Klaus Schlichte
Der Staat in der Weltgesellschaft
.~:
i
Politische H~rrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika
,~...
8 downloads
1000 Views
20MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Klaus Schlichte
Der Staat in der Weltgesellschaft
.~:
i
Politische H~rrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika
,~:i
j
\
i
• J
f
Dr. phil., ist Privatdozent und Leiter der Nachwuchsgruppe »lvfikropolitik bewaffneter Gruppen« am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. KJa1lJ"
Campus Verlag Frankfurt/New York
"
~
Inhalt
Vorwort ....................................................................................................................... 7
Einleitung .................................................................................................................. 10
1. Kritik der Internationalen Beziehungen ..................................................... 20 1.1 Die Entwicklung der Theorie in den Internationalen Beziehungen .... 22 1.2 Ausgangspunkte einer Theorie globaler Vergesellschattung ................ 32 1.2.1 Die Geschichtlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft .......... 33 1.2.2 Die Gesellschaftlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft ....... 37 1.2.3 Zum Begl:iff der Weltgesellschaft .................................................. 40 1.2.4 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitige11 .................................... 45 1.2.5 Methodische Implikationen ............................................................ 47 1.3 Macht u11d Herrschaft in der Weltgesellschaft ....................................... 58 2. Zur Theorie staatlicher Herrschaft .............................................................. 62 2.1 Begriffe der Macht und Begriffe der Herrschaft .................................... 65 2.2 Die moderne Staatsidee und ihre Genese ............................................... 84 2.3 Zur Dynamik des Staates ......................................................................... 102 2.4 Die Formation des Staates in der Dritten Welt .................................... 111 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrutbar. ISBN 3-593-37881-7 Das \Verk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustirnmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfliltigungen, Übersetzungen, iVliktoverlilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, Copyright © 2005 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Druck und Bindung: BaD, Norderstedt Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Primcd in Gcrmany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
3. Dynamiken der Gewalt .................................................................................. 126 3.1 Militär und Polizei zur Dialektik V011 Gewalt und Orgarusation .... 129 3.1.1 Das Militär ....................................................................................... 131 3.1.2 Die Polizei.. ...................................................................................... 137 3.2 I
dem bildet den Haupthintergrund der Debatten, die gegenwärtig unter dem Schlagwort der »Globalisierung« geführt werden. Die Epochen des Imperialismus und Kolonialismus haben dieser Einheit auch eine politische Prägung gegeben. Der Export des europäischen Staatsmodells ist der wichtigste Vektor politischer Weltordnung. Mit den Verbindungen des Weltmarkts und über die politischen Projekte der Zusammenschluss auch der symbolischen Welten einher. Das Hauptresultat dieser Prozesse ist die Verbindung der zuvor getrennten oder nur lose verbundenen sozialen Räume zu einem globalen Zusammenhang. Dabei sind die Zeitpunkte und Temporalitäten dieser Verbindungen nicht in allen Zonen der Weltgesellschaft einheitlich. Zweitens ist das in dieser Theorie hervorgehobene Kernmerkmal der Gleichzßtigkeit des Ungleichzeitigen zugleich ein wichtiges heuristisches Prinzip seiner Analyse. Denn der Zusammenschluss des Zuvor nur lose verknüpften Geschehens äußert sich in vielf:-iltigen Überlagerungen und widerstreitenden Geltungen. Diese fInden sich in den sozialen, politischen Fonnen ebenso wieder wie in Habitus und Mentalitäten der Akteure.21 Eine Hauptaufgabe ist daher die Aufdeckung und Entschlüsselung der Gemengelagen, die sich aus der Überlagerung historischer Schichten ergibt. Drittens erlaubt es die Theorie globaler Vergesellschaftung, Epochen mit unterschiedlichen Logiken abzugrenzen. Solche Abgrenzungen haben inuner idealtypischen Charakter. Sie reduzieren unterschiedliche soziale und politische Wirkungs zusammenhängen und unterschiedliche Diskurse, indem sie Fonnationen unterscheidet, die sich nach ihren Funktionsprinzipien differenzieren lassen. Viertens hat die Geschichtlichkeit des Gegenstandes auch Konsequenzen für das Vokabular der Analyse und Beschreibung. Die Bedeutung von Begriffen wandelt sich mit historischen Zeiten. Solche semantischen Verschiebungen müsse11 im theoretischen Gebrauch mitreflektiert werden. Die Trennung von Epochen und die Analyse der Bedeutungswelten und der unterschiedlichen sozialen Logiken ermöglichen es, die Grenzen der Geltung und Verwendung von Begriffen offen zu legen. Voraussetzung für das Erkennen dieser Grenzen ist jedoch die Kenntnis der übergreifenden Zusammenhänge, die sich nur aus
dem Horizont des Verstehens der globalen Geschichte ergeben können. 22 Die Theorie globaler Vergesellschaftung erlaubt es, unter Rückgriff auf Max Webers Methodologie der verstehenden Soziologie, fremde Sinngehalte und Bedeutungen zu erschließen, ohne sich in ihrem analytischen Vokabular auf einen utilitaristischen Rationalismus zu beschränken. Geschichte ist nur als Wandel von Konstellationen denkbar, der die konstituierenden Elemente mit umfasst. Deshalb sind alle durchgängigen Subjekte der Geschichte verdächtige Konstruktionen. Weder eine abstrakt-SUU1marisch titulierte »Menschheit« noch das als Individuum gefasste Subjekt sind theoretisch haltbare historisch durchgängige FOrn1Cn. Gegenstand der historischen wie der gegenwarts bezogenen Sozialwissenschaft ist vielmehr eigentlich der Wandel von Formen, der sich in unterschiedlichem Fachvokabular und aus verschiedenen analytischen Perspektiven fonnulieren lässt. Die Funktion einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft in diesem allgemeinen Unternehmen ist die Analyse und Theoretisierung des Wandels politischer Formen, einschließlich ihrer Ul'sächlichen Zusammenhänge und globalen Einbettung. Die Einflechtung einer solchen historischen Perspektive, wie sie in der Theorie globaler Vergesellschaftung erfolgt, führt zu einer genaueren Trennschärfe bei der Bestimmung der Bedeutung von Veränderungen. Diese Perspektive erlaubt es, die Zeitgebundenheit theoretischer Auffassungen und ihrer begrifflichen Fonnungen zu erkennen und einer kritischen Revision zuzuführen und gleichwohl den theoretischen Zusammenhang zu wahren, ohne Differenzen, die sich nach historischen Zeiten und Räumen ausgeprägt haben, zu Lasten der empirischen Plausibilisierbarkeit zu nivellieren.
1.2.2 Die Gesellschaftlichkeit der Politik in der Weltgesellschaft Häufiger als die Historizität des Gegenstandes ist die Gesellschaftlichkeit der internationalen Beziehungen Thema in der Disziplin geworden. Dies gilt besonders für ein oberflächliches Verständnis dieser Eigenschaft, nämlich als »Problem«, »Ebene« oder »Dimension« derjenigen politischen Zusammenhänge, denen das Interesse der Internationalen Beziehungen traditionell gilt:
21 Die erste Berücksichtigung des sozialen Grundsachverhalts der »Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen« fmdet sich wohl im Werk von Kar! Marx, um dann in allen großen Sozialtheorien immer wieder aufzutauchen. So durchzieht die Trennung unterschiedlicher Geltungslogiken gemeinhin ausgedrückt als Differenz von »Tradition und Modeme« die Werke von Ferdinand Tönnies, Max Weber, Emile Durkheim bis Niklas Luhmann in unterschiedlicher theoriesprachlicher a. Jung 1995: 43-52). Konzeptionell geformt wird dies zuerst im Werk von Ernst Bloch (1931), eine eingehende sich bei Dietschy (1988).
22 In der hermeneutischen Tradition ist dieser Zusammenhang ebenfalls betont: »Der weltge-
schichtliche Zusammenhang, in dem sich die Einzelgegenstände der historischen Forschung, große wie kleine, in ihrer wahren relativen Bedeutung zeigen, ist selbst ein Ganzes, von dem aus alles Einzelne in seinem Sinn erst voll verstanden wird, und das umgekehrt erst von diesen Einzelheiten aus voll verstanden werden kann.« (Gadamer 1990: 181)
.'".
3tl
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
nämlich der Staaten. 23 llier wird ein weitergehender Standpunkt vertreten: Politisches Geschehen ist soziales Geschehen. Weil Politik im sozialen Raum abläuft, weil politische Akteure zunächst soziale Akteure sind und weil politische Strukturen, in denen dieses Handeln geschieht, vor allem sozial bestimmt sind, ist das Politische dem Sozialen nachgeordnet. Zwar wirkt politisches Handeln auf das Gesellschaftliche zurück, aber die entscheidenden konstituierenden Verhältnisse des Politischen sind, je geringer die Institutionalisierung von Macht in eine Organisation staatlicher Herrschaft gelungen ist, um so stärker von sozialen Bedingungen, Institutionen und Verhaltensmustern ge_ prägt. Aber auch in entwickelten bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen sind die Sinn bezüge und Strukturen des Politischen und des Sozialen unauflöslich ineinander verwoben. Eine Wissenschaft des Politischen, die sich nicht von vornherein auf den Standpunkt des Staates stellen will, muss die soziale Konstituierung des Politischen allgemein in den Blick nehmen, von der der Staat immer nur ein Teil ist. 24 Die Trennung von Staat und Gesellschaft, die dem gängigen Verständnis des Politischen als Dichotomie zugrunde liegt, ist daher nur eine mögliche, aber noch nicht für alle Verhältnisse zureichende analytische Unterscheidung. Weitere begriffliche Differenzen sind notwendig, um das Politische im Sozialen und das Soziale im Politischen aufzufinden. Das gilt auch für hochgradig differenzierte Verhältnisse. Der moderne Staat und die modeme Gesellschaft sind zugleich auch dadurch gekennzeichnet, dass der Prozess der Verstaatlichung der Gesellschaft und der der Vergesellschaftung des Staates weit fortgeschritten sind. Es gibt in modemen Verhältnissen keinen Bereich der Lebens23 [ibernle Ansätze etwa betonen den Einfluss von sozialen Gruppen und Verbänden auf die Prozesse der internationalen Politik zwischen Staaten (Moravcsik 1992). Für eine formale, auf die Logik der Verhandlungen zwischen Staaten konzentrierte Richtung der Internationale Be~,~uuu~"u resultiert daraus das Problem der »Politik auf zwei Eb~11en« (Zangl 1994), in der der Staat Zur vermittelnden Instanz zwischen nationaler und internationaler Politik wird. Ein tieferes Verständnis entwickelt Co>: (1993), der den Wandel internationaler Beziehungen auf soziak'11 Wandel insgesamt zuruckbindet. Die das internationale System konstituierenden Staaten könnten nicht auf ihre institutionelle Ausformungen oder ihre Apparate reduziert werden, eine angemessene Theorie der internationalen Politik müsse ihre »soziale Basis« immer mitreflektieren (COle 1993: 59). 24 Die der Luhmannschen System theorie eigene Tendenz, Politik in der Modeme an den Staat zu koppeln, der seinerseits nur als Resultat funktionaler Differenzierung gedacht werden kann, unterscheidet die Theorie globaler Vergesellschaftung trotz vieler Gemeinsamkeiten von diesem Entwurf. Im Spätwerk scheint indes eine Absetzung von dieser Position bemerkbar zu sein (vgl. Luhmann 2000: 196). Darüber hinaus ist die bei Luhmann schon vorausgesetzte funktionale Differenzierung bezogen auf die WeItgeseIlschaft eine unbegründete, wenn nicht falsche Annahme (vgl. Luhmann 1997, 1: 146ff.). Das Theorem der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist geeigneter, zentrale Widersprüche der Weltgesellschaft zu erhellen (vgl. Abschnitt 1.2.4).
