Das ‚Super‘-Transzendentale und die Spaltung der Metaphysik
Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters ...
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Das ‚Super‘-Transzendentale und die Spaltung der Metaphysik
Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters Begründet von
Josef Koch Weitergeführt von
Paul Wilpert, Albert Zimmermann und Jan A. Aertsen Herausgegeben von
Andreas Speer In Zusammenarbeit mit
Tzotcho Boiadjiev, Kent Emery, Jr. und Wouter Goris
BAND 96
Das ‚Super‘-Transzendentale und die Spaltung der Metaphysik Der Entwurf des Franziskus von Marchia
Von
Sabine Folger-Fonfara
LEIDEN • BOSTON 2008
This book is printed on acid-free paper. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A. C.I.P. record for this book is available form the Library of Congress.
ISSN 0169-8028 ISBN 978 90 04 16384 3 Copyright 2008 by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Hotei Publishing, IDC Publishers, Martinus Nijhoff Publishers and VSP. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill NV provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, MA 01923, USA. Fees are subject to change. printed in the netherlands
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Die Thematisierung der Seinsfrage und die grundlegenden Konsequenzen für die Entwicklung der Transzendentalienund Metaphysikgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Die Wende von den Transzendentalien zu ‚Super‘-Transzendentalien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Eine Metaphysik oder zwei Metaphysiken?—Eine entscheidende Modifikation innerhalb der Entwicklungsgeschichte der πρτη φιλοσοφ α . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Anliegen und Vorgehen der nachfolgenden Untersuchung . . . . 24 Kapitel I. „Utrum intentio entis sit prima rei intentio“—Die ‚Entthronisierung‘ des Seinsbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Sonderstellung von ‚res‘ und ‚aliquid‘ mit Blick auf das ‚proprium subiectum metaphysicae‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Einführung der ‚intentiones neutrae‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die grundlegende Unterscheidung von materialer und formaler Erstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Sonderstellung von ‚res‘ und ‚aliquid‘ als den Begriff des ‚Seienden‘ übersteigende Erstbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Ist der Begriff des ‚Seienden‘ der substraktiv erste Begriff? (Oder: Welcher Begriff ist ‚prima intentio‘ gemäß der materialen Erstheit?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Ist der Begriff des ‚Seienden‘ der abstraktiv erste Begriff? (Oder: Welcher Begriff ist ‚prima intentio‘ gemäß der formalen Erstheit?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Neuordnung der mittelalterlichen Transzendentalbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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inhaltsverzeichnis 6. Die wissenschaftstheoretischen Implikationen des in „Quodl. 3“ entwickelten Modells: Dissoziation von ‚primum obiectum intellectus‘ und ‚proprium subiectum metaphysicae‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1. Der Begriff des ‚Seienden‘ in seiner Anwendbarkeit auf die Struktur der Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2.‚Ding‘ und ‚Etwas‘ als erstheitliche Subjekt- und Prädikatbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Kapitel II. Das erste Modell einer Aufspaltung der Metaphysik: Der Entwurf einer metaphysica generalis und einer metaphysica specialis 89 1. Das ‚Dilemma‘ bei Aristoteles—Metaphysik als erste oder letzte Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Die Notwendigkeit einer Allgemeinen und einer Besonderen Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. „Dieselbe und doch eine andere Wissenschaft“—Das spezifische Verhältnis von metaphysica communis und metaphysica particularis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Zwei Metaphysiken: Die Neueinteilung der traditionellen Wissenschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5. Die Spaltung der Metaphysik ‚in se‘ und ‚pro nobis‘ . . . . . . . . . . . . . 113 6. Überwindung der Unterscheidung von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7. ‚Spaltung der Metaphysik‘ oder ‚Emanzipierung der Theologie‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Kapitel III. ‚Intentiones neutrae‘—Die Legitimation ‚super‘-transzendentaler Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Gegner einer Lehre von den „supertranscendentia“ . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Was fällt unter die Kategorien? (Quodl. 5,3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Die ‚Reduktion‘ zweier Transzendierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Existiert eine ‚intentio neutra‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Fällt zwischen kontradiktorische Bestimmungen ein Mittleres? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6. Der skotische Einfluß auf Franziskus von Marchia—Die intentio neutra als ‚medium per accidens‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kapitel IV. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Das Supertranszendentale als ‚subiectum metaphysicae‘? . . . . . . . . . . 160 2. „Ens generalissime sumptum, quatenus abstrahit ab ente rei et rationis, non est constituendum metaphysicae obiectum“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
inhaltsverzeichnis
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3. Überlegungen einzelner Denker zur begrifflichen Benennung supertranszendentaler Bestimmungen ohne Rekurs auf die Frage nach dem ‚subiectum metaphysicae‘ . . . . . . . . . 166 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Verzeichnis der Quellen und der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1.1. Antike und mittelalterliche Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1.2. Neuzeitliche Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
VORWORT Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2006 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen und im Rahmen der Disputation am 3. Mai 2006 verteidigt. Für die Drucklegung sind lediglich geringfügige Änderungen vorgenommen worden. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Jan A. Aertsen, der mein Interesse an der mittelalterlichen Philosophie von Studienbeginn an geprägt und seitdem eindringlich vorangetrieben hat. Ihm gebührt mein besonderer Dank für seine intensive und einfühlsame, Orientierung und Sicherheit bietende Begleitung über viele Jahre hinweg. Ich betrachte es als ein großes Vorrecht, ihn als Lehrer haben zu dürfen. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Dr. h. c. Andreas Speer als Berater und Mitgutachter sowie in seiner Funktion als Direktor des ThomasInstituts, als der er mir vor allem während der Endphase der Promotion stets großzügige Freiräume ermöglichte und mich freundschaftlich unterstützte und förderte. Ein spezieller Dank gilt Prof. Dr. Wouter Goris (Amsterdam). Zu wissen, daß jemand zu jeder Zeit mit voller Aufmerksamkeit und Kompetenz für alle fachlichen Fragen, gerade auch in Momenten des Zweifelns, zur Verfügung steht, ist keineswegs selbstverständlich—ohne ihn wäre diese Arbeit nicht entstanden. Auch Prof. Dr. Russell L. Friedman (Leuven) hat mich in den verschiedenen Entwicklungsphasen der Promotion in hilfreicher Weise ermutigt und in meinen Ideen bestärkt. Ich danke ihm für sein motivierendes Interesse. Schließlich fühle ich mich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Thomas-Instituts für die stets anregende und zugleich entspannende Arbeitsatmosphäre zu Dank verpflichtet, in langjähriger Zusammenarbeit insbesondere Petra Abendt, Lydia Wegener und Wolfram Klatt, sowie Tobias Schmidt, Julia Wittschier und Suzanne Metselaar. Dr. Stefan Nottelmann hat mir zudem in vielen langen Gesprächen über Klippen hinweggeholfen, grundsätzliche Überlegungen im
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vorwort
Ansatz kritisch mit durchdacht und zahlreiche Anregungen für die vorliegende Untersuchung geliefert. Tief verbunden bin ich aufgrund jeglicher Form wohlwollender und liebevoller Unterstützung meinen Eltern, Elfriede und Johann Folger, und meinem Mann, Dr. Dirk Fonfara. Ihm sei diese Arbeit gewidmet. Köln, im Juli 2007 Sabine Folger-Fonfara
EINLEITUNG It seems that Francis of Marchia is a figure whose time has come.1
Betrachtet man die großen und etablierten Themen der Philosophiegeschichte, so wird schnell offenkundig, daß die maßgeblichen Entwicklungslinien in den meisten Fällen mittlerweile deutlich nachgezeichnet und in ihren grundlegenden strukturellen und inhaltlichen Zusammenhängen entsprechend rekonstruiert worden sind. Häufig befinden wir uns bereits im Stadium von sich verselbständigenden, vom ursprünglich zugrundeliegenden Sachproblem zunehmend entfernten Forschungsdiskursen, deren Ziel mehr in der Darlegung ausgewählter (nicht selten autorimmanenter) Detailfragen liegt als in dem Bestreben, tatsächlich noch bestehende Lücken innerhalb der (Gesamt-)Darstellung bestimmter problemgeschichtlicher Entwicklungen zu füllen. Mit Blick auf die sog. ‚Grundfragen der Philosophie‘ sieht es so aus, als sei anhand der Konzeptionen der im Laufe der Zeit mehr oder weniger übereinstimmend als autoritativ betrachteten Denker größtenteils geklärt, welche Antworten als maßgebend anzuerkennen sind und wie sich ihr jeweiliger Werdegang demzufolge strukturell gestaltet haben mag. Fehlende Säulen einzelner thematischer Gebäude schienen über lange Zeit hinweg (und scheinen zum Teil immer noch) durch die mächtigen Eckpfeiler so hinreichend abgesichert, daß eine weitergehende Rekonstruktion oftmals außer acht gelassen wurde. Mag man sich somit mit einer größeren Zahl inhaltlicher Leerstellen und unbeantworteter Fragen, aber auch mit bestimmten Perspektiven innerhalb verschiedener systematischer Zusammenhänge zwar dauerhaft arrangiert haben, so ist doch unbestritten, daß hinsichtlich einiger grundlegender philosophiegeschichtlicher und systematischer Ent-
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R.L. Friedman/C. Schabel, Introduction, in: Vivarium 44,1 (2006), S. 2.
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wicklungslinien immer noch entscheidende Puzzleteile unaufgedeckt geblieben sind, deren Erschließung jedoch allererst eine adäquate und annähernd vollständige Darstellung ihres Verlaufs ermöglichen kann. Und in der Tat wird im Rahmen philosophischer Forschungsarbeit zunehmend wieder ein besonders deutliches Interesse an der konkreten Ausdeutung solcher Leerstellen und an der Einführung neuer Sichtweisen innerhalb etablierter Problembetrachtungen erkennbar. Ein entscheidender Unterschied liegt bei diesen Bemühungen jedoch naturgemäß darin, ob bei der detaillierten Rekonstruktion einzelner Bauphasen eines mehrfach umgebauten und erweiterten (Gedanken-)Gebäudes die jeweiligen Baupläne einsehbar sind oder ob aus dem zuletzt sichtbaren bzw. aus den deutlich dokumentierten Entwicklungsstadien der vermeintlich ‚authentische Bau‘ zu großen Teilen spekulativ nachvollzogen werden muß. Mehr und mehr lenken daher neben den Konzeptionen der sog. großen Denker, die an exponierter Stelle für die signifikanten Paradigmenwechsel in der Beantwortung der klassischen Fragestellungen verantwortlich gemacht werden, auch deren häufig weit weniger bekannte Schüler die Aufmerksamkeit philosophischen Forschungsinteresses auf sich. Denn immer deutlicher zeigt sich, daß gerade diejenigen Autoren, die über lange Zeit hinweg lediglich aus dem Status der Zugehörigkeit zu ihren Lehrern heraus wahrgenommen wurden, es uns erlauben, die oftmals nur auf Mutmaßungen beruhenden Rekonstruktionsversuche von Verbindungslinien zwischen den etablierten Positionen mit zum Teil gravierenden Konsequenzen zu berichtigen und einen genaueren Einblick in die tatsächlich zugrundeliegenden Fragestellungen und Motive zu gewinnen. Auf diesen Umstand derart explizit hinzuweisen, erweisen insbesondere gegenwärtige mediävistische Arbeiten als kaum noch eigens notwendig, gerade in diesem Sinne soll jedoch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ein Beitrag geleistet werden, indem mit Blick auf die strukturelle Entwicklungsgeschichte einer der philosophischen Fundamentalfragen—der Frage nach dem eigentümlichen Gegenstand und damit nach dem Wesen der Metaphysik—das konstitutive Motiv für eine entscheidende konzeptionelle Richtungsänderung sichtbar zu machen versucht wird: Die vor allem aus der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts bekannte und diesbezüglich gut untersuchte Aufspaltung der Ersten Philosophie in eine ‚Allgemeine Metaphysik‘ (metaphysica generalis) und eine ‚Besondere Metaphysik‘ (metaphysica specialis). Trotz einiger Hinweise fehlt noch immer eine hinreichende Antwort auf die Frage, wann und in welchem Kontext wir erstmals eine explizite und
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systematische Begründung für dieses Lehrstück finden.2 Im folgenden soll daher anhand einer Analyse bislang weitestgehend unbeachteter Textdokumente eine innerhalb der Forschungen zur Geschichte der Metaphysik noch immer bestehende Darstellungs- und Erklärungslücke geschlossen werden und ein neuer Blick auf grundlegende (jedoch nicht gesicherte, sondern vielmehr aus dem bisher bekannten Material rekonstruierte) entwicklungsgeschichtliche Annahmen hinsichtlich des Theorems einer zweifachen Metaphysik unternommen werden. Der Denker, in dessen Texten wir in dieser Weise für die Metaphysikgeschichte einschneidende Äußerungen finden und der uns damit ein konkretes Zeugnis für die Neubestimmung einer der relevanten Entwicklungsstufen innerhalb der Deutungsgeschichte der Ersten Philosophie liefert, ist Franziskus von Marchia (~1290–1344), der im Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit mit zahlreichen Ehrentiteln (unter anderem als doctor succinctus, doctor praefulgidus oder doctor distinctivus) ausgezeichnete und vielgerühmte italienische Denker aus dem Franziskanerorden.3 Franziskus, der gemeinhin zur Gruppe der frühen Skotisten 2 Elisabeth Rompe hat bereits vor längerer Zeit einen solchen Versuch unternommen, dabei jedoch entscheidende Aspekte unbeachtet gelassen; vgl. E. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik. Der Ablösungsprozeß und seine Motivierung bei Benedictus Pererius und anderen Denkern des 16. und 17. Jahrhunderts, Bonn 1968. Wir werden auf ihren Beitrag an späterer Stelle noch ausführlicher eingehen. 3 Franziskus taucht—sowohl in der Forschungsliteratur als auch in den Texten zeitgenössischer Autoren—unter verschiedenen Namen auf, die sich vor allem als Herkunftsbezeichnungen erklären lassen: so bezieht sich der Zusatz „de Marchia“ auf die italienische Region Marken und ist damit gewissermaßen die ‚umfassendste‘ Herkunftskennzeichnung; desweiteren werden die Namen „Franciscus de Ascoli/de Esculo“ als Hinweis auf die in den Marken sich befindende Diözese und Kreisstadt Ascoli Piceno genannt, und schließlich finden sich Verweise auf unseren Autor als „Franciscus de Appignano“, dem damit regional am ‚engsten‘ gefaßten Namen des Dorfes bzw. der Gemeinde Appignano del Tronto innerhalb der Diözese Ascoli Piceno (weit seltener taucht der Geschlechtername „Franciscus Rubeus“ auf). Wir werden im folgenden auf die gebräuchlichste und am meisten etablierte Form, „Franciscus de Marchia“, rekurrieren. Die verschiedenen Franziskus zugeschriebenen Ehrentitel sind aufgelistet bei F. Ehrle, Die Ehrentitel der scholastischen Lehrer des Mittelalters, München 1919 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-philologische und historische Klasse, 9. Abh.), S. 41, 44, 48 und 54, und weiterhin umfassend erläutert bei N. Schneider, Die Kosmologie des Franciscus de Marchia. Texte, Quellen und Untersuchungen zur Naturphilosophie des 14. Jahrhunderts, Leiden u. a. 1991 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 28), S. 33 f. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom franziskanischen Ordenshistoriker L. Wadding für Franziskus angeführten ‚Beinamen‘—vir gravissimus et doctissimus—belegen zudem deutlich dessen immer noch hohe Wertschätzung im eigenen Orden (vgl. L. Wadding, Annales Minorum seu Trium Ordinum a S. Francisco Institutorum VII (1323–1346), Quaracchi 31932, S. 98, n. XIX). Die bislang einzig bekannte und überlieferte Abbildung des Franziskus findet sich in der Franziskanerkirche in
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gezählt wird und der—um nur einige der wichtigsten Stationen seines Lebens zu erwähnen—mehrere Jahre in Paris studierte, dort die Sentenzen las und kommentierte und später in Avignon lehrte, wo er jedoch in gravierende Streitigkeiten mit Papst Johannes XXII. geriet und daraufhin schließlich ins Exil nach München fliehen mußte, ist in der philosophischen Forschung (wie zahlreichen seiner Zeitgenossen) über lange Zeit hinweg nur sehr vereinzelt Aufmerksamkeit geschenkt worden.4 Allzu drängend ist unter denjenigen Autoren, die sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts vor der gewaltigen Aufgabe sahen, sich aus dem Windschatten ihres übermächtigen Ordenslehrers Johannes Duns Scotus (1265/6–1308) zu lösen, vor allem die Konzeption Wilhelms von Ockham (~1285–1349) in den Vordergrund getreten, der von jenem Schicksal der ‚Nichtbeachtung‘ bekanntermaßen verschont blieb und zunehmend Popularität errang.5 Offenbar erweist sich ein Denker, der Bozen und wird auf das Jahr 1500 datiert (vgl. S. VIII). W. Hopfgartner verdanken wir eine detaillierte Analyse dieses Freskos, auf dem neben Franziskus von Marchia (hier ‚de Esculo‘) 21 weitere (von ursprünglich 36) Franziskanertheologen abgebildet sind; vgl. W. Hopfgartner, Una sintesi dipinta della filosofia francescana, in: D. Priori (Hg.), Atti del III° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano (Appignano del Tronto 24.09.2005), Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2006, S. 183–214. 4 Vgl. hierzu die Bemerkung von C. Schabel, Theology at Paris (1316–1345). Peter Auriol and the problem of divine foreknowledge and future contingents, Aldershot 2000 (Ashgate Studies in Medieval Philosophy 1), S. 191: „And yet until 1986 almost nothing substantial on Francis of Marchia was published. This is in part because his works were not printed in the Early Modern era, and in modern times he has often been labeled a dogmatic Scotist, something, which may have limited his appeal for scholarship“. Einführende Informationen zu Franziskus’ Leben und Werk finden sich bei A. Teetaert, Art. Pignano (François de), in: Dictionnaire de Théologie Catholique Bd. 12, Paris 1935, Sp. 2104–2109, C. Schabel, Francis of Marchia, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (URL = http://plato.stanford.edu/entries/francis-marchia/), wo sich zudem ständig aktualisierte Informationen finden, und D. Priori, M. Stipa u. K. Moum, Francesco d’Appignano. Doctor Succinctus (ital./engl.), Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2005 (Quaderni Appignanesi I,1). Die ausführlichste und umfassendste Darstellung bietet anhand einer ‚biographischen Skizze‘ in der ersten und bislang einzigen Monographie zum Denken des Franziskus jedoch immer noch N. Schneider, Die Kosmologie des Franciscus de Marchia (vgl. nt. 3), S. 11–26, neuerdings aber auch R.L. Friedman und C. Schabel in ihrer Introduction, in: Vivarium 44,1 (2006), S. 2 f. 5 R. Lambertini hat sich in mehreren Studien mit einem Vergleich der—in der Tat kontrastreichen—Lehrmeinungen des Franziskus von Marchia und Wilhelms von Ockham beschäftigt, der sich nicht zuletzt aufgrund des biographischen Umstandes als besonders interessant erweist, daß beide in engem persönlichen Kontakt standen, als sie im Jahr 1328 nach Streitigkeiten mit Papst Johannes XXII. unter Führung des Ordensgenerals Michael von Cesena aus Avignon zu Kaiser Ludwig dem Bayern nach München flohen und dort einige Jahre gemeinsam an dessen Hof verbrachten. Vgl.
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mit dem ‚Rasiermesser‘ über bisherige Positionen zu fahren beabsichtigt, für philosophische Forschungsinteressen von vornherein als besonders vielversprechend—und Ockham hat seine Leser in dieser Hinsicht ja auch nicht enttäuscht. Unbeachtet sind im Zuge dieser Konzentration jedoch Denker wie Franziskus von Marchia geblieben, dem—daran mag am Ende der vorliegenden Studie kein Zweifel mehr bestehen— sicherlich gleichermaßen einschneidende Innovationen zuzuschreiben sind. Allerdings tat er dies häufig auf eine auf den ersten Blick durchaus komplizierter anmutende Weise, was ihn wohl nicht unmittelbar zum Objekt der exegetischen Begierde werden ließ. Statt des Ockhamschen Rasiermessers wählt Franziskus zumeist eher den Weg einer subtilen Analyse und modifizierenden Fortführung traditioneller Konzeptionen, der ihn jedoch (häufig umso überraschender) zu ähnlich neuartigen Ergebnissen führt. Wir werden dies am Beispiel seines Beitrags zur Weiterentwicklung der Metaphysikgeschichte in besonderer Weise nachzuzeichnen versuchen. 1. Die Thematisierung der Seinsfrage und die grundlegenden Konsequenzen für die Entwicklung der Transzendentalien- und Metaphysikgeschichte Die vorangegangenen, zugegebenermaßen allgemeinen Vorbemerkungen mögen hier als eine erste Erklärung dafür genügen, weshalb Franziskus von Marchia zu den lange Zeit unterschätzten Denkern gehört, denen der Sprung aus dem Schatten ihrer ‚Lehrer‘ doch keine dauerhafte Aufmerksamkeit zuteil werden ließ und deren Stellenwert innerhalb verschiedener Entwicklungen der Philosophiegeschichte bis vor einigen Jahren somit kaum in den Blickpunkt systematischen For-
hierzu z. B. R. Lambertini, Francesco d’Ascoli e la polemica francescana contro Giovanni XXII: a proposito dei rapporti tra l’„Improbatio“ e l’„Appellatio magna monacensis“. Scritti in onore di Girolamo Arnaldi, in: Nuovi studi storici 54 (2001), S. 277–308, ders., Il mio regno non è di questo modo. Aspetti della discussione sulla regalità di Cristo dall’Improbacio di Francesco d’Ascoli all’Opus nonaginta dierum di Guglielmo d’Ockham, in: L. Bianchi (Hg.), Filosofia e Teologia nel Trecento. Studi in ricordo di Eugenio Randi, Louvain-la-Neuve 1994, S. 129–156, oder ders., Francesco d’Appignano e Guglielmo d’Ockham: alcuni aspetti di un rapporto non facile, in: D. Priori (Hg.), Atti del III° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano, Appignano del Tronto 24.09.2005, Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2006, S. 89–104. Wir werden diese vergleichenden Studien aufgrund unserer Untersuchung um einen weiteren Aspekt ergänzen können (vgl. Kap. 3.1, S. 130–137).
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schungsinteresses gerückt ist.6 Zu konstatieren ist jedoch, daß innerhalb der letzten fünfzehn Jahre sowohl erste historisch-kritische Texteditionen als auch mittlerweile zahlreiche Studien zu seinem Denken vorgelegt worden sind.7 Diese beschäftigen sich neben der Erschließung der noch immer nicht vollständig edierten Manuskripte vor allem mit Franziskus’ Beiträgen zu Bereichen der Naturphilosophie, der Kosmologie, der politischen Philosophie und der philosophischen Theologie, in großer Zahl aber auch mit der Thematisierung konkreterer Problemstellungen, wobei deutlich zutage tritt, zu welch umfassendem Spektrum an Fragen seiner Zeit Franziskus von Marchia Stellung bezogen hat.8 6 Nicht zuletzt haben natürlich auch Franziskus’ doktrinäre und kirchenpolitische Streitigkeiten mit Papst Johannes XXII. dazu geführt, daß seine Schriften weniger direkte und auch indirekte Verbreitung fanden. Bibliographische Angaben bzgl. der älteren Forschungsliteratur liefert O. Weijers, Le travail intellectuel à la Faculté des artes de Paris: textes et Maîtres (ca. 1200–1500). II. Répertoire des noms commençant par C–F, Turnhout 1996, S. 91–94. Allerdings beschäftigen sich nur wenige dieser Studien näher mit Franziskus’ Denken selbst; unter ihnen sind vor allem zu nennen die Arbeit von A. Maier, Zwei Grundprobleme der scholastischen Naturphilosophie. Das Problem der intensiven Größe—Die Impetustheorie, Rom 21951, v. a. S. 161–200, sowie die Studie von H. Schwamm, Das göttliche Vorherwissen bei Duns Scotus und seinen ersten Anhängern, Innsbruck 1934, insbes. S. 240–255. 7 Insgesamt ist hinsichtlich des Forschungsinteresses an der Erschließung der Lehren des Franziskus tatsächlich erst im letzten Jahrzehnt ein grundlegender Aufschwung, wenn nicht überhaupt dessen eigentlicher Beginn zu verzeichnen; vgl. erneut C. Schabel, Theology at Paris (vgl. nt. 4), S. 191, der zutreffend von der „naissance of Marchia studies“ spricht. N. Mariani unternahm in den 90er Jahren die historisch-kritischen Editionen von Franziskus’ politischer Streitschrift gegen Johannes XXII. (Francisci de Esculo, OFM. Improbatio contra libellum domini Iohannis qui incipit ‚Quia vir reprobus‘, Grottaferrata 1993 [Spicilegium Bonaventurianum 28]), seines „Quodlibet“ (Francisci de Marchia sive de Esculo, OFM. Quodlibet cum quaestionibus selectis ex commentario in librum Sententiarum, Grottaferrata 1997 [Spicilegium Bonaventurianum 29]), sowie seines „Physik-Kommentars“ (Francisci de Marchia sive de Esculo, OFM. Sententia et compilatio super libros Physicorum Aristotelis, Grottaferrata 1998 [Spicilegium Bonaventurianum 30]). 8 Erwähnt seien hier neben den bereits genannten politisch-historisch orientierten Studien von Lambertini (vgl. nt. 5) und der Monographie von Schneider (vgl. nt. 3) vor allem die Arbeiten von C. Schabel, Theology at Paris (vgl. nt. 4), Teil 3, Kap. 9: „The Marchist School“ (S. 189–220), ders., La dottrina di Francesco di Marchia sulla predestinazione, in: Picenum Seraphicum 20 (2001), S. 9–45, und ders., Il Determinismo di Francesco di Marchia, in: Picenum Seraphicum 18 (1999), S. 57–95, und 19 (2000), S. 15– 68, R. L. Friedman, Francesco d’Appignano on the eternity of the world and the actual infinite, in: D. Priori (Hg.), Atti del 1° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano, Appignano del Tronto 26.-27.05.2001, Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2002, S. 83–101, W. Duba, Francesco di Marchia sulla conoscenza intuitiva mediata e immediata (III Sent., q. 13), in: Picenum Seraphicum 22/23 (2003/2004), S. 121–157, K.-J. Grün, Vom ‚Unbewegten Beweger‘ zur bewegenden Kraft. Der pantheistische Charakter der Impetustheorie im Mittelalter, Paderborn 1999 (S. 124–137: Die Impetustheorie Fran-
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Ein zentraler Aspekt ist bisher jedoch in nahezu all diesen Studien vollständig unbeachtet geblieben: Franziskus’ grundsätzliche Ausführungen zum Begriff des ‚Seienden‘, einem der philosophischen Zentralbegriffe schlechthin.9 Dies ist insofern erstaunlich, als er der ‚intentio entis‘ ein eigenes Werk von keineswegs zu vernachlässigendem Umfang gewidmet hat, nämlich das—vermutlich in den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts entstandene—„Quodlibet“, in welchem er sich in umfassender Weise der Erörterung des Seinsbegriffs in seinen verschiedenen Aspekten und Kontexten widmet.10 Eine Beschäftigung mit den ciscus de Marchias), und E.L. Wittneben/R. Lambertini, Un teologo francescano alle strette. Osservazioni sul testimone manoscritto del processo a Francesco d’Ascoli, in: Picenum Seraphicum 18 (1999), S. 97–122. Wichtige aktuelle Veröffentlichungen bilden die Akten der drei internationalen Franziskus von Marchia-Konferenzen in Appignano del Tronto (D. Priori (Hg.), Atti del 1° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano, Appignano del Tronto 26–27.05.2001, Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2002; ders. (Hg.), Atti del 2° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano, Appignano del Tronto 5–6.09.2003, Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2004, und ders. (Hg.), Atti del 3° Convegno Internazionale su Francesco d’Appignano, Appignano del Tronto 24.09.2005, Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2006) sowie die Edition des Commentarius in IV libros Sententiarum Petri Lombardi. Quaestiones praeambulae et prologus, ed. N. Mariani, Grottaferrata 2003 (Spicilegium Bonaventurianum 31). Der 2006 erschienene, von R.L. Friedman und C. Schabel herausgegebene Band des Vivarium zu Franziskus von Marchia liefert den aktuellsten Fortschritt zur Aufarbeitung seines Denkens und rückt ihn zugleich extensiv in das Bewußtsein gegenwärtiger philosophischer Forschung. Hier findet sich auch eine vollständige Bibliographie, auf die an dieser Stelle nachdrücklich verwiesen sei (vgl. R.L. Friedman/C. Schabel, Introduction—Total Marchia Bibliography, in: Vivarium 44,1 (2006), S. 15–20). 9 Einzige Ausnahme bildet eine kurze Untersuchung A. Zimmermanns, in welcher er sich vor dem Hintergrund der skotischen Lehre von der ‚univocatio entis‘ mit der Frage beschäftigt, ob dem Begriff des ‚Seienden‘ in Franziskus’ Metaphysikkommentar eine analoge oder univoke Bedeutung zukomme; vgl. A. Zimmermann, Analoge und univoke Bedeutung des Terminus ‚ens‘ nach einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: Deus et homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta tertii Congressus Scotistici, Rom 1972 (Studia Scholastico-Scotistica 5), S. 724–730. 10 Der Text des „Quodlibet“ findet sich bei N. Mariani (Hg.), Francisci de Marchia sive de Esculo, OFM. Quodlibet cum quaestionibus selectis ex commentario in librum Sententiarum, Grottaferrata 1997 (Spicilegium Bonaventurianum 29). Mariani beruft sich in seiner Einleitung (S. 18) hinsichtlich der Frage der Datierung des „Quodlibet“ auf P. Glorieux, der die Jahre 1323–1328 als (gleichwohl unsicheren) Abfassungszeitraum ansetzt (vgl. P. Glorieux, La littérature quodlibétique II, Paris 1935, S. 88). Die Thematisierung des Seinsbegriffs findet sich v. a. in den Quaestiones 3–7 der Mariani-Edition, in denen verschiedene Aspekte des Begriffs des Seienden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen: Q. 3: „Utrum intentio entis sit prima rei intentio“, Q. 4: „Utrum ens includatur quidditative in quolibet“, Q. 5: „Utrum intentio entis sit univoca decem praedicamentis“, Q. 6: „Utrum intentio entis sit univoca Deo et creaturae“, Q. 7: „Utrum intentio entis ex natura rei differat positive ab intentione unius, veri et boni vel sint omnino idem formaliter“. Die von Mariani
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an jener Stelle geleisteten Darlegungen zur Seinsfrage verspricht somit einerseits, eine nicht unerhebliche Lücke in der Erhellung seines Denkens insgesamt zu schließen; zudem ist das „Quodlibet“, das bislang— auch in anderen Zusammenhängen—in noch keiner Studie eingehendere Erwähnung gefunden hat, aber gerade auch als diejenige Schrift zu betrachten, in der Franziskus die allgemeinen (ontologischen) Voraussetzungen für die in seinen anderen Werken dargelegten Lehren entwickelt und ausarbeitet. In keiner der übrigen Schriften finden wir seine zugrundeliegende Seinsauffassung in ähnlich exponierter Weise elaboriert. Es scheint, als bilde das „Quodlibet“ somit eine Art fundierenden Bezugstext oder ‚Glossar‘ für die andernorts entwickelten, thematisch spezifischeren Ausführungen. Fragen wir also nach den grundlegenden ontologischen Bedingungen und Möglichkeiten, wie sie den konzeptionellen Hintergrund für Franziskus’ Metaphysikauffassung bilden (und dies gilt selbstverständlich auch hinsichtlich der Untersuchung anderer Themenfelder), so muß unsere erste Anlaufstelle wohl jenes Werk mit seinen gleichsam substantiellen Ausführungen und Grundannahmen darstellen. Weshalb aber bildet gerade der Begriff des ‚Seienden‘ den zentralen Dreh- und Angelpunkt für die Konzeption der Metaphysik? Welche Art von Grundlegungsfunktion, oder anders: welche wirkmächtige Vorrangstellung kommt der Bestimmung des Seienden hierbei zu? Einige kurze Bemerkungen mit Blick auf den Kontext dieser Fragen mögen im folgenden nicht als neuartig, sondern als in die eigentliche Untersuchung einleitende, thesenartige Zusammenfassung von bereits selbstverständlich Gewordenem verstanden werden.
vorgenommene Einbindung der als 1. („Utrum in intellectu nostro sit aliqua notitia actualis genita“) und 2. („Utrum in mente sit imago trinitatis distincte“) bzw. 8. („Utrum motus caeli fiat a virtute intrinseca sive extrinseca“) und 9. („Utrum motus caeli fiat ab illa virtute extrinseca secundum potentiam finitam vel infinitam“) gezählten Quaestiones muß aufgrund thematischer und stilistischer Inkohärenzen kritisch betrachtet werden. Möglicherweise erweisen sich bei eingehenderer Prüfung—die es allerdings noch zu leisten gilt—letztlich nur die Q. 3–7 (also diejenigen, die sich explizit mit dem Begriff des Seienden befassen) als eigentlicher Gehalt der „Quodlibet“-Schrift. W. Duba liefert hierzu—vor allem unter Berücksichtigung der Manuskripte—erste wichtige Nachweise (vgl. W. Duba, Continental Franciscan Quodlibeta after Scotus, in: C. Schabel (Hg.), Theological Quodlibeta in the Middle Ages, Bd. 2: The Fourteenth Century, Leiden 2007). Das „Quodlibet“ läßt sich damit de facto als Schrift „de ente“ auffassen. Mariani hat dem „Quodlibet“ einen Appendix mit Quaestiones aus dem „Sentenzen-Kommentar“ angefügt (vgl. hierzu kritisch C. Schabel, Notes on a recent edition of parts of Francis of Marchia’s ‚In primum librum Sententiarum‘, in: Picenum Seraphicum 19 (2000), S. 277–282).
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Bekanntermaßen macht seit Aristoteles—so können wir es zu Beginn des IV. Buches seiner „Metaphysik“ nachlesen—das Seiende als solches, d. h. ‚insofern es seiend ist‘ (τ ν ν bzw. ens inquantum ens), und was ihm als solchem zukommt, den eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik als der allgemeinsten und daher ersten und vorzüglichsten aller Wissenschaften aus, während die Einzelwissenschaften jeweils nur bestimmte Bereiche oder Aspekte des Seienden untersuchen.11 Inwiefern die in den verschiedenen einschlägigen Passagen der „Metaphysik“ von Aristoteles selbst letztlich nicht eindeutig vorgenommene Bestimmung des Gegenstandes dieser Ersten Philosophie nachfolgende Denker zu weitreichenden Deutungsversuchen und Bemühungen um eine weitergehende Präzisierung angeregt hat, wird im Rahmen der vorliegenden Studie noch ausführlicher zu thematisieren sein. Festzuhalten ist aber bereits an dieser Stelle, daß bis hin zu Franziskus von Marchia im Grunde nur selten ein Zweifel daran bestand, daß es auch tatsächlich das ‚Seiende an sich‘ ist, dem der Status des proprium subiectum metaphysicae zukommt, wenn es um die Metaphysik in ihrer wissenschaftstheoretischen ‚Grundlegungsfunktion‘ und d. h. zugleich in ihrer für den Menschen möglichen Option geht (im Gegensatz zur Konzeption der Metaphysik in ihrer ‚theologischen‘ Ausprägung, wie sie im VI. Buch der „Metaphysik“ erörtert wird)12.13 In diesem Sinne sind
11 Vgl. Aristoteles, Met. IV, 1, 1003a21–26 (übers. H. Bonitz): „Es gibt eine Wissenschaft, welche das Seiende als solches untersucht und das demselben an sich Zukommende. Diese Wissenschaft ist mit keiner der einzelnen Wissenschaften identisch; denn keine der übrigen Wissenschaften handelt allgemein von dem Seienden als solchem, sondern sie scheiden sich einen Teil des Seienden aus und untersuchen die für diesen sich ergebenden Bestimmungen, wie z. B. die mathematischen Wissenschaften“. 12 Vgl. die stets angeführte Vergleichsstelle aus Met. VI, 1, 1026a15 f., in der die Metaphysik als ‚theologische Wissenschaft‘ diskutiert wird (übers. H. Bonitz): „(…) die erste Philosophie aber handelt von dem, was sowohl trennbar wie unbeweglich ist. (…) Unzweifelhaft ist, daß, wenn sich irgendwo ein Göttliches findet, (…) die würdigste Wissenschaft die würdigste Gattung des Seienden zum Gegenstand haben muß“. Vgl. ebenfalls Met. XI, 7, 1064a33 f. 13 Nur verwiesen sei hier auf die im 13. Jahrhundert alternativ entwickelten Modelle einer Lehre von ‚Gott‘ als Ersterkanntem, wie sie etwa von Bonaventura, Guibert von Tournai oder Berthold von Moosburg konzipiert wurden. Ihnen kommt innerhalb der Diskussion um den eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik, wie er sich aus einer Bestimmung des primum cognitum ‚pro nobis‘ ergibt, eine Sonderstellung zu. W. Goris hat die einschlägigen Studien zu diesem Theorem vorgelegt; vgl. z. B. W. Goris, Die Anfänge der Auseinandersetzung um das Ersterkannte im 13. Jahrhundert. Guibert von Tournai, Bonaventura und Thomas von Aquin, in: Documenti e Studi sulla Tradizione Filosofica Medievale 10 (1999), S. 355–369, ders., Die Kritik des Bernhard von Trilia an der Lehre
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es letztlich die seit dem 13. Jahrhundert im Rahmen der sog. Transzendentalienlehre herausgebildeten und ausführlich thematisierten ‚ersten Verstandesbegriffe‘—und hierbei allen voran der Begriff des ‚Seienden‘—, die den Gegenstand der Metaphysik ausmachen, während die anderen, nachgeordneten Intellektbegriffe auf je eigentümliche Weise den spezifischeren Gegenständen der (Einzel-)Wissenschaften zuzuordnen sind.14 Die jeweilige Auffassung und inhaltliche Auslegung der transcendentia, vor allem aber des ‚ens‘-Begriffs, erweist sich dabei stets als prägend für das Verständnis und die Deutung des subiectum metaphysicae und damit für den Status der Metaphysik als Wissenschaft insgesamt. Wird der traditionelle Seinsbegriff in die eine oder andere Richtung konzeptionell modifiziert, so verändert sich zugleich auch der ‚(ontologische) Charakter‘ und der Bezugsbereich der Metaphysik. In der Ausdeutung des Begriffs des ‚Seienden‘ gehen damit beide Felder—die mittelalterliche Transzendentalienlehre und die Konzeption der Metaphysik—eine gleichermaßen intime Verbindung ein. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wird dies in exponierter Weise im Entwurf des Johannes Duns Scotus greifbar, der einen entscheidenden Brenn- und Anhaltspunkt bietet, wenn es um den Versuch einer Erhellung der systematischen Entwicklungslinien innerhalb des intrinsischen Zusammenhangs der mittel- und spätmittelalterlichen Lehre von den transzendentalen Erstbegriffen des menschlichen Verstandes und der Bestimmung des eigentümlichen Gegenstands der Metaphysik geht.15 Zwar finden wir eine grundsätzlich ähnliche Auffassung bekanntlich bereits im 13. Jahrhundert bei Autoren wie Albertus Magnus oder Thomas von Aquin—die skotische Konzeption läßt sich jedoch gleichsam als ‚Kulminationspunkt‘ dieser vorangehenden Bemühungen wervon Gott als Ersterkanntem, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 65 (1998), S. 248–319, oder ders., Transzendentale Gewalt, in: M. Pickavé (Hg.), Die Logik des Transzendentalen (Festschrift für J.A. Aertsen zum 65. Geburtstag), Berlin/New York 2003 (Miscellanea Mediaevalia 30), S. 619–642. 14 Auf solche Konzeptionen, in denen ein anderer der Transzendentalbegriffe dem des ‚Seienden‘ vorgezogen wird, etwa innerhalb des Entwurfs des Heinrich von Gent, der dem res-Begriff einen gewissen Vorrang einzuräumen scheint, muß im Verlauf dieser Untersuchung noch näher eingegangen werden, da Franziskus von Marchia gerade aus dieser Perspektive den entscheidenden Wendepunkt mit Blick sowohl auf die Transzendentalien- als auch die Metaphysikentwicklung markiert. 15 Vgl. hierzu S.D. Dumont, Transcendental Being: Scotus and the Scotists, in: Topoi 11 (1992), S. 135–148, und ders., Scotus’s Doctrine of Univocity and the Medieval Tradition of Metaphysics, in: J.A. Aertsen/A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie, Berlin/New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 26), S. 192–212.
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ten, indem sie sowohl den Abschluß einer in bestimmter Hinsicht als ‚stringent‘ zu bezeichnenden Entwicklung als auch die Grundlage für den beinahe zeitgleichen Ausbruch diverser Metaphysik-Konzeptionen und damit den Übergang in ein neues Stadium der Entwicklungsgeschichte der Ersten Philosophie markiert.16 Scotus faßt in seinem Entwurf die Frage nach dem Ersterkannten des menschlichen Intellekts und der Bestimmung des Gegenstandes der ‚ersten aller Wissenschaften‘ explizit im Modell der Metaphysik als einer ‚Transzendentalwissenschaft‘ (‚scientia transcendens‘) zusammen.17 Er verdichtet damit auch terminologisch, was als gemeinsames systematisches Fundament aller Konzeptionen der Metaphysik als einer Wissenschaft von den ersten Verstandesbegriffen gilt und sich folgendermaßen grundsätzlich bestimmen läßt: bei dem proprium subiectum metaphysicae handelt es sich um das primum obiectum intellectus, d. h. der ‚habitus metaphysicus‘ richtet sich auf die (Avicennas Lehre von den Erstbegriffen aufgreifenden) transcendentia als den primae intentiones intellectus.18 Die Metaphysik erhält somit eine dezi16 Jan Aertsen weist—im Gegensatz zu den Ansätzen L. Honnefelders—vor allem auf die Kontinuität zwischen der albertinischen bzw. thomasischen und der skotischen Metaphysikauffassung als einer Transzendentalwissenschaft hin. Vgl. Jan A. Aertsen, Metaphysics as a Transcendental Science, in: Quaestio 5 (2005), S. 377–389, S. 381: „Scotus’s programmatic text does not express a ‚crucial break‘ with tradition. All elements in his prologue can be traced back to Aquinas’s prologue (…). Scotus’s introduction of the phrase scientia transcendens is not essentially different from Aquinas’s account of the name, since it continues the thirteenth century linking of metaphysics with the doctrine of the transcendentals“. 17 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones subtilissimae super libros metaphysicorum Aristotelis, prologus, ed. Viv. VII, n. 5, S. 4 f.: „Maxime scibilia primo modo sunt communissima, ut est ens inquantum ens, et quaecumque sequuntur ens inquantum ens; (…) igitur necesse est esse aliquam scientiam universalem, quae per se consideret illa transcendentia, et hanc scientiam vocamus metaphysicam, quae dicitur a meta, quod est trans, et physis, scientia, quasi transcendens scientia, quia est de transcendentibus“. Vgl. hierzu die Erläuterung von L. Honnefelder, Duns Scotus, München 2005, S. 73: „Damit ist die entscheidende Charakteristik der Metaphysik für Scotus gefunden: Sie ist die gesuchte Erste Philosophie, insofern sie eine „übersteigende Wissenschaft“ (scientia transcendens) ist. Und dies ist sie, weil sie eine Wissenschaft ist, die von den „übersteigenden (Begriffen)“ (transcendentia), nämlich dem Begriff des Seienden und den anderen Begriffen handelt, die den transkategorialen Charakter des conceptus entis teilen“. Als grundlegende Erörterung des skotischen Metaphysik-Entwurfs sei bereits hier verwiesen auf die Studie von L. Honnefelder, Scientia transcendens: die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Hamburg 1990 (vgl. auch ders., La métaphysique comme science transcendentale entre le Moyen Âge et les Temps modernes, Paris 2002). 18 Jan Aertsen hat zu Recht Honnefelders Charakterisierung, in den mittelalterlichen Metaphysik-Konzeptionen des lateinischen Westens liege der „zweite Anfang der Metaphysik“, zu bedenken gegeben und auf die besondere Bedeutung des Einflusses der avicennischen Lehre hingewiesen (vgl. L. Honnefelder, Der zweite Anfang der Metaphy-
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diert epistemologische Fundierung—sie ist erste Wissenschaft, da sie vom Ersterkannten des menschlichen Verstandes handelt—, zugleich findet aber auch die Diskussion um das primum cognitum in der Bestimmung des subiectum metaphysicae ihren eigenen wissenschaftstheoretischen Ort.19 Im Verlauf der nachfolgenden Erörterungen wird die Frage im Mittelpunkt stehen, inwiefern das Modell der Metaphysik als einer ‚Transzendentalwissenschaft‘ grundsätzlich von der Bestimmung des zentralen Transzendentalbegriffs, des Begriffs des ‚Seienden‘ abhängig ist. Welche Konsequenzen ergeben sich für eine Bestimmung des Wesens der Metaphysik, wenn sich die jeweils zugrundeliegende Seinsauffassung ändert (was auf mehrfache Weise und in unterschiedlicher Hinsicht der Fall sein kann)? Basiert die Transzendentalienlehre etwa auf der Konzeption einer ‚analogia entis‘, d. h. der (bloßen) Möglichkeit eines Analogieschlusses des geschöpflichen Seienden auf das Sein Gottes, wie er vermittels der ersten Verstandesbegriffe vorgenommen werden kann, so ergibt sich zwangsläufig eine andersartige Bestimmung der Gestalt der Metaphysik als vor dem (skotischen) Hintergrund der Annahme einer ‚univocatio entis‘, d. h. einer Ausweitung des Seinsbegriffs im Sinne eindeutiger Prädikabilität. Läßt sich der Begriff des ‚Seienden‘ allein mit Bezug auf alles Realseiende denken, so zieht dies eine eingeschränktere Konzeption der Reichweite der Metaphysik nach sich als bei einem zugrundeliegenden Gehalt, der auch den Bereich des gedanklichen oder sogar des bloß möglichen Seienden umfaßt. Wird schließlich das ‚Seiende an sich‘ als wesentlicher Gegenstand der Metaphysik ganz in Frage gestellt, so scheint der Fortgang der Entwicklung spätestens an diesem Punkt nicht mehr allein als graduell abzutun und ein scharfer Blick auf die im Hintergrund stehende Argusik. Voraussetzungen, Ansätze und Folgen der Wiederbegründung der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert, in: J.P. Beckmann u. a. (Hgg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg 1990, S. 165–186): „If there is a ‚second beginning of metaphysics‘, there are good reasons for claiming that Arab philosophy rather than the Latin philosophy of the thirteenth and fourteenth century deserves this place in the genealogy of Western metaphysics. Avicenna’s views on the proper subject of First Philosophy and his doctrine of the primary notions of the intellect determined the foundations of metaphysical thought in Albert the Great, Thomas Aquinas, Henry of Ghent and John Duns Scotus“ (vgl. J.A. Aertsen, Metaphysics as a Transcendental Science, in: Quaestio 5 (2005), S. 377–389, hier S. 377). 19 Vgl. zur Bedeutung der Frage nach dem eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik im Mittelalter die Hinweise bei A. Zimmermann, Die „Grundfrage“ in der Metaphysik des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965), S. 141–156.
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mentation unumgänglich. Der Fokus soll daher im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung auf diese fundamentalen Veränderungen des ‚metaphysischen Seinsbegriffs‘ gerichtet werden, wie sie sich gerade in den unmittelbar auf die skotische Konzeption folgenden Entwürfen zeigen. Bereits der—bislang insgesamt erstaunlich wenig beachteten— ersten Generation der Skotus-Schüler ist das Verdienst zuzuschreiben, solchermaßen grundlegende Modifikationen der Doktrin ihres Lehrers und ihrer Vorgänger initiiert zu haben, daß sich weitreichende Konsequenzen sowohl für die jeweilige Entwicklung der Metaphysik und der Transzendentalienlehre, vor allem aber auch für den Zusammenhang beider Theoreme und damit für die Bestimmung der Metaphysik als einer ‚scientia transcendens‘ selbst ergaben. Wir müssen uns insbesondere für diese entwicklungsgeschichtliche Umbruchphase interessieren und die dort wirksam werdenden Motive und Perspektiven deutlich herauskristallisieren, da es scheint, als haben bereits in den frühen Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts in ganz konkreter Weise diejenigen Weichenstellungen stattgefunden, die die manifesten metaphysischen und transzendentalphilosophischen Modelle des 16.-18. Jahrhunderts allererst konzeptionell ermöglichten.20 Vor allem aufgrund fehlender Textzeugen wurden viele dieser Pionierleistungen hinsichtlich nachfolgend etablierter Themen philosophiegeschichtlich bislang deutlich später angesetzt.21 Ein Gegenbeispiel liefert in besonderer Weise der Entwurf des Franziskus von Marchia, auf den wir uns fortan konzentrieren werden. Bei ihm begegnen wir im Rahmen der Ausführungen seiner „Quaestiones super metaphysicam“ einer bemerkenswerten, zunächst noch nicht allzu bedeutsam scheinenden Differenzierung, von der wir aber unseren Ausgangspunkt nehmen wollen, um Franziskus’ MetaphysikKonzeption von hier aus systematisch zu entfalten.22 Rückblickend wird deutlich werden, daß sich sein Gesamtentwurf gerade anhand dieses ‚Einblicks‘ auf seine wesentliche Position verdichten läßt.
20 Vgl. hierzu die Studie von O. Boulnois, Être et représentation. Une généalogie de la métaphysique moderne à l’époque de Duns Scot (XIIIe–XIVe siècle), Paris 1999. 21 Vgl. L. Honnefelder, Scotus und der Scotismus. Ein Beitrag zur Bedeutung der Schulbildung in der mittelalterlichen Philosophie, in: M.J.F.M. Hoenen u. a. (Hgg.), Philosophy and learning: universities in the Middle Ages, Leiden/New York/Köln 1995, S. 249–262. 22 Wir beziehen uns hier auf Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, q. 1: „Utrum res secundum quod res sit subiectum metaphysicae vel aliquid aliud“, ed. A. Zimmermann, in: ders., Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 21998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1), S. 84–98.
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Was bereits beim Lesen der ersten Abschnitte von Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ zögern läßt, sind seine Ausführungen, daß letztlich nicht mehr die Gruppe der transcendentia in ihrer Gesamtheit, d. h. der spätestens seit Thomas von Aquin klassisch gewordene Kanon der Begriffe ‚Seiendes‘ (ens), als dem grundlegenden Transzendentalbegriff, sowie ‚Eines‘ (unum), ‚Wahres‘ (verum), ‚Gutes‘ (bonum), ‚Ding‘ (res) und ‚Etwas‘ (aliquid) als dessen Eigenschaften (passiones entis), unter das subiectum metaphysicae fällt, sondern daß vielmehr das transzendentale ‚aliquid‘ ausdrücklich aus dem Gegenstandsbereich der Metaphysik ausgeschlossen wird, während ‚ens‘ und ‚res‘ quasi synonym als proprium subiectum benannt werden.23 Mehr noch: bei genauerem Hinsehen erweist sich scheinbar der Begriff des ‚Dinges‘ als dem Begriff des ‚Seienden‘ sogar noch vorgeordnet, gewissermaßen als Gegenstand der Metaphysik par excellence. Wie begründet Franziskus diese, die Auffassung der Metaphysik als einer ‚scientia transcendens‘ offenbar modifizierende Differenzierung, die sich zunächst wesentlich in einer ‚Zersplitterung‘ der Gruppe der transzendentalen Begriffe hinsichtlich ihrer Eignung als proprium subiectum metaphysicae zu manifestieren scheint? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den überkommenen ontologischen Status der Metaphysik als einer Realwissenschaft, und welcher Zusammenhang ergibt sich mit dem bereits erwähnten Theorem einer zweifachen Metaphysik? Und schließlich: Deutet die in Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ sich findende Besonderheit nicht zugleich ganz generell auf eine explizite Kritik an den mittelalterlichen Transzendentalien-Entwürfen hin, aus der nun offenkundig eine fundamentale Umstrukturierung der bislang gültigen Ordnung dieser ersten Verstandesbegriffe erwächst? 2. Die Wende von den Transzendentalien zu ‚Super‘-Transzendentalien Franziskus’ detaillierte Ausführungen zu den ersten und grundlegenden Verstandesbegriffen, wie sie sich im Rahmen der mittelalterlichen Transzendentalienlehre zum ersten Mal systematisch herausgebildet haben, sind in philosophiehistorischen Untersuchungen bislang ähnlich unberücksichtigt geblieben wie seine Seinsauffassung.24 Eine strukturelle 23
Ibid. Vgl. zu den Anfängen der Transzendentalienlehre im 13. Jahrhundert die Studien von Jan A. Aertsen, Art. ‚Transzendental; Transzendentalphilosophie‘ II.: Die Anfänge bis 24
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Analyse seiner transzendentalientheoretischen Position, die sich neben den erwähnten Passagen aus dem „Metaphysik-Kommentar“ vor allem im Rahmen der Erörterungen des „Quodlibet“ ausgearbeitet findet, weist diese jedoch als bedeutsames Lehrstück nicht nur mit Blick auf die Frage nach der Wesensbestimmung der Metaphysik aus, sondern verspricht auch, ein zentrales Versatzstück für eine adäquate Rekonstruktion der Geschichte der mittelalterlichen Transzendentalbegriffe selbst zu liefern. Denn hier scheint die einschneidende Wende von der mittelalterlichen Transzendentalienlehre hin zur seit dem 16. Jahrhundert maßgeblich gewordenen Lehre von den sog. ‚Supertranszendentalien‘ zum ersten Mal nachweislich rekonstruierbar. Mit der vorliegenden Untersuchung beabsichtigen wir somit zugleich, erstmals etwas Konkreteres über den tatsächlichen Ausgangspunkt dieser Doktrin von den ‚supertranszendentalen Begriffen‘ aussagen zu können, zu dem es bislang noch keine umfassenderen Studien gibt. Auf der Grundlage der (in der Tat sehr materialreichen) Forschungsliteratur zur Gesamtentwicklung der Lehre von den ‚supertranscendentia‘, die sich jedoch vor allem auf die Positionen der Denker des 16. und 17. Jahrhunderts konzentriert, mußte bisher ein Übergang von der Transzendentalien- hin zur Supertranszendentalienlehre angenommen werden, der anhand einer Betrachtung der Konzeption des Franziskus von Marchia nunmehr nicht nur weit früher anzusetzen ist, sondern auch eine entscheidende und durchaus überraschende inhaltliche Korrektur erfahren dürfte.25
Meister Eckhart, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, Basel 1998, Sp. 1360–1365; Art. ‚Transzendentalien‘, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 8, München 1997, Sp. 953–955; Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas, Leiden/New York/Köln 1996 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 52); ders., What is First and Most Fundamental? The Beginnings of Transcendental Philosophy, in: J.A. Aertsen/A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (Akten des X. Intern. Kongresses für mittelalterliche Philosophie der S.I.E.P.M., 25.-30.08.1997 in Erfurt), Berlin/New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 26), S. 177–192, und J.J.E. Gracia, The Transcendentals in the Middle Ages, in: Topoi 11 (1992), S. 111–195. Zur Entwicklung des Terminus ‚transzendental‘ vgl. H. Knittermeyer, Der Terminus transzendental in seiner historischen Entwicklung bis zu Kant, Marburg 1920, sowie J.A. Aertsen, ‚Transcendens— Transcendentalis‘. The Genealogy of a Philosophical Term, in: J. Hamesse/C. Steel (Hgg.), L’élaboration du vocabulaire philosophique au Moyen Âge. Actes du Colloque internationale de Louvain-la-Neuve et Leuven 12–14 septembre 1998 org. par la S.I.E.P.M., Turnhout 2000 (Rencontres de Philosophie Médiévale 8), S. 241–255, und ders., The Concept of „Transcendens“ in the Middle Ages: What is Beyond and What is Common, in: G. van Riel/C. Macé (Hgg.), Platonic Ideas and Concept Formation in Ancient and Medieval Thought, Leuven 2004, S. 133–153. 25 Zur Entwicklung der Supertranszendentalienlehre vgl. vor allem die Arbeiten von
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Seit ihrer Entstehung im 13. Jahrhundert wurden die Transzendentalien als diejenigen Begriffe betrachtet, welche die durch die aristotelischen Kategorien geleistete Einteilung des Seienden dahingehend ‚transzendieren‘, daß sie sich in ihrer Aussagbarkeit nicht auf bestimmte (nämlich die kategorialen) Seinsweisen beschränken, sondern als ‚communissima‘ (Philipp der Kanzler) im Sinne allgemeinster Erstbegriffe für alles (Real-)Seiende gleichermaßen Gültigkeit besitzen.26 Bei der Mehrzahl mittelalterlicher Autoren bilden die Begriffe ens, unum, verum und bonum, bisweilen (vor allem seit Thomas von Aquin) auch res und aliquid, den Kanon der Transzendentalien, dieser sowohl in epistemologischer als auch in ontologischer Hinsicht ‚ersten Begriffe‘, wobei jene Gruppe verschiedentlich in ihrer Zusammensetzung und hierarchischen Gewichtung auch Variationen erfahren hat. Gemeinhin—und das ist entscheidend als Hintergrund für die konzeptionelle Modifikation, wie Franziskus von Marchia sie vornimmt—kommt jedoch, wie bereits erwähnt, dem Begriff des ‚ens‘ die Primatstellung unter den transcendentia zu, während alle anderen Begriffe als begleitende Eigenschaften desselben (passiones entis) gelten. Diese sind zwar mit dem ‚Seienden‘ in der Sache selbst (in re) identisch und damit in gewisser Weise konvertibel, sie unterscheiden sich jedoch begrifflich voneinander und drücken einen je anderen Sinngehalt aus, der durch den Begriff des ‚Seienden‘ noch nicht explizit mitbezeichnet wird.27
J.P. Doyle, auf die im 3. und 4. Kapitel der vorliegenden Untersuchung noch eingehender verwiesen wird: J.P. Doyle, Art. ‚Supertranszendent; Supertranszendenz‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, Basel 1998, Sp. 644–649, ders., Between transcendental and transcendental: the missing link?, in: The Review of Metaphysics 50 (1997), S. 783–815, ders., ‚Extrinsic Cognoscibility‘: A Seventeenth Century Supertranscendental Notion, in: The Modern Schoolman 68 (1990), S. 57–80, und Supertranscendental Being: On the Verge of Modern Philosophy, in: S.F. Brown (Hg.), Meeting of the Minds. The Relations between medieval and classical modern European Philosophy (Acts of the International Colloquium held at Boston College, June 14–16, 1996, organized by the S.I.E.P.M.), Turnhout 1998, S. 297–315. 26 Vgl. zu den Anfängen der mittelalterlichen Transzendentalien-Lehre im 13. Jahrhundert Philippus Cancellarius, Summa de bono, ed. N. Wicki (Corpus philosophorum medii aevi II), Bern 1985, und erläuternd J.A. Aertsen, What is First and Most Fundamental (vgl. nt. 24). 27 Vgl. hierzu exemplarisch die wohl erste systematische Ableitung der einzelnen Transzendentalbegriffe bei Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae de veritate I,1, ed. A. Zimmermann, Hamburg 1986, und G. Schulz, Veritas est adaequatio intellectus et rei. Untersuchungen zur Wahrheitslehre des Thomas von Aquin und zur Kritik Kants an einem überlieferten Wahrheitsbegriff, Leiden u. a. 1993 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 36).
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Im Laufe der weiteren Entwicklung, einheitlich etwa ab dem 16. Jahrhundert, wurden diese transzendentalen Erstbegriffe schließlich noch einmal selbst überstiegen, indem ihr Gültigkeitsbereich nicht mehr ausschließlich auf alles Realseiende (ens reale) beschränkt blieb, sondern auch auf das ‚gedankliche‘ Seiende (ens rationis) hin ausgedehnt wurde.28 Die hierbei herausgebildeten, in ihrem Umfang über die transcendentia noch hinausreichenden und damit als grundlegender und früher anzusetzenden ‚super-transcendentia‘ manifestierten sich nach und nach in verschiedenen begrifflichen Konzeptionen, etwa als ‚Denkbares‘ (cogitabile), ‚Erkennbares‘ (intelligibile) oder ‚Erfaßbares‘ (apprehensibile).29 Franziskus von Marchia stellt zu Beginn des 14. Jahrhunderts zunächst die bereits erwähnte, innerhalb der mittelalterlichen Transzendentalienlehre etablierte Vorrangstellung der intentio entis anhand einer spezifischen Begriffsanalyse grundlegend in Frage und entwickelt in direktem Zusammenhang hiermit zum ersten Mal systematisch die Möglichkeit einer Ausweitung des Bezugsbereichs der ‚Transzendentalien des 13. Jahrhunderts‘ in genau der Weise, wie wir sie später ausdrücklich in der Bestimmung der ontologisch umfassenderen ‚supertranscendentia‘ wiederfinden. Mit Franziskus’ Entwurf scheinen wir somit— weit früher als in der Forschung bisher angenommen—ein Modell vor Augen zu haben, das anhand des Nachweises der Möglichkeit einer Übersteigung der klassischen, auf das ens reale beschränkten Transzendentalbegriffe die entwicklungsgeschichtlich bedeutsame Wende von den transzendentalen hin zu ‚super‘-transzendentalen Bestimmungen 28 Vgl. J.P. Doyle, Art. ‚Supertranszendent; Supertranszendenz‘ (nt. 25), Sp. 644: „Supertranscendens ist eine im Aristotelismus des 16. Jh.s geprägte ,Überbietungsformel‘ für die höchste Ebene der ontologischen Abstraktion; ,überboten‘ wird dabei die mit Bezug auf die kategoriale Einteilung des Seienden seit dem 13. Jh. eingeführte Ebene der Transzendentalien, d. h. der allgemeinsten Bestimmungen des Realseienden, durch ,allerallgemeinste‘ (‚supertranszendentale‘) Bestimmungen, die den realen Dingen und den Gedankendingen gemeinsam sind“. 29 Der Ausdruck ‚supertranscendens‘ bzw. ‚supertranscendentia‘ findet sich erstmals bei Autoren des 16. Jahrhunderts, z. B. bei Petrus Fonseca (1528–1597), der „opinabile“, „cogitabile“ und „apprehensibile“ als supertranszendentale Begriffe erwähnt: „(…) Sex porro transcendentia esse dicuntur, ens, unum, verum, bonum, aliquid et res (…). Reliqua iuxta hanc sententiam sunt non transcendentia: in quibus numerantur ea, quae a recentioribus dicuntur supertranscendentia ut opinabile, cogitabile, apprehensibile (…)“, in: P. Fonseca, Institutionum dialecticarum libri octo I,1, c. 28, Ingolstadt 1607, S. 62. Franziskus von Marchia verwendet den Terminus „supertranscendens“ selbst (noch) nicht. Inwiefern dies eine in seinem Entwurf selbst wurzelnde Ursache hat, die keineswegs als ‚defizitär‘, sondern vielmehr als wesenhafte Eigenart seiner Konzeption zu werten ist, wird noch ausführlich zu klären und zu begründen sein (vgl. hierzu vor allem Kapitel 4 der vorliegenden Untersuchung).
