Sandra Smykalla Die Bildung der Differenz
Theorie und Praxis der Diskursforschung herausgegeben von Reiner Keller Seit...
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Sandra Smykalla Die Bildung der Differenz
Theorie und Praxis der Diskursforschung herausgegeben von Reiner Keller Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich im deutschsprachigen Raum quer durch die verschiedenen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine lebendige Szene der diskurstheoretisch begründeten empirischen Diskurs- und Dispositivforschung entwickelt. Nicht nur Qualifikationsarbeiten etwa im Rahmen von Graduiertenkollegs, sondern auch Forschungsprojekte, Methodenwerkstätten und Tagungen oder die von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie unlängst vergebenen Nachwuchs-Preise für empirische Diskursstudien dokumentieren die zunehmende Bedeutung des Diskursbegriffs für die Analyse gesellschaftlicher Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken. Vor diesem Hintergrund zielt die interdisziplinär angelegte Reihe durch die Veröffentlichung von Studien und Diskussionsbeiträgen auf eine weitere Profilschärfung der Diskursforschung sowie auf die Vorstellung entsprechender Arbeiten für ein breiteres wissenschaftliches Publikum. Die einzelnen Bände werden sich mit theoretischen und methodologischen Grundlagen, methodischen Umsetzungen und empirischen Ergebnissen der Diskurs- und Dispositivforschung sowie mit deren Verhältnis zu anderen Theorieprogrammen und Vorgehensweisen beschäftigen. Vorgesehen ist die Publikation von Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen sowie von Sammel- und Tagungsbänden.
Sandra Smykalla
Die Bildung der Differenz Weiterbildung und Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Universität Göttingen, November 2008 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.
. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17025-1
Danksagung
Diese Arbeit hat mich über eine nicht unwesentliche Etappe meines Lebens begleitet und ist entstanden aus der Verknüpfung theoretischer Denkbewegungen und politischer Aktivitäten. Mein Dank gilt meiner Betreuerin Doris Lemmermöhle, die mein Interesse an der Geschlechterforschung weckte, als sie zur ersten Professorin an das Pädagogische Seminar der Universität Göttingen berufen wurde, und die meine Forschung seit vielen Jahren kritisch-konstruktiv begleitet. Meine Zweitbetreuerin, Gertraude Krell, hat mir als Vertrauensdozentin der Hans-Böckler-Stiftung in vielen anregenden Gesprächen unschätzbar wertvolle Hinweise und Ratschläge gegeben, wofür ich ihr herzlich danke. Eine Forschungsarbeit ist immer auch das Ergebnis gemeinsamer Reflexionsprozesse. So habe ich in verschiedenen Arbeitsgruppen sehr inspirierende Rückmeldungen erhalten. Insbesondere danke ich Gabi Elverich, die als wohlwollende Kritikerin meine Arbeit von Anfang begleitet hat – ebenso wie Martina Schuegraf, Judith Enders, Grit Philipp und Lisa Rüter. Auch bedanke ich mich bei meinem ehemaligen Team des GenderKompetenzZentrums für die kollegiale Unterstützung. Mein persönlicher Dank dafür, dass diese Arbeit überhaupt zustande kam, geht insbesondere an Anja Dieterich sowie an Katharina Fuchs-Bodde, Heike Hübert, Kirsten Klöss und Silke Link. Auch danke ich Eva Blome, Sandra Kotlenga, Bettina Stötzer, Johanna Kretschmann, Anna Veigel und Imke Schridde, dass sie mir beratend zur Seite gestanden haben. Außerdem bedanke ich mich herzlich bei meinen Eltern, Helga und Johannes Smykalla, für ihren festen Glauben in meine Fähigkeiten und ihre Unterstützung. Mein tiefer Dank geht an meine Schwester, Esther Smykalla, die mich selbst in der schwersten Zeit ihres Lebens bestärkt hat, nicht aufzugeben. Durch sie habe ich gelernt, dass es viel Wichtigeres im Leben gibt, als zu promovieren – und genau deshalb hatte ich die Kraft, diese Arbeit abzuschließen. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Anja Tigges und Friederike Braun, die die Endkorrektur dieser Arbeit mit großer Präzision und sehr vertrauensvoll bewältigt haben. Mein Dank gebührt der Hans-Böckler-Stiftung, die meine Promotion mit einem Stipendium und die Drucklegung mit einem Zuschuss gefördert hat. Schließlich bedanke ich mich bei meinen Interviewpartner_innen für ihr Vertrauen und ihre Offenheit, mich an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Berlin, April 2010
Sandra Smykalla
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ………………………………………………………………… 9 1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung ........ 1.1 Differenz und Dekonstruktion in qualitativer Forschung .................... 1.2 Die Kontingenz der Gegenstandskonstitution ..................................... 1.3 Paradoxien qualitativer Geschlechterforschung .................................. 1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse ................ 1.5 Ambivalenz als Forschungsperspektive ..............................................
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2 Horizont der Differenz – Kontroversen um Gender Mainstreaming, gender und Bildung ......................................................................... 61 2.1 Gender-Trainingslandschaften ............................................................ 62 2.2 Quadratur des Kreises? Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation............................................................ 74 2.2.1 Durchsetzungsgeschichte(n) von Gender Mainstreaming ........ 75 2.2.2 Diskursivierungen von Gender Mainstreaming ...................... . 80 2.2.3 Horizont von Gleichstellungspolitik ........................................ 97 2.3 Beyond gender? Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation......................................................................... …. 100 2.3.1 Bedeutungsverlust versus Entnennung der Kategorie Geschlecht .............................................................................. 101 2.3.2 Gender als Kontrapunkt, Degendering und undoing gender .. 108 2.3.3 Horizont von gender ............................................................... 114 2.4 Von der Bildung zur Kompetenz? Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung......................................... 117 2.4.1 Pädagogische Debatten um Postmoderne und Entgrenzung .. 118 2.4.2. Kompetenzwende und Subjektkritik ...................................... 123 2.4.3 Dezentralisierung von Lernorten und Kommerzialisierung der Weiterbildung .................................................................. 130 2.4.4 Erweiterung pädagogischer Grundvorgänge: Vom Erziehen zum Beraten ........... ………………………… 131 2.4.5 Lehrende und Lernende in der Weiterbildung ....................... 134 2.4.6 Horizont von Bildung ............................................................ 136
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Inhaltsverzeichnis
3 Aushandlungsräume – Interventionen in gender-orientierter Weiterbildung und Beratung ......................................................... 139 3.1 Zwischen Markt und Bewegung: Das Handlungsfeld genderorientierter Weiterbildung und Beratung........................................... 139 3.1.1 Lesarten von Gender Mainstreaming:Chance und Bedrohung.. . 140 3.1.2 Gleichstellung: Modernisierung und Transformation ............ 154 3.1.3 Berufsbiografische Verläufe: Profession und Mission ........... 161 3.1.4 Die Vermarktlichung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung .......................................................................... 170 3.2 Zwischen Machbarkeit und Ermöglichung: Konzeptionen von Gender-Trainings ....................................................................... 174 3.2.1 Organisations- und subjektorientierte Perspektiven ............... 175 3.2.2 Trainingsziele: Verhaltens- und Haltungsänderung ............... 182 3.2.3 Gender-Konstruktionen: Plausibilisierung und Infragestellung. ..193 3.2.4 Didaktische Wege: Anwendung und Sensibilisierung ........... 215 3.2.5 Kontroversen in Gender-Trainings ........................................ 233 3.3 Dilemmata professioneller Interventionsstrategien ........................... 238 4 Die Bildung der Ambivalenz – Herausforderungen für theoretisch reflektiertes Handeln ..................................................................... 4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch? .............................. 4.2 Gender-Regulierungen ...................................................................... 4.3 Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive ..............................
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Ausblick.. .......................................................................................... 269 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .................................................. 273 Literaturverzeichnis ........................................................................... 275
Einleitung
Gender1 hat derzeit viele Erscheinungsorte, und die Attraktivität der politischen Strategie des Mainstreaming ist hoch. Mit der Strategie des Gender Mainstreaming wird das Ziel verfolgt, den Verfassungsauftrag, d.h. die im Grundgesetz geforderte tatsächliche Gleichstellung durchzusetzen (GG, Art. 3 Abs. 2). Daher zielt Gender Mainstreaming auf eine systematische gleichstellungsorientierte Perspektive in der Planung, Umsetzung und Durchsetzung von Maßnahmen sowie deren Evaluierung in Organisationen. Mit der Einführung von Gender Mainstreaming gelingt es, gleichstellungspolitischen Maßnahmen eine breitere öffentliche Beachtung zu verschaffen. Mit dem Querschnittansatz und dem Topdown-Prinzip wird bekräftigt, dass die Verantwortung für Gleichstellung, die bisher weitgehend in den Zuständigkeitsbereich von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten delegiert wurde, maßgeblich bei der Führungsebene von Organisationen liegt. Seit einigen Jahren strömen neben Gender Mainstreaming auch verschiedene politische Querschnittsstrategien in den Mainstream, so z.B. das Family Mainstreaming, das darauf zielt, eine Folgenabschätzung von Programmen und Gesetzen hinsichtlich der Auswirkungen auf Familien zu etablieren sowie eine auf Familienangelegenheiten ausgerichtete Perspektive in alle Politikbereiche zu 1
Zur Erläuterung der Schreibweisen in dieser Arbeit: Für den Begriff gender verwende ich im Folgenden die englische Schreibweise und Kursivsetzung, um die Entstehungsgeschichte des Konzepts in der feministischen Theoriebildung zu betonen. Ich gehe mit Antje Hornscheidt davon aus, dass die Kategorie gender sich sprachlich konstituiert und reproduziert und sich immer auch sprachlich vermittelt (vgl. Hornscheidt 2007: 66f.). Vor dem Hintergrund Hornscheidts subjektkritischer, wissenssoziologischer Überlegungen zu Interdependenzen ist auch sprachlich die Herausforderung aufzunehmen, tradierte Vorstellungen von Geschlecht zu irritieren und komplexe, multidimensionale Kategorisierungen vorstellbar zu machen (vgl. Hornscheidt 2007: 103f.). Es wird deshalb in dieser Arbeit vorwiegend die orthografische Neuprägung des integrierten Unterstrichs (oder auch substantivierte Partizipien) verwendet. Der Unterstrich signalisiert Brüche, Zwischenräume und Leerstellen in als eindeutig vorgestellten Gender-Konzepten und damit wird eine Problematisierung der Gegenüberstellung von ‚weiblich’ und ‚männlich’ ausgedrückt. Mit Bezug auf Eggers et al. (2005) wird Schwarz groß geschrieben und weiß kursiv gesetzt, um die Bedeutungsebene des „Schwarzen Widerstandspotenzials, das von Schwarzen und People of Color dieser Kategorie eingeschrieben worden ist“ (Eggers et al. 2005: 13) zu verdeutlichen und den Konstruktionscharakter von Weißsein zu markieren.
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integrieren und familienzentrierte Politikmaßnahmen zu bestärken.2 Das Cultural oder Intercultural Mainstreaming will die Chancengleichheit von Migrant_innen fördern.3 Disability Mainstreaming verfolgt die Absicht, die Gleichstellung von behinderten Menschen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, also als Querschnittsaufgabe, durchzusetzen. Sexuality Mainstreaming ist eine aus der Queer Theory und den Queer Politics entstandene sexualpolitische Strategie, die in kritischer Abgrenzung zu Gender Mainstreaming das Ziel verfolgt, Sexualität als gesellschaftliches Strukturmerkmal anzuerkennen und das System der Zweigeschlechtlichkeit sowie Heteronormativität in Frage zu stellen (Woltersdorf 2003).4 Außerdem gibt es ein wachsendes Forschungsinteresse an Age Mainstreaming, womit eine Strategie gemeint ist, die sich in einer nicht-defizitorientierten Weise mit Fragen des Alterns auseinandersetzt.5 Auch von einem Class Mainstreaming ist die Rede (do Mar 2003: 94). Eine weitere Strategie ist das Diversity Mainstreaming (Squires 2007), von dem sich das neben Gender Mainstreaming am häufigsten diskutierte Konzept des Diversity Managements herleitet. Diversity Mainstreaming zielt darauf, die Vielfalt von Lebensweisen und Zugehörigkeiten zu gesellschaftlichen Gruppen anzuerkennen und aufzuwerten. Anders als in unternehmerischen Zusammenhängen, in denen es oft um die ökonomische Optimierung von Organisationsstrukturen geht, werden nicht zuletzt durch die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), werden politische Konsequenzen gegen Mehrfachdiskriminierung rechtlich ermöglicht. Hinter diesen politisch-strategischen Entwicklungen steht die Frage, welche Lebenslagen von Menschen durch welche politischen Strategien adressiert werden und wie sich diese so umsetzen lassen, dass sie der Komplexität von Privilegierungen und Benachteiligungen gerecht werden. Damit ist auch das Verhältnis der Kategorisierung durch gender zu anderen Ausgrenzungskategorisierungen angesprochen. Durch die Einführung der gleichstellungspolitischen Strategie Gender Mainstreaming in Deutschland hat gender eine „Reise durch die öffentliche Kultur“ (Butler 1997: 34) angetreten. Gender als Konzept feministischer Theoriebildung verlässt wissenschaftliche Diskurse der Gender Stu-
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Das Europäische Parlament hat den Begriff des Family Mainstreaming von den Vereinten Nationen aufgegriffen, hat jedoch eine deutlich engere Definition als die UN entwickelt. Mit dem Ansatz des Cultural Mainstreaming arbeiten verschiedene Organisationen wie z.B. die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di oder das Brandenburgische Parlament. Cultural Mainstreaming soll nach Döge (2003) analog zum Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklungsprozess etabliert werden. Der Berliner Landesverband von Bündnis 90/DIE GRÜNEN spricht in diesem Zusammenhang von Queer Mainstreaming. Siehe z.B. ein gleichnamiges Forschungsprojekt Age Mainstreaming der Bertelsmann Stiftung.
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dies und erhält beim Durchqueren neuer politischer Arenen andere Bedeutungen und Funktionen. Gender – ein Passepartout, das Zugang gewährt zu den Slums der Weltmetropolen ebenso wie zu den obersten Etagen der UNO, das im Entwicklungsprojekt im südlichen Afrika genauso heimisch ist wie in der Fortbildung bayrischer Grundschullehrerinnen. Über gender lässt sich reden. Was aber ist gender (Soiland 2004: 97)?
Welche Effekte diese Reise von gender zeitigt, ist in den Gender Studies umstritten. Wird gender zu einer transnationalen Konsenskategorie, die Bayern mit Südafrika verbindet, oder ist gender ein Schauplatz von Interessenskonflikten und umkämpften Bedeutungen? Etabliert die globale Zirkulationsfähigkeit von gender einen transnationalen Diskurs, oder versucht gender lediglich, bestehende Diskurse internationaler und kosmopolitischer wirken zu lassen? Geht eine normativitätskritische Bedeutung von gender durch Gender Mainstreaming verloren, und dualistische Deutungen ersetzen den machtkritischen Gehalt? Hat der Begriff gender überhaupt eine inhärente politische Bedeutung, die es zu wahren gilt – oder kann und gilt es, ihn in ein Feld vielfältiger Einschreibungen und Bedeutungen zu entlassen? Da diese Fragen nur kontextualisiert zu klären sind, sei zunächst das Feld skizziert, in dem sie sich hier stellen.
Gender sells!? Die Konjunktur von Gender-Training und -Beratung Ein Effekt der ersten Implementierungsphase von Gender Mainstreaming in Deutschland seit Anfang 2000 ist, dass ein großer Informations- und Beratungsbedarf aufseiten der Organisationen entstanden ist. Aufgrund dieser erhöhten Nachfrage nach Weiterbildung und Beratung etabliert sich ein neuer Zweig des Dienstleistungsmarktes, den ich im Folgenden das Handlungsfeld der genderorientierten Weiterbildung und Beratung nenne. Gender-Trainings haben auf diesem Weiterbildungs- und Beratungsmarkt Hochkonjunktur. Als „Bildungsoder Personalentwicklungsinstrument“ (Blome et al. 2005: 124) finden sich inzwischen vielfältige Angebote im Bereich der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung. Unklar ist derzeit nicht nur, wie sich das neue Berufsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung in Deutschland entwickelt, sondern sehr heterogen sind auch die Vorstellungen, was ein Gender-Training ist und was die Qualität eines Gender-Trainings ausmacht. Bis heute gibt es eine Vielzahl von Konzepten, die abhängig von dem jeweils zugrunde gelegten Gender- und Trainingsverständnis und je nach Anfrage, Thema und Zielgruppe variieren. Das Besondere an der Etablierung eines gender-orientierten Weiterbildungs- und Beratungsmarktes ist, dass sich dessen Neukonstituierung an der
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Schnittstelle von sozialen Bewegungen, wie der Frauen- oder Männerbewegung, und einem personalwirtschaftlichen Dienstleistungsmarkt vollzieht. Gleichstellungspolitische Maßnahmen sind damit unmittelbarer mit einer entgrenzten ökonomischen Marktlogik konfrontiert, als dies bisher der Fall war. Die Abhängigkeit von bzw. der Wettbewerb um staatliche Förderungen ist dabei insbesondere für den Bereich der politischen Bildung kein neues Phänomen, denn die Ordnungsprinzipien „Markt versus Staat“ beschäftigen die Weiterbildungspolitik schon seit den 1980er Jahren (Dröll 1998: 14). Die „Vermarktlichung“ (Frey/Hüning/Nickel 2004) im Kontext von Gleichstellungspolitik nimmt im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming durch die Ausweitung eines freien Dienstleistungsmarktes jedoch zu. Durch die Kollision von Emanzipationsbewegungen und Markt durchkreuzen sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen, Bildungs-, Organisations- und letztlich auch Subjektverständnisse in Diskursen um Demokratisierung oder Ökonomisierung. Diese Gleichzeitigkeit von Gerechtigkeitsvorstellungen und einer Effizienzorientierung wird zu einem markanten Kennzeichen und zu einer der größten Herausforderungen der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung. Gender-Trainer_innen und/oder Gender-Berater_innen treten als eine neue Akteursgruppe auf, die sich als Gender-Expertinnen und Gender-Experten professionalisieren, um Gender-Kompetenz zu vermitteln. Gender-Kompetenz avanciert zu einem der zentralsten Begriffe, wenn es um Vermittlungsweisen von geschlechterbezogenem Wissen, um eine Befähigung von Akteur_innen für Gleichstellung und eine Akzeptanzsicherung für Gleichstellungspolitik geht. Was bedeutet die Begriffsschöpfung Gender-Kompetenz, die im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming Hochkonjunktur erhält? Meine These ist, dass Gender-Kompetenz zwar viel zitiert und verwendet, dennoch jedoch untertheoretisiert ist. Unklar ist nicht nur, welches Verständnis von gender der Gender-Kompetenz zugrunde gelegt wird – ein theoriegeleitet feministisches, dekonstruktivistisches oder differenztheoretisches oder ein alltags- und populärwissenschaftliches? – es bleibt zudem offen, was mit Kompetenz gemeint ist: Fähigkeit, Zuständigkeit oder Befugnis? Die Konstituierung des Handlungsfeldes gender-orientierter Weiterbildung und Beratung geschieht zu einem Zeitpunkt, als die Angebote der Erwachsenenbildung sowie der Personalentwicklung (Beratung, Supervision, Coaching, Mentoring, Mediation) zwar stark ausdifferenziert, geschlechterbezogene Angebote in der Fort- und Weiterbildung jedoch nur punktuell vertreten sind. Durch das Zusammentreffen von heterogenen, professionellen, disziplinären Wissensbeständen von Gender-Expertinnen und -Experten mit Organisationsmitgliedern sind Arbeitsformen und professionelle Selbstverständnisse neu zu definieren. Mit einer Ausweitung pädagogischer und politischer Handlungsfelder gehen
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neue Möglichkeiten zur Professionalisierung einher; gleichzeitig vollziehen sich jedoch durch die Vermarktlichung auch Schließungs- und Ablösungsprozesse, weil pädagogische Handlungsfelder und Lernkonzepte mit anderen Interventionsformen der Personal- und Organisationsentwicklung konkurrieren.
Wissenschaftliche Kontroversen um Entgrenzung Was bedeutet gender (noch)? Während gender als Label seinen Weg durch die Institutionen antritt, reformuliert sich eine Kritik, die die Effekte der Entgrenzung von gender und des Mainstreaming von gender kritisiert. Gender werde zu einem „linguistischen Passepartout“ (Knapp 2001b: 57), das sich mit wechselnden Bedeutungen aufladen kann, und trage zur „Verdinglichung der Mann/FrauOpposition als grundlegender und grundsätzlicher Differenz“ (ebd.) bei. „Entsprechend ist der Kategorie gender ihre einstmals radikale akademische und politische Aktions- und Wirkungsmacht abhanden gekommen“ (Scott 2001: 59). Gender entwickele sich zu einem Begriff, „der zur Stabilität der Mann/FrauOpposition eher beitrug, als dass er sie erschüttert hätte“ (Scott 2001: 52) und degeneriere zum „Routinebegriff, dem jede Trennschärfe abhanden gekommen ist“ (Wetterer/Saupe 2004: 6). Als Begriff trage gender zwar durch seine Entgrenzung zur „Weltläufigkeit“ von Geschlechterfragen bei, gleichzeitig verkomme gender jedoch zu einem „amorphen Begriff, der keine spezifischen Hinsichten mehr bezeichnet“ (Knapp 2001a: 36). Gender kann demnach heute dazu dienen, sich von feministischen Forderungen abzugrenzen oder feministische Perspektiven von Forschung unsichtbar zu machen. Feminismus ist jedoch seit jeher ein umkämpfter Ort. Es ist deshalb problematisch, ‚den Feminismus’ gegen gender ins Feld zu führen, wo es doch keineswegs offensichtlich sein kann, auf welche Form des Feminismus und welche Lesart von gender sich hier bezogen wird. Als Effekt der poststrukturalistischen Universalismus-Kritik innerhalb der Gender Studies, die die Ausgrenzungen eines weißen, heteronormativen Feminismus kritisierte, setzen sich Geschlechtertheorien nun stärker mit Artikulationsweisen und -möglichkeiten, Wissenskontexten sowie der Übersetzbarkeit bzw. Übertragbarkeit von Begriffen und Konzepten auseinander. Im Rahmen deutschsprachiger Diskussion um Interdependenzen und Intersektionalität, werden nicht nur „transatlantische Reisen“ (Knapp 2005) von race, class und gender, sondern auch das Zusammenwirken von weiteren Ungleichheitsverhältnissen und Differenzen diskutiert (vgl. Knapp 2005, 2006; Klinger/Knapp 2005; Rommelspacher 2006; Degele 2007 und Walgenbach et al. 2007; Lorey 2008, Smykalla/ Vinz 2011).
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Doch geht es bei der Frage nach veränderten Bedeutungen von gender um mehr als einen Begriffsstreit. Auch gesellschaftliche Individualisierungs- und Destabilisierungsprozesse werfen Überlegungen nach der „Strukturierungskraft“ der Kategorie Geschlecht auf, „(…) wenn die in Traditionen und starren Machtverhältnissen tief verwurzelten Einteilungen in männlich und weiblich in der Moderne in Frage gestellt werden und legitimiert werden müssen“ (Lemmermöhle et al. 2006: 13). Im Zusammenhang mit der Pluralisierung von Lebensweisen und der Flexibilisierung von Arbeit erhält auch die seit mehreren Jahren in der Geschlechterforschung diskutierte These vom „Bedeutungsverlust“ bzw. der „Entnennung“ der Kategorie Geschlecht eine neue Brisanz (Knapp 2001a). Das Phänomen der Entgrenzung ist also weder neu, noch ist es spezifisch für gender-Diskurse. In der Erziehungswissenschaft wird bereits aufgrund von Ulrich Becks Individualisierungsthese (Beck 1986) seit Beginn der 1980er Jahre die „Entgrenzung des Pädagogischen“ (Lüders et al. 2000: 210, Winkler 2001) kontrovers diskutiert. Als Auslöser gelten die im gesamtgesellschaftlichen Kontext konstatierte Tendenz des Brüchig-Werdens der traditionellen gesellschaftlichen Institutionen und die Ausweitung beruflich-pädagogischer Arbeitsfelder wie Schule und soziale Berufe (Helsper 2000: 17). Als „Expansion des Pädagogischen“ (Lenzen 2000: 210, Helsper 2000: 17) wird die Verlagerung des pädagogischen Denkens und Handelns heraus aus den ‚typisch pädagogischen’ Institutionen und hinein in einen offenen Bildungsmarkt und die Beschäftigung mit einer Lebensverlaufsperspektive, neuen Altersgruppen und Lebensbereichen problematisiert, wie z.B. im Bereich des Lebenslangen Lernens. Zum einen wird die Allgegenwärtigkeit von Pädagogik dabei als Verwissenschaftlichung und die Professionalisierung pädagogischer Berufe als eine „Pädagogisierung von Gesellschaft und Lebenswelt“ (Lüders et al. 2000: 209, Beck/ Beck-Gernsheim 1990) thematisiert, zum anderen als eine „Veralltäglichung“ erziehungswissenschaftlichen Wissens kritisiert. Während der Streit um die Pädagogisierung der Lebenswelt auf der Differenz von Pädagogik und Gesellschaft fußt, werden im Verlauf der Debatte eher Erziehungs-, Lern-, und Bildungsverhältnisse auf individueller und gesellschaftlicher Ebene verhandelt (Lüders et al. 2000: 213). Eine weitere Wendung erfährt die Debatte durch interdisziplinäre Veränderungen, die in der Pädagogik unter den Thesen der „Vernaturwissenschaftlichung und Technologisierung unserer Lebenswelt“ (Euler 2003: 21) und der „Verbetriebswirtschaftlichung“ (z.B. Widersprüche 2003, Euler 2004, Brüchert 2005, Lohmann 2007, Prokla 2007) von Bildung und Bildungsinstitutionen verhandelt werden. Bis heute lassen sich gleichzeitig Pädagogisierungs- und Entpädagogisierungstendenzen beobachten. Tatsache ist, dass Bildungsprozesse vielerorts stattfinden. Erwachsenenbildung ist zwar nicht ortlos, sie ist jedoch nicht mehr nur an zentralen Orten zu finden.
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Wird die Einführung von Gender Mainstreaming und die Entwicklung von Gender-Trainings vor diesem Hintergrund betrachtet, so ist meine These, dass im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung Entgrenzungen von gender und von Bildung zusammentreffen. Das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung kreiert einen neuen „Lernort“ (Kade/Nittel 2000: 200), der den Rahmen für die Entgrenzungsdiskurse um gender darstellt. Durch die Dezentralisierung von Bildungsprozessen entstehen kontroverse Aushandlungsräume um die Bedeutung von gender, Gender Mainstreaming und Gender-Kompetenz in Gender-Trainings. Mit Gertraude Krell ist davon auszugehen, dass das Verständnis von Geschlecht „die Weichen für die Formulierung und Realisierung von Strategien, die Wahl von Konzepten und die Ausgestaltung von Maßnahmen zur Realisierung der Chancengleichheit der Geschlechter – und damit auch für deren Erfolg“ stellt (Krell 2008: 14). Ausgehend davon, dass es lange Zeit ein zentrales Anliegen der Geschlechterforschung war, die vermeintliche Geschlechtsneutralität in gesellschaftspolitischen Bereichen und in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu kritisieren, hat sich die Situation mit der Einführung der Strategie des Gender Mainstreaming radikal verändert. Inzwischen hat sich mit der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ein Berufsfeld etabliert, das Gleichstellungsfragen und Gender-Aspekte explizit thematisiert. Dies sagt allerdings noch nicht viel darüber aus, welche Bedeutungen von gender von welchem Mainstream überhaupt zur Kenntnis genommen und thematisiert werden. Denn die politischen und professionellen Verständnisse, disziplinären Kenntnisse und die Akteursperspektiven, die sich in die Umsetzungspraxis von Gender Mainstreaming eingeschrieben haben, sind sehr heterogen und oft nicht expliziert. Das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ist durch die Heterogenität der Angebote – Ziele, Inhalte und Didaktik, zugrunde liegende Lehrund Lernverständnisse – und durch die Unwissenheit über die Anbietenden sowie deren Kompetenzen gekennzeichnet. Denn obwohl das Angebot der genderorientierten Weiterbildung und Beratung quantitativ stark angestiegen ist, wurden Gender-Trainings in den Gender Studies oder der Erziehungswissenschaft erst mit einiger Verzögerung als Forschungsgegenstand erkannt.
Gender auf Reisen: Verhältnisbestimmungen von Theorie und Praxis Das Verhältnis von feministischer Theorie und Praxis war immer schon ein umkämpfter Ort, denn Geschlechterforschung entstand aus Kontroversen und politischen Forderungen der Frauenbewegungen und anderen sozialen Bewegun-
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gen.6 Geschlechterpolitische Ziele und Strategien sind damit auf spannungsreiche Weise mit feministischer Theoriebildung verzahnt. So findet auch die Weiterentwicklung und Etablierung der Strategie Gender Mainstreaming nicht parallel zu wissenschaftlichen Debatten um die (De-)Konstruktion von Geschlecht, Körper, Sexualität und um Intersektionalität statt, sondern sie ist durch voranschreitende gleichstellungspolitische Institutionalisierungen und Professionalisierungen von Akteur_innen mit ihnen verwoben. Ähnlich wie die institutionalisierte Frauenförderung, die lange Zeit kein Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzungen war (vgl. Batisweiler et al. 2001: 7), wurde auch die Strategie Gender Mainstreaming nur zögerlich im Diskurs der Geschlechterforschung aufgegriffen – und wenn, dann in ablehnender Weise. Gender Mainstreaming wird von Skeptikerinnen als „Quadratur des Kreises“ (Jegher 2003: 11), als „Etikettenschwindel“ (Metz-Göckel 2002) oder als „Schwanengesang auf die Frauenpolitik“ (Holzleithner 2002) bezeichnet. Inzwischen hat sich aus der einseitigen Ablehnung eine kritische Debatte um Sinn und Zweck von Gender Mainstreaming entwickelt, und gleichstellungspolitisches Handeln gewinnt in geschlechtertheoretischen Auseinandersetzungen an Bedeutung. Dabei wird insbesondere die Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis bzw. von Wissenschaft und Politik erneut verhandelt (vgl. Plöger/Riegraf 2009, Andresen et al. 2009). Problematisch wird es in diesem Zusammenhang allerdings, wenn eine dualistische Trennung von Theorie und Praxis vorgenommen wird, die entweder abstrakte Theorie einer konkreten Praxis überordnet oder der Praxis eine Vorrangstellung gegenüber der Theorie einräumt. Diese Gegenüberstellung verortet auf der theoretischen Seite Konzepte wie „’Idee’, ‚Denken’, ‚Konstruktion’, ‚Diskurs’, ‚Sprache’, ‚Bezeichnung’, ‚Symbolisches’, ‚Metaebene’ und ‚Abstraktion’“ und auf der praktischen Seite „’Materie’, ‚Leben’, ‚Handeln’, ‚Realität’, ‚ökonomische Verhältnisse’, ‚Gesellschaft’, ‚konkrete Individuen’, ‚Tatsachen’, ‚Dinge’ und ‚Alltag’’ (Lorey 1998: 97). Soll dieser Dualismus infrage gestellt werden, bleibt die Herausforderung, keine Theorie für die Praxis oder von der Praxis zu entwickeln. D.h. Theorie ist weder als Handlungsanweisung für Praxis zu verstehen, noch als bloßes Analyseinstrument der Praxis. Mit Susanne Maurer ist dafür zu plädieren, dass Theorie und Praxis nicht in einem „einfachen linearen Verhältnis von ‚Voraussetzung’ und ‚Umsetzung’ oder ‚An6
In Anlehnung an Sabine Hark wird hier der akademische Feminismus in Gestalt von Frauenforschung, Frauen- und Geschlechterforschung, Gender Studies, Geschlechterstudien oder feministischen Studien verortet (Hark 2005: 13). Diese Bezeichnungen sind Ausdruck für umkämpfte politische, wissenschaftliche Territorien. Sie beinhalten je eigene Durchsetzungsgeschichten, weshalb sie nicht ohne Weiteres analog genutzt werden können. Ich verwende im Folgenden vorrangig die Begriffe Geschlechterforschung und Gender Studies.
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wendung’“ gedacht werden können, sondern Theoriebildung selbst eine Form gesellschaftlicher Praxis darstellt, was auch bedeutet, dass eine Praxis ohne Theorie nicht zu denken ist (Maurer 1996: 43 ff.). Der Zusammenhang von Theorie und Praxis stellt demnach kein Ableitungsverhältnis dar, sondern Theorie ist selbst eine Praxis (vgl. Lorey 1998: 95 ff., Smykalla 2000b).
Orte des forschenden Blicks Die skizzierte Reiseroute von gender zeigt: Der Wandel von institutionalisierten Strategien der Frauen- und Gleichstellungspolitik zum Gender Mainstreaming verläuft innerhalb der Gender Studies weder bruchlos, noch ist er unumstritten.7 Die Neuerungen in der Gleichstellungspolitik rufen politische Aushandlungsprozesse hervor, deren Konfliktlinien facettenreich sind. Gender-Trainings stehen damit vor der Herausforderung, Gleichstellung als Querschnittsaufgabe zu vermitteln, zu professionalisieren und neuerdings auch zu verkaufen – ohne dabei den politischen Gehalt zu vernachlässigen und hierarchische GenderDualismen zu reproduzieren. Eine zentrale These ist, dass sich das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung zwischen und innerhalb von Wissenschaft, Markt und Emanzipationsbewegung bzw. -politik konstituiert. Gender-Trainings bewegen sich darin als pädagogische und geschlechterpolitische Interventionen innerhalb eines Spannungsverhältnisses von Integration und Transformation. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Vermarktlichung von Gender-Trainings stattfindet, die nicht nur zu einer Diversität der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung beiträgt, sondern gleichzeitig zu Konkurrenz, politischen Bedeutungskämpfen und zu normativen, institutionellen und personellen Ein- oder Ausschlüssen im Handlungsfeld führt. Als relevant werden deshalb sowohl geschlechtertheoretische, disziplinäre und politische Wissensformationen, als auch die Akteurskonstellationen zwischen Anfragenden, Teilnehmenden und Expert_innen als Anbietende angesehen. Fokussiert wird zum einen, welches und wessen Wissen in Gender-Trainings zu der Entwicklung von Gender-Kompetenz beitragen kann. Zum anderen wird untersucht, welche ökonomischen und politischen Erfordernisse die Wissensproduktionen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung 7
Flankiert werden diese Diskussionen zudem durch mediale Inszenierungen. In den Feuilletons großer Tageszeitungen werden in jüngster Zeit regelmäßig Artikel veröffentlicht, die Gender Mainstreaming, Familienpolitik und die Gender Studies einseitig beleuchten und im Jargon des Enthüllungsjournalismus altbekannte anti-feministische, homophobe und rassistische Abwertungs- und Diskreditierungsstrategien reetablieren. Zum Backslash in den Medien siehe kritisch Krämer/Smykalla (2007) und Roßhardt (2007), zu gleichstellungsfeindlichen Positionen in Wissenschaft und Politik siehe Baer (2009).
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bedingen. Daraus ergeben sich Forschungsfragen nach der Transformation von Gleichstellungspolitik, gender und Bildung: Inwiefern verändern sich Lesarten und Ziele von Gleichstellungspolitik durch die Strategie des Gender Mainstreaming? Ist Gender Mainstreaming eine Professionalisierungs- statt einer Gleichstellungsstrategie, die die Anschlussfähigkeit an die Deutungsmuster der Zweigeschlechtlichkeit zum Ziel hat, wie dies Wetterer behauptet (Wetterer 2002)? Fahnden Gender-Trainings deshalb nach Unterschieden oder gelingt es gender-orientierter Weiterbildung und Beratung, einen Beitrag dazu zu leisten, Geschlecht als ungleichheitserzeugende Kategorie aufzulösen? Welche „Zwänge und Kreativitätsspielräume“ (Keller 2003: 211) charakterisieren das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung? Durch welche Lesarten von gender manifestieren oder transformieren sich Geschlechterund andere Differenzen? Welche Konsequenzen haben diese scheinbar paradoxen Tendenzen in Geschlechtertheorie und -praxis, die Geschlecht zugleich auflösen (Degendering) und zum Erstarken bringen (Gender im Mainstream)? Wie werden in Weiterbildung und Beratung, in denen Vermittlungsweisen von Gender-Kompetenz im Mittelpunkt stehen, Ambivalenzen aufgegriffen oder bearbeitet? Wie lässt sich die erkenntnistheoretische Vorstellung einer Offenheit und Unentscheidbarkeit der Kategorisierung von Geschlecht mit Entscheidungserfordernissen einer pädagogischen und politischen Praxis verbinden? Diese Fragen aufgreifend, sind Ziele dieser Arbeit eine Charakterisierung des Handlungsfeldes der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung sowie eine problemorientierte Typisierung von professionellen Interventionsstrategien, die theoretische Prämissen und praktische Ansätze von Gender-Trainings und Umgangsweisen mit Konflikten, Kontroversen und Dilemmata von GenderTrainer_innen und -Berater_innen aufzeigen. Um diese Wissensformationen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung im Kontext der Diskursivierung von Gender Mainstreaming zu analysieren, werden theoretische und politische Implikationen von Engendering- und Degendering-Prozessen sichtbar gemacht und kritisch reflektiert. Die Forschung ist als dekonstruktives, diskursanalytisches „Durchqueren“ (Hartmann 2003: 183) angelegt, das dreierlei Forschungsbewegungen einschließt: In Rekonstruktionen werden wissenschaftliche Kontroversen und akteursbezogene Diskursivierungen nachgezeichnet.8 Ein dekonstruktives Ge8
Der Begriff akteursbezogen meint kein akteurszentriertes Handeln, das das Subjekt als Ursprung einer Bedeutungskonstitution darstellt. Betont wird mit dem Akteursbezug vielmehr, dass es unterschiedliche Subjektpositionen innerhalb eines Diskursfeldes gibt, von denen aus verschiedene Diskursivierungen erzeugt werden (können). Mit Diskursivierung ist ein Prozess des Diskurs-Schaffens gemeint, ein Herstellungsprozess, der Lesarten und Begründungsformen diskursmächtig macht. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Befragten zwar im Interview als Expert_innen adressiert werden, sie sich aber auch selbst als solche erst insze-
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genlesen lenkt den Blick auf Ein- und Ausschlüsse in den professionellen Interventionsstrategien der Expert_innen und zeigt Ambivalenzen professionellen Wissens und Handelns auf. In Reflexionen von Konstruktionsprozessen werden wissenschaftliche Profilierungen in theoretischen Diskursen sowie Inszenierungen der Expert_innen und der Forscherin im Forschungsprozess in der empirischen Studie thematisiert. Diese Herangehensweise ist inspiriert durch dekonstruktive Infragestellungen des autonomen Subjekts im Rahmen poststrukturalistisch-feministischer Theoriebildung. Erkenntnistheoretisch und methodologisch richtet sich meine Forschung nicht nur beschreibend auf das Wie der Konstruktion von Diskurspositionen, sondern nimmt die Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution selbst in den Fokus. Die Orte des forschenden Blicks symbolisieren erkenntnistheoretische Standpunkte und die eigene method(olog)ische Forschungshaltung. Der hier eingenommene Standpunkt der Analyse ist eine Perspektive der Ambivalenz. Ambivalenz verstehe ich dabei nicht im alltagssprachlichen Sinne als eine Zwiespältigkeit, sondern verweise in Anlehnung an Butler auf die Bedeutung einer, nicht immer gleich bleibenden, aber dennoch unvermeidbaren, Gleichzeitigkeit von Gleichheit und Differenz und von Konstruktion und Dekonstruktion als Konstitutionsmodi von Bedeutung. Dies bedeutet auch davon auszugehen, dass jede Subjektkonstitution über ein Paradox der Subjektivation funktioniert, das zu dieser Ambivalenz führt (vgl. Butler 2001: 15). Ambivalenz verweist auf den „Doppelaspekt der Subjektivation“ (Butler), die in einen circulus vitiosus führt und die Subjektivation notwendigerweise zirkulär werden lässt. Diese Ambivalenz beansprucht mehr als eine zirkuläre Herstellung eines Nebeneinanders von Verhältnissen bzw. eine Mehrdeutigkeit verschiedener Aussagen. Vielmehr impliziert sie eine Gleichzeitigkeit, die den Widerspruch als konstitutives Moment in sich trägt (vgl. Butler 2001: 16). Ambivalenz bleibt ein unüberwindbares Element der Subjektwerdung. Es gibt weder ein „Entkommen“ noch eine „Freizone“: „In diesem Sinn kann das Subjekt die Ambivalenz seiner eigenen Konstitution nicht ersticken. Schmerzlich, dynamisch und viel versprechend, ist dieses Schwanken zwischen dem Schon-Da und dem Noch-Nicht ein Scheideweg, der jedem einzelnen Schritt seiner Überquerung anhängt, eine sich ständig wiederholende Ambivalenz im Kern der Handlungsfähigkeit“ (Butler 2001: 22). Der Widerspruch von Subjekt und Handeln wird zur Gleichzeitigkeit. Als Denkfigur verweist die Ambivalenz auf ein offenes, strukturelles Differenz-Verständnis im Sinne der Derrida’schen différance, dem ein Verständnis von Geschlechterdifferenz folgt, dem die unhintergehbare Gleichzeitigkeit von Konstruktion und Dekonstruktion inhärent ist (Derrida 1972). Diese nieren und dabei ein spezifisches Wissen über sich und ihr Handlungsfeld etablieren, das eine diskursherstellende Bedeutung hat.
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Perspektive der Ambivalenz stellt eine produktive Herausforderung für die Erforschung und die Konstitution professionellen Wissens und Handelns im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung dar. Denn, so meine These, die Frage nach dem Verbindenden oder dem Trennenden als Konstitutionsmoment von gender – Gleichheit oder Differenz – kann nicht im Entweder-Oder enden. Vielmehr spiegeln sich verschiedene Konstitutionslogiken in den Umgangsweisen mit Gleichzeitigkeiten. Diese machen deutlich, wie im professionellen Handeln was (un)sichtbar gemacht wird. Mit einer Perspektive der Ambivalenz verändert sich nicht nur der Blick auf Forschung, sondern auch der Gegenstand der Forschung selbst. Die unhintergehbare Gleichzeitigkeit von Gleichheit und Differenz dient als paradigmatischer Ausgangspunkt für diese Arbeit. Als Metapher für diese Gleichzeitigkeit dient der von Jacques Derrida erwähnte Begriff „Horizont“ (Derrida 1991: 53), der eine Öffnung und Grenze zugleich symbolisiert. Mittels der Forschungsperspektive der Ambivalenz geraten nicht lediglich heterogene, komplexe Diskurse ins Blickfeld, sondern es lassen sich machtvolle Konstitutionsmechanismen der Gleichzeitigkeit herausarbeiten. Es kann somit nach diskursiven Bedeutungsmustern und nach den Kämpfen um hegemoniale Bedeutungen gefragt werden. Auch kann rekonstruiert werden, welche Überkreuzungen und Neuanordnungen von Wissensformationen sich im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ergeben. Die Perspektive der Ambivalenz ist eng verbunden mit einem Verständnis von Differenz, Geschlechterdifferenz und Dekonstruktion, das danach fragt, wie Unterschiede, Verschiedenheiten, Flexibilitäten jenseits von Vereinnahmung, Missbrauch, Hierarchisierung als ein Zwischenraum, wie Bhabha es nennt, ein „in between space“ (Bhabha 1994) existieren können.9 Der Titel dieser Arbeit Die Bildung der Differenz markiert das gleichzeitige Zusammenfallen widerstreitender Bedeutungen und reklamiert die Anerkennung der Differenz ohne deren Festschreibung. Genese und Geltung fallen hier in eins: Der Modus ihrer Entstehung und ihrer Bedeutung sind in der Bildung der Differenz gleichzeitig und gleichursprünglich. Der Titel symbolisiert diesen Herstellungsprozess von Differenz und den Bildungsprozess über Differenz, indem nach der Ermöglichung bzw. Verunmöglichung von Herstellungsprozessen professionellen Wissens gefragt wird. Als ambivalente Denk9
Homi Bhabha entwickelt in den 1980er und 1990er Jahren das Konzept „kultureller Hybridenbildung“ und beschreibt mit seiner Formulierung des „in-between space“ einen Raum, der durch das Eintreten einer nicht-westlichen Kultur in die westliche Kultur geschaffen wird. In seinem Essay DissemiNation: Time, narrative and the margins of the modern nation schlägt er eine „interstitielle Perspektive“ vor, mit der er sowohl Möglichkeiten des Sich-in-Zwischenräumen-Befindens als auch des Zwischenräume-Bildens beschreibt (Bhaba 1994).
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figur hat die Bildung der Differenz deshalb einen zentralen Stellenwert für das Forschungsdesign und den Forschungsgegenstand dieser Arbeit: Die Bildung der Differenz erscheint im Forschungsdesign einerseits als Gleichzeitigkeit von Form und Inhalt bzw. von Entwicklung und Darstellung. Andererseits entfaltet sich die Bildung der Differenz in verschiedenen Konstitutionslogiken von Bedeutung in den Stationen des Forschungsprozesses (methodologische Überlegungen, theoretische Analysen, Auswertung der empirischen Forschung). Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit. Das erste Kapitel beschreibt methodologische Herausforderungen für qualitative Forschung, die sich aus einem poststrukturalistisch-dekonstruktiven Verständnis von Differenz ergeben.10 Im Fokus stehen dabei jene Forschungsmethoden, denen in den Sozialwissenschaften eine zunehmende Bedeutung zukommt und auf die ich mich in dieser Arbeit beziehe: das Expert_inneninterview (Meuser/ Nagel 1997) und die wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller 2001, 2003, 2005). Kapitel 2 stellt diejenigen wissenschaftlichen Kontroversen vor, die die spezifische Konstituierung des Handlungsfeldes der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung bedingen. Zunächst wird die Verortung von Gender-Trainings an der Schnittstelle wissenschaftlicher Kontroversen über Gleichstellungspolitik, Geschlechterforschung und Erwachsenenpädagogik vorgestellt. Im Anschluss wird die Einführung und Implementierung der Strategie Gender Mainstreaming als diskursive Formation untersucht, in der sich geschlechtertheoretische Kontroversen um das Verschwinden oder die Festschreibung der Geschlechterdifferenz sowie um die Ökonomisierung und Professionalisierung von Weiterbildung durchkreuzen. Kapitel 4 stellt die Auswertung der Interviews vor und zeigt, welche Wissensformationen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung wirkmächtig werden. In akteursbezogenen Diskursivierungen werden dabei Aushandlungsprozesse und Begründungsformen professionellen Wissens der Expert_innen herausgearbeitet und zu professionellen Interventionsstrategien verdichtet. Dabei wird gezeigt, welche Ausschlüsse, Konflikte und Dilemmata im Handlungsfeld für die Trainer_innen und Berater_innen dabei entstehen. Kapitel 5 benennt über die Artikulationen der Expert_innen hinausreichende Konsequenzen für geschlechtertheoretische, gleichstellungspolitische und pädagogische Felder.
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Zu theoretischen und methodologischen Perspektiven, die sich aus poststrukturalistischen Ansätzen in der Erziehungswissenschaft ergeben, siehe u.a. Rendtorff/Moser (1999), Fritzsche et al. (2001), Bönold (2003) und Smykalla (2000a, 2000b).
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Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Das ‚Ich’ ist ein Zitat der Stelle des ‚Ichs’ in der Rede, wobei jene Stelle eine gewisse Priorität und Anonymität besitzt hinsichtlich des Lebens, das sie beseelt: sie ist die geschichtlich revidierbare Möglichkeit eines Namens, die mir vorhergeht und über mich hinaus geht, ohne die ich jedoch nicht sprechen kann (Butler 1995: 298).
Von der Frage der Differenz hängen bedeutungsvolle Konsequenzen für die Forschung über bzw. die Erforschung von Kategorisierungsprozessen ab. Mit einer dekonstruktiven Lesart der Differenz verbinden sich die Problematisierung des Repräsentationsverhältnisses von Forschungsgegenstand und -abbild und die Kritik an einem selbstidentischen, autonomen, modernen Subjekt. In dieser Konsequenz können Prämissen der qualitativen Forschungspraxis zur Subjektkonstitution nicht unreflektiert vorausgesetzt werden, sondern sind in ihrer Begrenztheit zu hinterfragen. Meine These ist deshalb, dass aus einer Ambivalenz der Subjektkonstitution auch eine Ambivalenz der Analyse ebendieser folgen muss. Damit sind die Grenzen und Möglichkeiten einer Methodologie und Methodik aufgeworfen, die das Subjekt nicht als seiner Aussage Vorgängiges versteht, sondern als mit ihr konstitutiv Verwobenes. Dieses Kapitel beabsichtigt, poststrukturalistische Infragestellungen des Konzepts der Differenz und der Subjektkonstitution für methodologische Reflexionen innerhalb qualitativer Forschung produktiv zu machen. Es soll dabei folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie konstituieren die Methoden die Gegenstände, die erforscht werden sollen? Welche Bedeutungen werden in und durch Forschung generiert und ermöglicht? Wie verhält sich die Bedeutungskonstitution zu ihrer eigenen Entstehung? In den Blick genommen werden hierfür methodologische Vorannahmen qualitativer Forschung, welche das Erkenntnissubjekt betreffen – wie z.B. eine Entdeckungs- oder Verstehenslogik – und die methodische Vorgehensweise der Differenzierung als bedeutungsgebende Herstellungsmodi. Meine Forschungshaltung entspricht einer Spurensuche nach der Herstellung von Bedeutung in einem bestimmten Kontext und von einer situierten Position aus. Die „Spur“ ist nach Derrida „[i]n Wirklichkeit (…) der absolute
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Ursprung des Sinns im Allgemeinen; was aber bedeutet, um es noch einmal zu betonen, daß es einen absoluten Ursprung des Sinns im Allgemeinen nicht gibt. Die Spur ist die différance, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen“ (Derrida 1974: 114).11 Da das Auffinden einer Spur ein offenes Lesen voraussetzt, das die absolute Instanz des/r Autor_in in Frage stellt, wird nicht die Betrachtung von außen oder von oben intendiert. In der Positioniertheit meines Erkenntnisinteresses und meiner Forschungsfragen sehe ich die Ermöglichung von kritischer Forschung in ihrer notwendigen Unvollständigkeit und Partialität.
1.1 Differenz und Dekonstruktion in qualitativer Forschung Die zeitgenössische französische Philosophie wird oft als Differenzphilosophie benannt. In der deutschsprachigen Rezeption führt dies insofern zu Missverständnissen, als ein Differenzbegriff im Sinne eines Unterschieds vorgestellt wird. Um poststrukturalistische Infragestellungen nachvollziehen zu können, ist deshalb eine inhaltliche Abgrenzung der Begriffe Differenz und Unterschied notwendig. Während Differenz, verstanden als Unterschied, einen Dualismus impliziert, also einen Gegensatz von zwei in sich geschlossenen Einheiten, geht es im poststrukturalistischen Differenzbegriff darum, das Uneinheitliche des Einen als „strukturelle Figur“ (Rendtorff/Moser 1999: 36) zu begreifen. Jede Seite verweist auf die andere und beide sind konstitutionslogisch nie unabhängig voneinander zu denken. Nicht die Opposition von zwei Polen, sondern das Zustandekommen von Abgrenzungsvorgängen, die zwei eindeutig unterscheidbare Pole erst herstellen, drückt sich im poststrukturalistischen Differenzbegriff aus. Die Differenz ist eine „strukturelle Qualität des Unterschieds, keine inhaltliche: Der Unterschied selbst wird nicht inhaltlich gefüllt, sondern bleibt offen“ (Kahlert 1999: 84). Betont wird das „Offene, Nicht-Identische und Unabgeschlossene“ (Rendtorff/Moser 1999: 315) an der Differenz. In poststrukturalistischen Differenztheorien werden „fundamentale Kategorien abendländischer Philosophie als Konstrukte von Machstrukturen der symbolischen Ordnung“ problematisiert und die „Eindeutigkeit von Identität, Geschlecht, Sexualität, Wahrheit und Geschichte sowie binäre Oppositionen aller Art“ (Meusinger 1996: 91) in Frage gestellt. Dieses dekonstruktive Herangehen zielt auf die Problematisierung, Umdeutung und Ent-Essentialisierung eines 11
Nach Derrida wird die Schrift grundsätzlich als veränderliche Struktur begriffen, die in ein Verhältnis zu den Rezipierenden tritt und die die metaphysische Tradition einer letzten Bedeutung negiert. In dieser Auflösung des Logozentrismus der westlichen Philosophie betont Derrida, dass die Interpretation der Schrift niemals beendet sein kann (vgl. Derrida 1974: 114).
1.1 Differenz und Dekonstruktion in qualitativer Forschung
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metaphysischen Denkens, das von einem festen Ursprung mit einem immanenten Sinn ausgeht. Um die Priorität der „reinen, mit-sich-identischen Präsenz“ zu sichern, bedarf es eines „polar entgegengesetzten Anderen“ (Menke 1995: 39), das als untergeordnet gedacht wird. Die metaphysische Logik funktioniert demnach über eine polarisierende und ausschließende Logik. Derrida geht um die Differenz als Kraftdifferenz oder als Differenz der Gewalt, um die Kraft und die Gewalt als différance (die différance ist eine aufgeschobene-verzögerte-abweichende-aufschiebende-sich unterscheidende Kraft oder Gewalt); es geht mir um die Beziehung zwischen der Kraft und der Form, der Kraft und der Bedeutung; es geht mir um die performative Kraft (Derrida 1991: 15).
Derrida hat den Begriff der différance entwickelt, um die prinzipielle Offenheit artikulieren zu können. Différance bezeichnet einen Zustand „prinzipieller Unbestimmbarkeit und Bewegung“, der allen strukturierenden Differenzen zugrunde liegt und sich gegen Verallgemeinerung, universale Strukturen und gegen Wahrheit wendet (Rendtorff 1998: 75f.). Entscheidend ist demnach nicht die Trennung zwischen zwei Polen, sondern Ausgangspunkt dieses Differenzverständnisses ist die Annahme einer Trennung, die in den Begriffen selbst angelegt ist. Différance kann als eine Bedingung der Möglichkeit von Dekonstruktion verstanden werden, wobei es bei der Dekonstruktion also um die Frage nach der Unterscheidung selbst geht (vgl. Wartenpfuhl 1996: 196). Derrida entwickelte den Begriff Dekonstruktion in den 1960er Jahren. Die Bedeutung von Dekonstruktion setzt sich aus den Begriffen Destruktion und Konstruktion zusammen. Wie Wartenpfuhl erläutert, beinhaltet Dekonstruktion in Anlehnung an Martin Heideggers Begriff der Destruktion einerseits den destruktiven Charakter von Zerstörung, Auflösung, Aufhebung und andererseits den Konstruktionsgedanken im Sinne von Neuentstehung und Aufbau (vgl. Wartenpfuhl 1996: 198). Derrida prägte den Begriff der Dekonstruktion im Sinne einer „doppelte Geste“: Die Dekonstruktion „muss durch eine doppelte Gebärde, eine doppelte Wissenschaft, eine doppelte Schrift eine Umkehrung der klassischen Opposition und eine allgemeine Verschiebung des Systems bewirken“ (Derrida 1988: 313). Das Unterdrückte und Verdrängte in spezifischen Diskursen kann mithilfe dieser doppelten Geste von Dekonstruktion freigelegt werden, ohne es bei einer einfachen Umkehrung zu belassen. Nach der Phase des Umbruchs und des Umsturzes der Hierarchie bedarf es in der zweiten Geste von Dekonstruktion der Verschiebung des allgemeinen Systems. Diese Bedeutungsverschiebung hat das Ziel, einen Abstand zu markieren zwischen der Inversion auf der einen Seite, die das Hohe herabzieht und ihre sublimierende oder idealisierende Genealogie dekonstruiert, und dem plötzlichen Auftauchen
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung eines neuen ‚Begriffs’ auf der anderen Seite; eines Begriffs dessen, was sich in der vorangegangenen Ordnung nicht mehr verstehen läßt, ja sich niemals verstehen hat lassen (Derrida 1986: 88f.).
Die hierarchische Anordnung binärer Oppositionen umzukehren ist nach Wartenpfuhl zunächst ein wichtiger Schritt, um Hierarchien umzustürzen und dadurch das interdependente Verhältnis, also die wechselseitige Abhängigkeit des Einen vom Anderen zu erkennen. (...) Es wird also deutlich, daß das Privilegierte bzw. Zentrierte seine Definition oder Identität durch das Marginalisierte gewinnt und dadurch erst ermöglicht wird (Wartenpfuhl 1999: 75).
Bei der Dekonstruktion nach Derrida geht es also um die Analyse von Ein- und Ausschlussverfahren. Dekonstruktion ist jedoch immer nur innerhalb dessen möglich, was dekonstruiert werden soll; das dekonstruktivistische Vorgehen ist mit dem verhaftet, was es zu dekonstruieren gilt. Durch die Analyse der Bedingungen der Möglichkeit von Differenzierungsprozessen stellt ein dekonstruktivistisches Herangehen binäre Systeme grundsätzlich in Frage und zielt auf das Aufdecken der Konstitutionsmodi, wobei nicht auf deskriptiver Ebene bei dem Wie des Konstruierens stehen geblieben wird, sondern der binäre Rahmen selbst infrage zu stellen ist. Nicht nur nach den Möglichkeiten, sondern nach den Bedingungen der Möglichkeit zu suchen, deutet diese grundlegende Frage nach der Verschiebung und Umdeutung an. Dekonstruktion heißt deshalb nicht, wie z.B. oftmals in Folge der Rezeption von Butlers Theorien falsch angenommen wird, „verneinen oder abtun, sondern in Frage stellen“ (Butler 1993a: 48): „Eine Voraussetzung in Frage zu stellen, ist nicht das gleiche wie sie abzuschaffen; vielmehr bedeutet es, sie von ihren metaphysischen Behausungen zu befreien, damit verständlich wird, welche politischen Interessen in und durch diese metaphysische Plazierung abgesichert werden“ (Butler 1995: 54). Das Subjekt wird also nicht abgeschafft, es wird nach einer Wieder-Verwendung und einem Wieder-Einsatz gesucht. Die Infragestellung der Subjektkonstitution beinhaltet die Suche nach den ausgeschlossenen und nicht-autorisierten Funktionen, die das Subjekt mitkonstituieren (vgl. Butler 1993a: 48). Das Sichtbarmachen des Verworfenen rückt das Subjekt in ein anderes Licht. Seine Unvollständigkeit oder Zersplitterung wird deutlich, die durch vereinheitlichende Kategorisierungen verdeckt war. Dekonstruktion stellt eine „(politische) Praxis der Kritik“ dar (Wartenpfuhl 1996: 207). Kritikfähigkeit ist dabei nach Butler kulturell konstruiert und machtimmanent; Kritik ist in die Machtbeziehungen involviert, die kritisiert werden sollen (vgl. Butler 1993b: 130). Ein dekonstruktives Vorgehen beinhaltet dem-
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nach die Möglichkeit der Bedeutungsverschiebung. Das Subjekt wird dabei zum „Schauplatz ständiger Offenheit und Umdeutbarkeit“ (Butler 1993a: 50). Wie beeinflusst nun die Art und Weise, Differenz zu denken, das Verständnis von Geschlechterdifferenz? In Bezug auf differenztheoretische Ansätze in der Frauen- und Geschlechterforschung wird die Problematik eines spezifischen feministischen Differenzdenkens sichtbar gemacht. Der Begriff der Geschlechterdifferenz muss vor dem Hintergrund verschiedener differenztheoretischer Ansätze betrachtet werden, die die theoretische und methodische Debatte in der Frauen- und Geschlechterforschung lange beeinflusst haben. Am Differenzbegriff in der feministischen Diskussion ist vor allem das Verhältnis von Geschlechterhierarchie und -differenz umstritten. So fragt Heike Kahlert (1995: 6): „Muß die Annahme von der Differenz verabschiedet werden, um die Hierarchie zwischen den Geschlechtern aufzulösen? Ist ein Denken der Geschlechterdifferenz ohne Hierarchie möglich?“ Bezug nehmend auf die Philosophin Luce Irigaray wird vor allem von den Feministinnen des Mailänder Buchladen-Kollektivs (Libreria delle Donne) und der Veroneser Philosophinnengemeinschaft Diotima eine Strömung innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung geprägt, die das Verständnis eines gleichwertigen Differenzbegriffs etabliert hat. Vertreterinnen dieses Ansatzes verstehen Differenz als ‚Positivität’, das heißt, die Geschlechterdifferenz wird als nicht-hierarchisch vorgestellt: ‚Frau’ ist in dieser Konsequenz eine positiv konnotierte Kategorie, die jenseits androzentrischer Maßstäbe konstituiert werden kann. ‚Frau’ verkörpert nicht das andere Geschlecht, das dem männlichen Geschlecht gegenübergestellt und untergeordnet ist, sondern ist eins von zwei Geschlechtern. Frau ist Frau ‚als Frau’ und nicht mehr als Nicht-Mann (vgl. Kahlert 1999: 86). Dieser Differenzbegriff, der einer Unterscheidung zwischen ‚Frau’ und ‚Mann’ dient, leistet einer einseitigen Argumentation Vorschub, die, ausgehend von einem hierarchischen Geschlechterverhältnis, die weibliche Seite aufwertet, um einem patriarchalen Unterdrückungsverhältnis entgegenzuwirken. Damit steht dieser differenztheoretische Entwurf in der Tradition einer feministischen Wissenschaftskritik, die sich in den 1980er Jahren etabliert und die sich gegen Defizitansätze des Weiblichen wendet, indem Weiblichkeit gegenüber Männlichkeit als gleich- bzw. höherwertig dargestellt wird. Die geschlechtshierarchische Differenz wird damit in ihrer Bewertung lediglich umgekehrt. Der Konstitutionsmodus von Differenz bleibt dabei unhinterfragt. Die vorrangige Politikform, die sich aus diesem Differenz-Denken entwickelt, ist eine feministische Identitätspolitik, mit der Absicht, ‚von Frauen für Frauen’
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und ‚im Namen von Frauen’ Politik zu betreiben und ‚die Frauen’ aus ihrer gesellschaftlich benachteiligten Position zu befreien.12 Poststrukturalistisch-feministische Theorien leiten durch die Kritik an diesem essentialisierenden Differenzdenken und daraus resultierenden Praktiken der Identitätspolitik einen „Paradigmenwechsel“ (Rendtorff 1998: 29) in der Geschlechterforschung ein. Fokussiert werden nun vor allem die naturalisierenden, essentialisierenden und determinierenden Herstellungsprozesse der Kategorisierung nach Geschlecht. Kritisierbar werden damit z.B. die sex-gender-Trennung und essentialistische Weiblichkeitsvorstellungen, die das biologische Geschlecht naturalisieren, weil es als unhinterfragte Tatsache vorausgesetzt wird. Dekonstruktive Strategien kehren damit nicht nur hierarchische Differenzierungen um, sondern hinterfragen auch binäre Logiken der Bedeutungsherstellung grundlegend. „Die Geschlechterdifferenz ist eher so etwas wie ein notwendiger Hintergrund für die Möglichkeit des Denkens, der Sprache und der Existenz des Körpers in der Welt. Und wer gegen sie anzugehen versucht, argumentiert in genau der Struktur, die sein Argument möglich macht“ (Butler 1997: 25). Wenn Geschlechterdifferenz ein Ort ist, an dem die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur gestellt werden muss, ohne beantwortet werden zu können, kann Geschlechterdifferenz keine Tatsache und auch keine Grundlage von Feminismus sein, sondern „sie ist eine Frage, die feministische Untersuchungen auslöst, etwas, das nicht ausgesagt werden kann, das die Grammatik der Aussage verwirrt und das mehr oder weniger dauerhaft zu befragen bleibt“ (Butler 1997: 27). Wird Geschlechterdifferenz als „Grenzvorstellung“ verstanden, „so hat die Geschlechterdifferenz psychische, somatische, soziale Dimensionen, die sich niemals gänzlich ineinander überführen lassen“ (Butler 1997: 36). Im Rekurs auf Irigaray versteht Butler Geschlechterdifferenz als ständig unentschiedene und ungelöste Frage: Butler (1997: 26) fragt danach, wie diese Offenheit und Unabgeschlossenheit der Geschlechterdifferenz in der „Zeit der Unentschiedenheit“ zu thematisieren ist: „Wie kann man die Andersheit durchqueren? Wie kann man sie durchqueren, ohne sie durchzustreichen, ohne ihre Begriffe zu zähmen? Wie kann man dem auf der Spur bleiben, was an dieser Frage ständig ungelöst bleibt?“ Zumindest steht fest, dass diese Spurensuche nicht bedeutet, den Begriff Frau zu verbieten, sondern es heißt nicht mehr und nicht weniger, als den transportierten Universalismus des Begriffs infrage zu stellen, wenn man ihn benutzt. Weder ‚Subjekt’ noch ‚Frau’ können als unhinterfragte Prämissen politischer Argumente dienen.
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Siehe eine Zusammenstellung der Kritik am Differenzbegriff der Mailänderinnen bei Kahlert (1995).
1.1 Differenz und Dekonstruktion in qualitativer Forschung
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Aus diesem poststrukturalistisch-dekonstruktiven Herangehen folgt für die Geschlechterforschung, dass ihr die Ambivalenz der Subjektkonstitution inhärent ist, die aus der unhintergehbaren Gleichzeitigkeit der Anrufung und Herstellung eines vergeschlechtlichten Subjekts besteht. Das Subjekt des Feminismus trägt also, sobald es angerufen wird, seine eigene Destabilisierung bereits in sich. Konstruktion und Dekonstruktion verweisen als gleichzeitige und gleichursprüngliche Praktiken auf den untrennbaren Zusammenhang von Subjektwerdung und diskursiver Ordnung und damit paradoxerweise auf die Angewiesenheit des Subjekts auf diejenigen Bedingungen, die es normieren. Handlungsfähigkeit entsteht gerade durch dieses Paradox der Subjektivierung. Dies hat zur Konsequenz, dass das Subjekt gleichsam in das involviert ist, dem es sich widersetzt: „Falls das Subjekt auf einem Durcharbeiten eben dieses diskursiven Prozesses beruht, durch den es funktioniert, dann ist die ‚Instanz’ des Handelns in den Möglichkeiten der Umdeutung, die durch den Diskurs eröffnet werden, zu lokalisieren“ (Butler 1993: 125). Das Subjekt ist kein substantielles oder selbstbestimmtes Subjekt, vielmehr wird es zum „Knotenpunkt kultureller und politischer diskursiver Kräfte“ (Butler 1995: 168). Auch wenn Lebenswiesen sich vielfältig generieren, sind sie nie beliebig, sondern unterliegen einer Normierung durch hegemoniale Diskurse, die Diskurspositionen ermöglichen oder verunmöglichen und damit immer mit Machtpositionen verknüpft sind: Wer kann sich auf wessen Kosten entwerfen? Wo werden Ermöglichungsräume geschaffen und wo Veränderungen verhindert? Diese Fragen verweisen auf die Handlungsfähigkeit von Subjekten: „Wie kann das Subjekt als Bedingung und Instrument der Handlungsfähigkeit zugleich Effekt der Unterordnung als Verlust seiner Handlungsfähigkeit sein“ (Butler 2001: 15)? In der Subjektwerdung wird das Unterworfenwerden unsichtbar gemacht. Die Unsichtbarkeit der Unterwerfung lässt die Illusion eines souveränen, widerspruchslosen Subjekts entstehen. Dabei wird die Geschlechterkonstitution zu einer regulierenden Norm, die vergeschlechtlichte Subjekte produziert, aber dabei den Prozess ihrer Herstellung unkenntlich macht. Es gibt kein Subjekt vor seinen Konstruktionen, und genauso wenig ist das Subjekt von seinen Konstruktionen festgelegt. Es ist stets der Nexus, der Nicht-Raum eines kulturellen Zusammenstoßes, in dem die Forderungen, die gleichen Bestimmungen zu wiederholen oder zu resignifizieren, die das ‚Wir’ konstituieren, nicht kurz und bündig abgelehnt werden können, in dem sie aber auch nicht in striktem Gehorsam befolgt werden können. Es ist der Raum dieser Ambivalenz, der die Möglichkeit eröffnet, die gleichen Bestimmungen umzuarbeiten, in denen sich die Subjektivierung vollzieht – und in ihrem Vollzug scheitert (Butler 1995: 169).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Die Ambivalenz der Subjektkonstitution verweist auf ineinander verzahnte Prozesse von Aneignung und Unterwanderung, von Anrufung und Unterwerfung sowie von Verschiebung und Überschreitung von vergeschlechtlichten Dichotomien, die Subjekte konstituieren. Eine Perspektive der Ambivalenz für die Erforschung von gender produktiv zu machen, bedeutet, die disziplinierenden Wirkungsmechanismen von Normen zu erkennen und Privilegstrukturen verschiedener Diskurspositionen sichtbar zu machen. Wie methodologische Überlegungen diese Unmöglichkeit der Trennung von Konstruktion und Dekonstruktion aufgreifen und weiterentwickeln, wird im Folgenden genauer dargelegt.
1.2 Die Kontingenz der Gegenstandskonstitution In methodologischen Auseinandersetzungen werden diese poststrukturalistischen Problematisierungen des Zusammenhangs von Subjekt, Diskurs und Geschlecht lediglich vereinzelt bzw. wenn, dann als marginal aufgenommen – dies betrifft auch die erziehungs- und sozialwissenschaftliche Methodendiskussion. Die Methode der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse (Keller et al. 2001) bildet insofern eine Ausnahme, als sie einen Versuch der Operationalisierung Foucaultscher Diskurstheorie darstellt. Wie noch zu zeigen sein wird, eröffnen an poststrukturalistische Theorien anknüpfende Konzeptionen des Durcharbeitens oder Durchquerens Möglichkeitsräume für neue Bedeutungsgebungen und unterscheiden sich hierin von anderen Ansätzen qualitativer Forschung.13 Im Folgenden werde ich ein grundlegendes Dilemma qualitativer Forschung hinterfragen, um zu zeigen, inwiefern Forschungsverhältnisse und ihre Gegenstände damit Bedeutungsverschiebungen erfahren. Vorher ist jedoch genauer zu fragen, wie (Forschungs-)Gegenstände überhaupt entstehen. Die Ausdifferenzierung der Methodendiskussion der letzten Jahrzehnte hat die Gewissheit qualitativer Forschung produziert, dass unterschiedliche sozialwissenschaftliche Methoden unterschiedliche Gegenstände konturieren und konstruieren. Nach Alfred Schütz „sind die Konstruktionen der Sozialwissenschaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld” (Schütz, zit. nach Flick 1995: 57). In jüngeren erkenntnistheoretischen und methodologischen Reflex13
Aufgrund unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Forschungshaltungen systematisiert Krüger deutschsprachige qualitative Forschungsansätze in der Erziehungswissenschaft in vier Strömungen: deskriptive, ethnomethodologische, strukturalistische und postmoderne Ansätze (vgl. Krüger 2000: 329ff.). Diese Systematisierung ist, wie alle Ordnungsversuche, nicht unumstritten. Mein Bezug auf Krügers Systematik stellt also weniger eine Plausibilisierung dar, sondern versteht sich als Orientierungshilfe, um die hier verwendeten Methoden des Expert_inneninterviews und der Diskursanalyse im qualitativen Forschungsfeld zu verorten.
1.2 Die Kontingenz der Gegenstandskonstitution
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ionen wird in der Erweiterung dieses Forschungsparadigmas davon ausgegangen, dass Methoden ihre Gegenstände erst konstituieren: Uns interessieren vielmehr die Daten selbst, die nichts anderes als Beobachter sind – Beobachter, die das, was sie sehen, selbst erzeugen. Exakt dieser kontingente Prozess der Erzeugung von Realität ist unser Thema. (…) Es geht hier also schlicht um die Frage, ob Daten der qualitativen Sozialforschung in der Lage sind, über die in ihnen repräsentierten Inhalte forschungspraktisch relevante Auskünfte zu geben, oder ob sie lediglich über die soziale Repräsentation dieser Inhalte informieren (Nassehi/Saake 2002: 68).
Jene Bedeutungskonstitutionen vollziehen sich allerdings weder zielorientiert, noch beliebig oder multiperspektivisch, so die Annahme von Nassehi und Saake. Die Konstitution von Bedeutung ist nicht das Ergebnis einer bewussten Konstruktionsleistung eines souveränen Subjekts, noch entsteht sie lediglich als zufälliger Diskurseffekt. Der multiperspektivische Zugang wiederum verweist zwar auf vielfältige Sichtweisen und versucht damit einer starren binären Forschungslogik zu entrinnen, verharrt dabei allerdings oft in einer Addition verschiedener Perspektiven, die in scheinbar gleichberechtigter Weise Geltung erlangen können. Bedeutungen entstehen immer kontextuell und kontingent. Methodologisch ist daraus zu folgern, dass der Gegenstand der Sozialforschung die Frage nach der Kontingenz ihres Gegenstandes sein muss (vgl. Nassehi/ Saake 2002: 70). Betrachten wir einen der zentralen Einwände von theoriegenerierender gegenüber hypothesenprüfender Forschung, so wird dies deutlich. Die Hauptkritik an hypothesenprüfender Forschung lautet, dass die Forschenden den Gegenstand durch ihr deduktives methodisches Vorgehen konstituieren. Hypothesenprüfende Forschung könne nicht anders, als am Ende das herauszubekommen, was am Anfang hypothetisch angenommen wurde. „Das Problem der Bedeutung ist hierbei immer schon im Vorhinein gelöst“ (Nassehi/ Saake 2002: 70). Mit dieser Auffassung korrespondiert der Ansatz der „gegenstandsbegründenden Theoriebildung” (Flick 1995: 57) von rekonstruktiven Verfahren innerhalb der Sozialforschung. Statt um Reduktion von Komplexität durch Zerlegung in Variablen bemühte Forschung wie hypothesenprüfende Verfahrensweisen erfordern rekonstruktive Verfahren eine Verdichtung von Komplexität durch Einbeziehen des Erfahrungswissens der Forschungssubjekte und des Kontextes.14 Mittels Suspendierung des theoretischen Vorwissens und einer größtmöglichen Offenheit für die Relevanzsetzungen des Forschungs14
Es ist daher Bohnsack zuzustimmen, der die Unterscheidung grundlegender Merkmale von induktiven, theoriegenerierenden und deduktiven, theorie- und hypothesenprüfenden Verfahrensweisen für differenzierter hält als die Abgrenzung von qualitativen und quantitativen Methoden (vgl. Bohnsack 1999: 9).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
subjektes entsteht ein kommunikativer Kontext, der durch „methodisch kontrolliertes Fremdverstehen“ (Bohnsack 1999: 223) methodische Kontrolle ermöglicht. Die beiden zentralen Prinzipien der interpretativen Verfahren sind das Prinzip der Offenheit und das Prinzip der Kommunikation. Als ‚Gegenbewegung’ etablierte sich diese Strömung der Rekonstruktion in der qualitativen Forschung mit der forschungsleitenden These, es sei das Forschungssubjekt selbst, das den Untersuchungsgegenstand herausbildet. Gewährleistet werden soll dies – im Gegensatz zur Formalisierung des Erkenntnisprozesses bei standardisierter Forschung – durch möglichst offene Untersuchungsmethoden, die die Relevanzgebung dem beforschten Subjekt überlassen. Das Motto lautet: Weniger Eingriff schafft mehr methodische Kontrollmöglichkeit (vgl. Bohnsack 1999: 20). Im Streit um den Königsweg zur Wahrheit nimmt damit allerdings die qualitative Sozialforschung gegenüber der quantitativen weder einen größeren Realitätsausschnitt in Augenschein, noch einen gänzlich anderen. Qualitative Forschung steht ebenso vor dem Dilemma, Begriffe als Erkenntnismittel voraussetzen zu müssen, die gleichzeitig ihr Erkenntnisgegenstand sind. Das bedeutet, obwohl die Typisierung und Kategorisierung oft erst das Ergebnis qualitativer Forschung sein sollen, lässt es sich nicht vermeiden, Kategorien im Laufe der Untersuchung als scheinbar gegebene vorauszusetzen. Qualitative Forschung „operiert unter den selben epistemologischen Voraussetzungen“ (Nassehi/Saake 2002: 71) wie quantitative Forschung und erzeugt durch ihre Beobachtungen lediglich einen anderen Forschungsgegenstand. Mit dieser These wird sowohl die Reichweite einer theorieprüfenden, als auch einer theoriegenerierenden Methodik angezweifelt – oder anders ausgedrückt: Weder der theorieprüfende Blick auf ein Forschungsobjekt, noch das Rekonstruieren der subjektiven Perspektive vom Forschungssubjekt vermag eine vermeintliche Wahrheit zu finden. Innerhalb feministischer Theoriebildung und der Geschlechterforschung avancierte diese Unmöglichkeit in Bezug auf die Untersuchung der Kategorie ‚Frau’ durch die Beteiligung an der Konstitution des Gegenstandes zu einem der bedeutendsten Diskussionspunkte.15 Weiter radikalisiert wurde die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Forschung zudem durch die Infragestellungen des Erkenntnissubjekts: „Wie entgeht feministische Theorie dem Dilemma, in der eigenen Forschung den Dualismus von Kultur/Natur zu wiederholen, ergo selbst naturalisierend zu wirken und eine Natur des Geschlechts vorgängig zu setzen” (Hark 2001b: 356)? Hagemann-White versuchte dieses 15
Siehe z.B. den für die deutschsprachige Frauen- und Geschlechterforschung richtungsweisenden Aufsatz über die Gefahr der Reifizierung der Zweigeschlechtlichkeit von Regine Gildemeister und Angelika Wetterer (1992) sowie die methodischen Überlegungen zur Erforschung von Geschlecht ohne eine Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit von Carol HagemannWhite (1993 und 1994) und von Stefan Hirschauer (1994).
1.2 Die Kontingenz der Gegenstandskonstitution
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Dilemma feministischer Forschung durch ein abwechselndes Ernstnehmen und Außer-Kraft-Setzen der Geschlechterdifferenz empirisch zu lösen. Die empirische Erhebung hat sich demnach auf beide Ebenen zu beziehen: Einerseits werden „Differenz-Stimmen gesammelt” (Hagemann-White 1994: 309) und andererseits Geschlechterunterscheidungen und Stereotype konsequent in Zweifel gezogen und damit geschlechterindifferent geforscht. Das mehrstufige Verfahren ist allerdings nur ansatzweise skizziert, was daran liegen mag, dass es forschungspraktisch sehr zeitaufwendig ist und deshalb förderungsökonomisch nur mit einer geringen Aussicht auf positive Bewilligung von Forschungsmitteln einhergeht (vgl. Behnke/Meuser 1999: 44). Das Dilemma von Konstruktion und Dekonstruktion, das in der gleichzeitigen Voraussetzung und Herstellung von Kategorien besteht, wird mit einer Vermeidung der Benennung der Kategorie ‚Frau’ also lediglich verschleiert, aber nicht aufgelöst. Da trotz einer Umbenennung der Frauen- in Geschlechterforschung bzw. Gender Studies nicht zwangsläufig ein Paradigmenwechsel in der Forschung stattgefunden hat, dürfte es auch nicht verwundern, wenn bis heute auch unter dem Label gender eine zweigeschlechtliche Ordnung empirisch manifestiert wird. Jedoch lässt eine Verschiebung der Fragestellung einen Ausweg aus dem Dilemma von Konstruktion und Dekonstruktion erkennen, indem die Notwendigkeit der Herstellung von Bedeutung selbst zum Gegenstand der Forschung erhoben wird. Das untrennbare Verhältnis von Gegenstand und forschungstechnisch erzeugtem ‚Abbild’ zu untersuchen, erfordert es, davon auszugehen, dass die Genese und Geltung von Forschung in eins fallen. Die Bedingung der Möglichkeit zu Ergebnissen zu gelangen und die Ergebnisse bedingen sich. Dieses untrennbare Verweisungsgefüge von Genese und Geltung bzw. von Erkenntnis und Realgegenstand anzuerkennen, fordert zu einer radikalen Zirkularität des Denkens und Forschens heraus. In der Hermeneutik tritt der Gedanke des untrennbaren Zusammenhangs und damit von Theorie und Beobachtung bzw. Theorie und Erfahrung in Form des hermeneutischen Zirkels auf (vgl. Bohnsack 1999: 31). Eine Konsequenz liegt in der permanenten Reflexion des gesamten Forschungsvorgehens – oder, wie Bohnsack es nennt, in einer „Rekonstruktion der Rekonstruktion“: „Es geht darum, jene Verfahren oder Methoden der Interpretation und Reflexion zu rekonstruieren, die (...) gleichermaßen im Alltag derjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, wie im Alltag der Forscher selbst zur Anwendung gelangen“ (ebd.: 27). Die Frage nach der Gültigkeit oder Validität von Forschung bezieht sich darauf, inwieweit die verwendeten Methoden, Kategorien und Theorien auch tatsächlich dem Gegenstand und den Daten gerecht werden (vgl. Flick 1995: 60). Dies impliziert, dass ein Gegenstand in seiner bestimmbaren Daseinsform vorausgesetzt ist, den es methodisch angemessen zu entdecken gelte. Die Frage
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
müsste, die Repräsentationskritik aufgreifend, erweiternd lauten: Wie und unter welchen Bedingungen konstituieren die Methoden und Theorien ihre Gegenstände? Und die Antwort bezüglich der Geschlechterkonstitution lautet: Indem Geschlecht zum Gegenstand kontextualisierter und kontextualisierender Lesarten gemacht wird, die die Komplexität der Verhältnisse und Diskurse nicht zum Verschwinden bringen. Mit einer selbstreflexiven rekonstruktiven Forschungshaltung korrespondiert forschungspraktisch die Aufmerksamkeit für die Rollenverteilung in der Erhebungssituation zwischen den Forschenden und ihrem Gegenüber. Beispielsweise: Ebenso wie die Forscherin ihre Forschungssubjekte nach bestimmten Kriterien auswählt, ist es interessant zu beobachten, welche Position der/die Erzählende der Interviewerin zuweist und damit Aufschluss über ihre „Differenzschemata” (Nassehi/Saake 2002: 77) gibt. „Es ist die Kommunikation selbst, die die beiden Rollen des Forschers und des Beforschten konstituiert und in deren Möglichkeitsraum diese erscheinen. Wie dies geschieht, ist freilich kontingent, ist gewissermaßen das, was einen Unterschied ausmacht” (ebd.). Bezogen auf den forschungspraktischen Umgang mit Theorien kann mit Barney Glaser und Anselm Strauss ein Vorverständnis des Gegenstandes angenommen werden, anhand dessen sich die Theoriegenerierung weiterentwickelt und sich Theoriebildung systematisiert (vgl. Glaser/Strauss 1969). Theorien sind als Versionen der Welt aufzufassen, deren Eigenschaften Relativität und Vorläufigkeit sind. Mit der Annahme von Zirkularität in Abgrenzung zu Linearität und der Betonung der Vorläufigkeit der Erkenntnisse im Forschungsprozess muss demnach darauf verzichtet werden, dass der Gegenstand „erst zu Ende seine wahre Gestalt“ (Kleining 1982: 233) zeigt. Denn, werden Verdichtungs- oder Sättigungsprozesse letztlich doch wieder mit einer Hoffnung auf Wahrheit versehen, so ist das erkenntnistheoretische – und damit auch das methodologische – Problem der Gegenstandskonstitution lediglich aufgeschoben statt aufgehoben. Die Erkenntnisprinzipien des ‚Erklärens’‚ Entdeckens’ oder des ‚Verstehens’ sind in dieser Konsequenz als methodologisches Motto der interpretativen Entdeckungsreise zu hinterfragen. Der Erklärungsanspruch braucht eine Außensicht und spielt mit einer Letztbegründungslogik, die letztlich auf eine Wahrheit zielt, die es nicht geben kann. Eine Entdeckungslogik suggeriert eine diskursiv vorgängige Wirklichkeit, vermutet also eine zu explorierende Wahrhaftigkeit hinter dem Gesagten. Eine verstehende qualitative Forschung zielt darauf, das untersuchte Phänomen „von innen heraus“ (Flick 2002: 49) zu verstehen und
1.2 Die Kontingenz der Gegenstandskonstitution
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setzt ein erkennendes, selbstidentisches Subjekt voraus.16 Gegen alle drei Erkenntnisprinzipien ist mit Donna Haraway einzuwenden: Die Welt spricht weder selbst, noch verschwindet sie zugunsten eines MeisterDekodierens. Die Kodierungen der Welt stehen nicht still, sie warten nicht etwa darauf gelesen zu werden. (…) In einem kritischen Sinn, auf den die unbeholfene Kategorie des Sozialen oder der Handlungsfähigkeit grob hinweist, ist die in den Wissensprojekten erforschte Welt eine aktive Entität. Insofern eine wissenschaftliche Darstellung in der Lage ist, sich auf diese Dimension der Welt als Wissensobjekt einzulassen, kann zuverlässiges Wissen vorgestellt werden und uns in Anspruch nehmen. Aber keine spezifische Repräsentations- oder Dekodierungs- oder Entdeckungslehre liefert irgendwelche Garantien (Haraway 1995: 94).
Die Unmöglichkeit eines Vollzugs des endgültigen Verstehens betonend, erscheint stattdessen die Beschreibung der Forschungssituation als „Simulation von Verstehen” (Nassehi/Saake 2002: 77) treffender. Meine Forschungshaltung versteht sich demnach weder als ein Erklären oder Entdecken, noch als ein Verstehen, da alle methodologisch ein erkennendes Subjekt voraussetzen. In einem Gestus der explorativ-interpretierenden Erkundung ist meine Forschungshaltung dem interpretativen Paradigma zwar verbunden, geht aber darüber hinaus. Weil Effekte von Ein- und Ausschließungsprozessen analysiert werden, möchte ich meine Forschungspraxis mit einem Transcodieren beschreiben. Die Vorsilbe Trans- steht hier weder für eine Perspektive ‚von außen‘ noch ‚von oben‘ noch für ein ‚jenseits‘. Sie steht für eine Grenzverschiebung bei gleichzeitiger Frage nach der Konstitution von Grenzen. Transcodieren fragt also nach den Bedingungen der Möglichkeit von Bedeutungsherstellung. Dies bedeutet nicht nur, dass die Interpretationsarbeit im Forschungsprozess reflektiert und methodisch kontrolliert wird. Forschen wird zu einem immanenten Durchqueren, zu einem Decodieren und zu einer Übersetzung und Kritik. Transcodierungen gehen der Frage nach, wie in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen oder den akteursbezogenen Diskursivierungen Begriffe mit absoluter Gültigkeit zu Letztbegründungen eingesetzt werden. Alternativ wird vorgeschlagen, Begriffe in ihrer Verwendung als kontingent zu begreifen. Dies bezeichnet eine Strategie des Transcodierens, um die Verschiebung und Neuartikulation von Bedeutung der Forschungssubjekte und durch die Forschung selbst zu betonen.
16
Obwohl die methodische Realisierung des Verstehensprinzips von der theoretischen Position abhängt, lassen sich nach Flick folgende Gemeinsamkeiten verstehender Forschung benennen: Verstehen als Erkenntnisprinzip, Konstruktion von Wirklichkeit als Forschungsgrundlage und Fallrekonstruktionen als Ansatzpunkt für einzelfallbezogene oder fallübergreifende Typenbildung (vgl. Flick 2002: 51).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Mit dieser Konzeption des Transcodierens werden Möglichkeitsräume für neue Bedeutungsgebungen eröffnet, die sich in einer ständig wiederholenden Praxis verorten, die neue Bedeutungen durch Verschiebungen produzieren, die machtimmanent sind. Die politische Konsequenz dieses Kreuzens und Durchquerens ist, dass mit der Perspektive der Dekonstruktion keine primäre Aufmerksamkeit mehr für ‚Männlichkeit’ und ‚Weiblichkeit’ in der Forschung besteht, sondern jene Differenzierungen ins Blickfeld rücken, die Geschlechterdualismen erst erzeugen – dies etabliert zwar ein „Spannungsfeld für die Gender Studies“ (Breger 1999: 69), macht aber Forschung über gender nicht unmöglich. Einige Ansätze der Intersektionalitätsforschung bieten hier zwar mit „Gender als interdependente[r] Kategorie“ (Walgenbach et al. 2007) erste Ausgangspunkte für die Analyse von Ausgrenzungsmechanismen. Da diese jedoch die Intersektion zwischen Kategorien lediglich mit einer „integralen Perspektive“ (Walgenbach 2007: 24, Hervorh. i. Orig.) beantworten, tragen diese bisher wenig zu einer dekonstruktiven Infragestellung dualistischer Differenzen bei.
1.3 Paradoxien qualitativer Geschlechterforschung In den 1970er Jahren etablierte sich Frauenforschung vor allem als Gegenbewegung zu androzentrischer Wissenschaft. Feministische Kritik am Androzentrismus impliziert die Kritik an vorherrschenden Methoden, die vor allem aus standardisierten Verfahren bestehen (vgl. Behnke/Meuser 1999: 12). Aufgrund der, im Vergleich zu standardisierten Verfahren, erheblich größeren Offenheit der Kommunikation, die mit dem Anspruch damaliger Frauenforschung korrespondiert, „überdisziplinär und intermethodologisch“ (HagemannWhite 1983, zit. nach Behnke/Meuser 1999: 8) zu sein, plädieren seitdem eine Vielzahl von Frauen- und Geschlechterforschenden für qualitative Forschungsmethoden. Obwohl eine pauschalisierende Kritik an quantitativen Verfahren, wie sie Maria Mies (1978) in ihrem einflussreichen Aufsatz Methodische Postulate zur Frauenforschung formuliert, heute nicht mehr haltbar ist,17 bleibt die Frage, ob Forschungsmethoden geschlechtsneutral oder gendered sind, eine methodologische Diskussion unter Wissenschaftler_innen (Behnke/Meuser 1999: 12). Beispielsweise wurde unter der Überschrift gendered interviewing die Konstruktion von gender in der Interviewführung untersucht. Gemäß der Annahme von Norman Denzin „Gender filters knowledge” (Denzin 1989: 116) wird davon ausgegangen, dass das Geschlecht der Interviewenden und der Be17
Vgl. die kritische Diskussion um Mies’ Thesen bei Behnke/Meuser (1999: 15f., 30ff.).
1.3 Paradoxien qualitativer Geschlechterforschung
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fragten einen Unterschied herstelle, weil Frauen und Männer gesellschaftlich hierarchischen Zuschreibungen unterliegen, die auch im Interview wirken (Fontana/Frey 1994: 369). Bereits in den 1980er Jahren hat die feministische Forschung das traditionelle Interview-Paradigma als männliches identifiziert, weil es das, was als weiblich gilt – Emotionalität, Sensibilität, Subjektivität – ausschließt (vgl. Fontana/Frey 1994: 370). Zentraler Gestus der feministischen Methodologiekritik ist die Ablehnung einer patriarchalen Forschungsperspektive auf ‚die Frau als Forschungsobjekt’. Der methodologischen Einseitigkeit wird eine ganzheitliche Sichtweise gegenübergestellt, durch die die subjektive Einbezogenheit der Interviewenden und der Befragten sowie ihre Erfahrungen zum zentralen Bestandteil der qualitativen Geschlechterforschung werden. Während die Forschungen in den 1980er Jahren gemäß den methodischen Postulaten von Parteilichkeit und Betroffenheit das Hauptaugenmerk auf unerforschte weibliche Lebenszusammenhänge, Sichtbarmachung der widersprüchlichen Erfahrungen im Leben von Frauen und auf strukturelle bzw. institutionelle Ausgrenzungsmechanismen legten, wird nach Einbezug konstruktivistischer Perspektiven die Untersuchung des „doing gender“ (West/ Zimmerman 1987) forschungsleitend. Ausgangspunkt des doing gender ist bekanntermaßen die alltägliche, kontinuierliche Hervorbringung von Geschlecht durch soziale, kulturelle Konstruktionsprozesse innerhalb einer Gesellschaft, die, basierend auf einem Geschlechterdualismus, keine Positionierung außerhalb von Geschlechtszugehörigkeit zulässt. Der Annahme der Konstruiertheit und Prozesshaftigkeit von Vergeschlechtlichung im Prinzip des doing gender folgend, zielten eine Vielzahl empirischer Untersuchungen darauf, die konkreten Herstellungsprozesse von Geschlecht in verschiedenen Kontexten genauer zu untersuchen. Betont wurde mit dieser Forschungsperspektive der Anteil des handelnden Subjekts an der Herstellung sozialer Wirklichkeit durch interaktive Prozesse, so z.B. in einer Reihe von ethnomethodologischen Studien. Das Konzept des doing gender ist inzwischen verschiedentlich kritisiert und erweitert worden. Die Kritik bezieht sich auf den engen Fokus der Interaktionsebene als Herstellungsraum von gender und die fehlende Thematisierung normativer, nicht-subjektiver Herstellungsmechanismen (z.B. Kotthoff 2002, Walgenbach 2007). Von Hirschauer wird eine Kritik der Totalisierung an der Omnipräsenz der Vergeschlechtlichung formuliert, so z.B. an Gildemeister und Wetterer (1992). Drei zentrale Prämissen des Prinzips des doing gender sind meines Erachtens im Hinblick auf Forschungsprozesse angesichts der Herausforderung von doing intersectionality (Hacker 2006) zu überdenken:
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung die Omnipräsenz von Geschlecht als gesellschaftlicher Strukturkategorie: „Can we ever avoid doing gender?“ (West/Zimmerman, zit. nach Wetterer 1995: 128), die Omnirelevanz eines Geschlechterdualismus als unhintergehbares, gesellschaftliches Strukturprinzip, das zu einer eindeutigen Positionierung zwingt: „Jeder muß jederzeit männlich oder weiblich sein“ (Gildemeister, zit. nach Collmer 1995: 260) und der Fokus auf die soziale Konstruktion von Geschlecht unter Rückgriff auf die Trennung von sex und gender.
Dass die Kategorie Geschlecht als omnipräsent konstruiert ist, impliziert die Annahme, alle gesellschaftlichen Bereiche seien vergeschlechtlicht. Daraus wird eine Omnirelevanz gefolgert, d.h. dass Geschlecht überall relevant und damit auch die strukturwirksamste gesellschaftliche Kategorie ist. Durch den Fokus auf die soziale Konstruktion von Geschlecht, die oft mithilfe der sex-genderTrennung diskursiviert wurde, hat das doing-gender-Konzept zu einer Essentialisierung von Weiblichkeit beigetragen. Denn, wie poststrukturalistische Kritik gezeigt hat, reproduziert die strikte Trennung von sex und gender einen immanenten Biologismus, der sex immer wieder als unhinterfragte Grundlage von gender anruft und damit als dual konstituiert. Mit dieser konstruktivistischen Wende vollzieht sich der Übergang von der Frauen- zur Geschlechterforschung, bei dem die, bis dahin oft nicht explizierte, Prämisse „Frauen forschen über, mit und für Frauen“ (Behnke/Meuser 1999: 28) um eine Geschlechterperspektive erweitert wird und davon ausgegangen wird, dass doing gender auch in Forschungssituationen stattfindet (vgl. ebd.: 43).18 Damit vollzieht sich eine „Entdifferenzierung“ (ebd.: 40) von wissenschaftlicher Forschung und politischen Emanzipationsbewegungen, die zu einer wissenschaftlichen Konstitution des Gegenstandes der Geschlechterforschung führt. Die kritischen Diskussionen der methodischen Postulate in den 1980er Jahren gehen mit einer Institutionalisierung, Professionalisierung und Pragmatisierung
18
So untersucht z.B. eine Studie von Gabriele Abels und Maria Behrens, inwiefern sich die Geschlechterzugehörigkeit der Forschenden positiv oder negativ auf die Interaktion im Interview auswirkt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn Frauen Männer interviewen, in der Interviewsituation ‚rollentypische’ Zuschreibungen von Männern über Frauen dominant werden. Abels und Behrens schlagen deshalb vor, die geschlechterbezogenen Vorurteile vonseiten ‚der Männer’ durch ein Spielen mit den Rollenklischees zur Informationsgewinnung auszunutzen. Obwohl sie die Kehrseite ihrer forschungspraktischen Überlegungen selbst thematisieren – es werden auf diese Art bewusst Geschlechterstereotype reproduziert – halten sie das Spiel mit stereotypen Zuschreibungen für einen ratsamen Umgang mit geschlechterhierarchischen Konstruktionen (vgl. Abels/Behrens 2002).