KRITIK DER INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN
39
welt, in den der Staat tnit seinen Maßnahmen und seinen Institutionen nicht hineinreicht, wie umgekehrt auch kein Bereich des Staates frei ist vom Druck sozialer Interessen und Ideale. Staat und Gesellschaft stehen sich auch hier nicht unvermittelt gegenüber, sondern durchdringen sich gegenseitig. In anderen Konstellationen ist die analytische Brauchbarkeit der Unter- \ scheidung Staat-Gesellschaft hingegen deshalb eingeschränkt, weil dort staatliche Institutionen sich von der Logik des Sozialen kaum emanzipiert haben (vgl. Abschnitt 2.2.4). In den Räumen neopatrimonialer Herrschaft etwa ist die ! Logik der Redistribution aus traditionalen Verhältnissen nur transformiert. Eine eigenständige, der Funktionsweise des legal-rationalen Anstaltsstaates entsprechende autonome Logik staatlicher Herrschaft ist dort hingegen nur in Ansätzen gegeben oder beschränkt sich auf einzelne Segmente der staatlichen Institutionen. Erhebt man das Verständnis der Unterscheidung Staat-Gesellschaft jedoch zur begrifflichen Leitdifferenz für die Analyse nationalstaatlicher Ensembles, so geraten auch jene Überwölbungen staatlicher Hemchaft nicht in den Blick, die sich jenseits dieses sozialen Raumes längst etabliert haben. Das gilt für jene intergouvernementalen Arrangements, die das Ergebnis von I11tegrationsprozessen darstellen, aber auch für jene älteren sozialen und ökonomischen Beziehungsmuster, die sich seit langem über die Grenzen von Staaten hinweg herangebildet haben. Der Weltmarkt und die Netzwerke der Migration, die politischen Diskurse und die Systeme der Kommunikation sind solche Zusammenhänge, die eine Reduktion der sozialen Einbettung politischer Herrschaft auf »nationale« Zusammenhänge als unzureichende analytische Perspektive erkennbar machen. Diese wenigen Andeutungen verdeutlichen bereits, dass mit einer Fixierung der Begrifflichkeiten und Konzepte auf den Staat allein kein hinreichendes Verständnis der laufenden globalen Prozesse mehr zu entwickehl ist. Der Staat, ehedem - wenigstens der Theorie nach die unangefochtene politisch souveräne Institution, ist relativiert. Seine Einbettung in grundlegendere soziale Dynamiken lässt sich aber nicht mehr zureichend im Rahmen des »nationalen« Paradigmas erfassen. Die Vorstellung von der »Politik in einem Land« ist unf::ihig, die übergreifenden Prozesse, die Prozesse der Herrschaftsbildung begrenzen, beeinflussen - und auf die diese auch zurückwirken - angemessen zu erfassen. 25 Die Gesellschaftlichkeit des Gegenstandes der Internationalen Beziehungen drängt zum Begriff der Weltgesellschaft. 25 Vgl. a. Schlichte (1998b). Dieser Mangel hat seine Ursache1 nicht allein in der bisherigen Konzentration der internationalen Beziehungen auf die Gesellschafte1 der OECD, auf die Institutionen und politischen Zusammenhänge \"i!esteuropas und Nordamerikas. Auch andere sozialwissenschaftliche Disziplinen, die Ökonomie ebenso wie die Soziologie und die
U,,"
~JflflT IN DER WELTGESELLSCHflFT
1.2.3 Zum Begriff der Weltgesellschaft Die der Gesellschaft, die in den Theorien der Intemationale Beziehungen bis vor kurzem kaum vorkam, hat nun in den Diskussionen um den der Weltgesellschaft einen prominenten Platz erhalten.26 Nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern auch in den das Fach dominierenden englischsprachigen Diskursen wird die Kategorie in den Erweiterungen world sorieD', international society oder global sorieD' diskutiert. Der Begriff der Weltgesellschaft und die mit ihm verbundene Perspektive auf die' internationale Politik werden im Folgenden in Umrissen dargelegt. Die Auseinandersetzung mit anderen theoretischen Fassungen wird dabei nur als Nebengeschäft betrieben, denn eher als im abstrakten theoretischen Streit kann bei der Analyse realer Prozesse über den heuristischen Wert der um diesen Begriff zentrierten theoretischen Perspektiven entschieden werden. Im Folgenden werden zunächst einige zentrale theoretische und dann von diesen nicht wirklich trennbare, methodische Ausgangspunkte der Theorie Vergesellschaftung benannt und erläutert. Die theoretischen Ausgangspunkte beziehen sich auf den Begriff der Gesellschaft, dessen hier verwendeter Wortsinn näher zu bestimmen ist. Weiterhin grundlegend für die Theorie globaler Vergesellschaftung ist der der der T emporalität des Geschehens eingeräumt wird. Dies gilt auch für ein drittes Prinzip der Theorie globaler Vergesellschaftung, die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« (1.2.4), dessen theoretische Begründungen wie methodischen Implikationen zu benennen sind. Deshalb beziehen sich die weiteren Erläuterungen eher auf Methodisches, eine Differenzienmg von Begriffen, die Auffassung von Erfahrung und eine kurze Behandlung der mit diesem Programm. verbundenen Erkenntnisinteressen und Fragenfelder. Sie schließen die ITAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT KRITIK DER INTERNATIONAJ.EN BEZIEHUNGEN
schaft. Er erst erlaubt die theoretische Fassung der Globalität dieser Zusammenhänge. Die inhaltliche Hauptaussage des Begriffs der Weltgesellschaft besteht eben darin, dass in Abgrenzung zu den in den Sozialwissenschaften nach wie vor dominanten Sichtweisen, Gesellschaft nicht mehr als nationalstaatlich verfasst gedacht werden kann, sondern nur noch als globaler sot/akr Zusammenhang. Der Begriff der Weltgesellschaft richtet sich also zentral gegen die traditionelle Vorstellung der gleichzeitigen Existenz einer bestimmten Zahl von Gesellschaften, die sich entlang staatlicher Grenzen unterscheiden ließen. Zwar wird in laufenden Diskussionen, die sich nach wie vor überwiegend an dieser Vorstellung orientieren, zugestanden, dass Jldigrationen, Markttausch und Massenmedien Zusammenhänge hergestellt haben, die diese nationalstaatlichen Formen übergreifen. Gleichwohl erhält sich die Redeweise von »der französischen Gesellschaft«, die von »der chinesischen Gesellschaft« getrennt gedacht und behandelt werden könne. Diese Trennung hat in den tatsächlichen Differenzen sozialer Räume aber nur eine begrenzte und zudem schwindende Berechtigung. Sie beruht auf der Annahme, dass .mit unterschiedlicher Ausprägung staatlicher Institutionen auch unterschiedliche Lebensverhältnisse und jeweils andere historische Verläufe verbunden sind. Jldit dem Begriff der Weltgesellschaft soll die Realität dieser Unterschiede nicht bestritten werden. Er lenkt jedoch die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass nicht politische Institutionalisierungen soziologisch die entscheidenden Differenzen abgeben müssen, denn die Grenzen der Staaten sind mit den Grenzen des Sozialen nicht durchgehend identisch. In der Organisation und in den Themenstellungen der Sozialwissenschaften ist das Paradigma der nationalen Gesellschaft indes bis heute tief verankert. Gesellschaftsanalyse meint darin immer Analyse einer Gesellschaft innerhalb der Grenzen eines Staates, Gesellschaftsgeschichte immer die historische Betrachtung des Wandels eines staatlich umgrenzten sozialen Raumes. In der Soziologie, in der Politikwissenschaft, aber auch in der Geschichtswissenschaft dominiert diese Sichtweise der »Gesellschaft in einem Staat«. Auch wichtige Bereiche der jüngeren Politikwissenschaft beschränken sich auf diese Perspektive, wie sich an der Transf01mationsforschung erkennen lässt (vgl. Schlichte 1998b). So ist auch der Blick derjenigen Forschungen, die sich Integrationsprozessen als Verschmelzungen einer Zahl von Staaten widmen, an den territorialen Grenzen dieser neuen Formen politischer Herrschaft ausgerichtet. Die Internationalen Beziehungen fassen ihre Gegenstände auch dort nach der Unterscheidung Von Innen und Außen, wo im Formwandel der politischen
4S
Hel.'rschaft die Unangemessenheit der alten Differenzen längst zum Ausdruck gekommen ist. 31 Die nationalstaatliche Perspektive hat auch den sozialwissenschaftlichen Begriffsapparat geprägt, dessen Eignung für die Analyse weltgesellschaftlicher Prozesse daher immer zu überprüfen ist. Diese Übelprüfung kann hier nur unvollständig geleistet werden. Lediglich in Ansätzen werden hier einige Kategorien eingefUhrt, die der Ausdifferenzierung der theoretischen Perspektive zugrunde liegen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang zunächst zwei grundlegende Auffassungsweisen, die sich mit der Perspektive einer politischen Soziologie der Weltgesellschaft verbinden: der Prozesscharakter globaler Vergesellschaftung und die Ungleichzeitigkeit als ihr allgemeines StruktmmerkmaL Diese theoretischen Ausgangspunkte markieren eine andere Ontologie, eine andere Form der Organisation von begrifflichen Diffel'Cnzierungen, die die Theorie globaler Vergesellschaftung. Unterschied zu anderen theOl:etischen Positionen fundiert.
1.2.4 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Der Blick in die Geschichte der Weltgesellschaft ermöglicht nicht nur die Vergewisserung über die Entstehungsbedingungen der heute gültigen Verhältnisse. Er eröffnet der Analyse auch Einsichten in die Gegensätzlichkeiten der sozialen und politischen Strukturen, die in anderen Erdteilen das Leben der Menschen prägen. Unter dem Ausdruck der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« lässt sich der fundamentale Charakter jener widersplüchlichen Geltungen subsumieren, die sich in strukturähnlichen, immer aber in auf ihre Weise besonderen Modernisierungen zeigen. Die Behandlung dieser Prozesse in Kontexten, die andere sind als der der Entstehung der beschreibenden Kategorien, stößt auf die fundamentale Schwierigkeit, dass sich begriffliche Konzepte und grundlegende Annahmen nicht umstandslos auf politische Prozesse in anderen Kontexten übertragen lassen. Eine historische Perspektive ist hier hilfreich, weil sie es ermöglicht, im Fremden das vergangene Eigene zu erkennen und zu isolieren. Phänomene wie die Persistenz des Personalismus, die Schaffung kollektiver Selbstverständnisse, die Erfindung VOll Traditionen oder 31 Die Sozialwissenschaften insgesamt »... in diesem Punkt eine nach Dauer und Intensität so ungewöhnliche wie folgenreiche Seibstbefangenheit, weil sie unbeirrt an ihrem Konzept der Gesellschaftsgeschichte festhält, das vielleicht dem fortschritrt:sgläubigen 19. Jahrhundert mit seinen souveränen Staaten als das A und 0 der Geschichte gelten konnte, aber seither Schritt für Schritt durch die Tatsachel1 und Zwiinge weltgeschichtlicher Vorgänge und Zusammenhänge überholt worden ist, ...« (Tenbruck 1989: 419).
LlER :>TAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT KRITIK DER INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN
die Paradoxien der Fonnation politischer Parteien sind aus den Ungleichzeitigkeiten der westlichen Geschichte geläufig. In der Gegenwart lassen sich analoge Elemente in doch verschiedenen Prozessen erkennen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist ein grundlegendes Merkmal der Weltgesellschaft. Denn weder hat sich in ihr eine kapitalistische Moderne gleichmäßig entfaltet, noch s~d die Ergebnisse der ~apitalistisch induz~erten Prozesse überall strukturgielch. In endlosen Vermittlungen und Bruchen schieben sich in der politischen Realität unterschiedliche Geltungen und Logiken ineinander. Der historische Blick ist der einzige Weg, die Elemente und }Schritte dieser Vermittlungen, die Linien dieser Gemengelage zu erkennen. Ungleichzeitigkeiten wirken auch bei der Konstituierung staatlicher Herrschaft in allen Regionen als dynamisierendes Element fort. Selbst in den westlichen Staaten spielen Elemente wie der Patriarchalismus, Religion und Traditionalisierungen für die Reproduktion der Muster staatlicher Herrschaft eine wichtige Rolle. Sie sind dort aber, im Unterschied zu anderen Regionen, nicht dominant. Der säkulare Prozess der Rationalisierung hat im Westen die legalrationale Legitimitätsfonn als vorherrschende Nonn der Beurteilung scher Vorgänge etabliert. Wirkliche Ungleichzeitigkeiten sind in westlichen Kontexten rudimentär.
I I I
In anderen Weltgegenden aber ist das Traditionale in allen gesellschaftlichen Bereichen noch stärker vorherrschend geblieben. In politischen Werthaltungen, in Praktiken und Ritualen des Politischen dominieren charismatische und traditionale Elemente. Sie sind für die politische Legitimation entscheidend geblieben, auch wenn sich im Zuge der globalen Ausbreitung bürgerlicher Politikverständnisse Erwartungsmuster des legal-rationalen Typs ausbreiten. Diese Strukturen sind jedoch keine Defekte, sondern ebenso historische Resultate wie die politischen Haltungen und Bewertungs! muster des Westens. In ihnen kommen tiefer liegende soziale Logiken zum ; Ausdruck, die sich nicht auf fonnal rationale Kalküle reduzieren lassen. Deshalb ist in Afrika, Asien und Lateinamerika auch der rationale Anstaltsstaat als auf Euklaven begrenzt. Die Mehrzahl der sozialen Beziehungen, die den Staat durchlaufen, ist von personalen Elementen und von Konstruktionen der Tradition und überlieferten Fonnen bestimmt. Ungleichzeitigkeiten in der Weltgesel1schaft sind deshalb nicht einfach räumlich aufzufassen, sondern sie können als unterschiedliche Geltungslogiken in allen sozialen Bereichen und auf allen Ebenen wirken. Ungleichzeitigkeiten I durchziehen ganze Kontexte wie aber auch den sozialen Habitus von Akteuren. Sie äußern sich nicht notwendig konfliktiv. Sie sind aber insgesamt krisenvor allem dann, wenn alte habituelle Fonnen auf neue Konstellationen wenn die alten Mustel' und Schemata der Wahmehmn.,,,, und Bewer-
47
tung nicht mehr hinreichen, um Strategien zu entwerfen, kurz, wenn biograScheitern geschieht, etwa wenn der Konflikt zwischen tradierter Moral und modernen Verhältnissen auftritt, wenn »das Alte stürzt« (Achebe 1983).
..
Deshalb ist die Differenz von Tradition und Moderne, die der Redeweise von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zugrunde liegt, auch rucht als personal oder institutionell nachweisbare Dichotomisierung zu verstehen. • Tradition und Moderne stehen sich nicht als historische Epochen trennscharf gegenüber, und auch nicht als Personen oder Institutionen, sondern sie verschränken sich in unterschiedlichen Gestalten in den Vorstellungs welten, den handlungsleitenden Sinngehalten, im sozialen Habitus der Akteure, ebenso wie in den Logiken von Institutionen. Es ist immer die konkrete Gewichtung und der relative Anteil moderner und traditionaler Logiken, die über das Verhalten von Menschen und die Funktionsweise von Institutionen entscheiden. Die analytische Unterscheidung traditionaler und moderner FOlmen erlaubt es, diese zu erkennen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist der summarisch Ausdtuck, die Chiffre für das gleichzeitige Nebeneinander von unterschiedlichen Temporalitäten. Nicht der lineare Fortschritt, aber auch nicht die ewige Wiederkehr des Immergleichen kennzeichnet die Geschichte der Weltgesellschaft. Ihr Prozess ist vielmehr von Brüchen und Überlagetul1gen, von langen Kontinuitäten und abrupten Wechseln geprägt. Diese Eigenschaften der Weltgesellschaft haben Konsequenzen für die Methoden ihrer Analyse. Sie sollen im Folgenden umrissen werden.
