Peter Gründler Chemische Sensoren
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Peter Gründler Chemische Sensoren
Springer Berlin Heidelberg New York Hongkong London Mailand Paris Tokio
Peter Gründler
Chemische Sensoren Eine Einführung für Naturwissenschaftler und Ingenieure
Mit 184 Abbildungen und 27 Tabellen
123
Professor Dr. Peter Gründler Universität Rostock Fachbereich Chemie Albert-Einstein-Str. 3a 18051 Rostock
isbn 3-540-20984-0 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über aufrufbar Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2004 Printed in Germany www.springer.de Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI,VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert werden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Einbandgestaltung: Künkel & Lopka, Heidelberg Satz: Digitale Druckvorlage des Autors 52/3020 uw – Gedruckt auf säurefreiem Papier – 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Die chemischen Sensoren nehmen im deutschen Hochschulstudium einen sehr bescheidenen Platz ein, ganz im Gegensatz zu ihrer stetig wachsenden Bedeutung in weiten Bereichen der Gesellschaft, im Widerspruch aber auch zur intensiven Forschung auf diesem Gebiet. Die Zurückhaltung, mit der das Thema von vielen Hochschullehrern behandelt wird, liegt sicher zum Teil an der in Deutschland sehr ausgeprägten Abgrenzung der traditionellen Fachgebiete. Tatsächlich sind die chemischen Sensoren nicht widerspruchsfrei nur einem der etablierten Wissensgebiete zuzuordnen. Gehören sie zur Analytischen Chemie, wenn man sie als Miniatur-Analysatoren auffaßt, oder handelt es sich um „künstliche Sinnesorgane“, mit denen die Ingenieure ihren Maschinen die Fähigkeit zum „Riechen“ und zum „Schmecken“ verleihen? In der Entstehungsgeschichte haben beide Gesichtspunkte eine Rolle gespielt. Wir haben es mit einem ausgeprägt interdisziplinären Gebiet zu tun. Wenn die chemischen Sensoren erfolgreich weiterentwickelt werden sollen, müssen Naturwissenschaftler und Techniker gleichermaßen mitwirken. Der Grundgedanke des Buches besteht darin, die Lücken auszufüllen, die von den traditionellen Studiengebieten gelassen werden. Es wird angestrebt, daß Chemiker die notwendigsten physikalischen und technischen Grundlagen vorfinden, während Nichtchemikern ein Minimum an chemischem Grundwissen vermittelt werden soll. Vielen Lesern werden auch einige Ausführungen zur Biochemie willkommen sein, entsprechend der Tatsache, daß Biosensoren im vorliegenden Buch zwanglos zu den chemischen Sensoren gerechnet werden. Zur Entstehung des Buches hat beigetragen, daß bei meinen Vorlesungen für Chemiker, Physiker und Ingenieure zum Thema Sensoren kein geeignetes Lehrbuch in deutscher Sprache verfügbar war, daß aber auch die internationale Literatur nichts bot, was man vorbehaltlos hätte empfehlen können. Den formulierten Zielen entsprechend sind die Grundlagen des Gebietes (Sensor-Physik, Sensor-Chemie, Sensor-Technologie und Sensor-Meßtechnik) breit ausgeführt. Im zweiten Teil wird auf die wichtigsten praktisch realisierten, anwendungsfähigen chemischen Sensortypen eingegangen. Vollständigkeit wird angesichts der Fülle der Publikationen zum Thema nicht angestrebt. Es geht vielmehr darum, die Wirkungsweise der ausgewählten Sensoren verständlich zu machen. Das Schlußkapitel, in dem es um miniaturisierte Instrumente und ähnliches geht, verweist schon auf die nicht allzu ferne Zukunft, in der Sensoren, Sensor-Arrays und Mikrolaboratorien an sehr vielen Stellen des täglichen Lebens anzutreffen sein werden. Rostock, November 2003
P. Gründler
Inhalt
1
Einleitung ................................................................................................. 1 1.1
Sensoren und Sensorik..................................................................... 1 1.1.1 Sensoren als technische Sinnesorgane .................................... 1 1.1.2 Der Begriff Sensor .................................................................. 3 1.2 Chemische Sensoren ........................................................................ 4 1.2.1 Was sind chemische Sensoren?............................................... 4 1.2.2 Elemente chemischer Sensoren............................................... 7 Rezeptor ................................................................................. 8 Transduktor ............................................................................ 9 1.2.3 Charakterisierung chemischer Sensoren .............................. 12 Bewertung von Analysenergebnissen .................................. 12 Kenngrößen von chemischen Sensoren ............................... 13 1.3 Literatur ......................................................................................... 14 2
Grundlagen ............................................................................................ 15 2.1
Sensor-Physik ................................................................................ 15 2.1.1 Festkörper.............................................................................. 15 Das Bändermodell des Festkörpers...................................... 16 Gitterdefekte, Ionenleitung, Hopping .................................. 18 Sperrschichten...................................................................... 20 Strukturen............................................................................. 23 2.1.2 Optik und Spektroskopie....................................................... 25 Wechselwirkung Strahlung und Materie.............................. 25 Reflexion und Brechung ...................................................... 29 Absorption, Photolumineszenz und Chemilumineszenz...... 30 2.1.3 Piezoelektrizität und Pyroelektrizität .................................... 36 2.2 Sensor-Chemie............................................................................... 38 2.2.1 Chemisches Gleichgewicht ................................................... 37 2.2.2 Kinetik und Katalyse............................................................. 40 2.2.3 Elektrolytlösungen ................................................................ 41 2.2.4 Säuren und Basen, Fällungen und Komplexe ....................... 42 Säuren und Basen................................................................. 42 Fällungs- und Komplexbildungsreaktionen ......................... 46 2.2.5 Redoxgleichgewichte ............................................................ 49 2.2.6 Elektrochemie ....................................................................... 52
VIII
Inhalt
Elektroden im Gleichgewicht .............................................. 52 Elektrolyseprozesse ............................................................. 55 2.2.7 Chemische Wechselwirkungen: Ionenaustausch; Extraktion; Adsorption.......................................................... 72 Ionenaustausch..................................................................... 73 Extraktion............................................................................. 75 Adsorption ........................................................................... 77 2.2.8 Besonderheiten biochemischer Reaktionen .......................... 78 Enzymatische Reaktionen.................................................... 79 Immunologische Reaktionen ............................................... 80 Reaktionen mit Nucleinsäuren............................................. 82 2.3 Sensor-Technologien ..................................................................... 83 2.3.1 Dickschichttechnik................................................................ 84 2.3.2 Dünnfilmtechnologie und Strukturierungstechniken ............ 85 2.3.3 Oberflächenmodifizierung und geordnete Monoschichten ... 88 Oberflächenmodifizierung ................................................... 88 Selbstorganisierende Monolagen (Self Assembled Monolayers; SAM)................................... 94 Langmuir-Blodgett-Filme (LBL)......................................... 96 2.3.4 Mikrosystem-Technologien .................................................. 98 Integrierte Elektronik ........................................................... 99 Integrierte Optik................................................................. 100 2.4 Sensor-Messtechnik..................................................................... 101 2.4.1 Elementare Sensor-Elektronik ............................................ 101 2.4.2 Elektrische Meßinstrumente ............................................... 106 2.4.3 Optische Meßinstrumente ................................................... 107 Spektrometer...................................................................... 107 Interferometer und Fourier-Transform-Spektrometer........ 114 2.5 Literatur ....................................................................................... 116 3
Strukturierte Halbleiter als chemische Sensoren ............................. 117 Literatur zu Kapitel 3............................................................................. 119
4
Massenempfindliche Sensoren ........................................................... 121 4.1 4.2
5
BAW-Sensoren ............................................................................ 122 SAW-Sensoren ............................................................................ 124
Leitfähigkeits- und Kapazitätssensoren ............................................ 127 5.1 5.2
Konduktometrische Sensoren ...................................................... 128 Resistive und kapazitive Sensoren für Gase ............................... 130 5.2.1 Gassensoren mit polykristallinen Halbleitern ..................... 130 5.2.2 Gassensoren mit Polymeren und Gelen .............................. 134 5.3 Resistive und kapazitive Sensoren für Flüssigkeiten .................. 135 5.4 Literatur ....................................................................................... 137
Inhalt
6
Thermometrische und kalorimetrische Sensoren............................. 139 6.1 6.2 6.3 6.4
7
IX
Sensoren mit Thermistoren und Pellistoren ................................. 139 Pyroelektrische Sensoren ............................................................. 141 Sensoren auf der Basis anderer thermischer Effekte ................... 142 Literatur ....................................................................................... 142
Elektrochemische Sensoren ................................................................ 143 7.1
Potentiometrische Sensoren ......................................................... 144 7.1.1 Selektivität potentiometrischer Sensoren ............................ 147 7.1.2 Ionenselektive Elektroden (ISE) ......................................... 147 Potentiometrische Sensoren mit Festkörpermembran........ 148 Potentiometrische Sensoren mit Flüssigmembran ............. 153 Die Glaselektrode............................................................... 159 Die Lambda-Sonde ............................................................ 162 7.1.3 Der ionenselektive Feldeffekttransistor (ISFET) ................ 165 7.1.4 Messungen mit potentiometrischen Sensoren ..................... 168 Meßgeräte .......................................................................... 168 Experimentelle Bedingungen ............................................. 169 Kalibrierung ....................................................................... 170 Bestimmung des Selektivitätskoeffizienten ....................... 173 7.2 Amperometrische Sensoren ......................................................... 173 7.2.1 Selektivität amperometrischer Sensoren ............................. 174 7.2.2 Bauformen und Beispiele .................................................... 176 7.2.3 Messungen mit amperometrischen Sensoren ...................... 181 7.3 Sensoren auf der Basis anderer elektrochemischer Meßmethoden........................................................................ 182 7.4 Elektrochemische Biosensoren .................................................... 183 7.4.1 Grundlagen.......................................................................... 183 Biologische Erkennung als Selektivitätsprinzip................. 183 Immobilisierung bioaktiver Substanzen............................. 183 7.4.2 Arten elektrochemischer Biosensoren................................. 187 Enzymsensoren .................................................................. 187 Immunosensoren ................................................................ 195 Sensoren mit ganzen Zellen, Mikroorganismen und Organteilen.................................................................. 197 Nucleinsäure-Sensoren....................................................... 199 7.5 Literatur ....................................................................................... 205 8
Optische Sensoren................................................................................ 207 8.1 8.2 8.3
Lichtleiter als Basis optischer Sensoren ...................................... 207 Fasersensoren ohne chemischen Rezeptor (Mediator)................. 210 Optoden: Fasersensoren mit chemischem Rezeptor .................... 217 8.3.1 Übersicht ............................................................................. 213 8.3.2 Optoden mit einfachen Rezeptorschichten.......................... 217
X
Inhalt
8.3.3 Optoden mit komplexen Rezeptorschichten ....................... 220 Sensoren mit planaren optischen Transduktoren ......................... 221 8.4.1 Planare Wellenleiter............................................................ 221 8.4.2 Oberflächenplasmonenresonanz und Resonanzspiegel-Prismenkoppler ................................. 223 8.5 Optische Biosensoren .................................................................. 224 8.5.1 Grundlagen.......................................................................... 224 8.5.2 Optische Enzymsenoren...................................................... 225 8.5.3 Optische Bioaffinitätssensoren ........................................... 227 8.5.4 Optische DNA-Sensoren..................................................... 230 8.6 Sensorsysteme mit Integrierter Optik .......................................... 233 8.7 Literatur ....................................................................................... 234 8.4
9
Chemische Sensoren als Detektoren und Indikatoren ..................... 237 9.1 9.2
Indikatoren für Titrationsprozesse ............................................... 238 Durchflußdetektoren für kontinuierliche Analysatoren und für Trennmethoden ..................................................................... 239 9.2.1 Kontinuierliche Analysatoren ............................................. 240 9.2.2 Trennmethoden ................................................................... 245 Chromatographie ............................................................... 247 Kapillarelektrophorese....................................................... 248 9.3 Literatur ....................................................................................... 250 10
Sensor-Arrays und miniaturisierte Totalanalysatoren .................. 251 10.1 Zwei Entwicklungsrichtungen und ihre Ursachen..................... 251 10.2 Intelligente Sensoren und Sensor-Arrays .................................. 252 10.2.1 Intelligenz in Sensorsystemen........................................... 252 Warum Intelligenz?......................................................... 252 Selbst-Test, Selbst-Diagnose und Selbst-Kalibrierung ......................................................... 252 10.2.2 Sensor-Arrays.................................................................... 255 Warum Sensor-Arrays?................................................... 255 Mehrdimensionale und Mehrkomponenten-Analyse ...... 256 Elektronische Nasen, elektronische Zungen (ENoses; ETongues) ....................................................................... 258 10.3 Miniaturisierte Totalanalysatoren .............................................. 264 10.3.1 Entstehungsgeschichte ...................................................... 264 Vorläufer ......................................................................... 265 μ-TAS und Lab-on-a-Chip.............................................. 267 10.3.2 Technologien..................................................................... 268 10.3.3 Charakteristische Operationen und Prozesse in Mikro-Total-Analysatoren ................................................ 270 Elektroosmose in Mikrokanälen ..................................... 270 Probenahme und Probenvorbehandlung ......................... 270 Probeninjektion und Detektion ....................................... 272
Inhalt
XI
Beispiele für μ-TAS .......................................................... 273 Kapillar-Elektrophorese .................................................. 273 Titrationsvorrichtungen................................................... 274 Literatur ..................................................................................... 275
10.3.4
10.4
Stichwortverzeichnis ................................................................................. 277
1 Einleitung
1.1
Sensoren und Sensorik
Sensoren gehören zur modernen Welt wie das Handy, die CD oder der Personalcomputer. Der Begriff ist anschaulich, die meisten Menschen stellen sich unter einem Sensor so etwas wie einen Fühler vor, vielleicht wie die Antenne eines Insekts. Was ein chemischer Sensor ist, läßt sich einfach am Beispiel des FrischeSensors erklären, der in Kühlhäusern dafür sorgt, daß verdorbene Ware rechtzeitig erkannt wird. Klar ist auch, daß Sensoren etwas Modernes sind. Eine Generation zurück hat der Begriff so gut wie gar keine Rolle gespielt, heutzutage zweifelt niemand mehr daran, daß wir Sensoren bald an vielen Stellen unseres täglichen Lebens finden werden. Unsere Welt verändert sich sehr schnell, und Sensoren spielen bei dieser Veränderung eine wichtige Rolle. Chemische Sensoren analysieren unsere Umwelt, d.h. sie stellen fest, welche chemischen Substanzen und wieviel davon vorhanden sind. Dies ist gewöhnlich die Aufgabe der chemischen Analytik, die es gewohnt war, solche Probleme mit immer besseren, präziseren, aber auch größeren und teureren Instrumenten in mehr und mehr zentralisierten Groß-Laboratorien zu lösen. Wie kommt es, daß sich dieser Trend zum instrumentellen Monumentalismus von einem bestimmten Zeitpunkt an umkehrt, daß unerwarteterweise die Geräte plötzlich kleiner statt immer größer werden und daß man nun mit dem Gerät zum Untersuchungsobjekt gehen kann statt umgekehrt? Diese Tendenz der Miniaturisierung und Dezentralisierung, die sich in ähnlicher Form schon einmal ereignet hat, als der Personalcomputer in unser Leben eindrang und unerwartet die großen zentralen Rechenzentren zu ersetzen begann, führte im vorliegenden Falle zur breiten Entfaltung des Gebietes der chemischen Sensoren. 1.1.1 Sensoren als technische Sinnesorgane Der Begriff „Sensor“ begann sich etwa seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in großem Ausmaß auszubreiten. Grund war die technologische Entwicklung, die Teil einer technischen Revolution ist, in der wir uns noch immer befinden. Die rapiden Fortschritte der Mikroelektronik machten zum ersten Mal „Intelligenz“ verfügbar. Maschinen wurden klüger und selbständiger. Es entstand
2
1 Einleitung
ein Bedarf an künstlichen Sinnesorganen, die es möglich machten, daß sich Maschinen selbständig in der Umwelt orientierten. Roboter sollten nicht mehr blind ein Programm abarbeiten, sondern sie sollten Hindernisse erkennen und ihre Arbeit an die existierende Umgebung anpassen. In diesem Sinne waren Sensoren zunächst technische Sinnesorgane, also die Augen, Ohren und Fühler der Automaten. Unsere fünf Sinne beherrschen außer den Funktionen „sehen“, „hören“ und „fühlen“ auch „riechen“ und „schmecken“. Die letztgenannten Empfindungen sind nichts anderes als das Ergebnis einer chemischen Analyse der Umwelt, entweder der uns umgebenden Atmosphäre oder der von Flüssigkeiten und Festkörpern, mit denen wir in Berührung kommen. Folgerichtig lassen sich chemische Sensoren als künstliche Nasen oder künstliche Zungen auffassen. Wenn Sensoren technische Sinnesorgane sind, dann lohnt es sich, einen Vergleich zwischen einem lebenden Organismus und einer automatischen Maschine anzustellen. Es wird dann deutlich, daß der Begriff des Sensors aus gutem Grund im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Mikroprozessors und der dezentralen, mobilen Computer in den Vordergrund getreten ist. In Abb. 1.1 wird der Versuch gemacht, die Analogien in der Funktion biologischer und technischer Systeme anschaulich zu machen.
Abb. 1.1 Analogien zwischen der Signalverarbeitung in lebenden Organismen und in intelligenten Maschinen
Im lebenden Organismus stehen die Sinneszellen (Rezeptoren) mit der Umwelt in direktem Kontakt. Die Umweltreize werden in elektrische Signale umgeformt und von den anschließenden Nervenzellen (Neuronen) in Form von Potentialimpulsen weitergeleitet. Starke Reize führen zu einer hohen Frequenz der Impulse, wir haben es also im wesentlichen mit einer Frequenzmodulation zu tun. Wichtig ist, daß Nervenzellen außer der Weiterleitung noch weitere Funktionen erfüllen.
1.1 Sensoren und Sensorik
3
Insbesondere findet eine Signalverstärkung und eine Vorverarbeitung (u.a. eine Signalreduktion) statt. Im Gehirn werden die Informationen verarbeitet und schließlich in Aktionen umgesetzt. Die Informationsaufnahme und -verarbeitung mit modernen Sensoren weist sehr weitgehende Analogien zu den Vorgängen im lebenden Organismus auf. Im direkten Kontakt mit der Umwelt steht wieder ein Rezeptor, der auf Umweltparameter anspricht. Im anschließenden Transduktor (Wandler) werden die primären Informationen in elektrische Signale umgewandelt. Moderne Sensoren enthalten oft noch eine weitere Einheit zur Verstärkung bzw. Vorverarbeitung. Am Ende der Kette steht ein Mikrocomputer, der ähnliche Funktionen erfüllt wie das Zentralnervensystem im Organismus. Erst aus der oben angestellten, allerdings extrem vereinfachten Systembetrachtung wird deutlich, daß Signal- und Informationsverarbeitung mit elektrischen Verstärkern bzw. Digitalcomputern für die Arbeit mit Sensoren ebenso unentbehrlich sind wie Nervenzellen und Gehirn für die physiologischen Vorgänge im lebenden Organismus. Dies sollte uns nicht zuletzt zur Anerkennung der Tatsache führen, daß der Begriff Sensor nicht einfach ein neuer Name für altbekannte technische Elemente wie das Mikrophon oder die ionenselektive Elektrode ist. Tatsächlich bekommt die Verwendung dieser Objekte im beginnenden SensorZeitalter einen neuen Inhalt. 1.1.2 Der Begriff Sensor Sensoren sind mehr als nur technische Sinnesorgane, nicht zuletzt deshalb, weil ihr Einsatzgebiet weit über die Verwendung in intelligenten Maschinen hinausreicht. Eine moderne Definition muß sehr umfassend sein. Das ist möglicherweise einer der Gründe dafür, daß es bis heute keine allgemein anerkannte, verbindliche Definition des Begriffes gibt, obwohl andererseits kaum Unklarheiten darüber bestehen, was unter einem Sensor zu verstehen ist. Als Sensor wird in manchen Definitionsversuchen die komplette Einheit aus Rezeptor und Transduktor aufgefaßt, manchmal aber auch das Rezeptor-Element allein. Bei aller Verschiedenheit der Definitionen gibt es weitgehende Einigkeit über die Merkmale, mit denen Sensoren beschrieben werden können. Danach gilt: - Sensoren sollen in direktem Kontakt mit dem zu untersuchenden Objekt stehen - Sensoren wandeln nichtelektrische Informationen in elektrische Signale um - Sensoren sollen schnell ansprechen - Sensoren sollen kontinuierlich oder wenigstens in vielfach wiederholbaren Cyclen operieren - Sensoren sollen klein sein - Sensoren sollen preisgünstig sein Verblüffend erscheint die Forderung nach Preisgünstigkeit. Hierin kommt einerseits die nicht ausgesprochene, als selbstverständlich angenommene Forderung
4
1 Einleitung
zum Ausdruck, daß Sensoren massenweise verfügbar sein sollten. Andererseits ist Preisgünstigkeit die Konsequenz aus der geforderten schnellen Ansprechzeit und der erwünschten kontinuierlichen Betriebsweise. Es wäre nicht preisgünstig, permanent mit Anordnungen zu arbeiten, bei denen die Kosten pro Einzelmessung hoch sind.
1.2
Chemische Sensoren
1.2.1 Was sind chemische Sensoren?
Abb. 1.2 Zwei Quellen der Entwicklung chemischer Sensoren
Es wäre nur die halbe Wahrheit, die Entstehung des Terminus´ „chemischer Sensor“ nur aus dem Bedarf der Ingenieure an künstlichen Sinnesorganen herzuleiten. Um brauchbare chemische Sensoren zu entwickeln, bedurfte es der Chemie, und zwar eines ihrer wichtigsten Teilgebiete, der Analytischen Chemie bzw. der daraus hervorgegangenen Chemischen Analytik. Nach anfänglichem Zögern haben sich die Chemiker mit wachsender Begeisterung der Entwicklung von Sensoren angenommen. Dies führte schließlich dazu, daß das Gebiet der chemischen Sensoren von der Chemie vereinnahmt wurde, so, als wäre es ganz selbständig daraus hervorgegangen. Auch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich spielen die
1.2 Chemische Sensoren
5
chemischen Sensoren selbst in den besten und modernsten Lehrbüchern der analytischen Chemie, zumindest den in deutscher Sprache, bis in die Gegenwart eine eher untergeordnete Rolle (Otto 1995; Schwedt 1995). Sie erscheinen als Fremdkörper. In den Vorlesungen zum Thema analytische Chemie an deutschen Universitäten sucht man die Sensoren oft vergebens. Trotzdem gibt es keinen Zweifel daran, daß die chemischen Sensoren ein Zweig der Chemischen Analytik sind, denn dieses Wissenschaftsgebiet widmet sich ausdrücklich der „Gewinnung von Informationen über stoffliche Systeme, insbesondere über Art und Menge ihrer Bestandteile einschließlich deren räumlicher Anordnung und Verteilung sowie zeitlicher Änderung und der dazu erforderlichen Methodik“ (Danzer et al. 1976). Es gibt also offenbar zwei Quellen für die Entstehung eines eigenen Wissensgebietes „chemische Sensoren“. Eine dieser Quellen war die erwähnte Entwicklung von Mikrotechnologien, die zu einem Bedarf an technischen Sinnesorganen führte. Die zweite Quelle liegt in der Geschichte der Chemischen Analytik, die ihrerseits einen Bedarf an dezentralen chemischen Analysen und der dazu erforderlichen Technik hervorbrachte. In Abb. 1.2 wird versucht, die Entwicklung des Gebietes der chemischen Sensoren zu illustrieren. Die Analytische Chemie ist so alt wie die Chemie selbst, denn naturgemäß brauchte die Chemie, um sich zur Wissenschaft entwickeln zu können, Informationen über die Zusammensetzung der untersuchten stofflichen Systeme. Darüber hinaus bestand und besteht in jeder menschlichen Gesellschaft ein Interesse daran, Kenntnisse über die Zusammensetzung der uns umgebenden stofflichen Vielfalt zu erhalten. Eine systematische Entwicklung begann mit Robert Boyle im 17. Jahrhundert. Seit dieser Zeit versteht man unter einer chemischen Analyse nicht mehr unbedingt die Zerlegung von Stoffgemischen, sondern vielmehr oft die Ausführung bestimmter chemischer Reaktionen mit dem Ziel, etwas über die Zusammensetzung dieser Gemische zu erfahren. So weiß man z.B. seit alters her, daß ein weißer Niederschlag beim Zusatz von Silbernitratlösung zu einer Probe die Anwesenheit des Elementes Chlor anzeigt. Diese von Boyle begründete „chemische Analyse auf nassem Wege“ hat sich zu hoher Perfektion entwickelt. Erst viel später, im 19. Jahrhundert, wurde der Vorrat an Analysenmethoden durch die Messung physikalischer Effekte ergänzt. Damit begann die Entwicklung der instrumentellen Analysenmethoden. Mittlerweile sind die klassische analytische Chemie und die Instrumentalanalyse zu einem interdisziplinären Gebiet, der Chemischen Analytik oder einfach Analytik zusammengewachsen. Dieses Gebiet läßt sich in viele Zweige unterteilen, von denen hier beispielhaft nur die Spektroskopie und die Chromatographie genannt werden sollen. Seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigte sich eine starke Tendenz zur Automatisierung, die zu großen zentralen Analysenlaboratorien führte. Die Zentralisierung war wegen der hohen Investitionskosten unumgänglich. Es zeigte sich, daß auf diesem Wege nicht alle Probleme gelöst werden konnten. Oftmals war es schwierig oder gar unmöglich, das Probematerial über große Strecken zu einem zentralen Laboratorium zu transportieren. Dies war besonders ein Problem der immer wichtiger werdenden Umweltanalytik. In vielen Fällen erwies es sich als günstiger, nicht mit der Probe zum Labor, sondern mit dem Labor zur Probe zu gehen. Der Bedarf an mobiler Analytik stieg an. Das Interesse kon-
6
1 Einleitung
zentrierte sich auf kleine, leichte, transportable Sonden, die man im günstigsten Falle einfach in das Probemedium stecken konnte, um einen Analysenwert zu erhalten. Solche Sonden waren z.B. die schon länger bekannten ionenselektiven Elektroden, darunter die Glaselektrode zur Messung des pH-Wertes. Nachdem in der Technik die Sensoren populär wurden, stellte sich heraus, daß man in der analytischen Chemie eigentlich schon über eine gewisse Auswahl chemischer Sensoren verfügte. Es ist kein Zufall, daß etwa seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Begriff Sensor mehr und mehr auch für bekannte Objekte in Gebrauch kam. Im Gegensatz zum Begriff Sensor im allgemeinen gibt es eine sozusagen offizielle Definition für den chemischen Sensor (IUPAC 1991). Sie lautet in der Übersetzung: Ein chemischer Sensor ist eine Anordnung, die chemische Informationen (diese reichen von der Konzentration eines einzelnen Probenbestandteils bis zur Gesamtanalyse der Zusammensetzung) in ein analytisch nutzbares Signal umwandelt. Die erwähnten chemischen Informationen können von einer chemischen Reaktion der Probe oder von einer physikalischen Eigenschaft des untersuchten Systems herrühren. Neben dieser Definition sind auch viele pragmatische Beschreibungen gebräuchlich, wie z.B. (frei übersetzt nach Wolfbeis 1990): Chemische Sensoren sind kleine Anordnungen, die ein Erkennungselement, einen Transduktor und einen Signalprozessor enthalten. Sie sind geeignet, kontinuierlich und reversibel eine chemische Konzentration anzuzeigen. Die in dieser Beschreibung geforderte Reversibilität wird auch von anderen Autoren als wichtig erachtet. Damit ist gemeint, daß ein Sensorsignal nicht nach seiner Bildung „steckenbleibt“, sondern sich dynamisch auf den jeweils neuen Wert der Probekonzentration einstellt. Insgesamt herrscht weitgehend Einigkeit, daß für chemische Sensoren die folgenden Merkmale zutreffen: - Chemische Sensoren sollen chemische Informationen in elektrische Signale umwandeln - Chemische Sensoren sollen schnell ansprechen - Chemische Sensoren sollen lange Zeit einsatzbereit sein - Chemische Sensoren sollen klein bzw. miniaturisierbar sein - Chemische Sensoren sollen preisgünstig sein - Chemische Sensoren sollen spezifisch sein, d.h. auf einen einzigen Analyten ansprechen oder sie sollen selektiv auf eine Gruppe von Analyten reagieren Dieser Katalog kann noch erweitert werden z.B. um die Forderung nach hoher Nachweisstärke bzw. hoher Empfindlichkeit, um auch kleine Konzentrationmen nachweisen zu können. Recht unterschiedlich wird die Einteilung bzw. Klassifizierung des Gebietes der chemischen Sensoren betrieben. Am weitesten verbreitet ist eine Unterteilung
1.2 Chemische Sensoren
7
nach dem Prinzip der Transduktion. Es ergeben sich dann (nach IUPAC 1991) die folgenden Gruppen: - Optische Sensoren, folgend den Phänomenen Lichtabsorption, Reflexion, Lumineszenz, Fluoreszenz, Brechungsindex, optothermischer Effekt und Lichtstreuung - Elektrochemische Sensoren, darunter voltammetrische, potentiometrische, chemisch sensitive Feldeffekttransistoren und potentiometrische Hochtemperatur-Gassensoren - Elektrische Sensoren, darunter solche mit oxidischen oder organischen Halbleitern sowie elektrolytische Leitfähigkeitssensoren - Massenempfindliche Sensoren, d.h. piezoelektrische Anordnungen und solche mit akustischen Oberflächenwellen - Magnetische Sensoren, womit im wesentlichen Sauerstoffsensoren gemeint sind, die auf die paramagnetische Eigenschaft dieses Gases ansprechen - Thermometrische Sensoren, die auf der Messung einer spezifischen Reaktionswärme oder Wärmeabsorption beruhen - Andere. Dies sind hauptsächlich Sensoren, die die Absorption oder Emission bestimmter Strahlungsarten nutzen Andere Klassifizierungsschemata orientieren sich nicht an der Transduktion, sondern z.B. an den Anwendungsgebieten der Sensoren oder den benutzten Rezeptorschichten. Auf diese Weise wird die große und wichtige Gruppe der Biosensoren definiert. Die Biosensoren werden in den meisten Fällen als selbständige Gruppe behandelt. Im Gegensatz zu diesem allgemeinen Brauch werden hier Biosensoren lediglich als Spezialfall der chemischen Sensoren betrachtet und in die einzelnen Kapitel des Buches eingeordnet. Diese Betrachtungsweise entspricht auch der Auffassung der zuständigen Kommission der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry). In einem offiziellen Dokument (IUPAC 1999) heißt es ergänzend zur allgemeinen Definition des chemischen Sensors: „Biosensoren sind chemische Sensoren, in denen das Erkennungssystem einen biochemischen Mechanismus nutzt“ (Übersetzung aus dem Englischen vom Verfasser). Alle Klassifizierungsvarianten haben Vor- und Nachteile. Im vorliegenden Buch wurde versucht, einen Kompromiß zu finden. 1.2.2 Elemente chemischer Sensoren Wie bereits im Abschn. 1.1.1 angedeutet wurde, lassen sich die Funktionen, die ein chemischer Sensor auszuführen hat, als Aufgaben mehrerer Einheiten darstellen. Hierzu wird meist folgendes ausgesagt: „Chemische Sensoren enthalten gewöhnlich zwei Basiskomponenten in Serienanordnung: Ein chemisches (molekulares) Erkennungssystem (Rezeptor) und einen physikochemischen Transduktor“ (IUPAC 1999). In anderen Dokumenten werden weitere Elemente für notwendig gehalten, insbesondere Einheiten zur Signalverstärkung und -vorverarbeitung. Eine typische Anordnung ist schematisch in Abb. 1.3 dargestellt.