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markiert. Den hermeneutischen Ort dieses Übergangs bildet die Ausgangsfrage der 3. Quaestio des „Quodlibet“ (Utrum intentio entis sit prima rei intentio), in der die bislang gültige (transzendentale) Begriffsordnung— inklusive der Primatstellung des Seinsbegriffs—umstürzend und mit gravierenden Konsequenzen für den ‚ontologischen Status‘ der transcendentia insgesamt thematisiert wird.30 Bildeten im 13. Jahrhundert—unter der Maßgabe einer Identifizierung des proprium subiectum metaphysicae mit dem primum obiectum intellectus—die Transzendentalien den eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik, woraufhin die Erste Philosophie wesenhaft als (Real-)Ontologie zu bestimmen war, so müssen wir mit Blick auf die Situation des frühen 14. Jahrhunderts vor allem fragen, welche Folgen sich aus der ‚supertranszendentalen Neubestimmung‘ des Verstandesersten für die Deutung des Metaphysik-Subjekts und damit für den ontologischen Status dieser ersten Wissenschaft ergaben. Wird die Metaphysik folglich nicht automatisch zur ‚Supertranszendentalwissenschaft‘? Anders: erfolgt hier der „Schritt der Philosophie zur scientia supertranscendens“?31 3. Eine Metaphysik oder zwei Metaphysiken?—Eine entscheidende Modifikation innerhalb der Entwicklungsgeschichte der πρτη φιλοσοφ α Wie bereits angedeutet, ist Franziskus von Marchia hinsichtlich des strukturellen Verlaufs der Metaphysikgeschichte für einen vergleichbar konstitutiven Wendepunkt verantwortlich zu machen, wie er mit Blick auf die Entwicklung der Transzendentalienlehre zu konstatieren ist. Allerdings—und das ist das Bemerkenswerte—ergibt sich im Zuge seiner ‚Super‘-Transzendentalienlehre nicht zugleich zwangsläufig auch die Konzeption der Metaphysik als einer (supertranszendentalen) Wissenschaft, die sich sowohl auf das ens reale als auch auf das ens rationis bezieht. Vielmehr ist die philosophiegeschichtlich erst erheblich später zum anerkannten Theorem avancierte Aufspaltung der Ersten Philosophie in eine Allgemeine und eine Besondere Metaphysik für seinen Entwurf Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 71–104. So ließe sich im Anschluß an eine Formulierung L. Honnefelders fragen, der allererst in der Konzeption des Johannes Duns Scotus den tatsächlichen Übergang der Metaphysik in ihre Bestimmung als Transzendentalwissenschaft gegeben sieht; vgl. L. Honnefelder, Duns Scotus: Der Schritt der Philosophie zur scientia transcendens, in: W. Kluxen (Hg.), Thomas von Aquin im philosophischen Gespräch, Freiburg/München 1975, S. 229–244. 30 31
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kennzeichnend. Inwiefern aber basiert diese Spaltung auf der bereits erwähnten Auffälligkeit der noch näher zu betrachtenden ‚Zersplitterung‘ des transzendentalen subiectum metaphysicae? Und inwiefern findet die (supertranszendentale) Ausweitung des primum obiectum intellectus überhaupt Eingang in dieses Modell? Zugespitzt formuliert: Wie verträgt sich ein realontologisches Metaphysik-Subjekt—das zudem in bestimmter Weise zweifach aufzugliedern ist—mit einem supertranszendentalen primum obiectum intellectus? Bereits im Rahmen mehrere Jahrzehnte zurückliegender Arbeiten hat A. Zimmermann die grundlegende Bedeutung von Franziskus’ Metaphysik-Konzeption für den Fortgang der Metaphysikgeschichte erkannt, nachdrücklich gewürdigt und damit einen wichtigen Grundstock für weitere Untersuchungen gelegt.32 In seiner Studie „Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert“ findet sich erstmals eine eingehendere Betrachtung von Franziskus’ Metaphysik-Entwurf anhand der Edition und einer Erörterung ausgewählter Passagen seines Kommentars zur aristotelischen „Metaphysik“.33 Danach ist es um dieses Werk jedoch über lange Zeit hinweg recht still geworden.34 Dabei scheint aufgrund derselben 32 Vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leiden/Köln 1965 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 8), S. 56–71; 292–314, bzw. Leuven 21998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1), S. 84–100; 348–373 (alle verweisenden Angaben beziehen sich fortan auf diese 2. Aufl.). 1972 bestimmte Zimmermann erstmals Franziskus von Marchia als möglichen Verfasser des untersuchten „Metaphysik-Kommentars“ (vgl. A. Zimmermann, Analoge und univoke Bedeutung des Terminus ‚ens‘ nach einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: Deus et homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta tertii Congressus Scotistici, Rom 1972, S. 724–730). 33 Zimmermanns Untersuchung enthält als Teiledition des „Metaphysik-Kommentars“ die 1. Quaestio aus dem 1. Buch: „Utrum res secundum quod res sit subiectum metaphysicae vel aliquid aliud“, sowie die 16. Quaestio des 6. Buches: „Utrum metaphysica sit de ente in communi vel sit de ente abstracto et separato secundum rem“ (S. 84–100), die er zudem beide inhaltlich erörtert und kontextuell auswertet (S. 348–373). 34 Neben Zimmermann räumte bisher lediglich E. Rompe diesem „MetaphysikKommentar“ (auf der Grundlage von Ms. Paris, Bibl. Maz. 3490, fol. 1ra–57rb) einen zentralen Stellenwert innerhalb ihrer Darstellung der Geschichte einer zweifachen Metaphysik ein; vgl. E. Rompe Die Trennung von Ontologie und Metaphysik (nt. 2). Die tatsächlichen Implikationen und doktrinären Auswirkungen werden hier jedoch nicht hinreichend ausgearbeitet. Darüber hinaus sucht man in den einschlägigen Darstellungen zur Metaphysik-Entwicklung allerdings vergeblich nach einer Einordnung und Auswertung der Konzeption des Franziskus von Marchia. Die einzige Ausnahme innerhalb der gegenwärtigen Forschung bildet die für ein adäquates Verständnis der Strukturgeschichte der Metaphysik wichtige Studie von W. Goris, The Scattered Field. History of
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Umstände Erstaunen angebracht wie hinsichtlich der bereits erwähnten bisherigen ‚Unangetastetheit‘ seiner Seins- und TranszendentalienKonzeption. Blickt man auf den Verlauf der ‚Problemgeschichte‘ der Metaphysik, dieser seit ihrer ersten systematischen Ausarbeitung durch Aristoteles über die Jahrhunderte hinweg nicht zur Ruhe kommenden Wissenschaft, so zeigt sich Franziskus’ Beitrag als ein Modell, in dem erstmals explizit ein Entwurf offenkundig wird, der sich im weiteren Fortgang der Entwicklung mehr und mehr durchsetzte. Daß es sich dabei nicht, wie im Vorangehenden auf der Grundlage der Neubestimmung der ersten Verstandesbegriffe durchaus in Betracht gezogen, um die Konzeption der Metaphysik als einer ‚scientia supertranscendens‘ handelt, sondern um die ‚Aufspaltung‘ in zwei voneinander getrennte Wissenschaften (metaphysica generalis und metaphysica specialis), wie sie schließlich bei den Denkern der Deutschen Schulphilosophie—exemplarisch genannt sei Christian Wolff—populäre Etablierung fand, darin liegt der entscheidende Vorrang, der Franziskus gegenüber seinen Zeitgenossen zuzusprechen ist.35 Franziskus scheint in der Tat der erste (und für lange Zeit auch der einzige) gewesen zu sein, der eine solche Teilung der Metaphysik, die sich vorerst als Aufgliederung sowohl in eine ontologische als auch in eine theologische Metaphysik charakterisieren läßt, vornahm und explizit ausarbeitete.36
Metaphysics in the Postmetaphysical Era, Louvain 2004, in der Franziskus von Marchia im Rahmen einer pointierten Analyse ein exponierter Platz zugewiesen wird. 35 Vgl. zur Vollendung der Trennung von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik bei Chr. Wolff E. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik (nt. 2), S. 339 f.: „In das allgemeine Bewußtsein ist Christian Wolff als Urheber der Trennung von Ontologie und Metaphysik eingegangen. (…) Wolff setzt jedoch, das sollte festgehalten werden, keinen neuen Anfang, sondern bedeutet Abschluß, Zusammenfassung und damit zugleich Sanktionierung einer bestimmten Entwicklungsrichtung“. Vgl. zur Spaltung der Metaphysik durch Franziskus von Marchia ebenfalls die Untersuchung von A. Zimmermann, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommentar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966), S. 190–206. 36 Auf die zahlreichen Anknüpfungspunkte innerhalb der weiteren Entwicklung von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik im 17./18. Jh. kann hier—trotz lohnenswerter Vergleichsmomente—nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei auf die einschlägige Literatur bei E. Vollrath, Die Gliederung der Metaphysik in eine Metaphysica generalis und eine Metaphysica specialis, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 16 (1962), S. 258– 284; J.B. Lotz, Ontologie und Metaphysik. Ein Beitrag zu ihrer Wesensstruktur, in: Scholastik 18 (1943), S. 1–30, und—wie bereits erwähnt—E. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik (nt. 2). Einzig Rompe bezieht jedoch Franziskus’ Konzeption in ihre Darstellung mit ein, alle anderen Untersuchungen lassen diese gänzlich unerwähnt.
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Was ist nun das Eigentümliche, das über vorangehende Metaphysik-Deutungen Hinausgehende dieses Entwurfs? Welche strukturell-systematischen Neuerungen impliziert ein solches Modell? Vierzig Jahre nach Zimmermanns grundlegender Studie scheint es an der Zeit, Franziskus’ Modell sowohl unter Hinzuziehung der anderen für die Entwicklung der Metaphysik relevanten Schriften seines Œuvres—den Ausführungen im „Quodlibet“ und im „Sentenzen-Kommentar“—als auch in einem größeren thematischen Kontext in seinen Abhängigkeiten, Motiven, Möglichkeiten und Wirkungen neu in den Blick zu nehmen.37 Der allgemeine Problemhorizont, der letztlich allen Versuchen einer adäquaten Wesensbestimmung der Metaphysik zugrundeliegt und vor dem auch Franziskus von Marchia seine Lösung entwickelte, darf als hinreichend bekannt vorausgesetzt werden und soll daher hier—ähnlich den anderen inhaltlichen Vorausgriffen und Vorbemerkungen innerhalb dieser Einleitung—ebenfalls nur noch einmal kurz in seinen Grundzügen in Erinnerung gerufen werden. So ist in kaum mehr zählbaren Darstellungen detailliert erörtert worden, inwiefern die verschiedenen Metaphysik-Entwürfe (nicht nur im Mittel- und Spätmittelalter) allesamt im Rahmen der Diskussion um eine angemessene Auslegung der aristotelischen Metaphysik-Konzeption entwickelt wurden und damit durchgängig geprägt sind von dem bei Aristoteles selbst zu findenden Spannungsverhältnis zweier unterschiedlicher Gegenstandsbestimmungen. Die grundlegende Textstelle in Met. Γ 1, wo der eigentümliche Gegenstand der Metaphysik als τ ν ν bestimmt wird,38 steht dabei der Aussage zu Beginn von Buch E gegenüber, die—in scheinbarem Widerspruch—das ‚ewige (göttliche) Seiende‘ als Gegenstand dieser Wissenschaft im Sinne einer εολογικ πιστμη bezeichnet.39 37 Franziskus’ „Sentenzen-Kommentar“ liegt—ebenso wie seine „Quaestiones in metaphysicam“—noch nicht vollständig in historisch-kritischer Edition vor. Im Verlauf dieser Untersuchung werden wir einerseits Bezug nehmen auf den dem „Quodlibet“ durch N. Mariani angefügten Appendix, der Teile des „Sentenzen-Kommentars“ enthält, sowie auf die von Zimmermann edierten Passagen des „MetaphysikKommentars“, in: A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert (vgl. nt. 22), S. 84–100, und die Edition des Prologs zum „Metaphysik-Kommentar“ durch R. Friedman, erstmals unter Berücksichtigung von Ms. Bologna, Coll. di Spagna 104, in: Documenti e Studi sulla Tradizione Filosofica Medievale 16 (2005), S. 504–513. 38 Aristoteles, Met. Γ 1, 1003a20 f. 39 Aristoteles, Met. E 1, 1026a19 f. Vgl. zum Problem der unterschiedlichen Gegenstandsbestimmungen der aristotelischen Ersten Philosophie A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert (vgl.
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Demgemäß lassen sich auch die verschiedenen Lösungsversuche nachfolgender Denker, die um die Wahrung einer einheitlichen Konzeption der Ersten Philosophie bemüht waren, in unterschiedlicher Weise verorten zwischen der Auffassung, die Metaphysik sei in erster Linie als allgemeine Seinswissenschaft, d. h. gleichsam als ‚Metaphysik des Transzendentalen‘ zu begreifen,40 und andererseits der Verteidigung einer ‚Metaphysik des Transzendenten‘, einer philosophischen Theologie, die vom göttlichen Seienden handle.41 Franziskus scheint mit seiner Konzeption einer ‚Aufspaltung‘ der Metaphysik einen neuen Weg einzuschlagen. Offensichtlich sieht er sich weder genötigt, wie seine Vorgänger das proprium subiectum metaphysicae zugunsten einer der genannten aristotelischen Bestimmungen entscheiden zu müssen, noch liegt für ihn die Lösung letztlich darin, beide Zuschreibungen innerhalb einer einzigen Wissenschaft gleichsam ‚onto-theologisch‘ zu harmonisieren.42 Mit dem Entwurf einer ‚Allgemeinen‘ und einer ‚Besonderen Metaphysik‘, deren Gegenstandsbereiche jeweils einer der beiden aristotelischen Bestimmungen entsprechen (die metant. 22), S. 136–144, L. Honnefelder, Transzendent oder transzendental: Über die Möglichkeit von Metaphysik, in: Philosophisches Jahrbuch 92 (1985), S. 273–290, G. Patzig, Theologie und Ontologie in der „Metaphysik“ des Aristoteles, in: Kant-Studien 52 (1960/61), S. 185–205, A. Speer, Im Spannungsfeld der Weisheit. Anmerkungen zum Verhältnis von Metaphysik, Religion und Theologie, in: M. Erler/T. Kobusch (Hgg.), Metaphysik und Religion. Zur Signatur des spätantiken Denkens (Akten des Internationalen Kongresses vom 13.-17.03.2001 in Würzburg), München/Leipzig 2002 (Beiträge zur Altertumskunde Bd. 160), S. 649– 672, oder D. Fonfara, Aristoteles‘ Erste Philosophie: universalistische oder paradigmatische Ontologie?, in: K. Engelhard (Hg.), Aufklärungen. Festschrift für K. Düsing zum 60. Geburtstag, Berlin 2002 (Philosophische Schriften 47), S. 15–37, der auch eine Erörterung der wichtigsten Forschungsliteratur zu dieser Problematik liefert. 40 Die Anhänger einer solchen ontologischen Metaphysik-Interpretation bestimmten unter dem starken Einfluß der Lehre Avicennas und im Rahmen einer strengen Anwendung der aristotelischen Wissenschaftslehre der „Zweiten Analytiken“ das Seiende im allgemeinen als eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik; vgl. hierzu A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik (nt. 22), S. 144–152 (Avicennas Lehre vom ‚subiectum‘ der Metaphysik), J.A. Aertsen, Die Lehre der Transzendentalien und die Metaphysik. Der Kommentar von Thomas von Aquin zum IV. Buch der Metaphysica, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 35 (1988), S. 293–316, und L. Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Münster 1979 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N.F. 16). 41 Vor allem Averroes vertritt—in Fortführung der Interpretationsrichtung der spätantiken griechischen Kommentatoren—eine theologische Auslegung der Metaphysik; vgl. hierzu die Zusammenfassung bei A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik (nt. 22), S. 152–154 (Die Kritik des Averroes an Avicenna). 42 Vgl. O. Boulnois, Quand commence l’ontothéologie? Aristote, Thomas d’Aquin et Duns Scot, in: Revue Thomiste 95 (1995), S. 85–108.
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physica communis hat das ‚ens commune‘, die metaphysica particularis das abgetrennte, göttliche Seiende, das ‚ens separatum‘, zum Gegenstand), scheint er als Lösung vielmehr ein Modell anzustreben, das beiden Wesensbestimmungen einen adäquaten Stellenwert einräumt, indem ihnen ein je eigener Ort in distinkten, nebeneinander bestehenden Wissenschaften zukommt.43 Sowohl die epistemischen Bedingtheiten und Möglichkeiten des Menschen mit Blick auf die Durchführbarkeit der Metaphysik als auch aristotelisch begründete wissenschaftstheoretische Maßgaben, wie wir sie aus den „Zweiten Analytiken“ her kennen, finden hier Berücksichtigung. Und wenngleich Franziskus’ Entwurf in seiner spezifischen Ausprägung ohne nachweisbaren Einfluß auf die Konzeptionen zeitgenössischer wie nachfolgender Denker blieb, bildet er doch die strukturelle Grundlage für alle späteren Darstellungen einer ‚Allgemeinen‘ und ‚Besonderen Metaphysik‘.44 Eine zumindest indirekte Entwicklungslinie manifestiert sich etwa in den eklatanten Übereinstimmungen seiner Konzeption mit der zwei Jahrhunderte später ausgearbeiteten Teilung der Metaphysik durch Benedictus Pererius (1535–1610), von dessen Einfluß auf Denker wie Christian Wolff durchaus auszugehen ist.45 43 Vgl. J.A. Aertsen, Metaphysics: Theology or Universal Science?, in: Averroes Latinus. A New Edition, Leuven 2002 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 4), S. VII–IX, S. IX: „(…) two sciences of metaphysics: a particular metaphysics, which primarily deals with the first being, namely the scientia divina, and a universal science, dealing with being as being. (…) a ‚general‘ metaphysics, transcendental in character, and a ‚special‘ metaphysics or philosophical theology.“ 44 Charles Genequand hat in einer kurzen Studie zur Frage nach dem Gegenstand der Metaphysik bei Alexander von Aphrodisias gezeigt, daß sich bereits hier eine Art ‚Aufspaltung‘ der Metaphysik findet—diese kann durchaus als ‚strukturelle Vorprägung‘ der Konzeption Marchias angesehen werden. Allerdings erfolgt die Trennung einer ‚generischen‘, übergeordneten Wissenschaft, die mehrere Teilwissenschaften umfaßt, unter die auch die Erste Philosophie—im Sinne einer ‚besonderen Metaphysik‘— fällt, bei Alexander allein anhand einer ontologischen, gegenstandsbezogenen Begründung. Vgl. C. Genequand, L’objet de la métaphysique selon Alexandre d’Aphrodisias, in: Museum Helveticum 36 (1979), S. 48–57. Ebenso hat Th. Kobusch darauf hingewiesen, daß auch im 13. Jh. Thomas von York offenbar schon zwischen einer allgemeinen Seinswissenschaft (de ente secundum quod est ens et de his que sunt entis per se) und einer speziellen Metaphysik unterscheide (de ente speciali et de his, que subsunt enti), die die Welt im allgemeinen und die Lehre von den Teilen der Welt zum Gegenstand habe; vgl. Th. Kobusch, Art. Metaphysik III, 3: Hochscholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 5, Sp. 1216, und hierzu auch M. Grabmann, Die Metaphysik des Thomas von York, in: Festgabe zum 60. Geb. C. Baeumker (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters Suppl.-Bd. 1, Münster 1913). 45 Ob der spanische Jesuit Kenntnis von Marchias Konzeption hatte, konnte bisher noch nicht eindeutig geklärt werden, ist aufgrund der zahlreichen Übereinstim-
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einleitung 4. Anliegen und Vorgehen der nachfolgenden Untersuchung
Der bislang nur angedeutete Einfluß auf die Entwicklungslinien sowohl im Bereich der Metaphysik- als auch der Transzendentaliengeschichte läßt bereits die Sonderstellung ermessen, die Franziskus von Marchia zweifelsohne zuzuschreiben ist und die ihn in der Nachfolge des Johannes Duns Scotus zu einem der wichtigsten Metaphysiker und Transzendentalientheoretiker des frühen 14. Jahrhunderts macht. Ein kurzer Überblick über die vier Kapitel der nachfolgenden Studie soll den Gang der Untersuchung skizzieren, wie er sich aus den vorangegangenen einführenden Bemerkungen ergibt, und noch einmal verdeutlichen, mit welcher Notwendigkeit sich Franziskus’ Metaphysik-Entwurf aus den (super-)transzendentalen Betrachtungen ‚de ente‘ innerhalb der 3. Quaestio seines „Quodlibet“ allererst adäquat entwickeln läßt. * * * (I.) Das zentrale Thema des I. Kapitels muß daher Franziskus’ spezifischer Seinsentwurf in „Quodl., q. 3“ bilden. Anhand der hier aufgeworfenen Infragestellung der traditionell anerkannten Primatposition des Begriffs des ‚Seienden‘ dürfen wir eine Antwort auf die Frage erwarten, weshalb innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ nicht mehr die transzendentalen Begriffe in ihrer Gesamtheit den eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik ausmachen, wenn das transzendentale ‚aliquid‘ als subiectum metaphysicae explizit ausgeschlossen, der ‚res‘Begriff hingegen dem des ‚Seienden‘ in dieser Funktion sogar noch vorgeordnet wird. Inwieweit kann die Metaphysik damit noch länger als scientia transcendens im eigentlichen Sinne gelten? Und welcher ontologische Status wird den transzendentalen Erstbegriffen hier überhaupt zugesprochen? Nur vor dem Hintergrund einer Analyse der ‚Keimzelle‘, wie sie sich in der 3. Quaestio des „Quodlibet“ findet, lassen sich die weiteren, die Metaphysik und die Transzendentalienlehre betref-
mungen jedoch durchaus denkbar. Vgl. zur Ausarbeitung der Teilung der Metaphysik durch Benedictus Pererius das entsprechende Kapitel bei E. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik (vgl. nt. 2), S. 32–94, und S. Lalla, Benedictus Pererius und Aristoteles, in: G. Frank/A. Speer (Hgg.), Der Aristotelismus in der frühen Neuzeit— Kontinuität oder Wiederaneignung? 58. Wolfenbütteler Symposion der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in Verbindung mit dem Melanchthonhaus Bretten und dem Thomas-Institut Köln, 21.-23.09.2005 (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 115), S. 43– 63.
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fenden theorematischen Modifikationen in ihrem zugrundeliegenden Gehalt und vor allem: in ihrem inneren Zusammenhang angemessen verstehen.46 (II.) Im Anschluß hieran wird im II. Kapitel das von Franziskus hervorgebrachte Modell einer zweifachen Metaphysik genauer in den Blick zu nehmen sein. Wir scheinen uns mit seiner Konzeption an einer der prägnanten Schwellen innerhalb der strukturellen Gesamtentwicklung der Metaphysik zu befinden. Offenbar markiert sein Entwurf einen Bruch mit all denjenigen Modellen früherer Denker, die an einer einheitlichen Metaphysik-Konzeption dergestalt festhielten, daß sie sich verpflichtet sahen, die zwei unterschiedlichen aristotelischen Bestimmungen der Ersten Philosophie zugunsten einer der beiden zu entscheiden und damit zugleich dem Konzept der Metaphysik als einer einzigen Wissenschaft zu- bzw. unterzuordnen, um das Moment ihrer Kohärenz wahren zu können. Franziskus löst sich mit seiner Aufgliederung in zwei voneinander unterschiedene Wissenschaften erstmals aus dieser langen Tradition eines „homogenen Feldes der Metaphysik“ und ebnet damit den Weg für eine „Verstreuung“ desselben.47 Wir werden uns dabei fragen müssen, ob es ihm tatsächlich gelingt, sich mit seinem Entwurf einer Allgemeinen und einer Besonderen Metaphysik aus dem ‚Dilemma‘ zu befreien, in dem sich die meisten Autoren durch den ‚onto-theologischen Charakter‘ der aristotelischen Metaphysik gefangen sahen. Ebenfalls wird aber auch zu klären sein, inwieweit Franziskus— gerade im Rahmen einer solchen ‚Spaltung‘ der Metaphysik—zugleich nicht doch auch die ‚Einheit‘ des aristotelischen Metaphysik-Entwurfs zu wahren bemüht ist.48 Wie begründet Franziskus überhaupt die Not46 W. Goris hat auf die Notwendigkeit einer Klärung dieses intrinsischen Zusammenhangs hingewiesen: „Es ist ein Desiderat der Forschung, den Zusammenhang dieser Dimension des Supertranszendentalen mit dem Metaphysikentwurf des Franziskus von Marchia, insbesondere seiner Transzendentalienlehre, zu erklären“ (W. Goris, Transzendentale Gewalt, in: M. Pickavé (Hg.), Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für J.A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 2003 (Miscellanea Mediaevalia 30), S. 619–642, hier S. 628). 47 So beschreibt W. Goris, The Scattered Field. History of Metaphysics in the Postmetaphysical Era, Louvain 2004, das Spezifikum der Metaphysik-Entwicklung zu Beginn des 14. Jahrhunderts, wofür er gerade auch den Entwurf des Franziskus von Marchia als konstitutiv wertet (vgl. vor allem S. 28 f.). 48 Beinahe programmatisch läßt sich für Franziskus’ Projekt die—leider allzuoft bemühte—Äußerung von M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt/M. 21951, S. 17, anführen: „Soweit Aristoteles sich selbst darüber äußert, zeigt sich gerade in der Bestimmung des Wesens der ‚ersten Philosophie‘ eine merkwürdige
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wendigkeit zweier voneinander unterschiedener Metaphysiken? Und inwiefern ist seine Metaphysik-Konzeption, in der wir das Theorem einer metaphysica communis und einer metaphysica specialis erstmals ausdrücklich bestimmt finden, als ‚Prototyp‘ der späteren Modelle, etwa desjenigen C. Wolffs, zu werten? Kann Franziskus’ Entwurf tatsächlich als autochthoner Ausgangspunkt für die weitere Erfolgsgeschichte dieses Theorems klassifiziert werden? (III.) Das III. Kapitel hat—wiederum in direkter inhaltlicher Anbindung an Kapitel I—die eigentliche ‚Legitimation‘ der später sog. Supertranszendentalien durch Franziskus von Marchia zum Gegenstand. Was im Rahmen der Erörterungen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ hinsichtlich der Argumentationsstruktur noch ganz auf die Frage nach dem subiectum metaphysicae ausgerichtet scheint, wird in Quaestio 5 derselben Schrift weit autonomer unter dem Gesichtspunkt der generellen Möglichkeiten hinsichtlich des Bedeutungsumfangs der Erstbegriffe selbst diskutiert. Wie argumentiert Franziskus hier für die Legitimation und Einführung von Begriffen ‚vor‘ den (bislang) ersten Begriffen? Welch grundlegende Kritik übt er an den Transzendentalien-Konzeptionen des 13. Jahrhunderts und inwiefern finden seine Überlegungen Eingang in spätere Doktrinen der ‚Supertranszendentalien‘? Und schließlich: Inwieweit müssen wir nach einer solchen Analyse die bestehenden Forschungsansätze und -spekulationen hinsichtlich der Anfänge einer die Transzendentalienlehre ablösenden Supertranszendentalienlehre korrigieren bzw. aufgrund der neu in den Blick genommenen Textzeugen allererst schaffen? (IV.) Eine Art thematischen Ausblick auf den weiteren Gang beider Entwicklungsstränge nach Franziskus—d. h. sowohl hinsichtlich der Weiterentwicklung der Metaphysik als auch der Transzendentalienbzw. Supertranszendentalienlehre—bildet schließlich das IV. Kapitel.
Doppelung. Sie ist sowohl ‚Erkenntnis des Seienden als Seienden‘ als auch Erkenntnis des vorzüglichsten Bezirks des Seienden, aus dem her sich das Seiende im Ganzen bestimmt. Diese doppelte Charakteristik der πρτη φιλοσοφ α enthält weder zwei grundverschiedene, voneinander unabhängige Gedankengänge, noch darf die eine zugunsten der anderen abgeschwächt bzw. ausgemerzt werden, noch läßt sich gar die scheinbare Zwiespältigkeit vorschnell zu einer Einheit versöhnen. Es gilt vielmehr, die Gründe der scheinbaren Zwiespältigkeit und die Art der Zusammengehörigkeit der beiden Bestimmungen aus dem leitenden Problem einer ‚ersten Philosophie‘ des Seienden aufzuhellen“.
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Hier soll konkludierend der Frage nachgegangen werden, welchen Einfluß seine Ideen auf die Konzeptionen späterer Denker hatten. Wie läßt sich der eigenständige Gehalt seiner Lehren nach den geleisteten Untersuchungen angemessen ausloten? Dieses letzte Kapitel soll abschließend aber auch Raum bieten, noch offene Fragen zu formulieren sowie bestimmte, über das konkrete Anliegen der vorliegenden Abhandlung hinausreichende Zusammenhänge andeutend aufzuzeigen, die—etwa aufgrund noch zu erschließenden Textmaterials—den Gegenstand weiterer Studien bilden müssen, für die jedoch im Rahmen der nachfolgenden Bemühungen ein entsprechendes Problembewußtsein geschaffen werden mag, wie es sich in besonderer Weise aus einem tieferen Verständnis der im Entwurf des Franziskus von Marchia wirksam werdenden Strukturen ergibt.
kapitel i „UTRUM INTENTIO ENTIS SIT PRIMA REI INTENTIO“—DIE ‚ENTTHRONISIERUNG‘ DES SEINSBEGRIFFS „Und die Frage, welche von altersher so gut wie jetzt und immer aufgeworfen und Gegenstand des Zweifels ist, ist die Frage, was das Seiende ist.“ (Aristoteles, Met. VII, 1, 1028b3 f.) „Es tobt eine regelrechte Gigantenschlacht, so sehr streiten sie sich über das Seiende.“ (Platon, Sophistes 246a)
Von jeher steht der Begriff des ‚Seins‘ bzw. der des ‚Seienden‘ im Mittelpunkt philosophischer Betrachtungen und Reflexionen, und die ‚Seinsfrage‘, deren Anliegen insbesondere darin besteht, das Wesen des Seienden als solchen, d. h. insofern es seiend ist, zu bestimmen, hat sich über die Jahrhunderte hinweg zu einer der philosophischen Grundfragen schlechthin entwickelt.1 Zu allen Zeiten haben sich Denker mehr oder weniger intensiv und explizit—letzten Endes aber doch auch immer in Auseinandersetzung mit den traditionellen Entwürfen seit Parmenides—mit dem Problem einer Wesensbestimmung des ens inquantum ens beschäftigt. Betrachtet man die unterschiedlichen Versuche konzeptioneller Auslegungen des ‚Seienden an sich‘, wie es allem in einer bestimmten Hinsicht oder Verwirklichung ‚vereinzelten‘ Seienden zugrundeliegt, in ihrem je spezifischen historischen, geistigen und 1 Sowohl der Verweis auf philosophiegeschichtliche Beispiele als auch ein Rekurs auf die mittlerweile beinahe unüberschaubare Forschungsliteratur zu diesem Feld sind an dieser Stelle weder möglich noch nötig, hingewiesen sei hier lediglich auf den umfassenden Art. ‚Sein, Seiendes‘ im Historischen Wörterbuch der Philosophie Bd. 9, Basel 1995, Sp. 170–234, sowie auf denjenigen im Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 9, Freiburg i. Br. 2000, Sp. 404–408, und exemplarisch auf die Untersuchung von R. Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses. Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter, Berlin/ New York 1986 (Quellen und Studien zur Philosophie 21), wo sich zudem zahlreiche weiterführende Literaturhinweise finden.
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individuellen denkerischen Kontext, so zeigt sich, daß diese immer in besonderer Weise sowohl von den jeweils imaginierten metaphysischen als auch epistemologischen Bedingungen geprägt sind. Die Seinsauffassung eines bestimmten Denkers läßt sich somit einerseits stets als Indikator für die jeweils zeitgenössische Auffassung von den metaphysischen Strukturen der Wirklichkeit werten. Zugleich erweist sie sich aber auch als konstitutiv für die Bestimmung der epistemischen Möglichkeiten und Begrenztheiten des Menschen bezüglich des Erfassens dieser Seins- und Wirklichkeitsstrukturen und damit für die Einschätzung und Zuordnung der eigentümlichen Gegenstände unseres Wissens und der einzelnen Wissenschaften. Wie bereits erwähnt, ist das „Quodlibet“ des Franziskus von Marchia als dasjenige Werk innerhalb seines Schriftencorpus zu betrachten, in welchem in exponierter Weise der Begriff des ‚Seienden‘ in seinen verschiedenen Aspekten und thematischen Kontexten im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Wir haben es damit in gewisser Weise mit einem Textzeugnis zu tun, anhand dessen wir—nicht zuletzt aufgrund seiner Fokussierung und Ausführlichkeit—Genaueres über den Status des Seinsbegriffs erfahren können, wie er zu Beginn des 14. Jahrhunderts in einem deutlich skotisch geprägten Umfeld konzipiert war (anhand einiger Vergleichsmomente mit anderen zeitgenössischen Modellen lassen sich tatsächlich verallgemeinernde Schlußfolgerungen ziehen, mit Sicherheit sind so aber zumindest die ‚ontologischen Problemfelder‘ dieser Periode differenzierter benennbar). Dabei wird zugleich sehr schnell deutlich, daß Franziskus einen überkommenen, bis dahin allgemein anerkannten Seinsbegriff (wenn von einem solchen überhaupt legitimerweise gesprochen werden kann) grundlegend modifiziert und darauf aufbauend umstürzende Neuerungen entwickelt. Im Rahmen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ widmet sich Franziskus von Marchia eingehend dem zentralen Kennzeichen des klassischen Seinsbegriffs überhaupt, seinem ‚Sonderstatus‘ als Erstbegriff: „Utrum intentio entis sit prima rei intentio“.2 Franziskus stellt damit einen Umstand in Frage, der über die Jahrhunderte hinweg ganz offenkundig als gesicherte und etablierte Auffassung galt, daß nämlich dem Begriff des ‚Seienden‘ die Primatstellung mit Blick auf alle anderen Begriffe zukomme. ‚Seiendes‘ (ens) bezeichnet auf allgemeinste—und 2 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 71–104. Vgl. zur Zählung der „Quodlibet“-Quaestiones innerhalb der Mariani-Edition die kritischen Bemerkungen im Rahmen der vorangegangenen Einleitung (S. 8, nt. 10).
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damit erstheitliche und grundlegende—Weise das Sein der Dinge an sich. In welcher Form sich eine solche Ontologie konzeptionell denken läßt, dafür finden sich verschiedenste Beispiele und historische Ausprägungen.3 Für den Fortgang unserer Untersuchung werden jedoch insbesondere die beiden folgenden, in der Einleitung bereits in den Blick genommenen ‚Prioritäts-Aspekte‘ des Seienden maßgeblich sein: (i) das Seiende ‚als Seiendes‘, wie es von Aristoteles als genuiner Gegenstand der ‚Ersten Wissenschaft‘, der Metaphysik, bestimmt wird; (ii) der Begriff des ‚Seienden‘, wie ihm innerhalb der mittelalterlichen TranszendentalienLehre der Primat vor den anderen (transzendentalen) Begriffen zugesprochen wird. Franziskus von Marchia hat die Vorrangstellung der intentio entis mit Blick auf beide Theoreme zunächst in Frage gestellt und schließlich mit seinem Modell grundlegend und mit gravierenden Konsequenzen überwunden. Mit welchen Argumenten und vor allem: warum attackiert er die auf den verschiedenen Gebieten überkommene Primatstellung des Seienden? 1. Die Sonderstellung von ‚res‘ und ‚aliquid‘ mit Blick auf das ‚proprium subiectum metaphysicae‘ Zum Zweck einer besseren Einsicht in den größeren Zusammenhang der Frage, warum Franziskus die Primatstellung des Seinsbegriffs im Rahmen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ überhaupt einer kritischen Betrachtung unterzieht, wollen wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf eine andere Schrift richten, innerhalb derer sich der Seinsbegriff bereits in einer deutlich nachgeordneten Weise zu positionieren scheint. Es handelt sich dabei um Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“, wo sich zu Beginn des 1. Buches—wir haben auch dies bereits erwähnt— einige bemerkenswerte Äußerungen zur grundlegenden Frage nach dem eigentümlichen Gegenstand der Ersten Philosophie finden. Wie hängen nun diese beiden Orte, „Quodlibet 3“ und der Anfang des „Metaphysik-Kommentars“, inhaltlich und strukturell zusammen? Nehmen
3 Vgl. hierzu das Kapitel über den ‚Primat des Seins‘ bei R. Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses. Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter, Berlin/New York 1986 (Quellen und Studien zur Philosophie 21), S. 95– 121, und auch die umfassende Darstellung von Th. Kobusch, Sein und Sprache: Historische Grundlegungen einer Ontologie der Sprache, Leiden 1987.
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wir dazu zunächst den Beginn der „Quaestiones in metaphysicam“ näher in den Blick. Bereits in der—prima facie ‚klassisch‘ formulierten—Fragestellung am Anfang des „Metaphysik-Kommentars“ findet sich eine Besonderheit, wie sie sich für Franziskus’ Konzeption als charakteristisch erweisen wird: „Ob ‚Ding‘, insofern es ‚Ding‘ ist, Gegenstand der Metaphysik sei oder etwas anderes“ (Utrum res secundum quod res sit subiectum metaphysicae vel aliquid aliud).4 Weshalb verwendet Franziskus hier den Ausdruck „res secundum quod res“ statt des aristotelisch geprägten und nachfolgend fest etablierten „ens inquantum ens“? Was hat es damit auf sich, daß nunmehr der Begriff des ‚Dinges‘ und nicht wie üblich der des ‚Seienden‘ als mögliches subiectum metaphysicae in das Zentrum der Fragestellung gerückt wird? In der Tat kennen wir die in gewisser Weise gleichgestellte Verwendung von ‚ens‘ und ‚res‘ mit Bezug auf den Gegenstand der Metaphysik bereits aus der skotischen Konzeption innerhalb der 3. Quaestio der „Quaestiones Quodlibetales“. Scotus sucht hier mit Rekurs auf Avicenna den Begriff des ‚Seienden‘ und den des ‚Dinges‘— unabhängig von der distinkten Wortverwendung—gleichermaßen synonymisierend dahingehend zu präzisieren, daß sie in einem ‚conceptus‘ zusammenfallen, der sich „ununterschieden auf all jenes, was außerhalb der Seele existiert“, beziehe (indifferens ad omnia illa, quae sunt extra animam).5 Es scheint Scotus damit in erster Linie darum zu gehen, den Charakter des proprium subiectum der Metaphysik als einer ‚scientia realis‘ zu fokussieren, was sowohl der ‚Ding‘- als auch der ‚Seins-Begriff‘ im Sinne der avicennischen Erstbegriffe—strictissime gesprochen—in gleicher Weise konzeptionell zu leisten vermögen.6 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 84. Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones Quodlibetales, q. 3, n. 2, ed. Viv. XXV, S. 114: „Et isto modo videtur loqui Avicenna 1. Metaph. c. 5, quod ea quae sunt communia omnibus generibus, sunt res et ens, nec potest illud intelligi de vocabulis in una lingua, quia in unaquaque lingua est unus conceptus indifferens ad omnia illa, quae sunt extra animam“. 6 Vgl. L. Honnefelder, Duns Scotus, München 2005, S. 77: „Scotus will den Sinn von ‚Seiendes‘ (ens) bzw. ‚Ding‘ (res) explizieren, der unserer alltäglichen Sprachverwendung zugrunde liegt, nicht einen neuen Sinn einführen. (…) Als scientia realis hat sie [scil. die Metaphysik] mit dem Begriff ‚Seiendem‘ zu tun, insofern er das bezeichnet, was aktuell existiert oder zumindest aktuell existieren kann.“ Bemerkenswert scheint allerdings die Überlegung, ob nicht doch auch bei Scotus der res-Begriff—gerade in seiner alltagssprachlichen Bedeutung—in einer zusätzlich explikativen Weise dem ens-Begriff den Sinngehalt einer extramentalen Aktualität oder Sachhaltigkeit hinzufügt, und damit einen nicht nur synonymen Status mit Blick auf den Seinsbegriff einnimmt. Und dies auch insofern, als Avicenna—auf den Scotus an der zuvor genannten Stelle ja aus4 5
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Franziskus’ exponierte Verwendung des res-Begriffs in der Ausgangsfrage seines „Metaphysik-Kommentars“ läßt sich in diesem Zusammenhang somit zunächst in gewissem Sinne als der avicennisch-skotischen Tradition folgend werten. Das Spezifikum seiner Konzeption liegt jedoch—im Gegensatz zum Modell und Anliegen des Duns Scotus—nicht allein darin, den Begriff des ‚Dinges‘ secundum usum loquendi gleichermaßen wie den überkommenen Begriff des ‚Seienden‘ dazu zu verwenden, das subiectum metaphysicae näherhin in seiner aktualen (extramentalen) Existenz zu kennzeichnen. Vielmehr scheint Franziskus die doch bereits bei Avicenna hervortretende inhaltliche Differenzierung beider Begriffe ins Zentrum seiner Überlegungen zu stellen und gegenüber dem skotischen Entwurf gerade eine deutliche Explikation des konzeptionellen Unterschiedes beider Begriffe zu intendieren. Damit steht die Einführung des res (secundum quod res)-Begriffs als dem möglichen subiectum metaphysicae bei Franziskus von Marchia in einem weit komplexeren Zusammenhang und ihr kommt eine grundlegendere strukturelle Bedeutung zu, als dies innerhalb des Entwurfs des Johannes Duns Scotus der Fall ist. Zwar werden auch im Verlauf von Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ beide Begriffe—res und ens—letzten Endes doch wieder synonym verwendet (schließlich scheint er sogar wieder gänzlich zum herkömmlichen Begriff des ‚Seienden‘ überzugehen),7 in einem strengen Sinne und an den grundlegend explikativen Textstellen wird jedoch dem ‚Ding‘-Begriff unmißverständlich und präzise der Vorrang zur Bezeichnung des eigentümlichen Gegenstandes der Metaphysik zugesprochen. drücklich Bezug nimmt—selbst trotz der Darlegung der gleichartigen Extension von res und ens doch gerade auch deren divergierende Bedeutungsgehalte betont, wie sie in der Unterscheidung von Wesenheit (hier ‚certitudo‘ bzw. ‚esse proprium‘) und Existenz (‚esse affirmativum‘) zu liegen scheinen. Vgl. Avicenna latinus, Liber de philosophia prima I, c. 5, ed. Van Riet, S. 34 f.: „Dico ergo quod intentio entis et intentio rei imaginantur in animabus duae intentiones; ens vero et aliquid sunt nomina multivoca unius intentionis (…). Sed res et quicquid aequipollet ei, significat etiam aliquid aliud in omnibus linguis; unaquaeque enim res habet certitudinem qua est id quod est, sicut triangulus habet certitudinem qua est triangulus, et albedo habet certitudinem qua est albedo. Et hoc est quod fortasse appellamus esse proprium, nec intendimus per illud intentionem esse affirmativi. (…). Et notum est quod certitudo cuiuscumque rei quae propria est ei, est praeter esse quod multivocum est cum aliquid“. 7 Vgl. bereits im Fortgang der 1. Quaestio des I. Buches (ed. Zimmermann, S. 89 ff.) sowie in den weiteren für Franziskus’ Metaphysik-Konzeption entscheidenden Quästionen IV, 1 („Utrum ens secundum quod est ens [!] sit subiectum metaphysicae“) und VI, 16 (ed. Zimmermann, S. 98 ff.): „Utrum metaphysica sit de ente [!] in communi vel sit de ente abstracto et separato secundum rem“.
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Gleich zu Beginn des Kommentars wird die exponierte Stellung des ‚res‘-Begriffs in einen größeren konzeptionellen—und im Gegensatz zur skotischen Darstellung eben nicht nur umgangssprachlich geprägten— Kontext gestellt, indem Franziskus anmerkt, daß ‚Ding‘ mit dreierlei verglichen werden könne: 1. mit den mit ‚res‘ konvertiblen, d. h. den transzendentalen Begriffen (ens, unum, verum und bonum), 2. mit den bezüglich ‚res‘ niedrigeren Begriffen, also mit den aristotelischen Kategorien, sowie—und nun begegnen wir einem erstaunlichen Befund— 3. mit dem hinsichtlich des Begriffs des ‚Dinges‘ Höheren, nämlich mit ‚Etwas‘ (aliquid), das formaliter allen anderen Transzendentalbegriffen gemeinsam sei.8 Was bedeutet dieser dreifache Vergleich? Unsere Aufmerksamkeit verdienen insbesondere die erste und die dritte Bemerkung: Weshalb wird der Begriff des ‚Etwas‘ (aliquid) ganz offensichtlich aus der Gruppe der transzendentalen Erstbegriffe ausgegliedert und gleichsam über diese gestellt, während der des ‚Dinges‘ (res) zwar weiterhin (in einem konvertiblen Sinne) zur Gruppe der transcendentia gezählt wird, innerhalb dieser jedoch eine auffällig exponierte, nämlich den Referenzpunkt bildende Stellung einzunehmen scheint? Diese offenkundig neuartige Systematisierung der Transzendentalbegriffe erweist sich als plausibler, wenn wir sie—und so fährt auch Franziskus selbst fort—direkt mit Blick auf die Frage nach dem proprium subiectum metaphysicae betrachten. So betont er im folgenden, daß im eigentlichen Sinne keiner der mit ‚res‘ konvertiblen Transzendentalbegriffe eigentümlicher Gegenstand der prima scientia sei, da es sich bei diesen lediglich um proprietates oder passiones handle. Als subiectum der ersten unter allen anderen Wissenschaften müsse jedoch etwas angenommen werden, dem allererst selbst primae passiones zugeschrieben werden können, nicht aber irgendeine dieser passiones selbst.9 Dies 8 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 85: „Respondeo, quod res potest comparari ad tria: Primo ad suum superius vel ad aliquid, quod est commune formaliter omnibus transcendentibus. Secundo ad suum aequale convertibile cum eo, scilicet ad ens et unum, verum, bonum, quae sunt convertibilia cum eo. Tertio ad suum inferius, scilicet ad substantiam, qualitatem, quantitatem et sic de aliis, quae sunt inferiora re“. 9 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S.
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ist keine ganz unbekannte Bestimmung des primum subiectum metaphysicae, neu ist allerdings, welchem der Transzendentalbegriffe nun diese Stellung des „cui attribuuntur primae passiones“ zugesprochen wird. Offenkundig nimmt nämlich nicht mehr der Begriff des ‚Seienden‘ diese Primatstellung ein, sondern vielmehr scheint der Begriff des ‚Dinges‘ nunmehr diese Funktion zu übernehmen (der in vorangehenden Entwürfen gerade noch selbst den Status hatte, eine ‚passio‘—nämlich des Seienden—zu sein). Scheiden somit die von ‚res‘ unterschiedenen Transzendentalbegriffe (und damit eben bemerkenswerterweise auch ‚ens‘ selbst!) offenkundig als spezifischer Gegenstand der Metaphysik aus, da es sich bei ihnen um Eigentümlichkeiten (proprietates) handelt, die allererst vom Begriff des ‚Dinges‘ zu beweisen seien und somit nicht selbst subiectum metaphyicae sein können, so erwächst das Argument gegen das im Vergleich mit dem res-Begriff ‚höhere‘ aliquid aus derselben Grundlage, aber mit der entgegengesetzten Konsequenz: Nichts über dem Begriff des ‚Dinges‘ Positionierte kann primum subiectum metaphysicae sein, da der jeweils spezifische Gegenstand jedweder Wissenschaft beweisbare eigentümliche Eigenschaften (propriae passiones demonstrabiles) haben muß, die außerhalb seines Sinngehalts existieren (so, wie es bisher für den Begriff des ‚Seienden‘ und die anderen transzendentalen Begriffe galt, die gerade im Sinne solcher begrifflich hinzufügender passiones entis aufzufassen waren). Der Begriff des ‚Etwas‘ aber, da er in der Konzeption des Franziskus sowohl über dem Begriff des ‚Dinges‘ als auch über ‚ens‘, ‚unum‘, ‚verum‘ und ‚bonum‘ zu stehen scheint, da er ihnen formaliter gemeinsam sei, hat damit selbst gar keine solchen von ihm beweisbaren passiones mehr, sondern gilt gewissermaßen als ‚passio passionum‘ und ist daher nicht in etwas noch Früheres, d. h. in einfachere Bestandteile oder einen einfacheren Sinngehalt aufzulösen.10 Alle unter 86: „Dico, quod nihil convertibile cum ipsa re simpliciter vel distinctum est primum subiectum metaphysicae. Quod patet: Quia nulla proprietas vel habens modum proprietatis est primum subiectum primae scientiae, quia subiectum primae scientiae est illud, cui attribuuntur primae passiones, non autem aliqua istarum passionum“. 10 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 85: „Et secundum hoc dico (…), quod nihil superius ipsa re secundum se est primum subiectum metaphysicae. Patet primo: Quia subiectum cuiuscumque scientiae habet proprias passiones de ipso demonstrabiles extra suam rationem existentes. Sed aliquid, secundum quod est superius ad unum et ens, verum, bonum, non habet aliquas passiones de ipso demonstrabiles, cum ipsum, ut sic sit commune ad subiectum cuiuscumque scientiae, non est resolubile in priora re vel ratione. Sed aliquid secundum se non est resolubile in priora re vel ratione, cum ad ipsum stet ultima resolutio quorumcumque. Quare aliquid non est subiectum metaphysicae“.
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den Begriff des ‚aliquid‘ fallenden (Transzendental-)Begriffe liegen damit innerhalb des Sinngehalts von ‚Etwas‘. Franziskus führt aber auch noch eine andere Begründung an, aus der heraus der Begriff des ‚Etwas‘ als primum subiectum metaphysicae ausscheidet: dasselbe kann unter demselben formalen Sinngehalt (sub eadem ratione formali) nicht (eigentümlicher) Gegenstand verschiedener Wissenschaften sein. Wäre aliquid nun das proprium subiectum der Metaphysik, wäre es unter demselben Sinngehalt auch primum subiectum der Logik, da „logicus et metaphysicus sint aequalis ambitus quantum ad subiectum“.11 Nun gibt es jedoch nichts, was von gleichem Umfang wäre wie das ‚Etwas‘ selbst. Und da Metaphysik und Logik zwei voneinander unterschiedene Wissenschaften sind, können sie nicht dasselbe subiectum—‚aliquid‘— haben.12 Dieses Argument muß als ein erster Hinweis darauf verstanden werden, daß sich in der Konzeption des Franziskus von Marchia nicht nur etwas innerhalb der Ordnung der einzelnen Transzendentalbegriffe untereinander geändert hat, vielmehr scheint mit der Bestimmung des aliquid-Begriffs nun erstmals überhaupt eine Position eingeräumt, die sich so im Rahmen vorangegangener Entwürfe nicht findet. 11 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 85 f.: „(…) quia idem sub eadem ratione formali non potest esse subiectum diversarum scientiarum. Sed si aliquid esset subiectum metaphysicae primum, eadem ratione esset subiectum primum logicae, cum logicus et metaphysicus sint aequalis ambitus quantum ad subiectum“. Zum Problem der Abgrenzung des Gegenstandsbereichs von Metaphysik und Logik sei hingewiesen auf die Bemerkungen, die Th. Kobusch mit Blick auf die Konzeption R. Kilwardbys macht: „Wenn die akzidentellen entia in anima auch zum Gegenstandsbereich der Metaphysik gehören, scheint das von jeher der Logik eigene Objekt fremden Händen übergeben zu werden. Auch die Logik hat es nach Kilwardby in gewisser Hinsicht mit dem Seienden schlechthin zu tun. Allerdings ist es gerade diese Hinsicht, die beide Wissenschaften voneinander unterscheidet. Denn die Metaphysik betrachtet das Seiende schlechthin in bezug auf die Bestimmtheit der Seiendheit, die in den Dingen ist, und die allgemeinen Proprietäten des Seienden, „insofern das Seiende in seiner Bestimmtheit der Seiendheit betrachtet wird“. Dagegen betrachtet die Logik „dasselbe, insofern es erkennbar (rationabilia) oder von der Vernunft zusammensetzbar und trennbar ist“. Es gibt demnach zwischen Metaphysik und Logik „Gemeinsamkeiten“. Das der Logik von Haus aus Eigene, das ens rationis, interessiert, sofern es nicht nichts ist, auch die Metaphysik, und umgekehrt können das Seiende und die ihm eigenen Bestimmungen, die nur hinsichtlich der Seiendheit betrachtet werden, ihrerseits wieder Gegenstand der logischen Wissenschaft sein und damit als entia rationis verstanden werden.“ (Th. Kobusch, Art. Metaphysik III, 3: Hochscholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 5, Darmstadt 1980, Sp. 1214 f.) 12 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 86: „Nihil autem est aequalis ambitus cum ipso aliquid. Metaphysica autem et logica sunt diversae scientiae. Quare aliquid non potest esse subiectum metaphysicae, quia idem subiectum eadem ratione esset primum subiectum metaphysicae et logicae“.
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Denn wurde der Gegenstandsbereich der Logik „von Haus aus“ (Kobusch)—in ‚unproblematischer Abgrenzung‘ zur Metaphysik—auf die Begriffe zweiter Intention eingegrenzt, während sich die Metaphysik mit dem Realseienden, d. h. mit dem Bereich der Begriffe erster Intention (den transcendentia) beschäftigte, so stellt Franziskus nun den ontologischen Status des aliquid-Begriffs, wie er im Kontext der Frage nach dem subiectum metaphysicae diskutiert wird, mit demjenigen des subiectum logicae gleich. Der (vormals transzendentale) ‚Etwas‘-Begriff scheint damit auf eine neue ontologische Stufe gerückt, insofern er sich nunmehr auch auf den Bereich der zweiten Intentionen, d. h. des gedanklichen Seienden (und damit des subiectum logicae) zu erstrecken vermag. Franziskus macht damit zugleich einen Schritt über die bisherigen Resolutionsverfahren zur Ermittlung eines ersten Verstandesbegriffs hinaus: nicht mehr der erste (‚einfachste‘) Begriff unter den konvertiblen, transzendentalen Erstbegriffen bildet den Endpunkt der Rückführung, sondern es ist noch ein grundlegenderer bzw. ein ‚höherer‘ und damit früherer Begriff anzusetzen, wie er sich hier im (‚passionslosen‘) Begriff des ‚Etwas‘ manifestiert. Aber was bedeutet es für Franziskus’ Gesamtentwurf, wenn er an dieser Stelle betont, daß der Begriff des ‚aliquid‘ die „ultima resolutio“ aller anderen Begriffe (genauer: aller anderen passiones) markiere und somit nichts mehr enthalte, was ihm als Eigentümlichkeit zukommen könnte?13 Wie ist überhaupt zu begründen, daß der Begriff des ‚Etwas‘ in abstrakter Weise über allen anderen, bloß auf das Realseiende bezogenen (transzendentalen) Begriffen steht? Fassen wir die beiden als ‚neuartig‘ gegenüber den traditionellen Transzendentalien-Konzeptionen einzustufenden Beobachtungen aus den einleitenden Bemerkungen des „Metaphysik-Kommentars“ zusammen: 1. Auf der Grundlage des aristotelischen Metaphysik-Entwurfs wird im Rahmen der Konzeptionen des 13. Jahrhunderts in vorrangiger Weise dem Begriff des ‚Seienden‘ der Status des proprium subiectum der Metaphysik als einer ‚scientia transcendens‘ zugesprochen, die in umfassendem Sinne das Fundamentum aller anderen Wissenschaften bildet. Bei
13 Vgl. hierzu A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 1998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1), S. 355: „Wenn man ‚Etwas‘ denkt, so ist selbst bei einer noch so gründlichen Analyse des Denkinhalts nichts anderes zu finden als eben ‚Etwas‘“.
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Franziskus von Marchia scheint es nun, als ‚tauschten‘ der klassische ens inquantum ens-Begriff (im Sinne des ‚Primat-Begriffs‘, von dem sich die anderen Transzendental-Begriffe gleichsam nachgeordnet als ‚passiones entis‘ aussagen lassen) und der res secundum quod res-Begriff ihre Plätze und damit ihre ihnen angestammten Positionen, womit sich folgende Konsequenzen ergeben: (i) Der Begriff des ‚Seienden‘ wird nunmehr selbst zu den proprietates bzw. passiones (nämlich hinsichtlich der ‚intentio rei‘) gezählt. (ii) Der Begriff des ‚Dinges‘ wird allen anderen Begriffen als ‚neuer‘ Erstbegriff vorangestellt und scheint somit—was noch weiterhin zu klären sein wird—einzig als subiectum metaphysicae in Frage zu kommen. Durch diese Neupositionierung der intentio rei sind die bisherigen ‚passiones entis‘ nunmehr gleichsam als ‚passiones rei‘ aufzufassen (in denen ens eingeschlossen, res aber—notwendigerweise—ausgeschlossen ist). Daraus ergibt sich jedoch zwangsläufig die grundsätzliche Frage, weshalb der Begriff des ‚Dinges‘ überhaupt früher sein soll als der des ‚Seienden‘ (wenn sich diese Vorrangstellung nicht nur—wie innerhalb der skotischen Konzeption—aus einer umgangssprachlichen Spezifizierung herzuleiten scheint). 2. Neben dem ‚Platzwechsel‘ von res und ens findet hinsichtlich der Frage nach dem proprium subiectum metaphysicae noch eine weitere Verschiebung statt, wie sie sich in der ‚Auskopplung‘ des aliquid aus der Gruppe der Transzendentalien manifestiert. Der Begriff des ‚Etwas‘ scheidet als Gegenstand der Metaphysik aus, da dieses sich als ein ‚Transzendentalbegriff ohne Eigenschaften‘ zu positionieren scheint, indem es ‚über‘ allen anderen transzendentalen Begriffen, gleichermaßen als ‚Destillat aller passiones (rei)‘ steht:
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In strengem Sinne läßt sich somit auch der bereits erwähnte, an einigen Stellen zu findende synonyme Gebrauch von ‚res‘ und ‚ens‘ in Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ nicht rechtfertigen, da doch der Begriff des ‚Seienden‘—stricte gesprochen—als subiectum metaphysicae dezidiert aus dem eigentlichen Gegenstandsbereich ausgeschlossen wird.14 Der entscheidend modifizierende Schlag gegen die traditionellen Metaphysik-Konzeptionen scheint gerade darin zu liegen, daß der von jeher als proprium subiectum herangezogene Begriff des ‚Seienden‘ zugunsten des ‚Ding‘-Begriffs seine ihm angestammte Position nunmehr ‚räumen‘ muß. Aber welches argumentative Potential liegt in dieser grundlegenden strukturellen Verschiebung und welche Konsequenzen ergeben sich aus der ‚Degradierung‘ des Seinsbegriffs? Wie läßt sich dieses Modell konzeptionell überhaupt rechtfertigen und welcher Sinn kommt der ‚Zersplitterung‘ der Gruppe transzendentaler Begriffe letztlich für eine adäquate Bestimmung der Metaphysik zu? All diese Fragen, wie sie sich auf der Basis des Anfangs von Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ aus der vorangehend in den Blick genommenen Sonderstellung von res und aliquid und der damit einhergehenden Herabsetzung von ens ergeben, führen uns an dieser Stelle nun wieder zurück zur 3. Quaestio seines „Quodlibet“. Denn die Darlegungen innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ scheinen weder eine hinreichende Erklärung für die Bedeutung der ‚Entthronisierung des Seinsbegriffs‘ an sich zu liefern noch wird näherhin deutlich, wie sich diese grundlegende Modifikation der Bestimmung des eigentümlichen Gegenstands der Metaphysik und damit letzten Endes die Vorrangstellung von ‚res‘ gegenüber ‚ens‘ überhaupt herleiten und begründen läßt. Welche Konsequenzen ergeben sich schließlich für die Gestalt der Metaphysik als Wissenschaft? Darüber hinaus findet sich innerhalb des „Metaphysik-Kommentars“ keine konzeptionelle Begründung dafür, weshalb nunmehr der Begriff des ‚Etwas‘ den Endpunkt jedweder Begriffs-Resolution markiere, indem er jenseits aller anderen Transzendentalbegriffe positioniert wird. Es sieht so aus, als impliziere die Metaphysik-Konzeption des Franziskus von Marchia tatsächlich grundlegendere strukturelle Modifikationen, als dies auf den ersten Blick scheint. 14 Dies gilt auch dann, wenn Franziskus an manchen Stellen die Umfangsgleichheit von Seins- und Ding-Begriff zu betonen scheint. Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 86: „(…) res autem enti aequipollet et significat aliquid commune omnibus significatis“.
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kapitel i 2. Die Einführung der ‚intentiones neutrae‘
Die 3. Quaestio des „Quodlibet“ ist derjenige Text, in dem sich Franziskus ausdrücklich der strukturellen Ordnung der ersten Verstandesbegriffe, der transcendentia, und insbesondere der Position des bislang obersten Transzendentalbegriffs widmet. Finden wir hier die Erklärungen für die Neuerungen im Rahmen der Gegenstandsfrage der Metaphysik? In der Tat scheint es, als dienten die Erklärungen in „Quodl. 3“ gerade dazu, die konzeptionelle Varianz innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ näherhin zu erläutern. „Utrum intentio entis sit prima rei intentio“—so lautet die Ausgangsfrage der 3. Quaestio des „Quodlibet“.15 Franziskus beginnt die Ausarbeitung seiner Lösung auf diese Frage, ob dem Begriff des ‚Seienden‘ tatsächlich die ihm bislang (und noch bei Scotus im Grunde unmißverständlich) zugeschriebene Primatstellung zukomme, zunächst—weitestgehend unabhängig von den etablierten Konzeptionen—mit einer systematischen und umfassenden ‚Begriffs-Reductio‘. Anhand dieser grundsätzlichen Herangehensweise scheint es ihm möglich, die von vorangehenden Denkern auf den Seinsbegriff festgelegte Bestimmung als ‚prima intentio‘ noch einmal ursprünglich zu überprüfen und eine eigene Lösung mit Bezug auf einen solchen Erstbegriff, der allen anderen als nicht mehr weiter rückführbar voranzustellen ist, nachweislich zu entwickeln. Worin aber besteht überhaupt das Kriterium erstheitlicher Prädikabilität? Welcher ‚Klasse‘ von Begriffen gehört ein solcher Erstbegriff an? Und weiterhin gefragt: was korrespondiert dem kognitiv Ersten auf ontologischer Seite? Franziskus geht zum Zweck einer solchen Rückführung aller Begriffe auf einen letzten und damit zugleich ersten Begriff zunächst von der grundsätzlichen Einteilung in formaliter privative bzw. negative und positive Begriffe aus. Die positiven Begriffe (intentiones positivae) lassen sich dabei nochmals differenzierter unterteilen in Begriffe erster Intention (intentiones primae intentionis), d. h. in direkt auf die Dinge bezogene Begriffe (intentio animalis, intentio colorum etc.), und in Begriffe zweiter Intention (intentiones secundae intentionis), also in selbst auf Begriffe bezogene Begriffe (intentio generis, intentio speciei etc.).16 Wird im Rahmen der RückFranciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 71. Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 71: „Respondeo quod intencionum quedam sunt formaliter positiue sicud est intencio hominis, leonis; quedam sunt formaliter priuatiue siue negatiue sicud est intencio inuisibilis, inmaterialis, 15 16
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führung innerhalb dieser Begriffseinteilung nach den grundlegendsten und damit ersten Begriffen gefragt, so erweisen sich zunächst die intentiones privativae sive negativae als den positiven Begriffen nachgeordnet, da jede Privation und jede Negation stets eine jeweilige Affirmation voraussetzen. Ein privativer oder negativer Begriff scheidet somit von vornherein aus, ‚prima intentio‘ zu sein, da er immer noch auf einen positiven und damit früheren Begriff rückführbar ist. Von den positiven Begriffen wiederum kann denjenigen zweiter Intention, die ja selbst ‚nur‘ Begriffe von Begriffen sind, nicht die Funktion erstheitlicher Prädikation schlechthin zukommen, da sie stets den grundlegenderen Begriffen erster Intention nachfolgen, die sich in direkter Weise auf die Dinge beziehen.17 Bis hierher scheint sich Franziskus noch weitestgehend der traditionellen terminologischen Abstufung der ‚Begriffsklassen‘ zu bedienen.18
incorporalis et infiniti […]; positiue, uero, quedam sunt prime intencionis sicud est intencio animalis, intencio colorum; quedam uero, sunt secunde intencionis sicud est intencio generis, speciei et diffinicionis; prime intencionis, que ideo dicuntur prime intencionis quia intenciones sunt primarum intencionum [scil. sunt intentiones ipsarum rerum!]; set secunde intenciones ideo dicuntur secunde quia sunt intenciones intencionum.“ Die Unterscheidung von Begriffen erster und zweiter Intention findet sich bekanntermaßen bereits bei den arabischen Philosophen—in besonderer Weise bei Avicenna—und wurde schon früh von den lateinischen Autoren übernommen. Vgl. hierzu D. Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter, Frankfurt a. M. 2002, S. 306–317, sowie zum arabischen Hintergrund die Darstellung von K. Gyekye, The Terms ‚Prima Intentio‘ and ‚Secunda Intentio‘ in Arabic Logic, in: Speculum 46 (1971), S. 32–38. Zur Rezeption mit Blick auf die lateinischen Autoren vgl. vor allem S. Swiezawski, Les intentions premières et les intentions secondes chez Jean Duns scot, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Litteraire du Moyen Age 9 (1934), S. 205–260, C. Knudsen, Intentions and Impositions, in: N. Kretzmann/A. Kenny/J. Pinborg (Hgg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge 1982, S. 479–495, und A.D. Conti, Second Intentions in the Late Middle Ages, in: S. Ebbesen/R.L. Friedman (Hgg.), Medieval Analyses in Language and Cognition, Kopenhagen 1999, S. 453–470. 17 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 72: „Intencio priuatiua siue negatiua non potest esse prima rei intencio, quia supponit ante se intencionem affirmatiuam, in eo quod ‚affirmacio est prior negacione‘. Similiter intencio positiua secunde intencionis non potest esse prima simpliciter, quia presupponit primam intencionem.“ 18 Zur Abstufung der ‚begrifflichen Vollkommenheitsgrade‘ aus ontologischer Perspektive vgl. die Ausführungen bei D. Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter (vgl. nt. 16), S. 306–317, der als einen wesentlichen Grund für die Unterscheidung von Begriffen erster und zweiter Intention die dadurch gegebene Ausdrucksmöglichkeit eines hierarchischen Verhältnisses zwischen zwei verschiedenen ‚Typen von Denk- und Erkenntnisobjekten‘ erwähnt, von denen die zweiten Intentionen offenkundig ‚höherstufige Denkobjekte‘ bilden, „die auf ersten Intentionen beruhen“ (S. 306). Zu Franziskus’ Zeit waren die Auseinandersetzungen um das Verhältnis und den ontologischen
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Die Besonderheit der von ihm vorgenommenen Begriffs-Reduktion liegt nun jedoch darin, daß sie—im Gegensatz zu den gängigen Auffassungen—nicht auf der Ebene der positiven Begriffe erster Intention endet. Vielmehr wird an dieser Stelle eine Neuerung offenkundig, die sich als fundamental für den gesamten Fortgang der Transzendentalien- und Metaphysikgeschichte erweist. Diese Neuerung manifestiert sich darin, daß Franziskus neben den Begriffen erster und zweiter Intention eine weitere Gruppe innerhalb der Klasse der intentiones positivae einführt: Begriffe nämlich, die „neutrae“ sind, d. h. weder erster noch zweiter Intention, sondern diesen vielmehr gemeinsam zukommend (communes ad utramque). Als Beispiel für eine solche intentio neutra nennt Franziskus—und dies lesen wir nicht ohne Erstaunen—den Begriff des ‚Seienden‘ (intentio entis), der formaliter sowohl in Begriffen erster als auch zweiter Intention eingeschlossen sei.19 Diese Feststellung scheint ihm an dieser Stelle als Beleg dafür zu genügen, daß sich die Klasse der positiven Begriffe nicht in der Einteilung in Begriffe erster und zweiter Intention erschöpfe. Es muß eine weitere, dieser Distinktion noch vorgeordnete Gruppe positiver Begriffe geben, wofür die intentio entis Franziskus zufolge den offenkundigen Beweis liefere, wird sie doch exemplarisch als Beleg für diese Klasse der ‚intentiones neutrae‘ vorgestellt. Bei der traditionellen Einteilung des Seienden durch positive Begriffe erster und zweiter Intention (und damit zugleich der begrifflichen Einteilung in reales und gedankliches Seiendes!)
