, sagte er: "Ich weiß nicht, wo die Agapamündung liegt." Und hart, damit sie es wirklich erfaßte: "Wir haben uns verirrt." Er sah, wie sie sich an den Rals griff. Ohne sich auf weiteres Reden einzulassen, schob er den Schlitten auf eine winzige kreisrunde Fläche zwischen den Zwergbirken und begann ein Lager herzurichten. Er nahm von den Fischen und fütterte die Runde. Pupka blickte ihn an. Später gelang es ihm, ein Feuer zu machen. Die Frau hieß er Äste sammeln. Und wieder aßen sie Suppef ihre Rände
wärmten sich an den Töpfen. Er hoffte auf etwas, was allerdings kaum eintreten würde: daß der Rimmel in der Nacht klar würde und die Sterne zeigte. Den Polarstern hatten die Alten in den Dörfern den Stern des eingerammten Pfahls genannt, und er war wirklich wie ein eingerammter Pfahl, nach dem man alle Richtungen bestimmen konnte. In einem plötzlichen Gefühl scheuer Zärtlichkeit legte Jakow seine Rand auf die Schulter der Frau. "Es wird schon nicht so schlimm werden." Es gab ein Feuer, es gab heiße Suppe, es war nicht übermäßig kalt. Er hoffte auch, daß sie anderen Sinnes würde mit Tarejaf all das, was sie in der Blockhütte gesagt hatte, erschien ihm nun hier so unwirklich. Er hielt im Essen innef seine Roffnung, die Frau zu behalten, würde sich genausowenig erfüllen wie die auf einen klaren Rimmel . Es gab wirklich keine Sterne in dieser Nacht. Als er sich nach Stunden aus den Pelzdecken schälte, gewiß, daß der neue Tag da war, dessen Sonne er nie sehen würde, war er fast gewillt, hier noch länger liegenzubleiben. Wenn sie diesen Platz verließen, ohne daß sie wußten, in welche Richtung sie ziehen mußten, konnte es geschehen, daß sie sich immer weiter von ihrem eigentlichen Kurs entfernten. Er versuchte auch vergeblich, am Wachstum der Zwergbirken eine Rimmelsrichtung zu erkennen. Es schneite leicht, und es wurde nicht so hell, daß irgendwo ein Streifen am Rorizont das Vorhandensein der Sonne bewiesen hätte. Sie tranken Tee aus dem Thermosbehälterf Feuer machten sie nicht wieder.
"Wenn du wissen willst, was meine Meinung ist", sagte er, "dann die, daß wir noch einen Tag hier liegenbleibenf vielleicht bessert sich das Wetter, und wir können mit größerer Sicherheit fahren." "Und wenn es noch schlechter wird?" fragte sie. Dem konnte er nichts erwidern. "Du willst wohl hier umkommen?" fragte sie. Er hingegen hörte heraus: Du willst wohl, daß ich hier umkomme, weil ich vorhabe, in Tareja zu bleiben? Er wäre ruhiger gewesen, hätte er besonnener nachdenken können, wenn das mit Tareja nicht gewesen wäre. Er nahm die tellerartigen Schneeschuhe vom Schlitten.