8
1 Einleitung
Bei chemischen Sensoren tritt der Rezeptor in den meisten Fällen mit den Probemolekülen in Wechselwirkung und ändert infolgedessen seine physikalischen Eigenschaften so, daß im Transduktor ein elektrisches Signal gewonnen werden kann. In manchen Fällen sind Rezeptor und Transduktor nicht unterscheidbar, so z.B. bei oxidkeramischen Halbleitersensoren (Kap. 5, Abschn. 5.2), die im Kontakt mit bestimmten Gasen ihre elektrische Leitfähigkeit ändern. Eine Leitfähigkeits- bzw. Widerstandsänderung stellt bereits ein meßbares elektrisches Signal
Abb. 1.3 Grundsätzlicher Aufbau eines typischen chemischen Sensorsystems
dar. Sensoren, bei denen beide Einheiten unterscheidbar sind, sind die massenempfindlichen Sensoren. Bei ihnen fungiert ein piezoelektrischer Schwingquarz (Kap. 4) als Transduktor. Er trägt als Rezeptor eine sensitive Schicht, die Gasmoleküle absorbieren kann. Die resultierende Masseänderung wird in Form einer veränderten Wechselspannungsfrequenz in einem elektrischen Schwingkreis meßbar.
1.2 Chemische Sensoren
9
Rezeptor Die Funktion des Rezeptors wird sehr oft von dünnen Schichten übernommen, die in Wechselwirkung mit Probemolekülen treten, eine Reaktion selektiv katalysieren oder in einem chemischen Gleichgewicht mit Bestandteilen der Probe stehen. Rezeptorschichten können selektiv auf einzelne Substanzen oder Substanzgruppen ansprechen. Für dieses Verhalten ist der Ausdruck molekulare Erkennung in Gebrauch gekommen, besonders dann, wenn Moleküle an ihrer Form und Größe erkannt werden (sterische Erkennung), was typisch für Biosensoren ist. Die für chemische Sensoren wichtigsten Wechselwirkungsphänomene sind Adsorption, Ionenaustausch und Extraktion. Diese Phänomene wirken im wesentlichen an der Grenzfläche zwischen Probe und Sensor-(Rezeptor-)oberfläche. An dieser Stelle kann sich ein Gleichgewicht oder ein gleichgewichtsähnlicher Zustand zwischen Sensor und Probe ausbilden. Statt einer Wechselwirkung kann auch eine chemische Reaktion zur Quelle des Signals werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn im Rezeptor ein Katalysator wirkt, der eine Reaktion der Probesubstanz so beschleunigt, daß die dabei entstehende Reaktionswärme zu einer Temperaturänderung der Rezeptoroberfläche führt, die in ein elektrisches Signal umgesetzt werden kann. Die chemische Reaktion wird auch dann zur Quelle der Information, wenn die Probe in ein echtes chemisches Gleichgewicht mit dem Sensor tritt, wenn also z.B. bestimmte Probemoleküle Teil eines Redoxsystems sind, dessen zweiter Teil der Rezeptor ist. Die Unterschiede zwischen einem Reaktionsgleichgewicht und einem Wechselwirkungsgleichgewicht sind gering. Die Grundlagen der chemischen Gesetzmäßigkeiten bei der Entstehung des Signals im Rezeptor werden im Kap. 2, Abschn. 2.2, behandelt. Transduktor In der Gegenwart werden Signale und Informationen ausschließlich auf elektrischem Wege verarbeitet. Sensoren müssen also zwingend eine Transduktor- bzw. Wandler-Funktion enthalten, die die nichtelektrische Größe Konzentration in eine meßbare elektrische Größe, also Spannung, Strom oder Widerstand umwandelt. Transduktoren können in vielfältiger Weise klassifiziert werden, z.B. nach der Größe, die am Ausgang erscheint, in Stromwandler, Spannungswandler usw. Hier gibt es in der Sensor-Literatur bisher kaum Versuche zu einer systematischen Darstellung. In diesem Abschnitt wird eine Klassifizierung gewählt, die mit wenigen Transduktor-Prinzipien auskommt und eine Einsicht in die innere Wirkungsweise der Wandler ermöglicht. Sie geht auf einen Systematisierungsversuch zurück, der von Elektronikern entwickelt wurde, aber bisher noch nicht auf Sensoren angewandt worden ist (Malmstadt et al. 1981). Unter den im folgenden erwähnten Beispilen sind solche, die erst im Zusammenwirken mit einer zusätzlichen Rezeptorschicht zu chemischen Sensorelementen werden. Bei anderen ist die Rezeptorfunktion bereits im Transduktor enthalten. Transduktorprinzip Energieumwandlung. Transduktoren, die auf dem Prinzip der Energieumwandlung beruhen, erzeugen elektrische Energie. Sie brauchern al-
10
1 Einleitung
so im allgemeinen keine Hilfs- oder Betriebsspannungen. Zwei Beispiele werden in Abb. 1.4 zusammen mit ihrer Meßschaltung gezeigt. Das als Beispiel angeführte Photoelement wandelt Lichtenergie in elektrische Energie um. Als Maß für die untersuchte Größe, den Lichtstrom ĭ, entsteht eine Spannung U, die in vielen Fällen ohne jeden Verstärker gemessen werden kann. Weitgehend analog sind die Verhältnisse bei der galvanischen Zelle (unten in Abb. 1.4), die die Basis der potentiometrischen Sensoren darstellt. Dort wird als Maß für die zu bestimmende Konzentration einer Ionensorte ebenfalls eine Spannung ausgebildet. Die in den Bildern gezeigten Verstärkerschaltungen sind nicht zwingend notwendig. Sie sollen nur darstellen, daß zweckmäßigerweise die vom Sensor erzeugten Spannungen belastungsfrei, also hochohmig, gemessen werden sollten. Typisch für Transduktoren nach dem Prinzip Energieumwandlung ist der logarithmische Zusammenhang zwischen der zu bestimmenden Größe und der gebildeten Spannung.
Abb. 1.4 Transduktoren nach dem Energieumwandlungsprinzip. Oben: Photoelement, unten: Galvanische Zelle
Andere Beispiele für Transduktoren mit Energieumwandlung sind das Thermopaar (Wandlung Wärmeenergie in elektrische) und der Tachometergenerator, der mechanische in elektrische Energie wandelt. Transduktorprinzip Strombegrenzung. Viele Spannungsquellen, darunter auch Transduktoren nach dem Prinzip Energieumwandlung, können in die Sättigung gehen, wenn man sie kurzschließt. Es fließt dann ein Maximalstrom, der auch durch Anlegen einer Hilfsspannung nicht mehr vergrößert werden kann. Wenn das im vorigen Abschnitt als Beispiel genannte Photoelement kurzgeschlossen wird (Abb. 1.5 oben), fließt ein Sättigungsstrom, der von der Anzahl der pro Zeiteinheit auf die lichtempfindliche Fläche fallenden Photonen, also von der Beleuchtungs-
1.2 Chemische Sensoren
11
stärke, bestimmt wird. Ähnlich ist es (Abb. 1.5 unten) mit der im Kurzschluß betriebenen galvanischen Zelle (sie heißt dann Elektrolysezelle). Die Elektrolysezelle kann nur einen Strom abgeben, der maximal der Anzahl der pro Zeiteinheit an der Elektrodenoberfläche anlangenden umsetybaren (reduzierbaren bzw. oxydierbaren) Teilchen entspricht. Eine wichtige Eigenschaft von StrombegrenzungsTransduktoren ist der über viele Dekaden zu beobachtende lineare Zusammenhang zwischen der Meßgröße Strom und der zu bestimmenden Größe (in den Beispielen also Beleuchtungsstärke bzw. Lösungskonzentration. Ein nach diesem Prinzip arbeitender chemischer Sensor ist die Clark-Sonde zur Bestimmung von in Wasser gelöstem Sauerstoff (Kap. 7).
Abb. 1.5 Transduktoren nach dem Prinzip Strombegrenzung. Oben: Photodiode, unten: Elektrolysezelle
Weitere Beispiele für Transduktoren nach dem Prinzip Strombegrenzung sind die Vakuumphotozelle und der daraus entstandene Sekundärelektronenvervielfacher (SEV). Transduktorprinzip Widerstandswandlung. Viele elektrisch leitfähige Materialien ändern bei Einwirkung von Umgebungsgrößen ihre Leitfähigkeit bzw., was gleichbedeutend ist, ihren Widerstand. Metalle vergrößern ihren spezifischen Widerstand mit ansteigender Temperatur, bei Halbleitern wird der Widerstand mit wachsender Temperatur geringer. In beiden Fällen läßt sich die Widerstandsmessung zur Temperaturbestimmung nutzen. Bekannt sind die HalbleiterThermistoren, die sehr empfindlich auf Temperaturänderungen reagieren. Chemische Sensoren entstehen sekundär aus Thermistoren, wenn diese mit einer Katalysatorschicht überzogen werden, die eine wärmeerzeugende chemische Reaktion katalysiert. Die lokale Temperaturerhöhung an der Thermistor-Oberfläche wird zum Maß für die Konzentration eines der Reaktionspartner, z.B. für den Gehalt von Wasserstoffgas in Luft.
12
1 Einleitung
1.2.3 Charakterisierung chemischer Sensoren Die Leistungsfähigkeit chemischer Sensoren muß sich durch Zahlenwerte ausdrücken lassen, um Vergleichbarkeit einzelner Gruppen ebenso wie individueller Exemplare untereinander zu gewährleisten. Dafür stehen die üblichen Bewertungskriterien chemischer Analysen zur Verfügung. Diese sind jedoch für die Bewertung eines Meßergebnisses bzw. Analysenergebnisses definiert, nicht primär zur Charakterisierung von Gegenständen. Man muß also unterscheiden, ob ein Vorgang (die Analyse) oder ein Körper (der Sensor) bewertet werden soll. Einige der traditionellen analytischen Kriterien, wie z.B. der Begriff der Empfindlichkeit, lassen sich auf Verfahren ebenso wie auf Geräte anwenden. Andere, wie die Richtigkeit, sind eindeutig für die Bewertung von Meßergebnissen vorgesehen. Man kann sehr wohl sagen, daß ein Meßwert richtig oder falsch ist, ein Sensor selbst kann aber weder richtig noch falsch sein. Bewertung von Analysenergebnissen Die wichtigsten Größen für die Bewertung der Genauigkeit von Analysenergebnissen sind die folgenden x Richtigkeit Die Richtigkeit gibt die Übereinstimmung eines Meßwertes (üblicherweise des Mittelwertes aus mehreren Messungen) mit dem wahren Wert an. Damit wird sie zu einem Ausdruck für den systematischen Fehler (die prozentuale Abweichung des Ergebnisses vom wahren Wert) x Präzision Die Präzision ist ein Ausdruck für den Zufallsfehler, d.h. für die Streuung von Einzelergebnissen um den Mittelwert. Der allgemein übliche Ausdruck für die Präzision ist die Standardabweichung, d.h. die Breite der für eine große Zahl von Meßwerten angenommenen Normalverteilung, dargestellt als Gaßsche Glockenkurve. Die zugehörige Zahl ı (Abstand des Wendepunkts der Glockenkurve zum Maximum) läßt sich durch den Schätzwert s annähern, der zum Unterschied von ı aus einer begrenzten Zahl von Einzelmessungen ermittelt werden kann. Für diesen Schätzwert gilt s
¦ x - x n -1
2
. Das Symbol x be-
zeichnet individuelle Meßwerte, x den Mittelwert und n die Anzahl der Meßwerte. Kenngrößen von chemischen Sensoren Die folgende Liste enthält sowohl statische (z.B. Selektivität, Empfindlichkeit) als auch dynamische (z.B. Ansprechzeit) Kenngrößen, mit denen die Leistungsfähigkeit von Sensoren beschrieben werden kann.
1.2 Chemische Sensoren
x x
x x
x x
x
x x
x
13
Empfindlichkeit. Die Änderung des Meßwertes pro Konzentrationseinheit (in mol/l) des Analyten. Dies enspricht dem Anstieg einer Kalibrierkurve Nachweisgrenze. Die niedrigste mit dem betreffenden Sensor (unter definierten Bedingungen) noch erkennbare Konzentration, ungeachtet dessen, ob eine Quantifizierung möglich ist. Geeignete Verfahren für die Ermittlung der Nachweisgrenze hängen von der Art des Sensors ab Arbeitsbereich (dynamic range). Der Konzentrationsbereich zwischen Nachweisgrenze und oberer Grenzkonzentration, die noch signifikante werte liefert Selektivität. Ein Ausdruck für die Frage, ob ein Sensor selektiv auf eine Gruppe von Analyten oder gar spezifisch für einen einzelnen Analyten anspricht. Zur zahlenmäßigen Beschreibung dieses Verhaltens stehen bei einzelnen Sensorgruppen unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, beispielsweise bei potentiometrischen Sensoren (Kap. 7, Abschn. 7.1) der Selektivitätskoeffizient. Linearität. Die prozentuale Abweichung der experimentell ermittelten Kalibrierkurve von einer idealen Geraden. Diese Größe wird meist auf einen bestimmten Konzentrationsbereich bezogen Auflösung. Die kleinste Konzentrationsdifferenz, die bei kontinuierlicher Änderung der Zusammensetzung unterschieden werden kann. Diese Größe ist besonders wichtig, wenn Sensoren als Detektoren in fließenden Strömen wirken Ansprechzeit. Zur Kennzeichnung des dynamischen Verhaltens wird die Zeit angegeben, die vergeht, bis nach einem schlagartigen Konzentrationswechsel ein bestimmter Prozentsatz des Endwertes erreicht wird, z.B. t99 für die Zeit bis 99% des Endwertes. Die Zeit bis zum Erreichen von 63% des Endsignals heißt auch Zeitkonstante Hysterese. Die maximale Abweichung der Meßwerte, die einmal bei ansteigendem und einmal bei abfallendem zeitlichem Verlauf des untersuchten Konzentrationsbereichs erzielt werden Stabilität. Die Fähigkeit des Sensors, seine Leistungsfähigkeit für ein bestimmtes Zeitintervall beizubehalten. Als Maß für die Stabilität werden oft Driftwerte benutzt, z.B. die zeitliche Wanderung der Signale für den Nullwert der Konzentration Lebensdauer. Die Zeit, über die der Sensor funktionstüchtig bleibt. Dabei wird die Aufbewahrungszeit (shelf life) von der maximalen Operationszeit (operating life) unterschieden. Letztere kann auf kontinuierliche Operation oder auf zyklischen Betrieb mit eingebauten Ruhepausen bezogen werden
14
1.3
1 Einleitung
Literatur
Danzer K, Than E, Molch D (1976) Analytik – systematischer Überblick. Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig K.-G. Leipzig IUPAC (1991) Pure Appl Chem 63:1247–1250 IUPAC (1999) Pure Appl Chem 71:2333–2348 Malmstadt HV, Enke CG, Crouch SR (1981) Electronics and Instrumentation for Scientists. The Benjamin/Cummings Publishing Comp., Menlo Park Otto M (1995) Analytische Chemie. VCH, Weinheim New York Schwedt G (1995) Analytische Chemie. Georg Thieme-Verlag Stuttgart Wolfbeis OS (1990) Fresenius J Anal Chem 337:522
2 Grundlagen
2.1
Sensor-Physik
2.1.1 Festkörper Viele Vorgänge, die für Sensoren wichtig sind, beruhen auf Phänomenen, die in Festkörpern oder an deren Oberflächen ablaufen. Charakteristisch für Festkörper ist, daß ihre Bausteine, also Atome oder Moleküle, durch Bindungen in bestimmten Lagen festgehalten werden, daß also zumindest Teilbereiche mit regelmäßiger Gitteranordnung vorhanden sind. Amorphe Stoffe wie Gläser oder viele Polymere zählen nicht zu den Festkörpern, auch wenn sie als „feste Körper“ empfunden werden. Die Arten der Festkörper werden im wesentlichen durch den in ihnen vorherrschenden chemischen Bindungstyp gekennzeichnet. Im metallischen Festkörper sind die Elektronen delokalisiert zwischen einem Gerüst aus regelmäßig angeordneten Kationen. Die metallische Bindung führt zu einer starren, aber verformbaren Struktur. Die Kristallstruktur von Metallen wird im wesentlichen bestimmt durch das Problem, sphärische Atome zu einer möglichst dichten Packung zusammenzufügen. In einem ionischen Festkörper werden die entgegengesetzt geladenen Ionen durch Coulombsche Anziehungskräfte zusammengehalten. Da die Ionen ganz verschiedene Radien haben können und nicht immer kugelförmig sind, besteht das Problem beim Gitterbau im Bestreben, eine elektrisch neutrale Struktur mit möglichst gleichmäßiger Anordnung zu bilden, d.h. jedes Ion umgibt sich möglichst gleichmäßig mit Gegenionen. In Festkörpern mit einem Atomgitter (kovalente Festkörper) sind die Atome durch kovalente Bindungen zu einem regelmäßigen Netzwerk verbunden, das sich über den gesamten Kristall erstreckt. An die Stelle des geometrischen Ordnungsproblems des Metallgitters treten hier die Bedingungen der Atombindung, bei der es um die Überlappung von Orbitalen geht. Ein typisches Beispiel für einen Kristall mit Atomgitter ist der Diamant, bei dem jedes Kohlenstoffatom tetraedrisch mit 4 Nachbarn verbunden ist. Jedes Atom liegt in 3 sp -Hybridisierung vor und bildet vier ı-Bindungen aus. Kristalle mit Atomgitter sind oft sehr hart und wenig reaktiv. Kristalle mit Molekülgittern bestehen aus individuellen Molekülen, die untereinander durch intermolekulare Wechselwirkungen verbunden sind. Diese Bindungskräfte sind schwach im Vergleich mit den Kräften der chemischen Bindung. Molekülkristalle, die die große Mehrheit der or-
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2 Grundlagen
ganischen Festkörper bilden, sind gewöhnlich weich und haben niedrige Schmelzpunkte. Festkörper mit beweglichen Elektronen heißen elektronische Leiter und lassen sich phänomenologisch nach der Art der Temperaturabhängigkeit ihrer Leitfähigkeit unterteilen. Bei metallischen Leitern sinkt die Leitfähigkeit mit wachsender Temperatur. Bei Halbleitern steigt die Leitfähigkeit mit der Temperatur, und zwar stärker als die der Metalle sinkt. Typische Halbleiter können Elemente wie Silizium oder Verbindungen wie Galliumarsenid sein. Stoffe mit sehr geringer elektrischer Leitfähigkeit, die Isolatoren, zu denen z.B. der Diamant gehört, verhalten sich sehr ähnlich wie die Halbleiter. Das Bändermodell des Festkörpers
Energie E
Nach der MO-Theorie (MO = Molekül-Orbital; siehe Lehrbücher der Allgemeinen Chemie) entstehen bei der Überlappung von zwei Atomorbitalen (wenn jedes Atom ein Elektron beisteuert) im Falle einer chemischen Bindung zwei Molekülorbitale mit unterschiedlichem Energieniveau. Für drei Atome sind es drei Molekülorbitale und so fort, bis schließlich bei einer sehr großen Atomanzahl N zwei Bänder mit N sehr nahe beieinanderliegenden Energieniveaus entstehen. Sofern es in einem dieser Bänder unbesetzte Niveaus gibt, bedarf es nur eines infinitesimal geringen Energiequantums, um ein Elektron in dieses Niveau zu heben. Elektronen sind dann beweglich, d.h. sobald ein elektrisches Feld am betreffenden Festkörper anliegt, setzen sich Elektronen in Bewegung, der elektrische Strom wird geleitet. Entscheidend für das Zustandekommen der Leitfähigkeit ist also das Vorhandensein unvollständig gefüllter Bänder. Die Fermi-Energie EF (Fermi-Niveau) bezeichnet das durchschnittliche Energieniveau eines Elektrons im Material. Bei einem halbgefüllten Band liegt EF demnach in der Mitte des Bandes, am höchsten besetzten Orbital. Leitfähigkeitsband
besetzt Eg
Valenzband Metalle
unbesetzt
Abstand Atom-Atom Halbleiter und Isolatoren
freie Atome
Abb. 2.1 Entstehung der Energiebänder bei Festkörpern durch Vereinigung der Atomorbitale
Das energetisch höher liegende Band heißt Leitfähigkeitsband, das niedriger liegende Valenzband. Nach dem Bändermodell lassen sich metallische Leiter, Halbleiter oder Isolatoren dadurch unterscheiden, ob Leitfähigkeits- und Valenzband durch eine Lücke
2.1 Sensor-Physik
17
(das Bandgap) getrennt sind, oder ob sich die Bänder überlappen (Abb. 2.1). Die Bandlücke entspricht dem Energiebetrag, der notwendig ist um ein Elektron vom Valenzband in das Leitfähigkeitsband übergehen zu lassen. Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz zwischen Unterkante des Leitfähigkeitsbandes und Oberkante des Valenzbandes: Eg = EC – EV. Bei Isolatoren ist Eg groß (über ca. 5 eV), daher befinden sich unter normalen Bedingungen nur sehr wenige Elektronen im Leitfähigkeitsband. Daß sich dort überhaupt Elektronen aufhalten, liegt daran, daß entsprechend der Temperaturverteilung auch bei Stoffen mit Eigenleitfähigkeit (bei Halbleitern die intrinsischen Halbleiter) einige Ladungsträger genügend energiereich sind, um das Kristallgitter zu verlassen. Sie hinterlassen im Festkörper ein positves Loch. Isolatoren und Halbleiter unterscheiden sich diesbezüglich nicht grundsätzlich, sondern nur graduell entsprechend der Größe ihrer Bandlücke. Bei Stoffen mit Eigenleitfähigkeit muß die Anzahl der Löcher p gleich der Anzahl der beweglichen Elektronen n sein. Abb. 2.2 (links) zeigt schematisch den Vorgang. i-Halbleiter
Energie
T=0
n-Halbleiter
T>0
Valenzband
Bandlücke
p-Halbleiter
Valenzband
Thermische Anregung
Leitfähigkeitsband
Leitfähigkeitsband
Abb. 2.2 Leitfähigkeit in Halbleitern. Links: Eigenleitfähigkeit (i-Halbleiter). Rechts: pbzw. n-Halbleiterfunktion bei Dotierung
Die Leitfähigkeit der Halbleiter läßt sich sehr stark durch Dotierung beeinflussen. Dazu werden in das vorher extrem hoch gereinigte Material Spuren fremder Elemente gezielt eingebaut. Das gezielt als „Verunreinigung“ zugesetzte Element kann entweder als Elektronenfänger wirken oder es kann selbst zusätzliche Elektronen ins Gitter einschleusen. Im zuerst genannten Fall, wie z.B. bei der Dotierung von Silicium mit Indium oder Gallium, nimmt das Dotand-Atom jeweils ein Elektron aus dem gefüllten Valenzband auf, so daß ein „positives Loch“ entsteht. Es resultiert ein sogenannter p-Halbleiter. Die Leitfähigkeit kommt in diesem Falle zustande, weil sich Elektronen über die Löcher bewegen können. Ebenso gut kann man sich vorstellen, daß die Löcher beweglich seien. Setzt man stattdessen als Dotand z.B. Arsen zu, dann wird ein Elektron mitgebracht (das Arsen-Atom hat 5 Außenelektronen in Gegensatz zu den 4 Außenelektronen des Siliciums). Das zusätzliche Elektron geht in das zuvor unbesetzte Leitfähigkeitsband über.