1.3 Paradoxien qualitativer Geschlechterforschung
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der Frauen- und Geschlechterforschung einher; inhaltlich löst die Ergebnisoffenheit die Leitprinzipien von Betroffenheit und Parteilichkeit ab.19 Der Wandel der Forschungsperspektive von der Frauen- zur Geschlechterund zur Gender-Forschung ist jedoch insofern mit Tücken verbunden, als unter dem Label Gender-Forschung schlichtweg oft Frauen erfasst werden. Es werden Unterschiede gemessen, statt Unterscheidungen in den Blick zu nehmen, so Gildemeisters These (vgl. Gildemeister 2008). Der Ansatz des doing gender sei ein Einfallstor für die Reifizierung der Geschlechterdifferenz, weil er von der Omnipräsenz und -relevanz von Geschlecht ausgehe; die Feststellung, man kann nicht nicht konstruieren, bringt dies pointiert zum Ausdruck. Kritisiert wurde auch die Reduktion von Konstruktionen auf die face-to-face-Interaktion und die unterstellte Intentionalität, die im Begriff doing mitschwingt. Die methodische Herausforderung liegt demnach vor allem in einer Perspektivenverschiebung und der Untersuchung von Wissens- und Denksysteme, die die Interaktionen dokumentieren. Der Prozess der Unterscheidung selbst muss in den Blick genommen werden, indem nach dem Wie und Wer der Herstellung von Differenz gefragt wird, anstatt essentialistische Differenzannahmen zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen. Damit bewegt sich die Geschlechterforschung mit der ‚konstruktivistischen Wende’ weg von der Analyse der polarisierten „Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1976), die weibliche und männliche Eigenschaften benennen, hin zu einem Aufspüren von diskursiven sozialen Praktiken, die diejenigen hierarchischen Strukturen herstellen, die Subjekte als geschlechtliche hervorbringen. Um die Konstruktionen von gender untersuchen zu können, steht nicht das Individuum im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, sondern die Verhältnisse, die es produzieren. Für die qualitative Forschung bedeutet dies, danach zu fragen, welche Relevanz gender in der untersuchten Situation hat. Die Herausforderung besteht in einem ‚künstlichen Fremdmachen’ und ‚Sich-dumm-stellen’ gegenüber den Selbstverständlichkeiten der antizipierten Geschlechterkonstruktionen. Angestrebt wird eine Forschungshaltung, die bewusst versucht, implizite Vorannahmen über Geschlechtlichkeit offenzulegen bzw. diese dekonstruktiv gegenzulesen.20
19
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Umstritten bleibt seitdem trotzdem noch, ob Frauen eigene Erfahrungen haben oder ob sie nicht wie jedes Subjekt in ein Foucaultsches Wahrheitsregime einbezogen sind, das keine unbestreitbaren Tatsachen kennt und von daher Subjektivität als komplexe, sich endlos verändernde Verkettung von Wahrheiten zu sehen ist (vgl. Hughes 1995: 160). Es gibt einige Versuche, diese Absicht methodisch einzuholen, so z.B. die ethnografische Forschung von Georg Breidenstein und Helga Kelle (1996), den undoing gender-Ansatz von Hirschauer (1994) oder den methodischen Versuch, die „Konstrukteure auf frischer Tat zu ertappen“ von Hagemann-White (1993).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Als Erweiterung dieses folgenreichen Konzepts des doing gender wird das Konzept des „doing difference” (West/Fenstermaker 1995) entwickelt. Dieses Konzept spielt auf eine Erweiterung der Forschungsperspektive um die umfassende Bedeutung wirklichkeitskonstituierender Dualismen an, die Geschlechterverhältnisse hervorbringen. Es erweitert gleichzeitig den Blick auf weitere soziale Ausgrenzungsverhältnisse, die an Kategorisierungen nach race oder Klasse geknüpft sind. Damit haben West/Fenstermaker einen Beitrag zu der Frage nach den „Gewichtungen von Kategorien“ (Walgenbach 2007: 41ff.) geleistet. Implizit ist damit die umstrittene These der Hierarchisierung sozialer Differenzen angedeutet, die Geschlechterforscher_innen bis heute zwar in, zum Teil destruktive, Grabenkämpfe, aber auch in durchaus forschungsbefördernde Profilierungen verstrickt. Während die einen Geschlecht als gesellschaftliche Ordnungsoder Strukturkategorie als ‚schwerwiegendsten’, ungleichheitserzeugenden Faktor ansehen, der trotz globaler feministischer und gleichstellungspolitischer Aktivitäten dominant bleibt, legen andere ihr Augenmerk auf die Verflechtung und Abhängigkeiten heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit mit und von anderen sozialen Ausgrenzungsverhältnissen. Innerhalb des Feminismus in der BRD wurden Ausblendungen von ‚Rasse’ und Ethnizität sowie Abwertungen durch das Umdeuten von sozialen Ungleichheiten in kulturelle Differenzen kritisiert (Stötzer 2004, Walgenbach 2007: 41). In der aktuellen Geschlechterforschung wird einerseits die Frage nach Kontinuitäten, andererseits nach Transformationen von Wissen oder Wissenssystemen, Ordnungs- und Klassifizierungsmustern gestellt. Erkenntnisleitend ist die Frage, ob und wie in diesen Prozessen die Denkmuster, die der sozialen Ordnung der Moderne bislang Stabilität und Bedeutung gaben, obsolet werden, oder welche Modifizierungen, Um- und Neudeutungen sie erfahren.
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse Die lange als randständig behandelte Forschungsmethodik des Expert_inneninterviews hat sich inzwischen zu einer gängigen qualitativen sozialwissenschaftlichen Methode entwickelt.21 Es lassen sich drei verschiedene Formen und 21
Im Zuge der Etablierung des Expert_inneninterviews wurde kontrovers diskutiert, ob dieses eine eigenständige Methode darstellt oder nicht. Kassner und Wassermann (2002) sprechen der Methode insofern ihre Eigenständigkeit ab, als das Besondere an der Methode nicht ersichtlich sei. Einerseits würde die Interviewdurchführung und -auswertung nur unzureichend von anderen qualitativen Interviewtechniken unterschieden, und andererseits sei der Umgang mit dem Begriff der Expertin/des Experten und deren/dessen Wissen zu konkretistisch, weil sich methodische Verfahrensvorschläge nur in Bezug auf Forschungsinteressen definierten.
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse
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Zielsetzungen systematisieren: das explorative, das systematisierende und das theoriegenerierende Expert_inneninterview (vgl. Bogner/Menz 2002: 37f.).22 Das hier verwendete theoriegenerierende Interview stellt die Deutungsstrategien in den Blickpunkt des Forschungsinteresses. Ziele sind die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion von Handlungsorientierungen und impliziten Wissensbeständen sowie die Theoriegenerierung über eine interpretative Generalisierung einer Typologie. Die Forschungshaltung der Methode des Expert_inneninterviews korrespondiert mit einer wissenssoziologischen Perspektive, denn soziale Realität wird verstanden als eine Konstruktion durch Interpretationshandeln. Sie fußt auf sozial-konstruktivistischen Basisannahmen, die wissenschaftliche Forschung als aktiven Herstellungsprozess auf der Basis von Bedeutungen und Relevanzen begreifen. Wissen zählt in der wissenssoziologischen Methodologie nicht zum Besitz der Expert_innen, die gesellschaftsunabhängig sind, sondern Ansatzpunkt ist gerade die Nicht-Trennbarkeit von Wissen und Bedeutungsgebung. Es geht also um die soziale Relevanz von Wissen, die durch Sprechen als Handlung erzeugt wird. So entstehen Wissensbestände, die in ihrer jeweiligen Besonderheit das Potenzial der Daten ausmachen und die Relevanzstrukturen des Erzählten herausstellen. In Expert_inneninterviews wird ein Wissen artikuliert, das einen spezifischen Bedeutungshorizont markiert. Ziel der Auswertung ist die Erschließung von „gemeinsam geteilten Wissensbeständen” (Meuser/Nagel 1991: 452) von Expert_innen in ihrer jeweiligen Lebenswelt. Was macht jedoch eine Interviewpartnerin zur Expertin? Welches Wissen produzieren Expert_innen und wie lässt es sich methodisch aufspüren? Da der Begriff des Experten/der Expertin viele Facetten hat, seien zunächst einige definitorische Annäherungen an Expertenbegriffe vorgenommen, die das hier favorisierte wissenssoziologisch inspirierte Verständnis von Expert_in verdeutlichen. Eine Expertin/ein Experte wird oft mit Synonymen wie „Sachverständige“, „Spezialist_innen“ oder „Professionelle“ belegt, unterscheidet sich aber von ihnen. Im Gegensatz zu Expert_innen weisen Sachverständige ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Bescheinigungen und Zertifikaten nach, welche
22
Für Pfadenhauer (2002) hingegen stellt das eigene Erkenntnisinteresse wiederum genau den Grund dar, warum Expert_inneninterviews als eigenständige Methode zu bezeichnen sind. Beim explorativen Expert_inneninterview sind die Expert_innen wahlweise Teil des Handlungsfeldes oder bilden eine komplementäre Informationsquelle. Im Vordergrund steht die thematische Orientierung und weniger die Vergleichbarkeit, Vollständigkeit oder die Standardisierung. Im systematisierenden Expert_inneninterview wird die Expertin/der Experte als Ratgeber_in angesprochen, da vor allem eine umfassende, systematische Informationserhebung interessiert, die im Gegensatz zur explorativen Variante eine thematische Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet. Beide Interviewformen können offen oder teilstandardisiert geführt werden (vgl. Bogner/Menz 2002: 37f.).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
sie üblicherweise durch eine Ausbildung erworben haben (vgl. Hitzler 1994: 14). Die Abgrenzung zum Spezialisten oder zur Spezialistin verläuft entlang des Wissensbestandes. Während der/die Spezialist_in über ein aufgabenbezogenes, oft genau umrissenes Teil-Wissen innerhalb eines Sonderwissensbereiches verfügt, zeichnen sich Experten oder Expertinnen durch ein Überblickswissen aus. Sie kennen den jeweiligen Wissensbestand und können prinzipielle Problemlösungen anbieten (vgl. Pfadenhauer 2002: 115). Professionelle wiederum können als eine „spezifisch moderne, an der Durchsetzung von kollektiven Eigeninteressen orientierte Erscheinungsform von Experten“ (Hitzler 1994: 25) verstanden werden. Die Kennzeichen professionellen Wissens sind üblicherwiese die Kanonisierung und der Erwerb über formale Ausbildungsanforderungen (Pfadenhauer 2002: 124). Als eigentlich entscheidend für den Status des/r Expert_in stellt sich nach Hitzler jedoch die Unterscheidung von Expert_innen und Lai_innen dar. Jemand wird zur Expertin, weil sie als Expertin konsultiert oder angefragt wird – was noch nicht heißen muss, dass damit besondere Kompetenzen auch tatsächlich vorliegen. Expert_innen werden also Kompetenzen „aufgrund wahrgenommener bzw. wahrnehmbarer Verhaltensmerkmale und unterstellter Eigenschaften“ (Hitzler 1994: 27) zugeschrieben und sie werden in dieser Variante als rein relationales Phänomen definiert. Ein voluntaristischer Expert_innenbegriff hingegen drückt eine Infragestellung der Gegenüberstellung von Lai_innen und Expert_innen aus einer herrschaftskritischen Perspektive aus und ernennt jeden Menschen zu einer/m Expert_in des eigenen Lebens. Im Kontext der sozialwissenschaftlichen Methodik des Expert_inneninterviews lassen sich nach Bogner und Menz (2002: 40) weitere Verständnisse von Expert_innen unterscheiden. Diese orientieren sich zum einen an der sozialen Repräsentation von Expert_innen und zum anderen an einem spezifischen Forschungsinteresse. Bei den so verstandenen Expert_innen entsteht der Status entweder „sozial-repräsentativ“ durch die Zuschreibung seitens der Forschenden oder „methodisch-rational“ durch eine gesellschaftliche Zuschreibung, die auf die Angehörigkeit bestimmter Personen zu Funktionseliten zielt (Bogner/Menz 2002: 40f.). Beim sozial-repräsentativen Expert_innenverständnis tritt jedoch das Problem auf, dass die subjektive Definitionsleistung der/des Forschenden universalisiert wird und der/die Expert_in lediglich als Konstrukt der Forschenden existiert. Das methodisch-rationale Verständnis hingegen läuft durch den formalen Auswahlgestus Gefahr, einem elitären Expert_innenbegriff aufzusitzen, weil nur Funktionsträger_innen als Expert_innen angesehen werden. Der wissenssoziologische Expert_innenbegriff versucht diese Diskrepanz zu lösen, indem die Expertin/der Experte sich vor allem über das eigene, spezielle Wissen definiert. Das in Abgrenzung zum Allgemeinwissen fokussierte Expert_innenwissen zeichnet sich durch die berufsförmige Verengung und
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse
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durch den Grad der Implizitheit in bestimmten Funktionsbereichen der Expert_innen aus. Meuser und Nagel (1997) sprechen deshalb von „privilegierten Informationszugängen” der Expert_innen, durch die sie über ein Praxis- und Handlungswissen verfügen, das zu einem „praxiswirksamen Wissen“ (Bogner/ Menz 2002: 46) wird. Somit können Handlungsorientierungen und Bedeutungsgebungen in bestimmten Kontexten hegemonial werden, wenn sich die Orientierungen von Expert_innen in einem professionellen Handlungsfeld durchzusetzen vermögen. Der Expert_innenbegriff trägt damit zu einer Konkretisierung der Kategorie Akteur_in bei, die diskursanalytisch von Handlungsfeld, Organisation/Institution, Diskurs und Praxisform unterschieden werden kann: „Experten/-innen verfügen über ein Handlungs-, Entscheidungs- und Erfahrungswissen, das explizit (bewusste strategische Entscheidung) oder implizit vorliegen kann“ (Höhne 2004: 28). Die Fallgruppe der für diese Arbeit befragten Gender-Trainer_innen markiert einen „spezifischen Handlungsraum“ (Flick 2002: 113), den Kontext der Implementierung von Gender Mainstreaming, auf den sie sich in ihrem professionellen Handeln gegenüber anderen beziehen. Gender-Trainer_innen lassen sich damit nach Flick weder als Repräsentant_innen einer spezifischen Subjektivität noch als Angehörige eines bestimmten institutionellen Kontextes, den sie gegenüber anderen repräsentieren, definieren (ebd.).23 Aufgrund der Tatsache, dass ‚Gender-Trainer_in’ keine eindeutige Berufsbezeichnung ist und es keine formalisierten Ausbildungswege in die Tätigkeit gibt, sind sie vielmehr selbsternannte Expert_innen. Bei der methodischen Exploration der Wissensbestände der Expert_innen unterscheiden Meuser und Nagel auf analytischer Ebene Betriebswissen und Kontextwissen. Betriebswissen zeichnet sich dadurch aus, dass die Expert_innen selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das erforscht wird, während bei der Erhebung des Kontextwissens die Expert_innen als komplementäre Handlungseinheit zur Zielgruppe definiert werden (vgl. Meuser/Nagel 1991: 446f.). Die Unterscheidung in Betriebs- und Kontextwissen verweist auf unterschiedliche Positionen des Expert_inneninterviews im Forschungsdesign. In meiner Studie wurde hingegen deutlich, dass die Expert_innen eine doppelte Perspektive einnehmen und es im Interview zwar zu Gewichtungen kommt, aber die Befragten meistens sowohl ihr Betriebswissen, in diesem Fall ihr Wissen über ihre eigene Weiterbildungs- und Beratungstätigkeit, als auch ihr Kontextwissen in Form von Einschätzungen über das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung artikulieren. 23
Diese Fallgruppeneinteilung bei Flick erscheint indes problematisch, weil hier offensichtlich kohärente Identitäten zugrunde gelegt werden, die aufgrund eines bestimmten Handlungs- und Erfahrungswissens entstanden sein sollen (Flick 2002: 113).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Entsprechend meiner Forschungsfrage interessieren unterschiedliche Arten von Wissen, die sich in drei Dimensionen beschreiben lassen: Als technisches Wissen wird ein Fachwissen im engeren Sinne verstanden, das sich durch den Wissensvorsprung zum Alltagswissen auszeichnet. Das Prozesswissen gibt Aufschluss über Handlungsabläufe und Interaktionsroutinen, die sich als praktisches Erfahrungswissen aus dem Handlungskontext der Expert_innen ergeben. Das Deutungswissen schließlich verweist auf Sinnproduktionen und Erklärungsmuster, deren subjektive Relevanzen, Sichtweisen und Interpretationen Ergebnis der Auswertung sind (vgl. Bogner/Menz 2002: 43f.). In meinen Interviews haben die Expert_innen alle genannten Arten von Wissen hergestellt, allerdings ist die Deutung des Wissens immer ausschlaggebend. Auf der Ebene des Fachwissens wurden wissenschaftliche, disziplinäre Fachkenntnisse und gleichstellungspolitisches Wissen, aber auch professionelle und biografische Erfahrungshintergründe relevant, als Prozesswissen gelten vor allem Beschreibungen und Begründungsformen von didaktischem und methodischem Vorgehen oder LehrLernarrangements, Wissen über Organisationsveränderungsprozesse und über Implementierungsstrategien von Gender Mainstreaming. Die Entwicklung von Wissen über und von gender kann als ein eigenständiges und als querliegendes Wissen bezeichnet werden, das sich auf den verschiedenen Ebenen der Wissensproduktion einschreibt. Formen des GenderWissens können Alltagswissen, Fachwissen bzw. Sonderwissen oder exklusives Wissen sein. Welche Art von Wissen die Expert_innen haben, hängt von ihren Verknüpfungen von Alltags- und Erfahrungswissen mit ihrem Fachwissen ab. Orte der Konstitution von gender in der Untersuchung sind die Rahmenbedingungen – das professionelle Handlungsfeld der Weiterbildung und Beratung – die Inhalte, Methoden und die Akteurskonstellationen von GenderTrainings sowie das Selbstverständnis der Trainer_innen. Gender-Wissen taucht im Kontext von Gender Mainstreaming in verschiedenen Ebenen auf:
als konkreter (Lehr-)Inhalt in Gender-Trainings, als Verfahrenswissen in methodisch-didaktischer Gestaltung der Bildungsmaßnahmen oder der Organisationsentwicklungsprozesse, als Bestandteil von Gender-Kompetenz, die sowohl die Expertise von Gender-Trainer_innen als auch das Ziel von Gender-Trainings umfasst.
Mithilfe der Diskursanalyse lassen sich machtvolle Wissensformationen rekonstruieren. Denn im Anschluss an Michel Foucault fragen Diskursanalysen nach der Produktion von Wissen und dessen Vermittlung in sozialen Praktiken sowie dessen Bedeutung für die Subjektkonstitution. Die Relation von Wissen und Macht ist dabei zentral. Wissensformationen entstehen, so die leitende Annah-
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse
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me, aufgrund von Wahrnehmungen, Erfahrungen, Gefühlen und Handlungsweisen. Wissen ist damit auf gesellschaftlich hergestellte, symbolische Systeme zurückführbar. Diese symbolischen Ordnungen werden überwiegend in Diskursen gesellschaftlich produziert, legitimiert, kommuniziert und transformiert. Was aber ist ein Diskurs?24 Der Diskursbegriff, der hier zugrunde liegt, wird im poststrukturalistisch-feministischen Diskurs nicht im Sinne von „bloß gesprochene Wörter“ (Butler 1993b: 129) verwendet, sondern Diskurse sind „geschichtlich spezifische Organisationsformen der Sprache“ (Butler 1991: 47). Mit dieser Aussage bezieht sich Butler explizit auf das Foucaultsche Verständnis, das einen Diskurs „von geschriebener oder gesprochener ‚Rede’ und von Formen der Darstellung und/oder der Bedeutungskonstitution“ (ebd.) unterscheidet. In seinem Werk Die Archäologie des Wissens stellt Foucault erstmals sein Konzept des Diskurses vor. Ein Diskurs bezeichnet „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1973: 156). Es geht daher um die Beschreibung der historischen Bedingungen, unter denen Aussagen entstehen. „Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben“ (ebd.: 74). In Anlehnung an und in Weiterentwicklung von Foucaults Diskurstheorie wurde die qualitative Methode der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse entwickelt. Nach Reiner Keller sind Diskurse ein „Komplex von Aussageereignissen und darin eingelassenen Praktiken“ (Keller 2005: 230), die strukturell miteinander verbunden sind und die spezifische Wissensanordnungen hervorbringen. Diskurse können als ein Ensemble von Kategorisierungen und Praktiken verstanden werden, die soziale Prozesse zeitlich strukturieren (vgl. ebd. 231). Diskurse haben gesellschaftlich materielle Voraussetzungen und Folgen und sind thematisch oder institutionell abgrenzbare Praktiken, die situierte Bedeutungen herstellen (vgl. Keller 2007: 62). „Diskurse nehmen – als beschreibbare und ‚meßbare’ Einheiten oder Konfigurationen des Wissens – die Form von sozialen Wissenstypen und -strukturen an“ (Bublitz 2001: 242). Diskurse sind demnach erforschbar und rekonstruierbar.
24
Es gibt eine Vielfalt von Diskursbegriffen, die an dieser Stelle nicht im Einzelnen gewürdigt werden können. Bei Jürgen Habermas z.B. liegt der Fokus auf der Kommunikation, weshalb Diskurse durch öffentliche Diskussionsprozesse gekennzeichnet sind, in denen unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen. Unter dem Begriff discourse analysis versammeln sich vor allem linguistische und soziolinguistische Ansätze aus dem angelsächsischen Sprachraum, die meist Konversations- und Gesprächsanalysen umfassen (Keller 2001: 128ff.).
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Die Fragestellung der Diskursanalyse untersucht die Bedingung der Entstehung von Aussagen, Grenzen, Korrelation und Ausschlüssen (vgl. Foucault 1973: 42ff.). In der Adaptation einer sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse bezieht sich dieser zu rekonstruierende Strukturzusammenhang sowohl auf die Konstitution der Inhalte, als auch auf die Äußerungsmodalitäten. Die Diskursanalyse umfasst also ebenso einzelne Äußerungen als diskursive Ereignisse, wie auch diesen Aussageereignissen inhärente Regeln und Ressourcen: „Die Verwendung von Sprache (...) verweist immer auf einen Bedeutungshorizont oder -kontext, in dem sie Sinn macht und der in ihrem Gebrauch miterzeugt wird. Jede Verwendung von Sprache legt also eine spezifische Existenz von weltlichen Phänomenen dar“ (Keller 2005: 230, Hervorh. i. Orig.). Das Verhältnis von Diskurs und Diskursereignis begreift Keller im Rückgriff auf Anthony Giddens als eine „Dualität der Struktur“ (Giddens, zit. nach Keller 2007: 63). In dieser Konsequenz existieren Diskurse nur insoweit sie durch soziale Akteur_innen realisiert werden, gleichzeitig bilden die Diskurse jedoch erst die Voraussetzung der Realisierung von Sprechpositionen. Subjekte sind also Ursprung und Effekt von Diskursen zugleich. Diskurse erzeugen Sprechpositionen für Akteur_innen, diese können wiederum als Diskurspositionen in Bezug auf die Erwartungen und Angebote, die sie für mögliche Sprecher_innen erzeugen, untersucht werden (vgl. Keller 2007: 63). Von zentraler Bedeutung ist in der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse das Verhältnis von diskursivem Ereignis, diskursiver Gesamtformation und sozialen Akteur_innen.25 Verschiedene Sprechpositionen können von unterschiedlichen Akteur_innen eingenommen werden, umgekehrt wenden sich Diskurse an bestimmte Adressat_innen und konfigurieren diese in bestimmter Weise. Keller spricht hier, angelehnt an Laclau und Mouffe, von „Identitätsmarkierungen“ (Keller 2007: 70) in der Gestalt von Differenzbildungen. Kein Diskurs existiert also ohne Sprecher_innen bzw. ohne soziale Akteur_innen, die den Diskurs realisieren und durch diskursive Handlungen gleichzeitig eine Diskursstruktur aktualisieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse interessiert sich im Einklang mit den Akteurskonzepten der Cultural Studies und des Symbolischen Interaktionismus nicht 25
Dieses Verhältnis entwirft Keller in Analogie zum Verhältnis von Handlung und Struktur in Giddens’ Strukturierungstheorie. Dementsprechend stellen sich Diskurse als „Ausdruck und Konstitutionsbedingung des Sozialen zugleich“ dar, indem sie einerseits „das diskursive Handeln sozialer Akteure instruieren“, andererseits „durch diese Akteure handlungspraktisch in Gestalt von diskursiven Ereignissen produziert bzw. transformiert werden und die soziale Realität von Phänomenen konstituieren“ (Keller 2005: 231, Hervorh. i. Orig.). Hier wird nicht nur eine Nähe zu Giddens, sondern auch zu Butlers handlungsbefähigendem Verständnis von Diskursen augenscheinlich.
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für die Individualität singulärer Subjekte, die sich in Sprecherpositionen oder Subjektpositionen einbinden (müssen) und die darauf bezogenen Rollenerwartungen bzw. Rollenspiele handhaben. Als soziologische Analyseperspektive fokussiert sie soziale Akteure, Prozesse, Grundlagen und Folgen der diskursiven Konstruktion der Wirklichkeit (Keller 2003: 217).
„Der Diskurs über Subjekte (...) ist für die gelebte und aktuelle Erfahrung eines solchen Subjekts konstitutiv, weil ein solcher Diskurs nicht nur über Subjekte berichtet, sondern die Möglichkeiten artikuliert, in denen Subjekte Intelligibilität erreichen, und das heißt, in denen sie überhaupt zum Vorschein kommen“ (Butler 1993b: 132, Hervorh. i. Orig.). Butler plädiert damit für einen weit gefassten Diskursbegriff, der Sprache als eine konstitutive Kraft ansieht, da Subjekte erst durch sprachliche Praktiken hervorgebracht werden. Damit verweist sie auf die handlungsermöglichende Dimension von Diskursen, die Subjekte konstituieren und damit den „Horizont von Handlungsfähigkeit“ (Butler 1993b: 125) bilden. Diskurse sind, anders formuliert, „Arten der Wissenskonstituierung, ebenso wie die gesellschaftlichen Praktiken, die Formen der Subjektivität und die Machtverhältnisse, die den Wissensbereichen und den Beziehungen zwischen ihnen innewohnen“ (Weedon 1990: 139). In Foucaults späteren Schriften, beginnend mit Die Ordnung des Diskurses, wird Diskurs in einen Zusammenhang mit dem Komplex von Wissen und Macht gestellt (Foucault 1974). In Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit stellt er seine Vorstellung von positiven Machtmechanismen vor und setzt gegen sein früheres „juridisch-diskursives“ Machtverständnis, das Macht als repressiv ansah, ein „strategisch-produktives“ Verständnis von Macht. Bei der Analyse der vielfältigen diskursiven Elemente, von denen eines die sprachlichen Praktiken sind, ist der Ausgangspunkt die „Polyvalenz der Diskurse“ (Foucault 1977: 122): Die Welt der Diskurse ist nicht zweigeteilt zwischen dem zugelassenen und dem ausgeschlossenen oder dem herrschenden und dem beherrschten Diskurs. (…) Die Diskurse ebenso wenig wie das Schweigen sind ein für allemal der Macht unterworfen oder gegen sie gerichtet. Es handelt sich um ein komplexes und wechselhaftes Spiel, indem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und -effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie. Der Diskurs befördert und produziert Macht (Foucault 1977: 122).
Was bedeutet nun dieses diskurstheoretische Verständnis für die Erforschung von machtvollen Geschlechterverhältnissen?26 Und inwiefern sind Diskursana26
Einen Überblick über diskursanalytische Arbeiten innerhalb der feministischen Theorie gibt Hark (2001: 358ff.).
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lysen dekonstruktive Praktiken? Die Produktion von Geschlechterdifferenz ist als „diskursives Regime” zu verstehen, das, wie Sabine Hark im Anschluss an Foucault formuliert, „systematisch die Gegenstände bildet, von denen es spricht” (Hark 2001b: 359). Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Materialität von Geschlecht bestritten wird, wie oft im Anschluss an Butlers Thesen verkürzt argumentiert wird. Vielmehr wird widerlegt, dass es jenseits diskursiver Formationen so etwas wie einen inneren, ursprünglichen, natürlichen Kern von Subjektivität und Geschlecht gibt. Oder, wie es Gudrun-Axeli Knapp, Rezeptionsverzerrungen Butlers richtigstellend, ausdrückt: Butler würde „nie im sozialdiagnostischen Sinne von einem Bedeutungsverlust, einer De-Institutionalisierung von Geschlecht oder Relativierung seiner strukturellen Effekte sprechen – ganz im Gegenteil“ (Knapp 2001: 62). Dies hat die Infragestellung der sexgender-Trennung zur Konsequenz, die darauf zielt, erneute Reproduktionen des Natur-Kultur-Verhältnisses entlang der Grenze von Geschlecht zu vermeiden. Bei der Frage nach kulturellen Konstruktionen werden nicht nur soziale Praktiken, sondern auch die Herstellung von scheinbar ‚natürlich Gegebenem’ zum Bestandteil der Analyse. Die Diskursanalyse fragt nach dem Wie und Warum der Herstellung sozialer Subjektivitäten und Verhältnisse und geht dabei von der Annahme aus, dass sich Bedeutungskonstitution durch Ein- und Ausschließungsprozesse vollzieht. Ausschlüsse fungieren als konstitutives Moment jeder Bedeutungsgebung und werden damit auch zum Ausgangspunkt für eine kritische Reflexion über „die sozialen und diskursiven Bedingungen der Artikulation sowie über den Geltungsbereich von Aussagen” (Hark 2001b: 363). Indem die eigenen Wahrnehmungen und Erkenntnisse auf die immanenten normativen Konstruktionen und deren Auslassungen hin untersucht werden, wird das hier aufgezeigte diskurstheoretische Verständnis zu einem dekonstruktiven Projekt. Es geht um die „Entzifferung des Nicht-Offensichtlichen” (Wartenpfuhl 2000: 133). Wissen bleibt bedeutungslos ohne eine Verortung in einem Kontext, also eine Benennung des Ortes, von dem aus gesprochen wird bzw. der das Sprechen gerade verhindert. Eine poststrukturalistisch orientierte Dekonstruktion versucht Geschlecht weder als immer schon dominantes Ungleichheitsmerkmal theoretisch festzuschreiben, noch es für irrelevant zu erklären (vgl. Hark 2001b: 366). Diskurstheoretisch- dekonstruktive Ansätze lehnen die Möglichkeit einer Abbildung von Realität durch Sprache, ab und formulieren damit eine Repräsentationskritik.
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse
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Methodisches Vorgehen Feldzugang Gemäß dem Grundprinzip des Theoretical Sampling (vgl. Glaser/Strauss 1998) wurden die Interviewpartner_innen anhand einer Bestandsaufnahme von gender-orientierten Weiterbildungs- und Beratungsangeboten nach inhaltlichen Aspekten und deren Relevanz für die Forschungsfrage ausgewählt. Die Kontaktaufnahme zu den Expert_innen gestaltete sich überwiegend unproblematisch. Es wurde meist eine hohe Gesprächsbereitschaft signalisiert. Diese lässt sich einerseits mit einem großen Interesse an dem Thema Gender Mainstreaming begründen, das viele Expert_innen im Handlungsfeld vor ähnlich neue Herausforderungen stellt wie die wissenschaftliche Community, andererseits schien zuweilen auch ein hohes Eigeninteresse an der Selbstpräsentation ein Motiv für die Teilnahme am Interview zu sein. Dies äußerte sich unter anderem in dem Wunsch einiger Interviewpartner_innen, auf die Anonymisierung der Daten zu verzichten, damit der eigene Name dem Gesagten zugeordnet werden könnte. Bei anderen schien wiederum eine Motivation darin zu liegen, über das Thema Gender Mainstreaming und Gender-Trainings ins Gespräch zu kommen und damit neue Erkenntnisse zu gewinnen und eigene offene Fragen zu reflektieren.
Sample Das qualitative Sample setzt sich aus 17 Personen – neun Frauen und acht Männern – zusammen. Den Bildungshintergrund der befragten Expert_innen bilden überwiegend sozial- und geisteswissenschaftliche Studienabschlüsse: Pädagogik bzw. Sozialpädagogik, Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Theologie. Zwei Frauen und zwei Männer haben einen Abschluss in technischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen. Sechs der neun Frauen sowie einer der acht Männer haben promoviert. Die disziplinäre Differenzierung der Bildungshintergründe (Hochschulabschluss) ist damit nicht sehr groß. Dieses Bild deckt sich mit den bisher vereinzelt erhobenen Daten zur Akteursgruppe der Gender-Trainer_innen in Deutschland (Engelhardt-Wendt 2004) und den Ergebnissen einer Studie zum „Gender-Markt“ aus Österreich (Buchinger/Geschwandtner 2006). Die große Bandbreite an Zusatzqualifikationen, die die Expert_innen erworben haben, erzeugt allerdings eine höhere Binnendifferenzierung des Handlungsfeldes. Genannt werden vorrangig Zusatzausbildungen im Bereich der Organisations- und Personalentwicklung, der Pädagogik bzw. der Psychologie:
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Projektmanagement, Changemanagement, Weiterbildungsmanagement, Supervision, Beratung, Coaching, Entwicklungsplanung, Psychodrama, Gestalttherapie, Gruppendynamik, Gesprächsführung, Moderation und Heilpraxis. Zwei der Befragten haben zudem eine zertifizierte Zusatzausbildung zur/zum GenderTrainer_in absolviert. Vier Personen bieten selbst Train-the-trainer-Kurse und Ausbildungsprogramme zum/zur Gender-Trainer_in an. Die beruflichen Positionen verteilen sich derart, dass zwölf der siebzehn Expert_innen im Angestelltenverhältnis arbeiten und fünf selbständig tätig sind. Zum Zeitpunkt der Befragung gelten für fast alle befragten Expert_innen die Angebote von Gender-Trainings und Beratungen als zweites berufliches Standbein, sie arbeiten also nebenberuflich als Gender-Trainer_innen. Die genderorientierte Arbeit zur Implementierung von Gender Mainstreaming stellt entweder ein erweitertes Anwendungsfeld ihrer sonstigen professionellen Tätigkeit dar (Coaching, Supervision, Mentoring, Politische Bildungsarbeit, Consulting) oder die Arbeit als Gender-Trainer_in fungiert als nebenberufliches, zusätzliches Tätigkeitsfeld, während ihre hauptamtliche Arbeit in einem anderen Bereich verortet ist. Das Durchschnittsalter liegt bei den Frauen bei 46 Jahren, bei den Männern bei 43 Jahren. Ein großer Teil der Befragten ist seit über 20 Jahren im Weiterbildungs- und Beratungsbereich tätig und hat langjährige Berufserfahrungen in der Erwachsenenbildung, der Beruflichen Weiterbildung, der Politischen Bildung (Frauen- oder Männerbildung), der Jugendbildung (Mädchen- oder Jungenarbeit), der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialarbeit, der Frauenhausarbeit, im Personalmanagement, in der Hochschullehre (Lehrauftrag, Dozentur oder Professur an Universität oder Fachhochschule), in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und im Beratungsbereich (Organisationsberatung, Coaching, Supervision, Mentoring).
Durchführung der Interviews Die 17 Personen wurden in neun Einzelinterviews (vier Frauen und fünf Männer) und in vier Teaminterviews (drei gemischtgeschlechtliche Teams und ein Frauen-Team) befragt. Das Teaminterview hatte Vor- und Nachteile, weshalb in der Untersuchung eine Mischung aus Einzel- und Teaminterviews bevorzugt wurde. So zeigte sich im Teaminterview einerseits, dass die Interaktion der beiden Gesprächspartnerinnen und -partner die dialogische Struktur im Interview begünstigte, was sich bei der Auswertung als interessanter Zugang zur Rekonstruktion der Teamkonstellation und der jeweiligen Arbeitsweise erwies. Andererseits machte das Team-Setting deutlich, dass hierbei gruppendyna-
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mische Ausschlüsse produziert werden können, die sich für die offene Exploration von Themen als hinderlich erweisen. Die Gefahr der ‚Insiderkommunikation’ war in Teaminterviews häufiger gegeben. Außerdem war es für die Transparenz in den Erzählungen nicht unwichtig, in welcher Beziehung die beiden Gesprächspartner_innen zueinander standen. Wurde beispielsweise mit einem langjährigen Team gesprochen, das zudem aus einem Ehepaar bestand, hatte dies andere Auswirkungen auf den Erzählfluss, als wenn das Team aus Chef_in und Mitarbeiter_in bestand. Im ersten Fall traten aufgrund der routinierten Zusammenarbeit und der privaten Nähe die Personen deutlich stärker in den Vordergrund. Aufgrund von asymmetrischen Arbeitsverhältnissen wurden hingegen Dominanzen wirksam, die zu einem Ungleichgewicht in der Selbstdarstellung führten. Die Expert_inneninterviews wurden nach Meuser und Nagel (1997) leitfadengestützt und offen durchgeführt. Da die Offenheit in der Interviewführung als eine Voraussetzung für die Theoriegenerierung gelten kann, wurde zu Beginn jedes Interviews von mir eine Erzählaufforderung gegeben, die den beruflichen Werdegang bis zur jetzigen Tätigkeit als Gender-Trainer_in umfasste. Nach dem Abschluss dieser Eingangserzählung wurden im Verlauf des Interviews weitere Themenbereiche angesprochen. Der Leitfaden enthält bis auf zwei Ausnahmen keine vorformulierten Fragen, sondern es wurden Erzählimpulse gegeben, die sich an dem Erzählfluss und den Relevanzsetzungen des jeweiligen Gegenübers orientiert haben. Diese Offenheit bei der Gewichtung der Themen durch die Gesprächspartner_innen hatte zur Konsequenz, dass in der Regel alle Themenbereiche angesprochen wurden, aber deren Tiefe und die Intensität der Auseinandersetzung je nach individueller Bedeutsamkeitsbeimessung unterschiedlich ausfielen. Entscheidend sind die Wertigkeit, die das Thema für die Einzelnen hatte und der Grad der ökonomischen Abhängigkeit, die eigene Existenz mit der Arbeit als Gender-Trainerin zu sichern. Während beispielsweise einige das Verhältnis von Gender Mainstreaming und Managing Diversity sehr ausführlich verhandelten, trat es bei anderen zugunsten von ausführlicheren Beschreibungen eines Trainingsablaufes und konkreter Übungen in den Hintergrund. Dies hing wiederum von der Sprechposition der Befragten und ihrer Einschätzung des Handlungsfeldes ab. Einige interpretierten wohl die offene Marktsituation im Handlungsfeld als Konkurrenzsituation, was sie zu einem restriktiveren Umgang mit detaillierten Beschreibungen veranlasste. Gegen Ende des Interviews wurde allen Befragten eine standardisierte Frage nach dem Einfluss von Theorien, Texten und Personen auf ihre Arbeit gestellt. Damit wurde beabsichtigt, neben der sachlichen Information über relevante Theoriebezüge unterschiedliche Umgangsweisen mit der Verknüpfung von Theorie und Praxis zu erfahren. Zum Schluss wurde der/dem Befragten
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ermöglicht, aus ihrer/seiner Sicht etwas zu ergänzen oder zu vertiefen. Diese Abschlusspassage erwies sich als bedeutsam, denn hier wurden oft noch gänzlich neue Aspekte angesprochen. Insgesamt hat der flexible Einsatz des Leitfadens neuen inhaltlichen Dimensionen Raum gegeben, die die von mir anvisierten Themenbereiche konkretisiert und zum Teil neu angeordnet haben. In den Interviews wurden z.B. vor allem die Dimension der Professionalisierung von Trainer_innen und die wachsende Konkurrenzsituation im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung deutlich. Die Interviews dauerten zwischen eineinhalb und zwei Stunden und wurden elektronisch aufgezeichnet. Sie fanden in Arbeits- oder Privaträumen der Befragten oder an einem öffentlichen Ort, z.B. im Café, statt. Zur Reflexion der Erhebung wurde ein Kontextprotokoll angefertigt, in dem Eindrücke aus der Phase vor, während und nach der Interviewsituation dokumentiert wurden. Dies hat sich insofern bewährt, als der Kontext der Interviewgespräche zum Teil einen relevanten Einfluss auf die Erzählsituation hatte. Beispielsweise gingen vom Ort des Interviews (Arbeits- oder Privatraum) unterschiedliche Impulse aus, die sowohl die Konstellation zwischen Interviewerin und Gegenüber als auch die Ausformulierung von Themen prägten.
Diskursanalytische Auswertung der Interviews Die Interviews wurden thematisch und theoriegenerierend ausgewertet. Die Auswertung der Expert_inneninterviews orientiert sich an thematischen Einheiten, das heißt, an inhaltlichen, über den Interviewtext gestreuten Passagen. Die Sequenzialität des Textes wird aufgehoben, weil nicht, wie beispielsweise beim biografischen Interview, die Gesamtperson in ihrem Lebensverlauf, sondern vielmehr die Person innerhalb ihres Funktionskontextes interessiert (vgl. Meuser/Nagel 1997). Die Aussagen der befragten Trainer_innen wurden von Anfang an im Kontext ihrer feldspezifischen Bedingungen verortet und erhielten von hier ihre Bedeutung, nicht von dem Ort, den sie im Interview einnahmen. Die Vergleichbarkeit der Interviews ist thematisch durch das gemeinsame Arbeitsfeld der Expert_innen und methodisch durch die leitfadengestützte Interviewführung sowie die thematische Codierung gegeben. Im ersten Schritt, der Datenaufbereitung, wurden die Interviews vollständig transkribiert.27 Die Interviews wurden anonymisiert und synonymisiert. In den 27
Meinem Forschungsinteresse entsprechend, das an der Struktur des Textes orientiert ist, wurde eine Art der Transkription gewählt, die einen mittleren Grad an Ausführlichkeit aufweist, d.h., Dialekte, Wortwiederholungen und Sprecher_innenaktivitäten wurden nicht mittranskribiert (siehe Transkriptionsregeln im Anhang).
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meisten Fällen erwies sich die Anonymisierung als wichtige Voraussetzung für ein offenes Gespräch mit den Interviewpartner_innen. Die Zusicherung von Anonymität erzielte jedoch nicht in jedem Fall den Effekt eines Schutzraumes, sondern führte in einigen Fällen zur Irritation, weil die Annahme vorherrschte, dass es sich um eine Evaluation handele, bei der der eigene Ansatz besonders gut abschneiden sollte. Diese Missverständnisse konnten jedoch in einem Vorgespräch geklärt werden. In einer „Ersteindrucksanalyse“ (Höhne 2003: 110) wurde das Datenmaterial gesichtet und pro Interview ein kurzes Protokoll angefertigt, in dem Besonderheiten des Trainings- und Beratungskonzepts festgehalten wurden. Auffallend dabei war, dass die befragten Expert_innen auf wissenschaftliches Wissen und Theorien rekurrierten und dabei unterschiedliche disziplinäre Wissensbestände als relevant angesehen wurden. Außerdem wiesen die meisten einen hohen Reflexionsgrad über ihr professionelles Handeln auf. Die hohe Reflexivität der Beratenden, die die Gespräche charakterisierte, deckt sich mit Kellers Aussage über die Besonderheit von Expert_innen-Diskursen, die besagt, dass gezielt unter Nutzung von Fachvokabular und argumentativen Regeln gesprochen wird (vgl. Keller 2007: 131). Angesichts der heterogenen Zugangswege zum Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung lassen sich spezifische Regeln der Deutungsproduktion, z.B. disziplinäre Lernverständnisse oder (geschlechter-)theoretische Vorannahmen unterscheiden. Die Interviews wurden danach immanent ausgewertet, d.h. als einzelne Diskursfragmente behandelt. Anschließend wurden „interdiskursive Relationen“ (Höhne 2003: 110) zwischen den Interviews untersucht und schließlich Typen gebildet, bei denen eine Ablösung von der Terminologie der Interviewten stattfand. Bei der interviewimmanenten Auswertung wurden für jedes Interview thematische Verlaufsprotokolle erstellt und parallel dazu Codierungen vorgenommen und Memos geschrieben. Die Codes und Memos wurden mit der Software zur computergestützten Analyse qualitativer Daten MAXQDA angefertigt, was vor allem die thematische Systematisierung des Gesamtsamples erleichterte. Bei der interviewimmanenten Auswertung wurden die thematischen Verlaufsprotokolle anhand eines neu entwickelten Rasters erstellt. Sie sind angelehnt an Verlaufsprotokolle narrativer Interviews, die für die Methode des Expert_inneninterviews abgewandelt wurden. Entscheidender Unterschied ist, dass es um das Auffinden struktureller Ordnungen im Text geht und so die Vergleichbarkeit von thematischen und problembezogenen Dimensionen ermöglicht wird. Die drei Aufmerksamkeitsrichtungen in den thematischen Verlaufsprotokollen waren die Themen und thematischen Verknüpfungen, die formalen Interviewstrukturen und die Forschungsinteraktion.
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
Die Themen wurden entwickelt, indem die Aussagen der Interviewten auf ihren Aussagegehalt hin analysiert wurden. In einem zirkulären Prozess von Fragen danach, was gesagt und was gemeint ist, wurden erste Bedeutungsgebungen auffindbar, die offen codiert wurden. Kelle und Kluge sprechen hier von einer offenen bzw. „abduktiven Kodierung“ (Kelle/Kluge 1999: 61), bei der neue Kategorien anhand des Datenmaterials entwickelt werden. Die sich anhand des Leitfadens ergebende erste Kategorienbildung für die Codierung wurde im Codiervorgang weiter ausdifferenziert und die Codierkategorien modifiziert („axiales Kodieren“ nach Kelle/Kluge 1999: 61). Die Rekonstruktion der Lesarten von gender, die für diese Arbeit zentral sind, erfolgte durch die Analyse derjenigen Interviewpassagen, die gender explizit programmatisch definieren, die gender über implizite Deutungen oder als Ersetzungsbegriff für ‚Frauen’ oder ‚Männer’ oder für ‚Frauen und Männer’ verwenden. Expliziert wurde das Gender-Verständnis vor allem in Erklärungen darüber, was ein Gender-Training ist, welches Gender-Konzept im Training verhandelt werden kann und soll (Inhalte, Ziel Gender-Kompetenz) und bei der Frage des Team-Teachings (Gendering im Team). Implizite Einschreibungen und Konstitutionen von gender finden sich auf der Ebene der Akteur_innen (Anfrage, Teilnehmendenkonstruktion, Selbstverständnis der Expert_innen), der Ziele (übergeordnete geschlechterpolitische Ziele und Trainingsziele) und der Ebene der Vermittlung (Didaktik, Methoden). Für das Herausarbeiten formaler Interviewstrukturen wurde die Analyse der Textsorten und deren Beziehungen nach Lucius-Höhne und Deppermann genutzt (vgl. Lucius-Höhne/Deppermann 2002: 141). Die Gesprächspartner_innen verwendeten vorrangig Beschreibungen und Argumentationen, was sich durch die leitfadengestützte Interviewführung und durch ihre Sprechposition als Expertin oder Experte erklären lässt. In Beschreibungen schilderten sie z.B. Trainingsabläufe, ihr didaktisches Vorgehen, Trainingsinteraktionen mit der Gruppe oder Akquise-Situationen und gaben so Aufschluss über ihr „praktisches Erfahrungswissen“, insbesondere ihr „Prozesswissen“ (Bogner/Menz 2002: 43f.) und Handlungsroutinen. Argumentationen, verstanden als „theoretischabstrahierende und bewertende Stellungnahme zu einem Geschehen, Problem, Faktum“ (Lucius-Höhne/Deppermann 2002: 143), wurden von den Expert_innen auch häufig verwendet. Sie dienten der argumentativen Begründung und Bewertung ihres professionellen Handelns, zur Erklärung des Handlungsfeldes von Weiterbildung und Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming sowie zur Problematisierung zentraler Konzepte wie gender, Gender-Kompetenz oder Gender-Teams. Wie sich herausstellte, entwickeln die Interviewpartner_innen in ihren Argumentationen nicht nur prägnante Deutungsmuster, sondern der Gestus ihrer Sprechweise kann zudem Hinweise auf ihre professionelle Haltung geben.
1.4 Spurensuche: Expert_innen-Interview und Diskursanalyse
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Die Inszenierung als Expert_in vollzieht sich im Interview über sprachliche Muster.28 In der Analyse der Forschungsinteraktion konnte beobachtet werden, welche Position die/der Befragte der Interviewerin zuwies und welche Aufschlüsse dies über ihre/seine jeweiligen Differenzschemata gibt. Beispielweise wurde ich in einem Interview als Co-Expertin wahrgenommen und es entstand eine Art Informationshandel: Indem die Befragten anfingen, mir selbst Fragen zu stellen, versuchten sie die Interviewsituation umzukehren und mein Wissen zu erfahren. In einem anderen Interview wurde ich vorrangig als praxisunerfahrene Wissenschaftlerin angesprochen. Bogner/Menz (2002) bezeichnen diese Zuschreibung als eine „Expertin einer anderen Wissenskultur“. So wurde von den Interviewten eine starke Trennung von wissenschaftlicher Theorie und Beratungs-Praxis konstruiert und mitunter ein theoretischer Zugriff auf das Thema ‚aus der Praxis heraus’ abgewertet. Dies äußerte sich z.B. darin, dass im Interview belehrend und offensiv gegen theoriegeleitete, insbesondere dekonstruktivistisch orientierte Fragen argumentiert wurde. Als Interviewerin erhielt ich mitunter auch den Status einer Komplizin und wurde als Mitstreiterin gegen gemeinsame Kontrahenten adressiert. In Interviews mit selbstdefinierten feministischen Frauen zeigt sich dies z.B. in der versuchten Verbündung gegen ‚die Männer’ durch humorvolle bis abfällige Bemerkungen während des Interviews, mit denen eine gemeinsame Überzeugung angenommen oder ausgetestet wurde. Geschlechtliche Zuschreibungen sind in meinen Interviews also vor allem über politische Positionierungen und Konkurrenzen zwischen Frauen relevant geworden. Mehr oder weniger explizit wurde damit verhandelt, ob oder wie feministisch ich sei, welchem Feminismus ich anhänge, ob ich parteilich mit Frauen sei oder inwiefern ich dekonstruktivistische Positionen vertrete. Nach der interviewimmanenten Auswertung wurden die Deutungsstrategien in einer interdiskursiven Analyse mittels eines maximalen Vergleichs kontrastiert, wodurch ein diskursives Spannungsfeld entstand, das durch den Wechsel von minimaler und maximaler Kontrastierung weiter ausdifferenziert werden konnte. Der anfängliche heuristische Rahmen wurde durch zusätzliche Codes und Sub-Codes empirisch aufgefüllt (vgl. Kelle/Kluge 1999: 67). In der thematischen und interdiskursiven Dimensionierung wurden Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Lesarten von gender und von Trainings-Konzeptionen generiert 28
Es kann sicherlich nicht beurteilt werden, ob die Expert_innen im Interview ähnlich agieren wie vor einer Gruppe im Training. Es ging deshalb auch nicht darum, kausallogisch von der Interviewsituation auf die Trainingssituation zu schließen. Vielmehr wird mit der Aufmerksamkeit für die Inszenierungsstrategien der Expert_innen eine weitere Auswertungsdimension in den Blick genommen, die – zusammen mit den Rekonstruktionen der Inhalte – zusätzliche Akzente für die Entwicklung von professionellen Interventionsstrategien gegeben hat.
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
und gleichzeitig wurde darüber hinaus die Verknüpfung von gender mit weiteren Dimensionen des Expert_innen-Wissens analysiert. Im anschließenden Schritt der Typenbildung wurden die Deutungsstrategien begrifflich gestaltet und diskursive Strukturen des Expert_innen-Wissens sichtbar gemacht. Die Sinnkonstruktionen der Expert_innen wurden zu professionellen Interventionsstrategien verdichtet. Die hier vorgenommene Typenbildung ist von einer eindimensionalen Typenbildung zu unterscheiden, die Fallstruktur und Typus gleichsetzt, da ein Interview nicht einen einzelnen Typus repräsentiert. Es geht weder um Ideal- noch um Durchschnittstypenbildung, sondern exploriert werden problembezogene Typen, die zugrunde liegende „Merkmalsräume“ (Kelle/Kluge 1999: 79) charakterisieren, die in akteursbezogenen Diskursivierungen beschrieben werden. Die entwickelte Typologie hat deshalb nicht nur eine deskriptive Strukturierungs- und Ordnungsfunktion, sondern auch eine heuristische Funktion, indem sie das Auffinden von Forschungsund Implementierungsproblemen sowie politischen Themen ermöglicht.
1.5 Ambivalenz als Forschungsperspektive Aus den dargelegten methodologischen und methodischen Überlegungen folgt das Forschungsdesign dieser Arbeit. Die Arbeit macht sich zur Aufgabe zu rekonstruieren, über welche Unterscheidungen professionelles Wissen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung operiert, welche Grenzen von wem gezogen werden und welche Exklusionseffekte damit einhergehen. Die Arbeit verortet sich in historisch-sozialer, zeitdiagnostischer Dimension in einem kritischen Diskurs über die Wissensgesellschaft (Holland-Cunz 2005, Höhne 2004). Fokussiert wird die Diskursivierung der gleichstellungspolitischen Strategie Gender Mainstreaming an der Schnittstelle theoretischer Diskursstränge um die Entgrenzung von Bildung und gender einerseits und der Entstehung eines neuen Dienstleistungsmarktsegment, der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung, andererseits. Als situativer Kontext der konkreten Artikulationen der Expert_innen in den Interviews wird insbesondere der wachsende freiberufliche Markt bedeutsam. Die Artikulierungen der Expert_innen im Interview wirken in diesem Setting wie eine Veröffentlichung einer bestimmten professionell-politischen Position – motiviert durch den Aspekt der Eigenwerbung, der Standortvergewisserung oder der Selbstreflexion. Dabei werden bestimmte Regeln des Schlussfolgerns, Verwendungsformen von Metaphern, Begründungsmuster und Deutungsstrategien erkennbar (vgl. Keller 2007: 96f.). Die Diskursanalyse in dieser Arbeit beinhaltet demnach sowohl die Strategien der Akteur_innen und die Prozesse, die Gender Mainstreaming als
1.5 Ambivalenz als Forschungsperspektive
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Diskursfeld erzeugen und reproduzieren, als auch die Analyse der Kontexte der Diskursproduktionen, d.h. die gesellschaftlichen Konstellationen und sozialen Praktiken, die Gender Mainstreaming als diskursive Formation bedingen.29 Infragestellungen eines vereinheitlichenden und vereindeutigenden Zugriffs auf Differenz als produktiv aufgreifend, richtet sich die Analyse auf den machtproduzierenden Mechanismus des Einschließens und des Ausschließens, indem privilegierte Positionen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung, unhinterfragte Selbstverständlichkeiten in den Konzeptionen von Gender-Trainings oder disziplinäre oder marktförmige Vereinnahmungen herausgearbeitet werden. Dabei sollen Möglichkeiten der Unterwanderung von hegemonialen Wissensordnungen aufgespürt werden. Meine Forschungsperspektive ist geleitet von einer kritischen Offenheit, die sich nicht in Entweder-Oder-Positionierungen ausdrückt, sondern die gerade eine Gleichzeitigkeit als offene Position begreift. So können Entgrenzungen von gender und Bildung auf ihre gleichzeitigen normativen, institutionellen, konzeptionellen Begrenzungen hin befragt werden. Mit einer Forschungsperspektive der Ambivalenz werden weder Begriffe für einen beliebigen Zugriff offen gehalten noch werden sie verkürzend definiert. Sie sollen vielmehr einer performativen Praxis der subversiven Resignifizierung folgen (Butler 1990). Gemeint ist, die Bedeutungsherstellung und Neubestimmung von Geschlecht als performativen Prozess der Unterwanderung zu begreifen. Eine performative Handlung ist kein einzelner Akt, sondern eine sich ständig wiederholende, zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt. Nach Butler sind alle Aussagen Performative: „Die feststellende Aussage ist, philosophisch gesprochen, in einem gewissen Grade immer performativ“ (Butler 1995: 33). Mit Rekurs auf Derrida geht Butler davon aus, „daß jede Handlung selbst eine Rezitation ist, das Zitieren einer vorgängigen Kette von Handlungen, die in einer gegenwärtigen Handlung enthalten sind und die jeder ‚gegenwärtigen’ Handlung andauernd ihre Gegenwärtigkeit entziehen“ (ebd.: 325). Meine Forschung verstehe ich im Sinne von Haraway als eine „partiale Sicht“ und „begrenzte Stimme“, die auf eine Situiertheit des Erkenntnisgewinns hinweist: „Unsere Suche nach Partialität ist kein Selbstzweck, sondern handelt von Verbindungen und unerwarteten Öffnungen, die durch situiertes Wissen möglich werden“ (Haraway 1995: 91). Neben der „Vorläufigkeit“ (Fritzsche 2001: 89) von Forschung werden damit sowohl die Begrenztheit der Erkennt29
Das Außerhalb der Textkorpora ist in sozialwissenschaftlichen Diskursanalysen nicht nur Randbedingung, sondern ein eigenständiges Feld der Datenerhebung (Keller 2001: 135ff.). In meiner Untersuchung werden die anwendungsorientierten Artikulationen der Gender-Expert_innen mit theoretischen, wissenschaftlichen Argumentationen zusammengebracht.
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1 Situierte Wissensproduktionen – Praktiken der Differenzierung
nismöglichkeit des Subjekts als auch die Unmöglichkeit, Wirklichkeit vollständig methodisch einzufangen, ausgedrückt.
Die Bildung der Differenz als Gleichzeitigkeit von Herstellung und Darstellung Forschungsstandpunkt meiner Arbeit ist, dass sich das Handlungsfeld durch die Artikulation der Expert_innen erst in seiner spezifischen Bedeutung herstellt. Die Expert_innen haben sowohl durch die Diskursivierung, also die Bedeutungseinschreibung und Begründung, ihres professionellen Wissens, als auch durch ihr intervenierendes Handeln als Trainer_in oder Berater_in im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung einen Anteil an dessen Konstitution. Aus diesem Grund beschreibe ich das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung weniger als einen neuen Arbeitsmarkt, der sich sozialdiagnostisch beschreiben und beforschen lässt, sondern der sich vielmehr als ein diskursiver geschlechterpolitischer Aushandlungsraum markiert. In diesen schreiben die Expert_innen kontextspezifische Bedeutungen über Gender Mainstreaming, gender und Bildung ein und stellen ihn damit in seiner spezifischen kontextuellen Bedeutung erst her. Die diskursschaffende Bedeutung der Artikulationen der Expert_innen erfasse ich mit dem Begriff der akteursbezogenen Diskursivierung. Diese beschreiben, mit welchen Deutungsstrategien und Begründungsmustern die Expert_innen ein bestimmtes Wissen relevant setzen und wie sie dabei immer sowohl als Funktionsträger_innen, als auch als vergeschlechtlichte Personen agieren. Wie in den Ergebnissen der Interviewstudie gezeigt wird, entwickeln sich die Diskursivierungen in Abhängigkeit von den Akteurskonstellationen im Handlungsfeld und sie erhalten von unterschiedlichen Diskurspositionen aus ihre Bedeutung. Beispielsweise dominieren in einer politisch-fachlichen Dimension Perspektiven aus der Männerarbeit, Frauenbewegung, Gleichstellungspolitik oder aus dem Bereich des Consulting, der Organisationsentwicklung oder der Bildungsarbeit. In Markt- und Professionalisierungsdimensionen werden berufliche und arbeitsmarktbezogene Konstellationen bedeutsam.
Die Bildung der Differenz als Konstitutionslogik von Bedeutung Differenz als Ambivalenz ist die philosophische, analytische Denkfigur, die meinen Forschungsgegenstand in verschiedenen Variationen hervorbringt. In diesem Kapitel wurde der Herstellungsprozess und die Lesart von Differenz als Dualismus problematisiert und stattdessen die Lesart von Differenz als diffé-
1.5 Ambivalenz als Forschungsperspektive
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rance favorisiert, die auf einer Dekonstruktion metaphysischer Reduzierungen beruht. Konkretisiert wurde dieses dekonstruktive Herangehen an der Lesart von Geschlechterdifferenz und an der Kritik an einem autonomen, vordiskursiven Subjektverständnis. Im nächsten Kapitel findet die Entstehung der Differenz in dem diskursanalytischen Durchqueren der wissenschaftlichen Kontroversen um Gender Mainstreaming, gender und Bildung ihren Ausdruck. Als Horizont der Differenz tauchen dabei Polarisierungen, konträre Anordnungen, Analogien, Dilemmata und Paradoxien in den Diskursformationen auf. Innerhalb des Entgrenzungsdiskurses von gender und Bildung werden zudem Grenzverschiebungen und Möglichkeiten der Grenzüberschreitung thematisiert. Wie noch zu zeigen sein wird, funktioniert eine Transgression allerdings nur über neue Grenzvorstellungen und Begrenzungen, womit erneut duale, starre Differenzen reproduziert werden. Im Kapitel über die methodologische und methodische Spurensuche wird Differenz als Differenzierungsmodus in qualitativer Forschung im Allgemeinen und der Geschlechterforschung im Besonderen sowie im Auswertungsvorgehen als Prozess der Unterscheidung und Kategorisierung reflektiert. In den akteursbezogenen Diskursivierungen wiederum lassen sich Diskurskoalitionen und Diskurskonkurrenzen rekonstruieren, die aufgrund von konstruierten Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Diskurspositionen entstehen. Inhaltlich werden dabei Muster der Allianzen, der konträren Positionierungen und Abgrenzungen sowie der Vereinnahmung interpretierend herausgearbeitet. Von den einzelnen Expert_innen werden Dilemmata des professionellen Handelns artikuliert, die sie als zweischneidige oder einengende ‚Zwickmühlen’ beschreiben. Das Vorhandensein von Dilemmata verweist auf die Unmöglichkeit, sich uneindeutig oder unbestimmt zu positionieren, weil das duale Wertungsschema stets zu einer eindeutigen Positionierung zwingt.
2 Horizont der Differenz – Kontroversen um Gender Mainstreaming, gender und Bildung
Der Begriff Horizont weist auf eine scheinbare Trennungslinie zwischen Erdoberfläche und Himmelsgewölbe einerseits und auf einen Gesichtskreis andererseits hin. Als räumlich und gedanklich vorgestellte Trennungslinie erzeugt der Horizont die Möglichkeit der Begrenzung und Öffnung zugleich: Eine Endlichkeit, die nicht endet, ein Jenseits, das sich immer wieder selbst einholt. Der Horizont erscheint vom Standpunkt der Betrachtenden als eine Grenzlinie, die keine ist: Sie kann überschritten werden und tut sich gleichzeitig wieder neu auf.30 Das folgende Kapitel markiert als Horizont der Differenz diskursive Grenzen, Konfliktlinien und Wechselwirkungen von wissenschaftlichen Kontroversen um die gleichstellungspolitische Strategie Gender Mainstreaming, die Kategorisierung von gender als umstrittenen Erkenntnisgegenstand der Gender Studies sowie um die Entgrenzung von Bildung.
Gender Mainstreaming als diskursive Formation
GenderTraining Kontroversen um gender in den Gender Studies
Abbildung 1:
30
Entgrenzung von Bildung in der Erwachsenenpädagogik
Die Verortung von Gender-Trainings in wissenschaftlichen Kontroversen
Die immanente Selbsteinholung nivelliert nicht die Existenz des Horizonts, denn der Horizont erzeugt temporäre Effekte, wie z.B. das grüne Leuchten.
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2 Horizont der Differenz
Beschrieben werden im Folgenden zunächst Gender-Trainingslandschaften – das heterogene und zunehmend vermarktlichte Handlungsfeld gender-orientierter Weiterbildung und Beratung. Beleuchtet werden hier Gestalt, Inhalte und Zielgruppen von Gender-Trainings sowie der Begriff Gender-Kompetenz, der oft als übergeordnetes Ziel eines Trainings firmiert. Nach dieser ersten Charakterisierung von Gender-Trainings werden diese durch die anschließend vorgestellten wissenschaftlichen Kontroversen um Gender Mainstreaming, gender und Bildung verortet. Die gleichstellungspolitischen, geschlechtertheoretischen und erziehungswissenschaftlichen Diskursivierungen bilden also ein theoriepolitisches „Tableau“ (Foucault 1973: 20) für das Untersuchungsfeld der GenderTrainings.31
2.1 Gender-Trainingslandschaften Gender-Training gilt als ein so genannter „ungeschützter Begriff“ (Kaschuba/ Lächele 2004: 1). Doch was sind Gender-Trainings? Und ab wann ist ein Training ein Gender-Training? Wird davon ausgegangen, dass sich Bedeutungen kontextuell transformieren und materialisieren und von daher nicht definitorisch zu verengen sind, so interessiert vor allem, welche Bedeutungen von gender und Training transportiert und welche Lehr-Lern- sowie Subjektverständnisse damit impliziert werden. Kontroverse Problematisierungen der Bedeutung der Kategorie Geschlecht prägen feministische Theorien und politische Praktiken.32 Training findet als Begriff im Zuge von Organisations- und Personalentwicklungsaktivitäten immer häufiger Verwendung, wie ein Blick in die Angebotslisten der wachsenden Zahl an Organisations- und Unternehmensberatungen zeigt. Im Handlungsfeld der Gender-Trainings verquicken sich diese beiden Entwicklungen zwar begrifflich, aber nicht inhaltlich. Kaschuba stellt hierzu fest: So bieten immer häufiger auch Beratungsfirmen von Wirtschaftsunternehmen, Consultings – neben den häufig schon seit Jahren in der geschlechterbezogenen Forschung, Bildung und Supervision engagierten ExpertInnen – Gender-Trainings an, für die sich gegenwärtig ein neuer Markt im Kontext von Gender Mainstreaming 31
32
Ein „Tableau“ versteht Foucault als eine „Folge von Folgen“ oder eine „Serie von Serien“ und „kein kleines festes Bild, das man vor eine Laterne stellt“ (Foucault 1973: 20). Damit wird ausgedrückt, dass es um die „Bezugsform“ zwischen verschiedenen Serien geht, um das „Spiel von Korrelationen und Dominanzen“, darum „welche Wirkungen die Verschiebungen, die verschiedenen Zeitlichkeiten, die verschiedenen Beharrungszustände haben können“ (ebd.). Die Kategorie gender wurde 1972 von Ann Oakley gegen biologistische Verkürzungen und Verallgemeinerungen in den Sozialwissenschaften eingeführt (Honegger/Arni 2001: 10).
2.1 Gender-Trainingslandschaften
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erschließt, die aber zum großen Teil nicht auf Erkenntnissen der Frauen- und Geschlechterforschung aufbauen (können) (Kaschuba 2004a: 58).
Die begriffliche Neuschöpfung Gender-Training umfasst damit eine Vielzahl von Formen, Inhalten und Zielgruppen, die unterschiedliche Funktionen und politische Ziele verfolgen. Kaschuba unterscheidet zwischen ‚transformativen’ Gender Trainings, die eine Veränderung hierarchischer gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse und herrschender Wertmaßstäbe anstreben, Geschlechterkonstruktionen hinterfragen und auflösen wollen, und Gender Trainings mit in bestehende Verhältnisse ‚integrierender’ Absicht, die die herrschende Arbeitsteilung und das bestehende Normen- und Wertegefüge nicht in Frage stellen, sondern eher betriebswirtschaftlich und aus Gründen der Nutzung von Humanressourcen und Synergieeffekten argumentieren (Kaschuba 2004a: 58).
Abgesehen von solchen inhaltlich-konzeptionellen Systematisierungen bleibt es für den bundesdeutschen Raum seit vielen Jahren schwierig, sich einen Überblick über die Trainings- und Beratungsangebote, die im Kontext von Gender Mainstreaming angeboten werden, zu verschaffen.33 Denn trotz der quantitativ stark angestiegenen Nachfrage an Trainingsangeboten ändert sich also die Situation, die Lea Czollek und Heike Weinbach zu Beginn des Implementierungsprozesses von Gender Mainstreaming konstatierten, nur langsam: Es ist nicht nur weitgehend unbekannt, wer in welcher Form Gender-Trainings anbietet, sondern auch, wie mit dem fachlichen Input zu gender als Kategorie der Geschlechterforschung und zu gleichstellungspolitischer Theorie und Praxis umgegangen wird und wie die geschlechterbezogene didaktische Gestaltung der Trainings aussieht (vgl. Czollek/Weinbach 2002: 113).34 Das Wissen über Angebote von Gender-Trainings war zu Beginn der Implementierung von Gender Mainstreaming vorrangig informell vorhanden. Inzwischen sind jedoch mehrere
33
34
Anders als in Österreich gibt es in Deutschland keine zentralisierte Erfassung der genderorientierten Angebote. Die Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming (IMAG) in Österreich führt seit 2002 eine Übersicht mit Bildungs- und Beratungsangeboten, die Interessierten auf Anfrage zugesendet wird. Zudem existiert eine qualitative Studie zum „GenderMarkt“ (Buchinger/Geschwandtner 2006) in Österreich, die die Übersicht der IMAG aktualisiert hat und Hinweise und Charakteristika zur Gestaltung von Gender-Trainings präsentiert. Siehe ebenso eine qualitative Studie mit Gender-Trainer_innen aus Tirol und Salzburg (Pfeifer 2006). Dies könnte sich mit den Ergebnissen des Forschungsprojekts Geschlechterpolitik im Spannungsfeld von Markt und Emanzipation der GendA-Forschungs- und Kooperationsstelle an der Universität Marburg ändern, da geplant ist, Gender Mainstreaming-Angebote in Deutschland systematisch zu erfassen. Eine Erörterung zur geschlechtertheoretischen Konzeption in Gender-Trainings anhand einer Analyse verschiedener Übungen findet sich bei Bittner (2008).
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2 Horizont der Differenz
Netzwerke und Datenbanken mit Gender-Expert_innen aufgebaut worden.35 Dass erst zeitlich verzögert Datenbanken eingerichtet wurden, ist weniger als mangelndes Interesse zu werten, sondern verweist vermutlich darauf, dass die zentralisierte Veröffentlichung von Angeboten ein Politikum ist, weil damit die Frage nach der Qualitätssicherung und der Definitionsmacht verknüpft ist. So wird bis heute mehr oder weniger offen verhandelt, inwiefern, in welcher Form und von wem Qualitätsstandards für die Konzeption und Durchführung von Gender-Trainings und für die Expertise der Anbietenden entwickelt werden sollen – und von wem nicht. Neben einem offenen fachlichen Austausch auf Fachtagungen und Workshops findet diese Auseinandersetzung um die weitere Professionalisierung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung in Deutschland vor allem durch drei Zusammenschlüsse in Netzwerken statt: Netzwerk Gender-Training36, Gender Mainstreaming Experts International (GMEI)37 und Fachverband Gender Diversity38. Neben der beruflichen Lobbyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung haben sich vor allem der Fachverband Gender Diversity und GMEI zum Ziel gesetzt, Qualitätsstandards für Gender-Trainings zu entwickeln.39 Die Frage nach der Qualität bleibt dabei weiterhin nicht nur aktuell und virulent, sondern auch brisant und offen, da sich, wie diese Arbeit zeigt, im Feld der Gender-Trainings sehr konträre geschlechtertheoretische und -politische Positionierungen, unterschiedliche Professionsverständnisse und unterschiedliche Formate etablieren, die um Deutungsmacht ringen. 35
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Als Erstes veröffentlichte 2004 das Gender Institut Sachsen-Anhalt (GISA) eine Datenbank für Gender-Expert_innen. 2005 hat auch das GenderKompetenzZentrum an der HumboldtUniversität zu Berlin eine Datenbank Gender Mainstreaming Expertise eingerichtet. Das Netzwerk Gender-Training ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Gender-Trainerinnen und -Beraterinnen, der 1997 im Rahmen des NRO-Frauenforums, einer Gruppe von Frauen aus entwicklungs- und frauenpolitischen Nichtregierungsorganisationen, gegründet wurde. Es verortet sich in der feministischen Forschung und der internationalen Frauenbewegung (vgl. http://www. gender-netzwerk.de). Gender Mainstreaming Experts International ist ein Netzwerk von knapp 30 Gender Mainstreaming-Expertinnen im deutschsprachigen Raum, das sich 2003 zum professionellen Austausch zusammengetan hat und das gemeinsame Positionen veröffentlicht. Den Hintergrund der Arbeit bildet neben Praxiserfahrungen, Fachexpertise und gleichstellungspolitischem Engagement ein „anspruchsvolles Verständnis von Gender Mainstreaming“ (vgl. http://www.gmei.de). Im Fachverband Gender Diversity für genderkompetente Bildung und Beratung e.V. haben sich seit 2005 Trainer_innen und Berater_innen zusammengeschlossen, um ihre beruflichen, fachlichen und politischen Interessen gemeinsam zu vertreten und weiterzuentwickeln. Das beinhaltet die Verständigung über gemeinsame Ziele, Werte, fachliche Fragen und die Entwicklung und Umsetzung verschiedener Strategien, Konzepte und Instrumente (vgl. http://www.gender-diversity.de). Ansätze zur theoriegeleiteten Entwicklung von Qualitätskriterien für Gender-Trainings finden sich zudem bei Kaschuba (2004b) und bei Bittner (2008).
2.1 Gender-Trainingslandschaften
65
Unumstritten ist, dass die Einführung der Strategie Gender Mainstreaming einen entscheidenden Impuls für die sich seit Anfang 2000 rasch ausbreitende Gender-Trainingslandschaft gegeben hat. Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet kennzeichnet das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung einen neuen Sektor des Dienstleistungsmarkts, wobei hier unter Markt die „Menge der aktuellen und potentiellen Nachfragenden, die Menge der aktuellen und potentiellen Anbietenden und die Beziehung zwischen Anbietenden und Nachfragenden“ (Huesmann 2008: 358) verstanden wird. Die Nachfragenden sind Verwaltungen, Unternehmen oder Einzelpersonen. So genannte Gender-Trainer_innen treten seitdem als eine Expert_innengruppe auf, die nach Huesmann (2008: 359) als „ArbeitskraftunternehmerInnen“ bezeichnet werden kann. Der gender-orientierte Weiterbildungs- und Beratungsmarkt ist durch eine offene Marktstruktur mit einem offenen Zugang gekennzeichnet. D.h. es gibt keine formalisierten Zugänge durch Ausbildungen oder Zertifizierungen für die Anbietenden von Weiterbildung und Beratung, sondern es entsteht eine Situation der freien Konkurrenz unter den Anbietenden. Die Marktform kann zumindest in der Anfangsphase der Implementierung von Gender Mainstreaming als ein ‚Polypol’ bezeichnet werden, denn es existierte viel Angebot bei gleichzeitig hoher Nachfrage. Eine Besonderheit und gleichzeitig umstrittene Norm in der Gestaltung der Trainings sind die so genannten ‚Gender-Teams’, die eine geschlechterparitätische Zusammensetzung des Trainingsteams zum Standard erheben – und teilweise auch bei den Teilnehmenden voraussetzen. Kontrovers verhandelt wird dies wegen der Reproduktion von sozialer Ungleichheit und der Norm der Zweigeschlechtlichkeit im Handlungsfeld. Die Gefahr der Mitwirkung an der Festschreibung sozialer Ungleichheit beruht auf drei problematischen Effekten, die sich, Schätzungen zufolge, aus einer Geschlechterverteilung von ¼ Trainern und ¾ Trainerinnen ergeben. Durch den Standard eines Trainingsteams, das aus einer Frau und einem Mann besteht, wird erstens für Frauen ein Abhängigkeitsverhältnis von Männern geschaffen, da es für Frauen schwerer ist, einen männlichen Co-Teamer zu finden und da damit „das Spiel mit den ungleich verteilten Chancen von vorne beginnt“ (Huesmann 2008: 359). Zweitens sind die Arbeitsund Einkommenschancen unterschiedlich verteilt, da durch die steigende Nachfrage der Anreiz für Männer wächst, als Anbieter aufzutreten. Drittens entwickeln sich unterschiedliche Qualifikations- und Qualitätsanforderungen, da für Männer ihre Geschlechtszugehörigkeit und nicht ihre Gender-Kompetenz zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor wird. Dies bedeutet, die Kategorie Geschlecht stellt für Männer einen Wettbewerbsvorteil und für Frauen einen Wettbewerbsnachteil dar (vgl. ebd.: 359ff.). Diese diagnostizierten Effekte der Ungleichheit in dem sich neu konstituierenden Handlungsfeld decken sich mit einer kleinen,
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2 Horizont der Differenz
nicht-repräsentativen Umfrage von Eva Engelhardt-Wendt.40 Frauen arbeiten als Gender-Trainerinnen zeitlich gesehen mehr, sie übernehmen den größeren Teil der ‚unsichtbaren’ Arbeit im Vorfeld, sie identifizieren sich stärker mit dem Thema und haben das Gefühl, die Hauptverantwortung für das Gelingen des Trainings zu tragen. Obwohl sich eine traditionell geschlechtshierarchische Arbeitsteilung – Männer sind für Sachinhalte und Frauen für Gefühlsarbeit und Atmosphäre zuständig – in den Gender-Trainings umkehrt, weil die Trainerinnen oft mehr Gender-Kompetenz aufweisen, setzt sich genau hierin eine vergeschlechtlichte Ungleichheit fort: Frauen leisten durch ihre Fähigkeit, die fachlichen Inhalte gender-kompetent aufzubereiten, im Gegensatz zu ihren Kollegen mehr unbezahlte Arbeit, weil sich die Honorare nach dem durchgeführten Training und nicht nach der tatsächlichen Vorbereitungszeit richten (vgl. Engelhardt-Wendt 2004: 238). Auf diskursiver Ebene wird die zum Standard erhobene Norm der ‚GenderTeams’, wie sie z.B. die Heinrich-Böll-Stiftung vertritt, von einer Gruppe gendertheoretisch und -politisch engagierter Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen, deren Mitglied die Autorin ist, im Gender-Manifest kritisiert (Frey et al. 2006). Das Manifest, das 2006 in Berlin verfasst wurde, versteht sich als kritische Intervention und als Beitrag zur Debatte um die Qualität von GenderTrainings. Es richtet sich vor allem an Gender-Trainer_innen und –Berater_innen mit dem Ziel, durch die theoriegeleitete Reflexion einen dekonstruktiven Beitrag zur Qualität gender-orientierter Arbeit zu leisten. Durch die Form des Manifests wird ein politisches Anliegen öffentlich formuliert, das die Debatte im Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis erweitert. Das Manifest wurde bis heute von über 100 Personen und Institutionen unterzeichnet und ist vielfach im deutschsprachigen Raum bzw. nach seiner Übersetzung ins Englische auch international rezipiert worden (vgl. Wetterer 2007, Kerner 2007, Roßhardt 2007, Soiland 2009, McRobbie 2010).
Vorläufer und Bezüge von Gender-Trainings Die Nachfrage an gender-orientierter Weiterbildung und Beratung fällt in ein bereits etabliertes Berufs- und Diskursfeld innerhalb der Erwachsenenbildung und Beratung in Deutschland. Dabei stellen, wie ich zeigen werde, vor allem drei Bereiche wichtige Bezüge für die Etablierung und – so lässt sich mit Ralf Lange ergänzen – für die Zielsetzung von Gender-Trainings in Deutschland dar (vgl. Lange 2006: 179): 40
An einer Fragebogen-Umfrage im Juli 2002 beteiligten sich 16 Trainer_innen vom Netzwerk Gender-Training und aus dessen Umfeld (vgl. Engelhardt-Wendt 2004: 277ff.).
2.1 Gender-Trainingslandschaften
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Geschlechterbezogene Pädagogik: Frauen- und Männerbildung, Theorien und Konzepte der Erwachsenenbildung mit dem Ziel der Sensibilisierung für Geschlechterfragen und der geschlechtergerechten Didaktik, Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung: betriebliche Fort- und Weiterbildung mit dem Ziel der gleichstellungsorientierten Veränderung des politisch administrativen Bereichs, Internationale Entwicklungszusammenarbeit: Gender-Trainings mit dem Ziel der Anwendung gender-orientierter Analyse- und Planungsmethoden
Diese drei Bezüge werden im Folgenden kurz erläutert. Schon seit Beginn der 1980er Jahre gibt es die geschlechterbezogene Pädagogik, die im Bereich der Jugend- und Erwachsenenbildung ein breit gefächertes Angebot an Frauenbildungskonzepten und ein zwar wachsendes, aber im Verhältnis weniger ausdifferenziertes Handlungsfeld der Männerbildungsarbeit hervorgebracht hat. Unter einer geschlechterbezogenen Pädagogik wird in Deutschland nicht nur eine geschlechtshomogene, sondern auch eine koedukative Zusammenarbeit verstanden, die Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse kritisch analysiert (Rauw et al. 2001).41 Obwohl geschlechterbezogene Ansätze in der Pädagogik eine lange Tradition haben, bleiben dementsprechende Weiterbildungsangebote – auch in Zeiten der hohen gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für Lebenslanges Lernen – eher vereinzelt. Laut einer von Venth durchgeführten Programmanalyse institutionalisierter Bildungsträger in der Erwachsenenbildung werden Gender-Angebote z.B. an Volkshochschulen nur marginalisiert angeboten (Venth 2006). In didaktischer Hinsicht ist es offensichtlich, dass zumindest bestimmte Gender-Trainings auf Grundprinzipien der „geschlechterbezogenen Bildungsarbeit“ (Kaschuba 2001, Derichs-Kunstmann et al. 1999: 35) aufbauen. Diese sind z.B. die Teilnehmendenorientierung, das Ansetzen bei Kompetenzen statt bei Defiziten, das ganzheitliche Lernen auf kognitiver und emotionaler Ebene sowie die Selbstreflexivität der Trainingsleitung (Kaschuba 2004: 65f.) So werden unter geschlechtsbezogener Bildungsarbeit Veranstaltungen verstanden, die Geschlechtsrollen, das soziale Geschlecht bzw. das Geschlechterverhältnis zum Ausgangspunkt ihrer Zielgruppendefinition und/oder zum Thema ihrer Bildungsarbeit machen. Dazu gehören zum einen eigenständige Bildungsangebote für Frauen oder für Männer, zum anderen Seminare des Geschlechterdialogs, in denen sich Frauen und Männer gemeinsam mit dem Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft
41
Für diesen Ansatz steht z.B. die Arbeit der Heimvolkshochschule „Alte Molkerei Frille“, die seit 1985 sowohl „parteiliche Mädchenarbeit“ als auch „anstisexistische Jungenarbeit“ anbietet (Glücks/Ottemeier-Glücks 2001: 9).
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2 Horizont der Differenz und den gesellschaftlich definierten Geschlechtsrollen auseinandersetzen (DerichsKunstmann et al. 1999: 35).
Da die Implementierung von Gender Mainstreaming in Verwaltungsmodernisierungsprozessen verortet wird (vgl. Baer/Kletzing 2004), ist die Ausweitung der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung außerdem Teil eines gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Trends zur Verankerung von „Chancengleichheit in der Personalpolitik“ (Krell 2008). Parallel zu pädagogischen Bildungsangeboten etablieren sich hier Angebote zu (Organisations-)Beratung, Supervision, Coaching, Mentoring und Mediation mit Gender- und zunehmend auch mit Diversity-Perspektiven (Lange 2006, Macha/Fahrenwald 2007, Krell 2008). Gender-Trainings werden daher mit Blick auf umfassende Veränderungsprozesse in Organisationen auch als „Personalentwicklungsinstrument“ (Blome et al. 2005: 124) von Gender Mainstreaming oder von Diversity Management bezeichnet. Obwohl seit Ende der 1980er Jahre weltweit Gender-Trainings im Zuge der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit angeboten werden, etablieren sich gleichnamige Fortbildungen in Deutschland doch erst im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming. Anfang der 1990er Jahre erscheinen mehrere Handbücher, die den Aspekt der Sensibilisierung und Reflexion von GenderFragen in den Blick nehmen. In Deutschland wird jedoch der entwicklungspolitische Diskurs marginalisiert, so die Kritik von Frey, denn es werde wenig an Wissen oder Erfahrungen von Trainer_innen angeknüpft und auch die Trainingshandbücher würden im bundesdeutschen Kontext wenig beachtet (vgl. Frey 2003: 126). Die Trainingskonzeptionen würden lediglich von engagierten Frauen im internationalen Kontext kontinuierlich weiterentwickelt (vgl. Frey/ Kirleis 2004: 7, Frey 2007).
Was ist neu an Gender-Trainings? Die Trainings- und Beratungsmaßnahmen, die im Kontext von Gender Mainstreaming Konjunktur haben, sind nicht gänzlich neu und involvieren auch nicht nur neue Akteur_innen, sondern, wie bereits dargelegt, haben Gender-Trainings Vorläufer in der Politischen Bildungsarbeit, der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit oder der Personalentwicklung. Als spezifische Angebote entstehen sie bei der Durchsetzung von Gender Mainstreaming aus Verknüpfungen von aktuellen Diskursen der Gleichstellungspolitik, der Geschlechterforschung und der Erwachsenenbildung. Gibt es dennoch etwas gänzliches Neues an Gender-Trainings? Neu ist an Gender-Trainings, die die Durchsetzung von
2.1 Gender-Trainingslandschaften
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Gender Mainstreaming begleiten, auf der Inhaltsebene eine explizite, zentrale Thematisierung von Gender- und Gleichstellungsaspekten und auf formaler Ebene die beabsichtigte enge, systematische Anbindung an Veränderungsprozesse im Zusammenhang mit einer Organisationsentwicklung. Der explizite Bezug zu organisationalem Handeln und die Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsaufgabe bekommt durch Gender Mainstreaming einen höheren Stellenwert; dadurch werden Bildungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen zu einem integralen Bestandteil von gleichstellungsorientierten Veränderungsprozessen. Ehemals pädagogische Bildungsangebote, vorrangig für Zielgruppen aus sozialen Berufsfeldern, weiten sich aus, sodass neue Zielgruppen in der Verwaltung und in der Wirtschaft angesprochen werden. Die bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming oftmals angestrebte veUpflichtende Teilnahme an Trainings stellt zwar keine gänzliche Neuerung dar, ist aber als ein anderer Orientierungsmaßstab zu werten. Während in der politischen Bildungsarbeit Freiwilligkeit ein erwachsenenpädagogisches Grundprinzip ist, gibt es im Bereich der beruflichen Weiterbildung, z.B. in der Lehrer_innenfortbildung oder in Aufstiegsfortbildungen für den höheren oder gehobenen Dienst in der Verwaltung, immer schon verpflichtende Fortbildungen. Die Tendenz, Gender-Trainings insbesondere für die Leitungsebene von Institutionen verpflichtend anzubieten, verweist in erster Linie auf die Funktionsweise weitestgehend hierarchischer Organisationen, die sich durch lineare Qualifizierungswege auszeichnen. Damit wird der Versuch unternommen, das politische Ziel Gleichstellung als fachliche Aufgabe in der Organisation zu verankern. Diejenigen Gender-Trainings, die verpflichtend konzeptionalisiert sind, orientieren sich damit formal eher an beruflicher als an politischer Bildung.
Zielgruppen, Form und Inhalt von Gender-Trainings Gemäß dem Top-down-Prinzip sind in der ersten Phase der Implementierung von Gender Mainstreaming als neue Zielgruppe vor allem die – zumeist männlichen – Leitungs- bzw. Führungsebenen in der Öffentlichen Verwaltung adressiert worden (Metz-Göckel et al. 2003: 8). Aufgrund der offenen Marktsituation bildeten sich im Lauf der weiteren Umsetzung jedoch rasch neue Marktbearbeitungsstrategien42 heraus und es wurden auch andere Zielgruppen adressiert. Die Angebote wurden für einzelne Berufssparten (z.B. Kinder- und Jugendhilfe), Branchen (z.B. Journalismus) sowie andere Institutionen (Parteien, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Bildungseinrichtungen, kirchliche oder 42
Marktbearbeitungsstrategien sind unterschiedliche Weisen, wie Unternehmen ihre Produkte auf dem Markt anbieten und ihr Marketing strategisch ausrichten (Pieper 1992).
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2 Horizont der Differenz
privatwirtschaftliche Organisationen) ausgeweitet und richten sich auch an mittlere Führungsebenen, Fachpersonal sowie an Multiplikator_innen in pädagogischen, sozialen Berufen (vgl. Schweikert 2001, Blome et al. 2005: 125, Frey 2003: 128). Was die Form des Trainings betrifft, so finden sich unterschiedliche Typisierungen. Das GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität zu Berlin klassifizierte Trainings überwiegend als eine Form der Beratung.43 Dieser sehr groben Einteilung stehen an anderer Stelle Versuche gegenüber, Trainings als Angebotsform zu spezifizieren und von anderen Angebotsformen abzugrenzen. So unterscheiden einige Anbieter_innen „Gender-Beratung“, „Gender-Trainings“ und „Gender Mainstreaming-(Implementierungs-)Beratung“ (Blickhäuser/von Bargen 2005). Und innerhalb der Angebotsform der Trainings werden mitunter „Gender-Kompetenz-Training und Geschlechts-Kompetenz-Training“ (Felden 2004: 40) unterschieden, deren Spezifika allerdings nicht weiter erläutert werden. Differenziert wird auch nach einem Grundseminar oder einer fachlicher Vertiefung (Kaschuba/Lächele 2004). Anhand der Rahmenbedingungen lassen sich weitere Typen von GenderTrainings unterscheiden: Es gibt mitunter mehrmodulige Lehrgänge bzw. mehrtägige Fortbildungen, die z.T. auch unabhängig von einem Prozess zur Implementierung von Gender Mainstreaming angeboten werden.44 Des Weiteren gibt es fortlaufende Trainings, ein so genanntes „Training on the Job“ (Frey 2003: 128) oder zwei- bis dreitägige Gender-Trainings, die als integrativer Teil eines Organisationsentwicklungsprozesses, als Kick-off, zur Begleitung oder zum Abschluss, angeboten werden (Blickhäuser/von Bargen 2004). Außerdem werden „gleichstellungsorientierte Fortbildungen“ angeboten (Smykalla o. J.), dies sind jedoch keine Gender-Trainings im engeren Sinne, sondern es wird die Integration von Gender-Perspektiven in reguläre Führungskräfteschulungen versucht.45 Neben einzelnen Trainingsangeboten gibt es inzwischen mehrere Train-
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Vgl. GenderKompetenzZentrum/Jochen Geppert: Gute Beratung zu Gender Mainstreaming – wie funktioniert das? www.genderkompetenz.info/w/files/gkompzpdf/gute_beratung.pdf (letzter Zugriff 16.03.10). Vgl. z.B. die Lehrgänge des Institut für Gender-Perspektiven, ein Projekt der Heimvolkshochschule Frille oder des Institut für Organisationsentwicklungsberatung, Gesellschaftsforschung, Supervision und Coaching Im Kontext. Siehe dazu das Projekt Gender-Aspekte in der Fortbildung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit der Bundesakademie für Öffentliche Verwaltung, das 2007-2009 unter der Leitung von Gerrit Kaschuba und Karin Derichs-Kunstmann durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sind in der Arbeitshilfe Fortbildung gleichstellungsorientiert! online dokumentiert.
2.1 Gender-Trainingslandschaften
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the-Trainer-Ausbildungslehrgänge, die mit einem Zertifikat „Gender-Trainer_in“ abgeschlossen werden können.46 Für den Inhalt von Gender-Trainings gibt es kein Standardprogramm. Von Frey wird als ein übergreifendes Grundkonzept die Unterscheidung in reflexive und instrumentelle Komponenten vorgeschlagen (Frey 2003: 126). Viele Trainings setzen sich aus drei Bausteinen oder Säulen zusammen:
Sensibilisierung: z.B. Übungen zur Bewusstwerdung und Reflexion der eigenen Geschlechterkonstruktionen und Gender-Muster, Wissenserwerb: Was ist gender und Gender Mainstreaming? Welche Theorien und Definitionen gibt es? (Input zu Frauenförderung, Gleichstellungspolitik, Geschlechtertheorien), Handlungsorientierung: Herstellen des Praxisbezugs (Vorstellen und Erproben von Instrumenten und Methoden, Umsetzungsvorschläge für die jeweiligen Arbeitsfelder).
Ziel Gender-Kompetenz? Die meisterwähnten Ziele von Gender-Trainings sind Gender-Kompetenz und die Unterstützung bei der Implementierung von Gender Mainstreaming. Was diese begriffliche Neuschöpfung bedeutet, variiert ähnlich häufig und breit wie die oben erläuterten Verständnisse von Gender-Trainings.47 So definieren Dorothea Lüdke u.a. Gender-Kompetenz als „eine spezielle Form zu erwerbender Qualifizierung, die zwischen Genderforschung und Geschlechterpolitik vermittelt“ (Lüdke et al. 2005: 16). Betont wird hierbei das Verhältnis von Geschlechtertheorie und einer sich professionalisierenden Gleichstellungspraxis. Damit stellt sich im Begriff der Gender-Kompetenz die Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Handeln bzw. von feministischer Theorie und Praxis. Fest steht damit auch, dass es eine Frage der Definitionsmacht ist, wer welche Interessen und Positionen in das Verständnis von Gender-Kompetenz einschreibt. Denn Gender-Kompetenz im Kontext der gleichstellungspolitischen Strategie Gender Mainstreaming zu thematisieren, ist keine neutrale, sondern eine von politischen Positionierungen abhängige Kompetenz. Wird der zentrale Stellenwert des Gender-Verständnisses für Gender-Kompetenz betont, ohne dass das geschlechterpolitische Ziel der Veränderung von Geschlechter46
47
Siehe z.B. die Angebote der Heinrich-Böll-Stiftung, des Gender Instituts Sachsen-Anhalt (GISA), von Christiane Burbach und Anne Rösgen/pro innovation. Eine explorative Untersuchung zur Systematisierung der Bedeutung von Gender-Kompetenz im Kontext von Gender Mainstreaming unternimmt Buksmann (2005).
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2 Horizont der Differenz
verhältnissen betont wird, verstärkt sich der Eindruck einer neutralen Kompetenz, die erst durch kontextspezifische Anforderungen näher bestimmt wird und flexibel die jeweiligen politischen Intentionen repräsentieren kann.48 In einer anderen Definition ist von vier Kompetenzebenen Wissen-WollenKönnen-Dürfen die Rede. Während in der Lesart des GenderKompetenzZentrums vor allem die drei Ebenen von Wissenserwerb, Sensibilisierung und Handlungsorientierung betont werden, erweitert Rösgen diese um die Dimension des Dürfens, d.h. ‚Erlaubnisse’, Grenzen und Möglichkeiten einer Organisation, Veränderungen zur realisieren (vgl. Rösgen 2006). Kaschuba konkretisiert vor allem die Ebene des Wollens und des Wissens und zählt dazu eine geschlechterbezogene Selbstreflexivität, Grundlagenwissen aus der Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung (etwa zu Arbeitsteilung, gesellschaftlichen Werten, Normen und Symbolik), geschlechterbezogene thematisch-fachliche Kenntnisse, Wissen über Interaktions- und Kommunikationsprozesse und Organisationsstrukturen unter der Geschlechterperspektive (vgl. Kaschuba 2004b: 120). Andere Definitionsversuche heben hingegen vor allem die Ebene des Wissens und des Könnens hervor, wie z.B. die Heinrich-Böll-Stiftung: „[d]urch Gender Training werden die Mitarbeitenden in die Lage versetzt, Genderperspektiven und Ergebnisse und Erfahrungen genderbezogener Forschung, Beratung und Bildung in die eigene fachliche und berufliche Arbeit konsequent einzubeziehen“ (Blickhäuser/von Bargen 2003). Auch die Gruppe von Expert_innen der Implementierungsberatung im Land Sachsen-Anhalt betont vor allem die Komponenten des Wissenstransfers und der Handlungsorientierung. Es gehe um eine „Verknüpfung von Erkennen gleichstellungsrelevanter Aspekte im jeweiligen Tätigkeitsfeld und Umsetzung der Erkenntnisse im praktischen Handeln“ (Hofmann et al. 2003: 104). Ebenso verstehen Sigrid Metz-Göckel und Christine Roloff Gender-Kompetenz als „das Wissen, in Verhalten und Einstellungen von Frauen und Männern soziale Festlegungen im (privaten, beruflichen, universitären) Alltag zu erkennen und die Fähigkeit, so damit umzugehen, dass beiden Geschlechtern neue und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden“ (Metz-Göckel/Roloff 2002: 2). Winter beschreibt die notwendige Abstraktion von einem alltagsweltlichen Wissen im Zuge des Gender-Kompetenz-Erwerbs: Genderkompetenz sind grundlegende Fähigkeiten, die sich auf geschlechterbezogenes Handeln auswirken. Jeder Mensch eignet sich biographisch Gender-Kompe48
Eine Analyse von Internetangeboten und -auftritten des „Gender-Marktes“ in Österreich kommt zu dem Ergebnis, dass auf den 80 untersuchten Webseiten von Anbieter_innen von Gender-Trainings zwar 54 mal Gender-Kompetenz als „Kernkompetenz“ angesehen wird, sie aber kein einziges Mal definiert wird (vgl. Buchinger/Geschwandtner 2006: 21).
2.1 Gender-Trainingslandschaften
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tenzen an, jeder Erwachsene hat also solche Kompetenzen und bringt diese auch in seine Arbeitswelt mit. Für ein reflektiertes und produktives Arbeiten, das geschlechterbezogene Aspekte berücksichtigt, muss diese Kompetenz häufig erweitert und modifiziert werden: alltagskulturelles, latentes Wissen genügt nicht und entspricht auch oft nicht dem Stand der Wissenschaft (Winter 2004: 284).
Der Erwerb von Gender-Kompetenz zielt auf die Befähigung der Teilnehmenden einerseits und auf die Gestaltung von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen in Organisationen andererseits. Gender-Trainings verfolgen demnach personen- und/oder organisationsbezogene Zielsetzungen (vgl. Hofmann et al. 2003: 107f.). Auf der personalen Ebene steht die Motivation und Sensibilisierung sowie die Vermittlung von genderbezogenem Fachwissen im Vordergrund: „[d]urch Gender Training werden die Mitarbeitenden in die Lage versetzt, Genderperspektiven und Ergebnisse und Erfahrungen genderbezogener Forschung, Beratung und Bildung in die eigene fachliche und berufliche Arbeit konsequent einzubeziehen“ (Blickhäuser 2001: 16). Die organisationsbezogene Zielsetzung umfasst die Identifizierung von Handlungsfeldern und die Festlegung von Zielen sowie die Wissensvermittlung bzw. Erprobung des Einsatzes von Methoden und Verfahren zur Integration von Gleichstellungsanliegen. Durch den Erwerb von Gender-Kompetenz bzw. „Geschlechtersensibilität“ (Burbach/Schlottau 2001: 19) aufseiten der politischen Entscheidungsträger_innen, sollen strukturelle und organisationale Veränderungen erfolgen, die zur Erreichung des Ziels von Gender Mainstreaming beitragen. Im Sinne eines Dürfens wird die Dimension der Befugnis bzw. des Einverständnisses der Organisation benannt, Gleichstellungsanliegen umzusetzen. Damit werden Umgangsweisen mit hemmenden Bedingungen und die Gestaltung von fördernden Bedingungen in der Organisation als integraler Bestandteil von Gender-Kompetenz begriffen. Eine so verstandene Kompetenz wäre dann als eine Erweiterung von Gender-Kompetenz um eine strategische Dimension der Umsetzung als Gender Mainstreaming-Kompetenz aufzufassen (vgl. Rösgen 2003: 15). Im Zuge der Debatte um die Bedeutung von Gender-Kompetenz wird auch die Art und Weise der Verknüpfung von Fach- und Gender-Wissen immer wichtiger. Ist Gender-Kompetenz als ein integraler Teil der professionellen Kompetenz jedes/jeder Einzelnen in einer Organisation anzusehen oder stellt GenderKompetenz einen neuen „Kompetenztypus“ dar und ist als eine zusätzliche Kompetenz zu verstehen? Geht es bei der Entwicklung von Gender-Kompetenz um die „Erhöhung des Potentials von Gender Mainstreaming“ (Hofmann et al. 2003: 102) und ist diese Zielsetzung deshalb abzugrenzen von einer allgemeinen Fortbildung zu Gender-Fragen, wie beispielsweise in Gender-Studies an Universitäten oder in anderen geschlechterbezogenen Bildungsmaßnahmen?