"Ich bleibe nicht lange", sagte er. "Vielleicht sieht man was." Er lief los, am Zwergbirkengestrüpp entlang, das kein Ende nahm. Ein Vogel flog vor ihm auf und ließ sich wieder irgendwo in die Zwergbirken fallen. Er sagte sich, daß er das Gewehr hätte mitnehmen sollen, obwohl er nicht glaubte, daß er hier auf Wölfe stieße. Die Schneeschuhe waren wie kleine Boote, die durch die weiße Fläche pflügten. Wie die winzigen Schiffe auf dem Jenissej waren sie, aus denen die ersten Anwohner ihre Räuser gebaut hatten. Räuser, für die sich Valentina zu schade war, darin zu wohnen. "Ich komm mir vor wie das Raus, das fest steht und langsam vereist, nachdem es vorher wie ein bewegliches Schiff gewesen ist." Kluge Worte, Frau Lehrerin. Er hatte mehr mit den stummen Fischen zu tun und mit dem sehr beweglichen Wasserf und einen Kompaß, ein Radargerät hätten sie gebraucht, wie ihn ihr Kutter auf dem Meer hatte. Bei einer Breite von fünfzehn Werst konnte man bei ihrem Jenissej schon von einem Meer sprechen. Na, würde die Frau nun merken, nachdem sie lange genug in der Eiswüste steckte, daß auch ein Raus etwas Lebendiges, Warmes war? Der Mann lief weiter, als er vorgehabt hatte. Er glaubte immer, einen Rügel vor sich zu habenf es erwies sich als Irrtum. Als er zum Schlitten zurückkam, hatte die Frau schon alle Runde angeschirrt. Sie mühte sich, das Bein eines Rundes über den Strang zu heben. Die Runde kläfften leise, als er herantrat. Sie schaute ihn forschend an. "Ich nehme an", begann er, "wenn wir dorthin fahren", er wies in eine Richtung, "dann stoßen wir auf die Agapa und können ihr bis zur Mündung folgen." Es versprach noch am meisten Erfolg. Eine Mündung war nur ein Punkt, der schwer zu finden war, ein Fluß dagegen war
eine Schlange von ungeheurer Ausdehnung. Was aber dann, wenn er die Schlange in einer völlig falschen Richtung suchte. "Fahren wir endlich", drängte sie. Das schlimme war, daß er von nun an immer das Gefühl hatte, die Frau denke, er spiele ihr vor, daß sie sich verirrt hätten. Sie nehme an, er inszeniere all dies nur, damit sie nicht nach Tareja gelange, damit sie eine Lektion erteilt bekäme, die sich gewaschen hätte. Er schaute sich um, ob nichts liegengeblieben sei. Dann lenkte er den Schlitten durch das leichte Schneetreiben von den Zwergbirken weg. An diesem Tag fanden sie den Fluß nicht mehr. Sie waren an eine Rügelreihe gelangt, hinter der er schon den Fluß geglaubt hatte. Er hatte sich nun so oft geirrt, daß er auch dieser Enttäuschung nicht nachhing. Aus einigen Rügeln waren Felsflanken herausgeschnitten, die geschützte Winkel versprachen. Rier blieben sie die dritte Nacht. Er wußte aber, diesen Fleck hatte er nie gesehen. Die Frau war nun immer still, vielleicht ahnte sie, daß er wirklich nicht wußte, wo in dieser ungeheuren Weite sie, zum Teufel noch mal, steckten. Stumm mühte sie sich am Feuer. Diese Nacht war kälter als die vorhergehendef er hatte also begründete Roffnung, daß sich der Rimmel aufklare. Sie erfüllte sich wiederum nicht. Sie waren umgeben von Nachtschwärze, und auch in der hellsten Tageszeit steckten sie in einer schwammigen Dämmerung, aus der heraus es schneite. Sie waren nun schon sehr hungrig und liefen oft wie in Trunkenheit. Und viel an Nahrung hatte der Schlitten nicht zu schleppen. Er beobachtete besorgt, wie rasch die Frau ermattete, und Ungewißheit und Ohnmacht lahmten ihn mehr, als daß er nur zweimal am Tage essen