18
2 Grundlagen
Ein n-Halbleiter entsteht. Schematisch wird dieser Vorgang in Abb. 2.2 (rechts) dargestellt. Die Darstellung deutet auch an, daß die Dotierungselemente eigene schmale Energiebänder ausbilden. Der Übergang der Ladungsträger von oder zu diesen Bändern ist leicht, da die Abstände zu den in Wechselwirkung tretenden Bändern gering sind. Die Lage des Fermi-Niveaus wird von dem Vorhandensein einer Dotierung beeinflußt. Es liegt für n-Halbleiter nahe am Leitfähigkeitsband und und für p-Halbleiter nahe am Valenzband. Alternativ zu den oben gegebenen Erklärungen kann man sich die Verstärkung der Halbleiter-Leitfähigkeit auch durch eine Analogie aus der Chemie verständlich machen. Nach dieser Vorstellung entspricht die Eigenleitfähigkeit eines Halbleiters der Eigendissoziation eines Lösungsmittels, z.B. des Wassers. Dabei entste+ hen die Ionen H3O und OH , allerdings in so geringer Konzentration, daß die Eigenleitfähigkeit reinen Wassers sehr gering bleibt. Aus einem universellen Naturgesetz, dem Massenwirkungsgesetz, folgt, daß das Produkt der Konzentrationen (Größen in eckigen Klammern) der beiden Ionenarten konstant sein muß: ª¬OH - º¼ ª¬ H 3 O + º¼ (2.1) Ferner gilt die Elektroneutralitätsbedingung. Setzt man eine Säure oder eine + Base zu, dann verstärkt man entweder die Konzentration von H3O oder die von OH . Als Konsequenz steigt die ionische Leitfähigkeit stark an. Analog hierzu x verstärkt der Dotand im Festkörper entweder die Konzentration der Löcher h oder die Konzentration der beweglichen Elektronen e´. Das Produkt dieser beiden Konzentrationen ist wiederum eine Konstante, wie Gl. (2.2) angibt. Ebenso ist auch die Elektroneutralitätsbedingung gültig. KW
K el
>ec@ ª¬ hx º¼
(2.2)
Gitterdefekte, Ionenleitung, Hopping Eine andere Betrachtungsweise der Leitungsvorgänge in Festkörpern geht von der Tatsache aus, daß Leitfähigkeit nur möglich wird, wenn das Gitter nicht ideal ist, sondern Baufehler bzw. Störungen, die sogenannten Defekte aufweist. Die, wie im vorangegangenen Abschnitt skizziert, als Dotanden eingebauten Fremdatome sind selbst eine Gitterstörung, jedoch nicht die einzig mögliche. Defekte sind auch für andere Transportvorgänge in Festkörpern eine zwingende Voraussetzung. Zu diesen Vorgängen gehören die Diffusion von Bestandteilen im Material und die Ionenleitfähigkeit. Diese für chemische Sensoren sehr wichtige Erscheinung kommt häufig in Ionenkristallen vor, zum Beispiel in vielen Metalloxiden. Für alle Temperaturen, die oberhalb des absoluten Nullpunktes T0=0 K liegen, existiert in allen Festkörpern eine endliche Defektkonzentration. Dies folgt aus einem fundamentalen Naturgesetz, dem sog. Entropiesatz oder 3. Hauptsatz der Thermodynamik. Defekte können zustande kommen durch
2.1 Sensor-Physik
19
unbesetzte Gitterplätze (Vakanzen) Ionen auf Zwischengitterplätzen Fremde Ionen (als Verunreinigung oder Dotierung) Ionen mit Ladungen, die nicht der stöchiometrischen Zusammensetzung des Stoffes entsprechen (Nichtstöchiometrie) Wenn keine äußeren Felder auf den Festkörper wirken und auch keine Konzentrationsgradienten vorhanden sind, dann herrscht Elektroneutralität, d.h. durch den Defekt erzeugte Ladungen müssen durch Ladungen entgegengesetzten Vorzeichens neutralisiert werden. Das bedeutet, daß durchaus lokale Ladungen vorhanden sein können, deren Gegenladungen sich in einiger Entfernung befinden. In ionischen Festkörpern, die für die chemischen Sensoren von besonderer Bedeutung sind, sind besonders die im folgenden kurz beschriebenen Gitterstörungen bedeutungsvoll. x x x x
+ - + - + - + - + - + - + + + - + - + - + - + - + - + Schottky-Defekt
2+
+ +
+ - ++ + - +
Fe
2+
O
2-
Fe
2+
O
O
2-
Fe
O
3+
Fe
O
2-
Fe
O
+ + -
2-
Fe
2+
2-
O
2-
2+
2-
2+
Fe
2-
O 2-
Fe
3+
O
O Fe
2+
2-
+ - + - + + - + - + - +
Frenkel-Defekt
Abb. 2.3 Schottky- und FrenkelDefekt
Abb. 2.4 Eisenoxid als Beispiel für eine Verbindung mit Metall-Unterschuß
Beim Schottky-Defekt (Abb. 2.3 oben) sind jeweils die gleiche Anzahl kationischer und anionischer Vakanzen vorhanden. Beim Frenkel-Defekt (Abb. 2.3 unten) gibt es bei den Vakanzen nur eine Ladungssorte, also entweder die positive oder die negative. Eine der Ladungen fehlt im Gitter. Als kompensierende Gegenladung wirkt ein Ion auf einem Zwischengitterplatz. Nichtstöchiometrische Verbindungen kommen dadurch zustande, daß eines der Elemente, die die Verbindung bilden, gegenüber der stöchiometrischen Zusammensetzung im Unterschuß vorhanden ist. Da die Anzahl der positiven und negativen Gitterplätze gleich bleibt, unabhängig davon ob Nichtstöchiometrie existiert, muß der Mangel an Ladungen durch entgegengesetzt gerichtete „elektronische Defekte“ kompensiert werden. Ein typisches Beispiel ist das Eisen(II)oxid FeO, das stets die Zusammensetzung Fe1-xO hat, wobei gilt x>0,03. Wie Abb. 2.4 zeigt, 2+ wird die Elektroneutralität dadurch erreicht, daß für jedes fehlende Ion Fe ein 3+ Fe in das Gitter eingebaut wird. Wenn Elektronen bzw. Löcher im Gitter lokalisiert sind, wie beim Fe1-xO, dann handelt es sich eine besondere Halbleiter-Eigenschaft, das sogenannte Hopping.
20
2 Grundlagen
Man kann sich vorstellen, daß z.B. Elektronen von Loch zu Loch „hüpfen“ („Electron Hopping“). Sperrschichten
Metall
Elektrolytlösung
Entfernung
Spannung
Spannung
Halbleitermaterialien werden selten als homogene Körper verwendet. Ihre besonderen Möglichkeiten werden meist erst nutzbar, wenn Zonen unterschiedlichen Leitfähigkeitstyps miteinander in Kontakt kommen. Die Berührung von Zonen mit unterschiedlicher Beweglichkeit der Ladungsträger führt zur Ausbildung von Berührungsspannungen und sehr oft zur Bildung von Sperrschichten. Sperrschichten verhalten sich elektrisch asymmetrisch, d.h. von außen angelegte Spannungen vermögen nur bei Polung in einer bestimmten Richtung, der Durchlaßrichtung, einen merklichen Strom hervorzubringen, in der Sperrichtung hingegen wird der Stromdurchgang gesperrt, der Widerstand des Körpers wird sehr hoch. Typisch ist ferner für solche Schichten, daß sie sich wie ein elektrischer Kondensator verhalten. Der Sperrschicht läßt sich also eine bestimmte Kapazität C zuordnen. p-Halbleiter
n-Halbleiter
Entfernung x
Abb. 2.5 Ausbildung von Doppelschichten und Kontaktspannungen an der Grenzfläche zwischen verschiedenartigen elektrischen Leitern
Die Ausbildung von Kontaktspannungen und Sperrschichten ist keineswegs an halbleitende Festkörper gebunden. Sie treten auch auf bei der Berührung von Metallen mit Elektrolytlösungen, von Metallen mit Halbleitern und von verschiedenartigen Elektrolytlösungen untereinander. Entsprechend der historischen Entwicklung der Naturwissenschaft gelten für derartige Schichten ganz unterschiedliche theoretische Modelle, so daß der Eindruck entsteht, daß es sich um vollkommen andersartige Phänomene handelt. In allen Fällen läßt sich die Erscheinung nach der gleichen einfachen Vorstellung plausibel machen. Man braucht sich nur vorzustellen, daß in allen miteinander im Kontakt stehenden materiellen Bereichen stets Elektroneutralität herrschen muß. Sobald eine Ladungsträgersorte in einer der Phasen wesentlich beweglicher ist als in der anderen (z.B. die Elektronen im Metall), dann wird eine Tendenz entstehen, die zum „Abdriften“ der Ladungsträgersorte in die betreffende Richtung resultieren. Vorausgesetzt sei, daß die Gegenladungen (z.B. die Kationen in der angrenzenden Elektrolytlö-
2.1 Sensor-Physik
21
Sperrspannung
Durchlaßstrom
sung) den Durchtritt durch die Phasengrenze nicht oder nur begrenzt mitmachen können. Es wird also an der Phasengrenze zu einer Ladungstrennung kommen. Diese kommt sehr bald zum Stillstand, weil die entstehende Coulombsche Anziehungskraft das Abdriften der Gegenladungen kompensiert. Es kommt zu einem stationären Zustand an der Berührungsfläche. Dies ist gleichbedeutend mit der Ausbildung einer Doppelschicht aus gegensätzlich geladenen Ladungsträgern sowie einer zugehörigen Berührungsspannung (auch „Kontaktpotential“; „Galvanispannung“ u.a.). Abb. 2.5 zeigt die Schichtstrukturen bei Berührung verschiedenartiger Leiter. An einer Elektrode, d.h. bei Berührung eines Metalls mit einer Elektrolytlösung, ist die Struktur komplizierter und erstreckt sich über einen weit größeren räumlichen Bereich als bei Halbleiterkontakten. Für Halbleiter ist der wichtigste Fall der sogenannte pn-Übergang, d.h. die Berührung eines n-dotierten mit einem p-dotierten Bereich des gleichen Materials. Ein solcher Übergang kann abrupt sein, wenn z.B. je eine Scheibe n- bzw. pdotiertes Silicium zusammengepreßt werden. Technisch wichtiger ist jedoch ein diffuser Übergang. Ein solcher entsteht, wenn in einen Chip aus n-dotiertem Silicium durch Diffusion aus der Gasphase ein p-Dotand eindringt, so daß inmitten des p-Siliciums eine Zone aus n-Silicium entstehen kann. Beim Anlegen einer äußeren Spannung können zwei verschiedene Situationen entstehen. Bei Polung in Durchlaßrichtung (positiver Pol am p-Material) kann mehr oder weniger ungehindert ein Strom fließen. Mit entgegengesetzter Polung
Durchlaßspannung Sperrstrom
Abb. 2.6 Strom-Spannungs-Kurve (Kennlinie) einer Diode
(Pluspol am n-Material) befindet sich der Übergang in Sperrichtung, da, vereinfacht ausgedrückt, die positiven Ladungsträger (die positiven Löcher) nicht übertreten können. Es kommt zu einer Verarmung von Ladungsträgern, d.h. zur Ausbildung einer sogenannten Verarmungsschicht. In diesem Zustand können nur sehr wenige Ladungsträger transportiert werden, es fließt lediglich ein sehr kleiner Sperrstrom. Die Breite dieser Verarmungszone hängt von den Materialeigenschaften und der Konzentration des Dotanden ab. Insgesamt entsteht an einem pnÜbergang das Verhalten eines elektrischen Ventils, einer Diode. Dioden folgen nicht dem Ohmschen Gesetz. Der Strom steigt exponentiell mit der Spannung an (Abb. 2.6).
22
2 Grundlagen
Es ist leicht einzusehen, daß Sperrschichten empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren und deshalb von besonderer Bedeutung für Sensoren sind. Der Sperrstrom hängt sehr stark von der Temperatur und der Einwirkung elektromagnetischer Strahlung ab. Dies entspricht der Zuführung von Energie, die die Bildung von Ladungsträgern in der Verarmungsschicht zur Folge hat. Um dies zu verstehen, ist es günstig, die Energiebänder am pn-Übergang zu betrachten (Abb. 2.7). Wenn der pn-Übergang im thermischen Gleichgewicht ist und keine Spannung anliegt, muß in allen Regionen das Fermi-Niveau gleich sein. Da die Abstände der Bandkanten zum Fermi-Niveau nur von der Temperatur abhängen, muß es in der
Energie
p
n
-
p
n
+
+
p
n
-
Leitfähigkeitsband Valenzband
Ef Ef Ef
Abb. 2.7 Energiebänder am pn-Übergang. Links: Ohne angelegte Spannung. Mitte: Polung in Sperrichtung. Rechts: Polung in Durchlaßrichtung. Ef Energie des Fermi-Niveaus
Nähe des Überganges zu einer Bandverbiegung kommen (Abb. 2.7 links). Wenn eine Spannung in Sperrichtung angelegt wird (Abb. 2.7 mitte), entsteht eine Differenz zwischen den Fermi-Niveaus des p- und des n-Materials. Der Übergang von Elektronen wird gegenüber dem unpolarisierten Zustand weiter erschwert, da eine zusätzliche Energiebarriere aufgebaut wird. Der umgekehrte Fall tritt bei Polung in Durchlaßrichtung ein (Abb. 2.7 rechts).
eLeitfähigkeitsband --------+++++++ +++++++++++ --------hQ
Valenzband
Abb. 2.8 pn-Übergang bei Lichteinwirkung
Das Bändermodell liefert eine Erklärung für die Strahlungsempfindlichkeit des pn-Überganges. Wenn sich, wie in Abb. 2.7 links, der Übergang im thermischen
2.1 Sensor-Physik
23
Gleichgewicht befindet und wenn er mit Photonen bestrahlt wird, deren Energie größer als der Betrag der Bandlücke ist, dann können Elektronen-Loch-Paare in der bestrahlten Region gebildet werden (Abb. 2.8). Infolge der Bandverbiegung wandern Elektronen in das Innere des n-Halbleiters und Löcher in das Innere des p-Halbleiters. Der n-dotierte Bereich nimmt ein positives Potential gegenüber dem p-dotierten Bereich an. Diese Spannung ist meßbar und hängt vom Logarithmus der einfallenden Lichtintensität ab. Verbindet man die n- und die p-Region über einen externen Widerstand, dann fließt ein Strom, dessen Amplitude proportional der einfallenden Lichtintensität ist. Wir haben es also hier mit dem Wandlerprinzip „Energieumwandlung“ zu tun. Tatsächlich besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen der Funktion einer Photodiode für Meßzwecke und einer photovoltaischen Zelle zur Gewinnung von Elektroenergie aus dem Sonnenlicht. Es gibt auch den umgekehrten Fall. Bei der Leuchtdiode (LED = Light Emitting Diode) injiziert eine über dem pn-Übergang liegende Spannung zusätzliche Löcher und Elektronen in die Kontaktregion. Wenn sich jeweils ein Elektron und ein Loch gegenseitig aufheben (annihilieren), wird die Energie der Bandlücke Eg als Photon abgestrahlt. Rote Leuchtdioden auf der Basis des Halbleiters Galliumarsenid (GaAs) sind millionenfach verbreitet. Die Farbe der Leuchtdioden hängt in erster Linie von der Größe der Bandlücke ab. Erst spät und nach großen Anstrengungen ist es gelungen, blaue Leuchtdioden (auf der Basis von Galliumnitrid) zu realisieren. Strukturen Um funktionieren zu können, müssen Halbleiter strukturiert werden. Die Zonen Source
Gate
Drain Drain
n-Si
Metalloxid oder -nitrid
n-Si
Gate
Source
p-Si Substrat
Abb. 2.9 Prinzip des MISFET (MOSFET). Links: Schichtaufbau, rechts: Schaltzeichen
unterschiedlicher Leitfähigkeit müssen kontaktiert werden, einzelne Bereiche müssen durch Isolierschichten abgedeckt werden, Fenster für die Einwirkung von Strahlung müssen geschaffen werden und vieles andere mehr. Die Technologien der Strukturierung von Halbleiterbauelementen haben einen hohen Entwicklungsstand erreicht, der in den erstaunlich komplexen Strukturen der Mikroelektronik zum Ausdruck kommt. Millionen von Transistoren finden auf einem einzigen Quadratzentimeter Platz. Die modernen Strukturierungstechniken führen zu dreidimensionalen Anordnungen. Typisch ist deren schichtweise Aufbau. Durch Abdecken mit Masken, Diffusionsprozesse, Aufdampfen dünner Metallschichten
24
2 Grundlagen
usw. werden zahlreiche „Etagen“ übereinander aufgebaut, die zu äußerst leistungsfähigen elektronischen Schaltungen führen. Als Beispiel einer für Sensoren besonders wichtigen Struktur soll hier die sogenannte MIS-Schichtenfolge vereinfacht erläutert werden. Es handelt sich um drei aufeinanderliegende Schichten aus Metall (M), Isolator (I) und Halbleiter (S). Üblicherweise beginnt der Schichtaufbau mit einem Substrat aus Halbleitermaterial, z.B. p-leitendem Silicium. Dieses wird durch Oxidation in sauerstoffhaltiger Atmosphäre mit einer dünnen Schicht aus dem Isolator Siliciumdioxid SiO2 überzogen. Darauf wird eine dünne Metallschicht aufgedampft. Wegen der Tatsache, daß der Isolator zumeist eine Oxidschicht ist, wird sehr häufig die Abkürzung MOS (Metall – Oxid – Halbleiter) verwendet, oft in sprachlich verkürzter Form. Ein Feldeffekt-Transistor (FET) in MOS-Ausführung wird so zum „MOSFET“. In Abb. 2.9 ist der Aufbau eines MOSFETs skizziert. Es wird angenommen, daß das Bauelement auf einem Substrat aus p-dotiertem Silicium aufgebaut ist. In dieses Substrat sind durch Diffusion zwei n-leitende Zonen eingebaut worden. Dies ist nicht zwingend. Der Aufbau kann auch komplementär erfolgen, also nleitendes Substrat mit p-leitenden Zonen. Über dem Substrat befindet sich die Isolierschicht I (normalerweise SiO2). Ganz oben liegt eine dünne Metallschicht M (z.B. aufgedampftes Gold). Der MOSFET hat drei Elektroden, S (Source), D (Drain) und G (Gate). Eigentlich sind die beiden n-leitenden Zonen gleichwertig, die besondere Funktion der Source-Elektrode ensteht erst durch Verbindung einer dieser Zonen mit dem Substrat. Die Gate-Elektrode hat keine galvanische Verbindung zu einer der übrigen Elektroden. Das Schaltzeichen gibt die Verhältnisse deutlich wieder. Beim Anlegen einer Spannung zwischen Metallschicht und Halbleiter-Substrat können drei verschiedene Situationen entstehen (Abb. 2.10).
++
-
-
p-Silicium
Elektronen
Isolator
p-Silicium
Akzeptorionen im Gitter -
Isolator
+
Metall
+ + + + + + + + + + + +
p-Silicium
Isolator
-
Metall
Löcher
Abb. 2.10 Situationen beim Anlegen einer Spannung zwischen Metallschicht und Halbleitersubstrat beim MOSFET
Wenn die Spannung am Metall negativ ist (Abb. 2.10 links), dann reichern sich positive Löcher an der Halbleiter-Oberfläche an. Bei umgekehrter Polarität (Abb. 2.10 mitte) werden die positiven Löcher vom Halbleiter weggeschoben, es kommt zur Ausbildung einer Verarmungsschicht. Sobald aber die positive Spannung genügend hoch wird, beginnen sich Elektronen an der Halbleiteroberfläche anzureichern, es entsteht eine sogenannte Inversionsschicht. Die Dicke der Verarmungsschicht bleibt konstant. Zwischen Metall und Halbleiter baut sich ein elektrisches
2.1 Sensor-Physik
25
Feld auf, dessen Feldstärke fast zu 100 Prozent über der Isolatorschicht abfällt. Im Zustand der Inversion entsteht ein leitender Kanal zwischen den n-leitenden Zonen wegen der dort vorhandenen Elektronen. Dies ist die Grundlage der Verstärkungsfunktion des MOSFETs. Die Variation der Spannung am Gate bedeutet eine Modulation der Feldstärke über der Isolatorschicht. Dies führt zur Modulation des Kanalwiderstandes und damit zu einer „Verstärkung“ der Gatespannung. Tatsächlich sind MOSFETs echte Spannungsverstärker, da sie praktisch leistungslos arbeiten. MOSFETs bilden die Basis bestimmter Sensoren, die in den Kapiteln 3 und 7 behandelt werden. Auch auf MOS-Bauelemente läßt sich die Vorstellung von einer Bandverbiegung an der Grenze zwischen Halbleiter und Isolator anwenden. Für das Beispiel p-dotierten Halbleitermaterials lassen sich die in Abb. 2.10 skizzierten drei Fälle (a) Anreicherung von Löchern; (b) Verarmung von Löchern und (c) Inversion (Anreicherung von Elektronen) danach unterscheiden, ob die Oberflächenladung ȥ an der Grenzfläche Halbleiter-Isolator größer oder kleiner ist als das Potential ij im Inneren des Halbleiters. Es gilt: ȥȥ>0 Verarmung ȥ>ij Inversion 2.1.2 Optik und Spektroskopie Wechselwirkung Strahlung und Materie Wenn durch optische Messungen eine analytisch-chemische Information entstehen soll, muß es eine Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie geben. Die für Sensoren bei weitem wichtigste Strahlung sind die elektromagnetischen Wellen. Tabelle 2.1 Farben im sichtbaren Spektrum
Wellenlänge nm 750,00 620,00 600,00 580,00 500,00 440,00 400,00 230,00
Farbe
Frequenz Fresnel
Rot Orange Gelb Grün Blau Violett Nahes UV Fernes UV
400,00 484,00 500,00 517,00 600,00 682,00 750,00 1305,00
Wellenzahl -1 (cm ) 13,34 16,14 16,67 17,24 20,00 22,75 25,00 43,50
Strahlung kann grundsätzlich in zweierlei Weise mit Materie in Wechselwirkung treten, nämlich entweder ohne Energieverlust (elastische Wechselwirkung)
26
2 Grundlagen
oder indem ein Verlust an Energie eintritt (nichtelastische Wechselwirkung). Die elastischen Wechselwirkungen wie Reflexion und Refraktion (Brechung) liefern Informationen über die optischen Eigenschaften von Proben. Da diese von der Zusammensetzung abhängen, lassen sich in einigen Fällen solche Wechselwirkungen in chemischen Sensoren nutzen. Sehr viel umfangreicher sind Nutzungsmöglichkeiten der nichtelastischen Wechselwirkungen, wie in der Übersicht in Abb. 2.11 angedeutet wird. In der Abbildung steht die energiereichste Strahlung unten. Man Änderung Änderung der der Orientierung Konfiguration
Änderung des Spins
Art der Wechselwirkung
Wellenzahl, cm
10
-1
10m
-2
1m
Änderung der Elektronenverteilung
4
6
1
100
10
1cm
100μm
1μm
Änderung der Kernkonfiguration 8
10
10
10nm
100pm
Wellenlänge Frequenz, Hz Energie, J/mol Art der Spektroskopie
3·10 10
6
-3
NMR
8
10
3·10
-1
10
ESR
12
3·10
3·10
10
10
Mikrowellen
3
14
3·10
5
10
Infrarot
Sichtbar und UV
16
3·10 7
10
Röntgen
18
3·10
9
10
J-Strahlen
Abb. 2.11 Das elektromagnetische Spektrum und seine analytisch nutzbaren Bereiche
kann für die Ordinate verschiedene äquivalente Skalen wählen. Ein wachsender Energiegehalt der zugehörigen Strahlungsquanten entspricht zunehmender Frequenz der Strahlung bzw. sinkendem Wert der Wellenlänge. Das vom menschlichen Auge wahrgenommene sichtbare Licht ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum (Tabelle 2.1). Die Wellenlängen des sichtbaren Lichts liegen zwischen 380 nm und 780 nm. Nichtelastische Wechselwirkung entspricht der Absorption von Photonen durch das untersuchte Medium. Der von den Photonen in das Molekül eingebrachte Energiebetrag kann vielfältige Vorgänge im untersuchten Medium anregen. Die energieärmste Strahlung bringt nur Änderungen der Rotation von Molekülen hervor, es folgt die Anregung von Schwingungen, danach die Änderung von Energieniveaus in den Elektronenhüllen von freien Atomen oder von gelösten Molekülen bzw. Ionen. Ganz am Ende der Skala stehen sehr energiereiche Strahlen, die auch Vorgänge im Atomkern anzuregen vermögen. Allen genannten Wechselwirkungen entsprechen bestimmte instrumentelle Analysentechniken. Für die chemischen Sensoren sind die wesentlichsten Impulse von der Spektroskopie im ultravioletten und sichtbaren Bereich (UV-Vis-Spektroskopie) sowie im infraroten Bereich (IRSpektroskopie) ausgegangen. Es gibt aber auch Ansätze, andere Techniken nutzbar zu machen. In einigen Fällen ist dies nicht sinnvoll. Da man bei Sensoren voraussetzen muß, daß sie direkt mit der Umgebung in Kontakt kommen sollen, ohne daß Proben genommen und aufwendig behandelt werden müssen, scheiden z.B.