Status dieser beiden Arten von Intentionen, an denen vor allem Denker wie Hervaeus Natalis, Petrus Aureoli und Wilhelm von Ockham maßgeblich beteiligt waren, vermutlich bereits in vollem Gange. Für Franziskus erwies sich aber sicher auch die von Duns Scotus exponierte vierfache Unterscheidung des intentio-Begriffs als prägend, der darunter in einem sehr weit gefaßten Bedeutungsumfang sowohl einen Willensakt als auch einen formalen Sinngehalt (ratio formalis) in einem Gegenstand, einen Begriff oder das Sich-Ausrichten auf ein Objekt zählte (vgl. Johannes Duns Scotus, In II Sent., Rep. Par., dist. 13, in: Opera omnia XXIII, S. 44). Vgl. auch hierzu D. Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter, S. 10. Ich werde im folgenden—soweit nicht anders vermerkt—den lateinischen Terminus ‚intentio‘ entweder als ‚Begriff‘ oder als ‚Intention‘ im Sinne von ‚Bezugnahme‘ übersetzen, wie es sich hinsichtlich der Unterscheidung von ‚prima intentio‘ (Erst-‚Begriff‘) und intentio ‚primae intentionis‘ (als ‚Begriff erster Intention‘) als sinnbildend erweist. Auf die besondere Verwendung des ‚intentio‘-Begriffs bei Franziskus von Marchia bezieht sich zudem der Exkurs auf S. 81ff. der vorliegenden Untersuchung. 19 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 71f.: „Quedam [intentiones] uero, sunt neutre: neque prime, neque secunde, set communes ad utramque sicud est forte intencio entis, que includitur formaliter in utraque intencione tam prima quam secunda. Et ita patet, quod non omnis intencio est prima uel secunda, quia est intencio entis que nec est prima nec secunda.“
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scheint es sich somit nur um eine Einteilung der einzelnen und spezifischen Begriffe unter einem für diese je gemeinsamen Begriff zu handeln, nicht jedoch um eine Einteilung unter einem schlechthin gemeinsamen Begriff.20 Eine solche ‚intentio neutra communis‘, einen den Begriffen erster und zweiter Intention (schlechthin) gemeinsamen Begriff, hat Franziskus nunmehr—zunächst ohne jede Legitimierung—als dritte ‚Möglichkeit‘ positiver Begriffe eingeführt. Und dabei scheint ganz offensichtlich (aber auch ‚klammheimlich‘) der Begriff des ‚Seienden‘, der in vorangehenden Konzeptionen stets den Begriffen erster Intention zugerechnete Erstbegriff, in die Gruppe der intentiones neutrae übergewechselt zu sein. Franziskus wird uns hierfür noch einige Erklärungen liefern müssen. Zumindest scheint damit aber zunächst einmal die eingangs in Frage gestellte Primatstellung des Begriffs des ‚Seienden‘, der von Franziskus nun explizit und exemplarisch als ‚intentio neutra‘ angeführt wird, doch in positiver Weise beantwortet. Die intentio entis bildet denjenigen ursprünglichen und simpliciter gemeinsamen Begriff, aus dem allererst eine Unterteilung in Begriffe erster und zweiter Intention erwachsen kann. Der Seinsbegriff ist somit den Begriffen erster Intention noch voranzustellen, da die sog. intentiones neutrae früher und grundlegender sind als die positiven Begriffe zweiter und vor allem erster Intention.21 Franziskus gelangt folglich innerhalb seiner Reductio zum Zweck der Ermittlung eines grundlegenden Erstbegriffs zu einem beiden Intentionen gemeinsamen—und damit noch vorangehenden—Begriff, der ‚intentio neutra communis‘. Die intentio entis ist jedoch nur ‚forte‘ ein solch ‚neutraler Begriff‘ und nicht die einzige intentio neutra; denn diese der Einteilung in Begriffe erster und zweiter Intention noch voranzustellende Begriffs-Klasse umfaßt mehr als ausschließlich den exemplarisch angeführten Begriff des ‚Seienden‘. Das in der Tat äußerst Bemerkenswerte ist an dieser Stelle, daß Franziskus die neu eingeführten intentiones neutrae in seiner Konzeption mit dem gesamten klassischen Kanon der ‚transcendentia‘, d. h. mit den mittelalterlichen Transzendental-Begriffen ens, unum, verum, bonum, res und aliquid identifiziert, also gerade mit denjenigen Begriffen, die seit 20 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 72: „Et ideo illa diuisio entis per primam et secundam est diuisio intencionum particularium et specialium sub intencione communi contentarum, non autem est diuisio intencionis in communi simpliciter“. 21 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet q. 3, ed. Mariani, S. 72: „(…) Similiter intencio prime intencionis non potest esse prima quia presupponit neutram intencionem communem.“
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dem 13. Jahrhundert—in Überwindung des aristotelischen KategorienModells—als die Erstbegriffe schlechthin galten.22 Allerdings wurden diese transzendentalen Erstbegriffe—im Sinne einer sowohl kognitiven als auch ontologischen Priorität—doch stets als intentiones primae intentionis qualifiziert, d. h. sie wurden durchgängig zu den Begriffen erster Intention gezählt, indem sie sich als allgemeinste Bezeichnungsweisen auf den Bereich alles Realseienden beziehen.23 Erweitert Franziskus die traditionell unterschiedenen Klassen von Begriffen nun, zu Beginn der 3. Quaestio des „Quodlibet“, anhand seiner grundlegenden Reductio um die Gruppe der sog. ‚intentiones neutrae‘, so scheint er zugleich gerade die klassischen Transzendentalbegriffe des 13. Jahrhunderts als diese Begriffe zu identifizieren, die sowohl den Begriffen erster als auch zweiter Intention gemeinsam und deshalb noch voranzustellen seien. Wir scheinen uns damit in konzeptioneller Hinsicht an einem Punkt zu befinden, an dem die mittelalterlichen transcendentia ihren ursprünglichen Ort (als auf alles Realseiende bezogene Begriffe ‚erster Intention‘) verlassen müssen, um in die ‚neu eröffnete‘ Klasse übergeordneter ‚Neutralbegriffe‘ hinüber zu wechseln. Welche Begründung liefert Franziskus hierfür und welche Auswirkungen hat dies für den ontologischen Status der transcendentia? Auf wel22 Während der ‚klassische Kanon‘ der transcendentia ursprünglich nur die Begriffe ens, unum, verum und bonum umfaßte, zählt bereits Thomas v. Aquin in seiner für die systematische Darstellung der mittelalterlichen Transzendentalienlehre grundlegenden Schrift „De veritate“ (q. I, a. 1) auch res und aliquid zu den transcendentia. Vgl. zur Sonderstellung und Entwicklung dieser beiden Transzendentalbegriffe insbesondere die Studie von J.A. Aertsen, ‚Res‘ as transcendental. Its introduction and significance, in: G. Federici Vescovini (Hg.), Le problème des transcendentaux du XIVe au XVIIe siècle, Paris 2002, S. 139–156, L. Oeing-Hanhoff, Res comme concept transcendental et sur-transcendental, in: M. Fattori/M. Bianchi (Hgg.), Res. 3° Coll. Int., Rom 1982, S. 285–296, E. Tiefensee, ‚Ens et aliquid convertuntur‘—oder: Sein ist immer anders. Ein möglicher Brückenschlag zwischen der mittelalterlichen Seinsphilosophie und der spätmodernen ‚Philosophie der Differenz‘, in: J. Brachtendorf (Hg.), Prudentia und Contemplatio. Ethik und Metaphysik im Mittelalter (Festschrift für G. Wieland zum 65. Geb.), Paderborn u. a. 2002, S. 170–195, und P.W. Rosemann, Omne ens est aliquid. Introduction à la lecture du „système“ philosophique de saint Thomas d’Aquin, Louvain/Paris 1996. Daß beide Begriffe bei Franziskus einen ‚Höhepunkt‘ ihrer Erfolgsgeschichte erreichen, wird innerhalb unserer Untersuchung aus verschiedenen Blickwinkeln hinreichend deutlich werden. 23 Vgl. J.A. Aertsen, Art. ‚Transzendental; Transzendentalphilosophie‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, Basel 1998, Sp. 1359–1365: „Die im 13. Jh. herausgebildete Lehre von den „transcendentia“ (…) handelt von Bestimmungen, welche die aristotelischen Kategorien in dem Sinne übersteigen, daß sie nicht auf eine Kategorie beschränkt sind, sondern alle durchkreuzen („circumeunt“)“, das Transzendentale ist somit „als die allem Realseienden (…) zukommende allgemeinste Bestimmung zu verstehen“ (Sp. 1359).
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chen Seinsbereich beziehen sie sich als intentiones neutrae? Anders gefragt: welcher ontologische Bereich korrespondiert diesem neu bestimmten intentionalen Feld der intentiones neutrae? Ohne allzu viel von dem vorwegnehmen zu wollen, was im III. Kapitel der vorliegenden Untersuchung in ausführlicher Weise thematisiert werden wird, wenn es um die Frage nach Franziskus’ eigentlicher Legitimation der ‚Super‘-Transzendentalien geht, sei doch bereits an dieser Stelle zumindest schon einmal kurz auf das im Hintergrund stehende Potential hingewiesen, welches sich aus der vorangehend geschilderten Beobachtung ergibt, daß die Transzendentalien plötzlich ihren intentionalen und ontologischen Status zu ändern scheinen. Denn wenngleich die wesentlichen Erklärungen dafür, was die intentiones neutrae ‚an sich‘ seien, innerhalb des „Quodlibet“ erst an späterer Stelle erfolgen (Q. 5, art. 3), so findet sich der erste bedeutsame Hinweis doch bereits allein durch ihre Erwähnung und erstheitliche Positionierung im Rahmen der Begriffs-Reductio innerhalb der 3. Quaestio. Was ist das Bemerkenswerte daran, daß Franziskus die Transzendentalbegriffe nunmehr als intentiones neutrae klassifiziert? Welche konzeptionelle Weiche innerhalb der strukturgeschichtlichen Entwicklung der mittelalterlichen Transzendentalienlehre wird hier—auf scheinbar so unspektakuläre Weise— gestellt? Bereits in der Einleitung haben wir erwähnt, daß einer der grundlegenden Einschnitte innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Transzendentalienlehre durch die ‚Ausdehnung‘ des Gegenstandsbereichs der transcendentia auf den Bereich der zweiten Intentionen, d. h. der gedanklichen, intramentalen Dinge, stattgefunden hat. Aufgrund dieser Modifikation konnte sich die Lehre von den sog. ‚supertranscendentia‘ entwickeln, wie sie im Anschluß an die mittelalterliche Transzendentalienlehre herausgebildet wurde, sich jedoch erst im 16. Jahrhundert vollständig ausgeprägt und tatsächlich etabliert zeigt. In der philosophischen Forschung wird die Supertranszendentalienlehre nicht selten als ‚missing link‘ diskutiert, wenn es um die Suche nach einer als kontinuierlich zu betrachtenden Darstellung der Entwicklung von der mittelalterlichen Transzendentalienlehre bis hin zur kantischen Transzendentalphilosophie geht.24 Die ‚supertranszendentalen‘ Bestimmungen, für welche 24 Vgl. hierzu vor allem J.P. Doyle, Between transcendental and transcendental: the missing link?, in: The Review of Metaphysics 50 (1997), S. 783–815, sowie die Arbeiten von N. Hinske, Die historischen Vorlagen der kantischen Transzendentalphilosophie, in: Archiv für Begriffsgeschichte 12 (1968), S. 86–113, ders., Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der
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die Autoren des 15. und 16. Jahrhunderts Bezeichnungen wie ‚Denkbares‘ (cogitabile) oder ‚Erkennbares‘ (intelligibile) ansetzten, werden—wie bereits mehrfach erwähnt—gemeinhin gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie die mittelalterlichen transcendentia aufgrund ihres erweiterten Bezugsbereichs nochmals übersteigen (‚super‘-transcendens), womit ihnen univoke Geltung nicht nur für das reale, sondern auch für das gedankliche Seiende, spezifischer: für die ersten und die zweiten Intentionen zukommt.25 Es ist mit Blick auf die bisherige Einschätzung der Gesamtentwicklung der Transzendentalien- bzw. Supertranszendentalien-Lehre schon allein bemerkenswert, daß Franziskus von Marchia bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts ganz bewußt diese Möglichkeit univok für beide Seinsbereiche geltender Bestimmungen postuliert. Erstaunlich ist dabei aber vor allem, daß er hierzu keine gänzlich neue Gruppe von Begriffen einführt (wie ‚opinabile‘, ‚cogitabile‘ oder ähnliches), sondern vielmehr allein die ‚Funktion‘ der späteren supertranscendentia (d. h. die univoke Gültigkeit für das ens reale und das ens rationis) auf die klassischen transzendentalen Begriffe zu applizieren scheint, womit er
dreißigjährige Kant, Stuttgart/Berlin 1970, und L. Honnefelder, Die „Transzendentalphilosophie der Alten“: Zur mittelalterlichen Vorgeschichte von Kants Begriff der Transzendentalphilosophie, in: Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Bd. 1.2, Memphis 1995, S. 393–407, und ders., Metaphysics as a Discipline: From the „Transcendental Philosophy of the Ancients“ to Kant’s Notion of Transcendental Philosophy, in: R.L. Friedman/L.O. Nielsen (Hgg.), The Medieval Heritage in Early Modern Metaphysics and Modal Theory, 1400–1700, Dordrecht/Boston/London 2003, S. 53–74. 25 Vgl. zur klassisch gewordenen Unterscheidung von Transzendentalien und Supertranszendentalien J.A. Aertsen, Art. ‚Transzendental; Transzendentalphilosophie‘ II.: Die Anfänge bis Meister Eckhart, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, Basel 1998, Sp. 1359: „Dem scholastischen Begriff des Transzendentalen (…) steht der Begriff des Kategorialen gegenüber. Das Transzendentale ist insofern das Transkategoriale. Vom 15. Jh. an erscheint die transzendentale Bestimmung oft im Gegensatz zum sog. ‚Supertranszendenten‘, d. h. jenen allerallgemeinsten Bestimmungen, die, wie das ‚opinabile‘ oder ‚intelligibile‘, den realen Dingen und Gedankendingen gemeinsam sind. Mit Blick auf diesen Gegenbegriff des Supertranszendenten ist das Transzendentale (…) als die allem Realseienden, auch Gott, zukommende allgemeinste Bestimmung zu verstehen“. Vgl. ebenso J.P. Doyle, Art. „Supertranszendent; Supertranszendenz“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, Basel 1998, Sp. 644: „‚Supertranscendens‘ ist eine im Aristotelismus des 16. Jahrhunderts geprägte ,Überbietungsformel‘ für die höchste Ebene der ontologischen Abstraktion; ,überboten‘ wird dabei die mit Bezug auf die kategoriale Einteilung des Seienden seit dem 13. Jahrhundert eingeführte Ebene der Transzendentalien, d. h. der allgemeinsten Bestimmungen des Realseienden, durch ,allerallgemeinste‘ („supertranszendentale“) Bestimmungen, die den realen Dingen und den Gedankendingen gemeinsam sind.“ Als grundlegende Literatur zu diesem Thema sind vor allem die vielfältigen Arbeiten von J.P. Doyle und T. Kobusch zu erwähnen (vgl. detailliertere Angaben in Kap. 3, S. 129, nt. 4).
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diese in ihrem ursprünglichen Sinngehalt (als Begriffe erster Intention mit Bezug auf den Bereich des Realseienden) grundlegend modifiziert. Letztendlich haben wir es hier also—so mag man mit aller Vorsicht formulieren—mit einer spezifischen ‚Transzendentalien-Kritik‘ zu tun, die ihre Bestätigung im Fortgang der strukturgeschichtlichen Entwicklung, vor allem mit Blick auf die Lehre von den supertranscendentia selbst fand. * * * Richten wir unser Augenmerk nach diesen strukturell vorausweisenden Bemerkungen aber wieder auf die Ausführungen innerhalb der 3. Quaestio des „Quodlibet“: Denn es zeigt sich, daß die ‚Begriffs-Rückführung‘ im Rahmen der Suche nach der prima intentio rei auch auf der Stufe der nunmehr als intentiones neutrae klassifizierten Transzendentalbegriffe noch nicht abgeschlossen ist. Auch innerhalb dieser als möglicher Erstbegriffe ermittelten Gruppe ist Franziskus von Marchia zufolge noch eine weitere Differenzierung vorzunehmen, da sich die Gruppe der intentiones neutrae einerseits aus quiditativen, andererseits aus qualitativen Begriffen konstituiert: „Von den positiven ‚neutralen‘ Begriffen (intentiones neutrae positivae) aber sind einige washeitlich (quiditative), wie der Begriff des ‚Dinges‘, der Begriff des ‚Seienden‘ und der des ‚Etwas‘, die das ‚Was‘ (quid) ausdrücken; einige sind denominativ oder qualitativ, wie der Begriff des ‚Einen‘, des ‚Wahren‘ und des ‚Guten‘ schlechthin; sie werden gemäß der Qualität (qualitas) ausgesagt, (indem) sie mehr den Sinngehalt einer Eigenschaft (passio) als den der Washeit (quiditas) ausdrücken“.26
In einem letzten Reduktionsschritt werden auf der Grundlage dieser Unterscheidung schließlich noch einmal die qualitativen oder denominativen intentiones neutrae (unum, verum und bonum) den washeitlichen (res, ens und aliquid) nachgeordnet, da diese vielmehr den Sinngehalt einer ‚Eigenschaft‘ (passio) ausdrücken als den der ‚Wesenheit‘: „(…) der denominative oder qualitative gemeinsame ‚Neutral-Begriff‘ (intentio neutra communis denominativa sive qualitativa) kann nicht erster sein, da er einen quiditativ ersten voraussetzt“.27 26 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 72: „Intencionum autem neutrarum positiuarum quedam sunt quiditatiue sicud est intencio rei, intencio entis et aliquid, que dicunt quid; quedam sunt denominatiue siue qualitatiue sicud intencio unius, ueri et boni simpliciter; secundum qualitatem dicuntur, que magis dicunt racionem passionum quam quiditatis.“ 27 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3 ed. Mariani, S. 72: „(…) intencio neutra
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Bei dem von Franziskus in „Quodl. 3“ gesuchten und anhand der dargestellten Rückführung aufgewiesenen Erstbegriff handelt es sich somit schlußendlich—und damit sind wir nun tatsächlich am finalen Punkt der Reductio angelangt—um eine „intentio neutra positiva quiditativa“.28 Dies bedeutet zugleich aber auch, daß damit letztlich dem Begriff des ‚Seienden‘ innerhalb der von Franziskus vorgenommenen Begriffs-Reduktion zusätzlich die Begriffe des ‚Dinges‘ (res) und des ‚Etwas‘ (aliquid) als weitere Erstbegriffe an die Seite gestellt werden; nun allerdings nicht mehr mit dem Sinngehalt, wie er ihnen aufgrund ihres Status als mittelalterlicher Transzendentalbegriffe (erster Intention) zukam, sondern vielmehr in ihrer neuen Bestimmung als washeitliche, gegenüber der Einteilung in erste und zweite Intentionen ‚neutrale‘ und damit vorgeordnete positive Wesensbegriffe. Aufgrund ihrer Beschaffenheit als quiditative intentiones neutrae scheinen sie gleichermaßen wie ‚Seiendes‘ (ens) geeignet, als ‚Erstbegriffe‘ schlechthin zu fungieren. Und damit sind wir zugleich wieder bei gerade den drei Begriffen angelangt, die uns zu Beginn dieses Kapitels mit Blick auf den Anfang der „Quaestiones in metaphysicam“ auf besondere Weise beschäftigt haben: (i) ‚Seiendes‘ (ens) als dem traditionellen, nun aber ‚degradierten‘ und somit aufgrund seines Status als ‚passio (rei)‘ aus dem primären Betrachtungsbereich der Metaphysik ausgeschlossenen Erstbegriff; (ii) ‚Ding‘ (res) als dem neuen subiectum metaphysicae—dem neuen metaphysischen Erstbegriff—; sowie (iii) ‚Etwas‘ (aliquid) als aus der Gruppe der transcendentia scheinbar ‚hinausfallendem‘, da diese übersteigendem Transzendentalbegriff. Der Anspruch auf eine ‚Sonderstellung‘, wie sie sich aus der Betrachtung der Frage nach dem subiectum metaphysicae ergab, scheint bei diesen drei Begriffen also—so müssen wir an dieser Stelle zumindest vorerst annehmen—zunächst in ihrer Bestimmung als ‚quiditative intentiones neutrae‘ zu liegen. Zu klären bleibt nun aber desweiteren das spezifische Verhältnis dieser drei Begriffe untereinander, wie es sich aus der ‚Entthronisierung‘ von ‚ens‘ sowie der unterschiedlich gearteten ‚Inthronisierung‘ von ‚res‘ und ‚aliquid‘ ergibt. Finden wir auch hierfür genauere Hinweise in Franziskus’ „Quodlibet“?
communis denominatiua siue qualitatiua non potest esse prima, quia presupponit primam quidditatiuam.“ 28 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 72.
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Zunächst ergibt sich zusammenfassend folgendes Reduktions-Schema:
Dies bedeutet aber nun nicht, daß Franziskus von Marchia den ‚Status‘ bzw. die ‚Position‘ des Erstbegriffs lediglich neu qualifiziert hat, indem er im Zuge einer Erweiterung des Geltungsbereichs der prima intentio rei vom Realseienden auf den Bereich des gedanklichen Seienden einfach eine Verlagerung des ‚Orts‘ der Erstbegriffe aus der Gruppe der Begriffe erster Intention hinein in die frühere der ‚intentiones neutrae‘ vornahm. Und ebenso dehnt er den ursprünglich gesuchten Erstbegriff nicht einfach auf drei Begriffe—ens, res und aliquid—aus, woraus folgen würde, daß dem Begriff des ‚Seienden‘ seine einst absolute Vorrangstellung als Erstbegriff nunmehr zugunsten dreier gleichermaßen erster Begriffe abzusprechen sei. Stehen bereits die Beobachtungen aus den „Quaestiones in metaphysicam“ einer solch ‚egalisierenden‘ Vermutung eklatant entgegen, so finden sich auch innerhalb der 3. Quaestio des „Quodlibet“ selbst im folgenden deutliche Differenzierungen und zugleich bedeutende Hinweise für ein tieferes Verständnis der Darlegungen des „Metaphysik-Kommentars“. Wenden wir unseren Blick hierzu zunächst auf die wohl weitreichendste Unterscheidung, die Franziskus in systematischer Hinsicht einführt. 3. Die grundlegende Unterscheidung von materialer und formaler Erstheit Im Anschluß an die vorangehend dargestellte Begriffs-Reduktion, an deren Ende der Aufweis der quiditativen intentiones neutrae als der eigent-
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lichen Erstbegriffe stand, nimmt Franziskus eine Differenzierung vor, die nun gerade die Primatstellung selbst, die Gestalt und Konzeption der ‚Erstheitlichkeit‘ der intentiones neutrae an sich zu präzisieren sucht. Denn was genau ist damit gemeint, wenn man davon spricht, daß ein Begriff ein ‚erster‘ im Hinblick auf alle anderen sei? Franziskus unterscheidet hierzu erstmals zwei ‚Arten‘ von Erstheit (prioritas): (i) Eine ‚materiale Erstheit‘ (prioritas materialis), in deren Sinne ein Begriff der grundlegendste, der substraktiv erste Begriff ist, indem er sich auf gleichsam materiale Weise (materialiter) hinsichtlich der ihm nachgeordneten Begriffe verhält, wie es vergleichend etwa im grundlegenden Verhältnis der Materie zur Form oder der Substanz zu den Akzidentien der Fall ist. Franziskus nennt diese Art von zugrundegelegter Erstheit (prioritas substrata) demgemäß ‚Erstheit des Ursprungs‘ oder ‚der Entstehung‘ (prioritas originis/generationis), da ein solcher Erstbegriff die notwendige Grundlage für alle hinzukommenden, nicht in einem gleichen Sinne selbständigen Begriffe mit Bezug auf das zu Bezeichnende darstellt.29 (ii) Auf der anderen Seite hebt Franziskus eine ‚formale Erstheit‘ (prioritas formalis) hervor, aufgrund deren ein Erstbegriff im Gegensatz zu allen anderen (späteren Begriffen) als einfacher und höher (simplicius et superius) im Sinne des ‚abstraktesten‘ Begriffs bestimmt wird. Aufgrund dieser Sonderstellung, die auch durch den höchsten Grad an begrifflicher Unbzw. Unterbestimmtheit und Unbegrenztheit gekennzeichnet ist, ist der abstraktive Erstbegriff formaliter früher als alle ihm untergeordneten (kategorialen und transzendentalen) Begriffe.30
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Unterscheidung zweier Erstheiten für die Suche nach der prima intentio rei? Und in welchem Verhältnis stehen diese beiden prioritates zu den drei zuvor als mögliche Erstbegriffe aufgewiesenen quiditativen intentiones neutrae ‚res‘, ‚ens‘ und ‚aliquid‘? 29 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet q. 3, ed. Mariani, S. 72 f.: „(…) Distinguendum est de prioritate, que est duplex: prioritas materialis et formalis. Quedam, prioritas materialis, est prioritas substrata, qua aliquid substernitur alteri ad modum quo materia substernitur forme et subiectum subest suis accidentibus, et fundamentum suis proprietatibus ac racionibus fundatis in ipso (…). Et hec prioritas substraccionis dicitur prioritas materialis, quia prius in illo ordine se habet materialiter uel quasi materialiter respectu posterioris, et hec prioritas uocatur, secundum quosdam, prioritas originis uel generacionis.“ 30 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet q. 3, ed. Mariani, S. 73: „Prioritas uero formalis, e conuerso, est prioritas abstraccionis, qua aliquid est simplicius et abstraccius alio, quomodo superius, in linea predicamentali, est prius suo inferiori, quia est simplicius et abstraccius eo: et hec est prioritas cuiusdam indeterminacionis siue illimit acionis ad plura, et dicitur hec prioritas formalis, quia prius, in illo ordine, est formale uel quasi formale respectu posteriorum.“
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Zuallererst ist festzuhalten, daß sich für Franziskus von Marchia die Suche nach einem Erstbegriff offenkundig als nicht mehr hinreichend erweist, da aus der Differenzierung zweier Arten von Priorität gleichsam eine ‚Pluralisierung der traditionellen prima intentio‘ dergestalt erwächst, daß sie nunmehr zwei erste Begriffe notwendig zu machen scheint. Handelt es sich dabei um denselben oder um verschiedene Begriffe? Der ‚substraktive‘ und der ‚abstraktive‘ Erstbegriff lassen sich zunächst gleichsam als Extrembegrenzungen aller Begriffe vorstellen: Dabei scheint der grundlegendste, im Sinne der materialen Priorität substraktive Erstbegriff derjenige Begriff zu sein, der als ‚unterster‘ gewissermaßen materialiter das fundamentum für alle anderen—später hinzutretenden—Begriffe bildet, wie dies analog bei dem Verhältnis von Materie und Form bzw. von Substanz und akzidentellen Bestimmungen der Fall ist. Der ‚oberste‘ Begriff hingegen, der gemäß der formalen Erstheit als höchster und abstraktester Erstbegriff den genau entgegengesetzten Extrempunkt zu markieren scheint, ist demgegenüber formaliter in allen anderen niedrigeren Begriffen enthalten. Diese sind gerade deswegen später, weil sie durch eine ausgeprägtere inhaltliche Bestimmtheit gekennzeichnet und damit konkretisierend eingeschränkt sind. Aber wie ist diese Forderung einer grundlegendsten (substraktiven) und einer höchsten (abstraktiven) prima intentio genau zu verstehen? Wie verhält es sich mit diesen beiden nunmehr differenzierten Erstheiten gegenüber der Konzeption einer Erstheit, wie sie dem traditionellen Erstbegriff (als intentio entis) zugrundelag? Reichen Franziskus’ Erklärungen aus, um tatsächlich die Notwendigkeit einer ‚Spaltung‘ des überlieferten Erstbegriffs in zwei erste Begriffe hinreichend zu legitimieren? Und worin besteht überhaupt das Motiv für eine solche Pluralisierung? In der Klärung dieser Fragen und in einem genaueren Verständnis der beiden von Franziskus eingeführten Erstheiten liegt gerade die Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob der Begriff des ‚Seienden‘ seine traditionell ihm zukommende Priorität in diesen beiden Fällen verteidigen kann. Denn wir sehen uns nunmehr konkret vor das Problem gestellt, gleichsam drei ‚Kandidaten‘ (res, ens und aliquid) ermittelt zu haben, jedoch nur zwei ‚Stellen‘ (nämlich die Positionen der prioritas materialis und der prioritas formalis) besetzen zu können. Schließlich müssen wir auch zu klären versuchen, wie sich die beiden prioritates zu den Bemerkungen innerhalb des „Metaphysik-Kommentars“ verhalten. * * *
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Nach den beiden Vorbemerkungen der 3. Quaestio des „Quodlibet“, d. h. der ‚Ergänzung‘ der bis dahin als ‚Erstbegriff‘ zur Disposition stehenden intentio entis um die Begriffe ‚res‘ und ‚aliquid‘ (aufgrund ihrer Qualifizierung als ‚intentiones neutrae quiditativae‘ im Gegensatz zu den als qualitativ bestimmten Begriffen unum, verum und bonum) und der Erweiterung des traditionellen Erstbegriffs auf zwei Erstheiten, die in materialer bzw. in formaler Hinsicht zu unterscheiden sind (und die damit zugleich zwei statt bisher einen Erstbegriff notwendig machen), beziehen sich die beiden nun folgenden Artikel von Quodl. 3 ausdrücklich jeweils auf eine dieser beiden Erstheiten.31 So erörtert Franziskus im 1. Artikel die Frage, ob der Begriff des ‚Seienden‘—denn dieser steht ja noch immer zentral im Brennpunkt der Fragestellung—im Sinne der prioritas materialis der substraktiv erste Begriff schlechthin sei, so daß er selbst allen anderen Begriffen mittelbar oder unmittelbar zugrundeliege, ohne daß ihm ein anderer Begriff zugrundegelegt sei. Im 2. Artikel folgt daran anschließend die Thematisierung der alternativ zu stellenden Frage, wie es um den Status der intentio entis hinsichtlich der prioritas formalis stehe, in deren Sinne sie der erste, da abstrakteste und einfachste Begriff wäre.32 Beschäftigen wir uns zunächst mit dem 1. Artikel, in dem es um die prioritas materialis bzw. um die diesbezügliche Geeignetheit der intentio entis geht. Dieser Artikel umfaßt selbst noch einmal drei Unterfragen mit folgendem Gegenstand: (i) Kann es von derselben Sache zwei gleichermaßen schlechthin substraktive Erstbegriffe geben, die weder einander noch einem dritten untergeordnet sind? (ii) Sind der Begriff des ‚Dinges‘ und der des ‚Seienden‘ formaliter als ein Begriff aufzufassen oder als distinkte? (iii) Ist die intentio entis der substraktiv erste Begriff schlechthin?33 31 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 73: „Et secundum hoc, illa questio habet 2os articulos principales, secundum duos modos prioritatis predictos.“ 32 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, ed. Mariani, S. 73 f.: „Primus articulus est: utrum intencio entis sit simpliciter prima rei intencio substractiue, ita quod ipsa substernatur omnibus aliis rei intencionibus et nulla alia intencio rei substernatur sibi, set ipsa omnibus aliis substernatur mediate uel inmediate. 2s articulus questionis est: utrum intencio entis sit simpliciter prima rei intencio abstractiue, ita quod nulla alia sit abstracior, set ipsa sit abstracior et simplicior omnibus aliis intencionibus.“ 33 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S.76: „Utrum possint esse due intenciones eiusdem rei eque prime simpliciter substractive quarum neutra substernatur alteri nec ambe in tercia“; ibid., q. 3, a. 1, 2, S. 80: „Utrum intencio rei et entis sit formaliter una intencio vel distincte“; und ibid., q. 3, a. 1, 3, S. 90: „Utrum intencio entis sit simpliciter prima rei intencio substractive“.
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4. Zur Sonderstellung von ‚res‘ und ‚aliquid‘ als den Begriff des ‚Seienden‘ übersteigende Erstbegriffe 4.1. Ist der Begriff des ‚Seienden‘ der substraktiv erste Begriff? (Oder: Welcher Begriff ist ‚prima intentio‘ gemäß der materialen Erstheit?) In „Quodl. 3,1“ geht es nun also zunächst um die Frage, ob der Begriff des ‚Seienden‘ die ihm traditionell angestammte Vorrangstellung gegenüber allen anderen Begriffen im Falle der neu eingeführten materialen Erstheit behaupten kann, d. h. ob die intentio entis substraktiver Erstbegriff schlechthin und somit allen anderen Begriffen mittelbar oder unmittelbar zugrundegelegt sei, so daß ihr kein anderer Begriff mehr vorangehe. Die Grundvoraussetzung für Franziskus’ Lösung besteht zunächst in dem innerhalb der 1. Unterfrage geführten Nachweis, daß es nicht mehrere gleichermaßen substraktiv erstheitliche Begriffe geben könne, sondern tatsächlich nur einen einzigen Erstbegriff im Sinne der prioritas materialis.34 Denn gäbe es von derselben Sache mehrere gleichermaßen schlechthin erste Begriffe, so folgte daraus, daß auch die zugrundeliegende, bezeichnete Sache nicht per se eine wäre, sondern vielfältig, was jedoch unmöglich ist.35 Zudem wäre, wenn es von demselben Ding zwei oder mehr gleichermaßen erste Begriffe gäbe, jeder von diesen auch in gleicher Weise washeitlich, da einem qualitativen Sinngehalt nie eine in gleicher Weise erstheitliche Stellung zukommen kann.36 Nähme man also mehrere quiditative Erstbegriffe an, so würde dies zugleich bedeuten, daß es von demselben Ding ebenfalls mehrere glei34 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 76: „Quantum ad primum, dico quod inpossibile est quod sint plures intentiones simpliciter eque prime substractiue, quarum neutra substernatur alteri, nec ambe in 3a“. Dieser exkludierenden Vorbemerkung kommt in der Tat eine grundlegende Bedeutung zu, spricht sie doch ausdrücklich gegen eine gleichermaßen synonyme Verwendung der Erstbegriffe und für einen dezidiert distinkten Gebrauch (vgl. hierzu die vorangegangenen Bemerkungen zur Synonymie von ens und res im Kontext der Frage nach dem Gegenstand der Metaphysik auf S. 33). 35 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 77: „Si igitur eiusdem rei essent plures intenciones eque prime, sequeretur simpliciter quod illa res non esset per se una, set simpliciter plures: et hoc est inpossibile, quia quelibet res est per se una; igitur inpossibile est quod eiusdem rei sint plures intenciones simpliciter eque prime.“ 36 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 77: „Item, si eiusdem rei essent due intenciones simpliciter eque prime, tunc quelibet illarum esset quidditatiua, equaliter sicud alia, quia nulla racio qualitatiua est eque prima sicud quidditatiua“.
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chermaßen erstheitliche, nicht aufeinander rückführbare ‚Definitionen‘ gäbe, da jeder gleichermaßen erste washeitliche Sinngehalt auch in gleicher Weise erstheitlich in die Definition eines Dinges eingeht.37 Vor allem aufgrund der Unmöglichkeit dieser Option scheint für Franziskus der spezifische Beweis getan, daß es tatsächlich nicht mehrere Erstbegriffe zur Bezeichnung eines Dinges geben könne, weil dieses selbst sonst nicht eines wäre, sich eine erste und adäquate Definition aber immer auf ein spezifisches Seiendes beziehe.38 Schließlich führt Franziskus als Analogie-Argument noch an, daß es, wie es im Bereich des Seienden unmöglich zwei gleichermaßen ‚erste Seiende‘ geben kann, so auch im Feld der Begriffe nicht zwei gleichermaßen ‚erste Begriffe‘ geben könne, da auch hier—sozusagen ‚im Anschluß daran‘—eine feste Ordnung secundum prius et posterius vorliege.39 Wir suchen also, so das Resultat der Überlegungen des 1. Subartikels, in der Tat nach einem einzigen substraktiven Erstbegriff. Wenn wir nun an die eingangs in den Blick genommenen Überlegungen aus Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ zurückdenken, wo der ‚res‘-Begriff dem Begriff des ‚Seienden‘ einerseits deutlich vorangestellt schien (Utrum res secundum quod res sit subiectum metaphysicae), beide Begriffe andererseits aber auch synonym verwendet wurden, so bietet sich nun im 2. Subartikel von „Quodl. 3, art. 1“—neben der vorangehend dargestellten Begründung, daß es überhaupt nur einen substraktiven Erstbegriff geben könne—ein weiterer deutlicher Beleg für unsere Anmerkung, daß ein synonymer Gebrauch von res und ens im eigentlichen Sinne nicht möglich sei. Entscheidend scheint dabei vor allem ein Argument, das Franziskus mit Rekurs auf Aristoteles anführt: Gemäß Aristoteles kommen einer Sache naturgemäß immer mehrere Eigentümlichkeiten zu; spricht man etwa von „dieser Weiße“ (haec albedo), so 37 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 77: „Si igitur ponuntur eque prime, oportet quod utraque eius sit eque prima quidditatiua; set omnis racio eque prima quidditatiua cadit eque prima in diffinicione rei; si igitur eiusdem rei essent eque prime plures intenciones quidditatiue, sequeretur quod eadem res haberet duas diffiniciones essenciales eque primas, quarum neutra reduceretur ad aliam“. 38 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 77: „(…) quod est inpossibile, quia tunc res non esset una, quia diffinicio prima et adequata est una tantum ab uno esse“. 39 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 77 f.: „Item, sicud in entibus est inpossibile dare duo encia eque prima, quia nec duas naturas est possibile esse in eodem nec duas formas, ita consimiliter est inpossibile dare duas intenciones eque primas in intencionibus, quia intenciones rerum, sicud et quidditatum, habent ordinem secundum prius et posterius, sicud numeri, 8 Metaphysicae.“
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sind dieser in immer allgemeiner werdender Reihe etwa die Attribute ‚Weiße‘ (albedo), ‚Farbe‘ (color), ‚Qualität‘ (qualitas) und schließlich auch ‚Seiendes‘ (ens) zuzuschreiben. Dabei erweist sich jedoch ein Begriff, der mehrerem gemeinschaftlich zukommt (intentio communis pluribus), als unterschieden von einem Begriff, der demgegenüber spezifisch bzw. für etwas eigentümlich ist (intentio propria).40 Der Begriff des ‚Dinges‘ (intentio rei), so Franziskus, sei nun aber gerade ein solcher Begriff, der „für mehrere gemeinsam“ ist, genauer noch: der Begriff des ‚Dinges‘ sei materialiter ‚allen‘ anderen Begriffen gemeinsam, da dieselbe Sache (res!) ‚weiß‘, eine ‚Farbe‘, eine ‚Qualität‘ und eben auch ein ‚Seiendes‘ sei.41 Wären all diese Begriffe selbst verschiedene ‚Dinge‘ (res), so wäre eines nicht vom anderen aussagbar (und es wäre tautologisch zu sagen „color est ens“, „color est color“ usw.).42 Dies bedeutet aber zugleich, daß die intentio rei grundlegend allen anderen Begriffen gemeinsam sei, während die Begriffe des ‚Seienden‘, der ‚Farbe‘, der ‚Weiße‘ usw. demgegenüber eigentümliche, d. h. spezifische Begriffe darstellen.43 Für Franziskus scheint somit festzustehen, daß die intentio rei nicht nur ein von der intentio entis unterschiedener, sondern vor allem ein früherer, da allgemeinerer und ‚gemeinsamerer‘ Begriff sei:
Der spezifische Gegensatz, der hier zwischen dem Begriff des ‚Seienden‘ und dem des ‚Dinges‘ besteht—so konkludiert der 3. Subartikel von 40 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 2, ed. Mariani, S. 84: „Hec albedo est albedo, est color, est qualitas et est ens. Tunc sic: intencio communis pluribus est alia ab intencione propria alteri illorum“. 41 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 2, ed. Mariani, S. 84: „(…) set intencio rei est communis materialiter omnibus istis intencionibus, quia eadem res est albedo, color, qualitas, ens“. 42 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 2, ed. Mariani, S. 85: „Alias, si diceretur ‚color est ens‘ esset idem quod dicerem ‚color est color‘, et ita esset nugacio; igitur intencio rei est alia ab intencione entis“. 43 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 2, ed. Mariani, S. 84 f.: „Probatur: quia si esset alia et alia res, tunc unum non predicaretur in quid de alio; igitur intencio rei est communis omnibus intencionibus istis, intencio autem entitatis est propria, quia alia est intencio entis, alia coloris, alia albedinis“.
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„Quodl. 3,1“—, ist dabei nicht als ‚formaliter‘ zu kennzeichnen (etwa so, wie ‚Seiendes‘ ‚Nicht-Seiendem‘ entgegengesetzt wird), sondern vielmehr als ‚virtualiter‘ (wie bei ‚Mensch‘ und ‚des Lachens fähig‘).44 Anders als ‚Nicht-Seiendes‘ ‚Seiendem‘ in einer Kontradiktion formal entgegengesetzt ist, positioniert sich der Begriff des ‚Dinges‘ gegenüber dem des ‚Seienden‘ in der Weise, daß er zugrundeliegend die Seiendheit und ebenso alle anderen möglichen Zuschreibungen ‚virtualiter‘ enthält. Der Begriff der ‚res‘ ist somit als fundamentum aller in Wirklichkeit existierenden Begriffe zu begreifen, wobei der Begriff des ‚Seienden‘ jedoch immer noch den ersten, da allgemeinsten Begriff und ersten realen Sinngehalt in diesem fundamentum bildet.45 Ist damit nicht auch dem Seinsbegriff in dieser materialen Hinsicht ein gewisses ‚Prioritätsmoment‘ zuzusprechen? Bevor wir auf diese Frage näher eingehen, wollen wir zunächst anhand des 2. Artikels klären, ob der intentio entis zumindest im Sinne der prioritas formalis die Primatstellung im vollen Sinne zukommt. 4.2. Ist der Begriff des ‚Seienden‘ der abstraktiv erste Begriff? (Oder: Welcher Begriff ist ‚prima intentio‘ gemäß der formalen Erstheit?) Wie vorangehend dargestellt, wird dem Begriff des ‚Seienden‘ im Rahmen der drei Unterfragen des 1. Artikels von „Quodl. 3“ der Status der Primatstellung, zumindest in einer gleichsam ‚materialen‘ Hinsicht, wie es sie auf der Grundlage der zuvor eingeführten Unterscheidung einer prioritas materialis und einer prioritas formalis zu prüfen galt, zugunsten des Begriffs des ‚Dinges‘ abgesprochen und allenfalls in einem abgeleiteten Sinne (aufgrund einer ‚prima ratio realis‘) zuerkannt. Im Anschluß daran bleibt nun im 2. Artikel noch die Möglichkeit zu prüfen, ob die intentio 44 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 3, ed. Mariani, S. 91: „Ad primum dicendum quod ‚aliquid‘ opponitur ‚alicui‘ dupliciter: uel formaliter sicud ‚ens‘ opponitur sibi [non-enti]; uel uirtualiter sicud ‚homo‘ opponitur ‚risibili‘. Consimiliter ‚aliquid‘ opponitur ‚enti‘ dupliciter: uel formaliter sicud ‚ens‘ opponitur ‚non-enti‘, uel opponitur ei uirtualiter sicud res substrata enti opponitur ei uirtualiter in quantum continet uirtualiter entitatem“. Vgl. zur näheren Erläuterung und Unterscheidung von ‚Formalität‘ und ‚Virtualität‘ D. Schlüter, Art. ‚Formaliter (Formalität)‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 2, Basel 1972, Sp. 971, und S.K. Knebel, Art. ‚Virtualität‘ I., in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 11, Darmstadt 2001, Sp. 1062–1066. 45 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 3, ed. Mariani, S. 89: „Dico igitur quod intencio rei est fundamentum omnium intencionum existencium in re; intencio autem entis est prima intencio et prima racio realis in huiusmodi fundamento; racio autem realis uel formalis respectu rei habentis multas raciones reales est aliud ab ipsa re cuius est racio realis uel formalis: et ideo entitas differt ab ipsa re“.
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entis zumindest hinsichtlich der prioritas formalis Erstbegriff sei, so daß es keinen abstrakteren und einfacheren Begriff gebe.46 Kann ‚ens‘ seine traditionell ihm zugewiesene Priorität zumindest in dieser Hinsicht verteidigen? Wir müssen uns zur Bestimmung dieser Möglichkeit zunächst die Frage stellen, welche formalen Bedingungen der Begriff des ‚Seienden‘ in einer solchen Bestimmung als höchster und abstraktester Erstbegriff erfüllen müßte. Denn wenngleich Franziskus in den einleitenden Bemerkungen zu „Quodl. 3“ beide prioritates bereits kurz charakterisiert hatte, so ist doch bisher noch nicht hinreichend deutlich geworden, wie sich die Beschaffenheit des formalen Erstbegriffs konkret bestimmen ließe. Wie also ist das Kriterium dafür näherhin zu fassen, daß sich ein Begriff als abstraktiv erster, als schlechthin einfachster und damit höchster Begriff erweist? Als maßgeblich für die Kennzeichnung eines Begriffes als ‚abstraktiv früher‘ gegenüber einem anderen Begriff führt Franziskus zunächst dessen ‚quiditatives Eingeschlossensein‘ an. Ist ein positiver Begriff in einem anderen positiven Begriff washeitlich eingeschlossen (inclusus quiditative), so erweist er sich als ‚umfassender‘ (latior) als irgendein anderer, nicht quiditativ eingeschlossener Begriff.47 Traditionell sind die mittelalterlichen transcendentia diejenigen Begriffe, die als Erstbegriffe in allen anderen positiven Begriffen quiditativ eingeschlossen sind. Unter ihnen kommt dem Seinsbegriff die Primatstellung zu, da sich in ihm das Moment der ‚washeitlichen Inklusivität‘ in erstheitlicher und höchster Weise zu erfüllen scheint. Der argumentative Schwerpunkt der Überlegungen innerhalb des 2. Artikels liegt nun jedoch auf dem Nachweis, daß es einen Begriff gebe, der insofern noch über den Primat des Seinsbegriffs hinausragt, daß er in ‚allen transzendentalen Begriffen‘, also auch im Seinsbegriff selbst, quiditativ eingeschlossen sei. Aber welcher Begriff sollte dies sein? Erwies sich im 1. Artikel aus dem in Frage kommenden Ternar quiditativer intentiones neutrae der res-Begriff als dem des ‚Seienden‘ noch vorgeordnet im Sinne der prioritas materialis, so zeigt sich im 2. Artikel— wir ahnten es bereits—, daß ihm auch gemäß der formalen Erstheit
46 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, ed. Mariani, S. 93: „Articulus II. Utrum intencio entis sit simpliciter prima rei intencio abstractive ita quod nulla alia sit abstraccior et simplicior omnibus aliis intencionibus“. 47 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, ed. Mariani, S. 94: „Conceptus positiuus inclusus quidditatiue in conceptu positivo est lacior altero illorum includencium.“
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nur eine nachgeordnete Position zukommt, nämlich gegenüber dem Begriff des ‚aliquid‘ bzw. der ‚aliquitas‘.48 Wie argumentiert Franziskus nun für diese Vorrangstellung, die darin begründet liegen muß, daß der conceptus aliquitatis deswegen umfassender und abstrakter als alle anderen Begriffe sei, weil er in jedwedem positiven Begriff, nachweislich in den bislang als erstheitlich angenommenen transcendentia, washeitlich eingeschlossen ist?49 Zunächst beginnt er die Antwort auf die entsprechende Frage des 2. Artikels, „Utrum conceptus aliquitatis sit latior conceptu entitatis“, mit einer beinahe umgangssprachlichen Erklärung: der conceptus aliquitatis wird quiditativ in den transzendentalen Begriffen der ‚Seiendheit‘, ‚Einheit‘, ‚Wahrheit‘ und ‚Gutheit‘ eingeschlossen, da diese, so, wie sie sich formaliter voneinander unterscheiden, doch allesamt ‚etwas‘ (aliquid) und nicht ‚nichts‘ (nihil) seien. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie washeitlich ‚etwas‘ sind: „(…) der Begriff der ‚Etwasheit‘ wird washeitlich im Begriff der Seiendheit, Einheit, Wahrheit und Gutheit eingeschlossen, weil die Seiendheit, wie sie formaliter von der Einheit unterschieden ist, ‚etwas‘ ist, da sie nicht ‚nichts‘ ist; auf ähnliche Weise sind Wahrheit und Gutheit formaliter ‚etwas‘“.50
Der conceptus entitatis hingegen wird Franziskus zufolge formaliter nicht in den übrigen Begriffen eingeschlossen, da Bestimmungen wie „ens bonum, ens unum, etc.“ ansonsten als tautologisch zu qualifizieren wären. Hierbei handelt es sich jedoch gerade nicht um sinnlose Verdopplungen, sondern vielmehr um sinnstiftende Hinzufügungen. Somit scheint der conceptus aliquitatis als geeigneter Kandidat, umfassender (latior) als der conceptus entitatis
48 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 94: „Quantum ad primum, dico quod conceptus aliquitatis est lacior formaliter conceptu entitatis“. Im Gegensatz zum Erstbegriff im Sinne der materialen Erstheit, der intentio rei, verwendet Franziskus den abstraktiven Erstbegriff, als der sich ‚aliquid‘ erweist, durchgängig in der abstrakten Form, d. h. hier als „aliquitas“. Wir werden auf diesen Umstand auf S. 83 noch einmal gesondert zurückkommen. 49 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 2, ed. Mariani, S. 98: „Utrum sit aliquis conceptus lacior conceptu aliquitatis, dicendum quod non, quia nullus conceptus lacior est quam conceptus inclusus quidditatiue in quolibet conceptu positiuo; set conceptus aliquitatis includitur quidditatiue in quolibet conceptu positiuo; ergo nullus conceptus lacior eo.“ 50 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 94: „(…) conceptus aliquitatis includitur quidditative in conceptu entitatis, unitatis, veritatis et bonitatis, quia entitas, ut distinguitur formaliter ab unitate, est aliquid, cum non sit nihil; similiter veritas et bonitas sunt formaliter aliquid“.
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zu sein, indem er allein quiditativ in jedwedem positiven Begriff eingeschlossen ist.51 Den eigentlichen Beweis für diese abstraktive Primatstellung stützt Franziskus jedoch auf einen Grundsatz, der die Bestimmung eines höchsten, weil abstraktesten Erstbegriffs gerade mit Bezug auf den ihm ‚entgegengesetzten Begriff ‘ (oppositum) erklärt: Je allgemeiner und umfassender irgendeine Negation in ihrer Entgegensetzung ist, desto allgemeiner und umfassender ist dieser die zugehörige Affirmation in ihrer Prädikation gegenübergestellt.52 Suchen wir also nach dem umfassendsten positiven Begriff, läßt er sich gleichermaßen über den umfassendsten (negativen) Oppositionsbegriff ermitteln. Nun ist aber naturgemäß diejenige Negation, die per se ‚allem‘ entgegensteht, umfassender in der Entgegensetzung als das, was nur einem Teil davon gegenübersteht. Franziskus zufolge ist es der Begriff des „Nichts“ (nihil), der per se (und nicht nur per accidens) jedwedem positiven Begriff entgegengesetzt wird; umgekehrt ist damit der direkte Gegensatz von ‚nihil‘, der Begriff des ‚aliquid‘, washeitlich in jedem anderen Begriff eingeschlossen und bildet somit den umfassendsten positiven Begriff:53 „(…) keine Negation ist jedoch umfassender (universalior) als ‚Nichts‘ selbst, welches durch sich (per se) ‚Etwas‘ entgegengesetzt wird; demzufolge ist kein positiver Begriff umfassender bei der Prädikation als der Begriff der ‚Etwasheit‘ (conceptus aliquitatis)“.54
Denn das, was ‚überhaupt nichts‘ zurückläßt, ist umfassender im Entgegenstehen als dasjenige, welches doch noch ‚irgendetwas‘ zurückläßt; 51 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 94: „(…) conceptus autem entitatis non includitur formaliter in conceptu unitatis et bonitatis, quia tunc esset nugacio dicere: ens bonum, ens unum; ergo conceptus aliquitatis est lacior conceptu entitatis“. 52 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 2, ed. Mariani, S. 98: „Quanto alica negacio est in remouendo uniuersalior, tanto affirmacio sibi opposita est uniuersalior in predicando (…)“. Vgl. hierzu ebenso S. 95: „Item, quanto aliqua negacio per se opposita ‚alicui‘ est lacior in remouendo, tanto negacio scil. affirmatio sibi opposita est lacior in predicando et, e conuerso, quanto alica affirmacio ibi est lacior in predicando, tanto negacio per se opposita ‚alicui‘ est lacior in remouendo“. 53 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 94: „Probacio assunpti: ‚nichil‘ opponitur per se ‚alicui‘ directe nisi racione sui oppositi inclusi; set ‚nichil‘ opponitur per se et non per accidens cuilibet conceptui positiui entis, unitatis, ueritatis et bonitatis; ergo oppositum ‚nichili‘, quod est ‚aliquid‘, includitur quiditatiue in quolibet istorum“. 54 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 2, ed. Mariani, S. 98: „(…) set nulla negacio est uniuersalior ipso ‚nihil‘, quod per se opponitur ‚alicui‘; ergo nullus conceptus positiuus est uniuersalior in predicando quam conceptus aliquitatis“.
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„Nichts“ läßt aber per se ‚nichts‘ zurück, auch nicht Seiendes, Eines usw.; „Nicht-Seiendes“ hingegen läßt per se sehr wohl ‚etwas‘ zurück, nämlich alle anderen positiven Begriffe. In dieser Hinsicht erweist sich „Nichts“ Franziskus von Marchia als umfassender in der Entgegensetzung als „Nicht-Seiendes“.55 Im Gegensatz zum Begriff des ‚Nichts‘, der direkt allen positiven Begriffen entgegensteht, da jegliches positive Sein verneint wird, steht etwa der Begriff des ‚Nicht-Seienden‘ per se et directe nur ‚Seiendem‘ entgegen. Und wie dem Begriff des ‚Nichts‘ somit ein umfassenderer Status in der Entgegensetzung zukommt als dem des ‚Nicht-Seienden‘, so ist umgekehrt eben auch dem per se-Gegensatz von ‚Nichts‘, dem Begriff des ‚aliquid‘, ein umfassenderer Status zuzusprechen als ‚ens‘. Daß der Gegensatz von aliquid und nihil damit gekennzeichnet ist durch eine weitestmögliche Entgegensetzung, liefert Franziskus zufolge den Beweis dafür, daß der Begriff des ‚Etwas‘ in allen anderen positiven Begriffen eingeschlossen wird.56 Er bekräftigt diesen Beweis jedoch auch noch einmal umgekehrt: da ‚Seiendes‘ (ens) nicht washeitlich im ‚Einen‘ (unum), ‚Wahren‘ (verum) und ‚Guten‘ (bonum) eingeschlossen wird, wird zugleich ‚Nicht-Seiendes‘ (non-ens), das direkte oppositum von ‚Seiendem‘, diesen anderen nicht per se und direkt entgegengesetzt, da das schlechthinnige Gegenteil des ‚Einen‘ das ‚Nicht-Eine‘ (non-unum), den direkten Gegensatz des ‚Wahren‘ das ‚Nicht-Wahre‘ (non-verum) usw. bildet. Die übrigen Transzendentalbegriffe schließen ‚Seiendes‘ also nicht per se washeitlich ein, da umgekehrt ‚Nicht-Seiendes‘—so der Argumentationsgang—nicht per se et directe jedwedem von diesen entgegengesetzt ist, sondern vielmehr ‚Nichts‘ (nihil), denn der Begriff des ‚Nichts‘ ist es, der jedes positive Sein verneint: „dies bezeichnet nämlich der Name ‚Nichts‘ selbst, daß er nicht irgendetwas Positives sei“.57 Also wird—dies 55 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 96: „Confirmatur: quia illud, quod ‚nichil‘ relinquid, est lacius in remouendo quam illud quod ‚aliquid‘ relinquit; set ‚nichil‘ per se ‚nichil‘ relinquit, nec ‚ens‘, nec ‚unum‘, etc.; ‚nonens‘ autem per se ‚aliquid‘ relinquid, quia relinquit ‚unum‘, ‚bonum‘, etc., licet per accidens ‚omnia‘ tollit; ergo ‚nichil‘ est lacius in remouendo quam ‚non-ens‘“. 56 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 96: „Probacio assunpti: quia illud quod per se remouet ‚omnia‘ est lacius in remouendo quam illud quod per se remouet unum illorum; set ‚nichil‘ per se et directe remouet ‚omnia‘ positiua, quia ‚nichil‘ est quod non est ‚aliquid‘ positiuum; ‚non-ens‘ per se et directe solum remouet ‚ens‘, set per accidens et indirecte remouet ‚omnia‘; ergo ‚nichil‘ est lacius in remouendo quam ‚non-ens‘; ergo ‚aliquid‘ est lacius in predicando quam ‚ens‘“. 57 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 94 f.: „Confir-
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ist Franziskus’ Resultat—eben nicht ‚Seiendes‘ (ens), sondern vielmehr ‚Etwas‘ (aliquid), der per se-Gegensatz von ‚nihil‘, washeitlich in jedwedem positiven (transzendentalen) Begriff eingeschlossen.58 Schematisch läßt sich Franziskus’ Argumentationsstruktur zugunsten des ‚aliquid‘-Begriffs als dem substraktiven Erstbegriff folgendermaßen zusammenfassen (Quodl. 3,2):
Franziskus gibt aus einer anderen Perspektive noch eine weitere Erklärung für seinen Beweisgang, nämlich anhand des Grundsatzes: „je vereinzelter (particularior) eine Negation ist, desto umfassender ist die jeweilige Affirmation ihr im Prädizieren entgegengesetzt, und je vereinzelter im Gegensatz dazu eine Affirmation im Prädizieren ist, desto allgemeiner ist ihre Negation“.59 Dies wird offensichtlich bei den Beimatur per simile: quia enim ens non includitur quiditatiue nec in uno, nec in uero, nec in bono, ideo non-ens, quod opponitur enti, non opponitur per se et directe nec uno, nec bono; set oppositum unius est non unum, et oppositum per se ueri est non uerum; et ideo, quia illa non includunt quiditatiue ens, quod per se opponitur non-enti,—si enim includerent per se ipsum ens, tunc non-ens enti oppositum opponeretur per se cuilibet eorum,—nunc autem ‚nichil‘ opponitur per se et directe ‚cuilibet‘ eorum, quia ‚nichil‘ negat esse positiuum; hoc enim significat nomen ipsius ‚nichil‘, quod non sit ‚aliquid‘ positiuum“. 58 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 95: „(…) ergo ‚aliquid‘, oppositum ‚nichili‘, includitur quiditatiue in quolibet conceptu positiuo“. Heinrich von Gent hatte dagegen noch sowohl res als auch aliquid als Gegensatz zum ‚Nichts‘ hervorgehoben, vgl. Heinrich von Gent, Quodlibet VII, 1–2, ed. Wilson, S. 27: „Sciendum quod omnium communissimum, omnia continens in quodam ambitu analogo, est res sive aliquid, sic consideratum ut nihil sit ei oppositum nisi purum nihil, quod nec est nec natum est esse, neque in re extra intellectum, neque etiam in conceptu alicuius intellectus“. 59 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 96: „Item, quanto alica negacio est particularior in conueniendo, tanto affirmacio ei opposita est lacior in predicando et, e conuerso, quanto affirmacio est particularior in predicando, tanto negacio est uniuersalior in conueniendo“.
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spielen ‚Mensch‘ und ‚Lebewesen‘ bzw. ‚Nicht-Mensch‘ und ‚NichtLebewesen‘: weil nämlich ‚Mensch‘ ‚inferior‘ (im Sinne von ‚konkreter‘ oder ‚vereinzelter‘) ist als ‚Lebewesen‘, wird umgekehrt ‚Nicht-Mensch‘ von mehr wahrhaft ausgesagt als ‚Nicht-Lebewesen‘. Und weil ‚Lebewesen‘ mehr betrifft als ‚Mensch‘, wird umgekehrt ‚Nicht-Lebewesen‘ von weniger ausgesagt als ‚Nicht-Mensch‘. ‚Nichts‘ betrifft jedoch evidenterweise weniger als ‚Nicht-Seiendes‘ (eben ‚nichts‘), weshalb ‚aliquid‘, das Gegenteil von ‚Nichts‘, prädikativ auf mehr zutreffen muß als ‚Seiendes‘.60 Und demzufolge ist umgekehrt auch ‚nihil‘, das per se ‚aliquid‘ entgegengesetzt ist, umfassender im Entgegenstehen als ‚NichtSeiendes‘, das per se (nur) ‚Seiendem‘ entgegengesetzt wird. Je weniger Konkretes ein Begriff bedeutet, desto allgemeiner (universalior) und damit umfassender (latior) ist er, und je mehr Spezifisches er betrifft, desto vereinzelter (particularior):61 Wie ‚animal‘ formaliter weniger konkret und damit allgemeiner ist als ‚homo‘, so ist ‚aliquid‘ formaliter weniger konkret als ‚ens‘ und damit allgemeiner als dieses.62 Zusammenfassend hinsichtlich der im 2. Artikel begründeten Entscheidung für ‚aliquid‘ als dem abstraktiven Erstbegriff gegenüber der intentio entis und mit einem rückwärtsgewandten Blick auf die im 1. Artikel dargelegte Argumentation für ‚res‘ als dem substraktiven Erstbegriff, läßt sich—ohne das Hilfsmittel der Schematisierung überstrapazieren zu wollen—noch einmal diese Gesamtperspektive aufzeigen:
60 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 96: „Patet de ‚homine‘ et de ‚animali‘, et ‚non-homine‘ et ‚non-animali‘; quia enim ‚homo‘ est inferior ‚animali‘, ideo ‚non-homo‘ de pluribus uerificatur quam ‚non-animal‘; et, e conuerso, quia ‚animal‘ pluribus conuenit quam ‚homo‘, ideo ‚non-animal‘ conuenit paucioribus quam ‚non-homo‘; set ‚nichil‘ conuenit paucioribus, quia ‚non-ens‘; ergo ‚aliquid‘, oppositum ‚nichili‘, conuenit pluribus quam ‚ens‘“. 61 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 97: „Item, quanto aliqua intencio minus ponit, tanto est uniuersalior et, e conuerso, quanto magis ponit, tanto particularior“. 62 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 1, ed. Mariani, S. 97: „Patet de ‚animali‘ et ‚homine‘: quia ‚animal‘ minus ponit formaliter quam ‚homo‘, ideo ‚animal‘ est uniuersalius ‚homine‘; set ‚aliquid‘ minus ponit quam ‚ens‘ formaliter; ergo ‚aliquid‘ est uniuersalius ‚ente‘“.
