Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
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Die Komposition des Psalt...
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Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
9
Die Komposition des Psalters Ein formgeschichtlicher Ansatz von
Matthias Millard
J. C. B. Mohr (Paul Sieb eck) Tübingen
Matthias Millard, geboren 1964; 1983-88 Studium der ev. Theologie in Wuppertal und Heidelberg; 1985-90 Studium der Judaistik an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg; 1990-92 Vikarsassistent an der Kirchlichen Hochschule Bethel; 1992 Promotion; seit 1992 wiss. Mitarbeiter an der Kirchlichen Hochschule Bethel.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Millard, Matthias: Die Komposition des Psalters: ein formgeschichtlicher Ansatz / von Matthias Millard. - Tübingen: Mohr, 1994 (Forschungen zum Alten Testament; 9) ISBN 3-16-146214-9 NE:GT
© 1994 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu~timmung des Ver~ages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, MIkroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Times Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Gebr. Buhl in Ettlingen gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
Vorwort Die Arbeit entstand zu weiten Teilen im Gespräch mit meinem Doktorvater R. RENDTORFF in Heidelberg. Er hat mich kontinuierlich über fast fünf Jahre als Hilfskraft gefördert, auch über Nebenziele wie dem Abschluß meines Judaistikstudiums hinweg. Wichtig für das Wachsen dieser Arbeit waren die Anregungen der Studierenden im Seminar über den Psalter in Heidelberg im WS 1989/90, aber auch in verschiedenen Veranstaltungen in Bethel. Hier erfolgte die Umarbeitung des zunächst synchronen Ansatzes in ein diachrones Modell, wie es dann im dritten Hauptteil der Arbeit entfaltet wird, nicht zuletzt auf Anregungen von F. CRÜSEMANN. Er geWährte mir nach der Emeritierung von R. Rendtorff zwei Jahre als Vikarsassistent in Bethel Unterschlupf. Die Verschriftung dieser Arbeit erfolgte also auf einer Stelle der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Dank gilt auch dem Verständnis in meiner Landeskirche für wissenschaftliche Arbeit und geht an die Person von OKR Dr. M. STIEWE. Der Dank an F. CRÜSEMANN schließt nicht zuletzt sein Verständnis dafür ein, daß die Promotion in Heidelberg erfolgte. H. P. MATHYS sei für die Übernahme des Korreferates gedankt, B. JANOWSKI sowie H. SPIECKERMANN für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Forschungen zum Alten Testament. Zahlreiche Hinweise aller Genannten, aber auch von Freunden und Kollegen, namentlich R. KESSLER, sind in die Arbeit eingeflossen. Gedankt sei auch meinen Eltern und nicht zuletzt meinem Freund und Kollegen A. RUWE sowie G. GEBUREK, die mir bei den Korrekturen und dem Erstellen der Register halfen. Bedauerlicherweise konnte der jüngst fertiggestellte Psalmenkommentar von F.-L. HOSSFELD und E. ZENGER nicht mehr eingearbeitet werden. Der dort vertretene redaktionsgeschichtliche und an Stichworten orientierte Ansatz einer Komposition des Psalters ist jedoch bereits in den vorveröffentlichten Aufsätzen insbesondere von E. Zenger erkennbar. Beide Arbeiten ergänzen sich, da ihr heuristisches Prinzip ein durchaus anderes ist, die ermittelten Strukturen aber ähnlich sind. Die Vielfalt der Modelle kann - bei allen Widersprüchen im Detail- der Texterfassung nur dienen. Die hier vorgelegte Arbeit hat größere Parallelen zum englischsprachigen Forschungsbereich. So verwundert es nicht, daß zeitgleich mit der Abgabe der Dissertation im Frühjahr 1992 das Heft 46/2 der Zeitschrift Interpretation zum Thema erschien, dessen Beiträge in größter Nähe zu dem hier Vertretenen stehen. Da die vorliegende Arbeit den Psalter primär nicht als Dichtung interpretiert, ist die Darbietung des hebräischen Textes nicht an metrische Regeln gehalten. Bielefeld-Bethel, Ostern (und Pessach) 1993
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
.............................................
1
Einleitung
Teil I
Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt 1. Der Psalm als Parasehe des Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen . . 2.1 Zwillingspsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Reihenbildung von Psalmen an Beispielen aus dem ersten Psalmbuch . . . 2.3 Durch Überschriften gekennzeichnete Psalmengruppen . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 DasÄgyptischeHallel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Zur Bezeichnung" Großes Hallei" . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 DaskleineHallel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Die Korachpsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Die zweite Sammlung von Davidpsalmen (Ps 51ff.) . . . . . . . . . . . 2.3.7 DieAsaphpsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8 AndereTextbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.9 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Weiterführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 23 27 27 30 32 34 35 41 42 44 44 45 46
3. Methodische Voruberlegungen aus der Formgeschichte der Einzelpsalmen. . . 3.1 Beschreibende und normierende Formgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Formgeschichtliche Doppelung innerhalb eines Psalms . . . . . . . . . . . . 3.3 Wechsel der Personenstrukturinnerhalb eines Psalms . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der Stimmungswechselinnerhalb von Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 DerStimmungswechselvonderKlagezumLob . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Der Stimmungswechselvon Lob und Dank zur Klage . . . . . . . . . . 3.5 Der Wechsel der vorausgesetzten Not innerhalb eines Klageliedes des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 47 50 52 53 53 57 60 62
VI
Teil II Eine Formgeschichte der Psalmengruppen 1. Wallfahrtspsalmengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die beiden Korachpsalmgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Wallfahrtspsalmen als Einleitung (Ps 42/43 und 84) . . . . . . . . . . 1.1.2 Eine Volksklage als Themenklage (Ps 44 und 85) . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Ein Einschub im Singular (Ps 45 und 86) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Zionspsalmen und Hymnen als Höhepunkt (Ps 46-48 und 87) ... 1.1.5 Der weisheitlich-klagende Schluß (Ps 49 und 88) . . . . . . . . . . . . 1.1.6 Zusammenfassung: Die Komposition der Korachpsalmgruppen .. 1.2 Die Sammlung von Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
63 63 63 66 68 70 72 74 76
1.3 Das Ägyptische Hallel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
1.4 Gebet und Lied der Hanna (lSam lf.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
1.5 Zwischenergebnis: Zur Formgeschichte der Wallfahrtspsalmengruppen .
87
2. Eine Klagekomposition im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
2.1 Die Asaphpsalmsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
2.2 Exilische Psalmkompositionen außerhalb des Psalters . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Threni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Jesaja40-55 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
. . . .
104 104 105 106
2.3 Weitere Klagekompositionen über die Zerstörung J erusalems ....... . 2.3.1 Ein scheinbar exilischer Kompositionsbogen im vierten Psalmbuch . 2.3.2 DiePsalmenSalomos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 107 109
2.4 Zwischenergebnis: Zur Formgeschichte der Klagekompositionen ..... .
113
3. Clusteranordnungen von Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
3.1 Die Sammlung von Davidpsalmen im elohistischen Psalter ......... 3.1.1 Der einleitende Klagecluster (Ps 51 - 64). . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Hymnus-Danklied-Gruppe Ps 65ff. im Kontext. ......... 3.1.3 Der Schluß der Sammlung (Ps 69-72) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
115 116 121 123
3.2 DaserstePsalmbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Zur Abgrenzung der Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Der erste Kompositionsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Der Kompositionsbogen im Zentrum des ersten Psalmbuches ... 3.2.4 Der Schluß des ersten Psalmbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Das erste Psalmbuch als weisheitliche Komposition . . . . . . . . . . 3.2.6 Vergleich der beiden großen Davidpsalmsammlungen ........
. . . . . . .
124 124 127 135 138 140 143
3.3 Die Sammlung von Davidpsalmen Ps 138 ff. und das kleine Hallel ..... . 3.3.1 Das kleine Halle! als Kompositionseinheit. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die Davidpsalmsammlung Ps 138ff. vordem kleinen Halle! ..... .
144
3.4 Das vierte Psalmbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
144 146
3.5 Zur Verortung von Clustern anhand nachkanonischer Beispiele ...... 3.5.1 DasAchtzehn-Bitten-Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Die Hodajot von Qumran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Zwischenergebnis: Zur Formgeschichte der Cluster . . . . . . . . . . . . .
. . . .
152 152 158 161
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Eine Formgeschichte der Psalmengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 1: Die Psalmgruppen mit Pluralkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 2: Kompositionsbögen mit Dankliedhöhepunkt . . . . . . . . . . . Tabelle 3: Kompositionsbögen mit Dankelementen am Anfang ...... 4.2 Editorische Einzelpsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 4: Übersicht über den Psalter in Kompositionsbögen ........
. . . . . .
162 162 162 163 163 165 168
Teil III Die Entstehung des Psalters 1. Der elohistische Psalter als Vorstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Ansatzpunkt: Das Problem der Klein- und Teilpsalter ......... . 1.2 Textbeschreibung des elohistischen Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Ps 49 und 73: Weisheitspsalmen an den Nahtstellen der umrahmenden Psalmengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Ps 50 f.: Ein einzelner Asaphpsalm und sein Zwilling ......... . 1.2.3 Ps 68-72 als Teil der zweiten Nahtstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Themen und historischer Ort der Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die Orientierung auf J erusalem im elohistischen Psalter . . . . . . . . 1.3.2 Trägergruppen des Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3.3 Gott als Richter und König .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Ergebnis: Der elohistische Psalter als Klagekomposition . . . . . . . . . . .
169 169 173
2. Der Ausbau des Psalters in persischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Ansatzpunkt: Die Neukonstitution J erusalems als Zentrum ...... . 2.1.1 Historische Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Wiedererrichtung des Tempels und das Bleiben in der Diaspora. 2.1.3 Die Herausbildung kanonischer Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Textbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die zweite Sammlung von Korachpsalmen als Übergang ....... . 2.2.2 DieJhwh-König-PsalmenalsZielpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Das Problem des literarischen Abschlusses der Ausbaustufe des Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Der Vorbau von Davidpsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Themen und historischer Ort der Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Lob als Zielpunkt der Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Der Lobpreis Gottes als König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Der Psalter als Mustergebetsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ergebnis: Der Psalter in persischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188 188 188 192 196 199 199 200
173 173 177
180 180 184 185 187
203
204 205 205 208 208 212
VIII
Inhaltsverzeichnis
3. Die Stabilisierungsphase des Textes des Psalters. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1 Der Ansatzpunkt: Verschiedene vorliegende Textgestalten . . . . . . . . .. 3.2 VergleichendeTextbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Ps 151 als erstes Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Der Schluß der Sammlung von Wallfahrtspsalmen beispiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Charakterisierungvon 11Q Ps(a). . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. als zweites Fall. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . ..
3.3 Themen und historischer Ort der Komposition. . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.1 Der masoretische Psalter als nachkultisches Wallfahrtsliederbuch .. 3.3.2 David als Integrationsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.3 GottalsKönig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.4 DieToraalsVerbindungsthema .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.4 Ergebnis: Der Psalter in der Zeit von Qumran
213 213 216 216 219 224 227 227 230 234 237 239
Ausblick
240
2. Der Psalter als häusliches Gebetsbuch und das entstehende Pflichtgebet. . . ..
245
Anhang 1. Übersichtstabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
251
Anhang-Tabelle 1: Überschriften im masoretischen Psalter . . . . . . . . . . . .
251
Anhang-Tabelle 2: Hallelujah in den verschiedenen Versionen. . . . . . . . . ..
255
Anhang-Tabelle 3: Übersicht 11 QPs( a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
256
Anhang-Tabelle 4: Das Achtzehn-Bitten-Gebet und verwandte Stücke . . . ..
257
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
hebr.: insbes.: Ken: Ms:
1. Die Stellung des Psalters im Kanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
. . . . .
Die Abkürzungen richten sich nach dem Verzeichnis von: S. SCHWERTNER, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin u. a. 21994 Darüber hinaus sind folgende Abkürzungen verwendet:
Ros: SBA:
Der Psalter als Teil des Kanons
2. Literaturverzeichnis . . . . . . . . 2.1 Quellen und Übersetzungen 2.2 Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . 2.3 Psalmenkommentare . . . . . 2.4 Weitere Sekundärliteratur. .
Abkürzungen
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
.. .. .. .. ..
259 259 261 261 262
3. Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Sachregister .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.1 Bibel und Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.2 Qumran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.3 FrühchristlicheSchriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Rabbinisches Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.5 AndereQuellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
279 279 281 283 283 296 296 297 298
hebräisch insbesondere Kennicott, Dissertatio Handschrift de Rossi, Variae Lectiones, Vol. 4 Stuttgarter Biblische Aufsatzbände
Einleitung "Nun ist es aber ein unverbrüchlicher Grundsatz der Wissenschaft, daß nichts ohne seinen Zusammenhang verstanden werden kann. Es wird demnach die eigentliche Aufgabe der Psalmenforschung sein, die Verbindungen zwischen den einzelnen Liedern wieder aufzufinden." 1
Mit diesen Worten konnte H. Gunkel, dem die Psalmenforschung ihre wichtigste Methode, die Form- bzw. Gattungsgeschichte, verdankt, die Aufgabe seiner Psalmenerklärung zusammenfassen. Doch meint Gunkel mit dem Zusammenhang zwischen den einzelnen Psalmen keineswegs den literarischen Zusammenhang zweier textlich nebeneinanderstehender Psalmen, sondern die Rekonstruktion des gemeinsamen Hintergrundes der Psalmen derselben Gattung, des Sitzes im Leben. Eine Hypothese zur Bestimmung des historischen Ortes der Gattung von Psalmen ist in diesem Verständnis der Formgeschichte also das primäre Ziel der Auslegung. Im extremen Fall einer formgeschichtlichen Psalmenkommentierung wie der von E. König oder W. Staerk führt dieser Ansatz zu einer völligen Umordnung der zu erklärenden Psalmen gegenüber dem literarischen Kontext des Psalters, damit in der Kommentierung formgeschichtlich gleiche Psalmen zusammenstehen. Dieser konsequent die vorgegebene literarische Form verlassende Kommentargestaltung arbeitet auch J. Begrich zu, indem er in der von Gunkel konzipierten und von ihm vollendeten Einleitung in die Psalmen den literarischen Zusammenhang des Psalters folgendermaßen beurteilt: "Daß die Anordnung der Psalmen nicht aus einem sachlichen Einteilungsgrunde erfolgt ist, ist leicht einzusehen. Nach den einzelnen Gattungen sind sie jedenfalls nicht zusammengestellt worden. So stehen z.B. im ersten Buche die Hymnen (lJI 8.19.24 1_ 2 .29.33) nicht beieinander, die Königspsalmen (lJI 2.18.20.21) bilden keine zusammengehörige Gruppe, auch die Klagelieder des Einzelnen, um noch diese zu nennen, stehen verstreut (lJI 3.5.6.7.13.17.22 usw.). Den gleichen Befund zeigen die übrigen Bücher. ,,2
C. Westermann bemerkt zu dieser Passage in treffender Polemik: "Man spürt an diesem kurzen Absatz, mit dem dann die Frage ein für allemal abgetan ist, daß ein echtes Interesse an der Frage kaum vorhanden war; nur so lassen sich die wenig sorgfältigen und kaum exakten Feststellungen dieses Abschnittes erklären. Es ist Einleitung 4. Einleitung 434.
1 GUNKEL (IBEGRICH), 2 GUNKELIBEGRICH,
3
Einleitung
Einleitung
übersehen, daß das erste Psalmbuch fast ausschließlich Psalmen des einzelnen enthält, daß auf den ersten Blick die KE (Klage des einzelnen) im ganzen ersten Psalmbuch absolut überwiegt ... ,,3
Der zuerst 1860 erschienene Psalmenkommentar von F. Delitzsch ist so für über 130 Jahre der einzige christliche, deutschsprachige Psalmenkommentar, der Beobachtungen oder Vermutungen hinsichtlich des Zusammenhanges von Psalmen nicht ausschließlich in der Einleitung versteckt, wo sie für die weitere Auslegung folgenlos bleiben, sondern bei der Kommentierung einzelner Psalmen Überlegungen zu ihrem Zusammenhang einfließen läßt. Ähnlich sieht die Lage bei den speziell theologischen Monographien zu den Psalmen aus: So entfalten beispielsweise sowohl H.-J. Kraus 4 als auch H. Spieckermann 5 eine Theologie der Psalmen, zugespitzt formuliert: eine Theologie einzelner, vom Exegeten aus Gründen der vermuteten thematischen Wichtigkeit freigewählter Psalmen, während eine Veröffentlichung zur Theologie des Psalters fehlt. 6 Nach vereinzelten Aufsätzen in den 60er Jahren sind seit Mitte der 70er Jahre gehäuft Studien zu einzelnen Psalmengruppen erschienen. 7 Seit Mitte der 80er Jahre kommen nun auch spezielle Arbeiten heraus, die den Psalter als Buch betrachten. 8 Nach dem Psalmenkommentar von Delitzsch ist der Psalmenkommentar von F. L. Hossfeld und E. Zenger der erste, der intensiv den Zusammenhang der Psalmen im Psalter erörtert. 9 Dieser neue Psalmenkommentar ist damit Teil eines sich abzeichnenden exegetischen Trends. Daß die Betrachtung des Psalters insgesamt also ein Spätling der Exegese ist, hat einerseits Gründe, die speziell durch den Psalter vorgegeben sind, andererseits prinzipielle Gründe, die in der Eigenart des methodischen Neuansatzes liegen, in dem sich ein Teil der Arbeiten zum Psalter auch explizit versteht. 10 Methodisch ist in den letzten Jahren eine Neubesinnung auf den Bibeltext der vorliegenden Gestalt erfolgt, der die postulierten Vorstufen nicht als exegetisches Ziel und vorrangige Interpretationsebene sieht, sondern als Hilfsmittel zur besseren Beschreibung des vorliegenden Textes. Dabei wird der vorliegen-
de Text nicht nur im Kontext des gesamten Buches gesehen (holistic interpretation), sondern auch das Buch im Kontext des Kanons (canonical approach). Im angelsächsischen Sprachraum ist letzterer Ansatz im wesentlichen mit B. S. Childs verbunden, im deutschsprachigen Forschungsbereich hat R. Rendtorff federführend diesen Ansatz aufgenommen. 11 Innerhalb dieses methodischen Neuansatzes war es konsequent, daß der Pentateuch als systematischer und zudem wahrscheinlich historischer Kernpunkt des Kanons 12 auch der Anfangspunkt des Canonical Approach war. Forschungsgeschichtlich war der Pentateuch zudem als das klassische Tumrnelfeld der Literarkritiker der Platz, an dem Sinn oder Unsinn eines wissenschaftlichen Paradigmenwechsels in der Exegese hin zu größeren Textzusammenhängen zu beweisen war. 13 In einem zweiten Schritt wurde insbesondere das Jesajabuch Gegenstand der holistischen Betrachtung. 14 Nach dem Kanonsteil der Tora wurde damit der Kanonsteil der Propheten (C~~~JJ) exemplarisch untersucht. Doch ist es nicht nur die Position des Psalters in dem historisch späten wie wenig zusammenhängend erscheinenden Kanonsteil der Schriften (C~J,n:J), die den Psalter zu einem schwierigen Thema innerhalb eines solchen Ansatzes werden läßt. Während bei jedem anderen biblischen Buch die Teile als Kapitel bezeichnet werden, führt der Psalm bereits umgangssprachlich ein Eigenleben, das nicht auf den Psalter als Buch verweist. Nur eine jüdische Auslegungstradition bis hin zu wenigen neueren jüdischen Exegeten verweist mit der Bezeichnung der Psalmen als Kapitel auf den Psalter als Buch, indem sie die Teile dieses Buches sprachlich eindeutig als Teile zu erkennen gibt. 15 Die bisher vorliegenden Arbeiten haben den Zusammenhang des Psalters bzw. größerer Teile aus ihm im wesentlichen mit den Methoden der Traditionsund Redaktionsgeschichte untersucht. Die für die Einzelpsalmenauslegung so erfolgreiche Methode der Formgeschichte blieb bisher nicht zuletzt wohl aufgrund ihrer eigenen Ignorierung des literarischen Zusammenhanges der Psalmen im Psalter für die Betrachtung des Zusammenhanges des Psalters nahezu
WESTERMANN , Sammlung 337 f. KRAus, Theologie. 5 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. 6 Auch E. ZENGER hat trotz offensichtlichen Interesses an der Frage des Zusammenhanges der Psalmen im Psalter unlängst eine Theologie von Psalmen für einen breiteren Leserkreis herausgebracht, die trotz breiter Berücksichtigung des Kontextes einzelner Psalmen in ihrer Anlage nicht den Psalter, sondern die Formgeschichte der Einze1psalmen als Theologie darstellt (ZENGER, Morgenröte). Ähnliches ist zu BRUEGGEMANN, JSOT 50, zu bemerken, der außer Rahmenpsalmen des Psalters die freigewählten Psalmen 73; 25 und 103 auslegt. 7 Vgl. GESE, Entstehung, und die Arbeiten von Goulder, Nasuti, Seybold und Wanke (dazu unten in Kapitel 1.2.3). 8 V gl. die zahlreichen Arbeiten von WILSON, insbesondere seine 1985 erschienene Dissertation: The Editing of the Hebrew Psalter, sowie FÜGLISTER, Verwendung, sowie den älteren methodisch sehr problematischen Entwurf von ARENS, Psalmen. Zu Arens siehe unten S. 17 f. 9 Der Band wurde schon für 1991 angekündigt, ist aber aus verlagstechnischen Gründe erst nach Fertigstellung der vorliegenden Arbeit erschienen. 10 So besonders ZENGER, FS Füglister.
11 Einen neueren Überblick zur Forschungslage bietet JBTh 3, 1988, hier besonders der Aufsatz von MILLER. Zum Einstieg in den Anfang der Diskussion eignet sich besonders gut der Themenband JSOT 16 (1980), der ausschließlich der Diskussion der damals gerade erschienenen lntroduction to the Old Testament as Scripture von CHILDS gewidmet ist. 12 Vgl. jedoch STECK, Abschluß, der den prophetischen Kanon von der Tora unabhängig sieht. 13 Dazu RENDTORFF, Methode, dort der Hinweis auf KUHN, Struktur. Dorther stammt der Begriff Paradigmenwechse/. In der alttestamentlichen Debatte um synchrone und diachrone Exegese ist auch auf RICHTER, Exegese, zu verweisen. 14 Vgl. nun insbesondere den Aufsatzband von RENDTORFF, Kanon, der u. a. drei Aufsätze zum Jesajabuch vereint. Zum Ganzen siehe unten 11.2.2.2 und 111.2.1.3. 15 Vgl. z.B. den Midrasch zu den Psalmen (:m, ,mlV .C'7';1M lV"7J), außerdem: HIRSCH, Psalmen, und KAUFMANN, Religion, 310. Während sich bei Hirsch des öfteren Hinweise auch zum literarischen Kontext des Einzelpsalms finden, vermag NOBEL (Libanon 1,8) einen solchen Zusammenhang nicht zu erkennen, obwohl auch er die Psalmen sowohl als Psalm wie als Kapitel einführt. Siehe unten 1.1.
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Einleitung
Einleitung
ungenutzt. Hier setzt das Postulat von K. Seybold 16 nach der Anwendung der Formgeschichte auf literarische Zusammenhänge in der Psalmenexegese an, das die vorliegende Arbeit einzulösen versucht. Das setzt allerdings eine Umorientierung in der Zielsetzung der Formgeschichte voraus: Hypothesen zum historischen Ort bleiben im folgenden weitgehend zurückgestellt, um die Arbeit zu entlasten. Ein wichtiges Beispiel für die Anwendung formgeschichtlicher Methodik zur Betrachtung der Komposition waren für diese Arbeit die Heidelberger Dissertationen von E. Blum und F. Matheus. 17 Zu denken ist nicht zuletzt auch an den Ansatz von G. von Rad "Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch" und die anderen Arbeiten zum Deuteronomium 18 als Beispiel für die Anwendung formgeschichtlicher Kategorien auf Großtexte. 19 Für den Psalter ist ein solcher Ansatz bereits von C. Westermann 20 entwickelt worden. Westermann notiert Gruppen von Klageliedern insbesondere in der ersten Hälfte des Psalters und Gruppen von Hymnen insbesondere in der zweiten Hälfte des Psalters. Königs- und Torapsalmen weist er eine Rahmungsfunktion größerer literarischer Zusammenhänge zu. Als Entsprechungen zu Ps 2 findet Westermann Ps 72; 89 und 110, die als Königspsalmen jeweils Abschlußfunktion für Psalmgruppen bzw. Teilpsalter haben. Deswegen postuliert er insbesondere Ps 2-89 und 1-119 als Vorstufen des Psalters, was gegenüber der üblichen literarkritischen Aussonderung des elohistischen Psalters (Ps 42-83) ein alternativer und ergänzender Ansatz ist.
zweite Schritt wird dann der Versuch eines formgeschichtlichen Neuansatzes zur Beschreibung der Psalmengruppen sein. Als dritter Schritt schließt sich eine Skizze der Entwicklungsgeschichte des Psalters an. Abschließend soll dann noch kurz der Psalter als kanonisches Buch in seinen wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. Dieses weitgefaßte Thema hat es erfordert, Lücken bei der Aufarbeitung und Darstellung der Sekundärliteratur zu Einzelpsalmen und Motiven im Psalter zu lassen. 22 Einerseits ist es forschungsgeschichtlich wegen der beträchtlichen Anzahl von Einzeluntersuchungen zu Psalmengruppen 23 an der Zeit, einen Gesamtansatz zum Verständnis des Psalters zu wagen, andererseits stellt ein solcher Gesamtansatz Anforderungen an den Exegeten, denen nur mit einer erheblichen Einschränkung des Themas hätte Genüge getan werden können. Eine Einschränkung des Themas hätte jedoch wohl oder übel seine Aufgabe insgesamt nach sich gezogen. 24 Wenn hier ein Entwurf über das Ganze des Psalters erfolgt, hat das den Sinn einer Hypothesenbildung, die auch seine Teile, die Einzelpsalmen, Psalmengruppen und Teilpsalter, nach deren intensiver Diskussion insbesondere im angelsächsischen Sprachbereich auch in deutscher Sprache neu diskussionsfähig zu machen hofft.
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Tora König
Ps Ps 1
2 2
Klagen (Kern) 3-88 3-109
König 89 110
Tora
119
Innerhalb dieses vermuteten Kerns des Psalters postuliert er kleinere Gruppen von formgeschichtlich gleichen Psalmen ähnlich der Sammlung der Threni. Modifizierte Ansätze dieser Art haben Gese und Wilson vorgelegt. 21 Wir werden nun im folgenden ersten Hauptteil zunächst versuchen, anhand offener Fragen der Einzelpsalmenauslegung den Gewinn des literarischen Kontextes als notwendige Aufgabe der Psalmenexegese zu begründen. Der SEYBOLD, Psalmen 103. BLUM, Komposition, MATHEus, Singt. Vgl. dazu unten II.2.2.2 und III.2.1.3. 18 VON RAD, Gottesvolk, und ders., Deuteronomium-Studien. Vgl. zur Forschungsgeschichte KREUTzER, Frühgeschichte 4ff. 19ff. Zur Bedeutung für die Psalmgruppen siehe z. B. S.123 (zu Ps 67) und S. 78 (zu Ps 134). 19 Einen singulären Versuch, die formgeschichtliche Methode auf die Bibel als Ganzes anzuwenden, hat unlängst SCHMIDT, FS Koch, vorgelegt. Schmidt sieht am Anfang und am Ende der Bibel universale Themen (vgl. dazu bereits den Ansatz von GUNKEL, Schöpfung). Schmidt geht von den vorliegenden Druckfassungen der deutschen Bibel aus (SCHMIDT, FS Koch 569), was ihn zu der These verleitet, die Psalmen als Mitte der Bibel zu verstehen (aaO. 572ff.). 20 WESTERMANN, Sammlung, leicht modifiziert aufgenommen insbesondere bei RENDTORFF, Einführung 261. 21 GESE, Entstehung; WILSON, Editing; ders., JSOT34. Hier wird auch Psalm 41 in dieses Konzept einbezogen. 16 17
22 Sprechenderweise hat PFEIFER, VT 37, bei der Darstellung des Problemes der Aufarbeitung der Sekundärliteratur ein Psalmwort gewählt: "Ich bin in tiefe Wasser geraten ... " (Ps 69,3). Es gibt kein Thema der alttestamentlichen Wissenschaft, zu dem derart viel und völlig unterschiedliche Publikationen erfolgen. Auch der monumentale Psalmenkommentar von KRAUS hat in seiner neuesten Auflage lediglich einen Literaturnachtrag von immerhin 8 Druckseiten, der aber nur einen Bruchteil der tatsächlich erschienenen Literatur wiedergibt. Allein AUFFRET hat über 30 Beiträge zu Psalmen geschrieben. Vgl. zu dem Problem der Arbeit mit der Sekundärliteratur auch die Diskussion über die Relevanz wissenschaftlicher Kommentare in BThZ 2ff., besonders: WELTEN, BThZ 4, 149ff., der herausarbeitet, wie die ausschließlich im Kontext wissenschaftlicher Literaturdiskussion entstandenen Fragestellungen auch nur noch intern rezipiert werden. 23 S. u. besonders 1.2.3. 24 WILSON, Editing, hat bereits mit der Beschränkung auf die Auswertung der Handschriftenüberlieferung mit relativ wenigen, aber wichtigen theologischen Bemerkungen eine mögliche Einschränkung des Themas vorweggenommen, was hier dankbar als Vorarbeit rezipiert ist. Eine andere mögliche Einschränkung, beispielsweise die formgeschichtliche Analyse nur einer Psalmengruppe, scheitert daran, daß jede Psalmengruppe zwar in das in Teil II. vorzustellende formgeschichtliche Schema paßt, aber zugleich mindestens eine Ausnahme von der hier vorgestellten makroformgeschichtlichen Regel hat. Die Regel ist damit nur zu erkennen, wenn das gesamte Material vorgestellt wird.
1. Der Psalm als Parasehe des Psalters
Teil I
Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt 1. Der Psalm als Parasehe des Psalters Wir gehen aus von einer Voraussetzung, die der üblichen Exegese von Einzelpsalmen zugrundeliegt: Der Psalter ist ein Buch, das aus Einzelpsalmen besteht. Diese Feststellung scheint der hier angestrebten kontextuellen Exegese zunächst entgegenzustehen. Gleichwohl ist sie bereits von der handschriftlichen Überlieferung des Psalters her unbestreitbar. Der Psalter, der wie alle poetischen Schriften der Hebräischen Bibel nur zweispaltig geschrieben ist, während Prosatexte dreispaltig angeordnet sind,l hat die Anordnung in Einzelpsalmen als festen Textbestandteil: In den masoretischen Manuskripten fällt die gegenüber anderen poetischen Texten wesentlich gegliedertere Anordnung des Psalters mit Leerzeile oder Lücke an den Stellen auf, an denen ein neuer Psalm beginnt. 2 Diese Textgliederung ist von ihrem Gewicht innerhalb des masoretischen Textes nur noch mit der doppelten Leerzeile vergleichbar, die in dem masoretischen Mustercodex Aleppo am Neuanfang eines biblischen Buches, also beispielsweise des Hiobbuches, steht. Eine solche doppelte Leerzeile markiert aber auch den Anfang der fünfTeilbüch~r des Psa1t~rs. 3 Das Ende der ersten vier Psalmbücher , also die Übergänge zwische~ m:el Psalmbüchern, sind zudem durch eine im Detail allerdings unterschiedlIche Segensformulierung markiert. Die Grenzen zwischen zwei 1
~salter,.Hiob und Sprüche gelten als poetische Bücher sowie Ex 15,1-20 und Dtn 32 als
poetische E~nzeltexte, die gemäß rabbinischer Vo~schrift zweispaltig angeordnet sind (siehe bShab 103b, bMen 31a; Sof 1,11, vgl. als erster Uberblick die Abbildung bei WÜRlHWEIN Text 169 und 185 mit 175, sowie OESCH, Petucha 12lf.). ' ,,2 Der .Kodex Aleppo hat die Psalmen durchweg mit einer Leerzeile getrennt. In seltenen F~llen Wird der Wechsel eines Psalms nur durch zwei aufeinanderfolgende Halbzeilen angezeigt (v.or Ps 11; 36; 38; 68; 81; 106; 116; 142; 147; 148; 149; 150), seltener auch nur durch eine Halbzeile (vor Ps97; 99; 105; 108; 114; 117; 118; 136). Auch in diesen Fällen ist jedoch die Trennung. d~s Psalters in Einzelpsalmen deutlich markiert. Lediglich Ps 115 wird im Codex A!e~po wie In der Septuaginta mit Ps 114 zusammengeschrieben, ohne daß diese Abweichung Wie In der Septuaginta beispielsweise durch die Teilung von Ps 116 ausgeglichen wird. Dazu unten S. 13f. und 1.2.3.2. 3 Gegen SEYBOLD, Psalmen 13, der bei der Beschreibung des Anfanges des Psalters die leicht oberlinig geschriebene Halbzeile der Schlußmasora der Chronikbücher als volle Zeile rechnet (Kommentar zur Abbildung aus dem Kodex Aleppo).