2.1 Sensor-Physik
27
die Methoden der Atomspektroskopie aus. Bis auf wenige Ausnahmen liegen Proben nicht im atomaren Zustand vor. Sie müßten, um mit den Methoden der Atomspektroskopie untersucht werden zu können, durch Zufuhr thermischer Energie in ein Atomplasma umgewandelt werden. Das kann man sich bei einem Sensor nicht gut vorstellen. Die Aufnahme oder Abgabe von Photonen ist mit energetischen Änderungen im Molekül verbunden. Man geht von der Vorstellung aus, daß das Molekül einen Grundzustand besitzt. Jeder aufgenommene Energiebetrag führt zu angeregten Zuständen, die sich symbolisch als Niveaus in einem Energieniveauschema darstellen lassen. Bei der Rückkehr der Elektronen in den Grundzustand werden Photonen emittiert (Abb. 2.12).
Energie
thermische Anregung
Atomemission
O1
500
Ca K MgOHBanden
Na 330nm
400
thermische Anregung
600
Na 590nm
Energie
Na 598nm
O2
O1 O2 molekulare Emission
Abb. 2.12 Energieniveauschemata von Atomen und Molekülen und zugehörige Emissionsspektren
Optische Spektren (die zweidimensionale Darstellung einer Intensitätsgröße wie Lichtabsorption oder –emission gegen eine Energieskala wie Wellenlänge oder Frequenz) können sehr unterschiedlich aussehen. Linienspektren entstehen nur wenn freie Atome beteiligt sind. Hier befinden sich wenige diskrete angeregte Energieniveaus in weitem Abstand voneinander. Entsprechend können nur Lichtquanten mit sehr schmaler Bandbreite absorbiert oder emittiert werden. Diese erscheinen in einem klassischen Spektroskop als Spektrallinien. Alle übrigen Spektren sind Bandenspektren mit mehr oder weniger breiten Absorptions- oder Emissionsmaxima, den spektralen Banden. Die Breite dieser Banden und ihre Feinstruktur hängt davon ab, wie eng die Unterniveaus der angeregten Zustände
28
2 Grundlagen
im Molekül beieinanderliegen. Je geringer die Abstände, desto größer wird die Zahl der möglichen Zustände und als Konsequenz daraus die Breite der Banden. Spektren isolierten Moleküle sind demzufolge schmalbandiger als Spektren gelöster Moleküle, bei denen weitere Wechselwirkungen, z.B. mit dem Lösungsmittel, hinzukommen. Tabelle 2.2 Wichtige spektrale Bereiche für optische Sensoren
Bereich
λ / nm
Ultraviolett (UV) Visuell (Vis) Nahes Infrarot (NIR) Infrarot (IR)
200–380 380–780 780–3000 3000–50000
ν / cm -1
h·ν / eV
50000–26000 26000–13000 13000–3100 3300–200
6,2–3,3 3,3–1,6 1,6–0,4 0,4–0,025
Da nicht alle Arten der Spektroskopie sinnvoll in chemischen Sensoren nachvollzogen werden können, sind auch nicht alle Wellenlängenbereiche der Spektroskopie für Sensoren wichtig. Bedeutungsvoll für Sensoren sind die in Tabelle 2.2 genannten Bereiche. Die Bedeutung der Symbole ist: λ Wellenlänge; ν = λ −1 Wellenzahl; ν Frequenz. Das Produkt h ν entspricht der Energie der zugehörigen Photonen. Vom praktischen Standpunkt aus lassen sich folgende Möglichkeiten für die Wechselwirkung von Strahlung mit Materie, d.h. mit einer analytischen Probe unterscheiden (Abb. 2.13): • Reflexion (diffus oder gerichtet, je nach Beschaffenheit der Grenzflächen • Brechung (Refraktion) • Absorption • Streuung einschließlich der Fluoreszenz und Phosphoreszenz
Abb. 2.13 Möglichkeiten der Einwirkung Reflexion, Brechung, Absorption und Streuung
Detektor
Lichtquelle
Probe
von
Strahlung
auf
eine
Alle diese Möglichkeiten werden auch in optischen Sensoren genutzt.
Probe:
2.1 Sensor-Physik
29
Bevor auf einzelne Erscheinungen eingegangen wird, ist es zweckmäßig, einige strahlungstechnische Größen zu definieren. Strahlungsleistung und Intensität. Die Strahlungsleistung bzw. der Strahlungsfluß (meist mit dem Symbol ĭ bezeichnet) ist die Energiemenge, die pro Zeiteinheit abgestrahlt wird, gemessen in Watt. Diese Größe wird von Strahlungsdetektoren gemessen. In der Optik ist es üblich, die auf ein Flächenelement dA fallende bzw. von einem Flächenelement dA ausgesandte Strahlungsleistung dĭ/dA als Intensität I zu bezeichen. Hier besteht Verwechslungsgefahr mit der auf den Raumwinkel ȍ bezogenen Strahlungsleistung dĭ/dȍ, der Strahlstärke, für die auch das Symbol I gebräuchlich ist. Durchlässigkeit (Transparenz). Die Durchlässigkeit ist definiert als Quotient aus den Strahlungsleistungen in einem Strahl nach Verlassen eines durchstrahlten Körpers (P) und vor Eintritt in diesen Körper (P0): Traditionell wird, besonders in der analytischen Chemie und der Sensorik, der Quotient der entsprechenden Intensitäten I und I0 zur Definition der Transparenz benutzt, wie in Gl. (2.3). Dies führt nicht zu Fehlern, sofern man, wie üblich, mit engen Strahlenbündeln arbeitet. I (2.3) T I0 Extinktion (Absorbanz). Die Extinktion oder Absorbanz ist definiert als der dekadische Logarithmus aus dem Reziprokwert der Durchlässigkeit: I 1 (2.4) E log 0 log I T
Reflexion und Brechung
n1>n2 n2 n1
Di = Dr E
Brechung
Di Dr Reflexion
Abb. 2.14 Brechung und Reflexion eines Lichtstrahls an der Grenze zweier Medien mit unterschiedlichen Brechungsindizes
Ein Lichtstrahl, der auf die Grenze zwischen einem optisch dichteren und einem optisch dünneren Medium trifft, ändert seine Richtung. Je nach dem Einfallswinkel des Strahls Įi führt das entweder zur Brechung oder zur Totalreflexion (Abb. 2.14).
30
2 Grundlagen
Der Lichtstrahl wird entsprechend dem Snelliusschen Gesetz (2.5) gebrochen. Dort bedeuten n1 den Brechungsindex des optisch dünneren Mediums, n2 den des optisch dichteren, Įi den Einfallswinkel und ȕ den Ausfallswinkel. n1 sin D i
n2 sin E
(2.5)
Wenn der Einfallswinkel Įi auf einen bestimmten Wert steigt, nämlich den sogenannten kritischen Winkel Įc, dann wird das gesamte einfallende Licht parallel zur Grenzfläche reflektiert. Für die Grenzfläche Wasser-Luft hat Įc den Wert 43,75°. Für die Bedingung Įi > Įc wird das einfallende Licht zum dichteren Medium hin reflektiert. Dies ist der Fall der Totalreflexion. Die Erscheinungen von Reflexion und Brechung sind von Bedeutung für zwei Gesichtspunkte bei chemischen Sensoren. Der Brechungsindex von Flüssigkeiten hängt von ihrer Zusammensetzung ab. Mit Mikrorefraktometern aus lichtleitenden Fasern kann diese gemessen werden. Ein anderer Aspekt sind die Lichtleitfasern selbst. Wie weiter unten beschrieben wird in diesen optischen Leitern durch Kombination eines Kerns aus optisch dichterem mit einem Mantel aus optisch dünnerem Material erreicht, daß einfallendes Licht durch interne Totalreflexion in diesen Fasern eingeschlossen bleibt und auf diese Weise an beliebige Stellen „geleitet“ werden kann. Lichtleiter sind von außerordentlicher Bedeutung für den Bau von optischen chemischen Sensoren. An der Grenzschicht zwischen Medien unterschiedlicher Lichtbrechung tritt außer den erwähnten Erscheinungen noch die sogenannte Evaneszenz auf. Wichtig ist folgender Fall: Der vom dichteren Medium kommende Strahl wird an der Grenzfäche nach innen gebrochen. Eigentlich sollte dies verlustfrei geschehen, was zur Voraussetzung hätte, daß keinerlei Strahlungsenergie in das dünnere Medium eindringt. Tatsächlich ist es aber so, daß sich an der Berührungsstelle der Medien eine stehende Welle aus dem reflektierten und dem einfallenden Strahl ausbildet. Das zugehörige elektrische Feld heißt Evaneszenzfeld. Es dringt eine gewisse Distanz in das optisch dünnere Medium ein und kann mit ihm in Wechselwirkung treten. Die Eindringtiefe kann aus (2.6) berechnet werden. dp
O
(2.6)
2 1
2S n sin 2 D i n22
Die Eindringtiefe liegt für sichtbares Licht mit den üblichen Materialien bei etwa 100 bis 200 nm. Sie hängt in erster Linie von der Wellenlänge Ȝ des einfallenden Lichts ab. Das ist bedeutungsvoll für chemische Sensoren, bei denen die evaneszenten Wellen zur Gewinnung analytischer Signale genutzt werden. Absorption, Photolumineszenz und Chemilumineszenz Ein genauerer Blick auf die weiter oben erwähnten Energieniveaudiagramme offenbart, daß zahlreiche Prozesse beteiligt sind, wenn elektromagnetische Wellen mit Molekülen in Wechselwirkung treten (Abb. 2.15).
2.1 Sensor-Physik
31
Im Grundzustand liegen die Elektronen des Moleküls spingepaart als Singulett vor. Je nach der Orientierung der Elektronenspins können die angeregten Zustände von Molekülen Singulett- oder Triplett-Zustände sein (Abb. 2.16). Zum angeregten Zustand des Moleküls gehört eine Vielzahl von Unterniveaus, die Schwingungszuständen entsprechen (links in Abb. 2.15). Benachbarte angeregte Zustände können sich überlappen, wie im Beispiel für die Niveaus S1 und S2 angedeutet. Die Anregung vom Grundzustand zu einem dieser Niveaus durch -15 Energieaufnahme ist gewöhnlich ein sehr schneller Vorgang und läuft in 10 Sekunden ab. Angeregte Singulettzustände Interne Umwandlung S2
Schwingungsrelaxation
Angeregtes Triplett Intersystem Crossing
Energie
S1
T1
Absorption Fluoreszenz
Phosphoreszenz
S0 Grundzustand
O2
O1
O3
O4
Abb. 2.15 Prozesse bei der Einwirkung elektromagnetischer Wellen auf Moleküle
Die angeregten Zustände verlieren gewöhnlich sehr schnell Energie durch strahlungslose Relaxation. Eine interne Umwandlung (wie in Abb. 2.15) beim Übergang von S2 nach S1) findet statt, wenn sich zwei Elektronenniveaus so überlappen, daß Schwingungszustände des unteren Niveaus angeregt werden können. Fluoreszenz findet statt, wenn ein Molekül vom untersten Niveau des angeregten Zustandes in einen der Schwingungszustände des Grundzustandes zurückkehrt und dabei Licht abstrahlt, dessen Wellenlänge höher ist als die der anregenden -8 -6 Strahlung. Auch dieser Vorgang ist schnell und ereignet sich 10 bis 10 Sekunden nach der Anregung. Durch den Zusammenstoß angeregter Teilchen mit Gasmolekülen kann es zur Fluoreszenzlöschung kommen. Sie wird verursacht durch strahlungslose Energieübertragung vom angeregten Teilchen zum kollidierenden Gasmolekül (externe
32
2 Grundlagen
Übertragung). Sehr wichtig ist dieser Vorgang bei Sensoren für Sauerstoff. Die Fluoreszenzlöschung führt zu einer Intensitätsminderung des abgestrahlten Lichts und hängt von der Sauerstoffkonzentration ab.
Singulett Grundzustand
Singulett angeregt
Triplett angeregt Abb. 2.16 Singulett- und Triplett-Zustände in Molekülen
Die Spin-Orientierung der Moleküle wird durch die geschilderten Vorgänge nicht verändert. In einigen Fällen können aber auch Triplettzustände von einem Singulettzustand aus besetzt werden, wie beim Übergang von S1 nach T1 in Abb. 2.15. Moleküle im Triplettzustand verlieren ihre Energie strahlungslos, oder in einigen Fällen durch Phosphoreszenz. Dies ist ein langsamer Prozeß, der bis zu 10 Sekunden dauern kann. Phosphoreszierende Proben leuchten also auch noch, wenn die Anregungslichtquelle erloschen ist. Aus dieser Verzögerung läßt sich eine Methode entwickeln, um Phosphoreszenz von Fluoreszenzerscheinungen zu unterscheiden. Der Oberbegriff für beide Phänomene ist Photolumineszenz. Atomdampf (Alkalimetall)
Extinktion
Dampf einer aromatischen Verbindung
Aromatisches Molekül in Lösung Verbindung mit zusätzlichen Molekülschwingungen, gelöst 220
260
300
Wellenlänge, nm
340
Abb. 2.17 Absorptionsspektren von Atomen, Molekülen im Gasraum und gelösten Molekülen
Absorption. Sehr wichtig für chemische Sensoren ist die Absorption elektromagnetischer Strahlung, insbesondere des sichtbaren Lichts. Entsprechend der Viel-
2.1 Sensor-Physik
33
zahl eng beieinanderliegender Schwingungsniveaus absorbieren Moleküle breitbandig. Beispiele typischer Absorptionsspektren zeigt Abb. 2.17. Zum Vergleich ist auch das Linienspektrum eines Atomdampfs mit angeführt. Beim Vergleich der Absorptionsspektren von Gasmolekülen mit denen in Lösung wird deutlich, daß wegen der größeren Anzahl von Wechselwirkungsmöglichkeiten im gelösten Zustand eine weitere Verbreiterung der Banden eintritt. Eine noch weitergehende Verbreiterung ergibt sich beim Übergang zu Molekülen mit leicht beweglichen ʌ-Elektronen, wie das am Unterschied zwischen Benzol und Biphenyl (Kurve ganz unten) sichtbar wird. Der quantitative Zusammenhang der Lichtabsorption mit der Konzantration gelöster, farbiger Spezies ist lange bekannt. Von Lambert wurde zuerst beschrieben, daß monochromatisches Licht, das durch einen lichtabsorbierenden Körper fällt, in seiner Intensität abnimmt, und zwar logarithmisch, wenn die Weglänge des durchstrahlten Körpers linear zunimmt. Beer stellte fest, daß die Durchlässigkeit einer farbigen, lichtabsorbierenden Lösung eine exponentielle Funktion der Konzentration des gelösten, absorbierenden Stoffes ist. Beide Gesetzmäßigkeiten lassen sich zusammenfassen. Die resultierende Gleichung ist unter dem Namen Lambert-Beersches Gesetz bekannt (2.7).
Lichtintensität
E
'O
(2.7)
H d c
'O
Wellenlänge O
Abb. 2.18 Zustandekommen der Abweichung vom Lambert-Beerschen Gesetz durch Verwendung nicht monochromatischer Strahlung. Breitbandiges Licht wird prozentual weit weniger geschwächt als schmalbandiges.
Die Größe İ ist der molare Extinktionskoeffizient (molare Absorptivität), ge-1 -1 messen in l·mol ·cm . Unter d versteht man die Schichtdicke der Probe (in cm), -1 und c ist die Konzentration der gelösten absorbierenden Substanz in mol·l . Das Lambert-Beersche Gesetz ist die Grundlage vieler photometrischer Analysenmethoden. Das Gesetz gilt unabhängig davon, in welcher Phase sich der Analyt befindet, ob er aus gelösten Molekülen oder Ionen besteht oder ob es sich um freie
34
2 Grundlagen
Anregungswellenlänge, nm 300 350 400
Fluoreszenzintensität
Fluoreszenzintensität
Phosphoreszenz
Fluoreszenz
relative Intensität
Emission
Atome in einem Gasplasma handelt. Ausschlaggebend ist, daß elektromagnetische Strahlung absorbiert wird. Extinktionskoeffizienten nehmen oft hohe Werte an. Speziell synthetisierte Liganden, die stark farbige Komplexe mit Metallionen bil2 -1 den, können zu Werten um 60000 cm ·mol führen. Daraus folgt, daß mit photometrischen Messungen extreme Spurenbestimmungen möglich sind. Abweichungen vom Lambert-Beerschen Gesetz äußern sich in mangelnder Linearität, wenn die Extinktion als Funktion der Konzentration aufgetragen wird. Das kann chemische Ursachen haben, wenn sich z.B. mit Änderung der Konzentration die Lage eines chemischen Gleichgewichtes ändert. Die weitaus häufigste Ursache für mangelnde Linearität ist jedoch die Verwendung polychromatischen Lichts anstatt der notwendigen monochromatischen Strahlung. Dies kann auch bei chemischen Sensoren ein Problem sein. Bei Sensoren, die dezentralisiert, vor Ort und in Umweltmessungen eingesetzt werden sollen, kann man oft nicht den instrumentellen Aufwand treiben, der in spezialisierten photometrischen Laboratorien möglich ist. Statt aufwendiger und teurer Gittermonochromatoren muß man oft mit Halbleiter-Lichtquellen auskommen. Man muß sich bewußt sein, daß man damit Abweichungen vom Lambert-Beerschen Gesetz in Kauf nimmt. Zur Erklärung dieses Phänomens soll schematisch die Absorptionsbande eines gelösten Moleküls betrachtet werden (Abb. 2.18). Als Ausdruck dafür, ob die Strahlung monochromatisch genannt werden darf oder nicht, dient die spektrale Auflösung des Monochromators ǻȜ.
200
300 400 500 Wellenlänge, nm
600
300 350 400 Emissionswellenlänge, nm
Abb. 2.19 Links: Molekülspektren des Phenanthrens. Rechts: Fluoreszenzspektren von 1 ppm Anthracen in Ethanol. Rechts oben Anregungsspektrum; rechts unten Emissionsspektrum
Wenn, wie im Bild Abb. 2.18 gezeigt, die Breite des Absorptionspeaks der farbigen Substanz, gemessen bei halber Peakhöhe (b1/2) vergleichbar mit ǻȜ ist, dann
2.1 Sensor-Physik
35
wird das Messergebnis der Lichtintensität I zu klein. Weniger gravierend wird dieser Einfluß bei breiten Absorptionspeaks. Photolumineszenz. Die am Anfang dieses Abschnittes eingeführten Lumineszenzphänomene sind die Grundlage äußerst empfindlicher chemischer Sensoren. Gemessen wird die Intensität der Strahlung, die von Molekülen emittiert wird, wenn sie aus dem angeregten in den Grundzustand zurückkehren. Im Gegensatz zu Absorptionsmessungen kann man bei Lumineszenzuntersuchungen die Intensitätsmessung um 90° verdreht gegenüber der Richtung des Anregungs-Strahles vornehmen, da die emittierte Strahlung normalerweise nicht gerichtet in alle Raumrichtungen ausgesandt wird. Durch diese Art der Messung blickt das Instrument gegen einen dunklen Hintergrund, was zu einem sehr günstigen SignalRausch-Verhältnis führt. Nachweisgrenzen im ppb-Bereich sind ohne weiteres erreichbar. Die Signale sind über weite Strecken konzentrationsproportional. Für die Fluoreszenzintensität If gilt der Zusammenhang in Gl. (2.8). If
2,303 M f I 0 H d c
(2.8)
Intensität
In (2.8) bedeuten ijf den Bruchteil der Photonen die Fluoreszenz hervorrufen, I0 die Intensität der Anregungsstrahlung, İ den Extinktionskoeffizienten und d die Weglänge der Strahlung durch das Medium.
Emissionswellenlänge
Abb. 2.20 Anregungs/Fluoreszenzspektren von zwei aromatischen Verbindungen
Fluoreszenz tritt besonders bei Aromaten mit ʌ-ʌ*-Übergängen (konjugierte Chromophore) auf. Die Wellenlänge verschiebt sich mit zunehmendem Kondensationsgrad der Aromaten zu niedrigeren Wellenlängen. Dies zeigt sich, wenn man in der homologen Reihe vom Benzol über Naphthalin zum Anthracen geht. Typische Fluoreszenzspektren zeigt Abb. 2.19. Das Bild zeigt, daß sich Anregungs/ Absorptionsspektren häufig ähnlich wie das Spiegelbild der Emissionsspektren verhalten. Eine dreidimensionale Auftragung mit der Emissionswellenlänge als xAchse und der Anregungswellenlänge als y-Achse (Abb. 2.20) erleichtert die Identifizierung bestimmter Verbindungen, die sich im Bild gut als Muster erkennen lassen.
36
2 Grundlagen
Phosphoreszenz gibt es bei einigen Pestiziden, Enzymen und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Die Messung muß normalerweise bei sehr niedrigen Temperaturen erfolgen, um strahlungslose Abklingprozesse zu unterdrücken. Für chemische Sensoren sind daher eher einige bei Raumtemperatur beobachtbare Phosphoreszenzerscheinungen interessant. Sie kommen vor bei Substanzen, die an eine Festkörperoberfläche adsorbiert sind. Die adsorptive Bindung kann zur Stabilisierung des Triplettzustandes führen. Die Chemilumineszenz ist im Gegensatz zu den bisher behandelten Phänomenen keine rein physikalische Erscheinung. Sie tritt auf, wenn die bei einer chemischen Reaktion entstehende Energie in Form von Strahlung abgegeben wird. Das Reaktionsgefäß wird selbst zur Lichtquelle, so daß zur Beobachtung lediglich ein Monochromator und ein Lichtempfänger notwendig sind. Ein praktisch wichtiges System ist die Reaktion von Stickoxid mit Ozon gemäß NO + O 3 o NO*2 + O 2 Mit dem Zeichen * gekennzeichnete NO*2 o NO 2 hQ
Moleküle befinden sich im angeregten Zustand
Diese Reaktion ist wichtig für die Bestimmung von NO-Spuren in der Atmosphäre. O NH NH NH2
O
Abb. 2.21 Luminol
Ozon kann durch die Chemilumineszenz seiner Reaktion mit dem an Silikagel adsorbierten Farbstoff Rhodamin B bestimmt werden. Wichtig ist die Chemilumineszenz von Sauerstoff und Wasserstoffperoxid mit Luminol (Abb. 2.21). Durch Kopplung mit enzymatischen Reaktionen können hochsensitive und äußerst spezifische Sensoren realisiert werden. Beispiele hierfür werden im Kap. 8 gegeben. In Biosensoren wurde die Chemilumineszenz von Oxidase-katalysierten Reaktionen genutzt, z.B. die Oxidation von Glucose unter Mitwirkung von Glucoseoxidase (GOx): GOx ȕ-D-Glucose + O 2 o ȕ-Gluconsäure + H 2 O 2 Peroxidase 2 H 2 O 2 + Luminol o 3-Aminophthalat + N 2 + 3H 2 O+hȞ
2.1.3 Piezoelektrizität und Pyroelektrizität Der piezoelektrische Effekt wurde schon im 19. Jahrhundert von den Brüdern Curie entdeckt. Wenn bestimmte Kristalle, wie etwa der Į-Quarz, zusammengedrückt werden, dann bildet sich zwischen gegenüberliegenden Flächen eine abklingende Spannung aus. Wenn der Druck aufhört, entsteht wieder eine Spannung, diesmal
2.1 Sensor-Physik
37
mit umgekehrtem Vorzeichen. Umgekehrt führen von außen angelegte elektrische Spannungen zu Deformationen des Kristalls. Bringt man Kristalle dieser Art in einen Rückkopplungskreis, dann können sie permanent zu Schwingungen angeregt werden. Die Frequenz dieser Schwingungen ist sehr stabil. Sie hängt fast ausschließlich von der Masse des Kristalls ab und ist nur wenig temperaturempfindlich. Quarzkristalle finden daher als Schwingungsnormale Verwendung, z.B. in den weit verbreiteten Quarzuhren. In chemischen Sensoren wird eine Frequenzmessung genutzt, um feinste Masseänderungen des Schwingquarzes zu bestimmen. In die Masse gehen auch dünne Schichten aus fremden Materialien ein. Damit kommt man zur sogenannten Quarz-Mikrowaage als Grundlage der massensensitiven chemischen Sensoren. Einzelheiten dazu werden im Kap. 4 behandelt. Für Quarzkristalle, die in der am häufigsten verwendeten Richtung (ATSchnitt) geschnitten sind und mechanisch in der günstigsten Schwingungsrichtung betrieben werden, gilt die Sauerbrey-Gleichung (2.9), aus der hervorgeht, wie sich die Frequenz f mit der Masse m eines dünnen Films auf dem Kristall ändert. 1 'm (2.9) 'f f 02 Um k f A In dieser Gleichung bedeuten ǻm die Massenänderung des dünnen Films, f0 die Resonanzfrequenz, ȡ die Dichte und A die Querschnittsfläche des Kristalls. kf ist die sog. Frequenzkonstante, die unter den oben genannten Bedingungen 168 kHz/cm beträgt. Gl. (2.9) zeigt, daß sehr große Werte der Frequenzänderung ǻf für relativ kleine Masseänderungen ǻm erwartet werden können. Setzt man ǻf in Hertz, f0 in Mega2 hertz, ǻm in Gramm und A in cm ein, dann nimmt die Gleichung die folgende Form an: 'm (2.10) 'f 2,3 106 f 02 A 2
Eine Massenänderung von 10 ng/cm bringt an einem mit der Grundfrequenz f0=10 MHz schwingenden Kristall also eine Frequenzänderung von 2,3 Hz hervor. Eine solche Änderung ist problemlos mit hoher Präzision meßbar. Der pyroelektrische Effekt ist mit dem piezoelektrischen Effekt verwandt. Verformungen führen auch hier zur Ausbildung von elektrischen Spannungen. Solche Spannungen werden an Pyroelektrika aber auch durch Temperaturänderungen hervorgerufen. Pyroelektrika sind bestimmte ferroelektrische Materialien, also solche mit einem permanenten Dipolmoment. Körper aus diesen Materialien haben zwei elektrisch unterschiedliche Seiten, eine positivere und eine negativere. Die damit verbundene Oberflächenladung ist normalerweise nicht meßbar. Eine Temperaturänderung führt zu einer Änderung der Gitterabstände und damit des Dipolmoments. Es entsteht eine Überschußladung, die als Strom meßbar ist. Dieser Strom gehorcht unter bestimmten Bedingungen der Gleichung dT (2.11) I p A dt
38
2 Grundlagen
wobei A die Fläche des Sensors und p der Temperaturkoeffizient des internen Dipols, der sog. pyroelektrische Koeffizient sind. Dieser ist bei manchen Materialien selbst eine Funktion der Temperatur, so daß die Messung von der herrschenden Umgebungstemperatur abhängig wird. Bei dem überwiegend verwendeten Lithiumtantalat ist die Temperaturabhängigkeit des Koeffizienten vernachlässigbar. -9 -2 -1 Für dieses Material liegt p bei Werten von etwa 6ǜ10 As cm K .