1.2.5 Methodische Implikationen Der Begriff der Weltgesellschaft bezieht sich auf einen realen Prozess, nämlich den Zusammenschluss der vonnals nur lose verbundenen Geschichten, Konstellationen und Kontexte zu einem globalen sozialen Raum. Die Totalität der Gesellschaft ist mit diesem Prozess, der mit der europäischen Expansion einsetzte, zu einer globalen geworden. Dieser Zusammenschluss beschränkt sich nicht auf einzelne funktionale Zusammenhänge. Über die allgemeinen sozialen Universalien, wie sie sich etwa in den Begrifflichkeiten der von Norbert Elias' Elementarfunktionen (1983b) darlegen lassen, haben sich im Zuge der globalen Vergesellschaftung neue Strukturen verallgemeinelt, die mit den lokalen Gegebenheiten zu der Vielzahl der Differenzen der Weltgesellschaft verschmolzen sind. In der auf den Weltmarkt zentrierten Form des Waren- ( tauschs, in der globalen Ausbreitung der F01m staatlicher Herrschaft und der
'TO
KRITIK DER INTERNATlONALEN BEZIEHUNGEN
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
Konstituierung eines globalen Kommunikationsraums sind Sinnbezüge des Handels global verallgemeinert, die sich lokal zwar in unterschiedlichen Praktiken ausprägen, die aber zugleich gemeinsame allgemeine Merkmale aufweisen. 32 Dieser Zusammenschluss der lokalen sozialen Kontexte zu einem sich innerlich bedingenden Ganzen ist rucht abgeschlossen, sondern ein noch andauernder Prozess, der sich nur als globaler begreifen lässt. In der Redeweise vom Prozess der globalen Vergesellschaftung ist somit der Begriff der Weltgesellschaft verzeitlicht. Es ist für das Verständnis dieses Prozesses wichtig, die üblichen begriffli1\ chen Leitdifferenzen hintanzustellen. Globale Vergesellschaftungsprozesse , halten sich nicht an die Innen-Außen Differenz, die die Staatenordnung repro~ duziert und den meisten Theorien internationaler Beziehungen zugrunde liegt. Sie fügen sich auch nicht einer einfachen Hierarchisierung von »lokalen«, »nationalen« und »transnationalen« Vorgängen. Fruchtbarer lassen sich globale Prozesse ohne Rückgriff auf diese Register begreifen und analysieren, weil »Innen-Außen«, »lokal-national-global« längst ineinander geschoben sind. Denn globale Prozesse, neue Ideale und veränderte Opportunitäten äußern sich inlmer in Veränderungen konkreter, lokaler Verhältnisse. Die internationale Umgebung des Staates ist so längst in »seine« Gesellschaft eingebaut, weil grenzüberschreitende soziale Zusanlffienhänge den Staat zugleich unterlaufen und überspannen. Deshalb wirken Veränderungen selbst im internationalen Staatensystem nicht bloß abstrakt als >)externe Faktoren«, sondern sind als t Verschiebungen von Wahrnehmungen, Bewertungen und Organisation des Politischen lokal konkret. Dieser soziale Wandel lässt sich im Paradigma der Staatenwelt nicht mehr zureichend erfassen. Diese Einsichten über den Prozesscharakter globaler Vergesellschaftung haben nun Konsequenzen für die Analyse der Weltgesellschaft. Nicht die unverbundene Untersuchung des Verhältnisses zwischen vereinzelten »Variablen« ist die entscheidende wissenschaftliche Leistung, sondern erst die Verf bindul1g der so gewonnenen Einsichten im prozesssoziologischen Denken. Dieses prozesssoziologische Denken kann sich auf unterschiedliche Ebenen und unterschiedliche Reichweiten erstrecken. Es kann sich auf die Erklärung langfristiger, ungeplanter Prozesse beziehen, die das ausmachen, was »Geschichte« genannt wird (vgl. Elias 1977: 127). Marx' Werk, in dem die Entfaltung und das Ausgreifen kapitalistischen Tauschs zentrales Thema sind, ist 32 In diesem Buch werden solche Zusammenhänge bezogen auf das Problem der Dynrunik staatlicher Herrschaft - genauer bestimmt. Die erste Untersuchung wird sich auf die Frage der Gewaltkontrolle als Kemmerkmal staatlicher Herrschaft, die zweite auf die Frage der materiellen Gnmdbge von Staatlichkeit und die dritte auf die Frage der Sinnordnungen beziehen.
49
dafür ebenso ein Beispiel wie Elias' Beschäftigung mit der Sozio- und Psychogenese des Webers Analyse des Prozesses der Rationalisierung oder das Theorem der funktionalen Differenzierung. In diesem Sinne ist die Theo- I rie globaler Vergesellschaftung erst einn1al Strukturgeschichte, die sich mit \ dem Formwandel von ökonomischer Reproduktion, politischer Herrschaft
t
und symbolischer Orientierung befasst. Innerhalb dieser großen Strukturgeschichte lassen sich analytisch aber auch kleinere Prozesse isolieren. Ohne ihre Einbettung in große, weiter reichende Prozesse zu vergessen, sind einzelne Phänomene analysierbar und vergleichbar. Darunter fillt die Dynamik einzelner Institutionen ebenso wie etwa die Verselbständigung eines Krieges als eines Handlungsfeldes, das sich von sei-
I
nen ursprünglichen Ursachen emanzipiert. Solche Analysen offenbaren, dass kleine Prozesse ebenso wie die große Strukturgeschichte weder auf Willensakte reduzierbar sind, noch mechanistisch 1977: 131). Beide Ebenen der Prozesssoziologie sind zudem aufeinander angewiesen. Der Abgleich kleiner Prozesse mit dem »großen Ganzen« macht es möglich, diejenigen Bedingungen zu isolieren, die für das Handeln der Akteure handlungsbestimmend werden. Nur so können die Fragen gefunden werden, die auf die zentralen sozialen Mechanismen lenken, die die Vermittlungsarbeit etwa zwischen großen sozialen TTmhrüchen und schem Handeln leisten.33 Die prozess soziologische Herangehensweise offenbart damit einen besonderen heuristischen Wert: Durch eine genetische Betrachtung wird erst verstehbar, welche Einstellungen und Wahmehmungsweisen Institutionen ausmachen, wie sich Widersprüche in den Bewegungen des Sozialen äußern, oder wie sich funktionale Zusammenhänge gegenseitig bedingen. Eine statische Sichtweise kann all dies nicht in den Blick bekommen. Natürlich stehen solche aus historischen Längsschnitten gewonnen Einsichten unter dem Generalvorbehalt, dass die Zusammenhänge der Gegenwart nicht mehr mit denen der Genese identisch sein müssen. Die konstituierenden Bedingungen können durch andere abgelöst worden sein. Doch wiederum erst das prozesssoziologisehe Denken erlaubt es, diese Unterschiede zu erkennen, und die aus dem Widerstreit historischer Imperative und neuen Anforderungen entstehenden Konflikte aufzudecken, um die Differenzen zwischen Entstehungs- und GeltungszuSan1menhängen aufzudecken. Die prozesssoziologische Herangehensweise erlaubt darüber hinaus die Re1ativierung der Bedeutung einzelner kausaler Beziehungen: Nur aus dem
33 Zu der Bedeutung, die ähnliche Uberlegungen in der Geschichtswissenschaft erlangt haben,
vgl. Meier
......, .... n
-.Jl/'l..t1.1
lN
lJER WELTGESELLSCHAFT
KRITIK DER INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN
Vergleich analytisch geschiedener Prozesse können einzelne Zusammenhänge gewichtet und die Bedeutung besonderer Kontexte abgeschätzt werden. Dies ist nicht zuletzt wichtig, weil die Möglichkeit politischen Handelns genau auf diese Feinbestimmungen angewiesen ist, und nicht auf die Formulierung übergreifender Gesetze, deren Abstraktheit sie für den Gebrauch in konkreten 1 Situationen unbrauchbar macht. Gleichwohl ist sie einem offenen Kausalitäts\konzept zugeneigt, nicht einseitiger Variablenarithmetik. Einsichten über einzelne Zusammenhänge erhalten ihr Gewicht nur in der Zusammenschau von \Vechselwirkungen und Konstellationen.34 In dieser prozesssoziologischen Herangehensweise lassen sich auch die Methodiken Karl Marx' und Max Webers vereinen. Die vergleichende Betrachtung der Werke von Max Weber und Karl Marx offenbart nämlich, dass unüberbrückbare Differenzen zwischen den beiden Autoren gar nicht vorliegen. Sie waren immer schon eher das Resultat der politischen Indienstnahmen 35 der Werke. Keineswegs unterliegt der Marxschen Methode eine »Identität von Sein- und Denkkategorien,( (Ixl.as sich ähnlich berechnen lässt wie eine Maschine« (1920/1985: 817). Als realen Gegensatz zu dieser rationalen Rechtspraxis sieht Weber den Typ der Qadi-Justiz, in der das höhere Ausmaß der persönlichen Willkür insofern institutionalisiert ist, als dass darin das verbindliche Regelwerk insgesamt Ullbedeutend ist. Im Okzident, so Weber, waren die am römischen Recht geschulten Beamten als Verwaltungstechniker allen anderen überlegen (1985: 817), so dass sich für die Entwicklung des modernen Staates ein »Bündnis zwischen Staat und formaler Jurisprudenz« (1920/1985: 817) als fördernde Bedingung ergab. Schließlich ist die rationale Bürokratie das Ergc::bnis des Zusammenwirkens ,';;' ~.dV> dieser beiden Momente. Sie ist insofern rationalen Charakters als Regel, /.'. [:i',:, " Zweck, Mittel sachliche Unpersänlichkeit ilu: Gebaren beherrschen h.t (1920/1985: 578), sie wirkt »revolutionär«, wie dies der Vormarsch des Rationalismus überhaupt auf allen Gebieten zu tun pflegt (1920/1985: 579). Voraussetzungen der bürokratischen Ordnung des modemen Anstaltsstaates sind , kMJ-. '.J(' nach Weber indes die allgemeine Verbreitung der Geldwiltschaft, ein festes';(t,;;;f, Herrn und nicht zuletzt die Nivellierung der ökonomischen und sozialen Un- "1.:\,' ~{h\ terschiede in ihrer Bedeutung für die Innehabung von Ämtern und die Befrie- fy ,'"dY . dung des Territoriums. Erst unter diesen Bedingungen kann »Vergesellschaftungder Herrschaftsbeziehungen« (1920/1985: 570) gelingen.
~r:'
-
........ " H a "
U"I
U!!,1t
WhLTGESELLSCHAFT
/\,~fr
\ \ Entpersonalisierung und Rationalisierung lassen sich schließlich in den bekannten Gründe legitimer Geltung politischer Herrschaft wiederfInden, von denen Weber bekanntlich drei unterscheidet, nämlich die Geltung aus »Sitte.«, gefasst im Typus traditionaler der Geltung aus Glauben an eine ,:' Gnadengabe, im der charismatischen Legitimität und schließlich drittens, der Geltung aus Glauben an die Legalität einer gesatzten Ordnung. In der Realität, so Weber, vermischen sich ZWar diese drei möglichen, idealtypisch unterschiedenen LegitimitätsgrÜllde.48 Im Übergang vom personengebundenen Charisma als Legitimitätsquelle hin zur verfahrensorientierten Legitimität legalrationaler Art zeigt sich die Entpersonalisierung politischer Herrschaft erneut. '/0· (In der Geschichte des modernen Staates gab es Weber zufolge eine zweite Zur Entstehung des kapitalistischen Betriebes: die gesamthistorische .' Tendenz des rationalen Staates zur Enteignung der neben ihm stehenden Träger der Verwaltungsmacht. An dieser Sicht auf den Staat wird Webers These von der Analogie wirtschaftlicher und politischer Institutionalisierung am anschaulichsten: Der Staat hat, wie eine Fabrik, Betriebscharakter, der an Trennung von Mitteln und Produzenten am deutlichsten wird, dessen Wirkung aber bis in die biographische Gestalt der am politischen Prozess Beteiligten hineinreicht. Webers Unterscheidung des Berufspolitikers vom Typus des Honoratioren ist mit der Ausbildung des Betriebscharakters innerhalb und im Umfeld des Staates eng verbunden: Leben »von« der Politik kann nur, wer über die staatlichen Pfründe oder Parteiapparate seinen Unterhalt sichert, Leben »für« die Politik ist dem möglich, der unabhängig von seiner politischen Positioll über hinreichende Einkomrnensquellen verfügt.
/~)oY(}i:;,;'Warallele
we:rul!er diese Differenzierungen des Staates als Betrieb erkennbar sind, desto stärkerist ein politischer Verband vom Idealtyp des rationalen Anstaltsstaates entfernt. An der Position und den tatsächlichen Praktiken wird dies Der bürokratischen Logik zufolge soll der echte Beamte nicht »kämpsondern, so Weber, verwalten (1985: 833). Er ist nicht Teil der politischen Auseinandersetzungen, sondern steht ihnen neutral gegenüber. Er handelt ullabhängig von konkreten Personen auf »Fall«-Basis, BeZiehungen spielen als handlungsleitende Gesichtspunkte ebenso Rolle wie eigene politische Überzeugungen. In dem Maße nun, in dem ein Beamter diesen Regeln nicht emspricht, wird sein Verhalten entweder zum Skandalon, oder aber der Staat als solcher weist keinen Betriebscharakter auf. Zum Skandal wird ein nicht dem idealtypischen 48 Tatsächlich beruht die Stabilität einer Herrschaft, wie Weber immer betont, nicht auf diesen Gründen allein. Zu den »Glaubenselementen« treten Furcht, Hoffuung und die Interessen :' verschiedenster Art, die ebenso Fügsamkeit bedingen (1920/1985: 822), darunter sind besonders wich tig: materielles Entgelt und soziale Ehre (1920/1985: 823).