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einzelnen Psalmen sind zumeist zusätzlich durch Psalmüberschriften deutlich markiert, die in den Handschriften zumeist von der Textgestalt her leicht zu erkennen sind, da sie als überlange oder zu kurze Halbzeilen geschrieben sind und nicht die sonst übliche Gliederung der Textzeile in zwei parallele Halbzeilen (bzw. Halbstichen) vollziehen. Der Text der Überschrift ist als einleitender Prosatext kenntlich gemacht. Nun könnte man bei vielen mittelalterlichen masoretischen Handschriften sagen, daß diese bereits späte und besonders sorgfältig edierte Texte sind, deren Untergliederung Teil ihrer Edition sei. 4 Doch ist die Edition des Psalters in einzelne Psalmen mit voranstehender Leerzeile bzw. deutlichem Neuanfang einer Zeile bereits in Qumran bezeugt. G. H. Wilson 5 unterscheidet im Anschluß an M. Malachi 6 für die Qumranpsalter fünf Arten der Psalmabtrennung: Wenn die Schlußzeile eines Psalms nur wenig beschrieben ist, beginnt der neue Psalm einfach bei einer neuen Zeile (1.), wenn die Schlußzeile fast durchgehend beschrieben ist, beginnt die Anfangszeile eingerückt (2.), endet die Schlußzeile am Zeilenende, beginnt der folgende Psalm mit einer eingerückten Zeile (3.) oder es steht eine Leerzeile (4.). In wenigen Fällen sind die Psalmen nur durch eine kleine Lücke in derselben Zeile abgetrennt (5.). Dieser Befund entspricht dem, was wir in den masoretischen Bibelhandschriften als Gliederung mit Setuma und Petucha kennen: Die Fälle 1. -4. sind typische Anordnungen der offenen Abschnittsgliederung (Petucha), der seltene Fall der Gliederung in der Zeile selbst (5.) entspricht der . geschlossenen Abschnittsgliederung (Setuma).7 Da im Psalter die übliche Paraschenuntergliederung fehlt, 8 liegt es nahe, die Untergliederung des Psalters in Psalmen mit der auch außerhalb des Pentateuch üblichen Untergliederung der Hebräischen Bibel mit Paraschen zu identifizieren. In der jüdischen Auslegungsgeschichte wird dies praktiziert, da die Einzelpsalmen als Parasche angesprochen werden. Im mittelalterlichen Kommentar Midrasch Tehillim wird beispielsweise Ps 2 Paraschat Gog genannt, Ps 3 Paraschat Ab4 VgL z. B. den Aleppo Codex. Am leichtesten greifbar ist die Wiedergabe einer solchen Handschrift bei WÜRTHWEIN, Text 185 (Tafel 25, Oxford, Bodleian Library, ein Fragment mit besonderer Punktation). Beispiel einer solchen Edition ist auch KenMs 240, wo im Hiobbuch die Dialoggänge durch Hervorhebung des 131" in Rotschrift gekennzeichnet sind (KENNICOTT, Dissertatio 430). 5 WILSON, Editing 93ff. Vgl. die vorsichtigere Darstellung bei OESCH, Petucha 274ff. 6 MALACHI, Charakter. 7 Zu Petucha und Setuma vgl. zur Einführung WÜRTHWEIN, Text 24f. Unersetzlich ist für diese Fragestellung die Monographie von OEseH, Petucha. 8 So bereits GINSBURG, aaO. 17. YEIVIN, Textus 7, 76-102, hat eine solche Liste der Abschnitte des Psalters (Bodeleian Library Oxford, Ms. Heb.d. 33, 3v-6r) veröffentlicht und mit den großen Bibelhandschriften des Codex Aleppo, Leningradensis, Cambridge u. a. verglichen. Bis auf Ps 115, einer Unregelmäßigkeit, wie sie für das Ägyptische Hallel typisch ist (dazu unten S. 13f. und 1.2.3.2), ist in der Liste jeweils der erste Vers der masoretischen Psalmanfänge notiert, gelegentlich auch der Schlußvers des vorhergehenden Psalms.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
1. Der Psalm als Parasche des Psalters
schalom etc. 9 In Qumran ist zudem auch die Einteilung des Psalters in fünf Psalmbücher präsent. 10 J. Oesch hat für die Paraschenuntergliederung in der Antike herausgearbeitet, daß bereits im babylonischen Talmud verboten ist, die Paraschen zu verändern. 11 Das setzt also bereits im frühen Mittelalter wenigstens den Versuch der Bildung einer festen Paraschentradition voraus. Der Versuch, die konkrete Paraschenabgrenzung zu ermitteln, ist bei Oeschs Analyse, die hauptsächlich Texte aus dem Jesajabuch behandelt, nicht gelungen. 12 Anders sieht es jedoch bei den Psalmen aus. 13 Selbst dort, wo die paraschenähnliche Untergliederung des Psalters wohl aus Raumgründen nicht im Text präsent ist, wird die Psalmenzählung deutlich im Text als Psalmentrenner vermerkt. 14 Der Psalter ist deswegen wohl das einzige Buch der Hebräischen Bibel, in dem Chancen bestehen, die konkreten Paraschen zu ermitteln. Auch die Psalmenzählung der Septuaginta weicht bei einer Gesamtzahl von 150 Psalmen an nur wenigen Stellen von der des masoretischen Textes ab:
solches sichtbar ist. Die andere Zählung der Septuaginta bei Ps 9 f. bezeugt also eine in diesem Fall schwache hebräische Handschriftenüberlieferung. 18 Alles deutet damit darauf hin, daß die Gliederung des Psalters in einzelne Psalmen bereits der Septuaginta vorlag. Wir müssen das Problem der Abgrenzungen von Psalmen also vor allem innerhalb der hebräischen Textüberlieferung betrachten. Die Qumranüberlieferung ist dabei nur dann aufgeführt, wenn sie die Trennung eines Psalms oder das Zusammenziehen von zwei Psalmen ausdrücklich bestätigt. Fälle, die nur auf Rekonstruktionsversuchen beruhen, sind nicht aufgenommen. 19 In der weitaus größten Zahl der Fälle unterstützt damit auch die Qumranüberlieferung die masoretische Psalmenabtrennung, auch wenn in der Reihenfolge der Psalmen in den Qumrantexten erhebliche Abweichungen zu verzeichnen sind. 20 Gehen wir nun zunächst die Psalmen durch, die in der Textüberlieferung gelegentlich zusammengefaßt sind:
Masoretischer Text Ps 9/10 Ps II4/ll5 Ps II6,1-9/10-19 Ps 147,1-11/12-20
Septuaginta 9,1-21/22-39
II3,1-8/9-26 II4/ll5 15 146/147
Wenn wir uns die Stellen genauer ansehen, finden sich die wenigen Abweichungen der Septuaginta in der Psalmeinteilung an ganz speziellen Stellen: Ps 9/10 ist der Fall des Zusammenziehens eines überschriftslosen Psalms zum vorhergehenden Psalm. Die restlichen drei der vier Stellen sind im Bereich der bei den Hallel-Psalmengruppen Ps 113-118 und 145-150, die als einzige im Psalter überlieferte literarische Zusammenhänge von Psalmen in der Liturgie zur Zeit des Schreibens der Handschriften vorkommen. 16 Bei Ps 9f. reißt der masoretische Text ein Akrostichon-Fragment auseinander, der griechische Text korrigiert damit eventuell ein Problem, das - wenn Akrosticha überhaupt in der Schreibweise sichtbar gemacht wurden 17 - nur im hebräischen Text als 9 Unter Midrasch Tehillim (MShir) verstehe ich hier wie im folgenden den bekanntesten und auch wichtigsten Psalmenmidrasch J'~ 1mw. Vgl. auch oben S. 3 Anm.15. 10 Vgl. die Bezeichnung gefünftelte Bücher (C'Wl:ln C'1ll0) in 1Q 30 (DJD 1, 133), die sich wahrscheinlich auf den Psalter bezieht, sowie bQid 33 a. 11 OESCH, Petucha 91 ff., mit Verweis auf bShab 103 b. 12 OESCH, Petucha 361-365 (e silentio). 13 Vgl. OESCH, Petucha 11. 14 Der Papyrus Bodmer (2. -4. Jh. n. Chr.) vertritt beispielsweise eine Tradition, in der die Psalmen als Prosa-Kontinuatext geschrieben sind (vgl. die Tafel bei SEYBOLD, Psalmen 18). Obwohl der Papyrus Bodmer keine Zwischenräume zwischen den Psalmen hat, bezeugt er doch die feste Zählung der Psalmen. 15 In der Septuaginta ist Halleluja (AA/.'llAOULU) auch beim Beginn von LXX Ps 115 Trenner. Vgl. als Überblick im Anhang Tabelle 2. 16 Siehe unten 1.2.3.2 und 1.2.3.3. 17 Die Akrosticha werden in der masoretischen Überlieferung des Textes oft nicht mit dem
Psalm 1/2 werden in verschiedenen Handschriften als ein Psalm gelesen. 21 Beide Psalmen haben ein gemeinsames Wortfeld insbesondere mit :-J:\:-J (Ps 1,2; 2,1) und ''J~15 (Ps 1,1; 2,12) an den RahmensteIlen. Gemeinsam ist beiden Psalmen trotz des unterschiedlichen Motivfeldes von Weisheits- bzw. Königspsalmen die Gegenüberstellung des einzelnen Gottgemäßen mit den vielen Gegnern Gottes. 22 Ps2 ist verschiedentlich zusammen mit Ps 1 als ein Psalm angesprochen worden. Das bekannteste Beispiel ist dabei eine sogenannte westliche Variante von Apg 13,33, in der ein Zitat aus Ps 2 als aus dem ersten Psalm stammend eingeführt wird. Während diese Zählung eventuell auch mit
Buchstaben, der die Buchstabenfolge konstituiert, am Zeilenanfang geschrieben. Ps 119 bildet hier eine Ausnahme, hier werden beispielsweise im Codex Aleppo alle Zeilen mit akrostichischem Anfang geschrieben, lediglich v.80 ist in zwei Zeilen geteilt, so daß die Strophe mit ' neun Zeilen hat. Es ist daher fraglich, ob weiterhin dem Phänomen des Akrostichons in der modernen Textedition und Interpretation derart viel Rechnung getragen werden sollte. Nach SEYBOLD, Prophetie 74, ist die Beobachtung des Akrostichons erst Mitte des 19. Jh. von dem württembergischen Pfarrer Gottlieb Frohmeyer neu gemacht und F. DELITZSCH mitgeteilt worden, der sie in die zweite Auflage seines Psalmenkommentares 1867 aufnahm. Dies gilt jedoch höchstens für den deutschsprachigen Bereich, da LOWTH bereits 1787 seine Vorlesungen zur hebräischen Poesie mit der Behandlung des Akrostichons als erstem Hauptstück publizierte (Lectures 55 ff.). Da jedoch akrostichische Formen auch in der mittelalterlichen jüdischen Poesie immer wieder verwendet wurden, ist anzunehmen, daß das Phänomen von Akrosticha auch in der Bibel immer wieder Einzelnen auffiel. 18 Siehe unten Anm. 29. r 19 So z.B. Ps26/27, die eventuell in 4QPs als ein Psalm geschrieben sind (dazu WILSON, Editing 107). 20 Dazu unten in Teil III.3. 1 und 3.2 sowie im Anhang Tabelle 3. 21 KenMs 17; 37; 216; 409; 505 (Wilson, Editing 134, bietet hier irrtümlich Ms 142, was zur Tabelle zu Ps 9/10 gehört), RosMs 554; 596; 782 Toletano (DE RossI, Lectiones). Zu letzterer Ms vgl. GINSBURG, aaO. 775. Eine gemeinsame Zählung von Ps 1 und 2 bietet KenMs 164. Diese folgenden Übersichten mögen als erste, überblicksartige Hinweise verstanden werden. Vollständigkeit ist zwar angestrebt, aber angesichts der Widersprüche in den zugrundeliegenden Darstellungen auch in einer Einzelstudie kaum erreichbar (vgl. unten Anm. 48 zu Psalm 94/95; 96/97 und 98/99). 22 Vgl. z.B. LIPINSKI, RB 75, 321-367, hier 330-333, und AUFFRET, Sagesse 173ff.
10
Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt 23
einer extrem späten Ansetzung oder der Tradition der Nicht-Zählung von Ps 1 als Überschrift zum Psalter 24 erklärbar ist, scheidet diese Erklärung bei den späteren Zeugnissen aus: Sowohl der palästinische Talmud (jTaan 2,2,65c; jBer 4,3,8a) als auch der babylonische Talmud (bBer 9b.10a) ziehen vereinzelt Ps1 und 2 als einen Psalm zusammen. Doch sind dies Zeugnisse einer sehr speziellen Exegese, die das Ziel hat, den Anfang des Psalters und das Achtzehn-Bitten-Gebet zu parallelisieren. 25 Neben dem gemeinsamen Wortfeld legt insbesondere die Betrachtung des Schlusses von Ps 2, der mit einem Glückwunsch das Eingangsmotiv von Ps 1 aufnimmt, nahe, beide Psalmen auch bewußt verknüpft zu denken. Dieser Glückwunsch ist in der literarkritischen Betrachtungsweise als vermutlich nachträgliche Zufügung auch historisch ein Beleg für die Intention, beide Psalmen zusammenzustellen. 26 Sie sind damit als eine unterschiedene Einheit von zwei Psalmen zu sehen. 27 Für die Sicht von Ps 1 und 2 als inhaltlich bedingte Verknüpfung zweier zu unterscheidender Psalmen spricht auch die Qumranschrift 4QFlor, die Ps2,1 in einer Reihe weiterer Stellen in Anschluß an Ps 1,1 zitiert. 28 Psalm 9/10 werden, wie wir sahen, regelmäßig in der Tradition der Septuaginta als ein Psalm gezählt. Nur wenige hebräische Handschriften ziehen demgegenüber beide Psalmen zusammen. 29 Die bereits am Schluß von Ps 9 brüchige Anordnung als Akrostichon wird in Ps 10 nur noch - wenn überhaupt - sehr locker fortgesetzt. Inhaltlich führt Ps 10 den bereits inn~rhalb von Ps 9 begonnenen Umbruch vom Danklied in die Klage (Ps9,20f.) weiter. Es gibt Stichwortverbindungen zwischen beiden Psalmen wie ;,?~~ ("in der Not", Ps 9,10; 10,1) und ;";" ;'~~j:' ("erhebe dich, Jhwh", Ps 9,20; 10,12), aber 23 So unlängst wieder BERGER, Weisheitsschrift 78. Bergers extreme Spätdatierung von Ps 1 ist im Zusammenhang mit seiner Frühdatierung der Gnizaschrift zu sehen. Die Frühdatierung der Gnizaschrift hat Berger erneuert in: ders., NTS 36, 415-430, und ZAW 103,113-121. Zur berechtigten Kritik dieses Ansatzes vgl. RÜGER, Weisheitsschrift 3ff., der insbes. wegen der Abhängigkeit der Gnizaschrift von Mischna Abot auf eine mittelalterliche Abfassung der Gnizaschrift schließt. Zur Datierung von Psalm 1 siehe unten 11I.3.3.4. 24 Siehe KenMs 168; RosMs 234; 879. Vgl. auch Anm. 21. 25 Siehe dazu unten im Ausblick Kapitel 2 (S. 245ff.). 26 Vgl. dazu insbes. ZENGER, FS Groß 495-511, der einen von der ägyptisch-altorientalisehen Königsideologie beeinflußten Grundpsalm in v.I-4.6-9 (aaO. 506, vgl. auch die Bilder S. 510f. aus WRESZINSKI, Atlas 118.53a) von den Versen aus der Zeit der militärischen Auseinandersetzung zwischen Ptolemäern und Seleukiden (v. 5.10-12, sowie PsI) unterscheidet (508, dgl. ZENGER, Gott 52). Zum altorientalischen Hintergrund von Ps 2, der das stärkste Argument für eine frühe Ansetzung eines Kernes von Ps 2 ist, vgl. auch WIDENGREN, Psalm 110,185-216, hier 193f. 27 So durchweg die Kommentare z. St. 28 Zwischen dem Zitat von Ps 1,1 und 2,1 finden sich noch Jes 8,11 und Ez 37,23, vgl. MAlER, FS Gunneweg 353-365, hier 356, zu 4Q Flor siehe weiterhin BROOKE, Exegesis. WILSON (Editing 134f.) zählf nach KENNICOTI (Hg.), Vetus Testamentum, 7 Codices auf, die Ps 2 mit Ps 1 zusammenschreiben. Zum Problem der Abgrenzung zwischen Ps 1 und 2 vgl. z. B. BRoWNLEE, BibI. 52,321-336, und als Gegenposition z.B. WILLIS, ZAW 91,381-401, der Ps 1 als abgeschlossene Einheit sieht. Nicht mehr zugänglich wurde dem Vf. die Dissertation von STENDEL, Midrasch, die 4QFlor als Anfang des Kommentares einer Ausgabe des ersten Psalmbuches sieht. 29 Von den bei KENNICOTI gesammelten Handschriften bietet nur Ms 142 und 222 (bei WILSON, Editing 134, ist die Ms 142 irrtümlich in die Spalte von Ps 1/2 geraten) Ps 9 f. als einen Psalm, de Rossi ergänzt Ms 2 und 244. GINSBURG (aaO. 721) vermag für diesen Fall nur zwei Handschriften (Vienna Nr. 4 und Or 4227, Deutschland um 1300) aufzuführen.
1. Der Psalm als Parasehe des Psalters
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beides ist nicht so spezifisch für Ps 9/10, daß sich damit eine besondere Beziehung zwischen beiden Psalmen begründen ließe. 3o Die Frage des Verhältnisses von Ps 9 zu Ps 10 läßt sich nicht ohne weiteres lösen, eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Ps 10 zu Ps 9 als zweiter Teil desselben Psalms 31 kann also keineswegs als sicher gelten, auch wenn eine Tradition des Zusammenziehens bei der Psalmen der Septuaginta bereits vorlag. 32 Ps 10 kann auch an Ps 9 als passender Psalm angefügt sein. 33 Eine einzelne Handschrift zieht Psalm 25/26 zusammen: Kennicott Ms 173. Da diese jedoch auch 17 weitere Psalmen nicht abtrennt, die in keiner anderen Handschrift zusammengezogen sind, ist dies eine Eigenart dieser Handschrift. Eine ganze Reihe von Handschriften faßt Psalm 32/33 als einen Psalm auf. 34 Der weisheitliche Ps 32 endet mit einer Aufforderung zu Lob und Freude, an die der imperativische Hymnus Ps33, der ebenfalls Weisheitselemente (z.B. v.4) hat, anschließt. Dennoch ist Ps 33 von der äußeren Textbezeugung recht sicher als Einzelpsalm belegt. Psalm 42/43 wird von einer erheblich größeren Zahl von hebräischen Handschriften als ein Psalm aufgefaßt. 35 Innertextlich ist die Zugehörigkeit von Ps 43 zu Ps 42 durch den gemeinsamen Refrain beider Psalmen Ps42,6.12; 43,5 verständlich. Jedoch ist unsicher, ob Ps 42f. ursprünglich zusammengehörten, 36 oder ob Ps 43 ein Nachtrag zu Ps 42 ist. Da die Mehrzahl der Handschriften Ps 43 gegenüber Ps 42 trotz der Nähe beider Psalmen als abgetrennten Psalm auffaßt und dies textkritisch gesehen die schwierigere Lesart ist, scheint mir die wahrscheinlichere Lösung zu sein, daß Ps 42 gegenüber Ps 43 ursprünglich selbständig war. Inwiefern Ps43 einen Nachtrag zu Ps42 darstellt, wird noch eingehend zu prüfen sein. 37 Psalm 47/48 sind Korachpsalmen. Zusammengefaßt werden sie nur in zwei Hand38 schriften. Die Zusammenstellung der beiden thematisch verwandten Psalmen 39 ist damit wahrscheinlich erst im Zuge der Handschriftenüberlieferung entstanden. 30 Beispielsweise ;";" ;'~~j:' ("erhebe dich, Jhwh") erscheint im näheren Umfeld von Ps 9f. auch in Ps 3,8; 7,7; 17,13. 31 So Z.B. KAISER, Einleitung 350, sowie beispielsweise EWALD, HENGSTENBERG, GUNKEL, DUHM, WEISER, KRAUS und GERSTENBERGER z. St. 32 Zu den Bedenken, Ps 10 mit Ps 9 zusammenzuziehen, vgl. z. B. auch KITTEL und DE WETTEZ. St. 33 Dazu unten III.3.3.3. 34 KenMs 74; 97; 133; 137; 173; 210; 245; 541 und 571 (Ms 571 fehlt bei WILSON, Editing 134), RosMs 670 und 879. 35 KenMs2; 4; 36; 39; 73; 82; 89; 156; 158; 172; 175; 178; 188;210;216;224;227;245;318; 326; 355; 356; 360; 373; 377; 379; 403; 405; 409; 431; 499; 579; 587; 590; 591; 607; 625 und 639, davon sind bei WILSON, aaO. 134, nur KenMs 36; 82; 89; 156; 178; 210; 216; 245; 326; 356; 409; 499; 590; 25 ce notiert sowie irrtümlicherweise Ms 260, obwohl gerade Ms 260 durch Einfügung eines "", vor Ps33 die Psalmtrennung sichert); RosMs 31; 380; 480; 670; 782; 846; 865; 879 und 954, GINSBURG ergänzt eine Handschrift (aaO. 725: Or 4227). 36 So die Mehrzahl der Ausleger (z.B. DE WETIE, DUHM, KITTEL, GUNKEL, WEISER, KRAUS). Zu Ps 42f. siehe nun auch: P. R.RAABE, Structures 29ff. sowie ZENGER Morgenröte 256ff. ' , 37 Dazu siehe unten III.1.3.3. 38 KenMs 97 und 133. 39 Zu den thematischen Gemeinsamkeiten zwischen dem Jhwh-König-Psalm Ps 47 und dem Zionspsalm Ps 48 siehe unten 11.1.1.4.
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1. Der Psalm als Parasehe des Psalters
Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
In wenigstens einem Fall faßt eine Handschrift auch Psalm 53154 zu einem Psalm zusammen. 40 Da hier eine Überschrift textkritisch eindeutig vorliegt, handelt es sich sicher um eine textgeschichtlich späte Variante. In der Handschriftenüberlieferung sind auch Psalm 70171 von einigen Handschriften als ein einziger Psalm überliefert. 41 Als Klagelieder mit starkem Vertrauensanteil passen beide Psalmen zusammen. Spezielle Gründe für die Vereinigung beider Psalmen außer der fehlenden Überschrift von Ps 71 sind aber nicht ersichtlich. Psalm 71/72 werden nach einigen Handschriften 42 als ein Psalm zusammengefaßt, obwohl Ps 72 als Salomopsalm eigentlich eine Überschrift hat. Ein möglicher Grund für die Zusammenstellung beider Psalmen kann die Vorstellung des alten David in Ps 71,9-11 sein, die zum Salomopsalm überleitet. 43
Psalm 73174 werden in sehr wenigen Handschriften zusammengezogen. Beide sind Asaphpsalmen, haben also eigentlich auch jeweils eine Überschrift. Spezielle Gemeinsamkeit zwischen beiden Psalmen ist die Verwendung von Heiligtumsbezeichnungen im Plural (Ps73,17; 74,8).44 Dies könnte neben traditionsgeschichtlichen Gründen, den Psalmen eine gemeinsame Überlieferungsgeschichte zuzusprechen, ein Grund dafür sein, sie zusammenzuziehen. 45 Auch zu Psalm 77178 ist eine einzelne Handschrift aufzuführen (KenMs 89). Im Fall von Psalm 90/91 ziehen einige Handschriften 46 einen überschriftslosen Psalm zum vorhergehenden Psalm. Beachtlich sind insbesondere die inhaltlichen Parallelen zwischen beiden Psalmen, die das Vertrauen des Beters gegenüber Gott ausdrücken. Sprachlich sind die Parallelen dabei aber eher geringer, al~ es vom Inhalt her zu erwarten gewesen wäre: Das Themenwort von Ps 90 1;31~ ("Aufenthalt", "Zuflucht") wird in Ps 91 nur an einer Stelle (v. 9) aufgenommen und sonst in Ps 91 durch das nahezu bedeutungsgleiche Wort ;'lJ.t;1~ (Ps 91,2.9) ersetzt. Die Funktion als einleitendes Themenwort wird in Ps91 von "mO (Versteck, Schutz) wahrgenommen (Ps91,1). Semantisch steigert Ps91 damit gegenüber Ps 90 die Vertrauensaussagen. Auch das Motiv der "Länge der Tage" am Schluß von Ps 91 (C'~~ 1jN, Ps 91,16) nimmt zwar inhaltlich ein wichtiges Motiv aus Ps90 auf (v. 4.9), aber die exakte sprachliche Parallele findet sich dort nicht. Da die inhaltlichen und sprachlichen Berührungspunkte über Ps 90 und 91 hinausgehen, 47 haben wir auch hier den Fall von bewußt zusammengefügten Einzelpsalmen, deren Nähe 40 KenMs 173 (nur KENNICOTI, Dissertatio, s. u. Anm. 48) sowie Ms Or 4227 (nach GINSBURG, aaO. 725). Letztere Handschrift hat zudem zu Ps42f. und Ps 119 textgeschichtlich interessante Varianten. 41 KenMs 82; 93; 97; 133; 155; 156; 206; 245; 260; 590, RosMs 33; 218; 350; 367; 379; 380; 413 Hilleliano; 480; 554; 572; 596; 628; 632; 670; 847; 874; 954. GINSBURG, aaO. 776f., nennt Vienna Nr. 4, Deutschland 1299. Vgl. auch das Auslassen der Zählung bei Ps 71 im Codex Leningradensis B 19 a (BHS z. St.). 42 KenMs 36; 206 und 259. 43 KenMs 97 und 133. 44 Vgl. auch zu Ps 74,4 im Apparat der BHS die Plurallesart "'lm~ in 152 Handschriften (nach Kennicott und de Rossi). 45 Dazu unten 1.2.3.7 und II.2.1. 46 KenMs 74; 97; 133; 245; 326, WILSON (Editing 134) zieht unerklärlicherweise wieder Ms 260 hinzu. 47 Zu Ps 90-94 als weisheitlichem Textzusammenhang siehe unten II.3.4.
gelegentlich in der Handschriftenüberlieferung zum Zusammenziehen von Einzelpsalmen geführt hat. Die Psalmen 93-99, die bis auf Ps94 alle zur Gruppe der Jhwh-König-Psalmen gehören, haben bis auf Ps 98, dessen Überschrift mit einem einfachen ';~T~ denkbar ~urz.ausfällt, keine Überschrift. Alle diese Psalmen, einschließlich Ps 98, sind gelegenthch m der Handschriftenüberlieferung zusammengezogen worden. 48 Das hohe Alter dieser möglichen Psalmenverbindungen ist durch das Lesen von Ps 92/93 und Ps 94/95 als ein Psalm in 40Psb gesichert. Das Zusammenziehen dieser Psalmen wird sowohl an der inhaltlichen Nähe dieser Psalmen als auch an den fehlenden Überschriften liegen. Besonders in diesem Textbereich, wo Psalmüberschriften fast völlig fehlen, fällt weniger auf, daß diese Psalmen gelegentlich zusammengeschrieben worden sind, als daß sie in den meisten Fällen trotz fehlender Überschrift eindeutig getrennt werden. Psalm 1031104 sind in einigen Handschriften zusammengeschrieben 49 und in allen über den gemeinsamen Anfang wie Schluß ;";"-1'1'5 'W~~ ':;)':r~ ("Lobe Jhwh, meine Seele") verbunden. Ps 104 ist als eigentlich überschriftsloser Psalm wieder ein typischer Fall einer möglichen Fehlerquelle der Textüberlieferung. In etlichen Handschriften wird a~er diese Rah~.enzeile als selbständige Halbzeile geschrieben, so daß graphisch der Emdruck einer Uberschrift entsteht. Ps 103 und 104 sind damit wohl in den wenigen Handschriften, die beide Psalmen zusammenziehen, eindeutig der Fall der sekundären Verknüpfung zweier als Einzelpsalmen bewußt nebeneinandergestellten und über den Rahmenvers verbundenen Psalmen zu einem Psalm. Innerhalb des Ägyptischen Halleis wird Psalm 1141115 auch in der hebräischen Texttradition häufiger zusammengeschrieben. 50 Grund dafür ist einerseits die fehlende Überschrift bzw. das fehlende Hallelujah als Texttrenner. Neben der Septuaginta ist insbesondere noch 40Pso als Textzeuge für das Zusammenschreiben von Ps 114/115 zu nennen, womit das hohe Alter dieser Tradition gesichert ist. Als weitere Zeugen dieser Psalmabtrennung nennt der Apparat der BHS den Kodex Leningradensis, die Übersetzung des Theodot und der Peschitta sowie Hieronymus. Die Trennung beider Psalmen entspricht einer Eigenart der Verwendung des Ägyptischen Halleis innerhalb der Pessachliturgie: Nach der bis heute gültigen Lehrauffassung der Schule Hilleis wird die 48 Psalm 92/93: KenMs 37; 74; 82; 89; 93; 97; 133; 681; RosMs 379; 380; 596; 733. Psalm 93194: KenMs 74; 97; 133; 173 (Ms 173 nur nach KENNICOTI, Dissertatio). Psalm 94195: KenMs 30; 36; 37; 74; 93; 97; 133 (bei WILSON, Editing 134, fehlt Ms 30); RosMs 596 und 732. Psalm 95196: KenMs 36 und 67; RosMs 596 und 874. Psal.m 96/97: KenMs 30; 36; 74; 93; 97; 133; 141; 245 (bei WILSON, Editing 134, fehlt Ms 30, Ms 245 1st zu Ms 145 verschrieben); RosMs 379; 596; 670; 874, in exteris Ms 33 und 49. Psalm 97198: KenMs 74; 97; 133; 173 (Ms 173 nur nach KENNICOTI, Dissertatio). Psalm 98199: KenMs 30; 36; 74; 93; 97; 133; 173 (bei WILSON, Editing 134 fehlt Ms 30)· RosMs
n9;~~
,
,
KenMs 37; 74; 93; 97; 133; 156; 173; 245; RosMs 380; 864. 50 KenMs 1; 89; 94; 102; 119;121;131; 144; 148; 155; 192; 198;201;208;217;219;220;222; 300; RosMs 1;3;33;35;37;40; 186;187;193;215;218;224;231;234;249;263;275;276;277; 287;289;304;343;346;367;369;466;480;517;518;570;579;596;615;632;633;644;677;683; 758; 7.?9; 7?5; 779; 782; ~01; 824; 828; 829; 865; 873; 899; 954 (primo 553). GINSBURG, aaO. 777,. fügt Vle~na .Nr.: 4 hmzu. Dgl. neben so wichtigen Codices wie dem Codex Aleppo und Lenmgradensls die Ubersetzungen der Septuaginta, Vulgata, Peschitta u. a. 49
1. Der Psalm als Parasehe des Psalters
Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
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Zitierung des Ägyptischen Halleis beim Pessachmahl nach Ps 114 unterbrochen (mPes 10,6). Die Abtrennung von Ps 114 und Ps 115 hat also mit einiger Sicherheit liturgische Gründe. Auch die restlichen Psalmen des Ägyptischen Halleis sind jeweils in wenigen Handschriften zusammengezogen: sehr wenige hebräische Handschriften ziehen Psalm 115/116 zusammen. 51 Erheblich mehr Handschriften ziehen den extrem kurzen Psalm 53 117 zum vorhergehenden Psalm 11652 bzw. zum nachfolgenden Psalm 118 . Wie bei Ps 103/104 wird in diesen Psalmen meist das einleitende bzw. auslautende Halielujah halbzeilig geschrieben, so daß der Eindruck einer Überschrift entsteht. Wo das nicht geschieht, sind die Psalmen des Ägyptischen Halleis wie die überschriftslosen Psalmen besonders gefährdet, zusammengeschrieben zu werden. Immerhin 5 Handschriften ziehen selbst Psalm 119 mit Ps 118 zusammen, 54 obwohl Ps 119 als Akrostichon 55 mit 8 Zeilen pro Buchstabe des Aleph-Bet gegenüber Ps 118 sehr auffällig ist. 56 Psalm 128/129 sind in lediglich einer Handschrift 57 als ein Psalm gezählt. Diese sekundäre Tradition wird durch die Zugehörigkeit beider Psalmen zur selben Psalmen-
gruppe verständlich. Psalm 134/135 sind als Hymnen miteinander verwandt. Daß Ps 135 gelegentlich in der Handschriftentradition mit zu Ps 134 gezogen wird, 58 mag an der Kürze von Ps 134 und der fehlenden Überschrift in Ps 135 liegen. Daß der ebenfalls ohne Überschrift folgende Ps 136 textlich eindeutig immer von Ps 135 getrennt wird, liegt nicht zuletzt an dem für Ps 136 typischen Refrain ;'t?t1 07;317 ':;l ("Denn in Ewigkeit ist seine Treue"). 59 Außer-
KenMs 220; 356; RosMs 4 hispanico. Vgl. auch die griechische Tradition. KenMs36; 37; 74; 80; 82;93; 94;97; 131; 133; 142;150;153;178;216;220;222;260;264; 370; 545; 664; RosMs 2; 31; 32; 244; 287; 367; 379; 380; 554; 596; 645; 846; primo 249; 632, außerdem Targumhandschriften. 53 KenMs 92; 93; 141; 150; 156; 170; 173; 205; 207; 220; 239; 356; 404; 409; 437; 454; 476; 499; 525; 531; 541; 601; RosMs 244; 367; 782; 801; 874; 1007; nunc 328. Vgl. GINSBURG, aaO. 536, zu Add. 9399. Demnach ziehen also drei Handschriften (KenMs 93; 150; 220) sowohl Ps 116 und 117 als auch Ps 117 und 118 zusammen. 54 KenMs 74; 97; 99; 133; 173. 55 Beispielsweise im Codex Aleppo werden Akrosticha nicht konsequent akrostichisch geschrieben, Ps 119 bildet hier eine Ausnahme (s. o. Seite 8f. Anm. 17). 56 Bemerkenswert ist weiterhin, daß die 22 verschiedenen Strophen zu 8 Versen von Ps 119 in sehr vielen Handschriften, u. a. dem Codex Aleppo, jeweils wie ein neuer Psalm geschrieben sind. In wenigen Handschriften werden diese einzelnen Strophen von Ps 119 sogar als jeweils ein Psalm gezählt, so z. B. Or 4227 (Deutschland, um 1300, GINSBURG, aaO. 725). Diese Handschrift zieht zusätzlich noch Ps 42f. und 53f. zusammen. Durch Teilung von Ps 118 (v. 1-25. 26-29) entstehen in dieser Handschrift 170 Psalmen. GINSBURG, aaO. 536f., beschreibt außerdem noch eine völlig ausgefallene Handschrift (Add.9939, Deutschland um 1250), die Ps 119 in acht Psalmen unterteilt und dabei selbst die Strophen mit gle~~hem Buchstabenanfang unterbricht. Da die Handschrift neben verschiedenen Varianten im Agyptischen Hallel ganze Psalmen ausläßt bzw. zusammenzieht (Ps 57; 128f.) und teilt (Ps 78; 118 nach v. 24), sowie Ps 151 überliefert, ist der textgeschichtliche Wert dieser Handschrift sicherlich gering einzuschätzen. 57 Add.9399 (nach GINSBURG, aaO. 537) und KenMs 173. 58 KenMs 74; 97; 133. Bei WILSON, Editing 134, ist KenMs 245 irrtümlicherweise aus der Spalte zu Ps 144/145 in die Spalte von Ps 134/135 geraten. 59 Eine Ausnahme bildet wieder einmal KenMs 173, die Ps 135 und 136 zusammenfaßt. 51
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dem ist Ps 136 als das Große Hallel 60 ein Text mit einer selbständigen, profilierten Wirkungsgeschichte. Letzter Fall von in der Handschriftentradition zusammengezogenen Psalmen ist Psalm 144/145. 61 Beides sind Davidpsalmen und gehören - nach unserer noch auszuführenden Interpretation - zur Einleitung des kleinen Halleis Ps 146ff. 62 Das Zusammenziehen beider Psalmen ist angesichts der wenigen Handschriften, die diese belegen, sicher sekundär. Beachtlich ist, daß die Probleme mit der Psalmabgrenzung zu einem hohen Teil in immer denselben Handschriften auftreten, die zudem aufgrund offensichtlicher Schreibfehler nicht zu den qualitativ hochwertigen Textzeugen gehören. 63 Da diese Handschriften durchweg spät sind und teilweise der christlichen polyglotten Textüberlieferung angehören,64 bezeugen sie die Lesepraxis der Psalmen als Kontinuatext beispielsweise im Mönchtum zur Zeit der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Textes, 65 nicht aber eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit von zwei Psalmen als ein Psalm.