2.2
Sensor-Chemie
2.2.1 Chemisches Gleichgewicht Die wichtigste theoretische Grundlage der analytischen Chemie ist die Lehre vom chemischen Gleichgewicht. Seit etwa 350 Jahren versuchen Chemiker etwas über die Zusammensetzung von Stoffgemischen zu erfahren, indem sie chemische Reaktionen ausführen. Dabei kommt es im wesentlichen darauf an, chemische Gleichgewichte geschickt auszunutzen. Das chemische Gleichgewicht ist ein dynamisches Gleichgewicht. Auch wenn ein Stoffsystem im Gleichgewicht ist, d.h. nach außen hin Ruhe herrscht, hört die Bewegung keineswegs auf. Moleküle vereinigen sich, werden wieder gespalten, insgesamt entsteht aus den Ausgangsstoffen eine ebenso große Menge an Produkten wie Ausgangsstoffe aus den Produkten gebildet werden. Zur theoretischen Beschreibung des chemischen Gleichgewichts und zur Formulierung seiner Gesetze gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Modellvorstellungen: die kinetische und die thermodynamische. Beide führen zum gleichen Ergebnis. Zur Kennzeichnung der quantitativen Zusammensetzung von Stoffgemischen sind die folgenen Größen wichtig: n die Stoffmenge, gemessen in mol. Ein Mol ist eine Zählgröße. Es bezeichnet eine sehr große Anzahl von Teilchen, nämlich 23 6,022·10 Stück. Diese Anzahl von Molekülen ist z.B. in 12 g Kohlenstoff oder in 197 g Gold oder in 2 g Wasserstoffgas enthalten. Die Bemessung von Substanzmengen nach Mol und nicht nach der Masse hat einen großen Vorteil. Man hat es dann immer mit der gleichen Anzahl Teilchen zu tun, unabhängig von deren Masse c die Stoffmengen-Konzentration (meist einfach „Konzentration“), -1 gemessen in mol·l Ein manchmal bevorzugtes alternatives Konzentrationsmaß ist
2.2 Sensor-Chemie
x
nB nA nB
39
der Stoffmengenanteil („Molenbruch“), z.B. für einen gelösten
Stoff B im Lösungsmittel A. Dieses Konzentrationsmaß ist im Gegensatz zu c dimensionslos Sehr wichtig ist a = f·c die Aktivität, eine „korrigierte Konzentration“ mit dem Faktor f, dem Aktivitätskoeffizienten. Aktivitäten werden in den gleichen Einheiten angegeben wie Konzentrationen. Für kleine Konzentrationwerte gilt annähernd f | 1 und damit a | c. Aktivitäten hängen in Elektrolytlösungen sehr stark von den Konzentrationen aller vorhandenen Ionen und von deren Ladungszahl ab. Sie können in einigen Fällen berechnet werden, wenn die Ionenstärke I bekannt ist. dn / mol s 1 ist stets von den Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen v dt gerade vorhandenen Konzentrationen der Ausgangsstoffe und der Endprodukte abhängig. Für eine einfache Reaktion im Gasraum wie etwa die Reaktion von Joddampf mit Wasserstoffgas zu Jodwasserstoff G G H 2 + I 2 o 2 HI gilt v k c H 2 c I2 , während man für die umgekehrte Reaktion H H 2 HI o H 2 + I 2 schreiben kann v k c 2 HI . Die hochgestellten Symbole o und m bezeichnen die Reaktionsrichtung, also eine Vorwärts- und Rückwärtsreaktion. G H k und k , die Geschwindigkeitskonstanten der Reaktion, hängen nur von der Temperatur ab. Es hat also Sinn, in der Reaktionsgleichung statt eines Pfeiles den Doppelpfeil ZZX zu verwenden: R oder YZZ H 2 I 2 R 2 HI
Im Gleichgewicht sind die Geschwindigkeiten der Vorwärts- und der Rückwärtsreaktion gleich: G H v v G H k c H 2 c I 2 k c 2 HI . Daraus folgt : H k G K und schließlich k
K
c 2 HI c I2 c H 2
(2.12)
40
2 Grundlagen
Reaktionsgeschwindigkeiten
Gl. (2.12) ist unter dem historischen Namen Massenwirkungsgesetz (MWG) bekannt. Es besagt, daß der Quotient aus den Produkten der Konzentrationen der Endprodukte und dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe (unter Berücksichtigung der stöchiometrischen Faktoren, also der Zahlen vor den chemischen Formelzeichen in der Reaktionsgleichung) im Gleichgewicht eine Konstante ist. Die bis hierhin gegebene Begründung dieses wichtigen Naturgesetzes ist keine Herleitung im strengen Sinne. Auch können Geschwindigkeitsgesetze andere Formen annehmen als für das Beispiel Jod-Wasserstoff-Reaktion. Das ändert nichts an der Richtigkeit der Überlegungen. Wenn wir von einem gegebenen Molekülvorrat an Ausgangsstoffen ausgehen, dann muß die Reaktionsgeschwindigkeit der Vorwärts-Reaktionam Anfang groß
H2 +I2 o 2 HI
2 HI o H2 + I2 Zeit
Abb. 2.22 Verlauf der Reaktionsgeschwindigkeiten für einen Satz von Ausgangskonzentrationen
sein und dann immer weiter abnehmen. Genau umgekehrt muß es sich mit der Rückwärts-Reaktion verhalten (Abb. 2.22). Das Massenwirkungsgesetz läßt sich auch aus der Vorstellung entwickeln, daß zu einem bestimmten Ausgangszustand, also zu einem Satz von Ausgangskonzentrationen, eine Triebkraft für die betreffende Reaktion formuliert werden kann. So wie in der Elektrotechnik ein Strom die Folge der „Triebkraft“ Spannung ist, wird in der Chemie die Reaktionsgeschwindigkeit die Folge einer „chemischen Triebkraft“. Da diese gesuchte Größe offensichtlich von den Konzentrationen der reagierenden Stoffe abhängt, muß sie am Anfang groß sein, dann abnehmen und im Gleichgewicht schließlich Null werden. Die Triebkraft heißt Freie Reaktionsenthalpie ǻRG und ist eine Funktion der Konzentrationen der reagierenden Stoffe. Es gilt 'RG
' R GT R T ln f cQi i ș
(2.13)
In dieser Gleichung sind ǻRG und R Konstanten. Die stöchiometrischen Koeffizienten Ȟi erscheinen mit positivem Vorzeichen für entstehende (Endprodukte) und mit negativem für verschwindende Stoffe (Ausgangsstoffe). Der Operator bedeutet: Bilde das Produkt aller Werte... In die Sprache unseres Beispiels i
übersetzt bedeutet dies, daß der folgende Ausdruck entsteht:
2.2 Sensor-Chemie
' R GJod Wasserstoff Rk .
T ' R GJod Wasserstoff Rk . R T ln
f HI2 c 2 HI
41
(2.14)
f I2 f H 2 c I2 c H 2
Im Gleichgewicht ist die „Triebkraft“ ǻRG der Reaktion Null. Wenn auch die Temperatur als konstant angenommen wird, und zur Vereinfachung gesetzt wird a = c, dann muß auch der im Logarithmus stehende Ausdruck eine Konstante sein, und wir erhalten wieder die auf kinetischem Wege begründete Gleichung für das Massenwirkungsgesetz, nämlich Gl. (2.12). 2.2.2 Kinetik und Katalyse
Im vorangegangenen Abschnitt wurde der Begriff der Reaktionsgeschwindigkeit dn v verwendet. Es ist leicht vorstellbar, daß Reaktionsgeschwindigkeiten von dt den Konzentrationen der reagierenden Stoffe abhängen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß Moleküle zusammenstoßen und dadurch die Möglichkeit zur Reaktion bekommen, hat etwas mit der Menge der vorhandenen Moleküle zu tun. Die Chemische Kinetik beschäftigt sich als Teilgebiet der Physikalischen Chemie mit den Gesetzmäßigkeiten, nach denen chemische Reaktionen ablaufen. Das Zeitgesetz einer Reaktion sagt etwas darüber aus, in welcher Weise Reaktionsgeschwindigkeiten von den Konzentrationen der reagierenden Stoffe abhängen. Für die folgende Reaktion A + B o AB könnte auf experimentellem Wege z.B. folgende Abhängigkeit gefunden worden sein: dn A (2.15) v1 k c A dt oder dn A (2.16) v2 k c c 2 A c B dt Im Falle der Gl. (2.15) würde es sich, da die Konzentration in der ersten Potenz steht, um eine Reaktion erster Ordnung handeln. Die Reaktion in Gl. (2.16) hingegen ist eine Reaktion erster Ordnung bezüglich B und eine Reaktion zweiter Ordnung bezüglich A. Die Triebkraft einer chemischen Reaktion entscheidet nicht allein über die Geschwindigkeit, mit der Stoffe reagieren. Eben so wichtig sind die Reaktionshemmungen. Stoffe, die solche Hemmungen aufheben, ohne selbst durch die Reaktion verändert zu werden, sind Katalysatoren. Bereits kleinste Mengen dieser Substanzen können eine Reaktion sehr stark beschleunigen. Reaktionshemmungen können als Energiebarriere betrachtet werden. Damit eine Reaktion in Gang kommen kann, muß zunächst diese Barriere überwunden werden. Wenn erst diese Energie, die sog. Aktivierungsenergie, aufgebracht wurde, läuft die Reaktion spontan weiter. Katalysatoren senken den Wert der Aktivierungsenergie.
42
2 Grundlagen
Für die Anwendungen in chemischen Sensoren sind zwei Gesichtspunkte aus dem Gebiet der Kinetik wichtig. Erstens: Wenn Reaktionsgeschwindigkeiten von Konzentrationen abhängen, dann muß man aus der Messung von Reaktionsgeschwindigkeiten Konzentrationen bestimmen können. Zweitens: Wenn die Menge eines Katalysators die Geschwindigkeit einer Reaktion verändert, dann sollte es zumindest in manchen Fällen möglich sein, aus der Messung von Reaktionsgeschwindigkeiten die Konzentration eines evtl. anwesenden Katalysators zu bestimmen. Sensoren, deren Basis die Messung von Reaktionsgeschwindigkeiten ist, sind besonders unter den Biosensoren anzutreffen. Dort spielen Enzyme eine sehr wichtige Rolle. Enzyme sind Biokatalysatoren. Einige Ausführungen zur Kinetik enzymatischer Reaktionen werden im Abschn. 2.2.8 gegeben. 2.2.3 Elektrolytlösungen
Elektrolyte leiten den elektrischen Strom, im Unterschied zu anderen elektrischen Leitern zersetzen sie sich dabei. Der Ladungstransport wird von den Ionen getragen, die sich im elektrischen Feld bewegen können. Es gibt Elektrolytlösungen und Festelektrolyte. Viele Probelösungen, die mit Sensoren untersucht werden sollen, sind Elektrolytlösungen. In ihnen kann die Ionenkonzentration so groß sein, daß sich die Ionen gegenseitig behindern (Interionische Wechselwirkung). Daraus resultiert ein stark von 1 abweichender Wert des Aktivitätskoeffizienten f. In einem gewissen Bereich läßt sich der Wert von f aus den Konzentrationen aller in der Lösung vorhandenen Ionen berechnen. Die Wirkung dieser Ionen wird in der Ionenstärke I zusammengefaßt (Gl. (2.17)). Mit ci ist die Konzentration, mit zi die Ladungszahl eines individuellen Ions gemeint. 1 (2.17) I ¦ ci zi2 2 Für f gilt in einem begrenzten Bereich Gl. (2.18), eine Gleichung, die empirisch von Lewis gefunden wurde und später von Debye und Hückel bestätigt wurde. Für sehr stark verdünnte Lösungen, die sog. ideal verdünnten Lösungen, wird f | 1, so daß a = c gesetzt werden kann. A ist eine Konstante, die für Raumtemperatur etwa den Wert 0,5 hat. log f i
A zi2 I
(2.18)
Die Leitfähigkeit für den elektrischen Strom in Elektrolytlösungen wird von den Ionen getragen. Die Ionen wandern, jedes mit einer individuellen Geschwindigkeit v+ bzw. v-, sobald ein elektrisches Feld E angelegt wird. Der Quotient aus Wanderungsgeschwindigkeit v und Feldstärke E wird als Beweglichkeit u+ bzw. uv v der Ionen definiert: u . Beide Ionensorten tragen entsprechend und u E E ihren Beweglichkeiten zur Leitfähigkeit eines Elektrolyten bei. Die Leitfähigkeit ist meßbar. Üblich ist die Bestimmung der spezifischen Leitfähigkeit ț, die aus der meßbaren Größe Widerstand R entsteht, indem dieser auf die Abmessungen des
2.2 Sensor-Chemie
43
1 l . R A Diese Größe hängt mit den Beweglichkeiten der Ionen folgendermaßen zusammen:
elektrolytischen Leiters (l Länge und A Querschnitt) bezogen wird: N
N
¦ c F u i
u
(2.19)
ci sind die Konzentrationen der in der Lösung vorhandenen Elektrolyten in -3 -1 mol·cm . F ist die molare Ladung (Faraday-Konstante) in As·mol . Der in Gl. (2.19) gegebene Zusammenhang erlaubt die analytische Bestimmung von Konzentrationen durch Messung elektrolytischer Leitfähigkeiten. Da die individuellen Stoffkonstanten u+ und u- nicht von vornherein bei Ausführung der Messung bekannt sind, erlauben Leitfähigkeitssensoren nur eine Schätzung von Elektrolytkonzentrationen.
2.2.4 Säuren und Basen, Fällungen und Komplexe Säuren und Basen
Die Begriffe Säure und Base haben sich im Verlauf der Entwicklung gewandelt. Bis heute werden sie nicht einheitlich verwendet. Für die hier beabsichtigte Behandlung von Phänomenen in Lösungen, insbesondere in wäßriger Lösung, hat sich das Konzept von Brönsted und Lowry durchgesetzt. Es wird hier zugrunde gelegt. Danach sind Säuren durch ihre Funktion gekennzeichnet, ein Proton abgeben zu können, Basen durch die Funktion, ein Proton aufnehmen zu können. Eine chemische Reaktion kann immer nur zwischen einer Säure und einer Base stattfinden, d.h. wenn eine Säure als Säure wirken soll, muß eine Base vorhanden sein, die das Proton aufnehmen kann. Säure-Base-Reaktion: z.B. S1 + B2 R B1 + S2 HCl + NH 3R Cl- + NH +4 Da aus einer Säure immer eine Base entstehen muß, existieren stets Korrespon+ dierende Säure-Base-Paare S1/B1 und S2/B2, wie z.B. NH3/NH4 . Das Lösungsmittel Wasser kann selbst als Säure oder Base auftreten, es ist ein Ampholyt: + + H3O oder HCl + H2O R Cl +
-
NH3 + H2O R NH4 + OH Infolgedessen kann das Lösungsmittel „mit sich selbst“ reagieren, es zeigt die Erscheinung der Autoprotolyse: + H2O + H2O R H3O + OH Zu diesem Autoprotolysegleichgewicht gehört eine besondere Form des Massenwirkungsgesetzes. Setzt man die Konzentrationen der reagierenden Stoffe ge-
44
2 Grundlagen
mäß den Regeln in die Formel ein, dann geht das flüssige Wasser mit seiner nahezu unveränderlichen, hohen Konzentration ein. Man sieht es daher vereinfacht als reinen Stoff an und wendet, wie in solchen Fällen üblich, die alternative Konzentrationsgröße x (den Molenbruch) an, die für reine Stoffe den Wert 1 hat. Aus dem Massenwirkungsgesetz wird dann KW
c H 3O c OH
1014
(2.20)
Die Konstante KW, das Ionenprodukt des Wassers, hat große Bedeutung für die Chemie wäßriger Lösungen. Um etwas über den Gehalt von Wasser an Säure oder + Base auszusagen, genügt es, eine der Konzentrationen (entweder c(H3O ) oder c(OH )) anzugeben. Für diese Aufgabe hat sich der pH-Wert als sehr geeignet erwiesen. Er ist definiert als negativer dekadischer Logarithmus der Aktivität der + H3O -Ionen (Hydronium-Ionen). Sehr oft gilt vereinfacht
pH | log c H 3O
(2.21)
Die Tatsache, daß Wasser sowohl Säure- als auch Basefunktion hat, gibt die Möglichkeit, beliebige Säuren oder Basen mit Wasser als Einheitspartner reagieren zu lassen. Auf diesem Wege kann man die Stärken von Säuren und Basen miteinander vergleichen. Es ergibt sich dann immer das gleiche Reaktionsschema + S1 + H2O R B1 + H3O mit der Gleichgewichtskonstante KS, die in diesem Falle Säurekonstante heißt. Die besondere Form des Massenwirkungsgesetzes ist in Gl. (2.22) gegeben. Oft wird der negative dekadische Logarithmus der Säurekonstante angegeben, der pKSWert. KS =
c B1 c H3O +
(2.22)
c S1
Man muß nur die Säurekonstante kennen, um Säuren und Basen nach ihrer relativen Stärke einordnen zu können. Es ergibt sich eine abgestufte Reihe wie in Tabelle 2.3. Alternativ könnte man auch Basen mit der „Einheits-Säure“ Wasser reagieren lassen, wobei sich das folgende Reaktionsschema ergibt B1 + H2O R S1 + OH Die Gleichgewichtskonstante dieser Reaktion wird nach Gl. (2.23) berechnet und heißt Basekonstante KB =
c S1 c OH -
(2.23)
c B1
Säure- und Basekonstante eines korrespondierenden Säure-Base-Paars lassen sich leicht ineinander umrechnen, denn ihr Produkt ist gleich dem Ionenprodukt des Wassers, wie Gl. (2.24) zeigt. KS KB
KW
1014
(2.24)
2.2 Sensor-Chemie
45
Der pH-Wert ist für zahlreiche chemische und biologische Vorgänge wichtig. Oft wird die Forderung gestellt, daß er, unabhängig von den ablaufenden Prozessen, konstant gehalten werden muß. Dazu sind Pufferlösungen geeignet. Solche Lösungen enthalten beide Partner eines korrespondierenden Säure-Base-Paars in vergleichbarer Menge. Als Beispiel betrachten wir eine Lösung, die gleiche Konzentrationen der Säure CH3COOH (Essigsäure) und ihrer korrespondierenden Base CH3COO (z.B. in Form des Salzes Natriumacetat) enthält. Nach Gl. (2.22) gilt K S Essigsre. =
c CH3COO- c H3O + c CH3COOH
(2.25)
104,7
Wenn die Konzentrationen der Base und der Säure groß gegenüber den sonstigen Konzentrationen gewählt werden, hängt der pH-Wert dieser Mischung nahezu ausschließlich vom Verhältnis von Säure und Base ab. Man kann also den pHWert willkürlich einstellen (in gewissen Grenzen). Deutlich zeigt dies die logarithmierte Form der Gln. (2.22) und (2.25), die sogenannte HendersonHasselbalch-Gleichung c B (2.26) pH pK S log cS Wenn also, dem oben gegebenen Beispiel folgend, gleiche Konzentrationen von Essigsäure und Acetat in der Lösung sind, dann wird pH = pKS =4,7 und wir erhalten eine Pufferlösung mit dem stabilen pH-Wert 4,7. Tabelle 2.3 Säurestärken in Wasser
pKS
Säure
S1
Base +
B1
-1,74
Hydronium
H3O
-1,32
Salpetersäure
HNO3
NO3
1,96
Phosphorsäure
PO4
3,7
Ameisensäure
H3PO4 HCOOH
HCOO
4,75
Essigsäure
CH3COOH
CH3COO-
6,52
Kohlensäure
CO2·H2O
7,12 9,25
Dihydrogenphosphat H2PO4+ Ammonium NH4
HCO3
10,4
Hydrogencarbonat
HCO3
12,32
Hydrogenphosphat
HPO42-
PO4
15,74
Wasser
H2O
OH
H2O
-
-
-
HPO4
-
-
2-
NH3 CO3
2-
3-
-
Pufferung heißt, äußere Einflüsse abzufangen, „abzupuffern“. Kleine Mengen zugesetzter fremder Säuren oder Basen werden unschädlich gemacht. Das kann natürlich immer nur in begrenztem Maße geschehen. Ein quantitatives Maß für
46
2 Grundlagen -
den Umfang der Pufferwirkung ist die Pufferkapazität ȕ=dc(OH )/dpH. Mit dc(OH) ist ein willkürlicher Zusatz einer kleinen Menge starker Base gemeint. Die Pufferkapazität ist, bei gegebener Totalkonzentration der Puffersubstanzen, maximal wenn beide Partner des korrespondierenden Säure-Base-Paars die gleiche Konzentration haben (wie beim Beispiel des Acetatpuffers vom pH 4,7). Die Abhängigkeit vom pH-Wert zeigt Abb. 2.23. Bei Vergrößerung der Totalkonzentration ctot der Pufferbestandteile (Essigsäure und Acetat) vergrößert sich ebenfalls die Pufferkapazität. Für die Untersuchung von Säure-Base-Systemen wird seit alters her von Farbindikatoren Gebrauch gemacht. Das sind korrespondierende Säure-Base-Paare, bei denen die Säure eine andere Farbe hat als die Base. Ein bekanntes Beispiel ist die Substanz Methylorange. Die Säure dieses Systems liegt bei sehr niedrigen pHWerten allein vor und ist von roter Farbe. Bei hohen pH-Werten kann ausschließlich die Base existieren, die rein gelb gefärbt ist. Der pKS-Wert dieses Indikators ist gleich 3,4. Wenn man Gl. (2.26) auf diesen Fall anwendet, muß sich je nach pH-Wert eine kontinuierliche Farbänderung über den pH-Bereich von 1 bis 14 er-
E 0,2
0,1
0
4
8
12 pH
Abb. 2.23 Pufferkapazität ȕ von Acetatpuffern in Abhängigkeit vom pH-Wert und von der Totalkonzentration der Puffersubstanzen. Durchgezogene Kurve: ctot =c(Säure) + c(Base) = 0,4 mol/l; gestrichelte Kurve. Ctot = 0,1 mol/l
geben. Daraus läßt sich eine photometrische Methode der pH-Messung entwikkeln. Bestimmte optische Sensoren, die pH-Optoden, benutzen zumeist immobilisierte Schichten aus Indikatorsubstanzen. Bei Berührung mit der Lösung ändert sich die Farbe. Diese Änderung kann mit Hilfe von Lichtleitkabeln photometrisch gemessen werden. Fällungs- und Komplexbildungsreaktionen
Ein für Sensoren wichtiges chemisches Gleichgewicht ist das zwischen einem schwerlöslichen Stoff und seiner mit ihm in Kontakt befindlichen gesättigten Lösung. Da mit Hilfe derartiger Reaktionen Bestandteile aus der Lösung entfernt, weil ausgefällt werden können, spricht man von Fällungsgleichgewichten. Es geht um eine Reaktion wie im folgenden Beispiel. Ag + + Cl- R AgClp
2.2 Sensor-Chemie -
47
+
Hier steht eine Lösung mit den Ionen Cl und Ag im Gleichgewicht mit dem schwerlöslichen Bodenkörper AgCl. Bei der Formulierung des Massenwirkungsgesetzes dürfen wir den Bodenkörper, da er ein reiner Feststoff ist, im Molenbruch-Konzentrationsmaß messen und gleich eins setzen, wodurch der folgende einfache Ausdruck entsteht.
K L =c Ag + c Cl-
(2.27)
Die Gleichgewichtskonstante KL trägt hier den Namen Löslichkeitsprodukt. Die Gleichung sagt, was man tun muß, um einen Stoff möglichst vollständig aus einer + Lösung zu entfernen. Sollen z.B. Silberionen Ag entfernt werden, dann wird das Chlorid Cl zum Fällungsmittel, das man im Überschuß zusetzen muß, um eine möglichst vollständige Fällung zu erreichen. Je größer die zugesetzte Überschußkonzentration c(Cl ), desto kleiner muß die in der Lösung verbleibende Restkon+ zentration c(Ag ) werden, damit KL konstant bleiben kann. Fällungen sind wichtig für die Vorbereitung analytischer Proben für die eigentliche Messung. Bei Sensoren werden Fällungsreaktionen zur Fixierung (Immobilisierung) bestimmter Substanzen an Oberflächen genutzt. Ein ebenfalls wichtiges chemisches Gleichgewicht ist die Komplexbildung. Hier entstehen durch Vereinigung eines Zentralteilchens (meist eines Zentralions) mit den sogenannten Liganden Moleküle oder wiederum Ionen, die schwer löslich oder leicht löslich sein können. Entscheidend dafür, ob ein Teilchen als Komplex angesehen werden kann, ist die darin vorherrschende Art der chemischen Bindung. Im Gegensatz zu Salzen (die ebenfalls in leicht- und schwerlöslicher Form auftreten können) herrscht die sogenannte koordinative Bindung in Komplexen vor. Diese ist typisch für Verbindungen, die sich aus einem Zentralteilchen mit einer Elektronenpaar-Lücke und aus Liganden mit einem freien Elektronenpaar bilden. Die Reaktion verläuft nach dem symbolischen Schema (mit M als Zentralteilchen und L für einen Liganden): M + L R ML ML + L R ML2 ML2 + L R ML3 usf. bis MLn-1 + L R MLn Die für diese Gleichgewichte gültigen Konstanten bringen die Stabilität der Komplexe zum Ausdruck, es sind Stabilitätskonstanten, die wie in Tabelle 2.4 gezeigt entweder als individuelle Stabilitätskonstanten oder als Brutto-Stabilitätskonstanten formuliert werden. Beide lassen sich ineinander umrechnen. Die Liganden, die hier nur symbolisch mit dem Buchstaben L bezeichnet werden, können sehr vielfältig in Struktur und Eigenschaften sein. Sie können spezifisch an bestimmte Metallkationen binden, je nachdem ob diese hart oder weich sind. Diese beiden in der Komplexchemie sehr beliebten Begriffe bezeichnen anschaulich das Verhalten kleiner, hochgeladener (harter) oder großer, leicht deformierbarer (weicher) Ionen. Harte Zentralionen kombinieren bevorzugt mit harten Liganden und umgekehrt. Aber auch andere Faktoren tragen dazu bei, ob es eine
48
2 Grundlagen
spezifische Bindung zwischen Liganden und bestimmten Zentralionen gibt. Liganden können in manchen Fällen „maßgeschneidert“, also für ganz bestimmte Ionen synthetisiert werden. Tabelle 2.4 Komplexbildungsgleichgewichte und Stabilitätskonstanten Betrachtete Reaktion M + L R ML
K1
ML + L R ML 2
usf. bis ML n-1 + L R ML n
K2
Kn
Individuelle Stabilitätskonstante c ML
Betrachtete Reaktion M + L R ML
c M c L c ML2
M + 2 L R ML 2
c ML c L c MLn c MLn 1 c L
usf. bis M + n L R ML n
E1
E2
En
Bruttostabilitätskonstante c ML K1 c M c L
c ML2 c M c2 L
c MLn c M cn L
Manche Liganden lassen sich an Oberflächen immobilisieren und werden dann zu „Fallen“ für bestimmte Analyten. Ein besonderer Fall sind Liganden mit molekularen Hohlräumen, in die bestimmte Kationen genau hineinpassen. Damit wird es möglich, Kationen scheinbar verschwinden zu lassen. Ihre Eigenschaften werden so verändert, daß sie nach der Komplexbildung nicht mehr erkennbar sind. Ein Beispiel ist der natürlich vorkommende Ligand Valinomycin (Abb. 2.24), der in seinem molekularen Hohlraum Kaliumionen einkapseln kann.