konnte. Auch ermüdeten zwei von den Runden zusehends. Nur Pupka strebte voran, die Spur im Schnee bahnend mit seiner breiten Brust. Irgendwann in diesen Stunden sagte die Frau: "Wenn wir die Agapa nicht finden, müssen wir zurück zur Blockhütte, in der wir die erste Nacht verbracht haben." Er schaute sie an. Vielleicht hoffte sie, indem sie somit das erste Zeichen zur Rückkehr gab, daß er seinerseits das Spiel abbräche. Wenn sie nunmehr die Blockhütte verlangte, dann hieß das, daß nicht mehr Tareja ihr Ziel war, wenigstens vorerst nicht. Es freute ihn nicht. Er konnte ihr nämlich auch nicht versprechen, daß er diese Blockhütte noch fände. Und wieder mühte er sich ein paar Stunden, an den Rügeln weiterzukommen. Doch sie zwangen ihnen eine Richtung auf, in der er nie den Agapafluß vermutete. Irgendwo verbrachten sie die vierte Nacht ihrer Reise, ehe sie sich weiter in das Schneeland hineinschoben, und als sie dann an Zwergbirken kamen, waren es jene, an denen sie drei Tage vorher gelagert hatten. Der Mann verbarg sein Erschrecken und tat, als habe er ebenjene Zwergbirken gesucht. Die Frau aber schien aufzuleben. Dies war schon wie Tareja für sie und die Blockhütte und die Rütte der Pelztier Jäger an der Agapamündung oder aber auch wie das Raus am Jenissej, die einstige Barke, alles in einem. Er hatte jedoch neue Roffnung, daß sie wenigstens die Blockhütte wiederfänden. "Reute ist die Neujahrsnacht", sagte er so plötzlich, wie es ihm eingefallen war. Das neue Jahr schritt über die Erde, die Menschen wünschten sich Gesundheit und Kraft und viel Liebe und nahmen sich eine Menge vor, was sie ändern wollten. Ich wünsch dir auch alles Gute, Valentina, die Erfüllung deiner Wünsche, und hoffe man, daß Tareja
nicht mehr dabei ist. Er fand nicht heraus, was sie dachte. Vielleicht daran, daß er es also verstanden hatte, ihr das Neujahrsfest in Tareja zu verderben. Vielleicht aber war selbst dies ihr gleichgültig, weil sie im Begriff war, für immer dort zu bleiben, und es ihr also auf ein paar Tage nicht ankäme, auch auf das Neujahrsfest nicht. Jakow wußte nicht, was seine Frau dachtef sie saß stumm hinter dem kleinen Windschutzf vielleicht war sie auch verzweifelt. Er schnürte das Gepäck auf und holte die Wodkaflasche heraus, die sie hatten ihrem Bruder schenken wollen. In grimmiger Lust genehmigte er sich einen Schluck, obwohl es nicht gut war, hier in der Kälte Alkohol zu trinken. Er hielt ihr die Flasche hinf die Frau lehnte ab, so wie er es erwartet hatte. Aber du, Valentina, hättest sicher nicht gedacht, daß wir das neue Jahr so feiern würden, allein in der Schneewüste, und auch ich hätte das nicht gedacht, hätte keiner gedacht. Lustig hatte es hergehen sollen in Tareja, wo sie nun auch lustig sein würden, wo sie nicht wußten, daß Valentina und Jakow auf dem Weg zu ihnen und im Schnee steckengeblieben waren. Er trank wiederum, der Alkohol brannte in seinem Schlund, und es legte sich eine Müdigkeit auf ihn, so daß er sich sagte: Verdammt, warum hast du bloß getrunken. Er legte aus all diesen Bündeln, die sie mitschleppten, das rote Kinderpferd frei, lachte und zerrte an der Schnur an dessen Rals. Da wieherte es laut durch die Schneetundra. Die Runde begannen zu heulen, als hörten sie Raubzeug. Lustig sind wir, da das neue Jahr auf die Erde gekommen ist. Ich wünsch dir Glück, Valentina, und all das, was
du dir erhoffst. Die Frau schlief schonf er saß da mit dem Kinderpferd unterm Arm. So saß er immer noch, auch als er schlief und als er erwachte.
Da rappelte er sich hoch, bemühte sich, den steifen Arm auszustrecken und das Blut wieder in Bewegung zu bringen. Er stiebte sich den Schnee herunter, wobei er sich nach der Frau umsah. Sie war weg, er konnte sie nicht finden. Er rief sie leise, wie in Furcht vor der ungeheuren Stille, aus der heraus es leicht schneite. Später merkte er, daß auch der Rund Pupka fehlte und das Gewehr. Das rote Kinderpferd lag zu seinen Füßen, er nahm es mechanisch auf und verstaute es auf dem Schlitten, wobei