Insgesamt gibt es nur in wenigen Fällen wie bei Ps 1/2,9/10,32/33,42/43 oder 114/115 Gründe dafür, eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit zweier Psalmen ernsthaft zu erwägen. In keinem Fall fanden wir jedoch zwingende Gründe für eine Annahme der ursprünglichen Zusammengehörigkeit zweier Psalmen als ein Psalm. Oft sind in den hebräischen Handschriften die Psalmabgrenzungen dort fraglich, wo keine Psalmüberschriften stehen. In wesentlich weniger ~ällen entstehen die Probleme mit der Psalmabgrenzung trotz eindeutiger Uberschrift in der Textüberlieferung. 66 In solchen Fällen gehören diese Psalmen aber mit einer Ausnahme zur selben durch das Überschriftensystem konstituierten Psalmgruppe.67 Bemerkenswert ist jedoch weniger, daß gelegentlich ein Psalm, der nur durch eine Petucha bzw. Setuma vom folgenden Psalm abgegrenzt ist, als Psalm seine Selbständigkeit verliert, sondern daß er umgekehrt seine Selbständigkeit in den meisten Handschriften trotz der fehlenden Überschrift behält. Die Einteilung des Psalters in Psalmen scheint damit Dazu unten S. 32f. KenMs 141; 245 (Ms 245 fehlt bei WILSON, Editing 134). 62 Dazu unten 11.3.3. 63 Vgl. Z. B. KenMs 74; 97; 133; 173. 64 Soz.B. KenMs36; 38; 73; 74; 97. .65 Vgl. aus der Benediktregel die Regel 17. In dieser Regel findet sich auch eine Anleitung, wie entsprechend der Kontinualesung des Psalters die Psalmgrenzen nach Bedarf neu ziehbar sind. Diese Lesepraxis macht den Psalter im griechischen Sprachbereich zum häufigst überlieferten Text (dazu RALPHS, in: Septuaginta 10. 6Off.). 66 Theoretisch mögliche Psalmenverbindungen wegen fehlender Überschrift beim zweiten Psalm: Ps 1/2, 9/10, 32/33, 42/43, 70/71, 90/91, 92/93, 93/94, 94/95, 95/96, 96/97, 98/99, 106/107, 114/~~5, 118/119, 134/135. Nur bei Ps 47/48, 71/72, 73/74, 97/98, 144/145 gibt es trotz vorhandener Uberschrift Unterschiede bei der Psalmabgrenzung. In den restlichen Fällen (Ps 1031104, 106/107, 115/116, 116/117, 117/118) haben wir in der Textüberlieferung wie eine Überschrift als Halbzeile geschriebene Wendungen wie ;";" lllt 'tI1!ll '::l,:J oder ;""',;,. 67 Ps 47/48 sind beides Korachpsalmen, Ps 73/74 sind Asaphpsalmen, Ps 97/98 sind Psalmen ohne Personenüberschrift, Ps 144/145 sind beides Davidpsalmen. Lediglich Ps 71/72 fallen als überschriftsloser bzw. als Salomopsalm aus dem Rahmen. 60 61
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
1. Der Psalm als Parasehe des Psalters
Teil der Gestaltung des Buches in der ältesten erhaltenen Überlieferung ~u sein und sich damit von der übrigen Textüberlieferung der Hebräischen Bibel zu unterscheiden. 68
henden Psalm kenntlich. 75 Die Tradition der 150 Psalmen ist jedoch keineswegs die einzige, was angesichts der in den Handschriften immer wieder differierenden Abtrennung von Psalmen nicht verwundert. Beispielsweise der palästinische Talmud gibt die Zahl von 147 Psalmen an, die eine feste Zahl mit besonderer Symbolik ist. 76 Masoretische Codices wie Brescia (1494) und Neapel (1491-94), eventuell auch der Codex Aleppo,77 teilen den Psalter in 149 Psalmen. Weit größere Zahlen entstehen durch die Zählung von Ps 119 als mehrere Psalmen. 78 Von hierher ergibt sich eine Stellungnahme zu der wohl bekanntesten These zur Komposition des Psalters, die mit dem Namen A. Arens verknüpft ist, der die alte These, der Psalter sei eine Sammlung von Psalmen zur Begleitung der zyklischen Pentateuchlesung, aufgriff. 79 Positiv an dieser These ist einzuschätzen, daß hier die durch die Voranstellung des Torapsalms Ps 1 und die Einteilung des Psalters in fünf Bücher erfolgte Perspektive des Psalters auf den Pentateuch als Ansatz der Auslegung gewählt wird. Problematisch wird jedoch die direkte Identifikation des Psalters als eine Sammlung von Segenssprüchen zur Pentateuchvorlesung nach dem dreijährigen Zyklus, wie sie Arens nahelegt. 8o Diese These ist zudem fragwürdig, weil die sich bei Arens ergebenden 148 Segenssprüche 81 bereits zahlenmäßig nicht mit 150 Psalmen zusammen-
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Dies bestätigt auch die Gegenprobe weitgehend. Die Psalmen werden in der Handschriftenüberlieferung nicht nur mit Psalmen der textlichen Umgebung zusammengezogen, sondern erscheinen in se~~ener~n Fällen auch.weiter unte~teilt. Beispi~~e dieser Art finden sich insbesondere im AgyptIschen und kiemen Halle! m Psalm 116 und Psalm 14770, die in der Septuaginta gegenüber dem masoretischen Text geteilt ~erden. Inn:rhalb des Ägyptischen Halle!s können wir in den hebräischen Handschnften auch em: Teilung von Psalm 11571 und Psalm 11872 feststellen. Eine d~r in de~ späteren mas?re~l schen Handschriften befindlichen Teilungen von Ps 118 fmdet Sich auch bereits m 11QPs.: so stehen die Verse 25-29 eventuell als Einzelpsalm in 11QPs· frag. E col. 1. 73 74 Völlig singulär ist wohl eine Teilung von Psalm 78.
Für die Komposition des Psalters haben wir damit von den Einzelpsalmen als Ausgangsgröße auszugehen. Für die Septuaginta ist die Zahl der Psalm~n bereits eine feste Größe gewesen, die mit der Untergliederung des Psalters m Einzelpsalmen feststand, denn die Septuaginta macht den auch aus anderen Quellen bekannten Ps 151 ausdfücklich als einen außerhalb der Zählung ste-
68 Der Nachweisversuch beispielsweise von Oesch, Setuma, die konkreten Paraschen des Jesajabuches zu ermitteln, ist, so das Ergebnis des Buches, nicht gelungen. 69 Teilung vor v.11: KenMs 222; Teilung vor v.12: KenMs 30; 76; 133; 142; 150; 156; 157; 245; FlosMs 34; 244; 379; 380; 412;551; 572;595;628; 632;847; 864 ; 874; außerdemi\dd. 9399 (nach GINSBURG, aaO. 536). . ' 70 Ps 147 ist einer der wenigen hier genannten Psalmen, dessen Teilung auch formgeschIchtlich diskutabel ist (dazu unten 1.3.2). 71 KenMs 76; 97; 133; 150; 156; 264; FlosMs 34; 37; 215; 244; 270; 275; 328; 412; 551; 572; 595; 640; 644; 645; 847 teilen Ps 115 vorv.12, dgl. i\dd.9399 (GINSBURG, aaO. 536). 72 v. 5: KenMs 82; 150; 156; 157; 178; 198; 208; 245; 318; 499; FlosMs 31; 34; 38; 187; 287; 350;368;369; 380; 551;554; 572; 593; 595; 612; 628; 645; 732; 782; 801; 846;847; 874;879; außerdem i\dd 9399 und Vienna Nr. 4 (letztere nach GINSBURG, aaO. 536 bzw. 777). v. 25: KenMs 148; 157; 178; 245 (sic!); 251; 260; FlosMs 2; 37; 270; 275; 368; 510; 609; 645; 829; außerdem i\dd 9399 (nach GINSBURG, aaO. 537). v. 26: KenMs 150; 153; 156; 198; 245 (sic!); FlosMs 34; 270; 287; 368; 595; außerdem Or 4227 (nach GINSBURG, aaO. 725). Wie z. B. die angeblich doppelte Trennung am Schluß :on Ps ~18 in KenMs 245 (Deutschland, 1290 geschrieben, 1292 punktiert) zu verstehen Ist, bleibt rätselhaft. 73 Der Text an dieser Stelle ist nur als Fragment erhalten, vgl. Y ADIN, Textus 5, 1-10. Das ;" '77;' "on C7'117 ':J ;";"7 m;, in dem i\bschnitt der Hauptrolle vor Ps 145 (col.xi) muß nicht aus Ps 118,29 sein, da insgesamt nur 3 Verse aus Ps 118 (Fleihenfolge: v. 15f..8) sicher identifiziert werden können (gegen SANDERS, DJD 4, 37 u.ö.). Bis auf das;" ''';', das auch am Schluß von Ps 118 im masoretischen Text nicht erscheint, ist der Vers zu geläufig (Ps 106,1; 107,1; 118,1.29; 136,1), um ihn in dem in 11QPs' völlig zerlegten Ps 118 zwingend dem Schlu~ zuzuordnen. Beachtlich ist, daß die Probleme mit der Einteilung von Ps 118 an den Stellen nJlt Stimmungswechsel auftreten, dazu unten 1.3.4.2. 74 Vor v. 38: KenMs 76; 82; 178. Vgl. auch GINSBURG, aaO. 536, zu i\dd 9399. Es gibt auch weitere Beispiele dieser i\rt: so wird Ps 90 nach v. 16 von den Handschriften KenMs 36; 43; 80; 245; 249; 680; FlosMs 38; 403; 441; 536; 572; 632; 645; 865; 919 geteilt bzw. abgeschlossen.
75 LXX Ps 151,1: Oii'tO~ 6 'ljJaA!!O~ LÖLoYQa<jJo~ cL~ ~aULÖ xai E~w8EV 'tOU aQL8!!ou .. : ("Dieser Psalm wird David zugeschrieben außerhalb der Zahl ... "). Zu Psalm 151 siehe auch unten III.3.1. Die Septuaginta stellt diesen Psalm also deutlich außerhalb der 150 Psalmen auch die Überschrift ist nicht ein einfaches T0 ~auLö, sondern ein distanzvennittelnde; i\usdruck. Mit beiden Einleitungen überliefert die Septuaginta diesen Psalm gewissermaßen als deuterokanonischen innerhalb des Psalters. Zu Ps 151 vgl.: FABRY, FS Groß 45-67, und unten III.3.2.1. Zu hebräischen Handschriften, die 151 Psalmen zählen, siehe SARNA, EJ 13, 1303-1322, hier 1306. 76 jShab 16,1, 15c; vgl. bBer 9b.lOa; Sof 16,11; MShir zu Ps22,4 (22,19; 104,2). Nach dieser Tradition ist die Zahl 147 eine i\nalogie zu der Zahl der Lebensjahre Jakobs. Zudem hat 147 den Zahlenwert 3 x 7 x 7. Die Tradition von 147 Psalmen gibt es auch in Handschriften, so erzielt beispielsweise der Codex Vienna 4 147 Psalmen durch Zusammenziehen von Ps9f.; 70f. und 114f. (GINSBURG, aaO. 777). 77 Der Codex i\leppo zieht Ps 115 zu Ps 114, ohne wie die Septuaginta die Zahlendifferenz durch die Teilung von Ps 116 auszugleichen. Wegen der unvollständigen Erhaltung des Codex i\leppo bleibt die Zahl der Psalmen jedoch nur eine Vermutung. Zur i\btrennung von Ps 114 und 115 vgl. auch WILSON, Editing 179f. 78 Vgl. dazu oben i\nm. 56. 79 i\RENS, Psalmen, auch bereits in: ders., in: Le Psautier, 107-132. i\rens These ist im Kern keineswegs neu, vgl. BücHLER, JQFl5, 420-468; KING JTS 5 203-213' DAHsE Flätsel' SNAITH, Zi\W 10,302-307; GUILDING, JTS 3, 41-55. Wei~ere Li~eratur bei WILSO~ Jsm
~
,
80 Beispielsweise das Problem, ob der sogenannte dreijährige Lesezyklus nicht ein 3 1/2 jähriger Zyklus war, wird von i\RENS nicht ernsthaft erwogen . .81 ELBOGEN, Gottesdienst, 160.162, nennt 153 bzw. 154 (verschiedene Schlußmasora); 155 (em ungenannter Midrasch); 167 (Schlußmasora des Codex Leningradensis nach Dtn 34) und 175 (nach Sof 16,10) Leseabschnitte der Tora nach dem dreijährigen Zyklus als belegbare Zahlen.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
paßten. 82 Der Ansatz ist zudem ~uch als yer~tehensmodell zum Psalter un~e eignet, solange nicht mehr über dIe Leseemtellung des Pentateuch ~ekannt.lst, sondern weitgehend Unbekanntes mit zu Interpretierendem verglIchen WIrd. Andererseits ist auch die Unterteilung des Psalters in 150 Einzelpsalmen von der Textüberlieferung her keineswegs völlig eindeutig. Die gesamte Kon~t.ruk tion von Arens hat eine ganze Reihe von Schwächen: Neben der oft unkn~lsch unhistorischen Sicht der Texte 83 ist dies insbesondere die Allegorese, mIt der Arens Verbindungen zwischen den Rahmentexten des Pent~teuch und der Psalmbücher herstellt. Ärgerlich ist hierbei besonders, daß dIe vorgegebene Einteilung des Psalters in Bücher im Fall des fünften Psalmbuches. entgegen seiner Vorgabe, die vorliegenden Einteilungen erklären zu wol~en,.~l~ht ern~t genommen wird. Arens Arbeit hinterläßt also einen sehr zWIespaltlgen Em-
Die Frage, auf welcher historischen Ebene wir den Psalter als Textzusammenhang beschreiben können, stellen wir vorerst zurück. Sie wird uns im dritten Hauptteil dieser Arbeit ausführlich beschäftigen. Dort werden wir auch die Frage nach literarischen Vorstufen und Teilpsaltern behandeln. Betrachten wir zunächst exegetische Ansätze, die das Verhältnis von literarisch benachbarten Psalmen beschreiben.
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druck. Noch einen weiteren Ertrag nehmen wir aus der Betrachtung der Handschriften mit: Die überschriftslosen Psalmen waren wegen des fehlenden unterstützenden Texttrenners der Überschrift häufige Problemfälle bei der Psalmtrennung. Diese Psalmen sind bereits von Wilson teilweise als e~itorisc~ wichtige Psalmen erkannt worden. 84 Wilson meint an diesem Punkt dlf~erenzler.~n zu müssen: er zieht die überschriftslosen Psalmen der ersten dreI Psalm~ucher jeweils zum vorhergehenden Psalm und weist diesen keine text~bergrelfende Funktion zu. 85 Ob diese Unterscheidung zwischen den überschnftslosen Psalmen der ersten drei Psalmbücher und denen der letzten beiden Psalmbüc~er hilfreich und notwendig ist, wird im Fortgang unserer Analyse zu fr~gen sem. Von der textkritischen Betrachtung der Psalmgrenzen her gehen WIr von der Selbständigkeit auch der überschriftslosen Psalmen der ersten drei Psalmbücher aus. In Umkehrung der Fragestellung von Wilson werden deswegen auch diese Psalmen besonders auf ihren Kontext- und Kompositionsbezug zu befragen sein. 86 82 So TRIEL, JLH25, 55-69, hier 64. Zur allgemeinen Kritik vgl. auc~ KRAUS 13f., dort ~er Hinweis auf die wichtige Dissertation von NIEMEYER, Problem, der diese Vorstellungen Im Detail bereits vor der Untersuchung von ARENs widerlegt hatte. . 83 TRIEL, aaO., führt hier eine ganze Reihe von Beispielen an. Bei~pielsweise ~ekons~rU1ert Arens den israelitischen Gottesdienst bis in vorsinaitische Zeit (!), mdem er mcht ZWischen erzählter Zeit und Zeit des Erzählers unterscheidet. 84 Diese These von WILSON wird im dritten Hauptteil der Arbeit noch eingehend untersucht werden. 85 WILSON, aaO. 173ff. Ein älterer Ansatz dieser Art, der überschriftslose Psalmen zu~ vorhergehenden Psalm zieht, findet sich z. B. bei Hilearius, vgl. DEISSLER, Psal~ 119, 42. Mit dem Modell von Zwillingspsalmen werden wir eine Methode kenn~nl~rnen, die d~n Aspekt der offensichtlichen Psalmtrennung mit dem der bewußten Kombmahon von zwei Psalmen vermittelt. Siehe dazu unten 1.2.1. 86 Zu Ps H. s. u. 11.3.2.1 und 3.2.2, zu Ps 9f. s. u. 11.3.2.2, zu Ps 32f. s. u. 11.3.2.4 und zu Ps70f. s.u. 11.3.1.3. Zu Ps 114f. lassen sich vergleichbare kompositorische Beobachtungen nicht machen hier scheint das Problem der Psalmtrennung eher eine Folge einer liturgischen Varianz zu sein (dazu unten S. 30-32). Vgl. außerdem Kap. 111. passim.
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen 2.1 Zwillingspsalmen K. Seybold notiert die gegenwärtig forschungsgeschichtlich besondere Bedeutung der kontextuellen Psalmenauslegung, wenn er in einer Rezension schreibt: "Es entspricht einem Trend der Psalmenforschung der letzten Jahre, nach gewachsenen Einheiten zu fragen und deren Gemeinsamkeiten nach Herkunft und Gestaltung zu untersuchen. Dies geschieht offenbar in der Erkenntnis, daß der Zwischenraum zwischen den individuellen Texten und ihrer Entstehung und dem mehr oder weniger im Dunkeln liegende Abschluß des Gesamtpsalters durch die Gattungsforschung mit ihren idealtypischen Modellen nicht zureichend abgedeckt werden kann. Die Sammlungen oder Einzelpsalter werden Gegenstand von Spezial untersuchungen. ,,87
Als solche Teilsammlungen werden in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion vor allem die durch die Überschriften konstituierten Psalmgruppen angesprochen. Doch beginnen wir mit der kleinsten möglichen Gruppe von Psalmen, der Kombination von zwei Psalmen und stellen die durch Überschriften ausgewiesenen, größeren Psalmgruppen zurück. Zwei gleichartige Psalmen, die in Reihe zusammenstehen, werden in Anschluß an W. Zimmerli als Zwillingspsalmen bezeichnet. 88 Zimmerli gibt in seinem kurzen Aufsatz zwei Beispiele für solche Zusammenstellungen von zwei Psalmen: die akrostichischen Weisheitspsalmen Ps 111 und 112 und die Geschichtspsalmen 105 und 106. Zimmerli weist ausführlich nach, wie beide Psalmen jeweils in einer Doppelaussage Ähnliches unter anderem Aspekt entfalten: Ps 105 bietet beispielsweise die Geschichte Israels unter dem Aspekt der Heilsgeschichte, während Ps 106 fast denselben Bereich der Geschichte Israels unter dem Aspekt des Abfalls Israels wiederholt. Beide Psalmen umspielen das Thema der Tora: Ps 105 erzählt Geschichte, soweit sie im Pentateuch steht, und endet mit dem Hinweis, daß der Landbesitz Israel von Gott geschenkt sei, damit es seine "Satzungen und Weisungen" ("~"'in~ "i?tI, v.45) halte. Ps 106 beurteilt die 87
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SEYBOLD, ThLZ 115, 102-103, hier 102. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen 105-113.
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Geschichte Israels unter dem Aspekt des "Glücklich sind die, die das Recht bewahren und ist der, der alle Zeit Gerechtigkeit tut" .89 Ps 106 nimmt also die Tora als Maßstab für die Beurteilung von Geschichte. 90 Ähnlich eng berühren sich Ps 103 und 104 mit der gleichen Über- bzw. Unterschrift ;,,;,'-n~ 'W~l ':;l':)~ ("Lobe Jhwh, meine Seele!") und verschiedenen Stichwort- und Motivbezügen, insbesondere zwischen Ps 103,19-22 und Ps 104,la und ~em Schluß vo~ Ps 104 und Ps 103. 91 Ein weiteres Beispiel für einen Parallehsmus von zwei Psalmen sind Ps 127 und 128: Beides sind Weisheitspsalmen, die inhaltlich sehr gut zusammenpassen. 92 Formal endet Ps 127 mit einer Glücklich-Preisung (''J~15, v. 5) und Ps 128 beginnt mit einer solchen (v. 1). Bis h~n z~r~erss~ruk~ur stimmen beide Psalmen überein: Beide Psalmen lassen sich m JeweIls vier Zeilen untergliedern,93 die thematisch abgrenzbar sind. Diese Zwillingspsalmen sind also sogar in sich gedoppelt. 94 Doch gibt es nicht nur Verbindungen zwischen den beiden Hälften innerhalb der Einzelpsalmen, 95 sondern auch beispielsweise zwischen den beiden Schlußhälften der Zwillingspsalmen untereinander, die über das Thema der Kinder als Zeichen von umfassendem Segen verbunden sind. Unlängst hat auch E. Zenger die Beobachtungen von Zimmerli aufgenommen. 96 Zenger verweist auf weitere Beispiele für Zwillingspsalmen wie Ps 20 und 21 sowie Ps 135 und 136. Mit diesem Phänomen der Parallelanordnung zweier Psalmen wiederholt sich im Großkontext des Psalters etwas, das auch im Kleinkontext der Versebene poetischer Texte bekannt ist: der parallelismus membrorum. Exegeten unterscheiden seit R. Lowth 97 gemäß dem inhaltlich-logischen Verhältnis des Ausgesagten drei Arten von Parallelismen: den synthetischen, den antithetiPs 106,3: nl1-"~~ :1i?7'.\' :1wY ,,~t;i7;l ''J?;lW ''Jt;i~. Zur Umspielung von Motiven der Tora im vierten Psalmbuch vgl. bes. ZENGER, FS Ehrlich 236-254, und unten II.3.4 und IIL3.3.4. 91 Mit ZENGER, Morgenröte 36. Ob nun Ps 103,22 und 104,1.35 redaktionell sind (so Zenger, aaO. 201) und damit ein literarkritisch ursprünglicher Psalm rekonstruierbar ist, bleibt ungewiß, desgleichen der beachtliche Versuch von SEYBOLD, ThZ 40, 1-11, Ps 104,31-35 für von Ps 103 abhängige Redaktionsarbeit zu halten. KOCH, FS Amirtham 64-69, hat demgegenüber diesen Ansatz erweitert, indem er Ps 103,19-22; 104,1 a.33- 35 und 105,1.45 für redaktionell hält. Hier tendiert, wie so oft, der Versuch, Beziehungen speziell zwischen zwei Psalmen nachweisen zu wollen, zu einer Verkettung weiterer Psalmen. Da jedoch Ps 105 und 106 als Geschichtspsalmen mit unterschiedlichem Akzent sehr deutliche Verbindungen aufweisen, sind Ps 103-106 als zwei miteinander verbundene Paare von Zwillingspsalmen zu verstehen. 92 So bereits ZIMMERLI, Zwillingspsalmen 263, und unlängst WESTERMANN, Wurzeln 119. 93 Ps 127,lf.. 3-5; 128,1-3.4-6. Vgl. BHS z. St. 94 Vgl. zu Ps 127 unter diesem Aspekt besonders die Auslegung von KEEL, FS Füglister 155-163. 95 V gl. zur Verbindung zwischen der ersten und zweiten Hälfte von Ps 127 das Wortspiel n':J :1l:J (ein Haus, den Tempel, bauen bzw. eine Dynastie gründen) in 2Sam 7. 96 Z. B. ZENGER, FS Füglister 397-413. 97 LoWTH, Praelectiones, vgl. auch die übersetzte Neuausgabe: ders., Lectures. Zu Lowth vgl. z.B. BLEEK, Einleitung 444, und BERLIN, Dynamics 1ft. 89
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2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
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schen und den explikativen Parallelismus. 98 Wenn wir nun alle drei Arten von Parallelismen mit der Darstellung von Zwillingspsalmen bei Zimmerli und Zenger vergleichen, bieten sie Beispiele für den synthetischen und den antithetischen, nicht aber für den explikativen Parallelismus. Dabei lassen s~ch bereits d~e beiden ersten Psalmen als Beispiel für einen solchen explikatIven Parallehsmus verstehen: Ps2 spezifiziert den Gerechten von Ps 1 auf den ~önig ~nd die Frevler von Psalm 1 auf die feindlichen Könige, dem entspncht dI~ Ansage von Heil für den Gerechten bzw. den König. Da Ps 1 und 2 auch m der Textüberlieferung gelegentlich als ein Psalm verstanden wurden, sehen wir, wie hier unsere Interpretation mit der in der antiken Textüberlieferungsgeschichte möglichen Tradition konvergiert. 99 . ~ie ertr~greich die Betrachtung von Zwillingspsalmen ist, sei noch an emlgen weIteren Beispielen erläutert. In Ps 51 werden gern die letzten beiden Verse als Ergänzung abgetrennt. 100 Die bedingt positive Stellung dieser Verse zum Opfer passe nicht zur schroffen Opferkritik in v. 18. 101 Im Kontext ~on Ps 51 fällt auf, daß nur Ps 50 das Thema Opfer überhaupt entfaltet. ~a dIe Hal~ung hier positiver als in der harten Kritik Ps 51,18 ist, läßt sich dIe vennuthche Ergänzung Ps 51,20f. am besten auf dem Hintergrund der Anfügung d~s einzelnen Asaphpsalms Ps 50 vor den ersten Psalm der beginnenden Davldsammlung Ps51 verstehen. Obwohl wir hier die historische Ein?rdnung dieses Themas einer systematischen Behandlung aller Opferstellen 1m Psalter vorbehal~en wollen, 102 läßt sich doch bereits soviel sagen, daß Ps 50 und Ps 51 thematIsch sehr eng zusammengehören und im Kontext des Phänomens der Zwillingspsalmen zu verstehen sind. 103 Auch Ps 90 und 91 haben einige weisheitliche Grundelemente gemeinsam: So nimmt Ps 91 aus Ps 90 das Motiv Gottes als Zu[luchtstätte (1i17~, Ps 91,9) auf, obwohl Ps 91 das synonyme Wort ;'9J;1~ bevorzugt. 104 Auch am Schluß nimmt Ps 91 das Grundmotiv von Ps 90, das lange Leben und das Schauen des Eingreifens Gottes (Ps 90,16), auf. Allerdings ist auch Ps 92 motivisch eng mit Ps 90f. verwandt. 105 Aber nicht zuletzt durch seine Überschrift n!lW:J ci', ,,'w .,i1:JT1:J (S.abbatlied) ist Ps 92 deutlicher von Ps 90f. getrennt als Ps 91 v~n Ps 90. 1'06 DIe Betrachtungsweise von ~salmen als Zwillingspsalmen ist also nicht völlig trennbar von dem allgememeren Fall der Beziehung zwischen mehreren T
98 Der sogenannte klimaktische Parallelismus, der eine steigernde Kette von wiederaufgenommenen Aussagen bezeichnet, entspricht logisch meist dem synthetischen Parallelismus. Vgl. als .ne~ere I?arstellung auch WILLIS, in: Directions 49-76. Andere Unterscheidungen hat beispielsweise PARDEE, Parallelism. 99 S.o. LI. 100 So z. B. KRAus 542. Dazu unten III.1.2.3. 101 KRAus 548. 102 S. u. m.1.2.1, 1.2.3 und 1.3.1 sowie IIL3.3.1. 103 Vgl. ZENGER, Morgenröte 292. 104 Vgl. zu beiden Wörtern die Einzelstudie von HUGGER, Gott. 105 So betont zuerst REINDL, VT.S 32, 333-356 hier 350-354 106 D , . er Kontext dieser Psalmen ist auch noch weiter faßbar, vgl. dazu z.B. 11.3.4.