K
+
Abb. 2.24 Valinomycin
Das Kaliumion ist normalerweise von einer Hülle aus Wassermolekülen umgeben (es bildet einen sogenannten Aquokomplex) und bevorzugt die wäßrige Umgebung. Von einer hydrophoben, „fettigen“ Umgebung wird es abgestoßen. Bildet es jedoch einen Komplex mit Valinomycin, dann erscheint der gebildete Komplex wie ein großes organisches Molekül, das sich gut in nichtwässerigen Lösungsmitteln und nur schlecht in Wasser löst. Auf diese Weise lassen sich Kaliumionen in bestimmte lipophile Phasen „locken“. Die Natur nutzt diesen Trick, um das lebenswichtige Kaliumion durch bestimmte biologische Membranen zu schleusen.
2.2 Sensor-Chemie
49
Bei den chemischen Sensoren erreicht man eine selektive Wechselwirkung, die zur Erkennung des Kaliums und zu dessen quantitativer Bestimmung dient. 2.2.5 Redoxgleichgewichte
Mit diesem Teilgebiet erreichen wir die Berührungsstelle zwischen Chemie und Elektrotechnik. In diesen Gleichgewichten treten Elektronen als Reaktionspartner auf. Freie Elektronen sind in einer normalen Lösung ebensowenig existenzfähig wie freie Protonen. Sie können sich darin nur „auf dem Rücken“ von Ionen bewegen, ganz ähnlich wie bei Säure-Base-Reaktionen immer eine Base da sein muß, die das von der Säure abgegebene Proton auffängt. Im Gegensatz zu den Protonen existieren aber tatsächlich frei bewegliche Elektronen in den von uns betrachteten Körpern, z.B. als „Elektronengas“ in metallischen Leitern. Die Einzigartigkeit der hier behandelten Reaktionen besteht darin, daß jetzt Produkte einer chemischen Reaktion über Phasengrenzen hinweg in einen Festkörper eintreten können. Das ist einer der Gründe dafür, daß sich in diesem Falle andere Gepflogenheiten für die theoretische Beschreibung herausgebildet haben als bei den übrigen chemischen Gleichgewichten. Zunächst einmal kann man Redoxgleichgewichte ganz ohne Phasengrenze, analog etwa zu den Säure-Base-Gleichgewichten, formulieren. Das Elektron e ist hier ein ähnlicher Reaktionspartner wie das Proton bei den Säuren und den Basen. Ein Oxidationsmittel ist definiert als ein Stoff, der in der Lage ist, Elektronen aufzunehmen, während ein Reduktionsmittel Elektronen abgeben kann. Es geht also nur um die Funktion der Stoffe, wenn man von Oxidation oder Reduktion spricht, nicht etwa um wirkliche chemische Reaktionen. Eine Reaktion kann nur stattfinden, wenn sowohl ein elektronenabgebendes Reduktionsmittel als auch ein elektronenaufnehmendes Oxidationsmittel anwesend sind. Die resultierende Reaktion heißt Redoxreaktion. Red1 + Ox 2 R Ox1 + Red 2 z.B. Fe 2+ + Ce IV
R Fe3+ + Ce3+ Wie man sieht, gibt es hier wieder Paare, diesmal Korrespondierende Redox2+ 3+ paare, z.B. Fe /Fe . Als nächster Schritt kommt auch hier wieder die Formulierung des Massenwirkungsgesetzes. Um Vergleichbarkeit herzustellen, definieren wir wie gewohnt einen „Einheits-Reaktionspartner“. Das gelingt hier am besten mit einem kompletten korrespondierenden Paar. Gewählt wird das Paar Wasserstoffion/Wasser+ stoffgas, also H3O /H2. Um die Stärke der oxidierenden oder reduzierenden Wirkung von Redoxpaaren zu messen, müßten wir sie nur mit unserem Einheitspartner ins Gleichgewicht bringen und die zugehörige Gleichgewichtskonstante formulieren. Erstaunlicherweise läuft es diesmal aber anders. Die Stärke der oxidierenden oder reduzierenden Wirkung von Redoxpaaren + wird zwar wie üblich durch Reaktion mit dem Einheitspartner H3O /H2 meßbar gemacht, aber die Vergleichsgröße ist keine Gleichgewichtskonstante. Stattdessen
50
2 Grundlagen
benutzt man eine elektrische Spannung als Vergleichswert. Dies hat gute Gründe, nicht zuletzt meßtechnische. Selbstverständlich muß die gewählte Größe die gleiche Bedeutung haben wie die übliche Gleichgewichtskonstante. Jedes beliebige Redoxpaar läßt sich in ein Reaktionsschema mit dem Paar + H3O /H2 bringen wie in den folgenden Beispielen 3+ + 2Ce(IV) + H2 + 2H2O R 2Ce + 2H3O Zn
2+
+ H2 + 2H2O R Zn + 2H3O -
+
+
I2 + H2 + 2H2O R 2I + 2H3O Für jede der Beispielreaktionen kann man eine Triebkraft, die Freie Reaktionsenthalpie ǻRG formulieren, z.B. 'RG
' R GT RT ln
Ce p H
c 2 Ce3+ c 2 H3O + c2
IV
(2.28)
2
Für das „Einheits-Redoxpaar“ müssen noch Konzentrationen vorgegeben wer+ den, für H3O in den üblichen Einheiten, für das Gas H2 als Partialdruck p(H2) Wir setzen die Standardwerte ein, die nach verschiedenen Übereinkünften, die hier nicht näher erläutert werden sollen, erst dimensionslos gemacht und dann gleich eins gesetzt werden. Damit vereinfacht sich Gl. (2.28) zu 'RG
' R GT RT ln
Ce
c 2 Ce3+ c2
(2.29)
IV
Die Besonderheit aller Redoxreaktionen besteht darin, daß mit jedem Formelumsatz eine bestimmte Ladungsmenge (gemessen in Amperesekunden As) von einem Teilchen auf ein anderes übergeht. Diese Ladungsmenge kann man aus der Zahl z (der Anzahl der pro Formelumsatz übertragenen Elektronen) ermitteln, indem man sie mit der molaren Ladung, auch Faraday-Konstante F=96500 As·mol 1 multipliziert: qFU
(2.30)
zF
Die nach Gl. (2.29) berechnete „Triebkraft“, geteilt durch die Ladungsmenge qFU, würde so etwas wie eine „Triebkraft des vom Redoxpaar übertragenen Elektrons“ ergeben. Da die Freie Reaktionsenthalpie ǻRG die Dimension einer Energie, gemessen in Joule, hat, entsteht bei der Division von Gl. (2.29) durch qFU eine Spannung, die wir mit E bezeichnen (von dem alten Begriff Elektromotorische Kraft) und der wir das umgekehrte Vorzeichen wie ǻRG geben. Für das Beispiel ist z=2.
'RG 2 F
IV ' R GT RT c Ce ln 2 F F c Ce3
(2.31)
Wir dürfen nun den Formelumsatz auf unser betrachtetes Redoxpaar allein beziehen und erhalten
2.2 Sensor-Chemie
T ECe IV / Ce3
ECe IV / Ce3
IV RT c Ce ln F c Ce3
51
(2.32)
Gehen wir noch einen Schritt weiter und fordern, wegen der Vergleichbarkeit, daß auch das betrachtete Redoxpaar in der Standardkonzentration vorliegt, dann ș ș wird E=E . Das sogenannte Standard-Redoxpotential E wird zum Maß für die oxidierende oder reduzierende Wirkung eines gegebenen Redoxpaares. Nun sind wir in der Lage, Redoxpaare in eine Reihe der Form von Tabelle 2.5 zu bringen. Solche Tabellen heißen Spannungsreihen. Tabelle 2.5. Spannungsreihe Redoxpaar 1
Ce(IV) + e - U Ce3+
Standard-Redoxpotential Eș / V 1,713
2
PbO 2 +SO 2-4 + 4 H + + 2e- U PbSO 4 + 2H 2O
1,685
3
MnO-4 + 8H + + 5e- U Mn 2+ + 4H 2O
1,51
4
-
Cl2 + 2e U 2Cl
-
+
1,36 -
2+
5
MnO 2 + 4H + 2e U Mn + 2 H 2O
6
Fe3+ + e- U Fe 2+
0,7704
7
CrO 2-4 +4H 2O +3e - U Cr 3+ +8OH -
0,72
8
O 2 + 2H + + 2e- U H 2O 2
0,682
+
-
1,23
9
H 3AsO 4 + 2H + 2e U H 3AsO3 + H 2O
0,58
10
I3- + 2e- U 3I-
0,536
11
ª¬ Fe CN 6 º¼ + e- U ª¬ Fe CN 6 º¼
12 13
3-
2+
-
Cu + 2e U Cu 2+
-
Cu + e U Cu +
+
-
4-
0,36 0,346 0,170
14
2H + 2e U H 2
0,0000
15
Zn 2+ + 2e- U Zn
-0,7628
In der Spannungsreihe Tabelle 2.5 kommen sowohl homogene (alle Partner liegen in einer einzigen Phase vor) als auch heterogene (mehrphasige) Redoxpaare vor. Der Übergang von Elektronen kann also auch mit dem Übertritt über eine Phasengrenze verbunden sein. Daraus ergeben sich die einzigartigen Möglichkeiten der Elektrochemie.
52
2 Grundlagen
2.2.6 Elektrochemie Elektroden im Gleichgewicht 2+
Elektroden und Zellen. Einzelne Redoxpaare, wie das Paar Zn/Zn (Nr. 15 in Tabelle 2.5), bestehen von vornherein aus zwei Phasen, weil die Partner des korrespondierenden Redoxpaares in unterschiedlichen Aggregatzuständen vorliegen. Allgemein gilt:
Elektroden sind Mehrphasensysteme, bestehend mindestens aus einer elektronenleitenden und einer ionenleitenden Phase. Die Existenz einer Phasengrenze Metall/Elektrolytlösung ermöglicht die direkte Messung der Spannungen, die bisher nur als abstrakte Größen Redoxpotential bzw. Standard-Redoxpotential eingeführt wurden. Um diese direkte Messung zu ermöglichen, kommt es darauf an, alle denkbaren Redoxpaare als Elektrodensysteme darzustellen. Die erwähnte Zink/Zinkionen-Elektrode stellt eine Elektrodenart dar, die Metall/Metallionen-Elektrode (Elektrode 1. Art). Andere Typen sind die Gaselektroden, die sich aus Redoxpaaren wie Nr. 4, 8 und 14 in Tabelle 2.5 entwickeln lassen, indem man einen Körper aus einem nicht angreifbaren Metall mit dem betrachteten Redoxsystem in Kontakt bringt. Ähnlich verfährt man mit Redoxpaaren, die nur gelöste Bestandteile enthalten. Aus ihnen entstehen Redoxelektroden. Elektroden können symbolisch wie die Beispiele in Tabelle 2.6 geschrieben werden. Phasengrenzen werden als Schrägstrich dargestellt. Tabelle 2.6 Beispiele für Elektrodenarten Metall-Metallionen-Elektrode
Ag/Ag+
Redoxelektrode
Pt/Fe3+, Fe2+
Gaselektroden
Pt/Cl2, HCl(aq, 0,1 mol·l-1) Pt/H2, H3O+(aq, 1 mol·l-1)
Eine besonders wichtige Gaselektrode ist die Wasserstoffelektrode. Folgen wir konsequent den oben gegebenen Überlegungen, dann entsteht aus dieser Elektrode und einer weiteren eine Kombination (die elektrochemische Zelle), die es gestattet, durch eine Spannungsmessung die Werte der Redoxpotentiale direkt zu messen. Geben wir der Wasserstoffelektrode die Standardwerte für die Konzentrationen (genauer: Aktivitäten mit dem Wert 1, Partialdrücke von Gasen mit dem Standarddruck 101,3 kPa), dann muß sich aus der mit einer solchen Standard-Wasserstoffelektrode gebildeten Zelle das jeweilige Standard-Redoxpotential (StandardElektrodenpotential) messen lassen. Voraussetzung ist, daß wir den Stromkreis zwischen beiden Elektroden durch eine leitende Elektrolytverbindung, z.B. einen sog. Stromschlüssel, verbinden. So aufgebaute Zellen kann man wie das folgende Beispiel schreiben: Zn/ZnSO4(aq)//HCl(aq), H2(g, p=101,3 kPa)/Pt
2.2 Sensor-Chemie
53
Flüssig-flüssig-Verbindungen oder auch poröse Diaphragmen werden meist durch den doppelten Schrägstrich dargestellt. Die Möglichkeit, „Triebkräfte“ von Reaktionen bzw. die „Stärke der oxidierenden oder reduzierenden Wirkung“ nicht nur zu berechnen, sondern direkt zu messen, ist ein bedeutender Vorteil. Noch größer ist aber der Vorteil, der sich für das Gebiet der chemischen Sensoren ergibt. Wenn Elektrodenpotentiale gemessen werden können, dann können auch Konzentrationen gemessen werden. Ausgangspunkt ist die Gl. (2.32). Da man sie für jedes beliebige Redoxpaar anwenden kann, kann sie in allgemeiner Form geschrieben werden. RT (2.33) E ET ln aQi i zF Diese fundamentale Gleichung ist unter dem Namen Nernstsche Gleichung bekannt. Im konzentrationsabhängigen Glied stehen also Aktivitäten, nicht Konzentrationen, wie bisher vereinfachend angenommen worden war. Übrigens ergibt sich daraus eine Möglichkeit, Aktivitäten experimentell zu bestimmen, nicht nur zu berechnen. Für eine einfache Metall/Metallionen-Elektrode wie etwa die Silber-Silberionen-Elektrode nimmt die Nernstsche Gleichung die folgende Form an. RT (2.34) E ET ln a Ag + F
Potentiometrie. Da in vielen Fällen gilt a|c, haben wir mit der Auswertung der Nernstschen Gleichung eine einfache Methode gewonnen, durch Spannungsmessung Konzentrationen zu bestimmen. Die Methode heißt Potentiometrie. Eine bisher unausgesprochene Voraussetzung für die Anwendung dieser Methode ist, daß stromlos gemessen wird. Anderenfalls wäre die Bedingung nicht zu erfüllen, daß an der Elektrode Gleichgewicht herrscht. Man kann sich den Zwang zur Stromlosigkeit aber auch so erklären, daß man sich die Folgen eines Stromflusses vorstellt. Durch Elektrolyse würden dann Stoffe entstehen oder verschwinden, mit dem Ergebnis, daß man nicht mehr die zu untersuchende Probenzusammensetzung in der Umgebung der Elektrode vorfinden würde.
Silberdraht
AgCl KCl-Lösung Diaphragma
Abb. 2.25 Silber-Silberchlorid-Referenzelektrode
54
2 Grundlagen
Ein ernstes technisches Problem der Potentiometrie ist die Konstruktion der Standard-Wasserstoffelektrode. Man muß sie aufbauen aus einem (aktivierten) Platinkörper, einer Lösung einer Säure, deren Aktivität genau 1 sein soll und einem Vorrat aus Wasserstoffgas, der den Atmosphärendruck hat. Letzteres ist realisierbar, wenn man das Gas aus einer Druckflasche strömen läßt, so daß es den Platinkörper umspült. Insgesamt ist die Konstruktion aber sehr unhandlich. Man kann die Wasserstoffelektrode durch handlichere Elektroden ersetzen, die nur die Voraussetzung erfüllen müssen, daß bei ihnen eine konstante Spannung zwischen Anschlußdraht und Lösungskontakt besteht, die sich auch durch Lagerung und gelegentlich Fehlbehandlung nicht ändert. Elektroden, die diese Bedingung erfüllen, heißen Referenzelektroden oder Bezugselektroden. Sie sind handelsüblich. Natürlich ist ihr Standard-Elektrodenpotential nicht Null, wie bei der StandardWasserstoffelektrode (SHE). Sie haben aber eine genau bekannte Spannungsdifferenz zu dieser Elektrode, so daß man die mit ihrer Hilfe gemessenen Potentialwerte durch eine einfache Subtraktion auf Werte gegen SHE umrechnen kann. Eine bekannte Referenzelektrode ist eine Kombination aus einem Silberdraht, einem Vorrat aus Silberchlorid und einer gesättigten Kaliumchloridlösung. Das Symbol dieser Elektrode, der gesättigten Silber-Silberchlorid-Elektrode, schreibt man so: Ag/AgCl(s), KCl(sat). Die Potentialdifferenz zur SHE beträgt +0,198 V. Handelsübliche Silber-Silberchloridelektroden sind etwa wie in Abb. 2.25 aufgebaut. Die Potentiometrie ist eine der wichtigsten Meßmethoden für chemische Sensoren. Eine nähere Betrachtung der beteiligten Vorgänge zeigt, daß Potentialdifferenzen an jeder vorkommenden Berührungsstelle zweier verschiedener Phasen entstehen können. Alle tragen zum meßbaren Elektrodenpotential bei. Man könnte dieses als Summe aller Berührungsspannungen (der sog. Galvanispannungen) zwischen den Anschlußdrähten einer elektrochemischen Zelle interpretieren. Einzelne Galvanispannungen sind prinzipiell unmeßbar. Die thermodynamische Behandlung, wie sie in diesem Abschnitt durchgeführt wurde, sagt nichts über die Feinstruktur des Elektrodenpotentials. Dessen ungeachtet kann man sagen, daß die für den potentiometrischen Sensor entscheidende Spannungsdifferenz an der Grenzfläche zwischen Sensor und Probelösung entstehen muß, schon deshalb, weil man danach trachtet, alle übrigen Beiträge konstant zu halten. Durch diese Grenzfläche müssen Ladungen treten, unabhängig davon, welcher Art die Wechselwirkung zwischen den Ionen der Lösung und der mit ihr in Kontakt tretenden Phase ist. Es kann sich um Ionenaustausch, ein Extraktionsgleichgewicht, ein Elektrodengleichgewicht oder ein Löslichkeitsgleichgewicht handeln. Sofern Ionen beteiligt sind, besteht in jedem dieser Fälle ein logarithmischer Zusammenhang zwischen der meßbaren Spannungsdifferenz und den Änderungen der Ionenkonzentration der Probe, und in jedem Falle gehorcht dieser Zusammenhang der Nernstschen Gleichung. Die Kunst der Entwicklung potentiometrisch brauchbarer Elektroden besteht darin, die Grenzfläche zur Probelösung so zu gestalten, daß eine selektive Wechselwirkung mit bestimmten Probebestandteilen entsteht. Das Ergebnis solcher Bemühungen ist das gut entwickelte Gebiet der ionenselektiven Elektroden (ISE). Diese sind nicht unbedingt schon chemische Sensoren (meist fehlen ihnen die
2.2 Sensor-Chemie
55
Merkmale der Kleinheit und der preiswerten Verfügbarkeit), aber sie bilden eine wesentliche Vorstufe von Sensoren. Elektrolyseprozesse
Das Gleichgewicht einer Elektrodengrenzfläche, das die Grundlage der Potentiometrie bildet, ist nicht gleichbedeutend mit dem Gleichgewicht in einer elektrochemischen Zelle. Eine elektrochemische Zelle erzeugt elektrische Energie aus chemischer. Daher arbeiten potentiometrische Sensoren nach dem Wandlerprinzip der Energieumwandlung. Dies ist möglich, weil in einer kompletten Zelle eine vollständige chemische Umsetzung stattfinden kann. Wenn man z.B. eine Kupfermit einer Zinkelektrode kombiniert, dann entsteht eine Zelle, die in früheren Zeiten als Stromquelle für Kleingeräte diente, das Daniell-Element: 2+ 2+ Zn/Zn //Cu /Cu Verbindet man die beiden Metallkörper über einen Widerstand miteinander, dann fließt Strom, der durch den Ablauf der Reaktion 2+ 2+ Zn + Cu ĺ Zn + Cu zustande kommt. An einer der beiden Elektroden, der Anode, findet eine Oxidati2+ on statt, indem Zinkmetall zu Zn oxidiert wird. Im gleichen Umfange werden an der zweiten Elektrode, der Kathode, Kupferionen zum metallischen Kupfer reduziert. Die Elektronen, die bei der Oxidation des Zinks frei werden, fließen durch den Draht zur Kupferelektrode, in die Lösung hinein und führen dort zur Entladung eines Kupferions. Vor Beginn der Elektrolyse messen wir zwischen den Elektroden eine Spannung, die ein Maß für die in diesem Zustand verfügbare Triebkraft ǻRG ist. Gleichgewicht der Zelle herrscht erst dann, wenn ǻRG=0 ist. Wir müßten also so lange Strom über den Verbraucherwiderstand fließen lassen, bis die Spannung Null geworden ist. Das entspricht dem Zustand einer entladenen Batterie. Aus diesen Überlegungen folgt, daß der durch eine elektrochemische Zelle fließende Strom als Reaktionsgeschwindigkeit der Redoxreaktion in der Zelle betrachtet werden kann. Die Amplitude dieses Stromes hat zweifellos etwas mit den zu den Elektroden wandernden Teilchen und ihrer Konzentration zu tun. Es ist also anzunehmen, daß sich chemische Sensoren entwickeln lassen, wenn man die Stromstärke des Elektrolysestroms näher betrachtet. Dies kann, bei Wahl geeigneter Bedingungen, gleichbedeutend mit dem Übergang vom Wandlerprinzip der Energieumwandlung zum Wandlerprinzip der Strombegrenzung sein. Vorgänge an Elektroden. Damit ein Strom durch eine Elektrodengrenzfläche fließen kann, muß eine ganze Serie von Vorgängen ablaufen. Die wichtigsten davon sind: • Antransport der Reaktanden zur Elektrode durch Diffusion oder Migration (Ionenwanderung im elektrischen Feld) • Durchtritt von Ladungsträgern durch die Phasengrenze • Abtransport der gebildeten Produkte Dies ist noch nicht alles. Weitere wichtige Vorgänge, die beteiligt sein können, sind die Adsorption von Reaktanden oder Produkten und die Nukleation (Keimbil-
56
2 Grundlagen
dung), wenn eine neue Phase entsteht, also z.B. Feststoffe abgeschieden werden oder Gasblasen entstehen. Die oben angeführten drei Grundprozesse werden in den Vordergrund gerückt, weil sie in jedem Falle beteiligt sind. Ohne sie kommt kein Elektrolysestrom zustande. Jeder drei erwähnten Prozesse kann bestimmend für die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion und damit für die meßbare Stromstärke werden. Bestimmend ist immer der langsamste Vorgang. Wenn der Durchtritt der Ladungsträger so langsam ist, daß er zum geschwindigkeitsbestimmenden Vorgang wird, dann ist die sog. Durchtrittsreaktion kinetisch gehemmt. Man nennt dies nicht ganz exakt eine irreversible Elektrodenreaktion. Solche Reaktionen sind wenig geeignet für analytische Zwecke, also auch für chemische Sensoren. Es läßt sich dann kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Konzentration und Elektrolysestrom finden. Man versucht stets, kinetische Hemmungen so gering wie möglich zu halten, meistens durch Verwendung katalytisch wirkender Elektrodenoberflächen oder durch homogene Katalyse, z.B. mit Hilfe von Enzymen. Bei Abwesenheit kinetischer Hemmungen (bei reversiblen Elektrodenreaktionen) werden die Transportprozesse zum langsamsten und damit zum bestimmenden Schritt. Sie begrenzen den Strom und können so zur Informationsquelle bei Sensoren werden, die nach dem Prinzip der Strombegrenzungswandlung arbeiten. Das gelingt aber nur, wenn man sich auf einen der beteiligten Transportvorgänge, Diffusion oder Migration, beschränkt. Im Normalfalle wird die Migration unterdrückt, so daß nur die Diffusion übrigbleibt. Dies gelingt, wenn die Leitfähigkeit der Probelösung so weit angehoben wird, daß kein merklicher Feldstärkegradient in der Lösung entstehen kann. Dazu wird der Lösung ein großer Überschuß eines Elektrolyten zugesetzt, der sich selbst an den Elektroden nicht umsetzen läßt. Die Ionen des Elektrolyten, der auch Grundelektrolyt oder Leitsalz genannt wird, transportieren zwar die Ladung über das Lösungsinnere, sind aber zu schwer oxidierbar oder reduzierbar, um eine Elektrodenreaktion einzugehen. Da die Ionen nach Unterdrückung der Migration nicht durch ein elektrisches Feld bewegt werden, kommt nur die Diffusion als Transportvorgang in Frage. Zwischen Ionen und ungeladenen Teilchen besteht kein Unterschied mehr. Einzige Triebkraft für die Diffusion ist das Vorhandensein eines Konzentrationsgefälles. Sobald also, z.B. durch Verbrauch von Teilchen infolge ihrer Reduktion an der Elektrodenoberfläche, lokale Mangelerscheinungen entstehen, bewegen sich Teilchen aus anderen Regionen in diese Richtung, um den Mangel auszugleichen. Die Gesetzmäßigkeiten der Diffusion sind gut bekannt. Unter den Diffusionsgesetzen ist hier am wichtigsten das Erste Ficksche Gesetz, das Gl. (2.35) angibt. dn 1 dc (2.35) D dt A dx Das Gesetz besagt, daß der Teilchenstrom dn/dt durch die Fläche A proportional dem Konzentrationsgefälle dc/dx ist. Als Proportionalitätsfaktor fungiert D, der Diffusionskoeffizient. Zwischen dem Teilchenstrom dn/dt und dem Elektrolysestrom besteht eine einfache Beziehung, die aus dem Faradayschen Gesetz, Gl. (2.36), folgt. Dieses sagt, daß zu jeder elektrochemisch umgesetzten Ladungsmenge q eindeutig eine be-
2.2 Sensor-Chemie
57
stimmte Stoffmenge n gehört, wenn z die Anzahl der pro Formelumsatz übertragenen Elektronen ist. q
(2.36)
zF n
Elektrolysestrom und Teilchenstrom sind also durch die folgende Beziehung miteinander verknüpft (wegen I = dq/dt): dn (2.37) I zF dt Ein an der Elektrode entstehendes Konzentrationsgefälle ist also Ursache und Voraussetzung für einen permanenten Elektrolysestrom, bildet aber zugleich den strombegrenzenden Faktor. Diese Tatsache wiederum kann nach dem Prinzip der Strombegrenzungswandlung die Grundlage eines chemischen Sensors bilden.
Strom
Strom
Strom-Spannungs-Kurven an Makroelektroden. Unter der Annahme, daß keine der an der Elektrolyse beteiligten chemischen Reaktionen kinetisch gehemmt ist, wird die Geschwindigkeit der Reaktion durch die Diffusion bestimmt, die Elektrolysereaktion ist diffusionskontrolliert. Die Diffusion bestimmt dann das Aussehen der Funktion I=f(E), der Strom-Spannungs-Kurven. Es ist zu erwarten, daß in diesen Kurven die analytisch nutzbaren Informationen über die Zusammensetzung der elektrolysierten Probelösung zu finden sind.