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2 Horizont der Differenz
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gender-Trainingslandschaft insofern vielfältig ist, als sie auf unterschiedliche Kontexte und politische Bezüge zurückgreift. Dies führt nicht nur zu Konkurrenzen in Bezug auf professionelle Beratungsansätze, sondern dadurch, dass es sich um ein politisches Handlungsfeld handelt, gleichzeitig auch zu Bedeutungskämpfen über gleichstellungspolitische Ziele, Strategien und Positionen. Fragen, die sich deshalb hier anschließen, richten sich auf das Verständnis von Professionalität, die Konzeptualisierung der Zielgruppen und die Ziele von Trainings: Charakterisiert ein Training die Offenheit des Ausgangs oder geht es um die Erreichung gesetzter, normativer Ziele? Wer wird in Trainings adressiert – die Person als Mensch in ihrer Lebenswelt oder die Person als Funktionsträger_in innerhalb ihres beruflichen Kontextes? Geht es in Trainings um eine Verhaltens- oder Haltungsänderung? Dies alles sind bisher unbeantwortete Fragen, für deren Beantwortung im Laufe der folgenden Auswertung von wissenschaftlichen Kontroversen und der akteursbezogenen Diskursivierungen ermöglichende oder verhindernde Konstellationen und Lesarten herausgearbeitet werden.
2.2 Quadratur des Kreises? Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation 2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation Bei der Diskursivierung von Gender Mainstreaming spielen rechtliche und organisationale Bedingungen (Gesetze, Organisationskultur, Gleichstellungsstrukturen) eine Rolle, ebenso wie geschlechtertheoretische und -politische Diskurse, in denen Geschlechterverhältnisse, Gleichstellung und feministische Politiken vor bzw. parallel zur Einführung von Gender Mainstreaming diskursiviert werden. Diskursivierungen verweisen auf hegemoniale Ordnungen und deren inhärente, normative Ausschlüsse bezogen auf Verständnisse der Geschlechterkonstitution und Gleichstellungspolitik. Der Fokus liegt im Folgenden weniger auf einer systematischen Evaluierung der Implementierung von Gender MainstreamingProzessen oder einzelner organisationsbezogener Umsetzungsschritte, sondern auf politischen und wissenschaftlichen Diskurssträngen. Nach einer Darstellung der Entstehungs- und Durchsetzungsgeschichte(n) von Gender Mainstreaming, in der Stationen und kritische Punkte der Implementierung verortet werden, wird die Strategie deshalb als diskursive Formation aus der Perspektive der Geschlechterforschung kritisch untersucht. Es werden kritische Einwände auf der Konzeptebene, wie die Verwendung von gender, und der Umsetzungsebene, wie die Querschnittsstrategie des Mainstreaming systematisiert. Anschließend wird der Zusammenhang von Gleichstellungspolitiken und Gender Studies in drei Varianten dargestellt und damit Lesarten von Gender Mainstreaming im
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
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Spannungsverhältnis von Geschlechtertheorien und geschlechterpolitischer Praxis rekonstruiert. Zusammenfassend werden Überlegungen zum Horizont von Gleichstellungspolitik vorgestellt.
2.2.1 Durchsetzungsgeschichte(n) von Gender Mainstreaming Gender Mainstreaming stellt sich in seiner konkreten Umsetzung in Deutschland als eine umfassende Strategie zur tatsächlichen Durchsetzung von Gleichstellung vor. Beabsichtigt ist, die Implementierung einer Gleichstellungsperspektive in alle Entscheidungsprozesse innerhalb von Organisationen, um Benachteiligung abzubauen und den gesetzlichen Gleichstellungsauftrag umzusetzen. Die Definition von Gender Mainstreaming des Europarates, die von einer Expert_innen-Gruppe entwickelt wurde, lautet: „Gender mainstreaming is the (re)organisation, improvement, development and evaluation of policy processes, so that a gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and at all stages, by the actors normally involved in policy-making” (Council of Europe 1998: 12). Bereits zu Beginn der Einführung von Gender Mainstreaming in der Bundesrepublik entstand eine Kontroverse über die Bedeutung von Gleichstellung, für die eine falsche offizielle Übersetzung aus dem französischen Sachverständigenbericht des Europarates aus dem Jahr 1998 gesorgt hatte. Fälschlicherweise hieß es in der deutschen Übersetzung, Gender Mainstreaming habe das Ziel, eine „geschlechtsspezifische Sichtweise“ in alle politischen Entscheidungsprozesse zu integrieren. Problematisch ist dies begrifflich insofern, als damit eine Essentialisierung von homogenen Geschlechtergruppen reproduziert und auch der umfassende, verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellungsauftrag lediglich auf eine Analyseperspektive reduziert wird. Die korrigierte Übersetzung von Krell, Mückenberger und Tondorf (2000) ist die am häufigsten verwandte offizielle Übersetzung und lautet: Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen (Krell/Mückenberger/Tondorf 2000: 7).
Das Ziel der Erreichung von tatsächlicher Gleichstellung ist damit kein gänzlich anderes als das vorheriger Gleichstellungspolitik, aber es verändern sich Schwerpunktsetzungen, Argumentationslogiken sowie gleichstellungspolitische
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2 Horizont der Differenz
Zuständigkeiten.49 Mit dem verstärkten Bemühen um die systematische Einbindung von Gleichstellung als Querschnittsaufgabe in Organisationsstrukturen und Regelwerke wird mehr Effektivität und Durchsetzungskraft erwartet. Denn, wie Tondorf und Krell zeigen, sind es neben Akzeptanz- vor allem Wissensund Kreativitätsdefizite bei Führungskräften, die die Umsetzung von Gleichberechtigung bisher verhinderten (vgl. Tondorf/Krell 1999).50 Wie sich die Implementierung von Gender Mainstreaming in den letzten 10 Jahren gestaltet hat, wird im folgenden Rückblick verdeutlicht. Gender Mainstreaming ist das Ergebnis vielfältiger Erfahrungen und Forderungen aus internationalen Frauenbewegungen und politischen Emanzipationsbestrebungen von Frauenpolitik.51 Vorgestellt bereits auf der dritten Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985, wird Gender Mainstreaming auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1994 in der verabschiedeten Arbeitsplattform verankert. Der Querschnittsansatz erhält Eingang in die Europäische Union, wo Gender Mainstreaming in das dritte Aktionsprogramm für Chancengleichheit (1991-1995) eingebettet ist und den Schwerpunkt des vierten Aktionsprogramms für Chancengleichheit (19962000) bildet. 1996 verpflichtet sich die Europäische Union zur Umsetzung von Gender Mainstreaming als zentrale Strategie europäischer Gleichstellungspolitik in ihrer Mitteilung über die „Einbindung der Chancengleichheit für Frauen und Männer in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“. Seit der Amsterdamer Revision der Europäischen Verträge, die am 1. Mai 1999 in Kraft trat, sind zwei Regelungen hervorzuheben, die den europäischen Organen verbindlich vorgeben, Gleichstellung immer mitzudenken und aktiv zu fördern: Art. 2 EGV: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft (...) die Gleichstellung von Männern und Frauen (...) zu fördern.“ Art. 3 Abs. 2 EGV: „Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu 49
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51
Zum Verhältnis von institutionalisierter Frauenpolitik und Gender Mainstreaming siehe Frey/Kuhl (2004). Als Quellen der Akzeptanzdefizite bei Führungskräften gelten: generelle Ängste vor Veränderung, Einkommens-, Status- und Machtinteressen, geschlechterbezogene und konkurrierende Gerechtigkeitsvorstellungen (vgl. Tondorf/Krell 1999: 33ff.). Wissensdefizite beruhen meist auf einem traditionellen Verständnis von Frauenförderung, welche mit einer Benachteiligung von ‚den Männern’, einer „Entwicklungshilfe“ für Frauen und mit punktuellen, optionalen Maßnahmen gleichgesetzt wird (ebd.: 11ff.). Kreativität werde vor allem durch eine legalistische und/oder technokratische Herangehensweise an die Implementierung von Gleichstellungsgesetzen oder durch Unkenntnis innovativer Maßnahmen verhindert (ebd.: 39ff.). Zur Geschichte und zur Entstehung der Strategie Gender Mainstreaming siehe ausführlicher von Braunmühl (2002), Frey (2003, 2004) und Meuser/Neusüß (2004).
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
77
fördern.“ 1999 wurde Gender Mainstreaming in die Beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union (Lissabon-Strategie, Europäischer Rat 2000) und als Querschnittsaufgabe in die Europäischen Strukturfonds, insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik (Europäischer Sozialfonds/ESF), aufgenommen. Dort ist die Berücksichtigung von Gender Mainstreaming unter Bezugnahmen auf den Amsterdamer Vertrag bis heute verpflichtend (Bergmann/Pimminger 2004: 15). Der Strategie Gender Mainstreaming liegt trotz dieser rechtlichen Grundlagen kein festes Konzept zugrunde, sondern sie muss zur erfolgreichen Umsetzung um weitere Rechtsverordnungen, Beschlüsse und Programmelemente auf nationaler Ebene ergänzt werden. Bei den diskursiven Auslegungs- und Umsetzungspraktiken von Gender Mainstreaming konkurrieren dementsprechend unterschiedliche Mittel, Wege sowie politische und organisationale Ziele um die Deutungshoheit: „Gender Mainstreaming ist Definitionssache“ (Woodward 2004: 89). In Deutschland wird 1999 die Implementierung durch einen Beschluss des Bundeskabinetts konkretisiert.52 Gender Mainstreaming wird daraufhin im Jahr 2000 in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) verankert. Zur Initiierung und Koordinierung des Implementierungsprozesses auf Bundesebene wird im gleichen Jahr die Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming (IMA GM) eingerichtet, wenn auch nicht, wie im Beschäftigungsprogramm „Frau und Beruf“ vorgesehen, auf Leitungsebene, sondern als Runde der Zentralabteilungsleitungen unter Vorsitz des Staatssekretärs des Bundesministeriums für Familie Senioren Frauen und Jugend (Lewalter/ Geppert/Baer 2009). In der Pilotphase zwischen 2000-2003 entstehen in allen Bundesministerien fachliche Projekte, und alle Ressorts haben sich zu Schulungen ihrer Mitarbeiter_innen verpflichtet. Die Pilotphase wird von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen extern begleitet und im „Wissensnetz Gender Mainstreaming für die Bundesverwaltung“ (Sellach et al. 2003) dokumentiert.53 Für vier zentrale Handlungsfelder der Verwaltung, die Vorbereitung von Rechtsvor52
53
Für eine erste kritische Standortbestimmung der Implementierung von Gender Mainstreaming auf Bundesebene siehe Lewalter et al. (2009) und Smykalla/Baer (2008). Eine ausführliche und systematische Analyse der Umsetzung von Gender Mainstreaming im Bund liefern Lewalter et al. (2009). Zwischenbilanziert und dokumentiert werden die Umsetzungsprozesse von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting auf Landesebene, z.B. für NRW nach fünf Jahren, für das Land Berlin seit 2003 in laufenden Berichten der Geschäftsstelle Gender Mainstreaming, angesiedelt bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, sowie bei Andresen (2006). Erfahrungen mit kommunalen Umsetzungsprozessen finden sich bei Wiechmann (2006). Für weitere Analysen der Umsetzung von Gender Mainstreaming in Deutschland siehe Jung/Krannich (2005) sowie für Beispiele der Umsetzung Baer/Hildebrandt (2007). Siehe Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase (Sellach et al. 2004).
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schriften und von Forschungsvorhaben, für das Berichtswesen und für Maßnahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, wurden jeweils Arbeitshilfen erarbeitet und von der IMA GM beschlossen. Weitere ‚Meilensteine’ der Implementierung von Gender Mainstreaming in den Bundesministerien waren politische Entscheidungen wie die Verankerung von Gender Mainstreaming im Koalitionsvertrag von SPD und DIE GRÜNEN im Jahr 2003 und die Bekräftigung der Bedeutung von Gender-Kompetenz im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Jahr 2005. Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Bundesregierung beruhte auf der Annahme, dass Gender-Kompetenz eine Voraussetzung für die Durchsetzung von Gleichstellung ist. Dieses Befähigungskonzept zielt darauf, bei den Verantwortlichen die Entwicklung von Gender-Kompetenz zu unterstützen, damit Gleichstellungsfragen in Handlungsroutinen der Bundesverwaltung und damit in alle Vorhaben der Regierung integriert werden können. Aus diesem Grund fördert die Bundesregierung auch das an der HumboldtUniversität zu Berlin angesiedelte GenderKompetenzZentrum, das 2003 gegründet wurde und die Aufgabe hatte, die Bundesministerien bei der Umsetzung von Gleichstellung als Querschnittsaufgabe zu unterstützen. Obwohl es auf Landes- und kommunaler Ebene eine Vielzahl von Umsetzungsprozessen gibt, ist auf Bundesebene die Umsetzung von Gender Mainstreaming ins Stocken geraten, wenn nicht zum Erliegen gekommen.54 Die einzelnen Schritte der Implementierung von GM in der Bundesregierung wie Fortbildung, Verankerung von Zuständigkeiten, Pilotprojekte etc. sind von allen Ministerien – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und Engagement – umgesetzt worden. Seit 2005 gab es jedoch keine aktiven Implementierungsschritte mehr (Lewalter/Geppert/Baer 2009: 135).
Begründen lässt sich diese Stagnation damit, dass es spätestens seit 2005 kein glaubwürdiges Bekenntnis der Leitungsebene der Ministerien für Gender Mainstreaming (Top-down-Prinzip) mehr gibt, bzw. auch zuvor nur in einzelnen Ressorts gegeben hat und auch kein ausreichendes Agenda-Setting umgesetzt wird.55 Es ist nur teilweise gelungen, den Verwaltungsbeschäftigten den Nutzen 54
55
Die rechtlich verbindliche Festschreibung von Gender Mainstreaming in Deutschland ist zwar als eine der Stärken des Implementationsprozesses zu werten, gleichzeitig liegt in der hohen Selbstverantwortung der jeweiligen Ministerien auch die Schwachstelle, so das kritische Zwischenresümee von Doris Hayn für die Implementierung auf Bundesebene (Hayn 2005: 26). Am 26.07.2000 wird die Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien um den Wortlaut in § 2 GGO wie folgt ergänzt: „Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist durchgängiges Leitprinzip und soll bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung in ihren Bereichen gefördert werden (Gender Mainstrea-
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und den Sinn zu vermitteln, den die gleichstellungsorientierte Veränderung ihrer Arbeitsabläufe hat. Ein Problem ist auch, dass die Überführung allgemeiner Gleichstellungsziele in fachpolitische Ziele in der anfänglichen Umsetzung von Gender Mainstreaming nicht angelegt war (vgl. Lewalter/Geppert/Baer 2009).56 Die Einführung von Gender Mainstreaming ist, ebenso wie bisherige gleichstellungsrechtliche Regelungen, von rechtlichen „Wirkungsbedingungen“ (Baer 2005: 78) abhängig. Als Bedingungen für die Rechtswirkung gelten die Kenntnis des Rechts, die Umsetzung durch zuständige Akteur_innen, die Durchsetzung von Ansprüchen und ein Rechtsbewusstsein (vgl. ebd.). Denn Implementierung heißt nichts anderes als die „Durchführung bzw. Anwendung der im Prozess der Politikentwicklung entstandenen Gesetze“ (Mayntz 1980: 236) und bildet einen Teil eines umfassenden politischen Prozesses, der sich von der Problemartikulation über die Programmentwicklung, die Implementierung bis hin zur Wirkung (Impact) erstreckt. Die Offenheit von Implementierungsprozessen ist demnach keine Besonderheit von Gender Mainstreaming, sondern erklärt sich mit einer in der Implementationsforschung „ebenso banalen wie unbestreitbaren Tatsache, daß politische Programme die Ergebnisse des administrativen Handelns nur sehr unvollständig bestimmen, d.h. dass ihre Wirkung wesentlich von der Art ihrer Durchführung abhängt“ (Mayntz 1980: 236). Die Kritik an der Implementierung von Gender Mainstreaming bezieht sich vor allem auf den Mangel an eindeutigen Zielen. Demzufolge werde laut Lombardo ein Großteil des transformativen Potenzials von Gender Mainstreaming vergeudet (Lombardo 2005). Und wie Mascha Madörin einwendet, sei Gender Mainstreaming nichts anderes als eine Compliance-Maßnahme, da die Gleichstellungsgesetze z.B. im Vergleich zu Geldwäschegesetzen zu unpräzise seien und keine Sanktionsmöglichkeiten enthalten (vgl. Madörin 2003: 35ff.). Mit Rückgriff auf ihre Erfahrungen mit Gender-Analysen konstatiert sie, dass der Erfolg von Gender Mainstreaming im Wesentlichen vom politischen Umfeld abhängt: „Je schwächer die gesetzliche Grundlage ist, desto wichtiger muss zudem der Druck der öffentlichen Meinung sein“ (Madörin 2003: 41). Es ist also davon auszugehen, dass es von dem Zusammenwirken rechtlicher Bedingungen, den bisherigen gleichstellungspolitischen Strukturen, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem politischen Willen abhängt, welche konkreten Implementierungsstrategien anwendbar sind und angewendet werden.
56
ming)“. Bei der Novellierung der GGO vom 28. Mai 2009 bleibt diese Absichtserklärung unverändert erhalten. Diese Einschätzung des Prozesses in der Bundesverwaltung in Deutschland deckt sich auch mit der Kritik an der Rezeption des Conceptual Framework (1998) des Europarats, wobei Verloo die vagen und punktuellen Ziele problematisiert (Verloo 2005).
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2.2.2 Diskursivierungen von Gender Mainstreaming Die anfangs dominierende Deutung von Gender Mainstreaming war die einer „Innovation“ (Bothfeld/Gronbach/Riedmüller 2002) oder „Chance“ (Stiegler 2003). Die Positivkonnotation von Gender Mainstreaming bezieht sich vor allem auf die Implementierung in Form eines umfassenden Organisationsentwicklungsprozesses und den Vorteil einer ressourcen- statt defizitorientierten Gleichstellungspolitik. Verbunden ist damit die Hoffnung darauf, dass durch das Top-down-Prinzip der bislang nicht ausreichend vorhandene politische Willen bei Führungskräften und Entscheidungsträger_innen entwickelt wird. Die Umsetzung von Gender Mainstreaming ist schon nach wenigen Jahren durch mehrere Kontroversen gekennzeichnet. Angesichts der Dominanz familienpolitischer Maßnahmen der Bundesregierung im Zuge der großen Koalition 2005-2008 entstand der Eindruck, es werde eher ein Family Mainstreaming vertreten als eine konsequente gleichstellungspolitische Querschnittspolitik (Baer/ Smykalla 2008). Aber nicht nur das unverbundene Nebeneinander von Familien- und Gleichstellungspolitik verdrängt Gender Mainstreaming, sondern gender-orientierte Politiken werden mit oft mit Verweis auf das Konzept des Diversity Management als ‚überholt’ gewertet.57 Droht dem Gender Mainstreaming demnach eine Abdrängung aus dem Mainstream aktueller Politik und Verwaltung, noch bevor die Strategie dort richtig angekommen ist? Zeichnet sich für Gender Mainstreaming damit ein ähnliches Szenario der diskursiven Verdrängung durch ein „Diversity Mainstreaming“ (Squires 2007) ab, wie dies zu Beginn der Implementierung von Gender Mainstreaming gegenüber bisheriger Frauen- und Gleichstellungspolitik der Fall war? Ohne dies mit Gewissheit sagen zu können, werden jedoch an solchen Entwicklungen zumindest die Schnelllebigkeit und der konjunkturelle Charakter antidiskriminierungs- und gleichstellungspolitischer Entwicklungen deutlich, der sich aus realpolitischen Spezifika wie dem Erfolgs- und Profilierungsdruck in Legislaturperioden – insbesondere nach Regierungswechseln – ergibt. Vor diesem realpolitischen Hintergrund lassen sich die kritischen Lesarten von Gender Mainstreaming in den Gender Studies in unterschiedliche Dimensionen einteilen, die sich auf theretische und politische Implikationen von gender und Mainstreaming beziehen. Sie rekurrieren entweder stärker auf die Kon57
In einem taz-Interview äußerte 2006 die amtierende Frauenministerin Ursula von der Leyen: „Mit Gender Mainstreaming hinken wir der internationalen Entwicklung hinterher. Andere Industrieländer sprechen längst schon von Diversity Management“ (taz, 18.02.2006). Im Koalitionsvertrag der Schwarz-Gelben Bundesregierung aus dem Jahr 2009 wird im Kapitel Gleichstellung nicht mehr auf gender, Gender-Kompetenz oder Gender Mainstreaming Bezug genommen, sondern es geht um eine „Kultur der Vielfalt“ und „Diversity-Strategien“.
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
81
zeptebene, problematisieren also den Umgang mit gender und Gleichstellung, oder sie kritisieren auf der Implementierungsebene insbesondere die Art und Weise der Umsetzung des Mainstreaming-Ansatzes. Die Hauptachsen der kritischen Einsprüche und Infragestellungen sind auf der Konzeptebene
die Bedeutung von gender: Kontroverse auf der 4. Weltfrauenkonferenz, die Entpolitisierung von gender: Feministische Kritik an der entkontextualisierten und dualistischen Bezugnahme auf gender und die Essentialisierung normativer Grundlagen: Kritik am Differenz-Verständnis von Gender (Mainstreaming) und Diversity (Management).
Auf der Implementierungsebene beziehen sich die Einwände auf
die Marginalisierung von Frauenförder- und Gleichstellungspolitik als „konstitutives Außen“ (Butler 1995: 30)58: Kritik an der polarisierenden Diskursivierung von Gender Mainstreaming, die Vereinnahmung von Gleichstellungspolitik: Anti-Mainstreaming-Kritik am Top-down-Prinzip von Gender Mainstreaming und das Verhältnis von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik: Kritik an der Trennung von Theorie und Praxis.
Die Bedeutung von gender Die Einführung von Gender Mainstreaming ist von Beginn an von Bedeutungskämpfen um gender begleitet. Dies zeigen die Diskussionen auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, wo der Umgang mit der Kategorie gender eine bezeichnende Kontroverse zwischen dem Vatikan und Queer-Aktivist_innen ausgelöst hat (Burkhard 1997). Gegenstand des Streits war, dass ein Vertreter des Vatikans als radikaler Gegner des gender-Begriffs aufgetreten war und behauptete, gender sei ein Code für Homosexualität und die Einführung des 58
Das konstitutive Außen steht für das Verworfene bei jeder diskursiven Konstruktion (vgl. Butler 1995: 270). Das, was als das Außen des Diskurses bezeichnet wird, ist nicht gleichzusetzen mit dem Verständnis eines „absoluten ‚Außen’“, eines „ontologischen Dortseins“, was dem Diskurs gegenübergestellt werden kann, sondern „als ein konstitutives ‚Außen’ ist es dasjenige, was, wenn überhaupt, nur in Bezug auf diesen Diskurs gedacht werden kann“ (ebd.: 30). Die Annahme eines ‚konstitutiven Außen’ knüpft an die poststrukturalistische Interpretation der Zeichentheorie von Derrida an, der mit seinem Begriff der différance die Bedeutungsgebung durch Verschiedenheit erklärt. Ausschlüsse sind konstitutiv für das, was eingeschlossen werden soll, weil sie im Differenzierungsprozess feste Grenzziehungen überhaupt erst entstehen lassen.
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Lesbischen sei eine neue und unnatürliche Art von gender, die zur Zerstörung von Mutterschaft führe. Gender solle deshalb im Aktionsprogramm von Beijing durch sex ersetzt werden, um die Verbindung zwischen Weiblichkeit und Mutterschaft als natürliche Notwendigkeit wieder sicherzustellen, so der Vatikan. Zeitgleich mit dieser Kritik lehnten Anhänger_innen aus den Gay and Lesbian Studies den gender-Begriff ebenfalls ab, allerdings aus genau entgegengesetzten Gründen, nämlich wegen seiner Affirmation der heterosexuellen Matrix. Aufgrund dieser kritischen Einsprüche auf der Weltfrauenkonferenz hat die Commission on the Status of Women, die als Vorbereitungsgruppe für die vierte Weltfrauenkonferenz agierte, auf ihrem 19. Treffen entschieden, dass eine Einigung über eine allgemein verständliche Bedeutung des Begriffs gender herbeigeführt werden sollte, damit ein einheitlicher Sprachgebrauch für die Aktionsplattform gewährleistet ist.59 Die Einigung in Form des Statements enthält erstens den Beschluss, dass der Begriff gender in seiner ursprünglichen, allgemein akzeptierten Verwendung in den anderen Foren und Konferenzen der Vereinten Nationen verwendet und verstanden werden solle. Zweitens gäbe es keinen Anlass dafür, irgendeine neue Bedeutung oder Konnotation des Begriffs, die sich von dem akzeptierten vorrangigen Gebrauch unterscheide, in der Aktionsplattform zu einzuführen.60 Die Bedeutung von gender blieb daher mit Verweis auf einen üblichen Gebrauch undefiniert. Diese Offenheit der Bedeutung sowie die Ablehnung einer Positionierung markiert nicht nur ein Möglichkeitsfeld vielfältiger Bedeutungen, sondern gender bleibt als politischer Begriff auf der Ebene der Vereinten Nationen auch gleichzeitig eine Leerstelle. Wie Butler in Bezug auf diese Kontroverse darlegt, verweist die Positionierung der Queer-Aktivist_innen auf einen Streit zwischen Feminismus und Queer Theory über deren jeweiligen politischen Gehalt. Sexualität sei der Gegenstand der Queer Studies, wohingegen gender derjenige des Feminismus sei.61 Gender ist nach Butler lediglich ein Ausdruck für einen „konstruierten oder veränderlichen Effekt“ (Butler 1997: 30), weshalb der Begriff der sexuellen Differenz (sexual difference) vorzuziehen sei, da er eine fundamentalere Differenz ausdrücke. Vom Vatikan wird gender angegriffen, um das biologische Geschlecht zu rehabilitieren, während die Position der Queer Theory gender zugunsten von Sexualität aufgeben will (vgl. ebd.: 33). Unbeabsichtigterweise bilden die Queertheoretiker_innen also in der Ablehnung des gender-Begriffs eine Koali59
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Dazu wurde eine informelle Kontaktgruppe eingerichtet, die ein Statement über den allgemein üblichen Gebrauch des Begriffes gender verabschiedet hat, das auf der 4. Weltfrauenkonferenz verlesen wurde und als president’s statement in den Endbericht der Konferenz einging. UN-Dokument vom 7. Juli 1995: Report of the informal contact group on gender – Note by the Secretariat transmitting the report of the informal contact group on gender (www.un.org/esa/gopher-data/conf/fwcw/off/plateng/9520p5.en, letzter Zugriff: 16.03.10). Zum Verhältnis von Queer Theory und Genderforschung siehe Raab (2004).
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tion mit dem Vatikan. Butler zieht aus der Kontroverse auf der Weltfrauenkonferenz die Schlussfolgerung, dass „die Fähigkeit, die Reisen dieses Begriffes durch die öffentliche Kultur zu verfolgen, wichtiger ist, als eine strikte und anwendbare Definition“ (Butler 1997: 34). Die beiden konträren Abgrenzungen verdeutlichen zwei politische Lesarten: In der einen wird gender als Code für Homosexualität gelesen, der die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als Norm bedroht, während in der anderen gender als Ermöglichung aufscheint, Homosexualität als ein gender unter vielen anzusehen. Diese Sicht der Homosexualität als einer Vermehrung der gender scheint auf der Vorstellung zu beruhen, dass Homosexuelle in gewisser Weise von ihrem biologischen Geschlecht abgewichen seien, dass sie keine Männer oder Frauen mehr seien, sobald sie Homosexuelle geworden sind, und dass gender, so wie wir es kennen, mit Homosexualität radikal inkompatibel sei; in der Tat ist es so inkompatibel, dass Homosexualität ein eigenes gender werden muß und dabei die binäre Opposition zwischen männlich und weiblich insgesamt verschiebt (Butler 1997: 32).
Auch Ulrike Hänsch formuliert dazu: Wenn die feministische Perspektive das Geschlechterverhältnis, also die Kategorie Geschlecht fokussiert, so erscheint es mir sinnvoll, diese Perspektive um die (ohnehin virulente und ansonsten unerkannt wirksame) ‚Kategorie Sexualität’ zu erweitern. D.h. wenn wir im Feminismus über Geschlechterhierarchie und die Herstellungsprozesse von Zweigeschlechtlichkeit reden, so verweist diese kulturelle Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit zwangsläufig auch auf die ‚Matrix der Zwangsheterosexualität’ (Hänsch 2001: 278).
Die Kontroverse um die Bedeutung von gender setzt sich im Diskurs um Gender Mainstreaming in Deutschland fort. Auch hierzulande finden sich aus christlichen Kreisen Bedeutungszuschreibungen, die gender als eine Bedrohung der natürlichen Geschlechterordnung begreifen. Aus der Perspektive eines konservativen Biblizismus werden die göttliche Schöpfung und die Unantastbarkeit der Geschlechterdifferenz gegen eine „lautlose Revolution” von Gender Mainstreaming, verstanden als „Ideologie der Vielgeschlechtlichkeit” (Klenk 2006), verteidigt (vgl. Krämer/Smykalla 2007: 19).
Die Entpolitisierung von gender Gender wird als Begriff im Kontext von Gender Mainstreaming oft lediglich wie eine Vokabel mit „soziales Geschlecht“ aus dem Englischen übersetzt. Die sex-gender-Trennung bleibt dabei unhinterfragt und dieser verkürzte und verein-
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heitlichende Gebrauch von gender nimmt dem Begriff seine differenzierte Geschichte als Konzept feministischer Theoriebildung (vgl. Kotlenga/Smykalla 2001). Die Gefahr der Reproduktion von Geschlechterdifferenz als einem essentiellen Unterschied verstärkt sich durch die Entkontextualisierung von gender und das Theoriedefizit der Umsetzung von Gender Mainstreaming (vgl. Frey 2003). Wenn Gender Mainstreaming sich an der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit orientiert, droht die Strategie zu einem heteronormativen sexcounting zu werden, denn die Trennung zwischen sex und gender wird weiter aufrechterhalten (vgl. Bendl 2006: 98). Durch die Reproduktion zweigeschlechtlicher, heteronormativer Codes werden eindeutige weibliche und männliche Normalitäten und Identitäten konstruiert, die die Vielfalt geschlechtlicher Lebensweisen unsichtbar macht (vgl. Rosenstreich 2002, Wedl 2004). Aus einer feministischen Perspektive wird die inflationäre begriffliche Verwendung von gender durch die Einführung von Gender Mainstreaming kritisiert, weil damit der politische Gehalt verloren ginge. So wird eine Kontroverse zwischen Feminismus und gender konstruiert, deren These ist, gender löse den Feminismus ab. Joan Scott argumentiert: „Der heutzutage wirklich umstrittene Begriff ist ‚Feminismus’. (…) Der Begriff gender ist zur Möglichkeit geworden, zum Feminismus Stellung zu beziehen (oder auch nicht)“ (Scott 2001: 55). Der Begriff gender erfahre eine Entpolitisierung, da er mit Feminismus nicht mehr zwangsläufig etwas zu tun habe. Außerdem sei am gender-Begriff problematisch, dass er die historischen Konstruktionen des Biologischen ausblende, da sein kritischer Gehalt in dem Antibiologischen liege und er als das Andere von sex gelte (vgl. Scott 2001: 38ff.). Bei der wachsenden Bedeutung von evolutionstheoretischen und genetischen Erklärungen könne ein so verstandener gender-Begriff dem nicht viel entgegensetzen. Des Weiteren wird gender als Anglizismus oft zum Ersetzungsbegriff für ‚Frauen und Männer’ und damit zu einem Synonym für „die zugeschriebenen und ‚natürlichen’ Unterschiede zwischen den Geschlechtern“ (Scott 2001: 58). Wie auch Frey problematisiert, wird gender meist als geschlossenen, dual, separativ, und statisch konzipiert und damit von grundlegenden Unterschieden zwischen Frauen und Männern als jeweils eindeutiger Gruppe ausgegangen (vgl. Frey 2003:73).62 Um ein Überdenken der routinierten Annahmen zu provozieren und feministischen For62
Wie Frey in ihrer theoriegeleiteten, diskursanalytischen Studie von Gender-Trainingshandbüchern herausarbeitet, unterscheiden sich Gender-Konzepte im Grad der Konkretion (materiell-symbolisch), der Variabilität (statisch oder dynamisch), der Thematisierung anderer Ausgrenzungskategorien (geschlossen oder offen) und im Grad der Loslösung von der Vorstellung einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit (dual-separativ bzw. multipel-transitiv) (Frey 2003: 73). Siehe zur Weiterentwicklung des Analyserasters Bittner (2008). Zur (Hetero-)Normativitätskritik an vereindeutigenden Gender-Konzepten im Gender-Training siehe u.a. Späte/ Tuider (2004), Wedl (2004).
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schungen ihre „provokative und aufrüttelnde Rolle“ wiederzugeben, lehnt Scott die Verwendung des Begriffs gender ab und zieht stattdessen jenen der „sexuellen Differenz“ (Scott 2001: 59f.) vor. Ein unreflektierter Umgang mit Gender-Konzepten im Gender Mainstreaming-Diskurs birgt deshalb die Gefahr, Positionen zu profilieren, die auf eine Geschlechterdifferenz als Unterschied rekurrieren, und dass gender zum Platzhalter für die Kategorie ‚Frau’ oder ‚Mann’ wird. Peter Döge warnt davor, aus „gender- ein ‚women-mainstreaming’“ (Döge 2003: 37) werden zu lassen – oder ein „male-streaming“ (von Braunmühl 2001), wie von Braunmühl zu denken gibt.63 Der Strategie Gender Mainstreaming deshalb per se ein fehlendes dekonstruktives Potenzial zu unterstellen, wie Wetterer dies kategorisch formuliert, scheint jedoch nicht gerechtfertigt: „Wenn Gender Mainstreaming eines mit Sicherheit nicht ist, dann dekonstruktivistisch“ (Wetterer 2002: 144, Hervorh. i. Orig.). Als Grund hierfür dient Wetterer die Annahme, dass es gesellschaftlich und ökonomisch anpassungsfähiger ist, an den Deutungsmustern der Zweigeschlechtlichkeit anzusetzen: Mit dem Ziel, Akzeptanz zu gewinnen und Anschlussfähigkeit unter Beweis zu stellen, verliert der Rückgriff auf tradierte zweigeschlechtliche Deutungsmuster vieles an Rätselhaftigkeit, denn diese Deutungsmuster sind den Adressaten, an die sich GenderexpertInnen richten, weit geläufiger als die Spitzfindigkeiten und Finessen feministischer Theorieentwicklung (Wetterer 2002: 139).
Verloo hingegen sieht keinen Grund für eine Gegenüberstellung von Feminismus und gender bzw. Gender Mainstreaming, denn beiden gehe es um das Gleiche: Gender Mainstreaming konstituiere Feminismus mit anderen Mitteln. Gender-Equality sei zunächst ein leeres Label, das es zu füllen gelte. Gender Mainstreaming stellt nach Verloo einen „strategical frame“ (Verloo 2001) dar, einen strategischen Rahmen, durch den ein Zugang zur Veränderung von Organisationen gefunden werden kann. Indem zunächst die Bedingungen und Bedürfnisse der Organisation akzeptiert werden, eröffnen sich Möglichkeiten, gleichstellungspolitische Maßnahmen in die Organisation hineinzutragen. Damit könne Gender Mainstreaming zu einer revolutionären Strategie werden, wenn sie als eine Reorganisation der alltäglichen Welt angesehen werde. Dieser Prozess verlaufe allerdings nie harmonisch, da es um Privilegien und Macht gehe – dies bedeute Geduld zu haben und Prozesse langfristig anzulegen. Verloo und andere
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Problematisch ist auch die eingedeutschte Verbform ‚gendern’, die einem technizistischen und verkürzten Umgang mit gender Vorschub leistet (siehe z.B. „Komm wir gehen gendern...“, Vortrag von Henning von Bargen, Wirtschaftsuniversität Wien, 7. Juni 2004).
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beschreiben Gender Mainstreaming damit als eine transformative Strategie (vgl. Verloo 2001, 2005; Woodward 2004).
Die Essentialisierung normativer Grundlagen Im Politikfeld Gleichstellung gewinnt neben Gender Mainstreaming das Konzept des Diversity Managements an Bedeutung und es entsteht eine Kontroverse, wie das Verhältnis der Strategien zu konzeptionalisieren ist. Unter dem Label ‚Diversity’ finden sich konträre Konzepte von Vielfalt zwischen Human Ressource Management, das eher ökonomisch motiviert ist, und Antidiskriminierungspolitik, die rechtlich-ethisch motiviert ist und einen Abbau von Ungleichheit anvisiert (vgl. Vedder 2006). Ein ökonomisch orientiertes Verständnis, das auf Unterschiede zielt, zeigt sich in der Lesart von Managing Diversity als einem „Business Case“ (Stuber 2002: 153). Die Verbesserung organisationaler Abläufe und damit die Effizienz von Organisationen bilden den Anreiz für Veränderung. „Diversity im Sinne des Umgangs mit Vielfalt, mit unterschiedlichen Kollegen, Arbeits- und Organisationsformen sowie im Sinne der Nutzung aller zur Verfügung stehenden Marktund Produktivitätspotentialen stellt ein Schlüsselthema der Unternehmensführung dar“ (Stuber 2002: 154). Grundverständnis ist, durch Managing Diversity würden „verkrustete Organisationsstrukturen und die herrschende Unternehmenskultur aufgebrochen“, indem die „Unterschiedlichkeiten der Mitarbeitenden“ in ein produktives Verhältnis gesetzt werden: „Managing Diversity steht für ein radikales Human Ressource Management“ (Raschke 1997: 3). Dieses Konzept der individualisierten Personalpolitik umfasse „die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Es verknüpft sie – so weit als möglich – mit betrieblichen Interessen, um die individuellen Ressourcen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und ihres Unternehmens zur vollen Entfaltung zu bringen“ (Raschke 1997: 7). Ausgangspunkt des so verstandenen Managing Diversity ist, dass es in traditionellen hierarchischen Organisationen dominante Gruppen gibt, die „homogene Ideale“ generieren; damit geht eine Organisationskultur einher, die Vielfalt als Bedrohung auffasst. Durch Managing Diversity sollen demgegenüber Bedingungen geschaffen werden, unter denen sich alle Beschäftigten, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter, sexueller Orientierung und anderen Lebensweisen optimal einbringen können. Es werden dementsprechend betriebliche Aktivitäten gegen Ausgrenzung und Diskriminierung angeregt mit dem Ziel, ‚Vielfalt zu managen’.
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Bei der Ausrichtung an einem antidiskriminierungspolitischen Verständnis wird vor allem der Abbau von sozialer Ungleichheit aufgrund verschiedener Lebenslagen anvisiert. Unter Diversity Politics und Diversity Education werden Politiken gefasst, die sich gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Behindertenfeindlichkeit richten. Angelehnt an den affirmative action acts in den USA wird die Kritik an gesellschaftlichen Normierungen und diskriminierenden Ausgrenzungen ins Zentrum des politischen Handelns gerückt. Vielfalt wird als echte Wahlfreiheit verstanden und deshalb positiv abgegrenzt von normativen Vorstellungen (vgl. Schenk 2004: 218, Rosenstreich 2009). Während Krell davon ausgeht, dass Gender Mainstreaming und Diversity Management beide Gleichstellung als Querschnittsaufgabe fördern wollen (Krell 2004), argumentiert hingegen Frey, dass sowohl die theoretischen Hintergründe, als auch die Entstehungsgeschichten von Gender Mainstreaming und Managing Diversity sehr verschieden seien (Frey 2005). Gender Mainstreaming habe seine Anfänge in entwicklungspolitischen Bewegungskontexten, wohingegen die Ursprünge von Managing Diversity in amerikanischen Unternehmensphilosophien zu verorten seien (Frey 2003). Diskursiv und konzeptionell werde deshalb an unterschiedliche Kontexte und Diskussionen angeschlossen, so Frey. Die, vor allem durch Susanne Schunter-Kleemann vorgenommene, Gleichsetzung der Herkunft und der Argumentationslogik von Gender Mainstreaming und Managing Diversity weist Frey aus diesem Grund scharf zurück und verortet Gender Mainstreaming eindeutig in sozialen Bewegungen (Frey/Kuhl 2004, Frey 2005). Döge wiederum sieht in Gender Mainstreaming einen Beitrag zu Managing Diversity und problematisiert, dass im deutschsprachigen Raum Diversity oft als neoliberales Managementkonzept rezipiert und verkürzt dargestellt werde. Diversity sei das Ziel von Chancengleichheit, die er als „Gleichwertigkeit von Differenz“ (Döge 2002: 15) verstanden sehen will. Bestätigt sieht sich Döge in seinem Verständnis durch den Europäischen Rat, der das Ziel von Gender Mainstreaming als „non-hierarchical diversity“ beschreibt: „Gender mainstreaming (...) leaves room for non-hierarchical diversity in general, be it in terms of sex, race, class or a combination of factors” (Council of Europe 1998). Döge plädiert dafür, dass Geschlechterpolitik einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Diversity-Konzepten leisten kann, wenn nicht nur Frauen im Vergleich zu Männern, sondern gleichzeitig in ihren unterschiedlichen Lebenslagen analysiert werden. Das bedeutet für Döge, Gender-Trainings mit Diversity-Elementen anzureichern, Gender-Analysen zu Diversity-Analysen zu machen, Gender-Kompetenz mit interkultureller Kompetenz zu verknüpfen, also kurz: Gender Mainstreaming zum Wegbereiter von Managing Diversity zu machen, denn um Gleichheit herzustellen, brauche es eine Gleichwertigkeit für eine Vielfalt unterschiedlicher Tätigkeiten (vgl. Döge 2002: 16).
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Wie Iris Koall und Verena Bruchhagen zeigen, implizieren Gender Mainstreaming und Diversity Management, je nachdem welches Verständnis von Vielfalt zu Grunde gelegt wird, sehr unterschiedliche Konzepte, deren politischer Gestus mitunter stark differieren kann. Gender Mainstreaming gehe dabei eher mit der Sichtbarmachung von geschlechterbezogenen Wirkmechanismen in Organisationen einher (vgl. Koall/Bruchhagen 2002). Nach Krell sind auf der Konzeptebene zwei Lesarten von Diversity zu unterscheiden, die entweder stärker auf Unterschiede oder auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten rekurrieren: Entweder wird „Vielfalt als Unterschiede“ gedacht oder Diversity bedeutet, „Vielfalt als Unterschiede und Gemeinsamkeiten“ (Krell 2008: 65) anzusehen. Vielfalt als Unterschied, betone die Unterschiede zwischen Individuen, aber auch zwischen Gruppen von Menschen, denen „verallgemeinernd Identitäten, Eigenschaften und Verhaltensweisen usw. zugeschrieben werden“ (ebd.). Die zweite Variante von Vielfalt nimmt Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Blick und betont, dass jedes Individuum immer mehreren Gruppen gleichzeitig angehört. Die zugrunde liegenden Verständnisse von Vielfalt implizieren unterschiedliche Umsetzungspraktiken. In Krells Lesart haben Gender Mainstreaming und Managing Diversity als Strategien insofern einige Gemeinsamkeiten, als sie beide als präventive und integrative Strategien zur Chancengleichheit operieren, die sowohl prozess- als auch ergebnisorientiert ausgerichtet sind.64 Programmatisch meint dies, Benachteiligung kann bei konsequenter Umsetzung abgebaut werden, und Gleichstellung ist nicht als Zusatz- oder Spezialthema, sondern als systematischer Bestandteil von Arbeits- und Entscheidungsprozessen anzusehen. Außerdem werden von beiden Strategien sowohl systematische organisationsbezogene Veränderungen angestrebt, die Gleichstellung ermöglichen, als auch Qualitätsgewinne bei fachlichen Problemlösungen anvisiert, die die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen erhöhen (vgl. Krell 2004: 372f.).
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Der Begriff Chancengleichheit hat unterschiedlich weit reichende Bedeutungsdimensionen: „Formale Chancengleichheit“ meint, Frauen und Männern die gleichen Ausgangsbedingungen und Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen zu ermöglichen, „substantielle Chancengleichheit“ erfordert gleiche Erfolgschancen für alle, impliziert also eine Ziel- und Ergebnisorientierung (O’Neill 1993). Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu deutschen Quotenregelungen, z.B. des Landes Nordrhein-Westfalen, zeigen, dass das Gericht von substanzieller Chancengleichheit ausgeht. Nach dem so genannten „Marschall-Urteil“ greift ein rein formales Verständnis von Chancengleichheit zu kurz. Auch die Europäische Kommission versteht Chancengleichheit in einem substanziellen Sinn (ebd.).
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Die Marginalisierung von Frauenförder- und Gleichstellungspolitik als konstitutives Außen Die Einführung von Gender Mainstreaming wurde mit der Wirkungslosigkeit bisheriger Frauenförder- und Gleichstellungspolitik diskursiviert. Oft geht dieser Behauptung jedoch keine differenzierte Analyse der Gründe voraus, sondern es wird der Eindruck erweckt, dass eine „klassische Frauenförderung“ veraltet und überholt ist. So wird in tabellarischen Gegenüberstellungen die Frauenförderung als „spezielle Maßnahme zum Ausgleich geschlechtsspezifischer Ungleichheiten“ (Wanzek 2005: 71) der Strategie Gender Mainstreaming als „integrativer Chancengleichheitspolitik“ diametral gegenübergestellt.65 Diese polarisierte Gegenüberstellung findet sich auch auf den Seiten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Gender Mainstreaming.66 Hier liest sich die Charakterisierung von Frauenpolitik z.B. so, dass die Zuständigkeit für Gleichstellung in „speziellen organisatorischen Einheiten“ verortet ist – gemeint sind Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte –, dass die Maßnahmen sich auf eine „konkrete Situation“ beziehen, „in der die Benachteiligung von Frauen unmittelbar zum Vorschein kommt“, dass zwar „rasch und zielorientiert“ gehandelt werden kann, aber die Maßnahme sich „jedoch auf spezifische Problemstellungen beschränkt“. Hierzu wird Gender Mainstreaming als Gegensatz konstruiert: Die Zuständigkeit läge jetzt bei „allen an einer Entscheidung beteiligten Personen“, die Maßnahmen setzten bei „allen politischen Entscheidungen“ an und der Mainstreaming-Ansatz sei „grundlegender und breiter“, weil eine „nachhaltige“ Veränderung bei „allen Akteuren und Akteurinnen und bei allen politischen Prozessen“ anvisiert sei. Diese Entgegensetzung soll Gender Mainstreaming als eine Doppelstrategie profilieren: Durch die gleichzeitigen Strategien der Frauenförderung und des Gender Mainstreaming soll ein gemeinsames Oberziel gesichert werden: „Spezielle Maßnahmen zum Ausgleich geschlechtsspezifischer Unterschiede und Gender Mainstreaming sind zwei unterschiedliche Strategien mit der gleichen politischen Zielrichtung – Erreichung geschlechterdemokratischer Verhältnisse“ (Wanzek 2005: 69, Hervorh. i. Orig.). Durch die Diskursivierung des Neuen am Gender Mainstreaming wurde eine starke Abgrenzung von bisheriger Gleichstellungspolitik vollzogen. Dies 65
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Siehe z.B. Ute Wrangells Gegenüberstellung, die dem gleichen Gestus der Gegensätzlichkeit entspricht (vgl. Wrangell 2003: 54). Auch Bergmann und Pimminger arbeiten eine Gegenüberstellung heraus – allerdings um Frauenförderung und Gender Mainstreaming als „sich ergänzende Strategien“ (Bergmann/Pimminger 2004: 21) zu definieren. Alle folgenden Zitate stammen aus einer Tabelle von der Gender Mainstreaming-Seite des BMFSFJ (www.gender-mainstreaming.net, letzter Zugriff: 15.04.10).
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hat eine missverständliche Lesart befördert, die alles, was gleichstellungspolitisch vor Gender Mainstreaming war, als veraltet erscheinen lässt. Die dualistische Argumentation eines Innovationsdiskurses lässt das Sich-Bedingende und Ergänzende sowie die bisherigen konkreten Instrumente und Maßnahmen wenig sichtbar werden. Der „Effekt dieser rhetorischen Hegemonie“ (Wetterer 2002: 130) ist eine Verkürzung von Frauenförderung sowie von gleichstellungspolitischen Zielen und Strategien. Frauenförderung wird zum konstitutiven Außen von Gender Mainstreaming, indem sie als veraltete Abgrenzungsfolie für die neue Strategie der Europäischen Union funktionalisiert wird (vgl. Kotlenga/ Smykalla 2001). Die Geschichte und das Anliegen bisheriger Frauenförder- und Gleichstellungspolitik gestalten sich jedoch wesentlich differenzierter, als es anhand oben genannter Darstellungen glaubhaft gemacht wird. Dass bestimmte frauenpolitische Ansätze bei individuellen Defiziten von Frauen ansetzten, wird bereits seit Langem als unzulängliche Fokussierung auf ‚frauenspezifische’ Benachteiligungen innerhalb der Gleichstellungspolitik problematisiert. Erstens, weil kritisiert wurde, dass der Begriff der Frauenförderung intendiere, es ginge um die Defizite aufseiten der Frauen, womit Individuen statt strukturelle Benachteiligungsmechanismen als Ansatzpunkt für politisches Handeln gewählt wurden. Zweitens, weil es bei Gleichstellungspolitik nicht nur um Frauen geht, sondern immer um Geschlechterverhältnisse, die hierarchische Strukturzusammenhänge konstituieren. Drittens, weil im Zuge feministischer Diskussionen um die Dekonstruktion von Geschlecht immer unklarer wurde, was das ‚Spezifische’ an der Benachteiligung von Frauen ‚an sich’, also als einheitlicher Gruppe ‚Frauen’, überhaupt sein kann. Aus diesem Grunde hat auch die Auseinandersetzung zu Übergängen von der Frauen- zur Geschlechterforschung eine Verschiebung von der Frauenförderpolitik zur Gleichstellungspolitik erfahren, die mehr beinhaltet als lediglich eine begriffliche Umbenennung. Gleichstellungspolitik begreift das Geschlechterverhältnis als soziales Ungleichheitsverhältnis und nimmt damit vor allem Mechanismen der Herstellung von Geschlechterdiskriminierung innerhalb von Organisationsstrukturen statt zwischen Individuen in den Blick. Dabei war auch der Begriff ‚Gleichstellung’ nicht unstrittig. Gleichstellung wurde von einigen dahingehend ausgelegt, dass Frauen lediglich in bestehende Strukturen einzugliedern und damit dem Status von Männern anzugleichen wären. Die Mehrheit gleichstellungspolitischer Akteurinnen versteht allerdings bis heute unter Gleichstellung einen Prozess des Abbaus von struktureller Benachteiligung und damit Gleichstellungspolitik als „Strukturpolitik“ (Wetterer 2005). Wetterer kommt deshalb in ihrer kritischen Analyse, ob Gender Mainstreaming lediglich eine „rhetorische Modernisierung“ oder einen „Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik“ (Wetterer 2003b: 24) darstelle, zu dem Schluss, dass von einer Umorientierung in der Gleichstel-
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lungspolitik wenig zu sehen sei. Sie attestiert Gender Mainstreaming lediglich eine Erneuerung des Vokabulars, während die inhaltliche Ebene außer moderner klingenden Anglizismen die Positionen bisheriger Gleichstellungspolitik als Strukturpolitik nicht weiter verfolge. Statt nach Benachteiligungen durch soziale Strukturzusammenhänge zu suchen, befürchtet sie, dass die Umsetzung von Gender Mainstreaming zu einer „Vereigenschaftung der Differenz“ (Wetterer 2003b: 19) führt, weil empirisch vorfindbare Unterschiede zwischen Frauen und Männern als Ausdruck einer individuellen Verschiedenheit gedeutet würden. Damit verortet Wetterer Gender Mainstreaming konträr zu derzeitigen Forderungen in der Geschlechterforschung nach einer Dekonstruktion von Geschlecht: „Gender Mainstreaming und De-Gendering – unterschiedlichere Ansatzpunkte, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, lassen sich kaum vorstellen“ (Wetterer/Saupe 2004: 4).
Die Vereinnahmung von Gleichstellungspolitik Eine andere Kritik bezieht sich auf die Implementierungslogik, die mit dem Mainstreaming von gender eingeführt wird. Kritisiert wird, basierend auf bisherigen Erfahrungen mit Frauenpolitik und feministischer Projektarbeit, zunächst die hohe Selbstverpflichtung, die der Mainstreaming-Ansatz bei den Entscheidungsträger_innen voraussetzt. Der „Aufschrei der Begeisterung seitens frauenpolitisch engagierter Frauen“ (Pinl 2002: 3) scheint nach der Einführung von Gender Mainstreaming u.a. deshalb auszubleiben, weil sich die Implementierung als Top-down-Prinzip über die Europäische Union und die Bundesregierung vollzieht: Gender Mainstreaming werde eher „als ein Geschenk von oben“ (ebd.) denn als eine selbstständig erkämpfte Errungenschaft wahrgenommen, so Pinl. So wird in dieser Lesart der scheinbar „unaufhaltsame Aufstieg“ von Gender Mainstreaming, der Ende der 1990er Jahre „scheinbar aus dem Nichts“ (Wetterer 2002: 132) entstand, als „Sturzgeburt eines Begriffes“ (Mustroph 2000) tituliert. Der Begriff wird als „schwammig und redundant zugleich“ (Krondorfer 2007: 5) abgelehnt. Wie Thürmer-Rohr ausführt, wurde der Begriff Mainstream im deutschsprachigen Kontext z.B. vom Deutschen Frauenrat als „Fahrrinne in der Flussmitte“ und als „gesellschaftliche Mitte“ (Thürmer-Rohr 2001b: 35), in die Frauen durch Mainstreaming einsteigen und hineingeholt werden sollen, interpretiert. Diese Bewegung beinhalte jedoch die Gefahr einer Vereinnahmung von Frauen sowie von Inhalten der Frauenbewegung und -politik durch gesellschaftliche Normen. Mainstream galt bisher als ein „feministisches Schimpfwort“ und als „alternative Abgrenzungsvokabel“, weil darin begrifflich eine erneute Betonung und Abwertung der abweichenden
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Position von Frauen „am Rande der Gesellschaft“ vorausgesetzt wird (ThürmerRohr 2001b: 35). Aus dieser Sicht beinhaltet die Konzentration auf den Mainstream lediglich die Absicht, Gleichstellung in bestehende Politiken zu integrieren, statt diese zu transformieren. Dabei degeneriere „der Gerechtigkeitsgedanke kurzerhand zur Attraktivität des Mainstreams. (...) Die Norm wird zum Maßstab des Wünschbaren und Gelungenen. (...) Mit dieser Art ‚mainstreaming’ geht jedes intervenierende, entwerfende, auch jedes ‚verkehrte’, d.h. umkehrende Denken verloren“ (Thürmer-Rohr 2001a: 3). In dieser Kritik äußert sich die Befürchtung der Vereinnahmung gleichstellungspolitischer Kompetenz und feministischen Wissens durch Mainstream-Akteure. Dies erinnert an die Kritik vonseiten der autonomen Frauenbewegung zu Beginn der Institutionalisierung von Gleichstellungspolitik, die ein Spannungsverhältnis zwischen Machtkritik und Anpassung deutlich werden ließ. Thürmer-Rohr prognostiziert Gender Mainstreaming jedenfalls keine lange Zukunft, sondern meint, es könne „allenfalls ein pragmatischer Weg sein, eine vorübergehende Strategie, eine Provokation und bewusste Verkehrung, nicht aber ein politisches Prinzip, keine Leitlinie, an der sich politisches Denken grundlegend und dauerhaft orientieren könnte“ (Thürmer-Rohr 2001: 37). Die entgegengesetzte Sorge, nämlich dass Gender Mainstreaming zu einem ‚Sidestream’ werde, greift Barbara Stiegler in ihrer viel zitierten Metapher des geflochtenen Haarzopfes auf: Gleichstellung soll nicht als Extra-Schleife am Ende des Zopfes baumeln, sondern ein eingeflochtener Strang des Zopfes selbst sein (vgl. Stiegler 2004a: 7). Damit profiliert Stiegler eine integrale Perspektive auf Gender Mainstreaming. Allerdings bleibt das Bild insofern unbefriedigend, als es zwar gelingt, eine inkludierende Perspektive, aber kein transformatives Potenzial von Gender Mainstreaming bildlich vorstellbar zu machen, da Gender Mainstreaming weiterhin als ein einzelner Strang visualisiert wird. 67 Ein explizit positiver Bezug auf Mainstreaming argumentiert damit, dass Gender Mainstreaming ein Ergebnis internationalen, frauenpolitischen Engagements und feministischer Forderungen von Frauen aus der ganzen Welt sei. Bei der Gleichsetzung von Gender Mainstreaming mit einer Strategie der Europäischen Union werden die bewegungspolitischen Wurzeln von Gender Mainstreaming verkannt oder ignoriert (vgl. Frey 2003, 2004, 2005). Verortet man die Anfänge von Gender Mainstreaming jedoch im entwicklungspolitischen Kontext, gilt Mainstreaming als frauenpolitisch motiviert (vgl. Callenius 2002). Ähnlich wie oben für die bundesdeutsche Gleichstellungspolitik beschrieben, hat in der Entwicklungspolitik eine Umorientierung bei den politischen Strategien stattgefunden: Die ersten Ansätze des Empowerment bezogen sich auf die 67
Ein transformatives Moment in diesem Bild wäre es wohl eher, die Trennung einzelner Stränge an sich zu hinterfragen und neue Frisuren jenseits des Zopf-Looks anzuregen.
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Sichtbarmachung von Frauen als Akteurinnen in Entwicklungsprozessen (Women in Development, WID), und in einem zweiten Schritt wurde die Teilhabe von Frauen an Entwicklungsprozessen eingefordert, die sie zu gleichrangigen Akteurinnen macht. Mit dem Gender Mainstreaming-Ansatz wurde die Forderung, spezielle Situationen von Frauen zu berücksichtigen, auf die Berücksichtigung der Kategorie gender in den Projekten und Institutionen der Entwicklungshilfe ausgeweitet (vgl. Frey 2005: 25f.). Die Erfahrungen mit dem WIDAnsatz haben gezeigt, dass die „Konzeptualisierung der gesellschaftlichen Situation von Frauen als Frauenfragen und Frauenprobleme die Gesellschaft im allgemeinen und die Männer im Besondern aus ihrer Verantwortung entlasse“ (von Braunmühl 2002: 17). Über die mehr als dreißigjährige Auseinandersetzung mit Mainstreaming-Ansätzen in der Entwicklungspolitik haben sich frauenpolitische Forderungen in internationalen Zusammenhängen fortentwickelt und transformiert. Die dritte Weltfrauenkonferenz in Nairobi und vor allem die vierte in Peking sind wichtige Stationen dieser Diskussionen und Entwicklungen gewesen, aus denen die Strategie Gender Mainstreaming hervorgegangen ist. Durch eine konzeptionell starke Vereinfachung reproduziert die Umsetzung von Gender Mainstreaming jedoch grundlegende Probleme, die bereits in der Entwicklungszusammenarbeit deutlich wurden. Carolin Callenius problematisiert einen weltweit konstruierten Dualismus von Mann und Frau, eine Reduktion auf den sozioökonomischen Bereich, eine Ausblendung des Verhältnisses zum Körper und zu sexueller Unterdrückung sowie eine Reduktion bezüglich anderer Strukturkategorien. Vonseiten der Nichtregierungsorganisationen wurde deshalb im Jahr 2001 die Forderung nach der Anerkennung von Mehrfachdiskriminierungen als „interlinkage“ (Callenius 2002: 71) geäußert. Wie Katharina Pühl zudem kritisch einwendet, sind die Kontexte, in denen Gender Mainstreaming als soziale Bewegung in den Ländern des globalen Südens entstanden ist, andere als in westeuropäischen Staaten, weil die existentiell bedrohten Lebensbedingungen von Frauen des globalen Südens dazu motiviert haben, Gender Mainstreaming „als Strategie eines Machtkampfes“ (Pühl 2003: 63) anzuwenden. Da es strategische Interessen der Durchsetzung und damit unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Akteurskonstellationen gibt, muss unterschieden werden, in welchem Funktionszusammenhang Gender Mainstreaming in westeuropäischen Staaten eingesetzt wird: als Leitbild in Organisationen, als Instrument zur Festlegung von Standards in der Evaluation von Personalpolitik oder als betriebsinterne Strategie der Personalbewirtschaftung. Diese Widersprüche sind in einen größeren gesellschaftspolitischen Rahmen einzubetten, d.h., in die „historisch spezifischen Geschlechterordnungen in ihrer bürgerlich-kapitalistischen Form“ (Pühl 2003: 64).
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2 Horizont der Differenz
Die Wahrnehmung der Einführung von Gender Mainstreaming ‚von oben’ ist als ein Zeichen für den stark nationalen Bezug der bundesdeutschen Frauenbewegung und Gleichstellungspolitik zu werten. Innerhalb der deutschsprachigen Auseinandersetzung fehlen europäische und internationale Perspektiven meist völlig. Internationale bewegungspolitische Diskussionen, wie jene auf den internationalen Weltfrauenkonferenzen, finden nur wenig Beachtung und werden selten in gleichstellungspolitisches Handeln vor Ort integriert. Diese Situation ändert sich insofern mit der Einführung von Gender Mainstreaming, als hier oft europäische Vergleiche gezogen und diskutiert werden und stärker als bisher ein Austausch unter Expert_innen auf europäischer Ebene über Strategien und Praxisbeispiele stattfindet. Vor diesem Hintergrund wird der Implementierung von Gender Mainstreaming in Deutschland eine Geschichtsarmut attestiert (vgl. Frey 2005). Gender Mainstreaming werde als Top-Down-Strategie angepriesen und auf eine beschäftigungspolitische Strategie reduziert. Durch die Ausblendung der bewegungspolitischen Wurzeln erfährt Gender Mainstreaming eine Ökonomisierung und verkommt zu einer „privatwirtschaftlichen Optimierungsstrategie“ (Bereswill 2005: 55). Dagegen wird argumentiert, dass im Qualitätsmanagement das Prinzip des Top-down um das des Bottom-up ergänzt wird. So häufen sich deshalb im Gender Mainstreaming-Diskurs die Stimmen, die behaupten, ohne basisdemokratische und bewegungspolitische Unterstützung sei Gender Mainstreaming nicht durchsetzbar (vgl. Pinl 2002).
Das Verhältnis von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik In den letzten Jahren hat sich ein gleichstellungspolitischer Diskurs in der Geschlechterforschung weiterentwickelt, der die Potenziale und Grenzen von Gender Mainstreaming problematisiert. Relevant ist dabei, in welchem Verhältnis Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung innerhalb des TheoriePraxis-Verhältnisses gesehen werden (vgl. Smykalla 2000c). Die drei Verhältnisbestimmungen im Diskurs um Gender Mainstreaming lassen sich wie folgt charakterisieren:
die Ungleichzeitigkeit und Ungleichartigkeit von Theorie und Praxis, die spannungsreichen Wechselbeziehungen von Theorie und Praxis, Praxis als Antwort auf Theorie.
Die Annahme der Ungleichzeitigkeit und Ungleichartigkeit von Theorie und Praxis beschreibt Gender Mainstreaming und Gender Studies als völlig verschieden. So konstatierte Wetterer 2005 in einer Bestandsaufnahme des gleich-
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
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stellungspolitischen Handlungsfeldes, Gender Mainstreaming spiele in kritischer feministischer Wissenschaft kaum eine Rolle. Da Gender Mainstreaming mittlerweile „deckungsgleich“ mit Gleichstellungspolitik sei, handele es sich um „separate Diskurse“, was in Frauen- und Geschlechterforschungskreisen unter „feminist politics“ und im Kontext von Gender Mainstreaming verhandelt werde. Nach Wetterer und Saupe agieren Gender-Expert_innen und feministische Theoretiker_innen in zwei „getrennten diskursiven Arenen, die zwei inhaltlich völlig unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen“ (Wetterer/Saupe 2004: 5). Ursache dafür sei die immer größer werdende Trennung von politischer Praxis und Geschlechterforschung, wodurch sich die praxisorientierten Gender-Expert_innen immer mehr von kritischen Sozialwissenschaftler_innen wegbewegten. Durch die Institutionalisierung und Professionalisierung von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik befinden sich beide in Netzwerken und Diskussionszusammenhängen, „zwischen denen es kaum Überschneidungen gibt, wo Grenzgängerinnen die Ausnahme geworden sind und je unterschiedliche Begriffe repräsentieren und signalisieren, worum es geht und was auf der Agenda steht: Gender Mainstreaming oder Feministische Politik“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Auch das Geschlechterwissen habe sich folglich in zwei verschiedenen Spielarten verfestigt: Gender-Expert_innen sprächen von gender gaps zwischen ‚den Frauen’ und ‚den Männern’ und reaktivierten somit zweigeschlechtliche Deutungsmuster, während feministische Theoretiker_innen eben diese Dichotomien kritisieren und dekonstruieren würden, so Wetterers Kritik (vgl. Wetterer 2005). Diese Lesart der zwei unterschiedlichen diskursiven Arenen und Netzwerke von Praktiker_inen und Wissenschaftler_innen aufgreifend, folgen ähnliche Verhältnisbestimmungen von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik (Plöger/Riegraf 2008, Riegraf 2008). Und auch Holland-Cunz beschreibt das aktuelle Verhältnis als „unsystematisches, unbewusstes, unreflektiertes, unentschiedenes Nebeneinander“ von Wissenschaft und Politik (Holland-Cunz 2003: 15). Ebenso sieht Elisabeth Glücks zwei Ebenen der Debatte: Während die Aufgabe von Gender Mainstreaming in der Geschlechterdifferenzierung liege, z.B. durch geschlechterdifferenzierende Statistiken, werde in aktuellen Diskussionen um die Dekonstruktion von Geschlecht gerade die Unmöglichkeit einer eindeutigen dualen Zuordnung betont (vgl. Glücks 2002). Problematisch an der These der Ungleichzeitigkeit und Ungleichartigkeit von Geschlechtertheorien und gleichstellungspolitischer Praxis ist zum einen die polarisierte Gegenüberstellung einer progressiven, radikalen feministischen Theoriebildung und einer reformistischen Praxis, die diesen Vorsprung nie einholen kann. Mit solcherart universalistischen Konstruktionen des TheoriePraxis-Verhältnisses werden Homogenisierungen dominant, die sowohl das Po-
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2 Horizont der Differenz
tenzial von gleichstellungspolitischem Handeln verkürzen, als auch geschlechtertheoretische Kritik verherrlichen. Zum anderen wird mit einer Gegenüberstellung von Wissenschaft und Politik nicht nur eine theorielose Politik konstruiert, sondern implizit auch eine unpolitische Wissenschaft.68 Die andere Lesart, dass Theorie und Praxis in spannungsreichen Wechselbeziehungen stehen, nimmt an, Gender Mainstreaming und Gender Studies haben ein gemeinsames übergeordnetes Ziel, verfolgen dies jedoch auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Funktionen. So geht Nina Degele davon aus, dass Gender Mainstreaming und die Gender Studies beide programmatisch auf die Entnaturalisierung von Geschlecht zielen (vgl. Degele 2003). Die Gemeinsamkeit sei, dass sowohl politischen Strategien als auch feministischen Diskursen die Suche nach der Bestimmung des Verhältnisses von Differenz und sozialer Ungleichheit im Geschlechterverhältnis zugrunde liege. Beide sähen soziale Ungleichheitsverhältnisse als veränderbar und nicht als natürlich gegeben an und versuchten der Re-Ontologisierung von sex zu entkommen (vgl. ebd.: 8). Bei der Frage, mit welchen Mitteln sie dies tun, argumentiert Degele, dass Gender Mainstreaming und Gender Studies auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Strategien operieren. Der Politik gehe es um das „Durchsetzen“ und der Wissenschaft um das „Durchblicken“ (ebd.). Politische Strategien, Instrumente und Methoden würden auf Empowerment und Machtgewinn zielen, wohingegen wissenschaftliche Analyse auf Reflexion, Wahrheitsfindung und Verunsicherung ausgerichtet seien. Gender Mainstreaming und Gender Studies könnten jedoch zusammenwirken und sich wechselseitig verstärken, blieben dabei aber immer in einem Spannungsverhältnis – was auch gut sei, so Degeles Resümee. In dieser Lesart, die Theorie und Praxis in spannungsreichen Wechselbeziehungen sieht, wird eine Ungleichartigkeit von Theorie und Praxis bei einer Gleichwertigkeit in der Zielsetzung angenommen. Damit wird ein Spannungsverhältnis benannt, das nicht aufgelöst, sondern für das gemeinsame Ziel produktiv gemacht werden soll. Durch die Perspektive der Wechselbeziehungen werden Verbindungen zwischen theoretischen Diskursen und politischen Praxen ermöglicht, aber wie diese sich gegenseitig durchdringen können, bleibt unausgeführt. Die Lesart, Gender Mainstreaming sei eine Antwort auf dekonstruktivistische Theoriebildung, betont den Versuch, Praxis als Antwort auf Theorie zu sehen. Heidrun Hoppe geht somit davon aus, Gender Mainstreaming habe sich im Wesentlichen in Bezugnahme auf die konstruktivistischen und dekonstruktivistischen Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung entwickelt (vgl. 68
Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Managementforschung von Barbara Sieben, die in Anlehnung an Ludwig Wittgenstein Wissenschaft und Praxis als unterschiedliche „Sprachspiele“ analysiert (Sieben 2007).
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
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Hoppe 2000: 19), während sich die bisherige Frauenförder- und Gleichstellungspolitik auf differenztheoretische Konzepte stütze. Auch Dorit Meyer sieht als Grundlage des Gender Mainstreaming die Überlegung, dass in Gesellschaften, die auf dem System einer polarisierten Zweigeschlechtlichkeit gründen, alle politischen Handlungsfelder einem geschlechterbezogenen Klassifikationssystem unterliegen. Die Strategie des Mainstreaming sei als entscheidende Konsequenz aus der feministischen Diskussion um Dekonstruktion entstanden und ziele auf identitätskritisches, politisches Handeln (vgl. Meyer 2001). Meyer und von Ginsheim sehen deshalb in der Strategie des Gender Mainstreaming eine bis dahin nicht existierende Chance, eine dekonstruktivistische Perspektive wirkungsvoll in die politische Praxis einzubringen und eine Macht- und Herrschaftskritik zu formulieren. Durch Gender Mainstreaming würden Konzepte entwickelt, die „zwar die Identitätskategorien zitieren, weil keine anderen zur Verfügung stehen, die aber die Identitätskategorien nicht als fixierte, essentialistische Größen einsetzen“ (Meyer 2001: 31). Gender Mainstreaming unterscheide sich von Formen institutionalisierter Identitätspolitik, weil der Blick auf die Geschlechter und ihre Lebenslagen kontextualisiert werde, indem eine vorgängige Differenzperspektive abgelehnt werde. In ihrem Verständnis von Gender Mainstreaming wird die Bestimmung geschlechterbezogener Differenzen „in einem umgekehrten Vorgang differenziert ermittelt“: So wird zunächst ein allgemeiner Blick auf die politischen Handlungsfelder geworfen, danach werden vorhandene geschlechterbezogene Differenzen analysiert und daran anschließend mögliche Diskriminierungen thematisiert. Dies ist ein Vorgang, der Identitätskategorien nicht mehr als konsistente und stabile Größen fixiert (Meyer 2001: 31).
Gender Mainstreaming eröffne die Möglichkeit, eine Politik jenseits festgeschriebener, essentialistischer Kategorisierungen von Geschlecht zu entwerfen. Damit würden Strategien und Maßnahmen bisheriger Gleichstellungspolitik nicht überflüssig, aber grundlegend erweitert (ebd.). In dieser Lesart wird ein theoriegeleiteter Umgang in der Praxis unterstellt und Gender Mainstreaming als Umsetzung dekonstruktivistischer Theorien interpretiert.
2.2.3 Horizont von Gleichstellungspolitik Gender Mainstreaming firmiert als ein diskursiver Aushandlungsraum, der von geschlechtertheoretischen und -politischen Kontroversen durchzogen ist. Zum einen problematisieren kritische Einsprüche die politischen Konzeptionalisierungen von gender und zum anderen kritisieren sie die verkürzten Umset-
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zungspraxen der Mainstreaming-Strategie. Eine zentrale Konfliktlinie markiert eine Grenze zwischen Integration und Transformation: Wird durch Gender Mainstreaming Gleichstellungspolitik ‚vom Mainstream’ vereinnahmt oder gelingt es gerade durch Gender Mainstreaming, tatsächliche Gleichstellung innerhalb von Organisationen weiter zu befördern? Die Implementierung der Strategie Gender Mainstreaming bewegt sich also wieder – und immer noch – innerhalb des Spannungsverhältnisses von Separation oder Integration, das seit Beginn des Institutionalisierungsprozesses von Frauenbewegung und Gleichstellungspolitik für kritische Auseinandersetzungen im Feminismus sorgt. Nun scheint die Frage virulent, ob der Mainstream feministisch wird oder der Feminismus im Mainstream untergeht. So fragt Pühl, ob Gender Mainstreaming als „Befreiung“ oder als „flexible Anpassung“ (Pühl 2003: 67) an neue Anforderungen des neoliberalen Kapitalismus gelte. Die Frage bleibt also: „Was kann und soll mit Gender Mainstreaming erreicht werden“ (Madörin 2003: 38)? So befördert Gender Mainstreaming mal stärker die Integration von Gleichstellung in Organisationsabläufe mal das gleichstellungspolitische Agenda-Setting oder die Transformation von Geschlechter- bzw. Machtverhältnissen. Wer das „Privileg der Definition“ (Czollek 2003: 59) hat, schreibt Bedeutungen, oder Kritik den Diskurs um Gender Mainstreaming ein und gestaltet diesen mit. Da die Implementierung von Gender Mainstreaming in Deutschland auf spezifische, historisch gewachsene Strukturen der Frauenförder- und Gleichstellungspolitik trifft, ist ein entscheidendes Charakteristikum die Diskursivierung der gleichstellungspolitischen Bedeutung von Gender Mainstreaming als neue und andere Strategie. Deshalb ist die erste Phase der Implementierung vor allem durch die Wissensvermittlung geprägt und hat eine dominante Lesart von Gender Mainstreaming als Innovation profiliert. Diese Lesart ist vor allem – wie ich anhand des Handlungsfeldes der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung zeigen werde – durch neue Akteurskonstellationen und Wissensformationen bedingt, die das Politikfeld Gleichstellung verändert haben. Waren es vormals vor allem die Gleichstellungsbeauftragten, die fundierte Kenntnisse über gleichstellungspolitische Theorie und Praxis vermitteln konnten, so sind es zunehmend Gender-Expert_innen und Mainstream-Akteur_innen, die diese Rolle übernehmen. Einhergehend damit, dass Gender-Aspekte zu einem Qualitätsmerkmal in Verwaltungsreformen und Organisationsentwicklungsprozessen werden, entstehen neue Konkurrenzverhältnisse um Reputation und Anerkennung. Gender wird damit zur produktiven Ressource von Organisationsphilosophien und damit zunehmend zur Profilierung instrumentalisiert: „Was sich nicht rechnet, wird nicht verfolgt“ (Pühl 2003: 67).69 69
Dies zeigen z.B. Erfahrungen an Hochschulen im Rahmen wettbewerbsorientierter Antragstellungen wie der Exzellenzinitiative oder in gleichstellungspolitischen Programmen (Pro-
2.2 Gleichstellungspolitik zwischen Mainstreaming und Separation
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Gender Mainstreaming ist jedoch vom zugrunde liegenden Prinzip nicht so neu, wie dies der anfängliche Implementierungsdiskurs glauben machen wollte. Die Strategie ist vielmehr eine konsequent erweiterte Spielart von Gleichstellungspolitik, die strukturelle Diskriminierungen abzubauen versucht. Auch die Kritik an androzentrischen und hegemonial männlich dominierten Strukturen und Organisationskulturen sowie der Gedanke von Gleichstellung als Querschnittsaufgabe sind nicht neu. Eine Bestärkung des strukturkritischen Ansatzes ist Gender Mainstreaming insofern, als Gleichstellungspolitik stärker organisationsorientiert umgesetzt und die Verantwortung explizit top-down angesiedelt wird. Über bisherige Gleichstellungspolitik geht Gender Mainstreaming dort hinaus, wo Handlungsroutinen systematisch gleichstellungsorientiert und diskriminierungsfrei gestaltet werden sollen, wie z.B. in der Mittelvergabe und im Haushaltsaufstellungsverfahren (Gender Budgeting) oder im Management (Gleichstellungscontrolling) und der Projektplanung (Gender-Planning). Ein Effekt dieser Verschiebungen und Erweiterungen ist, dass der ökonomische Nutzen und eine Modernisierungslogik neben Gerechtigkeitsargumenten stärker in den Mittelpunkt rücken. Erneuert werden sollte m. E. in aktueller Gleichstellungspolitik die Kritik an Normierungsprozessen, wie z.B. Heteronormativität, Eurozentrismus, Rassismus, die die Herstellungsprozesse hegemonialer Geschlechterordnungen durchkreuzen, indem machtvolle Ausgrenzungen durch Verwobenheit mit anderen sozialen Ausgrenzungsverhältnissen infrage gestellt werden. Gender Mainstreaming stellt oft eine Operationalisierung der sex-gender-Trennung dar; wie jedoch eine dekonstruktive Durchsetzung von Gleichstellung aussähe, bleibt unterbelichtet bzw. ist kaum erprobt. Wie bisherige gleichstellungspolitische Erfahrungen zeigen, lässt sich Gender Mainstreaming nicht von oben verordnen, funktioniert allerdings aber auch nicht auf freiwilliger Basis. Gleichstellungspolitik bleibt ein politischer Aushandlungsprozess, der sich nur Schritt für Schritt entwickelt und auch nur dann langfristige Veränderungen nach sich zieht, wenn ein notwendiges Konfliktpotenzial nicht gescheut, sondern offensiv damit gearbeitet wird. Gender Mainstreaming ist deshalb weder enthusiastisch als Hoffnungsträger noch pessimistisch als Untergang ‚der Frauenfrage’ zu werten, sondern als eine offene, dynamische Strategie, die notwendigerweise dem Paradox instifessorinnen-Programm des BMBF, forschungsorientierte Gleichstellungsstandards der DFG): Gender- und Diversity-Aspekte werden zum Qualitätsmerkmal von Forschung und Lehre, Gleichstellung zum Leitbild der Hochschule. Wie ein Blick hinter die Kulissen zeigt, den mir meine Arbeit als gleichstellungspolitische Beraterin ermöglicht, hat dies neben dem Gewinn an Sichtbarkeit aber auch den gegenteiligen Effekt, dass die Erfolge jahrelanger gleichstellungspolitischer Bemühungen (in der Regel der Gleichstellungsbeauftragten) von der Fakultäts- oder Hochschulleitung vereinnahmt und gleichstellungspolitische Expertinnen ausgegrenzt sowie deren Expertise unterwandert werden.
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2 Horizont der Differenz
tutioneller Gleichstellungspolitik verhaftet bleibt, aber deshalb nicht handlungsunfähig machen muss.70
2.3 Beyond gender? Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation 2.3 Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation Beyond gender steht im Englischen als Verhältnisbegriff sowohl für ein zeitliches ‚nach’ oder ‚jenseits’, ein räumliches ‚hinter’ als auch für ein ‚über hinaus’. Das Jenseits dient oft als visionäre Projektionsfläche für das ganz Andere. Die Vision einer Welt jenseits von geschlechtlichen Zuschreibungen entlang biologischer Körper beschrieb Gayle Rubin bereits im Jahr 1975 in The traffic in women (Rubin 1975) mit den Worten: „The dream I find most compelling is one of an androgynous and genderless (though not sexless) society, in which one’s sexual anatomy is irrelevant to who one is, what one does, and with whom one makes love” (Rubin 1975: 204). Bis heute ist eine „Welt ohne Gender“ (Lorber 2004), wie Lorber es ausdrückt, ein Ziel feministischer Theorien und politischer Praktiken. Mit der Frage nach beyond gender wird im Folgenden jedoch weniger die Bedeutung eines Jenseits fokussiert, weil dies die Möglichkeit einer Positionierung außerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse suggeriert, sondern es wird vielmehr die Gleichzeitigkeit von einem Ende und etwas Neuem begrifflich gefasst. Gedanklich voraussetzungsvoll und reizvoll erscheint mir die Infragestellung von gender ohne die gänzliche Verabschiedung von gender – und damit dessen Umdeutung und Neukonstitution durch gender selbst. Dieses Kapitel untersucht deshalb geschlechtertheoretische Diskurse um die Bedeutung der Kategorisierung von gender. Ein umkämpfter Ort feministischer Theoriebildung bleibt dabei die epistemologische (Neu-)Bestimmung des Verhältnisses von Macht und Differenz bzw. von Herrschaft und sozialer Ungleichheit. Mit diesem Kapitel werden inhärente differenz- und machttheoretische Begründungsformen der Kategorie Geschlecht sichtbar gemacht sowie deren Konsequenzen für eine politische Praxis aufgezeigt. Kontroversen um den „Bedeutungsverlust“ und die „Entnennung“ (Knapp 2001a) der Kategorie Geschlecht werden kritisch analysiert, um anschließend der Frage auf eine andere Weise nachzugehen und die Lesart von gender als „Kontrapunkt“ (Brown 2003) vorzustellen. Damit rücken auch jene Praktiken in den Blick, die sich mit Prozessen des Dekonstruierens befassen, wie z.B. Konzepte des Degendering von Lorber oder des undoing 70
Zur gleichstellungspolitischen Herausforderung, Stereotype zu hinterfragen und abzubauen, ohne sie neu zu konstruieren siehe z.B. Baer/Smykalla/Hildebrandt (2009).
2.3 Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation
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gender von Butler. Das Kapitel schließt mit einer resümierenden Darstellung, dem Horizont von gender. 2.3.1 Bedeutungsverlust versus Entnennung der Kategorie Geschlecht Schon seit mehreren Jahren beschäftigt die deutschsprachige Geschlechterforschung die Frage nach der „Steigerung und Auflösung von Geschlechterdimorphismen“ (Pasero 1994: 267). Nach der, in den 1990er Jahren durch Butlers Gender trouble (1991) ausgelösten, Kontroverse um den angeblichen Tod des feministischen ‚Wir Frauen’ bilden sich deutlich zwei prominente Deutungsperspektiven heraus. Sie versuchen, die Konstruktion der Kategorie Geschlecht und die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse entweder mit Blick auf gesellschaftliche Kontinuitäten und Manifestationen oder mit Blick auf sozialen Wandel zu fassen und zu bewerten. Während lange Zeit vorrangig die Perspektive der sozialen Ungleichheit die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung prägte, ist die Bezugnahme auf ungleichheitserzeugende Gesellschaftsstrukturen und auf Klasse als zentralen Kategorisierungsmodus inzwischen um weitere Kategorisierungen ergänzt worden.71 Neben der Geschlechterdifferenz rücken Differenzen zwischen Frauen, klassenspezifische oder ethnische Differenzen sowie sexuelle Identitäten in den Blick, da die westliche, bürgerliche, weiße, heterosexuelle Mittelschichtsfrau als Referenzpunkt zur Ausblendung von Differenzen zwischen Frauen führt, genauso wie zur Ausgrenzung von Frauen, die mit dieser Norm nicht übereinstimmen (vgl. Maihofer 1997). Besonders durch die Forschungsperspektive der Dekonstruktion und der Intersektionalität erfährt die Frage nach Gleichheit und Differenz und dem Nachdenken über die Theoretisierung des Zusammenhangs verschiedener Ausgrenzungsverhältnisse eine neue Aktualität. Der Fokus richtet sich damit darauf, welche Kategorisierungen wie gesellschaftlich ausgrenzend wirken und deshalb innerhalb in den Gender Studies kritisch zu untersuchen sind. Problematisch ist allerdings, dass oft die Frage nach einer unterschiedlichen Relevanz von Kategorien – und damit nach einer irgendwie gearteten Gewichtung von Geschlecht im Verhältnis zu anderen Ausgrenzungsverhältnissen wie race, Klasse, sexuelle Identität, Alter,
71
Frühe Arbeiten der Geschlechterforschung, die sich auf Theorien sozialer Ungleichheit beziehen, haben gezeigt, dass Geschlecht eine gesellschaftliche Strukturkategorie ist und ihr eine gesellschaftliche Ordnungsfunktion zukommt (Gottschall 2000). Diese Perspektive auf die strukturelle Bedeutung, lenkte den Blick auf die „Geschlechterordnung“ und die Wirkmechanismen von Geschlecht in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das „Geschlechterverhältnis“ galt als überindividuelles, gesellschaftliches und strukturelles Verhältnis (Beer 1990). Die Geschichte der Thematisierung verschiedener Ungleichheiten zeichnet Walgenbach für den deutschsprachigen Diskurs der Geschlechterforschung nach (Walgenbach 2007).
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2 Horizont der Differenz
Behinderung oder Religion und Weltanschauung dabei in den Vordergrund tritt (vgl. Walgenbach 2007). Mit dem von Becker-Schmidt attestierten „master status“ (Becker-Schmidt 1998: 108) wird die Annahme vertreten, dass Geschlecht nicht nur eine Strukturkategorie, sondern das zentrale konstituierende Moment gesellschaftlicher Strukturen darstellt. Diese Lesart ist allerdings nicht unumstritten und nicht als selbstverständlich voraussetzbar. Innerhalb der Geschlechterforschung ist also eine Kontroverse um die „feministische Zentralkategorie“ (Becker-Schmidt 2000: 143) virulent. Die Positionen zur Relevanz der Kategorie Geschlecht konkurrieren je nach zugrunde gelegten Konstitutionsbedingungen von Geschlecht und sozialen Ungleichheitsverhältnissen bzw. gesellschaftlichen Differenzierungs- und Normierungsprozessen. Einerseits gilt Geschlecht weiterhin als strukturwirksamste gesellschaftliche Kategorie im Sinne eines „sozialen Platzanweisers“ (Brückner 2004: 25). Der Kategorisierung von Geschlecht als ungleichheitserzeugendem Faktor wird eine fundamentalere gesellschaftliche Wirkmächtigkeit zugesprochen als anderen Ausgrenzungsverhältnissen. Begründet wird dies vor allem mit der Interdependenz der Kategorien Geschlecht mit Klasse, da diese das gewichtigste gesellschaftliche Ordnungsmuster darstellten: „Für eine historische Rekonstruktion der normativen hiesigen Organisationsstruktur sind die ‚soziale Frage’ und Klasse eine wesentlichere Größe bzw. ‚zentraler’ als Ethnizität, Hautfarbe und sexuelle Orientierung“ (Knapp 2001a: 45). Andererseits finden sich neben dieser Betonung des Fortbestehens sozialer Ungleichheit im Geschlechterverhältnis vermehrt Forschungsperspektiven, die statt einer kontinuierlichen Reproduktion sozialer Ungleichheit ein Verschwinden der Kategorie Geschlecht konstatieren. So fragt beispielsweise Hirschauer: „Welche Relevanz hat das Geschlecht als Kategorie sozialer Ordnung“ (Hirschauer 2001: 208)? Bei der Frage nach der Relevanz von Geschlecht für die gesellschaftliche Ordnung wird innerhalb der Geschlechterforschung also sowohl Beharrungs- als auch Flexibilisierungstendenzen nachgegangen. Geschlechtertheoretische Diagnosen vom Bedeutungsverlust oder der Entnennung von Geschlecht gehen dabei von unterschiedlichen sozialdiagnostischen und epistemologischen Annahmen aus, bewerten dessen Konsequenzen unterschiedlich und entfalten daher unterschiedliche Entwicklungsszenarien für die Geschlechterkonstitution.72 Die Position der sozialen Ungleichheit betont die Reifizierung von Geschlechterasymmetrien durch hierarchische Gesellschaftsordnungen und vertritt die These der 72
Obwohl die beiden Diskurspositionen auf Konstitutionslogiken verweisen, die praktisch und historisch in einem Vermittlungszusammenhang stehen, erscheint es für die analytische Ebene sinnvoll zu trennen, ob die Geschlechterkonstitution eher in sozialdiagnostischer oder in epistemologischer Dimension thematisiert wird (Knapp 2001: 21f.).
2.3 Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation
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Ungleichzeitigkeit und Gegenläufigkeit von gesellschaftspolitischen und diskursiven Entwicklungen. Problematisiert wird die Reproduktion ungleicher Verhältnisse trotz pluralisierter Diskurse. Es wird zwar eingeräumt, dass diskursive Veränderungen wie die Flexibilisierung und Dezentrierung der Kategorie Geschlecht stattfinden, aber dessen Bedeutung im Kontext von sozialer Ungleichheit bleibe bestehen, so die zentrale These (Knapp 2001, 2003; Becker-Schmidt /Knapp 2000). Damit wird das Verschwinden von Geschlechterfragen als deren Entnennung kritisiert. Während Theorien sozialer Ungleichheit an ungleich bewerteten Lebenslagen von gesellschaftlichen Gruppen ansetzen, beziehen sich Modernisierungstheorien auf Prozesse „funktionaler Differenzierung“ (Degele 2004: 373) und damit auf die Ebene von ungleichartigen System- und Rollendifferenzierungen. Die geschlechtertheoretische Position der Dethematisierung von Geschlecht fußt auf der These einer doppelten Pluralisierung. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Geschlechterverhältnisse in sozialdiagnostischer Dimension flexibilisieren und sich gleichzeitig in epistemologischer Dimension Diskurse um Geschlecht pluralisieren. Diese Position geht von einer Koexistenz von sozialem Wandel und der Flexibilisierung klassischer Ungleichheitsmuster aus (vgl. Gottschall 2000; Heintz/Nadai 1998; Heintz 2001; Pasero 1994, 1995; Degele 2004). Damit wird der Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht als positive Errungenschaft von Pluralisierung hervorgehoben. Auch die Analyse moderner Gesellschaften innerhalb sozialwissenschaftlicher Forschung erfolgt derzeit vor allem in zwei makrosoziologischen Forschungsrichtungen, den Ungleichheits- und den Differenzierungstheorien. Während Ungleichheitstheorien soziale Ungleichheit als wirtschaftliche Ungleichheit analysieren, dabei jedoch die Einbettung in „das Arrangement der differenzierten Institutionen“ (Schwinn 2004: 10) nicht unberücksichtigt lassen können, sind Untersuchungen zu Differenzierungsmustern in Institutionen abhängig von sozialstrukturellen Verhältnissen. Die Ausgangspunkte der beiden Theorien sind verschieden: „Die Differenzierungstheorie geht von einer Ungleichartigkeit der Ordnungen oder Teilsysteme aus, die Ungleichheitsanalyse dagegen von einer Ungleichwertigkeit von sozialen Lagen“ (Schwinn 2004: 15, Hervorh. i. Orig.). Im Folgenden werden zunächst die zwei Diskurspositionen des Bedeutungsverlustes und der Entnennung der Kategorie Geschlecht genauer beleuchtet, um zu zeigen, welche Deutungen sich mit den Ansätzen verbinden und welche Konsequenzen die Diagnosen eines Verlustes oder eines Verschwindens für die Konstitution von Geschlecht haben.
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2 Horizont der Differenz
Zum Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht Zumeist dominieren Individualisierungs- und Modernisierungstheorien im Anschluss an Ulrich Becks Risikogesellschaft (1986) die These vom Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht. Vor allem systemtheoretische Forschungsrichtungen gehen der Auflösung von sozialer Ungleichheit als Differenzierungsprozess nach. Bettina Heintz konstatiert für die heutige Zeit eine Unordnung in der Geschlechterordnung in dem Sinne, dass „[w]eder im Erscheinungsbild der Geschlechter noch in ihren Einstellungen, ihrem Verhalten und ihrer sozialen Positionierung (...) trennscharfe Grenzen auszumachen“ (Heintz 2001: 9) sind. Während demnach in einigen Bereichen Geschlecht nicht mehr als relevantes Unterscheidungskriterium gelten kann (wie in der Selbstdefinition „als Mensch“, aber auch beim Bildungsgrad und im Recht), besteht wiederum in anderen Bereichen (dem Einkommen, der Verteilung von Hausarbeit, der sexualisierten Gewalt) die Geschlechterungleichheit nahezu unverändert fort (vgl. Heintz 2001: 9). Heintz geht davon aus, dass sich durch Individualisierungstendenzen der Gesellschaft die Lebensformen pluralisiert haben. Ohne der Individualisierungsthese von Beck im Einzelnen zu folgen, sprechen Heintz und Nadai von einem „De-Institutionalisierungsprozess“ (Heintz/Nadai 1998) von Geschlecht und verweisen damit auf eine Verschiebung des Verhältnisses von Institutionen und Reproduktionsmechanismen von Geschlecht. Diese Verschiebung muss nicht zwangsläufig zu einem Bedeutungsverlust der Geschlechterdifferenz führen, sondern zeigt, dass die Geschlechterungleichheit zunehmend von kontextspezifischen Bedingungen abhängt und entsprechend instabil ist (vgl. Heintz 2001: 15f.). Trotz noch existenter struktureller Ungleichheit lässt sich auf der sozialstrukturellen Ebene ein Wandel der Geschlechterverhältnisse beobachten. Das Phänomen der Pluralisierung, Flexibilisierung und Individualisierung beeinflusst nicht nur soziale Lebensformen, sondern bestimmt auch den wissenschaftlichen, feministischen Diskurs über die Heterogenität von Frauen innerhalb der Gruppe ‚Frauen’. Der Bedeutungsverlust durch sozialen Wandel und die nachholende Individualisierung von Frauen wird positiv honoriert, weil die zwanghafte Zuschreibung von Geschlechterrollen weniger relevant ist und dies dem Ziel der Aufhebung von Geschlecht als Ordnungskategorie näher kommt (Gottschall 2000, Degele 2004). Ähnlich argumentiert Pasero, die auf der Basis sozialer Wandlungsprozesse eine „Dethematisierung“ (Pasero 1994: 265) feststellt. Dethematisierung meint jedoch nicht, dass Geschlecht irrelevant wird, sondern dass durch die Flexibilisierung von geschlechterstereotypen Zuschreibungen traditionelle „weibliche Statuspassagen: Mädchen, Jungfrau, Gattin, Mutter, Witwe“ aufgelöst werden:
2.3 Geschlechterdifferenz zwischen Verschwinden und Manifestation
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Die Kausalkette der traditionellen weiblichen Statuspassagen ist längst unterbrochen und damit auch das lebenslange Modell einer substantiellen Weiblichkeit: Frauen werden nicht mehr sanktioniert, wenn sie kinderlos bleiben, nicht-eheliche Gemeinschaften eingehen, alleine leben oder sogar das Konzept heterosexueller Partnerschaft ablegen (Pasero 1994: 277).73
Das Verblassen der rigiden Zweiteilung der Geschlechter führe zwar nicht zu einer Wirkungslosigkeit der Unterscheidung zwischen Frauen und Männern und verhindere auch nicht Diskriminierung, aber indem alte Differenzierungsformen in den Hintergrund rücken, wirke die Geschlechterdifferenz statt als primäre nur noch als sekundäre Differenzierung (vgl. ebd.). Die Dethematisierung von Geschlecht bezieht Pasero auf einen sozialdiagnostischen Diskurs, der in der Vervielfältigung von Lebensformen eine tendenzielle Auflösung der Relevanz von Geschlechterzuschreibungen sieht. Die zeitgeschichtlichen Entwicklungen werden insofern positiv gewertet, als sie durch ein Mehr an „disponibler Zeit“ und „Ressourcen“ zunehmende „Lebens- und Kontingenzerfahrungen“ (Pasero 1994: 286) für Frauen eröffnen.74 So holen Frauen in Bereichen der Erwerbsarbeit durch wachsende Möglichkeiten in Ausbildung und Bildung sowie in alternativen Lebensformen den Individualisierungsschub in die Moderne „auf ihre Weise“ (ebd. 287) nach. Durch die Flexibilisierung von Ungleichheitsstrukturen wird die Vorrangstellung von Geschlecht gegenüber anderen ungleichheitskonstituierenden Mechanismen angezweifelt. Mit der Relativierung der Bedeutung von Geschlecht rückt die Strukturierung sozialer Ungleichheit als Klassifikationsprozess stärker in den Blick – und damit werden nicht nur seine Folgen, sondern die Klassifikation selbst zum Gegenstand des Interesses (vgl. Degele 2004: 380f.).