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2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Psalmen in einem zusammenhängenden Text, wie wir es im folgenden Kapitel erörtern werden. Auch am Beispiel von Ps 90 und 91 sehen wir, wie exegetische Beobachtungen von Zwillingspsalmen mit den Problemen der Abgrenzung von Psalmen in den Handschriften zusammenfallen können. 107 Diese in der Textüberlieferung erfolgten Vereinigungen von Psalmen sind also wenigstens teilweise als Zeugen einer exegetischen Tätigkeit verstehbar, die bestehende Verbindungen zwischen zwei literarisch zusammenstehenden Psalmen zu einer Neuabgrenzung benutzt. Das Problem des Zusammenziehens von Psalmen in der Textüberlieferung und unser Verständnis von Zwillingspsalmen decken sich aber keineswegs in allen Fällen: es gibt Zwillingspsalmen, die in der Textüberlieferung nicht als ein Psalm verstanden wurden,108 und umgekehrt gibt es in der Textüberlieferung zusammengeschriebene Psalmen, die nicht als Zwillingspsalmen verstehbar sind. Gleichwohl kann die Bedeutung dieses von Zimmerli erkannten Phänomens insgesamt also kaum überschätzt werden, weil mit dem Ansatz von Zimmerli methodisch differenziert eine Verbindung von zwei Psalmen beschreibbar wird, die gegenüber ihrem Kontext charakteristisch verschieden sind. Von der Formgeschichte der Einzelpsalmen her fällt auf, daß insbesondere zwei Gattungen als Zwillingspsalmen greifbar sind: Weisheitspsalmen und die sogenannten Geschichtspsalmen 109. Bei den sogenannten Geschichtspsalmen sind sogar bis auf Ps 78 alle Psalmen zu den Zwillingspsalmen zu rechnen. Ps 78 hat nun innerhalb des Psalms selbst Doppelungen. So wird beispielsweise vom Exodus zweimal berichtet: zuerst am Anfang des Geschichtsrückblicks (v. 12), der als Erinnerung der Väter gegenüber den Kindern motiviert ist (v. Sf.), und dann als Rückblick auf die Taten Gottes, die die Vätergeneration in der Wüste vergessen hat (v. 42ff.). Innerhalb eines Geschichtspsalms ist damit die in die Grundmotivik integrierte Doppelung von Ps 78 110 gegeben: Geschichte ist Erinnerung der Kinder an die Erlebnisse der Eltern. Wichtiges muß zweimal gesagt werden. Diese Sonderstellung von Ps 78 ist um so bemerkenswerter, als Ps 78 nach masoretischer Zählung die Mitte des Psalters ist. 111
2.2 Reihenbildung von Psalmen an Beispielen aus dem ersten Psalmbuch
107 Siehe oben 1.1. In diese Richtung kann auch ein Verstehensansatz zu Ps9f. und 42f. erfolgen. 108 Beispielsweise Ps 127 und 128. 109 Nach KÜHLEWEIN , Geschichte 85, hat LAUHA (Geschichtsmotive 128) diese Gattungsbezeichnung begründet. GUNKEL rechnete diese Psalmen den Legenden (Einleitung § 8,5) bzw. der Weisheitsdichtung (§ 10) zu. 110 Es ist deshalb sachgemäß, nicht an eine literarkritische Zweiteilung von Ps 78 zu denken. Auch innerhalb der Handschriftenüberlieferung teilt m. W. nach nur eine einzige Handschrift, Add. 9399 (London British Library, Deutschland 1250, nach GINSBURG, aaO. 536) Ps 78 in zwei Teile (v. 1-37; 38-72). 111 Vgl. die Masora z. St. Nach den Masoreten ist Ps 78,36 die Mitte des Psalters, während in der rabbinischen Tradition als Mitte Ps78,34 (bKid 30a) angegeben wird. Doch kann die rabbinische Tradition spezielle theologische Gründe haben: in diesem Vers steht wie im mittleren Vers der Tora die WurzellZh, (Lev 10,16, dazu MILLARD, Gebote 6f.). Insgesamt erscheinen im Umfeld von v.34-36 etliche Begriffe, die theologische Zentralbegriffe der
F. Delitzsch war wohl der erste historisch-kritische Exeget, der im Psalter "den Stempel Eines ordnenden Geistes" 112 entdeckte. Delitzsch vertrat die These, daß die Psalmen nicht nur mit formalen Stichwortverbindungen, sondern "mit gleichen Hauptgedanken"113 aneinandergefügt seien. Die von ihm beschriebene "Verkettung" versucht er im gesamten Psalter nachzuweisen. ehr. Barth resümiert die Wirkungsgeschichte von Delitzsch lapidar: "Man kann nicht sagen, daß diese These in der Forschung viel Anklang gefunden hätte. "114 Barth selbst kann zwar eine durchgehende Stichwortverknüpfung, nicht aber einen durchgehenden Themenzusammenhang innerhalb der Psalmen im ersten Psalmbuch feststellen. Obwohl die in diesem Abschnitt vorgestellten Methoden der Verkettung von Psalmen sich auch in anderen Bereichen des Psalters anwenden lassen,115 belassen wir es hier an Beispielen aus dem ersten Psalmbuch, weil diese Methode in diesem so schwer zugänglichen Textbereich besonders häufig angewendet wird. Bemerkenswert ist bereits für Barth die relativ wenig verbundene Anordnung der Hymnen (Ps 8; 19; 33) im ersten Psalmbuch. Barth denkt sich die Arbeit des Sammlers dieser Psalmen als eine "Nachgestaltung"116 der Texte, was seine Forderung einer ,,,kontextmäßigen' Psalmenerklärung"117 als Aufforderung zur Redaktionskritik am Psalter präzisiert. Barth ist damit der erste innerhalb einer ganzen Reihe von neueren Psalmenexegeten, die den Psalter redaktionsgeschichtlich untersuchen. 118 Heute ist das Programm von Delitzsch und Barth, Stichwortverbindungen zwischen einzelnen Psalmen zu suchen, erheblich geläufiger, als es in der Mitte Hebräischen Bibel sind: so findet sich in v.35 1::1T, was in Gen 8,1 Zentralbegriff der Noahgeschichte ist (dazu GUNKEL, Genesis 145; VON RAD, Genesis 96; SCHOTIROFF, Gedenken 186; WENHAM, VT 28,336-348, hier 340f.; RADDAY, in: Chiasmus, 50-117, hier 99; MILLARD, Gebote 44f.; vgl. auch BLUM, Studien 284). In Ps 78 stehen v. 36 mit "!tl und v. 38 mit 1!l::l Pi ebenfalls theologisch gesättigte Begriffe. Wir werden auf die Zwillingspsalmen noch im Kontext der Betrachtung der Rahmen- und Mittelstücke der Psalmengruppen zurückkommen, dazu zusammenfassend H.4.2. 112 DELITZSCH e1867) 14 (der Kommentar von Delitzsch weist innerhalb der verschiedenen Auflagen große Unterschiede auf, diese Auflage ist zitiert nach BARTH, FS Rapp 30-40, hier S. 30 Anm. 2). 113 AaO.15. 114 BARTH, FS Rapp 30-40, hier 31. Beispielsweise aus der Fülle der Psalmkommentatoren kann Barth nur BERTHOLET und BÖHL eine eingeschränkt positive Aufnahme der These Delitzschs zusprechen. Vgl. jedoch auch die wenigen Hinweise bei ZIMMERLI, Zwillingspsalmen 262f. 115 Vgl. dazu z. B. BECKER, Wege 117, und SCHELLING, Asafpsalmen, aber auch GROSSBERG, Structures 48ff. (zu den Wallfahrtspsalmen Ps 120ff.). 116 BARTH, FS Rapp 38. 117 BARTH, FS Rapp 39. 118 Hier sind außer BARTH insbesondere die verschiedenen Arbeiten von KOCH, SEYBOLD und ZENGER zu nennen (siehe Literaturliste). ZENGER hat diesen Ansatz ausführlich reflektiert und als einziger der hier zu nennenden Autoren mit dem Ansatz einer kanonischen Exegese in Verbindung gebracht. Vgl. dazu bes.: ZENGER, Bibel und Liturgie 62, 10-20.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
der 70er Jahre war. 119 Einer der ersten, die ähnliche Ideen weiterverfolgten, war P. Auffret im Zusammenhang seiner Strukturanalysen von Psalmen. Mit dieser Methode nimmt Auffret gleichzeitig aber eine Sonderstellung unter den Exegeten ein, die diesem Verständnis des Psalters weiter nachgegangen sind. Auffret erleichert dem Leser nicht den Zugang zu seinen Analysen, weil das von ihm verfolgte Programm der Suche nach Stichwortverbindungen und Textstrukturen in aller Regel ohne erkennbaren Bezug zu historisch-kritischen Forschungsergebnissen anderer Exegeten praktiziert wird. 120 Auffret hat neben zahlreichen Arbeiten, die er der Struktur von Einzelpsalmen gewidmet hat, auch zwei Studien über den Zusammenhang von Psalmen verfaßt. 121 Während wir die eine Untersuchung Auffrets, die in der Anordnung von Ps 15-24 einen Großchiasmus herausarbeitet, im folgenden besprechen, fällt die zweite Untersuchung über die Wallfahrtspsalmen und ihren literarischen Anhang erst in das folgende Kapitel, das die Psalmgruppe mit einheitlicher Überschrift behandelt. Auffret arbeitet mittels einer Fülle von Stichwortverbindungen heraus, daß Ps 19 Zentrum einer Komposition ist, innerhalb derer er Ps 15 mit Ps24, Ps 16 mit Ps23, Ps 17 mit Ps22 und Ps 18 mit Ps 20 sowie 21 vergleicht. Für Leser, die Auffrets strukturalen Exegesestil nicht teilen, ist die Materialfülle, die er ausbreitet, eher verwirrend. Doch lassen sich die Beobachtungen, die Auffret macht, auch mit den Mitteln der klassischen Formgeschichte nachvollziehen: 122
(sogenannte ) Toreinzugsliturgie . . . . . . . . . . . . . . Ps 15 . . . . . . . . . . . . . Ps 24 Vertrauenspsalm des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . Ps 16 . . . . . . . . . . Ps23 Klagelied des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ps 17 . . . . . . . . Ps22 Königsdanklied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ps 18 . . . . . . Ps 20f. Schöpfungshymnusrrorapsalm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ps 19
119 Vgl. z.B. BRENNAN, BTB 10, 25-29; SCHREINER, in: Beiträge 241-277, LOHFINK, FS Füglister 189-204, hier 201ft., und ders., KuI 6,115-133, hier 120ft. 120 Die Kritik von SPIECKERMANN an den "Spanischen Stiefeln", mit denen einige Exegeten Psalmenexegese betrieben, (Heilsgegenwart 19) scheint nicht zuletzt auf Auftrets strukturale Analysen zu zielen. Doch stellt sich die Frage, ob die Ausgrenzung solcher neuen Methoden, wie sie Spieckermann - und er nicht allein - praktiziert, einer wissenschaftlichen Arbeit angemessen ist. M. E. entspricht es einer solchen methodischen Herausforderung eher, sic zu verstehen und zu integrieren zu versuchen, als sie mit pauschaler Polemik zu überziehen und praktisch zu ignorieren. 121 AUFFRET, Sagesse, dort S.407-438 eine Studie über Ps 15-24 und S.439-549 eine Studie über die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. und ihre Nachschrift. 122 Hierbei greifen wir auf die üblichen formgeschichtlichen Charakterisierungen der einzelnen Psalmen zurück, d. h. beschreiben Ps 15 und 24 als Einzugsliturgie ungeachtet des Problems, ob diese nun wirkliche oder literarisch nachgeahmte Gattungen sind, dazu unten S. 135f. (bes. Anm. 353 und 354) und S. 140ff. (II.3.2.5, bes. Anm. 382). Dergleichen bestimmen wir Ps23 als Vertrauenspsalm, obwohl gelegentlich Ps23 auch als Danklied aufgefaßt wird (so z.B. SCHOTTROFF, in: Traditionen 78-113, und MITTMANN, ZThK 77,1-23). Diese Interpretation hat bei einer Betrachtung des Gefüges von Ps22-24 ihr Recht, da Ps23 zwischen einem Klagepsalm mit Lobschluß und einer Toreinzugsliturgie steht (s. u. II.3.2.3). Doch vom Gesichtspunkt der Einzelpsalmauslegung ist die Einordnung von Ps 23 als Danklied sehr problematisch, es fehlt z.B. die für Danklieder typische Eröffnungsformel mit ;", Hi. Ps 23 ist wohl einer der vielen Psalmen, die nicht in die Schemata der klassischen Formgeschichte hineinpassen (dazu unten 1.3.1). Da die Wurzel ;'1' in Ps 23 nicht erscheint, wohl aber Vertrauensaussagen, liegt es insgesamt nahe, Ps23 als Vertrauenspsalm aufzufassen, wenn man überhaupt eine solche Gattung unterscheiden will (dazu unten 1.3.3). Auch die Gattungsbestimmung von Ps 18 ist schwierig, vgl. dazu unten 1.3.2.
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Der Ansatz von Auffret erscheint mir damit trotz aller methodischen Probleme, die beispielsweise die Verwendung auch von sehr allgemeinen Wörtern zur Herstellung der gesuchten Stichwortverbindungen bereitet, unterstützenswert. Die methodischen Probleme der Suche nach Stichwortverbindungen teilt Auffret mit vielen anderen Vertretern des hier zu besprechenden Erklärungsmodells des Psalters. Psalmensprache ist in einem sehr hohen Grad traditionell geprägte Sprache, so daß auch jede vom Exegeten selbstgemachte Zusammenstellung von Psalmen viele solcher Stichwortverbindungen aufweisen dürfte. Methodisch zugänglicher sind historisch-kritisch geschulten Exegeten die Ansätze der Forscher, die auch die historischen Ansätze in Barths Verkettungsmodell aufnehmen. E. Zenger hat in einem jüngst erschienenen Aufsatz Barths Ansatz verallgemeinert, indem er generell fordert: "Bei kanonischer Psalmenauslegung sind die Beziehungen eines Psalms zu seinen Nachbarpsalmen zu beobachten. "123 Zenger übernimmt Barths Fragestellung einschließlich der Methode, die Entstehung des Psalters mit redaktioneller Detailarbeit erklären zu wollen. 124 Neu führt er dabei den Begriff der "kompositionellen Einheit" 125 ein. Er hat zugleich den Ansatz von Auffret weitergeführt, indem er ihn in den Kontext seiner Analyse der kompositorischen Einheiten stellt. Nach Zenger sind die Ps3-14; 15-24; 25-34 und 42-49 jeweils um die Hymnen Ps 8; 19; 29; 46 herum chiastisch angeordnet. 126 Diese weiteren Beobachtungen von Zenger, die uns in der Detailanalyse der Kompositionseinheiten noch eingehend beschäftigen werden, führen aber über den strengen Chiasmus von Ps 15-24 hinaus und konstatieren eine Tendenz innerhalb der Kompositionseinheiten von der "Sehnsucht zur Begegnung mit dem in Ps 29 gefeierten Götter- und Weltenkönig, ... während Ps 30-34 Zeugnis davon ablegen wollen, wie sich im konkreten Alltag die Güte des in Ps 29 gefeierten und im Tempel gegenwärtig werdenden himmlischen Königs erweist. "127 Zenger arbeitet damit heraus, daß es weniger um die formal-ästhetische Übereinstimmung von Psalmen in ihrer Anordnung geht, als um einen kultischen oder nachkultischen 128 Prozeß, der sich in den Psalmen darstellt. Unwahrscheinlich hingegen ist m. E. ein
ZENGER, FS Füglister 399. Vgl. Z. B. die verschiedenen Deutungen von Ps2 durch ZENGER, siehe dazu oben S. 10 Anm.26. 125 ZENGER, FS Füglister 403. 126 ZENGER, FS Füglister 403-406. 127 ZENGER, FS Füglister 406. 128 Dazu STOLZ, Psalmen. 123 124
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
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Lösungsversuch, mit dem J. Schreiner 129 Ps 22 als Mitte des ersten Psalmbuches verstehen will. Ps 22 hat zwar als Klagepsalm mit sehr ausführlichem Lobschluß eine besondere Bedeutung für die kanonische und insbesondere die christliche Psalmenauslegung. 130 Doch reißt die postulierte MittelsteIlung von Ps 22 diesen Psalm aus der Reihe von Ps 22 - 24 heraus, in der der klagende Beter von der Not (Ps22) über das Vertrauen (Ps23) zum Tempel (Ps24) geleitet wird. 131 Außerdem hat Ps 22 keine Beziehung zur Überschrift des Psalters Ps 1 f., während in der Analyse von Auffret Ps 19 als Mittelpunkt des mittleren Kompositionsbogens mit den umgebenden Psalmen mit Königsmotiven Ps 18 und 20f. synchron als Rückbezug zur Abfolge Tora- und Königspsalm Ps 1 f. im Eingangsteil verstehbar ist. Im Gegensatz zu den Psalmengruppen, die wir im folgenden behandeln werden, sind sowohl die Beobachtung von Stichwortverbindungen als auch chiastische Konstruktionen nicht deutlich begrenzbar: Beispielsweise die Chiasmusanordnung von Ps 15-24 läßt sich formgeschichtlich auch auf die umgebenden Klagelieder ausdehnen. Hierbei entsprechen Ps 14 Ps 25 Geweils weisheitliche Klagen) und Ps 11-13 Ps 26-28. An diese Kleingruppen von Klagepsalmen grenzen jeweils Hymnus und Danklied. 132 Beobachtungen wie die von Stichwortverbindungen und Chiasmen im Großkontext haben also eine gewisse Randunschärfe, während die im folgenden Kapitel zu untersuchenden Psalmgruppen durch ihre gemeinsamen Überschriften klar begrenzt sind. Obwohl- besser gesagt: ger-ade weil- sich die Beobachtungen zu Stichwortverbindungen nahezu durchgängig im Psalter finden, werden wir diesen Weg also in dieser Arbeit nicht vorrangig weiterverfolgen. Auch der vereinzelte Ansatz in einem früheren Aufsatz von M. D. Goulder, eine Psalmengruppe unter ausdrücklichem Verzicht auf die Beachtung der Überschrift zu konstruieren, bereitet diese Schwierigkeiten. 133 Goulder setzt hier die von ihm erst zu begründende Psalmgruppe des vierten Psalmbuches als zusammengehörige Herbstpsalmen voraus und stellt fest, daß dazu nicht die Überschriften passen. Daß die unpassenden Überschriften aber ein weiteres Gegenargument gegen seine höchst problematische Liturgiekonstruktion sind, in der er beispielsweise 17 Psalmen auf 8 Festtage zu jeweils 2 Gottesdiensten verteilt und deswegen noch einen besonderen Abschlußgottesdienst postulieren muß, wird bei ihm ausgeblendet. Hier ist der Ansatz von E. Zenger,der die Systematik des vierten Psalmbuches auf der Ebene des vorliegenden Textes untersucht, ohne dem vierten Psalmbuch einen gottesdienstlichen Sitz im Le-
SCHREINER, Stellung. Vgl. insbes. DEiSSLER, in: "Ich will ... " 97 -121, und GESE, Psalm 22. 131 Siehe dazu unten vor allem 11.3.2.3. 132 Ps8/9(f.) und Ps 29/30. Zur Nicht-Invertierung der Folge von Hymnus-Danklied siehe unten S. 126f. 133 GOULDER, ITS 26, 269-289, hier 269: "The headings do not suggest any sub-collection: xc is ,A Prayer for Moses, the man of God', ci and ciii are ,Psalms of David' ... " 129
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ben zuzuweisen, ~~scheidener und methodisch präziser. 134 Implizit hat sich Gould.er, w~s das U~~rg~hen der Psalmüberschriften angeht, selbst korrigiert, d~ er m b.elden umfanghch:n neueren Arbeiten Psalmengruppen behandelt, dIe durch Ihre gemeinsame Uberschrift gekennzeichnet sind. 135
2.3 Durch Überschriften gekennzeichnete Psalmengruppen 2.3.1 Übersicht Die Psalmenüberschriften werden oft literarkritisch behandelt. 136 Erst mit vereinzelten jüngeren Arbeiten über Psalmgruppen, die durch eine gemeinsame Personenüberschrift konstituiert werden, ist die Bedeutung der Psalmüberschriften zur Gliederung des Psalters zum Ausgangspunkt der Exegese ge~acht ,,:ord~n. Am markantesten sind dabei die Psalmengruppen, die durch eme~ Hmwels auf eine gemeinsame Person zusammengehören. G. H. Wilson, der Im Rahmen seiner Dissertation ausführlich über die Psalmüberschriften gearbeitet hat, 137 stellt sogar heraus, daß nicht nur die Psalmüberschriften die einen Namen nennen, in Gruppen angeordnet sind, sondern auch die ~eit gehend ungekl~~ten anderen Überschriften. Solche Kleingruppen werden durch folgende Uberschriftselemente konstituiert: 138 'i~F~
Ps3-6; 19-24; 29-31; 38-41; 47-51; 62-68; 75-77; 82-85' 108-110'
CN~
Ps55-60 (insgesamt nur noch Ps 16) Ps4-6; 11-14; 18-22; 39-42; 44-47; 51-62; 64-70; 75-77; 139-144 Ps52-55 Ps65-68 (+ ni'l17;1: Ps 120-134).
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Be~onders ~n den Stellen, an denen ein neues Psalmbuch beginnt, wechselt zugleich das Uberschriftensystem vollständig, während es an anderen Über~angsstellen immer teilweise gemeinsame Elemente gibt, die die unterschiedl~.chen Psalmgruppen verbinden. 139 Schließlich haben auch die Psalmen ohne . Ub ersch n'ft 140 emen markanten Schwerpunkt im vierten Psalmbuch :
.134 :Z:E~GER,
FS Ehrlich. Zenger sieht das vierte Psalmbuch als kompositionell gestaltete mIt Bezug auf dieTora (aaO. 245f.), dazu unten 11.3.4, vgl. auch 111.3.3.4. 35 GOULDER, Prayers; sowie ders., Psalms. 136 Vgl. als jüngstes Beispiel SMITH, ZAW 103,258-263, hier 259. 10~3; WILSON, VT34, 337-352, hier 341ff., sowie ders., Editing, vgl. auch SEYBOLD, Psalmen
El~heIt
1:~ Eine ausführliche Tabelle zu allen Überschriftselementen findet sich bei WILSON, EdItmg 238-244. Vgl. auch im Anhang Tabelle l. 139 Vgl. z. B. Ps 89/90 als völligen Bruch des Überschriftensystems vom 3. zum 4.Psalmbuch ~WI~SON, y! 34, 348) g~.genüber Ps49-51, wo zwar die Personenzuordnung wechselt, aber JeweIls wemgstens em Uberschriftenelement erhalten bleibt und kein Psalmbuch beginnt (aaO.345).
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
28 Ps 91; 93-97; 99.
Sogar der Ausruf Hallelujah steht in der Hebräischen Bibel, wo er zumeist als Psalmeinleitung in einer selbständigen Halbzeile geschrieben ist, als Psalmtrenner,141 also gleichsam als Überschrift,142 in Reihe. Deutlicher noch als im hebräischen Text ist dies in der Septuaginta, wo die Neuabgrenzung von Psalmen durch die Setzung von Hallelujah gesichert wird. Die Septuaginta bereinigt sogar die Setzung von Hallelujah, das im masoretischen Text bald als Überschrift, bald als Unterschrift erscheint, innerhalb der Psalmen MT Ps 111-119, indem es den transliterierten Text (AAA'I']AOmu) konsequent als Überschrift einsetzt, und zwar auch über den durch Teilung von MT Ps 116 neugebildeten Psalm LXX Ps 115 und vor LXX Ps 118 (= MT Ps 119). Umgekehrt läßt sich die Septuaginta bei der Textzusammenfügung von Ps 114 und Ps 115 eventuell von dem vor Ps 115 fehlenden Hallelujah leiten. Mit einleitendem Hallelujah werden die Psalmen Ps 104-106; 111-118; 135f. und 145-150 zusammengeordnet. Wir behandeln sie im folgenden wie die anderen durch eine Überschrift zusammengestellten Psalmen. 143 Die Hinweise auf Personen sind zudem auch die einzigen Hinweise aus den Psalmüberschriften, für die es einen inhaltlich sicheren Hinweis zur Interpreta-
140
Der Talmud hat die Bezeichnung "Waisenpsalm" (1(~11' "~T~, bAZ 24b) für über-
schriftslose Psalmen geprägt. 141 Zur Ausnahme von Ps 115 siehe oben S. 13f. und unten 1.2.3.2. Die Aufforderung zum Lobpreis Hallelujah gehört auch sachlich vor den Lobpreis (vgl. z.B. Neh 9,5ff., dazu WESTERMANN, Lob 99 Anm. 85, dort weitere Literatur, insbes. die Abgrenzung gegen GUNKEL, Einleitung 37 f., der den Ausdruck Hallelujah für die Urzelle des Hymnensingens hielt). 142 So auch bPes 117a, wo ;"'77;' in eine Reihe mit Überschriften wie ntill, 1Ul, 7':JW~, "~T~, "W, "WI(, ;'7';'11, ;'7!l11 und ;'1("11 gestellt wird. Beachtlich ist auch die Nennung des Psalmanfangs "WI( (glücklich) in dieser Reihe von sonst vermutlich technischen Psalmüberschriften. Vgl. jedoch auch die Diskussion bPes 117a, ob ;"''';' als Anfang oder Ende des Psalms zu verstehen sei. Die Diskussion bleibt unentschieden, weil ein Rabbiner ;"''';' in der Mitte eines Abschnittes (d. h. Psalms) in einer Handschrift gesehen hat (ebd.). Während letzteres Einzelproblem durch die Überlagerung zweier verschiedener Psalmtrennungen im Ägyptischen Halle! bedingt sein dürfte, liegt die Lesart, die Hallelujah als Psalmschluß versteht, auf einer anderen Ebene: Hallelujah ist in bestimmten Fällen Antwort auf die Zitierung des Halleis (mSuk 3,10). Vgl. auch die Übersicht im Anhang Tabelle 2. ;"''';' ist auch in llQPs' deutlich als Überschrift verwendet (mit SANDERS, ZAW75, 73-86, hier 75). Interessanterweise übersetzen die antiken Übersetzungen Hallelujah, wenn es überhaupt übersetzt wird, mit Begriffen für Danklied (aaO. 77). Zur Diskussion, ob Hallelujah ein Begriff oder mit Maqef zu trennen und damit eine Aufforderung sei, vgl. bereits die Diskussion bPes 117a, wo beide Traditionen auf bereits in tannaitischer Zeit vorhandene unterschiedliche Schreibweisen zurückgeführt werden. Wegen der unterschiedlichen Schreibweisen (ein oder mehrere Worte) benutzen wir hier undifferenziert den deutschsprachigen Begriff.
143 V gl. auch den Ansatz von BARRE, CBQ 45, 195 - 200, der den Ausdruck insbesondere im Textbereich von Ps 104f. als Texttrenner versteht.
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t"~on ~I'b t: 144 A lle anderen Textbestandteile der Psalmüberschriften sind hinslch~lich Ihrer speziell~n Bedeutung mehr oder weniger ungeklärt. 145 Wir interprebe~en deswegen dIe Psalmüberschriften nur als Zuordnungsverweis innerhalb. emes Textzusammenhanges und lassen die Frage des Inhaltes der Überschnftsele~ente offen. Auch für die personenbezogenen Überschriften ist eine s~lch~ Zuru~~haltung zunächst angesagt, da es als eines der ersten Ergebnisse histonsch-k~Ib~cher ~rfo~schung des Alten Testamentes gelten kann, daß die Psal~en beIspI~lsw~Ise mcht davidischen Urspunges sind. 146 Ob diese Über. schnften ursprünglich zum Psalm selbst gehören oder'T"l .LeI emer R d k . nun. histonsch d . e a. bon sm ,ISt für die Feststellung unerheblich, daß sich in den Überschriften em Zuordnungssystem de: Ps~lmen widerspiegelt. Sie wird allerdings im ~uge der Frage, auf w~lcher histonschen Ebene die Psalmgruppen zu verorten smd, zu ve~handeln sem ... Es erscheint also als der methodisch sicherste Weg, dem VerweIs system der Uberschriften nachzugehen. 147 Wir gehen nun einige solch~r Psalmg~uppen durch, wobei deren Behandlung an dieser Stelle durch den bIsher erreIchten Forschungsstand vorgegeben ist. 148 In~erhalb der du~ch Pe~sonennam~n gekennzeichneten Psalmgruppen stehen msbeson~ere dIe Davidpsalmen m zwei großen (Ps3-41; 51-70 149) und ~ehre:en kIeme? Gruppen zusammen. Die erste Gruppe von Davidpsalmen bildet Im wesentlichen das erste Psalmbuch, die zweite Gruppe steht im zweiten Psalmbuch, 150 wobei diese Gruppe durch die erste Sammlung von Korachpsalmen (Ps 42 ~nd 4~-49) u~d den einzelnen Asaphpsalm Ps 50 eingeleitet wird und durch emen uberschnftslosen (Ps 71) und einen Salomopsalm (Ps 72) abS'leh e unten ~II.~.3..2 zu den Levitengruppen im Kontext der Vorstellung des davidisO':"le die Ube.~leg~ngen zur historischen Ebene III.1.3.2. Emen der vielen unzulanghchen Versuche dieser Art hat unlängst KOENEN ZAW 103 ~09-112:. vorgele~t. Koenen kann für seine neue Deutung zwar einleuchtende wo~tgeschicht: lIche Grunde anführe?, doch sind. die mit "':;l~r,I überschriebenen Psalmen vom Inhalt her weder. als :W~chselgedlchte ausgewiesen, noch sind sie (so die üblichere Deutung) durchweg als welsheIthch zu kennzeichnen. Vgl. zur Übersicht über den Forschungsstand immer noch KRAus 14ff. 146 GOULDER, P~ayers 9, hat als einer der wenigen neueren Exegeten die Idee einer Autorenschaft .DaVlds oder von Personen der Davidzeit bei den unter Davids Namen laufenden Psalmen wieder aufgegriffen. 147 So auch in.seine.m unlängst erschienenen Buch: GOULDER, Prayers 8.247. Dort kündi t GOULDER auch em .welte:es Buch über Psalmen an, die ebenfalls durch Überschriften mitei!ander verbunden smd: die Asaphpsalmen (mit der Ausnahme von Ps50). Vgl. auch WILSON VT 34, der dort Psalmbuch~echsel beobachtet, wo das Überschriftensystem völlig wechsel~ ~z .. B'pPsI89/90, aaO. 348), wahrend dort, wo nur ein Teil des Überschriftensystems wechselt em sambuchneubegmnt(z.B.Ps49-51 aaO.345). ' 1" ' . 148 h b E' . me vo1 ständige Ubersicht über die erscheinenden Termini in den Überschriften findet SIC el WILSON, y!34,. 238ff. Vgl. auch im Anhang Tabelle 1. Relevant sind in derfol enden nur Hmwelse auf einen gemeinsamen traditions- oder fOrmgeSChichtlich;n Hinergrun er Psalmengruppen. e 149 Ps 1? und 33 sin.d n~ben Ps 1 f ..überschriftslose Psahnen, Ps 67 hat nicht das Überschriftslernent' 177. Zur EmglIederung dieser Psalmen siehe unten II 3 1 und II 3 2 150 Ps51-70, ohne Ps 67. . . . .. 144
sc~:~ P~alters,
~arsteldludng
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
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geschlossen wird. Da sich im dritten Psalmbuch wieder Asaphpsalmen (Ps 73-83) und Korachpsalmen (Ps 84; 85; 87; 88) anschließen, kann man abgesehen von den Einzelpsalmen sagen: Die zweite Sammlung von Davidpsalmen wird durch Asaph- und Korachpsalmen gerahmt. 151 Während das erste Psalmbuch nur Davidpsalmen und einige wenige überschriftslose Psalmen enthält, sind im zweiten und dritten Psalmbuch alle Psalmen levitischer Sängergilden vertreten. Das vierte und fünfte Psalmbuch hingegen enthält alle Gruppen von überschriftslosen, Hallel- und Wallfahrtspsalmen, sowie kleinere Gruppen von Davidpsalmen. Diese Psalmgruppen sind i~mer wieder von einzelnen Psalmen teils ohne Überschrift, teils mit anderer Uberschrift durchbrochen bzw. gerahmt. Das Verhältnis der Psalmgruppen zu diesen Einzelpsalmen wird uns noch beschäftigen müssen. 152 2.3.2 Das Ägyptische Hallel
Wir bemerkten bereits die besonders großen Probleme mit der Psalmabgrenzung in Ps 113-118. 153 Diesem Problem der Abgrenzung der einzelnen Psalmen entspricht, daß Ps 113-118 die für Juden und Christen wohl bekannteste Psalmengruppe sind. Dort, wo die Psalmengruppe in der Wirkungsgeschichte dominant wird, schwindet offensichtlich die Wichtigkeit der Abgrenzung von Einzelpsalmen. Diese Psalmen sind in der Zeit vor 70 n. Chr. als Teil der Liturgie beim Schlachten der Pessachlämmer im Tempel und beim häuslichen Pessachmahl belegt. 154 In diesem Zusammenhang treten sie auch im Neuen Testament auf. 155 Aber auch ihre Verwendung bei den anderen Wallfahrtsfesten ist belegt. So faßt beispielsweise die Tosephta Sukkot die Verwendungen dieses Halleis zusammen: 156 V gl. dazu folgende Tabelle: Korach Asaph David Salomo Asaph Korach Ps 42;44-49 50 51-7072 73-8384f.;87f. 152 Siehe dazu unten den dritten Hauptteil, der den Aufbau des Psalters behandelt, passim. 153 Siehe oben S. 13 f. 154 mPes 5,7; 9,3; tPes 3 (4),11 (Belege für das Hallelsingen beim Pessachopfer im Tempel); 10,5-7 u. a., vgl. Mt 26,30 (Belege für das Halle!singen beim Hausseder) (dazu z. B. SCHÄFER, in: Literatur 391-413, hier 410). 155 Vgl. die Stellen Mt 26,30; Mk 14,30, nach denen das Halle! das letzte Mahl Jesu abschloß. Auf die sehr kontroverse Diskussion, ob das letzte Mahl Jesu ein Pessachmahl gewesen sei, wofür seine Datierung bei den Synoptikern spricht, kann hier nicht eingegangen werden. Auch in der seit BLINZLER, Prozeß, üblichen Bevorzugung der johanneischen Datierung der Leidensgeschichte Jesu als historisch originaler Chronologie, in der der Tod Jesu selbst dem Pessachopfer im Tempel entspricht, ist der Bezug zwischen dem letzten Mahl Jesu und dem Pessachmahl keineswegs irrelevant. Gemäß dieser Datierung rückt das Abendmahl der nachösterlichen Gemeinde allerdings mittelbar ebenfalls in den Kontext des Pessachmahles, weil es in diesem Fall im gemeindlichen Abendmahl um die Erinnerung an das Pessachopfer Christi geht. 156 tSuk 3,2. Vgl. z. B. auch mSuk 3,lOf. zu Sukkot, dem Laubhüttenfest. Von der heutigen jüdischen Liturgie her ist der Monatsanfang als Zeit der Hallelzitierung hinzuzufügen (siehe 151
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An 18 Tagen und in einer Nacht spricht man das Hallel, nämlich: an den 8 Tagen des Laubhüttenfestes 157 und an den 8 Tagen von Chanukka, am ersten Tag von Pessach und in (beiden) Pessach-Nächten l58 und am ersten Tag des Wochenfestes.
Innerhalb dieser Verwendungen des Halleis ragt die am Pessach-Abend eindeutig hervor. Das legt sich von der Verknüpfung besonders der Pessachfeier mit der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten auch von Ps 114 her nahe. Beispielsweise in bPes 118a findet sich folgende Aufzählung von wichtigen Motiven der Pessach-Feier und ihre Entsprechung in den Hallel-Psalmen: -
der Auszug aus Ägypten (Ps 114,1) die Spaltung des Schilfmeeres (Ps 114,2) die Gabe des Gesetzes (Ps 114,3) die Auferstehung der Toten (Ps 116,9) die Leiden der messianischen Zeit (Ps 115,1).
Der Auszug aus Ägypten steht hier an erster Stelle. Dem antiken Leser war offensichtlich der Zusammenhang dieser Psalmengruppe und ihr Bezug auf den Auszug aus Ägypten selbstverständlicher, als es modernen literarkritisch und in der Einzelpsalmexegese geschulten Exegeten erscheint. Es ist deswegen angemessen, die Bezeichnung von Psalm 113-118 als Ägyptisches Hallel (:1K1~~ K77:1)159 aus der rabbinischen Tradition zu übernehmen. Der Bezug dieser Psalmengruppe insbesondere auf Pessach wird auch durch die Unterteilung des Großtextes Ps 113-118 in Einzelpsalmen deutlich: Hier weicht die Unterteilung nach dem psalmtrennend gebrauchten Hallelujah genau dort von der Einteilung in Einzelpsalmen ab, wo in der Pessachliturgie nach der geltenden Halacha der Hillel-Schule eine Pause beim Zitieren des Halleis gemacht wird: zwischen Ps 114 und 115. 160 Hier ist also offensichtlich die Einteilung in Einzelpsalmen durch die Liturgie gegenüber der Einteilung, die durch das
111;l~ 11~~ '1'1Q 203). Bei weniger wichtigen Festtagen werden bei der Zitierung des Halleis die Ps 115 und 116 allerdings ausgelassen (dazu ELBOGEN, Gottesdienst 125). 157 Mit absolutem ln;, (das Fest) ist immer das Herbstfest gemeint, auch wenn SAFRAI, Wallfahrt 45, betont, daß alle drei großen Wallfahrtsfeste in etwa gleich viele Pilger hatten. 158 Der Plural kommt durch die Möglichkeit des Nachpassa (Num 9,6ff.) zustande, auch hier ist also Halle! zu sagen. Das ist keine Spannung zur Einleitung des Abschnittes ("in einer Nacht"), da die einzelnen Teilnehmer natürlich nur einmal pro Jahr Passa feiern. 159 SOZ.B. bBer56a. 160 mPes 10,6 in der Auffassung der Hillelschüler (gegen die Auffassung der Schüler von Schammai). Die Septuaginta (dazu bereits oben S. 8ff.) teilt also das Ägyptische Halle! nicht der Pessachliturgie im Sinne Hillels entsprechend.
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2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
H II I 'ah erfolgte sekundär. 161 Der vorliegende masoretische Text i~t in
se~n:rU~bgrenZUng 'in Einzelpsalmen durch die bis heute übliche Pessachhturgie der Hillelschule geprägt. . Diese Psalmengruppe wird in der rabbinischen Literatur. oft ~~c~ e~nfach .... D H 11 1" genannt. 162 Da diese Bezeichnung aber mcht volhg emdeu11:1:1,,, as a e , . (P 146 150) d'n ti ist,163 weil es auch ein sogenanntes Klemes Hall~l . s . .. ~n el Jroßes Hallel (wahrscheinlich Ps 136, ~ie~e unt~n) gIbt, .~st. dIe gelaufIge Bezeichnung Ägyptisches Hallel zugleich dI~ em~eutIgs~e. Moghch, aber dann nur Kontext her eindeutig, ist weiterhm dIe BezeIchnung der Psalmgruppe vom 64 l nach dem Psalmtrenner Hallelujah. Exkurs: Zur Bezeichung "Großes Hallel" . Das Große Hallel ist nach bPes 118 a ein Psalm bzw. eine Psalmengr~p~~5 die nach de~ letzten Segensbecher der Pessachliturgie, also nach Ps 118, zu b~ten I~t. Von der noc . . d St llung im Psalter her 166 steht also der hturglsche Abschluß des zu mterpretIeren en e d' t t H'nÄ tischen Halleis in der Pessachliturgie durch Ps 119ff. von lesern ge renn .. ~ si;~Iiich der Abgrenzung des Großen Halleis überliefert der Talmud folgende POSItiOnen: R. Jehuda: R. Jochanan: R. Acha ben Jaqob:
Ps 136 167 Ps 120 (bzw. 134 ) -136 Ps 135-136.