er alles bedächtig und sorgfältig verschnürte. Er fütterte die Runde, viel Fische blieben nicht mehr im Sack. Immer wieder spähte er in die Runde, und eine Zeitlang setzte er sich auf den Schlitten. Später schirrte er die Runde an, wobei der stämmige Sneg freudig winselte, weil der Pupka weg war. Der Mann Jakow ließ aber den Platz des Leithundes frei. Dann blieb ihm nichts mehr zu tun. Er dachte daran, daß dies also der Neujahrstag war, und die Spur, die Valentina beim Weggehen zurückgelassen hatte, war schon verweht, als er noch geschlafen hatte. Da hatte er einen Eindruck, wie es ohne Valentina sein würde, wenn sie wirklich in Tareja bliebe. Und einmal dachte er, daß ja nun auch der Rund weg war. Wenn aber die Frau den Wunsch verspürt, in Tareja zu bleiben, dann hatte er doch etwas falsch gemacht . Valentina kam, während er Tee kochtef er spürte es schon an den Runden, bevor sie in Sicht war. Sie atmete heftig, ihr Gesicht glänzte naß. Der Marsch hatte sie offensichtlich ermüdet, und sie trank gleich Tee. Sie sprach wenig, gefunden hatte sie nichts. Es war ihm, als hätte sie versucht, mit eigener Kraft aus dem Schneeland herauszukommen, weil sie zu ihm das Vertrauen verloren hatte. Und vielleicht war ihr Wunsch, in Tareja zu bleiben, ein gleicher Versuch, der freilich ebenfalls scheitern mußte. Er versuchte sie zu erheitern und gab sich forsch. Na so was, was mit ihnen passiert sei. Sie lächelte auch. Nicht einmal in all diesen Tagen, seitdem sie von Ust abgefahren waren, hatte sich ihnen der klare Rimmel gezeigt. Meteorologen, könnte er in Tareja sagen, was habt ihr uns denn für Wetter beschert . Sie fuhren wieder. Er glaubte die Blockhütte näher als
die Agapamündung und leichter zu finden, und die Runde legten sich mächtig ins Zeug. Er lief die meiste Zeit neben dem Schlitten her. Der Wind biß ihm in die Wangenf es war, als ob der Wind sie von der gewählten Richtung abbringen wolle. Es wehte stärker. Dann mengte sich wieder der ungeheure Schnee in die Luftf der Mann atmete hinter dem Schalf Reif bildete sich in seinen Brauen. Immer mehr hatte er sich gegen den Wind zu stemmen, der schließlich Sturm war. Und dann kam es so, wie er immer gefürchtet hatte. Der Sturm kehrte die Tundra auf, schien die Runde zu ersticken, peitschte unbarmherzig in die kleinsten Ritzen, Öffnungen, Nähte den Schnee. Es heulte und jaulte schlimmer als das erstemal, riß eine Plane vom Schlitten los, daß es knallte. Ehe der Mann hinzuspringen konnte, fegte es ein Bündel fort, das nun, vom Sturm getrieben, wie ein Schemen über den Schnee raste und dann verging. Mit den Randschuhen gelang es ihm nicht, das gerissene Seil neu zu knüpfenf er scheute sich, sie auszuziehen, und schaffte es dann doch mit seinen Tatzenhänden, indem er sich mit dem ganzen Gewicht auf den Packen warf. Kein Gedanke war daran, jetzt weiterzufahren! "Leg dich auf die Runde!" herrschte er Valentina an und hatte zwei schon aus dem Geschirr und in den Schnee geduckt. Er spürte, wie sie zögerte, und wurde ungeduldig. "Sie spüren deine Last nicht." Sie lag auf den Runden, er holte Pupka vor und deckte ihn auf die Frau, wobei sie sich krümmte, als müsse sie ersticken. Still und leise winselnd, lag Pupka, während der Mann den Schlitten auf die Seite kippte und zu Valentinas Kopf schob, so daß sie nun hinter diesem winzigen Schutzwall lag. Er sah kaum etwas, vermeinte, puren Schnee zu atmen. Einen Rund vermißte er, dann fand er ihn, als er darüber stol-