Die Entnennung der Kategorie Geschlecht Obwohl von Vertreterinnen eines ungleichheitstheoretischen Ansatzes nicht geleugnet wird, dass es Wandlungsprozesse im Geschlechterverhältnis gibt, werden diese jedoch eher als Oberflächenphänomene gewertet. Als ‚Gegendiskurs’ steht damit der positiv bewerteten Zeitdiagnose des Bedeutungsverlustes die Kritik der Entnennung der Strukturkategorie Geschlecht gegenüber (Knapp 2001b). Basierend auf der Einschätzung, dass Geschlecht in seiner Relevanz als 73
74
Die Formulierung des „sogar“ in dieser Aufzählung verweist auf eine unreflektierte Reproduktion heteronormativer Deutungsmuster auch unter Gender-Theoretikerinnen. Unter Kontingenzerfahrungen versteht Pasero im Rückgriff auf den doppelten Kontingenzbegriff bei Luhmann: „Erfahrenes im Hinblick darauf, dass auch andere Erfahrungen zu gleicher Zeit möglich sind“ (Pasero 1994: 286).
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2 Horizont der Differenz
strukturbildende Ordnungskategorie keineswegs an Bedeutung verloren habe, wird vielmehr das Verschwinden von Geschlecht aus einer ungleichheitstheoretischen Perspektive kritisiert. Dieses Verschwinden wird in drei Dimensionen beschrieben, die näher erläutert werden sollen:
die Leugnung des Zusammenhangs von Gesellschafts- und Geschlechterverhältnissen, die Dekontextualisierung von gender durch die Verschiebung der sexgender-Trennung innerhalb neuerer feministischer Debatten um die Entplausibilisierung der Natur-Kultur-Trennung einerseits und durch den Transfer von gender als Konzept aus dem US-amerikanischen Diskurs andererseits, die Thematisierung soziokultureller Unterschiede unter Frauen durch „Achsen der Differenz“ (Knapp 2001a: 19f.).
Knapp rekonstruiert den Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht als eine Debatte, „die nicht auf einzelne Ansätze zurückführbar ist, sondern die sich – wie bei der stillen Post – in schleichenden Sinnveränderungen, Aufmerksamkeitsverschiebungen und Neuausrichtungen der Botschaft“ (Knapp 2001b: 54) auswirkt. Als Hintergrund ihrer Argumentation dienen ihr zunächst einige Zitate feministischer Wissenschaftlerinnen, die ihrer Ansicht nach von der „Krise des Begriffs und dem „Ende der Geschlechterdifferenz“ (Butler 1997) ausgehen: Der Begriff gender sei „veraltet“ (Scott 2001), das gesellschaftliche Klima müsse als eine „entsicherte Situation“ (Wobbe/Lindemann 1994: 8) und als „Umbruch und Krise“ (Annuß 1996) beschrieben werden, das von Dezentralisierung gekennzeichnet sei. Knapp konstruiert mit diesen Zitationen als Ausgangspunkt ihrer Argumentation ein Szenario des Endes, um daraufhin der Frage nachgehen zu können, was an sein Ende gekommen ist. Eine Zeitdiagnose von Knapp und von Wetterer beschreibt die Vergesellschaftung von Frauen bis heute als ein modernes Phänomen mit „widersprüchlichen Gleichzeitigkeiten von Integration und Ausgrenzung, Partizipation und Segregation, Differenzierung und Hierarchisierung, Anerkennung und Diskriminierung“ (Wetterer/Knapp 2001: 9). Durch eine Praxis des Entnennens von Geschlecht als Strukturkategorie werde die Abhängigkeit der gesellschaftlichkulturellen Lebensverhältnisse von Geschlechterverhältnissen geleugnet. Die Entnennung funktioniere über einen doppelten Ausgrenzungsmechanismus, der Geschlechterfragen zunächst auf Frauenfragen reduziere und zudem entlang der Grenze von Privatheit und Öffentlichkeit dem Privaten zuordne. So werde die Geschlechterdiskriminierung gesellschaftlich ausgegrenzt und damit irrelevant und unsichtbar gemacht. Die Praxis der Entnennung deutet Wetterer als „Ver-
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schwinden der Ungleichheit aus dem zeitgenössischen Differenzwissen“ (Wetterer 2003a). Die Dekontextualisierung von gender finde des Weiteren durch eine Entnennung innerhalb der Geschlechterforschung statt. Durch die Übertragung des Gender-Konzepts und -Begriffs aus dem US-amerikanischen in den deutschsprachigen Diskurs entstünden diskursive Bedeutungsverschiebungen, denn die Relevanz des Gender-Begriffs in der US-amerikanischen feministischen Diskussion war immer schon eine Relation von sex und gender: „Die einfache Übersetzung von Gender in Geschlecht entnennt diesen Konnex, weil im deutschen der enge terminologische Zusammenhang, den die sex-gender-Unterscheidung aufruft, nicht in gleicher Weise gegeben ist“ (Knapp 2001a: 37). Die diskurspolitische Positionierung von gender sei hier eine ganz andere, weil der Begriff in der deutschsprachigen Frauen- und Geschlechterforschung nie derart gesellschaftstheoretisch konnotiert gewesen sei wie die, durch den marxistischen Feminismus geprägten, Begriffe der „Strukturkategorie Geschlecht“ oder „Geschlechterverhältnis“ (Knapp 2001: 36). Ähnlich argumentiert Rosi Braidotti, wenn diese die Auseinandersetzung um gender als eine aus dem US-amerikanischen Kontext „entkontextualisierte“ bezeichnete, da die Krise des Begriffs gender mit der starken Konnotation durch die englische Sprache zusammen hänge. Problematisch sei die Neutralität des gender-Begriffs insofern, als sie die hierarchische Positionierung der Geschlechter verdecke. Aus diesem Grunde sei auch eine politische Praxis des Gender-Begriffs kritisch zu sehen, da sie den radikalen Impetus feministischer Kritik unsichtbar mache (vgl. Braidotti 1994). Die Theoretisierung soziokultureller Unterschiede unter Frauen, die Knapp unter „Achsen der Differenz“ (Knapp 2001) fasst, verschiebt die Aufmerksamkeit hin zu einer soziokulturellen Heterogenität der Gruppe Frauen. Nach Knapp werde im akademischen feministischen Diskurs im Zuge einer „explosionsartig angestiegenen“ (Knapp 2001a: 39) Debatte um Differenz die Heterogenität der Genus-Gruppe vor allem in postkolonialen Theorien und identitätskritischen Debatten verhandelt. Problematisiert wird von ihr an diesen Analysen der Diversität von Frauen die Konsequenz der Bindestrich-Differenzen. Der Differenzbegriff verleite zu kulturalistischen, homogenisierenden Kurzschlüssen, da der Diskurs eher epistemologisch, identitätstheoretisch, politisch-normativ als ungleichheitssoziologisch und gesellschaftstheoretisch geführt werde. Es gehe um die Subjektkonstitution statt um herrschaftsförmige Gesellschaftsstrukturen (vgl. Knapp 2001: 40f.). Mit dieser pauschalisierenden Kritik wertet Knapp allerdings nicht nur einen ganzen Strang postkolonialer Forschung ab, sondern wiederholt auch deren Ausgrenzung innerhalb der Gender Studies. So kritisiert Encarnación Gutiérrez-Rodríguez zu Recht die Rezeptionssperre von postkolonialen Theorien und die Marginalisierung Schwarzer Frauen in der Wissenschaft. Die
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Nicht-Wahrnehmung der postkolonialen Kritik habe zur Folge, dass Worte zwar Eingang gefunden hätten, aber Schwarzen Frauen die Universität verschlossen bleibe.75
2.3.2 Gender als Kontrapunkt, Degendering und undoing gender 15 Jahre nach dem Erscheinen von Gender Trouble (Butler 1991) in Deutschland hat sich die Kontroverse um die Bedeutung von Dekonstruktion zwar entemotionalisiert und ausdifferenziert, aber die erkenntnistheoretischen Fragen nach dem Zusammenhang der Konstitution von Subjekt, Geschlecht, Sexualität und Macht sind in der Geschlechterforschung weiterhin virulent. Ungelöst und umstritten ist weiterhin die Frage der Differenz. Dekonstruktive Überlegungen zum Degendering und undoing gender setzen weder bei einem Bedeutungsverlust an, noch teilen sie die These von der Entnennung der Kategorie Geschlecht. Vielmehr wird die Gleichzeitigkeit von Instabilität und Beharrungsvermögen als Möglichkeit der Dekategorisierung aufgegriffen. Wie sich damit Bezugsgrößen für das Verständnis von gender verschieben, wird im Folgenden anhand von Wendy Brown’s Verständnis vom Kontrapunkt sowie Judith Lorbers Vision des Degendering und an Butlers Lesarten von undoing gender verdeutlicht. Für den feministischen US-amerikanischen Diskurs benennt Brown zwei Orte feministischer Gedanken, die sich in der Gleichzeitigkeit von schonungsloser Macht und radikaler Instabilität von gender artikulieren: „the persistence versus the beyond of sex & gender“ (Brown 2003). Brown will also die Frage nach Ungleichheit und Differenz anders stellen und geht damit noch grundlegender an die Sache heran: Wenn die (Selbst-)Dekonstruktion von gender und das Fortbestehen von Gender-Konstruktionen gleichzeitig gedacht werden, was ist dann die Konstitutionslogik („the nature“) dieser Gleichzeitigkeit? Übliche Denkmodelle, die zwei oder mehr Wahrheiten erklären sollen, sind so konstruiert, dass ein Pol dem anderen unterworfen wird: Dialektik, Paradoxie, Widerspruch, Pluralismus, Integration, Ironie. Nach Brown ermöglicht jedoch keines dieser Modelle einen Rahmen, in dem verschiedene Wahrheiten sich jeweils bereichern. Entlehnt aus der Kunst, insbesondere der Musik, schlägt sie deshalb eine andere Art vor, die Dinge zusammenzuhalten: den „Kontrapunkt“ (Brown 2003). Der Kontrapunkt steht für eine provisorische Methode zum Zusammenhalten der inhärenten Bewegung von gender und der Machterhaltung männlicher Dominanzregime. Subversion ist nur radikal, wenn 75
Zur postkolonialen Kritik aus den Critical Race Studies und der Kritischen Weißseinsforschung siehe auch Eggers et al. (2005), Castro Varela/Dhawan (2005), Tißberger et al. (2006).
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klar wird, dass es eine Subversion ist, die nicht erfolgreich sein soll. Die Gleichzeitigkeit von Macht und Stabilität von gender produziert zwei sich gegenseitig ausschließende Wahrheiten im Feminismus: Einerseits gibt es kein starres sex oder gender, andererseits sind Frauen oft nicht in der Lage, den Normen der Geschlechterverhältnisse und der sexuellen Normen zu entfliehen. Wie können wir mit dieser doppelten Wahrheit umgehen, die in ihrer Operationalisierung noch nicht mal paradox erscheint? Wie ist es möglich, jeder von ihnen zu erlauben, einen produktiven Platz in der theoretischen und politischen Arbeit einzunehmen? Ähnlich wie Brown stellt auch Butler die Frage umgekehrt: „What does gender want“ (Butler 2004: 2)? Sie lenkt damit den Blick auf die Normierungspraxis, die gender im Namen von gender erst Bedeutung verleiht. „To speak in this way may seem strange, but it becomes less so when we realize that the social norms that constitute our existence carry less desires that do not originate with our individual personhood“ (Butler 2004: 2). Lorber vertritt dezidiert die These, dass Degendering das „oberste feministische Ziel“ sein solle, denn Degendering ziele auf einen Prozess der „Entgeschlechtlichung“ (Lorber 2004: 10). Sie proklamiert die „Rebellion gegen Gender als soziale Institution“ und die „Rebellion gegen die Einteilung aller Menschen in ‚Frauen’ und ‚Männer’ und gegen alles, was auf dieser Einteilung aufbaut – vergeschlechtlichte Arbeitswelten und Familien, vergeschlechtlichte politische Macht und Kultur“ (Lorber 2004: 9). In den anvisierten Gegenbewegungen tritt Lorbers Verständnis von gender hervor: Gender stellt ein System dar, das Arbeit, Familie und andere zentrale Bereiche der Gesellschaft organisiert. Es ist gleichzeitig „individueller Status, relationaler Faktor, organisierender Prozess, systemimmanente Institution“ (ebd.). Alle Ebenen hängen zusammen und wirken top-down: Wenn Geschlecht ein Teil der sozialen Ordnung ist, wird es auch zum zentralen sozialen Status für jedes Individuum. Gender ist ein Machtsystem, das Privilegierungen und Benachteiligungen hervorbringt und das von Beherrschenden ebenso wie von Beherrschten konstruiert wird. Gender fungiert als gesellschaftliches Ordnungsprinzip, dem die Möglichkeit der Veränderung inhärent ist, weil Vergeschlechtlichung als ein permanenter Prozess funktioniert, in dem Unterschiede durch vergeschlechtlichte soziale Ordnung produziert, manifestiert und mit Organisations-, Beziehungs- und individueller Ebene rückgekoppelt werden (vgl. Lorber 2004: 12f.). Degendering zielt auf die Abschaffung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern mit dem Ziel, dass gender bei der Zuweisung von gesellschaftlichen Positionen irrelevant ist. „Das Wichtigste am Degendering ist, dass die formalen bürokratischen Kategorien und die formalen Strukturen von Organisationen so wenig wie Arbeitsplätze, Haushalte und Kinderversorgung auf Einteilungen nach dem Geschlecht aufbauen dürfen“ (Lorber 2004: 18). Für ein Degendering
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muss anerkannt werden, dass quer durch die Gruppe von Frauen und Männern andere soziale Statusformen laufen und es zu Überschneidungen im Verhalten und in den Einstellungen der Frauen und Männer kommt. Außerdem ist Degendering als Methode in einem Kontinuum von Ansätzen, bei denen gender als Forschungsperspektive und als -gegenstand relevant wird, zu sehen. Lorber unterscheidet vier feministische Strategien, wobei Degendering das Oberziel bleibt (vgl. Lorber 2004: 10f.):
Gender Visibility wirkt Geschlechtsneutralität durch Sichtbarmachung von Vergeschlechtlichungsweisen entgegen, Gender Balance oder Gender Parity beseitigt die Unterrepräsentanz von Frauen in Politik und in gesellschaftlichen Machtpositionen und ermöglicht Männern den Eintritt in Frauenarbeitsbereiche. Durch die Betonung der Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern werden homogene Gruppen zum Ausgangspunkt der Herstellung einer quantitativen Gleichheit (50-50) zwischen den Geschlechtern, Gender Diversity bezieht sich nicht auf homogene Geschlechtergruppen, sondern auf kulturelle, religiöse, sexuelle, ethnische, soziale Unterschiede, die quer zu den Geschlechterkategorien verlaufen, Gender Freedom meint ein Leben gegen Geschlechternormen und Erwartungen, das eine Vielfalt von Geschlechterdarstellungen ermöglicht.
Degendering heißt nicht, gender zu ignorieren, sondern sich mit Geschlechterungleichheit auseinanderzusetzen und bewusst nicht mitzumachen: „Man muss bei Gender ansetzen, um Gender zu demontieren“ (Lorber 2004: 19). Es geht also um die Frage, wie gender in einer Weise gebraucht werden kann, die zur Überwindung einer ungerechten Gesellschafts- und Geschlechterordnung beiträgt. Als politische Ziele von Degendering gelten die Beseitigung der Geschlechterdifferenzierung in Arbeitswelt und Familie und das Streben nach Vielfalt innerhalb der Geschlechterregime. Realisiert wird dies in Lorbers Vorstellung in einer multidimensionalen Politik in Koalitionen mit unterschiedlichen Frauen und Männern und in der Entwicklung von Vorstellungen für eine Gesellschaftsordnung ohne Einteilungen nach Geschlecht – die Vision einer „Welt ohne Gender“ (Lorber 2004: 18f.). Auf die praktische Bedeutung des undoing gender für eine kritisch reflektierende gender-orientierte Bildung und Beratung machen auch die Autor_innen des Gender-Manifests aufmerksam.76 76
To undo hat drei Bedeutungen im Englischen, die sich in dieser Lesart des undoing gender widerspiegeln; es bedeutet öffnen, zunichte machen und rückgängig machen.
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Wie der nähere Blick auf die Bedeutungsebenen des englischen Verbs to undo enthüllt, geht es beim undoing um Prozesse des Lösens von Gebundenem und der Öffnung von Verschlossenem einerseits sowie um den Aspekt der Aufhebung bestehender Wirkungen andererseits. Undoing Gender in diesem Sinne löst die Knoten, Bindungen und Verstrickungen der bipolaren hierarchischen Geschlechterordnung, öffnet die straffe Schnürung des oben skizzierten Genderkorsetts und hebt langfristig die noch fortbestehenden Wirkungen der Geschlechterhierarchisierungen auf – dies alles zugunsten einer individuell gestaltbaren gleichwertigen und gleichberechtigten Geschlechtervielfalt und einer partnerschaftlichen und solidarischen Neuaushandlung der Geschlechterverhältnisse (Frey et al. 2006: 4).
Auch Queering kann eine Form von Degendering werden, wenn die Kategorie der Sexualität als konstitutives Moment der Gender-Konstruktion anerkannt wird. Queering interpretiert Lorber als die „Verunklarung“ (Lorber 2004: 15) von biologischem Geschlecht, sexuellem Begehren und Gender-Darstellungen. Oder, wie Claudia Breger es ausdrückt, beschreibt Queering die Problematisierung der Eindeutigkeit durch Verstörung und durch Ermöglichung von etwas „ganz Anderem“ (Breger 1999: 73). Queering als Strategie der Infragestellung heteronormativer Selbstverständlichkeiten geht davon aus, dass Sexualitäten vielfältige Erscheinungsformen haben, wie z.B. radikale Gender-Bender oder Queers, die die Subversion der binären sex-gender-Kategorisierung mit dem Ziel der Transgression betreiben. So werde durch Queering die Performativität sichtbar, von der die Geschlechterordnung abhängt. Im Queering liege zwar ein Potenzial zur Transgression von gender, es werde aber zumeist nicht bis zu diesem Ziel vorangetrieben, weil z.B. Cross-Dressing lediglich mit der Übertreibung herkömmlicher Geschlechter spiele, so Lorbers Kritik. Erst die Politisierung der Intersexualität in ihrer subversiven Wirkung wäre Lorber zufolge ein erfolgreicheres Degendering. Transgendering wäre revolutionär, wenn es sich mit dem Transzendieren der binären Geschlechterkategorien beschäftigen würde (vgl. Lorber 2004: 16f.). Die Idee des undoing gender stellt eine andere Form der Infragestellung von Geschlechternormen dar. Begrifflich könnte das undoing zunächst vermuten lassen, es ginge – im Anschluss an das Konzept des doing gender von West/Zimmerman – um das Rückgängigmachen von Herstellungsweisen von Geschlechterkonstruktionen auf der Interaktionsebene. Im deutschsprachigen Diskurs wird jedoch – meines Erachtens missverständlich – undoing gender mit einer „Neutralisierung der Geschlechterdifferenz“ gleichsetzt (Knapp in Babka 2003: 3). So begreift beispielsweise Wetterer bereits 1999 undoing gender als eine Strategie des Unsichtbar-Machens. Sie kommt etwa bezogen auf das Unsichtbarmachen des „falschen Geschlechts“ von Frauen in Männerberufen zu dem Schluss, dass dies erst zu einer De-Institutionalisierung der Differenz
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führen würde, wenn es absichtslos erfolgen könnte. Als Kritik formuliert Wetterer deshalb, dass auch das undoing gender auf das zweigeschlechtliche System bezogen bleibe und dieses reproduziere, da sich interaktives undoing gender und Geschlechterkonstruktionen über die Berufskonstruktion ja gerade nicht ausschließen. Sie schlägt stattdessen ein not doing gender vor (vgl. Wetterer 1999: 247). Eine durchgängige Berücksichtigung der Geschlechterperspektive sei aufgrund der Kritik an der Omnipräsenz von Geschlecht nicht haltbar, so Hirschauers These. In seiner Lesart ist deshalb im Konzept des undoing gender das Geschlecht auf seine konkrete Relevantsetzung in Interaktionen, in bestimmten Kontexten und unter der Bedingung unterschiedlicher kultureller Konfigurationen sowie institutioneller Arrangements zu untersuchen (Hirschauer 1994). Auch er setzt, ähnlich wie Knapp und Wetterer, undoing mit einer Neutralisierung gleich und schlägt vor, methodisch ‚sensibilisiert’ stets zu kontrollieren, ob in der beobachteten Praxis die Geschlechterunterscheidung tatsächlich vollzogen oder zurückgewiesen wird. Theoretisch bedürfe es in dieser Konsequenz dazu eines Praxisbegriffs, der sowohl für die Relevanz, als auch für die Neutralisierung der Geschlechterdifferenz offen ist. Hirschauer untersucht im Detail, wann und wie Geschlecht in Interaktionen und Institutionen aktualisiert oder neutralisiert wird und kommt zu dem Schluss, dass im Gegensatz zu Interaktionen im institutionellen Bereich kaum eine Ambiguitätstoleranz hinsichtlich eines undoing gender erkennbar sei (Hirschauer 1994). Hirschauer – und auch Becker-Schmidt, die ihm in seinen Analysen hierher folgt – spricht diesbezüglich von einem „Ambiguitätsversagen“ und einer „kontextuellen Kontingenz“ (Becker-Schmidt 2006: 13) der Kategorie Geschlecht, weil Geschlecht in unterschiedlichen Kontexten in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Ausmaß relevant gemacht werden muss. Butlers Verständnis von undoing setzt nicht auf einer interaktiven Ebene bei einem Subjekt als Autor_in an, sondern verweist in einem grundlegenderen Sinn auf die Konstitution des Subjekts durch andere. If gender is a kind of a doing, an incessant activity performed, in part, without one’s knowing and without one’s willing, it is not for that reason automatic or mechanical. On the contrary, it is a practice of improvisation within a scene constraint. Moreover, one does not ‘do’ one’s gender alone. One is always ‘doing’ with or for another” (Butler 2004: 1, Hervorh. i. Orig.).
Das, was ein Subjekt ausmacht, kommt von außen, d.h. die selbsttätige Herstellung von Geschlecht ist eine Illusion, weil sie kein Ausdruck einer der Subjektwerdung vorgängigen Annahme sein kann. „What I call my ‘own’ gender appears perhaps at times as something that I author or, indeed own. But the terms
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that make up one’s own gender are, from the start, outside oneself, beyond oneself in a sociality that has no single author“ (ebd.). Butlers Verständnis zielt auf das Rückgängigmachen und Auflösen der Praxis einer selbstproduzierten Geschlechterkonstitution – „the experience to become undone“ (ebd.). Geschlecht ist demnach nicht das, was jemand ist oder genau das, was jemand hat, sondern „Geschlecht ist der ‚Mechanismus’, durch den Vorstellungen von maskulin und feminin geschaffen und eingebürgert werden“ (Butler 2002: 7). Geschlecht existiert in diesem Verständnis nicht mehr als Kategorie, sondern als eine Kategorisierung.77 Ein hieran anschließender analytischer Blick richtet sich strukturell auf das Dysfunktional-Werden von binären Codes. „Geschlecht existiert nicht als Vorgängiges, das dann reguliert wird, Geschlecht existiert vielmehr als Regulierung und muss daher als solche analysiert werden“ (Hark 2001a: 110). Mit undoing gender betont Butler diese Richtung des forschenden Blicks: „If I am always constituted by norms that are not of my making, then I have to understand the ways that constitution takes place“ (Butler 2004: 15). Das undoing gender im Sinne Butlers ist im Kontext ihrer Infragestellung des autonomen Subjekts zu lesen, die mittels der Figur der différance als Konstitutionsmodus artikuliert wird. Die Unterwerfung ist der Handlungsfähigkeit vorausgesetzt, und im Akt der Unterordnung wiederholt das Subjekt seine Unterwerfung: „Wie ist dann diese Unterwerfung zu denken und wie kann sie Schauplatz der Veränderung werden“ (Butler 2001: 16)? Die Annahme der Unterwerfung als Aneignung in der Wiederholung ermöglicht die Veränderung der Macht. Das Subjekt ist weder durch Macht determiniert, noch ist es selbst in der Lage, Macht zu besitzen. „Die Macht ist dem Subjekt äußerlich und sie ist zugleich der Ort des Subjekts selbst“ (Butler 2001: 20). Das Subjekt kann also keine Macht ausüben, sondern hat die Möglichkeit, Macht zu übernehmen. Dabei bleibt die übernommene Macht abhängig von den Bedingungen, die das Annehmen erst ermöglicht haben und die auch die Unterwerfung des Subjekts bedeuten. Die Veränderung und Übernahme von Macht kann Veränderung und Widerstand bedeuten, dies muss aber nicht zwangsläufig sein, denn Macht kann auch ein Fortbestehen der Macht ohne Widerstand bedeuten. Die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit bleibt damit der Ambivalenz der Subjektivation verhaftet (vgl. Butler 2001: 22). Wie ist aber dennoch in Begriffen der Wiederholung Widerstand zu denken? Nach Butler liegt die Schwierigkeit genau darin, „daß das Subjekt selbst 77
Diese Analyseperspektive weist über die Lesart von gender als Prozesskategorie hinaus, die beispielsweise Becker-Schmidt (2003) entwickelt hat, weil sie auf die Infragestellung des Prozesses der Kategorisierung selbst zielt – also auf die Bedingung der Möglichkeit von Bedeutungsherstellung durch Differenzierung.
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Schauplatz dieser Ambivalenz ist, in welcher das Subjekt sowohl als Affekt einer vorgängigen Macht wie als Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit entsteht“ (Butler 2001: 19). Das Subjekt ist der Ort der Wiederholung und zwar in einer räumlichen und zeitlichen Dimension. Denn in der permanenten Widerholung, die sich als nicht-identische, d.h. nie als immer dieselbe, vollzieht, liegt die Möglichkeit der Veränderung und Umdeutung. „Die durch die Wiederholung erzielte Verzeitlichung bahnt den Weg für die Verschiebung und Umkehr der Erscheinung der Macht“ (Butler 2001: 21). Was hieße in dieser Konsequenz ein doing beyond gender?78 Es hieße, die Omnipräsenz von Geschlecht zugunsten einer Kontextualisierung aufzugeben, die Konzentration auf homogene Gruppen von ‚Frauen’ und ‚Männern’ zu unterlassen und stattdessen bewusst gegen Engendering zu arbeiten und undoing gender zu praktizieren.
2.3.3 Horizont von gender Gender ist heute zum „Schauplatz verschiedener Interessenskonflikte geworden“ (Butler 1997: 34). Die Frage dabei ist: Wird gesellschaftstheoretisch nach den Beständigkeiten im Wandel oder nach Diskontinuitäten und Brüchen gesucht, die dem ‚sozialen Wandel’ inhärent sind – und wird dieser sogar aufgrund seiner Fragmentierung nicht mehr als Phänomen beschreibbar? Die Frage nach Beharrungs- oder Flexibilisierungstendenzen im Entweder-Oder anzulegen scheint wenig hilfreich, weil sie einer dualen Ausschließungslogik verhaftet bleibt. Meines Erachtens interessiert es also weniger, ob der Bedeutungsverlust stattfindet oder nicht, sondern vielmehr, in wessen Perspektive sich welche Bedeutung von gender verändert, verschwindet, brüchig wird oder gar endet. Es ist zu fragen, wo und in welcher Hinsicht die Kategorie Geschlecht an Relevanz und Erklärungskraft verliert. Interessant und zukunftsweisend erscheint deshalb die Frage nach der Verhältnisbestimmung von gender, also danach, inwiefern die Manifestationen oder Transformationen der Geschlechterdifferenz sich gegenseitig bedingen. Denn dies ermöglicht kontextualisierte Erkenntnisse darüber, welche Diskurse in welche politischen Praxen eingeschrieben sind und wie politische Praxen theoretische Gewissheiten verschieben. Die Geschlechterforschung kann damit analysieren, zu wessen Gunsten Geschlechterverhältnisse 78
Mit einem doing beyond gender befasst sich z.B. ein Zusammenschluss von Künstler_innen, die Strategien und Räume schaffen, um Geschlechtergrenzen, Geschlechterordnungen und normative Geschlechterzuschreibungen zu durchkreuzen und zu überschreiten. Ihre Gegenstrategien suchen neue Wege künstlerischer, kultureller sowie medialer Produktion, Repräsentation und Vermittlung (www.doingbeyondgender.net, letzter Zugriff: 30.03.10).
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sich flexibilisieren und auf wessen Kosten Geschlechternormen und diskriminierende Ausgrenzungen verfestigt werden. Sprich: die Frage der Macht kann nur adressiert werden, wenn sie kontextualisiert und situiert verortet wird. Problematisch erscheint in Knapps Kritik an der Entnennung der Kategorie Geschlecht deshalb die Abwertung eines transnationalen Diskurses. Die von Knapp konstatierte Dekontextualisierung verkennt, dass der Begriff gender in den USA mit einer ähnlichen Problematik konfrontiert ist wie in Deutschland, wie Butler überzeugend skizziert: Auch dort werde gender zur Entschärfung der politischen Dimension des Feminismus eingesetzt und als Ersetzungsbegriff für ‚weiblich’ und ‚männlich’ verwandt (vgl. Butler 1997: 34). Eine strikte Grenzziehung zwischen nationalen Diskursen blendet außerdem die Stärken und Möglichkeitsspielräume aus, die in transnationalen Entwicklungen stecken können. Knapp wertet diese sogar als Angriff auf eine deutsche Theorie-Tradition und sitzt damit einem nationalistischen Profilierungsgestus auf, der gender als ‚Eindringling’ ablehnt. Ich möchte daher resümierend die These aufstellen, dass aufgrund von Knapps Thematisierung des Bedeutungsverlustes als Entnennung erst ein Diskurs um einen Bedeutungsverlust konstituiert wurde. Mit der starken Verlustmetapher geht ein Totalitarismus einher, weil suggeriert wird, die Kategorie Geschlecht würde zum Verschwinden gebracht. In dieser Konsequenz wird die Kategorie Geschlecht universal konstruiert, wohingegen unbedacht bleibt, ob sie überhaupt jemals jene umfassende Erklärungskraft gehabt hat, deren Verlust hier reklamiert wird. Denn Geschlecht als „theoretische Leitdifferenz der Frauenforschung“ (Heintz 1993: 19) oder als „feministische Zentralkategorie“ (Becker-Schmidt 2000: 143) zu verlieren, ist nicht gleichbedeutend damit, dass Geschlecht als Kategorisierung strukturell irrelevant wird. Vielmehr ruft die Infragestellung der grundlegenden Bedeutung von Geschlecht dazu auf, eine feministische Essentialismus- und Universalismus-Kritik weiterzudenken. Die theoretischen Grundlagen auf ihre immanenten gedanklich-konzeptionellen Ausschlüsse hin zu befragen, heißt nicht, sie abzuschaffen, und ebenso ist der Tod eines bestimmten erkenntnistheoretischen Subjekts nicht gleichzusetzen mit dessen Tod überhaupt. Mit Butler wäre dementsprechend der Gestus der Reaktion auf Kritik zu problematisieren: Ein Infragestellen wird immer mit „entmystifizieren“ und fast nie mit „revitalisieren“ (Butler 1997: 27) gleichgesetzt. Dieser von Butler konstatierte Gestus spiegelt sich in der These der Entnennung von Knapp, die eine Krise, Verunsicherung oder Infragestellung von Geschlecht mit einem Ende gleichsetzt. Wie Butler jedoch klarstellt, impliziert ein Ende der Geschlechterdifferenz weder deren Abschaffung, noch deren Legitimation (Butler 1997: 25):
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2 Horizont der Differenz Woran liegt es, daß einen Begriff zu befragen als dasselbe angesehen wird, wie ein Verbot seiner Verwendung zu verhängen? Woran liegt es, daß wir manchmal den Eindruck haben, wir könnten, wenn ein Begriff von seinem grundlegenden Platz weggerückt wird, nicht mehr leben, überleben, Sprache verwenden und für uns selbst sprechen? Welche Art von Garantie vermittelt die Fixierung von Grundlagen und welche Art Schrecken verhindert sie (Butler 1997: 29)?
Die kritische Infragestellung von Normen ermöglicht es, theorieimmanente Annahmen in ihrem Universalitätsanspruch sichtbar zu machen, um zu zeigen, dass Grundlagen in jeder Theorie als das Unhinterfragte bzw. das Unhinterfragbare gelten (vgl. Butler 1993a: 37). Grundlagen, die als Ausgangspunkt und Legitimation einer Theorie gelten, sind immer durch Ausschlüsse des Anderen produziert; sie bilden sich in und durch den Modus der Differenzierungen. Der Nachweis einer universellen Gültigkeit impliziert demnach stets, dass ein neuer Bereich von Unhinterfragtem entsteht. Die Aufdeckung des Ausschlusscharakters macht grundlegende Annahmen in ihrer Selbstverständlichkeit anfechtbar, markiert sie als kontingent und ermöglicht es, sie gegen die „List der Macht“ (Butler 1993a: 39) zu wenden. Eine Revitalisierung durch Infragestellung verweist auf die Möglichkeit der Wiederaneignung von Begriffen, denn diese sind kein Eigentum eines bestimmten Denkens. Ein affirmativer Gebrauch von Begriffen ist auf erfolgreiche Prozesse der Resignifikation angewiesen; die Möglichkeit bzw. das Risiko einer „falschen Anwendung“ oder einer „widerrechtlicher Aneignung (misappropriation)“ (Breger 1999: 76) ist also gegeben, weil der Bruch mit dem Kontext ein der Performativität inhärentes Moment jeder Aussage ist. Butler verdeutlicht dies an der subversiven Reterritorialisierung des Begriffs ‚Frau’. Es geht nicht um die Gegenüberstellung von ‚Frau’ im progressiven oder ‚Frau’ im reaktionären Sinn, sondern „eher um einen progressiven Gebrauch, der den reaktionären erfordert und wiederholt“ (Butler 2001: 95) und dabei subvertiert. Gender ist nicht nur ein Begriff oder ein Konzept feministischer Theoriebildung, sondern bezeichnet ein normiertes und normierendes gesellschaftliches Verhältnis. Geschlechterkonfigurationen entstehen innerhalb eines konkreten geografischen und politischen Kontextes sowie als Aushandlungseffekt eines spezifischen Kräfteverhältnisses. Damit konfiguriert sich Geschlecht als ein Set komplexer, miteinander divergierender sozialer Verhältnisse und ist als politisch situierte Strukturkategorie zu fassen. Geschlecht erzeugt sich nicht nur auf der Basis von Geschlechterdifferenz und -hierarchie, sondern ist eine Konfiguration mannigfaltiger, simultan verlaufender Herrschafts- und Machtverhältnisse (vgl. Gümen 1998, Gutiérrez-Rodríguez 1999: 70). Gender ist mit Haraway als eine „situierte Differenz“ (Haraway 1995: 94) zu verstehen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass gender kontingente, partiale, unentscheidbare Verhältnisse
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markiert und damit versichernd und irritierend zugleich wirkt. Mit der Betonung der Situiertheit und der Kontingenz wird die Konstitution von gender weder als relativ, noch als plural verstanden.79 Denn Pluralismus und Relativismus verweisen, wie Haraway problematisiert, beide auf einen Universalismus bzw. einen Totalitarismus und stellen damit zwei Seiten derselben Medaille dar: „Beide leugnen die Relevanz von Verortung, Verkörperung und partialer Perspektive, beide verhindern eine gute Sicht. Relativismus und Totalitarismus sind ‚göttliche Tricks’. Als Versprechen der Möglichkeit einer gleichen und vollständigen Sicht von überall und nirgends sind sie verbreitete Mythen einer die Wissenschaft begleitenden Rhetorik“ (Haraway 1995: 84). Die Kontingenz der Geschlechterdifferenz meint kein anything goes in Form eines unbegrenzten Spiels der Möglichkeiten von Lebensformen, Geschlechtsidentitäten und Denkweisen zu inszenieren. Vielmehr wird mit Kontingenz die „dauerhafte Instabilität des ideologischen Feldes“ (Annuß 1996: 511) proklamiert.80
2.4 Von der Bildung zur Kompetenz? Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung 2.4 Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung Die Frage nach der Bedeutung ‚der Postmoderne’81 beschäftigt die deutschsprachige Pädagogik seit Mitte der 1980er Jahre. Sie wurde insofern als eine Infragestellung der gesamten Disziplin wahrgenommen, als sie eine „Selbstvergewisserung ihrer disziplinären Identität, ihres Gegenstandes und ihrer Handlungsmöglichkeiten“ zur Konsequenz hatte (Beck 1993: 17f.).82
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Pluralismus ist das Nebeneinander verschiedener selbstständiger Standpunkte, während im Relativismus jede Erkenntnis vom jeweiligen Standpunkt abhängt und damit relativ ist. Butlers Idee der Parodie der Geschlechterdifferenz geriet oft verkürzt in die Nähe von Beliebigkeit, was sich an einer kritischen Rezeption mit Beschreibungen wie „Maskenball“ oder „dekonstruktivistische Modenschau“ (Rödig 1994: 96) äußert (vgl. die Kritik an der Rezeption Butlers in der deutschsprachigen Geschlechterforschung bei Smykalla 2000a). Als theoretische Vordenker der Postmoderne werden im deutschsprachigen Pädagogik-Diskurs vor allem Lyotard, Foucault und Baudrillard genannt (Gudjons 1993: 297), in der englischsprachigen Diskussion wird vor allem auf Derrida verwiesen (vgl. Beck 1993: 25). MeyerDrawe bezeichnet den Begriff der Postmoderne als „schlechte Erfindung“ (Meyer-Drawe 1990b: 83), da gerade so genannte Vertreter_innen der Postmoderne versuchen, der Etikettierung ‚postmodern’ aus dem Weg zu gehen. Lyotard erwähnte dieses Wort z.B. nur dreimal in seinem zentralen Werk zur Bedeutung des Widerstreits und bezeichnete es selbst als „unglücklichen Fehlgriff“ (Fuchs 1989: 415). So nennt Beck vier Streitpunkte in der Definitionsfrage um die Postmoderne: Legitimität: Gibt es überhaupt neue Phänomene, die es rechtfertigen, von der Postmoderne zu sprechen? Gegenstandsbereich: Was sind pädagogisch relevante Lebensverhältnisse? Zeitliche Eingrenzung: Ist die Postmoderne eine Epoche? Gehalt: welche Inhalte soll der Begriff Postmoderne bezeich-
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Die Kontroverse um die Entgrenzung von Bildung wird im Folgenden mit der Postmoderne-Debatte in den 1980er und 1990er Jahren in der Pädagogik verknüpft, gemäß der Annahme, dass diese als diskursiver Vorläufer der Entgrenzungsdebatte zu verstehen ist. Mit Bezug auf poststrukturalistische Ansätze werden in diesem Kapitel widersprüchliche Gleichzeitigkeiten von Entgrenzungsphänomenen in vier Dimensionen vorgestellt: Die Relativierung normativer Prinzipien beleuchtet die Kontroverse um die Ablösung von Bildung durch Kompetenz; die Dezentralisierung von Lernorten beschreibt die Öffnungs- und Schließungstendenzen pädagogischer Berufsfelder und Arbeitsformen in Bezug auf die „organisationsbezogene Wende“ (Küchler 2001: 625) der Erwachsenenbildung und die Kommerzialisierung von Bildung; die konsultative Erweiterung pädagogischer Grundvorgänge wird im Rückgriff auf Überlegungen zu Erziehung und/oder Beratung verhandelt, und schließlich werden Neudefinitionen von Akteur_innen (Lehrende und Lernende) der Erwachsenenbildung durch entgrenzte Arbeitsbedingungen untersucht. Der Horizont von Bildung zeigt, dass Infragestellungen pädagogischer Kernbegriffe, Berufsfelder oder Tätigkeiten neue diskursive Grenzen produzieren und Neudefinitionen herausfordern, weil Thematisierungen von Bildung immer auch die Frage nach dem Subjekt der Pädagogik bedingen.
2.4.1 Pädagogische Debatten um Postmoderne und Entgrenzung Die unterschiedlichsten pädagogischen Positionen zur Postmoderne operieren dabei mit der „Denkfigur eines ‚Endes’“ (Pongratz 1989: 11). So beziehen sich die Inhalte der pädagogischen Debatte auf postmoderne Ansätze wie die Delegitimierung der großen Meta-Erzählungen Aufklärung, Idealismus, Historismus (Lyotard 1999) oder „das Ende der Geschichte“ und das „Verschwinden der Wirklichkeit“ (Baudrillard 1982, vgl. Krüger 1990:8). Konstatiert wird der „unübersichtlich gewordene Pluralismus von Stilformen, Sitten, Lebensentwürfen“ (Gudjons 1993: 298), der ein „Ende der pädagogischen Bewegung, (...) Verschwinden der klassischen Lebensphasen Kindheit und Jugend“ (Krüger 1990: 13) bedeute. Vom „Ende der Erziehung“ (Giesecke, zit. nach Pongratz 1989: 11), dem „Verlust des Subjekts“ (Heitger 1987: 21) bis hin zum „Tod des Subjekts“ (Hopfner 1997: 439) ist die Rede. Die Position der Befürchtungen lässt sich im Angriff auf „drei für die Pädagogik höchst bedeutsame Grundpfeiler“ (Beck 1993: 21) zusammenfassen: „[Es] wäre (1) die Aussagekraft pädagogischer Theorie schlechthin in Frage gestellt, (2) die Existenz eines Adressaten nen (Beck 1993: 24)? Für eine ausführliche kritische Würdigung der Debatte um ‚die Postmoderne’ innerhalb der Pädagogik siehe Smykalla (2000a).
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wie eines verbindlichen Ziels von Erziehung in Zweifel gezogen und (3) pädagogische Praxis nachgerade unmöglich“ (Mertens, zit. nach Beck 1993: 21).83 Der polarisierende Gestus der Debatte um die Postmoderne setzt sich in der Verhandlung der Entgrenzung von Bildung fort. Entgrenzung, lange Zeit ein Fremdwort im Verständigungsdiskurs der Erwachsenenpädagogik, ist inzwischen zum Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Auseinandersetzungen geworden.84 Umstritten ist dabei zwar, ob Entgrenzung ein neues Phänomen ist, das eine grundlegende Veränderung des erwachsenenpädagogischen Diskurses im 20. Jahrhundert bedeutet (siehe z.B. Kade/Seitter 2005), oder ob Entgrenzung bereits im 19. Jahrhundert existierte, weil es damals bereits eine Vielfalt an Organisations- und Interaktionsformen sowie eine Heterogenität von Medien gab, die das Lernen Erwachsener ausmachten (Hof 2005: 46).85 Die Allgegenwärtigkeit von Pädagogik, die Verlagerung von pädagogischem Denken und Handeln heraus aus pädagogischen Institutionen, wie Volkshochschulen oder Weiterbildungseinrichtungen, sowie die Beschäftigung mit neuen Altersgruppen und Lebensbereichen wird seit Beginn der 1990er Jahre als die „Entgrenzung“ (Lüders et al. 2000: 210) bzw. die „Expansion des Pädagogischen“ (Lenzen 1999: 210, Helsper 2000: 17) in der Erziehungswissenschaft diskutiert.86 Umschrieben wird mit Entgrenzung insbesondere die Ausdehnung pädagogischer Arrangements in den „beiden ursprünglichen pädagogischen Zentren, also Familie und Schule“ (Kade/Nittel/Seitter 1999: 26) auf den gesamten Lebenslauf. Als Konsequenzen dieser De-Institutionalisierung 83
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Im Gegensatz zu der oft skeptischen deutschsprachigen Rezeption lässt sich vor allem in Erörterungen US-amerikanischer Erziehungswissenschaftler_innen eine Offenheit für postmoderne Herangehensweisen bemerken, die sich für deren Nutzbarmachung für pädagogische Fragestellungen einsetzen (Beck 1993: 21). Siehe z.B. die an nord-amerikanischen Positionen orientierte Auseinandersetzung in der Zeitschrift für Pädagogik um Richard Rortys Theorien. Siehe DIE-Forum 2004 und DIE Zeitschrift für Erwachsenenpädagogik, Schwerpunkt Entgrenzung 1/2005. Die Entgrenzungsdiskussion innerhalb der Pädagogik ist im Kontext der Reflexion weiterer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zu verorten. So ist der Begriff Entgrenzung untrennbar mit jenem der Globalisierung verknüpft. Die Entgrenzung von Politik, Ökonomie und Gesellschaft gilt dabei als ein zentrales Merkmal von Globalisierungsprozessen. Sozialwissenschaftliche Analysen beziehen sich dabei insbesondere auf die Modernisierung und Individualisierung von Gesellschaft und thematisieren sowohl Veränderungen und Umbruchprozesse von Erwerbsarbeit als auch von Familie (zur „doppelten Entgrenzung“ siehe Jurczyk/Schier 2007). Für die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung zeigen Helga Krüger (2001, 2002) und Doris Lemmermöhle et al. (2006), dass die spezielle Verfasstheit des Erwerbs- und Familiensystems dabei weiterhin auf eine Verknüpfungslogik von zwei geschlechterdifferent codierten Lebensverläufen rekurriert. Gesamtgesellschaftlicher Diskursrahmen ist die Tendenz des Brüchig-Werdens der traditionellen gesellschaftlichen Institutionen (Beck 1986) und die Ausweitung beruflich-pädagogischer Arbeitsfelder (Lehrer_innen und soziale Berufe) (Helsper 2000: 17).
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von Bildung gelten z.B. die Auflösung begrenzbarer Erziehungs- und Lernorte und die Erweiterung der Bildungsbiografie um eine Lebensverlaufsperspektive. In bildungspolitischen Debatten wird Lebenslanges Lernen zur „pädagogischen Entgrenzungsformel“ (Kade/Seitter 2005: 25).87 Der Bildungsbegriff bekommt eine neue Bedeutung, weil Bildungsprozesse nicht (mehr) linear verlaufen und an einem bestimmten Punkt enden: Bildung ist ein „nicht-linearer, lebenslanger Prozeß über Phasen der Abbrüche, der Turbulenzen und der Neukonstruktionen“ (Huschke-Rhein 1998: 23). Die Erweiterung des Bildungsbegriffes durch die bloße Deskription des schier grenzenlosen Spektrums an natürlichen Lern- und Bildungsräumen – die Kneipe, das Stadtteilfest, der Schrebergarten, der Gottesdienst, die Elternversammlung, die Messe usw. – hat den gleichen Effekt wie die Einführung eines erweiterten Politikund Kulturbegriffs: Wenn Politik und Kultur universalisiert werden, entsteht der paradoxe Effekt ihres Verschwindens (Kade/Nittel 2000: 204).
In erziehungswissenschaftlicher Perspektive wird Entgrenzung oft mit einer „Entstandardisierung öffentlicher Räume und damit einhergehender privater Lebensentwürfe“ (Forneck/Retzlaff 2005: 8) charakterisiert. Als Ausgangspunkt dieser These gilt, dass Pädagogik noch nie so allgegenwärtig war wie heute. Pädagogische Einrichtungen expandieren, Bildung wird zur Lösung für Vieles – von der Betreuung Frühgeborener über die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt, über die Beratung zu Arbeits- und Berufsperspektiven bis hin zur Sterbebegleitung: (...) aufs Ganze gesehen, kommt man schwerlich an dem Befund, ja Eingeständnis vorbei, dass – ein wie auch immer geartetes und zu bewertendes – pädagogisches Handeln, Wissen und Reflexion zu einem festen, letztlich wohl nicht zu unterschätzenden Bestandteil unserer Kultur mutiert ist, das Alltag und gesellschaftliche Praxis in vielfacher Weise durchdringt, prägt, beeinflusst, vielleicht aber auch nur ziert, verunstaltet und begleitet (Lüders et al. 2000: 210).
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Im politischen Kontext findet der Begriff des Lebenslangen Lernens seinen Ort heute vorrangig in der Europäischen Beschäftigungsstrategie der Europäischen Kommission, die sich zum Ziel gesetzt hat, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen (Pongratz 2006: 162). Der Beginn der Konzeptionalisierung eines Lebenslangen Lernens geht allerdings schon auf das Jahr 1970 zurück, das die UNESCO zum „Internationalen Jahr der Erziehung“ ausrief und in dessen Folge die OECD 1973 stärker die wirtschaftspolitischen Ziele profilierte – womit auch begrifflich aus der lifelong education ein lifelong learning wurde. Seit den 1990er Jahren firmiert Lebenslanges Lernen als „strategisches Element eines globalen Prozesses der Deregulierung von Waren- und Dienstleistungsmärkten: Lebenslanges Lernen soll die individuellen Kräfte entfesseln und produktiv werden lassen“ (ebd.: 165).
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Gründe für die „Pädagogisierung der Lebensführung“ (Pollak 1991) bzw. die „Pädagogisierung von Gesellschaft und Lebenswelt“ (Lüders et al. 2000: 209) liegen in der Verwissenschaftlichung der Erziehungswissenschaft und der Professionalisierung pädagogischer Berufe. Pädagogische Handlungsformen lagern sich in Bereiche der modernen Kunst, Literatur, Musik, der Produktion und des Alltags ein, weil hier oft ein Bedarf an Erläuterung besteht, der individuell nicht ausreichend angeeignet werden kann. Dabei treten pädagogische Vermittlungsformen in Konkurrenz zu medialen oder lebensweltlichen; gleichzeitig finden aber auch Didaktisierungen von gesellschaftlichen Institutionen statt (Kade/ Nittel 2000: 201). Dies führt zu einer „Veralltäglichung“ (Helsper 2000: 24) erziehungswissenschaftlichen Wissens, welches immer mehr zum Bestandteil lebensweltlicher Deutungen wird. So wird eine Gleichzeitigkeit von Pädagogisierungs- und Entpädagogisierungstendenzen sichtbar, denn durch die Universalisierung von Bildung, Bildungsansprüchen und Lernen entstehen neue Lernorte bzw. werden wiederentdeckt.88 Zeitgleich werden pädagogische Institutionen und traditionelle Erwachsenenbildungseinrichtungen entwertet und als exklusive Lernorte aufgelöst (vgl. Lüders et al. 2000: 212). Mit dieser Pluralisierung und Kontrastierung von erwachsenenpädagogischen Lehr-Lernorten verbinden sich innerhalb der Erziehungswissenschaft kontroverse Positionierungen. Das Für und Wider der Entgrenzung von Bildung pendelt zwischen Krisenrhetorik und Wachstumsfantasie. Reaktionen von Beunruhigung, Resignation oder Gefahr stehen jenen gegenüber, die sich eine Innovation der Erwachsenenpädagogik und -bildung erhoffen. So wird auf der einen Seite behauptet, die in der Aufklärung einsetzende „pädagogische Bewegung“ (Krüger 1990: 13) sei, wenn nicht an ihr Ende, so doch zum Stillstand gekommen. Befürchtet wird, dass pädagogische Arbeit an Bedeutung verliere, professionelle Pädagoginnen und Pädagogen ihren „Kompetenzvorsprung“ und ihr „Zuständigkeitsmonopol“ (ebd.) verlieren und dadurch pädagogisches Wissen insgesamt delegitimiert und erziehungswissenschaftliche Expertise weniger nachgefragt wird. Diese Lesart einer unabwendbaren Degenerierung von Bildung zeichnet – ähnlich wie dies zuvor für die Kontroverse um ‚die Postmoderne’ gezeigt wurde – das bedrohliche Bild vom Ende der Pädagogik als Disziplin, verbunden mit einem Verlust an gesellschaftlicher Deutungsmacht. Auf der anderen Seite betonen befürwortende Einschätzungen den Wandel von Lebensweisen und die daraus entstehenden Bildungsanforderungen als Chance. In der „Vergesellschaftung von Erziehung“ (ebd.) liege ein Anschluss an päda88
In den USA etablierte sich in den 1980er Jahren z.B. das Konzept der Corporate University, das den neuen Anforderungen mit neuen Lernformen, einer stärkeren Strategieorientierung und einem Ineinandergreifen von Personal- und Organisationsentwicklung gerecht werden will (Wimmer et al. 2002: 4).
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gogische Traditionen und durch die Verlagerung und Ausbreitung von Bildungsprozessen sei die Möglichkeit der Abkehr von vereinheitlichenden Ordnungsschemata gegeben. Da traditionelle Bildungssysteme, wie z.B. die Schule, als zu starr und bewegungsunfähig kritisiert werden, bestehe in der Erschließung neuer Lern- und Handlungsräume auch eine Chance für Pädagog_innen (vgl. Kade/Nittel 2000: 201f.). Aus poststrukturalistischer Perspektive wird eine pauschalisierende und polarisierende Auseinandersetzung um die Frage der Postmoderne als Versuch kritisiert, einheitliche Positionen herzustellen, die darauf hinauslaufen, die Diskussion in Befürworter_innen und Gegner_innen zu unterteilen. Hierin liegt jedoch die Gefahr der Verkennung einer „Begriffsherrschaft“ (Butler 1993a: 34), weil durch das Zusammenfassen unter ein Symptom das Ganze, hier das einheitliche Bild von ‚der Postmoderne’ oder ‚der Entgrenzung’ erst hervorgebracht wird. Damit symbolisieren diese Diskussionen einen argumentativen Mechanismus, der Verallgemeinerung zum Ziel hat. Dies zeigt Butler für die Debatte um die Postmoderne auf: Die Frage ist, ob man überhaupt für oder gegen diese Postmoderne debattieren kann. Setzt man nämlich diesen Terminus so ein, daß man ihn entweder nur bejahen oder verneinen kann, so zwingt man ihn, eine Position innerhalb eines binären Gegensatzes einzunehmen, womit man zugleich der Logik des ausgeschlossenen Widerspruchs gegenüber einem fruchtbaren Schema den Vorzug gibt (Butler 1993a: 35).
Hinterfragen lässt sich also grundlegend der Gebrauch des Begriffs Postmoderne, der „in Form eines Konditionals der Angst“ auftritt, indem Formulierungen wie „wenn alles Diskurs ist ...“, „wenn alles ein Text ist ...“, „wenn das Subjekt tot ist ...“, „wenn es keine realen Körper mehr gibt ...“ (Butler 1993a: 31) einen drohenden Nihilismus andeuten. „Zweifellos ist die Frage nach der ‚Postmoderne’ wirklich eine Frage, denn gibt es überhaupt so etwas, was man Postmoderne nennt? Und handelt es sich eigentlich um eine geschichtliche Bestimmung oder um eine theoretische Position“ (ebd.)? In den letzten Jahrzehnten hat sich auch innerhalb der Pädagogik eine poststrukturalistisch orientierte Position formiert, die die postmodernen Entwicklungen der Pädagogik und die Entgrenzung der Bildung weder als Rhetorik des Erfolges noch des Verlustes bewertet, sondern die „unübersehbare Entstandardisierung öffentlicher Räume und damit einhergehender privater Lebensentwürfe“ (Forneck 2006: 8) an sich hinterfragt. Problematisch sei, so Forneck, dass der Entstrukturierungsprozess als ein Entnormativierungsprozess wahrgenommen werde. Damit werde verkannt, dass eine Renormativierung einsetzt, die sich nun unter dem Deckmantel der Pluralisierung – anstatt vormals der
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Standardisierung – vollzieht. Statt einer Beliebigkeit und Auflösung von sozialer Ordnung, wie dies im Entgrenzungsdiskurs z.B. von Kade und Seitter angenommen wird (vgl. Kade/Seitter 2005: 25), ist vielmehr von der Entstehung neuer Begrenzungen auszugehen, die eine Standardisierung in zwei Richtungen bedeuten: Es gibt eine sozio-kulturelle Heterogenität und eine biografische Dynamisierung dieser Heterogenität. Dies hat zur Konsequenz, dass weder ein einheitlicher hegemonialer Lebensentwurf, noch eine diese Perspektive tragende Schicht mehr existiert. Damit verflüchtige sich allgemeine Bildung, so Fornecks These (Forneck 2006: 10f.). „Die Bestimmung und die Bewertung des Pädagogischen wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich“ (Wimmer 1996: 231). Es verschwindet die Differenz zwischen Pädagogik und Nicht-Pädagogik: „Die Wirklichkeit des Pädagogischen ist also abstrakt geworden“ (Winkler, zit. nach Wimmer 1996: 231). Die Herausforderung ist, Wege zu finden, wie mit der Offenheit neuer Lernräume umzugehen ist und welche Effekte des Ausschlusses damit verbunden sind. Nicht das Ende der Pädagogik, sondern das Ende einer bisherigen pädagogischen Tradition steht demnach an: Es kann von Institutionen keinen Bezug mehr auf Werte und Lebensstile geben, weil keine von ihnen unwidersprochen hegemonial sind (vgl. Forneck 2006: 13). „Lernen ist damit von der Lehre formal entkoppelt. Die Individualisierung der Lernprozesse macht in der Folge neue Formen der professionellen Begleitung und Betreuung dieser Lernprozesse notwendig“ (Kossack 2006: 10). Der Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen wird durch die Vervielfältigung der Lernorte und Lernbedürfnisse ein kontingenter. Die Ausführungen zur Postmoderne-Debatte und zum Entgrenzungsdiskurs innerhalb der Pädagogik zeigen, dass Pädagogik sich nicht mehr auf eine allgemeingültige Bezugsgröße beziehen kann. Vielmehr ist sie als Disziplin herausgefordert, kontextualisierte Antworten, Konzepte und Angebote zu entwickeln, die die Vielfalt von individuellen Bedürfnissen anerkennen, ohne diese jedoch individualistisch zu fragmentieren.
2.4.2. Kompetenzwende und Subjektkritik Bildung ist ein pädagogischer Traditionsbegriff – Kompetenz gilt als Modernisierungsbegriff (Arnold 2002: 27). Ist Bildung angesichts von Kompetenzentwicklung überholt? Als eine Entgrenzung auf normativer Ebene wird im Folgenden der Diskurs um Kompetenz in der Erwachsenen- und Weiterbildung kritisch untersucht.
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Kompetenz ist nicht nur ein weit verbreiteter Begriff,89 er ist auch schillernd, da er in unterschiedlichen Disziplinen Bedeutung hat.90 Insbesondere im erziehungswissenschaftlichen Kontext gibt es seit den 1990er Jahren eine breite Auseinandersetzung um Kompetenz.91 Vorausgegangen war ihr eine seit den 1970er und 1980er Jahren geführte Diskussion um ‚Qualifikationen’ und ‚Schlüsselqualifikationen’. Höhne unterscheidet eine wissenspsychologische und eine anthropologisierende Strömung im pädagogischen Kompetenzdiskurs (vgl. Höhne 2007: 33).92 Weinert definiert für den schulischen Kontext Kompetenz mit Blick auf die Problemlöse- und Handlungsfähigkeit: Kompetenz ist zu verstehen als die bei Individuen verfügbaren und durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösefähigkeiten in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001: 27f.).
In der empirischen Bildungsforschung verweist der Begriff Kompetenz auf eine dreifache Bedeutung: „Zuständigkeit, Befugnis und Befähigung“ (Clement 2002: 29). Zuständigkeit meint, eine Aufgabe bzw. Funktion innerhalb einer Or89
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Nach der Zählung des Projekts „Deutscher Wortschatz“ befindet sich 2010 Kompetenz unter den 3000 am häufigsten verwendeten deutschen Wörtern. Kompetenz wird im alltagsweltlichen Gebrauch, z.B. im Duden, vor allem mit Fähigkeit assoziiert (vgl. Hartig 2006: 2). Wie Höhne nachzeichnet, wird Kompetenz in der Biologie „im Sinne einer latent vorhandenen Fähigkeit [von tierischen oder pflanzlichen Organismen, Anm. Smy] verwendet, für deren Ausprägung oder Entwicklung bestimmte auslösende Situationen vorhanden sein müssen“ (Höhne 2007: 32). In der Motivationspsychologie werden mit Kompetenz „Ergebnisse der Entwicklungen von grundlegenden Fähigkeiten bezeichnet, die weder genetisch festgelegt noch das Produkt von Reifungsprozessen sind, sondern vom Individuum selbst hervorgebracht werden. Das Motiv der optimalen Anpassung an die jeweilige Umgebung und das Ziel der Kontrolle über die Umwelt begünstigen die Entwicklung und Ausbildung von Kompetenzen“ (ebd.). In der Linguistik bezeichnet Kompetenz als ein „universalistisch-algorithmisches Prinzip die Fähigkeit von Sprechern und Hörern, mit Hilfe eines begrenzten Inventars von Kombinationsregeln und Grundelementen potentiell unendlich viele Sätze bilden und verstehen zu können“ (ebd.). Diese Diskussion ist in der Erwachsenenbildung stark beeinflusst von den Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management Berlin (QUEM 1998) und von der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung (ABWF). Die Weiterbildung wird jedoch von beiden lediglich als beruflich und betrieblich verstanden. Mit der wissenspsychologischen Strömung ist insbesondere das Kompetenz-Verständnis der PISA-Studien im Rekurs auf einen psychologischen Wissens-Diskurs gemeint: Kompetenz wird hier als funktional und messbar und in expliziter Abgrenzung zur Bildungstradition konzipiert (siehe Deutsches PISA-Konsortium 2001). Eine anthropologisierende Strömung verortet Kompetenz im Diskurs um die Wissensgesellschaft (Höhne 2003: 33).
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ganisation zu haben (Sachverstand); Befugnis beinhaltet, eine Erlaubnis zu haben (z.B. Entscheidungskompetenz) und Befähigung umfasst eine Fähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit in ihrer Komplexität ausführen zu können. Die aktuelle Debatte in der Bildungsforschung und Bildungspraxis beschäftigt sich vor allem mit handlungsrelevanten Kompetenzen.93 Begrifflich grenzt sich Kompetenz also von ‚Bildung’ als einem vorbelasteten, defensiven Lernen und von ‚Qualifikation’ als sachverhaltszentriertem, fachlichem, vor allem kognitiven Wissen ab, das auf einem inzwischen nicht mehr vorhandenen Arbeitsmarkt mit Arbeitsplätzen, die auf bestimmte Qualifikationen zugeschnitten waren, seine Passung fand. Während sich in der Erwachsenen- und Weiterbildung einige von dieser „Kompetenzwende“ (Arnold 2002: 27) eine „Trendwende“ (Hof 2002: 154) und damit eine prinzipielle Verbesserung der Weiterbildung erhoffen, stellt sie für andere einen problematischen „postmodernen Trend“ (Arnold 2002: 28) der Entgrenzung von Weiterbildung dar. Die positive Bewertung der Kompetenzwende von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung bezieht sich auf das Verbesserungspotenzial der traditionellen Aus- und Weiterbildung. Zugrunde liegt dieser Einschätzung von Hof eine Kritik an der jahrzehntelangen Engführung der Weiterbildungsgrenzen in Bezug auf Institutionen, Ziele und Methoden. Diese habe einen Verlust von Gestaltbarkeit und Steuerungsmöglichkeiten zur Folge, denn die Weiterbildung sei durch fachspezifische Inhalte und die Verwertbarkeit des Lernerfolgs gekennzeichnet und beziehe sich auf Bildungspositionen statt auf „Dispositionen“ (Hof 2002: 154). Daher sei die traditionelle Ausbildung angebotsorientiert gestaltet, habe definierte Lernziele, von denen Lerninhalte und didaktische Methoden abgeleitet werden, und die Ergebnisse variierten durch die Abhängigkeit von den Lehrenden. Kompetenzentwicklung hingegen fördere keine eng definierten Kenntnisse, sondern Dispositionen, die selbstständig und flexibel im beruflichen Handeln umgesetzt werden können. Die kompetenzorientierte Bildungsarbeit habe klare Handlungsziele und vermittle entsprechende Lerninhalte, die durch eindeutige Bewertungskriterien kontrolliert werden könnten. Nach Hof betont die Hinwendung zur Kompetenzentwicklung den individuellen Lernerfolg und das eigenverantwortliche Handeln und zielt auf Anpassungs-, Handlungs- und Selbstorganisationsfähigkeiten, die die Handlungsmöglichkeiten des Subjekts erweitern. Statt der systematischen Aufarbeitung eines Themas wie in der Weiterbildung, steht also nach Hof der Subjektbezug, insbesondere die Handlungsfähigkeit, im Mittelpunkt der Kompetenzentwicklung (vgl. Hof 2002: 154f.). 93
Oft wird Kompetenz auch nur in einer doppelten Bedeutung definiert, wobei Zuständigkeit und Befugnis als Charakteristika zusammengefasst und von Befähigung unterschieden werden (z.B. Clement 2002: 29). Die wissenschaftlichen Verwendungen des Kompetenzbegriffs setzen hauptsächlich bei der Befähigung an.
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Eine skeptische Einschätzung der Kompetenzwende formuliert hingegen Arnold (2002), weil diese den Verlust einer bestimmten Bedeutung von Bildung darstelle. Problematisch sei, dass Kompetenz nicht als Erweiterung oder Ausdifferenzierung von Bildung, Qualität und Weiterbildung erscheine, sondern als deren Ablösung. Qualifikation solle durch Kompetenz, Weiterbildung durch Kompetenzentwicklung ersetzt werden. Kompetenz stehe für einen „postmodernen Trend“ und fungiere darin als ein „Entgrenzungsbegriff“ und „Ignoranzbegriff“ (Arnold 2002: 28f.) – damit seien kompetenzorientierte Überlegungen keine erziehungswissenschaftlichen mehr, sondern verlagern sich hin zu personalwirtschaftlichen und arbeitspsychologischen Ansätzen. Kompetenz ist nach Arnold ein Modernisierungsbegriff, der Machbarkeit suggeriert und sich von pädagogischer Professionalität absetzt, die von einer ungesicherten Bildungswirkung geprägt sei. Kompetenz verspricht eine „pragmatische Orientierung an den tatsächlichen Handlungsanforderungen der gesellschaftlichen Praxis und den von dieser geforderten individuellen Problemlösungsfähigkeiten“ (Arnold/Milbach 2002: 26f.). Die Qualität von Bildung zeichne sich jedoch gerade dadurch aus, sich Wissen aneignen und es vor allem anwenden zu können. Aus diesem Grund seien didaktische Arrangements zur Wissensaneignung und -anwendung die zentrale Ermöglichungsbedingung für eine (Problemlöse-)kompetenz. Aus der berufspädagogischen Debatte ist bekannt, dass z.B. übergreifende Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit oder Selbstständigkeit nicht vermittelbar sind, sondern sich nur durch aktives selbsterschließendes Lernen selbst entwickeln können. Selbsterschließendes Lernen vollzieht sich über die Ermöglichung von Lernen. Dieses Lernverständnis einer Ermöglichungsdidaktik werde im Kompetenzdiskurs unterwandert (vgl. Arnold/Milbach 2002: 26f.). Denn: Kompetenz soll über Anwendung von Wissen erworben, angeeignet, vermittelt werden. Damit halten Kompetenzbegriffe an dem Konzept fest, das Holzkamp als „defensives Lernen“ (Holzkamp, zit. nach Arnold 2002: 28) bezeichnet hat. Die Individuen unterwerfen sich Anforderungen, um für sich selbst Nachteile zu vermeiden und Vorteile zu sichern, anstatt sich selbst zu bilden. Problematisiert wird von Arnold damit also nicht nur die Ersetzungslogik von Bildung durch Kompetenz, sondern auch die Aufgabe leitender Bildungsprinzipien zugunsten von Funktionalisierung, Machbarkeit und Modernisierung. Oder, wie Orthey zuspitzt, Kompetenz gilt als „semantische Projektionsfläche für Zuschreibungen, die etwas mit Fähigkeiten zu tun haben, die zum Lebens- und Arbeitsvollzug gebraucht werden und deren Erwerb zugleich möglich ist“ (Orthey 2002: 8, Hervorh. i. Orig.). Die Preisgabe des qualitativen Gehalts des Bildungsbegriffs habe dementsprechend einen einseitigen Machbarkeitsglauben zur Konsequenz. Die „Hochkonjunktur des Begriffsensembles ‚lebenslanges, selbstgesteuertes Lernen’“ (Forneck/Wrana 2005: 142) hängt mit den feldexternen Erwar-
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tungen zusammen. Selbstlern- bzw. Selbststeuerungskompetenz wird zur Voraussetzung lebenslangen Lernens, dessen Notwendigkeit sich aus dem zunehmenden gesellschaftlichen Wandel ergibt. Dabei wird Lernen zu einem zentralen ökonomischen Faktor und zu einem „lebenslangen Imperativ“ (ebd.). Problematisiert wird hier insbesondere die Kultur- und Gesellschaftslosigkeit und die Subjektzentriertheit eines reformpädagogischen Impetus des selbstgesteuerten Lernens, weil dieser einer „Selbstökonomisierung, die einer neoliberalen Logik individueller Entwicklung zugehört“ (Forneck 2006: 133), Vorschub leiste.94 Durch Konzepte wie das selbstorganisierte und Lebenslange Lernen werden pädagogisch neoliberale Selbstregierungspraktiken reproduziert, so Höhne. Durch diese Konzepte wird die Entwicklungs-, Veränderungs- und Lernfähigkeit der Subjekte immer wieder pädagogisierend hervorgekehrt und unter wissenschaftliche und politische Beobachtung gestellt. Auf diese Art wird der normative soziale Druck auf den Einzelnen erhöht und soziale Exklusion dadurch individualisiert, dass Misserfolge den Individuen zugerechnet werden können (Höhne 2007: 40).
Exkurs: Das Subjekt (in) der Pädagogik Das Unscharfwerden von Grenzen des Normativen betrifft neben Gestalt und Qualität von Bildungsprozessen auch die Infragestellung des lernenden Subjekts. Die Frage nach dem Subjekt betrifft nicht nur erwachsenenpädagogische Fragestellungen, sondern das pädagogische Selbstverständnis selbst, weil sie die Bedeutung und Notwendigkeit von Bildung und Erziehung überhaupt anspricht. Um die Frage nach der Relativierung pädagogischer Normen der Erwachsenenbildung durch entgrenzte Bildung zu begreifen, sei im Folgenden kurz die Bedeutung des Subjekts im allgemeinpädagogischen Diskurs skizziert. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen stellt sich die Pädagogik das Subjekt nicht nur vor „(so wie die Philosophie sich das Erkenntnis- oder Handlungssubjekt vorstellt) – sie meint auch, für das Subjekt zuständig und verantwortlich zu sein“ (Rang/Rang 1985: 30, Hervorh. i. Orig.).95 Das scheint auch der Grund, warum gerade die Pädagogik so vehement auf Infragestellungen des autonomen
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Am Beispiel der Positionen des Reformpädagogen Edmund Kösel kritisieren Forneck und Wrana beispielsweise die Loslösung des lernenden Subjekts aus einem gesellschaftlich ambivalenten Bedingungsgefüge (Forneck/Wrana 2005: 142). Obwohl Pädagogik als „das Reden über Erziehung und Bildung“ (Lenzen 1989: 1106) bereits in der Antike etabliert war, hat sie als eigenständige Wissenschaft ihre historische Entstehungszeit in der Aufklärung.
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Subjekts reagiert, denn „[d]er Verlust des Subjekts wäre nicht das Ende einer bestimmten Pädagogik, sondern ihr Ende überhaupt“ (Heitger 1987: 21).96 Mit dem Subjektverständnis ist gleichsam das pädagogische Dilemma von Erziehen und Erzogen-Werden, d.h. von Selbst- und Fremdbestimmung des Subjekts, angesprochen. Erzieherisches Handeln beinhaltet immer eine äußere Einwirkung, die die Selbstbestimmung des zu erziehenden Subjekts fördern soll. Das Subjekt ist damit seit seiner Entstehung in der Neuzeit in den Widerspruch von Autonomie und Heteronomie eingebunden.97 Es ist die „Doppelbestimmung des Menschen, sowohl in die Welt eingeordnet als auch ihr enthoben zu sein“ (Lenzen 1989: 1477). Bereits Kants Frage, wie die Freiheit bei dem Zwange kultiviert werden könne, formulierte die Erziehungsaufgabe im Widerspruch von Freiheit und Notwendigkeit (Gößling 1993: 16). Die Frage nach dem Subjekt bleibt, historisch wie erkenntnistheoretisch gesehen, trotz der Erweiterung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik um gesellschaftstheoretische und ideologiekritische Postulate im „alten pädagogischen Grundwiderspruch von subjektiver Autonomie und pädagogischer Heteronomie“ (Pongratz 1989: 30) präsent. So reproduziert die Erziehungswissenschaft bis heute „den Selbstwiderspruch institutionalisierter Unmündigkeit und Abhängigkeit als Vorbereitung auf Selbstständigkeit und Mündigkeit“ (Herrmann, zit. nach Pongratz 1989: 30). Die pädagogische Disziplin steht damit seit jeher vor der Herausforderung, die Gleichzeitigkeit von Selbst- und Fremdbestimmung als unvermeidlich für Subjektivität anerkennen zu müssen und trotzdem dem individuellen Subjekt Rechnung tragen zu wollen (Lenzen 1989: 1479f.). Das bedeutet, „[d]as 96
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Der Betonung der fundamentalen Bedeutung des Subjekts für die Pädagogik steht jedoch die Beobachtung gegenüber, dass die Frage nach Subjektkonzeptionen oft in Teilbereiche oder in Subdisziplinen, wie die Pädagogische Anthropologie, ausgelagert wird. Historisch betrachtet, hat es sich vorwiegend die geisteswissenschaftliche Pädagogik zu Eigen gemacht, grundlagentheoretische Fragestellungen aufzuwerfen, die zur Selbstbestimmung der Pädagogik beigetragen haben. Die Auseinandersetzungen um Subjekttheorien erlebten vor allem in den 1960er und 1970er Jahren einen Aufschwung. Während sich die Debatte in den 1980er Jahren ausdifferenzierte und teilweise wieder verebbte, entstand vor allem im Zuge der Infragestellung durch postmodernes Denken eine erneute Debatte, die das pädagogische Selbstverständnis herausfordert (Hopfner 1999: 11) (zum kritischen Subjektdiskurs in der Pädagogik vgl. Smykalla 2000a). Die erkenntnistheoretischen Prämissen der Aufklärungsphilosophie vor allem von René Descartes, Jean-Jacques Rousseau, Gottfried Wilhelm Leibniz, Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte bestimmen maßgeblich ein gängiges gegenwärtiges pädagogisches Subjektverständnis und geben ihm die verbreitete Bedeutung eines vernünftigen, autonomen, selbstständigen Subjekts. Etymologisch gesehen ist der Begriff des Subjekts auf den lateinischen Begriff subiectus zurückzuführen, was übersetzt „untergeben, ausgesetzt, preisgegeben, unterwürfig, demütig“ heißt. Das Etymologische Wörterbuch gibt dem so entlehnten Begriff die Bedeutung von etwas Daruntergelegtem, einer Substanz und eines ursprünglich Gegebenen (vgl. Hopfner 1999: 13f.).
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Problem menschlicher Subjektivität ist offenbar für Befürworter und Kritiker unhintergehbar“ (Hopfner 1997: 442, Hervorh. i. Orig.). Eine aktuelle Brisanz erhält die Frage nach der Subjektkonstitution im Kontext von Bildungstheorien durch poststrukturalistische Infragestellungen des autonomen, selbsttätigen Subjekts. Im poststrukturalistischen Diskurs wird das Subjekt als performativ konstituiertes begriffen. So ist Lüders zuzustimmen, dass „(…) mit Foucault das Subjekt nicht mehr Grundlage und Ausgangspunkt von Bildung sein kann. Stattdessen muss man den Blick hin auf die diskursive Praxis verschieben. Sie ist der Ort, an dem ein Bildungsgeschehen möglich scheint“ (Lüders 2004: 54). Das Subjekt kann „weder Initiator noch Ausgangspunkt von Bildung“ sein (Lüders 2004: 55). Es ist den Macht- und Diskursverhältnissen unterworfen, die es gleichzeitig performativ konstituieren. Das soziale Konstituiertsein des Subjekts beinhaltet also eine doppelte Bedeutung von Unterwerfung, d.h. sowohl einen „befähigenden“, als auch einen „verletzenden“ Sinn (Butler 1995: 167). Das Handlungsvermögen bezieht das Subjekt aus der Einbezogenheit in jene Machtbeziehungen, die es verändern will. Diese Sichtweise hat die Revision des pädagogischen Verständnisses von Praxis und Handeln als Selbsttätigkeit zur Konsequenz. Die Infragestellung des autonom handlungsfähigen Subjekts erfordert eine Neuinterpretation der pädagogischen Vorstellung von Handlungsfähigkeit, denn sie ist nicht mehr verstehbar als Fähigkeit, die dem Subjekt eigen ist, sondern sie ist als Möglichkeit zu begreifen, Diskurspositionen zu besetzen und umzudeuten. Mit Infragestellungen des selbstgesteuerten Lernens wird also ein einheitliches, autonomes, vernunftgeleitetes Subjektideal als Grundlage der Pädagogik in Zweifel gezogen. Stattdessen ist pädagogisches Handeln durch konstitutive, nicht aufhebbare Antinomien gekennzeichnet (Helsper 2000: 15). Die Frage nach Autonomie und Heteronomie verweist auf eine „konstitutive Antinomie“ pädagogischen Handelns (Helsper 1996: 533), auf den unvereinbaren Widerspruch von Einheit und Differenz. Helsper konstatiert für die aktuelle Erziehungswissenschaft, dass „gegenüber Einheit und Bestimmtheit im Bereich der Bildungsreflexion der Verweis auf unhintergehbare Differenz und Pluralität“ (ebd.: 534) dominant wird. So gehört die Betonung von Differenzen zum Bestandteil jeglichen pädagogischen Denkens und Handelns. Differenzen beinhalten in einer binär strukturierten Gesellschaft die Herstellung von Hierarchien und Ausgrenzungen. Von Bildungsarbeit wurde und wird jedoch auch immer die Überwindung von gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen erwartet (vgl. Lemmermöhle 2001). Damit wird das Differenz-Dilemma, das in der unvermeidlichen Gleichzeitigkeit der Festschreibung und Überwindung von Differenz besteht, als konstitutiv für professionelles pädagogisches Handeln
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2 Horizont der Differenz
angesehen. Pädagogisches Denken steht in spezifischer Weise vor der Herausforderung, die widersprüchliche Gestalt von Subjektivität und Rationalität zu begreifen, weil es sein Verfügungsinteresse gleichzeitig akzeptieren und kritisieren und sich so als Arbeit am Subjekt zugleich betätigen und verleugnen muss, da es mit jeder Emphase für seine Macht die Resignation angesichts der Unerfüllbarkeit seiner Ideale vorbereitet (vgl. Meyer-Drawe 1990a, 1990b: 85).
2.4.3 Dezentralisierung von Lernorten und Kommerzialisierung der Weiterbildung Neben der Entgrenzung normativer pädagogischer Prinzipien ist auch eine Auffächerung pädagogischer Handlungsfelder, Lernorte und Arbeitsformen zu beobachten: Pädagogisch-berufliche Wissensvorräte werden deinstitutionalisiert, pädagogische Handlungsfelder weiten sich aus, und Vermittlungs- und Aneignungsformen pluralisieren sich (vgl. Arnold 2002: 29). Infolge der Deinstitutionalisierungsbewegungen wird in erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen immer öfter die Metaphorik eines Dienstleistungsmarktes eingeführt. So ist von einem „Weiterbildungsmarkt“, dem „Produkt Weiterbildung“ oder dem „Bildungsgut“ zu lesen, das effizient „vermarktet“ (Schäffter 1997: 3f.) werden soll, und Lernende werden zu Klient_innen oder zu Kund_innen umdefiniert. Durch die Auflösung der institutionellen Verankerung der Erwachsenenbildung gewinnt die Beratung als eigenständige Angebotsform neben der Weiterbildung an Bedeutung. Angebote der Unternehmens- und Organisationsberatung und pädagogische Beratung entwickeln neue Berufsfelder, die sich ergänzen, überschneiden oder in Konkurrenz zueinander stehen. Mit der Vermarktlichung der Weiterbildung geht ein als „organisationsbezogene Wende“ (Küchler 2001: 625) beschriebenes Phänomen einher, das eine Verschiebung der Zielgruppe vom Individuum zur Organisation als Adressat von Beratung zur Folge hat. Die Zunahme der Beratung ganzer Organisationen führt zu einer neuen strukturellen Entwicklungsphase in der Erwachsenenpädagogik. Einhergehend mit der organisationsbezogenen Wende wird unter dem Motto ‚vom Pädagogen zum Manager’ von Weiterbildungsseite kritisiert, dass pädagogische Problemdefinitionen und Leitbegriffe in der Weiterbildungspolitik und -praxis zunehmend gegen Termini der Volks- und Betriebswirtschaftslehre ausgetauscht werden. Aus gouvernementalitätskritischer Perspektive wird vor allem die „Ökonomisierung des Selbst“ (Forneck/Wrana 2005: 157) kritisiert, da – korrespondierend zur Ökonomisierung des lernenden Subjekts – die Weiterbildungseinrichtungen zu Unternehmen würden. Das verändert das Handlungsfeld, indem der Gegenstandsbereich des Ökonomischen sich systematisch
2.4 Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung
131
in das Feld des Pädagogischen ausbreitet (vgl. Forneck 2006: 141). Als problematische Effekte der Dezentralisierung und Deinstitutionalisierung von Bildungseinrichtungen wie Schule, Hochschule und Weiterbildungsorganisationen sind die Privatisierung und die Kommerzialisierung von Bildung zu nennen (vgl. Lohmann/Rilling 2002). Die Kommodifizierung (Vermarktlichung) des Berufsfeldes und die Verbetriebswirtschaftlichung der Pädagogik als Disziplin manifestiert sich konkret in der Ausgestaltung von Weiterbildung, wie Massing beschreibt: Da das alles dominierende Problem in der politischen Erwachsenenbildung die Kürzung des öffentlichen Fördervolumens ist, müssen Finanzierungen stärker über den Markt laufen, und betriebswirtschaftliche Strategien nehmen deshalb an Bedeutung zu. In dieser Konsequenz wird Kund_innenorientierung zur Handlungsmaxime, und im Weiterbildungsangebot muss vorrangig „Zeitgeistspezifisches“ (Massing 2005: 71) präsentiert werden. Diesem Marktzwang wird als ein positiver Effekt der Abschied von „Relikten der Belehrungskultur“ (Massing 2005: 71f.) attestiert. Neben dem grundlegend kritischen Diskurs gegenüber einer Verbetriebswirtschaftlichung von Pädagogik etabliert sich eine wissenschaftliche und forschungspraktische Perspektive, die versucht, Veränderungen in der Erwachsenenbildung aufgrund der Überschneidungen mit der Personal- und Organisationsentwicklung nicht gegeneinander zu profilieren, sondern zusammen zu denken. So ist Personal- und Organisationsentwicklung z.B. ein Teil der Berufsund Wirtschaftspädagogik und gilt damit auch als eine pädagogische Fachrichtung (Lenzen 1999: 50).98
2.4.4
Erweiterung pädagogischer Grundvorgänge: Vom Erziehen zum Beraten
Inwiefern „pädagogische Grundvorgänge“ (Lenzen 1999)99 wie Erziehung, Bildung und Beratung im Zuge der Entgrenzung in der Erwachsenenbildung neu verhandelt werden, wird im Folgenden kritisch hinterfragt. Es wird dazu die These von Klaus Mollenhauer vorgestellt, der Beratung als Form von Erziehung ansieht. Er warnt damit davor, Beratung aus der Erziehung zu entlassen und als eigenständigen pädagogischen Grundvorgang zu sehen. Damit hat sich 98
99
In vielen Studiengängen der Erwachsenenbildung bildet Organisationsentwicklung einen Schwerpunkt. Und auch im Bereich der betrieblichen und außerbetrieblichen Weiterbildung überlappt sich die Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit der Erwachsenenbildung. Damit wird Organisationsentwicklung zunehmend zu einem (erwachsenen-)pädagogischen Thema. Lenzen zählt außerdem Sozialisation, Unterricht und „Hilfe, Beratung und mehr“ (Lenzen 1999) zu pädagogischen Grundvorgängen.
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2 Horizont der Differenz
Mollenhauer schon in den 1960er Jahren zu einer bis heute virulenten Frage nach der Bedeutung und Reichweite pädagogischer Beratung positioniert. Beratung ist ein „pädagogisches Phänomen“ (Mollenhauer 1965) und „Pädagogik ist letztlich ‚Beratung’“ (Huschke-Rhein 1998: 10). Die Diskussion um das „genuin Pädagogische“ im Handlungsfeld Beratung oder um das „genuin Beraterische“ (Krause et al. 2003: 17) im Handlungsfeld Erziehung dreht sich um die Frage: Ist Beratung eine Form von Erziehung oder ist Erziehung per se Beratung? Bereits vor vierzig Jahren forderte Mollenhauer angesichts einer wachsenden Bedeutung von Beratung zur Reflexion über die „pädagogische Struktur und Relevanz des Beratungsvorgangs selbst“ auf (Mollenhauer 1965: 27). Beratung werde deshalb so zögerlich als erziehungswissenschaftlicher Vorgang reflektiert, weil von einem zu eingeschränkten Erziehungsbegriff ausgegangen werde. Mollenhauers These lautet deshalb, Beratung sei ein Erziehungsvorgang und ein „durchgehendes Moment der Erziehungstätigkeit“ (Mollenhauer 1965: 29). Nach Mollenhauer differenziert sich der „Bildungssinn“ (Mollenhauer 1965: 30) von Beratung in unterschiedlichen Momenten: „Beratung beginnt mit einer Frage“ (ebd.). Den Ansatz und Fortgang von Beratung bestimmen grundsätzlich die Erwartungen der Klient_innen. Beratung enthält zwar immer auch Information, aber sie ist mehr als eine Auskunft: „Beratung geschieht nicht als unmittelbare Antwort auf eine Frage“ (ebd.). Sie bedeutet die Vorbereitung einer Entscheidung, die im Gespräch vollzogen wird. Entscheidend ist, dass Beratung zur „kritischen Aufklärung“ (Mollenhauer 1965: 32) wird, wenn die Ratsuchenden über bloße Informationen hinaus Fragen nach ihren eigenen Möglichkeiten stellen. „Das Gespräch schafft Distanz, es ermöglicht, das Besprochene objektivierend zu betrachten, es ermöglicht ein rationales Verhalten zu sich selbst und zu den Bedingungen der eigenen Existenz“ (ebd.). Durch ein entscheidendes Merkmal indessen ist die Beratung nicht nur ein pädagogisch exponierter Vorgang, sondern zugleich anders als nahezu alle pädagogischen Vorgänge sonst: Der Berater empfängt seine ‚pädagogische’ Legitimation einzig und allein vom Ratsuchenden. Er ist ausschließlich zu dem befugt, was dieser ihm einräumt (Mollenhauer 1965: 35).
Beratung beinhaltet also Bestandteile eines modernen Bildungsbegriffs, wie Information, Aufklärung und Engagement, und ermöglicht in exponierter Weise Bildungsmöglichkeiten, weil den Klient_innen Initiative, Selbstständigkeit sowie die Fähigkeit, subjektive Problemlagen zu formulieren und zu objektivieren, zugesprochen werden. Was sagen Mollenhauers Überlegungen heute aus? Muten sie veraltet an oder in Zeiten des wachsenden Beratungsmarktes überholt? Dagegen spricht,
2.4 Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung
133
dass über dreißig Jahre später beispielsweise Dieter Lenzen erneut davor warnt, die Tätigkeiten Helfen und Beraten als eigenständigen pädagogischen Grundvorgang neben Erziehen, Bilden und Unterrichten anzusehen, weil sie Gefahr laufen, von der Grundidee pädagogischen Handelns, der Hilfe zur Selbsthilfe, abzuweichen (vgl. Lenzen 1999: 209). Auch die These von der Erziehungswissenschaft als Beratungswissenschaft greift diese Richtung auf: Wenn pädagogische Tätigkeit als Hilfe zur Selbstorganisation verstanden wird, können demnach dem sich entwickelnden Subjekt nur Impulse zur Selbstentwicklung gegeben werden, und Pädagog_innen üben letztlich also immer ‚nur’ eine Beratungsfunktion aus (vgl. Krause et al. 2003, Huschke-Rhein 1998). Eine neue Entwicklung ist, dass im Zuge von Reorganisationsprozessen in Organisationen – z.B. in Verwaltungen (Verwaltungsmodernisierung) und im Non-Profit-Bereich (Professionalisierung im Bildungs- und Gesundheitswesen) – der Personalentwicklung eine hohe Bedeutung zukommt. Neben Beratungen findet dabei der Begriff Training als Synonym für Schulung, Lehrgang, Weiteroder Fortbildung in diversen Bereichen Verwendung: Interkulturelles Training, Anti-Rassismus-Training, Kommunikationstraining, IT-Training, Social Justice Training, Anti-Bias-Training, Diversity-Training und Gender-Training. Die Antwort auf die Frage, was trainierbar oder erlernbar ist, hängt von dem jeweiligen Lernverständnis und dem zugrunde liegenden Menschenbild ab. Trainierbarkeit ist eine der zentralen Fragen des Personalmanagements. Sie markiert die Grenzlinie zwischen Mitarbeiter_innenauswahl und -entwicklung und ist damit auch ein zentrales Thema im Management der Mitarbeiter_innenqualität. Trainierbarkeit ist nicht gleich Erlernbarkeit, denn nicht alles, was ein Mensch theoretisch erlernen könnte, kann er/sie realistischerweise in Schulungen lernen. Die Grenzen der Trainierbarkeit sind schwer auszumachen und empirisch wenig erforscht, so z.B. beim Thema Empathie: Die Methode des Spiegelns kann zwar mechanisch geübt werden, inwiefern dieses Können jedoch in den eigenen Alltag integriert werden kann, hängt davon ab, ob eigene Gewohnheiten und Haltungen umgestellt werden können. Und ein tatsächliches Hineinversetzen in das Gegenüber liegt vermutlich außerhalb des Vermittelbaren.100 100
Offensichtlich wegen der Komplexität von menschlichen Veränderungsprozessen kommt eine Unternehmensberatung nach kurzer Analyse der Trainierbarkeit von Menschen zu dem pragmatischen Schluss „(Personal)Auswahl geht vor (Personal)Entwicklung“: Die Mitarbeitendenauswahl sei nicht nur sicherer, sondern auch kostengünstiger als die Personalentwicklung, zumindest so lange auf dem Arbeitsmarkt die benötigten Fähigkeiten ausreichend vorhanden seien (siehe www.umsetzungsberatung.de/personal/trainierbarkeit.php, letzter Zugriff 16.03.10). Diese Position ist sicherlich nicht stellvertretend für Personalmanagementprozesse, sie verweist jedoch auf das Subjektverständnis, das den Maßstab dieses anwendungsbezogenen Diskurses bildet: Es wird problematischerweise von einem unveränderbaren Persönlichkeitskern ausgegangen.
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2 Horizont der Differenz
2.4.5 Lehrende und Lernende in der Weiterbildung Die Entgrenzung von Handlungsfeldern und Lernorten der Weiterbildung führt zu einer ambivalenten Situation sowohl für die Lehrenden als auch für die Teilnehmenden von Weiterbildung. Herausforderungen sind die Neudefinition von Expert_innen sowie der Klientel der Erwachsenenbildung durch gewandelte Arbeits- und Lernbedingungen. Angesichts der Aufweichung von Grenzen und des Profils des Berufsfelds Erwachsenenbildung stehen die in diesem Bereich Tätigen vor einer doppelten, gleichzeitigen Entwicklung: Einerseits nehmen Berufsmöglichkeiten in- und außerhalb der institutionalisierten Erwachsenenbildung zu, andererseits bröckelt an dieser Schnittstelle die Verpflichtung auf einen im engeren Sinne „pädagogischen Berufszweck“ (Peters 2005: 39). Erwachsenen- und Weiterbildung ist als Bildungsberuf heute offenbar weniger denn je abgegrenzt von anderen sozialen Berufen. Dies hat zur Konsequenz, dass heute diejenigen, die Lernprozesse Erwachsener unterstützen, eher selten erwachsenenpädagogisch ausgebildet sind und sich auch selten als Angehörige einer erwachsenenpädagogischen Profession begreifen (vgl. Nittel 2000: 17f.). Im Kontext der Überlegungen zur Professionalisierung der Weiterbildung muss deshalb gefragt werden: „Welche Personengruppen gehören zur ‚Profession’ der Erwachsenenbildung“ (ebd.: 13)? „Heterogene Zugangswege, niedrige Honorare, fehlende Systematik der Ausbildung, wenig Anerkennung – die Analyse der Situation der Erwachsenenbildung ist nicht neu. Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist das fehlende Berufsbild, das einer Professionalisierung entgegensteht“ (Gieseke 2006: 5).101 Die vielfältigen disziplinären Hintergründe der in der Erwachsenenbildung Tätigen und die Heterogenität der Angebote im Weiterbildungsbereich produzieren einen Bedarf an Qualitätssicherung zur Gewährleistung der Qualifikation der Professionellen und der Qualität der Arbeit. Der Erwachsenenbildung stellen sich Schiersmann (2002) zufolge zweierlei Herausforderungen durch die Qua101
Das Kölner Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (WSF) kommt in seinem Abschlussbericht der Studie Erhebung zur beruflichen und sozialen Lage von Lehrenden in Weiterbildungseinrichtungen, die vom BMBF in Auftrag gegeben wurde, zu dem Ergebnis, dass in diesem Arbeitsmarktsegment eine reale Prekarität für die Lehrenden vorliegt. Sie seien „hauptberufliche Honorarkräfte“: ¾ der insgesamt 1,35 Millionen Beschäftigungsverhältnisse sind Honorarverträge oder Verträge mit Selbstständigen. Von diesen Lehrenden sind 240.000 (37%) hauptberufliche Lehrende, davon 150.000 hauptberufliche Honorarkräfte, davon wiederum sind 63% Frauen. ¾ der Lehrenden sind pädagogisch qualifiziert, d.h. sie verfügen zu 80% über einen Hochschulabschluss. „Die Lage der Honorarlehrkräfte in der Weiterbildung steht exemplarisch dafür, welche Dumping-Löhne und unzumutbaren Arbeitsbedingungen in Deutschland selbst für hochqualifizierte pädagogische Arbeit möglich geworden sind“ (Herdt/ Jadwebski 2006: 1f.).
2.4 Weiterbildung zwischen Professionalisierung und Ökonomisierung
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litätsdebatte: Kriterien zu entwickeln, die Qualitätsmodelle vergleichbar machen und nachdrücklicher zu fragen, was das Spezifikum pädagogischer Qualität ist. Auch die Teilnehmendenschaft entgrenzt sich, und so produzieren die Prioritäten verschiedener Zielgruppen eine heterogene Weiterbildungsnachfrage. Die Frage danach, wer die Lernenden sind und wie sie angesprochen werden sollen, beschäftigt die Weiterbildungsdiskussion zunehmend. Teilnehmende, Adressat_innen, Klient_innen, Kund_innen – die Begriffe stehen für unterschiedliche Rationalitäten und Diskurse und zeigen Verschiebungen im Verständnis von Bildung auf.102 Entgrenzungen werden mit Blick auf die Teilnehmenden von Weiterbildung von Tippelt und Hippel in drei Dimensionen unterschieden (Tippelt/Hippel 2005: 33f.): Mit einer „vertikalen Entgrenzung“ (ebd.) ist eine Differenzierung von Lebenslagen beschrieben, bei der sich soziodemografische Merkmale wie Einkommens- und Bildungsniveau, Alter, Geschlecht, Gesundheit oder Wohnqualität bei Teilnehmer_innen der Weiterbildung neu verknüpfen und unterschiedliche Angebote notwendig machen. Die „zeitliche Entgrenzung“ (ebd.) betrifft die Verwischung und Entstandardisierung von Lebensphasen, da biografische Phasen im Lebensverlauf, Statuspassagen und ihre Übergänge schwieriger zu bestimmen sind als früher. Die „horizontale Entgrenzung“ (ebd.) bezieht sich auf Veränderungen oder Verstetigungen von Lebensstilen, die sich aus Werten, der Lebensführung, Alltagsroutinen, ästhetischen Präferenzen, Freizeitinteressen oder Zukunftsvorstellungen zusammensetzen. Pluralisierte Bedürfnisse von Teilnehmenden führen Tippelt und Hippel zufolge zu einer differenzierten Ansprache von Zielgruppen und zu einer Entstehung von „Teilmärkten“ (Tippelt/Hippel 2005: 35). Dieses „Milieumarketing“ (ebd.) beinhalte jedoch die Gefahr eines „Millieu-Gaps“ (ebd.), wenn sich Anbietende von Weiterbildung aufgrund der Finanzlage vor allem auf finanzstärkere Milieus konzentrieren. In der Erwachsenenbildung ist deshalb weiterhin ungeklärt, wer heute die Klientel103 der dort tätigen Professionellen ist. Auf Nittels Frage, ob Kursleitende primär für die Teilnehmenden oder für die Institution arbeiten (vgl. Nittel 2000: 13), mutet eine Antwort Mitte der 1980er Jahre auch heute noch aktuell an: „Wie man das Blatt aber auch wendet, ein Trainer wird immer in einem ständigen Spannungsfeld zwischen den Interessen seines Auftraggebers, der Teilnehmer und seinen eigenen Interessen leben“ (Schrader et al. 1983: 237). 102
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Siehe z.B. die „Subjektivierung“ und „Responsibilisierung“ durch Weiterbildungsangebote, die Lernende zunehmend als „Kundensubjekt“ (Forneck/Wrana 2005: 171) adressieren. Die Klientel wird begrifflich wie folgt unterschieden: Mit der Abgrenzung der Adressat_innenorientierung von der Zielgruppenorientierung ist eine pädagogisch-didaktische Interventionsform seit den 1970er Jahren gemeint (Schelle 2005). Die Adressat_innenorientierung wurde als eine spezifische Form der Teilnehmendenorientierung vorgeschlagen und im Sinne der Selbststeuerung zu einem didaktischen Leitprinzip erklärt (Tietgens 1980).