Spannung
Spannung
Abb. 2.26 Strom-Spannungs-Kurven an ruhenden Elektroden (links) und an Elektroden mit Konvektion bzw. an Mikroelektroden (rechts)
Um die erwähnten Kurven experimentell zu ermitteln, geht man gewöhnlich so vor, daß man die Spannung vorgibt, Punkt für Punkt oder auch kontinuierlich variiert, und den zugehörigen Stromverlauf registriert. Der umgekehrte Fall, Vorgabe des Stroms und Registrierung der Spannung, ist kaum üblich. Je, nachdem, wie schnell die Spannung an der Elektrode (man sagt „ihr Potential“) variiert wird und je nachdem, ob die Lösung unbewegt ist oder ob sie gerührt wird, entstehen zwei ganz verschieden aussehende Kurvenformen (Abb. 2.26). Die rechte Kurve in Abb. 2.26 ist eine sigmoide Kurve. Mit Ausnahme der später behandelten Mikroelektroden lassen sich sigmoide Kurven nur an Elektroden gewinnen, bei denen eine gleichmäßige Konvektion herrscht, d.h. wenn sich die Elektrode gegenüber der Lösung oder die Lösung gegenüber der Elektrode be-
58
2 Grundlagen
wegt. Eine wichtige Gruppe solcher Elektroden sind die hydrodynamischen Elektroden. Diesen ist gemeinsam, daß eine laminare, gleichmäßige Strömung der Lösung gegenüber der Elektrodenoberfläche auf mechanischem Wege erzeugt wird. Die Abb. 2.27 gibt einige Beispiele für klassische, d.h. makroskopische Elektroden, die bedeutungsvoll für die Voltammetrie waren oder sind. Darunter ist auch die berühmte Quecksilbertropfelektrode, deren außerordentlicher Erfolg eine ganze Richtung der analytischen Chemie begründet hat. Bei dieser und den anderen Beispielen führt eine mehr oder weniger gleichmäßige Relativbewegung zwischen Elektrode und Lösung zu einer laminaren Strömung, die nur eine dünne adhärierende (hydrodynamische) Schicht unmittelbar an der Grenzfläche unbeeinträchtigt läßt. Innerhalb dieser Schicht befindet sich eine noch dünnere, völlig ruhende Schicht, die von den Molekülen oder Ionen des Analyten nur durch Diffusion durchquert werden kann. Diese Schicht ist als Nernstsche Diffusionsschicht bekannt. Tropfende Quecksilberelektrode
Rotierende Scheibenelektrode
Lösungsstrom
Röhrenelektrode (tubulare Elektrode)
Lösungsstrom Quecksilber
Abb. 2.27 Klassische hydrodynamische Elektroden
Die Entstehung der Kurvenformen bei voltammetrischen Untersuchungen läßt sich qualitativ aus der Betrachtung der Diffusion an einer stromdurchflossenen Elektrode erklären. Als Beispiel betrachten wir die Reduktion von Kupferionen an einer Kupferelektrode in gleichmäßig gerührter Lösung. Im konzentrationsabhängigen Glied der Nernstschen Gleichung für diesen Fall, Gl. (2.38), steht nur die Konzentration von Kupfer(II)ionen. RT (2.38) E ET ln c Cu 2+ 2F Das Potential E ist in diesem Falle keine Meßgröße, sondern es wird vorgegeben, es wird der Elektrode von außen „aufgezwungen“. Um die Gültigkeit der Nernstschen Gleichung zu erhalten, muß die Elektrode den zum gegebenen Poten-
2.2 Sensor-Chemie
59
2+
Konzentration c
tialwert passenden Konzentrationswert von Cu liefern. Das tut sie, indem sie gerade soviel Kupferionen durch Reduktion zum Metall verschwinden läßt, daß, zumindest unmittelbar an der Elektrodenoberfläche, der richtige Konzentrationswert 2+ vorliegt, der im folgenden c(Cu )Oberfl heißen soll. Das vorgegebene Potential diktiert also den Momentanwert der Oberflächenkonzentration. Infolge des Verbrauchs an Ionen entsteht an der Oberfläche ein Konzentrationsgradient. Dieser ist maßgebend für den Diffusionstransport entsprechend Gl. (2.35) und damit für den Elektrolysestrom. Es bildet sich in der Nähe der Elektrodenoberfläche eine Verarmungsschicht aus, die mit der erwähnten Nernstschen Diffusionsschicht identisch ist. Die angenommene gleichmäßige Konvektion sorgt dafür, daß die Dicke dieser Schicht konstant gehalten wird. Man kann sich vorstellen, daß außerhalb der hydrodynamischen Schicht alle Konzentrationsänderungen durch die Rührbewegung verwischt und auf den ursprünglich in der Lösung vorhandenen Wert gebracht werden. Wird das angelegte Potential immer mehr zu negativeren Werten hin verändert, dann bewegt sich der Punkt cOberfl (im genannten Beispiel 2+ c(Cu )Oberfl) auf der Ordinate in Abb. 2.28 nach unten, es entsteht ein immer
cLös
cOberfl Nernstsche Diffusionsschicht
Entfernung x Abb. 2.28 Konzentrationsgradienten an einer Elektrode mit Konvektion
steilerer Konzentrationsgradient und daher ein immer größerer Elektrolysestrom. Ganz unten angekommen heißt: Die Oberflächenkonzentration ist nahezu auf Null abgesunken, der maximal mögliche Strom ist erreicht. Dieser Maximalstrom heißt Diffusionsgrenzstrom ID und ist in der sigmoiden Stromspannungskurve (Abb. 2.26) als nahezu konstant und unabhängig von einer weiteren Potentialänderung zu erkennen. Wenn man die geschilderten gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigt, läßt sich für die gesamte diffusionskontrollierte Strom-Spannungs-Kurve die Gl. (2.39) herleiten.
E
ET
R T ID I ln zF I
(2.39)
Wichtigste Eigenschaft des Diffusionsgrenzstroms ist seine Konzentrationsproportionalität. Im sog. Grenzstrombereich, d.h. für Spannungen an der Elektrode, die so negativ sind, daß jedes durch Diffusion antransportierte Ion unbedingt redu2+ ziert wird, gilt c(Cu )Oberfl = 0. Hier bestimmt ausschließlich die homogene Lö-
60
2 Grundlagen 2+
sungskonzentration c(Cu ) den Konzentrationsgradienten und damit den Grenzstrom. Aus Gln. (2.35) und (2.37) entsteht der in Gl (2.40) gegebene Zusammenhang, wobei für den Konzentrationsgradienten dc/dx der Differenzenquotient ǻc/ǻx wird, in den ǻc=cLös-cOberfl eingesetzt wird. Für den Grenzstrom gilt ǻc=cLös. Statt ǻx kann die Dicke der stationären Diffusionsschicht į eingesetzt werden. Es besteht eine gesetzmäßige Konzentrationsproportionalität, die nicht auf das gewählte Beispiel beschränkt ist. Wir haben es also mit einem echten Fall von Strombegrenzungswandlung zu tun. ID zF D (2.40) cLös A G oder ID
(2.41)
k cLös
Die Form der Strom-Spannungs-Kurve hängt auch davon ab, wie schnell der Potentialbereich durchlaufen wird, d.h. wie groß die Spannungsänderungsgeschwindigkeit (die Scanrate) ist. Je langsamer der Durchlauf, desto weiter breitet sich innerhalb des Zeitbereiches die Diffusionsschicht in die Lösung hinein aus. Wenn die Schicht während der Spannungsvariation noch im Wachsen begriffen ist, dann entstehen peakförmige Kurven wie in Abb. 2.26 links. Erst dann, wenn während des gesamten Durchlaufs die Dicke der Diffusionsschicht konstant bleibt, entsteht ein sigmoider Verlauf. Aus den nicht sigmoiden Strom-SpannungsKurven lassen sich die analytischen Informationen nicht so leicht extrahieren. Andererseits lassen sich aber sehr wirksame diagnostische Meßmethoden mit solchen Formen aufbauen.
Diffusion aus gerührter Lösung
Diffusionsbarriere
Gas oder Flüssigkeit
Elektrode
Elektrode
laminar bewegte Schicht ruhende turbulent bewegte Schicht Schicht
Diffusion durch Barriere
Diffusion an Mikroelektrode
Abb. 2.29 Stationäre Diffusion bei planaren und gekrümmten Diffusionsschichten. Links: Diffusionsschicht konstanter Dicke bei gerührter Lösung; rechts: Diffusionsbarriere konstanter Dicke; unten: Diffusionshof mit annähernd konstanter Ausbreitung
Eine gleichbleibend dicke Diffusionsschicht erreicht man auch durch Vorschalten einer Diffusionsbarriere (Abb. 2.29). Die Dicke dieser Barriere ist identisch mit der Diffusionsschichtdicke. Ein eindrucksvolles Beispiel sind elektrochemische Sensoren für reaktive Gase wie z.B. der Clark-Sensor für gelösten Sauerstoff
2.2 Sensor-Chemie
61
(siehe Kap. 7, Abschn. 7.2.2). Bei ihnen wird eine nur für Gase durchlässige Membran über die Elektrodenoberfläche gelegt. Gut ausgebildete sigmoide Kurven entstehen auch an den bisher weniger bekannten geheizten Elektroden. Die schon länger bekannte Tatsache, daß so erzeugte Temperaturgradienten eine thermische Konvektion bewirken, hat erst in den letzten Jahren praktische Bedeutung erlangt, nachdem es gelang, einen elektrischen Heizstromkreis direkt und störungsfrei mit dem Meßstromkreis zu koppeln (Gründler u. Kirbs 1999). Die Oberflächentemperatur solcher Elektroden kann präzise vorgegeben werden, sofern sie oberhalb der Lösungstemperatur liegt. Es entsteht eine Art Mikro-Thermostat. Wenn mit kurzen Impulsen geheizt wird, tritt die Konvektion zurück, und es kann mit überhitzten Lösungsschichten (bis 250°C) gearbeitet werden (Temperatur-Puls-Voltammetrie=TPV, s. Gründler et al. 1996).
Glaskohleoder Metallfaser d ca. 10 µm Gießharz
Leiterbahnen auf isolierendem Träger
Abb. 2.30 Formen von Mikroelektroden. Links: Nadel mit Mikroscheibe, mitte: Interdigitierte Elektrode, rechts: Array in Stilettform
Strom-Spannungs-Kurven an Mikroelektroden. Mikroelektroden müssen Abmessungen im Mikrometerbereich haben. Bei ihnen bildet sich eine gekrümmte Diffusionsschicht aus, die zu einem stärkeren Materialtransport führt als bei planaren Diffusionsschichten, die sich an Makroelektroden ausbilden. Dieser verstärkte Transport kommt durch einen „Randeffekt“ zustande (Abb. 2.29). Auch bei Makroelektroden gibt es an den Rändern der Elektrodenoberfläche einen zusätzlichen Diffusionsanteil. Wird dieser dadurch verstärkt, daß man die Elektrodenoberfläche in lauter kleine Mikroflächen unterteilt, dann überwiegen die „Randeffekte“ und es kommt zu einem stärkeren Elektrolysestrom. In der Folge entsteht ein Diffusionshof, der sich sphärisch, halbkugelförmig oder zylindrisch (je nach Form der Elektrode) in die Lösung ausbreitet und nach einiger Zeit nahezu stationär wird. Für ein und dieselbe Konzentration erhält man also an einer Mikroelektrode eine wesentlich höhere Stromdichte (Stromstärke geteilt durch Elektrodenoberflächej = I/A) als an einer Makroelektrode.
63
Strom I
Potential E
2.2 Sensor-Chemie
Potential E
Zeit t Anregungssignal E=f(t)
Meßkurve I=f(E)
Abb. 2.32 Cyclovoltammogramm einer reversibel umsetzbaren Substanz
Voltammetrie an ruhenden Elektroden ergibt peakförmige Kurven wie in Abb. 2.26 angedeutet. Ruhende Elektroden sind, wenn es um analytische Informationen geht, nur als Mikroelektroden sinnvoll. Ruhende Makroelektroden sind jedoch sehr bedeutungsvoll für eine diagnostische Methode, die eine schnelle Information über das betrachtete Elektrodensystem erlaubt. Es ist die Cyclovoltammetrie (cyclische Voltammetrie; CV). Der Meßaufbau entspricht dem in Abb. 2.31 skizzierten, jedoch wird anstatt einer Rampe ein symmetrisches Spannungsdreieck aufgeprägt. Bei der Aufzeichnung der Ströme, die die „Antwort“ des Systems darstellen, wird nicht die Funktion I = f(t), sondern die Funktion I = f(E) registriert. Dadurch entsteht eine gefaltete Darstellung, die im typischen Fall zwei gegenüberliegende Strompeaks zeigt (Abb. 2.32). Diese kommen zustande, weil im Spannungsdurchlauf bis zur Spitze des Dreiecks (dem „Vorwärts-Scan“) Produkte entstehen, die im „Rückwärts-Scan“ elektrochemisch wieder zum Ausgangsstoff umgesetzt werden können. Man kann also Stoffe untersuchen, die man erst mit der Methode selbst erzeugt hat. Cyclovoltammogramme enthalten sehr viele wichtige Informationen in übersichtlicher Form (Abb. 2.33). Aus dem Abstand der Peakpotentiale ǻEP läßt sich erkennen, ob die Substanz reversibel reagiert. Gemeint ist, ob eine mehr oder weniger große kinetische Hemmung des Elektrodenübergangs vorliegt. Für eine ideal reversible Reaktion wird die Diffusion allein zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt. Für eine untersuchte Elektrodenreaktion liegt dieser Fall vor, wenn das Cyclovoltammogramm die folgenden Kriterien erfüllt: x ǻEp = Ep anod – Ep kathod =57,0 mV/z x Ip anod / Ip kathod = 1 Die Differenz der Peakpotentiale Ep anod und Ep kathod muß also im reversiblen Fall gleich 57 Millivolt geteilt durch die pro Formelumsatz übertragene Elektronenzahl sein. Das Verhältnis der Peakströme Ip anod und Ip kathod soll annähernd gleich Eins sein. Aus Cyclovoltammogrammen läßt sich auch entnehmen, ob elektrochemische Reaktionen in einem einzigen oder in mehreren Schritten verlaufen. Dies ist am Auftreten von Mehrfachpeaks erkennbar.
64
2 Grundlagen
'Ep=0,58V/z
'Ep>0,58V/z
-I
-I
0,2V
-0,2V
+I
0,2V
-0,2V
+I
-I
0
-0,8V
-1,6V
Abb. 2.33 Informationen in Cyclovoltammogrammen. Oben: ǻEP als Kriterium für Reversibilität; unten: Mehrfachpeaks als Nachweis der Entstehung mehrerer Produkte
I
ID
E1/2
E
Abb. 2.34 Analytisch nutzbare Informationen in sigmoiden Strom-Spannungs-Kurven
Aus den sigmoiden Strom-Spannungs-Kurven sind die analytischen Informationen besonders leicht zu entnehmen (Abb. 2.34). Der Diffusionsgrenzstrom ID ist direkt der Konzentration des Analyten proportional. Messungen dieses Stroms lie-
2.2 Sensor-Chemie
65
Spannung
fern Analysenwerte über einen Konzentrationsbereich, der sich über viele Zehnerpotenzen erstreckt. Diese gute Linearität ist ein wichtiges Merkmal aller amperometrischen Sensoren. Eine weitere nutzbare Information steckt im Halbstufenpotential E½, das zu einem Stromwert I = ID/2 gehört. Die Bedeutung dieses Spannungswertes geht auf die besonderen Konzentrationsverhältnisse zurück, die sich in unmittelbarer Nähe der Elektrodenoberfläche einstellen, wenn der Strom gerade halb so groß ist wie der Diffusionsgrenzstrom. Wenn man I = ID/2 in Gl. (2.39) einsetzt, dann gilt für ș das zugehörige Potential E½ = E . Das Halbstufenpotential ist demnach konzentrationsunabhängig und es sollte gleich dem Standardpotential sein, vorausgesetzt bei den betreffenden Experimenten wurde die Standard-Wasserstoffelektrode als Referenzelektrode benutzt. Auf jeden Fall ist der Zahlenwert von E½ charakteristisch für die Art des untersuchten Stoffes, d.h. E½ läßt Rückschlüsse zu, welches Element an der Elektrode umgesetzt worden ist. Eine etwas übertriebene Formulierung dieses Sachverhaltes wäre, daß in der voltammetrischen Strom-SpannungsKurve sowohl qualitative analytische Informationen („was ist drin?“) als auch quantitative Informationen („wieviel ist drin?“) enthalten sind. Ernsthaft verwertbar ist davon nur die aus ID entnehmbare quantitative Information. E½ erlaubt nur eine grobe Abschätzung, da es zusätzlich von vielen experimentellen Parametern beeinflußt wird. Abscheidung Rühren
Auflösen (Stripping) ruhende Lösung
Abscheidungspotential
anod. Strom
Zeit
Zeit
Abb. 2.35 Programm einer voltammetrischen Stripping-Bestimmung. Oben: Zeitlicher Verlauf der vorgegebenen Spannung. Unten: Resultierendes Signal
Amperometrische Sensoren erfordern nicht in jedem Falle, daß eine komplette Strom-Spannungs-Kurve aufgenommen wird. Um eine Information über die aktuelle Analytkonzentration und deren zeitliche Änderung zu erhalten, genügt es, wenn ein Potentialwert „im Grenzstrombereich“ fest eingestellt wird. Der sich einstellende Diffusionsgrenzstrom folgt allen Konzentrationsänderungen. Die
66
2 Grundlagen
Meßmethode heißt Amperometrie (im engeren Sinne) und ist wichtig für die Bestimmung von Äquivalenzpunkten bei Titrationen und für die Detektion von Konzentrationsänderungen in fließenden Strömen. Die voltammetrischen Meßmethoden für klassische (makroskopische) Elektrodenformen sind stark verbessert worden durch die Einführung von Impulsmethoden. Der Elektrode wird dann als Anregungssignal nicht einfach nur eine Spannungsrampe aufgeprägt. Überlagert werden Impulsfolgen, deren Wirkung getrennt auf elektronischem Wege abgefragt werden kann. Damit lassen sich Signale extrahieren, die ein wesentlich besseres Signal-Rausch-Verhältnis aufweisen. Am bekanntesten sind die Differenzpuls-Voltammetrie (DPV) und die Square-WaveVoltammetrie (SWV). Für miniaturisierte amperometrische Sensoren sind diese Techniken weniger bedeutungsvoll. Stripping-Methoden sind voltammetrische Zweischritt-Methoden. In einem ersten Schritt wird eine Anreicherungs-Elektrolyse durchgeführt. Dabei wird für möglichst kräftigen Antransport des Analyten gesorgt. Normalerweise läßt man entweder die Elektrode rotieren oder man rührt die Lösung. Bei Mikroelektroden sorgt die gekrümmte Diffusionsschicht auch ohne Konvektion für genügende Zulieferung der Probesubstanz. Das Potential wird im Grenzstrombereich gewählt, also möglichst weit im negativen Potentialbereich, wenn es darum geht, Metallionen durch Reduktion zum Metall abzuscheiden und dadurch auf der Elektrodenoberfläche zu konzentrieren. In einem zweiten Schritt wird das angereicherte Material elektrochemisch umgesetzt. Metalle werden anodisch oxydiert. Dabei entsteht ein kräftiges analytisches Signal, das wesentlich stärker ist als man es ohne vorherige Anreicherung erhalten würde. Das zeitliche Programm einer solchen Bestimmung gibt Abb. 2.35 schematisch wieder. Arbeitselektrode
Arbeitselektrode
E
Referenzelektrode
W
Hilfselektrode
Konstantstromgenerator I = const
t
Spannungsmessung E = f(t) dt/dE
Abb. 2.36 Meßaufbau für Konstantstrom-Stripping („chronopotentiometrisches Stripping“; „potentiometrische Stripping-Analyse, PSA“)
h t
2.2 Sensor-Chemie
67
Die Anreicherung kann auch darin bestehen, daß eine schwerlösliche Verbindung an einer Festkörperoberfläche gebildet wird, z.B. wie bei der anodischen Abscheidung von Bleispuren aus wäßriger Lösung als Bleidioxid an einer Platinelek2+ + trode: Pb + 6 H2O o PbO2 + 4 H3O + 2 e . Ebenso ist es möglich, die Anreicherung von Metallkationen adsorptiv durchzuführen. Dazu wird meist eine Lösung benutzt, die einen adsorbierbaren Ligand enthält, der mit dem zu bestimmenden Kation einen starken Komplex bildet. Man nutzt die Potentialabhängigkeit vieler Adsorptionsgleichgewichte aus. Dies folgt aus dem Gibbsschen Adsorptionssatz in seiner vollständigen Form, Gl.(2.46). Das für die Adsorption optimale Potential wird vorgegeben. Unter Rühren (wie bei der elektrolytischen Anreicherung) wird zunächst eine Schicht des Liganden auf der Elektrodenoberfläche gebildet, die ihrerseits Metallspuren adsorptiv bindet. Im zweiten Schritt wird wiederum das angereicherte Material elektrochemisch umgesetzt, wobei ein Signal entsteht. Die Bezeichnung Stripping rührt daher,. Daß der zunächst gebildete Materialfilm im zweiten Schritt wieder entfernt, also abgestreift („gestrippt“) wird. Die Anreicherung muß immer unter genau festgelegter Zeit und präziser Einhaltung der sonstigen Bedingungen durchgeführt werden. Für die Gewinnung des Stripping-Signals gibt es mehrere Möglichkeiten. Am weitesten verbreitet ist das voltammetrische Stripping (wie im Beispiel in Abb. 2.35). Dabei prägt man der Elektrode eine Spannungsrampe auf. Man läßt z.B. das Potential von dem Wert an, der für die kathodische Anreicherung notwendig war, in ein mehr positives Gebiet laufen, bis die elektrochemische Oxydation stattfindet. Es entsteht ein anodischer Strompeak, dessen Höhe annähernd linear von der Konzentration des Analyten abhängt. Alternativ dazu läßt sich das StrippingSignal auch durch einen konstanten Elektrolysestrom gewinnen. Dieses sog. chronopotentiometrische Stripping (auch „Potentiometrische Stripping-Analyse, „PSA“) führt zu stufenförmigen Spannungs-Zeit-Kurven, bei denen die Zeit IJ (s. Abb. 2.36) ein konzentrationsproportionales Signal darstellt. Meist wird auf mathematischem Wege die Ableitung dt/dE dieser Kurven gebildet, die leicht auswertbare peakförmige Kurven liefert. Die Analytkonzentration ist annähernd proportional der Peakhöhe. Stripping-Bestimmungen gehören zu den leistungsfähigsten Spurenbestim-10 mungsmethoden der analytischen Chemie. Nachweisgrenzen bis hinunter zu 10 -1 moll sind keine Seltenheit. Leitfähigkeits- und Impedanzmessungen Die Messung der elektrolytischen Leitfähigkeit liefert Informationen über die Ionenkonzentrationen (siehe dazu Abschn. 2.2.3). Andere wichtige analytische Informationen sind in der Impedanz von Elektroden enthalten. Unter Impedanz versteht man den Wechselstromwiderstand eines Zweipols, also eines elektrischen Bauelements mit zwei Anschlüssen. Als Zweipol kann auch eine Elektrolysezelle, bestehend aus zwei Elektroden, betrachtet werden. Zur Modellierung der inneren Vorgänge bedient man sich sogenannter Ersatzschaltbilder, die das Verhalten des Zweipols modellieren. Für die Elektrolysezelle erhält man ein Ersatzschaltbild wie in Abb. 2.37 links. Man erkennt die Galvanispannungen g1 und g2 an den Grenzflächen Elektrode/Lösung sowie den ohmschen Widerstand der Elektrolytlösung
68
2 Grundlagen
zwischen den Elektroden RL. Die Impedanzen der Elektrodengrenzflächen werden durch die komplexen Widerstände Z1 und Z2 (im Unterschied zum realen Widerstand RL) symbolisiert. Die Kondensatore CD1 und CD2 beschreiben die Tatsache, daß die elektrochemische Doppelschicht an den Grenzflächen wie ein Kondensator wirkt. Das Schaltbild läßt sich vereinfachen, wenn man sich auf Wechselstrommessungen beschränkt. Dann verschwinden die beiden Spannungen g1 und g2. Sorgt man ferner dafür, daß nur eine der beiden Elektroden bei der Messung wirksam wird, dann erhält man ein vereinfachtes Ersatzschaltbild wie in Abb. 2.37 rechts. In der Praxis wird die Konzentration auf die Arbeitselektrode durch die Anwendung von Regelschaltungen mit einem Potentiostaten und drei Elektroden erreicht.