' f
ZUR THEORIE STAATLICHER HERRSCHAFT
71
Regehl entsprechendes Verhalten daun, wenn die Ausnalune nicht schon zur Regel geworden ist. Die mindestens geglaubte Seltenheit des Vorkommnisses macht seinen besonderen Rang aus. Die Abweichung vom bürokratischen Ideal wird jedoch dann nicht als Sir" Skandal empfunden, wenn eine Orientierung am Ideal des rationalen Fachbeamten gar nicht erwartet wird. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Grad der Autollomisierung des Staates als Feld mit eigener Regelkompetenz gering ist, wenn also die Geltung staatlicher Eigenlogik deutlich überlagert wird von anderen, dazu in Gegensatz stehenden sozialen Logiken. Der moderne rationale Staat ist für Weber demnach vor allem eines: »legale Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab mit seinen Kernmerkmalen gesatztes Recht, unpersönliche Ordnung, regelgebundener Betrieb, Amtshierarchie und feststehende Kompetenzen der beteiligten Ämter« (vgl. Weber 920/1985: 124ff.). Diese moderne Herrschaftsfonn ist der beg11ffliche und Zielpunkt· der Weberschen . Herrs, ~f. t"~,, V\l 0\ mündet bei Elias die Entdeckung dieses Zusammenhangs noch nicht in die . Gleichsetzung von Staatsbildung und organisierter Kriminalität, wie später bei Charles Tilly (1985), aber Elias sieht in der Finanzierung der organisierten Gewalt in Gestalt des königlichen Heeres gleichwohl bereits einen zentralen kausalen Mechanismus der Formation des europäischen Staates. /\
I
I.' ~:"
1'6
ZUR THEORIE STAATLICHER HERRSCHAFT
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
Auch in Elias Konzeption ist die Entstehung des modernen Staates also in bestimmte vorgängige Prozesse eingebunden, nämlich an soziale Differenzierung und an die Monopolisierung - und das heißt zunächst: Zentralisierungpolitischer Chancen. Gleichzeitig kann die Veränderung der politischen Organisationsform nicht losgelöst von der Veränderung der Bewusstseinsformen der tmter ihr befassten Menschell verstanden werden. Dies betrifft nicht nur die generelle Anpassung der psychischen Apparate an die neuen sozialen Gegebenheiten, bzw. ihre parallele Wandlung, sondern ebenso die Ausbildung . neuer politischer Codes, deren Relevanz weit in das Ailtagsleben hineinragt: liEtikette, höfische Lebensform und die späteren Formen des Codes der Dis~ ltinktion sind nicht nur allgemein sozial anerkannt, sondern deshalb auch Teil lier legitimen Ordnung. Eine weitere Erweiterung der Weberschen Kategorisierungen von Macht und Herrschaft erhält man, wenn man sie um Elemente aus Michel Foucaults Werk ergänzt. 53 Auch im WeJ:k Michel Foucaults fmdet sich die Differenzierung von Macht und Herrschaft. Sie leidet jedoch gegenüber den Bestimmungen bei Weber und Bourdieu an begrifflicher Unterbestimmtheit, die sich dieses theoretischen Programms verdankt. Foucaults ist einerseits eng mit seinem Wissens begriff verknüpft, wenn nicht mit diesem identisch. In historischen Analysen untersucht Foucault einerseits die Konstruktion von Macht-Wissen-Komplexen. Diese sind nicht allein Grundlage staatlicher Herrschaft, sondern wirken überhaupt erst diskurskonstituierend. Der Machtbegriff wird bei Foucault damit desubjektiviert. Macht ist nicht mehr, wie bei Elias eine »Struktureigentümlichkeit aller menschlichen Beziehungen«, sie wohnt nicht in den Beziehungen zwischen Einzelmenschen oder Gruppen, sondern sie eine jeweils spezifische schaft der kognitiven Ordnung und damit auch der sozialen Praktiken. Eine gewisse Unentschiedenheit erhält Foucaults durch den im Gesamtwerk nicht einheitlich bestimmten Ort des ;)UOJeKts. Während im Frühwerk Foucaults das Subjekt fast ganz als Resultat von Herrschaftspraktiken erscheint, spielt in den herrschaftssoziologischen Schriften das Subjekt als Akteur eine größere Rolle. 54 Machtbeziehungen sind hier durchaus von handelnden Subjekten beeinflussbar. Sie beruhen auf ihrem Kal-
53 Zum Verhältnis der Webexschen Herrschaftssoziologie und ihrer Grundbegrifflichkeiten zum Begriff der Macht bei Foucault vgL Lukes (1983) und Lemke (1997: 303ff.) 54 Die vielleicht bekannteste Kritik der frühen Standpunkte Foucaults findet sich bei Habermas (1985: 279-342). Sie wäre angesichts der Fortentwicklung des Foucaultschen Standpunkts im Spätwerk, das dem Subjekt einen zentraleren theoretischen Ort zuweist, zu revidieren. Vgi. dazu die Gegenüberstellungen der Theorieformen des frühen und späten Foucaults bei Reckwitz (2000: 262-307).
79
Freiheiten und Gelegenheiten aUSZU11utzen (vgl. Lemke 1997: 305). Machtverhältnisse sind offen und unabgeschlossen, sie determinieren Handeln nicht, sondern erlauben Modiflkationen und Veränderungell VOll Verhältnissen. Deshalb Foucault Machtbeziehungen auch als »strategische , -'''. Spiele«, in denen alle einen wenn auch begrenztell - Einfluss auf das Ergebnis und die zukünftige Gestalt der Beziehung haben. Im Spätwerk Foucaults uitt dann eine Abgrenzung von Herrschaft gegen- i·i"i'.~Yhängen und gegenseitigen Bedingungen sekundär. Nicht in der Praxis der ,~ . Akteure, sondern nur der abstrakt behaupteten Geltung nach sind diese Diffe\el" \:,,~~ :renzierungen Teil des Prozesses der Herausbildung staatlicher Herrschaft. Die '. A,,"'" wirklichen Grenzen bestimmen sich über die Praxis der Herrschaft. Die Tauschmuster unterschiedlicher Kapitalsorten, quasi-patrimoniale Praktiken und das Ineinandergreifen der »Techniken des Selbst« mit den Techniken des Regierens - all dies sind praktische Verschiebungen dessen, was Herrschaft ausmacht, denn sie sind Veränderungen der in ihr verwendeten Machtmittel. Der Übergang von Macht zu Herrschaft und die Dynamik von Herrschaft selbst gehen also offenbar einher mit der Entstehung und Erweiterung von weiteren Differenzen. ~\\ . d) Die Institutionalisierung von Macht zur Herrschaft geht mit der EntI," c' "wicklung von Apparaten einher. Für den Bereich der politischen Herrschaft Ci gehen zudem alle vier Autoren von der Herausbildul1g eigener Apparate aus, deren , Funktionsweise und Bedeutung sie gleich wohl in unterschiedlicher Sprache ,\,\;" ' ,,-v
-J
,:i \.~'.
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
\.
I
d.).~
ZUR THEORIE STAATLICHER HERRSCHAFT
83
und mit unterschiedlichen Interessen analysieren. Gemeinsam ist ilmen jedoch das Augenmerk für die Ausbildung von Eigenlogiken dieser Apparate. In die, H,",t;. sem Prozess verschränken sich unterschiedliche Elemente, nämlich die Ausbildung von ~erufsständischen Eigenethos, professionellen Habitus, das. eUl.fa-,~~t~~~", ehe zweckrattonale Interesse an der Fortdauer der Laufbahn und schließlich l"~\;;~h die Ausbildung übergreifender Projekte der Herrschaft als Gouvernementali- ;:~, ,~~t:\>, täten, in die sich Handlungen und Funktionslogiken einzelner Elemente des v""'~' staatlichen Apparates einfügen. Damit ist keuleswegs ausgeschlossen, dass die 'o.u\"i'r~~,:' •• \..,~ \ , _'i(~" Teile des Apparates untereinander in Wettbewerb treten oder Uberschneidun-\.,'·"" gen und Überlappungen von Hierarchien auftreten. Die Ausweitung der Handlungskontexte staatlicher Herrschaft und das bloße Wachstum der staatliS '" ~C' chen Apparate machen solche Phänomene sogar wahrscheinlich. e) Ähnliches gilt für die Ausbildung einer spezifischen SJ'Jnbolik der He/T-r {. 'i.~. /~" ~ '1 T schqft. Jede ulstitutionalisierte Macht, die nicht nur für den Augenblick existie-·,(,'·l " ren will, sondern auf Dauer ausgerichtet ist, bedarf jenseits der Zwangsgewalt zusätzlicher Bindungen an die Objekte der Herrschaft. Auch das materielle oder sonstige Interesse, selbst in1 Vereul mit der »Übereinstimmung« mit der Sitte, ist nach Webers Herrschaftstheorie nicht zureichend, eUle entsprechende Bindung herzustellen. Staatliche wie nichtstaatliche Herrschaft ist darauf angewiesen, eine spezifische Symbolik zu entwickeln, in der die Ansprüche der Herrschaft formuliert und als berechtigt dargestellt werden können. Historisch hat wohl jede konkrete politische Herrschaft dabei zunächst auf andere, vor, nehmlich religiöse Symbolbestände, Ideen und Vorstellungen zurückgegriffen. I' ,/ :l'V'.·t,~j"......... Die Symbolik der Herrschaft erschöpft sich jedoch nicht in den drei von'~, jVcVerhältnlsse< annehmen; alles ÜberpersönUche ebenso wie alles Unterpersönliche muss, um gesellschaftlich wirksam zu sein, persönlich-menschlich UaliSiert werden« (Heller 1983: 83). Die Soziologisierung des Staates bedeutet also neben einer Zuschaltung der historischen Perspektive und der Einbettung der theoretischen Schau in die Isoziale Totalität auch die Selbstverpflichtung, Aussagen über den Staat auch im lHandeln von Menschen nachzuweisen. Diese theoretischen und methodischen Vororientierungen entheben nicht der Notwendigkeit, den Begriff des Staates näher zu bestimmen. Nun sind die Versuche, den Staat zu »deflnieren«, ungezählt. DefInitionen sind jedoch nicht beliebig, sondern von Erkenntnisinteres-
~
68 ... und daher theoretisch auch mit methodologischem Individualismus kompatibel: »Begriffe wie >StaatGenossenschaftFeudalismus< und 1ihn.liche bezeichnen für die Soziologie, allgemein gesagt, Kategorien für bestimmte kten menschlichen Zusammenhandelns, und es ist also ihre Aufgabe, sie auf ,verständliches< Handeln, und das heißt ausnahmslos: auf Handeln der beteiligten Einzelmenschen, Zu reduzieren« (\Veber 1922/1988: 439).