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2 Horizont der Differenz
2.4.6 Horizont von Bildung Die Kontroverse um die Entgrenzung von Bildung innerhalb der Erwachsenenbildung wurde als Effekt der Debatte um ‚die Postmoderne’ in der Allgemeinen Pädagogik gelesen. Der Diskurs um ‚die Postmoderne’ konkretisierte sich in verschiedenen Dimensionen der Entgrenzung: auf der normativen Ebene, der Handlungsfeldebene, der Ebene der professionellen pädagogischen Grundvorgänge bzw. Tätigkeiten sowie auf der Ebene der Akteur_innen. In beiden Kontroversen fanden sich Entsprechungen im Gestus der polarisierten Auseinandersetzung um ein Für oder Wider. Während die einen an der Bildungstradition mit einer Lern-Prozessorientierung festhalten wollen, plädieren andere für die Verschiebung hin zu einer Kompetenzentwicklung mit einer Ergebnisorientierung. Zwischen dem Postmoderne- und dem Entgrenzungsdiskurs fanden sich aber auch inhaltliche Verschiebungen. Der generelle Vorwurf einer Verwissenschaftlichung der Pädagogik ist einer Kritik an der ‚Verbetriebswissenschaftlichung’ gewichen. Dadurch erhält die bereits seit langem formulierte Kritik an der Ökonomisierung von Bildung und Weiterbildung eine neue Dimension. Die Privatisierung von Bildungseinrichtungen und die Kommodifizierung der Weiterbildung sind vor dem Hintergrund eines zeitgleichen Bedeutungsgewinns von (Organisations-)Beratung zu betrachten. Dies bedeutet auch anzuerkennen, dass pädagogisches Handeln auf wissenschaftlicher Ebene mit disziplinären Durchkreuzungen und auf gesellschaftlicher Ebene mit Vermarktlichungsprozessen konfrontiert und an deren Gestaltung auch beteiligt ist. In der Positionierung im Entweder-Oder liegt jedoch die Gefahr der Verkennung einer „Begriffsherrschaft“ (Butler 1993a: 34), weil durch das Zusammenfassen unter ein Symptom das Ganze erst hervorgebracht wird. Damit symbolisieren die Kontroversen einen argumentativen Mechanismus, der Verallgemeinerung zum Ziel hat. Denn indem Beispiele für Allgemeingültiges gegeben werden, wird das Allgemeine performativ hergestellt. Durch die Vereinheitlichung wird einer vereinfachenden Kritik Vorschub geleistet und die Infragestellung von Grundlagen des Denkens und Handelns verweigert sowie die Kontingenz eines bestimmten tradierten Denkens verschleiert. Das Aufdecken von kontingenten Grundlagen hieße jedoch, Normen in ihrem Geworden-Sein zu analysieren und nicht als feststehende Tatsachen hinzunehmen. Hier wurde deshalb versucht, sich aus einer dritten Position dem Thema zu nähern, indem die polarisierte Auseinandersetzung selbst in Bezug auf ihre Vorannahmen und Ausschlüsse befragt wurde. Die Infragestellung von Bildung bedingt die Frage nach dem Subjekt der Pädagogik. Andersherum stellt die Infragestellung des autonomen, selbsttätigen Subjekts Bildungstheorie und Weiterbildungspraxis vor die Herausforderung, Subjektivität und Lernen jen-
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seits humanistischer Ideale und neoliberaler Selbstregulierungstechniken zu denken. Dies würde bedeuten, sich von Gewissheiten zu verabschieden sowie disziplinäre Wissensgrundlagen kontinuierlich zu hinterfragen und für neue Einschreibungen zu öffnen. Hilfreich scheint dafür ein poststrukturalistisches Subjektverständnis, das eine vorgängige Einheit eines ‚Selbst’ und den Alleinvertretungsanspruch eines autonomen Erkenntnissubjekts ablehnt. Das Subjekt als Schauplatz und als Effekt diskursiver Praktiken zu begreifen, nimmt Widersprüchlichkeiten und Brüche als Ausgangspunkt an, anstatt diese durch Kohärenz, Einheit und Identitätslogiken zu verschleiern.
2.5 Figurationen der Ambivalenz – gender-orientierte Weiterbildung und Beratung zwischen Mainstreaming und Entgrenzung 2.5 Figurationen der Ambivalenz Die Diskursivierung von Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Strategie zeigt als markanteste Trennungslinie die Kontroverse um Vereinnahmung und Separation. Dahinter liegt die Befürchtung des Verlusts eines politischen, machtkritischen Potenzials von Feminismus durch eine fachlich-technizistische, effizienzlogische Ausrichtung der Strategie Gender Mainstreaming. Auch bei den Diskussionen um die Entgrenzung von gender und um die Entgrenzungen von Bildung findet sich eine Rhetorik des Verlusts. Das Konstatieren einer Krise wird mit der Negativ-Bedeutung eines Mangels gleichgesetzt. Genauso stark ausgeprägt finden sich jedoch auch Positiv-Konnotierungen, bei denen Gender Mainstreaming zum Hoffnungsträger der Gleichstellungspolitik wird, der Bedeutungsverlust im Sinne einer Dethematisierung der Kategorie Geschlecht als Erfolg gilt und von der entgrenzten Bildung ein Abschied von veralteten Strukturen und Belehrungskulturen erwartet wird. Deutlich werden hier also sehr konträre Positionierungen: Während die einen den Wandel der Geschlechterverhältnisse und den Wandel im Bildungsbereich als Freiheitsgewinn verstehen wollen, zweifeln andere das Vorhandensein eines Wandels im Sinne eines Fortschritts an und mahnen Manifestations- und Vereinnahmungstendenzen an. Diesem Ringen um Definitionshoheit zwischen theoretischen Schulen, (bewegungs-)politisch situierten Kontexten und Akteur_innen lässt sich mit poststrukturalistischen Infragestellungen insofern anders begegnen, als sie nach der Macht der Wissensproduktion fragen. Indem die Benennung einer Krise nicht als Tod des Subjekts oder Untergang der Disziplin gedeutet wird, wird der Blick auf jene Anstrengungen gelenkt, die unternommen werden, um widerspruchsfreie Entitäten festzulegen: „Konflikte erwachsen aus dem Versuch, in widersprüchlichen und inkohärenten Diskursen eine einzige, einheitliche Posi-
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tion einzunehmen“ (Weedon 1990: 191). Deswegen stellt eine Infragestellung von vereinheitlichenden Positionen als widerspruchsfrei, abgeschlossen und kohärent die Voraussetzung für nicht-affirmative Widerstandsformen gegen essentialistische und dualistische Normierungen von gender dar. Dieses Vorhaben voranzutreiben sollte Aufgabe einer machtkritischen, gender-reflektierten Theorie und Praxis sein. Diese könnte darin bestehen, in dem Wissen darum, ein konfliktreiches Verhältnis der Gleichzeitigkeit von widerstreitenden Positionen nicht auflösen zu können, einen Gewinn zu sehen. Fragen der Inklusion und Exklusion, der Entgrenzung und Begrenzung sind nicht gegeneinander, sondern als konstitutiv miteinander verwoben zu betrachten. Machkritische Geschlechterperspektiven in alle politischen Entscheidungen und auf allen Ebenen einzubeziehen, so wie Gender Mainstreaming dies ermöglichen könnte, scheint auf den ersten Blick weit davon entfernt, ein Degendering von Geschlecht hervorzurufen. Aber deshalb stehen dekonstruktive Interventionen einer effektiven gleichstellungspolitischen Praxis nicht im Weg. Ob das Paradigma der Unentscheidbarkeit, das als Konsequenz aus der Perspektive der Ambivalenz entsteht, unvereinbar ist mit der Entscheidungsnotwendigkeit, die Bildungsprozessen inhärent ist, ist noch zu untersuchen. Es ist zu fragen, wie im Handlungsfeld der Gender-Trainings die Kontroversen um das Verschwinden der Kategorie Geschlecht mit den gleichstellungspolitischen Bemühungen ineinandergreifen, gender in den Mainstream zu bringen? Unterlaufen die Erwartungen an die Vermittlung von Gender-Kompetenz in GenderTrainings die Anforderungen einer anti-essentialistischen, machtkritischen Bildungsarbeit? Es ist dabei davon auszugehen, dass Gender-Trainings sich innerhalb eines Spannungsverhältnisses von Mainstreaming und Entgrenzung konstituieren. Eine Klärung dieses Verhältnisses erfordert ein genaues Hinsehen, welches unterschiedliche Kontexte berücksichtigt. Es wird deshalb in der empirischen Studie genauer zu untersuchen sein, in welchem Zusammenhang Gendering- und Degenderingprozesse mit gleichstellungspolitischen Bestrebungen des Mainstreaming von Gender-Konzepten stehen und welche Konsequenzen dies für das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung hat.
3 Aushandlungsräume – Interventionen in genderorientierter Weiterbildung und Beratung
3.1 Zwischen Markt und Bewegung: Das Handlungsfeld genderorientierter Weiterbildung und Beratung 3.1 Das Handlungsfeld gender-orientierter Weiterbildung und Beratung Das folgende Kapitel stellt heraus, wie sich die gender-orientierte Weiterbildung und Beratung als professionelles und politisches Handlungsfeld entwickelt und wie sich die Gender-Expert_innen darin verorten. Damit werden die Konsequenzen und Herausforderungen einer Vermarktlichung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung aus der Perspektive von Expert_innen verdeutlicht. Aus den Artikulationen wurden drei Dimensionen extrapoliert, die die genderorientierte Weiterbildung und Beratung als Handlungsfeld konstituieren:
Lesarten: Gender Mainstreaming als Chance und Bedrohung, Ziele: Gleichstellung zwischen Modernisierung und Transformation, Professionalisierungsmodi: berufsbiografische Verläufe zwischen Profession und Mission.
Lesarten beschreiben Diskursivierungen von Gender Mainstreaming als Chance und Bedrohung. Sie zeigen deren Zusammenhang mit Vermarktungsstrategien der Expert_innen auf, wobei der Umgang mit Konkurrenz und Qualitätssicherung der Arbeit relevant werden. Ziele verweisen darauf, welche Verständnisse von Gleichstellung mit der Strategie Gender Mainstreaming verbunden werden und inwiefern Modernisierungen oder Transformationen im Geschlechterverhältnis bewirkt werden sollen. Die Professionalisierungsmodi stellen dar, in welcher Weise die Expert_innen ihre berufsbiografischen Verläufe für ihre Arbeit als Gender-Trainer_in oder Berater_in relevant setzen und inwiefern sie geschlechterpolitisch und/oder fachlich motiviert sind. Zusammenfassend werden aus diesen Dimensionen verschiedene Diskursallianzen und Diskurskonkurrenzen im Handlungsfeld charakterisiert, indem Übereinkünfte und konsensuale Verständnisse sowie Kontroversen, Konflikte und Dilemmata in Bezug auf die Vermarktlichung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung aufgezeigt werden.
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3 Aushandlungsräume
3.1.1 Lesarten von Gender Mainstreaming: Chance und Bedrohung Es gibt einen Konsens unter den Expert_innen, dass die Einführung von Gender Mainstreaming nichts Neues ist. Gender Mainstreaming gilt mit einer Betonung des Gender- und Querschnittsgedankens lediglich als eine explizite Thematisierung dessen, was schon seit Längerem in den bestehenden Arbeitszusammenhängen gefordert bzw. vertreten wird. Als Beispiel nennt Frau Hennigsen den Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, „wo ja schon längst diese Debatte geführt wurden“ (AH 8).104 Die gleichstellungspolitischen Diskussionen seien dort zwar „leicht anders besetzt, aber es geht eigentlich um den gleichen Grundgedanken“ (AH 8). Für diese Trainerin, die selbst in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gearbeitet hat, ist es angesichts der internationalen bewegungspolitischen Wurzeln von Gender Mainstreaming in der Entwicklungszusammenarbeit erstaunlich, dass die Strategie „von einer Innenpolitik übermittelt über die EU-Strukturen“ (AH 8) Eingang nach Deutschland fand. Sie registriert mit Verwunderung die Vehemenz, mit der „explosionsartig Gender Mainstreaming als Feld entdeckt worden ist“, wohingegen ihr der „Gender-Ansatz“ (AH 8) schon lange vertraut ist. Auch für einen Referenten der Jugendarbeit gilt die Integration von Gender-Aspekten als nichts Neues, weil er seine bisherigen Tätigkeiten rückblickend mit einem Gender-Ansatz rahmt: „Ich behaupte, dass ich Gender gemacht habe schon eben Mitte der 80er Jahre, nur hieß es nicht so ne, aber wir haben mit dem Thema Mädchenarbeit und Jungenarbeit haben wir einfach viel gearbeitet seitdem“ (SC_1 47). Und auch aus der Perspektive der politischen Bildungsarbeit gilt Gender Mainstreaming als eine „neue Strategie für ein altes Thema“ (AS 11). Ebenso sieht eine selbstständige Organisationsberaterin in der Einführung von Gender Mainstreaming nichts Neues, sondern eine Strategie, „die wir ja eigentlich schon lange gefordert haben“ (GL 12): Und der Anspruch ist da unabhängig ob man das Gender Mainstreaming nennt oder nicht, war schon für uns selbst immer das Thema. Also ob ich jetzt Supervision oder Coaching anbiete, wird_ ist sozusagen immer die Ebene anbelangt, wo die Personen reflektieren und im Arbeitskontext geht es auch um Vergeschlechtlichung, Zuschreibungen. Also es ist bei uns jetzt nicht da, weil der Begriff Gender Mainstreaming da war (GL 20).105
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Die Kürzel nach den Zitaten stehen für Abkürzungen der Pseudonyme, die den Befragten aus Datenschutzgründen gegeben wurden. Die Ziffern bezeichnen die Textstelle in den Interviewtranskripten. Die Interpunktion in den zitierten Interviewpassagen steht für bestimmte Transkriptionsregeln (siehe Anhang).
3.1 Das Handlungsfeld gender-orientierter Weiterbildung und Beratung
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Gender Mainstreaming wird also von den Trainer_innen als eine ihnen bereits bekannte Strategie wahrgenommen, die für eine Geschlechterpolitik steht, die bisher zwar anders genannt wurde, aber vom Inhalt nicht neu ist. Die Wahrnehmung von Gender Mainstreaming als „alter Wein in neuen Schläuchen“ (DT 108) verbinden die Befragten des Weiteren allerdings mit konträren positiven oder skeptischen Einschätzungen und positionieren sich so als Befürworter_innen oder als Skeptiker_innen der Strategie. Im Folgenden werden die Konnotationen von Gender Mainstreaming als Chance oder Bedrohung verdeutlicht.
Gender Mainstreaming als Chance Aus der Perspektive der Männerarbeit sieht Herr Allersheim im Top-downPrinzip von Gender Mainstreaming die Chance, neue Zielgruppen mit seiner Arbeit zu erreichen, insbesondere männliche Führungskräfte. Für ihn liegt deshalb in der Einführung von Gender Mainstreaming eine „Initialzündung“: Boah endlich haben wir ein Instrument was top-down geht und wo man die Männer wirklich an den Stellen erreicht, wo wir sie bisher nie erreichen konnten. Ich habe also die Chance gesehen an die Männer ranzukommen, die doch eigentlich den Weg in so ein Männerbüro oder sich mit ihrer eigenen Männlichkeit oder ihrem Rollenverständnis nie auseinander setzen würden. Und als ich mir dann diese Strategie angeschaut habe, habe ich so gemerkt, jo das ist es (EA 9)!
Dieser Trainer vertritt die Ansicht, dass speziell Männer, die meist schwierig für Gleichstellungsthemen zu gewinnen sind, aus männerpolitischer Perspektive als neue Adressaten der Strategie Gender Mainstreaming erscheinen. Und das war für mich eigentlich so ein Punkt so jo da spring ich drauf, das will ich machen, da sehe ich eine Chance drin. Und das ist auch bis heute so geblieben trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten die es hat, aber ich glaube dieses Thema bietet_ also diese Strategie bietet die Möglichkeit das Geschlechterthema zu transportieren (EA 9).
Aus einer frauenpolitischen Perspektive betont auch eine andere Trainerin die Chance von Gender Mainstreaming zur Transformation der Geschlechterverhältnisse und zur Fortsetzung einer emanzipatorischen Politik. Sie geht davon aus, dass Gender-Trainings und Gender Mainstreaming „(…) einen emanzipatorischen Anspruch haben. Und dass auch ganz viele Akteurinnen aus der Frauenbewegung, ich bin ein Beispiel dafür, genau in diese Schiene rein sind um eben auch Geschlechterverhältnisse zu transformieren“ (AH 62).
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Mit der positiven Lesart von Gender Mainstreaming als Chance verbinden sich vor allem für selbstständige und nebenberuflich tätige Trainer_innen positive Bewertungen. Für diese Gruppe eröffnen sich Möglichkeiten der beruflichen Expansion. „Dann kam eine dritte Quelle die bis heute heftig sprudelt ((lacht)), das war dann Ende der 90er, konkret ab Ende 99 eigentlich fing das ja an, dass sich in Deutschland Gender Mainstreaming umsetzte oder vielfältig die Frage aufgeworfen wurde was denn dies nun sei“ (RG 6). Mit der Bezeichnung von Gender Mainstreaming als lebhaft sprudelnder „Quelle“ bezieht sich diese Trainerin auf die steigende Nachfrage an Beratung und den steigenden Gewinn. Die hohe Nachfrage an Gender-Trainings wird von der Anbieterin aktiv genutzt, weil sie unmittelbar auf die neue Marktsituation reagiert indem die eigenen Beratungsangebote gender-orientiert ausgeweitet bzw. neu entwickelt werden. Auch für Frau Lorenz eröffnet sich durch Gender Mainstreaming ein „weites Entwicklungsgebiet“, das viel Spielraum für professionelle Weiterentwicklungen gibt und zudem ihre finanzielle Existenz sichert. Die Organisationsberaterin gründet im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming ein neues Beratungsinstitut, womit sich ihr viele neue Möglichkeiten bieten: „Und da können wir auch Neues entwickeln und da haben wir jetzt genug zu tun im KE die nächsten fünfzig Jahre. ((lachen)) Also so viel zum Gender Mainstreaming fiel mir ein ((lachen))“ (GL 175). Die Beraterin geht davon aus, dass sich durch die Implementierung von Gender Mainstreaming ein neuer „Markt von Gruppen oder Organisationen“ erschließen lässt, „die aus dem linken Spektrum kommen“ (GL 12): „Wir definieren feministische Kontexte und Konzepte (…). Und haben auch diskutiert welche Kunden und Kundinnen verlieren wir dadurch und so weiter und haben uns aber bewusst entschieden, dass das nicht anders geht (GL 13).“ Gender Mainstreaming fungiert als Auslöser für die Firmengründung, bedeutet aber keine prinzipiell neue inhaltliche Ausrichtung. Es werden bewusst die bisherigen Zielgruppen angesprochen. In ihrer Strategie behalten die Beraterinnen ihren bisherigen feministischen Analyseblick sowie ihre Angebotspalette bei und greifen auf ihre Kenntnisse der Akteurskonstellationen im Handlungsfeld zurück. „Also es gibt da eine Geschichtsschreibung zu, wer mit wem irgendwie_ wichtig aber ist, es gibt Codes dazu. Also wo so kritische Gesellschaftsanalyse_ und das sind Zeichen in einer Organisation, die einen selber reizen, das ist dann eine Herausforderung auch ((lachen))“ (GL 14). In der Lesart von Gender Mainstreaming als Chance wird bis hierher deutlich, dass sich die Implementierung von Gender Mainstreaming für diese Trainer_innen und Berater_innen sowohl als eine berufliche Entwicklungs- und Erfolgsgeschichte gestaltet, als auch eine positive politische Errungenschaft darstellt. Obwohl diese Expert_innen die Marktentwicklungen befürworten und aktiv mitgestalten, problematisieren sie Effekte der Marktorientierung, wie den
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Verlust an der Qualität der Arbeit und Konkurrenzverhältnisse, die aufgrund der Wettbewerbssituation stattfinden. Es wird dabei marktimmanent argumentiert, d.h. die eigene Tätigkeit und das professionelle Selbstverständnis wird innerhalb einer „Wechselwirkung von Angebot-Nachfrage“ sowie von „Leistung und Honorierung der Leistung“ (AH 55) reflektiert. Die Ausweitung eines Weiterbildungs- und Beratungsmarktes gestaltet sich insofern als schwierig, als die Qualität der Angebote durch den Wettbewerb gefährdet wird. Niedrige Qualitätsstandards und geringe Honorare der anderen Mitbewerber_innen unterwandern die Qualität der Arbeit und führen zu Anpassungsdruck, wie eine Trainerin ausführt: Man konkurriert mit anderen Gendertrainern, die also tatsächlich sagen, wir bieten Gender-Trainings an in zwei Stunden. Das ist ja schon mal völlig absurd aber so ne? Aber so lange so viele schwarze Schafe auf dem Markt unterwegs sind, die so tun als ob kann man mit hohen Standards natürlich Schwierigkeiten kriegen ne. Also ich jetzt nicht mehr weil ich so etabliert bin, aber für viele andere ist das schon ein Problem mit anspruchsvollen Konzepten aufzutreten, die auch teuer sind gegenüber solchen die sagen „och das ist kein Problem das machen wir mal so“. Schon schwierig (RG 111).
Der Preis regelt die Nachfrage, und es sei schwierig, hohe Standards durchzusetzen. Der Wettbewerb produziert einen Zuwachs an Angeboten bei gleichzeitigem Fehlen von Qualitätsstandards. Dies habe den Rückgang an Qualität durch niedrige Honorare zur Konsequenz, und die „kreative Arbeit im freiberuflichen Geschäft“ (AH 47) komme zu kurz. Aufgrund der vielen Anfragen steigt der Druck, möglichst viele Aufträge anzunehmen. Dies führe jedoch zu einem „Verfall des ganzen Marktes oder des ganzen Feldes weil das ja auch immer schneller geht und weil die Leute weniger zahlen“ und es entstehe die Versuchung, auf „Altbewährtes zurückzugreifen und sich nicht so genau Gedanken zu machen, ja was ist das und wer ist das“ (AH 47): Ich habe im Moment so ein bisschen den Eindruck das dumpt alles so ein bisschen. Und das heißt auch dass die Qualität so ein bisschen runtergeht, weil der Wert der Vorbereitungszeit eigentlich gar nicht mehr anerkannt wird. Wobei ich meine es geht noch es kommt immer drauf an wer das ist und so. Aber der Trend geht schon auch dazu, dass man sag ich mal aufgrund dieser neuen Konkurrenzsituation immer billiger werden muss, wenn man dann wirklich so ansetzt Kosten-Nutzen-Verhältnis wie lange arbeite ich mich in ein neues Thema rein z.B. dann wird es auch schwierig (AH 48).
Der Verlust an Qualität liegt nach Ansicht dieser Trainerin in der NichtHonorierung der Vorbereitungszeit für die Trainings und dem Trend begründet,
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immer kostengünstigere Angebote machen zu müssen, um am Markt bestehen zu können. Die Gewinnoptimierung erzeugt den Effekt der Marktorientierung, schnelles Geld mit Standardmodulen zu verdienen, anstatt jeden Auftrag zielgruppendifferenziert und thematisch zugeschnitten auszuführen, um nicht vom Markt ausgeschlossen zu werden. Die schnell anwachsende Nachfrage stellt die Qualitätsansprüche der Anbietenden auf die Probe. Die Entlohnung wird von einem Trainer als „Machtmittel“ der Auftraggebenden wahrgenommen, und damit Geld als „politisches Steuerungsinstrument“ (PD 145) des neuen Marktes charakterisiert. Er schätzt es so ein, dass die auftraggebenden Organisationen den Markt mit finanziellen Vorgaben regulieren. Es gibt ja auch verschiedene Beispiele, wo wir es mitgekriegt haben, auch gerade in Kommunen, die unter einem besonders hohen Druck stehen, dass versucht wird, Gender Mainstreaming-Prozesse und auch Fortbildungen und Gender-Trainings dann möglichst kostenneutral zu bekommen oder irgendwie das sehr eingeschränkt zu machen. Da kann man sich dann natürlich fragen, ob es überhaupt noch Sinn macht wenn man so weit runtergeht (...) Auch da geht es wieder übers Geld. Aber das ist ja schon altbekannt, Geld als Machtmittel dann auch oder als politisches Steuerungsmittel (PD 145).
Die Höhe der für Gender-Trainings zur Verfügung gestellten Mittel gilt für diesen Trainer als ein Zeichen für die organisationsinterne Prioritätensetzung und als ein Maßstab dafür, wie ernst eine Organisation die Umsetzung von Gender Mainstreaming nimmt: „Wenn man die Ressourcen nicht zur Verfügung stellt, dann bleiben das Lippenbekenntnisse. Und das ist auch zu spüren, das gilt auch für die Trainings. Das kostet eben Geld, das ist nicht umsonst zu haben. Ich glaube das ist so eine Nagelprobe wo man sehr genau hingucken muss“ (PD 145). Die Höhe der Ressourcen für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gilt aufseiten der Auftragnehmenden als ein Qualitätsmerkmal: Je niedriger der Preis für ein Training, desto schlechter ist die Qualität – und je niedriger der Preis, desto weniger lohnt sich eine hohe Arbeitsqualität, so die These. Der Versuch, den Markt von der Angebotsseite aus zu kontrollieren, offenbart die dilemmatische Situation der Expert_innen: Als Anbietende von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung verstehen sie sich als Gender-Expert_innen und vertreten eigene Qualitätsansprüche oder auch politische Überzeugungen. Gleichzeitig sind sie Auftragnehmer_innen und stehen damit in einem Abhängigkeitsverhältnis von den Auftraggebenden, denen sie ihre Leistung verkaufen wollen bzw. müssen, um sich finanzieren zu können. Das Thema Konkurrenz gilt als ein weiteres gewichtiges Thema unter den frei- und nebenberuflichen Trainer_innen. Es hat zudem eine Gender-Dimen-
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sion, da es mit der Aushandlung von Machtverhältnissen einhergeht. Die These einiger Trainer_innen ist also, dass die Marktorientierung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung zu einer vergeschlechtlichten Konkurrenzsituation zwischen Trainerinnen und Trainern führt. Als Grund dafür wird die Rolle von Männern als Gender-Trainer und -Berater und ihre Zusammenarbeit im Leitungsteam eines Trainings genannt. Hintergrund ist, dass es oft eine Vorgabe der Auftraggebenden ist, dass Gender-Trainings von einem so genannten ‚Genderteam’, gemeint ist ein Team bestehend aus einer Frau und einem Mann, geleitet werden. Die Anforderung, dass immer eine Frau und ein Mann das Gender-Training leiten sollen, wird zudem auch von einigen Trainerinnen selbst zu einem „Qualitätsstandard“ (EM 35) gemacht. Da männliche Experten jedoch im Bereich der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung „rar“ (RL 30) sind, führe dies dazu, dass sie häufig aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit, also „qua Mann“ (AH 20), und nicht aufgrund ihrer Kompetenz angefragt werden, wie Herr Leroy erklärt: „Ich werde oft gerufen ((lachend)) sag ich mal, einfach weil ich ein Mann bin“ (RL 30). Der Mangel an männlichen Teamern bei gleichzeitiger Vorgabe der gemischtgeschlechtlichen Trainingsleitung sowie bei steigender Nachfrage nach Gender-Trainings führt allein quantitativ gesehen zu seiner bevorzugten Marktstellung als männlicher Trainer. Die wenigen Berater erhalten im Verhältnis zu Beraterinnen mehr Aufträge, weil sie öfter eingesetzt werden und mit mehreren Teampartnerinnen zusammenarbeiten können. Es gebe allerdings nicht nur zahlenmäßig weniger männliche Trainer, sondern vor allem „weniger qualifizierte Trainer als Trainerinnen. Und das stellt auch ein großes Problem dar, weil man quasi Männer befördert, wo ich teilweise sagen würde, das hat eigentlich keine Berechtigung, dass die z.B. das gleiche Geld bekommen für die Arbeit weil sie einfach nicht so qualifiziert sind“ (AH 20). Die allgemeine Aussage über „die Männer“ im Handlungsfeld wird von der Trainerin zwar relativiert, indem sie betont, dass es „sehr unterschiedlich“ ist, welche Männer gemeint sind, und sie da „sehr vorsichtig“ (AH 20) sein will, um nicht zu generalisieren. Sie kann jedoch aufgrund ihrer beschriebenen Erfahrung die Tendenz bestätigen, dass Trainer und Berater oft weniger qualifiziert seien als sie selbst. Die Erfahrung, die auch andere Teamerinnen in den Interviews bestätigen, ist, dass männliche Trainer zwar oft Methodenkompetenz mitbringen, aber im Vergleich weniger Gender-Kompetenz haben und da stärker von der Qualifikation ihrer Kolleginnen profitieren. Problematisch ist, so die Argumentation, dass Männer trotz eingeschränkter Kompetenzen bessere Vermarktungschancen haben und damit qua biologischen Geschlechts mehr Aufträge erhalten und zu mehr Einnahmen gelangen. Vor diesem Hintergrund lautet der Vorschlag einer Trainerin, unqualifizierte Trainer sollten weniger Lohn bekommen als ihre Kolleginnen, da diese
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die Hauptarbeit leisten müssten (AH 20). Obwohl die Problematisierung der Vorrangstellung von Männern auf dem wachsenden Markt zwar auch für Herrn Fuchs nachvollziehbar ist, besteht jedoch aus seiner Sicht kein geänderter Handlungsbedarf, da er auch ein Team aus zwei Männern als Gender-Team verstanden wissen will. Diese Position war jedoch Anlass für einen Konflikt mit seiner Teamkollegin, die in der Möglichkeit, dass auch zwei Männer ein Training leiten können, kombiniert mit der Maßgabe, die Arbeit im gemischtgeschlechtlichen Team zur Regel zu erheben, eine doppelte Vernachlässigung von Frauen sah, da diese weniger eingesetzt und seltener gebucht würden. Also das kann ich auch nachvollziehen. Aber das stand so ein bisschen diesem Versuch mal gegenüber (…), dass es mal zwei Männer machen. Wir haben es aber letztendlich dann trotzdem gemacht. Ich hatte dann mit Monika so abgesprochen, weil wir ja über (Einrichtung M) zumindest persönlich und vertraglich auch irgendwie aneinander gebunden waren, dass es keine Regel werden wird. Aber, dass ich mir sozusagen diesen kleinen Spielraum, das ab und zu mal auszuprobieren offenhalten möchte. ((3 Sek.)) Und ich das_ diese zwei Male mit Klaus, wo wir es auch zu zweit gemacht haben auch irgendwie als eine ganz gute Erfahrung fand (KF 28).
Herr Fuchs sieht ein Chance und Herausforderung darin, im Team von zwei Männern ein Training zu leiten. Da er vertraglich an seine Kollegin gebunden ist, die eine nachteilige Wirkung für ihre gemeinsame Zusammenarbeit befürchtet, hat das Team vereinbart, zwei männliche Trainingsleiter nicht zur Regel werden zu lassen. Auch Frau Lorenz kritisiert die Forderung, ein gemischtgeschlechtliches Team zum Standard zu erheben. Dies führe zu einem „Biologismus des Marktes“ (GL 153) durch die Expertinnen und Experten selbst. In Expert_innenrunden, in denen fast überwiegend Frauen sitzen, werde oft „mit den Füßen nach den Männern gescharrt“ (GL 153). Durch diese Fixierung auf die Beteiligung von männlichen Kollegen bestehe aus ihrer Sicht das Problem fort, dass Kompetenzen von Frauen untergraben und ihre untergeordnete Marktposition verstärkt würden. Aufgrund der Konkurrenzsituation entfaltet sich unter den Trainer_innen eine Diskussion um eine Qualitätssicherung, um mehr „Markttransparenz“ (LW 102) herzustellen. Die Vorstellungen, wie diese erreicht werden soll, gehen dabei auseinander: Angestrebt wird entweder die Entwicklung von Qualitätskriterien für Gender-Trainings oder eine offene fachliche Diskussion. Für eine Standardisierung von Gender-Trainings spricht einerseits eine höhere Transparenz für die Teilnehmenden, so die These einer freiberuflichen Trainerin. Sie schlägt für Gender Mainstreaming ein ähnliches Vorgehen wie im umweltpolitischen Bereich vor, wo ein „Öko-Audit-Verfahren“ entwickelt worden ist, bei dem „Standards auf EU-Ebene entwickelt, festgelegt, transparent [sind], jeder
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kann das nachlesen, kann das sehen, das ist ein umfangreiches Konzept“ (RG 113). Die Orientierung an der Zielgruppe der Führungskräfte dient zur Forderung „geschlossenerer“ Konzepte, weil so die Zielsetzung und der Inhalt von Trainings fixiert und nachvollziehbar wird: Und das macht es intransparent, auch schwierig einzuschätzen für Führungskräfte beispielsweise. Auf was lasse ich mich da ein, was soll denn da passieren? Allein deswegen bräuchte man geschlossenere Konzepte, die eben auch nachvollziehbar machen, welche Kompetenzen notwendig sind, um diese Konzepte umzusetzen. Das wird noch eine Weile dauern aber wir arbeiten daran ((lacht)) (RG 113).
Mit der Standardisierung verbindet sich die Hoffnung auf mehr Transparenz zwischen Auftraggebenden und -nehmenden und auf eine bessere Konturierung des eigenen professionellen Profils. Eine Schließung des Marktes durch Qualitätskriterien wird mit der Hoffnung auf die bessere Verkaufbarkeit der eigenen Angebote verknüpft. Es wird also mit der Forderung nach Qualitätsstandards ein Professionalisierungs- und Profilierungsinteresse artikuliert. Eine andere Argumentation visiert ebenfalls mehr Transparenz als Ziel an, abgelehnt wird jedoch genau aus diesem Grund eine Festschreibung von Qualitätskriterien und Standards, weil sich dadurch Hierarchien und Ausschlüsse zwischen Akteurinnen und Akteuren auf dem Weiterbildungsmarkt verfestigen würden: „Also ich finde diese ganzen Machtspielchen die damit zu tun haben abstoßend. Also Leute die versuchen über das Setzen von Standards Dinge zu immunisieren, das finde ich total daneben“ (LW 99). Die Entscheidung, wie das Angebot gestaltet sein soll, ist nach Ansicht von Herrn Weller den Auftraggebenden zu überlassen. Es sollten Gelegenheiten für einen fachlichen Austausch gegeben werden, die die potenziellen Auftraggebenden dafür nutzen können, sich ein Bild über die Gender-Expertinnen und -Experten zu machen. Die Förderung so einer Fachdiskussion was können Standards sein kann sehr sinnvoll sein, aber das in irgendeiner Form festzuschreiben und das als Ausschlusskriterium für Leute die bestimmte Sachen anders machen zu sehen finde ich Quatsch. Denke es geht darum bei solchen Fachdiskussionen etwas Markttransparenz herzustellen und dann müssen die Leute die solche Leistungen kaufen entscheiden ob sie es so haben wollen oder anders (LW 102).
Befürwortet wird eine offene fachliche Diskussion, die die Vielfalt der Angebote beibehält, anstatt durch Standardisierungen, Ausgrenzungen und Hierarchisierungen zu etablieren. In der Markttransparenz und in der Beförderung eines „lebhaften Diskurses“ sieht z.B. Frau Hennigsen insofern mehr Sinn als in der Standardisierung, weil dies ein „bisschen gefährlich“ sei, wenn
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3 Aushandlungsräume eine Institution sagt, ja das ist jetzt das Qualitätskriterium für irgendwas. (…) da muss man einfach echt dranbleiben und weiterreden und sich immer bewusst sein, dass niemand das Recht finde ich hat Standards im Sinne von Standardisierung auch zu setzen weil es auch so unterschiedliche vielfältige Strukturen sind und es sehr sehr schwierig werden muss (AH 73, 75).
Abgelehnt wird die Vereindeutigung, weil diese einen notwendig konflikthaften Auseinandersetzungsprozess glättet und die Definitionsmacht einigen wenigen überträgt. Neben der Qualitätssicherung und dem Umgang mit Wettbewerbseffekten wird drittens die Ausdifferenzierung des Handlungsfeldes zum zentralen Thema. Durch den offenen Markt steigt die Notwendigkeit der eigenen Vermarktung als Expert_in, was einen hohen Individualisierungsdruck bei den Anbietenden erzeugt. Die Expert_innen entwerfen deshalb sich selbst bzw. den eigenen Arbeitsansatz als etwas Besonderes. Sie inszenieren eine diskursive Verbesonderung, indem sie einzelne Facetten ihrer Arbeit besonders profilieren, indem sie die Gegensatz-Konstruktion eines ‚Wir’ versus ‚die Anderen’ aufbauen. Eine charakteristische Strategie der Verbesonderung ist die Inszenierung, sich als eine der Ersten mit der Gender-Thematik auseinandergesetzt zu haben. Eine Expertin bezeichnet sich selbst als „Avantgardistin“ (MT 21) in diesem Bereich. Eine andere Trainerin charakterisiert die inhaltliche Ausrichtung ihres Trainingskonzepts als „Alleinstellungsmerkmal“ (RG 17) und hebt damit die Einzigartigkeit ihrer Arbeitsweise hervor. In einer inhaltlich-politischen Dimension inszeniert sich eine weitere Expertin selbst als Beispiel für einen „emanzipatorischen Anspruch“ (AH 62) von Gender Mainstreaming. Ein anderer Experte profiliert den eigenen Trainingsansatz als „dekonstruktivistisch“ (KF 16). Die Spezialisierung gegenüber den Mitanbieter_innen wird zum Muss: „Man muss sich spezialisieren auf einzelne Bereiche, das ist ja auch eine große Debatte im Moment“ (AH 48). Durch die erhöhte Nachfrage gewinnen fachliche Nachfragen an Bedeutung, was bedeutet, dass Fachkompetenzen neben GenderKompetenz gefragt sind: „Und also diese Fachkompetenzen muss man eigentlich mitbringen. (…) Es ist wünschenswert wenn sich das Feld ausdifferenziert, dass auch immer mehr Fachwissen da reingespielt wird. Die Frage ist immer, ob der Markt das auch hergibt“ (AH 55). Es können nicht mehr alle alles machen, so die Einschätzung dieser Trainerin, sondern der Markt reguliert über Angebot und Nachfrage unterschiedliche fachliche Schwerpunkte. So spiegle die Ausdifferenzierung der Angebote einerseits die zunehmende Breite des Handlungsfeldes wider, gleichzeitig werde jedoch die Profilierung der jeweiligen Fachkompetenz für die Expert_innen zu einer notwendigen Voraussetzung des Bestehens am Markt. Die Spezialisierung wird in zwei Dimensionen beschrieben:
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in Bezug auf unterschiedliche fachliche Bereiche und deren Zielgruppen und/ oder eine Ausdifferenzierung der Angebotspalette. Die Ausdifferenzierung der Angebote und die Qualitätssicherung der Arbeit als Gendertrainer_in hängen insofern zusammen, als die Frage der Qualität der Arbeit mit der Spezialisierung begründet wird. Aus dem Druck, sich zu spezialisieren, der durch die Vermarktlichung entsteht, wird von einigen Expertinnen und Experten also ein Qualitätsmerkmal gemacht. In der Position, Gender Mainstreaming als Chance zu begreifen, wurde die berufliche Herausforderung betont, die eine Fortführung politischer Ziele bietet und die sich zudem wirtschaftlich rechnet. Deshalb verorten sich diese Expert_innen als Anbietende innerhalb des Marktes. Die Ausweitung ihres Beratungsangebots bzw. Neugründungen sind strategisch überlegt, die Marktplatzierung ist bewusst abgewogen und strategisch an den Marktanforderungen ausgerichtet. Linke, politische Positionierungen werden offen kommuniziert. Damit wird die Einführung von Gender Mainstreaming als Fortsetzung der bisherigen geschlechterpolitischen bzw. feministischen Arbeit gedeutet und als eine Realisierung bisheriger Forderungen und Ziele willkommen geheißen. Die Lesart von Gender Mainstreaming als Chance verbindet sich mit einer aktiven Strategie zur Aneignung des Marktes. Die Verortung im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung erfolgt strategisch in dem Sinne, dass bisherige feministische Tätigkeiten oder geschlechterbezogene Arbeit mit dem Label gender gerahmt und fortgesetzt werden. Die neuen marktbedingten Möglichkeiten der Expansion und der Professionalisierung nutzen die Expertinnen und Experten für die Umsetzung ihrer politischen Ziele, ohne sich dabei von den Marktgesetzen vereinnahmen zu lassen. Sie problematisieren allerdings auch unerwünschte Effekte der Marktorientierung, wie den Qualitätsverlust der Arbeit und eine geschlechterbezogene Konkurrenzsituation und verweisen auf den Profilierungsdruck. Trotz dieser negativen Wirkungen wird nicht die Strategie Gender Mainstreaming abgelehnt, sondern es werden Umgangsweisen mit der Vermarktlichung gesucht.
Gender Mainstreaming als Bedrohung Im Gegensatz zu der offenen, positiven Haltung der selbstständigen und nebenberuflichen Trainer_innen äußern Mitarbeitende aus etablierten Bildungseinrichtungen Zweifel an Gender Mainstreaming und werten die Strategie ab. In dieser negativ konnotierten Lesart erscheint die Einführung der Strategie Gender Mainstreaming als Existenzbedrohung. So schildert Herr Schlicht aus der Perspektive der Jugendbildungsarbeit seine fehlende Motivation, sich mit Gender
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Mainstreaming eingehender auseinanderzusetzen: „Und zu Gender Mainstreaming als Spezialthema bin ich eher gedrängt worden, weil das einfach nachgefragt worden ist. Und vor dem Hintergrund, hab ich eine Zeitlang auch nicht so richtig gewusst_ schon gewusst was es war, aber nicht was ich damit anfangen sollte“ (AS 11). Diese skeptische Haltung drückt auch seine Team-Kollegin, Frau Behrend, aus, wenn sie Gender Mainstreaming als einen „Zwischenschritt wie das Gleichstellungsgesetz oder wie Gleichstellungsbeauftragte“ bezeichnet, der von geringer Reichweite sei: „(...). Und mehr ist von Gender Mainstreaming im Moment auch noch nicht zu erwarten“ (IB 53). Gender Mainstreaming wird keine ernstzunehmende Strategie werden, sondern im Gegenteil, aufgrund der bisherigen Rückläufe aus den eigenen Veranstaltungen und in Bezug auf die tatsächlich erbrachten Veränderungen in Organisationen, wird von der Trainerin prognostiziert, dass „das Ding bald tot ist“ (IB 55). Auch Herr Cohn ist skeptisch, was die Reichweite von Gender Mainstreaming angeht, da es eine eher inhaltsleere formale Strategie sei, die über die Europäische Union eingeführt wurde und deren Fortbestand an die Vergabe von öffentlichen Mitteln gebunden ist: Meine Prognose ist sobald aus der EU die Gelder dafür ausgesetzt werden, weil die sich auf nächste Themen verabreden wird es nachlassen. Es wird wahrscheinlich auch nachlassen die Verpflichtung, dass sie das alle machen müssen. Das wird gelockert werden. Wer bis dahin nicht sein Gender-Training gehabt hat, ist vielleicht aus der Gefahrenzone raus und muss es auch nicht mehr machen ((lachend)) (SC_2 89).
Anders als Herr Cohn beschäftigt hingegen Herrn Schlicht weniger die geringe Wirkung von Gender Mainstreaming, sondern von ihm wird befürchtet, dass mit der Einführung von Gender Mainstreaming der „Fokus“ der Mädchen- bzw. der Jungenarbeit „kaputt gemacht“ werden könnte: „(…) wenn überall so die ersten Meldungen Gender Mainstreaming kamen, das heißt damit dürfen wir keine Jungenarbeit oder Mädchenarbeit machen. Das waren so die ersten unreflektierten Gefahrenmeldungen“ (AS 11). Gender Mainstreaming wird von ihm als Existenzbedrohung interpretiert, weil damit ein Bedeutungsverlust von Mädchen- und Jungenarbeit befürchtet wird. Ihre distanzierte Haltung gegenüber der Strategie Gender Mainstreaming begründen diese Trainer_innen damit, dass mit der Vermarktlichung der Weiterbildung und Beratung bisherige Bildungsnetzwerke zerstört würden, weil es durch die Konkurrenzsituation zu einer zunehmenden Vereinzelung der im Bildungsbereich Tätigen komme. „Die alten Grabenkämpfe“ (IB 160) werden wieder ausbrechen, so die Befürchtung: „Ja es gibt kein Zusammen leider. Also alle arbeiten da irgendwie so vor sich hin. Denke es geht um Marktanteile und
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dummerweise sitzen auch die Leute so auf dieser Strategie. Wenn ich die Erste bin, dann bin ich am besten dran“ (IB 160). Das Arbeitsfeld sei zunehmend durch Ignoranz und Ausgrenzung geprägt. Dabei trifft ihre Kritik diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die „noch nicht begriffen [haben], was Vernetzung heißt“, und vermisst wird die Bereitschaft, gemeinsam „regionale Bildungsbündnisse“ zu schließen und „Lehrgeld und Angebote aufeinander abzustimmen, damit jeder überleben kann“ (IB 160). Es mangelt an „Bewusstsein in dem Bereich“ und dadurch entsteht „wieder so ein Ausschluss“ (IB 160). Die Marktorientierung wird von Frau Behrend in negativer Weise als eine Wettbewerbssituation gedeutet, die statt Bereitschaft zur Vernetzung Konkurrenz befördere. Dies habe eine Spaltung innerhalb des Arbeitsfeldes zur Folge; jede Bildungseinrichtung kämpfe aufgrund von Profitorientierung für sich allein um die Existenz und es kämen keine übergreifenden Kooperationen zustande. Diese beobachtete fehlende Kooperationsbereitschaft ihrer Kolleg_innen nimmt das Team einer Bildungseinrichtung, Herr Schlicht und Frau Behrend, zum Anlass, sich von anderen im Handlungsfeld abzugrenzen und sich aktiv zurückzuziehen. „Wir machen da ziemlich viel so unser eigenes Ding und orientieren uns weniger an dem, was wir tun sollten. (…) Also es geht auch gerade von ihrer eigenen Einrichtung nicht immer so viel Initiative zur Vernetzung aus“ (AS 160f.). Die neue Entwicklung auf dem Weiterbildungsmarkt im Zuge von Gender Mainstreaming wird als Ausschlussprozess beschrieben. Beklagt wird ein mangelndes Bewusstsein über die Notwendigkeit strategischer Bündnisse zwischen verschiedenen Einrichtungen. Aufgrund ihrer Frustration, die zunehmende Vereinzelung nicht stoppen zu können, deutet das Team der Bildungseinrichtung die eigene Position auf dem neuen Markt um, indem sie sich selbst als bewusst außen stehend verortet. Auf den erlebten Ausschluss wird mit aktiver Abgrenzung von der Marktorientierung reagiert: „Wir machen es jetzt nicht so, dass wir sagen, oh je neues Schiff, da sind wir kompetent und da gehen jetzt zwei Leute rein und die werden freigestellt und die versuchen jetzt abzusahnen was ist. Also das ist nicht unsere Art“ (IB 162). Die diskursive Abgrenzungsfolie für diese Trainer_innen bildet hier die profitorientierte, offensive Vermarktungsstrategie der anderen Trainer_innen im Handlungsfeld. Sie konstruieren also einen bestimmten Markt in einer spezifischen Logik, und da sie diese ablehnen, positionieren sich außerhalb davon. Die Profilierung ihres eigenen Arbeitsansatzes und die Expansion ihrer Angebote verlaufen über die Identifikation mit einer von ‚dem Markt’ ausgeschlossenen Position, einer Nische. Allerdings befinden sich diese Trainer_innen damit in einem Dilemma, weil die Nachfrage steigt, sie jedoch auf die erhöhte Anfragesituation „nicht unverzüglich reagieren können“ und deshalb viele Aufträge weitergeben müssen
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(IB 158). Sie arbeiten deshalb trotz einer Ablehnung der Strategie Gender Mainstreaming an dem Ausbau ihrer Angebote, um die „Existenzsicherung für die Einrichtung“ (IB 156) nicht zu gefährden. Um aus ihrer Sicht „kompetente Teamerinnen und Teamer“ vermitteln zu können, werden hausintern zusätzlich Honorarkräfte ausgebildet. Mit der ökonomischen Notwendigkeit, sich der Marktorientierung nicht zu verschließen, verbindet sich zudem die Motivation zu verhindern, dass ihre pädagogische Arbeit durch die Konkurrenz mit Personal- und Organisationsentwicklungsangeboten an Bedeutung verliert: Ist immer so die Frage, weil das auch immer ein Punkt ist, dass man uns mit Pädagogik assoziiert oder eben mit Bildungsarbeit aber weniger mit institutioneller struktureller Arbeit, wo so Organisationsentwickler Personalberater eher mit assoziiert werden. Heißt, wir sind eher in diesem sozialen gemeinnützigen Feld auch aktiv, auch noch mal mehr über andere Zusammenhänge so Jugendbildungsbereich (IB 156).
Die aufgrund der Konkurrenzsituation des freien Marktes erfahrene Zuschreibung, dass sie als pädagogische Einrichtung keine „strukturelle“ Perspektive einnehmen, versuchen sie jedoch offensiv zu nutzen, indem sie sich in ihrem speziellen Bereich, der Jugend- und Erwachsenenbildung, „stabilisieren“ und ihr „Profil schärfen“ (IB 156). Die Neukonzeptualisierung der eigenen Angebote wird allerdings reaktiv betrieben und als Zwang von außen erlebt. Rückblickend wird dabei das anfänglich starke Bedrohungsszenario relativiert, die Beunruhigung erscheint weniger dramatisch, und damalige „Gefahrenmeldungen“ wirken eher „unreflektiert“ (AS 11), so Herr Schlicht. Wie deutlich wurde, wird in der Lesart von Gender Mainstreaming als Existenzbedrohung vor allem die Kommerzialisierung kritisiert, die Verdrängungsmechanismen sowie eine Verwertungslogik und Profitorientierung als Arbeitsmotivation von Trainer_innen zur Folge habe. Als Grund für das Absinken der Arbeitsqualität wird die Schnelllebigkeit der Marktentwicklungen gesehen: „Es baut sich ein neuer Markt auf. Und wenn sich ein Markt schnell aufbaut, ist auch viel Schund dabei“ (IB 156). Mit dem raschen Ansteigen der Weiterbildungs- und Beratungsangebote haben Vorstellungen von Machbarkeit Konjunktur, die einen Gegensatz zur zeitintensiven und langfristigen pädagogischen Arbeit bilden: Und das finde ich schade und auch schwierig an der Diskussion. Es wird so hoch gehievt als Highlightthema da gibt's ne Highlightkompetenz zu, die wird RuckZuck antrainiert, kann man ja heute alles so nach dem Motto und (…) wo es um die zwischenmenschliche Basis geht, das braucht Zeit. Das ist nicht mit so ein paar Trainings getan. Und da steht zu befürchten, dass wir auch wirklich ziemlich deut-
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lich auch so den Trend sehen, dass das dazu führen könnte, dass Gender Mainstreaming auch diese Prozesse die da manchmal zu schnell initiiert werden, zu viel von den Menschen verlangen (IB 40).
Durch die Suggestion der Möglichkeit eines schnellen Antrainierens neuer Kompetenzen werden Menschen überfordert und die Grundidee von Bildungsarbeit, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, steht zur Disposition. Schuld an dem „Trend“ zur kurzfristigen Kompetenzentwicklung seien die Professionalisierungsbestrebungen der derzeitigen Gender-Trainer_innen, die einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmotivation zur Folge haben: Statt persönlicher Überzeugung gehe es nun vor allem um Profitorientierung und Existenzsicherung: Früher war das ein Thema, das hat man irgendwie gemacht, weil man das persönlich wichtig fand und jetzt sind wir einen Schritt weiter und jetzt machen es auch Menschen, die Geld damit verdienen wollen. Das kann man bedauern, das ist aber gleichzeitig einfach ein Fortschritt, weil sich das Thema verbreitert. Man muss an vielen Stellen aufpassen, ob dann nicht auch Verflachung eintritt und ob da nicht auch die Qualität der Arbeit drunter leidet (AS 155).
Der zweischneidige Erfolg der aktuellen Entwicklungen liege darin, dass sich zwar die Geschlechterthematik ausbreitet, jedoch gleichzeitig ein Qualitätsverlust der Arbeit zu befürchten ist, da die Wichtigkeit des Themas und die Tiefe der Auseinandersetzung zugunsten einer schnelllebigen und profitorientierten Beschäftigung verloren gehen. Gender Mainstreaming wird für ein konjunkturelles Thema gehalten, das kurzlebig und nicht ernsthaft gewollt ist. Statt mit aufwendiger Marktbearbeitung darauf zu reagieren, wird deshalb auf die Selbstregulierung des Marktes gesetzt, so Herr Cohn: Ich würde sagen, die würden alle gut dran tun, wenn sie nicht sich nur darauf werfen, dass sie mit Gender Mainstreaming Geld verdienen. Das ist gut das zu machen, das kann aber ein konjunkturelles Thema sein. Also so wie das Thema rausgegeben wird von der EU für diese Zwecke, das wird irgendwann_ der Kanal wird versiegen, das ist so. Dann kommt ein anderes Thema, weil sie das ja nicht als eine Aufgabe für immer begreifen, sondern sie geben was vor, sie wollen was implementieren, sie untersuchen die Erfolge und dann wird es andere Themen geben (SC_2 86).
Aus dem konjunkturellen Charakteristikum wird kein Handlungsbedarf in Bezug auf eine Qualitätssicherung auf dem Weiterbildungsmarkt formuliert. Gender Mainstreaming wird als vorübergehendes Phänomen interpretiert, und es sei deshalb ratsamer, sich in gewisser Abgrenzung dazu zu definieren.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus der Perspektive von Referent_innen der geschlechterbezogenen Jugend- oder Erwachsenenbildung mit der Zunahme an Weiterbildungs- und Beratungsangeboten im freiberuflichen Handlungsfeld eine Verunsicherung des Ansehens und der Marktstellung sowie eine Bedrohung der Existenz einhergehen. Durch die Zunahme der Angebote infolge der Implementierung von Gender Mainstreaming und eine Verlagerung der Nachfrage in Richtung Organisations- und Personalentwicklung steht die institutionalisierte, geschlechterbezogene Bildungsarbeit zunehmend in direktem Wettbewerb mit Angeboten Selbstständiger. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur ihre Marktposition, sondern sie kommen vor allem verstärkt in einen Legitimationsdruck, weil pädagogische Zugangsweisen auf dem Markt weniger Anerkennung finden als andere Ansätze. Die geringe Anerkennung ihrer Arbeitsweise, die befürchtete Verdrängung des Pädagogischen aus dem neuen Weiterbildungsmarkt sowie die mangelnde Bereitschaft zur Vernetzung im Handlungsfeld lösen Unsicherheit und Frustration aus. Das Ziel der Trainer_innen scheint vor allem, bisherige Schwerpunkte und pädagogische Ansätze ihrer Arbeit zu bewahren bzw. das Fortbestehen ihrer Bildungseinrichtung zu sichern. Die Marktorientierung wird zwar abgelehnt und ein defensiver Umgang mit der Vermarktung gewählt, in verzögerter Form wird allerdings doch noch auf die steigende Nachfrage reagiert. Durch die aktive Abgrenzung wird der eigene Arbeitsansatz bestärkt und die bisherige Ausrichtung im Bereich der Erwachsenenpädagogik durch den selbst gewählten Rückzug profiliert. Der selbst gewählte Ausschluss vom neuen Weiterbildungsmarkt wird nicht als Niederlage definiert, sondern es findet eine Aneignung des neuen Marktes in der Separierung statt, womit eine reaktive, separierende Strategie zur Aneignung des Marktes gewählt wird.
3.1.2 Gleichstellung: Modernisierung und Transformation Welche gleichstellungspolitischen Ziele die Expertinnen und Experten mit Gender Mainstreaming verbinden, hängt mit ihrer Lesart von Gender Mainstreaming als Chance oder Bedrohung und ihren Vermarktungsstrategien im Handlungsfeld zusammen. Von denjenigen, die Gender Mainstreaming als Chance begreifen, werden zwei verschiedene gleichstellungspolitische Zielsetzungen benannt: Modernisierung und Transformation. Diejenigen, die Gender Mainstreaming als Bedrohung wahrnehmen, enthalten sich weitestgehend eigener Zieldefinitionen von Gender Mainstreaming, weil sie eine technische Umsetzung der Strategie kritisieren. Aus der Negativdefinition, was
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Gender Mainstreaming nicht ist, sind jedoch Zielansprüche ableitbar, die sich eher dem Ziel der Transformation zuordnen lassen.
Ziel: Modernisierung Die Lesart von Gender Mainstreaming als Chance und die aktive Strategie der Vermarktung verbindet sich mit einer Modernisierungsperspektive, in der Gender Mainstreaming als fachliche Strategie charakterisiert wird. Gender Mainstreaming gilt als Reformprozess, in dem es vor allem um eine fachliche Umsetzung von Gleichstellung in den verschiedenen Arbeits- und Politikfeldern geht. Gleichstellungspolitik wird damit versachlicht: „Es gibt diese große allgemeine politische Zielsetzung gleiche Teilhabe, gleiche Wahlmöglichkeiten. Aber was heißt das jetzt für die Arbeitsgruppe? Sind das jetzt 50-50 Quoten oder nicht?“ (LW 55). Das politische Oberziel Gleichstellung ist immer an ein Fachziel zu binden, und es muss im Konkreten entschieden werden, wie dieses Fachziel politisch auszuführen ist: „Wo deutlich wird, dass mit diesem Konzept eben nicht linear mitunter klar ist, was dabei rauskommt ne, das ist das Fachziel was politisch entschieden werden muss. Diese Frage muss man sich stellen, aber man kann sie sich nur stellen, wenn man systematisch überhaupt aufbereitet, dass es eine Frage ist“ (LW 55). Das Ziel von Gender Mainstreaming hat eine Modernisierung von Organisationen zur Folge: „Was bedeutet eigentlich Gender Mainstreaming? Das bedeutet doch eigentlich, dass bestimmte fachliche Prozesse in Organisationen erweitert werden um die Perspektive der Chancengleichheit“ (RL 137). Der Bezugspunkt von Gender Mainstreaming ist die fachliche Arbeit in Organisationen, die um die Perspektive der Chancengleichheit zu erweitern ist. Dies hat einen qualitativen Vorteil zur Folge, wie ein Trainer betont: „Was haben sie davon, wenn sie Gender Mainstreaming anwenden? Und zwar auf verschiedenen Ebenen eine größere Qualität. Ihr habt vielleicht eine höhere Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenzufriedenheit, eure wirtschaftlichen Ziele können verbessert werden, ihr habt passgenauere Angebote für eure Kunden“ (EA 70). Die Einführung von Gender Mainstreaming wird hier als Modernisierung der Organisation verstanden, die zu einer höheren Qualität der Arbeit durch höhere Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden, zu ökonomischen Vorteilen und zu einer besseren Kund_innenorientierung führen soll. Erreicht werden soll dies durch die Integration von Geschlechterperspektiven in die Fachpolitiken, was wiederum dazu führt, dass sich fachliche Prozesse verbessern und Fachkompetenzen erweitern.
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Mit dem Ziel der Modernisierung soll Gender Mainstreaming zu einer EntDramatisierung des Umgangs mit Geschlechterthemen in Organisationen und damit zu einer ‚Normalisierung’ von Geschlechterfragen führen. Intendiert ist einem Trainer zufolge eine „Kulturveränderung“ dahingehend, dass „Geschlechterfragen normale fachliche Fragen sein können“ (LW). Es geht um die Normalisierung der Arbeitsbeziehungen zwischen Frauen und Männern, die seiner Ansicht nach darin bestehen, dass Geschlechterdifferenzen keine exponierte Rolle mehr spielen sollen und perspektivisch überhaupt keine geschlechtlich-normierenden Zuschreibungen am Arbeitsplatz mehr gemacht werden. Diese Perspektive zeichnet sich durch Realismus und Fachlichkeit aus: Machbarkeit und die Effektivierung von Organisationsstrukturen und -kulturen sind handlungsleitende Prinzipien. Weniger geht es um Gesellschaftskritik und das Infragestellen von Machtverhältnissen, sondern vielmehr um die Integration des Gender-Blicks als Qualitätsmerkmal in die fachliche Arbeit und in organisationale Veränderungsprozesse.
Ziel: Transformation Die Lesart von Gender Mainstreaming als Chance und die aktive Strategie der Vermarktung verbindet sich mit einer normativitätskritischen Perspektive, in der Gender Mainstreaming als politische Strategie charakterisiert wird. Die Politisierung von Gender Mainstreaming betont Emanzipation, Anti-Diskriminierung und den Abbau von sozialer Ungleichheit als Ziele. Anvisiert werden damit die Infragestellung von Machtverhältnissen und Zuschreibungen sowie eine Kritik an einer dualistisch-hierarchischen Geschlechterdifferenz. Geschlechterdemokratie, Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit werden als übergeordnete Ziele von Gender Mainstreaming genannt. Gender Mainstreaming wird damit als „explizit politischer Ansatz“ (EM 134) markiert, der zum Ziel hat, Ungleichheitsverhältnisse aufzulösen. Für einen Trainer bedeutet dies eine „Revolution“ (SC_2 55: „Wir haben neulich mal gesagt wenn du Gender Mainstreaming wirklich ernst nimmst, wenn alle das ernst nehmen würden, dann ist das eine Revolution. Aber da haben alle auch Angst vor, in Deutschland besonders“ (SC_ 2 55). Gender Mainstreaming hat als Ziel Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, womit die Umverteilung von Macht, Anerkennung und Ressourcen und der Abbau von Hierarchien sowie die Umgestaltung von Arbeits- und Lebenswelt einhergehen. Ein anderer Trainer betont im Prozesscharakter von Gender Mainstreaming die „Suchbewegung“, die den Abbau von Hierarchien zum Ziel habe:
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Ja, ich muss Gender Mainstreaming eigentlich_ als eine Suchbewegung verstehe ich das. Nämlich zu suchen, was könnte in dieser Organisation Geschlechterdifferenzen produzieren, verstärken und wie könnte ich dagegen angehen. Das ist eine offene Suche, das ist wie so ein Kreisel, ein Rädchen, das ich_ ich kann immer wieder danach schauen und muss immer wieder neu danach schauen. Auch wenn ich alles gefunden habe, muss ich nach fünf Jahren doch wieder gucken, was hat sich Neues entwickelt, wie haben sich neue Geschlechterhierarchien entwickelt. Und ich muss eben dafür offen sein, dass die sich verändert haben, sich verändern darf, sozusagen nicht schon vorher alles wissen (SN 71).
Gender Mainstreaming ist in dieser Perspektive die permanente Suche nach Verfestigungen der Geschlechterdifferenz. Die Suche gestaltet sich insofern notwendigerweise als offen, weil sie nie beendet ist, da sich Organisationsverhältnisse verändern und immer wieder neue Geschlechterhierarchien produzieren können. Das heißt, es sollte nicht die Absicht bestehen, ein vorgefertigtes Wissen abzuprüfen und Bekanntes aufzuspüren, sondern es gilt eine Entdeckungslogik aufrechtzuerhalten, die immer wieder auf Veränderungen und neue Ausformungen der Geschlechterdifferenz aufmerksam macht. Gender Mainstreaming als offene Suchbewegung meint eine ergebnisoffene, aber zielgerichtete Strategie, durch die die Komplexität und die vielfältigen Ausformungen von Hierarchisierungen in den Blick genommen und kreativ nach Lösungen gesucht wird. Gleichstellung ist „das ganz große Ziel (…) Gleichstellung, das ist für mich immer noch der Begriff, den ich am griffigsten finde, manche sagen ja auch Geschlechterdemokratie, ist auch ganz okay. Das ist das Fernziel“ (SN 73). Profiliert wird ein Verständnis von Gleichstellung als „ganz breiter Begriff“, der auf den Abbau von Hierarchien zielt: Ich möchte darunter verstehen, dass gleiche Möglichkeiten für Männer und Frauen da sind, egal in welcher Lebenssituation und in welcher sexuellen Orientierung sie sind usw. Mein Ziel mit Geschlechtergleichheit ist eine Abflachung von Hierarchien. Man kann nicht Geschlechterhierarchie angreifen und Hierarchie als Feld genau so lassen wollen. Mir geht es um Abflachung und Abbau von Hierarchien. Und das muss für mich eine logische Konsequenz aus dem Geschlechterthema sein, wenn ich sage Patriarchat, also auch männerdominierte Organisationsformen von Gesellschaft, dann muss ich das verändern können in Richtung Abbau von Hierarchien (SN 77).
Mit Gender Mainstreaming werden gesellschaftliche, hierarchische Geschlechterverhältnisse kritisch reflektiert und in Frage gestellt. So profiliert auch Frau Münch die gesellschaftspolitische Zielebene der Strategie Gender Mainstreaming: „Es geht um Gleichstellungspolitik, es geht um Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes im Grundgesetz letztendlich und es geht darum, die Strukturen
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zu verändern, dass das möglich ist“ (EM 134). Die politische Ausrichtung von Gender Mainstreaming bezieht sich auf die Durchsetzung geschlechterdemokratischer Verhältnisse: „Damit ist das durchaus auch ja ein hierarchiekritisches Konzept und ein stark politisches Konzept“, so Herr Daniel (PD 65). Mit Geschlechterdemokratie als politischer Zielstellung verbindet dieser Trainer eine Perspektive der Gesellschaftskritik, die Demokratie erst dann erreicht sieht, wenn eine Geschlechterperspektive mitgedacht wird. Hierbei ist Hierarchiekritik ein entscheidendes Moment. Das Hinarbeiten auf das Ziel der Demokratie sei, so seine Teampartnerin Frau Münch, ein „ständiger Begleitungsprozess“ und ein „ständiges Ringen“ – Demokratie selbst werde damit zum „ständigen Prozess“ (EM 66): Und gerade die aktuellen Entwicklungen sind ja immer wichtig in den Blick zu nehmen und ständig auch darauf zu achten wie Partizipation, wie Teilhabe, wie Zugang zu Ressourcen bei den Reformen, die wir im Augenblick haben, wie das dann berücksichtigt wird. Und immer wieder vergegenwärtigen, wo stehen wir, wie verändern sich auch drumherum, die Menschen, die Personen und entsprechend die Strukturen. Es hört eigentlich nie auf so wie sich auch die Demokratie ständig weiter entwickelt. Also auch einen entsprechenden Blick auf die Geschlechterverhältnisse zu tun, das ist schon der Hintergrund, den wir in die Trainings mit hineinnehmen und vermitteln (EM 66).
Die politische Ausrichtung von Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitischer Strategie wird hingegen von einer anderen Trainerin im Spannungsverhältnis von „einer neoliberalen Anpassungsstrategie“ und „Geschlechterdemokratie“ (RG) verortet. Damit wird die an Gender Mainstreaming geäußerte Kritik aufgegriffen, mit der Strategie würden statt politischer Forderungen vielmehr wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund gerückt: Und sehen in dem Zusammenhang eben auch Gender Mainstreaming so ein bisschen im Spannungsverhältnis zwischen jetzt vielleicht, also wenn die alten Geschlechterrollen der Industriegesellschaft hinderlich sind in einer Dienstleistungsund Wissensgesellschaft, nicht flexibel genug sind vor allen Dingen im Hinblick auf ein total flexibilisiertes Arbeitskräftepotenzial, dann gibt es diesen Aspekt, dass die Auflösung der Geschlechterrollen schlicht ein Teil dieser Flexibilisierungsstrategie des Kapitals ist, wenn man so will. Und es gibt ja diese Kritik auch, dass sich alle die die Gender Mainstreaming vielleicht_ die darauf reinfallen als gleichstellungspolitische Strategie nicht sehen, dass es in Wahrheit eigentlich einen wirtschaftspolitischen Hintergrund haben könnte, es passend zu machen zunächst in anderer Weise als bisher, aber im Prinzip der gleiche Vorgang. Wir sehen dass es diese Gefahr gibt oder auch dass es diese wirtschaftlichen Begründungen gibt auch bei der EU (RG 16).
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Die Gefahr einer „neoliberalen Anpassungsstrategie“ ist insofern gegeben, als Gender Mainstreaming auf die Flexibilisierung und die „Auflösung der Geschlechterrollen“ baut. Frau Grünau relativiert jedoch diese Kritikposition, weil es auch aus einer demokratischen Perspektive Gründe gibt, die für eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses sprechen. Auf der anderen Seite muss man jetzt sagen, es gibt auch viele andere Gründe im Sinne einer Geschlechterdemokratie, die dafür sprechen diese Geschlechterrollen zu verändern und auch die Position der Geschlechter_ geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auch, die ja ganz wesentlich im Kern sozusagen auch der Geschlechterverhältnisse liegt, verändern. Es kommt nur darauf an, dass wir das nicht einfach passiv über uns ergehen lassen sondern dass wir das gestalten. Dass also jetzt Männer und Frauen aufgefordert sind, also auch zur Geschlechtsrollenidentität sich da einen Kopf zu machen und entsprechende Entwicklungen auch zu sehen (RG 16).
Um einer neoliberalen Anpassung zu entgehen, wird von ihr die aktive Gestaltung und Veränderung von Geschlechterverhältnissen als demokratische Aufgabe vorgeschlagen. Die Gefahr wird also letztendlich vor allem in einer passiven Haltung der Einzelnen anstatt in der Flexibilisierung gesehen. Der Nutzen von Gender Mainstreaming liege darin, dass sowohl Frauen als auch Männer Geschlechterrollen reflektieren und Veränderungen im Sinne einer Geschlechterdemokratie anstreben. Ein übergeordnetes Ziel ist deshalb auch für Frau Hennigsen, „letztlich dazu beizutragen, dass_ da würde ich z.B. auch gar nicht so stark nur auf Arbeitsprozesse fokussieren, dass Arbeits- und Lebensverhältnisse geschlechtergerechter werden. Also das ist so das Ober-Ober-Ober-Ziel“ (AH 32). Die Durchsetzung von Gender Mainstreaming wird über die Arbeitskontexte hinaus auf alle Lebensbereiche ausgeweitet. Mit der Sichtbarmachung der vielfältigen Verhältnisse, in denen Menschen leben und arbeiten, sowie ihrer unterschiedlichen Wertmaßstäbe lenkt sie den Blick auf Dominanzverhältnisse und machtproduzierende Zuschreibungsprozesse. In der Perspektive von Herrn Fuchs besteht das Ziel darin, vergeschlechtlichte Identitätskonstruktionen infrage zu stellen: So lang wie Geschlecht noch nicht als eine Identitätskategorie über die auch letztendlich auch Gewinne, Anerkennung oder so auch mit verlaufen diskutiert werden, finde ich ist es nicht ausreichend. Und bedeutet möglicherweise eine Verschiebung von Verteilungsfragen, aber nicht eine grundsätzliche Infragestellung von Geschlechterverhältnissen, Identitätskonstruktionen (KF 69).
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Gender Mainstreaming bedeutet für ihn nicht nur gleiche Teilhabe und gleicher Lohn für Frauen und Männer, sondern beinhaltet die Anerkennung und die Infragestellung von Geschlecht als struktureller Identitätskategorie. Seine geschlechterpolitische Zielsetzung ist es, „Gender Mainstreaming-Prozesse als einen Verhandlungs- und Auseinandersetzungsraum zu verstehen“: Das heißt Leuten die Möglichkeit zu geben den Raum zu geben, über Geschlechterfragen zu diskutieren und zwar auf eine_ doch noch mal komplexer oder tiefer einzusteigen und Ideen zu bekommen, wie unendlich komplex dieses Thema sein kann und wie unterschiedlich man auch darüber denken kann und, dass sozusagen das eigene Denken veränderbar ist und letztendlich auch Produkt der eigenen Geschichte und Auseinandersetzung ist (KF 40).
Auch Herr Schlicht fokussiert die individuelle Ebene und geht davon aus, dass es bei Gender Mainstreaming letztlich darum geht, „Arbeit zwar zu effektiveren“, aber weil „Menschen betroffen“ sind, müsste eine „andere Sensibilität“ entwickelt werden (AS 39): „Da kann ich mich nicht nur auf Wissen verlassen und auf Information irgendwelcher Studien und auch irgendwelche Theorien, sondern da muss ich ein Stück auch bestimmte Dinge durchleben“ (AS 39). Sein Anliegen ist, mit dem Individuum zu arbeiten und Reflexions- und Erfahrungsprozesse zu initiieren. Seine Skepsis gegenüber Gender Mainstreaming liegt darin begründet, dass hier eher Strukturen fokussiert werden statt Menschen, und dass es um Wissensvermittlung auf einer kognitiven Ebene geht und weniger um Selbsterfahrung: Also der Begriff Gender-Demokratie und Gender-Gerechtigkeit ist ja eigentlich ein ganz guter Begriff erst mal so, aber wenn man das unter geschlechtsspezifischen Aspekten sieht, Demokratie ist ein männliches Modell von Auseinandersetzung. Wenn ich um Macht_ da geht es um eine machtvolle Auseinandersetzung und in der Demokratie muss man sich um Minderheitenschutz kümmern, weil es eigentlich drin ist. Demokratie ist ein Mehrheitsprinzip, Machtprinzip und das ist typisch männlich, die männliche Form der Auseinandersetzung. Eine andere Form der Auseinandersetzung wäre Ausgleich zu finden zwischen den verschiedenen Interessen, alles auszuwiegen und zu gucken. Das ist aber in Gender-Demokratie nicht drin. Wenn das das Ziel ist, dann kann man es technisch erreichen (AS 43).
„Gender-Demokratie“ als Ziel von Gender Mainstreaming müsse aus seiner Perspektive die Auseinandersetzung mit Macht beinhalten, denn Demokratie bedeute ein Mehrheitsprinzip und sei eine „typisch männliche Form“ der Auseinandersetzung, so Herr Schlicht. Wenn Gender-Demokratie als eine Suche nach einem Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen verstanden würde, dann ließe sie sich auch technisch umsetzen, wie z.B. auf Gesetzesebene, wo
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schon viel an Geschlechtergerechtigkeit erreicht worden sei. Seine Teampartnerin ergänzt einschränkend, dass aber insgesamt der Gender Mainstreaming-Prozess zu schnell initiiert und zum Teil zu „technisch“ durchgesetzt und „top-down durchgedrückt“ worden sei, was den Menschen zu viel abverlange (IB 42). Das Ziel von Gender Mainstreaming liegt in dieser Lesart in der Strukturveränderung und Transformation hierarchischer Verhältnisse. Der demokratische, gesellschaftskritische Blick und die Prozessorientierung bilden den Hintergrund und gleichzeitig die Zielsetzung der Weiterbildungs- und Beratungsarbeit bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Bewusstseinsbildung und Partizipation sind nach Ansicht dieser Trainer_innen und Berater_innen die handlungsleitenden Prinzipien für die Demokratisierung von Organisationsstrukturen und -kulturen. Gender Mainstreaming wird als emanzipatorische Strategie zum Abbau von Hierarchien, männerdominierten Strukturen und Organisationen sowie zur Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung verstanden. Die Kritik an der dualistisch-hierarchischen Geschlechterdifferenz soll durch Bewusstseinsbildung für hegemoniale Geschlechterordnungen und durch Sensibilisierung für soziale Ungleichheit zu deren Auflösung beitragen. Geschlechtergerechtigkeit soll in Arbeits- und Lebensverhältnissen hergestellt werden und beschränkt sich nicht auf berufliche Tätigkeiten. Mit diesen Zielen wird eine Transformation der Geschlechterverhältnisse durch Reflexion und Bewusstseinsbildung verbunden. Handlungsleitendes Prinzip ist die Partizipation, die als Grundlage für die Demokratisierung von Organisations- und Gesellschaftsstrukturen angesehen wird.
3.1.3 Berufsbiografische Verläufe: Profession und Mission In den Schilderungen ihrer berufsbiografischen Verläufe, wie die Befragten zur Tätigkeit als Gender-Trainerin oder -Trainer gekommen sind, werden verschiedene politische oder professionelle Kontexte, persönliche oder berufliche Ereignisse und Motivationen artikuliert. Zwei Professionalisierungsmodi der Trainerinnen und Trainer sind dabei zu unterscheiden: ein kontinuierlicher, geschlechterpolitisch-identifikatorischer Professionalisierungsmodus und ein neuer bzw. diskontinuierlicher, fachlich-pragmatischer Professionalisierungsmodus. Dabei inszenieren sie sich entweder stärker im Rückgriff auf biografische, bewegungs- und bildungspolitische Begebenheiten oder mit Bezug auf günstige berufliche Konstellationen und Begebenheiten als Expert_innen für Gender Mainstreaming bzw. für Gender-Trainings. In beiden Professionalisierungsmodi spielt außerdem die Verknüpfung von Theorie und Praxis eine
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entscheidende Rolle: Während der geschlechterpolitische Professionalisierungsmodus eine grundlegende Verwobenheit von feministischer Theorie und geschlechtertheoretischen Ansätzen annimmt, zeichnet sich der fachliche Professionalisierungsmodus durch eine Theorieferne aus.
Kontinuierlicher, geschlechterpolitisch-identifikatorischer Professionalisierungsmodus Diejenigen, die ihre Arbeit als Gender-Trainer_in explizit in bewegungspolitischen Zusammenhängen, in der Frauen- oder Männerbewegung, verorten, setzen explizit ihre biografischen Erfahrungen und ihre politischen Überzeugungen für ihre Tätigkeit relevant. Frau Hennigsen beschreibt, sie sei „schon lange frauenpolitisch unterwegs“ und habe „zu verschiedenen Zeiten angefangen, ein Bewusstsein zu entwickeln für Diskriminierung (…) vor allem auch gegen Frauen zur der Zeit, also 80er Jahre noch sehr stark mit Frauenbewegung so“ (AH 2). Als wichtige und prägende frühe Erfahrung benennt sie ihre Vernetzung mit anderen Frauen bereits zu Schulzeiten. Auch Herr Allersheim begründet seine jetzige Tätigkeit als Gender-Trainer mit seinem „biografischen Hintergrund“ (EA 33) und seinem männerpolitischen Engagement in einer Männergruppe seit Mitte der 1980er Jahre. Die Motivation, Männerarbeit zu betreiben, wird durch seine persönlichen Auseinandersetzungen mit seiner Partnerin, die feministisch aktiv ist, ausgelöst. Er nimmt geschlechterbezogene Beziehungskonflikte mit seiner damaligen Partnerin zum Anlass, sich Hilfe zu holen. Mir war klar, wenn ich so in einer normalen Kneipe mit einem Freund am Tresen sitze, dafür keine Hilfe kriegen würde, weil da geht es um andere Themen, die Männer besprechen. Und da war mir klar, ich muss irgendwo einen geschützten Raum mir suchen, wo Männer wirklich auch frei und offen und auch vertrauensvoll über die Dinge sprechen können (EA 15).
Er beginnt in einer Männergruppe mitzuarbeiten, gründet später ein Männerbüro mit und vernetzt sich in der bundesweiten Männergruppenszene. Auch Herr Norden ist seit dem Jahr 1986 ebenfalls in einer Männergruppe aktiv, aus der sich später ein Projekt zur Jungen- und Männerarbeit entwickelt hat (SN 2). Einige der befragten Trainer sehen private Auseinandersetzungen als einen der Auslöser für ihre Beschäftigung mit Geschlechterfragen an, so z.B. Herr Fuchs, der hier vor allem auf Konflikte in seiner Herkunftsfamilie und auf den Einfluss seiner feministischen Freundin rekurriert:
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(…) dass mir dieses Geschlechterverhältnis als ein Gewaltverhältnis, dass mir das als Gewalt begegnet ist, das war relativ früh. So ab 15 16 habe ich das dann auch als immer bewusster werdend dominantes ja dominantestes Gewaltverhältnis erlebt (…). Und eine andere Schiene ist, dass meine damalige Freundin (…) mit der (Gruppe B) zusammengekommen ist, also mit feministischer Theorie und Praxis und sozusagen diese Diskussion mit in die Beziehung getragen hat (KF 3, 5).
Auch Herr Fuchs hat später in einer Männergruppe und in einem Männercafé mitgearbeitet und „nach 7 Jahren war aber so ein bisschen die Luft raus. Aber das war für mich und ich glaube für uns alle jetzt noch mal eine Möglichkeit einfach auch so Positionen und Meinungen zu überdenken“ (KF 14). Ebenso nennt Herr Schlicht, der sich gleichfalls seit den 1970er Jahren in „Männergruppen bewegt“, familiäre Begebenheiten als Ausgangspunkt: „die Geschlechterfrage und für mich als Mann natürlich die Männerfrage [war] schon in meiner Schulzeit sogar ein Thema, da hab ich mich damit auseinandergesetzt, das hat was mit meiner Herkunftsfamilie zu tun“ (AS 8). Herr Cohn beschreibt insbesondere eine sexualisierte Gewalterfahrung im Freundeskreis als persönliche Motivation für die geschlechterbezogene Arbeit: Ja, diese Auseinandersetzung mit dem Thema, dass Männer ein Geschlecht haben und dass das eine Bedeutung hat in der sozialen Konstruiertheit, wie sie sich verhalten, doing gender, wie sie sich nicht verhalten, das ist so seit 1985. (…) Das Interesse war aus persönlichen Gründen. Das hat mit Vergewaltigung in der Bekanntschaft zu tun gehabt“ (SC_1 12-13).
Diese biografische Erfahrung hat für Herrn Cohn einen hohen Stellenwert bei der Weiterentwicklung seiner pädagogischen Bildungsarbeit: „Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich gewesen, weil ich gesehen habe, da ist sozusagen pädagogisches Neuland, das ist innovativ. Da geht es nicht mehr um, um Kinder und Jugendliche, sondern es geht um Mädchen und Jungen, einfach in der Differenzierung auch“ (SC_1 19). Bei Herrn Schlicht wird sogar in noch stärkerem Maße als bei Herrn Cohn eine affektive Gebundenheit deutlich und ein hoher identifikatorischer Anspruch an die Arbeit artikuliert: Ich kriege auch den Zusammenhang gar nicht so richtig hin, aber es ist mir trotzdem ein Bedürfnis zu sagen, dass die Arbeit also die gesamte Arbeit jetzt nicht nur die Gender Mainstreaming-Arbeit, sondern die Arbeit am Geschlechterverhältnis Spaß macht und glücklich also, dass es einfach mich glücklich macht. Ja mich in meinem privaten Dasein glücklich macht und auch durchaus in meinem beruflichen Dasein, dass es einfach viele Freiheiten gibt, ja (AS 167).
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Auch Frau Grünau begründet ihre Motivation für ihre Arbeit mit ihrer politischen Überzeugung und bezeichnet sich selbst als „Überzeugungstäterin“: „Ich komme natürlich aus der Ecke Herstellung von Geschlechterdemokratie, also ich bin im Wesentlichen politisch motiviert. (…) sagen wir mal es ist toll wenn man in der beruflichen Arbeit Geld mit dem verdient was ansonsten_ was man ansonsten auch täte ((lacht))“ (RG 12). Frau Grünau beschreibt die Anfänge ihrer jetzigen Tätigkeit als Gender-Trainerin als Fortsetzung ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeiten seit den 1980er Jahren in der Frauenbildungsarbeit. In der beruflichen Frauenbildungsarbeit liegen für sie „die Ursprünge geschlechtsspezifischer Bildungskonzepte, obwohl die eben damals ausschließlich auf Frauen beschränkt waren“ (RG 3). In ihrem professionellen Selbstverständnis formuliert Frau Grünau eine große persönliche und politische Identifikation mit ihrer beruflichen Tätigkeit. Sie begreift es als Geschenk, für ihre politisch motivierte Arbeit entlohnt zu werden. Auch Frau Taffrath verbindet mit ihrer Arbeit eine große Identifikation. Sie kommt selbst aus dem Gebiet der „Frauenförderung“ und nennt den Beginn ihrer Arbeit als Trainerin „ein glückliches Zusammentreffen“ von Umständen: „So was ergibt sich. Und entweder man kann es dann_ frau kann es dann oder eben nicht“ (DT 11): Sie merken sicher, das ist bestimmt angekommen, dass es mehr ist als Training. Ja ich glaube schon, es ist eine Lebenshaltung, das zu tun. Ich weiß nicht, ob ich es überbewerte, aber ich tue es ja für mich. Ich leb das ja auch, ich schreib ja auch so, ich veröffentliche das ja auch so. Weil mir das wichtig ist (…) Ich finde, man kann an vielen vielen Stellen anfangen mit der Arbeit zu Geschlechtergerechtigkeit und Diversity ist eine und Gender Mainstreaming ist eine andere. Und ich glaube eher, dass es mit den Biografien zu tun hat, ob man sich auf das eine oder andere einlässt (DT 127).
Auch bei Frau Teichler spielt ein politisches Ziel eine wichtige Rolle in der Begründung der Arbeit: „Meine persönliche Motivation ist Gerechtigkeit. Und eine andere Motivation ist Synchronisierung, Harmonisierung im Sinne von Dialog, Austausch, Klärung, ob Energien auch produktiv zu nutzen sind. Und da ist sogar ein Friedensaspekt da drin“ (MT 12). Handlungsleitend ist der Einsatz für eine Vision und ein höheres Ziel, Gerechtigkeit, verbunden mit einem Wunsch, anderen zu helfen: Das hat mich eigentlich schon immer bewegt. Als Jugendliche war ich einfach ziemlich oft genervt über die Ungerechtigkeit Dinge zu (?) und heute ist es so, aus der Perspektive der Beraterin und Trainerin, dass ich Menschen weiterhelfen möchte, dass sie ihre Perspektiven vergrößern und ihre Öffentlichkeiten vergrößern.
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Und das gibt mir wirklich eine Befriedigung, wenn ich merke da kann man etwas (großziehen?) (MT 13).
Von Herrn Leroy, dem Teampartner von Frau Teichler, wird das professionelle Handeln sogar mit dem Anspruch der Weltverbesserung begründet. Ich habe sehr lange Zeit so diese männliche Welt so beobachtet, studiert sag ich mal, amateurhaft ((lachend)) und ich glaube, dass sozusagen dieses so genannte Mannsein Konsequenzen hat, sowohl auf der individuellen und persönlichen Ebene als auch bezogen auf Organisationen, bezogen auf Gesellschaft, bezogen auf Politik. Und ich halte das für einen relevanten, sogar sehr stark relevanten Einflussfaktor, für sehr bedeutsam, für gewichtig, für existenziell eigentlich sogar für die ganze Welt, würde ich so heute so weit gehen zu sagen. (...) Ich sehe mich so als Welt_ also zumindest mich als Versuch_ also ich versuche die Welt zu verbessern. Das klingt_ ich weiß nicht woher das natürlich kommt, keine Ahnung ((lacht)) das kann ich nicht sagen (RL 11-13).
Frau Münch, die sich selbst als langjährig aktiv in der Frauen- und Geschlechterpolitik beschreibt, professionalisiert ihre politische Arbeit im Zuge von Umstrukturierungen in ihrer Organisation aus einer Unzufriedenheit mit den nicht erreichten feministischen Erfolgen heraus: „Und in diesem Prozess haben wir immer wieder darüber diskutiert, wieso kommt das, was an feministischen und frauenpolitischen, frauenspezifischen Erfahrungen in der Theorie, in der Praxis, in den Büchern, in der Literatur, in der Frauenbewegung da ist eigentlich nicht in die Institution“ (EM 2)? In einem kontinuierlichen, geschlechterpolitisch-identifikatorischen Professionalisierungsmodus spielt auch der Bezug zu geschlechtertheoretischen und feministischen Diskussionen eine wichtige Rolle für die Expert_innen. Frau Hennigsen beschreibt ihre erste eigene Erfahrung als Teilnehmerin an einem Gender-Training, wo sie das „Gender-Konzept“ „sehr verkürzt“ (AH 5) fand. Dies nimmt sie zum Anlass, sich wissenschaftlich kritisch mit gender auseinanderzusetzen und selbst als Gender-Trainerin zu arbeiten. Die „Verflechtung zwischen politischem Engagement und theoretischer Reflexion dessen“ (AH 4) stellt sie in ihrem Lebenslauf als sehr bedeutsam heraus, da ihr die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Gender-Thematik als „Reflexion“ ihrer eigenen politischen Praxis dient. Auch Frau Grünau verknüpft in ihrem beruflichen Werdegang die wissenschaftliche Arbeit zur Gender-Thematik mit der Professionalisierung ihrer selbstständigen Arbeit im Bereich der gender-orientierten Weiterbildung. Sie beschreibt sich selbst als eine, die Theorie und Praxis gerne verbindet und dies in ihrem Leben auch immer wieder gemacht hat (RG 117). Ihre selbstständige berufliche Tätigkeit verbindet sie deshalb mit einer
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berufsbegleitenden wissenschaftlichen Weiterqualifikation, da es ihr wichtig ist, sich „den aktuellen Stand von Geschlechtertheorien und Geschlechterforschung (…) noch mal zu Gemüte zu führen“ (RG 117), und sie den Anspruch hat, Geschlechtertheorie und -praxis zusammenzubringen. Ich bin berufstätig seit ich 22 bin und habe alle Qualifikationen berufsbegleitend erworben, weil nach einer bestimmten Zeit immer wieder das Bedürfnis da war, das was ich tue noch mal theoretisch zu fundieren und noch mal drauf zu gucken und so. Und ich halte es eigentlich für notwendig, dass das alle so machen oder dass das überall so wäre. Von daher sehe ich die Notwendigkeit von der Theorie durchaus, finde aber nicht so viel praktischen Nutzen von dem was gegenwärtig entwickelt wird (RG 117).
Von ihr wird die Funktion von Geschlechtertheorien als Fundierung und Reflexion von Praxis betont. Die Verzahnung von Geschlechtertheorie und praxis ist Teil ihres professionellen Anspruchs, der in ihrer eigenen Arbeit kontinuierlich verwirklicht wird und den sie als einen sinnvollen Standard der Arbeit wertet. Sie bedauert jedoch, dass das „was an Hochschulen zur Zeit stattfindet und produziert wird, diskutiert wird, von geringer Relevanz für Gender Mainstreaming Praxis“ (RG 117) ist. Innerhalb der grundlegend ähnlichen Positionen, Geschlechtertheorie und -praxis verbinden zu wollen, variieren unterschiedliche Einschätzungen über den Nutzen von Geschlechtertheorien für die Arbeit als Trainer_in. Zum einen wird ein prinzipieller Nutzen von Geschlechterforschung als „Fundierung“ bzw. „Blick von oben“ auf die Praxis genannt. Kritisiert wird dabei jedoch die fehlende Anschlussfähigkeit aktueller Geschlechterforschung an das Handlungsfeld Gender Mainstreaming. Damit wird die Bedeutung aktueller Geschlechtertheorien für die Weiterbildungs- und Beratungsarbeit relativiert. Zum anderen wird die Möglichkeit der Reflexion von Praxis mittels Theorie betont. Während Frau Hennigsen beispielsweise ihre politische Orientierung der Antidiskriminierung aus ihrem feministischen Engagement begründet, verfolgt Frau Grünau in ihrer Arbeit eine demokratische bzw. geschlechterdemokratische Zielsetzung. Ihr Professionalisierungsmodus beinhaltet einen selbst gewählten, aktiv vollzogenen Einstieg in geschlechterpolitische bzw. später gender-orientierte Arbeitsfelder und eine Fortführung ihrer bisherigen Tätigkeit im geschlechterpolitischen Bereich. Zusammenfassend lässt sich bis hierhin zeigen, dass Referenzpunkte dieses Professionalisierungsmodus die politische Überzeugung und ein Selbstverwirklichungsinteresse sind. Diese Motivation kommt durch biografische Erfahrungen zum Tragen, wobei Konflikt- und Diskriminierungserfahrungen im privaten Umfeld sowie die Stärkung und der Schutz in frauen- und männerpoli-
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tischen Zusammenhängen genannt werden. Des Weiteren werden die langjährigen Berufserfahrungen – vor allem im Bereich der geschlechterbezogenen pädagogischen Erwachsenen- und Jugendbildung, der Frauenbildungsarbeit, der Jungenarbeit oder der Frauenförderung hervorgehoben. Die bis hierhin vorgestellten berufsbiografischen Verläufe stehen für einen kontinuierlichen, geschlechterpolitisch-identifikatorischen Professionalisierungsmodus, der eine aktive, regelmäßige, politische Auseinandersetzung beinhaltet. Die Kontinuität bildet sich in der Konstruktion einer langen und bruchlosen Arbeit und Beschäftigung in geschlechterpolitischen Kontexten ab. Die Arbeit als GenderTrainer_in knüpft an bisherige geschlechterpolitische Tätigkeiten an und wird durch eine aktive Berufsplanung im Kontext der Implementierung von Gender Mainstreaming vorangetrieben. Das geschlechterpolitische Professionalisierungsinteresse der befragten Expert_innen betont den Zusammenhang von Theorie und Praxis. Der Zusammenhang wird begründet über eine Wissenschaftsorientierung, geschlechtertheoretische Schwerpunkte, die Berufspraxisorientierung oder über berufspraktische Erfahrungen im Bereich der geschlechterbezogenen Bildungsarbeit. Während in der Wissenschaftsorientierung die Tätigkeit als Gender-Trainer_in in aktiver Auseinandersetzung mit geschlechtertheoretischen Diskursen und feministischen sowie männerkritischen Theorien professionalisiert wird, betont die Berufspraxisorientierung vor allem die vielfältigen beruflichen Praxiserfahrungen im Frauen- und Männerbildungsbereich und in gender-orientierten Praxisfeldern für die Professionalisierung.
Neuer bzw. diskontinuierlicher fachlich-pragmatischer Professionalisierungsmodus Andere Befragte distanzieren sich deutlich von biografischen und bewegungspolitischen Gründen für ihre Tätigkeit als Trainer_innen und setzen vor allem ihre fachlichen Qualitäten und günstige Situationen bzw. günstige organisationale Konstellationen als Referenzpunkt für die Arbeit als Gender-Trainer_in. Herr Weller nennt als Einstieg in seine jetzige Tätigkeit die Anfrage einer früheren Kollegin: „Angefangen hat das Ganze damit, dass Frau Koch, meine Chefin, sich selbstständig gemacht hat, sie zum Thema Gleichstellung was machen und eine Firma haben wollte und dabei den Auftrag für die Organisationsentwicklung in (Einrichtung J) in (Bundesland D) an Land gezogen hat“ (LW 5). Die vorangegangene gute Zusammenarbeit mit dieser Kollegin und seine explizite Unterstützung gleichstellungspolitischer Themen dienen als Begründung, warum er sich des Themas angenommen hat. „Von daher war sie der Meinung, dass ich dafür geeignet wäre, mit ihr das zusammen zu machen“ (LW
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5). Zusätzlich zu der günstigen Gelegenheit, die sich Herrn Weller durch die Anfrage seiner Kollegin bot, nennt er seinen Berufswunsch, in der Organisationsberatung tätig sein zu wollen, und sein Interesse an Gleichstellung. Consulting war eh schon immer eine Sache oder Richtung, in die ich wollte. Mich hat außerdem Gleichstellung als Thema schon immer interessiert und fand es immer eine total selbstverständliche Sache. (...) Und dann war für mich einfach klar, dass das insgesamt ein interessantes Thema ist, auch die Organisationsentwicklung, die ich konzeptionell und systematisch mache (LW 9).
Gleichstellung taucht als ein „Aspekt“ im Kontext seiner beruflichen Orientierung auf und eröffnet ihm die Möglichkeit, sein bisheriges Wissen anzuwenden. „Dann kam dieser Gleichstellungsaspekt, was mir eigentlich völlig selbstverständlich ist, dass das sein muss dazu und bot mir die Möglichkeit, da auch für mich etwas von Null an aufzubauen und zu entwickeln. Das war dann schon ganz spannend“ (LW 11). Als weitere Motivation fügt der Berater seine politische, kritische Haltung gegenüber der bestehenden gesellschaftlichen Geschlechterordnung an. Seine Beschäftigung im gleichstellungspolitischen Bereich gründet sich auf einen „aufklärerischen“ Gleichheitsanspruch. Er grenzt sich in diesem Zuge stark von Männerbewegungskontexten und identitätspolitischen Ausrichtungen ab: Natürlich gibt es auch Aspekte, wo ich eingeschränkt bin, die ich nicht erkennen kann, so als Mann z.B. Geschlechterrollen usw. Aber das waren alles nicht so meine Herzensanliegen. Ich habe z.B. mit Männerbewegung nichts zu tun, das fand ich eher alles immer etwas komisch. Das kommt eher ganz klar aus einem aufklärerischen Anspruch von Gleichheit und hat nichts mit Identitäts-Preisen als Zugang oder so zu tun, das hat bei mir nie eine Rolle gespielt“ (LW 9).
In der Beschreibung seines berufsbiografischen Verlaufs wird ein fachliches Professionalisierungsinteresse in den Vordergrund gestellt. Referenzpunkte für die Arbeit im Kontext von Gender Mainstreaming sind zum einen eine günstige Gelegenheit und zum anderen die Ausübung einer favorisierten fachlichen Tätigkeit. Gleichstellungspolitik erhält damit die Bedeutung eines Anwendungsfeldes des erworbenen Wissens und bietet eine günstige Gelegenheitsstruktur zur weiteren Professionalisierung und Qualifizierung als Berater. Auch Herr Daniel beschreibt seinen Zugang zur Arbeit als Gender-Trainer im Rückgriff auf seine fachliche Auseinandersetzung im Studium und sein fachliches Interesse an Organisations- und Personalentwicklung:
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Meine Berührungspunkte mit Geschlechterfragen liegen weit zurück als ich studiert habe. Ich (…) habe mich schon im Rahmen des Studiums mit geschlechtsbezogener oder geschlechtsspezifischer Sozialisation mal beschäftigt, aber dann im weiteren Verlauf erst mal nicht, sondern mich dann vor allem im Bereich der politischen Bildungsarbeit bewegt und mit Geschlechterfragen eher auf der Beziehungsebene beschäftigt (PD 10).