Insbesondere H. Graetz hat dabei die Lösung favorisiert, das Großel!!allel seien die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. mit den nachfolgenden Hymnen Ps 135f. Graetz argumentiert damit, daß ein Großes Hallel umfangreicher als die an.deren bekannte~ Ha~l~l sein müsse. Mit diesem Argument setzt sich nun aber bereits der Talmud ImpllZlt auseinander, wenn es weiter heißt: 7"',~ 77~ ,?JW N'j;'~ ~?J7, l~m' ')' '?JN 07'37 7W ,?J,,) )W,' N'~ ",) Izmj;'~W '~~?J ~") 7::l7 m~'T?J j;'7n?J'
Und warum wird es "Großes Halle/" genannt? Sagt Rabbi Jochanan: Weil der Heilige, gepriesen sei er, in seiner Höhe des Weltalls wohnt und doch allem Geschöpf Nahrung zuteilt. (bPes 118a)
161 Von dorther erklären sich die Differenzen bei der Abgrenzung der Psalmen des Halle\s in der Textüberlieferung s.o. i,1 (S.8f. und 13f.). . .... II 162 So etwa mPes 10,7. Ähnlich z.B. N7"m in bPes 115b. Nicht ganz emdeuttg Ist die Ste e bSchab 118b, dazu unten 1.2.3.3 (S. 34 Anm. 181). 163 So in mTaan 4,4. 164 So z B bBer 9b' bPes 117a.b (20 Stellen); bSuk 38b (5 Stellen). . 165 Nach einer in bPes 118a überlieferten Sondertradition tritt der beliebte Ps 23 an diese Stelle. 166 Siehe unten III.3.2.1 und 3.3.1. ... .. 167 Es wird nur das der Gruppe Ps 120-134 gemeinsame Uberschnftselement zittert. 168 GRAETZ, MGWJ28, 193-215.241-259, hier 24lf.
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Bemerkenswert ist dabei, daß die inhaltliche Argumentation zur Bezeichnung Großes Hallel von R.Jochanan erfolgt, also dem, der in der Interpretation von Graetz überhaupt nicht den Ausdruck hätte begründen müssen, wenn seiner Meinung nach das Große Hallel umfangreicher als die anderen Hallel gewesen wäre. Damit scheidet also die Lösung, die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. insgesamt zusammen mit Ps 135 und 136 für das Große Hallel zu halten, aus. Inhaltlich bezieht sich die Argumentation auf die in Schöpfungshymnen geläufige Rede von Gott als Nährer der Tiere, die beispielsweise im sogenannten kleinen Hallel l69 vorkommt, aber nicht explizit im Großen Halle!. Nun hat aber Ps 136 einen sehr ausführlichen Teil über Gott als Schöpfer, und R.Jochanan wird in seiner Argumentation, wenn er überhaupt auf einen in unserem Zusammenhang relevanten Text anspielt, Ps 136 gemeint haben. Die Deutung von Graetz, die eine Weiterinterpretation der ersten Aussage von R.Jochanan darstellt, scheidet also aus. Mit dem Großen Hallel ist mit einiger Sicherheit Ps 136 gemeint,170 der auch in der heutigen Pessachliturgie nach dem Ägyptischen Hallel gesungen wird. Bestenfalls käme noch die Variante von R.Acha ben Jaqob in Frage, nach der Ps 135 und 136 zusammen das Große Hallel genannt würden. Aber dies ist ebenfalls weder auslegungs- noch liturgiegeschichtlich weiter belegt. 171 Daß Ps 136 ein zusätzlicher Abschlußpsalm des Ägyptischen Halleis bei der PessachLiturgie ist, ist nicht nur die mischnisch belegte Sitte, sondern hat auch eine Entsprechung in den Texten selbst: Ps 118 und 136 haben denselben Anfang. 172 Ps 136 ist aber auch in anderem Zusammenhang verwendet worden. Beispielsweise singt nach der Darstellung von 1Makk 4,24 das Heer von Judas Makkabäus diesen Psalm als Siegeslied. Bemerkenswert ist auch, daß bPes 118a von Ps 136 als Pessach-Psalm her sogar fragt, warum zusätzlich noch die Psalmen des Ägyptischen Halleis zu beten wären. Formgeschichtlich zeichnet sich das Ägyptische Hallel durch die ausschließliche Verwendung von Hymnen und Dankliedem aus. Zudem fällt die Doppelung der Abfolge von Hymnus-Danklied am Schluß der Sammlung (Ps 115f. und 117f.) auf. 173 Gerahmt ist diese Gruppe von akrostichischen Weisheitspsalmen (Ps 111; 112 und 119), die aufeinander bezogen sind. 174 Gegenüber der wirkungsgeschichtlichen Zusammengehörigkeit von Ps 113-118 wird das Vgl. z. B. Ps 145,15 und 147,9. SO Z. B. auch mTaan 3,9, wo eine regelrechte Definition erfolgt, um deren Eindeutigkeit willen sogar als Psalmanfang ausnahmsweise zwei Verse zitiert werden. Vgl. mTaan 3,9; mSuk 4,1.5.8; mRH 4,7; mMeg 2,5; mSot 5,4; mB er 4,2; bPes 118 a sowie die Übersicht bei CORRENS (Hg.), Taanijot 95 Anm.109. 171 Der Anfang vermutlich von Ps 136 erscheint z. B. bereits auch in IMakk 4,24, womit auf den ganzen Psalm angespielt wird. 172 Die Formel ;'90 c'?;1I7 '~ );1:) '~ ;";"7 1';;' erscheint auch in der Eröffnung der Ps 106f., siehe dazu unten III.3.3.1 sowie 2.1.2. 173 Beim Beten des halben Ägyptischen HalleIs beispielsweise an den Neumondstagen und den meisten Mazzottagen (ab mittelalterlicher Zeit) wird die formgeschichtliche Doppelung aufgehoben, indem Ps 115f. ausgelassen werden (siehe dazu ELBOGEN, aaO. 125). 174 Ps 111 und 112 haben auch die" Überschrift" ;"-'77;'. In der Septuaginta hat auch Ps 119 (LXX Ps 118) diese Überschrift. Ps 112 und 119 beginnen mit dem gleichen Wort, ']W!$. Zur engen Beziehung von Ps 111 und 112 vgl. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen (s.o. 1.2.1). Zu Akrosticha wie Ps 111; 112 und 119 als späte, schriftliche Psalmen hat CRÜSEMANN, Studien 296ff., das Nötige gesagt. 169 170
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2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
überschriftsartige Hallelujah also auch für den schriftlichen Rahmen 175 dieser Psalmen gebraucht.
bildung wohl einen ausschließlich schriftlichen Sitz im Leben hat, wird zudem zu fragen sein, welche Funktion sie als Gruppe für den Psalter als Ganzen hat. 184
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2.3.3 Das kleine Hallel Wie das Ägyptische Hallel umfaßt das sogenannte kleine Halle1 Lobpsalmen (Ps 146-150), die mit einem Akrostichon (Ps 145) eingelei~e~ we~den. F~r~ge schichtlich sind die Psalmen des Kleinen Halleis einhelthch ImperatlVlsche Hymnen. Gegenüber dem Ägyptischen Hall~l fehlen die Dank~salmen ... Der Bezug der Psalmen aufeinander als Gruppe Ist durch das gem.emsame ub~r schriftsartig verwendete Element Hallelujah 176 sowie du.rch StIchwo~tverbm dungenl77 und Themenwiederholungen 178 gesichert. DIe ThemenwIederholungen sprechen für ein Wachstum dieser Gruppe insbeso~dere am Schluß179 im Zuge der Komposition des Gesamtpsalters. 180 Doch Im Gegensatz .zum Ägyptischen Halle1 ist ein originaler gottesdienstlicher Sitz im Leben dIeser Psalmen als Gruppe erst talmudisch bzw. mittelalterlich nachweisbar 181 und damit für die Zeit der Formation des Psalters unwahrscheinlich. Da Ps 146,4 in 1Makk 2,63 verwendet wird, scheiden eine späte makka?äische Datierung dieses Einzelpsalms sowie der Psalmgruppe oder gar. eme nachmakkabäische Datierung aus. 182 Dies ist besonders interessant, weIl der Schluß des kleinen Halleis gern in seiner Funktion als Abschluß des Psalters interpretiert wird. 183 Wenn die gesamte Psalmengruppe zur Zeit der KanonsSiehe vorherige Anmerkung. Zur Sache vgl. auch unten 1.2.4. ." . . In Ps 146,1 findet sich der Ausdruck mit Maqef (::J;-~'7;J)· Vgl. dIe Uberslcht Im Anhang Tabelle 2. 177 ZENGER, Morgenröte 47, verweist z. B. auf Ps 146,10 mit 147,12; ~47,4 mit 148,3; 147,11 mit 149,4; 147,20 mit 148,14; 148,14 mit 149,1.9, sowie generell Ps 148 mIt 150. 178 Beispielsweise KSELMAN, CBQ 50, 587-599, verweist auf die doppelte Aufnahme der Themen "David und Jerusalem" in Ps 146f. und 149 und "Schöpfung" in Ps 148 und 150. 179 KSELMAN, CBQ 50. 180 So z.B. STRAUß, Gott 14, und ZENGER, Gott 53ff. . 181 Gegen GRAETZ, MGWJ 28, 253f. Graetz verweist ~uf die .heute g~ngige Pr~I~, das kleine Hallel täglich zu beten. Doch ist die von ihm für eme D~tterung dles~r PraxIs m der Antike angeführte Stelle aus bShab 118b, die er zudem met~odlsch s~hr un~lcher nach dem Rabbinennamen R. Josse einen Tannait um 130 n. Chr., dattert und mhalthch aus der noch späteren Stelle S~f 17, 11 al~ auf das kleine Hallel bezogen interpretiert, sowie das noch spätere Responsum Salomo Ibn-Bergas zu spät, um als historische Q~elle für die .Zeit ~.e~ En.tstehu~g des Psalters zu dienen. Die von Graetz angeführten Belege smd zudem mcht volh.~ emdeuttg. Heute werden sie oft dahingehend interpretiert, daß die tägliche Rezita~ion. des ~gyp~ischen Hallel verboten sei (z. B. THoMA, in: Liturgie, 91-104, hier 98). Beachthch ISt wett.erhm, d.aß bShab 118b von einer besonderen Gruppe spricht, die ein Hallel täglich sprechen WIll. Da dl~s eine abgewiesene Meinung ist, legt sich die auc~ phil~logisch einf~~h~te Lösung nahe, daß m bShab 118 b die Meinung abgewiesen wird, das Agypttsche Hallel taghch zu beten (dazu oben
2.3.4 Die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff.
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Eine weitere Gruppe von Psalmen ist durch das Überschriftselement ni'~~0 185 eindeutig als zusammenhängende Gruppe von Psalmen ausgewiesen': die sogenannten Wallfahrtspsalmen. 186 Die formgeschichtliche Bezeichnung Wallfahrtspsalm wird innerhalb dieser Psalmen besonders gern auch für den einzelnen Psalm 122 verw~ndet. 187 Teilweise geben sich Psalmen dieser Gruppe durch das zusätzliche Uberschriftselement ,.",188 als im Kontext der Davidpsalmen stehend zu erkennen. Die Wallfahrt~psalmen Ps 120ff. teilen als Gruppe, wie wir noch sehen werden, mit den Sammlungen von Davidpsalmen auch deren Probleme einer höchst komplizierten, diachron mehrfach gestaffelten Struktur. 189 Bereits die Mischna überliefert einen gemeinsamen Sitz im Leben dieser Psalmgruppe: nach mMid 2,6 sangen die Leviten diese 15 Psalmen auf den 15 Treppenstufen im Tempel zwischen dem Vorhof der Frauen und dem Vorhof der jüdischen Männer. In der modernen historischen Forschung wird diesem Zeugnis der Mischna weniger Gewicht beigemessen. 190 Auch innerhalb der judaistischen Forschung ist der Quellenwert der Mischna für die Zeit vor 70
175
176
Anm.162). . ' h'f' . 182 Gegen DUHM (z. St.), der übersieht, daß Ps 146 m IMakk 2,63 bereIts als Sc nt zittert wird, also bereits vorhanden ist, was seine Interpretation der Entstehung des Psalms aus makkabäischer Zeit widerlegt. 183 STRAuß, Gott 14, betont die Abschlußfunktion von Ps 150, vgl. z. B. auch ARENs,
Psalmen 177, sowie SEIDEL, NedThT 35,89-100, letzterer mit der interessanten Theorie, daß die in Ps 150 genannten Musikinstrumente bestimmten Plätzen im Tempel zuzuweisen seien. Wichtig ist auch sein Hinweis, daß Ps 150 entgegen der in der exegetischen Literatur vielgeäußerten Meinung nicht als Schlußdoxologie des fünften Psalmbuches zu verstehen ist. Gleichzeitig nimmt aber auch Seidel einen ausschließlichen Sitz im Leben des Psalms in der Literatur an. ZENGER, Gott 53ff., erweitert die These des Abschlußcharakters von Ps 150, indem er Ps 149 und 150 als Entsprechung zu dem zweifachen Eingang des Psalters mit Ps H. versteht. 184 S. u. bes. 111.3.3.3. 185 Nur Ps 121 hat als Überschrift ni,~~'2 "W. llQPs' und andere Handschriften vereinheitlichen an dieser Stelle. . 186 Zu den Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffes ;,'?V7;l (Hinaufzug, Heimkehr, Stufe, Wallfahrt, sowie im übertragenen, geistigen Sinn) vgl. die Übersichten bei SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 14 ff.; GROSSBERG, Structures 15 ff., sowie die einschlägigen Lexika. Die Bedeutungsbestimmung des Begriffes erfolgt hier vorläufig und wird inhaltlich in der Auslegung der Psalmengruppe festgelegt werden. . 187 SO Z. B. DONNER, FS Fensham 81-91, hier 81: "Psalm 122 is a pilgrim song. As far as that IS concemed, nearly all scholars agree." 188 Ps 122,1; .1~~,1; !31,1 ergänzen die Überschrift ni'~~;J ("Wallfahrtspsalm") durch '177 ("vonDavld ). BIS auf Ps 127,1 (;'~"~7, "von Salomo") sind alle anderen Wallfahrtspsalmen ohne Namensangabe. Der Salomopsalm Ps 127 steht wie der andere Salomopsalm Ps 72 im Kontext einer davidischen Sammlung. 189 Vgl. unten 11.1.2 mit 11.3.2. 190 Vgl. den Forschungsüberblick bei SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 13ff.
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2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
v. Chr. als im 2. Jh. n. Chr. redigiertes Dokument durchaus umstritten. 191 Eine Auskunft über die Zuverlässigkeit der Mischna ist daher nur in einer Einzelanalyse der Stelle möglich. Unmittelbar vor der Stelle Mischna Middot 2,6 differenziert die Mischna besonders deutlich zwischen einer Vision des zukünftigen Tempels, die sie ausdrücklich aus Ezechiel 46 herausinterpretiert, und historischen Fakten, die sie überliefert. Daß im Text von mMid 2,6 durchaus historische Fakten überliefert werden, zeigen Detailangaben, die kaum aus einer idealtypischen Sicht des Tempels verstehbar sind, sondern die wiedergeben, was an Informationen erhalten ist. 192 So wird überliefert, daß in der nordöstlichen Ecke des Vorhofes der Frauen von Priestern, die mit einem Fehler behaftet waren, das Holz für den Brandopferaltar nach Würmern durchsucht wurde (mMid 2,6). Bei der Wichtigkeit der Holzversorgung für den TempeF93 ist dies ein Detail, das nicht in eine idealtypische Ausgestaltung des Tempels passen will. Nachdem drei Ecken des Vorhofes der Frauen in ihrer Funktion von der Mischna bestimmt sind, wird zu der vierten Ecke überliefert, daß ein Rabbi nicht wußte, was sich dort befunden habe, und dann wird außerdem noch die Meinung eines weiteren Rabbinen sehr kritisch zitiert. Die Aussage, Mischna Middot gehe auf R.Eliezer ben Jaqov zurück, 194 also einem Rabbinen, der aus einer levitischen Familie stammt 195 und zur Zeit des Tempeldienstes gelebt hat, ist also von dem inneren Befund der in der Mischna getroffenen Aussagen prinzipiell möglich und von dem Aussagegehalt, daß die Angaben in Mischna Middot Augenzeugencharakter haben, wahrscheinlich.196Von dorther gewinnen die in Mischna Middot getroffenen Aussagen ein wesentlich höheres Gewicht als die rein exegetischen Mutmaßungen eines Späteren wie beispielsweise Saadja Gaon (882-942), der das umstrittene Wort ~'17~ im Sinne einer jeweils zu erhöhenden Stimmlage interpretiert. 197 Bemerkenswerterweise haben nun unterschiedliche historisch-kritische Untersuchungen den Sitz im Leben, den die Mischna zu den Wallfahrtspsalmen überliefert, zwar nicht in jedem Detail, aber von dem prinzipiellen Verständnis der Textsammlung als Sammlung von Wallfahrtspsalmen her bestätigt. B. 191 Zur Redaktion der Mischna vgl. als einführende Standardliteratur ALBECK, Einführung 94ff. 145ff.; (Strack!) STEMBERGER, Einleitung 127ff. 192 Gegen HOLzMANN , in: Middot 71. 193 Dazu unten 111.2.1.2. 194 jYom 2,3, 39d; bYom 16a. 195 mMid 1,2. 196 So bereits Safrai, Wallfahrt 12. 197 Nach: R.David ben Kimi)i (etwa 1160-1235, KommentarzuPs 120, Komm. S.1f.). Als weitere Bedeutungsmöglichkeit nennt bereits Kimi)i das Heraufsteigen aus dem Exil (ebd.) und die dunkle allegorische Umdeutung auf 100 Stufen (zu Ps 121,1, aaO. 8f.). Eine allegorische Deutung auf einen Gedankenfortschritt innerhalb der Lieder findet sich in jüngerer Zeit bei GESENIUS (nach SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 14) und DELITZSCH. Delitzsch interpretiert zwar auch die Wallfahrtspsalmen von mMid 2,6 her, aber die 15 Treppenstufen dort faßt er als 5 Analogie zum geistigen Aufstieg der Psalmen (DELITZSCH, Psalmen 733f., in der Einleitung zu Ps 120-134).
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aco? 198 und E. J. Liebreich 199 haben sich beispielsweise in einer Untersuchung Jeweils dem Sp~ach~eld der Wallfahrtspsalmen gewidmet. Die Häufigkeit von Segensformeln m dIesen Psalmen erklären sie als Reflexe von Liturgie, besonders von Haftaren, also als Ergänzungen von Bibellesungen. Liebreich sieht die 15 Worte des ~aronidi.sche.n Segens in Entsprechung zu den 15 Wallfahrtspsalme~ ..Do~h shm~t dIe Bmnenstruktur des aaronidischen Segens mit seiner drelghedngen Khmax von 3, 5 und 7 Worten 2OO nicht mit der Struktur der Wallfahrtspsalmen überein: gliedernd ist dort beispielsweise die Aufforderung '~'J~' ~q-"~N" ("es spreche Israel") jeweils am Anfang des 5. und 10. Wallfah~spsal~s,201 was einer Teilung der Psalmgruppe in drei gleiche Teile entspncht. Eme Anwendung des klimaktischen Schemas 3 5 und 7 Psalmen sch~i~et nicht zuletzt wegen des dadurch verursachten Aus~inanderreißens der Zwilhngspsalmen Ps 127 und 128 aus. Schließlich ist Ps 132 als 13. Psalm der Sammlung. für die anso~sten sehr kurzen Wallfahrtspsalmen überlang, so daß auch an dIeser Stelle eme Zäsur bzw. ein Höhepunkt der Sammlung naheliegt. 202 Keine dieser Tex~strukturelemente der Sammlung von Wallfahrtspsalmen ents~reche~ also emer möglichen Struktur des aaronidischen Segens. Auch speZIelle Shchwortverbindungen führen nicht linear von einem Wort des Segens zum nächsten Psalm. Die These einer direkten Beziehung des aaronidischen Segens zu den Wallfahrtspsalmen ist daher kaum haltbar. Wahrscheinlich ist.allerdi.ngs aufg~nd des gemeinsamen Wortfeldes und der gemeinsamen Za~l eI~e weItere Verbmdung beider liturgischen Elemente etwa traditionsgeschlchthcher Art. 203 Allerdings führt die Tendenz der Sammlung hin zum Segen und in den Tempel (vgl. Ps 133 und 134).204 Eine interessante narrative Deutung der Sammlung hat nun D. Grossberg vorgelegt. 205 Er versteht die Sammlung in Entsprechung zu 15 Stationen der Wallfahrt: aus einer heidnischen Umgebung (Ps 120) über die Berge Israels (Ps 121) in die Nähe von Jerusalem (Ps 122 und 125). Die erste Sicht der Stadt (Ps 127), die Begrüßung der Einwohner (Ps 128), die erste Sicht des Tempels vom Tal her (Ps 130) und die volle Sicht des Tempels (Ps 132) sind phantasievolle Erklärungen, die die Grundstruktur der Psalmengruppe aus der Fremde JACOB, ZAW 16, 129-181. LIEBREICH, JBL 74, 33-36. Zur Kritik vgl. insbesondere SEYBOLD, Segen 58ff. und GROSSBERG, Structures 50ff. ' 200 V gl. dazu insbesondere SEYBOLD, Segen 18 ff. . 201 P~1~4,lb; 129,lb. An den 15. Psalm der Gruppe (Ps134) schließen sich dann die ImperatIVIschen Hymnen Ps 135 und 136 an. . D UHM (428) urteilt deshalb, daß "Ps 132 wohl erst nachträglich (unter diese . 202B. erelts Pilgerheder) gerate~" sei. ygl. SEYBOLD, ZAW 91, 247 - 268, hier 256; ders., Wallfahrtspsalmen 20.~1 (do.rt weitere ~Ite~atur), für den die Sonderstellung von Ps 132 Hauptbeleg für die These emer ZlOnsredaktlOn 1St. Zur Statistik der Psalmlängen siehe bes. SEYBOLD, ZAW 91 257 Anm. 51 und 52. Zum Ganzen vgl. nun auch ausführlich GROSSBERG, Structures 15ff. ' 203 So auch SEYBOLD, Segen 58. 204 GROSSBERG, Structures 51ff. 205 GROSSBERG, Structures 52ff. 198
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Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
(Ps 120) zum Gottesdienst in den Tempel (Ps 134) eher verdunkeln. Als Erklärungsmodell für die Komposition der gesamten Gruppe ist dieses Modell daher gewiß ungeeignet, wie auch die Deutung von Ps 123 als Gebet aus der Angst vor Räubern und Ps 124 als Dank für die Rettung aus dieser Gefahr zeigt. 206 Daß der Wallfahrtspsalter besonders in liturgischer Hinsicht und in Perspektive auf den Zion hin bearbeitet worden ist, hat Seybold auch redaktionsgeschichtlich überzeugend nachgewiesen. 207 Das einheitliche Konzept der Redaktion der Wallfahrtspsalmen sieht Seybold besonders in den Segenssprüchen und der Zionsmotivik. 208 Von diesem Verständnis der Redaktion her gelingt es Seybold, den überlangen Ps 132 zu verstehen: "Ps 132 bildet das Hauptstück für die Zionsredaktion. "209 Er interpretiert die Sammlung von Wallfahrtspsalmen jedoch als ein "Vade Mecum des Zionswallfahrers, eine Sammlung zum kultischen und privaten Gebrauch, zur Einstimmung des Festpilgers auf die Segenszuwendungen, die ihn erwarteten". 210 Neben der Sicht dieser Psalmen als unmittelbar auf einer Wallfahrt gesungene Psalmen erscheint hier bei Seybold also das Moment des zusätzlichen privaten Gebrauchs der Sammlung. Die zeitliche Ansetzung der Sammlung ist in der Forschung sehr umstritten. Zwei extreme und spezielle Datierungsansätze seien hier notiert: so versteht R. Press 211 die Psalmen als exilische Hoffnung auf den Hinaufzug nach Jerusalem. Wegen der nachexilischen Ansetzung insbesondere von Ps 126 212 scheidet ~ine exilische oder gar vorexilische Datierung der Gruppe sicherlich aus. Es spncht daher zunächst einmal viel für eine Ansetzung der Gruppe in der persischen Zeit. 213 Eine extrem späte Ansetzung der Wallfahrtspsalmen als Sammlung in der vorliegenden Gestalt wird hingegen von H. Graetz vertreten, der die
mischnische Verortung der Wallfahrtspsalmen bereits 1879 nachdrücklich aufgenommen und spezifiziert hat. 214 Aus der genauen Angabe von Ps 134, daß der Lobgesang in den Vorhöfen des Tempels zur Nacht erfolgte, schließt Graetz, daß Ps 134-136 auf die Feier des Wasserschöpfens am Schluß von Sukkot zu beziehen ist, da die Innenhöfe des Tempels sonst über Nacht verschlossen waren. 215 Diese Zeremonie versucht Graetz aufgrund ihrer Ablehnung durch die Sadduzäer auf die Zeit der pharisäischen Herrschaft in der Regentschaft Salome Alexandras (78-69 v. ehr.) zu datieren. 216 Historisch bewegt sich Graetz mit diesem Ansatz im Kontext der Bevorzugung makkabäischer Datierungen in seiner Zeit. Heute sind auch für diese Sammlung von Wallfahrtspsalmen frühere Datierungen beispielsweise in das vierte Jahrhundert v. ehr. üblich. 217 Mittlerweile ist es zudem durch die Funde von Qumran neu fraglich geworden, ob Ps 133f. zur Zeit von Qumran bereits fester Bestandteil des Schlusses der Wallfahrtspsalmen waren. 218 Wir werden also diese extreme Spätdatierung von Graetz erneut zu prüfen haben. 219 Methodisch wichtig ist dabei, daß Graetz ein sogenanntes argumentum e silentio verwendet: Graetz schließt aus dem Fehlen früherer Hinweise darauf, daß die nächtliche Wasserschöpfliturgie erst im ersten Jahrhundert v. ehr. eingeführt worden ist. Möglich wäre aber auch, daß hier lediglich die Quellenlage unvollständig ist. Ein Ansatzpunkt für eine nächtliche Liturgie wäre beispielsweise in der Pessachnacht denkbar (Dtn 16,7). Doch fehlen dafür historische Quellen. Die rabbinischen Quellen schließen eine solche Interpetation, wie gesehen, sogar ausdrücklich aus. Hier fehlen also vor allem unterstützende Argumente für eine Spätdatierung der vorliegenden masoretischen Textfonn auf das pharisäische Laubhüttenfest, der wir uns mit einer Analyse des Qumranbefundes neu werden stellen müssen. 220 Graetz zieht auch die beiden nachfolgenden Psalmen 135 und 136 mit in seine Deutung hinein: enden die Wallfahrtspsalmen mit der nach Graetz levitischen Aufforderung zum Lob (Ps 134), so stimmt die Gemeinde in Ps 135 und 136 in
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206 Gegen GROSSBERG, Structures 53. Anstelle beider Psalmen wäre in dieser Interpretation wohl Psalm 23 passender, da dieser Psalm die Perspektive auf ein Leben im Heiligtum hat. 207 SEYBOLD, ZAW 91; ders., Wallfahrtspsalmen. Auf die Einzelanalyse Seybolds kann hier nur summarisch verwiesen werden. Seine differenzierte Analyse einer Redaktion, die das Individuum in den Kontext von Gesamtisrael stellt, und seine Herausarbeitung des Zusammenhanges der Wallfahrt als Kompositionschema waren ein erster Ansatzpunkt zu der hier vorgelegten Analyse. 208 Besonders SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 67. 209 SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 66. 210 SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 84 U.ö. Auf die nachkultische Verwendung der Wallfahrtspsalmen verweist auch die Einzelstudie von BEYERLIN, Vergewisserung. 211 PREß, ThZ 14, 401-415. Vgl. auch schon oben die Interpretation von BEN KIMI;II. PREß verzeichnet auch viele Motiv- und Stichwortverbindungen innerhalb der Psalmgruppe, die hier aus Raumgründen nicht aufgeführt werden, da sie z.B. überarbeitet auch bei SEYBOLD (Wallfahrtspsalmen, und ders., ZAW 91) zugänglich sind. 212 So mit MOSIS, FS Reinelt 181-201, gegen BEYERLIN, "Wir sind ... ", der die exilische Datierung des Psalmes zurecht wegen seines Bezuges auf das Leben im Land ablehnt, aber eine nachexilische Datierung trotz Ansetzung des Psalmes im Kontext des Joelbuches nicht ernsthaft erwägt. Die Ansetzung der gesamten Gruppe "im bäuerlichen Milieu" vertritt insbesondere auch SEYBOLD, ZAW 91, 260. Der Ansatz von KEET, Study, der die Wallfahrtspsalmen speziell als Psalmen zum Fest der Darbringung der ersten Früchte versteht, interpretiert diesen agrarischen Kontext jedoch zu speziell. 213 In diese Richtung geht auch Seybolds sehr differenzierte Analyse der Gruppe (SEYBOLD,
ZAW 91,267, mit Verweis auf Esr 7,9), sowie beispielsweise auch SEIDEL, FS Voigt 26-40, und STRAUß, FS Gunneweg 390- 398. 214 GRAETZ, MGWJ 28. 215 GRAETZ, MGWJ 28, 243, mit Berufung auf mTam 1; 3,7; mMid 1; Josephus contra Apionem 2,9. Vgl. auch den Hinweis auf die Sinnsprüche der frommen Männer mSuk 5 (und Gemara) bei Graetz (ebd.). 216 GRAETZ, MGWJ 28,247. 217 So etwa unlängst ZENGER, Morgenröte 128. 218 Siehe dazu unten 111.3.2.2. In 11QPs' cols ii-vi steht nach Ps 132 Ps 119, was angesichts der Länge dieses Psalms ein denkbar deutliches Abschlußsignal ist. Ps 133; 134; 135 und 136 sind an anderer Position erhalten (vgl. insbesondere die Übersichten DJD 4, 5 und die Photographien im Anhang; sowie WILSON, Editing 116f.). Zum Überblick über 11QPs' vgl. die Tabelle 3 im Anhang. Obwohl Ps 132 gegenüber den anderen Wallfahrtspsalmen überlang ist, ist er damit doch sicherer Bestandteil der Wallfahrtspsalmen. 219 Dazu unten 111.3.2, bes. S. 222ff. 220 Siehe dazu unten 111.3.2.2 und 3.2.3.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
das Lob ein. 221 Zur formgeschichtlichen Parallele von Ps 134-136 notiert Seybold bemerkenswerte Beobachtungen von K. Koch zur ~ombination v~n imperativischen und partizipialen Hymnen in Ps 134-136, dIe Koch auch 1m Sinne einer redaktionellen Textbearbeitung meint nachweisen zu können: 222
zeigt. 229 Nicht zuletzt paßt der Nachtrag Auffrets nicht in seine eigene eindrucksvolle Analyse von Ps 120-134, die drei Gruppen von je fünf Psalmen miteinander in Beziehung setzt. 230 Die Wallfahrtspsalmen gewinnen damit insgesamt in der gegenwärtigen Forschungslage trotz unterschiedlichen Herkommens der Einzelpsalmen ein beachtliches Profil als Gruppe, das mit dem Zeugnis der Mischna konvergiert. Auch wenn Detailinterpretationen wie die gen aue Lokalisierung der Mischna und die zeitliche Einordnung offen bleiben, zeichnet sich ein gemeinsamer traditions- und wirkungs geschichtlicher Ort dieser Psalmen als Gruppe in der Zeit des zweiten Tempels ab. Formgeschichtlich bemerkenswert ist, daß in dieser Gruppe Psalmen aller Gattungen vertreten sind, nicht aber das individuelle Danklied. 231
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Aufforderung: Ausführung: partizipialer Hauptteil: Schlußteil:
Ps 134,lf. Ps 134,3a Ps 134,3b Ps-
135,lf. 135,4f. 135,6ff. 135,13ff.
136,1-3 136,4ff. ('~-Hälfte)' 136,4-25 136,26
Für diese Erweiterung mag auch sprechen, daß dann Ps 127 zusammen mit seinem Zwillingspsalm Ps 128 in der Mitte der Sammlung steht. 223 Doch auch Ps 137 der beklagt, daß Zionslieder224 nicht im Exil singbar sind, wird gele, . . 225G d ' gentlieh als Kommentar zu den Wallfahrtspsalmen Inte~re~lert. era e In Kombination mit der These von Graetz zu Ps 135f. als hturglschem Schluß der Wallfahrtspsalmen gewinnt diese These hohes Gewicht, das uns jedoch wied~r in die These der Verortung der Psalmgruppe in die Exilszeit führt. Ps 136 hat In dieser Perspektive also eine mehrfache Funktion: Einerseits ist liturgiegeschichtlich der Bezug zum Ägyptischen Hallel gesichert, andererseits liegt der Bezug auch auf die Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. nahe. In dem Vers~ändnis ~on Ps 137 als Nachschrift zur Sammlung von Wallfahrtspsalmen gewInnen diese Psalmen einen nachkultischen Charakter: sie sind Wallfahrtpsalmen, aber aus dem Blickwinkel von Ps 137, dem Exil. 226 Die Wallfahrtspsalmen erscheinen also insgesamt nach hinten weniger deutlich als Gruppe abgegrenzt als nach vorn. Signifikant ist dafür auch die fehlende Überschr~~t in Ps 135-137. . P. Auffret hat nun versucht, gegen den Befund des Uberschriftensystems dIe Gruppe der Wallfahrtspsalmen bis Ps 138 weiterzuverfolgen. 227 p.s 138 leitet vorn Überschriftensystem her eine kleine Gruppe von Davldpsalmen, Ps 138-145, ein. Auffrets Argumente, die ausschließlich über Stichwortverbindungen laufen, sind wenig stichhaltig: Sowohl den Stichwortverbindungen zwischen Ps 135-138 als vermuteter Gruppe 228 als auch deren Verbindung zu Ps 120-134 fehlt die Signifikanz, wie die Verwendung von Allerweltswörtern wie ClP. , '9D, ;,iV37 , ,;,~, n~, '7.~ zur Kennzeichnung einer Stichwortverbindung
Im Unterschied zu den bisher behandelten Psalmengruppengibt es zu den im folgenden zu behandelnden Psalmengruppen keine Bezeugung ihrer Verwendung als Gruppe in der rabbinischen Literatur. Wir sind hier also ganz auf die Methoden der modernen Exegese angewiesen. Innerhalb dieser Ansätze nimmt ein kurzer Hinweis von E. Zen ger insofern eine Sonderstellung ein, als Zenger die erste Korachpsalmgruppe unter einern mehr formalen Gesichtspunkt behandelt, innerhalb dessen er Ps 46 als Mitte der ersten Korachpsalmsammlung versteht. 232 Dominierend in der Forschungsdiskussion zu den Korachpsalmen sind zwei große Untersuchungen: die Monographien von G. Wanke und M.D. Goulder. 233 Wanke vertritt den Bezug der Korachpsalmen auf Jerusalem. 234 Goulder widerspricht Wanke hinsichtlich der Gestalt des vorliegenden Textes nicht, aber postuliert eine Vorstufe des Textes, in der die Korachpsalmen als Wallfahrtspsalmen dem Heiligtum in Dan zugeordnet seien. Diese These, die bei Goulder im Zusammenhang einer Gesamttheorie zur Entstehung des nachmaligen Israel aus kanaanäischen Wurzeln zu verstehen ist,235 können wir im folgenden außer Betracht lassen, da sie in jedem Fall nicht den durch Wanke
GRAETZ, MGWJ 28, 245. KOCH mündlich, zitiert nach: SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 74. Koch hält Ps 134,3a; 135,14ff.; 136,23f. für redaktionelle Passagen in kontextueller Funktion. 223 Siehe oben 1.2.1 zu der Stellung der Zwillingspsalmen. 224 "'lV ist immer das positiv gestimmte Lied. 225 Ähnlich fragt bereits BEAUCAMP, DBS 9, 147: "Est-ce acette collection que fait allusion le Psaume cxxxvii lorsqu'il parle des "cantiques de Sion" (vv. 3-4)?". Deutlich für diese Position ist die struktural-linguistische Studie von AUFFRET, Sagesse 549, der allerdings auch Ps 138 in seine Analyse miteinbezieht, sowie FREEDMAN, FS Albright 187-205, hier 192. 226 Zur Bedeutung der überschriftslosen Psalmen vgl. bereits oben S. 18 und unten III. passim. 227 AUFFRET, Sagesse 544. 228 AUFFRET, Sagesse 545f.