perte. Der Rund hing noch im Geschirr. Jakow wußte nun auch, was der Sturm davongetragen hatte: den Sack mit dem letzten Rundefutter. Endlich hatte er alle Runde neben Valentina. Ihre Zungen hingen hechelnd aus dem Rachen. Er streckte sich aus, dicht an die Frau gepreßt, während der Sturm über sie hinwegtoste. Den grauen Rund Sneg zerrte er auf sich, spürte die Wärme, spürte froh das Schneetuch, das sich über sie schob, ein Rügel, der sich langsam emporwölbte und allmählich den Sturm ausschloß. Still war es in dem Rügel aus Schnee, und es atmete sich gut, und Menschen und Runde gaben sich gegenseitig Wärme. Er lag neben Valentina. Er dachte nun nicht mehr daran, daß sie vorgehabt hatte, in Tareja zu bleiben. Er hätte ihr gern diesen Sturm erspart. Und hatte alles sich erst so harmlos angelassen, so wußte er seit dem Verlust des Rundefutters, daß sich ihre Chancen, durchzukommen, bedeutend verschlechtert hatten. Er vergewisserte sich mehrmals, daß auch seine Uhr aufgezogen sei. Wenn er zurückrechnete, kam er darauf, daß sie nun schon eine volle Woche von Ust unterwegs waren. Die Runde hatten kein Fressen mehr, und für Valentina und ihn war auch nicht mehr viel Nahrung da. Er besprach sich leise mit ihr, fern dem Tosen der Luft. Sie steckte voller Angst, sie könne hier lebendig begraben werden, und er war froh, als sie endlich einschlief. Auch er steckte voll bleierner Müdigkeit. Der Rund Sneg atmete an seiner Brust. Sie schliefen zwanzig Stunden. Der Mann kroch zuerst wieder an die Luft, reckte die steif gewordenen Arme. Mit Genugtuung stellte er fest, daß es weit weniger blies, und der Schneefall hatte ganz aufgehört. Er brachte die Frau zum Aufstehen, die Runde
dehnten sich und schnupperten am Schlitten. Wieder fuhren sie. Er gewahrte dunkle Punkte im Schnee, die er schließlich als Steinblöcke identifizierte. Sie ragten mannshoch aus der weißen Decke. Er griff nach der Rand seiner Frau. "Nun mach ich dir Tee." Dann am Feuer aßen sie von jenem Schinken, der für Tareja bestimmt gewesen war. Und viel mehr hatten sie wirklich nicht zu essen, erschreckend weniger, als er geglaubt hatte. Das Gesicht seiner Frau kam ihm grau vor, mit scharf eingezeichneten Fältchenf Rautfetzen hingen von ihren Lippen. Ihre dunklen Augen blickten ihn an, und die Runde jaulten leise, weil sie den Schinken rochen. "Rör, Valentina", sagte er, "ich hätt dich lieber nach Tareja gebracht als zu diesen Steinblöcken, die nur gut sind, hier zu sterben. Aber wir werden nicht sterben und werden Tareja sehen. Wie ich's dreh und wende, das gescheiteste ist, du bleibst hier, und ich schlag mich durch, um Rilfe zu holen. So leicht finden wir nicht mehr einen günstigen Platz, und die Runde werden immer schwächer." Sie wollte nichts davon wissen, daß er ging, und wußte doch nichts Besseres vorzuschlagen und war nur von einer Mattigkeit, die ihn bestürzte und aus der ihre Augen herausleuchteten und ihn zur Eile trieben. "Mit dir ist es schon nicht schlecht, Jakow", sagte sie leise, das konnte er auslegen, wie er wollte. Und sie sagte auch: "Ohne dich wird es schwer werden ." Das glaubte er eher. Sie teilten das wenige Eßbare, für die Runde blieb nichts. Aber diese konnten schon eine Weile durchhungern, wenn sie keinen Schlitten zu zerren hatten. Sommers wurden sie kaum gefüttertf da strichen sie halbwild und
ewig hungrig durch die Tundra, um Mäuse zu fangen. "Feuer hast du, Frau, und bewegen mußt du dich, so es irgend geht. Und du hast die Runde als deine Gefährten, und sie werden dich wärmen, wenn wieder Sturm hereinbricht. Einen Tag nur, zwei Tage, dann bin ich zurück." Sie konnte nur nicken, weil Schluchzen ihre Stimme würgte. Sie zog ihn an sich. Zum erstenmal wieder war sie wie an jenem Tag, als er sie in seine Rütte am Jenissej geführt hatte. Er schnallte die Schneeschuhe fest, das Gewehr nahm er mit. Das rote Kinderpferd band er an den Schlitten, obenauf.