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Enthält der ‚res‘-Begriff alle anderen hinzukommenden Begriffe auf gleichsam materiale Weise virtualiter, so erweist sich ‚aliquid‘ als der formaliter höchste, abstrakteste und in allen anderen Begriffen essentialiter eingeschlossene ‚allererste Verstandesbegriff‘: „So scheint es also, daß man sagen muß, daß der Begriff der ‚Etwasheit‘ (conceptus aliquitatis) der umfassendste Begriff (conceptus latissimus) unter allen Begriffen sei, da kein Begriff umfassender oder gleichermaßen umfassend ist, sondern dieser ist schlechthin umfassender und allgemeiner (universalior) als jeder andere Begriff: und (daher) ist dieser (scil. der conceptus aliquitatis) der erste Gegenstand des Verstandes (primum obiectum intellectus) und nicht ‚Seiendes‘ (ens), ‚Eines‘ (unum) oder ‚Gutes‘ (bonum).“63
Ganz offenkundig zeigen sich—am Ende der beiden Artikel von „Quodl. 3“—als Resultat erneut gerade diejenigen konzeptionellen ‚Verschiebungen‘, wie wir sie zu Beginn dieses Kapitels innerhalb der Ausführungen von Franziskus’ „Quaestiones in metaphysicam“ in den Blick genommen haben: einerseits die ‚Ersetzung‘ des Begriffs des ‚Seienden‘ durch den materialiter früheren ‚res‘-Begriff, wodurch als Konsequenz das ‚Seiende‘ selbst zu einer passio (des ‚Dinges‘) wird; und andererseits die Hinzufügung bzw. ‚Auskopplung‘ eines aus den traditionellen passiones gleichsam ‚destillierten‘ obersten, da formaliter früheren Begriffs, ‚aliquid‘, dem selbst keine passiones mehr zukommen, sondern der in all diesen selbst washeitlich eingeschlossen ist. In „Quodl. 3, 2“ wird deutlich, inwiefern dieser abstrakteste Begriff sich im Begriff des ‚Etwas‘ und nicht in dem des ‚Seienden‘ manifestiert. Franziskus von Marchia scheint damit zwei, innerhalb der traditionellen Entwürfe im Begriff des ‚Seienden‘ immer ineins fallende Bestimmungen einer „prima intentio“ deutlich voneinander zu unterscheiden: das ‚virtuelle Enthalten‘ aller anderen (späteren) Begriffe einerseits und das ‚quiditative Enthaltensein‘ (in allen anderen—damit ebenfalls späteren— Begriffen) andererseits. Gelingen kann ihm dies anhand seiner neuartigen Unterscheidung von materialer und formaler Erstheit.
63 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 3, ed. Mariani, S. 99 f.: „Sic ergo uidetur dicendum quod conceptus aliquitatis est conceptus latissimus inter omnes conceptus, quia nullus conceptus lacior nec eque latus, set iste est simpliciter lacior et uniuersalior omni alio conceptu: et iste est primum obiectum intellectus, et non ens, neque unum nec bonum“.
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Damit wird eine erste Verständnis-Ebene des inneren Zusammenhangs zwischen den Darlegungen im „Metaphysik-Kommentar“ und im Rahmen des „Quodlibet“ erkennbar, indem hier die eigentlich argumentativen Begründungen für die Zersplitterung und die Verschiebungen innerhalb der Gruppe der transzendentalen Begriffe—der intentiones neutrae—mit Blick auf die Frage nach dem subiectum metaphysicae geleistet werden. Und daher sind die Ausführungen des „Quodlibet“, wie schon angedeutet, tatsächlich als Erklärung für diejenigen innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ zu lesen. Sind diese aber allererst durch eine neuartige Konzeption der Metaphysik, deren eigentliches Anliegen wir noch in den Blick nehmen müssen, motiviert? Oder findet eher das primäre Anliegen einer Neuordnung der Transzendentalien (auch) innerhalb der Metaphysikbestimmung seinen Niederschlag? Wir müssen eine Erhellung dieses Bezugs nicht gänzlich selbständig leisten. Franziskus selbst liefert in „Quodl. 3“ einige wertvolle Hinweise sowohl auf die allgemein wissenschaftstheoretischen Implikationen seines neuartigen Transzendentalien-Entwurfs als auch hinsichtlich der direkten Bezugnahme auf die Frage nach dem eigentümlichen Gegenstand der Wissenschaft schlechthin, der Metaphysik. Bevor wir uns diesen Bemerkungen zuwenden, muß aber zunächst noch einmal die immer noch nicht hinreichend geklärte, im Vorangehenden aber bereits mehrmals aufgeworfene Frage in den Blick genommen werden, ob dem Seinsbegriff trotz seiner ‚Entthronisierung‘ durch ‚res‘ und ‚aliquid‘ nicht doch auch— wie einige Male angedeutet—eine gewisse Vorrangstellung zumindest gegenüber den anderen Begriffen zukomme. 5. Die Neuordnung der mittelalterlichen Transzendentalbegriffe Aus der doppelten Neubesetzung der Position der prima intentio rei durch die Begriffe res und aliquid sowie der sich daraus ergebenden nachgeordneten Stellung des Begriffs des ‚Seienden‘ ergibt sich zugleich eine
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systematische Neuordnung aller—nicht nur der transzendentalen—Begriffe. Franziskus generiert auf der Grundlage seiner Kritik an der Ordnung und dem ontologischen Status der mittelalterlichen transcendentia ein alternatives Gesamtmodell, das durch wesentliche strukturelle Modifikationen gekennzeichnet ist. Anhand einer Betrachtung dieser Neuordnung der (Erst-)Begriffe insgesamt lassen sich einige noch offene Fragen klären. Denn wenngleich aus dem Vorangegangenen deutlich geworden ist, aufgrund welcher Kriterien sich die Primatstellung des material bzw. formal ersten Begriffs ergibt, und auch, wie sich diese beiden gegenüber allen anderen Begriffen gleichsam als grundlegendster bzw. höchster ‚Extrempunkt‘ positionieren, so läßt sich doch noch genauer bestimmen, welche ‚Funktion‘ sie hinsichtlich einer hierarchischen Ordnung aller anderen Begriffe (und auch des Seinsbegriffs) einnehmen. Tatsächlich vermittelt Franziskus gegen Ende von „Quodlibet 3, 2“ (im 4. Subartikel, wo es abschließend noch einmal um die Frage geht, ob der conceptus aliquitatis nun ein einziger sei und univok für alle ihn selbst einschließenden Begriffe gelte) eine gewisse Idee davon, in welcher Weise die beiden neu bestimmten Erstbegriffe res und aliquid zu Maßstäben bezüglich einer hierarchischen Ordnung aller übrigen Begriffe avancieren.64 Dabei geht er zunächst von einer Analogie zum Bereich des ‚Seienden‘ aus: So, wie es im Bereich des Seienden (in entibus) ein erstes Seiendes (unum primum ens) gibt, auf das hin alle anderen Seienden im Verhältnis einer Zuschreibung (attributio) und Analogie (analogia) aufgrund seines ‚Status‘ als ‚Zugrundeliegendem‘ (substantia) stehen, so verhält es sich auch innerhalb des Bereichs der Begriffe (in intentionibus), wo ein erster Begriff (una prima intentio) anzunehmen ist, bezüglich dessen die übrigen Begriffe in einem Zuschreibungs- und Analogieverhältnis stehen.65
Während mit Blick auf das Seiende die ‚Seiendheit‘ (entitas) selbst den Maßstab für die bestehende Ordnung und den damit verbundenen Vorrang der Substanz vor den Akzidentien ausmacht, bildet im Bereich der Begriffe die ‚Etwasheit‘ (aliquitas) dieses Kriterium und den zugrundeliegenden Maßstab für eine hierarchische Ordnung der Begriffe. 64 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 101: „Utrum conceptus aliquitatis sit unus et univocus omnibus conceptibus ipsum includentibus“. 65 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 102 f.: „(…) sicud in entibus est dare unum primum ens ad quod omnia alia encia habent attribucionem et anologiam secundum substanciam, ita in intencionibus est dare unam primam intencionem ad quam cetere intenciones habent attribucionem et anologiam (…)“.
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Und in gleicher Weise, wie die Substanz als das ‚primum ens‘ aufzufassen ist, da diese in höchstem Maße seiend ist und sich alle anderen Seienden in Hinordnung auf sie positionieren, ist der Begriff des ‚Dinges‘ die ‚prima intentio‘, da er per se und erstheitlich ‚etwas‘ (‚aliquid‘) ist. Alle anderen Begriffe haben in unterschiedlichem Maße und in einer abgestuften Ordnung am Sinngehalt der Etwasheit (‚aliquitas‘) nur in Hinordnung auf die intentio rei selbst teil.66 Jeder der anderen Begriffe ist somit nur in dem Maße ‚etwas‘, in dem er am Sinngehalt (ratio) der ‚res‘ selbst partizipiert.67 Mit anderen Worten: der Begriff, „auf den alle Begriffe hin analogisiert werden“ (ad quem analogantur), ist der Begriff des Dinges (intentio rei), der Begriff aber, „in dem sie analogisiert werden“ (in quo analogantur), ist der Begriff des Etwasheit (intentio aliquitas), denn alle Begriffe werden aufgrund ihrer Teilhabe an der Etwasheit auf die Sache selbst hin „analogisiert“.68 In gleicher Weise, wie alle Seienden bzw. die Akzidentien ‚seiend‘ sind, weil sie Dispositionen der Substanz sind, die in ‚erstheitlicher Weise‘ seiend ist, stehen somit auch alle Begriffe gewissermaßen in einer pros hen-Relation zu einem ‚ersten‘ Begriff, dem des ‚Dinges‘.69 Alle anderen Begriffe haben in unterschiedlicher Intensität am Sinngehalt der ‚Etwasheit‘ (aliquitas) durch ihre Hinordnung auf die intentio rei teil:70
66 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103: „(…) ita in intencionibus est dare unam primam intencionem ad quam cetere intenciones habent attribucionem et anologiam in aliquitate et hec est intencio rei; nam ipsa per se et primo est aliquid et omnes intenciones alie participant racione aliquitatis in ordine ad ipsam“. 67 Vgl. zur Substanz-Frage D. Fonfara, Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur Kategorienschrift und zur Metaphysik, Berlin/New York 2003 (Quellen und Studien zur Philosophie 61). 68 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103: „Consimilliter in intencionibus alicam intencionem ad quam omnes alie anologantur et aliquas res in qua omnes anologantur; intencio autem ad quam anologantur est intencio rei; intencio autem in qua anologatur est intencio aliquitatis; omnes enim intenciones anologantur ad rem in aliquitate; ergo, quemadmodum omnia encia anologantur in ente, sic omnes intenciones in aliquitate ad rem“. 69 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103: „Item, sicud accidencia sunt encia quia sunt disposiciones substancie, 4 Methaphysice, consimilliter in intencionibus, cetere intenciones sunt aliquid in quantum sunt raciones ipsius rei, que per se et primo est aliquid“. 70 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103: „(…) et hec est intencio rei; nam ipsa per se et primo est aliquid et omnes intenciones alie participant racione aliquitatis in ordine ad ipsam“.
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Wie aber steht es nun schlußendlich um den Begriff des ‚Seienden‘? Findet am Ende doch noch eine Rehabilitation des zuvor degradierten Seinsbegriffs statt? Tatsächlich wird auch ihm in gewissem Sinne ein Primat zugesprochen, wenngleich nicht in einem absoluten Sinne, aber der Begriff des ‚Seienden‘ ist doch insofern auch immer noch eine ‚prima intentio‘, als er den ‚ersten realen Sinngehalt‘ (prima ratio realis) der intentio rei darstellt. Der Begriff des ‚Dinges‘ enthält somit grundlegend virtualiter alle anderen Begriffe—und dabei zuallererst die intentio entis. Das bedeutet, daß dem Begriff des ‚Seienden‘ zumindest noch eine ‚relative Primatstellung‘ zuzusprechen ist, indem er an erster Stelle aller anderen Begriffe steht.71 Die intentio entis ist somit der erste Begriff, der zum Begriff des ‚Dinges‘ in ein analoges Verhältnis gesetzt wird: „Prima intentio est intentio entis quia est prima intentio analogata ad rem“.72 Franziskus schließt seine Bemerkungen zur Positionierung des Seinsbegriffs mit einem Verweis auf den „Liber de Causis“: „Und daher sagt der Autor von „De causis“, daß ‚der erste (Begriff) der geschaffenen Dinge das Sein ist‘, weil das Seiende der schlechthin erste der analog gesetzten Begriffe ist; es ist aber nicht schlechthin erster (Begriff), weshalb dort ein Vergleich der analog gesetzten Begriffe untereinander in Hinordnung auf den ersten gemacht wird; es wird kein Vergleich der Begriffe im Hinblick auf einen analogen Begriff gemacht, weil jener einfach (simpliciter) ist, und daher sagt er auf bezeichnende Weise: ‚der geschaffenen Dinge‘“.73 71 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 2, ed. Mariani, S. 89: „Dico igitur quod intencio rei est fundamentum omnium intencionum existencium in re; intentio autem entis est prima intencio et prima racio realis in huiusmodi fundamento (…).“ 72 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103. 73 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 4, ed. Mariani, S. 103 f.: „Ideo dicit Auctor De causis quod ‚prima rerum creatarum est esse‘, quia prima simpliciter intencionum anologatarum est ens; non autem simpliciter est prima, unde fit ibi conparacio intencionum anologatarum inter se in ordine ad primam; non fit conparacio inten-
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Mit Blick auf die klassische Struktur der transzendentalen Begriffe, wie wir sie im Rahmen der traditionellen Konzeptionen der Denker des 13. Jahrhunderts finden, läßt sich nach einer Betrachtung dieser begrifflichen Neuordnung gemäß Franziskus von Marchia folgendes Fazit ziehen, wie es zugleich als Kritik an den überkommenen Modellen zu werten ist: bildete innerhalb der Gruppe transzendentaler Begriffe bislang die intentio entis denjenigen Begriff, auf den in seiner Primatstellung hingeordnet alle anderen transcendentia lediglich als Eigenschaften, als passiones entis zu werten waren, so manifestiert sich nun eine grundlegende Verschiebung. Die Transzendentalbegriffe sind nicht länger als passiones ‚entis‘, sondern vielmehr als passiones ‚rei‘ zu betrachten.74 Denn nicht mehr der Begriff des ‚Seienden‘, sondern der des ‚Dinges‘ bildet nunmehr den gleichsam substantialen Bezugspunkt aller anderen—nachfolgenden—Begriffe. Daß der intentio entis dabei letztlich doch noch eine exponiertere Stellung aufgrund ihres Status als erster ratio realis des ‚Ding‘-Begriffs zukommt, ändert nichts an der Bedeutung der strukturellen Umakzentuierung, wie Franziskus sie in diesem Zusammenhang vornimmt. Den Begriffen ‚res‘ und ‚aliquid‘ kommt somit innerhalb der Konzeption des Franziskus von Marchia eine besondere ‚Schlüsselfunktion‘ zu, indem gerade aufgrund dieser beiden Begriffe die spezifizierende Neupositionierung bzw. ‚Entthronisierung‘ des Seinsbegriffs erfolgt. Allerdings sieht es so aus, als sei ihnen innerhalb der Entwicklung der Transzendentalien- und Supertranszendentalienlehre insgesamt eine Sonderrolle zuzuschreiben.75 So gehören res und aliquid in verschiedenen Abhandlungen des 13. Jahrhunderts zunächst durchaus zum fescionum ad intencionem anologantem quia illa est simpliciter, ideo significanter dicit: ‚rerum creatarum‘.“ 74 Vgl. hierzu bemerkenswerterweise auch eine in genau diese Richtung zielende Anmerkung aus dem „Metaphysik-Kommentar“: „Ex quo patet secundum intentionem Avicennae, quod intentio entis concomitatur intentionem rei. Sed intentio posterior concomitatur intentionem prioris“ (Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 86). 75 Vgl. insbesondere hinsichtlich des Begriffs des ‚Dinges‘ die für die Ursprünge der Transzendentalienlehre im 13. Jahrhundert insgesamt als grundlegend zu betrachtende Äußerung Avicennas in seinem Liber de philosophia prima I,5, ed. Van Riet, S. 31: „Dicemus igitur quod res et ens et necesse talia sunt quod statim imprimuntur in anima prima impressione, quae non acquiritur ex aliis notioribus se“. Roland von Cremona scheint der erste gewesen zu sein, der für res den Ausdruck ‚nomen transcendens‘ verwendet; vgl. hierzu D. H. Pouillon, Le premier traité des propriétés transcendentales. La ‚Summa de bono‘ du Chancelier Philippe, in: Revue néoscolastique de philosophie 42 (1939), S. 40–77, insbes. S. 44.
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ten Bestandteil der traditionellen transcendentia—so etwa bei Thomas von Aquin, der ihnen in seinen „Quaestiones disputatae de veritate“ (q. I, art. 1) einen festen Platz einräumt.76 Der Begriff der ‚Dinges‘ (res) drückt hier die Washeit oder Wesenheit eines Seienden aus, der des ‚Etwas‘ (aliquid) bezeichnet das Seiende, insofern es von anderem unterschieden ist (‚aliud quid‘, ‚ein anderes Was‘).77 Während res, vor allem aber aliquid dann—so sehen wir es zumindest bei Franziskus zu Beginn des 14. Jahrhunderts—zur Argumentation für die transcendentia in ihrem ursprünglichen Sinngehalt übersteigende (‚super‘transzendentale) Bestimmungen herangezogen werden (und hiermit den ‚begrifflichen Endpunkt‘ der Ausweitung der Transzendentalbegriffe markieren), wird später vor allem ‚aliquid‘ auch ganz explizit als ‚Supertranszendentale‘ genannt. In einer letzten Phase, d. h. in den Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts, werden beide Begriffe dann jedoch wieder an den klassischen Kanon der Transzendentalien ‚zurückgegeben‘, wenn (nach der ‚argumentativen Rechtfertigung‘ der ‚supertranscendentia‘) spezifischere inhaltliche Bestimmungen gefunden sind (opinabile, cogitabile usw.).78 76 Vgl. hierzu auch G. Ventimiglia, Die Transzendentalienlehre des Thomas von Aquin: Denktraditionen, Quellen, Eigenheiten, in: J.A. Aertsen/A. Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des 10. Internationalen Kongresses für mittelalterl. Philosophie der S.I.E.P.M vom 25.-30. August 1997 in Erfurt, Berlin/New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 26), S. 522–528. 77 Vgl. Thomas von Aquin, De veritate I,1, ed. A. Zimmermann, S. 6: „(…) non autem invenitur aliquid affirmative dictum absolute quod possit accipi in omni ente nisi essentia eius secundum quam esse dicitur, et sic imponitur hoc nomen res, quod in hoc differt ab ente, secundum Avicennam in principio Metaphysicae, quod ens sumitur ab actu essendi sed nomen rei exprimit quiditatem vel essentiam entis (…). (…) secundum divisionem unius ab altero et hoc exprimit hoc nomen aliquid: dicitur enim aliquid quasi aliud quid, unde sicut ens dicitur unum in quantum est ab aliis divisum.“ 78 Vgl. hierzu den Artikel „Res“ im Historischen Wörterbuch der Philosophie Bd. 8, Darmstadt 1992, Sp. 898 f.: „So führt die philosophische Geschichte des Wortes ‚res‘ offenkundig dahin, daß aus dem ens rationis der allgemeinste Begriff wird, der das Feld des Denkbaren (cogitabile) absteckt, innerhalb dessen nachträglich der Bereich des ens reale einen Ausschnitt bildet, der selbst wiederum in eins fällt mit dem Möglichen als dem Nicht-Widersprüchlichen (potentiale obiectum). Mag auch das lateinische Wort ‚res‘ seine philosophische Laufbahn als Übersetzung des griechischen Terminus πργμα angetreten haben, so wird es in der Epoche der Spätscholastik und der Schulmetaphysik in der Mehrheit der Fälle als Übertragung des unbestimmten τι verstanden. Deshalb haben einige Autoren, sich nicht damit begnügend, ‚res‘ unter die Transzendentalien zu zählen oder dieser Bestimmung den ersten Rang unter ihnen einzuräumen, eine neue, noch allgemeinere Kategorie erdacht, nämlich diejenige der supertranszendentalen Begriffe; veranschaulicht wird dies in mustergültiger Weise durch den Begriff ‹aliquid›“. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die aufschlußreiche Untersuchung
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Schon bei Heinrich von Gent findet sich als Neuheit der Transzendentalienlehre die Zentralstellung des Begriffs ‚res‘, aber auch des ‚aliquid‘.79 Res oder aliquid werden von Heinrich als das Gemeinsamste („communissimum“) bezeichnet, das nur dem reinen ‚Nichts‘ entgegengesetzt ist.80 Bei Heinrich teilt sich der res-Begriff einerseits in den Aspekt der ‚Realität‘, die geeignet ist, nur im Verstand zu sein (in diesem Sinne abgeleitet von ,reor’), und andererseits in den der ‚extramentalen Realität‘ (abgeleitet von ,ratitudo‘).81 Heinrichs Konzeption wird daher— wenngleich aufgrund einer völlig anderen Argumentation als Franziskus sie vornimmt—immer wieder herangezogen, wenn es um die Frage nach Vorläufern der nachmittelalterlichen Unterscheidung zwischen transzendentalen und supertranszendentalen Konzepten geht.82 Erwähnenswert ist in dieser Reihe exemplarisch auch Laurentius Valla (1407– 1457), der versucht, die traditionellen Transzendentalbegriffe auf ‚res‘ als den ersten und hauptsächlichen unter diesen zurückzuführen (auch der Begriff des ‚aliquid‘ ließe sich so auseinanderlegen und erklären als ‚alia res‘, der des ‚unum‘ als ‚una res‘ usw.).83 Chrysostomus Javelli (~1470–1538) von R. Darge, Suarez’ Analyse der Transzendentalien ‚Ding‘ und ‚Etwas‘ im Kontext der scholastischen Metaphysiktradition, in: Theologie und Philosophie 75 (2000), S. 339–358. 79 Vgl. hierzu die neue Studie von Martin Pickavé, Heinrich von Gent über Metaphysik als erste Wissenschaft. Studien zu einem Metaphysikentwurf aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, Leiden/Boston 2007 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 91), insbesondere S. 183–244. 80 Vgl. Heinrich von Gent, Quodlibet VII, 1–2, ed. Wilson, S. 26 f.: „Sciendum quod omnium communissimum, omnia continens in quodam ambitu analogo, est res [!] sive aliquid, sic consideratum ut nihil sit ei oppositum nisi purum nihil, quod nec est nec natum est esse, neque in re extra intellectum, neque etiam in conceptu alicuius intellectus, quia nihil est natum movere intellectum nisi habens rationem alicuius realitatis“. 81 Vgl. Heinrich von Gent, Quodlibet VII, 1–2, ed. Wilson, S. 27: „Res primo modo est ‚res‘ secundum opinionem tantum, et dicitur ‚a reor, reris‘, quod idem est quod ‚opinor, opinaris‘ quae tantum res est secundum opinionem, quoad modum quo ab intellectu concipitur, scilicet in ratione totius, ut est mons aureus, vel hircocervus habens medietatem cervi, medietatem hirci. Est tamen res secundum veritatem quoad partes eius quae sunt mons et aurum et huiusmodi; aliter enim non posset totum esse in intellectu et ens secundum opinionem, nisi partes essent aliquid secundum veritatem, quia ab alio non potest moveri intellectus. Quod sic est ens, secundum totum non est res praedicamenti, sed solum secundum suas partes“. 82 Vgl. J. Paulus, Henri de Gand. Essai sur les tendances de sa métaphysique, Paris 1938 (Études de philosophie médiévale 25), S. 23–28, und in Auseinandersetzung damit M. Pickavé, Heinrich von Gent über Metaphysik als erste Wissenschaft (nt. 79), sowie J.A. Aertsen, Transcendental Thought in Henry of Ghent, in: W. Vanhamel (Hg.), Henry of Ghent. Proceedings of the International Colloquium on the Occasion of the 700th Anniversary of his Death (1293), Leuven 1996 (Ancient and Medieval Philosophy I, 15), S. 1–18. 83 Vgl. die berühmte Stelle bei L. Valla, Disp. Dialect. I, Opera omnia, Turin 1962,
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hingegen behält in seinem „Tractatus de transcendentibus“ schließlich wieder die von Thomas inspirierte Unterscheidung bei: „ens sumitur ab esse, res autem ab essentia“, woraus er schließt, daß das ‚Seiende‘ gleichermaßen „de ente reali et de ente rationis“ ausgesagt werden könne, während der Begriff des ‚Dinges‘ allein für die entia realia gelte, d. h. für die Dinge „qui habent essentiam vel quiditatem“.84 Hier läßt sich also bereits eine der Konzeption des Franziskus deutlich entgegengesetzte Tendenz erkennen, indem dem ‚Ding‘-Begriff eine wieder eingeschränktere Gültigkeit zugesprochen wird als dem Seinsbegriff.85 * * * Nachdem nun—nach diesem kurzen zusätzlichen Exkurs—die strukturellen Beziehungen der drei ersten Transzendentalbegriffe res, ens und aliquid, wie sie sich bei Franziskus von Marchia als quiditative intentiones neutrae bestimmen lassen, sowohl untereinander als auch in Bezug auf alle nachfolgenden Begriffe hinreichend fokussiert worden sind, wollen wir abschließend—wie bereits angekündigt—wieder zum ursprünglichen Ausgangspunkt für unsere Betrachtung der Ordnung unter den Erstbegriffen zurückkehren. Dieser lag gerade in der Frage begründet, weshalb sich die Bestimmung des Gegenstands der Metaphysik in Franziskus’ „Quaestiones in metaphysicam“ in einer ‚Zersplitterung‘ der Gruppe der ersten Verstandesbegriffe manifestierte. Ein letzter Textbeleg aus der 3. Quaestio des „Quodlibet“ ist es, den wir dazu an dieser Stelle noch einmal in den Blick nehmen müssen, um finaliter die Betrachtung des spezifischen Zusammenhangs der Erstbegriffe S. 646: „Ex his sex, quae nunc quasi de regno contendunt non aliter res erit rex quam Darius“. 84 Vgl. Ch. Javelli, Totius Philosophiae Compendium, Lyon 1563, I, S. 460, Sp. 1. 85 Petrus Fonseca (1528–1599) subsumiert res und aliquid schließlich sogar wieder gänzlich unter den Begriff des ‚Seienden‘, womit die ‚Erfolgsgeschichte‘ dieser beiden Begriffe ihren Abschluß zu finden scheint: „(…) doctrina veterum, apud quos idem sunt Ens, Aliquid et Res, neque aliter haec nomina, quam ut synonyma usurpantur (…). Perspicuum est, nullum esse discrimen inter Ens, Aliquid et Rem“ (Petrus Fonseca, Metaph., c. 2, q. 5, sect. 2). Vgl. hierzu R. Darge, Suarez’ Analyse der Transzendentalien ‚Ding‘ und ‚Etwas‘ im Kontext der scholastischen Metaphysiktradition, in: Theologie und Philosophie 75 (2000), S. 355, und H. Knittermeyer, Der Terminus transszendental in seiner historischen Entwicklung bis zu Kant, Marburg 1920, S. 85: „Die Sechszahl der Transszendentien ist indessen nur ein Residuum der Tradition, die Fonseca nicht aufrechterhalten wissen will, da ihm res wie aliquid, wenn sie im Sinne einer transszendenten Affektion behauptet werden sollen, schlechterdings synonym erscheinen. So bleiben nur das Seiende nebst seinen passiones des Einen, Wahren und Guten für Fonseca als transszendente Begriffe bestehen.“
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und des subiectum metaphysicae aus einer ‚extern‘ auf den „MetaphysikKommentar“ gerichteten Perspektive zu vervollständigen. Im danach folgenden II. Kapitel werden wir uns dann den Ausführungen des „Metaphysik-Kommentars“ selbst eingehender zuwenden. 6. Die wissenschaftstheoretischen Implikationen des in „Quodl. 3“ entwickelten Modells: Dissoziation von ‚primum obiectum intellectus‘ und ‚proprium subiectum metaphysicae‘ Wir haben bislang verschiedene Argumentationswege innerhalb der 3. Quaestio des „Quodlibet“ verfolgt, um die zu Beginn der „Quaestiones in metaphysicam“ aufgeworfene Frage nach dem eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik von der Perspektive einer systematischen Neuordnung der ersten Verstandesbegriffe her zu erhellen. Abschließend gilt es nun noch einmal, ein Gesamtbild des in „Quodl. 3“ Entworfenen zu konstituieren, um die strukturelle und inhaltliche Neubestimmung der Transzendentalien angemessen als Erklärung für die Neugestalt der Metaphysik, wie sie sich in Franziskus’ „MetaphysikKommentar“ zeigt, fruchtbar machen zu können. Wie also lassen sich beide Theoreme, so die Grundfrage unserer Untersuchung, schließlich zusammenführen? Franziskus liefert zum Zweck einer solch argumentativen Verbindung, dem ‚missing link‘ zwischen seiner Transzendentalienlehre und seiner Metaphysik-Konzeption (und damit zugleich zwischen seinem „Quodlibet“ und den „Quaestiones in metaphysicam“), zusätzlich zu den bislang betrachteten Ausführungen noch einen perspektivisch alternativen, insgesamt aber grundlegenden Bezugspunkt, nämlich das Modell der einfachen Satzstruktur (S ∈ P). Was kann diese hinsichtlich des Zusammenhangs der Erstbegriffe (dem primum obiectum intellectus) und des proprium subiectum metaphysicae zusätzlich verdeutlichen? Welches Erklärungspotential birgt die gleichsam horizontale Ebene des Satzes als Ergänzung zu der vertikalen Bestimmung eines materialiter niedrigsten und formaliter höchsten Begriffs? Und woraus ergibt sich überhaupt die argumentative Bezugnahme auf die Satzstruktur? Thomas von Aquin legt im ersten Artikel der I. Quaestio seiner „Quaestiones disputatae de veritate“ einen philosophiehistorischen Hintergrund offen, der letztlich als systematische Grundlage für jedes Bemühen um einen Aufweis erster Verstandesbegriffe und damit als Ausgangspunkt für alle Transzendentalien-Konzeptionen zu betrachten ist:
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„Wie es bei beweisbaren Sätzen ein Zurückführen auf gewisse durch sich dem Verstand bekannte Prinzipien geben muß, so auch bei jeder Erforschung dessen, was etwas ist. Sonst verliefe man sich in beiden Bereichen ins Unbegrenzte, und so verlören Wissenschaft und Erkenntnis der Dinge sich völlig“.86
Als Endpunkt einer solchen ‚reductio‘ beweisbarer Sätze (demonstrabilia) auf ein erstes, selbstevidentes Prinzip hat Aristoteles den sog. ‚Satz vom Widerspruch‘ angeführt—all unseren (wahren) Aussage-Sätzen liegt letztlich zugrunde, daß sich von etwas nicht zugleich und in derselben Hinsicht aussagen läßt, daß es sei und nicht sei. Jedes unserer (adäquaten) Urteile kann auf dieses principium per se notum zurückgeführt (‚reduziert‘) werden.87 Thomas scheint nun dieser (aristotelischen) Forderung einer νλυσις im Bereich der Satzordnung auch mit Blick auf unser einfaches Erfassen dessen, ‚was‘ etwas ist, d. h. für den Bereich der begrifflichen Ordnung, Gültigkeit zuzusprechen. Der Endpunkt der Rückführung auf ein ‚unhintergehbares Prinzip‘ in einem umfassenden Sinne ist offenkundig noch nicht erreicht, wenn man beim Voraussetzungslosen aller beweisbaren Sätze angelangt ist, sondern es ist darüber hinaus weiterhin zu fragen nach dem, woraus solche ‚complexa‘ allererst zusammengesetzt sind, nämlich nach den ersten (einfachen) Begriffen (incomplexa). Und damit sind wir gerade bei dem Punkt angelangt, aus dem sich eine Forderung nach Erstbegriffen des menschlichen Intellekts, eine Lehre von Transzendentalien überhaupt argumentativ entwickelte. Wir finden diesen Schritt jedoch nicht erst bei Thomas von Aquin (wenngleich er sich hier in besonders signifikanter Weise manifestiert), sondern bereits bei Avicenna, der in seiner „Metaphysik“— 86 Thomas von Aquin, De veritate, I,1, ed. Zimmermann, S. 4 f.: „Dicendum quod sicut in demonstrabilibus oportet fieri reductionem in aliqua principia per se intellectui nota ita investigando quid est unumquodque, alias utrobique in infinitum iretur, et sic periret omnino scientia et cognitio rerum“. 87 Vgl. Aristoteles, Analytica Posteriora I, 1–3; II, 19. „Erkenntnis im eigentlichen Sinne ist ein Wissen aus Ursachen, ein Wissen mit Gründen. (…) Aristoteles hat in den „Zweiten Analytiken“ gezeigt, daß das Ganze der intelligiblen Zusammenhänge, die in Sätzen zum Ausdruck kommen, auf einer letzten Einsicht beruhen muß, auf etwas, das durch sich bekannt ist und nicht länger durch ein anderes“ (W. Goris, Transzendentale Gewalt, in: M. Pickavé (Hg.), Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für J.A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 2003 (Miscellanea Mediaevalia 30), S. 619– 642; S. 620). Vgl. zur Kennzeichnung dieses sichersten, voraussetzungslosen Prinzips auch Aristoteles, Met. IV,3, 1005b11–20, und Thomas von Aquin, In III Metaph., lect. 6, ed. Cathala/Spiazzi, n. 603: „Et propter hoc omnes demonstrationes reducunt suas propositiones in hanc propositionem, sicut in ultimam opinionem omnibus communem: ipsa enim est naturaliter principium et dignitas omnium dignitatum“.
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wir haben schon an mehreren Stellen darauf verwiesen88—eine solche „Überschreitung der Perspektive des Aristoteles“89 vornimmt:
Sind wir mit dem Aufweis solcher Erstbegriffe nun also bei dem fundamentum aller Erkenntnis, dem „anhypotheton des menschlichen Denkens“ angelangt? Die Konzeption des Franziskus von Marchia scheint gerade hinsichtlich dieser Frage etwas Entscheidendes zu leisten. Hatte Avicenna (und in dessen Nachfolge Thomas von Aquin bzw. alle mittelalterlichen Autoren, denen es um die Letztbegründung erster Verstandesbegriffe ging) die Perspektive des Aristoteles überschritten, indem er den Aufweis eines voraussetzungslosen Ursprungs aller beweisbaren Sätze (Widerspruchsprinzip) noch einmal auf diesem zugrundeliegende Erstbegriffe zurückführte, aus denen dieses Satzprinzip allererst zusammenzusetzen sei (res, ens und necesse im Sinne der Transzendentalbegriffe), so nimmt Franziskus von Marchia für gerade diese ‚Überschreitung‘ noch eine weitergehende Präzisierung vor. Offenkundig verbirgt sich für ihn im Aufweis der ersten Verstandesbegriffe, wie er sich innerhalb der Transzendentalien-Konzeptionen des 13. Jahrhunderts findet, eine strukturelle ‚Unterbestimmtheit‘, die es systematisch zu beheben gilt. Worin aber besteht diese Unterbestimmtheit, die Franziskus mit Rückbezug auf das Modell der einfachen Satzstruktur auf deutliche Weise zu explizieren sucht? Die transzendentalen Erstbegriffe ens, unum, verum, bonum, res und aliquid finden sich in „De veritate I, 1“ analog zum Fundamentum Vgl. Avicenna, Met. I, c. 5, (nt. 75). W. Goris, Transzendentale Gewalt, in: M. Pickavé (Hg.), Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für J.A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 2003 (Miscellanea Mediaevalia 30), S. 619–642, S. 619. 88 89
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aller demonstrabilia als Prinzipien all unseres begrifflichen Erfassens der Wesenheiten der Dinge. Sie sind—wenngleich Thomas dies an der entsprechenden Stelle nicht explizit formuliert—die inkomplexen Bestandteile, aus denen sich jede Aussage (allen voran der Satz vom Widerspruch) überhaupt zusammensetzt, und sie bilden damit allererst die eigentliche Grundlage unseres Denkens und Urteilens. Implizit bleibt dabei jedoch, wie sich diese Erstbegriffe konkret auf Sätze anwenden lassen, d. h. wie sie sich hinsichtlich der beiden Satzstellen positionieren, von denen die eine dem Bezeichneten, dem der Aussage Zugrundeliegenden (subiectum) vorbehalten ist [S], und die andere der bezeichnenden Zuschreibung oder Eigenschaft, d. h. dem Prädikatbegriff [P]. Zwar scheint das berühmte transzendentalientheoretische Diktum „omne ens est unum, verum, bonum“ eine Konkretisierung in dem Sinne zu suggerieren, daß der Begriff des ‚Seienden‘ an Subjektstelle, die anderen Transzendentalbegriffe an Prädikatstelle zu positionieren seien—diese (Satz-)Struktur ist (etwa im thomasischen Sinne) jedoch streng genommen als ‚inner-prädikativ‘ zu verstehen:
Die transcendentia, bezüglich ihres Primats in kognitiver Hinsicht betrachtet, sind in ihrer Gesamtheit als Prädikatbegriffe zu qualifizieren, die jede (real existierende) Sache in der Wirklichkeit auf allgemeinste Weise bezeichnen. Innerhalb dieser Gruppe der ‚primae intentiones‘ kommt dem Begriff des ‚Seienden‘ die Vorrangstellung zu, von der wir im Rahmen dieses Kapitels unseren Ausgangspunkt genommen hatten: hinsichtlich der bezeichneten Sache sind die anderen Transzendentalbegriffe mit dem Begriff des ‚Seienden‘ zwar als umfangsgleich zu bestimmen, sie sind jedoch secundum rationem voneinander unterschieden und stellen begriffliche Hinzufügungen dar, indem sie als passiones entis Sinngehalte ausdrücken, die durch die Bezeichnung ‚Seiendes‘ noch nicht expliziert sind. Somit sind sie auch keine bloß tautologischen Begriffe, sondern es macht Sinn zu sagen: „omne ens est unum, verum, bonum etc.“. Die Transzendentalien sind aber nicht nur die ‚prima‘ in kognitiver, sondern auch in ‚ontologischer‘ Hinsicht. Lassen sie sich (im eigentlichen Sinne) auch nicht an der Subjektstelle des Satzes positionieren, so sind sie doch als allgemeinste Seinsbestimmungen
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gewissermaßen in jeder Sache selbst befindlich. Allerdings läßt sich— und dies scheint ein weiteres Argument gegen ihre Verwendung an Subjektstelle—die hierarchische Ordnung der transcendentia nicht auf die ‚Sachseite‘ übertragen: ‚in re‘ sind die transzendentalen Begriffe konvertibel und es findet sich keine Priorität des Begriffs des ‚Seienden‘, denn diese manifestiert sich allererst secundum rationem.90 Wird im Rahmen der Konzeptionen des 13. Jahrhunderts in dieser Weise nach ‚dem Erstbegriff‘ bzw. nach ‚den ersten Verstandesbegriffen‘ gefragt, so scheint damit für Franziskus von Marchia das aristotelische anhypotheton, das Prinzip aller demonstrabilia, doch noch nicht hinreichend fundiert. Denn es erfolgt hier—so könnte sein Vorwurf lauten—kein Aufweis einer prima intentio ‚in der Sache selbst‘, für das der Aussage Zugrundeliegende (subiectum!). Eine Priorität nimmt etwa Thomas von Aquin lediglich für die prädikative Seite an (ens), auf Seiten des jeglicher Prädikation Zugrundeliegenden wird eine Vertauschbarkeit der transzendentalen Bestimmungen postuliert (im Sinne von: „omne x est ens, unum, verum, bonum etc.“). Um dieser ‚Ungenauigkeit‘ oder ‚Unterbestimmtheit‘ zu entgehen, die eigentlich in dem ontologischen und epistemologischen Doppelaspekt der Vorrangstellung der Transzendentalien in ihrer Gesamtheit begründet zu liegen scheint, versucht Franziskus von Marchia nun, einen Erstbegriff nicht nur für das vom Verstand von allen realia Prädizierte aufzuweisen, sondern auch für die reale, prädikativ bestimmte Sache selbst, wie sie in einer Aussage an der Stelle des subiectum zum Ausdruck kommt [vorangehend ‚x‘].91 Und gerade dieses Bemühen scheint sich anhand der beiden zuvor eingeführten Erstheiten (prioritas materialis und formalis) sowie des daraus sich ergebenden ‚zweifachen‘ Erstbegriffs zu realisieren. Zunächst zeigt sich eine Neuerung auch für den prädikativen Erstbegriff: anstelle des ursprünglich transzendentalen Erstbegriffs ‚ens‘ generiert Franziskus eine ‚neue‘ prima intentio, indem er (aufgrund verschiedener argumentativer Strategien, wie wir sie bereits nachgezeichnet haben) den Begriff des ‚Etwas‘ (aliquid) als formaliter noch früher bestimmt, da dieser die transcendentia selbst übersteigt, damit in diesen allen enthalten ist und folglich erstheitlich an Vgl. Thomas von Aquin, De veritate I, 1. Deutlich wird dies schon in der—auf den ersten Blick noch nicht unbedingt ungewöhnlich anmutenden—Formulierung der Fragestellung von „Quodl. 3“, „Utrum intentio entis sit prima intentio rei“, deren expliziter Bezug des Erstbegriffs auf die zugrundeliegende Sache (res) die oben angedeutete argumentative Stoßrichtung bereits erkennen läßt. 90 91
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Prädikatstelle zu positionieren ist. Neben diesem Umstand, der lediglich als Modifikation des klassischen (thomasischen) Primatbegriffs zu werten ist, nimmt Franziskus die entscheidende Neuerung jedoch mit Blick auf das an Subjektstelle Stehende vor, indem er einen Erstbegriff gemäß der prioritas materialis festsetzt, der gleichsam materialiter alle anderen Begriffe substraktiv enthält und damit in erstheitlicher Weise auf die Seite des ‚Sachhaltigen‘ (des subiectum) rückt, nämlich den Begriff des ‚Dinges‘ (res). Während Thomas von Aquin zwar eine formale Priorität postuliert, nämlich diejenige des Begriffs des ‚Seienden‘, nimmt er jedoch lediglich eine ‚materiale Konvertibilität‘ der Transzendentalien insgesamt an; Franziskus von Marchia bestimmt demgegenüber präzisierend erstmals auch einen materialen Erstbegriff und generiert damit im strengen Sinne ein zweifaches (begriffliches) Prinzip als fundamentum des aristotelischen, auf Sätze bezogenen anhypotheton.
Deutlich scheint somit die Präzisierung, die Franziskus mit Blick auf das avicennisch-thomasische Modell der transzendentalen Erstbegriffe vornimmt: das Bemühen um eine Fundierung des Prinzips innerhalb der Satzordnung durch den Aufweis seines Ursprungs innerhalb der Begriffsordnung (→ transcendentia) wird nun allererst zu einem wirklich adäquaten Fundierungsverhältnis, indem die Erstbegriffe ausdrücklich auf die Satzstruktur angewandt und rückbezogen werden. Suggerierte der Begriff des ‚Seienden‘ in Thomas’ Modell noch eine gewisse Möglichkeit, als Subjektbegriff zur Bezeichnung eines jeden ‚ens reale‘ zu fungieren („Omne ens est…“), dies allerdings lediglich als inner-prädikativer Subjektbegriff, so demonstriert Franziskus in „Quodl. 3“ schließlich zweierlei: (i) nicht mehr der Begriff des ‚Seienden‘ ist in erstheitli-
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cher Weise geeignet, jede (real existierende) Sache in der Wirklichkeit zu bezeichnen, sondern muß dem Begriff des ‚Dinges‘ einerseits, dem Begriff des ‚Etwas‘ andererseits weichen; (ii) die intentio entis, wenn sie nicht mehr im thomasischen Sinne als Erstbegriff verstanden wird, läßt sich sehr wohl an der Subjektstelle des Satzes positionieren, diese ‚Möglichkeit‘ destruiert ihren ursprünglichen Prioritätscharakter jedoch vollends (denn sie gilt gleichermaßen für die Prädikat- und Kopulastelle). 6.1. Der Begriff des ‚Seienden‘ in seiner Anwendbarkeit auf die Struktur der Aussage Anhand des Modells der Satzstruktur wird noch einmal der—nun vor allem wissenschaftstheoretisch bedingte—Grund dafür deutlich, inwiefern der Seinsbegriff durch eine zu große konzeptionelle Unbestimmtheit gekennzeichnet ist und sich nicht auf die Position einer Erstheit konzentrieren läßt (womit ihm ein nachgeordneter Status zuzusprechen ist). Gerade mit Blick auf die Struktur einer Aussage kann ‚Seiendes‘ auf dreifache Weise positioniert und zugeordnet werden: (i) ‚Seiendes‘ (ens) vermag den jeweiligen Seinsakt (actus essendi) des zugrundeliegend Ausgesagten zu bezeichnen, womit es mit Blick auf die satzlogische Struktur das ‚secundum adiacens‘ bedeutet (also das an zweiter Stelle neben dem subiectum, d. h. im Satz an der Prädikatposition Stehende).92 (ii) Daneben kann ‚Seiendes‘ aufgefaßt werden, wie es den Akt der Zusammensetzung (actus compositionis) von Subjekt und Prädikat ausdrückt, und so ist es das tertium adiacens, d. h. das an dritter Stelle neben Subjekt und Prädikat Stehende. Innerhalb der Satzstruktur ist ens in dieser Hinsicht an der urteilsbegründenden Kopula-Stelle zu positionieren.93
92 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 78: „Sciendum quod ens potest accipi tripliciter: uno modo, secundum quod dicit actum essendi, et sic est secundum adiacens (…)“. 93 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 78: „(…) 2° modo, potest accipi ens ut dicit actum conposicionis predicati cum subiecto, et sic est 3m adiacens, de quo loquitur Peryarmeneias; neque si ipsum est animal, ens purum, duplex ens, ‚ipsum quidem nichil est; consignificat autem quandam conposicionem, quam sine extremis non est intelligere‘, et sic ens est iudicium, secundum Philosophum et Commentatorem, 7 Metaphysice (…)“.
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(iii) Schließlich läßt sich ‚Seiendes‘ aber auch gemäß seiner selbst betrachten (‚secundum se ipsum‘), d. h. schlechthin und absolut, wie es weder den actus essendi noch den actus compositionis ausdrückt, sondern so, wie es die Seiendheit jeglichen Dinges schlechthin, also die zugrundeliegende Sache bezeichnet—Franziskus verweist hier auf Aristoteles’ Bestimmung des „ens secundum quod ens“.94 Der Begriff des ‚Seienden‘ in dieser grundlegenden Weise aufgefaßt ist somit auf die Subjektstelle eines Satzes zu beziehen. Der Begriff des ‚Seienden‘ erweist sich damit—je nachdem, gemäß welcher ‚Bezeichnungs-Funktion‘ innerhalb einer Aussage er verstanden wird—als an allen drei Positionen des Satzes möglich:
Franziskus’ Ausführungen beziehen sich jedoch nicht ausschließlich auf das Modell des Satzes selbst, sondern verweisen ausdrücklich auf eine wissenschaftstheoretische Ebene, indem Wissenschaft (scientia) im Sinne eines wissenschaftlich gewußten (Schluß-)Satzes aufzufassen ist. Demzufolge entspricht dem an den jeweiligen Positionen des Satzes Stehenden auch jeweils eine besondere Bedeutung innerhalb einer Wissenschaft:95 (i) Wird der Begriff des ‚Seienden‘ auf die erste Weise aufgefaßt, wie es den actus essendi ausdrückt und damit der Prädikatstelle zugeordnet ist, so kommt ihm die Funktion einer beweisbaren Eigenschaft (passio demonstrabilis) zu, womit es zugleich die notwendige Bestimmung des Subjekts bildet, da dieses somit als Träger
94 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 78: „(…) 3° modo, potest accipi ipsum ens secundum se, simpliciter et absolute, non ut dicit actum essendi nec ut dicit actum conposicionis predicati cum subiecto, set ut dicit entitatem cuiuslibet rei, quomodo Philosophus accipit ens 4° Metaphysice, in principio, quod ‚est quedam sciencia que speculatur ens secundum quod ens et que huic insunt secundum se‘“. 95 Dieser Verbindung liegt offenkundig die aristotelische Wissenschaftsauffassung zugrunde, wie sie sich innerhalb der „Zweiten Analytiken“ findet; vgl. etwa Analytica Posteriora I, 7, 75a39–b1; I, 10, 76b11–16.
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einer ‚Wesensform‘, und nicht etwa in seiner aktualen Singularität gekennzeichnet wird.96 (ii) Eben so, wie sich ‚ens‘ auf die zweite Weise, an der KopulaStelle des Satzes findet und (wie bereits erwähnt) den Akt der Zusammensetzung von S und P ausdrückt, fungiert es als ‚Schluß‘, als Prinzip oder Conclusio im Sinne des ‚Urteilsmoments‘ einer Wissenschaft.97 (iii) ‚Seiendes‘, wie es auf dritte Weise bestimmt wurde und damit an erster, also an der Subjektstelle des Satzes positioniert ist, korreliert schließlich dem eigentümlichen Gegenstand, dem ‚subiectum‘ einer Wissenschaft.98 Der Begriff des ‚Seienden‘ kann somit auch auf dreifache Weise hinsichtlich seiner Funktion innerhalb einer Wissenschaft aufgefaßt werden: als passio demonstrabilis, als conclusio oder als subiectum scientiae:
6.2. ‚Ding‘ und ‚Etwas‘ als erstheitliche Subjekt- und Prädikatbegriffe Während somit der Begriff des ‚Seienden‘ (ens) an allen drei Stellen des Satzes stehen und damit auch allen drei Positionen innerhalb einer Wissenschaft zugeordnet werden kann, entsprechen die Begriffe des ‚Dinges‘ (res) und des ‚Etwas‘ (aliquid) jeweils ausschließlich einer Position. Der ursprünglich als Erstbegriff geltende Begriff des ‚Seienden‘ ist demzufolge immer noch rückführbar auf die beiden grundlegenderen 96 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 79: „Si igitur accipiatur primo modo, ut dicit actum essendi, sic ens est passio demonstrabilis (…)“. 97 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 79: „(…) si autem 2° modo, prout dicit actum conposicionis, sic non est passio, set principium et eciam conclusio sciencie“. 98 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 79: „(…) si autem accipiatur 3° modo, sic est subiectum sciencie“.
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(und damit früheren) Begriffe des ‚Dinges‘ und des ‚Etwas‘, die jeweils ausschließlich an der Subjekt- bzw. der Prädikatstelle auftauchen können (indem die intentio rei nämlich per se und zuerst aliquid ist). Grundlegend dafür ist, daß sich die beiden von Franziskus eingeführten Erstheiten einerseits auf die Subjektstelle beziehen (prioritas materialis) und andererseits auf die Prädikatstelle (prioritas formalis). Der formal erste und abstrakteste Begriff ‚aliquid‘ ist demzufolge die ‚unhintergehbare‘ Möglichkeit, das anhypotheton zur Bestimmung der Eigenschaft (passio) einer Sache auf der Position des ‚bezeichnenden‘ Prädikats, wohingegen der materialiter erste Begriff ‚res‘ an Subjektstelle steht, indem er in erstheitlicher Weise die zugrundeliegende ‚Sache‘ selbst benennt. ‚Ding‘ (res) und ‚Etwas‘ (aliquid) sind damit zugleich diejenigen Begriffe, die sich vor allem durch ihre ‚Exklusivität‘ auszeichnen, lediglich (und damit erstheitlich!) eine Funktion innerhalb einer Wissenschaft zu erfüllen. Alle anderen Begriffe—allen voran der Begriff des ‚Seienden‘—können dagegen (nachgeordnet, da ‚unterbestimmt‘) an allen ‚Stellen‘ vorkommen.
Exkurs Neben diesen satztheoretisch fundierten Bemerkungen zur substraktiven und abstraktiven Primatstellung des Begriffs des ‚Dinges‘ bzw. des ‚Etwas‘ sei hier noch kurz auf eine Beobachtung hingewiesen, aus der an dieser Stelle zwar nicht die Formulierung einer konkreten ‚Hypothese‘, doch aber die Betonung einer ‚terminologischen Besonderheit‘ erwachsen mag, deren Erwähnung geeignet scheint, einen weiteren Baustein für die Diskussion um die begriffsgeschichtliche Entwicklung des Begriffs der ‚intentio‘ zu liefern.99 Die Schwierigkeit einer genaueren Bestimmung dieses Terminus scheint vor allem in seiner Vielgestaltigkeit und Mehrdeutigkeit zu liegen, da er neben einem vornehmlich voluntativ-gerichteten sowohl einen epistemologisch-begrifflichen als auch einen realontologischen Sinngehalt zu umfassen vermag.
99 Vgl. hierzu etwa P. Engelhardt, Art. „Intentio“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 4 (1976), Sp. 466–474, D. Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter (Philosophische Abhandlungen 82), Frankfurt a.M. 2002, H. Spiegelberg, Intention und Intentionalität in der Scholastik, bei Brentano und Husserl, in: Studia Philosophica 29 (1969), S. 189–216, oder C. Knudsen, Intentions and Impositions, in: N. Kretzmann u.a. (Hg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge 1982, S. 479–495.
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Deutlich wird dies vor allem in der Konzeption des Johannes Duns Scotus (und nur hierauf sei als Ausgangspunkt für die lebhaften Debatten um eine adäquate Definition und Klassifikation von ‚intentiones‘ am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts verwiesen).100 Scotus ist es, der dem Begriff ‚intentio‘ letztlich vier unterschiedliche Bedeutungen zuschreibt:101 (i) im Kontext der Ethik und im Bereich der Handlungstheorie bezieht sich ‚intentio‘ auf Willensakte, die sich auf etwas richten bzw. etwas ‚intendieren‘; (ii) in metaphysischer Hinsicht ist ‚intentio‘ synonym mit ‚ratio‘ (auch ‚essentia‘) gebräuchlich und meint die definitorisch aufgewiesene Natur eines Dinges; (iii) innerhalb der Sprachphilosophie wird ‚intentio‘ ebenso wie ‚conceptus‘ verwendet, um den mentalen Gehalt eines gesprochenen Wortes zu bezeichnen; (iv) im Rahmen der Philosophie des Geistes findet sich ‚intentio‘ zum Ausdruck der Gerichtetheit intellektiver Akte.102 Mit Blick auf die 3. Quaestio von Franziskus’ „Quodlibet“ verlangt nun insbesondere die dritte der oben genannten Bestimmungen von ‚intentio‘ unsere Aufmerksamkeit: „…tertio modo dicitur conceptus“. Es scheint eine Konvertibilität hinsichtlich der Begriffe ‚intentio‘ und ‚conceptus‘ vorzuliegen, wenn es um die Bezeichnung desjenigen geht, welches „in anima“ existiert.103 Franziskus von Marchia hebt diese synonyme Verwendung in „Quodl. 3“ auf und nimmt eine augenfällige Spezifizierung vor. So grenzt er im Zuge der Differenzierung der anhand der zwei Erstheiten herausgeformten Erstbegriffe des ‚Dinges‘ (res) und des ‚Etwas‘ (aliquid), wie wir sie vorangehend in ausführlicher Weise nach-
100 Vgl. zur diesbezüglichen Debatte zwischen Petrus Aureoli und Hervaeus Natalis D. Perler, Peter Aureol vs. Hervaeus Natalis on Intentionality. A text edition with introductory remarks, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 61 (1994), S. 227–262, und R. Friedman, Peter Auriol on Intentions and Essential Predication, in: S. Ebbesen/R.L. Friedman (Hgg.), Medieval Analyses in Language and Cognition, Kopenhagen 1999, S. 415–430. 101 Vgl. hierzu D. Perler, Peter Aureol vs. Hervaeus Natalis on Intentionality. A text edition with introductory remarks, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 61 (1994), S. 227–262, S. 228. 102 Johannes Duns Scotus, Rep. Par. II, dist. 13, q. 1, ed. L. Wadding, Paris 1894, Bd. 23, S. 44: „…hoc nomen intentio aequivocum uno modo dicitur actus voluntatis; secundo, ratio formalis in re, sicut intentio rei, a qua accipitur genus, differt ab intentione, a qua accipitur differentia; tertio modo dicitur conceptus; quarto, ratio tendendi in obiectum…“. 103 Vgl. auch Wilhelm von Ockham, Summa logicae I, 12: „Illud autem existens in anima, quod est signum rei, (…) aliquando vocatur intentio animae, aliquando conceptus animae (…)“.
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vollzogen haben, auch die beiden lateinischen Termini zur Bezeichnung des ‚Begriffes‘ voneinander ab: wird die materiale Priorität, der substraktive Erstbegriff, kurz: dasjenige an Subjektstelle thematisiert (Art. 1), so findet sich durchgängig die Verwendung von ‚intentio‘ zusammen mit der konkreten Form des jeweiligen Begriffs (intentio rei, intentio entis usw.). Geht es hingegen um die formale Priorität, den abstraktiven Erstbegriff, kurz: das primum obiectum intellectus (Art. 2), so setzt Franziskus ‚conceptus‘ mit der abstrakten Form des jeweiligen Begriffs (conceptus aliquitatis, conceptus entitatis usw.). Es scheint somit, als beabsichtige Franziskus, der Mehrdeutigkeit und Indifferenz des intentio-Begriffs durch die Gegenüberstellung mit dem conceptus-Begriff zu begegnen, und dies gerade auf der systematischen Grundlage des Modells der Satzstruktur und der neu eingeführten Erstheiten. Der Begriff der ‚intentio‘ ließe sich in diesem Sinne auf die Sachseite, derjenige des ‚conceptus‘ auf die prädikative Seite hin fokussieren. Aus den vorangegangenen Darlegungen insgesamt ergibt sich diesbezüglich plausibel, daß der res-Begriff lediglich als intentio rei, der aliquid-Begriff allein als conceptus aliquitatis Anwendung findet. Alle späteren, nicht exklusiv auf eine Satzstelle bezogenen Begriffe sind dagegen auf beide Weisen verwendbar (d. h. für den Begriff des ‚Seienden‘ beispielsweise findet sich im Rahmen der Diskussion des materialen Erstbegriffs der Ausdruck der ‚intentio entis‘, hinsichtlich seiner Infragestellung als formaler Erstbegriff aber ‚conceptus entitatis‘).
Beziehen wir die wissenschaftstheoretischen Implikationen des Satzmodells, wie sie sich im Rahmen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ deutlich exponiert finden, konkret auf die Frage nach dem subiectum metaphysicae, so werden Franziskus’ Erörterungen zu Beginn seines „MetaphysikKommentars“ gerade aus den hier erörterten Voraussetzungen noch einmal deutlich sichtbar. Das erstheitlich an der Subjektstelle Positionierte ist zugleich subiectum der ‚ersten Wissenschaft‘ überhaupt, der Metaphysik, während das primär an Prädikatstelle Stehende im Sinne
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der obersten ‚passio‘ das primum obiectum intellectus, d. h. den allerersten Gegenstand des menschlichen Intellekts bilden muß. Die innerhalb des „Metaphysik-Kommentars“ nicht näher begründete, extreme Positionierung von res und aliquid scheint nun durch den Bezug auf das Modell der Satzstruktur weit deutlicher in ihrer Ausschließlichkeit mit Blick auf die Subjektfrage der Metaphysik erklärbar. Aber welches Problem vermag Franziskus von Marchia nun mit seinem Modell, das sich wesenhaft in einer ‚Neubezeichnung‘ und ‚Neubestimmung‘ des eigentümlichen Gegenstandes der Metaphysik zu manifestieren scheint, zu lösen? Offenkundig besteht Franziskus’ vorrangiges Interesse darin, eine ‚Unterbestimmtheit‘ innerhalb der Konzeptionen vorangehender Denker zu konkretisieren und erstmals explizit zu benennen, die darin besteht, daß mit der Verwendung von ‚ens‘ zur Bezeichnung des subiectum metaphysicae immer zugleich das primum obiectum intellectus (im Sinne der Transzendentalien mit der Vorrangstellung des Begriffs des ‚Seienden‘) mit eingeschlossen, mehr noch: mit dem Subjekt der Ersten Philosophie identifiziert wurde. Franziskus scheint diese Identifizierung deutlich als zu spezifizierende Ungenauigkeit aufzufassen. Durch die Einführung des ‚res‘-Begriffs, der ausschließlich und als einzig ‚erster‘ Begriff als subiectum fungieren kann, und der vollkommen dissoziiert ist vom conceptus aliquitatis, der sich nur an der Prädikatstelle findet und dabei auf die Funktion der passio demonstrabilis verweist, und mit dem Franziskus schließlich das primum obiectum intellectus in einem letztgültigen Sinne identifiziert,104 wird der primäre Gegenstand des Verstandes systematisch und funktional vom subiectum metaphysicae getrennt. Den ‚formalen‘ Beweis für die ausdrückliche Trennung von subiectum und obiectum mit Blick auf die Metaphysik liefert dabei eben der Bezug auf das Modell der Satzstruktur; denn da ens im Gegensatz zu res und aliquid an allen drei Positionen des Satzes auftauchen kann, umfaßt es jeweils immer noch ‚zweierlei‘ mit, nämlich das auf die beiden jeweils anderen Satzstellen Bezogene, und ist somit zu ‚unspezifisch‘, um—in welcher ‚erstheitlichen‘ Hinsicht auch immer— prima intentio rei zu sein. Vor allem ist das ‚Seiende‘ damit aber auch zu unspezifisch zur Bezeichnung des Metaphysik-Subjekts, da es immer noch das primum obiectum intellectus mitbezeichnet. Weshalb Franziskus von Marchia aber überhaupt eine solche Trennung des Gegenstan104 Vgl. hierzu erneut Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 2, 3, ed. Mariani, S. 100: „(…) et iste [conceptus aliquitatis] est primum obiectum intellectus, et non ens, neque unum nec bonum“.
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des der Metaphysik vom Verstandesersten forciert, wird erst anhand einer Betrachtung seiner spezifischen Metaphysikkonzeption deutlich werden, wie sie sich in der Spaltung in Allgemeine und Besondere Metaphysik manifestiert. An dieser Stelle schließt sich nun jedoch zunächst einmal der in diesem Kapitel eröffnete Problemkreis, der mit der auf den ersten Blick unklaren Zuordnung der einzelnen Transzendentalbegriffe zum subiectum metaphysicae begann, denn es wird deutlich, daß das grundlegende Modell der Satzstruktur, auf das Franziskus seine Erklärung der beiden Erstbegriffe bezieht, gerade diese wissenschaftstheoretische Ebene näher zu bestimmen sucht. Mit der Ersetzung des traditionell zur Bezeichnung des Metaphysik-Subjekts verwendeten Seinsbegriffs durch den ‚res‘-Begriff—so ließe sich zusammenfassend bestimmen— kann Franziskus die im bislang ‚undifferenzierten‘ Seinsbegriff implizit immer mitbezeichnete Dreiheit, subiectum, conclusio oder passio demonstrabilis in einer Wissenschaft zu sein, auf die tatsächliche Funktion, nämlich Subjekt der Metaphysik zu sein, reduzieren und erreicht mit seinem Modell damit den höchstmöglichen Grad an Allgemeingültigkeit.105 Was nun die ‚Aufspaltung‘ des proprium subiectum metaphysicae und des primum obiectum intellectus, wie sie anhand des Satzmodells augenscheinlich und in den Ausführungen des „Metaphysik-Kommentars“ vor allem anhand der Ausgrenzung des ‚aliquid‘ aus dem Gegenstandsbereich der Metaphysik deutlich wird, für den Status dieser Wissenschaft, aber auch für unsere Zugriffs-Möglichkeiten auf ihren Gegenstand bedeutet, soll im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Als inhaltlicher und struktureller Gehalt der 3. Quaestio von Franziskus’ „Quodlibet“ ist das Vorangegangene am Ende dieses ersten Kapitels zunächst jedoch noch einmal folgendermaßen schematisch zusammenzufassen:
105 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 3, a. 1, 1, ed. Mariani, S. 78 f.: „Certum est quod ens secundum quod ens subiectum in methaphysica: non dicit actum essendi, quia accidit subiecto alicuius sciencie quod sit in effectu; nec accipit ibi ens ut dicit actum conposicionis quia, ut sic, non est subiectum sciencie, set magis principium uel conclusio“.