Herr Daniel sieht eine frühere punktuelle Beschäftigung mit Geschlechterthemen während seines sozialwissenschaftlichen Studiums und Auseinandersetzungen im privaten Bereich, welche Erziehungs- und Vereinbarkeitsfragen betrafen, als Ausgangspunkt für seine heutige Tätigkeit. Er erwähnt mit dieser Nennung privater Begebenheiten, dass er bereits seit Langem mit Geschlechterfragen „in Berührung“ gekommen sei, betont aber insbesondere sein fachliches Interesse an „Organisationsveränderungsprozessen“ und an Fragen wie: „Wie verändere ich Organisationen, Fragen von Personalentwicklung?“ (PD 11). Bei der Einführung von Gender Mainstreaming erkennt er aufgrund seiner bisherigen Interessen für sich „Anknüpfungspunkte“ und entscheidet sich, „in dieses neue Feld, was ja auch gestaltbar war“ (PD 58) einzusteigen. Gender Mainstreaming und organisationsbezogene Umstrukturierungsprozesse bieten ihm die Gelegenheit, seine Arbeit im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung in einem neuen Handlungsfeld fortzusetzen. Aufgrund der Implementierung von Gender Mainstreaming in seiner Organisation entstand die Notwendigkeit, Gender-Kompetenz organisationsintern zu vermitteln. Eine Kollegin hatte bereits Gender-Trainingskonzeptionen entwickelt und „da bin ich dann als jemand der sich für Organisationsveränderungsprozesse interessiert dann_ ich weiß zwar nicht mehr genau wie, aber ich bin dann irgendwie dort eingestiegen“ (PD 12). Äquivalent zu dieser Begründung nennt Frau Ziegler als Motivation keine intrinsische Überzeugung, sondern setzt von außen kommende Impulse für den Beginn der Beschäftigung mit Geschlechterthemen relevant: Es war also nicht aus persönlichen Gründen, weil ich so gekränkt worden wäre, sondern eher von außen kommende Interessen, die mich dann aber schon dazu bewogen haben, da sehr tief einzusteigen. (…) Es war einfach da und ich habe bestimmte Bücher gelesen, aber ich war nie von vornherein in Frauengruppen gewesen oder Frauenselbsterfahrung. Das war ich nicht, ich weiß das alles aus der Literatur (BZ 21).
Die hier beschriebenen berufsbiografischen Verläufe stehen für einen fachlichpragmatischen Professionalisierungsmodus, der sich durch Neuorientierung bzw. Diskontinuität auszeichnet. Als Motivation zur Professionalisierung
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werden günstige Gelegenheiten durch aktuelle organisationsinterne oder marktbezogene Entwicklungen genannt. Dem neuen Handlungsfeld, das Gender Mainstreaming eröffnet, stehen die Trainer_innen inhaltlich offen gegenüber, weil sie es mit ihren bisherigen beruflichen Interessen gut verbinden können. Ihr Einstieg in die gender-orientierte Weiterbildung und Beratung ist in erster Linie von außen bestimmt und wenig aktiv, sie sind meist abhängig von Kolleginnen, die schon seit Längerem gleichstellungspolitisch arbeiten und die sie in das Handlungsfeld einführen. Die Beschäftigung mit Geschlechterthemen erfolgt diskontinuierlich bzw. punktuell und wird weniger durch ein aktives Interesse oder eine politische Überzeugung, sondern insbesondere durch äußere Anlässe (Umstrukturierungen in der Organisation, Implementierung von Gender Mainstreaming) hervorgerufen. Persönliche Auseinandersetzungen mit der Partnerin oder eigene berufliche Erfahrungen spielen eine untergeordnete Rolle in der Begründung der Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen. Bei denjenigen, die erst seit Kurzem einer Arbeit im gleichstellungspolitischen Bereich nachgehen, überwiegt ein fachliches Professionalisierungsinteresse, das von einem grundlegenden Interesse an Gleichstellung und an Geschlechterfragen eher flankiert wird, und eine günstige Gelegenheitsstruktur in der Organisation. Die Strategie Gender Mainstreaming eröffnet durch die konzeptionelle Ausrichtung eine stärkere Orientierung an Organisationsentwicklungsprozessen, und von daher werden die neuen Akteur_innen aufgrund ihrer fachlichen Motivation, sich mit Organisationsveränderungsprozessen auseinanderzusetzen, von der Gleichstellungsthematik angezogen. Diese Anknüpfungsmöglichkeiten bietet Gender Mainstreaming anscheinend stärker an als die frühere Gleichstellungspolitik, die im Sinne einer Frauenförderung vorrangig auf der Subjektebene, also der Förderung einzelner Frauen, ansetzte. Die Ergebnisse der Auswertung des Handlungsfeldes gender-orientierter Weiterbildung und Beratung werden nun zusammenfassend dargestellt.
3.1.4 Die Vermarktlichung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung Die Bewertung des neuen, gender-orientierten Weiterbildungs- und Beratungsmarktes im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming stellt die Trainer_innen vor professionelle und politische Herausforderungen. Trotz konträrer Lesarten von Gender Mainstreaming als Chance und Bedrohung sowie unterschiedlich gewichteter politischer Verortungen stellt die wachsende Marktorientierung alle Expert_innen vor die Aufgabe, ihre Arbeit nicht als politisches Ehrenamt, sondern als ökonomische Leistung zu verkaufen. Wie gezeigt werden
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konnte, hängt die Bewertung einer Vermarktlichung des Handlungsfeldes mit den unterschiedlichen Diskurspositionen der Expert_innen zusammen. Ein Vermarktungs- und Professionalisierungsinteresse ist also bei allen vorhanden, prägt sich jedoch abhängig von ihrem Professionalisierungs-Verständnis und ihrer politischer Überzeugung in unterschiedlicher Gewichtung aus und führt daher zu einer Effizienz- und einer Advocacy-Kontroverse. In der Kontroverse um die Effizienz von Gleichstellung werden unterschiedliche Bedeutungsstrategien und Positionen der Befürworter_innen von Gender Mainstreaming einerseits und der Skeptiker_innen andererseits deutlich. Der im Diskurs um Gender Mainstreaming oft geäußerten Kritik, Gender Mainstreaming trage zur Ökonomisierung der Gleichstellungspolitik bei, begegnen die Befürworter_innen mit einer expliziten Politisierung: Sie interpretieren Gender Mainstreaming als einen demokratischen, politischen und hierarchiekritischen Prozess und vertreten diese Position auch aktiv in der Öffentlichkeit. Die radikalen Skeptiker_innen hingegen nehmen die Kritik, Gender Mainstreaming passe sich nahtlos in neoliberale Flexibilisierungsprozesse ein, zum Anlass, die Strategie Gender Mainstreaming abzulehnen. Sie distanzieren sich von Gender Mainstreaming und verfolgen ihre gender-orientierte Arbeit jenseits von Gender Mainstreaming weiter. Für die stärker politisch motivierten Expert_innen führt die Marktorientierung zu einem Paradox im Handlungsfeld. Denn als Auftragnehmende unterliegen sie einerseits der Notwendigkeit, ihre Dienstleistung optimiert zu verkaufen, um sich finanziell absichern zu können, andererseits agieren sie gleichzeitig als professionelle Expert_innen in einem gleichstellungs- bzw. geschlechterpolitischen Handlungsfeld und wollen deshalb auch ihre politischen und professionellen Ansprüche als Multiplikator_innen transportieren. Für die stärker fachlich motivierten Expert_innen führt die Marktorientierung dagegen zu einem Problem, weil die für sie relevanten fachlichen Ziele und die gleichstellungspolitischen Vorgaben zu Zielkonflikten führen können. Beispielsweise setzen systemische Beratungsansätze auf Offenheit in der Beratung, während Gender Mainstreaming sich als normative Strategie vorstellt und damit dieser Offenheit des Ausgangs von Beratung entgegensteht. Diese Gewichtungen implizieren unterschiedliche Varianten von Professionalisierungskonflikten.
Professionalisierungskonflikt zwischen Angebot und Nachfrage In der Lesart von Gender Mainstreaming als Chance schaffen sich die Expert_innen durch ihre offensive Gestaltung des neuen Marktes und durch eine strategische Interpretation der Strategie Gender Mainstreaming einen neuen Wir-
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kungsbereich, der ihrer bisherigen geschlechter- oder gleichstellungspolitischen Arbeit nützt. Die Vertreter_innen dieser aktiven, Strategie zur Aneignung des Marktes thematisieren die Sorge um die Honorierung ihrer Leistung und ihre Verkaufbarkeit. Sie problematisieren den Qualitätsverlust der Arbeit durch die Anforderungen des Dienstleistungsmarktes, der sich in kurzfristigen Anfragen und schlechter Bezahlung ausdrückt. Bemängelt wird die fehlende Honorierung der Vor- und Nachbereitungszeit eines Trainings oder einer Beratung. Dies habe Kreativitätsmängel in der Arbeit zur Folge, da durch kurzfristige Anfragen nur Standardmodule angeboten werden können, bei denen eine fachliche Passgenauigkeit auf der Strecke zu bleiben droht. Reagiert wird auf die verschärfte Nachfragesituation des Marktes mit der Forderung nach mehr Transparenz durch eine bessere Qualitätssicherung. Diese Forderung ist mit der Hoffnung nach mehr Transparenz für die Auftraggebenden, aber auch mit einer Schärfung des eigenen Profils in einem zunehmend unübersichtlich werdenden Handlungsfeld verknüpft. Auf den Konflikt wird also gestaltend reagiert, die Problemlage wird expliziert und zum Politikum gemacht, indem eine fachöffentliche Diskussion über Qualität angeregt oder zumindest befürwortet wird.
Professionalisierungskonflikt zwischen Profit und Selbstverwirklichung Diejenigen, die die Einführung von Gender Mainstreaming mit einer Existenzbedrohung assoziieren, nehmen in ihrer reaktiven, separativen Aneignungsstrategie eine ablehnende Haltung gegenüber der Vermarktlichung ein. Insbesondere pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bildungseinrichtungen und nebenberuflich Tätige aus der pädagogischen Erwachsenen- oder Jugendbildungsarbeit stehen der Strategie Gender Mainstreaming skeptisch gegenüber. Vertreter_innen der geschlechterbezogenen Pädagogik kritisieren die Veränderungen, weil damit ein profitorientierter Diskurs befördert wird, der durch Kurzzeitschulungen eine unrealistische Machbarkeit von Gender-Kompetenz suggeriere. Damit, so die Befürchtung, verlieren die Komplexität von geschlechterbezogener Bildungsarbeit und die selbsterfahrungsbezogene Auseinandersetzung in der Weiterbildung und Beratung an Bedeutung. Die Kritik, Gender Mainstreaming sei eine ökonomische Effektivierungsstrategie für Organisationen, die sich nahtlos in neoliberale Flexibilisierungsprozesse einpasst, wird zum Anlass genommen, Gender Mainstreaming abzulehnen und die eigene pädagogische Arbeit jenseits von Gender Mainstreaming zu verorten. Damit wird Gender Mainstreaming als Strategie entpolitisiert und als konjunkturelles Thema abgewertet. Der Konflikt zwischen Profit und Selbstverwirklichung entsteht dadurch, dass diese Gruppe von Befragten einerseits eine Kom-
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merzialisierung von pädagogischer Arbeit aus Überzeugung ablehnt, gleichzeitig jedoch merkt, dass sie sich einer Marktorientierung nicht verschließen kann. Als Reaktion auf dieses Dilemma wird zwar dezidiert gegen Profitorientierung und Expansion argumentiert, aber gleichzeitig dennoch angestrebt, mit dem Markttrend mitzuhalten, indem ein eigenes Marktsegment aufgebaut wird. Der Konflikt hat demzufolge zwar eine Strategie der Separierung und der reaktiven Abgrenzung vom Handlungsfeld zur Folge, die jedoch gleichzeitig den Versuch der stückweisen Wiederaneignung des Marktes unternimmt. Von Bedeutung scheint hier vor allem das Bewahren bildungspolitischer Werte und pädagogischer Prinzipien jenseits marktorientierter Trends zu sein. Deshalb wird auch in der Entwicklung von Qualitätsstandards kein Handlungsbedarf gesehen, sondern stattdessen der Markt als Abgrenzungsfolie konstruiert und sich selbst überlassen.
Professionalisierungskonflikt mit männlichen Privilegien im Handlungsfeld Von langjährigen frauenpolitisch und feministisch engagierten Trainerinnen und Beraterinnen wird der Diskurs um „die Männer“ im Gender Mainstreaming und deren Vorrangstellung im Handlungsfeld problematisiert. Die freie Marktsituation von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung, die über keine formalen Qualifikationswege verfügt, führt zu einer vergeschlechtlichten Konkurrenzsituation zwischen Gender-Trainer_innen. Durch die Maßgabe eines gemischtgeschlechtlichen Teams als Qualitätsstandard für ein Gender-Training findet eine langfristige Verdrängung von Frauen aus einem geschlechterpolitischen Tätigkeits- und Wirkungsbereich statt, der lange Jahre von Frauen als Expertinnen besetzt war. Quantitativ gesehen gelten Männer durch die Überzahl an Trainerinnen auf dem Markt als privilegiert, weil sie günstigere Vermarktungschancen haben und öfter mit wechselnden Teamkolleginnen gebucht werden. Mit dieser Verschiebung der Macht verbindet sich für diese Expertinnen das Problem einer Reproduktion von sozialer Ungleichheit im Handlungsfeld.
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3.2 Zwischen Machbarkeit und Ermöglichung: Konzeptionen von GenderTrainings 3.2 Konzeptionen von Gender-Trainings Im folgenden Kapitel werden Bedeutungen von Gender-Trainings und deren Konzeptionen vorgestellt. Die befragten Trainer_innen und Berater_innen handeln dabei mit den Anfragenden und den Teilnehmenden kontextuelle Bedeutungen von Zielen, Inhalten und Methoden aus. Expert_innen
Gender-Training Auftraggeber_innen Abbildung 2:
Teilnehmer_innen
Akteurskonstellationen
Die Analyse der Akteurskonstellationen zeigt, wie sich die Expert_innen in Abgrenzung von bzw. in Bezugnahme auf ihr Gegenüber als Expert_innen entwerfen. Die Teilnehmenden werden in zwei Varianten thematisiert: zum einen als Adressat_innen, die Individuen, die an einem Training oder einer Beratung tatsächlich teilnehmen, und zum anderen als Zielgruppen, die potenziellen Teilnehmenden, die beispielsweise über ihren Status (z.B. Führungskräfte oder Mitarbeitende), ihre Profession (z.B. Sozialarbeit, Journalismus, Maschinenbau), ihren Arbeitskontext (z.B. Verwaltung, Bildungsarbeit) oder bezogen auf ihr Geschlecht von den Berater_innen und Trainer_innen als Gruppe konstruiert werden. Wie noch gezeigt wird, spielt die Teilnehmendenkonstruktion der Expert_innen eine gewichtige Rolle bei der Gestaltung der Trainings. Zunächst werden anhand unterschiedlicher Bezugsgrößen des professionellen Handelns Definitionen und Funktionen von Gender-Trainings in organisations- und subjektorientierter Perspektive herausgestellt. Anschließend wird die Konzeption von Gender-Trainings in drei Dimensionen extrapoliert:
Trainingsziele: Verhaltens- und Haltungsänderung Gender-Konstruktionen: Plausibilisierung und Infragestellung Didaktische Wege: Anwendung und Sensibilisierung
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Trainingsziele beschreiben konkurrierende Ziele der Verhaltens- und Haltungsänderung und zeigen dabei subjekt- oder organisationsbezogene Bezugsgrößen des professionellen Handelns auf. Gender-Konstruktionen verweisen darauf, welche Verständnisse von Geschlechterdifferenz wirkmächtig werden, indem die sex-gender-Trennung zwischen Plausibilisierung und Infragestellung in Abhängigkeit von der Teilnehmendenkonstruktion in den Trainings reflektiert wird. Dann werden in didaktischen Wegen methodische Zugänge aufgezeigt, die Anwendungskompetenz durch Handlungsorientierung und Reflexionskompetenz durch Sensibilisierung profilieren. Zusammenfassend werden Konflikte, Kontroversen und Dilemmata der Diskurspositionen verdeutlicht.
3.2.1 Organisations- und subjektorientierte Perspektiven Was ein Gender-Training ist bzw. was es aus Sicht der Trainer_innen leisten kann, wird in zwei Perspektiven, einer organisations- und einer subjektorientierten Perspektive, charakterisiert. Damit werden Gewichtungen der Trainingsziele zwischen Verhaltens- und Haltungsänderung artikuliert, die, wie später deutlich wird, zu verschiedenen didaktischen Wegen führen. Ein Training allein kann keine Organisationsveränderung bewirken, so die organisationsorientierte Argumentation einer Trainerin: „Also ich denke mal, da ist für uns ein solches Training, ist ein Instrument dazu, um Gender-Wissen zu verankern und Gender-Kompetenz zu verankern. Aber es reicht nicht aus für Organisationen das nur mit Gender-Trainings zu machen. Da braucht man andere Instrumente. So kommt Gender nicht rein“ (GL 23). Organisationsstrukturen verändern sich nicht automatisch, wenn die in ihnen arbeitenden Personen kompetenter sind, sondern Organisationsstrukturen weisen Resistenzen auf, die unabhängig von der Veränderung von Personen bestehen können. Die gleichstellungsorientierte Gestaltung einer Organisation ist deshalb nicht allein durch die Qualifizierung des Personals zu erreichen. Wie eine andere Trainerin erläutert, müssen deshalb Wirkungen auf der Ebene der Personal- und der Organisationsentwicklung unterschieden werden: „Das ist ja ein organisationsbezogenes Modell und welche Wirkung es intern_ ein Training bewirkt auch nichts. Das mag für die einzelnen Personen eine individuelle Schärfung des Blickes für Gender sein, aber für die Organisation bewirkt es nichts“ (EM 72). Frau Münch hat ein klares Verständnis, was ein Training ist und welchen Zweck es erfüllen kann: „Trainings haben keinen Zweck für sich. Es sind ausschließlich Hilfsmittel, die Menschen, die Mitarbeiter_innen und die Kolleg_innen zu befähigen, Gender anzuwenden“ (EM 74). Auch Frau Hennigsen sieht Trainings als ein
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Instrument zur Umsetzung von Gender Mainstreaming, das neben anderen Instrumenten steht: Und da ist Gender-Training ein sag ich mal ein Instrument im Rahmen von Gender Mainstreaming und das ist aber nicht erschöpfend. (…) Es gibt dann noch ganz andere Instrumente des Gender Mainstreaming, wie z.B. ein Leitbild oder eine Vision für einen bestimmten Zusammenhang was jetzt gendermäßiges passieren soll in einer bestimmten Organisation oder Firma, also andere Leitungsentscheidungen gefällt werden und auch Ziele gesteckt werden (AH 64).
Da Gender-Trainings vor allem auf der Ebene der Personalentwicklung angesiedelt sind, ist die Umsetzung von Gender Mainstreaming um weitere Instrumente zu ergänzen, die auf der Organisationsebene ansetzen und z.B. Leitbilder oder Zielvereinbarungen betreffen. Trainings stellen damit nur eines von vielen Instrumenten eines umfassenderen Organisationsentwicklungsprozesses dar, und deren Reichweite ist damit begrenzt: Aber es ist also, ich denke, Gender-Training ist ein Bereich, ein Instrument dafür, Gender in Organisationen zu verankern. Aber ich_ also wir gehen von dem aus oder ich gehe von dem aus, ob einer fünfzig Gender-Trainings macht, kann das keine Organisa_ also kann das auch sein, dass sich die Organisationskultur nicht verändert. So resistent ist sie wirklich, ja das ist auch wichtig (GL 21).
Der Erfolg und der Sinn eines Trainings werden also weniger an den Zugewinn für einzelne Personen, sondern stark an den jeweiligen Kontext geknüpft: „Und das funktioniert auch nicht, wenn wir unabhängig von allen Kontexten anfangen würden, Instrumente zu entwickeln. Das ist sinnlos. Sondern dass man das im Kontext sieht und das immer im Zusammenhang mit diesem Prozess zu sehen. Und da kann dann Gender-Training nur ein Teilaspekt sein“ (SP 33). Da Instrumente immer passgenau auf den jeweiligen Anwendungskontext konzipiert sein müssen, heißt dies, dass Gender-Trainings idealerweise immer in Organisationsentwicklung eingebettet sein sollten. Damit bleibt ein Training aber ein „Teilaspekt“ (SP 33), der als nicht hinreichend für das Gelingen von Veränderungsprozessen erachtet wird. Um den Organisationsbezug zu verdeutlichen, favorisieren einige dieser Expert_innen den Beratungs- statt des Trainingsbegriffs für die Beschreibung ihrer Tätigkeit. Herr Weller begründet seine Ablehnung gegenüber dem Begriff Training mit dessen inflationärem Gebrauch, dessen unklarer Bedeutung und mit der Erreichbarkeit der Zielgruppe der Verwaltungsangestellten:
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Wir benutzen das Wort nicht in unserer Firma, weil es einerseits völlig unklar ist was es heißt und zweitens weil es bei Kunden, mit denen wir zu tun haben, vor allem öffentliche Verwaltungen, eher immer diese Assoziation weckt ‚Oh Gott, oh Gott! Wir müssen da Rollenspiele machen!’ Das ist irgendwie für alles, was deutsches Beamtentum ist irgendwie völlig abschreckend. Es gibt also diesen strategischen Grund und auf der anderen Seite bringt das Wort nichts. Deswegen benutzen wir es auch nicht (LW 3).
Um der Akzeptanzsicherung bei der Zielgruppe der Verwaltung willen, wird der Begriff in seiner Beratungsfirma aus strategischen Gründen abgelehnt, da mit der Bezeichnung Training psychodynamische Übungen assoziiert würden. Der Begriff sei negativ konnotiert, was viele potenzielle Teilnehmende abschrecken würde. In diesen Äußerungen der Trainer_innen, die ihrem Selbstverständnis nach als Berater_innen agieren, wird eine organisationsorientierte Perspektive auf Training deutlich. Es wird von ihnen in ihren Interventionen weniger der einzelne Mensch als Person in den Blick genommen, sondern die Menschen als Organisationsmitglieder, also die Menschen in ihrer Funktion, adressiert. Da die Menschen als Funktionsträger_innen nicht als wichtigster Ansatzpunkt für Veränderungsprozesse gesehen werden, sondern die Bezugsgröße für das professionelle Handeln die Organisationsstrukturen sind, kommt dem Training als Interventionsform eine geringe Bedeutung zu. Trainings gelten als eins von vielen möglichen Instrumenten zur Implementierung von Gender Mainstreaming. Obwohl die Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden als eine wichtige Voraussetzung für die Ermöglichung von Veränderungen angesehen wird, stellt die Arbeit mit den Beschäftigten in einer organisationsorientierten Perspektive nicht den Motor für Veränderungen dar. In einer subjektorientierten Perspektive haben Trainings eine weitreichende Bedeutung für die Entwicklung von Kompetenzen von Mitarbeiter_innen. Als Ziel gilt, Lernräume mit mehreren Lerndimensionen zu eröffnen, in denen sich die Teilnehmenden Kompetenzen aneignen können, die sie befähigen, sich langfristig und auf persönlicher Ebene mit Gleichstellungsthemen zu beschäftigen. Ein Training bietet Herrn Fuchs zufolge dafür einen geeigneten Raum, falls es in angemessener Länge konzipiert ist. Ein Training hat bei der Umsetzung der Strategie Gender Mainstreaming eine hohe Bedeutung, weil die Arbeit mit dem Menschen als Ansatzpunkt für Veränderungsprozesse in Organisationen gilt. Im Training rückt explizit die Arbeit am Mensch als Person in den Mittelpunkt. In subjektorientierter Perspektive auf ein Gender-Training wird die „Wahrnehmungskomponente“ als sehr wichtig beschrieben, denn das Gespür für Diskriminierungen bekämen Menschen erst dann, wenn durch didaktische Übungen im Training auch mit biografischen Erfahrungen gearbeitet werde.
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3 Aushandlungsräume Das Wahrnehmen und Erkennen wo Gender-Relevanz auftaucht, wo potenziell mittelbar, unmittelbar Diskriminierungen passieren könnten, dieses Gespür dafür sagen wir mal so, das kriegt man eben schon dadurch dass man irgendwie schon an der eigenen Person ansetzt und sich selbst fragt, wie bin ich als Mensch geschlechtsspezifisch sozialisiert, welche Vor- und Nachteile bringt mir das, wie sehe ich die Welt, was stört mich vielleicht auch was Geschlechtermuster, Stereotypen und Normen angeht, die mich ja auch beschränken eventuell und auch andere (AH 36).
Die Wichtigkeit eines Reflexionsanteils über eigene Geschlechterbilder und gesellschaftliche Normen wird in subjektorientierter Perspektive betont, obwohl auch Schwierigkeiten damit verbunden sind: So dieser Ansatz an der eigenen Person das ist eine ganz schwierige und auch sehr kontroverse Geschichte weil viele das so abtun als na ja äähh so ein bisschen Psycho und muss das sein so ungefähr. Aber man muss es manchmal irgendwie diplomatisch machen oder anders verpacken, aber es gehört schon immer in irgendeiner Form dazu (AH 36).
Obwohl diese Trainerin die Erfahrung gemacht hat, dass mit einem subjektorientierten Ansatz Akzeptanzschwierigkeiten verbunden sind, wird die Sensibilisierung als fester Bestandteil eines Gender-Trainings angesehen. Die Herausforderung bestehe in der Art deren Vermittlung. So veranlassen Vorbehalte gegen Sensibilisierungsanteile im Training nicht dazu, auf die persönliche Reflexion im Training zu verzichten, sondern problematisiert wird der Ansatz, sich „als Person zu öffnen“, wenn im Training Vertreter_innen verschiedener Hierarchieebenen anwesend sind. Dadurch vergrößere sich die Gefahr der Bloßstellung einzelner Personen in Abhängigkeitsverhältnissen. Das Arbeiten mit Sensibilisierungsübungen, die biografische Reflexionen einbeziehen, ist auch Frau Zieglers Ansicht nach deshalb in einem Training, an dem verschiedene Statusgruppen aus einer Abteilung teilnehmen, weniger ratsam: Die Biografiearbeit ist ja ein wichtiges, aber auch problematisches Feld. Wenn man jetzt z.B. eine ganze Abteilung vor sich hat, dann kann man nicht sagen, wir machen jetzt Biografiearbeit und jetzt wissen alle, deren Vater war Alkoholiker, das war ganz schlimm, und bei der Mutter hat es da und da nicht gestimmt. Nein das darf nicht sein. Aber es muss trotzdem möglich sein, seine Biografie und die Kräfteverhältnisse und Ströme, die da Einfluss genommen haben, ansehen zu können. Da haben wir verschiedene Methoden erarbeitet, dass das möglich ist, aber unterschiedlich intensiv und unterschiedlich im Hinblick darauf, inwieweit man von den anderen was erfährt (BZ 102).
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Ausschlaggebend ist mit Blick auf die Zielgruppe der Abteilungsleiter_innen einer Organisation der Grad der Sensibilisierung. Die personenbezogene Sensibilisierung wird nicht als Ziel ausgeklammert oder untergründig behandelt, sondern in der Intensität der jeweiligen Zielgruppe angepasst. Bei einer anderen Zielgruppe, z.B. bei „Jugendsozialarbeitern“, die freiwillig angemeldet sind und „aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen“, also nicht aus derselben Organisation kommen, werden von Herrn Weller jedoch durchaus andere Maßstäbe an die Intensität der persönlichen Auseinandersetzung angelegt: „Da will ich dann schon tiefer gehen und auch einen ganz anderen Anteil an Selbstreflexion und Arbeit am eigenen Rollenverständnis haben“ (LW 106). Obwohl sich aus einer subjektorientierten Perspektive positiv auf die LehrLernform des Trainings bezogen wird, wird auch hier der Trainingsbegriff problematisiert – allerdings mit einer anderen Begründung als in organisationsorientierter Perspektive. Mit dem Begriff werde die Assoziation von Trainierbarkeit von Gender-Themen und Gleichstellungsanliegen gefördert und dadurch werde der Aspekt der Sensibilisierung zu kurz kommen, so ein Trainer: „Training finde ich unglücklich mittlerweile, man sagt so Training, Train-the-Trainer oder wo es sonst auftaucht, ich trainiere so was. Und ich habe so das Gefühl über Sensibilisierung, wo dir wirklich mal was wegrutschen kann, das mit einem Training zu vergleichen das finde ich schwierig“ (SC_2 41). Die Befürchtung bezieht sich darauf, dass durch den Glauben an eine kalkulierbare Durchführung von Übungen persönlichen, mitunter konflikthaften Auseinandersetzungen oder gruppendynamisch ausgelösten Ereignissen kein Raum gegeben wird. Etwas trainieren ist etwas üben und das hört sich so technisch an. Und es gibt einen technischen Teil im Gender, wo es darum geht Analysen, Budgetierung ganz klar projektbezogene Maßnahmen durchzuproben. Das kann man trainieren also den Geschlechterblick trainieren, wenn du so was machst. Der ganze Teil Sensibilisierung der Teil der_ wo du Neugier wecken willst, ich sage immer, du musst das Herz erreichen damit die mitmachen die Leute, damit es beseelt wird, das würde ich nicht Training nennen. Aber ich weiß nichts Besseres (SC_2 44).
Es wird hier eine Unterscheidung zwischen einem technischen und einem emotionalen Anteil in Gender-Trainings aufgemacht. Die standardisierte Berücksichtigung einer Geschlechterperspektive bei fachlichen Aufgaben spricht die Verhaltensebene an, die trainierbar ist, wohingegen die Arbeit mit persönlichen Erfahrungen, Gefühlen und Motivationen die Ebene der Einstellung betrifft, die nicht trainierbar ist. Auf einer eher instrumentellen Ebene anzusetzen, indem der analytische Blick um eine Gender-Perspektive erweitert ist, wird hier zwar als möglich angesehen, jedoch als nicht weit reichend genug kritisiert, da damit nicht an Überzeugungen und Motivationen der Menschen heranzukommen ist.
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Teilnehmendenkonstruktion Bei der Teilnehmendenkonstruktion geht es darum, von welchen Vorannahmen über die Zielgruppen und Adressat_innen die Trainer_innen für ihre Definition des Trainings ausgehen. Für die Planung und Durchführung eines Trainings ist die Teilnehmendenkonstruktion der Expert_innen insofern auch ein zentrales Gestaltungsprinzip, weil entlang von Vorwissen, Aha-Effekten oder Widerständen der Teilnehmenden die Ausrichtung und Ausgestaltung eines Trainings legitimiert wird. Bezugspunkt der Begründung des professionellen Handelns sind also Erfahrungen in der Arbeit mit bestimmten Zielgruppen oder Adressat_innen. Die Expert_innen beschreiben zwei Formen von Aha-Erlebnissen bei den Teilnehmenden: Aha-Effekte durch Wiedererkennung (Ähnlichkeiten, Anknüpfungspunkte) oder Aha-Effekte durch die Konfrontation mit etwas Neuem (Irritation, Provokation). Aha-Erlebnisse interpretieren die Trainer_innen als Beispiele für positive Erfahrungen in der Arbeit mit den Teilnehmenden, die eine erfolgreiche Vermittlung anzeigen. Widerstände hingegen dienen als Marker dafür, was in einem Training mit welcher Zielgruppe machbar ist. Denn aus Sicht der Expert_innen äußern sich persönliche oder politische Konflikte als Widerstände der Teilnehmenden in den Trainings. Diese Widerstände können auf verschiedenen Ebenen liegen. Frau Peters beschreibt einen Konflikt zwischen Sollen und Können: So sollen Mitarbeitende z.B. Gender Mainstreaming umsetzen, aber ihnen fehlt die Kompetenz dazu. Daraus entsteht eine Verunsicherung durch den „Druck“, Gender Mainstreaming implementieren zu „müssen“, und nicht zu wissen, wie es gehen soll (SP 86). Frau Münch beschreibt dagegen Widerstände zwischen Sollen und Wollen am Beispiel einer verordneten Teilnahme am GenderTraining. Der in diesem Kontext von ihr erlebte Widerstand bei männlichen Führungskräften wird von ihr als Angst vor einem Gesichtsverlust beschrieben, weil diese befürchteten, beim Thema Gleichstellung „als Mann am Pranger“ (EM 117) zu stehen. Auch ihr Teampartner Herr Daniel beobachtet die „Reserviertheit von Männern gegenüber dem Thema, weil negative Erfahrungen aus Zeiten des Geschlechterkampfes“ (PD 121) existieren. Bei jüngeren Frauen hingegen seien Widerstand und „Skepsis“ gegenüber dem Gleichstellungsthema anzutreffen, weil sie individualisierter dächten und ihnen der „strukturelle Blick“ (PD 121) auf gesellschaftliche Benachteiligung fehle. Zur Prävention von Widerständen wird die Bedeutung von Lachen und Humor als wichtiges Element der Trainingskonzeption genannt. Ein „Lacheffekt“ (GL 234) habe eine Ventilfunktion und ermögliche die Auflockerung oder die Vergewisserung über die Harmonie in der Gruppe: „Also im Laufe des Trainings braucht es Übungen dazu, wo selbstkritisch auch gelacht werden
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kann. Und sowohl Frauen als Männer das auch tun und dass es auch Formen gibt in denen das auch möglich ist“ (GL 234). Neben der Bezugnahme auf Aha-Erlebnisse und Widerstände wird von einer Trainerin das Prinzip vorgestellt, „beim Erfolg“ anzusetzen, gemäß dem Prinzip des „Appreciate require“: „Zu schauen wo sind die Erfolge, wo ist das Gute, das Positive in der Vergangenheit und das zu mehren in der Zukunft statt defizitorientiert zu gucken wo sind die Probleme wie können wir die verändern? Das ist ein ganz anderer Ansatz, wo wir die Erfahrung gemacht haben, dass das die Menschen enorm zusammenbringt“ (MT 92). Als Eröffnung, um eine Gruppe dazu zu motivieren, sich auf die Geschlechter-Thematik einzulassen, schlägt Frau Teichler den Fokus auf Positiverfahrungen vor. Denn, so ihre These, eine „gute Arbeitsatmosphäre“ und eine offene Einstellung zu dem Thema kann „Frauen und Männer zusammenzubringen“ (MT 90). Eine Atmosphäre von Harmonie, Sicherheit und Wohlbefinden können ihrer Ansicht nach eine positive Grundeinstellung und ein offenes gemeinsames Arbeiten ermöglichen. Wir achten unglaublich auf das Ambiente, da muss wirklich alles stimmen. Die Erfahrung ist, wenn da was schief läuft, dann wirkt das sich mit diesen heiklen Themen dramatisch aus. Das sind so Standardelemente eine Atmosphäre räumlich herzustellen auch durch Angebote von Essen und Trinken und dergleichen alles ist übersichtlich keine Fragen sind offen. Also darauf achten wir schon am Anfang eine Atmosphäre der Sicherheit herzustellen und des Wohlbefindens (MT 49).
In einem anderen Vorgehen wird hingegen weniger das Bestreben nach atmosphärischer Perfektion als handlungsleitendes Prinzip betont, sondern die Ermöglichung von Konfliktbearbeitung und die Erlaubnis, Fehler machen zu dürfen, als wichtig herausgestellt. Und genau in dem Sinne darf es nicht perfekt sein, sondern das Perfekte wäre das Kalte. Und wäre das_ also es müssen Konflikte auftauchen, man kann das nicht planen, das meinen viele, sondern es müssen Fehler gemacht werden, damit man sich mit den Fehlern auseinandersetzen kann (…) es muss das Prinzip des Fehlermachen-Dürfens da sein sonst wird es kalt (AS 75).
Kälte wird von ihm mit Unmenschlichkeit konnotiert. Die Kultur des Fehlermachens und die Möglichkeit, in einem geschützten Raum Konflikte austragen zu können, ermöglicht eine persönliche Reflexion, die von dem Trainer als wesentlicher Inhalt eines Gender-Trainings angesehen wird.
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3.2.2 Trainingsziele: Verhaltens- und Haltungsänderung Trainingsziel Verhaltensänderung In einer organisationsorientierten Perspektive werden die Ziele eines Trainings in Abhängigkeit von den Organisationszielen gesetzt. Der genauen Klärung der Ziele in der Anfragesituation kommt insofern eine wichtige Funktion zu, als unterschiedliche Wissensstände zwischen Anfragenden und Anbietenden vorliegen. Bei der anfragenden Seite wird oft die Strategie Gender Mainstreaming mit einem einzelnen Training gleichgesetzt. Dies erklärt sich dadurch, dass die Strategie den anfragenden Organisationen noch relativ unbekannt ist und meist noch kein Implementierungsbeschluss zu Gender Mainstreaming vorliegt. Maßgeblich für die Konzeption eines Trainings oder einer Beratung ist daher die Klärung der Interessen und Voraussetzungen der anfragenden Organisation. „Was soll das bedeuten für die Organisation? Und ist es ein Teil von einem Organisationsentwicklungsprozess? (…) Und es ist leichter dann wirklich, wenn wir einen Organisationsentwicklungsauftrag haben“ (GL 22). Die Zielsetzung eines Trainings richtet sich dementsprechend für eine der befragten Beraterinnen danach, welchen Stellenwert die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Organisation hat und in welchem Zusammenhang mit anderen organisationalen Veränderungsbestreben diese steht. Als optimale Ausgangsbedingung gilt für sie, wenn die Anfrage sich nicht nur auf ein einzelnes Training bezieht, sondern die Beratung für einen gesamten Organisationsentwicklungsprozess angefragt wird, in dem Gender-Trainings ein Bestandteil sind. Wenn in den Organisationen allerdings kein oder noch kaum Wissen über Gender Mainstreaming vorhanden ist, wird die Vereinbarung über das Ziel der Beratung in Absprachen mit der auftraggebenden Seite verhandelt. Wie ein Trainer erzählt, wissen die Auftraggebenden in der Anfragesituation zum Teil nicht, was sie wollen, und es herrscht eine „große Unsicherheit“ und eine damit verbundene Erwartungshaltung, dass der externe Experte Sicherheit gibt und einen Vorschlag für das weitere Vorgehen unterbreiten kann. Für die Beratenden bedeutet dies, eine genaue Abschätzung treffen zu müssen, was im Rahmen eines Trainings oder einer Beratung machbar ist und was das Ziel der Organisation ist oder sein kann: „Und dann gibt es die Problematik, weil wir müssen dann sehr genau die Abgrenzung, was wir in einem Training leisten können und dem was das Ziel in der Organisation sein soll abgrenzen. Und das geht manchmal durcheinander, das muss man sehr genau herausarbeiten“ (EA 46). Die Abgrenzung zwischen einem Trainingsziel und einem Organisationsziel, also dem Ziel, welches die Organisation mit Gender Mainstreaming erreichen will, ist dabei wichtig zu verdeutlichen. Die
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Zielfindung, wie die Gestaltung der Implementierung von Gender Mainstreaming in der Organisation aussehen soll, wird deshalb von Frau Grünau selbst zum Thema eines Gender-Trainings gemacht: Ein Tagestraining wird von ihr für eine erste Implementierungsberatung genutzt, um grundlegende Rahmenbedingungen und die Schritte der Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Organisation aufzuzeigen. Also häufig ist es ja so, dass der Veranstalter irgendetwas anfragt und ich biete ihm das dann an und führe das dann erst mal durch. (...) Ich mache dann das Training oder diese Veranstaltung, muss aber in der Veranstaltung selbst den Teilnehmenden dann eben das sagen, auf was man sich da eigentlich einlässt und was das eigentlich bedeuten würde, was man erreichen kann und was eigentlich nicht. Also die Ziele für einen Tag dann einordnen in das was kommen müsste (RG 110).
Dass ein Gender-Training meist als Einzelmaßnahme angesehen wird und nicht Teil eines umfassenden Organisationsentwicklungsprozesses ist, zeigt sich daran, dass nicht nur sehr weit gefasste, sondern auch sehr unkonkrete und sehr kurzfristige Anfragen gestellt werden. Ein genanntes Beispiel ist die Situation von EU-geförderten Projekten, die die Maßgabe haben, Gender Mainstreaming in ihre Projekte zu integrieren. Die verpflichtende Berücksichtigung von Gender Mainstreaming in EU-Projektanträgen hat zur Konsequenz, dass Gender Mainstreaming lediglich als Zusatz Erwähnung findet und nicht als querliegendes Thema verankert wird. Da dies bei der Bewilligung des Projekts meist noch ausreicht, geraten die Projekte erst in der Umsetzungsphase bzw. vor allem in der Abschlussphase in Erklärungsschwierigkeiten, weil die Maßgabe des Förderantrags nicht erfüllt ist. Aus dieser Not heraus entstehen dann Beratungsanfragen mit der Erwartung der anfragenden Organisation, dass im Nachhinein die Strategie Gender Mainstreaming noch integriert werden kann. Dies erläutert eine Beraterin folgendermaßen: Ein Beispiel: Eine Anfrage für Begleitung, also nicht nur hin Entwicklung, sondern auch Evaluation, Überprüfung der Dokumente bevor sie hinausgehen auf gendergerechte Kriterien. Und da gibt es fünf Module für Trainings, es geht um Antirassismus auf dem Arbeitsmarkt, alle fünf Modulleiter sind Männer. Jetzt im Nachhinei_ die ganzen Konzepte stehen, jetzt im Nachhinein wird eine Frau als Gender Mainstreaming-Beauftragte eingesetzt, die soll das alles koordinieren. Und die hat jetzt sozusagen einen Bedarf an externen Beraterinnen, in dem Fall wir und sozusagen zu ihrer Unterstützung und noch zur Entwicklung_ wobei klar ist, dass relativ wenig jetzt zum jetzigen Zeitpunkt entwickelt werden kann (SP 39).
Wie Frau Peters beschreibt, werden sie als Beratungseinrichtung zu einem Zeitpunkt angefragt, zu dem der Gestaltungsspielraum nur noch sehr begrenzt ist, da
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es bisher keine Zuständigkeiten gab und Gender Mainstreaming nicht vom Projektbeginn an als Querschnittsaufgabe berücksichtigt wurde. Sie problematisiert, dass eine handlungsorientierende Beratung zur Zielformulierung in diesen Fällen nicht mehr möglich ist, weil alle Konzepte schon fertiggestellt sind. Wie diese Positionen zeigen, wird in organisationsorientierter Perspektive eine fachliche Kontextorientierung ausschlaggebend, aber auch die jeweiligen beruflichen, regionalen und politischen Kontexte werden beachtet. Betont wird von Herrn Weller, es sei wichtig darauf zu achten „in welcher Kultur man unterwegs ist“: Also ist es Berlin, Rheinland-Pfalz oder am besten Trier oder ist es Ost, ist es West? Das macht schon wesentliche Unterschiede aus. Das muss man schon gucken, dass man das merkt in der Vorbereitung in den Vorgesprächen. Ok, das ist jetzt eine CSU-Verwaltung, jetzt muss das Thema Familie kommen, wie passt das rein in diesen Kontext, wie gehört Vereinbarkeit als Thema zu Gender Mainstreaming dazu? Was heißt es mehr als das? Das zu thematisieren gehört dann auch wesentlich dazu. Oder in einer Ostverwaltung, wo eh klar ist, dass sowieso alle gleich sind. Wie geht man dann damit um, dass dann doch nicht alle gleich sind? (…) Das ist ja schön dieser Anspruch, der aber in der Realität nicht da ist, weil Geschlecht kein Thema ist, weil es kein Thema sein darf, weil wir ja schon alle gleich sind (LW 124).
Die organisationskulturellen, politischen und regionalen Kontexte haben demnach einen entscheidenden Einfluss darauf, wie das Training oder die Beratung gestaltet werden kann. In einer organisationsorientierten Perspektive wird vor allem die Handlungsorientierung als wichtigster Aspekt in einem Training betont. Es soll vermittelt werden, wie sich Gender-Themen in die jeweilige fachliche Arbeit integrieren lassen. Frau Münch führt aus, dass eine möglichst praktische Ausrichtung zum Erfolg führe: „Je praktischer, umso besser. Ganz einfach. Das ist eine ganz einfache Linie. Ich denke jetzt an das letzte, was wir gemacht haben in der Kommune dort, da war das Highlight, dass die das wesentliche Beispiel aus ihrer Praxis holen“ (EM 110). Ziel ist, Anwendungskompetenz zu vermitteln: Also geht es darum, dass die Institution für sich sagt, für uns ist das ein Qualitätsmerkmal und Verbesserung unserer fachlichen Arbeit und wir wollen, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das können. Aber es geht nicht darum zu sagen, du bist ein guter Mann oder du bist eine schlechte Frau oder umgedreht. Es geht nicht um Wertung der Person“ (EM 45).
Auch andere Trainer_innen gehen davon aus, dass der Bezug zur eigenen Arbeitspraxis unmittelbar gewährleistet sein muss und die Beispiele zur Umsetzung von Gender Mainstreaming direkt aus dem Tätigkeitsbereich der Teilneh-
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menden stammen müssen, damit sie überzeugen: „Wir haben den Blick ganz stark auf die praktische Verwertbarkeit. Und das ist auch das, was die Teilnehmenden einfordern und auch erwarten“ (DT 90). „Und das ist auch immer die Phase, wo am ehesten_ und auch in der Rückmeldung von den Teilnehmenden wo es am ehesten klick macht oder wo es die Aha-Effekte gibt“ (PD 40). Konsens ist darüber hinaus, dass die Entwicklung von Gender-Kompetenz „ein längerer Prozess der Aneignung“ (PD 60) ist, der als umfassend charakterisiert wird. I: Inwiefern können oder wollen Gender-Trainings Gender-Kompetenz vermitteln? PD: Das ist das Ziel. (…) Also grad die Beschäftigung mit Geschlechterverhältnissen auf der individuellen, vor allem aber auch auf der Strukturebene und der Organisationsebene und die Auseinandersetzung und das Üben von Analyse- und auch Planungsinstrumenten zur Genderorientierung führt ja dazu, dass die Mitarbeiter Mitarbeiterinnen in einer Organisation das dann zunehmend in ihre Arbeit integrieren und damit Gender-Kompetenz entwickeln. Das Ziel ist, das dann mit der jeweiligen Fachkompetenz zu verbinden, dass es eine gut verzahnte Einheit gibt und nicht irgendwie nebeneinander steht. Dazu dienen die Trainings (PD 60).
Herr Daniel deklariert, wie in dem Zitat zum Ausdruck kommt, Gender-Kompetenz zwar als Ziel von Gender-Trainings, relativiert diese Zielsetzung jedoch anschließend, da seiner Ansicht nach ein einzelnes Gender-Training keine GenderKompetenz vermitteln kann. Ein Training kann diesen Aneignungsprozess zwar anregen und unterstützen, es bedarf jedoch einer Kontinuität in der Wissensaufnahme und in dessen Anwendung: Und aber ein Training allein macht noch keinen Mitarbeiter oder keine Mitarbeiterin gender-kompetent, sondern es fördert das natürlich. Gender-Kompetenz entwickelt sich auch über einen längeren Zeitraum, wenn ich kontinuierlich mich damit beschäftige, Instrumente anwende und mir das Wissen auch zunehmend aneigne was es gibt und vielleicht auch mal Forschungen angucke und da geschlechtsdifferenziert genderdifferenziert erhebe und und und. Das ist ein längerer Prozess der Aneignung. Aber die Trainings unterstützen das natürlich und können das auch gut initiieren (PD 60).
Herr Leroy vertritt hingegen die Meinung, dass Kompetenz unabhängig vom Geschlecht ist: „Wurscht ob Frau oder Mann (…) Ahnung vom Stoff“ (RL 139). Da der Wunsch nach Handlungsorientierung und Anwendungsbezug als wichtigster Inhalt und auch als dominante Erwartung der Zielgruppe beschrieben wird, gilt er als Handlungsmaxime für die Trainingsleitung, wie seine Teampartnerin, Frau Teichler ergänzt. „Also in unseren Workshops erreichen wir
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immer dann Aha-Erlebnisse wenn wir auf dieser fachlichen Ebene Anregungen geben und weiterhelfen, natürlich immer unter Gender-Aspekten“ (MT 141). Die „Anbindung an ein Praxisprojekt“ (SP) wird damit zu einem Qualitätskriterium von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung. Ein Praxisprojekt hat eine Anschub- und Motorfunktion und bietet konkrete Anknüpfungspunkte für weitere Aktivitäten. Es dient daher auch als erster Schritt eines umfassenderen Veränderungsprozesses innerhalb der Organisation, da man, so Frau Peters, „ an einem Ort, mit einem Modellprojekt anfängt, anstatt gelähmt irgendwie gar nichts tun zu können“ (SP 87). Die anwendungsorientierte Ausrichtung von Frau Peters stellt vor allem die praktische und fachliche Umsetzung in den Mittelpunkt. Der Anwendungsbezug wird ihrer Ansicht nach gesichert, indem Instrumente bereitgestellt werden sowie deren Anwendung erklärt oder gegebenenfalls auch erprobt wird. Die Erwartungshaltung der Teilnehmenden umfasse einerseits den konkreten Bezug zu ihrer Facharbeit und andererseits die Bereitstellung von konkreten Arbeitshilfen. Bei diesen Positionierungen der Berater_innen und Trainer_innen stehen die Anwendungsorientierung und das Können der Mitarbeitenden im Zentrum. Die Erfahrung mit positiven Aha-Erlebnissen führt dazu, dass dies Aspekte sind, die eine gute Wirkung bei den Teilnehmenden haben. Die Interventionen werden deshalb in einer organisationsorientierten Perspektive praktisch, fachlich und anwendungsbezogen konzipiert. Die starke Betonung der Ergebnis-, Handlungs- und Anwendungsorientierung in den Trainingskonzepten gründet sich auf Vorbehalte von männlichen Teilnehmenden gegen eine persönliche Auseinandersetzung mit Selbsterfahrung. „Viele Zwangsverpflichtete sag ich jetzt mal so, kommen mit der Vorstellung Psycho (…) Selbsterfahrung“ (EM 115). Die männlichen Teilnehmenden, die unfreiwillig im Training sitzen, würden befürchten, sie müssten sich „gedanklich ausziehen“ (PD 116). Es geht um Selbsterfahrung (…) und ich muss mich hier ausziehen oder stehe als Mann am Pranger. Dann ist das ein unglaublicher Erfolg wenn die Leute am Ende sagen „oh, wie vielschichtig das alles ist und wie offen wir miteinander reden konnten“ „ach und das ist das auch? “ oder „ich habe mich gut gefühlt“ oder so. Man muss auch wirklich gucken, mit welchen Ängsten die Leute kommen (EM 117).
Ein Training wird Frau Münch zufolge mit Selbsterfahrung assoziiert und Selbsterfahrung evoziert ihrer Meinung nach Skepsis gegenüber der Thematik, weil bei den Teilnehmenden Ängste davor bestehen, was an Persönlichem angesprochen und was dadurch ausgelöst werden könnte. Um Menschen nicht abzuschrecken, wird von Herrn Leroy der Aspekt der Verhaltensänderung von Personalverantwortlichen betont:
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Ja, also wie gesagt ich unterscheide da sehr stark, geht es mir darum das Feld so ein bisschen zu bereiten sag ich mal, im Sinne von Erkenntnisgewinn und dann Sensibilisierung und vielleicht auch Verhaltensänderung. Also bei Führung, wenn es um das Thema Führung geht, da finde ich Verhaltensveränderung ziemlich wichtig, denn dann machen wir schon Einheiten oder Übungen wo die Führungskräfte reflektieren müssen, wie ist meine Wahrnehmung, wie nehme ich Frauen und Männer wahr. Habe ich da einen Bias? Oder wie behandele ich die, wie kommuniziere ich mit denen? Das hat dann schon mehr Trainingsaspekt (RL 110).
Die Teilnehmendenorientierung nimmt z.B. die Besonderheiten einer Zielgruppe und ihre Voraussetzungen aus Sicht der Trainer_innen in den Blick und charakterisiert z.B. die Zielgruppe der Führungskräfte in Bezug auf die Gestaltung von Trainings. Manchmal muss man gucken, gerade wenn man mit Führungskräften arbeitet auf der ganz obersten Ebene, die wenig Zeit haben, dass die auch eher Input gewohnt sind. Dass man auch gerade den Sensibilisierungsteil sehr klein macht, weil es dann oftmals eher Widerstände hervorruft, die manchmal so als Spielchen empfunden werden und nicht gesehen wird, was da auch tatsächlich methodisch daraus erwachsen kann. Da muss man dann natürlich sehr auf die Zielgruppe eingehen sonst hat man zu großen Widerstand (EM 42).
Die Passgenauigkeit der Trainingsgestaltung für die Zielgruppe der Führungskräfte ist hier mit bestimmten Vorannahmen aufseiten der Trainerin verbunden: Führungskräfte wollten keine Selbsterfahrungsübungen, Sensibilisierung erzeuge Widerstände und Widerstände blockierten den Prozess. Diese Annahmen werden durch die Trainer_innen mit folgender Charakterisierung begründet: Die Zielgruppe der Führungskräfte habe stets wenig Zeit und sei auf didaktischer Ebene konsumorientiert und an Input gewohnt, bevorzuge also frontale Vortragsformen. Die Deutungsstrategie ist, dass eine Sensibilisierungseinheit im Training mittels Übungen und Methoden seitens der Führungskräfte als ‚Spielchen’ abgewertet und der Sinn und Nutzen einer personenbezogenen Sensibilisierung von ihnen nicht anerkannt und deshalb abgelehnt wird. Widerstand entsteht dieser Ansicht nach also durch ein zielgruppenfernes didaktisches Vorgehen, denn, so die Überzeugung, je enger die Konzeption des Trainings an den Gewohnheiten der Zielgruppe orientiert ist, desto weniger Widerstand entsteht. Wie Herr Leroy und Frau Teichler berichten, fordern die Teilnehmenden außerdem Klarheit und Transparenz in der Zielorientierung, was sie am Konzept eines Mentoring-Programms für junge weibliche Nachwuchskräfte in der Privatwirtschaft erläutern. Ausgangssituation war, dass weder die weiblichen Mentees noch die jeweilige männliche Führungskraft freiwillig an dem Programm teilnahm. Während die jungen Frauen kein Diskriminierungsbewusstsein
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hatten und deshalb nicht wussten, warum speziell für sie ein Mentoring-Programm aufgelegt wurde, hatten die männlichen Vorgesetzten die Grundhaltung, dass alles „Zeitverschwendung“ sei: „Und dann ist es natürlich, das muss man noch dazu sagen, dass gerade in der Privatwirtschaft diese Zeit oder verlorene Zeit das bedeutet wir haben keine Zeit, endlos irgendwie zu irgendwas zu sensibilisieren. Es darf auf keinen Fall einem Selbsterfahrungskurs gleichen, noch nicht einmal ansatzweise. Es muss etwas dabei rumkommen“ (RL 54). Der Zugewinn an Bewusstwerdung und die Möglichkeiten, an persönlichen Entwicklungen zu arbeiten, gelten im privatwirtschaftlichen Kontext nicht als akzeptiertes Ergebnis eines Trainings, so die Erfahrung von Herrn Leroy. „Es war immer wichtig, was ist überhaupt das Problem? Wieso sitze ich hier überhaupt? Ich will das Problem sehen. Und dann irgendwann, was ist das Ziel? Was müssen wir erreichen? Und dann können wir darüber reden, wie erreichen wir das“ (RL 54). Die Erfahrung zeigt, dass bei einer unfreiwilligen Teilnahme an einer Maßnahme zu Chancengleichheit eine eindeutige Problemorientierung und eine eindeutige Zielsetzung von den männlichen Teilnehmenden, den Führungskräften, erwartet wird. Die klare Aussicht auf die Lösung eines Problems sei eine notwendige Bedingung dafür, dass sich Führungskräfte überhaupt auf eine Mitarbeit einlassen. Die Zielorientierung werde dementsprechend von den Führungskräften oftmals mit Ergebnisorientierung gleichgesetzt und Selbsterfahrung als Abgrenzungsfolie gegenübergestellt. Deshalb folgert eine Trainerin: Also entweder Verhalten ändern oder arbeitsfähig machende Projekte im GenderBereich implementieren. ((3 Sek.)) Aber diese pure Sensibilisierung das ist für mich so ziellos. (…) Also ich muss eben immer ein Ziel vor Augen haben, wo das hinführt. Und das ändert sich eben je nach Auftrag. Wenn wir keine klaren Ziele benennen können, dann machen wir das auch nicht. Also wir fragen ja auch als Allererstes, was soll denn dabei rauskommen (MT 112).
Die Zielsetzung des Trainings hängt dementsprechend von dem erwarteten Ergebnis ab. Dass dieses Team seine Trainings output-orientiert gestaltet, wird mit der Erwartungshaltung der Zielgruppe, insbesondere der männlichen Führungskräfte, begründet. Nur wenn klare Ziele vereinbart sind, könne auch ein sichtbarer Erfolg einer Maßnahme gemessen werden und davon hänge wiederum die Anerkennung der Trainer_innen als Expert_innen ab. Da Sensibilisierung als ein unklares Ziel gilt, wird damit auch ein unklares Ergebnis assoziiert. Selbsterfahrung wird abgelehnt, weil sie nicht als Ziel anerkannt ist und damit letztlich auch die Kompetenz der Beratenden in Frage steht. Nicht nur die Vorstellung von Führungskräften, sondern auch von Verwaltungsangehörigen führt aus Sicht einer organisationsorientierten Perspektive, die Herr Weller vertritt, zu einer Ablehnung von Sensibilisierung als Hauptbestand-
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teil eines Gender-Trainings: „Da muss man ganz genau gucken, was ist die Zielgruppe und was ist deren fachliche Aufgabe“ (LW 106): Wenn ich noch mehr mit Sensibilisierung arbeite, wenn ich noch stärker so auf eigenes Verständnis und Rollenverständnis und so abhebe, ist es für viele Verwaltungskontexte gar nicht möglich, weil das sind Dienstzusammenhänge, in denen ich auch falsch finde in eine bestimmte Tiefe von persönlichen Geschichten zu gehen, weil die Leute kennen sich alle und die werden die nächsten paar Jahre zusammen arbeiten im Amt. Da braucht halt jeder einen gewissen Schutz für seine Privatsphäre und hat den Anspruch drauf (LW 106).
Die Schwierigkeit, mit Menschen im Training als Personen zu arbeiten, wenn sie nach dem Training weiter dienstlich zusammenarbeiten müssen, bestätigt eine Trainerin, wenn sie von ihren Erfahrungen mit Zielgruppen aus den Bundesministerien berichtet: „Und das kann man z.B. auch nicht wenn die Hierarchien zu stark vertreten sind. Also man kann jetzt nicht von den Leuten verlangen dass sie sich als Person öffnen wenn z.B. die Vorgesetzte vor der Nase sitzt und man dann zu viel persönlich dann hergeben muss. Also es ist halt nicht so einfach“ (AH 39). Gegen die personenbezogene Sensibilisierung sprechen demnach der Schutz der Privatsphäre in dienstlichen Zusammenhängen und der Schutz der Mitarbeitenden in Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen. Doch obwohl eine starke Abgrenzung von subjektorientierten Ansätzen mit Rückgriff auf die Erwartungen und Voraussetzungen der Zielgruppe profiliert wird, wird eingeräumt, dass es untergründig doch auch um die Sensibilisierung der Person geht: Und es gibt so etwas warum wir das immer so betonen, wir machen das so pragmatisch, aber das stimmt natürlich nicht. Denn es hat ja immer auch was mit der Auseinandersetzung mit sich selber zu tun. Aber diese Erfahrung dieser Leute mit ihren Ängsten, die das auch braucht eine Atmosphäre zu schaffen und das ist eben keine Selbsterfahrung und dass es nicht darum geht sich auszuziehen und dass es nicht darum geht schon wieder Geschlechterkämpfe auf der nächst höheren Ebene wieder durchzuführen. Das ist für uns auch sozusagen ein darunter liegendes Ziel die Bereitschaft herzustellen sich ernsthaft wie mit jedem anderen Thema auseinanderzusetzen (EM 118).
Hinter der angesprochenen Pragmatik wird die personenbezogene Sensibilisierung für Geschlechterbilder von der Trainerin Frau Münch als ein untergeordnetes Ziel sichtbar gemacht. Dies wird als solches jedoch nicht gegenüber den Teilnehmenden artikuliert, weil sonst nach Ansicht der Trainerin die Gefahr besteht, dass dies die Teilnehmenden abschreckt und Angst hervorruft. Die Koalition mit der Zielgruppe wird hier brüchig, bzw. doppelbödig, denn es wird eine
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zweite, versteckte Dimension der Zielsetzung deutlich. Im Sinne eines Trojanischen Pferdes werden nach außen Handlungs- und Ergebnisorientierung verkauft, wobei das Ziel der personenbezogenen Sensibilisierung zwar unbenannt bleibt, aber trotzdem versucht wird, es durch die Hintertür zu vermitteln. In einer Diskurskoalition wird hier von den Expert_innen die Erwartungshaltung der männlichen Führungskräfte und der Verwaltungsangestellten antizipiert und als Zielsetzung übernommen. Damit wird eine Form der Auseinandersetzung im Training favorisiert, die einem rationalen Prinzip der Aushandlung und Führung folgt, das output- und erfolgsorientiert ist. Gender-Trainings werden damit zu Instrumenten, die durch Messbarkeit charakterisiert sind.
Trainingsziel Haltungsänderung In der Gewichtung des Ziels der Haltungsänderung wird ein Gender-Training in einem umfassenden Verständnis als eine spezifische Lehr-Lernform charakterisiert. Deshalb muss ein „wirkliches“ und „richtiges“ Training von so genannten „Schnellschussgeschichten“ (IB 20) abgegrenzt werden, so eine Trainerin aus der Erwachsenenbildung: „Training heißt ja einfach, ich bleibe kontinuierlich an einer Sache, um daraus richtig so was wie Kompetenz oder Fähigkeiten zu entwickeln. Das kann ich nicht in zwei Tagen, auch nicht in drei Tagen und das will ich schon über einen Zeitrahmen verfolgen“ (IB 20). In Bezug auf den umfassenden und langfristig angelegten Anspruch eines Trainings wird deshalb kritisiert, dass unter dem Label von Gender-Trainings Veranstaltungen angeboten werden, die nicht der Lehr-Lernform eines Trainings entsprechen. So verweist Herr Daniel auf die problematische Umsetzungspraxis bei der Implementierung von Gender Mainstreaming, dass unter dem Label von Gender-Trainings für Mitarbeiter_innen der Bundesverwaltung eigentlich „zweistündige Info-Veranstaltungen“ angeboten wurden: So was würde ich niemals als Gender-Training bezeichnen. Aber in so einem politischen Raum passiert es eben dann, dass dann gesagt wird, jetzt sind alle gegendert, wir haben alle durch ein Gender-Training geschickt (…). Und damit legitimieren wir uns und haben unseren Teil getan, aber tatsächlich ist gar nichts umgesetzt worden (PD 144).
Zeitlich sehr begrenzte Informationsveranstaltungen als Gender-Trainings zu bezeichnen, beinhaltet nicht nur das Problem, dass ein Training als Angebotsform unterkomplex bleibt, sondern auch, dass einzelne Weiterbildungsmaßnahmen mit dem gesamten Umsetzungsprozess von Gender Mainstreaming gleichgesetzt werden. Alle seien „gegendert“ suggeriere, durch eine einzelne Informa-
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tionsveranstaltung sei die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Organisation erledigt. Diese Kritik wird auch von Frau Behrend geäußert, die aus diesem Grund für eine klare Unterscheidung zwischen einem Training und einer Informationsveranstaltung plädiert. Diese sei dann, wenn sie lediglich ein paar Stunden umfasse, „Einführungsveranstaltung“ oder „Schnuppervortrag oder Schnupperstunde“ (IB 54) und nicht Training zu nennen. Neben diesen eher formalen und organisatorischen Abgrenzungen von anderen Lehr-Lernformen wird ein Gender-Training über die inhaltliche und methodische Intensität der Auseinandersetzung mit einem Thema definiert, weil dort mehrere „Lerndimensionen“ angesprochen werden sollen: „Und es muss gelernt werden auf der kognitiven Ebene, auf der emotionalen Ebene, auf der Handlungsebene, das muss mindestens gelernt werden. Wenn die das nicht an sich herankommen lassen und nicht in Kontakt kommen, ist es kein GenderTraining, sondern Information oder eine Informationsveranstaltung“ (BZ 89). Abgelehnt werden von Frau Ziegler „kognitive Schulungen, wo man den Leuten zwei Stunden lang erzählt, was Gender Mainstreaming ist, welche Instrumente es gibt und man gibt ihnen Papiere mit und nun macht das mal bei euch zu Hause (…) das ist keinerlei Gender-Training“ (BZ 91). Analog zu den Bestandteilen der Wissensvermittlung, Sensibilisierung und Handlungsorientierung umfasst ein Training in Frau Zieglers Verständnis ebenso drei Ebenen der Vermittlung, die kognitive, emotionale und handlungsorientierte Lernprozesse anregen. Aus dem „ganzen Wust an Angeboten“ ist für sie Gender-Training „die weitestgehende Veranstaltung, wo wirklich auf allen Ebenen gelernt wird“ (BZ 92). Im Gegensatz zu anderen Bezeichnungen wie „Workshops“ symbolisiert „Training“ „dass es ankommt und die Standards am präzisesten und profiliertesten angewandt werden“ (BZ 92). Für einen Lerneffekt bzw. eine Wirkung des Trainings bei den Teilnehmenden bedarf es dieser Ansicht nach mehrerer didaktischer Lernebenen. In dieser mehrdimensionalen Ausrichtung liegt die umfassende Bedeutung eines Trainings begründet, die die Teilnehmenden als lernende Subjekte in den Mittelpunkt eines Trainings stellt. Ein Training bildet Herrn Fuchs zufolge einen Ermöglichungsraum für Bewusstwerdungs- und Reflexionsprozesse über die eigene Geschlechterposition und bietet Raum für persönliche Auseinandersetzungen sowie für einen gleichwertigen Austausch unter den Teilnehmenden. Dieser Austausch zielt sowohl auf die Reflexion von geschlechterbezogenen Selbstverständnissen, als auch auf die Weiterentwicklung des Verständnisses für andere. Mir geht es glaub ich ganz stark darum, Gender-Trainings als eine Möglichkeit zu nutzen, noch mal genauer hinzugucken. Um einfach auch noch mal eigene Geschlechterpositionen überprüfen zu können oder auch gucken zu können auf was basiert eigentlich meine Position. (…) Und ich denke, wenn man das Training als
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3 Aushandlungsräume Auseinandersetzungsraum versteht, Verhandlungsraum so, im Versuch sozusagen in der partizipativen_ vielleicht durch geringere Hierarchie gekennzeichneten Raum eben über dieses Thema sprechen zu können, das finde ich auch schon viel, sich zuzuhören und Verständnis für die jeweilige Positionen entwickeln zu können (KF 40, 72).
Deutlich vertreten wird von dieser Gruppe der Trainer_innen die Meinung, dass in einem Training „nur die ersten Schritte gemacht werden“ (GL SP 87, 88), um Gender-Kompetenz zu entwickeln. Für die Begründung, warum Kompetenzentwicklung nicht innerhalb eines Trainings stattfinden kann, wird zunächst der Faktor Zeit relevant. Ein für einen Kompetenzerwerb notwendiger Zeitumfang sei in einem ein- bis zweitägigen Training nicht gegeben, sondern die Auseinandersetzung bedürfe einer Kontinuität über einen längeren Zeitraum, so Frau Behrend: „Es wird so hoch gehievt als Highlightthema da gibt's ne Highlightkompetenz zu, die wird Ruck-Zuck antrainiert, kann man ja heute alles so nach dem Motto und ich glaube, dass es um bestimmte Dinge_ wo es um die zwischenmenschliche Basis geht, das braucht Zeit. Das ist nicht mit so ein paar Trainings getan“ (IB 40). Daran knüpft sich ihr Argument, dass sich Kompetenz vor allem in der „Erprobung“ und im „Durchleben“ (IB) entwickelt und es deshalb immer über das einzelne Training hinaus eines Transfers in ein Praxisfeld bedarf, in dem dies geschehen kann. Die Entwicklung von Gender-Kompetenz beruht also ihrer Ansicht nach auf einer langen persönlichen Auseinandersetzung. Auch für Herrn Allersheim bedeutet Gender-Kompetenz, die Fähigkeit für Reflexionen auf persönlicher Ebene anzustoßen: „Kompetenzen sind Schlüssel, wo ich Türen mit aufschließe“ (SC_1 187). Gender-Kompetenz bedeutet darüber hinaus auch beurteilen zu können „Was läuft unter der Fahne des Männlichen und des Weiblichen?“ (SC_1 145): Also eindeutig auf der persönlichen Ebene bedeutet das, seine eigene Rolle als Mann oder Frau zu reflektieren. Und zu schauen, wie agiere ich hier und jetzt in diesem Augenblick als Mann oder Frau und was hat das für Auswirkung nach außen und gegenüber anderen Frauen oder gegenüber anderen Männern. Wenn ich diese Reflektion hinkriege und wenn ich mir das nicht nur unter den psychologischen Aspekten, sondern auch unter dem Aspekt Gender unter dem geschlechtlichen Aspekt noch mal angucke, dann wäre das so die eigene Gender-Kompetenz, die man für sich selber hat (EA 95).
Wie zum Ausdruck kommt, wissen die Trainer_innen um die Schwierigkeit und die Möglichkeiten der personenbezogenen Sensibilisierung, weil sie die Zielgruppen und Organisationskontexte zu kennen glauben. Allerdings folgern sie aus dieser Einschätzung nicht, dass Sensibilisierungsanteile im Training über-
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flüssig sind, da sie selbst der Überzeugung sind, dass dies ein wichtiger Teil des Trainings ist. Sie unterscheiden zielgruppenbezogen dabei sehr genau, was mit wem möglich ist, wie intensiv sie in persönliche und biografische Auseinandersetzungen einsteigen und was unter Sensibilisierung genau verstanden werden soll: „Also wenn du nur Sensibilisierung drüberschreibst, kannst du immer sagen ja, das ist wichtig, aber du musst es definieren, was heißt denn Sensibilisierung, in welcher Weise, wie tief geht das?“ (SC_2 79). Mit dem Ziel der Haltungsänderung und der Arbeit mit dem Menschen als Person geht Herr Schlicht davon aus, dass es im Training nicht nur um kognitive Wissensvermittlung gehen kann, sondern dass Strukturveränderung immer auch eine Veränderung der betroffenen Personen bedeutet. Der Zusammenhang von Individuum und Struktur wird von der Seite des Individuums aufgerollt: Und ich denke auch bei Gender Mainstreaming geht es letztendlich darum, Arbeit und Struktur zwar zu effektivieren, aber es sind Menschen betroffen und dann muss ich da eine andere_ eine andere Sensibilität entwickeln. Da kann ich mich nicht nur auf Wissen verlassen und auf Information irgendwelcher Studien und auch irgendwelche Theorien, sondern da muss ich ein Stück auch bestimmte Dinge durchleben (AS 39).
Deshalb ist für diesen Trainer die „Geschlechterfrage“ nicht nur eine „theoretische, sondern immer auch eine ganz persönliche“ (AS 72). Das „Durchleben der Dinge“ stellt personenbezogene Auseinandersetzungsprozesse mit dem Geschlechterthema in den Mittelpunkt und macht die Menschen als Personen zum Ansatzpunkt des Handelns. Diese Zielsetzung bezieht sich vor allem auf die Ebene der Bewusstwerdung über Diskriminierung ohne diese handlungslähmend werden zu lassen.
3.2.3 Gender-Konstruktionen: Plausibilisierung und Infragestellung Im folgenden Kapitel werden Gender-Konstruktionen der Expert_innen herausgearbeitet, die aufzeigen, was die Expert_innen unter gender verstehen und welches Gender-Wissen sie versuchen, im Training zu vermitteln. Dabei wird einerseits relevant, wie sie selbst mit der sex-gender-Trennung umgehen und wie sie den Zusammenhang von Theorie und Praxis begründen. Bedeutsam wird hierbei, mit welchen Begründungen die sex-gender-Trennung plausibilisiert oder infrage gestellt wird und dementsprechend gender als gesellschaftlich dominante Struktur- oder Identitätskategorie oder als komplexer Normierungsprozess konstruiert wird. Es kann außerdem deutlich gemacht werden, dass die Art und Weise des Umgangs mit gender im Training in hohem Maße von den
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Vorannahmen der Expert_innen über die Teilnehmenden geprägt ist. Um diesen Zusammenhang vom Gender-Wissen der Expert_innen und der Teilnehmenden zu veranschaulichen, werden abschließend drei Szenarien entwickelt, die diese Zusammenhänge verdeutlichen.
Die Plausibilisierung der sex-gender-Trennung Die Frage nach der biologischen Beschaffenheit der Kategorie Geschlecht ist für die Trainer_innen relevant, weil sie durch die Teilnehmenden in den GenderTrainings immer wieder damit konfrontiert werden. Die Teilnehmenden beziehen sich auf biologisch fundierte Geschlechterstereotype und präsentieren damit sehr konträre Ansichten über Geschlechterverhältnisse. So sei eine immer wieder auftauchende Frage in den Trainings: „Wie hältst du es mit der Biologie? Ist das vielleicht nicht doch so und gibt es da nicht doch_“ (LW 94). Zur Begründung für das Geschlechterverständnis werden von den Teilnehmenden dann populärwissenschaftliche biologistische Diskurse bemüht, die ein Trainer als „Bestseller-Schrott, der das Geschlechterverhältnis verbrät“ (LW 96) bezeichnet. Dies problematisieren auch andere Trainer_innen: Ich hab's mir grad in jüngster Zeit noch mal angeguckt wie immer wieder in den Medien auch solche biologistischen Beschreibungen hochkommen. Auch gerade über die Zeitschriften, Jugendforschungen u.ä. und von daher also auch solche biologistischen Zuschreibungen immer mal wieder fröhliche Urständ feiern. Und das ist dann auch immer Thema in den Trainings (PD 21).
„Klassisch rückständige Ansichten“ in Bezug auf biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männer werden in Trainings fast immer geäußert, so Herr Norden: „Also das ist etwas, was in jeder Gruppe, wenn es jetzt kein ganz spezieller Kreis ist, taucht es in jeder Gruppe bei dem Thema auf, sei es, dass Geschlechterunterschiede biologisch begründet werden oder immer noch als Begründung genommen werden für etwas, was sie sozial nicht einordnen können“ (SN 43). Die Präsenz biologistischer Positionen in Gender-Trainings spiegele die gesellschaftlich dominanten biologischen Begründungsmuster wider. Als eine Erklärung für das permanente Heranziehen biologischer Fundierungen von Geschlechterdifferenzen wird die Unfassbarkeit der Vorstellung, Geschlecht sei sozial konstruiert, formuliert. Die Vermutung von Herrn Norden ist, dass die Biologie als eingängigere und einfachere Begründung für Geschlechterdifferenzen fungiert als soziale Verhältnisse. Das Biologische erscheint eindeutig und handhabbar, während das Soziale als komplex und schwer zugänglich gilt. Damit entsteht eine Diskrepanz zwischen dem Wissen der Teilnehmenden und
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dem der Expert_innen, die für sich selbst meist eine konstruktivistische Perspektive einnehmen, die zugrunde liegenden theoretischen Ansätze jedoch nicht für vermittelbar halten. Vielleicht noch mal zur theoretischen Anbindung. Klar, dass wir natürlich ausgehen von gender als soziale Konstruktion. Allerdings spielen im Training selber, denn es bringt ja diese theoretische Aufarbeitung, auch diese unterschiedlichen GenderAnsätze und theoretischen Ansätze die es gibt bis hin zu Queerfragen, überhaupt keine Rolle, weil die Teilnehmenden mit denen wir arbeiten, sich auf einem anderen Level oder Niveau sich bewegen, wo es schon unheimliche Fortschritte sind zunächst auch erst einmal zu erkennen, das oder was soziale Konstruktionen vom Geschlecht bedeuten kann unabhängig vom biologischen Geschlecht (PD 20).
Der eindeutige Rekurs auf gender als soziale Konstruktion gilt für Herrn Daniel als eine Selbstverständlichkeit seines Trainingsansatzes, sodass theoretische Ansätze der Gender Studies zu Geschlechterkonstruktionen als bekannt vorausgesetzt werden. Allerdings werden die Bedeutung und der Nutzen des theoretischen Gender-Wissens mit Blick auf die Teilnehmenden in den Trainings von ihm relativiert, weil sich deren Wissen auf einem anderen Kenntnisstand bewege. Die Annahme, gender sei eine soziale Konstruktion, stellt kein anknüpfbares und voraussetzbares Wissen für die Teilnehmenden dar: „Da gibt es keine ausdifferenzierten Debatten, schon gar nicht Judith Butler oder so was in der Rhetorik zu dekonstruieren, weil das überhaupt nicht nachvollziehbar ist, es gibt auch keinen Anknüpfungspunkt für die reale Praxis in den Institutionen und Organisationen, in denen die Teilnehmenden arbeiten“ (PD 22). Aufgrund der fehlenden Anschlussfähigkeit wird deshalb die Vermittlung dekonstruktivistischer Theorien abgelehnt. Da das Wissensniveau der Teilnehmenden die Konzeption des Trainings bestimmt, wird hieraus das Trainingsziel abgeleitet, statt den Versuch zu unternehmen, die Dekonstruktion der Unterscheidung zwischen sex und gender zu vermitteln: Uns geht es darum zu vermitteln, es ist überwiegend in welcher Prozentzahl spielt ja keine Rolle_ es gibt überwiegend soziale und kulturelle Überformungen und Konstruktionen, von daher gibt es auch Veränderungen. Wenn es diese Veränderungsmöglichkeiten nicht gäbe, bräuchten wir auch keine Trainings zu machen, wenn es also biologisch festgelegt wäre. Auf so relativ einfachem Niveau bewegt sich das häufig erst mal in Trainings (PD 22).
Expliziert wird hier die sozialkonstruktivistische Perspektive, indem Kritik an einem starren Geschlechterverständnis, dessen biologische Fundierung jede Möglichkeit der Veränderung ausschließe, geübt wird. Dabei wird sich positiv auf die Trennung von biologischem und sozial-kulturellem Geschlecht bezogen,
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weil die Schwierigkeit bei der Vermittlung von gender sei, dessen Konstruktionscharakter aufzuzeigen. Da die Sichtbarmachung des sozialen Charakters von Geschlecht das wichtigste und gleichzeitig auch das am schwersten zu erreichende Ziel eines Gender-Trainings sei, müsse es auch, laut Frau Münch, schon als „unheimliche Fortschritte“ gelten, „zunächst auch erst einmal zu erkennen, das oder was soziale Konstruktionen vom Geschlecht bedeuten kann unabhängig vom biologischen Geschlecht“ (EM 20). Die Plausibilisierung der Trennung von sex und gender wird zum Ziel der Vermittlung von gender im Training. Gleichzeitig wird damit die Unmöglichkeit der Einbindung dekonstruktivistischer Infragestellung der sex-gender-Trennung begründet. Als Beispiel, dass Dekonstruktion nichts mit den Zielgruppen von Trainings zu tun habe, selbst wenn diese sich im Wissenschaftssystem bewegen, dient Frau Münch ein Training mit Angehörigen der Hochschulleitung: Aber ich möchte das mal am Beispiel der Hochschule machen. Also an Hochschulen ist ja gerade von den Studierenden immer wieder der Punkt, die Auseinandersetzung oh Gott Gender-Trainings tragen dazu bei, gender eigentlich herzustellen. Und wir haben mehrere Trainings mit Hochschulleitungen gemacht und das Niv_ ne Niveau würd ich streichen aber die Art der Auseinandersetzung von Hochschulleitung mit gender hat mit Debatten über Dekonstruktion nichts zu tun (EM 23).
Argumentationslogisch wird hier die wissenschaftliche Kritik an der Essentialisierung der Geschlechterdifferenz unter Studierenden gleichgesetzt mit den Diskussionen in Gender-Trainings mit Vertretenden der Hochschulleitung. Die beispielhafte Illustration, dass selbst Hochschulleitungen mit dekonstruktivistischen Ansätzen nichts zu tun haben, wird angeführt, um die Bedeutung dieser theoretischen Ansätze zu delegitimieren. Diese Begründungslogik führt zu einer Vermischung und Verzerrung der Ebenen von wissenschaftlichen Inhalten und Organisationsmitgliedern. Weil Hochschulleitungen die Debatten um Dekonstruktion nicht kennen, haben diese keine Relevanz, so die These. Damit wird ein Dualismus von Theorie und Praxis verfestigt, der nicht nur auf der Ablehnung von dekonstruktiven Gender-Theorien beruht, sondern abgeleitet wird daraus, dass die „Verknüpfung Theorie und Praxis“ per se „schwierig“ ist: [I]ch glaube, dass wir einen sehr stark pragmatischen Ansatz entwickelt haben. Nicht ich glaube, sondern es ist so. Aus der Praxis heraus. Also wir haben unseren Ansatz eher aus der Praxis heraus entwickelt und nicht aus der Theorie. Und ich glaube, das macht einen großen Unterschied, auch in der Auseinandersetzung an Hochschulen. Das auch zu dem wie ich dazu gekommen bin (EM 3).
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Über die Abgrenzung zu Theorie an sich und vor allem zu wissenschaftlicher Theorie wird von Frau Münch der eigene Arbeitsansatz als praxisorientiert profiliert, und über die vehemente Betonung des praxisgeleiteten Arbeitens findet wiederum die Identifikation der Trainerin in ihrer Rolle als Expertin statt. Indem die Ausgrenzung theoretischer Ansätze zu einem zentralen Merkmal des eigenen Professionalisierungsprozesses stilisiert wird, findet eine Biografisierung der Arbeit statt. Aus persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen wird von dieser Trainerin die allgemeingültige Aussage abgeleitet, dass Geschlechtertheorien zu kompliziert und zu praxisfern für die Teilnehmenden seien: „Wir haben am Anfang natürlich auch die Leute völlig überfordert mit Theorien. Es ist auch eine Praxiserkenntnis und es ist ein Erkenntnisprozess von wirklich diesen sechs sieben Jahren Erfahrung die wir jetzt haben“ (EM 23). Frau Ziegler erklärt hingegen, dass sie bei der Vermittlung von gender in Abhängigkeit von der Zielgruppe durchaus mit verschieden weitreichenden Definitionen von gender arbeitet: Je nachdem, welche Zielgruppe wir vor uns haben, ist das eine größere Aktion oder eine kleinere. Die Minimaldefinition ist halt die Differenzierung zwischen sex und gender. Wenn wir Leute vor uns haben, die auch differenzierteren Wahrnehmungen zugänglich sind, was ja wichtig ist, muss man halt weiter gehen und zeigen, dass sex halt nicht einfach nur eine Begebenheit ist, sondern auch eine Geschichte hat und differenziertere Ausgestaltungen und gender eben auch (BZ 116).
Die Darstellung der sex-gender-Trennung wird als minimale Erklärungsgrundlage für gender beschrieben. Wenn mehr Vorwissen in der Gruppe vorhanden ist, kann durch eine weitergehende Darstellung die Entwicklung von sex historisiert und damit differenziert werden. Obwohl dies von Frau Ziegler für wichtig gehalten wird, liege darin auch eine Warnung, die sex-gender-Trennung gänzlich aufzugeben, denn deren Erhalt habe einen strategischen Grund: Ich passe aber auch immer auf, dass es nicht verschwimmt, weil dann die ganze Sache tot ist, dann kann man damit nichts mehr anfangen. (…) Nicht dass das gegeneinander auflösbar wird und alle Katzen grau werden können, dann verliert das ja die Aussagekraft und an Plausibilität, sich damit überhaupt zu beschäftigen. Dann entsteht vielleicht auch die Idee, dass die Experten noch nicht mal genau wissen, wie das ist, also warten wir mal ab und brauchen nichts machen (BZ 75).
Mit der Aufgabe einer Trennung wird die Gefahr eines doppelten Plausibilitätsverlustes befürchtet: Die relativierende Haltung der Expertin kann zu einem Akzeptanzverlust für das Thema bei den Teilnehmenden und zu einem Anerkennungsverlust der Trainerin als Expertin führen, so die These. Durch die
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Relativierung der Trennschärfe werde den Teilnehmenden eine Legitimationsgrundlage gegeben, sich nicht mehr engagiert mit dem Problem auseinandersetzen zu müssen, weil sich alles mit allem vermische. Die Relativierung des Dualismus könne des Weiteren als Unwissenheit der Trainingsleitung interpretiert werden, weil kein eindeutiges Wissen vermittelt würde. Zudem mache die nicht mehr trennscharfe Unterscheidung die Arbeit schwierig, weil „[i]ch würde sagen, wenn das alles nicht mehr definierbar ist, dann haben wir ja gar keine Spannungen mehr, mit denen man auch was vorwärts bringen kann“ (BZ 121). Die Skepsis gegenüber der Infragestellung der sex-gender-Trennung wird von ihr mit den dahinter liegenden geschlechtertheoretischen, dekonstruktiven Zugängen begründet: „Also ich fürchte, dass das kontraproduktiv werden könnte, was da zum Teil entsteht“ (BZ 121). Es liege eine „hochproblematische Problematik in der Genderdebatte, weil in manchen Diskursen das wirklich darauf hinausläuft, dass alle Katzen grau sind und man nichts Differenzierendes mehr feststellen kann“ (BZ 119). Als das Problematische gilt in dieser Konstruktion die Nähe der dekonstruktiven Infragestellungen von Kategorien zu konservativen Positionen, „die schon immer gesagt haben, dass es doch alles irgendwie in Ordnung ist und lasst uns endlich mit diesem blöden Thema in Ruhe“ (BZ 119). Argumentationslogisch wird hier erstens eine Gleichsetzung dekonstruktiver Herangehensweisen mit einer Auflösung der Differenz und zweitens eine Gleichsetzung infragestellender Kritik mit Gleichgültigkeit und Beliebigkeit vollzogen. Dementsprechend werden die Verunmöglichung von Handlungsfähigkeit sowie die Entpolitisierung von gender befürchtet. Die Überzeugung, dass die neueren Gender-Theorien „so abstrakt, so alltagsfern“ sind, wird mit den angenommenen Erwartungen der Teilnehmenden nach konkreten Anwendungs- und Alltagsbezügen legitimiert (BZ 109): Je mehr Gender-Training ich mache, desto merkwürdiger kommen mir manche Gender-Diskurse vor. Wir müssen ja ausgehen von dem Konzept der Zweigeschlechtlichkeit, weil es halt einfach so ist. Die nehmen sich selbst so wahr erst mal als Männer und Frauen und werden auch so gesehen. Es werden zwar auch schon Differenzen gesehen, aber dass man scheinbar am Arbeitsplatz erst mal das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit als Differenzierungskriterium hat (BZ 109).
Die Infragestellung der sex-gender-Trennung und der Zweigeschlechtlichkeit wird hier mit der Begründung abgelehnt, das Unscharfwerden von Grenzen würde nicht der Lebenswirklichkeit der Trainingsteilnehmenden und der gängigen Wahrnehmung am Arbeitsplatz entsprechen. In dieser Variante der Konstruktion wird die sex-gender-Trennung zwar auch plausibilisiert, jedoch werden mehrere Möglichkeiten der Erklärung des Verhältnisses von sex- und gender
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benannt. So wird sex z.B. im Training in historisierender Weise erläutert. Die Historisierung geschieht zwar im Rückgriff auf Theoriediskussionen in der Geschlechterforschung, aber dekonstruktivistische Infragestellungen der Trennung von sex und gender werden abgelehnt, weil es für sachlich falsch befunden wird, Zweigeschlechtlichkeit infrage zu stellen. Die Differenz muss nach Ansicht der Trainerin als Unterschied erhalten bleiben, weil mit ihrer Auflösung die „Spannung“ verloren ginge. Der Unterschied gilt hier angesichts von Eindeutigkeit und Klarheit als etwas Schützenswertes, weil er vor Beliebigkeit schütze. Dominant wird in dieser Lesart von Differenz die Konstruktion eines dualen Geschlechterverständnisses, dem die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit (geschlechtsspezifische Sozialisation, unterschiedliche Erfahrungs- und Lebensweisen) und die sex-gender-Trennung als theoretischer Referenzrahmen dienen. Frauen und Männer werden als binäre Gruppen konstituiert, die sich konträr gegenüberstehen und sich wechselseitig – in Relation zueinander – verhalten. An die Plausibilisierung der Eindeutigkeit der Geschlechterdifferenz sieht die Trainerin zudem ihre Expertise gekoppelt, denn Uneindeutigkeit wird mit Unwissenheit gleichgesetzt. Die Erwartung der Teilnehmenden wird hier in dem Sinne konstruiert, dass sie Klarheit wollen und brauchen und von daher Verunsicherungen im Training zu vermeiden sind. Klarheit im Sinne von Eindeutigkeit schafft Sicherheit, so die handlungsleitende Annahme. Die Teilnehmendenkonstruktion der Trainerin entspricht hier ihrer eigenen Überzeugung, dekonstruktive Infragestellungen seien gefährlich. Die prognostizierten Erwartungen der Teilnehmenden werden für die eigene Überzeugung funktionalisiert, denn die Ablehnung von dekonstruktivistischer Theorie beruht weniger auf der tatsächlichen Erfahrung, sondern vielmehr auf den Vorannahmen der Trainerin. In einer anderen Deutungsstrategie werden von Herrn Allersheim Konsequenzen, die sich aus dem Problem der Manifestation des Dualismus durch Generalisierung und Auflösung ergeben, thematisiert. „Also sozusagen [dass man] nicht immer doing gender macht und das verfestigt diese Bilder sondern überlegt dass man das auch irgendwie auflöst und dass man dahin kommt dass es eigentlich eine Vielfalt gibt innerhalb der Gruppe auch innerhalb der Frauen, der Männer, die man nicht über einen Kamm scheren kann“ (EA 24). Die positive Konnotation dekonstruktiver Ansätze, festgefahrene Vorstellungen und Meinungen zu hinterfragen und dies als eine Bereicherung zu erleben, wird hier flankiert mit einer Kritik an den Konsequenzen des Dekonstruktivismus: „Es ist sozusagen aus dem Dekonstruktivismus für mich kein Angebot, was soll denn an die Stelle von dieser Dichotomie kommen? Das ist nicht fassbar. Und wenn was kommt dann ging es in die Beliebigkeit. Aber so eine Beliebigkeit, wo es völlig egal ist, wer ich bin“ (SC_1 202). Die Infragestellung von Zweigeschlechtlichkeit wird zwar grundsätzlich befürwortet, aber als „schöne Utopie“
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(SC_1) für die jetzige Situation als unbrauchbar abgewertet, weil das Dekonstruieren der Geschlechterdichotomie mit einer Auflösung von Identitäten gleichgesetzt wird. Dies berge die Gefahr der Beliebigkeit und gehe an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei. Es sei deshalb nicht ratsam, Identität an sich abzulehnen, weil sie Orientierung gebe und Selbstvergewisserung ermögliche: „[I]ch brauche Identität, um zu wissen, wer ich bin. (…) Das ist sozusagen die Entwicklung von Ich und Du. Damit ich weiß, wer ich bin, weil sonst löse ich meine Grenzen auf, Körper und Geist. Also erst die seelischen oder geistigen Grenzen dann die Körpergrenzen und dann ist es entgrenzt und dann wird es völliges Chaos“ (SC_1 202). Die „Idee des Dekonstruktivismus“ sei interessant, weil es angedacht erde, was es „jenseits der Dichotomie“ gebe, aber es fehlt ihm an überzeugenden und „greifbaren“ Ansätzen, die zeigen, in welche Richtung die Entwicklungen jenseits dichotomer Vorstellungen gehen sollen (SC_1 202). Es wird deutlich, dass das Bewusstsein für die Festschreibung von Dichotomien vorhanden ist, aber die Konsequenzen einer Infragestellung für diesen Trainer nicht greifbar und daher nicht vermittelbar erscheinen. Diese Trainer_innen sind gegenüber dekonstruktiven Infragestellungen der Kategorie Geschlecht skeptisch, sie gehen vielmehr davon aus, dass Geschlecht eine gesellschaftliche Ordnungsfunktion hat: Die „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung“, die „ganz wesentlich im Kern sozusagen auch der Geschlechterverhältnisse liegt“ (RG 5, 16), bestimme die Geschlechterverhältnisse. Es existiere eine „völlig absurde Geschlechterdelegation am Arbeitsmarkt in Deutschland“ (LW 15). Absurd insofern, als stereotype Benachteiligungen von Frauen oft „klischeehaft“ im Training angeführt werden. Geschlecht gilt explizit als gesellschaftliche „Strukturkategorie“ (GL 27, 46) und als „tiefes Strukturmerkmal von Organisationen“ (EM 25). Dementsprechend stehen die „Auswirkungen“ von Geschlecht für Bildungskontexte, für die Vermittlung von Wissen sowie für Organisationsabläufe im Fokus des Interesses (GL 27, 46). Mitunter wird darüber hinaus gender als ein umfassendes Verhältnis charakterisiert, das nicht nur in Bezug auf den Arbeitskontext wirksam wird, sondern auch in Bezug auf „Lebensverhältnisse“ (AH 32) zu reflektieren ist. Das Geschlechterverhältnis wird auch als eine „kulturelle Differenz“ (RG 5) charakterisiert. Gemeinsam ist allen diesen Konstruktionen trotz unterschiedlicher Konnotation die strukturelle Bedeutungsdimension von Geschlecht als einer sozialen Ordnungskategorie, wobei insbesondere die Funktion von Geschlecht für materiell-ökonomische Strukturen auf dem Arbeitsmarkt als relevant genannt wird. Es wird ein strukturorientierter Ansatz vertreten, der sich zur Aufgabe macht, Dualismus und Hierarchie als grundlegende Prinzipien des Denkens und Handelns zu problematisieren:
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Das, was wir aber eigentlich ganz zentral zum Ausgangspunkt unseres Konzepts oder Denkens auch machen, ist genau diese Geschlechterhierarchie, die diese tiefer liegende Dimension hinter Geschlecht oder Ethnie oder hinter Alter oder soziale Herkunft, die dahinter liegende Struktur, die die Struktur eigentlich prägt“ (IB 49).
Die Geschlechterhierarchie und der Geschlechterdualismus stellen dieser Ansicht zufolge Ausformungen einer quer liegenden Struktur dar, die unabhängig von Personen funktioniert und die auch andere soziale Differenzierungen beeinflusst. Geschlecht als Kategorie wird explizit in einer strukturellen Dimension bestimmt, was mit einer Abgrenzung von einem Verständnis von Geschlecht als einer bloßen Variable der Unterscheidung einhergeht. Und das ist glaube ich auch wichtig für diese Trainings im Gender Mainstreaming, dass man immer wieder genau sagen kann, was daran nun geschlechtsspezifisch ist. Und nicht in so einer sehr eindimensionalen Form, dass man eine Liste von weiblichen und männlichen Eigenschaften, die auch wichtig sein können, aber zum Beispiel so ein Aspekt wie Machteigenschaften Dienereigenschaften, das quer legen kann und über mehrere Kategorien dann auch männlich und weiblich definieren kann (AS 31).
Welche strukturelle Wirkung Geschlecht hat, wird von einem anderen Trainer begründet, indem Geschlecht ins Verhältnis zu anderen sozialen Kategorien gesetzt und der Zusammenhang von gender und diversity diskutiert wird.106 Frau Münch hingegen reflektiert dies nicht, sondern sieht Geschlecht als die grundlegendste Ordnungskategorie an. Also wir haben da eine ganz klare Position. Wir sagen Gender oder Geschlecht ist strukturwirksamer als die anderen Kategorien. Aber Geschlecht ist genau das. Also Sie können keine Geschlechterpolitik machen ohne diversity. Also das ist völlig absurd. Die Lebenswirklichkeiten von Menschen strukturieren sich dadurch, dass es männliche und weibliche Zugänge gibt oder Männer und Frauen je nachdem. Und dann haben Sie aber Junge, Alte, ethnische Unterschiede usw. D.h. Gender ist für uns immer nicht Mann Frau, sondern Gender heißt immer männlich und weiblich in der Differenziertheit Ethnie, Herkunft, Alter, also das was diversity ist. Das ist ganz wichtig, das ist unsere Definition von Gender (EM 129).
Gender wird zur grundlegenden gesellschaftlichen Ordnungskategorie erklärt. Ausgangspunkt ist ein duales Gender-Verständnis, das um den Aspekt von diversity notwendigerweise ergänzt werden muss. Die grundlegende Strukturierungsfunktion von Geschlecht als Kategorie differenziert sich durch das System 106
Diversity wird hier vor allem auf konzeptioneller Ebene als analytischer Begriff und weniger als Unternehmensstrategie des Managing Diversity thematisiert.
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der Zweigeschlechtlichkeit aus. Die Zweigeschlechtlichkeit wird damit gegenüber anderen gesellschaftlichen Zuschreibungen als vorgängige gesetzt. Innerhalb der Gruppe der Frauen und Männer wird die Geschlechterdifferenz zwar um verschiedene soziale Zugehörigkeiten und Lebenswirklichkeiten ergänzt, die Kategorie Geschlecht bleibt aber am strukturwirksamsten, weil sie durch Organisationsstrukturen und die geschlechtersegregierende Arbeitsteilung geprägt ist. Anhand eines hierarchischen Maßstabs wird gender auch von Herrn Leroy wegen der Omnipräsenz als übergeordnete Kategorisierung angesehen: Ich würde gerne da eine Hierarchie einführen ((lachend)) und ich würde sagen, dass für mich die Geschlechterfrage über dem diversity steht. (…) Frauen und Männer, die stecken ja überall drin, in jedem der Diversity-Bausteine sag ich mal. Deswegen würden für mich in der Hierarchie die Frauen und Männer eher oben stehen und darunter dann der Diversity-Aspekt (RL 175, 179).