ZUR THEORIE STAATLICHER HERRSCHAFT
105
sen und theoretischen Haltungen abhängig. Die Konkurrenz oder auch gegenseitig ignorante Vielzahl von Staatsbegriffen ist dieser Theorieabhängigkeit geschuldet. Eine vielleicht auf jeden Fall analytisch trennscharfe Möglichkeit ' I . bestünde in der voraus greifenden Bestimmung des Staates, etwa im Sinne des .,,", Webersehen rationalen Anstaltsstaates, um bei der Betrachtung empirischen Materials über eine politische Vergesellschaftung dann in Graden der Abweichung etwas über den jeweils betrachteten Staat auszusagen. Nun kOl1zentrierte Webers idealtypische Methode sich auf den Zweck, Hypothesen über kausale Zusammenhänge zu genel1eren. Im Falle der StaatsdefInitionen wird dabei das Ideal des in der westlichen Geschichte dominanten Typs des rationalen Anstaltsstaates übersteigert, in dem gerade dessen typische Merkmale hervorgehoben werden. Dies erlaubte es, Aussagen über Grade der Ab. weichung und den Zusammenhang der einzelnen Momente zu treffen. Einer vergleichende Anlage einer Untersuchung, die sich auf Dynamiken von sehen Organisationen bezieht, die nur in höchst unvollständiger Weise die! ~:' ". Merkmale eines rationalen Anstaltsstaates aufweisen, ist mit solch einer ideal-' T~. typischen Herangehensweise allerdings nur eingeschränkt geholfen. Denn die .l"'.'.' .-,' Erfahrung der europäischen oder okzidentalen Staatsbildung bildet zwar einen' wichtigen Teil der Interpretationsfolie. Prozesse der Bürokratisierung, die Rolle einer rechtlichen KodifIzierung, das Auseinandertreten von Geltungssphären etc. - all dies sind Momente politischer Entwicklungen, die für die , Ausformung von Staatlichkeit von besonderer Bedeutung sind. Jede Analyse. der Formierung politischer Organisationen muss sie deshalb mit in den Blick nehmen. die in einer anEine vergleichende Betrachtung von politischen stattfInden, deren historischen Phase und unter anderen muss jedoch ein gegenüber dem Ideal des modemen Staates erweitertes Verständnis des Staates verwenden, um die Elemente der Prozesse der Staatsbildung und der Entstaatlichung überhaupt zu beschreiben. Auch eine noch so präzise begdffliche Fassung des Resultats des Staatsbildungsprozesses in Europa bietet kein hinreichendes Instrumentarium für die Beschreibung und Analyse anderer Prozesse in anderen Kontexten. Für einen solchen Zweck bedarf es einer Auffassung, die der Offenheit dieser Prozesse gerecht wird und die zugleich möglichst wenig über die konkreten Formen präjudiziert. Dennoch muss sich eine Untersuchung der Dynamik staatlicher Herrschaft auf Identisches beziehen, das in der Redeweise vom Staat zum Ausdruck kommt. Sie muss das Allgemeine, das in den Verwendungsweisen des Wortes aufscheint, auf den Begriff bringen, ohne dabei ihre Verwendbarkeit für die empirische Analyse einzubüssen. ~,
106
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
ZUR THEORIE STAATtlCHER l1,I'fRRSCHAFT
107
I
Diese Funktion übernimmt das Ideal des Staates, das im vorangegangenen . ' . ~~Abschnitt herausgearbeitet wurde. Im Zuge der globalen Ausbreitung des al \t.. C'.\t~~lwestlichen Staatsverständnisses haben sich gewisse Vorstellungen von Herr\"'=> .•~ (j",' v>(\. schaft und von der besonderen Form staatlicher Herrschaft verbreitet, die für . f' \, eine wachsende Zahl von Akteuren zu Referenzen geworden sind. Aus diesem globalen Prozess, nicht aus der Ubiquität von Herrschaft, ergibt sich der allgemeine, übergreifende Bezugspunkt dieser Untersuchung. Es hat seine reale Entsprechung in der globalen Annerkennung dieses Ideals, vor allem auf Seiten derer, die »im Staat« Dieses Ideal des Staates als einer kohärenten, territorialen Organisation steht jedoch in beständigem Widerstreit zur Wirk,..ip'}', lichkeit staatlicher Herrschaft, die, wie alle Indizien zeigen, eben nicht umfas\:\~),,(.:~;.,send, nicht sozial durchgreifend ist. Diesen Widerspruch gilt es im Begriff des \. t:,';IJJ'\S . hd e fitrueren: . \\f/.( 'taates zu f:assen. SI" 0 asst S1C Eill Staat ist ein Machtfold, über dessen Grenzen auch mit Mitteln der Gewalt
flttschieden wird, und dessen Dynamik vom Ideal einer kohärentfIt, kontrollierenden, territorialen Organisation und von dflt Praktiken so~aler Akteure geprägt wird Die zentralen Begriffe dieser Auffassung bedürfen der Erläuterung, bevor auf \ ,\, die in ~eser ~erspektive auf de.~ Sta~t enthaltenen Vorstellun~n V~l~ der \.i. . . (" Dynamik staatlicher Herrschaft naher etngegangen werden soll. D1e politische .,li{:' Wirklichkeit von Staaten - Staaten als Machtfelder - wird also einerseits vom f~V'" »Ideal« des Staates und andererseits von den Praktiken der Akteure bestimmt, , ;I ~ien sie nun Teil staaflic~r Agenturen oder nicht. Der Begriff des (rdeal:}ezieht sich dabei auf die Vorstellungen von der Form des' Staates, di~eute als Repräsentation allgemein global verbreitet ist. Dieses Ideal des Staates entspricht im Grunde der Selbstbeschreibung des modemen westlichen Staates, mit Merkmalen wie Organisation, Souveränität und Gebietskontrolle. Wenigstens seinem Ideal nach ist der Staat die höchste Regeln setzende Instanz innerhalb des von ihm kontrollierten Territoriums. Staatlichkeit in diesem Sinne ist zu einem globalen Maßstab geworden. Die »Verstaatlichung der Welt« hat so mindestens die der politischen Ak, vteure erfasst. Ir-\ /~·~t 'v; Diese Idee ist auch empirisch wirkmächtig. Denn zu Regieren bedeutet S~~~I;, \t-~em impliziten Etatismus dieses Verständnisses nach, eine Gesellschaft zu 1'>"';'" gestalten. Überall hängen die Agenten des Staates, aber durchaus nicht nur sie, \ <jler Idee an, »nationale« Gesellschaften seien auf den Territorien in Staaten "Qi«'~';~~organisiert, deren Grenzen die Binnengliederung der politischen Welt - einer ()(", 'h\), Staatenwelt - sei. Staatliche Akteure betrachten »ihre« Gesellschaften als Ob, die entwickelt, kontrolliert, unterstützt oder bewahrt werden müssen.
~ \~q""
:"
"
t.v
Auch außerhalb Europas haben sich solci~, der europäischen Gouvernemen;! ;r. tal1tät vergleichbaren Vorstellungen ver!ngemeinert, etwa in der Idee des Elltwicklungsstaates. --~---Das Ideal des Staates ist jedoch nicht nur unter seinen verbreitet. Auch außerhalb der staatlichen Apparate wird der Staat zumeist als einheitliche, zusammenhängende Agentur begriffen. Dass dieses Ideal des Staates so geläufig ist, bedeutet jedoch keineswegs, dass es wlwnstritten bliebe und wirki lich überall anerkannt wäre. Innerhalb des Ideals markieren Grenzen die Zll- '\~,. < , ständigkeiten des Staates, und diese Zuständigkeiten sind umkämpft. Außer-~)[ . Ir .' halb des Staates stehen an.dere Machtbeziehungen und Herrschaftskomplexe" : ';,' '. die die Suprematie des Staates nicht anerkennen, Teile des Staates ;"',.; ' d.. der ausspielen, den Staat im Sinne eigener Logiken instrumentalisieren oder .. andere Codes in seinem Innern zur Geltung bringen. Die Praxis des Staates entspricht deshalb seinem Ideal in aller Reß~ni€.ht", _,. ,: Mit dem Rekurs auf die Kategorie d~kti~0';Wird es möglich, mit dieser I ,\ ' Vorstellung zu brechen, weil sie es erlaubt, 'die Unterschiede zwischen dem Bild, dem Ideal des Staates und seiner praktizietten Wirklichkeit zu thematisie- ; 1 • ren. Praktiken sind beobachtbares Verhalten, nicht nur intentionales Handeln. \ .' Praktiken, die die staatliche Handlungslogik unterlaufen, sie an ihrer Entfaltung hindern oder sie wnkehren, müssen nicht notwendig intentional gegen den Staat gerichtet sein. Bloße Gewohnheit, bloßes Sichverhalten kann die gleichen Effekte haben. .rvlit dem Begriff der Praktiken wird dabei allf einen jüngeren sozialtheoretischen Theoriestrom verwiesen, der sowohl die täten des formalen Rationalismus zu vermeiden sucht wie die Paradoxien des kulturellen oder historischen Relativismus (vgl. Reckwitz 2002). Nicht nur staatliche Akteure »praktizieren« den Staat, aber in iluem Handeln wld Verhalten werden die Grenzen des Staates w11'l1ittelbar sichtbar. Denn staatliches Handeln, Herrschaft, ist im Alltag Verwaltungshandeln. An ;'-'rt"',' den Möglichkeiten und Beschränkungen der staatlichen Agenten wird erkelln- "Il.· .. !.AL. bar, wieweit die Macht des Staates reicht, welches Maß an Wirklichkeit seine Anspruche erlangt haben. Zugleich sitld aber auch die Praktiken der nicht- . t. i staatlichen Akteure für den Staat konstitutiv. Ihr Beitrag zu der Wirklichkeit . .. . des Staates beschränkt sich dabei nicht auf ihre Interaktion mit den Agenten '.C·. ,e . des Staates. Auch und gerade ihr Handeln und Verhalten, das sich gegen den Staat richtet, ihn oder seine Anspruche ignoriert, bezeichnen die Grenze staat- i: . • licher Herrschaft. Schmuggel und Steuerhinterziehung etwa sind Praktiken, die "'~! ,,, ~N v heitlich auswirkte. Die koloniale Herrschaft war, wie im folgenden Abschnitt : (~~~\\~J'}- ( ~ gezeigt wird, nur eine ultvollstältdige Atifhebltng der vorkolonialen Formen. Dies )\"~w\L,~1 war zugleich die Voraussetzung für die .rofljale Wiederalteigltultg des Staates, die \ ~ I ; I im Gefolge der Dekolonisation einsetzte. Schon diese Prozesse sind weltgesellschaftliche. Während sich schon die Entwicklung vorkolonialer politischer Formen nicht als die isolierte Eigendynamik einzelner Zusammenhänge begreifen lässt, Wird spätestens mit der Errichtung der kolonialen Aufteilung der Weltzonen die Globalität der Dynamiken politischer Herrschaft unmittelbar anschaulich. ."
.,~!X::;:'~;:):~
71 Die folgenden, notwendig sehr verdichtenden Ausführungen beruhen auf den Beiträgen in Mommsen/Osterhrunmel (1986) und Albertini (1987), sowie Buisson/Schottelius (1980), Fisch (1984), Marseille (1984) und Coquery-Vidrovitch/Moniot (1974) und nicht zuletzt dem vierbändigen Werk Reinhards (1983ff.) und der in den folgenden Kapiteln aufgeführten onal- und fallspezifischen Literatur, soweit sie die Vorgeschichte staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt behandelt. 7'2 Die VOn Jörg Fisch hervorgehobene Teilung der Welt in Zonen der Kultur und Zonen der Unordnung als eines intellektuellen Korrelats der europäischen Expansion hat in den Sozialwissenschaften deutliche Spuren hinterlassen, Wahrend etwa die Politi1:wissenschaft bis heute von nicht-westlichen politischen Formen nur in Negativ-Kennzeichnungen wie »defekte Demokratie« und »unvollendete te Staadichkeit« sprechen kann, hat die Ethnologie es übernommen, die alten Formen zu musealisieren, Erst in jüngerer Zeit ist es zu einer analytisch fruchtbaren und der Komplexität des Gegenstru.des angemesseneren Veränderung dieser Haltungen gekommen. Vgl. etwa die in Reinhard (1999) und Bayart (1994,1996).
Gegenüber dieser Einheit sind aber auch Differenzen zu betonen: So wie ':" d, ' ' sich in Europa die Strukturen und Entwicklungswege von Staaten unterschei- ' . den, weil sich geschichtliche Erfahrungen, soziale Differenzen und verschiedene Traditionen in ihnen eingelagert haben, so haben sich auch in Afrika, Lateinamerika und Asien Eigentümlichkeiten der politischen Herrschaft ausgebildet, die sich nicht leicht unter einfache Formeln subsumieren lassen. Der"" ."f: Begriff der Dritten Welt ist deshalb in1mer schon problematisch gewesen, weil :;, die Einheit, die er suggerierte, wichtige Differenzen der sozialen und politi- '.;~$"i; schen Formen überdeckt hat (vgl. Sylvester 1999). So sind auch die dortigen Prozesse der Staatsbildung, und ebenso die Erosion staatlicher Herrschaft komplexer als es die populären Vorstellungen transportieren. Auch die Geschichte der staatlichen F01m in Europa wird ja in langfristige Prozesse, in Einbrüche, Konjunkturen und Entwicklungswege um den Bestimmungsgründen ihrer Herausbildung näher zu kommen. Noch heute stehen die Namen ))Frankreich«, }}Deutschland« oder »Großbritannien« als Synonyme für unterschiedliche Geschichten und Ergebnisse der Institutionalisierung von politischer Macht, für unterschiedliche kollektive Erfahrungswelten und für »)11ationale« Werte. Jeder dieser Staaten ist mit seinen Besonderheiten ein Gewordenes. ~I, ir ,·. Nin1mt man die Historizität der Form des Staates ernst, so Lmuss sie gleichermaßen für die Analyse der Staaten der Dritten Welt gelten"," 11: .. Mit der notwendigen Bereitschaft, das Bemühen lln1 Generalisierung mit einer Aufmerksamkeit für Besonderheiten auszutarieren, werden Einsichten lich, die einige der gängigen Auffassungen übel' Form und Entwicklung staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt überwinden helfen, ohne die Zusammenhänge deshalb in eine Rhapsodie von unverbundenen Geschichten und Einzelheiten aufzulösen. Erst wenn man diese Unterschiede zur Kenntnis nimmt, lassen sich für die Entwicklung politischer Herrschaft in der Dritten Welt einige gemeinsame Strukturmerkmale f01mulieren, die ihrerseits auf Historisches verweisen. Denn diese gemeinsamen Merkmale haben ihre Ursachen sämtlich in der geschichtlichen Erfahrung der europäischen Expansion, die für die Gesellschaften außerhalb Europas mit der endgültigen Einbil1dung in die Wtrkungszusammenhänge des internationalen Systems und des Weltmarkts gleichkam. Die sozialen Dynamiken, die mit dieser Integration in Gang kamen, sind dann auch für die Formen und Grenzen staatlicher Herrschaft bestimWelt ist also beides: Ergebnis mend geworden. Der Staat der
r'
II11Pttlst:!,~~~e~~iat
-L,' '. -
im Innern. Im Folgenden sollen einige Gmndzüge der Geschichte dieses Verhältnisses von Staats bildung und der Dynamik des internationalen Systems H,.,1',,, D b" . d i ' genannten Rererenz C Bälle - L'b' S ali a, ACrgh a/.·'k.' '-': :c. ; a el zeigen e zumeist 1 ena, om ,.'\ :)['f~'< ] nistan, DR Kongo, Sierra Leone - bei näherer Betrachtung, dass die tiefge1~_~):1" ' i. hende Krise der neopatrimonialen Systeme nicht das Ende von Staatlichkeit, 'und schon gar nicht das Ende von politischer Herrschaft bedeutet. Zwar ,schwächen die zentrifugalen Tendenzen der Kriege im neopatrimonialen Staat die Annäherung an das Ideal moderner Staatlichkeit. In ihnen lassen sich aber durchaus Merkmale einer stärkeren Durchdringung des gesellschaftlichen Raumes durch staatliche oder staats ähnliche Agenturen beobachten (vgL Marchal/Messiant 1997). Und selbst in Fällen wie Afghanistan oder Somalia, in '\;)\> , denen bisher selbst die Wiedererrichtung staatlicher Zentralgewalt ausblieb, ist Q\Ü;~'f"'\'" die Gesellschaft nicht anomisch. Staatlichkeit, oft in einfachsten FOimen poli,~~;~i ytische~ Herrsch~ft, hat si~h dort delegiert. Gebietskontrolle und Verwaltung :('9 . ,9).J,·· '; aber O1bt es daffi1t nach W1e vor. I
I
I :"I!'.';\
,(\
'W
'
DYNAMIKEN DER GEWALT
167
3.2.5 Kriege im peripher-sozialistischen Staat Im Kriegsgeschehen in der ehemaligen Sowjetunion und in den post-sozialistischen Staaten vermengen sich Elemente der bisher geschilderten Realtypen. '13 Hier finden sich Merkmale von Dekolonisationskriegen sowie des Typs lfKrieg im Entwicklungsstaat«. Das hat damit zu tun, dass die Auflösung der Sowjetunion mit der Auflösung des territorialstaatlichen Resultats des russischen Imperialismus identisch ist. In den Kriegen dieses Typs verbinden sich also die zentrifugalen Effekte einer phasenverschobenen Reichsauflösung mit den Dynamiken einer bürokratisch-autoritären Modernisierung. Denn in diesen Staaten gab es in der Ära des so genannten Sozialismus eine weitreichende Regulierung: Der Staat besaß ein faktisches Monopol des Außenhandels und kontrollierte alle bedeutsamen wirtschaftlichen Institutionen ebenso wie er in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens präsent war. Die damit verbundene Rigidität wurde ausgeglichen durch die Flexibilität paralleler Institutionen wie den Schwarzmärkten und der Patronage im politischen Bereich. In diesen Staaten sind vor allem die achtziger Jahre eine Zeit der Stagnation gewesen, so dass auch hier die ökonomische Krise der Staaten einsetzte, die mit dem Ende der Sowjetunion in einer politischen Wende kulminierte. Auch in den Staaten des »real existierenden Sozialismus« hat es regionale Entwicklungsgefälle innerhalb der einzelnen Staaten und Republiken gegeben. Die Zentren der Wertschöpfung verteilten sich nicht gleichmäßig über das ganze Land. Zudem haben sich hier ebenfalls historische Erfahrungen in Fonn von gegenseitigen Stereotypisierungen erhalten. Dabei spielte die als Fremdherrschaft interpretierte Dominanz der Sowjetunion bzw. die Arbeitsmigration russisch-stämmiger Bevölkerungsteile eine bedeutende Rolle. In der Loslösung von der russischen Dominanz und im Bestreben nach Eigenstaatlichkeit wiederholen sich Elemente der Dekolonisationskriege; sie zielten auf das Ende von Fremdherrschaft und zeigten gleichzeitig, dass der Konsens der Nachfolger nicht zur friedlichen Etablierung einer neuen Herrschaft ausreichte. In den strukturellen Voraussetzungen des I'