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Deutlich wird anhand der Darstellung dieses Schemas, daß weder die Ausführungen innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ noch diejenigen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ für sich betrachtet ein jeweils adäquates Verständnis von Franziskus’ spezifischer TranszendentalienKonzeption oder seines Metaphysik-Entwurfs zu leisten vermögen. Erst durch den wechselseitig gerichteten Blick und eine ‚Zusammenschau‘ beider Quellen wird annähernd erkennbar, inwiefern sich die ‚Zersplitterung‘ des proprium subiectum metaphysicae, wie sie zu Beginn des „Metaphysik-Kommentars“ deutlich wird, ursprünglich in der Neuordnung der mittelalterlichen Transzendentalbegriffe begründet findet, deren Strukturprinzipien ausführlich in der 3. Quodl.-Quaestio erläuert werden. Auf der anderen Seite scheint allererst die auf die Frage nach dem eigentümlichen und primären Gegenstand der Metaphysik ausgerichtete Perspektive die von Franziskus eingeführte Sonderstellung des res- und des aliquid-Begriffs gegenüber dem ens-Begriff sowohl in ihrem epistemologischen Gehalt als auch in ihrem ‚wissenschaftstheo-
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retischen Anwendungspotential‘ angemessen erfaßbar und bestimmbar zu machen. Als grundlegend verbindendes Element fungiert dabei offensichtlich das Modell der Satzstruktur: ihr können einerseits alle innerhalb der Neuordnung der Transzendentalbegriffe maßgeblichen Prinzipien (etwa die materiale und die formale Priorität) und vor allem die neu platzierten Begriffe (res, ens und aliquid) zugeordnet werden; andererseits bildet gerade das Satzmodell die Elementarstruktur jeglicher Wissenschaft—jedes wissenschaftlich gewußten Schlußsatzes im strengen Sinne—und insbesondere der Metaphysik, und somit den direkten inneren Zusammenhang beider Felder. Allerdings—und dies scheint gerade auch ein wichtiger Befund mit Blick auf eine solche Gesamtkonzeption—wird neben den offenkundigen Übereinstimmungen und kohärenten Verbindungslinien zwischen der Lehre von den ersten Begriffen und der Konzeption der Metaphysik gerade anhand dieses Schemas zugleich auch ein zunächst scheinbar unerklärlicher ‚Bruch‘ in Franziskus’ Entwurf augenfällig: In der 3. Quaestio des „Quodlibet“ werden die Transzendentalbegriffe unum, verum, bonum, in vorrangiger Weise res, ens und aliquid— wie wir im Vorangegangenen deutlich nachgezeichnet haben—als sog. ‚intentiones neutrae‘ klassifiziert, da Franziskus ihnen die Funktion zuschreibt, als Erstbegriffe (im Sinne der später ‚supertranszendental‘ genannten Bestimmungen) sogar die Distinktion von Begriffen erster und zweiter Intention noch zu übersteigen und sich somit gleichermaßen auf reales als auch auf gedankliches Seiendes zu beziehen. Wenn nun andererseits, wie deutlich geworden ist, in einem strengen Sinne allein dem Begriff des ‚Dinges‘ (intentio rei) die Position des primum subiectum metaphysicae zukommt, indem dieses erstheitlich an der Subjektstelle des Satzes platziert ist, müßte folglich doch angenommen werden, daß somit auch die Metaphysik aufgrund ihres eigentümlichen Gegenstandes als Wissenschaft zu betrachten ist, welche die Dichotomie von Realseiendem und gedanklichem Seienden übersteigt. Blicken wir daraufhin aber in die Ausführungen des „Metaphysik-Kommentars“, so wird sehr schnell deutlich, daß der res-Begriff im Sinne des Metaphysik-Subjekts hier konzeptionell grundlegend anders bestimmt wird, nämlich als lediglich den Dingen erster Intention gemeinsam („simpliciter communis ad rem primae intentionis“).106
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Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann,
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Wie läßt sich diese widersprüchliche Bestimmung erklären? Aus welchem Grund wird die ‚intentio rei‘ im Kontext der inhaltlichen Neubestimmung der transzendentalen Begriffe, wie sie sich in „Quodl. 3“ als ‚intentiones neutrae‘ manifestieren, wie alle anderen dieser intentiones als ‚neutra‘ (gleichsam ‚super‘-transzendental) präsentiert, während sie im Rahmen der Frage nach dem proprium subiectum metaphysicae innerhalb des „Metaphysik-Kommentars“ hinsichtlich ihres intentionalen Geltungsbereiches auf ihre Kommunität allein bezüglich der ersten Intentionen ‚reduziert‘ wird? In welchem Zusammenhang steht diese Beobachtung mit der nun näher zu betrachtenden Unterscheidung von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik?
S. 89: „Secundum hoc dico, quod subiectum metaphysicae communis primum est res secundum quod res (…) est res simpliciter communis ad rem primae intentionis“.
kapitel ii DAS ERSTE MODELL EINER AUFSPALTUNG DER METAPHYSIK: DER ENTWURF EINER METAPHYSICA GENERALIS UND EINER METAPHYSICA SPECIALIS Einige Quaestionen erweisen den Verfasser als recht originellen Denker.1
Die zentrale Frage, die es innerhalb dieses Kapitels zu klären gilt, ist die nach der wesenhaften Gestalt der Metaphysik, wie sie ihr erstmals in Franziskus’ „Metaphysik-Kommentar“ zugesprochen wird. Wir gehen dabei zunächst davon aus, die Metaphysik weiterhin im Sinne einer ‚scientia transcendens‘ zu klassifizieren, was allerdings aufgrund der vorangegangenen Darlegungen bereits in einem gegenüber früheren Entwürfen deutlich spezifizierten Sinne erfolgen muß. So ist bereits im I. Kapitel mit Blick auf einige Texte aus dem „Quodlibet“ und den „Quaestiones in metaphysicam“ deutlich geworden, inwiefern hier letztlich nicht mehr der Begriff des ens inquantum ens, sondern allein der Begriff des ‚Dinges‘, die intentio rei, als proprium subiectum metaphysicae zu betrachten ist, während der Begriff des ‚aliquid‘ als selbst eigenschaftsloser Begriff außerhalb des Gegenstandsbereichs der Metaphysik fällt. Doch es finden sich innerhalb der Gesamtkonzeption der Ersten Philosophie bei Franziskus von Marchia nicht nur diese Modifikationen, wie sie insbesondere die Frage nach dem Metaphysik-Subjekt in seiner ‚ontologischen‘, d. h. dem IV. Buch der aristotelischen „Metaphysik“ entsprechenden Option betreffen. Neben der mit der ‚Zersplitterung‘ bzw. Neustrukturierung der Gruppe der transzendentalen bzw. ‚neutralen‘ Erstbegriffe einhergehenden Dissoziation von primum subiectum metaphysicae (‚res‘) und primum obiectum intellectus (‚aliquid‘), wie sie am Ende des vorangegangenen Kapitels aufgezeigt worden ist, wird noch eine zweite Dissoziation offenkundig. Und diese scheint die Bestimmung der Metaphysik auf einer weiteren und noch grundlegenderen Ebene zu 1 A. Zimmermann, Analoge und univoke Bedeutung des Terminus ‚ens‘ nach einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: Deus et homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta tertii Congressus Scotistici, Rom 1972 (Studia Scholastico-Scotistica 5), S. 724.
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betreffen, indem sie sich auf das grundsätzliche Problem der scheinbar widersprüchlichen Zuschreibungen des subiectum metaphysicae im IV. und VI. Buch der aristotelischen „Metaphysik“ bezieht. Welchen Entwurf präsentiert Franziskus von Marchia zur Lösung dieses ‚Dilemmas‘? Wir haben bereits im Rahmen der Einleitung der vorliegenden Untersuchung angedeutet, inwiefern sich bei Franziskus zum ersten Mal ausdrücklich das Modell einer Aufspaltung der Metaphysik in zwei voneinander getrennte ‚Metaphysiken‘, eine metaphysica communis und eine metaphysica particularis, findet, innerhalb derer beide von Aristoteles angeführten Gegenstandsbestimmungen ihren je eigentümlichen Ort zugewiesen bekommen. Franziskus scheint damit die über Jahrhunderte hinweg sichtbaren Bemühungen um die Konzeption einer (einem einheitlichen aristotelischen Entwurf entsprechenden) Metaphysik endgültig zu durchbrechen und obsolet zu machen. Auf welche argumentative und konzeptionelle Grundlage stützt er sich dabei? Wir müssen zur Klärung dieser Frage insbesondere zwei Werke konsultieren: einerseits den bereits zuvor in den Blick genommenen Kommentar zur aristotelischen „Metaphysik“ und andererseits Franziskus’ „Sentenzen-Kommentar“. Neben den bereits erwähnten grundlegenden Arbeiten von A. Zimmermann, der sich allerdings ausschließlich auf die „Quaestiones in metaphysicam“ bezieht, ist einzig die neuere Studie von W. Goris zur strukturellen Entwicklung der Metaphysikgeschichte zu nennen, in der auch Franziskus’ „Sentenzen-Kommentar“ Erwähnung findet.2 Hinsichtlich des inhaltlichen und strukturellen Zusammenhangs dieser beiden Werke, der innerhalb der Forschung bisher—auch in anderen thematischen Kontexten—noch relativ unklar geblieben ist, haben wir im Vorangegangenen—gerade auch mit Blick auf die Funktion des „Quodlibet“—bereits einige wesentliche Beobachtungen zum Verhältnis der ersten Verstandesbegriffe und des proprium subiectum metaphysicae festgehalten.3 Im folgenden soll nun der Versuch unternommen werden, auch für das weiter gefaßte Theorem einer Allgemeinen und einer Besonderen Metaphysik bzw. hinsichtlich der offenkun2 Vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 1998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1), und W. Goris, The Scattered Field. History of Metaphysics in the Postmetaphysical Era, Louvain 2004. 3 Solche Versuche, die inhaltlichen Relationsstrukturen dieser drei Werke in ihren Abhängigkeiten und Motiven zu erhellen, könnten zugleich neue Hinweise für eine nähere Bestimmung der (noch unklaren oder zumindest ungesicherten) Chronologie der Schriften liefern.
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digen Dissoziation von ‚ontologischer‘ und ‚theologischer‘ Metaphysik die grundlegenden Verbindungslinien und argumentativen Zusammenhänge innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ und des „Sentenzen-Kommentars“ aufzuzeigen. Zunächst sei der eigentlichen Untersuchung eine kurze Übersicht derjenigen Quästionen innerhalb dieser beiden Schriften vorangestellt, die für Franziskus’ Entwurf einer Teilung der Metaphysik vorrangig relevant scheinen und daher in die Überlegungen mit einbezogen werden sollen.4 Die „Quaestiones in metaphysicam“, Franziskus’ Kommentar zu den ersten sieben Büchern der „Metaphysik“ des Aristoteles, mußten in der philosophischen Forschung eine lange Entwicklung wechselvoller Zuschreibungen durchlaufen.5 Als Verfasser wurden zunächst Bernhard von Trilia,6 später Petrus Thomae und Franziskus von Mayronis7 angenommen, bevor schließlich Franziskus von Marchia endgültig die Autorschaft zuerkannt werden konnte.8 Wenngleich dabei die Bedeutung des inhaltlichen Gehalts dieser Schrift—unabhängig von 4 Für beide Werke existieren vollständige Verzeichnisse der einzelnen Quästionen. Für den „Metaphysik-Kommentar“ vgl. die Auflistung bei A. Zimmermann, Verzeichnis ungedruckter Kommentare zur Metaphysik und Physik des Aristoteles aus der Zeit von etwa 1250– 1350, Bd. 1, Leiden/Köln 1971 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 9), S. 140–145, und bei P. Künzle, Mitteilungen aus Codex Mazarine 3490 zum Schrifttum des Franziskaners Petrus Thomae, vorab zu seinen „Quaestiones in Metaphysicam“, in: Archivum franciscanum historicum 59 (1966), S. 17–23; für den „Sentenzen-Kommentar“ findet sich eine umfassende und sehr ausführliche Darstellung bei R. L. Friedman/C. Schabel, Francis of Marchia’s Commentary on the Sentences: Question list and state of Research, in: Mediaeval Studies 63 (2001), S. 31–106. 5 Es existieren mehrere Handschriften, die Teile des „Metaphysik-Kommentars“ enthalten, so die Mss. Florenz Bibl. Laur. Fesul. 161, ff. 63r-73r, und Bibl. Vaticana Vat. lat. 3130, ff. 29r-36v, die nur die beiden ersten Bücher umfassen, und die Mss. Padua Bibl. Antoniana 173, ff. 53b-55c und Vat. lat. 4871, ff. 37a-b, in denen sich lediglich einzelne, ausgewählte Quästionen finden. Die Mss. Bologna, Biblioteca del Collegio di Spagna 104, ff. 48ra-102vb, und Paris, Bibl. Mazarine 3490, 1ra-57rb umfassen die Bücher I–VII des „Metaphysik-Kommentars“ (vgl. A. Molinier, Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque Mazarine, Bd. 3, Paris 1890, S. 105). Vgl. zur Entwicklung der Erschließung der einzelnen Handschriften ausführlicher C.H. Lohr, New Material concerning Franciscus de Marchia, Quaestiones super metaphysicam, in: Antonianum 46 (1971), S. 486–488. 6 Vgl. Quétif-Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum, Bd. 1, Paris 1719, S. 433 (col. 1), und später noch P. Glorieux, Un mémoire justificatif de Bernard de Trilia. Sa carrière à l’Université de Paris (1279–1287), in: Revue de sciences philosophiques et théologiques 17 (1928), S. 405–426, bes. S. 405, nt. 3, und C.H. Lohr, Medieval Latin Aristotle Commentaries, Authors A–F, in: Traditio 23 (1967), S. 313–413, bes. S. 379. 7 Vgl. P. Künzle, Petrus Thomae oder Franciscus de Maironis?, in: Archivum franciscanum historicum 61 (1968), S. 462–463. 8 C.H. Lohr, New Material concerning Franciscus de Marchia, Quaestiones super metaphysi-
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der Verfasserfrage—stets als fundamental für die Entwicklung der Metaphysikgeschichte gewertet wurde, wurde doch nur wenig Handlungsbedarf gesehen, den Text des zur Debatte stehenden Kommentars einer breiteren Öffentlichkeit editorisch oder kommentierend zugänglich zu machen. Vor allem zwei Kerntexte innerhalb dieser „Quaestiones in metaphysicam“ sind es, in denen Franziskus die klassischen Fragen mit Blick auf eine Wesensbestimmung der Metaphysik behandelt und deren Untersuchung für eine Erschließung seiner spezifischen Konzeption somit unumgänglich ist: einerseits die bereits bekannte Q. 1. des I. Buches (Utrum res secundum quod res sit subiectum metaphysicae); daneben bietet aber gerade auch das VI. Buch (Q. 16: Utrum metaphysica sit de ente in communi vel sit de ente abstracto et separato secundum rem) eine entscheidende Fortführung des ersten Textes, insofern die dort geleisteten Überlegungen, wie sie sich auf die für den Menschen mögliche Erkenntnisebene, d. h. den Bereich des faktischen Wissens (pro nobis) beziehen, nun auch für den Bereich eines idealen Wissens (in se), d. h. unabhängig von Begrenztheiten des menschlichen Intellekts, in den Blick genommen werden.9 Die für Franziskus’ Modell einer ‚Teilung‘ der Metaphysik wesentliche, fundamentale Neustrukturierung und Erweiterung der traditionellen Einteilung und Ordnung der spekulativen Wissenschaften zeigt sich in gerade diesen beiden Texten aus dem „MetaphysikKommentar“ (I, 1 und VI, 16) in besonders exponierter Weise elaboriert. Hier tritt ein Wissenschaftsmodell zutage, wie es sich in dieser Konsequenz bei keinem anderen Denker zuvor explizit ausgearbeitet findet. Nicht zuletzt an diesem Punkt wird damit der Schritt, den Franziskus von Marchia über die Konzeption des Johannes Duns Scotus hinaus macht, besonders deutlich greifbar. Für die grundlegenden wissenschaftstheoretischen Fragen nach dem ordo scientiarum und den damit verbundenen Überlegungen, in welcher Weise sich der spezifische Zusammenhang und das besondere Verhältnis von Einheit und Trennung der Allgemeinen und der Besonderen Metaphysik gestalten, liefert neben den Ausführungen innerhalb des „Metaphysik-Kommentars“
cam, in: Antonianum 46 (1971), S. 486–488, bietet einen guten Überblick der Entwicklung bezüglich der Diskussionen um die Verfasserfrage des „Metaphysik-Kommentars“. 9 A. Zimmermann hat beide Texte als Edition vorgelegt; vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 1998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1), S. 84–100.
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bereits das Prooemium entscheidende Einsichten.10 R. Friedman hat erstmals eine Edition dieses bisher unveröffentlichten Vorworts angefertigt, auf die wir im folgenden noch näher eingehen werden.11 Auch in Franziskus’ „Sentenzen-Kommentar“ sind es die dem eigentlichen Kommentar vorangestellten Prolog-Quästionen, die erst seit kurzem als Edition vorliegen und die grundlegende wissenschaftstheoretische Erörterungen als Hintergund für die Ausarbeitung einer Teilung der Metaphysik enthalten. Es finden sich hier aber auch zahlreiche Fragen, die sich direkt auf das Theorem von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik beziehen.12 Eine Durchsicht dieser Texte ergibt jedoch, daß sie inhaltlich größtenteils mit den Ausführungen im I. und VI. Buch der „Quaestiones in metaphysicam“ übereinstimmen, weshalb im folgenden hauptsächlich eine Quaestio des Prologs zum „Sentenzen-Kommentar“ in den Blick rücken soll, die in besonderer Weise über die Ebene des im „Metaphysik-Kommentar“ Dargelegten hinausführt. Es handelt sich dabei um die zweite Quaestio (Utrum alia scientia ab ista sit de deo tanquam de primo subiecto), die—wie sich im folgenden herausstellen wird—weiterführend vor allem an das VI. Buch des „MetaphysikKommentars“ anschließt und in gewissem Sinne als eine Art ‚Korrektiv‘ der Darstellung innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ gelesen werden kann.13 10 Vgl. hierzu bereits A. Zimmermann, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommentar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966), S. 192–196. 11 Als Textgrundlage dienen Friedman die Mss. Paris, Bibl. Mazarine 3490, 1ra-57vb, und Bologna, Biblioteca del Collegio di Spagna 104, ff. 48ra-102vb. Eine ausführliche Beschreibung von ms. Bologna findet sich bei F. del Punta u. a. (Hgg.), Aegidii Romani Opera Omnia I. Catalogo dei Manoscritti (152–238j), Italia (Assisi–Venezia), Florenz 1998, S. 37–40, eine Beschreibung von ms. Bibl. Maz. bei P. Künzle, Mitteilungen aus Codex Mazarine 3490 zum Schrifttum des Franziskaners Petrus Thomae, vorab zu seinen „Quaestiones in Metaphysicam“, in: Archivum franciscanum historicum 59 (1966), S. 4–8. Friedmans Edition des Prooemiums ist erschienen in den Documenti e Studi sulla Tradizione Filosofica Medievale 16 (2005), S. 504–513. 12 Vgl. Francisci de Marchia sive de Esculo, Commentarius in IV libros Sententiarum Petri Lombardi. Quaestiones praeambulae et prologus, ed. N. Mariani, Grottaferrata 2003 (Spicilegium Bonaventurianum 31), z. B. q. 10, a. 3B.: „Duplex abstraccio: metaphysica communis et particularis“ (S. 608 f.); q. 10, a. 4: „Metaphysica particularis est subalternata metaphysice communi“ (S. 610 ff.). 13 Die Textgrundlage hierfür ist der Edition von N. Mariani im Appendix zu Franziskus’ „Quodlibet“ entnommen (Francisci de Marchia sive de Esculo, OFM. Quodlibet cum quaestionibus selectis ex commentario in librum Sententiarum, ed. N. Mariani, Grottaferrata 1997 [Spicilegium Bonaventurianum 29], S. 361–376). Sie findet sich jedoch auch in der neuerdings erschienenen, selbständigen Edition der Prolog-Quästionen (vgl. Francisci de Marchia sive de Esculo, Commentarius in IV libros Sententiarum Petri Lombardi. Quaestiones
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Blicken wir somit zunächst erneut auf Franziskus’ Kommentar zur aristotelischen „Metaphysik“, nicht zuletzt, um in direkter Anbindung an die im vorangegangenen Kapitel gewonnenen Ergebnisse die Bestimmung der Metaphysik in ihrer ontologischen Ausprägung, genauer: als Wissenschaft von der ‚res secundum quod res‘, nun auf die Gesamtkonzeption zweier Metaphysiken hin auszuweiten. Zentral steht im Hintergrund zudem die Frage, inwiefern sich der als subiectum fungierende res-Begriff als Begriff erster Intention mit der in „Quodl. 3“ aufgewiesenen Bestimmung der intentio rei als ‚intentio neutra‘ vereinbaren läßt. 1. Das ‚Dilemma‘ bei Aristoteles—Metaphysik als erste oder letzte Wissenschaft? Im I. Kapitel der vorliegenden Untersuchung haben wir den Ausgang von der auf den ersten Blick recht ungewöhnlich anmutenden Frage genommen, mit der Franziskus von Marchia seine „Quaestiones in metaphysicam“ beginnt: „Ob ‚Ding‘, insofern es ‚Ding‘ ist, Gegenstand der Metaphysik sei oder etwas anderes“.14 Auf den zweiten Blick aber, wie er vor allem aus einer näheren Betrachtung der 3. Quaestio des „Quodlibet“ resultierte, schien diese Formulierung der Eingangsfrage bereits bei weitem nicht mehr so merkwürdig, da die Vorrangstellung des Begriffs des ‚Dinges‘ innerhalb der Gruppe transzendentaler Begriffe, insbesondere die Exklusivität des res-Begriffs mit Bezug auf das primum subiectum metaphysicae, aus dieser Perspektive deutlich zutage trat. Folgen wir nun jedoch dem Verlauf der 1. Quaestio des „MetaphysikKommentars“, so wird erneut eine bemerkenswerte Beobachtung of-
praeambulae et prologus, ed. N. Mariani, Grottaferrata 2003 [Spicilegium Bonaventurianum 31]). Allerdings nimmt Mariani hier eine Quästionen-Zählung vor, die nicht mit derjenigen im „Quodlibet“-Appendix übereinstimmt. C. Schabel und R. Friedman plädieren dafür, daß die für uns relevante und von Mariani im „Quodlibet“-Appendix als 2. Quaestio bezifferte Frage vielmehr als 12. Quästion zu zählen sei (vgl. C. Schabel/R.L. Friedman, Francis of Marchia’s Commentary on the Sentences: Question list and state of Research, in: Mediaeval Studies 63 (2001), S. 31–106, vor allem die Quästionen-Übersicht auf S. 61 und S. 73). Vgl. hierzu auch die wichtigen Überlegungen von R.L. Friedman, Principia and Prologue in Francesco d’Appignano’s Sentences Commentary: The Question „Quaeritur utrum ens simpliciter simplex possit esse subiectum alicuius scientiae“, in: D. Priori (Hg.), Atti del 2° Convegno Internazionale su Francesco d’appignano (Appignano del Tronto 5–6 settembre 2003), Appignano del Tronto (Centro Studi Francesco d’Appignano) 2004, S. 123–149. 14 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 84.
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fenkundig. Es werden sogleich mehrere Argumente gegen die Annahme angeführt, daß ‚Ding‘ (res) oder auch ‚Seiendes‘ (ens) als solches Gegenstand der Metaphysik sei (und diese sind durchaus nicht als bloß formale Argumente, sondern vielmehr als stichhaltige Einwände zu werten, aus denen heraus Franziskus schließlich seine eigene Lösung herleitet und entwickelt).15 Als grundlegend erweist sich dabei vor allem der dritte Einwand: „Je früher und edler der Gegenstand irgendeiner Wissenschaft für uns ist, desto früher wird diese Wissenschaft in der Ordnung des Wissens sein, da unser Verstand vom uns Bekannteren zum Unbekannteren voranschreitet, gemäß dem ersten Buch der Physik. Seiendes und Ding sind aber früher und uns bekannter als alles ihnen Untergeordnete, gemäß dem, was Avicenna im neunten (fünften!) Kapitel des ersten Buches seiner Metaphysik sagt, daß Ding und Seiendes in einem ersten Eindruck in unserer Seele eingeprägt werden, und dem, was der Philosoph im ersten Buch der Physik sagt, daß das Allgemeinere für uns früher und bekannter ist. Also ist die Wissenschaft von Ding und Seiendem der Ordnung des Wissens nach früher als alle Wissenschaften des ihnen Untergeordneten. Die Metaphysik ist aber die letzte oder die vorletzte [Wissenschaft], Avicenna im ersten Buch der Metaphysik und dem Philosophen im sechsten (vierten) Buch der Ethik zufolge. Also ist der erste Gegenstand der Metaphysik nicht Ding oder Seiendes.“16
Der Einwand geht zunächst von dem allgemeinen Grundsatz aus, daß sich die hierarchische Ordnung der Wissenschaften durch die Ordnung ihrer jeweiligen Gegenstände mit Bezug auf den Grad ihrer Erkennbarkeit für uns, d. h. mit Bezug auf das menschliche Erkenntnisvermögen, bestimme. Je früher und vorzüglicher (prius et nobilius) das subiectum einer Wissenschaft für unser Erkennen ist, desto früher und grundlegender ist auch die diesen Gegenstand thematisierende Wissenschaft in der Ordnung des Wissens bzw. der Wissenschaften (ordo scientiae/scientiarum), da der menschliche Intellekt immer vom für ihn Bekannteren zum Unbe15
84 f.
Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S.
16 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 84 f.: „Item: Quanto subiectum alicuius scientiae est prius et nobilius quoad nos, tanto illa scientia erit prior ordine doctrinae, cum intellectus noster procedat a notioribus nobis ad ignotiora, I° Physicorum. Sed ens et res sunt priora et notiora nobis omnibus suis inferioribus, secundum Avicennam I° Metaphysicae, cap. 9° (recte: 5°), quod res et ens prima impressione imprimuntur in anima nostra, et secundum Philosophum I° Physicorum, quod universaliora sunt nobis priora et notiora. Ergo scientia de re et de ente est prior ordine doctrinae omnibus scientiis suorum inferiorum. Metaphysica autem est ultima vel paenultima secundum Avicennam I° Metaphysicae et Philosophum VI° (IV°) Ethicorum. Ergo primum obiectum metaphysicae non est res nec ens.“
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kannteren voranschreite. In Übereinstimmung mit der Lehre Avicennas und den Äußerungen des Aristoteles sind nun Franziskus zufolge gerade ‚Seiendes‘ bzw. ‚Ding‘ diejenigen (transzendentalen Erst-)Begriffe, die in einem ersten Eindruck in unserer Seele eingeprägt werden und als das Allgemeinste für uns bekannter und somit früher sind als alle anderen Begriffe. Diejenige Wissenschaft, die ‚Ding‘ oder ‚Seiendes‘ zu ihrem spezifischen Gegenstand hat, muß demzufolge in der Ordnung des Wissens früher sein als alle Wissenschaften, die vom weniger Allgemeinen (für unsere Erkenntnis ‚Späteren‘) handeln. Da Avicenna und Aristoteles jedoch zugleich lehren, die Metaphysik sei die ‚letzte‘ Wissenschaft, so schließt der Einwand, könne das primum subiectum der Metaphysik wohl nicht ‚Ding‘ oder ‚Seiendes‘ sein. Auf der anderen Seite bestimme Aristoteles doch selbst in Met. Γ—und diese Stelle wird von Franziskus als ‚Einwand‘ zu dem ‚Eingewandten‘ angeführt—, daß es eine Wissenschaft gebe, die das Seiende, insofern es Seiendes ist (ens inquantum ens), und was ihm als solchem zukommt, betrachte. Die Metaphysik habe somit also sehr wohl ‚Seiendes‘ oder ‚Ding‘ zum Gegenstand.17 Wie läßt sich diese bei Aristoteles selbst zu findende Unstimmigkeit lösen, daß die Begriffe ‚Ding‘ oder ‚Seiendes‘ als solches einerseits nicht Gegenstand der Metaphysik sein können, wenn man zugrundeliegend annimmt, daß sie als Erste in der Ordnung der menschlichen Verstandeserkenntnis zugleich Gegenstand der ersten Wissenschaft im Rahmen des ordo scientiae seien und Aristoteles die Metaphysik darin doch als die letzte Wissenschaft kennzeichnet, er andererseits selbst gerade das ‚ens inquantum ens‘ als subiectum metaphysicae bestimmt? Mag eine solche Exposition des Problems einer adäquaten Wesensbestimmung der Metaphysik auch einigermaßen konstruiert oder ‚didaktisch überdeutlich‘ anmuten, so bilden diese vermeintlich widersprüchlichen Äußerungen des Aristoteles für Franziskus doch tatsächlich den Ausgangspunkt und die Grundlage seines eigenen Lösungsversuchs. Denn um der dargestellten ‚Aporie‘ in der Bestimmung des Metaphysik-Gegenstandes, wie sie sich vor allem aus der Parallelität von Wissenschaftsund Erkenntnisordnung ergibt, entgehen zu können, führt Franziskus 17 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 85: „In oppositum est Philosophus in IV° dicens, quod quaedam est scientia, quae speculatur ens inquantum ens et quae huic insunt secundum se. Sed quod inest enti ratione alicuius inferioris, non ei inest secundum se. Ergo metaphysica habet pro subiecto ens vel rem.“
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sogleich die entscheidende Differenzierung ein, daß die Metaphysik als ‚zweifach‘ aufzufassen sei: im Sinne einer ‚Allgemeinen‘ und einer ‚Besonderen Metaphysik‘.18 Als spezifischen Gegenstand, als primum subiectum der metaphysica communis bestimmt er das ‚Ding schlechthin‘, insofern es Ding ist (res secundum quod res) und allen Dingen erster Intention gemeinsam, als Gegenstand der metaphysica particularis das begrifflich und der Sache nach von der Materie ‚abgetrennte Ding‘, d. h. im eigentlichen Sinne das ‚Göttliche‘.19 Inwiefern der Umstand zu erklären ist, daß der ‚res‘-Begriff nun an dieser Stelle als proprium subiectum metaphysicae communis ausdrücklich (wieder) als ein Begriff ‚erster Intention‘ angeführt wird, und nicht als intentio neutra communis, wie aus den Darlegungen von „Quodl. 3“ zu vermuten gewesen wäre, muß noch für einen Augenblick zugunsten weiterer Erläuterungen unberücksichtigt gelassen werden. Im Rahmen der abschließenden Betrachtungen wird diese Frage jedoch gelöst und ein grundlegender Erklärungsversuch unternommen werden. Fest steht bereits jedoch an dieser Stelle, daß sich für Franziskus mittels der Unterteilung der Metaphysik in zwei voneinander getrennte Wissenschaften und aufgrund der unterschiedlichen Gegenstandszuordnungen der vermeintliche Widerspruch, wie er innerhalb des dritten Einwandes geltend gemacht worden ist, auflöst. Denn die Metaphysik vermag somit beide (aristotelische) Forderungen zugleich zu erfüllen: die ‚Allgemeine Metaphysik‘, die von Franziskus im Sinne der allgemeinsten Seinswissenschaft bestimmt wird, da sie das ‚Ding‘ bzw. das ‚Seiende‘ als solches zum Gegenstand hat, bildet zwar tatsächlich die erste Wissenschaft vor allen anderen, die ‚Besondere Metaphysik‘ jedoch, die vom ‚abgetrennten, göttlichen Seienden‘ handelt, ist als ‚theologische Wissenschaft‘ zugleich die letzte in der Ordnung aller Wissenschaften, da sie vom für den Menschen Letzterkannten handelt.20 Beide 18 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 88: „Duplex est metaphysica, quaedam communis, et quaedam propria sive particularis“. 19 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 88: „Secundum hoc dico, quod subiectum metaphysicae communis primum est res secundum quod res (…) est res simpliciter communis ad rem primae intentionis. Subiectum vero metaphysicae particularis est res separata a materia secundum rationem et secundum rem“. Auch hier muß die Verwendung des ‚res‘-Begriffs als Spezifizierung des ‚ens‘-Begriffs im bereits ausgeführten Sinne gelesen werden. 20 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 97: „Ad tertium, cum dicitur, quod tunc ista scientia esset prior ordine doctrinae omnibus aliis scientiis, respondeo, (…) quod loquendo de metaphysica communi, conceditur
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zunächst (vermeintlich) widersprüchlichen aristotelischen Gegenstandsbestimmungen der Metaphysik scheinen damit in Franziskus’ Modell einer ‚Aufspaltung der Metaphysik‘ gleichermaßen Berücksichtigung zu finden und erweisen sich somit nicht länger als einander entgegengesetzt: Die Metaphysik ist wie gefordert die ‚letzte Wissenschaft‘ (als metaphysica particularis), ihr kann jedoch zugleich der Begriff des ‚Seienden‘ bzw. (streng gesprochen) der des ‚Dinges‘ als solches als subiectum zugeschrieben werden, womit sie (als metaphysica communis) zugleich die ‚erste aller Wissenschaften‘ bildet. Franziskus präsentiert mit dieser neuartigen Konzeption einer Aufspaltung der Metaphysik in zwei voneinander getrennte Wissenschaften jedoch nicht nur eine eigenständige Lösung des scheinbaren Widerspruchs, wie er sich in den gegensätzlichen Äußerungen des Aristoteles finden mag, sondern er verweist zudem darauf, daß bei diesem selbst bereits seine eigene Lösung vorgeprägt und implizit angedeutet sei. Daß Franziskus seine Metaphysik-Konzeption somit im Sinne einer adäquaten und ursprünglichen Aristoteles-Exegese auszulegen beabsichtigt, wird deutlich, wenn er sich im Anschluß an die Einführung des neuartigen Theorems der zweifachen Metaphysik zur Bestätigung ausdrücklich auf Aristoteles‘ eigene Aussage in Met. Γ, 2 bezieht:21 „Von jedem der Gattung und Sinneswahrnehmung nach Einen aber gibt es eine Wissenschaft. Alles Seiende, insofern es Seiendes ist, betrachtet der Gattung nach eine Wissenschaft, die Arten aber betrachten die Wissenschaften der Arten“.22 Für Franziskus ergibt sich aus dieser Äußerung ganz selbstverständlich die Schlußfolgerung: „Offensichtlich sagt Aristoteles, daß es eine allgemeine und eine besondere Metaphysik gibt“23—eine Interpretation, wie sie wohl kaum ein anderer Denker vor Franziskus in dieser Weise vorgenommen hat. Denn stets wurde diese Stelle aus der aristotelischen „Metaphysik“ so gedeutet, daß hiermit die Unterscheidung der Metaphysik (im Sinne einer allgemeinen Seinsquod est prima omnium scientiarum particularium (…). Sed loquendo de metaphysica particulari, dico quod illa est ultima in ordine omnium.“ 21 Vgl. Aristoteles, Met. Γ, 2, 1003b21–22. 22 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Patet per Philosophum IV° Metaphysicae, cap. 2°: „Omnia entia, inquantum entia, speculatur una scientia genere, species autem specierum““. 23 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Ecce plane dicit, quod est metaphysica generalis et specialis“. Vgl. hierzu die Bemerkungen bei A. Zimmermann, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommentar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966), S. 198.
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wissenschaft) von den Einzelwissenschaften, in ihren Betrachtungen einzelner Bereiche des Seienden, gemeint sei. Franziskus nimmt jedoch gerade diese Stelle als einen Beleg dafür, daß die Teilung der Metaphysik und die damit verbundene Annahme zweier Metaphysiken bereits bei Aristoteles selbst mitgedacht sei, und führt dies im Sinne seines Modells auch explizit aus: Aristoteles nehme eine ‚Allgemeine Metaphysik‘ an, die vom Seienden, insofern es Seiendes ist, handle, wenn er sagt: „…deswegen betrachtet die Arten des Seienden, insofern es Seiendes ist, der Gattung nach eine Wissenschaft“, und eine ‚Besondere Metaphysik‘, die vom speziellen, nämlich abgetrennten Seienden handle, wenn er erklärt: „…die Arten (des Seienden) aber betrachten die (Wissenschaften) der Arten“.24 Franziskus faßt damit die metaphysica particularis, die theologische Wissenschaft, gerade als eine dieser Einzelwissenschaften auf, die der metaphysica communis, der allen Einzelwissenschaften zugrundeliegenden allgemeinen Seinswissenschaft, gegenüberstehen, da auch sie einen ‚Teil‘ (pars) des Seienden, nämlich das besondere, das abgetrennte (göttliche) Seiende zum Gegenstand hat. Und doch scheint der ‚Besonderen Metaphysik‘ dabei eine gewisse Sonderstellung im Rahmen der anderen Einzelwissenschaften zuzukommen, die sich zudem bereits in ihrer Namensgebung manifestiert, da zwischen ihr und der ‚Allgemeinen Metaphysik‘—beide sind „Metaphysiken“—eine weitaus größere Einheit besteht, wenngleich ihre Positionierung sowohl als erste als auch als letzte Wissenschaft zugleich eine weitestmögliche Distanz zu markieren scheint. Die besondere Gestalt dieses Verhältnisses der beiden Metaphysiken wird im 4. Paragraphen dieses Kapitels noch näher ausgeführt werden. Zunächst seien in kurzer Zusammenfassung jedoch die grundlegenden Argumente betrachtet, weshalb es Franziskus zufolge tatsächlich beide Metaphysiken geben muß.
24 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 371: „Ex quo patet quod Philosophus ponit duas metaphisicas subordinatas: unam de ente in quantum ens, et hanc tangit cum dicit: ‚Quapropter et entis in quantum ens quascunque species speculari unius est sciencie genere‘; aliam uero metaphisicam propriam que est encium specialium sub ente communi contentorum tangit in eo quod dicit: ‚species autem specierum‘.“
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kapitel ii 2. Die Notwendigkeit einer Allgemeinen und einer Besonderen Metaphysik
Im Anschluß an die Einführung der Konzeption zweier Metaphysiken, mit der Franziskus von Marchia die scheinbar widersprüchlichen Bestimmungen der Metaphysik bei Aristoteles selbst aufzulösen versucht, liefert er im weiteren Verlauf der ersten Quaestio des ersten Buches seines „Metaphysik-Kommentars“—gleichsam unterstützend—eine Auflistung von Gründen, anhand derer er sowohl die Notwendigkeit einer ‚Allgemeinen‘ als auch die einer ‚Besonderen Metaphysik‘ zusätzlich aus wissenschaftstheoretischer Perspektive argumentativ zu belegen sucht. Beiden Argumentationssträngen liegt dabei vor allem zugrunde, daß es entsprechend zweier unterschiedener „Seinsarten“ (ens commune und ens separatum), d. h. entsprechend zweier verschiedener Gegenstände, auch zwei distinkte Wissenschaften geben müsse. Zunächst werden die Gründe für die notwendige Annahme einer metaphysica particularis genannt, da es ganz offenkundig neben der ‚Allgemeinen Metaphysik‘, die vom ens commune handelt, gleichfalls eine ‚Besondere Metaphysik‘ geben müsse, deren Gegenstand das ens separatum sei.25 Das grundlegende, wenngleich nicht neue Argument hierfür gründet sich auf das Kriterium einer qualitativen Abstufung der verschiedenen Seinsgattungen. Dabei wird zunächst das Seiende, das ‚dem Sein nach von der Materie abgetrennt‘ ist (separatum secundum esse/rem), als höherrangig und vorzüglicher (nobilius) bestimmt sowohl gegenüber dem bloß ‚dem Begriff nach abgetrennten Seienden‘ (separatum secundum rationem) als auch gegenüber dem Seienden, das ‚weder in Wirklichkeit noch dem Begriff nach abgetrennt‘ ist (separatum nec secundum rem nec secundum rationem).26 Da es von beiden qualitativ untergeordneten Arten des Seienden, d. h. sowohl vom weder in Wirklichkeit noch dem Begriff nach abgetrennten Seienden als auch vom nur dem Begriff nach abgetrennten Seienden, eigenständige und distinkte Wissenschaften gebe— nämlich die Physik bzw. die Mathematik—, müsse umso mehr eine solche eigenständige Wissenschaft auch vom in Wirklichkeit, d. h. dem Sein nach abgetrennten Seienden existieren, nämlich die ‚Besondere Metaphysik‘.27 Bestätigt wird dieses Argument durch die Hervorhebung 25 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Quod autem praeter metaphysicam communem, quae est de ente communi, sit dare particularem, quae est de ente separato, patet.“ 26 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89. 27 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S.
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der eigenständigen Wesenseigenschaften des abgetrennten Seienden, aufgrund derer ihm eine eigenständige Wissenschaft zuzusprechen sei. Denn wie das bewegliche Seiende neben den allgemeinen Eigenschaften des Seienden eigenständige Eigenschaften hat, die aus eigenständigen Prinzipien hervorgehen, so hat auch das dem Sein nach von der Materie abgetrennte Seiende eigentümliche passiones neben den allgemeinen Eigenschaften des Seienden, die aus eigentümlichen Prinzipien hervorgehen. Und wiederum besteht die Argumentation darin, daß es nicht nur vom beweglichen Seienden aufgrund dieser eigentümlichen Eigenschaften eine eigenständige Einzelwissenschaft neben der allgemeinen Seinswissenschaft geben dürfe, sondern analog dazu auf gleiche Weise auch vom abgetrennten Seienden: die ‚Besondere Metaphysik‘.28 Im Anschluß an die Gründe für die Notwendigkeit der ‚Besonderen Metaphysik‘ liefert Franziskus eine Reihe von Begründungen für die gleichfalls notwendige Annahme der ‚Allgemeinen Metaphysik‘, die allerdings ganz analog zum Vorangegangenen geführt werden.29 Denn dasjenige, was eigentümliche Eigenschaften neben den Eigenschaften des ihm Untergeordneten hat und eigenständige Prinzipien neben den Prinzipien des ihm Untergeordneten, um seine eigentümlichen Eigenschaften zu erschließen, ist Gegenstand einer selbständigen Wissenschaft neben den Wissenschaften vom ihm Untergeordneten. ‚Ding‘ bzw. ‚Seiendes‘ im allgemeinen aber haben solche einfachen und disjunkten Eigenschaften neben den Eigenschaften des ihnen Untergeordneten und eigenständige Prinzipien, um auf diese zu schließen. Und somit gibt es von ihnen eine selbständige Wissenschaft neben den Wissenschaften von dem ihnen Untergeordneten.30 Diese eigenständige Wis89: „Sed de ente non separato secundum rem nec secundum rationem est propria et distincta scientia, scilicet physica. Similiter de ente separato secundum rationem est propria scientia, scilicet mathematica. Ergo multo magis de ente separato secundum esse est propria et distincta scientia. Et ista est metaphysica particularis, cum non sit aliqua praedictorum“. 28 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 90: „Confirmatur: Quia ens mobile habet proprias passiones, quae oriuntur ex propriis principiis praeter communes passiones entis, ita et ens separatum a materia secundum esse habet proprias passiones praeter communes entis, quae oriuntur ex propriis principiis. Sed de ente mobili, quia habet proprias passiones, est propria scientia particularis praeter scientiam entis. Ergo similiter, quia ens separatum habet proprias passiones praeter proprias passiones entis, de eo est scientia propria praeter scientiam communem entis. Et ista est metaphysica particularis“. 29 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, I, 1, ed. Zimmermann, S. 90–92. 30 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, I, 1, ed. Zimmermann, S.
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senschaft aber ist Franziskus zufolge die Metaphysik, da Aristoteles am Anfang des vierten Buches der „Metaphysik“ gerade diesen Sinngehalt betone: „Nun gibt es eine bestimmte Wissenschaft, die das Seiende, insofern es Seiendes ist, betrachtet und was ihm wesentlich innewohnt. Diese ist aber in keiner Weise dieselbe wie die genannten Einzelwissenschaften. Denn von den anderen handelt keine vom allgemeinen Seienden, insofern es Seiendes ist, sondern sie trennen irgendeinen Teil davon heraus und betrachten diesbezüglich, was ihm zukommt, wie z. B. die Wissenschaften der Mathematik. Daher müssen auch wir die ersten Ursachen des Seienden, insofern es Seiendes ist, suchen“.31
Zudem kann—so Franziskus—„keine Einzelwissenschaft gegen diejenigen argumentieren, die die allgemeinen Prinzipien für alle Wissenschaften negieren“, weshalb es notwendig sei, eine allgemeine Wissenschaft neben den besonderen anzunehmen, die gegen diejenigen disputiere, die diese allgemeinen Prinzipien negieren. Also sei neben der ‚Besonderen Metaphysik‘ notwendig auch eine ‚Allgemeine Metaphysik‘ anzunehmen.32 3. „Dieselbe und doch eine andere Wissenschaft“—Das spezifische Verhältnis von metaphysica communis und metaphysica particularis Im Vorangegangenen ist deutlich geworden, daß Franziskus von Marchia mittels seiner ‚Aufspaltung der Metaphysik‘ zunächst zwei gänzlich voneinander zu unterscheidende Wissenschaften vorstellt, deren Status die weitestmögliche Entgegensetzung überhaupt zu markieren scheint, 91 f.: „Quia illud quod habet proprias passiones praeter passiones suorum inferiorum et propria principia praeter principia suorum inferiorum ad concludendum suas proprias passiones, illud est subiectum propriae scientiae praeter scientias inferiorum. Sed res in communi, ut est communis abstracta, habet proprias passiones tam simplices quam disiunctas praeter passiones suorum inferiorum et propria principia ad concludendum eas. Ergo de re in communi est propria scientia praeter scientias inferiorum“. 31 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, ed. Zimmermann, S. 91: „Haec est metaphysica. Hanc rationem facit Philosophus in IV° Metaphysicae in principio: ‚Nunc est quaedam scientia, quae speculatur ens inquantum ens, et quae huic rei insunt. Haec autem nulli in parte dictarum eadem. Aliarum autem nulla intendit de ente universali inquantum ens est, verum partem eius aliquam abscindentes, circa hanc speculantur accidentia, veluti scientiarum mathematicae. Unde et nobis entis inquantum ens est primae causae sunt accipiendae‘“. 32 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, ed. Zimmermann, S. 91: „Item: Nulla scientia particularis habet disputare contra negantes principia communia omnibus scientiis. Ergo oportet ponere aliquam scientiam communem praeter scientias
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indem sie sich auf zwei getrennte „Arten von Seiendem“ beziehen und damit, daß sie einerseits vom Ersterkannten, andererseits vom für den Menschen Letzterkannten handeln, gleichermaßen als erste bzw. als letzte Wissenschaft in der Ordnung des Wissens (ordo scientiae) zu positionieren sind. Und doch scheint zumindest die Namensgebung—beide Wissenschaften sind als ‚Metaphysiken‘ angesprochen—ein besonders enges Verhältnis dieser scientiae im Gegensatz zu allen anderen, ‚dazwischen‘ liegenden Wissenschaften anzudeuten. Wie aber läßt sich dieses spezielle Verhältnis, die besondere Art der Verbindung dieser beiden von Franziskus eingeführten metaphysischen Wissenschaften genauer vorstellen? Auf welcher Grundlage gestaltet sich ihr innerer Zusammenhang? Anders gefragt: impliziert die Aufspaltung der Metaphysik in eine metaphysica communis und eine metaphysica particularis, die mit Blick auf das Verhältnis ihrer Gegenstände zur menschlichen Erkenntnisordnung im Sinne einer weitestmöglichen Entgegensetzung als erste und letzte Wissenschaft innerhalb der Wissenschaftsordnung aufzufassen sind, zugleich ein besonderes Moment der Einheit beider Wissenschaften? Oder erweist sich die grundlegende Diversität ihrer Gegenstände (die zweite ‚Dissoziation‘, von der wir eingangs sprachen) letztlich doch als ein Potential, dem die Konzeption einer synthetisierenden Einheit der Metaphysik zugunsten einer vollständigen Autonomie beider Wissenschaften weichen muß? In der Tat scheint Franziskus auch im Rahmen der Trennung beider Wissenschaften ein solches Moment der ‚Einheit‘, das ja gerade mit Blick auf die Interpretation der Konzeption des Aristoteles mittels der Einbeziehung beider Gegenstandsbestimmungen die ‚Einheit der aristotelischen Metaphysik‘ manifestieren würde, innerhalb seiner „Quaestiones in metaphysicam“ ganz bewußt zu betonen. Zwei Bemerkungen stehen dabei im Vordergrund, die in besonderem Maße die Zusammengehörigkeit von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ zu unterstreichen scheinen. Sie beziehen sich auf die grundsätzlich wesenhafte Übereinstimmung beider Wissenschaften, welche sich in der bereits erwähnten Möglichkeit gleichartiger Benennung widerspiegelt:
particulares, quae disputet contra negantes ista principia communia. Haec potissime est metaphysica. Ergo praeter metaphysicam particularem oportet ponere metaphysicam communem“. Vgl. Aristoteles, Met. Γ 1.
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(i) So sind beide Wissenschaften zunächst als ‚göttliche Wissenschaft‘ (scientia divina) zu bezeichnen, wenn auch in unterschiedlichem Maße; die ‚Besondere Metaphysik‘ kann im eigentlichen Sinne scientia divina genannt werden, da sie vom göttlichen Seienden als ihrem primum subiectum handelt, auf die ‚Allgemeine Metaphysik‘ hingegen trifft die Bezeichnung ‚göttliche Wissenschaft‘ nur insofern zu, als sie den eigentümlichen Gegenstand der ‚Besonderen Metaphysik‘, der göttlichen Wissenschaft im eigentlichen Sinne, zu beweisen vermag. Beide sind somit jedoch hinsichtlich ihres Gegenstandes als ‚göttliche Wissenschaften‘ zu betrachten, sie unterscheiden sich aber in der Art ihrer ‚Zugriffsmöglichkeit‘ auf das göttliche Seiende, insofern die metaphysica particularis ursprünglich und direkt vom göttlichen Seienden handelt, der metaphysica communis hingegen mit Blick auf das göttliche Seiende nur eine beweisende Grundlegungsfunktion zukommt (quia probat ens divinum).33 (ii) Beide Wissenschaften sind zudem als ‚Metaphysik‘ zu bezeichnen, allerdings ebenfalls auf unterschiedliche Weise. Zwar übersteigen beide die Grenzen der Physik (metas physicae transcendens), indem beide vom abstrakten Seienden handeln, die metaphysica particularis tut dies jedoch in positivem Sinne, die metaphysica communis hingegen lediglich privativ, da sie nicht das an sich, sondern nur das dem Begriff nach abgetrennte Seiende betrachtet.34 33 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Et haec metaphysica particularis vocatur proprie scientia divina, quia ipsa est de ente divino sicut de primo subiecto. Metaphysica autem communis non est scientia divina nisi inquantum probat subiectum proprium scientiae divinae. Et sic utraque quoad subiectum est scientia divina. Sed differunt, quia una est divina, quia est de ente divino, alia vero est divina, quia probat ens divinum“. Vgl. parallel dazu im Prolog des „Sentenzen-Kommentars“, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Potest igitur dici quod duplex est metaphisica, sicud dictum est: communis, scilicet, et particularis, et utraque potest dici sciencia diuina. metaphisica communis est sciencia diuina finaliter, quia probat Deum esse, et ad hoc ordinatur principaliter ut, patet per ipsam, possimus stabilire Deum esse; metaphisica particularis est sciencia diuina quia inuestigat perfeciones diuinas“. Einige interessante Bemerkungen hierzu finden sich auch bei A. Zimmermann, Die ratio Anselmi in einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: H. Kohlenberger (Hg.), Die Wirkungsgeschichte Anselms von Canterbury (Akten der ersten Internationalen Anselm-Tagung Bad Wimpfen, 13.-16.09.1970), Frankfurt a.M. 1975 (Analecta Anselmiana. Untersuchungen über Person und Werl Anselms von Canterbury Bd. IV/1), S. 195–201. 34 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Et utraque [scil. metaphysica particularis/communis] potest vocari metaphysica, licet diversimode, quia utraque transcendit metas physicae, quia utraque est de entibus abstractis, sed una positive, alia privative“.
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Es zeigt sich somit, daß die ‚Einheit‘ beider Metaphysiken sich nicht in einer völlig univoken Benennung widerzuspiegeln vermag, sondern daß in beiden Fällen ein in bestimmter Weise ‚abgestuftes‘ Verhältnis vorliegt. Wenn Franziskus betont, daß die metaphysica communis nur insofern ‚göttliche Wissenschaft‘ zu nennen ist, als sie das proprium subiectum der metaphysica particularis, der göttlichen Wissenschaft im eigentlichen Sinne, beweist, so scheint doch ein bestimmtes ‚Zuordnungsverhältnis‘ zu bestehen. Franziskus bestimmt diesen spezifischen Zusammenhang von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ als ein Verhältnis der Über- und Unterordnung (subalternatio). Aufgrund dieser AbhängigkeitsRelation sind beide Wissenschaften sowohl als getrennt und verschieden voneinander, auf der anderen Seite in gewisser Weise jedoch auch als dieselbe Wissenschaft, als Einheit zu betrachten: „Sie ist eine andere Wissenschaft, so, wie die subalternierte Wissenschaft eine andere ist als die subalternierende. Sie ist aber dieselbe Wissenschaft, so, wie die subalternierte Wissenschaft dieselbe ist wie die subalternierende“.35 Wie aber läßt sich dieses spezifische Subalternationsverhältnis, dieses ‚Zugleich‘ von Identität und Differenz, konkreter vorstellen? Das eigentümliche Subalternationsverhältnis von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ wird einsichtig, wenn die Gründe für den inneren Zusammenhang der beiden Metaphysiken aufgezeigt werden. Diese ergeben sich aus zweierlei Hinsicht: 1. aufgrund einer—bereits angedeuteten—mehr wissenschaftstheoretischen Perspektive, 2. hinsichtlich eines stärker erkenntnistheoretischen Aspekts. Wenngleich beide zwar untrennbar miteinander verknüpft sind, können sie zum Zwecke einer systematischen Erschließung zunächst jedoch einmal nacheinander betrachtet werden. Bei der Darstellung der in erster Linie wissenschaftstheoretischen Grundlage für das spezifische Abhängigkeitsverhältnis der beiden Metaphysiken stützt sich Franziskus auf die bekannte, von Aristoteles im ersten Buch der „Zweiten Analytiken“ formulierte Bedingung, daß keine Einzelwissenschaft ihren eigentümlichen Gegenstand selbst sichern könne. Da es also weder der Physik noch der Mathematik, aber eben auch nicht der ‚Besonderen Metaphysik‘ zukommt zu beweisen, daß das (nicht durch sich selbst bekannte) abgetrennte Seiende existiert, sei es notwendig, eine andere Wissenschaft neben den Einzelwissen35 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Est autem alia sicut scientia subalternata est alia a subalternante. Est autem eadem sicut scientia subalternata est eadem subalternanti“.
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schaften anzunehmen, die diesen Beweis der Existenz des abgetrennten (göttlichen) Seienden leiste.36 Denn weder der Physiker noch der Mathematiker stellen eine Betrachtung des unstofflichen Seienden an, da beide das stoffliche Seiende als primum subiectum haben, sie beweisen also beide nicht, daß das abgetrennte Seiende existiert.37 Der Gottesbeweis muß somit innerhalb der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ geleistet werden. Denn keine Wissenschaft beweist eine Schlußfolgerung, die ihre Prinzipien übersteigt, da keine Wissenschaft „außerhalb ihres Bereiches handle“ (nulla scientia agit ultra suam speciem). Der Beweis der Schlußfolgerung, daß das abgetrennte Seiende existiert, welche die Prinzipien des Physikers und des Mathematikers übersteigt, da das abgetrennte Seiende über dem nicht abgetrennten Seienden steht, gehört somit zur metaphysica communis.38 Das bedeutet, daß die ‚Besondere Metaphysik‘ ihren eigentümlichen Gegenstand, das secundum rem und secundum rationem von der Materie abgetrennte Seiende, notwendigerweise von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ übernimmt, die damit der ‚Besonderen Metaphysik‘ ihr eigenes subiectum zuweist, indem sie beweist, daß es unstoffliches Seiendes gibt. In diesem Sinne wird die metaphysica particularis somit der metaphysica communis ‚subalterniert‘ (und damit haben beide—wie oben bereits erwähnt—das göttliche Seiende zum Gegenstand, jedoch in unterschiedlichem Maße).39 36 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 91: „Nulla scientia particularis potest stabilire suum subiectum primum, I° Posteriorum. Sed probare ens separatum esse non spectat ad physicam nec ad metaphysicam particularem. Et ens separatum esse non est per se notum. Ergo oportet ponere aliam scientiam praeter scientias particulares, quae probet ens separatum esse“. Vgl. hierzu in grundlegender Weise auch Avicenna, Met. I, 2. 37 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 91: „Sed nec physici nec mathematici est consideratio de entibus immaterialibus. Quia utraque pro primo subiecto habet ens materiale, ergo nec physicus nec mathematicus habet probare ens separatum esse“. 38 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 91 f.: „Nulla scientia probat conclusionem altiorem suis principiis, quia nulla scientia agit ultra suam speciem. Sed ista conclusio „ens separatum esse“ est altior principiis physici et mathematici, quia ens separatum est altius ente non separato. Ergo nullius eorum est probare istam conclusionem“. 39 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 89: „Illa metaphysica particularis accipit suum subiectum a metaphysica communi, et haec metaphysica probat primum subiectum metaphysicae particularis. Et ideo metaphysica particularis subalternatur metaphysicae communi“. Franziskus bezieht sich dabei auf den aristotelischen Grundsatz in den Anal. Poster. I, 10, 76b36, wenn er betont, daß keine Einzelwissenschaft ihren eigentümlichen Gegenstand beweisen könne; vgl. Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 91: „Nulla scientia particularis potest stabilire suum subiectum primum, I° Posteriorum. Sed probare ens separatum esse non
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Das Verhältnis von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ als subalternierender und subalternierter Wissenschaft ergibt sich neben dieser mehr wissenschaftstheoretischen Bedingung der ‚Übernahme des Subjekts‘ der ‚Besonderen Metaphysik‘ von der metaphysica communis vor allem aber auch aus einer hiermit zwar eng zusammenhängenden, in erster Linie aber doch erkenntnistheoretischen Begründung. Die ‚Besondere Metaphysik‘ greift nämlich gerade auch deshalb auf die Prinzipien der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ zurück, da der menschliche Intellekt nicht auf natürliche und unmittelbare Weise zu einer Kenntnis des abgetrennten Seienden gelangen kann, sondern nur mithilfe der transzendentalen Erstbegriffe (und nicht durch einen dem abgetrennten Seienden eigentümlichen Sinngehalt). Somit ist es ihm nur durch Rückgriff auf die allgemeinen Prinzipien des Seienden, die ersten Verstandesbegriffe, überhaupt möglich, zu Kenntnissen über das subiectum der ‚Besonderen Metaphysik‘ zu gelangen.40 Die ‚Besondere Metaphysik‘ erweist sich somit auch unter diesem Aspekt als von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ ‚abhängig‘ und im Sinne einer subalternatio untergeordnet.41 Auf der anderen Seite ist die ‚Besondere Metaphysik‘ spectat ad physicam nec ad metaphysicam particularem. Et ens separatum esse non est per se notum. Ergo oportet ponere aliam scientiam praeter scientias particulares, quae probet ens separatum esse“. 40 Diese für ein angemessenes Verständnis des Subalternationsverhältnisses der beiden Metaphysiken wichtige Erklärung führt Franziskus erst im VI. Buch näher aus, wo es um die Darstellung des Unterschiedes zwischen ‚faktischer‘ und ‚idealer‘ Erkenntnis geht. Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Quia ens separatum non cognoscitur a nobis naturaliter nisi per conceptus transcendentes entis, unius, multi, actus et potentiae, simplicis et compositi, finiti et infiniti, non autem per propriam rationem. Ideo scientia, quae est de ente separato, accipit principia sua a scientia, quae est de ente.“ 41 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Propter quod probare ens separatum esse pertinet ad scientiam de ente, quia ens separatum non probatur nisi per conceptus transcendentes, secundum Avicennam in I° Metaphysicae“. In ähnlicher Weise formuliert Franziskus das Vorangegangene im Prolog zum „Sentenzen-Kommentar“: „Die Allgemeine Metaphysik, die vom dem Begriff nach abgetrennten Seienden handelt, nimmt ihren Gegenstand nicht von irgendeiner Wissenschaft, sondern allein durch den Sinn auf; die Besondere Metaphysik aber, die vom in Wirklichkeit abgetrennten Seienden handelt, nimmt ihren Gegenstand bewiesen von der Allgemeinen Metaphysik. Und daher wird die Besondere der Allgemeinen Metaphysik von Seiten des Gegenstandes nicht an sich untergeordnet, sondern gerade in Hinordnung auf unseren Verstand, der den in Wirklichkeit abgetrennten Gegenstand nur kraft des dem Begriff nach abgetrennten Gegenstandes aufnehmen kann“. Vgl. auch Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 371: „(…) similiter duplex metaphisica: una est que est de ente separato secundum racionem, et ista non accipit subiectum suum ab alica sciencia,
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innerhalb dieser epistemologischen Abhängigkeit von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ zugleich aber auch deren Ziel, insofern die Kenntnis des Seienden immer auf die Kenntnis des ersten, des göttlichen Seienden hingeordnet ist.42 Die von Franziskus vorgenommene Aufgliederung der Metaphysik in eine ‚Allgemeine‘ und eine ‚Besondere Metaphysik‘, die sich tatsächlich als Trennung in eine ontologische und eine theologische Wissenschaft herausstellt, ist somit aufgrund des spezifischen inneren Zusammenhangs beider Wissenschaften offensichtlich nicht in der gleichen Schärfe aufzufassen, wie viele andere Autoren sie mit der Aufspaltung von Ontologie und Theologie oder derjenigen von Ontologie und Metaphysik evozierten.43 Und dennoch kann dieses Moment der ‚Einheit der Metaphysik‘, wie Franziskus es in seinem „MetaphysikKommentar“ darstellt, andererseits auch nicht als das primäre Wesen der Aufgliederung der Metaphysik betrachtet werden, da eine solche ‚Einheit‘ doch immer als ‚Subalternatio‘ zu kennzeichnen ist, wie sie sich aus der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Abhängigkeit des eigentümlichen Gegenstandes der ‚Besonderen‘ von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ ergibt. Anders gesagt: zwar scheinen beide aus der aristotelischen „Metaphysik“ bekannten, ‚konkurrierenden‘ Gegenstandsbestimmungen in der Metaphysik-Konzeption des Franziskus von Marchia gleichermaßen Berücksichtigung zu finden und durch das spezifische Verhältnis der Subalternation trotz der disziplinären Eigenständigkeit beider Gegenstände sogar auf besonders innige Weise miteinander verknüpft zu sein—aber diese ‚Verbundenheit‘ scheint doch gänzlich (und damit weit defizitärer, als es zunächst aussah) durch die Begrenztheiten unseres menschlichen Verstandes bedingt. Wir werden dies im Folgenden noch näher ausführen.
set tantum per sensum; quedam uero metaphisica est de ente separato secundum rem, et ista accipit subiectum suum demonstratum a metaphisica que est de ente separato secundum racionem, et ideo ista subalternatur illi ex parte subiecti non secundum se, set in ordine ad intellectum nostrum, qui non potest attingere obiectum separatum secundum rem nisi uirtute obiecti separati secundum racionem“. 42 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 371: „(…) tamen metaphisica particularis est finis metaphisice communis“. 43 Vgl. etwa die Unterscheidungen in den Darstellungen von G. Patzig, Theologie und Ontologie in der „Metaphysik“ des Aristoteles, in: Kant-Studien 52 (1960/61), S. 185–205, E. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik. Der Ablösungsprozeß und seine Motivierung bei Benedictus Pererius und anderen Denkern des 16. und 17. Jahrhunderts, Bonn 1968, oder A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik
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4. Zwei Metaphysiken: Die Neueinteilung der traditionellen Wissenschaftsordnung Aus Franziskus’ Ausarbeitung zweier unterschiedener Metaphysiken im Sinne der ‚Allgemeinen‘ und der ‚Besonderen Metaphysik‘ ergeben sich grundlegende Konsequenzen mit Blick auf die tradierte Ordnung und Einteilung der theoretischen Wissenschaften und damit für die etablierte Wissenschaftsordnung überhaupt. Dieser traditionelle ordo scientiarum besteht in der Dreiteilung der theoretischen Wissenschaften, wie Aristoteles sie im ersten Kapitel des VI. Buches der „Metaphysik“ vorstellt, und derzufolge sich die spekulativen Wissenschaften in der Einteilung in Physik, Mathematik und Erste Philosophie (also Metaphysik) erschöpfen, je nachdem, wie sich das Verhältnis ihrer Gegenstände zu Materie und Bewegung bzw. wie sich deren Selbständigkeit gestaltet: „Die Naturwissenschaft handelt von selbständigen Dingen, die aber nicht unbeweglich sind. Einige mathematische Wissenschaften handeln von Dingen, die unbeweglich, aber vielleicht nicht selbständig, sondern in der Materie sind. Die Erste Philosophie aber handelt von Dingen, die sowohl selbständig wie unbeweglich sind“.44 Im Grunde blieb diese aristotelische Einteilung der spekulativen Wissenschaften in ihrer äußeren Form über die Jahrhunderte hinweg unangetastet. Erst Johannes Duns Scotus stellt in seinem „Metaphysik-Kommentar“ explizit die Frage, ob es nicht vielmehr notwendig sei, tatsächlich vier theoretische Wissenschaften anzunehmen (die damit in der von Franziskus von Marchia vorgestellten Weise zu denken wären): nämlich im Sinne „einer transzendentalen Metaphysik (metaphysica transcendens), die gänzlich früher wäre als die göttliche Wissenschaft (scientia divina)“, und damit würde es „vier spekulative Wissenschaften geben: eine transzendentale und drei besondere“.45 Dies scheint doch gerade die Lösung, die Franziskus in seinem Entwurf vertritt, daß nämlich die metaphysica transcendens (im Sinne der metaphysica communis) die erste vor Physik und Mathematik, und die scientia divina (als metaphysica particularis) die oberste der Einzelwissenschaften wäre! Weshalb hat sich
im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 1998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1). 44 Vgl. Aristoteles, Met. E 1, 1026a13–16. 45 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones subtillissimae super libros metaphysicorum Aristotelis, q. 1, n. 155 (OP III, S. 69): „Igitur metaphysica transcendens erit tota prior scientia divina, et ita erunt quattuor scientiae speculativae: una transcendens, et tres speciales“.