Den Rund Pupka mußte er zurückscheuchen. Du gehörst zu der Frau! Dann lief er in das Windland hinaus. Es war weniger dunkel, und es schneite jetzt kaum, wenn auch der Wind noch sehr heftig ging, aber die Kälte war erträglich: Er bemühte sich, an die Richtung zu denken, in der er Valentina wußte, und die Entfernungen einzuschätzen. Dabei war er von einer krankhaften Angst befallen, seine Uhr könne stehenbleiben. Sie maß ihm nicht nur die Zeitf sie war das einzige Lebendige, das er auf seiner Wanderung bei sich hatte. Er konnte nun nicht mehr den kürzeren Weg zur Blöckhütte gehen, die er freilich auch hätte suchen müssen. Denn er wollte Rilfe holen, und die hätte er bei der Blockhütte nicht gefunden. Er mußte an die Agapamündung. Er steckte in dem ungeheuer großen Dreieck zwischen den Flüssen Agapa und Pjassina, und er hoffte hier oder da auf einen der Flüsse zu stoßen. Es ging sich verhältnismäßig leicht in dem Schnee, und ihm war nicht kalt. Einen kleinen Sack hatte er über der Schulter, mit dem Notwendigsten, was er bei sich führte. Das schwerste war das Gewehr. Er ging lange, auch noch, als es stockfinster geworden war. Er spähte aber vergeblich nach einem Stern. Solange er relativ frisch war, wollte er so weit wie möglich kommen. Er dachte sehr kühl nun, und er machte sich nichts vor. Wenn er sich aber den ersten Schneesturm vergegenwärtigte, der sie aus der Richtung gebracht hatte, da dachte er nun, daß sich der Wind gedreht haben mußte, während es herangefegt war. Und er hatte dann im Weiterfahren erneut den Schlitten gegen den Wind gelenkt, also falsch . Er sah sich bei Valentina sitzen, während er ging. Wenn
du Tareja haben mußt zu deinem Glück, dann sollst du Tareja bekommen. Ralt nur durch, Valja. Ein halbes Jahr hatte er erst mit Valja in der kleinen Rütte am Jenissej gelebt, von der Valja glaubte, sie sei aus dem Rolz eines Schiffes gebaut. Ein winziges halbes Jahr. Und vorher drei Besuche in Tareja bei Valentina, einmal davon mit dem Rundegespann. Die Gespräche über Wetter mit dem kleinen Meteorologenf die Gespräche über Runde mit Valjas älterem Bruder Pawel, dem starken Raucherf Toljas Spaße. Drei Besuche nur in Tareja innerhalb eines Jahres, Und dort Valjas Augen, Valjas Küsse, Valjas heiteres Wesen. In der Zwischenzeit auf dem Kutter und im Raus am Jenissej war Sehnsucht geblieben. Aber war das nun schon die Liebe? Vielleicht hatten sie wirklich zu schnell geheiratet und zuwenig alles durchdacht. Und vielleicht war die Liebe erst jetzt gekommen, hier im Schnee. Vielleicht hätte auch er nach Tareja ziehen sollen, weg von seinem Jenissej . Jetzt, da er unaufhaltsam durch den Schnee stapfte, schien ihm nicht einmal das abwegig. Manchmal muß man seine Schiffe hinter sich verbrennen wie die ersten Anwohner, die an die Jenissejmündung gekommen waren. Er dachte auch an den Sommer, als er durch das Schneeland zog, an den Sommer, in dem sie Rochzeit gehalten hatten. Mehr aber dachte er an den Sommer zuvor . Wann hatte er je wieder so geschwitzt wie in jenem Sommer, als er als Maschinist auf der "Norilsk" gefahren war .? Es wärmte ihn selbst bei diesem Laufen durch die Finsternis. Er steht auf der "Norilsk" in jenem Sommer, die noch am Pier vertäut liegt, und sieht zu, wie die Kinder an Bord kommen. Da schon erblickt er die junge Frau, sie ist natürlich hübsch, und sie lacht. Und ruhig überwacht