112 Die Geschichte Ugandas ist musterhaft für diese Prozesse und Zusammenhänge, vgL den Exh:urs in dieser Arbeit.
113 Dabei handelt es sich um je drei Kriege in Georgien (Südossetien 1990-92; Anti-RegimeKrieg 1991-93; Abchasien 1992-94) und in der Russischen Föderation (Inguschetien 199294, erster Tschetschenienkrieg 1994-96 und zweiter Tschetschenienkrieg seit 1999). Aserbeidschan 1990-94, Moldawien 1992, Tadschikistan (1992-98) sowie Usbekistan (seit 1999).
"1
1 ~
i
i l,,'
1
168
DER STAAT lN DER WELTGESELLSCHAFT
zusammenhänge eingebunden. Partei und Staat waren in weiten Gebieten der I Sowjetunion von der L~gik distributiver Netzwerke dominiert. Der personale Charakter prägte den Stil des Regierens, so sehr er den Rekurs auf die Gewalt des staatlichen Apparats einschloss. Über familiale und lokale Vergemeinschaftungen fanden Partizipation und Redistli.bution statt. Patriarch ale und autoritäre Elemente ergänzten die Praktiken des bürokratischen Regierens. Auch in den staatssozialistischen Gesellschaften nahm der Staat eine ökonomisch zentrale Position ein. Er war auch hier der Ort der Karrieren, der Bildung von Machtallianzen, der Entscheidungen über Investitionen und die Basis des Erwerbs jenseits der bloßen Subsistenz. So ist in allen sozialistischen iGesellschaften, gerade aber in der Sowjetunion, der Staat als Modernisierer I aufgetreten. Neben der Inwertsetzung von Boden und Arbeit _ wenn auch unter »sozialistischen« Bedingungen - gehört in das konfliktträchtige Repertoire des modernisierenden Staates auch hier die Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen, die Errichtung von Infrastrukturen und die zwangsweise Integration in die staatlichen Institutionen wie Schule und Militär.114 Im Grad der Verstaatlichung der Gesellschaft zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede. Nicht nur an Schulbesuchsraten und dem Umfang von Zwangsdiensten in Militär und sonstigen Einrichtungen, sondern auch im Ausmaß der Kontrolle der sozialen Mobilität lässt sich die starke Präsenz des Staates in den sozialistischen Gesellschaften erkennen. Die Rigiditäten, die durch die Kontrolle und ihre bürokratische Logik entstanden, hatten legitimitätsmindernde Effekte. Staatliche Herrschaft desinstitutionalisierte sich und zerfiel in die bloße Macht, über die Drohung mit Repression und Exklusion Fügsamkeit zu erzeugen. Die Basislegiti1nität, durch ihr Gewaltmonopol Sicherheit vor physischer Gewalt zu bietel1, ging ihnen gleichwohl nicht verloren. Parallelen zum Typus Krieg im Entwicklungsstaat lassen sich ebenfalls in den Verläufen konstatieren. Auch in den pel1pheren sozialistischen Staaten ergab sich, bedingt durch ihre sich verschärfende Position als Vennittler zwischen innerer Dynamik und den äußeren Bedingungen des Weltmarkts, ein nachlassender Fluss von Ressourcen durch zentralstaatliche Kanäle. Die nach.lassende Bedeutung des Staates für die Sicherung des Lebensunterhalts bzw. : für die Erfüllung der sich differenzierenden Erwartungen waren der Hinter•grund der wirtschaftlichen Informalisierung die ab del1 1970er und 1980er i Jahren in allen sozialistischen Staaten deutlich zunahm. I
114 Diese der Vollzugsform nicht jedoch ihren Wirk1Jngen nach - andere Modemisierung und die mit ihr verbundenen Dislozierungen im realexistierenden Sozialismus (vgl. Sapir 1996, Hoffer 1992, Maier 1999) werden in der Betrachtung der kriegsursächlichen Prozesse der Revielfach unterschätzt (vgl. etwa Snyder 1993).
DYNAM1KEN DER GEWALT
169
Parallelen zum Neopatrimonialismus finden sich bei diesem Kfiegstyp vor allem im Resultat. Analog zu den Akkomodationsproblemen etwa in neopatrimonialel1 Staaten, die dott seit den 1980er J abren verstärkt auftraten, entwickelten sich auch in den peripheren sozialistischen Staaten verstärkt Machtkämpfe unter den Patronen und ihren Gefolgschaften. Je werliger die Verteilung und »Unterbringung« im staatlichen Apparat zur Sicherung der eigenen Machtposition dienen konnte, desto wichtiger wurde die Ausnutzung von Chancen der Machtbildung außerhalb dieses Bereichs, zumal sich 111m auch in dieser Sphäre Herausforderer staatlicher Herrschaft zu fonnieren begannen. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 wurde das Personal der Gewaltapparate in diese politischen Konkurrenzen um die Aufteilung der Positionen in den neuen Staaten mit hineingezogen. Der Prozess umfasste die Auflösung von Armeen in lokale Einheiten und Verselbständigungen von Armeeteilen, die Bewaffnung von Milizen, kurz, die ganze Bandbreite der Phänomene der Privatisierung von Gewalt. 1l5 Viele der besonderen Momente der ehemals staats sozialistischen Gebiete kehren in den Resultaten der Kriege wieder. Überall dort, wo vor kriegerischen Eskalationen ein relativ hoher Grad der Verstaatlichung der Gesellschaft erreicht worden war, fiel die DemobilisierUllg und Nachkriegsakko111odatiol1 der Gewaltexperten leichter, staatliche Strukturen waren, wie in Kroatien oder Moldawien, auch im Verlauf des I>demokratischen Frieden« ja • t auch als den »Frieden der Wohlfahrtsstaaten« interpretieren. ......_- ..... -..__.............
.p.
l7u C:U~J
tl(~., ...... ( . . .;6
( .1)" (.. /~
181
den Normen ul1d Verfahren legal-rationaler Herrschaft gemäß verhalten müssen. In diesem Sinne ist die Verrechtlichung der Politik Bedingung eines timen Gewalttnonopols. Aber auch die Regierten selbst müssen die Suprematie des Staates anerkennen und ihren eigenen Gewaltgebrauch diesen Regelungen anpassen. Die Tendenzen der Diffusion und der Privatisierung der Ge~alt, die sich regional übergreifend in den Übergangsgesellschaften beobachten lassen, zeigen an, dass sich die Entwicklung eher von der Regelung der Gewaltfrage nach westlichem Muster entfernt. Deshalb deutet darauf hin, dass sich eine Monopolisierung der Gewalt durch den Staat in den Regionen der Dritten Welt schnell einstellen wird oder dass sich entsprechende Aquivalente ausbilden. Die Befriedungsmäglichkeiten sind nicht nur davon abhängig, inwieweit es gelingt, die Gewaltapparate . des Staates unter ziviler Kontrolle einzuhegen. Das Niveau der • Gewalt ist außerdem abhängig davon, inwieweit es gelingt, über Institutionen' der sozialen Integration und politischen Partizipation jene Veränderungen. abzufangen und zu prozessieren, die der konfliktive Transformatiollsprozess j auch weiterhin hervorrufen wird. In der Geschichte der Dritten Welt ist sehe Gewalt neben der Vielfalt der Formen von Korruption und Patronage kontinuierlichste Praxis der Einklagung dieser Integration und An den Grenzen der Inklusion wird deshalb auch weiterhin die Gewalt ern. Die internationale Konstellation wird diesen Entwicklungen nicht entgegenstehen, sondern sie befördern, de1111 die globale Blockkonfrontation hat im »Krieg gegen den Terrorismus« ihre Fortsetzung gefunden, nachdem der »Drogenkrieg« sich darur als unzureichend erwies. Für die Selbstlegitimierung von staatlichen Gewaltapparaten ist diese Situation ideal: Sie liefert eine nahezu beliebig dehnbare Folie der Interpretation politischer Verhältnisse, die ihrerseits als Daseins- und Expansionsgtund tcilitärischer Apparate und Institutionen angeführt werden kÖ1111en. Die schon erreichten Internationalisierungen dieser tcilitärischen und polizeilichen Komplexe werden daher eher eine Fortführung als einen Rückbau erleben. Die Intemationalisierung von Herrschaft wird sich also auch auf diesem Gebiet fortsetzen.
DAS GELD DES STAATES
4. Das Geld des Staates
»Auf der Strasse arbeiten« heißt im Grenzdreieck von Kamemn, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik ein coupeur de mute sein. Das sind jene jungen Männer, die den legalen und illegalen Handel über die Grenzen mit Waffengewalt besteuern. Nur gelegentlich werden sie von der Polizei verfolgt, denn Zollbeamte, lokale Politiker, auch Minister und Oppositionspolitiker sind in die Netzwerke des Schmuggels und seiner illegalen Besteuerung involviert (Roitman 2005: Kap. Montenegro hat sich im Verlauf der neunziger Jahre, unter den Bedingungen eines internationalen Embargos, zu einem Hauptumschlagplatz des rettenschmuggels entwickelt. Aus Zollfreilagem in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien kommend, verlassen große Mengen Zigaretten Montenegro wieder, mit Bestimmungsländern wie Belize oder Malaysia, ohne indes dort anzukommen. Der illegale Absatz auf den Märkten in Frankreich, Griechenland oder Deutschland hat solche Gewinne ennöglicht, dass offenbar auch die politische Klasse Montenegros in diese Geschäfte hineingezogen wurde (Mappes-Niedeck 2003: 49f.). Der' Staat Niger nimmt über die Besteuemng des illegalen Handels über die Grenzen zu seinen Nachbarstaaten so viel ein, wie er an Beamtengehältem in eineinhalb Monaten zu zahlen hat - die Kosten entstehen auf Seiten der Nachbarstaaten, die mit Zölle heimische Industrien zu schützen suchen. Die nigrische Ökonomie - und damit der Staat - profitieren enonn (Gregoire 1998: Diese Geschichten sind keine EinzelEille, aber sie repräsentieren auch nicht die Gesamttendenz der Finanzierung staatlicher Herrschaft außerhalb der OECD. Sie lassen sich ebenso wenig als Symptome der »Krise« staatlicher Herrschaft interpretieren. Denn auch die Geschichte der europäischen Staaten ist voller Beispiel davon, wie Staatlichkeit sich ausbreitete und konsolidierte, indem sie auf Maßnahmen zurückgriff, die nach heutigen moralischen und juristischen Maßstäben skandalös wirken würden. Was sich an diesen drei 1Beispielen jedoch erkennen lässt, ist die Differenz zwischen der Praxis der . Staatsf11lanziemng und dem Bild, das Staaten von sich selbst zeichnen.