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diese Erweiterung der spekulativen Wissenschaften um eine vierte nicht schon bei Johannes Duns Scotus durchgesetzt? Scotus unterscheidet bekanntermaßen die Metaphysik im Sinne einer idealen Wissenschaft ‚in sich‘ und einer faktischen Wissenschaft ‚für uns‘ (in se/pro nobis), um die Möglichkeiten und Grenzen der Metaphysik mit Bezug auf das menschliche Erkenntnisvermögen in angemessener Weise auszudrücken.46 In der metaphysica in se ist Gott primär, gleichsam a priori Gegenstand dieser Wissenschaft, alles Seiende wird aus einer Kenntnis Gottes heraus ursächlich erkannt, in der metaphysica pro nobis hingegen ist Gott nur mittelbar, gleichsam a posteriori das subiectum, da umgekehrt zur ideal gefaßten Metaphysik hier das ‚Seiende‘ das primum subiectum metaphysicae ist, da für uns nur aus dessen Kenntnis heraus Gott gleichsam von seinen Wirkungen her erkannt werden kann.47 Die Metaphysik ist für Scotus somit in gewisser Weise zugleich Ontologie und Theologie; in einem primären und vollkommenen Sinne (in se) ist sie Theologie, mit Blick auf das für den Menschen mögliche Wissen (pro nobis) kann sie jedoch allein in einem unvollkommeneren Sinne als Ontologie ihre Ausprägung finden, die auf eine Erkenntnis des Gegenstandes der ‚Metaphysik in sich‘—auf die Erkenntnis Gottes—nur hingeordnet ist. Ohne den verschiedenen Ausführungen des Duns Scotus an dieser Stelle weiter zu folgen, läßt sich somit doch festhalten, daß für ihn die aristotelische Dreiteilung der theoretischen Wissenschaften letztlich beibehalten werden muß. Es gibt nur ‚eine‘ Metaphysik, die zwar im eigentlichen Sinne als Theologie aufzufassen ist, indem sie in primärem Sinne von Gott handelt, die jedoch für den Menschen nur als Ontologie, als Wissenschaft vom Transzendentalen (und damit als scientia transcendens), möglich ist, in der alles auf natürliche Weise von Gott Erkennbare bewiesen wird. Die vollkommene Erkenntnis des ersten Seienden ist somit das Ziel dieser Wissenschaft.48 46 L. Honnefelder hat die entscheidenden Untersuchungen zu dieser Lehre des Johannes Duns Scotus in mehreren Studien vorgelegt; vgl. etwa L. Honnefelder, Scientia in se—scientia in nobis. Zur philosophischen Bedeutung einer wissenschaftstheoretischen Unterscheidung (Miscellanea Mediaevalia 22,1), S. 204–214; ders., Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Münster 1979 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N.F. 16), und ders., Scientia transcendens: die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Hamburg 1990. 47 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones super libros metaphysicorum Aristotelis, q. 1, n. 134 (OP III, S. 62): „Aut igitur considerantur ibi in quantum attributa, quia ex notitia Dei ibi cognoscuntur; aut quia ex eorum notitia Deus cognoscitur“. 48 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones super libros metaphysicorum Aristotelis, q. 1,
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Franziskus von Marchia unternimmt mit seiner Teilung der Metaphysik—die, wie sich im nachfolgenden Paragraphen zeigen wird, nicht nur auf der Ebene des Wissens ‚pro nobis‘, sondern mit grundlegenden Konsequenzen auch auf derjenigen ‚in se‘ stattfindet—den entscheidenden Schritt über dieses ‚skotische Zögern‘ hinaus und erweitert damit zugleich den bisherigen Umfang der drei theoretischen Wissenschaften um eine vierte, so daß sich notwendig folgende Ordnung ergibt: der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ als grundlegender Seinswissenschaft folgen Physik, Mathematik und schließlich zuletzt die ‚Besondere Metaphysik‘. Ausführlicher besprochen wird diese Erweiterung der Wissenschaftsordnung im Vorwort zu den „Quaestiones in metaphysicam“, dessen Gegenstand gerade die Gliederung und hierarchische Ordnung der Wissenschaften und die damit verbundene Frage nach der Vollständigkeit dieser Einteilung bildet. Das Kriterium, das dabei zunächst als für den hier aufgestellten ordo scientiarum benannt wird, basiert auf dem aristotelischen Grundsatz, daß sich die Ordnung und Einteilung der Wissenschaften auf die Gliederung der Dinge gründe.49 Daß dieser Grundsatz zu Beginn der ganzen Schrift angeführt wird, ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, haben wir doch bei der Betrachtung der Ausführungen im I. Buch des „Metaphysik-Kommentars“ festgestellt, daß sich die hierarchische Ordnung der Wissenschaften zunächst scheinbar vorrangig nach der Hinordnung der Gegenstände auf den menschlichen Verstand richtet. ‚An sich‘ werden die Wissenschaften tatsächlich allein nach ihren Gegenständen eingeteilt, im Bereich des für uns zugänglichen Wissens ist dies jedoch nicht in uneingeschränkter Weise möglich, sondern immer nur in Abhängigkeit von den Bedingungen des menschlichen Intellekts, woraus sich unterschiedliche Konsequenzen ergeben. Wie sieht nun die genaue Ordnung der Wissenschaften insgesamt aus, wie Franziskus sie im Prooemium des „MetaphysikKommentars“ darstellt? An erster, unterster Stelle in der Hierarchie der Wissenschaften setzt Franziskus zunächst die Grammatik und ihr folgend die Logik an, zwei n. 161 (OP III, S. 71): „Ideo vitando quattuor esse scientias speculativas, et hanc ponendo de Deo, omnia naturaliter cognoscibilia de ipso sunt transcendentia. Finis huius est perfecta cognitio entis, quae est cognitio primi. Sed primo occurrens et notissimum intellectui est ens in communi, et ex ipso probatur primitas et alia, in quibus est consummatio“. 49 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, Prooemium, ed. Friedman, S. 504: „Sicut dicit Philosophus, III De anima, ‚secantur scientiae quemadmodum et res‘, secundum ergo sectionem rerum scibilium est sectio scientiarum (…)“.
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Wissenschaften, die in bestimmter Weise als propädeutische Wissenschaften zu betrachten sind, indem der Grammatik die Rolle zufällt, die für alle anderen Wissenschaften zur Vermittlung notwendigen Zeichen bereitzustellen, während er der Logik die Funktion beimißt, das begriffliche Instrumentarium zu liefern, um alle anderen Wissenschaften überhaupt erst zu ermöglichen, vor allem aber, um den Syllogismus als wesentlichen Bestandteil des Wissens zu erklären.50 Diese beiden propädeutischen Wissenschaften, Grammatik und Logik, werden somit aufgrund ihrer instrumentellen Funktion mit Bezug auf Sprache und Argumentation allen anderen Wissenschaften vorangestellt. Der Primat im eigentlichen Sinne kommt jedoch erst der Metaphysik in Form der Allgemeinen Metaphysik, der metaphysica communis, zu, die als allgemeine Seinswissenschaft allen anderen besonderen, d. h. allen Einzelwissenschaften vorangeht, da sie das allem Gemeinsame zum Gegenstand hat und ihre Prinzipien in die Prinzipien der anderen Wissenschaften eintreten.51 Die Metaphysik ist damit de facto als erste Wissenschaft konstituiert. Auf die ‚Allgemeine Metaphysik‘ folgen dann—traditionell—die Physik, die Mathematik und schließlich die ‚Besondere Metaphysik‘ (metaphysica particularis), der als theologischer Wissenschaft der letzte Platz in dieser Ordnung der Wissenschaften zukommt, womit sie allen besonderen Wissenschaften als letzte und oberste folgt, da die Erkenntnis des abgetrennten, des göttlichen Seienden ebenfalls zuletzt in der Ordnung des Wissens steht und in ihr die letzte—für den Menschen mögliche—Glückseligkeit bestehe.52 Interessant ist zu erwähnen, daß 50 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, Prooemium, ed. Friedman, S. 506: „Ideo grammatica, quae est de rebus vocaliter designativis, est prior ordine doctrinae logica et metaphysica. Post grammaticam vero sequitur logica, quia scientia est habitus conclusionis demonstratae per syllogismum“. 51 A. Zimmermann, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommentar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966), S. 193 f., bestimmt diese drei Wissenschaften, Grammatik, Logik und (Allgemeine) Metaphysik, im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften (mit der Besonderen Metaphysik) als Gruppe ‚allgemeiner Wissenschaften‘, da sie „alles Seiende betrachten“. 52 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, Prooemium, ed. Friedman, S. 512: „(…) metaphysica communis et metaphysica specialis non pertinent ad eandem scientiam, cum illa consequitur omnes scientias particulares, sed metaphysica communis praecedit ordine doctrinae omnes scientias particulares. Ergo non spectant ad eandem scientiam, quia scientia, quae est de communibus, est prior ordine scientia, quae est de propriis, sicut principia sunt priora principiatis. Metaphysica autem communis est de omnibus rebus (…). Metaphysica specialis, quae est de entibus separatis, consi-
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vor die ‚Besondere Metaphysik‘ zunächst noch die Politik eingegliedert wird, die sich mit den vom Menschen hervorgebrachten Dingen befaßt, und die uns lehrt, „das Geistesauge zu heilen“ von allen Trübungen der Leidenschaften, um die sittlichen Tugenden zu stärken, damit wir— Ziel des menschlichen Wissensstrebens—das höchst Erkennbare, Gott, schauen können (per quam homo disponitur ad intelligendum entia simpliciter separata).53 5. Die Spaltung der Metaphysik ‚in se‘ und ‚pro nobis‘ Mehrmals wurde bereits angedeutet, daß Franziskus von Marchia die Spaltung der Metaphysik nicht nur auf der Ebene des für uns möglichen Wissens, sondern auch auf derjenigen eines ‚idealen Wissens‘ in besonderer Weise zu durchdenken scheint. Dies geschieht im VI. Buch seines „Metaphysik-Kommentars“, wo Franziskus erneut die Kardinalfrage stellt, ob die Metaphysik nun vom ens in commune oder vom der Wirklichkeit nach abgetrennten, göttlichen Seienden handle (Quaeritur, utrum metaphysica sit de ente in communi vel sit de ente abstracto et separato secundum rem).54 Bereits im I. Buch des Kommentars ist hinreichend deutlich geworden, wie Franziskus’ Antwort mit Bezug auf diese Frage nach der Gegenstandsbestimmung der Metaphysik auf der Ebene des Wissens pro nobis aussieht. Im sechsten Buch, das gerade für die Frage nach der Deutung der Metaphysik als theologischer Wissenschaft den klassischen Ort bildet, nimmt Franziskus nun eine wichtige Spezifizierung und Fortführung der vorangegangenen Ausführungen seiner Unterscheidung von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ vor. Dazu weist er mit Bezug auf die Frage, ob also die Metaphysik als Wissenschaft vom göttlichen Seienden aufzufassen sei, an dieser Stelle zunächst auf die traditionelle zweifache Differenzierung hin, wie das derans proprietates et proprias passiones entium separatorum. Et ista est finis omnium scientiarum humanarum, ad quam omnes scientiae humanae ordinantur, et in qua consistit ultima felicitas possibilis haberi per scientias humanas“. 53 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, Prooemium, ed. Friedman, S. 513: „(…) politica, quae est de operibus sive actibus humanis (…). Post mathematicam sequitur politica, quia, cum oculus immundus non possit speculari lucem puram nisi prius sanetur, et entia separata simpliciter a materia (sicut entia prima et munda, sicut est Deus et intelligentiae), sequitur quod ad intelligendum entia simpliciter abstracta (…)“. 54 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 98–100.
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abgetrennte, göttliche Seiende betrachtet werden kann: entweder wie es in sich selbst, seiner Natur nach erkennbar ist, oder wie es von uns a posteriori— von seinen Wirkungen her—erkennbar ist.55 Diese Unterscheidung hinsichtlich der Erkennbarkeit des göttlichen Seienden (secundum se und pro nobis) bezeichnet gerade die beiden Ebenen, wie sie aus der skotischen Unterscheidung der Erkenntnisordnungen ‚in se‘ und ‚pro nobis‘ bekannt sind. Scotus hatte diese beiden Ebenen des idealen und des faktischen Wissens mit Bezug auf das menschliche Erkenntnisvermögen streng getrennt. Für ihn war auf der Ebene des faktischen Wissens, d. h. des für den Menschen möglichen Wissens, nur eine ‚ontologische‘ Metaphysik möglich, auf der Ebene des idealen Wissens hingegen von solchen epistemologischen Bedingtheiten uneingeschränkt die Metaphysik im Sinne einer natürlichen Theologie.56 Franziskus von Marchia—dies ist aus den Ausführungen im I. Buch des „Metaphysik-Kommentars“ deutlich geworden—siedelt beide Wissenschaften (‚Allgemeine‘ und ‚Besondere Metaphysik‘) in derselben Ordnung, nämlich im Bereich des faktischen Wissens, an. Für ihn ist im Gegensatz zur Auffassung des Duns Scotus eine Wissenschaft, die Gott zum Gegenstand hat, nicht nur im Bereich des idealen, sondern auch im Bereich des Wissens pro nobis möglich. Er macht somit einen entscheidenden Schritt über die skotische Konzeption hinaus. Welchen Bedingungen diese metaphysische Theologie pro nobis unterworfen ist, wurde im Vorangegangenen mit Blick auf das Verhältnis der Abhängigkeit von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ bereits ausführlich dargestellt. Franziskus scheint nun jedoch—und das ist das Entscheidende in der 16. Quaestio des VI. Buches des „Metaphysik-Kommentars“—auch die Übertragung der Teilung der Metaphysik auf die Ebene eines idealen Wissens, d. h. für eine Erkenntnis in se, auszuarbeiten. Das Charakteristische des Verhältnisses von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ auf der Ebene des Wissens pro nobis, auf der das göttliche Seiende für uns nur a posteriori erkennbar ist, liegt darin, 55 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Respondeo, quod ens separatum potest considerari dupliciter, vel secundum se, ut est cognoscibilis secundum suam naturam, vel ut est cognoscibilis a nobis a posteriori“. 56 Vgl. hierzu L. Honnefelder, Scientia in se—scientia in nobis. Zur philosophischen Bedeutung einer wissenschaftstheoretischen Unterscheidung, in: I. Craemer-Ruegenberg/A. Speer (Hgg.), Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter, Berlin/New York 1994 (Miscellanea Mediaevalia 22,1), S. 204–214.
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daß es vom abgetrennten, göttlichen Seienden gewissermaßen eine von der Metaphysik unterschiedene, auf gewisse Weise eine mit ihr identische Wissenschaft gibt: die Wissenschaft vom göttlichen Seienden ist eine andere als die Metaphysik, wie subalternierte und subalternierende Wissenschaft unterschieden sind, und sie ist in der Weise aber auch dieselbe, wie die subalternierte Wissenschaft dieselbe wie die subalternierende ist.57 Das Subalternationsverhältnis, mittels dessen der Zusammenhang der beiden Metaphysiken auf der Ebene des faktischen Wissens beschrieben wird, gründet sich gerade darin, daß das göttliche Seiende von uns nicht auf natürliche Weise erkannt werden kann, sondern eine Erkenntnis nur anhand der transzendentalen Begriffe möglich ist, nicht aber durch einen eigentümlichen Sinngehalt. Mag das abgetrennte Seiende auch eigentümliche Eigenschaften neben den Eigenschaften des allgemeinen Seienden besitzen, so bleiben diese für uns doch gänzlich unbekannt, wenn sie uns nicht durch die Prinzipien des Seienden erklärt werden. Daher nimmt die Wissenschaft, die vom abgetrennten Seienden handelt, ihre Prinzipien von der allgemeinen Seinswissenschaft, die von diesen transcendentia handelt, und die damit zugleich den Beweis leistet, daß das göttliche Seiende existiert. Die Wissenschaft vom abgetrennten Seienden, so wiederholt Franziskus im VI. Buch noch einmal, wird somit aufgrund der Bedingtheit des menschlichen Erkenntnisvermögens in bestimmter Weise mit der allgemeinen Seinswissenschaft ‚vermischt‘ (admiscetur).58 Für die Physik und die Mathematik, die beiden anderen theoretischen Wissenschaften, gilt diese Abhängigkeitsrelation im Sinne der subalternatio deswegen nicht, weil hier die Prinzipien durch sich bekannt sind und nicht von den Prinzipien des Seienden abhängen. Physik und Mathematik sind daher schlechthin von der Metaphysik distinkte Wissenschaften. Die für uns 57 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Si autem loquitur de ente secundo modo, ut est cognoscibile a nobis a posteriori, sic dico, quod de ente separato est quodam modo scientia alia a metaphysica et quodam modo eadem. Est autem alia sicut scientia subalternata est alia a subalternante. Est autem eadem sicut scientia subalternata est eadem subalternanti“. 58 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam VI, 16, ed. Zimmermann, S. 99: „Quod patet, quia ens separatum non cognoscitur a nobis naturaliter nisi per conceptus transcendentes entis, unius, multi, actus et potentiae, simplicis et compositi, finiti et infiniti, non autem per propriam rationem. Ideo scientia, quae est de ente separato, accipit principia sua a scientia, quae est de ente. Propter quod probare ens separatum esse pertinet ad scientiam de ente, quia ens separatum non probatur nisi per conceptus transcendentes, secundum Avicennam in I° Metaphysicae. Ergo scientia de ente separato admiscetur quodam modo cum scientia de ente“.
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mögliche Wissenschaft vom göttlichen Seienden aber hat keine eigenständigen Prinzipien neben den Prinzipien des Seienden. Bemerkenswert ist, daß Franziskus bereits an dieser Stelle, im VI. Buch des „Metaphysik-Kommentars“, nicht mehr von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ spricht, sondern nur noch von ‚Metaphysik‘ im Sinne der allgemeinen Seinswissenschaft und von der ‚Wissenschaft vom abgetrennten Seienden‘ im Sinne der theologischen Wissenschaft. Welche Bedeutung dieser terminologischen Verschiebung zukommt, läßt sich aus dem folgenden erschließen: nicht nur auf der Ebene des Wissens pro nobis, sondern auch auf der Ebene eines idealen Wissens gibt es eine Aufspaltung der Metaphysik in eine allgemeine Seinswissenschaft und in eine göttliche Wissenschaft. Auch wie das göttliche Seiende in sich selbst, d. h. seiner Natur nach erkennbar ist, muß es von ihm Franziskus zufolge eine eigenständige und distinkte Wissenschaft ‚neben‘ der allgemeinen Seinswissenschaft geben, genauso wie es vom unabtrennbaren Seienden eine eigenständige Wissenschaft neben der allgemeinen Seinswissenschaft gibt.59 Franziskus’ Argumente hierfür sind dieselben wie diejenigen, die er auf der Ebene des faktischen Wissens anführt; so, wie das unabtrennbare Seiende eigentümliche Eigenschaften hat, die von diesem aus eigenständigen Prinzipien geschlossen werden können, und es daher von diesem eine gesonderte Wissenschaft neben der allgemeinen Seinswissenschaft gibt, so hat auch das abtrennbare Seiende eigentümliche Eigenschaften, die von ihm aus eigenständigen Prinzipien geschlossen werden können, weshalb es auch von ihm selbst eine besondere Wissenschaft neben der allgemeinen Seinswissenschaft geben muß. Und diese Wissenschaft ist geeignet, durch eigenständige Prinzipien erlangt zu werden. Franziskus’ Ausführungen im VI. Buch der „Quaestiones in metaphysicam“ machen mehreres deutlich: Die Unterscheidung einer ‚Allgemeinen‘ und einer ‚Besonderen Metaphysik‘ findet sich sowohl im Bereich unserer Erkenntnismöglichkeiten, d. h. auf der Ebene des faktischen Wissens, als auch im Bereich einer apriorischen Erkenntnis, d. h. auf der Ebene eines idealen Wissens. Franziskus von Marchia nimmt also für beide Ebenen, für den Bereich des Wissens pro nobis ebenso wie für den Bereich eines Wissens in se, die Aufspaltung in eine ‚Allgemeine‘ und in eine ‚Besondere Metaphysik‘, allgemeiner gesprochen: in eine 59 Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam, ed. Zimmermann, S. 99: „Primo modo de ente separato est propria scientia et distincta praeter scientiam, quae est de ente, sicut de ente inseparabili est propria scientia praeter scientiam de ente.“
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ontologische und eine theologische Wissenschaft an. Allerdings gestaltet sich das Verhältnis beider Wissenschaften zueinander und damit das Maß ihrer ‚Autonomie‘ in unterschiedlicher Weise. Im Bereich des faktischen Wissens besteht aufgrund der dargestellten wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Abhängigkeiten ein spezifisches Subalternationsverhältnis, bei dem die ‚Besondere Metaphysik‘ der ‚Allgemeinen‘ untergeordnet (subalterniert) ist, was vor allem durch das Unvermögen der menschlichen Erkenntniskraft bedingt ist, die göttlichen Wesenseigenschaften und Prinzipien auf natürliche und selbständige Weise (ohne Zuhilfenahme der transzendentalen Begriffe) zu erfassen. Auf der Ebene eines idealen Wissens fällt diese Begrenztheit natürlicherweise weg und ermöglicht somit eine vollkommene Eigenständigkeit der beiden Wissenschaften, da die Wissenschaft vom göttlichen Seienden hier prädestiniert ist, aufgrund selbständiger Prinzipien erlangt zu werden. Und diese ‚Autonomie‘ der beiden Wissenschaften auf der Ebene des Wissens in se spiegelt sich auch signifikant in ihrer Benennung wider: die Wissenschaft, wie sie auf der Ebene des idealen Wissens vom göttlichen Seienden ‚in sich‘ handelt, wird von Franziskus nun nur noch als ‚scientia divina‘/‚theologia‘, die Wissenschaft vom Seienden als solchen auf dieser Ebene nur noch als ‚metaphysica‘ bezeichnet. Tatsächlich scheint diese ‚Umbenennung‘ adäquat, da eine Spezifizierung, die sich im Rahmen einer terminologischen Abstufung von ‚allgemeiner‘ und ‚besonderer‘ Wissenschaft bewegt, nur dann sinnvoll ist, wenn auch irgendeine besondere Form von inhaltlicher Abhängigkeit besteht. Diese vor allem epistemologische Bezogenheit fällt jedoch auf der Ebene des idealen Wissens notwendigerweise weg und macht damit zugleich eine ‚autonome‘ Benennung sinnvoll. Erstaunlich scheint dabei allerdings, daß Franziskus von Marchia im VI. Buch des „Metaphysik-Kommentars“—wie im Vorangegangenen angedeutet—schließlich auch auf der Ebene des faktischen Wissens von der Bezeichnung ‚Allgemeine‘ und ‚Besondere Metaphysik‘ abweicht, was doch im Gegensatz, zumindest aber in veränderter Nuancierung gegenüber seinen Ausführungen im I. Buch und seiner Konzeption insgesamt zu stehen scheint. Gerade in der Unterscheidung zweier Wissenschaften ‚innerhalb‘ der Metaphysik schien die Anpassung von Franziskus’ Metaphysik-Konzeption an die besonderen Bedingungen des Bereichs menschlichen Wissens ihren angemessenen Ausdruck zu finden. Weshalb soll sich dies nun erübrigen können? Aufschlußreiches zu dieser Beobachtung finden wir im Prolog des „SentenzenKommentars“, wo sich Franziskus genau mit diesem Problem der Be-
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nennung der beiden metaphysischen Wissenschaften im Bereich des für uns möglichen Wissens in besonderer Weise auseinandersetzt. 6. Überwindung der Unterscheidung von Allgemeiner und Besonderer Metaphysik? Franziskus von Marchia führt im Prolog zu seinem „Sentenzen-Kommentar“ selbst ein Bedenken an, welches über die Ausführungen im „Metaphysik-Kommentar“ insofern hinauszugehen scheint, als hier ein neues Problembewußtsein anklingt. Man könnte sich schließlich fragen, so Franziskus, ob die Wissenschaft von Gott nicht, „statt eine ‚Besondere Metaphysik‘ zu sein, lediglich ein gewisser ‚Teil der Metaphysik‘ sei“.60 Ist der Wissenschaft, die vom göttlichen Seienden handelt, tatsächlich ein ‚eigenständiger Status‘ zuzusprechen? Marchia bejaht dies, da sie als subjektiver Teil der Metaphysik (in dem das Allgemeine als Ganzes bewahrt wird) notwendig auch ‚Metaphysik‘ sei; und da die ‚Allgemeine Metaphysik‘ vom Seienden im allgemeinen handelt, ist es also die ‚Besondere Metaphysik‘, die vom göttlichen Seienden handelt, was ja bereits ausführlich gezeigt wurde. Denn nur, wenn die Wissenschaft von Gott integraler Teil der Metaphysik wäre—in dem der Sinngehalt des Ganzen jedoch nicht bewahrt wird—, wäre sie nicht Metaphysik (aber auch keine andere Wissenschaft, d. h. gar keine Wissenschaft, was unmöglich ist, da jede wissenschaftliche Kenntnis Wissenschaft ist).61 Franziskus hält also zunächst noch gänzlich an seiner Lehre einer zweifachen Metaphysik fest und bekräftigt gegen den vorgebrachten Einwand die Eigenständigkeit der göttlichen Wissenschaft als „Besondere Metaphysik“. Weitergehend, so Franziskus, könnte jedoch eingewandt werden, daß die göttliche Wissenschaft weder ‚Besondere‘ noch ‚Allgemeine Meta60 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Forte dices quod sciencia de Deo non est metaphisica particularis, set est quedam pars metaphisice“. 61 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Contra. Aut est pars metaphisice subiectiua, aut integralis; si est pars subiectiua eius, igitur est metaphisica, quia in parte subiectiua saluatur totum uniuersale et non est metaphisica communis, quia illa est de ente; igitur est metaphisica particularis: quod est propositum; si est pars integralis—et in parte integrali non saluatur racio tocius—igitur non est metaphisica et non est alica alia sciencia; igitur non est sciencia: quod falsum est, quia omnis noticia scientifica est sciencia; igitur relinquitur primum, quod sit metaphisica particularis“.
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physik‘, und auch kein Teil der Metaphysik—weder integraler noch subjektiver—sei, sondern vielmehr eine besondere Wissenschaft, die sowohl von der Metaphysik als auch von den anderen besonderen Wissenschaften als „göttliche Wissenschaft“ (scientia divina) unterschieden ist.62 Auch gegen diesen Einwand wiederholt er zunächst jedoch noch einmal diejenigen, im Vorangegangenen bereits dargestellten Gründe für die Annahme, die göttliche Wissenschaft gehöre zur Metaphysik, genauer: zur ‚Besonderen Metaphysik‘ im strikten Sinne, zur ‚Allgemeinen Metaphysik‘ hingegen in einer abgeleiteten Weise. Er stützt sich dabei zudem auf die aristotelische Aussage im 2. Kapitel des I. Buches der „Metaphysik“:63 „Die Erste Philosophie ist die Metaphysik; die göttliche Wissenschaft gehört aber zur Ersten Philosophie, was aus dem zweiten Kapitel der Metaphysik hervorgeht; also ist sie Metaphysik“.64 Zusammenfassend resümiert Franziskus: „Man kann also sagen, daß die Metaphysik zweifach ist, wie es schon gesagt wurde: nämlich allgemein und besonders, und man kann jede von beiden ‚göttliche Wissenschaft‘ nennen. Die Allgemeine Metaphysik ist zuletzt (finaliter) göttliche Wissenschaft, weil sie das Sein Gottes beweist, und auf dieses wird sie auf vorrangige Weise hingeordnet, so daß—was durch sich selbst offenkundig ist—wir das Sein Gottes sichern können. Die Besondere Metaphysik ist göttliche Wissenschaft, weil sie die göttlichen Vollkommenheiten erforscht“.65
„Quod si illud non placet…“—„Aber wenn dies nun alles nicht zufriedenstellt…“? Dann, so Franziskus, könnte als letzte Möglichkeit angenommen werden, daß die eigentümliche Wissenschaft von Gott, die aufgrund natür62 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Forte dices quod non est metaphisica particularis, nec communis, nec est pars metaphisice integralis, nec subiectiua; set est quedam sciencia specialis distincta a metaphisica et ab aliis scienciis specialibus et potest appellari sciencia diuina, que est de Deo“. 63 Aristoteles Latinus, Met. A 2, 983a5–11. 64 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Prima philosophia est metaphisica; set sciencia diuina pertinet ad primam philosophiam; patet 2 Metaphisice; igitur est metaphisica.“ 65 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Potest igitur dici quod duplex est metaphisica, sicud dictum est: communis, scilicet, et particularis, et utraque potest dici sciencia diuina. Metaphisica communis est sciencia divina finaliter, quia probat Deum esse, et ad hoc ordinatur principaliter ut, patet per ipsam, possimus stabilire Deum esse; metaphisica particularis est sciencia diuina quia inuestigat perfectiones diuinas.“
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licher Prinzipien zu haben möglich ist, tatsächlich nicht Metaphysik sei, und auch nicht ein Teil der Metaphysik, sondern eine besondere Wissenschaft, die von der Metaphysik und den übrigen Einzelwissenschaften gänzlich unterschieden ist, die aber in die Metaphysik gestellt wird (collocatur) aufgrund ihres Gegenstandes (subiectum), der in dieser bewiesen wird. Sie ist somit jedoch kein Teil von dieser und kann unter einem eigenen, speziellen Namen ‚göttliche Wissenschaft‘ genannt werden.66 Und dies würde dann in der Tat bedeuten, daß die Wissenschaft, die das Göttliche zum Gegenstand hat, nicht mehr als Besondere Metaphysik aufzufassen ist, sondern als von der Metaphysik getrennte scientia divina oder theologia (und auch nur noch unter dieser Bezeichnung auftaucht). „Et forte iste modus est convenientior primo…“—„Und vielleicht ist diese Weise angemessener als die erste…“ Angemessener deshalb, weil die göttliche Wissenschaft, die Theologie, damit eher einen gänzlich eigenständigen Status wie die beiden anderen von der allgemeinen Seinswissenschaft unterschiedenen Wissenschaften zugesprochen bekommt. So, wie die Physik, die vom sinnenfälligen Seienden handelt, eine andere Wissenschaft ist als die Metaphysik, und damit weder ‚Allgemeine‘ noch ‚Besondere Metaphysik‘ ist, und auf ähnliche Weise die Mathematik, die vom dem Begriff nach abgetrennten Seienden handelt, eine andere Wissenschaft ist als die Metaphysik, und ebenfalls weder ‚Allgemeine‘ noch ‚Besondere Metaphysik‘ ist, so wäre damit analog auch die Theologie, die vom in Wirklichkeit abgetrennten Seienden handelt, eine andere Wissenschaft als die Metaphysik und weder ‚Allgemeine‘ noch ‚Besondere Metaphysik‘.67 Die 66 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373 f.: „Quod si illud non placet, potest teneri ultima uia, quod sciencia propria de Deo possibilis haberi ex principiis naturalibus non est metaphysica, nec est pars metaphisice, set est quedam sciencia specialis distincta a metaphisica et ab aliis scienciis specialibus, set collocatur in metaphisica racione sui subiecti, quod demonstratur in ea, non tamen quod sit de ea, set quia metaphisica demonstrat subiectum suum esse, ideo collocatur in metaphisica, et potest speciali nomine appellari sciencia diuina.“ 67 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373: „Et forte iste modus est conueniencior primo, et sicud phisica, que est de ente sensibili, est alia a metaphisica, et non est metaphisica communis nec particularis; similiter mathematica, que est de ente separato secundum racionem est alia a metaphisica, nec est metaphisica communis nec particularis; ita sciencia, que est de ente separato secundum rem, est alia a metaphisica, nec est metaphisica communis nec particularis“.
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theologische Wissenschaft würde somit zu einer ebenso eigenständigen und von der zugrundeliegenden allgemeinen Seinswissenschaft unabhängigen Wissenschaft wie die anderen Einzelwissenschaften, womit sie angemessenerweise auch nicht mehr als Besondere Metaphysik, sondern ihrem selbständigen Status gemäß als „göttliche Wissenschaft“ zu bezeichnen wäre. Zugleich kann dann die ontologische Metaphysik allein als ‚metaphysica‘ bestehen. In gewisser Weise werden damit die Verhältnisse der Ebene eines idealen Wissens von Franziskus in einem letzten Schritt (idealerweise) auch auf die Ebene des faktischen Wissens übertragen, die er zuvor stets als durch den menschlichen Verstand bedingten Kontext gekennzeichnet hatte. Aber läßt sich tatsächlich auch hier eine vollständige Autonomie beider Wissenschaften denken? Eine abschließende Bemerkung macht deutlich, daß Franziskus eine solch strikte Trennung im Bereich des faktischen Wissens nicht völlig uneingeschränkt gelten lassen kann und er die Theologie als diejenige Wissenschaft, die vom in Wirklichkeit abgetrennten Seienden handelt, doch immer noch als von der Metaphysik abhängig und weit mehr zur Metaphysik zählt als Physik oder Mathematik, deren Gegenstände nicht in der Metaphysik bewiesen werden, sondern von den Sinnen her genommen sind. Der Gegenstand der scientia divina aber wird—da er nicht von den Sinnen her genommen ist—weiterhin gerade in der Metaphysik bewiesen.68 Wie also ist vor diesem Hintergrund die Zuspitzung, wie sie sich im „SentenzenKommentar“ findet, abschließend zu werten? 7. ‚Spaltung der Metaphysik‘ oder ‚Emanzipierung der Theologie‘? In Auseinandersetzung mit der aristotelischen Konzeption der Metaphysik nimmt Franziskus von Marchia im Rahmen seines originären Metaphysik-Entwurfs, wie er ihn in seinen „Quaestiones in metaphysicam“ entwickelt, eine Aufspaltung der Metaphysik sowohl in eine allgemeine Seinswissenschaft (metaphysica communis) als auch in eine theologische Wissenschaft (metaphysica particularis) vor, die beide im Bereich des 68 Vgl. Franciscus de Marchia, Commentarius in librum Sententiarum, prologus, q. 2, ed. Mariani, S. 373 f.: „(…) set pro tanto ista, que est de ente separato secundum rem, magis collocatur in metaphisica quam phisica aut mathematica, quia subiectum phisice et mathematice non demonstratur in metaphisica set est acceptum a sensu; subiectum autem istius, cum non sit acceptum a sensu, demonstratur in metaphisica, ideo ista magis collocatur in metaphisica quam illa.“
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für den Menschen möglichen Wissens angesiedelt sind. Er synthetisiert damit gleichermaßen die Modelle vorangehender Denker, die jeweils nur einer der aristotelischen Wesensbestimmungen Platz einräumten, vor allem übersteigt er somit jedoch auch die Konzeption des Johannes Duns Scotus, der die Metaphysik mit Blick auf die epistemischen Bedingtheiten des Menschen einzig als scientia transcendens, als ontologische Wissenschaft, für möglich erachtete, die Metaphysik im Sinne der Theologie hingegen nur im Bereich des idealen Wissens gelten ließ. Franziskus—und das ist bemerkenswert—nimmt demgegenüber nicht nur eine Theologie im Bereich des faktischen Wissens an (und damit eine ‚Verdopplung‘ der metaphysischen Theologie), sondern er postuliert auch für beide Bereiche eine metaphysische Ontologie. Sowohl auf der Ebene eines Wissens in se als auch auf derjenigen des Wissens pro nobis finden sich somit beide Wesensbestimmungen der aristotelischen Metaphysik ‚disziplinär verwirklicht‘. Das Verhältnis dieser beiden Wissenschaften zueinander gestaltet sich jedoch auf den beiden Ebenen in unterschiedlicher Weise: besteht aufgrund der Begrenzungen des menschlichen Erkenntnisvermögens auf der Ebene des faktischen Wissens ein spezifisches Subalternationsverhältnis, das sich in der ‚Abhängigkeit‘ der ‚Besonderen‘ von der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ manifestiert, so erweist sich dieses auf der Ebene eines idealen Wissens selbstverständlich als nicht notwendig. Hier erscheinen beide Wissenschaften als unabhängig und vollständig voneinander getrennt. Dies schlägt sich auch in der Bezeichnung der Wissenschaften nieder; Franziskus nennt sie dort nur noch ‚Metaphysik‘ und ‚Theologie‘ und verwendet nicht mehr die auf der Ebene des Wissens pro nobis eingeführten Begriffe ‚Allgemeine‘ und ‚Besondere Metaphysik‘. Bemerkenswerterweise überträgt Franziskus diese Bezeichnungen, ‚metaphysica‘ und ‚scientia divina‘/‚theologia‘, im Prolog seines „SentenzenKommentars“ (andeutungsweise auch schon im 6. Buch des „Metaphysik-Kommentars“) jedoch auch auf die Wissenschaften im Bereich des faktischen Wissens. Er scheint damit das Theorem einer Aufgliederung der Metaphysik in eine ‚metaphysica communis‘ und eine ‚metaphysica particularis‘ gänzlich durch die Aufspaltung in Metaphysik und Theologie abzulösen. Man wird aufgrund der vorangegangenen Darstellung feststellen müssen, daß Franziskus in seiner Metaphysik-Konzeption letzten Endes wohl nicht primär die Aufgliederung der Metaphysik in eine ‚Allgemeine‘ und eine ‚Besondere Metaphysik‘ beabsichtigt haben mag, wenngleich sowohl Franziskus’ eigene Herangehensweise zu Beginn seines „Metaphysik-Kommentars“ als auch die philosophiegeschichtliche
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Wirkkraft dieses Theorems eine solche Vermutung zunächst durchaus naheliegend erscheinen lassen. Vielmehr erweist sich dieses durch Franziskus von Marchia erstmals entwickelte Modell zweier Metaphysiken jedoch als eine gleichsam ‚abgeleitete‘ Form der eigentlichen Trennung der Theologie von der Metaphysik im Bereich eines idealen Wissens, wie sie sich allererst aufgrund der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten, vor allem aber durch deren Bedingtheiten ergibt. Beide Konzeptionen— die zweier Metaphysiken ebenso wie die einer strikten Trennung von Metaphysik und Theologie—erscheinen somit als den beiden Kontexten, für die sie Gültigkeit besitzen (dem Bereich des Wissens ‚in sich‘ und demjenigen ‚für uns‘), in angemessener Weise angepaßt. Die Bemerkungen im Prolog des „Sentenzen-Kommentars“ belegen, daß sich aus der Perspektive eines idealen Wissens das neu eingeführte Theorem von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ tatsächlich weniger als ein ursprünglich intendiertes Moment denn als ein dem faktischen Wissen entsprechendes, damit aber eher ‚defizitäres Pendant‘ zu der aus den Möglichkeiten eines idealen Wissens erwachsenen Trennung von Metaphysik und Theologie erweist. Wenngleich die von Franziskus explizit ausgesprochene Möglichkeit einer Übertragung der—auf der Ebene des idealen Wissens adäquat erscheinenden—Benennung der beiden Wissenschaften als metaphysica und theologia auf der Ebene des faktischen Wissens die Bedingungen des menschlichen Verstandes zu übersteigen scheint, so stellt sie doch in gewisser Weise ein ‚Korrektiv‘ der Angehensweise im 1. Buch des „Metaphysik-Kommentars“ dar, in dem Franziskus durch die Betonung der Verbundenheit von ‚Allgemeiner‘ und ‚Besonderer Metaphysik‘ in besonderer Weise das Moment der Einheit der aristotelischen Metaphysik-Konzeption zum Tragen kommen ließ. Aus diesem Blickwinkel, der sich allererst aus der Zusammenschau des „Sentenzen-Kommentars“ mit den Ausführungen im (früheren?) „Metaphysik-Kommentar“ ergibt, erweist sich somit, daß Franziskus von Marchia die Theologie—entgegen dem Bild, wie es sich zunächst innerhalb der „Quaestiones in metaphysicam“ für den Bereich des Wissens pro nobis zeigte—gänzlich aus dem Gegenstandsbereich der Metaphysik ausschließt und als eigenständige Wissenschaft neben dieser etabliert. Treffend scheint die Bemerkung von W. Goris, aus der Unterscheidung ‚innerhalb‘ der Metaphysik erwachse somit letztlich eine Unterscheidung ‚von‘ der Metaphysik.69 Damit wäre
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Vgl. W. Goris, The Scattered Field. History of Metaphysics in the Postmetaphysical Era,
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aber zugleich auch der eigentliche Kern von Franziskus’ MetaphysikKonzeption zu korrigieren: nicht die erste Unterscheidung einer ‚Allgemeinen‘ und einer ‚Besonderen Metaphysik‘ scheint hier im Vordergrund gestanden zu haben, sondern vielmehr die Emanzipierung der Theologie von der Metaphysik, deren adäquate Umsetzung Franziskus von Marchia auf der Ebene des für uns möglichen Wissens in dem historisch bedeutsam gewordenen Theorem einer metaphysica generalis und einer metaphysica specialis erstmals explizit entwarf. * * * Eine Frage ist am Schluß dieses Kapitels allerdings noch nicht hinreichend beantwortet worden: Was hat nun die im Rahmen der 3. Quaestio des „Quodlibet“ geleistete ‚Erarbeitung‘ des (supertranszendentalen) res-Begriffs (als intentio neutra), wie er sich anhand des Modells der Satzstruktur auf die Stelle des subiectum einer Wissenschaft, insbesondere der Metaphysik, zu positionieren schien, genau mit der soeben erörterten Aufspaltung der Metaphysik zu tun? Diese Frage stellt sich insbesondere aufgrund des Umstandes, daß das proprium subiectum der metaphysica generalis zu Beginn der „Quaestiones in metaphysicam“ gerade nicht als univok für das ens reale ‚und‘ das ens rationis, sondern vielmehr als lediglich für alle Begriffe erster Intention gültig bestimmt wurde. Ich glaube, daß gerade die in der Ausprägung des MetaphysikSubjekts (bzw. der zwei Metaphysik-Subjekte) nicht zum Tragen kommende, in „Quodl. 3“ entwickelte ‚Super-Transzendentalität‘ der ersten Verstandesbegriffe die Aufspaltung der Metaphysik konzeptionell allererst ermöglicht. Wie am Ende des I. Kapitels der vorliegenden Untersuchung deutlich geworden ist, basiert Franziskus’ Entwurf grundlegend auf der neu vorgenommenen Dissoziation von proprium subiectum metaphysicae und primum obiectum intellectus. Der Gegenstand der Metaphysik—der beiden Metaphysiken—ist nicht identisch mit dem ersten Gegenstand des menschlichen Intellekts. Und genau diese systematische Bedingung findet sich für die zwei Metaphysiken verwirklicht: Gegenstand der ‚Allgemeinen Metaphysik‘ ist nicht das primum obiectum intellectus, wie es von Franziskus auf neue Weise als ‚supertranszendental‘ gezeigt worden ist, sondern der überlieferte Transzendentalbegriff des ‚Dinges‘, der sich allein auf alles Realseiende, auf die Begriffe erster Intention zu erstrecken vermag; und Gegenstand der Louvain 2004, S. 29: „The distinction within metaphysics thus grows into a distinction of metaphysics.“
das erste modell einer aufspaltung der metaphysik
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‚Besonderen Metaphysik‘ ist auch nicht das primum obiectum intellectus, sondern Gott. Nur, indem Franziskus von Marchia das primum obiectum intellectus vom eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik ablöst und zudem neu—supertranszendental—bestimmt, kann er beide (aristotelische) Gegenstandsbestimmungen konzeptionell legitimieren und gleichermaßen in seinem Metaphysik-Entwurf etablieren. Das Schema, das sich zusammenfassend am Ende des ersten Kapitels findet, ließe sich demnach folgendermaßen ergänzen:
Wenn sich nun in Franziskus’ Entwurf die ‚supertranszendentale‘ Erweiterung des primum obiectum intellectus (d. h. der ersten Verstandesbegriffe) als konstitutiv für die Ermöglichung der zwei Subjekte der Metaphysik (und damit für die Spaltung der Metaphysik überhaupt) erweist—gerade weil es diese ihrem ontologischen Umfang nach übersteigt und damit vom proprium subiectum metaphysicae dissoziiert ist—, müssen wir im folgenden Kapitel diese ‚Super-Transzendentalisierung‘ selbst noch einmal gesondert in den Blick nehmen. Wie legitimiert Franziskus überhaupt solche, ontologisch auf den Bereich des Gedanklichen erweiterten Erstbegriffe des menschlichen Intellekts?
kapitel iii ‚INTENTIONES NEUTRAE‘—DIE LEGITIMATION ‚SUPER‘-TRANSZENDENTALER BESTIMMUNGEN Erst durch den Aufstieg zur Hochfläche der Transzendentalien wird die Philosophie jene fürstliche Wissenschaft, die die ganze Welt der bloß kategorialen Bereiche tief unter sich liegen sieht. Sie allein steht im blauen Äther der wahrhaften Unendlichkeit des Seins.1
Bereits die Betrachtung von „Quodl. 3“, wie wir sie im I. Kapitel der vorliegenden Studie vorgenommen haben, hat gezeigt, daß Franziskus von Marchia den mittelalterlichen Transzendentalbegriffen ‚unum‘, ‚verum‘ und ‚bonum‘, in besonderer Weise aber vor allem den quidditativen transcendentia ‚res‘, ‚ens‘ und ‚aliquid‘, einen neuen ‚ontologischen Status‘ zuzubilligen scheint. Im Rahmen der übergeordneten Frage nach dem Stellenwert des Seinsbegriffs werden die bis dahin als ‚Erstbegriffe‘ geltenden Transzendentalien von Franziskus gewissermaßen im Sinne der später sog. ‚Supertranszendentalien‘ umgedeutet, indem er ihnen einen—gegenüber den Konzeptionen vorangehender Denker— erweiterten Geltungsbereich zuspricht. Nicht mehr allein mit Blick auf alles Realseiende (ens reale), sondern auch auf den Bereich des ens rationis müssen sich die transzendentalen Begriffe erstrecken, um ihrem Anspruch als ‚Erstbegriffe‘ tatsächlich gerecht werden zu können. Terminologisch fand diese inhaltliche Modifikation und Kritik an der ‚klassischen‘ Transzendentalienlehre ihren Niederschlag in der Bestimmung der transcendentia als ‚intentiones neutrae‘. Die Transzendentalbegriffe werden in Franziskus’ Konzeption zu intentiones neutrae, da sie weder—wie bisher—als ‚Begriffe erster Intention‘ aufgefaßt werden (bezugnehmend auf den Bereich des Realseienden) noch als ‚Begriffe zweiter Intention‘ (primär auf Gedankliches bzw. Begriffliches rekurrierend); vielmehr übersteigen sie diese ursprüngliche Distinktion und umfassen beide
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P. Wust, Ungewissheit und Wagnis IV, München/Kempten 1937, S. 152.
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Bereiche gleichermaßen, womit sie sich zugleich als ‚indifferent‘ oder ‚neutral‘ gegenüber der überkommenen Einteilung erweisen.2 Es findet sich somit bereits in der 3. Quaestio des „Quodlibet“ eine gewisse inhaltliche Ausdeutung der intentiones neutrae, jener im 13. Jahrhundert ursprünglich als lediglich die aristotelischen Kategorien übersteigend konzipierten Erstbegriffe ens, res, aliquid, unum, verum und bonum, d. h. der ‚transzendentalen‘ Begriffe, die nun einen neuen und umfassenderen (nämlich auf das ens rationis hin ausgedehnten) Gegenstandsbereich zugeschrieben bekommen. Im Grunde liefert Franziskus aber im Zusammenhang der 3. Quaestio, in der es ihm ja vor allem um eine Korrektur der traditionellen Auffassung von der Primatstellung des Begriffs des ‚Seienden‘ und um eine damit einhergehende, veränderte hierarchische Ordnung innerhalb der gesamten Gruppe der transzendentalen (nunmehr ‚neutralen‘) Begriffe zu tun ist, keine nähere Erklärung für die ‚supertranszendentale Neubestimmung‘ der transcendentia. Wir müssen uns daher desweiteren fragen, wie die Konzeption jener ‚intentiones neutrae‘ in ihrer Univozität für den Bereich des realen und des gedanklichen Seienden strukturell genauer zu denken sei. Denn letzten Endes bleibt innerhalb der Darlegungen von „Quodl. 3“ doch gänzlich ungeklärt, ob die postulierte Modifikation der Transzendentalien im Sinne der ‚ontologischen Erweiterung‘ um den Gegenstandsbereich des ens rationis grundsätzlich zu legitimieren sei.3 Inwiefern also scheint 2 Erinnert sei noch einmal an die bereits im 1. Kapitel näher untersuchte Textstelle aus der 3. Quaestio von Franziskus’ „Quodlibet“, ed. Mariani, S. 71 f.: „Quedam [intentiones] uero, sunt neutre: neque prime, neque secunde, set communes ad utramque sicud est forte intencio entis, que includitur formaliter in utraque intencione tam prima quam secunda. Et ita patet, quod non omnis intencio est prima uel secunda, quia est intencio entis que nec est prima nec secunda (…). Intencionum autem neutrarum positiuarum quedam sunt quiditatiue sicud est intencio rei, intencio entis et aliquid, que dicunt quid; quedam sunt denominatiue siue qualitatiue sicud intencio unius, ueri et boni simpliciter.“ 3 Einzig in Quodl. 3, 1, 2, liefert Franziskus überhaupt eine systematische Bestimmung der intentio neutra, indem er dieser den Gegenbegriff der intentio determinata gegenüberstellt: „Item, intentio neutra est alia ab intentione determinata; set intentio rei non est intentio neutra, quia nec abstracta, nec concreta. Patet, quia cuilibet intentioni abstracte conrespondet propria intentio concreta, et, e converso, cuilibet intentioni concrete abstracta; set intentioni rei non conrespondet alia intentio abstracta nec concreta; igitur est intentio neutra (…)“ (vgl. Quodl., 3,1,2, ed. Mariani, S. 81). Die intentio neutra ist von der intentio determinata grundlegend zu unterscheiden, da diese auf eine bestimmte Form festzulegen ist (entweder konkret oder abstrakt), während die intentio neutra sich in dieser Weise nicht determinieren läßt, sondern dieser Distinktion gegenüber unbestimmt (‚neutral‘) bleibt. Die intentio rei wird als intentio neutra bestimmt, weil sie—so Franziskus in einer nicht ganz unproblematischen Begründung—weder
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hier tatsächlich erstmals eine Lehre von den später „supertranszendental“ genannten Bestimmungen exemplifiziert? Auf welcher argumentativen Grundlage kann Franziskus die ‚traditionellen Transzendentalbegriffe‘ so selbstverständlich als ‚intentiones neutrae‘ klassifizieren? Mit anderen Worten: Kann es überhaupt einen oder mehrere Begriffe geben, die etwas der ursprünglichen Einteilung in reales und gedankliches Seiendes noch Vorangehendes bezeichnen und damit in gleicher Weise (univok) Gültigkeit besitzen sowohl für das ens reale als auch für das ens rationis? Innerhalb der 5. Quaestio seines „Quodlibet“ liefert Franziskus selbst die entscheidenden Ausführungen zur Beantwortung dieser Fragen, wie sie sich aus den Darlegungen der 3. Quaestio ergeben. Sie erweisen sich damit gleichsam ‚rückwirkend‘ als Schlüsseltext für eine argumentative Begründung der dort so unvermittelt und ohne weitere Erläuterungen eingeführten intentiones neutrae, der späteren supertranscendentia. Im Folgenden wollen wir daher die Argumentationsstrategie in „Quodl. 5“—dem ‚Legitimations- und Ursprungsort‘ des ‚Super‘-Transzendentalen—einer eingehenden Betrachtung unterziehen. * * * Daß die Option solcher univok für das Realseiende und das gedankliche Seiende gültiger Erstbegriffe tatsächlich einer grundsätzlichen Legitimierung bedurfte und nicht etwa eine ‚Scheinfrage‘ darstellt, sondern vielmehr in einem lebhaften Diskussionszusammenhang stand, belegen die kontroversen Debatten, wie sie bereits zu Franziskus’ Zeit, darüber hinaus aber noch weit bis in das 16. und 17. Jahrhundert hinein geführt wurden.4 Inwiefern Franziskus von Marchia innerhalb abstrakt noch konkret sei (nec abstracta, nec concreta), d. h. ihr weder ein konkreter noch abstrakter Begriff entspreche (intentioni rei non conrespondet alia intentio abstracta nec concreta). Im Gegensatz dazu steht der Begriff des ‚Seienden‘; die intentio entis ist konkret, der Begriff der ‚Seiendheit‘ (intentio entitatis) bildet das entsprechend abstrakte Pendant: „(…) set intentio entis est intentio altera quia est intentio concreta, intentio autem entitatis est intentio abstracta; igitur intentio rei est alia ab intentione entis, sicud intentio neutra est alia ab intentione altera“ (vgl. Quodl., 3, 1, 2, ed. Mariani, S. 81). ‚Ens‘ gilt damit als das Beispiel für eine (spezifischere, damit aber auch nachgeordnete) intentio determinata. 4 Einen umfassenden Überblick und zahlreiches Material bezüglich dieser Debatten um die ‚Supertranszendentalien‘ liefern vor allem die bereits erwähnten Arbeiten von J.P. Doyle, Art. ‚Supertranszendent; Supertranszendenz‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 10, Basel 1998, Sp. 644–649, ders., Between transcendental and transcendental: the missing link?, in: The Review of Metaphysics 50 (1997), S. 783–815; ders., ‚Extrinsic Cognoscibility‘: A Seventeenth Century Supertranscendental Notion, in: The Modern Schoolman 68 (1990), S. 57–80; ders., Supertranscendental Being: On the Verge of Modern Philosophy, in:
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kapitel iii
dieser doktrinären Streitigkeiten, die in ihrem grundsätzlichen Ringen um den ontologischen Status von Begriffen durchaus die ‚Geburtsstunde‘ supertranszendentaler Begriffe bedingten, mit seinem Modell eindeutig Stellung bezogen hat und erstmals einen maßgeblichen Entwurf vorlegte, soll ein kurzer Blick auf einige signifikante Positionen innerhalb eben dieser Kontroverse belegen. Dazu seien zunächst— kontrastierend zu Franziskus’ Modell—die zentralen Argumente der Gegner einer Supertranszendentalienlehre vorgestellt, mit denen sich Franziskus explizit auseinandersetzt. Die Befürworter einer Lehre von den „supertranscendentia“ werden ihren Platz im Schlußkapitel der vorliegenden Untersuchung finden, wenn wir den Fortgang dieser Entwicklung im Anschluß an Franziskus von Marchia in den Blick nehmen werden, um nach Einflüssen seiner Position zu suchen. Insbesondere vor dem Hintergrund der gegnerischen Modelle läßt sich Franziskus’ Entwurf jedoch in seiner Individualität und Originalität, vor allem aber in seiner argumentativen Stoßrichtung adäquat erfassen. 1. Gegner einer Lehre von den „supertranscendentia“ Tatsächlich wurde—ausgehend von den Bemerkungen des Johannes Duns Scotus—gerade der Skotismus von der Frage ‚ontologisch bewegt‘, ob das ‚ens inquantum ens‘ nun in univokem Sinne das ens reale,
S.F. Brown (Hg.), Meeting of the Minds. The Relations between medieval and classical modern European Philosophy. Acts of the International Colloquium held at Boston College, June 14–16 1996, organized by the S.I.E.P.M., Turnhout 1998, S. 297–315, und ders., Supertranscendental Nothing: A philosophical Finisterre, in: Medioevo 24 (1998), S. 1–30. Hingewiesen sei aber auch auf die Darstellung von J. A. Aertsen, Die Umformung der Metaphysik. Das mittelalterliche Projekt der Transzendentalien, in: J. Brachtendorf (Hg.), Prudentia und Contemplatio. Ethik und Metaphysik im Mittelalter. Festschrift für Georg Wieland zum 65. Geburtstag, Paderborn u. a. 2002, S. 89–106, und ders., The Medieval Doctrine of the Transcendentals: New Literature, in: Bulletin de philosophie médiévale 41 (1999), S. 107, 122, sowie auf die Studie von T. Kobusch, Das Seiende als transzendentaler oder supertranszendentaler Begriff. Deutungen der Univozität des Begriffs bei Scotus und den Scotisten, in: L. Honnefelder/R. Wood/M. Dreyer (Hgg.), John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics, Leiden/New York/Köln 1996 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 53), S. 345–366. Kobusch liefert in systematischer Hinsicht oftmals deutlich hilfreichere Anregungen und Erklärungen als die in der Tat sehr materialreichen Sammlungen Doyles, der mehr am Rande auf die hinter der Entwicklung der Supertranszendentalien stehenden konzeptionellen Beweggründe eingeht. Zu den tatsächlichen Anfängen der Supertranszendentalienlehre bleiben allerdings bei beiden noch wesentliche Fragen und Zusammenhänge offen.
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d. h. das geschaffene und das göttliche Sein meint, oder ob es als ein noch Allgemeineres zu denken ist, das auch die Distinktion von ens reale und ens rationis univok zu übersteigen vermag.5 Zugespitzt gefragt: Ist der Begriff des ‚Seienden‘ im Hinblick auf die verschiedenen Seinsarten des ens reale und ens rationis univoker oder äquivoker Natur bzw. ist das Seiende somit ein transzendentaler oder ein super-transzendentaler Begriff? Zwei Stellen innerhalb der Texte des Johannes Duns Scotus sind es, welche die Grundlage für eine solche Spekulation hinsichtlich der Möglichkeit eines supertranszendentalen Seinsbegriffs bilden. Diejenigen, die den skotischen Begriff des Seienden im allerweitesten, die Seinsarten des ens reale, ens rationis, gegebenenfalls auch des ens morale umfassenden Sinn verstehen, berufen sich auf die bekannte Stelle in den Quodl., q. 3, n. 2, wo Scotus anläßlich einer das Problem der Relation betreffenden Frage die Äquivozität des Ausdrucks ‚res‘ erläutert: In der weitesten Bedeutung des Wortes (communissime sumptum) ist ‚res‘ all und nur das, was keinen Widerspruch in sich schließt; in diesem allgemeinsten Sinn bezeichnet res sowohl das reale wie das Gedankending. Ein ‚Ding‘ aber ist mithin alles, was begriffen werden kann, also das ‚conceptibile‘.6 Im Gegensatz dazu bildet die einzige Quaestio der d. 29 in den Reportata Parisiensia I die skotische Referenzstelle für die Gegner eines in diesem Sinne univoken Seinsbegriffs: „zwar mag ein univoker Begriff von Gott und Geschöpf abstrahiert werden können, nicht aber vom gedanklichen und realen Ding (…), denn auf der einen Seite wäre ein solcher real, auf der anderen Seite aber nur gedanklich“.7 Der Weg der Interpretationsgeschichte des skotischen Seinsbegriffs gabelt sich schon sehr früh.8 Die meisten Skotisten verstehen den Be5 Aus der Diskussion um den transzendentalen bzw. supertranszendentalen Charakter des Seinsbegriffs erwächst somit offenkundig auch eine neue Bedeutung von ,Univozität‘, die im Rahmen der skotischen Philosophie vorwiegend den besonderen Zusammenhang zwischen dem geschaffenen und dem göttlichen Sein bezeichnete, nun aber immer mehr dazu zu dienen scheint, die supertranszendentale Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Seinsarten (ens reale, ens rationis usw.) auszudrücken. 6 Vgl. Johannes Duns Scotus, Quodl. III, Opera Omnia 25, S. 114: „Non ergo nomen rei, secundum usum loquendi, determinat se ad rem extra animam, et isto intellectu communissimo, prout res vel ens dicitur quodlibet conceptibile, quod non includit contradictionem, (…) posset poni ens primum objectum intellectus“. 7 Vgl. Johannes Duns Scotus, Rep. Par. I, 29, 10 (Op. omn. XI/I, S. 171a): „(…) licet posset abstrahi unus conceptus univocus a Deo et creatura, non tamen a re rationis, et re reali (…) quia ex una parte esset realis, et ex alia rationis tantum“. 8 Auch in der modernen Skotusforschung scheint diese kontroverse Interpretation des skotischen Seinsbegriffs—wenngleich in veränderter Form und unter anderen his-
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kapitel iii
griff des ‚Seienden‘ als transzendentalen Begriff im überkommenen Sinne, der im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Seinsbereichen äquivok zu verstehen ist. Die andere Interpretationsrichtung dagegen, derzufolge das ‚Seiende‘ als supertranszendentaler Begriff aufzufassen ist, der die einzelnen Seinsarten, vor allem die des ens reale und des ens rationis, in univokem Sinne bezeichnet, bleibt zunächst in der Tat ein ‚Sonderweg‘, der erst später vielfach beachtet und erwähnt wurde. Die Auffassung, daß es einen gleichermaßen ‚super‘-transzendentalen Seinsbegriff gebe, der univoke Gültigkeit sowohl für das reale als auch für das gedankliche Seiende besitze, ist im 14. und 15. Jahrhundert keineswegs als communis opinio zu werten. Eine weit größere Fraktion innerhalb der skotistischen Tradition lehnte eine solche Möglichkeit ab. Schon der frühe Skotist Johannes de Bassolis († 1347) hält einen univoken Begriff des ‚Seienden‘, der gegenüber dem Bereich des Realen und des Gedanklichen in gleicher Weise indifferent wäre, für nicht denkbar: „So ist auch nichts univok mit Blick auf das gedankliche Seiende (ens rationis) und das Realseiende (ens reale): denn jenes wäre gemäß seiner selbst (secundum se) ununterschieden (indifferens) hinsichtlich des realen und des gedanklichen Seienden, was (jedoch) unerkennbar (inintelligibile) ist“.9
Und auch spätere Skotisten haben sich deutlich gegen die Vorstellung eines den entia realia und den entia rationis gemeinsamen sachhaltigen Begriffs ausgesprochen und eine Wissenshaft, die sich mit einem so verstandenen supertranszendentalen Begriff des ‚Seienden‘ befaßt, für nicht möglich gehalten; so etwa Petrus Tartaretus (1490 Rektor der Pariser Universität), der einen für das ens reale und das ens rationis gemeinsamen Seinsbegriff innerhalb der skotischen Tradition als äquivok bezeichnete.10 Ebenso positionierten sich auch Vertreter der Spanischen Scho-
torischen Vorzeichen—als wesentliches Moment noch deutlich erkennbar zu sein, auch hier lassen sich zwei Interpretationsrichtungen klar unterscheiden: Die eine wird vor allem durch die Arbeiten von É. Gilson und T. Barth repräsentiert. Diesen steht gewissermaßen die Deutung des ens inquantum ens im Sinne eines supertranszendentalen Begriffes gegenüber, wie sie insbesondere in den Arbeiten von Borak, Kluxen, Honnefelder und Courtine erkennbar wird und auf Heideggers Interpretation des skotischen ens-Begriffes als einer „Gegenständlichkeit überhaupt“ zurückzugehen scheint. 9 Johannes de Bassolis, In Sent I, d. 29, q. 1, Paris 1516/17, fol. 166vb: „(…) sicut nec enti rationis et enti reali est aliquid univocum: quia illud secundum se esset indifferens ad ens reale et ens rationis quod est inintelligibile“. 10 Quaestio de subiecto Metaphysicae, in Petri Tartareti Parisiensis Scotistae subtilissimi In Aristotelis Philosophiam […] Commentaria Pars Tertia, Venetiis 1614, 390 C.:
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lastik oder skotistisch beeinflußte Vertreter der protestantischen Metaphysiktradition, wie Christoph Scheibler (1589–1653): „Daß aber das Seiende von diesen äquivok ausgesagt wird, ist leicht verständlich. Denn das gedankliche und das reale Seiende (ens rationis et reale), das positive und privative Seiende, das ‚per se‘- und ‚per accidens‘Seiende stimmen nur im Namen des Seienden (in nomine entis) überein, nicht aber in dessen Definition“.11
Claudius Frassen etwa legt mit Bezug auf die skotischen „Reportata Parisiensia“, Buch I, d. 29, dar, daß es unmöglich sei, ein dem realen und gedanklichen Sein gemeinsames Seiendes als objektiven univoken Begriff zu denken, da jeder objektive Begriff von seinem Wesen her ‚entweder‘ ein ens reale (die erkannte Sache als solche) ‚oder‘ ein ens rationis sei (das als solches immer nur objektive Existenz im Intellekt besitzen kann).12 Insgesamt läßt sich konstatieren, daß die Begründungen der Gegner eines supertranszendentalen Seinsbegriffs sich insgesamt vor allem darauf stützen, daß ein univoker Seinsbegriff aufgrund der scheinbar unüberwindbaren Distinktion der beiden Seinsbereiche von vornherein auszuschließen sei. Innerhalb dieses Feldes der Gegner eines supertranszendentalen Seinsbegriffs ist jedoch ein Autor hervorzuheben, der sich zwar nicht ausdrücklich gegen einen solchen Begriff ausspricht (indem er die Unüberwindbarkeit der Distinktion ens reale—ens rationis nicht explizit thematisiert), der aber Th. Kobusch zufolge dennoch als einer der ersten gegen die Möglichkeit eines supertranszendentalen Seinsbegriffs argumentierte.13 Es handelt sich dabei um Franzis„Sciendum est, quod dum (…) non quaerimus de ente communi enti reali et enti rationis, quia tale in via Scoti est aequivocum“. 11 C. Scheibler, Opus Metaphysicum […], in: Opera philosophica, Frankfurt 1665, L.1, C. 1, n. 95 (26b): „Quod autem Ens dicatur de istis aequivoce, facile patet. Nam ens rationis et reale positivum et privativum, per se et per Accidens non conveniunt nisi in nomine Entis, non autem in eius Definitione.“ 12 Vgl. C. Frassen, Philosophia Academica quam ex selectissimis illustriorum Philosophorum praesertim vero Aristotelis et Doctoris subtilis Scoti […] Secunda Pars, quae est Metaphysica, Tolosae 1686, Quaest. Proem. Concl. III, 15a–b: „Ens generalissime sumptum non dividitur univoce, sed aequivoce in ens reale et rationis: Haec est doctoris in 1 d. 29 q. unica n. 1, ubi docet rationem principii in divinis non dici univoce de principio essentialiter et notionaliter seu personaliter accepto (…). Hoc est, nihil est commune enti simpliciter et enti secundum quid.“ 13 Vgl. T. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, in: J. Marenbon (Hg.), Aristotle in Britain during the Middle Ages, Turnhout 1996 (Proceedings of the International conference at Cambridge 8–11 April 1994 org. by the S.I.E.P.M.), S. 157.