Gegen AUFFRET, Sagesse 546ff. Zur Kritik s. 0.1.2.2. V gl. dazu insbesondere AUFFRET, Sagesse 529, und die Beobachtungen zum liturgischen Element "Es spreche Israel" ("~'J~, 19 .,~·K', siehe oben S.37) und zur Drittelung der Sammlung von Wallfahrtspsalmen (siehe unten II.1.2). 231 So bereits GUNKErJBEGRlCH, Einleitung 453. 232 ZENGER, FS Füglister 406f. Anm. 23 (s. o. S. 25). Zum kontextuellen Ansatz von Zenger vgl. die konzentrische Analyse von Ps 46 als Einzelpsalm durch TsuMuRA, AJBI 6, 29 - 55. 233 WANKE, Zionstheologie; GOULDER, Psalms. 234 WANKE, Zionstheologie 32: "Eine derartige Fülle von Aussagen über Zion und Jerusalem in direkter wie in indirekter Form im Zusammenhang mit einer annähernd bekannten und auch datierbaren Personengruppe, wie es die Korachiten sind, findet sich nirgendwo im Alten Testament." 235 GOULDER, Psalms 239ff.
221
222
2.3.5 Die Korachpsalmen
229 230
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
bereits hinreichend charakterisierten Text der vorliegenden Gestalt berührt. Allerdings nehmen wir von Goulder den Hinweis auf, daß die Korachpsalmengruppen jeweils mit einem Wallfahrtspsalm beginnen,236 den wir allerdings auf der Ebene der Gestalt des vorliegenden Textes als Wallfahrt nach Jerusalem zu verstehen haben. Für unsere Analyse ist Goulders Arbeit insbesondere dadurch wichtig, daß er die parallele Anordnung der beiden Gruppen von Korachpsalmen vollständig herausarbeitet, die Wanke bereits für Ps42f. und 84 angedeutet hatte: 237
der konstruiert die Psalmen als Reflex einer Prozession im Kontext der dramatischen Ereignisse des Absalomaufstandes (ISam 15 ff.). Er bemerkt dabei den Zusammenhang zum ersten Psalmbuch, in dessen Eröffnung Ps3,1 mit der midraschartigen Überschrift auf diese Geschichte rekurriert, und setzt auch das gesamte erste Psalmbuch in Relation zu ISam 16-1Kön 1. 241 Ähnlich verortet er Psalm 51-72 im Kontext der sogenannten Thronfolgeerzählung, die Goulder die Leidensgeschichte Davids 242 nennt. Im Anschluß an K. McCarter 243 u. a. notiert er, daß die Flucht Davids aus Jerusalem den Charakter einer Wallfahrt hat. 244 Die Stationen dieser Wallfahrt setzt er dann in Beziehung zu den Psalmen der Gruppe Ps 51 ff. Kritik verdient Goulders Ansatz, weil er den literarischen Verweis auf David in der Psalmüberschrift für die Spiegelung einer historischen Wirklichkeit der Thronfolgegeschichte hält, dem Überschriftselement 1'177 also historisch alles zutraut, die in dieser Gruppe gehäuft vorkommenden midraschartigen Überschriften aber noch nicht einmal auf der Textverweisebene interpretiert. Auch das ÜbeTschriftselement Cl'1:l~ das Ps 56-60 verbindet, ignoriert Goulder beispielsweise. 245 Er erklärt ~l~~ 'nicht den vorliegenden Text, der durch die Psalmüberschriften eine andere Beziehung vieler dieser Psalmen der elohistischen Sammlung von Davidpsalmen auf die Samuelbücher nahelegt, 246 sondern eine von ihm postulierte Vorform. Wenn die These von Goulder einer originalen Davidpsalmsammlung anläßlich einer Prozession zutreffen würde, wäre sie also bereits von dem Redaktor der die midraschartigen Psalmüberschriften eingefügt hätte, nicht verstande~ oder bewußt übergangen worden. Selbst Goulders Hypothese, :1?9 sei gegenüber den Psalmgrenzen zusätzlicher Texttrenner, führt er keineswegs konsequent durch, da er in seiner Interpretation andere Texttrennungen vorgibt. 247 Dieser Ansatz von Goulder zu der zweiten Davidpsalmgruppe läßt insgesamt also erheblich mehr Fragen offen, als er beantwortet. Er ist deshalb nicht weiterzuverfolgen.
42
Ps 42f. Ps 44 Ps45f. Ps 47f. Ps 49
Ps 84 Ps 85 Ps 87 Ps 88
(Wallfahrt) (Volksklage ) (König, Zion, vgl.Ps 86 als Davidpsalm) (Zion) (weisheitliche Klage)
Beachtlich ist die Anfangsstellung der durch die Wallfahrt motivierten Psalmen in bei den Gruppen. Von daher liegt ein Vergleich dieser Psalmengruppen mit den als solchen betitelten Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. nahe, der im folgenden formgeschichtlichen Teil anzugehen sein wird. 238 Nicht einleuchtend bei Goulders Ansatz ist mir die Zuordnung von Ps 46 zu Ps 45, da Ps 46 als Zionslied größere Nähe zu Ps 48 hat.
2.3.6 Die zweite Sammlung von Davidpsalmen (Ps 51ff) M. D. Goulder hat unlängst nach seinem Aufsatz zum vierten Psalmbuch und der Arbeit über die Korachpsalmen eine weitere Arbeit vorgelegt, in der er seinen Ansatz, Psalmgruppen formgeschichtlich zu beschreiben, auf die Davidpsalmgruppe Ps 51-72 239 ausgedehnt hat. Er wagt es in diesem Buch, die Psalmen in die durch die Namensüberschrift vorgegebene Zeit zu datieren: "the Prayers were indeed written ,for David', by one of his dosest attendents, a priest"240 .
Obwohl sich Goulder über die dadurch erfolgende Provokation im klaren ist und sich bereits als Fundamentalist verdächtigt sieht, ist die argumentative Grundlage seiner Hypothese an dieser Stelle bemerkenswert schwach. Goul236 GOULDER, Psalms 23ff. Vgl. bereits GUNKErJBEGRlCH 309ff., sowie SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen 16. 237 WANKE (Zionstheologie 18) sieht allerdings Ps 84 als Lied zum Ende der Wallfahrt, während GOULDER beide Psalmen dem Beginn des Wallfahrtsfestes zuordnet. Zum Vergleich siehe nun auch Ono, ThWAT6, 994-1028, hier 1014f., der ähnlich wie Goulder die Parallele zwischen beiden Korachpsalmgruppen vervollständigt. Die Themenangaben am rechten Rand der Tabelle sind von mir ergänzt. 238 S. u. 1I.1. 239 GOULDER (Prayers) bezieht Ps 71 als überschriftslosen und Ps 72 als Salomopsalm in die Analyse ein. 240 GOULDER, aaO. 9. Vgl. aaO. 229 u. Ö.
2.3.7 Die Asaphpsalmen War bei den bisher behandelten Psalmgruppen in der Forschung ein Verständnis der Gruppe als kohärenter Text möglich, so bewegt sich die Forschungslage bei den Asaphpsalmen noch ausschließlich auf der Ebene der 241 GOULDER, aaO. 85f. Vgl. dagegen die unterschiedliche Behandlung der midraschartigen Psalmüberschriften in 1I.3.1. und 1I.3.2. 242 GOULDER, aaO. 40ff. Die Abkürzung "PD" bedeutet bei Goulder Passion o[ David. 243 MCCARTER, 1I Samuel, z. St. 244 GOULDER, aaO. 46. 245 Vgl. die Gliederung GOULDER, aaO. 141. 246 Der grundlegende Aufsatz von CHILDS, JSS 16, 137-150, der die Psalmüberschriften mit narrative~ Element, die ihren Schwerpunkt in der Sammlung von Davidpsalmen Ps 51 ff. haben, als M1draschelement behandelt, erscheint bei GOULDER (aaO.) noch nicht einmal in der Literaturliste. 247 Vgl. GOULDER, aaO. 162ff.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
2. Exegetische Ansätze zur Beschreibung des Zusammenhanges von Psalmen
Traditions- und Formgeschichte von Einzelpsalmen, innerhalb derer dann Gemeinsamkeiten gefunden werden, ohne daß Hypothesen zu der Reihenfolge dieser Psalmen zu verzeichnen wären. 248 In einem frühen Ansatz hat bereits M. J. Buss einen Teil dieser Psalmen im Nordreich verankert. 249 In der Weiterarbeit dieses Ansatzes kommt H. Nasuti 250 zu dem Ergebnis, daß die Asaphpsalmen einen gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund haben, den er auf die Region Ephraims festlegt. 251 Vorsichtiger hat sich auch Seybold in dieser Richtung geäußert: Die Asaphpsalmen stammen "aus dem Traditionsstrom und Erbe des Nordens". 252 Da aber in der vorliegenden Fassung die Gruppe mit dem Zionspsalm Ps 76 auf Jerusalem bezogen ist, können wir in jedem Fall die Psalmengruppe in der Endfassung hier verorten. 253 Wichtiger als die traditionsgeschichtliche Hypothese Nasutis ist für unseren Zusammenhang seine Beobachtung, daß in den Asaphpsalmen im wesentlichen zwei Gattungen vertreten sind: Klagelieder des Volkes und prophetische Psalmen. Leider verzichtet Nasuti auf eine Beschreibung der Asaphpsalmen als Gruppe in der vorliegenden Form. Von der Anordnung der Psalmen her außerhalb der Sammlung von Asaphpsalmen steht Ps 50 als Einzelpsalm, dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe aber auch von den traditions- und formgeschichtlichen Untersuchungen her unbestritten ist.
Wir brechen hier ab und sammeln hier nicht auch bereits die Forschungsergebnisse zu den nächstgrößeren Einheiten, den Kleinpsaltern wie etwa dem elohistischen Psalter, da wir die Fragen nach den literarischen Vorstufen des Psalters nach der Analyse der Psalmgruppen ohnehin stellen werden. 257 Insbesondere das erste Psalmbuch, das zwar überwiegend Davidpsalmen enthält, 258 fällt bereits rein umfangmäßig mit 37 Davidpsalmen deutlich gegenüber den anderen hier beschriebenen Psalmgruppen heraus, die etwa ein Dutzend Psalmen meist in zwei Teilgruppen umfassen. Die Gruppe von Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. mit 15 Psalmen mit gemeinsamem Überschriftselement ist hier nur scheinbar eine Ausnahme, weil es sich bis auf Ps 132 um sehr kurze Psalmen handelt. Da das erste Psalmbuch zudem mit überschriftslosen Psalmen durchbrochen ist, liegt es nahe, es als eine mehrfach untergliederte Einheit zu verstehen und nicht als eine geschlossene Psalmengruppe. Solche zusätzlichen Untergliederungen von durch Überschriften gekennzeichneten Psalmengruppen werden wir im folgenden Kompositionsbögen nennen. Nicht behandelt worden sind weiterhin die kleineren Sammlungen von Davidpsalmen (Ps 138-145, eventuell auch Ps 101; 103; 108; 109; 110). Während dies in den Psalmen im Textbereich von Ps 101-110 nicht zuletzt an der vereinzelten Stellung dieser Psalmen liegt, ist dies für Ps 138-145 - soweit ich sehe - ein Literaturdefizit.
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2.3.8 Andere Textbereiche
2.3.9 Zwischenergebnis
Auch zu anderen Psalmengruppen gibt es vereinzelt Hinweise auf literarische Bezüge. So sind oft die thematischen Gemeinsamkeiten der Jhwh-KönigPsalmen notiert worden, die - mit der eigens zu interpretierenden Ausnahme von Ps 94 254 - dieselben Motivfelder variieren. 255 Daß mit der Ausnahme des Ägyptischen Halleis und der Wallfahrtspsalmen Ps 120ff. in antiker Zeit keine Psalmgruppen im jüdischen Gottesdienst zitiert wurden, gilt auch für die JhwhKönig-Psalmen Ps 92f. und 95-100, die erst in späterer Zeit im aschkenasischen Sabbatgottesdienst nachweisbar sind. 256
Die verschiedenen hier betrachteten Psalmgruppen haben insgesamt einen unterschiedlichen nachweisbaren Sitz im Leben: Neben der Verwendung des Ägyptischen Halleis in der Tempelliturgie ist seine Verwendung in den Hallel-Einschüben im jüdischen Gottesdienst nach der Zerstörung des zweiten Tempels an den drei Wallfahrtsfesten sowie an Chanukka und am Monatsanfang belegt. 259 Das kleine Hallel fanden wir hingegen nur deutlich nach der Zerstörung des zweiten Tempels als liturgische Gruppe verwendet. 260 Für die Wallfahrtspsalmen hingegen ergab sich ein
248 Die von GOULDER (aaO. 8) angekündigte Arbeit über die Asaphpsalmen wird die hier bestehende Forschungslücke zu schließen versuchen. Vgl. auch die Hinweise von BECKER, Wege 117, der zahlreiche Stichwortverbindungen zwischen verschiedenen Asaphpsalmen notiert. 249 Buss, JBL 82, 382-392. 250 NASUTI, History. 251 NASUTI, aaO. 115f. 252 SEYBOLD, Psalmen 104. 253 So die traditionsgeschichtliche Analyse von SCHELLING, Asafpsalmen. 254 Siehe dazu ZENGER, FS Ehrlich, und unten II.3.4 sowie III.2.2.2. 255 So insbesondere HOWARD, Strukture, und ohne Berücksichtigung der Frage nach dem vorliegenden Kontext JEREMlAS, Königtum 107ff., und dazu besonders die kaum weniger ausführliche Rezension von JANOWSKl, ZThK 86, 389-454, bes. 396ff. 256 Vgl. MAlER, Verwendung 68ff. In dieser liturgischen Zitation fehlt Ps94, die Ps92f. werden nach den Ps 95ff. zitiert, und beispielsweise Ps 29 wird eingeschoben. Deshalb wird
diese Psalmenzitation hier nicht als Zitierung einer Gruppe verstanden. Die Überschrift von Ps 92, die diesen als Sabbatpsalm ausweist, wird auf die folgenden Psalmen abgestrahlt haben. Daß die Zitierung der Jhwh-König-Psalmen am Sabbat alte jüdische Tradition ist, ist ausgeschlossen, da Ps 93 bereits in der Antike dem Freitagabend und Ps 94 dem Mittwoch zugeordnet werden (so übereinstimmend mTam 7,4; bRHSh 31 a; Sof 18,1.8 und die Überschriften der Septuaginta, vgl. Pirke Rab Eliezer 19; Psikta Rab Kahana 22,l06b; Midrasch Tanchuma 1,19; GenR 22,13; LevR 110,4; Shr 4,4; bBB 14b). 257 Siehe unten III.1. 258 Überschriftslose Psalmen sind lediglich Ps 1; 2; 10 und 33. 259 Vgl. die Übersicht tSuk 3,2. Siehe oben S. 30f. 260 So im mittelalterlichen Siddur R. Saadja Gaon (Kitäb Gämi' A~-~alawät wat-tasäblh) und R. Amram Gaon nachweisbar. Eine Vordatierung der liturgischen Zitierung des kleinen Halleis wie auch anderer liturgischer Texte, wie ihn WERNER, Bridge, vollzieht, bleibt den historischen Nachweis schuldig.
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
möglicher Sitz im Leben als Gruppe aus den mischnischen Quellen im wesentlichen nur vor der Zerstörung des zweiten Tempels. 261 Für alle anderen Psalmengruppen fehlen Hinweise auf die Verwendung als Gruppe aus der jüdischen Liturgie völlig. 262 Wir haben damit für die verschiedenen Psalmgruppen eine ganz unterschiedliche Ausgangsposition: am weitreichendsten ist dabei die Forschungslage zu den Psalmen des Ägyptischen Halleis und zu den Wallfahrtspsalmen Ps 120ff., die sich aufgrund mischnischer Quellen und moderner Exegese als zusammengehörige Psalmgruppe mit einem gemeinsamen Sitz im Leben herausstellten. Ein den Wallfahrtspsalmen vergleichbarer Sitz im Leben zeichnet sich für die Korachpsalmen ab, wobei wir nur eine diesbezügliche Hypothese moderner Exegese vorfinden. Ein formgeschichtlicher Vergleich dieser Psalmgruppen bietet sich nach dieser ersten Übersicht an. 263 Dagegen bewegt sich die Forschung an den Asaphpsalmen weitgehend auf der traditionsgeschichtlic~en Ebene, sie kann daher eine gemeinsame Herkunft der Asaphpsalmen plausIbel machen, aber ein Ansatz zum Verständnis der Gruppe als zusammenhängendem Text fehlt. Offen bleibt auch, wie die anderen Psalmgruppen, insbesondere das kleine Hallel und die Davidpsalmgruppen, zu den Psalmgruppen der levitischen Sängergruppen und den Wallfahrtspsalmen stehen.
man weiterhin den zwingenden Gedankengang von Psalm zu Psalm etc. Die rein innertextliche Betrachtung der Psalmengruppe hat also eine nicht zu unterschätzende Unsicherheit. Diese Unsicherheit begleitet den Versuch, auch andere Psalmgruppen verorten zu wollen. Aber die "Unzulänglichkeiten" dieser sicher als Gruppe zu verortenden Psalmsammlung kann ein Hinweis sein, Kriterien für andere Psalmgruppen zu bilden. Die Verortung des Ägyptischen Halleis als Teil der Pessachliturgie wäre z. B. bei einer Betrachtung nur des biblischen Textes möglich, wenn die einzeltextisolierende Wahrnehmung von Psalmen aufgegeben würde: Ps 114 steht nicht nur als Einzeltext sondern auch innerhalb der durch Hallelujah gekennzeichneten Gruppe für den Bezug auf den Exodus, Ps 118 für die ursprüngliche Tempelliturgie etc. Es genügt also innerhalb der durch die Überschriften als gemeinsam ausgewiesenen Gruppe zunächst jeweils ein Psalm, um einen ersten Hinweis auf die Verortung der Gruppe zu geben, wenn die anderen Psalmen dieser Verortung nicht explizit widersprechen. Zu beachten ist dabei aber, daß sich das Überschriftensystem offensichtlich nicht nur auf die eigentlich liturgischen Teile, sondern auch auf Rahmenpsalmen wie Ps 111 f. bezieht. Weiter wird zu fragen sein, ob und - wenn ja - wie liturgischer Kern und Rahmen voneinander trennbar sind. Ein solcher weitreichender Interpretationsvorgang wird jedoch sehr behutsam anzugehen sein. Formgeschichtliche Exegese der Psalmgruppen muß versuchen, diese für die Formgeschichte der Gruppe wichtigen Einzelelemente sicher und das heißt methodisch nachvollziehbar zu ermitteln, ohne den möglichen Aussagehorizont zu überschreiten. Was wir benötigen, ist - kurz gesagt - eine Formgeschichte der Psalmengruppen.
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2.4 Weiterführung Die Frage ist, was Kennzeichen einer liturgisch verwendeten Psalmengruppe wäre, wenn ihre Verwendung nicht als antike jüdische Liturgie außerhalb der Bibel belegt wäre. Machen wir deshalb ein gedankliches Experiment, indem wir die Psalmengruppe, die zweifelsfrei in antiker Zeit im jüdischen Gottesdienst verwendet wurde, das Ägyptische Hallei, nur als Text ohne die äußeren Hinweise auf ihre Verortung betrachten. Innertextlich legt sich die Zusammenordnung dieser Psalmen abgesehen von dem überschriftartig gebrauchten Hallelujah keineswegs zwingend nahe. Zudem ist das überschriftartig gebrauchte Element nicht völlig einheitlich,264 und es geht über Ps 113-118 hinaus in die akrostichische Umgebung des Hallels. 265 Der inhaltliche Bezug auf den Auszug aus Ägypten steht nur in einem Psalm (Ps 114). Die Kennzeichnung als Wallfahrtsliturgie zum Tempel paßt vom Gesichtspunkt der Einzelpsalmenexegese nur zu einem Psalm (Ps 118). Es fehlt insbesondere die Möglichkeit, von Psalm zu Psalm signifikante Stichwortverbindungen zu notieren. Vermissen könnte 261 Die mittelalterliche Verwendung von Ps 120-134 als Teil des Sabbatgebetes bleibt zeitlich und örtlich sehr beschränkt (mit GOLDSCHMIDT, Liturgy 194f.; MAlER, in: Liturgie 55-90, hier 69 Anm. 50 der Hinweis auf Goldschmidt). . 262 Mit THOMA, Psalmenfrömmigkeit; MAlER, Verwendung und SCHÄFER, GottesdIenst. 263 Siehe dazu 11.1. 264 Vgl. Ps 115 als Psalm ohne Hallelujah als Psalmtrenner. 265 Ps 111 und 112, zu Ps 119 siehe oben S. 33 (bes. Anm. 174).
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte der Einzelpsalmen 3.1 Beschreibende und normierende Formgeschichte Mit dem Versuch einer Formgeschichte der Psalmengruppen wagen wir uns in ein von der Forschung bisher so nicht erschlossenes Terrain. Es fragt sich, warum der Versuch einer formgeschichtlichen Beschreibung von Psalmengruppen bisher noch nic~t erfolgt ist, obwohl die Zusammenordnung der Psalmen in Gruppen nach der Uberschrift in fast allen Einleitungen und Psalmenkommentaren vermitteltes Grundwissen ist und die Formgeschichte die bedeutendste Methode der Psalmenexegese darstellt: Die Elemente der hier vorzustellenden Beschreibung sind wohlbekannt, die Analyse ist gleichwohl neu. Es wird daher zuerst auch nach den impliziten Voraussetzungen zu fragen sein, die einer formgeschichtlichen Beschreibung der Psalmengruppen im Wege stehen. Eines dieser Hindernisse scheint mir die Orientierung der Formgeschichte
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
auf die Frage nach der ursprünglichen reinen Form zu sein. Forschungsgeschichtlich ist der Widerspruch gegen diese literarkritisch orientierte Formgeschichte insbesondere mit dem Namen von M. Weiss 266 verbunden. Weiss wendet sich gegen die sehr detaillierte und damit auch literarkritische Formgeschichte von C. Westermann. Dieser beschreibt beispielsweise einen detaillierten fünfteiligen Aufbau des Klageliedes des Volkes, den er ausdrücklich als "konstitutiv" bezeichnet: 267
Bei Westermann geht diese enge Normvorstellung hinsichtlich formgeschichtlich korrekter Psalmen einher mit einer Systematisierung und Reduktion formgeschichtlicher Analysekriterien: mit den Polen der negativen und positiven Stimmung (Klage und Lob) sowie der Personenzahl (Singular und Plural) blendet Westermann in diesem frühen Ansatz Psalmen, die nicht in ein solches Analyseschema passen, aus. Dies sind im wesentlichen die sogenannten kleinen Gattungen, bei denen diese bis in die kleinsten Details gehenden formgeschichtlichen Bestimmungen auch nur im Ansatz nicht greifen würden. 270 Derartige kleine Gattungen, die in der Neufassung der Gunkelschen Formgeschichte durch Westermann nicht behandelt werden, sind Segens- und Fluch worte, das Wallfahrtslied, das Siegeslied, das Danklied des Volkes, die Legende, die Tora sowie beispielsweise die Königspsalmen. Westermann selbst hat in späteren Werken sich nicht mehr auf die beiden großen Gattungen von Klage- und Lobpsalmen beschränkt und auch die kleineren Gattungen behandelt. 271 Hier werden seine Analysekriterien erheblich großzügiger. Doch in seinem sehr schematischen frühen Ansatz werden die impliziten Normen deutlich, nach denen ein Psalm einer Gattung zugeordnet wird: die Einheitlichkeit der Personen- und Stimmungsstruktur. Umgekehrt sind vom Standpunkt der deskriptiven Formgeschichte her die Ausnahmen von diesen impliziten Normen die entscheidenden Herausforderungen. Während wir in dieser Arbeit die Grenze von Einzelpsalmen in der formgeschichtlichen Beschreibung überschreiten werden, wird sie in der üblichen formgeschichtlichen Exegese oft unterschritten: Formgeschichte ist innerhalb des Postulates der ursprünglich reinen Form lediglich ein Hilfsmittel der Literarkritik. Die Grenzfälle, die wir im folgenden behandeln, betreffen also das Verhältnis von Formgeschichte und Literarkritik. Es geht um Psalmen, die von einigen Exegeten formgeschichtlich als Einheiten beschrieben werden und andererseits aufgrund formgeschichtlicher Analysen in mehrere Psalmen getrennt werden können. In allen im folgenden zu verhandelnden Beispielen bieten sich uns zwei formgeschichtliche Beschreibungsmöglichkeiten an: eine, die den Text in seiner vorliegenden Fassung formgeschichtlich beschreibt, und eine, die aufgrund der formgeschichtlichen Analyse zu literarkritischen Urteilen gelangt und einen als Einheit überlieferten Psalm in mehrere Psalmen oder Textstufen teilt. In der Formgeschichte, die die literarkritisch geteilten Psalmen als Einheit beschreibt, haben wir also in gewisser Weise einen Analogiefall zu der von uns intendierten formgeschichtlichen Beschreibung von Psalmgrup-
,,1. Anrede Einleitende Bitte 11. Klage 111. Bekenntnis der Zuversicht IV. Bitte (Doppelwunsch) V. Lobwunsch"
Anschließend stellt er fest: 268 ,,1. Der konstanteste von allen Teilen ist die Bitte. Sie fehlt nie. 2. Deutlich wahrnehmbar ist eine Tendenz des Anwachsens der Bitte und des Schwindens (oder Ersatzes) der Klage. Diese Tendenz kann bis zur Einebnung des ganzen Psalms zur Bitte führen ... "
Mit diesen Sätzen relativiert Westermann seine eigene Beschreibung der Volksklage: die Detailbeschreibung stellt einen Idealfall dar, der nur wenige Psalmen, oft sogar nur einen einzigen Psalm beschreibt. Ähnliches unterläuft Westermann bei der Beschreibung des Modellfalles eines von ihm genannten beschreibenden Lobpreises (partizipialer Hymnus), Ps 113. Nachdem Westermann v. 6b hinter v. 5a gestellt hat, schreibt er: 269 ,,5b und 6a ist die Mitte des Psalms. 5b faßt 4-5 zusammen, 6a wird in 7-9 entfaltet. Der Psalm hat einen sehr einfachen und klaren Aufbau."
Die Feststellung des einfachen und klaren Aufbaus im Sinne seiner Formgeschichte betrifft noch nicht einmal den als Musterpsalm gewählten Ps 113 in der vorliegenden Textform, sondern einen Psalm, den Westermann erst durch Umstellung bzw. Entfernung von v. 6 b konstruiert hat. Er konstruiert damit aufgrund eines formgeschichtlichen Ideals einen literarkritisch als ursprünglich vermuteten Psalm. Die Formgeschichte ist hier Hilfsmittel der Literarkritik. Wenn nun aber schon die Detailbeschreibung einzelner Psalmen mit der Formgeschichte Psalmen derselben Gattung nicht vollständig erfassen kann, ohne literarkritisch zu werden; können wir erst recht bei der Beschreibung der Formgeschichte der Psalmgruppen nicht die Klärung aller Details erwarten, wenn wir auf den Notbehelf der Literarkritik verzichten wollen. 266 WEISS, VT.S 22, 88-112. Neben diesem wohl prägnantesten Aufsatz von Weiss vgl. auch: ders., Wege, und ders., Bible. 267 WESTERMANN, Lob 39. 268 Ebd. 269 WESTERMANN , Lob 88.
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Vgl. WESTERMANN, Lob 12. V gl. WESTERMANN , Psalter. Ein kompositorisch besonders interessantes Ergebnis dieser Hinwendung zu den kleinen Gattungen wurde bereits referiert (s. o. S.4 zu WESTERMANN , Sammlung). Ein Gegenpol zu Westermanns Versuch der Weiterentwicklung der Gunkelsehen Formgeschichte stellt der bei KRAUS ab der fünften Auflage seines Psalmenkommentars e1978) erfolgte Neuansatz dar, der die Gattungen der Psalmen eher anhand thematisch festgelegter Psalmen gruppen analog zu den bei Gunkel sogenannten kleinen Gattungen bestimmt. Vgl. jedoch den ganz ähnlichen Denkansatz bei WESTERMANN, Lob 60. 270
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Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
pen. Wir hoffen, im Nachvollzug einiger Beispiele einer formgeschichtlichen Analyse von Einzelpsalmen, in denen normative und deskriptive Analysen gegenüberstehen, erste Kategorien zu finden, die auch Einheiten von mehreren textlich getrennt überlieferten Psalmen beschreibbar machen.
3.2 Formgeschichtliche Doppelung innerhalb eines Psalms Als erstes Fallbeispiel wählen wir Ps 18. Während insbesondere noch H. Schmidt die Aufteilung von Ps 18 in zwei Teilpsalmen vorschlug, 272 wird heute zumeist der Psalm als Einheit von zwei Teilen angesehen. Die Gattungsbestimmungen beider Teile sind problematisch: Der Anfang des Psalms beginnt danklieduntypisch mit '91tO';l!5 (mit der Septuaginta wohl: "Ich will dich lieben") 273 , auch der breite Theophanieteil in der ersten Hälfte des Psalms ist für das Danklied untypisch. 274 Der zweite Teil stellt weder ein ausschließlich als Danklied noch als Königspsalm zu verrechnendes Stück dar, sondern eine Mischung aus beidem. 275 Da wir bei einer formgeschichtlichen Betrachtung der postulierten Teilpsalmen ohnehin besondere Mischgattungen annehmen müßten, können wir auch gleich mit der Abtrennung des vorliegenden Textes Ps 18 als ganzen Psalm einer speziellen Gattung zuweisen. Ps 18, der mit wenigen textlichen Abweichungen auch durch die Übernahme in 2Sam 22 als ein Psalm bestätigt wird,276 ist eine einheitlich lesbare Größe, für die eine Gattungsbestimmung wie Königsdankpsalm 277 als Näherungsbestimmung zutrifft, wenn wir nicht einfach in Anschluß an J. Begrich Mischungen oder F. Stolz Mischpsalm 278 sagen wollen. Das Problem des Neuansatzes innerhalb von Ps 18 ist nun keineswegs singulär und auf Psalmen mit problematischer Gattungszuweisung beschränkt: Ins-
272 SCHMIDT z. St. und BAuMANN, ZAW 61,131-136; GUNKEL (z. St.) verweist als weitere, ältere Vertreter dieser These u. a. auf BUDDE (Bücher Samuel314 ff.) u.a ... V gl. auch SELLINI FOHRER, Einleitung 309 und distanziert CRÜSEMANN, Studien 254ff. SPOER, ZAW 27, 145-161, hier 149ff., ging gar von 2 Psalmen und einem zusätzlichen Fragment, v. 8-16, aus (so auch bereits GRAETZ z. St.). 273 Die Wurzel on, ist als Qal-Form ein Hapax Legomenon und mit Gott als Objekt auch semantisch ungewöhnlich, wird aber bereits von der Septuaginta (aymtT]aU)) bestätigt. Andere Lösungen wie die Konjektur '97?7;l"~ (BHS z. St.) beseitigen zwar das semantische Problem, schaffen aber neue wie etwa die dann völlig ungewöhnliche Weiterführung ohne '~ (dazu CRÜSEMANN, Studien 269). Dieser schwierige Vers ist in der Variante 2Sam 22 weggelassen. 274 GUNKELIBEGRICH, Einleitung 265 ff.; CRÜSEMANN, Studien 21Off., bes. 258; KRAUS z. St. 275 CRÜSEMANN, aaO. 256f. Vgl. auch WEISER 126, der besonders in v.44f. 49 beide Themen verbunden sieht. 276 Zu dem Ergebnis, daß Ps 18 in 2Sam 22 aufgenommen wurde, gelangen neben der Monographie von SCHMUTTERMAYR, Psalm 18, 16, auch WEISER, KRAUS u. a. (z. St.). 277 So CRÜSEMANN, aaO. 256f., zu Ps 18B. Vgl. auch HOSSFELD, FS Groß 171-190. 278 GUNKELIBEGRICH, Einleitung § 11 (S. 397ff.); STOLZ, Psalmen. S. u. Anm. 291.
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
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besondere Ps 30 279 als gedoppeltes Danklied, Ps 47 280 und 147 281 als gedoppelte Hymnen und Ps 27 282 und 102 283 als gedoppeltes Klagelied weisen auch das formgeschichtliche Phänomen der Doppelung innerhalb eines Psalms ohne deutlichen Gattungswechsel auf. Die Lieddoppelung innerhalb eines überlieferten Psalms ist daher weder für bestimmte Gattungen typisch noch auf bestimmte Gattungen beschränkt. Die gedoppelten Psalmen haben kompositorisch ihre nächste Parallele in den bereits beschriebenen Zwillingspsalmen, also in den Fällen, in denen zwei gleichartige Psalmen - dann allerdings mit deutlichem Trenner - hintereinandergestellt sind. 284 Hier entspricht also ein formgeschichtliches Phänomen innerhalb von Psalmen einem Phänomen in der Reihung von Psalmen. Als formgeschichtliches Ergebnis nehmen wir also mit, daß dieselbe Form sich innerhalb eines Psalms wiederholen kann. Auch wenn zwei oder mehr gleichartige Psalmen zusammenstehen, muß deshalb nicht von einem Bruch in aus anderen Gründen als zusammengehörig ausgewiesenen Psalmengruppen ausgegangen werden. Diese Aneinanderreihung gleicher Motive wird auf der kleineren Ebene von Sprachmotiven und Formeln innerhalb eines Psalms Cluster genannt. 285 Ähnlich kann die Reihung von formgeschichtlich gleichen Sätzen oder Satzteilen innerhalb eines als textlicher Einheit überlieferten Psalms als Cluster verstanden werden. Diesem Phänomen der Reihung ähnlicher Elemente innerhalb eines Psalms werden wir auch auf der Ebene der Psalmkomposition begegnen.