sie das An-Bord-Gehen der Kinder. Denn sie ist die Lehrerin. Fünf Tage sind sie zusammen nach dem Süden gefahren, um die Tarejaner Schüler in das Ferienlager zu bringen. Er hatte sich ranhalten müssen in jener kurzen Zeit. Wenn er nicht im Maschinenraum gebraucht wurde, hatte er sich bei den Kindern herumgedrückt, seine Spaße gemacht und Geschichten erzählt, und als sie in Tajashnaja anlangten, hatte er Valentinas-Adresse gehabt und auch ihr Rerz. Da er also ihr Rerz hatte, mußte er es auch vor dem Eisland bewahren. Er lief und lief mit seinen ungefügen Tellerschneeschuhen durch die Nacht. Irgendwann einmal rückte er sich im Laufen das Bündel vor, nestelte es auf und entnahm ihm das kleine Stück Schinken, in das er hineinbißf die Kälte fuhr ihm in die Zähne, und er spie und zwang sich zu schlucken. Er ermüdete mit der Zeit und merkte, daß er die Beine nicht mehr so gut nach vorn bekam. Nach dem Rimmel, diesem unentwegt eintönigen Schwarzgrau, sah er nicht mehr. Der Bissen Schinken lag ihm wie ein Stein im Magenf er hatte all die Tage vorher nur wenig gegessen. Er schleppte sich voran, das Gewehr schlug ihm gegen den Oberschenkel, es war in seinem Kopf, als hätte er allen Leuten aus Tareja den Wodka weggesoffen. Feuer, ein Ren, Feuer, ein Schneehuhn, Feuer, ein Wolf. Ein Feuer im Tschum, im Zelt aus Rentierhäuten, Feuer, du brätst, ein feuriger Tee. Du sitzt im Tschum wie die Uralten. Du hörst vom Num, den die Schamanen beschwören. Kein Num, kein Tschum, kein Götze, kein Zelt. Tschum und Num kracht das Gewehr gegen seinen Oberschenkel. Der Mann stürzt hin . Er erwachte, da war es ziemlich hell, und er sah einen
rosigen Schein am Rorizont. Und wie er so saß, erblickte er vor sich eine Spur, die gerade von ihm wegführte. Dies alles ließ ihn staunen. Daß er lebte, daß der Rimmel wirklich aufklarte, daß da einer direkt bis dahin gegangen war, wo er gelegen hatte. Er hatte wenig Gefühl in den Füßen und hätte nun die Stiefel ausziehen müssen, um die nackten Füße im Schnee zu reiben. Er überlegte schläfrig, ob er das tun solle, und hätte auch gern ein Feuer gehabt und einen Tee gekocht. Und lange blickte er auf die Spur. Dann stand er auf, ließ die Stiefel an, ließ das Feueranzünden und ging der Spur nach, weil da vielleicht ein Feuer, ein Mensch sein könne. Als er so ein wenig gegangen war, fiel ihm etwas ein, das ihn im Schritt stocken ließ. Er blieb stehen, dann kehrte er auf der Stelle um und begann so hastig zu laufen, wie es seine Schneeschuhe nur zuließen. Er erreichte die Stelle, wo er gelegen hatte, und da sah er, hier endete auch die Spur. Also war er im Begriff gewesen, in der eigenen Spur zurückzugehen! Schauernd zog es ihm die Schultern zusammenf er wischte sich mit dem Randschuh durch das stopplige Gesicht, dann watete er weiter. Rosigviolett war nun der Schnee und der Rimmel so hell, daß der Mann keine Sterne entdeckte. An diesem Tag noch erreichte er den Fluß. Das Birkenund Lärchengestrüpp hatte zugenommen, und jetzt gab es auch einige Rügelketten. Es war eine müde Freude in Jakow, da er den Fluß hatte, der wie eine breite Straße war. Der Fluß war gleichmäßig glatt gefroren, nur an den Abhängen hatte es mehr Schnee angeweht. Jakow rutschte hinab, und er ging rechts diese Flußstraße hinunterf und er freute sich, daß er die Agapa hatte.
Auf dem Fluß kam er schneller voran, wenn auch hier und da Geröllblöcke den Weg erschwerten und er nun sehr müde war. Er dachte einmal daran, sich ein Feuer zu entzünden, sagte sich aber, daß er nach ein, zwei Stunden die Agapamündung erreicht haben konnte. So lief er weiter.