183
»Herrschaft braucht Sachmittel« konstatierte Max Weber lakonisch In seinen Analysen der Beziehungen des Staates zur Wirtschaft (1920/1985: Doch die Arten und Weisen, in denen politische Verbände ihren Finanzbedarf decken, variieren erheblich. Die Standardvorstellung des Staates geht von einer steuerzahlenden Bevölkemng aus, der die Beschaffung der Mittel durch wittschaftliehe Aktivitäten obliegt. Doch schon die oberflächliche Betrachtung der fiskalischen Grundlagen der meisten Staaten der Welt zeigt, dass diese Vorstellung unangemessen ist. Die dreifache Beziehung, die den aus der europäischen Erfahrungen geronnenen Theorien nach gilt, ist eine globale Ausnahme: Die Trinität von Wehrpflicht, Bürgerrecht und Steuerpflicht (vgl. Bendix hat sich global nicht verallgemeinert. Die Zurechnung von Einkommen auf Personen und die effektive Erhebung von Steuern auf persönlichen Einkommen ist an vielf,'iltige Voraussetzungen gebunden. Dazu muss sich staatliche Herrschaft zunächst einmal Maß an Autonomie aneignen, dass es erlaubt, auch Machtgruppen Steuern aufzuerlegen. Zu den Bedingungen gehört auch Geldwirtschaft, das heißt der ' Vollzug der weitaus überwiegenden Zahl der Werttransfers und Zahlungen in " Geldfonn. Die dritte Voraussetzung besteht in der Akkumulation des notwendigen Wissens des Staates über seine Bürger. Die Registrierung der Existenz des einzelnen, seiner Vennögens- und Einkommensverhältnisse ebenso wie seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes sind Teil des bürokratischen Wissens, das Bedingung und Teil moderner staatlicher Herrschaft ist. Die Trinität von Wehrpflicht, Bürgerrechten und Steuerpflicht basiert auf einer Unmittelbarkeit des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum, die ihrerseits auch an eine erfolgte Disziplinierung und Individualisierung gebunden ist. Inhalt dieses Kapitels ist es, die Entwicklungen der Finanziemng der Staa-,: \' ten in der Dritten Welt herauszuarbeiten. Dabei muss wegen einer grunds ätz- ,',: lich schlechten Materiallage erheblich vereinfacht werden. Anders als im vorhergehenden Kapitel werden dabei nicht Gmppen von Staaten unterschieden - auch wenn einige Charakteristika der Staatsfmanzierung dies nahe legen würden. Stattdessen werden nach theoretischen Betrachtungen und nach einigen historischen Bemerkungen die Revenuequellen der Staaten gesondert auf ihre Rolle in der Dynamik staatlicher Herrschaft untersucht. Die Geschichte der Fiskalität von Staaten der Dritten Welt ist ein nicht sonderlich gut erforschter Bereich. Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Thema beginnen damit, dass detaillierte Daten über die Staatsfuunzen nur vereinzelt vorliegen, unvollständig und katl111 nachprüfbar sind. Selbst die internationalen Finanzinstitutionen verstchen ihre Datcnsätze als Näherungswerte und nicht als exakte Abbildungen der Realitäten .
\
184
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
Auch die Literatur, die sich mit dem Thema auseinandersetzt, ist ausgesprochen lückenhaft. Sie ist dominiert vom eher entwicklungspolitischen Interesse, eine ))optimale« Formel für Steuersysteme in nicht durchweg modernen Gesellschaften zu fInden. Schriften, deren theoretisches Rüstzeug sich auf die gängigen ökonomischen Lehrmeinungen beschränkt, dominieren das Feld. Politische Implikationen ihrer Befunde diskutieren sie nicht. Auch eine nennenswerte vergleichende Forschung zur Fiskalität außerhalb der OECD liegt rucht vor,128 Schon aus diesem Grund ist es schwierig, über die vermittelten Wirkungen von St~a.~~,::sW1ben auf die Dynamik staatlicher Herrschaft Aussagen zu treffen, denen hinreichendes empirisches Material zugrunde liegt. Wegen der umfangreicheren Literatur über einzelne Aspekte wie die Verschuldung, Privatisierung und Renten ist dies für die Seite der Staatse.l!l11ahmen deutlich leichter. Die folgenden Ausführungen zur Rolle der Fiskalität in der Dynamik staatlicher Herrschaft stehen also unter dem Vorbehalt, dass eine analoge Betrachtung der staatlichen Ausgaben noch aussteht. Grund für die Schwerpunktsetzung auf die Einnahmen des Staates ist die Überlegung, dass auf diese Weise mehr über die Einflussfaktoren und BestimmungsgrÜ11de staatlicher Herrschaft zu erkennen ist, als in der Analyse der Staatsausgaben, die vielfaltigen Einflussmöglichkeiten unterliegt. Zwar sind , auch die Ausgaben des Staates für die Dynanlik seiner Herrschaft von großer , \:.~ ,t:'I'/ Bedeutung. Fast alle Staaten der Dritten Welt versuchen, über die Streuung t,"~:' '.:" und Allokation der Staats ausgaben politische Stabilität zu erreichen. Mittel \ lJ dazu ist nicht allein die Patronage über Stellenvergabe im öffentlichen Sektor, sondern auch die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln und städtischem Wohnraum, sowie die ganz Bandbreite öffentlicher Investitionen, mit den Staaten und Regime ihre Macht sichtbar machen und ihre )Sorge« um die Bevölkerungen demonstrieren wollen. Der Aspekt der Fiskalität ist für staatliche Herrschaft überhaupt zentral. Denn mit der der fIskalischen Grundlage entscheidet sich auch die Handlungsfahigkeit staatlicher Agenturen. Neben dem Recht sind die Steuern - und, in Umkehr, die durch sie fInanzierten Redistributionen - ein wichtiger Indikator der Beziehungen zwischen staatlicher und nicht-staatlicher Sphäre. Die gängigen theoretischen Auffassungen über den Charakter von Steuern in Entwicklungsländenl sind jedoch nicht ausreichend, die spezifIsche Gestalt ! und Geschichte der Fiskalität zu erklären. Heute dominante Vorstellungen j über Besteuerung, wie sie etwa in Lehrbüchern zu fInden sind, betonen
I
128 Vor aUem internationale Finanzinstitutionen haben ein Interesse an der Besteuerung der Ökonomien in den Staaten, denen sie Mittel zukommen lassen. Schriften aus dem Umkreis von IWF und Weltbank dominieren deshalb die Literatur ("gI. Tanzi 1992,1999), vgl. jedoch Lieberman (2003),
DAS GELD DIlS STAATES
185
durchweg einseitig bestimmte Beziehungen des komplexen Verhältnisses zwischen politischer Macht und Gesellschaft und bedürfen daher in mehreren Hinsichten der Ergänzung. Sie unterstellen in der Regel soziale und politische· _ Konstellationen, wie sie eine liberale Politiktheorie aus der fahrung gewonnen hat. Wie zu sein wird, ist das Verhältnis von »Willkür und Wohltat«, das sich in der Finanzierung politischer Herrschaft in der Dritten Welt ausdruckt, von solch einer theoretischen Position nicht hinreichend zu begreifen. Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist der Abgleich des Ideals"i 'tl:,Mtärke(( der staatlicheN Herr~qft:_Nur ein Staat, der über großes bürokratisches Wissen und geschultes, hinreichend entlohntes Fachbeamtentum mit professioneller Ethik kann wirksam Steuern erheben. Die Qualität des Apparates darf sich dabei nicht auf die Finanzbehörden beschränken. Ein effizientes und kalkulierbares Rechtssystem gehört ebenso dazu, etwa um Forderungen durchzusetzen und Sanktionen glaubhaft machen zu können. Grundvoraussetzung der Besteuerbarkeit ist zudem eine hinreiehende Autonomie staatlicher Agenturen in der Entscheidung über Form der Steuern und die Bestimmung der betroffenen Personsenkreise. Wo die staatliche Macht von einzeh1.en Gruppen uSLlq)iert ist oder zu starke politische Einflüsse existieren, ist die Möglichkeit der Besteuerung von vornherein Oligarchen zahlen keine Steuern. Weiterhin haben politische Priiferenzen einen Einfluss auf die Gestalt eines Steuersystems. Generelrdorriinierende Vorstellungen dalüber, welche Stellenl und welche Steuersätze sind, bestimmte Staatsziele zu erreichen. 11«" einflussen die konkrete Ausformung eines Steuersystems ebemo "nt;
,'1
lY":
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAPT DAS GELD DES STAATES
meine pOlitische Haltungen, etwa über die Berechtigung Von Steuern überEs sind auch hier die Praktiken der Menschen, die die Wirklichkeit der Institutionen bestimmen. Nur dort werden wo entweder mindestens die Stärke des Staates hinreicht, die Zahlung zu erzwingen, oder wo die '. j Bereitschaft, sie zu zahlen, vorhanden ist. Dies ist davon abhängig, ob die staatliche Forderung als legitim erachtet wird und ob der Nutzen, die Leistungen des Staates, unmittelbar erkennbar und anerkannt wird. Kurzfristig wird die Steuerbereitschaft freilich auch durch die Leistungen bzw. das Versagen _~inzelner Regime beeinflusst.
. \\.V,'{r :
r
In den meisten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas reicht die Legi-
'. ~\',Mi timität staatlicher Herrschaft nicht aus, oder, in Bourdieuscher Terminologie df
(b;:') r)'.·t,i 'gesprochen, ihr symbolisches Kapital ist nicht hinreichend, um eine so enge \(;:\"~,'.""I Kontrolle durchzusetze11, wie dies die Erhebung personenbezogener Steuern
"'J
I
,l, voraussetzen würde. Zugleich fehlen den meisten Staaten der Dritten Welt dafür die bürokratischen Voraussetzungen. Ihre fiskalischen Strukturen sind, bedingt durch Art und Zeitpunkt ihrer Einbindung in die ZUs a111menhänge des Weltmarkts, stärker von indirekten Steuern, von Renten aus dem Außenhandel, von Kreditaufnahmen und von politisch motivierten Zuwendungen geprägt. "
Zuschüsse als Entwicklungshilfe stehen neben Naturalabgaben in Form
\:~lb~(';'JI.'von ",:rbeits- und Wehr~iensten .und ~~.r Aufn~me.von.inte~en. und externen ,. /' : Krediten. Auch der Wirtschaftliche EJgenbetneb 1st eme gangtge Form der Finanzierung der postkolonialen Staaten. Hierzu gehören nicht nur staatliche Handelsmonopole, mit denen der Staat Zirkulatiol1sgewinne einbehält. In den ehemaligen sozialistischen Staaten, aber ebenso in Mischsystemen wie dem Indiens, sind auch Betriebe der Produktion in staatlichem Besitz. Die Schwäche des fiskalischen Bandes, so scheint es, liegt darin begründet, dass es Zur Besteuerung zu viele Alternativen gab und nach wie vor gibt.
1
4.2 Die Befunde Zwar ist das statistische. Material über die ökonomischen Vorgänge außerhalb der GECD notorisch unzureichend und unvollständig. Es erlaubt jedoch einige grundlegende Einschätzungen über die Praktiken der materiellen Reproduktion der Staaten, die sich auf dem Gebiet, das sie als Territorium zu beherrschen beanspruchen. In diesem Sinne sind die folgenden kurzen Betrachtungen über Staatsquoten und Steuereinkünfte Zu betrachten. Sie liefern
193
wirklich detailgetreues Bild der Verhältnisse, aber sie indizieren Tendenzen und Relationen. Fürd:tf~lyse der fiskalischen Grundlagen eines Staates ist zunächst die Staatsquot~jnthressant. Denn der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoin'-:ranaspro~kt gibt zunächst Auskunft über die ökonomische Bedeutung des Staates in einer als »nationale« Wirtschaft gedachten Ökonomie. Sie liefert aber auch Anhaltspunkte für eine erste Einschätzung der Fähigkeit eines ökonomische Prozesse innerhalb seiner Grenzen und darüber hinaus insofern zu kontrollieren, als er einen Teil der zirkulierenden Ströme von Werten lenken kann. In der Dritten Welt ergeben sich dabei folgende Befunde Tab. 1): Die Bedeutung des Staates in der Gesamtökonomie liegt deutlich unter der in entwickelten kapitalistischen Regionen. Die Höhe der Staatsquoten liegt in den Staaten der Dritten Welt in der Regel um 20 Prozent, während sie sich in den. Staaten der GECD auf rund SO Prozent beläuft. An der Höhe der Staatsquote hat sich in der ausgewählten Fallgruppe 134 im Verlauf der postkolonialen Geschichte in der Regel keine wesentliche Veränderung ergeben. Diese Stagnation gilt für Entwicklungsstaaten mit größeren Binnenmärkten und diversifizierter Wirtschafts struktur ebenso wie für jene Staaten, deren Weltmarkteinbindung wesentlich über den Export weniger Rohstoffe verläuft. Nur in wenigen Fällen fmden sich Schwankungen der Staatsquote; die wenigen Zunahmen werden jedoch durch eine Vielzahl von Rückgängen mehr als ausgeglichen. \ngaben über die Staats quote liefem indes noch keine Auskunft über die der Finanzierung staatlicher Herrschaft. Diese Quellen werden in internationalen Statistiken, ganz entsprechend der Webersehen Unterscheidung der Arten der Bedarfsdeckung von Verbänden (s.u.), nach laufenden und unregelmäßigen Einkünften unterschieden. Dabei sind besonders die laufenden Einkünfte von weil sie inwiefem Staaten ihre Fi,nanzierungsquellen organisiert haben. Von besonderem Interesse ist dabei der Anteil direkter Steuem, weil die Erhebung dieser Steuem voraussetzungsreicher ist als die Erhebung solcher indirekter Steuem wie Zölle und Akzisen, für die die Kontrolle von Verkehrswegen und Ptoduktionsstätten hinreichend ist. Die Erhebung direkter Steuem auf persönliche Einkommen I und Gewinne von Unternehmen hingegen erfordert eine enge Kontrollmöglichkeit der gesellschaftlichen Alltagswelt und eine fortgeschrittene Bürokrati- , sierung. Gerade diese Zahlen, so lässt sich vermuten, sind also ein geeigneter i Indikator für die Reichweite staatlicher Herrschaft. 134 Diese Fallgruppe wurde so dass sowohl Repräsentanten der oben dargestellten Realtypen wie unterschiedliche darin vertreten sind. Die Verfugbarkeit möglichst vollständiger Daten war ein weiterer Gesichtspunkt der AuswahL
194
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCl-lAFT
Tab. 1: Veränderungen der Staatsquote in ausgewählten Dritte-Welt-Staaten (Angegeben in Gesamtausgaben der Zentmlregierung in % des BSP) ,.--~
Uganda Indien Ghana Thailand Peru Türkei I Ägypten Indonesien Mexiko Brasilien Pakistan USA Deutschland Frankreich
1972 21,8 n.v. 19,5 17,2 17,1 21,8 n.v. 16,2 12,1 17,8 n.v. 19,4 24,2 n.V.