279 Dazu GUNKEL 127. Zu beachten ist insbesondere die doppelte Schilderung der Klage (v. 3.9-11) und der Errettung (v. 4.12f.). v. 7 ist in diesem Verständnis Neuansatz nach der Mitte des Psalms v. 5 f. Durch die Rahmenverse des Gesamtpsalms ist ein Verständnis des Psalms als Einheit jedoch gesichert. 280 Dazu JEREMIAS, Königtum 50f. Bei Hymnen ist es schwieriger, einen definitiven Neuansatz zu bestimmen, da sie ohnehin Doppelungen als Strukturelement haben. 281 Ps 147 setzt in v. 12 neu an. Die Abfolge ist: Lobaufruf (v. 1.12), der '~-Teil mit dem ~hema Jerusalem (v.2f .. 13f.), Schöpfung (v. 4-9.15-18) und Israel (v.l0f..19f.) (so unlangst LOHFINK, Lobgesänge 117). 282 WESTERMANN , Lob 49. V gl. die Auseinandersetzung mit der älteren Literatur, die in Ps 27 zwei ursprüngliche Psalmen sah (z. B. KITTEL Z. St.), bei BIRKELAND ZAW 51 216-221 283 DUHM, GUNKEL u. a. z. St.; vgl. die Vorbehalte bei WEISER 446. W~STERMAN~ Lob 49' sieht Ps 102 als einen Psalm. ' , 284 Kompositionell scheint in einem Fall ein gedoppelter Psalm (Ps 18) zwei Zwillingspsalmen (Ps 20f.) zu entsprechen, was angesichts der Länge von Ps 18 als drittlängstem Psalm des Psalters nicht verwundert. Dazu oben 1.2.2 (S. 24 f.). 285 So insbesondere AEJMELAEUS, Prayer, hier bes. SOff. Auf der Ebene der mündlichen Texte hat dies bereits CULLEY, Language, herausgearbeitet. Die deutsche Fassung des englis~hen Aus~~ks cl~ter (Gruppe, Traube) ist nicht in allen deutschen Wörterbüchern geläufig, aber b~lsplelswelse von dem Bremer MAcKENsEN (Wörterbuch 511) als niederdeutsches Wort verzeIchnet. Der Ausdruck dürfte außerdem aus der Musikwissenschaft bekannt sein.
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Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
3.3 Wechsel der Personenstruktur innerhalb eines Psalms
In der Regel ist ein Psalm durch eine einheitliche Personenstruktur und Sprechrichtung gekennzeichnet. Doch auch innerhalb der Formgeschichte der Einzelpsalmen gibt es mehrere Möglichkeiten von Personenwechseln innerhalb eines Psalms. Schauen wir uns also auch hier die Ausnahmen von der Regel an, um einer Formgeschichte der Psalmengruppen vorzuarbeiten. Der erste und einfachste Fall ist der Wechsel zwischen Singular und Plural und der zweite der Wechsel des Modus von direkter und besprechender Rede derselben Person. Nehmen wir Ps 66 als Beispiel für den Numeruswechsel innerhalb eines Psalms. Ps 66 wird üblicherweise in zwei Teile zerlegt, weil die erste Person Plural v. 8-12, in der Israel von den Heilstaten Gottes erzählt, ab v. 13 einer ersten Person Singular weicht. Formgeschichtlich wird so der Hymnus bzw. das Danklied des Volkes vom Danklied des Einzelnen unterschieden. 286 Die strenge Trennung der Gattungen hinsichtlich der Zahl der beteiligten Personen wird jedoch bereits innerhalb des pluralischen ersten Psalmteils durchbrochen, wenn wiederholt die Völker zum Lob Gottes aufgefordert werden. Damit ist bereits innerhalb des ersten Psalmteiles eine weitere Gruppe integriert, die von der Wir-Gruppe zu unterscheiden ist, nur daß das Auftreten dieser Gruppe von der Formgeschichte in die Beschreibung der Gattung Imperativischer Hymnus integriert wird. 287 Eine Formgeschichte, die lediglich Texte beschreiben will, ohne aufgrund vereinfachender Textbeschreibung literarkritische Kriterien für einen Normaltext zu entwickeln, wird in Ps 66 also lediglich das Phänomen des Numeruswechsels feststellen und sich hinsichtlich der formgeschichtlichen Einordnung des Phänomens fragen, ob es vergleichbare Formen gibt. Der Personenwechsel zwischen einem einzelnen Sprecher und einer Sprechergruppe erscheint beispielsweise auch bei der umstrittenen Gattung des Hymnus des Einzelnen 288 (Ps 8; 103). Da ein beträchtlicher Teil der Hymnen des Einzelnen deutliche weisheitliche Formen hat 289 und alle sogenannten Hymnen des Einzelnen im Psalter auch Pluralelemente aufweisen oder wie Ps 111; 145 und 146 Teil einer pluralischen Psalmengruppe bzw. deren Einleitung sind,290 ist das Phänomen des Numeruswechsels innerhalb eines Psalms also auch ein Teil des Phänomens der Gattungsmischung. Eine andere Möglichkeit, den Numeruswechsel zu verstehen, bildet die 286 So z.B. CRÜSEMANN, aaO. 174ff. GUNKEL (z.St.) unterteilt Ps 66 sogar in drei Teile (v. 1-7: Hymnus; v. 8-12: Danklied des Voikes; v. 13ff.: Danklied des Einzelnen). Er sieht aber die einzelnen Teile dann doch in ihrem Zusammenhang: "Auch die Gattungsmischung führt in ein spätes Zeitalter" (278). 287 Vgl. den Überblick bei CRÜSEMANN, aaO. 39ff. 288 CRÜSEMANN, aaO. 285ff., arbeitet die Nähe dieser Hymnen zum Klage- und Danklied heraus. Der Hymnus des Einzelnen ist daher als Mischgattung zu verstehen. 289 CRÜSEMANN, aaO. 296ff. 290 S.o. 1.2.3.2 und 3 und unten 11.1.3 und 11.3.3.1.
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
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formgeschichtli~he Kategorie der Liturgie. 291 Während der Mischpsalm in aller Regel nachkulhsch verstanden wird, ist die Liturgie als unmittelbarer Teil des G.ottesdienstes ~edacht. Solche Liturgien haben wir in der Formgeschichte der Emzelpsalmen m einigen Variationen. Deutlich ist der Personenwechsel als gattungskonstitutives ~lement bei den sogenannten prophetischen Liturgien (P~50; 75; 81; 82; 95), m denen die Gottesrede mit der l.Person Singular dem WIr der Psalmbeter gegenübersteht. Den Wechsel zwischen einzelnem Sprecher u~d Sprechergruppe haben wir des weiteren auch im Danklied des Einzelnen, emer Gattung, bei der die Haftung in der Liturgie sehr offensichtlich ist. 292 I~ diesem Fall fin~en wir das Phänomen, daß dieselbe Person, Gott, einmal dI.rekt angeredet WIrd und dann wieder von ihr in indirekter Rede gesprochen ~Ird. Der ~echsel ~on anre~ender und besprechender Rede ist ein gattungstypIsches Phanomen 1m Dankhed des Einzelnen. Besonders krass ist der Wechsel v?n besp.rechender und anredender Sprache in Ps 118, für den auch deswegen dIe BezeIchnung als Dankliturgie naheliegt, weil er eine liturgische Prozession (v. 19f.) voraussetzt und mit einem Segen schließt (v. 26f.).
3.4 Der Stimmungs wechsel innerhalb von Psalmen 3.4.1 Der Stimmungs wechsel von der Klage zum Lob
.Psalmen haben oft ein Stimmungsgefälle von der Klage zu Lob und Dank. DIeses Stimmungsgefälle finden wir in zwei formgeschichtlichen Varianten wieder: zu~ einen blickt das Danklied im Klagebericht auf die vergangene ~lage und dIe erfolgte Rettung zurück. Hier ist die Abfolge Klage-Dank Reflex emer konkreten Erfahrung. Das Danklied ist der sprachliche Ausdruck dieser Erfahrung. Manchmal wird im Danklied sogar die Klage in direkter Rede wieder aufgegriffen (Ps 30,10): Was für ein Gewinn ist an meinem Blut, an meinem Hinabsteigen zur Grube? Kann dich etwa der Staub preisen? Erzählt er deine Treue?
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Das~elbe Stimmungsgefälle von der Klage zu Lob und Dank gibt es auch im KlagelIed, an dessen Schluß wir des öfteren Elemente von Lob- und Dankliedem finden. Gehen wir einige Beispiele für solche Schlußelemente durch (Ps7,18):
291 ~GUN~rJ) BEGRlCH, Einleitung 397ff., faßt beide Phänomene formgeschichtlich unter de.m TItel "Mlschun~en, Wec~selgedlchte und Liturgien" (§ 11) zusammen. Der Begriff des Mlschps~lms kann ~er nur eme vorläufige Etikette sein (vgl. STOLZ, Psalmen 27: "wieder verschleiert der Begnff mehr, als daß er klärt"). S. o. Anm. 278. 292 Dazu hat CRÜSEMANN, aaO. 21Off., das Nötige geschrieben.
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3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
Teill: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
ipiP ;";''' ;"i~ :1i"7v' ;";'''-CW ;'??Pl~l Ich will Jhwh nach seiner Gerechtigkeit danken und den Namen Jhwhs, des Höchsten, loben. Dieser Schluß eines Klageliedes kann auch die Form von Vertrauens- oder Segens aussagen haben:
... '9N,)~ '9?p17-717 ;')!~W~v ;";'''7 Bei Jhwh ist die Hilfe, über deinem Volk dein Segen . .. (Ps 3,9) 1lf"~1 ;'~f~~ '1J;1~ Ci7lff
"H7 ;";''' ;'1;.1~-"~
:"~~"Wi1'1IJ~~7 In Frieden lege ich mich zugleich nieder und schlafe ein, denn du, Jhwh, allein läßt mich sicher wohnen. (Ps4,9)
Dieser Teil des Klagepsalms kann in extremen Fällen sogar fast die Hälfte des gesamten Psalms einnehmen. Ps 4 wird beispielsweise verschiedentlich wegen seiner deutlichen Vertrauens aussagen auch als Vertrauenspsalm angesehen.293 Das große Gewicht der positiven Aussagen im Klagelied ist besonders deutlich am Schluß von Ps 22, der etwa ein Drittel des gesamten Psalms einnimmt und mit den typischen Kennzeichen eines Dankliedes erweitert ist: neben die direkte Rede zu Gott tritt die Anrede an die Gemeinde, in der von Gott in der 3. Person geredet wird (Ps 22,23.24a):294
Ich will meinen Brüdern deinen Namen bekannt machen, "O~7 '97?W ;'?~Q~ in der Mitte der Versammlung werde ich dich loben. :17.7v~ 7:)i? 1iT1 f Jhwh-Fürchtige, lobt ihn! ~;'~77v ;";''' "~')~ Das ganze Geschlecht Jakobs, ehrt ihn! ~;'~'f~ ::fPl?~ 37jr7~ Von den Formelementen des Dankliedes am Schluß von Psalm 22 her ist es nicht verwunderlich, daß dieser Schluß von Psalm 22, der sich über die Verse 23- 32 erstreckt, in der älteren Exegese als eigener Psalm betrachtet wurde. 295 Doch seit Gunkel überwiegen eindeutig die Vertreter der Einheitlichkeit von Psalm 22, die in ihm den für Klagelieder typischen positiven Schluß erweitert sehen. 296 Die Sicht, die auch den extremen und ausführlichen Stimmungswechsel innerhalb eines Psalms von der Klage zu Lob und Dank ermöglicht, ist 293 So Z.B. GUNKEL und WEISER (z. St.). GERSTENBERGER (z. St.) verwendet beide Gattungsbezeichnungen von Klage- und Vertrauenspsalm gleichzeitig, ähnlich WAHL, FS Groß 457 -470, hier 459. 294 Zur Formgeschichte des Dankliedes vgl. GUNKErJBEGRlCH, Einleitung 265ff., und dessen Weiterführung gegen die Kritik durch WESTERMANN (Lob) durch CRÜSEMANN, aaO. 21Off. 295 DUHM, KAUTscH-BERTHOLET u. a. z. St. 296 GUNKEL, KÖNIG, STAERK, DE WETTE, KRAus z. St. Nun besonders: DEISSLER, in: "lch will . . ." 97 -121, der wegen des Schlusses Ps 22 als Musterpsalm sieht. Zu den älteren Ansätzen, Lobschlüsse aus Klagen zu entfernen, vgl. die literarkritischen Urteile der älteren Literatur beispielsweise von BALLA, Ich 16; SCHMIDT, Gebet 1l.37f., aber auch noch DELEKAT, Asylie
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forschungsgeschichtlich durch eine außertextliche Konjektur ermöglicht: die Annahme, daß ein Heilsorakel beim klagenden BeteT einen Stimmungsumschwung bewirkt. Seit F. Küchler 297 besteht die Vermutung, daß der klagende Einzelne am Heiligtum den Ausgang seiner Not erfährt. Unter dem Begriff des Orakels wird eine Fülle von Reaktionen Gottes zusammengefaßt: üblich ist in der Orakelpraxis eine Entscheidungsfrage, die durch Losen beantwortet werden kann. 298 Die komplexere Antwort in Form einer Gottesrede bildet dagegen eindeutig die Ausnahme. Zudem ist das Orakel nur für die Klagelieder des Volkes unbestritten, da nur hier sich regelmäßig ein Orakel in den Psalmen selbst findet. 299 Die Frage nach der Ursache des Stimmungswechsels bei den Psalmen des Einzelnen ist also weiterhin offen. 300 Es fällt auf, daß Begrich die ersten umfangreichen Textbelege für Heilsorakel in der Bibel in Jes 40-55 gefunden hat, also in Texten aus der Zeit des babylonischen Exils bzw. in der ersten Phase nach dem babylonischen Exil. Doch bietet beispielsweise auch Ez 20,1 als Text aus dem Jahr 591- wenn die Datierungsangabe zutrifft - ein Orakel. 301 Zudem gibt es vereinzelte vorexilische Stellen (z.B. 1Sam 9,6ff.), die die Orakel als vorexilische Einrichtung sichern. Die vorexilische Orakelpraxis ist auch in der Umwelt Israels eindrücklich belegt. 302 Ebenfalls die Erzählung von der Geburt Samuels 1Sam 1 f. ist ein mit einiger Sicherheit vorexilischer Beleg für ein Orakel. 303 Unlängst hat M. Weippert 304 das Orakel auch als Ursache des Stimmungswechsels innerhalb der sogenannten Konfessionen Jeremias (Jer 11,18-20.21-23; 15,1018.19-21) bekräftigt. Weippert widerlegt damit eine der bei den Stellen Jer 11,18-20; 20,10-12, deretwegen Gunkel 305 offenließ, ob das Jeremiabuch einen Hinweis auf ein Orakel gibt. Doch sind die Belege für Orakel innerhalb der Klagen des Einzelnen zu selten und in offensichtlichen Ausnahmetexten, 306 als daß der Analogieschluß von 101, und RIDDERBOS, Psalmen 225 (so die Stellenübersicht bei MARKSCHIES ZAW 103 386-398, hier 388, zuPs31). ' , 297 KÜCHLER, FS Graf von Baudissin 285 - 301, hat zuerst auf die priesterlichen Orakel als Deutehorizont der Psalmen aufmerksam gemacht. BEGRlCH (Heilsorakel) hat diesen Entwurf ausgebaut (vgl. GUNKErJBEGRlCH, Einleitung 246ff.), besonders, indem er die ersten umfangreicheren Texte für das Heilsorakel bei Deuterojesaja ausmachte. 298 Vgl. KESSLER, WuD 21, 43-57, hier 52. 299 So unlängst mit Nachdruck KESSLER, WuD 21, 49ff. 300 Gegen BEYERLIN, Rettung, der als Psalmen mit institutionellen Rettungsaussagen Ps9f.; 12; 25; 54; 55; 56; 59; 62; 64; 86; 90; 140; 142; 143 und als Psalmen ohne institutionelle RettungsaussagenPs3; 4; 5; 7; 11; 17; 23; 26; 27; 57; 63 herausarbeitet. Zur älteren kultinstitutionellen Psalmendeutung vgl. MOWINCKEL, Psalmenstudien 6, 154ff., und BIRKELAND, Feinde, sowie SCHMIDT, Gebet (dazu GUNKErJBEGRlCH, Einleitung 252ff.). Viele Details der kultinstitutionellen Deutung sind sehr problematisch. Z. B. Zeph 3,5 (eine Belegstelle bei BEYERLIN, Rettung 149) ist auch so verstehbar , daß der Morgen Recht bringt, weil es hell wird und die bösen Taten sichtbar werden. Zu Ps 5,4 vgl. bereits GUNKErJBEGRICH, Einleitung 246: "diese Anspielung steht innerhalb der Klagelieder des Einzelnen völlig vereinzelt da." 301 Vgl. z.B. ZIMMERLI, Ezechiel441. 302 SCHMITT, Gottesbescheid. JANOWSKI, Rettungsgewißheit. 303 Dazu ausführlich unten II.1.4 . 304 WEIPPERT, FS Deller 287-319, bes. S. 312ff., dort weitere Literatur. 305 GUNKELlBEGRlCH, Einleitung 246. 306 Vgl. dazu bes. II.1.4 zu 1Sam H.
Teil I: Der einzelne Psalm als Ausgangspunkt
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Gerstenberger 307 von der altorientalischen Orakelpraxis auf Orakel im israelitischen Bereich bei der Klage des Einzelnen sicher wäre. Sicher ist nur diese Praxis bei der Klage des Volkes. Diese weist aber eindeutig in die vorexilische Zeit. Insgesamt ahmt daher auch Jes 40ff. eine ältere, vorexilische Praxis nach. Wenn wir von dem Extremfall eines ausführlichen Dankliedes am Schluß eines Klageliedes in Ps 22 ausgehen, so fällt auf, daß in der neueren Zeit die Tendenz zu einer kultinstitutionell unabhängigen Deutung des Stimmungswechsels in Ps 22 zu beobachten ist. 308 Als textlicher Hinweis gilt beispielsweise die universale Orientierung im Schlußteil von Ps22, Ps22,23ff. Der formgeschichtliche Wechsel von der Klage zum Dank gibt in Ps 22 Zeugnis eines formgeschichtlichen Prinzips, das unabhängig von einer konkreten Heilswende oder einem Heilsorakel vermittelt wird. Von der Betrachtung des regelmäßigen Wechsels von der Klage zu Vertrauen, Lob und Dank werden auch die Ansätze, die Klage-, Vertrauens- und Danklieder der gemeinsamen Großgattung der Gebetslieder zuweisen wollen, neu verständlich. 309 Bereits Gunkel sah den Vertrauenspsalm als verselbständigten Vertrauensteil der Klage des Einzelnen. 310 Auch der Zusammenhang zwischen Klage- und Danklied ist dahingehend zu verstehen, daß der Klagende vor der Wendung der Not steht und der Dankende auf sie zurückblickt. 311 Indem Kraus Klage- und Danklieder einer gemeinsamen Gattung Gebetslieder zuweist, verwischt er diesen für das individuelle Befinden gewiß nicht unerheblichen Unterschied, ob der Klagende sich bereits gleichsam als gerettet sieht oder ob er wirklich gerettet ist. 312 Auch der Verweis auf die vermutlich professionelle Fertigung der Gebete 313 vermag diesen gravierenden Unterschied nicht zu beseitigen, da der Psalmdichter sich auf die Situation des Klagenden oder Dankenden einstellen muß. Seine Aufgabe ist es, dem Klagenden zu helfen, seine Klage zu formulieren, ihn in das gottesdienstliche Geschehen der Umwandlung von der Klage zum Lob hinzuführen, und umgekehrt den Dankenden an seine Klage zu erinnern. 314 Unter dem Aspekt des Zustandes vor oder nach der Rettung rückt das Vertrauenslied in die Nähe des Klageliedes. Diese beiden Literaturgattungen zusammenzufassen, ist vom Sitz im Leben daher möglich und aufgrund der literarischen Abgrenzungsprobleme beider Gattungen auch geboten. 315 GERSTENBERGER, Mensch. So besonders DEISSLER, aaO., und STOLZ, ZThK 77,129-148; ders., Psalmen 35ff. 309 So bes. in der Neubearbeitung seines Psalmenkommentares ab der 5. Auflage 1978: KRAus 49ff. Vgl. aber auch bereits WESTERMANN, Lob 60. 310 GUNKErJBEGRICH, Einleitung 254. 311 So bes. CRÜSEMANN, aaO. 309 u.ö. 312 Dazu nun auch KESSLER, WuD 21. 313 KRAus 51, und GERLEMANN, VT 32, 1982, 33-49, gegen die Vorstellung der "schlichte(n) Privatleute" (GUNKErJBEGRICH, Einleitung 200). 314 Gleichwohl werden wir die These der Gebetslieder von KRAus innerhalb der Betrachtung der Psalmengruppen aufnehmen (dazu unten 11.4). 315 So GUNKErJBEGRICH, Einleitung 253 ff.; WESTERMANN , Psalter 59. So auch MARKSCHIES,
3. Methodische Vorüberlegungen aus der Formgeschichte
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3.4.2 Der Stimmungswechsel von Lob und Dank zur Klage Mit der Abweichung von der normalen Folge von der Klage zu Lob und Dank ergibt sich ein anderer Fall, den wir hier zu untersuchen haben, nämlich die ungewöhnliche Folge von positiver und negativer Stimmung durch Anfügung einer Klage an ein Lob- oder Danklied. Betrachten wir Ps 40 als Beispiel. Kraus urteilt zu Ps 40 kurz: "Ps 40 zerfällt in zwei verschiedene Lieder, die sich in ihrer Form und Thematik deutlich voneinander abheben. Ps 40A (2-12) gehört zur Formgruppe der Gebetslieder , die sich als "Danklieder des Einzelnen" abheben. ( ... ) Demgegenüber ist das Gebetslied Ps 40B (13-18) deutlich von der Grundform des Bittens und Flehens her geprägt .• ,~';> :i~l!I.lI)';>~' 'Wt! 1o'1l1i-n!l11:1' 7K';I~" '~?Kl Geh in Frieden! Der Gott Israels wird dir die Bitte erfüllen, die du an ihn gerichtet /wst.
Im Fortgang der Erzählung erfahren wir dann auch, wie die Bitte Hannas erfüllt wird. So kommt es zu einer erneuten Wallfahrt, nun allerdings, um das Gelübde zu halten und Gott zu danken. Bei der Beschreibung dieser Wallfahrt wechselt der Erzähler erneut in die direkte Rede. Das Lied Hannas nimmt in einigen Punkten sehr exakt auf Hannas Situation Bezug und ist deshalb vom vorhergehenden Kontext kaum zu trennen. 99 Wir sehen, wie in ISam H. Klage und Danklied in einem Erzählzusammenhang verknüpft sind . Der Stimmungswechsel beim Klagelied wird seit F. Küchler'oo mit dem 97 Beispielsweise Ex 23,14ff.; 34,24 gebieten drei jährliche WaUfahrtsfeste. Ob die Sitte ELkanas und Hannas, jährlich zu wallfahren, mit den großen Wallfahrtsfesten zusammen· hängt, teilt uns der Erzähler nicht mit. Die jährliche Wallfahrt ist als feste Sitte in der vorexilischen Zeit wenig bezeugt (mit SAFRAI, Wallfahrt, gegen HARAN, Temples 304ft.). Zum Ganzen s. u. Ill.2.1.2. 98 Dieses Mißverständnismotiv paßt zu den anderen Elementen, mit denen der Erzähler diese Zeit als gottlos darstellen will, vgl. ISam 3,Ib ( .. Das Wort Jhwhs war aber selten in diesen Tagen. Keine Vision machte sich Bahn"). 99 So MACHOLZ. Untersuchungen 65. gegen die Mehrzahl der neueren Exegeten. 100 KOCHLER, Orakel; aufgenommen insbes. von BroRleH, Heilsorakel. Siehe zum Ganzen
oben 1.3.4.1.
86
Heilsorakel in Verbindung gebracht. Hier in ISam 1 f. haben wir einen solchen Zusammenhang von Klage und Lob in zwei getrennten Redeteilen und einem Erzählzusammenhang, wobei auch ein Orakel der Klage antwortet. Die Wende von der Klage zum Dank erfolgt bei Hanna nicht durch die priesterliche Ankündigung des Heils. Auf diese antwortet Hanna sehr verhalten (ISam 1,18): 'n'V~ 10 ~l)J;1~qi
87
1. Wall[ahrtspsalmengruppen
Teil 11: Eine Formgeschichle der Psalmengruppen
tqr,ll)
Deine Magd möge Gnade finden in deinen Augen.
Erst nach der erfolgten Geburt des Sohnes , also Gottes Antwort mit der Tat,IOI antwortet Hanna mit einem Lied. Jedoch auch die Zusammenstellung
von Klage und LoblDank in ISam 1 f. hat deutlich weisheitliehe Elemente, da das abschließende Lied weisheitlich geprägt ist: 102 C~'~1,) Pl)V I(~~ ;'OJ~ ;'OJ~ 1'~JI) 111')~-'~ :ni'7111l~l)ll('1 ;";" nill,! 'II'~ Redet nicht viel hohes Zeug, Vermessenes gehe ,nicht' aus eurem Mund,
denn ein Gott des Wissens ist Jhwh, die Taten werden, . .. 'geordnet. (lSam 2,3)
'b1F~ 'I't;lQ '7n;
170lT 1WOli C'~'f')1 :IV'II-'~r IJJ~ I('-'~
Die Füße seines Frommen 103 wird er behüten,
die Frevler werden in der Dunkelheit zur Ruhe gebracht, denn nichts vermag der Mann mit (seiner eigenen) Kraft. (1Sam 2,9)
Im Vergleich zu unserer Analyse der Wallfahrtspsalmgruppen fallen einige Unterschiede auf. Beispielsweise wird eine mehrfache Wallfahrt Hannas erzählt. Fassen wir die Einzelelemente des Textes zusammen: - Hanna befindet sich sowohl bei der Klage als auch beim Dank am Heiligtum, also auf einer Wallfahrt (ISam 1,3. 7ff.), - Ausdruck der Klage ist das Fasten (1 ,8) , - die Klage ist mit einem Gelübde verbunden (1 ,11) , - der Priester spricht das Orakel zu beiläufig , als daß es als fester Bestandteil einer Kultpraxis für die Klage einer Einzelnen (1 ,17) denkbar wäre, - die Wallfahrt bedingt erzählerisch die Obernaehrung (1,19) , '04 - nicht das Heilsorakel , sondern die konkrete Erfüllung der Bitle wird mit einem Lied beantwonet , So betont KESSLER, WuD 21. CROSEMANN , Studien 299. Da die als Hymnen des Einzelnen vermuteten Texte insgesamt ein sehr buntes Bild ergeben, versteht CTÜsemann den Hymnus des Einzelnen nicht als eigene Gattung, sondern als Mischgattung. 103 So mit dem masoretischen Konsonantentext als Ketiv (;1'00 . als ein Singular. vgl. eh~ v.9b) gegen das Qere ("1'00. einer Pluralform). Die GegenObersteIlung des einzelnen Frommen und der vielen Frevler ist typisch für Weisheitspsalmen. vgJ. z. B. Ps 1. 104 Zum Problem der institutionellen Deutung der Klagepsalmen s.o. 1.3.5.
- Hanna singt als Danklied einen Psalm , der formgeschichtlich am ehesten als weisheitlieher Hymnus zu bezeichnen ist (2,lff.) , t05 _ das Lied Hannas enthält Elemente zur Verallgemeinerung ihrer eigenen Situation, _ Opfer (l.24f.) und Lied (2 ,1ft.) stehen nebeneinan'ae r als Teile des gottesdienstlichen Ausdruckes des Dankes.
Nicht alle Elemente der Erzählung ISam H. müssen die korrekte Praxis widerspiegeln, denn ISam 1 f. steht in einem Kontext, der von der Unterschrift des Richterbuches geprägt ist: :;,~~~ "I'V~ 'W;::J IV'II '1I~if"~ 1?~ 1'~ CDO C'~:~ ZU der Zeit war kein König in Israel; jeder tat, was ihm recht dünkte.
106
Dem entsprechen die Verzerrungen, die der vorhergehende Kontext bietet: Ri 13-16 karrikiert mit dem Gewaltmenschen und Einzelkämpfer Schirnschon den charismatischen Volkshelden, indem Schimschon als Richter bezeichnet wird, 107 Ri 17f. beschreibt das Verkommen der priesterlichen Institutionen, Ri 19 schließlich die sittliche Verfehlung. 108 Solche verzerrende Darstellung haben wir auch am Anfang der Samuelbücher in der Schilderung, wie sich die Söhne Elis die Priesteranteile holen (lSam 2,12ff.) , und in der fast komischen Szene der Samuelberufung mit ihren Mißverständnissen, wer des Nachts Samuel gerufen hat (lSam 3). Wir müssen also auch bei der Schilderung der Wallfahrten Hannas ISam 1 f. mit ironischen Erzählelementen rechnen. Doch auch solche Verzerrungen haben nur ihren Darstellungssinn, wenn der prinzipielle Handlungsablauf bewahrt und erkennbar bleibt. Deshalb ist es letztlich für die Grundstruktur des Zusammenhanges von Klage und LoblDank gleichgültig, ob Einzelzüge verzerrt sind oder nicht, in jedem Fall finden wir in ISam 1 f. die Grundstruktur der Kombination von Klage und LoblDank mit dem Orakel als Wendepunkt innerhalb der Redeteile des Textes als Wallfahrtsgeschehen erzählt. Die Folge der Redeteile Klage, Orakel und LoblDank bestätigen die Kompositionselemente der Wallfahrtspsalmengruppen in einem Erzähltext.
1.5 Zwischenergebnis: Zur Formgeschichte der Wa/lfahrtspsalmengruppen Es kann hier nur darum gehen, erste gemeinsame Kennzeichen dieser PsaImengruppen zu notieren. Eine Beschreibung der Psalmengruppen kann nicht jedes einzelne Element jedes Psalms aufführen. Da wir aber Einzelpsalmen als
10 1
102
105 Zu den Problemen der Gattung des sogenannten Hymnus des Einzelnen vgl. oben Anm.l02. 106 Ri 21,25. Vgl. zum Ganzen: CROSEMANN, Widerstand. 107 Zu diesen verschiedenen Elementen von Ironie im Richterbuch gibt es eine höchst bemerkenswerte Studie von KLEIN, Triumph. 108 Vgl. als neueren Kommentar SoooIN, Judges.
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89
TeillI: Eine Formgeschichce der Psalmengruppen
2. Eine Klagekomposition im Vergleich
Ausgangsgröße des Psalters feststellten , l09 genügt es, wenn wir Merkmale einzelner Psalmen zu einer Fonngeschichte der Psalmengruppen zusammenfügen. Alle Sammlungen von Wallfahrtspsalmen haben in der vorliegenden Form deutliche Kennzeichen der Verschriftung. Die verschriftenden Psalmen sind jedoch nur beim Ägyptischen HaUel wegen der externen Bezeugung von Ps 113 ff. als Liturgie deutlich von dem Kern der Gruppe abgrenzbar. Insgesamt haben die Wallfahrtspsalmgruppen folgende gemeinsame Kennzeichen, die im Einzelfall erheblich erweitert sein können: - Es gibt einen Einleitungsteil, in dem etwas über die bevorstehende Wallfahrt, die Sehnsucht nach dem Heiligtum, den Zweck der Wallfahrt etc. gesagt wird. Hier kann auch bereits ein Danklied angekündigt werden. - Es folgt bei den Psalmgruppen mit Pluralkern die Themenklage, in der ein überindividueller Grund der Klage benannt wird. Diese Klage bietet meist einen zeitlichen Orieotierungspunkt für die Komposition. - Zwischen Klage- und Hymnenteil wird der Stimmungswechsel mit einem Orakelpsalm oder Orakelelementen markiert. Das Orakel muß nicht in einem eigenen Psalm stehen, es kann sich auch am Schluß der Themenklage oder am Anfang des Hymnenteils finden. - In der Umgebung des Orakelpsalms haben wir Einschübe oft weisheitlichen Inhalts. Wir vermuten hier neben dem Anfang und dem Schluß einen dritten Ansatzpunkt der Edition. - Am Ziel der Komposition liegt der Hymnenteil. Spätestens hier ist der Beter in Jerusalem angekommen, deswegen kann auch dieser Teil Zionspsalmen umfassen (Ps 46; 48; 87, anders Ps 122). Hier kann der Beter auch seinen individuellen Dank (bes. Ps 116; 118) formulieren. Letzteres kennzeichnet die Gruppe als Dankliedsammlung, während die Sammlungen ohne Danklied eher der Situation vor der Wendung der Not entsprechen. - Der Abschluß der Psalmengruppen erfolgt weisheitlich bzw. nachkultisch. Hier haben wir vermutlich einen Ansatzpunkt für Elemente der Komposition, die zur nächsten Kompositionseinheit überleiten. 1lO Versuchen wir abschließend, grob die Grundtendenzen der Sammlungen von Wallfahrtspsalmen zu skizzieren, so ergeben sich drei Richtungen:
Die emotionale Tendenz kann am Schluß wieder weisheitIich in die Klage zurUckgeführt werden , in diesem Fall erfolgt auch der Wechsel zurUck in den Singular. In dieser Hinsicht ist also ein abschließender weisheitIich-klagender Singularpsalm ein retardierendes Moment. 111 Für das Ägyptische Hallel mit den vorangestellten Psalmen kann die Bezeichnung nachkultische Dankliedliturgie als sicherer Ausgangspunkt gelten. Ob die anderen Psalmengruppen eher dem Klage- oder dem Dankliedfall zuzurechnen sind, wird nach der Behandlung weiterer Psalmengruppen zu überlegen sein. Die nächste Parallele zu den Korachpsalmgruppen sind neben den anderen Wallfahrtspsalmgruppen die Asaphpsalmen als Psalmengruppe mit einem Pluralkern bereits in der Klage. 112 Diese haben jedoch keinen Hinweis auf eine Wallfahrt. Wir werden deshalb im folgenden die Asaphpsalmen anhand eines anderen Motivs mit anderen Psalmgruppen vergleichen (siehe 11.2). Umgekehrt finden sich Wallfahrtsmotive auch in anderen Psalmengruppen, deren Aufbau sich jedoch von den bereits besprochenen Psalmengruppen insbesondere dadurch unterscheidet , daß mehr Psalmen gleicher Gattung in Reihe stehen (siehe 11.3).
emotional:
von der Klage tiber ein Orakel zu Lob (und Dank),
lokal: von der Fremde in den Tempel nach Jerusalem, sozial: von der Vereinzelung in die Gemeinschaft.