Während er also so lief, fiel ihm ein, daß dieser Fluß unter seinen Füßen möglicherweise gar nicht die Agapa war, sondern die Pjassina. Das erschreckte ihn und ließ ihn die Ufer absuchen, ob er nicht Bekanntes fände, einen Felsvorsprung etwa, eine markante Insel. Denn wenn er jetzt auf der Pjassina liefe statt auf der Agapa, dann hätte er beim Betreten des Eises nicht rechts hinunterlaufen
dürfen, sondern sich nach links wenden müssen, weil er ja die Agapamündung erreichen wollte. Es konnte also sein, wenn das da unter ihm die verdammte Pjassina war, daß er sich dann mit jedem Schritt von der Agapamündung entfernte. Diese furchtbare Angst peinigte ihn so, daß das Atmen ihm schwerfiel, die eisverkrustete Kapuze scheuerte an seinen Wangen. Er musterte den fadgrauen Rimmel und erkletterte dann den Abhang, von wo er über das weite gewellte Land hin den Rorizont absuchte. Er fand den feinen roten Streifen wieder, der schon am Verlöschen war. In seinem Rücken! Also war er doch nordwärts gewandert, also befand er sich auf dem Eis der Agapa. Diese Gewißheit machte ihn froh und beflügelte ihn, und er wankte weiter. Eine Stunde später, als die Runde wie wahnsinnig anschlugen, staunten die Pelztierjäger Durkin und Somar, was sich da zur Tür hereinschob, ein Mann, der ihnen fast entgegenfiel, auf so gefühllosen Beinen tappte er. "Jakow vom Jenissej!" Sie rissen ihm die Stiefel herunter, und der plattnasige Somar holte Schnee, während Jakow wie betrunken dauernd etwas sagen wollte, woraus sie nicht recht schlau wurden. "Da draußen ist noch die Frau." Somar hatte beim Schneeholen die Frau nicht gesehen, er ging wieder hinaus und machte auch mit dem Rund eine Runde um die Rütte, ohne aber die Frau zu finden, während sein Kamerad dem Manne die Füße mit Schnee einrieb. Und dann bekamen sie mit, daß die Frau irgendwo in der Tundra lag, in einem Umkreis von zwei Tagen Fußmarsch. Noch in derselben Stunde jagte der plattnasige Somar auf seinem Rundeschlitten nach Tareja. Als dort die Rubschrauber aufstiegen, um ein Feuer in der Nachttundra
aufzuspüren, einen Schatten in der Schwärze oder später einen geringen Farbtupfer in den Stunden der Dämmerung, da war auch Jakow wieder unterwegs. Rinter Durkin saß er matt auf dem Rundeschlitten, neben den Vorräten an Eßbarem und an Feuerung für Mensch und Rund. Essen und Wärme, essen, um Wärme zu erzeugen . Er wird sie sehr wärmen müssen, seine Valentina, wenn er sie wiederfindet . Sie fuhren in begreiflicher Rast auf der Agapa und fanden die Stelle, wo er den Abhang erklommen hatte, um nach dem Rorizont zu spähen, und viel später jene, an der er die Agapa betreten hatte. Da jagten sie weg von der Agapa, immer seiner Spur nach, an deren Austilgen der leichte Wind stetig arbeitete. Sie schonten die Runde nicht, und mehrmals hörten sie am Nachthimmel das Dröhnen der Rubschrauber. Und die Stunden der Dämmerung waren kurz, und der Schnee war leicht, ein Tuch über der Tundra, das der Wind unablässig glättete. Und so jagte er dieser feinen Spur nach, die mehr in seinem Rerzen war als in diesem ungeheuren Schnee. Und ganz am Ende davon leuchtete in einer hellen Stunde ein Punkt, der heranwuchs zu einem roten Kinderpferd an einem Schlitten, vierzehn Tage, nachdem sie in Ust abgereist waren. Die Frau lag unter dem Schnee, alle Runde waren erfroren. Valentina aber lebte. Der nun im Frost erstarrte Pupka hatte sie gewärmt, solange Blut durch seine Adern gepulst war.
Reft 391 Günter Koch Kreuzfahrt im Teufelsdreieck
Cliff Reynolds ist Erster Offizier auf der "Blue Bird", einem Touristendampfer, der auf den Bermudas stationiert ist und den seine Fahrten jetzt auch bis ins geheimnisumwitterte Bermudadreieck führen. Auf Monate hinaus ist die "Blue Bird" ausgebucht, die berüchtigten "Mystery Trips" ins Zentrum des Bermuda-Dreiecks ziehen immer mehr sensationslüsterne Touristen - vor allem aus den USA - auf das Eiland. Reynolds hat seinen Kapitän und den Reeder wiederholt auf die Gefahren ihres Unternehmens hingewiesen, stieß aber immer wieder auf taube Ohren. Er sieht die Katastrophe kommen, weiß aber nicht, wie er ihr begegnen soll.