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kus’ Zeit- und späteren Leidensgenossen Wilhelm von Ockham, auf dessen Seinskonzeption wir an dieser Stelle einen kurzen Blick werfen wollen. Denn Wilhelm hat im Gegensatz zu den anderen Autoren nicht nur eine besonders ausgearbeitete Argumentation vorgelegt, sein Entwurf scheint zudem von derselben Ausgangsfrage auszugehen wie die entgegengesetzt argumentierende Strategie des Franziskus von Marchia. Gerade dadurch vermögen beide Modelle einen interessanten Vergleich zu liefern, indem sie dieselbe Frage verwenden, um daraufhin zu zwei völlig entgegengesetzten Ergebnissen zu kommen. Wilhelm von Ockham scheint innerhalb der Diskussion um einen umfassenden (‚supertranszendentalen‘) Seinsbegriff auch deswegen eine besondere Rolle zuzukommen, da er im Gegensatz zu den Entwürfen, die in grundsätzlicher Weise gegen univok für das Reale und das Gedankliche gültige Begriffe argumentieren, da sie die Distinktion von ens reale und ens rationis als nicht weiter ‚transzendierbar‘ ansahen, ganz anders vorgeht: Nicht die unüberwindbare Distinktion beider Bereiche macht einen supertranszendentalen Seinsbegriff unmöglich, vielmehr scheint gerade die Aufhebung der traditionellen Trennung beider Seins- und Begriffsbereiche einen univoken, übergeordneten Begriff zu verneinen. Die entscheidende Wende vollzieht Ockham dabei insbesondere hinsichtlich der Deutung des ontologischen Status des ens rationis. Zunächst vertrat Ockham zur Bestimmung des gedanklichen Seienden die sog. „Fictum-Theorie“, die er später zugunsten der sog. „Intellectio-Theorie“ revidierte. Gemäß der Fictum-Theorie kommt dem vom Intellekt ‚Gebildeten‘, d. h. dem Gedachten und Vorgestellten schlechthin (also sowohl Begriffen, Sätzen und Syllogismen als auch den sog. „Figmenta“) der ontologische Status des „esse intentionale“ oder „esse obiectivum“ zu.14 Das ens rationis bzw. ens in anima, das als fictum somit nur die Seinsweise des intentionalen oder objektiven Seins besitzt, ist dabei der Bestimmbarkeit durch die zehn Kategorien entzogen, da lediglich das extramentale, also das reale Sein kategorial bestimmbar und dem Substanz-Akzidenz-Schema unterworfen ist.15 Während somit 14 Vgl. zur Fictum-Theorie Wilhelms von Ockham die entsprechende Darstellung bei Th. Kobusch, Sein und Sprache. Historische Grundlegungen einer Ontologie der Sprache, Leiden 1987, S. 155–160 und S. 181 ff. 15 Vgl. Wilhelm von Ockham, Scriptum in librum primum Sententiarum (Ordinatio) I, d. 2, q. 8 (Op. Theol. II, S. 273, n. 5): „(…) et ens extra animam dividitur in decem praedicamenta“, und ebd., S. 283, n. 12: „Et quando dicitur ‚quidquid est, est substantia vel accidens‘, illud est verum quod quiquid est extra animam est substantia vel accidens, non tamen quidquid est in anima obiective est substantia vel accidens“.
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das Gedachte und Vorgestellte als solches im Sinne des ens diminutum/imperfectius dem ens reale ontologisch unterstellt ist, ist das intramentale Sein—insofern es akthafte oder qualitative Wirklichkeit ist—gemäß der Intellectio-Theorie als „wahre Sache“ der Gesamtwirklichkeit anzusehen.16 Ockhams Intellectio-Theorie besagt zunächst, daß der ‚Begriff‘ als Akt der Erkenntnis und als passio animae aufzufassen sei, indem er den Intellekt im Sinne einer realen Qualität bestimmt und somit die Seinsweise des subjektiven Seins hat.17 Dem Begriff an sich kommt somit ein zwar ‚intramentales‘, aber doch ‚reales‘ Sein zu, insofern er als eine reale qualitas dem Intellekt als seinem subiectum inhäriert.18 Ockhams spätere Ablehnung der Fictum-Theorie und seine Favorisierung der Intellectio-Theorie ist Kobusch zufolge nicht nur eine auf die Universalienfrage beschränkte Entwicklung, sondern betrifft vielmehr die Deutung des Seinsbereichs der entia rationis überhaupt, indem sie die Reduzierung der Seinsbereiche auf den einen des ens reale bedeutet.19 Ockham scheint somit den (jahrhundertelang gültigen) Unterschied zwischen dem ens reale und dem ens rationis—ausdrücklich gegen Aristoteles—aufzuheben, so daß das ens rationis gleichsam zu einem ens reale wird: „et sic ens rationis est ens reale“.20 In dieser ‚neuen Ontologie‘ Ockhams scheint es damit nur noch reales Sein zu geben, das damit im Sinne einer „wahren Sache“ kategorisierbar ist (im Gegensatz zu seiner Fictum-Theorie, die die Geltung der Kategorien explizit auf den Bereich des ens extra animam festlegte), weswegen auch das ens rationis, verstanden als intramentaler Akt des Intellekts (nicht mehr als esse intentionale), durch eine ‚Kategorie‘—nämlich als Qualität des Intellekts—erfaßbar sein muß.21
16 Vgl. Wilhelm von Ockham, Quaestiones in Librum Secundum Sent. (Reportatio), q. IX (Op. Theol., V, 168, 14): „(…) quia aut mensura habet esse obiective in anima aut extra. Si primo modo, tunc est imperfectior, quia sic est tantum ens rationis quod est imperfectius ente reali“, und Th. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, (vgl. nt. 13), S. 172. 17 Vgl. Wilhelm von Ockham, Scriptum in librum primum Sententiarum (Ordinatio) I, d. 24, q. 2 (Op. Theol. IV, S. 115, n. 18): „(…) nisi ponatur quod conceptus sit qualitas subiective in anima“. 18 Vgl. OTh II, 271–283. VIII, 175; OP, 347–376. 19 Vgl. T. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, (vgl. nt. 13), S. 170. 20 Wilhelm von Ockham, Quodlibeta Septem V, q. 21 (Op. Theol., IX, S. 563, 123). 21 Vgl. Wilhelm von Ockham, Quaestiones in Librum Tertium Sent. (Reportatio), q. 2 (Op. Theol., VI, S. 60, 11): „Si igitur est vera res, est in aliquo predicamento“.
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Als ontologische Konsequenz dieser Theorie wird damit der Unterschied zwischen dem realen (extramentalen) und dem nur gedachten (intramentalen) Sein aufgehoben, da alles, was ist—intramental oder extramental—, kategorisierbares, d. h. reales Sein sei. Und vor diesem Hintergrund wird auch Ockhams fundamental neue Interpretation des ens rationis-Begriffs in der „Summa Logicae“ verständlich: „Nicht deswegen wird etwas ens rationis genannt, weil es keine wahre, in der Naturwirklichkeit existierende Sache ist, sondern deswegen, weil es nur im Verstand ist, das der Geist für ein anderes und wegen eines anderen gebraucht. Und so sind alle Sätze und Folgesätze und geistigen Begriffe entia rationis, und dennoch sind sie wahrhaft real Existierendes in der Naturwirklichkeit (…). Und deswegen, weil der Kommentator und der Philosoph das Seiende zuerst in das ens reale und ens rationis oder das Seiende in der Seele und das Seiende außerhalb der Seele und später das ens reale in die zehn Kategorien aufteilen, ist es keine Aufteilung in schlechthin Entgegengesetztes (…). Das ens rationis ist ein ens reale, wenn man das ens reale für das nimmt, was eine wahre, in der Naturwirklichkeit existierende Qualität ist.“22
Wenngleich Ockham somit—so ließe sich zusammenfassend resümieren—nicht ausdrücklich gegen einen für das reale und das gedankliche Seiende gemeinsamen Seinsbegriff argumentiert, spricht er mit seinem Entwurf, wie er sich in der Intellectio-Theorie findet, doch eindeutig gegen eine solche Möglichkeit. Indem er den Bereich der entia rationis demjenigen des ens reale gleichermaßen ‚subsumiert‘, wenn er die Begriffe als Gedankendinge im Sinne von kategorisierbaren Qualitäten 22 Wilhelm von Ockham, Summa Logicae, I, c. 40 (Op. Phil., I, S. 113, 60): „Verumtamen sciendum est quod secundum opinionem quae ponit quod intentio, conceptus sive passio animae est qualitas mentis, non ideo dicitur aliquid ‚ens rationis‘ quia non sit vera res existens in rerum natura, sed ideo dicitur ens rationis quia non est nisi in ratione, quo mens utitur pro alio vel propter aliud. Et sic omnes propositiones et consequentiae et termini mentales sunt entia rationis, et tamen vere sunt realiter existentia in rerum natura, et entia perfectiora et realiora quam qualitates quaecumque corporales. Et ideo quod Commentator et Philosophus dividunt ens primo in ens reale et in ens rationis, sive in ens in anima et in ens extra animam, et postea in ens reale in decem praedicamenta, non est divisio per simpliciter opposita, illo modo quo animal dividitur inanimal rationale et irrationale, sed magis est divisio vocis in significationes, illo modo quo Aristoteles in I Priorum dividit contingens necessarium et ad utrumlibet et possibile commune. Et ideo sicut unum istorum trium membrorum praedicatur de alio,—haec enim est vera ‚contingens necessarium est possibile‘, similiter ista ‚contingens ad utrumlibet est possibile‘—, ita non obstante illa divisione entis haec est vera ‚ens rationis est ens reale‘, accipiendo ‚ens reale‘ pro illo quod est vera qualitas existens in rerum natura“. Nach Wilhelm von Ockham ist damit zugleich auch die Metaphysik—gegen die aristotelische Vorgabe—als Disziplin zu begreifen, die das ens rationis thematisch behandelt.
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der Seele versteht, fällt zugleich jede Basis für einen univok übergeordneten Begriff weg. Wo bei einem supertranszendentalen Seinsbegriff ens reale und ens rationis gleichwertig zusammengefaßt werden, bliebe bei Ockham nur noch der Bereich des ens reale übrig. Damit erledigt sich die Frage, ob es einen für zwei Seinsbereiche gleichermaßen gültigen Seinsbegriff gebe. 2. Was fällt unter die Kategorien? (Quodl. 5,3) Hat Wilhelm von Ockham somit—in der Weise, wie wir es in den vorangegangenen Bemerkungen angedeutet haben—als erster einen ‚supertranszendentalen Seinsbegriff‘ abgelehnt (Kobusch), so scheint Franziskus von Marchia als erster einen solchen befürwortet zu haben. Und er tat dies offenkundig ausgehend von derselben Fragestellung, nämlich der Frage, ob die gedanklichen Seienden unter die Einteilung durch die Kategorien fallen. Allerdings kommt Franziskus dabei—trotz der zunächst gleichen strukturellen Herangehensweise—zu einem völlig entgegengesetzten Ergebnis: Wo Ockham den Bereich des ens rationis als kategorial erfaßbar darstellt, indem dieses als Qualität der Seele (und damit selbst als ein ens reale) bestimmt wird, dabei jedoch seinen autarken Status als ‚Gedankending‘ völlig verliert, scheint Franziskus ein gegenläufiges Anliegen zu verfolgen. Wie geht er vor? Im Rahmen der übergeordneten Fragestellung der 5. Quaestio des „Quodlibet“, „ob dem Begriff des Seienden univoke Gültigkeit hinsichtlich der zehn aristotelischen Kategorien zukomme“ (Utrum intentio entis sit univoca decem praedicamentis),23 nimmt Franziskus im 3. Artikel den Ausgang von der allgemeineren Frage, welche Begriffe sich überhaupt selbständig (per se) in einer Kategorie finden (Que sint per se in predicamento).24 Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich, daß die Erörterung einer möglicherweise ‚supertranszendentalen‘ Seinsbestimmung unter 23 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, ed. Mariani, S. 183. Artikel 1 (S. 185–188) beschäftigt sich zunächst mit der Klärung der Termini univok, analog und äquivok („Quid sit vnivocvm, qvid eqvivocvm et qvid analogvm“ ), Artikel 2 (S. 189–192) dann weiterhin mit den möglichen Graden und Arten von Univokation („Qvot sint gradvs vnivocacionis et qve species vnivocacionis“ ). 24 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193–205. In Art. 4 kommt Franziskus dann zur Ausgangsfrage der 5. Quaestio zurück („Vtrvm intencio entis sit vnivoca decem predicamentis“). Die 6. Quaestio behandelt schließlich die skotische Univozitätsfrage („Vtrvm intencio entis sit vnivoca deo et creatvre“).
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einer so ausschließlich auf die kategoriale Einteilung bezogenen Fragestellung stattfinden soll. Vielmehr schiene—gerade auch mit Blick auf den Fortgang der Entwicklung der Supertranszendentalienlehre—als Ausgangspunkt doch eine Überlegung naheliegender, die sich direkt auf die Berechtigung einer die klassischen Transzendentalien noch übersteigenden (und damit ‚super‘-transzendentalen) Gruppe von Begriffen bezöge.25 Aus den vorangegangenen Bemerkungen zur Ontologie Wilhelms von Ockham ist jedoch bereits deutlich geworden, daß gerade im Bezug auf die aristotelischen Kategorien der Legitimationsort für einen univoken Seinsbegriff liegen kann. Die erneute, seit Aristoteles eigentlich als hinreichend geklärt scheinende Frage, was unter die Einteilung durch die Kategorien falle, wird damit in einen neuen Diskussionszusammenhang gestellt und fungiert als Ausgangspunkt für die bislang erst ‚übernächste‘, nämlich ‚super‘-transzendentale Entwicklungsstufe.26 Wie geht Franziskus—im Gegensatz zu Ockham—vor? Franziskus von Marchia beginnt die Beantwortung dieser Frage, was sich per se in einer Kategorie finde (Quodl. 5,3), ganz ähnlich der Vorgehensweise in „Quodl. 3“ zunächst wiederum mit einer allgemeinen Begriffs-Einteilung in negative bzw. privative und in positive Begriffe. Von vornherein schließt er aus, daß die negativen bzw. privativen Begriffe ‚durch sich‘ in irgendeiner Kategorie seien, sondern immer nur in abgeleiteter Weise durch Rückführung auf die entsprechende Kategorie der jeweils entgegengesetzten Affirmation, d. h. der jeweils entgegengesetzten positiven Begriffe.27 Während die privativen und negativen Begriffe somit gleich zu Beginn ausscheiden, selbständig 25 Eine solch stringente Entwicklung (Kategorien → Transzendentalien → Supertranszendentalien) suggeriert auch die bisherige Forschung (vgl. J.P. Doyle: „Überboten wird die in Rücksicht auf die kategoriale Einteilung des Seienden seit langem eingeführte Ebene der Transzendentalien (…)“, in: Art. „Supertranszendent; Supertranszendenz“, Historisches Wörterbuch der Philosophie 10, Basel 1998, Sp. 644). 26 Daß die aristotelischen Kategorien für die mittelalterlichen Denker durchaus einen äußerst diskussionswürdigen Gegenstand darstellten, darauf weist G. Pini hin, in seiner Studie The transcendentals of Logic: Thirteenth-Century Discussions on the Subject Matter of Aristotle’s „Categories“, in: M. Pickavé (Hg.), Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für J.A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 2003 (Miscellanea Mediaevalia 30), S. 140–159. Allerdings liegen die Fragestellungen hier deutlich anders. 27 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193: „Quantum ad 3um articulum principalem, sciendum que sunt illa que sunt in predicamento per se; sciendum quod intencionum quedam sunt priuatiue, quedam negatiue, quedam positiue; intenciones priuatiue et negatiue non sunt per se in predicamento alico, set tantum per reduccionem ad illud genus et ad illam speciem in quo genere uel in qua specie est sua affirmacio opposita (…).“
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unter die kategoriale Einteilung zu fallen, wird die Gruppe der positiven Begriffe von Franziskus zunächst weiter differenziert anhand der traditionellen Unterscheidung in Begriffe erster und zweiter Intention.28 Bemerkenswert ist allerdings, daß er an dieser Stelle noch eine scheinbar zusätzliche Unterteilung vornimmt: einige der positiven Begriffe seien gedankliche Seiende (entia rationis), einige Realseiende (entia realia).29 Im weiteren Verlauf der Erörterungen wird deutlich werden, daß hierbei jedoch keine weitere (ontologische) Klasse von Begriffen, sondern vielmehr eine Gleichsetzung der Begriffe erster Intention mit dem Bereich der entia realia sowie der Begriffe zweiter Intention mit den entia rationis gemeint ist. Diese Gleichsetzung ist insofern bemerkenswert, als die übliche Klassifizierung der Begriffe als gedanklicher Seiender (entia rationis), die dabei sowohl Bezug auf reales, extramentales Seiendes (als intentiones primae) als auch auf gedankliches, intramentales Seiendes (als intentiones secundae) nehmen können, nun dahingehend radikalisiert wird, daß die ersten Intentionen nicht mehr nur auf den Bereich der realen Dinge ‚Bezug nehmen‘, sondern tatsächlich selbst schlechthin als entia realia zu betrachten sind. Die unterschiedliche Bezugnahme der Begriffe auf reales bzw. rational Seiendes scheint innerhalb der Konzeption des Franziskus von Marchia ihren jeweiligen ontologischen Status selbst zu bedingen. Im folgenden werden wir näher darauf eingehen müssen, wie und mit welchen Konsequenzen Franziskus diesen Umstand genauer erklärt und begründet. Das für die Ausführungen des 3. Artikels grundlegende Anliegen formuliert er zunächst jedoch noch etwas vorsichtiger mit Bezug auf diese Doppelgestaltigkeit: Finden sich die gedanklichen Seienden, die entia rationis, per se in einer Kategorie, und gilt dies—spezifischer gefragt (specialiter)—auch für die Begriffe zweiter Intention (oder sind sie es nur durch eine Rückführung auf die Begriffe erster Intention)?30 28 Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193: „Intencionum autem positiuarum quedam sunt intenciones prime, scilicet homo uel animal; quedam secunde, sicud species et genus“. Vgl. zur Unterscheidung von Begriffen erster und zweiter Intention die Bemerkungen in Kap. 1, S. 30, nt. 13. 29 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193: „(…) quedam [scil. intentionum positivarum] sunt encia realia, quedam encia racionis“. 30 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193: „(…) et ideo est dubium utrum encia racionis sint formaliter per se in predicamento, et specialiter intenciones secunde per se uel sint solum per reduccionem.“ Auch hier bietet sich noch einmal der Hinweis auf die Studie von G. Pini (vgl. nt. 26) an, in der er näher auf die Diskussionen um die Frage eingeht, ob die Kategorialbegriffe selbst primär Seins- oder Aussageweisen, d. h. ob sie Realseiende oder Begriffe seien. Wenngleich
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Franziskus stellt damit gegenüber der klassischen und etablierten Auffassung, daß es die entia realia bzw. die Begriffe erster Intention sind, die unter die Einteilung der aristotelischen Kategorien fallen, die Frage, ob nicht auch der aus dieser Einteilung bisher ausgeschlossene Bereich des gedanklichen Seienden, das ens rationis, gleichermaßen kategorial erfaßbar sei. Genau diese Fragestellung ist es, in welcher der zentrale und über die Konzeptionen vorangehender Denker hinausreichende Ausgangspunkt für Franziskus’ Vorhaben einer Legitimation der intentiones neutrae liegt und deren Beantwortung die Grundlage für die Annahme dieser supertranszendentalen Bestimmungen bilden wird. Aber welche Konsequenzen lassen sich ermessen, wenn sich erweist, daß die entia rationis tatsächlich ebenso wie die entia realia ‚per se‘ unter die Kategorien fallen? 3. Die ‚Reduktion‘ zweier Transzendierungen Im Grunde läßt sich anhand der vorangegangenen Bemerkungen bereits im Vorfeld der eigentlichen Argumentation allein aus der Fragestellung von „Quodl. 5,3“ selbst entwickeln, welche Bedeutung ihr hinsichtlich der Legitimation der supertranscendentia zukommt: Franziskus scheint bei seiner Konzeption ‚supertranszendentaler‘ intentiones neutrae nicht den Weg über eine weitere Transzendierung der transzendentalen Begriffe hin zu noch umfassenderen, „allerallgemeinsten Begriffen“ zu wählen, sondern weit grundlegender von einer Neubetrachtung der nächstniedrigeren, der kategorialen Ebene auszugehen, um so zu einer Modifikation der Transzendentalien im Sinne ‚super‘-transzendentaler Bestimmungen zu gelangen. Hierzu muß sich in der Tat zeigen, daß sich auch die entia rationis ‚per se‘ und gleichermaßen wie die entia realia in der kategorialen Einteilung finden, damit diese zusammen mit dem Realseienden allererst durch die intentiones neutrae univok überstiegen werden können. Während sich innerhalb der Konzeptionen der Denker vor Franziskus von Marchia die klassischen transcendentia
sich auch Denker vor Franziskus der Frage zuwandten, ob nicht auch das gedankliche Seiende unter die Einteilung der aristotelischen Kategorien falle, so scheint die von Franziskus gestellte Frage in diesem Zusammenhang jedoch tatsächlich innovatives Argumentationspotential zu bieten. Vgl. auch Wilhelm von Ockham, Quaest. In Librum Secundum Sent. (Reportatio), q. VII (Op. Theol., V, 142, 9): „(…) sic est tantum ens rationis et non habet esse in genere per se nec per reductionem“.
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(ens, unum, verum, bonum, res und aliquid) ebenso wie die aristotelischen Kategorien ausschließlich auf den Bereich des Realseienden beziehen, fragt dieser nun bereits im Bereich der Kategorien nach einer Ausweitung auf beide Seinsbereiche. Dadurch wird jedoch zugleich eine ‚zweite Transzendierung‘, welche über den (ersten) transcensus der Transzendentalien über die Kategorien—als Ebene der Ausweitung des Gegenstandsbereiches der Begriffe vom Realseienden auch auf den des Rationalseienden—noch hinausgeht, erst gar nicht notwendig. Die Ebene der ‚Super‘-Transzendentalien bedarf Franziskus zufolge keiner weiteren Transzendierung, wie sie sich bei späteren Denkern findet, sondern wird durch die—noch zu begründende—Eingliederung des ens rationis in das Kategorienschema gleichermaßen mit der ‚ersten Transzendierung‘ (auf der Ebene der Transzendentalien) ineins gesetzt. Gerade dies scheint das Spezifikum von Franziskus’ Modell zu sein. Innerhalb der gesamten weiteren Strukturgeschichte der (Super-) Transzendentalienlehre nach Franziskus von Marchia lassen sich diese zwei ‚Transzendierungen‘ und Entwicklungsphasen verzeichnen und klar voneinander trennen: (i) Ein erster transcensus mit Blick auf die Ebene der aristotelischen Kategorien, mittels dessen im 13. Jahrhundert erstmals durch Philipp den Kanzler die Entwicklung allgemeinster Seinsbestimmungen, der transcendentia, begründet wurde (dies jedoch bei gleichem Gegenstandsbereich wie bei den kategorialen Bestimmungen, nämlich allein mit Blick auf das ens reale). Die Kategorien avancierten damit zu besonderen Seinsweisen gegenüber den sie übersteigenden, nicht auf die kategoriale Einteilung beschränkten Transzendentalien. (ii) Von dieser ersten ‚Transzendierung‘ ist ein ‚zweiter‘ transcensus zu unterscheiden, der sich in der Erweiterung des Gegenstandsbereichs vom Realseienden auf den des gedanklichen Seienden manifestiert und damit verbunden die Entwicklung noch umfassenderer Seinsbestimmungen (supertranscendentia) generierte. In allen Darstellungen seit dem 16. Jahrhundert lassen sich somit diese drei distinkten Phasen verzeichnen:
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Der tatsächliche Ausgangspunkt der Supertranszendentalienlehre—wie wir ihn bei Franziskus von Marchia bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts vorliegen haben—bietet demgegenüber jedoch ein anderes Modell. Was in der Forschungsliteratur gleichermaßen als ‚Leerstelle‘ übergangen wird, zeigt sich hier als geradezu gegenläufige Tendenz. Franziskus muß keine ‚zweite Transzendierung‘ annehmen, wenn das gedankliche Seiende im Gegenstandsbereich der Kategorien bereits mit eingeschlossen ist. Der ‚transcensus der Transzendentalien‘ bietet somit schon die allgemeinsten Seinsbestimmungen gegenüber den Kategorien, von denen die Transzendentalien ihrerseits univok aussagbar sind. Als ‚intentiones neutrae‘ erfüllen sie damit zugleich bereits die Funktion der späteren Supertranszendentalien, indem sie sich in gleicher Weise auf Realseiendes und gedankliches Seiendes beziehen. Eine gesonderte Gruppe ‚supertranszendentaler‘ Bestimmungen erwiese sich für Franziskus als unnötige Verdopplung, da das ihnen später als über die Transzendentalien hinausreichend zugeschriebene Univozitätsmoment im Rahmen dieses Modells bereits den transcendentia selbst zugesprochen werden kann. Sie selbst erstrecken sich bereits auf beide Seinsbereiche:
Bevor wir nun den eigentlichen ‚Beweisgang‘ für eine ‚Kategorisierung‘ des ens rationis betrachten, läßt sich anhand dieses schematischen Aufrisses des ‚Gesamtplans‘ der Supertranszendentalien und aus der
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Fragestellung von „Quodl. 5, 3“ bereits festhalten, daß die erste Entwicklung ‚supertranszendentaler‘ Bestimmungen durch Franziskus von Marchia nicht—wie aufgrund späterer Konzeptionen durchaus zu vermuten gewesen wäre—in einem Überstieg der Transzendentalien liegt, sondern vielmehr in einer inhaltlich erweiternden Modifikation gerade dieser Begriffe selbst. Diese Modifikation findet anhand der Eingliederung des Bereichs des ens rationis jedoch bereits auf der Ebene der Kategorien ihren Ursprung und nicht erst ‚jenseits‘ der Ebene der Transzendentalien. 4. Existiert eine ‚intentio neutra‘? Wenden wir uns wieder der Ausgangsfrage des 3. Artikels zu, um Franziskus’ Lösung en detail nachzugehen: Wie steht es also um das Verhältnis der entia rationis zu den Kategorien? Sind sie ebenso wie die entia realia in diesen eingeschlossen? Zunächst werden mehrere Argumente gegen die Annahme angeführt, die entia rationis bzw. die intentiones secundae fielen per se unter die Kategorien. Dies geschehe immer nur durch Rückführung auf die positiven Begriffe erster Intention, wie sie sich auf die realen, extramentalen Dinge beziehen.31 Die beiden entscheidenden Argumente seien im folgenden näher betrachtet. Das erste Argument stützt sich auf die Annahme, daß eine Gattung bzw. eine Kategorie immer univok in den unter sie fallenden Niederen eingeschlossen sei. Kein Begriff könne jedoch gleichermaßen washeitlich in einem realen und einem rationalen Begriff eingeschlossen werden, weshalb die entia rationis nicht gleichermaßen per se wie die entia realia unter eine Kategorie fallen können.32 Es kann somit auch keinen univoken Gattungsbegriff für beide Begriffsarten geben. Denn wäre ein einzelner Begriff gleichermaßen quidditativ in jedem dieser beiden eingeschlossen, wäre er selbst entweder ein Realbegriff (intentio realis), ein gedanklicher Begriff (intentio rationis) oder keines von beidem und insofern eine ‚intentio neutra‘. Nacheinander wird jedoch jede die31 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 193: „Et uidetur quod non sint in genere alico per se, set tantum per reduccionem intencionum primarum realium.“ 32 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 194: „Primo sic: genus includitur uniuoce in suis inferioribus; set nulla intencio una includitur quidditatiue in intencione reali et in intencione racionis; igitur ille non sunt per se in alico genere.“
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ser drei Möglichkeiten ausgeschlossen: (i) einen solch univoken Begriff kann es nicht geben, weil er keine intentio realis ist, da kein realer Begriff washeitlich in einem rationalen Begriff eingeschlossen wird (und dies wäre die Bedingung für die Univozität); (ii) es kann sich auch nicht um eine intentio rationis handeln, da aufgrund der Distinktheit beider Seinsbereiche ebenfalls kein rationaler Begriff quidditativ in einer intentio realis eingeschlossen werde; (iii) es handelt sich bei einem solchen Begriff jedoch auch nicht um einen gänzlich anderen Begriff, einen gegenüber beiden Begriffsarten ‚neutralen‘ Begriff (intentio neutra), da die Unterscheidung in reale und gedankliche Begriffe ausschließlich ist und keine weitere Möglichkeit mehr zuläßt. Es gibt neben realen und rationalen Begriffen keine anderen intentiones, die ihnen gegenüber ‚neutral‘ wären.33 Der Beweis hierfür besteht darin, daß sich ein solch ‚neutraler‘ Begriff bei näherer Betrachtung doch immer entweder als intentio rationis oder als intentio realis herausstellen würde. Jeder Begriff ist entweder durch den Intellekt hervorgebracht (fabricatum per intellectum), womit ihm der Status eines gedanklichen Begriffs (intentio rationis) zukommt, da jedes durch einen gedanklichen Akt hervorgebrachte Seiende ein ens rationis ist. Oder ein Begriff ist nicht durch einen gedanklichen Akt hervorgebracht, sondern diesem vorausgesetzt (presuppositum), womit er als realer Begriff (intentio realis) zu betrachten ist, da jedes nicht durch einen gedanklichen Akt hervorgebrachte Seiende ein ens reale ist. Folglich könne es neben diesen auch keinen weiteren Begriff geben, der damit formaliter sowohl in einem realen wie auch in einem gedanklichen Begriff eingeschlossen wäre.34 In gleicher Weise gilt dies auch für die unterschiedliche Bezugnahme der Begriffe, d. h. für die ersten und zweiten Intentionen: es gibt keinen einzelnen Begriff, der washeitlich in erster und zweiter Intention eingeschlossen würde, so daß sich die 33 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 194: „Quia si alica intencio una includatur quidditatiue in utraque intencione, aut illa est intencio realis, aut intencio racionis, aut est intencio neutra. Non est intencio realis, quia nulla intencio realis includitur quidditatiue in intencione racionis, genus autem includitur quidditatiue in suis inferioribus; nec est intencio racionis, quia nulla intencio racionis includitur quidditatiue in intencione reali, nec est intencio neutra, quia nulla intencio est neutra ad alias duas intenciones.“ 34 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 194: „Probacio: quia illa intencio neutra aut est fabricata per intellectum, et tunc est intencio racionis quia omne ens constitutum per opus racionis est ens racionis; aut non est constituta per actum racionis set presupposita actui racionis, et tunc est intencio realis, quia omne ens non constitutum per actum racionis est ens reale; ergo nulla intencio formaliter una includitur in utraque.“
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zweite Intention nicht per se in einer Kategorie findet. Denn ein Begriff, der für beide gemeinsam wäre, wäre entweder erster Intention, zweiter Intention oder gegenüber beiden ‚neutral‘ (intentio neutra), was jedoch ebenfalls in allen drei Fällen auszuschließen ist, da keine erste Intention washeitlich in einer zweiten eingeschlossen wird, wie auch keine zweite Intention in einer ersten eingeschlossen wird und eine intentio neutra Franziskus zufolge nicht möglich sei. Der Beweis dafür gestaltet sich analog zum vorangehenden hinsichtlich des ontologischen Status der Begriffe: eine ‚neutrale‘ Intention kann es nicht geben, da sie immer entweder durch einen rationalen Akt konstituiert und demzufolge eine zweite Intention sei oder nicht durch einen solchen hervorgebracht und damit eine erste Intention.35 Ein weiteres Argument gegen die Annahme einer ‚intentio neutra‘ stützt sich auf die Begründung, die entia realia und entia rationis fielen deswegen nicht unter dieselbe Kategorie, weil ihnen verschiedene Seinsweisen, verschiedene modi essendi zukommen. Ein univoker Gattungsbegriff muß jedoch hinsichtlich der unter ihn fallenden Arten denselben formalen Sinngehalt und denselben modus essendi aufweisen. Da dem ens reale und dem ens rationis jedoch ursprünglich verschiedene Seinsweisen (primi modi essendi) zukommen, wie etwa dem Realseienden subjektives, dem gedanklichen Seienden hingegen objektives Sein, können diese nicht gemeinsam unter dieselbe Gattung fallen.36 Franziskus erwidert auf diesen Einwand, daß das maßgebliche Kriterium für die Einordnung in eine eigentümliche Kategorie der jeweils eigentümliche for35 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 194: „Item, specialiter arguam de intencionibus sic: genus includitur quidditatiue in suis inferioribus; set nulla intencio una includitur quidditatiue in prima et secunda; ergo intencio secunda non est per se in genere. Probacio minoris: intencio una, communis utrisque, aut est intencio prima, aut intencio secunda aut neutra: non prima, quia prima non includitur quiditatiue in secunda; nec secunda, quia non includitur in prima; nec neutra, quia nulla talis est possibilis. Probacio: quia illa neutra aut est constituta per opus racionis et tunc est secunda, aut non est constituta set presupposita, et tunc est prima; ergo etc.“ Diese Textstelle bietet somit den expliziten Beleg für die bereits erwähnte Gleichsetzung der Begriffe erster und zweiter Intention mit Real- und Rationalseienden. Die ersten Intentionen ‚sind‘ entia realia, da sie—so Franziskus—dem Verstandesakt vorausgesetzt sind; ebenso ‚sind‘ die zweiten Intentionen—als vom Verstand Konstituierte— entia rationis. 36 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 195: „Confirmatur: quia genus descendit in suas species secundum eandem racionem formalem et secundum eundem modum essendi, sicud dictum est in secundo articulo; set ens reale et ens racionis non habent eundem modum essendi, quia esse formaliter et esse intencionaliter, esse subiectiue et esse obiectiue sunt diuersi modi essendi et primi modi essendi; ergo illa non sunt in eodem genere“.
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male Sinngehalt sei (ratio formalis), durch den etwas formaliter ist, was es ist. Am Beispiel der Kategorie der Relation versucht er zu verdeutlichen, daß die ratio formalis der realen Relation aber gerade dieselbe sei wie die der gedanklichen Relation, da mit Bezug auf beide der formale Sinngehalt der Relation gleichermaßen das Sein in Hinblick auf ein anderes bedeute. Und aus diesem Grund seien daher also auch beide Seinsarten in derselben Kategorie—z. B. derjenigen der ‚Relation‘—zu finden.37 Mögen dem Bereich des ens reale und dem des ens rationis somit zwar durchaus verschiedene modi essendi zukommen, so ist ihnen doch die gleiche ratio formalis zuzusprechen, da dem absoluten Seienden (ens absolute) letztlich in beiden ‚Seinsarten‘ derselbe modus essendi zukommt, da es sowohl im realen wie auch im gedanklichen Seienden formaliter existiert.38 Das ens rationis ist formaliter in gleicher Weise ‚seiend‘ (ens) wie das ens reale. Franziskus liefert hiermit ein wichtiges Argument für seine Annahme der intentiones neutrae, indem er die Gleichartigkeit des modus essendi beider Seinsbereiche durch den Begriff des ens absolute als Garanten für die Möglichkeit univok gültiger Begriffe vertritt. Die eigentliche Legitimation eines solchen Begriffs, der quidditativ sowohl im ens reale als auch im ens rationis eingeschlossen und demzufolge weder ein realer noch ein rationaler Begriff, sondern ein ‚neutraler Begriff‘ sei, findet sich jedoch in erster Linie in der Antwort auf das erste angeführte Gegenargument.
37 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 196: „Vnumquodque est in proprio genere per propriam racionem formalem qua formaliter est illud quod est; set eadem est racio formalis relacionis realis et racio formalis relacionis racionis. Probacio: quia formalis racio relacionis realis est esse ad aliud: hec est formalis racio sua; ita eciam relacio racionis est esse ad aliud formaliter.“ In diesem Sinne beziehen sich spätere Skotisten immer wieder auf die einzige Quaestio der 29. Distinctio des 1. Buches der „Reportata Parisiensia“, in der es um das Problem der relatio relationis geht. 38 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 202: „Aliter posset dici quod, licet ens racionis habeat alium modum essendi quam ens reale, tamen ens absolute eundem modum essendi habet in utrisque quia in utroque ens existit formaliter, quia utrumque, tam ens reale quam ens racionis, est ens.“ Vgl. ebenso S. 203: „Et quando arguitur quod magis conueniunt encia realia ad inuicem quam cum ente racionis, dicendum quod uerum est quantum ad modum essendi realem, non autem uerum est quantum ad racionem quiditatiuam formalem; unumquodque autem ponitur in proprio genere per propriam racionem formalem, non autem per modum essendi.“
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5. Fällt zwischen kontradiktorische Bestimmungen ein Mittleres? In seiner Erwiderung auf den ersten Einwand, daß es einen solchen Begriff, der washeitlich gleichermaßen im realen wie im gedanklichen Seienden eingeschlossen werde, nicht geben könne, weil dieser immer entweder eine intentio rationis oder eine intentio realis sei und es neben diesen keine weitere ‚Begriffsklasse‘ mehr gebe, nimmt Franziskus zunächst eine grundlegende Differenzierung bezüglich dieser gesuchten ‚intentio neutra‘ vor: es läßt sich nämlich auf zweifache Weise von jener intentio neutra sprechen: (i) entweder gemäß ihrer selbst und in einem absoluten Sinne, d. h. aufgrund des ihr eigenen Sinngehalts (secundum se et absolute, ratione sui), oder (ii) per accidens, ratione sui inferioris, d. h. auf gleichsam akzidentelle Weise aufgrund des Sinngehalts der ihr untergeordneten Begriffe, nämlich desjenigen von intentio realis und intentio rationis.39 Stellt man eine Betrachtung der intentio neutra auf diese zweite Weise (per accidens, ratione sui inferioris) an, so erwiese sich ein solcher Begriff einerseits in der Tat als vom Intellekt hervorgebracht (factum per intellectum), wenn er nämlich aufgrund des Sinngehalts der unter ihn fallenden intentio rationis, in welcher er eingeschlossen ist, in den Blick genommen wird; bezugnehmend auf die Ratio der ebenfalls unter ihn fallenden intentio realis dagegen, in welcher er gleichermaßen eingeschlossen ist, erweist er sich als ‚nicht vom Intellekt gemacht‘ (non est factum per intellectum).40 Spricht man von jener intentio neutra jedoch auf die erste Weise (secundum se et absolute, ratione sui), so fährt Marchia fort, so ist ein solch ‚neutraler‘ Begriff nicht vom Intellekt hervorgebracht (non est factum per intellectum).41 Würde es sich dann—so ließe sich wiederum einwenden—aber nicht um einen Realbegriff handeln, da doch jeder nicht durch den Intellekt hervorgebrachte Begriff eine intentio rea-
39 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 200 f.: „(…) respondeo quod de illa intencione neutra possumus loqui dupliciter: uel secundum se et absolute, racione sui, uel per accidens, racione sui inferioris, scilicet intencionis realis et intencionis racionis.“ 40 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 201: „(…) si secundo modo, per accidens, racione sui inferioris, sic dico quod est facta per intellectum racione intencionis racionis in qua includitur, et non est facta per intellectum racione intencionis realis in qua est inclusa.“ 41 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 201: „Si autem loquamur de ipsa primo modo, scilicet racione sui, secundum se et absolute, sic dico quod non est facta per intellectum.“
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lis ist, wie zuvor erläutert worden ist?42 Damit wäre die intentio neutra an sich betrachtet jedoch gerade nicht ‚neutral‘ bzw. univok, sondern hätte denselben ontologischen Status wie der unter sie fallende Realbegriff. Wie also ist es möglich, daß die intentio neutra zwar einerseits ‚non facta per intellectum‘ ist, ohne aber andererseits eine intentio realis zu sein? Franziskus führt zur Klärung dieser Frage eine Antwort an, welche zugleich das Kernargument für die grundlegende Legitimation seiner Annahme der intentio neutra und damit der ‚Super-Transzendentalien‘ bietet. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Antwort liegt in der Erklärung, daß ein nicht vom Intellekt geschaffener Begriff deswegen nicht zugleich notwendig eine intentio realis sei, da sich die Aussage, ein Begriff sei „non factum per intellectum“, in zweierlei Hinsicht machen lasse: es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Aussage (i) ein Begriff „ist nicht gemäß seiner selbst durch den Intellekt hervorgebracht“ (non est factum secundum se per intellectum) und (ii) ein Begriff „ist gemäß seiner selbst nicht durch den Intellekt hervorgebracht“ (est secundum se non factum per intellectum). Zur Verdeutlichung dieser nicht unbedingt auf den ersten Blick sogleich evidenten, in jedem Fall zumindest recht subtil anmutenden Differenzierung führt Franziskus ein Beispiel an: Es liege derselbe grundlegende Unterschied vor wie bei den beiden Aussagen (i) „der Mensch ist nicht gemäß seiner selbst ein Esel“ (homo secundum se non est asinus) und (ii) „der Mensch ist gemäß seiner selbst nicht ein Esel bzw. ein Nicht-Esel“ (homo secundum se est non-asinus).43 Worin genau besteht nun jeweils der Unterschied dieser beiden Aussagen? Die entscheidende Differenz läßt sich zunächst formal betrachtet dahingehend präzisieren, daß bei der jeweils ersten Aussage (‚non est factum secundum se per intellectum‘ bzw. ‚homo secundum se non est asinus‘) ein positives Wesensprädikat (factum per intellectum bzw. asinus) mit Blick auf das Subjekt verneint wird: X ¬∈ A. Bei der jeweils zweiten Aussage hingegen (‚est secundum se non factum per intellectum‘ bzw. ‚homo secundum se est non-asinus‘) wird ein negatives Wesensprädikat (non factum per intellectum bzw. non-asinus) bejaht: X ∈ ¬A. Aber welcher Schluß läßt sich aus dieser Differenzierung für die Legitimation der univok für das 42 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 201: „Ergo, (tu dicis), est intentio realis, quia omnis intencio non facta per intellectum est realis.“ 43 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 201: „Respondeo quod non sequitur, quia differt dicere: ‚non est facta secundum se per intellectum‘ et ‚est secundum se non facta per intellectum‘, sicud differt dicere: ‚homo secundum se non est asinus‘, et ‚homo secundum se est non-asinus‘ (…).“
die legitimation ‚super‘-transzendentaler bestimmungen
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gedankliche wie für das reale Seiende geltenden intentio neutra ziehen? Welche der beiden genannten Bestimmungen kommt der intentio neutra und welche der intentio realis zu? (Denn zum Zweck der Unterscheidung und Abgrenzung dieser beiden Begriffe führt Franziskus sein Modell ja allererst ein.) Betrachten wir Franziskus’ Schema, das sich auf eine grundlegende Differenzierung innerhalb des Bereichs verneinender Wesensaussagen zu stützen scheint, hierzu etwas genauer. Der Ausgangspunkt für die an dieser Stelle relevanten Ausführungen findet sich bereits in der 4. Quaestio des „Quodlibet“ im Rahmen der durch Aristoteles inspirierten Frage, ob zwischen die kontradiktorischen Bestimmungen ens und non-ens ein Mittleres falle.44 Es scheint zunächst lediglich die Möglichkeit zweier einander kontradiktorisch entgegengesetzter Bestimmungen zu geben, zwischen die keine mittlere Bestimmung mehr fallen kann (A und ¬A). Denn so wurde die aristotelische Definition aus den „Zweiten Analytiken“ gemeinhin übernommen: „inter contradictoria non est datum medium“.45 In diesem Falle müßte somit jedoch auch dem zu Beginn von „Quodl. 5,3“ angeführten Einwand stattgegeben werden, daß es neben der Klasse der Realbegriffe und der gedanklichen Begriffe keine weitere, keine ‚mittlere‘ Gruppe von Begriffen mehr geben könne. D. h. zwischen eine intentio realis und eine intentio rationis könne keine intentio neutra fallen, die mit Bezug auf die beiden anderen univok wäre. Denn die entsprechenden Bestimmungen, die Marchia für die Realbegriffe (non factum per intellectum) und die Rationalbegriffe (factum per intellectum) anführt, scheinen in der Tat 44 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 4, a. 1, 3, ed. Mariani, insbes. S. 131, und q. 4, a. 2, 2 (S. 138 f.). Die entsprechende Bezugsstelle bei Aristoteles findet sich in den Anal. Post. I, 2, 72a12–13. 45 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 4, a. 2, 2, ed. Mariani, S. 138: „Tu dicis: ‚inter contradictoria non est datum medium: ens et non-ens sunt contradictoria‘.“ Ein interessantes Beispiel für die gemeinhinnige Deutung des aristotelischen Diktums und eine auffällige terminologische Parallele findet sich bei dem englischen Franziskaner Richard von Conington. Dieser kommt zu dem Schluß, daß in der Tat zwischen kontradiktorische Bestimmungen kein Mittleres, keine „intentio neutra“ fallen könne. Wenngleich sich Conington hierbei im Kontext der Frage nach der Univozität mit Bezug auf Gott und das Geschöpfliche bewegt, so läßt sich seine Konzeption aufgrund der strukturellen und terminologischen Analogien als ein signifikanter Gegenpol zu den Ausführungen Marchias greifbar machen. Vgl. Richard Conington, Quodlibet I, q. 2, ed. Brown, S. 306: „(…) per contradictoria vel per formas cum extremis contradictionis convertibiles non potest abstrahi intentio neutra. Illa enim esset media per abnegationem utriusque, et contradictio est oppositio cuius non est medium secundum se, I Posteriorum. Et ista est de diversitate formarum convertibilium cum extremis contradictionis, scilicet, quod non includunt medium quod sit neutrum earum. (…) Et nulla una essentia habet utramque nec neutram“.
150
kapitel iii
kontradiktorische zu sein (factum und non-factum). Marchia nimmt jedoch wiederum eine entscheidende Differenzierung vor: für kontradiktorische ‚Begriffe‘ (ens und non-ens etc.) gilt dieser Ausschluß eines mittleren Begriffs tatsächlich, da es sich um einfache Bestimmungen, um incomplexa handelt.46 Für complexa dagegen, für kontradiktorische ‚Aussagen‘, insbesondere für wesenhafte Aussagen, gilt dies jedoch nicht. Zwischen solchen kann sich sehr wohl ein medium finden.47 Der Grund hierfür wird schnell ersichtlich, wenn die beiden in „Quodl. 5,3“ angeführten kontradiktorischen Aussagen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts in den Blick genommen werden: X∈A
Homo (sec. se) est asinus
X∈¬A
Homo (sec. se) est non-asinus
Intentio neutra (sec. se) est facta per intellectum Intentio neutra (sec. se) est non-facta-per-intellectum
Beide Aussagen sind falsch, da es sich um durch das Prädikat ausgedrückte Wesensbestimmungen des Subjekts (secundum se) handelt. So, wie der Mensch secundum se weder ein Esel noch ein Nicht-Esel ist (denn eine adäquate Wesensbestimmung kann niemals negativ sein)48— sondern z. B. ein vernunftbegabtes Lebewesen—, so ist die intentio neutra ihrem Wesen nach (secundum se) weder ein vom Intellekt Hervorgebrachtes (denn insofern wäre sie eine intentio rationis) noch ein ‚Nichtvom-Intellekt-Hervorgebrachtes‘ (und damit eine intentio realis). Keine der beiden Aussagen vermag somit, eine adäquate Wesensbestimmung ihres entsprechenden subiectum zu liefern:
46 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 4, a. 2,2, ed. Mariani, S. 139: „(…) illa sunt contradictoria: ‚homo‘ et ‚non-homo‘, sicud ‚ens‘ et ‚non-ens‘; unde dico quod contradictoria sunt in duplici differentia: quedam inconplexa, ut ‚homo‘ et ‚non-homo‘; quedam conplexa, sicud ‚est homo‘, ‚non est homo‘. Dico quod inter contradictoria inconplexa, simpliciter et absolute accepta, non est medium (…)“. 47 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 4, a. 1,3, ed. Mariani, S. 131: „(…) dico quod in illa contradictoria conplexa, licet non sit dare medium simpliciter, est tamen dare medium cum reduplicacione; ens autem et non-ens sunt contradictoria inconplexa et non conplexa; ergo etc.“. 48 Bei einem negativen Wesensprädikat wäre die Reihe wesenhafter Bestimmungen—was immöglich sein kann—unendlich: „(lapis) nec quiditative est ‚non-homo‘, quia eadem ratione esset quiditative ‚non-leo‘, ‚non-bos‘: sic esset quiditative infinita“ (Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 4, a. 2, 2, ed. Mariani, S. 139).
die legitimation ‚super‘-transzendentaler bestimmungen Homo (sec. se) est asinus
f
Homo (sec. se) est non-asinus
f
Intentio neutra (sec. se) est facta per intellectum (= ens rationis) Intentio neutra (sec. se) est non-factaper-intellectum (= ens reale)
151 f f
Franziskus zufolge bleibt daher tatsächlich noch eine dritte Möglichkeit, ein ‚Mittleres‘ zwischen den zunächst scheinbar kontradiktorischen Bestimmungen, bei dem der Unterschied formaliter darin besteht, daß das Wesensprädikat nun nicht affirmativ ausgesagt wird, sondern eine negative Kopula angesetzt wird (X ¬∈ A): X ¬∈ A
Homo (sec. se) non est asinus
Intentio neutra (sec. se) non est facta per intellectum
Im Unterschied zu den vorangegangenen Bestimmungen ist diese Aussage wahr, denn ebenso, wie der Mensch, der secundum se weder ein Esel noch ein Nicht-Esel ist (X ist weder A noch ¬A, sondern damit ¬ ∈ A[49]), so ist in gleicher Weise die intentio neutra ihrem Wesen nach betrachtet weder facta per intellectum noch non-facta-per-intellectum.50 Die zunächst nur schwierig zu erfassende Abgrenzung zum Realbegriff aufgrund der unterschiedlichen Bestimmungen „non est factum secundum se per intellectum“ und „est secundum se non factum per intellectum“ wird nun klar ersichtlich: X∈A
Homo sec. se est asinus f
X ¬∈ A
Homo sec. se non est asinus Homo sec. se est non-asinus
X ∈ ¬A
w f
Intentio neutra sec. se est facta per intellectum (= intentio rationis) Intentio neutra sec. se non est facta per intellectum Intentio neutra sec. se est non-facta-per-intellectum (= intentio realis)
f w f
49 Für die Option ¬ ∈ ¬A würde ebenfalls gelten, daß diese Aussage wahr ist, da ja beide kontradiktorischen Bestimmungen zu verneinen sind, Marchia wird sich jedoch für die andere Formulierung (¬∈ A) entschieden haben, um die Sache nicht noch unnötig weiter zu verkomplizieren. Maßgebend ist die Setzung der negativen Kopula, um zu einer mittleren Bestimmung zu gelangen. 50 Vgl. Franciscus de Marchia, Quodlibet, q. 5, a. 3, ed. Mariani, S. 201: „Consimiliter dico quod illa intencio neutra ‚secundum se non est facta per intellectum‘, non tamen est ‚secundum se non facta per intellectum‘. Nunc autem, licet secundum se intencio non sit facta per intellectum sicud intencio realis, non tamen oportet quod intencio, que secundum se non est facta per intellectum, sit intencio realis, quia intencio communis ad utramque non est secundum se facta per intellectum et tamen non est realis.“
152
kapitel iii
Zwischen die zunächst alternativlos scheinenden kontradiktorischen Bestimmungen fällt im Rahmen ihrer Verwendung als wesenhafter (secundum se-)Aussagen sehr wohl eine ‚mittlere‘ Bestimmung, da sie sich gegenüber den beiden anderen als die einzig wahre Zuschreibung herausstellt:
Es bleibt hierbei jedoch bei einer rein negativen Bestimmung (¬∈), die positive Zuschreibung eines Wesensprädikats (∈) erfolgt nicht, sondern es wird lediglich eine (falsche) Wesensaussage verneint. Das Problem scheint somit in der positiven Zuschreibung der intentio neutra zu liegen. Wenn sie secundum se weder facta per intellectum ist (wie die intentio rationis) noch non-facta per intellectum (wie die intentio realis), so muß ihr eine andere Wesensbestimmung zukommen (die diesen Bestimmungen übergeordnet bzw. für diese univok gültig ist). Die von Marchia anhand des vorangehend dargestellten Beweisgangs legitimierte intentio neutra scheint auf eine—an dieser Stelle jedoch nicht näher spezifizierte— Weise die existierende Dichotomie von Real- und Rationalbegriff zu übersteigen, indem sie hinzukommend eine ‚dritte Art‘ von Begriffen bildet, welche allerdings durch die Einteilung in ‚vom Verstand hervorgebrachte Begriffe‘ und ‚nicht vom Verstand hervorgebrachte Begriffe‘ nicht angemessen erfaßt werden kann. Mit Blick auf das Gegenmodell des Wilhelm von Ockham, wie wir es eingangs in den Blick genommen haben, ließe sich zusammenfassend folgende gegensätzliche Tendenz benennen: wird der Bereich des ens rationis bei Wilhelm von Ockham dem des ens reale ‚subordiniert‘ bzw. mit diesem gänzlich ‚identifiziert‘, liegt das Bemühen des Franziskus gerade darin, die Distinktion beider Seinsbereiche aufrechtzuerhalten und damit den Bereich des gedanklichen Seienden gegenüber dem des Realseienden zu stärken. Für Ockham stellt sich daher auch die Frage nach einem übergeordneten, für die ursprüngliche Seinsdistinktion ‚neutralen‘ Begriff nun nicht mehr, während Franziskus die beiden ‚ebenbürtigen‘ Glieder in die darüberstehende intentio neutra eingehen läßt:
die legitimation ‚super‘-transzendentaler bestimmungen
153
6. Der skotische Einfluß auf Franziskus von Marchia—Die intentio neutra als ‚medium per accidens‘ Franziskus von Marchia hat mit dem im Vorangegangenen dargestellten Entwurf erstmalig den Raum für die weitere Entwicklung der Supertranszendentalien eröffnet. In Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Diktum, zwischen kontradiktorische Bestimmungen falle kein mittlerer Begriff, gelingt es ihm, anhand einer Ausweitung dieser Annahme auf den Bereich der quidditativen Aussagen sehr wohl den Raum für zwischen zwei kontradiktorische Aussagen plazierte Bestimmungen—und damit den Raum für eine ‚dritte‘ Klasse von Begriffen, die über die traditionelle Einteilung in Begriffe erster und zweiter Intention hinausgeht—freizulegen. Bei keinem Denker vorher finden wir eine Konzeption mit dieser Konsequenz. Und doch scheint er in bestimmter Hinsicht auf eine Überlegung zurückzugreifen, wie sie sich bei Johannes Duns Scotus in dessen „Metaphysik-Kommentar“, Buch IV, q. 4, findet. Im Rahmen der Fragestellung dieser Quaestio, „Ob es zwischen Gegensätzen ein Mittleres gibt“ (Utrum inter contradictoria sit medium), der wir bereits bei Franziskus in der 4. Quaestio des „Quodlibet“ begegnet sind, kommt Scotus in Auseinandersetzung mit der ebenfalls bereits thematisierten aristotelischen Aussage „Contradictio est oppositio, cuius non est medium secundum se“51 zu einem Ergebnis, das eine Ausnahme innerhalb der traditionellen Interpretationen darstellt.52 Die aristotelische Definition sei mehrdeutig (multiplex), so Scotus, da folgende Differenzierung mit Bezug auf das Moment der Negation als Aristoteles, Anal. Post. I, 2, 72a12–13. Vgl. Johannes Duns Scotus, Quaestiones super libros metaphysicorum Aristotelis IV, 4, ed. St. Bonaventure 1997, S. 377 ff. 51 52
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kapitel iii
des einen Elements der Kontradiktion vorzunehmen ist: die Negation kann einerseits die ‚Ansichheit‘ verneinen (negare perseitas),53 andererseits kann es sich aber auch um die ‚Ansichheit einer Negation‘, eine perseitas negationis,54 handeln. In diesem Fall wird die ‚Ansichheit‘—wenngleich es sich dabei um eine negative Bestimmung handelt—jedoch insgesamt bejaht, und es kann dann in der Tat—übereinstimmend mit der aristotelischen Bestimmung—kein Mittleres secundum se geben. Ist zusätzlich eine der positiv ausgesagten, kontradiktorischen ‚Ansichheiten‘ wahr, kann zudem auf keine Weise ein Mittleres dazwischen fallen. Ist dies aber nicht der Fall, gibt es zwar kein medium secundum se, wohl aber ein medium per accidens.55 Franziskus’ Modell läßt sich auf dieses ‚terminologische Grundgerüst‘, wie wir es bei Duns Scotus finden, zurückführen: die ursprüngliche (aristotelische) Annahme, zwischen A und ¬A falle keine mittlere Bestimmung, ist in der Form der Wesensaussagen parallel zu setzen mit der skotischen Terminologie einer perseitas negationis (X ∈ ¬A), die damit einer positiven ‚Ansichheit‘, einer ‚perseitas affirmationis‘ (X ∈ A) gegenübersteht. Zwischen diesen kann es in der Tat keine Bestimmung secundum se geben, wohl aber die Möglichkeit, daß beide Formen der ‚Ansichheit‘ (A und ¬A), ja die ‚Ansichheit‘ überhaupt verneint wird (negare perseitas), indem eine negative Kopula gesetzt wird: X ¬∈ A. Hieraus ergibt sich keine Wesensaussage (weder eine positive noch eine negative), sondern lediglich eine akzidentelle, da verneinende Bestimmung, skotisch gesprochen: ein ‚medium per accidens‘. X∈A X ¬∈ A X ∈ ¬A
Franziskus von Marchia:
Johannes Duns Scotus:
Intentio neutra sec. se est facta per intellectum Intentio neutra sec. se non est facta per intellectum Intentio neutra sec. se est non-facta-per-intellectum
(perseitas affirmationis)
f
negare perseitatem = medium per accidens perseitas negationis
w f
Formaliter gesprochen: X ¬∈ Y. X ∈ ¬Y. 55 Johannes Duns Scotus, Quaestiones super libros metaphysicorum Aristotelis IV, 4, ed. St. Bonaventure, S. 378: „Dicendum ad hoc quod definitio est multiplex, eo quod negatio possit negare perseitatem. Vel est ibi perseitas negationis; tunc est intellectus quod perseitas affirmatur; tunc „est oppositio, cuius secundum se non est medium“. Ex hoc sequitur: „cuius nullo modo est medium“. Ubi enim unum oppositum inest per se, reliquum nullo modo inesse potest; est autem medium per accidens inter contraria immediata.“. 53 54
die legitimation ‚super‘-transzendentaler bestimmungen
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Der Argumentationsgang, anhand dessen Franziskus von Marchia die intentio neutra hervorbringt, weist dieser somit den Status eines ‚medium per accidens‘ zu. Die Möglichkeit einer sich daraus ergebenden ‚secundum se‘-Bestimmung wird—außer der bereits in „Quodl. 3“ geäußerten Zuschreibung bzw. ‚terminologischen Füllung‘ durch die klassischen Transzendentalbegriffe als intentiones neutrae— nicht weiter geklärt. Die Legitimation einer die traditionelle Bestimmung der transcendentia übersteigenden Gruppe von Begriffen (intentiones neutrae) muß somit letztlich als eine Art ‚differentielle Größe‘, als ein ‚neu entdeckter, inhaltlich indifferenter Raum‘ betrachtet werden.
kapitel iv SCHLUSSBETRACHTUNG „Die Interpretations- und Wirkungsgeschichte des aristotelischen Begriffs des Seienden als Seienden ist noch nicht geschrieben. Sie müßte dieses schwierige Verhältnis zu den beiden Begriffen (scil. des ens reale und des ens rationis) stets mitberücksichtigen“.1
Üblicherweise bildet das Schlusswort einer solchen Arbeit den locus classicus für eine nunmehr ‚entspannte‘, da vom konkreten Rechtfertigungszwang einzelner Argumentationsschritte befreite und somit nur noch konkludierende ‚Lese‘ der zuvor mühsam geernteten Früchte. Nun haben wir bereits an mehreren Stellen innerhalb der vorangegangenen Kapitel immer wieder ein jeweiliges Fazit gezogen—sowohl hinsichtlich der einzelnen Resultate von Franziskus’ Beiträgen zur Transzendentalien- und Metaphysikentwicklung als auch bezüglich einer Neubetrachtung des inneren Zusammenhangs beider Theoreme. All dies ergab sich ‚ursprünglich‘ aus der grundlegenden Umbewertung und Modifikation des klassischen Seinsbegriffs, wie wir sie im Rahmen der 3. Quaestio von Franziskus’ „Quodlibet“ ausgearbeitet finden. Mit Blick auf diese ‚ontologische Keimzelle‘, welche zugleich die Nahtstelle für den Zusammenhang von Franziskus’ (Super-)Transzendentalien-Entwurf und seiner Metaphysik-Konzeption bildet, verdient vor allem eine Beobachtung abschließend aber noch einmal unsere Aufmerksamkeit: Spricht nicht gerade die strikte Trennung des subiectum metaphysicae vom primum obiectum intellectus—so das Ergebnis der Beobachtungen des I. Kapitels—trotz des bereits aufgezeigten inneren Begründungszusam-
1 T. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, in: J. Marenbon (Hg.), Aristotle in Britain during the Middle Ages, Turnhout 1996 (Proceedings of the International conference at Cambridge 8–11 April 1994 org. by the S.I.E.P.M.), S. 159. Die Konzeption des Franziskus von Marchia, wie wir sie im Vorangegangenen in den Blick genommen haben, scheint einen deutlichen und maßgeblichen Beitrag zu gerade dieser von Kobusch postulierten Seinsgeschichte zu liefern.