1982 27,0 15,0 10,8 19,9 18,0 23,3
C4t\Z-'" 23,5 31,7 21,8 16,1 25,0 31,5 42,1
1993 n.v. n.v. 21,0 16,3 14,0 25,9 46,6. ') 18,9 n.v. 25,6 24,0 23,8 39,7 45,5
unbildlich und farblos« ist, werden Metaphern dazu verwandt Zweck und Mittel, Wert und Ziel »sinnhaft zu integrieren«, das »Unanschauliche anschaulich, das Vieldeutige eindeutig« (Münkler 1994: 126). Solche Metaphern wie der »große Steuermann«, der »Vater der Nation«, das »Land der Aufrechten«, der Staat als Maschine, als Organismus, als »institutionalisierte Revolution« und jüngst auch als »dienstleistendes Unternehmen« bezeugen die Vielfalt der Bestrebungen, das Image des Staates mit Zusatzwerten auszustatten, um das Anliegen der Herrschaft in historische Kontinuitäten zu stellen oder durch besondere »Modernität« zu legitimieren. An der Ikonographie und der Inszenierung der Macht lassen sich diese Bemühungen direkt ablesen. Staatsmänner wie Hassan 11, Muhammar Ghaddafi oder Yoweri Museveni präsentieren sich wechselnd in religiösen Gewändern, in legerer Freizeitkleidung, in Uniformen, in traditionellen Gewändern oder eben im Anzug des Staatsmanns. Die rituelle Freigabe von Autobalmen, die Reden an symbolischen Orten, die Riten der staatlichen Organe - all diese »Spektakel« des Staates dienen der rituellen Veranschaulichung seiner Ansprüche. In der Erzählung der »Nation« sollen die Kämpfe, die Gewalt, die Willkür in der Genese Machtfigurationen vergessen werden (Renan 1992: 41). Die Idee der Nation kann sich nur zum Schein durch Religion, Sprache, Interessen oder die Natürlichkeit von Grenzen deflIlieren (ebd.: 52). Das Aufkommen und die Verbreitung dieser Vorstellung ist selbst ein Resultat von Modernisierung, des Aufbrechens der alten Verhältnisse. Die Versuche, über Erzählungen der »Nation« Legitimität für die postkolonialen Ordnungen zu entwickeln, sind deshalb wie in der europäischen Geschichte reaktiv. In den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind die Erfolge dieser Versuche jedoch begrenzt durch die alternativen symbolischen Ordnungen, in denen soziale Verhältnisse und ihre Veränderungen begriffen werden.
i~
:.~ )
178 Diese Praktiken sind nicht auf Staaten der Dritten Welt beschränkt. Der Anthropologe Marc Abeles (1991) hat in einer Analyse des Tagesprogramms von Fran~ois };litterand auf die hohe Bedeutung symbolischer Handlungen im »Alltag des Staates« hingewiesen.
~~:
.:~ :,~J
236
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
5.2 Die Nation und die Religion In der kolonialen aber auch über diese hinausgehend, sind zwei Ideologien von besonderer für die Dynamik staatlicher Herrschaft gewesen, nämlich Nationalismus und Fundamentalismus. Nationalismus und religiöser Fundamentalismus haben unter anderem gemeinsam, dass ihre Genese und ihre Entfaltung von staatlichen Projekten nicht getrennt betrachtet werden kann. Beide wurden zu Feldern der symbolischen Strategien politischer Macht, für die der Staatlichkeit wie für ihre Herausforderer. In allen Regionen der Dritten Welt lässt sich beobachten, dass nationalistische Reaktionen auf imperiale und koloniale Expansionen sehr früh einsetzen. Jenseits der allgemein wahrgenommenen Konjunkturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und nach dem Zerfall der Sowjetunion hat der Nationalismus, der als Dekolonisation »erfolgreich« war, seine Wurzeln in den Diskursen des Widerstands, der mit der kolonialen Unterwerfung einsetzt. Er ist seit diesen Zeiten ein »globales Phänomen« (Schoch 2000: 170), auch wenn er seine volle Schwungkraft erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts entfaltete. Denn die Schulen der Missionen ebenso wie die säkularen Bildungsinstitutionen, aber auch die Medien der Kolonialgesellschaften waren die Foren der Ausbreitung der okzidentalen Normen und der Figuren ihrer politischen Diskurse. Über diese Foren breitete sich die Normwelt europäischer Ideen aus, um sich mit lokalen Symboliken und Ansprüchen zu je eigenen Projekten zu verschmelzen. Der Nationalismus der Dritten Welt - und auch der ehemaligen »Zweiten« ist nur teils volkstümlich. Er entstand als intellektuelle Reaktion auf koloniale Situationen und wurde dann vor allem ein Legitimierungsdiskurs derjenigen, die die Macht in den neuen Staaten als erste usmpierten. Seine Verankerung in der Tradition ist scheinbar, denn seine historischen Wurzeln reichen fast immer nur in die Zeiten von Fremdherrschaft in der sich »nationale« und Vorstellungen reaktiv entwickeltenP9 In zahllosen Fällen, wie etwa in den segmentären Gesellschaften Afrikas, aber auch in weiten Teilel1 der ehemaligen Sowjetunion, sind die Gemeinschaften, auf die sich Nationalismen UIC.""';UIC'Ll, Resultate der kolonialen und imoerialen Praktiken.1 80
179 Die allgemeine Literatur zum Thema Nationalismus ist ebenso wie mittlerweile verbreitet. Schoch (2000) führt alle relevanten Arbeiten an. Zu den hier interessierenden Regionen vgl. Davidson (1992) zu Afrika, Stölting (1991) und Baberowski (2000) zur ehemaligen Sowjetunion. 180 Deshalb trifft die »Eisschrank-These«, wonach die totalitäre Herrschaft in der Sowjetunion gleichsam naturläufige Nationalitätenkonflikte lediglich »unterdrückt« hätte (so Snyder 1993) die Sache nicht.
DIE SEMANTIK DES STAATES
237
Der Nationalismus der Dritten Welt ist allerdings auch ein weltgesellschaftliches Phänomen. Der Ursprung der Ideen und die Verwendung der Normen von Volkssouveränität und nationaler Selbstbestimmung als Referenzen zu externen Legitinllerung der nachkolonialen Staaten belegen dies. Der Export von Normen wie der Volkssouveränität und den bürgerlichen Freiheiten ist mit den Diskursen des Nationalismus außerhalb Europas untrennbar verbunden. Dieser lässt sich in allen Dekolonisationsbewegungen finden. Er hatte Resonanz, weil diese Normen zugleich international generalisiert waren. Im 14-Punkte-Plan Wilsons am Ende des Ersten Weltund in der Atlantik-Charta von 1941 fand diese Universalisierung ihren gleichsam offiziellen Schriftcharakter. Die Nation wie die anderen normativ gelaa(~nen J..J' Frankfurt/M. Didier (1996), Polices 811 reseallx. L'expirimce ellropeel/ne, Paris. Blasi, Joseph R./Kroumova, Maya/Kruse, DOllglas (1997), CtlImlill t'apitalism. Tbc privatizafiol/ of thc Rnssioll ecol/omy, Ithaca NY. B111lltschli, Caspar (1865), »Staat«, in: ],e. Bllllltschli / K. Brater (Hg.), DellfsdJes Staat.fll/ifrterblich, Bd. 9, Stuttgart, S. 612-630. Bloch, Erost (1935), ErbschaJt dieser Zeit, Zürich. Boeckh, Alldreas/Pawelka, Peter (Hg.) (1997), Staat, Markt IIl/d &I/te il/ der il/ternatiol/alen Politik, Opladen. Boeckh, Andreas (1980), »Grundrente und Staat: und Venezuela im 19. Wld 20. JahrhundertK!nssenprivatization< of the State: North Africa in comparative perspective«, in: Klaus Schlichte (Hg.), The Dynamics ofStaks, Aldershot, i. Ersch. Hintze, Otto (1906), »Staatsvedässung und Heeresverfassun~art/Hauck, Gerhard (1999), »Überlebensstrategien unq Infonnalisiertmg in postkolonialen Gesellschaften«, Prokla, Nr. 117,Jg. 29, H. 4, S. 503-516. Krasner, Stephen D. (1984), »Approaches to the Stnte: Alternative COl1ceptinns and Historical Dimensions«, in: Comparative Pok'tics,Jg. 16, H. 1, S. 223-246.
316
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT
K.tasner, Stephen D. (1999), SOlJereignry. Organized f?ypr;.risy, Princeton, NJ. Krause, Keith (1996), »Insecurity and State Formation in the Global Military Order: The Middle Eastern Case.pliJlliJtiofts and ProjectiollS, New York, S. 65-84. Singer, Peter W, (2004), Corporate lf7am·ors. The rist ,!/privatiZfd militiJl)' illdJlJ1ry, Ithaca. Singer, Max/Wildavsky, Aaron (1993), The /'eaJ worM order: ZOlles 01' peiJ'~, ZOlleS 0/ tllnnoi/, Chatham, NJ. Sinn, Gerlinde/Sinn, Hans-Werner (1993), Kaltstart. Vo!k.swirtst'lJaftftt'lJe Aspekte der dmts,'hm Vefl)'hligll/(g, München. Srnith, Steve (1996), »TIle Self-Images of a Discipline. A Gencalogy of International Relations Theory«, in: Ken Booth/Steve Srnith (Hg.) (1995), [,ltemiJtiOilal RelcitJolIS Tbeory Todqy, London S. 1-37.
j;':ö
DER STAAT IN DER WELTGESELLSCHAFT LITERATUR
»Positivism and beyond«, in: Ken, Booth, Ken/Steve Smith/Marysia Illternatiollal Tbellry: positivism alld bryolld, Cambridge, S. 11-46. »La cooperation internationale: de la coexistence a la gouvernauce mondiale«, in: Marie-Claude Smouts Les lIollvelles "htiolls intemationales. Pratiqlles et tMories, Paris, S. 135--162. Snyder, Jack (1993), }}Nationalism and the Crisis of the Post-Soviet State«, SlIroival, Jg. 35, H. 1, S. 5-26. Sofsky, Wolfgang/Paris, Rainer (1994), FigllrattofMII sor/aler Macht, Frankfurt/M. Sollenberg, Margareta (1998), States iI/ Armed Conjlict 1997, Uppsala. Spero, )oa11 Edelman (1990), The Polities oflllternational Et'ollomic RelatiOtts, 4. A11fL, New York. Spittler, Gerd (1967), Norm lind Sal1ktion. Unterst"IJlIlIgen !(!Im Saftktiollsmechallismlls, Olten. Spittler, Gerd (1977), Herrschqft über Ballern. Die AllsbnJtttlltg staatlicher Herrschaft ill einer ishmischIIrbanCII KIIltllr ill Gobir (Niger) Frankfurt/M. Spittler, Gerd (1980), »Abstraktes Wissen als Herrschaftsbasis. Zur EntstehUllgsgeschichte bürokratischer Herrschaft im Bauernstaat Preußen«, Kötner Zeitschrift ftir SO!{f'ologie lind So!(/alpsycholqgie, )g. 32, H. 4, S. 574-504. Spittler, Gerd (1981), Verwaltllng in eillem afn'kanischen Ballernstaat. Das kololliale FranzösischWestafrika 1919-1939, Wiesbaden. Stanley, Ruth (2000), »Polizeigewalt im Großraum Buenos Aires: Braucht der Neoliberalismus eine policia brava?«, Peripherie,)g. 20, H. 80, S. 41-58. Steinbach, Udo (1986), »Krisenherd Naher Osten: Machtdiffusion als Folge wachsender Komplexität des internationalen Sicherheitssystems«, in: Rudolf Hamann (Hg.), Die ))Siiddimension« des Ost-l17est-Konjliktes: das Engagement der Supermächte in Kn'sen lind Kneg,l!1t der Dn'tten IPeft, Baden-Baden, S. 127-150. Stichweh, Rudolf (2000), l17eltg,esellschaft. So!(/olqgische Afla(ysen, Frankfurt/M, Stölting, Erhard (1991), Die Nationali/t'itenpolitik der Solljetllllion, FrankftJ.rt/M. Stopford, lohn M./Strange, Sltsan (1991), Rlna! Stales, Rival Firms. Compe/itiofl for IfYorid Market Shares, Camhridge, Strange, Susan (1996), Tbe RetnJat bridge,
if tm State.
The di{ftIJioll oIpower ill the worM economy, Cam-
Suleiman,Ezra N./Waterbury, lohn (Hg.) (1990), The Politica! E"OIIOIJ{)! oIPllblic Se,10r Reform afld Privatization, Boulder. Suleiman, Eua N,/Waterbury, lohn (1990), »Introducrion: Analyzing Privatization in Industrial and Developing Countries