2. Eine Klagekomposition im Vergleich 2.1 Die Asaphpsalmsammlung In den bisherigen Analysen liefen das Überschriftensystem und die formgeschichtlich bestimmten Psalmgruppen parallel. Einen Ausnahmefall haben wir bereits kennengelernt: Beim Ägyptischen Hallel und den Wallfahrtspsalmen Ps 120 ff. werden die durch gemeinsame Überschrift gekennzeichneten Psalmgruppen durch einzelne Psalmen mit anderer oder fehlender Überschrift e~ gänzt. Bei den Asaphpsalmen ll3 verschiebt sich das Bild ein wenig: halten WIr unser Analysekriterium, die Konvergenz von Überschriftensystem und fonngeschichtlichem Befund bei, legt sich eine vom Überschriftensystem her nicht gekennzeichnete Unterteilung der Psalmgruppe in zwei Kompositionsbögen nahe. Mit dem Begriff des Kompositionsbogens ke~ichnen ~ir makrofo,?,geschichtlich bestimmte Einheiten, die die durch die Uberschnften. aus~W1e senen Psalmgruppen unterteilen oder zusammenfassen. Das legt stch bet der Gruppe der Asapbpsalmen nahe, weil in ihr Ps 78 sowohl wegen seiner ~ge, die innerhalb des gesamten Psalters nur noch von Ps 119 übertroffen wud, als auch seiner Gattung als weisheitlicher Geschichtspsalm aus der Gruppe der Vgl. oben 1.3.4.2. Vgl. unten S.l62 TabeUe 1. Ps 50 steht als einzelner Asaphpsalm außcrhalb der Gruppe von Ps 73-83. Zu Ps SO s. o. 1.2.3.7 und unten W.l.2.2. III
109
Siehe oben 1.1.
110
Zur Verknüpfung der Psalmengruppen siehe unten den dritten Haupueil.
112 113
90
TeilII: Eine Formgeschichte der Psalmengruppen
2. Eine Klagekomposition im Vergleich
Asaphpsalmen herausfällt. lI < Da Ps 119 zwischen zwei wirkungsgeschichtlich bekannten Gruppen von Psalmen steht, postulieren wir auch Ps 78 als Trenner zweier Gruppen von Asaphpsalmen. Ps 74 und 79 gehören formgeschichtlich als Klagen über die Heiligtumszerstörung zusammen. Ps 75 und 76 sowie Ps 81 und 82 thematisieren die Erscheinung Gottes als Richter. Wenn wir diese Psalmen einander zuordnen, ergibt sich vorläufig folgendes Bild:
komposition die Situationsschilderung am Anfang der Teilkompositionen suchen. Die markanten Themenklagen, die die Zerstörung des Heiligtums bzw. mehrerer Heiligtümer l17 beklagen, finden wir vor den Orakelpsalmen. Offensichtlich wird in Ps 79 die Zerstörung des Tempels 586"8 beklagt (v. 1 b):
Weisheit
Volksklage Richterthema
Klage
Ps 73 (Anfang) Ps 74 Ps75;76 Ps 77 (Überleitung)
zuwenden.
Für beide Kompositionsbögen bilden die Klagen über die Heiligtumszerstörung Ps 74 und 79 charakteristische Anfänge. Diese Klagen sind als thematisch bestimmbare Klagen Musterbeispiele für die von uns sogenannte Themenk/age, die mit den Koracbpsalmsammlungen darin übereinstimmen , daß sie die ersten Pluralpsalmen nach vorhergehenden Singularpsalmen sind. Beide Themenklagen bieten nun auch gleichzeitig die beste Möglichkeit eines Zeitansatzes der Psalmengruppe, da von den anderen Psalmen der Gruppe insbesondere den schwer datierbaren Orakeln Ps 75 und 81 f. her kaum ein Zeitansatz der Komposition möglich ist. Auch allgemeine Hinweise auf Konflikte mit den anderen Völkern geben keine Datierungshinweise, besonders der Völkerkampfpsalm Ps 83 entzieht sich als fiktionaler Text allen auf Eindeutigkeit bedachten Datierungsversuchen. 1lS Ebenso liefert der in der Literatur geläufige Hinweis auf nord israelitische Traditionen 116 nur erste Anhaltspunkte für die Datierung des Vorstellungshintergrundes von Einzelpsalmen. In Einzeipsalmen, die wir formgeschichtIich als Klagepsalmen beschreiben, steht die Schilderung der Not vor dem Orakel, entsprechend sollten wir auch in einer KlageZu Ps78 siehe auch oben 1.2.1. Beachte jedoch die Geschichtsmotive der Klage im
Umfeld von Ps 78: Ps 77-8J. 11.5 Vgl. die völlig anderen Datierungen von KNAuF,lsmaellO-12, der die Völkerkoalition Ps 83,7-9 meint in die spätnachexilische Zeit datieren zu können, und KRAus (z. St.) , der für die vorexilische Zeit plädiert. Beide gehen zwar von einer als fiktiv erkannten Völkerkoalition aus, aber meinen den Text trotzdem aufgrund von Detailbeobachtungen datieren zu können. Doch reicht zu einer Datierung des Psalms weder der Verweis auf die SchlußsteIlung von Assur (Kraus) aus, noch befriedigt eine ins Allegorische tendierende Deutung (Knauf). Beide Deutungen haben dabei durchaus ihr gewisses Recht , da das Schlußgewicht einer Kette ihren Zielpunkt markiert und wir in einer solchen Reihe mit Ergänzungen und Neuinterpretationen rechnen müssen. 116 So NASUTI, History 115f. u. Ö., und vorsichtiger bereits SEYBOLD, Einleitung 104.
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~t;ii~ '~'!J-n~ 1K1jl~ :C"l!7 I;l7tV1,:-n~ 11.liV
Ps 78 (Mitte) Ps79;80 Ps81;82 Ps83 (Schluß)
Gehen wir auch in dieser Psalmgruppe die einzelnen Positionen durch. Beide Teilgruppen beginnen mit weisheitlich geprägten Psalmen. Daß sich jedoch die Sammlung von Asaphpsalmen in zwei Teilgruppen gliedern läßt, wird am deutlichsten an den jeweils folgenden Psalmen. Wir werden uns deshalb den Weisheitspsalmen in dieser Gruppe erst am Ende der folgenden Besprechung
114
~!)7Qlll c~illl(~
91
Gott, Heiden sind in dein Erbe einKedrungen. Sie haben den Tempel, dein Heiligtum, verunreinigt. Sie haben Jerusalem zu Trümmern gemacht.
Der extrem späte Ansatzpunkt von B. Duhm, der die Tempelschändung von Antiochus Epiphanes in Ps 79 widergespiegelt sieht, scheitert an der Aussage von v. 1, daß Jerusalern in Trümmer gelegt wurde. ll9 Von Ps 79 her legt sich auch eine exilische Deutung der folgenden Themenklage Ps 80 nahe. 120 Im Bild des aus Ägypten geholten Weinstocks (v.9) ist das Motiv der zerbrochenen 117
Beachte jedoch den Plural '~-'l~;~ in Ps 74,8 (vgl. v. 4.7 sowie Ps 73,17). Dazu unten
S.93f. 118 Die Frage, ob die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels 587 oder 586 erfOlgten, ist seit langem umstritten , vgl. dazu den Forschungsbericht bei AcuoYD, Exile 20 Anm.19. Im deutschsprachigen christlichen Forschungsbereich hat sich die Jahreszahl S87 durchgesetzt, nicht zuletzt aufgrund der Beiträge von KUTSCH, ZAW71 , 270-274, und den., Jahr , aber auch BICKERMAN , in: History t, 60-69, ACKROYD,lsraeI3ff., DANDAMEV, History 61. Da Kutsch jedoch bei den judäisch-babylonischen Synchronismen Jer 25,1; 32, 1; 2Kön 24,12 mit einer Verschiebung von einem Jahr rechnet (Kutsch, Jahr 539 bzw. 22), ist die Alternativdatierung 586, wie sie oft im jüdischen Forschungsbereich vertreten wird, keineswegs ausgeschlossen (so etwa beiläufig TALMON, Sektenbildung 108, und mit Vorbehalt TADMOR, in: Geschichte 1, 115-228, hier 197). Am sinnvollsten erscheint es daher. die Entscheidung zwischen beiden Jahreszahlen offenzuhalten (so zuletzt SoGGIN. Einführung
182). 119 DUHM 308, folgt hier einer Septuaginta-Variante. Daß IMakk 7,17 Ps 79 zitiert, ist kein Argument für eine Spätansetzung dieses Psalms, da er auch sekundär auf die makkabaische Zeit appliziert sein kann. TREVES, Dates , hat unlängst die Duhmsche Position mit einer makkabäischen Deutung fast aller Psalmen überboten: " In my opinion about aU these poems belong to the period 170-103 B. C. Only two or three are earlier" (aaO. 9). Zu frühen Deutungen von Psalm 79 in makkabäischer Zeit vgl. BAETHGEN, ZAW6, 261-288; ZAW7. 1-60, dort S.48, mit Verweisen auf Theodor von Mopsuestia, Theodoret, Athanasius, Apollinaris und Saadja Gaon. Ps 79 wird zumeist in die Zeit kurz nach 586 datiert. vgl. z. B . KRAus 714f. in Anschluß an JANSSEN, Juda 19, sowie KAIsER, Klagelieder 299 und KlageüederA 102. Wenn wir nicht 586 als in Ps 79 reOektiertes Ereignis annehmen wollen und die Datierung in makkabäische Zeit ausscheidet, bleibt nur die Möglichkeit. ein anderes Ereignis gleicher Tragweite .. in dem uns sonst dunkeln Jahrhundert von Esra bis auf Alexander d .Gr." anzunehmen (so GUNKEL 350). Daß ein Ereignis derartiger Tragweite keinen sonstigen literarischen Niederschlag gefunden hätte, ist aber denkbar unwahrscheinlich. Auch NAStm (History 94 ff.) betont zwar den ephraimitischen Traditionsstrom in Ps 79, sieht dies aber nicbt als Gegensatz zu einem Bezug dieses Psalms auf die Ereignisse von 587/586. Wie sehr Nasuti hierbei den ephraimitiscben Traditionsstrom dehnt, wird daran deutlich, daß er z. B. auch den Zionspsalm Ps 76 als Teil dieses Traditionssuoms ansieht (History 75 ff.). 120 Ps 79 und 80 sind die einzigen Psalmen, die als zusammenstehende Klagen des Volkes so
92
Teil Tl: Eine Formgeschichte der Psalmengruppen
2. Eine Klagekomposition im Vergleich
Mauer (v. 13) und des Feuers (v. 17) ein Element, das zu der Einnahme und Zerstörung Jerusalems 586 v. ehr. paß!.!2! Während die Auslegung von Ps 79f. insgesamt doch problemlos ist, bereitet der parallele Ps 74 erheblich mehr Schwierigkeiten: Ps 74 bietet nun im Unterschied zu Ps79 Bezeichnungen für Gotteshäuser im Plural (?~-'1~il.l , v.8b) , viele Handschriften lesen darüber hinaus auch in v. 4.a.7a 1Ii'1~1.l bzw. '~il.l im Plural. Duhm hat deswegen wie zu Ps 79 an Synagogen in makkabäischer Zeit gedacht, 122 doch zitiert 1Makk 2,29.38 bereits aus Ps 74, was für einen größeren Abstand zwischen bei den Texten spricht. Nun fällt auf, daß hinter Ps 74 mit Ps 76 ein Zionspsalm steht, während ein Zionspsalm hinter Ps 79, der vom Heiligtum im Singular spricht upd damit im Gegensatz zu Ps 74 eindeutig auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels zu beziehen ist, fehl!.'23 Von der Stellung von Ps 76 her scheint Ps 74 daher wohl nachträglich dahingehend interpretiert worden zu sein, daß es hjer UIII: die Zerstörung des Jerusalemer Tempels geht. 124 Für den kontextuellen Bezug von Ps 74. auf 586 spricht auch das Motiv des Weinbechers in Ps75 ,9, den nach Jer 25,15f. alle Völker einschließlich Jerusalem trinken müssen. Für Jerusalem bedeutet dies im Zusammenhang von Jer 25f. die Begründung für die 70 Jahre Gefangenschaft. Doch betreffen die Überlegungen zu den Heiligtumsbegriffen im Plural nicht den vorUegenden Text. Der vorliegende Textzusamrnenhang ist nicht nur durch den Zionspsalm Ps 76 eindeutig auf Jerusalem bezogen, sondern auch innerhalb von Ps 74 wird die Klage über die Trümmer unmißverständlich auf den Zion bezogen (Ps74,2f.):
du hast den Stamm deines Erbbesitzes herausgelöst: '1n?m tlJIIi ..... n?N~ T ' -T der Berg Zion, der ist's, aufdem du wohnst. :iJ !;1l~lV;'Il li'T':] Erhebe deine Schritte 'tl'~17~ ;'~":'I zu den Trümmern der Vorzeit, n~i niNVi~S alles hat der Feind im Heiligtum verwüstet. :IIiJP~ J~iK Yjv'..S~
Gedenke deiner Gemeinde, die du in Vorzeiten gekauft hast,
'1l!i~ ,~! CJ~ J;1'l~
präzise Themen angeben , daß wir sie hier als Themenklagen bezeichnen , obwohl sie nicht als Klagen allein stehen. m Vgl. 2Kön 25,411. 122 DUHM 286f. Ähnlich auch DONNER, FS Ziegler 2, 41-50 , hier41ff. , und TREVES, Dates 63. Donner weiß H. KEßLER als einen der ersten sogenannten Frühdatierer von Ps 74 in einer Phase der generellen Spätdatierung von Ps74 (außer Duhm noch HITZIG , REUSS , DELITZSCH , G UNKEL, BAETHGEN, KrrrEL) zu nennen. Die makkabäische Psalmendeutung ist dabei keines· wegs neu. Bereits Theodor von Mopsuestia hat außer Ps 74 16 weitere Psalmen für makkabä· isch gehalten (s. BAETHGEN TI 42ft. zu Ps 74). Donner selbst will die makkabäische Datierung nur als "Möglichkeit, wenn nicht Wahrsch~inlichkdt " " wi~d~r in den Horiwnl der Belrach· tung" stellen (47). Gegen die Spätdatierung z.B. neuerdings FÜGUSTER, in: Beiträge 320. STEMBERGER (Judentum 94) resümiert: "Doch läßt sich diese Spätdatierung des Psalms ebenso· wenig wie die Deutung von moade el auf Synagogen beweisen." Die exilische Datierung von Psalm 74 haben hingegen z. B. JEREMIAS , Königtum 158, und KAISER , Klagelieder 3 299 (nicht mehr in Klagelieder4 ), unlängst vertreten. 123 Die erste Asaphpsalmsammlung entspricht in der Einfügung eines Zionspsalms in den Hymnenteil den Korachpsalmsammlungen. Vgl. dazu bereits oben II.1.1 und OITO, ThWAT
6,1015. 124 Auf die Schilderung der Tempelverbrennung 2Kön 25,9 hat unlängst auch GELSTON , VT 34,82-87, hier 83, verwiesen. Doch meint Gelston insgesamt, den Psalm auffrühe Synagogen deuten zu können, die 587 zerstört worden seien (86).
93 ·.· T ·'~
Im vorliegenden Text ist die Klage über die Zerstörung damit auf Jerusalem als heilige Stadt generell bezogen. Ein vergleichbares Problem, daß Heiligtümer (c'W'1P'1?) im Plural erscheinen, findet sich auch im unmittelbar vorhergehenden Psalm, Ps 73,17. '25 Ältere spiritualistische Deutungen dieses Ausdrucks sind zu Recht nicht mehr in der Diskussion. 126 Für die Deutung, der Plural könne sich problemlos auf den Jerusalemer Tempel beziehen - schließlich besteht er aus mehreren Teilgebäuden - , '27 vermag Kraus außer Ps 68,36 und Ez 21,7 nur noch Ez 28,18 anzuführen, wobei letztere Stelle als Beleg sicher ausscheidet, da es dort ausdrücklich um die Heiligtümer des Angesprochenen , des Königs von Tyrus, geh!.12. In Ez 21,7 stehen die prophetische Beauftragung zum Gerichtswort gegen Jerusalem und die C'IIi,pl.l zwar parallel. Zwingend ist aber der Schluß, die O'tV'P~ müßten deswegen in Jerusalem sein und den Jerusa]emer Tempel bezeichnen, keineswegs. 129 Ps 73,17 hat wie die Gerichtsbeauftragung Ez 21,7 das Ende der Tempel im Blick, wobei Ps 73 aus dem Untergang dieser Tempel auf den weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang schließt. 130 Ps 68 fällt schließlich aus der Argumentationsmöglichkeit ganz heraus, da dieser Psalm zeitgeschichtlich schwer einzuordnen ist. 131 Welche Heiligtümer hat nun aber dann der Kern von Ps 74 nicht zuletzt ohne die erklärende kompositionelle Zufügung von Ps 75 und 76 im Blick? Wenn Ps 74 nachträglich auch durch die Positionierung von Ps 76 auf die Zerstörung Jerusalems gedeutet wurde, liegt es nahe, daß der Kern von Ps 74 zeitlich diesem Ereignis vorausgeht. Dazu hat F. Crusemann 132 einen bemerkenswerten Hinweis gegeben. Nach Crüsemann ist die Zerstörung in den Heiligtümern , wie sie Ps 74 voraussetzt, im Kontext der josianischen Reform versteh bar . Ps 74 wäre in diesem Verständnis die Klage von Priestern an den sogenannten Höhenheiligtümern, deren Tempel mit der josianischen Reform zerstört wurden. 133 Dies kann sowohl die Vernichtung der "Zeichen" (ninN, v. 4) als auch das l2."i Die Ps 73 und 74 gehören zu den Psalmen , die in der mittelalterlichen Handschriftenüberlieferung trotz einer trennenden Überschrift gelegentlich als ein Psalm zusammenge· schrieben werden (WILSON, Editing 134 f.). Dazu bereits oben I.l. 126 Vgl. dazu GUNKEL 318. 127 SO Z. B. lRSIGLER, Psalm 73, 367 (ohne Begründung) u.ö., und KRAus (z. Sc). 128 Vgl. ZIMMERLI z. St. 129 ZIMMERU (z. St.) beseitigt hier den Plural textkritisch , womit er allerdings den leichte· ren dem schwereren Text vorzieht, obwohl der Plural beispielsweise auch durch die Septuaginta gesichert ist. 130 Vgl. insbes. KOCH, Vergeltungsdogma. 131 Zur Einordnung von Ps 68 in den Kompositionszusammenhang der Davidpsalmsamm· lung s. u. 1I.3.1.2. Vgl. auch den Zusammenhang des elohistischen Psalters III.l.2.3. 132 F. CROSEMANN (md!.). 133 2Kön 22f.
94
Teilll: Eine Formgeschichte der Psalmengruppen
2. Eine Klagekomposition im Vergleich
Verbrennen des Tempels (v. 7) erklären. 134 Der Erklärungsversuch von Crüsemann ist mir für den einzelnen Psalm sehr einleuchtend. Schwierigkeiten bereitet allerdings die Annahme, daß ein solcher Text dann später in eine Klage über Jerusalem integrierbar gewesen wäre. Doch auch die Annahme eines nordisraelitischen Hintergrundes etlicher Asaphpsalmen 135 legt einen solchen Zusammenhang nahe. Ein Textsignal für eine derartige Vorgeschichte könnte weiterhin die Verwendung der Jhwh-König-Motivik in Ps 74,12ff. sein. Auch wenn die Sprachgestalt dieses Abschnittes eine nachexilische Ausgestaltung nahelegt 136 und das Motiv sowohl Teil der Komposition des elohistischen Psalters als auch seiner Ausbaustufe in persischer Zeit ist,137 so ist der Abschnitt
Mit Verweis auf Ps 95 postuliert Gunkel hier wieder eine spezielle Gattung: die prophetische Liturgie. i ' 2 Da nun aber die Psalmen mit direkter Gottesrede zwischen dem Klageabschnitt der Komposition und dem Hymnenteil stehen, scheint es angebracht zu sein, diese Psalmen durch ihre Funktion innerhalb der Gruppe zu bestimmen. In Entsprechung zur formgeschichtlichen Analyse des Klageliedes schlagen wir deshalb die Bezeichnung Orakelpsalm für diese Psalmen vor. 143 Inhaltlich ist nun das ausführliche Orakel in Ps 75,3ff. durch die Ankündigung eines universalen Gerichtes gegen "alle Frevler der Erde"l44 bestimmt. Dieses Thema wird im folgenden Zionspsalm weitergeführt (Ps 76,9f.):
Ps 74,12ff. doch auch Teil von "Israels Begegnung mit dem kanaanäischen My thos" 138 und als solcher Indiz für die Vorgeschichte des Psalms, deren vielfältige Probleme hier nur angedeutet werden können.
Bemerkenswert ist weiterhin eine Passage aus Ps 74, in der ausdrücklich auf die Vernichtung auch der Propheten hingewiesen wird: 11':;11 1;YTK ("es gibt keinen Propheten mehr"). Diese Klage steht im Kontext unmittelbar vor dem Orakel in Ps 75, was wohl als Kontrast zu interpretieren ist: obwohl keine Propheten mehr da sind, gibt es dennoch das Gotteswort. In beiden Teilgruppen der Asaphpsalmsammlung folgen der Themenklage Psalmen mit sehr markanten Orakeln. 139 Sie stehen in Psalmen, bei denen man den Formgeschichtlern eine gewisse Ratlosigkeit hinsichtlich der Gattungsbestimmung des Einzelpsalms anmerkt. So notiert H. Gunkel zum Anfang von Ps75: "Der eigenartige, phantastisch-barocke Psalm beginnt in hymnischem Ton 2 ... und schließt 10 gleichfalls in der Art des Hymnus ... Eingesetzt ist 3.4 ein göttliches Orakel. Das Ganze ist also eine ,prophetische Liturgie' ... ,,140
Gunkel bemerkt also vereinzelte formgeschichtliche Hinweise auf einen Hymnus, die sonst besonders am Anfang und Schluß eines Psalmes sichere Gattungshinweise bilden, sowie das störende Element des Orakels, und greift schließlich zur Bestimmung der Gesamtgattung zum Hilfsbegriff der prophetischen Liturgie, die die divergierenden Elemente zusammenhalten soll. Ähnlich analysiert Gunkel Ps 81: "Der Psalm besteht aus zwei sehr verschiedenen Teilen: 1. einem kurzen Hymnus ... und 2. einer Gottesrede ... " 141
Vgl. die Schilderung2Kön 23,6ff. 15ff. u.Ö. Vgl. dazu NASUTI, History 115f. u.ö., und SEYBOLD, Einleitung 104, aber auch bereits Buss, JBL 82. Dazu oben 1.2.3.7. 136 So unlängst unter Aufgabe der Einheitlichkeit des Psalms JEREMIAS, Königtum 50. 137 S. u. 111.1.3.3 und 2.3.2, außerdem 3.3.3. 138 So der Untertitel der Monographie von JEREMlAS, Königtum. 139 Zur Stichwortverbindung '~I:l zwischen Ps74,4.8 und 75,3 vgL BOCKElt, Wege 117. 140 GUNKEL 327. 141 GUNKEL 356. Vgl. auch Boou, Bibi. 65, 465-475. 134
135
Vom Himmel her läßt du Gericht vernehmen, die Erde gerät in Furcht und erstarrt beim Aufstehen zum Gottesgericht l45 , um allen Elenden der Erde zu helfen . ..
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1"7 {I~~!f~ c'~tf1;l
:~9~1!il ~l$i: n~ C'~?~ O~!f1;1'rc1p~ ... r:J!!-'11?-?~ i'tU;;'!?
Das Thema des Gerichtes bestimmt auch die Orakel, die an der parallelen Stelle in der zweiten Teilkomposition der Asaphpsalmen erscheinen. Ps 81 beginnt wie Ps 75 hymnisch und hat die ausführliche Gottesrede in den Begründungsteil des imperativischen Hymnus eingebaut (Ps81,5.6a): :Jp~~ ',)"'111'1 o~!f~ K1;,!'K'if~7 pn'~ C~'~7,) r:JK-'l1 ;nll1!~ ;~i!' ~Q;;'!':;I m1l!
Denn das ist eine Satzung für Israel, Recht des Gottes Jakobs. Als Zeugnis in Joseph hat er es gesetzt, als er gegen Ägyptenland auszog.
In dieser Rückorientierung an der Geschichte paßt Ps 81 gut zu den vorhergehenden Psalmen 76-80, die ebenfalls mit der Geschichte argumentieren. Insbesondere der Ps 81 vorangehende Ps 80 setzt bei seiner Rückorientierung
142 GUNKEL 356. Zur Beziehung zwischen Ps81 und 95 vgJ. auch ScHMIDT, FS Ziegler 2, 91-96, und JEREMIAS , Königtum 156. Ders., Kultprophetie 125, sowie beispielsweise HossFELD, in: Bund 170, haben Ps50; 81; 95 als Festpsalmen zu einer Gattung zusammengestellt. Auch diese Bezeichnung kehrt also das liturgische Element hervor. Doch der anklagende Ton des Einzelpsalms (bes. Ps81) stimmt mit der Konnotation des Begriffes Fest nicht überein, wenn wir die Ausnahme, die Störung der festlichen Stimmung beispielsweise durch die prophetische Anklage, nicht zur Regel machen wollen. Hier erscheint mir der Vorschlag zur Bezeichnung der Gattung des Einzelpsalms als Orakelpsalm offener zu sein. Zur Auseinandersetzung vgl. auch oben 1.3.4.1 und 1.3.5. 143 NASUTI (History 127) hat die überragende Bedeutung der Gottesrede für die Formbestimmung dieser Psalmen ebenfalls betont, auch wenn er in der Darstellung an den üblichen Gattungsbezeichnungen festhält (S.71: Danklied des Volkes zu Ps75; S.81: prophetiscbe Liturgie zu Ps81). 14. n~-'?"," (Ps 75,9). 145 Vom Vollzug des Gottesgerichtes im Zuge der weiteren Komposition (Ps82,1 ff.) ber ist es sprachlich zunächst nicht möglich zu entscheiden, ob O"i1?lt ("GoU") in Ps 76,10 logisches Subjekt oder Objekt von 9W ( .. Gericht") ist. Vom Kontext Ps 75 her legt sich allerdings zunächst ein Gericht mit Gott als Subjekt nahe.
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Teil 11: Eine Formgeschichce der Psalmengruppen
2. Eine Klagekomposirion im Vergleich
beim Auszug aus Ägypten ein (Ps 80,9ff.).!46 Die Gottesrede von Ps 81 bietet verschiedene Anspielungen an das SinaiIHorebgeschehen, insbesondere den Dekalog, die aber nicht als Zitate gefaßt sind.!47 Auch das Motiv des Honigs aus dem Felsen (Ps 81,17) hat große Ähnlichkeit mit einer speziellen Tradition aus dem Lied des Mose (Dtn 32,13), aber auch dort stimmen die Formulierungen nicht völlig überein.!48 Es spricht daher viel dafür, in Ps 81 eine Tradition zu sehen, die den Pentateuch noch nicht als autoritative zitable Schrift voraussetzt, aber seine zugrundeliegenden Traditionen kennt. Inhaltlich wird aus der Gottesoffenbarung die Mono13trieforderung herausgehoben. 149 Der Weg dieser Psalmengruppe aus dem kanaanäischen Hintergrund ist auch hier ersichtlich. Für den Fall des Gehorsams des Volkes (v. 14) wird als Höhepunkt der Gottesrede die Demütigung der Feinde (v.lS) angekündigt. Der Höhepunkt von Ps 81 bestimmt daher die Anordnung der folgenden Psalmen: Ps 82 greift mit dem Gericht zugunsten der Armen ein S,t andardthema der Tara 150 auf, in Ps 83 geht es um Israels Bedrohung durch die Völker. Ps 82 ist in weiten Teilen (v.2-4.6f.) als Gottesrede gehalten und sollte deshalb am ehesten als Orakelpsalm angesprochen werden. Aber die Gottesrede ist wohl in die Vision einer himmlischen Ratsversammlung (Ps82,1) integriert. 15! Ps 82 gibt damit eine ganze Reihe von Rätseln auf. Sein Thema, das Eingreifen Gottes als Richter, erschien bereits im ersten Kompositionsbogen innerhalb des Zionspsalms Ps 76. Ps 76,4-10 entfaltet eine Reihe von Aussagen über das frühere Eingreifen Gottes, die in die Ankündigung mündet. Die in Ps 76 angekündigte Szene himmlischen Gerichtes erhält in Ps 82 zunächst ein himmlisches Vorspiel und wird dann in Ps 83 als Bitte um Gottes Eingreifen auf der Erde erneuert. Bereits der erste Vers von Ps 82, der vermutlich eine visionär gesehene Szene darstellt, bereitet sprachlich große Schwierigkeiten (Ps 82,1):
Eingangs wird C'::t?K als Gottesbezeichnung für Jhwh im Singular konstruiert, während am Schluß andere Götter mit C'::t?K bezeichnet werden, was durch deren Anrede in der 2. Person Plural deutlich wird. 152 Üblicherweise wird nun Ps82 als himmlische Szene verstanden, in der Gott über andere Götter richtet. 153 Daß mit C'::t?K in den pluralisch konstruierten Stellen Götter gemeint sind, wird zudem durch den Parallelismus von cf:llt C'::t7\\ ( .. Götter seid ihr") mit c~7~ 1;'7\1 'l~ (.. Söhne des Höchsten seid ihr alle", v. 6) gesichert. Doch bleiben bei dieser Auffassung von Ps 82 Fragen offen: Wie verhält sich z. B. die eigentli-
?~-n;I1~ J~l C'::t7~ :t"~~' c'::t'?~ J'f'~
Gott (~Iohim) hat sich hingestellt im Rat der Götter (eI), inmitten von Göttern (relohtm) richtet er.
146 BECKER, Wege 117, verweist beispielsweise auf die gemeinsame Erwähnung Josephs in Ps 80,2 und Ps81,6. 147 Vgl. z.B. C'j'~ n~~ '1?l1~v '1'";~ ",", '~l~ (Ps 81,11 a) mit C~~~1;) r,~~ ~l'mq~;;, 'Wt$ i'!J;~ ;";" ':;JJtt (Ex 20,2IDtn 5,6). 1... ~~'!iu~ IU.; ,,.~ (Ps 81,17) mit .'19~ IUn (Dtn 32,13). 149 Vgl. Ps81,10 mit der Stelle im Dekalog Ex 20,3IDtn 5,7. Die Formulierung von Ps81,10 'l'~ findet sich nur noch in Ps 44,21. ISO Z.B. Lev 19,15.35. 151 JEREMlAS , Kultprophetie 122, KRAus (z.St.) und TSEVAT, HUCA 40,123-137, hier 13lf., haben für Ps 82 als Vision plädiert. Trotz sprachlicher (vgl. z.B. ~'J Ps82,1 mit Am 7,7) und inhaltlicher (vgl. z. B. das Bild der Götterversammlung 1Kön 22,19) Nähe zu Visionstexten ist festzuhalten, daß Ps 82 nicht als Vision eingeleitet ist (zur Kritik dieser Ansätze vgl. auch HÖFFKEN, ThZ 39,129-137, hier 135).
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che Gottesrede, in der ein Richterspiegel geboten wird, zur vermuteten himm-
lischen Szene? Beispielsweise stellt Kraus fest: "Bemerkenswert ist es, daß in Ps82 der Gegensatz zwischen den Gerechten und den Frevlern in die Götterwelt hineingetragen wird .... Die Ungerechtigkeit auf Erden wird demnach jenen Potenzen zugeschrieben, die zwischen lahwe und der Welt als Machthaber und Schutzgeister von Gruppen, Völkern und Staaten ihr Wesen treiben." 154
Als Ergebnis des Psalms hält Kraus dann zu v. 7 fest: "Die Götter werden aus der himmlischen Sphäre des Lebens in die Welt des Todes herabgestürzt." 155
Die Frage, ob die am Anfang des Psalms mit C'::t?K bezeichneten Richter nun wirklich Götter sind, ist also vom Schluß des Psalms her zu verneinen. Diese Verneinung ist aber gerade rhetorisches Ziel dieses Psalms: der Tod der Götter. 156 Der Psalm bewegt sich damit auf einen Monotheismus ZU. 157 Eine interessante Lösung zu dem Problem, ob in Ps 82 Götter oder Menschen gemeint sind , hat unlängst H. Niehr vorgetragen. 158 Er arbeitet heraus, daß beide Lösungsmöglichkeiten unwiderlegbare Gründe für sich vorbringen können, aber daß auch heide Schwächen haben. Die Rechtswelt des Textes ordnet er der Sozialkritik der Prophetie des 8.1ahrhundens zu. Da Niehr nun göttliches und menschliches Handeln in einem Analogiedenken verknüpft sieht, faßt er die beiden Deutungsmöglichkeiten nicht als Alternativen auf: Es geht in der Kritik um kanaanäische Beamte, die andere Götter anbeten. Nun gibt es auch innerhalb des Bundesbuches Stellen, bei denen es ebenfalls strittig ist. ob mit C';"X Götter oder Menschen bezeichnet sind. So übersetzen die Septuaginta, die Peschitta und die Targume C';"X in Ex 21,6 so, daß der Sklave, der sich gegenüber seinem Herrn zu lebenslangem Dienst verpflichtet, nicht" vor Gon" (.,~ IS2 Ähnlich au~h am Schluß des Psalms: v. 6 redet in der Gottesrede andere Götter im Plural an, v.8 bezeichnet in der Gebetsbitte Gott als O';"K. Zur seltenen grammatischen Konstruktion von C';"K im Plural vgl. auch Ex 32,4.8 (der Fremdkult am Gottesberg) als philologische wie typisierend historiographische Parallelstelle zu 1Kön 12,28 (der Jerobeamkuh). 153 Vgl. z.B. GUNKEL; KRAUS u. a. z. St. , NAsun, History 131. 154 KRAus 737. 155 KRAUS 738. 15