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kapitel iv
menhangs letzten Endes doch für ein Auseinanderfallen von Transzendentalienlehre und Metaphysikkonzeption? Ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Lehre von den ‚supertranscendentia‘ und ihres Verhältnisses zur Bestimmung des spezifischen Gegenstands der Metaphysik innerhalb der Konzeptionen der Denker nach Franziskus von Marchia soll andeuten, daß es sich in der Tat lohnt, gerade diesen Brennpunkt bzw. die Scharnierstelle von Transzendentalienlehre und Metaphysik-Bestimmung noch einmal näher zu fokussieren. Offenkundig scheinen sich die unterschiedlichen Traditionsstränge, wie sie in verschiedener Weise in das 15., 16. und 17. Jahrhundert hineinwirken und dort allererst zu ihrer vollständigen Ausprägung gelangen, gerade in diesem systematischen Punkt strukturgeschichtlich zu ‚sondieren‘ und keine einheitliche Fortentwicklung zu konstituieren. Wir wollen daher abschließend—und nicht zuletzt, um Franziskus’ eigene Position noch einmal angemessen in den Gesamtzusammenhang einordnen zu können—die unterschiedlich gelagerten Fragestellungen aufzeigen, wie sie den verschiedenen weiteren Entwicklungslinien der (Super-)Transzendentalienlehre und der Metaphysikgeschichte zugrundeliegen. Welche der Entwürfe lassen sich in ihrer methodischen Herangehensweise und in ihrem systematischen Anliegen auf die Konzeption des Franziskus beziehen? Wo ist ein gegenläufiger Ansatz erkennbar? Anders gefragt: Wie läßt sich der Zusammenhang der Transzendentalien- bzw. ‚Super‘-Transzendentalienlehre und der Konzeption der Metaphysik in ihrer Entwicklung von der mittelalterlichen, insbesondere der skotischen Bestimmung als einer ‚scientia transcendens‘ hin zu einer gleichsam als ‚scientia supertranscendens‘ zu betrachtenden, ‚tinologischen‘ Wissenschaft näherhin nachzeichnen?2 Fassen wir dazu zunächst noch einmal die vier wesentlichen Argumentationsschritte zur Legitimation der über die ‚transzendentalen transcendentia‘ hinausgehenden ‚supertranszendentalen transcendentia‘ bei Franziskus zusammen. Als Ergebnis der Lektüre des „Quodlibet“ ist folgendes deutlich geworden: (i) Zum Zweck einer Neubewertung der bis dahin etablierten Vorrangstellung des Begriffs des ‚Seienden‘ innerhalb der klassischen 2 Vgl. hierzu die Studien von O. Boulnois, Être et représentation. Une généalogie de la métaphysique moderne à l’époque de Duns Scot (XIIIe–XIVe siècle), Paris 1999, und J.F. Courtine, Suarez et le système de la métaphysique, Paris 1990.
schlussbetrachtung
159
Gruppe der Transzendentalbegriffe unum, verum, bonum, res und aliquid erachtet Franziskus von Marchia aufgrund der konzeptionellen Einführung zweier Erstheiten (prioritas materialis und prioritas formalis) anstelle eines Erstbegriffs nunmehr zwei Erstbegriffe für notwendig: eine in substraktivem und eine in abstraktivem Sinne ‚erste‘ prima intentio; (ii) In diesem Zusammenhang werden aufgrund unterschiedlicher Beweisgänge die Begriffe des ‚Dinges‘ (res) und des ‚Etwas‘ (aliquid) als ‚neue‘ Erstbegriffe gegenüber dem Begriff des ‚Seienden‘ (ens) ermittelt: ‚res‘ ist Erstbegriff in einer gleichsam materialen Hinsicht, indem der Begriff des ‚Dinges‘ zugrundeliegend alle anderen Begriffe virtualiter enthält, die somit allesamt später sind als dieser selbst; ‚aliquid‘ ist Erstbegriff in einem formalen Sinne, indem der Begriff des ‚Etwas‘ auf abstrakteste Weise essentialiter in allen anderen (realiter) voraufgehenden intentiones enthalten ist. Der conceptus aliquitatis ist damit insofern ebenfalls ‚Erstbegriff‘, als er den nicht weiter rückführbaren Endpunkt der abstraktiven Begriffs-Resolutio bildet. Der ‚entthronte‘ Seinsbegriff hingegen nimmt eine in spezifischer Weise nachgeordnete Stellung gegenüber res und aliquid ein; (iii) Die mittelalterlichen Transzendentalbegriffe werden von Franziskus inhaltlich dergestalt modifiziert, daß ihnen ein erweiterter Geltungsbereich zugeschrieben wird: nicht mehr ausschließlich für das ens reale, sondern auch für das ens rationis müssen sie Gültigkeit besitzen, damit sie ihrem Anspruch als ‚Erstbegriffe‘ tatsächlich gerecht werden können. Franziskus scheint somit den traditionellen transcendentia gerade die Rolle beizumessen, die den späteren supertranscendentia zuzuschreiben ist. Insbesondere der Begriff des ‚aliquid‘ nimmt dabei eine Sonderstellung ein, da dieses noch über allen anderen Transzendentalbegriffen positioniert wird und damit zum primum obiectum intellectus im eigentlichen Sinne avanciert.3 Der Begriff des ‚Etwas‘ ist damit ausdrücklich aus dem Gegenstandsbereich der Metaphysik ausgeschlossen. Der Begriff des ‚Dinges‘ hingegen scheint gerade diejenige Stellung einzunehmen, die bislang der (transzendentalen) intentio entis zugesprochen wurde, er wird zum proprium subiectum metaphysicae in einem ‚realbe3 Vgl. die entscheidende Textstelle aus Franziskus’ „Quodlibet“, q. 3, ed. Mariani, S. 100: „(…) et iste (scil. conceptus aliquitatis) est primum obiectum intellectus, et non ens, neque unum, nec bonum“.
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kapitel iv
grifflichen‘ Sinne, während die intentio entis an eine nachgeordnete Stelle weichen muß. (iv) Wenngleich wir mit Blick auf die Konzeption des Franziskus von Marchia von den ‚Anfängen einer Lehre super-transzendentaler Bestimmungen‘ sprechen, so bleibt doch festzuhalten, daß er den Terminus ‚supertranscendens‘ an keiner Stelle seines Werkes selbst verwendet. Und dies geschieht aus gutem Grunde. Wir müssen bei Franziskus von ‚intentiones neutrae‘ sprechen, da er, wie bereits erörtert, keinen zweiten, ‚super-transzendentalen‘ transcensus (nämlich über die transcendentia hinaus) annimmt, sondern diesen—in gerade dem Sinne, wie ihn die späteren Autoren entwickelten— bereits in den (ersten und damit für ihn einzigen) transcensus der Transzendentalien über die aristotelischen Kategorien eingliedert. Und wenngleich zu diesem Zweck von Franziskus nachgewiesen wird, daß auch das ens rationis unter die Einteilung durch die aristotelischen Kategorien falle (Quodl. 5,3), so machen die Bemerkungen zum subiectum metaphysicae im „Metaphysik-Kommentar“ doch eines ganz deutlich: Die intentiones neutrae, die später sog. ‚supertranscendentia‘, werden als eigentümlicher Gegenstand der Metaphysik ausdrücklich ausgeschlossen, womit zugleich der Bereich des ens rationis bzw. der Begriffe zweiter Intention außen vor bleibt. Warum aber hat Franziskus—stellen wir diese Frage noch einmal ausdrücklich—die Metaphysik nicht im Sinne einer ‚Supertranszendentalwissenschaft‘ konzipiert? Denn wenn er das gedankliche Seiende (ens rationis) schon als unter die kategoriale Einteilung subsumierbar betrachtet, so müßte dieses damit doch auch in den Gegenstandsbereich der Metaphysik fallen! 1. Das Supertranszendentale als ‚subiectum metaphysicae‘? Aristoteles hat in seinem Metaphysik-Entwurf—bei aller Unbestimmtheit—das ν ν als Gegenstand der Metaphysik zumindest insofern unmißverständlich spezifiziert, als er dabei neben dem Akzidentellen vor allem auch das ‚veritative‘ Seiende (τ ν !ς λη"ς) ausdrücklich von dieser Funktion ausschloß.4 In diesem Sinne läßt sich das aristote4 Vgl. Aristoteles, Met. E 4, 1027b34–1028a3, und K 8, 1065a 22 ff. Aristoteles bestimmt das ‚veritative Sein‘ hier als das in einem Satz durch „Verbindung und Trennung“ erkannte intramentale Sein. Th. Kobusch sieht in den Bemerkungen der aristote-
schlussbetrachtung
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lische Metaphysikverständnis auf das ‚Realseiende‘ konzentrieren, während alles gedankliche Seiende deutlich exkludiert wird. Stand für Franziskus von Marchia somit außer Frage, dem eindeutigen Diktum des Aristoteles, das subiectum metaphysicae beschränke sich auf das ens reale, zu widersprechen?5 Oder lag es allein an dem von ihm selbst angeführten Grund, daß das eigentümliche subiectum der Metaphysik, würde dafür der Begriff des (den ersten und zweiten Intentionen gemeinsamen) ‚aliquid‘ herangezogen, dann identisch wäre mit dem proprium subiectum der Logik?6 Scheinbar finden wir bei Franziskus einen mit dem aristotelischen Modell zu vereinbarenden Entwurf: so arbeitet er den (aristotelischen) Bereich des veritativen, d. h. des gedanklichen Seienden in einem umfassenden Sinne hinsichtlich des Ersterkannten des menschlichen Intellekts weiter aus, behält diesen aber—in Übereinstimmung mit der aristotelischen Vorlage—weiterhin aus dem Bereich der Metaphysik ausgeschlossen. In einigen anderen zeitgenössischen Modellen, die jedoch als weitaus seltener zu werten sind, so etwa bei Wilhelm von Ockham oder Nicolaus Bonetus (~1280–1343), wird bereits eine ‚Überwindung‘ dieser ‚realontologischen Einschränkung‘ des Gegenstandsbereichs der Metaphysik sichtbar.7 Bedeutet die Verfechtung der Auflischen Metaphysik „die Geburtsstunde der Lehre vom ‚Gedankending‘ oder des ‚Seins in der Seele‘ oder des ‚gedachten Seins‘ oder wie immer der spätere Name dafür lauten mag“; vgl. Th. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, in: J. Marenbon (Hg.), Aristotle in Britain during the Middle Ages, Turnhout 1996 (Proceedings of the International conference at Cambridge 8–11 April 1994 org. by the S.I.E.P.M.), S. 157–175. Aristoteles scheint somit aufgrund der Unterscheidung ‚ens inquantum ens‘—‚veritatives Sein‘ die Grundlage für die spätere Gegenüberstellung und deren Übersteigung von ens reale und ens rationis zu liefern. 5 Noch Francisco Suárez (1548–1617) erklärt in seinen Disputationes Metaphysicae, d. 1, s. 1, n. 26 (Opera omnia XXV, ed. C. Berton, Paris 1856, S. 11), das subiectum metaphysicae ganz explizit als „Seiendes, insofern es reales Seiendes ist“. 6 Vgl. Franciscus de Marchia, Quaestiones in metaphysicam I, 1, ed. Zimmermann, S. 85f.: „(…) idem sub eadem ratione formali non potest esse subiectum diversarum scientiarum. Sed si aliquid esset subiectum metaphysicae primum, eadem ratione esset subiectum primum logicae, cum logicus et metaphysicus sint aequalis ambitus quantum ad subiectum“. 7 Bei Wilhelm von Ockham geschieht dies im Zuge seiner Intellectio-Theorie durch die Subsumierung des ens rationis unter das Realseiende, wie wir vorangehend näher ausgeführt haben (vgl. Kap. III der vorliegenden Untersuchung). Th. Kobusch betont, „daß nach Wilhelm von Ockham—gegen die aristotelische Vorgabe—die Metaphysik gerade auch als jene Disziplin zu begreifen ist, die das ens rationis thematisch behandelt“. (Vgl. T. Kobusch, Ens inquantum ens und ens rationis. Ein aristotelisches Problem in der Philosophie des Duns Scotus und Wilhelms von Ockham, in: J. Marenbon (Hg.), Aristotle in Britain during the Middle Ages, Turnhout 1996 (Proceedings of the International con-
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fassung, adäquates Objekt der Metaphysik sei ein Seinsbegriff in einem allumfassenden, univoken und höchst abstrakten Sinn, der schließlich nicht nur alles Reale (im Sinne des Möglichen), sondern auch die Gedankendinge, nicht nur alles Positive, sondern auch die Privationen in sich einschließt, kurz: das Postulat eines supertranszendentalen Metaphysik-Gegenstandes, zu dieser Zeit eher noch einen Sonderfall, so entwickelt sie sich im 17. Jahrhundert zu einem immer stärkeren Gegenpol. Auf einige signifikante Beispiele für diesen Entwicklungsstrang, d. h. für die ausdrückliche Identifikation des subiectum metaphysicae mit dem (supertranszendentalen) primum obiectum intellectus, sei kurz hingewiesen:8 Um 1600 vertritt Clemens Timpler (1563/4–1624) ausdrücklich die Ansicht, Gegenstand der Metaphysik sei „alles Denkbare“ (omne intelligibile).9 Und auch bei Johannes Clauberg (1622–1665), der in seiner „Ontosophia“ eine allgemeine Ontologie ausarbeitet, deren Subjekt das ens inquantum ens ist, findet sich ein ähnlicher Ansatz, indem er feststellt, daß ‚Denkbarkeit‘ die weiteste Bedeutung des Seienden sei und eben dieses der Gegenstand der Metaphysik.10 ‚Seiendes‘ (ens) umfasse alle Klassen des Seienden und sei somit dem esse obiectivum sowie dem ens reale gemeinsam. Leibniz spricht in seiner „Introductio ad Encyclopaediam arcanam“ von einer „scientia generalis“, die sich mit dem „Denkbaren überhaupt, insofern es ein solches ist“ („de cogitabili in univer-
ference at Cambridge 8–11 April 1994 org. by the S.I.E.P.M.), S. 157. Kobusch ist es auch, der bemerkt: „Nikolaus Bonetus ist vielleicht der erste, der die Lehre vom supertranszendentalen Charakter des Seinsbegriffs vertritt“, in: Th. Kobusch, Das Seiende als transzendentaler oder supertranszendentaler Begriff. Deutungen der Univozität des Begriffs bei Scotus und den Scotisten, in: L. Honnefelder/R. Wood/M. Dreyer (Hgg.), John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics, Leiden/New York/Köln 1996 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 53), S. 361. Vgl. Nicolaus Bonetus, Metaphysica, Nat. Phil., Praedic., Theol. Nat., I, c. 6 (Venetiis 1505), fol. 8vb: „Ens autem inquantum ens est quiditas univoca enti reali et enti rationis: et per ens rationis non intelligo ens in anima, sed esse quod habet cognitum in cognoscente vel aliquid derelictum et sequela talis esse: hoc probatur quia primum principium ita verificatur sub disiunctione de ente rationis sicut de ente reali: ergo subiectum primi principii: quod est ens inquantum ens uniformiter reperitur in ente reali et rationis: quia non reperitur propria passio sine suo subiecto“. 8 Ich beziehe mich dabei auf das von J.P. Doyle gelieferte Material, der allerdings weniger eine systematische, als vielmehr chronologische Darstellung liefert (vgl. J.P. Doyle, Between transcendental and transcendental: the missing link?, in: The Review of Metaphysics 50 (1997), S. 783–815). 9 Vgl. Clemens Timpler, Met. systema method. I, c.1, probl. 5 (Hannover 1608), S. 7. 10 Vgl. Johannes Clauberg, Metaphysica de ente; Ontosophia I, 3; II, 7.
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sum quatenus tale est“) befasse.11 Innerhalb dieser scientia generalis befinde sich „forte etiam“ die Ontologie als „scientia de aliquo et nihilo, ente et non ente, re et modo rei, substantia et accidente“.12 Der nach und nach häufigeren Verwendung von „supertranscendens“ korrespondiert die im 17. Jahrhundert verbreitete—der Argumentation des Franziskus von Marchia entgegengesetzte—Ansicht, daß sowohl die Metaphysik als auch die Logik von ‚entia realia‘ und ‚entia rationis‘ handle. Sebastian Izquierdo S.J. (1601–1681) bestimmt den Gegenstand der Metaphysik schließlich als „Seiendes in einem umfassenden Sinne, das mögliches als auch unmögliches Seiendes einschließe“,13 und Antonio Bernaldo de Quiros S.J. (1613–1668) versucht zu zeigen, daß die Logik von dem Unterschied zwischen ens reale und ens rationis gänzlich absehe, wobei er in diesem Zusammenhang auf amabile, cognoscibile und intelligibile als supertranszendentale Begriffe verweist.14 Längst nicht alle Denker haben jedoch diesen Weg einer gleichsam ‚supertranszendentalen Metaphysik‘ eingeschlagen. Weit verbreiteter war die Auffassung, daß es keinen supertranszendentalen, univok für das ens reale und das ens rationis gültigen Seinsbegriff geben könne, womit sich auch die Frage nach der möglichen Eignung eines solchen Begriffs für das subiectum metaphysicae erübrigte. Allerdings läßt sich dabei noch ein ‚Zwischenweg‘ konstatieren (und diesem wäre wohl auch Franziskus von Marchia zuzuordnen), gemäß dessen zwar ein supertranszendentaler Seinsbegriff affirmiert, dieser als Gegenstand der Ersten Philosophie jedoch ausdrücklich abgelehnt wird. 2. „Ens generalissime sumptum, quatenus abstrahit ab ente rei et rationis, non est constituendum metaphysicae obiectum“ 15 Eine interessante systematische Beobachtung können wir diesbezüglich bei Sebastian Dupasquier, einem südfranzösischen Konventualen, machen, der im Jahr 1692 seine „Summa Philosophiae Scholasticae et 11 Vgl. G. W. Leibniz, Introd. ad encycl. arc. (ca. 1679). Opusc. et fragm. inéd., ed. L. Couturat (Paris 1903, ND 1961), 511. 12 Ibid., 512. 13 Vgl. Sebastian Izquierdo, Prefatio ad lectorem, in: Pharus scientiarum I (Lyon 1659). 14 Vgl. Antonio Bernaldo de Quiros, Opus philosophicum seu selectae disp. philos., compl. Tract. Octo, tr. II: De log., d. 10, s. 8 (Lyon 1666) 65; vgl. tr. I: De institut. Logicae seu de summulis, d. 2, s. 4, ibid. 14. 15 Carolus F. d’Abra de Raconis, Summa totius philosophiae (Coloniae 1629), 8b.
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Scotisticae“ veröffentlichte. Er präsentiert uns bei der Diskussion eines umfassenden (supertranszendentalen) Seinsbegriffs eine deutliche Trennung der Frage einerseits, ob ein solcher Seinsbegriff mögliches obiectum des Intellekts sein könne, und zum anderen, ob ein solcher Begriff zugleich auch subiectum der Ersten Philosophie sei. Zunächst führt er an, daß es keine für das reale und das gedankliche Seiende gemeinsame und einheitliche Seinsbestimmung geben könne, die sowohl dem Intellekt als auch einer Wissenschaft „entgegengestellt“ werden könnte („nulla una ratio entis objici potest intellectui et scientiae, quae sit communis univoce enti reali et rationis“).16 Erstaunlicherweise fügt er jedoch wenig später an, daß es dagegen denkbar sei, daß aber sehr wohl die Metaphysik als die „höchste Wissenschaft“ alles Seiende (d. h. Seinsarten wie das ens reale, das ens rationis oder das ens morale) zum Gegenstand habe. Allerdings sei in direkter Weise und im eigentlichen Sinne nur das ens reale Gegenstand der Metaphysik, während alle anderen Seinsarten—insbesondere das ens rationis—nur nebenbei und indirekt thematisiert werden.17 Im wesentlichen ist dies auch das Hauptargument des Skotisten Carolus Franciscus d’Abra de Raconis (1580–1646) gegen einen von der Metaphysik zu behandelnden Seinsbegriff im allerweitesten Sinne, da ens reale und ens rationis keine gemeinsame Bestimmtheit haben und somit nicht auf derselben „Stufe“ stehen, denn das ens rationis habe lediglich ein esse tantum obiective in intellectu, das nicht unter dem Objekt der Metaphysik mitverstanden werden könne:18 „Wenn sie (scil. die Metaphysik) zugleich vom gedanklichen Seienden handeln würde, müßte dort irgendein beiden, nämlich dem realen und gedanklichen Seienden gemeinsamer Sinngehalt (ratio) oder (Seins-) ‚Grad‘ (gradus) angenommen werden (…), die Metaphysik kann aber 16 Sebastian Dupasquier, Summa Philosophiae Scholasticae et Scotisticae (Patavii 1733), disp. I, q. II, S. 6. 17 Ibid., S. 12: „Unde Metaphysica per se primo et directe agit de ente reali ut sic, indirecte vero, et per accidens de ente rationis. (…) aut sub unam totalem uniri, cuius obiectum esset omne ens reale in tota sua latitudine, aut etiam omne ens tam reale quam rationis et morale et talis dici posset metaphysica“. 18 Vgl. Carolus Franciscus d’Abra de Raconis, Summa totius philosophiae (Coloniae 1629), 3a: „[…] si simul ageret de ente rationis, statuere ibi deberet rationem aliquam sive gradum utrique communem scilicet enti reali et enti rationis, […] et Metaphysica talem gradum communem enti reali et enti rationis omnino reperire non potest, cum solum nomen commune habeant, ens reale et ens rationis […]“; 8b: „Dari convenientiam univocam inter ens reale et rationis dici non potest […]“; 3b: „Entia rationis non sunt de obiecto Metaphysicae, seu (quod in idem recidit) ens generalissime sumptum, quatenus abstrahit ab ente rei et rationis, non est constituendum metaphysicae obiectum“.
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einen solchen, dem realen und gedanklichen Seienden gemeinsamen ‚Grad‘ nicht haben, da das ens reale und das ens rationis nur einen gemeinsamen Namen haben (…). Es kann nicht gesagt werden, daß es eine univoke Übereinstimmung zwischen dem Realseienden und dem gedanklichen Seienden gebe (…). Die gedanklichen Seienden sind nicht Gegenstand der Metaphysik oder—was auf dasselbe hinausläuft—: das Seiende ‚am allgemeinsten aufgefaßt‘, wie es vom Sein der Sache und des Gedanklichen abstrahiert, ist kein ‚konstituierender Bestandteil‘ der Metaphysik.“
Der Beweis liegt für Carolus darin, daß der Gegenstand einer Wissenschaft irgendeinen gemeinsamen Sinngehalt haben müsse, wenn es davon eine einheitliche Wissenschaft geben solle. Keine Wissenschaft könne aber einen gemeinsamen Sinngehalt mit Blick auf das ens reale und das ens rationis bezeichnen. Das ‚Seiende‘, wie es von diesen beiden Seinsbereichen abstrahiert ist, kann somit nicht Gegenstand der Metaphysik sein.19 Daher kann—wie auch Ambrosius Saxius hervorhebt— niemals das Seiende im supertranszendentalen Sinne, sondern immer nur der transzendentale, d. h. Gott, den Geschöpfen und den kategorialen Aussagen gemeinsame Begriff des ‚Seienden‘ Gegenstand der Metaphysik sein: „Hier wird nämlich nicht vom Seienden in einem ‚transzendentalsten Sinne‘ (ens transcendentissime sumptum) gehandelt, das dem Realseienden und dem Gedanklichen gemeinsam ist, sondern vom Seienden ‚transzendental aufgefaßt‘ (ens transcendenter sumptum), das sowohl Gott und den Geschöpfen als auch den zehn Kategorien gemeinsam ist“.20
Noch konkreter begründen im 17. Jahrhundert die beiden Skotisten Bartholomaeus Mastrius (1602–1673) und Bonaventura Bellutus (1600– 1676), daß das „Seiende“ in seiner „allgemeinsten Abstraktion“ genommen, d. h. als das dem realen und gedanklichen Sein Gemeinsame, überhaupt niemals Gegenstand irgendeiner Wissenschaft sein könne. Denn ein Begriff von einer solchen Abstraktheit repräsentiere einerseits gar keine sachliche Einheit, sondern bezeichne nur ein nominell 19 Vgl. Carolus Franciscus d’Abra de Raconis, Summa totius philosophiae (Coloniae 1629), 8b: „Probatur: Obiectum scientiae debet habere aliquam rationem unam et communem, cum ab eius unitate scientiae unitas desumatur. Sed nulla potest assignari ratio unius communis enti rei et rationis (…). Ergo ens ab ente rei et rationis abstractum non potest statui pro obiecto metaphysicae“. 20 Ambrosius Saxius, Catastrasis Philosophica ac Theologia (Bonn 1640), disp. 10, q. 6, a. 2, n. 193: „Non enim est hic sermo de ente transcendentissime sumpto, quod est commune enti reali ac rationis sed de ente transcendenter sumpto, quod est commune Deo et creaturis ac decem Praedicamentis“.
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Gemeinsames, zum anderen kämen die ersten transzendentalen Bestimmungen des Seienden (unum, verum und bonum) den entia rationis nicht zu. 3. Überlegungen einzelner Denker zur begrifflichen Benennung supertranszendentaler Bestimmungen ohne Rekurs auf die Frage nach dem ‚subiectum metaphysicae‘ Anders als die Beispiele der vorangehend in den Blick genommenen Konzeptionen darlegen, hat der weitaus größte Teil innerhalb der skotistischen Tradition das ens inquantum ens nicht nur bezüglich der Frage nach dem Gegenstand der Metaphysik als transzendentalen Begriff im strengen Sinne aufgefaßt, d. h. insofern der Seinsbegriff im Hinblick auf die Unterscheidung der verschiedenen Seinsbereiche (ens reale, ens rationis, ens morale usw.) äquivok zu verwenden ist. Ganz unabhängig von dieser Frage wurde ein supertranszendentaler Seinsbegriff darüberhinaus per se abgelehnt. In die Verlegenheit einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob das subiectum der Metaphysik nun umfassender sei als das ens reale, kamen diese Denker somit erst gar nicht. Eine solche Position erweist sich für die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als von erheblicher Bedeutung, insofern die meisten Denker diesen Weg beschritten haben.21 Es gab jedoch durchaus auch Denker, die einen supertranszendentalen Seinsbegriff affirmierten, ohne diesen auf die Frage nach dem Gegenstand der Metaphysik hin zu überprüfen. Als letztes seien daher einige Beispiele für diese ‚vierte Gruppe‘ von Autoren genannt: so spricht etwa Dominico Soto (1494–1560) in seinen „Summulae summularum“ von „imaginabilis“ als einem supertranszendentalen Begriff und in der von ihm angeführten, weit verästelten „Arbor terminorum“ findet sich sogar ein ausgewiesener Platz für das „supertranscendens“.22 Ohne „supertranscendens“ genannt zu werden, umfaßt es sowohl Seiendes (einschließlich der „entia rationis“) als auch Nichtseiendes oder Nichts („nihil“).23 Der Jesuit Petrus Fonseca (1528– 1599) präsentiert einen so weiten Begriff von „etwas“ (aliquid), daß er 21 Einige signifikante Beispiele für die Ablehnung eines univoken Seinsbegriffs— unter anderem die Konzeption Wilhelms von Ockham—haben wir bereits im Rahmen des dritten Kapitels näher in den Blick genommen (vgl. S. 107–110). 22 Vgl. Dominico Soto, Summulae summularum, l. 1, c. 6, n. 4 (Salamanca, 2. Aufl. 1554, ND 1980), 10r. 23 Vgl. Clemens Timpler, Metaphysicae Systema methodicum, Hanau 1606.
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alles umfaßt, woran man denken oder wovon man sprechen kann,24 als spezifisch supertranszendentale Begriffe erwähnt er „opinabile“, „cogitabile“ und „apprehensibile“.25 In der Auffassung von Thomas C. Carleton sind „intelligibilis“ und „imaginabilis“ als supertranszendentale Begriffe weit genug, auch die entia rationis zu umfassen, worunter er letztlich unmögliche Gegenstände versteht (z. B. einen anderen Gott (alius Deus), eine Chimäre oder einen Bockhirsch).26 Solche Gegenstände, die der Geist aus möglichen Bestandteilen zusammensetzt, wären extramental unrealisierbar. Obwohl sie nicht im Begriff des „ens reale“ enthalten sind, haben sie bei Carleton doch ein objektives Sein und sind folglich erkennbar; darin sind sie den entia realia verwandt. Erkennbar sind die unmöglichen Gegenstände jedoch nicht durch ihre eigenen kognitiven Repräsentanten („per proprias species“), ihr eigenes Realsein sowie ihre Eignung zur Terminierung von Erkenntnisakten. Vielmehr ist ihre Erkennbarkeit eine extrinsische: durch kognitive Repräsentanten von ihnen verschiedener Dinge und vermöge extrinsischer Denomination von einem Intellekt her. Eine solche extrinsische Erkennbarkeit findet sich—zumindest auf einen möglichen Intellekt bezogen— gleichermaßen bei den entia realia und den entia rationis und ist daher supertranszendent. Gefolgt wird Carleton dabei von Ricardus Lynceus, der diese Auflistung um imaginabile und volibile ergänzt.27 Silvester Mauro S.J. (1619–1687) verwendet „supertranscendens“ gleichbedeutend mit intelligibile und cognoscibile, die sowohl Unmögliches als auch sogar „ipsum nihil“ einschließen. Unmögliche Begriffe sind Mauro zufolge notwendig, um das erste Prinzip des Nicht-Widerspruchs zu erfassen.28 Der Jesuit André Sémery (1630–1717) nennt als Beispiele für supertranszendentale Begriffe explizit intelligibile, cognoscibile und cogitabile.29 Johannes B. de Ulloa S.J. (1639–1723) erklärt um die Wende zum 18. Jahrhundert, „ens“ sei zwar die höchste Gattung, „cognoscibile“ stehe jedoch noch höher („supremum omnium“).30 Der spanische Jesuit Ignacio Peynado Petrus Fonseca, In Met. Arist. libr. 2, V, c. 1, q. 2 (1615, ND 964), 12c. Petrus Fonseca, Institutionum dialecticarum libri octo, 1.1, c. 28, Ingolstadt 1607, 62. 26 Vgl. Thomas Carleton, Philos. universa, Logica, d. 16, s. 5, n. 2 (Antwerpen 1649), 78; d. 13, s. 1, n. 6, S. 65. 27 Vgl. Ricardus Lynceus, Dialectica, L. 3 tr. 3, c. 2, n. 20, in: Universa philos. scholast., Lyon 1654, 1, S. 87. 28 Vgl. Silvester Mauro, Summulae, in: Quaest. philos., c. 10, ed. M. Liberatore (Paris 1876) 1, S. 16. 29 Vgl. André Sémery, Logica, d. 1, c. 1, a. 2, in: Triennium philosophicum 1, 7, Rom 1682. 30 Johannes B. de Ulloa, Logica major, disp. 3, c. 1, n. 3 (Rom 1712), S. 242. 24 25
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(1633–1696) äußert noch vor ihm, den entia realia und den entia rationis komme extrinsische Erkennbarkeit in univoker Weise zu: „(…) ens reale et rationis univoce conveniunt sub hoc conceptu aptum extrinsece cognosci, seu cognoscibile extrinsece“.31 Kurze Zeit später merkt Luis de Lossada S.J. (1681– 1748), der den Begriff „supertranscendens“ mehrfach verwendet,32 bereits an, daß die Lehre von der extrinsischen Erkennbarkeit weit verbreitet sei.33 Die Bezeichnungen supertranszendentaler Bestimmungen scheinen sich somit innerhalb der Entwürfe der Denker des 16.-18. Jahrhunderts vor allem auf die Bezeichnungen intelligibile, cogitabile, cognoscibile und imaginabile zu konzentrieren. * * * Folgende vier ‚Autoren-Gruppen‘ haben wir vorangehend sondierend in den Blick genommen: 1. Gegner eines supertranszendentalen Seinsbegriffs (ohne expliziten Rekurs auf die Frage nach dem subiectum metaphysicae) 2. Befürworter eines supertranszendentalen Seinsbegriffs, der zudem auch als subiectum metaphysicae affirmiert wurde 3. Befürworter eines supertranszendentalen Seinsbegriffs, der jedoch als subiectum metaphysicae ausdrücklich abgelehnt wurde 4. Befürworter eines supertransz. Seinsbegriffs (ohne expliziten Rekurs auf die Frage nach dem subiectum metaphysicae) Bei Franziskus von Marchia, als zur dritten Gruppe gehörend, finden wir—wie gesagt—allein die klassischen transzendentalen Begriffe mit ihrer inhaltlichen Modifikation zur Bezeichnung der ‚Vorläufer der Supertranszendentalien‘. Daß die späteren supertranszendentalen Termini jedoch bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts (gespeist aus dem Bereich sprachlogischer Untersuchungen) zur Verfügung standen, beweist eine interessante philosophiegeschichtliche Parallele zur Konzeption des Franziskus. Sie findet sich bei einem Denker, auf den Jan A. Aertsen in einer neueren Studie zur Entwicklungsgeschichte des Terminus „transcendens“ hingewiesen hat.34 Als bedeutende Quelle ver31 Ignacio Peynado, Disput. in univers. Aristotelis Logicam, tr. 5, disp. 2, sec. 3, n. 47 (Alcalá 1721), S. 410. 32 Luis de Lossada, Institutiones dialecticae, vulgo Summulae, disp. 4, c. 4, sec. 3, n. 12 (Salamanca 1721), S. 62; und sec. 6, n. 35, S. 67. 33 Ders., Metaphysica, disp. 4, c. 4, n. 47, in: Cursus philosophici (1720 ff., Barcelona 1883), 10, 277; und disp. 1, c. 4, n. 64, 10, 51. 34 Vgl. Jan A. Aertsen, The Concept of „Transcendens“ in the Middle Ages: What is Beyond
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weist Aertsen auf den Dominikaner Armandus de Bellovisu und seine um 1326 verfaßte „Declaratio difficilium terminorum“. Dieses Werk, das den Studenten der Theologischen Fakultät als Nachschlagewerk und Hilfsmittel zum Zweck eines adäquaten Verständnisses besonders schwieriger philosophischer Begriffe dienen sollte, gewährt uns heute vor allem einen Einblick in den zeitgenössischen Sprachgebrauch und das allgemein gängige Verständnis verschiedener grundlegender philosophischer Termini. Im 2. Kapitel des I. Teils der „Declaratio“ wird zunächst die traditionelle These reformuliert, daß alle Begriffe auf den Begriff des Seienden (conceptus entis) hin zurückgeführt bzw. aufgelöst werden können, da dieser das erste Erkennbare, das ‚primum intelligibile‘, sei. (Das Innovationspotential der Konzeption des Franziskus von Marchia läßt diese Bestätigung der etablierten Auffassung von der Priorität des ‚Seinsbegriffs‘ noch deutlicher zutage treten.) Eine weitere Differenzierung aber scheint doch bemerkenswerter: Ebenso, wie die transzendentalen Begriffe innerhalb der Begriffe erster Intention alle zehn aristotelischen Gattungen durchkreuzen und damit in univoker Weise übersteigen, so sind innerhalb der Klasse der zweiten Intentionen Begriffe wie ‚praedicabile‘—gerade einer der später klassisch gewordenen supertranszendentalen Termini—allen transcendentia und den zehn Kategorien gemeinsam.35 Daneben nennt Armandus auch noch Begriffe, die sowohl den zweiten Intentionen wie auch den „ersten transcendentia“, also den „ersten (nämlich transzendentalen) Begriffen“ erster Intention gemeinsam sind, wie z. B. der Begriff des ‚universale‘. Das Bemerkenswerte liegt dabei jedoch in der Tatsache, daß diese Begriffe zu den zweiten Intentionen gezählt werden. Wie Aertsen deutlich anmerkt, sind Armandus’ Ausführungen nicht als Kritik an der Transzendentalienlehre gemeint, sondern durch denominative, extrinsische Prädikation grundgelegt.36 Bemerkenswert bleibt jedoch, daß die terminoloand What is Common, in: G. van Riel/C. Macé (Hg.), Platonic Ideas and Concept Formation in Ancient and Medieval Thought, Leuven 2004, S. 133–153. 35 Vgl. Armandus de Bellovisu, Declaratio II, c. 264: „Quod sicut inter nomina primarum intentionum sunt quaedam, ut prius patuit, quae transcendunt et circumeunt omne genus (…), ita et in secundis intentionibus. Quaedam sunt communes omnibus transcendentibus et omnibus decem rerum generibus, sicut hoc quod dico ‚praedicabile‘ et multa alia“. 36 Vgl. Armandus de Bellovisu, Declaratio II, c. 264: „Illud autem quod praedicatione denominative praedicatur de omnibus secundis intentionibus et de primis transcendentibus, potest etiam dici transcendens, quia hoc quod dico ens, est universale, hoc quod dico genus, est universale, et sic de aliis. Et nec iste modus transcendentis est ita communis et proprius sicut secundus“.
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gischen Anfänge einer Lehre von den supertranscendentia vermutlich in dieser Weise verlaufen sind:
4. Zusammenfassung Innerhalb der Forschungen zur Transzendentalienlehre und zur Transzendentalphilosophie wird immer wieder die Lehre von den supertranscendentia als Ausgangspunkt für die Transzendentalphilosophie Kants diskutiert, indem diese möglicherweise „den Begriff von einem Gegenstande überhaupt“ fundieren.37 Ohne an dieser Stelle auf diese Diskussion näher eingehen zu wollen, zeigt sich anhand der vorangehend dargestellten Beispiele aber doch zumindest eines sehr deutlich: in keinem Falle läßt sich die Geschichte der Supertranszendentalien als eine kohärent und kontinuierlich verlaufende Entwicklung begreifen, vielmehr zeigt sich deutlich die Tendenz einer ‚Zersplitterung‘ des Verhältnisses von subiectum metaphysicae und primum obiectum intellectus. Und dies scheint nicht zuletzt gerade in der uneinheitlichen Bezugnahme der einzelnen Autoren auf die Frage nach dem proprium subiectum metaphysicae begründet zu liegen. Wir können nun keine endgültige Antwort auf die Frage formulieren, weshalb sich eine solche Disparität der unterschiedlichen Fragestellungen ausgeprägt hat. Und selbst mit Blick allein auf die Konzeption des Franziskus von Marchia bleibt schwierig zu bestimmen, aus welchem Grund er nun tatsächlich in so eindeutiger Weise am Realcharakter der Metaphysik festgehalten hat. Ein wichtiges Fazit läßt sich aber aus dieser offenkundigen Tatsache doch ziehen:
37 J.P. Doyle spricht sogar von einer „Vorwegnahme“ (vgl. Art. „Supertranszendent“, Sp. 648). Vgl. die entsprechende Passage bei Kant selbst: „Der höchste Begriff, von dem man eine Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche und das Unmögliche. Da aber alle Einteilung einen eingeteilten Begriff voraussetzt, so muß noch ein höherer angegeben werden, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande überhaupt“ (vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (A 290); ebenso Metaphysik der Sitten, Einl. III, AA VI, 218).
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Aufgrund der auf den Bereich des Realseienden begrenzten Metaphysik-Konzeption und der damit verbundenen ‚dualistischen Struktur‘ des res-Begriffs (der nämlich einerseits auf einer rein intentionalen Ebene als intentio neutra konzipiert ist, auf der metaphysisch-wissenschaftstheoretischen Ebene dagegen—traditionell—als intentio primae intentionis) wird aus dieser Perspektive deutlich, daß strikt gesprochen lediglich der Begriff des ‚aliquid‘ als intentio neutra in einem absoluten Sinne gilt. Alle anderen transzendentalen Begriffe (einschließlich ens und res) lassen sich im Bereich der Metaphysik auf die Ebene der Begriffe erster Intention ‚zurückführen‘, allein der conceptus aliquitatis bleibt univok für den Bereich der ersten und zweiten Intentionen bzw. für den des ens reale und des ens rationis (damit wird auch deutlich, warum dieser durchgängig in der abstrakten Form verwendet wird, indem er sich nicht ‚konkretisieren‘ läßt).38 Anders ausgedrückt: mit Blick auf die Gesamtentwicklung der Supertranszendentalien scheint Franziskus von Marchia den entscheidenden Legitimationsgrundstein gelegt zu haben, indem er in Quodl. 5, 3 die Transzendentalbegriffe als intentiones neutrae strukturell rechtfertigt. Die Anwendung bzw. Übertragung dieser ausgeweiteten Erstbegriffe auf die Frage nach dem primum subiectum metaphysicae zeigt letzten Endes, daß es der Begriff des ‚Etwas‘ ist, der als das konzeptionelle und auch begriffliche ‚Konzentrat‘ Eingang in die späteren Supertranszendentalien-Lehren findet. Wenn wir somit tatsächlich von dem möglichen Beginn der ‚Supertranszendentalienlehre‘ bei Franziskus von Marchia sprechen, müssen wir diese beiden entscheidenden Strukturmomente seiner Konzeption als kennzeichnendes Fazit festhalten: 1. Franziskus leistet mit seinem Entwurf erstmals und in ausführlich argumentativer Weise die Legitimation univoker Seinsbestimmungen, ebenso, wie sie bei späteren Autoren als supertranszendentale Seinsbestimmungen etabliert wurden. Er nimmt dafür jedoch—und das ist bemerkenswert—nur eine Überstiegsbewegung vor, indem (wie wir gesehen haben) allein die Kategorien transzendiert werden. Dennoch scheint es 38 Problematisch scheint letzten Endes, daß Franziskus seine intentiones neutrae gerade als ‚neutral‘ gegenüber der Einteilung in Begriffe erster und zweiter Intention konzipiert, er aber mit seiner Differenzierung eines material und eines formal ersten Begriffes gerade wieder in diese Distinktion zurückzufallen droht. Liegt der Unterschied zwischen dem substraktiv ersten Begriff und dem abstraktiven Erstbegriff nicht gerade darin, daß sich res (ähnlich den ersten Intentionen) auf die (realen) Dinge selbst bezieht und aliquid (ähnlich den zweiten Intentionen) auf die reinen Verstandesbegriffe?
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angebracht, wie im Titel der vorgelegten Untersuchung, bei Franziskus von ‚super‘-transzendentalen Bestimmungen zu sprechen, da die transcendentia, wie sie von den Autoren des 13. Jahrhunderts bestimmt wurden, in der Tat doch in gewissem Sinne auf das ens rationis hin überstiegen werden. Das bedeutet zusammenfassend: historisch-systematisch betrachtet finden wir bei Franziskus von Marchia ‚zwei‘ Transzendierungen (eine erste über die Kategorien und eine zweite über die Transzendentalien), methodisch-systematisch dagegen setzt er dafür jedoch nur ‚einen‘ transcensus an (den der als intentiones neutrae neu bestimmten Transzendentalbegriffe über die Kategorien). 2. Innerhalb dieser ‚einen‘ Transzendierungsbewegung allerdings findet gewissermaßen doch noch ein zweiter Überstieg statt, indem nämlich der Begriff des ‚aliquid‘ die anderen intentiones neutrae noch einmal selbst übersteigt. Erst hier manifestiert sich somit die im eigentlichen Sinne des Wortes ‚supertranszendentale Bestimmung‘ als dem primum obiectum intellectus. Müßte die Eingangsfrage der vorliegenden Untersuchung, welches Schicksal den Begriff des ‚Seienden‘ im Entwurf des Franziskus von Marchia ereilt, in der knappestmöglichen Aussage formuliert werden, so wäre es wohl diese: Der über die Jahrhunderte hinweg als Erstbegriff etablierte Seinsbegriff verliert seine Priorität an den Begriff des ‚Dinges‘, wenn es um die Position des primum subiectum metaphysicae geht, und an den Begriff des ‚Etwas‘, wenn nach dem primum obiectum intellectus gefragt wird. Zu zeigen, welche folgenschweren Konsequenzen sich aus dieser Neubewertung sowohl für die Geschichte der Metaphysik als auch für die Entwicklung der Transzendentalienlehre und Transzendentalphilosophie ergeben haben, war Anliegen der vorangegangenen Bemühungen. Sie mögen Ausgangspunkt für eine eingehende und weiterführende Betrachtung vor allem der Konzeptionen von Zeitgenossen des Franziskus von Marchia sein.
VERZEICHNIS DER QUELLEN UND DER LITERATUR
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verzeichnis der quellen und der literatur
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verzeichnis der quellen und der literatur
Tiefensee, E.: „Ens et aliquid convertuntur“—oder: Sein ist immer anders. Ein möglicher Brückenschlag zwischen der mittelalterlichen Seinsphilosophie und der spätmodernen „Philosophie der Differenz“, in: J. Brachtendorf (ed.), Prudentia und Contemplatio. Ethik und Metaphysik im Mittelalter. Festschrift für Georg Wieland zum 65. Geburtstag, Paderborn u. a. 2002, S. 170–195. Ventimiglia, G.: Die Transzendentalienlehre des Thomas von Aquin: Denktraditionen, Quellen, Eigenheiten, in: J.A. Aertsen/A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des 10. Internationalen Kongresses für mittelalterl. Philosophie der S.I.E.P.M. vom 25.-30. August 1997 in Erfurt, Berlin/New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 26), S. 522–528. Vollrath, E.: Die Gliederung der Metaphysik in eine metaphysica generalis und eine metaphysica specialis, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 16 (1962), S. 258–284. Wadding, L.: Annales Minorum seu Trium Ordinum a S. Francisco Institutorum VII (1323–1346), Quaracchi 31932. Weijers, O.: Le travail intellectuel à la Faculté des arts de Paris: textes et maîtres (ca. 1200–1500), II. Répertoire des noms commençant par C–F, Turnhout 1996, S. 91–94. Wittneben, E.L./R. Lambertini: Un teologo francescano alle strette. Osservazioni sul testimone manoscritto del processo a Francesco d’Ascoli, in: Picenum Seraphicum 18 (1999), S. 97–122. Wust, P.: Ungewissheit und Wagnis IV, München/Kempten 1937. Zimmermann, A.: Die „Grundfrage“ in der Metaphysik des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965), S. 141–156. ———, Allgemeine Metaphysik und Teilmetaphysik nach einem anonymen Kommentar zur aristotelischen Ersten Philosophie aus dem 14. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966), S. 190–206. ———, Verzeichnis ungedruckter Kommentare zur Metaphysik und Physik des Aristoteles aus der Zeit von etwa 1250–1350, Leiden/Köln 1971 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 9), S. 140–145. ———, Analoge und univoke Bedeutung des Terminus ‚ens‘ nach einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: Deus et homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta tertii Congressus Scotistici, Rom 1972 (Studia Scholastico-Scotistica 5), S. 724–730. ———, Die ratio Anselmi in einem anonymen Metaphysikkommentar des 14. Jahrhunderts, in: H. Kohlenberger (ed.), Die Wirkungsgeschichte Anselms von Canterbury (Akten der ersten Internationalen Anselm-Tagung Bad Wimpfen, 13.16.09.1970), Frankfurt a.M. 1975 (Analecta Anselmiana. Untersuchungen über Person und Werk Anselms von Canterbury Bd. IV/1), S. 195–201. ———, Art. ‚Sein; Seiendes‘ III.: Mittelalter, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 9, Basel 1995, Sp. 186–197. ———, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven 21998 (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 1).
NAMENREGISTER Aertsen, J.A., 11, 12, 14–16, 22, 23, 44, 46, 70, 130, 168, 169 Albertus Magnus, 10, 12 Alexander von Aphrodisias, 23 Ambrosius Saxius, 165 André Sémery, 167 Antonio Bernaldo de Quiros, 163 Aristoteles, 9, 20, 21, 25, 29, 31, 54, 73, 74, 77, 90, 94–96, 98– 100, 102, 103, 105, 109, 119, 160, 161 Armandus de Bellovisu, 169, 170 Averroes, 22 Avicenna, 11, 12, 22, 32, 33, 41, 68, 69, 73, 74, 95, 96, 106, 107, 115 Barth, T., 132 Bartholomaeus Mastrius, 165 Benedictus Pererius, 23, 24 Bernhard von Trilia, 91 Berthold von Moosburg, 9 Bonaventura, 9 Bonaventura Bellutus, 165 Bonitz, H., 9 Boulnois, O., 13, 22, 158 Carleton, T.C., 167 Carolus Franca d’Abra de Raconis, 163, 164 Chrysostomus Javelli, 70, 71 Clauberg, J., 162 Conti, A.D., 41 Courtine, J.-F., 132, 158 Darge, R., 70, 71 de Lossada, L., 168 del Punta, F., 93 Dominico Soto, 166 Doyle, J.P., 16, 17, 45, 46, 129, 138, 162, 170
Duba, W., 6, 8 Dumont, S.D., 10 Ehrle, F., 3 Engelhardt, P., 81 Fonfara, D., 22, 66 Franciscus de Marchia, passim Franciscus de Mayronis, 91 Frassen, C., 133 Friedman, R.L., 1, 4, 6, 7, 21, 82, 91, 93, 94 Genequand, Ch., 23 Gilson, E., 132 Glorieux, P., 7, 91 Goris, W., 9, 19, 25, 73, 74, 90, 123 Grabmann, M., 23 Gracia, J.J.E., 15 Grün, K.-J., 6 Guibert von Tournai, 9 Gyekye, K., 41 Heidegger, M., 25 Hervaeus Natalis, 42, 82 Hinske, N., 45 Hopfgartner, W., 4 Heinrich von Gent, 10, 12, 70 Honnefelder, L., 11, 13, 18, 22, 32, 46, 110, 114, 132 Ignacio Peynado, 167, 168 Jánoska, G. Johannes B. de Ulloa, 167 Johannes de Bassolis, 132 Johannes Duns Scotus, 4, 10–13, 18, 24, 32, 33, 40, 42, 82, 92, 109, 110, 114, 122, 130, 131, 153, 154 Johannes XII. (Papst), 4, 6
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namenregister
Kant, I., 170 Knebel, S.K., 56 Knittermeyer, H., 15, 71 Knudsen, C., 41, 81 Kobusch, T., 23, 31, 36, 37, 46, 130, 133–135, 157, 160–162 Künzle, P., 91, 93 Lalla, S., 24 Laurentius Valla, 70 Leibniz, G.W., 162, 163 Lohr, C.H., 91 Lotz, J.B., 20 Lambertini, R., 4–7 Maier, A., 6 Mariani, N., 6–8, 21, 93, 94 Michael von Cesena, 4 Molinier, A., 91 Moum, K., 4 Nicolaus Bonetus, 161, 162 Oeing-Hanhoff, L., 44 Parmenides, 29 Patzig, G., 22, 108 Paulus, J., 70 Perler, D., 41, 42, 81, 82 Petrus Aureoli, 42, 82 Petrus Fonseca, 17, 71, 166, 167 Petrus Tartaretus, 132 Petrus Thomae, 91 Philipp der Kanzler, 16 Pickavé, M., 70 Pini, G., 138, 139 Platon, 29 Pouillon, H., 68 Priori, D., 4, 7 Ricardus Lynceus, 167 Richard Conington, 149
Robert Kilwardby, 36 Roland von Cremona, 68 Rompe, E., 3, 19, 20, 24, 108 Rosemann, P.W., 44 Schabel, C., 1, 4, 6–8, 91, 94 Scheibler, Ch., 133 Schlüter, D., 56 Schneider, N., 3, 4, 6 Schönberger, R., 29, 31 Schulz, G., 16 Schwamm, H., 6 Sebastian Dupasquier, 163, 164 Sebastian Izquierdo, 163 Silvester Mauro, 167 Speer, A., 22 Spiegelberg, H., 81 Stipa, M., 4 Suárez, F., 161 Swiezawski, S., 41 Teetaert, A., 4 Thomas von York, 23 Tiefensee, E., 44 Timpler, C., 162, 166 Thomas von Aquin, 10–12, 14, 16, 44, 69, 71–77 Ventimiglia, G., 69 Vollrath, E., 20 Wadding, L., 3 Weijers, O., 6 Wilhelm von Ockham, 4, 5, 42, 82, 134–138, 140, 152, 153, 161, 166 Wittneben, E., 7 Wolff, Ch., 20, 23, 26 Wust, P., 127 Zimmermann, A., 7, 12, 19–22, 37, 89–93, 98, 104, 108, 112
SACHREGISTER Akzidenz, 50, 51, 65, 67, 134, 160, 163 amabile, 163 apprehensibile, 17, 167 asinus, 148, 150–152 Begriff (conceptus), 82, 83 Begriff (intentio), 81–83, 144, 159, 165 Begriffe erster Intention (intentiones primae intentionis), 37, 40–44, 46–49, 87, 88, 97, 124, 125, 127, 139, 140, 143–145, 153, 161, 169, 171 Begriffe zweiter Intention (intentiones secundae intentionis), 37, 40–46, 48, 49, 87, 125, 127, 139, 144, 145, 153, 161, 169– 171 Erstbegriff (prima intentio), 30, 31, 38, 40, 41, 43, 44, 47–54, 56, 57, 63–67, 71–78, 80, 84–87, 127–129, 159, 172 abstraktiv, 50–52, 56–59, 62, 63, 65, 72, 81, 83, 159 substraktiv, 50–54, 61–63, 65, 72, 81, 83, 159 Begriff des Seienden (intentio entis), s. Seiendes (ens) intentio negativa/privativa, 41, 49, 138 intentio neutra, 40, 42–45, 47–50, 52, 57, 64, 71, 87–89, 94, 97, 124, 127–129, 140, 142–155, 160, 170–172 intentio neutra quidditativa, 47–50, 52, 57, 71 intentio neutra qualitativa, 47, 49, 52 intentio positiva, 40–43, 49, 57–61, 138, 139
intentio rationis, 143, 144, 147, 149– 152 intentio realis, 143, 144, 147–152 cogitabile, 17, 46, 69, 142, 162, 167, 168 cognoscibile, 167, 168 Ding (res), 10, 14, 16, 17, 24, 31–35, 38, 39, 43, 44, 47–57, 62–71, 74– 78, 80–82, 84–89, 92, 94–98, 124, 125, 127, 128, 131, 141, 142, 159, 163, 171, 172 Eines (unum), 14, 16, 17, 34, 35, 38, 43, 44, 47, 49, 52, 58, 60, 61, 63, 64, 70, 71, 74–77, 87, 127, 128, 141, 142, 159, 166 Ersterkanntes (primum cognitum), 9, 11, 12, 18, 85, 103, 161, 169 primum obiectum intellectus, 18, 19, 72, 83–86, 89, 124, 125, 157, 159, 162, 170, 172 Erstheit (prioritas) formale (prioritas formalis), 49–52, 56, 57, 63, 64, 76, 81, 83, 86, 87, 159 materiale (prioritas materialis), 49– 53, 56, 57, 63, 64, 76, 77, 81, 83, 86, 87, 159 Etwas (aliquid), 14, 16, 17, 24, 31, 34– 38, 43, 44, 47–49, 51–53, 58–71, 74–78, 80–82, 84–87, 89, 127, 128, 141, 142, 159, 161, 163, 166, 170– 172 Etwasheit (aliquitas), 58, 59, 63, 65– 67, 83, 84, 86, 159, 171 Fictum-Theorie (Wilhelm v. Ockham), 134, 135, 153
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sachregister
Form, 50, 51 Gott/Göttliches Seiendes, 21–23, 46, 93, 97, 99, 104, 106, 108, 110, 113–120, 125, 131, 165 Gutes (bonum), 14, 16, 17, 34, 35, 38, 43, 44, 47, 49, 50, 52, 58, 60, 61, 63, 64, 71, 74–77, 87, 127, 128, 141, 142, 159, 166 imaginabile, 166–168 intelligibile, 17, 46, 162, 163, 167, 168, 170 Intellectio-Theorie (Wilhelm v. Ockham), 135, 136, 153, 161 Kategorien (aristotelische), 16, 34, 44, 46, 50, 127, 128, 134–143, 145, 146, 153, 160, 169, 171, 172 Logik, 36, 37, 161, 163 primum subiectum logicae, 36, 37, 161 Materie, 50, 51 Mensch (homo), 148, 150–152 Metaphysik (Erste Philosophie), 2, 3, 8–12, 15, 21, 25, 37, 39, 64, 72, 85–87, 89, 90, 92, 102, 115, 117– 120, 123, 124, 158, 163, 171 als erste und letzte Wissenschaft, 94–99, 103, 112 als göttliche Wissenschaft (scientia divina), 104, 109, 117, 119–122 als Ontologie, 9, 10, 14, 18, 20–22, 25, 89, 91, 94, 97–99, 108, 110, 114, 116, 117, 121, 122 als Realwissenschaft, 14, 18, 19, 32, 170 als ‚Supertranszendentalwissenschaft’ (‚scientia supertranscendens’), 18–20, 158, 160, 162, 163 als Theologie, 9, 20–22, 25, 91, 99, 108, 110, 113, 114, 116, 117, 121, 122, 123 als Transzendentalwissenschaft (scientia transcendens), 11–14, 18,
19, 22, 24, 37, 89, 109, 110, 122, 158 aristotelische Metaphysik, 9, 19– 22, 25, 89–91, 94, 98–100, 102, 103, 109, 122, 160, 161 Aufspaltung/zweifache Metaphysik, 2, 3, 14, 18–20, 22–26, 85, 89, 90, 92, 93, 94, 97–100, 102, 103, 105, 109, 111, 113, 116–118, 121, 123–125 Allgemeine Metaphysik (metaphysica generalis/communis), 2, 18, 20, 22, 23, 25, 26, 85, 89, 90, 92, 93, 97–109, 111–114, 116– 125 Besondere Metaphysik (metaphysica specialis/particularis), 2, 18, 20, 22, 23, 25, 26, 85, 88–90, 92, 93, 97–109, 111–114, 116– 125 Eigentümlicher Gegenstand (proprium subiectum metaphysicae), 2, 9–12, 14, 18, 19, 21–24, 26, 31–39, 48, 54, 64, 71, 72, 83– 90, 92–98, 105–108, 110, 120, 124, 125, 157–166, 168, 170–172 Entwicklungsgeschichte, 3, 5, 10– 13, 18–21, 24–26, 90, 92, 157, 158, 166, 172 metaphysica in se, 110, 111, 113–117, 121–123 metaphysica pro nobis, 110, 111, 113– 118, 121–124 Nicht-Seiendes (non-ens), 56, 60–62, 149, 150, 163, 166 Nichts (nihil), 58–62, 70, 163, 166, 167 opinabile, 167 oppositum, 59–61 passio demonstrabilis, 79, 80, 84–86 passiones entis, 14, 16, 34, 35, 37, 38, 63, 68, 71, 75, 101 passiones rei, 38, 48, 63, 68 praedicabile, 169, 170
sachregister Rasiermesser, 5 ratio formalis, 42, 146 ratio realis, 56, 67, 68 Relation, 131, 146 gedankliche, 146 reale, 146 Satz (-struktur), 72–79, 83–85, 87, 124, 134, 148, 150, 151, 154 Satz vom Widerspruch, 73–75, 77 Prädikatstelle (P), 75–81, 83, 84, 86, 148, 150–152 Subjektstelle (S), 75–81, 83–87, 124, 148, 150 Schüler/Lehrer, 2, 5, 13 Seiendes (ens), 5, 7–14, 16–18, 20, 24, 29–35, 37–40, 42–44, 47–58, 60– 68, 71, 74–81, 83–87, 95–99, 100, 103, 108, 113, 115, 118, 127–129, 131, 132, 137, 140, 142, 149, 150, 157–160, 162–165, 167–169, 171, 172 analogia entis, 12 ens absolute, 146 ens morale, 131, 164, 166 ens separatum, 100, 101, 104, 106– 108, 113–115, 120 Gedankliches Seiendes (ens rationis), 12, 17, 18, 36, 37, 42, 46, 49, 69, 71, 87, 124, 125, 127– 129, 131–137, 139–147, 149, 151–153, 157, 159–168, 171, 172 insofern es seiend ist (ens inquantum ens), 9, 12, 21, 23, 26, 29, 31, 32, 38, 79, 80, 86, 89, 92, 96, 99, 102, 130, 157, 162, 166 Mögliches Seiendes, 12 Realseiendes (ens reale), 12, 16– 18, 37, 42, 44, 46, 47, 49, 71, 77, 87, 124, 125, 127, 129–137, 139–147, 149, 151–153, 157, 159, 161–168, 171 univocatio entis, 12 Veritatives Seiendes, 160, 161
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Subalternation, 105–108, 115, 117, 122 Substanz, 50, 51, 65–67, 134, 163 Supertranszendental(ien)/Supertranszendentalität (super-transcendens), 14, 15, 17–19, 24–26, 45– 47, 68–70, 87, 88, 124, 125, 127, 129–134, 137, 138, 140–143, 153, 158–160, 162–172 Theologie, 121–124 Transzendental(ien)/erste Verstandesbegriffe (transcendentia), 10–18, 20, 24–26, 31, 34–40, 43–48, 50, 57, 58, 61, 64, 65, 68–77, 84–90, 94, 96, 107, 115, 124, 127–129, 131, 132, 138, 140–143, 155, 158–160, 165, 166, 168–172 Entwicklungsgeschichte, 5, 10, 15–18, 24, 26, 157, 158, 168– 170, 172 universale, 169 Univozität (univocatio)/univoker Begriff, 46, 128–133, 137, 138, 140, 142–144, 146, 148, 149, 162, 163, 165, 168, 169, 171 volibile, 167 Wahres (verum), 14, 16, 17, 34, 35, 38, 43, 44, 47, 49, 5258, 60, 61, 64, 71, 74–77, 87, 127, 128, 141, 142, 159, 166 Wissenschaft (scientia), 79–81, 83, 85, 87, 92, 93, 95, 96, 98–102, 106, 109–112, 115, 116, 120, 121, 164, 165 Gegenstand einer Wissenschaft (subiectum scientiae), 80, 83, 95, 96, 165 ordo scientiae/scientiarum, 92, 95, 96, 103, 109–112
STUDIEN UND TEXTE ZUR GEISTESGESCHICHTE DES MITTELALTERS 56. Schupp, F. (Hrsg.). Abbo von Fleury: De syllogismis hypotheticis. Textkritisch herausgegeben, übersetzt, eingeleitet und kommentiert. 1997. ISBN 90 04 10748 7 57. Hackett, J. (Ed.). Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays. 1997. ISBN 90 04 10015 6 58. Hoenen, M.J.F.M. and Nauta, L. (Eds.). Boethius in the Middle Ages. Latin and Vernacular Traditions of the Consolatio philosophiae. 1997. ISBN 90 04 10831 9 59. Goris, W. Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts. 1997. ISBN 90 04 10905 6 60. Rijk, L.M. de (Ed.). Giraldus Odonis O.F.M.: Opera Philosophica. Vol. 1.: Logica. Critical Edition from the Manuscripts. 1997. ISBN 90 04 10950 1 61. Kapriev, G. …ipsa vita et veritas. Der “ontologische Gottesbeweis” und die Ideenwelt Anselms von Canterbury. 1998. ISBN 90 04 11097 6 62. Hentschel, F. (Hrsg.). Musik – und die Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaften im Mittelalter. Fragen zur Wechselwirkung von ‘musica’ und ‘philosophia’ im Mittelalter. 1998. ISBN 90 04 11093 3 63. Evans, G.R. Getting it wrong. The Medieval Epistemology of Error. 1998. ISBN 90 04 11240 5 64. Enders, M. Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury im Gesamtzusammenhang seines Denkens und unter besonderer Berücksichtigung seiner Antiken Quellen (Aristoteles, Cicero, Augustinus, Boethius). 1999. ISBN 90 04 11264 2 65. Park, S.C. Die Rezeption der mittelalterlichen Sprachphilosophie in der Theologie des Thomas von Aquin. Mit besonderer Berücksichtigung der Analogie. 1999. ISBN 90 04 11272 3 66. Tellkamp, J.A. Sinne, Gegenstände und Sensibilia. Zur Wahrnehmungslehre des Thomas von Aquin. 1999. ISBN 90 04 11410 6 67. Davenport, A.A. Measure of a Different Greatness. The Intensive Infinite, 1250-1650. 1999. ISBN 90 04 11481 5 68. Kaldellis, A. The Argument of Psellos’ Chronographia. 1999. ISBN 90 04 11494 7 69. Reynolds, P.L. Food and the Body. Some Peculiar Questions in High Medieval Theology. 1999. ISBN 90 04 11532 3 70. Lagerlund, H. Modal Syllogistics in the Middle Ages. 2000. ISBN 90 04 11626 5 71. Köhler, T.W. Grundlagen des philosophisch-anthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert. Die Erkenntnisbemühung um den Menschen im zeitgenössischen Verständnis. 2000. ISBN 90 04 11623 0 72. Trifogli, C. Oxford Physics in the Thirteenth Century (ca. 1250-1270). Motion, Infinity, Place and Time. 2000. ISBN 90 04 11657 5 73. Koyama, C. (Ed.) Nature in Medieval Thought. Some Approaches East and West. 2000. ISBN 90 04 11966 3 74. Spruyt, J. (Ed.) Matthew of Orléans: Sophistaria sive Summa communium distinctionum circa sophismata accidentium. Edited with an introduction, notes and indices. 2001. ISBN 90 04 11897 7 75. Porro, P. (Ed.) The Medieval Concept of Time. The Scholastic Debate and its Reception in Early Modern Philosophy. 2001. ISBN 90 04 12207 9
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