Die Vormachtstellung von Geschlecht gegenüber anderen Kategorien wird mit der Omnipräsenz von Geschlecht begründet. In dieser Annahme einer gesellschaftlichen Vorrangstellung der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht wird sich von jenen Positionen abgegrenzt, die Geschlecht in einem horizontalen, additiven Verhältnis mit anderen Kategorisierungen ansehen: „Geschlecht ist eben besonders strukturwirksam aus der Erfahrung heraus, und von daher stellen wir das in den Vordergrund, während es ja im Rahmen von diversity eher ein horizontaler Ansatz ist, der ja die verschiedenen Kategorien nebeneinander stellt und mal ist die wichtiger, mal ist die wichtiger“ (PD 135). Vertreten wird hier ein hierarchisch-vertikaler Ansatz, denn Geschlecht wird als gesellschaftlich dominante Strukturkategorie konstruiert. Kritisiert wird damit, dass diversity einen horizontalen Ansatz verfolgt, bei dem soziale Kategorien nebeneinander stehen und zu unterschiedlichen Zeiten relevant werden können. Die eigene Erfahrung dient als Referenzpunkt für die Begründung, dass Geschlecht eine besonders wichtige Funktion zukommt, und dient als Legitimation des eigenen Arbeitsansatzes, der sich vorrangig auf die Problematisierung von Geschlechterverhältnissen bezieht. Während den Erklärungsrahmen für Geschlecht als dominante Strukturkategorie vor allem Organisations- und Gesellschaftsstrukturen bilden, wird in einer Variante dieser Konstruktion Geschlecht als ein Strukturmerkmal von Personen thematisiert. Geschlecht wird damit als eine Identitätskategorie konstruiert und gilt als „eins von fünfzehn verschiedenen Merkmalen was Menschen ausmacht“: Und das finde ich auch schön, weil sich die Arbeit mit Geschlecht dadurch relativiert. Und dass viele lernen auszutesten, wenn sie selber nach Geschlecht andere
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Menschen kategorisieren oder man selber auch kategorisiert wird. Und die dann sagen, hey ich bin aber auch noch das und jenes. Ein sozialer Aufsteiger, der da und da weiß ich nicht aufgewachsen ist_ Nutzung der eigenen Vielfalt (DT 104).
Geschlecht firmiert in dieser Perspektive als individuelles soziales Merkmal, das sich im Verhältnis zu anderen Kategorien, hier soziales Milieu bzw. Klasse oder Herkunft, relativiert. Die Chance für die Arbeit als Trainerin liege darin, zu erkennen, dass Menschen nicht nur Frauen und Männer sind, sondern immer mehrere Identitäten gleichzeitig haben. Geschlecht wird also als Identitätskategorie konstruiert. Da Geschlecht jedoch nicht die einzige identitätsstiftende Größe darstellt, besteht der Vorteil dieser Sichtweise darin, dass Menschen nicht auf ihre Geschlechtszugehörigkeit festgelegt werden müssen, sondern lernen können, wie Zuschreibungsprozesse funktionieren und wie sie vielfältige Seiten an sich entdecken und erproben können. Obwohl Frau Taffrath von einer Gleichzeitigkeit vieler sozialer Identitätskategorien ausgeht, behält Geschlecht jedoch eine der gewichtigsten Funktionen: Es [das Geschlecht, Anm. Smy] ist einfach mal das Herausnehmen eines DiversityAspektes. Wir gehen davon aus, dass die Kenntnisse der Diskriminierung von Frauen dazu befähigen, die Diskriminierung der anderen Kriterien zu verstehen. Weil es so eine fundamentale Form von Diskriminierung ist, das Geschlecht_ weil es so offensichtlich ist ja? Alles andere muss offensichtlich gemacht werden, z.B. Hautfarbe oder Zugehörigkeit zur Religion kann man ganz schwer sehen, wenn jemand Kopftuch trägt, aber sonst keine Chance. (…) Und in Deutschland ist Geschlecht im Augenblick eines der wesentlichen Merkmale in der Diversity Debatte. Das würde ich schon sagen (DT 28).
Die Gewichtung von Geschlecht als Kategorie wird mit dem hohen Grad an Sichtbarkeit der Diskriminierung von Frauen begründet. Geschlecht als ein Aspekt von diversity wird hier begrifflich mit Frauen gleichgesetzt. Bei der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht gäbe es „Grundstrukturen der Diskriminierung“ (DT), die sich auf andere Formen der Diskriminierung übertragen lassen. Geschlechterdiskriminierung scheint in dieser Konstruktion analog zu anderen Diskriminierungsformen zu funktionieren. Die Offensichtlichkeit von Geschlechterdiskriminierung kann ein exemplarischer Anknüpfungspunkt für die Antidiskriminierungsarbeit sein, da andere Diskriminierungen erst bewusst gemacht werden müssten. In der Annahme von übergreifend wirksamen Diskriminierungsstrukturen wird zwar wieder stärker die Gleichwertigkeit von Geschlecht mit anderen sozialen Kategorien herausgestellt, aber die Gewichtung, dass Geschlecht das wesentlichste Merkmal sei, bleibt erhalten. Das Begründungsmuster für die Vorrangstellung von gender als Identitätskategorie verläuft,
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ähnlich wie in der Konstruktion von Geschlecht als Strukturmerkmal von Organisationen, Frau Taffraths Meinung nach über die gängige Erfahrung und die scheinbare Offensichtlichkeit von Geschlecht. In diesen Konstruktionen von gender wird Geschlecht von den Trainer_innen als ein „Merkmal“ der Organisations- und Gesellschaftsstruktur oder der Identität charakterisiert. Zum einen wird von den Trainer_innen eine eindeutige Hierarchisierung von gesellschaftlichen Strukturkategorien vorgenommen und die Dominanz der Strukturwirksamkeit von gender betont, zum anderen richten sie das Augenmerk auf die Pluralität von Identitäten und fokussieren auf ‚Mehrfachzugehörigkeit’ von Frauen und Männern zu verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. In der Konstruktion des Qualitätsmerkmals wird gender als „Analysekategorie“ (EM 26) angewendet, um beispielsweise Organisationsstrukturen in Bezug auf Verteilung, Ressourcen, Normen und Werte zu untersuchen. „Gender Mainstreaming will, dass gender als grundlegendes Kriterium anerkannt wird, sagt, gender trägt zur Lösung wirtschaftlicher, sozialer, betrieblicher, organisatorischer usw. Fragen bei. Es ist sozusagen eine zusätzliche Kategorie, mit der ich auf mein Arbeiten, auf meine Organisation, auf mein Handeln schaue“ (EM 54). Als Analysekategorie zeichnet sich gender durch einen zusätzlichen Blickwinkel auf Arbeits-, Organisations- und Handlungszusammenhänge aus. Gender ist damit ein Hilfsmittel bzw. ein Mittel zum Zweck und dient als „Diagnosemittel“ (EM 99) zur Analyse von Organisations- oder Handlungsmustern. Von dem Einsatz von gender als Analyseinstrument werden eine klare Zielvorstellung, eine Perspektivenerweiterung und eine Verbesserung von Arbeit erwartet, so Frau Münch. Denn indem bestehende Zusammenhänge und Strukturen unter einer zusätzlichen Geschlechterperspektive analysiert werden, bringen sie einen Nutzen für die Lösung von Problemen und verbessern die Qualität der Arbeit: „Wie integriere ich es so, dass es meinen Herkunftsberuf erweitert? Indem ich sage hier, ich hab einen spezifischen Genderblick und mache eben nicht Konfliktbearbeitung, sondern Genderkonfliktbearbeitung und habe damit ein zusätzliches Qualitätsmerkmal“ (PD 98). Gender erweitert nicht nur die Perspektive, sondern führt außerdem zu einem Qualitätszuwachs. Dieser Qualitätszuwachs soll den Anreiz dafür schaffen, die Geschlechterperspektive in berufliche Tätigkeiten zu integrieren. Von der Integration von gender in Analyseverfahren wird sich von den Gender-Trainer_innen ein Qualitätsvorteil in organisationalen Veränderungsprozessen erhofft. Deshalb zielt die Anwendung von gender auf eine Optimierung struktureller Veränderungsprozesse in Organisationen.
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Die Infragestellung der sex-gender-Trennung Eine andere Diskursivierung von gender bezieht sich nicht affirmativ auf die sex-gender-Trennung, sondern versucht, diese dekonstruktiv infrage zu stellen. Dabei wird ein anderes Theorie-Praxis-Verständnis als in der vorher beschriebenen Konstruktion von gender als Struktur- und Identitätskategorie deutlich, das eher auf einer Verwobenheit denn auf einem Gegensatz basiert. Ihre Tätigkeit als Gender-Trainerin beschreibt Frau Hennigsen als eine „Verflechtung zwischen politischem Engagement und theoretischer Reflexion dessen“ (AH 4). Die Verknüpfung von Theorie und Praxis gilt auch Frau Lorenz als wichtig und sie vertritt den Anspruch, dekonstruktive Ansätze umzusetzen: „Ja ich denk mir doch die Bringlage ist, dass es um die Dekonstruktion der Geschlechter geht. Da ist es mit der Umsetzung in der Praxis extrem schwierig, das was sozusagen vorhanden ist immer so zu denken aber es ist so wie es ist ((lachen))“ (GL 64). Dekonstruktion in der Beratungspraxis umzusetzen erscheint, Frau Lorenz zufolge, zwar als ein hoher Anspruch, aber deshalb trotzdem nicht unmöglich. Sie sieht darin eine Notwendigkeit und eine Herausforderung. Es wird zudem eine grundlegendere Dimension der Geschlechterkonstitution angesprochen, die auf die ambivalente Herstellung von Geschlechterdifferenz selbst schaut. In dieser Gender-Konstruktion wird die untrennbare Verwobenheit von gender mit anderen gesellschaftlichen Kategorien beschrieben, ohne dessen prinzipielle Vorrangstellung gegenüber anderen Ausgrenzungskategorien anzunehmen: „Und das ist ja das, wo wir versuchen auch zu vermitteln, dass gender nicht unabhängig gesehen werden kann, unterschiedliche Hintergründe, kulturelle Identitäten, sexuelle Identitäten, Alter, Behinderungen und so weiter“ (GL 45). In der Verknüpfung von gender mit anderen sozialen Kategorien wird gender kontextualisiert, ohne hierarchisiert zu werden. Gender wird von Frau Lorenz nicht als eine Ersetzung für ein dualistisches Geschlechtermodell verwendet, sondern als ein komplexer Zuschreibungsprozess, der Geschlechterverhältnisse bedingt. Wie auch Herr Fuchs erläutert, versucht er in „dekonstruktivistisch geleiteten Gender-Trainings“ (KF 43) dekonstruktive Theorien einfließen zu lassen: „Und jetzt gar nicht mal so dass ich da weit aushole und hochtheoretische Referate halte, aber so ein bisschen die Grundidee erkläre und dann auch immer versuche, was es denn für die praktische Arbeit bedeuten könnte“ (KF 32). Beispielsweise schildert er, wie in einem dieser Trainings mit einer Gruppe von Pädagoginnen Vor- und Nachteile von geschlechtshomogener Arbeit mit Mädchen und Jungen in Bezug auf die Gefahr der Reproduktion starrer Geschlechtsidentitäten diskutiert wurden,
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3 Aushandlungsräume um so auch zumindest ein bisschen die Problematik aufzumachen was es bedeuten kann, auch in reinen homogenen geschlechtshomogenen Gruppen zu arbeiten, also den Blick zu stark oder sehr stark eben auf das Geschlecht zu lenken. Und dann darüber möglicherweise eben wieder Geschlecht zu konstruieren oder Stereotype über Geschlecht (KF 44).
Dekonstruktivistisch heißt hier, die „Bedeutung von Geschlecht auch immer wieder rauszunehmen“ (KF 49). Es soll zwar „für Geschlechter“ sensibilisiert werden, aber es besteht „gleichzeitig der Versuch, auch zu starke Konzentrationen wieder auf das Geschlecht zu vermeiden“, indem andere Kategorien mitgedacht werden und ein umfassendes „Gerechtigkeitskonzept“ (KF 45) angestrebt wird. Dekonstruktive Ansätze in Gender-Trainings werden für diejenigen Teilnehmenden als positive Impulse für die geschlechterpolitische Praxis gesehen, die eine Bereitschaft mitbringen, Konstruktionsprozesse von Geschlecht zu reflektieren. Dies sind meist Teilnehmende, die schon Erfahrungen in geschlechterbezogener Arbeit haben: Es gab auch die Leute die ganz dankbar waren über den ich sag jetzt mal so einen dekonstruktivistischen Ansatz eben. (…) Und ich also oft Leute erlebt habe die dem ja schon Bedeutung beimessen aber die auf eine Art auch schon sehr verfangen waren. Ich finde da bietet dieser Ansatz die Möglichkeit ein bisschen lockerer ranzugehen, eigene Vorstellungen zu überprüfen (KF 49).
In dekonstruktivistisch geleiteten Trainings rückt der Aspekt einer umfassenden Machtstruktur in den Mittelpunkt, die die Fokussierung auf die Kategorie Geschlecht als einheitliche Kategorie anzweifelt: „Also weil Geschlecht ja eben nur eine Kategorie ist, über die Machtverhältnisse verlaufen. Es gibt ja eben auch ganz andere ne“ (KF 33). Problematisiert wird damit die Ausschließlichkeit der Thematisierung von gender, weil darüber andere Machtverhältnisse unberücksichtigt bleiben: „Und warum hat man sich sozusagen jetzt auf die Gerechtigkeit der Geschlechter konzentriert, ohne was weiß ich kulturelle Herkunft, Alter, Behinderung eben gleich mit zu diskutieren“ (KF 33)? Geschlecht kann dieser Ansicht nach nicht als exklusive Kategorie begriffen werden, d.h. ohne Machtverhältnisse, die über die Konstruktion von Geschlecht und über andere Kategorien produziert werden, zu berücksichtigen. Machtvolle Zuschreibungen finden durch die Kategorisierungen selbst statt und bedingen einander somit. Auch von Frau Hennigsen wird vertreten, Vielfalt sei ein konstitutives Moment von gender. Auf die Nachfrage hin, inwiefern ein Vorteil in Diversity-Ansätzen liegen könne, wird der Blick auf die Ermöglichung vielfältiger Differenzen genannt, aber gleichzeitig die fehlende Machtperspektive kritisiert:
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Ja schon den Gewinn, dass Denken in Differenzen in verschiedensten Differenzen, Diversität als Kategorie auch zu reflektieren und was heißt das? Und da würde ich aber zum Beispiel sagen, das wäre, also mein Ansatz wäre, das auch in einem ganz bestimmten Sinn nutzbar zu machen, nämlich, nicht irgendwie ja der einzelne Mitarbeiter und die einzelne Mitarbeiterin leistet mehr, wenn man die Verschiedenheit anerkennt, äh schön, aber darum geht es mir aber nicht in dem Training. Sondern auch noch mal die Effizienzlogik rausnimmt und da irgendwie guckt, welche Machtkonstruktionen sind da und dass die miteinander verquickt sind und das diskutieren wir im Gender-Training auch, aber wir nennen es nicht Diversity Training (AH 61).
In der Abgrenzung von einem effizienzlogischen Diversity-Begriff verdeutlicht diese Trainerin, dass es bei gender nicht nur auf die Anerkennung von Vielfalt ankommt, sondern auf die Macht produzierenden Verhältnisse, die Geschlechterverhältnisse hervorbringen. Indem eine profitorientierte Konstruktion von diversity kritisiert wird, die den Gewinn von Vielfalt in einer optimalen Ausschöpfung der Ressourcen von Frauen und Männern sieht, werden Geschlechterverhältnisse als komplexe Machtverhältnisse beschrieben. Geschlecht wird in diesen Konstruktionen weniger als Strukturkategorie, sondern als ein kontextualisierter Normierungsprozess gesehen, der in seiner Komplexität Machtverhältnisse produziert. Im Gegensatz zu der vorherigen Lesart von Geschlecht als Struktur- und Identitätskategorie wird damit gender als ein Machtverhältnis in den Blick gerückt, und gleichzeitig kommt eine Offenheit in der Gender-Konzeption zum Ausdruck, da gender in Verwobenheit mit anderen Kategorisierungen erklärt und vermittelt wird. Anders als in der vorherigen Begründungslogik wird gender nicht erst als dual und zweigeschlechtlich konstruiert, um anschließend vervielfältigt zu werden. Gender wird von Beginn an als komplexes Verhältnis statt als Kategorie gedacht. Dies begründet eine normativ-kontextuelle Konstruktion, bei der Dualismen eine Infragestellung erfahren und eine Verschiebung zu einem eher intersektionalen Konzept vollzogen wird. Dies geschieht über die interkategoriale Verknüpfung von Geschlecht mit anderen sozialen Kategorien und über die Ablehnung der Vorrangstellung von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht. Als Bezugsrahmen für die Beschreibung von Geschlechterverhältnissen dienen sowohl materiellökonomische als auch symbolische Dimensionen. Der Fokus auf Vielfalt besteht nicht nur in der Thematisierung von vielfältigen Geschlechterdimensionen innerhalb der Gruppe der Frauen und der Männer, sondern bezieht Kritik an normativen Kategorisierungen mit ein. Diese Offenheit im Gender-Konzept
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spiegelt sich z.B. in einer problematisierenden Sprechweise über Geschlechterverhältnisse und Personen, die Vereinheitlichungen explizit kritisiert.107 In dieser Konstruktion von gender als Normierungsprozess, wird gender als eine Analyseperspektive verstanden, die zur Reflexion von Arbeits- und Lebenswelt dient. Es geht darum, auf einer grundlegenderen Ebene Reflexionen über strukturelle Mechanismen der Geschlechterkonstitution anzuregen: Also sozusagen geschlechtsspezifisches Verhalten festzustellen, also Sensibilität über dein eigenes Verhalten aber auch über das Verhalten der Teilnehmenden zu haben, was passiert da genderdynamisch gerade? Und nicht nur auf das Training bezogen, sondern auch auf Alltagssituationen gehört dazu. Also ich erzähle meinem Freund jeden Abend eine Gender-Geschichte wenn ich nach Hause komme, weil ich immer irgendwas sehe, was in der U-Bahn passiert oder egal, also ganz viele Schlüsselerlebnisse. Und das finde ich also eben_ den Blick permanent dafür schärfen, das finde ich immer ganz wichtig (AH 53).
Der geschärfte Blick für Gender-Aspekte im Alltag eröffnet der Trainerin die Möglichkeit zu einer umfassenden Reflexion; gender wird damit zu einem Reflexionsinstrument. Dabei geraten Herstellungsweisen über den Arbeitskontext hinaus in den Blick und ermöglichen eine Erweiterung der Perspektive. Gender als Reflexionsperspektive wird in diesem Verständnis zu einem Bestandteil der professionellen Gender-Kompetenz von Trainer_innen. Im Folgenden werden drei Szenarien beschrieben, die auf den Gender-Konstruktionen als Struktur- und Identitätskategorie und als Normierungsprozess beruhen. Damit wird verdeutlicht, welche Vorannahmen die Expert_innen haben und welche Gender-Konstruktionen dies zur Folge hat. Im ersten Szenario wird gender als wirksamste Struktur- und Identitätskategorie angesehen, was zur Konsequenz hat, vor allem die Geschlechterdifferenz als Unterschied und als Ungleichheit zu betonen. Im zweiten Szenario wird die soziale Konstruktion von gender beschrieben und der Versuch unternommen, die Geschlechterdifferenz zu relativeren. Im dritten Szenario wird von einer Komplexität der Geschlechterverhältnisse ausgegangen, die transformiert werden sollen.
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Von Männern wird z.B. in kontextualisierender Form gesprochen: Sie werden in ihrer Funktion als Trainer oder in ihrer Positionierung auf dem Trainingsmarkt oder als Teilnehmende thematisiert, nicht per se ‚als Mann’.
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Szenario1: Die Herstellung der Geschlechterdifferenz – Von der Geschlechtsneutralität zur Geschlechtssensibilität Ausgangspunkt dieses Szenarios ist die Unwissenheit der Zielgruppe und das Ziel die Sensibilisierung für die Relevanz von Geschlecht als Struktur- oder Identitätskategorie. Die Intervention im Gender-Training zielt auf Sichtbarmachung: „In vielen Punkten geht es ja überhaupt erst mal nur darum, Geschlecht als Thema wahrzunehmen“ (LW 121). Es geht um das Anstoßen einer bewussten Wahrnehmung und darum, die Bedeutung von gender zu begreifen. Bezogen auf die Teilnehmenden ist die Intention der Trainer_innen die „Sensibilisierung, also dass sie überhaupt erst mal wissen, warum Geschlecht wichtig ist (…) dass sie sensibilisiert sind für die Frage_ für die Kategorie Geschlecht bei ihrer Entscheidung, dass sie nicht darüber hinweggehen“ (EA). Geschlechterperspektiven sollen so zum Bestandteil von Entscheidungskompetenz werden, indem ihre Bedeutung bei jeder Entscheidung berücksichtigt wird: Also ein schöner Satz, den ich den Teilnehmern immer wieder sage, „wir alle entscheiden unreflektiert und es ist besser reflektiert zu entscheiden, auch wenn die Entscheidung nachher die gleiche ist“. Also es muss nicht sein, dass dann hinterher eine andere Entscheidung rauskommt, aber es mit einzubeziehen und eine potenzielle Möglichkeit zu haben, das mitzusehen ist der Gewinn dabei (EA 48).
Weniger geht es um das veränderte Ergebnis, das nach dem Einbezug von Geschlecht entsteht, vielmehr steht die Sensibilisierung für die Relevanz der Kategorie Geschlecht im Mittelpunkt. Damit verbindet sich die Möglichkeit einer Perspektivenerweiterung durch eine veränderte Entscheidungsgrundlage. Anstatt einer Ergebnis- und Output-Orientierung wird der Erkenntniszuwachs, also ein inputseitiger Gewinn, betont. Dem Ziel, die Relevanz von Geschlecht als Ausgrenzungs- und als Strukturkategorie sichtbar zu machen, geht die Einschätzung voraus, dass gender bisher nicht als Strukturkategorie in Organisationen gesehen wird. Dies wird durch den fehlenden akademischen Bildungshintergrund bzw. der Ferne zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der Zielgruppe begründet: Und das in Trainings zu vermitteln, soziale Kategorie gender ist Strukturmerkmal von Organisationen und gender ist Analysekategorie ist ein immens hoher Anspruch an die Beteiligten, weil die weder studiert haben, oder wenn sie studiert haben, dann ist das Jahre her, also das sind dann diese ganzen wissenschaftlichen_ noch dass sie in den Institutionen jemals eine Auseinandersetzung darüber hatten, was ist denn eigentlich Geschlecht? Es gibt kein Geschlecht in Organisationen,
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3 Aushandlungsräume zumindest in deutschen Organisationen nicht. Vielleicht mag es woanders anders sein, weiß ich nicht, glaub ich aber nicht. Aber es gibt es nicht (EM 26).
Geschlecht werde, so die These, in seiner strukturellen Bedeutung innerhalb von Organisationen gänzlich ignoriert, weil ein Wissen um Geschlechterverhältnisse aufgrund der Ungebildetheit der Mitarbeitenden nicht vorhanden ist. Diese Unwissenheit und Ignoranz der Geschlechterverhältnisse werden von Frau Teichler aus der Trainerin-Perspektive mit Irritation registriert: „Wir sehen, dass dieser Geschlechteraspekt, diese unterschiedlichen Lebenswelten und Betrachtungsweisen, dass das so was von verborgen ist für die Mehrzahl der Menschen überhaupt ((lachend)), dass das überhaupt nicht da ist, dass es nicht sichtbar ist obwohl es eigentlich schreit“ (MT 15). Wie Frau Teichler schildert, treffen die Expert_innen in den Organisationen auf höchst konträre Positionen zu ihren eigenen Überzeugungen. Während sie selbst Geschlecht als entscheidendes gesellschaftliches Unterscheidungskriterium, bzw. sogar z.T. als das wirksamste, ansehen, konstatieren sie bei ihren Zielgruppen eine völlige Unwissenheit oder Ignoranz der strukturellen Relevanz von Geschlecht jenseits von einem biologischen Geschlecht. In den Trainings sind sie herausgefordert, diese Diskrepanz zu überwinden. Sie tun dies, indem sie versuchen, ihre Vorstellung von Geschlecht zu vermitteln. Der Maßstab für die Zielformulierungen der Trainer_innen orientiert sich dabei an den angenommenen Bedingungen in den anfragenden Organisationen, d.h. zunächst an der Vermutung, dass die Organisationen sich selbst unabhängig von einer strukturellen Bedeutung von Geschlecht definieren. Es gilt also als Ziel eines Trainings, von einer geschlechtslosen Sichtweise zu einer geschlechterkritischen zu kommen. In der Sensibilisierung für die strukturelle Funktion von Geschlechterverhältnissen wird die Gefahr der Verfestigung von Geschlechterdifferenz aufgrund der Notwendigkeit beschrieben, bei der Thematisierung von Geschlecht als Strukturkategorie Differenz erst einmal herstellen zu müssen: Also wie sehe ich mich als Frau, wie sehe ich mich als Mann? Was habe ich für Bilder, was für Erwartungshaltungen an den Anderen, an das andere Geschlecht? Die Krux dabei ist immer, dass man natürlich sehr generalisieren muss, also den Dualismus der Geschlechter erst mal dazunimmt und man muss immer sehen, dass man ihn auflöst. Also sozusagen nicht immer doing gender macht und das verfestigt diese Bilder, sondern überlegt, dass man das auch irgendwie auflöst und dass man dahin kommt, dass es eigentlich eine Vielfalt gibt innerhalb der Gruppe auch innerhalb der Frauen, der Männer, die man nicht über einen Kamm scheren kann (EA 24).
3.2 Konzeptionen von Gender-Trainings
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Die Betonung der Geschlechterrelevanz bzw. der Maßnahmen zur Veränderung der Geschlechterverhältnisse gelten dabei für diese Expert_innen als politisch notwendiges und gleichsam als temporäres Stadium der gender-orientierten Arbeit. Das übergeordnete Ziel des professionellen Handelns liegt in einer Zukunftsvision von Arbeit ohne gender: „Also irgendwann wäre es auch wirklich gut, dass es auch wieder wegfällt. Also jetzt die Betonung mit gender hat ja was_ ist ja wie bei der Geschlechterdemokratie, die Betonung hat ja was mit dem politischen Stand zu tun, wo wir sind“ (EM 99). Die Betonung von gender bezeichnet ein Mittel zum Zweck. Ist analytisch die Trennung des Sozialen vom Biologischen gelungen und anwendungsorientiert die Differenz zwischen männlichem und weiblichen Verhalten herausgearbeitet und verändert, ist in dieser Konstruktion das Ziel erreicht. Denn sobald das zweigeschlechtliche Ordnungsmuster als gesellschaftlich wirksamer Standard anerkannt, angewendet und organisational automatisiert ist, wird gender als Analyseinstrument überflüssig: Viele sagen ja, ich mach das doch, also ich mach Konfliktbearbeitung und natürlich weiß ich, dass es Männer und Frauen im Team gibt. Das meinen wir nicht, das ist keine Gender-Frage. Also ich muss schon vor dem Hintergrund gucken, welche Konflikte kann ich auf solche Hypothesen zurückführen? Was hat das mit meiner Rolle als weibliche Konfliktbearbeiterin zu tun, als männlicher Konfliktbearbeiter und und und. Und dann, wenn es solche Qualität hat, dann kann das gender auch wieder wegfallen. Das wäre so unser Ziel (EM 100).
Beschrieben wird hier, wie Geschlecht als soziale Konstruktion sichtbar gemacht werden soll: durch Sensibilisierung für Geschlechterunterscheidungen und durch die Standardisierung eines geschlechterdifferenten Analyseblicks. Das übergeordnete Ziel ist der Wegfall von gender als Strukturkategorie.
Szenario 2: Die Relativierung der Geschlechterdifferenz: Von biologischen Unterschieden zur sozialen Konstruktion Ausgangspunkt in diesem Szenario sind die vorhandenen biologistisch codierten Differenzschemata bei den Teilnehmenden eines Trainings. Ziel ist die Relativierung der Bedeutung der Geschlechterdifferenz. Es wird nicht, wie im ersten Szenario, von einer geschlechtsneutralen Perspektive der Teilnehmenden ausgegangen, sondern ein biologisch fundiertes geschlechterstereotypes Differenzwissen angenommen. Die Zielsetzung der Trainer_innen, den Konstruktionscharakter von Geschlecht zu vermitteln und biologistische Vorstellungen über stereotype Vorstellungen über ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’ zu kritisieren, wird am Beispiel der Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt erläutert.
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3 Aushandlungsräume Mein Ziel ist es bei einem Workshop von einem Tag, dass 80% was anfangen können, dass sie Aha-Erlebnisse haben, dass das Geschlecht konstruiert wird und dass es keine Frauenarbeitsplätze gibt, sondern dass es Hintergründe hat, warum gerade Frauen in diesen Bereichen am meisten am Arbeitsmarkt da in den Sparten tätig sind und nicht weil die Frauen sozusagen am meisten geeignet sind dazu. (...) Es gibt nichts Geschlechtsspezifisches, sondern es gibt eine Politik dazu, warum was so und so konstruiert wird. Und mein Ziel für einen Workshop ist, dass mal 80% da anfangen zu überlegen (GL 69).
Das Erreichen der hohen Zielmarge macht sich die Trainerin selbst zur Aufgabe für die Gestaltung des Trainings. Des Weiteren versucht sie, biologistische Vorstellungen abzubauen, indem der stereotypen Reduktion von Frauen auf ihre reproduktiven Fähigkeiten entgegengewirkt wird: Und wenn schon, dass es den Biologismus auch nicht mehr gibt. Also mit all den (?) Möglichkeiten, was es jetzt schon gibt, heißt das nicht, dass die Frauen immer nur Kinder gebären müssen und wenn das weitergeführt wird, ist das nicht klar, dass sie Milch produzieren müssen und zu Verfügung stehen müssen. Also ganz praktisch diese Fragen, aber „ja das Kind braucht die Mutter“ hin und her. Also dass da so hingeführt wird, das wegzubekommen (GL 69).
Die Teilnehmenden sollen hingeführt werden zu der Erkenntnis, dass Biologismus überholt ist und Frauen nicht mehr qua Gebärfähigkeit auf eine gesellschaftliche Rolle festgelegt werden können. Auch Frau Teichler macht deutlich, dass sie darauf hinarbeitet, die vorhandenen Konstruktionen von Geschlecht als Unterschied zu beseitigen: Die Polarisierung haben wir eh im Kopf. Wir versuchen schon am Anfang deutlich zu machen, das ist eine willkürliche Geschichte, unsere Wahrnehmung verschärft Dinge, die so scharf nicht vorhanden sind. Es geht um die Gauß’sche Glockenkurve, um auch Polarisierungen im Entstehen zu verhindern (MT 82).
Angesetzt wird hier bei den vorhandenen Differenzschemata der Teilnehmenden und intendiert wird, den Polarisierungen entgegenzuwirken, indem eine Relativierung der Stereotypisierungen erreicht wird. In diesem Szenario wird also die Bewusstwerdung über die soziale Konstruktion von Unterscheidungsprozessen als besonders wichtig betont.
3.2 Konzeptionen von Gender-Trainings
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Szenario 3: Die Dekonstruktion der Geschlechterdifferenz: Von der Hierarchie zur Transformation Ausgangspunkt in diesem Szenario ist weder eine vermeintliche Geschlechtsneutralität wie im ersten Szenario, noch sind es Stereotype wie im zweiten Szenario, vielmehr wird von bereits vorhandener Gender-Kompetenz bei den Teilnehmenden ausgegangen. Damit ist das Ziel verbunden, die Sensibilisierung für die Komplexität von Machtverhältnissen zu befördern. So wird eine kritische Reflexion angestrebt, die nicht zu einem Überflüssigwerden von Geschlecht führen soll, sondern dazu, die „Geschlechterverhältnisse zu transformieren“ (AH 62). Aufgabe der Trainer_innen ist es dementsprechend, Reflexionsprozesse zu initiieren, die unterschiedliche Perspektiven auf Geschlecht befördern, um damit die Konstruktionen von Geschlecht in ihrer Vielfältigkeit sichtbar zu machen: „Es gibt unterschiedliche Vorstellungen von Geschlecht, Geschlechtsverhältnissen. Meine ist die, ich finde die erklärt für mich am besten Gesellschaft, aber jede andere Erklärung ist erst mal auch nachvollziehbar oder so. Klar mit bestimmten Grenzen ((lachen))“ (KF 50). Die Haltung des Trainers drückt eine Offenheit bzw. ein bewusstes Offenhalten des Verständnisses von gender aus, da es keine einheitlichen Vorstellungen geben kann, wie Frauen und Männern ‚sind’. Es werden deshalb auch kaum Einschränkungen im Sagbaren gemacht. Trotz dieser Offenheit für verschiedene Sichtweisen bleibt der Anspruch auf eine eigene politische Position erhalten: Und da versuche ich dann schon noch meine Position mit einfließen zu lassen um noch mal zu zeigen, dass eben Männer und Frauen eben nicht nur auch so sind ((lachend)), sondern auch gemacht worden sind und Verständnis von Geschlecht und Verhältnis natürlich auch veränderbar ist und auch geschichtlich gewachsen (KF 46).
In der Selbstinszenierung als Experte nimmt sich dieser Trainer zunächst persönlich zurück, um einer Vielfalt an Meinungen im Training Raum zu geben, positioniert sich aber auch bewusst und für alle transparent. Die Annahme, dass bei den Zielgruppen Gender-Kompetenz und ein Wissen über hierarchische Geschlechterverhältnisse vorhanden sind, verdeutlicht die Wichtigkeit, an Wissensbestände der Teilnehmenden des Trainings und an ihr bisheriges Engagement anzuknüpfen, so Herr Weller: „Und das ist total wichtig, auch immer wieder den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermitteln, dass sie gefragt sind und dass die, die da schon immer was machen, dass das total wichtig ist und immer weiter machen und mit ihrer Kompetenz gesehen werden auch von uns“ (LW 39). Die Beachtung der organisationsinternen Kompetenzen ist dem Trainer wichtig, um keine Widerstände gegenüber der
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externen Unterstützung und dem Top-down-Prinzip von Gender Mainstreaming hervorzurufen: Wenn wir da als Externe kommen und sind dann wieder weg dann können wir nicht daherkommen und sagen, wir haben die Weisheit mit dem Schaumlöffel gefressen und alles neu macht der Mai, so wir machen ab jetzt Gender Mainstreaming und alles läuft ab jetzt top-down. Ich meine da fühlen die Leute sich richtig verarscht. Deswegen geht es uns auch immer ganz wesentlich darum zu sagen, die Leute die da sind und die das Thema interessiert und seit Jahren vielleicht schon getragen haben, dass die total wichtig sind für den Prozess und dass das weiterleben muss (LW 39).
Die Gefahr besteht dieser Ansicht zufolge darin, dass das Missverständnis, der Top-down-Prozess stehe für etwas von oben Verordnetes, durch unreflektiertes Auftreten der externen Beratung verstärkt werden kann. Es sei deshalb wichtig, an bestehende Strukturen und Routinen anzudocken und sich als Beratende nicht über diejenigen Teilnehmenden zu stellen, die sich in ihrer Organisation gleichstellungspolitisch engagieren. Die Arbeitsweise beansprucht vielmehr einen respektvollen Umgang mit denjenigen Teilnehmenden, die Vorwissen haben. Die von ihm beschriebene Außenwirkung als extern Beratender zielt nicht auf ein Bild von übergeordneten Experten, sondern auf die Wertschätzung des bereits geleisteten gleichstellungspolitischen Engagements. Auch wenn die Expert_innen davon ausgehen, „dass in jeder Organisation irgendwie Kompetenzen sitzen“ (GL 135), wird problematisiert, dass innerhalb einer Organisation nicht jede Kompetenz als gleichwertig anerkannt ist. Als Externe oder als externes Beratungssystem gehen wir auch immer davon aus, es gibt relativ viele Frauen in Organisationen, die haben ein immenses Wissen dazu, nur das wird nicht erkannt und es wird immer nur als_ wie soll ich sagen_ wird es als Besonderes oder als Feministin oder es wird abgestempelt und hat keinen Platz. Und das als wichtige Ressourcen zu erkennen oder anzuschauen. Aber das sind nicht die Personen, die Entscheidungskompetenzen bekommen oder_ dass das nicht erkannt wird. Und das ist bei uns ein wichtiger Ansatzpunkt (GL 15).
Frau Lorenz geht davon aus, dass mehr Anschlussmöglichkeiten für marginalisiertes Wissen durch eine Sensibilisierung im Training hergestellt werden können. Es gelte, diese speziellen „Ressourcen zu entdecken“ (GL 137). Damit beabsichtigt ist, vor allem feministisches Wissen sichtbar zu machen und Frauen zu empowern. Die Gender-Konstruktionen wurden in den drei Szenarien herausgestellt. Dabei wurde die große Bedeutung der Teilnehmendenkonstruktion deutlich, auf die die unterschiedlichen Vorannahmen der Trainer_innen und Berater_innen
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gründen. Neben den eher defizitorientierten Teilnehmendenkonstruktionen, die entweder von der Unwissenheit oder von stereotypen Vorstellungen des Gegenübers ausgehen, steht eine ressourcenorientierte Teilnehmendenkonstruktion, die bei vorhandenen Kompetenzen ansetzt. Bei der Annahme eines geschlechtsneutralen oder stereotypen Vorwissens ist die Strategie der Diskursivierung von gender, die Bedeutung von Geschlecht als Struktur- oder Identitätskategorie zu betonen und die sex-gender-Trennung zu plausibilisieren. In der Konstruktion von gender als kontextuellem Normierungsprozess wird die sex-gender-Trennung hingegen als Konstruktion hinterfragt. Das Szenario, das aus dieser Gender-Konstruktion folgt, geht von einem Vorwissen der Teilnehmenden aus und versucht, Geschlechterverhältnisse zu transformieren. Die Annahmen der Geschlechtsneutralität, Geschlechterstereotype oder der Geschlechterhierarchie bei den Teilnehmenden führen zu jeweils anderen Vorstellungen darüber, wie zukünftige Geschlechterverhältnisse aussehen sollen: Entweder wird eine Pluralisierung der Lebensmöglichkeiten innerhalb der Gruppe der Frauen und Männer oder aber eine Normalisierung durch die Entlarvung der Willkür, über die geschlechtliche Zuschreibungen funktionieren, anvisiert. Bei letzterer bleibt die Verkopplung von Herrschafts- mit Gender-Perspektiven als eine Bedingung erhalten, gender wird jedoch der Status einer vorrangigen Unterdrückung genommen, und Zuschreibungen werden stattdessen in Verbindung mit den Akteurskonstellationen und den Kontexten verhandelt.
3.2.4 Didaktische Wege: Anwendung und Sensibilisierung Im Folgenden werden didaktische Vorgehensweisen exploriert, die die Planung und Durchführung von Gender-Trainings und -Beratungen betreffen, indem Methoden und Übungen sowie Arbeitsweisen im Team-Teaching dargestellt werden. Die Akteurskonstellationen, die dabei besonders relevant werden, sind die Teilnehmendenkonstruktion und die Begründungsformen für das TeamTeaching. Das Methodenrepertoire in Gender-Trainings ist vielfältig. Alle Trainer_innen haben einen „Methodenkoffer“ (GL 27, 46). Dieser besteht bei denjenigen, die schon lange geschlechterbezogene Bildungs- und Personalentwicklungsarbeit machen, aus bereits erprobten Methoden, die um weitere Methoden ergänzt werden. Die Methoden werden auf die Konzeption des jeweiligen Trainings abgestimmt und z.T. ganz neu entwickelt: „Jedes Konzept sieht eben anders aus. Klar, manche Methoden haben sich bewährt und die wenden wir immer wieder an“ (PD 70). Eine gute Voraussetzung für ein Training sei, wenn man „aus einem großen Werkzeugkasten bestimmte Sachen herausholen kann“
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3 Aushandlungsräume
und dabei sagen kann, „was ist für die Gruppe wichtig und wie müssen wir z.B. auch dieses Werkzeug noch mal so anpassen dass es Sinn macht, also neue Instrumente entwickeln“ (AH 47). Der Zielgruppenbezug ist dabei von entscheidender Bedeutung: „Also dieses Quiz haben wir z.B. auch selbst erfunden weil wir gedacht haben die brauchen irgendwas was irgendwie dazwischen liegt zwischen Daten und Fakten was die Leute irgendwie überzeugt und es lag dann eben auf der Hand das so zu machen. Ja damit auch kreativ umzugehen“ (AH 46). Die Entwicklung neuer Methoden erscheint daher als „ein weites Entwicklungsgebiet“ (GL 176) und verläuft dabei oft kreativ, indem Aspekte aus der „Anti-Rassismusarbeit“ (SP 275), der Arbeit zu „Interkultureller Kompetenz“ (RG 5) oder der „Anti-Bias-Arbeit“ (KF 57) adaptiert oder modifiziert werden. Je nachdem, mit welchen Methoden Teilnehmende im Training erfahrungsgemäß besser erreicht werden konnten, gewichten die Trainer_innen stärker die Anwendungs- bzw. Handlungsorientierung oder Sensibilisierungsanteile. Dabei erscheint es, bezogen auf die didaktische Gestaltung, als eine entscheidende Einschätzungsfrage, wofür in einem Gender-Training sensibilisiert werden soll. Die Trainer_innen geben hier zweierlei Gewichtungen und didaktische Schwerpunktsetzungen vor. Für die einen stehen die Machbarkeit und die Möglichkeit der Umsetzung von Gender Mainstreaming im Mittelpunkt. Das Gender-Training wird als „Hilfsmittel“ (EM) für die Anwendung und Umsetzung von Gender Mainstreaming verstanden. Adressiert werden die Menschen in ihrer beruflichen Funktion. Es geht bei dieser fachbezogenen Sensibilisierung darum, die Bedeutung und Auswirkung von Geschlecht in Bezug auf die Aufgabe im Arbeitskontext erkennen zu können und diese in die regulären Arbeitsroutinen zu integrieren. Die fachbezogene Sensibilisierung zielt auf die Entwicklung einer fachlichen Gender-Kompetenz bzw. einer gleichstellungsorientierten Fachkompetenz. Für die anderen stehen das Ermöglichen von persönlichen Reflexionsprozessen und die Beziehungsarbeit mit biografischen Geschlechterbildern im Mittelpunkt. Das Gender-Training wird als „Aushandlungsraum“ (KF) begriffen und zielt vor allem auf die Befähigung der Teilnehmenden zur Reflexion. Diese personenbezogene Sensibilisierung beabsichtigt insbesondere die Arbeit mit persönlichen Einstellungen und Erfahrungen, um auch über das Training hinaus eine gender-orientierte Reflexionskompetenz zu ermöglichen. Die Systematisierung von drei Übungen– ein Quiz, eine Reflexion der Berufsbiografie und eine biografische Zeitreise in die Kindheit – durch eine Trainerin machen die Gewichtungen einer fach- und personenbezogenen Sensibilisierung in ihrer Abstufung deutlich. Wir machen z.B. so eine Art Quiz, wo wir sagen, also vier Antwortoptionen geben und sagen, eine Antwort ist richtig und sie sollen sich dann zuordnen a, b, c, d, also
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das läuft ähnlich wie bei Günter Jauch sozusagen. (…) versuchen die möglichst an ihrem Arbeitsfeld abzuholen z.B. haben wir neulich was gemacht mit Menschenrechtszusammenhang also wo wir auch aus dem Bereich ganz viel versucht haben an Daten und Zahlenmaterial aufzuarbeiten und daran auch das noch mal zu diskutieren und da kommt halt dann oft „Wow das hätte ich ja jetzt nicht gewusst“ oder „das ist jetzt ja_“, so ein Erstaunen irgendwie, also so auch mit Daten und Zahlen unterfüttert, dass es eben noch massive Diskriminierungsstrukturen und wertspezifische Disparitäten gibt (AH 43).
Die Konfrontation der Teilnehmenden mit Verteilungsverhältnissen, die sich anhand eines Quiz mittels Statistiken und Daten der eigenen Organisation abbilden, soll einen Bewusstseinseffekt für Benachteiligung hervorrufen. Das Quiz stellt dabei eine niedrigschwellige Art der fachlichen Sensibilisierung dar, da es ein personenferner Ansatz ist. Allerdings, so die Trainerin einschränkend, „holt man die Person aber noch nicht so richtig als Person ab“ (AH 43). Deshalb ist eine weitergehende Art der Sensibilisierung danach zu fragen, „wie verlief meine eigene Berufsbiografie und hat das irgendwie eine Rolle gespielt, ob ich Mann oder Frau war? Und wenn ja welche anderen Räume wurden mir da eröffnet oder welche anderen Beschränkungen habe ich bekommen aufgrund dieser Zuweisung“ (AH 44)? Diese Stufe der Sensibilisierung erfordert mehr persönliche Öffnung und Preisgabe von den Teilnehmenden und macht es „relativ schwierig“, weil „es gibt einfach Privilegierte und Andere und da müssen die Leute anfangen von sich zu erzählen und trotzdem ist es was anderes das am Beruf aufzuhängen, weil man dann im professionellen Kontext bleibt“ (AH 44). Der Bezug zum berufsbiografischen Verlauf in der Übung ermöglicht den Schutz der Privatsphäre. Anders ist es bei der Biografiearbeit, der dritten Abstufung von Sensibilisierung, die ein hohes Maß an Einblicken in die Privatheit erfordert. Es gibt natürlich auch Übungen wo man sagt na ja als ich irgendwie ein Kind war_ das ist so eine ganz schöne Übung, die kann man aber auch nur mit bestimmten Leuten machen, wo es dann darum geht zu gucken ja als ich 10 war, was war da eben mein Handlungsspielraum als Junge oder als Mädchen und was durfte ich z.B. nicht machen weil ich Mädchen oder Junge war (AH 45).
In der Reflexion der eigenen Kindheit kommen oft „klassische Sachen“ zum Vorschein, wie „Kleidchen tragen, weinen, Mädchen die dann eben erst mal nicht Fußball spielen konnten und so“ (AH 45). Anhand dieser Erinnerungen kann, so hebt diese Trainerin als bedeutsam heraus, die Unterscheidung zwischen sex und gender erklärt werden und es kann vermittelt werden, „dass das natürlich eben alles Gender-Geschichten sind und dass das überhaupt nichts zu
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tun hat in dem Alter mit den biologischen Funktionen. Das ist den Leuten dann sofort klar, wenn du in dem Alter schon so konditioniert wirst auf deine reproduktive Rolle die in dem Alter eigentlich irrelevant sein sollte“ (AH 45). Die Selbsterfahrungsübung markiert dementsprechend eine subjektorientierte Ausrichtung eines Trainings und zielt darauf, den Teilnehmenden die Konstruiertheit von Geschlecht zu erklären. Anhand der Reflexion stereotyper Zuschreibungen und normativer Verbote in der Kindheit kann die gesellschaftliche Relevanz von Geschlecht bewusst gemacht werden. Da die Teilnehmenden bei dieser Übung über ihre Kindheit und über ihre Person erzählen, kann es passieren, dass teilweise „schmerzhafte Erfahrungen da zutage kommen“ und es „emotional dabei wird“ (AH 45). Deshalb kann „man das nicht einfach mal so machen“, sondern braucht für solche Übungen eine spezifische Kompetenz der Trainingsleitung, „die das auffangen kann“ (AH 45). Diese Ansicht vertritt auch ein anderer Trainer, der beschreibt, dass Selbsterfahrungsübungen und Biografiearbeit eine intensive Gruppendynamik auslösen können, denn „bei Sensibilisierung kann es auch schnell ins Therapeutische kippen“ (SC_1 72). Wie sich anhand der Artikulationen der Trainer_innen zeigt, sind die Sensibilisierungsübungen graduell abgestuft als eher fach- bzw. organisationsbezogene oder als personenbezogene zu systematisieren. Es werden nun einige Übungen in Bezug auf ihre geschlechterpolitische Zielsetzung und Durchführung hin beschrieben.
Übungen zur fachlichen Sensibilisierung und Handlungsorientierung – Geschlecht als Faktor Wird im Training die Anwendung von Gender-Wissen als vorrangig angesehen, werden vor allem handlungsorientierende Übungen für die Mitarbeitenden in ihrer beruflichen Funktion angeboten. Dieses Vorgehen fußt auf der Erfahrung, dass Gleichstellungsaspekte am besten ausgehend vom fachlichen Arbeitskontext thematisiert werden, also von dort aus, wo sie bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming in einer Organisation relevant werden sollen. Und dann der größte Teil, das ist der 3. Schritt die Handlungsorientierung, wo es uns darum geht entlang von Arbeitsfeldern und Beispielen aus der Praxis Arbeitspraxis der Teilnehmenden zu zeigen, was eine Gender-Orientierung in der Facharbeit bedeuten könnte. Und das ist auch immer die Phase wo am ehesten und auch in Rückmeldung von den Teilnehmenden wo es am ehesten Klick macht oder wo es die Aha-Effekte gibt (PD 39f.).
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Den Ansatz, einen fachlichen Bezug herzustellen, verfolgen auch andere Trainer_innen, indem versucht wird, „Gender als Prinzip auf den jeweiligen Arbeitskontext zu übertragen“ (AH 23) oder den Teilnehmenden „Anknüpfungspunkte, Zuständigkeitsbereiche, Handlungsfelder“ (LW 56) für gleichstellungspolitisches Handeln zu verdeutlichen. Die Praxisorientierung gilt für fast alle Trainer_innen als Erfolg versprechende Herangehensweise, weil Gender-Themen an konkrete Tätigkeiten der Teilnehmenden gekoppelt und damit verständlicher werden. Dieser fachliche Zugang überzeuge mehr als Selbsterfahrung, so Herrn Leroys Ansicht: Es muss ja ein fachlicher Kontext da sein, der Frust was wir immer wieder gemerkt haben bei Gender-Trainings ist, wenn es eine Art Sensibilisierung ist oder so ein Selbsterfahrungsding, aber kein Mensch weiß hinterher, ja und was mach ich jetzt in meiner fachlichen Tätigkeit? Und das ist glaube ich eine ganz große Lücke, dass viele und auch wir selbst glaube ich und das ist so die Entwicklung, diesen fachlichen Aspekt vernachlässigt haben. Und das können wir uns heute aber nicht mehr leisten, weil alle Leute egal ob Verwaltung oder Privatwirtschaft, die sind über_ unter_ also denen steht die Arbeit bis dahin und die haben keine Zeit für Selbsterfahrung sondern sie brauchen einen fachlichen Verknüpfungspunkt (RL 128)
Hier wird nicht die Überzeugung vertreten, dass Selbsterfahrung kein geeigneter Ansatz ist, da sie von den Zielgruppen nicht als adäquates Ergebnis anerkannt werde. Diese spezifische Teilnehmendenkonstruktion und die damit angenommene Verkaufbarkeit des Konzepts bestimmen die didaktische Konzeption in Richtung einer Handlungsorientierung.
Übungen zur personen- und fachbezogenen Sensibilisierung für Unterschiede – die Arbeit mit Stereotypen In Übungen zur Sichtbarmachung der Geschlechterdifferenz wird mit individuellen oder kollektiven stereotypen Vorstellungen über Frauen und Männer gearbeitet. Ausgangsannahme ist, dass Stereotype latent immer in den Köpfen der Teilnehmenden vorhanden sind und diese zur Bearbeitung zunächst bewusst werden müssen, bevor sie abgebaut werden können. Die Arbeit mit der Erlaubnis, stereotypen Vorstellungen freien Lauf lassen zu dürfen, soll zur Auflockerung eines, seitens der Trainer_innen als verhärtet wahrgenommen, Geschlechterverhältnisses, und zum Abbau von Widerständen gegen Gleichstellung dienen. Auf den erlebten Unwillen bei Männern, sich auf das GenderTraining einzulassen, wird z.B. mit einer Übung in geschlechterhomogenen Gruppen reagiert:
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3 Aushandlungsräume Ich mache ja viel Männerarbeit und ich kriege die Blicke mit „bin ich jetzt blöde hier oder was soll ich hier“? Und das machst du dann an Bemerkungen fest und dann muss ich einen Kanal finden. Und den finde ich z.B. in separaten Arbeitsphasen manchmal. Das machen ja die Frauen auch oder das machen wir auch bewusst. Du trennst die anderen Leute und dann darfst du eben mal bewusst über die anderen herziehen. Das muss entlastend sein, damit du den Kopf frei kriegst für das was jetzt gemeinsam vielleicht aufgebaut werden kann (SC_2 32).
Der Erlaubnis, in einer geschlechtergetrennten Arbeitsphase Vorurteilen, abwertenden Ausdrücken oder auch Schimpfwörtern über das andere Geschlecht freien Lauf zu lassen, wird eine Ventilfunktion zugeschrieben, durch die sich von eingefahrenen Denkmustern entlastet werden kann, indem diese ungehemmt ausgesprochen werden dürfen. Der Trainer vermutet, dass, bevor Männer und Frauen einen konstruktiven Umgang miteinander und mit dem Thema Gleichstellung pflegen können, sie sich erst der Vorurteile entledigen müssen, die sie blockieren. Die Übung soll diese Offenheit methodisch unterstützen und bilde deshalb eine gute Voraussetzung für eine konstruktive gemeinsame Arbeit von Männern und Frauen am Thema, so der Trainer. Auch eine weitere Übung arbeitet mit Geschlechterstereotypen. Dabei sollen von den Teilnehmenden Kärtchen mit „klischeehaften Zuschreibungen von Männern und Frauen an gemalte Körper“ an eine Stellwand angepinnt werden. Der Ablauf wird folgendermaßen erklärt: „Das heißt, wir machen dann eine Frauengruppe, eine Männergruppe in Trainings, die sollen dann jeweils einen Mann und eine Frau zeichnen und sollen dann eben Zuschreibungen an ihre Körperteile oder Organe oder so dran schreiben“ (EA 26). Mit der Übung soll sichtbar gemacht werden, wie Frauen und Männer andere Frauen und Männer sehen. Dabei werden, wie der Trainer beschreibt, unterschiedliche Umgangsweisen mit der Aufgabenstellung dieser Übung zwischen Männern und Frauen feststellbar: „Frauen sind da durchaus so, dass sie da manchmal sehr gut reinhauen können, also auch teilweise so, dass die Männer dann schon schlucken müssen wie sie von Frauen gesehen werden. Männer wehren sich dann auch teilweise durchaus dagegen und das gibt dann so eine spannende Diskussion“ (EA 26). Dadurch, dass die unterschiedlichen Wahrnehmungen miteinander gespiegelt werden, entstehe dann ein „Geschlechterdialog“ (EA 8). Gemeint ist hiermit eine Diskussion zwischen Frauen und Männern über ihre Einstellungen und Meinungen zu Geschlechterfragen (vgl. EA 8; MT 58). Dieser kann konfrontativ verlaufen, weil beispielsweise Männer für sie unerwartete Einstellungen von Frauen mitgeteilt bekommen. Ein Charakteristikum auch dieser Übung ist die zeitweise Arbeit in geschlechtshomogenen Gruppen, die dann in eine dialogische Konfrontation von Frauen- und Männer-Meinungen in einer geschlechtergemischten Plenunmsdiskussion übergeht.
3.2 Konzeptionen von Gender-Trainings
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Auch Übungen zum Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern arbeiten bewusst mit dem Einsatz von Stereotypen. Sie sind insofern im Training beliebt, weil sie sowohl einen „informativen als auch einen unterhaltsamen Charakter“ (RL 63) haben. Dieser Trainer arbeitet beispielsweise mit seiner Teampartnerin methodisch mit einem „Kabarett“, das vor der Gruppe im Training inszeniert wird: „Sie spielt dann eine typische Frau und ich einen typischen Mann und wir versuchen so bestimmte Standardkommunikationsformen theatralisch darzustellen“ (RL 63). Er berichtet, dass diese Übung ein Part ist, den die Teilnehmenden „unheimlich im Kopf behalten, das ist was sie am Weitesten mit sich tragen, auch im privaten Bereich. Sie erinnern sich immer wieder an diese Szenen und überlegen aha, wie ist das eigentlich, hab ich das auch? Das hat also interessanterweise eine anhaltende Wirkung“ (RL 68). Trotz der positiven Wirkung auf die Teilnehmenden reflektieren Herr Leroy und Frau Teichler die Übung jedoch kritisch in Bezug auf die Gefahr der Reproduktion von Geschlechterstereotypen: Weil die Darstellung der kommunikativen Geschlechterrollen sehr „überzeichnet“ ist, fragt sich Herr Leroy: „Konstruieren wir da oder dekonstruieren wir da“ (RL 65)? Hiermit wird die Frage nach der Festschreibung versus Überwindung von Geschlechterdifferenzen in der Betonung von geschlechterstereotypen Verhaltensweisen aufgeworfen. Die Gratwanderung bei dieser Übung ist, so der Trainer, den guten Unterhaltungswert für die Teilnehmenden zu nutzen, weil das Thema nicht „bierernst durchgezogen“ (RL) wird, und der Gefahr entgegenzuwirken, Geschlechterstereotype festzuschreiben. Obwohl aus Sicht des Leitungsteams so die Bereitschaft für die Auseinandersetzung gefördert werden kann, bleibt diese Übung ein „Deal“ (RL): „[W]ir machen etwas Unterhaltung für die Leute, damit sie ableiten können usw. aber gleichzeitig frage ich mich auch, was tun wir da eigentlich? Tun wir da die Kenntnis steigern oder tun wir da was betonieren so Stereotype, Frauen sind so, Männer sind so. Und da bin ich mir halt unsicher gerade an solch einer Stelle“ (RL 65). In der Methodenreflexion, die sich innerhalb des Team-Interviews mit der Teampartnerin Frau Teichler anschließt, erklärt diese ihre Überlegungen, die hinter dem Methodeneinsatz stehen. Frau Teichler äußert die Überzeugung, dass zuerst ein Bewusstsein entwickelt werden muss, „dass es in bestimmten Situationen einfach Unterschiede gibt und dabei muss ich erkennen, dass die mit Wertung besetzt sind“ (MT 66). Es wird in Kauf genommen, zunächst einmal etwas zu „zementieren“, und dies mit dem Ziel zu tun, „zu gucken, will ich das wirklich so haben oder will ich nicht eher, jede Option für alle?“ (MT 66). Die Herstellung der Differenz wird also als Voraussetzung dafür formuliert, die dahinter liegenden Bewertungen und Hierarchien infrage stellen zu können, d.h. es soll die individuelle Wahlfreiheit für oder gegen bestimmte Verhaltensweisen
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3 Aushandlungsräume
ermöglicht werden. Die Sorge der Trainerin bezüglich der Übung besteht allerdings darin, ob es gelingt, bei der szenischen Demonstration das hierarchische Verhältnis zwischen weiblichem und männlichem Kommunikationsverhalten am Ende so darzustellen, dass eine „Balance“ als Eindruck haften bleibt und keine Abwertung der weiblichen Seite erfolgt: Wo ich Bauchschmerzen bei habe, wenn ich diesen weiblichen Part thematisiere, sieht das natürlich rein hierarchisch nicht so dolle aus. Das kann ich aber nur verbal dann rüberbringen, das kann ich im Kommentar dann rüberbringen und wir versuchen schon, ein gutes Ende herzustellen. Aber ich bin mir unsicher, ob das wirklich so rüberkommt (MT 67).
Mit der Übung wird von dem Trainingsteam der Versuch unternommen, die Bewusstwerdung über ‚geschlechtstypische’ Verhaltens- und Kommunikationsweisen und die Kritik an deren inhärenter Abwertung von weiblichem Kommunikationsverhalten zu bewirken. Die Infragestellung dieser Geschlechterasymmetrie bezieht sich jedoch nicht auf den Mechanismus der dualen Kategorisierung, sondern will vor allem die ungleiche Bewertung aufheben. Da eine ausgeglichene Balance zwischen Frauen und Männern als Idealbild angestrebt wird, lässt sich damit das methodische Ziel dieser Übung als eine Gleichwertigkeit in der Differenz beschreiben. Dies stellt aber, wie das Trainingsteam selbst reflektiert, eine Gratwanderung zwischen der Manifestation und Dekonstruktion von binären Geschlechterdifferenzen dar. Andere Sensibilisierungsübungen beziehen die Reflexion der Geschlechterkonstellationen explizit auf den beruflichen Kontext, z.B. durch das Nachspielen von Szenen aus dem Arbeitsleben: Typische Szenen die wir in Gruppen spielen lassen und das regt auch noch mal an, was die eine Seite meint und was die andere Seite meint. Wir lassen die Männer unter sich Szenen an Frauen beobachten, die vielleicht für sie Fragen aufwerfen, die sie manchmal auch schmunzeln oder lästern lassen. Wir lassen sie dann ein paar finden und dann werden die vorgestellt. Wie Frauen manchmal Männer merkwürdig finden im Arbeitsleben und wie Männer die Frauen merkwürdig finden (MT 61).
Die Übung arbeitet mit geschlechterstereotypen Darstellungen und verfolgt ein ähnliches Ziel wie die oben beschriebene Kommunikationsübung, die die Erlaubnis gibt, offen mit stereotypen Wahrnehmungen zu arbeiten. Der Effekt dieser Übung wird als „etwas Auflockerndes und Verbindendes“ beschrieben, weil die unterschiedlichen Wahrnehmungen sowohl aufseiten der Männer als auch aufseiten der Frauen gegenseitig zurückgespiegelt werden (MT 61). Es
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geht um die Konfrontation mit Außenwahrnehmungen und deren Abgleich mit der Selbstwahrnehmung. Diese Übungen thematisieren unterschiedliche Wahrnehmungen von Frauen und Männern. Gearbeitet wird zum einen bewusst mit geschlechtshomogenen Gruppen und zum anderen mit dialogischen Verfahren zwischen Frauen- und Männergruppen. Gefördert werden soll damit in Einzelarbeitsformen der Blick auf die eigene vergeschlechtlichte Wahrnehmung, die Selbstwahrnehmung, und in Gruppenprozessen die Auseinandersetzung mit Rückmeldungen von anderen, die Fremdwahrnehmung. Wie an den Beschreibungen der Übungen deutlich wurde, ist hier die Gefahr der Reproduktion von Dualismen groß – und dies nicht zuletzt dadurch, dass die Trainer_innen von der Unterschiedlichkeit im Verhalten von Frauen und Männern überzeugt sind und methodisch versuchen, einen Umgang damit zu finden. Hier scheint das Grundproblem einer vorgängigen binären Differenz-Konstruktion auf, dass, wenn nach Unterschieden gesucht wird, diese auch gefunden werden. Dieses Dilemma reproduziert sich methodisch, solange mit Stereotypen gearbeitet wird.
Übungen zur personenbezogenen Sensibilisierung für den Gegensatz – die Arbeit mit ‚dem Anderen’ Die Methoden arbeiten explizit mit Geschlechterfragen und werden entweder in geschlechterhomogenen Arrangements oder in dialogischen Formen zwischen den Geschlechtern angewendet, d.h. es findet eine bewusste Trennung oder Konfrontation mit ‚dem Anderen’ statt. Ausgangsannahme ist, dass die Teilnehmenden keine Vorstellung von gender haben und deshalb ihrer Unwissenheit mit einer Bewusstwerdung über gender als Strukturkategorie begegnet wird. So werden z.B. in einer Übung zwei Gruppen gebildet, und jede Gruppe erhält den Auftrag, Namen von berühmten „Sportlern, Moderatoren, Schauspielern“ zu benennen: Die Frage ist in der rein männlichen Form gestellt und die andere Gruppe kriegt dann die Frage gestellt mit den beiden Formen also der weiblichen und der männlichen Form und es gibt dann auch einen signifikanten Unterschied dessen, wie viel Frauen auf der einen oder auf der andern Seite genannt worden sind. Und das ist dann manchmal auch so ein Aha-Erlebnis was also Sprache auslöst (EA 24).
Diese Übung zielt vor allem auf die Sichtbarmachung der strukturellen Dimension von gender. Es wird eine Bewusstwerdung darüber angestrebt, dass durch die Verwendung des generischen Maskulinums eher Männer mit den abgefragten Positionen assoziiert werden als Frauen. So wird ein Aha-Erlebnis ausgelöst,
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das für androzentrische Strukturen sensibilisiert, die durch Sprache hergestellt bzw. reproduziert werden. Eine andere Wahrnehmungsübung arbeitet mit dem gemeinsamen Anschauen von einem „gender-relevanten Filmausschnitt aus irgendeinem Spielfilm“, zu dem anschließend Männer und Frauen getrennt voneinander sagen sollen, was in der Szene für ein Kommunikationsproblem entstanden ist, wie Frau Ziegler erklärt: „Und siehe da, beide Gruppen waren nicht im selben Film, ganz wörtlich zu nehmen, obwohl sie gerade das selbe gesehen haben“ (BZ 29). Durch die Konfrontation mit anderen Sichtweisen wird versucht, die vermeintliche Geschlechtsneutralität zu entlarven und für die Strukturierungsfunktion der Kategorie gender zu sensibilisieren. Inwiefern hier allerdings wieder eine Unterschiedlichkeit der Geschlechter hervorgehoben wird, bleibt von der Trainerin unreflektiert. Auch Übungen zum Perspektivenwechsel haben einen hohen Stellenwert im Kontext von Gender-Trainings. Der Wechsel der Perspektive bezieht sich methodisch meist auf einen Wechsel zwischen einer ‚männlichen’ und einer ‚weiblichen’ Perspektive. Mit Übungen zum Perspektivenwechsel wird versucht, Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu verbinden. Über das Nachvollziehen der Wahrnehmung ‚des Anderen’ sollen sowohl Erkenntnisse über die eigenen Einstellungen oder Gefühle ermöglicht, als auch der Blick für Neues geöffnet werden. Die Übungen zum Perspektivenwechsel finden deshalb bewusst in geschlechtshomogenen Kleingruppen statt. Herr Allersheim erläutert eine solche Perspektivwechselübung: Dann gibt es so eine Übung, da sagen wir „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen im anderen Geschlecht auf. Die Frau ist ein Mann, der Mann eine Frau und was würde sich so an ihrem Arbeitsplatz dadurch verändern? Nennen Sie drei Beispiele. Und eine zweite Frage „Wie würden ihre Kolleginnen und Kollegen, ihre Vorgesetzte ihr Vorgesetzter Sie jetzt sehen?" Und dann noch eine dritte Frage, eine Einschätzungsfrage „Glauben Sie, dass sie jetzt mehr oder weniger Macht haben? (EA 27).
Jede und jeder Teilnehmende hat zunächst ca. zehn Minuten Zeit, sich alleine Gedanken zu machen, anschließend werden Frauen- und Männergruppen gebildet, die sich austauschen. Im Plenum werden dann alle Teilnehmenden aufgefordert, erst einmal mit einem Wort zu sagen, wie er oder sie sich bei der Übung gefühlt hat. Und das ist schon für die meisten sehr sehr schwer, das in einem Wort auszudrücken. Bei den Männern häufig von der Tendenz her völliges Unverständnis, kaum ein Zugang dazu. Bei den Frauen etwas differenzierter, also eher so „will ich
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gar nicht“ oder „unwohl“ oder „bin froh eine Frau zu sein" also so eher in die Richtung. Und bei den Männern ist es so „kann ich nicht fassen“ „kann ich nicht einordnen" „habe ich keinen Zugang zu“ also sozusagen noch eine Stufe vorher, bevor überhaupt mal das Gefühl geäußert wird, blockt das (EA 28).
Die Reaktionsformen auf die Übungen werden bei den Frauen und den Männern als konträr beschrieben, und der Trainer stellt ein unterschiedliches Verhalten der Teilnehmenden fest. Während Männer Schwierigkeiten hätten, sich überhaupt auf diese Übung einzulassen, formulierten Frauen ihre Eindrücke in Bezug auf ihre Erfahrungen mit der Übung. Eine Abwehr und eine Distanzierung vom Perspektivenwechsel finden laut der Beobachtung des Trainers demnach bei Frauen und Männern auf unterschiedlichen Ebenen statt. Diese Übungen zum Perspektivenwechsel werden auf den fachlichen Kontext angewendet und mit verschiedenen Zielgruppen durchgeführt, z.B. wird Teilzeitarbeit in Schulungen mit Führungskräften thematisiert: Also immer diesen Perspektivwechsel sich in die Situation rein zu versetzen und zu gucken, was heißt das für den Anderen? (…) Was heißt das für sie als Vollzeitkraft, wenn sie sehen, dass da Mütter mit Kindern früher weg müssen ne? Natürlich kommen auch solche Sachen, ja die ist ja nie da oder die muss immer weg und ich muss ihre Sachen mitmachen (EA 127).
Diese Übungen zur Sichtbarmachung der Unterschiede und zum Perspektivwechsel haben die Sensibilisierung für Unterschiede – von Weiblichkeit und Männlichkeit, von Männern und Frauen – zum Gegenstand. Methodisch angeleitet werden im Training Differenzen zwischen der Gruppe ‚der Frauen’ und der Gruppe ‚der Männer’ herausgearbeitet und ein Abgleich von Eigen- und Außenwahrnehmung sowie eine Sensibilisierung für Unterschiede zwischen Frauen und Männern angeregt. Durch die Einzelarbeit wird eine personenbezogene Sensibilisierung für die biografische Relevanz von gender als Identitätskategorie gefördert; diese wird jedoch nicht versucht an normative Vorstellungen und Zuschreibungen zu koppeln, sondern durch den ‚freien Dialog’ über das Geschlechterverhältnis wird ein neuer Raum für duale Konstruktionen eröffnet, der unreflektiert bleibt.
Übungen zur personenbezogenen Sensibilisierung für Vielfalt und Privilegierung – die Arbeit mit Normalität und Tabus Eine Übung aus einem diversity-orientierten Training setzt bei der personenbezogenen Sensibilisierung an, zielt jedoch dabei nicht auf die Sichtbarmachung
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von Unterschieden, sondern von Macht- und Diskriminierungsverhältnissen. Wie die Trainerin Frau Taffrath erläutert, reflektieren die Teilnehmenden ihre Selbstwahrnehmung, indem sie den Blick auf Situationen richten, in denen sie selbst andere diskriminiert haben: Wann waren sie selber die Diskriminierer? Und ich denke, wenn sie bereit sind, selber darauf zu achten, dann ist das ein Stück weit eine Umkehrung der Situation. Um zu verdeutlichen, wie gut sich das auch anfühlt, andere zu diskriminieren. Und vielleicht dann ein Stück weit zu erkennen, dass Diskriminierung richtig zum Alltag gehört und dass wir das unbewusst permanent tun. Das ist der Lernprozess, finde ich (DT 101).
Die Sensibilisierung setzt hier also bei der Reflexion der eigenen Position an und versucht mit dieser Umkehrung zu verdeutlichen, dass alle Menschen auch auf Kosten anderer agieren und deshalb selbst nicht davon ausgenommen sind, zu diskriminieren. Damit wird mit der binär strukturierten Vorstellung gebrochen, Menschen seien entweder Opfer von Diskriminierung oder Unbeteiligte: Also das haben ganz viele Menschen, entweder sie denken sie sind die Opfer und kommen nicht rein, finden keinen gestaltenden Zugang oder sie bewegen sich in der Normalität wie ein Fisch im Wasser, der nicht spürt, dass er im Wasser schwimmt. Und das zu ermöglichen, ins Wasser einzutauchen. Ich glaub schon, dass damit ganz viel erreicht wird (DT 101).
Die Trainerin versucht, Selbstverständliches sichtbar und spürbar zu machen, um somit eine „Distanz von der Idee der Normalität“ (DT 101) herzustellen. Die Übung zur Sensibilisierung für die eigene Beteiligung an der Diskriminierung anderer Menschen lenkt den Blick auf tabuisierte Privilegstrukturen und Dominanzverhältnisse. Dadurch soll jedoch keine Schuldzuweisung oder Vorwurfshaltung vorgenommen, sondern ein Raum für das Erkennen von vielfältigen Lebenssituationen von sich und anderen eröffnet werden: „Ja, ich denke das sind ja Fenster, die aufgestoßen werden. Also eine der schönsten Übungen ist überhaupt wahrzunehmen was macht die eigene Vielfalt aus? Und was macht die Vielfalt Anderer aus? Das ist ja manchmal erschütternd, wenn Menschen sich das zumuten die Vielfalt“ (DT 103). Das Zulassen der Diversität von Identitäten und Lebensformen soll der Bereicherung für die Einzelnen dienen, gleichzeitig wird jedoch dieses „Zumuten“ von Vielfalt als „erschütternd“ (DT) erlebt. Die Übung arbeitet im Gegensatz zu anderen Übungen nicht mit stereotypen Vorstellungen, sondern zielt auf eine Bewusstwerdung und auf die Anerkennung der individuellen Vielfalt von Menschen.
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Team-Teaching und Gendering im Team Gender-Trainings und Beratungen im Kontext von Gender Mainstreaming werden zum überwiegenden Teil zu zweit durchgeführt, es liegt also im pädagogischen Sinn eine Form von Team-Teaching vor. Da gender in einem GenderTraining explizit Thema ist, kann auch davon ausgegangen werden, dass die geschlechtliche Inszenierung der Teamleitung, das Gendering im Team, eine entscheidende Funktion bei der didaktischen Konzeption hat. Frau Behrend geht von einer höheren Qualität durch eine duale Geschlechterperspektive aus und leitet daraus die Begründung für die Arbeit sowohl im Team als auch im gemischtgeschlechtlichen Team ab: Es gibt sicherlich Einzelberatungen, die auch alleine mal gemacht werden können, aber wir sagen auch irgendwie einen langfristigen Prozess zu begleiten, immer im Gender-Team. Denn es geht ja um diese unterschiedlichen Zugänge erst mal verkörpert über Personen Mann Frau an der Stelle deutlich zu machen. Aber wir haben auch aufgrund unserer biografischen und_ Männersozialisation, Frauensozialisation, wir haben unterschiedliche Berufe, wir haben auch noch unterschiedliche Zugänge. Und ich denke, das ist ein Qualitätszuwachs (EB 35).
Dass sich Frauen und Männer als Trainer_innen vor der Gruppe unterschiedlich präsentieren, wird als gegeben angenommen und als didaktisches Mittel eingesetzt. Wie der Teampartner Herr Schlicht ergänzt, erzeugt es Aha-Erlebnisse bei den Teilnehmenden, wenn im Team männliche und weibliche Perspektiven wechselseitig repräsentiert werden. Er erläutert an einem Beispiel aus der Arbeit mit vertauschten Geschlechterrollen im gemischtgeschlechtlichen Team, dass dies den Teilnehmenden helfe, den Dualismus von Weiblichkeit und Männlichkeit zu begreifen: Also ich glaube das führt immer wieder dann zu Sternstunden in der Arbeit, wenn ich mein Verständnis für Frauen äußere oder Ellen ihr Verständnis für Männer. Das dann wieder zurück_ oder also wenn sich da die Parteilichkeit manchmal dreht und dass das möglich ist. Und dass wir damit na ja spielen tun wir nicht damit aber spielerisch umgehen also, das es keine Gefahr ist (AS 70).
Die Umkehrung von geschlechtlichen Rollen im Leitungsteam soll das Zutrauen bei den Teilnehmenden fördern, dass ein Geschlechterperspektivenwechsel möglich ist. Gleichzeitig soll gezeigt werden, dass es möglich ist, sich jenseits von stereotypen Vorstellungen zu bewegen, ohne dabei Gefahr zu laufen, die eigene Identität zu verlieren.
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Von einer anderen Trainerin wird die geschlechterparitätische Besetzung des Leitungsteams sogar noch um jene der Gruppe als „Standard“ für ein „Gender-Training im engsten Sinne des Wortes“ erweitert: Zu diesen Standards gehört, dass das Team geschlechterparitätisch besetzt ist und die Gruppe auch, es dürfen also keine Minderheiten entstehen, damit auch die Kräfteverhältnisse so gestaltet werden können, dass man auch in die Auseinandersetzung gehen kann auf beiden Seiten, am gleichen Strang ziehen, auch wenn es unterschiedliche Mechanismen sind. Es dürfen keine Delegations- und Schonungsmechanismen entstehen, sie müssen gleich stark sein (BZ 100).
Als Grund für die paritätische Zusammensetzung dient, dass die gleiche Anzahl von Frauen und Männern auch gleiche Voraussetzungen für die Auseinandersetzung im Training garantiere, da ein ausgewogenes Kräfteverhältnis geschaffen wurde. Durch Geschlechterparität im Leitungsteam und auch in der Gruppe der Teilnehmenden soll Gleichheit in der Differenz garantiert werden. Gender wird dabei zum Ersetzungsbegriff für ‚Frauen und Männer’, und unter diesem Label wird ein gleichwertiges Geschlechterverhältnis zum Ideal. In Abgrenzung zu einem zweigeschlechtlichen, geschlechterparitätischen Modell wird von einer anderen Trainerin hingegen erklärt, dass auch eine Gruppe von Frauen die Zielgruppe eines Gender-Trainings sein kann und demnach ein Gender-Training nicht an der Zusammensetzung eines gemischtgeschlechtlichen Teilnehmendenkreises festzumachen sei: „Gender-Trainings können natürlich auch ausschließlich Frauengruppen machen. (…) ich finde das ist genauso auch ein Gender-Training“ (GL 189). Geschlechterparität gilt hier nicht als ausschlaggebendes Merkmal für das Gelingen des Trainings, sondern es scheint in der Vermittlung von Gender-Kompetenz egal zu sein, ob nur Frauen oder Frauen und Männer teilnehmen. Diese Einschätzung steht für ein didaktisches Herangehen, in dem GenderTraining nicht in Abhängigkeit vom Geschlecht der beteiligten Personen, sondern auf einer fachlichen Ebene definiert wird. So verweist auch Frau Hennigsen vor allem auf die Inhalte, die ein Gender-Training von anderen Trainings unterscheiden: Das war eben ein Training und da waren eigentlich auch fast nur Frauen da. Also ich würde es schon auch als Gender-Training bezeichnen, da ging es um diese Komponenten und es ging auch um die Fragen zum Arbeitskontext. Ich würde es nicht an den Personen festmachen ab wann man etwas Gender-Training nennt und wann nicht, sondern an den Inhalten ganz klar (AH 26).
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Ausschlaggebend ist in dieser Argumentation Inhalt und Aufbau eines Trainings, die sich aus den drei Säulen von Wissen, Sensibilisierung und Handlungsorientierung zusammensetzen. Diese Schwerpunktlegung auf die Inhalte positioniert sich konträr zu dem personell ausgerichteten Verständnis von Gender-Training. Letzteres berge die Gefahr der Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit durch den vorrangigen und dadurch vereindeutigenden Rekurs auf eine biologische Geschlechterdifferenz, die zu überwinden das Anliegen von Gender-Trainings sei. Also das ist dann immer die Frage und das ist ja auch genau diese Problematik über die man nachdenken muss, was sagt das biologische Geschlecht über die GenderKompetenz von Trainer_innen aus? Also mein Bestreben ist ja, Gender-Kompetenz vom biologischen Geschlecht abzukoppeln. (…) Und wenn ich dann sage ja, das muss ein Mann oder eine Frau sein, dann falle ich ja eigentlich in die gleiche Falle wieder rein, die ich im Grunde ja zu überwinde suche (AH 18).
Betont wird dementsprechend die Notwendigkeit, dass die Zusammensetzung des Teams „fachlich sachlich begründet“ und ein geschlechterparitätische Besetzung „nicht die Bedingung schlechthin“ sein muss: „Also es gibt Zusammenhänge wo man das auch anders machen kann. Man könnte ja immer genauso sagen, ja es muss irgendwie ein schwul-lesbisches Paar sein oder wie auch immer also warum sagt man das nicht“ (AH 17)? Nicht nur ein Spiel mit vertauschten Rollen, sondern die gänzliche Auflösung eines kausalen Ableitungsverhältnisses vom biologischen auf das soziale Geschlecht fordert diese Trainerin in Bezug auf die Teamarbeit ein. Die Verbindung von biologischem Geschlecht und Gender-Kompetenz ist ihrer Ansicht nach zu entkoppeln, weil aufgrund des biologischen Geschlechts keine Aussage über die Kompetenz eines Teams getroffen werden kann. Kritisiert wird deshalb die biologische Begründung des Gender-Teams als ein ausschließlich gemischtgeschlechtliches Team. Für die Operationalisierung des Gender-Verständnisses folgt daraus eine Problematisierung von gender im Trainingskontext, die die Definition von gender als Synonym für ‚Frau und Mann‘ anzweifelt. Gefordert wird die Auflösung des kausalen Ableitungsverhältnisses vom biologischen Geschlecht auf das soziale Geschlecht auch in Bezug auf die Arbeit der GenderTrainer_innen. Da über das biologische Geschlecht keine zwangsläufige Aussage über die Gender-Kompetenz der Trainerin oder des Trainers getroffen werden kann, wird für die Entkoppelung von biologischem Geschlecht und Gender-Kompetenz plädiert. Dies betont ein nicht-kausallogisches Verhältnis von sex und gender, um biologistischen Zuschreibungen und Ableitungen entgegenzuwirken und gender nicht als Synonym für ‚Frau und Mann’ zu setzen. Gender-Training bedeutet in dieser Konstruktion mehr als eine
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Veranstaltung, an der Frauen und Männer teilnehmen, und bedeutet auch mehr als das Herausarbeiten von Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Der Versuch, die Biologisierung von gender zu vermeiden, bereitet einem anderen Trainer zufolge bei der Zusammensetzung des Leitungsteams jedoch Probleme. Er schildert, dass er sich mit zwei Kollegen bewusst dagegen entschieden hat, das Team immer geschlechterparitätisch zu besetzen und dies als Versuch der Unterwanderung einer biologisch fundierten zweigeschlechtlichen Norm anzusehen. Diese dekonstruktive Absicht führte jedoch zu einem Streit mit seiner Kollegin, die die These vertritt, diese Konstellation begünstige eine Vorrangstellung von Männern auf dem Weiterbildungsmarkt: Weil Monika, die ja verärgert war, dass wir dieses Training als zwei Männer anbieten, theoretisch auch eher so dekonstruktivistisch geleitet ist. Aber ihre Befürchtung halt ist, wenn sich das gesellschaftlich durchsetzt oder wenn der Markt_ also sie argumentiert da immer ganz stark mit dem Markt bereit ist, zwei Männer als Gender-Trainer auch zu akzeptieren, dann besteht die Gefahr, dass Männer die relativ neu als Anbieter von Gender-Trainings auftreten, sich diesen Markt unter den Nagel reißen, wenig dafür getan haben die letzten Jahre, aber aufgrund von besseren sagen wir mal Verkaufsstrate_ oder die sich persönlich besser präsentieren können, besser verkaufen können, ihre Kontakte besser spielen lassen können, sich diesen Markt unter den Nagel reißen und die Frauen aus so einem ökonomischen Bereich rausgedrängt werden. Das war so ihre große Befürchtung (KF 27).
Diese Schilderung skizziert den Versuch eines nicht-essentialistischen Umgangs mit gender auf der Ebene des Leitungsteams. In der Absage an eine prinzipiell gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung des Leitungsteams, wird die zweigeschlechtliche Codierung von gender zwar abgelehnt, dies verbleibt jedoch auf einer personellen, nicht auf einer inhaltlichen Begründungsebene. Anhand der akteursbezogenen Diskursivierungen zum Team-Teaching und zum Gendering im Team lassen sich folgende Dimensionen herausstellen, die in ihren Varianten in der folgenden Tabelle zusammenfassend dargestellt werden.
Teamkonstellation insgesamt: Welche abstrakte, übergeordnete Zielsetzung für die Gestaltung von gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen wird mit der Zusammensetzung des Teams verbunden? Begründung für Teambildung: Werden die Gründe für das Zustandekommen des Teams explizit oder implizit verhandelt? Werden die Gründe eher auf der Ebene der Persönlichkeit, der Kompetenz angesiedelt oder gelten Geschlechterzuschreibungen entlang der sex-gender-Trennung als Auswahlkriterium? Umgang mit Aufgabenverteilung: Wie werden die Auf-
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gaben (Akquise, Konzeption, Durchführung, Inhalte, Moderation) im Team verteilt? Umgang mit Konstruktion von Geschlecht: Werden geschlechtliche Zuschreibungen in Frage gestellt oder als Begründung herangezogen? Professionelle Arbeitsweise: Welcher professionelle Anspruch und welche Arbeitsweise wird artikuliert? Didaktische Bedeutung des Teams: Welche Bedeutung wird dem Team im Lehr-Lernprozess zugeschrieben? Reflexion der Teamarbeit: In welcher Art und Weise wird die Teamarbeit reflektiert?
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Egalitär gleich und gleichberechtigt
Teamkonstellation
Beide können alles
Gleichheit
Ungleich – Additiv unterschiedlich aber gleichwertig, sich ergänzend
Ungleich – Konträr unterschiedlich und hierarchisch
Parteiliche, sich ergänzende Zusammenarbeit
Frau hat Vorrangstellung
Gleichwertigkeit in der Differenz
Explizit Begründung für Teambildung
Umgang mit Aufgabenverteilung
Tab.1:
Kompetenz (Gender-, Fach- oder Methodenkompetenz)
Umkehrung der Hierarchie Ungleichheit als ausgleichende Gerechtigkeit Implizit
Persönlichkeit
sex-gender-Trennung
Flexibel
Festgelegt
Fachbezogen
Geschlechterbezogen
Kontextuell-variabel
Essentialistischuniversal
Umgang mit Konstruktion von Geschlecht
Infragestellendproblematisierend
Dualistisch-relational
Dualistisch
Professionelle Arbeitsweise
Authentische Haltung
Strategische Ergebnis- und Erfolgsorientierung
Spielerische Inszenierung
Didaktische Bedeutung des Teams
Modell/Vorbild
Unterstützung der Selbststeuerung
Periphere Bedeutung
Reflexion der Teamarbeit
Professionell extern unterstützt
Kollegial
Unreflektiert
Team-Teaching
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3.2.5 Kontroversen in Gender-Trainings Im Folgenden werden die zentralen Stränge der Diskursivierungen der Expert_innen bezüglich der Konzeption von Gender-Trainings fokussiert dargestellt und Kontroversen erläutert, die im Rahmen von Gender-Trainings im Spannungsverhältnis von Machbarkeit und Ermöglichung relevant werden. Die Verständnisse von Gender-Trainings beschreiben eine Bandbreite von subjekt- und organisationsorientierten Perspektiven, die von der offensiven Verwendung des Trainingsbegriffs bis zu seiner grundsätzlichen Ablehnung reicht. Bei der Konzeption konkreter Gender-Trainings ist also zunächst entscheidend, als was ein Gender-Training überhaupt angesehen wird und was es aus der Perspektive der Expert_innen leisten kann. Bedeutsam wird hierbei das Trainingsziel der Verhaltens- oder Haltungsänderung, das mit einer subjekt- oder organisationsorientierten Perspektive auf Gender-Trainings begründet wird. Es besteht zunächst Einigkeit unter den Gender-Trainer_innen, dass Gender-Trainings als Lehr-Lernform von anderen Formaten wie Informationsveranstaltungen und Workshops zu unterscheiden sind. Eine Kritik an einem bestimmten Trainingsverständnis, dessen Charakteristikum die Verhaltensorientierung ist, wird von zwei Seiten begründet, wobei die umstrittene Frage ist, wie viel personenbezogene Sensibilisierung nötig und wie viel möglich ist, bzw. wie veränderbar Verhalten ist. In subjektorientierter Perspektive steht der Mensch als Person im Mittelpunkt des Interesses; das Ziel der Intervention ist eine Haltungsänderung. Die subjektorientierte Perspektive setzt deshalb vor allem bei der Kompetenzebene des Wollens an und erachtet die personenbezogene Sensibilisierung als Voraussetzung für gleichstellungsorientiertes Handeln. Mittels Selbsterfahrung wird dazu angeregt werden, individuellen Haltungen gegenüber Diskriminierungen und Geschlechterstereotypen auf die Spur zu kommen, um diese abbauen zu können. So wird die Entwicklung einer Reflexionskompetenz anvisiert, die zu mehr Bewusstsein über hierarchische Vergeschlechtlichungsprozesse führen soll. Dieses Trainingsverständnis ist auf den Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit Gender-Aspekten orientiert und hat die Ermöglichung von Erfahrungen des lernenden Subjekts zum Ziel. Aus dieser Perspektive wird die Verhaltensorientierung eines Trainings als zu instrumentell und technizistisch kritisiert. Aus organisationsorientierter Perspektive wird eine Hinwendung zu einer rein fachlichen, problemorientierten, kognitiven Auseinandersetzung vorgeschlagen. Ein Training wird in dieser organisationsorientierten Perspektive als ein Personalentwicklungsinstrument profiliert. Ein Gender-Training ist damit als integraler Bestandteil in einen Organisationsentwicklungsprozess eingebettet
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und stellt lediglich eine mögliche Interventionsform unter mehreren zur Initiierung von Veränderungsprozessen in Organisationen dar. Die Reichweite eines Trainings wird deshalb von dieser Gruppe der Berater_innen und Trainer_innen als begrenzt angesehen, da es lediglich bei einzelnen Mitarbeitenden und weniger an den Strukturen oder der Kultur innerhalb einer Organisation ansetzt. Die Trainings adressieren deshalb nicht vorrangig das Individuum als Person, sondern sprechen eher den Mensch in seiner Funktion innerhalb der Organisation. Ziel eines organisationsorientierten Trainings ist dementsprechend die Arbeit mit der Person, nicht, wie in subjektorientierter Perspektive, die Arbeit an der Person. Es interessieren also weniger die individuellen Voraussetzungen der Menschen für eine Aufgabe, sondern eher das, was diese Menschen am Ende beruflich können müssen. Das Ziel von Trainings in organisationsorientierter Perspektive ist eine Verhaltensänderung, die an der Kompetenzebene des Könnens ansetzt: Die Entwicklung einer Handlungskompetenz, also die Befähigung, Gender Mainstreaming fachlich-konkret umzusetzen, steht im Vordergrund. Die Intervention eines Trainings fokussiert einen fachlichen Output, wobei die Output-Orientierung darin zum Ausdruck kommt, dass ein praktisch anwendbares Ergebnis oder eine sichtbare Verhaltensänderung der Person in ihrer Funktion am Arbeitsplatz am Ende stehen muss. Mit der Dimension der Gender-Konstruktionen zwischen Plausibilisierung und Infragestellung wird das Spektrum der in den Gesprächen artikulierten Strategien der Vermittlung von geschlechtertheoretischem Wissen abgebildet, das sich durch eine explizite Bezugnahme auf bzw. Abgrenzung von dem Vorwissen der Teilnehmenden herstellt. Es entfalten sich Prämissen von GenderKompetenz, die auf theoretische Konzeptualisierungen von Gender-Theorien der Expert_innen verweisen. Ausgangspunkte einer Konstruktion von Geschlechterdifferenz, die die sex-gender-Trennung plausibilisiert, sind sowohl die biologistisch fundierten Annahmen der Teilnehmenden, als auch deren Unwissenheit über die soziale Konstruktion von Geschlecht. Die Trainer_innen versuchen, biologistische Annahmen der Teilnehmenden zu entkräften, indem eine Kausalbeziehung von sex und gender kritisiert und der Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit gender gelegt wird. Diese Auseinandersetzung ist jedoch durch eine Ignoranz charakterisiert, die die Trainer_innen mit der Relevanz der Teilnehmendenorientierung und dem eigenen berufsbiografischen Verlauf begründen. Dabei wird die Auseinandersetzung um den Zusammenhang von Theorie und Praxis zugunsten der Machbarkeit entschieden. Die Auseinandersetzung mit dekonstruktivistischen Theorien wird wegen ihres Grads an Abstraktheit als eine Zumutung für die Teilnehmenden deklariert. Die Deutung der fehlenden Anschlussfähigkeit für die Teilnehmenden korreliert hier mit der eigenen Skepsis gegenüber dekonstruktiven Ansätzen. Dies hat zur Folge, dass
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eine binäre Konstruktion von gender dominant, die sex-gender-Trennung plausibilisiert und die Zweigeschlechtlichkeit als Erklärungsmuster festgeschrieben wird. Die Dekonstruktion von Differenzen gilt als Beliebigkeit, die eine Gefahr der Auflösung von Gewissheiten in sich birgt. Diese wird entweder als Angriff auf die Identität oder auf die politische Positionierung artikuliert. Die Befürchtung des persönlichen, körperlichen Zerfalls und des Wegfalls von haltgebenden Gewissheiten spiegelt sich in der Annahme einiger Trainer_innen, Dekonstruktion werde zur Entpolitisierung führen. Gemeinsam ist dieser Position die Ablehnung der Infragestellung des autonomen Subjektideals und dessen Handlungsfähigkeit als Ausgangspunkt von Weiterbildung und Beratung. Inhärent ist dieser Position zum einen eine prinzipielle Ablehnung der Impulse durch dekonstruktivistische Theorien und zum anderen eine partielle Skepsis gegenüber diesen Theorien, weil sie inhaltlich für falsch gehalten werden. Des Weiteren wurde unter den Trainer_innen das, was gender ist und was mit dem Begriff assoziiert wird, im Verhältnis mit anderen gesellschaftlichen Kategorisierungen unter der Frage von ‚gender und/oder diversity?’ verhandelt. Es lassen sich hier zwei Varianten von Gender-Konstruktionen unterscheiden: eine eindeutig-vertikale und eine infragestellend-kontextuelle Konstruktion von Geschlechterdifferenz. In einer eindeutig-vertikalen Konstruktion von Geschlechterdifferenz wird Geschlecht anderen gesellschaftlichen Lebenslagen übergeordnet, und diversity dient als ein zusätzlicher Erklärungsansatz. Gender wird innerhalb eines binären Rahmens und als anderen Strukturkategorien vorgängiges, gesellschaftlich dominantes Unterdrückungsverhältnis konstruiert. Diese Begründung als strukturwirksamste Kategorie geschieht in Abgrenzung von nicht-hierarchisch-horizontalen Diversity-Ansätzen, die von einem gleichzeitigen Nebeneinander von sozialen Kategorien, also einer gleichwertigen Pluralität von Lebenslagen ausgehen. In dieser vertikalen Konstruktion wird das Verhältnis von gender und diversity also entweder subsumierend – diversity als integraler Teil von gender – oder additiv – gender plus diversity – aufgelöst. Bei einer infragestellend-kontextuellen Konstruktion werden Geschlechterverhältnisse mit anderen gesellschaftlichen Lebenslagen kontextualisiert betrachtet und normativitätskritisch gedeutet. Die binäre Konstruktion von gender wird problematisiert, weil der Begriff damit oft lediglich als Ersetzung für ‚Männer und Frauen’ firmiert, anstatt als ein komplexes Verhältnis charakterisiert zu werden. In der normativ-kontextuellen Konstruktion wird versucht, in der Verwobenheit von sozialen Kategorien die Gleichzeitigkeit der Überlappungen von Machtverhältnissen zum Ausdruck zu bringen, den Herstellungsprozess von Kategorisierungen selbst zu hinterfragen und damit die Komplexität von Benachteiligungen beizubehalten. Diversity gilt hierbei als eine Erweiterung eines genderorientierten Ansatzes.
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In der Dimension der didaktischen Wege werden Methoden zwischen Anwendung und Sensibilisierung charakterisiert, die stärker auf eine direktive Vermittlung von Kompetenz oder eine Ermöglichung von Lernprozessen rekurrieren. Die Anwendungsorientierung und die personenbezogene Sensibilisierung grenzen sich voneinander ab, d.h. Anwendungs- und Reflexionskompetenz ringen im Diskursfeld Gender Mainstreaming um Bedeutung. Die Vertreter_innen der Anwendungsorientierung interessiert die Frage, was machbar ist. Die didaktischen Konzepte tendieren in output-orientierten Ansätzen zu einer instruktiv-kognitiven Vermittlung. Die Trainer_innen setzen auf vorgegebene Lernwege und auf eine inhaltliche Instruktion. Hingegen fragen Vertreter_innen der Reflexionsorientierung danach, was ermöglicht werden soll und für was und wie sensibilisiert werden kann. Von beiden wird der Teamkonstellation eine zentrale Bedeutung für den Erfolg eines Trainings zugeschrieben. Insbesondere wurde das Team-Teaching in seiner Bedeutung für die Akzeptanz des Gleichstellungsthemas, für die Anerkennung und Glaubwürdigkeit der Kompetenz der Trainer_in als Frau oder Mann, für die Motivation der Teilnehmenden (Lernbereitschaft, Veränderungswillen) und für das Vertrauen in die Gruppe und in den Veränderungsprozess herausgestellt. Im Folgenden wird erläutert, welche Kontroversen die Konzeption von Gender-Trainings bei den Expert_innen hervorruft und wie sie im Spannungsverhältnis von Machbarkeit und Ermöglichung relevant werden. Die meisten Konflikte finden sich in der Dimension der Gender-Konstruktionen und beziehen sich auf die Theorie-Praxis-Kontroverse, deren Varianten im Folgenden genauer erläutert werden. In der Theorie-Praxis-Kontroverse problematisieren die Trainer_innen das ihrer Arbeit zugrunde gelegte Theorie-Praxis-Verständnis, das ihrer Erklärung der sex-gender-Trennung zugrunde liegt. Die Gründe für die Ablehnung bzw. Skepsis gegenüber Theorien lassen sich in drei Positionen zusammenfassen: Theoriefeindlichkeit, Differenzverlust und Identitätsverlust. Die Theoriefeindlichkeit steht für eine Position, bei der seitens der Trainer_innen der Zusammenhang von Theorie und Praxis insgesamt geleugnet wird. Sichtbar wurde dies am Beispiel der Infragestellung der Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit durch dekonstruktivistische Theorien. Der Integration von theoriegeleiteten Reflexionen in ein Gender-Training wurde die Notwendigkeit zugunsten eines pragmatischen Zugangs abgesprochen. Theorie gilt in diesem Zusammenhang als unvereinbarer Gegensatz zur professionellen Praxis. Der Differenzverlust markiert eine Position, die dekonstruktiven GenderTheorien den Nutzen für die Praxis in Gender-Trainings abspricht. Abgelehnt werden damit nicht wissenschaftliche Theorien an sich, sondern vor allem dekonstruktivistische Theorien. Der Zusammenhang von Theorie und Praxis wird
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zwar anerkannt, allerdings wird der neueren Geschlechterforschung die Brauchbarkeit für gender-orientierte Weiterbildung und Beratung abgesprochen. Dekonstruktive Infragestellungen werden aufgrund ihrer Beliebigkeit für gefährlich erklärt, weil sie zur Entpolitisierung von gender und zur Demontage der Kompetenz der Expert_innen beitragen können. Der Identitätsverlust steht für die Position, die dekonstruktive theoretische Überlegungen ernst nehmen, aber auch als gefährlich ablehnen, weil sie zu einer Auflösung von Identitäten führen würden. Das Dilemma der Festschreibung und Überwindung von Geschlechterdifferenz wird erkannt, aber da es keine Alternative zur Differenzbildung gebe, solle sie als notwendiger Schritt zu Identitätsbildung aufrechterhalten werden. Beim Vergleich der drei Varianten fällt auf, dass die Teilnehmendenkonstruktion besonders in der Position der Theoriefeindlichkeit ausschlaggebend wird. Mit der auf Erfahrung basierenden Konstruktion, dass die Teilnehmenden in einer ‚geschlechtsneutralen’ Welt leben, wird den Herausforderungen, die eine Dekonstruktion binärer Geschlechterdifferenzen mit sich bringen würde, aus dem Weg gegangen, anstatt nach weiteren Lösungen für eine mögliche Vermittlung zu suchen. In der Position von Differenz- und Identitätsverlust wird weniger die Erwartungshaltung der Teilnehmenden als bedeutsam erachtet, sondern die jeweiligen Trainer_innen nehmen die eigenen geschlechterbezogenen Überzeugungen als Maßstab. Die eigenen Überzeugungen werden dann ausgelagert, in die Zielgruppe projiziert und damit das eigene Handeln im Rückgriff auf die eigene Projektion legitimiert. Neben der Theorie-Praxis-Kontroverse ist unter Gender-Trainer_innen die Kontroverse um das Subjekt virulent, in der das Spannungsfeld Person-Funktion als Referenz für professionelles Handelns problematisiert wird. Es findet sich damit auf der Ebene der konkreten Konzeption von Trainings eine Entsprechung zu der Advocacy-Kontroverse im Handlungsfeld, bei der es um die Frage geht, wie politisch neutral bzw. positioniert das professionelle Handeln der Trainer_innen im Training sein soll. In der Trainingskonzeption wird zudem die Teilnehmendenkonstruktion verhandelt, wobei die umstrittene Frage ist, ob der Mensch als Person oder in seiner Funktion adressiert werden soll. Diese Frage verweist wiederum auf die Kontroverse um das Lernen bei der didaktischen Gestaltung der Trainings, die sich in der Methodenwahl und der Trainingsleitung (Team-Teaching und Gendering im Team) zeigt. Die umstrittene Frage ist die nach dem Lernverständnis der Trainer_innen: Findet in Gender-Trainings überhaupt Lernen statt? Und wenn ja, wie lernen Erwachsene? Wie entsteht Gender-Kompetenz, und wie lassen sich Wirkungen von Trainings didaktisch hervorrufen – durch Vermittlung, Entwicklung oder durch Ermöglichung von Lernprozessen? Die Positionierungen der Trainer_innen zwischen erfahrungsbezogenem Lernen und kognitivem, wissensbegründetem Lernen haben gezeigt,
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dass von verschiedenen Subjekt- und Bildungsverständnissen in didaktischen Arrangements von Trainings ausgegangen wird.