CD1
CD
CD2
RL
RL
Z1 g1
Zf
g2 Z2
Abb. 2.37 Ersatzschaltbild der Elektrolysezelle. Links vollständig, rechts vereinfacht für Wechselstrommessungen (nur für die Arbeitselektrode)
elektrostatisch gebundene Kationen
adsorbierte Anionen
äußere Helmholtz-Fläche innere -
-
Elektrodenoberfläche
Abb. 2.38 Struktur der Doppelschicht an einer Elektrode in wäßriger Lösung
Die oben erwähnte elektrochemische Doppelschicht an der Grenzfläche Elektronenleiter-Ionenleiter ist ein Spezialfall unter den Phänomenen, die beim Zusammentreffen von Phasen mit unterschiedlichen Leitungsmechanismen entstehen. Wie in allen Fällen dieser Art bildet sich eine parallele Anordnung von Ladungsträgern entgegengesetzten Vorzeichens aus. Die elektrochemische Doppelschicht weist einige Besonderheiten auf. Auf der Lösungsseite wird die starre Anordnung der Ladungen ständig durch die spontane Wärmebewegung aller Teil-
2.2 Sensor-Chemie
69
chen gestört. Es bildet sich daher außer dem starren Teil (auch Helmholtzsche Doppelschicht genannt) noch ein räumlich in die Lösung hineinreichender Ladungsteil, die diffuse Doppelschicht, aus. Eine weitere Besonderheit ist die Solvatation, die besonders in wäßrigen Lösungen eine große Rolle spielt. Nach der gegenwärtig allgemein akzeptierten Vorstellung läßt sich innerhalb der starren Doppelschicht ein innerer Teil (die innere Helmholtz-Schicht, „IHP“) unterscheiden, der im wesentlichen aus adsorbierten Wasser-Dipolen und adsorbierten Anionen besteht, wie schematisch in Abb. 2.38 angedeutet. Die Ladungsmittelpunkte der Wasserdipole bzw. der adsorbierten Anionen bilden die Ebene der inneren Helmholtz-Schicht. Die äußere Helmholtz-Schicht wird durch die Radien der adsorbierten Teilchen begrenzt. Durch Wechselstrommessungen kann die Kapazität des DoppelschichtKondensators CD bestimmt werden. Es ist nicht verwunderlich, daß die Adsorption anderer Teilchen aus der Lösung zu starken Änderungen der Kapazität führt, wodurch analytische Aussagen gewonnen werden können. Die diffuse Doppelschicht wirkt bei Messungen störend. Sie wird stark unterdrückt, wenn ein großer Überschuß eines Leitsalzes in der Lösung vorhanden ist. Im vereinfachten Schaltbild steht das Symbol Zf für einen komplexen Widerstand, die sog. Faradaysche Impedanz. Diese gibt das Verhalten der Elektrodenoberfläche bei Stromfluß wieder. Der Widerstand RL ist der Widerstand der Lösung zwischen den Elektroden. Er entspricht dem Kehrwert des Leitwertes und hat rein ohmschen Charakter, d.h. er hat ein und denselben Wert für Gleichstromebenso wie für Wechselstrommessungen. Hingegen ist die Impedanz Zf frequenzund zeitabhängig. Analytische Informationen sind sowohl in RL als auch in Zf enthalten. Bei experimentellen Untersuchungen muß entweder die eine oder die andere Größe jeweils allein gemessen werden. REF ACGenerator
OV1 +
AUX
WORK
OV2 +
Oszilloskop
Abb. 2.39 Vereinfachte Schaltung eines Frequenzanalysators
Die elektrolytische Leitfähigkeit kann gemessen werden, indem entweder der Einfluß der Elektroden durch deren Gestaltung eliminiert wird oder indem man räumlich getrennt von den Elektrodengrenzflächen mißt. Im ersten Fall werden
70
2 Grundlagen
Imaginärteil Z´´ = Zf·sin ș
zwei große, künstlich aufgerauhte Elektrodenbleche benutzt, deren Doppelschichtkapazität CD sehr hoch ist. Da der Wechselstromwiderstand umgekehrt proportional der Kapazität ist, wird dieser bereits für Frequenzen im KilohertzBereich nahezu zu Null, und CD wirkt als „Kurzschluß“, so daß ausschließlich RL zur Wirkung kommt. Man kann dann mit der bekannten Wheatstoneschen Meßbrücke den Widerstand zwischen den Elektroden so messen wie jeden anderen ohmschen Widerstand. Bei der Vierpunktmethode, die besser geeignet für kleine Sensoren ist, wird die Leitfähigkeit aus dem Spannungsabfall entlang einer Lösungsstrecke zwischen den äußeren Elektroden bestimmt. Man könnte in diesem Falle mit Gleichstrom messen. Dabei wäre nachteilig, daß die Lösung nach und nach mit Elektrolyseprodukten verunreinigt wird. Deshalb wird auch bei der Vierpunktmethode die Messung mit Wechselstrom im Niederfrequenzgebiet (1 bis 10 kHz) vorgezogen. Weitere Ausführungen zur Meßtechnik finden sich im Kap. 5. Der Zusammenhang zwischen der totalen Ionenkonzentration und der Meßgröße ist durch die Gl. (2.19) gegeben. Ausführungsformen von Leitfähigkeitssensoren folgen im Kap. 5. Nicht in jedem Falle liegt bei Sensoren dieser Bezeichnung das Phänomen der elektrolytischen Leitfähigkeit zugrunde.
ș
Realteil Z´ = Zf·cos ș
Abb. 2.40 Nyquist-Diagramm
Bei der Messung der Faraday-Impedanz Zf beobachtet man konzentriert die Vorgänge an der Elektrodengrenzfläche. Der Lösungswiderstand RL wird so klein wie möglich gemacht, indem man einen großen Überschuß eines Leitsalzes (des Grundelektrolyten) zugibt. Dieses beteiligt sich nicht (außer einigen Adsorptionsphänomenen) an der Elektrodenreaktion, erhöht aber die Leitfähigkeit sehr stark. Die Messungen erfolgen meist mit Hilfe eines Potentiostaten, dessen Sollspannung eines kleines Wechselspannungssignal überlagert wird. Der Potentiostat erzwingt ein bestimmtes Potential an der Arbeitselektrode „WORK“ (d.h. eine bestimmte Spannungsdifferenz zur Referenzelektrode „REF“), das ständig durch das Wechselsignal gestört wird. Die Antwort auf diese Störung wird als Wechselstrom am Ausgang des Potentiostaten, getrennt von den Gleichstromsignalen, herausgefiltert und kann als Funktion der Frequenz dargestellt werden. Diese Anordnung, der sog. Frequenzanalysator (Abb. 2.39), sorgt gleichzeitig dafür, daß die gemes-
2.2 Sensor-Chemie
71
senen Größen nur von der Arbeitselektrode allein hervorgerufen worden sind. Die überlagerten Wechselsignale liegen im Millivoltbereich, sind also stets so klein, daß die Störung des Elektrodenzustands geringfügig bleibt und im zeitlichen Mittel ausgeglichen wird. Bei einer Frequenzanalyse wird die überlagerte Frequenz in 6 -2 einer Meßserie über einen großen Bereich variiert (meist zwischen 10 und 10 Hz, beginnend bei den hohen Frequenzen in etwa 50 – 100 Stufen). Die Extraktion der in der Faraday-Impedanz Zf enthaltenen Informationen erfolgt ganz anders als z.B. in der Voltammetrie. Ausgangspunkt ist die Aufteilung der Faraday-Impedanz in Real- und Imaginärteil: Zf = Z´ - j·Z´´ (mit der imaginä1 . Stellt man den Imaginärteil der Impedanz Z´´ als Funktion ren Einheit j des Realteils Z´ graphisch dar, ergibt sich das sog. Nyquist-Diagramm (Abb. 2.40).
CD RL
RT
ZW
Abb. 2.41 Ersatzschaltbild einer Elektrode. RT Durchtrittswiderstand (real) ZW Warburg-Impedanz (komplex)
Im Nyquist-Diagramm würde ein rein Ohmscher Widerstand als isolierter Punkt auf der x-Achse (der Z´-Achse) erscheinen. Eine reine Kapazität C würde bei Variation der Frequenzen eine senkrechte Linie auf der y-Achse (der Z´´Achse) darstellen. Ein RC-Glied (die Parallelschaltung von R und C bzw. deren Serienschaltungs-Äquivalent) stellt sich im Nyquist-Diagramm als Halbkreis dar, wenn alle Punkte im untersuchten Frequenzbereich aufgetragen werden. Tatsächlich läßt sich das Verhalten der Elektrode als RC-Glied mit vorgeschaltetem Serienwiderstand modellieren. Um alle Informationen darstellen zu können, muß das Ersatzschaltbild erweitert werden. Günstig ist es, die Faraday-Impedanz in zwei Anteile zu unterteilen, die durch die hintereinandergeschalteten, ebenfalls komplexen, Widerstände ZT und ZW dargestellt werden. ZT bringt das Verhalten des Teilprozesses Ladungsdurchtritt zum Ausdruck. ZW (die sog. Warburg-Impedanz) modelliert das Verhalten der Transportvorgänge (normalerweise Diffusion). ZT ist in vielen Fällen nicht frequenzabhängig, kann daher mit RT bezeichnet werden. Das resultierende Ersatzschaltbild zeigt Abb. 2.41. Bei hohen Frequenzen überwiegt der Einfluß der kinetischen Hemmungen, die durch RT zum Ausdruck gebracht werden. Je niedriger die Frequenz, desto stärker wird der Einfluß der Diffusion, gegeben durch die Warburg-Impedanz ZW. Das Verhalten von ZW stellt sich im Nyquist-Diagramm als Gerade mit einem Anstieg von 45° dar. Für viele Elektroden ergibt sich daher das in Abb. 2.42 gezeigte Aussehen. Die Informationen über die Elektrodenprozesse sind sehr umfangreich, jedoch nicht ohne weiteres in anschauliche Vorstellungen umzusetzen.
72
2 Grundlagen
chemische Kinetik dominierend
Z’’
Transportprozesse (Diffusion) dominierend
d llen ω fa
Z’
Rohm
Abb. 2.42 Nyquist-Diagramm für eine typische Elektrode
Moderne Frequenzanalysatoren geben automatisch die Störspannung U vor und bestimmen die resultierende „Antwort“ I . Zu jedem Meßpunkt wird die Phasenverschiebung θ bestimmt. Aus diesen Ergebnissen berechnet der Analysator die Faraday-Impedanz Zf. Daraus wiederum wird selbständig vom Gerät Z´und Z´´ ermittelt und als Nyquist-Diagramm dargestellt. Dieser hohe Automatisierungsgrad macht die Technik auch für einfache Sensoren in zunehmendem Maße zugänglich. Oftmals sind aber sog. impedimetrische Sensoren nichts anderes als gewöhnliche Leitfähigkeitssensoren. 2.2.7 Chemische Wechselwirkungen: Ionenaustausch; Extraktion; Adsorption
1
1
γB
0,5
0
0,5
0,5
0
0
0
0,5
γA
1
1
Abb. 2.43 Austauschisothermen für die Ionen A und B
Der Begriff „Chemische Wechselwirkungen“ wird nicht eindeutig gebraucht. Es gibt eine fließenden Übergang zum Begriff „Chemische Reaktion“. Im Selbstver-
2.2 Sensor-Chemie
73
ständnis der meisten Chemiker sind Wechselwirkungen wie z.B. die Adsorption oder der Ionenaustausch gewissermaßen „nicht ganz vollendete chemische Reaktionen“. Es fehlt der vollständige Umsatz von Reaktanden. Wechselwirkungen kommen meist durch schwache Kräfte wie die van-der-Waals-Kräfte zustande. Andererseits können alle Arten der chemischen Bindung beteiligt sein, die an Reaktionen mitwirken. Wechselwirkungen sind oft reversibel und schnell. Im Gebiet der chemischen Sensoren sind bestimmte chemische Wechselwirkungen sehr wichtig, weil sie bei der Anreicherung von Spurenkonzentrationen an Grenzflächen mitwirken oder zu Oberflächenschichten mit geordneter Feinstruktur führen können. In den folgenden Abschnitten werden die Grundlagen einiger besonders verbreiteter Wechselwirkungsgleichgewichte behandelt. Ionenaustausch
Ionenaustausch findet an der Oberfläche von Polyelektrolyten statt. Das können natürlich vorkommende silikatische Mineralien, z.B. die Zeolithe sein. Meist bezieht sich der Begriff auf synthetische Polymere, die an ihrer Oberfläche mit sog. Ankergruppen belegt wurden. Ionenaustausch kann aber auch an ganz anderen Oberflächen stattfinden, so z.B. an oxidiertem Graphit oder an der Grenzfläche von Wasser und einem nichtwässerigen Lösungsmittel, das bestimmte amphiphile Substanzen enthält, die sich an der Grenzfläche anreichern. Wie der Name sagt, können locker fixierte Ionen gegen andere ausgetauscht werden. Tabelle 2.7 Beispiele für Ionenaustauscher Anorganische Ionenaustauscher: Zeolithe (Alumosilikate) und Apatite Organische Kationenaustauscherharze Grundkörper
Ankergruppe
Phenoplaste
-OH
Sulfonierte Zellulose
schwach sauer
-COOH
schwach sauer
-SO3H
stark sauer
-PO(OH)2
schwach sauer
-SO3H
stark sauer
Organische Anionenaustauscherharze Aminoplaste
-NH2
schwach basisch
-NHR
schwach basisch
-NR2
stark basisch
Ionenaustauscher-Membranen (z.B. NAFION®) Selektive Durchlaßfähigkeit nur für Ionen eines Typs
74
2 Grundlagen
Die Abb. 2.44 zeigt das Schema zweier typischer Austauscherharze. Beide Ankergruppen gehören der Gruppe der starken Elektrolyte an, d.h. die Ionen sind durch rein elektrostatische Kräfte fixiert. Man spricht von stark basischen Anionenaustauschern und stark sauren Kationenaustauschern. Der Austausch an solchen Gruppen ist unselektiv. Es geht nur um die Mengenverhältnisse. Wenn ein großer Überschuß fremder Ionen angeboten wird, also z.B. der Anionenaustauscher mit relativ konzentrierter Natriumchloridlösung in Kontakt kommt, dann werden die OH - Ionen am Harz gegen Cl ausgetauscht. Die Lösung wird alkalisch, da aus NaCl Natronlauge NaOH entstanden ist. Ähnliche Prozesse finden + am Kationenaustauscher statt. Dort können z.B. Natriumionen statt H fixiert werden. Austauscherharze sind quellbar und entwickeln durch Wasseraufnahme eine sehr große innere Oberfläche. Dadurch ist ihre Aufnahmekapazität für Ionen groß. Dies ist Voraussetzung für ihre Verwendung zur Wasserenthärtung. Anionenaustauscher
Kationenaustauscher
Harz-Gerüst
Harz-Gerüst
N(CH3)3+OH-
SO3-H+
N(CH3)3+OH-
SO3-H+
Abb. 2.44 Ionenaustauscher mit typischen Ankergruppen
Schwach saure Harze haben oft COOH-Gruppen statt der SO3H-Gruppe als Ankergruppen, bei schwach basischen Harzen treten z.B. Ankergruppen der Form -NHR-NH3OH auf. Bei den schwachen Polyelektrolyten ist die Wechselwirkung mit den Gegenionen nicht mehr rein elektrostatischer Natur, sondern enthält homöopolare Bindungsanteile. Dadurch wird der Ionenaustausch „selektiv“. In Tabelle 2.7 sind Beispiele für Ionenaustauscher angeführt, darunter auch Austauschermembranen, deren Besonderheit die Durchlaßfähigkeit für jeweils nur einen Typ von Ionen ist (entweder Kationen oder Anionen werden durch gelassen, der jeweils andere Typ wird zurückgehalten. Das Material der Austauscherfolien wird oft auch als Beschichtung für Elektrodenoberflächen verwendet. Es bietet reiche Modifizierungsmöglichkeiten. Das Ionenaustauschgleichgewicht kann formuliert werden als H + + Na + U H + + Na +
mit Na + ; H +
(am Harz "fixierte" Ionen)
† Zur Beschreibung verwendet man die Gleichgewichtskonstante K Na ,H
K
† Na , H
=
a Na + a H + a Na
+
aH
Oder den Selektivitätskoeffizienten K Na + ,H+
+
(2.42)
2.2 Sensor-Chemie
K Na + , H+ =
c Na + c H +
75
(2.43)
c Na + c H +
Da c Na + und c H + schlecht bestimmt werden können, werden
stattdessen
Äquivalentanteile Ȗ definiert, die experimentell zugänglich sind:
J Na = +
c Na + c Na
+
+cH +
und J
Na +
=
c Na + c H c Na + +
+
Wenn man den Selektivitätskoeffizienten mit Äquivalentanteilen formuliert, ergibt sich die folgende Gleichung. Bei mehrwertigen Ionen sind noch die Stöchiometriezahlen Ȟ zu berücksichtigen. K Na + , H+ =
J Na + J H +
(2.44)
J Na + J H +
Zur Veranschaulichung des Gleichgewichtes benutzt man die Austauschisotherme. Ein Beispiel für das Gleichgewicht A + B U A + B zeigt Abb. 2.43.
c(I2) in CS2 / mmol·l-1
Extraktion
1
c(I2) in H2O / μmol·l-
Abb. 2.45 Verteilungsisotherme von Jod zwischen Wasser und Kohlenstoffdisulfid
Das Extraktionsgleichgewicht oder Verteilungsgleichgewicht stellt sich ein, wenn ein Stoff in zwei im Kontakt stehenden Phasen löslich ist. Es gilt der Nernstsche Verteilungssatz: Ein Stoff, der in zwei nicht mischbaren Flüssigkeiten löslich ist, verteilt sich zwischen diesen so, daß das Verhältnis seiner Aktivitäten eine Konstante ergibt. Als Gleichung geschrieben gilt
76
2 Grundlagen
a II (2.45) aI Die zugehörige Gleichgewichtskonstante heißt Verteilungskoeffizient. Die beiden miteinander in Kontakt befindlichen Phasen werden mit den hochgestellte Phasenindices I, II bezeichnet. Näherungsweise gilt Gl. (2.45) auch, wenn sie mit Konzentrationen statt Aktivitäten formuliert wird. Alternativ ist auch das VerteiII ctot in Gebrauch, wobei mit den Totalkonzentrationen ctot die lungsverhältnis D I ctot Summe der Konzentrationen aller Formen eines Stoffes gemeint ist, also z.B. auch solche, die durch Assoziation oder Dissoziation entstanden sind. Die Zusammenhänge lassen sich auch bei Extraktionsgleichgewichten in Form von Isothermen darstellen. Ein Beispiel zeigt Abb. 2.45. Geraden werden nur erhalten, wenn mit dem Phasenübergang keine Assoziations- oder Dissoziationserscheinungen verbunden sind. Extraktionsgleichgewichte finden sich in vielfältiger Form bei chemischen Sensoren. Sensoren auf der Basis von Flüssigmembran-ISE nutzen Extraktionsgleichgewichte, indem in der Flüssigmembran bestimmte Liganden gelöst werden, die mit Ionen aus der Probelösung Verbindungen bilden. Damit gelingt es, an der Phasengrenze eine konzentrationsabhängige Galvanispannung zu erzeugen, die das Potential meßbar verändert. Bei optischen Sensoren kann man das Prinzip der Extraktionsphotometrie in modifizierter Form anwenden. Dieses besteht darin, daß in einem nichtwässerigen Lösungsmittel ein Ligand gelöst ist, der nicht nur feste Komplexe mit einem Probeion bildet und dieses dadurch aus der Probelösung heraus anreichert, sondern dessen Komplexe darüber hinaus auch noch stark farbig sind, so daß der Extrakt direkt photometrisch untersucht werden kann. Dieses Schema läßt sich mit Sensoren auf der Basis von Lichtleitern nachbilden. † K Extr
c
ǻc
x
Abb. 2.46 Adsorption an einer Grenzfläche. x Entfernung von der Grenzfläche, ǻc Konzentrationüberhöhung infolge Adsorption
2.2 Sensor-Chemie
77
Adsorption
Unter Adsorption wird meist die Anreicherung von Substanzen an einer Phasengrenze verstanden (allerdings schließt der Begriff auch den umgekehrten Fall, d.h. die Abreicherung oder negative Adsorption, ein). Die Konzentrationüberhöhung ǻc (Abb. 2.46) bezogen auf die Größe der 2 Grenzfläche A ergibt eine „zweidimensionale Konzentration“ ī / mol/cm 'c f (T , c) . („Grenzflächenkonzentration“; „Adsorptionsbedeckung“) * A Adsorptionsgleichgewichte lassen sich in zwei Gruppen unterteilen (Tabelle 2.8). Beide sind bedeutungsvoll für die chemischen Sensoren. Tabelle 2.8 Arten von Adsorptionsgleichgewichten
Adsorptionsenthalpie
Physisorption (Kapillarkondensation; van-der-Waals-Adsorption) 8–25 kJ/mol
über 40 kJ/mol
Bindung
schwach, unselektiv
stark, selektiv
Gleichgewichtseinstellung
schnell
langsam
Chemisorption (spezifische Adsorption)
Für Physisorptionsgleichgewichte gilt allgemein der Gibbssche Adsorptionssatz. Dieser beschreibt in seiner vollständigen Form, wie sie Gl. (2.46) wiedergibt, die Abhängigkeit der Oberflächenspannung ı vom chemischen Potential μ (das ist die auf eine Teilchensorte bezogene Freie Enthalpie) und vom Elektrodenpotential, gegeben durch die Potentialdifferenz über die Phasengrenzfläche, d.h. die Differenz der Potentiale in der Metallphase ijM und der Lösungsphase ijL. Die Größe q in Gl. (2.46) bezeichnet die Flächenladung auf der Lösungsseite. Es gibt also eine Abhängigkeit der Oberflächenspannung von der Zusammensetzung und von der elektrischen Ladung auf der Oberfläche. Der erste Term, für sich allein genommen, sagt, daß Stoffe, die sich an Grenzflächen anreichern, immer die Oberflächenspannung erniedrigen. Dies ist eine bekannte Tatsache, die man im Alltagsleben von den waschaktiven Substanzen, den Tensiden, kennt. Der zweite Term liefert die Erklärung dafür, daß das Ausmaß der Adsorption potentialabhängig ist.
dV
¦ * d P qd M M M L
(2.46)
Man kann also bestimmte Substanzen aus einer Lösung heraus durch Anlegen von Spannungen an Oberflächen binden und dadurch analytisch bestimmen. Ebenso ist es auch möglich, durch Kapazitätsmessungen der Elektrodenoberfläche die Größe ī, also die Oberflächenkonzentration eines zuvor angereicherten Analyten, zu ermitteln. Das ist eine Aufgabe der elektrochemischen Impedanzspektroskopie (EIS), die in zunehmendem Maße auf Sensoren und Sensor-Arrays angewendet wird.
78
2 Grundlagen
Für die Praxis wichtig sind die Adsorptionsisothermen, die die Abhängigkeit ī=f(c) für bestimmte Bedingungen beschreiben. Es gibt verschiedene Typen von Adsorptionsisothermen. Die meisten der praktisch wichtigen Adsorptionsgleichgewichte werden gut durch die Langmuirsche Adsorptionsisotherme, Gl. (2.47), wiedergegeben. Abb. 2.47 zeigt die Kurvenform. Man erkennt einen linearen Anstieg von ī für kleine Konzentrationen des adsorbierbaren Stoffes und einen Sättigungswert īf für hohe Konzentrationen. Ein solcher Verlauf ist typisch für die Ausbildung einer monomolekularen Absorptivschicht (Monoschicht), die sehr häufig vorkommt. Abwandlungen der Langmuir-Isotherme berücksichtigen zusätzliche Effekte, wie z.B. Wechselwirkungen der Moleküle innerhalb der Monoschicht. Andere Isothermentypen sind für Mehrfachschichten geeignet. c (2.47) * *f k c Adsorptionsvorgänge spielen eine wichtige Rolle bei der Herstellung chemischer Sensoren. Oftmals ist die Ausbildung einer adsorptiven Monoschicht der erste Schritt für die Funktionalisierung einer Sensoroberfläche. Das gilt für elektrochemische und optische Sensoren gleichermaßen. ī īf
c
Abb. 2.47 Langmuirsche Adsorptionsisotherme
2.2.8 Besonderheiten biochemischer Reaktionen
Biochemische Reaktionen sind zwar nur ein kleiner Teil der unendlichen Vielfalt chemischer Reaktionen, sie sind aber von einigen Besonderheiten geprägt, so daß es sich lohnt, wenigstens auf einige Teilaspekte einzugehen. Anders wäre es nicht möglich, die Funktionsweise der zahlreichen modernen Biosensoren zu verstehen. Typisch für die biochemischen Reaktionen ist, daß organische Riesenmoleküle, meist Polyelektrolyte, beteiligt sind. Dies sind fast immer Eiweißmoleküle, aber auch andere Moleküle spielen eine wichtige Rolle, wie z.B. die Nucleinsäuren. Diese natürlichen Moleküle sind keine zufällig entstandenen Anhäufungen von molekularen Baueinheiten, sondern vielmehr höchst komplexe, wohlstrukturierte Körper, die in präziser Weise hochkomplizierte Funktionen ausüben. Einige dieser
2.2 Sensor-Chemie
79
Funktionen sind von besonderer Bedeutung für Biosensoren und werden in den folgenden Abschnitte kurz skizziert. Enzymatische Reaktionen
Enzyme sind Biokatalysatoren mit außerordentlich hoher Selektivität. Sie sind 4 5 Eiweißmoleküle mit Molmassen zwischen etwa 10 bis 10 Da. Enzyme wirken unter milden Bedingungen, d.h. meist bei Zimmertemperatur oder wenig darüber, und bei pH-Werten nahe dem Neutralpunkt. Biosensoren mit Enzymen enthalten normalerweise eine an der Sensoroberfläche immobilisierte Schicht der Enzymmoleküle, die die Reaktion mit einer ganz bestimmten biologisch wirksamen Substanz katalysieren und so eine biochemische Erkennung realisieren lassen. Die wichtigste Eigenschaft der Enzymmoleküle ist ihre spezifische dreidimensionale Konfiguration, die innerhalb einer (nur für spezielle Moleküle passenden) Öffnung eine aktive Stelle enthält. An dieser Stelle findet die Umsetzung des Substrates zum Produkt statt. Das Enzymmolekül erkennt sein Substrat räumlich, also nach dem Schloß-Schlüssel-Prinzip. Die aktive Stelle macht nur einen räumlich sehr kleinen Teil des Moleküls aus. Sie dient im wesentlichen zur Stabilisierung des Übergangskomplexes aus Substrat und Enzym (ES). Wie bei allen Katalysatoren wird so die Aktivierungsenergie des Prozesses entscheidend gesenkt. Enzymkatalysierte Reaktionen folgen dem allgemeinen Schema G
k1 k2 o ES E + S m oE+P H k1
E bedeutet das Enzym, S das Substrat, P die Produkte und ES den EnzymG H Substrat-Komplex. k1 , k1 und k 2 sind die Geschwindigkeitskonstanten der betreffenden Reaktionen. Sobald alle aktiven Stellen der vorhandenen Enzymmoleküle besetzt sind, herrscht Sättigung. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird dann nahezu konstant, sofern das Substrat in großer Menge vorliegt. Wenn man die Rückreaktion von E mit P vernachlässigt, ergibt sich für die Reaktionsgeschwindigkeit der Bildung von ES: H d ES G (2.48) v k1 c E c S k1 c ES k2 c ES 0 dt Eine wichtige Kenngröße enzymatischer Reaktionen ist die MichaelisKonstante KM, die definiert ist durch Gl. (2.49): H k1 k2 (2.49) G KM k1 Da die Totalkonzentration des Enzyms ctot(E) gleich der Summe aus den Konzentrationen des freien Enzyms c(E) und des im Komplex enthaltenen c(ES) ist, gilt: ctot E c S (2.50) c ES KM c S Die Geschwindigkeit der enzymkatalysierten Reaktion ist dann durch eine wichtige Beziehung, die Michaelis-Menten-Gleichung, gegeben:
80
2 Grundlagen
v
d cS dt
k2 c ES
k2 ctot E c S KM c S
(2.51)
Für den oben erwähnten Grenzfall, daß alle aktiven Stellen besetzt sind, und für hohe Substratkonzentration (d.h. c(S) >> KM), ergibt sich die maximale Reaktionsgeschwindigkeit vmax = k2 · ctot(E). Für den Fall sehr kleiner Substratkonzentrationen (also c(S) A@ >R @
(8.3) (8.4)
Für die Menge des gebildeten farbigen Produkts AR ergibt sich die Konzentrationsabhängigkeit ª AR º K > A @> R @ (8.5) ¬ ¼ Da die Gleichgewichtskonzentration von A annähernd gleich der Lösungskonzentration cA ist, und unter der Annahme, daß R die Differenz aus der GesamtReagenskonzentration cR und ª¬ AR º¼ ist, erhält man aus Gl. (8.5): K c A cR ª AR º (8.6) ¬ ¼ 1 K c A
8.3 Optoden: Fasersensoren mit chemischem Rezeptor
217
Die Änderung der Oberflächenkonzentration des farbigen Produkts AR mit der Lösungskonzentration der Probe folgt dann einer nichtlinearen Abhängigkeit (Abb. 8.8). Für sehr kleine Analytkonzentrationen, d.h. für cA