3.3 Dilemmata professioneller Interventionsstrategien Dieses Kapitel führt die Analysen des Handlungsfeldes und der Gender-Trainings-Konzeptionen zusammen und generiert durch eine nochmalige Verdichtung und Abstraktion der akteursbezogenen Diskursivierungen Dilemmata professioneller Interventionsstrategien. Es wird gezeigt, wie die Dimensionen des Handlungsfeldes Entsprechungen in der Konzeption der Gender-Trainings finden: Vermarktungsstrategien, gleichstellungspolitische Ziele und Professionalisierungsmodi konkretisieren sich in den Trainingsverständnissen und den Gender-Konstruktionen. Die Professionalisierungsmodi werden wiederum vor allem bei der Formulierung der Trainingsziele und bei der didaktischen Konzeption der Gender-Trainings bedeutsam. Mit dem Begriff der Intervention ist alltagssprachlich ein Eingreifen in eine konflikthafte Situation, mit dem Ziel, ein Problem zu lösen, gemeint. Im Bereich der Erwachsenenpädagogik werden Interventionen auf die Veränderung von Verhalten bezogen und beschreiben Handlungen, die das gezeigte Verhalten bewusst machen und Lernmöglichkeiten aufzeigen. Intervention wird als „Kunst des Dazwischengehens“ (Arnold 2007: 108) verstanden und bedeutet, ein System zu durchqueren und durchkreuzen – damit stellt Intervention „das grundlegende Merkmal jeder professionellen Tätigkeit dar“ (ebd.). Die hier generierten Interventionsstrategien beschreiben sowohl Handlungs- als auch Haltungsdimensionen professionellen Wissens und Handelns. Sie skizzieren, welche Handlungsoptionen die Expert_innen entwerfen, mit welchen Wissensvorräten sie diese legitimieren und wie sie mit Konflikten und Kontroversen umgehen. Als diskursive Strategien charakterisieren sie nicht nur Bedeutungsund Begründungsmuster des professionellen Handelns der Trainer_innen und Berater_innen, sondern stellen selbst handlungsermöglichende Praktiken dar. Die entwickelte Systematisierung der Interventionsstrategien ermöglicht die Verortung verschiedener Ansätze der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung. Vorgestellt wird damit ein Orientierungs- und Reflexionsinstrumentarium, das nicht nur Positionen, sondern auch Konflikte und Kontroversen sichtbar machen und kontextualisieren kann. Es verweist also darauf, was als ‚konstitutives Außen’ der Begründung des Expert_innen-Wissens firmiert, sprich, was die expliziten und impliziten diskursiven Abgrenzungsfolien sind, die dem Wissen Gewicht geben. Jede mögliche Interventionsstrategie wird z.B. durch affirmative Bezugnahmen oder polarisierte Abgrenzungen, durch Analo-
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giebildung oder Parallelen und Widersprüchlichkeiten konturiert. So entsteht ein Verweisungsgefüge an Bedeutungen, eine Art Matrix, deren Verknüpfungen das Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung und die Konzeption verschiedener Ansätze von Gender-Trainings verdichten. Die Interventionen sind durch funktional-fachliche und ideell-reflexive Strategien markiert. Beide bezeichnen keine konträren, sich ausschließenden Diskurspositionen, vielmehr sind sie als Konturierungen zu verstehen, die Gewichtungen des professionellen Wissens und Handelns abbilden. Diese Verortung ersetzt jedoch nicht die politische Entscheidung, welche Interventionen gewollt sind und welche normativ-politischen, inhaltlich-konzeptionellen oder personellen Ausschlüsse dabei in Kauf genommen werden.
Funktional-fachliche Interventionsstrategien Funktional-fachliche Interventionsstrategien zeichnen sich durch ihren instrumentellen Charakter und ihr Paradigma der Machbarkeit aus. Charakteristika sind eine marktorientiert-pragmatische Perspektive sowie eine Komplexitätsreduktion zugunsten einer Ergebnisorientierung und einer Verkaufbarkeit der Angebote. Die Vermarktung der Weiterbildungs- und Beratungsangebote wird von den Trainer_innen aktiv und strategisch vollzogen. Im Vordergrund des berufsbiografischen Verlaufs dieser Expert_innen steht ein fachliches Professionalisierungsinteresse, wobei die gender-orientierte Weiterbildung und Beratung ein Anwendungsfeld für ihr fachliches Wissen darstellt. Die angestiegene Nachfrage nach Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming eröffnet Qualifizierungs- und Profilierungsmöglichkeiten, die die Gender-Expert_innen als Gelegenheitsprofessionalisierung nutzen. Bei funktional-fachlichen Interventionsstrategien ist das übergeordnete gleichstellungspolitische Ziel die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse. Die dementsprechend heruntergebrochenen Trainingsziele bestehen darin, einerseits eine Verhaltensänderung bei den Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz und andererseits eine Veränderung der Organisationsstrukturen und -kultur zu erwirken. Beides soll dazu dienen, Gleichstellung zu einem fachlichen Thema zu machen, deshalb wird in einer organisationsorientierten Perspektive die Umgestaltung von Arbeitsstrukturen und organisationalen Regel- und Entscheidungsabläufen in den Mittelpunkt gestellt. Die Organisation gilt als Bezugsgröße für die Konzeption von Trainings und auch für die Umsetzung der Strategie Gender Mainstreaming. Die Konstruktionen von gender sind dual und werden relational vermittelt, d.h. die Geschlechterdifferenz wird als Unterschied gedacht, und in der didak-
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tischen Vermittlung wird die Relationalität zwischen binären Geschlechtergruppen betont. Damit verbindet sich die Vorstellung einer polarisierten Theorie-Praxis-Trennung, die sich in der Ablehnung von bzw. Distanz zu dekonstruktivistischen Geschlechtertheorien äußert. Vom angenommenen Qualitätszuwachs durch eine duale Geschlechterperspektive wird die Begründung für die Arbeit im gemischtgeschlechtlichen Team als Qualitätsstandard abgeleitet. Das Gendering im Team fußt auf einem komplementären Ansatz und wird am biologischen Geschlecht der beteiligten Personen festgemacht, wobei unterschiedliche ‚Rollen’ und Verhaltensweisen von Frau und Mann als sich ergänzende Pole verstanden werden. Der professionelle Auftritt als Trainer_in oder Berater_in wird strategisch und bewusst gestaltet. Die eigene professionelle Tätigkeit wird als eine kausallogische, lineare Entwicklung und als ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess inszeniert. Die Trainer_innen profilieren ihre eigene professionelle Kompetenz und Expertise über scharfe Abgrenzungen und Gegensatzkonstruktionen zu den Teilnehmenden. Beispielsweise soll der Biologismus der Teilnehmenden überwunden oder der Mythos aus den Köpfen geräumt werden, dass Gender Mainstreaming eine kurzfristige Sache sei. Diese konträre Teilnehmendenkonstruktion, die davon ausgeht, das Gegenüber sei unwissend bzw. falsch informiert, führt zur Verfestigung einer Diskrepanz zwischen Laienwissen und Professionswissen. Begründet wird die Ahnungslosigkeit der Teilnehmenden mit Ungebildetheit, nicht-akademischen Hintergründen oder naiven Denkweisen. Implizit wird darüber umgekehrt ein akademischerr, weltgewandter Expert_innenstatus profiliert. Über dieses Muster der Abgrenzung begründen die Expert_innen ein hierarchisches Verhältnis zu den Teilnehmenden und einen höheren Status, der ihre Definitionsmacht legitimiert. Die Polarisierung in den Akteurskonstellationen zwischen dem (Un-)Wissen der Teilnehmenden und der Expertise der Trainer_innen und Berater_innen produziert auf der Ebene der Konzeption der Gender-Trainings den Effekt einer Diskurskoalition: Eine strategisch-professionelle Markt- und Kund_innenorientierung der Expert_innen führt zu einer Auflösung der Diskrepanz durch eine Anpassung des professionellen Handelns an die konstruierte Gegenseite. Diese so geschaffene strategische Diskurskoalition funktioniert, indem eine Analogiebildung der Expert_innenmeinung mit der Teilnehmendenkonstruktion möglich ist. Dies zeigt sich vor allem bei der Plausibilisierung der sex-gender-Trennung und dem Arbeiten mit impliziten Theorien sowie bei der Ablehnung einer personenbezogenen Sensibilisierung. Im Mittelpunkt des didaktischen Konzepts der funktional-fachlichen Interventionsstrategien stehen die kognitive Wissensvermittlung und der Anspruch an die Anwendbarkeit und Verwertbarkeit von Wissen. Die Anwendungsorientierung wird auf methodischer Ebene mit dem Kennenlernen von Instru-
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menten und dem Erproben, wie gender-orientierte Perspektiven systematisch angewendet werden können, realisiert. Die Sensibilisierungsanteile beziehen sich auf eine fachliche Reflexion, z.B. mittels gleichstellungsorientierter Daten und Statistiken. Personenbezogene Sensibilisierungsanteile kommen in diesen Interventionsstrategien kaum vor. Gearbeitet wird demnach mit der Person in ihrer Funktion. Instrumentell-fachliche Interventionsstrategien beschreiben eine zielund ergebnisorientierte Arbeitsweise, die durch ihre Output-Orientierung eindeutige und konkrete Erfolge produzieren will, und die deshalb wenig Raum für Problematisierungen oder Reflexionen vorsieht. Ein geschlechterpolitisches Trainingsziel ist es dementsprechend, im Umgang mit Gender-Fragen Sicherheit zu schaffen: Das Geschlechterverhältnis soll durch Harmonie und Balance gekennzeichnet werden, Konflikte und Uneindeutigkeiten gelten als Gefahr für eine angestrebte Stabilisierung. Die Erschütterung der Wahrnehmung von dualen Geschlechterordnungen ist eine zu vermeidende und zu kontrollierende Wirkung, weil dies Ängste und Widerstände bei den Teilnehmenden provoziere und sie an Zeiten eines ‚Geschlechterkampfes’ erinnere. Ziel eines Gender-Trainings ist deshalb zwar die Ermutigung zur Auseinandersetzung mit Geschlechterarrangements, aber vorrangig bleibt die Herstellung von Eindeutigkeit. Funktional-fachliche Interventionsstrategien zeichnen sich durch vereindeutigende Sprechweisen aus, die auf einer Begründungslogik des EntwederOder aufbauen. Auf formaler Ebene zeigt sich dies in definitorischen Artikulierungen, die offensiv ‚als richtig’ oder ‚wahr’ vorgetragen werden. Das Erzählmuster lehnt sich an kausallogische Argumentationen an, bei denen eigene berufliche Erfahrungen als Letztbegründungen dienen. Im Vordergrund steht ein analytischer Blick von außen auf Geschlechterfragen, wodurch personenbezogene Thematisierungen von Problemen oder krisenhaften Momenten ausgespart werden und Aspekte der Selbstreflexion wenig Relevanz erhalten. Perspektiven der Ambivalenz und machtkritische Perspektiven auf eigene Privilegierungen firmieren als konstitutives Außen der Professionalität. Machtkritische Zugänge und Arbeitsweisen, die den normativen Gehalt von Kategorisierungen problematisieren, werden ausgegrenzt und z.T. explizit abgelehnt. Legitimationsstrategien für diese Ausschlüsse sind die Pluralisierung der dualen Konstruktion von gender, die Vereinheitlichung von Zielgruppen und die Ausblendung hegemonialer Ordnungen sowie eigener Privilegien. Brüche werden ausgeschlossen und Unsicherheiten unterdrückt, stattdessen werden Kontinuitäten und Kausalitäten betont.
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Ideell-reflexive Interventionsstrategien Ideell-reflexive Interventionsstrategien sind durch eine Problemorientierung und das Paradigma der Ermöglichung gekennzeichnet. Ihr Charakteristikum ist eine subjektorientierte Perspektive, die auf Aushandlung, persönliche Auseinandersetzung und politische Positionierung zielt. Die Vermarktung vollzieht sich separativ, da sich von einer Profitorientierung des Marktes distanziert wird, der mit einem Qualitätsverlust der Weiterbildungsarbeit assoziiert wird. Gender Mainstreaming wird einerseits als Chance angesehen, bisherige frauen-, männer- oder geschlechterpolitische Themen und Aktivitäten öffentlichkeitswirksamer thematisieren und ausüben zu können und sie aus marginalisierten gesellschaftlichen Bereichen herauszuholen. Andererseits wird Gender Mainstreaming als Existenzbedrohung interpretiert und die Ersetzung bisheriger geschlechterhomogener Bildungsarbeit durch Gender Mainstreaming-Projekte befürchtet. Bei den berufsbiografischen Verläufen stehen geschlechterpolitische Motivationen im Vordergrund. Die Tätigkeit als Gender-Trainer_in wird im Rückgriff auf frauen- oder männerbewegungspolitische Aktivitäten begründet und ein geschlechterpolitischer Professionalisierungsmodus mit Zielen wie Gerechtigkeit und Emanzipation artikuliert. Das professionelle Handeln gilt als politisches Handeln. Der Einsatz für ein politisches Ziel und der Wunsch nach Selbstverwirklichung bzw. Selbsterfahrung sind eng miteinander verknüpft. Eine große Nähe der eigenen Person mit der beruflichen Tätigkeit sowie eine hohe Identifikation mit dem professionellen Handeln sind charakteristisch. Motive der Tätigkeit als Trainer_in bzw. Berater_in sind ein Aufklärungsbestreben und die höhere gesellschaftliche Anerkennung der bisherigen professionellen und politischen Arbeit, gepaart mit der Hoffnung auf mehr Gestaltungsmacht und Erfolg. Das übergeordnete gleichstellungspolitische Ziel ist Hierarchiekritik und der Abbau von Ungleichheitsverhältnissen sowie ein Beitrag zur Transformation von Gesellschaft. Die ideell-reflexiven Interventionsstrategien setzen deshalb bei einer umfassenden Thematisierung von Geschlechterverhältnissen an, nicht nur bezogen auf Arbeits-, sondern auch auf Lebensverhältnisse. Die Trainings- und Beratungsangebote werden als Lernprozesse verstanden. Der Anspruch an ein Training ist Überzeugungsarbeit, weshalb Haltungsänderungen und ein Bewusstseinswandel der Teilnehmenden erreicht werden soll. Das geschlechterpolitische Ziel ist die Verunsicherung von Selbstverständlichem durch Verstören und Irritieren der natürlichen Ordnung – auch mit Mitteln der Provokation. Es geht um die Ermöglichung und die Erlaubnis von Uneindeutigkeit und das Anerkennen von komplexer Vielfalt als Voraussetzung für das Erlernen von Konfliktfähigkeit und Toleranz. Ermuntert wird zum Verzicht auf bzw. zur Infragestellung von Dichotomien. Erschütterungs-
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und Konflikterfahrungen dienen als Ansatzpunkt von Lern- und Bewusstwerdungsprozessen. Die Konstruktion von gender ist infragestellend-problematisierend. Gender Mainstreaming wird als Aushandlungs- und Ermöglichungsraum gedeutet, der reflexive Auseinandersetzungen zwischen Menschen eröffnen soll. Die didaktische Konzeption von Trainings beinhaltet immer auch Übungen zur personenbezogenen Sensibilisierung. Es werden mehrdimensionale Lehr-Lernkonzepte zugrunde gelegt, die persönliche Reflexionen und Außenwahrnehmungen anregen. Gearbeitet wird mit Selbstpositionierungen und Konflikten, unklaren Situationen sowie biografischen Krisen oder Brüchen. Sensibilisiert wird für normative Zuschreibungen, wobei sowohl die individuelle, als auch die strukturelle Ebene in den Blick genommen wird, indem Privilegierungs- und Benachteiligungsstrukturen problematisiert werden. Im Mittelpunkt steht die Arbeit an der Person. Die Haltungsorientierung setzt auf das Ermöglichen von Erfahrungsprozessen und auf eine kritische Gesellschaftsanalyse. Dabei werden Erfahrungs-, Praxis- und Theoriebezüge verknüpft und Geschlechtertheorien als ein Potenzial für Reflexionsprozesse angesehen. Die ideell-reflexiven Interventionsstrategien bedingen vor allem zwei Ansätze von Gender-Trainings: den Drei-Säulen-Ansatz und den Reflexions-Ansatz. Der Drei-Säulen-Ansatz verweist auf die Berücksichtigung dreier gleichwertiger Lernebenen (kognitive, emotionale, verhaltensbezogene Ebene), die in den drei Bausteinen eines Trainings – Information/Wissensvermittlung, personenbezogene Sensibilisierung und Handlungsorientierung – entfaltet werden. Beim Reflexions-Ansatz steht die Lernebene der personenbezogenen Sensibilisierung im Vordergrund; Inhalte und Methoden beziehen sich auf die persönliche Auseinandersetzung (Selbsterfahrung) und zielen auf die Befähigung der Teilnehmenden zur Reflexion. Bei ideell-reflexiven Interventionsstrategien kommt die Teambildung kompetenzorientiert zustande. Die Arbeitsteilung im Team-Teaching verläuft flexibel und variiert je nach Kontext und Auftrag fachbezogen. Die biologische Begründung eines gemischtgeschlechtlichen Teams wird problematisiert und abgelehnt und stattdessen eine kontextuelle und kompetenzorientierte Begründung für die Teambildung favorisiert. Der professionelle Selbstentwurf als Trainer_in und Berater_in setzt Transparenz in der politischen Haltung als eine Bedingung für gute Arbeit voraus. In einem subjektorientierten Ansatz stehen Teamkonstellation, Interaktion, Gruppendynamik und persönliche Auseinandersetzungen mit Gender-Fragen im Vordergrund. Ideell-reflexive Interventionsstrategien zeichnen sich durch problematisierende Sprechweisen aus, was sich darin zeigt, dass Vereinheitlichungen und Generalisierungen vermieden bzw., wenn sie verwendet werden, selbstkritisch
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kommentiert werden. Auf formaler Ebene wird dies in Relativierungsformulierungen (z.B. expliziter verbaler Relativierung von ‚den Männern‘) und einem vorsichtigen Umgang mit Ist- und Seins-Aussagen deutlich. Auf inhaltlicher Ebene finden Kontextualisierungen des Gesprächsgegenstandes statt. Durch das Aufzeigen von Kritikpunkten und die Thematisierung von (ungelösten) Problemen und Schwierigkeiten wird eine reflektierende, problematisierende Erzählhaltung eingenommen. In einem offenen Abwägen von zwei oder mehr Seiten desselben Sachverhalts werden Dilemmata des professionellen Handelns ausgesprochen, ohne diese auflösen zu wollen bzw. zu können. Durch das Offenhalten eines Problems wird keine abschließende Meinung artikuliert.
Das Umsetzungsdilemma (Wollen – Sollen) Das Umsetzungsdilemma bezieht sich auf den Versuch der Umsetzung von kritischer, insbesondere dekonstruktiver Theorie in politisches und professionelles Handeln. In den beiden Interventionsstrategien tritt es in zwei Varianten auf: In funktional-fachlichen Interventionsstrategien wird das Umsetzungsdilemma zwischen wissenschaftlicher Theorie und Praxis so formuliert, dass es zu einer Ablehnung von theoriegeleitetem Arbeiten führt. In ideell-reflexiven Interventionsstrategien wird das Umsetzungsdilemma in einer problematisierenden Haltung ausgedrückt, die zu einer wechselseitigen Anerkennung von Gender-Theorie und Praxis führt. In der ersten Variante findet eine Reduktion des Anspruchs zugunsten von Machbarkeit statt. Dafür wird Theorie und Praxis als unvereinbares Gegensatzpaar konstruiert, um die Notwendigkeit ihrer Verknüpfung grundsätzlich zu delegitimieren. Die gewählte Umgangsweise mit dem Dilemma ist eine vermeidende: Eine Seite des Problems wird eliminiert, um dem Dilemma zu entkommen. Die Thematisierung von gender wird ihrer Konflikthaftigkeit enthoben. Der Herausforderung, die eine Infragestellung binärer Geschlechterdifferenzen mit sich bringt, wird aus dem Weg gegangen, anstatt nach Lösungen für Möglichkeiten der Vermittlung zu suchen. Als Grund für die Ablehnung der Auseinandersetzung mit kritischen geschlechtertheoretischen Konzepten – vor allem dekonstruktivistischen – wird die Abstraktheit der Theorie oder die Ungebildetheit der Teilnehmenden genannt. In der zweiten Variante wird eine eher eingeschränkte Vermarktung zugunsten des Erhalts der Komplexität des Themas in Erwägung gezogen. Theorie und Praxis werden als Zusammenhang verstanden, und es wird versucht, theoriegeleitet und teilnehmendenorientiert zu arbeiten. Es wird eine anerkennende Umgangsweise gewählt, die auf ein Aushandeln des Problems und
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ein In-der-Schwebe-Halten setzt. Da von einer grundsätzlichen Theoriedurchdrungenheit der Praxis ausgegangen wird, werden geschlechtertheoretische und feministische Debatten als Impulse für die Arbeit aufgegriffen. Dieses Einlassen und das Anerkennen des Zusammenhangs werden allerdings als Problem erlebt, wenn der umfassende Anspruch nicht durchgehalten werden kann. Dies zeigt sich beispielsweise in Teilnehmendenkonstruktionen, die trotz gegenteiligen Anspruchs vereinheitlichte Geschlechternormen und Stereotype reproduzieren (so z.B. bei einem pauschalisierten Reden über ‚die Männer’).
Anerkennungsdilemma auf struktureller Ebene (Wollen – Dürfen) Das Anerkennungsdilemma auf struktureller Ebene bezieht sich auf die Anerkennung und Honorierung der Leistung der professionellen Arbeit auf dem Dienstleistungsmarkt, betrifft also vor allem die Diskrepanz zwischen eigenen professionellen Ansprüchen der Expert_innen und den Marktbedingungen bzw. den Bedingungen der auftraggebenden Organisation bzw. Person. Die ökonomische Notwendigkeit vor allem für selbstständige Trainer_innen, die Angebote existenzsichernd auf dem Markt zu verkaufen, führt ideell-reflexive Interventionsstrategien zu einem Dilemma, da dort nicht nur marktkonforme Konzepte angeboten werden. Das Problem entsteht bei der Wahl, dem Anpassungsdruck nachzugeben und die Trainingskonzepte abzuspecken oder in Kauf zu nehmen, dass bestimmte Kund_innen verloren gehen. Die Diskrepanz zwischen der eigenen politischen Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun, und der Meinung der Auftraggebenden oder Teilnehmenden, die die Beschäftigung mit GenderThemen als Zeitverschwendung sehen, wird als Zerreißprobe erlebt. Der Spagat zeigt sich in der Honorarsituation und in der Auftragslage: Im wahrsten Sinne des Wortes wenig Wertschätzung für die Leistung zu erhalten steht im Widerspruch zum Existenzsicherungsdruck.
Das Glaubwürdigkeitsdilemma auf personeller Ebene (Wollen – Dürfen) Das Glaubwürdigkeitsdilemma auf personeller Ebene bezieht sich darauf, dass die Trainer_innen und Berater_innen in ihrer Rolle in doppelter Weise zur Disposition stehen: als vergeschlechtlichte Personen und in ihrer Expert_innenfunktion mit ihrer Kompetenz. Es ist anhand der Teamkonstellationen deutlich geworden, dass im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung die Expert_innen in besonderem Maße als vergeschlechtlichte Personen involviert sind. Zum einen weil Geschlechterfragen immer auch bio-
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grafische Dimensionen haben und zum anderen, weil sie mit bestimmten Anrufungen und Zuschreibungen vonseiten der Teilnehmenden konfrontiert werden. Die Frage der Glaubwürdigkeit wird für die Expert_innen dann relevant, wenn ihre eigenen Rollenverständnisse nicht mit denen der Teilnehmenden koalieren, sondern diese konfligieren. Die Trainer_innen müssen sich entscheiden wie viel sie von ihrer Person offenlegen und wie sehr sie in ihrer Funktion verbleiben. Dies hängt von eigenen Überzeugungen und auch von den Erwartungen und Erlaubnissen ab, die einer Gruppe im Training zugestanden werden. Dieses Dilemma betrifft die eher fachlich-funktionalen wie auch die eher ideell-reflexiven Interventionsstrategien, da die Teilnehmenden in beiden Fällen entscheidend für die Konstruktion der Glaubwürdigkeit sind. Wie beschrieben, hatte ein männlicher Trainer mit der Glaubwürdigkeit ‚als Mann’ Probleme, weil einige teilnehmenden Männer konservative Männlichkeitserwartungen an ihn richteten und ihn in seiner professionellen Rolle nicht ernst nahmen. Es ließen sich weitere Dilemmata professionellen Handelns benennen – auch für die anderen Akteursperspektiven. Wie die Expert_innen berichteten, befinden sich z.B. Teilnehmende in dem Dilemma zwischen Wollen – Dürfen, wenn sie als Mitarbeitende zwar gewillt sind, in ihrer Organisation etwas zu verändern, aber von der Führungsebene nicht in diesem Sinne unterstützt werden. Oder die Teilnehmenden sind gewillt, etwas zu verändern, wissen jedoch nicht, wie es gehen soll (Wollen – Können). Häufiger ist wohl allerdings der Fall, dass die Teilnehmenden eines Gender-Trainings den Auftrag oder die Verpflichtung haben, Gender Mainstreaming umsetzen zu sollen und dies jedoch nicht wollen (Sollen – Wollen).
4 Die Bildung der Ambivalenz – Herausforderungen für theoretisch reflektiertes Handeln
Die Unvollständigkeit jeder ideologischen Formulierung ist ganz zentral für den Begriff politischer Zukünftigkeit des radikaldemokratischen Projekts. (…) Sie lässt die Erzeugung neuer Subjektpositionen offen, die Sammlungspunkte der Politisierung werden können (Butler 1995: 256).
In diesem Kapitel werden die zentralen Ergebnisse der qualitativen Studie, die akteursbezogenen Diskursivierungen, die sich in den beschriebenen Interventionsstrategien verdichten, kritisch diskutiert. Dabei sollen die wechselseitigen Beeinflussungen von wissenschaftlichen und praxisorientierten Reflexionen näher analysiert werden, um herauszustellen, wie sie sich entsprechen, ergänzen oder konterkarieren. Der Diskussion liegen dabei die oben beschriebenen wissenschaftlichen Kontroversen um die Entgrenzung von Bildung und gender im Kontext der Implementierung von Gender Mainstreaming zugrunde. Inwiefern im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung Phänomene der Entgrenzung als Bedrohung oder Chance wirksam werden und inwiefern die professionellen Interventionsstrategien zur Festschreibung oder Transformation von Geschlechterdifferenz beitragen, wird ebenso thematisiert wie Herausforderungen, die sich aus den praxisorientierten Überlegungen der Gender-Trainer_innen für geschlechtertheoretische und pädagogische Auseinandersetzungen ergeben. Ziel ist es, Potenziale und Grenzen von Gender-Trainings als pädagogischer und gleichstellungspolitischer Intervention an der Schnittstelle der Diskurse um Gleichstellungspolitik, Geschlechterforschung und Erwachsenenbildungsforschung zu resümieren und zukünftige Herausforderungen zu skizzieren, die z.B. die Diskussion um Qualitätsstandards betreffen. Die Anerkennung der Kontingenz professionellen Handelns, verstanden als eine systematische Ambivalenz, wird für geschlechterreflektierende Wissenschaften und machtkritische Gleichstellungspolitiken produktiv gemacht. Es werden Transformationen von Gleichstellungspolitik durch Gender Mainstreaming diskutiert, welche angesichts der Vermarktlichung, einer dominant werdenden Effizienzlogik und den Professionalisierungskonflikten die Rolle von Gender-Trainer_innen beschreiben. Es wird zudem gezeigt, welche „Gender-Regulierungen“ (gender regulations) (Butler 2004: 40) hegemonial
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4 Die Bildung der Ambivalenz
werden, wenn die Kategorie gender in ihrer doppelten Bedeutung als Erkenntnisgegenstand und als Erkenntnisinstrument im Handlungsfeld der genderorientierten Weiterbildung und Beratung diskursiviert wird. Anschließend werden Fragen nach der Notwendigkeit von Transformationen von Bildungsund Lernverständnissen innerhalb pädagogischer Diskussionen aufgegriffen und diese für eine Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive nutzbar gemacht.
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch? Meine Annahme ist erstens, dass Markt und soziale Bewegung im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ein folgenreiches Spannungsverhältnis bilden, das nicht gänzlich neu ist, aber neue Facetten aufweist. Die Spannung von Logiken der Marktorientierung und der politischen Positionen aus der Frauen- und Männerbewegung zeigen sich auf normativ-diskursiver Ebene in der Kontroverse über das Ziel von Gleichstellungspolitik, das zwischen Gerechtigkeit und Effizienz verhandelt wird. Mit einer dominant werdenden Verwertungslogik im Feld der Gleichstellungspolitik und einer zunehmenden Vermarktlichung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung entstehen für Gender-Trainer_innen Professionalisierungskonflikte. Das Besondere des Handlungsfeldes der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ist, dass dessen Neukonstituierung als ein Dienstleistungssegment seine Wurzeln in internationalen, politischen Frauen- und z.T. auch Männerbewegungen hat. Vor diesem Hintergrund muss m. E. analysiert werden, ob die bereits seit Längerem kontrovers diskutierten Entgrenzungen im Weiterbildungsbereich zwischen Staat und Markt in Bezug auf die gender-orientierte Weiterbildung und Beratung um die Dimension der politischen Bewegungen zu erweitern sind.108 Aufgrund der EU-politisch forcierten Einführung von Gender Mainstreaming werden die Angebote bisheriger geschlechterbezogener Bildungsarbeit und die bundesdeutsche Gleichstellungspolitik von einem starken Professionalisierungsschub getragen. Besonders spannungsreich sind diese Entwicklungen insofern, als sie mit gleichstellungspolitischen Institutionalisierungsprozessen einhergehen, die bereits vor der Einführung von Gender Mainstreaming umkämpft waren. Das Verhältnis von Frauenbewegung, Frauenund Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik ist geprägt von der Auseinandersetzung um Integration oder Separation, d.h. von der Frage, ob ein machtkritischer Feminismus durch institutionalisierte Politiken vereinnahmt, entpolitisiert und verwissenschaftlicht wird. Die Entstehung der Angebotsform 108
Zur Geschichte der Weiterbildungspolitik und dem „Grundkonflikt Markt versus Staat“ siehe Dröll (1998: 22).
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch?
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der Gender-Trainings in Deutschland ist deshalb nicht nur aus einer marktanalytischen Perspektive zu betrachten, sondern als ein Bestandteil eines Institutionalisierungsprozesses von Geschlechterpolitik zu werten. Es entstehen prekäre Arbeitssituationen auf einem sich neu konstituierenden Bildungs- und Beratungsmarkt, und das Verhältnis von feministischem Wissen und Handeln wird neu verhandelt. Die Diskursivierung von Gender-Trainings sowie ihrer Ziele, Inhalte und Methoden vollzieht sich im Spannungsverhältnis von Geschlechterforschung/Wissenschaft, Gleichstellungspolitik/Bewegung und Markt. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen der Geschlechterforschung konkurrieren und koalieren mit institutionalisierter Frauenförder- und Gleichstellungspolitik sowie mit autonomen internationalen und bundesdeutschen Frauenbewegungen bzw. mit autonomer Männerarbeit. Der Markt als dritte Größe ersetzt den Staat in dieser Konstellation: Waren bezogen auf Gleichstellungspolitik vormals vor allem das Ziel der Gerechtigkeit und Fragen der staatlichen, verfassungsrechtlichen Verantwortung relevant, nimmt nun im Kontext von Gender Mainstreaming die Bedeutung ökonomischer Aspekte zu. Im Bildungsbereich hat durch eine Dezentralisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildungseinrichtungen die Marktförmigkeit bereits Einzug erhalten. Die „Verstaatlichung“ entwickelt sich zunehmend zu einer „Vermarktlichung der Frauenfrage“ (Kurz-Scherf 2008). Während also mit der Einführung von Gender Mainstreaming im gleichstellungspolitischen Diskurs politische Forderungen mehr und mehr mit ökonomischen und effizienzlogischen Argumenten zur Durchsetzung von Gleichstellung verbunden werden, bleibt doch innerhalb der Gender Studies weitgehend ungeklärt, was mit Effizienz einerseits und Ökonomisierungskritik andererseits eigentlich genau gemeint ist. Ökonomisierung dient oft als universelle Abgrenzungsfolie von einem neoliberalen Trend. Unterscheiden lassen sich zunächst zwei diskursive Umgangsweisen: Effizienzlogische Argumente sind zum einen ein (rhetorisches) Mittel zur Zielerreichung von Gleichstellung, d.h. ökonomische Nutzen-Argumente dienen als Türöffner für Gleichstellungsforderungen. Zum anderem wird Effizienz selbst zum Ziel von Gleichstellungspolitik, d.h. Modernisierung oder Qualitätsoptimierung stehen als weiteres Ziel neben dem Ziel der Gleichstellung. Die Konsequenz beider Umgangsweisen ist mehr als nur eine veränderte Rhetorik. Gleichstellungspolitische Arbeit agiert in einem anderen Gestus: Machbarkeit, Messbarkeit und eine Effizienz- und Nutzenorientierung werden zu zentralen Leitprinzipien von Gleichstellung. Damit richtet sich in der strategischen Umsetzung das Augenmerk immer stärker darauf, was am Ende herauskommt. Eine Output- und Ergebnisorientierung löst eine Input- oder Prozessorientierung ab. Im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ist dies von praktischer Bedeutung sowohl für
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4 Die Bildung der Ambivalenz
gleichstellungspolitisches, als auch für pädagogisches Handeln. Um jedoch polarisierte Verkürzungen von Effizienz- und Effektivierungsargumenten versus Ökonomisierungskritik zu vermeiden, scheint es ratsam, die Bedeutungsinhalte der jeweiligen Position genauer zu klären. Auf einer solchen Grundlage kann die kritische Perspektive der Ökonomisierung genauer differenziert werden. Begrifflich verweist Effizienz zunächst auf das Verhältnis von Aufwand (Input) und Leistung (Output). Etwas funktioniert ökonomisch effizient, wenn ein möglichst hoher Output pro eingesetztem Input erreicht wird. Die Effektivität hingegen misst den Grad der Zielerreichung (Outcome) im Verhältnis zum Output oder auch zum Input. Eine hohe Effektivität bedeutet möglichst hoher Outcome pro eingesetzter Input- oder Output-Einheit. In diesem Sinne gibt es nach Baer „neben der Gleichberechtigung (…) den weiteren guten Grund: das ökonomische Überleben. OECD, EU und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit sind sich heute einig, dass wir Frauen schlicht brauchen“ (Baer 2008: 31). So wird das ökonomische Argument zur Durchsetzung von Gleichstellung als sachdienlich und in seiner Wirkung sogar als „charmant” bezeichnet, da es eine Win-win-Situation bedeutet, Frauen zu fördern (vgl. ebd.). Den doppelten Charakter von Gleichstellung bringt auch Schulz in einem ähnlichen Sinne auf den Punkt, indem sie den Widerspruch von Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit in der Addition von beiden aufgehoben sieht: „It’s a business AND a justice question!“ (Schulz 2007: 12). In einer kritischen Rezeption von Gender Mainstreaming als neoliberale Strategie ist von der „Humanressource Frau“ bzw. (Wertschöpfungs-)Potenzialen von Frauen die Rede, von Wurzeln des Gender Mainstreaming im New Public Management (vgl. Schunter-Kleemann 2001, 2002, 2003), der Steigerung der Effizienz durch gleiche Teilhabe (Schulz 2007: 9), der Wirtschaftlichkeit (kostengünstige Maßnahmen) und von besseren Marktstrategien.109 Gemein ist diesen Redewendungen die Rhetorik der ‚Steigerung des Nutzens’ oder des ‚Mehrwerts’ von Gleichstellungspolitik für die Organisation bzw. die Gesellschaft dank besserer Integration und Partizipation beider Geschlechter.110 Effizient zu handeln bedeutet für eine Organisation, eine neuartige Effizienz in der Personal- und Organisationssteuerung zu erreichen: „Gender Mainstreaming 109
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Um eine höhere Effizienz in der Rechtsetzung zu erreichen, wird z.B. in öffentlichen Verwaltungen die Gesetzesfolgenabschätzung eingeführt. Im Zuge der Implementierung von Gender Mainstreaming wurde diese Methode in den letzen Jahren um eine gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung erweitert und für die Anwendung in den Bundesministerien z.B. eine entsprechende Arbeitshilfe Geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung. Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften entwickelt. Der aus der politischen Ökonomie des Marxismus stammende Begriff des Mehrwerts, der eine kritische Abgrenzungsformel von kapitalistisch-ausbeuterischer Wertschöpfung impliziert, wird in gleichstellungspolitischen Debatten neuerdings weitestgehend unreflektiert verwendet.
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch?
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und Managing Diversity sind also relativ junge Konzepte, mit denen ähnliche Ziele verfolgt werden: Effizienz, Erfolg und Gerechtigkeit durch Gleichstellung“ (Baer 2006: 4). Als Ziele gelten nicht mehr nur gleiche (oder gleichwertige) Teilhabe, Anti-Diskriminierung und Wahlfreiheit, sondern auch Modernisierung sowie erhöhte Motivation und Leistung der Mitarbeitenden. Die Effizienz in der Umsetzung von Politik wird meist mit der Strategie Gender Budgeting verknüpft, da hiermit Gleichstellungswirkungen von Politiken berücksichtigt werden können (BEIGEWUM 2002: 20f.). Empirisch unterlegt werden Effizienz-Argumente mitunter auch durch Studien aus dem Kontext der Diversity Studies111, die belegen, dass Diskriminierung den Organisationen unnötige Kosten durch hohen Krankheitsstand, Qualitätsverluste oder durch Nachbesserungen aufgrund von Fehlplanungen verursachen kann. Allerdings ist kannt, dass sich viele Organisationen Diskriminierungen schlichtweg leisten; dies zeigt sich z.B. daran, dass die veranschlagten Mittel für Diversity-Maßnahmen oft sehr gering sind und deshalb z.T. lediglich als ‚Feigenblatt’ dienen. Unter Geschlechterforscher_innen wird der mit Gender Mainstreaming zunehmend verwandte Effizienz-Diskurs als eine „Ökonomisierung“ (Kahlert 2003: 50) von Gleichstellungspolitik kritisiert: „Die abstrakte Idee von (Geschlechter)Gerechtigkeit – eine normativ aufgeladene Leitidee – wird so monetarisiert und damit handhabbar für die mit fiskalpolitischen Instrumenten arbeitenden Reformbestrebungen“ (ebd.). Zugespitzt lautet ihre Kritik: „Gerecht ist, was haushälterisch gesehen Sinn macht“ (Kahlert 2003: 56). Damit, so Kahlert, bewege sich Gender Mainstreaming „mühelos auf dem neoliberalen Parkett“ (ebd. 57). Schunter-Kleemann sieht die Einführung von Gender Mainstreaming sogar verantwortlich für die Ökonomisierung der Gleichstellungsfrage: Bei Licht gesehen, suggeriert der Gender Mainstreaming-Ansatz, die jahrzehntelangen Bemühungen zur Geschlechtergleichstellung seien fehl gelaufen, weil frau nicht die richtigen Argumente gefunden habe. Heute versucht man mehr Akzeptanz für das Thema zu gewinnen dadurch, dass eine neue Markt- und Wettbewerbsrhetorik in die politische Debatte eingeführt wird (Schunter-Kleemann 2002: 136).
Statt um Effizienz müsse es deshalb wieder stärker um die Demokratisierung der Gesellschaftsverhältnisse gehen, so Kahlerts Forderung. Die Verbesserung des Wirkungsgrades von Gleichstellung zu erreichen, ist auch das Bestreben des Europäischen Parlaments, das die „Effizienz der Gleichstellungsmaßnahmen“112 einfordert. Ziel ist die effektive, nicht effiziente Beförderung von Gleichstel111 112
Grundlagen der Diversity Studies siehe Krell et al. (2007). Siehe „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. September 2007 zu der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union“.
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4 Die Bildung der Ambivalenz
lung, z.B. durch finanzielle Anreiz- oder Sanktionssysteme. Im Gegensatz zu einem optimalen Mitteleinsatz einer effizienzlogischen Argumentation (Output) geht es bei der Forderung nach mehr Effektivität um eine Verbesserung der Wirksamkeit von Gleichstellungspolitik (Outcome). Im Diskurs um Effizienz und um Ökonomisierung von Gleichstellungspolitik im Kontext gender-orientierter Weiterbildung und Beratung, gilt es zwei Diskursstränge zu unterscheiden, die sich gegenseitig bedingen: gesellschaftspolitische bzw. organisations- und marktanalytische Perspektiven einerseits und disziplinäre Kontroversen zwischen Sozial-/Geistes-/Kulturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften andererseits. Parallel zur Kommodifizierung (Vermarktlichung) des Handlungsfeldes ist in Wechselwirkung dazu eine Verschiebung der Geltungsansprüche von disziplinären Schwerpunkten zu beobachten: Betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Argumentationslogiken sowie organisationstheoretische Bezüge gewinnen im Kontext aktueller Gleichstellungspolitiken an Dominanz. Da der Wandel der Gesellschaft derzeit als Übergang von einer Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft zu einer Wissensgesellschaft beschrieben wird, geht es insbesondere in der Weiterbildung darum, die vielfältigen Lern- und Bildungsbedürfnisse von Menschen zu berücksichtigen.113 Denn die Wissensgesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bedeutung von Wissen steigt und Wissen eine größere Rolle bei der Differenzierung der Sozialstruktur spielt. Wissen wird damit auch zur „Ware“ (Buss/Wittke 2001), und die Gestaltung der alltäglichen Lebenswelten sowie die Produktion und Distribution von Wissen dynamisieren sich (vgl. Huber 1997). In bildungspolitischen und bildungstheoretischen Kritiken wird diesem Wandel eine „Selbstökonomisierung, die einer neoliberalen Logik individueller Entwicklung zugehört“ (Forneck 2006: 133) attestiert. Lernen werde damit zu einem zentralen ökonomischen Faktor, so Fornecks These. Korrespondierend zur Ökonomisierung des lernenden Subjekts entwickeln sich die Weiterbildungseinrichtungen zu wirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen, d.h. der Non-Profit-Bereich der Bildung wandelt sich zu einem kund_innenzentrierten Wirtschaftsunternehmen. Der Gegenstandsbereich des Ökonomischen weitet sich systematisch in das Feld des Pädagogischen aus. Dies zeigt sich beispielsweise an den in der Reformpädagogik beheimateten Überlegungen zu einer Selbststeuerung des Lernens. Diese träten zwar als Versuch der Modernisierung eines Subjektmodells auf, würden aber vor dem Hintergrund der sich wandelnden gesellschaftlichen Werte allerdings 113
Während Information bedeutet, einen Sinnzusammenhang aus Daten herzustellen (Daten sind symbolische Reproduktionen von Zahlen, Quantitäten, Variablen oder Fakten), ist Wissen eine „verstandene Information“. Wissen gehört zu einer Kompetenz, die die Ausführung einer Aufgabe ermöglicht (Wilkesmann 2004).
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch?
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ungewollt zum Ausdruck einer neoliberalen Gouvernementalitätsstrategie (vgl. Forneck 2006: 142). Die lernende Gesellschaft wird durch ein Set von Strategien und Techniken (z.B. nationale und europäische Memoranden) begleitet, die ein erwachsenenpädagogisches Regime etablieren und eine Veränderung des Freiheitsbegriffs zur Konsequenz haben. Freiheit wird als Wahlmöglichkeit konfiguriert und nicht mehr als ein Vermögen der einzelnen sich bildenden Person. Der ökonomische Freiheitsbegriff geht davon aus, dass die Lernenden dann frei sind und bleiben, wenn sie zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. In dieser Konsequenz schreitet die Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildung voran: „Wenn Bildung heute weltweit warenförmig wird, geht es (…) – auf materieller Ebene – um die Transformation einer elementaren Daseinsvorsorge in durch Kredite, Hypotheken, Zinszahlung, Verpfändung getriebene Eigentumsoperationen mit Wissen als Ware“ (Lohmann 1999, Hervorh. i. Orig.). Wie Ingrid Lohmann konstatiert, etabliert die Privatisierung von Bildung auf monetärer und finanzpolitischer Ebene eine „ungeheure Maschine zum Umschaufeln des Geldes von Unten nach Oben“: Auf ideeller Ebene gehe es um „das historische Ende der Konzeption von Bildung als Prozeß der Persönlichkeitsentwicklung“ (Lohmann 2002: 2, Hervorh. i. Orig.) und damit um eine Verdrängung und Ablösung eines Grundpfeilers der Ideologie der Moderne durch eine neoliberale Marktideologie. Infolgedessen werden Bildungspostulate wie Chancengleichheit, freier Zugang zu Bildung und Bildung als öffentliches Gut in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung aufgegeben bzw. sollen abgeschafft werden. Aber Waren werden, wie wir wissen, nicht als Gebrauchswerte für die Konsumption erzeugt, sondern einzig und allein für den geldvermittelten Austausch. Wofern bei Bildungsprozessen der Gebrauchswert für das Individuum im Vordergrund steht, haben wir es nicht mit ökonomischen Prozessen, nicht mit Bewirtschaftung zu tun. Kommodifizierung – Verwarenförmigung – jedoch impliziert, daß Bildung die gleiche ökonomische Form annimmt wie alle anderen Waren auch, sie wird in Privateigentum verwandeltes Arbeitsprodukt. Wo es nur noch Warenverkehr, keine Gebrauchswerterzeugung mehr gibt, ist der gesellschaftliche Zustand der einer allgemeinen Herrschaft des Privateigentums (Lohmann 2002: 3, Hervorh. i. Orig.).
Mit der Warenförmigkeit von Bildung geht im Bildungskontext auf normativer Ebene eine Transformation des Lernverständnisses einher, die als ein Paradigmenwechsel zur Messbarkeit und Operationalisierung gelesen werden kann.114 114
Zwei Lernverständnisse aus der Antike haben bis heute Relevanz: Sophisten und Vorsokratiker verstanden den Menschen als unwissend, im Sinne einer Art „Tabula rasa“, der durch „Nach-Denken“ (Treml 2000: 97) Wissensbestände von anderen lernt. Platon versteht hin-
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4 Die Bildung der Ambivalenz
Es konkurrieren nun output- und ergebnisorientierte Ansätze mit Haltungs- und Einstellungsfragen. Die Diskurse um die Ökonomisierung von Bildung kreuzen sich im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung mit der Kritik an der Ökonomisierung der Gleichstellungspolitik. Wurden in kritischen bildungspolitischen Diskussionen bisher vorrangig die Neoliberalisierung der Gesellschaft und die Verschiebungen von Staat und Markt problematisiert, konnte ich mit meiner empirischen Studie zeigen, dass im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung darüber hinaus vor allem das Verhältnis von Markt, Wissenschaft und sozialer Bewegung erneut verhandelt wird. Die Umsetzung von Gender Mainstreaming belebt das spannungsreiche Verhältnis von Frauenbewegung, institutionalisierter Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung wieder, das seit jeher durch die Kontroverse um Integration oder Separation als beste Veränderungsstrategie geprägt ist. Durch die zunehmende Institutionalisierung von feministischer Theorie zu Gender Studies und eine abnehmende Reichweite der Frauenbewegung verschiebt sich die Aufmerksamkeit im Kontext von Gender Mainstreaming weg von den sozialen Bewegungen hin zur institutionellen Praxis. Die anfangs als zu technizistisch kritisierte Umsetzung von Gender Mainstreaming muss also deutlicher als bisher geschehen ihre übergeordneten politischen und ihre fachlichen Ziele klären, um gleichstellungsorientierte Verfahrensfragen (Verwaltungsroutinen) verändern zu können. Weder Erziehungswissenschaft noch Geschlechterforschung können sich gegenüber einer Auseinandersetzung mit diesen praktischen und politischen Entwicklungen verschließen, wollen sie nicht ihre Funktion als kritische Wissenschaft aufgeben. Die Eröffnung neuer Einspruchs- und Steuerungsmöglichkeiten in Gelegenheitsfenstern sind ebenso zu erwägen wie die Artikulation einer deutlichen Kritik an einseitigen hegemonialen Vereinnahmungsdiskursen der Quantifizierbarkeit. Dies bedeutet, wissenschaftliche Forschung in tatsächlicher Verzahnung mit beruflicher Praxis zu konzipieren und eine aktivere Rolle in politischen Diskussionen einzunehmen. Windows of opportunities als politisch-strategische Zeitfenster und windows of political will als günstige Akteurskonstellationen sind zu suchen und zu nutzen. Sich für die Wirkmächtigkeit (Outcome) von Gleichstellungsmaßnahmen einzusetzen ist nicht mit dem Paradigma der Leistungsorientierung zu verwechseln. Der Anforderung an Weiterbildung, messbar und deshalb erfolgreich zu sein, ist offensiv-kritisch, nicht jedoch kategorisch ablehnend zu begegnen. Die Verschiebung auf das Ergebnis (Output) statt auf den Prozess stellt zwar weniger das Subjekt mit seinen Entwicklungsfähigkeiten in den Mittelpunkt, sondern fokussiert seine Leistung gegen, laut Treml, unter Lernen „Wiedererinnerung“ (ebd.); der Mensch lernt also durch „Nach-Denken“ (ebd.) eigener, aber vergessener Erkenntnisse.
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch?
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bzw. seinen Nutzen für die Organisationsziele; allerdings führt eine kategorische Ablehnung der Auseinandersetzung zu einer Diskursmacht genau jener Positionen, die abgelehnt werden. Es geht deshalb in Zukunft darum, fortlaufend zu klären, was professionelles Handeln angesichts der oben skizzierten Verschiebungen und Kontroversen innerhalb des gleichstellungspolitischen Kontextes bedeutet. Professionelles und politisches Handeln sind keine einander ausschließenden Varianten, sondern sie spiegeln meiner Ansicht nach die unhintergehbare und nicht auflösbare Ambivalenz gender-orientierter Weiterbildungsarbeit, die die Pädagogik in Bezug auf politische Bildungsarbeit schon seit Längerem unter der Frage diskutiert: „Was ist politisch, was ist Bildung“ (Hufer 2005: 302)? Mit der Frage nach Professionalität ist die Expertise der Trainer_innen und Beratenden angesprochen, die sich je nach Professions- und Politikverständnis als gleichstellungspolitische Akteur_innen oder als neutrale Berater_innen verstehen. Professionalisierungsversuche, die die Gleichzeitigkeit von politischer Positionierung und professionellem Handeln in gender-orientierter Weiterbildung und Beratung zu unterlaufen versuchen, indem eine Neutralität der Berater_in-Rolle propagiert wird, überzeugen wenig. Aus Sorge, unter Ideologieverdacht zu geraten, vorzugeben im Training keine politische Position einzunehmen, muss im Vollzug scheitern, weil dies der Illusion unterliegt, sich als Gender-Trainer_in im unpolitischen Raum bewegen zu können. Trainer_innen sind jedoch z.B. ‚gendered’ und ‚rassifiziert’, und sie agieren nicht nur mit politischen Überzeugungen, sondern auch mit eigenen Leerstellen oder Tabus. Damit reproduzieren auch Trainer_innen und Berater_innen Diskriminierungen, da sie sich in Privilegstrukturen bewegen. Lucy Chebout Nowottnick wirft aufgrund dieser Tatsache, die These auf, dass es im Kontext von Gender-Trainings nicht nur um die oft zitierten Widerstände bei den Teilnehmenden oder Auftragnehmenden geht, sondern auch um die „resitances of trainer“ (Nowottnick Chebout 2009).115 Dies anerkennend, erfordert es einen weitreichenderen Umgang mit dem eigenen Standpunkt innerhalb von Privilegstrukturen. Denn Trainer_innen erfahren Zuschreibungen, werden mit Erwartungen konfrontiert und inszenieren sich selbst innerhalb eines Machtverhältnisses. Das Wissen um die eigene Involviertheit in Privileg- und Diskriminierungsstrukturen nicht transparent zu machen, ist eine Wahl, die, wie meine empirischen Analysen gezeigt haben, zu einer hierarchischen Teilnehmendenkonstruktion führt, was wiederum ein hierarchisches Lehr-Lern-Arrangement zur Folge hat. 115
Zu einer mikropolitischen Analyse von Äußerungsformen und Gründen von Widerständen im Rahmen von Gleichstellungspolitiken siehe u.a. Erfurt (2008), Martini (2006) und Burbach (2004).
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4 Die Bildung der Ambivalenz
Denn dass Trainer_innen Geschlechtlichkeit diskursiv repräsentieren, materialisiert verkörpern oder (un)gewollt auch beispielhaft veranschaulichen, lässt sich nicht leugnen. Trainer_innen sind in den Macht-Diskurs involviert, den sie vermitteln. Die Wahl, eine eigene Positionierung darin abzulehnen, mag darin begründet sein, dass ein Glaubwürdigkeitsverlust befürchtet wird. Allerdings, schützt weder die vermeintliche Sachlichkeit aber auch nicht die eigene feministische oder anti-rassistische Überzeugung vor impliziten Wertungen oder Normierungen. Es ist davon auszugehen, dass eigene Bezüge, Haltungen, Gefühle und Gedanken zu Macht- und Geschlechterverhältnissen unvermeidbar früher oder später Eingang in die Trainingskonzeption finden – und dies gilt es nicht zu ignorieren, sondern damit umzugehen. Die Frage sollte also weniger sein, wie politisch ein_e Trainer_in sein darf, sondern wie viel Privatheit, Persönliches und wie viel Selbstreflexion Raum gegeben wird. Es bleibt Sache des eigenen Professionalisierungsverständnisses abzuwägen, wie sehr sich Trainer_innen mit einer persönlichen Offenheit für Kritik, Widerstand oder auch Diskreditierung angreifbar machen. Aber die selbstreflexive Frage dazu ist, wer kann es erlauben und wer hat die Macht dies zu entscheiden und wer ist aufgrund von Diskriminierungserfahrungen nicht dazu in der Lage?116 Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Selbstschutzes und des Vertrauens in die Gruppe trifft hier Teilnehmende und Trainer_innen in gleichem Maße. Andererseits kann jedoch der Umgang mit Offenheit die Grenze der Glaubwürdigkeit als Expert_in überschreiten, wenn die Teilnehmenden beim Trainingsteam z.B. Verhaltensweisen feststellen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen und deshalb den Trainer_innen nachteilig ausgelegt werden. Ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, wie in den Interviewauswertungen deutlich wurde, einige Trainer_innen in Gender-Trainings artikuliert. Während Männer z.B. von den Teilnehmenden in ihrer Glaubwürdigkeit getestet wurden, ob sie das Gleichstellungsthema tatsächlich ernst nehmen, mussten Trainerinnen glaubwürdig legitimieren, dass sie als Frau genauso gut qualifiziert sind wie ihre männlichen Kollegen und dass sie nicht einem bestimmten ‚Klischee-Feminismus’ entsprechen. Die Zuschreibungen und Erwartungen der Teilnehmenden an das Leitungsteam eines Trainings sind als Teil einer Gruppendynamik in einem Training zu berücksichtigen – und hierfür be-
116
Siehe die kritische Weiterentwicklung der Debatte um Widerstände im Kontext von Gender Mainstreaming von Nowottnick Chebout. Indem sie individual-psychologische und subjektkritische Implikationen des Diskurses um Widerstände analysiert, zeigt sie deren „subjektschützende“ oder „subjektgefährdende“ Wirkung auf (Nowottnick Chebout 2010).
4.1 Gerechtigkeit und Effizienz – ein Widerspruch?
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darf es umfassender machtkritischer Kompetenzen, um keine Diskriminierung zu reproduzieren.117 Weder Betroffenheit noch Expertise können ein Qualitätsgarant für Gender-Trainings sein. Betroffenheit deshalb nicht, weil es nicht per se qualifiziert, weiß, Schwarz, lesbisch oder weiblich zu sein, um ein nicht-essentialistisches Gender-Verständnis zu vermitteln. Die Strategie, die gerade im Kontext von Diversity-Trainings praktiziert wird, die darin besteht, bewusst Menschen aus marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen als Leiter_in für Diversity-Trainings einzusetzen, ist problematisch, weil dies zu einem „Stigma Management“ (Goffman 1967) werden kann. Die Frage der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit von Diskriminierungsgründen zu einem offensichtlichen Grund für eine Trainingsposition zu machen, hierarchisiert Benachteiligungsformen und beinhaltet die Gefahr eines positiven Rassismus. Der Versuch, Expertise zum Qualitätsgaranten eines Trainings zu machen, hat wiederum den Nachteil, dass privilegierte Zugänge nicht gesehen werden, die anderen den Zugang verwehren. Die Vernachlässigung von Privilegien oder Benachteiligung auf einem Weiterbildungsmarkt führt dazu, dass sich immer wieder die gleichen Trainer_innen auf dem Markt qualifizieren und profilieren. Denn Qualität ist nicht neutral, sondern reproduziert personelle Ausschlüsse, deren Barrieren vielschichtig sein können: akademische Ausbildungen und Status, Wettbewerb, marginalisierte Erfahrungshintergründe (Migration, Krankheit, Lebensweise) oder Wissensformen (feministisches, queeres Wissen), exklusive Netzwerke, rassistische, altersdiskriminierende oder sprachlich bedingte Ausgrenzungen. Die Frage nach der Transparenz ist damit die eine, und die nach dem Zugang die andere zentrale Linie in einer Debatte um Qualitätsstandards. Weiterführend ist der Ansatz zu schauen, welche Trainer_innen kompetent für welches Training sind. Es ist zu klären, wie mit Wissen und Vernetzung umgegangen wird, was als anerkanntes Wissen gilt und wer in wessen Namen sprechen darf. Dies hängt damit zusammen, wo die Gründe von Diskriminierung gesehen werden: bei den Individuen, in der Organisation oder in der Gesellschaft? Auf welcher Ebene liegen Wirkungen (Outcome): persönliche, organisationale oder normative? Die Wirkungen von Trainings sind mehrdimensional: Sie zielen auf die Kompetenz der Verantwortlichen, auf Teambuilding bzw. Gruppenprozesse und auf Organisationsveränderungsprozesse.
117
Wie auch im Diversity-Diskurs unter dem Label von Inklusion Ausschlüsse wiederholt werden, zeigt die Reflexion von Diskussionen auf einer Internationalen Konferenz in Istanbul (Nowottnick Chebout/Smykalla 2010).
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4 Die Bildung der Ambivalenz
4.2 Gender-Regulierungen: Akteursbezogene Dilemmata der Differenz 4.2 Gender-Regulierungen Der Begriff gender firmiert in kritischen geschlechtertheoretischen Diskussionen oftmals als Symptom für eine umstrittene Institutionalisierung von feministischer Theorie und Praxis. Artikuliert wird von Kritiker_innen die Verwässerung von Gleichstellungspolitik durch den Einbezug von Männern als gleichstellungspolitisch handelnde Subjekte. Geschlechtertheoretisch problematisiert wird damit die Entpolitisierung von Geschlechterforschung durch Gender-Diskurse. Wie oben erläutert, ist gender zu einer Möglichkeit geworden, über Feminismus zu sprechen – oder eben nicht (vgl. Kap. 2.2). Eine hinter der Kontroverse um die Festschreibung und Transformationen von Geschlechterverhältnissen durch gender (und Gender Mainstreaming) liegende Kernfrage ist meines Erachtens die Frage nach der Differenz. Bevor ich dies weiter ausführe, sei zunächst die Kontroverse etwas genauer betrachtet. Wie verändert sich das Wissen der Gender Studies durch die Entgrenzung von gender? Verstärken sich die Fronten zwischen wissenschaftlicher und gleichstellungspolitischer Praxis? Die Anerkennung der Vielfalt, ohne beliebig zu werden, sowie das Anerkennen und Adressieren der Komplexität von Diskriminierung fordert Gleichstellungspolitiker_innen wie Geschlechterforscher_innen. Derzeit fehlt es noch an Modellen für eine differenzierte Problemsicht, die verhindert, dass die Privilegierung der Privilegierten unsichtbar bleibt. Sowohl politisch angeregt durch die Erweiterung des Antidiskriminierungsschutzes durch die Adressierung von Mehrfachdiskriminierung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch wissenschaftlich belebt durch Diskussionen um Intersektionalität bzw. Interdependenzen, stehen Neuordnungen geschlechterpolitischer Strategien an. Gender-Politiken werden zunehmend erklärungsbedürftig, weil sie international mit equality und diversity politics sowie Diversity Management konkurrieren. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde in der Kontroverse um Butlers dekonstruktiven Feminismus, in der Sheila Benhabib den Vorwurf der Entpolitisierung des Feminismus äußerte, klar, dass der Begriff des Politischen neu zu bestimmen ist. Vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Infragestellungen eindeutiger Kategorisierungen und Hegemonien steht feministische Politik heute weiterhin vor der Herausforderung, sich einerseits auf die Kategorie ‚Frau‘ beziehen zu müssen, während gleichzeitig das Ziel verfolgt wird, eben diese Kategorisierung in ihrer Eindeutigkeit zu hinterfragen. Butler verweist mit ihren Ausführungen deutlich auf die Schwierigkeit, die Logik und Praxis von Repräsentationspolitik abzustreifen, und trotzdem bzw. gerade deshalb sehen Vertreter_innen dekonstruktivistischer Ansätze gerade in der Auflösung fester politischer Identitäten und Repräsentationen die größten Herausforderungen und Chancen für neue politische Strategien (vgl. Wartenpfuhl 1999: 70). Dies bedeutet
4.2 Gender-Regulierungen
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auch die Anerkennung der Tatsache, dass Gleichstellungspolitik immer ein konflikthaftes Unterfangen ist, weil es um Machtverteilung geht und weil sich auch gleichstellstellungspolitisches Handeln im Spannungsverhältnis von SichEntwerfen und Entworfen-Werden vollzieht. Diese Doppelung diskursiver Regime impliziert einen integralen Zusammenhang von Struktur und Handeln. Dies bedeutet, dass sich Vergesellschaftung durch überlappende Diskurse und weniger durch eine Vervielfältigung von Diskursen konstituiert, wie dies im Rückbezug auf Becks Individualisierungsthese behauptet wird. Wie wird nun gender im Kontext von Weiterbildung und Beratung zur Umsetzung von Gender Mainstreaming reguliert? Welche Redeweisen über Geschlechterverhältnisse erzeugen welche politischen Relevanzsetzungen? Auf welche theoretischen Erkenntnisse und Prämissen der Geschlechterforschung greifen die Expert_innen in den akteursbezogenen Diskursivierungen zurück? Bei der Diskursivierung von gender im Kontext von Gender Mainstreaming zeigt sich ein bestimmtes Begründungsschema der Geschlechterdifferenz, das ich in Anlehnung an Butler als Gender-Regulierungen bezeichne. Wie in meiner empirischen Studie festgestellten werden konnte, begründen die Expert_innen ihre Lesart von gender jeweils durch eine Abgrenzung von einem anderen Verständnis von gender. Da dies, wie ich beobachten konnte, eine gewisse Systematik aufweist, habe ich die Gender-Konstruktionen anhand des darunter liegenden Differenz-Verständnisses verknüpft. In der folgenden Grafik wird abgebildet, welche Gender-Konstruktionen auf welchem Differenz-Begriff basieren.
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4 Die Bildung der Ambivalenz
Infragestellung vielfältiger Hierarchien Multipel-transitiv
Wissenschaftlicher Diskurs der GenderExpert_innen
Vielfalt der Hierarchien in der Differenz Multipel-additiv
Ausgangspunkt
DifferenzDilemma
Hierarchische Differenz Dual-separativ, hierarchisch Ergebnis Gleichwertigkeit der Differenz Dual-separativ, nicht-hierarchisch
Alltagsweltlicher Diskurs der Teilnehmenden
Keine konstruierte Differenz Geschlechterstereotyp, biologisch fundiert Indifferenz ‚Geschlechtsneutral‘
Abbildung 3:
Gender-Regulierungen innerhalb von Neutralisierung, Polarisierung und Pluralisierung
Die Pyramiden-Grafik zeigt Begründungsmuster von gender in Bezug auf das zugrunde liegende Differenz-Verständnis. Die Lesarten von gender sind begrifflich angelehnt an die theoriegeleitet entwickelten gender-Konzepte von Frey (2003) und werden mit einer Perspektive auf das, von den Trainer_innen artikulierte, Differenz-Verständnis weiterentwickelt. Frey hat auf der Basis einer Systematisierung von drei Wellen feministischer Theorien (Gleichheitsfeminismus, Differenzfeminismus, Feminismus der Anderen bzw. dekonstruktivistische Feminismen) verschiedene Umgangsweisen mit Gender-Konzepten herausgearbeitet (vgl. Frey 2003: 28ff.). Sie hat die drei Hauptstränge mit sechs Untersträngen von feministischer Theorie nachgezeichnet und daraus eine Typisierung verschiedener Gender-Konzepte abgeleitet. Drei der von Frey entwickelten Dimensionen liegen der hier vorgestellten Grafik zugrunde:118
118
Frey unterscheidet explizite Gender-Theorien, die sich meist durch einen problematisierenden Gestus auszeichnen und implizite Gender-Theorien; dazu gehören diejenigen Vertreterinnen, die Geschlechterverhältnisse thematisierten, bevor es gender als Begriff gab (de Beauvoir u.a.) (vgl. Frey 2003: 27).
4.2 Gender-Regulierungen
261
Statisches oder dynamisches Gender-Konzept (Grad der Variabilität): Wie flexibel wird gender gedacht – als feststehende Gesellschaftsstruktur oder als Prozess?) Inwiefern ist gender wandelbar? Auf welchen Ebenen vollzieht sich ein Wandel? Geschlossenes oder offenes Gender-Konzept (Grad der Thematisierung von anderen Ausgrenzungskategorien): Werden Verknüpfungen mit anderen gesellschaftlichen Strukturkategorien und Differenzierungsachsen vollzogen? Wie wird gender dazu in Bezug gesetzt? Dual-multiples bzw. separativ-transitives Gender-Konzept (Grad der Loslösung von der Vorstellung einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit): Geht es um die Reproduktion oder Überwindung von gender als Ordnungsstruktur? Wie wird gender im Verhältnis zu sex gesehen? Findet eine Entweder-oder-Gegenüberstellung von Frau-Mann statt, oder werden Geschlechtergrenzen durchlässig?
Die Thematisierung der Gender-Konzepte zeigt deutlich eine von den Trainer_innen konstruierte Diskrepanz von alltagsweltlichen Vorstellungen der Teilnehmenden und denen der Gender-Expert_innen. Die Differenz-Verständnisse, die Geschlechterdifferenzen gleichwertig oder hierarchisch denken, bilden eine Überschneidung zwischen dem Wissen der Gender-Expert_innen und dem der Teilnehmenden. Haben wir es also mit gegenläufigen Tendenzen zu tun: auf der einen Seite mit einer Reontologisierung von gender durch evolutionsbiologische Fundierungen des Geschlechterverhältnisses im populär- und alltagswissenschaftlichen Diskurs und auf der anderen Seite mit einem dekonstruktiven Diskurs um Geschlecht als interdependente Wissenskategorie? Meine empirischen Ergebnisse betonen die Bedeutung der Akteurskonstellationen bei der Beantwortung dieser Frage. Als markantes Charakteristikum der Inszenierung der Expert_innen wurde in den akteursbezogenen Diskursivierungen eine egalitäre oder komplementäre Teilnehmendenkonstruktion extrapoliert. Bei letzterer wurde von den Expert_innen eine große Diskrepanz zur Teilnehmendenschaft bezüglich des Niveaus des Gender-Wissens artikuliert. Die Expert_innen profilieren ihre Expertise über eine scharfe Abgrenzung ihres konstruktivistischen Experten_innen-Wissens von einem biologisch-fundierten Alltagswissen. In der Konzeption der Trainings, insbesondere bei der Operationalisierung von Gender-Theorien, wird ein praxisorientierter, theorieferner Ansatz mit der mangelnden Befähigung der Zielgruppe, die angeblich zu ungebildet oder zu widerständig sei, legitimiert. Die Gegensatzkonstruktion beinhaltet damit eine Übereinstimmung mit den Positionen der Teilnehmenden. Dadurch, dass die konstruierten Erwartungen der Adressat_innen zum Maßstab gemacht werden, vernachlässigen die Expert_innen die Artikulation ihrer eigen-
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4 Die Bildung der Ambivalenz
en Position. Es werden also Annahmen in die Teilnehmenden projiziert, mit denen sich die Expert_innen dann zweckgebunden identifizieren und diese übernehmen. Sowohl die Betonung der Geschlechterdifferenz, als auch das Sichtbarmachen der Komplexität sowie das Infragestellen von gender beinhalten die Möglichkeit einer Reproduktion eines dualistischen Gender-Konzepts und manifestieren ein unhintergehbares Differenz-Dilemma, das in der gleichzeitigen Festschreibung und Überwindung von Differenzen begründet liegt. Wie in der Grafik angedeutet, tritt das Differenz-Dilemma in den Diskursen der Trainer_innen unterschiedlich in Erscheinung: Wer Differenzen als hierarchische oder als gleichwertige sichtbar machen will, problematisiert das DifferenzDilemma als Ergebnis des Handelns, wer hingegen von einem multiplen Gender-Konzept ausgeht oder ein duales zumindest infrage zu stellen beabsichtigt, nimmt das Differenz-Dilemma bereits zum Ausgangspunkt des Handelns. Damit kristallisieren sich zwei Varianten der Gender-Regulierung heraus: Während die einen das Differenz-Dilemma der Festschreibung und Überwindung der Geschlechterdifferenz als unausweichlich ansehen, versuchen die anderen vereindeutigende Geschlechterkategorisierungen durchgängig zu problematisieren und Kategorisierungen zu vermeiden. Diejenigen, die das Differenz-Dilemma als Ergebnis annehmen, stützen sich auf hierarchisch-vertikale Gender-Konstruktionen. Sie lassen sich vor dem Hintergrund einer Einteilung von Leslie Mc Call (2003) mit einem intra-kategorialen oder einem inter-kategorialen Erklärungsansatz umfassen. Der intra-kategoriale Ansatz beschreibt die Vielfalt innerhalb einer Gruppe von Menschen, der inter-kategoriale Ansatz hingegen fokussiert die Differenzen zwischen Gruppen. Während intra-kategoriale Ansätze jedoch den Herstellungsmodus von Kategorisierungen außer Acht lassen, weil sie nach Differenzen innerhalb der Kategorie suchen, wird bei den inter-kategorialen Ansätzen durch den Rückgriff auf eine Vielfalt außerhalb von Gruppen gender als Kategorie in einer dualen und geschlossenen Lesart reproduziert. Diejenigen, die in der Pyramidengrafik das Differenz-Dilemma zum Ausgangspunkt des Handelns nehmen, beabsichtigen nicht nur, das Wie der Kategorisierungen sondern ihr Vorhandensein generell zu problematisieren. Gender-Regulierungen bedingen sich also auf verschiedenen Ebenen. Deutlich wird damit der Zusammenhang von Form und Inhalt professionellen Wissens innerhalb des Spannungsfeldes von Aneignung und Distanzierung bzw. von offensiv-aktiven und indifferent-reaktiven Strategien. Damit verbinden sich Handlungsoptionen, z.B. der Integration und Vernetzung, der Separation und Abgrenzung oder der Subversion, also der paradoxen Aneignung. In diesen Formen werden entweder Optimierungs- oder Bewahrungsbestrebungen ermöglicht, die die Richtung der Veränderung angeben.
4.3 Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive
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4.3 Professionelles Nicht-Wissen-Können: Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive 4.3 Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive Ist Gender-Trainer_in eine neue Profession und Gender Mainstreaming ein neues Professionalisierungsfeld? Führt Gender-Kompetenz zu mehr Professionalität? Die Professionalisierungsdebatte ist ein weites pädagogisches Diskursfeld. Im Folgenden werden einige ausgewählte Perspektiven aus dieser Debatte aufgegriffen, um sie für die Diskussion um die Reichweite und Bedeutung von Gender-Kompetenz produktiv zu machen. Ich gehe dabei davon aus, dass Fachund Gender-Kompetenz sich bedingende Ziele der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung sind. Gender-Trainings stehen deshalb vor der Herausforderung, wie sie sowohl eine fachliche Gender-Kompetenz, als auch eine gender-orientierte Fachkompetenz ermöglichen können. Aufgrund der Infragestellung des autonomen, selbsttätigen Erkenntnissubjekts ist hierbei die Bedingung der Möglichkeit von Wissensproduktionen stärker zu berücksichtigen. Anknüpfend an die von Peter Faulstich für den erziehungswissenschaftlichen Kontext beschriebenen Übergänge einer Professionalisierung zu einer Profession, lassen sich professionalisierte Tätigkeiten auf Kompetenz und auf dem Selbstverständnis der als Expert_innen Handelnden begründen. Daraus entwickelt sich ein auf die Tätigkeit bezogenes „professionelles Ethos“, ein „ambitioniertes Selbstverständnis“ und eine „besonders pointierte, moralisch akzentuierte Dienstgesinnung“ (Faulstich 1999: 195). Nach Faulstich habe diese Haltung eine „merkwürdige Paradoxie“ (Faulstich 1999: 196) zur Konsequenz, die aus der Suche nach orientierenden Wertsystemen einerseits und der Verwertbarkeit von Lernvermittlung andererseits entsteht. Die „eingefahrene Kontroverse um Identität und Qualifikation“ (ebd.) resultiere aus dieser Widersprüchlichkeit. Meine These ist, dass in der Diskussion sowohl um die Entgrenzung von (Weiter-)Bildung als auch um die Entgrenzung von gender eine verkürzte Polarität von Chance und Bedrohung hervorgerufen wird. Diese Polarisierung kann durch eine differenzierte Sicht auf Kompetenz als Ambivalenzperspektive produktiv gewendet werden. Dabei soll ein kritischer pädagogischer Diskurs zur Bedeutung von „Orten des Nicht-Wissens“ (Wimmer 1996: 239) aufgegriffen werden, den ich im Folgenden zunächst erläutere. Mit Michael Wimmer ist von sich wandelnden Qualifikationsanforderungen an die Pädagogik durch eine zunehmende Komplexität der Gesellschaft auszugehen, die zu einer Schwerpunktverlagerung von „Sach-, Fach-, und instrumentellem Handlungswissen hin zu abstrakten Schlüsselqualifikationen, zur ,Erschließungskompetenz’ und hin zu allgemeinen Interaktionskompetenzen“ führen (Wimmer 1996: 222). Nicht nur der kritische Selbstverständigungsdiskurs der Pädagogik, sondern auch die Frage nach dem Gehalt professionellen
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Wissens erhält mit diesen Fragen eine neue Facette. Das Verhältnis zum Wissen selbst wird problematisiert, denn sonst, so die These von Wimmer, bliebe nur die „Illusion eines unmittelbar handlungsleitenden Fachwissens“ oder die „Rückkehr zum so genannten gesunden Menschenverstand des Alltags“ (Wimmer 1996: 241). Welche Bedeutung Wissen für professionelles Handeln haben kann, bliebe ungedacht, wenn es nur die technische Funktion der Handlungssteuerung übernähme: „Solange also das Verhältnis zwischen Wissen, Deuten und Handeln in Termini der Anwendung, Umwandlung und Übersetzung gedacht wird, wird ein kontinuierlicher Übergang von Wissen zum Handeln unterstellt oder suggeriert und die Kluft, die durch das irreduzible Nicht-Wissen besteht, [wird] verkannt“ (Wimmer 1996: 242). Der Wunsch nach Handlungswissen gleiche dem nach einer Dienstanweisung, die man ohne nachzudenken und ohne Verantwortung zu übernehmen nur auszuführen braucht. So erhält sich nach Wimmer ein instrumentelles Handlungsverständnis. Demgegenüber sei, wie er in seinen Überlegungen zu den Begründungsformen des Pädagogischen ausführt, jedoch das „Nicht-Wissen“ (Wimmer 1996: 239) das Zentrum des Pädagogischen. Entsprechend stelle die Fähigkeit, die Kluft zwischen Nicht-Wissen und pädagogischem Wissen handelnd zu überwinden, den Kern pädagogischer Professionalität dar. Beides, so Wimmer weiter, mache die Besonderheit des Pädagogischen aus. Die Versuchung bestehe darin, Eindeutigkeit, Klarheiten und Sicherheiten herzustellen, wohingegen deren Fehlen gerade die Spezifika pädagogischen Handelns ausmachen. Aus diesem Grund ist das NichtWissen nicht als ein aufzugebender Mangel, sondern als ein „Nicht-WissenKönnen“ (ebd.) zu begreifen: „Die Vorstellung, es hätte einmal eine Einheit der Pädagogik vermittelt über eine Idee gegeben, ist damit als retroaktive Fiktion erkennbar, die die Differenz als Verlust interpretiert, wohingegen das angeblich Verlorene durch diese Differenz erst konstituiert wird“ (ebd. 226). Was können nun diese kritischen Reflexionen für das gleichstellungspolitische Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung und das Verständnis von Gender-Kompetenz bedeuten? Ein kritischer Einwand von Wetterer bezieht sich darauf, dass Gender Mainstreaming nur eine Professionalisierung der so genannten Gender-Expert_innen darstelle (Wetterer 2002). Für den Bereich der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung ist diese Aussage jedoch dahingehend zu korrigieren, dass Gender Mainstreaming auch ein Professionalisierungsfeld ist, in dem sich bisherige geschlechterbezogene, pädagogische und politische Bildungsarbeit als Fortsetzung oder als Weiterentwicklung etablieren kann. Dabei vollziehen sich auch Perspektivwechsel, denn geschlechterbezogene Erwachsenenbildungsarbeit trifft auf Personalentwicklungsmaßnahmen. Von einem Paradigmenwechsel ist hier dennoch nicht auszugehen, denn die Bezeichnung ‚Gender-Training’ ist neu, aber sie
4.3 Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive
265
sind keine neue Erfindung des Gender Mainstreaming. Wie gezeigt wurde, sind die Trainings nicht geschichtslos – in Deutschland sind Vorläufer und Wegbereiter die Angebote der geschlechterbezogenen Bildungsarbeit und der politischen Erwachsenenbildung sowie im internationalen Kontext die Entwicklungszusammenarbeit. Wie in den Interviews mit den Trainer_innen deutlich wurde, beschreiben Gender-Trainings einen politischen und einen persönlichen Aushandlungsraum und sind zugleich Interventionen in ein Machtfeld. Die Professionalisierung von gender-orientierter Weiterbildung und Beratung kann damit auch als ein Effekt des Institutionalisierungsprozesses der Geschlechterforschung an den Universitäten gelesen werden. Denn hier wie da stellt sich die Frage nach der Bedeutung und dem Gehalt von Gender-Kompetenz. Im Kern geht es dabei darum, ob Gender-Kompetenz selbst eine Fachkompetenz darstellt oder als eine Querschnittskompetenz im Sinne einer überfachlichen Schlüsselqualifikation gelten solle. Wird sowohl ein professionelles „Nicht-Wissen-Können“ (Wimmer 1996: 239) als Herausforderung für Bildungs- und Lernprozesse, als auch die transdisziplinäre Gestalt von Gender-Kompetenz anerkannt, heißt dies erstens, professionelles Wissen weder als professionslogisch verengt, noch als beliebig entgrenzt zu verstehen. Die Unentscheidbarkeit und das Wissen um den Mangel der Erkenntnisfähigkeit sind zweitens als produktive Ressourcen für die Entwicklung einer Gender-Kompetenz als Ambivalenzperspektive zu aktivieren und bei der Konzeption von Gender-Trainings zu nutzen. Eine so verstandene transdisziplinäre Gender-Kompetenz verortet sich im Spannungsverhältnis von verschiedenen Disziplinen innerhalb der Wissenschaft und gleichzeitig zwischen wissenschaftlicher Theorie und beruflicher/politischer Praxis. Das Besondere an der Entwicklung einer transdisziplinären Gender-Kompetenz ist zudem, dass sich in einer transdisziplinären Verknüpfung von Fachkompetenzen und deren Übersetzung bzw. Anerkennung in beruflichen Kontexten gender in paradoxaler Weise einschreibt: Gender ist im Kontext gender-orientierter Weiterbildung und Beratung gleichzeitig Erkenntnisinstrument – gender als Analysekategorie – und Erkenntnisgegenstand – gender als eine strukturelle Ungleichheit (re)produzierende Kategorie. Gender-Kompetenz als Ambivalenzperspektive hat sich also mehreren Aufgaben gleichzeitig zu stellen. Sie beabsichtigt, Wissen interdependente Kategorisierungen zu entwickeln, gender als Analyseperspektive anzuwenden und die Wechselwirkungen von gender als paradoxes Verhältnis von Theorie und beruflicher Praxis zu reflektieren. Diese hohen Anforderungen sind weiter zu operationalisieren. Dafür ist sich zunächst zu vergegenwärtigen, wo Ambivalenzen im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung auftreten und dass diese unhintergehbar sind. Bei den Akteurskonstellationen wurde deutlich,
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4 Die Bildung der Ambivalenz
dass die Expert_innen immer zugleich Anbietende und Auftragnehmende von Weiterbildung und Beratung sind: Als Anbieter_innen haben sie eine Multiplikationsfunktion und verfügen über eine Definitions- und Gestaltungsmacht, professionelles politisches Wissens zu transportieren. Als Auftragnehmer_innen ist ihr Gestaltungsspielraum allerdings abhängig von der Nachfrage und ihrer Marktposition, die ihre Existenzsicherung durch die Verkaufbarkeit ihrer Angebote bedingt. In Bezug auf ihren Status als Expert_in befinden sie sich des Weiteren zwischen Professionalisierung und Politisierung und sind sowohl als Professionelle, als auch als politisch denkende Menschen gefragt. Als Expert_innen verfügen sie über disziplinäre und berufliche Ansprüche, die in Professionalisierungsmodi unterschiedliche berufsbiografische Verläufe beschreiben. Gleichzeitig befinden sie sich mit ihrer Arbeit im Handlungsfeld der Gleichstellungspolitik, das seine Wurzeln in der Frauenbewegung hat und damit durch einen gewachsenen Diskurs an politischen Positionen charakterisiert ist. Drittens befinden sie sich, in Bezug auf ihre Arbeit als Gender-Trainer_in oder Berater_in, zwischen der Rolle als geschlechtlich sozialisierte (Privat-)Person und ihrer Funktion als Trainer_in bzw. Berater_in. Zudem sind sie mit ihrer beratenden Arbeit immer Teil eines Raumes geschlechtlich codierter Zuschreibungen und Zuweisungen. Diese Ambivalenz spiegelt sich bzw. wiederholt sich in der Interviewsituation, in der sie ihre Position als Expert_innen mittels eines bestimmten Expert_innen-Wissens hervorbringen. Meine These ist, dass Ambivalenzkompetenz statt Differenzierungskompetenz gefragt ist: Nicht lediglich Unterschiede zu sehen und in ihrer Wertigkeit und strukturellen Wirkung einschätzen zu können, sondern sie als Prozess der Unabgeschlossenheit zu behandeln, ist die entscheidende Fähigkeit. Da im Alltagswissen Ambivalenz allerdings als Zwiespältigkeit verstanden wird, ist diese eher negativ konnotiert und verweist auf eine als ausweglos wahrgenommene Situation, die mit dem Gefühl einer Bedrängnis und eines Hin- und Hergerissenseins assoziiert wird. Wird jedoch die Ambivalenz als Gleichzeitigkeit gedacht, kann sie zum produktiven Ausgangspunkt von professionellem Handeln werden. Gender-Kompetenz braucht die Verknüpfung von Fachkompetenz und Ambivalenzkompetenz. Um ein umfassendes gleichstellungspolitisches Handeln zu ermöglichen, ist eine fachliche Gender-Kompetenz wichtig und eine Fähigkeit, Ambivalenzen zu erkennen, auszuhalten und produktiv zu machen. Die ‚NichtWissbarkeit’ und die Unentscheidbarkeit werden zum Ausgangspunkt. In der Wiederholung, der Iterabilität, entstehen Möglichkeiten der Veränderung in Form von Übergängen und Überschreitungen. Die theoretische Forderung nach Anerkennung der Differenz und der Heterogenität, nach gleichzeitigem Erhalt und Veränderung, hat zur Konsequenz, dass jedes Erkennen hypothetisch ist.
4.3 Gender-Kompetenz als Ambivalenz-Perspektive
267
Die Suche nach Interdependenzen und nach Intersektionalität stellen insofern sinnvolle Analyseperspektiven dar, als sie Machtverhältnisse in ihrer Komplexität zu verändern suchen. Die Diskurspositionen sind ständig in Bewegung und verschieben sich kontextuell. Interdependente Perspektiven fokussieren sich, überlappende Ausgrenzungskategorisierungen machen komplexe Machtdynamiken sichtbar und zielen darauf, eindimensionale Machtverhältnisse zu überwinden, indem sie eine Essentialisierung und Homogenisierung von Differenzen vermeiden. Dabei geht es auch darum, neue Bilder im Kopf zu schaffen und die Verwobenheit von vielfältigen Lebensweisen nicht nur als Denkfigur, sondern auch als Handlungsoption vorstellbar zu machen.
Ausblick
Diese Arbeit plädiert dafür, genau nachzufragen, welche Bildung der Differenz welche Effekte im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung zeitigt. Der Versuch ist, Begriffe und Konzepte weder definitorisch einzuengen, noch einer beliebigen Bedeutungseinschreibung zu überlassen. Es ging also darum, das, was zur Diskussion steht, „von den Begriffen aus zu befragen“ (Huber 1997: 9). Dies bedeutet, die Varianten der Wissensformationen in gender-orientierter Weiterbildung und Beratung zu rekonstruieren und daraus Szenarien oder Strategien zu generieren, die professionelle Handlungsoptionen in ihrer Kontingenz, verstanden als systematische Ambivalenz, deutlich machen. Wird die Implementierung von Gender Mainstreaming als ein weiteres Beispiel für die Dynamik von gleichstellungspolitischen Institutionalisierungsprozessen gelesen, dann lässt sich zunächst ein aus der Organisationsforschung bekanntes Ablaufmuster erkennen: Nach einer starken Startphase stockt der Prozess bei der Verstetigung; die Überführung neuer Strukturen, Leitprinzipien und Beschlüsse in die Regelpraxis stellt die eigentliche Herausforderung für eine erfolgreiche Implementierung dar. Als erschwerend wird konstatiert, dass Gender Mainstreaming als Strategie relativ offen ließ, was das Ziel der Gleichstellung fachlich genau bedeutet und wie dies erreicht werden soll. Dies führt bei Einigen zu einem großen Aktionismus in der anfänglichen Pilotphase der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Diese weicht nach knapp zehn Jahren Umsetzungspraxis von Gender Mainstreaming allerdings einer Ernüchterung (vgl. Lewalter et al. 2009, Smykalla/Baer 2008). Andere fühlen sich darin bestätigt, dass auch innovative Strategien der EU keine schnellen Erfolge produzieren können, sondern dass Gleichstellungspolitik weiterhin bedeutet, langwierige und kleinschrittige Auseinandersetzungen um Definitionsmacht und Hierarchieabbau zu führen. Bei der Benennung der Ziele – Gleichstellung, Chancengleichheit, Anti-Diskriminierung – werden nicht nur verschiedene rechtliche Bezüge wirksam, sondern auch unterschiedliche gleichstellungsrechtliche Prämissen und dadurch sehr unterschiedliche Umsetzungsstrategien entwickelt. Wie rückblickend nun einige der Akteur_innen, die in die erste Implementierungsphase beratend eingebunden waren, einräumen, war es ein Problem dass Gender Mainstreaming so stark gegenüber bisheriger Gleichstellungspolitik abgegrenzt
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wurde (vgl. Lewalter et al. 2009). Die Strategie, z.B. Gleichstellungsbeauftragte kaum in die Umsetzung von Gender Mainstreaming einzubinden, führte mitunter dazu, dass ‚Parallelwelten’ entstanden, die nicht der Sache dienlich waren. Ein weiterer Effekt der Durchsetzungsgeschichte von Gender Mainstreaming ist die paradoxe Anerkennung von Gleichstellung: Die Institutionalisierung von Gleichstellungspolitik erzielt zwar eine breitere Aufmerksamkeit, bietet dadurch gleichzeitig jedoch eine bessere Angriffsfläche für Diskreditierung und Gegenstrategien. Diese paradoxe Wirkung des Erfolges und der Diskursmacht, dass die Sichtbarkeit von Gleichstellungsmaßnahmen Ablehnung und Widerstand erst ermöglicht, ist aus der bisherigen gleichstellungspolitischen Praxis bekannt und konkretisiert sich in der Arbeit von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten oft in personalisierten Angriffen (Blome et al. 2005). Ähnlich verhält es sich mit der medialen Kritikwelle gegen Gender Mainstreaming und die Gender Studies: Gender-Themen sind erst dann angreifbar geworden, als sie thematisiert und breit rezipiert wurden (Krämer/Smykalla 2007). Durch die aktuelle Diskussion in den Gender Studies einerseits und durch die Strategie Gender Mainstreaming andererseits müssen neue Gleichstellungspolitiken konzipiert werden. Theoretisch-analytisch resultiert daraus die Herausforderung, eine integrale mit einer interdependenten Perspektive zu verbinden. Die integrale Perspektive innerhalb von sozialen Kategorisierungen und eine interdependente Perspektive als die Wechselwirkung zwischen Ausgrenzungskategorien, sind zu einem dynamischen Analysemodell zusammenzuführen. Gender ist demnach als interdependente Kategorie und gleichzeitig in ihrer Interdependenz mit anderen Kategorisierungen zu begreifen. Auf politisch-strategischer Ebene steht Gleichstellungspolitik derzeit und in Zukunft verstärkt vor der Anforderung, Gleichstellungspolitik als eigenständiges Politikfeld zu profilieren und gleichzeitig als Querschnittsaufgabe fachlich zu verankern. Diese paradoxe Anforderung an die Strategie Gender Mainstreaming resultiert aus der spezifischen Situation aktueller Gleichstellungspolitik in Deutschland, wo Gender Mainstreaming auf die vermeintliche Dominanz einer konservativen Familienpolitik trifft. Gleichstellungspolitik muss außerdem inzwischen in den öffentlichen Verwaltungen mit der Verwaltungsmodernisierung, an den Hochschulen mit der Exzellenzinitiative und in Organisationen mit Qualitätsmanagementprozessen Schritt halten. Immer öfter geht es in diesen Reformzusammenhängen um die Effizienz und den Mehrwert von Gleichstellung für die Organisation, aber auch um den Nutzen für die Einzelnen. Hier überkreuzen sich die Trends in der Gleichstellungspolitik mit denen in der Wissenschaft und Verwaltung. In der Wissenschafts- und Bildungspolitik wird z.B. die Frage nach dem Verhältnis von Grundlagen- und Anwendungsforschung angesichts der erstarkenden
Ausblick
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Naturwissenschaften neu diskutiert. Inhaltlich zeigt sich dies in der Erziehungswissenschaft besonders an der Frage, ob und inwieweit Bildung als persönliches Gut in ihrer Funktion für die Zivilgesellschaft oder als Humanressource auf der Agenda steht. Und im Kontext gender-orientierter Weiterbildung und Beratung sehen sich deshalb inzwischen sowohl Gender Studies als auch GenderKompetenz dem Vorwurf ausgeliefert, ein neoliberales Flexibilisierungsinstrument zu sein (Soiland 2003). Die neuen Paradigmen in Bildung und Gleichstellungspolitik sind Machbarkeit, Messbarkeit und Selbstregulierung. Was bedeuten diese Entwicklungen und Prognosen für Gender-Trainings? Ein Trend bei der Thematisierung von Gleichstellungsfragen innerhalb von Weiterbildungsprozessen in Organisationen und Verwaltungen ist zunächst, dass Gender-Aspekte zunehmend inkludierend thematisiert werden, z.B. als Bestandteil von Führungskräfteschulungen, anstelle eines exklusiven Gender-Trainings für Führungskräfte. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Teilnahmezahlen an Gender-Trainings sehr gering sind. Aus diesem Grund wird inzwischen versucht, über die gleichstellungsorientierte Gestaltung arbeitsplatznaher Inhouse-Veranstaltungen eine fachliche Perspektive auf Gleichstellung zu stärken und das Gender-Wissen konsequenter als bisher mit den Fachpolitiken und Themen der Zielgruppen zu verzahnen. Dies hat nicht nur den Vorteil der Effizienz für die Organisation und der Akzeptanzsicherung bei den einzelnen Teilnehmenden, sondern konkretisiert auch gleichstellungspolitische Zielsetzungen auf einer fachlichen Ebene und macht sie damit wirksamer. Ich komme abschließend auf meine anfänglich aufgestellte These zurück, dass im Handlungsfeld der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung Entgrenzungen von gender und Entgrenzungen von Bildung zusammentreffen. Es wurde deutlich, dass normative Grundlagen sowohl von Gleichstellungspolitik als auch von Bildung durch eine Vermarktlichung zur Disposition stehen. Dabei sind in beiden Debatten ähnlich polarisierte wissenschaftliche Auseinandersetzungsformen von Chance und Bedrohung aufgefunden worden, die sowohl aus geschlechtertheoretischer, als auch aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive mithilfe poststrukturalistischer Infragestellungen kritisch beleuchtet wurden. Es hat sich aber gezeigt, dass eine Vermarktlichung von Gender-Trainings nicht nur zu einer Diversifizierung der gender-orientierten Weiterbildung und Beratung beiträgt, sondern gleichzeitig zu Konkurrenz und politisch-normativen Bedeutungskämpfen führt. Die Ausschlüsse, die dabei im Handlungsfeld produziert werden, sind zwar den zunehmend dominant werdenden Tendenzen zur Verbetriebswirtschaftlichung von Weiterbildung geschuldet, sie stellen allerdings keine Verunmöglichung subjektkritischer Ansätze dar, sondern fordern zu einer aktiven Einmischung in sich wandelnde Kräfteverhältnisse auf. Damit ist meine zentrale These bekräftigt, dass sich Gender-Trainings als Handlungsfeld
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Ausblick
zwischen und innerhalb von Wissenschaft, Markt und Emanzipationsbewegung bzw. -politik konstituieren und deshalb, so meine Schlussfolgerung, auch die didaktische Gestaltung der Trainings nicht hinter diese Komplexität zurückfallen darf, wenn Verkürzungen im Bildungs-, Lehr-Lern- und im Gender-Verständnis vermieden werden sollen. Allerdings, ganz gleich ob in Zukunft Gender- oder Diversity- oder Difference- oder Intersektionalitäts-Trainings angeboten werden: Das Offenhalten der Differenz als Ambivalenz in professioneller Theorie und Praxis bleibt entscheidend.
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen Abb. 1: Die Verortung von Gender-Trainings in wissenschaftlichen Kontroversen …………………………………………………......... 57 Abb. 2: Akteurskonstellationen als diskursiver Aushandlungsraum ……... 170 Abb. 3: Gender-Regulierungen innerhalb von Neutralisierung, Polarisierung und Pluralisierung………………………………...... 256
Tabelle Tab. 1:
Team-Teaching …………………………………………………… 228
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